202 37 26MB
German Pages 493 [504] Year 1881
Vnla- WM 3. SattnUa- (II. Cdlln) in fittUtt na) Lrl-si,. (In btjitfctn dnrch eit Sechhendinn-tN.)
Die Verfassung
Justiz
in
Preuße« nach
Reichs- und Landesrecht. Don
M. Furnav, KammergerichtSrath. EvstL vis vvitto Ateferrrrrg.
(Zweiter Theil.) «er. 8°. prev s Mark.
Der Derfaffer hat sich da- Ziel gesetzt, daS gefammre, die Justizverfaffung in Preußm betreffende Material in möglichst übersichtlicher Weise zusaunncuzustellen.
ES ist deshalb Alle- weggelaffev, wa- die Justizverfaffung in Preußm nicht be rührt. DaS Buch wird mthaltm: Da» deutsche GertchtSverfassnngSgesetz und daS Einführung-gesetz dazu mit einem vollständig«Kommmtar in Anmerkung«.
Au dm betreffenden Stellen find die Bestimmungen de»
Preußischen AuSführung-grsetze- -um Deutschen Gerichtsver
fassung Sgesetz, ebenfalls kommmtirt, eingefügt. Die diese Gesetze ergänzenden Kaiserlichen Verordnungen,
lande-gesetzlichen Bestimmungen,
Verfügungen und Anweisungen der LandeSjusti-verwaltung find, sofern fie in dm Gesetz« selbst vorbehaltm teerten, alS Zusätze dem Gesetzestexte
einverleibt, im Uebrigm in dm Anmerkungen mitgetheilt. Daran schließ« sich die DiSciplinargesetze,
die
RechtSanwaltSordnung,
legung-ordnung,
die
SchiedSmann-ordnung,
anweisuugen
die
Gerichtsvollzieher
für
und
die
die
die
Hinter
GeschLft--
Gerichts-
fchretber u.f. w. Mit den zuletzt g«anntm Gesetz«, welche im zweiten Theil enthalten
sind, beginnt die Veröffentlichung.
Lehrbücher des
Deutschen Neichsrechtrs.
VII.v
Nus Deutsche Nrichsstrafrrcht von
Kranz Eduard von «Liszt.
Berlin und Leipzig. Verlag von I. Gutlentag. (v. Collin.)
1881.
Das
Deutsche Reichsstrasrecht auf Grund
Les Neichsstrafgesetzbuchs und -er übrigen strafrechtlichen Neichsgefehe unter
Berückfichtignug der Rechtsprechung des Reichsgerichts
systematisch dargesteüt
von
Dr. «Lranz Wuard von Liszt, o. ö. Professor der Rechte in Gießen.
Berlin und Leipzig. Verlag von I. (Suttentag. aeberlin in GA.Bd.XXV. Lehrbb. und Kommentare des Straft, u. StProzeßrechts be handeln die Frage bei der Lehre
von der räumlichen und zeit lichen Herrschaft der Strafge setze, bez. vom Gerichtsstände der begangenen That. Vgl. auch Hälschner GS. XXX.
74
Erstes Buch.
II. Das Verbrechen als Handlung,
langsam zum Tode: aber von jenem Augenblicke an hat der Thäter das Werkzeug aus der Hand gelegt, um passiv daS Resultat abzuwarten. Das Verbrechen wird also begangen während der ganzen Dauer des oben unter III 3 bezeich neten Zeitraumes; es ist begangen (Perfektum) in dem Augenblicke in welchem, an dem Orte an welchem die ablaufende Kausalitätsreihe das bedrohte Objekt trifft Dasselbe meint wohl auch das RGR., wenn eS (13. März 1880, E I 274) jenen Ort als Thatort bezeichnet, an welchem die von dem Thäter durch die von ihm benutzten oder in Bewegung gesetzten Kräfte „erzielte Wirksamkeit mit seinem Willen in die Erscheinung tritt". Beispiele: A in Paris schickt am 1. Januar 1880 einen beleidigenden Brief an B in Berlin, den dieser am 3. Januar 1880 erhält und liest; Berlin ist Begehungsort, der 3. Januar der Zeitpunkt der Begehung. A hat am 1. Januar 1880 diesseits der deut schen Grenze stehend einen jenseits derselben befindlichen Franzosen durch einen Schuß verwundet; der Getroffene stirbt in einem deutschen Spitale am 8. Januar 1880; die That ist am 1. Januar 1880 und zwar in Frankreich be gangen. Besonders bei fahrlässigen Delikten ist ein solches Auseinanderfallen des ersten und des letzten Gliedes der kausalen Kette in zeitlicher wie in örtlicher Beziehung häufig? Einzelanwendungen. 1. Anstiftung und Beihülfe stehen unter der allge meinen Reget Dort wo der Anzustiftende den Rat usw., wo der Thäter die Hülfeleistung empfängt, und in dem Augen blicke, in welchem dies geschieht, dort und dann ist Anstif2 Bezügl. der vielbesprochenen Preßdelikte vgl. mein Reichspreßrecht §. 41.
Der Begriff der Handlung. tung und Beihülfe begangen.
§. 19.
75
Z. B. A in Paris bestimmt
durch einen am 1. Januar 1880 abgeschickten, am 3. Januar
1880 eingetroffenen Brief den B in Berlin zur Ermordung
des in London befindlichen C; wen» die That in London am 1. Februar 1880 ausgeführt wird, so ist die Anstiftung in Berlin am 3. Januar begangen (quod nunc demum apparuit).
2.
Dagegen
entscheidet bei Begehung der That durch
einen Anderen, mag dieser zurechnungsunfähig oder ge täuscht oder gezwungen sein, Ort und Zeit der Handlung
deS Werkzeuges.
Wenn ich durch einen Blödsinnige» einen
jenseits der Grenze befindlichen Gegenstand wegnehmen laste, so habe ich ihn jenseits der Grenze weggenommen.
Die
verschiedene Entscheidung der beiden Fälle hat ihren Grund darin, daß Anstiftung und Beihülfe Teilnahme an
dem
Thun eines Andern, Handeln durch ein Werkzmg dagegen
eigenes Handeln ist (vgl. uüten §. 35). 3.
Trifft die Handlung das Objekt überhaupt nicht,
so ist sie dort und dann begangen, wo und wann das letzte
Glied der Kette abbricht; eS entscheidet der letzte Vordere!tungS- oder Versuchsakt usw. 4.
Eine als juristische Einheit zu bettachtende Hand
lungsreihe, z. B. daS fortgesetzte oder daS fortdauernde De likt (vgl. unten §. 39 II) darf auch
in
Bezug auf unsere
Frage nicht in seine unselbständigen Teile auseinander ge-
ES ist überall dort begangen, wo ein solcher
risten werden.
Teil gesetzt worden, und während der ganzen Dauer der
HandlungSreihe.
fremdem und
Eine dadurch veranlaßte Kollision zwischen
einheimischem Rechte ist zu Gunsten deS letz
teren, zwischen späterem und früherem Rechte zu Gunsten deS milderen zu entscheiden (die mehreren Gerichtsstände sind gleichberechtigt).
76
Erstes Buch.
H. Das Verbrechen als Handlung.
§. 20. Sie Lehre vorn. Lausahusammenhaugr.l
I. Der Erfolg muß Folge der körperlichen Bewegung, diese muß seine Ursache sein; Handlung und Erfolg müssen im Kausalzusammenhänge stehen. Wann ist dieS der Fall? wann kann der Erfolg auf eine menschliche Thätigkeit als seine Ursache zurückgeführt werden? Im strengen Sinne ist Ursache die Gesammtheit (die Totalität, nicht die Summe) aller Faktoren, durch deren Zusammenwirken der Erfolg herbeigeführt wurde; oder, da man jeden einzelnen dieser Faktoren Bedingung nennt, die Gesammtheit der Bedingungen des Er folges. Die Zahl der einzelnen Bedingungen ist eine un endliche, räumlich und zeitlich unbegrenzte. Dieser Begriff der Ursache ist demnach für die praktische Betrachtung, auch für die juristische, unbrauchbar; sie hält sich an einzelne Bedingungen, und meint diese, wenn sie von Ursache spricht. Für die Auswahl dieser „Ursache" aus den Be dingungen ist lediglich der Standpunkt des Beobachters maßgebend; mit anderen Worten: ein objektiver realer Unter schied zwischen den verschiedenen Bedingungen existiert nicht, keine von ihnen ist an sich, sondern immer nur im Zusam1 Lit. bei Meyer Lehrbuch S. 178 Note 1. Insbesondere die Schriften von v. Bar, v. Buri, Binding. Dazu Burr GS. XXIX. Cohn Zur Lehre vom versuchten u. unvoll. Berbr. 1 1880 S. 488 ff. Hertz Das Unrecht und die allgem.
Lehren des Straft. I. Bd. 1880. S. 167 ff. Der Text nähert sich am meisten der v. Burischen Auffaffung. Seine phil. Begründung s. bei John Stuart Mill in deffen System der Logik I. Bd.
Die Lehre vom Kausalzusammenhänge.
20.
77
menwirken mit allen übrigen kausal. Alle Bedingungen sind objektiv gleichwertig; eine Verschiedenheit existiert nur in un serer subjektiven Vorstellung. So gelangen wir zu dem (nur scheinbar dem Begriffe der Ursache widersprechenden) Resultate: jede Bedingung ist kausal. Und mit Rück sicht auf die menschliche Handlung: wer immer durch seine Körperbewegung eine Bedingung zu dem eingetretenen Erfolge gesetzt hat, hat denselben mit bewirkt. II. Die praktischen Konsequenzen dieses Satzes werden wir sofort kennen lernen. Aber vorher ist eine scheinbare Abschweifung nötig. Je nach dem Standpunkte unserer Betrachtung isolieren wir eine oder die andere Bedingung und nennen sie Ursache. Wir gelangen zur Wahl, indem wir entweder 1. eine Anzahl von Bedingungen, weil regelmäßig vor handen, als gegeben voraussetzen, und nun die ausnahms weise hinzutretende als Ursache bezeichnen; oder 2. indem wir uns die günstigen und ungünstigen Be dingungen als sich das G.leichgewicht haltend vorstellen, so daß uns die hinzutretende das Gleichgewicht störende Be dingung als Ursache erscheint. Auf dem ersten Wege gelangt v. Bar, auf dem zweiten Binding zu seiner Definition des Ursachenbegriffes. Beide Definitionen sind nicht nur identisch sondern auch an sich gleich richtig. Beide werden gleich unrichtig, sobald man glaubt, daß dieser „Ursache" reale Existenz zukommt, und darauf weitere Schlüffe baut. Wenn die beiden regelmäßig vorhandenen Kräfte a und b den Punkt M nach N bewegen, und nun durch das Hinzutreten der Kraft c eine Bewegung nach N' eintritt, oder wenn die gleich stark gedachten Kräfte-
78
Erstes Buch. II. Das Verbrechen als Handlung,
masten 4- a und — b den Punkt M im Gleichgewichte halten und nun die hinzutretende Kraft c den Punkt nach N' be wegt, so können wir (ungenau) in beiden Fällen die Kraft c alS die Ursache der Bewegung von M nach N* bezeichnen; aber nie dürfen wir vergessen, daß die Bewegung in Wahr heit durch daS Zusammenwirken der drei Kräfte a und b und c verursacht Horden ist. III. Daraus ergiebt sich die außerordentlich wichtige Konsequenz,-daß ein und derselbe Erfolg auf mehrere menschliche Handlungen als seine Ursachen zurück geführt werden kann, einerlei, ob ihr Zusammenwirken ein gleichzeitiges oder ein successives ist. Insbesondere kann der unmittelbar durch das Handeln des B herbeigeführte Erfolg mittelbar auf das (vorsätzliche oder fahrlässige) Thun des A zurückgeführt werden. Eine „Unterbrechung des Kausal zusammenhanges" wie man sich möglichst schief ausdrückt, genauer ein (juristisches) Zurückführen des Erfolges auf die nächste Ursache (die Handlung des B) findet nur soweit kraft positivrechtlicher Anordnung statt, als diese nächste Ur sache die freie (d. h. nicht im Notstände StGB. §§. 52 und 54 begangene) von der Vorstellung ihrer Kau salität begleitete Handlung eines Zurechnungsfähi gen ist. Insbesondere steht der Annahme des Kausal zusammenhanges die eigene Fahrlässigkeit des Beschädigten nicht entgegen, RGR. 12. April 1880, E I 373, R I 578. Beispiel. Wenn A dem B ein geladenes Gewehr mit der Aufforderung in die Hand giebt, auf den C loszudrücken, und B in der Meinung es sei nicht geladen dies thut, so kann B wegen fahrlässiger und neben ihm A wegen vor sätzlicher oder fahrlässiger Tötung des C zur Verantwortung gezogen werden (so auch meist die Praxis gegen die Ansicht
Die sogenannten Unterlassungsdelikte.
g. 21.
79
der Mehrzahl der Theoretiker). Hat dagegen B die Kausa lität feiner Handlung gekannt, so knn A nur, wenn Vorsatz bei ihm vorliegt, als Anstifter strafbar gewacht werden; hat er fahrlässig gehandelt, so bleibt er straflos. (Vgl. darüber daS Nähere unten §. 35.) IV. Zurechnen (vgl. unten tz. 27IV) heißt einen Erfolg auf die Schuld eines Menschen zurückführen. Daraus folgt ein Doppeltes. Bei mangelndem Kausalzusammenhang ist Zurechnung ausgeschlossen. Ist dagegen der Kausalzusammen hang konstatiert, so muß überdies Schuld (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) vorliegen, damit der Erfolg zugerechnet werden kann. Die Kausalitätsfrage und die Schuldfrage sind strenge zu trennen (anders v. Bar); mit dieser Trennung entfallen auch alle Bedenken, die gegen die im Texte vertretene „laxe" (soll heißen: streng-logische) Fassung deS Ursachenbegriffes erhoben zu werden pflegen.
§. 21. Nie sogenannten Untrrlassungsdeliktr.l
I. Wir haben daS Verbrechen als Handlung definiert; wie verhalten sich dieser Definition gegenüber die Unter lassung Sdelikte? Wenn sie keine Handlungen sind, so war unsere Definition, weil zu eng, falsch und bedarf der Kor1 Lit. bei Meyer Lehrbuch S. 182 Note 1. Schriften von Luden,Krug, Glaser, Mer kel, v. Bar, v. Buri, Ort mann, Binding. Dazu neuerdings Cohn S. 533 ff., HerpS. 196ff., Schwalbach
GS. XXXI. Am besten immer noch die Ausführungen von Luden. Binding's Behändlung der Unterlaffungsdelikte ist mir der sicherste Beweis für die Unhaltbarkeit seines Ursachen begriffes.
80
Erstes Buch. II. Das Verbrechen als Handlung,
rektur; wenn sie aber Handlungen sind, warum spricht man von Unterlassungen? — Man könnte versucht sein, die Unterlassungen als nega tive rein psychische Handlungen aufzufassen: die bewußte und durch Vorstellungen bestimmte Nicht-Erregung der motorischen Nerven. Auch der Entschluß, nicht zu handeln ist ja ein psychischer Akt? Aber abgesehen davon, daß wir damit den nicht in Bewegung umgesetzten Gedanken, (denn mehr als eine Vorstellung, deren Sieg entschieden, ist der „Entschluß" nicht) zum Verbrechen stempeln, scheitert dieser Versuch an der nicht wegzuleugnenden Thatsache der fahrlässigen Ünterlassungsdelikte, bei welchen ein solcher Entschluß nicht vorliegt. Oder man könnte das Schwergewicht auf die der Unter lassung vorangehende positive Thätigkeit legen, wie Krug, Glaser, Merkel das gethan; damit rettet man den Be griff der Handlung, vernichtet aber die Unterlassung völlig, und gerat in weitaus den meisten praktischen Fällen mit dem obersten Grundsätze der Schuldlehre: „die Schuld muß im Augenblicke der Verursachung vorhanden sein" — in unlösbaren Widerspruch.
II. Es ist ein anderer Weg noch möglich, der nur darum von den Meisten übersehen wird, weil er so nahe liegt. Unterlassen heißt nicht Nichtsthun, sondern: Etwas nicht thun; das nicht thun, was erwartet, was gesollt wurde. Unterlassung ist Nichtthätigkeit mit Rücksicht auf ein ganz be stimmtes erwartetes Thun; nicht ein Nicht-Handeln, son1 Im Grunde genommen ist die Binding'sche Konstruktion der sog. unechten Unterlassungs
delikte auf diesen zurückzuführen.
Gedanken
Die sogenannten Unterlassungsdelikte. §. 21.
81
dem ein Andershandeln.' Man kann nie sagen: er hat unterlassen, sondern immer nur: er hat dies oder jenes unterlassem Damit ist der Charakter der Unterlaffungen als positiver Handlungen, die wie alle anderen kausal fein können, nachgewiesen. Und nur die eine Frage erhebt sich:.warum bezeichnen wir als Juristen gerade ein gewisses Andershandeln nach seiner uegativm Seite? Die Antwort lautet: weil wir gerade ein bestimmtes Thun erwartet haben. Zu dieser Erwartung sind wir aber nur dann be rechtigt, wenn der zu Beurteilende zu jenem bestimmten Thun'verpflichtet war. Somit lautet die Frage: Wann tritt die Verpflichtung zu einem bestimmten posi tiven Thun ein? Die Existenz dieser Pflicht macht die „Unterlassung" nicht erst kausal, sondem strafbar, macht sie nicht erst zur Handlung, sondem berechtigt unS, das AnderShandeln nur von feiner negativen Seite inS Ange zu fassen. 1. Bei den durch Strafdrohung sanktionirtm Geboten des Rechts entsteht die Pflicht, eine bestimmte Handlung vor zunehmen, unmittelbar durch die Gebote selbst. Man nennt die Uebertretnngen dieser Gebote echte UnterlassungSoder Omissivdelikte. 2. Bei den negativen pönalisirten Imperativen, den Ver boten, muß dagegen die Pflicht zu einem bestimmten kon kreten Thun anderweitig begründet sein. Nur durch biefen Umstand, nicht aber in seiner inneren Struktur unterscheidet sich daS sog. unechte UnterlaffnngSdelikt, das delictmn per * Vgl. Luden Abhandlan. Binding selbst (Normen H II S. 221; v. Dar Kausal S. 447 ff.) bezüglich der sogen, zusammenhang S. 97. Zu dem echten Unterlaffungsdelikte. selben Resultate gelangt übrigens von Liszt, Strafrecht.
82
Erstes Buch. II. Das Verbrechen als Handlung,
omissionem commissum von der unter 1 besprochenen Gruppe. Die Pflicht zum Handeln aber kann liegen: a) in einer Rechtsnorm, die einem anderen als dem strafrechtlichen Gebiete angehört (Pflicht der Eltern zur Er nährung der Kinder, die vertragsmäßige Verpflichtung des Eisenbahnpersonales, die Dienstpflicht des Gefangenaufsehers, die Amtspflicht des Beamten usw.); b) in der vorhergegangenen Uebernahme oder An maßung der Herrschaft über den Ablauf der Kau salitätsreihe, so daß das spätere „Unterlassen" als Auf geben dieser Herrschaft, als ein Fahrenlassen der ergriffenen Zügel erscheint/ Die gewöhnlichen Beispiele: der gute Schwimmer A hat den schlechten Schwimmer B durch das Versprechen eventueller Hülfeleistung zu einer Schwimmpartie bestimmt; in dem Augenblicke als Kräfte nachlassen, faßt A den Tötungsvorsatz, und läßt B untersinken. Oder: der Kutscher läßt die Pferde über den im Wege liegenden Betrunkenen hinweg gehen. Alle diese Fälle — Gruppe I und Gruppe II a und b — sind ihrem innersten Wesen nach gleich; scheinbar „Un terlassungen" sind sie in Wahrheit Handlungen. Ihr Unter schied liegt einzig und allein in dem verschiedenen Grunde der Verpflichtung zu einem ganz bestimmten Handeln. Sie wären kausal auch ohne die Pflicht; aber sie wären für den Kriminalisten dann nicht strafbare Unterlassungen, son dern rechtlich indifferente Handlungen. III. Eine nach dem Gesagten selbstverständliche Konse4 Aehnlich Binding Normen II S. 259 ff. Auch Merkel (krimin. Abhandlgn. I) verlangt, daß der Thäter „die Interessen
Anderer in zurechenbarer (?) Weise auf die Vornahme ent sprechender Handlungen gestellt habe."
Mangelnde Rechtswidrigkeit im Allgemeinen.
quenz fet ausdrücklich betont:
§. 22.
83
Im Augenblicke deS Unter«
lastens, d. h. in dem Augenblicke, in welchem daS bestimmte Thun vorzunehmen war, muß Schuld — d. h. Zurechnungs
fähigkeit einerseits, Vorsatz oder Fahrlässigkeit andrerseits —
vorgelegen haben.
Zurückbeziehung auf einen früheren Zeit
punkt ist hier wie überall unbedingt unzulässig.
III. Das Verbrechen als rechtswidrige Handlung. §. 22. Ote Anssihließungsgründe der Rechtswidrigkeit
im allgemeinen.
I.
DaS Verbrechen ist wie das Delikt rechtswidrige
Handlung; genauer: willkürliche Körperbewegung mit rechts
widrigem Erfolge.
Die Handlung
führt herbei oder ver
hindert, was die Norm vermieden oder bewirkt wissen will.
Der Erfolg muß also der Norm widersprechen. Die Norm ist aber eine Regel mit Ausnahmen.
Sie
verlangt nicht unbedingt und in allen Fällen Gehorsam, son
dern verzichtet unter gewissen Voraussetzungen auf ihre bin« dende Kraft und hört damit, da ein nicht imperativer Im perativ nicht denkbar ist, auf, Norm zu sein.
Der Erfolg
darf mithin nicht einer Ausnahme von der Herrschaft der
Norm entsprechen.
Solche Ausnahmen sind im modernen Rechte meist aus drücklich, hie und da aber auch — leider — stillschweigend ausgesprochen.
Sie
finden
sich
teils
im
Strafgesetzbuch
selbst, teils auf anderen Rechtsgebieten. DaS StGB, behandelt die Lehre von der Normwidrig
keit ohne jede innere Folgerichtigkeit.
Es hebt bei einer ein-
84
Erstes Buch. III. Das Verbrechen als rechtswidr. Handl,
gclncn strafbaren Handlung (Beleidigung §. 193) eine ganze Reihe von Umständen ausdrücklich hervor, die nkcht nur hier, sondern überall die Rechtswidrigkeit ausschließen; es nimmt bei einer Anzahl von strafbaren Handlungen das Merkmal der Rechtswidrigkeit in den besonderen Thatbestand auf, um damit bei diesen (und nur bei diesen) Delikten das Bewußt sein der Rechtswidrigkeit als zum Borsatze wesentlich zu be zeichnen (vgl. unten §. 28 II); es regelt endlich in seinem allgemeinen Teile die Behandlung der Notwehr und des Notstandes, durch deren Vorliegen die Rechtswidrigkeit des in Frage stehenden ThunS ausgeschlossen wird. Ohne Rechtswidrigkeit deS Handelns kann weder von De likt noch von Verbrechen die Rede sein. Es ist daher straf bare Teilnahme an einer solchen Handlung nicht möglich (vgl. unten 35 II), während allerdings dritte Personen, welchen gegenüber die Gründe für die Ausschließung nicht zutresfen, durch ihre Beteiligung sich (als Thäter) eines strafbaren Thuns schuldig machen können. Wohl aber ist die an sich nicht rechtswidrige Handlung, sobald sie über daS eng umgrenzte Gebiet der ausnahmsweisen Nichtherrschaft der Norm hinausgreift, bezüglich dieses Uebermaßes (soweit das selbe ausgeschieden werden kann) den allgemeinen Regeln unterworfen. Auch steht die irrige Subsumption der That unter eine der Ausnahmen der irrigen Nichtsubsumption unter die Regel juristisch durchaus gleich. (Vgl. unten §. 35 II 3). II. Unter den nicht im StGB, selbst enthaltenen Aus nahmen von der regelmäßigen Herrschaft der Normen sind (abgesehen von den bereits oben §. 14 I besprochenen Fällen) die folgenden von größerer Wichtigkeit. 1. Pflichtgemäße Ausübung eines öffentlichen
Mangelnde Rechtswidrigkeit im Allgemeinen. §. 22.
85
Amtes schließt die Rechtswidrigkeit deS Thuns aus.
Man
denke an Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme, Verhaftungen,
Vollstreckung von rechtskräftig erkannten Strafen usw.
Jede
Ueberschreitung der Amtsbefugnisse dagegen macht die Hand lung bezüglich dieses Uebermaßes zu einer rechtswidrigen. Da blinder Gehorsam gegenüber Befehlen deS Vorge-
setztm, von ausdrückliche» geschlichen Anordnungen (z. B.
Mil.StGB. §. 47) abgesehen, in der Amtspflicht nicht be
gründet ist, so wird durch solchen Gehorsam an dem rechts widrigen Charakter der Handlung nichts geändert. 2.
Die Handlung ist keine rechtswidrige, wenn sie kraft
einer besonderen Berechtigung und innerhalb der Grenzen Die verschiedensten Fälle ge
derselben vorgenommen wurde.
Zu erwähnen sind:
hören hieher.
a) Erlaubte Selbsthülfe.
Ueber die deutschrechtliche
Privatpfändung vgl. die bei Wind scheid §. 123 Note 7
angeführte Litteratur. b) ErziehungS- und Disziplinargewalt; soweit
eine
solche
den
Eltern
Lehrer gegenüber seinen
gegenüber
Schülern
den
Kindern,
dem
(vgl. RGR. .14. April
1880, R I 593, E II 10),1 dem Lehrherrn gegenüber dem Lehrling (Gewerbe-Ordnung vom 21. Juni 1869 §. 119), dem Schiffer gegenüber der Bemannung deS Schiffes (See mannsordnung vom 27. Dezember 1872 §. 79 Abs. 2), dem
Ehemanne etwa nach Landesrecht' gegenüber der Eheftau (München 17. April 1875), der Kirche gegenüber ihren An
gehörigen, der Dienstherrschaft gegenüber dem Gesinde' usw. eingeräumt ist.
Zu beachten ist, daß die Ausübung dieses
1 Vgl. v. Schwarze GS. XXIX. * Ueber das gern. Recht vgl.
Windscheid Z.4S0 Note 11. » Dgl. RGR. 12. April 1880, R I 5'73, E II 7.
86
Erstes Buch. UI. Das Verbrechen als rechtswidr. Handl.
Rechtes, dauernd oder vorübergehend, von dem Berechtigten
dritten Personen (von den Eltern dein Dienstmädchen) über tragen, daß
ferner in manchen Fällen (Züchtigung eines
mutwilligen Knaben durch belästigte Borbeigehende) die Zu stimmung des Berechtigten vorausgesetzt werden kann.
c) Die in der StPO. §. 127 ausgesprochene Ermächti
gung zur vorläufigen Festnahme eines auf frischer That
betroffenen oder verfolgten Verbrechers. d) Die aus der gesetzmäßigen Ausübung eines öffent
lichen Berufes sich ergebende Berechtigung zu Vornahme der
jenigen Handlungen, welche nach den Regeln der betreffenden Kunst
Nach
oder Wiffenschaft im
diesem
Gesichtspunkte
konkreten Falle geboten sind.
sind
chirurgische Operationen
überhaupt, ist insbes. die vielbesprochene Perforation4 S. (Zerstück lung der Frucht im Mutterleibe) zu beurteilen.
Doch wäre
gerade für diese Fälle gesetzliche Abgrenzung die Berechtigung
dringend wünschenswert. Die von dem Träger eines Rechtsgutes
3.
gegebene
Einwilligung zur Verletzung desselben schließt die Rechts widrigkeit der Verletzung
nur dann und nur soweit auS,
wenn und soweit die öffentliche Rechtsordnung dem Träger des Rechtsgutes
hat?
die Disposition über dasselbe eingeräumt
Sie wird die Disposition versagen,
wentr sie dem
betreffenden Rechtsgute eine über die Person seines Trägers
hinausreichende Bedeutung beilegt.
Ob sie es gethan, ist
aus dem ganzen Zusammenhänge der gesetzlichen Bestim
mungen, nicht nur aus den Verbrechens-Definitionen zu ent nehmen.
So bleibt die Tötung,
4 Lit. bei Meyer Lehrbuch S. 246 N. 8, dazu Janka Notstand S. 262.
auch wenn der Getötete
6 Lit. bei Binding Grundriß S. 153.
Mangelnde Rechtswidrigkeit im Allgemeinen, g. 22.
87
sie ernstlich und ausdrücklich verlangt hat, rechtswidrige wenn auch milder bestrafte Handlung (StGB. §. 216), während Beleidigung, Verletzung der weiblichen Geschlechtsehre, Be schränkung der persönlichen Freiheit, Eingriffe in fremde Vermögensrechte usw. (unter gewissen Voraussetzungen) durch die Einwilligung des Verletzten den deliktischen Charakter verlieren. Der Satz volenti non fit injuria, abgeleitet von 1. 1 §. 5 Big. 47, 10 ist in dieser Allgemeinheit nach römi schem wie nach heutigem Rechte unrichtig. 4. Die von dem Träger eines RechtSgutes selbst vorgenommene Verletzung deSselben° sollte principiell ebenso beurteilt werden, wie die mit Einwilligung , des Ver letzten von einem Dritten ausgehende Handlung. Doch hat das positive Recht, von sekundären Gesichtspunkten geleitet, die Grenzlinie dort vielfach anders bestimmt als hier. Bei spiele bietet die im modernen Rechte ziemlich allgemein'an genommene Beurteilung deS Selbstmordes, der Selbstbe fleckung, Selbstkastration usw. Die Selbstverstümmlung ist nur ausnahmsweise (StGB. §. 142 Vereitlung der Wehr pflichterfüllung) als Delikt behandelt. 5. Soweit das positive Recht eine totale oder par tielle Rechtlosigkeit kennt, ebensoweit schließt diese die Rechtswidrigkeit aller oder gewisser Verletzungen aus. Dem heutigen Rechte ist eine solche Auffassung, völlig fremd. Die unbefugte Tötung des zum Tode verurteilten Verbrechers unterliegt den allgemeinen Regeln. Anders dachte das ältere Recht: man erinnere sich an die römische sacratio capitis, die germanische Friedlosigkeit, die Oberacht deS mittelalter lich deutschen Rechtes; an die Rechtlosigkeit der Zigeuner 6 Lit. bei Binding Grundriß S. 152.
88
Erstes Buch. III. DaS Verbrechen als rechtswidr. Handl.
nach zahlreichen Reichsgesetzen des 16. Jahrhunderts/ die Ehrlosigkeit der Gotteslästerer nach den Reichspolizeiord nungen von 1548 und 1577 usw.
§. 23. Vir Notwehr.»
I. Notwehr ist die zur Abwehr eines gegenwärti gen rechtswidrigen Angriffes erforderliche Vertei digung durch Verletzung des Angreifers. Sie ist Rechtsgüterschutz durch Rechtsgüterverletzung; Aufrechthaltung der bedrohten Rechtsordnung durch den oder die einzelnen Staatsbürger. Die Notwehrhandlung ist zu allen Zeiten und bei allen Völkern, wenn auch in verschiedenem Umfange, als - eine nicht nur nicht strafbare, sondern als eine Vicht rechtswidrige Rechtsgüterverletzung anerkannt worden; die Rechtsordnung hat von jeher — in entwickelteren Rechten durch ausdrückliche Anordnung — die von dem Einzelnen ausgehende Abwehr des unmittelbar drohenden Unrechtes in der Gestalt der Notwehr sanktionirt. Auf dieser staat lichen Sanktion und nicht etwa auf einem „angeborenen" Rechte (Cicero: non scripta sed nata lex) beruht die Rechtmäßigkeit der Notwehrhandlung. II. Begriffsmerkmale (StGB. §. 53). 1. Der Angriff muß a) ein rechtswidriger, d. h. nicht berechtigter (vgl. oben §. 22) sein. Daher ist Notwehr nicht möglich 7 Vgl. Binding Grundriß S. 153.
1 Lit. bei Binding Grund« riß S. 154. Dazu v. Buri GS. XXX.
Die Notwehr. §. 23.
89
gegenüber dem in rechtmäßiger Amtsausübung be findlichen Beamten, gegenüber der Handhabung eines DisziplinarrechteS usw.; nicht möglich gegenüber der Notwehrhandlung selbst oder der Notstandshandlung (vgl. unten §. 24 III). Wohl aber wird sie in dem Augenblicke berechtigt, in welchem eine Urberschreitung den an sich rechtmäßigen Angriff zu einem rechts widrigen macht, also auch gegenüber einem Excesse der Notwehr. Auch gegen den von einem Tiere oder oder einem Zurechnungsunfähigen ausgehenden Angriff ist Notwehr möglich;' denn dieser Angriff kann zwar kein deliktischer (schuldhafte Rechtswidrigkeit) wohl aber ein nicht berechtigter (objektive Rechtswidrigkeit) sein. Die entgegengesetzte Ansicht würde die Vertei digung in einem solchen Falle auf gegen Leib und Leben (StGB. §. 54) gerichtete Angriffe einschränken müssen. Ob der Angriff ein vorhergesehener war oder nicht, ob er von dem Angegriffenen verschuldet worden oder nicht, ist nach dem heutigen Rechte irre levant? b) Der Angriff muß ferner ein gegenwärtiger sein, d. h. unmittelbar bevorstehen oder bereits begonnen haben. ES braucht daher einerseits der Begin n deS An griffes nicht abgewartet zu werden, während andrerseits auch der bereits begonnene aber noch fortgesetzte 1 Anders die herrschende An sicht, die, daS Wort „rechts widrig" unrichtig auslegend, in einem solchen Falle Notstand
annimmt. Lit. bei Binding Grundriß S. 155. • Interessante Kasuistik bei Binding Normen IIS. 201 ff.
90
Erstes Buch. III. Das Verbrechen als rechtswidr. Handl. Angriff abgewehrt werden
kann.
Ausgeschloffen ist
Notwehr dagegen a) gegenüber einem erst in der Zukunft drohen
den Angriffe. Verletzungen,
Schutzmaßregeln wie
gegen
Fußangeln,
künftige
Selbstgeschoffe,
Wolfsgräben, sind, wenn sie erst im Augenblicke des Angriffes funktioniren sollen, gestattet, soweit sie nicht (was allerdings meist der Fall sein wird)
die Grenzen der erforderlichen Verteidi gung überschreiten/
ß) Gegenüber dem beendeten Angriffe.
Diebstahl
nicht
Da der
schon mit der Ergreifung der
Sache sondern erst mit dem Bruche des Gewahr
sams vollendet
wird,
ist
Notwehr
gegen den
flüchtigen Dieb (aber ex continenti non ex Inter valle 1. 3 §. 9 Dig. 43, 16)
allerdings
unter
Umständen zulässig?
c) Der Angriff muß gegen irgend ein Rechtsgut, d. h. gegen ein rechtlich geschütztes Interesse gerichtet sein. Das Gesetz macht unter den Rechtsgütern keinen Unter schied.
Auch zum Schutze
politischer Rechtsgüter ist
Notwehr zulässig. 2. Die Verteidigung darf a) die Grenzen deS unbedingt Notwendigen nicht über schreiten.
Das Maß der „erforderlichen" Verteidigung
liegt in der Intensität des Angriffes?
Ist die Ab
wehr des Angriffes auf andere Weise nicht möglich,
4 Lit. S. 250 5 Lit. S. 250
bei Note bei Note
Meyer Lehrbuch 9. Meyer Lehrbuch 10.
G Lit. bei Mever Lehrbuch S. 251 Note 12. '
Die Notwehr, g. 23.
91
so kann auch daS unbedeutendste Rechtsgut durch Tötung des Angreifers geschützt werden? Die Ansicht, nach welcher die Möglichkeit einer unschimpflichen Flucht, des Anrufens fremder Hülfe usw. die Rechtmäßigkeit der Notwehrhandlung ausschließen soll, kann als eine heute allgemein aufgegebene bezeichnet werden. b) Die Notwehr ist nicht nur zum Schutze eigener, son dern als Nothülfe auch zum Schutze fremder Rechts güter gestattet. Die Beschränkung auf Line Bedrohung der „Angehörigen" (wie beinr Notstände StGB. §§. 52 u. 54) ist hier unserem Rechte fremd. III. Sobald die Grenzen der erforderlichen Verteidigung überschritten sind, unterliegt die weitere Verteidigung als rechtswidrige Nechtsgüterverletzung den allgemeinen Re geln. Doch bleibt nach §. 53 StGB, die durch Bestür zung, Furcht oder Schrecken herbeigeführte Ueberschreitung straflos; eS liegt hier zwar eine objektiv strafbare Hand lung, zugleich aber auch ein subjektiver Strafausschließungs grund (unten §. 30 III 3) vor. Die irrige Annahme der Notwehr ist als irrige Subsumption der That unter eine Ausnahme von der Herrschaft der Norm nach den allgemeinen Grundsätzen (vgl. unten §. 28 II) zu beurteilen. Dasselbe gilt von dem Eintritte des Erfolges bei einem anderen als dem vorgestellten Objekte (aberratio Lotus oder error in objecto; vgl. unten §. 28 V).7 8 7 Treffende Bemerkungen ge Handb. IV S. 94) gegen diese gen die abweichende Ansicht der „Totschlägermoral". b Gerade diese Fälle werden alteren Schriftsteller in Jhering's Kampf ums Recht. in der Praxis vielfach unrichtig Dagegen verwahrt sich Geyer entschieden. (zuletzt in v. Holtzendorff's
92
Erstes Buch. III. Das Verbrechen als rechtswidr. Handl.
§. 24. ver Notstand?
I. Notstand ist — wenn wir vorläufig von den Beschrän kungen des Begriffes durch das positive Recht absehen — ein Zustand gegenwärtiger Gefahr, aus dem es keine andere Rettung giebt, als die Uebertretung einer Norm; mag dieser Zustand durch Naturkräfte, mag er durch den Angriff eines Dritten herbeigeführt worden sein. Beispiele: Um das Wasser zum Löschen eines ausge brochenen Brandes zu holen, eilen die Bedrohten quer über ein fremdes Saatfeld zum Musse; der von Räubern über fallene Postillon liefert diesen den Geldbriefbeutel aus; von zwei durch ein Seil verbundenen Bergsteigern hackt der eine, der den abgestürzten aber noch am Seile hängenden Be gleiter nicht länger zu halten vermag, das Seil ab usw. Wie die Notwehr, so ist auch die Notstandshandlung Rechtsgüterverletzung zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes; aber dort gerichtet gegen den Angreifenden, hier gegen einen unbeteiligten Dritten; dort Kampf für das Recht gegen daS Unrecht, hier Kampf für das eigene Interesse gegen fremde gleichberechtigte, aber im Einzelfalle kollidierende Interessen. II. Den theoretischen Begriff des Notstandes hat die Reichsgesetzgebung vielfach — und nur zum Teile mit Recht — eingeengt. 1. Zunächst hat das positive Recht in durchaus unge rechtfertigter Weise den einheitlichen Begriff des Notstandes zerrissen in Nötigung (StGB. §. 52 „durch unwidersteh1 Lit. bei Binding Grund- I beiten v. Janka u. Stamm riß S. 156; insbesondere Ar- | Icr. Dazu v.Buri GS. XXX.
Der Notstand, g. 24.
93
liche Gewalt' oder Drohung") und in den eigentlichen Not
stand (StGB. §. 54).
2. Das Gesetz verlangt ferner in beiden Fallen gegen
wärtige,
auf andere Weise nicht abwendbare Gefahr für
Leib oder Leben, versagt also bei Gefahr für alle an deren Rechtsgüter (z. B. auch für die persönliche Freiheit, deren Beschränkung doch gewiß von größerer Bedeutung ist
als eine geringfügige Körperverletzung) dem Notstände seine
Anerkennung.
Doch ist (ein dem Notstand verwandter Fall)
beabsichtigter Eigentumsschutz
bei der Herbeiführung einer
Überschwemmung (StGB. §. 213) Strafmilderungsgrund.
3.
Nur zur eigenen Rettung «nd zur Rettung der
nächsten Angehörigen (aufgezählt sind dieselben im 2. Abs.
tz. 52) wird die Notstandshandlung gestattet. 4.
Es muß
endlich der Notstand im engeren Sinne
(StGB. §. 54) ein unverschuldeter, d. h. ein nicht von dem Gefährdetm selbst vorsätzücher oder fahrlässiger Weise herbeigeftihrter sein. HI. Der Notstand (im Sinne der unter II besprochenen gesetzlichen Bestimmungen) schließt die Rechtswidrigkeit,
nicht bloß die Strafbarkeit, der zur Rettung aus demselbm
unternommenen Handlung auS. DaS Recht verzichtet auf die Befolgung seiner Normen, weil eS unter dm ge
gebenen Umständen auf ihre Befolgung ohnehin nicht rechnen kann und die Bestrafung daher keinen Zweck hätte?
Eine
Norm aber ohne imperative Kraft ist keine Norm.
DaS
Recht verzichtet jedoch auf die bindmde Kraft seiner Jmpe-
* Ueber die verschiedenen Not * Diese schließt als Physische (vis absoluta) den Begriff der standstheorien vgl. die bei „Handlung" aus (oben §. 19 I Meyer Lehrb. S. 253 angef. 2a), gehört also gar nicht hieher. Lit.
Erstes Buch. III. Das Verbrechen als rechtswidr. Handl,
94
rative jenen Personen gegenüber nicht, deren Beruf größere als die durchschnittliche Standhaftigkeit in Leibes- und Le
bensgefahr bedingt; dem Soldaten (Milit.StGB. §. 49
Abs. 1 vgl. mit §§. 84—88), dem Schiffsmann (See mannsordnung von 1872 §. 32) ist die Berufung auf den
Notstand ausdrücklich abgeschnitten.
Ist aber einmal Notstand
gegeben,
dann besteht kein
weiterer Unterschied innerhalb der Notstandshandlungen; der
Satz, daß nur das höhere Recht auf Kosten des niederen sich erhalten dürfe, ist aus den Motiven nicht in das Gesetz
übergegangen. IV. Die §§. 52 und 54 StGB, sind die einzigen Quellen für die strafrechtliche Behandlung des Notstandes.
Die
Spezialbestimmungen des Handelsgesetzbuchs (A. 702 und
708
über die große Haverei) und der Seemannsordnung
(§. 75) haben keine über das Gebiet dieser Gesetze hinauS-
reichende Geltung.
Auch
die Anordnungen des römischen
Rechtes* oder partikularer Civilgesetze sind für das Straf
recht ohne Bedeutung.
Ihre analoge Anwendung" ist schon
darum unmöglich, weil Analogie die Ausfüllung einer Lücke, nicht aber Beseitigung eines Widerspruches in dem Systeme
des Rechts zur Aufgabe hat.
V. Der Nötiger (StGB. §. 52) ist nach den später (vgl. unten §. 36 I) zu besprechenden Grundsätzen eventuell als Urheber der von dem Genötigten vorgenommenen Rechts verletzung zu betrachten.
* Vgl. Windscheid §.455 Note 11.
6 Empfohlen von Meyer, Stammler, insbesondere aber Bin ding Grundriß S. 157.
Die Zurechnungsfähigkeit.
§. 25.
95
IV. VdS Verbrechen als schul-bafte rechtswidrige Handlung. 1. Die Voraussetzung der Schuld.
§. 25. Sie Zurechnungsfähigkeit.'
I. Zurechnungsfähigkeit ist strafrechtliche Handlungs fähigkeit? Handlungsfähigkeit aber im juristischen Sinne ist die Fähigkeit, juristisch relevante Handlungen' vorzunehmen, d. h. solche Handlungen, an welche als Thatbestand das objektive Recht den Eintritt von Rechtsfolgen knüpft. Mithin ist Zu rechnungsfähigkeit die Fähigkeit, strafrechtlich relevante, d. h. den Eintritt der Straffolge nach sich ziehende Handlungen vorzunehmen; die Fähigkeit also, strafrechtlich verant wortlich gemacht zu werden. Die Zurechnungsfähigkeit besteht aus einer Summe von elementaren Fähigkeiten? Sie setzt voraus Selbstbewußtsein und Bewußtsein der Außenwelt; Einsicht in die Stellung des Ich zu dieser überhaupt und zur Rechtswelt insbeson dere; Kenntnis des Kausalgesetzes; eine Summe von ethi schen, religiösen und rechtlichen Vorstellungen usw. Sie ist der allmählich in der Schule des Lebens erworbene normale geistige Besitz des geistig reifen und geistig gesunden Menschen? Sie fehlt dem geistig unreifen; sei es, daß die Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, sei es, daß 1 Lit. bei Binding Grund riß S. 57. a Scharf betont von Din ding Normen II S. 46.
» Val. Windscheid §.71. 4 Äinding Normen II S. 54. 6 Vgl. Motive zu §.51 StGB.
96
Erst. Buch. IV. DaS Berbr. als schuldh. rechtswidr. Handl,
gehemmte Entwicklung vorliegt; sie fehlt dem geistig kranken Individuum, mag es sich um vorübergehende Störungen oder langer dauernde Erkrankungen oder end lich um den Verfall (Degenerationszustände) der Psyche handeln. Die Zurechnungsfähigkeit setzt normales Zusammen wirken der psychischen Funktionen voraus; also nicht bloß normale Zahl und Klarheit der Vorstellungen, sondern auch normales Betonungsverhältnis der Vorstellungen unter einander, so daß sie ausgeschloffen werden kann durch anormale Betonung einer einzelnen Vorstellung (Zwangsvorstellung). Sie ist mit andern Worten nicht nur ein Kennen (Wissen), sondern auch ein Sönnen6 (Wollen). Wie die geistige Reife auf den verschiedenen Gebieten des rechtlich indifferenten Handelns nicht mit demselben Augen blicke eintritt, sondern hier längere dort kürzere Entwicklung vorangehen muß, so wird auch die rechtliche Handlungsfähig keit auf den verschiedenen Rechtsgebieten (z. B. öffentliches Recht, Civilrecht, Strafrecht) und deren Untergebieten (z. B. Familimrecht, Erbrecht, Obligationenrecht) nicht in demselben Lebensstadium erworben. Sie wird auch auf dem Gebiete des Strafrechtes bei demselben Individuum in demselben Augenblicke bald als vorhanden, bald als fehlend ange nommen werden müssen, je nachdem diese oder jene Gruppe von strafbaren Handlungen in Frage steht (man denke an Tötung einerseits, politische Delikte andrerseits). II. Die Reichsstrafgesetzgebung hat davon abge6 So von den Kriminalisten inbesondere Meyer, Wahlberg u. Geyer; der Psychologe v. Volkmann, der Psychiater
v. Krafft-Ebing u. A. gegen die Hegelianer; Schütze u. A.
Da auch'
Die Zurechnungsfähigkeit.
97
8- 25.
sehen, den Begriff der Zurechnungsfähigkeit festzustellen;
sie hat die Lösung dieser Aufgabe den Bemühungen der ju ristischen
und
psychologischen
Wissenschaft
überlassen und
sich damit begnügt, dieser und der' Praxis einzelne leitende Gesichtspunkte an die Hand zu geben.
Sie erschöpft den
Begriff der Zurechnungsfähigkeit nicht und will ihn nicht
erschöpfen, wenn sie hier (StGB. §. 51) die „freie Willens bestimmung" und dort (StGB. §§. 56—.58) die „zur Er
kenntnis der Strafbarkeit erforderliche Einsicht" hervorhebt.
Sie konnte das um so leichter thun, als Zurechnungsfähig
keit der normale Zustand ist. III. Innerhalb der Zurechnungsfähigkeit, also
nach Ausschluß des ganzen Gebietes der Zurechnungsunfähig keit, sind unendliche Abstufungen, wie innerhalb
körperlichen Gesundheit, von dem eben noch
der
hinreichenden
Minimum bis zur höchsten erreichbaren Vollkommenheit mög lich.
Es fragt sich nun:
soll der Gesetzgeber diese Abstu-,
fungen berücksichtigen, wenn er die Straffolgen an den straf baren Thatbestand anknüpft?
DaS Minimum liegt ja tief
unter dem Durchschnittsmaße der geistigen Befähigung, und
dieses noch viel tiefer unter dem Maximum; soll der Gesetz geber vielleicht einen doppelten Straftahmen aufstellen, den einen für die unterdurchschnittliche, den anderen für die
überdurchschnittliche
Zurechnungsfähigkeit?
Man hat die
Frage verwirrt, indem man die über daS Minimum sich er hebende, aber unter dem Durchschnittsniveau zurückbleibende Zurechnungsfähigkeit als vermindert« Zurechnungsfähigkeit' bezeichnete, und dadurch vielfach den Glaubm erweckte, als
handle eS sich um einen Geisteszustand, der weniger sei als
7 Lit. bei Meyer Lehrbuch S. 326. von Li-zt, Strafrecht.
98
Erst. Buch. IV. Das Derbr. als schuldh. rechtswidr. Handl.
Zurechnungsfähigkeit. Gegen die Bejahung der aufgeworfenen Frage spricht die Weite der Strafrahmen der deutschen Strafgesetze, insbesondere ihr äußerst geringes Minimum; für dieselbe aber die auf diesem Felde noch weit verbreitete und tiefgewurzelte Verwirrtheit, welche eine gesetzliche Regelung der Frage dringend wünschenswert macht. In einem Falle — bezüglich der jugendlichen Thäter (StGB. §. 57) — hat übrigens das .StGB, selbst der „verminderten" Zurech nungsfähigkeit, Rechnung getragen. IV. Die Zurechnungsfähigkeit ist Voraussetzung der Schuld. Sie muß, wie alle relevanten Umstände, von Amts wegen festgestellt werden. Ausdrücklicher Feststellung im Urteile bedarf es jedoch nur dann (StPO. §. 266), wenn ihr Vor handensein im Laufe der Verhandlung bestritten worden war. Eine Ausnahme von dieser Regel tritt nur ein, wenn es sich um einen jugendlichen oder taubstummen Thäter handelt: hier muß — eventuell durch eine an die Geschworenen ge richtete Nebenfrage — in allen Fällen positiv festgestellt werden, ob der Thäter bei Begehung der That die zur Er kenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht besessen habe? V. Die Zurechnungsfähigkeit muß bei Begehung der That vorhanden gewesen sein. Später eintretende Zurech nungsunfähigkeit kann nur prozessuale Folgen nach sich ziehen. Maßgebend ist dabei (vgl. oben §. 19 III 1) jener Augenblick, in welchem die den Naturkausalislnus in Bewe gung setzende körperliche Bewegung selbst vorgenommen wurde; irrelevant der Geisteszustand des Thäters in dem Augenblicke, in welchem der Kausalismus das angegriffene
8 Eigentümliche Ansicht bei Meyer S. 143f.
Die Zurechnungsfähigkeit. . %• 25.
99
Objekt trifft oder der Erfolg eintritt. Wer-einen Brunnen vergiftet und dann sich berauscht, ist verantwortlich, wenn, während er sich im Zustande der Volltrunkenheit befindet, die von ihm in Aussicht genommenen Personen aus dem vergifteten Brunnen trinken. Wer einen Wahnsinnigen zu einem Verbrechen bestimmt, hat im Zustande der Zurech nungsfähigkeit gehandelt, wenn auch der Wahnsinnige das Verbrechen ausführt, während der geistige Urheber der That im tiefsten Schlafe liegt. Wir haben nur diese allgemeine Regel konsequent zur Anwendung zu bringen, um die berühmte Schulstreitfrage nach der Beurteilung der sog. actiones liberae in causa zu entscheiden? Sie liegen vor, wenn ein im Zustande der Zurechnungsunfähigkeit gefetztes Thun veranlaßt wurde durch einen im Zustande der Zurechnungsfähigkeit gefaßten Ent schluß oder eine in diesem Zustande begangene Fahrlässigkeit. Beispiele: der Eisenbahnwächter betrinkt sich, um beim Heran nahen des EilzugeS die Weichen nicht zu stellen; , die Mutter, die wiffen sollte, daß sie im Schlafe sich unruhig hin und her wirft, hat fahrlässiger Weife ihr Kind zu sich ins Bett genommen und erdrückt. Wenn wir daran festhalten, daß auch die menschliche That (bezüglich des Zurechnungsun fähigen wird dies ja allgemein zugegeben) unter dem Kausalitätsgesetze steht, so ist in diesen Fällen im entscheidenden Augenblicke — und das ist jener, in welchem der Anstoß zum Abrollen deS Kausalismus gegeben wurde — Zurech nungsfähigkeit vorhanden gewesen. Im nüchternen Zustande hat der Wächter, wachend, die Mutter die Ursache zu dem
u Lit. bei Binding Grund S. 195 ff. Dazu Hertz daS riß S. 60; schöne Darstellung Unrecht usw. I S. 189 ff. bei demselben Normen II
100 Erst. Buch. IV. DaS Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl,
eingetretenen Erfolge gesetzt. Liegt nun außerdem der Kau salzusammenhang selbst und auf der subjektiven Seite wirk lich Vorsatz (vgl. unten §. 28 IV) oder Fahrlässigkeit vor, so steht der Zurechnung des Erfolges zur Schuld nichts im Stege.10 11 VL Da die Zurechnungsfähigkeit eine Art der Hand lungsfähigkeit ist, so kann nur der Mensch Subjekt eines Deliktes sein.1' Und zwar nach positivem Rechte nur das Einzelindividuum, nicht aber die Kollektivper sönlichkeit. Societas delinquere non potest. Immer können nur die einzelnen handelnden Vertreter, nicht aber der ver tretene Gesammtkörper zur Verantwortung gezogen werden. Die nach den strafrechtlichen Nebengesetzen des Reiches auch den Kollektivpersönlichkeiten vielfach auferlegte subsidiäre Haftung für die zunächst den Schuldigen treffenden Geld strafen (vgl. unten §. 42 III 2) ist keine Strafe, wenn sie auch in ihren Wirkungen einer solchen durchaus gleich kommt. Dabei sei jedoch ausdrücklich betont, daß die Bestrafung „juristischer Personen" nicht nur rechtlich möglich,sondern auch innerhalb gewisser Grenzen nach dem von der englisch amerikanischen Praxis gegebenen Beispiele de lege ferenda 10 Die Meinungen gehen weit auseinander. Meist wird in ganz einseitiger Weise nur die Frage nach dem Vorliegen des Kausalzusammenhanges bespro chen. Zusammenstellungen der verschiedenen Ansichten bei Din ding a. O. 11 Ueber die abweichenden An sichten des älteren Rechts vgl. Geib Lehrb. II S. 197.
12 Die entgegengesetzte Ansicht ist nicht nur die herrschende, sondern die beinahe ausschließ lich bei Kriminalisten wie Ci vilisten herrschende. Für die juristische Möglichkeit der Be strafung haben sich Beseler, Bluntschli, Ziebarth, in jüngster Zeit Felix Dahn Ver nunft int Recht S. 168 ausge sprochen.
Die Falle der ZurechnungSunfLhigkeit. g. 26.
101
empfehlenswert wäre. Sie ist rechtlich möglich: Denn einmal sind die Voraussetzungen für die Handlungsfähigkeit der Kollektivpersönlichkeit auf dem Gebiete des Strafrechtes prinzipiell keine anderen als auf jenem des Civilrechtes13 14 oder (was regelmäßig übersehen wird) auf dem des öffent lichen Rechtes (wer Verträge schließen kann, der kann auch betrügerische oder wucherische Verträge schließen, oder die geschloffenen Lieferungsverträge — StGB. §. 329! — nicht halten)," und andrerseits ist die Kollektivpersönlichkeit auch Trägerin'rvon Rechtsgütern (Vermögensrechte, Existenz), die strafweise geschmälert oder vernichtet werden können. Und sie ist empfehlenswert, da es den Grundsätzen des Straf rechtes widerspricht, das Organ fremden Willens mit der vollen und ausschließlichen Verantwortlichkeit zu belegen.
8. 26.
Bit ckällr der Lurrchnungsurrfähigkrit.
Die Zurechnungsfähigkeit, als der normale Geisteszustand des geistig reifen und geistig gesunden menschlichen Indivi duums, ist nicht vorhanden: I. bei fehlender geistiger Reife. Diese kann wieder eine doppelte Ursache haben: 13 Freilich ist die Handlüngsfähigkeit der juristischen Per sonen auch auf civilrechtlichem Gebiete bestritten. Man vgl. z. B. Windscheid §. 59. 14 Man vgl. die interessante Fassung in §. 35 deS Genossen-
schaftsgeseheS v. 4. Juni 1868: „Wenn eine Genossenschaft sich gesetzwidriger Handlungen oder Unterlassungen schuldig macht, durch welche das Gemeinwohl Sgefährdet wird .... so kann ie aufgelöst werden."
102
Erst. Buch. IV. Das Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl.
1. Noch nicht abgeschlossene Entwicklung, Straf unmündigkeit des Thäters? Während das französische Recht und ihm folgend Preußen (StGB. 1851) und Baiern (StGB. 1861) eine einzige straf rechtlich relevante Altersgrenze (16 Jahre) aufstellten, um unterhalb derselben Prüfung der Zurechnungsfähigkeit in jedem einzelnen Falle, oberhalb derselben aber volle Zurechnung eintreten zu lassen, hat das RStGB.,8 im Anschlüsse an die das römisch-kanonische und gemein-deutsche Recht beherr schenden Grundsätze, eine doppelte Altersgrenze gezogen. a) Kindheit; bis zum vollendeten 12. Jahre (StGB. §. 55). Unbedingte und ausnahmslose Zurechnungs unfähigkeit. Infolge dieses Grundsatzes Ausschluß jeder strafgerichtlichen Untersuchung. Als polizeiliche Maßregel ist die Unterbringung in eine Erziehungs oder Besserungsanstalt zugelassen, wenn die Vormund schaftsbehörde die Begehung einer strafbaren Hand lung festgestellt und die Unterbringung für zulässig er klärt hat. Die Aufsichtspersonen können nach StGB. §. 361 Nr. 9 wegen unterlassener Aufsicht, oder nach dem unten §. 36 I zu besprechenden Grundsätze als Selbstthäter, nie aber als Teilnehmer (da ein Delikt nicht vorliegt) zur Verantwortung gezogen werden? b) Jugendliches Alter vom vollendeten 12. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr. Prüfung der Zurechnungs1 Lit. bei Binding Grund riß S. 58. Dazu Ullmann GS. XXXI, Geyer HR. „Al tersstufen". - Nach §. 50 des MilStGB, ist — mit Rücksicht auf die schon mit dem vollendeten 17. Lebens
jahre beginnende Waffenfähigkeit — das Alter des Thäters ohne Einfluß auf die Bestrafung militärischer Verbrechen und Vergehen. 8 Die entgegenstehende OT. 3. Mai 1872 ist gewiß unrichtig.
Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit, g. 26.
103
fähigkeit überhaupt, der zur Erkenntnis der Straf barkeit der begangenm That erforderlichen Einsicht ins besondere (die letztere muß positiv, eventuell durch die Geschworenen — StPO. §. 298 — festgestellt werden) in jedem einzelnen Falle. a) Fehlt die Fähigkeit, so tritt Freisprechung ein (StGB. §. 56). In dem Urteile kann die Unter bringung in eine Erziehungs- oder Besserungs anstalt ausgesprochen werden. Bezüglich dritter Personen gilt das oben unter a gesagte. ß) Wird die Zurechnungsfähigkeit festgestellt, so tritt in Berücksichtigung der „verminderten" Zurech nungsfähigkeit eine Reduktion der den Erwachse nen treffenden Strafrahmen ein (StGB. §. 57; vgl. unten §. 54 II 2). Einen singulären subjektiven Strafausschließungsgrund (§. 30 III 3) enthält StGB. §. 173 (Blutschande) für Ver wandte und Verschwägerte absteigender Linie unter 18 Jahren. 2. Gehemmte Entwicklung. Auch hier muß die Zurechnungsfähigkeit überhaupt, die zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen That er forderliche Einsicht insbesondere in jedem einzelnen Falle ge prüft und letztere positiv festgestellt werden (StGB. §. 58). Bei konstatierter Zurechnungsfähigkeit tritt jedoch eine Re duktion der normalen Strafrahmen nicht ein, obwohl sie auch hier ohne Zweifel angezeigt wäre. Wenn auch das Gesetz nur von Taubstummen aus drücklich spricht, so sind doch diese Bestimmungen auf alle Fälle. von Entwicklungshemmung gleichmäßig anzuwenden (man bcnft an geringeren Cretinismus, an Angehörige wilder Völkerstämme, in völliger Abgeschlossenheit ausgewachsene
104
Erst. Buch. IV. Das Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl.
Menschen usw.). Dabei handelt es sich durchaus nicht um einen auf dem Wege der Rechtsanalogie gewonnenen neuen Rechtssatz, sondern um eine Konsequenz aus.dem von uns aus den gesetzlichen Bestimmungen abgeleiteten allgemeinen Begriff der Zurechnungsfähigkeit. II. Bei fehlender geistiger Gesundheit.4 Die geistigen Funktionen des in den Vollbesitz der geistigen Reife gelangten Individuums können kürzere oder längere Zeit gehemmt, gestört oder allmähliger Vernichtung entgegengeführt werden. Sowie aber nicht jede Störung der vollen körperlichen Gesundheit als Krankheit bezeichnet werden kann, so wird auch nicht durch jede Störung in dem Spiele der geistigen Funktionen die Zurechnungsfähigkeit aus geschloffen ; das Minimalmaß, mit dem sich das Recht über haupt begnügen muß, bildet auch hier die untere Grenze. Darum verlangt StGB. §. 51, auch hier lediglich eine Seite in dem Inhalte der Zurechnungsfähigkeit besonders (aber durchaus nicht ausschließlich) betonend, einen solchen Zustand, durch welchen „die freie Willensbestimmung des Thäters ausgeschloffen" war. Eine erschöpfende Aufzählung und entsprechende Bezeichnung dieser verschiedenen Hemmungs-, Störungs- und Degenerationszustände konnte bei dem heu tigen Stande der Wissenschaft nicht, wollte auch von dem Gesetze nicht gegeben werden. Die Ausdrücke des §. 51: „Bewußtlosigkeit" einerseits, „krankhafte Störung der Geistes thätigkeit" andererseits, die überhaupt keinen erschöpfenden Gegensatz enthalten, sind daher nicht zu betonen. Zu jener werden wir neben Fieberdelirium, Betäubungen, Trunkenheit, Ohnmachten, epileptischen Anfällen usw. auch Schlaf, Schlaf4 Lit. bei Binding Grundriß S. 58 u. 60.
Die Schuld. §. 27.
105
trunkenheit, Schlafwandel u. dgl., z« diesen neben den eigent lichen Geisteskrankheiten auch die mehrerwähnten Degenera
tionszustände zu rechnen haben.
Ob Zurechnungsfähigkeit im einzelnen Falle vorliegt oder nicht, hat auch bei diesen Fällen der Richter zu entschei den, eventuell unter Zuziehung von Sachverständigen, berat
Ausspruch ihn hier ebensowenig bindet wie sonst?
2. Die Schuld selbst und ihre Arten.
§. 27.
Nie Schuld. I. Das Verbrechen ist wie daS Delikt, schuldhafte
normwidrige Handlung.
Nicht jede normwidrige Handlung
deS Zurechnungsfähigen ist Delikt; nur unter gewissen
Voraussetzungen knüpft das objektive Recht die Delikts
folgen an die normwidrige Handlung. Diese subjektiven Vor aussetzungen nun, an deren Dorliegen der Eintritt
der Deliktsfolgen geknüpft ist nennen wir Schuld.
Die rechtliche Schuld hat demnach mit der ethischen oder reli
giösen Schuld nichts als — leider! — den Namen gemein. Durch diese Fassung des Schuldbegriffes ist unS zugleich
der Weg gewiesen, auf dem wir zur Erkennntnis seines In haltes gelangen können. Jede aprioristische Konstruktion ver meidend, nlüffen wir die Voraussetzungen für den Eintritt
der Deliktsfolgen,
also die unbestrittenen Schuldfälle auS
6 Uebrigens kann dem Juristen I Werke nicht dringend genug anS daS Studium psychiatrischer | Herz gelegt werden.
106
Erst. Buch. IV. DaS Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl,
dem positiven Rechte kennen zu lernen fudjcn? Die augen fälligste Deliktsfolge, die Strafe, dient uns als Führer auf diesem Wege. Die Betrachtung lehrt uns, daß jene Vor aussetzungen durch Vorsatz und Fahrlässigkeit erschöpft werden; diese sind die beiden einzigen Schuldarten. Durch eine Zusammenfassung der beiden Begriffe würde, wenn eine solche möglich wäre, der gemeinschaftliche höhere Begriff der Schuld entstehen. Die genauere Untersuchung zeigt jedoch die Unmöglichkeit einer solchen Zusammenfassung. Beim Vorsatz (f. unten §. 28 I) liegt das Schuldmoment, d. h. jener Umstand, welcher die Deliktsfolgen nach sich zieht, ledig lich in der objektiven Normwidrigkeit der Handlung; bei der Fahrlässigkeit dagegen in der pflichtwidrigen Nichtanwen dung der anzuwendenden Sorgfalt. Der Vorsatz als solcher ist noch nicht Schuld, sondern findet sich in gleicher Weise bei dem normgemäßen wie bei dem normwidrigen Handeln; die Fahrlässigkeit dagegen ist an sich schon Schuld (wenn auch nicht immer strafbare Schuld), und ist auf anderem Gebiete als dem des normwidrigen Handelns gar nicht denk bar. Beide Artbegriffe haben nichts gemein als ihre Wir kung; daher kann der Gattungsbegriff auch nur nach dieser bestimmt werden? II. Wir haben Vorsatz und Fahrlässigkeit als die beiden 1 Strengstes Festhalten an s sondere Binding's Schuldder induktiven Methode ist un i lehre in den „Normen", daß bedingt notwendig, wollen wir der Versuch, zuerst den Begriff die Grundbegriffe der juristischen der Schuld und dann aus die Wissenschaft dem Auf- und Ab sem den der Schuldarten zu be wogen subjektiver Anschauungen stimmen (statt umgekehrt) schei entziehen. tern muß, sobald er konsequent 1 Anders die herrschende An durchgeführt wird. sicht. Doch beweist mir insbe-
Die Schuld. 8- 27.
107
einzigen Schuldarien bezeichnet und dieses Resultat als ein aus dem positiven Rechte, abgeleitetes hingestellt. Dieser Be hauptung widersprechen nicht die zahlreich in den strafrecht lichen Nebengesetzen sich findenden Präsumptionen der Schuld? Denn wenn das objektive Recht bis zu dem Beweise des Gegenteils die Schuld — Vorsatz oder Fahrlässigkeit — als erwiesen annimmt, vielleicht auch den Gegenbeweis dem An geschuldigten aufbürdet, so anerkennt es ja gerade dadurch, daß ohne Vorsatz oder Fahrlässigkeit eine Bestrafung nicht eintreten kann und soll. Durch die Präsumptioü einer Thatsache wird ja gerade deren rechtliche Bedeutung beson ders betont? Unserem Satze, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit die ein zigen Schuldarten seien und daß es ohne Schuld weder Delikt noch Verbrechen gebe, widersprechen auch nicht jene Anordnungen, welche die Schwere der Strafe für das an sich schuldhafte Thun abstufen nach der Größe des ver ursachten Schadens, unabhängig davon, ob gerade in Bezug auf die Verursachung dieses schwereren Erfolges Schuld vorliegt (vgl. unten §. 54 I 3). Denn die bestrafte Hand-
8 Man vgl. außer den Zollund Steuergesetzen: Gesetz betr. die Nationalität der Kauffahrtei schiffe vom 25. Oktober 1867 §. 14; Aktiengesetz vom 11. Juni 1870 §. 249 a; Preßgesetz vom 7. Mai 1874 §. 21 (nicht §. 20): Rinderpestgesetz vom 21. Mai 1878 §. 3 Abs. 2; Spielkartenstempelaesetz vom 3. Juli 1878 ß. 10 Avs. 3. Ueber diese Prä sumptionen Dinding Normen II S. 612 ff.
4 Die einzige Ausnahme, bei der es sich also nicht um eine Präsumption der Schuld sondern um Ignorierung derselben hanbeit, bietet §. 137 Abs. 1 des Dereinszollgesetzes vom 3. Juli 1869, aber auch dieser nur in soweit weder der 2. Abs. ein greift, noch auch die Wortsaffung deS bezogenen §. 136 das Ge genteil ergiebt.
108
Erst. Buch. IV. Das Derbr. als schuldh. rechtswidr. Handl,
lung ist auch in diesen Fällen eine schuldhafte; mit anderen Worten: Verursachung eines gewissm Erfolges ohne Rück
sicht
auf
Schuld
in
Bezug
auf
diesen
Erfolg
ist
Reichsstrafrecht immer nur Strafschärfungsgrund,
im nicht
aber Deliktsmerkmal oder Bedingung der Strafbarkeit. III. Die Schuld muß, sei sie Vorsatz, sei sie Fahrlässig keit, im Augenblicke der willkürlichen Körperbewegung vor
handen
sein.
Späterer Eintritt,
sowie
späteres Entfallen
der Schuld ist ohne juristische Bedeutung.
Vgl. das oben
§. 25 V bezüglich der Zurechnungsfähigkeit Gesagte. IV. Die Erklärung,
daß
die Handlung eines Zurech
nungsfähigen auf dessen Vorsatz oder Fahrlässigkeit beruhe, heißt Zurechnung oder Imputation.
Handlung
wird
als
zurechenbar
Die betreffende
bezeichnet.
Es
giebt
also zurechenbare und nicht zurechenbare Handlungen eines Handlungsfähigen, während die Handlungen eines Zurech
nungsunfähigen, soweit er überhaupt willkürlicher körperlicher Bewegungen fähig ist, nie zurechenbar sind.
§. 28.
Der Vorsatz.* I. Vorsatz ist der Wille (in dem oben §. 17 I ange gebenen Sinne) alsUrsache einer Handlung im engeren
Sinne (oben §. 19 I) begleitet von der Vorstellung der Kausalität derselben; d. h. begleitet von der Vor
stellung jener Veränderungen (oben §. 19 II),
welche
die Handlung in der Außenwelt hervorruft, und von der
1 Lit. bei Bindinq Grund- I Dazu Ortmann GS. XXX, riß S.65, Normen II Note614. | Geyer in HR. „dolus“.
Vorstellung, daß diese Veränderungen durch die Hands lung hervorgerufen werden würden? Der Begriff des Vorsatzes ist auf dem Gebiete des normgemäßen und des normwidrigen, des rechtlich bedeutsamen wie des rechtlich indifferenten Handelns ein und derselbe. Man spricht von dem vorsätzlichen Abschießen eines Gewehres, mag es sich um die Tötung eines Menschen, um Ausübung des Jagdrechtes oder lediglich darum handeln, daß die Ladung aus dem Rohre entfernt werde. Allerdings ist der Sprachgebrauch kein kon stanter; Absicht und Vorsatz werden nebeneinander, der erstere Ausdruck noch häufiger gebraucht. Aber dasselbe Schwanken zeigt sich in der Strafgesetzgebung; auch diese gebraucht neben andern Synonimen für Vorsatz auch das Wort Absicht^ (also Absicht — Vorsatz: erste Bedeutung von Absicht). Nur die objektive Normwidrigkeit der Hand lung macht den Vorsatz zum schuldhaften Vorsatz. II. Daraus ergiebt sich eine wichtige Konsequenz. Das Bewußtsein der Normwidrigkeit gehört nicht zum Be griffe des Vorsatzes an sich. Freilich könnte die Gesetzge bung durch ausdrückliche oder stillschweigende Anordnung den Eintritt der Deliktsfolgen bei der vorsätzlichen normübertretenden Handlung abhängig machen von dem Bewußtsein dieser Eigenschaft der Handlung; dann wäre der schuld hafte Vorsatz der bewußt rechtswidrige Wille. Aber die 8 Dadurch unterscheidet sich der Vorsatz von dem Wunsch, welcher die Vorstellung künsti§er Veränderungen, aber nicht ie Vorstellung der Kausalität der gegenwärtig vorgenommenen
Handlung für dieselben in sich schließt. 8 Zusammenstellung der Synonima für Vorsatz bei Din ding Normen II Noten 669 u. 671.
110
Erst. Buch. IV. Das Derbr. als schuldh. rechtswidr. Handl.
Gesetzgebung hat dies nicht gethan/
Nur ausnahmsweise
hat sie das an sich selbstverständliche Merkmal der Rechts
widrigkeit in den besonderen Thatbestand einzelner Delikte ausgenommen und damit erklärt, daß die allgemeine Regel
des §. 59 StGB., nach welcher die Vorstellung alle Merk
male des besonderen Thatbestandes umfasien muß (vgl. unten V) ausnahmsweise
auch
auf das Moment
keit ausgedehnt werden solle?
der Rechtswidrig
Man vgl. StGB. §§. 123,
124, 239, 240, 291, 339, 353 a u. A.
Und zwar handelt
hier durchaus um solche Normen, deren als Regel
es sich
gedachte Herrschaft durch zahlreiche Ausnahmen durchbrochen wird,
so daß ein Zweifel darüber, ob ein konkreter Fall
unter die Regel oder unter eine der Ausnahmen zu subsu
mieren sei, leicht möglich ist und Berücksichtigung verdient. Abgesehen
von
diesen Ausnahmen ist das Bewußtsein
der Normwidrigkeit nur bei der Strafzumesiung von Be deutung.
Vorsatz liegt also vor nicht nur bei irriger Nicht-
subsumption
der That unter die Norm,
sondern auch
bei irriger Subsumption derselben unter eine Ausnahme
von der Norm (irriger Annahme eines Notstandes, der Not wehr, einer subjektiven Berechtigung usw.)? 4 Der von Binding Nor men IIS. 356—486 angetretene Gegenbeweis aus dem positiven Rechte ist m. E. mißlungen. Der Beweis auS dem allgemei nen Begriffe der Schuld aber fällt mit diesem. Theorie und Praxis schwanken. Ueber letztere vgl. Binding Normen II Note 724. Die richtige Ansicht vertritt RGR. 29. Januar 1880, R I 291, E I 88 (für StGB. §. 180); 17. März 1880, E I
272, RI 448 (für StGB. §. 137); (bedenklich RGR. 24. Oktober 1879, R I 16). Vgl. für die richtige Ansicht auch RGR. 9. Dezember 1879, R I 132. 6 Gerade diese Ausnahmen beweisen die Regel. Die Geg ner — auch B inding — müffen jene für geradezu sinnlos er klären. 6 A. A. Meyer Lehrbuch S. 242 und die daselbst Note 5
Der Vorsatz. §♦ 28.
111
Verschieden von dem Mangel deS Bewußtseins der Norm widrigkeit ist der sog. Berbrecherwahn, bei welchem der Verbrecher die Normwidrigkeit seines Thuns kennt,' aber vermeintlich höheren Pflichten gehorchend, sich bewußt über dieselbe hinwegsetzt (vgl. Militär-StGB. §. 48). Und das gerade Gegenstück zu dem mangelnden Bewußt sein der Normwidrigkeit bildet das Wahnverbrechen oder Putativdelikt, bei welchem der. Handelnde sich den Er folg seines Thuns richtig vorstellt, diesen aber irrig unter eine nicht existirende Norm subsumirt, oder unter eine gege bene Ausnahme von der Norm nicht subsumirt. Beispiel: irrige Annahme, daß scharfe Invektiven gegen einen Regenten des 16. Jahrhunderts Majestätsbeleidigung seien; irrige Nichtannahme eines Notstandes usw. Hier kann die fehlende Normwidrigkeit nicht durch die Vorstellung derselben ersetzt werden. III. Es genügt zum Begriffe des Vorsatzes daS Vor handensein der Vorstellung, daß die Handlung kausal sein werde; es ist nicht erforderlich, daß diese Vorstellung gerade treibendes Motiv gewesen, daß der Thäter um dieser Veränderungen willen die Handlung unternommen hat? Wir können die Vorstellung als treibendes Motiv Absicht nennen (2. Bedeutung dieses Wortes) und dem Vor sätze entgegenstellen. In der That wird in der Reichsgesetz gebung das LVort „Absicht" (selten) auch in diesem Sinne ge braucht (z. B. StGB. §. 225 u. A.). Es genügt ferner die Vorstellung der nächsten unmittelAngeführten. Gegen die im Text vertretene Ansicht scheint RGR. 28. Oktober 1879, R I 23 sich auszusprechen.
7 Anders die herrschende An sicht der Theoretiker. Für die im Texte vertretene Auffassung die Praxis.
112
Erst. Buch. IV. Das Verbr. alS schuldh. rechtswidr. Handl,
baren Folgen der Handlung; die entfernteren mittelbaren Folgen brauchen regelmäßig nicht vorgestellt zu werden. Die Vorstellung dieser entfernteren Folgen wird auch wohl Absicht8 9 genannt (3. Bedeutung des Wortes). Sie ist mittelbarer Vorsatz, also nicht notwendig treibendes Motiv. Wo ste von dem Gesetzgeber bei einzelnen Delikten zum Thatbestandsmerkmal (man denke an die Zueignungsabsicht beim Diebstahl; die Absicht, sich oder einem Dritten einen Dermögensvorteil zu verschaffen, beim Betrug usw.) oder zum straferhöhenden Umstande gemacht wird, geht sie in dem Vorsätze auf, d. h. es müssen einerseits in diesem Falle auch die weiteren Folgen vorgestellt sein, und es genügt andrer seits das Vorhandensein dieser Vorstellung. IV. Die Vorstellung von den durch die Handlung zu verursachenden Veränderungen und dieseBeränderungen selbst müssen sich decken; „nicht wie zwei kongruente Dreiecke" (Dinding), aber in allen wesentlichen Punkten. Decken sie sich in einem wesentlichen Punkte nicht, so liegt bezüglich dieses Punktes Vorsatz nicht vor. Irrtum9 bezüglich eines wesentlichen Punktes schließt also denVorsatz au§.10 Welche Punkte sind aber wesentliche in der den strafrechtlichen Vorsatz begleitenden Vorstellung? Ehe wir diese Frage beantworten, müssen wir die Vorfrage erledigen: auf welche Punkte muß sich überhaupt die Vorstellung erstrecken, um als individualisierte Vorstellung in. Betracht zu 8 Ueber die verschiedene Be deutung des Wortes Absicht vgl. auch Binding Normen I Note 873. 9 Lit. über den Einfluß des Irrtums bei Binding Grund-
riß S. 62. Vgl. auch Zitelmann Irrtum u. Rechtsgeschäft 1879. 10 Fahrlässigkeit kann jedoch gerade wegen deS Irrtums vor liegen.
Der Vorsatz, g. 28.
113
kommen? Die Vorstellung muß bestimmt sein nach Ob jekt und Mittel; genauer: sie muß sich durch Beziehung auf ein bestimmtes Rechtsgut bez. dessen Träger, auf die vorzunehmende körperliche Bewegung, und auf den Kausalzusammenhang zwischen dieser und dem vorge stellten Erfolge spezialisiert haben." Ich muß wissen, ob ich töten, stehlen ober brandstiften will, ehe von einem Borsatze die Rede sein kann; ich muß wissen, wen ich töten will und auf welche Weise. Diese Spezialisierung kann nun eine mehr oder weniger genaue sein; alle Menschen die aus diesem Brunnen trinken, der mir unbekannte anonyme Einsender einer mich beleidigenden Zeitungsannonce, der ebm des Weges daherkommende Wandersmann, die in dem zu erbrechenden Schranke befindlichen Gegenstände, sie alle sind genügend spezialisierte Objekte "meines Vorsatzes. Die Mi nimalgrenze der Spezialisierung, welche die Vorstellung erreicht haben muß, läßt sich durch allgemeine Regeln nicht fixieren; über diese Grenze hinaus kann die Vorstellung und mit ihr der Vorsatz mehr oder weniger bestimmt sein. Mit Rücksicht auf diesen möglichen Unterschied in der Spezialisierung der Vorstellung hat man Arten des Vor satzes unterscheiden wollen, sobald es sich um genügende aber nicht ganz genaue Vorstellung des Erfolges handelt. So den dolus generalis, wenn mehrere Erfolge, den dolus alternativus, wenn zwei Erfolge in gleicher Linie, den dolus eventualis, wenn in erster Linie der eine, in zweiter Linie der andere Erfolg vorgestellt waren; ihnen allen gegenüber den genau spezialisierten dolus determinatus. 11 Vgl. die interessanten Aus- I men II S. 412 ff. und Zitelsührungen bei Bind ing Nor- | mann S. 433 ff. (S. 524). von Liözt, Strafrecht.
8
114
Erst. Buch. VI. Das Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl.
Allein bei richtiger Auffassung des Vorsatzbegriffes sind alle diese Einteilungen wertlos oder gefährlich. Jeder der vor gestellten Erfolge ist vom Vorsatze erfaßt; der schwerste derselben daher, ob eingetreten oder nicht, für die strafrecht liche Beurteilung des Thäters maßgebend" (vgl. auch unten §. 32 IV 2). V. Und nun können wir zu der Beantwortung der oben aufgeworfenen Frage zurückkehren, die mit der eben erledigten durchaus, nicht identisch ist. Welche Punkte in der speziali sierten Vorstellung sind von solcher Wichtigkeit, daß Nicht übereinstimmung des Erfolges mit der Vorstellung die Zu rechnung zum Vorsatze ausschließt? 1. Die nächste Antwort giebt uns das positive Recht in §. 59 Abs. 1 StGB." Es bezeichnet als wesentlich „Thatumstände, welche zum gesetzlichen Thatbestände ge hören oder die Strafbarkeit erhöhen"; also That bestandsmerkmale und erschwerende Umstände. Aber nur die Merkmale des besonderen Thatbestandes, also jene Merk male, die den Begriff des einzelnen Verbrechens konstituiren, nicht die zum allgemeinen Thatbestände gehörenden, bei jedem Verbrechen wiederkehrenden Merkmale wie Zurech nungsfähigkeit, Schuld, Widerrechtlichkeit usw. Doch können auch Merkmale des allgemeinen Thatbestandes durch Aust nähme in den Verbrechensbegriff den besonderen Thatbestands11 Zu anderem Resultate ge langt Binding a. O. — Die Beweisfrage ist selbstverständlich mit der theoretischen Entschei dung nicht zu verwechseln. 13 Besondere Bestimmung im Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §. 18 Abs. 2: „Bestrafung
bleibt ausgeschlossen, wenn der Veranstalter des Nachdrucks auf Grund entschuldbaren, thatsäch lichen oder rechtlichen Irrtums in gutem Glauben gehandelt hat." Ebenso in den drei lh> Heber - Gesetzen vom 9., 10., 11. Januar 1876.
Der Vorsatz, tz. 28.
H5
Merkmalen gleichgestellt werden (vgl. das oben unter II bez. der Widerrechtlichkeit Gesagte). Es liegt also vorsätzlicher Diebstahl nicht vor, wenn ich die Eigenschaft der Sache als einer fremden; es liegt Ascendententodschlag nicht vor, wenn ich die Eigenschaft des Er schlagenen als meines Ascendenten nicht kannte. 2. Es kann aber ein Umstand auch dadurch zu einem wesentlichen werden, daß er, unter Ausschluß aller an deren korrespondierenden Umstände aus der Vor stellung, mit vollster Bestimmtheit in die spezialisierte Vor stellung ausgenommen wurde. Wenn der Erfolg daher bei einem ganz außerhalb der Vorstellung liegenden Objekte oder auf einem außerhalb derselben liegenden Wege (Kausalzusammenhang) oder end lich wenn an dem vorgestellten Objekte ein außerhalb der Vorstellung liegender Erfolg eingetreten ist:14 so kann der Erfolg nicht zum Borsatze zugerechnet werden. Aus dem Gesagten folgt, daß die Möglichkeit der Nicht übereinstimmung zwischen Vorstellung und Erfolg in wesent lichen Punkten mit der größeren Spezialisierung der Vor stellung im geraden Verhältniffe steht. Dabei kann eS der richtigen Ansicht nach keinen Unter schied machen, ob der Eintritt des Erfolges bei einem an deren als dem vorgestellten Objekte zurückzuführen ist auf äußere Umstände (sog. aberfatio ictus) oder auf einen Irrtum des Thäters über die Identität des Objektes (sog. error in objecto oder in persona). Es ist gleich unrichtig, die Zu rechnung zum Vorsatz bei der aberratio immer ausschließen.
14 Man vgl. mit dem Gesagten Bin ding Normen II S. 434.
116
Erst. Buch. IV. Das Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl,
als sie bei
dem
error in persona immer annehmen zu
wollen." VI. Die alten Einteilungen des Vorsatzes haben bis auf Eine heute nur mehr dogmengeschichtliches Jntereffe.
Der
dolus generalis, alternativus und eventualis wurden bereits besprochen.
Der dolus indirectus (Feuerbach's culpa
dolo determinata) ist kein Vorsatz, denn die Vorhersehbarkeit kann den nicht vorgestellten Erfolg auch dann nicht zu einem
vorgestellten machen,
wenn
Handlung veranlaßt wurde.
derselbe
durch
eine
strafbare
Und der dolus subsequons
widerspricht dem Satze (vgl. oben §. 27 III), daß im Augen blicke der That die Schuld, sei es als Vorsatz, sei es als
Fahrlässigkeit, vorhanden sein muß. Dagegen ist die Einteilung in überlegten und nicht
überlegten Vorsatz nicht nur psychologisch richtig, sondern auch strafrechtlich von Bedeutung.
Das RStGB. hat den
Gegensatz von Mord und Todschlag auf diesen Unterschied
gebaut,
und damit seine allgemeine Bedeutung wenigstens
für die Strafzumessung anerkannt.
Ueber!egter Vorsatz,
dolus pracmeditatus, liegt vor, wenn die auftauchende Vor
stellung von der Kausalität der vorgestellten Handlung nicht unmittelbar zur That führte,
sondern die kontrastierenden
Vorstellungen Gelegenheit hatten, zur Geltung zu gelangen;
nicht überlegter oder Affektvorsatz, dolus repentinus, wenn dies nicht der Fall war, sondern die auftauchende Vorstellung,
15 Wie dies die herrschende Ansicht thut. Lit. bei Meyer Lehrb. S. 165 f.. auch bei Zitelmann Note 410. Die rich tige Ansicht ist auf dem Gebiete des Civilrechtes die herrschende;
man vgl. z. B. Windscheid §. 76. Nebrigens ist die ganze Unterscheidung zwischen ab. i. und error in p. ohne Wert. Vgl. v. Bur i Kausalität S. 83.
Die Fahrlässigkeit,
g.,29.
117
alle kontrastierenden Vorstellungen gleichsam überrennend, so fort sich in That umsetzte. Dabei ist das „sofort" nicht
zeitlich, sondern nach der Einheitlichkeit der psychischen Vor gänge zu bestimmen.
§. 29. Die Fahrlässigkeit.'
I. Fahrlässigkeit, die zweite der beiden Schuldformen des heutigen Rechts, ist der Wille als Ursache einer von der Vorstellung ihrer Kausalität (vgl. oben §. 28 I) nicht begleiteten Handlung mit rechts widrigem Erfolge, wenn der Handelnde a) bei Vornahme der Handlung die von der Norm gebo tene und nach Lage der konkreten Umstände erfor derliche Sorgfalt (objektiver Maßstab) außer Acht gelassen hat, und wenn er b) den Erfolg hätte vyrhersehen, d. h. die Vorstellung von der Kau
salität seines Thuns hätte gewinnen können (sub jektiver Maßstab). 1. Die -strafrechtliche Fahrlässigkeit besteht nach diesem,
aus dem positiven Recht abgeleiteten, Begriffe nicht ledig lich in einer pflichtwidrigen Unachtsamkeit, in der Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt. Die Uebertretungen des §. 366 Ziff. 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 StGB, (z. B. Stehenlassen von Pferden auf öffentlichen Wegen
„mit Vernachlässigung der erforderlichen SicherheitSmaßregeln") sind keine fahrlässigen Delikte. Die pflichtwidrige
1 Lit. bei Dinding Grundriß S. 68. HR. „culpa“.
Dazu Geyer in
118
Erst. Buch. IV. Das Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl.
