Das deutsche Reichsstrafrecht auf Grund des Reichsstrafgesetzbuchs und der übrigen strafrechtlichen Reichsgesetze: Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts systematisch dargestellt [Reprint 2020 ed.] 9783111700427, 9783111311913


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German Pages 493 [504] Year 1881

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis.
Abkürzungen
Druckfehler
Einleitung
Allgemeiner Teil
Erstes Buch. Das Verbrechen
Zweites Buch. Die Strafe
Besonderer Teil
Erstes Buch. Strafbare Laudlungen gegen Rechtsgüter des einzelnen Staatsbürgers
Zweites Buch. Strafbare Handlungen gegen rechtlich geschützte Interessen des Publikums
Drittes Buch. Strafbare Kandlungen gegen „unetgentllche" Rechtsgüter (durch die Art des Angriffes charakterisierte Delikte)
Viertes Buch. Strafbare Handlungen gegen Las Gemeinwesen
Paragraphenregister
Register zu den Nevengesetzen
Sachregister
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Das deutsche Reichsstrafrecht auf Grund des Reichsstrafgesetzbuchs und der übrigen strafrechtlichen Reichsgesetze: Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts systematisch dargestellt [Reprint 2020 ed.]
 9783111700427, 9783111311913

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Vnla- WM 3. SattnUa- (II. Cdlln) in fittUtt na) Lrl-si,. (In btjitfctn dnrch eit Sechhendinn-tN.)

Die Verfassung

Justiz

in

Preuße« nach

Reichs- und Landesrecht. Don

M. Furnav, KammergerichtSrath. EvstL vis vvitto Ateferrrrrg.

(Zweiter Theil.) «er. 8°. prev s Mark.

Der Derfaffer hat sich da- Ziel gesetzt, daS gefammre, die Justizverfaffung in Preußm betreffende Material in möglichst übersichtlicher Weise zusaunncuzustellen.

ES ist deshalb Alle- weggelaffev, wa- die Justizverfaffung in Preußm nicht be­ rührt. DaS Buch wird mthaltm: Da» deutsche GertchtSverfassnngSgesetz und daS Einführung-gesetz dazu mit einem vollständig«Kommmtar in Anmerkung«.

Au dm betreffenden Stellen find die Bestimmungen de»

Preußischen AuSführung-grsetze- -um Deutschen Gerichtsver­

fassung Sgesetz, ebenfalls kommmtirt, eingefügt. Die diese Gesetze ergänzenden Kaiserlichen Verordnungen,

lande-gesetzlichen Bestimmungen,

Verfügungen und Anweisungen der LandeSjusti-verwaltung find, sofern fie in dm Gesetz« selbst vorbehaltm teerten, alS Zusätze dem Gesetzestexte

einverleibt, im Uebrigm in dm Anmerkungen mitgetheilt. Daran schließ« sich die DiSciplinargesetze,

die

RechtSanwaltSordnung,

legung-ordnung,

die

SchiedSmann-ordnung,

anweisuugen

die

Gerichtsvollzieher

für

und

die

die

die

Hinter­

GeschLft--

Gerichts-

fchretber u.f. w. Mit den zuletzt g«anntm Gesetz«, welche im zweiten Theil enthalten

sind, beginnt die Veröffentlichung.

Lehrbücher des

Deutschen Neichsrechtrs.

VII.v

Nus Deutsche Nrichsstrafrrcht von

Kranz Eduard von «Liszt.

Berlin und Leipzig. Verlag von I. Gutlentag. (v. Collin.)

1881.

Das

Deutsche Reichsstrasrecht auf Grund

Les Neichsstrafgesetzbuchs und -er übrigen strafrechtlichen Neichsgefehe unter

Berückfichtignug der Rechtsprechung des Reichsgerichts

systematisch dargesteüt

von

Dr. «Lranz Wuard von Liszt, o. ö. Professor der Rechte in Gießen.

Berlin und Leipzig. Verlag von I. (Suttentag. aeberlin in GA.Bd.XXV. Lehrbb. und Kommentare des Straft, u. StProzeßrechts be­ handeln die Frage bei der Lehre

von der räumlichen und zeit­ lichen Herrschaft der Strafge­ setze, bez. vom Gerichtsstände der begangenen That. Vgl. auch Hälschner GS. XXX.

74

Erstes Buch.

II. Das Verbrechen als Handlung,

langsam zum Tode: aber von jenem Augenblicke an hat der Thäter das Werkzeug aus der Hand gelegt, um passiv daS Resultat abzuwarten. Das Verbrechen wird also begangen während der ganzen Dauer des oben unter III 3 bezeich­ neten Zeitraumes; es ist begangen (Perfektum) in dem Augenblicke in welchem, an dem Orte an welchem die ablaufende Kausalitätsreihe das bedrohte Objekt trifft Dasselbe meint wohl auch das RGR., wenn eS (13. März 1880, E I 274) jenen Ort als Thatort bezeichnet, an welchem die von dem Thäter durch die von ihm benutzten oder in Bewegung gesetzten Kräfte „erzielte Wirksamkeit mit seinem Willen in die Erscheinung tritt". Beispiele: A in Paris schickt am 1. Januar 1880 einen beleidigenden Brief an B in Berlin, den dieser am 3. Januar 1880 erhält und liest; Berlin ist Begehungsort, der 3. Januar der Zeitpunkt der Begehung. A hat am 1. Januar 1880 diesseits der deut­ schen Grenze stehend einen jenseits derselben befindlichen Franzosen durch einen Schuß verwundet; der Getroffene stirbt in einem deutschen Spitale am 8. Januar 1880; die That ist am 1. Januar 1880 und zwar in Frankreich be­ gangen. Besonders bei fahrlässigen Delikten ist ein solches Auseinanderfallen des ersten und des letzten Gliedes der kausalen Kette in zeitlicher wie in örtlicher Beziehung häufig? Einzelanwendungen. 1. Anstiftung und Beihülfe stehen unter der allge­ meinen Reget Dort wo der Anzustiftende den Rat usw., wo der Thäter die Hülfeleistung empfängt, und in dem Augen­ blicke, in welchem dies geschieht, dort und dann ist Anstif2 Bezügl. der vielbesprochenen Preßdelikte vgl. mein Reichspreßrecht §. 41.

Der Begriff der Handlung. tung und Beihülfe begangen.

§. 19.

75

Z. B. A in Paris bestimmt

durch einen am 1. Januar 1880 abgeschickten, am 3. Januar

1880 eingetroffenen Brief den B in Berlin zur Ermordung

des in London befindlichen C; wen» die That in London am 1. Februar 1880 ausgeführt wird, so ist die Anstiftung in Berlin am 3. Januar begangen (quod nunc demum apparuit).

2.

Dagegen

entscheidet bei Begehung der That durch

einen Anderen, mag dieser zurechnungsunfähig oder ge­ täuscht oder gezwungen sein, Ort und Zeit der Handlung

deS Werkzeuges.

Wenn ich durch einen Blödsinnige» einen

jenseits der Grenze befindlichen Gegenstand wegnehmen laste, so habe ich ihn jenseits der Grenze weggenommen.

Die

verschiedene Entscheidung der beiden Fälle hat ihren Grund darin, daß Anstiftung und Beihülfe Teilnahme an

dem

Thun eines Andern, Handeln durch ein Werkzmg dagegen

eigenes Handeln ist (vgl. uüten §. 35). 3.

Trifft die Handlung das Objekt überhaupt nicht,

so ist sie dort und dann begangen, wo und wann das letzte

Glied der Kette abbricht; eS entscheidet der letzte Vordere!tungS- oder Versuchsakt usw. 4.

Eine als juristische Einheit zu bettachtende Hand­

lungsreihe, z. B. daS fortgesetzte oder daS fortdauernde De­ likt (vgl. unten §. 39 II) darf auch

in

Bezug auf unsere

Frage nicht in seine unselbständigen Teile auseinander ge-

ES ist überall dort begangen, wo ein solcher

risten werden.

Teil gesetzt worden, und während der ganzen Dauer der

HandlungSreihe.

fremdem und

Eine dadurch veranlaßte Kollision zwischen

einheimischem Rechte ist zu Gunsten deS letz­

teren, zwischen späterem und früherem Rechte zu Gunsten deS milderen zu entscheiden (die mehreren Gerichtsstände sind gleichberechtigt).

76

Erstes Buch.

H. Das Verbrechen als Handlung.

§. 20. Sie Lehre vorn. Lausahusammenhaugr.l

I. Der Erfolg muß Folge der körperlichen Bewegung, diese muß seine Ursache sein; Handlung und Erfolg müssen im Kausalzusammenhänge stehen. Wann ist dieS der Fall? wann kann der Erfolg auf eine menschliche Thätigkeit als seine Ursache zurückgeführt werden? Im strengen Sinne ist Ursache die Gesammtheit (die Totalität, nicht die Summe) aller Faktoren, durch deren Zusammenwirken der Erfolg herbeigeführt wurde; oder, da man jeden einzelnen dieser Faktoren Bedingung nennt, die Gesammtheit der Bedingungen des Er­ folges. Die Zahl der einzelnen Bedingungen ist eine un­ endliche, räumlich und zeitlich unbegrenzte. Dieser Begriff der Ursache ist demnach für die praktische Betrachtung, auch für die juristische, unbrauchbar; sie hält sich an einzelne Bedingungen, und meint diese, wenn sie von Ursache spricht. Für die Auswahl dieser „Ursache" aus den Be­ dingungen ist lediglich der Standpunkt des Beobachters maßgebend; mit anderen Worten: ein objektiver realer Unter­ schied zwischen den verschiedenen Bedingungen existiert nicht, keine von ihnen ist an sich, sondern immer nur im Zusam1 Lit. bei Meyer Lehrbuch S. 178 Note 1. Insbesondere die Schriften von v. Bar, v. Buri, Binding. Dazu Burr GS. XXIX. Cohn Zur Lehre vom versuchten u. unvoll. Berbr. 1 1880 S. 488 ff. Hertz Das Unrecht und die allgem.

Lehren des Straft. I. Bd. 1880. S. 167 ff. Der Text nähert sich am meisten der v. Burischen Auffaffung. Seine phil. Begründung s. bei John Stuart Mill in deffen System der Logik I. Bd.

Die Lehre vom Kausalzusammenhänge.

20.

77

menwirken mit allen übrigen kausal. Alle Bedingungen sind objektiv gleichwertig; eine Verschiedenheit existiert nur in un­ serer subjektiven Vorstellung. So gelangen wir zu dem (nur scheinbar dem Begriffe der Ursache widersprechenden) Resultate: jede Bedingung ist kausal. Und mit Rück­ sicht auf die menschliche Handlung: wer immer durch seine Körperbewegung eine Bedingung zu dem eingetretenen Erfolge gesetzt hat, hat denselben mit bewirkt. II. Die praktischen Konsequenzen dieses Satzes werden wir sofort kennen lernen. Aber vorher ist eine scheinbare Abschweifung nötig. Je nach dem Standpunkte unserer Betrachtung isolieren wir eine oder die andere Bedingung und nennen sie Ursache. Wir gelangen zur Wahl, indem wir entweder 1. eine Anzahl von Bedingungen, weil regelmäßig vor­ handen, als gegeben voraussetzen, und nun die ausnahms­ weise hinzutretende als Ursache bezeichnen; oder 2. indem wir uns die günstigen und ungünstigen Be­ dingungen als sich das G.leichgewicht haltend vorstellen, so daß uns die hinzutretende das Gleichgewicht störende Be­ dingung als Ursache erscheint. Auf dem ersten Wege gelangt v. Bar, auf dem zweiten Binding zu seiner Definition des Ursachenbegriffes. Beide Definitionen sind nicht nur identisch sondern auch an sich gleich richtig. Beide werden gleich unrichtig, sobald man glaubt, daß dieser „Ursache" reale Existenz zukommt, und darauf weitere Schlüffe baut. Wenn die beiden regelmäßig vorhandenen Kräfte a und b den Punkt M nach N bewegen, und nun durch das Hinzutreten der Kraft c eine Bewegung nach N' eintritt, oder wenn die gleich stark gedachten Kräfte-

78

Erstes Buch. II. Das Verbrechen als Handlung,

masten 4- a und — b den Punkt M im Gleichgewichte halten und nun die hinzutretende Kraft c den Punkt nach N' be­ wegt, so können wir (ungenau) in beiden Fällen die Kraft c alS die Ursache der Bewegung von M nach N* bezeichnen; aber nie dürfen wir vergessen, daß die Bewegung in Wahr­ heit durch daS Zusammenwirken der drei Kräfte a und b und c verursacht Horden ist. III. Daraus ergiebt sich die außerordentlich wichtige Konsequenz,-daß ein und derselbe Erfolg auf mehrere menschliche Handlungen als seine Ursachen zurück­ geführt werden kann, einerlei, ob ihr Zusammenwirken ein gleichzeitiges oder ein successives ist. Insbesondere kann der unmittelbar durch das Handeln des B herbeigeführte Erfolg mittelbar auf das (vorsätzliche oder fahrlässige) Thun des A zurückgeführt werden. Eine „Unterbrechung des Kausal­ zusammenhanges" wie man sich möglichst schief ausdrückt, genauer ein (juristisches) Zurückführen des Erfolges auf die nächste Ursache (die Handlung des B) findet nur soweit kraft positivrechtlicher Anordnung statt, als diese nächste Ur­ sache die freie (d. h. nicht im Notstände StGB. §§. 52 und 54 begangene) von der Vorstellung ihrer Kau­ salität begleitete Handlung eines Zurechnungsfähi­ gen ist. Insbesondere steht der Annahme des Kausal­ zusammenhanges die eigene Fahrlässigkeit des Beschädigten nicht entgegen, RGR. 12. April 1880, E I 373, R I 578. Beispiel. Wenn A dem B ein geladenes Gewehr mit der Aufforderung in die Hand giebt, auf den C loszudrücken, und B in der Meinung es sei nicht geladen dies thut, so kann B wegen fahrlässiger und neben ihm A wegen vor­ sätzlicher oder fahrlässiger Tötung des C zur Verantwortung gezogen werden (so auch meist die Praxis gegen die Ansicht

Die sogenannten Unterlassungsdelikte.

g. 21.

79

der Mehrzahl der Theoretiker). Hat dagegen B die Kausa­ lität feiner Handlung gekannt, so knn A nur, wenn Vorsatz bei ihm vorliegt, als Anstifter strafbar gewacht werden; hat er fahrlässig gehandelt, so bleibt er straflos. (Vgl. darüber daS Nähere unten §. 35.) IV. Zurechnen (vgl. unten tz. 27IV) heißt einen Erfolg auf die Schuld eines Menschen zurückführen. Daraus folgt ein Doppeltes. Bei mangelndem Kausalzusammenhang ist Zurechnung ausgeschlossen. Ist dagegen der Kausalzusammen­ hang konstatiert, so muß überdies Schuld (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) vorliegen, damit der Erfolg zugerechnet werden kann. Die Kausalitätsfrage und die Schuldfrage sind strenge zu trennen (anders v. Bar); mit dieser Trennung entfallen auch alle Bedenken, die gegen die im Texte vertretene „laxe" (soll heißen: streng-logische) Fassung deS Ursachenbegriffes erhoben zu werden pflegen.

§. 21. Nie sogenannten Untrrlassungsdeliktr.l

I. Wir haben daS Verbrechen als Handlung definiert; wie verhalten sich dieser Definition gegenüber die Unter­ lassung Sdelikte? Wenn sie keine Handlungen sind, so war unsere Definition, weil zu eng, falsch und bedarf der Kor1 Lit. bei Meyer Lehrbuch S. 182 Note 1. Schriften von Luden,Krug, Glaser, Mer­ kel, v. Bar, v. Buri, Ort­ mann, Binding. Dazu neuerdings Cohn S. 533 ff., HerpS. 196ff., Schwalbach

GS. XXXI. Am besten immer noch die Ausführungen von Luden. Binding's Behändlung der Unterlaffungsdelikte ist mir der sicherste Beweis für die Unhaltbarkeit seines Ursachen­ begriffes.

80

Erstes Buch. II. Das Verbrechen als Handlung,

rektur; wenn sie aber Handlungen sind, warum spricht man von Unterlassungen? — Man könnte versucht sein, die Unterlassungen als nega­ tive rein psychische Handlungen aufzufassen: die bewußte und durch Vorstellungen bestimmte Nicht-Erregung der motorischen Nerven. Auch der Entschluß, nicht zu handeln ist ja ein psychischer Akt? Aber abgesehen davon, daß wir damit den nicht in Bewegung umgesetzten Gedanken, (denn mehr als eine Vorstellung, deren Sieg entschieden, ist der „Entschluß" nicht) zum Verbrechen stempeln, scheitert dieser Versuch an der nicht wegzuleugnenden Thatsache der fahrlässigen Ünterlassungsdelikte, bei welchen ein solcher Entschluß nicht vorliegt. Oder man könnte das Schwergewicht auf die der Unter­ lassung vorangehende positive Thätigkeit legen, wie Krug, Glaser, Merkel das gethan; damit rettet man den Be­ griff der Handlung, vernichtet aber die Unterlassung völlig, und gerat in weitaus den meisten praktischen Fällen mit dem obersten Grundsätze der Schuldlehre: „die Schuld muß im Augenblicke der Verursachung vorhanden sein" — in unlösbaren Widerspruch.

II. Es ist ein anderer Weg noch möglich, der nur darum von den Meisten übersehen wird, weil er so nahe liegt. Unterlassen heißt nicht Nichtsthun, sondern: Etwas nicht thun; das nicht thun, was erwartet, was gesollt wurde. Unterlassung ist Nichtthätigkeit mit Rücksicht auf ein ganz be­ stimmtes erwartetes Thun; nicht ein Nicht-Handeln, son1 Im Grunde genommen ist die Binding'sche Konstruktion der sog. unechten Unterlassungs­

delikte auf diesen zurückzuführen.

Gedanken

Die sogenannten Unterlassungsdelikte. §. 21.

81

dem ein Andershandeln.' Man kann nie sagen: er hat unterlassen, sondern immer nur: er hat dies oder jenes unterlassem Damit ist der Charakter der Unterlaffungen als positiver Handlungen, die wie alle anderen kausal fein können, nachgewiesen. Und nur die eine Frage erhebt sich:.warum bezeichnen wir als Juristen gerade ein gewisses Andershandeln nach seiner uegativm Seite? Die Antwort lautet: weil wir gerade ein bestimmtes Thun erwartet haben. Zu dieser Erwartung sind wir aber nur dann be­ rechtigt, wenn der zu Beurteilende zu jenem bestimmten Thun'verpflichtet war. Somit lautet die Frage: Wann tritt die Verpflichtung zu einem bestimmten posi­ tiven Thun ein? Die Existenz dieser Pflicht macht die „Unterlassung" nicht erst kausal, sondem strafbar, macht sie nicht erst zur Handlung, sondem berechtigt unS, das AnderShandeln nur von feiner negativen Seite inS Ange zu fassen. 1. Bei den durch Strafdrohung sanktionirtm Geboten des Rechts entsteht die Pflicht, eine bestimmte Handlung vor­ zunehmen, unmittelbar durch die Gebote selbst. Man nennt die Uebertretnngen dieser Gebote echte UnterlassungSoder Omissivdelikte. 2. Bei den negativen pönalisirten Imperativen, den Ver­ boten, muß dagegen die Pflicht zu einem bestimmten kon­ kreten Thun anderweitig begründet sein. Nur durch biefen Umstand, nicht aber in seiner inneren Struktur unterscheidet sich daS sog. unechte UnterlaffnngSdelikt, das delictmn per * Vgl. Luden Abhandlan. Binding selbst (Normen H II S. 221; v. Dar Kausal­ S. 447 ff.) bezüglich der sogen, zusammenhang S. 97. Zu dem­ echten Unterlaffungsdelikte. selben Resultate gelangt übrigens von Liszt, Strafrecht.

82

Erstes Buch. II. Das Verbrechen als Handlung,

omissionem commissum von der unter 1 besprochenen Gruppe. Die Pflicht zum Handeln aber kann liegen: a) in einer Rechtsnorm, die einem anderen als dem strafrechtlichen Gebiete angehört (Pflicht der Eltern zur Er­ nährung der Kinder, die vertragsmäßige Verpflichtung des Eisenbahnpersonales, die Dienstpflicht des Gefangenaufsehers, die Amtspflicht des Beamten usw.); b) in der vorhergegangenen Uebernahme oder An­ maßung der Herrschaft über den Ablauf der Kau­ salitätsreihe, so daß das spätere „Unterlassen" als Auf­ geben dieser Herrschaft, als ein Fahrenlassen der ergriffenen Zügel erscheint/ Die gewöhnlichen Beispiele: der gute Schwimmer A hat den schlechten Schwimmer B durch das Versprechen eventueller Hülfeleistung zu einer Schwimmpartie bestimmt; in dem Augenblicke als Kräfte nachlassen, faßt A den Tötungsvorsatz, und läßt B untersinken. Oder: der Kutscher läßt die Pferde über den im Wege liegenden Betrunkenen hinweg gehen. Alle diese Fälle — Gruppe I und Gruppe II a und b — sind ihrem innersten Wesen nach gleich; scheinbar „Un­ terlassungen" sind sie in Wahrheit Handlungen. Ihr Unter­ schied liegt einzig und allein in dem verschiedenen Grunde der Verpflichtung zu einem ganz bestimmten Handeln. Sie wären kausal auch ohne die Pflicht; aber sie wären für den Kriminalisten dann nicht strafbare Unterlassungen, son­ dern rechtlich indifferente Handlungen. III. Eine nach dem Gesagten selbstverständliche Konse4 Aehnlich Binding Normen II S. 259 ff. Auch Merkel (krimin. Abhandlgn. I) verlangt, daß der Thäter „die Interessen

Anderer in zurechenbarer (?) Weise auf die Vornahme ent­ sprechender Handlungen gestellt habe."

Mangelnde Rechtswidrigkeit im Allgemeinen.

quenz fet ausdrücklich betont:

§. 22.

83

Im Augenblicke deS Unter«

lastens, d. h. in dem Augenblicke, in welchem daS bestimmte Thun vorzunehmen war, muß Schuld — d. h. Zurechnungs­

fähigkeit einerseits, Vorsatz oder Fahrlässigkeit andrerseits —

vorgelegen haben.

Zurückbeziehung auf einen früheren Zeit­

punkt ist hier wie überall unbedingt unzulässig.

III. Das Verbrechen als rechtswidrige Handlung. §. 22. Ote Anssihließungsgründe der Rechtswidrigkeit

im allgemeinen.

I.

DaS Verbrechen ist wie das Delikt rechtswidrige

Handlung; genauer: willkürliche Körperbewegung mit rechts­

widrigem Erfolge.

Die Handlung

führt herbei oder ver­

hindert, was die Norm vermieden oder bewirkt wissen will.

Der Erfolg muß also der Norm widersprechen. Die Norm ist aber eine Regel mit Ausnahmen.

Sie

verlangt nicht unbedingt und in allen Fällen Gehorsam, son­

dern verzichtet unter gewissen Voraussetzungen auf ihre bin« dende Kraft und hört damit, da ein nicht imperativer Im­ perativ nicht denkbar ist, auf, Norm zu sein.

Der Erfolg

darf mithin nicht einer Ausnahme von der Herrschaft der

Norm entsprechen.

Solche Ausnahmen sind im modernen Rechte meist aus­ drücklich, hie und da aber auch — leider — stillschweigend ausgesprochen.

Sie

finden

sich

teils

im

Strafgesetzbuch

selbst, teils auf anderen Rechtsgebieten. DaS StGB, behandelt die Lehre von der Normwidrig­

keit ohne jede innere Folgerichtigkeit.

Es hebt bei einer ein-

84

Erstes Buch. III. Das Verbrechen als rechtswidr. Handl,

gclncn strafbaren Handlung (Beleidigung §. 193) eine ganze Reihe von Umständen ausdrücklich hervor, die nkcht nur hier, sondern überall die Rechtswidrigkeit ausschließen; es nimmt bei einer Anzahl von strafbaren Handlungen das Merkmal der Rechtswidrigkeit in den besonderen Thatbestand auf, um damit bei diesen (und nur bei diesen) Delikten das Bewußt­ sein der Rechtswidrigkeit als zum Borsatze wesentlich zu be­ zeichnen (vgl. unten §. 28 II); es regelt endlich in seinem allgemeinen Teile die Behandlung der Notwehr und des Notstandes, durch deren Vorliegen die Rechtswidrigkeit des in Frage stehenden ThunS ausgeschlossen wird. Ohne Rechtswidrigkeit deS Handelns kann weder von De­ likt noch von Verbrechen die Rede sein. Es ist daher straf­ bare Teilnahme an einer solchen Handlung nicht möglich (vgl. unten 35 II), während allerdings dritte Personen, welchen gegenüber die Gründe für die Ausschließung nicht zutresfen, durch ihre Beteiligung sich (als Thäter) eines strafbaren Thuns schuldig machen können. Wohl aber ist die an sich nicht rechtswidrige Handlung, sobald sie über daS eng umgrenzte Gebiet der ausnahmsweisen Nichtherrschaft der Norm hinausgreift, bezüglich dieses Uebermaßes (soweit das­ selbe ausgeschieden werden kann) den allgemeinen Regeln unterworfen. Auch steht die irrige Subsumption der That unter eine der Ausnahmen der irrigen Nichtsubsumption unter die Regel juristisch durchaus gleich. (Vgl. unten §. 35 II 3). II. Unter den nicht im StGB, selbst enthaltenen Aus­ nahmen von der regelmäßigen Herrschaft der Normen sind (abgesehen von den bereits oben §. 14 I besprochenen Fällen) die folgenden von größerer Wichtigkeit. 1. Pflichtgemäße Ausübung eines öffentlichen

Mangelnde Rechtswidrigkeit im Allgemeinen. §. 22.

85

Amtes schließt die Rechtswidrigkeit deS Thuns aus.

Man

denke an Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme, Verhaftungen,

Vollstreckung von rechtskräftig erkannten Strafen usw.

Jede

Ueberschreitung der Amtsbefugnisse dagegen macht die Hand­ lung bezüglich dieses Uebermaßes zu einer rechtswidrigen. Da blinder Gehorsam gegenüber Befehlen deS Vorge-

setztm, von ausdrückliche» geschlichen Anordnungen (z. B.

Mil.StGB. §. 47) abgesehen, in der Amtspflicht nicht be­

gründet ist, so wird durch solchen Gehorsam an dem rechts­ widrigen Charakter der Handlung nichts geändert. 2.

Die Handlung ist keine rechtswidrige, wenn sie kraft

einer besonderen Berechtigung und innerhalb der Grenzen Die verschiedensten Fälle ge­

derselben vorgenommen wurde.

Zu erwähnen sind:

hören hieher.

a) Erlaubte Selbsthülfe.

Ueber die deutschrechtliche

Privatpfändung vgl. die bei Wind scheid §. 123 Note 7

angeführte Litteratur. b) ErziehungS- und Disziplinargewalt; soweit

eine

solche

den

Eltern

Lehrer gegenüber seinen

gegenüber

Schülern

den

Kindern,

dem

(vgl. RGR. .14. April

1880, R I 593, E II 10),1 dem Lehrherrn gegenüber dem Lehrling (Gewerbe-Ordnung vom 21. Juni 1869 §. 119), dem Schiffer gegenüber der Bemannung deS Schiffes (See­ mannsordnung vom 27. Dezember 1872 §. 79 Abs. 2), dem

Ehemanne etwa nach Landesrecht' gegenüber der Eheftau (München 17. April 1875), der Kirche gegenüber ihren An­

gehörigen, der Dienstherrschaft gegenüber dem Gesinde' usw. eingeräumt ist.

Zu beachten ist, daß die Ausübung dieses

1 Vgl. v. Schwarze GS. XXIX. * Ueber das gern. Recht vgl.

Windscheid Z.4S0 Note 11. » Dgl. RGR. 12. April 1880, R I 5'73, E II 7.

86

Erstes Buch. UI. Das Verbrechen als rechtswidr. Handl.

Rechtes, dauernd oder vorübergehend, von dem Berechtigten

dritten Personen (von den Eltern dein Dienstmädchen) über­ tragen, daß

ferner in manchen Fällen (Züchtigung eines

mutwilligen Knaben durch belästigte Borbeigehende) die Zu­ stimmung des Berechtigten vorausgesetzt werden kann.

c) Die in der StPO. §. 127 ausgesprochene Ermächti­

gung zur vorläufigen Festnahme eines auf frischer That

betroffenen oder verfolgten Verbrechers. d) Die aus der gesetzmäßigen Ausübung eines öffent­

lichen Berufes sich ergebende Berechtigung zu Vornahme der­

jenigen Handlungen, welche nach den Regeln der betreffenden Kunst

Nach

oder Wiffenschaft im

diesem

Gesichtspunkte

konkreten Falle geboten sind.

sind

chirurgische Operationen

überhaupt, ist insbes. die vielbesprochene Perforation4 S. (Zerstück­ lung der Frucht im Mutterleibe) zu beurteilen.

Doch wäre

gerade für diese Fälle gesetzliche Abgrenzung die Berechtigung

dringend wünschenswert. Die von dem Träger eines Rechtsgutes

3.

gegebene

Einwilligung zur Verletzung desselben schließt die Rechts­ widrigkeit der Verletzung

nur dann und nur soweit auS,

wenn und soweit die öffentliche Rechtsordnung dem Träger des Rechtsgutes

hat?

die Disposition über dasselbe eingeräumt

Sie wird die Disposition versagen,

wentr sie dem

betreffenden Rechtsgute eine über die Person seines Trägers

hinausreichende Bedeutung beilegt.

Ob sie es gethan, ist

aus dem ganzen Zusammenhänge der gesetzlichen Bestim­

mungen, nicht nur aus den Verbrechens-Definitionen zu ent­ nehmen.

So bleibt die Tötung,

4 Lit. bei Meyer Lehrbuch S. 246 N. 8, dazu Janka Notstand S. 262.

auch wenn der Getötete

6 Lit. bei Binding Grundriß S. 153.

Mangelnde Rechtswidrigkeit im Allgemeinen, g. 22.

87

sie ernstlich und ausdrücklich verlangt hat, rechtswidrige wenn auch milder bestrafte Handlung (StGB. §. 216), während Beleidigung, Verletzung der weiblichen Geschlechtsehre, Be­ schränkung der persönlichen Freiheit, Eingriffe in fremde Vermögensrechte usw. (unter gewissen Voraussetzungen) durch die Einwilligung des Verletzten den deliktischen Charakter verlieren. Der Satz volenti non fit injuria, abgeleitet von 1. 1 §. 5 Big. 47, 10 ist in dieser Allgemeinheit nach römi­ schem wie nach heutigem Rechte unrichtig. 4. Die von dem Träger eines RechtSgutes selbst vorgenommene Verletzung deSselben° sollte principiell ebenso beurteilt werden, wie die mit Einwilligung , des Ver­ letzten von einem Dritten ausgehende Handlung. Doch hat das positive Recht, von sekundären Gesichtspunkten geleitet, die Grenzlinie dort vielfach anders bestimmt als hier. Bei­ spiele bietet die im modernen Rechte ziemlich allgemein'an­ genommene Beurteilung deS Selbstmordes, der Selbstbe­ fleckung, Selbstkastration usw. Die Selbstverstümmlung ist nur ausnahmsweise (StGB. §. 142 Vereitlung der Wehr­ pflichterfüllung) als Delikt behandelt. 5. Soweit das positive Recht eine totale oder par­ tielle Rechtlosigkeit kennt, ebensoweit schließt diese die Rechtswidrigkeit aller oder gewisser Verletzungen aus. Dem heutigen Rechte ist eine solche Auffassung, völlig fremd. Die unbefugte Tötung des zum Tode verurteilten Verbrechers unterliegt den allgemeinen Regeln. Anders dachte das ältere Recht: man erinnere sich an die römische sacratio capitis, die germanische Friedlosigkeit, die Oberacht deS mittelalter­ lich deutschen Rechtes; an die Rechtlosigkeit der Zigeuner 6 Lit. bei Binding Grundriß S. 152.

88

Erstes Buch. III. DaS Verbrechen als rechtswidr. Handl.

nach zahlreichen Reichsgesetzen des 16. Jahrhunderts/ die Ehrlosigkeit der Gotteslästerer nach den Reichspolizeiord­ nungen von 1548 und 1577 usw.

§. 23. Vir Notwehr.»

I. Notwehr ist die zur Abwehr eines gegenwärti­ gen rechtswidrigen Angriffes erforderliche Vertei­ digung durch Verletzung des Angreifers. Sie ist Rechtsgüterschutz durch Rechtsgüterverletzung; Aufrechthaltung der bedrohten Rechtsordnung durch den oder die einzelnen Staatsbürger. Die Notwehrhandlung ist zu allen Zeiten und bei allen Völkern, wenn auch in verschiedenem Umfange, als - eine nicht nur nicht strafbare, sondern als eine Vicht rechtswidrige Rechtsgüterverletzung anerkannt worden; die Rechtsordnung hat von jeher — in entwickelteren Rechten durch ausdrückliche Anordnung — die von dem Einzelnen ausgehende Abwehr des unmittelbar drohenden Unrechtes in der Gestalt der Notwehr sanktionirt. Auf dieser staat­ lichen Sanktion und nicht etwa auf einem „angeborenen" Rechte (Cicero: non scripta sed nata lex) beruht die Rechtmäßigkeit der Notwehrhandlung. II. Begriffsmerkmale (StGB. §. 53). 1. Der Angriff muß a) ein rechtswidriger, d. h. nicht berechtigter (vgl. oben §. 22) sein. Daher ist Notwehr nicht möglich 7 Vgl. Binding Grundriß S. 153.

1 Lit. bei Binding Grund« riß S. 154. Dazu v. Buri GS. XXX.

Die Notwehr. §. 23.

89

gegenüber dem in rechtmäßiger Amtsausübung be­ findlichen Beamten, gegenüber der Handhabung eines DisziplinarrechteS usw.; nicht möglich gegenüber der Notwehrhandlung selbst oder der Notstandshandlung (vgl. unten §. 24 III). Wohl aber wird sie in dem Augenblicke berechtigt, in welchem eine Urberschreitung den an sich rechtmäßigen Angriff zu einem rechts­ widrigen macht, also auch gegenüber einem Excesse der Notwehr. Auch gegen den von einem Tiere oder oder einem Zurechnungsunfähigen ausgehenden Angriff ist Notwehr möglich;' denn dieser Angriff kann zwar kein deliktischer (schuldhafte Rechtswidrigkeit) wohl aber ein nicht berechtigter (objektive Rechtswidrigkeit) sein. Die entgegengesetzte Ansicht würde die Vertei­ digung in einem solchen Falle auf gegen Leib und Leben (StGB. §. 54) gerichtete Angriffe einschränken müssen. Ob der Angriff ein vorhergesehener war oder nicht, ob er von dem Angegriffenen verschuldet worden oder nicht, ist nach dem heutigen Rechte irre­ levant? b) Der Angriff muß ferner ein gegenwärtiger sein, d. h. unmittelbar bevorstehen oder bereits begonnen haben. ES braucht daher einerseits der Begin n deS An­ griffes nicht abgewartet zu werden, während andrerseits auch der bereits begonnene aber noch fortgesetzte 1 Anders die herrschende An­ sicht, die, daS Wort „rechts­ widrig" unrichtig auslegend, in einem solchen Falle Notstand

annimmt. Lit. bei Binding Grundriß S. 155. • Interessante Kasuistik bei Binding Normen IIS. 201 ff.

90

Erstes Buch. III. Das Verbrechen als rechtswidr. Handl. Angriff abgewehrt werden

kann.

Ausgeschloffen ist

Notwehr dagegen a) gegenüber einem erst in der Zukunft drohen­

den Angriffe. Verletzungen,

Schutzmaßregeln wie

gegen

Fußangeln,

künftige

Selbstgeschoffe,

Wolfsgräben, sind, wenn sie erst im Augenblicke des Angriffes funktioniren sollen, gestattet, soweit sie nicht (was allerdings meist der Fall sein wird)

die Grenzen der erforderlichen Verteidi­ gung überschreiten/

ß) Gegenüber dem beendeten Angriffe.

Diebstahl

nicht

Da der

schon mit der Ergreifung der

Sache sondern erst mit dem Bruche des Gewahr­

sams vollendet

wird,

ist

Notwehr

gegen den

flüchtigen Dieb (aber ex continenti non ex Inter­ valle 1. 3 §. 9 Dig. 43, 16)

allerdings

unter

Umständen zulässig?

c) Der Angriff muß gegen irgend ein Rechtsgut, d. h. gegen ein rechtlich geschütztes Interesse gerichtet sein. Das Gesetz macht unter den Rechtsgütern keinen Unter­ schied.

Auch zum Schutze

politischer Rechtsgüter ist

Notwehr zulässig. 2. Die Verteidigung darf a) die Grenzen deS unbedingt Notwendigen nicht über­ schreiten.

Das Maß der „erforderlichen" Verteidigung

liegt in der Intensität des Angriffes?

Ist die Ab­

wehr des Angriffes auf andere Weise nicht möglich,

4 Lit. S. 250 5 Lit. S. 250

bei Note bei Note

Meyer Lehrbuch 9. Meyer Lehrbuch 10.

G Lit. bei Mever Lehrbuch S. 251 Note 12. '

Die Notwehr, g. 23.

91

so kann auch daS unbedeutendste Rechtsgut durch Tötung des Angreifers geschützt werden? Die Ansicht, nach welcher die Möglichkeit einer unschimpflichen Flucht, des Anrufens fremder Hülfe usw. die Rechtmäßigkeit der Notwehrhandlung ausschließen soll, kann als eine heute allgemein aufgegebene bezeichnet werden. b) Die Notwehr ist nicht nur zum Schutze eigener, son­ dern als Nothülfe auch zum Schutze fremder Rechts­ güter gestattet. Die Beschränkung auf Line Bedrohung der „Angehörigen" (wie beinr Notstände StGB. §§. 52 u. 54) ist hier unserem Rechte fremd. III. Sobald die Grenzen der erforderlichen Verteidigung überschritten sind, unterliegt die weitere Verteidigung als rechtswidrige Nechtsgüterverletzung den allgemeinen Re­ geln. Doch bleibt nach §. 53 StGB, die durch Bestür­ zung, Furcht oder Schrecken herbeigeführte Ueberschreitung straflos; eS liegt hier zwar eine objektiv strafbare Hand­ lung, zugleich aber auch ein subjektiver Strafausschließungs­ grund (unten §. 30 III 3) vor. Die irrige Annahme der Notwehr ist als irrige Subsumption der That unter eine Ausnahme von der Herrschaft der Norm nach den allgemeinen Grundsätzen (vgl. unten §. 28 II) zu beurteilen. Dasselbe gilt von dem Eintritte des Erfolges bei einem anderen als dem vorgestellten Objekte (aberratio Lotus oder error in objecto; vgl. unten §. 28 V).7 8 7 Treffende Bemerkungen ge­ Handb. IV S. 94) gegen diese gen die abweichende Ansicht der „Totschlägermoral". b Gerade diese Fälle werden alteren Schriftsteller in Jhering's Kampf ums Recht. in der Praxis vielfach unrichtig Dagegen verwahrt sich Geyer entschieden. (zuletzt in v. Holtzendorff's

92

Erstes Buch. III. Das Verbrechen als rechtswidr. Handl.

§. 24. ver Notstand?

I. Notstand ist — wenn wir vorläufig von den Beschrän­ kungen des Begriffes durch das positive Recht absehen — ein Zustand gegenwärtiger Gefahr, aus dem es keine andere Rettung giebt, als die Uebertretung einer Norm; mag dieser Zustand durch Naturkräfte, mag er durch den Angriff eines Dritten herbeigeführt worden sein. Beispiele: Um das Wasser zum Löschen eines ausge­ brochenen Brandes zu holen, eilen die Bedrohten quer über ein fremdes Saatfeld zum Musse; der von Räubern über­ fallene Postillon liefert diesen den Geldbriefbeutel aus; von zwei durch ein Seil verbundenen Bergsteigern hackt der eine, der den abgestürzten aber noch am Seile hängenden Be­ gleiter nicht länger zu halten vermag, das Seil ab usw. Wie die Notwehr, so ist auch die Notstandshandlung Rechtsgüterverletzung zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes; aber dort gerichtet gegen den Angreifenden, hier gegen einen unbeteiligten Dritten; dort Kampf für das Recht gegen daS Unrecht, hier Kampf für das eigene Interesse gegen fremde gleichberechtigte, aber im Einzelfalle kollidierende Interessen. II. Den theoretischen Begriff des Notstandes hat die Reichsgesetzgebung vielfach — und nur zum Teile mit Recht — eingeengt. 1. Zunächst hat das positive Recht in durchaus unge­ rechtfertigter Weise den einheitlichen Begriff des Notstandes zerrissen in Nötigung (StGB. §. 52 „durch unwidersteh1 Lit. bei Binding Grund- I beiten v. Janka u. Stamm­ riß S. 156; insbesondere Ar- | Icr. Dazu v.Buri GS. XXX.

Der Notstand, g. 24.

93

liche Gewalt' oder Drohung") und in den eigentlichen Not­

stand (StGB. §. 54).

2. Das Gesetz verlangt ferner in beiden Fallen gegen­

wärtige,

auf andere Weise nicht abwendbare Gefahr für

Leib oder Leben, versagt also bei Gefahr für alle an­ deren Rechtsgüter (z. B. auch für die persönliche Freiheit, deren Beschränkung doch gewiß von größerer Bedeutung ist

als eine geringfügige Körperverletzung) dem Notstände seine

Anerkennung.

Doch ist (ein dem Notstand verwandter Fall)

beabsichtigter Eigentumsschutz

bei der Herbeiführung einer

Überschwemmung (StGB. §. 213) Strafmilderungsgrund.

3.

Nur zur eigenen Rettung «nd zur Rettung der

nächsten Angehörigen (aufgezählt sind dieselben im 2. Abs.

tz. 52) wird die Notstandshandlung gestattet. 4.

Es muß

endlich der Notstand im engeren Sinne

(StGB. §. 54) ein unverschuldeter, d. h. ein nicht von dem Gefährdetm selbst vorsätzücher oder fahrlässiger Weise herbeigeftihrter sein. HI. Der Notstand (im Sinne der unter II besprochenen gesetzlichen Bestimmungen) schließt die Rechtswidrigkeit,

nicht bloß die Strafbarkeit, der zur Rettung aus demselbm

unternommenen Handlung auS. DaS Recht verzichtet auf die Befolgung seiner Normen, weil eS unter dm ge­

gebenen Umständen auf ihre Befolgung ohnehin nicht rechnen kann und die Bestrafung daher keinen Zweck hätte?

Eine

Norm aber ohne imperative Kraft ist keine Norm.

DaS

Recht verzichtet jedoch auf die bindmde Kraft seiner Jmpe-

* Ueber die verschiedenen Not­ * Diese schließt als Physische (vis absoluta) den Begriff der standstheorien vgl. die bei „Handlung" aus (oben §. 19 I Meyer Lehrb. S. 253 angef. 2a), gehört also gar nicht hieher. Lit.

Erstes Buch. III. Das Verbrechen als rechtswidr. Handl,

94

rative jenen Personen gegenüber nicht, deren Beruf größere als die durchschnittliche Standhaftigkeit in Leibes- und Le­

bensgefahr bedingt; dem Soldaten (Milit.StGB. §. 49

Abs. 1 vgl. mit §§. 84—88), dem Schiffsmann (See­ mannsordnung von 1872 §. 32) ist die Berufung auf den

Notstand ausdrücklich abgeschnitten.

Ist aber einmal Notstand

gegeben,

dann besteht kein

weiterer Unterschied innerhalb der Notstandshandlungen; der

Satz, daß nur das höhere Recht auf Kosten des niederen sich erhalten dürfe, ist aus den Motiven nicht in das Gesetz

übergegangen. IV. Die §§. 52 und 54 StGB, sind die einzigen Quellen für die strafrechtliche Behandlung des Notstandes.

Die

Spezialbestimmungen des Handelsgesetzbuchs (A. 702 und

708

über die große Haverei) und der Seemannsordnung

(§. 75) haben keine über das Gebiet dieser Gesetze hinauS-

reichende Geltung.

Auch

die Anordnungen des römischen

Rechtes* oder partikularer Civilgesetze sind für das Straf­

recht ohne Bedeutung.

Ihre analoge Anwendung" ist schon

darum unmöglich, weil Analogie die Ausfüllung einer Lücke, nicht aber Beseitigung eines Widerspruches in dem Systeme

des Rechts zur Aufgabe hat.

V. Der Nötiger (StGB. §. 52) ist nach den später (vgl. unten §. 36 I) zu besprechenden Grundsätzen eventuell als Urheber der von dem Genötigten vorgenommenen Rechts­ verletzung zu betrachten.

* Vgl. Windscheid §.455 Note 11.

6 Empfohlen von Meyer, Stammler, insbesondere aber Bin ding Grundriß S. 157.

Die Zurechnungsfähigkeit.

§. 25.

95

IV. VdS Verbrechen als schul-bafte rechtswidrige Handlung. 1. Die Voraussetzung der Schuld.

§. 25. Sie Zurechnungsfähigkeit.'

I. Zurechnungsfähigkeit ist strafrechtliche Handlungs­ fähigkeit? Handlungsfähigkeit aber im juristischen Sinne ist die Fähigkeit, juristisch relevante Handlungen' vorzunehmen, d. h. solche Handlungen, an welche als Thatbestand das objektive Recht den Eintritt von Rechtsfolgen knüpft. Mithin ist Zu­ rechnungsfähigkeit die Fähigkeit, strafrechtlich relevante, d. h. den Eintritt der Straffolge nach sich ziehende Handlungen vorzunehmen; die Fähigkeit also, strafrechtlich verant­ wortlich gemacht zu werden. Die Zurechnungsfähigkeit besteht aus einer Summe von elementaren Fähigkeiten? Sie setzt voraus Selbstbewußtsein und Bewußtsein der Außenwelt; Einsicht in die Stellung des Ich zu dieser überhaupt und zur Rechtswelt insbeson­ dere; Kenntnis des Kausalgesetzes; eine Summe von ethi­ schen, religiösen und rechtlichen Vorstellungen usw. Sie ist der allmählich in der Schule des Lebens erworbene normale geistige Besitz des geistig reifen und geistig gesunden Menschen? Sie fehlt dem geistig unreifen; sei es, daß die Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, sei es, daß 1 Lit. bei Binding Grund­ riß S. 57. a Scharf betont von Din­ ding Normen II S. 46.

» Val. Windscheid §.71. 4 Äinding Normen II S. 54. 6 Vgl. Motive zu §.51 StGB.

96

Erst. Buch. IV. DaS Berbr. als schuldh. rechtswidr. Handl,

gehemmte Entwicklung vorliegt; sie fehlt dem geistig kranken Individuum, mag es sich um vorübergehende Störungen oder langer dauernde Erkrankungen oder end­ lich um den Verfall (Degenerationszustände) der Psyche handeln. Die Zurechnungsfähigkeit setzt normales Zusammen­ wirken der psychischen Funktionen voraus; also nicht bloß normale Zahl und Klarheit der Vorstellungen, sondern auch normales Betonungsverhältnis der Vorstellungen unter­ einander, so daß sie ausgeschloffen werden kann durch anormale Betonung einer einzelnen Vorstellung (Zwangsvorstellung). Sie ist mit andern Worten nicht nur ein Kennen (Wissen), sondern auch ein Sönnen6 (Wollen). Wie die geistige Reife auf den verschiedenen Gebieten des rechtlich indifferenten Handelns nicht mit demselben Augen­ blicke eintritt, sondern hier längere dort kürzere Entwicklung vorangehen muß, so wird auch die rechtliche Handlungsfähig­ keit auf den verschiedenen Rechtsgebieten (z. B. öffentliches Recht, Civilrecht, Strafrecht) und deren Untergebieten (z. B. Familimrecht, Erbrecht, Obligationenrecht) nicht in demselben Lebensstadium erworben. Sie wird auch auf dem Gebiete des Strafrechtes bei demselben Individuum in demselben Augenblicke bald als vorhanden, bald als fehlend ange­ nommen werden müssen, je nachdem diese oder jene Gruppe von strafbaren Handlungen in Frage steht (man denke an Tötung einerseits, politische Delikte andrerseits). II. Die Reichsstrafgesetzgebung hat davon abge6 So von den Kriminalisten inbesondere Meyer, Wahlberg u. Geyer; der Psychologe v. Volkmann, der Psychiater

v. Krafft-Ebing u. A. gegen die Hegelianer; Schütze u. A.

Da­ auch'

Die Zurechnungsfähigkeit.

97

8- 25.

sehen, den Begriff der Zurechnungsfähigkeit festzustellen;

sie hat die Lösung dieser Aufgabe den Bemühungen der ju­ ristischen

und

psychologischen

Wissenschaft

überlassen und

sich damit begnügt, dieser und der' Praxis einzelne leitende Gesichtspunkte an die Hand zu geben.

Sie erschöpft den

Begriff der Zurechnungsfähigkeit nicht und will ihn nicht

erschöpfen, wenn sie hier (StGB. §. 51) die „freie Willens­ bestimmung" und dort (StGB. §§. 56—.58) die „zur Er­

kenntnis der Strafbarkeit erforderliche Einsicht" hervorhebt.

Sie konnte das um so leichter thun, als Zurechnungsfähig­

keit der normale Zustand ist. III. Innerhalb der Zurechnungsfähigkeit, also

nach Ausschluß des ganzen Gebietes der Zurechnungsunfähig­ keit, sind unendliche Abstufungen, wie innerhalb

körperlichen Gesundheit, von dem eben noch

der

hinreichenden

Minimum bis zur höchsten erreichbaren Vollkommenheit mög­ lich.

Es fragt sich nun:

soll der Gesetzgeber diese Abstu-,

fungen berücksichtigen, wenn er die Straffolgen an den straf­ baren Thatbestand anknüpft?

DaS Minimum liegt ja tief

unter dem Durchschnittsmaße der geistigen Befähigung, und

dieses noch viel tiefer unter dem Maximum; soll der Gesetz­ geber vielleicht einen doppelten Straftahmen aufstellen, den einen für die unterdurchschnittliche, den anderen für die

überdurchschnittliche

Zurechnungsfähigkeit?

Man hat die

Frage verwirrt, indem man die über daS Minimum sich er­ hebende, aber unter dem Durchschnittsniveau zurückbleibende Zurechnungsfähigkeit als vermindert« Zurechnungsfähigkeit' bezeichnete, und dadurch vielfach den Glaubm erweckte, als

handle eS sich um einen Geisteszustand, der weniger sei als

7 Lit. bei Meyer Lehrbuch S. 326. von Li-zt, Strafrecht.

98

Erst. Buch. IV. Das Derbr. als schuldh. rechtswidr. Handl.

Zurechnungsfähigkeit. Gegen die Bejahung der aufgeworfenen Frage spricht die Weite der Strafrahmen der deutschen Strafgesetze, insbesondere ihr äußerst geringes Minimum; für dieselbe aber die auf diesem Felde noch weit verbreitete und tiefgewurzelte Verwirrtheit, welche eine gesetzliche Regelung der Frage dringend wünschenswert macht. In einem Falle — bezüglich der jugendlichen Thäter (StGB. §. 57) — hat übrigens das .StGB, selbst der „verminderten" Zurech­ nungsfähigkeit, Rechnung getragen. IV. Die Zurechnungsfähigkeit ist Voraussetzung der Schuld. Sie muß, wie alle relevanten Umstände, von Amts wegen festgestellt werden. Ausdrücklicher Feststellung im Urteile bedarf es jedoch nur dann (StPO. §. 266), wenn ihr Vor­ handensein im Laufe der Verhandlung bestritten worden war. Eine Ausnahme von dieser Regel tritt nur ein, wenn es sich um einen jugendlichen oder taubstummen Thäter handelt: hier muß — eventuell durch eine an die Geschworenen ge­ richtete Nebenfrage — in allen Fällen positiv festgestellt werden, ob der Thäter bei Begehung der That die zur Er­ kenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht besessen habe? V. Die Zurechnungsfähigkeit muß bei Begehung der That vorhanden gewesen sein. Später eintretende Zurech­ nungsunfähigkeit kann nur prozessuale Folgen nach sich ziehen. Maßgebend ist dabei (vgl. oben §. 19 III 1) jener Augenblick, in welchem die den Naturkausalislnus in Bewe­ gung setzende körperliche Bewegung selbst vorgenommen wurde; irrelevant der Geisteszustand des Thäters in dem Augenblicke, in welchem der Kausalismus das angegriffene

8 Eigentümliche Ansicht bei Meyer S. 143f.

Die Zurechnungsfähigkeit. . %• 25.

99

Objekt trifft oder der Erfolg eintritt. Wer-einen Brunnen vergiftet und dann sich berauscht, ist verantwortlich, wenn, während er sich im Zustande der Volltrunkenheit befindet, die von ihm in Aussicht genommenen Personen aus dem vergifteten Brunnen trinken. Wer einen Wahnsinnigen zu einem Verbrechen bestimmt, hat im Zustande der Zurech­ nungsfähigkeit gehandelt, wenn auch der Wahnsinnige das Verbrechen ausführt, während der geistige Urheber der That im tiefsten Schlafe liegt. Wir haben nur diese allgemeine Regel konsequent zur Anwendung zu bringen, um die berühmte Schulstreitfrage nach der Beurteilung der sog. actiones liberae in causa zu entscheiden? Sie liegen vor, wenn ein im Zustande der Zurechnungsunfähigkeit gefetztes Thun veranlaßt wurde durch einen im Zustande der Zurechnungsfähigkeit gefaßten Ent­ schluß oder eine in diesem Zustande begangene Fahrlässigkeit. Beispiele: der Eisenbahnwächter betrinkt sich, um beim Heran­ nahen des EilzugeS die Weichen nicht zu stellen; , die Mutter, die wiffen sollte, daß sie im Schlafe sich unruhig hin und her wirft, hat fahrlässiger Weife ihr Kind zu sich ins Bett genommen und erdrückt. Wenn wir daran festhalten, daß auch die menschliche That (bezüglich des Zurechnungsun­ fähigen wird dies ja allgemein zugegeben) unter dem Kausalitätsgesetze steht, so ist in diesen Fällen im entscheidenden Augenblicke — und das ist jener, in welchem der Anstoß zum Abrollen deS Kausalismus gegeben wurde — Zurech­ nungsfähigkeit vorhanden gewesen. Im nüchternen Zustande hat der Wächter, wachend, die Mutter die Ursache zu dem

u Lit. bei Binding Grund­ S. 195 ff. Dazu Hertz daS riß S. 60; schöne Darstellung Unrecht usw. I S. 189 ff. bei demselben Normen II

100 Erst. Buch. IV. DaS Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl,

eingetretenen Erfolge gesetzt. Liegt nun außerdem der Kau­ salzusammenhang selbst und auf der subjektiven Seite wirk­ lich Vorsatz (vgl. unten §. 28 IV) oder Fahrlässigkeit vor, so steht der Zurechnung des Erfolges zur Schuld nichts im Stege.10 11 VL Da die Zurechnungsfähigkeit eine Art der Hand­ lungsfähigkeit ist, so kann nur der Mensch Subjekt eines Deliktes sein.1' Und zwar nach positivem Rechte nur das Einzelindividuum, nicht aber die Kollektivper­ sönlichkeit. Societas delinquere non potest. Immer können nur die einzelnen handelnden Vertreter, nicht aber der ver­ tretene Gesammtkörper zur Verantwortung gezogen werden. Die nach den strafrechtlichen Nebengesetzen des Reiches auch den Kollektivpersönlichkeiten vielfach auferlegte subsidiäre Haftung für die zunächst den Schuldigen treffenden Geld­ strafen (vgl. unten §. 42 III 2) ist keine Strafe, wenn sie auch in ihren Wirkungen einer solchen durchaus gleich­ kommt. Dabei sei jedoch ausdrücklich betont, daß die Bestrafung „juristischer Personen" nicht nur rechtlich möglich,sondern auch innerhalb gewisser Grenzen nach dem von der englisch­ amerikanischen Praxis gegebenen Beispiele de lege ferenda 10 Die Meinungen gehen weit auseinander. Meist wird in ganz einseitiger Weise nur die Frage nach dem Vorliegen des Kausalzusammenhanges bespro­ chen. Zusammenstellungen der verschiedenen Ansichten bei Din­ ding a. O. 11 Ueber die abweichenden An­ sichten des älteren Rechts vgl. Geib Lehrb. II S. 197.

12 Die entgegengesetzte Ansicht ist nicht nur die herrschende, sondern die beinahe ausschließ­ lich bei Kriminalisten wie Ci­ vilisten herrschende. Für die juristische Möglichkeit der Be­ strafung haben sich Beseler, Bluntschli, Ziebarth, in jüngster Zeit Felix Dahn Ver­ nunft int Recht S. 168 ausge­ sprochen.

Die Falle der ZurechnungSunfLhigkeit. g. 26.

101

empfehlenswert wäre. Sie ist rechtlich möglich: Denn einmal sind die Voraussetzungen für die Handlungsfähigkeit der Kollektivpersönlichkeit auf dem Gebiete des Strafrechtes prinzipiell keine anderen als auf jenem des Civilrechtes13 14 oder (was regelmäßig übersehen wird) auf dem des öffent­ lichen Rechtes (wer Verträge schließen kann, der kann auch betrügerische oder wucherische Verträge schließen, oder die geschloffenen Lieferungsverträge — StGB. §. 329! — nicht halten)," und andrerseits ist die Kollektivpersönlichkeit auch Trägerin'rvon Rechtsgütern (Vermögensrechte, Existenz), die strafweise geschmälert oder vernichtet werden können. Und sie ist empfehlenswert, da es den Grundsätzen des Straf­ rechtes widerspricht, das Organ fremden Willens mit der vollen und ausschließlichen Verantwortlichkeit zu belegen.

8. 26.

Bit ckällr der Lurrchnungsurrfähigkrit.

Die Zurechnungsfähigkeit, als der normale Geisteszustand des geistig reifen und geistig gesunden menschlichen Indivi­ duums, ist nicht vorhanden: I. bei fehlender geistiger Reife. Diese kann wieder eine doppelte Ursache haben: 13 Freilich ist die Handlüngsfähigkeit der juristischen Per­ sonen auch auf civilrechtlichem Gebiete bestritten. Man vgl. z. B. Windscheid §. 59. 14 Man vgl. die interessante Fassung in §. 35 deS Genossen-

schaftsgeseheS v. 4. Juni 1868: „Wenn eine Genossenschaft sich gesetzwidriger Handlungen oder Unterlassungen schuldig macht, durch welche das Gemeinwohl Sgefährdet wird .... so kann ie aufgelöst werden."

102

Erst. Buch. IV. Das Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl.

1. Noch nicht abgeschlossene Entwicklung, Straf­ unmündigkeit des Thäters? Während das französische Recht und ihm folgend Preußen (StGB. 1851) und Baiern (StGB. 1861) eine einzige straf­ rechtlich relevante Altersgrenze (16 Jahre) aufstellten, um unterhalb derselben Prüfung der Zurechnungsfähigkeit in jedem einzelnen Falle, oberhalb derselben aber volle Zurechnung eintreten zu lassen, hat das RStGB.,8 im Anschlüsse an die das römisch-kanonische und gemein-deutsche Recht beherr­ schenden Grundsätze, eine doppelte Altersgrenze gezogen. a) Kindheit; bis zum vollendeten 12. Jahre (StGB. §. 55). Unbedingte und ausnahmslose Zurechnungs­ unfähigkeit. Infolge dieses Grundsatzes Ausschluß jeder strafgerichtlichen Untersuchung. Als polizeiliche Maßregel ist die Unterbringung in eine Erziehungs­ oder Besserungsanstalt zugelassen, wenn die Vormund­ schaftsbehörde die Begehung einer strafbaren Hand­ lung festgestellt und die Unterbringung für zulässig er­ klärt hat. Die Aufsichtspersonen können nach StGB. §. 361 Nr. 9 wegen unterlassener Aufsicht, oder nach dem unten §. 36 I zu besprechenden Grundsätze als Selbstthäter, nie aber als Teilnehmer (da ein Delikt nicht vorliegt) zur Verantwortung gezogen werden? b) Jugendliches Alter vom vollendeten 12. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr. Prüfung der Zurechnungs1 Lit. bei Binding Grund­ riß S. 58. Dazu Ullmann GS. XXXI, Geyer HR. „Al­ tersstufen". - Nach §. 50 des MilStGB, ist — mit Rücksicht auf die schon mit dem vollendeten 17. Lebens­

jahre beginnende Waffenfähigkeit — das Alter des Thäters ohne Einfluß auf die Bestrafung militärischer Verbrechen und Vergehen. 8 Die entgegenstehende OT. 3. Mai 1872 ist gewiß unrichtig.

Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit, g. 26.

103

fähigkeit überhaupt, der zur Erkenntnis der Straf­ barkeit der begangenm That erforderlichen Einsicht ins­ besondere (die letztere muß positiv, eventuell durch die Geschworenen — StPO. §. 298 — festgestellt werden) in jedem einzelnen Falle. a) Fehlt die Fähigkeit, so tritt Freisprechung ein (StGB. §. 56). In dem Urteile kann die Unter­ bringung in eine Erziehungs- oder Besserungs­ anstalt ausgesprochen werden. Bezüglich dritter Personen gilt das oben unter a gesagte. ß) Wird die Zurechnungsfähigkeit festgestellt, so tritt in Berücksichtigung der „verminderten" Zurech­ nungsfähigkeit eine Reduktion der den Erwachse­ nen treffenden Strafrahmen ein (StGB. §. 57; vgl. unten §. 54 II 2). Einen singulären subjektiven Strafausschließungsgrund (§. 30 III 3) enthält StGB. §. 173 (Blutschande) für Ver­ wandte und Verschwägerte absteigender Linie unter 18 Jahren. 2. Gehemmte Entwicklung. Auch hier muß die Zurechnungsfähigkeit überhaupt, die zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen That er­ forderliche Einsicht insbesondere in jedem einzelnen Falle ge­ prüft und letztere positiv festgestellt werden (StGB. §. 58). Bei konstatierter Zurechnungsfähigkeit tritt jedoch eine Re­ duktion der normalen Strafrahmen nicht ein, obwohl sie auch hier ohne Zweifel angezeigt wäre. Wenn auch das Gesetz nur von Taubstummen aus­ drücklich spricht, so sind doch diese Bestimmungen auf alle Fälle. von Entwicklungshemmung gleichmäßig anzuwenden (man bcnft an geringeren Cretinismus, an Angehörige wilder Völkerstämme, in völliger Abgeschlossenheit ausgewachsene

104

Erst. Buch. IV. Das Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl.

Menschen usw.). Dabei handelt es sich durchaus nicht um einen auf dem Wege der Rechtsanalogie gewonnenen neuen Rechtssatz, sondern um eine Konsequenz aus.dem von uns aus den gesetzlichen Bestimmungen abgeleiteten allgemeinen Begriff der Zurechnungsfähigkeit. II. Bei fehlender geistiger Gesundheit.4 Die geistigen Funktionen des in den Vollbesitz der geistigen Reife gelangten Individuums können kürzere oder längere Zeit gehemmt, gestört oder allmähliger Vernichtung entgegengeführt werden. Sowie aber nicht jede Störung der vollen körperlichen Gesundheit als Krankheit bezeichnet werden kann, so wird auch nicht durch jede Störung in dem Spiele der geistigen Funktionen die Zurechnungsfähigkeit aus­ geschloffen ; das Minimalmaß, mit dem sich das Recht über­ haupt begnügen muß, bildet auch hier die untere Grenze. Darum verlangt StGB. §. 51, auch hier lediglich eine Seite in dem Inhalte der Zurechnungsfähigkeit besonders (aber durchaus nicht ausschließlich) betonend, einen solchen Zustand, durch welchen „die freie Willensbestimmung des Thäters ausgeschloffen" war. Eine erschöpfende Aufzählung und entsprechende Bezeichnung dieser verschiedenen Hemmungs-, Störungs- und Degenerationszustände konnte bei dem heu­ tigen Stande der Wissenschaft nicht, wollte auch von dem Gesetze nicht gegeben werden. Die Ausdrücke des §. 51: „Bewußtlosigkeit" einerseits, „krankhafte Störung der Geistes­ thätigkeit" andererseits, die überhaupt keinen erschöpfenden Gegensatz enthalten, sind daher nicht zu betonen. Zu jener werden wir neben Fieberdelirium, Betäubungen, Trunkenheit, Ohnmachten, epileptischen Anfällen usw. auch Schlaf, Schlaf4 Lit. bei Binding Grundriß S. 58 u. 60.

Die Schuld. §. 27.

105

trunkenheit, Schlafwandel u. dgl., z« diesen neben den eigent­ lichen Geisteskrankheiten auch die mehrerwähnten Degenera­

tionszustände zu rechnen haben.

Ob Zurechnungsfähigkeit im einzelnen Falle vorliegt oder nicht, hat auch bei diesen Fällen der Richter zu entschei­ den, eventuell unter Zuziehung von Sachverständigen, berat

Ausspruch ihn hier ebensowenig bindet wie sonst?

2. Die Schuld selbst und ihre Arten.

§. 27.

Nie Schuld. I. Das Verbrechen ist wie daS Delikt, schuldhafte

normwidrige Handlung.

Nicht jede normwidrige Handlung

deS Zurechnungsfähigen ist Delikt; nur unter gewissen

Voraussetzungen knüpft das objektive Recht die Delikts­

folgen an die normwidrige Handlung. Diese subjektiven Vor­ aussetzungen nun, an deren Dorliegen der Eintritt

der Deliktsfolgen geknüpft ist nennen wir Schuld.

Die rechtliche Schuld hat demnach mit der ethischen oder reli­

giösen Schuld nichts als — leider! — den Namen gemein. Durch diese Fassung des Schuldbegriffes ist unS zugleich

der Weg gewiesen, auf dem wir zur Erkennntnis seines In­ haltes gelangen können. Jede aprioristische Konstruktion ver­ meidend, nlüffen wir die Voraussetzungen für den Eintritt

der Deliktsfolgen,

also die unbestrittenen Schuldfälle auS

6 Uebrigens kann dem Juristen I Werke nicht dringend genug anS daS Studium psychiatrischer | Herz gelegt werden.

106

Erst. Buch. IV. DaS Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl,

dem positiven Rechte kennen zu lernen fudjcn? Die augen­ fälligste Deliktsfolge, die Strafe, dient uns als Führer auf diesem Wege. Die Betrachtung lehrt uns, daß jene Vor­ aussetzungen durch Vorsatz und Fahrlässigkeit erschöpft werden; diese sind die beiden einzigen Schuldarten. Durch eine Zusammenfassung der beiden Begriffe würde, wenn eine solche möglich wäre, der gemeinschaftliche höhere Begriff der Schuld entstehen. Die genauere Untersuchung zeigt jedoch die Unmöglichkeit einer solchen Zusammenfassung. Beim Vorsatz (f. unten §. 28 I) liegt das Schuldmoment, d. h. jener Umstand, welcher die Deliktsfolgen nach sich zieht, ledig­ lich in der objektiven Normwidrigkeit der Handlung; bei der Fahrlässigkeit dagegen in der pflichtwidrigen Nichtanwen­ dung der anzuwendenden Sorgfalt. Der Vorsatz als solcher ist noch nicht Schuld, sondern findet sich in gleicher Weise bei dem normgemäßen wie bei dem normwidrigen Handeln; die Fahrlässigkeit dagegen ist an sich schon Schuld (wenn auch nicht immer strafbare Schuld), und ist auf anderem Gebiete als dem des normwidrigen Handelns gar nicht denk­ bar. Beide Artbegriffe haben nichts gemein als ihre Wir­ kung; daher kann der Gattungsbegriff auch nur nach dieser bestimmt werden? II. Wir haben Vorsatz und Fahrlässigkeit als die beiden 1 Strengstes Festhalten an s sondere Binding's Schuldder induktiven Methode ist un­ i lehre in den „Normen", daß bedingt notwendig, wollen wir der Versuch, zuerst den Begriff die Grundbegriffe der juristischen der Schuld und dann aus die­ Wissenschaft dem Auf- und Ab­ sem den der Schuldarten zu be­ wogen subjektiver Anschauungen stimmen (statt umgekehrt) schei­ entziehen. tern muß, sobald er konsequent 1 Anders die herrschende An­ durchgeführt wird. sicht. Doch beweist mir insbe-

Die Schuld. 8- 27.

107

einzigen Schuldarien bezeichnet und dieses Resultat als ein aus dem positiven Rechte, abgeleitetes hingestellt. Dieser Be­ hauptung widersprechen nicht die zahlreich in den strafrecht­ lichen Nebengesetzen sich findenden Präsumptionen der Schuld? Denn wenn das objektive Recht bis zu dem Beweise des Gegenteils die Schuld — Vorsatz oder Fahrlässigkeit — als erwiesen annimmt, vielleicht auch den Gegenbeweis dem An­ geschuldigten aufbürdet, so anerkennt es ja gerade dadurch, daß ohne Vorsatz oder Fahrlässigkeit eine Bestrafung nicht eintreten kann und soll. Durch die Präsumptioü einer Thatsache wird ja gerade deren rechtliche Bedeutung beson­ ders betont? Unserem Satze, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit die ein­ zigen Schuldarten seien und daß es ohne Schuld weder Delikt noch Verbrechen gebe, widersprechen auch nicht jene Anordnungen, welche die Schwere der Strafe für das an sich schuldhafte Thun abstufen nach der Größe des ver­ ursachten Schadens, unabhängig davon, ob gerade in Bezug auf die Verursachung dieses schwereren Erfolges Schuld vorliegt (vgl. unten §. 54 I 3). Denn die bestrafte Hand-

8 Man vgl. außer den Zollund Steuergesetzen: Gesetz betr. die Nationalität der Kauffahrtei­ schiffe vom 25. Oktober 1867 §. 14; Aktiengesetz vom 11. Juni 1870 §. 249 a; Preßgesetz vom 7. Mai 1874 §. 21 (nicht §. 20): Rinderpestgesetz vom 21. Mai 1878 §. 3 Abs. 2; Spielkartenstempelaesetz vom 3. Juli 1878 ß. 10 Avs. 3. Ueber diese Prä­ sumptionen Dinding Normen II S. 612 ff.

4 Die einzige Ausnahme, bei der es sich also nicht um eine Präsumption der Schuld sondern um Ignorierung derselben hanbeit, bietet §. 137 Abs. 1 des Dereinszollgesetzes vom 3. Juli 1869, aber auch dieser nur in­ soweit weder der 2. Abs. ein­ greift, noch auch die Wortsaffung deS bezogenen §. 136 das Ge­ genteil ergiebt.

108

Erst. Buch. IV. Das Derbr. als schuldh. rechtswidr. Handl,

lung ist auch in diesen Fällen eine schuldhafte; mit anderen Worten: Verursachung eines gewissm Erfolges ohne Rück­

sicht

auf

Schuld

in

Bezug

auf

diesen

Erfolg

ist

Reichsstrafrecht immer nur Strafschärfungsgrund,

im nicht

aber Deliktsmerkmal oder Bedingung der Strafbarkeit. III. Die Schuld muß, sei sie Vorsatz, sei sie Fahrlässig­ keit, im Augenblicke der willkürlichen Körperbewegung vor­

handen

sein.

Späterer Eintritt,

sowie

späteres Entfallen

der Schuld ist ohne juristische Bedeutung.

Vgl. das oben

§. 25 V bezüglich der Zurechnungsfähigkeit Gesagte. IV. Die Erklärung,

daß

die Handlung eines Zurech­

nungsfähigen auf dessen Vorsatz oder Fahrlässigkeit beruhe, heißt Zurechnung oder Imputation.

Handlung

wird

als

zurechenbar

Die betreffende

bezeichnet.

Es

giebt

also zurechenbare und nicht zurechenbare Handlungen eines Handlungsfähigen, während die Handlungen eines Zurech­

nungsunfähigen, soweit er überhaupt willkürlicher körperlicher Bewegungen fähig ist, nie zurechenbar sind.

§. 28.

Der Vorsatz.* I. Vorsatz ist der Wille (in dem oben §. 17 I ange­ gebenen Sinne) alsUrsache einer Handlung im engeren

Sinne (oben §. 19 I) begleitet von der Vorstellung der Kausalität derselben; d. h. begleitet von der Vor­

stellung jener Veränderungen (oben §. 19 II),

welche

die Handlung in der Außenwelt hervorruft, und von der

1 Lit. bei Bindinq Grund- I Dazu Ortmann GS. XXX, riß S.65, Normen II Note614. | Geyer in HR. „dolus“.

Vorstellung, daß diese Veränderungen durch die Hands­ lung hervorgerufen werden würden? Der Begriff des Vorsatzes ist auf dem Gebiete des normgemäßen und des normwidrigen, des rechtlich bedeutsamen wie des rechtlich indifferenten Handelns ein und derselbe. Man spricht von dem vorsätzlichen Abschießen eines Gewehres, mag es sich um die Tötung eines Menschen, um Ausübung des Jagdrechtes oder lediglich darum handeln, daß die Ladung aus dem Rohre entfernt werde. Allerdings ist der Sprachgebrauch kein kon­ stanter; Absicht und Vorsatz werden nebeneinander, der erstere Ausdruck noch häufiger gebraucht. Aber dasselbe Schwanken zeigt sich in der Strafgesetzgebung; auch diese gebraucht neben andern Synonimen für Vorsatz auch das Wort Absicht^ (also Absicht — Vorsatz: erste Bedeutung von Absicht). Nur die objektive Normwidrigkeit der Hand­ lung macht den Vorsatz zum schuldhaften Vorsatz. II. Daraus ergiebt sich eine wichtige Konsequenz. Das Bewußtsein der Normwidrigkeit gehört nicht zum Be­ griffe des Vorsatzes an sich. Freilich könnte die Gesetzge­ bung durch ausdrückliche oder stillschweigende Anordnung den Eintritt der Deliktsfolgen bei der vorsätzlichen normübertretenden Handlung abhängig machen von dem Bewußtsein dieser Eigenschaft der Handlung; dann wäre der schuld­ hafte Vorsatz der bewußt rechtswidrige Wille. Aber die 8 Dadurch unterscheidet sich der Vorsatz von dem Wunsch, welcher die Vorstellung künsti§er Veränderungen, aber nicht ie Vorstellung der Kausalität der gegenwärtig vorgenommenen

Handlung für dieselben in sich schließt. 8 Zusammenstellung der Synonima für Vorsatz bei Din­ ding Normen II Noten 669 u. 671.

110

Erst. Buch. IV. Das Derbr. als schuldh. rechtswidr. Handl.

Gesetzgebung hat dies nicht gethan/

Nur ausnahmsweise

hat sie das an sich selbstverständliche Merkmal der Rechts­

widrigkeit in den besonderen Thatbestand einzelner Delikte ausgenommen und damit erklärt, daß die allgemeine Regel

des §. 59 StGB., nach welcher die Vorstellung alle Merk­

male des besonderen Thatbestandes umfasien muß (vgl. unten V) ausnahmsweise

auch

auf das Moment

keit ausgedehnt werden solle?

der Rechtswidrig­

Man vgl. StGB. §§. 123,

124, 239, 240, 291, 339, 353 a u. A.

Und zwar handelt

hier durchaus um solche Normen, deren als Regel

es sich

gedachte Herrschaft durch zahlreiche Ausnahmen durchbrochen wird,

so daß ein Zweifel darüber, ob ein konkreter Fall

unter die Regel oder unter eine der Ausnahmen zu subsu­

mieren sei, leicht möglich ist und Berücksichtigung verdient. Abgesehen

von

diesen Ausnahmen ist das Bewußtsein

der Normwidrigkeit nur bei der Strafzumesiung von Be­ deutung.

Vorsatz liegt also vor nicht nur bei irriger Nicht-

subsumption

der That unter die Norm,

sondern auch

bei irriger Subsumption derselben unter eine Ausnahme

von der Norm (irriger Annahme eines Notstandes, der Not­ wehr, einer subjektiven Berechtigung usw.)? 4 Der von Binding Nor­ men IIS. 356—486 angetretene Gegenbeweis aus dem positiven Rechte ist m. E. mißlungen. Der Beweis auS dem allgemei­ nen Begriffe der Schuld aber fällt mit diesem. Theorie und Praxis schwanken. Ueber letztere vgl. Binding Normen II Note 724. Die richtige Ansicht vertritt RGR. 29. Januar 1880, R I 291, E I 88 (für StGB. §. 180); 17. März 1880, E I

272, RI 448 (für StGB. §. 137); (bedenklich RGR. 24. Oktober 1879, R I 16). Vgl. für die richtige Ansicht auch RGR. 9. Dezember 1879, R I 132. 6 Gerade diese Ausnahmen beweisen die Regel. Die Geg­ ner — auch B inding — müffen jene für geradezu sinnlos er­ klären. 6 A. A. Meyer Lehrbuch S. 242 und die daselbst Note 5

Der Vorsatz. §♦ 28.

111

Verschieden von dem Mangel deS Bewußtseins der Norm­ widrigkeit ist der sog. Berbrecherwahn, bei welchem der Verbrecher die Normwidrigkeit seines Thuns kennt,' aber vermeintlich höheren Pflichten gehorchend, sich bewußt über dieselbe hinwegsetzt (vgl. Militär-StGB. §. 48). Und das gerade Gegenstück zu dem mangelnden Bewußt­ sein der Normwidrigkeit bildet das Wahnverbrechen oder Putativdelikt, bei welchem der. Handelnde sich den Er­ folg seines Thuns richtig vorstellt, diesen aber irrig unter eine nicht existirende Norm subsumirt, oder unter eine gege­ bene Ausnahme von der Norm nicht subsumirt. Beispiel: irrige Annahme, daß scharfe Invektiven gegen einen Regenten des 16. Jahrhunderts Majestätsbeleidigung seien; irrige Nichtannahme eines Notstandes usw. Hier kann die fehlende Normwidrigkeit nicht durch die Vorstellung derselben ersetzt werden. III. Es genügt zum Begriffe des Vorsatzes daS Vor­ handensein der Vorstellung, daß die Handlung kausal sein werde; es ist nicht erforderlich, daß diese Vorstellung gerade treibendes Motiv gewesen, daß der Thäter um dieser Veränderungen willen die Handlung unternommen hat? Wir können die Vorstellung als treibendes Motiv Absicht nennen (2. Bedeutung dieses Wortes) und dem Vor­ sätze entgegenstellen. In der That wird in der Reichsgesetz­ gebung das LVort „Absicht" (selten) auch in diesem Sinne ge­ braucht (z. B. StGB. §. 225 u. A.). Es genügt ferner die Vorstellung der nächsten unmittelAngeführten. Gegen die im Text vertretene Ansicht scheint RGR. 28. Oktober 1879, R I 23 sich auszusprechen.

7 Anders die herrschende An­ sicht der Theoretiker. Für die im Texte vertretene Auffassung die Praxis.

112

Erst. Buch. IV. Das Verbr. alS schuldh. rechtswidr. Handl,

baren Folgen der Handlung; die entfernteren mittelbaren Folgen brauchen regelmäßig nicht vorgestellt zu werden. Die Vorstellung dieser entfernteren Folgen wird auch wohl Absicht8 9 genannt (3. Bedeutung des Wortes). Sie ist mittelbarer Vorsatz, also nicht notwendig treibendes Motiv. Wo ste von dem Gesetzgeber bei einzelnen Delikten zum Thatbestandsmerkmal (man denke an die Zueignungsabsicht beim Diebstahl; die Absicht, sich oder einem Dritten einen Dermögensvorteil zu verschaffen, beim Betrug usw.) oder zum straferhöhenden Umstande gemacht wird, geht sie in dem Vorsätze auf, d. h. es müssen einerseits in diesem Falle auch die weiteren Folgen vorgestellt sein, und es genügt andrer­ seits das Vorhandensein dieser Vorstellung. IV. Die Vorstellung von den durch die Handlung zu verursachenden Veränderungen und dieseBeränderungen selbst müssen sich decken; „nicht wie zwei kongruente Dreiecke" (Dinding), aber in allen wesentlichen Punkten. Decken sie sich in einem wesentlichen Punkte nicht, so liegt bezüglich dieses Punktes Vorsatz nicht vor. Irrtum9 bezüglich eines wesentlichen Punktes schließt also denVorsatz au§.10 Welche Punkte sind aber wesentliche in der den strafrechtlichen Vorsatz begleitenden Vorstellung? Ehe wir diese Frage beantworten, müssen wir die Vorfrage erledigen: auf welche Punkte muß sich überhaupt die Vorstellung erstrecken, um als individualisierte Vorstellung in. Betracht zu 8 Ueber die verschiedene Be­ deutung des Wortes Absicht vgl. auch Binding Normen I Note 873. 9 Lit. über den Einfluß des Irrtums bei Binding Grund-

riß S. 62. Vgl. auch Zitelmann Irrtum u. Rechtsgeschäft 1879. 10 Fahrlässigkeit kann jedoch gerade wegen deS Irrtums vor­ liegen.

Der Vorsatz, g. 28.

113

kommen? Die Vorstellung muß bestimmt sein nach Ob­ jekt und Mittel; genauer: sie muß sich durch Beziehung auf ein bestimmtes Rechtsgut bez. dessen Träger, auf die vorzunehmende körperliche Bewegung, und auf den Kausalzusammenhang zwischen dieser und dem vorge­ stellten Erfolge spezialisiert haben." Ich muß wissen, ob ich töten, stehlen ober brandstiften will, ehe von einem Borsatze die Rede sein kann; ich muß wissen, wen ich töten will und auf welche Weise. Diese Spezialisierung kann nun eine mehr oder weniger genaue sein; alle Menschen die aus diesem Brunnen trinken, der mir unbekannte anonyme Einsender einer mich beleidigenden Zeitungsannonce, der ebm des Weges daherkommende Wandersmann, die in dem zu erbrechenden Schranke befindlichen Gegenstände, sie alle sind genügend spezialisierte Objekte "meines Vorsatzes. Die Mi­ nimalgrenze der Spezialisierung, welche die Vorstellung erreicht haben muß, läßt sich durch allgemeine Regeln nicht fixieren; über diese Grenze hinaus kann die Vorstellung und mit ihr der Vorsatz mehr oder weniger bestimmt sein. Mit Rücksicht auf diesen möglichen Unterschied in der Spezialisierung der Vorstellung hat man Arten des Vor­ satzes unterscheiden wollen, sobald es sich um genügende aber nicht ganz genaue Vorstellung des Erfolges handelt. So den dolus generalis, wenn mehrere Erfolge, den dolus alternativus, wenn zwei Erfolge in gleicher Linie, den dolus eventualis, wenn in erster Linie der eine, in zweiter Linie der andere Erfolg vorgestellt waren; ihnen allen gegenüber den genau spezialisierten dolus determinatus. 11 Vgl. die interessanten Aus- I men II S. 412 ff. und Zitelsührungen bei Bind ing Nor- | mann S. 433 ff. (S. 524). von Liözt, Strafrecht.

8

114

Erst. Buch. VI. Das Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl.

Allein bei richtiger Auffassung des Vorsatzbegriffes sind alle diese Einteilungen wertlos oder gefährlich. Jeder der vor­ gestellten Erfolge ist vom Vorsatze erfaßt; der schwerste derselben daher, ob eingetreten oder nicht, für die strafrecht­ liche Beurteilung des Thäters maßgebend" (vgl. auch unten §. 32 IV 2). V. Und nun können wir zu der Beantwortung der oben aufgeworfenen Frage zurückkehren, die mit der eben erledigten durchaus, nicht identisch ist. Welche Punkte in der speziali­ sierten Vorstellung sind von solcher Wichtigkeit, daß Nicht­ übereinstimmung des Erfolges mit der Vorstellung die Zu­ rechnung zum Vorsatze ausschließt? 1. Die nächste Antwort giebt uns das positive Recht in §. 59 Abs. 1 StGB." Es bezeichnet als wesentlich „Thatumstände, welche zum gesetzlichen Thatbestände ge­ hören oder die Strafbarkeit erhöhen"; also That­ bestandsmerkmale und erschwerende Umstände. Aber nur die Merkmale des besonderen Thatbestandes, also jene Merk­ male, die den Begriff des einzelnen Verbrechens konstituiren, nicht die zum allgemeinen Thatbestände gehörenden, bei jedem Verbrechen wiederkehrenden Merkmale wie Zurech­ nungsfähigkeit, Schuld, Widerrechtlichkeit usw. Doch können auch Merkmale des allgemeinen Thatbestandes durch Aust nähme in den Verbrechensbegriff den besonderen Thatbestands11 Zu anderem Resultate ge­ langt Binding a. O. — Die Beweisfrage ist selbstverständlich mit der theoretischen Entschei­ dung nicht zu verwechseln. 13 Besondere Bestimmung im Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §. 18 Abs. 2: „Bestrafung

bleibt ausgeschlossen, wenn der Veranstalter des Nachdrucks auf Grund entschuldbaren, thatsäch­ lichen oder rechtlichen Irrtums in gutem Glauben gehandelt hat." Ebenso in den drei lh> Heber - Gesetzen vom 9., 10., 11. Januar 1876.

Der Vorsatz, tz. 28.

H5

Merkmalen gleichgestellt werden (vgl. das oben unter II bez. der Widerrechtlichkeit Gesagte). Es liegt also vorsätzlicher Diebstahl nicht vor, wenn ich die Eigenschaft der Sache als einer fremden; es liegt Ascendententodschlag nicht vor, wenn ich die Eigenschaft des Er­ schlagenen als meines Ascendenten nicht kannte. 2. Es kann aber ein Umstand auch dadurch zu einem wesentlichen werden, daß er, unter Ausschluß aller an­ deren korrespondierenden Umstände aus der Vor­ stellung, mit vollster Bestimmtheit in die spezialisierte Vor­ stellung ausgenommen wurde. Wenn der Erfolg daher bei einem ganz außerhalb der Vorstellung liegenden Objekte oder auf einem außerhalb derselben liegenden Wege (Kausalzusammenhang) oder end­ lich wenn an dem vorgestellten Objekte ein außerhalb der Vorstellung liegender Erfolg eingetreten ist:14 so kann der Erfolg nicht zum Borsatze zugerechnet werden. Aus dem Gesagten folgt, daß die Möglichkeit der Nicht­ übereinstimmung zwischen Vorstellung und Erfolg in wesent­ lichen Punkten mit der größeren Spezialisierung der Vor­ stellung im geraden Verhältniffe steht. Dabei kann eS der richtigen Ansicht nach keinen Unter­ schied machen, ob der Eintritt des Erfolges bei einem an­ deren als dem vorgestellten Objekte zurückzuführen ist auf äußere Umstände (sog. aberfatio ictus) oder auf einen Irrtum des Thäters über die Identität des Objektes (sog. error in objecto oder in persona). Es ist gleich unrichtig, die Zu­ rechnung zum Vorsatz bei der aberratio immer ausschließen.

14 Man vgl. mit dem Gesagten Bin ding Normen II S. 434.

116

Erst. Buch. IV. Das Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl,

als sie bei

dem

error in persona immer annehmen zu

wollen." VI. Die alten Einteilungen des Vorsatzes haben bis auf Eine heute nur mehr dogmengeschichtliches Jntereffe.

Der

dolus generalis, alternativus und eventualis wurden bereits besprochen.

Der dolus indirectus (Feuerbach's culpa

dolo determinata) ist kein Vorsatz, denn die Vorhersehbarkeit kann den nicht vorgestellten Erfolg auch dann nicht zu einem

vorgestellten machen,

wenn

Handlung veranlaßt wurde.

derselbe

durch

eine

strafbare

Und der dolus subsequons

widerspricht dem Satze (vgl. oben §. 27 III), daß im Augen­ blicke der That die Schuld, sei es als Vorsatz, sei es als

Fahrlässigkeit, vorhanden sein muß. Dagegen ist die Einteilung in überlegten und nicht

überlegten Vorsatz nicht nur psychologisch richtig, sondern auch strafrechtlich von Bedeutung.

Das RStGB. hat den

Gegensatz von Mord und Todschlag auf diesen Unterschied

gebaut,

und damit seine allgemeine Bedeutung wenigstens

für die Strafzumessung anerkannt.

Ueber!egter Vorsatz,

dolus pracmeditatus, liegt vor, wenn die auftauchende Vor­

stellung von der Kausalität der vorgestellten Handlung nicht unmittelbar zur That führte,

sondern die kontrastierenden

Vorstellungen Gelegenheit hatten, zur Geltung zu gelangen;

nicht überlegter oder Affektvorsatz, dolus repentinus, wenn dies nicht der Fall war, sondern die auftauchende Vorstellung,

15 Wie dies die herrschende Ansicht thut. Lit. bei Meyer Lehrb. S. 165 f.. auch bei Zitelmann Note 410. Die rich­ tige Ansicht ist auf dem Gebiete des Civilrechtes die herrschende;

man vgl. z. B. Windscheid §. 76. Nebrigens ist die ganze Unterscheidung zwischen ab. i. und error in p. ohne Wert. Vgl. v. Bur i Kausalität S. 83.

Die Fahrlässigkeit,

g.,29.

117

alle kontrastierenden Vorstellungen gleichsam überrennend, so­ fort sich in That umsetzte. Dabei ist das „sofort" nicht

zeitlich, sondern nach der Einheitlichkeit der psychischen Vor­ gänge zu bestimmen.

§. 29. Die Fahrlässigkeit.'

