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German Pages 449 [452] Year 1954
DAS DEUTSCHE STRAFRECHT
Eine s y s t e m a t i s c h e Darstellung von Dr. H A N S
WELZE!
Professor in Bonn
Dritte Auflage
B e r l i n 1954 W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. Vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp.
Der eiste Teil des Baches ist zugleich die 6. erweiterte Àuflage von: „Der Allgemeine Teil des Deutschen Strafrechts in seinen Grundzügen"
Archiv-Nr. 23 14 54 Sati: Walter de G r u y t e r 4 Co., Berlin W 35
Druck: Buchkunst, Berlin W 36
Alle Rechte, einschließlich des Beohts der Herstellung von Fhotokopien und Mikrofilmen, vorbehalten.
Vorwort zur 3. (6.) Auflage Seit der letzten Auflage sind vier Jahre vergangen — eine kurze Zeit, die jedoch für die Entwicklung der strafrechtlichen Dogmatik von großer Fruchtbarkeit und starker geistigen Bewegung war. Das wichtigste Ereignis dieser Jahre war die Übernahme des Kernstücks der hier vertretenen Lehre durch den Bundesgerichtshof im Plenarbeschluß vom 18. 3.1952 über die Behandlung des Verbotsirrtums. Die kaum zu überschätzende Bedeutung dieses Beschlusses macht die Heftigkeit verständlich, mit dem die Auseinandersetzung um ihn geführt wurde. Hier schien es mir die erste Aufgabe zu sein, die dogmatischen Grundlagen, auf denen der Beschluß beruht, gegenüber Mißverständnissen und Mißdeutungen klar zu stellen (ζ. T. auch gegenüber dem BGH. selbst) und die rechtsphilosophischen Wertprinzipien aufzuzeigen, aus denen er sich ergibt und die er in der Sozialwext zur Geltung zu bringen versucht. Zwar hatte ich die Bedeutung der „Verantwortungsethik" schon in meinem Aufsatz „Über die ethischen Grundlagen der sozialen Ordnung" (SJZ. 47/409ff.) herausgearbeitet, aber ihre Beziehung zur Schuldtheorie scheint doch — trotz der deutlichen verantwortungsethischen Sprachführung des Plenarbeschlusses — weithin unbekannt geblieben zu sein. Die Behandlung des Verbotsirrtums im Strafrecht ist ja alles andere als ein bloß rechtstechnisches Problem, am wenigsten aber eine Zweckmäßigkeitsfrage (ein „kriminalpolitisches Anliegen"), sondern sie betrifft die für das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft schlechthin entscheidende Frage nach dem Umfang und den Grenzen der sozialethischen Verantwortung der Person. Die traditionell gewordene, weitverbreitete gesinnungsethische Haltung in Deutschland hat das Verantwortungsmoment verhängnisvoll verkürzt, indem sie die Frage nach der Verantwortung für die Richtigkeit der Entscheidung aus dem Schuldbegriff ausschied. In der modernen Vorsatztheorie schickt sie sich jetzt an, auch im Strafrecht Fuß zu fassen. Gegenüber dieser Verkürzung des Schuldbegriffs stellt die Schuldtheorie und die ihr zugrundeliegende Verantwortungsethik den vollen Umfang der sozialethischen Verantwortung und damit auch die volle Substanz der sittlichen Person wieder her. An dieser Stelle wird im Strafrecht eine der entscheidenden Weichen in die Zukunft unserer individuellen und staatlichen Existenz gestellt. (Vgl. dazu meinen Karlsruher Vortrag „Aktuelle Strafrechtsprobleme im Rahmen der finalen Handlungslehre" 1953.)
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Vorwort
Die zweite Aufgabe, die der Plenarbeschluß stellte, ging dahin, ihn für die Einzelauslegung fruchtbar zu machen. Hier lag und liegt noch ein weites Feld wissenschaftlicher Forschung vor uns. Allzusehr orientiert sich die Theorie an den verhältnismäßig einfachen Tatbeständen der Persönlichkeitsoder Vermögensdelikte und läßt die Praxis bei der dogmatischen Erfassung entlegener Deliktsgruppen, etwa der Amtsdelikte oder der Delikte gegen die Staatsgewalt, im Stich. Darum habe ich mich bemüht, die Schuldtheorie auch in diesen vernachlässigten Teilen des StGB, zur Geltung zu bringen. Eine weitere Aufgabe ging dahin, die in den letzten vier Jahren erreichte „finalistische" Bewältigung der Fahrlässigkeit in dieses Buch einzuarbeiten. Noch die letzte Auflage hatte hier Mängel enthalten, die erst durch die Arbeiten von N i e s e („Finalität, Vorsatz und Fahrlässigkeit", 1951) und durch mein „Neues Bild des Strafrechtssystems" (2. Aufl. 1952) überwunden worden sind. Dabei war auch ein Versäumnis der Dogmatik nachzuholen, die an der Fahrlässigkeit die Tatbestands- und die Rechtswidrigkeitsseite gegenüber dem Schuldmoment vernachlässigt hat. Was der Tatbestand und was die Rechtswidrigkeit bei den fahrlässigen Delikten sind, hat sie meist ignoriert. Diese objektiven Momente hat nun die (angeblich „subjektivistische") finale Handlungslehre herausgearbeitet und damit einen dogmatisch klaren Aufbau der fahrlässigen Delikte ermöglicht. Das unten in § 77 skizzierte Aufbauschema gibt das Ergebnis in aller Kürze wieder. Es soll zugleich zeigen, in welcher Weise bei der praktischen Anwendung der schwierigen Strafbestimmungen für fahrlässiges Verhalten die einzelnen konstitutiven Verbrechenselemente erschöpfend und in ihrem sachlichen Verhältnis zueinander zu untersuchen sind. Daneben hat mir die ebenfalls stark vernachlässigte Dogmatik der Unterlassungsdelikte am Herzen gelegen. Hier glaube ich, der finalen Handlungslehre eine finale Unterlassungslehre zur Seite gestellt zu haben. Dafür mußte der grundlegende Unterlassungsbegriff geklärt und die Aufbauelemente (Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, Schuld) sowohl für die echten wie für die unechten Unterlassungsdelikte ermittelt werden. Das Ergebnis habe ich ebenfalls in einem Aufbauschema (§ 77) zusammengefaßt, das bei der praktischen Anwendung der Unterlassungsdelikte behilflich sein soll. Auch die Darstellung des Besonderen Teils hat tiefe Eingriffe erfahren. Sie ist zunächst stark erweitert und auf den letzten, durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz gekennzeichneten Stand gebracht worden. Vor allem aber wurde die bisher übliche kommentatorische Besprechung der einzelnen Tatbestandsmerkmale überwiegend durch eine systematische Bearbeitung des jeweiligen Deliktsganzen ersetzt. Auch sie wird, wie ich hoffe, die praktische Anwendung der Strafbestimmungen, besonders in den entlegenen Partien des StGB., erleichtern.
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Vorwort
Dank schulde ich den zahlreichen jungen Juristen, die in Göttingen und Bonn Teilnehmer meiner Seminare waren. Wenn ich die Ergebnisse der vierjährigen Arbeit an diesem Buch vor meinen Augen vorüberziehen lasse, so tauchen bei jedem Problem die Seminarstunden auf, in denen es behandelt wurde und in denen seine Lösung in scharfer Auseinandersetzung ihre Bewährungsprobe bestehen mußte. Meinen Schülern gilt in diesem Augenblick mein besonderer Dank. Zwei von ihnen, deren Beiträge für mich von besonderem Wert waren, möchte ich auch namentlich nennen, die Herren Dr. A r m i n K a u f m a n n und Dr. G ü n t e r S t r a t e n w e r t h . Dem ersteren danke ich außerdem noch für die Hilfe, die er mir bei der Drucklegung dieses Buches und durch die Anfertigung der Register gewährt hat. B o n n , im November 1953. Hans Welzel
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Inhaltsverzeichnis Seite
Vorwort Wichtige Abkürzungen
III XI
Einleitung: Das Strafrecht § 1. § 2. § 3. § 4. § 5. § 6.
Sinn und Aufgabe des Strafrechts Überblick über die Geschichte des deutschen Strafrechts Quellen und Schrifttum des Strafrechts Der Begriff des Strafrechts Strafrecht und Strafgesetz Der Geltungsbereich des deutschen Strafrechts
1 9 13 15 18 22
Allgemeiner Teil Erstes Bach: Das strafbare Verhalten und sein Täter § 7. Vorbemerkung: Aufgabe und Gegenstand der allgemeinen Lehren des Strafrechts
26
Erster Teil: Der Aufbau des Verbrechens und das Wesen des Täters, Einleitung: Die Handlungslehre §8. Der Handlungsbegriff § 9. Das Kausalproblem im Strafrecht
28 34
Erstes Kapitel: Das Unrecht und seine Täter § 10. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des strafrechtlichen Unrechts 39 Erster Abschnitt: Das Unrecht der vorsätzlichen Delikte § 11. Der Unrechtsbegriff der vorsätzlichen Delikte § 12. Der objektive Tatbestand § 13. Der subjektive Tatbestand
44 47 48
VIII
Inhaltsverzeichnis Seite
§ 14. § 15. §16. § 17.
Die Rechtfertigungsgriinde Die Täterschaft Die Teilnahme Der Täter als kriminologischer Typ
68 72 82 91
Zweiter Abschnitt: Das Unrecht der fahrlässigen Delikte § 18. Der Unrechtsbegriff der fahrlässigen Delikte
94
Zweites Kapitel : Die Schuld § 19. Das Wesen der Schuld (die Vorwerfbarkeit) 101 § 20. Die existentiellen Voraussetzungen des Schuldvorwurfs: Willensfreiheit und Zurechnungsfähigkeit 105 § 21. Die Vorwerfbarkeit und ihre Momente 116 Ζ «reiter Teil: Die Stufen der .¡Verbrechensverwirklichung. Der Versuch § 22. Die Stufen der Verbrechensverwirklichung, insbesondere der Versuch . . 137 §23. Der Rücktritt vom Versuch 144 Dritter Teil: Die strafbare Unterlassung § 24. Der Begriff der Unterlassung § 25. Strafbare Unterlassung gebotener Tätigkeit als solcher (echte Unterlassungsdelikte) § 26. Strafbare Unterlassung gebotener Erfolgsabwendung (unechte Unterlassungsdelikte)
147 149 150
Vierter Teil : Verbrechenseinheit und -Mehrheit § 27. Die Handlungäeinheit und die Einheit strafbarer Lebensführung . . . . § 28. Zusammentreffen mehrerer Verbrechenstatbestände in einer Handlung (die Idealkonkurrenz) §29. Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen (die Realkonkurrenz)
167 164 168
Zweites Buch : Die Strafen und die sichernden Maßregeln § 30. § 31. §32. § 33. §34.
Vom Wesen der Strafe und der sichernden Maßregeln Das Strafensystem Die Strafbemessung Die Maßregeln der Sicherang und Besserung Strafe, Zuchtmittel und Erziehungs maßregeln des Jugendstrafrechts
. .
169 178 182 188 193
Inhaltsverzeichnis
IX
Besonderer Teil Die einzelnen Verbrechen §36.
Einleitung: Systematik des Besonderen Teils
Beite
199
Erstes Buch: Verbrechen gegen die Persönlichkeit §36. § 37. § 38. §39. §40. § 41. § 42. § 43.
Die Tötungsverbrechen Die Körperverletzung Gefährdung von Leib und Leben Die Abtreibung Die Beleidigung Straftaten gegen die persönliche Freiheit Der Hausfriedensbruch Verletzung fremder Privatgeheimnisse
201 207 212 216 220 231 237 239
Zweites Buch : Die Yermögensverbrechen
§ 44. § 46. §46. § 47. §48. § 49.
E r s t e r A b s c h n i t t : Die E i g e n t u m s v e r b r e c h e n Die Zueignungsdelikte im allgemeinen Die Unterschlagung Der Diebstahl Besondere Formen des Diebstahls und diebstahlsähnliche Fälle Der Raub Die Sachbeschädigung
241 245 247 251 258 259
Zweiter A b s c h n i t t : S t r a f t a t e n gegen Aneignungs-, F o r d e r u n g s - u n d Sicherungsrechte § 60. Jagd- und Fischereiverbrechen § 61. Straftaten gegen Forderungs-, Sicherungs- und Nutzungsrechte
260 262
D r i t t e r A b s c h n i t t : V e r b r e c h e n gegen das gesamte Vermögen § 62. § 63. §64. § 65. § 66.
Der Betrug Die Erpressung Die Untreue Strafbare Vermögensgefährdung und Ausbeutung Sachliche (unechte) Begünstigung und Hehlerei
264 273 276 281 283
χ
Inhaltsverzeichnis
Drittes Bach: Verbrechen gegen das Gemeinschaftsleben E r s t e r A b s c h n i t t : U r k u n d e n - u n d Geldverbrechen § 67. Systematischer Uberblick über die Urkundendelikte; der Urkundenbegriff § 68. Die Urkundenfälschung §¡59. Die übrigen Urkundendelikte (Falschbeurkundung, Urkundenunterdrückung, Mißbrauch von Ausweispapieren, Grenzverrückung) § 60. Straftaten gegen das Münzwesen sowie an Stempel- und Postwertzeichen
291 296 302 306
Zweiter A b s c h n i t t : Verbrechen^gegen die s i t t l i c h e n Grundlagen des sozialen Lebens § 61. § 62. § 63. §64.
Straftaten gegen Personenstand, Ehe und Familie Straftaten der Sexualsphäre (Sittlichkeitsdelikte) Störung des religiösen Friedens und der Totenruhe Tierquälerei
307 316 329 332
D r i t t e r A b s c h n i t t : S t r a f b a r e S t ö r u n g e n des Gemeinschaftslebens §66. Gemeingefährliche Straftaten 333 § 66. Verletzung elementarer Verkehrsrücksichten und sozialer Pflichten . . . 344
Viertes Buch: Verbrechen gegen den Staat § 67. § 68. § 69. § 70. § 71. §72. §73. § 74. 75. § 76.
Straftaten gegen den Bestand des Staates Störung der Beziehungen zu ausländischen Staaten Straftaten gegen den Volkswillen Auflehnung gegen die Staatsgewalt Störung des Volksfriedens Strafbare Eingriffe in die Staatsverwaltung Straftaten gegen die Volkskraft Straftaten gegen die Rechtspflege Fortsetzung: Falsche Beweisaussage Die Amtsverbrechen
§ 77. Anhang. Schema für den Verbrechensaufbau. Zugleich Anleitung zur Bearbeitung strafrechtlicher Fälle Gesetzesregister Sachverzeichnis
361 357 368 360 369 371 375 376 382 388
410 419 426
XI
Wichtige Abkürzungen BGH. = Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen. Binding I, II = Binding: Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechts, Besonderer Teil 2. Auflage 1902-1906. Binding, Hdb. = Binding: Handbuch des Strafrechts 1885. DJ. = Deutsche Justiz. DR. = Deutsches Recht. DRZ. = Deutsche Rechtszeitschrift. DRiZ. = Deutsche Richterzeitung. DStR. = Deutsches Strafrecht. Dohna, Aufbau= Graf zu Dohna: Der Aufbau der Verbrechenslehre. 2. Auflage 1941. Frank = Reinhard Frank: Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. 18. Auflage 1931. Frank-Festg. = Festgabe für R. Frank. 1930. Gerland = Gerland: Deutsches Reichsstrafrecht. 2. Auflage 1932. GA. = Goltdammers Archiv für Strafrecht. GS. = Gerichtssaal. Hafter I, II = Hafter : Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I (1937), II (1943). Hann. Rpfl. = Hannoversche Rechtspflege. HESt. = Höchstrichterliche Entscheidungen in Strafsachen. Hippel = v. Hippel: Lehrbuch des Strafrechts. 1932. Hippel I, II = v. Hippel: Deutsches Strafrecht. Bd. 1. 1926. Bd. II. 1930. HRR. = Höchstrichterliche Rechtsprechung; Ergänzungsblatt DJ. JR. = Juristische Rundschau. JW. = Juristische Wochenschrift. JZ. = Juristenzeitung. KG. = Kammergericht. Kohlrausch = Kohlrausch-Lange: Strafgesetzbuch. 39./40. Auflage. 1950. LK. = Das Reichsstrafgesetzbuch. Erläutert von Ebermayer-Lobe-Rosenberg. 4. Auflage 1929. (Leipziger Kommentar); 6. Auflage 1944. (§§ 1-151); 6. u. 7. Auflage 1951 u. 1953; hgg. von Nagler. Leipz. Z. = Leipziger Zeitschrift für deutsches Recht. Liszt-S ch. •= v.Liszt-Schmidt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts. Allgemeiner Teil 26. Aufl. 1932. Der Besondere Teil zitiert nach der 26. Aufl. 1927. LM. •= Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des BGH.
XII Maurach Maurach, Gr. Mayer Mezger Mezger I, II MDR. MonKrimBi. NJW. NSRpfl. Olshausen Probleme RG. RG.Rspr. SchlHA. Schönke SJZ. VDA (B) Welzel, Neues Bild Welzel, Aktuelle Strafrechts· Probleme
Weber, Gr. ZAk. Z.
Wichtige Abkürzungen Maurach: Deutsches Strafrecht, Besonderer Teil, 1952. Maurach: Grundriß des Strafrechts, Allg. Teil, 1948. Hellmuth Mayer, Das Strafrecht des deutschen Volkes, 2. Aufl. 1953. E. Mezger: Strafrecht. Ein Lehrbuch. 2. Auflage 1933. Mezger: Strafrecht ein Studienbuch. Allg. Teil 4. Auflage 19.^2; Bes. Teil. 3. Auf läge 1952. Monatsschrift für deutsches Recht. Monatsschrift für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform. Neue Juristische Wochenschrift. Niedersächsische Rechtspflege. J. v. Ophausens Kommentar zum StGB. 11. Auflage 1927 ; 12. Auflage (bis § 246) 1942. Probleme der Strafrechtsemeuerung (E. Kohlrausch zum 70. Geburtstag 1944). Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen. Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen. Schleswig-Holsteinischer Anzeiger. Schönke: Strafgesetzbuch. 6. Auflage 1953. Süddeutsche Juristenzeitung. Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts; Allg. Teil bezw. Bes. Teil. Welzel, Das neue Bild des Strafrechtssystems. 2. Auflage 1952.
Welzel: Aktuelle Strafrechtsprobleme im Rahmen der finalen Handlungslehre 1953. H.V.Weber: Grundriß des deutschen Strafrechts. 1948. Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft.
Die Bedeutung weiterer Abkürzungen ergibt sich aus dem Schrifttumsverzeichnis Seite 14.
EINLEITUNG Das Strafrecht § 1. Sinn und Aufgabe des Strafrechts D a s S t r a f r e c h t i s t d e r j e n i g e T e i l d e r R e c h t s o r d n u n g , d e r die M e r k m a l e d e r v e r b r e c h e r i s c h e n H a n d l u n g f e s t l e g t u n d a n sie Strafe oder sichernde Maßnahmen knüpft. Aufgabe der Strafrechtswissenschaft ist es, den Inhalt dieser Rechtsregeln in ihrem i n n e r e n Zusammenhang, also „systematisch" zu entwickeln und zu deuten. Als systematische Wissenschaft legt sie den Grund zu einer gleichmäßigen und gerechten Rechtspflege, da nur die Einsicht in die inneren Zusammenhänge des Rechts die Rechtsanwendung über Zufall und Willkür hinaushebt. Aber nicht nur darum, weil sie der Rechtspflege dient, ist die Strafrechtswissenschaft eine „praktische" Wissenschaft, sondern auch in einem tieferen Sinne darum, weil sie eine Theorie vom rechten und Unrechten menschlichen Handeln ist, so daß ihre letzten Wurzeln bis zu den Grundbegriffen der praktischen Philosophie reichen. I. Die sozialethieche Funktion des Strafrechts A u f g a b e des S t r a f r e c h t s i s t es, die e l e m e n t a r e n W e r t e des G e m e i n s c h a f t s l e b e n s zu s c h ü t z e n . Jede menschliche Handlung, im guten wie im schlechten, unterliegt zwei verschiedenen Wertaspekten. Sie kann einmal nach dem Erfolg bewertet werden, den sie herbeiführt (Erfolgs- oder Sachverhaltswert), zweitens aber auch unabhängig vom Erreichen des Erfolges schon nach dem Sinn der Tätigkeit als solcher (Aktwert). Beispiel: Einer der elementarsten menschlichen Werte ist die Arbeit. Ihre Bedeutung kann einmal vom sachlichen Ergebnis — dem Werk — her, das sie hervorbringt (Erfolgs- oder Sachverhaltswert der Arbeit), gesehen werden. Zweitens besitzt die Arbeit schon unabhängig davon, ob ihr Werk gelingt oder nicht, eine positive Bedeutung im menschlichen Dasein. Im Rhythmus von Tätigkeit und Muße bringt die Arbeit als solche Erfüllung in das menschliche W e 1 ζ e 1, Das Deutsche Straírecht, 3. Aufl.