Unachtsamkeit
kommt
als' strafrechtliche Fahrlässigkeit nur
dann in Betracht/ wenn sie die Ursache eines weiteren rechts
widrigen Erfolges wurde, wmn also z. B. die vernachlässigten Pferde ausgerisien sind und ein Kind beschädigt haben.
Das
Maß der anzuwendenden Sorgfalt bestimmt sich dabei ledig
lich nach der objektiven Natur der vorgenommenen Hand lung, nicht aber nach dem Charakter des Handelnden.
2. Der eingetretene Erfolg muß ein für den unvorsichtig Handelnden vorhersehbarer gewesen sein.
Genauer:
es
muß dem Handelnden möglich gewesen sein, die Vorstellung von der Kausalität seines Thun's zu gewinnen.
Bei der
Beurteilung dieser Frage sind die geistigen Fähigkeiten des
Handelnden, sein größerer oder geringerer Scharfblick zu
Grunde zu
legen.
Also nicht unachtsames Verhalten mit
rechtswidrigem Erfolg, sondern solches Verhalten mit indi
viduell vorhersehbarem rechtswidrigem Erfolge bildet das Wesen der Fahrlässigkeit im heutigen Rechte.
3. Immer aber muß das fahrlässige Delikt Handlung (mit Einschluß der sog. Unterlassungen; vgl. oben §. 21) d. h.
willkürliche körperliche Bewegung sein, zurückgeführt werden können auf den Willen, als den die motorischen Nerven unmittelbar erregenden psychischen Akt.
Nur ist zu beachten,
daß gerade bei dein fahrlässigen Delikte die Handlung (im
engeren Sinne) und der Erfolg zeitlich und räumlich weit ab von einander liegen können; z. B. der in Belgien 1879
erzeugte und nach Berlin verkaufte Dampfkessel explodiert daselbst im Jahre 1881 in Folge schleuderhafter Konstruktion der Sicherheitsventile.
Für die Frage nach der Schuld des
Thäters ist hier wie immer (oben §. 27 III) der Augenblick der körperlichen Bewegung maßgebend; Zeit und Ort der
Begehung des Deliktes richtet sich nach den allgemeinen
Die Fahrlässigkeit. §♦ 29.
119
Regeln (vgl. oben §. 19 IV), so daß in unserem Beispiele das Delikt in Berlin und in dem Augenblicke begangen ist, in welchem der Dampsteffel in der Fabrik zu funktionieren beginnt; die Vollendung des Verbrechens endlich be stimmt sich nach dem Eintritte deS rechtswidrigen Erfolges. Ueber die Beteiligung Mehrerer an demselben fahrlässigen Delikte ist das oben §.r20 III über den Kausalzusammen hang und das unten §. 35 II 1 über die Teilnahme Ge sagte zu vergleichen. II. Die Fahrlässigkeit beruht auf einem Irrtume über die Kausalität der Handlung; die Vorstellung von dem Erfolge und der Erfolg selbst decken sich in einem wesent lichen Punkte nicht. Insofern bildet die Fahrlässigkeit das Gegenbild - des Vorsatzes; und von der Entscheidung der Frage, welche Punkte in dem Inhalte der Vorstellung als wesentliche zu betrachten seien (vgl. oben §. 28 V) wird die Grenzbestimmung zwischen dem Gebiete des Vorsatzes und jenem der.Fahrlässigkeit abhängen. Aber diese ist nicht das reine Gegenbild des Vorsatzes; nicht jeder, sondern nur der (kurz gesagt) verschuldete Irrtum ist Fahrlässigkeit. Nicht mehr will der gänzlich überflüssige und darum ver wirrende 2. Absatz des §. 59 StGB, sagen. III. Alle Normen sind an sich der fahrlässigen Uebertretung fähig. Aber nicht jede fahrlässige Normübertretung wird von dem positiven Rechte mit Strafe belegt. Es bildet im Gegenteile nach Reichsrecht die Bestrafung fahrlässiger Delikte eine Ausnahme, die nur dann als gegeben anzu nehmen ist, wenn der Wille, auch die fahrlässige Uebertretung zu bestrafen, ausdrücklich im Gesetze ausgesprochen oder aus dem Zusammenhänge der gesetzlichen Bestimmungen mit Sicherheit zu entnehmen ist. Ausdrücklich droht daS Gesetz
120
Erst. Buch. IV. Das Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl.
Strafe
auch
der
fahrlässigen
Begehung
in
folgenden
Fällen:
StGB. § 186
üble
Nachrede;
Tötung und Körperverletzung;
§§. 222 und
§§. 121
230
und 347 Ent-
weichenlasien von Gefangenen; 163 Falscheid; 259 Par
tiererei (vgl. unten IV a. E.); 309, 311, 314, 316, 318,
326, 329 gemeingefährliche Delikte; 345 Vollstreckung einer nicht zu vollstreckenden Strafe.
Nebengesetze: die Urhebergesetze vom 11. Juni 1870
§§. 18, 20, 24; 9. Januar 1876 §. 16, 10. Januar 1876
§. 9, 11. Januar 1876 §. 14; 27. Dezember 1872
Seemannsordnung vom
§§. 94 und 97;
Preßgesetz
vom
7. Mai 1874 §. 21 ;1 2 Gesetz betreffend Beseitigung von
Ansteckungsstoffen bei Viehbeförderung vom 25. Februar
1876 §. 5 (interessant für den Begriff der Fahrlässigkeit); Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 §§. 11 und 14;
Gesetz betreffend Zuwiderhandlungen gegen die zur Ab
wehr der Rinderpest erlassenen Vieheinfuhrverbote
vom
21. Mai 1878 §§. 3 u. 4 (das Jmpfges. v. 8. April 1874 §. 17 gehört nur scheinbar hieher). IV.
Grade der Fahrlässigkeit.
Das positive Recht
hat in zwei Fällen die Fahrlässigkeit als eine qualifizierte
behandelt,
wenn der Thäter zu der von ihm außer Acht
gelassenen Sorgfalt „vermöge seines Amtes, Berufes oder
Gewerbes besonders verpflichtet war" (StGB. §§. 222 und
230 Tötung und Körperverletzung). Bon dieser besonderen Anordnung des Gesetzes abgesehen,
sind zwei Stufen der Strafbarkeit innerhalb der Fahrlässig
keit zu unterscheiden: 1 Daß es sich hier um den I lassigkeit handelt, s. bei Liszt gewöhnlichen Begriff der Fahr- | Preßrecht §. 51 f.
1. Der Thäter hatte die (irrige) Borstellung, daß die Handlung nicht kausal sein werde; der leichtere Fall. 2. Der Thäter hat (blind drauf los) gehandelt, ohne überhaupt zu irgend einer Vorstellung über die Kausalität seines Thuns zu gelangen; der schwerere Fall (die luxuria des römischen Rechts, vgl. Windscheid §. 101 Note 10). Diese Einteilung fällt mit der durchaus unhaltbaren herrschenden Einteilung in bewußte und unbewußte Fahr lässigkeit (die auf einer ganz abweichenden Fassung des Begriffes der Fahrlässigkeit beruht) nicht zusammen. Endlich muß noch auf die ganz singuläre Bestimmung in §. 259 StGB, aufmerksam gemacht werden, nach welcher Partiererei auch dann anzunehmen ist, wenn der Thäler zwar nicht wußte, aber den Umständen nach annehmen mußte, daß die von ihm verheimlichte usw. Sache durch eine straf bare Handlung erlangt sei. Es liegt hier ein besonderer Fall der Fahrlässigkeit Dor;4 nicht besonders schwere Fahr lässigkeit : 4 denn immer liegt das Wesen derselben in dem mangelnden und doch durch die Umstände nahegelegten Be wußtsein der Kausalität; sondern ein speziell hervorge hobener Fall der Fahrlässigkeit, so daß jede andere fahr lässige Herbeiführung desselben Erfolges4 nicht gestraft werden kann. 8 Lit. bei Meyer S. 174 Note 17. * So auch RGR. 28. April 1880, R I 691. 6 DieS die Ansicht des RGR. in der eben cit. E., welche die Bestimmung nicht auf culpa
schlechthin, sondern auf culpa lata bezieht. 6 Z. B. der Thäter merkt nicht, daß seine Handlung ein Verheimlichen der betreffenden Sachen in sich schließt.
Erstes Buch. V. Das Verbr. als strafbares Delikt.
122
V. Das Verbrechen als das mit Strafe bedrohte Delikt. §. 30.
Die Ledingungen der Strafbarkeit im Allgemeinen. I. Nicht jede schuldhafte normwidrige Handlung, jedes Delikt ist Verbrechen (vgl. oben §. 17 IV).
nicht
In vielen,
wenn auch lange nicht in allen Fällen, müssen außer dem
Vorliegen der Normübertretung noch andere Voraussetzungen gegeben sehr,
Eine Reihe
damit die Strafbarkeit des Thuns eintritt.
von Fällen,
die sich leicht verdreifachen
wurde bereits in der Einleitung §. 4 I
läßt,
erwähnt, andere
werden wir int besonderen Teile zur Genüge kennen lernen. Man spricht hier positiv von Bedingungen der Straf
oder wenn man negativ das Fehlen dieser Be
barkeit,
dingungen bezeichnen
gründen.
So
will,
von Strafausschließungs
kann man
das Fehlen des Antrages bei
den Antragsdelikten,
die nicht erfolgte Auflösung der Ehe
bei den Verbrechen
der §§. 170, 172, 238 StGB.,
den
Mangel der verbürgten Gegenseitigkeit in den Fällen der §§. 102
und
103 StGB. usw.
gründe bezeichnen.
als
Strafausschließungs
Doch ist dabei zu beachten: einmal, daß
dieser Ausdruck nicht
immer
in der in dem vorliegenden
Lehrbuche festgehaltenen engeren Bedeutung gebraucht wird; und ferner, daß eine Verwechselung dieser objektiven die
That ergreifenden Strafausschließungsgründe mit den unter III 3 zu besprechenden subjektiven Strafausschließungen nahe
liegt.
Daher verdient der Ausdruck:
Strafbarkeit" den Vorzug.
„Bedingungen der
Die Bedingungen d. Strafbarkeit im Allgemeinen,
tz. 30.
123
II. Fehlt eine der Bedingungen der Strafbarkeit, so kann wohl ein Delikt, nicht
aus
aber ein Verbrechen vorliegen.
nie
dem Delikte
Der
sondern aus dem Verbrechen dem
Staate gegen den Verbrecher erwachsende Strafanspruch entsteht nicht, wenn und so lange die Bedingungen seines
Entstehens nicht gegeben sind.
gestellt,
ist
So lange der Antrag nicht
das sogenannte Antragsdelikt nicht Verbrechen.
Eben darum kann auch vor Eintritt der Bedingung (z. B.
der rechtskräftigen Scheidung der Ehe im Falle des §. 172 StGB.) weder die Verfolgung eingeleitet, noch auch nur der Antrag auf
derselben
Einleitung
mit
rechtlicher
Wirkung
gestellt werden. RGR. 3. Januar 1880, E I 44, R I 180; 23. März 1880, R I 505, E II 62. dem Beispiele
Ebenso ist — um bei
zu bleiben — Begünstigung des Ehebruches
nur strafbar, wenn die Scheidung der Ehe erfolgt; der Vor
eines
wurf falsche
nur
Ehebruchs
Anschuldigung
unter der gleichen Bedingung
im Sinne
des §. 164 StGB. usw.
Wenn aber die Bedingung eintritt, dann wird ihre Wirkung
zurückbezogen auf den Zeitpunkt der Begehung der deliktischen Handlung; die nachträglich eingetretene Bedingung wirkt nicht ex nunc sondern ex tune, der Anspruch gilt als entstanden in dem Augenblicke der
begangenen Handlung.
Tritt
die
Bedingung dagegen nicht ein, so liegt ein Verbrechen über haupt nicht vor.
An einer solchen normwidrigen, aber nicht
strafbaren Handlung (Dgl
unten
Maßregeln,
ist
§. 35 II 3); die
eine
strafbare Teilnahme nicht möglich und
„strafbare
ebenso
sind alle objektiven
Handlung"
setzung haben, ausgeschloffen?
Vgl. Liszt Reichspreßrecht §. 55.
zur Voraus
124
Erstes Buch. V. Das Verbr. als strafbares Delikt.
HI. Eben darum sind nach Begriff und Wirkung strenge
von den Bedingungen der Strafbarkeit zu scheiden: 1. Die Strafaufhebungsgründe, durch welche die
bereits eingetretene Strafbarkeit nachträglich
Strafanspruch
bereits entstandene
wieder
beseitigt, der
vernichtet
wird
(vgl. darüber unten §. 57 I). 2. Die der prozessualen Geltendmachung des An spruches in ihrem Beginn oder in ihrer Durchführung im
Wege
stehenden
Hindernisse.
Die
genauere
Abgrenzung
dieser Fälle von den Strafausschließungs- und den Straf
aufhebungsgründen ist bisher von Wissenschaft und Gesetz gebung arg vernachlässigt worden.
das Strafprozeßrecht.
Das Nähere gehört in
Hier sei nur erwähnt, daß außer der
Flucht des Thäters oder einer nach begangener That ein tretenden Störung seiner Zurechnungsfähigkeit insbesondere der Fall der sogenannten Ermächtigungsdelikte (StGB.
§§. 99, 101, 197),
„Ermächtigung"
bei welchen
der beleidigten
die Verfolgung
von
der
Person oder Körperschaft
abhängig gemacht ist, in die Gruppe: Hindernisse der Straf verfolgung zu stellen ist.
Auffassung
sind
„Ermächtigung".
Die wichtigsten Konsequenzen dieser
Teilbarkeit und Nicht-Rücknehmbarkcit der Das Gleiche gilt von der Zugehörigkeit
des Thäters zu einer gesetzgebenden Versammlung,- einer
landesherrlichen Familie usw. 3. Und endlich sind von den Bedingungen der Straf barkeit oder den eigentlichen (objektiven) Strafausschließungs
gründen jene Fälle zu unterscheiden, in welchen der Gesetz geber nicht die Strafbarkeit der That,
wol aber die dcS
Schuldigen abhängig macht von dem Nichtvorliegen gewisser -) Art. 31 RVerf., Einf.Ges. zur StPO. §. 6.
Der Antrag des Verletzten insbesondere. §• 3L
125
Umstände. So bleiben nach StGB. §. 173 (Blutschande) Verwandte und Verschwägerte straflos, wenn sie das 18. Le bensjahr nicht erreicht haben; so ist die persönliche Begün stigung nach §. 257 StGB, straflos, wenn sie dem Thäteroder Teilnehmer von einem Angehörigen gewährt worden ist; das Gleiche gilt von dem Diebstahl und Unterschlagung, die von Ascendenten an Descendenten oder zwischen Ehe gatten begangen werden (StGB. §. 247) usw. Ich werde diese Umstände, in Ermangelung eines befferen Ausdruckes, subjektive Strafausschließungsgründe nennen. Sie berühren — und das ist das Wesentliche — die Strafbar keit der That an sich nicht, schließen daher die Strafbarkeit der Teilnehmer trotz der Straflosigkeit des HauptthäterS nicht aus.
§. 31. Der Antrag des verletzten insbesondere.* L In einer rapid anschwellenden Zahl von Fällen hat die moderne Gesetzgebung die Strafverfolgung von dem An trag deS Verletzten abhängig gemacht. Es bewahrheitete sich der alte Erfahrungssatz, daß gerade die unklarsten, un ausgedachtesten gesetzgeberischen Gedanken die meiste Aussicht auf allgemeinen Beifall haben. Hat auch die Novelle vom 26. Februar 1876 mit den gröbsten Mißständen aufgeräumt (vgl. oben §. 8 V), so bleibt doch eine gründliche Revision der ganzen Lehre von den Antragsdelikten durch die Reichs gesetzgebung ein dringendes Bedürfnis. Die Antragsfälle des RStGB.'s sind: §§. 102, 103, 1 Die (wenig fördernde) Lit. I Dazu Med em GS. XXIX, bei Dinding Grundriß S. 51. | Samuely GS. XXXII.
Erstes Buch. V. Das Verbr. als strafbares Delikt.
126
104 (stafbare Handlungen gegen befreundete Staaten), 170, 172, 179, 182
(Eheerschleichung,
Ehebruch, Erschleichung
des Beischlafs, Verführung eines jungen Mädchens), 189,
194—196, 232 (Beleidigung
und
Körperverletzung),
236,
237 (Entführung), 247, 263 (Diebstahl, Unterschlagung, Be trug gegen Angehörige), 288, 289, 292, 293, 299, 300—
303 (Fälle „strafbaren Eigennutzes" und Sachbeschädigung), 370 Ziff. 5 u. 6 (Genußmittel- und Futterdiebstahl).
Dazu kommen noch einzelne Fälle in den Nebengesetzen; so im Preßgesetz vom 7. Mai 1874 §. 19 Ziff. 3; Nach
drucksgesetze vom 11. Juni 1870 §. 27, (ebenso in den Ge setzen vom 9., 10., 11. Januar 1876); §. 14 Markenschutz
gesetz v. 30. November 1874; §. 34 Patentgesetz v. 25. Mai
1877; Seemannsordnung
vom 27. Dezember 1872 §. 81
und 84.
II. Bei genauerer Betrachtung müßten die Antragsdelikte
in zwei, nach Inhalt und Behandlung wesentlich von ein ander verschiedene Gruppen zerlegt werden.
1.
Gewisse Rechtsgüterverletzungen erscheinen nur dann
als solche, sind nur dann für die öffentliche Rechtsordnung von Bedeutung, wenn der Verletzte sie als Verletzung em pfindet, und, daß er dies thut, in vorgeschriebener bestimmter
Form (durch den „Antrag" auf Verfolgung) erklärt.
unzüchtige Berührung
Die
eines Mädchens kann von der Be
rührten als Liebkosung oder als tiefste Entehrung empfunden werden.
Hier ist die Stellung des Antrages Bedingung
der Strafbarkeit; die Befristung des Antrages
hat guten
Grund; die Rücknahme müßte (etwa bis zu Beginn der Hauptverhandlung)
gestattet,
die Teilbarkeit
ausgeschlossen
sein, Fehlen des Antrages müßte Freisprechung mit definitiver
Erledigung der Strafsache zur Folge haben; die Berech-
Der Antrag deS Verletzten insbesondere, g. 31.
127
tigungen mehrerer Verletzten wären als von einander unab hängig zu betrachten, bei Jdealkonkurrenz (vgl. unten §. 40III) mit einem von Amtswegen zn verfolgenden Verbrechen könnte dieses auch bei mangelndem Anträge verfolgt werden usw. 2. Bei der weitaus größeren Gruppe der Antragsfälle liegt, die Sache durchaus anders. Man denke an die Not zucht, die bis zur Novelle von 1876 Antragsdelikt war. Hier ist das Interesse des Staates an der Verfolgung vom Anfänge an gegeben; aber ihm steht das Interesse des Ver letzten an der Nichtverfolgung (da die Untersuchung und Ver handlung der Sache für ihn nur eine neue und vielleicht die erste an Schwere übertreffende Verletzung wäre) schroff ge genüber. Und der Staat verzichtet dem Verletzten zu Liebe auf die Geltendmachung seines Strafanspruches, so lange der Verletzte nicht durch die Stellung des „Antrages" er klärt, daß das bei ihm vom Staate vorausgesetzte Interesse im Einzelfalle nicht vorliege. Hier ist der Antrag nicht Be dingung der Strafbarkeit der That, sondern Voraussetzung der prozessualen Geltendmachung des staatlichen StrafansprucheS; sein Mangel nicht Strafausschließungsgrund, son dern Hindernis der Strafverfolgung in dem oben §. 30 III 3 besprochenen Sinne; und die ganze Lehre von diesen Antragsdelikten würde gar nicht ins Strafrecht, sondern in daS Strafprozeßrecht gehören. Die verschiedene prinzipielle Auffassung würde dann auch bezüglich der oben unter 1 be sprochenen Konsequenzen in weitaus den meisten Punkten zu ganz anderen Resultaten führen. Der Gegensatz kann hier nicht weiter verfolgt werden, da er im positiven Recht keine Anerkennung gefunden hat. Eben darum ist aber auch die systematische Stellung, die in dem Lehrbuche den Antragsdelikten gegeben wurde (ebenso
Erstes Buch. V. Das Verbr. als strafbares Delikt,
128
wie jede andere Stellung derselben) eine nur teilweise rich tige.
Unhaltbar
aber ist
in dieser Allgemeinheit die vom
RGR. 17. April 1880, R I 615 ausgesprochene Ansicht, nach welcher
der
Strafantrag
zum
nicht
Thatbestände
gehöre,
sondern Voraussetzung der Verfolgung sei. III. Positivrechtliche Behandlung der Antragsdelikte.
1. Berechtigt zur Antragsstellung ist a) Derjenige, dem der Gesetzgeber in gewissen Fällen
ausdrücklich diese Berechtigung zumeist;
StGB. §§. 102 Nr. 3, 104,
vgl.
170, 182, 189, 196,
288 usw.; §. 28 Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870. b) In Ermangelung besonderer Anordnung der durch das Verbrechen Verletzte, genauer gesprochen: der Träger deS durch die strafbare Handlung unmittelbar8* * ange
griffenen Rechtsgutes; so der Eigentümer bei der Sach beschädigung, der Inhaber der befriedeten Räume beim
Hausfriedensbruch usw.
Doch muß her Verletzte, um
antragsberechtigt zu sein,
das 18. Lebensjahr zurück
gelegt haben (StGB. §. 65 Abs. 1). c) Der gesetzliche Vertreter statt des Verletzten, wenn
dieser noch nicht 18 Jahre alt, geisteskrank oder taub stumm, oder aber eine Kollektivpersönlichkeit ist (StGB.
§. 65 Abs. 2 u. 3; vgl. mit StPO. §. 414).
d) Neben dem Verletzten der gesetzliche Vertreter/ wenn Ersterer über 18 Jahre alt aber noch minder jährig
ist
(StGB. §. 65 Abs. 2),
Vater nach
§. 195 (232),
der
der Gatte und
amtlich
Vorge
setzte nach tz. 196 (232).
' Vgl. RGR. 16. April 1880, E I 370, R I 607. 8 Nach dem Civilrecht zu be
stimmen, vgl. die in Anm. 2 angef. E des RGR. bezual. der Stellung der unehelichen Mutter.
Der Antrag des Verletzten insbesondere. K. 31.
129
Die Stellung des Antrages kann auch durch einen Spezialbevollmächtigten erfolgen; aber auch Generalvoll macht ist als genügend zu betrachten, wenn und soweit im ein zelnen Falle angenommen werden kann, daß die Stellung des Antrages dem Willen des Berechtigten entspricht; und insbe sondere gilt dies von strafbaren Eingriffen in vermögensrecht liche Interessen, mit deren Wahrung der Bevollmächtigte betraut ist RGR. 20. April 1880, E I 387, R I 620. Ja selbst ein Nichtbevollmächtigter wird zur Antragstellung zuzulaffen sein, wenn stillschweigender Auftrag oder Einver ständnis des Verletzten angenommen werden kann RGR. 17. Dezember 1879, R I 163. Mehrere Antragsberechtigungen, mögen diese mehreren Verletzten oder aber dem Verletzten und den Nebenberechtigten zukommen, sind von einander unabhängig (StGB. §. 62; vgl. mit StPO. §. 415). 2. Das Antragsrecht ist befristet. Es erlischt (StGB. §. 61), wenn der zum Anträge Berechtigte es unterläßt, den Antrag binnen drei Monaten zu stellen. Die Frist beginnt mit dem Tage, seit welchem der zum Anträge Berechtigte von der Handlung und von der Person des Thäters Kenntnis gehabt hat. Ebenso nach §. 35 Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870. Die Frist ist demnach, wenn die Kenntnis z. B. am 12. Februar erlangt worden, mit Beginn des 12; Mai be reits abgelaufen (RGR. 22. Dezember 1879, E I 40). Ist die Strafbarkeit der That von einer zu ihrer Normwidrig keit hinzutretenden Bedingung abhängig, so beginnt die An tragsfrist erst mit beni Eintritte der Bedingung zu laufen, vgl. oben §. 30 II. Eine wesentliche Veränderung erleidet diese Frist in dem Falle wechselseitiger Beleidigungen und Körperverletzungen von LiSzt, Strafrecht. 9
130
Erstes Buch. V. Das Verbr. als strafbares Delikt.
(StGB. §§. 198 und 232; StPO. §. 426) indem hier der
Geklagte einerseits bei Verlust seines Rechtes verpflichtet ist,
den Antrag auf Bestrafung spätestens bis zur Beendigung der Schlußvorträge in erster Instanz zu stellen, hiezu aber auch dann berechtigt bleibt, wenn zu jenem Zeitpunkte die
dreimonatliche Frist bereits abgelaufen ist.
Eine besondere
Bestimmung der Frist findet sich in §. 84 der Seemanns
ordnung vom 27. Dezember 1872 (bis zur Abmusterung). Neben der Rügefrist läuft die Verjährung des Verbrechens
durchaus selbständig (vgl. unten §. 58). 3.
Der Antrag ist unteilbar.
Die Verfolgung findet
nach StGB. §. 63 gegen sämmtliche an der Handlung Be
teiligte
(Thäter
und
Teilnehmer)
sowie
gegen
den Be
günstiger statt, auch wenn nur gegen eine dieser Personen
auf Bestrafung angetragen ist; und die Rücknahme des An trags gegen den Einen hat Einstellung des Verfahrens über
haupt zur Folge.
Dasselbe muß aber auch von dem Ver
schweigen der Antragsfrist gegen Einen der Schuldigen gelten
(entgegengesetzt RGR. 17. April 1880, R I 615).
Aus
nahmsweise ist die Teilbarkeit des Antrages ausgesprochen
in den §§. 247 und 289 StGB.; eine Ausnahme, die auf die §§. 263, 292, 303 nicht ausgedehnt werden darf.
4.
Die Zurücknahme des Antrages ist seit der No
velle vom 26. Februar 1876 nur mehr in den gesetzlich be sonders vorgesehenen Fällen und nur bis zur Verkündigung eines ans Strafe lautenden Urteils zulässig (StGB. §. 64).
Diese besonders vorgesehenen Fälle sind: StGB. §§. 102-104, 194, 232, 247, 263, 292, 303,
370; Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §. 27.
Die Zurücknahme der Privatklage hat mit der des An trages nichts zu thun (vgl. StPO. §. 431).
Entwicklung des Versuchsbegriffes,
5.
tz. 32.
131
Der Antrag muß die Absicht, die Verfolgung herbei
zuführen, bestimmt zum Ausdrucke bringen?
Verzicht auf
den Antrag ist juristisch ohne BedeutungWiderruf der Rücknahme des gestellten Antrages unzulässig.
Der Antrag
ergreift * die Klagthalsachen, nicht aber ihre juristische Qua lifikation.
VI.
Vollendung und Versuch des Verbrechens. §. 32.
Üegriffliche Entwicklung? 1.
1. DaS Delikt ist vollendet, sobald jener Zustand
herbeigeführt, bez. vereitelt ist, den herbeizuführen die Norm verbietet bez. gebietet, also mit dem Uebertretensein der
Norm. 2.
Von der Vollendung des Deliktes
haben wir die
Vollendung des Verbrechens zu unterscheiden.
Das Ver
brechen ist vollendet mit der Herbeiführung desjenigen norm
widrigen Zustandes, an desien Vorliegen (als Thatbestand) der Gesetzgeber den Eintritt der Strafe (als Rechtsfolge)
geknüpft hat.
Deckt sich jener Thatbestand mit dem Inhalte
der Norm, dann fallen Vollendung des Deliktes und Voll
endung des Verbrechens in denselben Zeitpunkt. sich nicht,
ander.
Decken sie
so fallen auch beide Vollendungspunkte ausein
So kann insbesondere der Gesetzgeber den Eintritt
4 Ueber die Form vgl. StPO. §. 156. 6 ROHG. vom 13. Oktober 1876.
1 Lit. bei Binding Grund riß S. 73. Dazu Cohn Zur Lehre vom versuchten und un vollendeten Verbrechen I 1880.
Erstes Buch. VI. Vollendung u. Versuch des Verbrechens,
132
der Strafe an einen der Vollendung des Deliktes vorher
gehenden Zeitpunkt knüpfen.
Er thut dies in zahlreichen
Fällen: das Delikt der Münzfälschung wäre vollendet mit
dem Jn-Verkehr-Bringen der falschen Münzen; das Ver
brechen der Münzfälschung ist nach §. 146 StGB, schon
mit dem Fälschen der Münze vollendet.
Andere Beispiele
bieten StGB. §§. 131, 229, 234, 253, 258, 298 ff.
Vgl.
auch die unten §. 33 III 2 zusammengestellten Fälle.
Um
gekehrt liegt scheinbar die Sache in allen Fällen, in welchen
zur Normübertretung weitere Bedingungen hinzutreten müssen,
um die Strafbarkeit herbeizuführen (vgl. oben §. 30).
So
beim Ehebruch die Scheidung der Ehe und der Antrag des verletzten Ehegatten.
Allein hier fallen Vollendung des De
liktes und Vollendung des Verbrechens nur scheinbar aus einander: denn bei Eintritt der Bedingung ist die Straf
barkeit ex tune und nicht ex nunc begründet (oben §. 30 II).
3.
aus
Aus der verschiedenen Stellung der Norm und des
ihr
geblldeten Verbrechen-Thatbestandes
zu dem
zu
schützenden Rechtsgute (oben §. 3 II) folgt, daß Vollendung der Rechtsgüterverletzung
weder mit der Vollendung
des Deliktes noch mit jener des Verbrechens zusammenzu
fallen braucht.
Es genügt, auf diesen vielfach übersehenen
Gegensatz aufmerksam zu machen.
Wir werden, wenn daS
Gegenteil nicht ausdrücklich bemerkt ist, im folgenden nur
daS Verbrechen in seiner Vollendung oder Nicht-Vollendung ins Auge fasten.
II. Um zu dem Begriffe des Versuches zu gelangen, be
trachten wir, im Anschlüsse an das oben §. 19 II Gesagte,
die einzelnen Stadien der erweiterten Handlungsreihe und die sich dabei ergebenden Komplikationen.
Entwicklung des Versuchsbegriffes.K. 32.
133
Wir können folgende Fälle unterscheiden:2 a) die körperliche Bewegung hat begonnen, ist aber noch nicht abgeschloffen; ich bin im Begriffe, den nach NewAork bestimmten beleidigenden Brief in den Briefkasten zu werfen; ich habe die das Beil führende Hand zum Schlage erhoben usw. b) die Bewegung ist beendet, der Kausalismus, dem sie den Anstoß gegeben, ist im Laufen begriffen: mein Brief ist auf dem Postdampfer unterwegs nach Amerika; der zu fällende Baum hat den letzten Schlag erhalten und be ginnt langsam zu sinken. c) Die Kausalreihe ist abgelaufen, ohne daS vorgestellte Objekt zu treffen: der Postdampfer ist mit der ganzen Ladung gescheitert, der Baum ist gestürzt, aber hart neben dem auf dem Rasen schlafenden B. d) Die Kausalreihe hat ablaufend das Objekt erreicht, aber noch ist der vorgestellte Erfolg nicht eingetreten: mein Brief liegt im Hause des Adressaten, der auf einige Tage verreist, erst in mehreren Stunden eintreffen soll: der schla fende B ist getroffen, rötlich verletzt, aber er lebt noch. e) Der Erfolg, hier die Rechtsgüterverletzung — Belei digung, Tötung — ist ««getreten: Zeitpunkt der Voll endung. Die Vollendung des Verbrechens kann unterbleiben: ad a, wenn die Bewegung gehemmt wird; ad b, wenn die 2 Der Einfachheit wegen habe ich Beispiele gewählt, bei wel chen Vollendung des Verbrechens und Vollendung der Rechtsgüterperletzung sich decken. Es bedarf aber wohl nur eines Hin blickes auf den unten §. 36 I
erörterten Begriff der fingierten Thäterschaft, um sich zu überS, daß bei jedem Deri unter Umständen diese Stadien auseinanderfallen kön nen.
Erstes Buch. VI. Vollendung u. Versuch des Verbrechens.
134
Kausalitätsreihe gar nicht ihr Objekt trifft; ad d, wenn der
Erfolg nicht eintritt.
Die Vollendung ist (definitiv) unter
blieben im Falle c. Will man diese Fälle durch besondere Benennungen aus einanderhalten, so kann man
1. von fehlgeschlagenen Verbrechen sprechen, wenn
die auf den Erfolg gerichtete Handlung erfolglos vollzogen ist.
Hieher gehört dann Fall c, in welchen Fall b über
gehen kann; sowie Fall d bei Ausbleiben des Erfolges.
2.
Von suspendiertem Erfolge, wenn der Erfolg
sicher, aber noch nicht eingetreten ist; Fall d kann diese Ge stalt annehmen.
3.
Von beendetem Versuche,
Bewegung
abgeschlofien ist,
Möglichkeit hat,
den
wenn die körperliche
der Handelnde aber noch die
Eintritt des
Erfolges abzuwenden,
Fall b und d, nicht aber a und e gehören möglicherweise
hieher. 4. Von nichtbeendetem Versuche, wenn die körper
liche Bewegung selbst nicht abgeschlossen ist: Fall a.3 III. Während die außerdeutsche Wissenschaft sehlgeschla-
gcnes und versuchtes Verbrechen mit Recht strenge von ein ander scheidet, zwingt uns der Stand der deutschen Gesetz
gebung, beide unter einen gemeinsamen Begriff zu bringen. Demnach nennen wir Versuch jede aus Herbeiführung des Erfolges gerichtete, diesen aber nicht herbei führende Handlung.
In dieser Definition bedeutet Er
folg: den Thatbestand, an welchen der Eintritt der Strafe
geknüpft ist; Richtung auf den Erfolg: den Vorsatz deS
3 Die Terminologie ist eine sehr schwankende; wichtig ist es nur, die verschiedene Struktur
der einzelnen Fälle im Auge zu behalten.
ThäterZ (oben §. 28 I), also dessen (irrige) Vorstellung von der Kausalität seines Thuns. Ueber die scheinbare Ein schränkung dieses Begriffes im positiven Recht vgl. unten §. 33 IV. Die Strafbarkeit des Versuches, d. h. die Berechtigung des Staates ihn mit Strafe zu belegen, folgt auS seiner Normwidrigkeit (oben §. 3 III 3) verbunden mit dem Vor liegen der schwereren Schuldart, des Vorsatzes. Es bedarf keiner besonderen Norm, wohl aber (selbstverständlich) eines besonderen Strafgesetzes, um den Versuch strafen zu können. IV. Der Versuch beruht immer auf einem Irrtum des Thäters über die Kausalität seines Thuns. Sein Thun war begleitet von der Vorstellung, daß die Hand lung gewisse Veränderungen in der Außenwelt Hervorrufen, daß sie einen bestimmten normwidriges Erfolg verursachen werde. Aber die Handlung verursacht den vorgestellten Erfolg nicht; Erfolg und Vorstellung des Er folges decken sich in einem wesentlichen Punkte nicht. Die Beziehung des Versuches zur Fahrlässigkeit ist somit eine unläugbare: hier Zurechnung des eingetretenen nicht vor gestellten Erfolges; dort Zurechnung des vorgestellten nicht eingetretenen Erfolges. AuS dem Gesagten folgt: 1. daß wohl Versuch eines vorsätzlichen, nicht aber Versuch eines fahrlässigen Verbrechens möglich ist, da dieses begrifflich mangelnde Vorstellung der Kausalität des ThunS erfordert; sowie ferner, daß der Versuch selbst weder ein vorsätzlicher noch ein fahrlässiger sein sann, da er ein von beiden Begriffen verschiedenes Verhältnis von Erfolg und Vorstellung voraussetzt; und endlich, daß die Möglichkeit eines Versuches jener qualifizierten Verbrechensfälle ausge-
Erstes Buch. VI. Vollendung u. Versuch des Verbrechens,
136
schlossen ist, bei welchen (vgl. unten §. 54 I 3) die objektive
wenn auch nicht verschuldete (oben §. 27 II) Thatsache des Eintrittes eines bestimmten schwereren Erfolges zum Straf
schärfungsgrund gemacht ist. 2.
Daß auch bei generellem Vorsatze Versuch möglich
ist;4 der schwerste der vorgestellten nicht eingetretenen Erfolge
giebt den Ausschlag (vgl. oben §. 28 IV a. E.). V.
Der Versuch
beruht immer auf einem Irrtume
über die Kausalität des Thuns, d. h. auf der (irrigen) An
nahme,
daß
eine zur Herbeiführung
des vorge
stellten Erfolges untaugliche Handlung zur Her beiführung tauglich sei. Es ist mithin eine ganz schiefe Anwendung an sich nur relativer Begriffe, wenn man zwischen Versuch mit untaug
lichem Mittel und Versuch an untauglichem Objekt unter
scheiden
will.
Nur die Tauglichkeit der Handlung,
des Mittels zum Zwecke, steht zur Frage.
als
Ferner: eine
bestimmte vorgenommene Handlung kann zur Herbeiführung
eines bestimmten vorgestellten Erfolges immer nur tauglich oder nicht tauglich, d. h. kausal oder nicht kausal sein, nicht aber mehr oder weniger nicht kausal;
die Unterscheidung
zwischen absoluter und relativer Untauglichkeit des Mittels
(oder des Objektes) Ursachenbegriffes.
ist daher eine grobe Verkennung des
Und
endlich:
Wenn
das
Wesen
des
Versuches in dem Irrtume über die Kausalität des ThunS besteht, so kann dieser Irrtum keinen Grund abgeben, um
einzelne Versuchsfälle nicht strafen zu wollen. In der Terminologie der herrschenden Ansicht hieße das:
auch der Versuch mit absolut untauglichem Mittel
4 Lit. bei Binding Grundriß S. 75.
Entwicklung des Versuchsbegriffes.
tz. 32.
137
oder an absolut untauglichem Objekte ist strafbar/ (b. h. kann vom Gesetzgeber gestraft werden). Wir müssen diesem Satze aber doch wohl eine Ein schränkung beifügen. Der Gesetzgeber hat die Frage nach der Strafbarkeit des Versuches bei „Untauglichkeit des Mit tels oder Objektes" nicht selbst gelöst, sondern die Lösung der Wissenschaft überlassen. Daraus folgt, daß wir die Lösung nicht im Gesetze suchen, die Frage nicht aus dem Wortlaute des Gesetzes heraus entscheiden dürfen. Wir müssen zurückkehren auf den legislativen Grund der Strafbarkeit des Versuches. Und dieser liegt m. E. darin, daß jede normwidrige Handlung eine Gefahr für die Rechtsgüterwelt in sich birgt. Der Begriff der Gefahr wurde oben §. 3 III 2 besprochen. Nicht Gefähr dung, sondern Herbeiführung einer Gefahr im Sinne unserer Terminologie bildet den Grund für die Strafbar keit des Versuches. Diese entfällt mithin, wenn eine Gefahr nicht herbeigeführt worden ist, also wenn die Konstellation, die der Thäter bewirkte, eine solche war, daß in einem verschwindend kleinen Perzentsatz von Fällen der Erfolg einzutreten pflegt. Hieher würden die bekannten Schulfälle gehören: das Totbeten, Nestelknüpfen, Verhexen; der Versuch, den B, der auf einem in Kanonenschußweite vom Ufer entfernten Schiffe sich befindet, mittelst einer Pistole vom Ufer aus zu töten; Mordversuch mit ungeladenem Ge wehr, mit Zucker usw. Besondere, ganz außergewöhnliche * Stand der Ansichten bei Meyer Lehrb. S. 200 Note 8. Lit. bei Binding Grundriß S. 76. Dazu Scherer GS.XXIX. Im Wesentlichen mit dem Texte übereinstimmend die hochinter
essante RGR. 24. Mai 1880 (verein. Strafsenate), E I 439. Ebenso bez. deS Versuchs am „absolut untauglichen Objekte" RGR. 10. Juni 1880, El 451
138
Erstes Buch. VI. Vollendung u. Versuch des Verbrechens.
Komplikationen können auch in diesen Fällen den Erfolg herbei führen (man denke an die durch die Handlung hervorgerufene psychische Erregung des Bedrohten).
Bei weiterem Eingehen
auf die Frage würde die Verschiedenheit der Normen (oben §. 3 II), ihre nähere oder entferntere Beziehung zu dem zu
schützenden Rechtsgute von Bedeutung werden.
Zwecke genügt das Gesagte.
Für unsere
Nochmals sei aber betont:
1. Jeder Versuch ist normwidrig und könnte daher ge straft werden; nicht jeder ist positiv-rechtlich strafbar.
2. Wir sagen nicht: strafbar ist der gefährliche Versuch, sondern: nicht strafbar ist der ungefährliche Versuch.
Daß
der Begnff der Gefahr ein relativer, ist kein Einwand gegen die Richtigkeit dieses Satzes, der sich bemüht, das in uns
allen vorhandene Rechtsgefühl zur Klarheit eines juristischen Gedankens zu erheben.
§. 33. vrr versuch im positiven Necht.
Jede versuchte Normübertretung ist an sich normwidriges
Handeln, mithin Delikt, und darum geeignet die Straffolgen nach sich zu ziehen.
in
allen Fällen
Aber der Staat hat keine Beranlasiung
schon
die versuchte Normübertretung
mit
Strafe zu belegen.
I. Der Gesetzgeber kann und wird sich darauf beschränken, nur die versuchte Uebertretung gewisser Normen unter
Strafe zu stellen.
Prinzipiell würde es sich empfehlen, die
Unterscheidung zwischen den allgemeinen Normen und
den
Gehorsamsnormen (vgl. oben §. 3 II) zu Grunde zu legen, und die versuchte Uebertretung der letzteren straflos zu lasten.
Anders das positive Recht.
Der Versuch im positiven Recht.
139
K. 33.
Das RStGB. geht in §. 43 von der Dreiteilung der
strafbaren Handlungen aus:
Der Versuch eines Verbrechens wird immer, der eines Vergehens ausnahmsweise in den besondersaus gezeichneten Fällen/ der
einer Uebertretung nie ge
straft.
Dagegen macht das Gesetz — im Prinzipe wenigstens — keinen
Unterschied
zwischen
Geboten
und
Verboten?
Daß auch bei der Uebertretung eines Gebotes, also bei dem sogenannten echten Unterlaffungsdelikte, Versuch möglich ist,
soweit es sich um dolose Unterlassung handelt, kann bei rich tiger Auffassung der Unterlassungsdelikte (vgl. oben §. 21II) keinem Zweifel unterliegen?
II. Das positive Recht kann ferner entweder einzelne Handlungen, die sich als versuchte Uebertretung einer be
stimmten Norm darstellen,
herausgreifen,
und
nur diese
Versuchshandlungen mit Strafe bedrohen; oder aber jeden
Versuch
der Uebertretung
Strafe stellen.
einer
bestimmten
Norm
unter
Letzteres ist, seitdem einmal der allgemeine
Begriff des Versuchs durch die italienische Jurisprudenz des Mittelalters
ausgebildet worden war,
der Gesetzgebung eingeschlagene Weg.
der regelmäßig von
Nur ganz ausnahms
weise und nur wenn entfernte Versuchshandlungen (sogen. Vorbereitungshandlungen) in Frage stehen, entschließt sich der
Gesetzgeber dazu, diese Fälle des strafbaren Versuches durch 1 Es sind dies §§. 107, 120, 140,141,148,150,160,169,240, 242, 246, 253, 263, 289, 303 —305, 339, 350, 352 StGB.; Nahrungsmittelgesetz v. 14. Mai 1879 §. 12, Gesetz gegen Rinder pest 21. Mai 1878 §. 1, Bank-
Gesetz
14. März 1875 §. 57
1 Allerdings ist bei keinem Gebote die versuchte Uebertrehing unter Strafe gestellt. 8 Lit. bei Bindrng Grund riß S. 75.
Erstes Buch. VI. Vollendung u. Versuch des Verbrechens,
140
individuelle Bezeichnung vor allen
anderen hervorzuheben.
Vgl. StGB. §§. 83—85, 151, 201; teilweise §. 49a.
hörend
Durch
die
besondere
hieher ge
Bezeichnung dieser
Handlungen wird ihre Versuchsnatur nicht geändert; daraus
folgt, daß Versuch derselben, der als Versuch in zweiter Po tenz erscheinen würde, nicht möglich ist.4 III. Der Gesetzgeber kann weiter entweder für die ver
suchte und die vollendete strafbare Handlung einen gemein schaftlichen, oder für jede einen besonderen Strafrahmen
Das letztere hat die Reichsgesetzgebung gethan.
aufstellen.
Nach StGB. §.44 ist das versuchte Verbrechen oder Vergehen milder zu
bestrafen als das vollendete,
und zwar nach der folgenden Reduktionsskala:
Ist daS
vollendete Verbrechen mit dem Tode oder mit
lebenslänglichem Zuchthaus bedroht, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter drei Jahren ein, neben welcher auf Zulässigkeit
von
Polizeiaufsicht erkannt werden
kann.
Lebenslängliche
Festungshaft wird durch Festungshaft nicht unter drei Jahren
ersetzt. 7«
In
allen
übrigen Fällen kann die Strafe bis auf
des Mindestbetrages der auf das vollendete Verbrechen
oder Vergehen angedrohten
Freiheits-
oder Geldstrafe er
hiernach Zuchthausstrafe
unter einem
mäßigt werden.
Ist
Jahre verwirkt,
so ist dieselbe nach Maßgabe des §. 21
StGB, in Gefängnis zu verwandeln.
Das
Prinzip
der
wird jedoch durch eine
milderen Bestrafung des Versuches
wenn auch unbedeutende Zahl von
Ausnahmen durchbrochen. 1.
Aberkennung
der bürgerlichen Ehrenrechte und Zu
lässigkeit der Polizeiaufsicht kann unter denselben Voraus-
< Lit. bei Meyer S. 193 Note 14.
A. A. Cohn S. 383ff
Der Versuch im positiven Recht. setzumgen bei dem versuchten,
141
K. 33.
wie bei dem vollendeten Ber
brechen oder Vergehen ausgesprochen werden (StGB. §. 45). 2. In einer Reihe von Fällen ist das „Unternehmen"
einer strafbaren Handlung ihrer Vollendung in der Bestra
gleichgestellt.
fung
Vgl.
StGB.
§§. 81, 82, 105,
114,
Salzsteuergesetz vom 12. Oktober
122 Abs. 1,
159, 357;
1867 §.11,
Vereinszollgesetz
vom 1. Juli
1869 §§.134
und 135, Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879 §§. 32 und
38, usw. der
Durch diese Gleichstellung in der Bestrafung wird
Versuchscharakter
„Unternehmens"
des
nicht berührt;
damit entfällt die Möglichkeit eines strafbaren Versuchs des selben, der auch hier Versuch in zweiter Potenz wäre.
3.
fallen
Soweit
Dorbereitungshandlungen
besonderen Strafrahmen.
bestraft
werden,
reduzirten, sondern unter einen
sie nicht unter den
StGB.
§§. 83—86, 151, 201,
teilweise 49 a.
4.
Endlich bestraft §. 80 StGB, den
hochverräterischen
mit
dem Tode; auch
Mordversuch
wie
den
§. 153 Gew.Ordg.
Mord
stellt
selbst
Versuch
Vollendung in der
und
Strafe einander gleich. IV. Auch der Versuch ist Handlung im engeren Sinne, also
willkürliche
körperliche
Bewegung,
ihren Abschluß nicht gefunden haben.
mag auch dieselbe Die Handlung kann
aber auch aus einer ganzen Reihe von einzelnen, durch die einheitliche Zweckoorstellung zu einer Gesammtheit verbunde nen körperlichen Bewegungen bestehen, die von der abschlie
ßenden Bewegung mehr oder weniger entfernt sind.
von
ihnen,
Jede
auch die entfernteste, ist bereits normwidriges
Thun, ist, wenn auf den Erfolg gerichtet, bereits versuchte
Normübertretung.
Kriminalpolitische
Erwägungen,
unter
welchen die Schwierigkeit der Beweisführung (für die Rich-
142
Erstes Buch. VI. Vollendung u. Versuch des Verbrechens,
tung
auf
einen
bestimmten Erfolg) die erste Rolle spielt,
machen es wünschenswert, nur die näheren, nicht schon die
entfernteren Versuchshandlungen zu bestrafen.
So entsteht
der Unterschied zwischen straflosen Vorbereitungs- und
strafbaren (eigentlichen)Bersuchshandlungen. Statt
nun, wie es am zweckmäßigsten wäre, die Einteilung einer in Frage stehenden konkreten Handlung in die eine oder die andere Kategorie dem Ermessen der Praxis im Einzelfalle
zu überlassen, hat die Reichsgesetzgebung im Anschlüsse an das französische Recht es unternommen, die Grenzlinie ein
für allemal zu ziehen.
Diesem Bestreben verdanken wir die
scheinbare^ Versuchsdefinition im StGB. §. 43: Versuch ist
Bethätigung des Entschlusses, ein Verbrechen oder Vergehen
zu verüben, durch Handlungen, welche einen Anfang der
Ausführung
dieses
Verbrechens
oder
Ver
gehens enthalten.
Die
tung und Versuch im
engeren Sinne (strafbarem Versuch)
Grenzlinie zwischen Vorberei
bildet demnach
der Anfang der Ausführung, mit an
deren Worten:
Versuchshandlungen
sind
jene Folgen,
welche bereits wirklicher Bestandteil der im Gesetze mit Strafe bedrohten That sind? Beispiele: Der straf bare Versuch der Doppelehe beginnt erst mit dem Akte der
(zweiten) Eheschließung, der Versuch des Meineids erst mit dem Beginne des Schwuraktes; der Versuch der Entführung, des Diebstahls erst in dem Augenblicke, in welchem die Schutz
gewalt, der Gewahrsam des Machthabers gestört wird usw.
6 Denn der §. 43 soll nicht den Versuch definieren, sondern den strafbaren Versuch abgrenzen. 6 Lit. bei Meyer Lehrbuch S. 195 Note 2. Die im Texte
vertretene Ansicht (sie schließt sich möglichst eng an die von Zachariae empfohlene Formu lierung) ist sehr bestritten.
Der Rücktritt vom Versuche, tz. 34.
143
Die Ausführungshandlung selbst muß begonnen
haben.
Daß
diese
Beschränkung
den Bedürfnissen
der
Rechtsordnung nicht genügt, bedarf wohl kaum eines Nach
weises.
Nur ausnahmsweise hat der Gesetzgeber auch Vorbe-
bereitungshandlungen unter Strafe gestellt. Hieher ge hören die oben unter III 2 und 3 angeführten Fälle?
Die Beschränkung des strafbaren Versuches auf den Be ginn der Ausführungshandlung
ergiebt die Unmöglichkeit
eines strafbaren Versuches in jenen Fällen, in welchen die
Ausführungshandlung selbst schon im ersten Zeitteilchen ihrer Verwirklichung dem gesetzlichen Thatbestände voll und ganz
entspricht.
Ein Beispiel bieten die durch Verbreitung von
Druckschriften begangenen strafbaren Handlungen?
§. 34.
8er Nücktritt vom Versuche.
I. In dem Augenblicke, in welchem die Grenzlinie zwischen
den straflosen Vorbereitungshandlungen und dem strafbaren Versuche überschritten wird, in demselben Augenblicke ist die
auf den Versuch gesetzte Strafe verwirkt.
Das normwidrige
Thun hat aufgehört, nur Delikt zu sein, es ist Verbrechen geworden.
Diese Thatsache kann nicht mehr geändert, nicht
„nach rückwärts annulliert", nicht aus der Welt geschafft
werden.
Wohl aber kann die Gesetzgebung auS kriminal
politischen Gründen dem bereits straffällig gewordenen Thäter 7 Unternehmen ist m. E. ein weiterer Begriff als Versuch im engeren Sinne. Daran wird auch durch §. 82 StGB, nichts
geändert. Doch ist die Frage kontrovers. 8 Vgl. LiSzt Preßrecht §§. 41, 42.
Erstes Buch. VI. Vollendung u. Versuch deS Verbrechens,
144
eine
„goldene Brücke" zum Rückzüge bauen.
Sie hat es
gethan, indem sie den freiwilligen Rücktritt zum Straf
aufhebungsgrunde machte (StGB. §. 46)? Der freiwillige Rücktritt ist unmöglich, wenn die Herr
schaft über die That und ihre Folgen bereits dem Thäter entrissen ist, also sowohl beim suspendierten Erfolg wie beim fehlgeschlagenen Verbrechen (vgl. oben §. 32 II 1 und 2).
Er ist dagegen möglich: 1.
Bei dem nichtbeendeten Versuche (oben §. 32
II 4) durch Nichtvollendung der Handlung (StGB. §. 46
Nr. 1).
Der Thäter läßt den zum Schlage erhobenen Arm
sinken; die nach dem Giftbecher ausgestreckte Hand zieht sich
zurück? 2. Bei dem beendeten Versuche (oben §. 32 II 3) durch Abwenden des Erfolges, also durch direktes Eingreifen
in das
bereits
rollende Rad
des Kausalzusammenhanges
(StGB. §. 46 Nr. 2): der abgesendete Brief wird während des Postlaufes zurückverlangt, die Wirkung des Giftes durch
Gegengift paralysiert.
II.
In beiden Fällen verlangt das Gesetz Freiwillig
keit des Rücktritts?
Ihren Gegensatz bildet die thatsäch
liche oder angenommene Unmöglichkeit der Vollendung des
Verbrechens.
Im zweiten Falle ist die strafaufhebende Wir
kung des Rücktrittes an die weitere Bedingung geknüpft, daß
die Handlung noch nicht entdeckt,
1 Lit. bei Meyer S. 202. Dazu Binding Normen II S. 234,250 f., Cohn S.612ff. 3 Mit der Beendiaung der Versuckshandlung entfallt dem« nach Die Anwendbarkeit des
d. h. noch Niemandem
§.46 Nr. 1. RGR. 12. März 1880, E I 307, R I 453.
3 Worin diese besteht ist be stritten. Lit. bei Meyer S. 226 Note 23.
145
Der Rücktritt vom Versuche. §• 34.
außer den an der That beteiligten Personen bekannt war. Auch Kenntnisnahme durch denjenigen, gegen den die Hand lung gerichtet war, schließt die Annahme der Freiwilligkeit aus; bei denjenigen Delikten, bei welchen die Erzielung dieser Kenntnisnahme zur Ausführungshandlung gehört (z. B. Er pressung) ist demnach §. 46 Nr. 2 überhaupt nicht anwendbar; RGR. 12. März 1880, E I 307, E I 453. III. Den freiwilligen Rücktritt behandelt das RStGB. als Strafaufhebungsgrund; nicht mehr ist, wie im preußischen und anderen "partikularen Strafgesetzbüchern, die Nichtfreiwilligkeit der Nichtvollendung Bedingung der Straf barkeit des Versuches. DaS heißt: der Rücktritt beseitigt die bereits verwirkte Strafe, aber er ändert nichts an dem Ber brechenscharakter der Versuchshandlung. Und daraus folgt: 1. Der Rücktritt des Thäters macht weder den Mit thäter noch den Anstifter oder Gehülfen straffrei;* denn die Thatsache, daß sie sich an einer strafbaren Handlung.betei ligt haben, bleibt bestehen. 2. Aber die Teilnehmer können sich selbst der Wohl that deS Gesetzes teilhaft machen: Anstifter und Gehülfe allerdings nicht durch Nichtvollendung der Handlung nach §. 46 Nr. 1, denn hatten sie ihre Handlung noch nicht beendet, so waren sie überhaupt noch nicht strafbar geworden (vgl. unten §. 37 I 2 a und II 2); wohl aber durch selbstän dige Abwendung des Erfolges nach §. 46 Nr. 2. 3. Nur die Strafe der versuchten Handlung entfällt (§. 46: „der Versuch als solcher bleibt straflos"), nicht aber die Strafbarkeit der etwa in der Versuchshandlung ge legenen vollendeten anderweitigen Normübertretung. So 4 Vgl. Meyer S. 203. von LiSjt, Strafrecht.
IO
146
Erstes Buch. VII. Thäterschaft und Teilnahme,
bleibt trotz Abwendung des Erfolges beim Gistmordversuch die Beibringung des Giftes nach StGB. §. 229 strafbar. IV. Wenn Borbereitungshandlungen mit besonderer Strafe bedroht sind oder das unternommene dem vollendeten Verbrechen in der Bestrafung gleichgestellt ist (vgl. oben §. 32 III 2 und 3), so entspricht es wohl am meisten der Absicht des Gesetzes, hier die strafaufhebende Wirkung des Rücktrittes auszuschließen. Wir sind berechtigt, dies zu thun, weil jene Wirkung nicht aus dem Begriffe der Versuchshand lung folgt, sondern auf besonderer positiv-rechtlicher Anord nung beruht?
VII. Thäterschaft und Teilnahme? §. 35. Sir Entstehung des Lrgriffs der Teilnahme. I. Knüpfen wir an das oben in der Lehre vom Kausal zusammenhänge Gesagte an. Könnten wir den theoretisch allein richtigen Satz, daß jeder, der durch seine schuldhafte Handlung eine Bedingung für den Eintritt des Erfolges ge setzt hat, für diesen als Ursacher verantwortlich zu machen ist, konsequent durchführen, dann wären Thäterschaft und Verursachung identische Begriffe, die Lehre von der Teilnahme hätte keine oder nur eine untergeordnete Stelle im Systeme des Strafrechts. Aber das positive Recht hat, wie bereits 6 A. A. Dinding Grundriß S. 80. Lit. bei Meyer S. 202 Note 3. 1 Lit. bei Dinding Grund« riß S. 83 f. und Geyer in
HR. „Anstiftung" und „Bei hülfe". Dazu Cohn Zur Lehre vom versuchten u. unvollendeten Verbrechen I 1880 S. 642 ff., Hertz Unrecht S. 172.
Die Entstehung deS Begriffs der Teilnahme, tz. 35.
147
bemerkt (oben §. 20 III) diesen Satz durch eine hochwichtige Ausnahme durchbrochen. Liegt zwischen einer Bedingung und dem einge tretenen Erfolge eine freie (d. h. nicht im Notstände begangene) und vorsätzliche (d. h. von der Borstellung ihrer Kausalität begleitete) menschliche Handlung als Zwi schenursache in der Mitte, so betrachtet das positive Recht nur diese letzte Handlung als Ursache des Erfolges. Das Setzen jener Bedingung kann daher nur als Bedingung dieser Handlung, wenn überhaupt, in Betracht gezogen werden; nicht aber als mittelbare Ursache des letzteingetretenen, durch diese Handlung herbeigeführten Erfolges. So entsteht der juristische Begriff der Teil nahme: das Setzen einer Bedingung fünden Eintritt des durch weitere Zwischenursachen vermittelten Erfolges, aufge faßt üicht als Bedingung des Erfolges, sondern als Be dingung der Zwischenursache? Durch diesen Gegensatz ge winnt der Begriff der Thäterschaft prägnantere Gestalt und engere Bedeutung. Die beiden Formen der Teilnahme sind Anstiftung und Beihülfe: erstere die Hervorrufung des Entschlusses zur That, letztere die Unterstützung der Ausführung der That. IL AuS dem Gesagten ergiebt sich eine Reihe von Kon sequenzen. 1. Teilnahme (in den beiden Formen der Anstiftung und 3 Diese von der gewöhnlichen gewinnen, nicht aus einem allerdings weit abnegende Aus- aprioristisch gefundenen Begriffe fassung stützt sich auf das po heraus daS positive Recht zu sitive Recht, sie sucht aus diesem interpretieren. den Begriff der Teilnahme zu
148
Erstes Buch.
VII. Thäterschaft und Teilnahme.
Beihülfe) ist nur möglich bei vorsätzlichem, ausge schlossen
bei fahrlässigem Handeln des Thäters;
denn nur jenes, nicht dieses wird von dem Gesetzgeber als
„Unterbrechung des Kausalzusammenhanges" aufgefaßt.
Ist
die letzte Zwischenursache eine fahrlässige Handlung, so tritt der allgemeine uneingeengte Begriff der Thäterschaft wieder in Geltung: Thäter ist Jeder, der verursacht, d. h. eine Be
dingung zum Erfolge gesetzt hat (vgl. das oben §. 20 III angeführte Beispiel); mit anderen Worten: der Unterschied
zwischen Thäterschaft und Teilnahme verschwindet hier wieder. 2.
Fahrlässige Teilnahme an vorsätzlichem Thun
muß straflos bleiben; auch hier ist mit der vom Gesetze angenommenen
Unterbrechung
des
Kausalzusammenhanges
der Begriff der Thäterschaft unvereinbar, der Begriff der Teilnahme aber nach positiv-rechtlicher Anordnung nicht
anwendbar? 3.
Teilnahme
eines Anderen.
ist
Beteiligung
an
dem
Verbrechen
Sie erhält ihren strafrechtlichen Charakter sie entfällt daher, wenn es
durch die That des Thäters;
zu einem Thun des Thäters überhaupt nicht gekommen oder
wenn dieses kein verbrecherisches im Sinne des Gesetzes ist (sei es wegen fehlender Handlung, fehlender Normwidrigkeit, fehlender Schuld, Mangels einer Bedingung der Strafbar
keit);
sie bleibt aber bestehen trotz
Strafaufhebungsgrundes,
eines
8 Von den unter II 1 u. 2 besprochenen Grundsätzen weicht ab §. 18 des Nachdruckgesetzes vom 11. Juni 1870 (geltend auch für die Gesetze vom 9., 10., 11. Januar 1876): „Wer vorsätzlich oder auö Fahr
des Vorliegens eines
subjektiven
Strafausschlie-
lässigkeit einen anderen zur Veranstaltung eines Nachdrucks veranlaßt usw., wird bestraft, mag dieser Andere vorsätzlich oder fahrlässig oder schuldlos gehandelt haben.
Die Entstehung des Begriffs der Teilnahme, tz. 35.
149
ßungsgrundes, oder eines nur den Thäter berührenden Hin dernisses der Strafverfolgung (vgl. §. 17 und §. 30 III). 4. Teilnahme an der Teilnahme ist wegen der un selbständigen Natur der letzteren nur als mittelbare Teil-' nähme an der Haupthandlung strafbar. 5. Mehrfache Teilnahme an derselben Hauptthat ist immer nur ein Verbrechen; bei Teilnahme an mehreren Hauptthaten durch dieselbe Handlung (z. B. ein anstiftendes Wort) ist wegen der unselbständigen, von.der Hauptthal bestimmten Natur der Teilnahme, reale Konkurrenz ebensovieler Verbrechen anzunehmen. UI. Die Abgrenzung der Thäterschaft von der Anstiftung ist eine einfache und klare: diese ist die Ursache jener. Schwieriger sind Thäterschaft und Beihülfe auseinander zu halten; eS bedarf hier positivrechtlicher Anordnung. DaS Gesetz verwendet zur Abgrenzung den bereits oben §. 33 IV besprochenen Begriff der Ausführungshandlung. Thäter ist derjenige, der die Ausführungshandlung setzt; Gehülfe derjenige, der in anderer Weise an der That be teiligt ist. Aber diese Unterscheidung genügt dem Gesetze noch nicht, und so bildet es den Begriff der Mitthäter schaft als Zwischenglied. Mitthäter ist derjenige, der einen Teil der Ausführungshandlung begangen hat; Thäter derjenige, der die ganze Ausführungshandlung gesetzt hat. Und damit haben wir daS von der R.Gesetzgebung auf gestellte Schema gewonnen: 1. Thäterschaft; 2. Teilnahme: a) Mitthäterschaft, b) Anstiftung, c) Beihülfe.
150
Erstes Buch. VII. Thäterschaft und Teilnahme.
IV. Die Begünstigung ist, weil dem Eintritte der Bollendung zeitlich nachfolgend, nie Setzen einer Bedingung zum Erfolge, mithin nie Teilnahme; wir haben daher keinen Grund, von der durchaus sachgemäßen Auffassung deS Gesetzgebers, der sie in den besonderen Teil gestellt hat, ab zuweichen. V. Bei mehrfacher Beteiligung derselben Person an demselben Delikte wird die schwerere Form der Beteiligung durch die leichtere konsumiert, wie ja auch Vorbereitung und Versuch neben der Vollendung des Verbrechens nicht mehr in Betracht kommen. Vgl. unten §. 40 II. Wenn der An stifter sich später an der Ausführung des Verbrechens als Thäter oder aber als Gehülfe beteiligt, behandelt ihn das Strafrecht im ersten Falle nur als Thäter, im zweiten nur als Anstifter. Daß dieser Satz auf das Verhältnis der Teilnahme zur Begünstigung keine Anwendung findet, bedarf nach dem oben unter IV Gesagten keines Beweises.
§♦ 36. Thäterschaft und Mittäterschaft. I. Thäter ist derjenige, der die ganze Ausführungs handlung begeht, den gesetzlichen Thatbestand des Ver brechens voll und ganz verwirklicht; Notzttchter also z. B. derjenige, der nötigt und geschlechtlich mißbraucht; Räuber derjenige, der Gewalt anwendet und die Sache wegnimmt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Erfolg lediglich durch eigene körperliche Thätigkeit, oder durch Benutzung der Statur fräste, eines Werkzeuges, eines ThierS, eines Zurech nungsunfähigen herbeigeführt wurde; die Benutzung der
Thäterschaft und Mittäterschaft. g. 36.
Handlung
eines
Zurechnungsfähigen dagegen
schließt
151 nur
dann die Thäterschaft nicht aus, wenn der Gebrauchte ent
weder unfrei (d. h. genötigt) oder unvorsätzlich (d. h. ohne die Borstellung der Kausalität seines Thuns) gehandelt hat? Man spricht in solchen Fällen (nicht ganz genau) von fin
gierter Thäterschaft.
Diese mittelbare Begehung ermöglicht
die Annahme der Thäterschaft auch dort, wo körperliche oder überhaupt unmittelbare Begehung unmöglich wäre: so kann
sich eine Frauensperson der Notzucht oder der Päderastie, ein Nichtverwandter der Blutschande, ein Nichtbeamter eines eigentlichen Amtsdeliktes aus dem Wege der fingierten Thäter
schaft schuldig machen.
Das Gesetz hat diesen ziemlich all
gemein anerkannten Satz nur in §. 160 StGB. (Verleitung zum Falscheide)
verleugnet.
Dagegen unterbricht die freie
und vorsätzliche Handlung eines Zurechnungsfähigen den Kau
salzusammenhang (vgl. RGR. 17. Januar 1880, E I 146)? II.
Mitthäter ist derjenige, der in Gemeinschaft mit
einem Andern
vorsätzlich
einen Teil der Aussüh-
rungshandlung setzt (StGB. §. 47)?
Eine Handlung,
die nicht Ausführungshandlung ist, d. h. nicht in den Kreis des vom Gesetze mit Strafe bedrohten Thuns hineinfällt,
kann nie Mitthäterschaft begründen?
So sind A und B Mit
thäter, wenn A die Frauensperson C vergewaltigt oder den D mit gegenwärtiger Gefahr für Leib
und Leben bedroht
und B die C mißbraucht oder dem D die Brieftasche weg-
' Vgl. RGR. 5. März 1880, R I 429. 1 Ueber die eigentümliche Konstruktion und Präsumption der Thäterschaft des Redakteurs in §. 20 Abs. 2 Preßgesetz vom
7. Mai 1874 vgl. LiSzt Preß, recht §§. 49 und 50. 8 Lit. bei Meyer Lehrbuch S. 213 Note 1. 4 Von der Praxis häufig übersehen.
152
Erstes Buch. VII. Thäterschaft und Teilnahme,
nimmt: denn Gewalt und Drohung sind Thatbestandsmerk
male für Notzucht und Raub.
Wenn aber A Wache stand,
während B einen Einbruchsdiebstahl verübte, so ist A nicht Mitthäter sondern Gehülfe; denn das Wachestehen ist nicht Ausführungshandlung
Mitthäterschaft ist
beim Diebstahl.
eine Form der Teilnahme, mithin (oben §. 35 II 1) nur
beim vorsätzlichen Berbrechen möglich; beim fahrlässigen Ver brechen ist Jeder, der eine Bedingung zum Erfolge schuld haft gesetzt hat,
nicht Mitthäter, sondern Thäter.
Das
praktische Resultat ist übrigens das gleiche: Jeder Mitthäter
wird als Thäter bestraft.
§- 37. Anstiftung und Leihfrist. I.
Die Anstiftung.
1.
Anstiftung ist die vorsätzliche Bestimmung eines
Anderen zu der von ihm vorsätzlich begangenen
strafbaren Handlung (StGB. §. 48), mag diese Ver brechen,
Vergehen
oder Übertretung
sein.
Durch
welche
Mittel der Andere bestimmt wurde, ist für den Begriff der
Anstiftung irrelevant;
auch Zwang
und Jrrtumserregung
sind geeignete Mittel, solange der erstere nicht in Nötigung
übergeht, und der Irrtum nicht die Vorsätzlichkeit des ThunS
ausschließt. 2. zum
Die Anstiftung setzt als Form der Teilnahme eine
Mindesten
versuchte
strafbare
Seiten des Angestifteten voraus.
Handlung
auf
Sie bleibt mithin straflos,
wenn eS auf Seiten des Thäters zu einem strafbaren Ver suche nicht gekommen ist.
Daher ist
a) die versuchte oder mißlungene Anstiftung straflos
Anstiftung und Beihülfe, tz. 37.
153
(als solche erscheint auch die Anstiftung des sog. alias factnrus, d. h. des schon vor der Einwirkung zur That Entschlossenen). Doch bestraft unsere Gesetzgebung in einzelnen Fällen ausnahmsweise auch die erfolglos ge bliebene Anstiftung; so StGB. §§. 111, 141, 159, 210, 357; Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 §. 88; vgl. auch die unten §. 38 II erwähnten Fälle. b) Der Anstifter bleibt ferner straflos, wenn er selbst daS Zustandekommen der strafbaren Handlung verhindert hat, sei es durch psychische, sei es durch physische Ein wirkung (daß „Widerruf" nicht genügt, sollte wohl selbstverständlich sein). Dieser Satz ergsebt sich auS der accessorischen Natur der Anstiftung, und ist nicht als Rücktritt vom Versuche nach StGB. §. 46 Nr. 1 zu konstruieren (vgl. auch oben §. 34 III 2). c) Wenn der Gesetzgeber Versuchs- oder Borbereitungs handlungen als delicta sui generis unter besondere Strafe gestellt hat, so ist Anstiftung zu diesen selb ständig strafbaren Handlungen möglich. 3. Der Anstifter haftet nur für die von ihm vorsätzlich (d. h. mit dem Bewußtsein der Kausalität seines ThunS) hervorgerufene Handlung. Decken sich Handlung des An gestifteten und Anstiftervorsatz in einem wesentlichen Punkte nicht, so liegt diesbezüglich Anstiftung nicht vor. Die oben §. 28 IV, V für den Vorsatz überhqupt gegebenen Regeln beanspruchen auch hier durchgreifende Geltung. Hiernach ist der sog. excessus mandati (ganz schiefer Ausdruck), hiernach sind aberratio ictus und error in objecto, die dem Ange stifteten begegnen, zu beurteilen. Ist in Folge einer der beiden letztgenannten Eventualitäten der Vorsatz des HauptthäterS ausgeschlossen, so entfällt damit nach allgemeiner Regel die
154
Erstes Buch.
VH. Thäterschaft und Teilnahme.
Anstiftung; doch kann hier auf Seiten deS scheinbaren An
stifters (fingierte) Selbstthäterschaft vorliegen.
4.
Die Strafe des Anstifters ist nach demjenigen Ge
setze zu bestimmen, welches auf die Handlung Anwendung
findet, zu welcher er wissentlich angestiftet hat.
5.
Bon dem Anstifter verschieden ist der „Anführer"
oder „Rädelsführer" (ein nicht-technischer Begriff), der
von der Gesetzgebung an manchen Stellen — so StGB. §§. 115, 125; Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 146
nnd 147; Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 §§. 89,
91 u. A. — erwähnt wird? II.
1.
Die Beihülfe.
Beihülfe ist die vorsätzliche Unterstützung des
von einem Anderen begangenen vorsätzlichen Ver
brechens oder Vergehens (StGB. §. 49).
stützung
der
fremden Handlung
kann
Die Unter
eine psychische oder
physische sein („Rat oder That"), sie kann auch in der vor der That gegebenen Zusage nachträglicher Begünstigung der selben bestehen (StGB. §. 257 Abs. 3).
Nie aber darf sie
Teil der Ausführungshandlung selbst sein.
2.
Auch die Beihülfe setzt als Form der Teilnahme eine
zum Mindesten versuchte strafbare Handlung auf Seiten
deS Hauptthäters voraus.
Will die Gesetzgebung die Bei
hülfe zu einem an sich straflosen Thun (z. B. Beihülfe zum
Selbstmorde) unter Strafe stellen, so bedarf dies ausdrück licher Erklärung.
Das StGB, hat dies in den §§. 120,
121, 180, 285, 347, 355 gethan.
Im übrigen findet daS
oben unter I 2 Gesagte auch auf die Beihülfe mit der Mo-
1 Vgl. auch die Hervorhebung der Vorsteher, Leiter, Ordner, Agenten, Redner, Kassierer in
sozialdemokratischen Vereinen u. Versammlungen §. 17 Sozial. Gesetz 21. Ottober 1878.
Anstiftung und Beihülfe, tz. 37.
155
difikation Anwendung, daß der Versuch der Bechülfe nur im Falle des §. 347 StGB, unt Strafe belegt ist. 3. Auch für den Gehülfen ist der strafrechtliche Cha rakter der Hauptthat nur insoweit maßgebend, als die Vor stellung der Kausalität seines Thuns sich auf jene erstreckte. Vgl. oben I 3. 4. Die Strafe des Gehülfen ist nach demjenigen Gesetze zu bestimmen, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wissentlich Hülfe geleistet hat, jedoch nach den über die Bestrafung des Versuches aufgestellten" Grundsätzen (vgl. oben §. 33 III) zu ermäßigen. Liegt Beihülfe zum Versuche vor, so ist zweimalige Reduktion des Strafrahmens nötig. Nur ausnahmsweise droht das Gesetz dem Gehülfen gleiche Strafe wie dem Thäter in StH)B. §. 143. Einen besonderen Strafrahmen für die Beihülfe enthalten StGB. §§. 203 und 219; Wechselstempelgesetz vom 10. Juni 1869 §. 15 (gegen Makler und Unterhändler, welche wissentlich unversteuerte Wechsel verhandelt haben). Ausnahmsweise belegt §. 18 Sozialistengesetz vom 21. Oktober 1878 die Beihülfe (Hergeben, von Räumlichkeiten zu verbotenen Ver einen und Versammlungen) mit schwererer Strafe als die Thäterschaft (Beteiligen an solchen Vereinen). 5. Eine besondere Form der Beihülfe enthält §. 92 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872: Verweigerung deS Gehorsams gegenüber solchen Befehlen des Vorgesetzten, welche sich auf Abwehr oder Unterdrückung von Nötigung und Widerstand beziehen. III. Einfluß persönlicher Verhältnisse auf die Strafbarkeit der Anstiftung und der Beihülfe (StGB. §. 50).
156
1.
Erstes Buch. VII. Thäterschaft und Teilnahme. Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründe,
die in persönlichen Eigenschaften oder Verhältnissen des Han
delnden ihren Grund haben,
sind nur auf diejenigen
Teilnehmer zur Anwendung zu bringen, bei welchen sie vor -
liegen.
Mit diesem Satze, der bezüglich des Mitthäters
selbstverständlich und nur bezüglich des Anstifters und des Gehülfen wirklich
von Bedeutung ist,
eine der wichtigsten Konsequenzen aus
Auffassung, brechen
hat der Gesetzgeber
seiner prinzipiellen
daß Teilnahme die Beteiligung an dem Ver
eines Anderen und nicht mittelbare Selbstbege
hung des Verbrechens sei, mit aller Entschiedenheit (und mit vollern Rechte) abgelehnt. Beispiele: Wenn der Nichtver
wandte B den Sohn A des Vaters C, oder die Mutter A des neugeborenen KindeS C zur Tötung des Vaters oder
Kindes C bestimmt hat; oder wenn umgekehrt der Sohn A
oder die Mutter A dem extraneus B zur Tötung des VaterK oder des Kindes C Hülfe geleistet haben:
so ist in beiden
Fällen der Fremde B nach den Bestimmungen über gemeine Tötung, der Sohn A nach jenen über Ascendententodschlag,
die Mutter A nach jenen über Kindestötung zu beurteilen.
Die Anordnung
der Gesetzgebung ist schon darum richtig,
weil nur verschieden qualifizierte Uebertretungen der einen Norm: Du sollst nicht töten! vorliegen (vgl. oben §. 4 I 3).
2.
Handelt es sich dagegen um persönliche Eigenschaften
oder Verhältnisse, welche ein an sich strafloses Thun erst zu
einem strafbaren machen, welche die Strafbarkeit also
erst begründen, nicht erhöhen oder vermindern (Bedingungen der Strafbarkeit in dem oben §. 30 erörterten Sinne): so
sind sie, wenn beim Thäter vorliegend, dem Anstifter und Gehülfen zuzurechnen; fehlt es an einer solchen Bedingung
in der Person des Thäters, so liegt eine strafbare Haupt-
Teilnahmehandlungen als selbständige Verbrechen, tz. 38.
157
that überhaupt nicht vor, und es kann daher auch von Teil nahme an einer solchen keine Rede sein. Beispiel: Anstiftung und Beihülfe zu einem reinen Amts verbrechen sind nach den für dieses gegebenen Bestimmungen zu beurteilen, während wenn der Beamte Anstifter oder Ge hülfe, ein Nichtbeamter aber Thäter ist, ein Verbrechen über haupt nicht vorliegt; denn der Nichtbeamte kann nut als fingierter, nicht aber als unmittelbarer Thäter ein Amtsdelikt begehen (vgl. oben §. 36 I). 3. Strafaufhebungsgründe (vgl. unten §. 57 I), pro zessuale Hindernisse der Strafverfolgung und subjektive Straf ausschließungsgründe (oben §. 30 III) wirken immer nur für denjenigen, in dessen Person sie vorliegen, schließen daher die Möglichkeit einer Teilnahme an ber objektiv strafbaren Handlung nicht aus. §. 38.
Trttnahrnrhan-luugrn als selbständige verbrechen.
I. Der Vollständigkeit wegen und zur Vermeidung von Mißverständnissen sei ausdrücklich erwähnt, daß der Gesetz geber in einzelnen Fällen Handlungen, die als Teilnahme handlungen erscheinen könnten, wenn sie in Beziehung zu einem bestimmten begangenen Verbrechen gebracht würden, wegm ihres an sich für die Rechtsordnung gefährlichen Cha rakters als selbständige Verbrechen aufgefaßt und unter besvlldere Strafe gestellt hat. Diese Auffassung des Gesetz gebers ist auch für die Wissenschaft bindend. Die Grund sätze, welche sie in der Lehre von der Teilnahme entwickelt, haben für diese selbständigen Verbrechen keine Geltung. So sind sie ohne Rücksicht auf eine strafbare Handlung des
158
Erstes Buch. VIT. Thäterschaft und Teilnahme.
Hauptthäters strafbar und die Möglichkeit des. Versuchs wie der Teilnahme richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen. Hier genüge die Uebersicht über die wichtigsten Fälle; wir werden diesen und anderen im besonderen Teile wieder be
gegnen. II. Es gehören hieher 1. Die öffentlichen Aufforderungen in StGB.
§§. 85, 110 (nicht 111), 130, Preßgesetz vom 7. Mai 1874
§. 16. 2. Die Aufreizung in StGB. §. 112. 3. Der Duchesne-Paragraph 49a StGB. 4. Das Komplott oder die Verabredung zur Begehung eines oder mehrerer bestimmter Verbrechen;' in StGB. §. 83
als selbständiges Verbrechen, sonst wohl auch — Vereins zollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 146 u. 147; Seemannsord
nung vom 27. Dezember 1872 §§. 87 u. 91 — als Straf schärfungsgrund behandelt.
5. Dagegen ist die Bande, das ist die auf die Begehung mehrerer noch nicht individuell bestimmter Verbrechen gerichtete
Verbindung, in der Reichsgesetzgebüng — StGB. §§. 248
Nr. 6, 250 Nr. 2; Vereinszollgesetz
§. 146 — nur mehr
als Strafschärfungsgrund von Bedeutung.
6. Endlich ist die sogenannte Konvenienz des Amts vorgesetzten StGB. §. 357 hier zu erwähnen.
1 Lit. bei Meyer S. 231 Note4.
Natürliche u. juristische Einheit d. Handlung.
K. 39.
159
VIII. Einheit und Mehrheit der Verbrechens
handlung? §. 39. natürliche und die juristische Einheit der Handlung.
1. Die natürliche Einheit der Handlung.
Wenn
Handlung im weiteren Sinne die willkürliche Körperbewegung mit dem durch sie verursachten Erfolge ist, so kann die na
türliche Einheit dieser erweiterten Handlungsreihe gegeben sein:
1. Durch
die Einheit der Körperbewegung trotz
Wenn ein Wort mehrere Menschen
Mehrheit des Erfolges.
beleidigt,
ein Schuß
immer nur
mehrere Jagdvögel trifft usw., liegt
eine Handlung
vor.
Daran
kann selbst die
Art-Verschiedenheit der eingetretenen mehreren Erfolge nichts
ändern.
Hat
der geschleuderte Stein
tötet, den zweiten verletzt und
einen Menschen ge
außerdem eine Scheibe zer
trümmert, so können wir nur von einer Handlung mit meh
reren Erfolgen, nie aber von mehreren Handlungen sprechen.
Eine durch positivrechtliche Anordnung geschaffene Ausnahme von diesem Satze
haben
wir oben in §. 35 II 5 kennen
gelernt. 2.
Durch
die Einheit deS Erfolges trotz Mehrheit
der Körperbewegungen.
Sechs Schüffe aus dem sechsläufigen
Revolver treffen den B und töten ihn durch ihr Zusammen wirken; der Dieb entwendet die sämmtlichen, demselben Eigen
tümer gehörenden Wertgegenstände, indem er sie der Reihe
1 Lit. bei Binding Grund- I Einheit und Mehrheit der Ver riß S. 144 f. Dazu v. Buri | brechen 1879.
160 Erstes Büch. VIII. Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit, nach dem auf der Straße harrenden Genossen durchs.Fenster zuwirst usw. Dagegen kann von einer natürlichen Einheit der Hand lung dann nicht mehr gesprochen werden, wenn sowohl Mehr heit der Körperbewegungen als auch Mehrheit der Erfolge vorliegt; wenn also z. B. durch die aus dem sechsläufigen Re volver abgefeuerten Schüsse 6 Personen getötet werden, oder die mit mehreren diebischen Griffen entwendeten Gegenstände verschiedenen Personen gehören. II. Die juristische Einheit der Handlung. Der Be griff der Einheit ist ein relativer, von dem Standpunkte deS Betrachters abhängiger. Nichts hindert uns, auch eine Mehr heit von Handlungen zu einer juristischen Einheit zusammenzufaffen. Die wichtigsten Fälle einer solchen künstlich ge schaffenen Verbrechenseinheit sind: 1. Das fortdauernde Verbrechen, d. i. die konti nuierliche (ununterbrochene) Verwirklichung eines Verbrechens begriffes. Beispiel: eine durch Wochen oder Monate andauernde Freiheitsentziehung. Nicht zu verwechseln mit dem fortdauernden ist das Zustandsverbrechen, welches durch eine einmalige Handlung einen dauernden rechtswidrigen Zu stand erzeugt; hieher gehört z. B. die Doppelehe, der Dieb stahl usw. Der rechtswidrige Zustand kommt als weitere Folge der völlig abgeschlossenen Handlung strafrechtlich nicht in Betracht. 2. Das fortgesetzte Verbrechen, d. i. die nicht kon tinuierliche, stoßweise Verwirklichung des Verbrechensbegriffes; eine Mehrheit von Handlungen, juristisch zusammengehalten durch die Gleichartigkeit der Schuld, der Körperbewegung und des Erfolges. Wann diese Gleichartigkeit vorliegt, wann nicht, läßt sich durch eine allgemeine Regel hier ebensowenig
Natürliche u. juristische Einheit d. Handlung. §. 39.
161
tote in all* den anderen Fällen entscheiden, in «eichen die
Rechtswissenschaft mit dem Begriffe der Gleichartigkeit ar
beitet.
Deshalb
daS
„fortgesetzte"
Verbrechen
überhaupt
leugnen wollen, heißt die Grenzlinie zwischen Theorie und Beispiele: Das ehebrecherische Verhältnis
Praxis verkenne».
deS A mit der C führt zu einer Reihe von Beischlafsakten;
der Diener nimmt sich täglich eine Cigarre auS dem Ci garrenkistchen seines Herrn; Verausgaben deS auf einmal sich
verschafften
falschen
Geldes
in Teilbeiträgen RGR.
4. Dezember 1879, E I 25, R I 114; wiederholt in meh reren aufeinanderfolgenden Nächten mit demselben Knaben
getriebene
widernatürliche Unzucht RGR. 10. Juli 1880,
E I 450. 3. DaS gewerbS-, geschäftS-, gewohnheitsmä ßige Verbrechen;' eine durch die Jurisprudenz geschaffene
künstliche Einheit von begangenen oder von begangenen und beabsichtigten Handlungen, die als Einheit vom Gesetzgeber
bald zum strafbarmachenden (vgl. oben §. 41), bald zum straf schärfenden (vgl. unten §. 54 I 2) Momente erhoben wird,
a) Die Gewerbsmäßigkeit charakterisiert sich einerseits
durch die auf öftere Wiederholung gerichtete Absicht,
andrerseits durch die Absicht des Thäters, sich durch diese Wiederholung eine, wenn auch nicht regelmäßig
oder
dauernd
schaffen?
fließende
Vgl. StGB.
360 Biff. 6;
EinnahmSquelle
§§. 260, 284,
zu
ver
294, 302 d,
Mllnzgesetz vom 9. Juli 1873 §. 13;
Reichsbankgesetz vom 14. März 1875 §. 57 Abs. 2;
Patentgesetz vom 25. Mai 1877 §. 4. 'Bgl.v.Lilienthal Beiträge zur Lehre von den Kollektivdelitten 1879. von LiSzt, Strafrecht.
' RGR. E I 654.
24. April
1880,
162
Erstes Buch. VUI. Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit.
b) Die GeschäftSmäßigkeit teilt mit der Gewerbs
mäßigkeit die auf regelmäßige Wiederholung gerichtete
Absicht, dagegen fehlt die Absicht, sich eine ständige EinnahmSquelle zu eröffnen.
Ob die einzelnen Hand
lungen honoriert werden oder nicht,
ist gleichgültig.
Vgl. StGB. §. 144, Sozialistengesetz §. 22. In beiden Fällen genügt daS Vorliegen einer Hand lung, die mit den beabsichtigten weiteren Handlungen
zu der juristischen Einheit zusammengefaßt wird.
c) Gewohnheit läßt sich am anschaulichsten definieren als der Zustand deS labilen psychischen Gleichgewichtes, in
welchem ein dem Durchschnittsmenschen gegenüber nicht motivierender Reiz die Kraft eines Motives erlangt;
oder als abnorm geschwächte Widerstandskraft gegen
über gewiffen Reizen.
Mit der Spezialisierung steigt
die Macht der Gewohnheit.
Der Gewohnheitsver
brecher im Allgemeinen ist ein theoretischer, der Ge-
wohnheitS-Dieb oder -Betrüger usw. ein sehr praktischer Begriff, von dem daS positive Recht, vielfach eingeengt
durch die gangbaren falschen Anschauungen über Schuld und Strafe einen viel zu bescheidenen Gebrauch macht.
Vgl. StGB. §§. 150, 180, 260, 302 d; Münzgesetz vom 9. Juli 1873 §. 13.
Beim gewohnheitsmäßigen
Verbrechen wird die jetzt begangene mit den ftüher be
gangenen Handlungen zu einer Einheit zusammenge faßt; diese müffen normwidrig, brauchen aber nicht
notwendig strafbar zu sein.
In allen Fällen, in welchen die Rechtswiffenschaft eine Mehrheit von Handlungen zu einer juristischen Einheit zu
sammenfaßt, muß diese Einheit als solche in allen juristischen Beziehungen betrachtet und behandelt werden.