I. Fahrlässigkeit, die zweite der beiden Schuldformen des heutigen Rechts, ist der Wille als Ursache einer von der Vorstellung ihrer Kausalität (vgl. oben §. 28 I) nicht begleiteten Handlung mit rechts­ widrigem Erfolge, wenn der Handelnde a) bei Vornahme der Handlung die von der Norm gebo­ tene und nach Lage der konkreten Umstände erfor­ derliche Sorgfalt (objektiver Maßstab) außer Acht gelassen hat, und wenn er b) den Erfolg hätte vyrhersehen, d. h. die Vorstellung von der Kau­

salität seines Thuns hätte gewinnen können (sub­ jektiver Maßstab). 1. Die -strafrechtliche Fahrlässigkeit besteht nach diesem,

aus dem positiven Recht abgeleiteten, Begriffe nicht ledig­ lich in einer pflichtwidrigen Unachtsamkeit, in der Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt. Die Uebertretungen des §. 366 Ziff. 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 StGB, (z. B. Stehenlassen von Pferden auf öffentlichen Wegen

„mit Vernachlässigung der erforderlichen SicherheitSmaßregeln") sind keine fahrlässigen Delikte. Die pflichtwidrige

1 Lit. bei Dinding Grundriß S. 68. HR. „culpa“.

Dazu Geyer in

118

Erst. Buch. IV. Das Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl.

Unachtsamkeit

kommt

als' strafrechtliche Fahrlässigkeit nur

dann in Betracht/ wenn sie die Ursache eines weiteren rechts­

widrigen Erfolges wurde, wmn also z. B. die vernachlässigten Pferde ausgerisien sind und ein Kind beschädigt haben.

Das

Maß der anzuwendenden Sorgfalt bestimmt sich dabei ledig­

lich nach der objektiven Natur der vorgenommenen Hand­ lung, nicht aber nach dem Charakter des Handelnden.

2. Der eingetretene Erfolg muß ein für den unvorsichtig Handelnden vorhersehbarer gewesen sein.

Genauer:

es

muß dem Handelnden möglich gewesen sein, die Vorstellung von der Kausalität seines Thun's zu gewinnen.

Bei der

Beurteilung dieser Frage sind die geistigen Fähigkeiten des

Handelnden, sein größerer oder geringerer Scharfblick zu

Grunde zu

legen.

Also nicht unachtsames Verhalten mit

rechtswidrigem Erfolg, sondern solches Verhalten mit indi­

viduell vorhersehbarem rechtswidrigem Erfolge bildet das Wesen der Fahrlässigkeit im heutigen Rechte.

3. Immer aber muß das fahrlässige Delikt Handlung (mit Einschluß der sog. Unterlassungen; vgl. oben §. 21) d. h.

willkürliche körperliche Bewegung sein, zurückgeführt werden können auf den Willen, als den die motorischen Nerven unmittelbar erregenden psychischen Akt.

Nur ist zu beachten,

daß gerade bei dein fahrlässigen Delikte die Handlung (im

engeren Sinne) und der Erfolg zeitlich und räumlich weit ab von einander liegen können; z. B. der in Belgien 1879

erzeugte und nach Berlin verkaufte Dampfkessel explodiert daselbst im Jahre 1881 in Folge schleuderhafter Konstruktion der Sicherheitsventile.

Für die Frage nach der Schuld des

Thäters ist hier wie immer (oben §. 27 III) der Augenblick der körperlichen Bewegung maßgebend; Zeit und Ort der

Begehung des Deliktes richtet sich nach den allgemeinen

Die Fahrlässigkeit. §♦ 29.

119

Regeln (vgl. oben §. 19 IV), so daß in unserem Beispiele das Delikt in Berlin und in dem Augenblicke begangen ist, in welchem der Dampsteffel in der Fabrik zu funktionieren beginnt; die Vollendung des Verbrechens endlich be­ stimmt sich nach dem Eintritte deS rechtswidrigen Erfolges. Ueber die Beteiligung Mehrerer an demselben fahrlässigen Delikte ist das oben §.r20 III über den Kausalzusammen­ hang und das unten §. 35 II 1 über die Teilnahme Ge­ sagte zu vergleichen. II. Die Fahrlässigkeit beruht auf einem Irrtume über die Kausalität der Handlung; die Vorstellung von dem Erfolge und der Erfolg selbst decken sich in einem wesent­ lichen Punkte nicht. Insofern bildet die Fahrlässigkeit das Gegenbild - des Vorsatzes; und von der Entscheidung der Frage, welche Punkte in dem Inhalte der Vorstellung als wesentliche zu betrachten seien (vgl. oben §. 28 V) wird die Grenzbestimmung zwischen dem Gebiete des Vorsatzes und jenem der.Fahrlässigkeit abhängen. Aber diese ist nicht das reine Gegenbild des Vorsatzes; nicht jeder, sondern nur der (kurz gesagt) verschuldete Irrtum ist Fahrlässigkeit. Nicht mehr will der gänzlich überflüssige und darum ver­ wirrende 2. Absatz des §. 59 StGB, sagen. III. Alle Normen sind an sich der fahrlässigen Uebertretung fähig. Aber nicht jede fahrlässige Normübertretung wird von dem positiven Rechte mit Strafe belegt. Es bildet im Gegenteile nach Reichsrecht die Bestrafung fahrlässiger Delikte eine Ausnahme, die nur dann als gegeben anzu­ nehmen ist, wenn der Wille, auch die fahrlässige Uebertretung zu bestrafen, ausdrücklich im Gesetze ausgesprochen oder aus dem Zusammenhänge der gesetzlichen Bestimmungen mit Sicherheit zu entnehmen ist. Ausdrücklich droht daS Gesetz

120

Erst. Buch. IV. Das Verbr. als schuldh. rechtswidr. Handl.

Strafe

auch

der

fahrlässigen

Begehung

in

folgenden

Fällen:

StGB. § 186

üble

Nachrede;

Tötung und Körperverletzung;

§§. 222 und

§§. 121

230

und 347 Ent-

weichenlasien von Gefangenen; 163 Falscheid; 259 Par­

tiererei (vgl. unten IV a. E.); 309, 311, 314, 316, 318,

326, 329 gemeingefährliche Delikte; 345 Vollstreckung einer nicht zu vollstreckenden Strafe.

Nebengesetze: die Urhebergesetze vom 11. Juni 1870

§§. 18, 20, 24; 9. Januar 1876 §. 16, 10. Januar 1876

§. 9, 11. Januar 1876 §. 14; 27. Dezember 1872

Seemannsordnung vom

§§. 94 und 97;

Preßgesetz

vom

7. Mai 1874 §. 21 ;1 2 Gesetz betreffend Beseitigung von

Ansteckungsstoffen bei Viehbeförderung vom 25. Februar

1876 §. 5 (interessant für den Begriff der Fahrlässigkeit); Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 §§. 11 und 14;

Gesetz betreffend Zuwiderhandlungen gegen die zur Ab­

wehr der Rinderpest erlassenen Vieheinfuhrverbote

vom

21. Mai 1878 §§. 3 u. 4 (das Jmpfges. v. 8. April 1874 §. 17 gehört nur scheinbar hieher). IV.

Grade der Fahrlässigkeit.

Das positive Recht

hat in zwei Fällen die Fahrlässigkeit als eine qualifizierte

behandelt,

wenn der Thäter zu der von ihm außer Acht

gelassenen Sorgfalt „vermöge seines Amtes, Berufes oder

Gewerbes besonders verpflichtet war" (StGB. §§. 222 und

230 Tötung und Körperverletzung). Bon dieser besonderen Anordnung des Gesetzes abgesehen,

sind zwei Stufen der Strafbarkeit innerhalb der Fahrlässig­

keit zu unterscheiden: 1 Daß es sich hier um den I lassigkeit handelt, s. bei Liszt gewöhnlichen Begriff der Fahr- | Preßrecht §. 51 f.

1. Der Thäter hatte die (irrige) Borstellung, daß die Handlung nicht kausal sein werde; der leichtere Fall. 2. Der Thäter hat (blind drauf los) gehandelt, ohne überhaupt zu irgend einer Vorstellung über die Kausalität seines Thuns zu gelangen; der schwerere Fall (die luxuria des römischen Rechts, vgl. Windscheid §. 101 Note 10). Diese Einteilung fällt mit der durchaus unhaltbaren herrschenden Einteilung in bewußte und unbewußte Fahr­ lässigkeit (die auf einer ganz abweichenden Fassung des Begriffes der Fahrlässigkeit beruht) nicht zusammen. Endlich muß noch auf die ganz singuläre Bestimmung in §. 259 StGB, aufmerksam gemacht werden, nach welcher Partiererei auch dann anzunehmen ist, wenn der Thäler zwar nicht wußte, aber den Umständen nach annehmen mußte, daß die von ihm verheimlichte usw. Sache durch eine straf­ bare Handlung erlangt sei. Es liegt hier ein besonderer Fall der Fahrlässigkeit Dor;4 nicht besonders schwere Fahr­ lässigkeit : 4 denn immer liegt das Wesen derselben in dem mangelnden und doch durch die Umstände nahegelegten Be­ wußtsein der Kausalität; sondern ein speziell hervorge­ hobener Fall der Fahrlässigkeit, so daß jede andere fahr­ lässige Herbeiführung desselben Erfolges4 nicht gestraft werden kann. 8 Lit. bei Meyer S. 174 Note 17. * So auch RGR. 28. April 1880, R I 691. 6 DieS die Ansicht des RGR. in der eben cit. E., welche die Bestimmung nicht auf culpa

schlechthin, sondern auf culpa lata bezieht. 6 Z. B. der Thäter merkt nicht, daß seine Handlung ein Verheimlichen der betreffenden Sachen in sich schließt.

Erstes Buch. V. Das Verbr. als strafbares Delikt.

122

V. Das Verbrechen als das mit Strafe bedrohte Delikt. §. 30.

Die Ledingungen der Strafbarkeit im Allgemeinen. I. Nicht jede schuldhafte normwidrige Handlung, jedes Delikt ist Verbrechen (vgl. oben §. 17 IV).

nicht

In vielen,

wenn auch lange nicht in allen Fällen, müssen außer dem

Vorliegen der Normübertretung noch andere Voraussetzungen gegeben sehr,

Eine Reihe

damit die Strafbarkeit des Thuns eintritt.

von Fällen,

die sich leicht verdreifachen

wurde bereits in der Einleitung §. 4 I

läßt,

erwähnt, andere

werden wir int besonderen Teile zur Genüge kennen lernen. Man spricht hier positiv von Bedingungen der Straf­

oder wenn man negativ das Fehlen dieser Be­

barkeit,

dingungen bezeichnen

gründen.

So

will,

von Strafausschließungs­

kann man

das Fehlen des Antrages bei

den Antragsdelikten,

die nicht erfolgte Auflösung der Ehe

bei den Verbrechen

der §§. 170, 172, 238 StGB.,

den

Mangel der verbürgten Gegenseitigkeit in den Fällen der §§. 102

und

103 StGB. usw.

gründe bezeichnen.

als

Strafausschließungs­

Doch ist dabei zu beachten: einmal, daß

dieser Ausdruck nicht

immer

in der in dem vorliegenden

Lehrbuche festgehaltenen engeren Bedeutung gebraucht wird; und ferner, daß eine Verwechselung dieser objektiven die

That ergreifenden Strafausschließungsgründe mit den unter III 3 zu besprechenden subjektiven Strafausschließungen nahe

liegt.

Daher verdient der Ausdruck:

Strafbarkeit" den Vorzug.

„Bedingungen der

Die Bedingungen d. Strafbarkeit im Allgemeinen,

tz. 30.

123

II. Fehlt eine der Bedingungen der Strafbarkeit, so kann wohl ein Delikt, nicht

aus

aber ein Verbrechen vorliegen.

nie

dem Delikte

Der

sondern aus dem Verbrechen dem

Staate gegen den Verbrecher erwachsende Strafanspruch entsteht nicht, wenn und so lange die Bedingungen seines

Entstehens nicht gegeben sind.

gestellt,

ist

So lange der Antrag nicht

das sogenannte Antragsdelikt nicht Verbrechen.

Eben darum kann auch vor Eintritt der Bedingung (z. B.

der rechtskräftigen Scheidung der Ehe im Falle des §. 172 StGB.) weder die Verfolgung eingeleitet, noch auch nur der Antrag auf

derselben

Einleitung

mit

rechtlicher

Wirkung

gestellt werden. RGR. 3. Januar 1880, E I 44, R I 180; 23. März 1880, R I 505, E II 62. dem Beispiele

Ebenso ist — um bei

zu bleiben — Begünstigung des Ehebruches

nur strafbar, wenn die Scheidung der Ehe erfolgt; der Vor­

eines

wurf falsche

nur

Ehebruchs

Anschuldigung

unter der gleichen Bedingung

im Sinne

des §. 164 StGB. usw.

Wenn aber die Bedingung eintritt, dann wird ihre Wirkung

zurückbezogen auf den Zeitpunkt der Begehung der deliktischen Handlung; die nachträglich eingetretene Bedingung wirkt nicht ex nunc sondern ex tune, der Anspruch gilt als entstanden in dem Augenblicke der

begangenen Handlung.

Tritt

die

Bedingung dagegen nicht ein, so liegt ein Verbrechen über­ haupt nicht vor.

An einer solchen normwidrigen, aber nicht

strafbaren Handlung (Dgl

unten

Maßregeln,

ist

§. 35 II 3); die

eine

strafbare Teilnahme nicht möglich und

„strafbare

ebenso

sind alle objektiven

Handlung"

setzung haben, ausgeschloffen?

Vgl. Liszt Reichspreßrecht §. 55.

zur Voraus­

124

Erstes Buch. V. Das Verbr. als strafbares Delikt.

HI. Eben darum sind nach Begriff und Wirkung strenge

von den Bedingungen der Strafbarkeit zu scheiden: 1. Die Strafaufhebungsgründe, durch welche die

bereits eingetretene Strafbarkeit nachträglich

Strafanspruch

bereits entstandene

wieder

beseitigt, der

vernichtet

wird

(vgl. darüber unten §. 57 I). 2. Die der prozessualen Geltendmachung des An­ spruches in ihrem Beginn oder in ihrer Durchführung im

Wege

stehenden

Hindernisse.

Die

genauere

Abgrenzung

dieser Fälle von den Strafausschließungs- und den Straf­

aufhebungsgründen ist bisher von Wissenschaft und Gesetz­ gebung arg vernachlässigt worden.

das Strafprozeßrecht.

Das Nähere gehört in

Hier sei nur erwähnt, daß außer der

Flucht des Thäters oder einer nach begangener That ein­ tretenden Störung seiner Zurechnungsfähigkeit insbesondere der Fall der sogenannten Ermächtigungsdelikte (StGB.

§§. 99, 101, 197),

„Ermächtigung"

bei welchen

der beleidigten

die Verfolgung

von

der

Person oder Körperschaft

abhängig gemacht ist, in die Gruppe: Hindernisse der Straf­ verfolgung zu stellen ist.

Auffassung

sind

„Ermächtigung".

Die wichtigsten Konsequenzen dieser

Teilbarkeit und Nicht-Rücknehmbarkcit der Das Gleiche gilt von der Zugehörigkeit

des Thäters zu einer gesetzgebenden Versammlung,- einer

landesherrlichen Familie usw. 3. Und endlich sind von den Bedingungen der Straf­ barkeit oder den eigentlichen (objektiven) Strafausschließungs­

gründen jene Fälle zu unterscheiden, in welchen der Gesetz­ geber nicht die Strafbarkeit der That,

wol aber die dcS

Schuldigen abhängig macht von dem Nichtvorliegen gewisser -) Art. 31 RVerf., Einf.Ges. zur StPO. §. 6.

Der Antrag des Verletzten insbesondere. §• 3L

125

Umstände. So bleiben nach StGB. §. 173 (Blutschande) Verwandte und Verschwägerte straflos, wenn sie das 18. Le­ bensjahr nicht erreicht haben; so ist die persönliche Begün­ stigung nach §. 257 StGB, straflos, wenn sie dem Thäteroder Teilnehmer von einem Angehörigen gewährt worden ist; das Gleiche gilt von dem Diebstahl und Unterschlagung, die von Ascendenten an Descendenten oder zwischen Ehe­ gatten begangen werden (StGB. §. 247) usw. Ich werde diese Umstände, in Ermangelung eines befferen Ausdruckes, subjektive Strafausschließungsgründe nennen. Sie berühren — und das ist das Wesentliche — die Strafbar­ keit der That an sich nicht, schließen daher die Strafbarkeit der Teilnehmer trotz der Straflosigkeit des HauptthäterS nicht aus.

§. 31. Der Antrag des verletzten insbesondere.* L In einer rapid anschwellenden Zahl von Fällen hat die moderne Gesetzgebung die Strafverfolgung von dem An­ trag deS Verletzten abhängig gemacht. Es bewahrheitete sich der alte Erfahrungssatz, daß gerade die unklarsten, un­ ausgedachtesten gesetzgeberischen Gedanken die meiste Aussicht auf allgemeinen Beifall haben. Hat auch die Novelle vom 26. Februar 1876 mit den gröbsten Mißständen aufgeräumt (vgl. oben §. 8 V), so bleibt doch eine gründliche Revision der ganzen Lehre von den Antragsdelikten durch die Reichs­ gesetzgebung ein dringendes Bedürfnis. Die Antragsfälle des RStGB.'s sind: §§. 102, 103, 1 Die (wenig fördernde) Lit. I Dazu Med em GS. XXIX, bei Dinding Grundriß S. 51. | Samuely GS. XXXII.

Erstes Buch. V. Das Verbr. als strafbares Delikt.

126

104 (stafbare Handlungen gegen befreundete Staaten), 170, 172, 179, 182

(Eheerschleichung,

Ehebruch, Erschleichung

des Beischlafs, Verführung eines jungen Mädchens), 189,

194—196, 232 (Beleidigung

und

Körperverletzung),

236,

237 (Entführung), 247, 263 (Diebstahl, Unterschlagung, Be­ trug gegen Angehörige), 288, 289, 292, 293, 299, 300—

303 (Fälle „strafbaren Eigennutzes" und Sachbeschädigung), 370 Ziff. 5 u. 6 (Genußmittel- und Futterdiebstahl).

Dazu kommen noch einzelne Fälle in den Nebengesetzen; so im Preßgesetz vom 7. Mai 1874 §. 19 Ziff. 3; Nach­

drucksgesetze vom 11. Juni 1870 §. 27, (ebenso in den Ge­ setzen vom 9., 10., 11. Januar 1876); §. 14 Markenschutz­

gesetz v. 30. November 1874; §. 34 Patentgesetz v. 25. Mai

1877; Seemannsordnung

vom 27. Dezember 1872 §. 81

und 84.

II. Bei genauerer Betrachtung müßten die Antragsdelikte

in zwei, nach Inhalt und Behandlung wesentlich von ein­ ander verschiedene Gruppen zerlegt werden.

1.

Gewisse Rechtsgüterverletzungen erscheinen nur dann

als solche, sind nur dann für die öffentliche Rechtsordnung von Bedeutung, wenn der Verletzte sie als Verletzung em­ pfindet, und, daß er dies thut, in vorgeschriebener bestimmter

Form (durch den „Antrag" auf Verfolgung) erklärt.

unzüchtige Berührung

Die

eines Mädchens kann von der Be­

rührten als Liebkosung oder als tiefste Entehrung empfunden werden.

Hier ist die Stellung des Antrages Bedingung

der Strafbarkeit; die Befristung des Antrages

hat guten

Grund; die Rücknahme müßte (etwa bis zu Beginn der Hauptverhandlung)

gestattet,

die Teilbarkeit

ausgeschlossen

sein, Fehlen des Antrages müßte Freisprechung mit definitiver

Erledigung der Strafsache zur Folge haben; die Berech-

Der Antrag deS Verletzten insbesondere, g. 31.

127

tigungen mehrerer Verletzten wären als von einander unab­ hängig zu betrachten, bei Jdealkonkurrenz (vgl. unten §. 40III) mit einem von Amtswegen zn verfolgenden Verbrechen könnte dieses auch bei mangelndem Anträge verfolgt werden usw. 2. Bei der weitaus größeren Gruppe der Antragsfälle liegt, die Sache durchaus anders. Man denke an die Not­ zucht, die bis zur Novelle von 1876 Antragsdelikt war. Hier ist das Interesse des Staates an der Verfolgung vom Anfänge an gegeben; aber ihm steht das Interesse des Ver­ letzten an der Nichtverfolgung (da die Untersuchung und Ver­ handlung der Sache für ihn nur eine neue und vielleicht die erste an Schwere übertreffende Verletzung wäre) schroff ge­ genüber. Und der Staat verzichtet dem Verletzten zu Liebe auf die Geltendmachung seines Strafanspruches, so lange der Verletzte nicht durch die Stellung des „Antrages" er­ klärt, daß das bei ihm vom Staate vorausgesetzte Interesse im Einzelfalle nicht vorliege. Hier ist der Antrag nicht Be­ dingung der Strafbarkeit der That, sondern Voraussetzung der prozessualen Geltendmachung des staatlichen StrafansprucheS; sein Mangel nicht Strafausschließungsgrund, son­ dern Hindernis der Strafverfolgung in dem oben §. 30 III 3 besprochenen Sinne; und die ganze Lehre von diesen Antragsdelikten würde gar nicht ins Strafrecht, sondern in daS Strafprozeßrecht gehören. Die verschiedene prinzipielle Auffassung würde dann auch bezüglich der oben unter 1 be­ sprochenen Konsequenzen in weitaus den meisten Punkten zu ganz anderen Resultaten führen. Der Gegensatz kann hier nicht weiter verfolgt werden, da er im positiven Recht keine Anerkennung gefunden hat. Eben darum ist aber auch die systematische Stellung, die in dem Lehrbuche den Antragsdelikten gegeben wurde (ebenso

Erstes Buch. V. Das Verbr. als strafbares Delikt,

128

wie jede andere Stellung derselben) eine nur teilweise rich­ tige.

Unhaltbar

aber ist

in dieser Allgemeinheit die vom

RGR. 17. April 1880, R I 615 ausgesprochene Ansicht, nach welcher

der

Strafantrag

zum

nicht

Thatbestände

gehöre,

sondern Voraussetzung der Verfolgung sei. III. Positivrechtliche Behandlung der Antragsdelikte.

1. Berechtigt zur Antragsstellung ist a) Derjenige, dem der Gesetzgeber in gewissen Fällen

ausdrücklich diese Berechtigung zumeist;

StGB. §§. 102 Nr. 3, 104,

vgl.

170, 182, 189, 196,

288 usw.; §. 28 Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870. b) In Ermangelung besonderer Anordnung der durch das Verbrechen Verletzte, genauer gesprochen: der Träger deS durch die strafbare Handlung unmittelbar8* * ange­

griffenen Rechtsgutes; so der Eigentümer bei der Sach­ beschädigung, der Inhaber der befriedeten Räume beim

Hausfriedensbruch usw.

Doch muß her Verletzte, um

antragsberechtigt zu sein,

das 18. Lebensjahr zurück­

gelegt haben (StGB. §. 65 Abs. 1). c) Der gesetzliche Vertreter statt des Verletzten, wenn

dieser noch nicht 18 Jahre alt, geisteskrank oder taub­ stumm, oder aber eine Kollektivpersönlichkeit ist (StGB.

§. 65 Abs. 2 u. 3; vgl. mit StPO. §. 414).

d) Neben dem Verletzten der gesetzliche Vertreter/ wenn Ersterer über 18 Jahre alt aber noch minder­ jährig

ist

(StGB. §. 65 Abs. 2),

Vater nach

§. 195 (232),

der

der Gatte und

amtlich

Vorge­

setzte nach tz. 196 (232).

' Vgl. RGR. 16. April 1880, E I 370, R I 607. 8 Nach dem Civilrecht zu be­

stimmen, vgl. die in Anm. 2 angef. E des RGR. bezual. der Stellung der unehelichen Mutter.

Der Antrag des Verletzten insbesondere. K. 31.

129

Die Stellung des Antrages kann auch durch einen Spezialbevollmächtigten erfolgen; aber auch Generalvoll­ macht ist als genügend zu betrachten, wenn und soweit im ein­ zelnen Falle angenommen werden kann, daß die Stellung des Antrages dem Willen des Berechtigten entspricht; und insbe­ sondere gilt dies von strafbaren Eingriffen in vermögensrecht­ liche Interessen, mit deren Wahrung der Bevollmächtigte betraut ist RGR. 20. April 1880, E I 387, R I 620. Ja selbst ein Nichtbevollmächtigter wird zur Antragstellung zuzulaffen sein, wenn stillschweigender Auftrag oder Einver­ ständnis des Verletzten angenommen werden kann RGR. 17. Dezember 1879, R I 163. Mehrere Antragsberechtigungen, mögen diese mehreren Verletzten oder aber dem Verletzten und den Nebenberechtigten zukommen, sind von einander unabhängig (StGB. §. 62; vgl. mit StPO. §. 415). 2. Das Antragsrecht ist befristet. Es erlischt (StGB. §. 61), wenn der zum Anträge Berechtigte es unterläßt, den Antrag binnen drei Monaten zu stellen. Die Frist beginnt mit dem Tage, seit welchem der zum Anträge Berechtigte von der Handlung und von der Person des Thäters Kenntnis gehabt hat. Ebenso nach §. 35 Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870. Die Frist ist demnach, wenn die Kenntnis z. B. am 12. Februar erlangt worden, mit Beginn des 12; Mai be­ reits abgelaufen (RGR. 22. Dezember 1879, E I 40). Ist die Strafbarkeit der That von einer zu ihrer Normwidrig­ keit hinzutretenden Bedingung abhängig, so beginnt die An­ tragsfrist erst mit beni Eintritte der Bedingung zu laufen, vgl. oben §. 30 II. Eine wesentliche Veränderung erleidet diese Frist in dem Falle wechselseitiger Beleidigungen und Körperverletzungen von LiSzt, Strafrecht. 9

130

Erstes Buch. V. Das Verbr. als strafbares Delikt.

(StGB. §§. 198 und 232; StPO. §. 426) indem hier der

Geklagte einerseits bei Verlust seines Rechtes verpflichtet ist,

den Antrag auf Bestrafung spätestens bis zur Beendigung der Schlußvorträge in erster Instanz zu stellen, hiezu aber auch dann berechtigt bleibt, wenn zu jenem Zeitpunkte die

dreimonatliche Frist bereits abgelaufen ist.

Eine besondere

Bestimmung der Frist findet sich in §. 84 der Seemanns­

ordnung vom 27. Dezember 1872 (bis zur Abmusterung). Neben der Rügefrist läuft die Verjährung des Verbrechens

durchaus selbständig (vgl. unten §. 58). 3.

Der Antrag ist unteilbar.

Die Verfolgung findet

nach StGB. §. 63 gegen sämmtliche an der Handlung Be­

teiligte

(Thäter

und

Teilnehmer)

sowie

gegen

den Be­

günstiger statt, auch wenn nur gegen eine dieser Personen

auf Bestrafung angetragen ist; und die Rücknahme des An­ trags gegen den Einen hat Einstellung des Verfahrens über­

haupt zur Folge.

Dasselbe muß aber auch von dem Ver­

schweigen der Antragsfrist gegen Einen der Schuldigen gelten

(entgegengesetzt RGR. 17. April 1880, R I 615).

Aus­

nahmsweise ist die Teilbarkeit des Antrages ausgesprochen

in den §§. 247 und 289 StGB.; eine Ausnahme, die auf die §§. 263, 292, 303 nicht ausgedehnt werden darf.

4.

Die Zurücknahme des Antrages ist seit der No­

velle vom 26. Februar 1876 nur mehr in den gesetzlich be­ sonders vorgesehenen Fällen und nur bis zur Verkündigung eines ans Strafe lautenden Urteils zulässig (StGB. §. 64).

Diese besonders vorgesehenen Fälle sind: StGB. §§. 102-104, 194, 232, 247, 263, 292, 303,

370; Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §. 27.

Die Zurücknahme der Privatklage hat mit der des An­ trages nichts zu thun (vgl. StPO. §. 431).

Entwicklung des Versuchsbegriffes,

5.

tz. 32.

131

Der Antrag muß die Absicht, die Verfolgung herbei­

zuführen, bestimmt zum Ausdrucke bringen?

Verzicht auf

den Antrag ist juristisch ohne BedeutungWiderruf der Rücknahme des gestellten Antrages unzulässig.

Der Antrag

ergreift * die Klagthalsachen, nicht aber ihre juristische Qua­ lifikation.

VI.

Vollendung und Versuch des Verbrechens. §. 32.

Üegriffliche Entwicklung? 1.

1. DaS Delikt ist vollendet, sobald jener Zustand

herbeigeführt, bez. vereitelt ist, den herbeizuführen die Norm verbietet bez. gebietet, also mit dem Uebertretensein der

Norm. 2.

Von der Vollendung des Deliktes

haben wir die

Vollendung des Verbrechens zu unterscheiden.

Das Ver­

brechen ist vollendet mit der Herbeiführung desjenigen norm­

widrigen Zustandes, an desien Vorliegen (als Thatbestand) der Gesetzgeber den Eintritt der Strafe (als Rechtsfolge)

geknüpft hat.

Deckt sich jener Thatbestand mit dem Inhalte

der Norm, dann fallen Vollendung des Deliktes und Voll­

endung des Verbrechens in denselben Zeitpunkt. sich nicht,

ander.

Decken sie

so fallen auch beide Vollendungspunkte ausein­

So kann insbesondere der Gesetzgeber den Eintritt

4 Ueber die Form vgl. StPO. §. 156. 6 ROHG. vom 13. Oktober 1876.

1 Lit. bei Binding Grund­ riß S. 73. Dazu Cohn Zur Lehre vom versuchten und un­ vollendeten Verbrechen I 1880.

Erstes Buch. VI. Vollendung u. Versuch des Verbrechens,

132

der Strafe an einen der Vollendung des Deliktes vorher­

gehenden Zeitpunkt knüpfen.

Er thut dies in zahlreichen

Fällen: das Delikt der Münzfälschung wäre vollendet mit

dem Jn-Verkehr-Bringen der falschen Münzen; das Ver­

brechen der Münzfälschung ist nach §. 146 StGB, schon

mit dem Fälschen der Münze vollendet.

Andere Beispiele

bieten StGB. §§. 131, 229, 234, 253, 258, 298 ff.

Vgl.

auch die unten §. 33 III 2 zusammengestellten Fälle.

Um­

gekehrt liegt scheinbar die Sache in allen Fällen, in welchen

zur Normübertretung weitere Bedingungen hinzutreten müssen,

um die Strafbarkeit herbeizuführen (vgl. oben §. 30).

So

beim Ehebruch die Scheidung der Ehe und der Antrag des verletzten Ehegatten.

Allein hier fallen Vollendung des De­

liktes und Vollendung des Verbrechens nur scheinbar aus­ einander: denn bei Eintritt der Bedingung ist die Straf­

barkeit ex tune und nicht ex nunc begründet (oben §. 30 II).

3.

aus

Aus der verschiedenen Stellung der Norm und des

ihr

geblldeten Verbrechen-Thatbestandes

zu dem

zu

schützenden Rechtsgute (oben §. 3 II) folgt, daß Vollendung der Rechtsgüterverletzung

weder mit der Vollendung

des Deliktes noch mit jener des Verbrechens zusammenzu­

fallen braucht.

Es genügt, auf diesen vielfach übersehenen

Gegensatz aufmerksam zu machen.

Wir werden, wenn daS

Gegenteil nicht ausdrücklich bemerkt ist, im folgenden nur

daS Verbrechen in seiner Vollendung oder Nicht-Vollendung ins Auge fasten.

II. Um zu dem Begriffe des Versuches zu gelangen, be­

trachten wir, im Anschlüsse an das oben §. 19 II Gesagte,

die einzelnen Stadien der erweiterten Handlungsreihe und die sich dabei ergebenden Komplikationen.

Entwicklung des Versuchsbegriffes.K. 32.

133

Wir können folgende Fälle unterscheiden:2 a) die körperliche Bewegung hat begonnen, ist aber noch nicht abgeschloffen; ich bin im Begriffe, den nach NewAork bestimmten beleidigenden Brief in den Briefkasten zu werfen; ich habe die das Beil führende Hand zum Schlage erhoben usw. b) die Bewegung ist beendet, der Kausalismus, dem sie den Anstoß gegeben, ist im Laufen begriffen: mein Brief ist auf dem Postdampfer unterwegs nach Amerika; der zu fällende Baum hat den letzten Schlag erhalten und be­ ginnt langsam zu sinken. c) Die Kausalreihe ist abgelaufen, ohne daS vorgestellte Objekt zu treffen: der Postdampfer ist mit der ganzen Ladung gescheitert, der Baum ist gestürzt, aber hart neben dem auf dem Rasen schlafenden B. d) Die Kausalreihe hat ablaufend das Objekt erreicht, aber noch ist der vorgestellte Erfolg nicht eingetreten: mein Brief liegt im Hause des Adressaten, der auf einige Tage verreist, erst in mehreren Stunden eintreffen soll: der schla­ fende B ist getroffen, rötlich verletzt, aber er lebt noch. e) Der Erfolg, hier die Rechtsgüterverletzung — Belei­ digung, Tötung — ist ««getreten: Zeitpunkt der Voll­ endung. Die Vollendung des Verbrechens kann unterbleiben: ad a, wenn die Bewegung gehemmt wird; ad b, wenn die 2 Der Einfachheit wegen habe ich Beispiele gewählt, bei wel­ chen Vollendung des Verbrechens und Vollendung der Rechtsgüterperletzung sich decken. Es bedarf aber wohl nur eines Hin­ blickes auf den unten §. 36 I

erörterten Begriff der fingierten Thäterschaft, um sich zu überS, daß bei jedem Deri unter Umständen diese Stadien auseinanderfallen kön­ nen.

Erstes Buch. VI. Vollendung u. Versuch des Verbrechens.

134

Kausalitätsreihe gar nicht ihr Objekt trifft; ad d, wenn der

Erfolg nicht eintritt.

Die Vollendung ist (definitiv) unter­

blieben im Falle c. Will man diese Fälle durch besondere Benennungen aus­ einanderhalten, so kann man

1. von fehlgeschlagenen Verbrechen sprechen, wenn

die auf den Erfolg gerichtete Handlung erfolglos vollzogen ist.

Hieher gehört dann Fall c, in welchen Fall b über­

gehen kann; sowie Fall d bei Ausbleiben des Erfolges.

2.

Von suspendiertem Erfolge, wenn der Erfolg

sicher, aber noch nicht eingetreten ist; Fall d kann diese Ge­ stalt annehmen.

3.

Von beendetem Versuche,

Bewegung

abgeschlofien ist,

Möglichkeit hat,

den

wenn die körperliche

der Handelnde aber noch die

Eintritt des

Erfolges abzuwenden,

Fall b und d, nicht aber a und e gehören möglicherweise

hieher. 4. Von nichtbeendetem Versuche, wenn die körper­

liche Bewegung selbst nicht abgeschlossen ist: Fall a.3 III. Während die außerdeutsche Wissenschaft sehlgeschla-

gcnes und versuchtes Verbrechen mit Recht strenge von ein­ ander scheidet, zwingt uns der Stand der deutschen Gesetz­

gebung, beide unter einen gemeinsamen Begriff zu bringen. Demnach nennen wir Versuch jede aus Herbeiführung des Erfolges gerichtete, diesen aber nicht herbei­ führende Handlung.

In dieser Definition bedeutet Er­

folg: den Thatbestand, an welchen der Eintritt der Strafe

geknüpft ist; Richtung auf den Erfolg: den Vorsatz deS

3 Die Terminologie ist eine sehr schwankende; wichtig ist es nur, die verschiedene Struktur

der einzelnen Fälle im Auge zu behalten.

ThäterZ (oben §. 28 I), also dessen (irrige) Vorstellung von der Kausalität seines Thuns. Ueber die scheinbare Ein­ schränkung dieses Begriffes im positiven Recht vgl. unten §. 33 IV. Die Strafbarkeit des Versuches, d. h. die Berechtigung des Staates ihn mit Strafe zu belegen, folgt auS seiner Normwidrigkeit (oben §. 3 III 3) verbunden mit dem Vor­ liegen der schwereren Schuldart, des Vorsatzes. Es bedarf keiner besonderen Norm, wohl aber (selbstverständlich) eines besonderen Strafgesetzes, um den Versuch strafen zu können. IV. Der Versuch beruht immer auf einem Irrtum des Thäters über die Kausalität seines Thuns. Sein Thun war begleitet von der Vorstellung, daß die Hand­ lung gewisse Veränderungen in der Außenwelt Hervorrufen, daß sie einen bestimmten normwidriges Erfolg verursachen werde. Aber die Handlung verursacht den vorgestellten Erfolg nicht; Erfolg und Vorstellung des Er­ folges decken sich in einem wesentlichen Punkte nicht. Die Beziehung des Versuches zur Fahrlässigkeit ist somit eine unläugbare: hier Zurechnung des eingetretenen nicht vor­ gestellten Erfolges; dort Zurechnung des vorgestellten nicht eingetretenen Erfolges. AuS dem Gesagten folgt: 1. daß wohl Versuch eines vorsätzlichen, nicht aber Versuch eines fahrlässigen Verbrechens möglich ist, da dieses begrifflich mangelnde Vorstellung der Kausalität des ThunS erfordert; sowie ferner, daß der Versuch selbst weder ein vorsätzlicher noch ein fahrlässiger sein sann, da er ein von beiden Begriffen verschiedenes Verhältnis von Erfolg und Vorstellung voraussetzt; und endlich, daß die Möglichkeit eines Versuches jener qualifizierten Verbrechensfälle ausge-

Erstes Buch. VI. Vollendung u. Versuch des Verbrechens,

136

schlossen ist, bei welchen (vgl. unten §. 54 I 3) die objektive

wenn auch nicht verschuldete (oben §. 27 II) Thatsache des Eintrittes eines bestimmten schwereren Erfolges zum Straf­

schärfungsgrund gemacht ist. 2.

Daß auch bei generellem Vorsatze Versuch möglich

ist;4 der schwerste der vorgestellten nicht eingetretenen Erfolge

giebt den Ausschlag (vgl. oben §. 28 IV a. E.). V.

Der Versuch

beruht immer auf einem Irrtume

über die Kausalität des Thuns, d. h. auf der (irrigen) An­

nahme,

daß

eine zur Herbeiführung

des vorge­

stellten Erfolges untaugliche Handlung zur Her­ beiführung tauglich sei. Es ist mithin eine ganz schiefe Anwendung an sich nur relativer Begriffe, wenn man zwischen Versuch mit untaug­

lichem Mittel und Versuch an untauglichem Objekt unter­

scheiden

will.

Nur die Tauglichkeit der Handlung,

des Mittels zum Zwecke, steht zur Frage.

als

Ferner: eine

bestimmte vorgenommene Handlung kann zur Herbeiführung

eines bestimmten vorgestellten Erfolges immer nur tauglich oder nicht tauglich, d. h. kausal oder nicht kausal sein, nicht aber mehr oder weniger nicht kausal;

die Unterscheidung

zwischen absoluter und relativer Untauglichkeit des Mittels

(oder des Objektes) Ursachenbegriffes.

ist daher eine grobe Verkennung des

Und

endlich:

Wenn

das

Wesen

des

Versuches in dem Irrtume über die Kausalität des ThunS besteht, so kann dieser Irrtum keinen Grund abgeben, um

einzelne Versuchsfälle nicht strafen zu wollen. In der Terminologie der herrschenden Ansicht hieße das:

auch der Versuch mit absolut untauglichem Mittel

4 Lit. bei Binding Grundriß S. 75.

Entwicklung des Versuchsbegriffes.

tz. 32.

137

oder an absolut untauglichem Objekte ist strafbar/ (b. h. kann vom Gesetzgeber gestraft werden). Wir müssen diesem Satze aber doch wohl eine Ein­ schränkung beifügen. Der Gesetzgeber hat die Frage nach der Strafbarkeit des Versuches bei „Untauglichkeit des Mit­ tels oder Objektes" nicht selbst gelöst, sondern die Lösung der Wissenschaft überlassen. Daraus folgt, daß wir die Lösung nicht im Gesetze suchen, die Frage nicht aus dem Wortlaute des Gesetzes heraus entscheiden dürfen. Wir müssen zurückkehren auf den legislativen Grund der Strafbarkeit des Versuches. Und dieser liegt m. E. darin, daß jede normwidrige Handlung eine Gefahr für die Rechtsgüterwelt in sich birgt. Der Begriff der Gefahr wurde oben §. 3 III 2 besprochen. Nicht Gefähr­ dung, sondern Herbeiführung einer Gefahr im Sinne unserer Terminologie bildet den Grund für die Strafbar­ keit des Versuches. Diese entfällt mithin, wenn eine Gefahr nicht herbeigeführt worden ist, also wenn die Konstellation, die der Thäter bewirkte, eine solche war, daß in einem verschwindend kleinen Perzentsatz von Fällen der Erfolg einzutreten pflegt. Hieher würden die bekannten Schulfälle gehören: das Totbeten, Nestelknüpfen, Verhexen; der Versuch, den B, der auf einem in Kanonenschußweite vom Ufer entfernten Schiffe sich befindet, mittelst einer Pistole vom Ufer aus zu töten; Mordversuch mit ungeladenem Ge­ wehr, mit Zucker usw. Besondere, ganz außergewöhnliche * Stand der Ansichten bei Meyer Lehrb. S. 200 Note 8. Lit. bei Binding Grundriß S. 76. Dazu Scherer GS.XXIX. Im Wesentlichen mit dem Texte übereinstimmend die hochinter­

essante RGR. 24. Mai 1880 (verein. Strafsenate), E I 439. Ebenso bez. deS Versuchs am „absolut untauglichen Objekte" RGR. 10. Juni 1880, El 451

138

Erstes Buch. VI. Vollendung u. Versuch des Verbrechens.

Komplikationen können auch in diesen Fällen den Erfolg herbei­ führen (man denke an die durch die Handlung hervorgerufene psychische Erregung des Bedrohten).

Bei weiterem Eingehen

auf die Frage würde die Verschiedenheit der Normen (oben §. 3 II), ihre nähere oder entferntere Beziehung zu dem zu

schützenden Rechtsgute von Bedeutung werden.

Zwecke genügt das Gesagte.

Für unsere

Nochmals sei aber betont:

1. Jeder Versuch ist normwidrig und könnte daher ge­ straft werden; nicht jeder ist positiv-rechtlich strafbar.

2. Wir sagen nicht: strafbar ist der gefährliche Versuch, sondern: nicht strafbar ist der ungefährliche Versuch.

Daß

der Begnff der Gefahr ein relativer, ist kein Einwand gegen die Richtigkeit dieses Satzes, der sich bemüht, das in uns

allen vorhandene Rechtsgefühl zur Klarheit eines juristischen Gedankens zu erheben.

§. 33. vrr versuch im positiven Necht.

Jede versuchte Normübertretung ist an sich normwidriges

Handeln, mithin Delikt, und darum geeignet die Straffolgen nach sich zu ziehen.

in

allen Fällen

Aber der Staat hat keine Beranlasiung

schon

die versuchte Normübertretung

mit

Strafe zu belegen.

I. Der Gesetzgeber kann und wird sich darauf beschränken, nur die versuchte Uebertretung gewisser Normen unter

Strafe zu stellen.

Prinzipiell würde es sich empfehlen, die

Unterscheidung zwischen den allgemeinen Normen und

den

Gehorsamsnormen (vgl. oben §. 3 II) zu Grunde zu legen, und die versuchte Uebertretung der letzteren straflos zu lasten.

Anders das positive Recht.

Der Versuch im positiven Recht.

139

K. 33.

Das RStGB. geht in §. 43 von der Dreiteilung der

strafbaren Handlungen aus:

Der Versuch eines Verbrechens wird immer, der eines Vergehens ausnahmsweise in den besondersaus­ gezeichneten Fällen/ der

einer Uebertretung nie ge­

straft.

Dagegen macht das Gesetz — im Prinzipe wenigstens — keinen

Unterschied

zwischen

Geboten

und

Verboten?

Daß auch bei der Uebertretung eines Gebotes, also bei dem sogenannten echten Unterlaffungsdelikte, Versuch möglich ist,

soweit es sich um dolose Unterlassung handelt, kann bei rich­ tiger Auffassung der Unterlassungsdelikte (vgl. oben §. 21II) keinem Zweifel unterliegen?

II. Das positive Recht kann ferner entweder einzelne Handlungen, die sich als versuchte Uebertretung einer be­

stimmten Norm darstellen,

herausgreifen,

und

nur diese

Versuchshandlungen mit Strafe bedrohen; oder aber jeden

Versuch

der Uebertretung

Strafe stellen.

einer

bestimmten

Norm

unter

Letzteres ist, seitdem einmal der allgemeine

Begriff des Versuchs durch die italienische Jurisprudenz des Mittelalters

ausgebildet worden war,

der Gesetzgebung eingeschlagene Weg.

der regelmäßig von

Nur ganz ausnahms­

weise und nur wenn entfernte Versuchshandlungen (sogen. Vorbereitungshandlungen) in Frage stehen, entschließt sich der

Gesetzgeber dazu, diese Fälle des strafbaren Versuches durch 1 Es sind dies §§. 107, 120, 140,141,148,150,160,169,240, 242, 246, 253, 263, 289, 303 —305, 339, 350, 352 StGB.; Nahrungsmittelgesetz v. 14. Mai 1879 §. 12, Gesetz gegen Rinder­ pest 21. Mai 1878 §. 1, Bank-

Gesetz

14. März 1875 §. 57

1 Allerdings ist bei keinem Gebote die versuchte Uebertrehing unter Strafe gestellt. 8 Lit. bei Bindrng Grund­ riß S. 75.

Erstes Buch. VI. Vollendung u. Versuch des Verbrechens,

140

individuelle Bezeichnung vor allen

anderen hervorzuheben.

Vgl. StGB. §§. 83—85, 151, 201; teilweise §. 49a.

hörend

Durch

die

besondere

hieher ge­

Bezeichnung dieser

Handlungen wird ihre Versuchsnatur nicht geändert; daraus

folgt, daß Versuch derselben, der als Versuch in zweiter Po­ tenz erscheinen würde, nicht möglich ist.4 III. Der Gesetzgeber kann weiter entweder für die ver­

suchte und die vollendete strafbare Handlung einen gemein­ schaftlichen, oder für jede einen besonderen Strafrahmen

Das letztere hat die Reichsgesetzgebung gethan.

aufstellen.

Nach StGB. §.44 ist das versuchte Verbrechen oder Vergehen milder zu

bestrafen als das vollendete,

und zwar nach der folgenden Reduktionsskala:

Ist daS

vollendete Verbrechen mit dem Tode oder mit

lebenslänglichem Zuchthaus bedroht, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter drei Jahren ein, neben welcher auf Zulässigkeit

von

Polizeiaufsicht erkannt werden

kann.

Lebenslängliche

Festungshaft wird durch Festungshaft nicht unter drei Jahren

ersetzt. 7«

In

allen

übrigen Fällen kann die Strafe bis auf

des Mindestbetrages der auf das vollendete Verbrechen

oder Vergehen angedrohten

Freiheits-

oder Geldstrafe er­

hiernach Zuchthausstrafe

unter einem

mäßigt werden.

Ist

Jahre verwirkt,

so ist dieselbe nach Maßgabe des §. 21

StGB, in Gefängnis zu verwandeln.

Das

Prinzip

der

wird jedoch durch eine

milderen Bestrafung des Versuches

wenn auch unbedeutende Zahl von

Ausnahmen durchbrochen. 1.

Aberkennung

der bürgerlichen Ehrenrechte und Zu­

lässigkeit der Polizeiaufsicht kann unter denselben Voraus-

< Lit. bei Meyer S. 193 Note 14.

A. A. Cohn S. 383ff

Der Versuch im positiven Recht. setzumgen bei dem versuchten,

141

K. 33.

wie bei dem vollendeten Ber­

brechen oder Vergehen ausgesprochen werden (StGB. §. 45). 2. In einer Reihe von Fällen ist das „Unternehmen"

einer strafbaren Handlung ihrer Vollendung in der Bestra­

gleichgestellt.

fung

Vgl.

StGB.

§§. 81, 82, 105,

114,

Salzsteuergesetz vom 12. Oktober

122 Abs. 1,

159, 357;

1867 §.11,

Vereinszollgesetz

vom 1. Juli

1869 §§.134

und 135, Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879 §§. 32 und

38, usw. der

Durch diese Gleichstellung in der Bestrafung wird

Versuchscharakter

„Unternehmens"

des

nicht berührt;

damit entfällt die Möglichkeit eines strafbaren Versuchs des­ selben, der auch hier Versuch in zweiter Potenz wäre.

3.

fallen

Soweit

Dorbereitungshandlungen

besonderen Strafrahmen.

bestraft

werden,

reduzirten, sondern unter einen

sie nicht unter den

StGB.

§§. 83—86, 151, 201,

teilweise 49 a.

4.

Endlich bestraft §. 80 StGB, den

hochverräterischen

mit

dem Tode; auch

Mordversuch

wie

den

§. 153 Gew.Ordg.

Mord

stellt

selbst

Versuch

Vollendung in der

und

Strafe einander gleich. IV. Auch der Versuch ist Handlung im engeren Sinne, also

willkürliche

körperliche

Bewegung,

ihren Abschluß nicht gefunden haben.

mag auch dieselbe Die Handlung kann

aber auch aus einer ganzen Reihe von einzelnen, durch die einheitliche Zweckoorstellung zu einer Gesammtheit verbunde­ nen körperlichen Bewegungen bestehen, die von der abschlie­

ßenden Bewegung mehr oder weniger entfernt sind.

von

ihnen,

Jede

auch die entfernteste, ist bereits normwidriges

Thun, ist, wenn auf den Erfolg gerichtet, bereits versuchte

Normübertretung.

Kriminalpolitische

Erwägungen,

unter

welchen die Schwierigkeit der Beweisführung (für die Rich-

142

Erstes Buch. VI. Vollendung u. Versuch des Verbrechens,

tung

auf

einen

bestimmten Erfolg) die erste Rolle spielt,

machen es wünschenswert, nur die näheren, nicht schon die

entfernteren Versuchshandlungen zu bestrafen.

So entsteht

der Unterschied zwischen straflosen Vorbereitungs- und

strafbaren (eigentlichen)Bersuchshandlungen. Statt

nun, wie es am zweckmäßigsten wäre, die Einteilung einer in Frage stehenden konkreten Handlung in die eine oder die andere Kategorie dem Ermessen der Praxis im Einzelfalle

zu überlassen, hat die Reichsgesetzgebung im Anschlüsse an das französische Recht es unternommen, die Grenzlinie ein

für allemal zu ziehen.

Diesem Bestreben verdanken wir die

scheinbare^ Versuchsdefinition im StGB. §. 43: Versuch ist

Bethätigung des Entschlusses, ein Verbrechen oder Vergehen

zu verüben, durch Handlungen, welche einen Anfang der

Ausführung

dieses

Verbrechens

oder

Ver­

gehens enthalten.

Die

tung und Versuch im

engeren Sinne (strafbarem Versuch)

Grenzlinie zwischen Vorberei­

bildet demnach

der Anfang der Ausführung, mit an­

deren Worten:

Versuchshandlungen

sind

jene Folgen,

welche bereits wirklicher Bestandteil der im Gesetze mit Strafe bedrohten That sind? Beispiele: Der straf­ bare Versuch der Doppelehe beginnt erst mit dem Akte der

(zweiten) Eheschließung, der Versuch des Meineids erst mit dem Beginne des Schwuraktes; der Versuch der Entführung, des Diebstahls erst in dem Augenblicke, in welchem die Schutz­

gewalt, der Gewahrsam des Machthabers gestört wird usw.

6 Denn der §. 43 soll nicht den Versuch definieren, sondern den strafbaren Versuch abgrenzen. 6 Lit. bei Meyer Lehrbuch S. 195 Note 2. Die im Texte

vertretene Ansicht (sie schließt sich möglichst eng an die von Zachariae empfohlene Formu­ lierung) ist sehr bestritten.

Der Rücktritt vom Versuche, tz. 34.

143

Die Ausführungshandlung selbst muß begonnen

haben.

Daß

diese

Beschränkung

den Bedürfnissen

der

Rechtsordnung nicht genügt, bedarf wohl kaum eines Nach­

weises.

Nur ausnahmsweise hat der Gesetzgeber auch Vorbe-

bereitungshandlungen unter Strafe gestellt. Hieher ge­ hören die oben unter III 2 und 3 angeführten Fälle?

Die Beschränkung des strafbaren Versuches auf den Be­ ginn der Ausführungshandlung

ergiebt die Unmöglichkeit

eines strafbaren Versuches in jenen Fällen, in welchen die

Ausführungshandlung selbst schon im ersten Zeitteilchen ihrer Verwirklichung dem gesetzlichen Thatbestände voll und ganz

entspricht.

Ein Beispiel bieten die durch Verbreitung von

Druckschriften begangenen strafbaren Handlungen?

§. 34.

8er Nücktritt vom Versuche.

I. In dem Augenblicke, in welchem die Grenzlinie zwischen

den straflosen Vorbereitungshandlungen und dem strafbaren Versuche überschritten wird, in demselben Augenblicke ist die

auf den Versuch gesetzte Strafe verwirkt.

Das normwidrige

Thun hat aufgehört, nur Delikt zu sein, es ist Verbrechen geworden.

Diese Thatsache kann nicht mehr geändert, nicht

„nach rückwärts annulliert", nicht aus der Welt geschafft

werden.

Wohl aber kann die Gesetzgebung auS kriminal­

politischen Gründen dem bereits straffällig gewordenen Thäter 7 Unternehmen ist m. E. ein weiterer Begriff als Versuch im engeren Sinne. Daran wird auch durch §. 82 StGB, nichts

geändert. Doch ist die Frage kontrovers. 8 Vgl. LiSzt Preßrecht §§. 41, 42.

Erstes Buch. VI. Vollendung u. Versuch deS Verbrechens,

144

eine

„goldene Brücke" zum Rückzüge bauen.

Sie hat es

gethan, indem sie den freiwilligen Rücktritt zum Straf­

aufhebungsgrunde machte (StGB. §. 46)? Der freiwillige Rücktritt ist unmöglich, wenn die Herr­

schaft über die That und ihre Folgen bereits dem Thäter entrissen ist, also sowohl beim suspendierten Erfolg wie beim fehlgeschlagenen Verbrechen (vgl. oben §. 32 II 1 und 2).

Er ist dagegen möglich: 1.

Bei dem nichtbeendeten Versuche (oben §. 32

II 4) durch Nichtvollendung der Handlung (StGB. §. 46

Nr. 1).

Der Thäter läßt den zum Schlage erhobenen Arm

sinken; die nach dem Giftbecher ausgestreckte Hand zieht sich

zurück? 2. Bei dem beendeten Versuche (oben §. 32 II 3) durch Abwenden des Erfolges, also durch direktes Eingreifen

in das

bereits

rollende Rad

des Kausalzusammenhanges

(StGB. §. 46 Nr. 2): der abgesendete Brief wird während des Postlaufes zurückverlangt, die Wirkung des Giftes durch

Gegengift paralysiert.

II.

In beiden Fällen verlangt das Gesetz Freiwillig­

keit des Rücktritts?

Ihren Gegensatz bildet die thatsäch­

liche oder angenommene Unmöglichkeit der Vollendung des

Verbrechens.

Im zweiten Falle ist die strafaufhebende Wir­

kung des Rücktrittes an die weitere Bedingung geknüpft, daß

die Handlung noch nicht entdeckt,

1 Lit. bei Meyer S. 202. Dazu Binding Normen II S. 234,250 f., Cohn S.612ff. 3 Mit der Beendiaung der Versuckshandlung entfallt dem« nach Die Anwendbarkeit des

d. h. noch Niemandem

§.46 Nr. 1. RGR. 12. März 1880, E I 307, R I 453.

3 Worin diese besteht ist be­ stritten. Lit. bei Meyer S. 226 Note 23.

145

Der Rücktritt vom Versuche. §• 34.

außer den an der That beteiligten Personen bekannt war. Auch Kenntnisnahme durch denjenigen, gegen den die Hand­ lung gerichtet war, schließt die Annahme der Freiwilligkeit aus; bei denjenigen Delikten, bei welchen die Erzielung dieser Kenntnisnahme zur Ausführungshandlung gehört (z. B. Er­ pressung) ist demnach §. 46 Nr. 2 überhaupt nicht anwendbar; RGR. 12. März 1880, E I 307, E I 453. III. Den freiwilligen Rücktritt behandelt das RStGB. als Strafaufhebungsgrund; nicht mehr ist, wie im preußischen und anderen "partikularen Strafgesetzbüchern, die Nichtfreiwilligkeit der Nichtvollendung Bedingung der Straf­ barkeit des Versuches. DaS heißt: der Rücktritt beseitigt die bereits verwirkte Strafe, aber er ändert nichts an dem Ber­ brechenscharakter der Versuchshandlung. Und daraus folgt: 1. Der Rücktritt des Thäters macht weder den Mit­ thäter noch den Anstifter oder Gehülfen straffrei;* denn die Thatsache, daß sie sich an einer strafbaren Handlung.betei­ ligt haben, bleibt bestehen. 2. Aber die Teilnehmer können sich selbst der Wohl­ that deS Gesetzes teilhaft machen: Anstifter und Gehülfe allerdings nicht durch Nichtvollendung der Handlung nach §. 46 Nr. 1, denn hatten sie ihre Handlung noch nicht beendet, so waren sie überhaupt noch nicht strafbar geworden (vgl. unten §. 37 I 2 a und II 2); wohl aber durch selbstän­ dige Abwendung des Erfolges nach §. 46 Nr. 2. 3. Nur die Strafe der versuchten Handlung entfällt (§. 46: „der Versuch als solcher bleibt straflos"), nicht aber die Strafbarkeit der etwa in der Versuchshandlung ge­ legenen vollendeten anderweitigen Normübertretung. So 4 Vgl. Meyer S. 203. von LiSjt, Strafrecht.

IO

146

Erstes Buch. VII. Thäterschaft und Teilnahme,

bleibt trotz Abwendung des Erfolges beim Gistmordversuch die Beibringung des Giftes nach StGB. §. 229 strafbar. IV. Wenn Borbereitungshandlungen mit besonderer Strafe bedroht sind oder das unternommene dem vollendeten Verbrechen in der Bestrafung gleichgestellt ist (vgl. oben §. 32 III 2 und 3), so entspricht es wohl am meisten der Absicht des Gesetzes, hier die strafaufhebende Wirkung des Rücktrittes auszuschließen. Wir sind berechtigt, dies zu thun, weil jene Wirkung nicht aus dem Begriffe der Versuchshand­ lung folgt, sondern auf besonderer positiv-rechtlicher Anord­ nung beruht?

VII. Thäterschaft und Teilnahme? §. 35. Sir Entstehung des Lrgriffs der Teilnahme. I. Knüpfen wir an das oben in der Lehre vom Kausal­ zusammenhänge Gesagte an. Könnten wir den theoretisch allein richtigen Satz, daß jeder, der durch seine schuldhafte Handlung eine Bedingung für den Eintritt des Erfolges ge­ setzt hat, für diesen als Ursacher verantwortlich zu machen ist, konsequent durchführen, dann wären Thäterschaft und Verursachung identische Begriffe, die Lehre von der Teilnahme hätte keine oder nur eine untergeordnete Stelle im Systeme des Strafrechts. Aber das positive Recht hat, wie bereits 6 A. A. Dinding Grundriß S. 80. Lit. bei Meyer S. 202 Note 3. 1 Lit. bei Dinding Grund« riß S. 83 f. und Geyer in

HR. „Anstiftung" und „Bei­ hülfe". Dazu Cohn Zur Lehre vom versuchten u. unvollendeten Verbrechen I 1880 S. 642 ff., Hertz Unrecht S. 172.

Die Entstehung deS Begriffs der Teilnahme, tz. 35.

147

bemerkt (oben §. 20 III) diesen Satz durch eine hochwichtige Ausnahme durchbrochen. Liegt zwischen einer Bedingung und dem einge­ tretenen Erfolge eine freie (d. h. nicht im Notstände begangene) und vorsätzliche (d. h. von der Borstellung ihrer Kausalität begleitete) menschliche Handlung als Zwi­ schenursache in der Mitte, so betrachtet das positive Recht nur diese letzte Handlung als Ursache des Erfolges. Das Setzen jener Bedingung kann daher nur als Bedingung dieser Handlung, wenn überhaupt, in Betracht gezogen werden; nicht aber als mittelbare Ursache des letzteingetretenen, durch diese Handlung herbeigeführten Erfolges. So entsteht der juristische Begriff der Teil­ nahme: das Setzen einer Bedingung fünden Eintritt des durch weitere Zwischenursachen vermittelten Erfolges, aufge­ faßt üicht als Bedingung des Erfolges, sondern als Be­ dingung der Zwischenursache? Durch diesen Gegensatz ge­ winnt der Begriff der Thäterschaft prägnantere Gestalt und engere Bedeutung. Die beiden Formen der Teilnahme sind Anstiftung und Beihülfe: erstere die Hervorrufung des Entschlusses zur That, letztere die Unterstützung der Ausführung der That. IL AuS dem Gesagten ergiebt sich eine Reihe von Kon­ sequenzen. 1. Teilnahme (in den beiden Formen der Anstiftung und 3 Diese von der gewöhnlichen gewinnen, nicht aus einem allerdings weit abnegende Aus- aprioristisch gefundenen Begriffe fassung stützt sich auf das po­ heraus daS positive Recht zu sitive Recht, sie sucht aus diesem interpretieren. den Begriff der Teilnahme zu

148

Erstes Buch.

VII. Thäterschaft und Teilnahme.

Beihülfe) ist nur möglich bei vorsätzlichem, ausge­ schlossen

bei fahrlässigem Handeln des Thäters;

denn nur jenes, nicht dieses wird von dem Gesetzgeber als

„Unterbrechung des Kausalzusammenhanges" aufgefaßt.

Ist

die letzte Zwischenursache eine fahrlässige Handlung, so tritt der allgemeine uneingeengte Begriff der Thäterschaft wieder in Geltung: Thäter ist Jeder, der verursacht, d. h. eine Be­

dingung zum Erfolge gesetzt hat (vgl. das oben §. 20 III angeführte Beispiel); mit anderen Worten: der Unterschied

zwischen Thäterschaft und Teilnahme verschwindet hier wieder. 2.

Fahrlässige Teilnahme an vorsätzlichem Thun

muß straflos bleiben; auch hier ist mit der vom Gesetze angenommenen

Unterbrechung

des

Kausalzusammenhanges

der Begriff der Thäterschaft unvereinbar, der Begriff der Teilnahme aber nach positiv-rechtlicher Anordnung nicht

anwendbar? 3.

Teilnahme

eines Anderen.

ist

Beteiligung

an

dem

Verbrechen

Sie erhält ihren strafrechtlichen Charakter sie entfällt daher, wenn es

durch die That des Thäters;

zu einem Thun des Thäters überhaupt nicht gekommen oder

wenn dieses kein verbrecherisches im Sinne des Gesetzes ist (sei es wegen fehlender Handlung, fehlender Normwidrigkeit, fehlender Schuld, Mangels einer Bedingung der Strafbar­

keit);

sie bleibt aber bestehen trotz

Strafaufhebungsgrundes,

eines

8 Von den unter II 1 u. 2 besprochenen Grundsätzen weicht ab §. 18 des Nachdruckgesetzes vom 11. Juni 1870 (geltend auch für die Gesetze vom 9., 10., 11. Januar 1876): „Wer vorsätzlich oder auö Fahr­

des Vorliegens eines

subjektiven

Strafausschlie-

lässigkeit einen anderen zur Veranstaltung eines Nachdrucks veranlaßt usw., wird bestraft, mag dieser Andere vorsätzlich oder fahrlässig oder schuldlos gehandelt haben.

Die Entstehung des Begriffs der Teilnahme, tz. 35.

149

ßungsgrundes, oder eines nur den Thäter berührenden Hin­ dernisses der Strafverfolgung (vgl. §. 17 und §. 30 III). 4. Teilnahme an der Teilnahme ist wegen der un­ selbständigen Natur der letzteren nur als mittelbare Teil-' nähme an der Haupthandlung strafbar. 5. Mehrfache Teilnahme an derselben Hauptthat ist immer nur ein Verbrechen; bei Teilnahme an mehreren Hauptthaten durch dieselbe Handlung (z. B. ein anstiftendes Wort) ist wegen der unselbständigen, von.der Hauptthal bestimmten Natur der Teilnahme, reale Konkurrenz ebensovieler Verbrechen anzunehmen. UI. Die Abgrenzung der Thäterschaft von der Anstiftung ist eine einfache und klare: diese ist die Ursache jener. Schwieriger sind Thäterschaft und Beihülfe auseinander zu halten; eS bedarf hier positivrechtlicher Anordnung. DaS Gesetz verwendet zur Abgrenzung den bereits oben §. 33 IV besprochenen Begriff der Ausführungshandlung. Thäter ist derjenige, der die Ausführungshandlung setzt; Gehülfe derjenige, der in anderer Weise an der That be­ teiligt ist. Aber diese Unterscheidung genügt dem Gesetze noch nicht, und so bildet es den Begriff der Mitthäter­ schaft als Zwischenglied. Mitthäter ist derjenige, der einen Teil der Ausführungshandlung begangen hat; Thäter derjenige, der die ganze Ausführungshandlung gesetzt hat. Und damit haben wir daS von der R.Gesetzgebung auf­ gestellte Schema gewonnen: 1. Thäterschaft; 2. Teilnahme: a) Mitthäterschaft, b) Anstiftung, c) Beihülfe.

150

Erstes Buch. VII. Thäterschaft und Teilnahme.

IV. Die Begünstigung ist, weil dem Eintritte der Bollendung zeitlich nachfolgend, nie Setzen einer Bedingung zum Erfolge, mithin nie Teilnahme; wir haben daher keinen Grund, von der durchaus sachgemäßen Auffassung deS Gesetzgebers, der sie in den besonderen Teil gestellt hat, ab­ zuweichen. V. Bei mehrfacher Beteiligung derselben Person an demselben Delikte wird die schwerere Form der Beteiligung durch die leichtere konsumiert, wie ja auch Vorbereitung und Versuch neben der Vollendung des Verbrechens nicht mehr in Betracht kommen. Vgl. unten §. 40 II. Wenn der An­ stifter sich später an der Ausführung des Verbrechens als Thäter oder aber als Gehülfe beteiligt, behandelt ihn das Strafrecht im ersten Falle nur als Thäter, im zweiten nur als Anstifter. Daß dieser Satz auf das Verhältnis der Teilnahme zur Begünstigung keine Anwendung findet, bedarf nach dem oben unter IV Gesagten keines Beweises.

§♦ 36. Thäterschaft und Mittäterschaft. I. Thäter ist derjenige, der die ganze Ausführungs­ handlung begeht, den gesetzlichen Thatbestand des Ver­ brechens voll und ganz verwirklicht; Notzttchter also z. B. derjenige, der nötigt und geschlechtlich mißbraucht; Räuber derjenige, der Gewalt anwendet und die Sache wegnimmt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Erfolg lediglich durch eigene körperliche Thätigkeit, oder durch Benutzung der Statur fräste, eines Werkzeuges, eines ThierS, eines Zurech­ nungsunfähigen herbeigeführt wurde; die Benutzung der

Thäterschaft und Mittäterschaft. g. 36.

Handlung

eines

Zurechnungsfähigen dagegen

schließt

151 nur

dann die Thäterschaft nicht aus, wenn der Gebrauchte ent­

weder unfrei (d. h. genötigt) oder unvorsätzlich (d. h. ohne die Borstellung der Kausalität seines Thuns) gehandelt hat? Man spricht in solchen Fällen (nicht ganz genau) von fin­

gierter Thäterschaft.

Diese mittelbare Begehung ermöglicht

die Annahme der Thäterschaft auch dort, wo körperliche oder überhaupt unmittelbare Begehung unmöglich wäre: so kann

sich eine Frauensperson der Notzucht oder der Päderastie, ein Nichtverwandter der Blutschande, ein Nichtbeamter eines eigentlichen Amtsdeliktes aus dem Wege der fingierten Thäter­

schaft schuldig machen.

Das Gesetz hat diesen ziemlich all­

gemein anerkannten Satz nur in §. 160 StGB. (Verleitung zum Falscheide)

verleugnet.

Dagegen unterbricht die freie

und vorsätzliche Handlung eines Zurechnungsfähigen den Kau­

salzusammenhang (vgl. RGR. 17. Januar 1880, E I 146)? II.

Mitthäter ist derjenige, der in Gemeinschaft mit

einem Andern

vorsätzlich

einen Teil der Aussüh-

rungshandlung setzt (StGB. §. 47)?

Eine Handlung,

die nicht Ausführungshandlung ist, d. h. nicht in den Kreis des vom Gesetze mit Strafe bedrohten Thuns hineinfällt,

kann nie Mitthäterschaft begründen?

So sind A und B Mit­

thäter, wenn A die Frauensperson C vergewaltigt oder den D mit gegenwärtiger Gefahr für Leib

und Leben bedroht

und B die C mißbraucht oder dem D die Brieftasche weg-

' Vgl. RGR. 5. März 1880, R I 429. 1 Ueber die eigentümliche Konstruktion und Präsumption der Thäterschaft des Redakteurs in §. 20 Abs. 2 Preßgesetz vom

7. Mai 1874 vgl. LiSzt Preß, recht §§. 49 und 50. 8 Lit. bei Meyer Lehrbuch S. 213 Note 1. 4 Von der Praxis häufig übersehen.

152

Erstes Buch. VII. Thäterschaft und Teilnahme,

nimmt: denn Gewalt und Drohung sind Thatbestandsmerk­

male für Notzucht und Raub.

Wenn aber A Wache stand,

während B einen Einbruchsdiebstahl verübte, so ist A nicht Mitthäter sondern Gehülfe; denn das Wachestehen ist nicht Ausführungshandlung

Mitthäterschaft ist

beim Diebstahl.

eine Form der Teilnahme, mithin (oben §. 35 II 1) nur

beim vorsätzlichen Berbrechen möglich; beim fahrlässigen Ver­ brechen ist Jeder, der eine Bedingung zum Erfolge schuld­ haft gesetzt hat,

nicht Mitthäter, sondern Thäter.

Das

praktische Resultat ist übrigens das gleiche: Jeder Mitthäter

wird als Thäter bestraft.

§- 37. Anstiftung und Leihfrist. I.

Die Anstiftung.

1.

Anstiftung ist die vorsätzliche Bestimmung eines

Anderen zu der von ihm vorsätzlich begangenen

strafbaren Handlung (StGB. §. 48), mag diese Ver­ brechen,

Vergehen

oder Übertretung

sein.

Durch

welche

Mittel der Andere bestimmt wurde, ist für den Begriff der

Anstiftung irrelevant;

auch Zwang

und Jrrtumserregung

sind geeignete Mittel, solange der erstere nicht in Nötigung

übergeht, und der Irrtum nicht die Vorsätzlichkeit des ThunS

ausschließt. 2. zum

Die Anstiftung setzt als Form der Teilnahme eine

Mindesten

versuchte

strafbare

Seiten des Angestifteten voraus.

Handlung

auf

Sie bleibt mithin straflos,

wenn eS auf Seiten des Thäters zu einem strafbaren Ver­ suche nicht gekommen ist.

Daher ist

a) die versuchte oder mißlungene Anstiftung straflos

Anstiftung und Beihülfe, tz. 37.

153

(als solche erscheint auch die Anstiftung des sog. alias factnrus, d. h. des schon vor der Einwirkung zur That Entschlossenen). Doch bestraft unsere Gesetzgebung in einzelnen Fällen ausnahmsweise auch die erfolglos ge­ bliebene Anstiftung; so StGB. §§. 111, 141, 159, 210, 357; Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 §. 88; vgl. auch die unten §. 38 II erwähnten Fälle. b) Der Anstifter bleibt ferner straflos, wenn er selbst daS Zustandekommen der strafbaren Handlung verhindert hat, sei es durch psychische, sei es durch physische Ein­ wirkung (daß „Widerruf" nicht genügt, sollte wohl selbstverständlich sein). Dieser Satz ergsebt sich auS der accessorischen Natur der Anstiftung, und ist nicht als Rücktritt vom Versuche nach StGB. §. 46 Nr. 1 zu konstruieren (vgl. auch oben §. 34 III 2). c) Wenn der Gesetzgeber Versuchs- oder Borbereitungs­ handlungen als delicta sui generis unter besondere Strafe gestellt hat, so ist Anstiftung zu diesen selb­ ständig strafbaren Handlungen möglich. 3. Der Anstifter haftet nur für die von ihm vorsätzlich (d. h. mit dem Bewußtsein der Kausalität seines ThunS) hervorgerufene Handlung. Decken sich Handlung des An­ gestifteten und Anstiftervorsatz in einem wesentlichen Punkte nicht, so liegt diesbezüglich Anstiftung nicht vor. Die oben §. 28 IV, V für den Vorsatz überhqupt gegebenen Regeln beanspruchen auch hier durchgreifende Geltung. Hiernach ist der sog. excessus mandati (ganz schiefer Ausdruck), hiernach sind aberratio ictus und error in objecto, die dem Ange­ stifteten begegnen, zu beurteilen. Ist in Folge einer der beiden letztgenannten Eventualitäten der Vorsatz des HauptthäterS ausgeschlossen, so entfällt damit nach allgemeiner Regel die

154

Erstes Buch.

VH. Thäterschaft und Teilnahme.

Anstiftung; doch kann hier auf Seiten deS scheinbaren An­

stifters (fingierte) Selbstthäterschaft vorliegen.

4.

Die Strafe des Anstifters ist nach demjenigen Ge­

setze zu bestimmen, welches auf die Handlung Anwendung

findet, zu welcher er wissentlich angestiftet hat.

5.

Bon dem Anstifter verschieden ist der „Anführer"

oder „Rädelsführer" (ein nicht-technischer Begriff), der

von der Gesetzgebung an manchen Stellen — so StGB. §§. 115, 125; Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 146

nnd 147; Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 §§. 89,

91 u. A. — erwähnt wird? II.

1.

Die Beihülfe.

Beihülfe ist die vorsätzliche Unterstützung des

von einem Anderen begangenen vorsätzlichen Ver­

brechens oder Vergehens (StGB. §. 49).

stützung

der

fremden Handlung

kann

Die Unter­

eine psychische oder

physische sein („Rat oder That"), sie kann auch in der vor der That gegebenen Zusage nachträglicher Begünstigung der­ selben bestehen (StGB. §. 257 Abs. 3).

Nie aber darf sie

Teil der Ausführungshandlung selbst sein.

2.

Auch die Beihülfe setzt als Form der Teilnahme eine

zum Mindesten versuchte strafbare Handlung auf Seiten

deS Hauptthäters voraus.

Will die Gesetzgebung die Bei­

hülfe zu einem an sich straflosen Thun (z. B. Beihülfe zum

Selbstmorde) unter Strafe stellen, so bedarf dies ausdrück­ licher Erklärung.

Das StGB, hat dies in den §§. 120,

121, 180, 285, 347, 355 gethan.

Im übrigen findet daS

oben unter I 2 Gesagte auch auf die Beihülfe mit der Mo-

1 Vgl. auch die Hervorhebung der Vorsteher, Leiter, Ordner, Agenten, Redner, Kassierer in

sozialdemokratischen Vereinen u. Versammlungen §. 17 Sozial. Gesetz 21. Ottober 1878.

Anstiftung und Beihülfe, tz. 37.

155

difikation Anwendung, daß der Versuch der Bechülfe nur im Falle des §. 347 StGB, unt Strafe belegt ist. 3. Auch für den Gehülfen ist der strafrechtliche Cha­ rakter der Hauptthat nur insoweit maßgebend, als die Vor­ stellung der Kausalität seines Thuns sich auf jene erstreckte. Vgl. oben I 3. 4. Die Strafe des Gehülfen ist nach demjenigen Gesetze zu bestimmen, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wissentlich Hülfe geleistet hat, jedoch nach den über die Bestrafung des Versuches aufgestellten" Grundsätzen (vgl. oben §. 33 III) zu ermäßigen. Liegt Beihülfe zum Versuche vor, so ist zweimalige Reduktion des Strafrahmens nötig. Nur ausnahmsweise droht das Gesetz dem Gehülfen gleiche Strafe wie dem Thäter in StH)B. §. 143. Einen besonderen Strafrahmen für die Beihülfe enthalten StGB. §§. 203 und 219; Wechselstempelgesetz vom 10. Juni 1869 §. 15 (gegen Makler und Unterhändler, welche wissentlich unversteuerte Wechsel verhandelt haben). Ausnahmsweise belegt §. 18 Sozialistengesetz vom 21. Oktober 1878 die Beihülfe (Hergeben, von Räumlichkeiten zu verbotenen Ver­ einen und Versammlungen) mit schwererer Strafe als die Thäterschaft (Beteiligen an solchen Vereinen). 5. Eine besondere Form der Beihülfe enthält §. 92 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872: Verweigerung deS Gehorsams gegenüber solchen Befehlen des Vorgesetzten, welche sich auf Abwehr oder Unterdrückung von Nötigung und Widerstand beziehen. III. Einfluß persönlicher Verhältnisse auf die Strafbarkeit der Anstiftung und der Beihülfe (StGB. §. 50).

156

1.

Erstes Buch. VII. Thäterschaft und Teilnahme. Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründe,

die in persönlichen Eigenschaften oder Verhältnissen des Han­

delnden ihren Grund haben,

sind nur auf diejenigen

Teilnehmer zur Anwendung zu bringen, bei welchen sie vor -

liegen.

Mit diesem Satze, der bezüglich des Mitthäters

selbstverständlich und nur bezüglich des Anstifters und des Gehülfen wirklich

von Bedeutung ist,

eine der wichtigsten Konsequenzen aus

Auffassung, brechen

hat der Gesetzgeber

seiner prinzipiellen

daß Teilnahme die Beteiligung an dem Ver­

eines Anderen und nicht mittelbare Selbstbege­

hung des Verbrechens sei, mit aller Entschiedenheit (und mit vollern Rechte) abgelehnt. Beispiele: Wenn der Nichtver­

wandte B den Sohn A des Vaters C, oder die Mutter A des neugeborenen KindeS C zur Tötung des Vaters oder

Kindes C bestimmt hat; oder wenn umgekehrt der Sohn A

oder die Mutter A dem extraneus B zur Tötung des VaterK oder des Kindes C Hülfe geleistet haben:

so ist in beiden

Fällen der Fremde B nach den Bestimmungen über gemeine Tötung, der Sohn A nach jenen über Ascendententodschlag,

die Mutter A nach jenen über Kindestötung zu beurteilen.

Die Anordnung

der Gesetzgebung ist schon darum richtig,

weil nur verschieden qualifizierte Uebertretungen der einen Norm: Du sollst nicht töten! vorliegen (vgl. oben §. 4 I 3).

2.

Handelt es sich dagegen um persönliche Eigenschaften

oder Verhältnisse, welche ein an sich strafloses Thun erst zu

einem strafbaren machen, welche die Strafbarkeit also

erst begründen, nicht erhöhen oder vermindern (Bedingungen der Strafbarkeit in dem oben §. 30 erörterten Sinne): so

sind sie, wenn beim Thäter vorliegend, dem Anstifter und Gehülfen zuzurechnen; fehlt es an einer solchen Bedingung

in der Person des Thäters, so liegt eine strafbare Haupt-

Teilnahmehandlungen als selbständige Verbrechen, tz. 38.

157

that überhaupt nicht vor, und es kann daher auch von Teil­ nahme an einer solchen keine Rede sein. Beispiel: Anstiftung und Beihülfe zu einem reinen Amts­ verbrechen sind nach den für dieses gegebenen Bestimmungen zu beurteilen, während wenn der Beamte Anstifter oder Ge­ hülfe, ein Nichtbeamter aber Thäter ist, ein Verbrechen über­ haupt nicht vorliegt; denn der Nichtbeamte kann nut als fingierter, nicht aber als unmittelbarer Thäter ein Amtsdelikt begehen (vgl. oben §. 36 I). 3. Strafaufhebungsgründe (vgl. unten §. 57 I), pro­ zessuale Hindernisse der Strafverfolgung und subjektive Straf­ ausschließungsgründe (oben §. 30 III) wirken immer nur für denjenigen, in dessen Person sie vorliegen, schließen daher die Möglichkeit einer Teilnahme an ber objektiv strafbaren Handlung nicht aus. §. 38.

Trttnahrnrhan-luugrn als selbständige verbrechen.

I. Der Vollständigkeit wegen und zur Vermeidung von Mißverständnissen sei ausdrücklich erwähnt, daß der Gesetz­ geber in einzelnen Fällen Handlungen, die als Teilnahme­ handlungen erscheinen könnten, wenn sie in Beziehung zu einem bestimmten begangenen Verbrechen gebracht würden, wegm ihres an sich für die Rechtsordnung gefährlichen Cha­ rakters als selbständige Verbrechen aufgefaßt und unter besvlldere Strafe gestellt hat. Diese Auffassung des Gesetz­ gebers ist auch für die Wissenschaft bindend. Die Grund­ sätze, welche sie in der Lehre von der Teilnahme entwickelt, haben für diese selbständigen Verbrechen keine Geltung. So sind sie ohne Rücksicht auf eine strafbare Handlung des

158

Erstes Buch. VIT. Thäterschaft und Teilnahme.

Hauptthäters strafbar und die Möglichkeit des. Versuchs wie der Teilnahme richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen. Hier genüge die Uebersicht über die wichtigsten Fälle; wir werden diesen und anderen im besonderen Teile wieder be­

gegnen. II. Es gehören hieher 1. Die öffentlichen Aufforderungen in StGB.

§§. 85, 110 (nicht 111), 130, Preßgesetz vom 7. Mai 1874

§. 16. 2. Die Aufreizung in StGB. §. 112. 3. Der Duchesne-Paragraph 49a StGB. 4. Das Komplott oder die Verabredung zur Begehung eines oder mehrerer bestimmter Verbrechen;' in StGB. §. 83

als selbständiges Verbrechen, sonst wohl auch — Vereins­ zollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 146 u. 147; Seemannsord­

nung vom 27. Dezember 1872 §§. 87 u. 91 — als Straf­ schärfungsgrund behandelt.

5. Dagegen ist die Bande, das ist die auf die Begehung mehrerer noch nicht individuell bestimmter Verbrechen gerichtete

Verbindung, in der Reichsgesetzgebüng — StGB. §§. 248

Nr. 6, 250 Nr. 2; Vereinszollgesetz

§. 146 — nur mehr

als Strafschärfungsgrund von Bedeutung.

6. Endlich ist die sogenannte Konvenienz des Amts­ vorgesetzten StGB. §. 357 hier zu erwähnen.

1 Lit. bei Meyer S. 231 Note4.

Natürliche u. juristische Einheit d. Handlung.

K. 39.

159

VIII. Einheit und Mehrheit der Verbrechens­

handlung? §. 39. natürliche und die juristische Einheit der Handlung.

1. Die natürliche Einheit der Handlung.

Wenn

Handlung im weiteren Sinne die willkürliche Körperbewegung mit dem durch sie verursachten Erfolge ist, so kann die na­

türliche Einheit dieser erweiterten Handlungsreihe gegeben sein:

1. Durch

die Einheit der Körperbewegung trotz

Wenn ein Wort mehrere Menschen

Mehrheit des Erfolges.

beleidigt,

ein Schuß

immer nur

mehrere Jagdvögel trifft usw., liegt

eine Handlung

vor.

Daran

kann selbst die

Art-Verschiedenheit der eingetretenen mehreren Erfolge nichts

ändern.

Hat

der geschleuderte Stein

tötet, den zweiten verletzt und

einen Menschen ge­

außerdem eine Scheibe zer­

trümmert, so können wir nur von einer Handlung mit meh­

reren Erfolgen, nie aber von mehreren Handlungen sprechen.

Eine durch positivrechtliche Anordnung geschaffene Ausnahme von diesem Satze

haben

wir oben in §. 35 II 5 kennen

gelernt. 2.

Durch

die Einheit deS Erfolges trotz Mehrheit

der Körperbewegungen.

Sechs Schüffe aus dem sechsläufigen

Revolver treffen den B und töten ihn durch ihr Zusammen­ wirken; der Dieb entwendet die sämmtlichen, demselben Eigen­

tümer gehörenden Wertgegenstände, indem er sie der Reihe

1 Lit. bei Binding Grund- I Einheit und Mehrheit der Ver­ riß S. 144 f. Dazu v. Buri | brechen 1879.

160 Erstes Büch. VIII. Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit, nach dem auf der Straße harrenden Genossen durchs.Fenster zuwirst usw. Dagegen kann von einer natürlichen Einheit der Hand­ lung dann nicht mehr gesprochen werden, wenn sowohl Mehr­ heit der Körperbewegungen als auch Mehrheit der Erfolge vorliegt; wenn also z. B. durch die aus dem sechsläufigen Re­ volver abgefeuerten Schüsse 6 Personen getötet werden, oder die mit mehreren diebischen Griffen entwendeten Gegenstände verschiedenen Personen gehören. II. Die juristische Einheit der Handlung. Der Be­ griff der Einheit ist ein relativer, von dem Standpunkte deS Betrachters abhängiger. Nichts hindert uns, auch eine Mehr­ heit von Handlungen zu einer juristischen Einheit zusammenzufaffen. Die wichtigsten Fälle einer solchen künstlich ge­ schaffenen Verbrechenseinheit sind: 1. Das fortdauernde Verbrechen, d. i. die konti­ nuierliche (ununterbrochene) Verwirklichung eines Verbrechens­ begriffes. Beispiel: eine durch Wochen oder Monate andauernde Freiheitsentziehung. Nicht zu verwechseln mit dem fortdauernden ist das Zustandsverbrechen, welches durch eine einmalige Handlung einen dauernden rechtswidrigen Zu­ stand erzeugt; hieher gehört z. B. die Doppelehe, der Dieb­ stahl usw. Der rechtswidrige Zustand kommt als weitere Folge der völlig abgeschlossenen Handlung strafrechtlich nicht in Betracht. 2. Das fortgesetzte Verbrechen, d. i. die nicht kon­ tinuierliche, stoßweise Verwirklichung des Verbrechensbegriffes; eine Mehrheit von Handlungen, juristisch zusammengehalten durch die Gleichartigkeit der Schuld, der Körperbewegung und des Erfolges. Wann diese Gleichartigkeit vorliegt, wann nicht, läßt sich durch eine allgemeine Regel hier ebensowenig

Natürliche u. juristische Einheit d. Handlung. §. 39.

161

tote in all* den anderen Fällen entscheiden, in «eichen die

Rechtswissenschaft mit dem Begriffe der Gleichartigkeit ar­

beitet.

Deshalb

daS

„fortgesetzte"

Verbrechen

überhaupt

leugnen wollen, heißt die Grenzlinie zwischen Theorie und Beispiele: Das ehebrecherische Verhältnis

Praxis verkenne».

deS A mit der C führt zu einer Reihe von Beischlafsakten;

der Diener nimmt sich täglich eine Cigarre auS dem Ci­ garrenkistchen seines Herrn; Verausgaben deS auf einmal sich

verschafften

falschen

Geldes

in Teilbeiträgen RGR.

4. Dezember 1879, E I 25, R I 114; wiederholt in meh­ reren aufeinanderfolgenden Nächten mit demselben Knaben

getriebene

widernatürliche Unzucht RGR. 10. Juli 1880,

E I 450. 3. DaS gewerbS-, geschäftS-, gewohnheitsmä­ ßige Verbrechen;' eine durch die Jurisprudenz geschaffene

künstliche Einheit von begangenen oder von begangenen und beabsichtigten Handlungen, die als Einheit vom Gesetzgeber

bald zum strafbarmachenden (vgl. oben §. 41), bald zum straf­ schärfenden (vgl. unten §. 54 I 2) Momente erhoben wird,

a) Die Gewerbsmäßigkeit charakterisiert sich einerseits

durch die auf öftere Wiederholung gerichtete Absicht,

andrerseits durch die Absicht des Thäters, sich durch diese Wiederholung eine, wenn auch nicht regelmäßig

oder

dauernd

schaffen?

fließende

Vgl. StGB.

360 Biff. 6;

EinnahmSquelle

§§. 260, 284,

zu

ver­

294, 302 d,

Mllnzgesetz vom 9. Juli 1873 §. 13;

Reichsbankgesetz vom 14. März 1875 §. 57 Abs. 2;

Patentgesetz vom 25. Mai 1877 §. 4. 'Bgl.v.Lilienthal Beiträge zur Lehre von den Kollektivdelitten 1879. von LiSzt, Strafrecht.

' RGR. E I 654.

24. April

1880,

162

Erstes Buch. VUI. Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit.

b) Die GeschäftSmäßigkeit teilt mit der Gewerbs­

mäßigkeit die auf regelmäßige Wiederholung gerichtete

Absicht, dagegen fehlt die Absicht, sich eine ständige EinnahmSquelle zu eröffnen.

Ob die einzelnen Hand­

lungen honoriert werden oder nicht,

ist gleichgültig.

Vgl. StGB. §. 144, Sozialistengesetz §. 22. In beiden Fällen genügt daS Vorliegen einer Hand­ lung, die mit den beabsichtigten weiteren Handlungen

zu der juristischen Einheit zusammengefaßt wird.

c) Gewohnheit läßt sich am anschaulichsten definieren als der Zustand deS labilen psychischen Gleichgewichtes, in

welchem ein dem Durchschnittsmenschen gegenüber nicht motivierender Reiz die Kraft eines Motives erlangt;

oder als abnorm geschwächte Widerstandskraft gegen­

über gewiffen Reizen.