1
2
Einleitung
Leben, gewiß nur als s i n n v o l l e Tätigkeit, d. h. als eine auf ein positives Werk g e r i c h t e t e Tätigkeit. Aber dieser Sinn bleibt ihr auch dann erhalten, wenn das Werk nicht gelingt (Aktwert der Arbeit). Das gleiche gilt im Negativen: Der Unwert der Handlung kann darin gesehen werden, daß der Erfolg, den sie hervorbringt, mißbilligenswert ist (Erfolgsunwert der Handlung). Aber auch schon unabhängig vom Erreichen des Erfolges ist eine Handlung, die auf einen zu mißbilligenden Erfolg abzielt, mißbilligenswert (Aktunwert der Handlung, z.B. der Griff des Taschendiebes in die leere Tasche). Beide Wertarten sind für das Strafrecht von Bedeutung. Das Strafrecht will zunächst bestimmte L e b e n s g ü t e r der Gemeinschaft ( S a c h v e r h a l t s werte) schützen, wie ζ. B. den Bestand des Staates, das Leben, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum usf. (sog. Rechtsgüter), indem es deren Verletzung (den Erfolgsunwert) mit Rechtsfolgen belegt. Diesen Rechtsgüterschutz erreicht es dadurch, daß es die auf Rechtsgüterverletzung abzielenden H a n d lungen verbietet und bestraft: also Verhinderung der Sachverhalts- oder Erfolgsunwerte durch Pönalisierung der Aktunwerte. Dadurch sichert es die Geltung der positiven sozialethischen Aktwerte, wie der A c h t u n g vor fremdem Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum usf. Diese in der beständigen r e c h t l i c h e n (d. h. legalen, nicht notwendig moralischen) Gesinnung wurzelnden Werte rechtmäßigen Handelns bilden den positiven sozialethischen Hintergrund der strafrechtlichen Normen. Ihre reale Befolgung sichert das Strafrecht dadurch, daß es den b e t ä t i g t e n Abfall von ihnen in den treubrüchigen, zuchtlosen, unehrlichen, unredlichen Handlungen bestraft. Die zentrale Aufgabe des Strafrechts liegt also darin, durch Strafdrohung und Strafe für den wirklich betätigten Abfall von den Grundwerten rechtlichen Handelns die unverbrüchliche Geltung dieser Aktwerte sicherzustellen. Indem das Strafrecht so den wirklichen Abfall von den rechtlichen Gesinnungswerten bestraft, schützt es zugleich die R e c h t s g ü t e r , auf die jene Aktwerte bezogen sind, so wie die Treue zum Staat auf das Wohl des Staates bezogen ist oder die Persönlichkeitsachtung auf das Leben, die Gesundheit, die Ehre der Mitmenschen, die Ehrlichkeit auf fremdes Eigentum usf. In der Strafe für den Hoch- und Landesverrat schützt es den Bestand des Staates, in der Strafe für die Unehrlichkeit das Eigentum, in der Strafe für den Meineid die Wahrheit der Beweisaussage usw. Dennoch ist die primäre Aufgabe des Strafrechts nicht der aktuelle Rechtsgüterschutz, also nicht Schutz der individuellen Person, ihres Eigentums usf. Denn dazu kommt es gerade dort, wo es real in Aktion tritt, regelmäßig zu spät. Wesentlicher als der Schutz der konkreten einzelnen Rechtsgüter ist die Aufgabe, die reale Geltung (Befolgung) der Aktwerte rechtlicher Gesinnung sicherzustellen; sie sind das stärkste Fundament, das den Staat und die Gemeinschaft trägt. Bloßer Rechts-
§ 1. Sinn und Aufgabe des Strafrechts
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giiterschutz hat nur eine negativ-vorbeugende, polizeilich-präventive Zielsetzung. Die tiefste Aufgabe des Strafrechts dagegen ist positiv-sozialethischer Natur: Indem es den wirklich betätigten Abfall von den Grundwerten rechtlicher Gesinnung verfemt und bestraft, offenbart es in der eindrucksvollsten Weise, die dem Staat zur Verfügung steht, die unverbrüchliche Geltung dieser positiven Aktwerte, formt das sozialethische Urteil der Bürger und stärkt ihre bleibende rechtstreue Gesinnung. Vgl. dazu W e l z e l , Probleme 101 ff. Während sich die Erkenntnis, daß eine Aufgabe des Strafrechts im Rechtsgüterschutz besteht, allgemein durchgesetzt hat, ist dies bezüglich der sozialethischen Funktion des Strafrechts nur ungenügend der Fall. Dies wirkt sich in einer Überbetonung der Erfolgsseite und einer damit unvermeidlichen Utilitarisierung des Strafrechts aus. Recht oder Unrecht einer Handlung bestimmen sich nach dieser Auffassung nach dem Grade ihrer Sozialnützlichkeit oder Sozialschädlichkeit. Das hat nicht nur eine starke Utilitarisierung, sondern auch eine starke Aktualisierung der Wertbeurteilung zur Folge: Der aktuelle Nutzen oder Schaden des Handlungserfolges bestimmen den Wert der Handlung. Dabei wird übersehen, daß es dem Strafrecht weniger auf das a k t u e l l e positive Ergebnis der Handlung als auf die bleibende positive Handlungstendenz der Rechtsgenossen ankommen muß. Die A c h t u n g vor den Rechtsgütern (also die Geltung der Aktwerte) zu sichern ist wichtiger, als im aktuellen Einzelfall ein positives Ergebnis zu erreichen. So steht hinter dem Tötungsverbot primär der Gedanke, die Achtung vor dem Leben anderer zu sichern, also der Schutz eines Aktwertes, und gerade darum ist Mörder auch der, der ein sozial wertloses Menschenleben, wie einen zum Tode verurteilten Verbrecher, eigenmächtig tötet. Der Gedanke einer erlaubten Lynchjustiz oder gar der Privatrache wegen mangelnden aktuellen Sozialschadens der Handlung wäre ebenso unerträglich wie gefährlich. Nur dann kann die Sicherheit aller ausreichend gewährleistet werden, wenn unabhängig vom aktuellen Wert des Einzellebens die Achtung vor fremdem Leben sichergestellt wird. Der Aktwert ist relativ unabhängig vom Sachverhaltswert (Rechtsgut). Nur über die Sicherung der elementaren sozialethischen Handlungswerte ist ein wirklich dauerhafter und durchgreifender Schutz der Rechtsgüter zu erreichen. Durch die umfassendere sozialethische Funktion des Strafrechts wird der Rechtsgüterschutz tiefer und stärker gewährleistet als durch den alleinigen Güterschutzgedanken. Die Aktwerte der Treue, des Gehorsams, der Achtung vor der Person usf. haben den längeren Atem und den weiteren Blick als der bloße Güterschutz. Sie sehen nicht auf das Heute oder Morgen, sondern auf das Bleibende. Hinter ihnen tritt der nur aktuelle Nutzen oder Schaden zurück vor dem dauerhaften Gewinn, der in der beständigen rechtstreuen Gesinnung der Bürger liegt. Vgl. W elz el, Festschrift f. Juliusv. Gierke, 1950, 290. ι·
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Einleitung
Ein besonders aufschlußreiches Beispiel hierfür liefert die Geschichte des Abtreibungsverbots. Nach der vor 1933 herrschenden Deutung sollte Strafgrand des Abtreibungstatbestandes das bevölkerungspolitische Interesse des Staates sein. Diese utilitaristische Lehre nahm der Nationalsozialismus beim Wort. Als während des Krieges die Massen der Fremdarbeiter und -arbeiterinnen nach Deutschland verbracht wurden, ermächtigte eine VO. vom 9. 3. 43 den Reichsjustizminister, Personen, die nicht deutsche Staatsangehörige deutscher Volkszugehörigkeit waren, vom Abtreibungsverbot auszunehmen, um den staatspolitisch unerwünschten Kindersegen der Fremdarbeiterinnen zu verhindern. Damit schien das bevölkerungspolitische Interesse des deutschen Staates trefflich gewahrt zu sein. In Wahrheit wurde die Geltungskraft des Abtreibungsverbots im Bewußtsein auch der deutschen Frauen aufs schwerste erschüttert, als sie sahen, daß bei den neben und mit ihnen arbeitenden Ausländerinnen straflos abgetrieben wurde. Der extreme Utilitaiismus erreicht noch nicht einmal sein eigenes Ziel!
So ergibt sich: A u f g a b e des S t r a f r e c h t s i s t der S c h u t z der e l e m e n t a r e n sozialethischen Gesinnungs- (Handlungs-)werte und erst d a r i n e i n g e s c h l o s s e n der S c h u t z der e i n z e l n e n R e c h t s g ü t e r . 1. R e c h t s g u t ist ein Lebensgut der Allgemeinheit oder des Einzelnen, das wegen seiner sozialen Bedeutung rechtlich geschützt wird. Dem Substrat nach kann es in verschiedenster Art auftreten: als psychophysisches oder als ideellgeistiges Objekt (jenes z.B. das Leben — dieses die Ehre) oder als realer Zustand (z.B. der Hausfrieden) oder als Lebensbeziehung (z.B. Ehe oder Verwandtschaft) oder als Rechtsverhältnis (ζ. B. Eigentum, Jagdrecht), ja sogar als Verhalten eines Dritten (ζ. B. die Pflichttreue des Beamten, geschützt vor Bestechung). R e c h t s g u t i s t also j e d e r e r w ü n s c h t e s o z i a l e Z u s t a n d , den das R e c h t v o r V e r l e t z u n g e n s i c h e r n will. Die Summe der Rechtsgüter bildet nicht einen atomisierten Haufen, sondern die soziale Ordnung, und darumist die Bedeutung eines Rechtsgutes nicht isoliert für sich allein, sondern nur im Zusammenhang mit der gesamten sozialen Ordnung abzuschätzen. Diesen Rechtsgütern bietet das Strafrecht Schutz vor möglichen Verletzungen, allerdings nicht absolut, denn jedes Rechtsgut muß im sozialen Leben tätig eingesetzt und damit bis zu einem gewissen Grade gefährdet werden (erinnert sei nur an den beträchtlichen Grad der erlaubten Lebensgefährdung im modernen Verkehr!). Rechtsgüterschutz gewährt das Strafrecht nur gegen bestimmtgeartete Angriffe. 2. A u f g a b e des S t r a f r e c h t s i s t der R e c h t s g ü t e r s c h u t z d u r c h den S c h u t z der e l e m e n t a r e n s o z i a l e t h i s c h e n H a n d l u n g s w e r t e . Den Rechtsgüterschutz bewirkt das Strafrecht dadurch, daß es bestimmtgeartete Handlungen verbietet oder gebietet. Hinter seinen Verboten oder Geboten stehen elementare sozialethische Pflichten (Aktwerte), deren Geltung es dadurch sichert, daß es ihre Verletzung mit Strafe bedroht. Dadurch allein erzielt es einerseits einen wirklich durchgreifenden und dauerhaften Güterschutz und beschränkt ihn andererseits auf die sozialethisch verwerflichen Angriffsformen.
§1. Sinn und Aufgabe des Strafrechts
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Inhaltlich lassen sich diese elementaren sozialethischen Pflichten in dem Gebote: „neminem laede" zusammenfassen, entsprechend der überwiegenden Verbotsnatur des Strafrechts: „Du sollst n i c h t . . . töten, rauben, betrügen" usf., wie auch die wenigen positiven Handlungsgebote sich auf elementare Pflichten beschränken (etwa die Fürsorgepflicht der Eltern gegenüber den Kindern und dgl.). So gering sozialethisch die Werthöhe dieser Pflichten ist, so schwerwiegend ist ihre Verletzung, gemäß dem Grundsatz, daß je geringer die "Werthöhe einer Pflicht ist, desto schwerer ihre Verletzung wiegt (und umgekehrt). Mag auch die Achtung vor fremdem Leben sozialethisch selbstverständlich sein, so gehört doch ihre Verletzung, der Mord oder Totschlag, zu den schwersten Verbrechen. Die vom Strafrecht erfaßten und unter Strafschutz gestellten sozialethischen Pflichten sind elementar in dem doppelten Sinne, daß ihre Erfüllung von geringer Werthöhe, ihre Verletzung aber besonders schwer wiegt. In dieser Beschränkung auf die elementaren Pflichten erfüllt das Strafrecht, um des Rechtsgüterschutzes willen, eine bedeutungsvolle, sittenbildende Funktion. Gewiß ist das Strafrecht nur ein Faktor unter den zahllosen, die sittliche Anschauungswelt einer Zeit prägenden Kräften, aber unter ihnen ein solcher von tiefgreifender Bedeutung. Indem es die unverbrüchliche Geltung der elementaren sozialethischen Pflichten durch Verfemung und Bestrafung ihrer Verletzung vor aller Augen stellt, formt und festigt es wirkungsstark das sittliche Urteil und die rechtliche Gesinnung der Rechtsgenossen. Die Sicherheit des sozialethischen Urteils des Einzelnen hängt wesentlich von der Sicherheit ab, mit der der Staat seine Werturteile ausspricht und durchsetzt, wobei sich diese Sicherheit des staatlichen Urteils allerdings nicht so sehr in der Strenge als vielmehr in der Gewißheit der Strafe, also in der Verfolgungsintensität ausspricht. Und wo durch eine ihrer selbst unsichere Strafrechtspflege die Geltung der elementaren Sozialpflichten ins Wanken gerät, beschränkt sich die Erschütterung nicht auf die elementaren sozialethischen Pflichten, sondern ergreift die ganze ethische Wertwelt. Hierin besteht die Tiefenwirkung des Strafrechts: so sehr sich seine Normen auf die elementaren sozialethischen Pflichten beschränken, so legt es doch den Grund für den Bestand der gesamten sittlichen Wertwelt einer Zeit. So weist das Strafrecht über sich hinaus und bettet sich in die Gesamtkultur seiner Zeit ein. Aber es erreicht diese Wirkung nur durch weise Beschränkung seiner Mittel. Eine Vielbestraferei würde seine Waffe stumpf machen. Es muß sich auf die Bestrafung von Verletzungen der elementaren sozialethischen Pflichten beschränken: insofern hat es einen „ f r a g m e n t a r i s c h e n Char a k t e r " ( B i n d i n g , H. Mayer). Vor allem aber darf der Staat die schweren Eingriffe in Leben, Freiheit und Ehre der Person, die die Strafe (und die prä-
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Einleitung
ventive Freiheitsentziehung) enthält, nur innerhalb des Strafrechts als Rechtsfolge des V e r b r e c h e n s verwenden (Grundsatz der Exklusivität der spezifischen Strafmittel). Sobald er sie (oder gleichschwere Eingriffe) für außerstrafrechtliche Zwecke benutzt, etwa zur Erreichung organisatorischer oder wirtschaftlicher Ziele oder gar zur Bekämpfung politischer Gesinnungen, erschüttert er die sittenbildende Kraft der Strafnormen und drängt das Strafrecht auf den Weg zu einer reinen Abschreckungsmaßnahme. Wo Strafvorschriften fast alleLebensbetätigungen einzwängen, wo selbst Akte der Existenzverteidigung strafbar werden können, da leidet im Übermaß des Strafens das Strafrecht Not. Π. Die präventive Funktion des Strafrechts 1. Die geschilderte sozialethische Funktion des Strafrechts trifft Menschen, die überhaupt sozialethischer Bindung fähig sind. Das ist gewiß die Masse der Rechtsgenossen, die vornehmlich durch die beiden grundlegenden sozialen Bindungen: Beruf und Familie am positiven Aufbau des Gemeinschsftslebens teilhat. Diesen Rechtsgenossen gegenüber funktioniert das Strafrecht p r i m ä r dadurch, daß es die Sicherheit und Stetigkeit ihres sozialethischen Urteils gewährleistet und damit in ihnen den Grund zu einer sittlichen Anschauungswelt legt, und erst s e k u n d ä r dadurch, daß es gegen den Rechtsbruch im Einzelfall mit Strafe einschreitet. Die Kriminalität dieser großen Masse der Bevölkerung ist die aus einer außergewöhnlichen oder einer verlockenden Situation erwachsende Konflikts- und Gelegenheitskriminalität, die ihrerseits ebenfalls die Masse der tatsächlichen Kriminalität ausmacht. Nach dieser gesunden, das Gemeinschaftsleben tragenden Bevölkerungsschicht ist das Strafrecht einzurichten: durch klare Herausarbeitung des spezifischen deliktischen Unwerts der verbotenen Handlung in Tatbeständen, die durch feste Grenzen dem Einzelnen die erforderliche Bewegungsfreiheit im Sozialleben geben, und durch eine nach dem Maße der Schuld bemessene vergeltende Strafe (weiter durch einen Strafprozeß, der dem Angeklagten ausreichende eigene Verteidigungsrechte gibt). 2. Daneben gibt es jedoch eine andersartige Kriminalität vonMenschen, denen die Fähigkeit zur Bindung an sozialethische Normen im weiten Umfange abgeht. a) Die wichtigste Gruppe umfaßt die sog. Zustandsverbrecher i. e. S. Bei der Erforschung der tatsächlichen Kriminalität fällt immer wieder der tiefgehende Unterschied zwischen G e l e g e n h e i t s t ä t e r n , die — an sich fest in den sozialen Bindungen wurzelnd — gelegentlich einer lockenden Versuchung oder einer außergewöhnlichen Konfliktslage erliegen, und den Z u s t a n d s v e r b r e c h e r n auf, die unabhängig vom Wechsel der äußeren Verhältnisse immer wieder Verbrechen begehen, bei denen das Verbrechen also in ihrer Persönlichkeit wurzelt.
§1. Sinn und Aufgabe des Strafrechts
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Deutlich zeigt es die Statistik (Exner, Kriminalbiologie S. 210): Während Konjunkturschwankungen die Kriminalität der (bisher) Unbestraften stark beeinflussen, ändern sie die Kriminalität der vielfach Vorbestraften nur geringfügig. Unbestrafte Inflation 1922-1924 413 Aufschwung 1927-1929 100
Mehr als 4 mal Vorbestrafte 36.3 26.4
In Herkunft, Charakter und Lebensbedingungen unterscheiden sich die Zustandsverbrecher deutlich von der übrigen Bevölkerung, der die Gelegenheitstäter voll zugehören. Sie stammen auffällig stark aus Familien, die mit schweren charakterlichen Abartigkeiten (Psychopathien) oder mit Kriminalität belastet sind, deren Erziehungsverhältnisse dementsprechend schlecht sind. Sie sind selbst zu einem hohen Prozentsatz charakterlich schwer abartig, meist haltlos oder gemütsarm. Schlechte Schulerfolge, vorzeitiger Abbruch der Lehre, bloße Gelegenheitsarbeit der meisten von ihnen zeugen von ihrer Unfähigkeit zu ernster Arbeit und zum Beruf. Statt Bindung an bleibende Werte, die dem Menschen durch Beruf und Familie vermittelt werden, beherrschen lebensbehauptende Nahziele ihr Wollen. Diese tiefverwurzelte weitgehende Bindungslosigkeit führt sie über einen meist frühzeitigen Kriminalitätsbeginn zu einem asozialen Dasein mit einer Kette von Straftaten. Zu diesen Zustandsverbrechern gehören einerseits die Gruppe der A s o z i a l e n i. e. S.: der Bettler, Landstreicher, Arbeitsscheuen, Dirnen mit einer meist leichten Kriminalität, andererseits die Gruppe der gefährlichen G e w o h n h e i t s v e r b r e c h e r mit erheblicher Kriminalität. Ihrer Herkunft nach rekrutieren sie sich vornehmlich aus den Nachkommen der Bettler, Gauner und Landstreicher, der „Jauner" und „Jänischen" früherer Jahrhunderte, weiter aus den haltschwachen Menschen, die der modernen großstädtischen Freiheit nicht gewachsen sind, während noch ihre Eltern und Großeltern in den patriarchalischen Abhängigkeitsverhältnissen der Grundherrschaften und kleinbürgerlichen Gewerbe ein sozial brauchbares Leben führten — stammt doch die überwiegende Zahl der gefährlichen Gewohnheitsverbrecher aus der Großstadt — ; zu ihnen stoßen durch Verwahrlosung und Entgleisung immerfort Splitter der sozialtauglichen Bevölkerung.
Dem Zustandsverbrecher gegenüber reicht das eigentliche Straf-Recht nicht aus, da es gegenüber ihrer weitgehenden Bindungslosigkeit keine genügend sittenbildende, haltgebende Kraft entfalten kann. Die vom Maße der Schuld begrenzte vergeltende Strafe trifft nicht die in der Täterpersönlichkeit liegende bleibende Gefährlichkeit. Diese muß durch andersartige, s i c h e r n d e Maßnahmen bekämpft werden, die neben und mit der Strafe zusammen erst den vollen Rechtsgüterschutz gewährleisten. Das geltende Recht stellt dabei für die Asozialen mit leichter Kriminalität das Arbeitshaus und für die gefährlichen Gewohnheitsverbrecher die Sicherungsverwahrung als sichernde Maßnahmen zur Verfügung (im Anschluß an die Strafe als Schuldvergeltung).
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Der Weg des Straf- oder richtiger des Kriminalrechts ist also „zweispurig". Die eine Spur führt über die Schuld zur vergeltenden Strafe, die andere über die Gefährlichkeit zur sichernden Maßnahme. Es ist notwendig, sich des Verbindenden wie des Trennenden beider Spuren stets bewußt zu bleiben. Das V e r b i n d e n d e liegt einmal in der Voraussetzung, die für Strafe und Maßnahme das Verbrechen ist, zweitens in der Art ihrer Verhängung, die beide Male durch strafrichterliches Urteil erfolgt. Denn auch die Verhängung der oben besprochenen Schutzmaßnahmen ist kein bloßer Verwaltungsakt, sondern Aufgabe des strafrichterlichen Amtes: Dies nicht bloß zum Zwecke der höheren Rechtsgarantien für den Betroffenen, sondern deshalb, weil das Urteil, das dem Täter wegen seiner kriminellen Gesamtpersönlichkeit das im Gemeinschaftsleben vorauszusetzende Maß an Selbstbeherrschung und Bindungsfähigkeit abspricht, ein negativ-sittliches Urteil ist, das, wie das Schuldurteil, nur dem Strafrichter obliegt. Das T r e n n e n d e liegt darin, daß beide Spuren, wenn auch im Grenzgebiet sich überschneidend, grundsätzlich zwei verschiedene Tätergruppen treffen, auf der einen Seite die Gelegenheits- und Konfliktstäter der sozialaufbauenden Bevölkerung, auf der anderen die Zustandstäter der asozialen Schicht. Während die Funktion des Strafrechts dort sozialethischer Natur ist, muß es hier vornehmlich auf präventiv-sichernden Rechtsgüterschutz bedacht sein. Während es dort klare, festumrissene Tatbestände aufstellen muß, um die soziale Handlungsfreiheit des Einzelnen nicht zu lahmen, muß es hier den allgemeinen Würdigungsbegriff der „sozialen Gefährlichkeit" einführen, um die Rechtsgüter gegen die Asozialen wirksam zu schützen. Während es dort die feste, durch das Maß der Schuld bestimmte Strafe verhängt, bleibt hier die Dauer der Maßregel von der unbestimmten Dauer der Tätergefährlichkeit abhängig. Klare, bestimmte Grenzen dort, verschwimmende Umrisse hier: um so notwendiger ist es, beide Spuren scharf auseinanderzuhalten. Schon einmal hat die Orientierung am „schädlichen Mann" die Grundhaltung eines ganzen Strafrechts bestimmt, nämlich den gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß. Dieses Verfahren, in dem der Angeklagte bloßes Objekt war, dem man gegebenenfalls mit der Folter das Geständnis zu entreißen suchte, war im Kampf gegen den landschädlichen Mann der spätmittelalterlichen Unterschicht erwachsen, demgegenüber der germanisch-altdeutsche Parteienprozeß versagt hatte; es war dann allmählich auf den freien Vollbürger ausgedehnt worden mit all den Mängeln, die es trotz vieler Verbesserungen von seinem Ursprünge her an sich tragen mußte. Nicht weniger bedenklich wäre es auch heute, das von festen Tatbeständen umgrenzte, sozialethisch fundierte Strafrecht zugunsten eines allgemeinen Sicherungsrechtes aufzuweichen, wie es umgekehrt unzulänglich war, daß das Strafrecht des 19. Jahrhunderts als ausschließliches Straf-Recht die Sicherungsaufgaben gegen den schädlichen Mann übersah.
§ 2. Uberblick über die Geschichte des deutschen Strafrechts
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b) Gegenüber der besprochenen Gruppe der Zustandsverbrecher treten andere Gruppen von Zustandsverbrechern i.w. S. zurück: die Rauschgiftsüchtigen und die gefährlichen Geistesdefekten. Auch diesen gegenüber kann die Strafe den vollen Rechtsschutz nicht gewährleisten, sondern muß durch sichernde Maßnahmen ergänzt werden (durch Unterbringung in Entziehungsanstalten oder Heil- und Pflegeanstalten). Die Beziehung dieser Maßnahmen zum Strafrecht ist eine lockere: das Delikt ist keine Voraussetzung für die Maßregel selbst, sondern nur für die Zuständigkeit des Strafrichters. Zwangsentziehung und Verbringung in eine Heil- und Pflegeanstalt sind auch ohne deliktisches Verhalten und ohne strafrichterliches Urteil zulässig. Ein wirkungsstarkes Strafrecht ist d o p p e l s p u r i g : es ist ein sozialethisch fundiertes, in feste Tatbestände umgrenztes, vergeltendes Strafrecht gegen den Gelegenheitstäter einerseits, ein — akute Sozialgefahren bekämpfendes — Sicherungsrecht gegen den Zustandsverbrecher andererseits. § 2. Überblick über die Geschichte des deutschen Strafrechts Brunner-v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte, I 1906, II 1928; His, Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, I 1920, II 1935; v. Hippel, I 38ff., Eberh. S c h m i d t , Einführung in die Geschichte d. deutsch. Strafrechtspflege. 2. Aufl. 195J.