DaS juristisch
Die Einheit des Verbr. Jdeallonkurrenz. §. 40.
163
einheitliche Verbrechen ist demnach überall dort begangen, wo, und in jedem der Augenblicke, in welchen eine der Hand lungen begangen wurde; bei einem Wechsel der Gesetzgebung kommt immer daS mildere, bei einer Kollision deS einheimischen und deS fremden Rechtes immer das erstere zur Anwendung. Ist auch nur eine der Einzelhandlungen qualifiziert, so er greift diese Qualifikation auch die übrigen Handlungen. Die Verjährung beginnt nicht, ehe die letzte der Handlungen gesetzt wurde usw.
§.40. Btt Einheit -es Verbrechens und die sogenannte Z-eatbonkurrrnj.
I. Das Strafgesetz verknüpft Verbrechen und Strafe; daS Vorliegen eines Verbrechens ist Bedingung für den Gin» tritt der Strafe. Fasten wir das Verbrechen als norm widrige, mit Strafe bedrohte Handlung, so kann ein Ver brechen — mag die Einheit eine natürliche oder eine ju ristische sein — immer nur eine Strafe nach sich ziehen. Der einmalige Eintritt der Bedingung kann nur einmal die Folge erzeugen. Die Richttgkeit dieses Satzes dürste keinem Zweifel unterliegen. Aber nach einer anderen Richtung hin erheben sich Schwierigkeiten. Welche der Voraussetzungen deS SttafeinttitteS hat der Thäter erfüllt; welche Sttafe hat er verwirkt? Mit andern Worten: es kann äußerst zweifelhaft sein, unter welchen der verschiedenen Verbrechens thatbestände die konkrete in Frage stehende That zu subsu mieren ist; zweifelhaft darum, weil mehrere jener Ver brechensthatbestände auf diese Handlung paffen. Für die Lösung dieser Schwierigkeiten stehen uns 2 Regeln zu Gebote.
164
Erstes Buch. VIIL Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit.
II. Zunächst ist derjenige Berbrechensthatbestand als gegeben anzunehmen, der den konkreten Fall am erschöpfendsten berücksichtigt. Es sind bei dieser Prüfung die verschiedenen Strafgesetze in ihrem Berhältnisie zu der übertretenen Norm, die verschiedenen Normen in ihrem Verhältnisse zu dem durch sie zu schützenden Rechts gute ins Auge zu fassen (vgl. oben §. 4 I und 3 II). Diese Regel schließt eine Reihe von Fällen in sich. a) Die besondere Bestimmung — lex specialis — geht der allgemeinen — der lex generalis vor. So fällt Majestätsbeleidigung immer unter §. 95 StGB., nie unter §. 185; so ist Fälschung eines Legitimationspapieres zum Zwecke besseren Fortkommens immer nach §. 363 StGB., nie als Urkundenfälschung im Sinne des §. 267 zu behandein. In den Nebengesetzen ist dies zum Teil ausdrücklich angeordnet; vgl. Gewerbeordnung vom 21. Juni 1867 §§. 147, 148? Nur dann, wenn die Sonderbestimmung nur eine besondere Seite deS Falles berücksichtigt, kommt neben ihr die allgemeine Anordnung zur Geltung: so Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 158, 159 u. A? Der Satz ne bis in idem erleidet hier eine scheinbare Ausnahme; scheinbar darum, weil nicht dieselbe Handlung mehrmals, sondern verschiedene Seiten derselben je einmal in Betracht gezogen
werden. b) Wenn das positive Recht die Möglichkeit einer mehr fachen Bedeutung derselben Handlung für die Rechtsordnung dadurch
berücksichtigt,
daß
1 In §. 147 ist die Gew.Ordg., in §. 148 sind die Steuer gesetze als lex specialis be zeichnet.
eS zusammengesetzte Vera Branntweinsteuergesetz vom 8. Juli 1868 §. 67; Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878 §. 12 Abs. 2.
Die Einheit des Verbr. Zdealkonkurrenz. g. 40.
165
brechensthatbestände bildet, so ist die konkrete Handlung nur
unter diesen zusammengesetzten Thatbestand, nicht aber unter
dessen Elemente zu sübsumieren.
So ist der Begriff deS
Raubes aus Diebstahl und Nötigung, der der Erpressung
aus Nötigung und Verletzung der Geschlechtsehre des Weibes zusammengesetzt;
gewaltsame Sachentziehung, erzwungener
Beischlaf sind darum immer nur als Raub oder Notzucht aufzufaffen.
Die qualifizierte Normübertretung absor
c)
biert
die einfache,
leichtere.
die schwerere vernichtet die
Einbruchsdiebstahl ist nur nach §.243 StGB,
zu beurteilen; wer die falschen Schlüssel geliefert und dann
mit dem Andern selbst gestohlen hat, kommt nur als Mit thäter, nicht auch als Gehülfe in Betracht (vgl. oben §. 35 V);
vollendeter
Zweikampf
schließt die Anwendung
deS
§. 201 StGB.; vollendeter Hochverrath die der §§. 83—86
StGB. auS; umgekehrt wird beim sog. Versicherungsbetrug
StGB.
§. 265 durch die schwere Vorbereitungshandlung
(Brandstiftung) die etwa später eintretende Vollendung des Betruges absorbiert.
d) Wenn zwei zum Schutze desselben RechtSguteS be stimmte Normen zu einander in dem Verhältnisse von all
gemeiner Norm (oben §. 3 II 1) und Gehorsamsnorm (oben
§. 3 II 2 u. 3) stehen, und dieselbe Handlung beide Normen
verletzt, so ist nur die Uebertretung der allgemeinen Norm inS Auge zu fassen.
Wer z. B. durch schnelles Fahren einen
Menschen getötet hat, ist nur nach §. 222, nicht auch nach §. 366 Ziff. 2 StGB, zu bestrafen.
III. Diese Regel aber läßt unS in all' den zahlreichen Fällen im Stiche, in welchen keiner der in Frage kommenden
Thatbestände dem konkreten Falle gerecht wird, keine ihn er-
166
Erstes Buch. VIII. VerbrechenS-Einheit u. -Mehrheit,
schöpfend berücksichtigt. In Ermangelung besonderer gesetz licher Anordnung bleibt unS hier ein einziger Ausweg: wir wenden jenen Derbrechensthatbestand an, dessen Strafe durch ihre größere Schwere uns die Be rücksichtigung des konkreten Falles, wenn auch nicht vollständig, so doch annäherungsweise ge stattet. So ist die Notzucht an der eigenen Tochter, die sowohl unter §. 173, als unter §. 177 StGB, fallen würde, nach dem letzteren Paragraphen zu bestrafen. Diese subsidiäre Aushülfsregel und nicht mehr spricht §. 73 StGB, aus: Wenn eine und dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze ver letzt, so kommt nur dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafe, und bei ungleichen Strafarten dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafart androht, zur Anwendung. Man spricht in diesen Fällen von „idealer Konkurrenz der Verbrechen", in den unter II erörterten Fällen da gegen von „Gesetzeskonkurrenz". Es ist gegen diesen Sprachgebrauch so lange nichts einzuwenden, als es sich eben nur um eine Auseinanderhaltung der beiden Gruppen, nicht aber um die Betonung eines — in Wahrheit gar nicht existierenden — begrifflichen Gegensatzes zwischen ihnen handelt. Hier wie dort paßt dieselbe eine Handlung unter mehrere Strafgesetze, und hier wie dort können wir nur eines von ihnen zur Anwendung bringen. Der Unterschied liegt nur darin, daß wir dort (ad II) im Gesetze einen sicheren An haltspunkt zu sachgemäßer Entscheidung haben, während hier jeder andere Anhaltspunkt als der rein äußerliche: Schwere der angedrohten Strafe, fehlt. Für den Richter ergiebt sich in dem letzteren Falle die Notwendigkeit, urteilsmäßig fest zustellen — eventuell durch Befragung der Geschworenen —
Die Einheit deS Berbr. Jdealkonkurrenz. §. 4V.
167
daß die Handlung unter beide Strafgesetze fällt; und was ihn bei der Auswahl geleitet3 Hat er aber die Wahl einmal getroffen,.so ist daS mildere Strafgesetz in keiner Weise mehr zu berücksichtigen; es kann mithin auch nicht etwa später die Annahme eines Rückfalls auf jene Feststellung gegründet werden. Welches Strafgesetz als daS mildere anzusehen, ist nach den oben §. 12 III angegebenen Regeln zu beurteilen. IV. Die herrschende Ansicht teilt die „ideale Konkurrenz" (eine Handlung, mehrere Verbrechen)* in gleichartige und ungleichartige. Erstere soll vorliegen, wenn durch eine Handlung verschiedene Strafgesetze, letztere wenn durch jene dasselbe Gesetz mehrfach übertreten ist. Diese Ein teilung eines an sich unhaltbaren Begriffes ist doppelt verkehrt Hat ein Schuß mehrere Menschen verletzt, ein Wort mehrere Personen beleidigt, ein diebischer Griff mehrere Eigentümer geschädigt, so ist die Handlung unzweifelhaft als Körperver letzung, Beleidigung, Diebstahl aufzufassen und ein anderer Verbrechensbegriff kommt gar nicht in Frage. Damit ent fällt die einzige Voraussetzung, die unS berechtigt, von idealer Konkurrenz zu sprechen. Es ist die übertretene Norm auch nicht mehrmals, sondern nur einmal, wenn auch in verschie denen Trägern deS durch die Norm geschützten RechtsguteS verletzt Die Strafrahmen der Reichsgesetzgebung sind groß genug, um die Berücksichtigung dieses Umstandes zu gestatten. Von idealer Konkurrenz aber kann keine Rede sein. Damit 8 Vgl. RGR. 27. April 1880, Dabei kann dahingestellt bleiben, E I 681. ob die durch §. 73 StGB, 4 Nach der im Texte vertre sanktionierte zweite Regel nicht tenen Ansicht liegt immer nur durch eine sachgemäßere gesetz ein Verbrechen vor, und es liche Anordnung ersetzt werden bandelt sich nur um die Ent könnte. scheidung der Frage: welches.
168
Erstes Buch. VIIL Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit,
ist auch die vielbesprochene Frage, ob auf diese Fälle §. 73 StGB, analog anzuwenden sei — eine Frage, die bei rich tiger Fassung des Konkurrenzbegriffes gar nicht aufgeworfen werden kann — erledigt. Zur Anwendung gelangt hier vielmehr nur die allgemeine, nirgends ausdrücklich im Ge setze ausgesprochene, weil selbstverständliche Regel, daß eine Handlung nur unter ein Strafgesetz subsumiert werden und nur eine Strafe nach sich ziehen kann; eine Strafe, bei deren Bemeffung (vgl. unten §. 53 II 1 und III) die Aus breitung der einen Rechtsverletzung allerdings in Anschlag zu bringen ist.
§. 41. Mehrheit -er verbrechen. NückfaU und Nealbonburrenz. Mehrere Berbrechen desselben Thäters stehen nicht not wendig in juristischer Beziehung zu einander. Wir haben im Gegenteile, von besonderer gesetzlicher Anordnung abge sehen, die mehreren Berbrechen desselben Thäters ebenso selbständig zu behandeln, wie mehrere Handlungen verschie dener Thäter. Eine strafrechtlich relevante Beziehung der meh reren Handlungen desselben Thäters untereinander entsteht nur durch positivrechtliche, von sekundären Gesichtspunkten beeinflußte Anordnung des Gesetzgebers. Nach geltendem Rechte kann diese Beziehung sein: I. Rückfall; d. i. Begehung eines gleichen oder gleich artigen Verbrechens nach gänzlicher oder teilweiser Ver büßung oder Erlaffung der wegen eines früher begangenen gleichen oder gleichartigen Verbrechens zuerkannten Strafe; vorausgesetzt, daß nicht seit Verbüßung oder Erlaß der frü heren Strafe bis zur Begehung des neuen Verbrechens ein
Mehrheit der Verbrechen. Rückfall u. Konkurrenz, g. 41.
169
gewisser Zeitraum (sogenannte Rückfallsverjahrung) ver strichen ist, der die strafrechtliche Beziehung zwischen beiden
Handlungen als zerrissen erscheinen läßt. Rückfall
Der
wird
nach
Reichsrecht nur in einzelnen
Fällen und zwar immer nur als Strafschärfungsgrund ver wendet (vgl. unten §. 54 I 1).
II. Sogenannte reale Konkurrenz oder Zusammen treffen mehrerer strafbarer Handlungen.
Die konsequente
Durchführung des prinzipiell unstreitigen richtigen Gedankens,
daß
Begehung
bei
Thäter
jede der
mehrerer Verbrechen
entsprechenden Einzelstrafe, daher
durch
denselben
verbrecherischen Handlungen mit der ihr
die
Summe jener Handlungen
mit der Summe dieser Einzelstrafen zu belegen sei,
führt nach der heute in der Gesetzgebung herrschenden Auf
fassung zu unerträglichen Härten (vgl. darüber das Nähere unter §. 56 I).
Die gesetzliche Anordnung der Milderung
dieser Härten erheischt die gesetzliche Fixierung der Voraus setzungen, unter welchen die Abweichung von dem Prinzipe stattfinden soll, und führt somit zu der Aufstellung deS Be
griffes
der
Realkonkurrenz.
Der Begriff verdankt mithin
lediglich den Bedürfnissen der StrafanwendungSpolitik seine Entstehung?
Voraussetzungen der Realkonkurrenz sind: einer
seits die, wenn auch thatsächlich vereitelte, rechtliche Mög
lichkeit
gleichzeitiger
thatsächliche sichtigung
Aburteilung,
Möglichkeit
andrerseits
nachträglicher
jener rechtlichen
Möglichkeit.
die
Berück Genauer
gesprochen: Realkonkurrenz ist die Begehung mehrerer ver brecherischer Handlungen durch denselben Thäter, wenn
1 Wer aber deshalb von Strafenkonkurrenz statt von Verbrechenskonkurrenz sprechen
wollte, würde den Grund mit der Folge verwechseln.
170
Erstes Buch. Vm. Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit.
1. die mehreren Handlungen begangen waren, ehe wegen
einer von ihnen daS Urteil gesprochen worden ist (Rechts kraft des Urteils nicht erforderlich).
Beispiel: Die Berbrechen
a, b, c sind am 1. Januar, 1. Februar, 1. März begangen; Realkonkurrenz liegt vor, wenn die Aburteilung wegen a, b
und c am 15. März
erfolgt;
aber
auch
dann, wenn am
15. März lediglich über das Berbrechen a gesprochen wurde
und die Verbrechen b und c erst nachträglich zum Vorschein
kommen.
Dagegen steht daS am 16. März begangene Ver
brechen d nicht mehr
in
Realkonkurrenz
mit
a, b und c
(StGB. §. 74).
2. Bei nicht gleichzeitiger Aburteilung ist Realkonkurrenz nur dann anzunehmen, wenn die nachträgliche Entscheidung
über daS später entdeckte Verbrechen stattfindet, so lange eine Verbesserung des ftüheren Urteils noch möglich ist, so lange
also die in dem ftüheren Urteile ausgesprochene Strafe noch nicht vollständig verbüßt, verjährt oder erlassen ist (StGB.
§. 79).
Beispiel: Ist der Verbrecher wegen a am 15. März
zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt worden, so ist Real
konkurrenz von b und c mit a anzunehmen, wenn b und c
vor dem 15. Juni zur Aburteilung kommen, nicht aber wenn an dem Tage, an welchem das Urteil wegen b und c ge fällt werden soll, die wegen a erkannte Strafe bereits ver büßt, verjährt oder erlassen ist.
Zweites Buch. Die Strafe. i. §. 42.
Ott Legriff der Strafe.
I. Strafe ist RechtSgüterfchutz durch RechtSgüterverletzung,
vom
Staate,
als
dem
Träger
und
Schirmer der öffentlichen Rechtsordnung (als In
haber der öffentlichen Zwangsgewalt), gegen den Ueber»
tretet eines staatlichen Imperatives
aus
Anlaß
dieser Uebertretung durch seine gerichtlichen Or
gane verhängt. DaS ist der formale Begriff der Strafe.
Alle einzelnen
Merkmale müssen gegeben sein, um ihn zu erfüllen.
Eine
RechtSsigur, der eines dieser Merkmale fehlt, kann mit der
Strafe verwandt, sie kann aber nie Strafe sein,
n. Die Strafe ist Rechtsgüterverletzung („Einbuße
an Rechtsgütern" sagt Binding); sie ist ein malnm passionis. Dadurch unterscheidet sie sich wesentlich von dem Schadens
ersatz, mag sie auch mit ihm unter den gemeinsamen höheren Begriff der Reaktion gegen daS Unrecht gebracht werden können. Denn Schadensersatz ist Beseitigung der Rechtsgüter verletzung; er heilt die Wunde,
während
die Strafe eine
neue SBimbe Wägt1 2 Es ist jedoch dabei vor einem weit verbreiteten Irrtume zu warnen. Ersatz des Schadens ist ein weiterer Begriff als Ersatz des pekuniären Schadens; jedes Rechtsinstitut, das die Heilung der durch das Unrecht geschaffenen Rechtsverletzung bezweckt, können wir unter jenen Begriff bringen, auch wenn die Verletzung der Abschätzung in Geld nicht zugänglich ist. Paffend bezeichnet man den Ersatz des ideellen, d. h. pekuniär nicht abschätzbaren, Scha dens als Genugthuung. Sie ist nach dem Gesagten in begrifflichem Gegensatze zur Strafe. Fälle der Genug thuung sind: 1. Die Buße, die sich im RStGB., wie in den die In dividualrechte schützenden Nebenstrafgesetzen findet (vgl. unten §. 52); das Gleiche gilt von dem Schmerzensgelde, das eben darum, soweit das Gebiet der Buße reicht, als aufge hoben zu betrachten ist? 2. Die Ausfertigung des verurteilenden Erkenntnisses an den Verletzten, sowie die öffentliche Bekanntmachung des selben auf Kosten des Verurteilten? Eine ganz singuläre Verbindung von Ersatz und Strafe, von Schadensersatz und pönalem Element enthält §. 55 Nach drucksgesetz vom 11. Juni 1870, nach welchem die Entschä digung des Verletzten gebildet wird durch den ganzen Be trag der Einnahme von jeder unbefugten öffentlichen Auf1 Vgl. über diese vielbesprochene Frage besonders B i n d i n g Normen I S. 166; Merkel AbHandlungen I S. 57, Heinze H.H. I S. 337. 2 Vgl. Windscheid §.455 Note 31. 8 StGB. §§. 165 und 200;
§. 17 Markenschutzgesetz vom 30. November 1874; §. 35 Patentgeseh vom 25. Novbr. 1877. Siehe dageaen einen Fall, in dem die Veröffentlichung des Urteils Nebenstrafe ist, unten §.44 IC; §. 16 NahrungsMittelgesetz vom 14. Mai 1879.
Der Begriff der Strafe.
§. 42.
17Z
führung eines dramatischen usw. Werkes ohne Abzug der
auf dieselbe verwendeten Kosten.
III. Strafe ist Verletzung eines Rechtsgutes, dessen Träger der Normübertreter ist.
Dritten,
so
Trifft die Verletzung
einen
liegt nicht Strafe im eigentlichen Sinne vor.
Daher scheiden aus dem Begriffe der Strafe aus: 1. Objektive Maßregeln, wie die
Auflösung einer
Versammlung, das Schließen eines Vereines, einer Kasse; ferner die Einziehung, Vernichtung, Unbrauchbarmachung von Gegenständen in zwei Fällen:
a) Wenn die Einziehung usw. selbständig,
d. h. unab
hängig von der Verfolgung oder Verurteilung einer be
stimmten Person ausgesprochen werden samt;4 5 b) Wenn die Einziehung usw. zwar an die Verurteilung
einer bestimmten Person geknüpft ist,
sich aber auch
auf solche Gegenstände erstrecken kann, die weder dem
Thäter, noch einem der Teilnehmer gehören?
2. Die subsidiäre Haftung dritter Personen für die
von dem Schuldigen verwirkten Geldstrafen, die sich in vielen Reichs- und Landes-Nebenstrafgesetzen ausgesprochen findet?
4 StPO. §. 477 ff. regelt das besondere hier eintretenoe „ob jektive" Verfahren. Hieher ge hören: StGB. §§.42 u. 152; Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §§.21, 22 u. 25, und die Urheberrechtsgesetze vom 9., 10., 11. Januar'1876; Spiel kartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878 §. 10; Nahrungsmittel gesetz vom 14. Mai 1879 §. 15. Vgl. unten §. 50 II u. III. 5 StGB. §§.41, 152, 295, 296 a, 367, 369; Nahrungs-
mittelgesetz vom 14. Mai 1879 §. 15'; Viehseuchengesetz vom 23. Juni 1880 §§. 65 und 66. Vgl. unten §. 50 II u. III. 6 Vgl. die Reichsgesetze vom 8. Juli 1868; §. 153 Vereins zollgesetz vom 1. Juli 1869; §. 18 Spielkartenstempelgesetz v. 3. Juli 1878; §.43 Tabacksteuer gesetz v. 16. Juli 1879; Waarenverkehrsstatistikgesetz v. 20. Juli 1879 §. 17; die landesrechtl. Feld- u. Forstpolizeigesetze usw.
174
Zweites Buch. Die Strafe.
Doch ist die Natur dieses Rechtsinstitutes keine unzweifel hafte. Für seine Auffassung als Strafe würde sprechen, daß die Haftung mit dem Nachweise entfällt, die Uebertretung sei ohne Vorwissen des Haftpflichtigen begangen worden. Am interessantesten ist in dieser Beziehung §. 38 Brausteuer gesetz vom 31. Mai 1872, nach welchem der Gewerbsinhaber für seine Verwalter, Gehülfen, Hausgenoffen nur dann haftet, wenn er bei Auswahl, Anstellung, Beaufsich tigung dieser .Personen fahrlässig, d. h. nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes zu Werke gegangen ist.7 Wesentlich verschieden von dieser subsidiären, nicht straf rechtlichen Haftung ist die primäre rein strafrechtliche Haf tung deS Gewerbeinhabers, die nicht im Reichsrechte, wohl aber partikularrechtlich (z. B. preußische Steuerordnung vom 8. Februar 1819) sich findet. Vgl. RGR. 28. Mai 1880, E II 70. Dagegen ist die in §. 151 Gewerbe-Ordnung bestimmte Mithaftung deS verfügungsfähigen Vertretenen, mit dessen Vorwissen der Stellvertreter die Uebertretung begangen hat, als eigentliche Strafdrohung (für Mitthäterschaft) zu betrachten. IV. Die Rechtsgüterverletzung muß von dem Staate als dem Inhaber der öffentlichen Zwangsgewalt, als dem Träger und Schirmer der öffentlichen Rechtsordnung ver-
7 Ist der Haftpflichtige selbst mit einer derjenigen Personen, für die er zu hasten hat, an dem begangenen Delitte strafrechtlich beteiligt, so kann ihn die Zah lung zweimal treffen: einmal als
Strafe, dann als Haftung für für seinen Genoßen. A. A. RGR. 24. März 1880, E I 334, R I 508, aber ohne über zeugende Begründung.
Der Begriff der Strafe, hängt werden.
g. 42.
175
So wie die Bestrafung in HauS und Schule,
in Kirche und Bereinigung nicht Strafe im technischen Sinne ist (vgl. oben §. 1), so ist auch die Bestrafung, die zwar vom Staate, aber nicht frost der ihm zukommenden öffentlichen Zwangsgewalt ausgeht,
keine eigentliche. Strafe." Dies ist
der Grund, warum die staatliche Disziplinarstrafe, die der Staat im Interesse des internen Dienstes verhängt, nicht Strafe im engeren Sinne ist?
Konsequenzen: Ihre Ver
hängung ist, weil nicht Strafsache, nicht Sache der ordent lichen Strafgerichte;
dieselbe Normübertretung kann Diszi
plinarstrafe und überdies eigentliche Strafe nach sich ziehen (anerkannt u. A. in §. 95 der Seemannsordnung vom 27. De
zember 1872) usw. V.
Nachteile,
die
auf die Nichtbeachtung
imperativen Rechtssatzes gesetzt sind, sind
eines nicht nicht
So die sogenannten Prozeßstrafen aller Art;
Strafe. die pro«
zessualm Vorschriften heischen nicht unbedingten Gehorsam, wie die staatlichen Imperative, sie stellen vielmehr die Wahl zwischen zwei Alternativen frei.
VI. Die Strafe ist an die begangene Rechtsverletzung geknüpft und wenn sie auch durch ihre Zweckbestimmung in
die Zukunft reicht, so hat sie doch nicht einzelne konkrete Handlungen und Unterlassungen, sondern diese Handlungen und Unterlassungen
in
abstracto im Auge.
Dadurch
unterscheidet sie sich vom Strafzwange, der auf die Her beiführung
durch
einer
konkreten
Rechtsgüterverletzung
Handlung
gerichtet ist.
oder Unterlassung
Wichtig ist die
Unterscheidung für das Prozeßrecht: Strafzwang zur Reali-
' Lit. über diese sehr bestrittene I S. 448, Btnding Grundriß Frage bei Laband Staatsr. 11 S. 112, Zorn Staats:. S. 243.
176
Zweites Buch.
Die Strafe.
sierung der Zeugnispflicht neben der Strafe für Nichterfüllung
dieser Pflicht (StPO. §§. 69 u. 50, CPO. §§. 355 u. 345; vgl. auch Postgesetz vom 28. Oktober 1871 §. 38).
Auch
sonst wird der Strafzwang vielfach in der Reichsgesetzgebung verwertet; man vgl. das „durch Ordnungsstrafen anhalten" im Handelsgesetzbuch, in §. 66 des
GenofsenschaftsgesetzeS
vom 4. Juni 1868, §. 33 Gesetz 7. April 1876 über die ein geschriebenen Hülfskaffen; die „exekutorischen Geldstrafen" in
§. 40 deS Tabacksteuergesetzes vom 16. Juli 1879.
VII. Begrifflich mit der eigentlichen Strafe sich deckend
sind dennoch von derselben kraft positiv
gesetzlicher Anord
nung zu unterscheiden jene kleinen Strafen für geringfügigere
Rechtsverletzungen, Namen
der
welche
die
Reichsgesetzgebung mit dem
Ordnungsstrafen
bezeichnet?
häufig in den Zoll- und Steuergesetzen9 10).
(Besonders
Dagegen ist die
sogenannte Polizeistrafe, von besonderer gesetzlicher An
ordnung abgesehen, von der Strafe int engeren Sinne nicht verschieden, selbst wenn zwischen dem kriminellen nnd dem polizeilichen Unrecht eine prinzipielle Verschiedenheit bestehen sollte".
VIII. Endlich sind von der Strafe zu unterscheiden die 9 Zu unterscheiden auch von den unter VI erwähnten „Ordnungsstrafen", die nicht Strafe sondern Zwang sind. §. 40 Tabacksteuergesetz vom 16. Juli 1879 nennt beide Arten neben einander. 10 Vgl. z. B. Salzsteuerge setz v. 12. Oktober 1867 §§. 13, 15; Zuckergesetz von 1869 §. 4; Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 151,152; Rübenzucker
steuergesetz vom 2. Mai 1870 (Drdg. v. 1846 §. 17); Brausteuergesetz vom 31. Mai 1872 §§.32, 35, 36; auch Ger.Verf.Ges. §§.56, 96, 179ff.; Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878 §§. 11, 16; Tabacksteuer gesetz §§. 34 , 40-42; Gesetz betr. die Statistik des WaarenVerkehrs v. 20. Juli 1879 §. 17. 11 Vgl. über diese Frage oben §. 18 II.
Die Strafmittel im allgemeinen. §♦ 43.
177
Verwaltungsmaßregeln, die unabhängig von der ge richtlichen Konstatierung einer strafbaren Handlung von den
Organen der
Staatsverwaltung
verhängt werden können.
Als Beispiele seien erwähnt die in dem Freizügigkeitsgesetz
vom 1. November 1867,
1872,
dem
dem Jesuitengesetz vom 4. Juli
Gesetz betr. die Verhinderung der unbefugten
Ausübung von Kirchenämtern vom 4. Mai 1874 usw. an
gedrohten Nachteile.
II. Die Strafmittel. §. 43. Sm allgemeinen.*
I. Die Strafe ist Rechtsgüterschutz durch Rechtsgüterver
letzung.
Sie ist Mittel zum
Zweck.
Jenes- Strafmittel
wird darum das geeignetste sein, das den Zweck (Rechts güterschutz) am sichersten, am vollständigsten und zugleich am
billigsten (durch möglichst geringe Rechtsgüterverletzung) er
reicht.
Wir werden daher de lege ferenda folgende Anfor
derungen an die in Frage kommenden Strafmittel zu stellen haben.
1.
Da die Strafe, je nach Lage der Umstände verschie
dene Zwecke verfolgt (vgl. oben §. 2 II), so müssen wir jenem Strafmittel den Vorzug geben, das am geeignetsten ist, sich
den verschiedenen Strafzwecken je nach Bedürfnis anzupassen; jenem, mit dem wir bald drohen
und ab
schrecken, bald bessern, bald die Rechtsordnung schützen und
1 Lit. bei Binding Grund- I Wahlberg Krimin. u. natioriß S. 115. Insbesondere | nalökon. Gesichtspunkte 1872. von Liszt, Strafrecht.
12
Zweites Buch.
178
sichern können.
II. Die Strafmittel.
Darum muß daS unseren höchsten Anforde
rungen entsprechende Strafmittel nach Inhalt und Umfang abstufbar sein, nach Intensität und Extensität eine Reihe von
Graden zulasten, verschiedene Arten deS Strafvollzuges ge statten.
Strafmittel, mit welchen wir nur den einen oder
den anderen der Strafzwecke — es ist gleichgültig, welcher von ihnen es ist — zu verfolgen in der Lage sind, werden
hinter dehnbareren und teilbareren Strafmitteln zurückstehen müssen. 2.
Das Strafmittel darf nicht die günstige Wir
kung, die es nach der einen Richtung hin erzielt, pa
ralysieren durch ungünstige Wirkung nach einer an
deren Richtung hin.
Es darf,
wenn es bessern will,
nicht zugleich die abschreckende oder sichernde Wirkung der Strafe vernichten; nicht, wenn es die beiden letztgenannten
Zwecke verfolgt,
die Massen entsittlichen,
und damit der
Strafe ein wichtiges Moment ihrer motivierenden Kraft ent ziehen.
Die verstümmelnden und beschimpfenden Strafen,
öffentlicher Vollzug grausam verschärfter Hinrichtungen usw.
einerseits; die schablonenhafte „Humanität" unserer modernen Musterstrafanstalten
andrerseits mögen als warnende Bei
spiele dienen.
3.
Wir werden jene Strafmittel verwerfen müssen oder
doch nur im Notfälle acceptieren können, die den Strafzweck
nur mit Aufwand unverhältnismäßig drastischer Mittel zu erreichen in der Lage sind.
Vernichtung der physischen, öko
nomischen, ethischen Persönlichkeit (Todesstrafe, Vermögens
konfiskation, Ehrlosigkeit) sind als Mittel zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes zurückzuweisen,
so
lange wir denselben
Zweck mit geringerem Kraftaufwande erreichen können. 4.
Da ein einziges Strafmittel wohl kaum für die voll-
Die Strafmittel im allgemeinen, g. 43.
179
ständige Erreichung sämmtlicher Strafzwecke ausreichend ist, wir mithin eine Zahl von Strafmitteln mit einander kombi nieren müssen, um zum Ziele zu gelangen, entsteht die wei tere an das Strafmittelsystem zu stellende Anforderung, daß die verschiedenen Strafmittel untereinander in einem klaren, einfachen, Abschätzung und stufenweisen Uebergang zulassenden Verhältnisse zu einander stehen. Man kann diese Eigenschaft als die Kommensurabilität der Sttafmittel bezeichnen. II. 1. Aus dem eben Gesagten folgt die unbestreitbare Berechtigung der Freiheitsstrafe, weitaus die erste Stelle im Strafensysteme der Neuzeit einzunehmen. Sie ist schmieg sam, wie kein anderes Strafmittel; sie kann von stunden langem Stubenarrest bis zu lebenslanger Kettenstrafe steigen; sie gestattet dem unbefangenen Strafvollzug, die sämmtlichen denkbaren Strafzwecke mit größtmöglicher Sicherheit anzu streben; sie läßt Verbindung mit den anderen Strafmitteln und nicht-unvermittelte Abgrenzung von denselben (den meisten von ihnen wenigstens) zu. Freilich verlangt die Freiheits strafe, um ihre segensreiche Wirkung entfalten zu können, klarere Einsicht in Wesen und Zweck der Strafe, als sie heute in den tonangebenden Kreisen vorhanden zu sein pflegt. Aber wenn die Freiheitsstrafe in den alten Strafanstalten plan- und ziellos gebraucht, in den neuen im Dienste einer durchaus einseitigen „Besserungs"-Theorie mißbraucht wird, so wird doch durch diesen Umstand die Ansicht derjenigen nicht gerechtfertigt, welche in unseren Tagen (Mittelstädt) mit gleicher Einseitigkeit die zufälligen Fehler des Straf vollzuges als wesentliche Fehler des Strafmittels aufgefaßt, und die Stellung der Freiheitsstrafe in dem modernen Strafmittelsysteme angefochten haben.
180
Zweites Buch. II. Die Strafmittel.
2. Der Todesstrafe haften die meisten jiener Eigen schaften an, die ein zweckentsprechendes Strafmittel nicht besitzen soll. Sie paralysiert ihre abschreckende und sichernde Wirkung durch das Mitleid für den Hingerichteten, das sie in den Masten, durch das ästhetische Mißbehagen, das sie in den Gebildeten wachruft; sie vernichtet eine Existenz, die vielleicht noch den Zwecken der Gemeinschaft hätte dienstbar gemacht werden können; sie steht ohne jede Vermittlung neben den übrigen Strafmitteln, von welchen es keinen Uebergang zu ihr giebt; sie zwingt zu absoluten Strafdrohungen und verwandelt das Begnadigungsrecht der Krone in ein Hinrichtungsrecht. Auch ist es falsch, daß ihre abschreckende und sichernde Wirkung auf anderem Wege nicht erreicht werden könnte. Aber heute, wo der Freiheitsstrafe diese abschreckende und sichernde Wirkung gänzlich abhanden ge kommen ist, muß die Todesstrafe als unentbehrlich be zeichnet werden. Die Reform des Gefängniswesens — nicht im Sinne der heute tonangebenden Reformatoren — wird auch die Frage der Todesstrafe zur befriedigenden Lösung bringen. 3. Die Vermögensstrafe ist teilbar und dehnbar, paßt sich den übrigen Strafmitteln leicht an, hält die Trieb feder zu einer Reihe von Verbrechensarten nieder; gestattet aber keine irgendwie ins Gewicht fallenden Modifikationen des Strafvollzuges. Sie ist daher trefflich geeignet, eine zweite Rolle im Strafensysteme zu spielen, und besonders als Nebenstrafe von großem Werte; darf aber auch nicht zu mehr, als zur zweiten Rolle berufen werden. 4. Große Gefahren birgt die Ehrenstrafe. Auch in ihren mildesten Formen nimmt sie der gesunkenen ethischen Persönlichkeit den letzten Halt. Ausschluß jeder immer
Das Strafensystem der Reichsgesetzgebung. K. 44.
181
dauernden Ehrenstrafe, so lange der Staat den Verbrecher
nicht gänzlich aufgegeben hat, ist mithin dringend geboten.
§.44. Das Strafendstem der Nrichsgesetzgebung.
I.
In dem Systeme der Reichsgesetzgebung haben wir
Haupt- und
Nebenstrafen zu unterscheiden.
Erstere
jene, die auch allein; letztere jene, die (regelmäßig) nur in Verbindung mit einer Hauptstrafe verhängt werden können.
Ein weiterer Einteilungsgrund ergiebt sich, wenn wir die
Rechtsgüter deS Verbrechers ins Auge fassen,
deren Ver
letzung der Staat zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes vor
nimmt.
Es sind: Leben, Freiheit, Vermögen, Ehre.
Darnach gewinnen wir folgendes System: A. Hauptstrafen. 1.
Am Leben: die Todesstrafe.
2.
An der Freiheit: Zuchthaus, Gefängnis, Festungs haft, Hast.
3.
Am Vermögen: die Geldstrafe.
4.
An der Ehre: der Verweis.
B. Nebenstrafen.
1.
Am Leben: fehlt.
2.
An der Freiheit: a) Stellung unter Polizeiaufsicht. b) Ueberweisung an die Landespolizeibehörde. c) Ausweisung aus dem Reichsgebiet.
d) Beschränkung des Aufenthaltes. e) Beschränkung des Hausrechtes. 3. Am Vermögen:
a) Die accessorische Geldstrafe.
182
Zweites Buch. H. Die Strafmittel.
b) Die Einziehung einzelner Gegenstände. c) Die Unbrauchbarmachung von Schriften u. dgl. d) Die Entziehung der Gewerbebefugnis. 4. An der Ehre: Die vollständige oder teilweise Ab erkennung der bürgerlichen Ehrenrechte. C. Besondere, außerhalb deS Strafensystems stehende Strafübel enthalten: StGB. §. 161 dauernde Unfähigkeit als Zmge oder Sachverständiger eidlich vernommen zu wer den; StGB. §. 319 Unfähigkeit zu einer Beschäftigung im Eisenbahn- oder Telegraphendienste oder in bestimmten Zweigen dieser Dienste; Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 §. 16 Bekanntmachung der Verurteilung auf Kosten des Schuldigen; Viehseuchengesetz vom 23. Juni 1880 §. 63 Wegfall des Entschädigungsanspruches für getötete Thiere; §. 11 Salzsteuergesetz vom 12. Oktober 1867 Verlust des Anspruchs auf steuerfreien Salzbezug. Im Uebrigen ist das oben §. 42 über die Abgrenzung der Strafe von anderen verwandten Instituten des Reichs rechts Gesagte zu vergleichen. II. Die Bestimmungen des Reichsstrafgesetzbuchs über das Strafensystem sind absolut gemeines Recht. Sie binden die Landesgesetzgebung auch auf jenen Gebieten, auf welchen diese im Uebrigen autonom ist. Vgl. Einf.G. zum StGB. §. 6 und oben §. 11 III 2. III. Wenn wir von der durchaus ungenügenden Rege lung des Vollzugs der Freiheitsstrafe absehen, entspricht das Strafensystem der Reichsgesetzgebung allen billigen Anforderun gen. Freilich benimmt jene Lücke im System dem Systeme selbst den größten Teil seines Wertes.
Die Todesstrafe.
g. 45.
183
A. Die Hauptstrafen. 1.
8.45. I.
Str Todesstrafe.'
Die Todesstrafe, einst die peinliche Strafe des ge
meinen Rechtes, ist nach Inhalt und Umfang, seit der Be seitigung der grausam geschärften Arten der Todesstrafe und
seit ihrer Beschränkung auf wenige Ausnahmsfälle, in dem Systeme des modernen Strafrechts neben der Freiheitsstrafe
völlig in den Hintergrund getreten.
Der Kampf, den die Schriftsteller der Austlärungsperiode (vor Allen Beccaria und Sonnenfels 1764) gegen die Todesstrafe eröffneten, hatte zunächst nur geringen Erfolg: Abschaffung der Todesstrafe in Toscana 1786, in Oesterreich 1787 (bis 1795).
In seinen weiteren Wirkungen aber führte
er, in Verbindung mit der seit den 70 er Jahren deS vorigen
Jahrhunderts beginnenden Gefängnisreform, zur allmähligen
Beseitigung der qualifizierten und zur allmähligen Einschrän kung der Todesstrafe überhaupt auf eine geringe Anzahl von Strasfällen. In Folge des §. 9 der deutschen Grundrechte von 1848
wurde die Todesstrafe in einer Reihe von deutschen Staaten (nicht aber in Oesterreich, Preußen, Baiern, Sachsen) besei
tigt; doch führte in den meisten dieser Staaten die Herr
schaft der Reaktion zur Wiederherstellung der Todesstrafe. Nur Oldenburg, Anhalt, Bremen hielten an der Beseitigung
fest; Sachsen fand eS noch int Jahre 1868, als die Gesetz1
Lit. bei Meyer S. 260 Sinnt. 1.
Zweites Buch. II. Die Strafmittel.
184
gebung des Bundes in Strafsachen vor der Thüre stand, für angezeigt, zur Abschaffung
So stand
der Todesstrafe zu schreiten.
als die Beratung des norddeutschen
die Frage,
Strafgesetzbuchs in Angriff genommen wurde. parlamentarischen Kämpfe,
Die harten
die mit der Beibehaltung (bez.
Wiedereinführung) der Todesstrafe endeten, sind bereits oben
§. 8 III (S. 32f.) geschildert worden. II. Anwendungsgebiet der Todesstrafe.
Wenn
wir von dem MilitärStGB, absehen, das die Todesstrafe in
10 Fällen absolut, in 8 Fällen alternativ androht,? findet
sich dieselbe in der Neichsgesetzgebung: 1. Als Strafe des vollendeten Mordes nach StGB.
§. 211. 2. Als Strafe des Mordes und Mordversuchs an dem Kaiser, dem
eigenen Landesherrn und dem
Landesherrn des Aufenthaltsstaates
StGB. §. 80
(Antrag v. Kardorff).
In beiden Fällen kann die Todesstrafe geschärft werden (StGB. §. 32) durch die Aberkennung der bürgerlichen Ehren
rechte (vgl. unten §. 51 I); in beiden Fällen wird ihr An
wendungsgebiet beschränkt durch die im StGB. (§§. 49 und 57) vorgeschriebene Reduktion der Strafrahmen bei Versuch,
Beihülfe und jugendlichem Alter des Thäters (vgl. oben §. 33 111, §. 37 II 4, unten §. 54 II 2).
3. Eine wesentliche Erweiterung des Anwendungsgebietes der Todesstrafe Folge.
hat der Eintritt des Kriegsrechtes zur
Vgl. darüber oben §. 16 I.
III. Vollzug der Todesstrafe.
Die Todesstrafe ist
nach StGB. §. 13 durch Enthaupten, nach §. 14 Mil.-
2 Vgl. Binding Kommentar S. 107.
Die Todesstrafe.
§. 45.
185
StGB, durch Erschießen zu vollstrecken, wenn sie wegen
eines militärischen,
im Felde auch dann, wenn sie wegen
eines nicht militärischen Verbrechens erkannt worden ist.
Nach der StPO.
(§. 485)
ist
die Vollstreckung der
Todesstrafe erst zulässig, wenn der Träger des Begnadi gungsrechtes (unten §. 57 IV 3 und 4) erklärt hat,
demselben keinen Gebrauch machen zu wollen.
von
Geisteskrank
heit oder Schwangerschaft hemmt die Vollstreckung. Durch die
StPO. (§. 486) ist ferner die sogenannte
Jntramuranhinrichtung^ (Vollstreckung in einem um
schlossenen Raume bei beschränkter Oeffentlichkeit) Reichsrecht
geworden.
Bei der Hinrichtung müssen zwei Mitglieder des
Gerichtes erster Instanz, ein Beamter der Staatsanwaltschaft, ein Gerichtsschreiber und ein Gefängnisbeamter gegenwärtig sein.
Der Gemeindevorstand des Ortes,' an welchem die
Hinrichtung stattsindet, ist aufzufordern, 12 Personen aus den Vertretern oder aus anderen achtbaren Mitgliedern der
Gemeinde abzuordnen,
um der Hinrichtung
beizuwohnen.
Außerdem ist einem Geistlichen von dem Religionsbekennt nisse des Verurteilten, dem Verteidiger und nach Ermessen
des die Vollstreckung leitenden Beamten auch anderen Per sonen der Zutritt zu gestatten.
Ueber den Hergang ist ein von
dem staatsanwaltschaftlichen Beamten und dem Gerichtsschreiber
zu unterzeichnendes Protokoll aufzunehmen.
Der Leichnam
des Hingerichteten ist den Angehörigen auf ihr Verlangen
zur einfachen,
ohne Feierlichkeiten vorzunehmenden Beerdi
gung zu verabfolgen. Von diesen Bestimmungen abgesehen, ist die Vollstreckung
3 Vgl. Ullmann GS. XXXI.
Zweites Buch. II. Die Strafmittel,
186
der Todesstrafe (durch Fallbeil, Fallschwert, eigentliche Ent
hauptung) landesrechtlich geordnet.
2.
K. 46. Vie Freiheitsstrafe? I.
Die
Freiheitsstrafe
Strafe der Neuzeit an.
gehört
als
eigentliche
peinliche
Noch der peinlichen Ger.Ordnung
Karl's V ist sie in dieser Bedeutung fremd; und die seit
dem Ende des 16. und dem Anfänge des 17. Jahrhunderts allmählich
auftauchenden Zuchthäuser (in Amsterdam 1595,
Lübeck 1613, Hamburg 1618 usw.), für Landstreicher und
Arbeitsscheue, für Bettler und liederliche Dirnen, für störriges
Gesinde und ungeratene Kinder bestimmt, waren alles An dere eher als Strafanstalten im modernen Sinne.
Erst all
mählich dringt die Freiheitsstrafe in wechselnden, häufig noch ganz embryonalen Formen in das Strafensystem ein. Sieg war
entschieden,
Ihr
als man in der Gemeinschaft der
Häftlinge den Krebsschaden des bisherigen Strafvollzuges erkannt
und damit zugleich den Weg zur Beseitigung der
gröbsten Mißstände gefunden hatte. Mit dem 1775 eröffneten Zuchthause zu Gent beginnt
die Aera der Gefängnisreform.
weise
durchgeführte
Gedanke
Der hier wenigstens teil der
Einzelhaft
wird
durch
Howard (f 1790) und Blackstone (f 1780) nach England, durch Benjamin Franklin (t 1790) nach Amerika ver-
1 Lit. bei Dinding Grund riß S. 116. Besonders wichtig dieProtokolle der internationalen Gefangniskongresse von London (1872) und Stockholm (1878).
AuS neuester Zeit Schriften von Almquist 1879 (über Schwe den), Streng 1879 (Nürn berg), Mittelstädt 1879, von Schwarze 1880, Fulda 1880.
Die Freiheitsstrafe. §. 46.
187
pflanzt. Hier entwickeln sich (in den 20 er Jahren des neunzehnten Jahrhunderts) zwei rivalisierende Systeme; das Arrburn'fche Schweigsystem und das Pensylvanische Pönitentiar-System. Bon Amerika flutet die Bewegung, die dort eine stark pietistische Färbung angenommen hatte, zurück nach Europa; allenthalben entstehen, meist nach dem Muster von Petonville (1842) Zellengefängnisse, in dem von Bentham (t 1832) erdachten panoptischen Systeme erbaut. Aber noch während die Zellenhaft ihren Siegeszug durch Europa hielt, war ihr ein gefährlicher Gegner entstanden in dem von Walter Crofton aufgestellten, 1857 in Irland, 1864 teilweise in England eingeführten Progressivsystem. Auf dem Gedanken allmählicher Wiederherstellung des sitt lichen Gleichgewichts im Sträflinge, allmählicher Wiederein führung desselben in die bürgerliche Gesellschaft aufgebaut, besteht dasselbe im Wesentlichen auS folgenden, von dem Verurteilten zu durchlaufenden Stadien: a) strenge 9 mo natliche Einzelhaft; b) gemeinsame Arbeit in 4 progressiven Abteilungen; c) Aufenthalt in der Zwischenanstalt (Interme diate prison), in welcher dem Sträfling freierer Verkehr mit der Außenwelt gestattet ist; d) bedingte Entlastung mit der Möglichkeit des Widerrufes. Daß das sogenannte irische System, soweit eS sich um besterungsfähige und besterungsbedürstige Verbrecher handelt, glänzende Erfolge aufzuweisen hat, kann nicht in Abrede ge stellt werden; den Abschreckungs- oder Sicherungszweck zu er reichen, ist es ungeeignet. II. Die Freiheitsstrafen der Reichsgesetzgebung sind Zuchthaus, Gefängnis, Festungshaft und Haft. Sie unterscheiden sich in folgenden Punkten. 1. Art der Verwendung. Zuchthaus ist die Ver-
188
Zweites Buch. II. Die Strafmittel.
brechensstrafe; Gefängnis die Bergehens-, Haft die Uebertretungsstrafe. Doch findet sich Haft ausnahmsweise (StGB. §. 185 sowie in §. 147 der Gew.Ordnung) auch bei Vergehen. Die Festungshaft soll sowohl Zucht haus als auch Gefängnis ersetzen, und wird wahlweise mit diesen beiden Strafen bei einer Reihe politischer Delikte, aus schließlich bei Zweikampf angedroht. 2. Dauer. Zuchthaus und Festungshaft sind lebenslange oder zeitige, Gefängnis und Haft immer zeitige Freiheitsstrafe. Das Maximum beträgt bei den beiden ersten 15 Jahre, bei Gefängnis 5 Jahre (Ausnahmen in StGB. §§. 57 und 74), bei Haft 6 Wochen (Ausnahmen in §§. 77 und 78 StGB.). Der Mindestbetrag ist bei Zuchthaus 1 Jahr, so daß Bruchteile eines Jahres in Gefängnis umgewandelt werden müssen (vgl. darüber unten §. 55 I 2); bei den übrigen Freiheitsstrafen 1 Tag. Vgl. StGB. §§. 14—18. 3. Die Bemessung der Zuchthausstrafe erfolgt nach vollen Monatendie der übrigen Freiheitsstrafen nach vollen Tagen. StGB. §. 19. 4. Arbeitszwang ist mit Zuchthaus obligatorisch verbunden (StGB. §. 15); Außenarbeit bei Trennung von freien Arbeitern gestattet. Die zu Gefängnis Verurteilten (StGB. §. 16) können auf eine ihren Fähigkeiten und Ver hältnissen angemessene Weise beschäftigt werden; auf ihr Verlangen sind sie in dieser Weise zu beschäftigen; Außen arbeit ist nur mit ihrer Zustimmung zulässig. Bei Festungs haft (StGB. §. 17) ist Arbeitszwang ausnahmslos ausge-
2 Dies gilt nicht bei Um-l Anrechnung; vgl. Wandlung wohl aber bei der | I 2 u. II.
unten §.55
schlossen; bei Haft findet er nur ganz ausnahmsweise (StGB. §. 362, 361 Z. 3—8 gegen Landstreicher, Bettler, Müssig gänger, Arbeitsscheue, Prostituirte, Erwerbslose) statt. 5. Neben Zuchthaus tritt der Verlust gewisser Ehren rechte von Rechtswegen ein (StGB. §. 31); neben Zucht haus und (unter gewissen Voraussetzungen) neben Ge fängnis kann vollständige, neben letzterem und (in gewissen Fällen) neben der Festungshaft teilweise Ab erkennung der Ehrenrechte stattfinden (StGB. §§. 32 ff.); neben Haft ist die Aberkennung ausgeschlossen. Vgl. das Nähere unten §. 51. 6. Einzelhaft und bedingte Entlassung (StGB. §§. 22 ff.) finden bei Zuchthaus und Gefängnis, nicht aber bei Festungshaft und Hast Anwendung. Vgl. unten III 1 und 2. III. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe ist nur zum kleinsten Teile durch die bisherige Reichsgesetzgebung geordnet, zum weitaus größten Teile der landesrechtlichen Bestimmung überlassen. Die Resolution des Reichstages vom 4. März 1870, in welcher der Wunsch nach reichsge setzlicher Regelung ausgesprochen wurde, hat bisher nur zur Ueberreichung eines Gesetzentwurfes über die Vollstreckung Frecheitsstrafen an den Bundesrath geführt? Die Unklar heit über Wesen und Zweck der Freiheitsstrafe, die aus den wichtigsten Bestimmungen dieses Entwurfes spricht, läßt in dessen nur geringe Hoffnung auf eine halbwegs befriedigende Lösung der brennenden Reformfrage austommen. Die bereits vorhandenen reichsgesetzlichen Bestimmungen über den Vollzug der Freiheitsstrafen betreffen: 8 Ueber denselben Tauffer GS. XXXI.
190
Zweites Buch. II. Die Strafmittel.
1. Die Einzelhaft (StGB. §. 22)? Zuchthaus- und Gefängnisstrafe können sowohl für die ganze Dauer, wie für einen Teil der erkannten Strafzeit in der Weise in Einzel haft vollzogen werden, daß der Gefangene unausgesetzt von anderen Gefangenen gesondert gehalten wird. Die Einzel haft darf ohne Zustimmung des Gefangenen die Dauer von drei Jahren nicht übersteigen. 2. Die vorläufige (bedingte) Entlassung (Beurlau bung (StGB. §§. 23—26). Die zu einer längeren (zei tigen) Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe Verurteilten können, wenn sie drei Vierteile, mindestens aber ein Jahr der ihnen auferlegten Strafe verbüßt, sich auch während dieser Zeit gut geführt haben, mit ihrer Zustimmung vorläufig entlassen werden. Ist die festgesetzte Strafzeit abgelaufen, ohne daß ein Widerruf der vorläufigen Entlassung erfolgt ist, so gilt die Freiheitsstrafe als verbüßt. Dagegen hat der Widerruf — zulässig bei schlechter Führung des Entlassenen, sowie wenn derselbe den ihm auf erlegten Verpflichtungen zuwiderhandelt — die Wirkung, daß die seit der vorläufigen Entlassung bis zur Wiedereinliefe rung verflossene Zeit auf die festgesetzte Strafdauer nicht ein gerechnet wird. Entlassung und Widerruf liegen in der Hand der obersten Justizaufsichtsbehörde; die vorläufige Festnahme Entlassener kann auch von der Ortspolizeibehörde verfügt werden. 3. Die gegen jugendliche Personen erkannten Frei heitsstrafen sind in besonderen nur für diesen Zweck be stimmten Anstalten oder Räumen zu vollziehen.
4 Holtzendorff HR. „Einzelhaft".
Die Geldstrafe. §• 47.
191
3. 8.47. Bit Grldstrafe.l
I. Die Geldstrafe ist die einzige Vermögens-Hauptstrafe im Strafensystem der Reichsgesetzgebung. Sie hat hier reiche — vielleicht zu reiche — Verwendung gefunden. Sehen wir von den Fällen ab, in welchen Geldstrafe neben Frei heitsstrafe mmulativ angedroht, in welchen sie also Neben strafe ist, so tritt sie uns bei den einzelnen Delikten bald als ausschließlich, bald als mit der Freiheitsstrafe alternierend und zwar bald an erster bald an zweiter Stelle angedrohte Strafe entgegen. II. Der Mindestbetrag der Geldstrafe ist bei Ver brechen und Vergehen drei Mark, bei Uebertretungen eine Mark. Der Höchstbetrag der Geldstrafe ist im allgemeinen Teile des StGB.'s nicht angegeben; im besonderen Teile übersteigt er 6000 Mark nicht, nur in dem durch das Wucher gesetz vom 24. Mai 1880 eingefügten §. 302 d kann bis auf 15 000 Mark erkannt werden. Weit höher reicht die Geld strafe in den Nebengesetzen, wo sie in zahlreichen Fällen als Vielfaches oder quoter Teil der hinterzogenen Abgaben, des defraudirten Portos usw. auftritt. Außer zahlreichen Zollund Steuergesetzen seien als Beispiele erwähnt: Gesetz betr. die Jnhaberpapiere mit Prämien vom 8. Juni 1871 §. 6: Geldstrafe, welche dem 5. Teile des Nennwertes der den Gegenständ der Zuwiderhandlung bildenden Papiere gleich kommt, mindestens aber 100 Thaler betragen soll; Bankgesetz vom 14. März 1875 §. 55: GeK)strafe, welche 1 Lit. bei Binding Grundriß S. 129. GA. XXVII u. XXXVIII.
Dazu Kronecker
192
Zweites Buch. II. Die Strafmittel.
dem Zehnfachen des Betrages der unbefugt auSgegebenen Wertzeichen gleichkommt, mindestens aber 5000 Mark beträgt; Wechselstempelsteuergesetz vom 10. Juni 1669 §. 15: Geldbuße, welche dem 50fachen Betrage der hinterzogenen Abgabe gleichkomntt; Gesetz betr. Ausgabe von Banknoten vom 21. Dezember 1874 Art. II §. 2: 4fache Betrag der gesetzwidrig ausgegcbenen Banknoten, mindestens aber 1000 Mark. Die Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 rechnet in den §§. 83 und 84 nach dem Betrage der Monatsheuer. III. Die Geldstrafe wird vom Staate eingezogen und für öffentliche Zwecke verwendet, die in einzelnen Nebenge setzen besonders bezeichnet sind. Vgl. z. B. Personenstands gesetz vom 6. Februar 1875 §. 70, nach welchem die hier angedrohten Geldstrafen jenen Gemeinden zufließen, welche die sächlichen Kosten der Standesämter zu tragen haben; Nah rungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 §. 17, nach welchem jene Kaffen bezugsberechtigt sind, welchen die Unterhaltung der zur technischen Untersuchung von Nahrungs- und Ge nußmitteln bestimmten Anstalten obliegt; Gewerbe-Ordnung §. 146 (Hülfskaffe, andere zum Besten der Arbeiter bestehende Kassen, eventuell Ortsarmenkaffe, Gewerbe-Ordnung §. 116); Postgesetz vom 28. Oktober 1871 §. 33 (Postarmen- oder Unterstützungskaffe); Tabacksteuergesetz vom 16. Juli 1879 §. 46 (Fiskus desjenigen Staates, von dessen Behörden die Strafentscheidung erlassen ist); Waarenverkehrs-Statistik-Gesetz vom 20. Juli 1879 §. 17 (ebenso); Wechselstempelgesetz vom 10. Juni 1869 §. 17 (ebenso); Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878 §. 19 (ebenso); Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 §. 107 (Seemannskasse bez. Ortserrmenkasse des Heimathshafens deS Schiffes).
Der Verweis. §. 48.
Vollstreckung
Die
der
Geldstrafm
193 erfolgt nach
bett
die Vollstreckung der Urteile der Civil-
Vorschriften über
gerichte (StPO. § 495).
Ueber
die Vollstreckung in den
Nachlaß deS Verurteilten (StGB. §. 30) vgl. unten §. 57
II; über die Umwandlung der Geldstrafe in Freiheitsstrafe
(StGB. §§. 28 und 29) unten §. 55 I 1.
4.
8« 48.
Ott verweis.'
I. Der Verweis, schon int gemeinen Recht und in mehre ren deutschen Partikularstrafgesetzbüchern als Strafmittel an erkannt, findet sich in der Reichsgesetzgebung in einem ein
zigen Falle (StGB.
§. 57 Ziff. 4): Hat ein jugendlicher
Thäter ein Vergehen oder eine Uebertretung begangen, so kann
in
leichten Fällen auf Verweis
besonders
erkannt
werden.
IL
Der Verweis ist eigentliche Strafe, und zwar die
einzige Hauptstrafe an der Ehre. Er kann daher erst erteilt werden, wenn
das auf ihn erkennende Urteil rechtskräftig
geworden ist.
Ueber
es — auch
nungen;
es
Vollzug dieser
den
Strafart
fehlt
in der StPO. — an ausdrücklichen Anord
sind
daher
die
übrigen Bestimmungen der
StPO, zur analogen Anwendung zu bringen.
So hat
z. B. die Erteilung des Verweises gemäß §. 483 StPO,
durch die Staatsanwaltschaft auf Grund einer von dem GerichtSschreiber zu erteilenden, mit der Bescheinigung der Voll»
1 Lit. bei Binding Grundriß S. 124. Dazu die DarfteDungen des Strafprozeßrechts von Liszt, Strafrecht.
bei der Lehre von der Straf Vollstreckung.
13
Zweites Buch. II. Die Strafmittel.
194
streckbarkeit versehenen, formel zu geschehen.
beglaubigten Abschrift der Urteils
Wo die Analogie der Bestimmungen
der StPO, nicht ausreicht, ist landesgesetzliche Regelung notwendig und maßgebend.
B. Die Nebenstrafen. 1. §. 49. Nrbrnstrafen an der ckrrihrit.'
Daß wir es hier mit wirklichen Neben strafen, nicht aber mit polizeilichen Maßregeln zu thun haben, ergiebt sich
aus dem oben §. 42 besprochenen Begriffe der Strafe. Die richtige Auffaffung der Strafe, nach welcher sie Rechtsgüter
schutz durch Rechtsgüterverletzung ist, nach welcher Art und
Maß der Strafe lediglich bestimmt wird durch das Be dürfnis nach Schutz der Rechtsgüter, hat gerade in diesen
Nebenstrafen an der Freiheit, fteilich ohne daß der Gesetz
geber sich klar geworden wäre über die theoretische Trag weite seiner Anordnungen, prägnanten gesetzlichen Ausdruck
gefunden.
Zielbewußte
Erweiterung
dieser
Einrichtungen
und Verschmelzung derselben mit den Hauptstrafen bildet
die Aufgabe künftiger rationeller Strafgesetzgebung. Es gehören hieher
I. DaS gerichtliche Erkenntnis auf Zulässig keit von Polizeiaufsicht, das neben der Freiheitsstrafe,
und
zwar
regelmäßig
neben
Zuchthaus,
ausnahmsweise
(StGB. §§. 180, 262, 294) auch neben Gefängnis, aber 1 Lit. bei Dinding Grundriß S. 123.
Nebenstrafen an der Freiheit.
§. 49.
195
nur in den durch das Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Fällen,
dem richterlichen Ermessen anheimgcgeben ist (StGB. §. 38).
Diese vorgesehenen Fälle sind: StGB. §§. 115, 116 (Auf ruhr und Auflauf), 122 (Meuterei von Gefangenen),
125
(Landfriedensbruch), 146, 147 (Münzverbrechen), 180, 181 (Kuppelei), 248 (Diebstahl und Unterschlagung), 256 (Raub und Erpressung), 262 (Hehlerei), 294 (gewerbsmäßige Wild
dieberei), 325 (Reihe von gemeingefährlichen Delikten), 49 a
(Aufforderung und Erbieten zu Verbrechen); ferner bei dem Versuch
eines mit Tod oder lebenslangem Zuchthaus be
drohten
Verbrechens und
(StGB. §§. 44 und 49);
der
Beihülfe
zu
einem solchen
Nahrungsmittelgesetz
14. Mai
1879 §. 13.
Ist Polizeiaufsicht neben der Strafe des vollendeten Ver
brechens oder Vergehens zulässig, so gilt Gleiches bei der Versuchsstrafe
(StGB.
§. 45);
ist sie
wegen
einer von
mehreren real konkurrierenden strafbaren Handlungen zulässig, so kann auf sie auch neben der Gesammtstrafe erkannt werden
(StGB. §. 76). Dem jugendlichen Thäter gegenüber darf Zulässigkeit der
Polizeiaufsicht nicht ausgesprochen werden(StGB. §. 57Ziff. 5). Durch ein solches Erkenntnis erhält die höhere LandeSpolizeibehörde die Befugnis, nach Anhörung der Gefängnis verwaltung den Verurteilten auf die Dauer von höchstens
5 Jahren unter Polizeiaufsicht zu liellen.
Diese Zeit wird
von dem Tage berechnet, an welchem die Freiheitsstrafe ver büßt, verjährt oder erlassen ist (StGB. §. 38).
Die Polizeiaufsicht hat folgende Wirkungen:
a) dem Verurteilten
kann
der Aufenthalt an einzelnen
bestimmten Orten von der höheren Landespolizeibehörde untersagt werden;
Zweites Buch. II. Die Strafmittel.
196
b) die höhere Landespolizeibehörde ist befugt, den Aus länder auS dem Bundesgebiete zu verweisen;
c) Haussuchungen unterliegen keiner Beschränkung hin
sichtlich der Zeit, zu welcher sie stattfinden dürfen. Weitere Folgen enthält die StPO, in den §§. 103, 104,
106, 113. Zuwiderhandlungen
gegen
diese Beschränkungen fallen
unter StGB. §. 361 Ziff. 1 und 2.
II. Die Ueberweisung an die Landespolizeibe hörde.
Neben der Verurteilung zur Haft wegen der in
§. 361 StGB. Ziff. 3—8 bedrohten Delikte (gegen Land
streicher, Bettler, Müßiggänger, Prostituirte, Arbeitsscheue, Erwerbslose) kann zugleich erkannt werden, daß die verur
teilte Person nach verbüßter Strafe der Landespolizeibehörde
zu überwerfen sei.
Diese erhält dadurch die Befugnis, den
Verurteilten entweder bis zu zwei Jahren in ein Arbeits haus unterzubringen oder zu genreinnützigen Arbeiten zu ver
wenden.
Im Falle des §. 361 Ziff. 4 (Bettel) ist dies je
doch nur dann zulässig, wenn der Verurteilte in den letzten drei Jahren wegen dieser Uebertretung mehrmals rechts
kräftig verurteilt worden ist, oder wenn derselbe unter Dro hungen oder mit Waffen gebettelt hat.
Gegen Ausländer
kann an Stelle der Unterbringung in ein Arbeitshaus Ver weisung au8 dem Bundesgebiete eintreten (StGB. §. 362). Man spricht hier auch wohl von „korrektioneller Nachhaft"
oder „Anhang". III. Die Ausweisung auS dem Reichsgebiete ist als Neben strafe nur gegen Ausländer zulässig, und zwar
in folgenden Fällen:
1.
Bei gewerbsmäßigem Betriebe des Glücksspiels StGB. §. 284.
197
Nebenstrafen an der Freiheit. §. 49.
2.
An Stelle der Polizeiaufsicht oder der Unterbringung in
3.
Gegen Personen, welche sich die Agitation für sozial
ein Arbeitshaus StGB. §§. 39 Ziff. 2 u. 362 Abs. 3. demokratische Bestrebungen zum Geschäfte machen, hier
an Stelle der Versagung des Aufenthaltes.
Sozial.-
Gefetz vom 21. Oktober 1878 §. 22. Zuwiderhandlungen fallen unter §. 361 Ziff. 2 StGB.,
bez. unter §. 22 des Sozial.Gesetzes. IV. Aufenthaltsbeschränkung"
als Verwaltungs
maßregel häufig,
als Nebenstrafe nur im Sozial.Gesetz
(§. 22) angedroht.
Bei geschäftsmäßiger Agitation für sozial
demokratische Bestrebungen kann neben
der Freiheitsstrafe
wegen gewiffer Uebertretungen des Sozial.Gesetzes auf die Zu lässigkeit der Einschränkung des Aufenthaltes erkannt
werden.
Die Landespolizeibehörde erhält dadurch daS Recht,
dem Verurteilten den Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Ortschaften zu versagen; in seinem Wohnsitze jedoch nur
dann, wenn er denselben nicht bereits seit 6 Monaten inne
Ausländer können auSgewiesen werden.
hat. V.
Beschränkung des HauSrechtS trifft nach §. 3
Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 die auf Grund der §§. 10, 12, 13 dieses Gesetzes zu einer Freiheitsstrafe ver
urteilten Personen insofern, als die Polizei durch die Ver
urteilung die Berechtigung erhält, in den zu Herstellung, Aufbewahrung, Verkauf der Nahrungsmittel usw. bestimmten
Räumlichkeiten Revisionen vorzunehmen.
Die Befugnis
beginnt mit der Rechtskraft des Urteils und erlischt mit dem
Ablaufe von drei Jahren von dem Tage an gerechnet, an
welchem die Freiheitsstrafe verbüßt, verjährt oder erlassen ist. 3 Vzl. Leuthold in HR. „Aufenthaltsbeschränkung".
Zweites Buch. II. Die Strafmittel.
198
2.
50. Nebrnstrafru am vermögen?
I.
Die accessorische Geldstrafe,
überaus häufig,
besonders bei den aus Gewinnsucht hervorgegangenen Ver
brechen, in der Reichsgesetzgebung angedroht. II.
Die Einziehung der instrumenta und pro
ducta Sceleris, d. i. derjenigen Gegenstände, welche durch ein vorsätzliches
Verbrechen
oder welche zur Begehung
stimmt sind.
oder Vergehen
hervorgebracht
eines solchen gebraucht.oder be
Die Einziehung ist im Urteile auszusprechen
(StGB. §. 40).
Nur ausnahmsweise ist sie auch bei Ueber-
tretungen zulässig: StGB. §§. 360, 367, 369 Zisf. 2. Regelmäßig ist der Ausspruch der Einziehung dem Er
messen
des
Gerichtes
anheimgestellt;
in
einzelnen
Fällen
(StGB. §§. 152, 295, 296a, 335, 369 Zisf. 2) muß jedoch
auf Einziehung erkannt werden. Die Einziehung verliert den Charakter der Strafe,
so
bald sie nicht den Verurteilten, sondern dritte Personen trifft,
oder unabhängig von der Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person ausgesprochen werden kann.
Vgl. oben
§. 42 III 1. Sehr häufig findet sich die Einziehung in den Nebenge
setzen.
Man vgl. Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §§. 21
und 25, die Urhebergesetze vom 9., 10., 11. Januar 1876, Markenschutzgesetz vom 30. November 1874 §. 17, ReichS-
flaggengesetz vom 25. Oktober 1867 §§. 13—15, die Zoll-
und Steuergesetze, Sozialistengesetz vom 21. Oktober 1878 §. 20, Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 §. 15, Vieh-
1 Lit. bei Binding Grundriß S. 130.
Nebenstrafen am Vermögen. g. 50. seuchmgesetz vom 23. Joni 1880 §§. 65 und 66 usw.
199 Sehr
eingehende Bestimmungen über Konfiskation enthält daS Ver einszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 134, 135, 147, 154 bis
157; zu bemerken ist, daß, wenn die Konfiskation selbst
nicht vollzogen werden kann, an ihre Stelle die Zahlung einer Geldsumme tritt (§§. 155 und 147 letzter Absatz). III.
Die Unbrauchbarmachung
von Schriften
Wenn der Inhalt einer Schrift, Abbildung oder
u. dgl.
Darstellung strafbar ist, so ist im Urteile auszusprechen, daß alle Exemplare, sowie die zu ihrer Herstellung bestimmten
Platten und Formen unbrauchbar zu machen sind.
Die
Vorschrift bezieht sich jedoch nur auf die im Besitze des Verfassers, Druckers, Herausgebers, Verlegers oder Buch
händlers befindlichen und auf die öffentlich auSgelegten oder
öffentlich
angebotenen Exemplare.
Ist nur ein Teil der
Schrift, Abbildung oder Darstellung strafbar, so ist, insofern eine Ausscheidung möglich ist, auszusprechen, daß nur die strafbaren Stellen und derjenige Teil der Platten und Formen,
auf welchem sich diese Stellen befinden, unbrauchbar zu machen sind- (StGB. §. 41). IV.
Dauernder oder zeitiger Verlust der Be
fugnis zum Gewerbebetrieb.
Obwohl nach §. 143 der
Gew.Ordnung vom 21. Juni 1869 (vgl. mit §. 4 des Preß
gesetzes vom 7. Mai 1874) die Berechtigung zum Gewerbe betriebe weder durch richterliche noch durch administrative
Entscheidung entzogen werden kann, so ist dieser Satz von
der Reichsgesetzgebung doch nicht ausnahmslos durchgeführt worden.
1.
So findet sich der Verlust der Gewerbeberechtigung
- DaS Nähere bei Liszt ReichSpreßrecht §§. 54ff.
200
Zweites Buch. II. Die Strafmittel.
als Strafe in manchen Steuergesetzen angedroht, man vgl. z. B. Branntweinsteuergesetz vom 8. Juli 1868 §§. 52 u. 53; Salzsteuergesetz vom 12. Oktober 1867 §. 14.
2. Nach §. 23 deS Sozial.Gesetzes vom 21. Oktober 1878 kann gegen sozialdemokratische Agitatoren neben der Verur teilung zu Freiheitsstrafe wegen gewisser Uebertretungen des Sozial.Gesetzes auf Untersagung des Gewerbebetriebes er kannt werden, wenn es sich um Gastwirte, Schankwirte, mit Branntwein oder Spiritus Kleinhandel treibende Personen, Buchdrucker, Buchhändler, Leihbibliothekare und Inhaber von Lesekabineten handelt (vgl. auch §§. 24, 25 Sozial-Gesetz).
3.
tz. 51.
Nebenstrafen an -er Ehre.*
Die Nebenstrafen an der Ehre bestehen nach der Neichsgesetzgebung nicht etwa in einer Vernichtung oder Schmäle rung des Rechtsgutes der Ehre, sondern in dex gänzlichen oder teilweisen Aberkennung gewisser vom Gesetze genau be zeichneter „Ehrenrechte", d. h. von Rechten und Fähigkeiten, welche sich auf die öffentliche, nicht aber auf die privatrecht liche oder soziale Stellung des Verurteilten beziehen. I. Die Aberkennung sämmtlicher Ehrenrechte. Sie umfaßt: 1. den dauernden Verlust der aus öffentlichen Wahlen für den Verurteilten hervorgegangenen Rechte, ingleichen den 1 Lit. bei Binding Grundriß S. 124 u. Teichmann in HR. „Ehrenstrasen".
Nebenstrafen an ter Ehre.
g. 51.
201
dauernden Verlust der öffentlichen Aemter,' Würden, Titel,
Orden und Ehrenzeichen (nicht des.Adels). StGB. §. 33.
2.
Die Unfähigkeit,
während der im Urteile
bestimmten Zeit
a) die Landeskokarde zu tragen;
b) in das deutsche Heer oder in die kaiserliche Marine einzutreten; c) öffentliche Aemter, Würden, Titel, Orden und Ehren
zeichen zu erlangen; d) in öffentlichen Angelegenheiten zu stimmen, zu wählen
oder gewählt zu werden oder andere politische Rechte auszuüben;
e) Zeuge bei Aufnahme von Urkunden zu sein; f) Vormund, Nebenvormund, Kurator, gerichtlicher Bei
stand oder Mitglied eines Familienrates zu sein, eS
sei denn, daß eS sich um Verwandte absteigender Linie
handele und die obervormundfchaftljche Behörde oder der
Familienrat
die Genehmigung
erteile
(StGB.
§. 34)? Die Dauer der Unfähigkeit beträgt neben zeitiger Zucht hausstrafe mindestens 2 und höchstens 10 Jahre, neben Ge fängnisstrafe mindestens 1 und höchstens 5 Jahre (StGB.
§. 32).
Die Wirkung der Aberkennung tritt mit der Rechts
kraft des Urteils ein; die Zeitdauer der Unfähigkeit wird von dem Tage berechnet, an dem die Freiheitsstrafe, neben welcher 1 Darunter sind Advokatur, Anwaltschaft, Notariat sowie Geschwornen- u. Schöffendienst mitbeariffen. • Vgl. auch noch GewOrdg.
§. 106 Verlust der Fähigkeit, sich mit der Anleitung von Ar beitern unter 18 Jahren zu befaßen.
202
Zweites Buch. H. Die Strafmittel.
jene Aberkennung ausgesprochen wmde, verbüßt, verjährt oder erlassen ist (StGB. §. 36).
Die Aberkennung der sämmtlichen Ehrenrechte ist regel mäßig dem Ermessen des Gerichtes überlassen; obligatorisch vorgeschricben
ist sie nur in den §§. 161 (Meineid), 181
(schwere Kuppelei), 302 d (Wucher nach dem Gesetz vom
24. Mai 1880) StGB.
Neben Todes- und neben Zuchthausstrafe kann sie ohne weiteres,
neben Gefängnisstrafe aber nur dann
ausgesprochen werden (StGB. §. 32), wenn die Dauer der erkannten Strafe drei Monate erreicht und entweder daS
Gesetz den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte ausdrücklich
zuläßt oder die Gefängnisstrafe wegen Annahme mildernder Umstände an Stelle von Zuchthausstrafe ausgesprochen wurde.
Die Fälle, in welchen das Gesetz den Verlust ausdrück lich zuläßt, sind die §§. 49a, 108, 109, 133, 142, 143; 150, 160, 161, 164, 168, 173, 175, 180, 183, 248, 256,
262, 263, 266, 280, 284, 289, 294, 302, 302 a, b, c (Wucher nach dem Gesetz vom 24. Mai 1880), 304, 329, 333, 350;
Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 §. 12; Seemanns
ordnung vom 27. Dezember 1872 §. 97. Bei Versuch (StGB. §.45) ist die Aberkennung zu
lässig oder geboten, wenn sie es neben der Strafe des voll endeten Deliktes wäre (die Bersuchsstrafe muß also bei Ge
fängnis mindestens 3 Monate betragen); ebenso neben der Gesammtstrafe, wenn sie auch nur neben einer der ver wirkten Einzelstrafen zulässig oder geboten ist (StGB. §. 76).
Gegen den jugendlichen Thäter darf sie nie ausgesprochen werden (StGB. §. 57 Ziff. 5). II. Die Aberkennung (der Verlust)
einzelner
Ehrenrechte. Hier haben wir mehrere Fälle zu unterscheiden:
Nebenstrafen an der Ehre. §. 51.
203
1. Die Verurteilung zur Zuchthausstrafe hat die dauernde
Unfähigkeit zum Dienste in dem deutschen Heere und der deutschen Marine, sowie die dauernde Unfähigkeit
zur Bekleidung öffentlicher Aemter von
Rechtswegen zur
Folge (StGB. §. 31).
Neben einer Gefängnisstrafe, mit
2.
welcher die Ab
erkennung überhaupt hätte verbunden werden können, kann auf die Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter
die Dauer von 1 bis zu 5 Jahren erkannt werden
auf
(StGB. §. 35). Auf den dauernden Verlust der bekleideten öffent
3.
lichen Aemter und der aus öffentlichen Wahlen her
vorgegangenen Fällen der
Rechte
kann
erkannt werden
in
den
§§. 81, 83, 84, 87—91, 94, 95 StGB., und
zwar nach §. 95 neben der Gefängnisstrafe, in den übrigen Fällen neben der Festungshaft, die hier ausnahmsweise mit
einer Minderung der Ehrenrechte verbunden sein kann.
4. Nach den §§. 128, 129, 358 StGB, kann (nach den §§. 128 u. 129 nicht aber nach §. 358 nur gegen Beamte»
die sich dieser Delitte schuldig gemacht haben) auf Verlust der Fähigkeit
zur Bekleidung öffentlicher Aemter auf die
Dauer von 1 bis zu 5 Jahren erkannt werden.
Für die Berechnung der Dauer der zeitigen Unfähigkeit gilt auch hier das oben ad I Gesagte.
III.
Ist ein Deutscher im Auslande wegen eines Ver
brechens oder Vergehens bestraft worden, das nach den Ge
setzen
deS
deutschen Reiches
den Verlust der
bürgerlichen
Ehrenrechte überhaupt oder einzelner bürgerlicher Ehrenrechte zm Folge hat oder zur Folge haben kann, so ist ein neues
Strafverfahren zulässig, um gegen den in diesem Ver-
204
Zweites Buch.
II. Die Strafmittel.
fahren für Schuldig Erklärten auf jene Folgen zu erkennen (StGB. §. 37 vgl. mit §. 5 Nr. I u. 3).
Anhang. 8.52.
vir Süße.'
I. Anwendungsgebiet. Die Buße findet sich sowohl im Strafgesetzbuch selbst als auch in einzelnen Nebengesetzen. Die Fälle, in welchen auf Buße erkannt werden kann, sind die folgenden: 1. StGB. §. 188. Ueble Nachrede und Verleumdung (StGB. §§. 186 u. 187), wenn die Beleidigung nachteilige Folgen für die Bermögensverhältniffe, den Erwerb oder daS Fortkommen deS Beleidigten mit sich bringt. Maximum
6000 Mark. 2. StGB. §. 231. Körperverletzung in allen Fällen. Maximum 6000 Mark. 3. Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §§. 18, 43, 45. Bei vorsätzlichem wie bei fahrlässigem Nachdruck.
Maximum 6000 Mark. 4. Urheberrechtsgesetze vom 9. Januar 1876 §. 16, 10. Januar 1876 §. 9, 11. Januar 1876 §. 14. Wie unter 3. 5. Markenschutzgesetz vom 30. November 1874 §. 15.
Maximum 5000 Mark. 6. Patentgesetz vom 25. Mai 1877 §. 36. Maximum 10000 Mark. In allen Fällen ist der Zuspruch der Buße durch daS 1 Lit. bei Binding Grund- I testen §. 326; Dochow HR. riß S. 131; Windscheid Pan- \ »Buße".
Die Buße.
§♦ 52.
205
im strafprozessualen Verfahren zu stellende Verlangen des Verletzten (StPO. §§. 443—446) bedingt; ist die Büße an den Verletzten zu entrichten, schließt die erkannte Buße die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruches aus; haften die zur Buße Verurteilten als Gesammtschuldner;1 2 darf auf einen höheren Betrag der Buße als den beantragten nicht erkannt werden (StPO. §. 445); kann der Anspruch deS Verletzten von dessen Rechtsnachfolgern nicht er hoben oder fortgesetzt werden (StPO. §. 444 Abs. 4); erfolgt die Eintreibung nach denBorschristen derCPO. (StPO. §.495). II. Charakter der Buße. DaS Wesen der Buße ist lebhaft bestritten; bald wird sie als Strafe, bald als Ent schädigung, bald als ein aus beiden Elementen zusammen gesetztes Institut betrachtet. Wenn wir im Auge behalten, daß der Begriff der Entschädigung durch dm Ersatz vermögenSrechtlicher Nachteile nicht erschöpft wird, sondem auch die dem Verletzten gebührende Genugthuung für den von ihm erlittenen Eingriff in seine Rechtssphäre überhaupt in sich schließt (vgl. oben §. 42 II), so werden wir gegen die Auffassung der Buße als reiner Entschädigung, besser viel leicht: als Genugthuung keine Bedenken erheben können. Diese Auffassung schließt nicht aus, daß der Anspruch auf Buße ein höchst persönlicher, nur dem Verletzten, nicht aber seinen Erben zustehender ist. Direkte Bestätigung findet der Genugthuungscharakter der Buße in den Nebengesetzen (verb. „statt der Entschädigung kann auf Buße erkannt werden"). Von diesem Standpunkte aus können wir die meisten der an die Buße anknüpfenden Kontroversen erledigen. So ist 1 Wenn auch nur für die Falle unter 2—6 ausdrücklich im Gesetze ausgesprochen, gilt
dieser Satz doch auch in gleicher Weise für Fall 1.
206
Zweites Buch. in. Die gesetzlichen Strafrahmen ic.
weder der Nachweis eines pekuniären Nachteils/ noch ein
solcher Nachteil überhaupt Bedingung für daS Entstehen des Anspruchs; daher ist auch bei versuchtem Delikte Buße
zuzusprechen; daher ist die Buße in jenen zahlreichen Fällen ausgeschlossen
(vgl.
unten
§. 54 I 3),
in
welchen
der
Eintritt einer nicht verschuldeten Körperverletzung strafschärfend
wirkt; daher verjährt der Anspruch
auf Buße nach den
Grundsätzen deS Civilrechtes,
auch
wenn
seine Geltend
machung im Strafprozesse durch die strafrechtliche Verjährung
des Deliktes thatsächlich unmöglich
gemacht wird;
daher
wird die zuerkannte Buße durch Begnadigung nicht berührt,
während die Abolitien (vgl. unten ß. 57 IV 2 c) allerdings
mit dem Strafverfahren auch die Geltendmachung deS Buß anspruches verhindert.
Daher ist endlich das Schmerzens
geld, das in seinem innersten Kerne mit der Buße sich deckt, beseitigt,3 4 soweit das Anwendungsgebiet der Buße
reicht.
III. Die gesetzlichen Strafrahmen und ihre Hand
habung durch den Richter? §.53. Sie normalen Strafrahmen und die richterliche Lemrssung der Straf«.
I. In dem Wesen deS staatlichen Strafrechtes, als der Selbstbeschränkung der an sich unbeschränkten Strafgewalt
3 Anerkannt RGR. 18. März 1880, E I 328, R I 493. 4 Vgl. Windscheid §.455 91. 32.
1 Lit. bei Binding Grundriß S. 133 f.
Die normalen Strafrahmen rc. §. 53.
207.
(oben §. 1 I), liegt es, daß daS Strafgesetz nicht nur bot
Eintritt, sondern auch Art und Maß der Strafe bestimmt; der zweite Teil der eigentlichen Strafgesetze mehr ent
daß
hält,
die
als
nur
dem primitivsten
Rechtszustande ent
sprechenden Worte: der soll gestraft werdm (absolut unbe
stimmte Strafgesetze). Bei Feststellung der Art und des Maßes der Strafe kann der Gesetzgeber entweder das richterliche Ermessen
ganz ausschließen oder demselben einen gewissen Spielraum
gestatten.
Im 1. Falle
stimmten Strafgesetze,
entstehen die
sog. absolut be
die in dem modernen Strafrechte
eine ganz untergeordnete Rolle spielen (vgl. StGB. §§. 80, 211)
und
ihre Existenz
nur
noch
der Beibehaltung
der
Meist schlägt der Gesetzgeber unserer
Todesstrafe verdanken.
Tage den zweiten Weg ein: er stellt relativ bestimmte Strafgesetze auf.
1.
Die Relativität kann liegen:
Darin, daß der Gesetzgeber dem Richter innerhalb
derselben Strafart einen gewissen Spielraum zwischen einem
Minimal- und einem Maximalbetrage läßt. In diesem Falle ist nicht nur der Abstand zwischen Minimum und Maximum, sondern auch die durch die Art der Berechnung (vgl. z. B. oben §. 46 II 3) bestimmte Zahl der dazwischen liegenden
Strafgrößen zu beachten. 15 Jahren"
„Festungshaft
169;
So enthält „Zuchthaus, bis zu
„Gefängnis
bis zu
bis zu 5 Jahren"
15 Jahren"
5478;
„Haft
1826; bis zu
6 Wochen" 42 Strafgrößen.
2. Darin, daß der Gesetzgeber dem Richter die Wahl
läßt zwischen zwei oder sogar mehreren (wieder durch
Minimum und Maximum begrenzten) Strafarten.
Dgl.
StGB. §. 185: „Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Haft, oder Gefängnis bis zu
einem Jahre".
In diesem Falle
208
Zweites Buch. in. Die gesetzlichen Strafrahmen rc.
hat der Richter in leichteren Fällen die leichtere Strafart;
wenn Zuchthaus und Festungshaft zur Wahl gestellt sind, Zuchthaus nur bei festgestellter ehrloser Gesinnung des Thä ters zu wählen (StGB. §. 20).
3. Darin, daß eS dem richterlichen Ermessen in vielen
Fällen überlassen wird, ob die Hauptstrafe allein, oder neben derselben eine Nebenstrafe einzutreten hat. Nur den relativ bestimmten Strafgesetzen gegenüber ist
der Ausdruck Strafrahmen passend. II.
Welche Gesichtspunkte haben den Gesetzgeber
bei Aufstellung seiner Strafrahmen zu leiten? Die richtige
Antwort auf diese Frage liegt in dem Zweck der Strafe so klar wie möglich ausgesprochen: das Bedürfnis der Rechts
ordnung nach Schutz
ihrer Rechtsgüter ist der erste und
wichtigste Maßstab; der zweite ergiebt sich daraus, daß Mittel und Zweck im richtigen Verhältnisse zu einander stehen müssen,
daß das Mittel nicht tiefere Wunden schlagen darf als die
Vereitelung des Zweckes.
Die weitere Durchführung dieses
Gedankens gehört umsoweniger hieher, als er im heutigen
Recht nur in einzelnen Fällen und ohne daß der Gesetzgeber sich klar darüber würde, die Aufstellung der Strafrahmen
beeinflußt.
Der Gesetzgeber steht vielmehr unter dem Banne
jener Ansicht, die den Maßstab der Strafe in dem began genen Verbrechen sieht, jener Ansicht, die zwischen Unrecht
und Strafe eine Gleichung herzustellen sucht.
Darum stuft
der Gesetzgeber seine Strafsätze im Wesentlichen nach zwei Gesichtspunkten ab:
1. Nach der objektiven Bedeutung des Unrechtes, also nach Tiefe und Umfang der durch dasselbe bewirkten Störung
der Rechtsordnung;
Die normalen Strafrahmen (Strafzumessung), g. 53.