Mit der Spezialisierung steigt

die Macht der Gewohnheit.

Der Gewohnheitsver­

brecher im Allgemeinen ist ein theoretischer, der Ge-

wohnheitS-Dieb oder -Betrüger usw. ein sehr praktischer Begriff, von dem daS positive Recht, vielfach eingeengt

durch die gangbaren falschen Anschauungen über Schuld und Strafe einen viel zu bescheidenen Gebrauch macht.

Vgl. StGB. §§. 150, 180, 260, 302 d; Münzgesetz vom 9. Juli 1873 §. 13.

Beim gewohnheitsmäßigen

Verbrechen wird die jetzt begangene mit den ftüher be­

gangenen Handlungen zu einer Einheit zusammenge­ faßt; diese müffen normwidrig, brauchen aber nicht

notwendig strafbar zu sein.

In allen Fällen, in welchen die Rechtswiffenschaft eine Mehrheit von Handlungen zu einer juristischen Einheit zu­

sammenfaßt, muß diese Einheit als solche in allen juristischen Beziehungen betrachtet und behandelt werden.

DaS juristisch

Die Einheit des Verbr. Jdeallonkurrenz. §. 40.

163

einheitliche Verbrechen ist demnach überall dort begangen, wo, und in jedem der Augenblicke, in welchen eine der Hand­ lungen begangen wurde; bei einem Wechsel der Gesetzgebung kommt immer daS mildere, bei einer Kollision deS einheimischen und deS fremden Rechtes immer das erstere zur Anwendung. Ist auch nur eine der Einzelhandlungen qualifiziert, so er­ greift diese Qualifikation auch die übrigen Handlungen. Die Verjährung beginnt nicht, ehe die letzte der Handlungen gesetzt wurde usw.

§.40. Btt Einheit -es Verbrechens und die sogenannte Z-eatbonkurrrnj.

I. Das Strafgesetz verknüpft Verbrechen und Strafe; daS Vorliegen eines Verbrechens ist Bedingung für den Gin» tritt der Strafe. Fasten wir das Verbrechen als norm­ widrige, mit Strafe bedrohte Handlung, so kann ein Ver­ brechen — mag die Einheit eine natürliche oder eine ju­ ristische sein — immer nur eine Strafe nach sich ziehen. Der einmalige Eintritt der Bedingung kann nur einmal die Folge erzeugen. Die Richttgkeit dieses Satzes dürste keinem Zweifel unterliegen. Aber nach einer anderen Richtung hin erheben sich Schwierigkeiten. Welche der Voraussetzungen deS SttafeinttitteS hat der Thäter erfüllt; welche Sttafe hat er verwirkt? Mit andern Worten: es kann äußerst zweifelhaft sein, unter welchen der verschiedenen Verbrechens­ thatbestände die konkrete in Frage stehende That zu subsu­ mieren ist; zweifelhaft darum, weil mehrere jener Ver­ brechensthatbestände auf diese Handlung paffen. Für die Lösung dieser Schwierigkeiten stehen uns 2 Regeln zu Gebote.

164

Erstes Buch. VIIL Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit.

II. Zunächst ist derjenige Berbrechensthatbestand als gegeben anzunehmen, der den konkreten Fall am erschöpfendsten berücksichtigt. Es sind bei dieser Prüfung die verschiedenen Strafgesetze in ihrem Berhältnisie zu der übertretenen Norm, die verschiedenen Normen in ihrem Verhältnisse zu dem durch sie zu schützenden Rechts gute ins Auge zu fassen (vgl. oben §. 4 I und 3 II). Diese Regel schließt eine Reihe von Fällen in sich. a) Die besondere Bestimmung — lex specialis — geht der allgemeinen — der lex generalis vor. So fällt Majestätsbeleidigung immer unter §. 95 StGB., nie unter §. 185; so ist Fälschung eines Legitimationspapieres zum Zwecke besseren Fortkommens immer nach §. 363 StGB., nie als Urkundenfälschung im Sinne des §. 267 zu behandein. In den Nebengesetzen ist dies zum Teil ausdrücklich angeordnet; vgl. Gewerbeordnung vom 21. Juni 1867 §§. 147, 148? Nur dann, wenn die Sonderbestimmung nur eine besondere Seite deS Falles berücksichtigt, kommt neben ihr die allgemeine Anordnung zur Geltung: so Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 158, 159 u. A? Der Satz ne bis in idem erleidet hier eine scheinbare Ausnahme; scheinbar darum, weil nicht dieselbe Handlung mehrmals, sondern verschiedene Seiten derselben je einmal in Betracht gezogen

werden. b) Wenn das positive Recht die Möglichkeit einer mehr­ fachen Bedeutung derselben Handlung für die Rechtsordnung dadurch

berücksichtigt,

daß

1 In §. 147 ist die Gew.Ordg., in §. 148 sind die Steuer­ gesetze als lex specialis be­ zeichnet.

eS zusammengesetzte Vera Branntweinsteuergesetz vom 8. Juli 1868 §. 67; Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878 §. 12 Abs. 2.

Die Einheit des Verbr. Zdealkonkurrenz. g. 40.

165

brechensthatbestände bildet, so ist die konkrete Handlung nur

unter diesen zusammengesetzten Thatbestand, nicht aber unter

dessen Elemente zu sübsumieren.

So ist der Begriff deS

Raubes aus Diebstahl und Nötigung, der der Erpressung

aus Nötigung und Verletzung der Geschlechtsehre des Weibes zusammengesetzt;

gewaltsame Sachentziehung, erzwungener

Beischlaf sind darum immer nur als Raub oder Notzucht aufzufaffen.

Die qualifizierte Normübertretung absor­

c)

biert

die einfache,

leichtere.

die schwerere vernichtet die

Einbruchsdiebstahl ist nur nach §.243 StGB,

zu beurteilen; wer die falschen Schlüssel geliefert und dann

mit dem Andern selbst gestohlen hat, kommt nur als Mit­ thäter, nicht auch als Gehülfe in Betracht (vgl. oben §. 35 V);

vollendeter

Zweikampf

schließt die Anwendung

deS

§. 201 StGB.; vollendeter Hochverrath die der §§. 83—86

StGB. auS; umgekehrt wird beim sog. Versicherungsbetrug

StGB.

§. 265 durch die schwere Vorbereitungshandlung

(Brandstiftung) die etwa später eintretende Vollendung des Betruges absorbiert.

d) Wenn zwei zum Schutze desselben RechtSguteS be­ stimmte Normen zu einander in dem Verhältnisse von all­

gemeiner Norm (oben §. 3 II 1) und Gehorsamsnorm (oben

§. 3 II 2 u. 3) stehen, und dieselbe Handlung beide Normen

verletzt, so ist nur die Uebertretung der allgemeinen Norm inS Auge zu fassen.

Wer z. B. durch schnelles Fahren einen

Menschen getötet hat, ist nur nach §. 222, nicht auch nach §. 366 Ziff. 2 StGB, zu bestrafen.

III. Diese Regel aber läßt unS in all' den zahlreichen Fällen im Stiche, in welchen keiner der in Frage kommenden

Thatbestände dem konkreten Falle gerecht wird, keine ihn er-

166

Erstes Buch. VIII. VerbrechenS-Einheit u. -Mehrheit,

schöpfend berücksichtigt. In Ermangelung besonderer gesetz­ licher Anordnung bleibt unS hier ein einziger Ausweg: wir wenden jenen Derbrechensthatbestand an, dessen Strafe durch ihre größere Schwere uns die Be­ rücksichtigung des konkreten Falles, wenn auch nicht vollständig, so doch annäherungsweise ge­ stattet. So ist die Notzucht an der eigenen Tochter, die sowohl unter §. 173, als unter §. 177 StGB, fallen würde, nach dem letzteren Paragraphen zu bestrafen. Diese subsidiäre Aushülfsregel und nicht mehr spricht §. 73 StGB, aus: Wenn eine und dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze ver­ letzt, so kommt nur dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafe, und bei ungleichen Strafarten dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafart androht, zur Anwendung. Man spricht in diesen Fällen von „idealer Konkurrenz der Verbrechen", in den unter II erörterten Fällen da­ gegen von „Gesetzeskonkurrenz". Es ist gegen diesen Sprachgebrauch so lange nichts einzuwenden, als es sich eben nur um eine Auseinanderhaltung der beiden Gruppen, nicht aber um die Betonung eines — in Wahrheit gar nicht existierenden — begrifflichen Gegensatzes zwischen ihnen handelt. Hier wie dort paßt dieselbe eine Handlung unter mehrere Strafgesetze, und hier wie dort können wir nur eines von ihnen zur Anwendung bringen. Der Unterschied liegt nur darin, daß wir dort (ad II) im Gesetze einen sicheren An­ haltspunkt zu sachgemäßer Entscheidung haben, während hier jeder andere Anhaltspunkt als der rein äußerliche: Schwere der angedrohten Strafe, fehlt. Für den Richter ergiebt sich in dem letzteren Falle die Notwendigkeit, urteilsmäßig fest­ zustellen — eventuell durch Befragung der Geschworenen —

Die Einheit deS Berbr. Jdealkonkurrenz. §. 4V.

167

daß die Handlung unter beide Strafgesetze fällt; und was ihn bei der Auswahl geleitet3 Hat er aber die Wahl einmal getroffen,.so ist daS mildere Strafgesetz in keiner Weise mehr zu berücksichtigen; es kann mithin auch nicht etwa später die Annahme eines Rückfalls auf jene Feststellung gegründet werden. Welches Strafgesetz als daS mildere anzusehen, ist nach den oben §. 12 III angegebenen Regeln zu beurteilen. IV. Die herrschende Ansicht teilt die „ideale Konkurrenz" (eine Handlung, mehrere Verbrechen)* in gleichartige und ungleichartige. Erstere soll vorliegen, wenn durch eine Handlung verschiedene Strafgesetze, letztere wenn durch jene dasselbe Gesetz mehrfach übertreten ist. Diese Ein­ teilung eines an sich unhaltbaren Begriffes ist doppelt verkehrt Hat ein Schuß mehrere Menschen verletzt, ein Wort mehrere Personen beleidigt, ein diebischer Griff mehrere Eigentümer geschädigt, so ist die Handlung unzweifelhaft als Körperver­ letzung, Beleidigung, Diebstahl aufzufassen und ein anderer Verbrechensbegriff kommt gar nicht in Frage. Damit ent­ fällt die einzige Voraussetzung, die unS berechtigt, von idealer Konkurrenz zu sprechen. Es ist die übertretene Norm auch nicht mehrmals, sondern nur einmal, wenn auch in verschie­ denen Trägern deS durch die Norm geschützten RechtsguteS verletzt Die Strafrahmen der Reichsgesetzgebung sind groß genug, um die Berücksichtigung dieses Umstandes zu gestatten. Von idealer Konkurrenz aber kann keine Rede sein. Damit 8 Vgl. RGR. 27. April 1880, Dabei kann dahingestellt bleiben, E I 681. ob die durch §. 73 StGB, 4 Nach der im Texte vertre­ sanktionierte zweite Regel nicht tenen Ansicht liegt immer nur durch eine sachgemäßere gesetz­ ein Verbrechen vor, und es liche Anordnung ersetzt werden bandelt sich nur um die Ent­ könnte. scheidung der Frage: welches.

168

Erstes Buch. VIIL Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit,

ist auch die vielbesprochene Frage, ob auf diese Fälle §. 73 StGB, analog anzuwenden sei — eine Frage, die bei rich­ tiger Fassung des Konkurrenzbegriffes gar nicht aufgeworfen werden kann — erledigt. Zur Anwendung gelangt hier vielmehr nur die allgemeine, nirgends ausdrücklich im Ge­ setze ausgesprochene, weil selbstverständliche Regel, daß eine Handlung nur unter ein Strafgesetz subsumiert werden und nur eine Strafe nach sich ziehen kann; eine Strafe, bei deren Bemeffung (vgl. unten §. 53 II 1 und III) die Aus­ breitung der einen Rechtsverletzung allerdings in Anschlag zu bringen ist.

§. 41. Mehrheit -er verbrechen. NückfaU und Nealbonburrenz. Mehrere Berbrechen desselben Thäters stehen nicht not­ wendig in juristischer Beziehung zu einander. Wir haben im Gegenteile, von besonderer gesetzlicher Anordnung abge­ sehen, die mehreren Berbrechen desselben Thäters ebenso selbständig zu behandeln, wie mehrere Handlungen verschie­ dener Thäter. Eine strafrechtlich relevante Beziehung der meh­ reren Handlungen desselben Thäters untereinander entsteht nur durch positivrechtliche, von sekundären Gesichtspunkten beeinflußte Anordnung des Gesetzgebers. Nach geltendem Rechte kann diese Beziehung sein: I. Rückfall; d. i. Begehung eines gleichen oder gleich­ artigen Verbrechens nach gänzlicher oder teilweiser Ver­ büßung oder Erlaffung der wegen eines früher begangenen gleichen oder gleichartigen Verbrechens zuerkannten Strafe; vorausgesetzt, daß nicht seit Verbüßung oder Erlaß der frü­ heren Strafe bis zur Begehung des neuen Verbrechens ein

Mehrheit der Verbrechen. Rückfall u. Konkurrenz, g. 41.

169

gewisser Zeitraum (sogenannte Rückfallsverjahrung) ver­ strichen ist, der die strafrechtliche Beziehung zwischen beiden

Handlungen als zerrissen erscheinen läßt. Rückfall

Der

wird

nach

Reichsrecht nur in einzelnen

Fällen und zwar immer nur als Strafschärfungsgrund ver­ wendet (vgl. unten §. 54 I 1).

II. Sogenannte reale Konkurrenz oder Zusammen­ treffen mehrerer strafbarer Handlungen.

Die konsequente

Durchführung des prinzipiell unstreitigen richtigen Gedankens,

daß

Begehung

bei

Thäter

jede der

mehrerer Verbrechen

entsprechenden Einzelstrafe, daher

durch

denselben

verbrecherischen Handlungen mit der ihr

die

Summe jener Handlungen

mit der Summe dieser Einzelstrafen zu belegen sei,

führt nach der heute in der Gesetzgebung herrschenden Auf­

fassung zu unerträglichen Härten (vgl. darüber das Nähere unter §. 56 I).

Die gesetzliche Anordnung der Milderung

dieser Härten erheischt die gesetzliche Fixierung der Voraus­ setzungen, unter welchen die Abweichung von dem Prinzipe stattfinden soll, und führt somit zu der Aufstellung deS Be­

griffes

der

Realkonkurrenz.

Der Begriff verdankt mithin

lediglich den Bedürfnissen der StrafanwendungSpolitik seine Entstehung?

Voraussetzungen der Realkonkurrenz sind: einer­

seits die, wenn auch thatsächlich vereitelte, rechtliche Mög­

lichkeit

gleichzeitiger

thatsächliche sichtigung

Aburteilung,

Möglichkeit

andrerseits

nachträglicher

jener rechtlichen

Möglichkeit.

die

Berück­ Genauer

gesprochen: Realkonkurrenz ist die Begehung mehrerer ver­ brecherischer Handlungen durch denselben Thäter, wenn

1 Wer aber deshalb von Strafenkonkurrenz statt von Verbrechenskonkurrenz sprechen

wollte, würde den Grund mit der Folge verwechseln.

170

Erstes Buch. Vm. Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit.

1. die mehreren Handlungen begangen waren, ehe wegen

einer von ihnen daS Urteil gesprochen worden ist (Rechts­ kraft des Urteils nicht erforderlich).

Beispiel: Die Berbrechen

a, b, c sind am 1. Januar, 1. Februar, 1. März begangen; Realkonkurrenz liegt vor, wenn die Aburteilung wegen a, b

und c am 15. März

erfolgt;

aber

auch

dann, wenn am

15. März lediglich über das Berbrechen a gesprochen wurde

und die Verbrechen b und c erst nachträglich zum Vorschein

kommen.

Dagegen steht daS am 16. März begangene Ver­

brechen d nicht mehr

in

Realkonkurrenz

mit

a, b und c

(StGB. §. 74).

2. Bei nicht gleichzeitiger Aburteilung ist Realkonkurrenz nur dann anzunehmen, wenn die nachträgliche Entscheidung

über daS später entdeckte Verbrechen stattfindet, so lange eine Verbesserung des ftüheren Urteils noch möglich ist, so lange

also die in dem ftüheren Urteile ausgesprochene Strafe noch nicht vollständig verbüßt, verjährt oder erlassen ist (StGB.

§. 79).

Beispiel: Ist der Verbrecher wegen a am 15. März

zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt worden, so ist Real­

konkurrenz von b und c mit a anzunehmen, wenn b und c

vor dem 15. Juni zur Aburteilung kommen, nicht aber wenn an dem Tage, an welchem das Urteil wegen b und c ge­ fällt werden soll, die wegen a erkannte Strafe bereits ver­ büßt, verjährt oder erlassen ist.

Zweites Buch. Die Strafe. i. §. 42.

Ott Legriff der Strafe.

I. Strafe ist RechtSgüterfchutz durch RechtSgüterverletzung,

vom

Staate,

als

dem

Träger

und

Schirmer der öffentlichen Rechtsordnung (als In­

haber der öffentlichen Zwangsgewalt), gegen den Ueber»

tretet eines staatlichen Imperatives

aus

Anlaß

dieser Uebertretung durch seine gerichtlichen Or­

gane verhängt. DaS ist der formale Begriff der Strafe.

Alle einzelnen

Merkmale müssen gegeben sein, um ihn zu erfüllen.

Eine

RechtSsigur, der eines dieser Merkmale fehlt, kann mit der

Strafe verwandt, sie kann aber nie Strafe sein,

n. Die Strafe ist Rechtsgüterverletzung („Einbuße

an Rechtsgütern" sagt Binding); sie ist ein malnm passionis. Dadurch unterscheidet sie sich wesentlich von dem Schadens­

ersatz, mag sie auch mit ihm unter den gemeinsamen höheren Begriff der Reaktion gegen daS Unrecht gebracht werden können. Denn Schadensersatz ist Beseitigung der Rechtsgüter­ verletzung; er heilt die Wunde,

während

die Strafe eine

neue SBimbe Wägt1 2 Es ist jedoch dabei vor einem weit verbreiteten Irrtume zu warnen. Ersatz des Schadens ist ein weiterer Begriff als Ersatz des pekuniären Schadens; jedes Rechtsinstitut, das die Heilung der durch das Unrecht geschaffenen Rechtsverletzung bezweckt, können wir unter jenen Begriff bringen, auch wenn die Verletzung der Abschätzung in Geld nicht zugänglich ist. Paffend bezeichnet man den Ersatz des ideellen, d. h. pekuniär nicht abschätzbaren, Scha­ dens als Genugthuung. Sie ist nach dem Gesagten in begrifflichem Gegensatze zur Strafe. Fälle der Genug­ thuung sind: 1. Die Buße, die sich im RStGB., wie in den die In­ dividualrechte schützenden Nebenstrafgesetzen findet (vgl. unten §. 52); das Gleiche gilt von dem Schmerzensgelde, das eben darum, soweit das Gebiet der Buße reicht, als aufge­ hoben zu betrachten ist? 2. Die Ausfertigung des verurteilenden Erkenntnisses an den Verletzten, sowie die öffentliche Bekanntmachung des­ selben auf Kosten des Verurteilten? Eine ganz singuläre Verbindung von Ersatz und Strafe, von Schadensersatz und pönalem Element enthält §. 55 Nach­ drucksgesetz vom 11. Juni 1870, nach welchem die Entschä­ digung des Verletzten gebildet wird durch den ganzen Be­ trag der Einnahme von jeder unbefugten öffentlichen Auf1 Vgl. über diese vielbesprochene Frage besonders B i n d i n g Normen I S. 166; Merkel AbHandlungen I S. 57, Heinze H.H. I S. 337. 2 Vgl. Windscheid §.455 Note 31. 8 StGB. §§. 165 und 200;

§. 17 Markenschutzgesetz vom 30. November 1874; §. 35 Patentgeseh vom 25. Novbr. 1877. Siehe dageaen einen Fall, in dem die Veröffentlichung des Urteils Nebenstrafe ist, unten §.44 IC; §. 16 NahrungsMittelgesetz vom 14. Mai 1879.

Der Begriff der Strafe.

§. 42.

17Z

führung eines dramatischen usw. Werkes ohne Abzug der

auf dieselbe verwendeten Kosten.

III. Strafe ist Verletzung eines Rechtsgutes, dessen Träger der Normübertreter ist.

Dritten,

so

Trifft die Verletzung

einen

liegt nicht Strafe im eigentlichen Sinne vor.

Daher scheiden aus dem Begriffe der Strafe aus: 1. Objektive Maßregeln, wie die

Auflösung einer

Versammlung, das Schließen eines Vereines, einer Kasse; ferner die Einziehung, Vernichtung, Unbrauchbarmachung von Gegenständen in zwei Fällen:

a) Wenn die Einziehung usw. selbständig,

d. h. unab­

hängig von der Verfolgung oder Verurteilung einer be­

stimmten Person ausgesprochen werden samt;4 5 b) Wenn die Einziehung usw. zwar an die Verurteilung

einer bestimmten Person geknüpft ist,

sich aber auch

auf solche Gegenstände erstrecken kann, die weder dem

Thäter, noch einem der Teilnehmer gehören?

2. Die subsidiäre Haftung dritter Personen für die

von dem Schuldigen verwirkten Geldstrafen, die sich in vielen Reichs- und Landes-Nebenstrafgesetzen ausgesprochen findet?

4 StPO. §. 477 ff. regelt das besondere hier eintretenoe „ob­ jektive" Verfahren. Hieher ge­ hören: StGB. §§.42 u. 152; Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §§.21, 22 u. 25, und die Urheberrechtsgesetze vom 9., 10., 11. Januar'1876; Spiel­ kartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878 §. 10; Nahrungsmittel­ gesetz vom 14. Mai 1879 §. 15. Vgl. unten §. 50 II u. III. 5 StGB. §§.41, 152, 295, 296 a, 367, 369; Nahrungs-

mittelgesetz vom 14. Mai 1879 §. 15'; Viehseuchengesetz vom 23. Juni 1880 §§. 65 und 66. Vgl. unten §. 50 II u. III. 6 Vgl. die Reichsgesetze vom 8. Juli 1868; §. 153 Vereins­ zollgesetz vom 1. Juli 1869; §. 18 Spielkartenstempelgesetz v. 3. Juli 1878; §.43 Tabacksteuer­ gesetz v. 16. Juli 1879; Waarenverkehrsstatistikgesetz v. 20. Juli 1879 §. 17; die landesrechtl. Feld- u. Forstpolizeigesetze usw.

174

Zweites Buch. Die Strafe.

Doch ist die Natur dieses Rechtsinstitutes keine unzweifel­ hafte. Für seine Auffassung als Strafe würde sprechen, daß die Haftung mit dem Nachweise entfällt, die Uebertretung sei ohne Vorwissen des Haftpflichtigen begangen worden. Am interessantesten ist in dieser Beziehung §. 38 Brausteuer­ gesetz vom 31. Mai 1872, nach welchem der Gewerbsinhaber für seine Verwalter, Gehülfen, Hausgenoffen nur dann haftet, wenn er bei Auswahl, Anstellung, Beaufsich­ tigung dieser .Personen fahrlässig, d. h. nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes zu Werke gegangen ist.7 Wesentlich verschieden von dieser subsidiären, nicht straf­ rechtlichen Haftung ist die primäre rein strafrechtliche Haf­ tung deS Gewerbeinhabers, die nicht im Reichsrechte, wohl aber partikularrechtlich (z. B. preußische Steuerordnung vom 8. Februar 1819) sich findet. Vgl. RGR. 28. Mai 1880, E II 70. Dagegen ist die in §. 151 Gewerbe-Ordnung bestimmte Mithaftung deS verfügungsfähigen Vertretenen, mit dessen Vorwissen der Stellvertreter die Uebertretung begangen hat, als eigentliche Strafdrohung (für Mitthäterschaft) zu betrachten. IV. Die Rechtsgüterverletzung muß von dem Staate als dem Inhaber der öffentlichen Zwangsgewalt, als dem Träger und Schirmer der öffentlichen Rechtsordnung ver-

7 Ist der Haftpflichtige selbst mit einer derjenigen Personen, für die er zu hasten hat, an dem begangenen Delitte strafrechtlich beteiligt, so kann ihn die Zah­ lung zweimal treffen: einmal als

Strafe, dann als Haftung für für seinen Genoßen. A. A. RGR. 24. März 1880, E I 334, R I 508, aber ohne über­ zeugende Begründung.

Der Begriff der Strafe, hängt werden.

g. 42.

175

So wie die Bestrafung in HauS und Schule,

in Kirche und Bereinigung nicht Strafe im technischen Sinne ist (vgl. oben §. 1), so ist auch die Bestrafung, die zwar vom Staate, aber nicht frost der ihm zukommenden öffentlichen Zwangsgewalt ausgeht,

keine eigentliche. Strafe." Dies ist

der Grund, warum die staatliche Disziplinarstrafe, die der Staat im Interesse des internen Dienstes verhängt, nicht Strafe im engeren Sinne ist?

Konsequenzen: Ihre Ver­

hängung ist, weil nicht Strafsache, nicht Sache der ordent­ lichen Strafgerichte;

dieselbe Normübertretung kann Diszi­

plinarstrafe und überdies eigentliche Strafe nach sich ziehen (anerkannt u. A. in §. 95 der Seemannsordnung vom 27. De­

zember 1872) usw. V.

Nachteile,

die

auf die Nichtbeachtung

imperativen Rechtssatzes gesetzt sind, sind

eines nicht nicht

So die sogenannten Prozeßstrafen aller Art;

Strafe. die pro«

zessualm Vorschriften heischen nicht unbedingten Gehorsam, wie die staatlichen Imperative, sie stellen vielmehr die Wahl zwischen zwei Alternativen frei.

VI. Die Strafe ist an die begangene Rechtsverletzung geknüpft und wenn sie auch durch ihre Zweckbestimmung in

die Zukunft reicht, so hat sie doch nicht einzelne konkrete Handlungen und Unterlassungen, sondern diese Handlungen und Unterlassungen

in

abstracto im Auge.

Dadurch

unterscheidet sie sich vom Strafzwange, der auf die Her­ beiführung

durch

einer

konkreten

Rechtsgüterverletzung

Handlung

gerichtet ist.

oder Unterlassung

Wichtig ist die

Unterscheidung für das Prozeßrecht: Strafzwang zur Reali-

' Lit. über diese sehr bestrittene I S. 448, Btnding Grundriß Frage bei Laband Staatsr. 11 S. 112, Zorn Staats:. S. 243.

176

Zweites Buch.

Die Strafe.

sierung der Zeugnispflicht neben der Strafe für Nichterfüllung

dieser Pflicht (StPO. §§. 69 u. 50, CPO. §§. 355 u. 345; vgl. auch Postgesetz vom 28. Oktober 1871 §. 38).

Auch

sonst wird der Strafzwang vielfach in der Reichsgesetzgebung verwertet; man vgl. das „durch Ordnungsstrafen anhalten" im Handelsgesetzbuch, in §. 66 des

GenofsenschaftsgesetzeS

vom 4. Juni 1868, §. 33 Gesetz 7. April 1876 über die ein­ geschriebenen Hülfskaffen; die „exekutorischen Geldstrafen" in

§. 40 deS Tabacksteuergesetzes vom 16. Juli 1879.

VII. Begrifflich mit der eigentlichen Strafe sich deckend

sind dennoch von derselben kraft positiv

gesetzlicher Anord­

nung zu unterscheiden jene kleinen Strafen für geringfügigere

Rechtsverletzungen, Namen

der

welche

die

Reichsgesetzgebung mit dem

Ordnungsstrafen

bezeichnet?

häufig in den Zoll- und Steuergesetzen9 10).

(Besonders

Dagegen ist die

sogenannte Polizeistrafe, von besonderer gesetzlicher An­

ordnung abgesehen, von der Strafe int engeren Sinne nicht verschieden, selbst wenn zwischen dem kriminellen nnd dem polizeilichen Unrecht eine prinzipielle Verschiedenheit bestehen sollte".

VIII. Endlich sind von der Strafe zu unterscheiden die 9 Zu unterscheiden auch von den unter VI erwähnten „Ordnungsstrafen", die nicht Strafe sondern Zwang sind. §. 40 Tabacksteuergesetz vom 16. Juli 1879 nennt beide Arten neben­ einander. 10 Vgl. z. B. Salzsteuerge­ setz v. 12. Oktober 1867 §§. 13, 15; Zuckergesetz von 1869 §. 4; Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 151,152; Rübenzucker­

steuergesetz vom 2. Mai 1870 (Drdg. v. 1846 §. 17); Brausteuergesetz vom 31. Mai 1872 §§.32, 35, 36; auch Ger.Verf.Ges. §§.56, 96, 179ff.; Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878 §§. 11, 16; Tabacksteuer­ gesetz §§. 34 , 40-42; Gesetz betr. die Statistik des WaarenVerkehrs v. 20. Juli 1879 §. 17. 11 Vgl. über diese Frage oben §. 18 II.

Die Strafmittel im allgemeinen. §♦ 43.

177

Verwaltungsmaßregeln, die unabhängig von der ge­ richtlichen Konstatierung einer strafbaren Handlung von den

Organen der

Staatsverwaltung

verhängt werden können.

Als Beispiele seien erwähnt die in dem Freizügigkeitsgesetz

vom 1. November 1867,

1872,

dem

dem Jesuitengesetz vom 4. Juli

Gesetz betr. die Verhinderung der unbefugten

Ausübung von Kirchenämtern vom 4. Mai 1874 usw. an­

gedrohten Nachteile.

II. Die Strafmittel. §. 43. Sm allgemeinen.*

I. Die Strafe ist Rechtsgüterschutz durch Rechtsgüterver­

letzung.

Sie ist Mittel zum

Zweck.

Jenes- Strafmittel

wird darum das geeignetste sein, das den Zweck (Rechts­ güterschutz) am sichersten, am vollständigsten und zugleich am

billigsten (durch möglichst geringe Rechtsgüterverletzung) er­

reicht.

Wir werden daher de lege ferenda folgende Anfor­

derungen an die in Frage kommenden Strafmittel zu stellen haben.

1.

Da die Strafe, je nach Lage der Umstände verschie­

dene Zwecke verfolgt (vgl. oben §. 2 II), so müssen wir jenem Strafmittel den Vorzug geben, das am geeignetsten ist, sich

den verschiedenen Strafzwecken je nach Bedürfnis anzupassen; jenem, mit dem wir bald drohen

und ab­

schrecken, bald bessern, bald die Rechtsordnung schützen und

1 Lit. bei Binding Grund- I Wahlberg Krimin. u. natioriß S. 115. Insbesondere | nalökon. Gesichtspunkte 1872. von Liszt, Strafrecht.

12

Zweites Buch.

178

sichern können.

II. Die Strafmittel.

Darum muß daS unseren höchsten Anforde­

rungen entsprechende Strafmittel nach Inhalt und Umfang abstufbar sein, nach Intensität und Extensität eine Reihe von

Graden zulasten, verschiedene Arten deS Strafvollzuges ge­ statten.

Strafmittel, mit welchen wir nur den einen oder

den anderen der Strafzwecke — es ist gleichgültig, welcher von ihnen es ist — zu verfolgen in der Lage sind, werden

hinter dehnbareren und teilbareren Strafmitteln zurückstehen müssen. 2.

Das Strafmittel darf nicht die günstige Wir­

kung, die es nach der einen Richtung hin erzielt, pa­

ralysieren durch ungünstige Wirkung nach einer an­

deren Richtung hin.

Es darf,

wenn es bessern will,

nicht zugleich die abschreckende oder sichernde Wirkung der Strafe vernichten; nicht, wenn es die beiden letztgenannten

Zwecke verfolgt,

die Massen entsittlichen,

und damit der

Strafe ein wichtiges Moment ihrer motivierenden Kraft ent­ ziehen.

Die verstümmelnden und beschimpfenden Strafen,

öffentlicher Vollzug grausam verschärfter Hinrichtungen usw.

einerseits; die schablonenhafte „Humanität" unserer modernen Musterstrafanstalten

andrerseits mögen als warnende Bei­

spiele dienen.

3.

Wir werden jene Strafmittel verwerfen müssen oder

doch nur im Notfälle acceptieren können, die den Strafzweck

nur mit Aufwand unverhältnismäßig drastischer Mittel zu erreichen in der Lage sind.

Vernichtung der physischen, öko­

nomischen, ethischen Persönlichkeit (Todesstrafe, Vermögens­

konfiskation, Ehrlosigkeit) sind als Mittel zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes zurückzuweisen,

so

lange wir denselben

Zweck mit geringerem Kraftaufwande erreichen können. 4.

Da ein einziges Strafmittel wohl kaum für die voll-

Die Strafmittel im allgemeinen, g. 43.

179

ständige Erreichung sämmtlicher Strafzwecke ausreichend ist, wir mithin eine Zahl von Strafmitteln mit einander kombi­ nieren müssen, um zum Ziele zu gelangen, entsteht die wei­ tere an das Strafmittelsystem zu stellende Anforderung, daß die verschiedenen Strafmittel untereinander in einem klaren, einfachen, Abschätzung und stufenweisen Uebergang zulassenden Verhältnisse zu einander stehen. Man kann diese Eigenschaft als die Kommensurabilität der Sttafmittel bezeichnen. II. 1. Aus dem eben Gesagten folgt die unbestreitbare Berechtigung der Freiheitsstrafe, weitaus die erste Stelle im Strafensysteme der Neuzeit einzunehmen. Sie ist schmieg­ sam, wie kein anderes Strafmittel; sie kann von stunden­ langem Stubenarrest bis zu lebenslanger Kettenstrafe steigen; sie gestattet dem unbefangenen Strafvollzug, die sämmtlichen denkbaren Strafzwecke mit größtmöglicher Sicherheit anzu­ streben; sie läßt Verbindung mit den anderen Strafmitteln und nicht-unvermittelte Abgrenzung von denselben (den meisten von ihnen wenigstens) zu. Freilich verlangt die Freiheits­ strafe, um ihre segensreiche Wirkung entfalten zu können, klarere Einsicht in Wesen und Zweck der Strafe, als sie heute in den tonangebenden Kreisen vorhanden zu sein pflegt. Aber wenn die Freiheitsstrafe in den alten Strafanstalten plan- und ziellos gebraucht, in den neuen im Dienste einer durchaus einseitigen „Besserungs"-Theorie mißbraucht wird, so wird doch durch diesen Umstand die Ansicht derjenigen nicht gerechtfertigt, welche in unseren Tagen (Mittelstädt) mit gleicher Einseitigkeit die zufälligen Fehler des Straf­ vollzuges als wesentliche Fehler des Strafmittels aufgefaßt, und die Stellung der Freiheitsstrafe in dem modernen Strafmittelsysteme angefochten haben.

180

Zweites Buch. II. Die Strafmittel.

2. Der Todesstrafe haften die meisten jiener Eigen­ schaften an, die ein zweckentsprechendes Strafmittel nicht besitzen soll. Sie paralysiert ihre abschreckende und sichernde Wirkung durch das Mitleid für den Hingerichteten, das sie in den Masten, durch das ästhetische Mißbehagen, das sie in den Gebildeten wachruft; sie vernichtet eine Existenz, die vielleicht noch den Zwecken der Gemeinschaft hätte dienstbar gemacht werden können; sie steht ohne jede Vermittlung neben den übrigen Strafmitteln, von welchen es keinen Uebergang zu ihr giebt; sie zwingt zu absoluten Strafdrohungen und verwandelt das Begnadigungsrecht der Krone in ein Hinrichtungsrecht. Auch ist es falsch, daß ihre abschreckende und sichernde Wirkung auf anderem Wege nicht erreicht werden könnte. Aber heute, wo der Freiheitsstrafe diese abschreckende und sichernde Wirkung gänzlich abhanden ge­ kommen ist, muß die Todesstrafe als unentbehrlich be­ zeichnet werden. Die Reform des Gefängniswesens — nicht im Sinne der heute tonangebenden Reformatoren — wird auch die Frage der Todesstrafe zur befriedigenden Lösung bringen. 3. Die Vermögensstrafe ist teilbar und dehnbar, paßt sich den übrigen Strafmitteln leicht an, hält die Trieb­ feder zu einer Reihe von Verbrechensarten nieder; gestattet aber keine irgendwie ins Gewicht fallenden Modifikationen des Strafvollzuges. Sie ist daher trefflich geeignet, eine zweite Rolle im Strafensysteme zu spielen, und besonders als Nebenstrafe von großem Werte; darf aber auch nicht zu mehr, als zur zweiten Rolle berufen werden. 4. Große Gefahren birgt die Ehrenstrafe. Auch in ihren mildesten Formen nimmt sie der gesunkenen ethischen Persönlichkeit den letzten Halt. Ausschluß jeder immer

Das Strafensystem der Reichsgesetzgebung. K. 44.

181

dauernden Ehrenstrafe, so lange der Staat den Verbrecher­

nicht gänzlich aufgegeben hat, ist mithin dringend geboten.

§.44. Das Strafendstem der Nrichsgesetzgebung.

I.

In dem Systeme der Reichsgesetzgebung haben wir

Haupt- und

Nebenstrafen zu unterscheiden.

Erstere

jene, die auch allein; letztere jene, die (regelmäßig) nur in Verbindung mit einer Hauptstrafe verhängt werden können.

Ein weiterer Einteilungsgrund ergiebt sich, wenn wir die

Rechtsgüter deS Verbrechers ins Auge fassen,

deren Ver­

letzung der Staat zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes vor­

nimmt.

Es sind: Leben, Freiheit, Vermögen, Ehre.

Darnach gewinnen wir folgendes System: A. Hauptstrafen. 1.

Am Leben: die Todesstrafe.

2.

An der Freiheit: Zuchthaus, Gefängnis, Festungs­ haft, Hast.

3.

Am Vermögen: die Geldstrafe.

4.

An der Ehre: der Verweis.

B. Nebenstrafen.

1.

Am Leben: fehlt.

2.

An der Freiheit: a) Stellung unter Polizeiaufsicht. b) Ueberweisung an die Landespolizeibehörde. c) Ausweisung aus dem Reichsgebiet.

d) Beschränkung des Aufenthaltes. e) Beschränkung des Hausrechtes. 3. Am Vermögen:

a) Die accessorische Geldstrafe.

182

Zweites Buch. H. Die Strafmittel.

b) Die Einziehung einzelner Gegenstände. c) Die Unbrauchbarmachung von Schriften u. dgl. d) Die Entziehung der Gewerbebefugnis. 4. An der Ehre: Die vollständige oder teilweise Ab­ erkennung der bürgerlichen Ehrenrechte. C. Besondere, außerhalb deS Strafensystems stehende Strafübel enthalten: StGB. §. 161 dauernde Unfähigkeit als Zmge oder Sachverständiger eidlich vernommen zu wer­ den; StGB. §. 319 Unfähigkeit zu einer Beschäftigung im Eisenbahn- oder Telegraphendienste oder in bestimmten Zweigen dieser Dienste; Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 §. 16 Bekanntmachung der Verurteilung auf Kosten des Schuldigen; Viehseuchengesetz vom 23. Juni 1880 §. 63 Wegfall des Entschädigungsanspruches für getötete Thiere; §. 11 Salzsteuergesetz vom 12. Oktober 1867 Verlust des Anspruchs auf steuerfreien Salzbezug. Im Uebrigen ist das oben §. 42 über die Abgrenzung der Strafe von anderen verwandten Instituten des Reichs­ rechts Gesagte zu vergleichen. II. Die Bestimmungen des Reichsstrafgesetzbuchs über das Strafensystem sind absolut gemeines Recht. Sie binden die Landesgesetzgebung auch auf jenen Gebieten, auf welchen diese im Uebrigen autonom ist. Vgl. Einf.G. zum StGB. §. 6 und oben §. 11 III 2. III. Wenn wir von der durchaus ungenügenden Rege­ lung des Vollzugs der Freiheitsstrafe absehen, entspricht das Strafensystem der Reichsgesetzgebung allen billigen Anforderun­ gen. Freilich benimmt jene Lücke im System dem Systeme selbst den größten Teil seines Wertes.

Die Todesstrafe.

g. 45.

183

A. Die Hauptstrafen. 1.

8.45. I.

Str Todesstrafe.'

Die Todesstrafe, einst die peinliche Strafe des ge­

meinen Rechtes, ist nach Inhalt und Umfang, seit der Be­ seitigung der grausam geschärften Arten der Todesstrafe und

seit ihrer Beschränkung auf wenige Ausnahmsfälle, in dem Systeme des modernen Strafrechts neben der Freiheitsstrafe

völlig in den Hintergrund getreten.

Der Kampf, den die Schriftsteller der Austlärungsperiode (vor Allen Beccaria und Sonnenfels 1764) gegen die Todesstrafe eröffneten, hatte zunächst nur geringen Erfolg: Abschaffung der Todesstrafe in Toscana 1786, in Oesterreich 1787 (bis 1795).

In seinen weiteren Wirkungen aber führte

er, in Verbindung mit der seit den 70 er Jahren deS vorigen

Jahrhunderts beginnenden Gefängnisreform, zur allmähligen

Beseitigung der qualifizierten und zur allmähligen Einschrän­ kung der Todesstrafe überhaupt auf eine geringe Anzahl von Strasfällen. In Folge des §. 9 der deutschen Grundrechte von 1848

wurde die Todesstrafe in einer Reihe von deutschen Staaten (nicht aber in Oesterreich, Preußen, Baiern, Sachsen) besei­

tigt; doch führte in den meisten dieser Staaten die Herr­

schaft der Reaktion zur Wiederherstellung der Todesstrafe. Nur Oldenburg, Anhalt, Bremen hielten an der Beseitigung

fest; Sachsen fand eS noch int Jahre 1868, als die Gesetz1

Lit. bei Meyer S. 260 Sinnt. 1.

Zweites Buch. II. Die Strafmittel.

184

gebung des Bundes in Strafsachen vor der Thüre stand, für angezeigt, zur Abschaffung

So stand

der Todesstrafe zu schreiten.

als die Beratung des norddeutschen

die Frage,

Strafgesetzbuchs in Angriff genommen wurde. parlamentarischen Kämpfe,

Die harten

die mit der Beibehaltung (bez.

Wiedereinführung) der Todesstrafe endeten, sind bereits oben

§. 8 III (S. 32f.) geschildert worden. II. Anwendungsgebiet der Todesstrafe.

Wenn

wir von dem MilitärStGB, absehen, das die Todesstrafe in

10 Fällen absolut, in 8 Fällen alternativ androht,? findet

sich dieselbe in der Neichsgesetzgebung: 1. Als Strafe des vollendeten Mordes nach StGB.

§. 211. 2. Als Strafe des Mordes und Mordversuchs an dem Kaiser, dem

eigenen Landesherrn und dem

Landesherrn des Aufenthaltsstaates

StGB. §. 80

(Antrag v. Kardorff).

In beiden Fällen kann die Todesstrafe geschärft werden (StGB. §. 32) durch die Aberkennung der bürgerlichen Ehren­

rechte (vgl. unten §. 51 I); in beiden Fällen wird ihr An­

wendungsgebiet beschränkt durch die im StGB. (§§. 49 und 57) vorgeschriebene Reduktion der Strafrahmen bei Versuch,

Beihülfe und jugendlichem Alter des Thäters (vgl. oben §. 33 111, §. 37 II 4, unten §. 54 II 2).

3. Eine wesentliche Erweiterung des Anwendungsgebietes der Todesstrafe Folge.

hat der Eintritt des Kriegsrechtes zur

Vgl. darüber oben §. 16 I.

III. Vollzug der Todesstrafe.

Die Todesstrafe ist

nach StGB. §. 13 durch Enthaupten, nach §. 14 Mil.-

2 Vgl. Binding Kommentar S. 107.

Die Todesstrafe.

§. 45.

185

StGB, durch Erschießen zu vollstrecken, wenn sie wegen

eines militärischen,

im Felde auch dann, wenn sie wegen

eines nicht militärischen Verbrechens erkannt worden ist.

Nach der StPO.

(§. 485)

ist

die Vollstreckung der

Todesstrafe erst zulässig, wenn der Träger des Begnadi­ gungsrechtes (unten §. 57 IV 3 und 4) erklärt hat,

demselben keinen Gebrauch machen zu wollen.

von

Geisteskrank­

heit oder Schwangerschaft hemmt die Vollstreckung. Durch die

StPO. (§. 486) ist ferner die sogenannte

Jntramuranhinrichtung^ (Vollstreckung in einem um­

schlossenen Raume bei beschränkter Oeffentlichkeit) Reichsrecht

geworden.

Bei der Hinrichtung müssen zwei Mitglieder des

Gerichtes erster Instanz, ein Beamter der Staatsanwaltschaft, ein Gerichtsschreiber und ein Gefängnisbeamter gegenwärtig sein.

Der Gemeindevorstand des Ortes,' an welchem die

Hinrichtung stattsindet, ist aufzufordern, 12 Personen aus den Vertretern oder aus anderen achtbaren Mitgliedern der

Gemeinde abzuordnen,

um der Hinrichtung

beizuwohnen.

Außerdem ist einem Geistlichen von dem Religionsbekennt­ nisse des Verurteilten, dem Verteidiger und nach Ermessen

des die Vollstreckung leitenden Beamten auch anderen Per­ sonen der Zutritt zu gestatten.

Ueber den Hergang ist ein von

dem staatsanwaltschaftlichen Beamten und dem Gerichtsschreiber

zu unterzeichnendes Protokoll aufzunehmen.

Der Leichnam

des Hingerichteten ist den Angehörigen auf ihr Verlangen

zur einfachen,

ohne Feierlichkeiten vorzunehmenden Beerdi­

gung zu verabfolgen. Von diesen Bestimmungen abgesehen, ist die Vollstreckung

3 Vgl. Ullmann GS. XXXI.

Zweites Buch. II. Die Strafmittel,

186

der Todesstrafe (durch Fallbeil, Fallschwert, eigentliche Ent­

hauptung) landesrechtlich geordnet.

2.

K. 46. Vie Freiheitsstrafe? I.

Die

Freiheitsstrafe

Strafe der Neuzeit an.

gehört

als

eigentliche

peinliche

Noch der peinlichen Ger.Ordnung

Karl's V ist sie in dieser Bedeutung fremd; und die seit

dem Ende des 16. und dem Anfänge des 17. Jahrhunderts allmählich

auftauchenden Zuchthäuser (in Amsterdam 1595,

Lübeck 1613, Hamburg 1618 usw.), für Landstreicher und

Arbeitsscheue, für Bettler und liederliche Dirnen, für störriges

Gesinde und ungeratene Kinder bestimmt, waren alles An­ dere eher als Strafanstalten im modernen Sinne.

Erst all­

mählich dringt die Freiheitsstrafe in wechselnden, häufig noch ganz embryonalen Formen in das Strafensystem ein. Sieg war

entschieden,

Ihr

als man in der Gemeinschaft der

Häftlinge den Krebsschaden des bisherigen Strafvollzuges erkannt

und damit zugleich den Weg zur Beseitigung der

gröbsten Mißstände gefunden hatte. Mit dem 1775 eröffneten Zuchthause zu Gent beginnt

die Aera der Gefängnisreform.

weise

durchgeführte

Gedanke

Der hier wenigstens teil­ der

Einzelhaft

wird

durch

Howard (f 1790) und Blackstone (f 1780) nach England, durch Benjamin Franklin (t 1790) nach Amerika ver-

1 Lit. bei Dinding Grund­ riß S. 116. Besonders wichtig dieProtokolle der internationalen Gefangniskongresse von London (1872) und Stockholm (1878).

AuS neuester Zeit Schriften von Almquist 1879 (über Schwe­ den), Streng 1879 (Nürn­ berg), Mittelstädt 1879, von Schwarze 1880, Fulda 1880.

Die Freiheitsstrafe. §. 46.

187

pflanzt. Hier entwickeln sich (in den 20 er Jahren des neunzehnten Jahrhunderts) zwei rivalisierende Systeme; das Arrburn'fche Schweigsystem und das Pensylvanische Pönitentiar-System. Bon Amerika flutet die Bewegung, die dort eine stark pietistische Färbung angenommen hatte, zurück nach Europa; allenthalben entstehen, meist nach dem Muster von Petonville (1842) Zellengefängnisse, in dem von Bentham (t 1832) erdachten panoptischen Systeme erbaut. Aber noch während die Zellenhaft ihren Siegeszug durch Europa hielt, war ihr ein gefährlicher Gegner entstanden in dem von Walter Crofton aufgestellten, 1857 in Irland, 1864 teilweise in England eingeführten Progressivsystem. Auf dem Gedanken allmählicher Wiederherstellung des sitt­ lichen Gleichgewichts im Sträflinge, allmählicher Wiederein­ führung desselben in die bürgerliche Gesellschaft aufgebaut, besteht dasselbe im Wesentlichen auS folgenden, von dem Verurteilten zu durchlaufenden Stadien: a) strenge 9 mo­ natliche Einzelhaft; b) gemeinsame Arbeit in 4 progressiven Abteilungen; c) Aufenthalt in der Zwischenanstalt (Interme­ diate prison), in welcher dem Sträfling freierer Verkehr mit der Außenwelt gestattet ist; d) bedingte Entlastung mit der Möglichkeit des Widerrufes. Daß das sogenannte irische System, soweit eS sich um besterungsfähige und besterungsbedürstige Verbrecher handelt, glänzende Erfolge aufzuweisen hat, kann nicht in Abrede ge­ stellt werden; den Abschreckungs- oder Sicherungszweck zu er­ reichen, ist es ungeeignet. II. Die Freiheitsstrafen der Reichsgesetzgebung sind Zuchthaus, Gefängnis, Festungshaft und Haft. Sie unterscheiden sich in folgenden Punkten. 1. Art der Verwendung. Zuchthaus ist die Ver-

188

Zweites Buch. II. Die Strafmittel.

brechensstrafe; Gefängnis die Bergehens-, Haft die Uebertretungsstrafe. Doch findet sich Haft ausnahmsweise (StGB. §. 185 sowie in §. 147 der Gew.Ordnung) auch bei Vergehen. Die Festungshaft soll sowohl Zucht­ haus als auch Gefängnis ersetzen, und wird wahlweise mit diesen beiden Strafen bei einer Reihe politischer Delikte, aus­ schließlich bei Zweikampf angedroht. 2. Dauer. Zuchthaus und Festungshaft sind lebenslange oder zeitige, Gefängnis und Haft immer zeitige Freiheitsstrafe. Das Maximum beträgt bei den beiden ersten 15 Jahre, bei Gefängnis 5 Jahre (Ausnahmen in StGB. §§. 57 und 74), bei Haft 6 Wochen (Ausnahmen in §§. 77 und 78 StGB.). Der Mindestbetrag ist bei Zuchthaus 1 Jahr, so daß Bruchteile eines Jahres in Gefängnis umgewandelt werden müssen (vgl. darüber unten §. 55 I 2); bei den übrigen Freiheitsstrafen 1 Tag. Vgl. StGB. §§. 14—18. 3. Die Bemessung der Zuchthausstrafe erfolgt nach vollen Monatendie der übrigen Freiheitsstrafen nach vollen Tagen. StGB. §. 19. 4. Arbeitszwang ist mit Zuchthaus obligatorisch verbunden (StGB. §. 15); Außenarbeit bei Trennung von freien Arbeitern gestattet. Die zu Gefängnis Verurteilten (StGB. §. 16) können auf eine ihren Fähigkeiten und Ver­ hältnissen angemessene Weise beschäftigt werden; auf ihr Verlangen sind sie in dieser Weise zu beschäftigen; Außen­ arbeit ist nur mit ihrer Zustimmung zulässig. Bei Festungs­ haft (StGB. §. 17) ist Arbeitszwang ausnahmslos ausge-

2 Dies gilt nicht bei Um-l Anrechnung; vgl. Wandlung wohl aber bei der | I 2 u. II.

unten §.55

schlossen; bei Haft findet er nur ganz ausnahmsweise (StGB. §. 362, 361 Z. 3—8 gegen Landstreicher, Bettler, Müssig­ gänger, Arbeitsscheue, Prostituirte, Erwerbslose) statt. 5. Neben Zuchthaus tritt der Verlust gewisser Ehren­ rechte von Rechtswegen ein (StGB. §. 31); neben Zucht­ haus und (unter gewissen Voraussetzungen) neben Ge­ fängnis kann vollständige, neben letzterem und (in gewissen Fällen) neben der Festungshaft teilweise Ab­ erkennung der Ehrenrechte stattfinden (StGB. §§. 32 ff.); neben Haft ist die Aberkennung ausgeschlossen. Vgl. das Nähere unten §. 51. 6. Einzelhaft und bedingte Entlassung (StGB. §§. 22 ff.) finden bei Zuchthaus und Gefängnis, nicht aber bei Festungshaft und Hast Anwendung. Vgl. unten III 1 und 2. III. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe ist nur zum kleinsten Teile durch die bisherige Reichsgesetzgebung geordnet, zum weitaus größten Teile der landesrechtlichen Bestimmung überlassen. Die Resolution des Reichstages vom 4. März 1870, in welcher der Wunsch nach reichsge­ setzlicher Regelung ausgesprochen wurde, hat bisher nur zur Ueberreichung eines Gesetzentwurfes über die Vollstreckung Frecheitsstrafen an den Bundesrath geführt? Die Unklar­ heit über Wesen und Zweck der Freiheitsstrafe, die aus den wichtigsten Bestimmungen dieses Entwurfes spricht, läßt in­ dessen nur geringe Hoffnung auf eine halbwegs befriedigende Lösung der brennenden Reformfrage austommen. Die bereits vorhandenen reichsgesetzlichen Bestimmungen über den Vollzug der Freiheitsstrafen betreffen: 8 Ueber denselben Tauffer GS. XXXI.

190

Zweites Buch. II. Die Strafmittel.

1. Die Einzelhaft (StGB. §. 22)? Zuchthaus- und Gefängnisstrafe können sowohl für die ganze Dauer, wie für einen Teil der erkannten Strafzeit in der Weise in Einzel­ haft vollzogen werden, daß der Gefangene unausgesetzt von anderen Gefangenen gesondert gehalten wird. Die Einzel­ haft darf ohne Zustimmung des Gefangenen die Dauer von drei Jahren nicht übersteigen. 2. Die vorläufige (bedingte) Entlassung (Beurlau­ bung (StGB. §§. 23—26). Die zu einer längeren (zei­ tigen) Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe Verurteilten können, wenn sie drei Vierteile, mindestens aber ein Jahr der ihnen auferlegten Strafe verbüßt, sich auch während dieser Zeit gut geführt haben, mit ihrer Zustimmung vorläufig entlassen werden. Ist die festgesetzte Strafzeit abgelaufen, ohne daß ein Widerruf der vorläufigen Entlassung erfolgt ist, so gilt die Freiheitsstrafe als verbüßt. Dagegen hat der Widerruf — zulässig bei schlechter Führung des Entlassenen, sowie wenn derselbe den ihm auf­ erlegten Verpflichtungen zuwiderhandelt — die Wirkung, daß die seit der vorläufigen Entlassung bis zur Wiedereinliefe­ rung verflossene Zeit auf die festgesetzte Strafdauer nicht ein­ gerechnet wird. Entlassung und Widerruf liegen in der Hand der obersten Justizaufsichtsbehörde; die vorläufige Festnahme Entlassener kann auch von der Ortspolizeibehörde verfügt werden. 3. Die gegen jugendliche Personen erkannten Frei­ heitsstrafen sind in besonderen nur für diesen Zweck be­ stimmten Anstalten oder Räumen zu vollziehen.

4 Holtzendorff HR. „Einzelhaft".

Die Geldstrafe. §• 47.

191

3. 8.47. Bit Grldstrafe.l

I. Die Geldstrafe ist die einzige Vermögens-Hauptstrafe im Strafensystem der Reichsgesetzgebung. Sie hat hier reiche — vielleicht zu reiche — Verwendung gefunden. Sehen wir von den Fällen ab, in welchen Geldstrafe neben Frei­ heitsstrafe mmulativ angedroht, in welchen sie also Neben­ strafe ist, so tritt sie uns bei den einzelnen Delikten bald als ausschließlich, bald als mit der Freiheitsstrafe alternierend und zwar bald an erster bald an zweiter Stelle angedrohte Strafe entgegen. II. Der Mindestbetrag der Geldstrafe ist bei Ver­ brechen und Vergehen drei Mark, bei Uebertretungen eine Mark. Der Höchstbetrag der Geldstrafe ist im allgemeinen Teile des StGB.'s nicht angegeben; im besonderen Teile übersteigt er 6000 Mark nicht, nur in dem durch das Wucher­ gesetz vom 24. Mai 1880 eingefügten §. 302 d kann bis auf 15 000 Mark erkannt werden. Weit höher reicht die Geld­ strafe in den Nebengesetzen, wo sie in zahlreichen Fällen als Vielfaches oder quoter Teil der hinterzogenen Abgaben, des defraudirten Portos usw. auftritt. Außer zahlreichen Zollund Steuergesetzen seien als Beispiele erwähnt: Gesetz betr. die Jnhaberpapiere mit Prämien vom 8. Juni 1871 §. 6: Geldstrafe, welche dem 5. Teile des Nennwertes der den Gegenständ der Zuwiderhandlung bildenden Papiere gleich­ kommt, mindestens aber 100 Thaler betragen soll; Bankgesetz vom 14. März 1875 §. 55: GeK)strafe, welche 1 Lit. bei Binding Grundriß S. 129. GA. XXVII u. XXXVIII.

Dazu Kronecker

192

Zweites Buch. II. Die Strafmittel.

dem Zehnfachen des Betrages der unbefugt auSgegebenen Wertzeichen gleichkommt, mindestens aber 5000 Mark beträgt; Wechselstempelsteuergesetz vom 10. Juni 1669 §. 15: Geldbuße, welche dem 50fachen Betrage der hinterzogenen Abgabe gleichkomntt; Gesetz betr. Ausgabe von Banknoten vom 21. Dezember 1874 Art. II §. 2: 4fache Betrag der gesetzwidrig ausgegcbenen Banknoten, mindestens aber 1000 Mark. Die Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 rechnet in den §§. 83 und 84 nach dem Betrage der Monatsheuer. III. Die Geldstrafe wird vom Staate eingezogen und für öffentliche Zwecke verwendet, die in einzelnen Nebenge­ setzen besonders bezeichnet sind. Vgl. z. B. Personenstands­ gesetz vom 6. Februar 1875 §. 70, nach welchem die hier angedrohten Geldstrafen jenen Gemeinden zufließen, welche die sächlichen Kosten der Standesämter zu tragen haben; Nah­ rungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 §. 17, nach welchem jene Kaffen bezugsberechtigt sind, welchen die Unterhaltung der zur technischen Untersuchung von Nahrungs- und Ge­ nußmitteln bestimmten Anstalten obliegt; Gewerbe-Ordnung §. 146 (Hülfskaffe, andere zum Besten der Arbeiter bestehende Kassen, eventuell Ortsarmenkaffe, Gewerbe-Ordnung §. 116); Postgesetz vom 28. Oktober 1871 §. 33 (Postarmen- oder Unterstützungskaffe); Tabacksteuergesetz vom 16. Juli 1879 §. 46 (Fiskus desjenigen Staates, von dessen Behörden die Strafentscheidung erlassen ist); Waarenverkehrs-Statistik-Gesetz vom 20. Juli 1879 §. 17 (ebenso); Wechselstempelgesetz vom 10. Juni 1869 §. 17 (ebenso); Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878 §. 19 (ebenso); Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 §. 107 (Seemannskasse bez. Ortserrmenkasse des Heimathshafens deS Schiffes).

Der Verweis. §. 48.

Vollstreckung

Die

der

Geldstrafm

193 erfolgt nach

bett

die Vollstreckung der Urteile der Civil-

Vorschriften über

gerichte (StPO. § 495).

Ueber

die Vollstreckung in den

Nachlaß deS Verurteilten (StGB. §. 30) vgl. unten §. 57

II; über die Umwandlung der Geldstrafe in Freiheitsstrafe

(StGB. §§. 28 und 29) unten §. 55 I 1.

4.

8« 48.

Ott verweis.'

I. Der Verweis, schon int gemeinen Recht und in mehre­ ren deutschen Partikularstrafgesetzbüchern als Strafmittel an­ erkannt, findet sich in der Reichsgesetzgebung in einem ein­

zigen Falle (StGB.

§. 57 Ziff. 4): Hat ein jugendlicher

Thäter ein Vergehen oder eine Uebertretung begangen, so kann

in

leichten Fällen auf Verweis

besonders

erkannt

werden.

IL

Der Verweis ist eigentliche Strafe, und zwar die

einzige Hauptstrafe an der Ehre. Er kann daher erst erteilt werden, wenn

das auf ihn erkennende Urteil rechtskräftig

geworden ist.

Ueber

es — auch

nungen;

es

Vollzug dieser

den

Strafart

fehlt

in der StPO. — an ausdrücklichen Anord­

sind

daher

die

übrigen Bestimmungen der

StPO, zur analogen Anwendung zu bringen.

So hat

z. B. die Erteilung des Verweises gemäß §. 483 StPO,

durch die Staatsanwaltschaft auf Grund einer von dem GerichtSschreiber zu erteilenden, mit der Bescheinigung der Voll»

1 Lit. bei Binding Grundriß S. 124. Dazu die DarfteDungen des Strafprozeßrechts von Liszt, Strafrecht.

bei der Lehre von der Straf­ Vollstreckung.

13

Zweites Buch. II. Die Strafmittel.

194

streckbarkeit versehenen, formel zu geschehen.

beglaubigten Abschrift der Urteils­

Wo die Analogie der Bestimmungen

der StPO, nicht ausreicht, ist landesgesetzliche Regelung notwendig und maßgebend.

B. Die Nebenstrafen. 1. §. 49. Nrbrnstrafen an der ckrrihrit.'

Daß wir es hier mit wirklichen Neben strafen, nicht aber mit polizeilichen Maßregeln zu thun haben, ergiebt sich

aus dem oben §. 42 besprochenen Begriffe der Strafe. Die richtige Auffaffung der Strafe, nach welcher sie Rechtsgüter­

schutz durch Rechtsgüterverletzung ist, nach welcher Art und

Maß der Strafe lediglich bestimmt wird durch das Be­ dürfnis nach Schutz der Rechtsgüter, hat gerade in diesen

Nebenstrafen an der Freiheit, fteilich ohne daß der Gesetz­

geber sich klar geworden wäre über die theoretische Trag­ weite seiner Anordnungen, prägnanten gesetzlichen Ausdruck

gefunden.

Zielbewußte

Erweiterung

dieser

Einrichtungen

und Verschmelzung derselben mit den Hauptstrafen bildet

die Aufgabe künftiger rationeller Strafgesetzgebung. Es gehören hieher

I. DaS gerichtliche Erkenntnis auf Zulässig­ keit von Polizeiaufsicht, das neben der Freiheitsstrafe,

und

zwar

regelmäßig

neben

Zuchthaus,

ausnahmsweise

(StGB. §§. 180, 262, 294) auch neben Gefängnis, aber 1 Lit. bei Dinding Grundriß S. 123.

Nebenstrafen an der Freiheit.

§. 49.

195

nur in den durch das Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Fällen,

dem richterlichen Ermessen anheimgcgeben ist (StGB. §. 38).

Diese vorgesehenen Fälle sind: StGB. §§. 115, 116 (Auf­ ruhr und Auflauf), 122 (Meuterei von Gefangenen),

125

(Landfriedensbruch), 146, 147 (Münzverbrechen), 180, 181 (Kuppelei), 248 (Diebstahl und Unterschlagung), 256 (Raub und Erpressung), 262 (Hehlerei), 294 (gewerbsmäßige Wild­

dieberei), 325 (Reihe von gemeingefährlichen Delikten), 49 a

(Aufforderung und Erbieten zu Verbrechen); ferner bei dem Versuch

eines mit Tod oder lebenslangem Zuchthaus be­

drohten

Verbrechens und

(StGB. §§. 44 und 49);

der

Beihülfe

zu

einem solchen

Nahrungsmittelgesetz

14. Mai

1879 §. 13.

Ist Polizeiaufsicht neben der Strafe des vollendeten Ver­

brechens oder Vergehens zulässig, so gilt Gleiches bei der Versuchsstrafe

(StGB.

§. 45);

ist sie

wegen

einer von

mehreren real konkurrierenden strafbaren Handlungen zulässig, so kann auf sie auch neben der Gesammtstrafe erkannt werden

(StGB. §. 76). Dem jugendlichen Thäter gegenüber darf Zulässigkeit der

Polizeiaufsicht nicht ausgesprochen werden(StGB. §. 57Ziff. 5). Durch ein solches Erkenntnis erhält die höhere LandeSpolizeibehörde die Befugnis, nach Anhörung der Gefängnis­ verwaltung den Verurteilten auf die Dauer von höchstens

5 Jahren unter Polizeiaufsicht zu liellen.

Diese Zeit wird

von dem Tage berechnet, an welchem die Freiheitsstrafe ver­ büßt, verjährt oder erlassen ist (StGB. §. 38).

Die Polizeiaufsicht hat folgende Wirkungen:

a) dem Verurteilten

kann

der Aufenthalt an einzelnen

bestimmten Orten von der höheren Landespolizeibehörde untersagt werden;

Zweites Buch. II. Die Strafmittel.

196

b) die höhere Landespolizeibehörde ist befugt, den Aus­ länder auS dem Bundesgebiete zu verweisen;

c) Haussuchungen unterliegen keiner Beschränkung hin­

sichtlich der Zeit, zu welcher sie stattfinden dürfen. Weitere Folgen enthält die StPO, in den §§. 103, 104,

106, 113. Zuwiderhandlungen

gegen

diese Beschränkungen fallen

unter StGB. §. 361 Ziff. 1 und 2.

II. Die Ueberweisung an die Landespolizeibe­ hörde.

Neben der Verurteilung zur Haft wegen der in

§. 361 StGB. Ziff. 3—8 bedrohten Delikte (gegen Land­

streicher, Bettler, Müßiggänger, Prostituirte, Arbeitsscheue, Erwerbslose) kann zugleich erkannt werden, daß die verur­

teilte Person nach verbüßter Strafe der Landespolizeibehörde

zu überwerfen sei.

Diese erhält dadurch die Befugnis, den

Verurteilten entweder bis zu zwei Jahren in ein Arbeits­ haus unterzubringen oder zu genreinnützigen Arbeiten zu ver­

wenden.

Im Falle des §. 361 Ziff. 4 (Bettel) ist dies je­

doch nur dann zulässig, wenn der Verurteilte in den letzten drei Jahren wegen dieser Uebertretung mehrmals rechts­

kräftig verurteilt worden ist, oder wenn derselbe unter Dro­ hungen oder mit Waffen gebettelt hat.

Gegen Ausländer

kann an Stelle der Unterbringung in ein Arbeitshaus Ver­ weisung au8 dem Bundesgebiete eintreten (StGB. §. 362). Man spricht hier auch wohl von „korrektioneller Nachhaft"

oder „Anhang". III. Die Ausweisung auS dem Reichsgebiete ist als Neben strafe nur gegen Ausländer zulässig, und zwar

in folgenden Fällen:

1.

Bei gewerbsmäßigem Betriebe des Glücksspiels StGB. §. 284.

197

Nebenstrafen an der Freiheit. §. 49.

2.

An Stelle der Polizeiaufsicht oder der Unterbringung in

3.

Gegen Personen, welche sich die Agitation für sozial­

ein Arbeitshaus StGB. §§. 39 Ziff. 2 u. 362 Abs. 3. demokratische Bestrebungen zum Geschäfte machen, hier

an Stelle der Versagung des Aufenthaltes.

Sozial.-

Gefetz vom 21. Oktober 1878 §. 22. Zuwiderhandlungen fallen unter §. 361 Ziff. 2 StGB.,

bez. unter §. 22 des Sozial.Gesetzes. IV. Aufenthaltsbeschränkung"

als Verwaltungs­

maßregel häufig,

als Nebenstrafe nur im Sozial.Gesetz

(§. 22) angedroht.

Bei geschäftsmäßiger Agitation für sozial­

demokratische Bestrebungen kann neben

der Freiheitsstrafe

wegen gewiffer Uebertretungen des Sozial.Gesetzes auf die Zu lässigkeit der Einschränkung des Aufenthaltes erkannt

werden.

Die Landespolizeibehörde erhält dadurch daS Recht,

dem Verurteilten den Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Ortschaften zu versagen; in seinem Wohnsitze jedoch nur

dann, wenn er denselben nicht bereits seit 6 Monaten inne

Ausländer können auSgewiesen werden.

hat. V.

Beschränkung des HauSrechtS trifft nach §. 3

Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 die auf Grund der §§. 10, 12, 13 dieses Gesetzes zu einer Freiheitsstrafe ver­

urteilten Personen insofern, als die Polizei durch die Ver­

urteilung die Berechtigung erhält, in den zu Herstellung, Aufbewahrung, Verkauf der Nahrungsmittel usw. bestimmten

Räumlichkeiten Revisionen vorzunehmen.

Die Befugnis

beginnt mit der Rechtskraft des Urteils und erlischt mit dem

Ablaufe von drei Jahren von dem Tage an gerechnet, an

welchem die Freiheitsstrafe verbüßt, verjährt oder erlassen ist. 3 Vzl. Leuthold in HR. „Aufenthaltsbeschränkung".

Zweites Buch. II. Die Strafmittel.

198

2.

50. Nebrnstrafru am vermögen?

I.

Die accessorische Geldstrafe,

überaus häufig,

besonders bei den aus Gewinnsucht hervorgegangenen Ver­

brechen, in der Reichsgesetzgebung angedroht. II.

Die Einziehung der instrumenta und pro­

ducta Sceleris, d. i. derjenigen Gegenstände, welche durch ein vorsätzliches

Verbrechen

oder welche zur Begehung

stimmt sind.

oder Vergehen

hervorgebracht

eines solchen gebraucht.oder be­

Die Einziehung ist im Urteile auszusprechen

(StGB. §. 40).

Nur ausnahmsweise ist sie auch bei Ueber-

tretungen zulässig: StGB. §§. 360, 367, 369 Zisf. 2. Regelmäßig ist der Ausspruch der Einziehung dem Er­

messen

des

Gerichtes

anheimgestellt;

in

einzelnen

Fällen

(StGB. §§. 152, 295, 296a, 335, 369 Zisf. 2) muß jedoch

auf Einziehung erkannt werden. Die Einziehung verliert den Charakter der Strafe,

so­

bald sie nicht den Verurteilten, sondern dritte Personen trifft,

oder unabhängig von der Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person ausgesprochen werden kann.

Vgl. oben

§. 42 III 1. Sehr häufig findet sich die Einziehung in den Nebenge­

setzen.

Man vgl. Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §§. 21

und 25, die Urhebergesetze vom 9., 10., 11. Januar 1876, Markenschutzgesetz vom 30. November 1874 §. 17, ReichS-

flaggengesetz vom 25. Oktober 1867 §§. 13—15, die Zoll-

und Steuergesetze, Sozialistengesetz vom 21. Oktober 1878 §. 20, Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 §. 15, Vieh-

1 Lit. bei Binding Grundriß S. 130.

Nebenstrafen am Vermögen. g. 50. seuchmgesetz vom 23. Joni 1880 §§. 65 und 66 usw.

199 Sehr

eingehende Bestimmungen über Konfiskation enthält daS Ver­ einszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 134, 135, 147, 154 bis

157; zu bemerken ist, daß, wenn die Konfiskation selbst

nicht vollzogen werden kann, an ihre Stelle die Zahlung einer Geldsumme tritt (§§. 155 und 147 letzter Absatz). III.

Die Unbrauchbarmachung

von Schriften

Wenn der Inhalt einer Schrift, Abbildung oder

u. dgl.

Darstellung strafbar ist, so ist im Urteile auszusprechen, daß alle Exemplare, sowie die zu ihrer Herstellung bestimmten

Platten und Formen unbrauchbar zu machen sind.

Die

Vorschrift bezieht sich jedoch nur auf die im Besitze des Verfassers, Druckers, Herausgebers, Verlegers oder Buch­

händlers befindlichen und auf die öffentlich auSgelegten oder

öffentlich

angebotenen Exemplare.

Ist nur ein Teil der

Schrift, Abbildung oder Darstellung strafbar, so ist, insofern eine Ausscheidung möglich ist, auszusprechen, daß nur die strafbaren Stellen und derjenige Teil der Platten und Formen,

auf welchem sich diese Stellen befinden, unbrauchbar zu machen sind- (StGB. §. 41). IV.

Dauernder oder zeitiger Verlust der Be­

fugnis zum Gewerbebetrieb.

Obwohl nach §. 143 der

Gew.Ordnung vom 21. Juni 1869 (vgl. mit §. 4 des Preß­

gesetzes vom 7. Mai 1874) die Berechtigung zum Gewerbe­ betriebe weder durch richterliche noch durch administrative

Entscheidung entzogen werden kann, so ist dieser Satz von

der Reichsgesetzgebung doch nicht ausnahmslos durchgeführt worden.

1.

So findet sich der Verlust der Gewerbeberechtigung

- DaS Nähere bei Liszt ReichSpreßrecht §§. 54ff.

200

Zweites Buch. II. Die Strafmittel.

als Strafe in manchen Steuergesetzen angedroht, man vgl. z. B. Branntweinsteuergesetz vom 8. Juli 1868 §§. 52 u. 53; Salzsteuergesetz vom 12. Oktober 1867 §. 14.

2. Nach §. 23 deS Sozial.Gesetzes vom 21. Oktober 1878 kann gegen sozialdemokratische Agitatoren neben der Verur­ teilung zu Freiheitsstrafe wegen gewisser Uebertretungen des Sozial.Gesetzes auf Untersagung des Gewerbebetriebes er­ kannt werden, wenn es sich um Gastwirte, Schankwirte, mit Branntwein oder Spiritus Kleinhandel treibende Personen, Buchdrucker, Buchhändler, Leihbibliothekare und Inhaber von Lesekabineten handelt (vgl. auch §§. 24, 25 Sozial-Gesetz).

3.

tz. 51.

Nebenstrafen an -er Ehre.*

Die Nebenstrafen an der Ehre bestehen nach der Neichsgesetzgebung nicht etwa in einer Vernichtung oder Schmäle­ rung des Rechtsgutes der Ehre, sondern in dex gänzlichen oder teilweisen Aberkennung gewisser vom Gesetze genau be­ zeichneter „Ehrenrechte", d. h. von Rechten und Fähigkeiten, welche sich auf die öffentliche, nicht aber auf die privatrecht­ liche oder soziale Stellung des Verurteilten beziehen. I. Die Aberkennung sämmtlicher Ehrenrechte. Sie umfaßt: 1. den dauernden Verlust der aus öffentlichen Wahlen für den Verurteilten hervorgegangenen Rechte, ingleichen den 1 Lit. bei Binding Grundriß S. 124 u. Teichmann in HR. „Ehrenstrasen".

Nebenstrafen an ter Ehre.

g. 51.

201

dauernden Verlust der öffentlichen Aemter,' Würden, Titel,

Orden und Ehrenzeichen (nicht des.Adels). StGB. §. 33.

2.

Die Unfähigkeit,

während der im Urteile

bestimmten Zeit

a) die Landeskokarde zu tragen;

b) in das deutsche Heer oder in die kaiserliche Marine einzutreten; c) öffentliche Aemter, Würden, Titel, Orden und Ehren­

zeichen zu erlangen; d) in öffentlichen Angelegenheiten zu stimmen, zu wählen

oder gewählt zu werden oder andere politische Rechte auszuüben;

e) Zeuge bei Aufnahme von Urkunden zu sein; f) Vormund, Nebenvormund, Kurator, gerichtlicher Bei­

stand oder Mitglied eines Familienrates zu sein, eS

sei denn, daß eS sich um Verwandte absteigender Linie

handele und die obervormundfchaftljche Behörde oder der

Familienrat

die Genehmigung

erteile

(StGB.

§. 34)? Die Dauer der Unfähigkeit beträgt neben zeitiger Zucht­ hausstrafe mindestens 2 und höchstens 10 Jahre, neben Ge­ fängnisstrafe mindestens 1 und höchstens 5 Jahre (StGB.

§. 32).

Die Wirkung der Aberkennung tritt mit der Rechts­

kraft des Urteils ein; die Zeitdauer der Unfähigkeit wird von dem Tage berechnet, an dem die Freiheitsstrafe, neben welcher 1 Darunter sind Advokatur, Anwaltschaft, Notariat sowie Geschwornen- u. Schöffendienst mitbeariffen. • Vgl. auch noch GewOrdg.

§. 106 Verlust der Fähigkeit, sich mit der Anleitung von Ar­ beitern unter 18 Jahren zu befaßen.

202

Zweites Buch. H. Die Strafmittel.

jene Aberkennung ausgesprochen wmde, verbüßt, verjährt oder erlassen ist (StGB. §. 36).

Die Aberkennung der sämmtlichen Ehrenrechte ist regel­ mäßig dem Ermessen des Gerichtes überlassen; obligatorisch vorgeschricben

ist sie nur in den §§. 161 (Meineid), 181

(schwere Kuppelei), 302 d (Wucher nach dem Gesetz vom

24. Mai 1880) StGB.

Neben Todes- und neben Zuchthausstrafe kann sie ohne weiteres,

neben Gefängnisstrafe aber nur dann

ausgesprochen werden (StGB. §. 32), wenn die Dauer der erkannten Strafe drei Monate erreicht und entweder daS

Gesetz den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte ausdrücklich

zuläßt oder die Gefängnisstrafe wegen Annahme mildernder Umstände an Stelle von Zuchthausstrafe ausgesprochen wurde.

Die Fälle, in welchen das Gesetz den Verlust ausdrück­ lich zuläßt, sind die §§. 49a, 108, 109, 133, 142, 143; 150, 160, 161, 164, 168, 173, 175, 180, 183, 248, 256,

262, 263, 266, 280, 284, 289, 294, 302, 302 a, b, c (Wucher nach dem Gesetz vom 24. Mai 1880), 304, 329, 333, 350;

Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 §. 12; Seemanns­

ordnung vom 27. Dezember 1872 §. 97. Bei Versuch (StGB. §.45) ist die Aberkennung zu­

lässig oder geboten, wenn sie es neben der Strafe des voll­ endeten Deliktes wäre (die Bersuchsstrafe muß also bei Ge­

fängnis mindestens 3 Monate betragen); ebenso neben der Gesammtstrafe, wenn sie auch nur neben einer der ver­ wirkten Einzelstrafen zulässig oder geboten ist (StGB. §. 76).

Gegen den jugendlichen Thäter darf sie nie ausgesprochen werden (StGB. §. 57 Ziff. 5). II. Die Aberkennung (der Verlust)

einzelner

Ehrenrechte. Hier haben wir mehrere Fälle zu unterscheiden:

Nebenstrafen an der Ehre. §. 51.

203

1. Die Verurteilung zur Zuchthausstrafe hat die dauernde

Unfähigkeit zum Dienste in dem deutschen Heere und der deutschen Marine, sowie die dauernde Unfähigkeit

zur Bekleidung öffentlicher Aemter von

Rechtswegen zur

Folge (StGB. §. 31).

Neben einer Gefängnisstrafe, mit

2.

welcher die Ab­

erkennung überhaupt hätte verbunden werden können, kann auf die Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter

die Dauer von 1 bis zu 5 Jahren erkannt werden

auf

(StGB. §. 35). Auf den dauernden Verlust der bekleideten öffent­

3.

lichen Aemter und der aus öffentlichen Wahlen her­

vorgegangenen Fällen der

Rechte

kann

erkannt werden

in

den

§§. 81, 83, 84, 87—91, 94, 95 StGB., und

zwar nach §. 95 neben der Gefängnisstrafe, in den übrigen Fällen neben der Festungshaft, die hier ausnahmsweise mit

einer Minderung der Ehrenrechte verbunden sein kann.

4. Nach den §§. 128, 129, 358 StGB, kann (nach den §§. 128 u. 129 nicht aber nach §. 358 nur gegen Beamte»

die sich dieser Delitte schuldig gemacht haben) auf Verlust der Fähigkeit

zur Bekleidung öffentlicher Aemter auf die

Dauer von 1 bis zu 5 Jahren erkannt werden.

Für die Berechnung der Dauer der zeitigen Unfähigkeit gilt auch hier das oben ad I Gesagte.

III.

Ist ein Deutscher im Auslande wegen eines Ver­

brechens oder Vergehens bestraft worden, das nach den Ge­

setzen

deS

deutschen Reiches

den Verlust der

bürgerlichen

Ehrenrechte überhaupt oder einzelner bürgerlicher Ehrenrechte zm Folge hat oder zur Folge haben kann, so ist ein neues

Strafverfahren zulässig, um gegen den in diesem Ver-

204

Zweites Buch.

II. Die Strafmittel.

fahren für Schuldig Erklärten auf jene Folgen zu erkennen (StGB. §. 37 vgl. mit §. 5 Nr. I u. 3).

Anhang. 8.52.

vir Süße.'

I. Anwendungsgebiet. Die Buße findet sich sowohl im Strafgesetzbuch selbst als auch in einzelnen Nebengesetzen. Die Fälle, in welchen auf Buße erkannt werden kann, sind die folgenden: 1. StGB. §. 188. Ueble Nachrede und Verleumdung (StGB. §§. 186 u. 187), wenn die Beleidigung nachteilige Folgen für die Bermögensverhältniffe, den Erwerb oder daS Fortkommen deS Beleidigten mit sich bringt. Maximum

6000 Mark. 2. StGB. §. 231. Körperverletzung in allen Fällen. Maximum 6000 Mark. 3. Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §§. 18, 43, 45. Bei vorsätzlichem wie bei fahrlässigem Nachdruck.

Maximum 6000 Mark. 4. Urheberrechtsgesetze vom 9. Januar 1876 §. 16, 10. Januar 1876 §. 9, 11. Januar 1876 §. 14. Wie unter 3. 5. Markenschutzgesetz vom 30. November 1874 §. 15.

Maximum 5000 Mark. 6. Patentgesetz vom 25. Mai 1877 §. 36. Maximum 10000 Mark. In allen Fällen ist der Zuspruch der Buße durch daS 1 Lit. bei Binding Grund- I testen §. 326; Dochow HR. riß S. 131; Windscheid Pan- \ »Buße".

Die Buße.

§♦ 52.

205

im strafprozessualen Verfahren zu stellende Verlangen des Verletzten (StPO. §§. 443—446) bedingt; ist die Büße an den Verletzten zu entrichten, schließt die erkannte Buße die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruches aus; haften die zur Buße Verurteilten als Gesammtschuldner;1 2 darf auf einen höheren Betrag der Buße als den beantragten nicht erkannt werden (StPO. §. 445); kann der Anspruch deS Verletzten von dessen Rechtsnachfolgern nicht er­ hoben oder fortgesetzt werden (StPO. §. 444 Abs. 4); erfolgt die Eintreibung nach denBorschristen derCPO. (StPO. §.495). II. Charakter der Buße. DaS Wesen der Buße ist lebhaft bestritten; bald wird sie als Strafe, bald als Ent­ schädigung, bald als ein aus beiden Elementen zusammen­ gesetztes Institut betrachtet. Wenn wir im Auge behalten, daß der Begriff der Entschädigung durch dm Ersatz vermögenSrechtlicher Nachteile nicht erschöpft wird, sondem auch die dem Verletzten gebührende Genugthuung für den von ihm erlittenen Eingriff in seine Rechtssphäre überhaupt in sich schließt (vgl. oben §. 42 II), so werden wir gegen die Auffassung der Buße als reiner Entschädigung, besser viel­ leicht: als Genugthuung keine Bedenken erheben können. Diese Auffassung schließt nicht aus, daß der Anspruch auf Buße ein höchst persönlicher, nur dem Verletzten, nicht aber seinen Erben zustehender ist. Direkte Bestätigung findet der Genugthuungscharakter der Buße in den Nebengesetzen (verb. „statt der Entschädigung kann auf Buße erkannt werden"). Von diesem Standpunkte aus können wir die meisten der an die Buße anknüpfenden Kontroversen erledigen. So ist 1 Wenn auch nur für die Falle unter 2—6 ausdrücklich im Gesetze ausgesprochen, gilt

dieser Satz doch auch in gleicher Weise für Fall 1.

206

Zweites Buch. in. Die gesetzlichen Strafrahmen ic.

weder der Nachweis eines pekuniären Nachteils/ noch ein

solcher Nachteil überhaupt Bedingung für daS Entstehen des Anspruchs; daher ist auch bei versuchtem Delikte Buße

zuzusprechen; daher ist die Buße in jenen zahlreichen Fällen ausgeschlossen

(vgl.

unten

§. 54 I 3),

in

welchen

der

Eintritt einer nicht verschuldeten Körperverletzung strafschärfend

wirkt; daher verjährt der Anspruch

auf Buße nach den

Grundsätzen deS Civilrechtes,

auch

wenn

seine Geltend­

machung im Strafprozesse durch die strafrechtliche Verjährung

des Deliktes thatsächlich unmöglich

gemacht wird;

daher

wird die zuerkannte Buße durch Begnadigung nicht berührt,

während die Abolitien (vgl. unten ß. 57 IV 2 c) allerdings

mit dem Strafverfahren auch die Geltendmachung deS Buß­ anspruches verhindert.

Daher ist endlich das Schmerzens­

geld, das in seinem innersten Kerne mit der Buße sich deckt, beseitigt,3 4 soweit das Anwendungsgebiet der Buße

reicht.

III. Die gesetzlichen Strafrahmen und ihre Hand­

habung durch den Richter? §.53. Sie normalen Strafrahmen und die richterliche Lemrssung der Straf«.

I. In dem Wesen deS staatlichen Strafrechtes, als der Selbstbeschränkung der an sich unbeschränkten Strafgewalt

3 Anerkannt RGR. 18. März 1880, E I 328, R I 493. 4 Vgl. Windscheid §.455 91. 32.

1 Lit. bei Binding Grundriß S. 133 f.

Die normalen Strafrahmen rc. §. 53.

207.

(oben §. 1 I), liegt es, daß daS Strafgesetz nicht nur bot

Eintritt, sondern auch Art und Maß der Strafe bestimmt; der zweite Teil der eigentlichen Strafgesetze mehr ent­

daß

hält,

die

als

nur

dem primitivsten

Rechtszustande ent­

sprechenden Worte: der soll gestraft werdm (absolut unbe­

stimmte Strafgesetze). Bei Feststellung der Art und des Maßes der Strafe kann der Gesetzgeber entweder das richterliche Ermessen

ganz ausschließen oder demselben einen gewissen Spielraum

gestatten.

Im 1. Falle

stimmten Strafgesetze,

entstehen die

sog. absolut be­

die in dem modernen Strafrechte

eine ganz untergeordnete Rolle spielen (vgl. StGB. §§. 80, 211)

und

ihre Existenz

nur

noch

der Beibehaltung

der

Meist schlägt der Gesetzgeber unserer

Todesstrafe verdanken.

Tage den zweiten Weg ein: er stellt relativ bestimmte Strafgesetze auf.

1.

Die Relativität kann liegen:

Darin, daß der Gesetzgeber dem Richter innerhalb

derselben Strafart einen gewissen Spielraum zwischen einem

Minimal- und einem Maximalbetrage läßt. In diesem Falle ist nicht nur der Abstand zwischen Minimum und Maximum, sondern auch die durch die Art der Berechnung (vgl. z. B. oben §. 46 II 3) bestimmte Zahl der dazwischen liegenden

Strafgrößen zu beachten. 15 Jahren"

„Festungshaft

169;

So enthält „Zuchthaus, bis zu

„Gefängnis

bis zu

bis zu 5 Jahren"

15 Jahren"

5478;

„Haft

1826; bis zu

6 Wochen" 42 Strafgrößen.

2. Darin, daß der Gesetzgeber dem Richter die Wahl

läßt zwischen zwei oder sogar mehreren (wieder durch

Minimum und Maximum begrenzten) Strafarten.

Dgl.

StGB. §. 185: „Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Haft, oder Gefängnis bis zu

einem Jahre".

In diesem Falle

208

Zweites Buch. in. Die gesetzlichen Strafrahmen rc.

hat der Richter in leichteren Fällen die leichtere Strafart;

wenn Zuchthaus und Festungshaft zur Wahl gestellt sind, Zuchthaus nur bei festgestellter ehrloser Gesinnung des Thä­ ters zu wählen (StGB. §. 20).

3. Darin, daß eS dem richterlichen Ermessen in vielen

Fällen überlassen wird, ob die Hauptstrafe allein, oder neben derselben eine Nebenstrafe einzutreten hat. Nur den relativ bestimmten Strafgesetzen gegenüber ist

der Ausdruck Strafrahmen passend. II.

Welche Gesichtspunkte haben den Gesetzgeber

bei Aufstellung seiner Strafrahmen zu leiten? Die richtige

Antwort auf diese Frage liegt in dem Zweck der Strafe so klar wie möglich ausgesprochen: das Bedürfnis der Rechts­

ordnung nach Schutz

ihrer Rechtsgüter ist der erste und

wichtigste Maßstab; der zweite ergiebt sich daraus, daß Mittel und Zweck im richtigen Verhältnisse zu einander stehen müssen,

daß das Mittel nicht tiefere Wunden schlagen darf als die

Vereitelung des Zweckes.