1. Dem Germanen erschienen die meisten „Missetaten" als Sippenverletzungen. Sie berechtigten und verpflichteten die Sippe — wenn nicht Buße gefordert wurde — zur Blutrache (Fehde), die durch Sühnevertrag beendet wurde. Nur in wenigen Missetaten sah man einen Bruch des Friedens des ganzen Volkes (ζ. B. in Kriegsverrat, Heeresflucht, Meintaten u. a.); der Täter verfiel der Friedlosigkeit und konnte bußlos von jedermann getötet werden. Mit dem Erstarken staatlicher Gewalten im fränkischen Reich wurden in steigendem Umfang Missetaten mit öffentlicher Strafe (Leibes- und Lebensstrafen, Verbannung u. a.) bedroht und öffentlich verfolgt. Im Mittelpunkt der Strafen stand jedoch die Sühnezahlung (das Kompositionensystem der Volksrechte), die der fränkische Staat zur Zurückdrängung der Fehde begünstigte. Auch öffentliche Strafe war regelmäßig durch Friedensgeld an den Staat und Buße an den Verletzten ablösbar. Das Wesen der Missetat sah man in der rechtswidrigen Zufügung einer Verletzung ohne (spezielle) Berücksichtigung der Willensseite. „Die Tat tötet den Mann". Darum haftete man auch für „Ungefährwerke" (Fahrlässigkeit und Zufall), während umgekehrt der Versuch grundsätzlich straflos blieb. Doch bedeutet das keine Blindheit gegenüber der Willensseite, sondern nur ein archaisches Haften am Typischen: in der verletzenden Tat steckt typisch der verletzende Wille. Daraus erklärt sich, daß gewisse typische Fälle, in denen der Wille meist fehlt (ζ. B. Töten beim Baumfällen) milder bestraft wurden,
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wie umgekehrt typische Versuchsfälle (ζ. B. Messerzücken) ohne Verletzungserfolg unter Strafe standen. Eine deutliche Berücksichtigung der Willensseite zeigen die besonders schimpflichen „Meintaten" oder „Neidingswerke", vor allem die heimlichen Taten wie Mord und Diebstahl (im Unterschied zum „ehrlicheren" offenen Totschlag oder Raub) u.a. Die Betonung der Tat- und Erfolgsseite bleibt jedoch ein Kennzeichen des deutschen Strafrechts bis ins StGB, hinein. Rechtsquelle war ursprünglich allein die überlieferte Rechtsüberzeugung, die vom 6. Jahrh. an in den Volksrechten, beginnend mit der lex Salica, aufgezeichnet wurde. Dazu trat in der fränkischen Zeit das gesetzte Königsrecht (Kapitularien). Doch blieb daneben stets auch ungeschriebenes Recht in Anwendung. 2. Das weitere Mittelalter (10. bis 15. Jahrh.) brachte überwiegend eine Verschlechterung der strafrechtlichen Verhältnisse in Deutschland. Die innenund außenpolitischen Kämpfe der deutschen Kaiserzeit führten zu einem Nachlassen der staatlichen Strafrechtspflege. Die Überhandnahme des Fehdewesens und Raubrittertums wurde seit dem 12. Jahrh. durch die Landfrieden einzudämmen versucht. Mit dem Aufblühen der Städte und dem Erstarken der Territorialgewalten seit dem 13. Jahrh. trat die öffentliche Strafrechtspflege in den Vordergrund. Der zunehmenden Grausamkeit des Spätmittelalters entsprach jedoch eine brutale Verrohung der Strafarten. Das geschriebene Recht (Volksrechte und Kapitularien) war in Vergessenheit geraten; erst vom 13. Jahrh. an wurde das Recht wieder aufgezeichnet im Sachsen- und Schwabenspiegel, in Stadt- und Landrechten u.a. Das materielle Strafrecht erfuhr darin kaum eine Fortbildung. 3. Neue mächtige Impulse brachten erst das 15. und 16. Jahrh. unter dem starken Einfluß der italienischen Rechtswissenschaft (Glossatoren und Postglossatoren), deren wissenschaftliche Verdienste vor allem in der Herausarbeitung der allgemeinen Lehren des Strafrechts lagen. Diese Einflüsse wirkten durch Vermittlung einer popular-wissenschaftlichen Literatur auf die deutschen Partikulargesetze (sog. Halsgerichtsordnungen) ein. Bahnbrechend wurde die Bamberger Halsgerichtsordnung Johann von Schwarzenbergs (1507) als Grundlage des ersten und auf dreieinhalb Jahrhunderte einzigen deutschen Reichsstrafgesetzbuches, der peinlichen Gerichtsordnung Karls V. von 1532 (constitutio criminalis Carolina), einer der bedeutendsten Leistungen der deutschen Rechtsgeschichte überhaupt! Die Carolina enthält materielles und Prozeßrecht. Im Prozeß brachte sie eine rechtliche Ordnung des (sog.) Inquisitionsverfahrens. Im materiellen Strafrecht kommt das Willensprinzip endgültig zum Durchbruch: Grundsätzlich ist nur die vorsätzliche Tat strafbar; die Fahrlässigkeit wird klar vom
§ 2. Überblick über die Geschichte des deutschen Strafrechts
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Zufall abgetrennt. Der Versuch wird definiert und allgemein unter Strafe gestellt: ebenso, wenn auch weniger klar, die Teilnahme. Die einzelnen Verbrechenstypen wahren überwiegend die deutschrechtliche Überlieferung. Die Sprache ist volkstümlich, klar und kraftvoll und von großem Ernst gegenüber der richterlichen Aufgabe: Jede Obrigkeit solle möglichste Sorgfalt anwenden, „damit die peinlichen gericht zum besten verordnet und niemand unrecht geschehe, alsdann zu dieser großen sachen, welche des menschen ehr, leben und gut belangen sein, dapffer und wol bedachter fleiß gehörig" (Art. 1). Darum wird der Richter grundsätzlich an das Gesetz gebunden. Bei Gesetzeslücken soll nach Analogie des kaiserlichen Rechtes und der Carolina entschieden werden, doch soll der Richter dabei Rat beim Oberhof oder der Obrigkeit einholen oder, wenn die Obrigkeit Anklage führt, bei der nächsten Juristenfakultät (Art. 104/05, 219). Die Carolina war Reichsgesetz mit Vorbehalt zugunsten des Landesrechts („salvatorische Klausel"). Die innere Kraft ihres Wertes hat sie in Deutschland weitestgehend durchgesetzt, so daß sie die Grundlage des gemeinen deutschen Strafrechts auf drei Jahrhunderte wurde. Ergänzend traten zu ihr die Reichspolizeiordnungen von 1530,1548 und 1577 gegen Ausartungen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben. 4. Die Weiterentwicklung des Strafrechts hielt sich in der Folgezeit nicht auf der Höhe der Carolina. Durch wirkliche und durch künstlich (mittels einengender Auslegung) geschaffene Lücken in der Carolina drangen uferlose römischrechtliche Deliktsbegriffe wie crimen majestatis, stellionatus und falsum (Verrats-, Täuschungs- und Fälschungsdelikte) ein. Die Umgehung der Carolina führte zu einer unerhörten richterlichen Willkür. Als Gewinn stand ihr immerhin die allmähliche Milderung der noch sehr harten Strafen der Carolina und das Aufkommen der Freiheitsstrafe an Stelle peinlicher Strafen gegenüber (wichtig war das Amsterdamer Zuchthaus von 1595). Einflußreich wurde die junge deutsche Rechtswissenschaft, vor allem der sächsischen Juristen des 17. Jahrhunderts. Ihr Haupt war Benedikt C a r p z o v , der mit seiner umfassenden praktisch-kommentatorischen Behandlung des geltenden Rechts und seiner umfangreichen gutachtlichen Tätigkeit im Leipziger Schöppenstuhl die deutsche Strafrechtspflege auf hundert Jahre bestimmt hat. Im 18. Jahrh. wandte sich die Wissenschaft unter dem Einfluß des Naturrechts tiefergehenden, systemgerichteten Forschungen zu und erreichte vor allem bei J. S. F. B ö h m e r eine wesentliche Vertiefung der allgemeinen Lehren. Die unhaltbar gewordenen Zustände in der Strafrechtspflege wurden durch Aufklärung und aufgeklärten Absolutismus entscheidend gebessert. Aus verschiedenartigen, z. T. entgegengesetzten Motiven führte die Aufklärung zu einer strengen Bindung des Richters an das Gesetz; sie brachte eine rationell-
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weltliche Behandlung des Strafrechts, eine Milderung der Strafen unter dem Gesichtspunkt ihrer staatlichen Notwendigkeit, dabei eine Einschränkung der Todesstrafe und eine weitgehende Verwendung der Freiheitsstrafe, Abschaffung der Folter u.a. Literarisch wirkten vor allem M o n t e s q u i e u , V o l t a i r e und B e c c a r i a , gesetzgeberisch J o s e f II. („Josephina" von 1787) und am stärksten F r i e d r i c h der G r o ß e (ALR. von 1794). δ. Auf die Gestaltung des Strafrechts im 19. Jahrh. übte die Wissenschaft einen entscheidenden Einfluß aus. Mit Anselm v. F e u e r b a c h , einem Anhänger des kantischen Kritizismus, beginnt die Strafrechtswissenschaft im modernen Sinne, gekennzeichnet durch scharfe Begrifflichkeit und klare, sachgebundene Systematik (Lehrbuch 1801). Seine wegweisende gesetzgeberische Leistung war das bayrische Strafgesetzbuch von 1813, das durch strenge Systematik, begriffliche Schärfe, Bestimmtheit der Strafen bei Wahrung richterlicher Ermessensfreiheit, Abstufung der Strafübel, nicht zuletzt durch seine Kürze das Vorbild der deutschen Gesetzgebung im 19. Jahrh. wurde. Unter den zahlreichen Partikularstrafgesetzen aus der Jahrhundertmitte ragte das preußische StGB, von 1851 als stärkste Leistung hervor, auf das neben der reichblühenden deutschen Wissenschaft Napoleons Code pénal von 1810 eingewirkt hatte. Es ist in verbesserter Form unser RStGB. von 1871 geworden. 6. Auf dem Boden des RStGB. entfaltete sich ein reiches wissenschaftliches Leben, das sich um zwei Schulen kristallisierte. Die „Klassiker" mit Binding an der Spitze bewahrten die rechtsstaatlich umgrenzte, konservativ-autoritäre Haltung und die Vergeltungsidee, die beide als Erbe des Idealismus Kants und Hegels die geistige Luft des StGB, bestimmt hatten. Die Arbeit der Klassiker galt vor allem der Dogmatik (Hauptwerk: B i n d i n g s „Normen"). In teilweise scharfen Gegensatz dazu stellte sich die von F r a n z v o n L i s z t begründete sogen, „moderne Schule". Sie sah im Strafrecht eine rationale Zweckmaßnahme der Verbrechensbekämpfung. Ihr Hauptziel war, in naturwissenschaftlich-kausaler Methode die Verbrechensursachen zu erforschen und die geeigneten Mittel für ihre Beseitigung zu finden. Beide Schulen haben — jede in gewisser zeitbedingter Einseitigkeit — unsere strafrechtlichen Einsichten wesentlich vertieft. Gesetzgeberisch jedoch blieb, trotz zahlreicher Novellen, die Grundhaltung des StGB, bis 1983 unverändert. An den Schicksalen des Strafrechts im Dritten Reich lassen sich drei Entwicklungsreihen unterscheiden: a) Der größere Teil der staatlich angeordneten Freiheitsentziehungen und Tötungen, deren Verhängung bisher ausschließlich im Rahmen des Strafrechts möglich war, erfolgte ohne Rechtsgarantien durch die politische Polizei oder andere politische Stellen.
§ 3. Quellen und Schrifttum des Strafrechts
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b) Das Strafrecht selbst wurde trotz Beibehaltung der großen Stoffmasse in der Grundstruktur insofern verändert, als in ständig zunehmendem Maße einmal die gesetzliche Bindung des Richters gelockert wurde — durch Änderung des § 2, später durch unbestimmt gefaßte Gesetze und Verordnungen (VolksschädlingsVo. u. a.), schließlich (seit 1942) durch eine planmäßige „Lenkung der Rechtspflege" seitens des Justizministeriums — und als zweitens in zahlreichen Tatbeständen die Strafdrohungen unter immer ausschließlicherer Verwendung des Abschreckungsgedankens bei ungeahnter Vermehrung der Todesstrafe verschärft wurden. Dazu traten rein politische Gesetze, wie das Heimtücke- und das Blutschutzgesetz. c) Neben dieser Politisierung der Strafrechtspflege lief eine Entwicklungsreihe unpolitischer Rechtsfortbildung einher, zumeist auf der Grundlage früherer Reformvorschläge: Einführung der Sicherüngsmaßregeln §§42äff., der limitierten Akzessorietät § 50, Neufassung der §§ 153ff., 211/2, 253, 267 u. a. m. § 3. Quellen und Schrifttum des Strafrechts I. Übersicht über den wichtigsten Quellenbestand 1. D a s R e i c h s r e c h t Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich ist am 15. 6.1871 verkündet worden. Von den zahlreichen Änderungen und Ergänzungen bis 1933 sei hier nur das Jugendgerichtsgesetz vom 16. 2. 23 (heutige Fassung vom 4. 8.53) erwähnt. Die heute geltende Fassung bestimmt sich nach dem 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 4.8.53 (Strafrechtsbereinigungsgesetz). 2. D a s L a n d e s r e c h t Nach § 2 EinfGes. zum StGB, tritt das Landesrecht außer Kraft, soweit es Materien betrifft, die Gegenstand des SÌGB. sind. Materie ist eine Deliktsgruppe, die Verbrechen bestimmter Art oder gegen bestimmte Rechtsgüter abschließend regelt. So büden die Sittlichkeitsverbrechen eine geschlossene Materie und schließen landesrechtliche Strafvorschriften gegen das Konkubinat aus (vgl. RG. 83 273). Ob und inwieweit die allgemeinen Lehren des StGB, für das Landesrecht bindend sind, ist bestritten; auf jeden Fall kann das Landesrecht von den Vorschriften des StGB, über die Schuldfähigkeit nicht abweichen (vgl. Mezger, 63ff.). 3. I n t e r l o k a l e s S t r a f r e c h t Durch die Teilung Deutschlands ist eine Rechtszersplitterung eingetreten und eine weitere zu befürchten. Zwar gilt noch das StGB, für ganz Deutschland, aber in Ost und West in einer teüweise abweichenden Fassung (vgl. u. S.218 bezüglich der Abtreibung). Steht eine Tat, die in dem einen Rechtsbereich begangen ist, in dem anderen zur Aburteilung, so ist grundsätzlich das Strafgesetz maßgebend, das am Tatort gilt, RG. 74 219. Hat das Delikt mehrere Tatort« in verschiedenen Rechtskreisen, so ist das strengste Gesetz anzuwenden, RG.75 385; 76 201, abw. RG. 76104; vgl. dazu v. Weber,
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Probleme, 120ff. Unanwendbar sind jedoch solche Gesetze des Tatorts, die auf den besonderen politischen oder wirtschaftlichen Verhältnissen beruhen und mit den Rechtsauffassungen im Rechtskreis der Aburteilung unvereinbar sind, BGH. NJW. 62 1146. II. Die Arbeiten an der Strafrechtserneuemng Seit 1902 wird an der Reform des StGB, gearbeitet. Die Reihe der Entwürfe sind: VorEntw. 1909, Gegenentw. 1911, Entw. 1913, Entw. 1919, Entw. Radbruch 1922; dann zusammen mit Österreich Entw. 1925, der 1927 an den Reichstag ging; in den Reichstagsausschüssen wurde er weiter geändert zum Entw. 1930. Auch die nach 1933 unternommenen Reformarbeiten haben zu keinem Abschluß geführt. ΙΠ. Die Rechtsprechung Die amtliche Sammlung von Entscheidungen des Reichsgerichts war: „Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, hrsg. von den Mitgliedern des Reichsgerichts und der Reichsanwaltschaft". Für die Zeit von 1879 bis 1888 bestand noch eine zweite, nur mit 10 Bänden erschienene Sammlung „Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen". Nach 1945 erschienen die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die britische Zone (3 Bde); Höchstrichterliche Entscheidungen in Strafsachen (2 Bde); nunmehr die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und die Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts. Weitere Entscheidungen veröffentlichten: Deutsche Justiz, Höchstrichterliche Rechtsprechung (Ergänzungsblatt zur Deutschen Justiz), Juristische Wochenschrift (später: Deutsches Recht), Deutsche Juristen-Zeitung (später: Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht), Goltdammers Archiv für Strafrecht (später: Deutsches Strafrecht). Heute erscheinen: Süddeutsche Juristen-Zeitung, Deutsche Rechtszeitschrift, beide jetzt vereinigt in der Juristen-Zeitung, Monatsschrift f. deutsches Recht, Neue Juristische Wochenschrift, Juristische Rundschau, Neue Justiz. IV. Kurze Übersicht über das wichtigste Schrifttum Lehrbücher: Binding, Handbuch des Deutschen Strafrechts I. 1885; ders., Die Normen und ihre Übertretung I—IV, 1914—1919; ders., Lehrbuch d. gemeinen deutschen Strafrechts; Besonderer Teil 2. Aufl. 1902 —05; v. Liszt-Schmidt, Lehrb. 25. Aufl. 1927, 26. Aufl. (nur Allgem. Teil) 1932; M. E. Mayer, Der Allgemeine Teü d. dtsch. Strafrechts, 1915; v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. I 1925; Bd. II 1930; Lehrbuch 1932; Gerland, Deutsches Reichsstrafrecht, 2. Aufl. 1932; Allfeld, Lehrbuch, 9. Aufl. 1934; Mezger, Strafrecht, Ein Lehrbuch, 2. Aufl. 1933; Kurzlehrbuch I 4. Aufl. 1952; II 3. Aufl. 1952; Hellmuth Mayer, Das deutsche Strafrecht, 2. Aufl. 1953; Graf zu Dohna, Der Aufbau der Verbrechenslehre, 2. Aufl. 1941; v. Webe«·, Grundriß d. deutschen Strafrechts, 2. Aufl. 1948; Maurach, Grdr. 1948; Deutsches Strafrecht, Besonderer Teil 1952; Niethammer, Lehrbuch d. bes. Teils, 1950; Kern, Grdr. d. bes. Teils 1950. Kommentare: Olshausen, 11. Aufl. 1927, 12. Aufl. 1942 (unvollständig); Ebermayer-Lobe-Rosenberg, 4. Aufl. 1929, 5. Aufl. (nur Allgem. Teil) 1933, fortgeführt von Nagler, 6. Aufl. 1944, 7. Aufl. 1951 u. 1953; F r a n k , 18. Aufl. 1931; Schönke, 6. Aufl. 1953; Kohlrausch-Lange, 39./40.Aufl. 1950; Schwarz, 15. Aufl. 1952. Strafrechtliche Zeitschriften: Der Gerichtssaal (seit 1849); Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (begründet von v. Liszt), Monatsschrift für Kriminalbiologie und Strafrechtsform. Strafrechtliche Einzelschritten, vor allem wichtige Dissertationen, werden in den „Strafrechtlichen Abhandlungen", hrsg. von Schoetensack gesammelt.
§ 4. Der Begriff des Strafrechts
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§ i . Der .Begriff des Strafrechts I. Umfang des Strairechts Der Name „Strafrecht" ist für den im StGB, behandelten Stoff vor allem seit der Novelle vom 24.11. 33 zu eng geworden; denn neben der Strafe umfaßt das StGB, auch die sichernden und bessernden Maßregeln. Rechtsgrund der S t r a f e ist das V e r b r e c h e n , d . i . die für die Rechtsgemeinschaft wegen ihrer sozial-ethischen Verwerflichkeit unerträgliche Handlung oder Unterlassung. Rechtsgrund der sichernden und bessernden M a ß r e g e l n ist die durch wiederholte Verbrechensbegehung indizierte Gefährlichkeit des Täters für die Gemeinschaft. Aus dem Strafrecht scheidet das Recht der sog. nichtkriminellen Strafen aus, weil ihr Rechtsgrund nicht das Verbrechen im obigen Sinne ist: 1. D i e O r d n u n g s s t r a f e n Die Tatbestände der Ordnungswidrigkeiten zielen auf die Erreichung eines verwaltungs-, besonders wirtschaftspolitischen Zwecks hin und sichern sie durch Strafdrohung. Der Tatunwert erschöpft sich in der schlichten Unbotmäßigkeit. Die Strafe wird hier weniger wegen dieser geringfügigen Unbotmäßigkeit, als zur Sicherung des verwaltungs-(wirtschafts)politischen Zweckes verwendet. Sie ist primär Zweckmaßnahme, die in der Regel als „Ordnungsstrafe" („Geldbuße") von einer Verwaltungsstelle verhängt wird (WiStG. vom 26. 7. 49/25. 3. 52; OWiG. vom 25. 3. 52). Allerdings ist — in älteren Gesetzen — der Unterschied zwischen Ordnungswidrigkeit und Kriminalunrecht noch nicht durchgeführt, sondern auf Ordnungswidrigkeiten Kriminalstrafe angedroht. Hieran ist der Richter gebunden. Vgl. dazu BGH. NJW. 52 983, Lange, NJW. 53 687. Doch wird die Grenze zwischen Ordnungswidrigkeit und kriminellem Unrecht in dem Maße flüssig, wie die unmittelbare Bedeutung des angestrebten Zweckes für das Gemeinwohl und zugleich die sozialethische Verwerflichkeit der Tat über die bloße Unbotmäßigkeit hinaus steigt: So vor allem im Wirtschaftsstrafrecht, wo eine Zuwiderhandlung von der bloßen „Ordnungswidrigkeit" zur „Wirtschaftsstraftat" wird, wenn sie entweder durch ihren Umfang oder ihre Auswirkung die Leistungsfähigkeit der Wirtschaftsordnung beeinträchtigt oder eine besonders wirtschaftsfeindliche Einstellung des Täters bekundet; vgl. § 6 WStG. 2. D i e D i e n s t s t r a f e n ( D i s z i p l i n a r s t r a f e n ) verhängt der Staat als Dienstberechtigter bei Verletzung der Dienstpflicht. Daher ist die schwerste Dienststrafe die Aberkennung des Amtes (ihr Zweck: Reinerhaltung des Beamtenstandes). Entsprechendes gilt für die Ehrengerichtsbarkeit der Stände: der Rechtsanwälte, Ärzte u. a. Strafbar sind hier Verfehlungen gegen die Standesehre (vgl. die Rechtsanwalts- bzw. Ärzteordnung).
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3. Die p r o z e s s u a l e n B e u g e s t r a f e n (Zwangsstrafen) sollen ein bestimmtes Verhalten erzwingen, z. B. §§ 888, 889 ZPO., ferner die prozessualen Ordnungsstrafen wegen Ungebühr §§ 178, 179 GVG., wegen Nichterscheinens des Zeugen § 51 StPO., § 380 ZPO. u. dgl. Q. Die formale Verbrechensdreiteilung des § 1 StGB. Im Anschluß an den Code pénal unterscheidet § 1 StGB, nach der Schwere der angedrohten (nicht der verhängten) Strafe: Verbrechen, Vergehen, Übertretungen. § 1. „Eine mit Zuchthaus oder mit Einschließung (Festungshaft) von mehr als fünf Jahren bedrohte Handlung ist ein Verbrechen. Eine mit Einschließung bis zu fünf Jahren, mit Gefängnis oder mit Geldstrafe von mehr als einhundertfünfzig Deutsche Mark oder mit Geldstrafe schlechthin bedrohte Handlung ist ein Vergehen. Eine mit Haft oder Geldstrafe bis einhundertfünfzig Deutsche Mark bedrohte Handlung ist eine Übertretung". Die Dreiteilung hatte von Anfang an nur eine technische Bedeutung, zunächst um die Art des Gerichtes zu bestimmen, vor das das Delikt gehört (Verbrechen vor das Schwurgericht, Vergehen vor die Strafkammer, Übertretungen vor den Polizeirichter); später wuchs ihr die Funktion zu, die Anwendbarkeit zahlreicher materiellrechtlicher Bestimmungen zu regeln. So wird der Versuch bei Verbrechen stets, bei Vergehen nur bei ausdrücklicher Anordnung und bei Übertretungen nie bestraft (§ 43), auch Beihilfe ist nur bei Verbrechen und Vergehen, nicht aber bei Übertretungen strafbar (§ 49); vgl. ferner § 49a, §§ 67ff., § 257 u. a. m. Die angeblich aus dem Naturrecht stammende materiale Bedeutung, die Kohlrausch-Lange III der Dreiteilung beilegt, ist historisch nicht haltbar (vgl. Welzel, JZ. 1951 754).