209
2. nach der subjektiven Bedeutung deS Unrechtes, also nach der Schwere der Schuld deS Verbrechers, in. Innerhalb der gesetzlichen Strafrahmen hat der Richter die Strafe für das einzelne konkrete Verbrechen zu bemessen; im Einzelfalle die Aufgabe zu lösen, die der Gesetzgeber im allgemeinen zu lösen hatte. Dieser steht dem Diebstahle, jener diesem Diebstahle gegenüber. Eben dämm hat er innerhalb deS ihm gelassentn Spielraumes dieselben Gesichtspunkte zu beachten, die den Gesetzgeber bei der Auf stellung seiner Strafrahmen geleitet haben. Diese Bestim mung der Strafe innerhalb deS.Strafrahmens heißt Straf zumessung; die den Richter bei derselben leitenden Ge sichtspunkte StrafmehrungS- (oder StraferhöhungS-) und StrafminderungS gründe. IV. Wenn auch der Gesetzgeber die Strafrahmen für die einzelne Verbrechensart hinlänglich weit bemißt, so daß sie der objektivm und subjeküven Schwere der meisten Fälle dieser Verbrechensart entsprechen, so können doch Fälle vorkommen, denen gegenüber der normale Strafrahmen stch als zu eng erweist, in welchen also ein Hinaufgehen über daS Maximum, ein Herabgehen unter daS Minimum als angezeigt erscheint. Für diese Fälle stellt der Gesetzgeber besondere, sei eS schwerere sei es leichtere, Strafrahmen auf. Nicht ganz korrekt spricht man hier von Strafänderung (als ob eS sich um «ine richterliche und nicht um eine gesetzgeberische Thätigkeit handelte), zerfallend in Strafschärfung und Strafmilderung. V. Thatsächliche oder rechtliche Unanwendbarkeit an sich anzuwendender Strafarten führt zur Strafumwandlung (unten §. 55 I); die Kollision zwischen früheren und spä teren in derselben Sache notwendig werdenden Entscheidungen von Liszt, Strafrecht.
14
210
Zweites Buch. III. Die gesetzlichen (Strafrahmen re.
zur Strafanrechnung (unten §. 65 II). Endlich sind noch die besonderen Bestimmungen ins Auge zn fassen, welche der Gesetzgeber für den-Fall der Realkonkurrenz getroffen hat (unten §. 56). §. 54. Nir besonderen Strafrahmen (sog. „Strafänderung»).
Die regelmäßige Weite der von der Reichsgesetzgebung verwendeten normalen Strafrahmen gestattet es, die Auf stellung von besonderen Strafrahmen auf ein verhältnis mäßig kleines Gebiet zu beschränken. I. Erhöhte Strafrahmen (Strafschärfung). 1. Den Rückfäll (den Begriff s. oben §. 41 I) verwendet der Gesetzgeber nur in einzelnen Fällen und in durchaus in konsequenter Weise als Sttafschärfungsgrund. So in dem StGB, selbst in den §§. 244, 245 (Diebstahl), 250 Z. 5 (Raub), 261 (Hehlerei), 264 (Betrug). Ferner in einzelnen Nebengesetzen, besonders in den Zoll- und Steuergesetzen. Man vgl. Salzsteuergesetz vom 12. Oktober 1867 §. 12; Branntweinsteuergesetz vom 8. Juli 1868 §§. 52, 53; Ver einszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 140—143; Rübenzucker steuergesetz vom Mai 1870 (Vrdg. von 1846 §§. 19, 20, 25); Postgesetz vom 28. Oktober 1871 §. 28; Brausteuer gesetz vom 31. Mai 1872 §§. 33, 34; Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879 §§. 37—39. (Dagegen Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §. 23.) 2. In einzelnen Fällen wird für die gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Begehung des Deliktes (Begriff oben §. 39 n 3) ein erhöhter Strafrahmen aufgestellt; vgl. StGB. §§. 260, 294, 302 d (Wucher); vgl. auch Vereins-
Die besond. Strafrahmen (sog. „Strafänderung"), g. 54.
zollgesetz vom 1. Juli 1860 §. 141 2. Abs.
211
Andere Schär-
fungsgründe wie die Oeffcntlichkeit der Verübung, der Ge
brauch einer Waffe,
Richtung der Handlung gegen einen
Ascendenten, Begehung um des eigenen Vorteils willen usw. werden wir im besonderen Teile kennen lernen; Anspruch auf
allgemeinere Bedeutung haben sie nicht. 3. Erwähnung verdienen nur noch die zahlreichen Fälle,
in
der
welchen
Eintritt
Strafschärfung bewirkt.
eines
schwereren
Erfolgs
Man vgl. StGB. §§. 178, 220,
221, 226, 227, 229, 239, 251, 312, 315, 321—324 usw.
Zu bemerken ist, daß in all' diesen Fällen der Erfolg nicht schuldhaft
(also
weder vorsätzlich noch fahrlässig) herbeige
führt sein braucht, daß er demnach jedem Teilnehmer zuzu rechnen,
sowie endlich,
Fälle nicht möglich
daß
ein Versuch
dieser schwereren
und denkbar ist, weil bei ÄUchteintritt
deS schwereren Erfolges eben nur der einfache Fall, bei Ein
tritt desselben aber sofort Vollendung des schwereren Verbrechms vorliegt.
(Vgl. oben §. 27 II, §. 32 IV 1.)
n. Erniedrigte Strafrahmen (Strafmilderung). 1.
Bei zahlreichen Verbrechen hat der Gesetzgeber für
den Fall „mildernder Umstände", die er nicht näher spezia lisiert und die im schwurgerichtlichen Verfahren durch Be fragung der Geschworenen festzustellen sind (StPO. §. 297),
einen besonderen niederen Strafrahmen aufgestellt.
Dabei
weist er in den meisten Fällen den Richter bestimmt an, sich,
wenn mildernde Umstände vorliegen, dieses milderen StrafrahmmS zu bedienen; in anderen Fällen (so StGB. §§. 187,
246, 263, 333, 340 nicht aber 228) dagegen läßt er dem
Richter trotz
Feststellung
stände die Wahl,
des Vorliegens
mildernder Um
ob er sich des normalen oder deS ernie
drigt« Strafrahmens
bedienen will.
Richt zu verwechseln
212
Zweites Buch.
IN. Die gesetzlichen Strafrahmen rc.
mit den mildernden Umständen sind die „leichteren", „minder schweren Fälle" in StGB. §§. 57 Ziff. 4, 94, 96; hier liegt
in der That nur ein Strafrahmen vor. 2.
Die verminderte Zurechnungsfähigkeit (vgl.
oben §. 25 III) hat der Gesetzgeber nur beim jugendlichen
Alter, hier aber als allgemeinen (für alle von jugendlichen Personen
begangenen
derungsgrund verwertet.
strafbaren Handlungen)
Strafmil
Dgl. StGB. §. 57.
a) Ist die Handlung mit dem Tode oder mit lebensläng lichem Zuchthaus bedroht',
so lautet der erniedrigte
Strafrahmen: Gefängnis von 3—15 Jahren.
b) Bei lebenslänglicher Festungshaft:
Festungshaft von
3—15 Jahren. c) In allen übrigen Fällen ist die Strafe zwischen dem
gesetzlichen Mindestbetrage der angedrohten Strafart und
der Hälfte des Höchstbetrages der angedrohten
Strafe zu bestimmen.
Dies gilt auch für diejenigen
Fälle, in welchen (vgl. oben §. 47 II) die Geldstrafe
dem Erwachsenen gegenüber als Vielfaches eines ab solut bestimmten Betrages zu bemessen ist, so daß auch hier die in §. 27 StGB, angegebenen Minimalbeträge
maßgebend sind;
RGR. 24. März 1880, E I 334.
An Stelle von Zuchthaus tritt Gefängnisstrafe von
gleicher Dauer.
d) Wegen Vergehen oder Uebertretungen kann in beson ders leichten Fällen auf Verweis erkannt werden.
e) Auf Verlust sämmtlicher oder einzelner
Ehrenrechte
sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht ist nicht zu erkennen.
Die mildere Behandlung der Kindestötung ist dagegen nicht auf verminderte Zurechnungsfähigkeit
zurückzuführen.
Strafumwandlung und Strafanrechnung.
55.
213
3. Versuch und Beihülfe (StGB. §§.44 und 49; vgl. oben §§. 33 HI und 37 II4) sind ebenfalls allgemeine
Milderungsgründe. Hat ein jugendlicher Thäter sich des Versuches oder der Beihülfe schuldig gemacht, so ist zuerst die Reduktion des Strafrahmens nach §. 44, und dann die nach §. 57 StGB, vorzunehmen (sehr bestritten); jedenfalls findet zweimalige, eventuell dreimalige Erniedrigung deS normalen Strafrahmens statt.
§. 55. Strafumwandlung und Strasanrrchnung.
I. Strafumwandlung?
1. Eine nicht beizutreibende Geldstrafe ist in Freiheitsstrafe umzuwandeln (StGB. §§. 28, 29, 78; StPO. §. 491). Und zwar tritt an Stelle der Geldstrafe:
a) regelmäßig Gefängnis. b) Haft bei Uebertretungen, ferner bei Vergehen, gegen welche Geldstrafe allein oder an erster Stelle oder
wahlweise neben Haft angedroht ist, dann, wenn die erkannte Strafe nicht den Betrag von 600 Mark und
die an ihre Stelle tretende Freiheitsstrafe nicht die Dauer von 6 Wochen übersteigt. c) Zuchthaus. War neben der Geldstrafe auf Zucht haus erkannt, so ist die an deren Stelle tretende Ge fängnisstrafe in Zuchthaus umzurechnen. Maßstab der Umwandlung.
Bei den wegen eines
1 Lit. bei Dinding Grundriß S. 141.
214
Zweites Buch.
HL Die gesetzlichen Strafrahmen rc.
Berbrechens oder Vergehens erkannten Geldstrafen ist irgend ein Betrag zwischen 3 und 15 Mark, bei den wegen einer Uebertretung erkannten Geldstrafen irgend ein Betrag zwischen
einer und 15 Mark einer eintägigen Freiheitsstrafe gleich
zuachten. Grenzen
der
substituierten
Freiheitsstrafe.
Der Mindestbetrag derselben ist ein Tag, der Höchstbetrag bei Haft 6 Wochen, bei Gefängnis 1 Jahr.
(Dieser Hast
betrag kann überschritten werden im Falle realer Konkurrenz,
StGB. §. 78 Abs. 2, vgl. unten §. 56 III 1.) neben der Geldstrafe
wahlweise
angedrohte
Wenn eine
Freiheitsstrafe
ihrer Dauer nach den vorgedachten Höchstbetrag nicht erreicht, so darf die substituierte Freiheitsstrafe den angedrohten Höchst betrag jener Freiheitsstrafe nicht übersteigen.
Der Verurteilte kann sich durch Erlegung des Strafbetrages, soweit dieser durch die erstandene Freiheitsstrafe noch
nicht getilgt ist, von der letzteren frei machen. Vielfach
von
dem
eben Gesagten
mungen enthalten die Nebengesetze.
weise
die Umwandlung
abweichende Bestim So schließen sie teil
Freiheitsstrafe
in
überhaupt aus;
vgl. Wechselstempelgesetz vom 10. Juni 1869 §. 15; Nach drucksgesetz vom 11. Juni 1870 §. 24.
anderen
Umwandlungsfuß
auf;
so
Oder sie stellen einen Nachdrucksgesetz
vom
11. Juni 1870 §. 18 Abs. 3, die Gewerbeordnung nach dem Gesetz vom 12. Juni 1872 §§. 145 ff., Vereinszollgesetz vom
1. Juli 1869
§. 162,
die
Salz-,
Branntwein-,
Tabak-,
Rübenzucker-, Brau-Steuergesetze, Postgesetz vom 28. Oktbr. 1871 §. 31 usw.
Hieher gehören auch StPO. §§. 50, 69,
77; CPO. §§. 345, 355, 374.
2.
Die
Umwandlung
einer Freiheitsstrafe
in
eine andere kann aus rechtlichen Gründen notwendig werden.
Strafumwandlung und Strafanrechnung. §. 55.
215
So nach heu §§. 44, 49,157,158 StGB., wenn nach dem
erniedrigten Strafrahmen Zuchthausstrafe unter einem Jahre (vgl. oben §. 46 II 2) verwirkt wäre; bei Feststellung der Gefammtstrafe nach
endlich
wenn
an
§. 74 StGB. (vgl. unten §. 56 II);
Stelle der Geldstrafe Zuchthaus treten
In diesen Fällen
soll, StGB. §. 28 (vgl. oben unter 1). können
auch
Tage
und Wochm Zuchthaus
werden (vgl. oben §. 46 II 3), da eS stch
auSgeworfen hier um ein
rechnungsmäßig sich ergebendes Resultat handelt.
Maßstab der Umrechnung (StGB. §. 21): 8 Mo nate Zuchthaus gleich 12 Monate Gefängnis; 8 Monate Gefängnis gleich 12 Monate Festungshaft.
n. Strafanrechnung. 1.
Eine erlittene
Untersuchungshaft kann als
Strafverbüßung betrachtet und bei Fällung des Urteils auf die erkannte Strafe (die im Urteilstenor ihrem vollen Be
trage nach
anzugeben ist) ganz oder teilweise angerechnet
werden (StGB. §. 60).
Die Anrechnung ist bei Freiheits-
und Geldstrafe, nicht bei Verweis oder Todesstrafe, nie bei
den Nebenstrafen gestattet. 2. Eine im Auslande vollzogene Strafe ist, wenn
wegen derselben Handlung im Gebiete des deutschen Reichs abermals eine Verurteilung erfolgt, auf die zu erkennende Strafe in Anrechnung zu bringen (StGB. §. 7 vgl. mit §§. 3 u. 4). In den Fällen der Anrechnung ist Zuchthaus wie regel
mäßig (oben §. 46 II 3) nach vollen Monaten zu berechnen.
3. Als einen der Sttafanrechnung verwandten Fall haben wir die in den §§. 199 und 233 StGB, enthaltene Bestim
mung (die sog. Retorsion) zu konstruieren. littmen Strafe wird hier die
An Stelle der er»
erüttene Beleidigung oder
Körperverletzung zur Anrechnung gebracht.
216
Zweites Buch.
III. Die gesetzlichen Strafrahmen rc.
§. 56. Vir Bestimmung der Strafe im /alle realer Konkurrenz mehrerer verbrechen? I. Liegen mehrere selbständige Berbrechen desselben Thä
ters zur strafrechtlichen Beurteilung vor, so wäre die lo
gisch notwendige Folge auS der Selbständigkeit der einzelnen Derbrechm die Selbständigkeit der denselben ent
sprechenden Einzelstrafen?
Aber die Kumulierung
der Einzelstrafen bei der Strafvollstreckung führt nach der in der heutigen Strafgesetzgebung herrschenden Ansicht, wenn es sich um gewisse Strafmittel handelt, zu unverhältnis
mäßigen Härten.
Mit dem Umfange
der in der Strafe
liegenden Rechtsgüterverletzung wächst deren Intensität; soll
daher die kumulierende Strafvollstreckung nur die wirkliche Summe der einzelnen Strafübel zufügen, so muß sie diesen an Umfang nehmen, was sie durch die Kumulierung an Intensität gewinnen.
So gelangen wir zu der Forderung einer Mil
derung des Kumulationsprinzipes bei realer Kon kurrenz; einer Milderung, die nur scheinbar eine solche, in Wahrheit aber eine Wiederherstellung
des
ursprünglichen
Gleichmaßes zwischen Einzelverbrechen und Einzelstrafe ist; einer Milderung, die aber nur dort und nur soweit ange
messen ist, wo und soweit die Kumulierung jenes ursprüng
liche Gleichmaß stört.
Dies ist der Grundgedanke der in den
§§. 74 ff. RStGB. niedergelegten Bestimmungen.
II.
Die Milderung der Kumulierung ist im RStGB.
1 Lit. bei Bin ding Grundriß S. 144 f. Dazu Herzog GS. XXX, Thomsen GS. XXXI.
1 Dgl. über den Begriff der Realkonkurrenz oben §. 41 II.
zum
Ausdrucke
strafe.
217
§. 56.
Realkonkurrenz.
gelangt in der
Gestalt
der
Gesammt-
Sie findet aber nur dort Anwendung, wo durch
mehrere (gleichnamige
oder ungleichnamige)
Verbrechen
Freiheitsstrafen
oder Vergehen
mehrere zeitige
verwirkt wurden;
denn nur hier würde nach Ansicht des
Gesetzgebers
der kumulierende Strafvollzug eine von ihm
nicht gewollte Schärfung jeder Einzelstrafe bedeuten.
Die Gefammtstrafe
besteht in einer Erhöhung
verwirkten schwersten Strafe.
der
ES werden zunächst die Die schwerste der
sämmtlichen Einzelstrafen ausgeworfen?
selben (bei gleichartigen die der Dauer, bei ungleichartigen
die der Art nach schwerste) bildet die Einsatzstrafe, welche uuverkürzt beizubehalten ist; die übrigen Einzelstrafen werden
verhältnißmäßig gekürzt und dann zu der Einsatzstrafe hin
zugerechnet.
Die Gefammtstrafe darf den Betrag der ver
wirkten Einzelstrafen nicht erreichen, und 15jähriges Zucht
haus,
lOjährigeS Gefängnis oder 15jährige Festungshaft,
nicht übersteigen (StGB. §. 74).
m.
Soweit es sich um realkonkurrierende Uebertre-
tungen oder um das Zusammentreffen solcher mit Ver
brechen oder Vergehen handelt;
soweit ferner nicht zeitige
Freiheitsstrafe untereinander, sondern
solche mit anderen
Strafmitteln oder andere Strafmittel untereinander zu-
sammentreffen, findet die Gefammtstrafe keine Anwendung. Doch wird daS Prinzip der Kumulierung auch hier nicht
reiu durchgeführt. 1. So ist zwar auf Geldstrafen, welche wegen meh
rerer strafbarer Handlungen allein oder neben einer Frei heitsstrafe
verwirkt sind, ihrem vollen Betrage nach
* RGR. 28. November 1879, B I 102.
zu
218
Zweites Buch. III. Die gesetzlichen Strafrahmen rc.
erlernten; allein bei Umwandlung derselben in Freiheitsstrafe dürfen 2 Jahre Gefängnis und, wenn die mehreren Geld strafen nur wegen Uebertretungen erkannt sind, 3 Monate Haft nicht überschritten werden (StGB. §. 78 vgl. mit Z. 29). 2. Die Aberkennung der bürgerlichen Ehren rechte und der Ausspruch der Zulässigkeit von Polizei aufsicht ist zwar neben der Gesammtstrafe zulässig oder geboten, auch wenn sie nur neben der Verurteilung zu einer der konkurrierenden Einzelstrafen zulässig oder geboten.finb4 (StGB. §. 76); aber das für diese Nebenstrafen an sich vorgezeichnete Höchstmaß (vgl. oben §. 51) darf auch in dem Falle der Realkonkurrenz nie überschritten werden. Mit anderen Worten: beim Zusammentreffen dieser Nebenstrafen absorbiert die schwerste aus ihnen alle gleichartigen Nebenstrafen, ohne durch das Zusammentreffen mit den zur Gesammtstrafe vereinigten zeitigen Freiheits - Hauptstrafen irgend wie berührt zu werden. IV. Aber auch innerhalb des Gebietes der zeitigen Frei heitsstrafen erleidet das Prinzip der Gesammtstrafe wesent liche Einschränkungen. 1. Trifft Haft mit einer anderen Freiheitsstrafe zu sammen, so ist auf die erstere gesondert zu erkennen. Auf eine mehrfach verwirkte Haft ist ihrem Gesammtbetrage nach, jedoch nicht über die Dauer von drei Monaten zu erkennen (StGB. §. 77). 2. Trifft Festungshaft nur mit Gefängnis zusammen, so ist auf jede dieser Strafarten gesondert zu erkennen. Ist 4 ES kann daher Aberkennung der bürgerl. Ehrenrechte neben Gefängnis nach §. 32 StGB, nur dann ausgesprochen werden,
wenn eine der Einzelstrafen 3 Monate erreicht. RGR. 5. Februar 1880, RI 321.
Die Strafaufhebungsgründe,
g. 57.
219
Festungshaft oder Gefängnis mehrfach verwirkt, so ist hin sichtlich der mehreren Strafen gleicher Art so zu verfahren, als wenn dieselben allein verwirkt wären. Doch darf die Gesammtdauer der Strafen in diesen Fällen 15 Jahre nicht übersteigen (StGB. §. 75). V. Abweichende Bestimmungen finden sich vielfach in den Nebengesetzen. Man vgl. z. B. Braumalzgesetz vom 4. Juli 1868 §. 35, Gewerbeordnung §. 150 u. A. Ganz eigentümlich das Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878, welches in mehreren Strafdrohungen die Strafe nach der Zahl der einzelnen feilgehaltene», erworbenen, gebrauchten usw. Spiele bemißt.
IV. Der Wegfall des staatlichen Ztrafansprnchs. §.57.
Allgemeines.
Mr einzelnen Strafaufhebungsgründe.
I. Die prinzipielle Bedeutung der Strafaufhebungsgründe,
ihr Unterschied von den Hindernissen, die sich der Geltend machung des staatlichen Strafanspruches in den Weg stellen, von den Bedingungen der Strafbarkeit, und den subjektiven Strafausschließungsgründen wurde bereits oben §. 30 III
Strafaufhebungsgründe sind nach Begehung einer strafbaren Handlung eintretende Umstände, welchen daS positive Recht die Wirkung beilegt, den bereits entstandenen Strafanspruch zu ver nichten. Ihre Darstellung gehört zum Teile, soweit sie durch prozessuale Handlungen (wie rechtskräftige Entscheidung, über den erhobenen Anspruch, Rücknahme des gestellten Strafantrages oder der Privatllage) begründet werden, dem erwähnt.
220 Zweites Buch. IV. Der Wegfall des staatl. StrasanspruchS.
Strafprozeßrechte an. Alle übrigen Strafaufhebungs gründe sind materiell rechtlicher Natur. Zu erwähnen sind: 1. der Tod des Schuldigen; 2. thätige Reue; 3. Begnadigung; 4. Verjährung. II. Der Tod des Schuldigen* tilgt nach heute all gemein angenommener Ansicht nicht das Verbrechen, wohl aber den Strafanspruch. Dieser kann und soll auf die schuldlosen Rechtsnachfolger des Verstorbenen nicht übergehen; der Ausspruch oder Vollzug von Strafübeln gegen den Ver storbenen selbst aber widerspricht unsern modernen An schauungen, so daß der Strafe ihre motivierende Kraft fehlen würde. Eben darum ist es eine nicht zu billigende Ano malie, wenn das StGB, in §. 30 ausnahmsweise die Vollstreckung von Geldstrafen in den Nachlaß an ordnet, soferne das Urteil bei Lebzeiten des Verurteilten rechtskräftig geworden war. III. Der thätigen Reue^ legt unsere Gesetzgebung aus guten Gründen nur ausnahmsweise die Bedeutung eines Strafaufhebungsgrundes bei. Sie will in diesen Fällen dem Verbrecher die Möglichkeit des Rückzuges offen laffen, und so das durch ihn bedrohte Rechtsgut vor Verletzung überhaupt oder doch vor größerer Verletzung schützen. Außer dem be reits besprochenen Rücktritte vom Versuche (oben §. 34) gehören hieher: a) Widerruf der fahrlässigen falschen Aussage StGB. §. 163; 1 Lit. bei Binding Grund- I * Lit. bei Bin ding Grund riß S. 159. I riß S. 159.
221
Die Strafaufhebungsgründe. §. 57.
b) Abstehen vom Zweikampfe und Bemühung um Ver hinderung desselben StGB. §§. 204 und 209; c) Rechtzeitiges Löschen des bereits auSgebrochenen Bran
des StGB. §. 310. Der Verzicht des Straf-
IV. 1. Die Begnadigung?
anspruchs-Berechtigtett auf den ihm erwachsenen Anspruch ist
im modernen Strafrechte in ziemlich
Ausgleichung
des
abstrakten Rechts
konkreten Falle verwertet.
planloser Weise zur mit
der Billigkeit im
Dräger des Begnadigungsrechtes
ist nach dieser Auffassung der Anspruchsberechtigte, mithin in allen Fällen (auch in jenen der Antragsdelikte und der Privatklage)
der Staat.
Dieser
übt daS
Begnadigungsrecht
auS durch den Souverän; also das Reich durch den Kaiser, die einzelnen Bundesstaaten durch ihre Monarchen, bez. die
Senate von Bremen, Hamburg, Lübeck. 2. Man unterscheidet: a) Völligen und teilweisen Verzicht auf den Anspruch
(Nachlaß oder Milderung der Strafe).
b) Einzelbegnadigung
und
die mehrere, persönlich
oder sachlich umgrenzte Gebiete umfassende Amnestie.
c) Abolition:
Niederschlagung der
Strafverfolgung;♦
Begnadigung im engeren Sinne: Erlaß der rechts
kräftig
erkannten
Strafe;
Restitution:
gänzlicher
oder teilweiser Erlaß der Ehrennebenstrafe.
3. Dem Kaiser steht daS Begnadigungsrecht (nicht die
Abolition, wohl aber auch die Restitution) zu in folgenden Fällen:
• Lit. bei Dinding Grund riß S. 167. Dazu Geyer HR. „Begnadigung".
4 Also Verzicht auf den m ö g licherweise vorhandenen Straf anspruch und schon darum irra« tionell.
222
Zweites Buch. IV. Der Wegfall des staatl. Strafanspruchs.
a) Nach der StPO. §. 484 in Sachen, in welchen das
Reichsgericht in erster und letzter Instanz erkannt hat
(vgl. GVG. §. 136 Z. 1). b) Nach dem Gesetz vom 10. Juli 1879 betr. die Kon
sulargerichtsbarkeit §. 42 in Sachen, in welchen der Konsul oder das Konsulargericht in erster Instanz er kannt hat.
c) In
Elsaß-Lothringen nach
§. 3
des
Gesetzes
vom
9. Juni 1871 betr. die Vereinigung von Elsaß-Loth
ringen mit dem deutschen Reiche? 4. In allen übrigen Fällen sind die Einzelstaaten in der Person ihres Souveräns Träger des Begnadigungsrechtes. Doch ist die Abolition in den meisten Bundesstaaten durch
Verfasiungsbestimmungen beschränkt oder beseitigt/ und die Begnadigung überhaupt darf in manchen Fällen, so insbe sondere in
den Fällen der Ministeranklage, nur unter ge-
wisien Voraussetzungen ausgeübt, werden?
Bei
Kollisionen
der
partikularen
Begnadigungsrechte
untereinander ist davon auszugehen, daß es sich um Kolli
sionen der
Strafansprüche handelt, ohne welche ein Be
gnadigungsrecht überhaupt auf Entstehung
und
nicht denkbar ist.
Geltendmachung
In Bezug
der Strafansprüche
stehen aber die deutschen Staaten zu einander in demselben Verhältniße, wie die verschiedenen Gerichte desselben Staates.
Es
kann
dieser Satz geradezu als der Grundgedanke der
6 Nicht hieher gehört das Ge setz über die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten v. 31. März 1873 §. 118, das von krimi neller Strafe (und nur mit dieser haben wir es thun) über haupt nicht spricht.
6 Vgl. Dinding Grundriß S. 168. 7 Vgl. Bindina Grundriß S. 169. Hauke Lehre v. d. Ministerverantwortlichkeit 1880 S. 145 ff. mit Lit.
Die Verjährung. §♦ 58.
223
heutigen Gerichtsverfassung Deutschlands bezeichnet werden.
Daraus folgt:
a) Ist nur ein Anspruch entstanden, aber zugleich zweifel haft,
für welchen Staat (weil die verschiedenen
als
untereinander gleichberechtigt konkurrierenden Gerichtsstgnde in verschiedenen Staaten gelegen sind), so wird
durch die Entscheidung über den Gerichtsstand (nach
den Vorschriften der StPO. §§. 7 ff.) auch über den Anspruch zu. Gunsten des einen der kollidierenden Ein
zelstaaten entschieden.
Nur dieser Staat kann daher
das Begnadigungsrecht ausüben, und eine von einem anderen Staate ausgehende, etwa bereits vor dieser
Entscheidung
in
der
Gestalt der Abolition erfolgte
Begnadigung ist ohne jede juristische Bedeutung.
b) Werden mehrere Ansprüche mehrerer Einzelstaaten
(z. B. im Falle der Konnexität) in demselben Verfahren vereinigt, so berührt diese rein prozessuale Vereinigung die Ansprüche selbst in keiner Weise.
Das Begnadi
gungsrecht bleibt, auch nach rechtskräftiger Entschei
dung, jedem Einzelstaat für seinen Strafanspruch Vor behalten?
58.
Fortsetzung. Vie Verjährung? I. Alles objektive Recht besteht darin, daß es an gewisse
Thatsachen andere Thatsachen als deren Rechtsfolge knüpft. v Anders die herrschende An sicht (Meyer, Löwe, Binding), nach welcher immer je nem Staat das Begnadigungs recht zusteht, dessen Gericht in
erster Instanz erkannt hat. Ge setzliche Regelung wäre dringend wünschenswert. 1 Lit. bei Binding Grund riß S. 160.
Zweites Buch. IV. Der Wegfall deS staatl. Strafanspruchs.
224
Eine Rechtsfolge ohne rechtschaffende und
als solche vom
objektiven Rechte anerkannte Thatsache ist keine Rechtsfolge.
Aber die Macht der Thatsachen spottet nur zu oft der Jm-
peraüve deS Rechts; sie setzt sich selbst die Folgen, die daS Recht ihr nicht gewähren will; und sie findet in der Achtung,
die allem Bestehenden entgegengetragen wird, einen Ersatz für die mangelnde Sanktion deS objektiven Rechts.
Diesen
Zwiespalt zwischen Recht und Thatsachen kann daS Recht nur dadurch beseitigen, daß es die Thatsachen zu Recht an erkennt, die von ihnen erzeugten Folgen zu Rechtsfolgen
Das ist der Grundgedanke aller Verjährung.
erhebt.
die Zeit schafft das Recht:
Richt
aber das Recht selbst leiht
seine Sanktion den Thatsachen, die eine gewisse Zeit hindurch
Sekundäre Gesichts
sich zu behaupten stark genug waren.
punkte, insbesondere die Schwierigkeiten, die der Feststellung
deS Sachverhaltes in den Weg
treten,
wenn ein längerer
Zeitraum seit seinem Entstehen verflossen ist, fördern die all gemeine Anerkennung und umfassende Wirkung des Rechts instituts der Verjährung, in welchem der Bruch des Rechts durch
die
Thatsachen
rechtliche
Gestalt
und
Bedeutung
gewinnt. So tilgt die Zeit auch den staatlichen Strafanspruch; die thatsächliche Straflosigkeit des Schuldigen wird vom po
sitiven Rechte zum Strafaushebungsgrunde gestempelt. eine rechtskräfttg
gewordene
Selbst
gerichtliche Anerkennung
des
staatlichen Strafanspruches hemmt wohl, hindert aber nicht
seinen Untergang.
Das
moderne Recht kennt
Verfolgungsverjährung (Verjährung
auch die judicati).
Vollstreckungsverjährung
neben der
der actio ex (Verjährung
delicto)
der
actio
Fortsetzung.
Die Verjährung,
g. 58.
225
II. Die BerfolgungSverjährung. 1. Die Strafklage verjährt (StGB. §. 67):
a) bei Verbrechen in 20 Jahren, wenn sie mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthause; in 15 Jahren,
wenn sie im Höchstbetrage mit einer Freiheitsstrafe von
einer längeren als 10jährigenDaueren lOJahren, wenn sie mit einer geringeren Freiheitsstrafe bedroht sind.
b) bei Vergehen in -5 oder 3 Jahren, je nachdem sie
im Höchstbetrage mit einer längeren als dreimonat lichen Gefängnisstrafe, oder aber mit einer milderen
Strafe bedroht sind?
c) Bei allen Uebertretungen in 3 Monaten. Für die Berechnung ist das Höchstmaß deS Strafrahmens
maßgebend; im Einzelnen gelten auch hier die oben §. 18 III aufgestellten Grundsätze.
Besondere Verjährungsfristen finden sich in zahlreichen Nebengesetzen; so Wechselstempelgesetz vom 10. Juni 1869 §.-17 (5 Jahre),
(3 Monate),
Gewerbeordnung Vereinszollgesetz
vom 21. Juni 1869 §. 145
vom
1. Juli 1869
§. 164
(3 Jahre), Rübenzuckersteuergesetz vom 2. Mai 1870 fVrdg.
von 1846 §. 30] (5 Jahre), Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §§.33 ff. (3 Jahre bez. 3 Monate), Braumalzsteuergesetz vom 31. Mai 1872 §. 40 (3 Jahre), Preßgesetz vom 7. Mai
1874 §. 22 (6 Monate), Spielkartenstempelgesetz vom 3. Jull 1878 §. 20 (3 Jahre),
Patentgesetz vom
25. Mai 1877
§.- 38 (3 Jahre), Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879 §.45 (3 Jahre).
Vgl.
auch
Einf.Ges.
1 Hieher gehört auch die vom Gesetze vergeffene lebenslängliche Festungshaft. • Also immer, wenn Geld strafe angedroht ist, mag auch von Li-zt, Strafrecht.
z.
StGB.
§. 7, nach
die ihr entsprechende Freiheits strafe 3 Monate übersteigen (RGR. 27. Januar 1880, E I 167, R I 280).
226
Zweites Buch. IV. Der Wegfall des staatl. Strafanspruchs.
welchem Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Entrichtung der Branntweinsteuer, der Biersteuer und der
Postgefälle in 3 Jahren verjähren. 2. Der Fristenlauf beginnt mit dem Tage, an welchem die Handlung begangen ist, ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des eingetretenen Erfolges.
gangenen
Ueber
den Zeitpunkt der be
That vgl. das oben §. 19 IV Gesagte.
Daraus
folgt, daß der Beginn der Verjährung unabhängig ist von
dem Eintritte der etwa noch erforderlichen Bedingungen der Strafbarkeit,
der Ehe usw.
wie
z. B. Antrag des Verletzten, Scheidung
Doch kann unter Umständen das AuSstehen
einer solchen Bedingung ein Ruhen der Verjährung (unten unter 4) zur Folge haben.
lungen, welche
Eine Summe von Einzelhand
das Recht zu einer juristischen Einheit zu
sammenfaßt (vgl. oben §. 39 II), ist auch in Bezug auf den
Beginn der Verjährung als solche gif betrachten: die Ver jährung kann nicht beginnen, ehe die Handlung abgeschlosien
ist (anerkannt in §. 34 des Nachdrucksgesetzes vom 11. Juni 1870).
Besondere Bestimmungen: Nach §. 100 der
Seemannsordnung
vom
Verjährung mit dem
27. Dezember
1872
beginnt die
Tage, an welchem das Schiff zuerst
ein Seemannsamt erreicht.
Jnteresiant Nachdrucksgesetz vom
11. Juni 1870: nach §§. 33 und 37 beginnt die Verjährung des Nachdrucks und
des
durch unterlassene Quellenangabe
begangenen Deliktes mit dem Tage der ersten Verbreitung,
obwohl schon mit der Herstellung des ersten Exemplares nach K. 22 das Vergehen
vollendet war.
Die Verjährung der
Wechselstempelhinterzieh ungen beginnt nach §. 17 des Gesetzes v. 10/Juni 1669 mit dem Tage der Ausstellung deS Wechsels.
3.
Die Verjährung wird unterbrochen durch jede Hand
lung des Richters, welche wegen der begangenen That gegen
Fortsetzung.
Die Verjährung, tz. 58.
227
den Thäter gerichtet ist (StGB. §. 68). Doch hat die StPO,
in den §§. 453 und 459 auch der polizeilichen Straffestsetzung und dem Strafbescheide der Verwaltungsbehörden die unter
brechende Wirllmg brigelegt.
Nach dem Wechselstempelgesetz
vom 10. Juni 1869 §. 17 unterbricht jede amtliche Handlung
die Verjährung.
Nur die gegen den Thäter als Thäter ge
richteten Handlungen unterbrechen die Verjährung; es genügt
also nicht die Vorladung als Zeugen, selbst wenn der Vorgela dene sich bei dieser Gelegenheit schuldig bekennt und darum nicht
beeidet wird (RGR. 24. November 1879, E I 231, R I 94). Die Unterbrechung findet nur rücksichtlich desjenigen statt, auf welchen die Handlung sich bezieht.
Nach der Unterbrechung beginnt eine neue Verjährung.
4.
Die Verjährung
ruht
(StGB. §. 69), wenn der
Beginn oder die Fortsetzung deS Strafverfahrens von einer Vorfrage abhängig ist, deren Entscheidung in einem anderen
Verfahren erfolgen muß.
(Man vgl. StGB. §§. 164, 170
—172, 191; Einf.Ges. z. GVG. §. 11 usw.) 5.
Wirkung der Verjährung ist die Beseitigung deS
Strafanspruchs,
nicht die des Verbrechens.
Eben darum
kann die Verjährung gegenüber einem von mehreren Teil
nehmern eingetreten sein, während die übrigen noch strafbar
sind; vgl. oben §. 37 III 3. III. Die Vollstreckungsverjährung?
1. Die Vollstreckung rechtskräftig erkannter Strafen verjährt (StGB. §. 70): a) wenn auf Tod oder lebenslängliches Zuchthaus oder
lebenslängliche Festungshaft erkannt ist, in 30 Jahren;
b) wenn auf Zuchthaus oder Festungshaft von mehr als 10 Jahren erkannt ist, in 20 Jahren;
4 Lit. bei Dinding Gmndriß S. 166.
Zweites Buch. IV. Der Wegfall des staatl. Strafanspruchs.
228
c) wenn auf Zuchthaus bis zu 10 Jahren oder Festungs haft von 5—10 Jahren oder Gefängnis von mehr als 5 Jahren erkannt ist, in 15 Jahren;
d) wenn auf Festungshaft oder Gefängnis von 2—5 Jah
ren oder auf Geldstrafe von mehr als 6000 Mark erkannt ist, in 10 Jahren;
e) wenn auf Festungshaft oder Gefängnis bis zu 2 Jahren oder auf Geldstrafe von mehr als 150 bis 6000 Mark erkannt ist, in 5 Jahren;
f) wenn auf Haft oder Geldstrafe bis zu 150 Mark er
kannt ist, in 2 Jahren.
2. Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem das Urteil rechtskräftig geworden ist (StGB. §. 70).
3. Die Verjährung wird unterbrochen durch jede auf Vollstreckung der Strafe gerichtete Handlung derjenigen Be
hörde- welcher die Vollstreckung obliegt, sowie durch die zum Zwecke der Vollstreckung erfolgende Festnahme des Verur
teilten.
Nach der Unterbrechung beginnt eine neue Verjäh
rung (StGB. §. 72).
4.
Die Vollstreckung einer wegen derselben Handlung
neben einer Freiheitsstrafe erkannten Geldstrafe verjährt mit
der Freiheitsstrafe (StGB. §. 71).
Ebenso verjähren auch die
übrigen Nebenstrafen mit der Hauptstrafe.
Eine Ausnahme
stellt das Gesetz für die zeitigen Nebenstrafen an der Ehre
(StGB. §. 36) und für die Nebenstrafe der Polizeiaufsicht (StGB. §. 38) auf.
Bei beiden beginnt die Wirkung deS
gerichtlichen Erkenntnisses. gerade mit der Verjährung der
Hauptstrafe.
sprochenen,
Dasselbe
gilt • von
der oben §. 49 V be
nach §. 3 Nahrungsmittelgesetz
vom 14. Mai
1879 eintretenden, Nebenstrafe an der Freiheit.
Besonderer Teil. §.59. Uebersicht. I.
Den natürlichen, heute allgemein in den systematischen
Darstellungen deS Strafrechtes verwendeten, EinteilungS-
grund des besonderen Teiles unserer Wiffenschaft bildet die Verschiedenheit des durch die Strafe geschützten, durch daS
Delikt bedrohten Nechtsgutes, also jener Interessen,
die rechtlichen und zwar strafrechtlichen Schutz durch die mo derne Gesetzgebung -genießen.
Auch die Normentheorie muß
diesen Einteilungsgrund
anerkennen; denn weitaus die größte Zahl der strafrechtlich
relevanten Normen gehört zu der oben §. 3 I11 besprochenen
Klasse, steht zu dem zu schützenden Rechtsgute in unmittel barer und unverkennbarer Beziehung, stellt sich bei genauerer
Betrachtung einfach als die negative Seite der staatlichen Er
klärung dar: Dieses Interesse soll meines Schutzes teilhafttg, es soll ein RechtSgut bleiben oder werden. Legen
wir der Einteilung des besonderen Teiles
die
Verschiedenheit der Rechtsgüter zu Gmnde, so gewinnen wir
sofort zwei, scheinbar abschließende, Gruppen von strafbaren Handlungen.
Die erste
Gruppe
umfaßt die gegen
den
Einzelnen; die zweit« die gegen die Gesammtheit ge
richteten Delikte.
Wie
das Recht überhaupt entweder die
230
Besonderer Teil.
Beziehungen der Einzelnen untereinander oder aber die Be ziehungen der Einzelnen zur Gesammtheit regelt, so schützt auch das Strafrecht entweder diese oder aber jene Beziehungen. II. Die erste Gruppe bietet mehrfache Unterabteilungen. Alle Rechtsgüter des Einzelnen lasten sich in letzter Linie als Interesse an ungestörter Bethätigung zusammenfasten. Aber je nachdem sich diese Bethätigung materialisiert, eine in Geld abschätzbare, von dem Individuum trennbare und über tragbare Herrschaft begründet, oder aber zu dieser Verdichtung nicht gelangt und nur als höchstpersönliche Vollexistenz des Individuums erscheint: können wir zwischen den Vermö gensrechten einerseits und den immateriellen Rechts gütern andererseits unterscheiden. Zwischen diese beiden Unterabteilungen treten die Individualrechte, die zwar abschätzbar und (in ihrer Verwertung) übertragbar geworden sind, aber die volle Loslösung von dem Individuum nicht zulasten. Eigentum und Ehre und zwischen ihnen das Autorrecht mögen an Stelle nicht hieher gehörender wei terer Ausführungen das Gesagte beleuchten. Aber die Be thätigung der Persönlichkeit ist nicht möglich ohne den Schutz ihres physischen Lebens wie ihrer freien Bewegung im Raum; Leben und Bewegung, beim Thiere die ganze Bethä tigung des Individuums erschöpfend, sind beim Menschen nicht Bethätigung selbst, sondern Voraussetzung derselben. So zerfallen die Delikte gegen den Einzelnen in folgende Klaffen: 1. gegen Leib und Leben; 2. gegen die persönliche Freiheit; 3. gegen das Vermögen; 4. gegen die Individualrechte; 5. gegen die immateriellen Rechtsgüter. III. Schwieriger gestaltet sich die Einteilung der zweiten
Uebersicht. §. 59.
231
Gruppe. Die Bethätigung der Gesammtheit als solcher re präsentiert uns der Gang der Staatsverwaltung, derarbeitende Gesammtorganismus. Voraussetzung dieftr Be thätigung ist Bestand und Sicherheit des Staatsganzen. Aber auch das Lebensprinzip des staatlichen Organismus', die Kraft, welche das Ganze zusammenhält und die einzelnen Glieder in Bewegung setzt: die Staatsgewalt als Abstraktum wie in ihrenOrganen, bedarf des rechtlichen Schutzes. Damitgewinnen wir folgende Einteilung der in die 2. Gruppe gehörenden Delikte (wobei allerdings die Grenzlinien vielfach zweifelhafte sind): 1. gegen Bestand und Sicherheit des Staates; 2. gegen die Staatsgewalt und ihre Organe; 3. gegen den Gang der Staatsverwaltung. IV. Aber nur scheinbar erschöpfen die bisher besprochenen beiden Gruppen alle möglichen Fälle. Einer ganzen »Reihe von strafbaren Handlungen ist es eigentümlich, daß sie zwar gegen jene Rechtsgüter gerichtet sind, die wir als rechtlich ge schützte Interessen des Einzelnen bezeichnet haben, aber nicht gerichtet sind gegen einen einzelnen oder Mehrere einzelne Träger jener Rechtsgüter; daß sich vielmehr ihre Wirkungm erstrecken auf einen weder ziffermäßig noch indi viduell geschlossenen Kreis von Einzelnen. Es sind die gemeingefährlichen Delikte im weiteren Sinne; ge richtet nicht gegen einzelne Staatsbürger und nicht gegen daS Staatsganze, sondern, wie wir kurz sagen können, gegen. daS Publikum. Es gehören hieher: 1. die gemeingefährlichen Delikte im engerm Sinne; 2. die Verletzungen des Nahrungsmittelgesetzes; 3. die gegen den öffentlichen Frieden gerichteten strafbaren Handlungen; 4. eine Reihe anderer Fälle von meist polizeilichem Charakter.
232
Besonderer Teil.
V. Wir müssen aber endlich noch eine letzte Reche von strafbaren Handlungen ins Auge fassen, bei welchen unser Einteilungsgrund uns vollständig im Stiche läßt; bei welchen nicht die Natur des angegriffenen Rechtsgutes, sondern die Art des Angriffes maßgebend war für die Aufstellung der Strafdrohung; die gefährlich sind oder sein können in gleicher Weise für den Einzelnen, für das Publikum und für das Staatsganze. Die Mittel, welche die Rechtsordnung geschaffen hat zur Erreichung ihrer Zwecke, sind in der Hand des Verbrechers ebensoviele Mittel zum Angriffe auf die Rechtsordnung; wie die Naturkräfte, so kann er Geld und Urkunden, so kann er seine amtliche Stellung mißbrauchen zur Rechtsverletzung. Diesem Mißbrauch sucht der Gesetz geber durch besondere Normen (vgl. oben §. 3 II 4) vorzu beugen; und er schafft, indem er das thut, eine Reihe von eigenartigen Verbrechen. Er schafft damit nicht neue Rechts güter, sondern er will die vorhandenen schützen, indem er den Mißbrauch seiner Rechtsinstitutionen zu rechtswidrigen Zwecken verpönt. Nur um diesen Gegensatz und zugleich die Beziehung zu der Rechtsgüterwelt -auszudrücken, können wir die Integrität dieser Rechtsinstitutionen und dann diese selbst als uneigentliche Rechtsgüter bezeichnen, wobei der Ton auf dem Adjektiv, nicht auf bent Substantiv liegt. In diese Gruppe von strafbaren Handlungen gehören: 1. die Delikte an Geld; 2. die Delikte an Urkunden; 3. die Delikte gegen die Religion; 4. die Delikte an Personenstand und Ehe; 5. die Delikte gegen die Sittlichkeit (die staatliche Regelung des Geschlechtstriebes); . 6. die Delikte im Amte.
Erstes Buch.
Strafbare Handlungen gegen Nechtsgüter Les einzelnen Staatsbürgers. I.
Gegen Leib und Leben. 1. g. 60. vir Tötung.»
I.
Die vorsätzliche Tötung und zwar:
1. Mord (StGB. K. 211), wenn die Tötung mit Ueberlegung ausgeführt worden, d. h. wenn der Tötungsvorsatz
überlegter
Vorsatz
(oben §. 28 VI)
war?
Strafe:
Der Tod.
2. Todsch(ag (StGB. §. 212), wenn die Tötung nicht mit Ueberlegung ausgeführi worden, der Tötungövorsatz also ein nicht überlegter war.
Strafe: Zuchthaus von
5—15 Jahren. Privilegiert ist der Todschlag (StGB. §. 213), wenn
der Thäter ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen (StGB. §. 52 Abs. 2)zugefügte Mißhandlung oder
schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hiedurch auf der Stelle (d. h. in continenti, so lange
die durch
die Kränkung
hervorgerufene
1 Lit. bei Meyer S. 367 Note 2. 1 Die entgegengesetzte Ansicht, welche zwischen Ueberlegung beim
Gemütsbewegung
Beschließen u. Ueberlegung beim Ausfuhren unterscheidet, beruht auf einem psychologischen Irr tum.
Erstes Buch. I. Delikte gegen Leib und Lebeti.
234
fortdauert) zur That hingerissen worden, oder wenn andere
mildernde Umstände vorhanden sind.
nicht unter 6 Monaten.
Strafe: Gefängnis
hier bleibt der Todschlag
Auch
Verbrechen (oben §. 18 III); der Versuch ist daher strafbar.
Qualifizierte Fälle:
a) Tötung bei Unternehmung
einer
strafbaren
Handlung (StGB. §. 214), um ein der Ausführung derselben entgegentretendes Hindernis zu beseitigen oder
um sich der Ergreifung
auf frischer That zu ent
Strafe: Zuchthaus von 10—15 'Jahren
ziehen.
oder lebenslängliches Zuchthaus. d) Tötung eines
aufsteigender Linie
Verwandten
(StGB. §. 215).
Strafe wie zu a.
3. Vorsätzlich (überlegte oder nicht überlegte) Tötung, zu
welcher
der
ernstliche
Thäter
durch
Verlangen
worden ist (StGB. §. 216).3 3—5 Jahren.
ausdrückliche
das
des
Getöteten
Strafe:
und
bestimmt
Gefängnis von
Vergehen, daher Versuch straflos.
4. Vorsätzliche (überlegte oder nicht überlegte) Tötung
eines unehelichen Kindes in oder gleich nach der Ge burt durch die Mutter (StGB. §. 217).* Objekt ist das Kind,
mithin ein menschliches Wesen im Gegensatz zum Fötus, der ungeborenen Leibesfrucht, die das charakteristische Objekt der Abtreibung ist.
Kindestötung ist demnach erst möglich, so
bald der Geburtsakt begonnen
hat,
die Leibesfrucht mit
irgend einem Körperteile, wenn auch nicht gerade mit dem
Kopfe, aus dem Mutterleibe in die Außenwelt getreten ist
(RGR. 8. Juni 1880, E I 446, E II 41). 3 Lit. bei Meyer S. 377 Note 1. Dazu Ortmann GA. XXVI.
* Lit. Note 1.
bei Meyer
S. 378
Die Tötung. §. 60,
235
Der legislative Grund für die mildere Behandlung der Kindestötung liegt einerseits in der Stärke der die unehelich Gebärende zur Tötung treibenden Motive,
andrerseits in
der durch den Gebärakt hervorgerufenen Verminderung der §. 25 III).
(oben
Zurechnungsfähigkeit
«ine soweit gehende Berücksichtigung
dahingestellt bleiben.
diese Gründe
Ob
verdienten,
Jedenfalls tritt,
den
mag
hier
Anschauungen
des Gesetzgebers entsprechend, die mildere Behandlung der
Kindestötung ein, mag die Kindesmutter in der Form der
Thäterschaft, mag sie in der Form der Teilnahme, zu dem Eintritte des Erfolges mitwirken,
während
etwa
beteiligte
dritte (Thäter oder Teilnehmer) wegen gemeiner Tötung zu
bestrafen sind (RGR. 8. Mai 1880, E II 154; vgl. auch oben §.371111). Strafe: Zuchthaus nicht unter 3 Jahren,
bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter 2 Jahren. Vgl. auch StGB. §. 367 Zis. 1.
II. Die fahrlässige Tötung (StGB. §.222). Strafe: Gefängnis bis zu 3 Jahren; wenn der Thäter zu der von
ihm aus den Augen gesetzten Aufmerksamkeit vermöge seines Amtes,
Berufes
oder Gewerbes besonders'
verpflichtet
war, Gefängnis bis zu 5 Jahren. Nicht bloß
bei
Fällen der Tötung
der Kindestötung, richtet
sich
sondern
die Höhe
der
in
allen*
Strafbarkeit
mchrerer Beteiligter nach der in §. 50 StGB. (vgl. obm
§. 37 III1) ausgesprochenen Regel.
‘ Dgl. RGR. 23. April 1880, RI 649; auch RGR. 11. Fe bruar 1880, EI 203, R 1341; 4. Mai 1880, R I 726.
• bestritten bez. des Verhältnisies zwischen Mord u. Todschlag.
Erstes Buch. I. Delikte gegen Leib und Leben.
236
2.
tz. 61.. Vir Körperverletzung.* DaS Gesetz unterscheidet in nichts weniger
I. Begriff. als
Weise:
zutreffender
-a) körperliche Mißhandlung
an
Beschädigung
und
b)
tere
setzt
eine
Verletzung
der
der
(auch das Zopfabschneiden gehört hieher), Beschädigung
deS
der
voraus
und umfaßt die
wie der geistigen (im Sinne
körperlichen
gewöhnlichen
Letz
Gesundheit.
Körpersubstanz
Sprachgebrauchs)
erstere
Gesundheit;
liegt vor bei jeder störenden Einwirkung auf die körperlichen
Funktionen (z. B. Erregen von Schmerz, Unbehagen, Ekel, Schrecken),
welche
nicht
von einer Verletzung der Körper
substanz begleitet ist. Ueber
Wegfall
die
Widerrechtlichkeit
gelten
die
allgemeinen,
der
und
Handlung
oben §. 22
deren
besprochenen,
hier besonders praktisch wichtigen Regeln.
II. Arten. 1. Die vorsätzliche Körperverletzung. a) Leichte Körperverletzung (StGB. §. 223).
Gefängnis
bis
1000 Mark;
3 Jahren
zu wenn
gegen
oder
Strafe:
Geldstrafe
Verwandte
bis
aufsteigender
Linie begangen, Gefängnis nicht unter einem Monate; doch tritt hier
bei
mildernden Umständen
der regel
mäßige Strafsatz wieder ein (StGB. §. 228). b) Qualifizierte Körperverletzung (StGB.
§. 223a),
wenn mittels einer Waffel insbesondere eines Meffers 1 Lit. bei Meyer S. 382 Note 1. Dazu Herbst GA. XXVI. 1 Waffe (vgl. Kries GA.
XXV) ist hier jedes zur (anariffs- oder verteidigungsweisen) Zufügung von Verletzungen geeignete Werkzeug, ohne Ruck-
Die Körperverletzung.
oder
eines
anderen
237
§♦ 61.
gefährlichen Werkzeuges,3* * oder
mittels eines hinterlistigen UeberfallS,4 oder von meh mittels
einer das' Leben
gefährdenden Behandlung begangen.
Bezüglich aller
reren gemeinschaftliche
oder
dieser qualifizierenden Umstände ist Vorsatz deS Thä
ters, d. h. Bewußtsein der Kausalität seines Thuns
erforderlich (dagegen RGR. 14. Juni 1880, B H 68, E II S. 107; richtig bez. der gemeinschaftlichen Be gehung RGR. 8. Mai 1880, B I 742). Gefängnis
nicht
unter 2 Monaten;
bei
Umständen (StGB. §. 228) Gefängnis
Strafe: mildernden
bis
zu
drei
Jahren oder Geldstrafe bis 1000 Mark.'
e) Schwere
Körperverletzung
(StGB. §. 224),
wenn
dieselbe zur Folge hat, daß der Verletzte ein wichtiges
Glied des Körpers, das Sehvermögen auf einem oder beiden Augen, das Gehör, die Sprache oder die Zeu
gungsfähigkeit verliert, oder in erheblicher Weise dauernd
entstellt
wird,
oder
Siechtum,
in
Geisteskrankheit verfällt.
Lähmung
oder
Strafe: ZuchtbauS bis zu
5 Jahren oder Gefängnis nicht unter einem Jahre; bei mildernden Umständen (StGB. §. 228) Gefängnis
nicht unter einem Monate.
sicht auf Bestimmung und ge wöhnliche Verwendung (RGR. 10. März 1880, R I S. 442), also auch z. B. ein BierglaS, ein Stock usw. 3 Zugeklappteö Taschenmesser je nach der Art des Gebrauchs
dieses Nichtvorhergesehen durch den Thäterbewirktwurde(RGR. 31. Mai 1^80, E II 74, R I 844). 6 In der Form der Mitthäter schaft oder der Nebenthäterschast („zufälligen Mittäterschaft" vgl.
(RGR. 15. Mai 1880, R1781). 4 Setzt voraus, daß der An griff nicht vorhergesehen u n d daß
oben §. 35), vgl. RGR. 8. Mai 1880, R I 742.
Erstes Buch. I. Delikte gegen Leib und Leben.
238
Die Strafe tritt ein, auch wenn in Bezug auf den schweren. Erfolg weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit auf
Seiten des Thäters vorliegt (vgl. oben §. 27 II a. E.); eben darum ist aber auch die Versuchsstrafe ausge-
geschlossen und
facher
oder
nur eventuell Bestrafung wegen ein
qualifizierter
Körperverletzung
zulässig,
wenn die Absicht des Thäters auf Herbeiführung des
schweren Erfolges gerichtet gewesen, dieser aber nicht eingetreten ist (vgl. oben §. 32 IV 1).
War da
gegen eine der eingetretenen Folgen beabsichtigt, so
ist (StGB. §. 225) auf Zuchthaus von 2—10 Jahren
zu erkennen.
d) Körperverletzung mit tätlichem Ausgang (StGB.
§. 226).
Strafe: Zuchthaus nicht unter 3 Jahren
oder Gefängnis nicht unter 3 Jahren; bei mildernden Umständen (StGB. §. 228)
Gefängnis nicht unter
3 Monaten.
2. Fahrlässige
Körperverletzung
(StGB. §. 230).
Strafe: Geld bis 900 Mark oder Gefängnis bis 2 Jahren;
bei Verletzung einer besonderen Amts-, Berufs- oder Ge werbspflicht (vgl. oben §. 60 Note 5) kann die Strafe auf
3 Jahre Gefängnis erhöht werden.
3. Körperverletzung, begangen im Amte (StGB. §. 340) f. unten §. 92 II 4 c.
III. Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag ein (StGB. §. 232), wenn eS sich um leichte vorsätzliche (StGB.
§. 223, nicht aber §. 223a) oder um nicht
qualifizierte (StGB.§.2301.Abs.) fahrlässigeKörperverletzungen handelt.
Rücknahme des Antrages ist zulässig,
wenn das Vergehen gegen einen Angehörigen (StGB. §. 52 Abs. 2) verübt worden.
Die Körperverletzung, g. 61.
239
Antragsberechtigt ist der Verletzte (bez. dessen Ver
treter; vgl. oben §. 31 HI 1).
Abweichungen von diesem Satze: 1. Sind Ehefrauen oder unter väterlicher Gewalt ste hende Kinder beleidigt worden, so haben sowohl die Belei
digten,
als
deren Ehemänner und Väter das Recht, auf
Bestrafung anzutragen (StGB. §. 232 mit §.195); und zwar
auch
noch nach dem Tode deS Verletzten (RGR. 9. De
zember 1879, EI©. 29). 2. Ist die strafbare Handlung
gegen
eine
Behörde,
einen Beamten (Begriff unten §. 92 I 2), einen Religions diener oder ein Mitglied der bewaffneten Macht, während,
sie in der Ausübung ihres Berufes begriffen sind, oder in Beziehung auf ihren Beruf begangen worden,
Antragsrecht nicht nur den Verletzten,
so steht daS
sondem auch deren
amtlich Vorgesetzten zu (StGB. §. 232 mit §. 196). — Eine Erweiterung, bez. Beschränkung der Antragsfrist
(vgl. obm §. 31 III 2) tritt bei wechselseitigen Körper verletzungen, d. h. dann ein, wenn der klagende. Verletzte den beklagten Verletzer ebenfalls verletzt hat.
Einzige Vor
aussetzung ist mithin die prozessuale Stellung beider Teile,
mögen auch die beiderseitigen Verletzungen weder in zeitlichem
noch in ursächlichem Zusammenhang« stehen (RGR. 4. Juni 1880, E II 67). In diesem Falle ist nämlich, wenn von einem Teile auf Bestrafung angetragen worden, der andere
Teil bei Verlust seines Rechtes verpflichtet, den Antrag auf Bestrafung spätestens bis zur Beendigung der Schlußoorträge in 1. Instanz (StPO. §. 428) zu stellen, hiezu aber auch
dann berechtigt, wenn zu jenem Zeitpunkte, die dreimonatliche. Frist bereits
abgelaufen ist (StGB. §. 232 mit §. 198).
Auf den Fall, in welchem Körperverletzung und Beleidigung
240
Erstes Buch. I. Delikte gegen Leib und Leben,
einander gegenüberstehen, ist diese Bestimmung nicht anzutoenbcn.6 IV. In allen Fällen der Körperverletzung kann auf Verlangen des Verletzten neben der Strafe auf eine an den selben zu erlegende Buße bis zum Betrage von 6000 Mark erkannt werden. Die Zuerkennung der Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruchs aus (StGB. §. 231). V. Retorsion (StGB. tz. 233). Wenn leichte Körper verletzungen (StGB. §. 223, nicht 223 a; RGR. 28. Oktober 1879, BI©. 23) mit solchen, Beleidigungen mit leichten Körperverletzungen oder letztere mit ersteren auf der Stelle (d. h. in continenti, so lange die durch die Kränkung her vorgerufene Gemütsbewegung fortdauert) erwidert werden, so kann der Richter für beide Angeschuldigte, oder für einen derselben eine der Art oder dem Maße nach mildere oder überhaupt keine Strafe eintreten kaffen. Es handelt sich dabei um eine Erweiterung des dem Richter bei Be stimmung der Strafe zugewiesenen Spielraumes, nicht aber um die Gewährung eines dem civilrechtlichen Kompensations rechte analogen Anspruches für den Schuldigen. Dem Richter soll die Gelegenheit geboten werden, einerseits den Affekt des zuerst Angegriffenen, andererseits die Thatsache, daß dieser bereits selbst sich Sühne genommen, in um fassendster Weise in Betracht zu ziehen. Diese Erweiterung des richterlichen ErmeffenS geht bis zur Gestattung der Strafumwandlung und der Verschonung von aller Strafe; sie setzt aber die Konstatierung strafbarer Handlungen auf beiden Seiten,' mithin die Verurteilung beider Ange6 Destritten.
I 7 Ebenso RGR. 16. August I 1880, E II 181.
Gefährdung von Leib und Leben. §. 62,
241
klagten voraus, kann daher nie zu einer Freisprechung von der That führen, und ist ausgeschlossen, wenn auf einer Seite wegen mangelnder Schuld (Zurechnungsfähigkeit), feh lender Normwidrigkeil' usw. eine strafbare Handlung über haupt nicht vorliegt.
3.
8.62.
Gefährdung*1 von Leib und Leben.
I. Die Aussetzung' (StGB. §. 221). Dieser Begriff umfaßt zwei Thatbestände: 1. Das Aussetzen (im eigentlichen Sinne) einer wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit (hieher gehören auch die durch übermäßigen Alkoholgenuß herbeigeführten Zustände) hülflosen Person, d. h. daS Ver setzen auS dem bisherigen Zustand in einen andern: vollendet mithin, .sobald jene Beziehungen zur Außenwelt, in welchm der Verletzte sich bisher befunden, gelöst worden sind. 2. Das Verlassen einer solchen Person in hülfloser Lage, strafbar nur dann, wenn der Verlassene unter der Obhut des Thäters stand, oder wenn dieser für die Unter bringung, Fortschaffung oder Aufnahme des Verlassenen zu sorgen hatte (eS genügt obligatio ex re z. B. begründet durch das Aufnehmen eineS ausgesetzten KindeS von Seiten eines unbeteiligten Dritten). Ein Versetzen in andere Lage ist hier nicht erforderlich.
" Anwendbarkeit des §. 193; vgl. die in Note 7 cit. RGR. 16. August 1880. 1 Begriff der Gefährdung oben §. 3 Note 1. von L Szt, Strafrecht.
1 Lit. bei Meyer S. 396 Note 1; dazu Platz, Verbrechen der Aussetzung 1876. 16
242
Erstes Buch. I. Delikte gegen Leib und Leben.
Die Aussetzung ist regelmäßig Vergehen: der Strafsatz beträgt Gefängnis von 3 Monat bis 5 Jahren; wenn von den leiblichen Eltern gegen ihr Kind begangen, Gefängnis nicht unter 6 Monaten. Die Schwere des (wenn auch weder vorsätzlich noch fahrlässig herbeigeführten) Erfolges macht die Aussetzung zum Verbrechen: ist eine schwere Körperverletzung (StGB. §. 224) der ausgesetzten oder ver lassenen Person verursacht worden, so tritt Zuchthaus bis zu 10 Jahren, und wenn der Tod verursacht worden, Zuchthaus von 3—15 Jahren ein. In den beiden ersten Fällen ist der Versuch wegen der Vergehensnatur der strafbaren Handlung straflos, bei den letzteren aus dem oben §. 32 IV 1 angegebenen Grunde nicht möglich. ®arunt8 tritt Straflosigkeit ein, wenn der Aussetzende in der Nähe des Ausgesetzten verborgen wartet, bis dieser etwa durch eine dritte Person ausgenommen wird. II. Die sogenannte Vergiftung* (StGB. §. 229) d. i. das in der Absicht (Absicht hier gleich treibendes Motiv; vgl. oben §. 28 III) die Gesundheit zu beschädigen er folgende Beibringen von Gift oder anderen Stoffen, welche die Gesundheit zu zerstören geeignet sind (Stoffe, von welchen sich das Gift nur dadurch unterscheidet, daß es schon in kleineren Dosen die gesundheitzerstörende Wirkung zu äußern im Stande ist). Das Wesen des Deliktes besteht demnach in der, in Verletzungsabsicht begangenen, Ge fährdung von Leib und Leben. 3 Die herrschende Ansicht — auch RGR. 21. April 1880, R I 639, E II 15 — erblickt in dem anaeführten Falle überhaupt keine „Aussetzung"; doch liegt
(strafloser) Versuch einer solchen gewiß vor. * Lit. bei Meyer S. 399 Note 1; dazu Thomsen GS. 30.
Gefährdung von Leib und Leben,
Mit
dem
ist
Beibringen
daS
tz. 62.
Verbrechen
243 vollendet;
etwaige Anwendung von Gegengiften schließt daher die Be
strafung aus §. 229 StGB, nicht aus.
Strafe: regelmäßig Zuchthaus bis zu 10 Jahren; wenn
durch die Handlung eine schwere Körperverletzung (StGB. §. 224) verursacht worden, Zuchthaus nicht unter 5 Jahren;
wenn der Tod verursacht worden, Zuchthaus 10 Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus.
(vgl.
nicht unter
Auch hier ist
oben §. 27 II a. E.) der höhere Strafsatz lediglich
durch den Eintritt der, wenn auch weder vorsätzlich noch fahrlässig
herbeigeführten,
schweren Erfolge
Nichteintritt derselben, auch
bedingt;
bei
wenn sie beabsichttgt waren,
daher der einfache Sttafsatz anzuwenden (vgl. oben §. 32 IV 1).
Auf Buße ist in allen Fällen der Vergiftung zu erkennen
(StGB. §. 231), auch wenn eine Körperverletzung nicht ein getreten ist (vgl. oben §. 52 II).
III. Die Abtreibung» (StGB. §§. 218—220) setzt als Objekt eine noch nicht geborene Leibesfrucht (vgl. oben
§. 60 I 4) voraus, und umfaßt zwei wesentlich verschiedene
Thatbestände: 1. Die Abtreibung im engeren Sinne, nämlich das
(rechtswidrige) Bewirken einer Frühgeburt, mag auch die Absicht deS Thäters nicht auf Tötung der Leibesfrucht ge
richtet gewesen sein;' 2. die Tötung der Frucht im Mutterleibe.
DaS Gesetz schützt in den Sttafparagraphen gegen Abtreibung in erster Linie die Existenz deS Embryo, in zweiter 6 Lit. bei Meyer S. 393 Note 1. Dazu Kornfeld in H. R. „Abtreibung".
6 Bestritten.
Erstes Buch.
244
I. Delikte gegen Leib und Leben,
die körperliche Integrität der Schwangeren, läßt aber wegen des in abstracto gefährdenden Charakters der Abtreibung die Strafe auch dann eintreten, wenn im konkreten Falle
eine Gefährdung weder der Schwangeren noch des Embryo eingetreten ist.
Arten der Abtreibung:
1.
Einfacher
Fall
(StGB.
§. 218);
Abtreibung:
a) durch die Schwangere selbst; b) durch einen Dritten mit
Einwilligung der Schwangeren. Doch muß im Falle b. der Dritte, damit ihn die volle Strafe (§. 218, 3. Absatz) treffe,
nach den allgemeinen Grundsätzen als Thäter oder Mitthäter erscheinen (das Gesetz verlangt, daß er „die Mittel zur Ab
treibung bei der Schwangeren angewendet oder ihr bei gebracht hat)"; bloßes Verschaffen der Mittel würde als
Beihülfe zu dem Delikte a. unter den reduzierten Strafrahmen
fallen?
oder
Die Schwangere kann int Falle b. als Mitthäterin
aber auch
als
Teilnehmerin
nach
den
allgemeinen
Grundsätzen erscheinen? Strafe: Zuchthaus bis zu 5 Jahren; bei mildernden Um ständen Gefängnis nicht unter 6 Monaten.
2. Die Lohnabtreibungd (StGB. §. 219). Schwerere Strafe — Zuchthaus bis zu 10 Jahren — trifft denjenigen,
der einer Schwangeren,
die
ihre Frucht abgetrieben
hat,
gegen Entgelt die Mittel hiezu verschafft, bei ihr ange
wendet oder ihr beigebracht hat. Der Lohnabtreibung kann sich die Schwangere selbst nie, auch nicht als Gehülfin, schuldig machens der Dritte da>
7 Ebenso RGR. 11. März 1880, E I 270, R I 450. * Ebenso RGR. 25. Februar 1880, E I 263, R I 394.
9 Vgl. Pfizer GS. XXVIN. 10 a. A. RGR. 10. April 1880, I 350, R I 568.
g. 62.
Gefährdung von Leib und Leben,
245
gegen fallt unter den Strafrahmen des §. 219 auch dann, wenn er nur durch Berschaffen
der Mittel,"
also
nur
durch eine Beihülfehandlung, zu dem eingetretenen Erfolge
mitgewirkt hat. Eintritt des Erfolges ist Bedingung
für die Anwend
barkeit des §. 219; sind die angewendeten, beigebrachten, ver schafften Mittel ohne Erfolg geblieben,
so
kann
nur aus
§. 218 gestraft werden."
3. Abtreibung durch einen Dritten ohne Einwilligung der Schwangeren (StGB. §. 220).
Strafe: Zuchthaus
nicht unter 2 Jahren; ist durch die Handlung der Tod der Schwangeren
verursacht
worden,
Zuchthaus
10 Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus.
nicht
unter
Auch hier gilt
für den qualifizierten Fall in Bezug auf Schuld und Versuch das oben unter II Gesagte. IV.
Der Raufhandel (StGB.
§. 227); vorliegend,
wenn durch eine Schlägerei oder durch einen von Mehreren
gemachten Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (StGB. §. 224) verursacht worden ist.
Der „Raufhandel" umfaßt zwei wesentlich von einander
verschiedene Fälle: 1. Die
einfache
Beteiligung
an einer Schlägerei
oder an einem Angriff, die Dort den erwähnten Folgen be gleitet gewesen sind, vorausgesetzt, daß der Angeklagte nicht
ohne sein Verschulden hineingezogen worden ist.
Strafe:
Gefängnis bis zu 3 Jahren. Die Strafbarkeit der Beteiligung wird
dadurch
nicht
ausgeschloffen,
daß
der Urheber
der
schweren oder rötlichen Verletzung bekannt ist; wohl aber kann
11 Intellektuelle Beihülfe u. Anstiftung sind nach §. 218 zu bestrafen.
11 RGR. 9. Februar 1880. E I 194, R I 326; 10. April 1880 (oben Anm. 10).
246
Erstes Buch. I. Delikte gegen Leib und Leben,
nach der oben Z. 40 II ä gegebenen Regel nicht dieselbe Person mit Rücksicht auf denselben Erfolg zugleich nach §. 227 und nach §§. 224 ff. gestraft werden: es tritt vielmehr in diesem Falle Konsumption des Deliktes des §. 227 ein. 2. Ist eine der vorbezeichneten Folgen mehreren (vor sätzlichen) Verletzungen zuzuschreiben, welche dieselbe nicht einzeln, sondern nur durch ihr Zusammentreffen ver ursacht haben, so wäre nach den allgemeinen Grundsätzen (vgl. oben §. 20 III) jede derjenigen Personen, welcher eine dieser Verletzungen zur Last fällt, mit der vollen Strafe der §§. 224—226 zu belegen. In ganz ungerechtfertigter und nur aus historischen Reminiscenzen erklärbarer Weise stellt der Gesetzgeber für diesen Fall einen besonderen Straf rahmen auf: Zuchthaus bis zu 5 Jahren, bei mildernden Umständen (StGB. §. 228) sogar Gefängnis nicht unter einem Monate. V. Der Zweikampf (StGB. §. 201—210).13 1. Begriff. Nicht als Störung des öffentlichen Friedens, nicht als eigenmächtiger Eingriff in die staatliche Rechtspflege, sondern als ein strafbares Auf's-SpielSetzen von Leib und Leben erscheint das Delikt des Zweikampfes, dessen Existenz einen unwiderleglichen Vorwurf gegen die, unser modernes (überspanntes, weil durchaus sub jektives) Ehrgefühl nicht befriedigende, Behandlung der Ehr verletzungen in der modernen Gesetzgebung bildet. In systematischer Beziehung nimmt der Zweikampf unter den Delikten gegen Leib und Leben dieselbe Stellung ein, wie das Glücksspiel unter den strafbaren Handlungen gegen daS Vermögen. 13 Lit. bei Meyer S. 403 I GS. XXX (vgl. denselben im Note 1. Dazu Zimmermann | histor. Taschenbuch 1879).
Gefährdung von Leib und Leben, g. 62.
247
Zweikampf ist der verabredete, den hergebrachten ober vereinbärten Regeln entsprechende, Kampf mit tötlichen Waffen zwischen zwei Personen. Den Begriff der Waffe haben wir hier (im Gegensatze zn dem oben §. 61 Note 2 Gesagten) im engeren Sinne zu nehmen: er umfaßt alle zu Angriff und Verteidigung be stimmten und zur Zufügung von Verletzungen geeigneten Werkzeuge." Tötliche Waffen aber sind diejenigen, die bei bestimmungsgemäßem Gebrauche und unter den gegebenen Umständen tötliche Verletzungen herbeizuführen geeignet sind. Dabei müssen, wie bei Anwendung aller relativen Begriffe des Strafrechtes, ganz außergewöhnliche Komplikationen außer Betracht gelassen werden. Demnach sind studentische Schlägermrnsuren, wenn unter Anwendung der regel mäßigen Vorsichtsmaßregeln vor sich gehend, zwar als ein vielleicht strafwürdiges (positiv-rechtlich strafloses) AufsSpiel-Setzen der körperlichen Integrität, nicht aber als Kampf mit rötlichen Waffen zu betrachten." Die An wendung der strafgesetzlichen Bestimmungen über Körper verletzung und Raufhandel ist durch die Natur dieser Men suren als eines vereinbarten und geregelten Kampfes aus geschlossen. Die akademischen Vorschriften über Studmtenduelle sind durch das RStGB. als Straf-, nicht aber als Disziplinargesetze (vgl. oben §. 42 IV) beseitigt worden. Das sogenannte amerikanische Duell oder die Losung um's Leben ist weder Zweikampf noch Anstiftung zum Selbst morde, sondern wie der Zweikampf ein Glücksspiel um Leib " Dgl. RGR. 2. Juni 1880, diese Frage, als zur Kompetenz E I 445, E II 14. des E^trichterS gehörig, nicht 15 Die eben cit. RGR. hat entschieden.
248
Erstes Buch. I. Delikte gegen Leib und Leben,
und Leben, und obgleich strafwürdiger wie dieser, nach posi tivem Rechte nicht strafbar. 2. Der Gesetzgeber hat sich nicht damit begnügt, den Zweikampf selbst unter Strafe zu stellen, sondern bedroht auch gewisse Vorbereitungshandlungen, nämlich die Her ausforderung zum Zweikampf und die Annahme einer solchen, mit Strafe; und zwar regelmäßig (StGB. §. 201) mit Festungshaft bis zu 6 Monaten; wenn aber bei der Herausforderung hie Absicht, daß einer von beiden Teilen daS Leben verlieren soll, entweder ausgesprochen ist oder aus der gewählten Art des Zweikampfes erhellt (StGB. §. 202), mit Festungshaft von 2 Monaten bis zu 2 Jahren. Die Natur dieser delicta sui generis als Vorbereitungs handlungen schließt die Möglichkeit eines strafbaren Ver suches derselben aus (vgl. oben §. 33 Note 4), gestattet aber die strafbare Teilnahme dritter Personen (vgl. oben §. 37 I 2 c). Einen Fall der Teilnahme hebt der Gesetz geber besonders hervor, indem er (in §. 203) diejenigen, welche den Auftrag zu einer Herausforderung übernehmen und auSrichten (die Kartellträger) mit Festungshaft bis 6 Monaten bedroht. Die Strafe der Herausforderung und der Annahme der selben, sowie die Strafe der Kartellträger fällt weg (StGB. §. 204), wenn die Parteien den Zweikampf vor dessen Beginn freiwillig aufgegeben haben. Entgegen der allgemeinen Regel (vgl. oben §. 37 III 3), daß Straf aufhebungsgründe nur demjenigen zu Gute kommen, in dessen Person sie sich ereignen, wirkt hier die „thätige Reue" der Hauptthäter zu Gunsten aller Beteiligten. Kommt der Zweikampf wirklich zu Stande, so wird da durch nach dem oben §. 40 II c Gesagten die Strafbarkeit
Gefährdung von Leib und Leben.
§♦ 62.
249
der Vorbereitungshandlungen für die bcibtn Parteien konsumirt; die übrigen Beteiligten, auch die Kartellträger (arg. StGB. §. 209) hasten nach den allgemeinen Grundsätzen über Teilnahme; aber nunmehr wegen ihrer Beteiligung am Zweikampfe selbst. 3. Die Strafe des Zweikampfes ist im Gesetze ver schieden abgestuft: a) Regelmäßiger Strafrahmen (StGB. tz. 205): Festungs haft von 3 Monaten bis zu 5 Jahren. b) Wer seinen Gegner im Zweikampfe durch eine vor sätzlich zugefügte Verletzung tötet (StGB. §. 206), wird mit Festungshaft nicht unter 2 Jahren, und wenn der Zweikampf den Tod des einen von Beiden herbei führen sollte, mit Festungshaft nicht unter 3 Jahren bestraft. c) Ist eine Tötung oder Körperverletzung mittelst vor sätzlicher Uebertretung der vereinbarten oder herge brachten Regeln deS Zweikampfes bewirkt worden, so ist der Uebertreter (StGB. §. 207), sofern nicht nach den oben erwähnten Bestimmungen eine härtere Strafe verwirkt ist, nach den allgemeinen Vorschriften über das Verbrechen der Tötung und der Körperverletzung zu bestrafen. Das singuläre dieser im übrigen selbst verständlichen Anordnung liegt darin, daß die Zwei kampfstrafen, wenn höher, eintreten sollen, obwohl der Zweikampf in dem Augenblick aufgehört hat, Zweikampf zu sein, in welchem die Ueberschreitung der Kampfes regeln stattgefunden hat. d) Hat der Zweikampf ohne Sekundanten stattgefunden, so kann die verwirkte Strafe bis um die Hälfte, jedoch nicht über 15 Jahre erhöht werden (StGB. §. 208).
250
Erstes Buch. II. Delikte gegen die persönliche Freiheit.
Die Behandlung der Teilnehmer richtet sich nach den allgemeinen Regeln.
Einen Fall hat auch hier der Gesetz
geber als delictum sui (StGB.
§. 210),
und
besonders
generis damit
für
hervorgehoben
unabhängig von den
sonstigen Voraussetzungen der Teilnahme (vgl. oben §. 35 II)
erklärt.
Wer
einen Andern
zum Zweikampf mit einem
Dritten absichtlich, insbesondere durch Bezeigung oder An
drohung von Verachtung anreizt, wird, falls der Zweikampf (wenn auch nicht in Folge seiner Aufreizung) stattgefunden hat, mit Gefängnis (also nicht mit Festungshaft, der poena
ordinaria des Zweikampfes) nicht unter 3 Monaten bestraft.
Straflos bleiben (StGB. §. 209) Kartellträger, welche
ernstlich bemüht gewesen sind, den Zweikampf zu verhindern," Sekundanten,"
sowie zum Zweikampf zugezogene Zeugen,
Aerzte und SBunbärgte?8
II.
8» 63.
Strafbare Handlungen gegen die persönliche ckreihrit.»
Das durch die hieher
Rechtsgut ist die Freiheit
gehörenden Delikte angegriffene der Bewegung
im Raume,
die
Freiheit des Handelns, nicht die des EntschließenS (nicht die sogenannte Willensfreiheit).
1C Thätige Reue als Straf aufhebungsgrund, oben §. 57. 11 Subjektiver Strafausschlie ßungsgrund; vgl. oben §. 30 III 3. 18 Selbstverständlich, weil eine
Beteiligung an der strafbaren Handlung hier überhaupt nicht vorliegt. 1 Lit. bei Meyer S. 410 Note 1.
Delikte gegen die persönliche Freiheit. §. 63.
251
1. Die partielle Verletzung (Beschränkung) der persön lichen Fre'cheit, oder die Nötigung. 1. Die Nötigung des RStGB. (§. 240), d. h. die Nötigung zu irgend einer Handlung, Duldung oder Unter lassung, wenn durch gewisse Mittel bewirkt. Diese Mittel sind: a) physische Gewalt,- nicht notwendig an der Person deS zu Nötigenden (in homino), aber gegen den selben (Vergewaltigung anderer Personen oder Ge walt an Sachen) gerichtet (in hominem), als Mittel, seine Entschließung zu bestimmen. b) psychische Gewalt oder Bedrohung, und zwar: Be drohung mit einem Verbrechen oder Vergehen. Die Drohung braucht keine ernstlich gemeinte, d. h. die Ausführung derselben braucht nicht beabsichtigt zu sein, sie muß aber dem Bedrohten als eine ernstliche erscheinen? Die Drohung muß gegen den zu Nö tigenden gerichtet, d. h. zur Beeinflussung seiner Ent schließung bestimmt und geeignet sein; nicht erforderlich ist, daß das angedrohte Verbrechen oder Vergehen an dem zu Nötigenden begangen werden soll. Die Dro hung kann sich vielmehr, ganz wie die Gewalt, auf andere Personen oder auf Sachen beziehen. Sie kann aus drücklich ausgesprochen oder durch symbolische Hand lungen (Erheben der Faust, Anlegen des Gewehrs usw.) angedeutet sein. Das an sich selbstverständliche Merkmal der Wider rechtlichkeit der Nötigung ist in den Thatbestand auf’ Vgl.Wanjek GA.XXVH; auch RGR. 17. Juni 1880, E II 184, R II 81.
5 Dgl. RGR. 24. Dezember 1879, R I 173; 9. Februar 1880, R I 325.
252
Erstes Buch. II. Delikte gegen die persönliche Freiheit,
genommen; mithin zum Vorsatze Bewußtsein derselben er
forderlich (vgl. oben §. 28 II).
Durch die Berechtigung zur
Nötigung an sich wird die Berechtigung zur Nötigung durch
die vom Gesetze verpönten Mittel, durch Gewalt oder Be drohung mit Verbrechen oder Vergehen selbstverständ
lich nicht gegeben/ Die Vollendung der Nötigung tritt erst mit der erzwun
genen Handlung, Duldung, Unterlassung ein; der Versuch,
der hier trotz der Vergehensnatur des Deliktes strafbar ist,
beginnt schon mit der Anwendung von Gewalt oder Drohung, als der Mittel zur Herbeiführung der Handlung usw.
Strafe: Gefängnis bis zu 1 Jahr oder Geld bis zu 600 Mark.
2. Einen besonderen Fall der Nötigung enthält §. 153 der Gewerbeordnung:
Wer andere
durch Anwendung
körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrver letzung, oder durch Verrufserklärung bestimmt oder zu
bestimmen versucht, an Verabredungen zum Behufe der
Erlangung günstigerer Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbe
sondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, teilzunehmen oder ihnen Folge zu leisten, oder An
dere durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern ver sucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten, wird mit
Gefängnis bis zu 3 Monaten bestraft, sofern nach dem all gemeinen Strafgesetz nicht eine härtere Strafe eintritt.
Die
Erweiterung des Kreises der strafbarmachenden Nötigungs mittel sowie die Gleichstellung von Versuch und Vollendung unterscheiden — ganz abgesehen von dem Inhalt der Nö
tigung — diesen Thatbestand von dem des §. 240 StGB.
♦ Vgl. RGR. 21. Oktober I 1880, R II 124. 1879, E I 5, R I 9; 26. Juni |
Delikte gegen die persönliche Freiheit, g. 63.
253
II. Die totale (wenn auch vorübergehende)'Verletzung
(Entziehung) der persönlichen Freiheit oder die Freiheits beraubung (StGB. §. 239:
einen
„wer
ein
Menschen
sperrt^ oder auf andere Weise des Gebrauches der persön lichen Freiheit beraubt")' Auch
Widerrechtlichkeit
oben § 28 II).
in
den
hier
das Merkmal der
ist
Thatbestand
Die Vollendung tritt mit der
der Freiheit ein;
länger
dauernde
(vgl.
ausgenommen
Entziehung
Freiheitsentziehung
be
gründet ein fortdauerndes Delikt (vgl. oben §. 39 II 1). Strafe: a) Normalsatz: Gefängnis von 1 Tag bis zu 5 Jahren.
die Freiheitsentziehung
b) Wenn
dauert hat,
über
eine
Woche
ge
oder wenn eine schwere Körperverletzung
(StGB. §. 224) des der Freiheit Beraubten durch die Freiheitsentziehung
oder
die
ihm während derselben
widerfahrene Behandlung verursacht (oben S. 237 c)
worden ist: Zuchthaus bis zu 10 Jahren, bei mildern
den Umständen Gefängnis nicht unter einem Monat. c) Ist auf die zu b angegebene Weise der Tod verursacht
unter 3 Jahren,
worden,
Zuchthaus
nicht
dernden
Umständen
Gefängnis
nicht
unter
bei mil 3
Mo
naten. d) Ueber
daS Amtsdelikt
des §. 341 vgl.
unten
§. 93
II 4d.
1 RGR. 7. Juli 1880, R II 167. • Ihn in einem umschlossenen Raume festhält. - Die Mittel, welche der Thäter anwendet, sind an sich gleichgültig; doch muß das Ver halten des der Freiheit Be
raubten durch diese Mittel her beigeführt sein und darf nicht alS dessen freies und vorsätzliches Thun (oben §. 19III) erscheinen. Zu weit geht RGR. 7. Juli 1880, R II 167 (in den Grün den). Die Sacke liegt hier eben anders als bei der Nötigung.
254
Erstes Buch. II. Delikte gegen die persönliche Freiheit.
IIL Die qualifizierte totale Entziehung der per sönlichen Freiheit oder der Menschenraub. Das qualifi zierende Moment liegt darin, daß der Thäter, nicht zufrie den damit, dem Verletzten den Gebrauch seiner persönlichen Freiheit entzogen zu haben, sich eine positive und unmittel bare Herrschaft, eine Verfügungsgewalt über denselben anmaßt. Es gehören hierher: 1. Der eigentliche Menschenraub (StGB. §.234); Objekt: jeder Mensch; die Erlangung der Herrschaft („Bemächtigung" sagt das Gesetz) muß erfolgen durch a) Ge walt (vgl. oben K. 63 I la); b) Drohung (vgl. oben §. 63 I lb), die aber hier nicht Drohung mit einem Ver brechen oder Vergehen zu sein braucht; c) List, d. i. Täu schung des zu Verletzenden über die Kausalität der von ihm vorzunehmenden Handlung. Die Absicht (hier gleich er weiterter Vorsatz oben §. 28 III) muß darauf gerichtet sein, den Angegriffenen in hülfloser Lage auszusetzen oder in Sklaverei, Leibeigenschaft oder in auswärtige Kriegs- oder Schiffsdienste zu bringen. Das Verbrechen ist vollendet mit der (positiven) Erlangung der Herrschaft; der Versuch beginnt mit dem (negativen) Eingriff in die persönliche Frei heit. Strafe: Zuchthaus. 2. Kinderraub (StGB. 8.235) begangen dadurch, daß eine minderjährige Person ihren Eltern oder ihrem Vormund durch Gewalt, Drohung, List entzogen wird. An gegriffen ist die persönliche Freiheit des Minderjährigen; aber die Dispositionsbefugnis über dieses Rechtsgnt steht nicht ihm, sondern den Eltern oder dem Vormunde zu. Darum schließt die Einwilligung der letztgenannten Personen die No.rmwidrigkeit des Thuns aus, während die des Min derjährigen selbst irrelevant ist. Vollendet ist das Delikt,
Delikte gegen die persönliche Freiheit, sobald
Gewalt
die
der Machthaber
g. 63.
gebrochen
255 und
eine
fremde Gewalt begründet ist; der Versuch beginnt mit dem
ersten dieser beiden Stadien. Strafe: regelmäßig Gefängnis? wenn die Handlung in der Absicht geschieht (Absicht gleich
erweiterter Vorsatz oben §. 28 IE), die Person zum Betteln oder zu gewinnsüchtigen ober unsittlichen Zwecken oder Be
schäftigungen zu gebrauchen, Zuchthaus bis zu 10 Jahren. 3. Frauenraub oder Entführung" (StGB. §§. 236 bis
238), charakterisiert einerseits durch das Objekt, andrerseits
durch
die
geschlechtliche
Absicht.