Die weitere Durchführung dieses

Gedankens gehört umsoweniger hieher, als er im heutigen

Recht nur in einzelnen Fällen und ohne daß der Gesetzgeber sich klar darüber würde, die Aufstellung der Strafrahmen

beeinflußt.

Der Gesetzgeber steht vielmehr unter dem Banne

jener Ansicht, die den Maßstab der Strafe in dem began­ genen Verbrechen sieht, jener Ansicht, die zwischen Unrecht

und Strafe eine Gleichung herzustellen sucht.

Darum stuft

der Gesetzgeber seine Strafsätze im Wesentlichen nach zwei Gesichtspunkten ab:

1. Nach der objektiven Bedeutung des Unrechtes, also nach Tiefe und Umfang der durch dasselbe bewirkten Störung

der Rechtsordnung;

Die normalen Strafrahmen (Strafzumessung), g. 53.

209

2. nach der subjektiven Bedeutung deS Unrechtes, also nach der Schwere der Schuld deS Verbrechers, in. Innerhalb der gesetzlichen Strafrahmen hat der Richter die Strafe für das einzelne konkrete Verbrechen zu bemessen; im Einzelfalle die Aufgabe zu lösen, die der Gesetzgeber im allgemeinen zu lösen hatte. Dieser steht dem Diebstahle, jener diesem Diebstahle gegenüber. Eben dämm hat er innerhalb deS ihm gelassentn Spielraumes dieselben Gesichtspunkte zu beachten, die den Gesetzgeber bei der Auf­ stellung seiner Strafrahmen geleitet haben. Diese Bestim­ mung der Strafe innerhalb deS.Strafrahmens heißt Straf­ zumessung; die den Richter bei derselben leitenden Ge­ sichtspunkte StrafmehrungS- (oder StraferhöhungS-) und StrafminderungS gründe. IV. Wenn auch der Gesetzgeber die Strafrahmen für die einzelne Verbrechensart hinlänglich weit bemißt, so daß sie der objektivm und subjeküven Schwere der meisten Fälle dieser Verbrechensart entsprechen, so können doch Fälle vorkommen, denen gegenüber der normale Strafrahmen stch als zu eng erweist, in welchen also ein Hinaufgehen über daS Maximum, ein Herabgehen unter daS Minimum als angezeigt erscheint. Für diese Fälle stellt der Gesetzgeber besondere, sei eS schwerere sei es leichtere, Strafrahmen auf. Nicht ganz korrekt spricht man hier von Strafänderung (als ob eS sich um «ine richterliche und nicht um eine gesetzgeberische Thätigkeit handelte), zerfallend in Strafschärfung und Strafmilderung. V. Thatsächliche oder rechtliche Unanwendbarkeit an sich anzuwendender Strafarten führt zur Strafumwandlung (unten §. 55 I); die Kollision zwischen früheren und spä­ teren in derselben Sache notwendig werdenden Entscheidungen von Liszt, Strafrecht.

14

210

Zweites Buch. III. Die gesetzlichen (Strafrahmen re.

zur Strafanrechnung (unten §. 65 II). Endlich sind noch die besonderen Bestimmungen ins Auge zn fassen, welche der Gesetzgeber für den-Fall der Realkonkurrenz getroffen hat (unten §. 56). §. 54. Nir besonderen Strafrahmen (sog. „Strafänderung»).

Die regelmäßige Weite der von der Reichsgesetzgebung verwendeten normalen Strafrahmen gestattet es, die Auf­ stellung von besonderen Strafrahmen auf ein verhältnis­ mäßig kleines Gebiet zu beschränken. I. Erhöhte Strafrahmen (Strafschärfung). 1. Den Rückfäll (den Begriff s. oben §. 41 I) verwendet der Gesetzgeber nur in einzelnen Fällen und in durchaus in­ konsequenter Weise als Sttafschärfungsgrund. So in dem StGB, selbst in den §§. 244, 245 (Diebstahl), 250 Z. 5 (Raub), 261 (Hehlerei), 264 (Betrug). Ferner in einzelnen Nebengesetzen, besonders in den Zoll- und Steuergesetzen. Man vgl. Salzsteuergesetz vom 12. Oktober 1867 §. 12; Branntweinsteuergesetz vom 8. Juli 1868 §§. 52, 53; Ver­ einszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 140—143; Rübenzucker­ steuergesetz vom Mai 1870 (Vrdg. von 1846 §§. 19, 20, 25); Postgesetz vom 28. Oktober 1871 §. 28; Brausteuer­ gesetz vom 31. Mai 1872 §§. 33, 34; Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879 §§. 37—39. (Dagegen Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §. 23.) 2. In einzelnen Fällen wird für die gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Begehung des Deliktes (Begriff oben §. 39 n 3) ein erhöhter Strafrahmen aufgestellt; vgl. StGB. §§. 260, 294, 302 d (Wucher); vgl. auch Vereins-

Die besond. Strafrahmen (sog. „Strafänderung"), g. 54.

zollgesetz vom 1. Juli 1860 §. 141 2. Abs.

211

Andere Schär-

fungsgründe wie die Oeffcntlichkeit der Verübung, der Ge­

brauch einer Waffe,

Richtung der Handlung gegen einen

Ascendenten, Begehung um des eigenen Vorteils willen usw. werden wir im besonderen Teile kennen lernen; Anspruch auf

allgemeinere Bedeutung haben sie nicht. 3. Erwähnung verdienen nur noch die zahlreichen Fälle,

in

der

welchen

Eintritt

Strafschärfung bewirkt.

eines

schwereren

Erfolgs

Man vgl. StGB. §§. 178, 220,

221, 226, 227, 229, 239, 251, 312, 315, 321—324 usw.

Zu bemerken ist, daß in all' diesen Fällen der Erfolg nicht schuldhaft

(also

weder vorsätzlich noch fahrlässig) herbeige­

führt sein braucht, daß er demnach jedem Teilnehmer zuzu­ rechnen,

sowie endlich,

Fälle nicht möglich

daß

ein Versuch

dieser schwereren

und denkbar ist, weil bei ÄUchteintritt

deS schwereren Erfolges eben nur der einfache Fall, bei Ein­

tritt desselben aber sofort Vollendung des schwereren Verbrechms vorliegt.

(Vgl. oben §. 27 II, §. 32 IV 1.)

n. Erniedrigte Strafrahmen (Strafmilderung). 1.

Bei zahlreichen Verbrechen hat der Gesetzgeber für

den Fall „mildernder Umstände", die er nicht näher spezia­ lisiert und die im schwurgerichtlichen Verfahren durch Be­ fragung der Geschworenen festzustellen sind (StPO. §. 297),

einen besonderen niederen Strafrahmen aufgestellt.

Dabei

weist er in den meisten Fällen den Richter bestimmt an, sich,

wenn mildernde Umstände vorliegen, dieses milderen StrafrahmmS zu bedienen; in anderen Fällen (so StGB. §§. 187,

246, 263, 333, 340 nicht aber 228) dagegen läßt er dem

Richter trotz

Feststellung

stände die Wahl,

des Vorliegens

mildernder Um­

ob er sich des normalen oder deS ernie­

drigt« Strafrahmens

bedienen will.

Richt zu verwechseln

212

Zweites Buch.

IN. Die gesetzlichen Strafrahmen rc.

mit den mildernden Umständen sind die „leichteren", „minder schweren Fälle" in StGB. §§. 57 Ziff. 4, 94, 96; hier liegt

in der That nur ein Strafrahmen vor. 2.

Die verminderte Zurechnungsfähigkeit (vgl.

oben §. 25 III) hat der Gesetzgeber nur beim jugendlichen

Alter, hier aber als allgemeinen (für alle von jugendlichen Personen

begangenen

derungsgrund verwertet.

strafbaren Handlungen)

Strafmil­

Dgl. StGB. §. 57.

a) Ist die Handlung mit dem Tode oder mit lebensläng­ lichem Zuchthaus bedroht',

so lautet der erniedrigte

Strafrahmen: Gefängnis von 3—15 Jahren.

b) Bei lebenslänglicher Festungshaft:

Festungshaft von

3—15 Jahren. c) In allen übrigen Fällen ist die Strafe zwischen dem

gesetzlichen Mindestbetrage der angedrohten Strafart und

der Hälfte des Höchstbetrages der angedrohten

Strafe zu bestimmen.

Dies gilt auch für diejenigen

Fälle, in welchen (vgl. oben §. 47 II) die Geldstrafe

dem Erwachsenen gegenüber als Vielfaches eines ab­ solut bestimmten Betrages zu bemessen ist, so daß auch hier die in §. 27 StGB, angegebenen Minimalbeträge

maßgebend sind;

RGR. 24. März 1880, E I 334.

An Stelle von Zuchthaus tritt Gefängnisstrafe von

gleicher Dauer.

d) Wegen Vergehen oder Uebertretungen kann in beson­ ders leichten Fällen auf Verweis erkannt werden.

e) Auf Verlust sämmtlicher oder einzelner

Ehrenrechte

sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht ist nicht zu erkennen.

Die mildere Behandlung der Kindestötung ist dagegen nicht auf verminderte Zurechnungsfähigkeit

zurückzuführen.

Strafumwandlung und Strafanrechnung.

55.

213

3. Versuch und Beihülfe (StGB. §§.44 und 49; vgl. oben §§. 33 HI und 37 II4) sind ebenfalls allgemeine

Milderungsgründe. Hat ein jugendlicher Thäter sich des Versuches oder der Beihülfe schuldig gemacht, so ist zuerst die Reduktion des Strafrahmens nach §. 44, und dann die nach §. 57 StGB, vorzunehmen (sehr bestritten); jedenfalls findet zweimalige, eventuell dreimalige Erniedrigung deS normalen Strafrahmens statt.

§. 55. Strafumwandlung und Strasanrrchnung.

I. Strafumwandlung?

1. Eine nicht beizutreibende Geldstrafe ist in Freiheitsstrafe umzuwandeln (StGB. §§. 28, 29, 78; StPO. §. 491). Und zwar tritt an Stelle der Geldstrafe:

a) regelmäßig Gefängnis. b) Haft bei Uebertretungen, ferner bei Vergehen, gegen welche Geldstrafe allein oder an erster Stelle oder

wahlweise neben Haft angedroht ist, dann, wenn die erkannte Strafe nicht den Betrag von 600 Mark und

die an ihre Stelle tretende Freiheitsstrafe nicht die Dauer von 6 Wochen übersteigt. c) Zuchthaus. War neben der Geldstrafe auf Zucht­ haus erkannt, so ist die an deren Stelle tretende Ge­ fängnisstrafe in Zuchthaus umzurechnen. Maßstab der Umwandlung.

Bei den wegen eines

1 Lit. bei Dinding Grundriß S. 141.

214

Zweites Buch.

HL Die gesetzlichen Strafrahmen rc.

Berbrechens oder Vergehens erkannten Geldstrafen ist irgend ein Betrag zwischen 3 und 15 Mark, bei den wegen einer Uebertretung erkannten Geldstrafen irgend ein Betrag zwischen

einer und 15 Mark einer eintägigen Freiheitsstrafe gleich­

zuachten. Grenzen

der

substituierten

Freiheitsstrafe.

Der Mindestbetrag derselben ist ein Tag, der Höchstbetrag bei Haft 6 Wochen, bei Gefängnis 1 Jahr.

(Dieser Hast­

betrag kann überschritten werden im Falle realer Konkurrenz,

StGB. §. 78 Abs. 2, vgl. unten §. 56 III 1.) neben der Geldstrafe

wahlweise

angedrohte

Wenn eine

Freiheitsstrafe

ihrer Dauer nach den vorgedachten Höchstbetrag nicht erreicht, so darf die substituierte Freiheitsstrafe den angedrohten Höchst­ betrag jener Freiheitsstrafe nicht übersteigen.

Der Verurteilte kann sich durch Erlegung des Strafbetrages, soweit dieser durch die erstandene Freiheitsstrafe noch

nicht getilgt ist, von der letzteren frei machen. Vielfach

von

dem

eben Gesagten

mungen enthalten die Nebengesetze.

weise

die Umwandlung

abweichende Bestim­ So schließen sie teil­

Freiheitsstrafe

in

überhaupt aus;

vgl. Wechselstempelgesetz vom 10. Juni 1869 §. 15; Nach­ drucksgesetz vom 11. Juni 1870 §. 24.

anderen

Umwandlungsfuß

auf;

so

Oder sie stellen einen Nachdrucksgesetz

vom

11. Juni 1870 §. 18 Abs. 3, die Gewerbeordnung nach dem Gesetz vom 12. Juni 1872 §§. 145 ff., Vereinszollgesetz vom

1. Juli 1869

§. 162,

die

Salz-,

Branntwein-,

Tabak-,

Rübenzucker-, Brau-Steuergesetze, Postgesetz vom 28. Oktbr. 1871 §. 31 usw.

Hieher gehören auch StPO. §§. 50, 69,

77; CPO. §§. 345, 355, 374.

2.

Die

Umwandlung

einer Freiheitsstrafe

in

eine andere kann aus rechtlichen Gründen notwendig werden.

Strafumwandlung und Strafanrechnung. §. 55.

215

So nach heu §§. 44, 49,157,158 StGB., wenn nach dem

erniedrigten Strafrahmen Zuchthausstrafe unter einem Jahre (vgl. oben §. 46 II 2) verwirkt wäre; bei Feststellung der Gefammtstrafe nach

endlich

wenn

an

§. 74 StGB. (vgl. unten §. 56 II);

Stelle der Geldstrafe Zuchthaus treten

In diesen Fällen

soll, StGB. §. 28 (vgl. oben unter 1). können

auch

Tage

und Wochm Zuchthaus

werden (vgl. oben §. 46 II 3), da eS stch

auSgeworfen hier um ein

rechnungsmäßig sich ergebendes Resultat handelt.

Maßstab der Umrechnung (StGB. §. 21): 8 Mo­ nate Zuchthaus gleich 12 Monate Gefängnis; 8 Monate Gefängnis gleich 12 Monate Festungshaft.

n. Strafanrechnung. 1.

Eine erlittene

Untersuchungshaft kann als

Strafverbüßung betrachtet und bei Fällung des Urteils auf die erkannte Strafe (die im Urteilstenor ihrem vollen Be­

trage nach

anzugeben ist) ganz oder teilweise angerechnet

werden (StGB. §. 60).

Die Anrechnung ist bei Freiheits-

und Geldstrafe, nicht bei Verweis oder Todesstrafe, nie bei

den Nebenstrafen gestattet. 2. Eine im Auslande vollzogene Strafe ist, wenn

wegen derselben Handlung im Gebiete des deutschen Reichs abermals eine Verurteilung erfolgt, auf die zu erkennende Strafe in Anrechnung zu bringen (StGB. §. 7 vgl. mit §§. 3 u. 4). In den Fällen der Anrechnung ist Zuchthaus wie regel­

mäßig (oben §. 46 II 3) nach vollen Monaten zu berechnen.

3. Als einen der Sttafanrechnung verwandten Fall haben wir die in den §§. 199 und 233 StGB, enthaltene Bestim­

mung (die sog. Retorsion) zu konstruieren. littmen Strafe wird hier die

An Stelle der er»

erüttene Beleidigung oder

Körperverletzung zur Anrechnung gebracht.

216

Zweites Buch.

III. Die gesetzlichen Strafrahmen rc.

§. 56. Vir Bestimmung der Strafe im /alle realer Konkurrenz mehrerer verbrechen? I. Liegen mehrere selbständige Berbrechen desselben Thä­

ters zur strafrechtlichen Beurteilung vor, so wäre die lo­

gisch notwendige Folge auS der Selbständigkeit der einzelnen Derbrechm die Selbständigkeit der denselben ent­

sprechenden Einzelstrafen?

Aber die Kumulierung

der Einzelstrafen bei der Strafvollstreckung führt nach der in der heutigen Strafgesetzgebung herrschenden Ansicht, wenn es sich um gewisse Strafmittel handelt, zu unverhältnis­

mäßigen Härten.

Mit dem Umfange

der in der Strafe

liegenden Rechtsgüterverletzung wächst deren Intensität; soll

daher die kumulierende Strafvollstreckung nur die wirkliche Summe der einzelnen Strafübel zufügen, so muß sie diesen an Umfang nehmen, was sie durch die Kumulierung an Intensität gewinnen.

So gelangen wir zu der Forderung einer Mil­

derung des Kumulationsprinzipes bei realer Kon­ kurrenz; einer Milderung, die nur scheinbar eine solche, in Wahrheit aber eine Wiederherstellung

des

ursprünglichen

Gleichmaßes zwischen Einzelverbrechen und Einzelstrafe ist; einer Milderung, die aber nur dort und nur soweit ange­

messen ist, wo und soweit die Kumulierung jenes ursprüng­

liche Gleichmaß stört.

Dies ist der Grundgedanke der in den

§§. 74 ff. RStGB. niedergelegten Bestimmungen.

II.

Die Milderung der Kumulierung ist im RStGB.

1 Lit. bei Bin ding Grundriß S. 144 f. Dazu Herzog GS. XXX, Thomsen GS. XXXI.

1 Dgl. über den Begriff der Realkonkurrenz oben §. 41 II.

zum

Ausdrucke

strafe.

217

§. 56.

Realkonkurrenz.

gelangt in der

Gestalt

der

Gesammt-

Sie findet aber nur dort Anwendung, wo durch

mehrere (gleichnamige

oder ungleichnamige)

Verbrechen

Freiheitsstrafen

oder Vergehen

mehrere zeitige

verwirkt wurden;

denn nur hier würde nach Ansicht des

Gesetzgebers

der kumulierende Strafvollzug eine von ihm

nicht gewollte Schärfung jeder Einzelstrafe bedeuten.

Die Gefammtstrafe

besteht in einer Erhöhung

verwirkten schwersten Strafe.

der

ES werden zunächst die Die schwerste der­

sämmtlichen Einzelstrafen ausgeworfen?

selben (bei gleichartigen die der Dauer, bei ungleichartigen

die der Art nach schwerste) bildet die Einsatzstrafe, welche uuverkürzt beizubehalten ist; die übrigen Einzelstrafen werden

verhältnißmäßig gekürzt und dann zu der Einsatzstrafe hin­

zugerechnet.

Die Gefammtstrafe darf den Betrag der ver­

wirkten Einzelstrafen nicht erreichen, und 15jähriges Zucht­

haus,

lOjährigeS Gefängnis oder 15jährige Festungshaft,

nicht übersteigen (StGB. §. 74).

m.

Soweit es sich um realkonkurrierende Uebertre-

tungen oder um das Zusammentreffen solcher mit Ver­

brechen oder Vergehen handelt;

soweit ferner nicht zeitige

Freiheitsstrafe untereinander, sondern

solche mit anderen

Strafmitteln oder andere Strafmittel untereinander zu-

sammentreffen, findet die Gefammtstrafe keine Anwendung. Doch wird daS Prinzip der Kumulierung auch hier nicht

reiu durchgeführt. 1. So ist zwar auf Geldstrafen, welche wegen meh­

rerer strafbarer Handlungen allein oder neben einer Frei­ heitsstrafe

verwirkt sind, ihrem vollen Betrage nach

* RGR. 28. November 1879, B I 102.

zu

218

Zweites Buch. III. Die gesetzlichen Strafrahmen rc.

erlernten; allein bei Umwandlung derselben in Freiheitsstrafe dürfen 2 Jahre Gefängnis und, wenn die mehreren Geld­ strafen nur wegen Uebertretungen erkannt sind, 3 Monate Haft nicht überschritten werden (StGB. §. 78 vgl. mit Z. 29). 2. Die Aberkennung der bürgerlichen Ehren­ rechte und der Ausspruch der Zulässigkeit von Polizei­ aufsicht ist zwar neben der Gesammtstrafe zulässig oder geboten, auch wenn sie nur neben der Verurteilung zu einer der konkurrierenden Einzelstrafen zulässig oder geboten.finb4 (StGB. §. 76); aber das für diese Nebenstrafen an sich vorgezeichnete Höchstmaß (vgl. oben §. 51) darf auch in dem Falle der Realkonkurrenz nie überschritten werden. Mit anderen Worten: beim Zusammentreffen dieser Nebenstrafen absorbiert die schwerste aus ihnen alle gleichartigen Nebenstrafen, ohne durch das Zusammentreffen mit den zur Gesammtstrafe vereinigten zeitigen Freiheits - Hauptstrafen irgend wie berührt zu werden. IV. Aber auch innerhalb des Gebietes der zeitigen Frei­ heitsstrafen erleidet das Prinzip der Gesammtstrafe wesent­ liche Einschränkungen. 1. Trifft Haft mit einer anderen Freiheitsstrafe zu­ sammen, so ist auf die erstere gesondert zu erkennen. Auf eine mehrfach verwirkte Haft ist ihrem Gesammtbetrage nach, jedoch nicht über die Dauer von drei Monaten zu erkennen (StGB. §. 77). 2. Trifft Festungshaft nur mit Gefängnis zusammen, so ist auf jede dieser Strafarten gesondert zu erkennen. Ist 4 ES kann daher Aberkennung der bürgerl. Ehrenrechte neben Gefängnis nach §. 32 StGB, nur dann ausgesprochen werden,

wenn eine der Einzelstrafen 3 Monate erreicht. RGR. 5. Februar 1880, RI 321.

Die Strafaufhebungsgründe,

g. 57.

219

Festungshaft oder Gefängnis mehrfach verwirkt, so ist hin­ sichtlich der mehreren Strafen gleicher Art so zu verfahren, als wenn dieselben allein verwirkt wären. Doch darf die Gesammtdauer der Strafen in diesen Fällen 15 Jahre nicht übersteigen (StGB. §. 75). V. Abweichende Bestimmungen finden sich vielfach in den Nebengesetzen. Man vgl. z. B. Braumalzgesetz vom 4. Juli 1868 §. 35, Gewerbeordnung §. 150 u. A. Ganz eigentümlich das Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878, welches in mehreren Strafdrohungen die Strafe nach der Zahl der einzelnen feilgehaltene», erworbenen, gebrauchten usw. Spiele bemißt.

IV. Der Wegfall des staatlichen Ztrafansprnchs. §.57.

Allgemeines.

Mr einzelnen Strafaufhebungsgründe.

I. Die prinzipielle Bedeutung der Strafaufhebungsgründe,

ihr Unterschied von den Hindernissen, die sich der Geltend­ machung des staatlichen Strafanspruches in den Weg stellen, von den Bedingungen der Strafbarkeit, und den subjektiven Strafausschließungsgründen wurde bereits oben §. 30 III

Strafaufhebungsgründe sind nach Begehung einer strafbaren Handlung eintretende Umstände, welchen daS positive Recht die Wirkung beilegt, den bereits entstandenen Strafanspruch zu ver­ nichten. Ihre Darstellung gehört zum Teile, soweit sie durch prozessuale Handlungen (wie rechtskräftige Entscheidung, über den erhobenen Anspruch, Rücknahme des gestellten Strafantrages oder der Privatllage) begründet werden, dem erwähnt.

220 Zweites Buch. IV. Der Wegfall des staatl. StrasanspruchS.

Strafprozeßrechte an. Alle übrigen Strafaufhebungs­ gründe sind materiell rechtlicher Natur. Zu erwähnen sind: 1. der Tod des Schuldigen; 2. thätige Reue; 3. Begnadigung; 4. Verjährung. II. Der Tod des Schuldigen* tilgt nach heute all­ gemein angenommener Ansicht nicht das Verbrechen, wohl aber den Strafanspruch. Dieser kann und soll auf die schuldlosen Rechtsnachfolger des Verstorbenen nicht übergehen; der Ausspruch oder Vollzug von Strafübeln gegen den Ver­ storbenen selbst aber widerspricht unsern modernen An­ schauungen, so daß der Strafe ihre motivierende Kraft fehlen würde. Eben darum ist es eine nicht zu billigende Ano­ malie, wenn das StGB, in §. 30 ausnahmsweise die Vollstreckung von Geldstrafen in den Nachlaß an­ ordnet, soferne das Urteil bei Lebzeiten des Verurteilten rechtskräftig geworden war. III. Der thätigen Reue^ legt unsere Gesetzgebung aus guten Gründen nur ausnahmsweise die Bedeutung eines Strafaufhebungsgrundes bei. Sie will in diesen Fällen dem Verbrecher die Möglichkeit des Rückzuges offen laffen, und so das durch ihn bedrohte Rechtsgut vor Verletzung überhaupt oder doch vor größerer Verletzung schützen. Außer dem be­ reits besprochenen Rücktritte vom Versuche (oben §. 34) gehören hieher: a) Widerruf der fahrlässigen falschen Aussage StGB. §. 163; 1 Lit. bei Binding Grund- I * Lit. bei Bin ding Grund­ riß S. 159. I riß S. 159.

221

Die Strafaufhebungsgründe. §. 57.

b) Abstehen vom Zweikampfe und Bemühung um Ver­ hinderung desselben StGB. §§. 204 und 209; c) Rechtzeitiges Löschen des bereits auSgebrochenen Bran­

des StGB. §. 310. Der Verzicht des Straf-

IV. 1. Die Begnadigung?

anspruchs-Berechtigtett auf den ihm erwachsenen Anspruch ist

im modernen Strafrechte in ziemlich

Ausgleichung

des

abstrakten Rechts

konkreten Falle verwertet.

planloser Weise zur mit

der Billigkeit im

Dräger des Begnadigungsrechtes

ist nach dieser Auffassung der Anspruchsberechtigte, mithin in allen Fällen (auch in jenen der Antragsdelikte und der Privatklage)

der Staat.

Dieser

übt daS

Begnadigungsrecht

auS durch den Souverän; also das Reich durch den Kaiser, die einzelnen Bundesstaaten durch ihre Monarchen, bez. die

Senate von Bremen, Hamburg, Lübeck. 2. Man unterscheidet: a) Völligen und teilweisen Verzicht auf den Anspruch

(Nachlaß oder Milderung der Strafe).

b) Einzelbegnadigung

und

die mehrere, persönlich

oder sachlich umgrenzte Gebiete umfassende Amnestie.

c) Abolition:

Niederschlagung der

Strafverfolgung;♦

Begnadigung im engeren Sinne: Erlaß der rechts­

kräftig

erkannten

Strafe;

Restitution:

gänzlicher

oder teilweiser Erlaß der Ehrennebenstrafe.

3. Dem Kaiser steht daS Begnadigungsrecht (nicht die

Abolition, wohl aber auch die Restitution) zu in folgenden Fällen:

• Lit. bei Dinding Grund­ riß S. 167. Dazu Geyer HR. „Begnadigung".

4 Also Verzicht auf den m ö g licherweise vorhandenen Straf­ anspruch und schon darum irra« tionell.

222

Zweites Buch. IV. Der Wegfall des staatl. Strafanspruchs.

a) Nach der StPO. §. 484 in Sachen, in welchen das

Reichsgericht in erster und letzter Instanz erkannt hat

(vgl. GVG. §. 136 Z. 1). b) Nach dem Gesetz vom 10. Juli 1879 betr. die Kon­

sulargerichtsbarkeit §. 42 in Sachen, in welchen der Konsul oder das Konsulargericht in erster Instanz er­ kannt hat.

c) In

Elsaß-Lothringen nach

§. 3

des

Gesetzes

vom

9. Juni 1871 betr. die Vereinigung von Elsaß-Loth­

ringen mit dem deutschen Reiche? 4. In allen übrigen Fällen sind die Einzelstaaten in der Person ihres Souveräns Träger des Begnadigungsrechtes. Doch ist die Abolition in den meisten Bundesstaaten durch

Verfasiungsbestimmungen beschränkt oder beseitigt/ und die Begnadigung überhaupt darf in manchen Fällen, so insbe­ sondere in

den Fällen der Ministeranklage, nur unter ge-

wisien Voraussetzungen ausgeübt, werden?

Bei

Kollisionen

der

partikularen

Begnadigungsrechte

untereinander ist davon auszugehen, daß es sich um Kolli­

sionen der

Strafansprüche handelt, ohne welche ein Be­

gnadigungsrecht überhaupt auf Entstehung

und

nicht denkbar ist.

Geltendmachung

In Bezug

der Strafansprüche

stehen aber die deutschen Staaten zu einander in demselben Verhältniße, wie die verschiedenen Gerichte desselben Staates.

Es

kann

dieser Satz geradezu als der Grundgedanke der

6 Nicht hieher gehört das Ge­ setz über die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten v. 31. März 1873 §. 118, das von krimi­ neller Strafe (und nur mit dieser haben wir es thun) über­ haupt nicht spricht.

6 Vgl. Dinding Grundriß S. 168. 7 Vgl. Bindina Grundriß S. 169. Hauke Lehre v. d. Ministerverantwortlichkeit 1880 S. 145 ff. mit Lit.

Die Verjährung. §♦ 58.

223

heutigen Gerichtsverfassung Deutschlands bezeichnet werden.

Daraus folgt:

a) Ist nur ein Anspruch entstanden, aber zugleich zweifel­ haft,

für welchen Staat (weil die verschiedenen

als

untereinander gleichberechtigt konkurrierenden Gerichtsstgnde in verschiedenen Staaten gelegen sind), so wird

durch die Entscheidung über den Gerichtsstand (nach

den Vorschriften der StPO. §§. 7 ff.) auch über den Anspruch zu. Gunsten des einen der kollidierenden Ein­

zelstaaten entschieden.

Nur dieser Staat kann daher

das Begnadigungsrecht ausüben, und eine von einem anderen Staate ausgehende, etwa bereits vor dieser

Entscheidung

in

der

Gestalt der Abolition erfolgte

Begnadigung ist ohne jede juristische Bedeutung.

b) Werden mehrere Ansprüche mehrerer Einzelstaaten

(z. B. im Falle der Konnexität) in demselben Verfahren vereinigt, so berührt diese rein prozessuale Vereinigung die Ansprüche selbst in keiner Weise.

Das Begnadi­

gungsrecht bleibt, auch nach rechtskräftiger Entschei­

dung, jedem Einzelstaat für seinen Strafanspruch Vor­ behalten?

58.

Fortsetzung. Vie Verjährung? I. Alles objektive Recht besteht darin, daß es an gewisse

Thatsachen andere Thatsachen als deren Rechtsfolge knüpft. v Anders die herrschende An­ sicht (Meyer, Löwe, Binding), nach welcher immer je­ nem Staat das Begnadigungs­ recht zusteht, dessen Gericht in

erster Instanz erkannt hat. Ge­ setzliche Regelung wäre dringend wünschenswert. 1 Lit. bei Binding Grund­ riß S. 160.

Zweites Buch. IV. Der Wegfall deS staatl. Strafanspruchs.

224

Eine Rechtsfolge ohne rechtschaffende und

als solche vom

objektiven Rechte anerkannte Thatsache ist keine Rechtsfolge.

Aber die Macht der Thatsachen spottet nur zu oft der Jm-

peraüve deS Rechts; sie setzt sich selbst die Folgen, die daS Recht ihr nicht gewähren will; und sie findet in der Achtung,

die allem Bestehenden entgegengetragen wird, einen Ersatz für die mangelnde Sanktion deS objektiven Rechts.

Diesen

Zwiespalt zwischen Recht und Thatsachen kann daS Recht nur dadurch beseitigen, daß es die Thatsachen zu Recht an­ erkennt, die von ihnen erzeugten Folgen zu Rechtsfolgen

Das ist der Grundgedanke aller Verjährung.

erhebt.

die Zeit schafft das Recht:

Richt

aber das Recht selbst leiht

seine Sanktion den Thatsachen, die eine gewisse Zeit hindurch

Sekundäre Gesichts­

sich zu behaupten stark genug waren.

punkte, insbesondere die Schwierigkeiten, die der Feststellung

deS Sachverhaltes in den Weg

treten,

wenn ein längerer

Zeitraum seit seinem Entstehen verflossen ist, fördern die all­ gemeine Anerkennung und umfassende Wirkung des Rechts­ instituts der Verjährung, in welchem der Bruch des Rechts durch

die

Thatsachen

rechtliche

Gestalt

und

Bedeutung

gewinnt. So tilgt die Zeit auch den staatlichen Strafanspruch; die thatsächliche Straflosigkeit des Schuldigen wird vom po­

sitiven Rechte zum Strafaushebungsgrunde gestempelt. eine rechtskräfttg

gewordene

Selbst

gerichtliche Anerkennung

des

staatlichen Strafanspruches hemmt wohl, hindert aber nicht

seinen Untergang.

Das

moderne Recht kennt

Verfolgungsverjährung (Verjährung

auch die judicati).

Vollstreckungsverjährung

neben der

der actio ex (Verjährung

delicto)

der

actio

Fortsetzung.

Die Verjährung,

g. 58.

225

II. Die BerfolgungSverjährung. 1. Die Strafklage verjährt (StGB. §. 67):

a) bei Verbrechen in 20 Jahren, wenn sie mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthause; in 15 Jahren,

wenn sie im Höchstbetrage mit einer Freiheitsstrafe von

einer längeren als 10jährigenDaueren lOJahren, wenn sie mit einer geringeren Freiheitsstrafe bedroht sind.

b) bei Vergehen in -5 oder 3 Jahren, je nachdem sie

im Höchstbetrage mit einer längeren als dreimonat­ lichen Gefängnisstrafe, oder aber mit einer milderen

Strafe bedroht sind?

c) Bei allen Uebertretungen in 3 Monaten. Für die Berechnung ist das Höchstmaß deS Strafrahmens

maßgebend; im Einzelnen gelten auch hier die oben §. 18 III aufgestellten Grundsätze.

Besondere Verjährungsfristen finden sich in zahlreichen Nebengesetzen; so Wechselstempelgesetz vom 10. Juni 1869 §.-17 (5 Jahre),

(3 Monate),

Gewerbeordnung Vereinszollgesetz

vom 21. Juni 1869 §. 145

vom

1. Juli 1869

§. 164

(3 Jahre), Rübenzuckersteuergesetz vom 2. Mai 1870 fVrdg.

von 1846 §. 30] (5 Jahre), Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §§.33 ff. (3 Jahre bez. 3 Monate), Braumalzsteuergesetz vom 31. Mai 1872 §. 40 (3 Jahre), Preßgesetz vom 7. Mai

1874 §. 22 (6 Monate), Spielkartenstempelgesetz vom 3. Jull 1878 §. 20 (3 Jahre),

Patentgesetz vom

25. Mai 1877

§.- 38 (3 Jahre), Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879 §.45 (3 Jahre).

Vgl.

auch

Einf.Ges.

1 Hieher gehört auch die vom Gesetze vergeffene lebenslängliche Festungshaft. • Also immer, wenn Geld­ strafe angedroht ist, mag auch von Li-zt, Strafrecht.

z.

StGB.

§. 7, nach

die ihr entsprechende Freiheits­ strafe 3 Monate übersteigen (RGR. 27. Januar 1880, E I 167, R I 280).

226

Zweites Buch. IV. Der Wegfall des staatl. Strafanspruchs.

welchem Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Entrichtung der Branntweinsteuer, der Biersteuer und der

Postgefälle in 3 Jahren verjähren. 2. Der Fristenlauf beginnt mit dem Tage, an welchem die Handlung begangen ist, ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des eingetretenen Erfolges.

gangenen

Ueber

den Zeitpunkt der be­

That vgl. das oben §. 19 IV Gesagte.

Daraus

folgt, daß der Beginn der Verjährung unabhängig ist von

dem Eintritte der etwa noch erforderlichen Bedingungen der Strafbarkeit,

der Ehe usw.

wie

z. B. Antrag des Verletzten, Scheidung

Doch kann unter Umständen das AuSstehen

einer solchen Bedingung ein Ruhen der Verjährung (unten unter 4) zur Folge haben.

lungen, welche

Eine Summe von Einzelhand­

das Recht zu einer juristischen Einheit zu­

sammenfaßt (vgl. oben §. 39 II), ist auch in Bezug auf den

Beginn der Verjährung als solche gif betrachten: die Ver­ jährung kann nicht beginnen, ehe die Handlung abgeschlosien

ist (anerkannt in §. 34 des Nachdrucksgesetzes vom 11. Juni 1870).

Besondere Bestimmungen: Nach §. 100 der

Seemannsordnung

vom

Verjährung mit dem

27. Dezember

1872

beginnt die

Tage, an welchem das Schiff zuerst

ein Seemannsamt erreicht.

Jnteresiant Nachdrucksgesetz vom

11. Juni 1870: nach §§. 33 und 37 beginnt die Verjährung des Nachdrucks und

des

durch unterlassene Quellenangabe

begangenen Deliktes mit dem Tage der ersten Verbreitung,

obwohl schon mit der Herstellung des ersten Exemplares nach K. 22 das Vergehen

vollendet war.

Die Verjährung der

Wechselstempelhinterzieh ungen beginnt nach §. 17 des Gesetzes v. 10/Juni 1669 mit dem Tage der Ausstellung deS Wechsels.

3.

Die Verjährung wird unterbrochen durch jede Hand­

lung des Richters, welche wegen der begangenen That gegen

Fortsetzung.

Die Verjährung, tz. 58.

227

den Thäter gerichtet ist (StGB. §. 68). Doch hat die StPO,

in den §§. 453 und 459 auch der polizeilichen Straffestsetzung und dem Strafbescheide der Verwaltungsbehörden die unter­

brechende Wirllmg brigelegt.

Nach dem Wechselstempelgesetz

vom 10. Juni 1869 §. 17 unterbricht jede amtliche Handlung

die Verjährung.

Nur die gegen den Thäter als Thäter ge­

richteten Handlungen unterbrechen die Verjährung; es genügt

also nicht die Vorladung als Zeugen, selbst wenn der Vorgela­ dene sich bei dieser Gelegenheit schuldig bekennt und darum nicht

beeidet wird (RGR. 24. November 1879, E I 231, R I 94). Die Unterbrechung findet nur rücksichtlich desjenigen statt, auf welchen die Handlung sich bezieht.

Nach der Unterbrechung beginnt eine neue Verjährung.

4.

Die Verjährung

ruht

(StGB. §. 69), wenn der

Beginn oder die Fortsetzung deS Strafverfahrens von einer Vorfrage abhängig ist, deren Entscheidung in einem anderen

Verfahren erfolgen muß.

(Man vgl. StGB. §§. 164, 170

—172, 191; Einf.Ges. z. GVG. §. 11 usw.) 5.

Wirkung der Verjährung ist die Beseitigung deS

Strafanspruchs,

nicht die des Verbrechens.

Eben darum

kann die Verjährung gegenüber einem von mehreren Teil­

nehmern eingetreten sein, während die übrigen noch strafbar

sind; vgl. oben §. 37 III 3. III. Die Vollstreckungsverjährung?

1. Die Vollstreckung rechtskräftig erkannter Strafen verjährt (StGB. §. 70): a) wenn auf Tod oder lebenslängliches Zuchthaus oder

lebenslängliche Festungshaft erkannt ist, in 30 Jahren;

b) wenn auf Zuchthaus oder Festungshaft von mehr als 10 Jahren erkannt ist, in 20 Jahren;

4 Lit. bei Dinding Gmndriß S. 166.

Zweites Buch. IV. Der Wegfall des staatl. Strafanspruchs.

228

c) wenn auf Zuchthaus bis zu 10 Jahren oder Festungs­ haft von 5—10 Jahren oder Gefängnis von mehr als 5 Jahren erkannt ist, in 15 Jahren;

d) wenn auf Festungshaft oder Gefängnis von 2—5 Jah­

ren oder auf Geldstrafe von mehr als 6000 Mark erkannt ist, in 10 Jahren;

e) wenn auf Festungshaft oder Gefängnis bis zu 2 Jahren oder auf Geldstrafe von mehr als 150 bis 6000 Mark erkannt ist, in 5 Jahren;

f) wenn auf Haft oder Geldstrafe bis zu 150 Mark er­

kannt ist, in 2 Jahren.

2. Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem das Urteil rechtskräftig geworden ist (StGB. §. 70).

3. Die Verjährung wird unterbrochen durch jede auf Vollstreckung der Strafe gerichtete Handlung derjenigen Be­

hörde- welcher die Vollstreckung obliegt, sowie durch die zum Zwecke der Vollstreckung erfolgende Festnahme des Verur­

teilten.

Nach der Unterbrechung beginnt eine neue Verjäh­

rung (StGB. §. 72).

4.

Die Vollstreckung einer wegen derselben Handlung

neben einer Freiheitsstrafe erkannten Geldstrafe verjährt mit

der Freiheitsstrafe (StGB. §. 71).

Ebenso verjähren auch die

übrigen Nebenstrafen mit der Hauptstrafe.

Eine Ausnahme

stellt das Gesetz für die zeitigen Nebenstrafen an der Ehre

(StGB. §. 36) und für die Nebenstrafe der Polizeiaufsicht (StGB. §. 38) auf.

Bei beiden beginnt die Wirkung deS

gerichtlichen Erkenntnisses. gerade mit der Verjährung der

Hauptstrafe.

sprochenen,

Dasselbe

gilt • von

der oben §. 49 V be­

nach §. 3 Nahrungsmittelgesetz

vom 14. Mai

1879 eintretenden, Nebenstrafe an der Freiheit.

Besonderer Teil. §.59. Uebersicht. I.

Den natürlichen, heute allgemein in den systematischen

Darstellungen deS Strafrechtes verwendeten, EinteilungS-

grund des besonderen Teiles unserer Wiffenschaft bildet die Verschiedenheit des durch die Strafe geschützten, durch daS

Delikt bedrohten Nechtsgutes, also jener Interessen,

die rechtlichen und zwar strafrechtlichen Schutz durch die mo­ derne Gesetzgebung -genießen.

Auch die Normentheorie muß

diesen Einteilungsgrund

anerkennen; denn weitaus die größte Zahl der strafrechtlich

relevanten Normen gehört zu der oben §. 3 I11 besprochenen

Klasse, steht zu dem zu schützenden Rechtsgute in unmittel­ barer und unverkennbarer Beziehung, stellt sich bei genauerer

Betrachtung einfach als die negative Seite der staatlichen Er­

klärung dar: Dieses Interesse soll meines Schutzes teilhafttg, es soll ein RechtSgut bleiben oder werden. Legen

wir der Einteilung des besonderen Teiles

die

Verschiedenheit der Rechtsgüter zu Gmnde, so gewinnen wir

sofort zwei, scheinbar abschließende, Gruppen von strafbaren Handlungen.

Die erste

Gruppe

umfaßt die gegen

den

Einzelnen; die zweit« die gegen die Gesammtheit ge­

richteten Delikte.

Wie

das Recht überhaupt entweder die

230

Besonderer Teil.

Beziehungen der Einzelnen untereinander oder aber die Be­ ziehungen der Einzelnen zur Gesammtheit regelt, so schützt auch das Strafrecht entweder diese oder aber jene Beziehungen. II. Die erste Gruppe bietet mehrfache Unterabteilungen. Alle Rechtsgüter des Einzelnen lasten sich in letzter Linie als Interesse an ungestörter Bethätigung zusammenfasten. Aber je nachdem sich diese Bethätigung materialisiert, eine in Geld abschätzbare, von dem Individuum trennbare und über­ tragbare Herrschaft begründet, oder aber zu dieser Verdichtung nicht gelangt und nur als höchstpersönliche Vollexistenz des Individuums erscheint: können wir zwischen den Vermö­ gensrechten einerseits und den immateriellen Rechts­ gütern andererseits unterscheiden. Zwischen diese beiden Unterabteilungen treten die Individualrechte, die zwar abschätzbar und (in ihrer Verwertung) übertragbar geworden sind, aber die volle Loslösung von dem Individuum nicht zulasten. Eigentum und Ehre und zwischen ihnen das Autorrecht mögen an Stelle nicht hieher gehörender wei­ terer Ausführungen das Gesagte beleuchten. Aber die Be­ thätigung der Persönlichkeit ist nicht möglich ohne den Schutz ihres physischen Lebens wie ihrer freien Bewegung im Raum; Leben und Bewegung, beim Thiere die ganze Bethä­ tigung des Individuums erschöpfend, sind beim Menschen nicht Bethätigung selbst, sondern Voraussetzung derselben. So zerfallen die Delikte gegen den Einzelnen in folgende Klaffen: 1. gegen Leib und Leben; 2. gegen die persönliche Freiheit; 3. gegen das Vermögen; 4. gegen die Individualrechte; 5. gegen die immateriellen Rechtsgüter. III. Schwieriger gestaltet sich die Einteilung der zweiten

Uebersicht. §. 59.

231

Gruppe. Die Bethätigung der Gesammtheit als solcher re­ präsentiert uns der Gang der Staatsverwaltung, derarbeitende Gesammtorganismus. Voraussetzung dieftr Be­ thätigung ist Bestand und Sicherheit des Staatsganzen. Aber auch das Lebensprinzip des staatlichen Organismus', die Kraft, welche das Ganze zusammenhält und die einzelnen Glieder in Bewegung setzt: die Staatsgewalt als Abstraktum wie in ihrenOrganen, bedarf des rechtlichen Schutzes. Damitgewinnen wir folgende Einteilung der in die 2. Gruppe gehörenden Delikte (wobei allerdings die Grenzlinien vielfach zweifelhafte sind): 1. gegen Bestand und Sicherheit des Staates; 2. gegen die Staatsgewalt und ihre Organe; 3. gegen den Gang der Staatsverwaltung. IV. Aber nur scheinbar erschöpfen die bisher besprochenen beiden Gruppen alle möglichen Fälle. Einer ganzen »Reihe von strafbaren Handlungen ist es eigentümlich, daß sie zwar gegen jene Rechtsgüter gerichtet sind, die wir als rechtlich ge­ schützte Interessen des Einzelnen bezeichnet haben, aber nicht gerichtet sind gegen einen einzelnen oder Mehrere einzelne Träger jener Rechtsgüter; daß sich vielmehr ihre Wirkungm erstrecken auf einen weder ziffermäßig noch indi­ viduell geschlossenen Kreis von Einzelnen. Es sind die gemeingefährlichen Delikte im weiteren Sinne; ge­ richtet nicht gegen einzelne Staatsbürger und nicht gegen daS Staatsganze, sondern, wie wir kurz sagen können, gegen. daS Publikum. Es gehören hieher: 1. die gemeingefährlichen Delikte im engerm Sinne; 2. die Verletzungen des Nahrungsmittelgesetzes; 3. die gegen den öffentlichen Frieden gerichteten strafbaren Handlungen; 4. eine Reihe anderer Fälle von meist polizeilichem Charakter.

232

Besonderer Teil.

V. Wir müssen aber endlich noch eine letzte Reche von strafbaren Handlungen ins Auge fassen, bei welchen unser Einteilungsgrund uns vollständig im Stiche läßt; bei welchen nicht die Natur des angegriffenen Rechtsgutes, sondern die Art des Angriffes maßgebend war für die Aufstellung der Strafdrohung; die gefährlich sind oder sein können in gleicher Weise für den Einzelnen, für das Publikum und für das Staatsganze. Die Mittel, welche die Rechtsordnung geschaffen hat zur Erreichung ihrer Zwecke, sind in der Hand des Verbrechers ebensoviele Mittel zum Angriffe auf die Rechtsordnung; wie die Naturkräfte, so kann er Geld und Urkunden, so kann er seine amtliche Stellung mißbrauchen zur Rechtsverletzung. Diesem Mißbrauch sucht der Gesetz­ geber durch besondere Normen (vgl. oben §. 3 II 4) vorzu­ beugen; und er schafft, indem er das thut, eine Reihe von eigenartigen Verbrechen. Er schafft damit nicht neue Rechts­ güter, sondern er will die vorhandenen schützen, indem er den Mißbrauch seiner Rechtsinstitutionen zu rechtswidrigen Zwecken verpönt. Nur um diesen Gegensatz und zugleich die Beziehung zu der Rechtsgüterwelt -auszudrücken, können wir die Integrität dieser Rechtsinstitutionen und dann diese selbst als uneigentliche Rechtsgüter bezeichnen, wobei der Ton auf dem Adjektiv, nicht auf bent Substantiv liegt. In diese Gruppe von strafbaren Handlungen gehören: 1. die Delikte an Geld; 2. die Delikte an Urkunden; 3. die Delikte gegen die Religion; 4. die Delikte an Personenstand und Ehe; 5. die Delikte gegen die Sittlichkeit (die staatliche Regelung des Geschlechtstriebes); . 6. die Delikte im Amte.

Erstes Buch.

Strafbare Handlungen gegen Nechtsgüter Les einzelnen Staatsbürgers. I.

Gegen Leib und Leben. 1. g. 60. vir Tötung.»

I.

Die vorsätzliche Tötung und zwar:

1. Mord (StGB. K. 211), wenn die Tötung mit Ueberlegung ausgeführt worden, d. h. wenn der Tötungsvorsatz

überlegter

Vorsatz

(oben §. 28 VI)

war?

Strafe:

Der Tod.

2. Todsch(ag (StGB. §. 212), wenn die Tötung nicht mit Ueberlegung ausgeführi worden, der Tötungövorsatz also ein nicht überlegter war.

Strafe: Zuchthaus von

5—15 Jahren. Privilegiert ist der Todschlag (StGB. §. 213), wenn

der Thäter ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen (StGB. §. 52 Abs. 2)zugefügte Mißhandlung oder

schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hiedurch auf der Stelle (d. h. in continenti, so lange

die durch

die Kränkung

hervorgerufene

1 Lit. bei Meyer S. 367 Note 2. 1 Die entgegengesetzte Ansicht, welche zwischen Ueberlegung beim

Gemütsbewegung

Beschließen u. Ueberlegung beim Ausfuhren unterscheidet, beruht auf einem psychologischen Irr­ tum.

Erstes Buch. I. Delikte gegen Leib und Lebeti.

234

fortdauert) zur That hingerissen worden, oder wenn andere

mildernde Umstände vorhanden sind.

nicht unter 6 Monaten.

Strafe: Gefängnis

hier bleibt der Todschlag

Auch

Verbrechen (oben §. 18 III); der Versuch ist daher strafbar.

Qualifizierte Fälle:

a) Tötung bei Unternehmung

einer

strafbaren

Handlung (StGB. §. 214), um ein der Ausführung derselben entgegentretendes Hindernis zu beseitigen oder

um sich der Ergreifung

auf frischer That zu ent­

Strafe: Zuchthaus von 10—15 'Jahren

ziehen.

oder lebenslängliches Zuchthaus. d) Tötung eines

aufsteigender Linie

Verwandten

(StGB. §. 215).

Strafe wie zu a.

3. Vorsätzlich (überlegte oder nicht überlegte) Tötung, zu

welcher

der

ernstliche

Thäter

durch

Verlangen

worden ist (StGB. §. 216).3 3—5 Jahren.

ausdrückliche

das

des

Getöteten

Strafe:

und

bestimmt

Gefängnis von

Vergehen, daher Versuch straflos.

4. Vorsätzliche (überlegte oder nicht überlegte) Tötung

eines unehelichen Kindes in oder gleich nach der Ge­ burt durch die Mutter (StGB. §. 217).* Objekt ist das Kind,

mithin ein menschliches Wesen im Gegensatz zum Fötus, der ungeborenen Leibesfrucht, die das charakteristische Objekt der Abtreibung ist.

Kindestötung ist demnach erst möglich, so­

bald der Geburtsakt begonnen

hat,

die Leibesfrucht mit

irgend einem Körperteile, wenn auch nicht gerade mit dem

Kopfe, aus dem Mutterleibe in die Außenwelt getreten ist

(RGR. 8. Juni 1880, E I 446, E II 41). 3 Lit. bei Meyer S. 377 Note 1. Dazu Ortmann GA. XXVI.

* Lit. Note 1.

bei Meyer

S. 378

Die Tötung. §. 60,

235

Der legislative Grund für die mildere Behandlung der Kindestötung liegt einerseits in der Stärke der die unehelich Gebärende zur Tötung treibenden Motive,

andrerseits in

der durch den Gebärakt hervorgerufenen Verminderung der §. 25 III).

(oben

Zurechnungsfähigkeit

«ine soweit gehende Berücksichtigung

dahingestellt bleiben.

diese Gründe

Ob

verdienten,

Jedenfalls tritt,

den

mag

hier

Anschauungen

des Gesetzgebers entsprechend, die mildere Behandlung der

Kindestötung ein, mag die Kindesmutter in der Form der

Thäterschaft, mag sie in der Form der Teilnahme, zu dem Eintritte des Erfolges mitwirken,

während

etwa

beteiligte

dritte (Thäter oder Teilnehmer) wegen gemeiner Tötung zu

bestrafen sind (RGR. 8. Mai 1880, E II 154; vgl. auch oben §.371111). Strafe: Zuchthaus nicht unter 3 Jahren,

bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter 2 Jahren. Vgl. auch StGB. §. 367 Zis. 1.

II. Die fahrlässige Tötung (StGB. §.222). Strafe: Gefängnis bis zu 3 Jahren; wenn der Thäter zu der von

ihm aus den Augen gesetzten Aufmerksamkeit vermöge seines Amtes,

Berufes

oder Gewerbes besonders'

verpflichtet

war, Gefängnis bis zu 5 Jahren. Nicht bloß

bei

Fällen der Tötung

der Kindestötung, richtet

sich

sondern

die Höhe

der

in

allen*

Strafbarkeit

mchrerer Beteiligter nach der in §. 50 StGB. (vgl. obm

§. 37 III1) ausgesprochenen Regel.

‘ Dgl. RGR. 23. April 1880, RI 649; auch RGR. 11. Fe­ bruar 1880, EI 203, R 1341; 4. Mai 1880, R I 726.

• bestritten bez. des Verhältnisies zwischen Mord u. Todschlag.

Erstes Buch. I. Delikte gegen Leib und Leben.

236

2.

tz. 61.. Vir Körperverletzung.* DaS Gesetz unterscheidet in nichts weniger

I. Begriff. als

Weise:

zutreffender

-a) körperliche Mißhandlung

an

Beschädigung

und

b)

tere

setzt

eine

Verletzung

der

der

(auch das Zopfabschneiden gehört hieher), Beschädigung

deS

der

voraus

und umfaßt die

wie der geistigen (im Sinne

körperlichen

gewöhnlichen

Letz­

Gesundheit.

Körpersubstanz

Sprachgebrauchs)

erstere

Gesundheit;

liegt vor bei jeder störenden Einwirkung auf die körperlichen

Funktionen (z. B. Erregen von Schmerz, Unbehagen, Ekel, Schrecken),

welche

nicht

von einer Verletzung der Körper­

substanz begleitet ist. Ueber

Wegfall

die

Widerrechtlichkeit

gelten

die

allgemeinen,

der

und

Handlung

oben §. 22

deren

besprochenen,

hier besonders praktisch wichtigen Regeln.

II. Arten. 1. Die vorsätzliche Körperverletzung. a) Leichte Körperverletzung (StGB. §. 223).

Gefängnis

bis

1000 Mark;

3 Jahren

zu wenn

gegen

oder

Strafe:

Geldstrafe

Verwandte

bis

aufsteigender

Linie begangen, Gefängnis nicht unter einem Monate; doch tritt hier

bei

mildernden Umständen

der regel­

mäßige Strafsatz wieder ein (StGB. §. 228). b) Qualifizierte Körperverletzung (StGB.

§. 223a),

wenn mittels einer Waffel insbesondere eines Meffers 1 Lit. bei Meyer S. 382 Note 1. Dazu Herbst GA. XXVI. 1 Waffe (vgl. Kries GA.

XXV) ist hier jedes zur (anariffs- oder verteidigungsweisen) Zufügung von Verletzungen geeignete Werkzeug, ohne Ruck-

Die Körperverletzung.

oder

eines

anderen

237

§♦ 61.

gefährlichen Werkzeuges,3* * oder

mittels eines hinterlistigen UeberfallS,4 oder von meh­ mittels

einer das' Leben

gefährdenden Behandlung begangen.

Bezüglich aller

reren gemeinschaftliche

oder

dieser qualifizierenden Umstände ist Vorsatz deS Thä­

ters, d. h. Bewußtsein der Kausalität seines Thuns

erforderlich (dagegen RGR. 14. Juni 1880, B H 68, E II S. 107; richtig bez. der gemeinschaftlichen Be­ gehung RGR. 8. Mai 1880, B I 742). Gefängnis

nicht

unter 2 Monaten;

bei

Umständen (StGB. §. 228) Gefängnis

Strafe: mildernden

bis

zu

drei

Jahren oder Geldstrafe bis 1000 Mark.'

e) Schwere

Körperverletzung

(StGB. §. 224),

wenn

dieselbe zur Folge hat, daß der Verletzte ein wichtiges

Glied des Körpers, das Sehvermögen auf einem oder beiden Augen, das Gehör, die Sprache oder die Zeu­

gungsfähigkeit verliert, oder in erheblicher Weise dauernd

entstellt

wird,

oder

Siechtum,

in

Geisteskrankheit verfällt.

Lähmung

oder

Strafe: ZuchtbauS bis zu

5 Jahren oder Gefängnis nicht unter einem Jahre; bei mildernden Umständen (StGB. §. 228) Gefängnis

nicht unter einem Monate.

sicht auf Bestimmung und ge­ wöhnliche Verwendung (RGR. 10. März 1880, R I S. 442), also auch z. B. ein BierglaS, ein Stock usw. 3 Zugeklappteö Taschenmesser je nach der Art des Gebrauchs

dieses Nichtvorhergesehen durch den Thäterbewirktwurde(RGR. 31. Mai 1^80, E II 74, R I 844). 6 In der Form der Mitthäter­ schaft oder der Nebenthäterschast („zufälligen Mittäterschaft" vgl.

(RGR. 15. Mai 1880, R1781). 4 Setzt voraus, daß der An­ griff nicht vorhergesehen u n d daß

oben §. 35), vgl. RGR. 8. Mai 1880, R I 742.

Erstes Buch. I. Delikte gegen Leib und Leben.

238

Die Strafe tritt ein, auch wenn in Bezug auf den schweren. Erfolg weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit auf

Seiten des Thäters vorliegt (vgl. oben §. 27 II a. E.); eben darum ist aber auch die Versuchsstrafe ausge-

geschlossen und

facher

oder

nur eventuell Bestrafung wegen ein­

qualifizierter

Körperverletzung

zulässig,

wenn die Absicht des Thäters auf Herbeiführung des

schweren Erfolges gerichtet gewesen, dieser aber nicht eingetreten ist (vgl. oben §. 32 IV 1).

War da­

gegen eine der eingetretenen Folgen beabsichtigt, so

ist (StGB. §. 225) auf Zuchthaus von 2—10 Jahren

zu erkennen.

d) Körperverletzung mit tätlichem Ausgang (StGB.

§. 226).

Strafe: Zuchthaus nicht unter 3 Jahren

oder Gefängnis nicht unter 3 Jahren; bei mildernden Umständen (StGB. §. 228)

Gefängnis nicht unter

3 Monaten.

2. Fahrlässige

Körperverletzung

(StGB. §. 230).

Strafe: Geld bis 900 Mark oder Gefängnis bis 2 Jahren;

bei Verletzung einer besonderen Amts-, Berufs- oder Ge­ werbspflicht (vgl. oben §. 60 Note 5) kann die Strafe auf

3 Jahre Gefängnis erhöht werden.

3. Körperverletzung, begangen im Amte (StGB. §. 340) f. unten §. 92 II 4 c.

III. Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag ein (StGB. §. 232), wenn eS sich um leichte vorsätzliche (StGB.

§. 223, nicht aber §. 223a) oder um nicht­

qualifizierte (StGB.§.2301.Abs.) fahrlässigeKörperverletzungen handelt.

Rücknahme des Antrages ist zulässig,

wenn das Vergehen gegen einen Angehörigen (StGB. §. 52 Abs. 2) verübt worden.

Die Körperverletzung, g. 61.

239

Antragsberechtigt ist der Verletzte (bez. dessen Ver­

treter; vgl. oben §. 31 HI 1).

Abweichungen von diesem Satze: 1. Sind Ehefrauen oder unter väterlicher Gewalt ste­ hende Kinder beleidigt worden, so haben sowohl die Belei­

digten,

als

deren Ehemänner und Väter das Recht, auf

Bestrafung anzutragen (StGB. §. 232 mit §.195); und zwar

auch

noch nach dem Tode deS Verletzten (RGR. 9. De­

zember 1879, EI©. 29). 2. Ist die strafbare Handlung

gegen

eine

Behörde,

einen Beamten (Begriff unten §. 92 I 2), einen Religions­ diener oder ein Mitglied der bewaffneten Macht, während,

sie in der Ausübung ihres Berufes begriffen sind, oder in Beziehung auf ihren Beruf begangen worden,

Antragsrecht nicht nur den Verletzten,

so steht daS

sondem auch deren

amtlich Vorgesetzten zu (StGB. §. 232 mit §. 196). — Eine Erweiterung, bez. Beschränkung der Antragsfrist

(vgl. obm §. 31 III 2) tritt bei wechselseitigen Körper­ verletzungen, d. h. dann ein, wenn der klagende. Verletzte den beklagten Verletzer ebenfalls verletzt hat.

Einzige Vor­

aussetzung ist mithin die prozessuale Stellung beider Teile,

mögen auch die beiderseitigen Verletzungen weder in zeitlichem

noch in ursächlichem Zusammenhang« stehen (RGR. 4. Juni 1880, E II 67). In diesem Falle ist nämlich, wenn von einem Teile auf Bestrafung angetragen worden, der andere

Teil bei Verlust seines Rechtes verpflichtet, den Antrag auf Bestrafung spätestens bis zur Beendigung der Schlußoorträge in 1. Instanz (StPO. §. 428) zu stellen, hiezu aber auch

dann berechtigt, wenn zu jenem Zeitpunkte, die dreimonatliche. Frist bereits

abgelaufen ist (StGB. §. 232 mit §. 198).

Auf den Fall, in welchem Körperverletzung und Beleidigung

240

Erstes Buch. I. Delikte gegen Leib und Leben,

einander gegenüberstehen, ist diese Bestimmung nicht anzutoenbcn.6 IV. In allen Fällen der Körperverletzung kann auf Verlangen des Verletzten neben der Strafe auf eine an den­ selben zu erlegende Buße bis zum Betrage von 6000 Mark erkannt werden. Die Zuerkennung der Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruchs aus (StGB. §. 231). V. Retorsion (StGB. tz. 233). Wenn leichte Körper­ verletzungen (StGB. §. 223, nicht 223 a; RGR. 28. Oktober 1879, BI©. 23) mit solchen, Beleidigungen mit leichten Körperverletzungen oder letztere mit ersteren auf der Stelle (d. h. in continenti, so lange die durch die Kränkung her­ vorgerufene Gemütsbewegung fortdauert) erwidert werden, so kann der Richter für beide Angeschuldigte, oder für einen derselben eine der Art oder dem Maße nach mildere oder überhaupt keine Strafe eintreten kaffen. Es handelt sich dabei um eine Erweiterung des dem Richter bei Be­ stimmung der Strafe zugewiesenen Spielraumes, nicht aber um die Gewährung eines dem civilrechtlichen Kompensations­ rechte analogen Anspruches für den Schuldigen. Dem Richter soll die Gelegenheit geboten werden, einerseits den Affekt des zuerst Angegriffenen, andererseits die Thatsache, daß dieser bereits selbst sich Sühne genommen, in um­ fassendster Weise in Betracht zu ziehen. Diese Erweiterung des richterlichen ErmeffenS geht bis zur Gestattung der Strafumwandlung und der Verschonung von aller Strafe; sie setzt aber die Konstatierung strafbarer Handlungen auf beiden Seiten,' mithin die Verurteilung beider Ange6 Destritten.

I 7 Ebenso RGR. 16. August I 1880, E II 181.

Gefährdung von Leib und Leben. §. 62,

241

klagten voraus, kann daher nie zu einer Freisprechung von der That führen, und ist ausgeschlossen, wenn auf einer Seite wegen mangelnder Schuld (Zurechnungsfähigkeit), feh­ lender Normwidrigkeil' usw. eine strafbare Handlung über­ haupt nicht vorliegt.

3.

8.62.

Gefährdung*1 von Leib und Leben.

I. Die Aussetzung' (StGB. §. 221). Dieser Begriff umfaßt zwei Thatbestände: 1. Das Aussetzen (im eigentlichen Sinne) einer wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit (hieher gehören auch die durch übermäßigen Alkoholgenuß herbeigeführten Zustände) hülflosen Person, d. h. daS Ver­ setzen auS dem bisherigen Zustand in einen andern: vollendet mithin, .sobald jene Beziehungen zur Außenwelt, in welchm der Verletzte sich bisher befunden, gelöst worden sind. 2. Das Verlassen einer solchen Person in hülfloser Lage, strafbar nur dann, wenn der Verlassene unter der Obhut des Thäters stand, oder wenn dieser für die Unter­ bringung, Fortschaffung oder Aufnahme des Verlassenen zu sorgen hatte (eS genügt obligatio ex re z. B. begründet durch das Aufnehmen eineS ausgesetzten KindeS von Seiten eines unbeteiligten Dritten). Ein Versetzen in andere Lage ist hier nicht erforderlich.

" Anwendbarkeit des §. 193; vgl. die in Note 7 cit. RGR. 16. August 1880. 1 Begriff der Gefährdung oben §. 3 Note 1. von L Szt, Strafrecht.

1 Lit. bei Meyer S. 396 Note 1; dazu Platz, Verbrechen der Aussetzung 1876. 16

242

Erstes Buch. I. Delikte gegen Leib und Leben.

Die Aussetzung ist regelmäßig Vergehen: der Strafsatz beträgt Gefängnis von 3 Monat bis 5 Jahren; wenn von den leiblichen Eltern gegen ihr Kind begangen, Gefängnis nicht unter 6 Monaten. Die Schwere des (wenn auch weder vorsätzlich noch fahrlässig herbeigeführten) Erfolges macht die Aussetzung zum Verbrechen: ist eine schwere Körperverletzung (StGB. §. 224) der ausgesetzten oder ver­ lassenen Person verursacht worden, so tritt Zuchthaus bis zu 10 Jahren, und wenn der Tod verursacht worden, Zuchthaus von 3—15 Jahren ein. In den beiden ersten Fällen ist der Versuch wegen der Vergehensnatur der strafbaren Handlung straflos, bei den letzteren aus dem oben §. 32 IV 1 angegebenen Grunde nicht möglich. ®arunt8 tritt Straflosigkeit ein, wenn der Aussetzende in der Nähe des Ausgesetzten verborgen wartet, bis dieser etwa durch eine dritte Person ausgenommen wird. II. Die sogenannte Vergiftung* (StGB. §. 229) d. i. das in der Absicht (Absicht hier gleich treibendes Motiv; vgl. oben §. 28 III) die Gesundheit zu beschädigen er­ folgende Beibringen von Gift oder anderen Stoffen, welche die Gesundheit zu zerstören geeignet sind (Stoffe, von welchen sich das Gift nur dadurch unterscheidet, daß es schon in kleineren Dosen die gesundheitzerstörende Wirkung zu äußern im Stande ist). Das Wesen des Deliktes besteht demnach in der, in Verletzungsabsicht begangenen, Ge­ fährdung von Leib und Leben. 3 Die herrschende Ansicht — auch RGR. 21. April 1880, R I 639, E II 15 — erblickt in dem anaeführten Falle überhaupt keine „Aussetzung"; doch liegt

(strafloser) Versuch einer solchen gewiß vor. * Lit. bei Meyer S. 399 Note 1; dazu Thomsen GS. 30.

Gefährdung von Leib und Leben,

Mit

dem

ist

Beibringen

daS

tz. 62.

Verbrechen

243 vollendet;

etwaige Anwendung von Gegengiften schließt daher die Be­

strafung aus §. 229 StGB, nicht aus.

Strafe: regelmäßig Zuchthaus bis zu 10 Jahren; wenn

durch die Handlung eine schwere Körperverletzung (StGB. §. 224) verursacht worden, Zuchthaus nicht unter 5 Jahren;

wenn der Tod verursacht worden, Zuchthaus 10 Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus.

(vgl.

nicht unter

Auch hier ist

oben §. 27 II a. E.) der höhere Strafsatz lediglich

durch den Eintritt der, wenn auch weder vorsätzlich noch fahrlässig

herbeigeführten,

schweren Erfolge

Nichteintritt derselben, auch

bedingt;

bei

wenn sie beabsichttgt waren,

daher der einfache Sttafsatz anzuwenden (vgl. oben §. 32 IV 1).

Auf Buße ist in allen Fällen der Vergiftung zu erkennen

(StGB. §. 231), auch wenn eine Körperverletzung nicht ein­ getreten ist (vgl. oben §. 52 II).

III. Die Abtreibung» (StGB. §§. 218—220) setzt als Objekt eine noch nicht geborene Leibesfrucht (vgl. oben

§. 60 I 4) voraus, und umfaßt zwei wesentlich verschiedene

Thatbestände: 1. Die Abtreibung im engeren Sinne, nämlich das

(rechtswidrige) Bewirken einer Frühgeburt, mag auch die Absicht deS Thäters nicht auf Tötung der Leibesfrucht ge­

richtet gewesen sein;' 2. die Tötung der Frucht im Mutterleibe.

DaS Gesetz schützt in den Sttafparagraphen gegen Abtreibung in erster Linie die Existenz deS Embryo, in zweiter 6 Lit. bei Meyer S. 393 Note 1. Dazu Kornfeld in H. R. „Abtreibung".

6 Bestritten.

Erstes Buch.

244

I. Delikte gegen Leib und Leben,

die körperliche Integrität der Schwangeren, läßt aber wegen des in abstracto gefährdenden Charakters der Abtreibung die Strafe auch dann eintreten, wenn im konkreten Falle

eine Gefährdung weder der Schwangeren noch des Embryo eingetreten ist.

Arten der Abtreibung:

1.

Einfacher

Fall

(StGB.

§. 218);

Abtreibung:

a) durch die Schwangere selbst; b) durch einen Dritten mit

Einwilligung der Schwangeren. Doch muß im Falle b. der Dritte, damit ihn die volle Strafe (§. 218, 3. Absatz) treffe,

nach den allgemeinen Grundsätzen als Thäter oder Mitthäter erscheinen (das Gesetz verlangt, daß er „die Mittel zur Ab­

treibung bei der Schwangeren angewendet oder ihr bei­ gebracht hat)"; bloßes Verschaffen der Mittel würde als

Beihülfe zu dem Delikte a. unter den reduzierten Strafrahmen

fallen?

oder

Die Schwangere kann int Falle b. als Mitthäterin

aber auch

als

Teilnehmerin

nach

den

allgemeinen

Grundsätzen erscheinen? Strafe: Zuchthaus bis zu 5 Jahren; bei mildernden Um­ ständen Gefängnis nicht unter 6 Monaten.

2. Die Lohnabtreibungd (StGB. §. 219). Schwerere Strafe — Zuchthaus bis zu 10 Jahren — trifft denjenigen,

der einer Schwangeren,

die

ihre Frucht abgetrieben

hat,

gegen Entgelt die Mittel hiezu verschafft, bei ihr ange­

wendet oder ihr beigebracht hat. Der Lohnabtreibung kann sich die Schwangere selbst nie, auch nicht als Gehülfin, schuldig machens der Dritte da>

7 Ebenso RGR. 11. März 1880, E I 270, R I 450. * Ebenso RGR. 25. Februar 1880, E I 263, R I 394.

9 Vgl. Pfizer GS. XXVIN. 10 a. A. RGR. 10. April 1880, I 350, R I 568.

g. 62.

Gefährdung von Leib und Leben,

245

gegen fallt unter den Strafrahmen des §. 219 auch dann, wenn er nur durch Berschaffen

der Mittel,"

also

nur

durch eine Beihülfehandlung, zu dem eingetretenen Erfolge

mitgewirkt hat. Eintritt des Erfolges ist Bedingung

für die Anwend­

barkeit des §. 219; sind die angewendeten, beigebrachten, ver­ schafften Mittel ohne Erfolg geblieben,

so

kann

nur aus

§. 218 gestraft werden."

3. Abtreibung durch einen Dritten ohne Einwilligung der Schwangeren (StGB. §. 220).

Strafe: Zuchthaus

nicht unter 2 Jahren; ist durch die Handlung der Tod der Schwangeren

verursacht

worden,

Zuchthaus

10 Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus.

nicht

unter

Auch hier gilt

für den qualifizierten Fall in Bezug auf Schuld und Versuch das oben unter II Gesagte. IV.

Der Raufhandel (StGB.

§. 227); vorliegend,

wenn durch eine Schlägerei oder durch einen von Mehreren

gemachten Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (StGB. §. 224) verursacht worden ist.

Der „Raufhandel" umfaßt zwei wesentlich von einander

verschiedene Fälle: 1. Die

einfache

Beteiligung

an einer Schlägerei

oder an einem Angriff, die Dort den erwähnten Folgen be­ gleitet gewesen sind, vorausgesetzt, daß der Angeklagte nicht

ohne sein Verschulden hineingezogen worden ist.

Strafe:

Gefängnis bis zu 3 Jahren. Die Strafbarkeit der Beteiligung wird

dadurch

nicht

ausgeschloffen,

daß

der Urheber

der

schweren oder rötlichen Verletzung bekannt ist; wohl aber kann

11 Intellektuelle Beihülfe u. Anstiftung sind nach §. 218 zu bestrafen.

11 RGR. 9. Februar 1880. E I 194, R I 326; 10. April 1880 (oben Anm. 10).

246

Erstes Buch. I. Delikte gegen Leib und Leben,

nach der oben Z. 40 II ä gegebenen Regel nicht dieselbe Person mit Rücksicht auf denselben Erfolg zugleich nach §. 227 und nach §§. 224 ff. gestraft werden: es tritt vielmehr in diesem Falle Konsumption des Deliktes des §. 227 ein. 2. Ist eine der vorbezeichneten Folgen mehreren (vor­ sätzlichen) Verletzungen zuzuschreiben, welche dieselbe nicht einzeln, sondern nur durch ihr Zusammentreffen ver­ ursacht haben, so wäre nach den allgemeinen Grundsätzen (vgl. oben §. 20 III) jede derjenigen Personen, welcher eine dieser Verletzungen zur Last fällt, mit der vollen Strafe der §§. 224—226 zu belegen. In ganz ungerechtfertigter und nur aus historischen Reminiscenzen erklärbarer Weise stellt der Gesetzgeber für diesen Fall einen besonderen Straf­ rahmen auf: Zuchthaus bis zu 5 Jahren, bei mildernden Umständen (StGB. §. 228) sogar Gefängnis nicht unter einem Monate. V. Der Zweikampf (StGB. §. 201—210).13 1. Begriff. Nicht als Störung des öffentlichen Friedens, nicht als eigenmächtiger Eingriff in die staatliche Rechtspflege, sondern als ein strafbares Auf's-SpielSetzen von Leib und Leben erscheint das Delikt des Zweikampfes, dessen Existenz einen unwiderleglichen Vorwurf gegen die, unser modernes (überspanntes, weil durchaus sub­ jektives) Ehrgefühl nicht befriedigende, Behandlung der Ehr­ verletzungen in der modernen Gesetzgebung bildet. In systematischer Beziehung nimmt der Zweikampf unter den Delikten gegen Leib und Leben dieselbe Stellung ein, wie das Glücksspiel unter den strafbaren Handlungen gegen daS Vermögen. 13 Lit. bei Meyer S. 403 I GS. XXX (vgl. denselben im Note 1. Dazu Zimmermann | histor. Taschenbuch 1879).

Gefährdung von Leib und Leben, g. 62.

247

Zweikampf ist der verabredete, den hergebrachten ober vereinbärten Regeln entsprechende, Kampf mit tötlichen Waffen zwischen zwei Personen. Den Begriff der Waffe haben wir hier (im Gegensatze zn dem oben §. 61 Note 2 Gesagten) im engeren Sinne zu nehmen: er umfaßt alle zu Angriff und Verteidigung be­ stimmten und zur Zufügung von Verletzungen geeigneten Werkzeuge." Tötliche Waffen aber sind diejenigen, die bei bestimmungsgemäßem Gebrauche und unter den gegebenen Umständen tötliche Verletzungen herbeizuführen geeignet sind. Dabei müssen, wie bei Anwendung aller relativen Begriffe des Strafrechtes, ganz außergewöhnliche Komplikationen außer Betracht gelassen werden. Demnach sind studentische Schlägermrnsuren, wenn unter Anwendung der regel­ mäßigen Vorsichtsmaßregeln vor sich gehend, zwar als ein vielleicht strafwürdiges (positiv-rechtlich strafloses) AufsSpiel-Setzen der körperlichen Integrität, nicht aber als Kampf mit rötlichen Waffen zu betrachten." Die An­ wendung der strafgesetzlichen Bestimmungen über Körper­ verletzung und Raufhandel ist durch die Natur dieser Men­ suren als eines vereinbarten und geregelten Kampfes aus­ geschlossen. Die akademischen Vorschriften über Studmtenduelle sind durch das RStGB. als Straf-, nicht aber als Disziplinargesetze (vgl. oben §. 42 IV) beseitigt worden. Das sogenannte amerikanische Duell oder die Losung um's Leben ist weder Zweikampf noch Anstiftung zum Selbst­ morde, sondern wie der Zweikampf ein Glücksspiel um Leib " Dgl. RGR. 2. Juni 1880, diese Frage, als zur Kompetenz E I 445, E II 14. des E^trichterS gehörig, nicht 15 Die eben cit. RGR. hat entschieden.

248

Erstes Buch. I. Delikte gegen Leib und Leben,

und Leben, und obgleich strafwürdiger wie dieser, nach posi­ tivem Rechte nicht strafbar. 2. Der Gesetzgeber hat sich nicht damit begnügt, den Zweikampf selbst unter Strafe zu stellen, sondern bedroht auch gewisse Vorbereitungshandlungen, nämlich die Her­ ausforderung zum Zweikampf und die Annahme einer solchen, mit Strafe; und zwar regelmäßig (StGB. §. 201) mit Festungshaft bis zu 6 Monaten; wenn aber bei der Herausforderung hie Absicht, daß einer von beiden Teilen daS Leben verlieren soll, entweder ausgesprochen ist oder aus der gewählten Art des Zweikampfes erhellt (StGB. §. 202), mit Festungshaft von 2 Monaten bis zu 2 Jahren. Die Natur dieser delicta sui generis als Vorbereitungs­ handlungen schließt die Möglichkeit eines strafbaren Ver­ suches derselben aus (vgl. oben §. 33 Note 4), gestattet aber die strafbare Teilnahme dritter Personen (vgl. oben §. 37 I 2 c). Einen Fall der Teilnahme hebt der Gesetz­ geber besonders hervor, indem er (in §. 203) diejenigen, welche den Auftrag zu einer Herausforderung übernehmen und auSrichten (die Kartellträger) mit Festungshaft bis 6 Monaten bedroht. Die Strafe der Herausforderung und der Annahme der­ selben, sowie die Strafe der Kartellträger fällt weg (StGB. §. 204), wenn die Parteien den Zweikampf vor dessen Beginn freiwillig aufgegeben haben. Entgegen der allgemeinen Regel (vgl. oben §. 37 III 3), daß Straf­ aufhebungsgründe nur demjenigen zu Gute kommen, in dessen Person sie sich ereignen, wirkt hier die „thätige Reue" der Hauptthäter zu Gunsten aller Beteiligten. Kommt der Zweikampf wirklich zu Stande, so wird da­ durch nach dem oben §. 40 II c Gesagten die Strafbarkeit

Gefährdung von Leib und Leben.

§♦ 62.

249

der Vorbereitungshandlungen für die bcibtn Parteien konsumirt; die übrigen Beteiligten, auch die Kartellträger (arg. StGB. §. 209) hasten nach den allgemeinen Grundsätzen über Teilnahme; aber nunmehr wegen ihrer Beteiligung am Zweikampfe selbst. 3. Die Strafe des Zweikampfes ist im Gesetze ver­ schieden abgestuft: a) Regelmäßiger Strafrahmen (StGB. tz. 205): Festungs­ haft von 3 Monaten bis zu 5 Jahren. b) Wer seinen Gegner im Zweikampfe durch eine vor­ sätzlich zugefügte Verletzung tötet (StGB. §. 206), wird mit Festungshaft nicht unter 2 Jahren, und wenn der Zweikampf den Tod des einen von Beiden herbei­ führen sollte, mit Festungshaft nicht unter 3 Jahren bestraft. c) Ist eine Tötung oder Körperverletzung mittelst vor­ sätzlicher Uebertretung der vereinbarten oder herge­ brachten Regeln deS Zweikampfes bewirkt worden, so ist der Uebertreter (StGB. §. 207), sofern nicht nach den oben erwähnten Bestimmungen eine härtere Strafe verwirkt ist, nach den allgemeinen Vorschriften über das Verbrechen der Tötung und der Körperverletzung zu bestrafen. Das singuläre dieser im übrigen selbst­ verständlichen Anordnung liegt darin, daß die Zwei­ kampfstrafen, wenn höher, eintreten sollen, obwohl der Zweikampf in dem Augenblick aufgehört hat, Zweikampf zu sein, in welchem die Ueberschreitung der Kampfes­ regeln stattgefunden hat. d) Hat der Zweikampf ohne Sekundanten stattgefunden, so kann die verwirkte Strafe bis um die Hälfte, jedoch nicht über 15 Jahre erhöht werden (StGB. §. 208).

250

Erstes Buch. II. Delikte gegen die persönliche Freiheit.

Die Behandlung der Teilnehmer richtet sich nach den allgemeinen Regeln.

Einen Fall hat auch hier der Gesetz­

geber als delictum sui (StGB.

§. 210),

und

besonders

generis damit

für

hervorgehoben

unabhängig von den

sonstigen Voraussetzungen der Teilnahme (vgl. oben §. 35 II)

erklärt.

Wer

einen Andern

zum Zweikampf mit einem

Dritten absichtlich, insbesondere durch Bezeigung oder An­

drohung von Verachtung anreizt, wird, falls der Zweikampf (wenn auch nicht in Folge seiner Aufreizung) stattgefunden hat, mit Gefängnis (also nicht mit Festungshaft, der poena

ordinaria des Zweikampfes) nicht unter 3 Monaten bestraft.

Straflos bleiben (StGB. §. 209) Kartellträger, welche

ernstlich bemüht gewesen sind, den Zweikampf zu verhindern," Sekundanten,"

sowie zum Zweikampf zugezogene Zeugen,

Aerzte und SBunbärgte?8

II.

8» 63.

Strafbare Handlungen gegen die persönliche ckreihrit.»

Das durch die hieher

Rechtsgut ist die Freiheit

gehörenden Delikte angegriffene der Bewegung

im Raume,

die

Freiheit des Handelns, nicht die des EntschließenS (nicht die sogenannte Willensfreiheit).

1C Thätige Reue als Straf­ aufhebungsgrund, oben §. 57. 11 Subjektiver Strafausschlie­ ßungsgrund; vgl. oben §. 30 III 3. 18 Selbstverständlich, weil eine

Beteiligung an der strafbaren Handlung hier überhaupt nicht vorliegt. 1 Lit. bei Meyer S. 410 Note 1.

Delikte gegen die persönliche Freiheit. §. 63.

251

1. Die partielle Verletzung (Beschränkung) der persön­ lichen Fre'cheit, oder die Nötigung. 1. Die Nötigung des RStGB. (§. 240), d. h. die Nötigung zu irgend einer Handlung, Duldung oder Unter­ lassung, wenn durch gewisse Mittel bewirkt. Diese Mittel sind: a) physische Gewalt,- nicht notwendig an der Person deS zu Nötigenden (in homino), aber gegen den­ selben (Vergewaltigung anderer Personen oder Ge­ walt an Sachen) gerichtet (in hominem), als Mittel, seine Entschließung zu bestimmen. b) psychische Gewalt oder Bedrohung, und zwar: Be­ drohung mit einem Verbrechen oder Vergehen. Die Drohung braucht keine ernstlich gemeinte, d. h. die Ausführung derselben braucht nicht beabsichtigt zu sein, sie muß aber dem Bedrohten als eine ernstliche erscheinen? Die Drohung muß gegen den zu Nö­ tigenden gerichtet, d. h. zur Beeinflussung seiner Ent­ schließung bestimmt und geeignet sein; nicht erforderlich ist, daß das angedrohte Verbrechen oder Vergehen an dem zu Nötigenden begangen werden soll. Die Dro­ hung kann sich vielmehr, ganz wie die Gewalt, auf andere Personen oder auf Sachen beziehen. Sie kann aus­ drücklich ausgesprochen oder durch symbolische Hand­ lungen (Erheben der Faust, Anlegen des Gewehrs usw.) angedeutet sein. Das an sich selbstverständliche Merkmal der Wider­ rechtlichkeit der Nötigung ist in den Thatbestand auf’ Vgl.Wanjek GA.XXVH; auch RGR. 17. Juni 1880, E II 184, R II 81.

5 Dgl. RGR. 24. Dezember 1879, R I 173; 9. Februar 1880, R I 325.

252

Erstes Buch. II. Delikte gegen die persönliche Freiheit,

genommen; mithin zum Vorsatze Bewußtsein derselben er­

forderlich (vgl. oben §. 28 II).

Durch die Berechtigung zur

Nötigung an sich wird die Berechtigung zur Nötigung durch

die vom Gesetze verpönten Mittel, durch Gewalt oder Be­ drohung mit Verbrechen oder Vergehen selbstverständ­

lich nicht gegeben/ Die Vollendung der Nötigung tritt erst mit der erzwun­

genen Handlung, Duldung, Unterlassung ein; der Versuch,

der hier trotz der Vergehensnatur des Deliktes strafbar ist,

beginnt schon mit der Anwendung von Gewalt oder Drohung, als der Mittel zur Herbeiführung der Handlung usw.

Strafe: Gefängnis bis zu 1 Jahr oder Geld bis zu 600 Mark.

2. Einen besonderen Fall der Nötigung enthält §. 153 der Gewerbeordnung:

Wer andere

durch Anwendung

körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrver­ letzung, oder durch Verrufserklärung bestimmt oder zu

bestimmen versucht, an Verabredungen zum Behufe der

Erlangung günstigerer Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbe­

sondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, teilzunehmen oder ihnen Folge zu leisten, oder An­

dere durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern ver­ sucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten, wird mit

Gefängnis bis zu 3 Monaten bestraft, sofern nach dem all­ gemeinen Strafgesetz nicht eine härtere Strafe eintritt.

Die

Erweiterung des Kreises der strafbarmachenden Nötigungs­ mittel sowie die Gleichstellung von Versuch und Vollendung unterscheiden — ganz abgesehen von dem Inhalt der Nö­

tigung — diesen Thatbestand von dem des §. 240 StGB.

♦ Vgl. RGR. 21. Oktober I 1880, R II 124. 1879, E I 5, R I 9; 26. Juni |

Delikte gegen die persönliche Freiheit, g. 63.

253

II. Die totale (wenn auch vorübergehende)'Verletzung

(Entziehung) der persönlichen Freiheit oder die Freiheits­ beraubung (StGB. §. 239:

einen

„wer

ein­

Menschen

sperrt^ oder auf andere Weise des Gebrauches der persön­ lichen Freiheit beraubt")' Auch

Widerrechtlichkeit

oben § 28 II).

in

den

hier

das Merkmal der

ist

Thatbestand

Die Vollendung tritt mit der

der Freiheit ein;

länger

dauernde

(vgl.

ausgenommen

Entziehung

Freiheitsentziehung

be­

gründet ein fortdauerndes Delikt (vgl. oben §. 39 II 1). Strafe: a) Normalsatz: Gefängnis von 1 Tag bis zu 5 Jahren.

die Freiheitsentziehung

b) Wenn

dauert hat,

über

eine

Woche

ge­

oder wenn eine schwere Körperverletzung

(StGB. §. 224) des der Freiheit Beraubten durch die Freiheitsentziehung

oder

die

ihm während derselben

widerfahrene Behandlung verursacht (oben S. 237 c)

worden ist: Zuchthaus bis zu 10 Jahren, bei mildern­

den Umständen Gefängnis nicht unter einem Monat. c) Ist auf die zu b angegebene Weise der Tod verursacht

unter 3 Jahren,

worden,

Zuchthaus

nicht

dernden

Umständen

Gefängnis

nicht

unter

bei mil­ 3

Mo­

naten. d) Ueber

daS Amtsdelikt

des §. 341 vgl.

unten

§. 93

II 4d.

1 RGR. 7. Juli 1880, R II 167. • Ihn in einem umschlossenen Raume festhält. - Die Mittel, welche der Thäter anwendet, sind an sich gleichgültig; doch muß das Ver­ halten des der Freiheit Be­

raubten durch diese Mittel her­ beigeführt sein und darf nicht alS dessen freies und vorsätzliches Thun (oben §. 19III) erscheinen. Zu weit geht RGR. 7. Juli 1880, R II 167 (in den Grün­ den). Die Sacke liegt hier eben anders als bei der Nötigung.

254

Erstes Buch. II. Delikte gegen die persönliche Freiheit.