Die ursprünglich klare Einteilung ist heute nicht nur für das Verfahrensrecht stark getrübt (vgl. §§ 24, 74, 74 a StPO.), sondern auch für das materielle Recht durch die Einführung „besonders schwerer Fälle" beeinträchtigt worden. Der Einteilung des § 1 liegt eine generelle („abstrakte") Betrachtungsweise zugrunde: nicht die im Einzelfalle v e r w i r k t e , sondern die für den anzuwendenden Tatbestand angedrohte ordentliche Höchststrafe bestimmt die Deliktsnatur der Tat. Grundlage hierfür ist der Tatbestand. Ein und derselbe Tatbestand kann nur einer der drei Deliktsarten angehören, und zwar bestimmt sich diese nach der Höchststrafe des „ordentlichen" Strafrahmens des betr. Tatbestandes: außerhalb dieses „ordentlichen" Strafrahmens stehen die mildernden Umstände und die „minder schweren" bzw. (besonders) „schweren Fälle":
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§4. Der Begriff des Strafrechts
diese sind lediglich Strafzumessungsgründe innerhalb desselben Tatbestandes und ändern darum die Deliktsnatur nicht. Dagegen ist für jeden neuen Tatbestand die Deliktsnatur selbständig zu ermitteln. Hierfür gilt im Einzelnen: 1. Sieht der Tatbestand wahlweise verschiedene Strafdrohungen vor, so ist die schwerste Strafdrohung maßgebend; darum war z. B. § 253, der wahlweise Zuchthaus oder Gefängnis androhte, stets ein Verbrechen (vgl. BGH. 2 181; 393). 2. a) Sind in einem Tatbestand „mildernde Umstände" vorgesehen, so wird durch sie der „normale" Strafrahmen nach unten hin erweitert, während die Deliktsnatur sich nach der schwersten Strafe des normalen Strafrahmens bestimmt. Also bleibt der Raub auch bei Zubilligung mildernder Umstände (§ 249 II) ein Verbrechen, ebenso der Totschlag (§ 212) im Falle der mildernden Umstände des § 213.
b) Die gleiche Regel gilt für die „minderschweren Fälle". Danach ist die Drittabtreibung des § 218 III auch unter den Voraussetzungen eines minder schweren Falles ein Verbrechen (HESt. 2 174.) Auch die im Allgemeinen Teil geregelten generellen Strafmilderungen für Versuch (§ 44), Beihilfe (§ 49), verminderte Zurechnungsfähigkeit (§ 51 II) ändern die nach dem normalen Strafrahmen des betreffenden Delikts zu bestimmende Deliktsnatur nicht. Die Deliktsnatur der Teilnahme bestimmt sich grundsätzlich nach der Haupttat; über Ausnahmen nach § 50 II s. unten S. 87f. c) Ein Gegenstück zu den mildernden Umständen und den minder schweren Fällen bilden die seit 1933 häufig verwendeten unbenannten Straferschwerungen der „besonders schweren Fälle" (ζ. B. §§89ff., 218 I, 263 IV, 266 I I u. a. m.). Auch hier bestimmt sich die Deliktsnatur nach der unabhängig vom besonders schweren Fall vorgesehenen normalen Strafdrohung. Folglich ist § 218 I ein Vergehen, auch wenn ein besonders schwerer Fall vorliegt. 3. Wird aus einem Grundtatbestand durch Hinzunahme spezieller Tatbestandsmerkmale ein neuer Tatbestand gebildet („Spezialdelikt"), so bestimmt sich die Deliktsnatur nach dem neuen Tatbestand. Bei Strafschärfung nennt man diesen ein „qualifiziertes" Delikt (z. B. § 243 im Verhältnis zu § 242), bei Strafmilderung ein „privilegiertes" Delikt (z.B. § 248a im Verhältnis zu § 242). Ein solches Spezialdelikt kann auch innerhalb derselben Strafbestimmung gebildet sein. So ζ. B. sind die schweren Freiheitsberaubungen des § 239 II und III Verbrechen im Verhältnis zur einfachen Freiheitsberaubung des § 239 I als Vergehen. 4. Einen neuen Tatbestand mit eigener Deliktsnatur stellt erst recht das eigenständige Delikt (delictum sui generis) dar, das aus dem Grunddelikt W e lz et , Das Deutsche Strafrecht, 3. Aufl.
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völlig ausgeschieden und verselbständigt ist, wie ζ. B. der Raub (§ 249) im Verhältnis zum Diebstahl und zur Nötigung (§§ 240, 242). 5. Bei Androhung von „Geldstrafe schlechthin" und bei multiplikativer Geldstrafendrohung liegt stets ein Vergehen vor. Zu 1.—5.: Die hier entwickelte „generelle" oder „abstrakte" Betrachtungsweise der Dreiteilung entspricht der historischen Entwicklung und herrscht in Judikatur und Lehre (RG. 69 51; 74 65; HESt. 2164, 170,174; BGH. 2 181, 393; N a g l e r LK. §1, 2; N i e t h a m m e r DRZ. 47100; Welzel JZ. 51 754. Die von Kohlrausch (38. Aufl.) und E n g i s c h (SJZ.46 262; 48 660) begründete „konkrete" oder „spezialisierende" Betrachtungsweise, die die Tatbestände mit verschiedenen Strafdrohungen in „Wertgruppen" zerlegen und nach ihnen die Deliktsnatur konkret bestimmen will, ist für das StGB, undurchführbar und als Verstoß gegen Art. 103 II GG. unzulässig; Welzel, JZ.51 754. Eine konkrete Betrachtungsweise gilt jedoch für die Abgrenzung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten, wenn die Tat wahlweise mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist; § 1 OrdWidr.Ges. vom 25. 3. 52.
§ 5. Stratrecht und Strafgesetz I. Der Grundsatz nulla poena sine lege und seine Geschichte 1. Die ursprüngliche Fassung des § 2 lautete: Eine Handlung kann nur dann mit Strafe belegt werden, wenn diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde. Diese Bestimmung besagte dreierlei: Nur ein Gesetz kann eine Handlung zum Verbrechen erklären (nullum crimen sine lege) und nur ein Gesetz kann eine Strafe für sie bestimmen (nulla poena sine lege), und beides nur, bevor die Handlung begangen wurde (Ausschluß rückwirkender Kraft strafbegründender oder strafschärfender Strafgesetze). Damit wird jede außergesetzliche, sei es durch Analogie oder durch Gewohnheitsrecht erfolgende Strafbestimmung verboten. Von beiden Rechtsquellen, dem Gesetz und dem Gewohnheitsrecht, hat im Strafrecht das Gesetz den unbedingten Vorrang. Während der Grundsatz nullum c r i m e n sine lege die gesetzliche Bestimmtheit der S t r a f b a r k e i t fordert — also auch absolut unbestimmte Strafdrohungen zuläßt —, geht der Satz nulla poena sine lege noch darüber hinaus und verlangt auch gesetzliche Bestimmtheit der Verbrechensfolgen, d.h. nach Art und Rahmen mindestens relativ bestimmte Strafdrohungen. Art. 103 II GG (wie schon Art. 116 Weim.Verf.) umkleidet den ersten (nicht auch den zweiten) Grundsatz mit den erhöhten verfassungsrechtlichen Garantien: „Eine Tat kann nur dann bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde". So nun auch die gegenwärtige Fassung des § 2 nach dem 3. StRÄG.
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Eine gesetzlich nicht einmal relativ — durch Art und Strafrahmen — bestimmte Strafe, wie § 27 Ziff. 1 in der Fassung vom 6.2. 24 in Gestalt der Geldstrafe von unbeschränkter Höhe vorsieht, war und ist darum verfassungsrechtlich zulässig ; RG. 56 318. Relativ unbestimmte Strafdrohungen finden sich in § 19 JGG. 2. Der Grundsatz nulla poena (nullum crimen) sine lege ist kein römisch-rechtlicher Grundsatz. Vor allem war er der römischen Kaiserzeit und dem justinianischen Recht mit ihren crimina extraordinaria und ihren weitgefaßten, fast uferlosen Deliktsbegriffen (z. B. dem stellionatus, der „Schufterei") fremd. Er entspricht auch dem extremen römischen Willensstrafrecht nicht, das für die delicta publica galt und das keine Unterscheidung von Vorbereitung, Versuch und Vollendung, also keinerlei Tatbestandlichkeit kannte. Auch dem germanisch-altdeutschen Recht war er unbekannt. Wohl kann man sagen, daß er dem germanischen Strafrecht (als Tatstrafrecht) näher steht als dem römischen Willensstrafrecht. So strebte jenes auch immer zu festen, klaren Deliktstatbeständen (vgl. die Bußsätze der Volksrechte). Doch stets konnte nach Gewohnheitsrecht gestraft werden, da die Voraussetzung des Grundsatzes nulla poena sine lege: die Gesetzesstaatlichkeit fehlte. Das gilt auch für die magna Charta von 1215. Die peinliche Gerichtsordnung Karls V. band den Richter grundsätzlich an das Gesetz, ließ jedoch unter gewissen Kautelen auch eine außergesetzliche Bestrafung zu (s. o. S. 11). Erst in der Aufklärungszeit setzte sich der Grundsatz nulla poena s. 1. im Kampfe gegen richterliche und obrigkeitliche Willkür durch. Unter Berufung auf die Magna Charta libertatum wurde er in den nordamerikanischen Verfassungen von 1774 und in der Erklärung der Menschenrechte von 1789 proklamiert. Er fand im Strafgesetzbuch Joseph II. 1787 und im ALR. von 1794 seinen Niederschlag. Die lateinische Formulierung stammt von Feuerbach (in seinem Lehrbuch 1801). Im 19. Jahrhundert wurde er in das Strafrecht fast aller Kulturstaaten aufgenommen. Eine gewisse Ausnahme macht das dänische Strafrecht (auch das neue Dan. StGB, von 1930) insofern, als es — wie es übrigens auch Binding, Hbd. 17ff. befürwortete — eine analoge Bestrafung zuläßt. Eine Sonderstellung nimmt das englische Strafrecht ein, da es nur zum Teil auf gesetztem Recht — dem statute law — zum anderen Teil aber auf der richterlichen Rechtstradition — dem common law — beruht, die jedoch den Richter durch das Mittel des Präjudiz stark bindet. Den ersten Schritt zu einem Bruch mit der kontinentaleuropäischen Tradition — nachdem schon Rußland 1917 den Grundsatz nulla poena abgeschafft hatte, — machte die Novelle vom 28. 6. 35. Sie ermöglichte neben der gesetzlichen auch eine außergesetzliche Bestrafung aus dem „gesunden Volksempfinden", jedoch noch gebunden an den Grundgedanken eines Strafgesetzes. Diese wichtige Einschränkung benutzte ein beachtlicher Teil der Wissenschaft und Praxis, um die Anwendung des neuen § 2 möglichst einzuengen. Diesen Bemühungen wirkte eine immer schärfer werdende politische Strömung entgegen, die den neuen §2 mit seiner Kontrolle durch den gesetzlichen Grundgedanken zu einer bloßen „Etappe" auf dem Wege zu „einer nationalsozialistisch gesteuerten Rechtsschöpfung unmittelbar aus dem gesunden Volksempfinden" erklärte (Freisler,DJ. 41 479). Dementsprechend wurden die späteren n.-s. Gesetze, besonders der Kriegszeit (Autofallengesetz, Volksschädlings- und Gewaltverbrecherverordnung u. a.), so weit und unbestimmt gefaßt, daß sie jeder politischen „Steuerung" der Rechtspflege Raum gaben, wie sie vor allem nach 1942 durch „Richterbriefe" und Einzelanweisungen einsetzte.
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II. Die Einzelausgestaltung Nur eine Tat, deren S t r a f b a r k e i t v o r ihrer Begehung g e s e t z l i c h bes t i m m t i s t , kann mit Strafe belegt werden. Das bedeutet, daß jedeBegriindung und Erweiterung der Strafbarkeit durch Gewohnheitsrecht oder Analogie und jede Rückwirkung strafbegründender und straferschwerender Gesetze verboten ist. Auch die Auslegung der Strafgesetze muß sich an diese Grenzen halten. 1. Doch gilt dies nur für solche Merkmale eines Strafgesetzes, die die S t r a f b a r k e i t konstituieren, nämlich für die Tatbestandsbeschreibung, die Rechtswidrigkeits- und Schuldmomente und für die Strafbarkeitsbedingungen; dagegen nicht für Merkmale, die die materielle Strafbarkeit der Tat unberührt lassen, wie die Prozeßvoraussetzungen (ζ. B. den Strafantrag oder die Verjährung) oder für Abgrenzungsformeln, die eine allgemeinere Bestimmung an eine zuvor geregelte engere Bestimmung anschließen (ζ. B. in § 212 „ohne Mörder zu sein" oder in § 246 „die er in Besitz oder Gewahrsam hat"; s. dazu unten S. 242). Für die letzteren Merkmale gelten uneingeschränkt die gewöhnlichen juristischen Anwendungs- und Auslegungsgrundsätze. Darum ist eine gesetzliche Bestimmung, die das Antragserfordernis streicht oder die Verjährungsfrist verlängert, vom Augenblick ihres Inkrafttretens an auch auf frühere Taten anzuwenden (RG. 75 311; BGH. 2 307); ebenso ist bei ihnen eine berichtigende Auslegung zulässig, wenn der gesetzliche Wortlaut mißlungen ist (so bei § 246; s. unten S. 242). Vgl. W e l z e l , JZ. 52 392ff., NJW. 53 653; abw. M a y e r , JZ. 53 105. 2. Dagegen gelten für die die S t r a f b a r k e i t konstituierenden Merkmale die juristischen Auslegungsregeln nur mit der oben angegebenen Einschränkung, wonach eine E r w e i t e r u n g der gesetzlich bestimmten Strafbarkeit ausgeschlossen ist. I n n e r h a l b der gesetzlich bestimmten Strafbarkeit sind dagegen die gewöhnlichen juristischen Auslegungsregeln anwendbar: zusammenfassend hierzu RG. 62 373: der Richter „muß neben Wortlaut auch Zweck und Sinn des Gesetzes beachten, für dessen Erforschung die Entstehungsgeschichte und der Zusammenhang der Vorschriften unter sich und mit anderen bereits bestehenden Bestimmungen von Bedeutung ist". Maßgebend ist weniger der subjektive Wille des historischen Gesetzgebers, als der objektive Sinn des Gesetzes im Rahmen seines Wortlautes (objektive Auslegungstheorie). Insoweit ist auch eine a u s d e h n e n d e Auslegung zulässig, als sie über eine zu enge Wortinterpretation hinaus den vernünftigen Sinn des Tatbestands zur Geltung bringt (vgl. S c h ö n k e § 2; M i t t e r m a i e r , Schweiz.Z. 63 403 ff.). So hat schon das sonst eng auslegende frühere RG. unter den Begriff des Briefes (§ 354) auch Postkarten, Postanweisungen, Zahlkarten u. dgl. gebracht (RG. 72193; 73 23) oder die versehentliche Freilassung eines Gefangenen als
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„Beförderung der Entweichung" (§ 347 Abs. 2) angesehen (RG. 5 324) oder unter „Einsteigen" auch das Hinabkriechen verstanden (RG. 13 257). Aber im ganzen ist die frühere deutsche Rechtsprechung (vor 1933) bei der Auslegung von Strafgesetzen zu engherzig und formal verfahren; vgl. bes. RG. 32 165: Elektrizität sei keine Sache, darum die Entwendung von Elektrizität kein Diebstahl. Gegen die frühere deutsche Judikatur bes. S c h ö n k e §2 VI. Im Gegensatz zur ausdehnenden Auslegung, die den zum gesetzlichen Ausdruck gekommenen Sinn einer Bestimmung herausarbeitet, ist eine gesetzeserweiternde A n a l o g i e , die also auf einen vom erklärten Sinn des Gesetzes nicht mehr getroffenen Fall hinausgreift, unzulässig. Die Grenzen zwischen ausdehnender Auslegung und Analogie können flüssig sein. Dennoch ist auch die Analogie im Strafrecht keineswegs ganz verboten; denn wo keine Gesetzese r w e i t e r u n g , sondern nur eine Gesetzesauslegung in Frage steht, ist auch der Vergleich mit anderen Tatbeständen, insofern also auch Analogie zulässig (RG. 58168 ; ζ. B. Vergleich des Begriffs der Öffentlichkeit in den verschiedenen Tatbeständen, RG. 73 90; vgl. H i p p e l II, 39). Ebenso kann zur Gesetzesauslegung auch Gewohnheitsrecht mittelbar bedeutsam werden (ergänzendes Gewohnheitsrecht): so vor allem für die Begriffe des allgemeinen Teils, wie Vorsätz, Fahrlässigkeit, Schuld usf. : gerade die fundamentalen Begriffe des allgemeinen Teils sind gewohnheitsrechtlicher Natur! — Erst recht sind s t r a f e i n s c h r ä n k e n d e Analogie und s t r a f a u f h e b e n d e s Gewohnheitsrecht unbeschränkt zulässig (RG. 56 168). 3. Sehr schwierig ist die Frage zu beantworten, wann die Strafbarkeit gesetzlich b e s t i m m t ist. Die eigentliche Gefahr droht dem Grundsatz nulla poena sine lege nicht von der Analogie, sondern von u n b e s t i m m t e n Strafgesetzen! Ein „Strafgesetz", das „bestimmt": bestraft wird, wer die Grundsätze der demokratischen (oder sozialistischen oder sonst welchen) Gesellschaftsordnung verletzt, ist mit der Idee der Rechtsstaatlichkeit unvereinbar, es ist kein Strafgesetz im substantiellen Sinne, wie es Art. 103 voraussetzt (vgl. dazu W e l z e l , Probleme lOlff.). Das Rückgrat rechtsstaatlicher Gesetzesbestimmtheit liegt in der T a t bestandsbeschreibung durch Angabe von „Tatumständen". Diese Tatbestandsbeschreibung muß so klar und bestimmt sein, daß das Rechtswidrigkeitsurteil des Gesetzgebers durch sie unmittelbar angezeigt („indiziert") wird. Allzu allgemein gehaltene normative Tatbestandsmerkmale wie „Gefährdung des s i t t l i c h e n Wohls" (§170(2) heben diese Funktion des Tatbestands auf. Jedoch kann der Gesetzgeber das Unrecht der Tat häufig nicht allein durch die Angabe von Tatumständen kennzeichnen, sondern muß zur Begründung der Rechtswidrigkeit spezielle Rechtspflichtmerkmale und Rechtswidrigkeitsregeln heranziehen, wie ζ. B. die verkehrsmäßige Sorgfalt bei den Fahrlässigkeitsdelikten, die Garantenpflicht bei den Unterlassungsdelikten, die speziellen
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Rechtswidrigkeitsregeln des §24011, §6 WiStG. u . a . m . (s. unten'S. 59 f). Auch diese Momente müssen b e s t i m m t sein, sei es daß sie — wie die Merkmale „zuständig"*, „unbefugt", „Amtspflicht" u. dgl. — sich aus dem Verwaltungsrecht ergeben, oder daß sie — wie die verkehrsmäßige Sorgfalt, die Garantenpflicht, die Mittel-Zweckrelation des § 240 I I — auf elementare •Wertungen des Soziallebens verweisen. Unzulässig wäre die Verwendung politischer Wertungen (wie „Volksschädling", „Saboteur" usw.). Darum hat der Bayr. VfGH. in Entsch. vom 13.10. 61 und 9.5. 53 eine Vorschrift, die jemanden für strafbar erklärt, „wer gegen die öffentliche Ordnung verstößt" oder „wer gegen die Interessen der alliierten Streitkräfte handelt", wegen mangelnder Tatbestandsbestimmtheit für ungültig erklärt. Bayr. VGH. 4/194; BayGes. u. VoBl. 53/76ff. § 6. Der Geltungsbereich des deutschen Strafrechts I. Die zeitliche Geltung, § 2 Abs. 2 und 8 1. D e r G r u n d s a t z : K e i n e R ü c k w i r k u n g d e r S t r a f g e s e t z e S t r a f b a r k e i t u n d S t r a f e b e s t i m m e n sich n a c h dem S t r a f g e s e t z zur Zeit der Tat. Uberhaupt ist für die Frage nach Rechtswidrigkeit, Schuld und Strafbarkeit die Lage zur Zeit der Vornahme der Handlung maßgebend; gleichgültig ist die Lage zur Zeit des Erfolgseintrittes. Daher wirken ζ. B. die zivilrechtlichen Rückwirkungen, wie §§ 142, 1963 BGB., strafrechtlich nicht zurück. 2. Die R ü c k w i r k u n g des m i l d e r e n G e s e t z e s Bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Tat bis zu deren Aburteilung ist das mildeste Gesetz anzuwenden, nämlich das Gesetz, das für den k o n k r e t e n Fall die mildeste Beurteilung zuläßt (RG. 71431; 75 310). Dabei ist auch ein „Zwischengesetz", wenn es das mildeste ist, zu berücksichtigen, d. h. ein Gesetz, das zwischen Tat und Aburteilung in Kraft war. Müdestes Gesetz ist natürlich auch das Gesetz, das die Strafbarkeit ganz beseitigt. Wird bei einem Blankettgesetz (s. u. S. 126) die ausfüllende Norm geändert (ζ. B. eingeschränkt), so ist auch das zu berücksichtigen. Z e i t g e s e t z e , die von vornherein nur für eine vorübergehende Situation geschaffen sind (ζ. B. seuchenpolizeiliche Strafvorschriften während einer Viehseuche), sind auch nach ihrem Außerkrafttreten auf die während ihrer Geltung begangenen Taten anzuwenden (Abs. 3). Grund: Da Milderung oder Wegfall der Strafbarkeit (in der Regel) auf eine Müderung der sozialethischen Wertung der Tat beruhen, muß dem Richter die Möglichkeit gegeben werden, dieser Milderung auch bei einer früher begangenen, aber noch nicht abgeurteüten Tat Rechnung zu tragen. Ganz anders bei den Zeitgesetzen: ihre Aufhebung beruht auf dem Wegfall der Notlage (ζ. B. dem Aufhören der Seuche); die sozialethische Wertung
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der Tat (ζ. B. Mißbilligung der Ein- oder Ausfuhr während einer Seuche) bleibt unberührt und begründet die Strafbarkeit der früher begangenen Tat; RG. 74 301; O GH. 2 268. D i e R ü c k w i r k u n g des s t r e n g e r e n G e s e t z e s ist zwar mit dem Satz nullum crimen, nicht aber nulla poena sine lege vereinbar. Der Nationalsozialismus legte in zunehmendem Maße Strafgesetzen rückwirkende lirait bei, z. B. dem § 239 a, dem Autofallengesetz vom 22. 7. 38 und besonders den Kriegsgesetzen. Welche Möglichkeiten eines politischen Mißbrauclis die Rückwirkung von Strafgesetzen eröffnet, zeigt das Änderungsgesetz vom 19. 9. 39. Unmittelbarer Anlaß für dieses Gesetz war der Wunsch der politischen Führung, ein rechtskräftiges Zuchthaus-Urteil des Volksgerichtshofs wegen versuchten Landesverrats in ein Todesurteil umzuwandeln. Zu diesem Zweck wurden der „außerordentliche Einspruch" gegen rechtskräftige Urteile geschaffen, die Zuständigkeit des Reichskriegsgerichts iür den betreffenden Fall begründet und §§ 89 Abs. 3, 90 Abs. 2 mit rückwirkender Kraft gestrichen! 3. B e i s i c h e r n d e n M a ß n a h m e n ist das Recht zur Zeit der Entscheidung maßgebend (§ 2 Abs. 4). Denn sie sind nicht Sühne für die begangene Tat, sondern Sicherung für die Zukunft. Π. Der räumliche Geltungsbereich des deutschen Strafrechts, §§ 3—9 Wo und von wem muß die Tat begangen sein, damit deutsches Recht auf sie anwendbar sein soll? Die Regeln hierüber sind trotz des irreführenden Namens „internationales Strafrecht" nicht Völker-, sondern nationales Recht (und zwar Strafanwendungsrecht). Die Neuregelung durch VO. vom 6. 5. 40 beseitigte die frühere Zentralstellung des Territorialitätsprinzips und unterscheidet nach Tätern: Für Deutsche gilt das Personalitätsprinzip, d. h. der Grundsatz der räumlich unbegrenzten Verpflichtung gegenüber dem deutschen Recht. Für Ausländer gelten vor allem das Territorialitäts- und das Schutzprinzip (Schutz deutscher Interessen). Nicht hierher gehört die Abgrenzung verschiedener Rechtskreise innerhalb Deutschlands, also das interlokale Strafrecht (s. oben S. 13). 1. S t r a f t a t e n D e u t s c h e r 1. G r u n d s a t z : P e r s o n a l i t ä t s p r i n z i p : Das deutsche Strafrecht gilt für Taten deutscher Staatsangehöriger, gleichgültig wo sie begangen sind (§ 3 Abs. 1). Ob die Tat vom deutschen Recht auch wirklich erfaßt wird, kann bisweüen zweifelhaft sein, vor allem bei Taten, die sich gegen einen fremden Staat oder dessen verwaltungsmäßiges Funktionieren richten. Das deutsche Recht schützt nicht die fremde Verfassung, es bestraft auch nicht Straftaten gegen ausländische Beamte, etwa Bestechung oder Widerstand gegen die Staatsgewalt. Doch fallen unter deutsches Recht Meineid und falsche Anschuldigung vor ausländischer Behörde. 2. A u s g e n o m m e n sind solche Straftaten Deutscher im Auslande, die nach dem Rechte des Tatortes nicht strafbar und wegen der besonderen Verhält-
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nisse am Tatort (nach deutscher Auffassung) kein strafwürdiges Unrecht sind (§ 3 Abs. 2). 3. Mit dem Personalitätsgrundsatz, nach dem jeder Deutsche für alle Delikte im Ausland nach deutschem Recht strafbar ist, korrespondiert der Verfassungsgrundsatz, daß kein Deutscher ans Ausland zur Bestrafung auegeliefert wird. Art. 16 II GG. 2. S t r a f t a t e n v o n A u s l ä n d e r n 1. I n l a n d s t a t e n unterstehen dem T e r r i t o r i a l i t ä t s p r i n z i p : Das deutsche Strafrecht gilt für alle im Inland begangenen Taten von Ausländern § 4 Abs. 1). 2. A u s l a n d s t a t e n ( § 4 Abs. 2 und 3): Für Taten von Ausländern im Auslande gilt das deutsche Strafrecht nur ausnahmsweise, und zwar a) wegen des Schutzes deutscher Interessen ( S c h u t z p r i n z i p ) für: Hoch- und landesverräterische Handlungen gegen die Bundesrepublik oder eines ihrer Länder und für Verbrechen des Verfassungsverrats, III 2; Verrat deutscher Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse III, 5; Meineid im Verfahren vor deutschen Behörden III, 6; Taten gegen deutsche Beamte im Hinblick auf ihren Dienst III, 1 (2. Altern.). Ferner für Straftaten des Ausländers als deutschen Beamten III, 1 (1. Altern.) (hier handelt es sich jedoch nicht um das Schutzprinzip, sondern um die Verletzung einer Sonderpflicht). b) nach dem W e l t r e c h t s p r i n z i p zum Schutze von Kulturinteressen aller Staaten für: Münzdelikte III, 7; Sprengstoffverbrechen III, 3; Kinder- und Frauenhandel III, 4; unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln III, 8; Handel mit unzüchtigen Veröffentlichungen III, 9. Für diese Taten gilt deutsches Recht, gleichgültig, wo sie begangen und gegen welchen Staat oder Staatsangehörigen sie gerichtet sind. c) nach dem G r u n d s a t z s t e l l v e r t r e t e n d e r S t r a f r e c h t s p f l e g e (§4 Abs. 2). Das deutsche Strafrecht setzt an Stelle einer primär erwarteten ausländischen Bestrafung oder bei fehlender Strafgewalt ein, wenn aa) der Täter nach der Tat Deutscher geworden ist oder bb) die Tat sich gegen das deutsche Volk oder gegen einen deutschen Staatsangehörigen richtete oder cc) der Täter aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht ausgeliefert wird, obwohl nach der Art der Tat die Auslieferung möglich gewesen wäre. Voraussetzung ist, daß die Tat nach dem Recht des Tatortes strafbar ist oder der Tatort keiner Strafgewalt untersteht. 3. D e r B e g r i f f des B e g e h u n g s o r t e s 1. B e g e h u n g s o r t ist sowohl der Ort der Handlung (bei Unterlassungsdelikten: der gebotenen Tätigkeit) wie der des Erfolgseintritts (bei Unterlassungen und beim Versuch: der Ort des erwarteten Erfolges); § 3 Abs. 3.