Das Gesetz
unterscheidet
zwei Arten: a) Entführung der Frauensperson gegen ihren Willen
durch List, Drohung, Gewalt, um sie entweder zur Unzucht (Strafe: Zuchthaus bis zu 10 Jahren) oder zur
Ehe zu bringen (Strafe:
Gefängnis).
Absicht auch
hier gleich erweiterter Vorsatz (oben §. 28 III).
Voll
endet mit der Begründung der Herrschaft deS Ent
führers (StGB. §. 236).
b) Entführung einer minderjährigen, unverehelich ten Frauensperson mit ihrem Willen, aber ohne
Einwilligung der Eltern oder deS Vormun
des, um sie zur Unzucht oder zur Ehe zu bringen. Strafe:
Auch
Gefängnis.
ist hier
die persönliche
Freiheit der Entführten das angegriffene Rechtsgut;"
daran wird durch den Umstand nichts geändert, daß
die
Disposition
über
das
Rechtsgut
einer
Person als dem Träger desselben zusteht.
andern
Auch der
Diebstahl ändert seinen Charakter nicht, wenn er mit Einwilligung des nicht verfügungsfähigen Eigentümers 1 Vgl. Wahlberg „Entführung".
H. R. ! I
9 Bestritten.
Erstes Buch.
256
III. Delikte gegen das Vermögen,
begangen wird.
Jedes Mittel genügt; List, Drohung,
Gewalt sind nicht erforderlich. kann,
als Trägerin
Die Entführte selbst
des angegriffenen Rechtsgutes,
nicht Teilnehmerin an dem Delikte sein.
Ueber Voll
endung gilt das zu a Gesagte (StGB. §. 237).
Die Entführung ist in beiden Fällen Antragsdelikt:
antragsberechtigt im ersten Falle die Entführte, im zweiten
Hat der Enfführer die Entführte gehei
der Gewalthaber.
ratet, so findet die Verfolgung nur statt (StGB. §. 238),
nachdem die Ehe für ungültig erklärt worden ist.
Diese
Erklärung ist Bedingung der Strafbarkeit in dem oben §. 30 angegebenen Sinne.
Strafbare Handlungen gegen das Vermögen.
III.
Gegen das Eigentum.
A.
1.
ß. 64.
»er Sirbstahl?
I. Begriff. 1.
Diebstahl
widrige Sache,
Eigentumsverletzung einer
fremden
durch
rechts
beweglichen
wenn letztere zu diesem Zwecke erst in den
Gewahrsam Das
ist
Aneignung
des Thäters
letzterwähnte
Moment
gebracht werden unterscheidet
Diebstahl
muß.
und
Unterschlagung. Nach dieser Definition wären Diebstahl und Unterschlagung
erst mit
der
1 Lit. bei Meyer S. 444 Anm. 1. Dazu Merkel in HR. „ Diebstahl" ; Bachem, der
Aneignung
vollendet.
DaS
Unterschied zwischen dem Furtum des römischen Rechts und dem Diebstahl nach RStGB. 1880.
Der Diebstahl. §♦ 64.
257
positive Recht hat aber den Zeitpunkt der Vollendung zurück geschoben (vgl. oben §. 3212); Diebstahl ist demnach (StGB. K.242): Wegnahme einer fremden beweglichen Sache in der Absicht rechtswidriger Aneignung. 2. Objekt ist eine bewegliche oder beweglich gemachte Sache, mag diese auch keinen Tauschwert haben; und zwar eine fremde, d. h. in dem Eigentume eines Anderen stehende Sache. An Sachen, die in niemandes Eigentum stehen, an herrenlosen, derelinquierten usw. Sachen ist Dieb stahl nicht möglich, mag auch ein ausschließliches Okkupations recht auf dieselben vorhanden sein; wohl aber an Wild im eingefriedeten Gehege, Fischen in Privatteichen, an den der Leiche in's Grab mitgegebenen Gegenständen (wenn sie nicht als derelinquierte zu betrachten sind) usw. Diebstahl wird unmöglich, wenn der Eigentümer das Eigentum ganz aufgiebt oder dem Thäter überträgt; dagegen schließt die Ein willigung des Eigentümers in die Wegnahme der Sache den Diebstahlsbegriff nicht aus. Der Eigentümer selbst kann sich des Diebstahls an der eigenen Sache nicht schuldig machen, wohl aber der Miteigentümer an der ihm nicht ausschließlich gehörenden. 3. Die Handlung besteht in dem Wegnehmen, d. h. in dem Brechen des fremden und der Begründung des eigenen Gewahrsams. Gewahrsam (nicht gleich Besitz im civilrechtlichen Sinne) bedeutet aber die Möglichkeit über die Sache thatsächlich zu verfügen, verbunden mit dem Willen diese Möglichkeit aufrecht zu erhalten? Diebstahl kann dem nach nicht begangen werden an Sachen, die in keines Menschen Gewahrsam stehm, wie an vom Hochwasser fort* a Vgl. RGR. 24. Mai 1880, I Anwendung des richtigen SatzeS). E II 65, R I 818 (bedenkliche | von Liszt, Strafrecht.
258
Erstes Buch. III. Delikte gegen daS Vermögen,
geschwemmten oder verlorenen Gegenständen, wohl aber an vergessenen oder verlegten Sachen. Durch Aufgeben des Gewahrsams' von Seiten des Gewahrsams ^Inhabers wird die Möglichkeit des Diebstahls ausgeschlossen; nicht not wendig aber schon durch Einwilligung in die Ergreifung der Sache. Der Gewahrsams-Inhaber selbst kann sich des Diebstahls nicht (wohl aber der Unterschlagung) schuldig machen; der Mitgewahrsams-Jnhaber begeht Diebstahl, wenn er sich rechtswidrig» die ausschließliche Verfügungsgewalt verschafft (vgl. das zu 2 über den Miteigentümer Ge sagte). Der letzte Satz ist von großer praktischer Bedeutung, da in zahlreichen Fällen mehrfacher Gewahrsam an derselben Sache — sei es gleichgestellten, sei es einander untergeord neten Personen zustehend — vorkommt/ Demnach ist die Aneignung mitvermieteter Sachm durch den Mieter eines meublierten Zimmers als Diebstahl zu betrachten, da der Thäter nur Mit-Gewahrsamsinhaber ist? 4. Nicht erfolgte, wohl aber beabsichtigte Aneignung der Sache gehört zu den Merkmalen des Diebstahls begriffes. Aneignung aber besteht darin, daß die Sache, gleichsam als wäre sie Eigentum, den Zwecken des Thäters dauernd und ausschließlich dienstbar gemacht wird. Sofortige Vernichtung der Sache ist nicht Aneignung, ebensowenig vorübergehender Gebrauch derselben; eben darum ist Ver pfändung der Sache nicht Aneignung, wenn die Absicht und 3 Znnehaben und Aufgeben des Gewahrsams durch einen Wahnsinnigen hat (mit Recht) RGR. 19. Juni 1880, R II 85 als nach Umständen möglich angenommen.
4 RGR. 5. April 1880, B I 540, E II 1 (Entwendung von Ladenvorräten durch einen im Geschäfte angestellten Verkäufer). 5 Dagegen (aber ohne über zeugende Motivierung) RGR. 12. Juli 1880, R II 184.
Der Diebstahl,
tz- 64.
259
zirgleich die gegründete Aussicht rechtzeitiger Wiedereinlösung besteht? Auch die Ausübung eines vermeintlichen Retentions rechtes kann nicht als Aneignung betrachtet werden? Die Absicht (auch hier gleich erweiterter Vorsatz, oben §. 28 III) muß auf rechtswidrige Zueignung gehen. Dieb stahl liegt also nicht vor, wenn ein Anspruch auf Uebertragung des Eigentums an der Sache selbst besteht, wohl aber dann, wenn ein anderer Anspruch durch die weggenommene Sache gesichert werden foH;86 7 Wegnahme von Geld, um sich für eine begründete Geldforderung bezahlt zu machen, ist demnach nur dann nicht Diebstahl, wenn, was zu den seltensten Fällen gehören dürste, ein Anspruch auf Uebertragung gerade der weggenommenen Geldstücke bestand? Gewinnsüchtige Absicht, also Absicht auf Erlangung eines Vermögensvorteils (animus lucri faciendi) ist nach heutigem Recht nicht erforderlich. Der Diebstahl ist kein Bereicherungsdelikt. 5. Der Diebstahl ist vollendet mit der vollendeten Wegnahme, also sobald der eigene Gewahrsam an der Sache durch den Thäter begründet ist. Die alten zum Teil ab weichenden Ansichten — Kontrektations-, Ablations-, Apprehensions-Theorien — sind heute allgemein aufgegeben. Der Versuch — strafbar, auch wenn der Diebstahl Ver gehen ist — beginnt mit dem Brechen des fremdm Ge wahrsams; daher in verschiedenen Zeitpunkten je nach der verschiedenen Erscheinung und Sicherung dieses Gewahr sams;^ mit dem Einbrechen, Einsteigen, Einschleichen bei 6 RGR. 22. April 1880, R I 659 u. 664, E II 22. 7 Vgl. RGR. 5. Mai 1880, E II 48.
8 RGR. 9. Februar 1880, E I 193. 9 A.A.RGR. 17. Juni 1880, E II 184, R II 73. 10 Bestritten.
Erstes Buch.
260
HI. Delikte gegen das Vermögen.
Sachen, di« sich in umschlossenen Räumen befinden; erst mit der Ergreifung von Vieh auf der Weide, geschlagenem Holz
im Forste; mit dem Ausstrecken der Hand, wenn damit schon die Herrschaft des Eigentümers beeinträchtigt wird" usw. 6. Beim Diebstahl bildet die Verletzung des einen Rechts
gutes — des Gewahrsams — das Mittel zur Verletzung deS anderen: des Eigmtums. Halten wir an dem theoretischen
Begriffe des Diebstahls fest (oben unter 1), so erscheinen
Eigentümer
wie
Gewahrsams-Inhaber
als
Verletzte
im
Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauchs. Verletzter im tech
nischen Sinne deS Wortes (oben §. 31 III1) aber ist nur
der Träger des unmittelbar angegriffenen Rechtsgutes: mithin der
Gewahrsams-Inhaber."
Noch sicherer ist dieses
Resultat von dem Standpunkte deS positiven Rechtes aus,
welches die Verletzung Vordergrund
stellt,
daß
des Gewahrsams so es
sogar
die
sehr in den
bloß beabsichtigte
Eigentumsverletzung zum Begriffe des Diebstahls genügen läßt.
Eine wichtige Anwendung dieses Satzes siehe unten,
n. Arten deS Diebstahls.
1.
Einfacher Diebstahl (StGB. tz.242).
Strafe:
Gefängnis.
2.
Qualifizierter Diebstahl (StGB. §. 243) in
folgenden Fällen:
a) Wenn
aus
einem zum Gottesdienste bestimmten
Gebäude Gegenstände gestohlen werden,
welche dem
Gottesdienste gewidmet sind.
" Vgl. den Fall bei RGR. 9. Juli 1880, R II 142 (in der Begründung wohl zu weit gehend).
" Vgl. GA. XXV S. 177. Damit sei da8 oben §. 31 III lb Gesagte berichtigt.
Der Diebstahl,
261
ß. 64.
b)1$ Wenn aus einem Gebäude ober umschlossenen (b. h. von bet Außenwelt" in einer bas Einbringen ab-
haltenbeu Weise getrennten, wenn auch nicht mit ber
Bobenfläche verbundenen u) Raum mittels Einbruchs (gewaltsamer Beseitigung der Hindernisse),
Einstei
gens (Umgehen der Hindernisse durch Einbringen auf
einem nicht dazu bestimmten Wege") oder Erbrechens von Behältnissen" gestohlen wird.
c) Wenn zur Eröffnung eines Gebäudes oder der Zu
gänge eines umschlossenen Raumes, oder zur Eröffnung der im Innern befindlichen Thüren oder Behältnisse
falsche Schlüssel' oder andere zur ordnungsmäßigen Eröffnung .nicht
bestimmte
Werkzeuge
angewendet
werden.
d) Wenn auf
einem öffentlichen (b. h. zum Gebrauche
beS Publikums bestimmten) Wege, einer Straße, einem
öffentlichen Platze, einer Wasserstraße ober einer Eisen
bahn (mit Naturkräften, wenn auch nicht gerobe mit Dampf betrieben, nicht aber Pferde-Eisenbahnenx hier nur öffentliche nicht
private Eisenbahnen),
ober in
einem Postgebäube ober bem dazu gehörigen Hofraume, oder auf einem Eisenbahnhofe eine zum Reisegepäck oder zu anderen Gegenständen ber Beförderung
» Dgl, Haager GS. XXX. 14 Also nicht auS einzelnen abgeschlossenen Räumen im In nern eines Gebäudes (RGR. 23. Februar 1880, R I 379, E I 216.) « RGR. 21. Januar 1880, R I 252. " RGR. 13. März 1880, R
I 470; 27. April 1880, R I 685; 9. Juni 1880, R II 47. 17 Ausschneiden eines Sackeö: RGR. 29. Mai 1880, R I 832; Erbrechen eines Behältnisses, in dem sich der zum Diebstahl notwendige Schlüssel befindet: RGR. 26. August 1880, R II 102.
262
III. Delikte gegen das Vermögen,
Erstes Buch.
gehörende Sache mittels Abschneidens oder Ablösens der Befestigungs- oder Berwahrungsmittel, oder durch
Anwendung falscher Schlüssel oder anderer zur ord nungsmäßigen Eröffnung nicht bestimmter Werkzeuge gestohlm wird.
e) Wmn der Dieb oder einer der Teilnehmer bei Be gehung der That Waffen (in dem oben §. 62 Note 14
angegebenen engeren Sinne) bei sich führt.
Absicht von
denselben zu Angriff und Verteidigung Gebrauch zu
machen, ist nicht erforderlich; es genügt, wenn der Bestohlene diese Absicht als vorhanden annimmt (vgl.
das oben §. 63 Note 3 bezüglich der Drohung Ge-
sagte). f) Wenn zu
dem Diebstahle Mehrere mitwirken (oben
§. 61 Note 5), welche sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden haben (Bande, vgl. oben §. 38 II 5).
g)18 Wenn der Diebstahl zur Nachtzeit (d. i. die Zeit der Nachtruhe)
in
einem
bewohnten Gebäude,
in
welches sich der Thäter in diebischer Absicht einge schlichen, oder in welchem er sich in gleicher Absicht verborgen hatte, begangen wird,
auch wenn zur Zeit
des Diebstahls Bewohner in dem Gebäude nicht an wesend sind. zu einem
Einem bewohnten Gebäude werden der
solchen gehörende umschloffene Raum und
die in einem solchen befindlichen Gebäude jeder Art,
sowie Schiffe, welche bewohnt werden, gleich geachtet.
Strafe in.allen Fällen: Zuchthaus bis zu 10 Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter 3 Monaten.
18 Vgl. Ha ager GS. XXIX.
Der Diebstahl,
g. 64.
263
3. Diebstahl im 2. Rückfall" (StGB. §§. 244 und 245).' Voraussetzung: zweimalige frühere Bestrafung im In land«^ wegen Diebstahl, Raub, räuberischen Diebstahls und räuberischer Erpressung und Hehlerei. Die Vorstrafen müssen ganz oder teilweise verbüßt oder erlassen sein. Ein lOjähriger Zeitraum von Verbüßung oder Erlaß der letzten" Strafe bis zur Begehung des neuen Diebstahls schützt vor der Rückfallsstrafe (sogenannte Rückfallsverjährung).
Die Strafe beträgt: a) für einfachen Diebstahl (StGB. §. 242) Zuchthaus
bis zu 10 Jahren, bei mildernden Uniständen Gefängnis nicht unter 3 Monaten; b) für schweren Diebstahl (StGB. §. 243) Zuchthaus nicht unter 2 Jahren, bei mildernden Umständen Ge fängnis nicht unter einem Jahre. 4. Räuberischer Diebstahl (StGB. §. 252), wenn der Dieb auf frischer That betroffen, gegen eine Person (in homiuem) Gewalt verübt (vgl. oben §. 63 I 1 a) oder Dro hungei (vgl. oben §. 63 I 1 b) mit gegenwärtiger Gefahr für Lab oder Leben anwendet, um stch im Besitze des gestohleven GuteS zu erhalten. Strafe: die des Raubes (vgl. unten §. 66). 5. Privilegierte Fälle" (StGB. §. 247): a) Diebstahl von Verwandten aufsteigender Linie gegen Verwandte absteigender Linie oder zwischen Ehegatten begangen (§. 257 Abs. 2), bleibt straflos (subjektiver Strafausschließungsgrund, vgl. oben §. 30 III 3); " Legriff oben §. 411. Behandlmg oben §. 54 11. *® Legriff oben §. 13 III. 31 Der zwischen der ersten und zveiten Verurteilung ver
strichene Zeittanm ist gleichgültig: vgl. RGR. 4. März 1880, R I 425, E I 246; 29. Mai 1880, R I 833. « Vgl. VoituS GS. XXX.
264
Erstes Buch.
III. Delikte gegen das Vermögen.
b) Diebstahl gegen Angehörige (StGB. §. 52 Abs. 2),
Vormünder oder Erzieher; Diebstahl an Sachen von unbedeutendem Werte gegen Personen, zu welchen der Thäter im Lehrlingsverhältniffe steht oder in
deren
häuslicher Gemeinschaft er als Gesinde sich befindet:
auf Antrag zu verfolgen; Antrag rücknehmbar (§. 247 Abs. 1).
Maßgebend ist hier lediglich die Eigenschaft
des Bestohlenen, d. i. nach dem oben I 6 Gesagten
des
Gewahrsams-Inhabers,
nicht die des Eigentü
mers." Der Diebstahl bleibt Antragsdelikt, wenn auch
die vom Sohne bei seinem Vater gestohlenen Gegen
stände Eigentum eines Dritten sind. Beide Bestimmungen (a und b) finden auf Teilnehmer
oder Begünstiger, welche nicht in einem der vorbezeichneten Verhältnisie stehen, keine Anwendung (StGB. §. 247 Abs. 3).
III. Neben der wegen Diebstahls erkannten Gefängnis
strafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte; neben der Zuchthausstrafe auf Zulässigkeit von Polizei
aufsicht erkannt werden (StGB. §. 248).
§. 65.
Dem Diebstahl verwandte «fälle. Aus dem Begriffe des Diebstahls haben sich im Laufe
der historischen Entwicklung eine Reihe von Delikten losgelöst
und selbständige Bedeutung erlangt,
die hier
der besseren
Uebersicht wegen zusammengestellt und dem Diebstahle ange-
schlossm werden sollen, wenn sie auch, einzeln betrachtet, eine andere Stellung im Systeme des besonderen Teiles bean-
“ Dagegen RGR. 29. Mai 1880, E II 73, R I 839.
Dem Diebstahl verwandte Falle.
spruchen könnten.
Es
sei betont,
daß
§♦ 65.
265
wir es
hier mit
selbständigen Deliktsbegriffen zu thun haben, auf welche
daher das über den Diebstahl Gesagte nicht ohne weiteres Anwendung findet.
1. Das sogenannte furtum usus, richtiger Gebrauchs anmaßung, wegen fehlender Aneignung nicht Diebstahl, ist nach Reichsrecht nur in dem einen besonderen Falle (StGB. §. 290)
strafbar, wenn öffentliche Pfandleiher die von ihnen in Pfand
genommenen Gegenstände unbefugt (vgl. oben §. 28 II) ge brauchen.
S träfe: Gefängnis bis einem Jahre, das nach
Ermessen mit Geldstrafe bis 900 Mark verbunden werden kann. 2.
Das sogenannte furtum possessionis (StGB.
§. 289), Wegnahme der eigenen beweglichen Sache oder einer
fremden beweglichen Sache zu Gunsten des Eigentümers der
selben, aus dem Gewahrsam des Nutznießers, Pfandgläu bigers oder des Gebrauchs- oder Retentionsberechtigten/ in rechtswidriger Absicht?
Strafe: Gefängnis bis zu 3 Jahren
(daneben nach Ermessen Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte)
oder Geldstrafe bis zu 900 Mark. Versuch strafbar.
tragsdelikt.
An
StGB. §. 247 Abs. 2 und 3 (oben §. 64 II 5)
findet auch hier Anwendung.
3.
Der Forst- und
Felddiebstahl,
durch Einfüh
rungsgesetz §. 2 der Partikular-Gesetzgebung überlassen (vgl.
oben §. 11 Note 6).
4. Die widerrechtliche Zueignung von bei den Uebungen der Artillerie verschossener Munition oder von Bleikugeln 1 Ausräumung der invecta et illata gegen das Verbot des Vermieters: RGR. 8. Mai 1880, E I 429, R I 748.
2 D. h. in der Absicht, das Jnnehabungsrecht des Berech tigten zu verletzen: RGR. 28. Juni 1880, R II 131.
266
Erstes Buch.
HI. Delikte gegen das Vermögen,
aus den Kugelfängen der Truppen - Schießstände (StGB. §. 291).
Strafe:
zu einem Jahre oder
Gefängnis bis
Geldstrafe bis zu 900 Mark.
Unbefugte Verringerung eines fremden Grundstücks,
5.
eines öffentlichen oder Privatweges oder eines Grenzrains durch
Abgraben
oder Abpflügen (StGB. §. 370 Ziff. 1)
Strafe: Geld bis 150 Mark oder Haft. 6. Unbefugte Wegnahme von Erde, Steinen, Rasen aus öffentlichen oder
Privatwegen;
Graben von
Erde, Lehm,
Sand, Grand, Mergel aus fremden Grundstücken; Hauen von Plaggen
oder
Bülten;
von
Wegnahme
Rasen,
Steinen,
Mineralien aus fremden Grundstücken, zu deren Gewinnung
es einer Verleihung, einer Konzession oder einer Erlaubnis einer Behörde nicht bedarf oder von ähnlichen Gegenständen
(StGB. §. 370 Ziff. 2). Strafe: wie zu 5.
7. Entwendung von Nahrungs- oder Genußmitteln von
unbedeutendem Werte oder in geringer Menge zum alsbal digen Gebrauche (sogenannter Mundraub StGB. §. 370
Ziff. 5). Tabak, Cigarren, Parfüms, Saatkartoffeln;3 nicht
aber Brennmaterialien gehören hierher.
Antragsdelikt; Rücknahme zulässig. wandten aufsteigender gegen
Strafe: wie zu 5.
Entwendungen von Ver
Verwandten absteigender Linie
und zwischen Ehegatten bleiben straflos. 8. Der sogenannte Futterdiebstahl (StGB. §. 370
Ziff. 6): Wegnahme von Getreide oder anderen zur Fütte rung
des Viehs
bestimmten
oder
geeigneten Gegenständen
wider Willen des Eigentümers, um
dessen Vieh damit zu
füttern.
Strafe: wie zu 5.
Autragsdelikt; Rücknahme zulässig.
’) Dgl. RGR. 24. Februar 1880, R I 385, E I 223.
Der Raub. §. 66.
267
2. §. 66.
Dec Raub.1
l. Begriff (StGB. §. 249).
Raub
gewaltsamer
ist
Diebstahl.
Er
hat
alle
Merkmale des Diebstahlsbegriffes: Wegnahme einer fremden
beweglichen Sache in der Absicht rechtswidriger Zueignung
(vgl. das oben §. 64 über diese Merkmale Gesagte); unter scheidet sich aber von dem Diebstahle durch die Mittel der
Wegnahme.
Diese sind:
a) Gewalt gegen eine Person (oben §.63 I la), sei es gegen die Person deS Gewahrsamsinhabers selbst
oder gegen eine andere den Gewahrsam des Inhabers schützende Person;
b) Anwendung
mit
von Drohungen
gegenwärtiger
Gefahr
(oben §. 63 I lb) für
Leib
oder
Leben. Gewalt und Drohung sind Mittel der Wegnahme, d. h.
der Begründung des eigenen Gewahrsams auf Seiten des Thäters, mag diese unmittelbar durch den Thäter oder durch
Vermittlung einer Entschließung von feiten des Angegriffenen erfolgen; vorausgesetzt, daß diese Entschließung nicht als eine freie und
vorsätzliche (oben §. 20 ID) den Kausalzu
sammenhang zwischen dem Handeln des Thäters und dem
«„getretenen Erfolge aufhebt.
Ueber das Verhältnis deS
Raubes zur Erpressung vgl. das unten §. 74 bei dieser Gesagte.
Der Raub ist vollendet (wie der Diebstahl) mit der
1 Lit. bei Meyer S. 477 Sinnt. 1.
268
Erstes Buch.
HI. Delikte gegen das Vermögen,
vollendeten Wegnahme der Sache;
strafbare Versuch
der
beginnt bereits mit der Anwendung von Gewalt oder Dro hung. II. Fälle des Raubes.
1. Einfacher
Raub
§. 249).
(StGB.
Strafe:
Zuchthaus; bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter
6 Monaten. 2. Qualifizierter Raub (StGB. §. 250): a) Wenn
der Räuber
einer
oder
Teilnehmer
der
am
Raube bei Begehung der That Waffen bei sich führt
(oben §. 64 II 2 e). b) Wenn zu dem Raube Mehrere mitwirken, welche sich
zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl
verbunden haben (oben §. 64 II 2 f).
c) Wenn der Raub Straße, auf
einem öffentlichen Wege,
auf
einer Eisenbahn,
offener
oder
See
einem
einer
einer
öffentlichen Platze,
Wasserstraße
begangen
wird (Straßenraub).
d) Wenn
der Raub
zur Nachtzeit in einem bewohnten
Gebäude (StGB. §. 247 Ziff. 3) begangen wird,
in
welches sich der Thäter zur Begehung eines Raubes oder Diebstahls eingeschlichen oder sich gewaltsam Ein
gang
verschafft
oder
in
welchem
er sich in gleicher
Absicht verborgen hatte.
e) Wenn der Räuber wegen
bereits
einmal
als Räuber oder
räuberischen Diebstahls (StGB. §. 252) oder
räuberischer Erpressung
(StGB. §. 255) im Jnlande
bestraft worden ist (Raub im ersten Rückfall). StGB. §. 245
findet
auch
hier
Anwendung
(oben
§. 64
II 3). Strafe:
Zuchthaus
nicht
unter
5 Jahren;
bei
Die Unterschlagung,
tz. 67.
269
mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem
Jahre.
f) Schwerster Fall (StGB. §. 251): Raub, bei dem ein Mensch gemartert oder bei dem durch die verübte
Gewalt eine schwere Körperverletzung (StGB. §. 224) oder der Tod eines Menschen verursacht (oben §. 61
II 1 c)
worden ist;
gleichgültig,
ob die gemarterte,
verletzte, getötete Person der Beraubte selbst oder ein
Dritter ist. Strafe:
Zuchthaus
nicht unter 10 Jahren oder
lebenslängliches Zuchthaus. III. Neben der Zuchthausstrafe kann in allen Fällen auf
Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (StGB. §. 256).
3. §. 67.
Bit Unterschlagung.'
I. Begriff. Unterschlagung widrige
ist
Eigentumsverletzung
Aneignung
einer
fremden
durch rechts beweglichen
welche
der Thäter bereits in seinem Ge
wahrsame hat.
Durch letzteres Merkmal unterscheidet sich
Sache,
die Unterschlagung vom Diebstahl, mit dem sie die übrigen
Begriffs-Elemente
gemein
hat.
ES
§. 64 I Gesagte auch hier anzuwenden.
ist daher
daS
oben
Dazu sei noch Fol
gendes bemerkt. 1. Eine fremde Sache ist auch hier Objekt deS Deliktes.
Durch den Uebergang deS Eigentums an den GewahrfamS-
* Lit. bei Meyer S. 483 I Unterschlagung 1879. Note 1 Dazu Kapff, die |
270
Erstes Buch.
III. Delikte gegen das Vermögen.
inhaber wird demnach die Möglichkeit einer Unterschlagung
unbedingt ausgeschlossen, mag auch eine (obligatorische) Ver
pflichtung zur Rückgabe3 ganz
bestimmten
oder zur Verwendung nach einer
bestehen.
hin'
Richtung
Wichtig
wird
dieser Satz bei Uebergabe von Geld oder anderen vertret
baren Sachen. An einem Schatze ist Unterschlagung durch den Finder
dann
möglich,
wenn
dem
nach
maßgebenden Civilrecht 4
durch das Finden selbst einem Dritten (dem Eigentümer des Grundstückes oder dem Staate) sofort Eigentum an einem
Teile des Schatzes, nicht bloß ein Anspruch auf Herausgabe erworben
Für
wird.
das Gebiet
des
preußischen
Rechts
nimmt Unterschlagung an: RGR. 17. November 1879, B I
78, E I 16.
An
Forderungen
ebensowenig
Unterschlagung
kann
wie Diebstahl begangen werden; vgl. StGB. §. 266 Ziff. 2,
(unten §. 71 II 1).
2. Der Thäter muß die Sache in seinem Gewahr sam haben.
Zufall,
Auf welche Weise er diesen erlangt, ob durch
durch
ein Anvertrauen
Gewahrfamsinhabers
ist gleichgültig.
oder
von
feiten
des
bisherigen
durch eine strafbare Handlung,
Doch wird in dem letzten dieser Fälle, in
Anwendung des oben §. 40 III über Gesetzeskonkurrenz Ge sagten, die Aneignung regelmäßig hinter dem strafbaren In
den-Gewahrsam-Bringen zurücktreten.
Auch
die
Fund
verhehlung (unrichtig sprach man früher von Funddiebstahl) ist Unterschlagung.
1 Vgl. RGR. 10. März 1880, E II 132; 2. April 1880, R I 530, E I 243; 24. Mai 1880, E II 65, R I 815.
3 Vgl. RGR. 16. Januar 1880, E I 75; 8. Mai 1880, R I 745. 4 Ueber das römische Recht vgl. Windscheid §. 184.
§. 67.
Die Unterschlagung.
271
3. Die deliktische Thätigkeit besteht in dem Aneignen.
DaS Gesetz sieht von einer kasuistischen Beschreibung dieses
Begriffes ab. Jeder (äußere oder innere) Akt, durch welchen die Sache, als wäre sie Eigentum, den Zwecken des Thäters
dauernd und ausschließlich
dienstbar
gemacht wird,
gehört
hieher; Beiseiteschaffrn, Ableugnen des Besitzes, Veräußern,
Verbrauchen, Verpfänden4 kann Aneignung sein.
Die An
eignung muß auch hier eine rechtswidrige sein.
4. Die Vollendung tritt ein mit der geschehenen An eignung
(anders
beim
Diebstahl).
Der Versuch — trotz
der Vergehensnatur strafbar — beginnt mit der beginnenden Aneignung.
5. Verletzt ist der Eigentümer, und nur er, nicht etwa
derjenige, der die Sache dem Thäter übergeben (anvertraut) hatte. n. Arten der Unterschlagung:
1. Einfache Unterschlagung. bis zu 3 Jahren;
Strafe:
Gefängnis
bei mildernden Umständen Geld
strafe bis zu 900 Mark.
2. Die
Veruntreuung
oder
Unterschlagung
anver
trauter, d. h. auf Gmnd eines Rechtsgeschäfts mit der Verpflichtung
zur Rückgabe
oder Weiterbeförde
rung' übernommener Sachen. Strafe:
Gefängnis
bis zu 5 Jahren; bei mil
dernden Umständen Geld bis zu 900 Mark. 3. Privilegierte Fälle (StGB. §. 247); dieselben wie
* Dskontierung von in Verwahrmg übernommenen Wech seln: RGR. 20. Mai 1880, B I 808
4 Vgl. RGR. 12. Januar 1880, E I 61 (Uebergabe zur Prüfung der Ehrlichkeit).
272
Erstes Buch. HL Delikte gegen daS Vermögen,
beim Diebstahl; vgl. oben §. 64 II 5.
Entscheidend
hier immer die Qualität deS verletzten Eigentümers.
4. Die Unterschlagung
im Amte (StGB. §§. 250
und 251, vgl. unten §. 93 II 7). HI. Neben Gefängnis kann auf Verlust der bürger lichen Ehrenrechte erkannt werden (StGB. §. 248).
4.
8> 68. Die Sachbeschädigung? I- Begriff.
1. Sachbeschädigung ist Eigentumsverletzung durch rechtswidrige
Verletzung
Vernichtung
oder
der
Sachsubstanz (Beschädigung oder Zerstörung der Sache,
die auch als Sachganzes in Betracht kommen kann).
Bei
spiele: Zerlegen einer Maschine, Fliegenlassen eines Bienen schwarmes, Ausströmenlassen von Gas, Ueberstreichen eines
Gemäldes. Gebrauchsentziehung — selbst dauernde — gehört nicht hieher (Ausfliegenlassen eines Vogels; Versenken
in
die See). 2. Objekt ist auch hier eine fremde bewegliche Sache
(vgl. oben §. 64 I 2); daß sie Tauschwert besitze, ist nicht erforderlich. ?
3. Die Rechtswidrigkeit
her
Bewußtsein
ist
Begriffsmerkmal;
da
derselben zum Vorsatz erforderlich (oben
§. 28 H).
4. Verletzt im technischen Sinne
des Wortes
(vgl.
' LU. bei Meyer S. 440 I » Vgl. RGR. 21. April 1880, Anm. 1. | R I 640.
Die Sachbeschädigung.
oben §.31 in lb),
§• 68.
273
daher eventuell antragsberechtigt,
ist
immer nur der Eigentümer?
5. Die Vollendung tritt mit der erfolgten Beschädigung oder Zerstörung
der Sache
ein;
der Versuch ist — auch
wenn Vergehen — strafbar. II.
Arten.
1.
Die einfache Sachbeschädigung (StGB. §. 303).
Strafe: Geld bis zu 1000 Mark oder Gefängnis bis zu 2 Jahren.
Antragsdelikt.
Antrag rücknehmbar, wenn gegen
Angehörige (StGB. §. 52 Abs. 2) verübt. 2.
Beschädigung oder Zerstörung von res sacrao
religiosae publicae (StGB. §. 304). Das Gesetz nennt: Gegenstände der Verehrung einer im Staate bestehenden Re-
ligionsgesellschast; Sachen, die dem Gottesdienste gewidmet
sind;
Grabmäler,
öffentliche Denkmäler;
Kunst, Wissenschaft, des Gewerbes,
Gegenstände der
welche in öffentlichen.
Sammlungen aufbewahrt werden oder öffentlich ausgestellt
sind;
Gegenstände, welche zum öffentlichen Nutzen oder zyr
Verschönerung öffentlicher Wege^ Plätze oder Anlagen dienen (mögen sie auch nicht gerade zu diesem Zwecke bestimmt fein3 4).
Strafe:
Gefängnis bis zu 3 Jahren oder Geld bis
1500 Mark.
zu
Neben Gefängnis kann auf Verlust der bürger
lichen Ehrenrechte erkannt werden. Nur des Zusammenhanges wegen — es sei dies
aus
drücklich betont — ist dieser Fall mit der einfachen Sach beschädigung unter den Eigentumsdelikten zu behandeln; die
Richtung gegen den Einzelnen tritt völlig, die gegen daS
3 Dagegen RGR. 12. Marz 1880, E I 306, welches auch den zum Gebrauche der Sache von LiSzt, Strafrecht.
persönlich Berechtigten für ver letzt, bez. antragsberechtigt erklärt. 4 Vgl. RGR. 10. Dezember 1879, R I 134. 18
274
Erstes Buch.
IIL Delikte gegen das Vermögen.
Eigentum hinter der Verletzung des öffentlichen Gebrauchs rechtes zurück.
3.
Gänzliche
oder teilweise Zerstörung
(nicht
Beschädigung) von in fremdem Eigentum stehenden Gebäuden,
Schiffen, Brücken, Dämmen, gebauten Straßen, Eisenbahnen
(oben §. 64 II 2d6*)* *oder * anderen Bauwerken6. Strafe: Gefängnis nicht unter 1 Monat.
Hier ist der Charakter der
einfachen Sachbeschädigung als eines
gerichteten
gegen den Einzelnen
vollständig
Eigentumsdeliktes
gewahrt;
zugleich
aber bildet dieser Fall den Uebergang von der Sachbeschädi gung zu den gemeingefährlichen Delikten.
4.
In einer ganzen Reihe von Fällen tritt die Bedeutung
der Sachbeschädigung als eines Eigentumsdeliktes so sehr in
den Hintergrund, daß die Einreihung dieser Fälle unter andere Deliktsbegriffe oder ihre selbständige Behandlung angezeigt
erscheint.
Vgl. StGB. §§. 90 Ziff. 2, 133ff., 168, 265,
274, 315 ff.; Forst- und Feldfrevel usw.
B. g. 69.
Strafbare Handlungen gegen OKKupation-rechte.*
I.
Verletzung des Jagdrechtes.
1.
Begriff.
Jagdrecht ist das 'Recht auf ausschließliche Okkupation
jagdbarer Tiere.
Diebstahl und nicht Verletzung des Jagd-
6) Doch sind hier den öffent lichen die privaten Zwecken die nenden Eisenbahnen gleichzu stellen. 6 Kasuistik: RGR. 30. Juni
1880, R II140. (HerauSreißen eines fest mit dem Boden ver bundenen Hofthores.) 1 Lit. bei Meyer S. 491 Note 1.
Strafbare Delikte gegen Okkupationsrechte.
275
g. 69.
rechtes ist anzunehmen, wenn die Tiere — wie bei Wild
im umschlossenen Gehege — bereits okkupirt sind'. Die Verletzung erfolgt durch unbefugte (Begriffsmerkmal!
vgl. oben §. 28 II) Ausübung der Jagd.
Dieser Begriff
umfaßt ein Doppeltes. a) Schon das einfache dem-Wilde-Nachstellen (Auf-
dem-Anstande-stehen;
legen usw.).
Anschleichen;
das
Schlingen
Schon mit diesen Handlungen
ist die
Vollendung des Deliktes eingetreten.
b) Die wirkliche Okkupation jagdbarer Tiere (auch von Fallwild,
nicht
aber
von
abgeworfenen Hirschstan
gen u. dgl.; auch die Jagdfolge usw.).
Mit der Okku
pation, d. h. der Begründung des eigenen Gewahr sams, also nicht notwendig erst mit dem Herausschaffen
aus dem Forste', tritt hier die Vollendung ein. 2.
Arten.
a) Einfacher Fall (StGB. tz. 292).
Strafe: Geld
bis zu 300 Mark oder Gefängnis bis zu 3 Monaten.
Antragsdelikt, wenn gegen einen Angehörigen (StGB. §. 52 Abs. 2) begangen.
Antrag rücknehmbar.
b) Qualifizierter Fall (StGB. Z. 293), wenn dem Wilde nicht mit Schießgewehr oder Hunden, sondern mit Schlingen, Netzen, Fallen oder anderen Vorrich
tungen nachgestellt, oder wenn das Vergehen während der gesetzlichen Schonzeit, in Wäldern, zur Nachtzeit
(Zeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang) oder gemeinschaftlich von Mehreren (oben §. 61 Note 5) be
gangen wird. Strafe: Geld bis zu 600Mark oder Ge-
-Vgl. RGR. 6. Dezember I ' A.A.RGR. 13. April 1880, 1879, R I 120. I R I 589.
276
Erstes Buch. III. Delikte gegen das Vermögen,
fängnis bis zu 6 Monaten. Antrag nicht erforderlich (bestritten). c) Wilddieberei (StGB. §. 294): gewerbsmäßiges (Begriff oben §. 39 II 3) Betreiben des unberechtigten Jagens. Strafe: Gefängnis nicht unter 3 Monaten, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehren rechte sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden kann. In allen 3 Fällen ist (StGB. §. 295) auf Einziehung des Gewehrs, des Jagdgerätes und der Hunde, welche der Thäter bei sich geführt hat, ingleichen der Schlingen, Netze, Fallen und anderen Vorrichtungen zu erkennen, ohne Unter schied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht (vgl. oben §. 50 II), und ohne Unterschied ferner, ob diese Gegenstände zur Jagdausübung bestimmt waren oder nichts d) Vgl. noch StGB. §. 368 Ziff. 10 u. 11: Geldstrafe bis zu 60 Mark oder Haft bis zu 14 Tagen trifft denjenigen, der a) ohne Genehmigung des Jagdberechtigten oder ohne sonstige Befugnis auf einem fremden Jagdgebiete außerhalb des öffentlichen, zum gemeinen Gebrauche bestimmten Weges, wenn auch nicht jagend, doch zur Jagd ausgerüstet, betroffen wird; ß) denjenigen, der unbefugt Eier oder Junge von jagdbarem Federvieh (oder von Singvögeln) aus> nimnit. n. Verletzung des Rechts zur Okkupation von Fischen und Krebsen (auch die Perlmuschelfischerei gehört hierher). ♦ Vgl. RGR. 6. Dezember 1879, R I 119, E I 28.
Der Bankbruch, 1.
Einfaches
unberechtigtes
(StGB. §. 370 Ziff. 4).
g. 70. Fischen
277 oder Krebsen
Strafe: Geld bis zu 150 Mark
oder Hast.
2. Unberechtigtes (Begriffsmerkmal! oben §.28 II) Fischen oder Krebsen zur Nachtzeit (wie oben l 2) oder unter An wendung schädlicher oder explodierender Stoffe(StGB.
§. 296).
Strafe: Geld bis zu 600 Mark oder Gefängnis
bis zu 6 Monaten.
3. Ausländer, welche in den deutschen Küstengewäffern unbefugt fischen, trifft die unter 2. angegebene Strafe, auch
wenn keiner der erschwerenden Umstände des §. 296 vorliegt
(StGB. §. 296 a).
C.
Strafbare Handlungen gegen obligatorische Ansprüche. 1.
§. 70.
Oer Lankbruch.'
Geregelt durch die §§. 209—212 der Konk.-Odg., die an Stelle der §§. 281—283 StGB, getreten sind.
Ueber das
Verhältnis des Reichsrechtes zum Landesrechte vgl. Einf.Ges. zur Konk.-Odg. §§. 4 u. 5.
I. Begriff. Der Bankbruch gehört zu denjenigen Delikten, deren be
griffliche Entwicklung eben im Flusse begriffen ist, ohne daß
Gesetzgebung und Wissenschaft zu abschließenden Resultatm gelangt wären.
Eben darum bietet er der juristischen Kon-
1 Lit. bei Meyer S. 520 I „Bankrutt". Note 1; dazu Merkel HR. |
278
Erstes Buch. HI. Delikte gegen das Vermögen,
struktion wie der praktischen Anwendung der gesetzlichen Be stimmungen größere Schwierigkeiten als andere, zu endgülti ger Gestaltung gelangte, Verbrechensbegriffe. 1. Bankbruch ist — wenn wir vom positiven Rechte ab sehen — Gefährdung der obligatorischen Ansprüche der Gläubiger durch Mißbrauch des Kredites. Die Gesammtforderungen der Gläubiger sind das nächste Angriffs objekt des Bankbruches, mag er auch in seinen Folgewir kungen, über die Vermögensinteressen der Nächstbeteiligten hinausgreifend, eine Erschütterung der publica fides, der Sicherheit des Kreditwesens in weiteren, nicht abgegrenzten und nicht abzugrenzenden Kreisen herbeiführen. Der Miß brauch des Kredites aber würde bei dieser Fassung des Be griffes in jeder Vernachlässigung derjenigen Sorgfalt bestehen, zu welcher der Kreditnehmer dem Kreditgeber gegenüber, wenn auch nicht rechtlich, so doch als gewissenhafter Haus wirt, verpflichtet ist. Allerdings hätte diesem erweiterten Begriffe gegenüber der Name „Bankbruch" nur mehr histo rische Berechtigung. 2. Im positiven Rechte ist der Begriff des Bankbruches wesentlich eingeschränkt. a) Das Gesetz macht die Zahlungseinstellung oder die Eröffnung des Konkursverfahrens zur Be dingung der Strafbarkeit (in dem oben §. 30 angege benen Sinne). Es bedarf nach Ansicht des Gesetz gebers einer scharfen, greifbaren Bezeichnung des Augen blickes, in welchem die Interessen der Gläubiger als definitiv gefährdet anzusehen sind. Zahlungseinstellung aber ist die Nichterfüllung einer fälligen Ver pflichtung auf Grund wirklicher, vermeint licher oder fingierter Zahlungsunfähigkeit,
Der Bankbruch.
§. 70.
279
daher zu unterscheidm einerseits von der wirklichen Unfähigkeit zur Erfüllung der schwebenden Verbind lichkeiten, andrerseits von der Ueberschuldung, dem Ueberstiegensein der Passiva durch die Aktiva. b) Das Gesetz hebt in kasuistischer Weise, jedes andere etwa gleichwertige Verhalten ausschließend, jene Handlungen des Schuldners hervor, in welchen regelmäßig (nicht not wendig immer) ein Mißbrauchen des Kredites gelegen ist; die regelmäßig, wenn auch nicht notwendig im Einzelfalle, zur eingetretenen Zahlungseinstellung, mithin zu der vom Gesetze in dieser erblickten Gefährdung der Vermögensintereffen der Gläubiger, in kausaler Beziehung stehen. c) Nach dieser Einengung deS Begriffes konnte das Gesetz davon absehen, ob die — im Allgemeinen vorhandene — Gefährdung der Gläubigeransprüche auch im konkreten Falle eingetreten ist oder nicht. So erhält der Begriff des Bankbruches eine wesentlich veränderte Gestalt. Er liegt vor, wenn ein Schuldner: 1. seine Zahlungen eingestellt (den Konkurs eröffnet) und 2. gewisse vom Gesetze bezeichnete Handlungen begangen hat. 3. Trotz dieser veränderten Gestalt behält unsere ur sprüngliche Definition ihre Bedeutung. Immer liegt in der auf bestimmte Weise herbeigeführten, in einem bestimmten Augenblicke als gegeben angenommenen Gefährdung der ver mögensrechtlichen Ansprüche der Gläubiger der Kern deS De liktes. Die Gesammtheit der an derselben Zahlungseinstellung beteiligten Gläubiger ist Trägerin deS angegriffenen RechtSgutes. Daraus folgt: a) Wenn ein Schuldner mit Rücksicht auf dieselbe Zahlungseinstellung (Konkurseröffnung)mehrere der vom Gesetze bezeichneten Handlungen begangen hat
280
Erstes Buch. HI. Delikte gegen daS Vermögen,
(z. B. Djfferenzspiel und Vernichtung der Handels bücher), so liegt nur eine strafbare Handlung, nicht Realkonkurrenz mehrerer vor? b) So lange es sich um dieselbe Zahlungseinstel lung (Konkurseröffnung) handelt, können nicht zwei Bankbrüche angenommen werden, mag auch der That bestand des einfachen wie der des qualifizierten Falles vorliegen; der Schuldner hat sich vielmehr nur eines Bankbruches und zwar des schwereren Falles schuldig gemacht? In beiden Fällen ist mit der Einheit des Erfolges die Einheit der Handlung, und zwar nicht eine nur juristische, son dern eine natürliche Handlungseinheit (oben §. 39 I 2) gegeben. 4. Die vom Gesetze bezeichneten Handlungen können der Zahlungseinstellung (Konkurseröffnung) zeitlich vorangehen oder ihr nachfolgen; im ersten Falle ist das Delikt mit der Zahlungseinstellung, im letzteren mit der Vornahme der be treffenden Handlung vollendet. Diese Möglichkeit, Bank bruch anzunehmen, obwohl die Zahlungseinstellung voraus gegangen ist, tritt erst damit ein, daß in dem positiv-recht lichen Begriffe des Bankbruches von dem Vorliegen des Kausal zusammenhanges zwischen den einzelnen Handlungen und der Zahlungseinstellung im konkreten Falle abgesehen ist. 5. Subjekt des Deliktes ist nach der Konkursordnung jeder Schuldner, nicht bloß der Kaufmann. Auch Mitglieder 1 Bestritten. Richtige Ansicht: RGR. 15. November 1879, R I 77, E 1101; 20. April 1880, R I 627. Vgl. auch RGR. 5. Juni 1880, R II 32) mehr facher Unterlassung der Bilanzziehüng).
* Bestritten. Lit. bei Meyer S. 529 Note 1. RGR. 22. Juni 1880, E II 198 hat die Frage prinzipiell nicht entschieden, aber Unmöglichkeit realer Konkurrenz zwischen §. 209 Ziff. 3 bez. 4 u. §. 210 Ziff. 2 bez. 3 angenommen.
Der Bankbruch.
g. 70.
281
deS Vorstandes einer Aktiengesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft, sowie die Liquidatoren einer Handelsgesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft, welche ihre Zahlungen ein gestellt hat oder über deren Vermögen daS Konkursverfahren eröffnet worden ist, können sich des Bankbruches schuldig machen, wenn sie in dieser Eigenschaft die mit Strafe be drohten Handlungen begangen haben (Konk.-Odg. §. 214). 6. Ort der begangenen That ist — auch hier wird unsere theoretische Definition von Wichtigkeit — nicht derjenige, an welchem die einzelnen im Gesetze bezeichneten Handlungen be gangen sind, sondern derjenige, an welchem der Schuldner im Augenblicke der Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung seinen wirtschaftlichen Wohnsitz hat (vgl. oben §. 19 IV); Schuld dagegen muß auf feiten des Angeklagten in dem Augenblicke vorliegen, in welchem er die Einzelhandlungen ge setzt hat (oben §. 19 III 1). II. Arten. 1. Der einfache Bankbruch (Konk.-Odg. §. 210). Er liegt, die Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung voraus gesetzt, vor, wenn der Schuldner: a) durch Aufwand, Spiel oder Differenzhandel mit Waaren oder Börsenpapieren (nicht bloß daS eigentliche Diffe renzgeschäft, sondern auch effektive Lieferungsgeschäfte, wenn auf unsolider Spekulation beruhend, gehören hieher)* übermäßige Summen verbraucht hat oder schuldig geworden ist; b) wenn er Handelsbücher zu führen unterlassen hat, deren Führung ihm gesetzlich oblag, oder dieselben verheim* Val. RGR. 31. März 1880, I 1880, R I 563. R I 526, E I 282; 10. April |
282
Erstes Buch. DL Delikte gegen daS Vermögen,
licht, vernichtet oder so unordentlich geführt hat, daß sie keine Uebersicht des Bermögenszustandes gewähren; c) wenn er es gegen die Bestimmung des Handelsgesetz buchs unterlassen hat, die Bilanz seines Vermögens in der vorgeschriebenen Zeit zu ziehen. Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren. Ganz verkehrt ist es, diesen Fall deS Bankbruchs als fahrlässigen Bankbruch zu bezeichnen. Die einzelnen Hand lungen müssen vielmehr alle vorsätzlich, d. h. mit dem Be wußtsein ihrer Kausalität begangen sein. Der Schuldner muß wissen, daß er Handelsbücher zu führen hat, daß er sie vernichtet usw. 2. Der sogenannte betrügerische Bankbruch (Konk.Odg. §. 209). Zu der Thatsache der Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung muß — außer den vom Gesetz be zeichneten Handlungen — die Absicht, die Gläubiger zu benachteiligen, d. h. in ihren Ansprüchen zu. schädigen, hinzutreten. Das Schema dieses Falles wäre also: Ge fährdung in Berletzungsabsicht, wie wir dasselbe oben §. 62 II bei der Vergiftung gefunden haben. Erreichung^der Absicht ist ebensowenig wie Eintritt der Gefährdung im kon kreten Falle erforderlich. Die Strafe — Zuchthaus, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter 3 Monaten — trifft jenen Schuldner, welcher: a) Vermögensstücke verheimlicht oder bei Seite geschafft, d. h. den Gläubigern entzogen hat. Auch Veräußerung von unbeweglichen Sachen gehört hierher
b RGR. 22. Juni 1880, E II 118, R II 97.
Der Bankbruch.
§. 70.
283
b) Schulden oder Rechtsgeschäfte anerkannt oder aufge stellt hat, welche ganz oder teilweise erdichtet sind;
c) Handelsbücher zu führen Unterlasten hat, deren Füh
rung ihm gesetzlich oblag; d) seine Handelsbücher (auch wenn er zur Führung nicht verpflichtet war) vernichtet, verheimlicht oder so geführt
oder verändert hat, daß dieselben keine Uebersicht deS Vermögensstandes gewähren.
3. Die sogenannte Gratifikation (Konk.-Odg. §. 210). Gefängnis bis zu 2 Jahren trifft jenen Schuldner, welcher
— Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung vorausgesetzt — obwohl er seine Zahlungsunfähigkeit kannte, einem Gläu biger in der Absicht, ihn vor den übrigen zu begünstigen,
eine Sicherung oder Befriedigung gewährt hat, welche der selbe nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu
beanspruchen hatte. III. Die Teilnahme dritter Personen wird zunächst
nach den allgemeinen Grundsätzen behandelt. Doch hat daS
Gesetz (Konk.--Odg. §. 212)
gewisse Fälle als delicta sui
generis unter besondere Strafe gestellt und damit von den
sonstigen Voraussetzungen der Teilnahme losgelöst: mit Zucht haus bis zu 10 Jahren, bei mildernden Umständen mit Ge
fängnis oder mit Geld bis zu 6000 Mark wird bestraft, wer:
1. im Interesse des Schuldners — Zahlungseinstellung
oder Konkurseröffnung auch hier vorausgesetzt — VermögenSstücke desselben verheimlicht oder bei Seite ge
schafft hat; oder 2. im Interesse eines solchen Schuldners, oder um sich
oder einem andern einen (nicht notwendig rechtswidrigen) Lermögensvorteil" zu verschaffen, in dem Verfahren er• Begriff unten §. 73 I 3.
284
Erstes Buch. III. Delikte gegen das Vermögen,
dichtete Forderungen im eigenen Namen oder durch vorgeschobene Personen geltend gemacht hat. Versuch und Teilnahme an diesem selbständigen De likte sind der allgemeinen Regel gemäß möglich. IV. An den Bankbruch des Schuldners reiht das Gesetz ein besonderes Delikt des Konkursgläubigers an (Konk.-Odg. §. 213): Ein Gläubiger, welcher sich von dem Gemein schuldner oder anderen Personen besondere Vorteile dafür hat gewähren oder versprechen lasten, daß er bei den Abstim mungen der Konkursgläubiger in einem gewiflen Sinne stimme, wird mit Geldstrafe bis zu 3000 Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. Bevorstehende Abstimmung ist vorausgesetzt; mit dem Ge währen oder Versprechen tritt die Vollendung ein, mag auch die spätere Abstimmung der Verabredung nicht entsprechen; Teilnahme dritter Personen ist möglich.
2. g. 71.
Mr Untreue.»
I. Begriff. Von der Untreue gilt das oben §. 70 vom Bankbruch Gesagte in erhöhtem Maße. Wir finden in der modernen Gesetzgebung nur schwache, meist kasuistische, Ansätze zu be grifflicher Entwicklung dieses Deliktes, das zur Ausfüllung einer der fühlbarsten Lücken unseres Strafrechtes berufen ist. Auch die Untreue ist gerichtet gegen obligatorische, auS Verträgen oder vertragsähnlichenVerhältnissen ent1 Lit. bei Meyer S. 545 Note 1.
Die Untreue. §. 71. springende Ansprüche.
285
Sie gehört darum zweifelsohne
zu den Delikten gegen das Vermögen, wenn wir dieses als die Gesammtheit der dinglichen und persönlichen An
sprüche auffassen.
Daß die in Frage stehenden Ansprüche
der Abschätzung in Geld nicht immer zugänglich sind, ist kein
Grund gegen die Richtigkeit der systematischen Stellung, die wir hier der Untreue gegeben haben. Aber nicht alle obligatorischen Ansprüche sind der Ver
letzung durch Untreue fähig, sondern nur jene, welche auf gewissenhafte
Geschäftsführung
auf gewissenhafte Wahrnehmung
oder
überhaupt
fremder Inter
essen gehen. Somit gewinnen wir den Begriff: Untreue ist die Ver letzung der aus Verträgen oder vertragsähnlichen Verhältnissen entspringenden Pflicht zur Wahr
nehmung anvertrauter fremder Interessen. lli
DaS Gesetz bestraft die Untreue in folgenden Fällen.
1. Untreue im engeren Sinne (StGB. §. 266).
Ge
fängnis mit fakultativer Aberkennung der bürgerlichen Ehren rechte trifft:
a) Vormünder, Kuratoren, Güterpfleger, Sequester, Massen verwalter, Vollstrecker letztwilliger Verfügungen und Ver
walter von Stiftungen, wenn sie absichtlich (Absicht gleich Vorsatz, ’ nicht gleich Motiv; oben §. 28 JII) zum
Nachteile der ihnen anvertrauten Personen oder Sachen
handeln.
b) Bevollmächtigte, welche über Forderungen oder andere Vermögensstücke des Auftraggebers absichtlich zum Nach teile desselben verfügen.
'Dgl. RGR. 28. Januar I 23. März 1880, E I 329; 188-, E I 172, B I 287; I 2. Juli 1880, B II 155. .
286
Erstes Buch.
III. Delikte gegen das Vermögen.
c) Feldmesser, Versteigerer, Mäkler, Güterbestätiger, Schaff ner, Wäger, Messer, Bracker, Schauer, Stauer und andere zur Betreibung chres Gewerbes von der Obrig
keit verpflichtete Personen, wenn sie bei den ihnen über tragenen Geschäften absichtlich diejenigen benachteiligen,
deren Geschäfte sie besorgen. Die Untreue ist qualifiziert — neben Gefängnis fakul tativ Geldstrafe bis zu 3000 Mark — wenn sie begangen wird,
um sich oder einem Anderen einen rechtswidrigen Vermögens vorteil zu verschaffen (über
diesen Begriff
vgl. unten §. 73
I 3).
2.
Nach
dem
Gesetz über
eingeschriebene HülfS-
kassen vom 7. April 1876 §. 34 unterliegen Mitglieder des Vorstandes oder des Ausschusses, welche absichtlich zum Nach teile der Kasse gehandelt haben,
der Strafbestimmung deS
§. 266 StGB. 3.
Die sogenannte Prävarikation des Rechtsfreun
des, im Gesetz (StGB. §. 356) unrichtig unter die Amts delikte gestellt.
Gefängnis nicht unter 3 Monaten trifft den
Advokaten, Anwalt oder anderen Rechtsbeistand, der bei den
ihm vermöge seiner amtlichen (?) Stellung anvertrauten An
gelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient.
Handelt er im Ein
verständnisse mit der Gegenpartei zum Nachteile seiner Partei, so tritt Zuchthaus bis zu 5 Jahren ein. 4.
Das Gesetz vom 11. Juni 1870, die Kommandit
gesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaf
ten betreffend, enthält mehrere strafbare Handlungen, die
zum Teile allerdings als gegen die staatliche Oberaufsicht gerichtet erscheinen, mithin dem 3. Abschnitte deS besonderen
Teiles einzureihen wären, zum Teile aber den Charakter der
Die Untreue,
§. 71.
287
strafbaren Untreue, der Vernachlässigung anvertrauter Inter
esten tragen.
Es gehören hieher: a) Art. 206.
Die persönlich, hastenden Mitglieder und
die Mitglieder deS Aufsichtsrates einer Kommandit
gesellschaft auf Aktien werden mit Gefängnis biS
zu 3 Monaten bestraft:
1.
Wenn sie vorsätzlich behufs Eintragung des Ge-
sellschaftsvtrtrages in daS Handelsregister falsche Angaben über Zeichnung oder Einzahlung deS Ka pitals der Kommanditisten machen.
2.
Wenn durch ihre Schuld (Fahrlässigkeit genügt) länger als 3 Monate die Gesellschaft ohne Auf
sichtsrat geblieben ist, oder in dem letzteren die zur Beschlußfähigkeit erforderliche Zahl von Mit
gliedern gefehlt hat. 3. Wenn sie in ihren Darstellungen, in ihren Ueber
sichten über den Vermögensstand der Gesellschaft oder in den in der Generalversammlung gehal tenen Vorträgen wissentlich -en Stand der Ver
hältnisse der Gesellschaft unwahr darstellen oder verschleiern.
Bei mildernden Umständen in den Fällen 2 und 3 tritt Geldstrafe bis zu 3000 Mark ein.
b) Art. 249.
Unter den gleichen Voraussetzungen trifft
die gleiche Strafe die Mitglieder des AussichtSrateS und des Vorstandes einer Aktiengesellschaft. t) Art. 249a.
Mitglieder des Vorstandes einer Aktien
gesellschaft werden mit Gefängnis bis zu 3 Monaten bestraft, wenn sie der Vorschrift deS Art. 240 HGB.
zuwider
dem Gericht die Anzeige zu machen unter«
288
Erstes Buch. HI. Delikte gegen das Vermögen,
lassen, daß das Vermögen der Gesellschaft nicht mehr die Schulden deckt. Die Strafe tritt nicht ein, wenn von ihnen nachgewiesen wird (vgl. oben §.27 Note 3), daß die Anzeige ohne ihr Verschulden unter blieben ist. Fahrlässigkeit genügt also auch hier. 3.
§. 72. Andere Er. I. Die E^ekutionsvereitlung (StGB. §. 288), vorliegend, wenn jemand bei einer ihm drohenden Zwangs vollstreckung, in der Absicht (gleich Vorsatz' oben §. 28 III) die Befriedigung des Gläubigers (aus dieser Zwangsvoll streckung, nicht notwendig überhaupt-) zu vereiteln, Bestand teile seines Vermögens veräußert oder bei Seite schafft (oben §. 70 II 2 a). Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren. Antragsdelikt. Die Zwangsvollstreckung ist eine drohende, sobald der Gläubiger Schritte zur gerichtlichen Eintreibung seiner For derung gemacht hat; Klagerhebung kann genügen, Beginn des Vollstreckungsverfahrens ist nicht erforderlich? II. Der einfache Vertragsbruch* ist, wenn wir von dem gemeingefährlichen Delikte des §. 329 StGB, absehen, 1 Daher liegt §. 288 vor, auch wenn die Absicht (gleich treibendes Motiv, oben §. 28 III) auf Befriedigung eines an deren Gläubigers gerichtet war: RGR. 5. November 1879, E I 96, R I 37. ’ Vgl. RGR. 8. April 1880, E I 560.
3 Vgl. RGR. 1. November 1879, R I 31; 16. Dezember 1879. EI 37, RI 151; l.Mai 1880, E II 145; 25. Mai 1880, E II 67, R I 824. 4 Lit. — insbesondere über die Strafbarkeit des Arbeiter kontraktsbruches — bei Meyer S. 516 Note 1 u. 518 Note 4.
289
Andere Fälle, g. 72.
nach dem, noch immer von falschen Vorstellungen über die
Natnr deS kriminellen Unrechtes beherrschten, Reichsstrafrecht nur in einem einzigen Falle unter Strafe gestellt. dies der Bruch des Heuervertrages.
ES ist
Dieser wird:
1. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft, wenn die Heuer bereits gegeben war, und der Schifssmann mit derselben entläuft oder sich verborgen hält, um sich dem übernommenen Dienste zu entziehen, und zwar
ohne Unterschied, ob daS Vergehen im Jnlande oder im Auslande begangen ist (StGB. §. 298).
Durch
den letzteren Zusatz wird der Eintritt der Strafe un abhängig gemacht von der sonst nach §. 4 StGB, er
forderlichen Strafbarkeit der Handlung am Orte der
That (vgl. oben §. 13 S. 56).
Der gesetzgeberische
Grund liegt in der Straflosigkeit dieses Deliktes nach englischem und amerikanischem Recht.
2. Die anderen Fälle des Bruches deS Heuervertrages
werden nach §. 81 Seemannsordnung vom 27. De zember 1872 auf Antrag deS Schiffers mit Geldstrafe bis zu 300 Mark (bez. 60 Mark) oder Gefängnis bis
zu 3 Monaten bestraft.
III. Nach Schifssmann,
StGB.
§. 297 trifft den Reisenden
oder
welcher ohne Vorwissen des Schiffers, in
gleichen den Schiffer, welcher ohne Vorwiffen des Rheders
Gegenstände an Bord nimmt, welche daS Schiff oder die Ladung gefährden, indem sie die Beschlagnahme oder Ein ziehung des Schiffes oder der Ladung veranlassen können,
Geldstrafe bis zu 1500 Mark oder Gefängnis bis zu 2 Jahren.
vou Liszt, Strafrecht.
19
290
v.
HI. Delikte gegen das Vermögen.
Erstes Buch.
Strafbare Handlrnrgen gegen das Vermöge» überhaupt. 1.
§. 73. Bet Betrug.'
I.
Begriff.
Betrug ist Vermögensbeschädigung in Bereiche
rungsabsicht,
herbeigeführt durch arglistige Er
regung und Unterhaltung eines Irrtums.
Der zu
Beschädigende handelt selbst, aber ohne sich der Kausalität
seines
Thuns
bewußt
zu
sein;
juristisch
betrachtet
(oben
§. 20 III) ist eS also nicht der Beschädigte, der sich selbst, sondern der Täuschende, der einem Anderen die Beschädigung
zufügt.
Die Merkmale
des Betrugsbegriffes bedürfen der
näheren Erläuterung.
1. Die arglistige Täuschung besteht in der Vorspiege lung falscher oder in der Entstellung oder Unter
drückung wahrer Thatsachen als Mittel zur Erregung
und Unterhaltung deS Irrtums. Thatsache ist Alles, was der Gegenwart oder Ver gangenheit, nicht aber was der Zukunft angehört; Vorgänge
der Außenwelt und im Inneren deS Täuschenden, physische
wie psychische Thatsachen stehen einander gleich?
Auch Täu
schung über Ansichten und Absichten deS Thäters, nicht aber
1 Lit. bei Meyer S. 498 Note 1. Dazu Zimmermann GS. XXIX. Merkel HR. „Betrug". 1 Sehr bestritten. Die rich
tige Ansicht verttitt: RGR. 24. Januar 1880, R I 272; 8. Marz 1880, E1305; 3. April 1880, R I 535; 10. August 1880, R II 54.
Der Betrug. K. 73.
291
z. B. über die Aussichten deS ins Leben zu rufenden Unter nehmens gehören hieher. 2. Die Erregung und die Unterhaltung deS Irr tums stehen einander gleich. Beide können durch Verschwei gen von Thatsachen begangen werden. Dieses Nichtredeu ist aber nur dann dem Reden gleichwertig, wenn der Ge täuschte berechtigt war, daS Reden zu erwarten;8 wenn also eine Verpflichtung zum Reden bestand, die nicht notwendig eine Rechtspflicht zu sein braucht/ sondern auch in den ge schäftlichen Gewohnheiten begründet sein oder aber auch auS dem vorhergegangenen positiven Verhalten folgen kann/ ES gelten hier ohne Ausnahme dieselben Grundsätze, die oben §. 21 über die Bedeutung der scheinbaren Unterlassungen überhaupt entwickelt wurden. Nach dem Gesagten ist auch der sogenannte Kredit betrug, d. h. die Erschleichung deS Kredites durch einen Zahlungsunfähigen, zu beurteilen. Nur dann liegt arglistige Täuschung vor, wenn der Getäuschte die Benachrichtigung von der vorhandenen Zahlungsunfähigkeit zu erwarten be rechtigt war? 3. Die Täuschung muß erfolgen in Bereicherungs absicht, d. i. in der Absicht (gleich erweiterter Vorsatz, oben §. 28 III) sich oder einem Dritten einen rechtswi drigen VermögenSvorteiN zu verschaffen. 8 Richtig RGR. 13. März 1880, E I 309. ♦ Rechtspflicht verlangt RGR. 4. November 1879, R I 36. 6 Dieses vorhergegangene Ver halten giebt nicht etwa dem Schweigen die Bedeutung des Sprechens, sondern läßt es eben
als ein unberechtigtes erscheinen. Schief RGR. 15. März 1880, E I 314. 6 Dgl. RGR. 7. April 1880, R I 558, E II 5. 7 Vgl. darüber Waag GS. XXXI.
292
Erstes Buch. IDE. Delikte gegen das Vermögen.
Bermögensvorteil ist nicht bloß die Vermehrung des Vermögens, also die Gewinnung eines neuen dinglichen oder persönlichen Anspruches, sondern jede Verbesserung der Vermögenslage, also die Sicherung oder Erweiterung der vorhandenen Ansprüche oder die Abwehr einer ihnen drohenden Schädigung? Erlangung des Besitzes,* eines Darlehns" gehört hieher; ebenso die Sicherung eines bereits erlangten Vorteils?' Erwirkung der Zahlung oder Verbürgung durch einen Dritten kann unter Umständen Vermögensvorteil sein." Rechtswidrig aber ist jeder Vorteil, auf welchen der Handelnde keinen rechtlich begründeten Anspruch hatte;" nicht nur der dem Gesetze zuwiderlaufende Vermögensvorteil gehört hieher, sondern die ganze, überaus große und praktisch hoch wichtige Gruppe der dem Rechte indifferenten Vermögens vorteile. Rechtswidrig hat demnach nicht positive, sondern rein negative Bedeutung; am entsprechendsten wäre der Aus druck „nicht rechtlich begründet". Der Betrug entfällt also nur dann, wenn die arglistige Täuschung das Mittel zur Durchsetzung eines wohl erworbenen und bereits fälligen An spruchs ist. 8 Beseitigung eines ungün stigen Civilprozeßurteils: RGR. 5. Februar 1880, E I 186. Auch Abwendung der Zahlung einer Schuld, selbst wenn diese als Geldstrafe aus einem De likte entspringt; dagegen RGR. 1. Mai 1880, E II 34, R I 713 (aber ohne überzeugende Begründung). 9 RGR. 10. Januar 1880, E I 55.
10 RGR. 3. Mai 1880, R I 716. " RGR. 7. Mai 1880, E II 53. " RGR. 17. Marz 1880, E I 318, R I 481. 13 Sehr bestritten. Für die richtige Ansicht hat sich ausge sprochen: RGR. 10. November 1879, R 149; 22. Januar 1880, RI 261; 17. Marz 1880, E I 318.
Der Betrug, g. 73.
293
Es ist gleichgültig, ob der Thäter den Vorteil sich oder einem Dritten zuwenden will; die beabsichtigte Zuwendung an die Armenkasse z. B. würde die Strafbarkeit nicht be seitigen?^ 4. Der vollendete Betrug setzt eingetretene Bermögensbeschädigung voraus. Vermogensbeschädigung ist aber nicht nur die Verminderung des Vermögens, also der Verlust eines dinglichen oder persönlichen Anspruches, sondern jede Verschlechterung der Vermögenslage. So die Cession einer unsicheren Hypothek an Zahlungsstatt;48 die Prolongation eines Wechsels'" usw. Vereitelung zu erwar tenden Gewinnes gehört nur dann hieher, wenn bereits ein Anspruch auf denselben vorhanden toar.n Die Vermögens beschädigung kann eine bleibende oder vorübergehende sein; durch die Möglichkeit künftiger Ausgleichung wird der Begriff nicht ausgeschlossen. 5. Die Täuschung muß daS Mittel der Vermögens beschädigung sein; beide müssen im Kausalzusammenhänge zu einander stehen?" Der Täuschende ist es ja, der selbst daS Vermögen des Getäuschten beschädigt. Dies schließt die Mög lichkeit mehrerer als Mittel benutzter Zwischenglieder nicht aus; wie des Beschädigten selbst, ebenso kann sich der Betrüger schon nach allgemeinen Grundsätzen (o6tn §. 20 III) auch anderer Personen als Mittel für seine Zwecke bedienen. Mit anderen Worten: Identität der getäuschten und der be14 RGR. I 495. 16 RGR. I 267, R I 16 RGR. R I 12.
17 Dagegen stellt RGR.14.Zanuar 1880, E I 68 das hierum 13. März 1880, E cessanabcmdamnum emergens 444. durchaus gleich. 21. Oktober 1879, 18 Vgl. darüber Feige GA. XXVI. 19. März 1880, R
294
Erstes Buch. HI. Delikte gegen das Vermögen,
schädigten Person ist nicht erforderlich. Insbesondere kann die Beschädigung des Prozeßgegners durch eine Täuschung deS Richters herbeigeführt werden; vorausgesetzt, daß eS sich nicht um einfach unwahre, durch Vernehmung der Gegen partei in dieser Eigenschaft erkennbare, Parieibehauptungen, sondern um ein Fälschen der Beweismittel handelt?' DaS Erschleichen von Liberalitäten ist nur dann Be trug, wenn sie durch eine wirkliche Irreführung des Schenk gebers erlangt wurden; nicht aber dann, wenn der Kausal zusammenhang fehlt und nicht die Täuschung, sondern der Wunsch den lästigen Bewerber loszuwerden oder Gutmütigkeit usw. die Ursache waren, welche den der Kausalität seines Thuns sich bewußten Schenkgeber zur Schenkung be stimmten. 6. Der Versuch — der auch, wenn Vergehen, strafbar — beginnt bereits mit der Vorspiegelung, Entstellung, Unter drückung der Thatsachen. Ist die angestrebte Vermögens beschädigung auf dem vom Thäter gewählten Wege nicht zu erreichen, so liegt Versuch mit untauglichem Mittel vor, der nach den allgemeinen Regeln (oben §. 32 V) zu beur teilen ist.19 20
II. Die Arten des Betruges. 1. Der einfache Betrug (StGB. §. 263). Strafe: Gefängnis; daneben fakultativ Geldstrafe bis zu 3000 Mark, sowie Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Bei mildernden Umständen kann ausschließlich auf Geldstrafe erkannt werden. 19 Der richtigen Ansicht folgt RGR. 25. Februar 1880, E I 227, RI 387; 17. März 1880, R I 479; 22. Mai 1880, R I 808; 8. Juni 1880, E II 91.
20 Uebersehen in RGR. 8. Mai 1880, R I 744; richtig (mit Bezug auf StGB. §.268) RGR. 5. Februar 1880, E I 186.
Der Betrug, g. 73.
295
Antragsdelikt, wenn gegen Angehörige (StGB. §. 52 Ms. 2)
Vormünder oder Erzieher begangen; Antrag rücknehmbar. 2. Betrag im 2. Rückfall (StGB. §§. 264 und 245)
Voraussetzungen:
a) Zwei inländische Vorstrafen wegen Betrugs. b) Gänzliche oder teilweise Verbüßung oder
Erlassung
dieser Strafen. c) Nichteintritt der (10 jährigen) Rückfallsverjährung." Strafe:
Zuchthaus bis
zu
10 Jahren und
zugleich
Geldstrafe von 150 bis zu 6000 Mark, bei mildernden Um
ständen Gefängnis nicht unter 3 Monaten, daneben fakultativ
Geldstrafe bis zu 3000 Mark. 3.
Der
sogenannte Versicherungsbetrug
(StGB.
§. 265) vorliegend, wenn Jemand in betrügerischer Absicht
eine gegen Feuersgefahr versicherte Sache in Brand setzt, oder ein Schiff, welches als solches oder in seiner Ladung oder
in seinem Frachtlohn versichert ist, sinken oder stranden macht. Strafe: Zuchthaus bis zu 10 Jahren und zugleich Geld
strafe von 150 bis zu 6000 Mark, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter 6 Monaten, daneben fakultattve Geld strafe bis zu 3000 Mark. Betrügerische Absicht bedeutet den Vorsatz, auf Grund deS Geschehmen an dem Versicherer einen Betrug zu be
gehen.
Vom Standpunkte der Betrugsdefinition in StGB.
§. 263 erscheint die Brandlegung usw. als Vorbereitungs handlung zum Betrug, die hier — wie in anderen Fällen, vgl. oben §. 33 IV — vom Gesetzgeber als besonderes Delikt
unter Strafe gestellt ist, so daß wir getreu der allgemeinen
Regel (oben §. 33 II) auch hier die Unmöglichkeit eines straf-
11 Dgl. überhaupt daS oben §. 64 n 3 Gesagte.
296
Erstes Buch. III. Delikte gegeu das Vermögen,
baren Versuches, ebenso wie die Möglichkeit strafbarer Teil nahme (§. 37 I 2c unb II 2) behaupten müssen. Wird der geplante Betrug wirklich ausgeführt, so kann nach dem oben §. 40II c Gesagten nicht etwa Konkurrenz von Versicherungsbetrug und einfachem Betrug angenommen werden; die auf die Vorbereitungshandlung gesetzte Strafe ist, der Betrugsstrafe gegenüber, eine so hohe, daß wir vielmehr zu dem Resultate gelangen müssen, die Ausführungshandlung komme der Vor bereitungshandlung gegenüber strafrechtlich gar nicht mehr in Betracht. 2.
tz. 74. Die Erpressung.' I. Begriff. 1. Erpressung ist Bermögensbeschädigung in Be reicherungsabsicht durch Nötigung. Das Mittel der Bermögensbeschädigung scheidet die Erpressung vom Betrug. Negativ: hier aber nicht dort das mangelnde Bewußtsein von der Kausalität des Thuns auf Seiten des Beschädigten; positiv: dort aber nicht hier das Bewußtsein von der Un freiwilligkeit des Thuns. Das Vorhalten einer nicht gela denen Pistole, die Behauptung Vertreter einer gefürchteten Räuberbande zu sein usw., können als Mittel der Erpressung wie des Raubes, nicht des Betruges, in Betracht kommen. 2. Das positive Recht hat den Begriff der Erpressung teilweise abweichend gestaltet. a) Es hat die Vermögensbeschädigung auS der Delikts definition entfernt, und sich mit der Bereicherungs1 Lit. bei Meyer S. 512 Note 1. Dazu Katz GS. XXXI.
297
Die Erpressung. §• 74.
absicht begnügt. Demnach ist Erpressung: Nötigung in Bereicherungsabsicht.
b?) Die Nötigung als Erpressung selbständiges decken
sich
Erpressung
und die Nötigung als
Delikt (StGB. §. 240;
Ersteres
nicht.
ist
Nötigung
ist zu
der
oben weitere
Handlung,
§. 63 I)
Begriff.
Duldung,
Unterlassung, begangen 1.
durch Gewalt (wie bei der Nötigung) und zwar
2.
durch Drohung
gegen eine, nicht notwendig an einer, Person;
irgend welcher Art, also nicht
notwendig mit strafbaren oder auch nur rechts
widrigen^ Handlungen; während zur Nötigung als Delikte Drohung
selbständigem
mit Verbrechen
oder Vergehen erforderlich ist.
3. Zu den
einzelnen
§. 63 I bei der Nötigung sagte.
Begriffsmerkmalen vgl. das
und
§. 73 I
oben
beim Betrug Ge
Die Vollendung tritt mit der erzwungenen Hand
lung, Duldung, Unterlassung ein; Versuch immer strafbar.
4. Das Verhältnis der Erpressung zum Raube bedarf noch einiger Bemerkungen. a) Die
Erpressung
ist Vermögensdelikt
überhaupt,
der
Raub Eigentumsdelikt. Der letztere ist auf Wegnahme
fremder beweglicher Sachen gerichtet, der ersteren ist
eine solche Beschränkung fremd.
Nach dieser Richtung
erscheint der Betrugsbegriff
der
als
speziellere,
und
geht mithin in der Anwendung dem der Erpressung vor (vgl. oben §. 40 I a).
b) Der Raub charakterisiert sich als Wegnehmen, mithin
als unmittelbare oder mittelbare Selbstthätigkeit des
1 RGR. 12. Februar 1880, E I 205, R I 345.
298
Erstes Buch. III. Delikte gegen daS Vermögen. Räubers; die Erpressung dagegen als Nötigung, mithin nicht notwendig als Selbstthätigkeit deS Er pressers, sondern — und zwar sogar regelmäßig — als Herbeiführung der Entschließung und Thätigkeit des zu Beschädigenden. Auch nach dieser Richtung hin erscheint mithin der Raub als der engere Begriff. Diesem Unterschiede entsprechen die Mittel zur Bege hung der beiden Delikte. 1. Gewalt ist beim Raube Mittel der Wegnahme, bei der Erpressung möglicherweise Mittel der Selbstthätigkeit deS Erpressers, regelmäßig aber Mittel der Einwirkung auf den zu Beschädigenden. 2. Die Drohung muß beim Raube so geartet sein, um die Handlung des Beraubten (Herausgabe) als eine unfreie, mithin (vgl. oben §. 20 III) als eine den Kausalzusammenhang zwischen dem Thun des Räubers und dem Enderfolge nicht unter brechende erscheinen zu lassen; demgemäß verlangt das Gesetz beim Raube „Drohung mit gegen wärtiger Gefahr für Leib und Leben", während bei der Erpressung die Drohung diesen Grad von Intensität nicht zu erreichen braucht und regelmäßig auch nicht erreicht (vgl. aber unten die „räuberische Erpressung"). Fassen wir das unter a und b Gesagte zusammen, so ergiebt sich: 1. Erpressung liegt vor, wenn es sich nicht um Wegnahme einer fremden beweglichen Sache handelt, mag auch Gewalt oder Drohung den Mitteln deS Raubes entsprechen, also Selbst handeln auf Seiten des Thäters gegeben sein.
g. 74.
Die Erpressung,
2.
Erpressung
liegt
vor,
auch
299 wenn
eS
sich
um
Wegnahme einer fremden beweglichen Sache han
delt, wenn Gewalt und Drohung diesem Er fordernisse nicht entsprechen. nur dann
Raub ist
3.
anzunehmen,
wenn a) die
Wegnahme einer fremden beweglichen Sache vor
liegt unb 9) Gewalt oder Drohung
die Erlan
gung der Sache als eigene Handlung des Thäters erscheinen lassen. II. Die Arten der Erpressung.
1. Die
Erpressung
einfache
(StGB.
§. 253).
Strafe: Gefängnis nicht unter einem Monat.
2. Die
qualifizierte Erpressung (StGB. §. 254),
wenn durch Bedrohung mit Mord, Brandstiftung oder Ueber-
schwemmung begangen. 3. Die
von
der
Strafe: Zuchthaus bis zu 5 Jahren.
räuberische
einfachen
durch
Erpressung
(StGB. §. 255),
die Intensität
der Mittel,
vom
Raube dadurch unterschieden, daß es sich nicht um Wegnahme
einer fremden beweglichen Sache handelt (während die Mittel denen des Raubes entsprechen). a) Gewalt
au*
einer
§. 63 11 a) wenn
Die Mittel sind:
Person
auch
nicht
(in homine vgl. oben
gerade
an der Person
des Genötigten.
• Ich nehme, um zu diesem Resultate zu gelangen, zwei Text änderungen un Gesetze vor, die mir dem Sinne des Gesetzes vollkommen xu entsprechen scheinen. Ich sage a) in §. 253 statt „Gewalt": „Gewaltgegen eine Person" (da es gar keine andere für die Nötigung rele
vante Gewalt giebt, ist diese Aenderung unbedenklich); b) in
§. 255 statt „Gewalt gegen eine Person": „Gewalt an einer Person." Die ganze Frage nach dem Verhalten zwischen einfacher und räuberischer Er pressung ist übrigens äußerst bestritten.
300
Erstes Buch. HL Delikte gegen das Vermögen.
b) Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Strafe: die des Raubes. 4. Ueber die Erpressung im Amte (StGB. §. 339) vgl. unten §. 93 II 4b. Neben der wegen Erpressung. erkannten Gefängnisstrafe (in den Fällen 1 und 3) kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte; neben der Zuchthausstrafe (in den Fällen 2 und 3) auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (StGB. §. 256).
3.
8» 75. Strafbare Ausbeutung Anderer. Als Mittel der Vermögensbeschädigung kennt die Reichs gesetzgebung ferner die Ausbeutung des Leichtsinns, der Unerfahrenheit oder der Notlage Anderer. Auch in diesen Fällen ist, mag auch eine scheinbar freie und bewußte Handlung des Beschädigten selbst dazwischen liegen, der ein getretene Erfolg auf Rechnung des Thäters zu setzen; Uner fahrenheit und Leichtsinn schließen nach Ansicht des Gesetz gebers das Bewußtsein von der Kausalität der Handlung auf Seite des Beschädigten, die Notlage schließt die Freiheit seiner Bestimmung, ganz oder wenigstens teilweise, aus. Der Gesetzgeber nimmt somit kraft einer durchaus berechtigten Analogie Kausalzusammenhang zwischen dem Thun des Thäters und der erfolgten Vermögensbeschädignng an, wo derselbe, bei strengem Festhalten des allgemeinen Grundsatzes (oben §. 20 III) eigentlich in Abrede gestellt werden müßte. Er thut dies aber nur unter besonderen, genau bezeichneten,
Strafbare Ausbeutung Anderer. .§♦ 75. Voraussetzungen,
und
301
angedeutete Konstruk
verwendet die
tion zur Bildung von nur zwei, eng umschriebenen Delikts
begriffen.
I. Vermögensbeschädigung absicht durch Benutzung
in
Bereicherungs
des Leichtsinns und der
Unerfahrenheit Minderjähriger. Ueber die Bereiche rungsabsicht siehe oben §. 73 I 3. An Stelle der in unsere
Definition
aufgenommenen
führt
„Vermögensbeschädigung"
das Gesetz die einzelnen Handlungen ausschließend auf, in
welchen .es ein für allemale und ohne sich in eine Untersuchung des konkreten Falles einzulassen, dieselbe erblicken zu wollen
erklärt.
Demnach liegt das fragliche Delikt vor:
1. Wenn Jemand in gewinnsüchtiger Absicht1 und unter Benutzung
des Leichtsinnes
Minderjährigen sich von
und
eines
der Unerfahrenheit
demselben Schuldscheine, Wechsel,
Empfangsbekenntnisse, Bürgschaftsinstrumente oder eine an
dere, eine Verpflichtung enthaltende Urkunde aus stellen oder auch nur mündlich
ein Zahlungsver
sprechen erteilen läßt (StGB. §. 301).
Strafe: Ge
fängnis bis zu 6 Monaten oder Geldstrafe bis zu 1500 Mark. Antragsdelikt. 2.
Wenn Jemand in gleicher Absicht und auf
gleiche
Weise sich von dem Minderjährigen unter Verpfändung der Ehre, auf Ehrenwort, eidlich oder unter ähnlichen Ver
sicherungen oder Beteuerungen die Zahlung einer Geld summe oder die Erfüllung einer anderen, auf Gewährung
geldwerter Sachen gerichteten Verpflichtung aus einem Rechts geschäfte versprechen läßt (StGB. §. 302).
Strafe:
Ge
fängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu 3000 Mark.
1 Soviel wie Bereicherungsabsicht.
302
Erstes Buch.
HI. Delikte gegen daS Vermögen.
Neben Gefängnis Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte
zulässig.
Antragsdelikt.
Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher sich eine For derung, von der er weiß, daß deren Berichtigung ein Minder jähriger in der vorbezeichneten Weise versprochen hat, abtreten
läßt.
Antragsdelikt.