IIL Die qualifizierte totale Entziehung der per­ sönlichen Freiheit oder der Menschenraub. Das qualifi­ zierende Moment liegt darin, daß der Thäter, nicht zufrie­ den damit, dem Verletzten den Gebrauch seiner persönlichen Freiheit entzogen zu haben, sich eine positive und unmittel­ bare Herrschaft, eine Verfügungsgewalt über denselben anmaßt. Es gehören hierher: 1. Der eigentliche Menschenraub (StGB. §.234); Objekt: jeder Mensch; die Erlangung der Herrschaft („Bemächtigung" sagt das Gesetz) muß erfolgen durch a) Ge­ walt (vgl. oben K. 63 I la); b) Drohung (vgl. oben §. 63 I lb), die aber hier nicht Drohung mit einem Ver­ brechen oder Vergehen zu sein braucht; c) List, d. i. Täu­ schung des zu Verletzenden über die Kausalität der von ihm vorzunehmenden Handlung. Die Absicht (hier gleich er­ weiterter Vorsatz oben §. 28 III) muß darauf gerichtet sein, den Angegriffenen in hülfloser Lage auszusetzen oder in Sklaverei, Leibeigenschaft oder in auswärtige Kriegs- oder Schiffsdienste zu bringen. Das Verbrechen ist vollendet mit der (positiven) Erlangung der Herrschaft; der Versuch beginnt mit dem (negativen) Eingriff in die persönliche Frei­ heit. Strafe: Zuchthaus. 2. Kinderraub (StGB. 8.235) begangen dadurch, daß eine minderjährige Person ihren Eltern oder ihrem Vormund durch Gewalt, Drohung, List entzogen wird. An­ gegriffen ist die persönliche Freiheit des Minderjährigen; aber die Dispositionsbefugnis über dieses Rechtsgnt steht nicht ihm, sondern den Eltern oder dem Vormunde zu. Darum schließt die Einwilligung der letztgenannten Personen die No.rmwidrigkeit des Thuns aus, während die des Min­ derjährigen selbst irrelevant ist. Vollendet ist das Delikt,

Delikte gegen die persönliche Freiheit, sobald

Gewalt

die

der Machthaber

g. 63.

gebrochen

255 und

eine

fremde Gewalt begründet ist; der Versuch beginnt mit dem

ersten dieser beiden Stadien. Strafe: regelmäßig Gefängnis? wenn die Handlung in der Absicht geschieht (Absicht gleich

erweiterter Vorsatz oben §. 28 IE), die Person zum Betteln oder zu gewinnsüchtigen ober unsittlichen Zwecken oder Be­

schäftigungen zu gebrauchen, Zuchthaus bis zu 10 Jahren. 3. Frauenraub oder Entführung" (StGB. §§. 236 bis

238), charakterisiert einerseits durch das Objekt, andrerseits

durch

die

geschlechtliche

Absicht.

Das Gesetz

unterscheidet

zwei Arten: a) Entführung der Frauensperson gegen ihren Willen

durch List, Drohung, Gewalt, um sie entweder zur Unzucht (Strafe: Zuchthaus bis zu 10 Jahren) oder zur

Ehe zu bringen (Strafe:

Gefängnis).

Absicht auch

hier gleich erweiterter Vorsatz (oben §. 28 III).

Voll­

endet mit der Begründung der Herrschaft deS Ent­

führers (StGB. §. 236).

b) Entführung einer minderjährigen, unverehelich­ ten Frauensperson mit ihrem Willen, aber ohne

Einwilligung der Eltern oder deS Vormun­

des, um sie zur Unzucht oder zur Ehe zu bringen. Strafe:

Auch

Gefängnis.

ist hier

die persönliche

Freiheit der Entführten das angegriffene Rechtsgut;"

daran wird durch den Umstand nichts geändert, daß

die

Disposition

über

das

Rechtsgut

einer

Person als dem Träger desselben zusteht.

andern

Auch der

Diebstahl ändert seinen Charakter nicht, wenn er mit Einwilligung des nicht verfügungsfähigen Eigentümers 1 Vgl. Wahlberg „Entführung".

H. R. ! I

9 Bestritten.

Erstes Buch.

256

III. Delikte gegen das Vermögen,

begangen wird.

Jedes Mittel genügt; List, Drohung,

Gewalt sind nicht erforderlich. kann,

als Trägerin

Die Entführte selbst

des angegriffenen Rechtsgutes,

nicht Teilnehmerin an dem Delikte sein.

Ueber Voll­

endung gilt das zu a Gesagte (StGB. §. 237).

Die Entführung ist in beiden Fällen Antragsdelikt:

antragsberechtigt im ersten Falle die Entführte, im zweiten

Hat der Enfführer die Entführte gehei­

der Gewalthaber.

ratet, so findet die Verfolgung nur statt (StGB. §. 238),

nachdem die Ehe für ungültig erklärt worden ist.

Diese

Erklärung ist Bedingung der Strafbarkeit in dem oben §. 30 angegebenen Sinne.

Strafbare Handlungen gegen das Vermögen.

III.

Gegen das Eigentum.

A.

1.

ß. 64.

»er Sirbstahl?

I. Begriff. 1.

Diebstahl

widrige Sache,

Eigentumsverletzung einer

fremden

durch

rechts­

beweglichen

wenn letztere zu diesem Zwecke erst in den

Gewahrsam Das

ist

Aneignung

des Thäters

letzterwähnte

Moment

gebracht werden unterscheidet

Diebstahl

muß.

und

Unterschlagung. Nach dieser Definition wären Diebstahl und Unterschlagung

erst mit

der

1 Lit. bei Meyer S. 444 Anm. 1. Dazu Merkel in HR. „ Diebstahl" ; Bachem, der

Aneignung

vollendet.

DaS

Unterschied zwischen dem Furtum des römischen Rechts und dem Diebstahl nach RStGB. 1880.

Der Diebstahl. §♦ 64.

257

positive Recht hat aber den Zeitpunkt der Vollendung zurück­ geschoben (vgl. oben §. 3212); Diebstahl ist demnach (StGB. K.242): Wegnahme einer fremden beweglichen Sache in der Absicht rechtswidriger Aneignung. 2. Objekt ist eine bewegliche oder beweglich gemachte Sache, mag diese auch keinen Tauschwert haben; und zwar eine fremde, d. h. in dem Eigentume eines Anderen stehende Sache. An Sachen, die in niemandes Eigentum stehen, an herrenlosen, derelinquierten usw. Sachen ist Dieb­ stahl nicht möglich, mag auch ein ausschließliches Okkupations­ recht auf dieselben vorhanden sein; wohl aber an Wild im eingefriedeten Gehege, Fischen in Privatteichen, an den der Leiche in's Grab mitgegebenen Gegenständen (wenn sie nicht als derelinquierte zu betrachten sind) usw. Diebstahl wird unmöglich, wenn der Eigentümer das Eigentum ganz aufgiebt oder dem Thäter überträgt; dagegen schließt die Ein­ willigung des Eigentümers in die Wegnahme der Sache den Diebstahlsbegriff nicht aus. Der Eigentümer selbst kann sich des Diebstahls an der eigenen Sache nicht schuldig machen, wohl aber der Miteigentümer an der ihm nicht ausschließlich gehörenden. 3. Die Handlung besteht in dem Wegnehmen, d. h. in dem Brechen des fremden und der Begründung des eigenen Gewahrsams. Gewahrsam (nicht gleich Besitz im civilrechtlichen Sinne) bedeutet aber die Möglichkeit über die Sache thatsächlich zu verfügen, verbunden mit dem Willen diese Möglichkeit aufrecht zu erhalten? Diebstahl kann dem­ nach nicht begangen werden an Sachen, die in keines Menschen Gewahrsam stehm, wie an vom Hochwasser fort* a Vgl. RGR. 24. Mai 1880, I Anwendung des richtigen SatzeS). E II 65, R I 818 (bedenkliche | von Liszt, Strafrecht.

258

Erstes Buch. III. Delikte gegen daS Vermögen,

geschwemmten oder verlorenen Gegenständen, wohl aber an vergessenen oder verlegten Sachen. Durch Aufgeben des Gewahrsams' von Seiten des Gewahrsams ^Inhabers wird die Möglichkeit des Diebstahls ausgeschlossen; nicht not­ wendig aber schon durch Einwilligung in die Ergreifung der Sache. Der Gewahrsams-Inhaber selbst kann sich des Diebstahls nicht (wohl aber der Unterschlagung) schuldig machen; der Mitgewahrsams-Jnhaber begeht Diebstahl, wenn er sich rechtswidrig» die ausschließliche Verfügungsgewalt verschafft (vgl. das zu 2 über den Miteigentümer Ge­ sagte). Der letzte Satz ist von großer praktischer Bedeutung, da in zahlreichen Fällen mehrfacher Gewahrsam an derselben Sache — sei es gleichgestellten, sei es einander untergeord­ neten Personen zustehend — vorkommt/ Demnach ist die Aneignung mitvermieteter Sachm durch den Mieter eines meublierten Zimmers als Diebstahl zu betrachten, da der Thäter nur Mit-Gewahrsamsinhaber ist? 4. Nicht erfolgte, wohl aber beabsichtigte Aneignung der Sache gehört zu den Merkmalen des Diebstahls­ begriffes. Aneignung aber besteht darin, daß die Sache, gleichsam als wäre sie Eigentum, den Zwecken des Thäters dauernd und ausschließlich dienstbar gemacht wird. Sofortige Vernichtung der Sache ist nicht Aneignung, ebensowenig vorübergehender Gebrauch derselben; eben darum ist Ver­ pfändung der Sache nicht Aneignung, wenn die Absicht und 3 Znnehaben und Aufgeben des Gewahrsams durch einen Wahnsinnigen hat (mit Recht) RGR. 19. Juni 1880, R II 85 als nach Umständen möglich angenommen.

4 RGR. 5. April 1880, B I 540, E II 1 (Entwendung von Ladenvorräten durch einen im Geschäfte angestellten Verkäufer). 5 Dagegen (aber ohne über­ zeugende Motivierung) RGR. 12. Juli 1880, R II 184.

Der Diebstahl,

tz- 64.

259

zirgleich die gegründete Aussicht rechtzeitiger Wiedereinlösung besteht? Auch die Ausübung eines vermeintlichen Retentions­ rechtes kann nicht als Aneignung betrachtet werden? Die Absicht (auch hier gleich erweiterter Vorsatz, oben §. 28 III) muß auf rechtswidrige Zueignung gehen. Dieb­ stahl liegt also nicht vor, wenn ein Anspruch auf Uebertragung des Eigentums an der Sache selbst besteht, wohl aber dann, wenn ein anderer Anspruch durch die weggenommene Sache gesichert werden foH;86 7 Wegnahme von Geld, um sich für eine begründete Geldforderung bezahlt zu machen, ist demnach nur dann nicht Diebstahl, wenn, was zu den seltensten Fällen gehören dürste, ein Anspruch auf Uebertragung gerade der weggenommenen Geldstücke bestand? Gewinnsüchtige Absicht, also Absicht auf Erlangung eines Vermögensvorteils (animus lucri faciendi) ist nach heutigem Recht nicht erforderlich. Der Diebstahl ist kein Bereicherungsdelikt. 5. Der Diebstahl ist vollendet mit der vollendeten Wegnahme, also sobald der eigene Gewahrsam an der Sache durch den Thäter begründet ist. Die alten zum Teil ab­ weichenden Ansichten — Kontrektations-, Ablations-, Apprehensions-Theorien — sind heute allgemein aufgegeben. Der Versuch — strafbar, auch wenn der Diebstahl Ver­ gehen ist — beginnt mit dem Brechen des fremdm Ge­ wahrsams; daher in verschiedenen Zeitpunkten je nach der verschiedenen Erscheinung und Sicherung dieses Gewahr­ sams;^ mit dem Einbrechen, Einsteigen, Einschleichen bei 6 RGR. 22. April 1880, R I 659 u. 664, E II 22. 7 Vgl. RGR. 5. Mai 1880, E II 48.

8 RGR. 9. Februar 1880, E I 193. 9 A.A.RGR. 17. Juni 1880, E II 184, R II 73. 10 Bestritten.

Erstes Buch.

260

HI. Delikte gegen das Vermögen.

Sachen, di« sich in umschlossenen Räumen befinden; erst mit der Ergreifung von Vieh auf der Weide, geschlagenem Holz

im Forste; mit dem Ausstrecken der Hand, wenn damit schon die Herrschaft des Eigentümers beeinträchtigt wird" usw. 6. Beim Diebstahl bildet die Verletzung des einen Rechts­

gutes — des Gewahrsams — das Mittel zur Verletzung deS anderen: des Eigmtums. Halten wir an dem theoretischen

Begriffe des Diebstahls fest (oben unter 1), so erscheinen

Eigentümer

wie

Gewahrsams-Inhaber

als

Verletzte

im

Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauchs. Verletzter im tech­

nischen Sinne deS Wortes (oben §. 31 III1) aber ist nur

der Träger des unmittelbar angegriffenen Rechtsgutes: mithin der

Gewahrsams-Inhaber."

Noch sicherer ist dieses

Resultat von dem Standpunkte deS positiven Rechtes aus,

welches die Verletzung Vordergrund

stellt,

daß

des Gewahrsams so es

sogar

die

sehr in den

bloß beabsichtigte

Eigentumsverletzung zum Begriffe des Diebstahls genügen läßt.

Eine wichtige Anwendung dieses Satzes siehe unten,

n. Arten deS Diebstahls.

1.

Einfacher Diebstahl (StGB. tz.242).

Strafe:

Gefängnis.

2.

Qualifizierter Diebstahl (StGB. §. 243) in

folgenden Fällen:

a) Wenn

aus

einem zum Gottesdienste bestimmten

Gebäude Gegenstände gestohlen werden,

welche dem

Gottesdienste gewidmet sind.

" Vgl. den Fall bei RGR. 9. Juli 1880, R II 142 (in der Begründung wohl zu weit gehend).

" Vgl. GA. XXV S. 177. Damit sei da8 oben §. 31 III lb Gesagte berichtigt.

Der Diebstahl,

261

ß. 64.

b)1$ Wenn aus einem Gebäude ober umschlossenen (b. h. von bet Außenwelt" in einer bas Einbringen ab-

haltenbeu Weise getrennten, wenn auch nicht mit ber

Bobenfläche verbundenen u) Raum mittels Einbruchs (gewaltsamer Beseitigung der Hindernisse),

Einstei­

gens (Umgehen der Hindernisse durch Einbringen auf

einem nicht dazu bestimmten Wege") oder Erbrechens von Behältnissen" gestohlen wird.

c) Wenn zur Eröffnung eines Gebäudes oder der Zu­

gänge eines umschlossenen Raumes, oder zur Eröffnung der im Innern befindlichen Thüren oder Behältnisse

falsche Schlüssel' oder andere zur ordnungsmäßigen Eröffnung .nicht

bestimmte

Werkzeuge

angewendet

werden.

d) Wenn auf

einem öffentlichen (b. h. zum Gebrauche

beS Publikums bestimmten) Wege, einer Straße, einem

öffentlichen Platze, einer Wasserstraße ober einer Eisen­

bahn (mit Naturkräften, wenn auch nicht gerobe mit Dampf betrieben, nicht aber Pferde-Eisenbahnenx hier nur öffentliche nicht

private Eisenbahnen),

ober in

einem Postgebäube ober bem dazu gehörigen Hofraume, oder auf einem Eisenbahnhofe eine zum Reisegepäck oder zu anderen Gegenständen ber Beförderung

» Dgl, Haager GS. XXX. 14 Also nicht auS einzelnen abgeschlossenen Räumen im In­ nern eines Gebäudes (RGR. 23. Februar 1880, R I 379, E I 216.) « RGR. 21. Januar 1880, R I 252. " RGR. 13. März 1880, R

I 470; 27. April 1880, R I 685; 9. Juni 1880, R II 47. 17 Ausschneiden eines Sackeö: RGR. 29. Mai 1880, R I 832; Erbrechen eines Behältnisses, in dem sich der zum Diebstahl notwendige Schlüssel befindet: RGR. 26. August 1880, R II 102.

262

III. Delikte gegen das Vermögen,

Erstes Buch.

gehörende Sache mittels Abschneidens oder Ablösens der Befestigungs- oder Berwahrungsmittel, oder durch

Anwendung falscher Schlüssel oder anderer zur ord­ nungsmäßigen Eröffnung nicht bestimmter Werkzeuge gestohlm wird.

e) Wmn der Dieb oder einer der Teilnehmer bei Be­ gehung der That Waffen (in dem oben §. 62 Note 14

angegebenen engeren Sinne) bei sich führt.

Absicht von

denselben zu Angriff und Verteidigung Gebrauch zu

machen, ist nicht erforderlich; es genügt, wenn der Bestohlene diese Absicht als vorhanden annimmt (vgl.

das oben §. 63 Note 3 bezüglich der Drohung Ge-

sagte). f) Wenn zu

dem Diebstahle Mehrere mitwirken (oben

§. 61 Note 5), welche sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden haben (Bande, vgl. oben §. 38 II 5).

g)18 Wenn der Diebstahl zur Nachtzeit (d. i. die Zeit der Nachtruhe)

in

einem

bewohnten Gebäude,

in

welches sich der Thäter in diebischer Absicht einge­ schlichen, oder in welchem er sich in gleicher Absicht verborgen hatte, begangen wird,

auch wenn zur Zeit

des Diebstahls Bewohner in dem Gebäude nicht an­ wesend sind. zu einem

Einem bewohnten Gebäude werden der

solchen gehörende umschloffene Raum und

die in einem solchen befindlichen Gebäude jeder Art,

sowie Schiffe, welche bewohnt werden, gleich geachtet.

Strafe in.allen Fällen: Zuchthaus bis zu 10 Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter 3 Monaten.

18 Vgl. Ha ager GS. XXIX.

Der Diebstahl,

g. 64.

263

3. Diebstahl im 2. Rückfall" (StGB. §§. 244 und 245).' Voraussetzung: zweimalige frühere Bestrafung im In­ land«^ wegen Diebstahl, Raub, räuberischen Diebstahls und räuberischer Erpressung und Hehlerei. Die Vorstrafen müssen ganz oder teilweise verbüßt oder erlassen sein. Ein lOjähriger Zeitraum von Verbüßung oder Erlaß der letzten" Strafe bis zur Begehung des neuen Diebstahls schützt vor der Rückfallsstrafe (sogenannte Rückfallsverjährung).

Die Strafe beträgt: a) für einfachen Diebstahl (StGB. §. 242) Zuchthaus

bis zu 10 Jahren, bei mildernden Uniständen Gefängnis nicht unter 3 Monaten; b) für schweren Diebstahl (StGB. §. 243) Zuchthaus nicht unter 2 Jahren, bei mildernden Umständen Ge­ fängnis nicht unter einem Jahre. 4. Räuberischer Diebstahl (StGB. §. 252), wenn der Dieb auf frischer That betroffen, gegen eine Person (in homiuem) Gewalt verübt (vgl. oben §. 63 I 1 a) oder Dro­ hungei (vgl. oben §. 63 I 1 b) mit gegenwärtiger Gefahr für Lab oder Leben anwendet, um stch im Besitze des gestohleven GuteS zu erhalten. Strafe: die des Raubes (vgl. unten §. 66). 5. Privilegierte Fälle" (StGB. §. 247): a) Diebstahl von Verwandten aufsteigender Linie gegen Verwandte absteigender Linie oder zwischen Ehegatten begangen (§. 257 Abs. 2), bleibt straflos (subjektiver Strafausschließungsgrund, vgl. oben §. 30 III 3); " Legriff oben §. 411. Behandlmg oben §. 54 11. *® Legriff oben §. 13 III. 31 Der zwischen der ersten und zveiten Verurteilung ver­

strichene Zeittanm ist gleichgültig: vgl. RGR. 4. März 1880, R I 425, E I 246; 29. Mai 1880, R I 833. « Vgl. VoituS GS. XXX.

264

Erstes Buch.

III. Delikte gegen das Vermögen.

b) Diebstahl gegen Angehörige (StGB. §. 52 Abs. 2),

Vormünder oder Erzieher; Diebstahl an Sachen von unbedeutendem Werte gegen Personen, zu welchen der Thäter im Lehrlingsverhältniffe steht oder in

deren

häuslicher Gemeinschaft er als Gesinde sich befindet:

auf Antrag zu verfolgen; Antrag rücknehmbar (§. 247 Abs. 1).

Maßgebend ist hier lediglich die Eigenschaft

des Bestohlenen, d. i. nach dem oben I 6 Gesagten

des

Gewahrsams-Inhabers,

nicht die des Eigentü­

mers." Der Diebstahl bleibt Antragsdelikt, wenn auch

die vom Sohne bei seinem Vater gestohlenen Gegen­

stände Eigentum eines Dritten sind. Beide Bestimmungen (a und b) finden auf Teilnehmer

oder Begünstiger, welche nicht in einem der vorbezeichneten Verhältnisie stehen, keine Anwendung (StGB. §. 247 Abs. 3).

III. Neben der wegen Diebstahls erkannten Gefängnis­

strafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte; neben der Zuchthausstrafe auf Zulässigkeit von Polizei­

aufsicht erkannt werden (StGB. §. 248).

§. 65.

Dem Diebstahl verwandte «fälle. Aus dem Begriffe des Diebstahls haben sich im Laufe

der historischen Entwicklung eine Reihe von Delikten losgelöst

und selbständige Bedeutung erlangt,

die hier

der besseren

Uebersicht wegen zusammengestellt und dem Diebstahle ange-

schlossm werden sollen, wenn sie auch, einzeln betrachtet, eine andere Stellung im Systeme des besonderen Teiles bean-

“ Dagegen RGR. 29. Mai 1880, E II 73, R I 839.

Dem Diebstahl verwandte Falle.

spruchen könnten.

Es

sei betont,

daß

§♦ 65.

265

wir es

hier mit

selbständigen Deliktsbegriffen zu thun haben, auf welche

daher das über den Diebstahl Gesagte nicht ohne weiteres Anwendung findet.

1. Das sogenannte furtum usus, richtiger Gebrauchs­ anmaßung, wegen fehlender Aneignung nicht Diebstahl, ist nach Reichsrecht nur in dem einen besonderen Falle (StGB. §. 290)

strafbar, wenn öffentliche Pfandleiher die von ihnen in Pfand

genommenen Gegenstände unbefugt (vgl. oben §. 28 II) ge­ brauchen.

S träfe: Gefängnis bis einem Jahre, das nach

Ermessen mit Geldstrafe bis 900 Mark verbunden werden kann. 2.

Das sogenannte furtum possessionis (StGB.

§. 289), Wegnahme der eigenen beweglichen Sache oder einer

fremden beweglichen Sache zu Gunsten des Eigentümers der­

selben, aus dem Gewahrsam des Nutznießers, Pfandgläu­ bigers oder des Gebrauchs- oder Retentionsberechtigten/ in rechtswidriger Absicht?

Strafe: Gefängnis bis zu 3 Jahren

(daneben nach Ermessen Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte)

oder Geldstrafe bis zu 900 Mark. Versuch strafbar.

tragsdelikt.

An­

StGB. §. 247 Abs. 2 und 3 (oben §. 64 II 5)

findet auch hier Anwendung.

3.

Der Forst- und

Felddiebstahl,

durch Einfüh­

rungsgesetz §. 2 der Partikular-Gesetzgebung überlassen (vgl.

oben §. 11 Note 6).

4. Die widerrechtliche Zueignung von bei den Uebungen der Artillerie verschossener Munition oder von Bleikugeln 1 Ausräumung der invecta et illata gegen das Verbot des Vermieters: RGR. 8. Mai 1880, E I 429, R I 748.

2 D. h. in der Absicht, das Jnnehabungsrecht des Berech­ tigten zu verletzen: RGR. 28. Juni 1880, R II 131.

266

Erstes Buch.

HI. Delikte gegen das Vermögen,

aus den Kugelfängen der Truppen - Schießstände (StGB. §. 291).

Strafe:

zu einem Jahre oder

Gefängnis bis

Geldstrafe bis zu 900 Mark.

Unbefugte Verringerung eines fremden Grundstücks,

5.

eines öffentlichen oder Privatweges oder eines Grenzrains durch

Abgraben

oder Abpflügen (StGB. §. 370 Ziff. 1)

Strafe: Geld bis 150 Mark oder Haft. 6. Unbefugte Wegnahme von Erde, Steinen, Rasen aus öffentlichen oder

Privatwegen;

Graben von

Erde, Lehm,

Sand, Grand, Mergel aus fremden Grundstücken; Hauen von Plaggen

oder

Bülten;

von

Wegnahme

Rasen,

Steinen,

Mineralien aus fremden Grundstücken, zu deren Gewinnung

es einer Verleihung, einer Konzession oder einer Erlaubnis einer Behörde nicht bedarf oder von ähnlichen Gegenständen

(StGB. §. 370 Ziff. 2). Strafe: wie zu 5.

7. Entwendung von Nahrungs- oder Genußmitteln von

unbedeutendem Werte oder in geringer Menge zum alsbal­ digen Gebrauche (sogenannter Mundraub StGB. §. 370

Ziff. 5). Tabak, Cigarren, Parfüms, Saatkartoffeln;3 nicht

aber Brennmaterialien gehören hierher.

Antragsdelikt; Rücknahme zulässig. wandten aufsteigender gegen

Strafe: wie zu 5.

Entwendungen von Ver­

Verwandten absteigender Linie

und zwischen Ehegatten bleiben straflos. 8. Der sogenannte Futterdiebstahl (StGB. §. 370

Ziff. 6): Wegnahme von Getreide oder anderen zur Fütte­ rung

des Viehs

bestimmten

oder

geeigneten Gegenständen

wider Willen des Eigentümers, um

dessen Vieh damit zu

füttern.

Strafe: wie zu 5.

Autragsdelikt; Rücknahme zulässig.

’) Dgl. RGR. 24. Februar 1880, R I 385, E I 223.

Der Raub. §. 66.

267

2. §. 66.

Dec Raub.1

l. Begriff (StGB. §. 249).

Raub

gewaltsamer

ist

Diebstahl.

Er

hat

alle

Merkmale des Diebstahlsbegriffes: Wegnahme einer fremden

beweglichen Sache in der Absicht rechtswidriger Zueignung

(vgl. das oben §. 64 über diese Merkmale Gesagte); unter­ scheidet sich aber von dem Diebstahle durch die Mittel der

Wegnahme.

Diese sind:

a) Gewalt gegen eine Person (oben §.63 I la), sei es gegen die Person deS Gewahrsamsinhabers selbst

oder gegen eine andere den Gewahrsam des Inhabers schützende Person;

b) Anwendung

mit

von Drohungen

gegenwärtiger

Gefahr

(oben §. 63 I lb) für

Leib

oder

Leben. Gewalt und Drohung sind Mittel der Wegnahme, d. h.

der Begründung des eigenen Gewahrsams auf Seiten des Thäters, mag diese unmittelbar durch den Thäter oder durch

Vermittlung einer Entschließung von feiten des Angegriffenen erfolgen; vorausgesetzt, daß diese Entschließung nicht als eine freie und

vorsätzliche (oben §. 20 ID) den Kausalzu­

sammenhang zwischen dem Handeln des Thäters und dem

«„getretenen Erfolge aufhebt.

Ueber das Verhältnis deS

Raubes zur Erpressung vgl. das unten §. 74 bei dieser Gesagte.

Der Raub ist vollendet (wie der Diebstahl) mit der

1 Lit. bei Meyer S. 477 Sinnt. 1.

268

Erstes Buch.

HI. Delikte gegen das Vermögen,

vollendeten Wegnahme der Sache;

strafbare Versuch

der

beginnt bereits mit der Anwendung von Gewalt oder Dro­ hung. II. Fälle des Raubes.

1. Einfacher

Raub

§. 249).

(StGB.

Strafe:

Zuchthaus; bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter

6 Monaten. 2. Qualifizierter Raub (StGB. §. 250): a) Wenn

der Räuber

einer

oder

Teilnehmer

der

am

Raube bei Begehung der That Waffen bei sich führt

(oben §. 64 II 2 e). b) Wenn zu dem Raube Mehrere mitwirken, welche sich

zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl

verbunden haben (oben §. 64 II 2 f).

c) Wenn der Raub Straße, auf

einem öffentlichen Wege,

auf

einer Eisenbahn,

offener

oder

See

einem

einer

einer

öffentlichen Platze,

Wasserstraße

begangen

wird (Straßenraub).

d) Wenn

der Raub

zur Nachtzeit in einem bewohnten

Gebäude (StGB. §. 247 Ziff. 3) begangen wird,

in

welches sich der Thäter zur Begehung eines Raubes oder Diebstahls eingeschlichen oder sich gewaltsam Ein­

gang

verschafft

oder

in

welchem

er sich in gleicher

Absicht verborgen hatte.

e) Wenn der Räuber wegen

bereits

einmal

als Räuber oder

räuberischen Diebstahls (StGB. §. 252) oder

räuberischer Erpressung

(StGB. §. 255) im Jnlande

bestraft worden ist (Raub im ersten Rückfall). StGB. §. 245

findet

auch

hier

Anwendung

(oben

§. 64

II 3). Strafe:

Zuchthaus

nicht

unter

5 Jahren;

bei

Die Unterschlagung,

tz. 67.

269

mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem

Jahre.

f) Schwerster Fall (StGB. §. 251): Raub, bei dem ein Mensch gemartert oder bei dem durch die verübte

Gewalt eine schwere Körperverletzung (StGB. §. 224) oder der Tod eines Menschen verursacht (oben §. 61

II 1 c)

worden ist;

gleichgültig,

ob die gemarterte,

verletzte, getötete Person der Beraubte selbst oder ein

Dritter ist. Strafe:

Zuchthaus

nicht unter 10 Jahren oder

lebenslängliches Zuchthaus. III. Neben der Zuchthausstrafe kann in allen Fällen auf

Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (StGB. §. 256).

3. §. 67.

Bit Unterschlagung.'

I. Begriff. Unterschlagung widrige

ist

Eigentumsverletzung

Aneignung

einer

fremden

durch rechts­ beweglichen

welche

der Thäter bereits in seinem Ge­

wahrsame hat.

Durch letzteres Merkmal unterscheidet sich

Sache,

die Unterschlagung vom Diebstahl, mit dem sie die übrigen

Begriffs-Elemente

gemein

hat.

ES

§. 64 I Gesagte auch hier anzuwenden.

ist daher

daS

oben

Dazu sei noch Fol­

gendes bemerkt. 1. Eine fremde Sache ist auch hier Objekt deS Deliktes.

Durch den Uebergang deS Eigentums an den GewahrfamS-

* Lit. bei Meyer S. 483 I Unterschlagung 1879. Note 1 Dazu Kapff, die |

270

Erstes Buch.

III. Delikte gegen das Vermögen.

inhaber wird demnach die Möglichkeit einer Unterschlagung

unbedingt ausgeschlossen, mag auch eine (obligatorische) Ver­

pflichtung zur Rückgabe3 ganz

bestimmten

oder zur Verwendung nach einer

bestehen.

hin'

Richtung

Wichtig

wird

dieser Satz bei Uebergabe von Geld oder anderen vertret­

baren Sachen. An einem Schatze ist Unterschlagung durch den Finder

dann

möglich,

wenn

dem

nach

maßgebenden Civilrecht 4

durch das Finden selbst einem Dritten (dem Eigentümer des Grundstückes oder dem Staate) sofort Eigentum an einem

Teile des Schatzes, nicht bloß ein Anspruch auf Herausgabe erworben

Für

wird.

das Gebiet

des

preußischen

Rechts

nimmt Unterschlagung an: RGR. 17. November 1879, B I

78, E I 16.

An

Forderungen

ebensowenig

Unterschlagung

kann

wie Diebstahl begangen werden; vgl. StGB. §. 266 Ziff. 2,

(unten §. 71 II 1).

2. Der Thäter muß die Sache in seinem Gewahr­ sam haben.

Zufall,

Auf welche Weise er diesen erlangt, ob durch

durch

ein Anvertrauen

Gewahrfamsinhabers

ist gleichgültig.

oder

von

feiten

des

bisherigen

durch eine strafbare Handlung,

Doch wird in dem letzten dieser Fälle, in

Anwendung des oben §. 40 III über Gesetzeskonkurrenz Ge­ sagten, die Aneignung regelmäßig hinter dem strafbaren In­

den-Gewahrsam-Bringen zurücktreten.

Auch

die

Fund­

verhehlung (unrichtig sprach man früher von Funddiebstahl) ist Unterschlagung.

1 Vgl. RGR. 10. März 1880, E II 132; 2. April 1880, R I 530, E I 243; 24. Mai 1880, E II 65, R I 815.

3 Vgl. RGR. 16. Januar 1880, E I 75; 8. Mai 1880, R I 745. 4 Ueber das römische Recht vgl. Windscheid §. 184.

§. 67.

Die Unterschlagung.

271

3. Die deliktische Thätigkeit besteht in dem Aneignen.

DaS Gesetz sieht von einer kasuistischen Beschreibung dieses

Begriffes ab. Jeder (äußere oder innere) Akt, durch welchen die Sache, als wäre sie Eigentum, den Zwecken des Thäters

dauernd und ausschließlich

dienstbar

gemacht wird,

gehört

hieher; Beiseiteschaffrn, Ableugnen des Besitzes, Veräußern,

Verbrauchen, Verpfänden4 kann Aneignung sein.

Die An­

eignung muß auch hier eine rechtswidrige sein.

4. Die Vollendung tritt ein mit der geschehenen An­ eignung

(anders

beim

Diebstahl).

Der Versuch — trotz

der Vergehensnatur strafbar — beginnt mit der beginnenden Aneignung.

5. Verletzt ist der Eigentümer, und nur er, nicht etwa

derjenige, der die Sache dem Thäter übergeben (anvertraut) hatte. n. Arten der Unterschlagung:

1. Einfache Unterschlagung. bis zu 3 Jahren;

Strafe:

Gefängnis

bei mildernden Umständen Geld­

strafe bis zu 900 Mark.

2. Die

Veruntreuung

oder

Unterschlagung

anver­

trauter, d. h. auf Gmnd eines Rechtsgeschäfts mit der Verpflichtung

zur Rückgabe

oder Weiterbeförde­

rung' übernommener Sachen. Strafe:

Gefängnis

bis zu 5 Jahren; bei mil­

dernden Umständen Geld bis zu 900 Mark. 3. Privilegierte Fälle (StGB. §. 247); dieselben wie

* Dskontierung von in Verwahrmg übernommenen Wech­ seln: RGR. 20. Mai 1880, B I 808

4 Vgl. RGR. 12. Januar 1880, E I 61 (Uebergabe zur Prüfung der Ehrlichkeit).

272

Erstes Buch. HL Delikte gegen daS Vermögen,

beim Diebstahl; vgl. oben §. 64 II 5.

Entscheidend

hier immer die Qualität deS verletzten Eigentümers.

4. Die Unterschlagung

im Amte (StGB. §§. 250

und 251, vgl. unten §. 93 II 7). HI. Neben Gefängnis kann auf Verlust der bürger­ lichen Ehrenrechte erkannt werden (StGB. §. 248).

4.

8> 68. Die Sachbeschädigung? I- Begriff.

1. Sachbeschädigung ist Eigentumsverletzung durch rechtswidrige

Verletzung

Vernichtung

oder

der

Sachsubstanz (Beschädigung oder Zerstörung der Sache,

die auch als Sachganzes in Betracht kommen kann).

Bei­

spiele: Zerlegen einer Maschine, Fliegenlassen eines Bienen­ schwarmes, Ausströmenlassen von Gas, Ueberstreichen eines

Gemäldes. Gebrauchsentziehung — selbst dauernde — gehört nicht hieher (Ausfliegenlassen eines Vogels; Versenken

in

die See). 2. Objekt ist auch hier eine fremde bewegliche Sache

(vgl. oben §. 64 I 2); daß sie Tauschwert besitze, ist nicht erforderlich. ?

3. Die Rechtswidrigkeit

her

Bewußtsein

ist

Begriffsmerkmal;

da­

derselben zum Vorsatz erforderlich (oben

§. 28 H).

4. Verletzt im technischen Sinne

des Wortes

(vgl.

' LU. bei Meyer S. 440 I » Vgl. RGR. 21. April 1880, Anm. 1. | R I 640.

Die Sachbeschädigung.

oben §.31 in lb),

§• 68.

273

daher eventuell antragsberechtigt,

ist

immer nur der Eigentümer?

5. Die Vollendung tritt mit der erfolgten Beschädigung oder Zerstörung

der Sache

ein;

der Versuch ist — auch

wenn Vergehen — strafbar. II.

Arten.

1.

Die einfache Sachbeschädigung (StGB. §. 303).

Strafe: Geld bis zu 1000 Mark oder Gefängnis bis zu 2 Jahren.

Antragsdelikt.

Antrag rücknehmbar, wenn gegen

Angehörige (StGB. §. 52 Abs. 2) verübt. 2.

Beschädigung oder Zerstörung von res sacrao

religiosae publicae (StGB. §. 304). Das Gesetz nennt: Gegenstände der Verehrung einer im Staate bestehenden Re-

ligionsgesellschast; Sachen, die dem Gottesdienste gewidmet

sind;

Grabmäler,

öffentliche Denkmäler;

Kunst, Wissenschaft, des Gewerbes,

Gegenstände der

welche in öffentlichen.

Sammlungen aufbewahrt werden oder öffentlich ausgestellt

sind;

Gegenstände, welche zum öffentlichen Nutzen oder zyr

Verschönerung öffentlicher Wege^ Plätze oder Anlagen dienen (mögen sie auch nicht gerade zu diesem Zwecke bestimmt fein3 4).

Strafe:

Gefängnis bis zu 3 Jahren oder Geld bis

1500 Mark.

zu

Neben Gefängnis kann auf Verlust der bürger­

lichen Ehrenrechte erkannt werden. Nur des Zusammenhanges wegen — es sei dies

aus­

drücklich betont — ist dieser Fall mit der einfachen Sach­ beschädigung unter den Eigentumsdelikten zu behandeln; die

Richtung gegen den Einzelnen tritt völlig, die gegen daS

3 Dagegen RGR. 12. Marz 1880, E I 306, welches auch den zum Gebrauche der Sache von LiSzt, Strafrecht.

persönlich Berechtigten für ver­ letzt, bez. antragsberechtigt erklärt. 4 Vgl. RGR. 10. Dezember 1879, R I 134. 18

274

Erstes Buch.

IIL Delikte gegen das Vermögen.

Eigentum hinter der Verletzung des öffentlichen Gebrauchs­ rechtes zurück.

3.

Gänzliche

oder teilweise Zerstörung

(nicht

Beschädigung) von in fremdem Eigentum stehenden Gebäuden,

Schiffen, Brücken, Dämmen, gebauten Straßen, Eisenbahnen

(oben §. 64 II 2d6*)* *oder * anderen Bauwerken6. Strafe: Gefängnis nicht unter 1 Monat.

Hier ist der Charakter der

einfachen Sachbeschädigung als eines

gerichteten

gegen den Einzelnen

vollständig

Eigentumsdeliktes

gewahrt;

zugleich

aber bildet dieser Fall den Uebergang von der Sachbeschädi­ gung zu den gemeingefährlichen Delikten.

4.

In einer ganzen Reihe von Fällen tritt die Bedeutung

der Sachbeschädigung als eines Eigentumsdeliktes so sehr in

den Hintergrund, daß die Einreihung dieser Fälle unter andere Deliktsbegriffe oder ihre selbständige Behandlung angezeigt

erscheint.

Vgl. StGB. §§. 90 Ziff. 2, 133ff., 168, 265,

274, 315 ff.; Forst- und Feldfrevel usw.

B. g. 69.

Strafbare Handlungen gegen OKKupation-rechte.*

I.

Verletzung des Jagdrechtes.

1.

Begriff.

Jagdrecht ist das 'Recht auf ausschließliche Okkupation

jagdbarer Tiere.

Diebstahl und nicht Verletzung des Jagd-

6) Doch sind hier den öffent­ lichen die privaten Zwecken die­ nenden Eisenbahnen gleichzu­ stellen. 6 Kasuistik: RGR. 30. Juni

1880, R II140. (HerauSreißen eines fest mit dem Boden ver­ bundenen Hofthores.) 1 Lit. bei Meyer S. 491 Note 1.

Strafbare Delikte gegen Okkupationsrechte.

275

g. 69.

rechtes ist anzunehmen, wenn die Tiere — wie bei Wild

im umschlossenen Gehege — bereits okkupirt sind'. Die Verletzung erfolgt durch unbefugte (Begriffsmerkmal!

vgl. oben §. 28 II) Ausübung der Jagd.

Dieser Begriff

umfaßt ein Doppeltes. a) Schon das einfache dem-Wilde-Nachstellen (Auf-

dem-Anstande-stehen;

legen usw.).

Anschleichen;

das

Schlingen­

Schon mit diesen Handlungen

ist die

Vollendung des Deliktes eingetreten.

b) Die wirkliche Okkupation jagdbarer Tiere (auch von Fallwild,

nicht

aber

von

abgeworfenen Hirschstan­

gen u. dgl.; auch die Jagdfolge usw.).

Mit der Okku­

pation, d. h. der Begründung des eigenen Gewahr­ sams, also nicht notwendig erst mit dem Herausschaffen

aus dem Forste', tritt hier die Vollendung ein. 2.

Arten.

a) Einfacher Fall (StGB. tz. 292).

Strafe: Geld

bis zu 300 Mark oder Gefängnis bis zu 3 Monaten.

Antragsdelikt, wenn gegen einen Angehörigen (StGB. §. 52 Abs. 2) begangen.

Antrag rücknehmbar.

b) Qualifizierter Fall (StGB. Z. 293), wenn dem Wilde nicht mit Schießgewehr oder Hunden, sondern mit Schlingen, Netzen, Fallen oder anderen Vorrich­

tungen nachgestellt, oder wenn das Vergehen während der gesetzlichen Schonzeit, in Wäldern, zur Nachtzeit

(Zeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang) oder gemeinschaftlich von Mehreren (oben §. 61 Note 5) be­

gangen wird. Strafe: Geld bis zu 600Mark oder Ge-

-Vgl. RGR. 6. Dezember I ' A.A.RGR. 13. April 1880, 1879, R I 120. I R I 589.

276

Erstes Buch. III. Delikte gegen das Vermögen,

fängnis bis zu 6 Monaten. Antrag nicht erforderlich (bestritten). c) Wilddieberei (StGB. §. 294): gewerbsmäßiges (Begriff oben §. 39 II 3) Betreiben des unberechtigten Jagens. Strafe: Gefängnis nicht unter 3 Monaten, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehren­ rechte sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden kann. In allen 3 Fällen ist (StGB. §. 295) auf Einziehung des Gewehrs, des Jagdgerätes und der Hunde, welche der Thäter bei sich geführt hat, ingleichen der Schlingen, Netze, Fallen und anderen Vorrichtungen zu erkennen, ohne Unter­ schied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht (vgl. oben §. 50 II), und ohne Unterschied ferner, ob diese Gegenstände zur Jagdausübung bestimmt waren oder nichts d) Vgl. noch StGB. §. 368 Ziff. 10 u. 11: Geldstrafe bis zu 60 Mark oder Haft bis zu 14 Tagen trifft denjenigen, der a) ohne Genehmigung des Jagdberechtigten oder ohne sonstige Befugnis auf einem fremden Jagdgebiete außerhalb des öffentlichen, zum gemeinen Gebrauche bestimmten Weges, wenn auch nicht jagend, doch zur Jagd ausgerüstet, betroffen wird; ß) denjenigen, der unbefugt Eier oder Junge von jagdbarem Federvieh (oder von Singvögeln) aus> nimnit. n. Verletzung des Rechts zur Okkupation von Fischen und Krebsen (auch die Perlmuschelfischerei gehört hierher). ♦ Vgl. RGR. 6. Dezember 1879, R I 119, E I 28.

Der Bankbruch, 1.

Einfaches

unberechtigtes

(StGB. §. 370 Ziff. 4).

g. 70. Fischen

277 oder Krebsen

Strafe: Geld bis zu 150 Mark

oder Hast.

2. Unberechtigtes (Begriffsmerkmal! oben §.28 II) Fischen oder Krebsen zur Nachtzeit (wie oben l 2) oder unter An­ wendung schädlicher oder explodierender Stoffe(StGB.

§. 296).

Strafe: Geld bis zu 600 Mark oder Gefängnis

bis zu 6 Monaten.

3. Ausländer, welche in den deutschen Küstengewäffern unbefugt fischen, trifft die unter 2. angegebene Strafe, auch

wenn keiner der erschwerenden Umstände des §. 296 vorliegt

(StGB. §. 296 a).

C.

Strafbare Handlungen gegen obligatorische Ansprüche. 1.

§. 70.

Oer Lankbruch.'

Geregelt durch die §§. 209—212 der Konk.-Odg., die an Stelle der §§. 281—283 StGB, getreten sind.

Ueber das

Verhältnis des Reichsrechtes zum Landesrechte vgl. Einf.Ges. zur Konk.-Odg. §§. 4 u. 5.

I. Begriff. Der Bankbruch gehört zu denjenigen Delikten, deren be­

griffliche Entwicklung eben im Flusse begriffen ist, ohne daß

Gesetzgebung und Wissenschaft zu abschließenden Resultatm gelangt wären.

Eben darum bietet er der juristischen Kon-

1 Lit. bei Meyer S. 520 I „Bankrutt". Note 1; dazu Merkel HR. |

278

Erstes Buch. HI. Delikte gegen das Vermögen,

struktion wie der praktischen Anwendung der gesetzlichen Be­ stimmungen größere Schwierigkeiten als andere, zu endgülti­ ger Gestaltung gelangte, Verbrechensbegriffe. 1. Bankbruch ist — wenn wir vom positiven Rechte ab­ sehen — Gefährdung der obligatorischen Ansprüche der Gläubiger durch Mißbrauch des Kredites. Die Gesammtforderungen der Gläubiger sind das nächste Angriffs­ objekt des Bankbruches, mag er auch in seinen Folgewir­ kungen, über die Vermögensinteressen der Nächstbeteiligten hinausgreifend, eine Erschütterung der publica fides, der Sicherheit des Kreditwesens in weiteren, nicht abgegrenzten und nicht abzugrenzenden Kreisen herbeiführen. Der Miß­ brauch des Kredites aber würde bei dieser Fassung des Be­ griffes in jeder Vernachlässigung derjenigen Sorgfalt bestehen, zu welcher der Kreditnehmer dem Kreditgeber gegenüber, wenn auch nicht rechtlich, so doch als gewissenhafter Haus­ wirt, verpflichtet ist. Allerdings hätte diesem erweiterten Begriffe gegenüber der Name „Bankbruch" nur mehr histo­ rische Berechtigung. 2. Im positiven Rechte ist der Begriff des Bankbruches wesentlich eingeschränkt. a) Das Gesetz macht die Zahlungseinstellung oder die Eröffnung des Konkursverfahrens zur Be­ dingung der Strafbarkeit (in dem oben §. 30 angege­ benen Sinne). Es bedarf nach Ansicht des Gesetz­ gebers einer scharfen, greifbaren Bezeichnung des Augen­ blickes, in welchem die Interessen der Gläubiger als definitiv gefährdet anzusehen sind. Zahlungseinstellung aber ist die Nichterfüllung einer fälligen Ver­ pflichtung auf Grund wirklicher, vermeint­ licher oder fingierter Zahlungsunfähigkeit,

Der Bankbruch.

§. 70.

279

daher zu unterscheidm einerseits von der wirklichen Unfähigkeit zur Erfüllung der schwebenden Verbind­ lichkeiten, andrerseits von der Ueberschuldung, dem Ueberstiegensein der Passiva durch die Aktiva. b) Das Gesetz hebt in kasuistischer Weise, jedes andere etwa gleichwertige Verhalten ausschließend, jene Handlungen des Schuldners hervor, in welchen regelmäßig (nicht not­ wendig immer) ein Mißbrauchen des Kredites gelegen ist; die regelmäßig, wenn auch nicht notwendig im Einzelfalle, zur eingetretenen Zahlungseinstellung, mithin zu der vom Gesetze in dieser erblickten Gefährdung der Vermögensintereffen der Gläubiger, in kausaler Beziehung stehen. c) Nach dieser Einengung deS Begriffes konnte das Gesetz davon absehen, ob die — im Allgemeinen vorhandene — Gefährdung der Gläubigeransprüche auch im konkreten Falle eingetreten ist oder nicht. So erhält der Begriff des Bankbruches eine wesentlich veränderte Gestalt. Er liegt vor, wenn ein Schuldner: 1. seine Zahlungen eingestellt (den Konkurs eröffnet) und 2. gewisse vom Gesetze bezeichnete Handlungen begangen hat. 3. Trotz dieser veränderten Gestalt behält unsere ur­ sprüngliche Definition ihre Bedeutung. Immer liegt in der auf bestimmte Weise herbeigeführten, in einem bestimmten Augenblicke als gegeben angenommenen Gefährdung der ver­ mögensrechtlichen Ansprüche der Gläubiger der Kern deS De­ liktes. Die Gesammtheit der an derselben Zahlungseinstellung beteiligten Gläubiger ist Trägerin deS angegriffenen RechtSgutes. Daraus folgt: a) Wenn ein Schuldner mit Rücksicht auf dieselbe Zahlungseinstellung (Konkurseröffnung)mehrere der vom Gesetze bezeichneten Handlungen begangen hat

280

Erstes Buch. HI. Delikte gegen daS Vermögen,

(z. B. Djfferenzspiel und Vernichtung der Handels­ bücher), so liegt nur eine strafbare Handlung, nicht Realkonkurrenz mehrerer vor? b) So lange es sich um dieselbe Zahlungseinstel­ lung (Konkurseröffnung) handelt, können nicht zwei Bankbrüche angenommen werden, mag auch der That­ bestand des einfachen wie der des qualifizierten Falles vorliegen; der Schuldner hat sich vielmehr nur eines Bankbruches und zwar des schwereren Falles schuldig gemacht? In beiden Fällen ist mit der Einheit des Erfolges die Einheit der Handlung, und zwar nicht eine nur juristische, son­ dern eine natürliche Handlungseinheit (oben §. 39 I 2) gegeben. 4. Die vom Gesetze bezeichneten Handlungen können der Zahlungseinstellung (Konkurseröffnung) zeitlich vorangehen oder ihr nachfolgen; im ersten Falle ist das Delikt mit der Zahlungseinstellung, im letzteren mit der Vornahme der be­ treffenden Handlung vollendet. Diese Möglichkeit, Bank­ bruch anzunehmen, obwohl die Zahlungseinstellung voraus­ gegangen ist, tritt erst damit ein, daß in dem positiv-recht­ lichen Begriffe des Bankbruches von dem Vorliegen des Kausal­ zusammenhanges zwischen den einzelnen Handlungen und der Zahlungseinstellung im konkreten Falle abgesehen ist. 5. Subjekt des Deliktes ist nach der Konkursordnung jeder Schuldner, nicht bloß der Kaufmann. Auch Mitglieder 1 Bestritten. Richtige Ansicht: RGR. 15. November 1879, R I 77, E 1101; 20. April 1880, R I 627. Vgl. auch RGR. 5. Juni 1880, R II 32) mehr­ facher Unterlassung der Bilanzziehüng).

* Bestritten. Lit. bei Meyer S. 529 Note 1. RGR. 22. Juni 1880, E II 198 hat die Frage prinzipiell nicht entschieden, aber Unmöglichkeit realer Konkurrenz zwischen §. 209 Ziff. 3 bez. 4 u. §. 210 Ziff. 2 bez. 3 angenommen.

Der Bankbruch.

g. 70.

281

deS Vorstandes einer Aktiengesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft, sowie die Liquidatoren einer Handelsgesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft, welche ihre Zahlungen ein­ gestellt hat oder über deren Vermögen daS Konkursverfahren eröffnet worden ist, können sich des Bankbruches schuldig machen, wenn sie in dieser Eigenschaft die mit Strafe be­ drohten Handlungen begangen haben (Konk.-Odg. §. 214). 6. Ort der begangenen That ist — auch hier wird unsere theoretische Definition von Wichtigkeit — nicht derjenige, an welchem die einzelnen im Gesetze bezeichneten Handlungen be­ gangen sind, sondern derjenige, an welchem der Schuldner im Augenblicke der Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung seinen wirtschaftlichen Wohnsitz hat (vgl. oben §. 19 IV); Schuld dagegen muß auf feiten des Angeklagten in dem Augenblicke vorliegen, in welchem er die Einzelhandlungen ge­ setzt hat (oben §. 19 III 1). II. Arten. 1. Der einfache Bankbruch (Konk.-Odg. §. 210). Er liegt, die Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung voraus­ gesetzt, vor, wenn der Schuldner: a) durch Aufwand, Spiel oder Differenzhandel mit Waaren oder Börsenpapieren (nicht bloß daS eigentliche Diffe­ renzgeschäft, sondern auch effektive Lieferungsgeschäfte, wenn auf unsolider Spekulation beruhend, gehören hieher)* übermäßige Summen verbraucht hat oder schuldig geworden ist; b) wenn er Handelsbücher zu führen unterlassen hat, deren Führung ihm gesetzlich oblag, oder dieselben verheim* Val. RGR. 31. März 1880, I 1880, R I 563. R I 526, E I 282; 10. April |

282

Erstes Buch. DL Delikte gegen daS Vermögen,

licht, vernichtet oder so unordentlich geführt hat, daß sie keine Uebersicht des Bermögenszustandes gewähren; c) wenn er es gegen die Bestimmung des Handelsgesetz­ buchs unterlassen hat, die Bilanz seines Vermögens in der vorgeschriebenen Zeit zu ziehen. Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren. Ganz verkehrt ist es, diesen Fall deS Bankbruchs als fahrlässigen Bankbruch zu bezeichnen. Die einzelnen Hand­ lungen müssen vielmehr alle vorsätzlich, d. h. mit dem Be­ wußtsein ihrer Kausalität begangen sein. Der Schuldner muß wissen, daß er Handelsbücher zu führen hat, daß er sie vernichtet usw. 2. Der sogenannte betrügerische Bankbruch (Konk.Odg. §. 209). Zu der Thatsache der Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung muß — außer den vom Gesetz be­ zeichneten Handlungen — die Absicht, die Gläubiger zu benachteiligen, d. h. in ihren Ansprüchen zu. schädigen, hinzutreten. Das Schema dieses Falles wäre also: Ge­ fährdung in Berletzungsabsicht, wie wir dasselbe oben §. 62 II bei der Vergiftung gefunden haben. Erreichung^der Absicht ist ebensowenig wie Eintritt der Gefährdung im kon­ kreten Falle erforderlich. Die Strafe — Zuchthaus, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter 3 Monaten — trifft jenen Schuldner, welcher: a) Vermögensstücke verheimlicht oder bei Seite geschafft, d. h. den Gläubigern entzogen hat. Auch Veräußerung von unbeweglichen Sachen gehört hierher

b RGR. 22. Juni 1880, E II 118, R II 97.

Der Bankbruch.

§. 70.

283

b) Schulden oder Rechtsgeschäfte anerkannt oder aufge­ stellt hat, welche ganz oder teilweise erdichtet sind;

c) Handelsbücher zu führen Unterlasten hat, deren Füh­

rung ihm gesetzlich oblag; d) seine Handelsbücher (auch wenn er zur Führung nicht verpflichtet war) vernichtet, verheimlicht oder so geführt

oder verändert hat, daß dieselben keine Uebersicht deS Vermögensstandes gewähren.

3. Die sogenannte Gratifikation (Konk.-Odg. §. 210). Gefängnis bis zu 2 Jahren trifft jenen Schuldner, welcher

— Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung vorausgesetzt — obwohl er seine Zahlungsunfähigkeit kannte, einem Gläu­ biger in der Absicht, ihn vor den übrigen zu begünstigen,

eine Sicherung oder Befriedigung gewährt hat, welche der­ selbe nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu

beanspruchen hatte. III. Die Teilnahme dritter Personen wird zunächst

nach den allgemeinen Grundsätzen behandelt. Doch hat daS

Gesetz (Konk.--Odg. §. 212)

gewisse Fälle als delicta sui

generis unter besondere Strafe gestellt und damit von den

sonstigen Voraussetzungen der Teilnahme losgelöst: mit Zucht­ haus bis zu 10 Jahren, bei mildernden Umständen mit Ge­

fängnis oder mit Geld bis zu 6000 Mark wird bestraft, wer:

1. im Interesse des Schuldners — Zahlungseinstellung

oder Konkurseröffnung auch hier vorausgesetzt — VermögenSstücke desselben verheimlicht oder bei Seite ge­

schafft hat; oder 2. im Interesse eines solchen Schuldners, oder um sich

oder einem andern einen (nicht notwendig rechtswidrigen) Lermögensvorteil" zu verschaffen, in dem Verfahren er• Begriff unten §. 73 I 3.

284

Erstes Buch. III. Delikte gegen das Vermögen,

dichtete Forderungen im eigenen Namen oder durch vorgeschobene Personen geltend gemacht hat. Versuch und Teilnahme an diesem selbständigen De­ likte sind der allgemeinen Regel gemäß möglich. IV. An den Bankbruch des Schuldners reiht das Gesetz ein besonderes Delikt des Konkursgläubigers an (Konk.-Odg. §. 213): Ein Gläubiger, welcher sich von dem Gemein­ schuldner oder anderen Personen besondere Vorteile dafür hat gewähren oder versprechen lasten, daß er bei den Abstim­ mungen der Konkursgläubiger in einem gewiflen Sinne stimme, wird mit Geldstrafe bis zu 3000 Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. Bevorstehende Abstimmung ist vorausgesetzt; mit dem Ge­ währen oder Versprechen tritt die Vollendung ein, mag auch die spätere Abstimmung der Verabredung nicht entsprechen; Teilnahme dritter Personen ist möglich.

2. g. 71.

Mr Untreue.»

I. Begriff. Von der Untreue gilt das oben §. 70 vom Bankbruch Gesagte in erhöhtem Maße. Wir finden in der modernen Gesetzgebung nur schwache, meist kasuistische, Ansätze zu be­ grifflicher Entwicklung dieses Deliktes, das zur Ausfüllung einer der fühlbarsten Lücken unseres Strafrechtes berufen ist. Auch die Untreue ist gerichtet gegen obligatorische, auS Verträgen oder vertragsähnlichenVerhältnissen ent1 Lit. bei Meyer S. 545 Note 1.

Die Untreue. §. 71. springende Ansprüche.

285

Sie gehört darum zweifelsohne

zu den Delikten gegen das Vermögen, wenn wir dieses als die Gesammtheit der dinglichen und persönlichen An­

sprüche auffassen.

Daß die in Frage stehenden Ansprüche

der Abschätzung in Geld nicht immer zugänglich sind, ist kein

Grund gegen die Richtigkeit der systematischen Stellung, die wir hier der Untreue gegeben haben. Aber nicht alle obligatorischen Ansprüche sind der Ver­

letzung durch Untreue fähig, sondern nur jene, welche auf gewissenhafte

Geschäftsführung

auf gewissenhafte Wahrnehmung

oder

überhaupt

fremder Inter­

essen gehen. Somit gewinnen wir den Begriff: Untreue ist die Ver­ letzung der aus Verträgen oder vertragsähnlichen Verhältnissen entspringenden Pflicht zur Wahr­

nehmung anvertrauter fremder Interessen. lli

DaS Gesetz bestraft die Untreue in folgenden Fällen.

1. Untreue im engeren Sinne (StGB. §. 266).

Ge­

fängnis mit fakultativer Aberkennung der bürgerlichen Ehren­ rechte trifft:

a) Vormünder, Kuratoren, Güterpfleger, Sequester, Massen­ verwalter, Vollstrecker letztwilliger Verfügungen und Ver­

walter von Stiftungen, wenn sie absichtlich (Absicht gleich Vorsatz, ’ nicht gleich Motiv; oben §. 28 JII) zum

Nachteile der ihnen anvertrauten Personen oder Sachen

handeln.

b) Bevollmächtigte, welche über Forderungen oder andere Vermögensstücke des Auftraggebers absichtlich zum Nach­ teile desselben verfügen.

'Dgl. RGR. 28. Januar I 23. März 1880, E I 329; 188-, E I 172, B I 287; I 2. Juli 1880, B II 155. .

286

Erstes Buch.

III. Delikte gegen das Vermögen.

c) Feldmesser, Versteigerer, Mäkler, Güterbestätiger, Schaff­ ner, Wäger, Messer, Bracker, Schauer, Stauer und andere zur Betreibung chres Gewerbes von der Obrig­

keit verpflichtete Personen, wenn sie bei den ihnen über­ tragenen Geschäften absichtlich diejenigen benachteiligen,

deren Geschäfte sie besorgen. Die Untreue ist qualifiziert — neben Gefängnis fakul­ tativ Geldstrafe bis zu 3000 Mark — wenn sie begangen wird,

um sich oder einem Anderen einen rechtswidrigen Vermögens­ vorteil zu verschaffen (über

diesen Begriff

vgl. unten §. 73

I 3).

2.

Nach

dem

Gesetz über

eingeschriebene HülfS-

kassen vom 7. April 1876 §. 34 unterliegen Mitglieder des Vorstandes oder des Ausschusses, welche absichtlich zum Nach­ teile der Kasse gehandelt haben,

der Strafbestimmung deS

§. 266 StGB. 3.

Die sogenannte Prävarikation des Rechtsfreun­

des, im Gesetz (StGB. §. 356) unrichtig unter die Amts­ delikte gestellt.

Gefängnis nicht unter 3 Monaten trifft den

Advokaten, Anwalt oder anderen Rechtsbeistand, der bei den

ihm vermöge seiner amtlichen (?) Stellung anvertrauten An­

gelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient.

Handelt er im Ein­

verständnisse mit der Gegenpartei zum Nachteile seiner Partei, so tritt Zuchthaus bis zu 5 Jahren ein. 4.

Das Gesetz vom 11. Juni 1870, die Kommandit­

gesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaf­

ten betreffend, enthält mehrere strafbare Handlungen, die

zum Teile allerdings als gegen die staatliche Oberaufsicht gerichtet erscheinen, mithin dem 3. Abschnitte deS besonderen

Teiles einzureihen wären, zum Teile aber den Charakter der

Die Untreue,

§. 71.

287

strafbaren Untreue, der Vernachlässigung anvertrauter Inter­

esten tragen.

Es gehören hieher: a) Art. 206.

Die persönlich, hastenden Mitglieder und

die Mitglieder deS Aufsichtsrates einer Kommandit­

gesellschaft auf Aktien werden mit Gefängnis biS

zu 3 Monaten bestraft:

1.

Wenn sie vorsätzlich behufs Eintragung des Ge-

sellschaftsvtrtrages in daS Handelsregister falsche Angaben über Zeichnung oder Einzahlung deS Ka­ pitals der Kommanditisten machen.

2.

Wenn durch ihre Schuld (Fahrlässigkeit genügt) länger als 3 Monate die Gesellschaft ohne Auf­

sichtsrat geblieben ist, oder in dem letzteren die zur Beschlußfähigkeit erforderliche Zahl von Mit­

gliedern gefehlt hat. 3. Wenn sie in ihren Darstellungen, in ihren Ueber­

sichten über den Vermögensstand der Gesellschaft oder in den in der Generalversammlung gehal­ tenen Vorträgen wissentlich -en Stand der Ver­

hältnisse der Gesellschaft unwahr darstellen oder verschleiern.

Bei mildernden Umständen in den Fällen 2 und 3 tritt Geldstrafe bis zu 3000 Mark ein.

b) Art. 249.

Unter den gleichen Voraussetzungen trifft

die gleiche Strafe die Mitglieder des AussichtSrateS und des Vorstandes einer Aktiengesellschaft. t) Art. 249a.

Mitglieder des Vorstandes einer Aktien­

gesellschaft werden mit Gefängnis bis zu 3 Monaten bestraft, wenn sie der Vorschrift deS Art. 240 HGB.

zuwider

dem Gericht die Anzeige zu machen unter«

288

Erstes Buch. HI. Delikte gegen das Vermögen,

lassen, daß das Vermögen der Gesellschaft nicht mehr die Schulden deckt. Die Strafe tritt nicht ein, wenn von ihnen nachgewiesen wird (vgl. oben §.27 Note 3), daß die Anzeige ohne ihr Verschulden unter­ blieben ist. Fahrlässigkeit genügt also auch hier. 3.

§. 72. Andere Er. I. Die E^ekutionsvereitlung (StGB. §. 288), vorliegend, wenn jemand bei einer ihm drohenden Zwangs­ vollstreckung, in der Absicht (gleich Vorsatz' oben §. 28 III) die Befriedigung des Gläubigers (aus dieser Zwangsvoll­ streckung, nicht notwendig überhaupt-) zu vereiteln, Bestand­ teile seines Vermögens veräußert oder bei Seite schafft (oben §. 70 II 2 a). Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren. Antragsdelikt. Die Zwangsvollstreckung ist eine drohende, sobald der Gläubiger Schritte zur gerichtlichen Eintreibung seiner For­ derung gemacht hat; Klagerhebung kann genügen, Beginn des Vollstreckungsverfahrens ist nicht erforderlich? II. Der einfache Vertragsbruch* ist, wenn wir von dem gemeingefährlichen Delikte des §. 329 StGB, absehen, 1 Daher liegt §. 288 vor, auch wenn die Absicht (gleich treibendes Motiv, oben §. 28 III) auf Befriedigung eines an­ deren Gläubigers gerichtet war: RGR. 5. November 1879, E I 96, R I 37. ’ Vgl. RGR. 8. April 1880, E I 560.

3 Vgl. RGR. 1. November 1879, R I 31; 16. Dezember 1879. EI 37, RI 151; l.Mai 1880, E II 145; 25. Mai 1880, E II 67, R I 824. 4 Lit. — insbesondere über die Strafbarkeit des Arbeiter­ kontraktsbruches — bei Meyer S. 516 Note 1 u. 518 Note 4.

289

Andere Fälle, g. 72.

nach dem, noch immer von falschen Vorstellungen über die

Natnr deS kriminellen Unrechtes beherrschten, Reichsstrafrecht nur in einem einzigen Falle unter Strafe gestellt. dies der Bruch des Heuervertrages.

ES ist

Dieser wird:

1. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft, wenn die Heuer bereits gegeben war, und der Schifssmann mit derselben entläuft oder sich verborgen hält, um sich dem übernommenen Dienste zu entziehen, und zwar

ohne Unterschied, ob daS Vergehen im Jnlande oder im Auslande begangen ist (StGB. §. 298).

Durch

den letzteren Zusatz wird der Eintritt der Strafe un­ abhängig gemacht von der sonst nach §. 4 StGB, er­

forderlichen Strafbarkeit der Handlung am Orte der

That (vgl. oben §. 13 S. 56).

Der gesetzgeberische

Grund liegt in der Straflosigkeit dieses Deliktes nach englischem und amerikanischem Recht.

2. Die anderen Fälle des Bruches deS Heuervertrages

werden nach §. 81 Seemannsordnung vom 27. De­ zember 1872 auf Antrag deS Schiffers mit Geldstrafe bis zu 300 Mark (bez. 60 Mark) oder Gefängnis bis

zu 3 Monaten bestraft.

III. Nach Schifssmann,

StGB.

§. 297 trifft den Reisenden

oder

welcher ohne Vorwissen des Schiffers, in­

gleichen den Schiffer, welcher ohne Vorwiffen des Rheders

Gegenstände an Bord nimmt, welche daS Schiff oder die Ladung gefährden, indem sie die Beschlagnahme oder Ein­ ziehung des Schiffes oder der Ladung veranlassen können,

Geldstrafe bis zu 1500 Mark oder Gefängnis bis zu 2 Jahren.

vou Liszt, Strafrecht.

19

290

v.

HI. Delikte gegen das Vermögen.

Erstes Buch.

Strafbare Handlrnrgen gegen das Vermöge» überhaupt. 1.

§. 73. Bet Betrug.'

I.

Begriff.

Betrug ist Vermögensbeschädigung in Bereiche­

rungsabsicht,

herbeigeführt durch arglistige Er­

regung und Unterhaltung eines Irrtums.

Der zu

Beschädigende handelt selbst, aber ohne sich der Kausalität

seines

Thuns

bewußt

zu

sein;

juristisch

betrachtet

(oben

§. 20 III) ist eS also nicht der Beschädigte, der sich selbst, sondern der Täuschende, der einem Anderen die Beschädigung

zufügt.

Die Merkmale

des Betrugsbegriffes bedürfen der

näheren Erläuterung.

1. Die arglistige Täuschung besteht in der Vorspiege­ lung falscher oder in der Entstellung oder Unter­

drückung wahrer Thatsachen als Mittel zur Erregung

und Unterhaltung deS Irrtums. Thatsache ist Alles, was der Gegenwart oder Ver­ gangenheit, nicht aber was der Zukunft angehört; Vorgänge

der Außenwelt und im Inneren deS Täuschenden, physische

wie psychische Thatsachen stehen einander gleich?

Auch Täu­

schung über Ansichten und Absichten deS Thäters, nicht aber

1 Lit. bei Meyer S. 498 Note 1. Dazu Zimmermann GS. XXIX. Merkel HR. „Betrug". 1 Sehr bestritten. Die rich­

tige Ansicht verttitt: RGR. 24. Januar 1880, R I 272; 8. Marz 1880, E1305; 3. April 1880, R I 535; 10. August 1880, R II 54.

Der Betrug. K. 73.

291

z. B. über die Aussichten deS ins Leben zu rufenden Unter­ nehmens gehören hieher. 2. Die Erregung und die Unterhaltung deS Irr­ tums stehen einander gleich. Beide können durch Verschwei­ gen von Thatsachen begangen werden. Dieses Nichtredeu ist aber nur dann dem Reden gleichwertig, wenn der Ge­ täuschte berechtigt war, daS Reden zu erwarten;8 wenn also eine Verpflichtung zum Reden bestand, die nicht notwendig eine Rechtspflicht zu sein braucht/ sondern auch in den ge­ schäftlichen Gewohnheiten begründet sein oder aber auch auS dem vorhergegangenen positiven Verhalten folgen kann/ ES gelten hier ohne Ausnahme dieselben Grundsätze, die oben §. 21 über die Bedeutung der scheinbaren Unterlassungen überhaupt entwickelt wurden. Nach dem Gesagten ist auch der sogenannte Kredit­ betrug, d. h. die Erschleichung deS Kredites durch einen Zahlungsunfähigen, zu beurteilen. Nur dann liegt arglistige Täuschung vor, wenn der Getäuschte die Benachrichtigung von der vorhandenen Zahlungsunfähigkeit zu erwarten be­ rechtigt war? 3. Die Täuschung muß erfolgen in Bereicherungs­ absicht, d. i. in der Absicht (gleich erweiterter Vorsatz, oben §. 28 III) sich oder einem Dritten einen rechtswi­ drigen VermögenSvorteiN zu verschaffen. 8 Richtig RGR. 13. März 1880, E I 309. ♦ Rechtspflicht verlangt RGR. 4. November 1879, R I 36. 6 Dieses vorhergegangene Ver­ halten giebt nicht etwa dem Schweigen die Bedeutung des Sprechens, sondern läßt es eben

als ein unberechtigtes erscheinen. Schief RGR. 15. März 1880, E I 314. 6 Dgl. RGR. 7. April 1880, R I 558, E II 5. 7 Vgl. darüber Waag GS. XXXI.

292

Erstes Buch. IDE. Delikte gegen das Vermögen.

Bermögensvorteil ist nicht bloß die Vermehrung des Vermögens, also die Gewinnung eines neuen dinglichen oder persönlichen Anspruches, sondern jede Verbesserung der Vermögenslage, also die Sicherung oder Erweiterung der vorhandenen Ansprüche oder die Abwehr einer ihnen drohenden Schädigung? Erlangung des Besitzes,* eines Darlehns" gehört hieher; ebenso die Sicherung eines bereits erlangten Vorteils?' Erwirkung der Zahlung oder Verbürgung durch einen Dritten kann unter Umständen Vermögensvorteil sein." Rechtswidrig aber ist jeder Vorteil, auf welchen der Handelnde keinen rechtlich begründeten Anspruch hatte;" nicht nur der dem Gesetze zuwiderlaufende Vermögensvorteil gehört hieher, sondern die ganze, überaus große und praktisch hoch­ wichtige Gruppe der dem Rechte indifferenten Vermögens­ vorteile. Rechtswidrig hat demnach nicht positive, sondern rein negative Bedeutung; am entsprechendsten wäre der Aus­ druck „nicht rechtlich begründet". Der Betrug entfällt also nur dann, wenn die arglistige Täuschung das Mittel zur Durchsetzung eines wohl erworbenen und bereits fälligen An­ spruchs ist. 8 Beseitigung eines ungün­ stigen Civilprozeßurteils: RGR. 5. Februar 1880, E I 186. Auch Abwendung der Zahlung einer Schuld, selbst wenn diese als Geldstrafe aus einem De­ likte entspringt; dagegen RGR. 1. Mai 1880, E II 34, R I 713 (aber ohne überzeugende Begründung). 9 RGR. 10. Januar 1880, E I 55.

10 RGR. 3. Mai 1880, R I 716. " RGR. 7. Mai 1880, E II 53. " RGR. 17. Marz 1880, E I 318, R I 481. 13 Sehr bestritten. Für die richtige Ansicht hat sich ausge­ sprochen: RGR. 10. November 1879, R 149; 22. Januar 1880, RI 261; 17. Marz 1880, E I 318.

Der Betrug, g. 73.

293

Es ist gleichgültig, ob der Thäter den Vorteil sich oder einem Dritten zuwenden will; die beabsichtigte Zuwendung an die Armenkasse z. B. würde die Strafbarkeit nicht be­ seitigen?^ 4. Der vollendete Betrug setzt eingetretene Bermögensbeschädigung voraus. Vermogensbeschädigung ist aber nicht nur die Verminderung des Vermögens, also der Verlust eines dinglichen oder persönlichen Anspruches, sondern jede Verschlechterung der Vermögenslage. So die Cession einer unsicheren Hypothek an Zahlungsstatt;48 die Prolongation eines Wechsels'" usw. Vereitelung zu erwar­ tenden Gewinnes gehört nur dann hieher, wenn bereits ein Anspruch auf denselben vorhanden toar.n Die Vermögens­ beschädigung kann eine bleibende oder vorübergehende sein; durch die Möglichkeit künftiger Ausgleichung wird der Begriff nicht ausgeschlossen. 5. Die Täuschung muß daS Mittel der Vermögens­ beschädigung sein; beide müssen im Kausalzusammenhänge zu einander stehen?" Der Täuschende ist es ja, der selbst daS Vermögen des Getäuschten beschädigt. Dies schließt die Mög­ lichkeit mehrerer als Mittel benutzter Zwischenglieder nicht aus; wie des Beschädigten selbst, ebenso kann sich der Betrüger schon nach allgemeinen Grundsätzen (o6tn §. 20 III) auch anderer Personen als Mittel für seine Zwecke bedienen. Mit anderen Worten: Identität der getäuschten und der be14 RGR. I 495. 16 RGR. I 267, R I 16 RGR. R I 12.

17 Dagegen stellt RGR.14.Zanuar 1880, E I 68 das hierum 13. März 1880, E cessanabcmdamnum emergens 444. durchaus gleich. 21. Oktober 1879, 18 Vgl. darüber Feige GA. XXVI. 19. März 1880, R

294

Erstes Buch. HI. Delikte gegen das Vermögen,

schädigten Person ist nicht erforderlich. Insbesondere kann die Beschädigung des Prozeßgegners durch eine Täuschung deS Richters herbeigeführt werden; vorausgesetzt, daß eS sich nicht um einfach unwahre, durch Vernehmung der Gegen­ partei in dieser Eigenschaft erkennbare, Parieibehauptungen, sondern um ein Fälschen der Beweismittel handelt?' DaS Erschleichen von Liberalitäten ist nur dann Be­ trug, wenn sie durch eine wirkliche Irreführung des Schenk­ gebers erlangt wurden; nicht aber dann, wenn der Kausal­ zusammenhang fehlt und nicht die Täuschung, sondern der Wunsch den lästigen Bewerber loszuwerden oder Gutmütigkeit usw. die Ursache waren, welche den der Kausalität seines Thuns sich bewußten Schenkgeber zur Schenkung be­ stimmten. 6. Der Versuch — der auch, wenn Vergehen, strafbar — beginnt bereits mit der Vorspiegelung, Entstellung, Unter­ drückung der Thatsachen. Ist die angestrebte Vermögens­ beschädigung auf dem vom Thäter gewählten Wege nicht zu erreichen, so liegt Versuch mit untauglichem Mittel vor, der nach den allgemeinen Regeln (oben §. 32 V) zu beur­ teilen ist.19 20

II. Die Arten des Betruges. 1. Der einfache Betrug (StGB. §. 263). Strafe: Gefängnis; daneben fakultativ Geldstrafe bis zu 3000 Mark, sowie Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Bei mildernden Umständen kann ausschließlich auf Geldstrafe erkannt werden. 19 Der richtigen Ansicht folgt RGR. 25. Februar 1880, E I 227, RI 387; 17. März 1880, R I 479; 22. Mai 1880, R I 808; 8. Juni 1880, E II 91.

20 Uebersehen in RGR. 8. Mai 1880, R I 744; richtig (mit Bezug auf StGB. §.268) RGR. 5. Februar 1880, E I 186.

Der Betrug, g. 73.

295

Antragsdelikt, wenn gegen Angehörige (StGB. §. 52 Ms. 2)

Vormünder oder Erzieher begangen; Antrag rücknehmbar. 2. Betrag im 2. Rückfall (StGB. §§. 264 und 245)

Voraussetzungen:

a) Zwei inländische Vorstrafen wegen Betrugs. b) Gänzliche oder teilweise Verbüßung oder

Erlassung

dieser Strafen. c) Nichteintritt der (10 jährigen) Rückfallsverjährung." Strafe:

Zuchthaus bis

zu

10 Jahren und

zugleich

Geldstrafe von 150 bis zu 6000 Mark, bei mildernden Um­

ständen Gefängnis nicht unter 3 Monaten, daneben fakultativ

Geldstrafe bis zu 3000 Mark. 3.

Der

sogenannte Versicherungsbetrug

(StGB.

§. 265) vorliegend, wenn Jemand in betrügerischer Absicht

eine gegen Feuersgefahr versicherte Sache in Brand setzt, oder ein Schiff, welches als solches oder in seiner Ladung oder

in seinem Frachtlohn versichert ist, sinken oder stranden macht. Strafe: Zuchthaus bis zu 10 Jahren und zugleich Geld­

strafe von 150 bis zu 6000 Mark, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter 6 Monaten, daneben fakultattve Geld­ strafe bis zu 3000 Mark. Betrügerische Absicht bedeutet den Vorsatz, auf Grund deS Geschehmen an dem Versicherer einen Betrug zu be­

gehen.

Vom Standpunkte der Betrugsdefinition in StGB.

§. 263 erscheint die Brandlegung usw. als Vorbereitungs­ handlung zum Betrug, die hier — wie in anderen Fällen, vgl. oben §. 33 IV — vom Gesetzgeber als besonderes Delikt

unter Strafe gestellt ist, so daß wir getreu der allgemeinen

Regel (oben §. 33 II) auch hier die Unmöglichkeit eines straf-

11 Dgl. überhaupt daS oben §. 64 n 3 Gesagte.

296

Erstes Buch. III. Delikte gegeu das Vermögen,

baren Versuches, ebenso wie die Möglichkeit strafbarer Teil­ nahme (§. 37 I 2c unb II 2) behaupten müssen. Wird der geplante Betrug wirklich ausgeführt, so kann nach dem oben §. 40II c Gesagten nicht etwa Konkurrenz von Versicherungsbetrug und einfachem Betrug angenommen werden; die auf die Vorbereitungshandlung gesetzte Strafe ist, der Betrugsstrafe gegenüber, eine so hohe, daß wir vielmehr zu dem Resultate gelangen müssen, die Ausführungshandlung komme der Vor­ bereitungshandlung gegenüber strafrechtlich gar nicht mehr in Betracht. 2.

tz. 74. Die Erpressung.' I. Begriff. 1. Erpressung ist Bermögensbeschädigung in Be­ reicherungsabsicht durch Nötigung. Das Mittel der Bermögensbeschädigung scheidet die Erpressung vom Betrug. Negativ: hier aber nicht dort das mangelnde Bewußtsein von der Kausalität des Thuns auf Seiten des Beschädigten; positiv: dort aber nicht hier das Bewußtsein von der Un­ freiwilligkeit des Thuns. Das Vorhalten einer nicht gela­ denen Pistole, die Behauptung Vertreter einer gefürchteten Räuberbande zu sein usw., können als Mittel der Erpressung wie des Raubes, nicht des Betruges, in Betracht kommen. 2. Das positive Recht hat den Begriff der Erpressung teilweise abweichend gestaltet. a) Es hat die Vermögensbeschädigung auS der Delikts­ definition entfernt, und sich mit der Bereicherungs1 Lit. bei Meyer S. 512 Note 1. Dazu Katz GS. XXXI.

297

Die Erpressung. §• 74.

absicht begnügt. Demnach ist Erpressung: Nötigung in Bereicherungsabsicht.

b?) Die Nötigung als Erpressung selbständiges decken

sich

Erpressung

und die Nötigung als

Delikt (StGB. §. 240;

Ersteres

nicht.

ist

Nötigung

ist zu

der

oben weitere

Handlung,

§. 63 I)

Begriff.

Duldung,

Unterlassung, begangen 1.

durch Gewalt (wie bei der Nötigung) und zwar

2.

durch Drohung

gegen eine, nicht notwendig an einer, Person;

irgend welcher Art, also nicht

notwendig mit strafbaren oder auch nur rechts­

widrigen^ Handlungen; während zur Nötigung als Delikte Drohung

selbständigem

mit Verbrechen

oder Vergehen erforderlich ist.

3. Zu den

einzelnen

§. 63 I bei der Nötigung sagte.

Begriffsmerkmalen vgl. das

und

§. 73 I

oben

beim Betrug Ge­

Die Vollendung tritt mit der erzwungenen Hand­

lung, Duldung, Unterlassung ein; Versuch immer strafbar.

4. Das Verhältnis der Erpressung zum Raube bedarf noch einiger Bemerkungen. a) Die

Erpressung

ist Vermögensdelikt

überhaupt,

der

Raub Eigentumsdelikt. Der letztere ist auf Wegnahme

fremder beweglicher Sachen gerichtet, der ersteren ist

eine solche Beschränkung fremd.

Nach dieser Richtung

erscheint der Betrugsbegriff

der

als

speziellere,

und

geht mithin in der Anwendung dem der Erpressung vor (vgl. oben §. 40 I a).

b) Der Raub charakterisiert sich als Wegnehmen, mithin

als unmittelbare oder mittelbare Selbstthätigkeit des

1 RGR. 12. Februar 1880, E I 205, R I 345.

298

Erstes Buch. III. Delikte gegen daS Vermögen. Räubers; die Erpressung dagegen als Nötigung, mithin nicht notwendig als Selbstthätigkeit deS Er­ pressers, sondern — und zwar sogar regelmäßig — als Herbeiführung der Entschließung und Thätigkeit des zu Beschädigenden. Auch nach dieser Richtung hin erscheint mithin der Raub als der engere Begriff. Diesem Unterschiede entsprechen die Mittel zur Bege­ hung der beiden Delikte. 1. Gewalt ist beim Raube Mittel der Wegnahme, bei der Erpressung möglicherweise Mittel der Selbstthätigkeit deS Erpressers, regelmäßig aber Mittel der Einwirkung auf den zu Beschädigenden. 2. Die Drohung muß beim Raube so geartet sein, um die Handlung des Beraubten (Herausgabe) als eine unfreie, mithin (vgl. oben §. 20 III) als eine den Kausalzusammenhang zwischen dem Thun des Räubers und dem Enderfolge nicht unter­ brechende erscheinen zu lassen; demgemäß verlangt das Gesetz beim Raube „Drohung mit gegen­ wärtiger Gefahr für Leib und Leben", während bei der Erpressung die Drohung diesen Grad von Intensität nicht zu erreichen braucht und regelmäßig auch nicht erreicht (vgl. aber unten die „räuberische Erpressung"). Fassen wir das unter a und b Gesagte zusammen, so ergiebt sich: 1. Erpressung liegt vor, wenn es sich nicht um Wegnahme einer fremden beweglichen Sache handelt, mag auch Gewalt oder Drohung den Mitteln deS Raubes entsprechen, also Selbst­ handeln auf Seiten des Thäters gegeben sein.

g. 74.

Die Erpressung,

2.

Erpressung

liegt

vor,

auch

299 wenn

eS

sich

um

Wegnahme einer fremden beweglichen Sache han­

delt, wenn Gewalt und Drohung diesem Er­ fordernisse nicht entsprechen. nur dann

Raub ist

3.

anzunehmen,

wenn a) die

Wegnahme einer fremden beweglichen Sache vor­

liegt unb 9) Gewalt oder Drohung

die Erlan­

gung der Sache als eigene Handlung des Thäters erscheinen lassen. II. Die Arten der Erpressung.

1. Die

Erpressung

einfache

(StGB.

§. 253).

Strafe: Gefängnis nicht unter einem Monat.

2. Die

qualifizierte Erpressung (StGB. §. 254),

wenn durch Bedrohung mit Mord, Brandstiftung oder Ueber-

schwemmung begangen. 3. Die

von

der

Strafe: Zuchthaus bis zu 5 Jahren.

räuberische

einfachen

durch

Erpressung

(StGB. §. 255),

die Intensität

der Mittel,

vom

Raube dadurch unterschieden, daß es sich nicht um Wegnahme

einer fremden beweglichen Sache handelt (während die Mittel denen des Raubes entsprechen). a) Gewalt

au*

einer

§. 63 11 a) wenn

Die Mittel sind:

Person

auch

nicht

(in homine vgl. oben

gerade

an der Person

des Genötigten.

• Ich nehme, um zu diesem Resultate zu gelangen, zwei Text­ änderungen un Gesetze vor, die mir dem Sinne des Gesetzes vollkommen xu entsprechen scheinen. Ich sage a) in §. 253 statt „Gewalt": „Gewaltgegen eine Person" (da es gar keine andere für die Nötigung rele­

vante Gewalt giebt, ist diese Aenderung unbedenklich); b) in

§. 255 statt „Gewalt gegen eine Person": „Gewalt an einer Person." Die ganze Frage nach dem Verhalten zwischen einfacher und räuberischer Er­ pressung ist übrigens äußerst bestritten.

300

Erstes Buch. HL Delikte gegen das Vermögen.

b) Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Strafe: die des Raubes. 4. Ueber die Erpressung im Amte (StGB. §. 339) vgl. unten §. 93 II 4b. Neben der wegen Erpressung. erkannten Gefängnisstrafe (in den Fällen 1 und 3) kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte; neben der Zuchthausstrafe (in den Fällen 2 und 3) auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (StGB. §. 256).

3.

8» 75. Strafbare Ausbeutung Anderer. Als Mittel der Vermögensbeschädigung kennt die Reichs­ gesetzgebung ferner die Ausbeutung des Leichtsinns, der Unerfahrenheit oder der Notlage Anderer. Auch in diesen Fällen ist, mag auch eine scheinbar freie und bewußte Handlung des Beschädigten selbst dazwischen liegen, der ein­ getretene Erfolg auf Rechnung des Thäters zu setzen; Uner­ fahrenheit und Leichtsinn schließen nach Ansicht des Gesetz­ gebers das Bewußtsein von der Kausalität der Handlung auf Seite des Beschädigten, die Notlage schließt die Freiheit seiner Bestimmung, ganz oder wenigstens teilweise, aus. Der Gesetzgeber nimmt somit kraft einer durchaus berechtigten Analogie Kausalzusammenhang zwischen dem Thun des Thäters und der erfolgten Vermögensbeschädignng an, wo derselbe, bei strengem Festhalten des allgemeinen Grundsatzes (oben §. 20 III) eigentlich in Abrede gestellt werden müßte. Er thut dies aber nur unter besonderen, genau bezeichneten,

Strafbare Ausbeutung Anderer. .§♦ 75. Voraussetzungen,

und

301

angedeutete Konstruk­

verwendet die

tion zur Bildung von nur zwei, eng umschriebenen Delikts­

begriffen.

I. Vermögensbeschädigung absicht durch Benutzung

in

Bereicherungs­

des Leichtsinns und der

Unerfahrenheit Minderjähriger. Ueber die Bereiche­ rungsabsicht siehe oben §. 73 I 3. An Stelle der in unsere

Definition

aufgenommenen

führt

„Vermögensbeschädigung"

das Gesetz die einzelnen Handlungen ausschließend auf, in

welchen .es ein für allemale und ohne sich in eine Untersuchung des konkreten Falles einzulassen, dieselbe erblicken zu wollen

erklärt.

Demnach liegt das fragliche Delikt vor:

1. Wenn Jemand in gewinnsüchtiger Absicht1 und unter Benutzung

des Leichtsinnes

Minderjährigen sich von

und

eines

der Unerfahrenheit

demselben Schuldscheine, Wechsel,

Empfangsbekenntnisse, Bürgschaftsinstrumente oder eine an­

dere, eine Verpflichtung enthaltende Urkunde aus­ stellen oder auch nur mündlich

ein Zahlungsver­

sprechen erteilen läßt (StGB. §. 301).

Strafe: Ge­

fängnis bis zu 6 Monaten oder Geldstrafe bis zu 1500 Mark. Antragsdelikt. 2.

Wenn Jemand in gleicher Absicht und auf

gleiche

Weise sich von dem Minderjährigen unter Verpfändung der Ehre, auf Ehrenwort, eidlich oder unter ähnlichen Ver­

sicherungen oder Beteuerungen die Zahlung einer Geld­ summe oder die Erfüllung einer anderen, auf Gewährung

geldwerter Sachen gerichteten Verpflichtung aus einem Rechts­ geschäfte versprechen läßt (StGB. §. 302).

Strafe:

Ge­

fängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu 3000 Mark.

1 Soviel wie Bereicherungsabsicht.

302

Erstes Buch.