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Bei Teilnahme ist Begehungsort a u c h der Ort der Haupttat (RG. 74 60; S c h r ö d e r , Z. 61 57). 2. Der Begriff des I n l a n d e s bestimmt sich nach Völkerrecht. Er umfaßt das Reichsgebiet in den Grenzen von 1937, den Luftraum darüber und das Küstenmeer in der Dreimeilenzone. Er umfaßt auch die fremden Gesandtschaftsgebäude (RG. Θ9 64), unbeschadet der persönlichen Straflosigkeit und der Nichtverfolgbaikeit der sogenannten Exterritorialen, § § 1 8 - 2 0 GVG.
3. Als im Inland begangen gelten nach § 5 auch Taten, die auf deutschem Schiff oder Luftfahrzeug begangen sind (gleichgültig, ob Kriegs- oder Handelsschiff, und gleichgültig, wo sie sind).
ALLGEMEINER TEIL Erstes Buch
Das strafbare Verhalten und sein Täter § 7. Vorbemerkung: Aufgabe und Gegenstand der allgemeinen Lehren des Strafrechts I. Aufgabe des allgemeinen Teils Aufgabe der allgemeinen Lehren des Strafrechts ist es, die für alle Straftaten gemeinsamen Wesensmerkmale des Verbrechens und seines Täters aufzuzeigen. Jede strafrechtlich bedeutsame Handlung oder Unterlassung ist eine gegliederte Einheit objektiver und subjektiver Momente (von Tat und Wille). Ihre Verwirklichung durchläuft verschiedene Stadien: Vorbereitung, Versuch oder Vollendung. Ihre Bewertung in der Gemeinschaft kann verschieden ausfallen: als rechtmäßig oder rechtswidrig, als schuldhaft oder schuldlos. Sie steht in unlösbarer Beziehung zu ihrem Täter, dessen Persönlichkeit, Wille und Gesinnung ihre Eigenart prägen. Diese Momente darzustellen, ist die Aufgabe des allgemeinen Teils, während es dem besonderen Teil obliegt, die einzelnen konkreten Verbrechensarten, wie Mord und Totschlag, Diebstahl und Kaub usf. voneinander abzugrenzen. Π. Der Gegenstand der allgemeinen Lehren: Das menschliche Verhalten (Handlung oder Unterlassung) Das gesamte Gemeinschaftsleben der Menschen baut im guten wie im bösen auf der menschlichen Z w e c k t ä t i g k e i t auf. Es setzt voraus, daß die Gemeinschaftsglieder z w e c k b e w u ß t tätig werden können, d.h. sich Ziele vorsetzen, die zu deren Erreichung erforderlichen Mittel auswählen und sie zweckbewußt in Gang setzen können. Diese Zwecktätigkeit heißt „Handlung". Sie unterscheidet sich vom reinen Naturgeschehen dadurch, daß dieses nicht von dem zu erreichenden Ziele her bewußt gelenkt wird, sondern entweder blind kausal oder — wie weitgehend in der organischen Natur, insbesondere in der Tierwelt — zwar z w e c k m ä ß i g , aber zweckunbewußt (instinkthaft) verläuft. Gerade die Fähigkeit des menschlichen Willens, sich beliebige Ziele
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zu setzen und auf Grund des Kausalwissens diese Ziele planmäßig verwirklichen zu können, ermöglicht dem Menschen die spezifische Eigenart, die Fülle und Breite seines g e s c h i c h t l i c h e n Daseins, seiner Kultur und seiner Zivilisation. Auch das Strafrecht kann sich nur darum, weil der Mensch zum Vollzug zweckbewußter Handlungen fähig ist, gebietend und verbietend an den Menschen wenden. Der Umkreis strafrechtlicher Normierung begrenzt sich auf den Bezirk möglicher menschlicher Zwecktätigkeit. Wo der Mensch körperlich ursächlich wird, ohne daß er seine Körperbewegung durch einen ihm möglichen Willensakt beherrschen kann — sei es, daß er als rein mechanische Masse wirkt (wie bei plötzlicher Ohnmacht) oder daß er Reflexbewegungen ausführt (wie bei Krampfanfällen) —, da kann er zwar als Objekt vorbeugenden polizeilichen Einschreitens in Betracht kommen, wenn er auch in Zukunft sozialgefährlich ist, aber für die Normen des Strafrechts scheiden solche Körperbewegungen aus. Darum haben Wissenschaft und Praxis des Strafrechts stets einmütig die „Willkürlichkeit" des menschlichen Verhaltens als Wesensvoraussetzung strafrechtlicher Beurteilung verlangt, wobei man den Begriff der Willkürlichkeit nicht auf die wirkliche Vornahme einer Willenshandlung beschränken darf, sondern als Beherrschbarkeit körperlicher Aktivität oder Passivität durch den W i l l e n (d. h. durch die F ä h i g k e i t , zu zweckhaftem Wollen) zu verstehen hat. Neuerdings will Maihofer, Der Handlungsbegriff im Verbrechenssystem, 1953, die Willkürlichkeit aus dem Handlungs-(Verhaltens-)begriff und damit das entscheidend m e n s c h l i c h e Moment streichen. Sern angeblich „sozialer" Handlungsbegriff ist von vornherein vor- oder untermenschlich, umfaßt auch tierisches Verhalten. Seine Kritik an dem Begriff der Willkürlichkeit erschöpft nicht nur nicht den Inhalt dieses Begriffs (vgl. dazu bereits v. Hippel II 129), sondern verkennt sogar dessen schlechthin konstitutive Bedeutung für den m e n s c h l i c h e n Charakter der Handlung!
Der Gegenstand der strafrechtlichen Normen ist somit das menschliche „ V e r h a l t e n " , d. h. die der F ä h i g k e i t zu zweckhafter Willenslenkung unterstehende körperliche Aktivität oder Passivität des Menschen. Dieses Verhalten kann eine H a n d l u n g , d. h. die wirkliche Ausübung der Zwecktätigkeit, oder eine U n t e r l a s s u n g , d . h . die Nichtausübung m ö g l i c h e r Zwecktätigkeit, sein. Für die Normen des Strafrechts steht, da sie zum größten Teil V e r b o t s normen sind, die Handlung weitaus im Vordergrund, während die Unterlassung, auf die sich die Gebotsnormen beziehen, stark zurücktritt.
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Allgemeiner Teil
Erster Teil
DER AUFBAU DES VERBRECHENS UND DAS WESEN DES TÄTERS Einleitung:
Die Handlungslehre § 8. Der Handlungsbegriff T. Das Grundgefüge der Handlung
(Die o n t o l o g i s c h e S t r u k t u r der H a n d l u n g ) Menschliche Handlung ist Ausübung der Zwecktätigkeit. Handlung ist darum „finales", nicht ledigliches „kausales" Geschehen. Die „Finalität" oder Zweckhaftigkeit der Handlung beruht darauf, daß der Mensch auf Grund seines Kausalwissens die möglichen Folgen seines Tätigwerdens in bestimmtem Umfange voraussehen, sich darum verschiedenartige Ziele setzen und sein Tätigwerden auf diese Zielerreichung hin planvoll lenken kann. Auf Grund seines kausalen Vorauswissens vermag er die einzelnen Akte seiner Tätigkeit so zu steuern, daß er das äußere Kausalgeschehen auf ein Ziel hinlenkt und es so final überdeterminiert. Finale Tätigkeit ist ein bewußt vom Ziel her gelenktes Wirken, während das reine Kausalgeschehen nicht vom Ziel her gesteuert, sondern die zufällige Eesultante der jeweils vorliegenden Ursachenkomponenten ist. Finalität ist darum — bildlich gesprochen — „sehend", Kausalität „blind". Ein Beispiel mag das verdeutlichen: Wenn der Blitz einen auf dem Felde arbeitenden Mann erschlägt, so beruht das Geschehen darauf, daß zwischen dem Mann und der Wolke die stärkste elektrische Spannung entstanden war, die zur Entladung führte. Diese Spannung hätte genau so gut auch zwischen einem sonstigen hochstehenden Gegenstand und der Wolke entstehen können. Daß es gerade der Mann war, war in der unendlichen Kette des Geschehens gewiß ursächlich bedingt, aber das Geschehen war daraufhin nicht zielgerichtet. Ganz anders bei menschlichen Handlungen: Wer einen anderen ermorden will, wählt die Ursachfaktoren bewußt daraufhin aus und legt sie so an, daß sie das vorbestimmte Ziel erreichen. Hier ist die Ursachkonstellation auf die Zielerreichung angeordnet: Einkaufen der Waffe, Auskundschaften der Gelegenheit, Auf-die-LauerLegen, Zielen, Losdrücken: alles sind einem Gesamtplan unterstehende, zielgerichtete Akte.
Da die Finalität auf der Fähigkeit des Willens beruht, in bestimmtem Umfange die Folgen des kausalen Eingreifens vorauszusehen und dadurch dieses zur Zielerreichung hin planvoll zu steuern, ist der zielbewußte, das kausale
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Geschehen lenkende Wille das Rückgrat der finalen Handlung. Er ist der Steuerungsfaktor, der das äußere Kausalgeschehen üb er determiniert und es dadurch zur zielgelenkten Handlung macht, ohne den diese, in ihrer sachlichen Struktur zerstört, zu einem blinden Kausalprozeß herabsinken würde. Darum gehört der finale Wille als der das wirkliche Geschehen o b j e k t i v gestaltende Faktor zur Handlung hinzu. Bei dieser objektiven Lenkung des Kausalgeschehens erstreckt sich der finale Wille auf alle Folgen, die er, wie er erkennt, zur Zielerreichung verwirklichen muß, also auf: 1. das Ziel, das er erreichen will, 2. die Mittel, die er hierzu einsetzt, und 3. die Nebenfolgen, die mit dem Einsatz der Mittel notwendig verbunden sind. Die Zwecktätigkeit umfaßt nicht etwa bloß den Handlungszweck, sondern auch die erforderlichen Mittel und die notwendig verbundenen Nebenfolgen. Die finale Handlung ist ein umfassendes, gegliedertes Geschehensgefüge, in welchem das Ziel nur einen Teil neben den in Bewegung gesetzten Mitteln und den mit diesen verknüpften Nebenfolgen ausmacht. Man darf darum nicht aus reiner Wortauslegung meinen, daß die „Finalität" nur das Ziel (finis) berücksichtigen könne. Das wäre nicht weniger verfehlt, als wenn man gegen die „Kausalität" einwenden wolle, sie müsse sich auf die Ursache (causa) beschränken und könne der Wirkung nicht gerecht werden.
Finaler Handlungswille ist der Verwirklichungswille, der alle Folgen umfaßt, von denen der Täter erkennt, daß sie mit der Zielerreichung notwendig verknüpft sind, und die er darum verwirklichen will. Nur in bezug auf diese vom Verwirklichungswillen umfaßten Handlungsfolgen gibt es einen finalen Handlungszusammenhang. Final ist eine Handlung nur hinsichtlich der w i l l e n t l i c h g e s e t z t e n Erfolge; hinsichtlich anderer, vom Verwirklichungswillen nicht gesetzter Erfolge ist sie nur kausal. Die Krankenschwester, die ahnungslos eine zu starke, tödlich wirkende Morphiumspritze injiziert, nimmt zwar eine finale Injektion, aber keine finale Tötungshandlung vor. — Wer, um sich zu üben, in der Dämmerung auf einen Gegenstand schießt, den er für einen Baumstumpf hält, der aber ein sitzender Mensch ist, gibt zwar einen finalen Übungsschuß ab, nimmt aber keine finale Tötungshandlüng vor. — In beiden Fällen ist die ungewollte weitere Folge (der Tod) durch die finale Handlung blind kausal verursacht worden.
Demgemäß gibt es keine finalen Handlungen „an sich", sondern stets nur in bezug auf die vom Verwirklichungswillen gesetzten Folgen. Dabei ist es gleichgültig, ob diese willentlich gesetzten Folgen im gesamten Handlungsgefüge gerade das gewünschte Ziel oder nur die eingesetzten Mittel oder gar bloße in Kauf genommene Nebenfolgen darstellen. Eine finale Tötungshandlung liegt nicht nur dann vor, wenn der Tod das Hauptziel der Willensbetätigung
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wax, sondern auch dann, wenn er nur das Mittel zu einem weiteren Ziele bildete (ζ. B. um den Toten zu beerben) oder wenn er nur die notwendig in Kauf genommene Nebenfolge war (ζ. B. der Verbrennungstod einer gelähmten Hausbewohnerin bei der Einäscherung eines feuerversicherten Hauses). Eine finale Handlung kann daher durch ihren Bezug auf die verschiedenen willentlich gesetzten Folgen mehrere Handlungssinne besitzen. So ist die im letzten Beispiel genannte Handlung mit Bezug auf das verfolgte Ziel ein Versicherungsbetrug, hinsichtlich des verwandten Mittels eine Brandstiftung, im Hinblick auf die in Kauf genommene Nebenfolge ein Mord. Natürlich erstreckt sich die finale Steuerung auch auf den äußeren Vollzug der Handlung selbst, so daß sich der „Erfolg" der finalen Steuerung in der schlichten Tätigkeit erschöpfen kann; auch Reiten, Turnen, Tanzen, Eislaufen usf. sind ebenso final gesteuerte Tätigkeiten, wie Unzuchttreiben, Aussagen, Schwören usf. Femer wird durch die Tatsache, daß viele unserer Körperbewegungen infolge ständiger Übung automatisiert sind, die finale Steuerung einer Handlung nicht beeinträchtigt, sondern im Gegenteil unterstützt: auch Spazierengehen ist eine final gesteuerte Tätigkeit, obwohl wir nicht mehr wie das Kleinkind jeden einzelnen Schritt steuern müssen. II. Die Handlung: innerhalb der Tatbestände des Strafrechts
(Die axiologische Stellung der H a n d l u n g im S t r a f r e c h t ) Aus der unübersehbaren Fülle menschlicher Zweckhandlungen beschäftigt sich das Strafrecht nur mit einem sehr kleinen Ausschnitt: 1. Es v e r b i e t e t den Rechtsgenossen, H a n d l u n g e n vorzunehmen, deren F i n a l i t ä t auf einen sozial u n e r w ü n s c h t e n Z u s t a n d oder auf ein u n e r w ü n s c h t e s Geschehen geht, also z.B. auf eine Tötung, Körperverletzung, Brandstiftung, widernatürliche Unzucht usf. Es verbietet Handlungen mit „mißbilligter Finalität" (Niese), bei denen also der Verwirklichungswille die Verwirklichung sozial unerwünschter Handlungsfolgen umfaßt. Solche Handlungen werden in den Tatbeständen der v o r s ä t z l i c h e n Delikte verboten (V orsatz = finaler Verwirklichungswille sozial unerwünschter Folgen). 2. Es gebietet den Rechtsgenossen, ihr Verhalten bei Handlungen, deren Finalität keine sozial mißbilligten Folgen umfaßt, deren Vornahme aber rein kausal zu mißbilligten Folgen führen können, f i n a l so zu s t e u e r n , daß mißbilligte Folgen nicht e i n t r e t e n . Die Rechtsordnung verbietet also nicht nur Handlungen mit mißbilligter Finalität, sondern es gebietet auch bei Handlungen mit rechtlich indifferenter Finalität ein M i n d e s t m a ß an f i n a l e r S t e u e r u n g zur Vermeidung von Rechtsgüterverletzungen anzuwenden. Wer Auto fährt, nimmt eine Handlung mit sozial nicht mißbilligter Finalität vor. Aber die Rechtsordnung gebietet ihm, diese Handlung so zu
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steuern, daß sie nicht — blind kausal — ursächlich wird für eine Körperverletzung oder Tötung eines Passanten. Solche Handlungen, deren Finalität rechtlich indifferent ist, die aber einen mißbilligten Erfolg kausal verursacht haben, weil sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt bei der Steuerung dieser Handlungen nicht angewendet haben, werden in den Tatbeständen der f a h r l ä s s i g e n Delikte normiert. ΠΙ. Abweichende Lehre : der kausale Handlungsbegriff So die am Ende des 19. Jahrhunderts zur Herrschaft gelangte Léhre: L i s z t , Beling, Radbruch (Handlungsbegriff 1904), Übersicht bei Mezger, 108; I 39ff.; Schönke, Vorbem. III - . Zur Kritik s. Welzel, Z. 51 703f.; 58 491 f.; von Weber, Zum Aufbau des Strafrechtssystems, 1935; Gr. 54f.; Maurach, Schuld und Verantwortung, 1948; Gr, 45 f. — Zum Streit um den finalen Handlungsbegriff vgl. E n g i s c h in „Probleme" 141f., dazu die Voraufl. 24f.; B o c k e l m a n n , Uber das Verhältnis von Täterschaft und Teilnahme, 1949, dazu Welzel, Um die finale Handlungslehre, 1949; R. Busch, Moderne Wandlungen der Verbrechenslehre, 1949; Mezger, Moderne Wege der Strafrechtsdogmatik, 1950, dazu Niese, Finalität, Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1951; F. Grispigni, Diritto penale italiano (1950), II 299ff.; dazu Welzel, Rivista italiana de diritto penale 1951. Neuestens nähert sich M e z g e r (LK § 50, 4) nicht nur dem Worte, sondern auch der Sache nach der finalen Handlungslehre, indem er wenigstens „einen Teil des seelischen Inhalts der strafrechtlichen Handlung" in die Handlungslehre stellt; doch bleibt er auf halbem Wege stehen.
1. Die kausale H a n d l u n g s l e h r e Unter dem Einfluß der mechanischen Naturwissenschaften entstand in der Strafrechtswissenschaft gegen Ende des vorigen Jahrhunderts eine Lehre, die die Handlung in zwei verschiedenartige Bestandteile auseinanderriß: in den äußeren Kausalvorgang auf der einen Seite und in den bloß subjektiven Willensinhalt auf der anderen. „ H a n d l u n g " ist nur der reine Kausalvorgang, den der Wille in der Außenwelt v e r u r s a c h t hat ( = Willenswirkung), ohne Rücksicht darauf, ob er ihn gewollt hat oder auch nur voraussehen konnte ( = Willensinhalt). „Die strafrechtliche Handlungslehre fragt allein danach, was durch das Wollen des Handelnden verursacht, als .Wirkung' des Wollens erzeugt worden ist. Alle diese Wirkungen sind Bestandteil der Handlung. Ob und inwieweit diese Wirkungen auch Inhalt des Bewußtseins und des Wollens des Handelnden gewesen sind, ist hier ohne Bedeutung; . . . diese Frage scheidet aus dem Zusammenhang des Handlungsbegriffs aus . . . Für die Feststellung, daß eine Handlung vorliegt, genügt die Gewißheit, daß der Täter willentlich tätig geworden ist. Was er gewollt hat, ist hier gleichgültig; der Willensinhalt ist nur von Bedeutung für die Frage der Schuld" (Mezger, 108f. im Anschluß an Beling und Radbruch). Der Willensinhalt ist nur das subjektive „Spiegelbild" des äußeren kausalen Geschehens in der Seele des Täters.
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Ursprünglich hatte L i s z t die Handlung ganz naturalistisch als „eine, wenn auch noch so unscheinbare materielle, sinnlich wahrnehmbare Veränderung der Außenwelt" angesehen und etwa die Beleidigung als eine Erregung von Luftschwingungen und Nervenreizungen aufgefaßt (Lb [2. Aufl.] 107). Vgl. auch K i t z i n g e r , Ort und Zeit im Strafrecht, 70. Von diesem extremen Naturalismus ist auch die herrschende Lehre abgekommen und erfaßt die Handlung als eine kausale Veränderung in der sozialen Wirklichkeit. Darum empfiehlt es sich, um Mißverständnisse zu vermeiden, statt vom „naturalistischen" besser von einem „kausalen" Handlungsbegriff zu sprechen.