II. Wucher,* strafbar nach dem Gesetz vom 24. Mai 1880;
ausgegeben am 31. Mai 1880; in Kraft vom 14. Juni 1880. Wucher liegt vor, wenn Jemand unter Ausbeutung der
Notlage, Anderen*
des Leichtsinns oder der Unerfahrenheft eines
für
ein
Darlehen
oder im
Falle
der
Stundung einer Geldforderung sich oder einem Dritten Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, welche den üblichen Zinsfuß dergestalt überschreiten, daß nach den Um
ständen des Falles die Vermögensvorteile in auffäl ligem Mißverhältnisse zu der Leistung stehen. Fälle des Wuchers. 1.
Einfacher Fall (StGB. §. 302a).
zu 6 Monaten
und
Gefängnis bis
Geldstrafe bis zu 3000 Mark.
Ab
erkennung der Ehrenrechte fakultativ. 2. Qualifizierter Fall (StGB. §. 302 b); vorliegend, wenn Jemand sich oder einem Dritten die wucherlichen Ver
mögensvorteile verschleiert oder wechselmäßig oder unter Ver
pfändung der Ehre, auf Ehrenwort, eidlich oder unter ähn lichen
Versicherungen
oder
Beteuerungen
versprechen
läßt.
Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre und Geldstrafe bis zu 6000 Mark.
Aberkennung der Ehrenrechte fakultativ.
8 Vgl. v. Lilienthal Jahrb. f. Nationalökonomie 1880. Da selbst die Litt.
8 Feststellung der Bereiche rungsabsicht hier nicht erforder lich, weil aus den übrigen Begrrffsmerkmalen folgend.
Strafbare Ausbeutung Anderer,
3.
tz. 75.
303
Gewerbs- oder gewohnheitsmäßiger (Begriffe
oben §. 39 II 3)
Wucher
(StGB. §. 302d).
Strafe:
Gefängnis nicht unter 3 Monaten und Geldstrafe von 150 bis zu 15000 Mark.
Aberkennung der Ehrenrechte obliga
torisch (vgl. oben §. 51 I S. 202). 4.
Die unter 1 und 2 angeführten Strafen treffen auch
denjenigen,
welcher
mit Kenntnis
des Sachverhaltes
eine
(wenn auch vor dem 14. Juni 1880 entstandene) Forderung
der angegebenen Art (nach dem 14. Juni 1880) erwirbt und
entweder a) dieselbe weiter veräußert, oder b) die wucherlichen BermögenSvorteile geltend macht* (StGB. §. 302 c).
5. Im Zusammenhänge mit den Strafbestimmungen gegen
Wucher steht §. 360 Ziff. 12 StGB, in der neuen, durch das Gesetz vom 24. Mai 1880 bestimmten Fassung: Wer als Pfandlecher
oder Rückkaufshändler bei Aus
übung seines Gewerbes den darüber erlassenen Anordnungen
zuwiderhandelt, insbesondere den durch Landesgesetz oder Anordnung der zuständigen Behörde bestimmten Zinsfuß
überschreitet, wird mit Geldstrafe bis zu 150 Mark oder Hast bestraft?
* Die Fassuna des Gesetzes ist eine unglückliche. Zu beachten außer dem im Texte Ge sagten: a) Wer eine vor dem 14. Juni 1880 von einem An deren erworbene wucherliche Forderung nach dem' 14. Juni 1860 geltend macht, kann nicht nach §. 302 c gestraft werden, b) Die Bestimmung bezieht sich nur auf die von einem An deren erworbenen Forderungen;
Geltendmachung einer vor dem 14. Juni 1880 entstandenen wucherlichen Forderung durch den Wucherer selbst fällt wenn, auch nach dem 14. Juni 1880 stattfindend, nicht unter daS Gesetz. 6 Ueber die civilrechtl. NichtWirksamkeit wucherlicher Ge schäfte vgl. Art. 3 des Gesetzes vom 24. Mai 1880.
304
Erstes Buch.
in. Delikte gegen daS Vermögen.
4. K. 76. Das Glücksspiel. MS eine Gefährdung eigenen und fremden Ver mögens reiht sich daS Glücksspiel an die übrigen Ver mögensdelikte. Der Gesetzgeber wacht über den Vermögens interessen der Staatsbürger, wenn diese selbst die nötige Vorsicht aus den Augen lassen. Aber, sich wohl bewußt, daß eS sich dabei um eine polizeiliche Bevormundung der freien Selbstbestimmung Mündiger handle, bedroht das moderne Recht nicht daS einfache Selbstspielen, sondern — wenn wir von der Bestrafung des gewerbsmäßigen Glücksspiels absehen — nur die Gewährung der Gelegenheit zum Glücks spiel durch dritte Personen unter gewissen Voraussetzungen mit Strafe. Strafbar ist: I. Das unbefugte Halten von Glücksspielen auf einem öffentlichen Wege, einer Straße, einem öffentlichen Platze oder in einem öffentlichen Versammlungsorte (StGB. §. 360 Ziff. 14). Strafe: Geld bis zu 150 Mark oder Haft; Einziehung der auf dem Spieltische oder in der Bank be findlichen Gelder, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht, fakultativ (vgl. oben §. 50 II). II. Das gewerbsmäßige (Begriff oben §. 39 IIc) Glücksspiel (StGB. §. 284). Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren, daneben fakultativ Geldstrafe von 300 bis zu 6000 Mark und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Ist der Verurteilte ein Ausländer, so ist die Landespolizeibehörde befugt, denselben aus dem Reichsgebiete auszuweisen (oben §. 49 III); Rückkehr des Verwiesenen ist (nach StGB. §. 361 Ziff. 2) strafbar.
§. 76.
DaS Glücksspiel.
305
m. Der Inhaber eines öffentlichen Versamm
lungsortes,
welcher
Glücksspiele daselbst
gestattet oder
zur Verheimlichung solcher Spiele mitwirkt (StGB. §. 285).
Strafe: Geld bis zu 1500 Mark.
IV. Das öffentliche Veranstalten von Ausspie lungen beweglicher oder unbeweglicher Sachen ohne obng-
keitliche Erlaubnis; insbesondere daS Veranstalten von öffent lichen
Lotterien,'
d. i. das AuSspielen
von Geldpreisen
(StGB. §. 286). Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe bis zu 3000 Mark. Die Ausspielung ist eine öffentliche, wenn die Betei
ligung einer, wenn auch ziffermäßig abgegrenzten Zahl von
individuell nicht bestimmten Personen zugänglich ist.' Eine Ausspielung liegt auch dann vor, wenn der Preis
für den Hoffnungskauf mit
dem Preis für eine wirkliche
Gegenleistung in eine einheitliche Summe zusammengeschmolzen
ist; z. B. Verbindung der Ausspielung
mit
einer Theater
vorstellung,' mit der Subskription auf ein Lieferungswerk usw.
an einer anderen (vielleicht
Auch die durch Beteiligung
sogar gestatteten) Lotterie erworbene Gewinnsthoffnung kann
zum Gegenstände weiterer (strafbarer) Ausspielung gemacht werden (Partialscheine, Promessen u. dgl.).'
Bewußtsein der Rechtswidrigkeit im Allgemeinen
ist' auch hier
nicht
erforderlich (oben §. 28 II),
wohl aber
das Bewußtsein, ohne obrigkeitliche Genehmigung eine öffent lich: Lotterie zu veranstalten.
DaS
Delikt
ist
vollendet
'Vgl. die Artt. „Lotterie" von GareiS u. LiSzt in HR. 1RGR. 20. April 1880, E I 857, R I 576. vin LiSzt, Strafrecht.
in
dem
Augenblicke,
in
8 RGR. 9. Januar 1880, E I 63, R I 205. ♦ RGR. 5. Januar 1880, E I 133, R I 194. 20
Erstes Buch.
306
HI. Delikte gegen das Vermögen,
welchem die Anteilsscheine dem Publikum zugänglich gemacht
sind.*5 Die
Spielen
landesgesetzlichen Vorschriften, in
daS Ankündigen
welche daS
das Auffordern
auswärtigen6 Lotterien,
hiezu,
derselben usw. mit Strafe bedrohen, sind
durch die, durchaus nicht abschließende Regelung dieser Ma terie im RStGB. (oben §. 11 I)
So
nicht
berührt
bleiben z. B. in Kraft die preußischen
worden.
Verordnungen
vom 5. Juli 1847 (für die alten) und vom 25. Juni 1867 Art. IV (für die neuen Provinzen).7
Ueber den BegehungS-
ort dieser Delikte vgl. oben §. 19 IV.
V. Das Gesetz vom 8. Juni 1871 betreffend die Jnhaberpapiere mit Prämien verbietet in 'S. 6: 1. Das
Ausgeben
Schuldverschreibungen,
von
auf
welchen
in
den Inhaber
allen
lautenden
Gläubigern
oder
einem Teile derselben außer der Zahlung der verschriebenen
Geldsumme eine Prämie dergestalt zugesichert wird, daß durch
Auslosung oder durch Art
der Ermittlung
bungen
und
eine
die Höhe
andere
auf den Zufall gestellte
zu prämiirenden
die
der ihnen
Schuldverschrei
zufallenden Prämie be
stimmt werden sollen, innerhalb des deutschen Reiches,
wenn das Ausgeben
nicht
auf
Grund
eines
ReichS-
gesetzeS und zum Zwecke der Anleihe eines Bundes
staates oder des Reiches erfolgt. Strafe:
Geldstrafe,
welche
6 RGR. 20. April 1880, E I 357, B I 576. 6 Ausland ist hier auch ein Bundesstaat dem anderen gegen über (vgl. oben §. 13 Note 3).
dem 5. Teile
deS
Nenn-
7 RGR. 10. Januar 1880, RI 209; 24. Februar 1880, E I 219, R I 380; 13. Marz 1880, E I 274, R I 460.
Die Partiererei,
tz. 77.
307
wertes der den Gegenstand der Zuwiderhandlung bildenden Papiere gleichkommt, mindestens aber 300 Mark betragen soll.
2. DaS Weiterbegeben solcher Papiere, welche a) im Jnlande nach Verkündigung deS Gesetzes vom 8. Juni 1871, b) im Auslande nach dem 30. April 1871 ausgegeben worden sind. Gleichgestellt ist der Fall, wenn solche Papiere an den Börsen oder an anderen zum Ver kehre mit Wertpapieren bestimmten Versammlungsorte» zum Gegenstände eines Geschäfts oder einer GeschästSverniittlung gemacht werden. Strafe: wie zu 1. 3. Das Weiterbegeben von solchen Papieren, die im AuSlande vor dem 1. Mai 1871 ausgegeben und nicht ab gestempelt sind. Derselbe Fall wie zu 2 gleichgestellt. Die Strafbarkeit beginnt mit dem 14. Juli 1871. Strafe: wie zu 1. 4. Die öffentliche Ankündigung, Ausbietung, Empfehlung von den unter 2 und 3 angeführten Pa pieren sowie die Notierung derselben zur Feststellung eines Kurswertes. Strafe: Geldstrafe bis zu 300 Mark oder Gefängnis bis zu 3 Monaten.
5.
g. 77.
Vie Partiererei.'
I. Begriff. 1. Bon der Reichsgesetzgebung in eine durchaus unge rechtfertigte Verbindung mit der Begünstigung — durch Auf-
1 Lit. bei Meyer S. 533 Note 1.
308
Erstes Buch. IU. Delikte gegen das Vermögen,
stellung deS Zwitterbegriffs der Hehlerei — gebracht, bean sprucht die Partiererei selbständige Stellung unter den Vermögensdelikten. Sie ist Perpetuierung, in den meisten Fällen sogar Vertiefung, einer rechtswidrigen Ver mögenslage. Sie tritt zu einer bereits erfolgten Bermögensbeschädigung' hinzu, setzt diese begrifflich voraus, bringt aber das dem Be rechtigten entzogene Vermögensobjekt in noch weitere Ent fernung von seiner Verfügungsgewalt. 2. Die Partiererei (StGB. §. 259) besteht entweder in dem Verheimlichens Ankäufen, Zum-Pfände-Nehmen, An-Sich-Bringen von mittels einer straf baren Handlung .erlangten Sachen um des eigenen Vorteils4 (nicht notwendig, wenn auch regelmäßig Ver mögen svorteils) willen, oder aber darin, daß in gleicher Absicht zu deren Absatz bei Anderen mitgewirkt wird. Das Delikt erstreckt sich lediglich auf jene individuell be stimmten Sachen, die unmittelbar durch die betreffende straf bare Handlung erlangt wurden;3 4nicht aber auf andere an deren Stelle getretene Sachen, wie den aus denselben gewonnenen Erlös/ oder Forderungen, deren Cession z. B. durch Betrug bewirkt worden usw. Die Sachen müssen durch eine strafbare Handlung erlangt sein, sie müssen den Charakter ihres strafbaren 3 Die durchaus nicht Vermögensdelitt im eigentlichen Sinne zu sein braucht. 3 So viel wie unterdrücken, beiseiteschaffen; also der Verfü gung des Berechtigten entziehen. 4 Es genügt der gewöhnliche, durch den Geschäftsbetrieb er
zielte Vorteil, außergewöhnlich großer Vorteil ist nicht erforderlich: RGR. 28. Mai 1880, R 1 830. 6 RGR. 6. Juli 1880, R II 164. 6 Dagegen RGR. 16. Juni 1880, R II 72.
Die Partiererei.
77.
309
Erwerbes bereits an sich tragen, diese strafbare Erwerbungs-
Handlung muß demnach zeitlich der Partiererei vorangehen.' Die Natur der strafbaren Handlung ist gleichgültig; sie
kann Eigentumsdelikt oder irgend ein anderes Vermögens
delikt fein; sie braucht aber überhaupt nicht gegen daS Ver
mögen gerichtet fein (z. B. Verheimlichung von durch einen Mord erlangten Sachen).
Feststellung der strafbaren Hand
lung, wenigstens der Gattung nach, im Urteile ist selbstver ständlich erforderlich?
Ist die Sache durch ein Antragsdelikt erlangt worden,
so haben wir die Bedeutung deS Antrages als einer Be
dingung der Strafbarkeit (oben §. 31) im Auge zu behalten. Wird der Antrag nicht gestellt, so liegt eine durch eine straf
bare Handlung erlangte Sache nicht vor, mithin auch keine Partiererei; wird er nachträglich gestellt, so ist die Er
langungshandlung ex tune eine strafbare, und eben dämm daS in der Zwischenzeit erfolgte Verheimlichen als strafbare
Partiererei zu betrachten. 3. Die Partiererei kann vorsätzlich oder fahrlässig
begangen werdcü: a) Der Vorsatz besteht in
dem
Bewußtsein
von
der
Kausalität deS ThunS; der Thäter muß wissen, nicht
nur daß er Sachen verheimlicht, verkauft usw., sondem
auch daß diese Sachen durch eine strafbare Handlung
erlangt sind. Kenntnis dieser Handlung nach Art und
Umständen kann dagegen nicht gefordert werden?
7 RGR. 28. Mai 1880, E II 69, R I 831. ° RGR. 31. Januar 1880,
E I 180; 5. April 1880, R I 537. » RGR. 5. April u. 8. April 1880, R I 537.
310
Erstes Buch. III. Delikte gegen das Vermögen.
b) Auch die fahrlässige Partiererei ist strafbar. Aber nicht jede Fahrlässigkeit, auch nicht nur die culpa lata10 11 fällt unter das Gesetz; sondern nur ein ganz bestimmter FalldeS fahrlässigen Verhaltens: „wenn derThäter den Umständen nach annehmen muß, daß die Sache durch eine strafbare Handlung erlangt ist". Straflos bliebe z. B. derjenige, der nicht weiß, daß er zum Absätze der (wie ihm bekannt) gestohlenen Sache mitwirkt, obwohl er bei einiger Aufmerksamkeit dies hätte bemerken können."
4. Die Partiererei ist vollendet, sobald eine der im Gesetze angeführten Thätigkeiten gesetzt ist, sobald die Sache einen weiteren Schritt aus dem Machtbereiche deS Be rechtigten gemacht hat. Die folgenden Kreuz- und Quer läufe der Sache sind juristisch irrelevant. Wenn also A eine gestohlene Sache am 1. Januar in Frankreich an gekauft und am 1. Juli in Deutschland weiter verkauft hat, so kann er nur wegen jenes Ankaufes, nicht wegen dieses Verkaufes zur Verantwortung gezogen werden." II. Die Arten der Partiererei. 1. Die einfache Partiererei (StGB. §. 259). Strafe: Gefängnis.
10 Dies die Ansicht von RGR. 28. April 1880. R I 691. E II 140; vgl. überhaupt das oben §. 29 a. E. Gesagte. 11 Der Einwand, daß solche Fälle praktisch nicht vorkommen, trifft nicht die Richtigkeit der im Texte versuchten Konsttuktion; wohl aber beweist er die prak-
tische Wichtigkeit der Kontroverse: nach Ansicht des RGR. ist nur culpa lata, nach der im Texte vertretenen jede strafrecht liche relevante culpa in weitaus den meisten praktisch vorkom menden Fällen strafbar. 12 RGR. 15. März 1880, E I 279, R I 471.
Die Partiererei,
g. 77.
311
2. Die gewerbS- ober gewohnheitsmäßige (Be griff oben §. 39 II 3) Partiererei (StGB. §. 260). Strafe: Zuchthaus bis zu 10 Jahren.
3.
Partiererei im 2. Rückfall (StGB. §. 261).
Strafe: a) Zuchthaus nicht unter 2 Jahren, bei mildernden Um ständen Gefängnis nicht unter einem Jahre, wenn sich
die
letzte
Handlung
auf
einen
schweren
Diebstahl
(StGB. §. 243), einen Raub, oder ein dem Raube
gleich zu bestrafendes Verbrechen (räuberischer Diebstahl, räuberische Erpreffung) bezieht.
b) Zuchthaus bis zu 10 Jahren,
bei mildernden Um
ständen Gefängnis nicht unter 3 Monate» in allen
anderen Fällen. In Bezug auf die Vorstrafen stehen Partiererei und
Hehlerei einander gleich.
Im Uebrigen ist daS oben §. 64
II 3 Gesagte (StGB. §. 245) auch hier anzuwenden.
4. Ein der Partiererei verwandtes Delikt bedroht StGB. §. 370 Zifs. 3: Geldstrafe bis zu 150 Mark oder Haft trifft denjenigen, der von einem zum Dienststande gehörenden Unter
offizier oder Gemeinen des HeereS oder der Marine ohne schriftliche Erlaubnis deS vorgesetzten Kommandeurs Montierungs- oder Armaturstücke kauft oder zum Pfande nimmt.
312
Erstes Dnch.
IV. Verletzung der Individualrechte.
IV. Verletzung der Individualrechte? 1. 78.
Vrrlrhuug Lrs Autorrechtes.
Quelle: Gesetz betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken^ Abbildungen, musikalischen Kompositionen und drama tischen Werken vom 11. Juni 1870. Das Gesetz findet Anwendung (§. 61) 1. auf alle Werke inländischer
Urheber,
mögen sie im Jnlande oder Aus
noch
nicht
veröffentlicht
sein; 2. auf Werke ausländischer Urheber,
wenn sie bei
lande
erschienen*
oder überhaupt
Verlegern erscheinen, die im Gebiete des deutschen Reiches ihre Handelsniederlaffung haben (vgl. oben §. 13 III).
I. Der eigentliche Nachdruck.
1.
Nachdruck ist die mechanische Vervielfältigung
a) eines Schriftwerkes;
1 Ueber diesen Begriff vgl. Gareis Grundriß zu Vorle sungen über das deutsche bür gerliche Recht 1877. §§. 40 ff.,u. die hier angeführte Lit. — Die Individualrechte bilden das Mittelglied zwischen den reinen Ver mögensrechten und den rein im materiellen Rechtsgütern. Mit ersteren haben sie gemein nicht nur die Absetzbarkeit in Geld, sondern vor Allem die Ausbil dung zu subjektiven Rechten und die Negoziabilität. Aber damit ist ihre Bedeutung nicht
b) geographischer, topographi-
erschöpft: es ist die sichbethätigende Persönlichkeit selbst, die schaffende Individuali tät, die in ihnen geschützt wird. 2 Erscheinen ist soviel wie Ausgeben; vgl. darüber Liszt Preßrecht §. 42 V. Wenn das selbe Werk zuerst im Auslande und später im Jnlande erscheint, so liegen juristisch zwei selb ständige Werke vor, deren zweites den Schutz des Gesetzes genießt. A. A. (gewiß unrichtig) RGR. 12. Juni 1880, E II 180, Ä II 62.
Verletzung des Autorrechtes.
§. 78.
313
scher, naturwissenschaftlicher, architektonischer, technischer und ähnlicher Zeichnungen und Abbildungen, welche nach
ihrem Hauptzwecke nicht als Kunstwerke zu betrachten sind;
c) musikalischer Kompositionen; ohne Genehmigung
deS Berechtigten, in der Absicht, den Nachdruck inner halb oder außerhalb deS deutschen Reiches zu verbreiten (§§. 4-7, 18; 43 f., 45 ff.).
Dem Nachdrucke steht gleich dir unbefugte öffentliche Aufführung
oder
eines
dramatischen,
dramatisch-musikalischen
Aufführung
eine vollständige
musikalischen
Werkes,
mag
die
sein oder mit unwesentlichen
Aenderungen vor sich gehen (§§. 50 und 54).
2. Strafbar ist die
vorsätzliche
oder
fahrlässige
Veranstaltung eines Nachdrucks (Thäterschaft), sowie die
vorsätzliche oder fahrlässige Veranlassung (Anstif tung) eines Anderen zur — sei eS vorsätzlichen oder fahr lässigen, sei es schuldlosen — Veranstaltung eines Nachdrucks (§§. 18, 20, 54). singulären
Daß wir es hier mit einer durchaus
Abweichung
von
den allgemeinen Grundsätzen
über Teilnahme zu thun haben (fahrlässige Anstiftung einer
seits, Anstiftung zu fahrlässigem Delikt andererseits), wurde bereits oben §. 35 Note 3 bemerkt.
3. Strafe für Veranstaltung wie Veranlassung: Geld strafe bis zu 3000 Mark, die im Falle der Uneinbringlichkeit
nach Maßgabe der allgemeinen Strafgesetze in eine entspre chende Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten umzuwandeln ist. Rückfallsschärfung ist ausgeschlossen (§. 23).
4. Der Veranstalter bleibt straffrei, wenn er auf Grund entschuldbaren,
thatsächlichen
oder rechtlichen Irrtums in
gutem Glauben gehandelt hat (§. 18 Abs. 2). Somit schließt
auch der Mangel deS Bewußtseins
der Rechtswidrigkeit,
314
Erstes Buch.
IV. Verletzung der Individualrechte,
wenn derselbe auf einem entschuldbaren Irrtume beruht, die
Strafbarkeit aus (vgl. oben §. 28 II). 5. Statt der Entschädigung kann neben der Strafe auf Verlangen des Beschädigten auf eine an diesen zu erlegende Geldbuße
bis zum
Betrage
von
6000 Mark
erkannt
Die zu derselben Verurteilten haften als Gesammt-
werden.
schuldner.
Zuerkennung
der Buße
schließt die
Geltend
machung eines weiteren Entschädigungsanspruches aus (§§. 18
und 54).
Dagegen besteht die Entschädigung, welche dem Berech
tigten' im Falle der unbefugten öffentlichen Aufführung eines dramatischen usw. Werkes zu gewähren ist, in dem ganzen Betrage der Einnahme
von jeder Aufführung
ohne Abzug
der auf dieselbe verwendeten Kosten (§. 55); vgl. oben §. 42
n a. E.). 6. Die vorrätigen Nachdrucks exemplare und die zur
widerrechtlichen
Vervielfältigung
ausschließlich
bestimmten
Vorrichtungen unterliegen der Einziehung (§. 21), und
sind
nachdem
auf diese rechtskräftig
entweder zu vernichten
erkannt worden ist,
oder ihrer gefährdenden Form zu
entkleiden und alsdann dem Eigentümer zurückzugeben.
Die
Einziehung erstreckt sich auf alle Exemplare und Vorrichtungen, die sich
im EigeNtume des Veranstalters des Nachdruckes,
des Druckers, der Sortimentsbuchhändler, der gewerbsmäßigen
Verbreiter und desjenigen, der den Nachdruck veranlaßt hat, befinden. Die Einziehung tritt
auch dann ein,
wenn der Veran
stalter oder Veranlasier des Nachdruckes weder vorsätzlich noch
fahrlässig gehandelt hat. desselben.
Sie erfolgt auch gegen die Erben
Verletzung des Autorrechtes.
315
g. 78.
Der Antrag auf Einziehung ist so lange zulässig (§. 36),
als solche Exemplare oder Vorrichtungen vorhanden sind. 7. Das Vergehen des Nachdruckes ist vollendet, sobald
ein Nachdrucksexemplar hergestellt worden ist (§. 22).
Im
Falle deK Versuches tritt weder Bestrafung noch Entschä digungsverbindlichkeit ein. Die Einziehung der Vorrichtungen
erfolgt jedoch auch in diesem Falle.
8. Der Nachdruck ist Antragsdelikt.
Antrag rück
nehmbar bis- zur Verkündigung eines auf Strafe lautenden
Erkenntnisses (§. 27).
Antragsberechtigt ist jeder in seinem
Urheber- oder Verlagsrechte Beeinträchtigte (§. 28).
Das
Antragsrecht entfällt, wenn der Antrag nicht binnen 3 Mo naten nach
erlangter Kenntnis
von
dem
begangenen Ver
gehen und von der Person des Thäters gestellt wird (§. 36).
9. Das Vergehen des Nachdruckes verjährt in 3 Jahren, von dem Tage, an welchem die Verbreitung der Nachdrucks
exemplare zuerst stattgefunden hat (§. 33).
II. Vorsätzliche
oder
fahrlässige
Unterlassung
der
Quellenangabe (§. 24), soweit diese bei gestattetem Ab drucke
bereits
veröffentlichter
Schriften
vorgeschrieben
ist
(§. 7 a), wird an dem Veranstalter und Veranlasser des Ab
druckes mit Geldstrafe bis
zu 60 Mark geahndet.
Um
wandlung in Freiheitsstrafe ausgeschlossen (vgl. oben §. 55 Eine Entschädigungspflicht tritt nicht
I a. E.).
tragsdelikt; wendung. Tage,
ein.
An
das oben .18 Gesagte findet auch hier An
Das Delikt verjährt in 3 Monaten von dem
an welchem der
Abdruck zuerst
verbreitet worden
ist (§• 37).
III. Das vorsätzliche Verbreiten von Nachdrucks
exemplaren (das gewerbsmäßige Feilhalten, Verkaufen usw.). Strafe: wie oben I 3;
Geldbuße wie oben 15.
Ein-
316
Erstes Buch.
IV. Verletzung der Individualrechte,
ziehung findet auch dann statt, wenn der Verbreiter nicht vorsätzlich gehandelt hat. Veranstalter und Veranlasser deS Nachdruckes trifft Entschadigungspflicht und Strafe, wenn sie nicht schon als solche entschadigungspflichtig und strafbar sind (§. 25). Antragsdelikt: wie oben I 8. Die Verjährung tritt in 3 Jahren von dem Tage ein, an welchem die Ver breitung zuletzt stattgefunden hat.
2.
tz. 79.
Sie übrigen «fällt.
I. Verletzung des Urheberrechtes an Werken der bildenden Künste, nach dem Gesetz vom 9. Januar 1876 §. 5 begangen durch unbefugte Nachbildung eines solchen Werkes in der Absicht, dieselbe zu verbreiten. Das oben §. 78 I 2—9, II und III Gesagte, findet auch hier An
wendung (§. 16). II. Verletzung der Urheberrechtes an Photo graphien, nach dem Gesetz vem 10. Januar 1876 §. 3
begangen durch unbefugte mechanische Nachbildung eines pho tographischen Werkes in Verbreitungsabsicht. Auch hier gelten die oben §§. 78 I 2—9, II und III angeführten Grundsätze
(§• 9). III. Verletzung des Urheberrechtes an Mustern und Modellen, nach dem Gesetz vom 11. Januar 1876 §. 5 begangen durch unbefugte Nachbildung eines MusterS oder Modelles in Verbreitungsabsicht. Das oben §. 78 I 2—9, II und III Gesagte ist auch, hier anzuwenden (§. 14). IV. Verletzung des Namen-, Firmen- oder
Die übrigen Fälle.
Markenrechtes?
§♦ 79.
317
Nach §. 14 des Gesetzes vom 30. No
vember 1874, der an Stelle des §. 287 StGB, getreten ist, wird derjenige, welcher: a) Waaren oder deren Verpackung wissentlich mit
einem
nach Maßgabe dieses Gesetzes zu schützenden Waaren-
zeichen,
oder mit dem Namen oder
der Firma
eines inländischen Produzenten oder Handeltreibenden widerrechtlich bezeichnet, oder b) dergleichen widerrechtlich bezeichnete Waaren in Ver kehr bringt oder feilhält,
mit Geldstrafe von 150 bis zu 3000 Mark oder mit Ge fängnis bis zu 6 Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag
des verletzten
Produzenten oder Handeltreibenden ein? Statt der Entschädigung kann neben der Strafe auf Ver
langen des
Beschädigten
auf
eine an diesen zu erlegende
Buße bis zum Betrage von 5000 Mark erkannt werden. Die zu derselben Verurteilten haften als Gesammtschuldner.
Die Zuerkennung schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruches aus (§. 15).
In dem verurteilenden Erkenntnisse ist (§. 17) auf Antrag
des Verletzten bezüglich der im Besitze des Verurteilten be findlichen
Waaren
auf Vernichtung
der Zeichen
auf
der Verpackung oder den Waaren, oder wenn die Beseitigung der Zeichen in anderer Weise nicht möglich ist, auf Ver1 Vgl. Merkel HR. „Fabriks - und Waarenzeichenfälschung". 3 Schon dies beweist, daß der Gesetzgeber in erster Linie den Schutz des Individualrechtes und nicht jenen des Publikums
im Auge hat, daß es also un richtig ist, hier von einem Fälschungs-Delikte zu spre chen, und die Verletzung der publica fides an erster Stelle zu betonen.
318
Erstes Buch.
IV. Verletzung der Individualrechte,
nichtung der Verpackung oder der Waaren selbst
zu erkennen. Ferner ist (§. 17) dem Verletzten die Befugnis zuzu
sprechen, die Verurteilung auf Kosten des Verurteilten öf
fentlich
bekannt zu machen.
Die Art der Bekannt
machung und die Frist zu derselben ist in dem Urteile zu be stimmen (vgl. oben §. 42 II 2).
V. Die Verletzung des Patentrechtes? Gesetz vom 25. Mai 1877.
Die Erteilung eines Patentes (sie findet
nach §. 1 statt für neue Erfindungen, welche eine gewerbliche
Verwertung gestatten) hat die Wirkung, daß niemand befugt ist, ohne Erlaubnis des Patentinhabers den Gegenstand der Erfindung gewerbsmäßig herzustellen, in Verkehr zu bringen oder feilzuhalten, bez. das erfundene Verfahren anzuwenden oder den Gegenstand der Erfindung zu gebrauchen (§. 4).
1. Wer unbefugt und wiffentlich eine patentierte Erfindung in Gebrauch
nimmt,
wird (§. 34) mit Geldstrafe bis zu
5000 Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. Antragsdelikt.
Oeffentliche Bekanntmachung der Verurteilung
wie oben unter IV.
(§. 35)
Statt der Entschädigung kann (§. 36)
auf Buße bis zu 10000 Mark erkannt werden.
Weiterer
Entschädigungsanspruch in diesem Falle ausgeschlosien. Mehrere Verurteilte haften als Gesammtschuldner. Die Klagen wegen Verletzung des Patenttechtes
ver
jähren (§. 38) rücksichtlich jeder einzelnen dieselbe begrün
denden Handlung in drei Jahren.
2.
Nicht als die Verletzung eines Individualrechtes, son
dern als eine Gefährdung der Interessen des Pu8 Dgl. Ernst Meier HR. „Erfinderpatente".
Delikte gegen die Ehre.
§♦ 80.
Zig
blikums haben wir die — nur des Zusammenhanges wegen
an dieser Stelle behandelte — Simulierung des Patent schutzes
(§. 40)
zu
betrachten.
Mit Geldstrafe bis zu
150 Mark oder Haft wird bestraft:
a) Wer Gegenstände oder deren Verpackung mit einer Be
zeichnung versieht, welche geeignet ist, den Irrtum zu
erregen, daß die Gegenstände durch ein Patent geschützt seien;
b) wer in öffentlichen Anzeigen, auf Aushängeschildern,
auf Empfehlungskarten oder in ähnlichen Kundgebungen eine Bezeichnung anwendet,
welche geeignet ist, den
gleichen Irrtum zu erregen.
V. Strafbare Handlungen gegen immaterielle Rechtsgüter. 1. §. 80.
Gegen Ltr Ehre.1
I. Begriff. Ehre als Rechtsgut ist das rechtlich geschützte In
teresse des Einzelindividuums
oder der Jndivi-
duengruppe, als die eingenommene Stellung voll
kommen
ausfüllend betrachtet und
behandelt zu
werden. Zn dieser Definition liegt — im Gegensatze zu der herr
schenden Ansicht — ausgedrückt, daß Ehre im Rechtssinne und
„Menschenwürde"
oder
1 Lit. bei Meyer S. 420 Note 1. Dazu Freudenthal System des Rechts der Ehren
„bürgerliche
Achtung"
nicht
kränkungen. 1880. John HR. „Beleidigung".
Erstes Buch.
320
V. Delikte gegen immaterielle RechtLgüter.
idmtische Begriffe sind.
Die Ehre trägt vielmehr einen höchst
persönlichen, durchaus individuellen Charakter; und gerade in
dieser subjektiven Basis unseres modernen Ehrgefühles (welche
durch eine gewiffe Ueberspannung desselben bedingt ist und
umgekehrt wieder diese fördert) liegt der charakteristische Unter schied
deS
heutigen
Ehrbegriffes
gegenüber der römischen
Bürgerehre wie der germanischen Genoffenehre.
Der Inhalt
der Ehre ist nach der hier vertretenen Auffassung ein anderer, wenn es sich um den Bauer oder den Handwerker, den Of
fizier oder den Fabriksherrn, den Staatsmann oder den Ge
lehrten, den Beamten oder den Studenten handelt.
Mit Recht
hat das RGR. (1. November 1879, R I 28) in der Aeußerung
über eine Rede Bismarcks:
„eine solche Rede könne jeder
Schornsteinfeger halten" eine Beleidigung des Reichskanzlers
erblickt, ohne damit der Menschenwürde oder
bürgerlichen
Ehrenhaftigkeit der Schornsteinfeger nahezutreten. Die Ehre ist ein Rechtsgut, aber kein subjektives Recht.
Der Rechtsschutz der Ehre erschöpft sich in dem Schutze gegen
Verletzung.
Der Ehre steht rechtlich kein positiver Anspruch
auf Achtung, sondern nur ein negativer Anspruch auf Nicht ausdruck der Nichtachtung, auf Nichtverletzung gegen
über.
Sie ist in Geld nicht abschätzbar (die Buße ist Ge
nugthuung für den Angriff, nicht Wiederherstellung der ver minderten Ehre), nicht negoziabel: ein rein immaterielles
Rechtsgut. DaS positive Recht schützt regelmäßig, von besonderer An
ordnung abgesehen, nur die Ehre deS Einzelindividuums, nicht die der Jndividuengruppen?
1 Vgl. Zimmermann GA. XXV; Bolze GA. XXVI. Die herrschende Ansicht vertritt
Ausnahmen finden sich:
auch RGR. 31. Januar 1880, E I 178, R I 302.
Delikte gegen die Ehre.
1. StGB.
tz. 80,
§§. 196, 197 Beleidigung
von
321 Behörden
und politischen Körperschaften; 2. StGB. §. 187 Gefährdung des Kredits von Handels
gesellschaften; 3. StGB. §. 189 Schutz der Familienehre.
n.
Arten der strafbaren Handlungen gegen die
Ehre.
1.
Die Ehrverletzung (StGB. §. 185) oder die Be
leidigung im eigentlichen Sinne; der Ausdruck der Nichtachtung,
mag derselbe in der Form eines Urteils oder in der Form
einer das Urteil in sich schließenden Thatsachenbehauptung er
folgen. Der Vorsatz (fahrlässige Beleidigung ist denkbar, aber nicht strafbar) besteht auch hier lediglich in dem Bewußtsein
von der Kausalität des Thuns; Absicht, ein sogenannter
eine darüber hinausgehende
animus injuriandi, ist nicht er
forderlich?
Die Beleidigung ist vollendet, sobald der Ausdruck der
Nichtachtung zur Kenntnis des Beleidigten oder einer dritten Person gelangt ist.
Der Versuch ist nicht strafbar.
War der
gewählte Ausdruck nicht geeignet, das Auszudrückende aus zudrücken, so würde nur (strafloser) Versuch vorliegen.
Dabei
muß aber die Anschauungsweise der betreffenden Kreise, darf
nicht etwa ein objektiver Maßstab zu Grunde gelegt werden? Strafe: a) Geldstrafe bis zu 600 Mark, oder Haft oder Gefängnis
bis zu einem Jahre; 3 Ueber diese Frage herrscht noch vielfache, durch §. 193 StGB, gesteigerte Unklarheit. Auch die einschlagenden Ent scheidungen des RGR. enthalten vrn LiSzt, Strafrecht.
manche recht bedenkliche Bemer kung. 4 RGR. 22. April 1880, E I 390.
322 Erstes Buch. V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter, b) wenn mittels einer Thätlichkeit, d. h. mittels eines unmittelbar gegen den Körper des zu Beleidigenden gerichteten, wenn auch fehlgeschlagenen Angriffes be gangen, Geldstrafe bis zu 1500 Mark oder Gefängnis bis zu 2 Jahren. Der verschiedene Borsatz scheidet die Realinjurie und die Körperverletzung; ist — was wohl in der Regel der Fall sein dürfte —- das Bewußtsein vorhanden, daß die Handlung nach beiden Richtungen hin kausal sein werde, so giebt nach dem oben §. 40 III Gesagten der höhere Strafsatz den Ausschlag. 2. Die Gefährdung der Ehre durch üble Nachrede (StGB. §. 186), d. i. das Behaupten oder Verbreiten von nicht erweislich wahren Thatsachen(„Thatsache" vgl. oben §. 73 S. 290) in Beziehung auf einen Anderen, welche denselben ver ächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herab zuwürdigen geeignet sind. Die üble Nachrede ist nicht Ver letzung, sondern Gefährdung der Ehre; nicht Ausdruck der Nichtachtung, sondern Mitteilung des Materiales, das An dere zur Nichtachtung veranlasien kann. Sie kann daher nicht gegenüber dem Betroffenen/ sondern nur in Bezug auf ihn gegenüber dritten Personen, begangen werden; und ist vollendet mit der Behauptung oder Verbreitung der That sachen. Daher ist ferner — im Gegensatze zu dem oben unter 1 Gesagten — nicht die Anschauung derjenigen Kreise, für welche'die Aeußerung zunächst berechnet ist, sondern die deS ob jektiv urteilenden Publikums maßgebend? Der Vorsatz muß auch das Bewußtsein, die Thatsachen seien nicht erweislich wahr umfassen. Hält der Behauptende die Thatsachen für
6 RGR. 24. Oktober 1879, 1880, E I 161 (zunächst mit R I 14. Bezug auf §. 131 StGB, ge 6 Vgl. RGR. 23. Januar fallt).
Delikte gegen die Ehre.
§• 80.
323
erweislich wahr, während sie eA in Wirklichkeit nicht sind, so kann Fahrlässigkeit vorliegen, die nach der Fassung des §. 186 ebenfalls strafbar ist.
Strafe:
a) Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu einem Jahre; b) wenn d. i.
a) öffentlich,
vor unbestimmt
welchen
und
unbestimmt wie vielen Personen oder ß) durch Verbreitung
von
Schriften,
Abbil-
dungen oder Darstellungen7 begangen, Geldstrafe bis zu 1500 Mark oder Gefängnis bis zu 2 Jahren.
3.
Die Gefährdung der Ehre durch Verleumdung
(StGB. §. 187), von der üblen Nachrede unterschieden: a) dadurch, daß an Stelle der „nicht erweislich wahren"
Thatsachen „unwahre" Thatsachen treten;
b) durch das Hinzukommen der mala fides, deS Wissens von der Unwahrheit der behaupteten oder verbreiteten Thatsachen
(kann
daher
nur
vorsätzlich
begangen
werden).
Im Uebrigen deckt sich der Thatbestand der Verleumdung mit jenem der üblen Nachrede.
Strafe:
Gefängnis bis zu 2 Jahren; wenn die oben
zu 2 b angeführten Qualifikationen vorliegen, Gefängnis nicht unter einem Monate.
Bei mildernden Umständen kann die
Strafe bis auf einen Tag Gefängnis ermäßigt, oder auf Geldstrafe bis zu 900 Mark erkannt werden. 4.
Die Gefährdung des Kredites durch Verleum-
7 Vgl. Liszt Preßrecht §.42.
324
Erstes Buch.
V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter,
düng (StGB. §. 187), d. i. die wider besseres Wissen in
Bezug auf einen Anderen erfolgende Behauptung oder Ver
breitung von Thatsachen, welche dessen Kredit zu gefährden
geeignet sind.
Der persönliche Kredit ist nichts als die
wirtschaftliche Seite der Ehre, das Interesse desjenigen,
dessen Stellung das Kreditnehmen mit sich bringt, als zah lungsfähig und zahlungswillig betrachtet und behandelt zu
Daß diese Seite der Ehre auch in Bezug auf
werden.
Handelsgesellschaften,
also
Kollektivpersönlichkeiten,
durch
§. 187 StGB, geschützt werden soll, wird allgemein zuge geben. Strafe wie zu 4.
5.
Gefährdung
der Familienehre durch
leumdung Verstorbener (StGB. §. 189), d. h.
Ver
Be
schimpfung des Andenkens eines Verstorbenen durch wider
besseres Wissen erfolgende Behauptung oder Verbreitung von Thatsachen, welche denselben bei seinen Lebzeiten verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen
geeignet gewesen wären.
Der Tote ist nicht mehr Rechts
subjekt; er kann in seiner Ehre ebensowenig wie in seinem Leben verletzt werden, da er jene
wie diese.
ebensowenig mehr besitzt
Aber die Interessen der Familie als einer Jn-
dividuengruppe, einer Kollektivpersönlichkeit erstrecken sich über das Leben
der einzelnen Generation
milienehre wird
verletzt
hinaus.
durch Beschimpfung
Die
Fa
eines ver
storbenen Gliedes, und diese Familienehre schützt der Gesetz
geber?
Daher die Antragsberechtigung der Angehörigen
8 Die Konstruktion des §.189 StGB, ist eine sehr bestrittene. Für meine Auffassung scheint mir nicht nur Stellung und
Fassung des §. 189, sondern auch das natürliche Gefühl zu sprechen. Die Solidarität der Interessen der Familienglieder
(Eltern, Kinder, Ehegatten), daher die Beschränkung deS rechtlichen Schutzes auf jene wenigen Generationen, die als im unmittelbaren Zusammenhänge mit dem Verstorbenen befindlich betrachtet werden können, die daher durch das Urteil über den Verstorbenen mit berührt werden. Strafe: Gefängnis bis zu 6 Monaten, bei mildernden Umständen Geldstrafe bis zu 900 Mark. III. Die allgemeinen Grundsätze über Rechtswidrigkeit und Wegfall derselben (oben §. 22) beanspruchen unein geschränkte Geltung auch auf dem Gebiete der Beleidigungen. Hatte der Handelnde ein Recht zur Vornahme der Handlung, so liegt eben kein Delikt vor. Der Gesetzgeber wollte diese allgemeine Regel dem Richter gerade hier ins Gedächtnis rufen und zugleich durch Beispiele illustrieren, hat aber gerade dadurch die Praxis vielfach irregeführt. Die hieher gehörigen Bestimmungen sind: 1. StGB. §. 193. Tadelnde Urteile über wissenschaft liche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, ingleichen Aeußerungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen9* *ge** macht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorge setzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Ur teile von Seiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Aeußerung oder aus den Umständen, kam wohl nicht geleugnet werden, und sie ist es, welche die Familce hier wie sonst zur Kollektivpersönlichkeit erhebt. 9 Durch den Berechtigten selbst oder durch einen zur Wahrneh
mung derselben berufenen Dritten; vgl. RGR. 24. De zember 1879, E I 128, RI 171; 22. Januar 1880, R I 260.
326
Erstes Buch. V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter,
unter welchen sie geschah, hervorgeht. Dieser letzte Zusatz sagt nur, daß mit dem Ueberschreiten der Grenzen der Be rechtigung die Rechtswidrigkeit beginnt.10 Falsch ist es, die Absicht zu betonen und diese als etwas vom Borsatze ver schiedenes aufznfasien.11 2. Mit dem Beweise der Wahrheit entfällt ohne Weiteres die Annahme der in den §§. 186, 187, 189 (oben II 2—5) enthaltenen Delikte, welche begrifflich Unwahrheit oder wenigstens Nicht-Beweisbarkeit der behaupteten oder verbreiteten Thatsachen erfordern. Aber auch im Falle des §. 185 (oben II1) schließt die Wahrheit der Thatsachen (soweit solche überhaupt in Frage stehen) die Rechtswidrigkeit aus; eS sei denn, daß die durch das Recht die Wahrheit zu sagen gezogenen Grenzen überschritten wurden, und der Thäter dem Borbringen der Thatsachen etwas Weiteres, eine Beleidigung enthaltendes, hinzugefügt hat. Dies und nichts Anderes sagt §. 192 mit den Worten: „Der Wahrheits beweis schließt die Bestrafung nach §. 185 nicht aus, wenn daS Vorhandensein einer Beleidigung auS der Form der Be hauptung oder Verbreitung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht." Ist die Thatsache eine strafbare Handlung, so ist (§. 190 StGB.) der Wahrheitsbeweis: a) als erbracht anzusehen, wenn der Beleidigte wegen dieser Handlung rechtskräftig verurteilt; 10 Bei dieser Auffassung des §. 193 kann es keinem Zweifel unterliegen, daß derselbe auch auf die Fälle der Verleumdung prinzipiell anzuwenden ist. Freilich wird Berechtigung zur Verleumdung nur ganz aus
nahmsweise (z. B. im Notstände) vorliegen. 11 Bedenklich RGR. 5. De zember 1879, R 1116; 16. März 1880, E I 317, RI 475; 30. April 1880, E I 406.
Delikte gegen die Ehre. g. 80.
327
b) ausgeschlossen, wenn er wegen derselben vor der Behauptung oder Verbreitung rechtskräftig freigesprochen worden ist12 IV. Auf Buße bis zu 6000 Mark kann (StGB. §. 188) auf Verlangen in den Fällen der §§. 186 und 187 (oben II, 2, 3, 4) erkannt werden, wenn die Beleidigung nach teilige Folgen für die Bermögensverhältnisse, den Erwerb oder das Fortkommen des Beleidigten mit sich bringt. Da mit ist die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungs anspruches ausgeschlosien. V. Die Beleidigung ist Antragsdelikt (StGB. §. 194). Rücknahme des Antrages zulässig. Antragsberechtigt im Falle deS §. 189 (oben II 5) sind die Eltern, Kinder und der Ehegatte des Verstorbenen; im übrigen gelten die allgemeinen Regeln (oben §. 31 II 1). Ueber das selbständige AntragSrecht des Vaters und Ehemannes im Falle deS §. 195 StGB.'S, sowie des Amtsvorgesetzten im Falle des §. 196 vgl. oben §. 61 HI 1 und 2. Nicht Antrags-, sondern Er mächtigungsdelikt (oben §. 30 III 2) ist die Beleidigung (StGB. §. 197), wenn dieselbe begangen worden ist gegen eine gesetzgebende Versammlung deS Reichs oder eines Bundesstaats oder gegen eine andere politische Körperschaft. Die Modifikationen'der Antragsfrist bei wechselseitigen Beleidigungen siehe oben §. 61 IIL VI. Retorsion (§. 199 StGB.). Wenn eine Beleidi gung auf der Stelle erwidert wird, so kann der Richter beide Beleidiger oder einen derselben für straffrei erklären. Vgl. auch hier das oben §. 61 V Gesagte.
12 ES handelt sich hier nicht um eine solche des Beweisum eine Beschränkung der freien thema's (der beweispflichtigen Beweis Würdigung, sondern oder beweisfähigen Thatsachen).
328
Erstes Buch. V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter.
VII. Neben der Buße kennt das Gesetz (StGB. §. 200) bei der Beleidigung noch zwei andere Formen der Privat Genugthuung (oben §. 42 II 2), die an Stelle der auf gehobenen Institute der Abbitte, des Widerrufes, der Ehren erklärung getreten sind: 1. Die Ausfertigung des Schuldurteiles an den Beleidigten auf Kosten des Verurteilten (obligatorisch in allen Fällen). 2. Die Befugnis der Beleidigten 13 *zur 15 öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung auf Kosten des Verurteilten. Diese ist zuzusprechen bei öffentlich oder durch Verbrei tung von Schriften, Darstellungen, Abbildungen" begangenen Beleidigungen. Art der Bekanntmachung und Frist zu der selben ist im Urteile zu bestimmen. Erfolgte die Beleidigung in einer Zeitung oder Zeitschrift, so ist der verfügende Teil des Urteils auf Antrag" des Beleidigten durch die öffentlichen Blätter bekannt zu machen, und zwar wenn möglich durch dieselbe Zeitung oder Zeitschrift und mit der selben Schrift, wie der Abdruck der Beleidigung geschehen?3 13 Auch den selbständig An tragsberechtigten (StGB. §. 195 und §. 196) ist diese Befugnis zuzusprechen: RGR. 18. Februar 1880, R I 360. " Ueber diese Begriffe siehe oben S. 323. 15 Der Antrag kann auch im
Vollstreckungsverfahren gestellt werden. 16 Es bedarf keiner Festsetzung dieser besonderen Art der Be kanntmachung tut Urteile: RGR. 14. April 1880, R I 598. Vgl. im Uebrigen LiSzt Preßrecht §. 27 III.
Die übrigen Verletzungen immaterieller Rechtsgüter, g. 81.
ZZg
2t g. 81»
Die übrigen Verletzungen immaterieller Nrchtsgüter.
L Die Störung der Rechtssicherheit deS Einzelnen (seines Vertrauens auf ungeschmälerten Genuß der ihm zu stehenden Rechtsgüter) durch Bedrohung mit der Be gehung eines unmittelbar oder mittelbar gegen ihn ge richteten Verbrechens (StGB. §. 241).1 * *Zur 4 Vollendung ist Kenntnisnahme des Bedrohten' und thatsächlich er folgte Störung in seiner Rechtssicherheit' erforderlich; sollte es daran fehlen, so läge nur (strafloser) Versuch vor. Vgl. über Drohung im übrigen das oben §. 63 S. 251 Gesagte. Strafe: Gefängnis bis zu 6 Monaten, oder Geldstrafe bis zu 300 Mark. II. Verletzung deS Hausrechtes, das ist deS recht lich geschützten Jntereffes an ungestörter Bethätigung des eigenen Willens in der eigenen Wohnung, durch Hausfriedens bruchs (StGB. §§. 123 und 124). Als die Objekte, auf welche das Hausrecht sich erstreckt, nennt das Gesetz: die Wohnung, die Geschäftsräume, "das befriedete'. Besitztum deS Einzelnen; es stellt ihnen gleich: abge schlossene' Räume, die zum öffentlichen Dienste bestimmt sind. 1 Lit. bei Meyer S. 536 Note 1. 1 Ebenso RGR. 15. Novem ber 1879, R I 73. a Dagegen RGR. 15. No vember 1879, R I 73. 4 Lit. bei Meyer S. 537 Note 1.
6 Nicht abgeschlossene, sondern als von dem HauSrechte ergriffen bezeichnete Räume: RGR. 6. Avril 1880, E I 547. 6 Begriff oben §. 64 bei Note 14.
330
Erstes Buch.
V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter.
Das Hausrecht steht dem Inhaber der Wohnung, bez.
seinen Stellvertretern zu;
bei Räumen,
Treppen, Dorräume u. dgl.
welche wie Flure,
zur Benutzung der Inhaber
mehrerer Wohnungen bestimmt sind, jedem von diesenbe züglich der öffentlichen Räume demjenigen, der über diese ju
verfügen berechtigt ist. Die Fälle des Hausfriedensbruches.
1. Der einfache Hausfriedensbruch (StGB.
§. 123
1. Abs.) begangen entweder a) durch widerrechtliches (oben §. 28 II)7 8 Eindringen
in die genannten Räume; oder b) dadurch, daß derjenige, der in solchen Räumen ohne
Befugnis verweilt, sich trotz Aufforderung des Berech
tigten nicht entfernt.9 Antragsdelikt.
Antragsberechtigt ist.der Träger des
Hausrechtes; und zwar auch dann, wenn er in der Person seines Stellvertreters in seinem Hausrechte verletzt worden ist. Strafe: Gefängnis bis zu 3 Monaten oder Geldstrafe bis zu 300 Mark.
2. Qualifizierter
Fall (StGB. §. 123 3. Abs.);
vorliegend, wenn eine der unter 1 angeführten Handlungen von einer mit Waffen versehenen (vgl. oben §. 64II2c)
Person oder von
Mehreren
gemeinschaftlich
(oben
§. 61 Note 5) begangen wird. 7 RGR. 3. November 1879, R I 33; 10. Dezember 1879, E I 121, R I 138. 8 Ueberschreitung einer gegebe nen Berechtigung hat die Wider rechtlichkeit deS Plus zur Folge: RGR. 24. November 1879, E I 21, R I 92.
9 Kündigung der Wohnung, des Dienstes usw. macht das Verweilen in den bisher inne gehabten Räumen nicht notwen dig zu einem widerrechtlichen: RGR. 24. Februar 1880, E I 222; 27. Aptil 1880, E I 398.
Die übrigen Verletzungen immaterieller Rechtsgüter. §♦ 81.
331
Von Amtswegen zu verfolgen. Strafe: Gefängnis von
einer Woche bis zu einem Jahre. 3.
Hausfriedensbruch
Gewaltsamer
(StGB.
Wenn sich eine Menschenmenge öffentlich zusammen
§. 124).
rottet und in der Absicht, Gewaltthätigkeiten gegen Personen oder Sachen mit vereinten Kräften zu begehen, in die oben
genannten Räume welcher
von
widerrechtlich
einem Monat
sammenrottung
Absicht
so
eindringt,
an diesen Handlungen teilnimmt,
bis
zu
zwei Jahren
Menschen
hervortretende,
bestraft. — Zu
außen
nach
zusammengehaltene,
Gruppe
räumliche
als
geschlossene
Vereinigung
mehrerer
E II 80, R II 5).
(vgl. RGN. 1. Juni 1880,
erfolgt die Zusammenrottung,
Oeffentlich
jeder,
Gefängnis
gemeinsame rechtswidrige
durch
ist die
wird
mit
wenn der
Anschluß dem Publikum, also unbestimmt wie vielen und un
bestimmt welchen Personen, freisteht. Auf Seiten
des Teilnehmers
muß Vorsatz
vorliegen,
d. i. hier das Bewußtsein, Teil einer strafbare Zwecke ver
folgenden Zusammenrottung zu sein (RGR. 1. Juli 1880,
R II 150). 4. Ueber das Amtsdelikt des §. 342 StGB. vgl. unten §. 93 II 4 e. III. Verletzung
heimnisses
des
Brief-
(StGB. §♦ 299),
(oben §. 28 II)
Eröffnung
oder einer anderen Kenntnisnahme
des
und
begangen
eines
Urkundenge
durch
verschlossenen Urkunde,10 die
Thäters
unbefugte
verschlossenen Briefes
bestimmt
ist.
nicht zur
Erfolgte
oder
auch nur beabsichtigte Kenntnisnahme ist nicht erforderlich.
'o Urkunde hat hier nicht tech-! I 1), sondern nische Bedeutung (unten §. 89 | Schriftstück.
umfaßt jedes
332
Erstes Buch.
V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter.
Antragsdelikt; antragsberechtigt ist der Absender, solange er über die Sendung zu verfügen in der Lage ist; später
der Adressat. Gefängnis bis
Strafe: Geldstrafe bis zu 300 Mark oder
zu 3 Monaten.
Ueber das
Amtsdelikt
des §. 354 StGB. vgl. unten §. 93 II 10. IV. Unbefugte
(oben §. 28 II)
Privatgeheimnissen
Notare,
Verteidiger
durch
Offenbarung
Rechtsanwälte,
in Strafsachen,
von
Advokaten,
Aerzte,
Wundärzte,
Hebammen, Apotheker, sowie die Gehülfen dieser Personen,
wenn ihnen diese Geheimnisse kraft ihres Amtes, Standes
oder Gewerbes anvertraut sind (StGB. §. 300).
Vorsatz
erforderlich." Antragsdelikt; antragsberechtigt ist der jenige, dessen Geheimnis in Frage steht, d. h. derjenige, der das Geheimnis anvertraut hat, oder, wenn es an einem
solchen fehlt, derjenige, den es betrifft.
Strafe: Geldstrafe bis zu 1500 Mark oder Gefängnis bis zu 3 Monaten.
11 nügen.
Bestritten; auch Fahrlässigkeit soll nach
Manchen ge
Zweites Buch.
Strafbare Handlungen gegen rechtlich ge schützte Interessen des Publikums. I. Die gemeingefährlichen Delikte Les Strafgesetz
buches.
§. 62. Allgemeines. Brandstiftung und Aebrrfchwemmung. I. Das scheinbar charakteristische Merkmal dieser Gmppe, die durch die hieher gehörigen Delikte herbeigeführte Ge fährdung von Leib, Leben, Eigentum des Publi kums kommt auch anderen strafbaren Handlungen zu. Dem nach empfiehlt es sich auS praktischen Gründen, die Bezeich nung „gemeingefährliche Delikte" auf die im 27. Abschnitt des StGB.'S enthaltenen Fälle zu beschränken. Jenes Merkmal erfordert im Einzelnen: 1. Gefährdung, d. i. (in dem oben entwickelten Sinne) die Herbeiführung eines Zustandes, der nach unserer Erfah rung in der Mehrzahl der Fälle zu dem rechtswidrigen Erfolge führt. 2. Gefährdung von Leib, Leben, Eigentum; nicht aber der übrigen privaten oder öffentlichen Rechtsgüter. Es entspricht dem gewöhnlichen Sprachgebrauche der Gesetzgebung nicht, z. B. auch die Preß-Delikte als gemeingefährliche zu bezeichnen.
334
Zweites Buch. I. Die gemeingefährlichen Delikte im e. S.
3. Gemeingefährdung, d. i. Herbeiführung eines Zu standes, in welchem nicht ein einzelner Träger der genannten Rechtsgüter, oder mehrere, nach Zahl und Individualität bestimmte Trager derselben, sondern das Publikum, die Oeffentlichkeit, ein nach Zahl und Individualität nicht ab geschlossener Personenkreis, als gefährdet erscheint. Darum gehört insbesondere die rechtswidrige Entfeffelung der Natur kräfte, deren Wirkung jeder Berechnung wie jeder Beherr schung spottet, die der Thäter, hat er sie einmal gerufen, nicht mehr bannen kann — in die Gruppe der gemeingefähr lichen Delikte. Das genannte Merkmal wird vom Gesetzgeber in ver schiedener Weise zur Bildung der einzelnen Deliktsbegriffe verwertet. a) In manchen Fällen ist der regelmäßige, wenn auch im konkreten Falle nicht gegebene, Charakter der Handlung für den Gesetzgeber maßgebend; dann ist die Gemeingefährlichkeit nicht Begriffsmerkmal. Bei spiel: Die Brandstiftung. b) In anderen Fällen hat der Gesetzgeber die Gemein gefährlichkeit, wie bei der Ueberschwemmung, zum Be griffsmerkmal erhoben, und somit ihr Vorliegen im konkreten Falle zur Bedingung für den Eintritt der Strafbarkeit gemacht. c) Endlich finden sich Fälle — ein Beispiel bietet §. 323 StGB., — in welchen die regelmäßige Gemein gefährlichkeit genügt, die konkrete Handlung also diese Eigenschaft nicht an sich zu tragen braucht, wohl aber die Gefährdung eines oder mehrerer Einzelner (nicht Gemeingesährdung) Bedingung der Straf barkeit ist.
Allgemeines. Brandstiftung u. Ueberschwemmung. §. 82. 335
Bei der Handhabung der einzelnen Deliktsbegriffe ist diese verschiedene Verwertung des Merkmals der Gemein gefährlichkeit wohl inS Auge zu fasten.
IL Den ersten Rang unter den gemeingefährlichen De likten nimmt die Brandstiftung' ein. Sie unterscheidet sich durch ihre Gemeingefährlichkeit von der Sachbeschädi gung. Aber nicht jede im konkreten Falle gemeingefährliche Sachbeschädigung durch Brandlegung ist Brandstiftung int Sinne des Gesetzgebers; dieser hat vielmehr die Fälle der gemeingefährlichen Brandstiftung ausschließend aufgezählt, und damit die Untersuchung nach dem Vorliegen jenes Merk males im Einzelfalle einfürallemale abgeschnitten. Die Brandstiftung ist vollendet, sobald nicht nur der Zündstoff oder ein Teil deS Brandobjektes in Brand gesetzt, sondern das Feuer ausgebrochen, d. h. ein solcher Brand entstanden ist, der die Gefahr eines wenigstens teilweisen Ab brennens in sich schließt, und erhöhte Kraftanstrengung, sowie fremde Hülfe zur Bewältigung fordert.31 * Die thätige Reue (oben §. 57 III) ist als Strafauf hebungsgrund anerkannt (StGB. §. 310). Sie liegt vor, wenn der Thäter, fei es auch durch Herbeirufung fremder Hülfet den Brand wieder gelöscht hat, bevor derselbe ent deckt^ und ein weiterer als der durch die bloße Inbrand setzung bewirkte Schade entstanden ist. 1 Lit. bei Meyer S. 555 Note 1. Dazu Ullmann GS. XXX; Wanjek GS. XXX; John HR. „Brandstiftung". » RGR. 3. Mai 1880, E I .375, R I 720.
3 RGR. 3. Mai 1880, E I 375, R I 720. 4 Nach derselben RGR. ist Entdeckung nicht anzunehmen, wenn nur der zur Hülfeleistung Herbeigerusene allein die Brand stiftung wahrgenommen hat.
336
Zweites Buch. I. Die gemeingefährlichen Delikte im e. S.
Fälle der Brandstiftung. A. Vorsätzliche.
1. Mit (abstrakter) Gemeingefahr für das Leben. a) Einfacher Fall (StGB. §. 306): wenn in Brand
gesetzt wird: 1.
Ein
zu
gottesdienstlichen
Versammlungen
be
stimmtes Gebäude;
2. ein Gebäude, ein Schiff oder eine Hütte, welche zur Wohnung von Menschen dienen; 3.
eine Räumlichkeit, welche zeitweise zum Aufent halte von Menschen dient,
und zwar zu einer
Zeit, während welcher Menschen in derselben sich aufzuhallen pflegen.
Strafe: Zuchthaus. b) Qualifizierter Fall (StGB. tz. 307).
1.
Wenn der Brand den Tod eines Menschen da durch
verursacht (oben §. 61 II 1 c) hat,
daß
dieser zur Zeit der That in einer' der in Brand gesetzten Räumlichkeiten sich befand;
2.
wenn
die Brandstiftung
in der Absicht (gleich
treibendes Motiv, oben §. 28 III) begangen worden
ist, um unter Begünstigung derselben Mord oder
Raub zu begehen ober einen Aufruhr zu erregen; 3. wenn
der Brandstifter,
um
daL Löschen
des
Feuers zu verhindern oder zu erschweren, Lösch gerätschaften entfernt oder unbrauchbar gemacht
hat.
Strafe:
Zuchchaus
nicht unter 10 Jahren oder
lebenslängliches Zuchthaus.
2.
Mit (abstrakter) Gemeingefahr für Eigentum oder
Leben (StGB. §. 308); wenn Gebäude, Schiffe, Hütten,
Brandstiftung u. Ueberfchwemmung. §. 82,
Allgemeines.
337
Bergwerke, Magazine, Waarenvorräte, welche auf dazu be
stimmten öffentlichen Plätzen lagern, Vorräte von landwirt schaftliche»
Erzeugnissen ‘
oder
von
Bau-
oder
Brenn
materialien, Früchte auf dem Felde, Waldungen oder Torf moore in Brand gesetzt werden, und diese Gegenstände ent
weder a) fremdes Eigentum sind, oder b) zwar dem Brand stifter eigentümlich gehören, jedoch ihrer Beschaffenheit und Lage nach geeignet sind,
daS Feuer
einer der im §. 306
Nr. 1 — 3 bezeichneten Räumlichkeiten oder einem der vor stehend bezeichneten fremden Gegenstände mitzuteilen.
Strafe:
Zuchthaus bis zu 10 Jahren, bei mildernden
Umständen Gefängnis nicht unter 6 Monaten.
Fahrlässige Brandstiftung (StGB. §. 309), wenn
B.
an einem der in den §§. 306 und 308 bezeichneten Gegen
stände begangen.
Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre,
oder Geldstrafe bis zu 900 Mark; wenn durch den Brand
der Tod eines Menschen verursacht worden, Gefängnis von
einem Monate bis zu 3 Jahren. Neben Zuchthaus kann in allen Fällen der Brandstiftung
auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (StGB. §. 325).
C.
Der Brandstiftung ist gleichgestellt (StGB. §. 311)
die gänzliche oder teilweise Zerstörung einer Sache durch den
Gebrauch von Pulver
oder anderen explodierenden
Stoffen.
HI.
Die
Herbeiführnng
einer
Ueberschwem-
mun g/ l) Düngerhaufen gehören we gen der eingeketenen Verände rung der ursprüiwlichen Bestand teile derselben (Stroh usw.) nicht von Liszt, Strafrecht.
hieher; RGR. 19. Juni 1880,
6 Wanjek GS. XXXI.
Zweites Buch. I. Die gemeingefährlichen Delitte im e. S.
338 1.
Vorsätzliche.
a) Mit Gemeingefahr (jm konkreten Fall) für Menschen
leben (StGB. tz. 312).
Strafe:
Zuchthaus
nicht
unter 3 Jahren; wenn der Tod eines Menschen ver
ursacht (oben tz.61 II 1 c) worden, Zuchthaus nicht unter 10 Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. b) Mit
Gemeingefahr
(im
konkreten
Eigentum (StGB. 8- 313).
Falle)
Strafe:
für
daS
Zuchthaus;
wenn die Absicht des Thäters nur auf Schutz seines
Eigentums gerichtet gewesen (vgl. oben 8» 24 II 2), Gefängnis nicht unter einem Jahre.
2. Fahrlässige (StGB. 8» 314) Ueberschwemmung mit konkreter Gemeingefahr für Leben oder Eigentum. Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre; wenn der Tod eines Men
schen verursacht worden, Gefängnis von einem Monate bis zu 3 Jahren.
Neben Zuchthaus kgnn auf Polizeiaufsicht erkannt werden
(StGB. 8- 325).
8- 83.
Fortsetzung.
Dir übrigen gemeingefährlichen Delikte des Strafgesetzbuches.
I.
Gefährdung des
Eisenbahn - Transportes*
(StGB. 8§» 315 und 316) durch Beschädigung von Eisen
bahnanlagen, Beförderungsmitteln oder sonstigem Zubehör,
durch Bereitung
von Hinderniffen
mittels
falscher
Zeichen
oder Signale oder auf andere Weise (Gemeingefahr in ab
stracto).
1 Begriff oben §. 64 II 2 d.
Fortsetzung. Die übrigen gemeingefährl. Delitte. g. 83.
ZZg
1. Vorsätzlich begangen (§. 315). Strafe: Zuchthaus bis zu 10 Jahren; bei Verursachung (oben K. 61 II 1 c) einer schweren Körperverletzung (StGB. §. 224) Zuchthaus nicht unter 5 Jahren; bei Verursachung des Todes nicht unter 10 Jahren oder lebenslänglich. Polizeiaufsicht kann erkannt werden (§. 325). 2. Fahrlässig begangen (§. 316). Strafe: Ge fängnis bis zu einem Jahre; bei Verursachung des Todes Gefängnis von einem Monate bis zu 3 Jahren. 3. Die unter 2 bezeichnete Strafe trifft die zur Leitung der Eisenbahnfahrten und zur Aufsicht über Bahn und Be förderungsbetrieb Angestellten Personen, wenn sie durch Vernachlässigung der ihnen obliegenden Pflichten* einen Transport in Gefahr setzen. II. Verhinderung oder Störung der Benutzung einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Tele graphenanstalt (Gemeingefahr in abstracto). 1. Vorsätzlich begangen (StGB. Z. 317). Strafe: Gefängnis von einem Monate bis zu 3 Jahren. 2. Fahrlässig begangen (§. 318). Strafe: Ge fängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu 900 Mark. 3. Die zu 2 bezeichnete Strafe trifft die zur Beauf sichtigung und Bedienung der Telegraphenanstalten und ihrer Zubehörungen angestellten Personen, wenn sie durch Pflichtvernachlässigung die Benutzung der Anstalt verhindern oder stören. Zu I und II. Die wegen einer der angeführten Handlungen verurteilten
* Also auch, wenn nicht durch Beschädigung von Eisenbahnanlagen usw.
340
Zweites Buch. I. Die gemeingefährlichen Delikte im e. S.
Angestellten (I 3 und II 3) können zugleich für unfähig zu
einer Beschäftigung im Eisenbahn- oder Telegraphendienste oder in bestimmten Zweigen
dieser Dienste erklärt
werden
(StGB. §. 319): Die
Vorsteher
der
oder
Eisenbahngesellschast
Tele
graphenanstalt, welche nicht sofort nach Mitteilung des rechts kräftigen Erkenntnisses die Entfernung des Verurteilten bewir
ken, werden mit Geldstrafe bis zu 300 Mark oder Gefängnis bis
zu 3 Monaten bestraft.
Gleiche Strafe trifft den für unfähig
Erklärten, der sich nachher wieder anstellen läßt, sowie
diejenigen, die ihn trotz Kenntnis der Unfähigkeitserklärung wieder angestellt haben.
III.
von Wasser
Zerstörung oder Befchädigung
leitungen, Schleusen, Wehren, Deichen, Dämmen oder anderen
Wasserbauten;
wehren;
von
Wetterftihrung, Störung
von
Brücken, Fähren, Wegen,
Bergwerksvorrichtungen zum
des
Ein-
zur
Ausfahren
und
Fahrwassers
in
Schutz
Wasserhaltung,
der
schiffbaren
Arbeiter;
Strömen,
Flüssen oder Kanälen: wenn dadurch Gefahr für Leben oder Gesundheit Anderer herbeigeführt wurde (Gefähr dung, wenn
auch nicht Gemeingefährdung
im konkreten
Fall erforderlich).
1. Vorsätzlich begangen (StGB. tz. 321).
Strafe:
Gefängnis nicht unter 3 Monaten; bei Verursachung einer
schweren
Körperverletzung
(StGB. §. 224) Zuchthaus
bis
zu 5 Jahren; des Todes, Zuchthaus nicht unter 5 Jahren.
Neben Zuchthaus Polizeiaufsicht fakultativ (§. 325).
2. Fahrlässig
begangen
(§. 326).
Strafe:
Bei
Verursachung eines Schadens, Gefängnis bis zu einem Jahre;
bei Verursachung des Todes, Gefängnis von einem Monat bis zu 3 Jahren.
Fortsetzung. Die übrigen gemeingefährl. Delikte. §. 83.
341
IV. Strafbare Handlungen an zur Sicherung der
Schiffahrt bestimmten Feuerzeichen oder anderen zu diesem Zwecke aufgestellten Zeichen; und zwar
Zerstören,
Wegschaffen,
Unbrauchbarmachen,
Auslöschen,
dienstpflichtwidriges Nicht-Aufstellen; Aufstellen eines falschen
Zeichens, welches geeignet ist, die Schiffahrt unsicher zu
machen; insbesondere nächtliches Anzünden von Feuer auf
der Strandhöhe, welches die Schiffahrt zu gefährden geeignet ist (abstrakte Gemeingefährdung genügt).
1. Vorsätzlich begangen (StGB. §. 322).
Strafe:
Zuchthaus bis zu 10 Jahren; bei Verursachung der Stran
dung eines Schiffes, Zuchthaus nicht unter 5 Jahren; des Todes eines Menschen, Zuchthaus nicht unter 10 Jahren
oder lebenslängliches Zuchthaus.
Polizeiaufsicht fakultativ
(§. 325).
2. Fahrlässig begangen (§.326).
Strafe: wie oben
zu UI 2.
V. Bewirkung deS eines Schiffes,
Strandens
oder
Sinkens
wenn dadurch Gefahr für das Leben
eines anderen herbeigeführt wird (konkrete Gefährdung, nicht aber Gemeingefährdung erforderlich).
1. Vorsätzlich begangen Zuchthaus nicht unter 5
(StGB. §.323).
Strafe:
Jahren; bei Verursachung des
Todes eines Menschen, Zuchthaus nicht unter 10 Jahren
oder
lebenslängliches Zuchthaus.
Polizeiaufsicht
fakultativ
(§. 325).
2. Fahrlässig begangen (§. 326).
Strafe wie oben
zu III 2. VI. Vergiftung von Brunnen oder Wasserbe hältern, die zum Gebrauche Anderer dienen; Vergiftung
von Gegenständen,
welche zum öffentlichen Verkaufe oder
342
Zweites Buch.
I. Die gemeingefährlichen Delikte im e. S.
Verbrauche bestimmt sind,
oder Beimischung
von Stoffen,
von welchen dem Thäter bekannt ist, daß sie die menschliche Gesundheit zu zerstören
geeignet
sind;
wissentliches
Ver
kaufen, Feilhalten, Jn-Verkehr-Bringen solcher vergifteter oder mit gefährlichen Stoffen vermischter Sachen mit Verschwei
gung dieser Eigenschaft.3
(Abstrakte Gemeingefährdung ge
nügt).
1. Vorsätzlich begangen (StGB. tz. 324).
Strafe:
Zuchthaus bis zu 10 Jahren; bei Verursachung des TodeS Zuchthaus nicht unter 10 Jahren oder lebenslänglich Zucht
haus.
Polizeiaufsicht fakultativ (§. 325).
2. Fahrlässig begangen (§.326).
Strafe: wie oben
III 2.
VII.
Verletzung
der
zur
Verhütung
von
an
steckenden Krankheiten oder Viehseuchen getroffe
nen
(StGB. §. 327
Vorsichtsmaßregeln
und
328).
Siehe darüber unten §. 107 I und II.
VIII.
Nichterfüllung
(oder Erfüllung nicht zur be
stimmten Zeit oder nicht in der vorbedungenen Weise) von
mit einer Behörde geschlossenen Lieferungsver trägen: a) über Bedürfnisse des Heeres oder der Marine zur Zeit
eines Krieges; oder b) über
Lebensmittel
zur Abwendung
oder
Beseitigung
eines Notstandes (StGB. §. 329; abstrakte Gemein gefährlichkeit genügt).
1. Vorsätzlich
begangen.
Strafe:
Gefängnis nicht
unter 6 Monaten; Ehrverlust fakultativ.
s Vgl. Nahrungsmittelgesetz wisse Gegenstände, und geht im nächsten §. Dieses ist somit dem §. 324 StGB. "vor. Spezialgesetz mit Bezug auf ge
Übertretungen des Nahrungsmittel-Gesetzes.
343
Strafe: wenn durch die
2. Fahrlässig begangen.
Handlung ein Schaden verursacht worden, Gefängnis bis zu
2 Jahren. Dieselben Strafen finden auch gegen Unterlieferanten,
Vermittler und
Bevollmächtigte des Lieferanteu
Anwendung, welche mit Kenntnis deS Zweckes der Lieferung die Nichterfüllung vorsätzlich oder fahrlässig verursachen.
IX. Verletzung der allgemein anerkannten Re geln
der Baukunst bei Leitung oder Ausführung eines
Baues, wenn dadurch für andere eine (nicht notwendig ge
meine) Gefahr entsteht (StGB. §. 330).
Strafe: Geldstrafe bis zu 900 Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre.
II. Alebertretungeu des Gesetzes vom 14. Mai 1879, betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genuß mitteln, Gebrauchsgegenständen? §. 84. Das Gesetz Genußmittel,
bezieht sich (§. 1) auf NahrungS- und
sowie
auf
Spielwaren,
Tapeten,
Farben, Eß-, Trink- und Kochgeschirr und Petro leum,
und schließt sich mit dem schwersten von ihm mit
Strafe bedrohten Falle unmittelbar an den Thatbestand des
§. 324 StGB. an.
1 Außer den oben §. 9 Nr. 50 anzeführten Kommentaren zu vgl. v. Schwarze GS. XXXI (drselbst S. 83 Lit.); Liebreich Bemerkungen 1879; Hof
mann in der deutschen Viertel für öffentliche Ge»ge XI. Die Ma terialien in GA. XXVII.
344
Zweites Buch.
II. Uebertretungen d. Nahrungsmittel-Ges.
1. Der Verkehr, mit den genannten Gegenständen ist der Beaufsichtigung
staatlichen
unterstellt
(§§. 1—4),
Widerstand gegen dieselbe (Verweigerung des Eintrittes in
die Geschäftsräumlichkeiten, der Entnahme von Proben, der Revision gegenüber den zuständigen Polizeibeamten) unterliegt (§. 9) einer Geldstrafe von 50—150 Mark oder der Strafe
Ueberdies ist dem Kaiser (mit Zustimmung des
der Hast.
Bundesrates) ein weitgehendes Verordnungsrecht zum
Schutze
dessen
der
Gesundheit
Herstellung,
Verwendung
eingeräumt (§§. 5—7), kraft
Austewahrung,
gewisier
Verpackung,
Gegenstände verboten
Verkauf,
werden
kann.
Uebertretung dieser Verordnungen wird mit Geldstrafe bis zu 150 Mark oder mit Haft bestraft (§. 8).
II.
1. Die Nachmachung oder Verfälschung von zum Zwecke
NahrungS- oder Genußmitteln
der Täuschung
im Handel und Verkehr; 2. Das
Verkaufen
von
verdorbenen,
nachge
machten, verfälschten NahrungS- oder Genußmitteln unter
Verschweigung dieses Umstandes,
sowie daS Feilhalten der
selben unter einer zur Täuschung geeigneten Bezeichnung wird (§. 10) mit Gefängnis bis zu 6 Monaten und
Geldstrafe bis zu 1500 Mark, oder mit einer dieser Strafen; die fahrlässige Begehung der unter 2 be zeichneten Handlungen aber (§. 11) mit Geldstrafe bis zu
150 Mark oder mit Hast bestraft.
HI.
1. Herstellung von Gegenständen, welche bestimmt
sind, Anderen als NahrungS- oder Genußmittel zu dienen,
in
solcher
Weise,
baß
der
1 Nicht übermäßige. Ent spricht Genuß einer größeren Menge, oder wiederholter Genuß
(bestimmungsgemaße)-
Genuß
der Bestimmung und Natur deS Gegenstandes, so ist der straf bare Thatbestand gegeben, auch
Uebertretungrn des NahmngSmittel-GesetzeS.
345
derselben die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet
sowie das Verkaufen,
Feilhälten, Jn-Berkehr-
Bringen von Gegenständen,
deren Genuß die menschliche
ist;
Gesundheit zu beschädigen geeignet ist, als NahrungS- oder Genußmittel;
2. Die Herstellung von Bekleidungsgegenständen, Spiel waren, Tapeten, Eß-, Trink- und Kochgeschirr oder Petro-
leum in
einer solchen Weise,
daß der bestimmungSgemäße
oder vorauSzusehende Gebrauch derselben die menschliche Ge sundheit zu beschädigen geeignet ist; sowie daS Verkaufen,
Feilhalten, Jn-Berkehr-Bringen solcher Gegenstände. Strafe:
a) Vorsätzliche Begehung. a)
Einfacher Fall (§. 12): Gefängnis mit fakulta
tivem Ehrverlust.
strafbar.
Versuch
Bei Ver
ursachung einer schweren Körperverletzung (StGB.
§. 224) oder deS TodeS, Zuchthaus bis zu fünf
Jahren.
ß) Schwerer Fall (§. 13),
vorliegend, wenn
der
Genuß oder Gebrauch der genannten Gegenstände,
die menschliche Gesundheit zu zerstören geeignet, und diese Eigenschaft
bekannt war.
dem Thäter
Zuchthaus bis zu 10 Jahren; bei Verursachung deS
Todes > Zuchthaus
nicht
unter
oder lebenslängliches Zuchthaus.
10 Jahren
Polizeiaufsicht
fakultativ. b) Fahrlässige Begehung (§. 14).
Geldstrafe bis zu
1000 Mark oder Gefängnis bis zu 6 Monaten; bei
wem ter nur einmalige Genuß I Gefahr nicht herbeiführt (RGR. einer geringeren Menge eine | 9. Juni 1880, E II 178).
346
Zweites Buch. HI. Delikte gegen den öffentlichen Frieden. Verursachung eines Schadens an der Gesundheit eines
Menschen, Gefängnis bis zu einem Jahre; des Todes, Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren.
Einziehung der
Gegenstände ist in
fraglichen
den unter III behandelten Fällen
ob
ohne Unterschied
sie
dem Verurteilten gehören oder nicht (vgl. oben §. 42 III1 b) neben der Strafe obligatorisch, als objektive Maßregel (vgl.
oben §. 42 III 1 a)
(unter I und II)
In
fakultativ.
kann
neben
den
der Strafe
übrigen
auf
Fällen
Einziehung
erkannt werden (§. 15).
Die teilung
öffentliche (hier
Bekanntmachung
Nebenstrafe,
vgl.
oben
der
Verur
§. 44 I C) auf
Kosten der Schuldigen kann, die der Freisprechung auf Kosten der Staatskasie, bez. des Anzeigers, muß auf An trag der Freigesprochenen, angeordnet werden (§. 16).
Ueber
die
Verwendung
der
Geldstrafen
(§. 17)
vgl. oben §. 47 III.
III. Strafbare Handlungen gegen den öffentlichen Frieden? §. 85. I. Störung des öffentlichen Friedens durch Landzwang,
d. L durch Bedrohung mit einem gemeingefährlichen*
Ver
brechen (StGB. §. 126).31 * Vollendet, sobald die Bedrohung
zu öffentlicher Kenntnis gelangt ist. 1 ES handelt sich um dasselbe Rechtsgut, wie in dem oben §. 811 angeführten Falle: aber als Träger desselben erscheint hier nicht ein Einzelner oder eine Summe von solchen, son
dern das Publikum in dem uns bekannten Sinne. 1 StGB. 27. Abschnitt. 3 Lit. bei Meyer S. 605 Note 1.
Delikte gegen den öffentlichen Frieden,
347
ß. 85.
Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre. II. Landfriedensbruch (StGB. §. 125):* Teilnahme
an einer öffentlichen Zusammenrottung, wenn von der zu sammengerotteten Menschenmenge mit vereinten Kräften Ge waltthätigkeiten an Personen oder Sachen begangen werden.*
Der Unterschied bruch
von
dem
gewaltsamen HausfriedenS-
(StGB. §. 124; oben §. 81 II 3)
liegt in einem
Doppelten:
a) Beim Hausfriedensbruch,
nicht aber hier,
ist
Ein
dringen in fremde Wohnräume erforderlich;
genügt
b) Beim Hausfriedensbruch von
Gewaltthätigkeiten
gerichtete
die
auf Begehung
Absicht,
hier ist
wirkliche Begehung von solchen erforderlich. Strafe: Gefängnis nicht unter 3 Monaten; die Rä delsführer (vgl. oben §. 37 I 5) sowie diejenigen, welche
Gewaltthätigkeiten
geplündert,
gegen Personen
vernichtet
begangen oder Sachen
oder zerstört haben, trifft Zuchthaus
bis zu 10 Jahren mit fakultativer Stellung unter Polizei-
aufficht,
bei mildernden Umständen Gefängnis
nicht unter
H Monaten. III. Ansammeln von Waffen und Streitkräften.
Sttafbar ist: a) Wer unbefugter Weise einen bewaffneten Haufen bildet oder befehligt,
oder
eine
Mannschaft,
von
der
er
weiß, daß sie ohne gesetzliche Befugnis gesammelt ist, mit Waffen oder Kriegsbedürfnissen versieht (StGB.
§. 127 Abs. 1).
Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren.
b) Wer sich einem solchen bewaffneten Haufen anschließt
‘ Lit. bei Meyer S. 602 I 6 Ueber den Begriff der ZuNüe 1. I sammenrottung {.oben §. 81II3.
348
Zweites Buch.
III. Delikte gegen den öffentlichen Frieden.
(StGB. §. 127 Abs. 2); Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre; c) wer außerhalb seines Gewerbebetriebes heimlich oder
wider das Verbot der Behörde Vorräte von Waffen
oder Schießbedarf aufsammelt (StGB. §. 360 Ziff. 2);
Strafe:
Geldstrafe
bis
zu 150 Mark oder Haft.
Einziehung zulässig, ohne Rücksicht darauf, ob die Gegenstände dem Verurteilten gehören oder nicht (vgl. oben §. 50 II).
IV. Gefährdung des öffentlichen Friedens durch öffent
liche
Anreizung verschiedener
Klaffen
der Bevölkerung,
d. i. verschiedener durch gemeinsame Jntereffen mit einander
verbundener und von anderen deutlich abgegrenzter Personen
kreise/ zu Gewaltthätigkeiten gegen einander (StGB. §. 130).6 7
Strafe: Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Gefängnis
bis zu 2 Jahren. V. Gefährdung
des
öffentlichen Friedens
durch Miß
brauch der geistlichen Stellung (in Ausübung oder in Veranlaffung der Ausübung des Berufes als Religionsdiener); begangen (StGB. §. 130 a)
1.® durch a) öffentlich vor einer Menschenmenge, oder
b) in einer Kirche oder einem anderen zu religiösen Ver sammlungen bestimmten Orte vor Mehreren
6 Z. B. die Bourgeoisie, die Infallibilisten, die Nationallibe ralen, die Großgrundbesitzer usw. 7 Lit. bei Meyer S. 607 Note 3.
8 Erster Abs. des sog. Kanzelparaqraphen, ausgenommen durch Gesetz vom 10. Dezember 1871.
Delikte gegen andere Interessen des Publikums. §♦ 86. erfolgende Verkündigung
oder Erörterung
349
von Angelegen
heiten des Staates;
2.9 durch Ausgabe oder Verbreitung von Schriftstücken, in welchen
solche Angelegenheiten
zum Gegenstände einer
Verkündigung oder Erörterung gemacht sind. Strafe (zu 1 und 2): Gefängnis oder Festungshaft bis
zu 2 Jahren.
IV.
Andere gegen die Interessen des Publikums
gerichtete strafbare Handlungen. 86. I. Die geschäftsmäßige (Begriff oben §. 39 II 3b)
Verleitung
von
Deutschen
zur
Auswanderung
unter Vorspiegelung falscher Thatsachen (Begriff oben §. 73
I 2) oder mit wissentlich unbegründeten Angaben oder durch andere auf Täuschung
berechnete Mittel (StGB. §. 144).
Strafe: Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren.
Wie aus der Fassung des §. 144 (Geschäftsmäßigkeit; Deutsche im Plural) sowie aus
seiner
Stellung im Systeme des
StGB. (Verletzung der öffentlichen Ordnung) zur Genüge hervorgeht,
haben wir
es mit einem gegen das Publikum
und nicht mit einem gegen den Einzelnen gerichteten Delikte
zu thun. II. Es gehört hieher ferner eine große Anzahl der im
letzten (29.) Abschnitte des Reichsstrafgesetzbuches enthaltenen Uebertretungen.