HI. Delikte gegen daS Vermögen.

Neben Gefängnis Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte

zulässig.

Antragsdelikt.

Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher sich eine For­ derung, von der er weiß, daß deren Berichtigung ein Minder­ jähriger in der vorbezeichneten Weise versprochen hat, abtreten

läßt.

Antragsdelikt.

II. Wucher,* strafbar nach dem Gesetz vom 24. Mai 1880;

ausgegeben am 31. Mai 1880; in Kraft vom 14. Juni 1880. Wucher liegt vor, wenn Jemand unter Ausbeutung der

Notlage, Anderen*

des Leichtsinns oder der Unerfahrenheft eines

für

ein

Darlehen

oder im

Falle

der

Stundung einer Geldforderung sich oder einem Dritten Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, welche den üblichen Zinsfuß dergestalt überschreiten, daß nach den Um­

ständen des Falles die Vermögensvorteile in auffäl­ ligem Mißverhältnisse zu der Leistung stehen. Fälle des Wuchers. 1.

Einfacher Fall (StGB. §. 302a).

zu 6 Monaten

und

Gefängnis bis

Geldstrafe bis zu 3000 Mark.

Ab­

erkennung der Ehrenrechte fakultativ. 2. Qualifizierter Fall (StGB. §. 302 b); vorliegend, wenn Jemand sich oder einem Dritten die wucherlichen Ver­

mögensvorteile verschleiert oder wechselmäßig oder unter Ver­

pfändung der Ehre, auf Ehrenwort, eidlich oder unter ähn­ lichen

Versicherungen

oder

Beteuerungen

versprechen

läßt.

Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre und Geldstrafe bis zu 6000 Mark.

Aberkennung der Ehrenrechte fakultativ.

8 Vgl. v. Lilienthal Jahrb. f. Nationalökonomie 1880. Da­ selbst die Litt.

8 Feststellung der Bereiche­ rungsabsicht hier nicht erforder­ lich, weil aus den übrigen Begrrffsmerkmalen folgend.

Strafbare Ausbeutung Anderer,

3.

tz. 75.

303

Gewerbs- oder gewohnheitsmäßiger (Begriffe

oben §. 39 II 3)

Wucher

(StGB. §. 302d).

Strafe:

Gefängnis nicht unter 3 Monaten und Geldstrafe von 150 bis zu 15000 Mark.

Aberkennung der Ehrenrechte obliga­

torisch (vgl. oben §. 51 I S. 202). 4.

Die unter 1 und 2 angeführten Strafen treffen auch

denjenigen,

welcher

mit Kenntnis

des Sachverhaltes

eine

(wenn auch vor dem 14. Juni 1880 entstandene) Forderung

der angegebenen Art (nach dem 14. Juni 1880) erwirbt und

entweder a) dieselbe weiter veräußert, oder b) die wucherlichen BermögenSvorteile geltend macht* (StGB. §. 302 c).

5. Im Zusammenhänge mit den Strafbestimmungen gegen

Wucher steht §. 360 Ziff. 12 StGB, in der neuen, durch das Gesetz vom 24. Mai 1880 bestimmten Fassung: Wer als Pfandlecher

oder Rückkaufshändler bei Aus­

übung seines Gewerbes den darüber erlassenen Anordnungen

zuwiderhandelt, insbesondere den durch Landesgesetz oder Anordnung der zuständigen Behörde bestimmten Zinsfuß

überschreitet, wird mit Geldstrafe bis zu 150 Mark oder Hast bestraft?

* Die Fassuna des Gesetzes ist eine unglückliche. Zu beachten außer dem im Texte Ge­ sagten: a) Wer eine vor dem 14. Juni 1880 von einem An­ deren erworbene wucherliche Forderung nach dem' 14. Juni 1860 geltend macht, kann nicht nach §. 302 c gestraft werden, b) Die Bestimmung bezieht sich nur auf die von einem An­ deren erworbenen Forderungen;

Geltendmachung einer vor dem 14. Juni 1880 entstandenen wucherlichen Forderung durch den Wucherer selbst fällt wenn, auch nach dem 14. Juni 1880 stattfindend, nicht unter daS Gesetz. 6 Ueber die civilrechtl. NichtWirksamkeit wucherlicher Ge­ schäfte vgl. Art. 3 des Gesetzes vom 24. Mai 1880.

304

Erstes Buch.

in. Delikte gegen daS Vermögen.

4. K. 76. Das Glücksspiel. MS eine Gefährdung eigenen und fremden Ver­ mögens reiht sich daS Glücksspiel an die übrigen Ver­ mögensdelikte. Der Gesetzgeber wacht über den Vermögens­ interessen der Staatsbürger, wenn diese selbst die nötige Vorsicht aus den Augen lassen. Aber, sich wohl bewußt, daß eS sich dabei um eine polizeiliche Bevormundung der freien Selbstbestimmung Mündiger handle, bedroht das moderne Recht nicht daS einfache Selbstspielen, sondern — wenn wir von der Bestrafung des gewerbsmäßigen Glücksspiels absehen — nur die Gewährung der Gelegenheit zum Glücks­ spiel durch dritte Personen unter gewissen Voraussetzungen mit Strafe. Strafbar ist: I. Das unbefugte Halten von Glücksspielen auf einem öffentlichen Wege, einer Straße, einem öffentlichen Platze oder in einem öffentlichen Versammlungsorte (StGB. §. 360 Ziff. 14). Strafe: Geld bis zu 150 Mark oder Haft; Einziehung der auf dem Spieltische oder in der Bank be­ findlichen Gelder, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht, fakultativ (vgl. oben §. 50 II). II. Das gewerbsmäßige (Begriff oben §. 39 IIc) Glücksspiel (StGB. §. 284). Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren, daneben fakultativ Geldstrafe von 300 bis zu 6000 Mark und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Ist der Verurteilte ein Ausländer, so ist die Landespolizeibehörde befugt, denselben aus dem Reichsgebiete auszuweisen (oben §. 49 III); Rückkehr des Verwiesenen ist (nach StGB. §. 361 Ziff. 2) strafbar.

§. 76.

DaS Glücksspiel.

305

m. Der Inhaber eines öffentlichen Versamm­

lungsortes,

welcher

Glücksspiele daselbst

gestattet oder

zur Verheimlichung solcher Spiele mitwirkt (StGB. §. 285).

Strafe: Geld bis zu 1500 Mark.

IV. Das öffentliche Veranstalten von Ausspie­ lungen beweglicher oder unbeweglicher Sachen ohne obng-

keitliche Erlaubnis; insbesondere daS Veranstalten von öffent­ lichen

Lotterien,'

d. i. das AuSspielen

von Geldpreisen

(StGB. §. 286). Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe bis zu 3000 Mark. Die Ausspielung ist eine öffentliche, wenn die Betei­

ligung einer, wenn auch ziffermäßig abgegrenzten Zahl von

individuell nicht bestimmten Personen zugänglich ist.' Eine Ausspielung liegt auch dann vor, wenn der Preis

für den Hoffnungskauf mit

dem Preis für eine wirkliche

Gegenleistung in eine einheitliche Summe zusammengeschmolzen

ist; z. B. Verbindung der Ausspielung

mit

einer Theater­

vorstellung,' mit der Subskription auf ein Lieferungswerk usw.

an einer anderen (vielleicht

Auch die durch Beteiligung

sogar gestatteten) Lotterie erworbene Gewinnsthoffnung kann

zum Gegenstände weiterer (strafbarer) Ausspielung gemacht werden (Partialscheine, Promessen u. dgl.).'

Bewußtsein der Rechtswidrigkeit im Allgemeinen

ist' auch hier

nicht

erforderlich (oben §. 28 II),

wohl aber

das Bewußtsein, ohne obrigkeitliche Genehmigung eine öffent­ lich: Lotterie zu veranstalten.

DaS

Delikt

ist

vollendet

'Vgl. die Artt. „Lotterie" von GareiS u. LiSzt in HR. 1RGR. 20. April 1880, E I 857, R I 576. vin LiSzt, Strafrecht.

in

dem

Augenblicke,

in

8 RGR. 9. Januar 1880, E I 63, R I 205. ♦ RGR. 5. Januar 1880, E I 133, R I 194. 20

Erstes Buch.

306

HI. Delikte gegen das Vermögen,

welchem die Anteilsscheine dem Publikum zugänglich gemacht

sind.*5 Die

Spielen

landesgesetzlichen Vorschriften, in

daS Ankündigen

welche daS

das Auffordern

auswärtigen6 Lotterien,

hiezu,

derselben usw. mit Strafe bedrohen, sind

durch die, durchaus nicht abschließende Regelung dieser Ma­ terie im RStGB. (oben §. 11 I)

So

nicht

berührt

bleiben z. B. in Kraft die preußischen

worden.

Verordnungen

vom 5. Juli 1847 (für die alten) und vom 25. Juni 1867 Art. IV (für die neuen Provinzen).7

Ueber den BegehungS-

ort dieser Delikte vgl. oben §. 19 IV.

V. Das Gesetz vom 8. Juni 1871 betreffend die Jnhaberpapiere mit Prämien verbietet in 'S. 6: 1. Das

Ausgeben

Schuldverschreibungen,

von

auf

welchen

in

den Inhaber

allen

lautenden

Gläubigern

oder

einem Teile derselben außer der Zahlung der verschriebenen

Geldsumme eine Prämie dergestalt zugesichert wird, daß durch

Auslosung oder durch Art

der Ermittlung

bungen

und

eine

die Höhe

andere

auf den Zufall gestellte

zu prämiirenden

die

der ihnen

Schuldverschrei­

zufallenden Prämie be­

stimmt werden sollen, innerhalb des deutschen Reiches,

wenn das Ausgeben

nicht

auf

Grund

eines

ReichS-

gesetzeS und zum Zwecke der Anleihe eines Bundes­

staates oder des Reiches erfolgt. Strafe:

Geldstrafe,

welche

6 RGR. 20. April 1880, E I 357, B I 576. 6 Ausland ist hier auch ein Bundesstaat dem anderen gegen­ über (vgl. oben §. 13 Note 3).

dem 5. Teile

deS

Nenn-

7 RGR. 10. Januar 1880, RI 209; 24. Februar 1880, E I 219, R I 380; 13. Marz 1880, E I 274, R I 460.

Die Partiererei,

tz. 77.

307

wertes der den Gegenstand der Zuwiderhandlung bildenden Papiere gleichkommt, mindestens aber 300 Mark betragen soll.

2. DaS Weiterbegeben solcher Papiere, welche a) im Jnlande nach Verkündigung deS Gesetzes vom 8. Juni 1871, b) im Auslande nach dem 30. April 1871 ausgegeben worden sind. Gleichgestellt ist der Fall, wenn solche Papiere an den Börsen oder an anderen zum Ver­ kehre mit Wertpapieren bestimmten Versammlungsorte» zum Gegenstände eines Geschäfts oder einer GeschästSverniittlung gemacht werden. Strafe: wie zu 1. 3. Das Weiterbegeben von solchen Papieren, die im AuSlande vor dem 1. Mai 1871 ausgegeben und nicht ab­ gestempelt sind. Derselbe Fall wie zu 2 gleichgestellt. Die Strafbarkeit beginnt mit dem 14. Juli 1871. Strafe: wie zu 1. 4. Die öffentliche Ankündigung, Ausbietung, Empfehlung von den unter 2 und 3 angeführten Pa­ pieren sowie die Notierung derselben zur Feststellung eines Kurswertes. Strafe: Geldstrafe bis zu 300 Mark oder Gefängnis bis zu 3 Monaten.

5.

g. 77.

Vie Partiererei.'

I. Begriff. 1. Bon der Reichsgesetzgebung in eine durchaus unge­ rechtfertigte Verbindung mit der Begünstigung — durch Auf-

1 Lit. bei Meyer S. 533 Note 1.

308

Erstes Buch. IU. Delikte gegen das Vermögen,

stellung deS Zwitterbegriffs der Hehlerei — gebracht, bean­ sprucht die Partiererei selbständige Stellung unter den Vermögensdelikten. Sie ist Perpetuierung, in den meisten Fällen sogar Vertiefung, einer rechtswidrigen Ver­ mögenslage. Sie tritt zu einer bereits erfolgten Bermögensbeschädigung' hinzu, setzt diese begrifflich voraus, bringt aber das dem Be­ rechtigten entzogene Vermögensobjekt in noch weitere Ent­ fernung von seiner Verfügungsgewalt. 2. Die Partiererei (StGB. §. 259) besteht entweder in dem Verheimlichens Ankäufen, Zum-Pfände-Nehmen, An-Sich-Bringen von mittels einer straf­ baren Handlung .erlangten Sachen um des eigenen Vorteils4 (nicht notwendig, wenn auch regelmäßig Ver­ mögen svorteils) willen, oder aber darin, daß in gleicher Absicht zu deren Absatz bei Anderen mitgewirkt wird. Das Delikt erstreckt sich lediglich auf jene individuell be­ stimmten Sachen, die unmittelbar durch die betreffende straf­ bare Handlung erlangt wurden;3 4nicht aber auf andere an deren Stelle getretene Sachen, wie den aus denselben gewonnenen Erlös/ oder Forderungen, deren Cession z. B. durch Betrug bewirkt worden usw. Die Sachen müssen durch eine strafbare Handlung erlangt sein, sie müssen den Charakter ihres strafbaren 3 Die durchaus nicht Vermögensdelitt im eigentlichen Sinne zu sein braucht. 3 So viel wie unterdrücken, beiseiteschaffen; also der Verfü­ gung des Berechtigten entziehen. 4 Es genügt der gewöhnliche, durch den Geschäftsbetrieb er­

zielte Vorteil, außergewöhnlich großer Vorteil ist nicht erforderlich: RGR. 28. Mai 1880, R 1 830. 6 RGR. 6. Juli 1880, R II 164. 6 Dagegen RGR. 16. Juni 1880, R II 72.

Die Partiererei.

77.

309

Erwerbes bereits an sich tragen, diese strafbare Erwerbungs-

Handlung muß demnach zeitlich der Partiererei vorangehen.' Die Natur der strafbaren Handlung ist gleichgültig; sie

kann Eigentumsdelikt oder irgend ein anderes Vermögens­

delikt fein; sie braucht aber überhaupt nicht gegen daS Ver­

mögen gerichtet fein (z. B. Verheimlichung von durch einen Mord erlangten Sachen).

Feststellung der strafbaren Hand­

lung, wenigstens der Gattung nach, im Urteile ist selbstver­ ständlich erforderlich?

Ist die Sache durch ein Antragsdelikt erlangt worden,

so haben wir die Bedeutung deS Antrages als einer Be­

dingung der Strafbarkeit (oben §. 31) im Auge zu behalten. Wird der Antrag nicht gestellt, so liegt eine durch eine straf­

bare Handlung erlangte Sache nicht vor, mithin auch keine Partiererei; wird er nachträglich gestellt, so ist die Er­

langungshandlung ex tune eine strafbare, und eben dämm daS in der Zwischenzeit erfolgte Verheimlichen als strafbare

Partiererei zu betrachten. 3. Die Partiererei kann vorsätzlich oder fahrlässig

begangen werdcü: a) Der Vorsatz besteht in

dem

Bewußtsein

von

der

Kausalität deS ThunS; der Thäter muß wissen, nicht

nur daß er Sachen verheimlicht, verkauft usw., sondem

auch daß diese Sachen durch eine strafbare Handlung

erlangt sind. Kenntnis dieser Handlung nach Art und

Umständen kann dagegen nicht gefordert werden?

7 RGR. 28. Mai 1880, E II 69, R I 831. ° RGR. 31. Januar 1880,

E I 180; 5. April 1880, R I 537. » RGR. 5. April u. 8. April 1880, R I 537.

310

Erstes Buch. III. Delikte gegen das Vermögen.

b) Auch die fahrlässige Partiererei ist strafbar. Aber nicht jede Fahrlässigkeit, auch nicht nur die culpa lata10 11 fällt unter das Gesetz; sondern nur ein ganz bestimmter FalldeS fahrlässigen Verhaltens: „wenn derThäter den Umständen nach annehmen muß, daß die Sache durch eine strafbare Handlung erlangt ist". Straflos bliebe z. B. derjenige, der nicht weiß, daß er zum Absätze der (wie ihm bekannt) gestohlenen Sache mitwirkt, obwohl er bei einiger Aufmerksamkeit dies hätte bemerken können."

4. Die Partiererei ist vollendet, sobald eine der im Gesetze angeführten Thätigkeiten gesetzt ist, sobald die Sache einen weiteren Schritt aus dem Machtbereiche deS Be­ rechtigten gemacht hat. Die folgenden Kreuz- und Quer­ läufe der Sache sind juristisch irrelevant. Wenn also A eine gestohlene Sache am 1. Januar in Frankreich an gekauft und am 1. Juli in Deutschland weiter verkauft hat, so kann er nur wegen jenes Ankaufes, nicht wegen dieses Verkaufes zur Verantwortung gezogen werden." II. Die Arten der Partiererei. 1. Die einfache Partiererei (StGB. §. 259). Strafe: Gefängnis.

10 Dies die Ansicht von RGR. 28. April 1880. R I 691. E II 140; vgl. überhaupt das oben §. 29 a. E. Gesagte. 11 Der Einwand, daß solche Fälle praktisch nicht vorkommen, trifft nicht die Richtigkeit der im Texte versuchten Konsttuktion; wohl aber beweist er die prak-

tische Wichtigkeit der Kontroverse: nach Ansicht des RGR. ist nur culpa lata, nach der im Texte vertretenen jede strafrecht­ liche relevante culpa in weitaus den meisten praktisch vorkom­ menden Fällen strafbar. 12 RGR. 15. März 1880, E I 279, R I 471.

Die Partiererei,

g. 77.

311

2. Die gewerbS- ober gewohnheitsmäßige (Be­ griff oben §. 39 II 3) Partiererei (StGB. §. 260). Strafe: Zuchthaus bis zu 10 Jahren.

3.

Partiererei im 2. Rückfall (StGB. §. 261).

Strafe: a) Zuchthaus nicht unter 2 Jahren, bei mildernden Um­ ständen Gefängnis nicht unter einem Jahre, wenn sich

die

letzte

Handlung

auf

einen

schweren

Diebstahl

(StGB. §. 243), einen Raub, oder ein dem Raube

gleich zu bestrafendes Verbrechen (räuberischer Diebstahl, räuberische Erpreffung) bezieht.

b) Zuchthaus bis zu 10 Jahren,

bei mildernden Um­

ständen Gefängnis nicht unter 3 Monate» in allen

anderen Fällen. In Bezug auf die Vorstrafen stehen Partiererei und

Hehlerei einander gleich.

Im Uebrigen ist daS oben §. 64

II 3 Gesagte (StGB. §. 245) auch hier anzuwenden.

4. Ein der Partiererei verwandtes Delikt bedroht StGB. §. 370 Zifs. 3: Geldstrafe bis zu 150 Mark oder Haft trifft denjenigen, der von einem zum Dienststande gehörenden Unter­

offizier oder Gemeinen des HeereS oder der Marine ohne schriftliche Erlaubnis deS vorgesetzten Kommandeurs Montierungs- oder Armaturstücke kauft oder zum Pfande nimmt.

312

Erstes Dnch.

IV. Verletzung der Individualrechte.

IV. Verletzung der Individualrechte? 1. 78.

Vrrlrhuug Lrs Autorrechtes.

Quelle: Gesetz betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken^ Abbildungen, musikalischen Kompositionen und drama­ tischen Werken vom 11. Juni 1870. Das Gesetz findet Anwendung (§. 61) 1. auf alle Werke inländischer

Urheber,

mögen sie im Jnlande oder Aus­

noch

nicht

veröffentlicht

sein; 2. auf Werke ausländischer Urheber,

wenn sie bei

lande

erschienen*

oder überhaupt

Verlegern erscheinen, die im Gebiete des deutschen Reiches ihre Handelsniederlaffung haben (vgl. oben §. 13 III).

I. Der eigentliche Nachdruck.

1.

Nachdruck ist die mechanische Vervielfältigung

a) eines Schriftwerkes;

1 Ueber diesen Begriff vgl. Gareis Grundriß zu Vorle­ sungen über das deutsche bür­ gerliche Recht 1877. §§. 40 ff.,u. die hier angeführte Lit. — Die Individualrechte bilden das Mittelglied zwischen den reinen Ver­ mögensrechten und den rein im­ materiellen Rechtsgütern. Mit ersteren haben sie gemein nicht nur die Absetzbarkeit in Geld, sondern vor Allem die Ausbil­ dung zu subjektiven Rechten und die Negoziabilität. Aber damit ist ihre Bedeutung nicht

b) geographischer, topographi-

erschöpft: es ist die sichbethätigende Persönlichkeit selbst, die schaffende Individuali­ tät, die in ihnen geschützt wird. 2 Erscheinen ist soviel wie Ausgeben; vgl. darüber Liszt Preßrecht §. 42 V. Wenn das­ selbe Werk zuerst im Auslande und später im Jnlande erscheint, so liegen juristisch zwei selb­ ständige Werke vor, deren zweites den Schutz des Gesetzes genießt. A. A. (gewiß unrichtig) RGR. 12. Juni 1880, E II 180, Ä II 62.

Verletzung des Autorrechtes.

§. 78.

313

scher, naturwissenschaftlicher, architektonischer, technischer und ähnlicher Zeichnungen und Abbildungen, welche nach

ihrem Hauptzwecke nicht als Kunstwerke zu betrachten sind;

c) musikalischer Kompositionen; ohne Genehmigung

deS Berechtigten, in der Absicht, den Nachdruck inner­ halb oder außerhalb deS deutschen Reiches zu verbreiten (§§. 4-7, 18; 43 f., 45 ff.).

Dem Nachdrucke steht gleich dir unbefugte öffentliche Aufführung

oder

eines

dramatischen,

dramatisch-musikalischen

Aufführung

eine vollständige

musikalischen

Werkes,

mag

die

sein oder mit unwesentlichen

Aenderungen vor sich gehen (§§. 50 und 54).

2. Strafbar ist die

vorsätzliche

oder

fahrlässige

Veranstaltung eines Nachdrucks (Thäterschaft), sowie die

vorsätzliche oder fahrlässige Veranlassung (Anstif­ tung) eines Anderen zur — sei eS vorsätzlichen oder fahr­ lässigen, sei es schuldlosen — Veranstaltung eines Nachdrucks (§§. 18, 20, 54). singulären

Daß wir es hier mit einer durchaus

Abweichung

von

den allgemeinen Grundsätzen

über Teilnahme zu thun haben (fahrlässige Anstiftung einer­

seits, Anstiftung zu fahrlässigem Delikt andererseits), wurde bereits oben §. 35 Note 3 bemerkt.

3. Strafe für Veranstaltung wie Veranlassung: Geld­ strafe bis zu 3000 Mark, die im Falle der Uneinbringlichkeit

nach Maßgabe der allgemeinen Strafgesetze in eine entspre­ chende Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten umzuwandeln ist. Rückfallsschärfung ist ausgeschlossen (§. 23).

4. Der Veranstalter bleibt straffrei, wenn er auf Grund entschuldbaren,

thatsächlichen

oder rechtlichen Irrtums in

gutem Glauben gehandelt hat (§. 18 Abs. 2). Somit schließt

auch der Mangel deS Bewußtseins

der Rechtswidrigkeit,

314

Erstes Buch.

IV. Verletzung der Individualrechte,

wenn derselbe auf einem entschuldbaren Irrtume beruht, die

Strafbarkeit aus (vgl. oben §. 28 II). 5. Statt der Entschädigung kann neben der Strafe auf Verlangen des Beschädigten auf eine an diesen zu erlegende Geldbuße

bis zum

Betrage

von

6000 Mark

erkannt

Die zu derselben Verurteilten haften als Gesammt-

werden.

schuldner.

Zuerkennung

der Buße

schließt die

Geltend­

machung eines weiteren Entschädigungsanspruches aus (§§. 18

und 54).

Dagegen besteht die Entschädigung, welche dem Berech­

tigten' im Falle der unbefugten öffentlichen Aufführung eines dramatischen usw. Werkes zu gewähren ist, in dem ganzen Betrage der Einnahme

von jeder Aufführung

ohne Abzug

der auf dieselbe verwendeten Kosten (§. 55); vgl. oben §. 42

n a. E.). 6. Die vorrätigen Nachdrucks exemplare und die zur

widerrechtlichen

Vervielfältigung

ausschließlich

bestimmten

Vorrichtungen unterliegen der Einziehung (§. 21), und

sind

nachdem

auf diese rechtskräftig

entweder zu vernichten

erkannt worden ist,

oder ihrer gefährdenden Form zu

entkleiden und alsdann dem Eigentümer zurückzugeben.

Die

Einziehung erstreckt sich auf alle Exemplare und Vorrichtungen, die sich

im EigeNtume des Veranstalters des Nachdruckes,

des Druckers, der Sortimentsbuchhändler, der gewerbsmäßigen

Verbreiter und desjenigen, der den Nachdruck veranlaßt hat, befinden. Die Einziehung tritt

auch dann ein,

wenn der Veran­

stalter oder Veranlasier des Nachdruckes weder vorsätzlich noch

fahrlässig gehandelt hat. desselben.

Sie erfolgt auch gegen die Erben

Verletzung des Autorrechtes.

315

g. 78.

Der Antrag auf Einziehung ist so lange zulässig (§. 36),

als solche Exemplare oder Vorrichtungen vorhanden sind. 7. Das Vergehen des Nachdruckes ist vollendet, sobald

ein Nachdrucksexemplar hergestellt worden ist (§. 22).

Im

Falle deK Versuches tritt weder Bestrafung noch Entschä­ digungsverbindlichkeit ein. Die Einziehung der Vorrichtungen

erfolgt jedoch auch in diesem Falle.

8. Der Nachdruck ist Antragsdelikt.

Antrag rück­

nehmbar bis- zur Verkündigung eines auf Strafe lautenden

Erkenntnisses (§. 27).

Antragsberechtigt ist jeder in seinem

Urheber- oder Verlagsrechte Beeinträchtigte (§. 28).

Das

Antragsrecht entfällt, wenn der Antrag nicht binnen 3 Mo­ naten nach

erlangter Kenntnis

von

dem

begangenen Ver­

gehen und von der Person des Thäters gestellt wird (§. 36).

9. Das Vergehen des Nachdruckes verjährt in 3 Jahren, von dem Tage, an welchem die Verbreitung der Nachdrucks­

exemplare zuerst stattgefunden hat (§. 33).

II. Vorsätzliche

oder

fahrlässige

Unterlassung

der

Quellenangabe (§. 24), soweit diese bei gestattetem Ab­ drucke

bereits

veröffentlichter

Schriften

vorgeschrieben

ist

(§. 7 a), wird an dem Veranstalter und Veranlasser des Ab­

druckes mit Geldstrafe bis

zu 60 Mark geahndet.

Um­

wandlung in Freiheitsstrafe ausgeschlossen (vgl. oben §. 55 Eine Entschädigungspflicht tritt nicht

I a. E.).

tragsdelikt; wendung. Tage,

ein.

An­

das oben .18 Gesagte findet auch hier An­

Das Delikt verjährt in 3 Monaten von dem

an welchem der

Abdruck zuerst

verbreitet worden

ist (§• 37).

III. Das vorsätzliche Verbreiten von Nachdrucks­

exemplaren (das gewerbsmäßige Feilhalten, Verkaufen usw.). Strafe: wie oben I 3;

Geldbuße wie oben 15.

Ein-

316

Erstes Buch.

IV. Verletzung der Individualrechte,

ziehung findet auch dann statt, wenn der Verbreiter nicht vorsätzlich gehandelt hat. Veranstalter und Veranlasser deS Nachdruckes trifft Entschadigungspflicht und Strafe, wenn sie nicht schon als solche entschadigungspflichtig und strafbar sind (§. 25). Antragsdelikt: wie oben I 8. Die Verjährung tritt in 3 Jahren von dem Tage ein, an welchem die Ver­ breitung zuletzt stattgefunden hat.

2.

tz. 79.

Sie übrigen «fällt.

I. Verletzung des Urheberrechtes an Werken der bildenden Künste, nach dem Gesetz vom 9. Januar 1876 §. 5 begangen durch unbefugte Nachbildung eines solchen Werkes in der Absicht, dieselbe zu verbreiten. Das oben §. 78 I 2—9, II und III Gesagte, findet auch hier An­

wendung (§. 16). II. Verletzung der Urheberrechtes an Photo­ graphien, nach dem Gesetz vem 10. Januar 1876 §. 3

begangen durch unbefugte mechanische Nachbildung eines pho­ tographischen Werkes in Verbreitungsabsicht. Auch hier gelten die oben §§. 78 I 2—9, II und III angeführten Grundsätze

(§• 9). III. Verletzung des Urheberrechtes an Mustern und Modellen, nach dem Gesetz vom 11. Januar 1876 §. 5 begangen durch unbefugte Nachbildung eines MusterS oder Modelles in Verbreitungsabsicht. Das oben §. 78 I 2—9, II und III Gesagte ist auch, hier anzuwenden (§. 14). IV. Verletzung des Namen-, Firmen- oder

Die übrigen Fälle.

Markenrechtes?

§♦ 79.

317

Nach §. 14 des Gesetzes vom 30. No­

vember 1874, der an Stelle des §. 287 StGB, getreten ist, wird derjenige, welcher: a) Waaren oder deren Verpackung wissentlich mit

einem

nach Maßgabe dieses Gesetzes zu schützenden Waaren-

zeichen,

oder mit dem Namen oder

der Firma

eines inländischen Produzenten oder Handeltreibenden widerrechtlich bezeichnet, oder b) dergleichen widerrechtlich bezeichnete Waaren in Ver­ kehr bringt oder feilhält,

mit Geldstrafe von 150 bis zu 3000 Mark oder mit Ge­ fängnis bis zu 6 Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag

des verletzten

Produzenten oder Handeltreibenden ein? Statt der Entschädigung kann neben der Strafe auf Ver­

langen des

Beschädigten

auf

eine an diesen zu erlegende

Buße bis zum Betrage von 5000 Mark erkannt werden. Die zu derselben Verurteilten haften als Gesammtschuldner.

Die Zuerkennung schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruches aus (§. 15).

In dem verurteilenden Erkenntnisse ist (§. 17) auf Antrag

des Verletzten bezüglich der im Besitze des Verurteilten be­ findlichen

Waaren

auf Vernichtung

der Zeichen

auf

der Verpackung oder den Waaren, oder wenn die Beseitigung der Zeichen in anderer Weise nicht möglich ist, auf Ver1 Vgl. Merkel HR. „Fabriks - und Waarenzeichenfälschung". 3 Schon dies beweist, daß der Gesetzgeber in erster Linie den Schutz des Individualrechtes und nicht jenen des Publikums

im Auge hat, daß es also un­ richtig ist, hier von einem Fälschungs-Delikte zu spre­ chen, und die Verletzung der publica fides an erster Stelle zu betonen.

318

Erstes Buch.

IV. Verletzung der Individualrechte,

nichtung der Verpackung oder der Waaren selbst

zu erkennen. Ferner ist (§. 17) dem Verletzten die Befugnis zuzu­

sprechen, die Verurteilung auf Kosten des Verurteilten öf­

fentlich

bekannt zu machen.

Die Art der Bekannt­

machung und die Frist zu derselben ist in dem Urteile zu be­ stimmen (vgl. oben §. 42 II 2).

V. Die Verletzung des Patentrechtes? Gesetz vom 25. Mai 1877.

Die Erteilung eines Patentes (sie findet

nach §. 1 statt für neue Erfindungen, welche eine gewerbliche

Verwertung gestatten) hat die Wirkung, daß niemand befugt ist, ohne Erlaubnis des Patentinhabers den Gegenstand der Erfindung gewerbsmäßig herzustellen, in Verkehr zu bringen oder feilzuhalten, bez. das erfundene Verfahren anzuwenden oder den Gegenstand der Erfindung zu gebrauchen (§. 4).

1. Wer unbefugt und wiffentlich eine patentierte Erfindung in Gebrauch

nimmt,

wird (§. 34) mit Geldstrafe bis zu

5000 Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. Antragsdelikt.

Oeffentliche Bekanntmachung der Verurteilung

wie oben unter IV.

(§. 35)

Statt der Entschädigung kann (§. 36)

auf Buße bis zu 10000 Mark erkannt werden.

Weiterer

Entschädigungsanspruch in diesem Falle ausgeschlosien. Mehrere Verurteilte haften als Gesammtschuldner. Die Klagen wegen Verletzung des Patenttechtes

ver­

jähren (§. 38) rücksichtlich jeder einzelnen dieselbe begrün­

denden Handlung in drei Jahren.

2.

Nicht als die Verletzung eines Individualrechtes, son­

dern als eine Gefährdung der Interessen des Pu8 Dgl. Ernst Meier HR. „Erfinderpatente".

Delikte gegen die Ehre.

§♦ 80.

Zig

blikums haben wir die — nur des Zusammenhanges wegen

an dieser Stelle behandelte — Simulierung des Patent­ schutzes

(§. 40)

zu

betrachten.

Mit Geldstrafe bis zu

150 Mark oder Haft wird bestraft:

a) Wer Gegenstände oder deren Verpackung mit einer Be­

zeichnung versieht, welche geeignet ist, den Irrtum zu

erregen, daß die Gegenstände durch ein Patent geschützt seien;

b) wer in öffentlichen Anzeigen, auf Aushängeschildern,

auf Empfehlungskarten oder in ähnlichen Kundgebungen eine Bezeichnung anwendet,

welche geeignet ist, den

gleichen Irrtum zu erregen.

V. Strafbare Handlungen gegen immaterielle Rechtsgüter. 1. §. 80.

Gegen Ltr Ehre.1

I. Begriff. Ehre als Rechtsgut ist das rechtlich geschützte In­

teresse des Einzelindividuums

oder der Jndivi-

duengruppe, als die eingenommene Stellung voll­

kommen

ausfüllend betrachtet und

behandelt zu

werden. Zn dieser Definition liegt — im Gegensatze zu der herr­

schenden Ansicht — ausgedrückt, daß Ehre im Rechtssinne und

„Menschenwürde"

oder

1 Lit. bei Meyer S. 420 Note 1. Dazu Freudenthal System des Rechts der Ehren­

„bürgerliche

Achtung"

nicht

kränkungen. 1880. John HR. „Beleidigung".

Erstes Buch.

320

V. Delikte gegen immaterielle RechtLgüter.

idmtische Begriffe sind.

Die Ehre trägt vielmehr einen höchst­

persönlichen, durchaus individuellen Charakter; und gerade in

dieser subjektiven Basis unseres modernen Ehrgefühles (welche

durch eine gewiffe Ueberspannung desselben bedingt ist und

umgekehrt wieder diese fördert) liegt der charakteristische Unter­ schied

deS

heutigen

Ehrbegriffes

gegenüber der römischen

Bürgerehre wie der germanischen Genoffenehre.

Der Inhalt

der Ehre ist nach der hier vertretenen Auffassung ein anderer, wenn es sich um den Bauer oder den Handwerker, den Of­

fizier oder den Fabriksherrn, den Staatsmann oder den Ge­

lehrten, den Beamten oder den Studenten handelt.

Mit Recht

hat das RGR. (1. November 1879, R I 28) in der Aeußerung

über eine Rede Bismarcks:

„eine solche Rede könne jeder

Schornsteinfeger halten" eine Beleidigung des Reichskanzlers

erblickt, ohne damit der Menschenwürde oder

bürgerlichen

Ehrenhaftigkeit der Schornsteinfeger nahezutreten. Die Ehre ist ein Rechtsgut, aber kein subjektives Recht.

Der Rechtsschutz der Ehre erschöpft sich in dem Schutze gegen

Verletzung.

Der Ehre steht rechtlich kein positiver Anspruch

auf Achtung, sondern nur ein negativer Anspruch auf Nicht­ ausdruck der Nichtachtung, auf Nichtverletzung gegen­

über.

Sie ist in Geld nicht abschätzbar (die Buße ist Ge­

nugthuung für den Angriff, nicht Wiederherstellung der ver­ minderten Ehre), nicht negoziabel: ein rein immaterielles

Rechtsgut. DaS positive Recht schützt regelmäßig, von besonderer An­

ordnung abgesehen, nur die Ehre deS Einzelindividuums, nicht die der Jndividuengruppen?

1 Vgl. Zimmermann GA. XXV; Bolze GA. XXVI. Die herrschende Ansicht vertritt

Ausnahmen finden sich:

auch RGR. 31. Januar 1880, E I 178, R I 302.

Delikte gegen die Ehre.

1. StGB.

tz. 80,

§§. 196, 197 Beleidigung

von

321 Behörden

und politischen Körperschaften; 2. StGB. §. 187 Gefährdung des Kredits von Handels­

gesellschaften; 3. StGB. §. 189 Schutz der Familienehre.

n.

Arten der strafbaren Handlungen gegen die

Ehre.

1.

Die Ehrverletzung (StGB. §. 185) oder die Be­

leidigung im eigentlichen Sinne; der Ausdruck der Nichtachtung,

mag derselbe in der Form eines Urteils oder in der Form

einer das Urteil in sich schließenden Thatsachenbehauptung er­

folgen. Der Vorsatz (fahrlässige Beleidigung ist denkbar, aber nicht strafbar) besteht auch hier lediglich in dem Bewußtsein

von der Kausalität des Thuns; Absicht, ein sogenannter

eine darüber hinausgehende

animus injuriandi, ist nicht er­

forderlich?

Die Beleidigung ist vollendet, sobald der Ausdruck der

Nichtachtung zur Kenntnis des Beleidigten oder einer dritten Person gelangt ist.

Der Versuch ist nicht strafbar.

War der

gewählte Ausdruck nicht geeignet, das Auszudrückende aus­ zudrücken, so würde nur (strafloser) Versuch vorliegen.

Dabei

muß aber die Anschauungsweise der betreffenden Kreise, darf

nicht etwa ein objektiver Maßstab zu Grunde gelegt werden? Strafe: a) Geldstrafe bis zu 600 Mark, oder Haft oder Gefängnis

bis zu einem Jahre; 3 Ueber diese Frage herrscht noch vielfache, durch §. 193 StGB, gesteigerte Unklarheit. Auch die einschlagenden Ent­ scheidungen des RGR. enthalten vrn LiSzt, Strafrecht.

manche recht bedenkliche Bemer­ kung. 4 RGR. 22. April 1880, E I 390.

322 Erstes Buch. V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter, b) wenn mittels einer Thätlichkeit, d. h. mittels eines unmittelbar gegen den Körper des zu Beleidigenden gerichteten, wenn auch fehlgeschlagenen Angriffes be­ gangen, Geldstrafe bis zu 1500 Mark oder Gefängnis bis zu 2 Jahren. Der verschiedene Borsatz scheidet die Realinjurie und die Körperverletzung; ist — was wohl in der Regel der Fall sein dürfte —- das Bewußtsein vorhanden, daß die Handlung nach beiden Richtungen hin kausal sein werde, so giebt nach dem oben §. 40 III Gesagten der höhere Strafsatz den Ausschlag. 2. Die Gefährdung der Ehre durch üble Nachrede (StGB. §. 186), d. i. das Behaupten oder Verbreiten von nicht erweislich wahren Thatsachen(„Thatsache" vgl. oben §. 73 S. 290) in Beziehung auf einen Anderen, welche denselben ver­ ächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herab­ zuwürdigen geeignet sind. Die üble Nachrede ist nicht Ver­ letzung, sondern Gefährdung der Ehre; nicht Ausdruck der Nichtachtung, sondern Mitteilung des Materiales, das An­ dere zur Nichtachtung veranlasien kann. Sie kann daher nicht gegenüber dem Betroffenen/ sondern nur in Bezug auf ihn gegenüber dritten Personen, begangen werden; und ist vollendet mit der Behauptung oder Verbreitung der That­ sachen. Daher ist ferner — im Gegensatze zu dem oben unter 1 Gesagten — nicht die Anschauung derjenigen Kreise, für welche'die Aeußerung zunächst berechnet ist, sondern die deS ob­ jektiv urteilenden Publikums maßgebend? Der Vorsatz muß auch das Bewußtsein, die Thatsachen seien nicht erweislich wahr umfassen. Hält der Behauptende die Thatsachen für

6 RGR. 24. Oktober 1879, 1880, E I 161 (zunächst mit R I 14. Bezug auf §. 131 StGB, ge­ 6 Vgl. RGR. 23. Januar fallt).

Delikte gegen die Ehre.

§• 80.

323

erweislich wahr, während sie eA in Wirklichkeit nicht sind, so kann Fahrlässigkeit vorliegen, die nach der Fassung des §. 186 ebenfalls strafbar ist.

Strafe:

a) Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu einem Jahre; b) wenn d. i.

a) öffentlich,

vor unbestimmt

welchen

und

unbestimmt wie vielen Personen oder ß) durch Verbreitung

von

Schriften,

Abbil-

dungen oder Darstellungen7 begangen, Geldstrafe bis zu 1500 Mark oder Gefängnis bis zu 2 Jahren.

3.

Die Gefährdung der Ehre durch Verleumdung

(StGB. §. 187), von der üblen Nachrede unterschieden: a) dadurch, daß an Stelle der „nicht erweislich wahren"

Thatsachen „unwahre" Thatsachen treten;

b) durch das Hinzukommen der mala fides, deS Wissens von der Unwahrheit der behaupteten oder verbreiteten Thatsachen

(kann

daher

nur

vorsätzlich

begangen

werden).

Im Uebrigen deckt sich der Thatbestand der Verleumdung mit jenem der üblen Nachrede.

Strafe:

Gefängnis bis zu 2 Jahren; wenn die oben

zu 2 b angeführten Qualifikationen vorliegen, Gefängnis nicht unter einem Monate.

Bei mildernden Umständen kann die

Strafe bis auf einen Tag Gefängnis ermäßigt, oder auf Geldstrafe bis zu 900 Mark erkannt werden. 4.

Die Gefährdung des Kredites durch Verleum-

7 Vgl. Liszt Preßrecht §.42.

324

Erstes Buch.

V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter,

düng (StGB. §. 187), d. i. die wider besseres Wissen in

Bezug auf einen Anderen erfolgende Behauptung oder Ver­

breitung von Thatsachen, welche dessen Kredit zu gefährden

geeignet sind.

Der persönliche Kredit ist nichts als die

wirtschaftliche Seite der Ehre, das Interesse desjenigen,

dessen Stellung das Kreditnehmen mit sich bringt, als zah­ lungsfähig und zahlungswillig betrachtet und behandelt zu

Daß diese Seite der Ehre auch in Bezug auf

werden.

Handelsgesellschaften,

also

Kollektivpersönlichkeiten,

durch

§. 187 StGB, geschützt werden soll, wird allgemein zuge­ geben. Strafe wie zu 4.

5.

Gefährdung

der Familienehre durch

leumdung Verstorbener (StGB. §. 189), d. h.

Ver­

Be­

schimpfung des Andenkens eines Verstorbenen durch wider

besseres Wissen erfolgende Behauptung oder Verbreitung von Thatsachen, welche denselben bei seinen Lebzeiten verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen

geeignet gewesen wären.

Der Tote ist nicht mehr Rechts­

subjekt; er kann in seiner Ehre ebensowenig wie in seinem Leben verletzt werden, da er jene

wie diese.

ebensowenig mehr besitzt

Aber die Interessen der Familie als einer Jn-

dividuengruppe, einer Kollektivpersönlichkeit erstrecken sich über das Leben

der einzelnen Generation

milienehre wird

verletzt

hinaus.

durch Beschimpfung

Die

Fa­

eines ver­

storbenen Gliedes, und diese Familienehre schützt der Gesetz­

geber?

Daher die Antragsberechtigung der Angehörigen

8 Die Konstruktion des §.189 StGB, ist eine sehr bestrittene. Für meine Auffassung scheint mir nicht nur Stellung und

Fassung des §. 189, sondern auch das natürliche Gefühl zu sprechen. Die Solidarität der Interessen der Familienglieder

(Eltern, Kinder, Ehegatten), daher die Beschränkung deS rechtlichen Schutzes auf jene wenigen Generationen, die als im unmittelbaren Zusammenhänge mit dem Verstorbenen befindlich betrachtet werden können, die daher durch das Urteil über den Verstorbenen mit berührt werden. Strafe: Gefängnis bis zu 6 Monaten, bei mildernden Umständen Geldstrafe bis zu 900 Mark. III. Die allgemeinen Grundsätze über Rechtswidrigkeit und Wegfall derselben (oben §. 22) beanspruchen unein­ geschränkte Geltung auch auf dem Gebiete der Beleidigungen. Hatte der Handelnde ein Recht zur Vornahme der Handlung, so liegt eben kein Delikt vor. Der Gesetzgeber wollte diese allgemeine Regel dem Richter gerade hier ins Gedächtnis rufen und zugleich durch Beispiele illustrieren, hat aber gerade dadurch die Praxis vielfach irregeführt. Die hieher gehörigen Bestimmungen sind: 1. StGB. §. 193. Tadelnde Urteile über wissenschaft­ liche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, ingleichen Aeußerungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen9* *ge*­* macht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorge­ setzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Ur­ teile von Seiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Aeußerung oder aus den Umständen, kam wohl nicht geleugnet werden, und sie ist es, welche die Familce hier wie sonst zur Kollektivpersönlichkeit erhebt. 9 Durch den Berechtigten selbst oder durch einen zur Wahrneh­

mung derselben berufenen Dritten; vgl. RGR. 24. De­ zember 1879, E I 128, RI 171; 22. Januar 1880, R I 260.

326

Erstes Buch. V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter,

unter welchen sie geschah, hervorgeht. Dieser letzte Zusatz sagt nur, daß mit dem Ueberschreiten der Grenzen der Be­ rechtigung die Rechtswidrigkeit beginnt.10 Falsch ist es, die Absicht zu betonen und diese als etwas vom Borsatze ver­ schiedenes aufznfasien.11 2. Mit dem Beweise der Wahrheit entfällt ohne Weiteres die Annahme der in den §§. 186, 187, 189 (oben II 2—5) enthaltenen Delikte, welche begrifflich Unwahrheit oder wenigstens Nicht-Beweisbarkeit der behaupteten oder verbreiteten Thatsachen erfordern. Aber auch im Falle des §. 185 (oben II1) schließt die Wahrheit der Thatsachen (soweit solche überhaupt in Frage stehen) die Rechtswidrigkeit aus; eS sei denn, daß die durch das Recht die Wahrheit zu sagen gezogenen Grenzen überschritten wurden, und der Thäter dem Borbringen der Thatsachen etwas Weiteres, eine Beleidigung enthaltendes, hinzugefügt hat. Dies und nichts Anderes sagt §. 192 mit den Worten: „Der Wahrheits­ beweis schließt die Bestrafung nach §. 185 nicht aus, wenn daS Vorhandensein einer Beleidigung auS der Form der Be­ hauptung oder Verbreitung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht." Ist die Thatsache eine strafbare Handlung, so ist (§. 190 StGB.) der Wahrheitsbeweis: a) als erbracht anzusehen, wenn der Beleidigte wegen dieser Handlung rechtskräftig verurteilt; 10 Bei dieser Auffassung des §. 193 kann es keinem Zweifel unterliegen, daß derselbe auch auf die Fälle der Verleumdung prinzipiell anzuwenden ist. Freilich wird Berechtigung zur Verleumdung nur ganz aus­

nahmsweise (z. B. im Notstände) vorliegen. 11 Bedenklich RGR. 5. De­ zember 1879, R 1116; 16. März 1880, E I 317, RI 475; 30. April 1880, E I 406.

Delikte gegen die Ehre. g. 80.

327

b) ausgeschlossen, wenn er wegen derselben vor der Behauptung oder Verbreitung rechtskräftig freigesprochen worden ist12 IV. Auf Buße bis zu 6000 Mark kann (StGB. §. 188) auf Verlangen in den Fällen der §§. 186 und 187 (oben II, 2, 3, 4) erkannt werden, wenn die Beleidigung nach­ teilige Folgen für die Bermögensverhältnisse, den Erwerb oder das Fortkommen des Beleidigten mit sich bringt. Da­ mit ist die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungs­ anspruches ausgeschlosien. V. Die Beleidigung ist Antragsdelikt (StGB. §. 194). Rücknahme des Antrages zulässig. Antragsberechtigt im Falle deS §. 189 (oben II 5) sind die Eltern, Kinder und der Ehegatte des Verstorbenen; im übrigen gelten die allgemeinen Regeln (oben §. 31 II 1). Ueber das selbständige AntragSrecht des Vaters und Ehemannes im Falle deS §. 195 StGB.'S, sowie des Amtsvorgesetzten im Falle des §. 196 vgl. oben §. 61 HI 1 und 2. Nicht Antrags-, sondern Er­ mächtigungsdelikt (oben §. 30 III 2) ist die Beleidigung (StGB. §. 197), wenn dieselbe begangen worden ist gegen eine gesetzgebende Versammlung deS Reichs oder eines Bundesstaats oder gegen eine andere politische Körperschaft. Die Modifikationen'der Antragsfrist bei wechselseitigen Beleidigungen siehe oben §. 61 IIL VI. Retorsion (§. 199 StGB.). Wenn eine Beleidi­ gung auf der Stelle erwidert wird, so kann der Richter beide Beleidiger oder einen derselben für straffrei erklären. Vgl. auch hier das oben §. 61 V Gesagte.

12 ES handelt sich hier nicht um eine solche des Beweisum eine Beschränkung der freien thema's (der beweispflichtigen Beweis Würdigung, sondern oder beweisfähigen Thatsachen).

328

Erstes Buch. V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter.

VII. Neben der Buße kennt das Gesetz (StGB. §. 200) bei der Beleidigung noch zwei andere Formen der Privat Genugthuung (oben §. 42 II 2), die an Stelle der auf­ gehobenen Institute der Abbitte, des Widerrufes, der Ehren­ erklärung getreten sind: 1. Die Ausfertigung des Schuldurteiles an den Beleidigten auf Kosten des Verurteilten (obligatorisch in allen Fällen). 2. Die Befugnis der Beleidigten 13 *zur 15 öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung auf Kosten des Verurteilten. Diese ist zuzusprechen bei öffentlich oder durch Verbrei­ tung von Schriften, Darstellungen, Abbildungen" begangenen Beleidigungen. Art der Bekanntmachung und Frist zu der­ selben ist im Urteile zu bestimmen. Erfolgte die Beleidigung in einer Zeitung oder Zeitschrift, so ist der verfügende Teil des Urteils auf Antrag" des Beleidigten durch die öffentlichen Blätter bekannt zu machen, und zwar wenn möglich durch dieselbe Zeitung oder Zeitschrift und mit der­ selben Schrift, wie der Abdruck der Beleidigung geschehen?3 13 Auch den selbständig An­ tragsberechtigten (StGB. §. 195 und §. 196) ist diese Befugnis zuzusprechen: RGR. 18. Februar 1880, R I 360. " Ueber diese Begriffe siehe oben S. 323. 15 Der Antrag kann auch im

Vollstreckungsverfahren gestellt werden. 16 Es bedarf keiner Festsetzung dieser besonderen Art der Be­ kanntmachung tut Urteile: RGR. 14. April 1880, R I 598. Vgl. im Uebrigen LiSzt Preßrecht §. 27 III.

Die übrigen Verletzungen immaterieller Rechtsgüter, g. 81.

ZZg

2t g. 81»

Die übrigen Verletzungen immaterieller Nrchtsgüter.

L Die Störung der Rechtssicherheit deS Einzelnen (seines Vertrauens auf ungeschmälerten Genuß der ihm zu­ stehenden Rechtsgüter) durch Bedrohung mit der Be­ gehung eines unmittelbar oder mittelbar gegen ihn ge­ richteten Verbrechens (StGB. §. 241).1 * *Zur 4 Vollendung ist Kenntnisnahme des Bedrohten' und thatsächlich er­ folgte Störung in seiner Rechtssicherheit' erforderlich; sollte es daran fehlen, so läge nur (strafloser) Versuch vor. Vgl. über Drohung im übrigen das oben §. 63 S. 251 Gesagte. Strafe: Gefängnis bis zu 6 Monaten, oder Geldstrafe bis zu 300 Mark. II. Verletzung deS Hausrechtes, das ist deS recht­ lich geschützten Jntereffes an ungestörter Bethätigung des eigenen Willens in der eigenen Wohnung, durch Hausfriedens­ bruchs (StGB. §§. 123 und 124). Als die Objekte, auf welche das Hausrecht sich erstreckt, nennt das Gesetz: die Wohnung, die Geschäftsräume, "das befriedete'. Besitztum deS Einzelnen; es stellt ihnen gleich: abge­ schlossene' Räume, die zum öffentlichen Dienste bestimmt sind. 1 Lit. bei Meyer S. 536 Note 1. 1 Ebenso RGR. 15. Novem­ ber 1879, R I 73. a Dagegen RGR. 15. No­ vember 1879, R I 73. 4 Lit. bei Meyer S. 537 Note 1.

6 Nicht abgeschlossene, sondern als von dem HauSrechte ergriffen bezeichnete Räume: RGR. 6. Avril 1880, E I 547. 6 Begriff oben §. 64 bei Note 14.

330

Erstes Buch.

V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter.

Das Hausrecht steht dem Inhaber der Wohnung, bez.

seinen Stellvertretern zu;

bei Räumen,

Treppen, Dorräume u. dgl.

welche wie Flure,

zur Benutzung der Inhaber

mehrerer Wohnungen bestimmt sind, jedem von diesenbe­ züglich der öffentlichen Räume demjenigen, der über diese ju

verfügen berechtigt ist. Die Fälle des Hausfriedensbruches.

1. Der einfache Hausfriedensbruch (StGB.

§. 123

1. Abs.) begangen entweder a) durch widerrechtliches (oben §. 28 II)7 8 Eindringen

in die genannten Räume; oder b) dadurch, daß derjenige, der in solchen Räumen ohne

Befugnis verweilt, sich trotz Aufforderung des Berech­

tigten nicht entfernt.9 Antragsdelikt.

Antragsberechtigt ist.der Träger des

Hausrechtes; und zwar auch dann, wenn er in der Person seines Stellvertreters in seinem Hausrechte verletzt worden ist. Strafe: Gefängnis bis zu 3 Monaten oder Geldstrafe bis zu 300 Mark.

2. Qualifizierter

Fall (StGB. §. 123 3. Abs.);

vorliegend, wenn eine der unter 1 angeführten Handlungen von einer mit Waffen versehenen (vgl. oben §. 64II2c)

Person oder von

Mehreren

gemeinschaftlich

(oben

§. 61 Note 5) begangen wird. 7 RGR. 3. November 1879, R I 33; 10. Dezember 1879, E I 121, R I 138. 8 Ueberschreitung einer gegebe­ nen Berechtigung hat die Wider­ rechtlichkeit deS Plus zur Folge: RGR. 24. November 1879, E I 21, R I 92.

9 Kündigung der Wohnung, des Dienstes usw. macht das Verweilen in den bisher inne­ gehabten Räumen nicht notwen­ dig zu einem widerrechtlichen: RGR. 24. Februar 1880, E I 222; 27. Aptil 1880, E I 398.

Die übrigen Verletzungen immaterieller Rechtsgüter. §♦ 81.

331

Von Amtswegen zu verfolgen. Strafe: Gefängnis von

einer Woche bis zu einem Jahre. 3.

Hausfriedensbruch

Gewaltsamer

(StGB.

Wenn sich eine Menschenmenge öffentlich zusammen­

§. 124).

rottet und in der Absicht, Gewaltthätigkeiten gegen Personen oder Sachen mit vereinten Kräften zu begehen, in die oben

genannten Räume welcher

von

widerrechtlich

einem Monat

sammenrottung

Absicht

so

eindringt,

an diesen Handlungen teilnimmt,

bis

zu

zwei Jahren

Menschen

hervortretende,

bestraft. — Zu­

außen

nach

zusammengehaltene,

Gruppe

räumliche

als

geschlossene

Vereinigung

mehrerer

E II 80, R II 5).

(vgl. RGN. 1. Juni 1880,

erfolgt die Zusammenrottung,

Oeffentlich

jeder,

Gefängnis

gemeinsame rechtswidrige

durch

ist die

wird

mit

wenn der

Anschluß dem Publikum, also unbestimmt wie vielen und un­

bestimmt welchen Personen, freisteht. Auf Seiten

des Teilnehmers

muß Vorsatz

vorliegen,

d. i. hier das Bewußtsein, Teil einer strafbare Zwecke ver­

folgenden Zusammenrottung zu sein (RGR. 1. Juli 1880,

R II 150). 4. Ueber das Amtsdelikt des §. 342 StGB. vgl. unten §. 93 II 4 e. III. Verletzung

heimnisses

des

Brief-

(StGB. §♦ 299),

(oben §. 28 II)

Eröffnung

oder einer anderen Kenntnisnahme

des

und

begangen

eines

Urkundenge­

durch

verschlossenen Urkunde,10 die

Thäters

unbefugte

verschlossenen Briefes

bestimmt

ist.

nicht zur

Erfolgte

oder

auch nur beabsichtigte Kenntnisnahme ist nicht erforderlich.

'o Urkunde hat hier nicht tech-! I 1), sondern nische Bedeutung (unten §. 89 | Schriftstück.

umfaßt jedes

332

Erstes Buch.

V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter.

Antragsdelikt; antragsberechtigt ist der Absender, solange er über die Sendung zu verfügen in der Lage ist; später

der Adressat. Gefängnis bis

Strafe: Geldstrafe bis zu 300 Mark oder

zu 3 Monaten.

Ueber das

Amtsdelikt

des §. 354 StGB. vgl. unten §. 93 II 10. IV. Unbefugte

(oben §. 28 II)

Privatgeheimnissen

Notare,

Verteidiger

durch

Offenbarung

Rechtsanwälte,

in Strafsachen,

von

Advokaten,

Aerzte,

Wundärzte,

Hebammen, Apotheker, sowie die Gehülfen dieser Personen,

wenn ihnen diese Geheimnisse kraft ihres Amtes, Standes

oder Gewerbes anvertraut sind (StGB. §. 300).

Vorsatz

erforderlich." Antragsdelikt; antragsberechtigt ist der­ jenige, dessen Geheimnis in Frage steht, d. h. derjenige, der das Geheimnis anvertraut hat, oder, wenn es an einem

solchen fehlt, derjenige, den es betrifft.

Strafe: Geldstrafe bis zu 1500 Mark oder Gefängnis bis zu 3 Monaten.

11 nügen.

Bestritten; auch Fahrlässigkeit soll nach

Manchen ge­

Zweites Buch.

Strafbare Handlungen gegen rechtlich ge­ schützte Interessen des Publikums. I. Die gemeingefährlichen Delikte Les Strafgesetz­

buches.

§. 62. Allgemeines. Brandstiftung und Aebrrfchwemmung. I. Das scheinbar charakteristische Merkmal dieser Gmppe, die durch die hieher gehörigen Delikte herbeigeführte Ge­ fährdung von Leib, Leben, Eigentum des Publi­ kums kommt auch anderen strafbaren Handlungen zu. Dem­ nach empfiehlt es sich auS praktischen Gründen, die Bezeich­ nung „gemeingefährliche Delikte" auf die im 27. Abschnitt des StGB.'S enthaltenen Fälle zu beschränken. Jenes Merkmal erfordert im Einzelnen: 1. Gefährdung, d. i. (in dem oben entwickelten Sinne) die Herbeiführung eines Zustandes, der nach unserer Erfah­ rung in der Mehrzahl der Fälle zu dem rechtswidrigen Erfolge führt. 2. Gefährdung von Leib, Leben, Eigentum; nicht aber der übrigen privaten oder öffentlichen Rechtsgüter. Es entspricht dem gewöhnlichen Sprachgebrauche der Gesetzgebung nicht, z. B. auch die Preß-Delikte als gemeingefährliche zu bezeichnen.

334

Zweites Buch. I. Die gemeingefährlichen Delikte im e. S.

3. Gemeingefährdung, d. i. Herbeiführung eines Zu­ standes, in welchem nicht ein einzelner Träger der genannten Rechtsgüter, oder mehrere, nach Zahl und Individualität bestimmte Trager derselben, sondern das Publikum, die Oeffentlichkeit, ein nach Zahl und Individualität nicht ab­ geschlossener Personenkreis, als gefährdet erscheint. Darum gehört insbesondere die rechtswidrige Entfeffelung der Natur­ kräfte, deren Wirkung jeder Berechnung wie jeder Beherr­ schung spottet, die der Thäter, hat er sie einmal gerufen, nicht mehr bannen kann — in die Gruppe der gemeingefähr­ lichen Delikte. Das genannte Merkmal wird vom Gesetzgeber in ver­ schiedener Weise zur Bildung der einzelnen Deliktsbegriffe verwertet. a) In manchen Fällen ist der regelmäßige, wenn auch im konkreten Falle nicht gegebene, Charakter der Handlung für den Gesetzgeber maßgebend; dann ist die Gemeingefährlichkeit nicht Begriffsmerkmal. Bei­ spiel: Die Brandstiftung. b) In anderen Fällen hat der Gesetzgeber die Gemein­ gefährlichkeit, wie bei der Ueberschwemmung, zum Be­ griffsmerkmal erhoben, und somit ihr Vorliegen im konkreten Falle zur Bedingung für den Eintritt der Strafbarkeit gemacht. c) Endlich finden sich Fälle — ein Beispiel bietet §. 323 StGB., — in welchen die regelmäßige Gemein­ gefährlichkeit genügt, die konkrete Handlung also diese Eigenschaft nicht an sich zu tragen braucht, wohl aber die Gefährdung eines oder mehrerer Einzelner (nicht Gemeingesährdung) Bedingung der Straf­ barkeit ist.

Allgemeines. Brandstiftung u. Ueberschwemmung. §. 82. 335

Bei der Handhabung der einzelnen Deliktsbegriffe ist diese verschiedene Verwertung des Merkmals der Gemein­ gefährlichkeit wohl inS Auge zu fasten.

IL Den ersten Rang unter den gemeingefährlichen De­ likten nimmt die Brandstiftung' ein. Sie unterscheidet sich durch ihre Gemeingefährlichkeit von der Sachbeschädi­ gung. Aber nicht jede im konkreten Falle gemeingefährliche Sachbeschädigung durch Brandlegung ist Brandstiftung int Sinne des Gesetzgebers; dieser hat vielmehr die Fälle der gemeingefährlichen Brandstiftung ausschließend aufgezählt, und damit die Untersuchung nach dem Vorliegen jenes Merk­ males im Einzelfalle einfürallemale abgeschnitten. Die Brandstiftung ist vollendet, sobald nicht nur der Zündstoff oder ein Teil deS Brandobjektes in Brand gesetzt, sondern das Feuer ausgebrochen, d. h. ein solcher Brand entstanden ist, der die Gefahr eines wenigstens teilweisen Ab brennens in sich schließt, und erhöhte Kraftanstrengung, sowie fremde Hülfe zur Bewältigung fordert.31 * Die thätige Reue (oben §. 57 III) ist als Strafauf­ hebungsgrund anerkannt (StGB. §. 310). Sie liegt vor, wenn der Thäter, fei es auch durch Herbeirufung fremder Hülfet den Brand wieder gelöscht hat, bevor derselbe ent­ deckt^ und ein weiterer als der durch die bloße Inbrand­ setzung bewirkte Schade entstanden ist. 1 Lit. bei Meyer S. 555 Note 1. Dazu Ullmann GS. XXX; Wanjek GS. XXX; John HR. „Brandstiftung". » RGR. 3. Mai 1880, E I .375, R I 720.

3 RGR. 3. Mai 1880, E I 375, R I 720. 4 Nach derselben RGR. ist Entdeckung nicht anzunehmen, wenn nur der zur Hülfeleistung Herbeigerusene allein die Brand­ stiftung wahrgenommen hat.

336

Zweites Buch. I. Die gemeingefährlichen Delikte im e. S.

Fälle der Brandstiftung. A. Vorsätzliche.

1. Mit (abstrakter) Gemeingefahr für das Leben. a) Einfacher Fall (StGB. §. 306): wenn in Brand

gesetzt wird: 1.

Ein

zu

gottesdienstlichen

Versammlungen

be­

stimmtes Gebäude;

2. ein Gebäude, ein Schiff oder eine Hütte, welche zur Wohnung von Menschen dienen; 3.

eine Räumlichkeit, welche zeitweise zum Aufent­ halte von Menschen dient,

und zwar zu einer

Zeit, während welcher Menschen in derselben sich aufzuhallen pflegen.

Strafe: Zuchthaus. b) Qualifizierter Fall (StGB. tz. 307).

1.

Wenn der Brand den Tod eines Menschen da­ durch

verursacht (oben §. 61 II 1 c) hat,

daß

dieser zur Zeit der That in einer' der in Brand gesetzten Räumlichkeiten sich befand;

2.

wenn

die Brandstiftung

in der Absicht (gleich­

treibendes Motiv, oben §. 28 III) begangen worden

ist, um unter Begünstigung derselben Mord oder

Raub zu begehen ober einen Aufruhr zu erregen; 3. wenn

der Brandstifter,

um

daL Löschen

des

Feuers zu verhindern oder zu erschweren, Lösch­ gerätschaften entfernt oder unbrauchbar gemacht

hat.

Strafe:

Zuchchaus

nicht unter 10 Jahren oder

lebenslängliches Zuchthaus.

2.

Mit (abstrakter) Gemeingefahr für Eigentum oder

Leben (StGB. §. 308); wenn Gebäude, Schiffe, Hütten,

Brandstiftung u. Ueberfchwemmung. §. 82,

Allgemeines.

337

Bergwerke, Magazine, Waarenvorräte, welche auf dazu be­

stimmten öffentlichen Plätzen lagern, Vorräte von landwirt­ schaftliche»

Erzeugnissen ‘

oder

von

Bau-

oder

Brenn­

materialien, Früchte auf dem Felde, Waldungen oder Torf­ moore in Brand gesetzt werden, und diese Gegenstände ent­

weder a) fremdes Eigentum sind, oder b) zwar dem Brand­ stifter eigentümlich gehören, jedoch ihrer Beschaffenheit und Lage nach geeignet sind,

daS Feuer

einer der im §. 306

Nr. 1 — 3 bezeichneten Räumlichkeiten oder einem der vor­ stehend bezeichneten fremden Gegenstände mitzuteilen.

Strafe:

Zuchthaus bis zu 10 Jahren, bei mildernden

Umständen Gefängnis nicht unter 6 Monaten.

Fahrlässige Brandstiftung (StGB. §. 309), wenn

B.

an einem der in den §§. 306 und 308 bezeichneten Gegen­

stände begangen.

Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre,

oder Geldstrafe bis zu 900 Mark; wenn durch den Brand

der Tod eines Menschen verursacht worden, Gefängnis von

einem Monate bis zu 3 Jahren. Neben Zuchthaus kann in allen Fällen der Brandstiftung

auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (StGB. §. 325).

C.

Der Brandstiftung ist gleichgestellt (StGB. §. 311)

die gänzliche oder teilweise Zerstörung einer Sache durch den

Gebrauch von Pulver

oder anderen explodierenden

Stoffen.

HI.

Die

Herbeiführnng

einer

Ueberschwem-

mun g/ l) Düngerhaufen gehören we­ gen der eingeketenen Verände­ rung der ursprüiwlichen Bestand­ teile derselben (Stroh usw.) nicht von Liszt, Strafrecht.

hieher; RGR. 19. Juni 1880,

6 Wanjek GS. XXXI.

Zweites Buch. I. Die gemeingefährlichen Delitte im e. S.

338 1.

Vorsätzliche.

a) Mit Gemeingefahr (jm konkreten Fall) für Menschen­

leben (StGB. tz. 312).

Strafe:

Zuchthaus

nicht

unter 3 Jahren; wenn der Tod eines Menschen ver­

ursacht (oben tz.61 II 1 c) worden, Zuchthaus nicht unter 10 Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. b) Mit

Gemeingefahr

(im

konkreten

Eigentum (StGB. 8- 313).

Falle)

Strafe:

für

daS

Zuchthaus;

wenn die Absicht des Thäters nur auf Schutz seines

Eigentums gerichtet gewesen (vgl. oben 8» 24 II 2), Gefängnis nicht unter einem Jahre.

2. Fahrlässige (StGB. 8» 314) Ueberschwemmung mit konkreter Gemeingefahr für Leben oder Eigentum. Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre; wenn der Tod eines Men­

schen verursacht worden, Gefängnis von einem Monate bis zu 3 Jahren.

Neben Zuchthaus kgnn auf Polizeiaufsicht erkannt werden

(StGB. 8- 325).

8- 83.

Fortsetzung.

Dir übrigen gemeingefährlichen Delikte des Strafgesetzbuches.

I.

Gefährdung des

Eisenbahn - Transportes*

(StGB. 8§» 315 und 316) durch Beschädigung von Eisen­

bahnanlagen, Beförderungsmitteln oder sonstigem Zubehör,

durch Bereitung

von Hinderniffen

mittels

falscher

Zeichen

oder Signale oder auf andere Weise (Gemeingefahr in ab­

stracto).

1 Begriff oben §. 64 II 2 d.

Fortsetzung. Die übrigen gemeingefährl. Delitte. g. 83.

ZZg

1. Vorsätzlich begangen (§. 315). Strafe: Zuchthaus bis zu 10 Jahren; bei Verursachung (oben K. 61 II 1 c) einer schweren Körperverletzung (StGB. §. 224) Zuchthaus nicht unter 5 Jahren; bei Verursachung des Todes nicht unter 10 Jahren oder lebenslänglich. Polizeiaufsicht kann erkannt werden (§. 325). 2. Fahrlässig begangen (§. 316). Strafe: Ge­ fängnis bis zu einem Jahre; bei Verursachung des Todes Gefängnis von einem Monate bis zu 3 Jahren. 3. Die unter 2 bezeichnete Strafe trifft die zur Leitung der Eisenbahnfahrten und zur Aufsicht über Bahn und Be­ förderungsbetrieb Angestellten Personen, wenn sie durch Vernachlässigung der ihnen obliegenden Pflichten* einen Transport in Gefahr setzen. II. Verhinderung oder Störung der Benutzung einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Tele­ graphenanstalt (Gemeingefahr in abstracto). 1. Vorsätzlich begangen (StGB. Z. 317). Strafe: Gefängnis von einem Monate bis zu 3 Jahren. 2. Fahrlässig begangen (§. 318). Strafe: Ge­ fängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu 900 Mark. 3. Die zu 2 bezeichnete Strafe trifft die zur Beauf­ sichtigung und Bedienung der Telegraphenanstalten und ihrer Zubehörungen angestellten Personen, wenn sie durch Pflichtvernachlässigung die Benutzung der Anstalt verhindern oder stören. Zu I und II. Die wegen einer der angeführten Handlungen verurteilten

* Also auch, wenn nicht durch Beschädigung von Eisenbahnanlagen usw.

340

Zweites Buch. I. Die gemeingefährlichen Delikte im e. S.

Angestellten (I 3 und II 3) können zugleich für unfähig zu

einer Beschäftigung im Eisenbahn- oder Telegraphendienste oder in bestimmten Zweigen

dieser Dienste erklärt

werden

(StGB. §. 319): Die

Vorsteher

der

oder

Eisenbahngesellschast

Tele­

graphenanstalt, welche nicht sofort nach Mitteilung des rechts­ kräftigen Erkenntnisses die Entfernung des Verurteilten bewir­

ken, werden mit Geldstrafe bis zu 300 Mark oder Gefängnis bis

zu 3 Monaten bestraft.

Gleiche Strafe trifft den für unfähig

Erklärten, der sich nachher wieder anstellen läßt, sowie

diejenigen, die ihn trotz Kenntnis der Unfähigkeitserklärung wieder angestellt haben.

III.

von Wasser­

Zerstörung oder Befchädigung

leitungen, Schleusen, Wehren, Deichen, Dämmen oder anderen

Wasserbauten;

wehren;

von

Wetterftihrung, Störung

von

Brücken, Fähren, Wegen,

Bergwerksvorrichtungen zum

des

Ein-

zur

Ausfahren

und

Fahrwassers

in

Schutz­

Wasserhaltung,

der

schiffbaren

Arbeiter;

Strömen,

Flüssen oder Kanälen: wenn dadurch Gefahr für Leben oder Gesundheit Anderer herbeigeführt wurde (Gefähr­ dung, wenn

auch nicht Gemeingefährdung

im konkreten

Fall erforderlich).

1. Vorsätzlich begangen (StGB. tz. 321).

Strafe:

Gefängnis nicht unter 3 Monaten; bei Verursachung einer

schweren

Körperverletzung

(StGB. §. 224) Zuchthaus

bis

zu 5 Jahren; des Todes, Zuchthaus nicht unter 5 Jahren.

Neben Zuchthaus Polizeiaufsicht fakultativ (§. 325).

2. Fahrlässig

begangen

(§. 326).

Strafe:

Bei

Verursachung eines Schadens, Gefängnis bis zu einem Jahre;

bei Verursachung des Todes, Gefängnis von einem Monat bis zu 3 Jahren.

Fortsetzung. Die übrigen gemeingefährl. Delikte. §. 83.

341

IV. Strafbare Handlungen an zur Sicherung der

Schiffahrt bestimmten Feuerzeichen oder anderen zu diesem Zwecke aufgestellten Zeichen; und zwar

Zerstören,

Wegschaffen,

Unbrauchbarmachen,

Auslöschen,

dienstpflichtwidriges Nicht-Aufstellen; Aufstellen eines falschen

Zeichens, welches geeignet ist, die Schiffahrt unsicher zu

machen; insbesondere nächtliches Anzünden von Feuer auf

der Strandhöhe, welches die Schiffahrt zu gefährden geeignet ist (abstrakte Gemeingefährdung genügt).

1. Vorsätzlich begangen (StGB. §. 322).

Strafe:

Zuchthaus bis zu 10 Jahren; bei Verursachung der Stran­

dung eines Schiffes, Zuchthaus nicht unter 5 Jahren; des Todes eines Menschen, Zuchthaus nicht unter 10 Jahren

oder lebenslängliches Zuchthaus.

Polizeiaufsicht fakultativ

(§. 325).

2. Fahrlässig begangen (§.326).

Strafe: wie oben

zu UI 2.

V. Bewirkung deS eines Schiffes,

Strandens

oder

Sinkens

wenn dadurch Gefahr für das Leben

eines anderen herbeigeführt wird (konkrete Gefährdung, nicht aber Gemeingefährdung erforderlich).

1. Vorsätzlich begangen Zuchthaus nicht unter 5

(StGB. §.323).

Strafe:

Jahren; bei Verursachung des

Todes eines Menschen, Zuchthaus nicht unter 10 Jahren

oder

lebenslängliches Zuchthaus.

Polizeiaufsicht

fakultativ

(§. 325).

2. Fahrlässig begangen (§. 326).

Strafe wie oben

zu III 2. VI. Vergiftung von Brunnen oder Wasserbe­ hältern, die zum Gebrauche Anderer dienen; Vergiftung

von Gegenständen,

welche zum öffentlichen Verkaufe oder

342

Zweites Buch.

I. Die gemeingefährlichen Delikte im e. S.

Verbrauche bestimmt sind,

oder Beimischung

von Stoffen,

von welchen dem Thäter bekannt ist, daß sie die menschliche Gesundheit zu zerstören

geeignet

sind;

wissentliches

Ver­

kaufen, Feilhalten, Jn-Verkehr-Bringen solcher vergifteter oder mit gefährlichen Stoffen vermischter Sachen mit Verschwei­

gung dieser Eigenschaft.3

(Abstrakte Gemeingefährdung ge­

nügt).

1. Vorsätzlich begangen (StGB. tz. 324).

Strafe:

Zuchthaus bis zu 10 Jahren; bei Verursachung des TodeS Zuchthaus nicht unter 10 Jahren oder lebenslänglich Zucht­

haus.

Polizeiaufsicht fakultativ (§. 325).

2. Fahrlässig begangen (§.326).

Strafe: wie oben

III 2.

VII.

Verletzung

der

zur

Verhütung

von

an­

steckenden Krankheiten oder Viehseuchen getroffe­

nen

(StGB. §. 327

Vorsichtsmaßregeln

und

328).

Siehe darüber unten §. 107 I und II.

VIII.

Nichterfüllung

(oder Erfüllung nicht zur be­

stimmten Zeit oder nicht in der vorbedungenen Weise) von

mit einer Behörde geschlossenen Lieferungsver­ trägen: a) über Bedürfnisse des Heeres oder der Marine zur Zeit

eines Krieges; oder b) über

Lebensmittel

zur Abwendung

oder

Beseitigung

eines Notstandes (StGB. §. 329; abstrakte Gemein­ gefährlichkeit genügt).

1. Vorsätzlich

begangen.

Strafe:

Gefängnis nicht

unter 6 Monaten; Ehrverlust fakultativ.

s Vgl. Nahrungsmittelgesetz wisse Gegenstände, und geht im nächsten §. Dieses ist somit dem §. 324 StGB. "vor. Spezialgesetz mit Bezug auf ge­

Übertretungen des Nahrungsmittel-Gesetzes.

343

Strafe: wenn durch die

2. Fahrlässig begangen.

Handlung ein Schaden verursacht worden, Gefängnis bis zu

2 Jahren. Dieselben Strafen finden auch gegen Unterlieferanten,

Vermittler und

Bevollmächtigte des Lieferanteu

Anwendung, welche mit Kenntnis deS Zweckes der Lieferung die Nichterfüllung vorsätzlich oder fahrlässig verursachen.

IX. Verletzung der allgemein anerkannten Re­ geln

der Baukunst bei Leitung oder Ausführung eines

Baues, wenn dadurch für andere eine (nicht notwendig ge­

meine) Gefahr entsteht (StGB. §. 330).

Strafe: Geldstrafe bis zu 900 Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre.

II. Alebertretungeu des Gesetzes vom 14. Mai 1879, betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genuß­ mitteln, Gebrauchsgegenständen? §. 84. Das Gesetz Genußmittel,

bezieht sich (§. 1) auf NahrungS- und

sowie

auf

Spielwaren,

Tapeten,

Farben, Eß-, Trink- und Kochgeschirr und Petro­ leum,

und schließt sich mit dem schwersten von ihm mit

Strafe bedrohten Falle unmittelbar an den Thatbestand des

§. 324 StGB. an.

1 Außer den oben §. 9 Nr. 50 anzeführten Kommentaren zu vgl. v. Schwarze GS. XXXI (drselbst S. 83 Lit.); Liebreich Bemerkungen 1879; Hof­

mann in der deutschen Viertel­ für öffentliche Ge»ge XI. Die Ma­ terialien in GA. XXVII.

344

Zweites Buch.

II. Uebertretungen d. Nahrungsmittel-Ges.

1. Der Verkehr, mit den genannten Gegenständen ist der Beaufsichtigung

staatlichen

unterstellt

(§§. 1—4),

Widerstand gegen dieselbe (Verweigerung des Eintrittes in

die Geschäftsräumlichkeiten, der Entnahme von Proben, der Revision gegenüber den zuständigen Polizeibeamten) unterliegt (§. 9) einer Geldstrafe von 50—150 Mark oder der Strafe

Ueberdies ist dem Kaiser (mit Zustimmung des

der Hast.

Bundesrates) ein weitgehendes Verordnungsrecht zum

Schutze

dessen

der

Gesundheit

Herstellung,

Verwendung

eingeräumt (§§. 5—7), kraft

Austewahrung,

gewisier

Verpackung,

Gegenstände verboten

Verkauf,

werden

kann.

Uebertretung dieser Verordnungen wird mit Geldstrafe bis zu 150 Mark oder mit Haft bestraft (§. 8).

II.

1. Die Nachmachung oder Verfälschung von zum Zwecke

NahrungS- oder Genußmitteln

der Täuschung

im Handel und Verkehr; 2. Das

Verkaufen

von

verdorbenen,

nachge­

machten, verfälschten NahrungS- oder Genußmitteln unter

Verschweigung dieses Umstandes,

sowie daS Feilhalten der­

selben unter einer zur Täuschung geeigneten Bezeichnung wird (§. 10) mit Gefängnis bis zu 6 Monaten und

Geldstrafe bis zu 1500 Mark, oder mit einer dieser Strafen; die fahrlässige Begehung der unter 2 be­ zeichneten Handlungen aber (§. 11) mit Geldstrafe bis zu

150 Mark oder mit Hast bestraft.

HI.

1. Herstellung von Gegenständen, welche bestimmt

sind, Anderen als NahrungS- oder Genußmittel zu dienen,

in

solcher

Weise,

baß

der

1 Nicht übermäßige. Ent­ spricht Genuß einer größeren Menge, oder wiederholter Genuß

(bestimmungsgemaße)-

Genuß

der Bestimmung und Natur deS Gegenstandes, so ist der straf­ bare Thatbestand gegeben, auch

Uebertretungrn des NahmngSmittel-GesetzeS.

345

derselben die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet

sowie das Verkaufen,

Feilhälten, Jn-Berkehr-

Bringen von Gegenständen,

deren Genuß die menschliche

ist;

Gesundheit zu beschädigen geeignet ist, als NahrungS- oder Genußmittel;

2. Die Herstellung von Bekleidungsgegenständen, Spiel­ waren, Tapeten, Eß-, Trink- und Kochgeschirr oder Petro-

leum in

einer solchen Weise,

daß der bestimmungSgemäße

oder vorauSzusehende Gebrauch derselben die menschliche Ge­ sundheit zu beschädigen geeignet ist; sowie daS Verkaufen,

Feilhalten, Jn-Berkehr-Bringen solcher Gegenstände. Strafe:

a) Vorsätzliche Begehung. a)

Einfacher Fall (§. 12): Gefängnis mit fakulta­

tivem Ehrverlust.

strafbar.

Versuch

Bei Ver­

ursachung einer schweren Körperverletzung (StGB.

§. 224) oder deS TodeS, Zuchthaus bis zu fünf

Jahren.

ß) Schwerer Fall (§. 13),

vorliegend, wenn

der

Genuß oder Gebrauch der genannten Gegenstände,

die menschliche Gesundheit zu zerstören geeignet, und diese Eigenschaft

bekannt war.

dem Thäter

Zuchthaus bis zu 10 Jahren; bei Verursachung deS

Todes > Zuchthaus

nicht

unter

oder lebenslängliches Zuchthaus.

10 Jahren

Polizeiaufsicht

fakultativ. b) Fahrlässige Begehung (§. 14).

Geldstrafe bis zu

1000 Mark oder Gefängnis bis zu 6 Monaten; bei

wem ter nur einmalige Genuß I Gefahr nicht herbeiführt (RGR. einer geringeren Menge eine | 9. Juni 1880, E II 178).

346

Zweites Buch. HI. Delikte gegen den öffentlichen Frieden. Verursachung eines Schadens an der Gesundheit eines

Menschen, Gefängnis bis zu einem Jahre; des Todes, Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren.

Einziehung der

Gegenstände ist in

fraglichen

den unter III behandelten Fällen

ob

ohne Unterschied

sie

dem Verurteilten gehören oder nicht (vgl. oben §. 42 III1 b) neben der Strafe obligatorisch, als objektive Maßregel (vgl.

oben §. 42 III 1 a)

(unter I und II)

In

fakultativ.

kann

neben

den

der Strafe

übrigen

auf

Fällen

Einziehung

erkannt werden (§. 15).

Die teilung

öffentliche (hier

Bekanntmachung

Nebenstrafe,

vgl.

oben

der

Verur­

§. 44 I C) auf

Kosten der Schuldigen kann, die der Freisprechung auf Kosten der Staatskasie, bez. des Anzeigers, muß auf An­ trag der Freigesprochenen, angeordnet werden (§. 16).

Ueber

die

Verwendung

der

Geldstrafen

(§. 17)

vgl. oben §. 47 III.

III. Strafbare Handlungen gegen den öffentlichen Frieden? §. 85. I. Störung des öffentlichen Friedens durch Landzwang,

d. L durch Bedrohung mit einem gemeingefährlichen*

Ver­

brechen (StGB. §. 126).31 * Vollendet, sobald die Bedrohung

zu öffentlicher Kenntnis gelangt ist. 1 ES handelt sich um dasselbe Rechtsgut, wie in dem oben §. 811 angeführten Falle: aber als Träger desselben erscheint hier nicht ein Einzelner oder eine Summe von solchen, son­

dern das Publikum in dem uns bekannten Sinne. 1 StGB. 27. Abschnitt. 3 Lit. bei Meyer S. 605 Note 1.

Delikte gegen den öffentlichen Frieden,

347

ß. 85.

Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre. II. Landfriedensbruch (StGB. §. 125):* Teilnahme

an einer öffentlichen Zusammenrottung, wenn von der zu­ sammengerotteten Menschenmenge mit vereinten Kräften Ge­ waltthätigkeiten an Personen oder Sachen begangen werden.*

Der Unterschied bruch

von

dem

gewaltsamen HausfriedenS-

(StGB. §. 124; oben §. 81 II 3)

liegt in einem

Doppelten:

a) Beim Hausfriedensbruch,

nicht aber hier,

ist

Ein­

dringen in fremde Wohnräume erforderlich;

genügt

b) Beim Hausfriedensbruch von

Gewaltthätigkeiten

gerichtete

die

auf Begehung

Absicht,

hier ist

wirkliche Begehung von solchen erforderlich. Strafe: Gefängnis nicht unter 3 Monaten; die Rä­ delsführer (vgl. oben §. 37 I 5) sowie diejenigen, welche

Gewaltthätigkeiten

geplündert,

gegen Personen

vernichtet

begangen oder Sachen

oder zerstört haben, trifft Zuchthaus

bis zu 10 Jahren mit fakultativer Stellung unter Polizei-

aufficht,

bei mildernden Umständen Gefängnis

nicht unter

H Monaten. III. Ansammeln von Waffen und Streitkräften.

Sttafbar ist: a) Wer unbefugter Weise einen bewaffneten Haufen bildet oder befehligt,

oder

eine

Mannschaft,

von

der

er

weiß, daß sie ohne gesetzliche Befugnis gesammelt ist, mit Waffen oder Kriegsbedürfnissen versieht (StGB.

§. 127 Abs. 1).

Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren.

b) Wer sich einem solchen bewaffneten Haufen anschließt

‘ Lit. bei Meyer S. 602 I 6 Ueber den Begriff der ZuNüe 1. I sammenrottung {.oben §. 81II3.

348

Zweites Buch.

III. Delikte gegen den öffentlichen Frieden.

(StGB. §. 127 Abs. 2); Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre; c) wer außerhalb seines Gewerbebetriebes heimlich oder

wider das Verbot der Behörde Vorräte von Waffen

oder Schießbedarf aufsammelt (StGB. §. 360 Ziff. 2);

Strafe:

Geldstrafe

bis

zu 150 Mark oder Haft.

Einziehung zulässig, ohne Rücksicht darauf, ob die Gegenstände dem Verurteilten gehören oder nicht (vgl. oben §. 50 II).

IV. Gefährdung des öffentlichen Friedens durch öffent­

liche

Anreizung verschiedener

Klaffen

der Bevölkerung,

d. i. verschiedener durch gemeinsame Jntereffen mit einander

verbundener und von anderen deutlich abgegrenzter Personen­

kreise/ zu Gewaltthätigkeiten gegen einander (StGB. §. 130).6 7

Strafe: Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Gefängnis

bis zu 2 Jahren. V. Gefährdung

des

öffentlichen Friedens

durch Miß­

brauch der geistlichen Stellung (in Ausübung oder in Veranlaffung der Ausübung des Berufes als Religionsdiener); begangen (StGB. §. 130 a)

1.® durch a) öffentlich vor einer Menschenmenge, oder

b) in einer Kirche oder einem anderen zu religiösen Ver­ sammlungen bestimmten Orte vor Mehreren

6 Z. B. die Bourgeoisie, die Infallibilisten, die Nationallibe­ ralen, die Großgrundbesitzer usw. 7 Lit. bei Meyer S. 607 Note 3.

8 Erster Abs. des sog. Kanzelparaqraphen, ausgenommen durch Gesetz vom 10. Dezember 1871.

Delikte gegen andere Interessen des Publikums. §♦ 86. erfolgende Verkündigung

oder Erörterung

349

von Angelegen­

heiten des Staates;

2.9 durch Ausgabe oder Verbreitung von Schriftstücken, in welchen

solche Angelegenheiten

zum Gegenstände einer

Verkündigung oder Erörterung gemacht sind. Strafe (zu 1 und 2): Gefängnis oder Festungshaft bis

zu 2 Jahren.

IV.

Andere gegen die Interessen des Publikums

gerichtete strafbare Handlungen. 86. I. Die geschäftsmäßige (Begriff oben §. 39 II 3b)

Verleitung

von

Deutschen

zur

Auswanderung

unter Vorspiegelung falscher Thatsachen (Begriff oben §. 73

I 2) oder mit wissentlich unbegründeten Angaben oder durch andere auf Täuschung

berechnete Mittel (StGB. §. 144).

Strafe: Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren.

Wie aus der Fassung des §. 144 (Geschäftsmäßigkeit; Deutsche im Plural) sowie aus

seiner

Stellung im Systeme des

StGB. (Verletzung der öffentlichen Ordnung) zur Genüge hervorgeht,

haben wir

es mit einem gegen das Publikum

und nicht mit einem gegen den Einzelnen gerichteten Delikte

zu thun. II. Es gehört hieher ferner eine große Anzahl der im

letzten (29.) Abschnitte des Reichsstrafgesetzbuches enthaltenen Uebertretungen.