2. K r i t i k Der kausale Handlungsbegriff ist ontologisch unhaltbar und axiologisch unbrauchbar. a) Die Seinsstruktur der Handlung wird zerstört, wenn die Finalität (also der zwecktätig steuernde Willens i nh alt) aus ihr herausgenommen und sie damit zu einem bloßen Kausalvorgang herabgedrückt wird. Wenn zur Handlung alles gehört, was ein Willensakt kausal v e r u r s a c h t , so müßte — wie Eb. S c h m i d t , Frank-Festg. I I 119, mit vollem Recht gefolgert hat — die Erzeugung des Mörders eine Tötungs-, .Handlung" sein. b) Der kausale Handlungsbegriff ist auch axiologisch (also für das Strafrecht) unbrauchbar. α) Die kausale Handlungslehre verfehlt die Funktion des Vorsatzes im Strafrecht. Nach ihr müßte der Vorsatz — nach einem von ihr selbst gebrauchten Vergleich (Mezger, Moderne Wege 27) — ein „Spiegelbild" des äußeren Geschehens in der Seele des Täters sein. Das Verhältnis von Vorsatz und Willensverwirklichung wird damit auf den Kopf gestellt. Der Vorsatz ist nicht das retrospektive Spiegelbild des Kausalprozesses, sondern der die möglichen kausalen Folgen einer Handlung gedanklich antizipierende Faktor, der den Kausalprozeß final überdeterminiert. Er kann darum vom äußeren Geschehensprozeß nicht abgetrennt werden, sondern gehört zu ihm als dessen final gestaltender Faktor hinzu. ß) Diese Funktion des Vorsatzes zeigt sich am deutlichsten beim Versuch. Hier erkennen selbst die Vertreter der kausalen Handlungslehre an, daß der Vorsatz zur Versuchshandlung hinzugehört und nicht erst für die Frage nach der Schuld von Bedeutung ist (s. unten S. 45). Wenn aber der Vorsatz im Versuchsstadium ein Teilmoment der Handlung ist, kann er diese Stellung nicht verlieren, wenn die Handlung aus dem Stadium des Versuchs in das der Vollendung übergeht (s. unten S. 45). γ) Selbst dem Unrechtsbegriff der fahrlässigen Tatbestände wird die kausale Handlungslehre nicht gerecht. Nach ihr müßte die Rechtswidrigkeit dieser Tatbestände von j e d e r Rechtsgüterverletzung erfüllt werden, die durch einen Willensakt v e r u r s a c h t worden ist. Aber niemals kann das Recht Güterverletzungen schlechthin verbieten. Kein Gemeinschaftsleben ist ohne Rechtsgüterverletzungen oder -gefährdungen denkbar, und jede Willenshandlung ist
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in ihrem kausalen Weiterwirken irgendwann einmal mit Rechtsgüterverletzungen verwoben. Nicht eine Rechtsgüterverletzung schlechthin erfüllt das Unrecht der fahrlässigen Delikte, sondern nur eine Rechtsgüterverletzung, die von solchen Willenshandlungen verursacht ist, die das im Verkehr erforderliche Maß an finaler Steuerung nicht erbracht haben. Nur vom Gesichtspunkt der rechtlich g e s o l l t e n Finalität, welche die wirkliche finale Willenshandlung nicht hat, kann der Unrechtsbegriff der fahrlässigen Delikte erfaßt werden. IV. Einwände gegen die finale Handlungslehre Gegen die finale Handlungslehre werden herkömmlicherweise zwei Einwände erhoben: sie mache Sinn und Wert einer Handlung ausschließlich von der subjektiven Zwecksetzung des Täters abhängig (vgl. schon Engisch, Probleme 160, 171 — dazu die Voraufl. 26 — ; Mayer 44, Maihofer, Der Handlungsbegriff im Verbrechenssystem 44ff.); ferner könne sie der fahrlässigen Handlung nicht gerecht werden (Mezger I 44; Schönke 19; Maihofer 49ff.). Die finale Struktur der Handlung als solche ist wertindifferent, d. h. sie kann ebensowohl zur Verwirklichung sozial positiver wie sozial negativer Zwecke eingesetzt werden. Ob eine Handlung wertvoll oder wertwidrig ist, richtet sich nicht nach der Finalität, die in ihr wirksam ist, sondern nach dem Wert, der in ihr objektiv verwirklicht wird oder nicht. Das Gegenteü ist aus der finalen Handlungslehre nirgends zu entnehmen. Wohl aber wird der soziale Sinn einer Handlung und ihre Bewertung von der subjektiven Zwecksetzung des Täters mitbestimmt. Wer einen anderen vorsätzlich umbringt, begeht nun einmal eine in ihrem sozialen Sinn und Wert andersartige und schwerer wiegende Handlung als der, der einen Menschen durch Unvorsichtigkeit überfährt. Rechtswidrig sind beide Handlungen, aber wegen der verschiedenen subjektiven Zwecksetzung verschieden schwer. Das sind Binsenwahrheiten. Oder: wenn ein Messerstecher zufällig einen verborgenen Abszeß seines Opfers ansticht, so daß die dabei entstehende Wunde eine Heilung aus tödlicher Gefahr herbeiführt, so bleibt die Tat dennoch eine Körperverletzung (mindestens ein Versuch der Κν., m. E. jedoch eine vollendete Κν.). Zum Begriff des Heileingriffs ist also auf jeden Fall der subjektive Heilzweck erforderlich (vgl. Engisch, MonKrimBi. 30 [1939] S. 415). Dennoch schließt der subjektive Heilzweck allein das Vorliegen einer Kv. nicht aus: Der Sanitätsgefreite, der operieren zu können glaubt, begeht eine vorsätzliche Κν., wenn er einem Kranken unsachgemäß den Bauch aufschneidet, um den Blinddarm herauszunehmen. Nur die vom subjektiven Heüwülen getragene, o b j e k t i v kunstgerechte und erfolgreiche Heilbehandlung ist keine körperliche Mißhandlung i. S. von § 223 (s. u. S. 208). — Wie wenig die finale Handlungslehre Sinn und Wert einer Handlung „ausschließlich" von ihrer subjektiven Zwecksetzung abhängig macht, zeigt sich beim Irrtum über einen Rechtfertigungsgrund. Nimmt ein Arzt eine Abtreibung unter schuldhaft irriger Annahme der Notstandsvoraussetzungen vor, so will die gegnerische Lehre den Täter allein wegen seiner subjektiven Zwecksetzung straffrei ausgehen lassen, während ihn die finale Handlungslehre wegen vorsätzlicher Abtreibung in gemilderter Schuld bestraft (s.u. S. 126). Vgl. auch Welzel, Aktuelle Strafrechtsprobleme, S. 15ff. Auch die Einwände hinsichtlich der fahrlässigen Handlung verwechseln die ontologische mit der axiologischen Seite der Handlung. Ontologisch ist die fahrlässige Handlung eine finale Handlung wie jede andere. Sie unterscheidet sich von der vorsätzlichen lediglich darin, daß bei dieser die Finalität auf die Verwirklichung eines Deliktstatbestands, bei jener aber auf einen rechtlich indifferenten Erfolg gerichtet ist. Ihre finale Struktur ist aber völlig gleich. Die Fahrlässigkeit ist kein ontologisches, sondern ein W e l z e l , Das Deutsche Strafrecht, 3. Aufl.
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axiologisches Moment einer Handlung. Bs besagt, daß die betreffende finale Handlung den A n f o r d e r u n g e n nicht genügt, die das Recht an die finale Steuerung von Handlungen im sozialen Baum erhebt. Damit vermag die finale Handlungslehre das U n r e c h t s m o m e n t der Fahrlässigkeit im Unterschied zu ihrem Schuldmoment herauszuarbeiten, — eine Leistung, die auch Mezger 1172 jetzt anerkennt. Maihofer unterschiebt der finalen Handlungslehre die groteske These, ein Verhalten sei nur dann eine Handlung, wenn der Handelnde das gebotene Mindestmaß an finaler Steuerung nicht erbracht hat (a. a. 0. 50ff.). Hier zeigt sich die Vermengung der ontologischen Struktur der Handlung (die Maihofer gar nicht gesehen hat) mit dem ätiologischen Moment der Fahrlässigkeit besonders deutlich. Eine Handlung — sei sie Autofahren, Fensterputzen oder Gewehrreinigen — bleibt ein finales Geschehen, gleichgültig ob sie dabei das im Verkehr erforderliche Maß an finaler Steuerung erbringt oder nicht. Nur wird sie im letzteren Fall zur fahrlässig rechtswidrigen Handlung. Daß auch der „Untemormale" (Maihofer 53) nicht nur handeln, sondern sogar rechtswidrig handeln kann, habe ich u. S. 100 f deutlich genug zum Ausdruck gebracht.
§ 9. Das Kausalproblem im Strairecht Lit.: T r ä g e r , Der Kausalbegriff im Straf- und Zivilrecht, 1904; M. L. Müller, Die Bedeutung des Kausalzusammenhanges im Straf- u. Schadensersatzrecht, 1912; Tarnowski, Die systematische Bedeutung der adäquaten Kausaltheorien für den Aufbau des Verbrechensbegriffs, 1929; Engisch, Die Kausalität als Merkmal strafrechtlicher Tatbestände, 1931; Spendel, Die Kausalitätsformel der Bedingungstheorie für die Handlungsdelikte, 1948. I. Die Problemstellung 1. Jede Handlung ist ein Indienststellen der Kausalität; die Kausalität ist daher ein Teilmoment jeder Handlung und dabei in den meisten strafrechtlichen Tatbeständen völlig unproblematisch, ζ. B. beim „Wegnehmen", „Schwören" usw. Nur bei wenigen Delikten (vor allem bei den Tötungsdelikten, der Körperverletzung und Brandstiftung) und auch hier meist nur in Grenzfällen kann sie problematisch werden; dabei kann sie ζ. T. sehr schwierige Probleme aufwerfen. Im Bereich der Tötungsdelikte ist das Problem historisch entstanden (durch die Aufsätze von v. Buri und Geyer in Goltd.Arch. Bd. 11-13, 1863-65). 2. Der Kausalbegriff ist kein juristischer Begriff, sondern eine Seinskategorie. Auch ist er keine bloß logische, noch weniger eine bloß „gedankliche" Verknüpfung mehrerer Ereignisse, sondern der zwar nicht wahrnehmbare, aber im Denken erfaßbare gesetzliche Zusammenhang in der Aufeinanderfolge des realen Geschehens und ist darum als solcher ebenso real wie das Geschehen selbst. Auch das Kecht muß von diesem „ontologischen" Kausalbegriff ausgehen; es gibt keine besondere juristische Kausalität (wohl aber sind nicht alle Kausalverläufe auch rechtlich relevant 1).
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II. Die Theorien 1. Die B e d i n g u n g s t h e o r i e ( Ä q u i v a l e n z t h e o r i e ) Die Bedingungstheorie geht zutreffend vom ontologischen Kausalbegriff aus und stellt eine „heuristische" Formel zur Auffindung von Kausalzusammenhängen und zur Ausscheidung fehlender Ursächlichkeit auf. Dabei verwendet sie den Gedanken, daß jede Wirkung eine Mehrheit von ursächlichen Bedingungen hat und daß im Ursachzusammenhang jede dieser Bedingungen für den Erfolg gleich notwendig ist und daß insofern alle Bedingungen kausal „gleichwertig" sind (daher „Äquivalenztheorie"). Die heuristische Formel lautet: Ursache ist jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg (in seiner konkreten Gestalt) entfiele (RG. 44 244; conditio sine qua non). a) Maßgebend ist stets der konkrete Erfolg, d. h. der Erfolg in seiner individuellen Gestalt, Größe und Zeit seines Eintritts. So tötet, wer den Todgeweihten umbringt (vgl. RG. 22 325). b) Weiter genügt, wenn die Handlung nur eine Bedingung für den Erfolg war, auch wenn sie nur durch das Mitwirken anderer Faktoren zum Erfolg führte. Darum ist eine Handlung ursächlich, auch wenn sie nur infolge der besonderen körperlichen oder seelischen Verfassung des Verletzten (ζ. B. eines „Bluters", RG. 54 349) oder infolge dessen eigener Unvorsichtigkeit (Vernachlässigung der Wunde, RG. 22 174) oder infolge des Dazwischentretens Dritter (Fahrlässigkeit des Arztes) den Erfolg herbeiführte. Dadurch, daß ein Secundus die durch die Handlung des Primus geschaffene Lage vorsätzlich oder fahrlässig zur Herbeiführung eines strafrechtlichen Erfolges benutzt, wird die Handlung des Primus mitursächlich für den durch den Secundus herbeigeführten Erfolg; durch das Dazwischentreten des Secundus wird der Kausalzusammenhang zwischen der Handlung des Primus und dem späteren Erfolg nicht nur nicht „unterbrochen", wie die frühere Lehre annahm (z.B. F r a n k mit seinem „Regreßverbot"), sondern gerade vermittelt! (RG. 61 319; 64 318, 370). Beispiel: Ein Jäger hängt sein geladenes Gewehr in eine Wirtsstube. Bei der dort ausbrechenden Schlägerei erschießt ein Gast mit dem Gewehr des Jägers einen Dritten. — Auch das Hinhängen des Gewehres durch den Jäger ist eine Ursache für den Tod des Dritten. Problematisch ist hier nicht die Kausalfrage, sondern die Frage der Täterschaft (der Jäger ist fahrlässiger Täter nach §222; der Gast vorsätzlicher Täter nach §§211/12; s.u. S. 72). Wohl zu unterscheiden hiervon ist das Abbrechen einer Kausalreihe: A. gibt B. ein tödliches Gift; ehe es wirkt, wirdB. vonC. erschossen. Hier ist die Giftgabe für den Tod überhaupt nicht kausal geworden. A.hat darum nur Mordversuch begangen (C. vollendeten Mord). Vgl. OLG. Braunschweig SJZ.49131 (Anm. Spendel).
c) Bei der Anwendung der Bedingungsformel zur Feststellung eines w i r k l i c h e n Ursachenzusammenhangs ist stets nur von den verwirklichten Um3·
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ständen auszugehen, während solche bloß mögliche oder wahrscheinliche Umstände, die nicht eingetreten sind, nicht etwa hinzugedacht werden dürfen. Beispiel: A. und B. reichen C. einen Stock, damit er X. verprügeln kann; C. führt die Tat mit dem von A. gereichten Stock aus. — Daß C. den Stock des B. ergriffen hätte, wenn A. seinen Stock nicht gereicht hätte, ist kein wirklicher, sondern nur ein wahrscheinlicher Umstand, der bei der Feststellung des wirklich vorliegenden Ursachzusammenhanges unbeachtet bleiben muß.
S p e n d e i (S. 38) schlägt darum folgende Fassung der Bedingungsformel vor: Eine Handlung ist dann kausal, wenn ohne sie — unter alleiniger Berücksichtigung der dann übrig bleibenden, tatsächlich auch verwirklichten Umstände — der konkrete Erfolg nicht eingetreten wäre. d) Dennoch gibt es Fälle, in denen auch mit dieser verbesserten Bedingungsformel der wirklich bestehende Kausalzusammenhang nicht ermittelt werden kann, nämlich wenn mehrere Bedingungen zusammenwirken, von denen jede allein zur Erfolgsverursachung ausgereicht hätte: A. und B. geben unabhängig voneinander je eine tödliche Giftmenge in das Essen des C. Hier könnte jeder der beiden Faktoren für sich allein (alternativ), nicht aber beide zusammen (kumulativ) hinweggedacht werden, ohne daß der Erfolg entfiele. In diesen Fällen muß die Bedingungsformel folgendermaßen gefaßt werden: Von mehreren Bedingungen, die zwar alternativ, nicht aber kumulativ hinweggedacht werden können, ohne daß der Erfolg entfiele, ist jede für den Erfolg ursächlich. Vgl. hierzu M. L. Müller 17, Tarnowski 47. Die Bedenken Müllers gegen diese Fassung der Formel betreffen den nicht hierher gehörigen Fall des „Abbruchs" einer Kausalreihe (s. oben b); die Bedenken Spendeis (81) dagegen betreffen die ebenfalls nicht hergehörige Frage des Umf angs der Nebentäterschaft (dazu s. u. S. 81).
e) Mit der Feststellung der Ursächlichkeit ist jedoch nur die elementarste Voraussetzung und die äußerste Grenze der strafrechtlichen Haftung für einen Erfolg ermittelt. Für einen Erfolg kann nur der haftbar gemacht werden, der ihn verursacht hat. Aber ob er wirklich haftbar gemacht wird, hängt jenseits der Kausalfrage von den w e i t e r e n Voraussetzungen des Verbrechensbegriffs ab, vor allem von der Tatbestandsmäßigkeit, dem Handlungszusammenhang, der Rechtswidrigkeit und der Schuld. Bereits für die Tatbestandsmäßigkeit reicht n i e m a l s der bloße Bedingungszusammenhang allein aus. Diese Erkenntnis ist u. a. für die richtige Lösung eines Spszialproblems der fahrlässigen Tatbestände wichtig, das in der Rechtsprechung und in Teilen der Literatur fälschlicherweise mit dem Verursachungsproblem zusammengeworfen worden ist. Das Unrecht der fahrlässigen Delikte wird nicht durch den bloßen Bedingungszusammenhang, sondern nur durch eine solche Erfolgsverursachung begründet, die bei Anwendung der objektiv gebotenen Sorgfalt v e r m e i d b a r war (s. unten S. 95ff). Stellt sich also nachträglich heraus, daß der Erfolg auch bei Beobachtung der objektiven Sorgfalt (mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit) nicht vermieden worden wäre,
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so ist das U n r e c h t des fahrlässigen Deliktes nicht erfüllt, weil auch die Einhaltung der rechtlich gebotenen Sorgfalt an dem Ausgang nichts geändert hätte. Beispiel: (nach Entscheidungen des RG., mitgeteilt von Exner, Frank Festgabe I 583, 578ff.). Einem unvorsichtig fahrenden Kraftfahrer springt ein Kind derart plötzlich in die Fahrbahn, daß er es auch bei vorsichtigem Fahren hätte verletzen müssen. — Bei einer Operation wendet ein Arzt zur Betäubung statt Novokain das unsachgemäße Kokain an, an dem der Patient stirbt; bei der Sektion ergibt sich, daß der Patient infolge eines dem Arzt objektiv nicht erkennbaren Körperzustands auch bei der sachgemäßeren Novokaineinspritzung gestorben wäre. In diesen Fällen fehlt nicht der Kausalzusammenhang (unzutreffend das RG. und Nagler LK. 65), sondern die Erfüllung des zum Unrechts m o m e n t der fahrlässigen Delikte erforderlichen Merkmals der objektiven Vermeidbarkeit des Erfolges bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt. Ähnlich (wenn auch mißverständlich) Exner I 584; für den zweiten Fall abweichend Eberhaid Schmidt, Arzt im Strafrecht 201 f.; Spendel 73, die wegen Fahrlässigkeit bestrafen wollen, also dem Arzt die Nichteinhaltung der erforderlichen Sorgfalt zurechnen, obwohl die Einhaltung ebenso zum Tode geführt hätte. Auch in den Entscheidungen RG. 15 151 und 63 211 lag der Bedingungszusammenhang entgegen den widerspruchsvollen Ausführungen des Reichsgerichts eindeutig vor. Fraglich war vielmehr jenseits der Kausalfrage, 1. ob der U n r e c h t s t a t b e s t a n d des § 222 nicht darum u n e r f ü l l t geblieben war, weil der Tod auch bei Beobachtung der gebotenen Sorgfalt eingetreten wäre, und 2. ob, wenn das zu verneinen gewesen war, die Nichteinhaltung der erforderlichen Sorgfalt dem Täter vorgeworfen werden konnte (vgl. dazu Spendel 73.) 2. D i e A d ä q u a n z t h e o r i e Sie wurde vornehmlich für die „erfolgsqualifizierten" Delikte entwickelt, bei denen eine schwere, von der Handlung rein kausal verursachte Folge straferschwerend herangezogen wurde, wie §§ 221 II; 224; 226; 239 II, III u. a. m. Da seit dem 3. StRÄG. in § 66 dem Täter die schwere Folge nur dann zur Last gelegt wird, wenn er sie wenigstens voraussehen konnte, hat die adäquate Theorie für das Strafrecht den wichtigsten Anwendungsfall verloren. Doch bleibt sie z. B. noch für die Frage wichtig, welche Abweichung des Kausalverlaufs „wesentlich" ist (s. u. S. 52). Der Philosoph v. K r i e s bemerkte, daß für die Straferschwerung etwa der §§ 224, 226 offensichtlich die typische Gefährlichkeit der Körperverletzung maßgebend gewesen sein müsse. Denn schwere Folgen können auch bei sonstigen Delikten (Diebstahl usw.) eintreten. (Z. B. beim Diebstahl: der Bcstohlene wird auf dem Wege zum Staatsanwalt bei einem Autounglück getötet. Hier sieht das Gesetz eine Erfolgsqualifizierung nicht vor.) Nur typische, mit der spezifischen Gefährlichkeit gerade körperlicher Verletzungen leicht verknüpfte Folgen sollen offenbar nach §§ 224—226 straferschwerend wirken. Entsprechendes gilt für alle übrigen erfolgsqualifizierten Tatbestände: stets handelt es sich bei ihnen um Verletzungen, die schwere Folgen leicht nach sich ziehen können (Notzucht, Aussetzung, Freiheitsberaubung, Brandstiftung).
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Nicht jede schwere Folge kann daher für die erfolgsqualifizierten Delikte genügen, sondern nur die, die der betr. Verletzungshandlung „adäquat" ist. A d ä q u a t ist diejenige Bedingung, die generell geeignet ist, einen E r f o l g dieser Art h e r b e i z u f ü h r e n . Es scheiden also alle ganz außergewöhnlichen Kausalverläufe aus. Außergewöhnlich sind Kausalverläufe, mit denen ein verständiger Beobachter ζ. Z. der Handlung nicht zu rechnen brauchte (obj. nachträgliche Prognose). Beispiel: Wenn A. den B. vorsätzlich verletzt und B. im Krankenhaus deshalb stirbt, weil er durch unsachgemäße Behandlung eine Blutvergiftung erwirbt, so haftet A nicht wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§ 226), da der Kausalverlauf ganz außergewöhnlich war. Die maßgebende Einschränkung auf die rechtlich relevanten Erfolgsverursachungen ergibt sich bei den erfolgsqualifizierten Delikten also aus der Tatbestandsmäßigkeit: nur die adäquate Verursachung des schweren Erfolges ist tatbestandsmäßig relevant. — Darüber hinaus glaubt jedoch die Adäquanztheorie, daß für das gesamte Strafrecht nur adäquate Kausalverläufe rechtlich relevant seien (Vertreter: Träger, Hippel, Mezger). Dabei gerät sie in Schwierigkeit, wenn der Täter vermöge seines besonderen Kausalwissens außergewöhnliche Kausalverläufe voraussehen konnte. Sie muß auch solche Kausalverläufe für adäquat erklären und gerät damit in einen unauflöslichen Widerspruch mit ihrem Ausgangspunkt. Die Adäquanztheorie ist als allgemeine juristische Kausallehre undurchführbar. Die Auswahl der strafrechtlich relevanten Bedingungen aus dem von der Bedingungstheorie ermittelten Ursachkomplex erfolgt durch den vorsätzlichen und fahrlässigen Handlungszusammenhang und durch die Tatbestandsmäßigkeit, und nur im Kähmen der letzteren ist die Adäquanz in den Fällen der erfolgsqualifizierten Delikte erheblich, während im übrigen jede im Handlungszusammenhang stehende Erfolgsherbeiführung und nur eine solche tatbestandsmäßig relevant ist. 3. Die i n d i v i d u a l i s i e r e n d e n Theorien Die i. Th. versuchen innerhalb des durch die Äquivalenztheorie bestimmten Kausalzusammenhanges die für den individuellen Fall „ausschlaggebende Bedingung" festzustellen und sie allein als „Ursache" gegenüber den sonstigen mitwirkenden „Bedingungen" herauszuheben. Da die kausale Größe der Wirkungsanteile nur selten meßbar, immer aber rechtlich gleichgültig ist — denn auch der geringste kausale Kraftaufwand kann strafrechtlich entscheidend sein —, sind die i. Th. als Kausaltheorien undurchführbar und müssen Anleihen aus anderen Gebieten (Lebenssprachgebrauch, Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, Schuld) machen. Nachdem die früheren Theorien (Binding, Birkmeyer, Kohler u. a.; darüber Träger S. 80f.) aufgegeben schienen, hat neuerdings Ν agier (LK. I, 63 f.) eine i. Th. aufgestellt, die als Ausleseprinzip für die ausschlaggebende Bedingung die soziale Wertung heranzieht: „Ursächlich ist die Handlung, die innerhalb dieses Lebensausschnittes nach sozialer Wertung als für den Erfolg ausschlaggebend angesehen werden muß."