So tz. 360 Ziff. 10: verweigerte Hülfeleistung bei Un-
9 Zweiter Abs., ausgenommen durch die Novelle vom 26. Fe bruar 1876.
350 Zweites Buch. IV. Delikte geg. and. Interessen d. Publikums.
glücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not (dazu Stran
dungsordnung vom 17. Mai 1874 §. 9). §. 360 Ziff. 11: ruhestörender Lärm und grober Unfug;'
§. 360 Ziff. 13: Tierquälerei. §.361: Uebertretung der in Folge der Stellung unter
Polizeiaufsicht auferlegten Beschränkungen;8 Rückkehr Ausge-
roiefcner;3* *Landstreicherei, Bettelei, Spiel, Trunk, Müssiggang; Prostitution;4 Arbeitsscheu; Unterstandslosigkeit;8 Nichtabhal-
tung der Gewaltuntergebenen von der Begehung von Dieb stählen und gewissen anderen Delikten;3
§. 365: Ueberschreitung der Polizeistunde;
§.366 Ziff. 1: Verletzung der Sonntagsfeier;
§. 366 Ziff. 2—9: und
Reiten;
Hunden;
schnelles und unvorsichtiges Fahren
Nichtbeaufsichtigen
Werfen
von
Steinen;
von
Tieren;
Hetzen
von
unvorsichtiges Aufhängen,
Aufstellen, Ausgießen, Auswerfen, Liegenlassen; §. 366 Ziff. 10:
Verletzung
der
zur
Erhaltung
von
Sicherheit, Bequemlichkeit, Reinlichkeit, Ruhe an öffentlichen
Orten erlassenen Anordnungen; §. 366 a:
Uebertretung
der zum Schutze
der Dünen,
Fluß- und Meeresufer erlassenen Verordnungen; §.367: vorzeitige oder heimliche Beerdigung von Leich' Daß hier öffentliche Inter« essen, nicht solche einzelner Per sonen oder individuell begrenzter Personenkreise in Frage stehen, betont RGR. 27. April 1880, E I 400, R I 677. 1 Vgl. oben §. 49 I. 8 Vgl. oben §. 49 II. 4 Daß es sich hier im Sinne der Reichsgesetzaebung um den Schutz der Gesundheit, der
öffentlichen Ordnung, des öffent lichen Anstandes, nicht aber um den der Sittlichkeit handelt, sollte der Fassung deö §. 361 Ziff. 6 gegenüber nicht bezwei felt werden. 6 Ueber das in den Fällen deS §. 361 Nr. 3-8 zulässige Arbeitshaus vgl. §. 49 II. 6) Vgl. oben §. 26 I 1.
Delikte gegen andere Interessen des Publikums, g. 86.
351
namen; unbefugter Handel mit Gift; unbefugte Zubereitung
von explodierenden Stoffen; Unvorsichtigkeit bei Zubereitung, Aufbewahrung, Verkauf von Giftwaren, Schießpulver u. dgl., beim Legen von Selbstgeschoffen, Gebrauch von Feuergewehr;
unbefugtes Führen von Waffen; unbefugtes oder unvorsich tiges Halten wilder oder bösartiger Tiere; Unvorsichtigkeit in
Bezug auf Brunnen, Keller, Gebäude und dgl. §. 368: Nicht-Schließung der Weinberge;
Unterlassung
deS Raupens; Unvorsichtigkeit in Bezug auf feuergefährliche Gegenstände und Anlagen; unberechtigtes Betreten ftemder
Gärten, Weinberge, Wiesen, Aecker usw.
8. 369 Ziff. 1: unbefugtes Anfertigen von Schlüsseln, Verabfolgen von Nachschlüsseln oder Dietrichen; §.369 Ziff. 3: Uebertretung der Vorschriften über An legung, Verwahrung, Benützung von Feuerstätten durch in
Feuer arbeitende Gewerbetreibende.
Drittes Buch. Strafbare Hau-lungen gegen „unetgentllche" Nechtsgüter (durch die Art des Angriffes charakterisierte Delikte). I. Strafbare Handlungen an Geld.' 8.87. I. Begriff. DaS Angriffsobjekt für die hieher gehörigen Delikte bilden: 1. Geld; und zwar Metallgeld wie Papiergeld; in ländisches wie ausländisches Geld (StGB. §. 146); 2. die im StGB. §. 149 angeführten geldvertretenden Wertzeichen; nämlich auf den Inhaber lautende Schuld verschreibungen, Banknoten, Aktien oder deren Stelle ver tretende JnterimSscheine oder Quittungen, sowie die zu diesen Papieren gehörenden ZinS-, Gewinnanteils- oder Erneuerungs scheine (Coupons und TalonS); wenn von dem Reich, dem norddeutschen Bunde, einem Bundesstaate oder fremden Staate oder von einer zur Ausgabe solcher Papiere be rechtigten Gemeinde, Korporation, Gesellschaft oder Privat person ausgestellt. i Lit. bei Meyer S. 572 Note 1.
I. Delikte an Geld. 8- 87.
353
Die an Geld oder geldvertretenden Wertzeichen begangenen strafbaren Handlungen (regelmäßig wenn auch viel zu eng Münzdelikte genannt) sind als solche, ohne jede Rücksicht auf ihre konkrete Richtung gegen ein bestimmtes RechtSgut, strafbar. Die Norm, durch welche sie verboten werden, ge hört zu den oben §. 3 II 4 erwähnten Normen, welche zum mittelbaren Schutze nicht eines, sondern verschiedener Rechtsgüter bestimmt, durch die Art deS Angriffes nicht durch seine Richtung Charakter und Inhalt bekommen. Die Münzhoheit deS Staates, das Interesse deS Publi kums an Sicherheit deS rechtlichen Verkehrs und die Ver mögensinteressen deS Einzelnen verlangen in gleich ge bieterischer Weise nach strafrechtlichem Schutze für die Inte grität der Geldzeichen. So entstehen die allen konkurrie renden Interessen Genüge leistenden Normen zum Schutze der Geldzeichen, deren Uebertretungen uns hier beschäftigen. Falsch ist eS, die sogenannten Münzdelikte als lediglich gegen den Staat, oder bloß gegen daS Publikum, oder nur gegen daS Privatvermögen gerichtet, aufzufaffen; bequem aber be denklich, den kriminalistischen Nothelfer aus allen systematischen Bedrängnissen, die publica fides, anzurufen; denn der Staat und die Einzelnen sind ebenso interessiert wie daS „Publikum"; schief endlich, die „Integrität der Geldzeichen" selbst zu einem Rechtsgute zu erheben, als schütze der Staat daS Geld um deS Geldes und nicht um anderer RechtSgüter willen. In einem lediglich daS „RechtSgut" und nicht zugleich die „Norm" berücksichtigenden Systeme kann den Münzdelikten kein ihnen entsprechender Platz angewiesen werden. Die internationale Bedeutung der Geldzeichen der mo dernen Kulturstaaten hat daS StGB, in §. 4 Ziff. 1 aner kannt : Münzverbrechen werden, auch wenn im Auslande, von LiSzt, Strafrecht. 23
354
Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüter.
sei eS von einem Inländer, sei es von einem Ausländer be gangen, ohne weiteres nach heimischem Recht bestraft. IL Die Arten. 1. Die eigentliche Münzfälschung (StGB. §. 146); und zwar: a) das Nachmachen? von unechtem Gelde (Falschmün zerei); b) daS Verfälschen von echtem Gelde, d. h. die Vor nahme einer solchen Veränderung an den Geldzeichen, durch welche echtem Gelde der Schein höheren Wertes oder verrufenem Gelde daS Ansehen eines noch gel tenden gegeben wird; beides (a unh b) in Verbreitungsabsicht, d. h. in der Absicht, daS nachgemachte oder verfälschte Geld als echtes zu gebrauchen oder sonst als echtes? in Verkehr zu bringen. Die Vollendung tritt nicht erst mit dem Verbreiten, sondern schon mit dem Fälschen ein. Strafe: Zuchthaus nicht unter 2 Jahren, mit fakultaüver Polizeiaufsicht; bei mildernden Umständen Gefängnis. 2. DaS Verbreiten gefälschten (nachgemachten oder verfälschten) Geldes; und zwar: a) wenn die Fälschung von dem Verbreiter selbst, aber ohne Verbreitungsabsicht vorgenommen worden; b) wenn der Verbreiter sich das gefälschte Geld ander weitig verschafft hat. 1 Ein gewisser Grad von Ähnlichkeit, so daß die Mög lichkeit einer, wenn auch kurzen Cirkulation gegeben ist, muß gefordert werden. 3 Doch genügt hier im Urteil die Feststellung der Absicht „in
Verkehr zu bringen"; die Worte „alS echt", die als selbstverständ lich im Gesetze fehlen, brauchen nicht ausdrücklich festgestellt zu werden; RGR. 30. April 1880, E I 408, R I 703.
I. Delikte an Geld.
g. 87.
355
In beiden Fällen ist die Vollendung erst mit der Verbreitung gegeben. Strafe: wie zu 1 (StGB. §. 247). c) Wenn der Thäter das gefälschte Geld als echtes em pfängt, und nach erkannter Unechtheit weiter giebt (StGB. 148). Vollendet mit der Verbreitung;
Strafe: Gefängnis bis zu 3 Monaten oder Geld strafe bis zu 300 Mark; Versuch strafbar. 3. Das Einführen von gefälschtem Gelde aus dem Auslande zum Zwecke der Verbreitung (§. 147 StGB.). Vollendet mit der Einfuhr. Strafe wie zu 1. 4. Das Jn-Derkehr-Bringen von echten, zum Um läufe bestimmten Metallgeldstücken, die durch Beschneiden, Abfeilen oder auf andere Art verringert sind, als vollgültigen (das „Kippen und Wippen"); wenn der Thäter:
a) die Verringerung selbst vorgenommen hat, oder b) die von einem anderen verringerten Münzen gewohn heitsmäßig oder c) im Einverständnisse mit dem Verringeret in Verkehr bringt (StGB. §. 150). Strafe: Gefängnis, daneben fakultativ Geldstrafe bis zu 3000 Mark, sowie Ehrverlust. Versuch strafbar. 5. DaS Anschaffen oder Anfertigen von Stempeln, Siegeln, Stichen, Platten oder anderen zur Anfertigung von Geldzeichen dienlichen Formen zum Zwecke eines Münzverbrechens wird (StGB. §. 151) mit Gefängnis bis zu 2 Jahren bestraft. DaS Gesetz stellt hier gewisse Vorbereitungshandlungen als delictum eni generis unter besondere Strafe, eS wird daher durch die Begehung des geplanten MünzverbrechenS selbst die Strafbarkeit jener
Handlungen konsumiert (vgl. oben §. 40 II c).
356
Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" RechtSgüter.
In allen bisher erwähnten Fallen ist auf Einziehung
deS gefälschten Geldes, sowie der unter 5 bezeichneten Gegen
stände zu erkennen, auch wenn die Verfolgung oder Ver
urteilung einer bestimmten Person nicht stattfindet (StGB. §. 152; vgl. oben §. 50 II).
6.
Im Zusammenhänge mit
den
eigentlichen Münz
delikten stehen die im §. 360 Ziff. 4, 5, 6 StGB, enthal
tenen Uebertretungen (Strafe: Geldstrafe bis zu 150 Mark
oder Hast); nämlich a) die Anfertigung der oben unter 5 genannten Ge
genstände ohne schriftlichen Auftrag einer Behörde oder
die Verabfolgung derselben
an einen andern als
die Behörde; b) das Unternehmen
eines
Abdruckes von diesen
Gegenständen oder des Druckes von Formularen zu derartigen Papieren ohne schriftlichen Auftrag der
Behörde, oder die Verabfolgung von Abdrücken an
Andere als die Behörde;
c) die Anfertigung oder Verbreitung von Druck sachen oder Abbildungen, welche in Form oder Ver
zierung den Geldzeichen ähnlich sind; sowie daS Anfertigen von Formen, welche zur Erzeugung der
artiger Drucksachen oder Abbildungen dienen können. Auf Einziehung der Vervielfältigungsmittel, Abdrücke,
Abbildungen kann neben der Strafe erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht.
II. Delikte an Urkunden.
§. 88.
357
II. Strafbare Handlungen an Urkunden.' §.88.
I. Begriff. 1. Urkunde im strafbaren Sinne ist jeder der Sin nenwelt angehörige Gegenstand (nicht bloß Schrift stück), der zur Feststellung rechtlich erheblicher That sachen bestimmt ist (Eignung dazu ist begrifflich weder genügend noch erforderlich).' Die Urkunden zerfallen in öffentliche und private. Oeffentliche Urkunden sind nach §. 380 CPO. diejenigen, welche von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer AmtSbeftrgniffe oder von einer mit öffent lichem Glauben versehene« Person innerhalb deS ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form ausgenommen sind. Alle übrigen Urkunden sind private. Auch die öffentliche Urkunde muß Urkunde sein, also der obigen Definition entsprechen. Damit ist sie. aber auch ohne weiteres unter den Schutz deS Strafgesetzes gestellt. Anders bei Privat urkunden. Diese genießen den vollen Schutz des Gesetzes nur dann, wenn sie zum Beweise von Rechten oder Rechtsverhältnissen von Erheb lichkeit sind. ES ist dies kein in dem Begriffe der Ur* künde liegendes, sondern ein zu den Begriffsmerkmalen hinzutretendes Merkmal. Ein zur Feststellung einer Thatsache bestimmter Gegenstand kann dennoch für den Beweis dieser Thatsache durchaus unerheblich sein; die 1 8it. Note 1.
bei Meyer S. 591
* Bestritten.
358
Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtbgüter.
Gestaltung des Prozeßverfahrens (freie Beweiswürdigung!) kann diesen Gegensatz auf wenige Fälle einschränken, ohne ihn ganz zu beseitigen? 2. Die strafbaren Handlungen an Urkunden teilen den oben §. 87 I erörterten Charakter der Münzdelitte. Mög licher Weise (in abstracto) gerichtet gegen die Sicherheit des öffentlichen (im Sinne von publicns) Rechtsverkehrs, gegen die verschiedensten (nicht bloß das Vermögen bildenden) Rechts güter des Einzelnen oder gegen die Staatsverwaltung (insbesondere die staatliche Rechtspflege) sind sie wegen dieser möglichen Beziehung unter Strafe gestellt ohne Rücksicht darauf, ob im konkreten Falle eine dieser Beziehungen und welche gegeben ist. Auch hier entscheidet die Art und nicht die Richtung des Angriffes; auch hier müssen wir es ver meiden, von einer Verletzung der „publica fides" zu sprechen, außer wenn es uns eben darum zu thun ist, durch den Ge brauch eines möglichst dehnbaren Ausdruckes unS tieferes Eindringen in die Natur dieser Delikte zu ersparen. n. Die Arten. 1. Die eigentliche Urkundenfälschung, zerfallend in die Nachmachung einer unechten, und die Verfälschung einer echten Urkunde. Gleich geachtet wird es (StGB. §. 269), wenn Jemand einem mit der Unterschrift eines Anderen ver sehenen Papiere ohne dessen Willen oder dessen Anordnungen zuwider durch Ausfüllung einen urkundlichen Inhalt giebt. Das Gebrauchmachen zum Zwecke der Täuschung, 3 Ein Punkt. der allgemein 233; 4. Februar 1880, E I übersehen wird. — Kasuistik 293; 8. Mai 1880, R I 751; über „Beweiserheblichkeit" in 24.Mai 1880, RI810; 3.Ium RGR. 20. Januar 1880, E 1 1880, E II 174, R II 26. 159; 15. Januar 1880, R I
II. Delikte an Urkunden,
359
g. 88.
sei es a) (StGB. §. 267), daß der Thäter selbst die Ur
kunde in rechtswidriger Absicht (d. h? in der Absicht, von ihr zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch zu machen),
gefälscht hat; sei es b) daß er wissentlich von einer durch ihn selbst ohne diese Absicht oder durch einen Dritten gefälschten
Urkunde Gebrauch macht (StGB. §. 269), bildet nach posi
tivem Recht den Kern
der
eigentlichen Urkundenfälschung.
Erst mit dem Gebrauchen (d. h. mit dem Borzeigen der Urkunde, um durch die ihr innewohnende Beweiskraft auf den Anderen zu wirken)64 *tritt die Vollendung ein.
Der straf
bare Versuch beginnt dagegen im Falle a schon mit dem Beginne des Fälschens, im Falle b erst mit dem Beginne
des Gebrauchens.
Daß der zu Täuschende und der zu Be
schädigende nicht identisch zu sein brauchen, dürste zweifel
los. sein. Strafe: Gefängnis» Erhöhte Strafe tritt ein (StGB. §. 268), wenn die
Fälschung in der Absicht
(gleich
erweiterter Vorsatz,
oben
§. 28 HI) begangen wird, sich odex einem Anderen einen nicht notwendig
rechtswidrigen*
VermögenSvyrteil
(Begriff
oben §. 73 I 3) zu verschaffen, oder einem Anderen Schaden
(nicht notwendig an seinem Vermögen) zuzufügen; und zwar: 6 Vgl. RGR. 28. Februar 4 Häufig anders gefaßt; mit I der Fassung des Textes über« | 1880, E I 230, R I 400. Das einstimmend RGR. 3. Juni 1880, Aufgeben eines Telegramms E II 174. (Gebrauch eines ge unter falschem Namen ist daher fälschten Beweismittels rum nicht Urkundenfälschung: RGR. Zwecke der Ausübung eines oem 15.Mai 1880, RI 793; 31.Marz Thäter zustehenden Rechts.). Bei 1880, R 1 513. 6 RGR. 3. Mai 1880, E II spiele in RGR. 4. Februar 1880, E I 293; 12. Februar 1880, R 41. I 350; 1. Mai 1880, E II 34, R I 713.
360
Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüter.
a) bei Priv alurkunden Zuchthaus bis zu 5 Jahren mit
fakultativer Geldstrafe bis zu 3000 Mark; b) bei öffentlichen Urkunden Zuchthaus bis zu 10 Jahren
mit fakultativer Geldstrafe von 150 bis zu 6000 Mark. Bei mildernden Umständen
zu a Gefängnis nicht
unter 1 Woche, zu b nicht unter 3 Monaten; daneben
fakultative Geldstrafe bis zu 3000 Mark. Neben Gefängnis ist Ehrverlust fakultativ (§. 280).
2.
Die Bewirkung
materiell unrichtigen
einer
öffentlichen Beurkundung, d. h. der Beurkundung von
Erklärungen oder Thatsachen, welche für Rechte oder Rechts verhältnisse von Erheblichkeit sind,
in öffentlichen (zur Fest
stellung im öffentlichen Interesse, nicht bloß im Interesse des
inneren Dienstes' bestimmten) Büchern, Urkunden, Registern als abgegeben oder geschehen, während sie überhaupt
nicht oder in anderer Weise oder von einer Person in einer
ihr nicht zustehenden Eigenschaft7 8 oder
von
einer anderen
Person8 abgegeben oder geschehen sind.
Der Beamte, der die falsche Beurkundung wissentlich vor
nimmt, macht sich eines Amtsdeliktes (StGB. §. 348; unten §♦ 93 II 6) schuldig;" der Nichtbeamte wird, abgesehen von
einer
etwaigen
Teilnahme
an
dem
Amtsdelikte,
bestraft,
wenn er: a) die falsche Beurkundung bewirkt (StGB. §. 271) oder
7 RGR. 23. Dezember 1879. E I 42, RI 168; 13. März 1880, E I 312, R I 458. 8 Abgabe der Daterschaftserklarung vor dem Standesamte durch den Nicht-Vater: RGR. 10. November 1879, E I 9, R I 55.
9 Strafantritt für den Ver urteilten ; Erscheinen statt des Angeklagten (RGR. 27. April 1880, R I 686). 10 Vgl. auch. Seemannsord nung vom 27. Dezember 1873 §§. 93 Ziff. 1, 99 Ziff. 2.
II. Delikte an Urkunden.
g. 88.
361
b) von einer solchen falschen Beurkundung
zum Zwecke
einer Täuschung Gebrauch macht (§. 273). Strafe in beiden Fällen: Gefängnis bis zu 6 Monaten oder Geldstrafe bis zu 300 Mark; wenn in BereicherungS-
vder Schadensabsicht (wie oben §. 7313) begangen, Zuchthaus
bis zu 10 Jahren mit fakultativer Geldstrafe von 150 bis zu
6000 Mark, oder bei mildernden Umständen Gefängnis mit fakultativer Geldstrafe bis zu 3000 Mark (StGB. §§♦ 272
und 273). 3. Vernichtung, Beschädigung," Unterdrückung"
einer
Urkunde," die
dem Thäter nicht oder nicht aus
schließlich gehört, in der Absicht, einem Anderen Nachteil zu
zufügen (StGB. §. 274 Zisf. 1). Strafe:
3000 Mark. 4.
Die
Gefängnis mit fakultativer Geldstrafe bis zu
Ehrverlust fakultativ (§. 280). Grenzverrückung
(StGB. H. 274 Ziff. 2),
d. i. das Wegnehmen, Vernichten, Unkenntlichmachen, Ver
rücken oder fälschlich Setzen von Grenzsteinen oder anderen zur Bezeichnung einer Grenze oder eines WafferstandeS" be stimmten Merkmalen in Schädigungsabsicht. 11 Beeinträchtigung der Be weiskraft, mag auch die SubB der Urkunde unverletzt ge rn sein (z. B. Durchstreichen der Unterschrift: RGR. 29.Juni 1880, R II 135). 11 D. h. Entziehung aus der Verfügungsgewalt des Berechtigten, mag auch die Absicht, selbst gelegentlich von der Urkünde Gebrauch zu machen, vor handen sein; dagegen RGR. 22. Januar 1880, E I 159, R I 258.
Als Spezial-
13 Begriff: oben am Eingang dieses §. Beweiserheblichkeit ist hier nicht erforderlich, wohl aber nach dem Begriffe derUrkundeBeweiöbestimmung; RGR. 23. Ja nuar 1880, E I 162, R I 263 im ersten Punkt derselben, im zweiten anderer Ansicht; vgl. auch OT. 20. Oktober 1875, c. Arnim. 14 Sei eS dauernd oder nur provisorisch: RGR. 22. Mai 1880, R I 811.
362
Drittes Buch. Delikte gegen „uneigenlliche" Rechtögüter.
fall vom Gesetze besonders hervorgehoben,
obwohl die ge
nannten Merkzeichen unter den allgemeinen Begriff der Ur
kunden fallen. Strafe: wie zu 3. 5.
Strafbare
Handlungen
an
und
mit
Stempel
papier, Stempelmarken, Stempelblanketten, Stem
pelabdrücken, Post- oder Telegraphenfreimarken,
gestempelten BriefcouvertS und zwar: a) daS Nachmachen und Verfälschen in Gebrauchsabsicht,16
von gefälschten Gegenständen
sowie daS Gebrauchen
dieser Art, mag auch die Fälschung nicht
von dem
Thäter herrühren (§. 275).
Strafe: Gefängnis nicht unter 3 Monaten, daneben Ehrverlust fakultativ (§. 280).
b) Die
wissentliche Wiederverwendung
verwen
deter Stempel" (von Marken, Blarcketten, Papier, Abdrücken) zu stempelpflichtigen Schriftstücken (StGB.
§. 276).
Defraudationsstrafe): Geld
Strafe (neben der strafe bis zu 600 Mark.
c) DaS von
wissentliche bereits
Veräußern
verwendetem
oder
Stempelpapier
Feilhalten
nach
Ent
fernung der darauf gesetzten Schriftzeichen, sowie von
bereits verwendeten Stempelmarken, Stempelblanketten, ausgeschnittenen
oder
sonst
drücken (StGB. §. 364).
abgetrennten Stempelab
Strafe: Geldstrafe bis zu
150 Mark. 15 Die Vollendung tritt hier — im Gegensatze zu der eigent lichen Urkundenfälschung —schon mit der Fälschung etn.
16 Wiederverwendung von Post- und. Telegraphen reichen unterliegt nur der Defraudationsstrafe; vgl. unten §. 114.
II. Delikte an Urkunden,
tz. 88.
363
d) Anfertigung von Formen, welche zur Erzeugung von Stempelpapier usw. dienen können, ohne schriftlichen
Auftrag der Behörde, oder Verabfolgung an einen anderen als die Behörde (StGB. §. 360 Ziff. 4).
Strafe: Geldstrafe bis zu 150 Mark oder Haft.
e) Das unbefugte Unternehmen oder Verabfolgen eines Abdruckes von den unter d genannten Formen (StGB. §. 360 Ziff. 5).
Strafe: wie zu d.
Einziehung zu d und e, ohne Unterschied, ob die Gegen
stände dem Verurteilten gehören oder nicht, fakultativ. 6. Strafbare Handlungen an und mit Legitimations papieren (StGB. §. 363 nennt:
Pässe, Militärabschiede,
Wanderbücher oder sonstige Legitimationspapiere; Dienst- und Arbeitsbücher oder sonstige auf Grund besonderer Vorschriften
auszustellende Zeugnisse; Führungs- und Fähigkeitszeugnisse) in der Absicht, Behörden oder Privatpersonen zum Zwecke
eigenen
oder
fremden
besseren
Fortkommens;
und zwar: a) Fälschung derselben;
b) wissentliches Gebrauchmachen von denselben; c) Gebrauch machen von echten, aber für einen Anderen
ausgestellten Papieren; d) Ueberlüssen solcher Papiere an Andere. Spezialdelikt
gegenüber
der
eigentlichen Urkunden
fälschung. Strafe: Hast oder Geldstrafe bis zu 150 Mark.
7. Übertretung der Vorschriften über Maß- und Gewichtöpolizei (StGB. §. 369 Ziff. 2).
Strafe:
Geld
bis zu 100 Mark oder Haft bis zu 4 Wochen.
8. Strafbare Handlungen in
heitszeugnisse.
Bezug auf Gesund
364
Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüter.
a) Ausstellung von unrichtigen Zeugnissen durch Aerzte
und
andere approbierte Medizinalpersonen
wider besseres Wissen zum Gebrauche bei einer Behörde oder Bersicherungsgesellschaft (§. 278).
Strafe: Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren mit fakultativem Ehrverlust (§. 280).
b) Ausstellung von Zeugnissen über eigenen oder frem den
Gesundheitszustand
unter
der
dem Thäter
nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt oder als eine
andere nicht
approbierte Medizinalperson;
oder
unberechtigte Ausstellung unter dem Namen dieser
Personen;
oder Verfälschung
echter
Gesundheits
zeugnisse: wenn der Thäter von denselben zur Täu schung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften
Gebrauch
macht17
(StGB. §. 277).
Strafe:
Gefängnis bis zu einem Jahre mit fakultattvem Ehr
verlust (§. 280). c) Das Gebrauchen von Zeugnissen der unter a und b bezeichneten Art
Behörden
oder
zum Zwecke der
Täuschung
Versicherungsgesellschaften
von
(§. 279).
Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre mit fakulta tivem Ehrverlust (§. 280).
III. Strafbare Handlungen gegen die Religion.'
§. 89. Die Religion wird von dem modernen Staate nicht als solche, nicht um ihrer selbst, sondern um anderer Interessen 17 Vollendet erst mit dem Gebrauchen.
1 Lil. bei Meyer S. 632 Note 1. Dazu Villnov GS. XXXI.
willen geschützt. DaS staatliche Interesse an dem Vorhanden sein der richtigen staatsbürgerlichen Gesinnung, alS deren Fundament religiöser Sinn von maßgebender Seite betrachtet wird; daS Recht der Religionsgenoffenschaften auf ungestörte Religionsübung; das Interesse des Einzelnen und des Publi kums an Nichtverletzung deS religiösen Gefühles: alle diese verschiedenen Interessen hat der Staat im Auge, wenn er Angriffe auf die Religion unter Strafe stellt. Um jener eigentlichen Rechtsgüter willen erhebt er die Religion zum uneigentlichen, juristischen RechtSgut. Nach Reichsrecht ist strafbar: L Die Erregung eines Aergernisses (d. t die Verletzung des religiösen Gefühls, - wobei nicht der Stand punkt der Zuhörenden, sondern der objektive Maßstab des Richters entscheidet) durch öffentlich* (unbestimmt wie vielen und unbestimmt welchen Personen zugänglich) und in beschimpfenden Aeußerungen erfolgende Lästerung GotteS (StGB. §. 166). Dabei ist der Gottesbegriff im Sinne der anerkannten Religionsgesellschaften, also im streng konfessionellen Sinne zu interpretieren.4 Mangelnde Rechts widrigkeit (man denke z. B. an wissenschaftliche Untersuchungen) schließt die Annahme eines Deliktes hier wie überall aus. ’ RGR. 12. Juli 1880, E II 196, R II 183 (bez. §. 183 StGB.). 5 Nicht Erregung eines öffent lichen Aergerniffes, sondern Er regung eines Aergerniffes durch öffentliche Lästerung bildet den Thatbestand des Deliktes. Wenn daher zur Vollendung auch gefordert werden muß, daß irgend
jemand thatsächlich AergerniS genommen hat, in seinem re ligiösen Gefühle verletzt worden ist, so genügt es doch, wenn dieS nur bei einer einzigen Person der Fall war (RGR. 12. Juli 1880, E II 196, R H 183). 4 Lästerung Jesu ist Gottes lästerung: RGR. 13. Dezember 1879, R I 144.
366
Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" RechtSgüter.
Strafe: Gefängnis bis zu 3 Jahren.
II. Oeffentliche (wie zu I) Beschimpfung einer der
christlichen Kirchen oder einer anderen mit Korporations rechten innerhalb des Bundesgebietes bestehenden
Religionsgesellschaft als solcher sowie ihrer Einrichtungen
oder Gebräuche, von welchen die Glaubenssätze einerseits,
die einzelnen konkreten historischen Borgänge andererseits zu
unterscheiden finb.6* * (StGB. §. 166.)
Berechtigter Kritik
fehlt das Merkmal der Rechtswidrigkeit. * zu I. in. Die Verübung
beschimpfenden
Strafe: wie UnfugS
in
Kirchen oder in einem anderen zu religiösen Bersammlungm
(nicht nur der anerkannten, sondern aller bestehenden ReligionSgesellschaften) bestimmten Orte (StGB. §. 166).
Strafe: wie zu I. IV. Durch Thätlichkeit7 oder Drohung* begangene Hin derung
eines
Gottesdienstes
Anderen
an
der
Ausübung
deS
einer im Staate bestehenden Religions
gesellschaft; sowie die vorsätzliche Verhinderung oder Störung deS Gottesdienstes oder einzelner gottesdienst
licher Verrichtungen einer solchen Religionsgesellschaft durch
Erregung von Lärm oder Unordnung in einem der oben in genannten Orte (StGB. §. 167).
zu I.
Strafe:
wie
Ueber daS Amtsdelikt des §. 339 Abs. 3 StGB. vgl.
unten §. 93 II 4 b. V. Frevel an Leichen und Gräbern (StGB.Z. 168);
und zwar: * RGR. 31. März 1880, R I 521. 6 RGR. 31. Marz 1880, R I 521.
7 Ueber diesen Begriff siehe oben §. 80 II 1 b. 8 Begriff oben §. 63 I 1 b.
IV. Delikte an Personenstand und Ehe.
90.
367
a) Unbefugte Wegnahme einer Leiche auS dem Ge
wahrsame der dazu berechtigten Person (Wegnahme von Leichen teilen ist nach §. 367 Zisf. 1 als Ueber-
tretung strafbar);
b) unbefugte Zerstörung oder Beschädigung von Gräbern;' c) Verübung beschimpfenden Unfugs an einem Grabe.9 10
Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren mit fakultativem
Ehrverlust.
IV. Strafbare Handlungen an Personenstand und Che.
§.90. Der Personenstand einer Person bestimmt deren Stellung
im öffentlichen wie im Privatrechte nach allen Richtungen; daS Interesse des Beteiligten selbst und daS aller übrigen RechtSgenossen, sowie daS Interesse des Staates verlangen
gebieterisch die Integrität deS Personenstandes.
Er ist kein
eigentliches aber eines der wichtigsten uneigentlichen RechtS-
güter.
DaS Gleiche gilt von dem Rechtsinstitute der Ehe.
I. Der strafrechtliche Schutz des Personenstandes. 1. DaS Gesetz vom 6. Februar 1875 über die B eur-
kundung des Personenstandes und die Eheschließung
bedroht im §. 68 mit einer UebertretungSstrafe (Geldstrafe
bis zu 150 Mark oder Haft) die Verletzung der in den §§. 17—20, 22—24, 56—58 dieses Gesetzes begründeten Anzeigepflichten.
Doch tritt die Strafverfolgung nicht ein,
9 Ueber Sachbeschädigung an Grabdenkmälern siehe oben §. 68 II 2.
10 Ueber Diebstahl auS Gräbern usw. stehe oben §. 64 I 2.
368
Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüler.
wenn die Anzeige, obwohl nicht von den zunächst Ver pflichteten, doch rechtzeitig gemacht worden ist: ein ganz singulärer Strafaufhebungsgrund. Ueber die in den §§. 67 und 69 desselben Gesetzes ent haltenen Amtsdelikte vgl. unten §. 93 II. 3ä. Eine, be sondere Bestimmung über die Verwendung der Geld strafen (vgl. oben §. 47 III) enthält §. 70 des Gesetzes. 2. Die vorsätzliche Veränderung oder Unter drückung deS Personenstandes eines anberen1 (nicht also deS Thäters selbst); insbesondere die Unterschiebung oder vorsätzliche Verwechslung eines Kindes (StGB. §. 169)? Absicht, Andere zu schädigen, ist, da es sich um ein uneigentliches Rechtsgut handelt, nicht erforderlich; wohl aber die, wenn auch nicht dauernde, Herbeiführung eines Zustandes, die Begründung eines status, als der Basis der rechtlichen Stellung des Individuums, so daß also das einmalige, nur für den konkreten Fall erfolgende Sich-Ausgeben für einen Anderen nicht hieher gehört. Strafe: Gefängnis bis zu 3 Jahren; wenn in gewinn süchtiger Absicht (Absicht, sich oder einem Anderen einen rechts widrigen Vermögensvorteil zu verschaffen)' begangen, Zucht haus bis zu 10 Jahren. Versuch strafbar. II. Strafrechtlicher Schutz der Ehe. 1. Der Ehebetrug (StGB. §. 170), begangen durch arglistige* Verschweigung eines gesetzlichen EhehindernisieS bei 1 Auch eines Verstorbenen. Darin liegt zugleich ein sicherer Beweis, daß die Richtung gegen RechtSgüter Einzelner das Wesen dieses Deliktes nicht er«: denn der Verstorbene )t mehr Rechtssubjett.
1 Lit. bei Meyer S. 540 Note 1. 8 Ueber die hier in Frage kommenden Begriffe siehe oben §. 73 I 3. 4 Begriff der Arglist oben §. 73 I 2.
IV.
Delikte an Personenstand und Ehe.
Eingehung einer Ehe dem anderm Teile durch
8- 90.
369
gegenüber;
arglistige Verleitung deS anderm Teiles
oder
zur Ehe
schließung mittels einer solchen Täuschung, welche den Ge
täuschten berechtigt, die Güstigkeit der Ehe anzufechten. Auf lösung der Ehe auS einem dieser Gründe ist Bedingung der Strafbarkeit (vgl. oben §. 30).
Antragsdelikt; die Antragsfrist beginnt zu taufen erst mit dem die Ehe lösenden rechtskräftigen Erkenntnisse
(vgl. oben §. 30 II).
Dagegen läuft die Verjährungs
frist schon von dem Tage, an welchem die Handlung be
gangen ist, also von dem Tage der Eheschließung (vgl. oben §. 58 II 2). 2. Die Bigamie oder Doppelehe (StGB. §. 171);'
begangen durch Schließung einer Ehe von einem oder mit
einem* Ehegatten, bevor die frühere Ehe aufgelöst, für un gültig oder nichtig erklärt worden ist. Vollendet mit der vollendeten Eheschließung; der strafbare Versuch beginnt mit dem Beginne deS EheschließungSakteS.
Strafe:
Zuchthaus bis zu 5 Jahren, bei mildernden
Umständen Gefängnis nicht unter 6 Monaten. Die Verjährung beginnt, kraft singulärer, auS allge
meinen Grundsätzen nicht
abzuleitender,
daher auf andere
Fälle nicht auszudehnender, Vorschrift deS Gesetzes erst mit dem Tage, an welchem eine der beiden Ehen aufgelöst, für ungültig oder nichtig erklärt worden ist.
5 Lit. bei Meyer S- 612 Note 1. , Dazu Wahlberg HR. „Bigamie". 6 Wer wissentlich mit einem Ehegatten eine Ehe schließt, be geht daS Delikt als Thäter. von Liszt, Strafrecht.
Im Uebrigen finden die Grund sätze über Teilnahme uneinge schränkte Anwendung. Ueber daS Amtsdelikt deS §. 338 StGB. vgl. unten §. 92 II 3b.
24
370
3.
durch
Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" RechtSgüter. Der Ehebruch
(StGB. §. 172)/ begangen
nur
eigentlichen Beischlaf, d. i. die naturgemäße Ver
einigung der Geschlechtsteile; nicht durch
beischlafSähn-
liche Handlungen, d. t durch Mißbrauch des Körpers
eines Andern zur Befriedigung des eigenen Geschlechts-
triebeS; nicht durch unzüchtige, d. i. auf Erregung deS
Der Ehebruch ist
Geschlechtstriebes gerichtete Handlungen.
Antragsdelikt.
Strafe: Gefängnis bis zu 6 Monaten.
Scheidung der Ehe wegen des betreffenden Ehebruches
ist Bedingung der Strafbarkeit; erst daher
der Lauf der
Antragsfrist/
mit ihr beginnt
während
die Ver
jährung der Strafverfolgung nach allgemeiner Regel (vgl. oben §. 58 II 2) schon mit der Begehung deS Ehebruches beginnt, allerdings aber nach' §. 69 StGB, während der
Dauer des Scheidungsverfahrens ruht (vgl. oben §. 58 II 4).
V. Strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeit.
§. 91. Auch die Sittlichkeit ist ein uneigentliches Rechtsgut.
Sie
ist kein rechtlich geschütztes Interesse des Staates, sie ist auch im modernen Rechte kein Rechtsgut des Einzelnen, wenn wir
nicht, gewissen Sittlichkeitsdelitten
wie der Notzucht gegen
über, die Sittlichkeit auffassen wollen als das RechtSgut der
persönlichen Freiheit in ihre? Bethättgung nach einer
7 Lit. bei Meyer S. 615 Note 7. Dazu Wahlberg HR. „Ehebruch", Rosenthal, die Rechtsfolgen des Ehebruchs 1880 (historisch). 8 Ebenso RGR. 31. Januar 1880, E144, R1180; 23.Marz
1880, R I 505. Vgl. auch §. 30 II, und Fischer XXXI. 1 Lit. bei Meyer S. Note 1. Dazu Villnow XXX.
be-
oben GS.
610 GS.
V. Delikte gegen die Sittlichkeit,
371
g. 91.
stimmten, die Bornahme oder Duldung geschlechtlicher Akte
umfassenden, Richtung.
Wohl aber haben der Staat, der
Einzelne, daS Publikum ein indirektes, mittelbares Interesse daran, daß die Ausübung deS^GeschlechtstriebeS in geregelter
Weise,
innerhalb
gewisser Schranken erfolgt und so wird
auch die Sittlichkeit, nicht um ihrer selbst sondern um an derer Interessen
willen,
nicht
als
selbständiges RechtSgut
sondern anderen RechtSgütern zu Liebe unter Strafschutz ge
stellt.
Die Sittlichkeit, die im Sinne des modernen Straf
rechtes nicht mehr bedeutet, als die Vermeidung jener Aus
schreitungen, die das Gesetz als solche bezeichnet hat.
Diese
strafbaren Ausschreitungen sind:
I. Der Incest oder die Blutschande (StGB. §. 173), d. i. der Beischlaf (Begriff oben S. 370):
1. zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie;'
2. zwischen
Verschwägerten,
auf-
und
absteigender
Linie (mag auch die daS SchwägerschastSverhältniS be gründende Ehe gelöst fein);'
3. zwischen Geschwistern. Strafe:
zu 1. Zuchthaus
bis zu 5 Jahren gegen
die AScen-
denten; Gefängnis bis zu 2 Jahren gegen die Des cendenten; zu 2. und 3. Gefängnis bis zu 2 Jahren.
In allen Fällen Ehrverlust fakultativ.
Verwandte ab
steigender Linie bleiben straflos, wenn sie daS 18. Lebensjahr
nicht vollendet haben (subjektiver Strafausschließungsgrund
in dem oben §. 30 HI 3 erörterten Sinne). * Ehelichkeit der Verwandtschaff nicht erforderlich: RGR. 21.9. 80, R II223.
' RGR. 7. April 1880, R I 548.
372
Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüter.
II.
Die widernatürliche Unzucht (StGB. §. 175),
d. h.. Beischlaf oder beischlafsähntiche Handlungen4 zwischen Personen desselben Geschlechtes oder von Menschm mit Tieren vorgenommen. Strafe: Gefängnis mit fakultativem Verlust der Ehren
rechte. III.
Unzucht
Vertrauens-
mit
odet
Verletzung
eines
besonderen
Gewaltverhäl^nisseS
(StGB.
§. 174); nämlich Vornahme unzüchtiger Handlungen (Begriff
oben S. 370): 1.
von
Vormündern
mit
ihren
Pflegebefohlenen,
Adoptiv- und Pflegeeltern mit ihren Kindern, Geist lichen,
Lehrern,
Erziehern mit ihren minderjährigen
Schülern oder Zöglingen; 2. von Beamten^ mit Personen, gegen welche sie eine Untersuchung zu führen haben oder welche ihrer Obhut an
vertraut sind; 3. von
Beamten,
Aerzten oder anderen Medi
zin al per fönen', welche in Gefängnissen oder in öffentlichen, zur Pflege von Kranken, Armen.oder anderen Hülflosen be stimmten Anstalten beschäftigt oder angestellt sind, mit den in das Gefängnis oder die Anstalt aufgenommenen Personen.
Strafe:
Zuchthaus bis zu 5 Jahren, bei mildernden
Umständen Gefängnis nicht unter 6 Monaten.
IV.
Nötigung zur Unzucht und gleichgestellte Fälle
(StGB. §. 176):
4 Begriff oben S. 370. Vgl. auch RGR. 23. April 1880, E I 395, RI 652; 24. April 1880, RI 662; 20.9.80, RII 220. Wenn leibliche Eltern mit ihren Kindern einfach unzüchtige Hand
lungen vornehmen, so können sie weder nach §. 173 noch nach §. 174 gestraft werden. 6 Nicht im technisch-juristischen Sinne; vgl. unten §. 92 I 2.
V. Delikte gegen die SiMchkeit. 8- 91.
373
1. Nötigung einer Frauensperson zur Duldung un züchtiger Handlungen (vgl. oben S. 370) durch Ge walt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Ge fahr für Leib oder Leben.' Strafe: a) für den einfachen Fall: Zuchthaus bis zu 10 Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter 6 Mo naten? b) Als besonderen Deliktsbegriff hebt daS Gesetz (§. 177) auS den hi eher gehörigen Fällen die auf die angege bene Art bewirkte Nötigung zur Duldung deS außerehelichen Beischlafes oder die Notzucht hervor. Strafe: Zuchthaus, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Jahre. c) Zuchthaus nicht unter 10 Jahren oder lebenslängliches
Zuchthaus tritt (StGB. §. 178) in den Fällen a wie b ein, wenn durch die Handlung der Tod der verletzten Person verursacht (oben §. 61 II 1 c) worden ist. 2. Mißbrauch einer in einem willenlosen oder be wußtlosen Zustande befindlichen oder einer geistes kranken Frauensperson zum außerehelichen Beischlaf.' Strafe: a) für den einfachen Fall: wie oben la; b) wenn der Thäter die Frauensperson mißbraucht, nach dem er sie zu bufe.m Zwecke in einen willenlosm oder bewußtlosen Zustand versetzt hat, so liegt (StGB. §. 177) Notzucht vor und tritt die oben 1 b
bezeichnete Strafe ein.
• Ueber diese Begriffe oben §. 63 I 1 a und b.
vgl. I |
' Goeb GA. XXVII. » Jessen (äJ©. XXXI.
374
Drittes Buch. Delikte gegen „uneigenttiche" Rechtsgüter.
c) Qualifizierter Fall wie oben le. 3.
Bornahme unzüchttger Handlungen mit Personen
unter 14 Jahren, oder Verleitung derselben zur Duldung solcher Handlungen; wegen deS vom Gesetze angenommenen
Mangels der Berfügungsfähigkeit dieser Personen den Nö
tigungsfällen gleichgestellt. Strafen: wie 1 a und c. Vt
Die
Erschleichung
des
Beischlafes (StGB.
§. 179), d. L die Verleitung einer Frauensperson zur Ge
stattung des Beischlafes durch Vorspiegelung einer Trauung oder durch Erregung oder Benutzung eines anderen Irrtums, in welchem sie den Beischlaf für einen ehelichen hielt.
Voll
endet mit dem Beischlaf, nicht mit der ihm etwa zeitlich
vorangehenden „Gestattung".
Strafe:
Antragsdelikt.
Zuchthaus bis zu 5 Jahren,
bei mildernden
Umständen Gefängnis nicht unter 6 Monaten. VI.
Verführung
eines
unbescholtenen
Mäd
chens, welches das 16. Lebensjahr nicht vollendet hat, zum
Beischlafe (StGB. §. 182). Unbescholtenheit, darf dabei nicht
als gleichbedeutend mit Jungfräulichkeit genommen werden; diese kann vorhanden sein, während jene fehlt und umgekehrt. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern oder deS Vormundes der Verführten ein.
Strafe:
Gefängnis bis zu einem Jahre.
VII. Das öffentliche* Geben eines Aergernisses" 9 d. h. so vorgenommen, daß die Handlung von unbestimmt wie vielen und unbestimmt wel chen Personen wahrgenommen werden konnte; RGN. 10. Februar 1880, E 1199, R 1327. 10 Vgl. oben S. 365. Auch
hier ist nicht „öffentl. AergerniS" gefordert; es genügt, wenn eine Person Anstoß genommen hat, mag dies auch derjenige sein, gegen den die unzüchtige Hand lung gerichtet war (R(SR. 12. Juli 1880, E II196, RI1183.
V. Delikte gegen die Sittlichkeit,
g. 91.
375
(b. l Verletzung des Sittlichkeitsgefühles) durch unzüch
tige Handlungen" (StGB. Z. 183).
Auch mündliche
Aeußerungen sind unbedenklich hieher zu rechnen (bestritten).
Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren, oder Geldstrafe
bis zu 500 Mark; neben Gefängnis Aberkennung der Ehrm
rechte fakultativ. VIII. Das Verbreiten von unzüchtigen Schriften, Abbildungm, Darstellungen'' (StGB. §. 184).
Verbreiten
fetzt Zugänglichmachen für daL Publikum, also für einm nicht abgeschlossenen Kreis individuell nicht bestimmter Personm
voraus;" daS Gesetz selbst nennt „Verkaufen, Verteilen oder sonst Verbreiten; sowie AuSstellen oder Anschlägen an Ortm, welche dem Publikum zugänglich sind."
Strafe: Geldstrafe bis zu 300 Mark oder Gefängnis bis zu 6 Monaten.
IX.
Die Kuppelei, oder die Vorschubleistung zur Un
zucht durch Vermittlung oder durch Gewährung oder Ver
schaffung von Gelegenheit. Dabei haben wir als Unzucht zu
betrachten:
a) den außerehelichen Beischlaf überhaupt;
b) die von dem Gesetze mit Strafe bedrohten beischlafs
ähnlichen oder einfach unzüchttgen Handlungen. Die Kuppelei ist nicht als Teilnahme im Sinne des
Strafrechts, sondern als selbständiges Delikt aufzufassm. Dmn:
a) sie setzt keine strafbare Handlung, zu welcher Hülfe ge leistet wird, voraus; 11 Ueber den Begriff vgl. oben S. 370. u. RGR. 28. Februar 1880, R I 404. ” Ueber Ankündigung von Preservattvs, Specialitäten usw.
vgl. RGR. 15. Dezember 1879, R I 149. 11 Das Nähere über den Be griff der Verbreitung bei Liszt Preßrecht §. 42.
376
Dritte- Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüter.
b) die Strafbarkeit der Kuppelei ist, auch wenn die unter
stützte Unzuchtshandlung selbst vom Gesetze mit Strafe bedroht
sein
sollte,
durchaus
unabhängig
von
dem
Vorliegen einer Schuld auf Seiten derjenigen, welche
diese Unzuchtshandlung vorgenommen haben; c) nicht jede Hülfeleistung (z. B. Rat) zur Unzucht, son
dern nur die Vermittlung, die Gewährung oder Ver schaffung von Gelegenheit, d. i. die Herbeiführung eines
solchen Zustandes, welcher der Ausübung der Unzucht günstigere Bedingungen bietet als
früher
vorhanden
waren,14 * ist Kuppelei. d) Die Kuppelei ist vollendet mit dem Vermitteln usw.,
mag eS auch zu einem Unzuchtsakte selbst kommen fein16 (eine Ausnahme siehe unten).
kann
liegen in dem Vermieten
von
nicht
ge
Kuppelei
Wohnungen
an
Prostituierte;16 sie liegt in dem Halten von Bordellen, und daran wird durch polizeiliche Konzessionierung der
Bordelle nicht das Geringste geändert, so lange Reichs recht nicht durch Landesrecht, Gesetz nicht durch Verfügung
der administrativen Gewalt gebrochen werden kann.11
Die Kuppelei Hinzutreten
ist nicht
gewiffer
an
sich,
Umstände,
14 Sehr bestritten. Wenn RGR. 15. Mai 1880, EII164, R I 782 zum Begriffe des „Verschaffens von Gelegenheit" die Erklärung von Seiten des Dritten, $ur Benützung dieser Gelegenheit geneigt zu sein, for dert, so kann dem nicht beige treten werden.
die
sondern nur bei dem
wir
als Bedingungen
" Ebenso RGR. 15. Mai 1880, E II 164, R I 782. 16 Vgl. RGR. 28. Februar 1880, R I 402; 27. April 1880, R I 680; 28. Mai 1880, R I 828. 17 Im gleichen Sinne ist diese berühmte Kontroverse entschieden worden in RGR. 29. Januar 1880, E I 88, R I 291.
V. Delikte gegen die Sittlichkeit,
g. 91.
377
der Strafbarkeit (vgl. oben §. 30) aufzufassen haben, vom Gesetze, mit Strafe bedroht.
Diese Umstände sind:
1.
Gewohnheitsmäßiges (Begriff oben §. 39 II 3)
oder auS Eigennutz" erfolgendes Betreiben der Kuppelei (StGB. §. 180).
Strafe:
Gefängnis; Ehrverlust und Polizeiaufsicht fa
kultativ.
2.
Anwendung hinterlistiger Kunstgriffe, um der
Unzucht Vorschub zu leisten; gleichgestellt ist der Fall, wenn
Eltern
ihre Kinder, Vormünder ihre Pflegebefohlenen,
Geistliche, richtenden
Lehrer,
oder zu
(StGB. §. 181).
Erziehen die von ihnen zu unter
erziehenden Personen verkuppelt
haben
In diesem letzterwähnten Falle muß eS,
damit die Kuppelei strafbar wird," zur-Vornahme unzüch tiger Handlungen gekommen sein.
Strafe: Zuchthaus bis zu 5 Jahren; Aberkennung der
bürgerlichen Ehrenrechte
obligatorisch
(vgl.
oben §. 51 I
S. 202); Polizeiaufsicht fakultativ.
" d. h. in der Absicht, sich oder einem Dritten einen Dermögensvotteil (oben §. 73 1 3) zu verschaffen. (RGR. 28. Mai 1880, R I 828).
" Oder damit, da §. 181 zu gleich dem §. 180 gegenüber als qualifizierter Fall erscheint, gegen gewerbsmäßige oder eigennützige Kuppelei auf die schwerere Sttafe deS §. 181 erkannt werden kann.
378
Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" RechtSgüter.
VI. Die Amtsdelikte? §. 92.
I.
Allgemeines.
1.
Die Amtsdelikte charakterisieren sich, ebenso wie die in
den vorhergehenden Paragraphen besprochenen Gruppen von strafbaren Handlungm, nicht durch die Richtung deS An
griffes gegen bestimmte RechtSgüter, sondern durch die Art, durch das Mittel deS Angriffes.
Der Mißbrauch der
Amtsgewalt zur Begehung strafbarer Handlungen ist das gemeinsame Merkmal, das die sämmtlichen Amtsdelikte zu einer Gruppe vereinigt.
Damit ist die ihnen hier gegebene
Stellung gerechtfertigt.
Wollte man die Natur des ange
griffenen RechtsguteS als maßgebenden Einteilungsgrund be trachten, so würden die Amtsdelikte als einheitliche Gruppe
verschwinden. 2.
Amtsdelikte sind die öffentlich-strafbaren,
also
nicht bloß disziplinär zu ahndenden (oben §. 42 VI)*1 Hand
lungen der Beamten, also nicht die Delikte im Amte,
sondern die Delikte der Beamten im Amte.
Die Begriffe
Amt (oben §. 51 Note 2) und Beamter decken sich nicht. Beamter ist derjenige? der auf Grund staatlicher Be
stallung als Organ der Staatsgewalt (mithin unter
staatlicher Autorität) für Staatszwecke thätig zu sein be
rufen ist.
StGB. §. 359 giebt keine Definition, wenn er eS
für gleichgültig erklärt, ob eS sich um den unmittelbaren oder 1 Lit. bei Meyer S. 693 Note 1; dazu Schütze HR. „Amtsverbrechen". 1 Zu der dort angeführten
Lit. vgl. noch Zorn Staatsrecht S. 243. 3 Vgl. Zorn Staatsrecht S. 225.
VI. Die Amtsdelikte, z. 92.
379
mittelbaren Dienst deS Reiches oder eines BundeSstaateS; um
vorläufige oder definitive, zeitweilige oder lebenslange An» stellnng handle; ob der Angestellte einen festen Gehalt oder ausschließlich Gebühren worden oder nicht/
beziehe;
ein Diensteid
ob
geleistet
Wohl aber rechnet er ausdrücklich, über
unseren Begriff hinausgreifend,
die Notare zu dm
anch
Beamten, ohne Rücksicht auf die landeörechtliche Verschiedenheit
ihrer
Stellung.
Advokaten
und
Anwälte,
Geschworene,
Schiedsrichter und Schöffen sind keine Beamten, wenn auch
die drei letztgenannten Personen ein Amt im Sinne deS Ge setze« (StGB. §. 31, Abs. 2) auSÜben.»
3.
Man teilt die Amtsdelikte ein in eigentliche und
uneigentliche, je nach dem die Beamten-Eigenschaft als
Bedingung der Strafbarkeit (oben §. 30), Strafschärfungsgrund erscheint.
delikten
gehören
oder
aber als
Zu dm uneigentlichm Amts
auch die in StGB. §§. 128, 129, 174,
222, 230, 300 behandelten Fälle.
Die Einteilung ist von
Wichtigkeit für die Behandlung der Teilnahme dritter Per
sonen ; eS fei in dieser Beziehung auf daS oben '§. 37 Hl Gesagte verwiesen.
4.
Die im AuSlande, sei eS von Jnländem, sei eS
von Ausländem, begangenen Amtsdelikte können ohne weiteres
nach inländischem Rechte verfolgt werden (vgl. oben §. 13IV). 5.
Die Beamtenqualität muß im Augenblicke der That
(oben §. 19 in 1) vorhanden sein (RGR. vom 9. Juli 1880,
B II 181).
6. Neben der wegen einer Reihe von Amtsdelikten (StGB.
* Vgl. RGR. 13. November 1879, RI64; 19.Januar 1880, E I 163; 18. März 1880, E I 327, R 1 494; 24. Juni 1880,
R II 109; 1. Juli 1880, E H 189, R n 144. ' Dgl. noch Mil.StGB. 8.145.
380
Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" RechtSgüter.
§§. 331, 339—341, 352—355, 357) erkannten Gefängnis strafe kann, wenn dieselbe auch die Dauer von drei Monaten
nicht erreicht, gegen Beamte (nie gegen etwa beteiligte Nicht beamte) auf
Verlust
der Fähigkeit zur Bekleidung
öffentlicher Aemter auf die Dauer von 1 bis zu 5 Jahren erkannt werden (StGB. §. 358; vgl. oben §. 51 II 4). n.
Die einzelnen Amtsdelikte.
1. Geschenkannahme in Amtssachen (Bestechung)? a) Das Annehmen, Fordern oder Sichversprechenlassen von
Geschenken oder anderen (nicht notwendig Vermögens-) Vorteilen von Seiten eines Beamten für eine an sich
nicht pflichtwidrige Amtshandlung (StGB. §.331)?
Das Geschenk muß Aequivalent für die Amtshand
lung sein;
wird eS gegeben,
um
einem allgemeinen
Gebrauche zu entsprechen (wie Trinkgelder, Neujahrs
geschenke),
um besondere nicht in das Amt einschla
gende Gefälligkeiten zu entlohnen, oder um dem Ge
fühle persönlicher Dankbarkeit oder Verehrung Ausdruck zu geben usw., so liegt Bestechung nicht vor?
Die
Praxis hat hier im Einzelfalle die richtige Grenze zu ziehen.
Strafe: Geld bis zu 300 Mark oder Gefängnis bis zu 6 Monaten.
Der Geschenkgeber kann nicht nach Z. 331 bestraft werden:
arg. §§. 333 und 334 Abs. 2; doch
6 Vgl. Teichmann HR. „Bestechung"; Zorn Staats recht S. 238. 7 Vgl. auch Mil.StGB. §. 140; Salzsteuergesep vom
trifft
12. Oktober 1867 §.17: BranntWeinsteuergesetz v. 8. Juli 1868 §. 68. 8 Vgl. RGR. 19. November 1879, R I 83, E II 129.
VI. Die Amtsdelikte.
ihn nach
§. 92.
einzelnen Nebengesetzen'
381
eine Ordnungs
strafe. b) DaS Annehmen, Fordern, Sichversprechenlassen von Geschenken oder anderen Vorteilen von Seiten eines
Beamten für eine Handlung, die eine Verletzung einer Amts- oder Dienstpflicht'" enthält (StGB. §. 332). Strafe: Zuchthaus bis zu fünf Jahren; bei mildernden Umständen Gefängnis. Wer einem Beamten oder einem Mitgliede der bewaffneten Macht Vorteile anbietet, ver spricht, oder gewährt, um ihn" zu einer solchen Handlung zu bestimmen, wird nach §. 333 mit Ge fängnis (mit fakultativem Ehrverlust), bei mildernden Umständen mit Geldstrafe bis zu 1500 Mark bestraft. c) DaS Annehmen, Fordern, Sichverfprechenlassen von Geschenken oder anderen Vorteilen von Seiten eines Richters, Schiedsrichters, Geschworenen oder Schöffen," um eine Rechtssache, deren Leitung oder Entscheidung ihm obliegt, zu'Gunsten oder zum Nachteile eines Beteiligten zu entscheiden (StGB. §.334).
Strafe: Zuchthaus. Denjenigen, der die Geschenke oder Vorteile anbietet, verspricht oder gewährt, trifft ebenfalls Zuchthaus, an dessen Stelle jedoch bei mildernden Umständen Gefängnis treten kann. 9 Vereinszollgesetz v. 1. Juli 1869 §. 160; Brausteuergesetz vom 31. Mai 1872 §.36; Tabakstenergesetz vom 16. Juli 1879 §. 41. 10 Auch Mißbrauch beS freien
Ermessens gehört hierher: RGR. 29. April 1880, E I 404. " ES stehen mithin hier nur künftige Handlungen in Frage. 11 Das Gesetz greift hier weit über den Begriff deS Beamten hinaus.
382
Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüter.
In
allen Fällen
pfangen
(a—c) ist im Urteile das Em
oder der Wert
desselben
für dem Staate
verfallen zn erklären (StGB. §. 335). 2. Die Beugung deS Rechts zu Gunsten oder zum
Nachteile einer Partei durch einen Beamten oder Schieds richter"
bei
Leitung
(StGB. §. 336).
oder
Entscheidung
einer Rechtssache
Strafe: Zuchthaus bis zu 5 Jahren.
3. Strafbare Handlungen bei Trauung und Ehe
schließung.
a) Ein Geistlicher
oder
Religionsdiener," welcher zur
Trauung schreitet, bevor ihm nachgewiesen worden ist,
daß die Ehe vor dem Standesbeamten geschloffen sei, wird mit Geldstrafe bis zu 300 Mark oder mit Ge
fängnis bis zu 3 Monaten bestraft (§. 67 des Per
sonenstandsgesetzes vom 6. Februar 1875; an Stelle des §. 337 StGB, getreten). b) Zuchthaus bis zu 5 Jahren trifft den Religionsdiener oder Personenstandsbeamten, welcher, wissend daß eine
Person verheiratet ist, eine neue Ehe derselben schließt (StGB. §. 338; vgl. oben §. 90 H 2). 4. Mißbrauch der Amtsgewalt zur Bedrückung Privater.
a) Widerrechtliche Nötigung zu einer Handlung, Dul
dung, Unterlaffung durch Mißbrauch der Amtsgewalt oder durch Androhung eines bestimmten Mißbrauches
derselben (StGB. §. 339; vgl. oben §. 63 I). Strafe:
Gefängnis.
Versuch strafbar.
b) Der Thatbestand gewisser Delikte, die sich als Spezial
fälle dem allgemeinen Begriffe der Nötigung gegenüber-
11 Vgl. vorige Anmerkung.
|
" Vgl. Anmerkung. 12.
IV. Die Amtsdelikte,
tz. 92.
383
stellen lassen (eS sind die §§. 106, 107, 167, 253 StGB.; vgl. unten §. 98, oben §. 89 IV, §. 74), er
fährt durch §. 339 Abf. 3 insofern eine Erweiterung,
als Mißbrauch der Amtsgewalt oder Andro hung eines bestimmten Mißbrauches derselben,
wenn von einem Beamten ausgehend, für an sich schon geeignete BegehungSmittel erklärt werden, v) Körperverletzung,
die der Beamte in Ausübung
oder in Veranlassung der Ausübung seines Amtes vor sätzlich begeht oder begehen läßt" (StGB. §. 340;
vgl. oben §. 61)." Strafe: 1. Gefängnis nicht unter 3 Monaten'; bei mil-
dernden Umständen Gefängnis von einem Tage bis zu fünf Jahren
oder Geldstrafe bis zu
900 Mark;
2. wenn die Körperverletzung eine schwere (StGB. §. 224) war, Zuchthaus nicht unter 2 Jahren; bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter
3 Monate».
d) Beschränkung der persönlichen Freiheit durch Verhaftung, vorläufige Ergreifung und Festnahme oder Zwangsgestellung, die der Beamte vorsätzlich und widerrechtlich vornimmt oder vornehmen läßt,'' oder durch " DaS „Begehenlassen" um faßt ein Doppeltes: a) daö
bei, mag der Vollziehende das Bewußtsein derKausalttät seines
(passive) Geschehenlassen, wobei einfach die oben §. 21 II a ge gebene Konstruktion der UnterlaflungSdelikte zur Anwendung zu bringen ist; b) daS (positive) Anordnen der Vollziehung, wo
Thuns haben oder nicht (vgl. oben §. 351), immer der Beamte als Thäter aufgefaßt wird. " Vgl. noch Mll.StGB. §§. 122, 123, 148. 17 Vgl. Anmerkung 15.
384
Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" RechtSgüter. vorsätzliche und widerrechtliche Verlängerung der Dauer
einer Freiheitsentziehung (StGB. §. 341; vgl. oben §. 63 II). Strafe: die des §. 239 StGB, (oben §. 63 II);
mindestens aber Gefängnis von. 3 Monaten.
e) Hausfriedensbruch durch einen Beamten in Aus
übung oder in Veranlassung der Ausübung seines
Amtes (StGB. §. 342; vgl. oben §. 81II). Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu 900-Mark."
5. Mißbrauch dex Amtsgewalt
im Strafver
fahren.
a) Die
Anwendung (oder das Anwendenlassen)"
von
Zwangsmitteln, um Geständnisse oder Aus
sagen zu erpressen (StGB. §. 343).
Strafe:
Zuchthaus bis zu 5 Jahren. b) Vorsätzliche Beantragung oder Beschließung der Er öffnung oder Fortsetzung einer Untersuchung
zum Nachteile einer Person, deren Unschuld dem be
treffenden
Beamten
bekannt
ist
(StGB.
§. 344).
Strafe: Zuchthaus.
v) DaS
Vollstreckenlassen20
einer
Strafe,
von
welcher der Beamte weiß, daß sie überhaupt nicht oder nicht der Art oder dem Maße nach vollstreckt werden darf (StGB. §. 345). Strafe:
1. bei vorsätzlicher Begehung, Zuchthaus; 2. bei fahrlässiger Begehung Gefängnis oder Festung
" Bal. Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §. 126.
" Vgl. oben Anmerkung 15. 20 Vgl. oben Anmerkung 15.
VI. Die Amtsdelikte, g.92.
38K
bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu
900 Mark.
d) Begünstigung von Verbrechern; und zwar: die Unterlassung
der Verfolgung
einer strafbaren Hand
lung; oder die Begehung einer Handlung, die geeignet ist, eine Freisprechung oder eine dem Gesetze nicht ent
sprechende Bestrafung zu bewirkm; oder daS Nichtbe treiben der Vollstreckung einer ausgesprochenen Strafe; oder endlich die Vollstreckung einer gelinderen als der ausgesprochene»
Strafe:
wenn
von
einem vermöge
seines Amtes zur Mitwirkung bei Ausübung der Straf gewalt oder
bei Vollstreckung der Strafe
berufenen
Beamten in der Absicht begangen, Jemandm der ge
setzlichen
Strafe
rechtswidrig
zu
entziehen
(StGB.
§. 346)?'
Strafe:
Zuchthaus bis zu 5 Jahren; bei mil
dernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Mo nate. e) DaS Entweichenlassen, die Bewirkung oder Be
förderung" der Befreiung eines Gefangenen durch dm Beamten, dessen Beaufsichtigung, Begleitung oder Be
wachung der Gefangene anvertraut ist (StGB. §.347; vgl. unten §. 100 IV).41 Strafe:
1. bei
vorsätzlicher Begehung Zuchthaus bis zu
5 Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis
nicht unter einem Monate;
- Vgl. MiI.StGB. §§. 118, 119. 44 Hier ist Versuch der Beiv-n Liszt, Strafrecht.
hülfe (Beförderung) strafbar; vgl. oben §. 87 II 2. « Vgl. MU.S1GB. §. 144.
25
386
Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüter. 2. bei fahrlässiger Begehung Gefängnis bis zu
6 Monaten oder Geldstrafe bis zu 600 Mark.
6. Strafbare
Handlungen
in
auf
Beziehung
Urkunden (StGB. §. 348). a) Die vorsätzliche Falsch-Beurkundung einer rechtlich
erheblichen Thatsache, oder das Falsch-Eintragen einer solchen in öffentliche Register oder Bücher durch einen
zur Aufnahme" öffentlicher Urkunden befugten Beamten innerhalb seiner Zuständigkeit (vgl. oben §. 88 II 2). Strafe: Gefängnis nicht unter einem Monate.
b) die vorsätzliche Vernichtung, Bei-Seite-Schaffung,
einer dem Beamten
Beschädigung oder Verfälschung
amtlich anvertrauten oder zugänglichen Urkunde durch
Urkunde ist auch hier (vgl. oben §. 88 I) jeder
diesen.
Feststellung
zur
rechtlich
dann
hieher,
wenn
erheblicher
Thatsachen
be
Privaturkunden gehören auch
stimmte" Gegenstand;
sie
nicht
beweiserheblich
sind.
Strafe: wie zu a. In beiden
Fällen
(a und b)
tritt
Zuchthaus
bis zu
10 Jahren mit obligatorischer Geldstrafe von 150 biS zu
3000 Mark
ein
(StGB. §. 349),
wenn
der Thäter die
Handlung in der Absicht begangen hat, sich oder einem An
deren einen Vermögensvorteil zu verschaffen oder einem An deren Schaden zuzufügen." 7. Die
Beamten
Amtsunterschlagung,
begangene Unterschlagung
" Aufnahme (verschieden von der Ausstellung) der Urkunde ist die beweiskräftige Feststellung der Thatsache: RGR. 13. März 1880, E I 312, R I 458. -r RGR. 23. Januar 1880,
also
die von
(vgl. oben §. 67)
einem
von
E I 162, RI 263 hält die Eignung für diesen Zweck für genügend und erforderlich. 16 Ueber diese Begriffe vgl. oben §. 73 I 3.
VI.
Die Amtsdelikte.
Geldern oder anderen Sachen,
8- 92.
387
die er in amtlicher Eigen-
genschast,37 wenn auch mit Ueberschreitung der Grenzen seiner
Zuständigkeit,28 empfangen oder in Gewahrsam hat (StGB, tz. 350).
Strafe: Gefängnis nicht unter 3 Monaten mit
fakultativem Ehrverlust.
Versuch strafbar.
Die Strafe wird geschärft (Zuchthaus bis zu 10 Jahren;
mildernden Umständen Gefängnis
bei
unter 6 Mo
nicht
naten), wenn der Beamte in Beziehung auf die Unterschla gung
oder Kontrolle
die zur Eintragung
der Einnahmen
oder Ausgaben bestimmten Rechnungen, Register oder Bücher unrichtig geführt, verfälscht oder unterdrückt, oder unrichtige Abschlüsse oder Auszüge aus tiefen Rechnungen, Registern
oder Büchern, oder unrichtige Belege zu denselben Vorgelege
hat,
oder wenn
in Beziehung
auf die Unterschlagung auf
Fässern, Beuteln oder Paketen der Geldinhalt fälschlich be zeichnet ist (StGB. §. 351).
8. Erhebung
von
Gebühren,
Abgaben,
©teuern,
Vergütungen, von welchen der Erhebende weiß, daß der Zah lende sie überhaupt
nicht
oder nur in
geringerem Beträge
schuldet;" und zwar: a) wenn von einem Beamten,
Advokaten,
Anwalt oder
sonstigen Rechtsbeistand" vorgenommen, der Gebühren usw. für amtliche Verrichtungen zu seinem Vorteile zu
erheben
hat (StGB. §. 352).
17 Also nicht als besonders vertrauenswürdigePrivatperson: RGR. 3. Juni 1880, E II 84, B II 22. Ebenso RGR. 17. Dezember 1879, E I 124, R I 159; 19. Januar 1880, E I 153, R I 247.
Strafe: Geld-
19 Vorausgesetzt wird auf Seiten des Zahlenden die Mei nung, eS handle sich um eine bestehende Verpflichtung; anderen Falls kann Bestechung vorliegend RGR. 24. Juni 1880, RII109. 50 Ueberschreitung des Beam tenbegriffes..
Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüter,
388
strafe bis zu 300 Mark oder Gefängnis bis zu einem
Jahre.
Versuch strafbar.
b) Wenn von einem Beamten begangen, der Gebühren
usw. für eine öffentliche Kasse zu erheben hat, sofern er daS rechtswidrig Erhobene ganz oder zum
Teile nicht zur Kaffe bringt (StGB. §. 353). Strafe: Gefängnis nicht unter 3 Monaten. Gleiche Strafe (wie zu b) trifft den Beamten, welcher
bei
amtlichen
Ausgaben
Empfänger vorsätzlich die Ausgaben
als
und
an
Geld
Naturalien
oder
rechtswidrig Abzüge
geleistet
vollständig
in
dem
macht und
Rechnung stellt
(StGB. §. 353 Abs. 2). 9.
Strafbare
Handlungen
im
diplomatischen
Dienst des deutschen Reichs (StGB. §. 353a; „Arnim-
paragraph"). a) Verletzung
der
Amtsverschwiegenheit durch
widerrechtliche Mitteilung von ihm amtlich anvertrauten
oder zugänglichen- Schriftstücken,
seinen
Vorgesetzten
erteilten
deren Inhalt an Andere.
oder
von ihm durch
Anweisungen
oder von
Strafe: Gefängnis oder
Geldstrafe bis zu 5000 Mark. b) Vorsätzlicher Ungehorsam gegen amtlich erteilte An
weisungen des Vorgesetzten; Strafe: wie zu a.
c) Berichtung
von
erdichteten
oder entstellten
Thatsachen an den Vorgesetzten, in der Absicht (hier
gleich Motiv), diesen in seinen amtlichen Handlungen
irre zu leiten; Strafe: wie zu a. 10. Widerrechtliche Eröffnung oder Unterdrückung"
31 Unterdrückung ist jede, wenn auch nur vorüberge hende Entziehung auö dem
Postverkehr; RGR. 8. Dezember 1879, E I 124, R I 114.
VI. Die Amtsdelikte.
von
der
Post anvertrauten
§. 92.
Briefen"
389 oder
Paketen
Gleichgestellt ist die Gestattung der Vor
durch Postbeamte.
nahme einer solchen Handlung durch Andere sowie die Bei hülfe" hiezu (StGB. §. 354).
Strafe: Gefängnis nicht
unter 3 Monaten. 11. Strafbare Handlungen
beamten
oder
anderen
von Telegraphen
mit der Beaufsichtigung und Be
dienung einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphen anstalt betrauten Personen (StGB. §. 355)* a) Verfälschung
peschen; b) Widerrechtliche
von
der Anstalt anvertrauten De
Eröffnung
oder
Unterdrückung
der
selben; c) Benachrichtigung Anderer von dem Inhalte der De peschen. Gleichgestellt ist auch ^ter34 die Gestattung der Vornahme solcher Handlungen durch Dritte sowie die Hülfeleistung dazu.
Strafe: Gefängnis nicht unter 3 Monaten.
12. Die sogenannte Konnivenz des AmtSvorgesetzten (StGB. §. 357).
Sie liegt vor:
a) wenn der Amtsvorgesetzte seinen Untergebenen zu einer
strafbaren Handlung im ämte35
vorsätzlich
verleitet33 ***
oder zu verleiten unternimmt;"
" Auch Postanweisungen sind Briefe: RGR. 8. Dezember 1879, E I 124, R I 114. 33 Ausnahme von der oben §. 37 III 2 ausgestellten Regel: obwohl nicht der Thäter, sondem nur der Gehülfe Beamte ist, liegt dennoch ein eigentliches Amtsdelikt vor.
14 Vgl. oben Anmerkung 15. 35 Nicht bloß die im28.Avschn. StGB, enthaltenen ^Amtsdelitte". 36 VorauSzusetzen ist daS Nicht vorliegen einer Anstiftung; sonst wäre nicht §. 357, sondern §. 48 StGB, anzuwenden. 37 Vgl. oben §. 37 I 2 a.
b) wenn er eine solche Handlung seiner Untergebenen wissentlich geschehen läßt;88 c) wenn die von einem anderen Beamten begangene -strafbare Handlung die zur Aufsicht oder Kontrolle deS Angeklagten gehörenden Geschäfte betrifft.89 AlS Strafe für die Konnivenz gilt die auf jene Hand lung, zu welcher die Konnivenz geleistet wurde, gefetzte Strafe. 8" Hier liegt, bei die Ver pflichtung zur Verhinderung vorhanden war, ein Unter-
lasiungsdelikt aus der oben §. 21 II a besprochenen Gruppe vor. 89 Auch hier gilt das in der vorigen Anmerkung Gesagte
Viertes Buch. Strafbare Handlungen gegen Las Gemeinwesen. I.
Gegen Gestand und Sicherheit Les Staates. 1.
tz.93. Hochverrat.» 1.
1.
Hochverrat — im Gegensatze zum Landesverräte
— ist der Angriff auf Bestand und Sicherheit deS Staates als eines EinzelindividuumS.
Handlungen würden ihren Charakter
Die hochverräterischen nicht
verlieren,
auch
wmn der Staat, gegen welchen sie gerichtet sind, der einzige
auf Erden bestehende wäre.
2.
Objekt deS Hochverrates im eigentlichen Sinne ist
aber nur das inländische StaatSganze, d. h. dasjenige, dessen Gesetzgebung in Frage steht;
für
uns
Reich, und jeder einzelne deutsche Bundesstaat?
daS deutsche ES bedarf
besonderer Anordnung, wenn Bestand und Sicherheit auch
ausländischer Gemeinwesen
unter
strafrechtlichen
Schutz
gestellt werden soll (vgl. StGB. §. 102 und unten II);8* * zur * 1 Lit. bei Meyer S. 639 Note 1; Zorn Staatsrecht S. 276 ff. 8 Soweit eS sich nicht um ae auf den Monarchen , ist kein Unterschied aemacht zwischen Reich und Ern-
, kein Unterschied zwischen irzelstaaten untereinander. Gegen jede derartige Unter scheidung vom staatsrechtlichen Standpunkte aus (wohl mit Un recht) Zorn a.O. 3 Dgl. oben §. 13 m S. 64.
S
392
MerteS Buch. I. Gegen Bestand u. Sicherheit des Staates.
Gewährung solchen Schutzes wird die heimische Gesetzgebung
nicht nur durch ihr Interesse an Aufrechthaltung freundnach barlicher Beziehungen bestimmt, sondern in erster Linie durch tie immer stärker werdende Interessengemeinschaft sämmtlicher
Kulturstaaten, welche jede Erschütterung des einen Gemein wesens auf alle übrigm zu reflektieren droht.
3. Andererseits kommt dem Hochverrate gegenüber das inländische Strafrecht zur Anwendung, auch wenn die straf
bare Handlung im Auslande, fei es von einem Inländer, sei eS von einem Ausländer begangen wurde (StGB. §. 4 Ziff. 1, vgl. oben §. 13 III).
n. Die Reichsgesetzgebung bezeichnet in kasuistischer Weise,
mit Ausschluß aller übrigen etwa gleichwertigen, jene Hand
lungen,
in
welchen
sie
einen
Sicherheit deS Staates erblickt.
Angriff auf
Bestand
und
Darnach ist Hochverrat im
Sinne deS positiven Rechtes: 1. Mord und Mordversuch an dem Kaiser, an dem eigenen Landesherrn oder während deS Aufenthaltes in einem
Bundesstaate an dem Landesherrn dieses Staates verübt. Strafe:
2.
der Tod (StGB. §. 80).
Das Unternehmen, einen Bundesfürsten (abgesehen
von dem Falle unter 1) zu töten, gefangen zu nehmen, in Feindes Gewalt zu liefern oder zur Regiemng unfähig zu machen (StGB. §. 81 Ziff. 1).
3.
Das Unternehmen, die Berfassung deS deutschen
Reichs oder eines Bundesstaates oder die in demselben be stehende Thronfolge gewaltsam
zu ändern (StGB. §. 81
Ziff- 2).
4. DaS Unternehmen, das Bundesgebiet einem fremden Staate oder das Gebiet eines Bundesstaates
einem
anderen Bundesstaate ganz oder teilweise gewaltsam einzu-
Hochverrat. §. 93.
393
verleiben; oder einen Teil deS Bundesgebietes oder deS Ge bietes eines BnndeSstaateS vom Ganzen loSzureißen (StGB. §. 81 Ziff. 3 und 4).« Strafe zu 2—4: lebenslängliches Zuchthaus oder lebens längliche Festungshaft, bei mildernden Umständen Festungs
haft nicht unter 5 Jahren; neben Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Aemter, sowie der aus
öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden (vgl. oben §. 51 II 3). HI.
1. Im Falle 1 unter II ist Versuch und Vollendung
in der Bestrafung gleichgestellt (vgl. oben ß. 33 III 4); in den Fällen 2—4 gilt dasselbe von dem Unternehmen (vgl. obm §. 33 in 3).
StGB.
§. 82 giebt uns eine,
nicht notwendig über das Gebiet des Hochverrates hinaus anzuwendende, Definition dieses Unternehmens: „ jede Hand lung,
durch
welche
daS
Vorhaben
unmittelbar
zur Ausführung gebracht werden soll."
Also nicht
die beginnende AuLführungShandlung (oben §. 33 IV)
selbst,
sondern die diesen Begin» unmittelbar vorbereitende
Handlung.'
Mit
anderen
Worten:
umfaßt ein weiteres Gebiet als
der
daS
„Unternehmen"
Versuch;
umschließt
auch Vorbereitungshandlungen; aber nur jene, die un mittelbar an daS Versuchsgebiet angrenzen.
Die §§. 81 und
82 lasten also den bei weitem größeren Teil der VorbereitungShandlungen straflos.
2. Diese Lücke füllen die folgende» Paragraphen auS. Auch die Vorbereitungshandlungen zum Hochverrat
* DaS Unternehmen, daS ganze Gediet eines Bundesstaates ge waltsam zum Reichslande zu machen, konnte nicht als Hoch
verrat betrachtet «erden: Folge der kasuistischen Faffung deS Gesetzes. ' Sehr bestritten.
394
Viertes Buch. I. Gegen Bestand u. Sicherheit des Staates,
sind unter Strafe gestellt; und zwar in der Weife, daß ge-
wiffe besonders
gefährllche Vorbereitungshandlungen unter
besondere höhere,
alle übrigen unter gemeinsamen niederen
Strafrahmen fallen.
a) Das hochverräterische Komplott (die Verabredung der Ausführung eines hochverräterischen Unternehmens
zwischen Mehreren; vgl. oben §. 38 II 4) wird nach StGB. §. 83 mit Zuchthaus oder Festungshaft nicht unter 5 Jahren, bei mildernden Umständen mit Festungs
haft nicht unter 2 Jahren bestraft.
Neben Festungs
haft ist teilweiser Ehrverlust fakultativ zugelassen (vgl.
oben §. 51 II 3). b) Dieselbe Strafe trifft (StGB. §. 84) denjenigen, welcher zur Vorbereitung eines Hochverrates a) sich
mit
einer auswärtigen* Regierung
einläßt, oder 3) die
ihm
vom
Reiche
oder einem
Bundesstaate
anvertraute Macht mißbraucht, oder 7) Mannschaften
anwirbt
oder
in
den
Waffen einübt.
c) Jede andere, ein hochverräterisches Unternehmen vor bereitende Handlung wird (StGB. §. 86) mit Zucht
haus oder Festungshaft
bis zu 3 Jahren, bei mil
dernden Umständen mit Festungshaft von 6 Monaten bis zu 3 Jahren bestraft.
IV.
Die öffentliche Aufforderung zum Hochverrat
(S 97 Notel, 98 Note 1 Gesagten, insbes. §. 103 a StGB, (unten S. 419).
einen Beamten,
welcher
8 Lit. bei Meyer S. 664 Note 2. Dazu Kirchenheim GS. XXX. 3 Ueber diese Begriffe oben §. 63 I 1 a und b.
408
Viertes Buch.
II. Delikte gegen die Staatsgewalt
zur Vollstreckung von Gesetzen,
von Befehlen und Anord
nungen der Verwaltungsbehörden,
oder von Urteilen oder
Verfügungen der Gerichte berufen, und in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes begriffen ist (StGB. §. 113).
Der Begriff des Beamten ist aus dem oben §. 92 I 2 Gesagten zu entnehmen; doch stellt das Gesetz (StGB. §. 113 Abs. 3) den Beamten gleich: jene Personen, welche zur Unter
stützung deS Beamten zugezogen waren; Mannschaften der bewaffneten Macht; endlich Mannschaften einer Gemeinde-, Schutz- oder Bürgerwehr.
Die Amtsausübung muß eine rechtmäßige sein; sie ist es, wenn die Amtshandlung nicht nur innerhalb der Grenzen der allgemeinen Zuständigkeit des Beamten sich bewegt, son dern auch im Einzelfalle ihre Vornahme bei pflichtgemäßer
Berücksichtigung der dem Beamten im Augenblicke vorliegenden Umstände als geboten erscheint, mag sie sich auch nachträglich, bei Klärung der Sachlage, als überflüssig oder sogar unge
rechtfertigt darstellen/ Irrige Annahme der
Rechtmäßigkeit von
Seiten
deS
Beamten kann den Mangel derselben nicht ersetzen.
Da das Vergehen des §. 113 StGB, nur vorsätzlich be
gangen werden kann, ist das Bewußtsein des Thäters von
der
Rechtmäßigkeit
der Amtsausübung
unerläßlich;
sein
Mangel, sollte er auch auf grober Fahrlässigkeit beruhen,
schließt die Strafbarkeit deS Widerstandes aus.
Strafe:
Gefängnis von 14 Tagen bis zu 2 Jahren;
bei mildernden Umständen Gefängnis bis zu einem Jahre oder
Geldstrafe bis zu 1000 Mark/ < Kasuistik: RGR. 5. De zember 1879, EI 26, RI 116; RGR. 3. Juni 1880, E II 82.
1 Dagegen RGR. 22. April 1880, R I 042. • Besondere Bestimmungen
2.
409
§♦ 99.
Widerstand gegen die Staatsgewalt.
Thätlicher Angriff? auf eine der unter
1
ge
nannten Personen, während sie in der rechtmäßigen Aus übung ihres
3.
Amtes
oder
Dienstes
begriffen ist (StGB.
Strafe wie unter 1.
§. 113).
Das Unternehmen, durch Gewalt oder Drohung eine
Behörde oder einen Beamten zur Vornahme oder Unter lassung
einer Amtshandlung zu nötigen (StGB.
§. 114).8
Strafe:
Gefängnis nicht unter 3 Monaten; bei mil
dernden Umständen Gefängnis bis zu 2 Jahren.
II.
Aufruhr und Auflauf.
1.
Aufruhr.8
Die
Teilnahme
an
einer öffentlichen
Zusammenrottung,'8 bei welcher eine der unter I bezeichneten Handlungen mit vereinten Kräften begangen wird (StGB. §.115).11 Strafe:
Gefängnis nicht unter 6 Monaten; gegen die
Rädelsführer (oben §. 37 I 5) sowie diejenigen Personen,
welche eine der unter I bezeichneten Handlungen begangen
haben, Zuchthaus bis zu 10 Jahren mit fakultativer Polizei aufsicht,
bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter
6 Monaten. 2.
Auflauf: rechtswidriges Verweilen
vielfach in den Nebengesetzen; so Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 148, 161; Salzsteuer gesetz vom 12. Oktober 1867 §. 17; Brau- und Branntwein steuergesetz vom 4. u. 8. Juli 1868 §§. 37 u. 68; Braumalz steuergesetz vom 31. Mai 1872 36; Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879 §. 41. Häufig
in
einer auf
sind insbesondere ergänzende Ordnungsstrafen angedroht. 7 Begriff oben S. 322. 8 Kasuistik: RGR. 13. Mai 1880, R I 770. 9 Lit. bei Meyer S. 670 Note 1; dazu Teichmann HR. „Aufruhr". 10 Begriff oben S. 331. 11 Vgl. Milit.StGB. §§. 9 Ziff. 3, 103, 106—110.
410 Viertes Buch. H. Delikte gegen die Staatsgewalt rc.
öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen versammelten Menschenmenge, welche von dem zuständigen Beamten oder Befehlshaber der bewaffneten Macht dreimal aufgefordert worden sich zu entfernen (StGB. §. 116). Strafe: Gefängnis bis zu 3 Monaten oder Geldstrafe bis zu 1500 Mark. Ist bei einem Auflaufe gegen die Beamten oder die be waffnete Macht mit vereinten Kräften thätlicher Widerstand geleistet oder Gewalt verübt worden, so treten gegen die jenigen, welche an diesen Handlungen teilgenommen, die Strafen des AuftuhrS ein. DI. Gewalt gegen Forst- oder Jagdbeamte, Waldeigentümer, Forst- oder Jagdberechtigte oder gegen einen von diesen bestellten Aufseher (StGB. §§. 117—119). Der Autorität der Staatsgewalt ist hier die Autorität gewisser Privatpersonen wegen des Bedürfnisses derselben nach intensiverem strafrechtlichen Schutze gegen An griffe gleichgestellt. Zwei Fälle gehören hieher: 1. Durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt geleisteter Widerstand gegen die genannten Personen, wenn sie in der rechtmäßigen12 Ausübung ihres Amtes oder Rechtes begriffen sind; 2. der thätliche Angriff gegen dieselben während der Ausübung ihres Amtes oder Rechtes. Daß die rechtswidrige Handlung innerhalb des be treffenden Revieres oder zwar außerhalb desselben, aber in unmittelbarem Zusammenhänge mit einer innerhalb des Re vieres vorgenommenen Amtshandlung oder Rechtsausübung stattgefunden habe, ist zum Thatbestände des Vergehens nicht 11 Begriff oben I.
Widerstand gegen die Staatsgewalt.
99.