So tz. 360 Ziff. 10: verweigerte Hülfeleistung bei Un-

9 Zweiter Abs., ausgenommen durch die Novelle vom 26. Fe­ bruar 1876.

350 Zweites Buch. IV. Delikte geg. and. Interessen d. Publikums.

glücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not (dazu Stran­

dungsordnung vom 17. Mai 1874 §. 9). §. 360 Ziff. 11: ruhestörender Lärm und grober Unfug;'

§. 360 Ziff. 13: Tierquälerei. §.361: Uebertretung der in Folge der Stellung unter

Polizeiaufsicht auferlegten Beschränkungen;8 Rückkehr Ausge-

roiefcner;3* *Landstreicherei, Bettelei, Spiel, Trunk, Müssiggang; Prostitution;4 Arbeitsscheu; Unterstandslosigkeit;8 Nichtabhal-

tung der Gewaltuntergebenen von der Begehung von Dieb­ stählen und gewissen anderen Delikten;3

§. 365: Ueberschreitung der Polizeistunde;

§.366 Ziff. 1: Verletzung der Sonntagsfeier;

§. 366 Ziff. 2—9: und

Reiten;

Hunden;

schnelles und unvorsichtiges Fahren

Nichtbeaufsichtigen

Werfen

von

Steinen;

von

Tieren;

Hetzen

von

unvorsichtiges Aufhängen,

Aufstellen, Ausgießen, Auswerfen, Liegenlassen; §. 366 Ziff. 10:

Verletzung

der

zur

Erhaltung

von

Sicherheit, Bequemlichkeit, Reinlichkeit, Ruhe an öffentlichen

Orten erlassenen Anordnungen; §. 366 a:

Uebertretung

der zum Schutze

der Dünen,

Fluß- und Meeresufer erlassenen Verordnungen; §.367: vorzeitige oder heimliche Beerdigung von Leich' Daß hier öffentliche Inter« essen, nicht solche einzelner Per­ sonen oder individuell begrenzter Personenkreise in Frage stehen, betont RGR. 27. April 1880, E I 400, R I 677. 1 Vgl. oben §. 49 I. 8 Vgl. oben §. 49 II. 4 Daß es sich hier im Sinne der Reichsgesetzaebung um den Schutz der Gesundheit, der

öffentlichen Ordnung, des öffent­ lichen Anstandes, nicht aber um den der Sittlichkeit handelt, sollte der Fassung deö §. 361 Ziff. 6 gegenüber nicht bezwei­ felt werden. 6 Ueber das in den Fällen deS §. 361 Nr. 3-8 zulässige Arbeitshaus vgl. §. 49 II. 6) Vgl. oben §. 26 I 1.

Delikte gegen andere Interessen des Publikums, g. 86.

351

namen; unbefugter Handel mit Gift; unbefugte Zubereitung

von explodierenden Stoffen; Unvorsichtigkeit bei Zubereitung, Aufbewahrung, Verkauf von Giftwaren, Schießpulver u. dgl., beim Legen von Selbstgeschoffen, Gebrauch von Feuergewehr;

unbefugtes Führen von Waffen; unbefugtes oder unvorsich­ tiges Halten wilder oder bösartiger Tiere; Unvorsichtigkeit in

Bezug auf Brunnen, Keller, Gebäude und dgl. §. 368: Nicht-Schließung der Weinberge;

Unterlassung

deS Raupens; Unvorsichtigkeit in Bezug auf feuergefährliche Gegenstände und Anlagen; unberechtigtes Betreten ftemder

Gärten, Weinberge, Wiesen, Aecker usw.

8. 369 Ziff. 1: unbefugtes Anfertigen von Schlüsseln, Verabfolgen von Nachschlüsseln oder Dietrichen; §.369 Ziff. 3: Uebertretung der Vorschriften über An­ legung, Verwahrung, Benützung von Feuerstätten durch in

Feuer arbeitende Gewerbetreibende.

Drittes Buch. Strafbare Hau-lungen gegen „unetgentllche" Nechtsgüter (durch die Art des Angriffes charakterisierte Delikte). I. Strafbare Handlungen an Geld.' 8.87. I. Begriff. DaS Angriffsobjekt für die hieher gehörigen Delikte bilden: 1. Geld; und zwar Metallgeld wie Papiergeld; in­ ländisches wie ausländisches Geld (StGB. §. 146); 2. die im StGB. §. 149 angeführten geldvertretenden Wertzeichen; nämlich auf den Inhaber lautende Schuld­ verschreibungen, Banknoten, Aktien oder deren Stelle ver­ tretende JnterimSscheine oder Quittungen, sowie die zu diesen Papieren gehörenden ZinS-, Gewinnanteils- oder Erneuerungs­ scheine (Coupons und TalonS); wenn von dem Reich, dem norddeutschen Bunde, einem Bundesstaate oder fremden Staate oder von einer zur Ausgabe solcher Papiere be­ rechtigten Gemeinde, Korporation, Gesellschaft oder Privat­ person ausgestellt. i Lit. bei Meyer S. 572 Note 1.

I. Delikte an Geld. 8- 87.

353

Die an Geld oder geldvertretenden Wertzeichen begangenen strafbaren Handlungen (regelmäßig wenn auch viel zu eng Münzdelikte genannt) sind als solche, ohne jede Rücksicht auf ihre konkrete Richtung gegen ein bestimmtes RechtSgut, strafbar. Die Norm, durch welche sie verboten werden, ge­ hört zu den oben §. 3 II 4 erwähnten Normen, welche zum mittelbaren Schutze nicht eines, sondern verschiedener Rechtsgüter bestimmt, durch die Art deS Angriffes nicht durch seine Richtung Charakter und Inhalt bekommen. Die Münzhoheit deS Staates, das Interesse deS Publi­ kums an Sicherheit deS rechtlichen Verkehrs und die Ver­ mögensinteressen deS Einzelnen verlangen in gleich ge­ bieterischer Weise nach strafrechtlichem Schutze für die Inte­ grität der Geldzeichen. So entstehen die allen konkurrie­ renden Interessen Genüge leistenden Normen zum Schutze der Geldzeichen, deren Uebertretungen uns hier beschäftigen. Falsch ist eS, die sogenannten Münzdelikte als lediglich gegen den Staat, oder bloß gegen daS Publikum, oder nur gegen daS Privatvermögen gerichtet, aufzufaffen; bequem aber be­ denklich, den kriminalistischen Nothelfer aus allen systematischen Bedrängnissen, die publica fides, anzurufen; denn der Staat und die Einzelnen sind ebenso interessiert wie daS „Publikum"; schief endlich, die „Integrität der Geldzeichen" selbst zu einem Rechtsgute zu erheben, als schütze der Staat daS Geld um deS Geldes und nicht um anderer RechtSgüter willen. In einem lediglich daS „RechtSgut" und nicht zugleich die „Norm" berücksichtigenden Systeme kann den Münzdelikten kein ihnen entsprechender Platz angewiesen werden. Die internationale Bedeutung der Geldzeichen der mo­ dernen Kulturstaaten hat daS StGB, in §. 4 Ziff. 1 aner­ kannt : Münzverbrechen werden, auch wenn im Auslande, von LiSzt, Strafrecht. 23

354

Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüter.

sei eS von einem Inländer, sei es von einem Ausländer be­ gangen, ohne weiteres nach heimischem Recht bestraft. IL Die Arten. 1. Die eigentliche Münzfälschung (StGB. §. 146); und zwar: a) das Nachmachen? von unechtem Gelde (Falschmün­ zerei); b) daS Verfälschen von echtem Gelde, d. h. die Vor­ nahme einer solchen Veränderung an den Geldzeichen, durch welche echtem Gelde der Schein höheren Wertes oder verrufenem Gelde daS Ansehen eines noch gel­ tenden gegeben wird; beides (a unh b) in Verbreitungsabsicht, d. h. in der Absicht, daS nachgemachte oder verfälschte Geld als echtes zu gebrauchen oder sonst als echtes? in Verkehr zu bringen. Die Vollendung tritt nicht erst mit dem Verbreiten, sondern schon mit dem Fälschen ein. Strafe: Zuchthaus nicht unter 2 Jahren, mit fakultaüver Polizeiaufsicht; bei mildernden Umständen Gefängnis. 2. DaS Verbreiten gefälschten (nachgemachten oder verfälschten) Geldes; und zwar: a) wenn die Fälschung von dem Verbreiter selbst, aber ohne Verbreitungsabsicht vorgenommen worden; b) wenn der Verbreiter sich das gefälschte Geld ander­ weitig verschafft hat. 1 Ein gewisser Grad von Ähnlichkeit, so daß die Mög­ lichkeit einer, wenn auch kurzen Cirkulation gegeben ist, muß gefordert werden. 3 Doch genügt hier im Urteil die Feststellung der Absicht „in

Verkehr zu bringen"; die Worte „alS echt", die als selbstverständ­ lich im Gesetze fehlen, brauchen nicht ausdrücklich festgestellt zu werden; RGR. 30. April 1880, E I 408, R I 703.

I. Delikte an Geld.

g. 87.

355

In beiden Fällen ist die Vollendung erst mit der Verbreitung gegeben. Strafe: wie zu 1 (StGB. §. 247). c) Wenn der Thäter das gefälschte Geld als echtes em­ pfängt, und nach erkannter Unechtheit weiter giebt (StGB. 148). Vollendet mit der Verbreitung;

Strafe: Gefängnis bis zu 3 Monaten oder Geld­ strafe bis zu 300 Mark; Versuch strafbar. 3. Das Einführen von gefälschtem Gelde aus dem Auslande zum Zwecke der Verbreitung (§. 147 StGB.). Vollendet mit der Einfuhr. Strafe wie zu 1. 4. Das Jn-Derkehr-Bringen von echten, zum Um­ läufe bestimmten Metallgeldstücken, die durch Beschneiden, Abfeilen oder auf andere Art verringert sind, als vollgültigen (das „Kippen und Wippen"); wenn der Thäter:

a) die Verringerung selbst vorgenommen hat, oder b) die von einem anderen verringerten Münzen gewohn­ heitsmäßig oder c) im Einverständnisse mit dem Verringeret in Verkehr bringt (StGB. §. 150). Strafe: Gefängnis, daneben fakultativ Geldstrafe bis zu 3000 Mark, sowie Ehrverlust. Versuch strafbar. 5. DaS Anschaffen oder Anfertigen von Stempeln, Siegeln, Stichen, Platten oder anderen zur Anfertigung von Geldzeichen dienlichen Formen zum Zwecke eines Münzverbrechens wird (StGB. §. 151) mit Gefängnis bis zu 2 Jahren bestraft. DaS Gesetz stellt hier gewisse Vorbereitungshandlungen als delictum eni generis unter besondere Strafe, eS wird daher durch die Begehung des geplanten MünzverbrechenS selbst die Strafbarkeit jener

Handlungen konsumiert (vgl. oben §. 40 II c).

356

Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" RechtSgüter.

In allen bisher erwähnten Fallen ist auf Einziehung

deS gefälschten Geldes, sowie der unter 5 bezeichneten Gegen­

stände zu erkennen, auch wenn die Verfolgung oder Ver­

urteilung einer bestimmten Person nicht stattfindet (StGB. §. 152; vgl. oben §. 50 II).

6.

Im Zusammenhänge mit

den

eigentlichen Münz­

delikten stehen die im §. 360 Ziff. 4, 5, 6 StGB, enthal­

tenen Uebertretungen (Strafe: Geldstrafe bis zu 150 Mark

oder Hast); nämlich a) die Anfertigung der oben unter 5 genannten Ge­

genstände ohne schriftlichen Auftrag einer Behörde oder

die Verabfolgung derselben

an einen andern als

die Behörde; b) das Unternehmen

eines

Abdruckes von diesen

Gegenständen oder des Druckes von Formularen zu derartigen Papieren ohne schriftlichen Auftrag der

Behörde, oder die Verabfolgung von Abdrücken an

Andere als die Behörde;

c) die Anfertigung oder Verbreitung von Druck­ sachen oder Abbildungen, welche in Form oder Ver­

zierung den Geldzeichen ähnlich sind; sowie daS Anfertigen von Formen, welche zur Erzeugung der­

artiger Drucksachen oder Abbildungen dienen können. Auf Einziehung der Vervielfältigungsmittel, Abdrücke,

Abbildungen kann neben der Strafe erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht.

II. Delikte an Urkunden.

§. 88.

357

II. Strafbare Handlungen an Urkunden.' §.88.

I. Begriff. 1. Urkunde im strafbaren Sinne ist jeder der Sin­ nenwelt angehörige Gegenstand (nicht bloß Schrift­ stück), der zur Feststellung rechtlich erheblicher That­ sachen bestimmt ist (Eignung dazu ist begrifflich weder genügend noch erforderlich).' Die Urkunden zerfallen in öffentliche und private. Oeffentliche Urkunden sind nach §. 380 CPO. diejenigen, welche von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer AmtSbeftrgniffe oder von einer mit öffent­ lichem Glauben versehene« Person innerhalb deS ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form ausgenommen sind. Alle übrigen Urkunden sind private. Auch die öffentliche Urkunde muß Urkunde sein, also der obigen Definition entsprechen. Damit ist sie. aber auch ohne weiteres unter den Schutz deS Strafgesetzes gestellt. Anders bei Privat urkunden. Diese genießen den vollen Schutz des Gesetzes nur dann, wenn sie zum Beweise von Rechten oder Rechtsverhältnissen von Erheb­ lichkeit sind. ES ist dies kein in dem Begriffe der Ur* künde liegendes, sondern ein zu den Begriffsmerkmalen hinzutretendes Merkmal. Ein zur Feststellung einer Thatsache bestimmter Gegenstand kann dennoch für den Beweis dieser Thatsache durchaus unerheblich sein; die 1 8it. Note 1.

bei Meyer S. 591

* Bestritten.

358

Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtbgüter.

Gestaltung des Prozeßverfahrens (freie Beweiswürdigung!) kann diesen Gegensatz auf wenige Fälle einschränken, ohne ihn ganz zu beseitigen? 2. Die strafbaren Handlungen an Urkunden teilen den oben §. 87 I erörterten Charakter der Münzdelitte. Mög­ licher Weise (in abstracto) gerichtet gegen die Sicherheit des öffentlichen (im Sinne von publicns) Rechtsverkehrs, gegen die verschiedensten (nicht bloß das Vermögen bildenden) Rechts­ güter des Einzelnen oder gegen die Staatsverwaltung (insbesondere die staatliche Rechtspflege) sind sie wegen dieser möglichen Beziehung unter Strafe gestellt ohne Rücksicht darauf, ob im konkreten Falle eine dieser Beziehungen und welche gegeben ist. Auch hier entscheidet die Art und nicht die Richtung des Angriffes; auch hier müssen wir es ver­ meiden, von einer Verletzung der „publica fides" zu sprechen, außer wenn es uns eben darum zu thun ist, durch den Ge­ brauch eines möglichst dehnbaren Ausdruckes unS tieferes Eindringen in die Natur dieser Delikte zu ersparen. n. Die Arten. 1. Die eigentliche Urkundenfälschung, zerfallend in die Nachmachung einer unechten, und die Verfälschung einer echten Urkunde. Gleich geachtet wird es (StGB. §. 269), wenn Jemand einem mit der Unterschrift eines Anderen ver­ sehenen Papiere ohne dessen Willen oder dessen Anordnungen zuwider durch Ausfüllung einen urkundlichen Inhalt giebt. Das Gebrauchmachen zum Zwecke der Täuschung, 3 Ein Punkt. der allgemein 233; 4. Februar 1880, E I übersehen wird. — Kasuistik 293; 8. Mai 1880, R I 751; über „Beweiserheblichkeit" in 24.Mai 1880, RI810; 3.Ium RGR. 20. Januar 1880, E 1 1880, E II 174, R II 26. 159; 15. Januar 1880, R I

II. Delikte an Urkunden,

359

g. 88.

sei es a) (StGB. §. 267), daß der Thäter selbst die Ur­

kunde in rechtswidriger Absicht (d. h? in der Absicht, von ihr zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch zu machen),

gefälscht hat; sei es b) daß er wissentlich von einer durch ihn selbst ohne diese Absicht oder durch einen Dritten gefälschten

Urkunde Gebrauch macht (StGB. §. 269), bildet nach posi­

tivem Recht den Kern

der

eigentlichen Urkundenfälschung.

Erst mit dem Gebrauchen (d. h. mit dem Borzeigen der Urkunde, um durch die ihr innewohnende Beweiskraft auf den Anderen zu wirken)64 *tritt die Vollendung ein.

Der straf­

bare Versuch beginnt dagegen im Falle a schon mit dem Beginne des Fälschens, im Falle b erst mit dem Beginne

des Gebrauchens.

Daß der zu Täuschende und der zu Be­

schädigende nicht identisch zu sein brauchen, dürste zweifel­

los. sein. Strafe: Gefängnis» Erhöhte Strafe tritt ein (StGB. §. 268), wenn die

Fälschung in der Absicht

(gleich

erweiterter Vorsatz,

oben

§. 28 HI) begangen wird, sich odex einem Anderen einen nicht notwendig

rechtswidrigen*

VermögenSvyrteil

(Begriff

oben §. 73 I 3) zu verschaffen, oder einem Anderen Schaden

(nicht notwendig an seinem Vermögen) zuzufügen; und zwar: 6 Vgl. RGR. 28. Februar 4 Häufig anders gefaßt; mit I der Fassung des Textes über« | 1880, E I 230, R I 400. Das einstimmend RGR. 3. Juni 1880, Aufgeben eines Telegramms E II 174. (Gebrauch eines ge­ unter falschem Namen ist daher fälschten Beweismittels rum nicht Urkundenfälschung: RGR. Zwecke der Ausübung eines oem 15.Mai 1880, RI 793; 31.Marz Thäter zustehenden Rechts.). Bei­ 1880, R 1 513. 6 RGR. 3. Mai 1880, E II spiele in RGR. 4. Februar 1880, E I 293; 12. Februar 1880, R 41. I 350; 1. Mai 1880, E II 34, R I 713.

360

Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüter.

a) bei Priv alurkunden Zuchthaus bis zu 5 Jahren mit

fakultativer Geldstrafe bis zu 3000 Mark; b) bei öffentlichen Urkunden Zuchthaus bis zu 10 Jahren

mit fakultativer Geldstrafe von 150 bis zu 6000 Mark. Bei mildernden Umständen

zu a Gefängnis nicht

unter 1 Woche, zu b nicht unter 3 Monaten; daneben

fakultative Geldstrafe bis zu 3000 Mark. Neben Gefängnis ist Ehrverlust fakultativ (§. 280).

2.

Die Bewirkung

materiell unrichtigen

einer

öffentlichen Beurkundung, d. h. der Beurkundung von

Erklärungen oder Thatsachen, welche für Rechte oder Rechts­ verhältnisse von Erheblichkeit sind,

in öffentlichen (zur Fest­

stellung im öffentlichen Interesse, nicht bloß im Interesse des

inneren Dienstes' bestimmten) Büchern, Urkunden, Registern als abgegeben oder geschehen, während sie überhaupt

nicht oder in anderer Weise oder von einer Person in einer

ihr nicht zustehenden Eigenschaft7 8 oder

von

einer anderen

Person8 abgegeben oder geschehen sind.

Der Beamte, der die falsche Beurkundung wissentlich vor­

nimmt, macht sich eines Amtsdeliktes (StGB. §. 348; unten §♦ 93 II 6) schuldig;" der Nichtbeamte wird, abgesehen von

einer

etwaigen

Teilnahme

an

dem

Amtsdelikte,

bestraft,

wenn er: a) die falsche Beurkundung bewirkt (StGB. §. 271) oder

7 RGR. 23. Dezember 1879. E I 42, RI 168; 13. März 1880, E I 312, R I 458. 8 Abgabe der Daterschaftserklarung vor dem Standesamte durch den Nicht-Vater: RGR. 10. November 1879, E I 9, R I 55.

9 Strafantritt für den Ver­ urteilten ; Erscheinen statt des Angeklagten (RGR. 27. April 1880, R I 686). 10 Vgl. auch. Seemannsord­ nung vom 27. Dezember 1873 §§. 93 Ziff. 1, 99 Ziff. 2.

II. Delikte an Urkunden.

g. 88.

361

b) von einer solchen falschen Beurkundung

zum Zwecke

einer Täuschung Gebrauch macht (§. 273). Strafe in beiden Fällen: Gefängnis bis zu 6 Monaten oder Geldstrafe bis zu 300 Mark; wenn in BereicherungS-

vder Schadensabsicht (wie oben §. 7313) begangen, Zuchthaus

bis zu 10 Jahren mit fakultativer Geldstrafe von 150 bis zu

6000 Mark, oder bei mildernden Umständen Gefängnis mit fakultativer Geldstrafe bis zu 3000 Mark (StGB. §§♦ 272

und 273). 3. Vernichtung, Beschädigung," Unterdrückung"

einer

Urkunde," die

dem Thäter nicht oder nicht aus­

schließlich gehört, in der Absicht, einem Anderen Nachteil zu­

zufügen (StGB. §. 274 Zisf. 1). Strafe:

3000 Mark. 4.

Die

Gefängnis mit fakultativer Geldstrafe bis zu

Ehrverlust fakultativ (§. 280). Grenzverrückung

(StGB. H. 274 Ziff. 2),

d. i. das Wegnehmen, Vernichten, Unkenntlichmachen, Ver­

rücken oder fälschlich Setzen von Grenzsteinen oder anderen zur Bezeichnung einer Grenze oder eines WafferstandeS" be­ stimmten Merkmalen in Schädigungsabsicht. 11 Beeinträchtigung der Be­ weiskraft, mag auch die SubB der Urkunde unverletzt ge­ rn sein (z. B. Durchstreichen der Unterschrift: RGR. 29.Juni 1880, R II 135). 11 D. h. Entziehung aus der Verfügungsgewalt des Berechtigten, mag auch die Absicht, selbst gelegentlich von der Urkünde Gebrauch zu machen, vor­ handen sein; dagegen RGR. 22. Januar 1880, E I 159, R I 258.

Als Spezial-

13 Begriff: oben am Eingang dieses §. Beweiserheblichkeit ist hier nicht erforderlich, wohl aber nach dem Begriffe derUrkundeBeweiöbestimmung; RGR. 23. Ja­ nuar 1880, E I 162, R I 263 im ersten Punkt derselben, im zweiten anderer Ansicht; vgl. auch OT. 20. Oktober 1875, c. Arnim. 14 Sei eS dauernd oder nur provisorisch: RGR. 22. Mai 1880, R I 811.

362

Drittes Buch. Delikte gegen „uneigenlliche" Rechtögüter.

fall vom Gesetze besonders hervorgehoben,

obwohl die ge­

nannten Merkzeichen unter den allgemeinen Begriff der Ur­

kunden fallen. Strafe: wie zu 3. 5.

Strafbare

Handlungen

an

und

mit

Stempel­

papier, Stempelmarken, Stempelblanketten, Stem­

pelabdrücken, Post- oder Telegraphenfreimarken,

gestempelten BriefcouvertS und zwar: a) daS Nachmachen und Verfälschen in Gebrauchsabsicht,16

von gefälschten Gegenständen

sowie daS Gebrauchen

dieser Art, mag auch die Fälschung nicht

von dem

Thäter herrühren (§. 275).

Strafe: Gefängnis nicht unter 3 Monaten, daneben Ehrverlust fakultativ (§. 280).

b) Die

wissentliche Wiederverwendung

verwen­

deter Stempel" (von Marken, Blarcketten, Papier, Abdrücken) zu stempelpflichtigen Schriftstücken (StGB.

§. 276).

Defraudationsstrafe): Geld­

Strafe (neben der strafe bis zu 600 Mark.

c) DaS von

wissentliche bereits

Veräußern

verwendetem

oder

Stempelpapier

Feilhalten

nach

Ent­

fernung der darauf gesetzten Schriftzeichen, sowie von

bereits verwendeten Stempelmarken, Stempelblanketten, ausgeschnittenen

oder

sonst

drücken (StGB. §. 364).

abgetrennten Stempelab­

Strafe: Geldstrafe bis zu

150 Mark. 15 Die Vollendung tritt hier — im Gegensatze zu der eigent­ lichen Urkundenfälschung —schon mit der Fälschung etn.

16 Wiederverwendung von Post- und. Telegraphen­ reichen unterliegt nur der Defraudationsstrafe; vgl. unten §. 114.

II. Delikte an Urkunden,

tz. 88.

363

d) Anfertigung von Formen, welche zur Erzeugung von Stempelpapier usw. dienen können, ohne schriftlichen

Auftrag der Behörde, oder Verabfolgung an einen anderen als die Behörde (StGB. §. 360 Ziff. 4).

Strafe: Geldstrafe bis zu 150 Mark oder Haft.

e) Das unbefugte Unternehmen oder Verabfolgen eines Abdruckes von den unter d genannten Formen (StGB. §. 360 Ziff. 5).

Strafe: wie zu d.

Einziehung zu d und e, ohne Unterschied, ob die Gegen­

stände dem Verurteilten gehören oder nicht, fakultativ. 6. Strafbare Handlungen an und mit Legitimations­ papieren (StGB. §. 363 nennt:

Pässe, Militärabschiede,

Wanderbücher oder sonstige Legitimationspapiere; Dienst- und Arbeitsbücher oder sonstige auf Grund besonderer Vorschriften

auszustellende Zeugnisse; Führungs- und Fähigkeitszeugnisse) in der Absicht, Behörden oder Privatpersonen zum Zwecke

eigenen

oder

fremden

besseren

Fortkommens;

und zwar: a) Fälschung derselben;

b) wissentliches Gebrauchmachen von denselben; c) Gebrauch machen von echten, aber für einen Anderen

ausgestellten Papieren; d) Ueberlüssen solcher Papiere an Andere. Spezialdelikt

gegenüber

der

eigentlichen Urkunden­

fälschung. Strafe: Hast oder Geldstrafe bis zu 150 Mark.

7. Übertretung der Vorschriften über Maß- und Gewichtöpolizei (StGB. §. 369 Ziff. 2).

Strafe:

Geld

bis zu 100 Mark oder Haft bis zu 4 Wochen.

8. Strafbare Handlungen in

heitszeugnisse.

Bezug auf Gesund­

364

Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüter.

a) Ausstellung von unrichtigen Zeugnissen durch Aerzte

und

andere approbierte Medizinalpersonen

wider besseres Wissen zum Gebrauche bei einer Behörde oder Bersicherungsgesellschaft (§. 278).

Strafe: Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren mit fakultativem Ehrverlust (§. 280).

b) Ausstellung von Zeugnissen über eigenen oder frem­ den

Gesundheitszustand

unter

der

dem Thäter

nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt oder als eine

andere nicht

approbierte Medizinalperson;

oder

unberechtigte Ausstellung unter dem Namen dieser

Personen;

oder Verfälschung

echter

Gesundheits­

zeugnisse: wenn der Thäter von denselben zur Täu­ schung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften

Gebrauch

macht17

(StGB. §. 277).

Strafe:

Gefängnis bis zu einem Jahre mit fakultattvem Ehr­

verlust (§. 280). c) Das Gebrauchen von Zeugnissen der unter a und b bezeichneten Art

Behörden

oder

zum Zwecke der

Täuschung

Versicherungsgesellschaften

von

(§. 279).

Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre mit fakulta­ tivem Ehrverlust (§. 280).

III. Strafbare Handlungen gegen die Religion.'

§. 89. Die Religion wird von dem modernen Staate nicht als solche, nicht um ihrer selbst, sondern um anderer Interessen 17 Vollendet erst mit dem Gebrauchen.

1 Lil. bei Meyer S. 632 Note 1. Dazu Villnov GS. XXXI.

willen geschützt. DaS staatliche Interesse an dem Vorhanden­ sein der richtigen staatsbürgerlichen Gesinnung, alS deren Fundament religiöser Sinn von maßgebender Seite betrachtet wird; daS Recht der Religionsgenoffenschaften auf ungestörte Religionsübung; das Interesse des Einzelnen und des Publi­ kums an Nichtverletzung deS religiösen Gefühles: alle diese verschiedenen Interessen hat der Staat im Auge, wenn er Angriffe auf die Religion unter Strafe stellt. Um jener eigentlichen Rechtsgüter willen erhebt er die Religion zum uneigentlichen, juristischen RechtSgut. Nach Reichsrecht ist strafbar: L Die Erregung eines Aergernisses (d. t die Verletzung des religiösen Gefühls, - wobei nicht der Stand­ punkt der Zuhörenden, sondern der objektive Maßstab des Richters entscheidet) durch öffentlich* (unbestimmt wie vielen und unbestimmt welchen Personen zugänglich) und in beschimpfenden Aeußerungen erfolgende Lästerung GotteS (StGB. §. 166). Dabei ist der Gottesbegriff im Sinne der anerkannten Religionsgesellschaften, also im streng konfessionellen Sinne zu interpretieren.4 Mangelnde Rechts­ widrigkeit (man denke z. B. an wissenschaftliche Untersuchungen) schließt die Annahme eines Deliktes hier wie überall aus. ’ RGR. 12. Juli 1880, E II 196, R II 183 (bez. §. 183 StGB.). 5 Nicht Erregung eines öffent­ lichen Aergerniffes, sondern Er­ regung eines Aergerniffes durch öffentliche Lästerung bildet den Thatbestand des Deliktes. Wenn daher zur Vollendung auch gefordert werden muß, daß irgend

jemand thatsächlich AergerniS genommen hat, in seinem re­ ligiösen Gefühle verletzt worden ist, so genügt es doch, wenn dieS nur bei einer einzigen Person der Fall war (RGR. 12. Juli 1880, E II 196, R H 183). 4 Lästerung Jesu ist Gottes­ lästerung: RGR. 13. Dezember 1879, R I 144.

366

Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" RechtSgüter.

Strafe: Gefängnis bis zu 3 Jahren.

II. Oeffentliche (wie zu I) Beschimpfung einer der

christlichen Kirchen oder einer anderen mit Korporations­ rechten innerhalb des Bundesgebietes bestehenden

Religionsgesellschaft als solcher sowie ihrer Einrichtungen

oder Gebräuche, von welchen die Glaubenssätze einerseits,

die einzelnen konkreten historischen Borgänge andererseits zu

unterscheiden finb.6* * (StGB. §. 166.)

Berechtigter Kritik

fehlt das Merkmal der Rechtswidrigkeit. * zu I. in. Die Verübung

beschimpfenden

Strafe: wie UnfugS

in

Kirchen oder in einem anderen zu religiösen Bersammlungm

(nicht nur der anerkannten, sondern aller bestehenden ReligionSgesellschaften) bestimmten Orte (StGB. §. 166).

Strafe: wie zu I. IV. Durch Thätlichkeit7 oder Drohung* begangene Hin­ derung

eines

Gottesdienstes

Anderen

an

der

Ausübung

deS

einer im Staate bestehenden Religions­

gesellschaft; sowie die vorsätzliche Verhinderung oder Störung deS Gottesdienstes oder einzelner gottesdienst­

licher Verrichtungen einer solchen Religionsgesellschaft durch

Erregung von Lärm oder Unordnung in einem der oben in genannten Orte (StGB. §. 167).

zu I.

Strafe:

wie

Ueber daS Amtsdelikt des §. 339 Abs. 3 StGB. vgl.

unten §. 93 II 4 b. V. Frevel an Leichen und Gräbern (StGB.Z. 168);

und zwar: * RGR. 31. März 1880, R I 521. 6 RGR. 31. Marz 1880, R I 521.

7 Ueber diesen Begriff siehe oben §. 80 II 1 b. 8 Begriff oben §. 63 I 1 b.

IV. Delikte an Personenstand und Ehe.

90.

367

a) Unbefugte Wegnahme einer Leiche auS dem Ge­

wahrsame der dazu berechtigten Person (Wegnahme von Leichen teilen ist nach §. 367 Zisf. 1 als Ueber-

tretung strafbar);

b) unbefugte Zerstörung oder Beschädigung von Gräbern;' c) Verübung beschimpfenden Unfugs an einem Grabe.9 10

Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren mit fakultativem

Ehrverlust.

IV. Strafbare Handlungen an Personenstand und Che.

§.90. Der Personenstand einer Person bestimmt deren Stellung

im öffentlichen wie im Privatrechte nach allen Richtungen; daS Interesse des Beteiligten selbst und daS aller übrigen RechtSgenossen, sowie daS Interesse des Staates verlangen

gebieterisch die Integrität deS Personenstandes.

Er ist kein

eigentliches aber eines der wichtigsten uneigentlichen RechtS-

güter.

DaS Gleiche gilt von dem Rechtsinstitute der Ehe.

I. Der strafrechtliche Schutz des Personenstandes. 1. DaS Gesetz vom 6. Februar 1875 über die B eur-

kundung des Personenstandes und die Eheschließung

bedroht im §. 68 mit einer UebertretungSstrafe (Geldstrafe

bis zu 150 Mark oder Haft) die Verletzung der in den §§. 17—20, 22—24, 56—58 dieses Gesetzes begründeten Anzeigepflichten.

Doch tritt die Strafverfolgung nicht ein,

9 Ueber Sachbeschädigung an Grabdenkmälern siehe oben §. 68 II 2.

10 Ueber Diebstahl auS Gräbern usw. stehe oben §. 64 I 2.

368

Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüler.

wenn die Anzeige, obwohl nicht von den zunächst Ver­ pflichteten, doch rechtzeitig gemacht worden ist: ein ganz singulärer Strafaufhebungsgrund. Ueber die in den §§. 67 und 69 desselben Gesetzes ent­ haltenen Amtsdelikte vgl. unten §. 93 II. 3ä. Eine, be­ sondere Bestimmung über die Verwendung der Geld­ strafen (vgl. oben §. 47 III) enthält §. 70 des Gesetzes. 2. Die vorsätzliche Veränderung oder Unter­ drückung deS Personenstandes eines anberen1 (nicht also deS Thäters selbst); insbesondere die Unterschiebung oder vorsätzliche Verwechslung eines Kindes (StGB. §. 169)? Absicht, Andere zu schädigen, ist, da es sich um ein uneigentliches Rechtsgut handelt, nicht erforderlich; wohl aber die, wenn auch nicht dauernde, Herbeiführung eines Zustandes, die Begründung eines status, als der Basis der rechtlichen Stellung des Individuums, so daß also das einmalige, nur für den konkreten Fall erfolgende Sich-Ausgeben für einen Anderen nicht hieher gehört. Strafe: Gefängnis bis zu 3 Jahren; wenn in gewinn­ süchtiger Absicht (Absicht, sich oder einem Anderen einen rechts­ widrigen Vermögensvorteil zu verschaffen)' begangen, Zucht­ haus bis zu 10 Jahren. Versuch strafbar. II. Strafrechtlicher Schutz der Ehe. 1. Der Ehebetrug (StGB. §. 170), begangen durch arglistige* Verschweigung eines gesetzlichen EhehindernisieS bei 1 Auch eines Verstorbenen. Darin liegt zugleich ein sicherer Beweis, daß die Richtung gegen RechtSgüter Einzelner das Wesen dieses Deliktes nicht er«: denn der Verstorbene )t mehr Rechtssubjett.

1 Lit. bei Meyer S. 540 Note 1. 8 Ueber die hier in Frage kommenden Begriffe siehe oben §. 73 I 3. 4 Begriff der Arglist oben §. 73 I 2.

IV.

Delikte an Personenstand und Ehe.

Eingehung einer Ehe dem anderm Teile durch

8- 90.

369

gegenüber;

arglistige Verleitung deS anderm Teiles

oder

zur Ehe­

schließung mittels einer solchen Täuschung, welche den Ge­

täuschten berechtigt, die Güstigkeit der Ehe anzufechten. Auf­ lösung der Ehe auS einem dieser Gründe ist Bedingung der Strafbarkeit (vgl. oben §. 30).

Antragsdelikt; die Antragsfrist beginnt zu taufen erst mit dem die Ehe lösenden rechtskräftigen Erkenntnisse

(vgl. oben §. 30 II).

Dagegen läuft die Verjährungs­

frist schon von dem Tage, an welchem die Handlung be­

gangen ist, also von dem Tage der Eheschließung (vgl. oben §. 58 II 2). 2. Die Bigamie oder Doppelehe (StGB. §. 171);'

begangen durch Schließung einer Ehe von einem oder mit

einem* Ehegatten, bevor die frühere Ehe aufgelöst, für un­ gültig oder nichtig erklärt worden ist. Vollendet mit der vollendeten Eheschließung; der strafbare Versuch beginnt mit dem Beginne deS EheschließungSakteS.

Strafe:

Zuchthaus bis zu 5 Jahren, bei mildernden

Umständen Gefängnis nicht unter 6 Monaten. Die Verjährung beginnt, kraft singulärer, auS allge­

meinen Grundsätzen nicht

abzuleitender,

daher auf andere

Fälle nicht auszudehnender, Vorschrift deS Gesetzes erst mit dem Tage, an welchem eine der beiden Ehen aufgelöst, für ungültig oder nichtig erklärt worden ist.

5 Lit. bei Meyer S- 612 Note 1. , Dazu Wahlberg HR. „Bigamie". 6 Wer wissentlich mit einem Ehegatten eine Ehe schließt, be­ geht daS Delikt als Thäter. von Liszt, Strafrecht.

Im Uebrigen finden die Grund­ sätze über Teilnahme uneinge­ schränkte Anwendung. Ueber daS Amtsdelikt deS §. 338 StGB. vgl. unten §. 92 II 3b.

24

370

3.

durch

Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" RechtSgüter. Der Ehebruch

(StGB. §. 172)/ begangen

nur

eigentlichen Beischlaf, d. i. die naturgemäße Ver­

einigung der Geschlechtsteile; nicht durch

beischlafSähn-

liche Handlungen, d. t durch Mißbrauch des Körpers

eines Andern zur Befriedigung des eigenen Geschlechts-

triebeS; nicht durch unzüchtige, d. i. auf Erregung deS

Der Ehebruch ist

Geschlechtstriebes gerichtete Handlungen.

Antragsdelikt.

Strafe: Gefängnis bis zu 6 Monaten.

Scheidung der Ehe wegen des betreffenden Ehebruches

ist Bedingung der Strafbarkeit; erst daher

der Lauf der

Antragsfrist/

mit ihr beginnt

während

die Ver­

jährung der Strafverfolgung nach allgemeiner Regel (vgl. oben §. 58 II 2) schon mit der Begehung deS Ehebruches beginnt, allerdings aber nach' §. 69 StGB, während der

Dauer des Scheidungsverfahrens ruht (vgl. oben §. 58 II 4).

V. Strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeit.

§. 91. Auch die Sittlichkeit ist ein uneigentliches Rechtsgut.

Sie

ist kein rechtlich geschütztes Interesse des Staates, sie ist auch im modernen Rechte kein Rechtsgut des Einzelnen, wenn wir

nicht, gewissen Sittlichkeitsdelitten

wie der Notzucht gegen­

über, die Sittlichkeit auffassen wollen als das RechtSgut der

persönlichen Freiheit in ihre? Bethättgung nach einer

7 Lit. bei Meyer S. 615 Note 7. Dazu Wahlberg HR. „Ehebruch", Rosenthal, die Rechtsfolgen des Ehebruchs 1880 (historisch). 8 Ebenso RGR. 31. Januar 1880, E144, R1180; 23.Marz

1880, R I 505. Vgl. auch §. 30 II, und Fischer XXXI. 1 Lit. bei Meyer S. Note 1. Dazu Villnow XXX.

be-

oben GS.

610 GS.

V. Delikte gegen die Sittlichkeit,

371

g. 91.

stimmten, die Bornahme oder Duldung geschlechtlicher Akte

umfassenden, Richtung.

Wohl aber haben der Staat, der

Einzelne, daS Publikum ein indirektes, mittelbares Interesse daran, daß die Ausübung deS^GeschlechtstriebeS in geregelter

Weise,

innerhalb

gewisser Schranken erfolgt und so wird

auch die Sittlichkeit, nicht um ihrer selbst sondern um an­ derer Interessen

willen,

nicht

als

selbständiges RechtSgut

sondern anderen RechtSgütern zu Liebe unter Strafschutz ge­

stellt.

Die Sittlichkeit, die im Sinne des modernen Straf­

rechtes nicht mehr bedeutet, als die Vermeidung jener Aus­

schreitungen, die das Gesetz als solche bezeichnet hat.

Diese

strafbaren Ausschreitungen sind:

I. Der Incest oder die Blutschande (StGB. §. 173), d. i. der Beischlaf (Begriff oben S. 370):

1. zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie;'

2. zwischen

Verschwägerten,

auf-

und

absteigender

Linie (mag auch die daS SchwägerschastSverhältniS be­ gründende Ehe gelöst fein);'

3. zwischen Geschwistern. Strafe:

zu 1. Zuchthaus

bis zu 5 Jahren gegen

die AScen-

denten; Gefängnis bis zu 2 Jahren gegen die Des­ cendenten; zu 2. und 3. Gefängnis bis zu 2 Jahren.

In allen Fällen Ehrverlust fakultativ.

Verwandte ab­

steigender Linie bleiben straflos, wenn sie daS 18. Lebensjahr

nicht vollendet haben (subjektiver Strafausschließungsgrund

in dem oben §. 30 HI 3 erörterten Sinne). * Ehelichkeit der Verwandtschaff nicht erforderlich: RGR. 21.9. 80, R II223.

' RGR. 7. April 1880, R I 548.

372

Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüter.

II.

Die widernatürliche Unzucht (StGB. §. 175),

d. h.. Beischlaf oder beischlafsähntiche Handlungen4 zwischen Personen desselben Geschlechtes oder von Menschm mit Tieren vorgenommen. Strafe: Gefängnis mit fakultativem Verlust der Ehren­

rechte. III.

Unzucht

Vertrauens-

mit

odet

Verletzung

eines

besonderen

Gewaltverhäl^nisseS

(StGB.

§. 174); nämlich Vornahme unzüchtiger Handlungen (Begriff

oben S. 370): 1.

von

Vormündern

mit

ihren

Pflegebefohlenen,

Adoptiv- und Pflegeeltern mit ihren Kindern, Geist­ lichen,

Lehrern,

Erziehern mit ihren minderjährigen

Schülern oder Zöglingen; 2. von Beamten^ mit Personen, gegen welche sie eine Untersuchung zu führen haben oder welche ihrer Obhut an­

vertraut sind; 3. von

Beamten,

Aerzten oder anderen Medi­

zin al per fönen', welche in Gefängnissen oder in öffentlichen, zur Pflege von Kranken, Armen.oder anderen Hülflosen be­ stimmten Anstalten beschäftigt oder angestellt sind, mit den in das Gefängnis oder die Anstalt aufgenommenen Personen.

Strafe:

Zuchthaus bis zu 5 Jahren, bei mildernden

Umständen Gefängnis nicht unter 6 Monaten.

IV.

Nötigung zur Unzucht und gleichgestellte Fälle

(StGB. §. 176):

4 Begriff oben S. 370. Vgl. auch RGR. 23. April 1880, E I 395, RI 652; 24. April 1880, RI 662; 20.9.80, RII 220. Wenn leibliche Eltern mit ihren Kindern einfach unzüchtige Hand­

lungen vornehmen, so können sie weder nach §. 173 noch nach §. 174 gestraft werden. 6 Nicht im technisch-juristischen Sinne; vgl. unten §. 92 I 2.

V. Delikte gegen die SiMchkeit. 8- 91.

373

1. Nötigung einer Frauensperson zur Duldung un­ züchtiger Handlungen (vgl. oben S. 370) durch Ge­ walt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Ge­ fahr für Leib oder Leben.' Strafe: a) für den einfachen Fall: Zuchthaus bis zu 10 Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter 6 Mo­ naten? b) Als besonderen Deliktsbegriff hebt daS Gesetz (§. 177) auS den hi eher gehörigen Fällen die auf die angege­ bene Art bewirkte Nötigung zur Duldung deS außerehelichen Beischlafes oder die Notzucht hervor. Strafe: Zuchthaus, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Jahre. c) Zuchthaus nicht unter 10 Jahren oder lebenslängliches

Zuchthaus tritt (StGB. §. 178) in den Fällen a wie b ein, wenn durch die Handlung der Tod der verletzten Person verursacht (oben §. 61 II 1 c) worden ist. 2. Mißbrauch einer in einem willenlosen oder be­ wußtlosen Zustande befindlichen oder einer geistes­ kranken Frauensperson zum außerehelichen Beischlaf.' Strafe: a) für den einfachen Fall: wie oben la; b) wenn der Thäter die Frauensperson mißbraucht, nach­ dem er sie zu bufe.m Zwecke in einen willenlosm oder bewußtlosen Zustand versetzt hat, so liegt (StGB. §. 177) Notzucht vor und tritt die oben 1 b

bezeichnete Strafe ein.

• Ueber diese Begriffe oben §. 63 I 1 a und b.

vgl. I |

' Goeb GA. XXVII. » Jessen (äJ©. XXXI.

374

Drittes Buch. Delikte gegen „uneigenttiche" Rechtsgüter.

c) Qualifizierter Fall wie oben le. 3.

Bornahme unzüchttger Handlungen mit Personen

unter 14 Jahren, oder Verleitung derselben zur Duldung solcher Handlungen; wegen deS vom Gesetze angenommenen

Mangels der Berfügungsfähigkeit dieser Personen den Nö­

tigungsfällen gleichgestellt. Strafen: wie 1 a und c. Vt

Die

Erschleichung

des

Beischlafes (StGB.

§. 179), d. L die Verleitung einer Frauensperson zur Ge­

stattung des Beischlafes durch Vorspiegelung einer Trauung oder durch Erregung oder Benutzung eines anderen Irrtums, in welchem sie den Beischlaf für einen ehelichen hielt.

Voll­

endet mit dem Beischlaf, nicht mit der ihm etwa zeitlich

vorangehenden „Gestattung".

Strafe:

Antragsdelikt.

Zuchthaus bis zu 5 Jahren,

bei mildernden

Umständen Gefängnis nicht unter 6 Monaten. VI.

Verführung

eines

unbescholtenen

Mäd­

chens, welches das 16. Lebensjahr nicht vollendet hat, zum

Beischlafe (StGB. §. 182). Unbescholtenheit, darf dabei nicht

als gleichbedeutend mit Jungfräulichkeit genommen werden; diese kann vorhanden sein, während jene fehlt und umgekehrt. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern oder deS Vormundes der Verführten ein.

Strafe:

Gefängnis bis zu einem Jahre.

VII. Das öffentliche* Geben eines Aergernisses" 9 d. h. so vorgenommen, daß die Handlung von unbestimmt wie vielen und unbestimmt wel­ chen Personen wahrgenommen werden konnte; RGN. 10. Februar 1880, E 1199, R 1327. 10 Vgl. oben S. 365. Auch

hier ist nicht „öffentl. AergerniS" gefordert; es genügt, wenn eine Person Anstoß genommen hat, mag dies auch derjenige sein, gegen den die unzüchtige Hand­ lung gerichtet war (R(SR. 12. Juli 1880, E II196, RI1183.

V. Delikte gegen die Sittlichkeit,

g. 91.

375

(b. l Verletzung des Sittlichkeitsgefühles) durch unzüch­

tige Handlungen" (StGB. Z. 183).

Auch mündliche

Aeußerungen sind unbedenklich hieher zu rechnen (bestritten).

Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren, oder Geldstrafe

bis zu 500 Mark; neben Gefängnis Aberkennung der Ehrm­

rechte fakultativ. VIII. Das Verbreiten von unzüchtigen Schriften, Abbildungm, Darstellungen'' (StGB. §. 184).

Verbreiten

fetzt Zugänglichmachen für daL Publikum, also für einm nicht abgeschlossenen Kreis individuell nicht bestimmter Personm

voraus;" daS Gesetz selbst nennt „Verkaufen, Verteilen oder sonst Verbreiten; sowie AuSstellen oder Anschlägen an Ortm, welche dem Publikum zugänglich sind."

Strafe: Geldstrafe bis zu 300 Mark oder Gefängnis bis zu 6 Monaten.

IX.

Die Kuppelei, oder die Vorschubleistung zur Un­

zucht durch Vermittlung oder durch Gewährung oder Ver­

schaffung von Gelegenheit. Dabei haben wir als Unzucht zu

betrachten:

a) den außerehelichen Beischlaf überhaupt;

b) die von dem Gesetze mit Strafe bedrohten beischlafs­

ähnlichen oder einfach unzüchttgen Handlungen. Die Kuppelei ist nicht als Teilnahme im Sinne des

Strafrechts, sondern als selbständiges Delikt aufzufassm. Dmn:

a) sie setzt keine strafbare Handlung, zu welcher Hülfe ge­ leistet wird, voraus; 11 Ueber den Begriff vgl. oben S. 370. u. RGR. 28. Februar 1880, R I 404. ” Ueber Ankündigung von Preservattvs, Specialitäten usw.

vgl. RGR. 15. Dezember 1879, R I 149. 11 Das Nähere über den Be­ griff der Verbreitung bei Liszt Preßrecht §. 42.

376

Dritte- Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüter.

b) die Strafbarkeit der Kuppelei ist, auch wenn die unter­

stützte Unzuchtshandlung selbst vom Gesetze mit Strafe bedroht

sein

sollte,

durchaus

unabhängig

von

dem

Vorliegen einer Schuld auf Seiten derjenigen, welche

diese Unzuchtshandlung vorgenommen haben; c) nicht jede Hülfeleistung (z. B. Rat) zur Unzucht, son­

dern nur die Vermittlung, die Gewährung oder Ver­ schaffung von Gelegenheit, d. i. die Herbeiführung eines

solchen Zustandes, welcher der Ausübung der Unzucht günstigere Bedingungen bietet als

früher

vorhanden

waren,14 * ist Kuppelei. d) Die Kuppelei ist vollendet mit dem Vermitteln usw.,

mag eS auch zu einem Unzuchtsakte selbst kommen fein16 (eine Ausnahme siehe unten).

kann

liegen in dem Vermieten

von

nicht

ge­

Kuppelei

Wohnungen

an

Prostituierte;16 sie liegt in dem Halten von Bordellen, und daran wird durch polizeiliche Konzessionierung der

Bordelle nicht das Geringste geändert, so lange Reichs­ recht nicht durch Landesrecht, Gesetz nicht durch Verfügung

der administrativen Gewalt gebrochen werden kann.11

Die Kuppelei Hinzutreten

ist nicht

gewiffer

an

sich,

Umstände,

14 Sehr bestritten. Wenn RGR. 15. Mai 1880, EII164, R I 782 zum Begriffe des „Verschaffens von Gelegenheit" die Erklärung von Seiten des Dritten, $ur Benützung dieser Gelegenheit geneigt zu sein, for­ dert, so kann dem nicht beige­ treten werden.

die

sondern nur bei dem

wir

als Bedingungen

" Ebenso RGR. 15. Mai 1880, E II 164, R I 782. 16 Vgl. RGR. 28. Februar 1880, R I 402; 27. April 1880, R I 680; 28. Mai 1880, R I 828. 17 Im gleichen Sinne ist diese berühmte Kontroverse entschieden worden in RGR. 29. Januar 1880, E I 88, R I 291.

V. Delikte gegen die Sittlichkeit,

g. 91.

377

der Strafbarkeit (vgl. oben §. 30) aufzufassen haben, vom Gesetze, mit Strafe bedroht.

Diese Umstände sind:

1.

Gewohnheitsmäßiges (Begriff oben §. 39 II 3)

oder auS Eigennutz" erfolgendes Betreiben der Kuppelei (StGB. §. 180).

Strafe:

Gefängnis; Ehrverlust und Polizeiaufsicht fa­

kultativ.

2.

Anwendung hinterlistiger Kunstgriffe, um der

Unzucht Vorschub zu leisten; gleichgestellt ist der Fall, wenn

Eltern

ihre Kinder, Vormünder ihre Pflegebefohlenen,

Geistliche, richtenden

Lehrer,

oder zu

(StGB. §. 181).

Erziehen die von ihnen zu unter­

erziehenden Personen verkuppelt

haben

In diesem letzterwähnten Falle muß eS,

damit die Kuppelei strafbar wird," zur-Vornahme unzüch­ tiger Handlungen gekommen sein.

Strafe: Zuchthaus bis zu 5 Jahren; Aberkennung der

bürgerlichen Ehrenrechte

obligatorisch

(vgl.

oben §. 51 I

S. 202); Polizeiaufsicht fakultativ.

" d. h. in der Absicht, sich oder einem Dritten einen Dermögensvotteil (oben §. 73 1 3) zu verschaffen. (RGR. 28. Mai 1880, R I 828).

" Oder damit, da §. 181 zu­ gleich dem §. 180 gegenüber als qualifizierter Fall erscheint, gegen gewerbsmäßige oder eigennützige Kuppelei auf die schwerere Sttafe deS §. 181 erkannt werden kann.

378

Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" RechtSgüter.

VI. Die Amtsdelikte? §. 92.

I.

Allgemeines.

1.

Die Amtsdelikte charakterisieren sich, ebenso wie die in

den vorhergehenden Paragraphen besprochenen Gruppen von strafbaren Handlungm, nicht durch die Richtung deS An­

griffes gegen bestimmte RechtSgüter, sondern durch die Art, durch das Mittel deS Angriffes.

Der Mißbrauch der

Amtsgewalt zur Begehung strafbarer Handlungen ist das gemeinsame Merkmal, das die sämmtlichen Amtsdelikte zu einer Gruppe vereinigt.

Damit ist die ihnen hier gegebene

Stellung gerechtfertigt.

Wollte man die Natur des ange­

griffenen RechtsguteS als maßgebenden Einteilungsgrund be­ trachten, so würden die Amtsdelikte als einheitliche Gruppe

verschwinden. 2.

Amtsdelikte sind die öffentlich-strafbaren,

also

nicht bloß disziplinär zu ahndenden (oben §. 42 VI)*1 Hand­

lungen der Beamten, also nicht die Delikte im Amte,

sondern die Delikte der Beamten im Amte.

Die Begriffe

Amt (oben §. 51 Note 2) und Beamter decken sich nicht. Beamter ist derjenige? der auf Grund staatlicher Be­

stallung als Organ der Staatsgewalt (mithin unter

staatlicher Autorität) für Staatszwecke thätig zu sein be­

rufen ist.

StGB. §. 359 giebt keine Definition, wenn er eS

für gleichgültig erklärt, ob eS sich um den unmittelbaren oder 1 Lit. bei Meyer S. 693 Note 1; dazu Schütze HR. „Amtsverbrechen". 1 Zu der dort angeführten

Lit. vgl. noch Zorn Staatsrecht S. 243. 3 Vgl. Zorn Staatsrecht S. 225.

VI. Die Amtsdelikte, z. 92.

379

mittelbaren Dienst deS Reiches oder eines BundeSstaateS; um

vorläufige oder definitive, zeitweilige oder lebenslange An» stellnng handle; ob der Angestellte einen festen Gehalt oder ausschließlich Gebühren worden oder nicht/

beziehe;

ein Diensteid

ob

geleistet

Wohl aber rechnet er ausdrücklich, über

unseren Begriff hinausgreifend,

die Notare zu dm

anch

Beamten, ohne Rücksicht auf die landeörechtliche Verschiedenheit

ihrer

Stellung.

Advokaten

und

Anwälte,

Geschworene,

Schiedsrichter und Schöffen sind keine Beamten, wenn auch

die drei letztgenannten Personen ein Amt im Sinne deS Ge­ setze« (StGB. §. 31, Abs. 2) auSÜben.»

3.

Man teilt die Amtsdelikte ein in eigentliche und

uneigentliche, je nach dem die Beamten-Eigenschaft als

Bedingung der Strafbarkeit (oben §. 30), Strafschärfungsgrund erscheint.

delikten

gehören

oder

aber als

Zu dm uneigentlichm Amts­

auch die in StGB. §§. 128, 129, 174,

222, 230, 300 behandelten Fälle.

Die Einteilung ist von

Wichtigkeit für die Behandlung der Teilnahme dritter Per­

sonen ; eS fei in dieser Beziehung auf daS oben '§. 37 Hl Gesagte verwiesen.

4.

Die im AuSlande, sei eS von Jnländem, sei eS

von Ausländem, begangenen Amtsdelikte können ohne weiteres

nach inländischem Rechte verfolgt werden (vgl. oben §. 13IV). 5.

Die Beamtenqualität muß im Augenblicke der That

(oben §. 19 in 1) vorhanden sein (RGR. vom 9. Juli 1880,

B II 181).

6. Neben der wegen einer Reihe von Amtsdelikten (StGB.

* Vgl. RGR. 13. November 1879, RI64; 19.Januar 1880, E I 163; 18. März 1880, E I 327, R 1 494; 24. Juni 1880,

R II 109; 1. Juli 1880, E H 189, R n 144. ' Dgl. noch Mil.StGB. 8.145.

380

Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" RechtSgüter.

§§. 331, 339—341, 352—355, 357) erkannten Gefängnis­ strafe kann, wenn dieselbe auch die Dauer von drei Monaten

nicht erreicht, gegen Beamte (nie gegen etwa beteiligte Nicht­ beamte) auf

Verlust

der Fähigkeit zur Bekleidung

öffentlicher Aemter auf die Dauer von 1 bis zu 5 Jahren erkannt werden (StGB. §. 358; vgl. oben §. 51 II 4). n.

Die einzelnen Amtsdelikte.

1. Geschenkannahme in Amtssachen (Bestechung)? a) Das Annehmen, Fordern oder Sichversprechenlassen von

Geschenken oder anderen (nicht notwendig Vermögens-) Vorteilen von Seiten eines Beamten für eine an sich

nicht pflichtwidrige Amtshandlung (StGB. §.331)?

Das Geschenk muß Aequivalent für die Amtshand­

lung sein;

wird eS gegeben,

um

einem allgemeinen

Gebrauche zu entsprechen (wie Trinkgelder, Neujahrs­

geschenke),

um besondere nicht in das Amt einschla­

gende Gefälligkeiten zu entlohnen, oder um dem Ge­

fühle persönlicher Dankbarkeit oder Verehrung Ausdruck zu geben usw., so liegt Bestechung nicht vor?

Die

Praxis hat hier im Einzelfalle die richtige Grenze zu ziehen.

Strafe: Geld bis zu 300 Mark oder Gefängnis bis zu 6 Monaten.

Der Geschenkgeber kann nicht nach Z. 331 bestraft werden:

arg. §§. 333 und 334 Abs. 2; doch

6 Vgl. Teichmann HR. „Bestechung"; Zorn Staats­ recht S. 238. 7 Vgl. auch Mil.StGB. §. 140; Salzsteuergesep vom

trifft

12. Oktober 1867 §.17: BranntWeinsteuergesetz v. 8. Juli 1868 §. 68. 8 Vgl. RGR. 19. November 1879, R I 83, E II 129.

VI. Die Amtsdelikte.

ihn nach

§. 92.

einzelnen Nebengesetzen'

381

eine Ordnungs­

strafe. b) DaS Annehmen, Fordern, Sichversprechenlassen von Geschenken oder anderen Vorteilen von Seiten eines

Beamten für eine Handlung, die eine Verletzung einer Amts- oder Dienstpflicht'" enthält (StGB. §. 332). Strafe: Zuchthaus bis zu fünf Jahren; bei mildernden Umständen Gefängnis. Wer einem Beamten oder einem Mitgliede der bewaffneten Macht Vorteile anbietet, ver­ spricht, oder gewährt, um ihn" zu einer solchen Handlung zu bestimmen, wird nach §. 333 mit Ge­ fängnis (mit fakultativem Ehrverlust), bei mildernden Umständen mit Geldstrafe bis zu 1500 Mark bestraft. c) DaS Annehmen, Fordern, Sichverfprechenlassen von Geschenken oder anderen Vorteilen von Seiten eines Richters, Schiedsrichters, Geschworenen oder Schöffen," um eine Rechtssache, deren Leitung oder Entscheidung ihm obliegt, zu'Gunsten oder zum Nachteile eines Beteiligten zu entscheiden (StGB. §.334).

Strafe: Zuchthaus. Denjenigen, der die Geschenke oder Vorteile anbietet, verspricht oder gewährt, trifft ebenfalls Zuchthaus, an dessen Stelle jedoch bei mildernden Umständen Gefängnis treten kann. 9 Vereinszollgesetz v. 1. Juli 1869 §. 160; Brausteuergesetz vom 31. Mai 1872 §.36; Tabakstenergesetz vom 16. Juli 1879 §. 41. 10 Auch Mißbrauch beS freien

Ermessens gehört hierher: RGR. 29. April 1880, E I 404. " ES stehen mithin hier nur künftige Handlungen in Frage. 11 Das Gesetz greift hier weit über den Begriff deS Beamten hinaus.

382

Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüter.

In

allen Fällen

pfangen

(a—c) ist im Urteile das Em­

oder der Wert

desselben

für dem Staate

verfallen zn erklären (StGB. §. 335). 2. Die Beugung deS Rechts zu Gunsten oder zum

Nachteile einer Partei durch einen Beamten oder Schieds­ richter"

bei

Leitung

(StGB. §. 336).

oder

Entscheidung

einer Rechtssache

Strafe: Zuchthaus bis zu 5 Jahren.

3. Strafbare Handlungen bei Trauung und Ehe­

schließung.

a) Ein Geistlicher

oder

Religionsdiener," welcher zur

Trauung schreitet, bevor ihm nachgewiesen worden ist,

daß die Ehe vor dem Standesbeamten geschloffen sei, wird mit Geldstrafe bis zu 300 Mark oder mit Ge­

fängnis bis zu 3 Monaten bestraft (§. 67 des Per­

sonenstandsgesetzes vom 6. Februar 1875; an Stelle des §. 337 StGB, getreten). b) Zuchthaus bis zu 5 Jahren trifft den Religionsdiener oder Personenstandsbeamten, welcher, wissend daß eine

Person verheiratet ist, eine neue Ehe derselben schließt (StGB. §. 338; vgl. oben §. 90 H 2). 4. Mißbrauch der Amtsgewalt zur Bedrückung Privater.

a) Widerrechtliche Nötigung zu einer Handlung, Dul­

dung, Unterlaffung durch Mißbrauch der Amtsgewalt oder durch Androhung eines bestimmten Mißbrauches

derselben (StGB. §. 339; vgl. oben §. 63 I). Strafe:

Gefängnis.

Versuch strafbar.

b) Der Thatbestand gewisser Delikte, die sich als Spezial­

fälle dem allgemeinen Begriffe der Nötigung gegenüber-

11 Vgl. vorige Anmerkung.

|

" Vgl. Anmerkung. 12.

IV. Die Amtsdelikte,

tz. 92.

383

stellen lassen (eS sind die §§. 106, 107, 167, 253 StGB.; vgl. unten §. 98, oben §. 89 IV, §. 74), er­

fährt durch §. 339 Abf. 3 insofern eine Erweiterung,

als Mißbrauch der Amtsgewalt oder Andro­ hung eines bestimmten Mißbrauches derselben,

wenn von einem Beamten ausgehend, für an sich schon geeignete BegehungSmittel erklärt werden, v) Körperverletzung,

die der Beamte in Ausübung

oder in Veranlassung der Ausübung seines Amtes vor­ sätzlich begeht oder begehen läßt" (StGB. §. 340;

vgl. oben §. 61)." Strafe: 1. Gefängnis nicht unter 3 Monaten'; bei mil-

dernden Umständen Gefängnis von einem Tage bis zu fünf Jahren

oder Geldstrafe bis zu

900 Mark;

2. wenn die Körperverletzung eine schwere (StGB. §. 224) war, Zuchthaus nicht unter 2 Jahren; bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter

3 Monate».

d) Beschränkung der persönlichen Freiheit durch Verhaftung, vorläufige Ergreifung und Festnahme oder Zwangsgestellung, die der Beamte vorsätzlich und widerrechtlich vornimmt oder vornehmen läßt,'' oder durch " DaS „Begehenlassen" um­ faßt ein Doppeltes: a) daö

bei, mag der Vollziehende das Bewußtsein derKausalttät seines

(passive) Geschehenlassen, wobei einfach die oben §. 21 II a ge­ gebene Konstruktion der UnterlaflungSdelikte zur Anwendung zu bringen ist; b) daS (positive) Anordnen der Vollziehung, wo­

Thuns haben oder nicht (vgl. oben §. 351), immer der Beamte als Thäter aufgefaßt wird. " Vgl. noch Mll.StGB. §§. 122, 123, 148. 17 Vgl. Anmerkung 15.

384

Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" RechtSgüter. vorsätzliche und widerrechtliche Verlängerung der Dauer

einer Freiheitsentziehung (StGB. §. 341; vgl. oben §. 63 II). Strafe: die des §. 239 StGB, (oben §. 63 II);

mindestens aber Gefängnis von. 3 Monaten.

e) Hausfriedensbruch durch einen Beamten in Aus­

übung oder in Veranlassung der Ausübung seines

Amtes (StGB. §. 342; vgl. oben §. 81II). Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu 900-Mark."

5. Mißbrauch dex Amtsgewalt

im Strafver­

fahren.

a) Die

Anwendung (oder das Anwendenlassen)"

von

Zwangsmitteln, um Geständnisse oder Aus­

sagen zu erpressen (StGB. §. 343).

Strafe:

Zuchthaus bis zu 5 Jahren. b) Vorsätzliche Beantragung oder Beschließung der Er­ öffnung oder Fortsetzung einer Untersuchung

zum Nachteile einer Person, deren Unschuld dem be­

treffenden

Beamten

bekannt

ist

(StGB.

§. 344).

Strafe: Zuchthaus.

v) DaS

Vollstreckenlassen20

einer

Strafe,

von

welcher der Beamte weiß, daß sie überhaupt nicht oder nicht der Art oder dem Maße nach vollstreckt werden darf (StGB. §. 345). Strafe:

1. bei vorsätzlicher Begehung, Zuchthaus; 2. bei fahrlässiger Begehung Gefängnis oder Festung

" Bal. Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §. 126.

" Vgl. oben Anmerkung 15. 20 Vgl. oben Anmerkung 15.

VI. Die Amtsdelikte, g.92.

38K

bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu

900 Mark.

d) Begünstigung von Verbrechern; und zwar: die Unterlassung

der Verfolgung

einer strafbaren Hand­

lung; oder die Begehung einer Handlung, die geeignet ist, eine Freisprechung oder eine dem Gesetze nicht ent­

sprechende Bestrafung zu bewirkm; oder daS Nichtbe­ treiben der Vollstreckung einer ausgesprochenen Strafe; oder endlich die Vollstreckung einer gelinderen als der ausgesprochene»

Strafe:

wenn

von

einem vermöge

seines Amtes zur Mitwirkung bei Ausübung der Straf­ gewalt oder

bei Vollstreckung der Strafe

berufenen

Beamten in der Absicht begangen, Jemandm der ge­

setzlichen

Strafe

rechtswidrig

zu

entziehen

(StGB.

§. 346)?'

Strafe:

Zuchthaus bis zu 5 Jahren; bei mil­

dernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Mo­ nate. e) DaS Entweichenlassen, die Bewirkung oder Be­

förderung" der Befreiung eines Gefangenen durch dm Beamten, dessen Beaufsichtigung, Begleitung oder Be­

wachung der Gefangene anvertraut ist (StGB. §.347; vgl. unten §. 100 IV).41 Strafe:

1. bei

vorsätzlicher Begehung Zuchthaus bis zu

5 Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis

nicht unter einem Monate;

- Vgl. MiI.StGB. §§. 118, 119. 44 Hier ist Versuch der Beiv-n Liszt, Strafrecht.

hülfe (Beförderung) strafbar; vgl. oben §. 87 II 2. « Vgl. MU.S1GB. §. 144.

25

386

Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüter. 2. bei fahrlässiger Begehung Gefängnis bis zu

6 Monaten oder Geldstrafe bis zu 600 Mark.

6. Strafbare

Handlungen

in

auf

Beziehung

Urkunden (StGB. §. 348). a) Die vorsätzliche Falsch-Beurkundung einer rechtlich

erheblichen Thatsache, oder das Falsch-Eintragen einer solchen in öffentliche Register oder Bücher durch einen

zur Aufnahme" öffentlicher Urkunden befugten Beamten innerhalb seiner Zuständigkeit (vgl. oben §. 88 II 2). Strafe: Gefängnis nicht unter einem Monate.

b) die vorsätzliche Vernichtung, Bei-Seite-Schaffung,

einer dem Beamten

Beschädigung oder Verfälschung

amtlich anvertrauten oder zugänglichen Urkunde durch

Urkunde ist auch hier (vgl. oben §. 88 I) jeder

diesen.

Feststellung

zur

rechtlich

dann

hieher,

wenn

erheblicher

Thatsachen

be­

Privaturkunden gehören auch

stimmte" Gegenstand;

sie

nicht

beweiserheblich

sind.

Strafe: wie zu a. In beiden

Fällen

(a und b)

tritt

Zuchthaus

bis zu

10 Jahren mit obligatorischer Geldstrafe von 150 biS zu

3000 Mark

ein

(StGB. §. 349),

wenn

der Thäter die

Handlung in der Absicht begangen hat, sich oder einem An­

deren einen Vermögensvorteil zu verschaffen oder einem An­ deren Schaden zuzufügen." 7. Die

Beamten

Amtsunterschlagung,

begangene Unterschlagung

" Aufnahme (verschieden von der Ausstellung) der Urkunde ist die beweiskräftige Feststellung der Thatsache: RGR. 13. März 1880, E I 312, R I 458. -r RGR. 23. Januar 1880,

also

die von

(vgl. oben §. 67)

einem

von

E I 162, RI 263 hält die Eignung für diesen Zweck für genügend und erforderlich. 16 Ueber diese Begriffe vgl. oben §. 73 I 3.

VI.

Die Amtsdelikte.

Geldern oder anderen Sachen,

8- 92.

387

die er in amtlicher Eigen-

genschast,37 wenn auch mit Ueberschreitung der Grenzen seiner

Zuständigkeit,28 empfangen oder in Gewahrsam hat (StGB, tz. 350).

Strafe: Gefängnis nicht unter 3 Monaten mit

fakultativem Ehrverlust.

Versuch strafbar.

Die Strafe wird geschärft (Zuchthaus bis zu 10 Jahren;

mildernden Umständen Gefängnis

bei

unter 6 Mo­

nicht

naten), wenn der Beamte in Beziehung auf die Unterschla­ gung

oder Kontrolle

die zur Eintragung

der Einnahmen

oder Ausgaben bestimmten Rechnungen, Register oder Bücher unrichtig geführt, verfälscht oder unterdrückt, oder unrichtige Abschlüsse oder Auszüge aus tiefen Rechnungen, Registern

oder Büchern, oder unrichtige Belege zu denselben Vorgelege

hat,

oder wenn

in Beziehung

auf die Unterschlagung auf

Fässern, Beuteln oder Paketen der Geldinhalt fälschlich be­ zeichnet ist (StGB. §. 351).

8. Erhebung

von

Gebühren,

Abgaben,

©teuern,

Vergütungen, von welchen der Erhebende weiß, daß der Zah­ lende sie überhaupt

nicht

oder nur in

geringerem Beträge

schuldet;" und zwar: a) wenn von einem Beamten,

Advokaten,

Anwalt oder

sonstigen Rechtsbeistand" vorgenommen, der Gebühren usw. für amtliche Verrichtungen zu seinem Vorteile zu

erheben

hat (StGB. §. 352).

17 Also nicht als besonders vertrauenswürdigePrivatperson: RGR. 3. Juni 1880, E II 84, B II 22. Ebenso RGR. 17. Dezember 1879, E I 124, R I 159; 19. Januar 1880, E I 153, R I 247.

Strafe: Geld-

19 Vorausgesetzt wird auf Seiten des Zahlenden die Mei­ nung, eS handle sich um eine bestehende Verpflichtung; anderen Falls kann Bestechung vorliegend RGR. 24. Juni 1880, RII109. 50 Ueberschreitung des Beam­ tenbegriffes..

Drittes Buch. Delikte gegen „uneigentliche" Rechtsgüter,

388

strafe bis zu 300 Mark oder Gefängnis bis zu einem

Jahre.

Versuch strafbar.

b) Wenn von einem Beamten begangen, der Gebühren

usw. für eine öffentliche Kasse zu erheben hat, sofern er daS rechtswidrig Erhobene ganz oder zum

Teile nicht zur Kaffe bringt (StGB. §. 353). Strafe: Gefängnis nicht unter 3 Monaten. Gleiche Strafe (wie zu b) trifft den Beamten, welcher

bei

amtlichen

Ausgaben

Empfänger vorsätzlich die Ausgaben

als

und

an

Geld

Naturalien

oder

rechtswidrig Abzüge

geleistet

vollständig

in

dem

macht und

Rechnung stellt

(StGB. §. 353 Abs. 2). 9.

Strafbare

Handlungen

im

diplomatischen

Dienst des deutschen Reichs (StGB. §. 353a; „Arnim-

paragraph"). a) Verletzung

der

Amtsverschwiegenheit durch

widerrechtliche Mitteilung von ihm amtlich anvertrauten

oder zugänglichen- Schriftstücken,

seinen

Vorgesetzten

erteilten

deren Inhalt an Andere.

oder

von ihm durch

Anweisungen

oder von

Strafe: Gefängnis oder

Geldstrafe bis zu 5000 Mark. b) Vorsätzlicher Ungehorsam gegen amtlich erteilte An­

weisungen des Vorgesetzten; Strafe: wie zu a.

c) Berichtung

von

erdichteten

oder entstellten

Thatsachen an den Vorgesetzten, in der Absicht (hier

gleich Motiv), diesen in seinen amtlichen Handlungen

irre zu leiten; Strafe: wie zu a. 10. Widerrechtliche Eröffnung oder Unterdrückung"

31 Unterdrückung ist jede, wenn auch nur vorüberge­ hende Entziehung auö dem

Postverkehr; RGR. 8. Dezember 1879, E I 124, R I 114.

VI. Die Amtsdelikte.

von

der

Post anvertrauten

§. 92.

Briefen"

389 oder

Paketen

Gleichgestellt ist die Gestattung der Vor­

durch Postbeamte.

nahme einer solchen Handlung durch Andere sowie die Bei­ hülfe" hiezu (StGB. §. 354).

Strafe: Gefängnis nicht

unter 3 Monaten. 11. Strafbare Handlungen

beamten

oder

anderen

von Telegraphen­

mit der Beaufsichtigung und Be­

dienung einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphen­ anstalt betrauten Personen (StGB. §. 355)* a) Verfälschung

peschen; b) Widerrechtliche

von

der Anstalt anvertrauten De­

Eröffnung

oder

Unterdrückung

der­

selben; c) Benachrichtigung Anderer von dem Inhalte der De­ peschen. Gleichgestellt ist auch ^ter34 die Gestattung der Vornahme solcher Handlungen durch Dritte sowie die Hülfeleistung dazu.

Strafe: Gefängnis nicht unter 3 Monaten.

12. Die sogenannte Konnivenz des AmtSvorgesetzten (StGB. §. 357).

Sie liegt vor:

a) wenn der Amtsvorgesetzte seinen Untergebenen zu einer

strafbaren Handlung im ämte35

vorsätzlich

verleitet33 ***

oder zu verleiten unternimmt;"

" Auch Postanweisungen sind Briefe: RGR. 8. Dezember 1879, E I 124, R I 114. 33 Ausnahme von der oben §. 37 III 2 ausgestellten Regel: obwohl nicht der Thäter, sondem nur der Gehülfe Beamte ist, liegt dennoch ein eigentliches Amtsdelikt vor.

14 Vgl. oben Anmerkung 15. 35 Nicht bloß die im28.Avschn. StGB, enthaltenen ^Amtsdelitte". 36 VorauSzusetzen ist daS Nicht­ vorliegen einer Anstiftung; sonst wäre nicht §. 357, sondern §. 48 StGB, anzuwenden. 37 Vgl. oben §. 37 I 2 a.

b) wenn er eine solche Handlung seiner Untergebenen wissentlich geschehen läßt;88 c) wenn die von einem anderen Beamten begangene -strafbare Handlung die zur Aufsicht oder Kontrolle deS Angeklagten gehörenden Geschäfte betrifft.89 AlS Strafe für die Konnivenz gilt die auf jene Hand­ lung, zu welcher die Konnivenz geleistet wurde, gefetzte Strafe. 8" Hier liegt, bei die Ver­ pflichtung zur Verhinderung vorhanden war, ein Unter-

lasiungsdelikt aus der oben §. 21 II a besprochenen Gruppe vor. 89 Auch hier gilt das in der vorigen Anmerkung Gesagte

Viertes Buch. Strafbare Handlungen gegen Las Gemeinwesen. I.

Gegen Gestand und Sicherheit Les Staates. 1.

tz.93. Hochverrat.» 1.

1.

Hochverrat — im Gegensatze zum Landesverräte

— ist der Angriff auf Bestand und Sicherheit deS Staates als eines EinzelindividuumS.

Handlungen würden ihren Charakter

Die hochverräterischen nicht

verlieren,

auch

wmn der Staat, gegen welchen sie gerichtet sind, der einzige

auf Erden bestehende wäre.

2.

Objekt deS Hochverrates im eigentlichen Sinne ist

aber nur das inländische StaatSganze, d. h. dasjenige, dessen Gesetzgebung in Frage steht;

für

uns

Reich, und jeder einzelne deutsche Bundesstaat?

daS deutsche ES bedarf

besonderer Anordnung, wenn Bestand und Sicherheit auch

ausländischer Gemeinwesen

unter

strafrechtlichen

Schutz

gestellt werden soll (vgl. StGB. §. 102 und unten II);8* * zur * 1 Lit. bei Meyer S. 639 Note 1; Zorn Staatsrecht S. 276 ff. 8 Soweit eS sich nicht um ae auf den Monarchen , ist kein Unterschied aemacht zwischen Reich und Ern-

, kein Unterschied zwischen irzelstaaten untereinander. Gegen jede derartige Unter­ scheidung vom staatsrechtlichen Standpunkte aus (wohl mit Un­ recht) Zorn a.O. 3 Dgl. oben §. 13 m S. 64.

S

392

MerteS Buch. I. Gegen Bestand u. Sicherheit des Staates.

Gewährung solchen Schutzes wird die heimische Gesetzgebung

nicht nur durch ihr Interesse an Aufrechthaltung freundnach­ barlicher Beziehungen bestimmt, sondern in erster Linie durch tie immer stärker werdende Interessengemeinschaft sämmtlicher

Kulturstaaten, welche jede Erschütterung des einen Gemein­ wesens auf alle übrigm zu reflektieren droht.

3. Andererseits kommt dem Hochverrate gegenüber das inländische Strafrecht zur Anwendung, auch wenn die straf­

bare Handlung im Auslande, fei es von einem Inländer, sei eS von einem Ausländer begangen wurde (StGB. §. 4 Ziff. 1, vgl. oben §. 13 III).

n. Die Reichsgesetzgebung bezeichnet in kasuistischer Weise,

mit Ausschluß aller übrigen etwa gleichwertigen, jene Hand­

lungen,

in

welchen

sie

einen

Sicherheit deS Staates erblickt.

Angriff auf

Bestand

und

Darnach ist Hochverrat im

Sinne deS positiven Rechtes: 1. Mord und Mordversuch an dem Kaiser, an dem eigenen Landesherrn oder während deS Aufenthaltes in einem

Bundesstaate an dem Landesherrn dieses Staates verübt. Strafe:

2.

der Tod (StGB. §. 80).

Das Unternehmen, einen Bundesfürsten (abgesehen

von dem Falle unter 1) zu töten, gefangen zu nehmen, in Feindes Gewalt zu liefern oder zur Regiemng unfähig zu machen (StGB. §. 81 Ziff. 1).

3.

Das Unternehmen, die Berfassung deS deutschen

Reichs oder eines Bundesstaates oder die in demselben be­ stehende Thronfolge gewaltsam

zu ändern (StGB. §. 81

Ziff- 2).

4. DaS Unternehmen, das Bundesgebiet einem fremden Staate oder das Gebiet eines Bundesstaates

einem

anderen Bundesstaate ganz oder teilweise gewaltsam einzu-

Hochverrat. §. 93.

393

verleiben; oder einen Teil deS Bundesgebietes oder deS Ge­ bietes eines BnndeSstaateS vom Ganzen loSzureißen (StGB. §. 81 Ziff. 3 und 4).« Strafe zu 2—4: lebenslängliches Zuchthaus oder lebens­ längliche Festungshaft, bei mildernden Umständen Festungs­

haft nicht unter 5 Jahren; neben Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Aemter, sowie der aus

öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden (vgl. oben §. 51 II 3). HI.

1. Im Falle 1 unter II ist Versuch und Vollendung

in der Bestrafung gleichgestellt (vgl. oben ß. 33 III 4); in den Fällen 2—4 gilt dasselbe von dem Unternehmen (vgl. obm §. 33 in 3).

StGB.

§. 82 giebt uns eine,

nicht notwendig über das Gebiet des Hochverrates hinaus anzuwendende, Definition dieses Unternehmens: „ jede Hand lung,

durch

welche

daS

Vorhaben

unmittelbar

zur Ausführung gebracht werden soll."

Also nicht

die beginnende AuLführungShandlung (oben §. 33 IV)

selbst,

sondern die diesen Begin» unmittelbar vorbereitende

Handlung.'

Mit

anderen

Worten:

umfaßt ein weiteres Gebiet als

der

daS

„Unternehmen"

Versuch;

umschließt

auch Vorbereitungshandlungen; aber nur jene, die un­ mittelbar an daS Versuchsgebiet angrenzen.

Die §§. 81 und

82 lasten also den bei weitem größeren Teil der VorbereitungShandlungen straflos.

2. Diese Lücke füllen die folgende» Paragraphen auS. Auch die Vorbereitungshandlungen zum Hochverrat

* DaS Unternehmen, daS ganze Gediet eines Bundesstaates ge­ waltsam zum Reichslande zu machen, konnte nicht als Hoch­

verrat betrachtet «erden: Folge der kasuistischen Faffung deS Gesetzes. ' Sehr bestritten.

394

Viertes Buch. I. Gegen Bestand u. Sicherheit des Staates,

sind unter Strafe gestellt; und zwar in der Weife, daß ge-

wiffe besonders

gefährllche Vorbereitungshandlungen unter

besondere höhere,

alle übrigen unter gemeinsamen niederen

Strafrahmen fallen.

a) Das hochverräterische Komplott (die Verabredung der Ausführung eines hochverräterischen Unternehmens

zwischen Mehreren; vgl. oben §. 38 II 4) wird nach StGB. §. 83 mit Zuchthaus oder Festungshaft nicht unter 5 Jahren, bei mildernden Umständen mit Festungs­

haft nicht unter 2 Jahren bestraft.

Neben Festungs­

haft ist teilweiser Ehrverlust fakultativ zugelassen (vgl.

oben §. 51 II 3). b) Dieselbe Strafe trifft (StGB. §. 84) denjenigen, welcher zur Vorbereitung eines Hochverrates a) sich

mit

einer auswärtigen* Regierung

einläßt, oder 3) die

ihm

vom

Reiche

oder einem

Bundesstaate

anvertraute Macht mißbraucht, oder 7) Mannschaften

anwirbt

oder

in

den

Waffen einübt.

c) Jede andere, ein hochverräterisches Unternehmen vor­ bereitende Handlung wird (StGB. §. 86) mit Zucht­

haus oder Festungshaft

bis zu 3 Jahren, bei mil­

dernden Umständen mit Festungshaft von 6 Monaten bis zu 3 Jahren bestraft.

IV.

Die öffentliche Aufforderung zum Hochverrat

(S 97 Notel, 98 Note 1 Gesagten, insbes. §. 103 a StGB, (unten S. 419).

einen Beamten,

welcher

8 Lit. bei Meyer S. 664 Note 2. Dazu Kirchenheim GS. XXX. 3 Ueber diese Begriffe oben §. 63 I 1 a und b.

408

Viertes Buch.

II. Delikte gegen die Staatsgewalt

zur Vollstreckung von Gesetzen,

von Befehlen und Anord­

nungen der Verwaltungsbehörden,

oder von Urteilen oder

Verfügungen der Gerichte berufen, und in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes begriffen ist (StGB. §. 113).

Der Begriff des Beamten ist aus dem oben §. 92 I 2 Gesagten zu entnehmen; doch stellt das Gesetz (StGB. §. 113 Abs. 3) den Beamten gleich: jene Personen, welche zur Unter­

stützung deS Beamten zugezogen waren; Mannschaften der bewaffneten Macht; endlich Mannschaften einer Gemeinde-, Schutz- oder Bürgerwehr.

Die Amtsausübung muß eine rechtmäßige sein; sie ist es, wenn die Amtshandlung nicht nur innerhalb der Grenzen der allgemeinen Zuständigkeit des Beamten sich bewegt, son­ dern auch im Einzelfalle ihre Vornahme bei pflichtgemäßer

Berücksichtigung der dem Beamten im Augenblicke vorliegenden Umstände als geboten erscheint, mag sie sich auch nachträglich, bei Klärung der Sachlage, als überflüssig oder sogar unge­

rechtfertigt darstellen/ Irrige Annahme der

Rechtmäßigkeit von

Seiten

deS

Beamten kann den Mangel derselben nicht ersetzen.

Da das Vergehen des §. 113 StGB, nur vorsätzlich be­

gangen werden kann, ist das Bewußtsein des Thäters von

der

Rechtmäßigkeit

der Amtsausübung

unerläßlich;

sein

Mangel, sollte er auch auf grober Fahrlässigkeit beruhen,

schließt die Strafbarkeit deS Widerstandes aus.

Strafe:

Gefängnis von 14 Tagen bis zu 2 Jahren;

bei mildernden Umständen Gefängnis bis zu einem Jahre oder

Geldstrafe bis zu 1000 Mark/ < Kasuistik: RGR. 5. De­ zember 1879, EI 26, RI 116; RGR. 3. Juni 1880, E II 82.

1 Dagegen RGR. 22. April 1880, R I 042. • Besondere Bestimmungen

2.

409

§♦ 99.

Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Thätlicher Angriff? auf eine der unter

1

ge­

nannten Personen, während sie in der rechtmäßigen Aus­ übung ihres

3.

Amtes

oder

Dienstes

begriffen ist (StGB.

Strafe wie unter 1.

§. 113).

Das Unternehmen, durch Gewalt oder Drohung eine

Behörde oder einen Beamten zur Vornahme oder Unter­ lassung

einer Amtshandlung zu nötigen (StGB.

§. 114).8

Strafe:

Gefängnis nicht unter 3 Monaten; bei mil­

dernden Umständen Gefängnis bis zu 2 Jahren.

II.

Aufruhr und Auflauf.

1.

Aufruhr.8

Die

Teilnahme

an

einer öffentlichen

Zusammenrottung,'8 bei welcher eine der unter I bezeichneten Handlungen mit vereinten Kräften begangen wird (StGB. §.115).11 Strafe:

Gefängnis nicht unter 6 Monaten; gegen die

Rädelsführer (oben §. 37 I 5) sowie diejenigen Personen,

welche eine der unter I bezeichneten Handlungen begangen

haben, Zuchthaus bis zu 10 Jahren mit fakultativer Polizei­ aufsicht,

bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter

6 Monaten. 2.

Auflauf: rechtswidriges Verweilen

vielfach in den Nebengesetzen; so Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 148, 161; Salzsteuer­ gesetz vom 12. Oktober 1867 §. 17; Brau- und Branntwein­ steuergesetz vom 4. u. 8. Juli 1868 §§. 37 u. 68; Braumalz­ steuergesetz vom 31. Mai 1872 36; Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879 §. 41. Häufig

in

einer auf

sind insbesondere ergänzende Ordnungsstrafen angedroht. 7 Begriff oben S. 322. 8 Kasuistik: RGR. 13. Mai 1880, R I 770. 9 Lit. bei Meyer S. 670 Note 1; dazu Teichmann HR. „Aufruhr". 10 Begriff oben S. 331. 11 Vgl. Milit.StGB. §§. 9 Ziff. 3, 103, 106—110.

410 Viertes Buch. H. Delikte gegen die Staatsgewalt rc.

öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen versammelten Menschenmenge, welche von dem zuständigen Beamten oder Befehlshaber der bewaffneten Macht dreimal aufgefordert worden sich zu entfernen (StGB. §. 116). Strafe: Gefängnis bis zu 3 Monaten oder Geldstrafe bis zu 1500 Mark. Ist bei einem Auflaufe gegen die Beamten oder die be­ waffnete Macht mit vereinten Kräften thätlicher Widerstand geleistet oder Gewalt verübt worden, so treten gegen die­ jenigen, welche an diesen Handlungen teilgenommen, die Strafen des AuftuhrS ein. DI. Gewalt gegen Forst- oder Jagdbeamte, Waldeigentümer, Forst- oder Jagdberechtigte oder gegen einen von diesen bestellten Aufseher (StGB. §§. 117—119). Der Autorität der Staatsgewalt ist hier die Autorität gewisser Privatpersonen wegen des Bedürfnisses derselben nach intensiverem strafrechtlichen Schutze gegen An­ griffe gleichgestellt. Zwei Fälle gehören hieher: 1. Durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt geleisteter Widerstand gegen die genannten Personen, wenn sie in der rechtmäßigen12 Ausübung ihres Amtes oder Rechtes begriffen sind; 2. der thätliche Angriff gegen dieselben während der Ausübung ihres Amtes oder Rechtes. Daß die rechtswidrige Handlung innerhalb des be­ treffenden Revieres oder zwar außerhalb desselben, aber in unmittelbarem Zusammenhänge mit einer innerhalb des Re­ vieres vorgenommenen Amtshandlung oder Rechtsausübung stattgefunden habe, ist zum Thatbestände des Vergehens nicht 11 Begriff oben I.