§ 10. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des strafrechtlichen Unrechts
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Auch diese Theorie krankt wie ihre Vorgängerinnen an der mangelnden Schärfe und kommt wie sie mit dem Abstellen auf die soziale Wertung „über einen Appell an den gesunden Menschenverstand nicht hinaus" (M. E. Mayer). Bei der Beurteilung der Einzelfälle zieht sie überdies Reclxtswidrigkeits- oder Schulderwägungen heran. So lehrt Nagler (S. 55), daß einen Verkenrsunfall nur derjenige Fahrer verursacht, der entgegen den Verkehrsvorschriften fährt. Das Kausalurteil soll also abhängig von der Rechtswidrigkeitsprüfung sein. Vgl. ferner oben II l e . Die i. Th. vermengen die Kausalfrage mit Gesichtspunkten, die erst jenseits der Kausalfrage herangezogen werden können.
III. Der Gefahrbegriff Im Strafrecht kommen nicht nur wirkliche, sondern auch mögliche Kausalverläufe in Betracht. Schon die Schaffung einer Gefahr, d.h. eines außergewöhnlichen Zustandes, in dem der Eintritt schädlicher Folgen mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, ist zuweilen unter Strafe gestellt (bei den sogenannten konkreten Gefährdungsdelikten, z. B. §§ 170 c, 312 ff.).
Erstes Kapitel
Das U n r e c h t und s e i n Täter § 10. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des strafrechtlichen Unrechts Eine Handlung wird zum Verbrechen, wenn sie in einer von gesetzlichen Tatbeständen normierten Weise die Gemeinschaftsordnung verletzt und dem Täter zur Schuld vorgeworfen werden kann. Eine Handlung muß also in bestimmter Weise die Gemeinschaftsordnung verletzen, sie muß „tatbestandemäßig" und „rechtswidrig" sein, und sie muß dem Täter als verantwortlicher Person vorgeworfen werden können, sie muß „schuldhaft" sein. T a t b e s t a n d s m ä ß i g k e i t , Rechtswidrigkeit, Schuld sind die drei Verbrechenselemente, die eine Handlung zum Delikt machen. Dabei setzt die Schuld — die persönliche Verantwortung für die rechtswidrige Tat — die Rechtswidrigkeit der Tat voraus, wie die Rechtswidrigkeit ihrerseits in gesetzlichen Tatbeständen konkretisiert sein muß. Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld hängen in der Weise logisch zusammen, daß jedes spätere Verbrechens element das frühere voraussetzt. In dem ersten Kapitel werden darum zunächst Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit behandelt; ihnen folgt im zweiten Kapitel die Untersuchung der Schuld.
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Allgemeiner Teil I. Tatbestand imdJRechtswidrigkeit; Verbot und Verbotsmaterie
Wenn der Staat das für das Gemeinschaftsleben unerträgliche Verhalten unter Strafe stellen will, könnte er es in einer obersten, allgemeinsten Bestimmung tun: Wer sich grob gemeinschaftswidrig verhält, wird nach dem Grad seiner Schuld mit einer zulässigen Strafe bestraft. Man könnte es auch moderner formulieren: „Wer sich gegen die Grundsätze der demokratischen oder sozialistischen oder kommunistischen Gesellschaftsordnung vergeht, wird . . . bestraft". Eine solche allgemeinste Strafnorm umfaßt zwar jedes denkbare strafwürdige Verhalten, aber läßt gerade durch seine Allgemeinheit nicht erkennen, welches Verhalten im einzelnen verboten sein soll. Weder der Bürger kann wissen, was er tun oder lassen soll, noch der Richter kann erkennen, was er bestrafen soll. Darum muß der Staat seine Strafbestimmungen konkretisieren, d. h. er muß das Verhalten sachlich umschreiben, das er verbietet: zu töten, zu stehlen, die Ehe zu brechen usf. Er muß die „Materie" seiner Verbote angeben. Diese Verbotsmaterie (ein aus dem scholastischen Naturrecht stammender Begriff) enthält die sachliche, gegenständliche Beschreibung des verbotenen Verhaltens. Erst vermöge der Verbotsmaterie können B ü r g e r und R i c h t e r erkennen, w e l c h e Verhaltensweisen verboten sind. Für das Strafrecht hat die inhaltliche Konkretisierung des Verbots eine besondere Bedeutung. Denn erst durch die konkrete Angabe der Verbotsmaterie wird die Forderung des Satzes „nulla poena sine lege" erfüllt. Darum muß das Strafrecht in noch stärkerem Maß als das übrige Recht auf eine möglichst genaue sachliche Umschreibung seiner Verbotsmaterie bedacht sein; es muß „substantielles" Strafrecht sein (vgl. Probleme 101 ff.). Das Zivilrecht kann den Schadensersatzanspruch an die bloße „sittenwidrige" Schädigung knüpfen (§ 826 BGB.), aber eine entsprechend allgemeine Vorschrift im Strafrecht wäre mit dem Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit der Strafbarkeit unvereinbar. Die besondere Funktion einer konkret umschriebenen Verbotsmaterie im Strafrecht ist in der modernen Strafrechtswissenschaft seit B e l i n g (Lehre vom Verbrechen, 1906) durch die Herausarbeitung der „Tatbestandsmäßigkeit" strafbaren Verhaltens anerkannt. Der „Tatbestand" ist die Verbotsmaterie s t r a f r e c h t l i c h e r Bestimmungen. Tatbestand ist die im Strafrecht mit besonderer Sorgfalt vorzunehmende sachliche, gegenständliche Beschreibung des verbotenen oder rechtswidrigen Verhaltens. Der Tatbestand verhält sich zur Rechtswidrigkeit wie die Verbotsmaterie zum Verbotensein. Er ist die sachliche, gegenständliche Angabe des strafrechtlich verbotenen Verhaltens, während die Rechtswidrigkeit dieses Verhalten als verboten kennzeichnet. Tatbestand oder Materie eines strafrechtlichen Verbots ist etwa: einen anderen Menschen töten, ihn der Freiheit berauben, sich seine Sachen zueignen usf. Die Rechtswidrigkeit fügt diesem sach-
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lieh umschriebenen Verhalten die Eigenschaft des Verbotenseins, des Nichtseinsollens, der rechtlichen Wertwidrigkeit zu. Die Rechtswidrigkeit kennzeichnet das Mißverhältnis zwischen dem Tatbestand (der Verbotsmaterie, etwa der Tötung eines Menschen) und den Anforderungen, die das Recht an das soziale Verhalten der Menschen stellt. Die Trennung von Tatbestand und Rechtswidrigkeit verdankt ihr Dasein der Tatsache, daß jedes Verbot eine Verbotsmaterie enthalten muß, wenn es konkret bestimmt sein soll. Im Tatbestand gibt der Staat das Verhalten konkret an, das er verbieten will. Insofern ist der Tatbestand das „Indiz" oder der „Sitz" der Rechtswidrigkeit. In ihm hat der Staat sein Verbot sachlich umschrieben; aus ihm ist darum das, was verboten ist, zu entnehmen. Dennoch sind Tatbestand und Rechtswidrigkeit (Verbotsmaterie und Verbotensein) nicht einfach identisch. Es gibt kein gegenständlich umschriebenes Verhalten (keine Verbotsmaterie und keinen Tatbestand), das unter a l l e n Umständen und s c h l e c h t h i n verboten wäre. Es gibt kein „malum per se". Selbst die Tötung eines Menschen ist nicht stets und unter allen Umständen verboten, ζ. B. nicht in Notwehr oder im Kriege. Es gibt also Fälle, in denen ausnahmsweise die Verwirklichung der Verbotsmaterie (des Tatbestands) erlaubt ist (s. u. S. 58 ff). Die Verwirklichung des Tatbestandes kann also sowohl rechtswidrig wie rechtmäßig sein. Insofern ist die Rechtswidrigkeit gegenüber dem Tatbestand ein selbständiges Verbrechenselement. Der Tatbestand ist die sachliche Umschreibung bestimmter verbotener Verhaltensweisen; die Rechtswidrigkeit ist die Unwerteigenschaft, die das im Tatbestand umschriebene Verhalten als w i r k l i c h dem Recht zuwiderlaufend kennzeichnet. Die Tötung dieses Menschen durch diesen Täter ist rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit ist der rechtliche Unwert, der einem Verhalten infolge seines Mißverhältnisses zur Rechtsordnung zukommt. Indem man sich nun die Rechtsordnung personifiziert vorstellt, kennzeichnet man die Rechtswidrigkeit häufig als ein „ W e r t u r t e i l " oder besser „ U n w e r t u r t e i l " über ein Verhalten. Das ist unschädlich, sofern man sich der Bildlichkeit des Ausdrucks bewußt bleibt. Die Rechtswidrigkeit ist natürlich kein U r t e i l , das erst durch einen lebenden Menschen, etwa einen Richter, zustande käme, sondern die U n w e r t e i g e n s c h a f t , die dem Verhalten infolge seines Widerspruchs zur Rechtsordnung a n h a f t e t . Das Werturteil des Richters stellt dieses Mißverhältnis lediglich fest. Ist man sich aber der Bildlichkeit des Ausdrucks bewußt, so kann man die Rechtswidrigkeit durchaus als ein Werturteil bezeichnen. Dabei ist die Rechtswidrigkeit ein „objektives" Werturteil insofern, als es auf Grund eines a l l g e m e i n e n Maßstabes, eben der Anforderungen der Rechtsordnung, über das Verhalten gefällt wird. Der Gegenstand, der dabei als rechtswidrig beurteilt wird, nämlich das tatbestandlich umschriebene Verhalten
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Allgemeiner Teil
eines Menschen, bildet eine Einheit von außenweltlichen (objektiven) und seelischen (subjektiven) Momenten. Durch die Vieldeutigkeit des Begriffs „objektiv", ist das Mißverständnis aufgekommen, daß sich die Rechtswidrigkeit nur auf den objektiven (außerweltlichen) Teil der Handlung beziehen könne, weil sie ein „objektives" Werturteil sei. In Wahrheit haben beide Anwendungen des Wortes „objektiv" hier nichts miteinander zu tun. Die Rechtswidrigkeit ist nur objektiv im Sinne eines a l l g e m e i n e n Werturteils; ihr Gegenstand, die Handlung, dagegen ist eine Einheit objektiver ( a u ß e n w e l t l i c h e r ) und subjektiver Elemente. Während die Rechtswidrigkeit als reines Mißverhältnis zwischen der Verbotsmaterie (dem Tatbestand) und den Anforderungen des Rechts für alle Rechtsgebiete ein und dieselbe ist, gibt es in den verschiedenartigen Rechtsgebieten verschiedenartige Verbotsmaterien. So ist ζ. B. die eigenmächtige Besitzstörung eine Verbotsmaterie im Zivilrecht (§ 858 BGB.), nicht aber im Strafrecht. Nur wenn die Besitzstörung die Form der Wegnahme hat und diese die Betätigung eines Zueignungswillens ist, ist sie auch eine strafrechtliche Verbotsmaterie. Ebenso ist die unvorsätzliche Sachbeschädigung keine strafrechtliche, sondern nur eine zivilrechtliche Verbotsmaterie (vgl. § 303 StGB., § 823 BGB.). Umgekehrt ist der Deliktsversuch zwar eine strafrechtliche, aber keine zivilrechtliche Verbotsmaterie. Dennoch sind die verbotene Eigenmacht und die unvorsätzliche Sachbeschädigung auch im Strafrecht, ζ. B. für die Notwehr, und der Deliktsversuch auch im Zivilrecht, ζ. B. für die vorbeugende Unterlassungsklage, rechtswidrig. Die Verbotsmaterie ist so vielfältig, wie es verbotene Verhaltensweisen im Strafrecht gibt. Dagegen ist die Rechtswidrigkeit, d. h. das Mißverhältnis zwischen Verbotsmaterie und Rechtsordnung im ganzen Recht ein und dieselbe. Was in einem Rechtsgebiet rechtswidrig ist, ist es auch in dem anderen. Hierauf beruht auch der Unterschied zwischen den Begriffen der R e c h t s w i d r i g k e i t und des U n r e c h t s . Meist werden sie allerdings unterschiedslos gebraucht, was auf weite Strecken hin unschädlich ist. Doch kann es in manchen Fragen zu Mißverständnissen führen. Rechtswidrigkeit ist eine reine Relation (ein Mißverhältnis zwischen zwei Beziehungsgliedern), Unrecht dagegen ist etwas Substantielles: das rechtswidrige Verhalten selbst. Rechtswidrigkeit ist ein P r ä d i k a t , Unrecht ein Substantivum. Unrecht ist die rechtswidrige Verhaltensweise selbst: die eigenmächtige Besitzstörung, der Diebstahl, der Tötungsversuch. Rechtswidrigkeit ist eine Eigenschaft an diesen Verhaltensweisen und zwar das Mißverhältnis, in welchem diese zur Rechtsordnung stehen. So gibt es wohl ein spezifisch strafrechtliches Unrecht, wie es ein spezifisch zivilrechtliches oder verwaltungsrechtliches Unrecht gibt (ersteres beispielsweise der Versuch, das zweite etwa die verbotene Eigenmacht). Aber
§ 10. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des strafrechtlichen Unrechts
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es gibt nur eine einheitliche Rechtswidrigkeit. Alle die in den verschiedenen Rechtsgebieten geregelten Verbotsmaterien sind rechtswidrig für die gesamte Rechtsordnung. Π. Tatbestand im engeren und weiteren Sinne Die einzelne strafrechtliche Bestimmung enthält die Beschreibung der Verbotsmaterie zwar als Kernstück, aber doch nur als Teil weiterer Strafbarkeitsvoraussetzungen. Diese Gesamtheit der Voraussetzungen der Strafbarkeit eines Delikts bezeichnet man verwirrender Weise vielfach ebenfalls noch als „Tatbestand", indem man den früheren untechnischen Gebrauch dieses "Wortes fortsetzt (Tatbestand = Strafgesetz). Die beiden Bedeutungen des "Wortes Tatbestand sind natürlich streng auseinanderzuhalten. Der T a t b e s t a n d im weiteren Sinne oder die Gesamtheit der Strafbarkeitsvoraussetzungen umfaßt: a) den T a t b e s t a n d i. e. S. oder die strafrechtliche Verbotsmaterie, die das verbotene Verhalten sachlich umschreibt. Sie macht den größten Teil des Gesamttatbestands (i. w. S.) aus, vor allem bei denv orsätzlichen Delikten, bei denen sie eine genaue Beschreibung der o b j e k t i v e n und s u b j e k t i v e n Handlungsmerkmale einschließlich des Erfolgssachverhalts enthält. Dagegen gibt der Tatbestand i. e. S. bei den fahrlässigen Delikten meist nur den Erfolgssachverhalt an. Vgl. §§ 222/230; b) die R e c h t s w i d r i g k e i t . Sie ist als selbstverständliche Voraussetzung jedes Delikts in den meisten strafrechtlichen Bestimmungen gar nicht genannt. Manche strafrechtliche Bestimmungen enthalten spezielle Rechtswidrigkeitsmomente; über sie s. u. S. 60; c) die Schuld, d.h. die Vorwerfbarkeit. Auch sie ist als selbstverständliches Verbrechenselement in den strafrechtlichen Bestimmungen nicht besonders genannt; d) die o b j e k t i v e n S t r a f b a r k e i t s b e d i n g u n g e n . — In aller Regel lösen die drei Verbrechenselemente: Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld ohne weiteres die Strafbarkeit aus. In einigen wenigen Bestimmungen ist diese jedoch von weiteren außerhalb der Verbrechenselemente gelegenen Bedingungen abhängig. In den §§102—104 (§ 104 a) werden Handlungen gegen ausländische Staaten nur dann bestraft, wenn in jenen Staaten die Gegenseitigkeit verbürgt ist. Die Verbürgung der Gegenseitigkeit ist keinMoment der rechtswidrigen schuldhaften Tat; sondern eine äußere Bedingung für deren Strafbarkeit. Das gleiche gilt ζ. B. für die Konkurseröffnung und Zahlungseinstellung in §§ 239ff. KO., RG. 45 88. Die Strafbarkeit von Bankrotthandlungen vor Konkurseröffnung oder Zahlungseinstellung sind aufschiebend bedingt; daher auch ist vor Eintritt der Strafbarkeitsbedingung keine Versuchsbestrafung möglich.
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Allgemeiner Teil
Negativ gefaßte objektive Strafbarkeitsbedingungen sind die persönlichen Strafausschließungsgründe. Sie schließen die an sich generell gegebene Strafbarkeit des Verbrechens für bestimmte Personen aus; so ζ. B. früher den Monarchen, heute für Abgeordnete (§11) und Exterritoriale (§18 GVG.); nach h. L. auch für Ehegatten oder Verwandte (§§ 247 Abs. 2, 257 Abs. 2). Vgl. B o c k e l m a n n , Die Unverfolgbarkeit der Abgeordneten nach deutschem Immunitätsrecht, 1951. Völlig außerhalb des Gesamttatbestandes stehen dieVerf o l g u n g s v o r a u s s e t z u n g e n , die zum Prozeßrecht gehören, aber teilweise im Strafgesetz geregelt sind, ζ. B. der Strafantrag, §§ 61 ff., die Verjährung §§ 66ff., die Ehescheidung in § 172 u. a. Sie betreffen nicht die Strafbarkeit einer Tat, sondern die Zulässigkeit ihrer prozessualen Verfolgung. Fehlen sie, so erfolgt Einstellung des Verfahrens (§ 260 StPO.), nicht aber Freispruch, wie beim Fehlen eines der Strafbarkeitsmerkmale a—d.