411
erforderlich; es genügt die Richtung der Handlung gegen die
genannten, eines höheren strafrechtlichen Schutzes bedürftigen
Personen." Ebensowenig läßt sich bei dem klaren Wortlaute
deS Gesetzes die" Ansicht rechtfertigen, daß nicht die Aus
übung des JagdrechteS oder anderer den angeführten Privat personen zustehender Rechte, sondern nur die zum Schutze
der Waldungen und Jagden gegen Forst- und Jagd frevler vorgenommenen Handlungen in §. 117 gemeint seien. Die Strafe ist vielfach abgestuft.
a) Regelmäßiger Strafrahmen: Gefängnis von 14 Tagen bis zu 3 Jahren; bei mildernden Umständen Gefängnis bis zu einem Jahre (StGB. §. 117);
Jb) wen» der Widerstand oder der Angriff unter Drohung mit Schießgewehr, Texten oddr anderen gefährlichen Werkzeugen erfolgt oder mit Gewalt an der Person" begangen worden ist:
Gefängnis nicht unter 3 Mo
naten, bei mildernden Umständen nicht
unter einem
Monate (StGB. §. 117); c) wenn durch den Widerstand oder den Angriff eine
Körperverletzung dessen, gegen welchen die Handlung
begangen ist, vemrsacht worden: Zuchthaus bis zu 10 Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter 3 Monaten (StGB. §. 118);
d) wenn eine der Handlungen von Mehreren gemein
schaftlich" begangen worden ist, so kann die Strafe
(a—c) bis um die Hälfte des angedrohten Höchstbe-
" Ebenso — im Gegensatze zur früheren preußischen Praxis — RGR. 15. Mai 1880, E n 167, R I 789.
" Vom RGR. 29. Mai 1880, E II 170, R1835 aufgestellte. “ in homine, vgl oben §. 63 I 1 a. " Dgl. oben §. 61 Note 5.
412
Viertes Buch.
H. Delikte gegen die Staatsgewalt rc.
träges, die Gefängnisstrafe jedoch nicht über 5 Jahre erhöht werden (StGB. §. 120). IV.
Die
Befreiung
von
Gefangenen (StGB.
Ktz. 120—122)" voraussetzend, daß der „Gefangene" (Unter*
fuchungS- wie Strafgefangene, der in civilprozessualer wie in
polizeilicher Haft Befindliche) sich bereits thatsächlich in der
Gewalt der Obrigkeit befunden hat, nicht erst in dieselbe ge*
bracht werden soll, charakterisiert sich durch den Bruch dieser Gewalt und nicht durch den — allerdings auch in ihr ge legenen — Eingriff in die staatliche Rechtspflege, gehört
mithin nicht zu den unten §. 103 behandelten Delikten, son dern an jene Stelle, welche auch die Systematik des RStGB.
ihr angewiesen hat. 1. Die Selbstbefreiung, regelmäßig straflos, ist nach dem RStGB. §. 122 nur" strafbar di Meuterei:
a) wenn die Gefangenen sich zusammenrotten" und mit vereinten Kräften a) die Anstaltsbeamten oder die mit der Beaufsich
tigung Beauftragten angreifen, oder
ß) denselben Widerstand leisten, oder t) eS unternehmen, sie zu Handlungen oder Unter*
laffungen zu nötigen; oder wenn
b) Gefangene
sich
zusammenrotten
und
mit
vereinten
Kräften einen gewaltsamen Ausbruch unternehmen.
Strafe: Gefängnis nicht unter 6 Monaten; gegen die jenigen Meuterer, welche Gewaltthätigkeiten gegen die An staltsbeamten oder gegen die mit der Baufsichtigung Beauf*
" Vgl. auch Mil.StGB. §§.68 Ziff. 11. 79, 80, 144, 169.
" Anders Mil.StGB. §§. 79, 80, 159. " Begriff oben S. 331.
«Die- strafbaren Aufforderungen.
§. 100.
413
tragten verüben, Zuchthaus bis zu 10 Jahren mit fakultativer Polizeiaufsicht. 2. Die vorsätzliche Befreiung eines Gefangenen auS
der Gefangenanstalt oder auS der Gewalt der bewaffneten
Macht, deS Beamten oder desjenigen,
unter dessen Beauf
sichtigung, Begleitung oder Bewachung er sich befindet (StGB.
§. 120).
Gleichgestellt ist
die
vorsätzliche Bechülfe zu der,
wfnn auch an sich straflosen Selbstbefreiung (vgl. oben §. 37 II. 2).
Strafe: Gefängnis bis zu 3 Jahren; Versuch strafbar. 3. DaS vorsätzliche Entweichenlasseneines Gefangenen oder die vorsätzliche oder fahrlässige Beförderung seiner Be freiung
durch
eine
mit der Beaufsichtigung oder
Begleitung deS Gefangenen beauftragte Person.
Strafe (StGB. §. 121): a) bei vorsätzlichem Handeln Gefängnis bis zu 3 Jahren;
b) bei fahrlässiger Beförderung der Befreiung Gefängnis
bis zu 3 Monaten oder Geldstrafe bis zu 300 Mark. Ueber das
Amtsdelikt
deS
§. 347
StGB.
vgl. oben
ß. 92 II 5 e.
5. g. 100. Str strafbaren Aufforderungen. I. Die öffentlich* vor einer Menschenmenge oder durch
Verbreitung oder öffentlichen Anschlag , oder öffentliche Aus stellung von Schriften oder anderen Darstellungen erfolgte
10 Hier bleibt Fahrlässigkeit straflos. 1 Zur „Oeffentlichkeit" (oben
S. 323) muß das weitere Merk mal „vor einer Menschenmenge" hinzutreten.
414
Viertes Buch.
II. Delikte gegen die Staatsgewalt rc.
Aufforderung zu einem hochverräterischen Unter nehmen (StGB. §. 85)?
Strafe: Zuchthaus bck zu 10 Jahren oder Festungs
haft von gleicher Dauer; bei mildernden Umständen Festungs haft von einem Jahre bis zu 5 Jahren. auf dem
II. Die
unter I
bezeichneten
Wege
Aufforderung zum Ungehorsam gegen
erfolgte
Gesetze
oder
rechtsgültige Verordnungen oder gegen die von der Obrigkeit
innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffenen Anordnungen (StGB? 8- 110)?
Strafe: Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Gefängnis bis zu 2 Jahren.
III. Die zu
einer
auf dieselbe Weise
(wenn
auch
nur
erfolgte Aufforderung
landesrechtlich)
strafbaren
Handlung (StGB. §. 111).
Strafe: Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre;
doch
darf
die Strafe,
Maße nach, keine schwerere sein,
der Art und dem
als die auf die Handlung
selbst, zu welcher aufgefordert wurde, angedrohte. Wenn die Aufforderung die strafbare Handlung oder einen strafbaren
Versuch
derselben zur Folge gehabt hat, so ist der Auffor
dernde gleich einem Anstifter zu bestrafen.
Er ist da
gegen Anstifter im technischen Sinne deS Wortes und nicht nach §. 111, sondern §. 48 StGB, strafbar, wenn die Merk
male deS Anstiftungsbegriffes (Richtung des Vorsatzes auf Herbeiführung
einer bestimmten,
individualisierten
Handlung durch eine bestimmte Person oder durch mehrere
solche) gegeben sind; er wird „gleich einem Anstifter" nach
3 Vgl. StGB. §. 102 und I 3 Vgl. Mil.StGB. oben §. 93 III. I 102.
99 bis
Die strafbaren Aufforderungen.
8-100.
415
§. 111 StGB, bestraft, wenn eines dieser Merkmale fehlt, wenn also z. B. die
auf Einschüchterung
ausschließlich
der
Regierung berechnete und nur ihr gegenüber ernst gemeinte
Aufforderung die vom Thäter nicht vorhergesehene und noch weniger beabsichtigte Begehung der strafbaren Handlung durch
einen Dritten zur Folge gehabt hat.
IV. Die öffentliche Aufforderung mittels der Preffe
zur Aufbringung der wegen einer strafbaren Hand lung erkannten Geldstrafen und Kosten,
sowie die
öffentliche Bescheinigung mittels der Preffe über den Empfang der zu solchen Zwecken gezahlten Beiträge* (Preßgcsetz §. 16)?
Strafe: Geldstrafe bis zu 1000 Mark oder Hast oder
Gefängnis bis zu DaS zufolge solcher
6 Monaten
(Preßgefetz §. 18 Ziff. 1).
Aufforderung
Empfangene
oder
der
Wert desselben ist der Armenkaffe deS OrtS der Sammlung
für verfallen zu erklären. V. Neben die öffentlichen Aufforderungen ist feit der
Novelle vom 26. Februar 1876 daS in StGB. §. 49 a (in
dem,
dem belgischen Gesetze vom 7. Juli 1875 nachgebil
deten, DucheSne-Paragraphen) mit Strafe bedrohte selbstän dige (nicht alS versuchte Anstiftung zu konstruierende) Delikt
getreten?
StGB. §. 49 a umfaßt:
1. Die Aufforderung
eines Anderen zur Begehung
eines Verbrechens (im engeren Sinne) oder zur Teilnahme
« Vgl. Liszt Preßr. §.46111. * ES ist hier die Aufforderung zu einer- nicht einmal immer rechtswidrigen Handlung unter Strafe gestellt. Deutlicher als bet den übrigen öffentlichen Auf forderungen tritt hier als straf
begründender Umstand ihr demonftrattver Charatter gegen über der Staatsgewalt in dm Vordergrund. • Vgl. Geyer HR. „Auffor derung" mit Ltt.
416
Viertes Buch. II. Delikte gegen die Staatsgewalt rc.
an einem Berbrechen, sowie die Annahme einer solchen Auf forderung. 2. Das Sich-Erbieten zur Begehung eines Verbrechens oder zur Teilnahme an einem Verbrechen, sowie die An nahme eines solchen Erbietens. Es wird jedoch das lediglich mündlich auSgedrückte Auf fordern oder Erbieten, sowie die Annahme eines solchen nur dann bestraft, wenn die Aufforderung oder das Erbieten an 'die Gewährung von Vorteilen irgend welcher Art (nicht not wendig pekuniärer Natur) geknüpft worden, und dadurch die Ernstlichkeit desjenigen, der die Initiative ergreift, be wiesen ist7 Auch abgesehen von dieser ausdrücklichen Anordnung des Gesetzes ist Ernstlichkeit der Aufforderung und des Er bietens zur Strafbarkeit notwendig, bei Mangel derselben auch die Annahme straflos. Aufforderung und Erbieten müssen der Ausdruck eines (bedingt gefaßten) Entschlusses sein, der durch die Annahme zu einem unbedingten wird? Strafe: a) Wenn daS geplante Verbrechen mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthause bedroht ist, Gefängnis nicht unter 3 Monaten; b) wenn es mit einer geringeren Strafe bedroht ist, Ge fängnis bis zu 2 Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer. Neben Gefängnis kann auf Verlust der bürgerlichen Ehren rechte, sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. 7 Daß er selbst einen genau bestimmten Vorteil gewähren werde, braucht nicht in Aussicht
gestellt worden zu sein (RGR. 2. Juli 1880, R II 153). • Vgl. RGR. 31. Marz 1880, E I 338, R I 515.
Mißachtung der Autorität der Staatsgewalt,
tz. 101. 417
6.
§. 101. Mißachtung der Autorität -er StaatKgrrvalt? I. Die öffentliche wissentliche Behauptung oder Verbreitung von erdichteten oder entstellten That sachen/ um dadurch Staatseinrichtungen (d. i. dauernde Bestandteile der Staatsverfassung oder Staatsver waltung/ nicht aber die allgemeinen Rechtsinstitute der Ehe, des Eigentums usw.) oder Anordnungen der Obrigkeit verächtlich zu machen* (StGB. §. 131). Strafe: Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Gefängnis bis zu 2 Jahren. II. Die unbefugte Ausübung eines öffentlichen Amtest oder die Vornahme einer Handlung, die nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf^ (soge nannte „Amtsanmaßung"; StGB. §. 132). Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe
bis zu 300 Mark.' III. Die vorsätzliche Vernichtung, Bei-Seite-Schaffung oder Beschädigung von Urkunden, Registern, Akten 1 Nur die inländische Staats gewalt wird — von dem Falle in StGB. §. 103 a abgesehen — geschützt. 2'Thatsachen: vgl. oben §.73 S.290. Dagegen RGR. 14. Juli 1880, RII197. 3 Z. B. der Bundesrat, die allgemeine Wehrpflicht, das Reichskanzleramt usw. 4 Maßgebend die Anschauun gen unbefangener Kreise; vgl. oben §. 80 Note 6. von Liszt, Strafrecht.
6 Begriff des „Amtes" hier weder nach §. 31 noch nach §. 359 StGB., sondern nach den Landesgesetzen zu bestimmen. 0 Vgl. Zimmermann GS. XXX; RGR. 7. Juli 1880, R II 167. 7 Vgl. §. 2 des Gesetzes zur Verhinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtern vom 4. Mai 1874; auch StGB. §. 360 Ziff 8. 27
418
Viertes Buch.
II. Delikte gegen die Staatsgewalt rc.
oder anderen Gegenständen, welche sich zur amtlichen Aufbewahrung an einem dazu bestimmten Orte be
finden, oder welche einem Beamten oder einem Dritten amtlich übergeben worden sind (StGB. §.133).
Zu dem Amtsdelikte des §. 348 StGB, (oben §. 92
S. 386) verhält sich dieses Vergehen ungefähr so, wie Diebstahl zur Unterschlagung; §. 133 setzt den Bruch eines fremden, §. 348 den Mißbrauch des eigenen Gewahrsams voraus. Derjenige Beamte, der den Gewahrsam hat, kann sich daher
des in §. 133 StGB, enthaltenen Vergehens nicht schuldig machen. Strafe:
Gefängnis;
wenn die Handlung in gewinn
süchtiger Absicht begangen worden, Gefängnis nicht unter 3 Monaten mit fakultativem Ehrverlust.
IV.
Das böswillige Abreißen, Beschädigen oder
Verunstalten
Anzeigen
§. 134).
öffentlich
von
kanntmachungen,
von
angeschlagenen
Verordnungen,
Behörden
oder
Befehlen
Beamten
Be
oder
(StGB.
„Böswillig" bezeichnet die auf Herbeiführung der
Rechtsverletzung gerichtete Absicht als Motiv der Handlung (oben §. 28 III); diese muß erfolgen zu dem Zwecke, um die Mißachtung der Autorität der Staatsgewalt an den Tag zu
legen. Strafe:
Geldstrafe bis zu 300 Mark oder Gefängnis
bis zu 6 Monaten.
V. Die böswillige Wegnahme, Zerstörung oder Beschädigung von öffentlichen Zeichen der staat lichen Autorität (Zeichen, durch welche die Thatsache
der Herrschaft der Staatsgewalt öffentlich kenntlich gemacht
werden soll, wie Grenzpfähle u. dgl.) oder von Hoheits zeichen
(Symbolen
der
Staatsgewalt,
wie
Fahnen,
Mißachtung der Autorität der Staatsgewalt. Wappen u.
§. 101.
419
dgl.) oder die Verübung an beschimpfendem
Unfug an diesen Gegenständen. Strafe:
1. Wenn gegen die inländische Staatsgewalt gerichtet,
nach StGB. §. 135 Geldstrafe bis zu 600 Mark oder
Gefängnis bis zu 2 Jahren. 2. Wenn gegen einen nicht zum deutschen Reiche gehörenden Staat gerichtet, nach §. 103 a die gleiche Strafe. Der unbefugte Gebrauch der Abbildung des kaiserlichen
Wappens, oder der Wappen von Bundesfürsten oder eines .LandeSwappenS
ist
in
StGB.
§. 360 Ziff. 7 mit einer
UebertretungSstrafe (Geldstrafe bis
150 Mark oder Hast)
bedroht.
VI. Das vorsätzliche Erbrechen,
Beschädigen eines
Ablösen oder
amtlichen Siegels,
welches von
einer Behörde oder einem Beamten angelegt ist, nm Sachen zu verschließen, zu bezeichnen oder in Beschlag zu nehmen,
oder die Aufhebung deS durch ein solches Siegel bewirkten
amtliche» Verschlusses (StGB. §. 136).’ Strafe: Gefängnis bis zu 6 Monaten.
VH. Arrestbruch.
Wer Sachen (nicht Forderungen),
welche durch die zuständigen Behörden oder Beamten ge
pfändet oder in Beschlag genommen worden sind (Subhastation, Sequestration, Observation,’ Arrest, Veräußerungs verbot usw. gehören
hieher) vorsätzlich, d. h. in Kenntnis
der amtlichen Beschlagnahme,'" bei Seite schafft,
8 Val. Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 144, 151; Salzsteurrgesetz vom 12. Oktober 1867 §. 15.
zerstört
• RGR. 2. April 1880, E I 287 »»' Vgl. RGR. 16. April 1880, E I 368, R I 610.
420 Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der Staatsvenv.
oder in anderer Weise der Verstrickung ganz oder teilweise entzieht," wird nach StGB. §. 137 mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft.
III. Strafbare Handlungen gegen den Gang -er
Staatsverwaltung. 1. §. 102. Gegen Ne Verwaltung überhaupt: die falsche Sütsfixge.*1
I. Allgemeines. 1. Nach Reichsrecht ist die falsche Aussage nicht an sich und ohne weitere Voraussetzung, sondern nur dann strafbar, wenn sie 1. durch Eid oder eine andere, diesem gleichgestellte oder angereihte Beteuerungsform bekräftigt^ und 2. vor einer zur Abnahme dieser Beteuerungsformen zu ständigen Behörde abgelegt wurde. Beide Momente müssen zu der an sich normwidrigen falschen Aussage hinzutreten, ohne daß diese dadurch auf hören würde falsche Aussage zu sein. Durch daS Erfordernis der Bekräftigung wird daS Wesen deS Deliktes nicht ver11 Thäter kann sowol der Eigentümer oder der Gepfän dete als auch ein Dritter, ja Kber Gläubiger sein, zu i Gunsten die Beschlag nahme erfolgte (RGR. 1. Mai 1880, R I 705). — Dgl. noch RGR. 16. Sept. 1880, RII213.
1 Lit. bei Meyer S. 578 Note 1; dazu Jagemann GS. XXIX. 1 Daß die landesrechtlichen Strafdrohungen gegen die un beeidete falsche Aussage beseitigt sind, wurde bereits oben §. 11 Note 4 bemerkt.
Gegen die Verwaltung überhaupt. §♦ 102.
421
ändert; wird der Mißbrauch der Beteuerungsform, der nur Strafbarkeitsmerkmal ist, nicht zum NormwidrigkeitSmcrkmal gestempelt. Und andererseits ist damit zugleich nachgewiesen, daß die inkorrekt sogenannten Eidesdelikte ihren Platz im Systeme des Strafrechtes nicht neben Urkunden- und Münz fälschung haben können; denn während diese strafbar sind ohne jede weitere Rücksichtnahme auf ihre Richtung gegen ein bestimmtes Rechtsgnt, ist der Mißbrauch des Eides und der verwandten Beteuerungsformen nur strafbar, wenn hinzu tretend zu einer falschen Aussage vor Gericht oder vor einer anderen öffentlichen Behörde. Diese falsche bekräftigte Aus sage aber hat unverkennbar die Richtung gegen ein be stimmtes Rechtsgut: sie gefährdet die Sicherheit nicht bloß der Rechtspflege, sondern des Ganges der Staatsverwaltung überhaupt, soweit diese ihren Entscheidungen die Aussagen der Staatsbürger zu Grunde legt. Selbst wenn also die „publica fides“ ein Rechtsgut wäre — thatsächlich ist sie ein Wort, hinter dem ein Begriff nicht steckt, — wäre die falsche Aussage nicht als unmittelbar gegen sie gerichtet, aufzufaffen.b 2. Unter den eben besprochenen, sofort näher zu erläu ternden Voraussetzungen ist die falsche beeidete oder bekräf tigte Aussage strafbar. Sind sie gegeben, so darf weder die Rechtsgültigkeit der Beteuerungsform/ noch die Beach tung der für den Gebrauch derselben vorgezeichneten Forma litäten, noch auch die Erheblichkeit der einzelnen Aussage8 8 Ich habe keine Veranlassung, von dieser schon 1877 in meiner „falschen Aussage" vertretenen Ansicht abzugehen.
4 Ebenso RGR. 23. Februar 1880, E I 217. 6 Auch falsche Beantwortung der Generalftagen kann strafbar machen, wenn sich die Beteue-
422
Viertes Buch. in. Delikte geg. den Gang der StaatSvenv.
als Bedingung der Strafbarkeit gefordert werden.
Selbst
die Nichtzuständigkeit der Behörde im Einzelfalle hindert die Strafbarkeit der falschen Aussage nicht/ wenn die Behörde
nur zur Entgegennahme von Versicherungen
der fraglichen
Art im allgemeinen berechtigt war. II. Die Arten.
A. Vorsätzliche falsche Aussage. 1. Der eigentliche Meineid. a) In eigener Sache, als zugeschobener, zurückgcschobener oder auferlegter Eid im Civilprozeß (StGB.
§. 153).
Strafe: Zuchthaus bis zu 10 Jahren. b) In fremder Sache, als eidlich bekräftigtes falsches Zeugnis oder falsches Gutachten,
nahme
von
Eiden
(StGB. §. 154),
zuständigen
einer zur Ab
vor
Behörde
mag die Beeidigung
abgelegt
der Aussage
vorangehen oder ihr nachfolgen.
Strafe: Zuchthaus bis zu 10 Jahren; wenn die falsche Aussage in einer Strafsache zum Nachteile eines Angeschul
digten abgegeben und dieser zum Tode, zu Zuchthaus oder zu einer anderen mehr als 5 Jahre
betragenden Freiheits
strafe verurteilt worden ist, Zuchthaus nicht unter 3 Jahren. 2. Gleichgestellte Fälle (StGB. §. 155). a) Falsche Aussage des Mitgliedes einer ReligionSgesell-
schaft, welcher das Gesetz den Gebrauch gewisser BeteuerungSformeln an Stelle deS EideS gestattet, unter der Beteuerungsformel rung auch aus diese erstreckte; in der Entscheidung, nicht aber in der Begründung richtig RGR. 5. Mai 1880, E II45, R 1732.
seiner
Gesellschaft;
8 A. A. RGR. 25. Juni 1880, E II 123, R II 110.
Gegen die Verwaltung überhaupt,
g. 102.
423
b) falsche Aussage einer Partei, eines Zeugen oder Sach verständigen unter Berufung auf den bereits früher in derselben Angelegenheit geleisteten Eid; c) falsche Aussage eines Sachverständigen, welcher als solcher ein- für allemal vereidet ist, unter Berufung auf diesen Eid; d) falsche amtliche Aussage eines Beamten unter Be rufung auf seinen Diensteid. Strafe: wie unter 1 a und b. 3. Falsche Aussage vor einer zur Abnahme von Versiche rungen an EideSstatt zuständigen Behörde unter Versiche rung an EideSstatt oder unter Berufung auf eine solche (StGB. §. 156). Strafe: Gefängnis von einem Monat bis zu 3 Jahren. B. Fahrlässige Begehung einer der unter 1 bis 3 ge nannten Handlungen (StGB. §. 163). Notwendig ist hier: a) objektive Unwahrheit der Aussage; b) Unkenntnis des AuSsagenden über diese Unwahrheit; c) die Unkenntnis muß durch Fahrlässigkeit verschuldet, Einsicht bei pflichtgemäßer Sorgfalt möglich gewesen sein? Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre. III. Während im allgemeinen die erfolglos gebliebene Anstiftung straflos bleibt (vgl. oben K. 37 I 2 a), bedroht §. 159 StGB, die unternommene Verleitung zur falschen Aussage als selbständiges Delikt, an welchem mithin strafbare Teilnahme möglich ist (oben §. 37 I 2 c und II 2), mit Strafe, und zwar: - Beispiele in RGR. 13. No-1 21. Juni 1880, R1189; 24.Juni vember 1879, E I 99, RIGI; | 1880, R II 104.
424 Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der Staatsverw. 1. wenn eS sich um eigentlichen Meineid oder um einen gleichgestellten Fall handelt (oben II A 1 und 2 mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren; 2. wenn dagegen eine falsche Versicherung an Eides statt (oben IIA3) in Frage steht, mit Gefängnis bis zu einem Jahre.
IV. Die Verleitung zur falschen Aussage (Vorsatz vorhanden beim Verleitenden, fehlend beim Schwörenden) ist in der Reichsgesetzgebung, mit Durchbrechung der allgemeinen Regeln über fingierte Thäterschaft (vgl. oben §. 36 I) eben falls zum selbständigen Delikte gemacht (StGB. §. 160), und damit ein theoretisch wie praktisch gleich verkehrtes Privilegium zu Gunsten der Herbeiführung einer falschen Aussage geschaffen worden. Strafe: 1. bei Verleitung zum Falscheid (oben II A 1 und 2) Gefängnis bis zu 2 Jahren mit fakultativem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte; 2. bei Verleitung zur falschen Versicherung an Eidesstatt (oben IIA 3) Gefängnis bis zu 6 Monaten. Der Versuch ist strafbar.
V. Strafmilderungs- und Strafaufhebungs gründe. 1. Bei vorsätzlicher falscher Aussage des Zeugen oder Sachverständigen (oben II A 1 b, 2 und 3) ist die an sich verwirkte Sttafe auf die Hälfte bis ein Viertel zu ermäßigen (StGB. §. 157), wobei Zuchthaus unter einem Jahre in Gefängnis umgerechnet werden muß (vgl. oben §. 55 I 2; §. 46 II 3), wenn a) die Angabe der Wahrheit gegen den Aussagenden eine
Verfolgung wegen eines Verbrechens ober Vergehens nach sich ziehen konnte; oder b) der Aussagende die falsche Aussage zu Gunsten einer Person, rücksichtlich welcher er die Aussage ablehnen durste, erstattet hat, ohne über sein Recht, die Aus sage ablehnen zu dürfen, belehrt worden zu sein. 2. Die gleiche Strafermäßigung tritt ein (StGB. §. 158), wenn derjenige, welcher sich einer vorsätzlichen falschen Aus sage (oben IIA 1—3, auch in eigener Sache) schuldig gemacht hat, bevor eine Anzeige gegen ihn erfolgt oder eine Unter suchung gegen ihn eingeleitet und bevor ein Rechtsnachteil für einen Anderen aus der falschen Aussage entstanden ist, diese bei derjenigen Behörde, bei welcher er sie abgegeben hat, widerruft. 3. Bei der fahrlässigen falschen Aussage (oben II B) ist dem rechtzeitigen Widerruf unter den zu 2 angegebenen Voraussetzungen die Wirkung eines Strafaufhebungs grundes beigelegt (StGB. §. 163 Abs. 2). VL Bei jeder Verurteilung wegen vorsätzlicher falscher Aussage (oben II A 1—3, nicht aber III oder IV)' ist, so weit nicht Strafmilderung auS den oben V 1 und 2 angeführten Gründen eintritt, auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte (obligatorisch, vgl. oben §. 51 I S. 202) und außerdem auf die dauernde Unfähigkeit deS Verurteilten, als Zeuge ober Sachverständiger eidlich vernommen zu werden, zu erkennen (StGB. §. 161 Abs. 1). In den Fällen der §§. 156—159 StGB, (oben IIA 3; V 1 und 2, III) kann neben Gefängnis auf Ehrverlust er kannt werden (StGB. §. 161 Abf. 2). 8 Jetzt auch vom RGR. 10. I anerkannt, und damit wohl de» Juni 1880, E II 93, RII46 | finitiv entschieden.
426
Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der StaatSverw.
2. tz. 103.
Strafbare Handlungen gegen dlr Nrchtspflrgr.
I. Der
Eidesbruch,
handeln gegen eine durch
d. i.
daS
vorsätzliche Zuwider
eidliches Angelöbnis vor Gericht
bestellte Sicherheit oder gegen daS in einem Offenbarungs
eide gegebene Versprechen (StGB. §. 162). Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren. II. Die mittels der Presse erfolgende Veröffentlichung
der Anklageschrift oder anderer amtlicher Schrift
stücke eines Strafprozesses, bevor dieselben in öffent
licher Sitzung kundgegeben worden sind oder das Verfahren sein Ende erreicht hat (Preßgesetz §. 17)?
Strafe: Geldstrafe bis zu 1000 Mark oder Hast oder
Gefängnis bis zu 6 Monaten (Preßgesetz §. 18 Ziff. 1).
III. Verletzungen der Dingpflicht (der Pflicht, Recht zu sprechen und deS Rechtes zu helfen).
1. Das Borschützen
unwahrer
Thatsachen
Entschuldigung durch denjenigen, der als Zeuge,
als
Geschwo
rener oder Schöffe berufen oder als Sachverständiger zum Erscheinen gesetzlich verpflichtet ist (StGB. §. 138).
Strafe: 2.
Gefängnis bis zu 2 Monaten.
Einfache Nichterfüllung der Dingpflicht?
a) Durch
Schöffen,
Geschworene,
» Vgl. Liszt Preßr. 46IV. 1 Ich führe der Vollständig keit wegen alle hieher gehörigen Fälle an, wenn auch Ger.-Verf.Ges. §. 56 ausdrücklich von einer Ordnungsstrafe (oben §. 43
Vertrauens-
VII) spricht und auch in den übrigen Fällen die Auffassung des angedrohten Uebels als einer Ordnungsstrafe eine gewisse Be rechtigung hat.
Delikte gegen die Rechtspflege,
427
tz. 103.
zur Wahl derselben berufenen Aus
männer deS
schusses (Ger.-Verf.-Ges. §§. 56 und 96). Ordnungs
strafe von 5—1000 Mark. b) Nichterscheinen deS ordnungsmäßig geladenen Zeugen
(StPO. §. 50, CPO. §. 345).
Geldstrafe bis zu
300 Mark, bei Uneinbringlichkeit derselben Hast bis zu
6 Wochen; bei wiederholtem Ausbleiben kann die Strafe noch einmal erkannt werden. c) Verweigerung der Zeugenaussage oder der Eidesleistung durch
CPO. §. 355).
den Zeugen (StPO. §. 69,
Strafe wie zu b, aber ohne die Zu
lässigkeit abermaliger Verhängung derselben. ä) Nichterscheinen
deS
Sachverständigen
oder
Verweigerung der Erstattung deS Gutachten-
(StPO. §. 77, CPO. §. 374). 300 Mark,
bei
Geldstrafe bis zu
wiederholtem Ungehorsam
bis
zu
600 Mark.»
IV. Unterlassung der rechtzeitigen Anzeige von
dem Vorhaben
gewisser Verbrechen» (eines Hoch
verrates, Landesverrates, MünzverbrechenS, Mordes, Raubes,
Menschenraubes, gemeingefährlichen Verbrechens) bei der Be
hörde oder bei der durch daS Verbrechen bedrohten Person,
vorausgesetzt, a) daß der Unterlassende zu einer Zeit, in welcher die Verhütung deS Verbrechens möglich ist, von dem
Vorhaben glaubhafte Kenntnis erhielt, und b) daß daS Ver brechen oder ein strafbarer Versuch desselben begangen worden
ist (StGB. §. 139)? Die Verpflichtung zur Anzeige obliegt • Vgl. §. 38 Postgesep vom 28. Oktober 1871, welches die Vorladung vor die Postbehörde dergerichtlichenBorladung gleich stellt.
« Bal. Wolff GA. XXVII. 6 Val. auch Mil. StGB. §§. 60 (Nichtanzeige als Mitthäterschast), 77, 104.
428
Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der Staattzverw.
auch, trotz §. 257 Abs. 2 StGB, den Angehörigen deS Thäters.« Strafe: Gefängnis. V. Die falsche Anschuldigung/ d. t die Anzeige bei einer Behörde, durch welche der Anzeigende wider besseres Wissen Jemanden der Begehung einer strafbaren Handlung oder der Verletzung einer Amtspflicht beschuldigt (StGB. §. 164). Die Anzeige setzt voraus, daß ein Straf- oder Diszi plinarverfahren wegm der angeschuldeten Handlung gegen den Beschuldigten noch nicht eingeleitet ist, und unterscheidet sich eben dadurch von dem falschen Zeugnisse, das in einem be reits eingeleiteten Verfahren zu Ungunsten deS Angeschuldigten oder Angeklagten abgelegt wird; sie muß — daS liegt in dem Worte „Anzeige" — mit dem Bewußtsein erfolgen, daß sie die Einleitung des Verfahrens zur Folge haben werde. In der Ueberreichung der Privatklage kann eine Anzeige im Sinne des Gesetzes gelegen sein.« Anschuldigung einer strafbaren Handlung liegt auch dann vor, wenn der staatliche Strafanspruch infolge deS Eintrittes eines Strafaufhebungsgrundes untergegangen ist/ sie liegt nicht vor, wenn der Strafanspruch wegen deS Mangels einer Bedingung der Sttafbarkeit (vgl. oben §. 30 II) gar nicht zur Entstehung gelangte. Strafe: Gefängnis nicht unter einem Monat mit fakul tativem Ehrverlust. Als Privatgenugthuung (oben §. 43 • RGR. 15. Mai 1880, E II 57, R I 785. 7 Lit. bei Meyer S. 542 Note 1.
8 RGR. 7. November 1879, R I 44. 9 Bezüglich der Verjährung ausgesprochen von RGR. 25. Februar 1880, E I 229, R 1393.
Delikte gegen die Rechtspflege,
429
g. 103.
II 2) ist im Falle der Verurteilung des Anzeigers (StGB.
§. 165)
1. dem Verletzten die Befugnis zuzusprechen, daS Schuld urteil auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekannt zu
machen (die Art der Bekanntmachung, sowie die Frist zu derselben ist in dem Urteile zu bestimmen); 2. dem Verletzten auf Kosten deS Schuldigen eine Aus
fertigung des Urteils zu erteilen. So lange ein
in Folge der
gemachten Anzeige ringe»
leiteteS Verfahren anhängig ist, soll mit dem Verfahren und mit der Entscheidung über die falsche Anschuldigung innege
halten werden (§. 164 2. Abs. StGB.). VI.
Begünstigung
und
Hehlerei.'"
Begünsti
gung (StGB. §. 257)" ist die wissentliche, nach Begehung
eines Verbrechens oder Vergehens dem Thäter oder Teil
nehmer gegenüber zu dem Zwecke erfolgende Beistandleistung, um entweder
a) den Schuldigen der Bestrafung zu entziehen10 11 (persön liche Begünstigung), oder b) demselben die Vorteile deS Verbrechens oder Vergehens zu sichern (sachliche Begünstigung).
Die Begünstigung erscheint in chren beiden Formen als
eine Hemmung der staatlichen Rechtspflege; sie hindert, mag sie als persönliche der strafenden Gerechtigkeit in die Arme
fallen, mag sie als sachliche die civilrechtliche Ausgleichung
10 Lit. bei Meyer S. 236 Note 1; dazu Gretener Be günstigung und Hehlerei 1879; Geyer HR. „Begünstigung". " Dgl. auch Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §. 149.
11 Z. B. Verbüßung der Freiheitsstrafe oder Zahlung der Geldstrafe unter dem Namen eine- Anderen, falsche Angaben in einem Zeugnisse oder Gna dengesuche usw.
430
Viertes Buch. NI. Delikte geg. den Gang der Stratsverw.
unmöglich zu machen trachten, den Eintritt der Rechtsfolgen,
welche der Staat
an die Begehung des Berbrechens oder
Vergehens geknüpft
hat.
Dieser Charakter bestimmt ihre
Stellung im Systeme des besonderen Teils; die'Begünstigung
ist nicht Teilnahme an dem begangenen Delikte, weil nicht
Setzen einer Bedingung zu dem eingetretenen Erfolge (vgl. oben tz.35 IV); sie hat aber auch mit der
Partiererei
(vgl. oben §. 77), die reines Bermögensdelikt ist, prinzipiell
nichts gemein. Positiv rechtlich ist sie freilich mit dieser durch den verunglückten Mittelbegriff der Hehlerei in Verbindung
gebracht. Die Begünstigung setzt die Begehung eines Verbrechens
oder Vergehens voraus, und da sie nur als vorsätzlich be
gangene strafbar ist, die Kenntnis dieses Umstandes auf Seiten
des Thäters." Ist die Hauptthat Antragsdelikt, so kann auch die Be
günstigung nur auf Antrag verfolgt werden; arg. StGB. §§. 63 und 247 Abs. 2 und 4.14
Strafe:
Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Gefängnis
bis zu einem Jahre; wenn der Thäter den Beistand seines Vorteils wegen leistet, Gefängnis; doch darf die Strafe, der
Art und dem Maße nach, keine schwerere sein, als die auf
die Handlung selbst angedrohte. Die Begünstigung bleibt straflos (subjektiver Strafaus
schließungsgrund
in dem
oben
§. 30 IN
3
besprochenen
Sinne), wenn sie dem Thäter oder Teilnehmer von einem
Angehörigen gewährt worden ist, um ihn der Bestrafung zu
entziehen (StGB. §. 257 Abs. 2).
18 Dagegen die herrschende I 14 Vgl. übrigens noch daS Ansicht. I oben §. 77 Gesagte.
Delikte gegen die Rechtspflege.
§. 103.
431
„Die Begünstigung ist als Beihülfe zu bestrafen, wenn
sie vor Begehung der That zugesagt worden ist.
Diese Be
stimmung leidet auch auf Angehörige Anwendung" (StGB. §. 257 Abs. 3).
Die Bedeutung
vielfach mißverstanden.
dieser Anordnung
wird
Sie erweitert nicht den Begriff der
Beihülfe und verengert nicht den Begriff der Begünstigung.
Leistung des schon vorher zugesagten Beistandes wäre Beihülfe und Begünstigung
in realer,
unter Umständen
in
idealer
Konkurrenz; diese Konsequenz weist §. 257 Abs. 3 zurück: nicht Begünstigung und Beihülfe,
ist anzunehmen.
sondern nur Beihülfe
Darum sagt das Gesetz nicht:
günstigung ist Beihülfe,"
„Die Be
sondern: „sie ist als Beihülfe zu
bestrafen."11
2.
Hehlerei (StGB. §. 258):
Begünstigung (persön
liche oder sachliche) um des eigenen Vorteils" willen, wenn mit Bezug auf gewisse Eigentumsdelikte (Dieb
stahl, Unterschlagung, Raub, räuberischen Diebstahl, räuberische
Erpreffung) begangen. Strafe:
a) wenn der Begünstigte einen einfachen Diebstahl oder
eine Unterschlagung begangen hat, Gefängnis; b) wenn er einen schweren Diebstahl, einen Raub oder ein dem Raube gleich zu bestrafendes Verbrechen be
gangen hat, Zuchthaus bis zu 5 Jahren. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis nicht unter 3 Monaten ein.
Die Hehlerei bleibt strafbar, auch wenn der Hehler ein Angehöriger des Begünstigten ist.
“ Die Analogie mit dem oben §. 85 V besprochenen RechtSsape liegt auf der Hand.
16 Nicht notwendig VermögenSvorteil.
432
Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der Staatßvmv.
In Bezug auf die gewerbs-
oder gewohnheitsmäßige
Hehlerei (StGB. §. 260), die Hehlerei im zweiten Rückfalle (StGB. §. 261), die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte und die Stellung unter Polizeiaufsicht ist das oben §. 77 von der Partiererei Gesagte auch auf die eigentliche Hehlerei
anzuweudcn.
3.
g. 104. Strafbare Handlungen gegen dir Verwaltung Les vrlchskrtrgxwrsens.' I. Die Aufforderung
oder Anreizung (StGB.
§. 112):' 1. einer Person des Soldatenstandes,' fei eS des
deutschen HeereS, sei eS der kaiserlichen Marine, zum Ungehorsam gegen Befehle deS Oberen; 2. einer Person deS Beurlaubtenstandes' zum Un
gehorsam gegenüber der Einberufung zum Dienste.
Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren,
n.
Die Falschwerbung (StGB. §. 141), d. i. die
Anwerbung eines Deutschen zum Militärdienste einer aus ländischen Macht, oder die Zuführung an die Werber einer solchen.
Strafe: Gefängnis von 3 Monaten bis zu 3 Jahren; Versuch strafbar.
HL Die vorsätzliche Verleitung eines deutschen Sol
daten zur Desertion oder die Beförderung derselben
1 Vgl. Laband Staatsrecht III; Zorn Staatsrecht I. 1 Vgl. Mil.StGB. §. 99 ff. • Wehrgesetz vom 9. Novem
ber 1867 §§. 6, 7, 15; Mil. StGB. §§. 4-6. * Wehrgesetz §. 15; Militär gesetz vom 2. Mai 1874 §. 56.
Delikte geg. die Verwaltung des Reichskriegswesens, g. 104.
433
Desertion ist nach Mil.StGB. §. 69 die
(StGB. §. 141).
unerlaubte Entfernung in der Absicht, sich der gesetzlichen oder übernommenen Verpflichtung zum Dienste dauernd zu entziehe».
Beförderung der Desertion (Beihülfe und nicht Begünsti-
gung) ist nur möglich, so lange diese selbst nicht als voll endetes Delikt vorliegt, so lange also der Flüchtling nicht die von ihm beabsichtigte Flucht von dem Dienstorte an einen anderen Ort vollendet hat?
Strafe:
Gefängnis von 3 Monaten bis zu 3 Jahren;
Versuch strafbar. IV. Die vorsätzliche Untauglichmachung zur Erfüllung der Wehrpflicht; mag sie von dem Wehrpflichtigen an sich selbst durch Selbstverstümmelung oder auf andere Weise, mag
sie durch einen Dritten an dem Wehrpflichtigen auf dessen Verlangen begangen sein (StGB. §. 142).
In dem letzt
erwähnten Falle erscheinen der Wehrpflichtige'wie der Un
tauglichmachende als Thäter (nicht als Mitthäter); mit an
deren Worten:
es nimmt das Gesetz hier ausnahmsweise
(vgl. oben §. 35 I) Unterbrechung deS Kausalzusammen hanges nicht an, obwohl der als Zwischenurfache handelnde Dritte das Bewußtsein von der Kausalität seines ThunS hat.
Strafe: Gefängnis nicht unter einem Jahre mit fakul tativem Ehrverlust.
V. Die Anwendung von auf Täuschung berech neten Mitteln, in der Absicht sich der Erfüllung der Wehr pflicht ganz oder teilweise zu entziehen (StGB. §. 143). Strafe: Gefängnis mit fakultativem Ehrverlust.
Thäterschaft und Teilnahme (mit Einschluß der Beihülfe)
‘ RGR. 31. März 1880, R I 511. von Liszt, Strafrecht.
434
Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der Staatsverw.
sind hier ausnahmsweise in der Bestrafung einander gleich
gestellt (vgl. oben §. 37 II 4).. VI.
Verletzung
der
Wehrpflicht
durch
Aus
wanderung. 1. Auswanderung eines Wehrpflichtigen im Widerspruche mit einer vom Kaiser für die Zeit eines Krieges oder einer
Kriegsgefahr erlaffenen und öffentlich bekannt gemachten be
sonderen Anordnung (StGB. §. 140 Zisf. 3). Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren mit fakultativer
Geldstrafe bis zu 3000 Mark. 2.
Versuch strafbar.
Verlassen des Bundesgebietes ohne Erlaubnis durch
einen Wehrpflichtigen in der Absicht (gleich Motiv) sich
dem Eintritte in den Dienst des stehenden HeereS oder der Flotte zu entziehen; oder daS Verbleiben außerhalb
Bundesgebietes
deS
nach erreichtem militärpflichtigen Alter in
gleicher Absicht (StGB. §. 140 Ziff. 1).
Strafe:
Geld
strafe von 150 bis 3000 Mark oder Gefängnis von einem Monate bis zu einem Jahre; Versuch strafbar.
3.
Auswanderung eines Offiziers oder im Offiziersrange
stehenden Arztes deS Beurlaubtenstandes ohne Erlaubnis
(StGB. §. 140 Ziff. 2; wiederholt im RMil-G. vom 2. Mai
1874 §. 60 Ziff. 2). Strafe: Geldstrafe bis zu 3000 Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu 6 Monaten.
Versuch
strafbar.
In allen drei Fällen kann daS Vermögen deS Ange schuldigten, insoweit als eS nach dem Ermessen deS Richters zur Deckung der den Angeschuldigten möglicherweise treffenden
höchsten Geldstrafe und der Kosten deS Verfahrens erforderlich ist, mit Beschlag belegt werden (StGB. 140 Abs. 3).
4.a) Auswanderung
eines
beurlaubten
Reservisten
oder
WehrmanneS der Land- oder Seewehr ohne Erlaubnis;
Delikte gegen das Geld- u. Banknotenwesen, g. 105.
435
b) eines Ersatzreservisten I. Klasse ohne vorhergehende An zeige an die Militärbehörde (StGB. §. 310 Ziff. 3;
vgl. mit RMil.G. vom 2. Mai 1874 §. 69 Ziff. 8).
Strafe:
Geldstrafe bis zu 150 Mark oder Hast? ’
VII. Uebertretung der auf Grund deS Gesetzes vom 13. Juni 1873 über die Kriegsleistungen hinsichtlich der Anmeldung und
Stellung der Pferde zur Vorumsterung,
Musterung oder Aushebung getroffenen Anordnungen (§. 27
des Gesetzes).
VIII.
Strafe:
Geldstrafe bis zu 150 Mark.
Uebertretungen des Gesetzes vom 21. Dezember
1871, betreffend die Beschränkungen des Grundeigentums in der
Umgebung
§. 32).
von Festungen
(FestungSrayonsgesetz
Strafe: Geldbuße bis 15 bez. 150 Mark.
4. g. 105. Strafbare Handlangen gegen dir staatltchr Aebrr-
wachnng des Geld- und Lankuotenumlaufes.'
I. Nach Art. 13 deS MünzgefetzeS vom 9. Juli 1873
ist der BundeSrat befugt, den Wert zu bestimmen, über welchen hinaus stemde Gold- und Silbermünzen nicht in Zahlung
angeboten und gegeben werden dürfen,
sowie den Umlauf
stemder Münzen gänzlich zu untersagen.
Gewohnheits- oder gewerbsmäßige (vgl. oben §. 39 II 3) Zuwiderhandlungen gegen die vom BundeSrate nach dieser Richtung hin getroffenen Anordnungen werden mit Geldstrafe bis yt 150 Mark oder mit Haft bestraft. • Ueber das Prozeßverfahren tn den Fällen 1—4 vgl. StPO. §$. 470—476. 1 Bgl. noch die in RMilGes.
vom 2. Mai 1874 §§. 33 und 69 Ziff.6 enthaltenenUebertretungen. ' Vgl. R.Verf. Art. 4 Ziff. 3 und 4.
II. Uebertretungen des Reichsbankgesetzes vom 14. März 1875. 1. Die unbefugte- Ausgabe von Banknoten oder sonstigen auf den Inhaber lautenden unverzinslichen Schuld verschreibungen (§. 55). Strafe: Geldstrafe, welche dem Zehnfachen des Betrages der ausgegebenen Wertzeichen gleich kommt, mindestens aber 5000 Mark beträgt. 2. Nach §. 43 des Gesetzes dürfen Noten einer Bank, die sich bei Erlaß des Gesetzes im Besitze der Befugnis zur Notenausgabe befand, außerhalb desjenigen Staates, welcher ihnen diese Befugnis erteilt hat, zu Zahlungen nicht gebraucht werden. Der Umtausch solcher Noten gegen andere Noten, Papiergeld oder Münzen unterliegt diesem Verbote nicht. Zuwiderhandlungen werden nach §. 56 mit Geldstrafe bis zu 150 Mark bestraft. 3. Ausländische Banknoten oder sonstige auf den Inhaber lautende unverzinsliche Schuldverschreibungen aus ländischer Korporationen, Gesellschaften oder Privaten dürfen, wenn sie ausschließlich oder neben anderen Wertbestim mungen in Reichswährung oder in einer deutschen Landeswährung ausgestellt sind, innerhalb des Reichs gebietes zu Zahlungen nicht gebraucht werden (§. 11). Die Verletzung dieser Anordnung wird (§. 57) mit Geldstrafe von 50 bis zu 5000 Mark, bei gewerbsmäßiger Verwendung (oben §. 39 II 3) nebenbei mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. Versuch strafbar. 4. Den Notenbanken ist nicht gestattet (§. 7): a) Wechsel zu acceptieren; 1 Hieher gehört auch die Aus- I einen Betrag unter 100 Mark gäbe von Banknoten, die auf | lauten.
Delikte gegen.das Geld- u. Banknotenwesen, g. 105.
437
b) Waaren oder kurshabende Papiere für eigene oder für fremde Rechnung auf Zeit zu kaufen oder auf Zeit zu verkaufen, oder für die Erfüllung solcher Kaufs oder Verkaufsgeschäfte Bürgschaft zu übernehmen. Die Mitglieder des Vorstandes, welche dieser Bestimmung zuwiderhandeln, werden (§. 58) mit Geldstrafe bis zu 5000 Mark bestraft. 5. Banken, welche bei Erlaß des Gesetzes sich im Be sitze der Befugnis zur Notenausgabe befanden, dürfen (§. 42) außerhalb desjenigen Staates, welcher ihnen diese Be fugnis erteilt hat, Bankgeschäfte durch Zweiganstalten weder betreiben, noch durch Agenten für ihre Rechnung betreiben fassen, noch als Gesellschafter an Bank häusern sich beteiligen. Die Uebertretung dieser Anordnung wird (§. 58) an den Vorstehern der Zweiganstalt, an den Agenten und Gesell schaftern der Bank und an den Mitgliedern des BankvorstandeS mit Geldstrafe bis zu 5000 Mark bestraft. 6. Wissentlich unwahre Darstellung oder Ver schleierung des Standes der Bankverhältnisse in den (durch §. 8) vorgeschriebenen Veröffentlichungen. Strafe (gegen die Mitglieder deS Vorstandes): Gefängnis bis zu 3 Monaten (§. 59 Ziff. 1). .7. Wenn die Bank mehr Roten ausgiebt als sie auszugeben befugt ist; oder wenn eine Korporation, welche daS Recht zur Ausgabe von auf den Inhaber lautenden un verzinslichen Schuldverschreibungen besitzt, mehr solche Geld zeichen ausgiebt, als sie auSzugeben befugt ist, so trifft (§. 59 Ziff. 3) die Mitglieder des Vorstandes eine Geldstrafe, welche dem Zehnfachen deS zuviel ausgegebenen Betrages gleich kommt, mindestens aber 5000 Mark beträgt.
438
Viertes Buch.
III. Delikte geg. den Gang der StaatSverw.
5.
H. 106. Strafbare Hau-Lungen gegen dir staatliche Lieberrvachuug -es Grsun-hritSrvrsrvs. Die Reichsgesetzgebung hat die Befolgung sowohl der
von den Einzelstaaten,
als der von ihr selbst kraft Art. 4
Nr. 15 R.Verf? erlassenen, das Gesundheitswesen betreffenden
Anordnungen durch Androhung
von teilweise sehr strengen
Strafen zu sichern gesucht.
Es gehören hieher: I. Die wisientliche Verletzung der oder
Aufsichtsmaßregeln
oder
Absperrungs
Einfuhrverbote,
welche von der zuständigen Behörde zur Verhütung des Ein
führens oder Verbreitens einer ansteckenden Krankheit angeordnet werden (StGB. §. 327).1 2
Vorausgesetzt sind nicht ständige Einrichtungen, sondern
ad hoc, mit Rücksicht auf eine bestimmte bereits ausgebrochene oder drohende Epidemie, erlassene Anordnungen. Strafe:
Gefängnis bis zu 2 Jahren; wenn in Folge
dieser Verletzung ein Mensch
von der Krankheit ergriffen
worden, Gefängnis von 3 Monaten bis zu 3 Jahren. II. Verletzung der Anordnungen zur Verhütung
des
Einführens
oder
Verbreitens
von
Vieh
seuchen.
1 Der Beaufsichtigung seitens des Reichs und der Gesetzgebung desselben unterliegen.... die Maßregeln der Medizinal« und Veterinärpolizei.
8 Vom StGB, unter die ge meingefährlichen Delikte gestellt (oben §. 84), richtiger, da es sich um Uebertretung konkreter An ordnungen handelt, hier im Zusammenhänge zu behandeln.
Delikte gegen das Gesundheitswesen.
§♦ 106
439
1. Wissentliche Verletzung der von der zuständigen^
Behörde
ad hoc
sperrungs-
oder
(vgl.
oben unter I) angeordneten Ab-
Aufsichtsmaßregeln oder
Ein
fuhrverbote (StGB. §. 328). Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre; wenn in Folge der Verletzung Vieh von der Seuche ergriffen worden, Ge
fängnis von einem Monat bis zu 2 Jahren. 2. Einen speziellen Fall hebt das Gesetz vom 21. Mai 1878, betreffend Zuwiderhandlungen gegen die zur Abwehr der Rinderpest erlassenen Vieheinfuhrverbote durch er
höhte Strafdrohungen, und teilweise Erweiterung des That
bestandes besonders hervor, so daß K. 328 StGB, subsi diär anwendbar bleibt. a) Die
vorsätzliche Uebertretung
der auf Grund des
Gesetzes vom 7. April 1869 erlassenen Beschränkungen
oder Verbote der Einfuhr* lebender Widerkäuer (§. 1). Strafe: Gefängnis von einem Monate bis zu zwei Jahren.
Versuch strafbar?
b) Qualifizierter Fall (§. 2);
wenn
in
der Absicht
(gleich erweiterter Vorsatz; oben §. 28 III) begangen,
sich oder einem Anderen einen (nicht notwendig rechts widrigen) Vermög ensvorteil°
zu verschaffen oder
einem Anderen (nicht notwendig an dessen Vermögen)
3 Bestimmt sich nach den Landesgesetzen: RGR. 21. Ok tober 1879, E I 1, R I 5; 4. Mai 1880, E II. 151, R I 724. 4 D. h. aus dem Auslande ins Reich, oder aus einem Bun desstaat in den andern; nicht aber Transport von einem Orte
an einen anderen desselben Bundesstaates: RGR. 15. Juni 1880, E II 114; doch kann hier der Thatbestand des §. 328 StGB, gegeben sein. 6 Im Falle des §. 328 bleibt der Versuch straflos. 6 Ueber diesen Begriff oben §. 73 I 3.
440 Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der Staatsverw. Schaden zuzufügen. Strafe: Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis nicht unter 6 Monaten. c) Fahrlässige Uebertretung der unter a genannten Beschränkungen oder Verbote (§. 3).7 Strafe: Geld bis zu 600 Mark oder Gefängnis bis zu 3 Monaten. Bei Personen, welche nicht weiter als 15 Kilometer von der Grenze ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hahen, oder welche mit den betroffenen Tieren gewerbsmäßig Handel treiben, ist die Un kenntnis der Verbote als durch Fahrlässigkeit verschuldet anzunehmen, wenn sie nicht den Nachweis fahren, daß sie ohne ihr Verschulden durch besondere Umstände verhindert waren, von den selben Kenntnis zu erlangen (vgl. oben §. 27 Note 3). d) Ist in Folge der Zuwiderhandlung Vieh von der Seuche ergriffen worden, so ist (§. 4) im Falle a auf Gefängnis nicht unter 3 Monaten; im Falle b auf Zuchthaus bis zu 10 Jahren oder Gefängnis nicht unter einem Jahre; im Falle c auf Geldstrafe bis zu 2000 Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre zu erkennen. 3. Vernachlässigung der den Eisenbahnverwaltungen obliegenden Verpflichtung zur Desinfektion b ei Vieh beförderungen auf Eisenbahnen wird nach §. 5 deS Gesetzes vom 25. Februar 1876 an denjenigen Personen, welchen vermöge ihrer dienstlichen Stellung oder eines ihnen erteilten Auftrages die Anordnung, Ausführung oder Ueberwachung der Desinfektion obliegt, mit Geldstrafe bis zu 7 StGB. §.328 bedroht nur die wissentliche Uebertretung.
Delikte gegen das Gesundheitswesen,
441
§. 106.
1000 Mark; und wenn in Folge der Vernachlässigung Vieh
der Seuche
von
ergriffen
worden,
mit
Geldstrafe
bis zu
3000 Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. Das Gesetz vom 23. Juni 1880 (ausgegeben 30. Juni
4.
1880, in Kraft vom 1. April 1881) betreffend die Abwehr und Unterdrückung
von Viehseuchen (mit Ausnahme
der Rinderpest) hat eine Reihe von Anordnungen getroffen,
deren ^Befolgung, soweit nicht nach den bestehenden gesetz lichen Vorschriften eine höhere Strafe verwirkt ist, mit Ueber-
tretungsstrafen bedroht wird.
Die Bedeutung des Gesetzes
gegenüber §.328 StGB, liegt darin, daß Kenntnis der
erlassenen Anordnungen nicht Thatbestandsmerkmal ist, mithin auch fahrlässig verschuldete Unkenntnis unter die Strafdrohung
fällt.
Die vom Gesetzgeber beliebte Ausscheidung
der Rin
derpest hat zur Folge, daß die Uebertretung der zum Schutze
gegen biefc erlassenen Anordnungen, die nicht Beschränkungen oder Verbote der Einfuhr sind,
nur wenn
wissentlich
übertreten, bestraft werden können (1).
III.
Die Verletzungen
des
Reichsimpfges'etzes
vom
8. April 1874 durch Eltern, Pflegeeltern, Vormünder^ Schul vorsteher, sowie Denjenigen, der unbefugt Impfungen vor
nimmt,
unterliegen
Uebertretungsstrafen.
Vergehensstrafe
(Geldstrafe bis zu 500 Mark oder Gefängnis bis zu 3 Mo
naten) trifft (§. 17) Denjenigen, der bei Ausführung einer Impfung fahrlässig8 handelt.
8 ES liegt hier nicht Fahrläsflgkeitin dem technischen Sinne deö Strafrechts (oben §. 29) vor, da nicht ein rechtswidriger Erfolg vorausgesetzt, sondern die Unvorsichtigkeit bei derJmpfung
bestraft wird (nicht „fahrlässige Impfung", sondern Fahrlässig keit — der Ausdruck wäre besser vermieden worden — bei Aus führung der Impfung).
442 MerteS Buch. III. Delikte geg. den Gang der StaatSverw.
6. tz. 107. Strafbare Handlungen gegen die staatliche Regelung des Prehwrfrns: dir Prrßpolizeidrlikte.'
Quelle: Gesetz über die Presse vom 7. Mai 1874.
1. Verletzung der Verpflichtung zur Nennung von Namen und Wohnort des Druckers und des Ver
legers (oder beim Selbstvertriebe des Verfassers oder Heraus
gebers) auf jeder Druckschrift; des verantwortlichen (mit den vom Gesetze
geforderten Eigenschaften
auSgestattetcn)
Redakteurs außerdem auf jeder periodischen Druckschrift (§§• 6-8):
1. durch wissentlich falsche Angaben (§. 18 Zifs. 2), wobei
der Verleger einer periodischen Druckschrift schon dann haftet, wenn er die fälschliche Angabe des Redakteurs
wissentlich „geschehen läßt"; 2. auf andere Weise (§. 19 Zifs. 1). Strafe: zu 1 Geldstrafe bis zu 1000-Mark oder Haft
oder Gefängnis bis zu 6 Monaten; zu 2 Geldstrafe bis zu 150 Mark oder Haft.
II.
Die
Verletzung
lieferung der
der
Verpflichtung
zur
Ab
Pflichtexemplare von jeder Nummer
einer periodischen Druckschrift gleichzeitig mit dem Beginne
der Austeilung oder Versendung (§. 9). Strafe (§. 19 Zifs. 2): wie oben I 2.
III.
Verletzung
amtlicher
der Verpflichtung zur Aufnahme
Bekanntmachungen
in
periodischen Druck-
schriften (§. 10).
1 Das Nähere bei Liszt Preßrecht. Daselbst auch die Litteratur.
Delikte gegen das Sozialistengesetz,
tz. 108.
443
Strafe (§. 19 Ziff. 3): wie oben I 2. Antrags delikt. Mit der Verurteilung, bei unberechtigter Verwei gerung der Aufnahme in gutem Glauben mit der Freifprechung, ist die Aufnahme des Schriftstückes in die nächst folgende Nummer anzuordnen. IV. Verletzung der Verpflichtung des verantwort lichen Redakteurs einer periodischen Druckschrift, Be richtigungen mitgeteilter Thatsachen auf Verlangen eines Beteiligten ohne Einschaltungen und Weglassungen auf zunehmen (§. 10). Strafe (§. 19 Ziff. 3): wie oben I 2. Antrags
delikt. Anordnung der Aufnahme wie oben III. V. Verbreitung ausländischer periodischer Druck schriften gegen das vom Reichskanzler auf Grund des §. 14 deS PreßgesetzcS erlassene Verbot. Strafe (§. 18 Ziff. 1): wie oben I 1. VI. Vorsätzliche Verbreitung oder Wiederabdruck von in Beschlag genommenen Druckschriften (§. 28). Strafe: Geldstrafe bis zu 500 Mark oder Gefängnis bis zu 6 Monaten. Eine besondere Verjährungsfrist für die Preßpolizei delikte ordnet §. 22 des PreßgesetzeS an (vgl. oben §. 58 II1). 7. g. 108. Strafbare Handlungen gegen das Sozialistengesetz.'
Quelle: Reichsgesetz vom 21. Oktober 1878 gegen die gemeingefährliche» Bestrebungen der Sozialdemokratie; ge nauer (§. 1 des Gesetzes) gegen sozialdemokratische, sozia1 Vgl. Bunsen GS. XXX,
Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der Staatsverw.
444
listische oder kommunistische, auf den Umsturz der bestehenden
Staats- oder.Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen.
1.
1.
Die Beteiligung an einem verbotenen sozia
listischen Vereine als Mitglied oder durch irgend eine
Thätigkeit im Interesse des Vereines; oder die Teilnahme an einer
verbotenen
Versammlung
(§.
oder
aufgelösten
17).
Strafe:
sozialistischen
Geldstrafe
bis
zu
500 Mark oder Gefängnis bis zu 3 Monaten; gegen die Vorsteher, Leiter, Ordner, Agenten, Redner, Kassierer des Vereins oder der Versammlung, sowie gegen diejenigen, welche zu der Versammlung auffordern, Gefängnis von einem Mo
nate bis zu einem Jahre.
für
verbotene Vereine
ebenfalls
Das Hergeben von Räumlichkeiten
oder Versammlungen
wird
(§. 18)
mit Gefängnis von einem Monate bis zu einem
Jahre bestraft (vgl. oben §. 37 II 4).
2. Die Verbreitung, Fortsetzung, der Wiederabdruck einer
verbotenen
oder
einer
von
der
vorläufigen
Be
schlagnahme betroffenen Druckschrift (§. 19)? Strafe:
Geldstrafe bis zu 1000 Mark oder Gefängnis
bis zu 6 Monaten. 3. Das Einsammeln von Beiträgen zur Förderung der oben genannten Bestrebungen, sowie die öffentliche Auf
forderung zur Leistung solcher Beiträge trotz öffentlich bekannt
gemachten polizeilichen Verbotes (§. 20).
Strafe: Geldstrafe bis zu 500 Mark oder Gefängnis bis zu 3 Monaten.
Auch ist das zu Folge der verbotenen
Sammlung oder Aufforderung Empfangene der Armenkasse deS Orts der Sammlung für verfallen zu erklären. In
allen
diesen Fällen bat der Strafrichter nicht die
a Liszt Preßrecht §§. 33 ji. 39.
Delikte gegen das Sozialistengesetz, g. 108.
445
materielle, wohl aber die formelle Richtigkeit des polizeilichen Verbotes zu prüfen? II. Wer eine der unter I genannten Handlungen nach erfolgter Bekanntmachung des Verbotes durch den Reichs anzeiger, aber ohne Kenntnis desselben, begeht, ist mit Geldstrafe bis zu 150 Mark oder mit Haft zu bestrafen (§• 21). III. Ueber die bei Verurteilung sogenannter Agitatoren wegen einer der unter I bezeichneten Handlungen zulässigen Nebenstrafe der Aufenthaltsbeschränkung vgl. oben §. 49 IV. Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnis von einem Monate bis zu einem Jahre bestraft (tz. 22). IV. 1. Untersagung des Gewerbebetriebes kann (§. 23) als Nebenstrafe (siehe oben §. 50 IV 2) gegen ge wisse Gewerbetreibende erkannt werden. 2. Personen, welche entweder sich die Agitation für sozia listische Bestrebungen zum Geschäfte machen, oder auf Grund einer Bestimmung deS Sozialisten-GesetzeS rechtskräftig zu einer Strafe verurteilt sind, kann (§. 24) von der Landespolizei behörde die Befugnis zur gewerbsmäßigen oder nicht ge werbsmäßigen öffentlichen Verbreitung von Druck schriften sowie die Befugnis zum Handel mit Druck schriften im Umherziehen entzogen werden? Zuwiderhandlungen gegen jenes Urteil (§. 23; oben 1) oder diese Verfügung (§. 24; oben 2) werden mit Geldstrafe bis zu 1000 Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft (§. 25). V. Wer die bei Verhängung des sogenannten kleinen
4 Val. Liszt Preßrecht §. 18 8 RGR. 2. Dezember 1879, E I 23, RI 130; 14. Juli (ist keme Nebepstrafe, sondern 1880, R II 193. eine polizeiliche Maßregel).
446
III. Delikte geg. den Gang der Staatsverw.
Viertes Buch.
Belagerungszustandes
(§. 28)- getroffenen Anordnungen mit
Kenntnis derselben oder nach erfolgter öffentlicher Bekannt machung derselben auch ohne Kenntnis
derselben"
Übertritt
(§. 28 Abs. 4), wird mit Geldstrafe bis zu 1000 Mark oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu 6 Monaten bestraft.
8.
109. Strafbare Handlungen gegen die staatliche Arber-
wachung des AffoziatiouswesenS. I. Die Teilnahme an Berfaffung
oder Zweck
einer Verbindung, deren Dasein,
vor der
Staatsregierung
geheim
gehalten werden soll, oder in welcher gegen unbekannte
Obere Gehorsam oder gegen bekannte Obere unbedingter Gehorsam versprochen wird (StGB. §. 128).
Strafe: gegen die Mitglieder Gefängnis bis zu 6 Mo naten;
gegen Stifter
fängnis
von
Beamte
kann
und
Vorsteher
einem Monate bis
auf
Verlust
der
zu
der
Verbindung Ge
einem Jahre.
Fähigkeit
Gegen
zur Bekleidung
öffentlicher Aemter auf die Dauer von einem Jahre bis zu
5 Jahren erkannt werden (vgl. oben §. 51 II 4). II. Die Teilnahme an einer Verbindung, zu deren Zwecken oder Beschäftigungen es gehört, Maßregeln der Verwal
tung oder die Vollziehung von Gesetzen durch un
gesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften (StGB. §. 129).
Strafe: gegen die Mitglieder Gefängnis bis zu einem Jahre;
gegen
die Stifter
und Vorsteher
der Verbindung
Gefängnis von 3 Monaten bis zu 2 Jahren; gegen Beamte
5 RGR. 13. April 1880, E I 363, R I 584.
Delikte gegen daS AffoziationSwesen.
§. 109.
447
kann auf Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher
Aemter auf die Dauer von einem Jahre bis zu 5 Jahrm erkannt werden (vgl. oben §. 51 II 4). HL Zuwiderhandlungen gegen die (im öffentlichm Inter
esse getroffenen) Anordnungen des Gesetzes vom 7. April 1876 über die eingeschriebenen Hülfskassen werden (§. 34)
an dm Mitgliedern
deS Vorstandes
oder deS
Ausschusses
mit Geldstrafe bis zu 300 Mark bestraft. IV. Uebertretungen des Gesetzes vom 4. Juni 1868, be
treffend die
privatrechtliche» Stellung der Erwerbs-
und
Wirtschaftsgenossenschaften. 1. Geldstrafe bis zu 600 Mark trifft (§. 27 Abs. 2) die
Mitglieder des Vorstandes, wenn ihre Handlungm auf an dere
als
Zwecke
die in §. 1 deS Gesetzes
(Fördemng
deS
erwähnten geschäftlichen
Kredits, deS
Erwerbs
oder
der
Wirtschaft der Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäfts betriebes) gerichtet sind,
oder wenn sie in der Generalver
sammlung die Erörterung von Anträgen gestatten oder nicht hindern, welche auf öffentliche Angelegmheiten gerichtet sind, deren Erörtemng unter die Landesgesetze über daS DereinS-
und Versammlungsrecht fällt. 2. Unrichtigkeiten
stände
in den nach dem Gesetze dem Vor
obliegenden Anzeigen
oder sonstigen
amtlichen
An
gaben werden (§. 67) gegen Vorstandsmitglieder mit Geld buße biS zu 60 Mark geahndet.
448
Viertes Buch. HI. Delikte geg. den Gang der Staatsverw.
9.
A. 110. Strafbare Handlungen gegen die staatliche Regelung
des Grwrrbrwrsrus. Quelle: Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869. I. Aus den in der Gew.-Odg. §§. 143—153 mit Strafe
bedrohten Handlungen seien die folgenden hervorgehoben:
1. Verletzung der Verpflichtung der Gewerbetreibenden (§. 115), die Löhne ihrer Arbeiten bar in Reichswährung
auszuzahlen (§. 146 Ziff. 1: Verbot des Trucksystems). 2. Übertretung der in den §§. 135, 136 oder auf Grund
der §§. 139, 139 a getroffenen Verfügungen über die Ver
wendung von jugendlichen Arbeitern und Arbeiterinnen in dm Fabriken (§. 146 Ziff. 2); Verletzung der den GewerbeUnternehmern obliegenden Verpflichtung (§. 120), auf Ge
sundheit und Sittlichkeit, sowie auf die weitere Fortbildung ihrer Axbeiter unter 18 Jahren die erforderliche Rücksicht zu nehmen, und jene Einrichtungen zu treffen, welche zu thun-
lichster Sicherheit gegen Gefahr für Leben und Gesundheit
notwendig sind — trotz Aufforderung der Behörde (§. 147 Ziff. 4) —; Verletzung der gesetzlichen Pflichten gegen die Lehr
linge (§. 148 Ziff. 9 und 10).
3. Betrieb eines Gewerbes, Errichtung einer gewerblichen Anlage ohne obrigkeitliche Genehmigung, soweit eine solche erforderlich ist (§. 147 Ziff. 1 und 2);1
4.
Unbefugte Bezeichnung als Arzt oder Beilegung eines
ähnlichen Titels, durch den der Glauben erweckt wird, der
' Vgl. auch StGB. §. 360 Ziff. 9.
Delikte geg. die staatl. Regelung d. GewerbewesepS.
110.
449
Inhaber desselben fei eine geprüfte Medizinalperson (§. 147
Ziff- 3). Gewerbebetrieb ohne die vorgeschriebene Anzeige oder
5.
den erforderlichen Legitimationsschein (§. 148 Ziff. 1—3, 7);
Gewerbebetrieb trotz Untersagung desselben (§. 148 Ziff. 4); gewerbsmäßige öffentliche Verbreitung von Druckschriften ohne
polizeiliche Erlaubnis (§. 148 Ziff. 5); Verletzung der Vor
schriften über daS Aufsuchen von Waarenbestellungen (§. 148
Ziff. 6); Überschreitung der Taxordnungen (§. 148 Ziff. 8).
6.
Verletzung
der
gesetzlichen Anordnungen über
daS
Mit-Sich-Führe» deS LegitimationSscheinrS (§. 149).
Verletzung der gesetzlichen Vorschriften über die Ar
7.
beitsbücher (§. 150). n. Die Strafe beträgt:
1. im Falle deS §. 146:
Geldstrafe bis zu 2000 Mark
und im Unvermögensfalle (oben §. 55 11) Gefängnis
bis zu 6 Monaten; 2. im Falle deS §. 147:
Geldstrafe bis zu 300 Mark
bez. Haft; Geldstrafe bis zu 150 Mark
3. im Falle deS §. 148:
bez. Haft bis zu 4 Wochen;
4. im Falle deS §. 149:
Geldstrafe bis zu 30 Mark bez.
Haft bis zu 8 Tagen; 5. im Falle des §. 150: Geldstrafe bis zu 20 Mark bez.
Haft bis zu 3 Tagen. in.
Ueber die Verjährungsfrist (§. 145) vgl. oben §. 58
II; über die Jdealkonkurrenz der Uebertretungen der Ge
werbeordnung mit Zuwiderhandlungen gegen die Steuergesetze
(§§. 147 und 148) vgl. oben
§. 40 II a; über die Mit
haftung des verfügungsfähigen Gewerbe-JnhaberS, mit deffen Dorwisse» fein Stellvertreter von Liszt, Strafrecht.
eine
strafbare Handlung be29
Viertes Buch. HL Delikte geg. den Gang der StiatSverw.
450
gangen hat (§. 151) oben §.43 HI a. E-;
endlich über
Nötigung bei Arbeitseinstellungen oben §. 63 I 2.
10.
g. 111. Strafrechtlicher Schuh des Eisenbahn-' und postwesrns.' Zuwiderhandlungen
L
1. gegen
die in
den §§. 53—61
deS
Bahnpolizei-
Reglements vom 4. Januar 1875 enthaltenen „Be stimmungen für das Gehorsam
Publikum" (Verpflichtung
gegenüber der Bahnverwaltung und
zum
den
Bahnpolizeibeamten, Verbot den Bahnkörper zu be treten, Anlagen und Betriebsmittel zu beschädigen, den
Betrieb zu stören, eigenmächtiges Oeffnen der Thüren, Ein- und AuSsteigen während deS Fahrens);
2. gegen die in §. 62 daselbst angeführte Bestimmung deS
Eisenbahn-BetriebSreglementS
Dom
11. Mai
1874
(Verbot deS Mitnehmens feuergefährlicher Gegenstände
in die Personenwagen) werden nach §. 62 daselbst mit Geldstrafe bis zu 30 Mark
bestraft. II.
Verletzung
der
„besonderen
Vorrechte
der
Posten" (Verbot der Pfändung, Verpflichtung zum Aus
weichen, zum Oeffnen der Thore und Schlagbäume, zur Be wirkung der Ueberfahrt) werden nach dem Postgesetze vom 28. Oktober 1871 (§§. 18,
19, 23)
mit Geldstrafe
(von
höchstens 60 Mark) bedroht.
» Vgl. R.Verf. Art. 4 ZIff. 8, I Art. 8 Ziff. 5. |
» Dgl. R.Derf. Art. 4 Ziff. 10.
Strafrechtlicher Schutz des SchiffahrtSwesenS. §.112.
451
11.
§. 112. Strafrechtlicher Schatz Les Schiffahrtswrseus.' Verletzung der Vorschriften deS Gesetzes vom 25. Ok
L
tober
1867,
betreffend
die
Nationalität
der Kauf
fahrteischiffe und ihre Befugnis zur Führung der
BundeSflagg e (vgl. R.Berf. Art. 54 und 55).
1.
Unberechtigte Führung
der BundeSflagge
(§. 13);
Geldstrafe biS zu 1500 Mark oder Gefängnis bis zu 6 Mo naten; Konfiskation deS Schiffes zulässig.
2. Führung der BundeSflagge vor Eintragung in daS
Schiffsregister
oder Ausfertigung
deS CertisikatS (§. 14);
Geldstrafe bis zu 300 Mork oder verhältnismäßiges Ge fängnis.
Präsumption der Schuld (vgl. oben §. 27 Note 3).
3. Nichtanmeldung der zum Schiffsregister anzumeldendeu
Thatsachen (§. 15).
Strafe wie zu 2.
wenn die Verpflichtung
Sie wird verdoppelt,
auch binnen 6 Wochen nach dem
ersten Schuldurteile nicht erfüllt ist. II.
Verletzung des Gesetzes vom 28. Juni 1873, be
treffend die Registrierung und Bezeichnung der Kauf
fahrteischiffe (daS Schiff muß seinen Namen auf jeder Seite deS Bugs, seinen Namen und den Namen des Hei-
matShafenS am Heck tragen).
Strafe:
Geldstrafe bis zu
150 Mark oder Hast. IIL
Verletzung des Gesetzes vom 25. März 1880 (und
der dazu gehörigen Verordnung vom 28. Juli 1880), be
treffend
die Schiffsmeldungen bei den Konsulaten
deS deutschen Reichs.
Geldstrafe bis zu 200 Mark?
‘ Dgl. R.Verf. Art. 4 Ziff. 7 und Art. 54.
* In der Uebersicht über die Nebengesetze (oben §. 9) noch nicht erwähnt.
Viertes Buch. UI. Delikte geg. den Gang der StaatSvenv.
452
IV. Uebertretung 1. der vom Kaiser zur Verhütung des Zufammen-
stoßenS der Schiffe auf See erlassenen Verordnung vom
7. Januar 1880,* in Kraft vom 1. September 1880 (über das Führen von Lichtern, Schallsignalen und Mäßigung der
Geschwindigkeit bei Nebel, über das Ausweichen der Schiffe usw.);
.2. der vom Kaiser über daS Verhalten der Schiffer nach einem Zusammenstöße von Schiffen auf See
erlassenen Verordnung vom 15. März 1876 (jeder Schiffer hat dem Anderen den zur Abwendung oder Verringerung der nachteiligen Folgen deS Zusammenstoßes erforderlichen Bei« stand zu leisten, soweit er dazu ohne erhebliche Gefahr für
daS eigene Schiff und die darauf befindlichen Personen im Stande ist; und ihm unter derselbm Voraussetzung die nö tige Auskunft über Namen und Heimat wie Kurs des eigenen
Schiffes zu geben); 3. der kaiserlichen
Not-
und Lootsen-Signalord-
nung für Schisse auf See und auf den Küstengewässern vom 14. August 1876.
Strafe
nach
§.
145
StGB.:
Geldstrafe
bis
zu
1500 Mark. V. 1872,
Verletzung der durch das Gesetz vom 27. Dezember betreffend
die Verpflichtung
deutscher Kauf
fahrteischiffe zur Mitnahme hülfSbedürftiger See
leute, getroffenen Anordnungen.
Strafe:
Geldstrafe bis
zu 150 Mark oder Haft. VI. Uebertretung der Bestimmungen der Strandungs
ordnung vom 17. Mai 1876.
* Damit ist die Verordnung vom 23. Dezember 1871 beseitigt.
Strafrechtlicher Schutz des SchiffahrtSwefenS. g. 112.
1.
453
Unterlassene Anzeige eines Falles von Seenot (§. 7);
2. Nichtanzeige der Bergung von an das Land getriedenen Stücken des Schiffes, seiner Ladung usw. oder Mcht-
AblieferuNg dieser Gegenstände (§. 13); 3. Nichtanzeige der Bergung von SeeauSwurf, strand
triftigen, versunkenen oder seetriftigen Gegenständen (§§. 20 und 21);
4.. Bergung
oder Hülfeleistung
gegen den Willen
deS
Schiffers (§§. 7 und 12).
Strafe
(nach §. 43):
Geldstrafe
bis
150 Mark
zu
oder Haft. VII.
Strafbare
Uebertretungen der
SeemannSord-
nung vom 27. Dezember 1872.
1. Bruch deS Heuervertrages (§§. 81, 82, UebertretungSstrafe; vgl. ob. S. 289);
2. Dienstesentziehung (§. 83): Geldstrafe bis zum Be trage einer Monatsheuer;
3.
Gröbliche
SchiffSmann
Verletzung
(§. 84):
der
durch
Dienstpflicht
Geldstrafe bis zum Betrage
den
einer
MonatSheuer;
4. Verweigerung deS Gehorsams gegenüber wiederholten Befehlen deS Vorgesetzten (§. 86): Gefängnis
bis zu
Monaten oder Geldstrafe bis zu 300 Mark.
bei gemeinschaftlicher verabredeter Verweigerung
drei
Qualifiziert
durch zwei
oder mehrere Personen der Schiffsmannschaft (§. 87); mil
dernde Umstände hier zugelaffen. 5. Unternommene Nötigung
deS Schiffsvorgesetzten zur
Vornahme oder zur Unterlaffung einer dienstlichen Verrich
tung; unternommener gewaltsamer Widerstand gegen denselben oder thätlicher Angriff auf ihn (§§. 89 und 90).
Gefängnis bis zu
2 Jahren,
bei
Strafe:
mildernden Umständen
454
Viertes Buch. IIL Delikte geg. den Gang der StaatSverw.
Geldstrafe bis zu 600 Mark.
reren
auf Verabredung
begangm (§. 91).
allen Fallen zugelaffen.
in
Mildernde Umstände
Qualifiziert, wenn von meh-
gemeinschaftlich
hülfe wird derjenige bestraft (§. 92),
der
oder Unterdrückung dieser Handlungen
den
Als Ge
auf Abwehr
gerichteten
Befehlen
des Vorgesetzten den Gehorsam verweigert (vgl. oben §. 37 II 5).
zweier
6. Aufforderung
oder
Schiffsmannschaft zur Begehung angeführten Handlungen (§. 88).
mehrerer
einer der
Personen
der
unter 4 und 5
Strafe: wenn die Auf
forderung Erfolg gehabt, die der Anstiftung; wenn nicht, bei Aufforderung zu den unter 4 angeführten Handlungen Geld
bei Aufforderung zu den unter 5
strafe bis zu 300 Mark,
angeführten Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Gefängnis bis
zu einem Jahre. 7. Entstellung, Unterdrückung, Vorspiegelung von That
sachen bei Verhandlungen
vor dem Seemannsamte; Unter
lassung der Stellung zur Musterung; Unterlassung des Aus weises über ein dem Dienstantritte entgegenstehendes Hindernis
gegenüber dem Seemannsamte (§. 93). 8. Vorsätzliches
oder
unwahre Behauptungen
Uebertretungsstrafe.
fahrlässiges Vorbringen einer auf gestützten Beschwerde
über Seeun
tüchtigkeit des Schiffes oder Mangelhaftigkeit des Proviantes
bei einem Seemannsamte, wenn auf Grund dieser Behaup tungen eine Untersuchung eingeleitet wurde (§. 94).
Bei vorsätzlicher Begehung Gefängnis
bis
Strafe:
zu 3 Monaten,
bei fahrlässiger, Geldstrafe bis zu 300 Mark.
9. Mißbrauch der Disziplinargewalt durch den SchiffSvorgesetzten
(§. 96):
Geldstrafe
bis
zu
900
Mark
oder
Gefängnis bis zu einem Jahre. 10. Mangelhafte Verproviantierung des Schiffes (§. 97).
Delikte gegen das Reichsfinanzwesen. §. 113.
455
Strafe: a) wenn vorsätzlich begangen,
Gefängnis mit fakultativer
Geldstrafe bis zu 1500 Mark und fakultativem Ehr» Verluste
b) wenn fahrlässig begangen, und wenn in Folge dessen der Schiffsmannschaft die
gebührende Kost nicht ge
währt werden kann, Geldstrafe bis zu 600 Mark oder
Gefängnis bis zu einem Jahre. 11. Zurücklassung ohne Genehmigung
eines
des
Schiffsmannes
SeemannSamteS
im
Auslande
(§. 98 vgl. mit
Geldstrafe bis zu 300 Mark, Haft oder Gefängnis
§. 71).
bis zu 3 Monaten.
12.
Verschiedene kleinere Pflichtverletzungen von Seiten
deS Schiffers sind in §. 99 mit UebertretungSstrafe belegt.
Diese Bestimmungen (1—12) finden auch dann Anwen« düng (§. 100),
wenn
die strafbaren Handlungen außerhalb
deS Bundesgebietes' begangen sind (vgl. oben §. 13 IIIA c). Ueber den Beginn der Verjährung in diesem Falle vgl oben §. 58 n 2.
12.
Strafbare Handlungen gegen bas Netchsfinanzmefen.
§. 113.
L Als Quellen kommen in Betracht: 1. Salzstruergefetz vom 28. Oktober 1867 §§. 11—14;
2. Branntweinsteuergesetz vom 8. Juli 1868 §§.50 bis 68;
3. Gesetz betreffend die Einführung von Telegraphen» freimarken vom 16. Mai 1869, §.2;
4.
Wechselstempelsteuergesetz
§§.15-17;
vom
10.
Juni
1869
Viertes Buch. m. Delikte grg. den Gang der Staatsserw.
456
5. Zuckersteuergesetz Dom 26. Juni 1869 §; 4;
6. BereinS-Zollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 134 bis 164;
7. Rübenzuckersteuergesetz vom 2. Mai 1870 (Verord nung Dom 7. August 1846 §§. 17—30);
8. Reichspostgesetz Dom 28. Oktober 1871 §§. 27—33; 9. Brausteuergesetz Dom 31. Mai 1872 §§. 27—40; 10. Reichsbankgesetz Dom 14. März 1875 §. 59 Ziff. 2;
11. Spielkartenstempelsteuergesetz Dom 3. Juli 1878 §§. 10-20; 12. Tabaksteuergesctz Dom 16. Juli 1879 §§. 32—45;
13. WaarenoerkehrSstatistikgesetz Dom 20. Juli 1879 §.17. n. Die in diesen Gesetzen mit Strafe bedrohten Handlangen lasten sich in folgende Kategorien bringen: 1. Die Kontrebande, d. i. nach der in §. 134 VereinS-
zollgesetz gegebenen Definition daS Unternehmen, Gegen
stände, deren Ein-, Aus- oder Durchfuhr oerboten ist, diesem Verbote zuwider ein-, auS- oder durch zuführen.
2. Die Defraudation,
oder
die
einfache Hinter
ziehung der schuldigen Abgabe, wobei meist schon daS „Unternehmen" mit der Dollen Strafe der Vollendung belegt
ist.
Hieher gehört auch die Verwendung entwerteter Post
oder Telegraphen-Freimarken, sowie die Umgehung deS Post
zwanges. 3. Die Erschleichung einer Steuer« oder Zoll-Rückvergütung, die überhaupt nicht, oder nicht in der geforderten
Höhe beansprucht werden durfte; Dgl. die oben I unter 5 und 12 angeführten Gesetze.
4.
Die Verletzung derjenigen Anordnungen, die zum
Delikte gegen daS Reichsfinanzwesen. §. 113.
457
Zwecke der Ucberwachung und Einhebnng getroffen sind (in vielen Fällen nur nitt Ordnungsstrafen belegt). Wenn die in Frage stehende That sowohl unter einen der eben erwähnten Deliktsbegriffe als auch unter einen der im StGB, enthaltenen fällt, so gehen die Steurrgesetze als lex specialis nach der oben §. 40 Ila gegebenen Regel in der Anwendung vor. Paßt der Thatbestand dagegen nur unter das StGB., nicht unter einen jener DeliktSbegriffe, so ist eben daS StGB, zur Anwendung zu bringen? III. Die Zoll- und Steuergesetze des Reichs bieten in ihren strafrechtlichen Bestimmungen gar manche Eigentüm lichkeit. Hervortreten der rein fiskalischen Interessen; die Betonung des AbfchreckungSprinzipeS und doch andererseits wieder das Streben, zwischen Verbrechen und Strafe eine wenn möglich ziffermäßig auszudrückende Gleichung aufzu stellen; der Anschluß an ältere gesetzgeberische Vorbilder und die damit zusammenhängende Neigung, durch kasuistische Be stimmungen daS freie richterliche Ermessen zu beschränken: all' diese zusammrnwirkenden Umstände machen die fraglichen Gesetze zu einer Fundgrube interessanter strafrechtlicher Sonder bestimmungen. Näheres Eingehen auf dieselben ist hier nicht möglich; doch sollen die wichtigsten Eigentümlichkeiten zur Uebersicht zusammengestellt werden. Als Paradigma kann daS BereinSzollgefetz dienen. 1. Der Thatbestand, mit welchem die strafbare Handlung 1 Die entgegengesetzte Ansicht in RGR. 26. Juni 1680 R II 114, daß die auf Steuerhinter ziehung gerichteten Handlungen nur dann nach dem StGB, beurteilt werden dürfen, wenn
daS betreffende Steuergrsetz aus drücklich auf dieses verweist oder überhaupt nicht erschöpfend die Materie regeln will — kann nicht als richtig betrachtet «erden.
458 Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der Staatkverw.
»als vollbracht angenommen wird", ist vielfach in der de tailliertesten Weife geschildert; man vgl. §. 136 VereinSZollgefetz mit fritten 9 Ziffern, die wieder mehrfach unter« geteilt sind. 2. Häufig begegnen SchuldprSfumptionen (vgl. oben §. 27 Note