Widerstand gegen die Staatsgewalt.

99.

411

erforderlich; es genügt die Richtung der Handlung gegen die

genannten, eines höheren strafrechtlichen Schutzes bedürftigen

Personen." Ebensowenig läßt sich bei dem klaren Wortlaute

deS Gesetzes die" Ansicht rechtfertigen, daß nicht die Aus­

übung des JagdrechteS oder anderer den angeführten Privat­ personen zustehender Rechte, sondern nur die zum Schutze

der Waldungen und Jagden gegen Forst- und Jagd­ frevler vorgenommenen Handlungen in §. 117 gemeint seien. Die Strafe ist vielfach abgestuft.

a) Regelmäßiger Strafrahmen: Gefängnis von 14 Tagen bis zu 3 Jahren; bei mildernden Umständen Gefängnis bis zu einem Jahre (StGB. §. 117);

Jb) wen» der Widerstand oder der Angriff unter Drohung mit Schießgewehr, Texten oddr anderen gefährlichen Werkzeugen erfolgt oder mit Gewalt an der Person" begangen worden ist:

Gefängnis nicht unter 3 Mo­

naten, bei mildernden Umständen nicht

unter einem

Monate (StGB. §. 117); c) wenn durch den Widerstand oder den Angriff eine

Körperverletzung dessen, gegen welchen die Handlung

begangen ist, vemrsacht worden: Zuchthaus bis zu 10 Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter 3 Monaten (StGB. §. 118);

d) wenn eine der Handlungen von Mehreren gemein­

schaftlich" begangen worden ist, so kann die Strafe

(a—c) bis um die Hälfte des angedrohten Höchstbe-

" Ebenso — im Gegensatze zur früheren preußischen Praxis — RGR. 15. Mai 1880, E n 167, R I 789.

" Vom RGR. 29. Mai 1880, E II 170, R1835 aufgestellte. “ in homine, vgl oben §. 63 I 1 a. " Dgl. oben §. 61 Note 5.

412

Viertes Buch.

H. Delikte gegen die Staatsgewalt rc.

träges, die Gefängnisstrafe jedoch nicht über 5 Jahre erhöht werden (StGB. §. 120). IV.

Die

Befreiung

von

Gefangenen (StGB.

Ktz. 120—122)" voraussetzend, daß der „Gefangene" (Unter*

fuchungS- wie Strafgefangene, der in civilprozessualer wie in

polizeilicher Haft Befindliche) sich bereits thatsächlich in der

Gewalt der Obrigkeit befunden hat, nicht erst in dieselbe ge*

bracht werden soll, charakterisiert sich durch den Bruch dieser Gewalt und nicht durch den — allerdings auch in ihr ge­ legenen — Eingriff in die staatliche Rechtspflege, gehört

mithin nicht zu den unten §. 103 behandelten Delikten, son­ dern an jene Stelle, welche auch die Systematik des RStGB.

ihr angewiesen hat. 1. Die Selbstbefreiung, regelmäßig straflos, ist nach dem RStGB. §. 122 nur" strafbar di Meuterei:

a) wenn die Gefangenen sich zusammenrotten" und mit vereinten Kräften a) die Anstaltsbeamten oder die mit der Beaufsich­

tigung Beauftragten angreifen, oder

ß) denselben Widerstand leisten, oder t) eS unternehmen, sie zu Handlungen oder Unter*

laffungen zu nötigen; oder wenn

b) Gefangene

sich

zusammenrotten

und

mit

vereinten

Kräften einen gewaltsamen Ausbruch unternehmen.

Strafe: Gefängnis nicht unter 6 Monaten; gegen die­ jenigen Meuterer, welche Gewaltthätigkeiten gegen die An­ staltsbeamten oder gegen die mit der Baufsichtigung Beauf*

" Vgl. auch Mil.StGB. §§.68 Ziff. 11. 79, 80, 144, 169.

" Anders Mil.StGB. §§. 79, 80, 159. " Begriff oben S. 331.

«Die- strafbaren Aufforderungen.

§. 100.

413

tragten verüben, Zuchthaus bis zu 10 Jahren mit fakultativer Polizeiaufsicht. 2. Die vorsätzliche Befreiung eines Gefangenen auS

der Gefangenanstalt oder auS der Gewalt der bewaffneten

Macht, deS Beamten oder desjenigen,

unter dessen Beauf­

sichtigung, Begleitung oder Bewachung er sich befindet (StGB.

§. 120).

Gleichgestellt ist

die

vorsätzliche Bechülfe zu der,

wfnn auch an sich straflosen Selbstbefreiung (vgl. oben §. 37 II. 2).

Strafe: Gefängnis bis zu 3 Jahren; Versuch strafbar. 3. DaS vorsätzliche Entweichenlasseneines Gefangenen oder die vorsätzliche oder fahrlässige Beförderung seiner Be­ freiung

durch

eine

mit der Beaufsichtigung oder

Begleitung deS Gefangenen beauftragte Person.

Strafe (StGB. §. 121): a) bei vorsätzlichem Handeln Gefängnis bis zu 3 Jahren;

b) bei fahrlässiger Beförderung der Befreiung Gefängnis

bis zu 3 Monaten oder Geldstrafe bis zu 300 Mark. Ueber das

Amtsdelikt

deS

§. 347

StGB.

vgl. oben

ß. 92 II 5 e.

5. g. 100. Str strafbaren Aufforderungen. I. Die öffentlich* vor einer Menschenmenge oder durch

Verbreitung oder öffentlichen Anschlag , oder öffentliche Aus­ stellung von Schriften oder anderen Darstellungen erfolgte

10 Hier bleibt Fahrlässigkeit straflos. 1 Zur „Oeffentlichkeit" (oben

S. 323) muß das weitere Merk­ mal „vor einer Menschenmenge" hinzutreten.

414

Viertes Buch.

II. Delikte gegen die Staatsgewalt rc.

Aufforderung zu einem hochverräterischen Unter­ nehmen (StGB. §. 85)?

Strafe: Zuchthaus bck zu 10 Jahren oder Festungs­

haft von gleicher Dauer; bei mildernden Umständen Festungs­ haft von einem Jahre bis zu 5 Jahren. auf dem

II. Die

unter I

bezeichneten

Wege

Aufforderung zum Ungehorsam gegen

erfolgte

Gesetze

oder

rechtsgültige Verordnungen oder gegen die von der Obrigkeit

innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffenen Anordnungen (StGB? 8- 110)?

Strafe: Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Gefängnis bis zu 2 Jahren.

III. Die zu

einer

auf dieselbe Weise

(wenn

auch

nur

erfolgte Aufforderung

landesrechtlich)

strafbaren

Handlung (StGB. §. 111).

Strafe: Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre;

doch

darf

die Strafe,

Maße nach, keine schwerere sein,

der Art und dem

als die auf die Handlung

selbst, zu welcher aufgefordert wurde, angedrohte. Wenn die Aufforderung die strafbare Handlung oder einen strafbaren

Versuch

derselben zur Folge gehabt hat, so ist der Auffor­

dernde gleich einem Anstifter zu bestrafen.

Er ist da­

gegen Anstifter im technischen Sinne deS Wortes und nicht nach §. 111, sondern §. 48 StGB, strafbar, wenn die Merk­

male deS Anstiftungsbegriffes (Richtung des Vorsatzes auf Herbeiführung

einer bestimmten,

individualisierten

Handlung durch eine bestimmte Person oder durch mehrere

solche) gegeben sind; er wird „gleich einem Anstifter" nach

3 Vgl. StGB. §. 102 und I 3 Vgl. Mil.StGB. oben §. 93 III. I 102.

99 bis

Die strafbaren Aufforderungen.

8-100.

415

§. 111 StGB, bestraft, wenn eines dieser Merkmale fehlt, wenn also z. B. die

auf Einschüchterung

ausschließlich

der

Regierung berechnete und nur ihr gegenüber ernst gemeinte

Aufforderung die vom Thäter nicht vorhergesehene und noch weniger beabsichtigte Begehung der strafbaren Handlung durch

einen Dritten zur Folge gehabt hat.

IV. Die öffentliche Aufforderung mittels der Preffe

zur Aufbringung der wegen einer strafbaren Hand­ lung erkannten Geldstrafen und Kosten,

sowie die

öffentliche Bescheinigung mittels der Preffe über den Empfang der zu solchen Zwecken gezahlten Beiträge* (Preßgcsetz §. 16)?

Strafe: Geldstrafe bis zu 1000 Mark oder Hast oder

Gefängnis bis zu DaS zufolge solcher

6 Monaten

(Preßgefetz §. 18 Ziff. 1).

Aufforderung

Empfangene

oder

der

Wert desselben ist der Armenkaffe deS OrtS der Sammlung

für verfallen zu erklären. V. Neben die öffentlichen Aufforderungen ist feit der

Novelle vom 26. Februar 1876 daS in StGB. §. 49 a (in

dem,

dem belgischen Gesetze vom 7. Juli 1875 nachgebil­

deten, DucheSne-Paragraphen) mit Strafe bedrohte selbstän­ dige (nicht alS versuchte Anstiftung zu konstruierende) Delikt

getreten?

StGB. §. 49 a umfaßt:

1. Die Aufforderung

eines Anderen zur Begehung

eines Verbrechens (im engeren Sinne) oder zur Teilnahme

« Vgl. Liszt Preßr. §.46111. * ES ist hier die Aufforderung zu einer- nicht einmal immer rechtswidrigen Handlung unter Strafe gestellt. Deutlicher als bet den übrigen öffentlichen Auf­ forderungen tritt hier als straf­

begründender Umstand ihr demonftrattver Charatter gegen­ über der Staatsgewalt in dm Vordergrund. • Vgl. Geyer HR. „Auffor­ derung" mit Ltt.

416

Viertes Buch. II. Delikte gegen die Staatsgewalt rc.

an einem Berbrechen, sowie die Annahme einer solchen Auf­ forderung. 2. Das Sich-Erbieten zur Begehung eines Verbrechens oder zur Teilnahme an einem Verbrechen, sowie die An­ nahme eines solchen Erbietens. Es wird jedoch das lediglich mündlich auSgedrückte Auf­ fordern oder Erbieten, sowie die Annahme eines solchen nur dann bestraft, wenn die Aufforderung oder das Erbieten an 'die Gewährung von Vorteilen irgend welcher Art (nicht not­ wendig pekuniärer Natur) geknüpft worden, und dadurch die Ernstlichkeit desjenigen, der die Initiative ergreift, be­ wiesen ist7 Auch abgesehen von dieser ausdrücklichen Anordnung des Gesetzes ist Ernstlichkeit der Aufforderung und des Er­ bietens zur Strafbarkeit notwendig, bei Mangel derselben auch die Annahme straflos. Aufforderung und Erbieten müssen der Ausdruck eines (bedingt gefaßten) Entschlusses sein, der durch die Annahme zu einem unbedingten wird? Strafe: a) Wenn daS geplante Verbrechen mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthause bedroht ist, Gefängnis nicht unter 3 Monaten; b) wenn es mit einer geringeren Strafe bedroht ist, Ge­ fängnis bis zu 2 Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer. Neben Gefängnis kann auf Verlust der bürgerlichen Ehren­ rechte, sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. 7 Daß er selbst einen genau bestimmten Vorteil gewähren werde, braucht nicht in Aussicht

gestellt worden zu sein (RGR. 2. Juli 1880, R II 153). • Vgl. RGR. 31. Marz 1880, E I 338, R I 515.

Mißachtung der Autorität der Staatsgewalt,

tz. 101. 417

6.

§. 101. Mißachtung der Autorität -er StaatKgrrvalt? I. Die öffentliche wissentliche Behauptung oder Verbreitung von erdichteten oder entstellten That­ sachen/ um dadurch Staatseinrichtungen (d. i. dauernde Bestandteile der Staatsverfassung oder Staatsver­ waltung/ nicht aber die allgemeinen Rechtsinstitute der Ehe, des Eigentums usw.) oder Anordnungen der Obrigkeit verächtlich zu machen* (StGB. §. 131). Strafe: Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Gefängnis bis zu 2 Jahren. II. Die unbefugte Ausübung eines öffentlichen Amtest oder die Vornahme einer Handlung, die nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf^ (soge­ nannte „Amtsanmaßung"; StGB. §. 132). Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe

bis zu 300 Mark.' III. Die vorsätzliche Vernichtung, Bei-Seite-Schaffung oder Beschädigung von Urkunden, Registern, Akten 1 Nur die inländische Staats­ gewalt wird — von dem Falle in StGB. §. 103 a abgesehen — geschützt. 2'Thatsachen: vgl. oben §.73 S.290. Dagegen RGR. 14. Juli 1880, RII197. 3 Z. B. der Bundesrat, die allgemeine Wehrpflicht, das Reichskanzleramt usw. 4 Maßgebend die Anschauun­ gen unbefangener Kreise; vgl. oben §. 80 Note 6. von Liszt, Strafrecht.

6 Begriff des „Amtes" hier weder nach §. 31 noch nach §. 359 StGB., sondern nach den Landesgesetzen zu bestimmen. 0 Vgl. Zimmermann GS. XXX; RGR. 7. Juli 1880, R II 167. 7 Vgl. §. 2 des Gesetzes zur Verhinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtern vom 4. Mai 1874; auch StGB. §. 360 Ziff 8. 27

418

Viertes Buch.

II. Delikte gegen die Staatsgewalt rc.

oder anderen Gegenständen, welche sich zur amtlichen Aufbewahrung an einem dazu bestimmten Orte be­

finden, oder welche einem Beamten oder einem Dritten amtlich übergeben worden sind (StGB. §.133).

Zu dem Amtsdelikte des §. 348 StGB, (oben §. 92

S. 386) verhält sich dieses Vergehen ungefähr so, wie Diebstahl zur Unterschlagung; §. 133 setzt den Bruch eines fremden, §. 348 den Mißbrauch des eigenen Gewahrsams voraus. Derjenige Beamte, der den Gewahrsam hat, kann sich daher

des in §. 133 StGB, enthaltenen Vergehens nicht schuldig machen. Strafe:

Gefängnis;

wenn die Handlung in gewinn­

süchtiger Absicht begangen worden, Gefängnis nicht unter 3 Monaten mit fakultativem Ehrverlust.

IV.

Das böswillige Abreißen, Beschädigen oder

Verunstalten

Anzeigen

§. 134).

öffentlich

von

kanntmachungen,

von

angeschlagenen

Verordnungen,

Behörden

oder

Befehlen

Beamten

Be­

oder

(StGB.

„Böswillig" bezeichnet die auf Herbeiführung der

Rechtsverletzung gerichtete Absicht als Motiv der Handlung (oben §. 28 III); diese muß erfolgen zu dem Zwecke, um die Mißachtung der Autorität der Staatsgewalt an den Tag zu

legen. Strafe:

Geldstrafe bis zu 300 Mark oder Gefängnis

bis zu 6 Monaten.

V. Die böswillige Wegnahme, Zerstörung oder Beschädigung von öffentlichen Zeichen der staat­ lichen Autorität (Zeichen, durch welche die Thatsache

der Herrschaft der Staatsgewalt öffentlich kenntlich gemacht

werden soll, wie Grenzpfähle u. dgl.) oder von Hoheits­ zeichen

(Symbolen

der

Staatsgewalt,

wie

Fahnen,

Mißachtung der Autorität der Staatsgewalt. Wappen u.

§. 101.

419

dgl.) oder die Verübung an beschimpfendem

Unfug an diesen Gegenständen. Strafe:

1. Wenn gegen die inländische Staatsgewalt gerichtet,

nach StGB. §. 135 Geldstrafe bis zu 600 Mark oder

Gefängnis bis zu 2 Jahren. 2. Wenn gegen einen nicht zum deutschen Reiche gehörenden Staat gerichtet, nach §. 103 a die gleiche Strafe. Der unbefugte Gebrauch der Abbildung des kaiserlichen

Wappens, oder der Wappen von Bundesfürsten oder eines .LandeSwappenS

ist

in

StGB.

§. 360 Ziff. 7 mit einer

UebertretungSstrafe (Geldstrafe bis

150 Mark oder Hast)

bedroht.

VI. Das vorsätzliche Erbrechen,

Beschädigen eines

Ablösen oder

amtlichen Siegels,

welches von

einer Behörde oder einem Beamten angelegt ist, nm Sachen zu verschließen, zu bezeichnen oder in Beschlag zu nehmen,

oder die Aufhebung deS durch ein solches Siegel bewirkten

amtliche» Verschlusses (StGB. §. 136).’ Strafe: Gefängnis bis zu 6 Monaten.

VH. Arrestbruch.

Wer Sachen (nicht Forderungen),

welche durch die zuständigen Behörden oder Beamten ge­

pfändet oder in Beschlag genommen worden sind (Subhastation, Sequestration, Observation,’ Arrest, Veräußerungs­ verbot usw. gehören

hieher) vorsätzlich, d. h. in Kenntnis

der amtlichen Beschlagnahme,'" bei Seite schafft,

8 Val. Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 144, 151; Salzsteurrgesetz vom 12. Oktober 1867 §. 15.

zerstört

• RGR. 2. April 1880, E I 287 »»' Vgl. RGR. 16. April 1880, E I 368, R I 610.

420 Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der Staatsvenv.

oder in anderer Weise der Verstrickung ganz oder teilweise entzieht," wird nach StGB. §. 137 mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft.

III. Strafbare Handlungen gegen den Gang -er

Staatsverwaltung. 1. §. 102. Gegen Ne Verwaltung überhaupt: die falsche Sütsfixge.*1

I. Allgemeines. 1. Nach Reichsrecht ist die falsche Aussage nicht an sich und ohne weitere Voraussetzung, sondern nur dann strafbar, wenn sie 1. durch Eid oder eine andere, diesem gleichgestellte oder angereihte Beteuerungsform bekräftigt^ und 2. vor einer zur Abnahme dieser Beteuerungsformen zu­ ständigen Behörde abgelegt wurde. Beide Momente müssen zu der an sich normwidrigen falschen Aussage hinzutreten, ohne daß diese dadurch auf­ hören würde falsche Aussage zu sein. Durch daS Erfordernis der Bekräftigung wird daS Wesen deS Deliktes nicht ver11 Thäter kann sowol der Eigentümer oder der Gepfän­ dete als auch ein Dritter, ja Kber Gläubiger sein, zu i Gunsten die Beschlag­ nahme erfolgte (RGR. 1. Mai 1880, R I 705). — Dgl. noch RGR. 16. Sept. 1880, RII213.

1 Lit. bei Meyer S. 578 Note 1; dazu Jagemann GS. XXIX. 1 Daß die landesrechtlichen Strafdrohungen gegen die un­ beeidete falsche Aussage beseitigt sind, wurde bereits oben §. 11 Note 4 bemerkt.

Gegen die Verwaltung überhaupt. §♦ 102.

421

ändert; wird der Mißbrauch der Beteuerungsform, der nur Strafbarkeitsmerkmal ist, nicht zum NormwidrigkeitSmcrkmal gestempelt. Und andererseits ist damit zugleich nachgewiesen, daß die inkorrekt sogenannten Eidesdelikte ihren Platz im Systeme des Strafrechtes nicht neben Urkunden- und Münz­ fälschung haben können; denn während diese strafbar sind ohne jede weitere Rücksichtnahme auf ihre Richtung gegen ein bestimmtes Rechtsgnt, ist der Mißbrauch des Eides und der verwandten Beteuerungsformen nur strafbar, wenn hinzu­ tretend zu einer falschen Aussage vor Gericht oder vor einer anderen öffentlichen Behörde. Diese falsche bekräftigte Aus­ sage aber hat unverkennbar die Richtung gegen ein be­ stimmtes Rechtsgut: sie gefährdet die Sicherheit nicht bloß der Rechtspflege, sondern des Ganges der Staatsverwaltung überhaupt, soweit diese ihren Entscheidungen die Aussagen der Staatsbürger zu Grunde legt. Selbst wenn also die „publica fides“ ein Rechtsgut wäre — thatsächlich ist sie ein Wort, hinter dem ein Begriff nicht steckt, — wäre die falsche Aussage nicht als unmittelbar gegen sie gerichtet, aufzufaffen.b 2. Unter den eben besprochenen, sofort näher zu erläu­ ternden Voraussetzungen ist die falsche beeidete oder bekräf­ tigte Aussage strafbar. Sind sie gegeben, so darf weder die Rechtsgültigkeit der Beteuerungsform/ noch die Beach­ tung der für den Gebrauch derselben vorgezeichneten Forma­ litäten, noch auch die Erheblichkeit der einzelnen Aussage8 8 Ich habe keine Veranlassung, von dieser schon 1877 in meiner „falschen Aussage" vertretenen Ansicht abzugehen.

4 Ebenso RGR. 23. Februar 1880, E I 217. 6 Auch falsche Beantwortung der Generalftagen kann strafbar machen, wenn sich die Beteue-

422

Viertes Buch. in. Delikte geg. den Gang der StaatSvenv.

als Bedingung der Strafbarkeit gefordert werden.

Selbst

die Nichtzuständigkeit der Behörde im Einzelfalle hindert die Strafbarkeit der falschen Aussage nicht/ wenn die Behörde

nur zur Entgegennahme von Versicherungen

der fraglichen

Art im allgemeinen berechtigt war. II. Die Arten.

A. Vorsätzliche falsche Aussage. 1. Der eigentliche Meineid. a) In eigener Sache, als zugeschobener, zurückgcschobener oder auferlegter Eid im Civilprozeß (StGB.

§. 153).

Strafe: Zuchthaus bis zu 10 Jahren. b) In fremder Sache, als eidlich bekräftigtes falsches Zeugnis oder falsches Gutachten,

nahme

von

Eiden

(StGB. §. 154),

zuständigen

einer zur Ab­

vor

Behörde

mag die Beeidigung

abgelegt

der Aussage

vorangehen oder ihr nachfolgen.

Strafe: Zuchthaus bis zu 10 Jahren; wenn die falsche Aussage in einer Strafsache zum Nachteile eines Angeschul­

digten abgegeben und dieser zum Tode, zu Zuchthaus oder zu einer anderen mehr als 5 Jahre

betragenden Freiheits­

strafe verurteilt worden ist, Zuchthaus nicht unter 3 Jahren. 2. Gleichgestellte Fälle (StGB. §. 155). a) Falsche Aussage des Mitgliedes einer ReligionSgesell-

schaft, welcher das Gesetz den Gebrauch gewisser BeteuerungSformeln an Stelle deS EideS gestattet, unter der Beteuerungsformel rung auch aus diese erstreckte; in der Entscheidung, nicht aber in der Begründung richtig RGR. 5. Mai 1880, E II45, R 1732.

seiner

Gesellschaft;

8 A. A. RGR. 25. Juni 1880, E II 123, R II 110.

Gegen die Verwaltung überhaupt,

g. 102.

423

b) falsche Aussage einer Partei, eines Zeugen oder Sach­ verständigen unter Berufung auf den bereits früher in derselben Angelegenheit geleisteten Eid; c) falsche Aussage eines Sachverständigen, welcher als solcher ein- für allemal vereidet ist, unter Berufung auf diesen Eid; d) falsche amtliche Aussage eines Beamten unter Be­ rufung auf seinen Diensteid. Strafe: wie unter 1 a und b. 3. Falsche Aussage vor einer zur Abnahme von Versiche­ rungen an EideSstatt zuständigen Behörde unter Versiche­ rung an EideSstatt oder unter Berufung auf eine solche (StGB. §. 156). Strafe: Gefängnis von einem Monat bis zu 3 Jahren. B. Fahrlässige Begehung einer der unter 1 bis 3 ge­ nannten Handlungen (StGB. §. 163). Notwendig ist hier: a) objektive Unwahrheit der Aussage; b) Unkenntnis des AuSsagenden über diese Unwahrheit; c) die Unkenntnis muß durch Fahrlässigkeit verschuldet, Einsicht bei pflichtgemäßer Sorgfalt möglich gewesen sein? Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre. III. Während im allgemeinen die erfolglos gebliebene Anstiftung straflos bleibt (vgl. oben K. 37 I 2 a), bedroht §. 159 StGB, die unternommene Verleitung zur falschen Aussage als selbständiges Delikt, an welchem mithin strafbare Teilnahme möglich ist (oben §. 37 I 2 c und II 2), mit Strafe, und zwar: - Beispiele in RGR. 13. No-1 21. Juni 1880, R1189; 24.Juni vember 1879, E I 99, RIGI; | 1880, R II 104.

424 Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der Staatsverw. 1. wenn eS sich um eigentlichen Meineid oder um einen gleichgestellten Fall handelt (oben II A 1 und 2 mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren; 2. wenn dagegen eine falsche Versicherung an Eides­ statt (oben IIA3) in Frage steht, mit Gefängnis bis zu einem Jahre.

IV. Die Verleitung zur falschen Aussage (Vorsatz vorhanden beim Verleitenden, fehlend beim Schwörenden) ist in der Reichsgesetzgebung, mit Durchbrechung der allgemeinen Regeln über fingierte Thäterschaft (vgl. oben §. 36 I) eben­ falls zum selbständigen Delikte gemacht (StGB. §. 160), und damit ein theoretisch wie praktisch gleich verkehrtes Privilegium zu Gunsten der Herbeiführung einer falschen Aussage geschaffen worden. Strafe: 1. bei Verleitung zum Falscheid (oben II A 1 und 2) Gefängnis bis zu 2 Jahren mit fakultativem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte; 2. bei Verleitung zur falschen Versicherung an Eidesstatt (oben IIA 3) Gefängnis bis zu 6 Monaten. Der Versuch ist strafbar.

V. Strafmilderungs- und Strafaufhebungs­ gründe. 1. Bei vorsätzlicher falscher Aussage des Zeugen oder Sachverständigen (oben II A 1 b, 2 und 3) ist die an sich verwirkte Sttafe auf die Hälfte bis ein Viertel zu ermäßigen (StGB. §. 157), wobei Zuchthaus unter einem Jahre in Gefängnis umgerechnet werden muß (vgl. oben §. 55 I 2; §. 46 II 3), wenn a) die Angabe der Wahrheit gegen den Aussagenden eine

Verfolgung wegen eines Verbrechens ober Vergehens nach sich ziehen konnte; oder b) der Aussagende die falsche Aussage zu Gunsten einer Person, rücksichtlich welcher er die Aussage ablehnen durste, erstattet hat, ohne über sein Recht, die Aus­ sage ablehnen zu dürfen, belehrt worden zu sein. 2. Die gleiche Strafermäßigung tritt ein (StGB. §. 158), wenn derjenige, welcher sich einer vorsätzlichen falschen Aus­ sage (oben IIA 1—3, auch in eigener Sache) schuldig gemacht hat, bevor eine Anzeige gegen ihn erfolgt oder eine Unter­ suchung gegen ihn eingeleitet und bevor ein Rechtsnachteil für einen Anderen aus der falschen Aussage entstanden ist, diese bei derjenigen Behörde, bei welcher er sie abgegeben hat, widerruft. 3. Bei der fahrlässigen falschen Aussage (oben II B) ist dem rechtzeitigen Widerruf unter den zu 2 angegebenen Voraussetzungen die Wirkung eines Strafaufhebungs­ grundes beigelegt (StGB. §. 163 Abs. 2). VL Bei jeder Verurteilung wegen vorsätzlicher falscher Aussage (oben II A 1—3, nicht aber III oder IV)' ist, so­ weit nicht Strafmilderung auS den oben V 1 und 2 angeführten Gründen eintritt, auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte (obligatorisch, vgl. oben §. 51 I S. 202) und außerdem auf die dauernde Unfähigkeit deS Verurteilten, als Zeuge ober Sachverständiger eidlich vernommen zu werden, zu erkennen (StGB. §. 161 Abs. 1). In den Fällen der §§. 156—159 StGB, (oben IIA 3; V 1 und 2, III) kann neben Gefängnis auf Ehrverlust er­ kannt werden (StGB. §. 161 Abf. 2). 8 Jetzt auch vom RGR. 10. I anerkannt, und damit wohl de» Juni 1880, E II 93, RII46 | finitiv entschieden.

426

Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der StaatSverw.

2. tz. 103.

Strafbare Handlungen gegen dlr Nrchtspflrgr.

I. Der

Eidesbruch,

handeln gegen eine durch

d. i.

daS

vorsätzliche Zuwider­

eidliches Angelöbnis vor Gericht

bestellte Sicherheit oder gegen daS in einem Offenbarungs­

eide gegebene Versprechen (StGB. §. 162). Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren. II. Die mittels der Presse erfolgende Veröffentlichung

der Anklageschrift oder anderer amtlicher Schrift­

stücke eines Strafprozesses, bevor dieselben in öffent­

licher Sitzung kundgegeben worden sind oder das Verfahren sein Ende erreicht hat (Preßgesetz §. 17)?

Strafe: Geldstrafe bis zu 1000 Mark oder Hast oder

Gefängnis bis zu 6 Monaten (Preßgesetz §. 18 Ziff. 1).

III. Verletzungen der Dingpflicht (der Pflicht, Recht zu sprechen und deS Rechtes zu helfen).

1. Das Borschützen

unwahrer

Thatsachen

Entschuldigung durch denjenigen, der als Zeuge,

als

Geschwo­

rener oder Schöffe berufen oder als Sachverständiger zum Erscheinen gesetzlich verpflichtet ist (StGB. §. 138).

Strafe: 2.

Gefängnis bis zu 2 Monaten.

Einfache Nichterfüllung der Dingpflicht?

a) Durch

Schöffen,

Geschworene,

» Vgl. Liszt Preßr. 46IV. 1 Ich führe der Vollständig­ keit wegen alle hieher gehörigen Fälle an, wenn auch Ger.-Verf.Ges. §. 56 ausdrücklich von einer Ordnungsstrafe (oben §. 43

Vertrauens-

VII) spricht und auch in den übrigen Fällen die Auffassung des angedrohten Uebels als einer Ordnungsstrafe eine gewisse Be­ rechtigung hat.

Delikte gegen die Rechtspflege,

427

tz. 103.

zur Wahl derselben berufenen Aus­

männer deS

schusses (Ger.-Verf.-Ges. §§. 56 und 96). Ordnungs­

strafe von 5—1000 Mark. b) Nichterscheinen deS ordnungsmäßig geladenen Zeugen

(StPO. §. 50, CPO. §. 345).

Geldstrafe bis zu

300 Mark, bei Uneinbringlichkeit derselben Hast bis zu

6 Wochen; bei wiederholtem Ausbleiben kann die Strafe noch einmal erkannt werden. c) Verweigerung der Zeugenaussage oder der Eidesleistung durch

CPO. §. 355).

den Zeugen (StPO. §. 69,

Strafe wie zu b, aber ohne die Zu­

lässigkeit abermaliger Verhängung derselben. ä) Nichterscheinen

deS

Sachverständigen

oder

Verweigerung der Erstattung deS Gutachten-

(StPO. §. 77, CPO. §. 374). 300 Mark,

bei

Geldstrafe bis zu

wiederholtem Ungehorsam

bis

zu

600 Mark.»

IV. Unterlassung der rechtzeitigen Anzeige von

dem Vorhaben

gewisser Verbrechen» (eines Hoch­

verrates, Landesverrates, MünzverbrechenS, Mordes, Raubes,

Menschenraubes, gemeingefährlichen Verbrechens) bei der Be­

hörde oder bei der durch daS Verbrechen bedrohten Person,

vorausgesetzt, a) daß der Unterlassende zu einer Zeit, in welcher die Verhütung deS Verbrechens möglich ist, von dem

Vorhaben glaubhafte Kenntnis erhielt, und b) daß daS Ver­ brechen oder ein strafbarer Versuch desselben begangen worden

ist (StGB. §. 139)? Die Verpflichtung zur Anzeige obliegt • Vgl. §. 38 Postgesep vom 28. Oktober 1871, welches die Vorladung vor die Postbehörde dergerichtlichenBorladung gleich­ stellt.

« Bal. Wolff GA. XXVII. 6 Val. auch Mil. StGB. §§. 60 (Nichtanzeige als Mitthäterschast), 77, 104.

428

Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der Staattzverw.

auch, trotz §. 257 Abs. 2 StGB, den Angehörigen deS Thäters.« Strafe: Gefängnis. V. Die falsche Anschuldigung/ d. t die Anzeige bei einer Behörde, durch welche der Anzeigende wider besseres Wissen Jemanden der Begehung einer strafbaren Handlung oder der Verletzung einer Amtspflicht beschuldigt (StGB. §. 164). Die Anzeige setzt voraus, daß ein Straf- oder Diszi­ plinarverfahren wegm der angeschuldeten Handlung gegen den Beschuldigten noch nicht eingeleitet ist, und unterscheidet sich eben dadurch von dem falschen Zeugnisse, das in einem be­ reits eingeleiteten Verfahren zu Ungunsten deS Angeschuldigten oder Angeklagten abgelegt wird; sie muß — daS liegt in dem Worte „Anzeige" — mit dem Bewußtsein erfolgen, daß sie die Einleitung des Verfahrens zur Folge haben werde. In der Ueberreichung der Privatklage kann eine Anzeige im Sinne des Gesetzes gelegen sein.« Anschuldigung einer strafbaren Handlung liegt auch dann vor, wenn der staatliche Strafanspruch infolge deS Eintrittes eines Strafaufhebungsgrundes untergegangen ist/ sie liegt nicht vor, wenn der Strafanspruch wegen deS Mangels einer Bedingung der Sttafbarkeit (vgl. oben §. 30 II) gar nicht zur Entstehung gelangte. Strafe: Gefängnis nicht unter einem Monat mit fakul­ tativem Ehrverlust. Als Privatgenugthuung (oben §. 43 • RGR. 15. Mai 1880, E II 57, R I 785. 7 Lit. bei Meyer S. 542 Note 1.

8 RGR. 7. November 1879, R I 44. 9 Bezüglich der Verjährung ausgesprochen von RGR. 25. Februar 1880, E I 229, R 1393.

Delikte gegen die Rechtspflege,

429

g. 103.

II 2) ist im Falle der Verurteilung des Anzeigers (StGB.

§. 165)

1. dem Verletzten die Befugnis zuzusprechen, daS Schuld­ urteil auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekannt zu

machen (die Art der Bekanntmachung, sowie die Frist zu derselben ist in dem Urteile zu bestimmen); 2. dem Verletzten auf Kosten deS Schuldigen eine Aus­

fertigung des Urteils zu erteilen. So lange ein

in Folge der

gemachten Anzeige ringe»

leiteteS Verfahren anhängig ist, soll mit dem Verfahren und mit der Entscheidung über die falsche Anschuldigung innege­

halten werden (§. 164 2. Abs. StGB.). VI.

Begünstigung

und

Hehlerei.'"

Begünsti­

gung (StGB. §. 257)" ist die wissentliche, nach Begehung

eines Verbrechens oder Vergehens dem Thäter oder Teil­

nehmer gegenüber zu dem Zwecke erfolgende Beistandleistung, um entweder

a) den Schuldigen der Bestrafung zu entziehen10 11 (persön­ liche Begünstigung), oder b) demselben die Vorteile deS Verbrechens oder Vergehens zu sichern (sachliche Begünstigung).

Die Begünstigung erscheint in chren beiden Formen als

eine Hemmung der staatlichen Rechtspflege; sie hindert, mag sie als persönliche der strafenden Gerechtigkeit in die Arme

fallen, mag sie als sachliche die civilrechtliche Ausgleichung

10 Lit. bei Meyer S. 236 Note 1; dazu Gretener Be­ günstigung und Hehlerei 1879; Geyer HR. „Begünstigung". " Dgl. auch Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §. 149.

11 Z. B. Verbüßung der Freiheitsstrafe oder Zahlung der Geldstrafe unter dem Namen eine- Anderen, falsche Angaben in einem Zeugnisse oder Gna­ dengesuche usw.

430

Viertes Buch. NI. Delikte geg. den Gang der Stratsverw.

unmöglich zu machen trachten, den Eintritt der Rechtsfolgen,

welche der Staat

an die Begehung des Berbrechens oder

Vergehens geknüpft

hat.

Dieser Charakter bestimmt ihre

Stellung im Systeme des besonderen Teils; die'Begünstigung

ist nicht Teilnahme an dem begangenen Delikte, weil nicht

Setzen einer Bedingung zu dem eingetretenen Erfolge (vgl. oben tz.35 IV); sie hat aber auch mit der

Partiererei

(vgl. oben §. 77), die reines Bermögensdelikt ist, prinzipiell

nichts gemein. Positiv rechtlich ist sie freilich mit dieser durch den verunglückten Mittelbegriff der Hehlerei in Verbindung

gebracht. Die Begünstigung setzt die Begehung eines Verbrechens

oder Vergehens voraus, und da sie nur als vorsätzlich be­

gangene strafbar ist, die Kenntnis dieses Umstandes auf Seiten

des Thäters." Ist die Hauptthat Antragsdelikt, so kann auch die Be­

günstigung nur auf Antrag verfolgt werden; arg. StGB. §§. 63 und 247 Abs. 2 und 4.14

Strafe:

Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Gefängnis

bis zu einem Jahre; wenn der Thäter den Beistand seines Vorteils wegen leistet, Gefängnis; doch darf die Strafe, der

Art und dem Maße nach, keine schwerere sein, als die auf

die Handlung selbst angedrohte. Die Begünstigung bleibt straflos (subjektiver Strafaus­

schließungsgrund

in dem

oben

§. 30 IN

3

besprochenen

Sinne), wenn sie dem Thäter oder Teilnehmer von einem

Angehörigen gewährt worden ist, um ihn der Bestrafung zu

entziehen (StGB. §. 257 Abs. 2).

18 Dagegen die herrschende I 14 Vgl. übrigens noch daS Ansicht. I oben §. 77 Gesagte.

Delikte gegen die Rechtspflege.

§. 103.

431

„Die Begünstigung ist als Beihülfe zu bestrafen, wenn

sie vor Begehung der That zugesagt worden ist.

Diese Be­

stimmung leidet auch auf Angehörige Anwendung" (StGB. §. 257 Abs. 3).

Die Bedeutung

vielfach mißverstanden.

dieser Anordnung

wird

Sie erweitert nicht den Begriff der

Beihülfe und verengert nicht den Begriff der Begünstigung.

Leistung des schon vorher zugesagten Beistandes wäre Beihülfe und Begünstigung

in realer,

unter Umständen

in

idealer

Konkurrenz; diese Konsequenz weist §. 257 Abs. 3 zurück: nicht Begünstigung und Beihülfe,

ist anzunehmen.

sondern nur Beihülfe

Darum sagt das Gesetz nicht:

günstigung ist Beihülfe,"

„Die Be­

sondern: „sie ist als Beihülfe zu

bestrafen."11

2.

Hehlerei (StGB. §. 258):

Begünstigung (persön­

liche oder sachliche) um des eigenen Vorteils" willen, wenn mit Bezug auf gewisse Eigentumsdelikte (Dieb­

stahl, Unterschlagung, Raub, räuberischen Diebstahl, räuberische

Erpreffung) begangen. Strafe:

a) wenn der Begünstigte einen einfachen Diebstahl oder

eine Unterschlagung begangen hat, Gefängnis; b) wenn er einen schweren Diebstahl, einen Raub oder ein dem Raube gleich zu bestrafendes Verbrechen be­

gangen hat, Zuchthaus bis zu 5 Jahren. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis nicht unter 3 Monaten ein.

Die Hehlerei bleibt strafbar, auch wenn der Hehler ein Angehöriger des Begünstigten ist.

“ Die Analogie mit dem oben §. 85 V besprochenen RechtSsape liegt auf der Hand.

16 Nicht notwendig VermögenSvorteil.

432

Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der Staatßvmv.

In Bezug auf die gewerbs-

oder gewohnheitsmäßige

Hehlerei (StGB. §. 260), die Hehlerei im zweiten Rückfalle (StGB. §. 261), die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte und die Stellung unter Polizeiaufsicht ist das oben §. 77 von der Partiererei Gesagte auch auf die eigentliche Hehlerei

anzuweudcn.

3.

g. 104. Strafbare Handlungen gegen dir Verwaltung Les vrlchskrtrgxwrsens.' I. Die Aufforderung

oder Anreizung (StGB.

§. 112):' 1. einer Person des Soldatenstandes,' fei eS des

deutschen HeereS, sei eS der kaiserlichen Marine, zum Ungehorsam gegen Befehle deS Oberen; 2. einer Person deS Beurlaubtenstandes' zum Un­

gehorsam gegenüber der Einberufung zum Dienste.

Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren,

n.

Die Falschwerbung (StGB. §. 141), d. i. die

Anwerbung eines Deutschen zum Militärdienste einer aus­ ländischen Macht, oder die Zuführung an die Werber einer solchen.

Strafe: Gefängnis von 3 Monaten bis zu 3 Jahren; Versuch strafbar.

HL Die vorsätzliche Verleitung eines deutschen Sol­

daten zur Desertion oder die Beförderung derselben

1 Vgl. Laband Staatsrecht III; Zorn Staatsrecht I. 1 Vgl. Mil.StGB. §. 99 ff. • Wehrgesetz vom 9. Novem­

ber 1867 §§. 6, 7, 15; Mil.­ StGB. §§. 4-6. * Wehrgesetz §. 15; Militär­ gesetz vom 2. Mai 1874 §. 56.

Delikte geg. die Verwaltung des Reichskriegswesens, g. 104.

433

Desertion ist nach Mil.StGB. §. 69 die

(StGB. §. 141).

unerlaubte Entfernung in der Absicht, sich der gesetzlichen oder übernommenen Verpflichtung zum Dienste dauernd zu entziehe».

Beförderung der Desertion (Beihülfe und nicht Begünsti-

gung) ist nur möglich, so lange diese selbst nicht als voll­ endetes Delikt vorliegt, so lange also der Flüchtling nicht die von ihm beabsichtigte Flucht von dem Dienstorte an einen anderen Ort vollendet hat?

Strafe:

Gefängnis von 3 Monaten bis zu 3 Jahren;

Versuch strafbar. IV. Die vorsätzliche Untauglichmachung zur Erfüllung der Wehrpflicht; mag sie von dem Wehrpflichtigen an sich selbst durch Selbstverstümmelung oder auf andere Weise, mag

sie durch einen Dritten an dem Wehrpflichtigen auf dessen Verlangen begangen sein (StGB. §. 142).

In dem letzt­

erwähnten Falle erscheinen der Wehrpflichtige'wie der Un­

tauglichmachende als Thäter (nicht als Mitthäter); mit an­

deren Worten:

es nimmt das Gesetz hier ausnahmsweise

(vgl. oben §. 35 I) Unterbrechung deS Kausalzusammen­ hanges nicht an, obwohl der als Zwischenurfache handelnde Dritte das Bewußtsein von der Kausalität seines ThunS hat.

Strafe: Gefängnis nicht unter einem Jahre mit fakul­ tativem Ehrverlust.

V. Die Anwendung von auf Täuschung berech­ neten Mitteln, in der Absicht sich der Erfüllung der Wehr­ pflicht ganz oder teilweise zu entziehen (StGB. §. 143). Strafe: Gefängnis mit fakultativem Ehrverlust.

Thäterschaft und Teilnahme (mit Einschluß der Beihülfe)

‘ RGR. 31. März 1880, R I 511. von Liszt, Strafrecht.

434

Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der Staatsverw.

sind hier ausnahmsweise in der Bestrafung einander gleich­

gestellt (vgl. oben §. 37 II 4).. VI.

Verletzung

der

Wehrpflicht

durch

Aus­

wanderung. 1. Auswanderung eines Wehrpflichtigen im Widerspruche mit einer vom Kaiser für die Zeit eines Krieges oder einer

Kriegsgefahr erlaffenen und öffentlich bekannt gemachten be­

sonderen Anordnung (StGB. §. 140 Zisf. 3). Strafe: Gefängnis bis zu 2 Jahren mit fakultativer

Geldstrafe bis zu 3000 Mark. 2.

Versuch strafbar.

Verlassen des Bundesgebietes ohne Erlaubnis durch

einen Wehrpflichtigen in der Absicht (gleich Motiv) sich

dem Eintritte in den Dienst des stehenden HeereS oder der Flotte zu entziehen; oder daS Verbleiben außerhalb

Bundesgebietes

deS

nach erreichtem militärpflichtigen Alter in

gleicher Absicht (StGB. §. 140 Ziff. 1).

Strafe:

Geld­

strafe von 150 bis 3000 Mark oder Gefängnis von einem Monate bis zu einem Jahre; Versuch strafbar.

3.

Auswanderung eines Offiziers oder im Offiziersrange

stehenden Arztes deS Beurlaubtenstandes ohne Erlaubnis

(StGB. §. 140 Ziff. 2; wiederholt im RMil-G. vom 2. Mai

1874 §. 60 Ziff. 2). Strafe: Geldstrafe bis zu 3000 Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu 6 Monaten.

Versuch

strafbar.

In allen drei Fällen kann daS Vermögen deS Ange­ schuldigten, insoweit als eS nach dem Ermessen deS Richters zur Deckung der den Angeschuldigten möglicherweise treffenden

höchsten Geldstrafe und der Kosten deS Verfahrens erforderlich ist, mit Beschlag belegt werden (StGB. 140 Abs. 3).

4.a) Auswanderung

eines

beurlaubten

Reservisten

oder

WehrmanneS der Land- oder Seewehr ohne Erlaubnis;

Delikte gegen das Geld- u. Banknotenwesen, g. 105.

435

b) eines Ersatzreservisten I. Klasse ohne vorhergehende An­ zeige an die Militärbehörde (StGB. §. 310 Ziff. 3;

vgl. mit RMil.G. vom 2. Mai 1874 §. 69 Ziff. 8).

Strafe:

Geldstrafe bis zu 150 Mark oder Hast? ’

VII. Uebertretung der auf Grund deS Gesetzes vom 13. Juni 1873 über die Kriegsleistungen hinsichtlich der Anmeldung und

Stellung der Pferde zur Vorumsterung,

Musterung oder Aushebung getroffenen Anordnungen (§. 27

des Gesetzes).

VIII.

Strafe:

Geldstrafe bis zu 150 Mark.

Uebertretungen des Gesetzes vom 21. Dezember

1871, betreffend die Beschränkungen des Grundeigentums in der

Umgebung

§. 32).

von Festungen

(FestungSrayonsgesetz

Strafe: Geldbuße bis 15 bez. 150 Mark.

4. g. 105. Strafbare Handlangen gegen dir staatltchr Aebrr-

wachnng des Geld- und Lankuotenumlaufes.'

I. Nach Art. 13 deS MünzgefetzeS vom 9. Juli 1873

ist der BundeSrat befugt, den Wert zu bestimmen, über welchen hinaus stemde Gold- und Silbermünzen nicht in Zahlung

angeboten und gegeben werden dürfen,

sowie den Umlauf

stemder Münzen gänzlich zu untersagen.

Gewohnheits- oder gewerbsmäßige (vgl. oben §. 39 II 3) Zuwiderhandlungen gegen die vom BundeSrate nach dieser Richtung hin getroffenen Anordnungen werden mit Geldstrafe bis yt 150 Mark oder mit Haft bestraft. • Ueber das Prozeßverfahren tn den Fällen 1—4 vgl. StPO. §$. 470—476. 1 Bgl. noch die in RMilGes.

vom 2. Mai 1874 §§. 33 und 69 Ziff.6 enthaltenenUebertretungen. ' Vgl. R.Verf. Art. 4 Ziff. 3 und 4.

II. Uebertretungen des Reichsbankgesetzes vom 14. März 1875. 1. Die unbefugte- Ausgabe von Banknoten oder sonstigen auf den Inhaber lautenden unverzinslichen Schuld­ verschreibungen (§. 55). Strafe: Geldstrafe, welche dem Zehnfachen des Betrages der ausgegebenen Wertzeichen gleich kommt, mindestens aber 5000 Mark beträgt. 2. Nach §. 43 des Gesetzes dürfen Noten einer Bank, die sich bei Erlaß des Gesetzes im Besitze der Befugnis zur Notenausgabe befand, außerhalb desjenigen Staates, welcher ihnen diese Befugnis erteilt hat, zu Zahlungen nicht gebraucht werden. Der Umtausch solcher Noten gegen andere Noten, Papiergeld oder Münzen unterliegt diesem Verbote nicht. Zuwiderhandlungen werden nach §. 56 mit Geldstrafe bis zu 150 Mark bestraft. 3. Ausländische Banknoten oder sonstige auf den Inhaber lautende unverzinsliche Schuldverschreibungen aus­ ländischer Korporationen, Gesellschaften oder Privaten dürfen, wenn sie ausschließlich oder neben anderen Wertbestim­ mungen in Reichswährung oder in einer deutschen Landeswährung ausgestellt sind, innerhalb des Reichs­ gebietes zu Zahlungen nicht gebraucht werden (§. 11). Die Verletzung dieser Anordnung wird (§. 57) mit Geldstrafe von 50 bis zu 5000 Mark, bei gewerbsmäßiger Verwendung (oben §. 39 II 3) nebenbei mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. Versuch strafbar. 4. Den Notenbanken ist nicht gestattet (§. 7): a) Wechsel zu acceptieren; 1 Hieher gehört auch die Aus- I einen Betrag unter 100 Mark gäbe von Banknoten, die auf | lauten.

Delikte gegen.das Geld- u. Banknotenwesen, g. 105.

437

b) Waaren oder kurshabende Papiere für eigene oder für fremde Rechnung auf Zeit zu kaufen oder auf Zeit zu verkaufen, oder für die Erfüllung solcher Kaufs­ oder Verkaufsgeschäfte Bürgschaft zu übernehmen. Die Mitglieder des Vorstandes, welche dieser Bestimmung zuwiderhandeln, werden (§. 58) mit Geldstrafe bis zu 5000 Mark bestraft. 5. Banken, welche bei Erlaß des Gesetzes sich im Be­ sitze der Befugnis zur Notenausgabe befanden, dürfen (§. 42) außerhalb desjenigen Staates, welcher ihnen diese Be­ fugnis erteilt hat, Bankgeschäfte durch Zweiganstalten weder betreiben, noch durch Agenten für ihre Rechnung betreiben fassen, noch als Gesellschafter an Bank­ häusern sich beteiligen. Die Uebertretung dieser Anordnung wird (§. 58) an den Vorstehern der Zweiganstalt, an den Agenten und Gesell­ schaftern der Bank und an den Mitgliedern des BankvorstandeS mit Geldstrafe bis zu 5000 Mark bestraft. 6. Wissentlich unwahre Darstellung oder Ver­ schleierung des Standes der Bankverhältnisse in den (durch §. 8) vorgeschriebenen Veröffentlichungen. Strafe (gegen die Mitglieder deS Vorstandes): Gefängnis bis zu 3 Monaten (§. 59 Ziff. 1). .7. Wenn die Bank mehr Roten ausgiebt als sie auszugeben befugt ist; oder wenn eine Korporation, welche daS Recht zur Ausgabe von auf den Inhaber lautenden un­ verzinslichen Schuldverschreibungen besitzt, mehr solche Geld­ zeichen ausgiebt, als sie auSzugeben befugt ist, so trifft (§. 59 Ziff. 3) die Mitglieder des Vorstandes eine Geldstrafe, welche dem Zehnfachen deS zuviel ausgegebenen Betrages gleich­ kommt, mindestens aber 5000 Mark beträgt.

438

Viertes Buch.

III. Delikte geg. den Gang der StaatSverw.

5.

H. 106. Strafbare Hau-Lungen gegen dir staatliche Lieberrvachuug -es Grsun-hritSrvrsrvs. Die Reichsgesetzgebung hat die Befolgung sowohl der

von den Einzelstaaten,

als der von ihr selbst kraft Art. 4

Nr. 15 R.Verf? erlassenen, das Gesundheitswesen betreffenden

Anordnungen durch Androhung

von teilweise sehr strengen

Strafen zu sichern gesucht.

Es gehören hieher: I. Die wisientliche Verletzung der oder

Aufsichtsmaßregeln

oder

Absperrungs­

Einfuhrverbote,

welche von der zuständigen Behörde zur Verhütung des Ein­

führens oder Verbreitens einer ansteckenden Krankheit angeordnet werden (StGB. §. 327).1 2

Vorausgesetzt sind nicht ständige Einrichtungen, sondern

ad hoc, mit Rücksicht auf eine bestimmte bereits ausgebrochene oder drohende Epidemie, erlassene Anordnungen. Strafe:

Gefängnis bis zu 2 Jahren; wenn in Folge

dieser Verletzung ein Mensch

von der Krankheit ergriffen

worden, Gefängnis von 3 Monaten bis zu 3 Jahren. II. Verletzung der Anordnungen zur Verhütung

des

Einführens

oder

Verbreitens

von

Vieh­

seuchen.

1 Der Beaufsichtigung seitens des Reichs und der Gesetzgebung desselben unterliegen.... die Maßregeln der Medizinal« und Veterinärpolizei.

8 Vom StGB, unter die ge­ meingefährlichen Delikte gestellt (oben §. 84), richtiger, da es sich um Uebertretung konkreter An­ ordnungen handelt, hier im Zusammenhänge zu behandeln.

Delikte gegen das Gesundheitswesen.

§♦ 106

439

1. Wissentliche Verletzung der von der zuständigen^

Behörde

ad hoc

sperrungs-

oder

(vgl.

oben unter I) angeordneten Ab-

Aufsichtsmaßregeln oder

Ein­

fuhrverbote (StGB. §. 328). Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre; wenn in Folge der Verletzung Vieh von der Seuche ergriffen worden, Ge­

fängnis von einem Monat bis zu 2 Jahren. 2. Einen speziellen Fall hebt das Gesetz vom 21. Mai 1878, betreffend Zuwiderhandlungen gegen die zur Abwehr der Rinderpest erlassenen Vieheinfuhrverbote durch er­

höhte Strafdrohungen, und teilweise Erweiterung des That­

bestandes besonders hervor, so daß K. 328 StGB, subsi­ diär anwendbar bleibt. a) Die

vorsätzliche Uebertretung

der auf Grund des

Gesetzes vom 7. April 1869 erlassenen Beschränkungen

oder Verbote der Einfuhr* lebender Widerkäuer (§. 1). Strafe: Gefängnis von einem Monate bis zu zwei Jahren.

Versuch strafbar?

b) Qualifizierter Fall (§. 2);

wenn

in

der Absicht

(gleich erweiterter Vorsatz; oben §. 28 III) begangen,

sich oder einem Anderen einen (nicht notwendig rechts­ widrigen) Vermög ensvorteil°

zu verschaffen oder

einem Anderen (nicht notwendig an dessen Vermögen)

3 Bestimmt sich nach den Landesgesetzen: RGR. 21. Ok­ tober 1879, E I 1, R I 5; 4. Mai 1880, E II. 151, R I 724. 4 D. h. aus dem Auslande ins Reich, oder aus einem Bun­ desstaat in den andern; nicht aber Transport von einem Orte

an einen anderen desselben Bundesstaates: RGR. 15. Juni 1880, E II 114; doch kann hier der Thatbestand des §. 328 StGB, gegeben sein. 6 Im Falle des §. 328 bleibt der Versuch straflos. 6 Ueber diesen Begriff oben §. 73 I 3.

440 Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der Staatsverw. Schaden zuzufügen. Strafe: Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis nicht unter 6 Monaten. c) Fahrlässige Uebertretung der unter a genannten Beschränkungen oder Verbote (§. 3).7 Strafe: Geld bis zu 600 Mark oder Gefängnis bis zu 3 Monaten. Bei Personen, welche nicht weiter als 15 Kilometer von der Grenze ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hahen, oder welche mit den betroffenen Tieren gewerbsmäßig Handel treiben, ist die Un­ kenntnis der Verbote als durch Fahrlässigkeit verschuldet anzunehmen, wenn sie nicht den Nachweis fahren, daß sie ohne ihr Verschulden durch besondere Umstände verhindert waren, von den­ selben Kenntnis zu erlangen (vgl. oben §. 27 Note 3). d) Ist in Folge der Zuwiderhandlung Vieh von der Seuche ergriffen worden, so ist (§. 4) im Falle a auf Gefängnis nicht unter 3 Monaten; im Falle b auf Zuchthaus bis zu 10 Jahren oder Gefängnis nicht unter einem Jahre; im Falle c auf Geldstrafe bis zu 2000 Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre zu erkennen. 3. Vernachlässigung der den Eisenbahnverwaltungen obliegenden Verpflichtung zur Desinfektion b ei Vieh­ beförderungen auf Eisenbahnen wird nach §. 5 deS Gesetzes vom 25. Februar 1876 an denjenigen Personen, welchen vermöge ihrer dienstlichen Stellung oder eines ihnen erteilten Auftrages die Anordnung, Ausführung oder Ueberwachung der Desinfektion obliegt, mit Geldstrafe bis zu 7 StGB. §.328 bedroht nur die wissentliche Uebertretung.

Delikte gegen das Gesundheitswesen,

441

§. 106.

1000 Mark; und wenn in Folge der Vernachlässigung Vieh

der Seuche

von

ergriffen

worden,

mit

Geldstrafe

bis zu

3000 Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. Das Gesetz vom 23. Juni 1880 (ausgegeben 30. Juni

4.

1880, in Kraft vom 1. April 1881) betreffend die Abwehr und Unterdrückung

von Viehseuchen (mit Ausnahme

der Rinderpest) hat eine Reihe von Anordnungen getroffen,

deren ^Befolgung, soweit nicht nach den bestehenden gesetz­ lichen Vorschriften eine höhere Strafe verwirkt ist, mit Ueber-

tretungsstrafen bedroht wird.

Die Bedeutung des Gesetzes

gegenüber §.328 StGB, liegt darin, daß Kenntnis der

erlassenen Anordnungen nicht Thatbestandsmerkmal ist, mithin auch fahrlässig verschuldete Unkenntnis unter die Strafdrohung

fällt.

Die vom Gesetzgeber beliebte Ausscheidung

der Rin­

derpest hat zur Folge, daß die Uebertretung der zum Schutze

gegen biefc erlassenen Anordnungen, die nicht Beschränkungen oder Verbote der Einfuhr sind,

nur wenn

wissentlich

übertreten, bestraft werden können (1).

III.

Die Verletzungen

des

Reichsimpfges'etzes

vom

8. April 1874 durch Eltern, Pflegeeltern, Vormünder^ Schul­ vorsteher, sowie Denjenigen, der unbefugt Impfungen vor­

nimmt,

unterliegen

Uebertretungsstrafen.

Vergehensstrafe

(Geldstrafe bis zu 500 Mark oder Gefängnis bis zu 3 Mo­

naten) trifft (§. 17) Denjenigen, der bei Ausführung einer Impfung fahrlässig8 handelt.

8 ES liegt hier nicht Fahrläsflgkeitin dem technischen Sinne deö Strafrechts (oben §. 29) vor, da nicht ein rechtswidriger Erfolg vorausgesetzt, sondern die Unvorsichtigkeit bei derJmpfung

bestraft wird (nicht „fahrlässige Impfung", sondern Fahrlässig­ keit — der Ausdruck wäre besser vermieden worden — bei Aus­ führung der Impfung).

442 MerteS Buch. III. Delikte geg. den Gang der StaatSverw.

6. tz. 107. Strafbare Handlungen gegen die staatliche Regelung des Prehwrfrns: dir Prrßpolizeidrlikte.'

Quelle: Gesetz über die Presse vom 7. Mai 1874.

1. Verletzung der Verpflichtung zur Nennung von Namen und Wohnort des Druckers und des Ver­

legers (oder beim Selbstvertriebe des Verfassers oder Heraus­

gebers) auf jeder Druckschrift; des verantwortlichen (mit den vom Gesetze

geforderten Eigenschaften

auSgestattetcn)

Redakteurs außerdem auf jeder periodischen Druckschrift (§§• 6-8):

1. durch wissentlich falsche Angaben (§. 18 Zifs. 2), wobei

der Verleger einer periodischen Druckschrift schon dann haftet, wenn er die fälschliche Angabe des Redakteurs

wissentlich „geschehen läßt"; 2. auf andere Weise (§. 19 Zifs. 1). Strafe: zu 1 Geldstrafe bis zu 1000-Mark oder Haft

oder Gefängnis bis zu 6 Monaten; zu 2 Geldstrafe bis zu 150 Mark oder Haft.

II.

Die

Verletzung

lieferung der

der

Verpflichtung

zur

Ab­

Pflichtexemplare von jeder Nummer

einer periodischen Druckschrift gleichzeitig mit dem Beginne

der Austeilung oder Versendung (§. 9). Strafe (§. 19 Zifs. 2): wie oben I 2.

III.

Verletzung

amtlicher

der Verpflichtung zur Aufnahme

Bekanntmachungen

in

periodischen Druck-

schriften (§. 10).

1 Das Nähere bei Liszt Preßrecht. Daselbst auch die Litteratur.

Delikte gegen das Sozialistengesetz,

tz. 108.

443

Strafe (§. 19 Ziff. 3): wie oben I 2. Antrags­ delikt. Mit der Verurteilung, bei unberechtigter Verwei­ gerung der Aufnahme in gutem Glauben mit der Freifprechung, ist die Aufnahme des Schriftstückes in die nächst­ folgende Nummer anzuordnen. IV. Verletzung der Verpflichtung des verantwort­ lichen Redakteurs einer periodischen Druckschrift, Be­ richtigungen mitgeteilter Thatsachen auf Verlangen eines Beteiligten ohne Einschaltungen und Weglassungen auf­ zunehmen (§. 10). Strafe (§. 19 Ziff. 3): wie oben I 2. Antrags­

delikt. Anordnung der Aufnahme wie oben III. V. Verbreitung ausländischer periodischer Druck­ schriften gegen das vom Reichskanzler auf Grund des §. 14 deS PreßgesetzcS erlassene Verbot. Strafe (§. 18 Ziff. 1): wie oben I 1. VI. Vorsätzliche Verbreitung oder Wiederabdruck von in Beschlag genommenen Druckschriften (§. 28). Strafe: Geldstrafe bis zu 500 Mark oder Gefängnis bis zu 6 Monaten. Eine besondere Verjährungsfrist für die Preßpolizei­ delikte ordnet §. 22 des PreßgesetzeS an (vgl. oben §. 58 II1). 7. g. 108. Strafbare Handlungen gegen das Sozialistengesetz.'

Quelle: Reichsgesetz vom 21. Oktober 1878 gegen die gemeingefährliche» Bestrebungen der Sozialdemokratie; ge­ nauer (§. 1 des Gesetzes) gegen sozialdemokratische, sozia1 Vgl. Bunsen GS. XXX,

Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der Staatsverw.

444

listische oder kommunistische, auf den Umsturz der bestehenden

Staats- oder.Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen.

1.

1.

Die Beteiligung an einem verbotenen sozia­

listischen Vereine als Mitglied oder durch irgend eine

Thätigkeit im Interesse des Vereines; oder die Teilnahme an einer

verbotenen

Versammlung

(§.

oder

aufgelösten

17).

Strafe:

sozialistischen

Geldstrafe

bis

zu

500 Mark oder Gefängnis bis zu 3 Monaten; gegen die Vorsteher, Leiter, Ordner, Agenten, Redner, Kassierer des Vereins oder der Versammlung, sowie gegen diejenigen, welche zu der Versammlung auffordern, Gefängnis von einem Mo­

nate bis zu einem Jahre.

für

verbotene Vereine

ebenfalls

Das Hergeben von Räumlichkeiten

oder Versammlungen

wird

(§. 18)

mit Gefängnis von einem Monate bis zu einem

Jahre bestraft (vgl. oben §. 37 II 4).

2. Die Verbreitung, Fortsetzung, der Wiederabdruck einer

verbotenen

oder

einer

von

der

vorläufigen

Be­

schlagnahme betroffenen Druckschrift (§. 19)? Strafe:

Geldstrafe bis zu 1000 Mark oder Gefängnis

bis zu 6 Monaten. 3. Das Einsammeln von Beiträgen zur Förderung der oben genannten Bestrebungen, sowie die öffentliche Auf­

forderung zur Leistung solcher Beiträge trotz öffentlich bekannt

gemachten polizeilichen Verbotes (§. 20).

Strafe: Geldstrafe bis zu 500 Mark oder Gefängnis bis zu 3 Monaten.

Auch ist das zu Folge der verbotenen

Sammlung oder Aufforderung Empfangene der Armenkasse deS Orts der Sammlung für verfallen zu erklären. In

allen

diesen Fällen bat der Strafrichter nicht die

a Liszt Preßrecht §§. 33 ji. 39.

Delikte gegen das Sozialistengesetz, g. 108.

445

materielle, wohl aber die formelle Richtigkeit des polizeilichen Verbotes zu prüfen? II. Wer eine der unter I genannten Handlungen nach erfolgter Bekanntmachung des Verbotes durch den Reichs­ anzeiger, aber ohne Kenntnis desselben, begeht, ist mit Geldstrafe bis zu 150 Mark oder mit Haft zu bestrafen (§• 21). III. Ueber die bei Verurteilung sogenannter Agitatoren wegen einer der unter I bezeichneten Handlungen zulässigen Nebenstrafe der Aufenthaltsbeschränkung vgl. oben §. 49 IV. Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnis von einem Monate bis zu einem Jahre bestraft (tz. 22). IV. 1. Untersagung des Gewerbebetriebes kann (§. 23) als Nebenstrafe (siehe oben §. 50 IV 2) gegen ge­ wisse Gewerbetreibende erkannt werden. 2. Personen, welche entweder sich die Agitation für sozia­ listische Bestrebungen zum Geschäfte machen, oder auf Grund einer Bestimmung deS Sozialisten-GesetzeS rechtskräftig zu einer Strafe verurteilt sind, kann (§. 24) von der Landespolizei­ behörde die Befugnis zur gewerbsmäßigen oder nicht ge­ werbsmäßigen öffentlichen Verbreitung von Druck­ schriften sowie die Befugnis zum Handel mit Druck­ schriften im Umherziehen entzogen werden? Zuwiderhandlungen gegen jenes Urteil (§. 23; oben 1) oder diese Verfügung (§. 24; oben 2) werden mit Geldstrafe bis zu 1000 Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft (§. 25). V. Wer die bei Verhängung des sogenannten kleinen

4 Val. Liszt Preßrecht §. 18 8 RGR. 2. Dezember 1879, E I 23, RI 130; 14. Juli (ist keme Nebepstrafe, sondern 1880, R II 193. eine polizeiliche Maßregel).

446

III. Delikte geg. den Gang der Staatsverw.

Viertes Buch.

Belagerungszustandes

(§. 28)- getroffenen Anordnungen mit

Kenntnis derselben oder nach erfolgter öffentlicher Bekannt­ machung derselben auch ohne Kenntnis

derselben"

Übertritt

(§. 28 Abs. 4), wird mit Geldstrafe bis zu 1000 Mark oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu 6 Monaten bestraft.

8.

109. Strafbare Handlungen gegen die staatliche Arber-

wachung des AffoziatiouswesenS. I. Die Teilnahme an Berfaffung

oder Zweck

einer Verbindung, deren Dasein,

vor der

Staatsregierung

geheim

gehalten werden soll, oder in welcher gegen unbekannte

Obere Gehorsam oder gegen bekannte Obere unbedingter Gehorsam versprochen wird (StGB. §. 128).

Strafe: gegen die Mitglieder Gefängnis bis zu 6 Mo­ naten;

gegen Stifter

fängnis

von

Beamte

kann

und

Vorsteher

einem Monate bis

auf

Verlust

der

zu

der

Verbindung Ge­

einem Jahre.

Fähigkeit

Gegen

zur Bekleidung

öffentlicher Aemter auf die Dauer von einem Jahre bis zu

5 Jahren erkannt werden (vgl. oben §. 51 II 4). II. Die Teilnahme an einer Verbindung, zu deren Zwecken oder Beschäftigungen es gehört, Maßregeln der Verwal­

tung oder die Vollziehung von Gesetzen durch un­

gesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften (StGB. §. 129).

Strafe: gegen die Mitglieder Gefängnis bis zu einem Jahre;

gegen

die Stifter

und Vorsteher

der Verbindung

Gefängnis von 3 Monaten bis zu 2 Jahren; gegen Beamte

5 RGR. 13. April 1880, E I 363, R I 584.

Delikte gegen daS AffoziationSwesen.

§. 109.

447

kann auf Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher

Aemter auf die Dauer von einem Jahre bis zu 5 Jahrm erkannt werden (vgl. oben §. 51 II 4). HL Zuwiderhandlungen gegen die (im öffentlichm Inter­

esse getroffenen) Anordnungen des Gesetzes vom 7. April 1876 über die eingeschriebenen Hülfskassen werden (§. 34)

an dm Mitgliedern

deS Vorstandes

oder deS

Ausschusses

mit Geldstrafe bis zu 300 Mark bestraft. IV. Uebertretungen des Gesetzes vom 4. Juni 1868, be­

treffend die

privatrechtliche» Stellung der Erwerbs-

und

Wirtschaftsgenossenschaften. 1. Geldstrafe bis zu 600 Mark trifft (§. 27 Abs. 2) die

Mitglieder des Vorstandes, wenn ihre Handlungm auf an­ dere

als

Zwecke

die in §. 1 deS Gesetzes

(Fördemng

deS

erwähnten geschäftlichen

Kredits, deS

Erwerbs

oder

der

Wirtschaft der Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäfts­ betriebes) gerichtet sind,

oder wenn sie in der Generalver­

sammlung die Erörterung von Anträgen gestatten oder nicht hindern, welche auf öffentliche Angelegmheiten gerichtet sind, deren Erörtemng unter die Landesgesetze über daS DereinS-

und Versammlungsrecht fällt. 2. Unrichtigkeiten

stände

in den nach dem Gesetze dem Vor­

obliegenden Anzeigen

oder sonstigen

amtlichen

An­

gaben werden (§. 67) gegen Vorstandsmitglieder mit Geld­ buße biS zu 60 Mark geahndet.

448

Viertes Buch. HI. Delikte geg. den Gang der Staatsverw.

9.

A. 110. Strafbare Handlungen gegen die staatliche Regelung

des Grwrrbrwrsrus. Quelle: Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869. I. Aus den in der Gew.-Odg. §§. 143—153 mit Strafe

bedrohten Handlungen seien die folgenden hervorgehoben:

1. Verletzung der Verpflichtung der Gewerbetreibenden (§. 115), die Löhne ihrer Arbeiten bar in Reichswährung

auszuzahlen (§. 146 Ziff. 1: Verbot des Trucksystems). 2. Übertretung der in den §§. 135, 136 oder auf Grund

der §§. 139, 139 a getroffenen Verfügungen über die Ver­

wendung von jugendlichen Arbeitern und Arbeiterinnen in dm Fabriken (§. 146 Ziff. 2); Verletzung der den GewerbeUnternehmern obliegenden Verpflichtung (§. 120), auf Ge­

sundheit und Sittlichkeit, sowie auf die weitere Fortbildung ihrer Axbeiter unter 18 Jahren die erforderliche Rücksicht zu nehmen, und jene Einrichtungen zu treffen, welche zu thun-

lichster Sicherheit gegen Gefahr für Leben und Gesundheit

notwendig sind — trotz Aufforderung der Behörde (§. 147 Ziff. 4) —; Verletzung der gesetzlichen Pflichten gegen die Lehr­

linge (§. 148 Ziff. 9 und 10).

3. Betrieb eines Gewerbes, Errichtung einer gewerblichen Anlage ohne obrigkeitliche Genehmigung, soweit eine solche erforderlich ist (§. 147 Ziff. 1 und 2);1

4.

Unbefugte Bezeichnung als Arzt oder Beilegung eines

ähnlichen Titels, durch den der Glauben erweckt wird, der

' Vgl. auch StGB. §. 360 Ziff. 9.

Delikte geg. die staatl. Regelung d. GewerbewesepS.

110.

449

Inhaber desselben fei eine geprüfte Medizinalperson (§. 147

Ziff- 3). Gewerbebetrieb ohne die vorgeschriebene Anzeige oder

5.

den erforderlichen Legitimationsschein (§. 148 Ziff. 1—3, 7);

Gewerbebetrieb trotz Untersagung desselben (§. 148 Ziff. 4); gewerbsmäßige öffentliche Verbreitung von Druckschriften ohne

polizeiliche Erlaubnis (§. 148 Ziff. 5); Verletzung der Vor­

schriften über daS Aufsuchen von Waarenbestellungen (§. 148

Ziff. 6); Überschreitung der Taxordnungen (§. 148 Ziff. 8).

6.

Verletzung

der

gesetzlichen Anordnungen über

daS

Mit-Sich-Führe» deS LegitimationSscheinrS (§. 149).

Verletzung der gesetzlichen Vorschriften über die Ar­

7.

beitsbücher (§. 150). n. Die Strafe beträgt:

1. im Falle deS §. 146:

Geldstrafe bis zu 2000 Mark

und im Unvermögensfalle (oben §. 55 11) Gefängnis

bis zu 6 Monaten; 2. im Falle deS §. 147:

Geldstrafe bis zu 300 Mark

bez. Haft; Geldstrafe bis zu 150 Mark

3. im Falle deS §. 148:

bez. Haft bis zu 4 Wochen;

4. im Falle deS §. 149:

Geldstrafe bis zu 30 Mark bez.

Haft bis zu 8 Tagen; 5. im Falle des §. 150: Geldstrafe bis zu 20 Mark bez.

Haft bis zu 3 Tagen. in.

Ueber die Verjährungsfrist (§. 145) vgl. oben §. 58

II; über die Jdealkonkurrenz der Uebertretungen der Ge­

werbeordnung mit Zuwiderhandlungen gegen die Steuergesetze

(§§. 147 und 148) vgl. oben

§. 40 II a; über die Mit­

haftung des verfügungsfähigen Gewerbe-JnhaberS, mit deffen Dorwisse» fein Stellvertreter von Liszt, Strafrecht.

eine

strafbare Handlung be29

Viertes Buch. HL Delikte geg. den Gang der StiatSverw.

450

gangen hat (§. 151) oben §.43 HI a. E-;

endlich über

Nötigung bei Arbeitseinstellungen oben §. 63 I 2.

10.

g. 111. Strafrechtlicher Schuh des Eisenbahn-' und postwesrns.' Zuwiderhandlungen

L

1. gegen

die in

den §§. 53—61

deS

Bahnpolizei-

Reglements vom 4. Januar 1875 enthaltenen „Be­ stimmungen für das Gehorsam

Publikum" (Verpflichtung

gegenüber der Bahnverwaltung und

zum

den

Bahnpolizeibeamten, Verbot den Bahnkörper zu be­ treten, Anlagen und Betriebsmittel zu beschädigen, den

Betrieb zu stören, eigenmächtiges Oeffnen der Thüren, Ein- und AuSsteigen während deS Fahrens);

2. gegen die in §. 62 daselbst angeführte Bestimmung deS

Eisenbahn-BetriebSreglementS

Dom

11. Mai

1874

(Verbot deS Mitnehmens feuergefährlicher Gegenstände

in die Personenwagen) werden nach §. 62 daselbst mit Geldstrafe bis zu 30 Mark

bestraft. II.

Verletzung

der

„besonderen

Vorrechte

der

Posten" (Verbot der Pfändung, Verpflichtung zum Aus­

weichen, zum Oeffnen der Thore und Schlagbäume, zur Be­ wirkung der Ueberfahrt) werden nach dem Postgesetze vom 28. Oktober 1871 (§§. 18,

19, 23)

mit Geldstrafe

(von

höchstens 60 Mark) bedroht.

» Vgl. R.Verf. Art. 4 ZIff. 8, I Art. 8 Ziff. 5. |

» Dgl. R.Derf. Art. 4 Ziff. 10.

Strafrechtlicher Schutz des SchiffahrtSwesenS. §.112.

451

11.

§. 112. Strafrechtlicher Schatz Les Schiffahrtswrseus.' Verletzung der Vorschriften deS Gesetzes vom 25. Ok­

L

tober

1867,

betreffend

die

Nationalität

der Kauf­

fahrteischiffe und ihre Befugnis zur Führung der

BundeSflagg e (vgl. R.Berf. Art. 54 und 55).

1.

Unberechtigte Führung

der BundeSflagge

(§. 13);

Geldstrafe biS zu 1500 Mark oder Gefängnis bis zu 6 Mo­ naten; Konfiskation deS Schiffes zulässig.

2. Führung der BundeSflagge vor Eintragung in daS

Schiffsregister

oder Ausfertigung

deS CertisikatS (§. 14);

Geldstrafe bis zu 300 Mork oder verhältnismäßiges Ge­ fängnis.

Präsumption der Schuld (vgl. oben §. 27 Note 3).

3. Nichtanmeldung der zum Schiffsregister anzumeldendeu

Thatsachen (§. 15).

Strafe wie zu 2.

wenn die Verpflichtung

Sie wird verdoppelt,

auch binnen 6 Wochen nach dem

ersten Schuldurteile nicht erfüllt ist. II.

Verletzung des Gesetzes vom 28. Juni 1873, be­

treffend die Registrierung und Bezeichnung der Kauf­

fahrteischiffe (daS Schiff muß seinen Namen auf jeder Seite deS Bugs, seinen Namen und den Namen des Hei-

matShafenS am Heck tragen).

Strafe:

Geldstrafe bis zu

150 Mark oder Hast. IIL

Verletzung des Gesetzes vom 25. März 1880 (und

der dazu gehörigen Verordnung vom 28. Juli 1880), be­

treffend

die Schiffsmeldungen bei den Konsulaten

deS deutschen Reichs.

Geldstrafe bis zu 200 Mark?

‘ Dgl. R.Verf. Art. 4 Ziff. 7 und Art. 54.

* In der Uebersicht über die Nebengesetze (oben §. 9) noch nicht erwähnt.

Viertes Buch. UI. Delikte geg. den Gang der StaatSvenv.

452

IV. Uebertretung 1. der vom Kaiser zur Verhütung des Zufammen-

stoßenS der Schiffe auf See erlassenen Verordnung vom

7. Januar 1880,* in Kraft vom 1. September 1880 (über das Führen von Lichtern, Schallsignalen und Mäßigung der

Geschwindigkeit bei Nebel, über das Ausweichen der Schiffe usw.);

.2. der vom Kaiser über daS Verhalten der Schiffer nach einem Zusammenstöße von Schiffen auf See

erlassenen Verordnung vom 15. März 1876 (jeder Schiffer hat dem Anderen den zur Abwendung oder Verringerung der nachteiligen Folgen deS Zusammenstoßes erforderlichen Bei« stand zu leisten, soweit er dazu ohne erhebliche Gefahr für

daS eigene Schiff und die darauf befindlichen Personen im Stande ist; und ihm unter derselbm Voraussetzung die nö­ tige Auskunft über Namen und Heimat wie Kurs des eigenen

Schiffes zu geben); 3. der kaiserlichen

Not-

und Lootsen-Signalord-

nung für Schisse auf See und auf den Küstengewässern vom 14. August 1876.

Strafe

nach

§.

145

StGB.:

Geldstrafe

bis

zu

1500 Mark. V. 1872,

Verletzung der durch das Gesetz vom 27. Dezember betreffend

die Verpflichtung

deutscher Kauf­

fahrteischiffe zur Mitnahme hülfSbedürftiger See­

leute, getroffenen Anordnungen.

Strafe:

Geldstrafe bis

zu 150 Mark oder Haft. VI. Uebertretung der Bestimmungen der Strandungs­

ordnung vom 17. Mai 1876.

* Damit ist die Verordnung vom 23. Dezember 1871 beseitigt.

Strafrechtlicher Schutz des SchiffahrtSwefenS. g. 112.

1.

453

Unterlassene Anzeige eines Falles von Seenot (§. 7);

2. Nichtanzeige der Bergung von an das Land getriedenen Stücken des Schiffes, seiner Ladung usw. oder Mcht-

AblieferuNg dieser Gegenstände (§. 13); 3. Nichtanzeige der Bergung von SeeauSwurf, strand­

triftigen, versunkenen oder seetriftigen Gegenständen (§§. 20 und 21);

4.. Bergung

oder Hülfeleistung

gegen den Willen

deS

Schiffers (§§. 7 und 12).

Strafe

(nach §. 43):

Geldstrafe

bis

150 Mark

zu

oder Haft. VII.

Strafbare

Uebertretungen der

SeemannSord-

nung vom 27. Dezember 1872.

1. Bruch deS Heuervertrages (§§. 81, 82, UebertretungSstrafe; vgl. ob. S. 289);

2. Dienstesentziehung (§. 83): Geldstrafe bis zum Be­ trage einer Monatsheuer;

3.

Gröbliche

SchiffSmann

Verletzung

(§. 84):

der

durch

Dienstpflicht

Geldstrafe bis zum Betrage

den

einer

MonatSheuer;

4. Verweigerung deS Gehorsams gegenüber wiederholten Befehlen deS Vorgesetzten (§. 86): Gefängnis

bis zu

Monaten oder Geldstrafe bis zu 300 Mark.

bei gemeinschaftlicher verabredeter Verweigerung

drei

Qualifiziert

durch zwei

oder mehrere Personen der Schiffsmannschaft (§. 87); mil­

dernde Umstände hier zugelaffen. 5. Unternommene Nötigung

deS Schiffsvorgesetzten zur

Vornahme oder zur Unterlaffung einer dienstlichen Verrich­

tung; unternommener gewaltsamer Widerstand gegen denselben oder thätlicher Angriff auf ihn (§§. 89 und 90).

Gefängnis bis zu

2 Jahren,

bei

Strafe:

mildernden Umständen

454

Viertes Buch. IIL Delikte geg. den Gang der StaatSverw.

Geldstrafe bis zu 600 Mark.

reren

auf Verabredung

begangm (§. 91).

allen Fallen zugelaffen.

in

Mildernde Umstände

Qualifiziert, wenn von meh-

gemeinschaftlich

hülfe wird derjenige bestraft (§. 92),

der

oder Unterdrückung dieser Handlungen

den

Als Ge­

auf Abwehr

gerichteten

Befehlen

des Vorgesetzten den Gehorsam verweigert (vgl. oben §. 37 II 5).

zweier

6. Aufforderung

oder

Schiffsmannschaft zur Begehung angeführten Handlungen (§. 88).

mehrerer

einer der

Personen

der

unter 4 und 5

Strafe: wenn die Auf­

forderung Erfolg gehabt, die der Anstiftung; wenn nicht, bei Aufforderung zu den unter 4 angeführten Handlungen Geld­

bei Aufforderung zu den unter 5

strafe bis zu 300 Mark,

angeführten Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Gefängnis bis

zu einem Jahre. 7. Entstellung, Unterdrückung, Vorspiegelung von That­

sachen bei Verhandlungen

vor dem Seemannsamte; Unter­

lassung der Stellung zur Musterung; Unterlassung des Aus­ weises über ein dem Dienstantritte entgegenstehendes Hindernis

gegenüber dem Seemannsamte (§. 93). 8. Vorsätzliches

oder

unwahre Behauptungen

Uebertretungsstrafe.

fahrlässiges Vorbringen einer auf gestützten Beschwerde

über Seeun­

tüchtigkeit des Schiffes oder Mangelhaftigkeit des Proviantes

bei einem Seemannsamte, wenn auf Grund dieser Behaup­ tungen eine Untersuchung eingeleitet wurde (§. 94).

Bei vorsätzlicher Begehung Gefängnis

bis

Strafe:

zu 3 Monaten,

bei fahrlässiger, Geldstrafe bis zu 300 Mark.

9. Mißbrauch der Disziplinargewalt durch den SchiffSvorgesetzten

(§. 96):

Geldstrafe

bis

zu

900

Mark

oder

Gefängnis bis zu einem Jahre. 10. Mangelhafte Verproviantierung des Schiffes (§. 97).

Delikte gegen das Reichsfinanzwesen. §. 113.

455

Strafe: a) wenn vorsätzlich begangen,

Gefängnis mit fakultativer

Geldstrafe bis zu 1500 Mark und fakultativem Ehr» Verluste

b) wenn fahrlässig begangen, und wenn in Folge dessen der Schiffsmannschaft die

gebührende Kost nicht ge­

währt werden kann, Geldstrafe bis zu 600 Mark oder

Gefängnis bis zu einem Jahre. 11. Zurücklassung ohne Genehmigung

eines

des

Schiffsmannes

SeemannSamteS

im

Auslande

(§. 98 vgl. mit

Geldstrafe bis zu 300 Mark, Haft oder Gefängnis

§. 71).

bis zu 3 Monaten.

12.

Verschiedene kleinere Pflichtverletzungen von Seiten

deS Schiffers sind in §. 99 mit UebertretungSstrafe belegt.

Diese Bestimmungen (1—12) finden auch dann Anwen« düng (§. 100),

wenn

die strafbaren Handlungen außerhalb

deS Bundesgebietes' begangen sind (vgl. oben §. 13 IIIA c). Ueber den Beginn der Verjährung in diesem Falle vgl oben §. 58 n 2.

12.

Strafbare Handlungen gegen bas Netchsfinanzmefen.

§. 113.

L Als Quellen kommen in Betracht: 1. Salzstruergefetz vom 28. Oktober 1867 §§. 11—14;

2. Branntweinsteuergesetz vom 8. Juli 1868 §§.50 bis 68;

3. Gesetz betreffend die Einführung von Telegraphen» freimarken vom 16. Mai 1869, §.2;

4.

Wechselstempelsteuergesetz

§§.15-17;

vom

10.

Juni

1869

Viertes Buch. m. Delikte grg. den Gang der Staatsserw.

456

5. Zuckersteuergesetz Dom 26. Juni 1869 §; 4;

6. BereinS-Zollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 134 bis 164;

7. Rübenzuckersteuergesetz vom 2. Mai 1870 (Verord­ nung Dom 7. August 1846 §§. 17—30);

8. Reichspostgesetz Dom 28. Oktober 1871 §§. 27—33; 9. Brausteuergesetz Dom 31. Mai 1872 §§. 27—40; 10. Reichsbankgesetz Dom 14. März 1875 §. 59 Ziff. 2;

11. Spielkartenstempelsteuergesetz Dom 3. Juli 1878 §§. 10-20; 12. Tabaksteuergesctz Dom 16. Juli 1879 §§. 32—45;

13. WaarenoerkehrSstatistikgesetz Dom 20. Juli 1879 §.17. n. Die in diesen Gesetzen mit Strafe bedrohten Handlangen lasten sich in folgende Kategorien bringen: 1. Die Kontrebande, d. i. nach der in §. 134 VereinS-

zollgesetz gegebenen Definition daS Unternehmen, Gegen­

stände, deren Ein-, Aus- oder Durchfuhr oerboten ist, diesem Verbote zuwider ein-, auS- oder durch­ zuführen.

2. Die Defraudation,

oder

die

einfache Hinter­

ziehung der schuldigen Abgabe, wobei meist schon daS „Unternehmen" mit der Dollen Strafe der Vollendung belegt

ist.

Hieher gehört auch die Verwendung entwerteter Post­

oder Telegraphen-Freimarken, sowie die Umgehung deS Post­

zwanges. 3. Die Erschleichung einer Steuer« oder Zoll-Rückvergütung, die überhaupt nicht, oder nicht in der geforderten

Höhe beansprucht werden durfte; Dgl. die oben I unter 5 und 12 angeführten Gesetze.

4.

Die Verletzung derjenigen Anordnungen, die zum

Delikte gegen daS Reichsfinanzwesen. §. 113.

457

Zwecke der Ucberwachung und Einhebnng getroffen sind (in vielen Fällen nur nitt Ordnungsstrafen belegt). Wenn die in Frage stehende That sowohl unter einen der eben erwähnten Deliktsbegriffe als auch unter einen der im StGB, enthaltenen fällt, so gehen die Steurrgesetze als lex specialis nach der oben §. 40 Ila gegebenen Regel in der Anwendung vor. Paßt der Thatbestand dagegen nur unter das StGB., nicht unter einen jener DeliktSbegriffe, so ist eben daS StGB, zur Anwendung zu bringen? III. Die Zoll- und Steuergesetze des Reichs bieten in ihren strafrechtlichen Bestimmungen gar manche Eigentüm­ lichkeit. Hervortreten der rein fiskalischen Interessen; die Betonung des AbfchreckungSprinzipeS und doch andererseits wieder das Streben, zwischen Verbrechen und Strafe eine wenn möglich ziffermäßig auszudrückende Gleichung aufzu­ stellen; der Anschluß an ältere gesetzgeberische Vorbilder und die damit zusammenhängende Neigung, durch kasuistische Be­ stimmungen daS freie richterliche Ermessen zu beschränken: all' diese zusammrnwirkenden Umstände machen die fraglichen Gesetze zu einer Fundgrube interessanter strafrechtlicher Sonder­ bestimmungen. Näheres Eingehen auf dieselben ist hier nicht möglich; doch sollen die wichtigsten Eigentümlichkeiten zur Uebersicht zusammengestellt werden. Als Paradigma kann daS BereinSzollgefetz dienen. 1. Der Thatbestand, mit welchem die strafbare Handlung 1 Die entgegengesetzte Ansicht in RGR. 26. Juni 1680 R II 114, daß die auf Steuerhinter­ ziehung gerichteten Handlungen nur dann nach dem StGB, beurteilt werden dürfen, wenn

daS betreffende Steuergrsetz aus­ drücklich auf dieses verweist oder überhaupt nicht erschöpfend die Materie regeln will — kann nicht als richtig betrachtet «erden.

458 Viertes Buch. III. Delikte geg. den Gang der Staatkverw.

»als vollbracht angenommen wird", ist vielfach in der de­ tailliertesten Weife geschildert; man vgl. §. 136 VereinSZollgefetz mit fritten 9 Ziffern, die wieder mehrfach unter« geteilt sind. 2. Häufig begegnen SchuldprSfumptionen (vgl. oben §. 27 Note