Erster
Abschnitt
Das Unrecht der vorsätzlichen Delikte § 11. Der Unrechtsbegriff der vorsätzlichen Delikte T. Die dogmatische Entwicklung des Unrechtsbegriffes der vorsätzlichen Tatbestände 1. Die strafrechtliche Dogmatik versuchte den Unrechtsbegriff der vorsätzlichen Delikte zunächst von der Zweiteilung: „objektiv" — „subjektiv" her zu erfassen. Zum Unrecht sollten ausschließlich die objektiv-außenweltlichen Merkmale der Handlung gehören, während die subjektiv-seelischen Momente die „Schuld" ausmachen sollten. Die gedankliche Grundlage hierfür bot einmal die kausale Handlungslehre, die die Handlung als einen rein äußeren Kausalvorgang scharf vom subjektiven Willensinhalt trennte; sowurde alles „Äußere" der Rechtswidrigkeit, alles „Innere" der Schuld zugewiesen. Dogmatisch wurde diese Trennung zweitens noch unterstützt durch die Unklarheit über den Sinn der „Objektivität" der Rechtswidrigkeit. Da die Rechtswidrigkeit anerkanntermaßen ein „objektives" ( = allgemeines) Unwerturteil ist, lag das Mißverständnis nahe, das Unrecht (die rechtswidrige Handlung) sei rein „objektiv", aber nun in dem ganz anderen Sinne eines bloß a u ß e n w e l t l i c h e n Gegenstandes zu erfassen. Betrifft aber die Rechtswidrigkeit den äußeren Kausalvorgang, so mußte die herrschende Lehre das Unrecht materiell als Rechtsgutsverletzung oder
§ 11. Der Unrechtsbegriff der vorsätzlichen Delikte
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-gefährdung auffassen; die Schuld erschien demgegenüber als die subjektivseelische Beziehung des Handelnden zum Erfolg. 2. In diese scheinbar so klare Trennung von Außen und Innen, Objektiv und Subjektiv und in die Zuweisung des,,Äußeren" zum Unrecht, des,, Inneren" zur Schuld, kam ein tiefer Einbruch durch die Entdeckung der subjektiven Unrechtselemente. Man erkannte, daß bei vielen Tatbeständen das Unrecht unmöglich rein objektiv erfaßt werden kann, sondern von bestimmten subjektiv-seelischen Momenten mitbestimmt werde. Nicht die schlichte objektive Wegnahme einer fremden Sache erschöpft das spezifische Unrecht des Diebstahls (§ 242) im Gegensatz zur zivilrechtlich verbotenen Eigenmacht, sondern erst die mit Z u e i g n u n g s w i l l e n erfolgende Wegnahme macht diese zum Diebesbegriff. Noch deutlicher zeigt die „Zueignung" als Tathandlung bei der Unterschlagung, daß die tatbestandsmäßige Handlung keinesfalls ohne die das äußere Geschehen bestimmende subjektive Willenstendenz erfaßt werden kann. Mit dieser Entdeckung war ein tiefer Riß in das bisherige System der rein „objektiven" Unrechtsbestimmung gekommen. Aber die herrschende Lehre nahm diesen Riß nicht zum Anlaß, die überkommene Handlungs- und Unrechtslehre g r u n d s ä t z l i c h zu überprüfen, sondern ging weiterhin davon aus, daß sich das Unrecht „in der Regel auf äußeres (objektives, körperliches) Verhalten" beziehe (Mezger I, 77), und daß die subjektiven Unrechtselemente daher bloße „Ausnahmen von der Regel" seien. 3. Bei der Durchforschung der strafrechtlichen Tatbestände auf subjektive Unrechtselemente hin erkannte man weiter, daß beim Versuch (§ 43) der Vorsatz ein subjektives Unrechtselement ist. In der Tat ist beim Versuch rein „objektiv", d. h. ohne Berücksichtigung des subjektiven Täterentschlusses, gar nicht festzustellen, welcher Tatbestand vorliegen soll. Wenn jemand an einem anderen vorbeischießt, so kann dieser äußerliche Kausalvorgang ein Mordversuch, ein Versuch der Körperverletzung oder ein Schießen an unerlaubten Orten (§ 368 Ziff. 7) sein, je nach dem Vorsatz, den der Täter hatte. Der Vorsatz ist hier eindeutig ein Merkmal des Unrechtstatbestandes, ohne den die Tatbestandsmäßigkeit des äußeren Geschehens gar nicht ermittelt werden kann. So ist bereits nach der herrschenden Lehre der Vorsatz beim Versuch ein subjektives Unrechtselement. Die logische Konsequenz aus dieser Einsicht muß aber über die herrschende Lehre hinaus zu der Erkenntnis führen, daß, wenn der Vorsatz beim v e r s u c h t e n Delikt zum Unrechtstatbestand und nicht erst zur Schuld gehört, er dieselbe Funktion auch dann beibehalten muß, wenn das versuchte Delikt in das Stadium der Vollendung übergeht. Wie sollte sich danach, ob der Schuß vorbeigeht oder trifft, unterscheiden, ob der Vorsatz ein Unrechtselement oder nur ein Schuldelement ist ? Überdies läßt sich die Richtigkeit dieses Schlusses an den Tatbeständen der vollendeten
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Allgemeiner Teil
Delikte unmittelbar zeigen: Wenn jemand einen anderen tödlich verletzt, so hängt die Frage, ob er damit den Tatbestand des Totschlags (§ 212) oder den der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§ 226) oder den der fahrlässigen Tötung (§ 222) verwirklicht hat, einzig und allein von dem Vorhandensein und dem Umfang seines Vorsatzes ab. Der Vorsatz erweist sich hier zwingend als ein tatbestandsbegründendes Moment (nicht anders als bei § 187 im Verhältnis zu § 186, oder bei § 225 im Verhältnis zu § 224). Die Erkenntnis in beiden Fällen lehrt, daß der Vorsatz nicht erst ein die Schuld, sondern bereits ein den Unrechtstatbestand konstituierendes Element ist. Nur so kann man auch die subjektiven Unrechtselemente sinnvoll und zwanglos in den Unrechtstatbestand einbauen. Einen Zueignungswillen kann man nicht an einer blind kausalen Besitzverletzung, sondern nur an einer finalen Wegnahmehandlung haben. Ein Zueignungswille wäre mit einer rein kausalen Rechtsgüterverletzung schlechterdings unvereinbar. So ist auch di& herrschende Lehre mit logischer Notwendigkeit gezwungen, den Vorsatz als subjektives Unrechtselement aller vorsätzlichen Unrechtstatbestände anzuerkennen. Damit ist aber das System der rein „objektiven" Unrechtsbestimmung aufgegeben: In allen vorsätzlichen Delikten ist der Vorsatz ein essentielles Unrechtselement. Daraus folgt, daß nicht der kausale, sondern allein der finale Handlungsbegriff die seinsmäßige Grundlage der Unrechtslehre abzugeben vermag. Der Vorsatz, den die finale Handlungslehre als den objektiv gestaltenden Faktor der Handlung ermittelt hatte, ist ein Wesenselement des Unrechtsbegriffs. Π. Der personale TJnrechtsbegriff; Erfolgs- und Handlungsunwert 1. Nicht die von der Täterperson inhaltlich abgelöste Erfolgsverursachung (Rechtsgüterverletzung) erschöpft das Unrecht, sondern rechtswidrig ist die Handlung nur als Werk eines bestimmten Täters, der durch seinen Willensinhalt der Tat seinen Stempel aufdrückt. Welche Zielsetzung der objektiven Tat zwecktätig gegeben, aus welcher Einstellung heraus er sie begangen hat, welche Pflichten ihm dabei oblagen, all das bestimmt maßgeblich das Unrecht der Tat n e b e n der etwaigen Rechtsgüterverletzung. R e c h t s w i d r i g k e i t i s t i m m e r die M i ß b i l l i g u n g e i n e r auf e i n e n b e s t i m m t e n T ä t e r b e z o g e n e n Tat. U n r e c h t ist t ä t e r b e z o g e n e s , „personales" H a n d l u n g s unrecht. Darum kann das Unrecht desselben Tatvorgangs für die verschiedenen Beteiligten verschieden schwer sein. Die Körperverletzung, die ein Beamter bei Ausübung seines Amtes gemeinsam mit einem Nichtbeamten begeht, ist für den Beamten schwerer strafbar (§ 340) als für den Nichtbeamten (§ 223); die wichtige Regel des § 60 II beruht auf dem Gedanken des personalen Unrechts. Derselbe Tatvorgang kann sogar für den
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einen Beteiligten gerechtfertigt, für den anderen rechtswidrig sein: bei der rechtswidrigen Tatbegehung in mittelbarer Täterschaft durch ein rechtmäßig handelndes Werkzeug (s. u. S. 76). 2. Die abgelehnte Lehre von der Rechtswidrigkeit als kausaler Rechtsgutsverletzung hat immerhin das Verdienst, die Bedeutung der Erfolgs(Rechtsguts-)Seite herausgestellt zu haben. Für die meisten Delikte ist allerdings eine Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung wesentlich, aber nur als Teilmoment der personal-rechtswidrigen Handlung, nie in dem Sinne, daß die Rechtsgutsverletzung allein das Tatunrecht ausreichend kennzeichnet. Die Rechtsgutsverletzung (der Erfolgsunwert) hat strafrechtlich nur innerhalb einer personal-rechtswidrigen H a n d l u n g (innerhalb des Handlungsunwerts) Bedeutung. Der personale H a n d l u n g s u n w e r t ist der generelle Unwert aller strafrechtlichen Delikte. Der S a c h v e r h a l t s u n w e r t (das verletzte, bzw. gefährdete Rechtsgut) ist ein unselbständiges Moment bei zahlreichen Delikten (den Erfolgs- und Gefährdungsdelikten). Der Sachverhaltsunwert kann im konkreten Fall fehlen, ohne daß der Handlungsunwert entfiele, ζ. B. beim untauglichen Versuch oder bei der dem Täter nicht bekannten Einwilligung des Verletzten (s. unten S. 71). § 12. Der objektive Tatbestand I. Der Sinn der „Objektivität" im sog. objektiven Tatbestand Der objektive Tatbestand ist der gegenständlich-reale Kern eines jeden Delikts. Verbrechen ist ja nicht lediglich böser Wille, sondern der sich in einer T a t v e r w i r k l i c h e n d e böse Wille (Näheres u. §22). Reale Grundlage jedes Verbrechens ist die Objektivation des Willens in einer äußeren Tat. Die äußere Tat ist daher die Basis des dogmatischen Verbrechensaufbaues (wie übrigens auch der Ausgangspunkt der kriminalistischen Verbrechenserforschung). Die Willensobjektivation findet tatbestandlich ihren Ausdruck in den objektiven „Tatumständen" (Ausdruck nach § 59), deren Gesamtheit den objektiven Tatbestand ausmacht. Dieser sog. objektive Tatbestand ist nun keineswegs etwas rein objektiv „Äußerliches", das von subjektiv-seelischen Momenten völlig frei wäre. Schon die „objektiven" Tathandlungen des „Zueignens" (§ 246), des „Täuschens" (§ 263), aber auch des „Nötigens" (§ 253), des „Wegnehmens" (§ 242), wie überhaupt alle Tathandlungen vorsätzlicher Verbrechenstatbestände lassen sich ohne die sie tragende und beseelende Willenstendenz gar nicht erfassen (s. o. S.32, 45f ; für die „unzüchtigeHandlung"bes. eindringlich RG. 67 112). Der objektive Tatbestand ist nicht objektiv im Sinne des dem Subjektiven Fremden, sondern im Sinne des O b j e k t i v i e r t e n . Er umfaßt das, was vom Tatbestand in der Außenwelt objektiviert vorliegen muß.
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Π. Die Merkmale des objektiven Tatbestandes Der objektive Kern aller Delikte ist die T a t h a n d l u n g , regelmäßig zusammen mit einer R e c h t s g u t s v e r l e t z u n g oder -gefährdung als dem Erfolgssachverhalt der Handlung. Danach unterscheidet man die V e r l e t z u n g s d e l i k t e (ζ. B. § 211) von den G e f ä h r d u n g s d e l i k t e n , und bei den letzteren trennt man wieder die k o n k r e t e n Gefährdungsdelikte (ζ. B. § 221 oder § 313) von den a b s t r a k t e n (ζ. B. § 366 Ziff. 2 oder § 306), je nachdem ob die Tat w i r k l i c h eine Gefahr geschaffen haben muß oder ob es genügt, daß die Handlung ü b l i c h e r w e i s e Gefahren mit sich bringt. Zur Tathandlung treten gegebenenfalls die besonderen T a t m i t t e l (ζ. B. „falscher Schlüssel" in § 243 Ziff. 3) und die besonderen H a n d l u n g s m o d a l i t ä t e n (Zeit und Ort der Tat, ζ. B. in § 243 Ziff. 7) als weitere objektive Tatumstände einzelner Tatbestände hinzu. Die Kennzeichnung im einzelnen gehört zur Aufgabe des besonderen Teils des Strafrechts. In manchen Fällen ist die bloße Tathandlung als solche strafbar, wo der Akt als solcher sozialethisch unrein oder verwerflich ist, ζ. B. bei der Blutschande (§ 173), der widernatürlichen Unzucht (§175), d . h . bei den r e i n e n A k t v e r b r e c h e n (s. dazu u. S. 78). § 13. Der subjektive Tatbestand I. Der Vorsatz als finales Handlungsmoment 1. D a s W e s e n des V o r s a t z e s Jede bewußte Handlung wird durch den Handlungsentschluß getragen, d. h. durch das Bewußtsein davon, was man will, — das intellektuelleMoment — und die Entschlossenheit dazu, daß man es durchführen will, — das voluntative Moment. Beide Momente zusammen als gestaltende Faktoren einer w i r k l i c h e n t a t b e s t a n d s m ä ß i g e n Handlung bilden den Vorsatz. Die objektive Handlung ist die zweckhafte Durchführung des Vorsatzes. Diese Durchführung kann in ihrem Anfangsstadium stecken bleiben: beim Versuch; hier geht der Vorsatz über das, was er erreicht, hinaus. Wo der Tatentschluß bis zum Ende zweckhaft durchgeführt wird, da ist die Tat vollendet. Hier ist die ganze Tat nicht nur vorsätzlich gewollt, sondern auch vorsätzlich durchgeführt. Der Vorsatz ist hier in seinem ganzen Umfange ein finales Element der Handlung. Vorsatz als b l o ß e Tatentschlossenheit ist strafrechtlich irrelevant, da das Strafrecht die bloße Gesinnung nicht treffen kann. Nur da, wo er zur wirklichen Tat führt und sie beherrscht, wird er strafrechtlich erheblich. Der strafrechtliche Vorsatz hat stets zwei Dimensionen: er ist nicht nur der auf Tatbestandsverwirklichung a b z i e l e n d e , sondern auch der der Tatbestandsverwirklichung
§ 13. Der subjektive Tatbestand
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m ä c h t i g e Wille (s. u. S. 137). Diese objektiv-finale Funktion des Vorsatzes für die Tat wird im Strafrecht stets vorausgesetzt, wenn man den Vorsatz als Tatbewußtsein und Tatentschlossenheit definiert. V o r s a t z i s t d a s W i s s e n u n d W o l l e n der T a t b e s t a n d s v e r w i r k lichung. Soweit man den Vorsatz als strafrechtlichen Rechtsbegriff verwendet, ist sein Gegenstand die Verwirklichung des objektiven Tatbestands eines Delikts. Vorsatz im strafrechtlich-technischen Sinn ist nur der auf die Verwirklichung eines D e l i k t s t a t b e s t a n d e s gerichtete Handlungswille. Daraus folgt, daß es auch unvorsätzliche Handlungen gibt, nämlich Handlungen, bei denen der Handlungswille nicht auf die Verwirklichung eines D e l i k t s t a t b e s t a n d e s gerichtet ist, wie die meisten Handlungen des täglichen Lebens. Zu ihnen gehören auch die fahrlässigen Handlungen, bei denen der Handlungswille in aller Regel nicht auf einen Deliktstatbestand und niemals auf den verwirklichten tatbestandsmäßigen Erfolg geht (vgl. dazu N i e s e , 53ff.). 2. A r t e n d e s V o r s a t z e s Jeder Vorsatz hat eine intellektuelle und eine voluntative (willensmäßige) Seite. Die i n t e l l e k t u e l l e Seite enthält die aktuelle Kenntnis aller objektiven Tatumstände des gesetzlichen Tatbestands. Es genügt nicht, daß der Täter die Tatumstände nur potentiell kannte, d. h. sie jederzeit in sein Bewußtsein heben konnte. Vielmehr muß er ihrer im Augenblick seiner Tat wirklich bewußt gewesen sein, sie sich vorgestellt, wahrgenommen, an sie gedacht haben ( N a g l e r , LK. I, 377, RG. 73 168; BGH. N J W . 53 152). Darum hat derjenige, der gar nicht daran denkt, daS das von ihm mißbrauchte Kind unter 14 Jahre alt sein könnte, nicht den für § 176 Ziff. 3 ausreichenden Vorsatz {BGH. a. a. 0.). Widerspruchsvoll und abwegig Mezger LK. § 59 II 9: Zwar sei ein „Daran-Denken im Augenblick der Handlung" erforderlich und ein bloßes „Daran-Denken-Sollen" ungenügend, aber bei Affekt- und Augenblickstaten brauche nicht einmal ein flüchtiges Daran-Denken vorzuliegen, es genüge ein bloßes inaktuelles „Wissen". — Diese Auffassung läuft auf den von M. früher (Probleme, 184) gemachten Vorschlag hinaus, die „Tatsachenblindheit" des Täters, die auf einer mit der gesunden Volksanschauung von Recht und Unrecht unvereinbaren Grundeinstellung beruht, unbeachtet zu lassen. Damit wird die Grenze zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit eingerissen und der Vorsatz zur bloßen Fiktion gemacht. Hiergegen schon mit Schärfe Binding, Normen II 810, Anm. 9; Köhler, GS. 96 95; s. auch unten S. 122. Die v o l u n t a t i v e Seite des Vorsatzes ist der unbedingte Wille zur Tatbestandsverwirklichung (Verwirklichungswille). „Wollen" heißt im Strafrecht nicht „haben" oder „erreichen" wollen (i. S. des Erstrebens), sondern „verwirklichen" wollen. Wer sein Haus anzündet, um die Versicherungssumme zu erlangen, will nur das Geld „haben". Die Zerstörung des Hauses als notwendiges Mittel dazu bedauert er vielleicht sehr, ebenso wie die Vernichtung das Mobiliars oder etwa den Tod einer W e l z e l , Das Deutsche Strafrecht, 3. Aufl.
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gelähmten Hausbwohnerin, von der er weiß, daß sie beim Brande umkommen muß. Und doch hat er die Zerstörung des Hauses, die Vernichtung des Mobiliars und den Tod der Frau v e r w i r k l i c h e n wollen.
In dem Gesamtkomplex, den der Täter zur Erreichung seines Zieles verwirklichen muß, ist meist nur ein Teil, eben das Ziel, erstrebt. Das übrige muß er als notwendigen Begleitumstand verwirklichen: auch dieses unterliegt dem Verwirklichungswillen. Der Tatbestandsvorsatz umfaßt daher alles, worauf sich der Verwirklichungswille erstreckt, d. h. nicht nur das erstrebte Ziel, sondern auch die notwendigen Mittel und Nebenfolgen. Herkömmlicherweise unterscheidet man: a) d e n d i r e k t e n V o r s a t z (dolus directus). Er umfaßt alles, was der Täter als n o t w e n d i g e Folge seines Tuns voraussah, gleichgültig, ob es ihm erwünscht oder unerwünscht war; b) den sog. b e d i n g t e n V o r s a t z (dolus eventualis). Der Name ist irreführend: es handelt sich nicht um einen eventuellen (bedingten) Tatwillen sondern um einen unbedingten Willen zur Tat, der sich auf m ö g l i c h e r w e i s e (eventuell) Eintretendes miterstreckt. Weiß der Täter im obigen Beispiel, daß die Frau sicher umkommen wird, so handelt er mit dolus directus (mit Verwirklichungswillen gewiß eintretender Nebenfolgen). Hält er es nur für möglich, wül er aber die Inbrandsetzung auch für diesen Fall durchführen, so liegt dolus eventualis vor (Verwirklichungswille möglicher Folgen), d. h. er will die Tat unbedingt, selbst wenn gewisse tatbestandsmäßige Nebenfolgen eintreten sollten.
Nicht das voluntative, sondern nur das intellektuelle Moment des Vorsatzes ist „bedingt". Der Täter weiß nicht bestimmt, ob gewisse tatbestandsmäßige Folgen eintreten, will aber die Tat auch unter Inkaufnehmen der möglichen Folgen unbedingt. Dagegen ist das bedingte, d. h. das unentschlossene "Wollen überhaupt noch kein Vorsatz (KG. 65 148 ; 68 341). Der Täter zieht eine Pistole, ist aber noch unschlüssig, ob er drohen oder schießen soll: kein Tötungsversuch. Dagegen liegt Vorsatz vor bei unbedingter Entschlossenheit zu einer Tat, deren A u s f ü h r u n g noch von dem ungewissen Eintritt einer bestimmten Situation abhängt. Vgl. RG. 16133: Anfertigung eines unechten Akzeptes für den Fall, daß ein laufender Wechsel nicht verlängert wird; unzutreffend RG. 71 43. Vgl. dazu Nagler, LK. 1 277; OLG Hamm, MDR 53 568.
Durch das voluntative (nicht durch das intellektuelle) Moment unterscheidet sich der dolus eventualis von der bewußten Fahrlässigkeit. In beiden Fällen hält der Täter den Eintritt von tatbestandsmäßigen Folgen für möglich. Aber beim dolus eventualis will er die Tat unbedingt auch für den Fall, daß die möglichen Folgen eintreten; er nimmt sie mit in Kauf. Bei der bewußten Fahrlässigkeit dagegen handelt er in der Erwartung, die als möglich vorgestellte tatbestandsmäßige Folge werde er vermeiden bzw. der als möglich vorgestellte Tatumstand liege nicht vor (RG. 21420). Hier fehlt der unbe-
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dingte Verwirklichungswille, der auch die möglichen tatbestandsmäßigen Folgen mit in Kauf nimmt (RG. 73168). Für die außerordentlich schwierige Beweisfrage in diesen Fällen leistet die sog. 2. Franksche Formel gute Dienste: Unbedingter Tatwille ist anzunehmen, wenn es für die Willensbildung des Täters g l e i c h g ü l t i g war, ob er die tatbestandsmäßige Folge sich als sicher oder als nur möglich vorstellte, m. a. W. wenn er sich sagte: „Mag es so oder anders werden, auf jeden Fall handle ich" (Frank § 59 V). Beispiel: Ein Knecht hat dadurch einen Brand verursacht, daß er mit brennender Zigarre den Heuboden betrat, wobei ihm die Gefährlichkeit seiner Handlung bewußt war. Hatte er darauf vertraut, daß kein Schadenfeuer entstehen werde, so handelte er (bewußt) fahrlässig. War er dagegen mit der möglichen Folge einverstanden (ζ. B. weil er sich gerade mit dem Bauern überwerfen hatte), so hat er den Brand mit dolus eventualis herbeigeführt. — Zu beachten ist dabei stets, daß dolus eventualis nur vorliegen k a n n , wenn sich der Täter der möglichen Folge wirklich bewußt war. Hatte er gar nicht an sie gedacht, hätte er sie aber erkennen können, so handelt er nur (unbewußt) fahrlässig, niemals mit dolus eventualis (vgl.. RG. 73 168; BGH. NJW.53 153). Die hier vertretene Auffassung folgt der in der Rechtsprechung (RG.336; 693) und Literatur herrschenden Einwilligungstheorie auf der Grundlage des Verwirklichungswillens. — Im Gegensatz zu ihr unterscheidet die sog. Wahrscheinlichkeitstheorie den dolus eventualis von der bewußten Fahrlässigkeit durch den höheren Grad der vom Täter vorgestellten Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts. Sie muß daher im obigen Beispiel infolge des hohen, dem Täter bewußten Wahrscheinlichkeitsgrades in jedem Falle Vorsatz annehmen. Gegen sie spricht, daß sie das voluntative Element des Vorsatzes zugunsten des intellektuellen vernachlässigt. Allerdings k a n n die Größe der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts, mit der der Täter rechnete, ein Indiz dafür sein, daß er den möglichen Erfolg mit in Kauf genommen hatte. Danach entscheidet sich der Fall des Lacmannschen Schießbudenfräuleins: Auf Grund einer Wette will A. dem Schießbudenfräulein eine Glaskugel aus der Hand schießen und trifft die Hand. — Glaubte der Täter, durch sein Können den Erfolg zu vermeiden, so handelte er fahrlässig; überließ er es dagegen seinem Glück, d. h. dem Zufall, so handelte er vorsätzlich, denn er wollte die Tat (den Schuß) unbedingt, auch wenn der Erfolg anders werden sollte, als er wünschte. Wo das Gesetz „vorsätzliches" Handeln schlechthin bestraft, umfaßt der Vorsatz den dolus directus u n d den dolus eventualis. Im Unterschied hierzu fordert ein Handeln „wider besseres Wissen" positive Kenntnis des Täters, also Vorsatz unter Ausschluß des dolus eventualis (vgl. §§ 145 d, 164,187, 278). Dagegen verwendet das Gesetz den Ausdruck „wissentlich" mehrdeutig. In älteren Gesetzen (bis etwa 1925) bedeutet er meist „vorsätzlich" unter Einschluß des dolus eventualis (ζ. B. in §§ 48/9, 156, 257, 354, 357); anders aber in § 352/3; in neueren Gesetzen dagegen bedeutet er nur den direkten Vorsatz (ζ. B. in §§ 330b, 346). Vgl. RG. 66 302. c) Keiii d o l u s s u b s e q u e n s . Da der Vorsatz das finale Element der Handlung ist, muß er b e i der Begehung der Tat vorliegen; einen nachträglichen Vorsatz (dolus subsequens) gibt es nicht. 4·
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3. Der U m f a n g des V o r s a t z e s . §59 a) Der G r u n d s a t z . Die Handlung ist bewußte Gestaltung der Wirklichkeit. Der Vorsatz eines Deliktes erfordert daher die Kenntnis der Tat in allen den Merkmalen, die zum objektiven Unrechtstatbestand gehören (§ 59). Nicht erforderlich ist die Kenntnis der objektiven Strafbarkeitsbedingungen, da sie nicht zum Tatbestand gehören (s. o. S. 43). b) A u s n a h m e n . In seltenen Ausnahmefällen braucht der Vorsatz abweichend von § 59 bestimmte objektive Merkmale des Tatbestandes nicht zu umfassen, nämlich den schwereren Erfolg bei den erfolgsqualifizierten Delikten. Doch wird dies» dem Täter nur dann zugerechnet, wenn er seinen Eintritt mindestens fahrlässig verursacht hat (§ 56). c) Die E i n z e l a u s g e s t á l t u n g . Der Vorsatz erfordert also α) die Kenntnis der bereits vorhandenen Tatumstände, ß) die Voraussicht des Erfolges und γ) die Voraussicht des Handlungsverlaufs (des Kausalzusammenhangs). d) Die V o r a u s s i c h t des H a n d l u n g s v e r l a u f s i n s b e s o n d e r e . Das äußere Geschehen ist nur dann die Tat eines zwecksetzenden Willens, wenn es so, wie es abläuft, vom Willen zweckbewußt gestaltet war, d. h. wenn es der Tatherrschaft des Willens unterlag. Vorsätzlich herbeigeführt ist daher der tatbestandsmäßige Erfolg nicht schon dann, wenn er lediglich infolge der Verkettung ungeahnter Umstände als zufällige Folge des Handlungswillens eintrat, sondern nur dann, wenn er in seinem konkreten Eintritt vom Willen zweckhaft gesetzt war. Beispiel: A. schießt mit Tötungsvorsatz auf B.und verwundet ihn nur, B. kommt infolge eines Krankenhausbrandes um. Der Erfolg hängt zwar mit der Tötungshandlung des A. ursächlich zusammen, ist aber in seiner konkreten Herbeiführung nicht zweckhaft von A. gesetzt; darum nur versuchte Tötung (vgl. auch RG. 70 258).
Allerdings ist eine bis ins einzelne gehende Lenkung des Kausalverlaufs für den Menschen nie möglich. Der Mensch kann den Kausalverlauf nur in seinen a l l g e m e i n e n Zügen steuern. Bedeutsam ist hierfür das Adäquanzurteil. Diejenige Abweichung des Kausalverlaufs, die noch im Rahmen der adäquaten Verurteilung liegt, ist unwesentlich (vgl. auch RG. 70 258; DR. 43 576). Also liegt ζ. B. vollendete vorsätzliche Tötung dann vor, wenn zwar die Beilhiebe nicht tödlich waren, aber der Tod durch Infektion infolge des Beilhiebes eintritt; denn diese Abweichung des Geschehensverlaufs liegt im Rahmen der adäquaten Kausalität (RG. 70 258; anders, wenn die Infektion auf unsachgemäßer Behandlung im Krankenhaus beruht). Ebenso besteht keine wesentliche Abweichung, wenn A. den B. von der Brücke wirft, um ihn zu ertränken, B. sich aber schon durch das Aufprallen auf den Brückenpfeiler das Genick bricht (vgl. auch RG. DR. 43 576).
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Nach diesen Grundsätzen sind die sog. A b i r r u n g s f ä l l e zu entscheiden: