Das Reichs-Strafgesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts [Reprint 2020 ed.] 9783112338926, 9783112338919


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German Pages 1131 [1150] Year 1922

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Das Reichs-Strafgesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts [Reprint 2020 ed.]
 9783112338926, 9783112338919

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Das

Reichs-Strafgesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts erläutert von

[>r. Ludwig Mermayer Dr. Adolf Lobe Werner Rosenberg OberreichSanwalt

SenatSpräfidenl am Reichsgericht

ReichSgerichttrat.

Zweite, vermehrte und verbefferte Auflage.

Perlin und Leipzig 1922.

vereinig»«- wiffeufchaftlicher Verleger Walter >e »rutzte* * dasselbe Delikt bereits vollständig verwirklicht. Soweit nur eine Teilverwirklichung des Delikts vorliegt, kommt nur Versuch in Frage, RGSt. 9 346, 17 103, 35 46, 38 55, 39 221, 43 136, 113, 44 223, 51 305, 55 134. Jeder Einzelakt kann auch bereits einen beendigten Versuch darstellcn, RGSt. 39 221. Dadurch wird die Selb­ ständigkeit der Handlung nicht aufgehoben, daß sie als Mittel zur Verübung einer weiteren Straftat dienen soll und der Vorsatz von vornherein hierauf gerichtet war. Das bloße subjektive Ermessen vermag solche zusammengesetzte Tatbestände nicht zu einem neuen, vom Gesch nicht anerkannten Verbrechen zu gestalten, RGSt. 17 111. Dies reicht nicht einmal zur Annahme einer Jdealkonkurreuz aus. Zur Gleich­ artigkeit der einzelnen Tätigkeitsakte genügt, daß jeder geeignet ist, die Handlung darzustellen, die vom Gesetz für geeignet zur Her­ vorbringung des verbotenen Erfolgs gehalten wird. Die Ausführungs­ weisen können verschieden sein. Das richtet sich jeweils nach dem in Frage kommenden Tatbestand. Daher sind alle Weisen, in denen der Tatbestand des nämlichen Deliktes verwirklicht werden kann, im allgemeinen gleichartig, RGSt. 26175,27 19, 38 55, 49202,51171; 4I> 622/17 4. XII. 17, 4 D 652/17 7. XII. 1917. So die nach § 242 erforderliche verschiedenartige Wegnahme von Sachen, alle Weisen, in denen jemand nach § 263 in Irrtum versetzt werden kann, denn jede verwirklicht bereits den vollen Tatbestand des Diebstahls, Betrugs. Auch Kauf und Verkauf können eine fortgesetzte Handlung bilden, wenn jeder, wie etwa bei Preistreiberei, Kettenhandel, den strafrechtlichen Tatbestand zu verwirklichen geeignet ist. RGSt. 51 305. Ebenso gewerbsmäßiges Feilhalten und Verbreiten von Waren, RGSt. 46 63. Häufig wird aber gerade hier je ein selbständiger Vorsatz vorhanden sein, RGSt. 54 61. Das Unterfallen der Handlung unter dasselbe Strafgesetz ist aber gleichwohl nicht unbedingt erforderlich und ander­ seits nicht unbedingt ausreichend. Denn es kann dieselbe Normüber­ tretung in verschiedenen Strafgesetzen zu verschiedenartigen Straf­ taten ausgestaltet worden sein und es können durch dasselbe Straf­ gesetz Übertretungen verschiedener Normen bedroht sein. Enthält ein Strafgesetz mehrere Tatbestände, so ist zu untersuchen, ob diese unter einen gemeinsamen Deliktsbegriff fallen und in diesem Sinne gleich­ artige Begehungsformen desselben Deliktes sind oder nicht, 4 D 62/217

4. XII. 1917, RGSt. 49 208. — Handlungen, d i e nicht strafbar sind, begründen keinen Fortsetzungszu­ sammenhang und können, wenn sie dazwischen liegen, mög­ licherweise auch den Zusammenhang der strafbaren Tätigkeit unter­ brechen, RGSt. 39 146, 47 203, 399. 4 v 652/17 7. XII. 1917: 4 D 22/15 23. II. 1915. ß) Die gleichartigen Handlungen müssen sich ferner gegen dasselbe R e ch t s g u t richten, RGSt. 17 228, 29 318, 27 19, 41 98, 43 134, 48 177, 55 134. Dieses muß einer quantitativ oder inten­ siv größeren oder geringeren Verletzung zu­ gänglich sein, RGSt. 17 111, 27 20. Daß die Träger dieses Rechte-guts verschieden sind, schließt die Einheitlichkeit nicht aus. Nur dann, wem: es sich um Höch st persönliche Rechtsgüter handelt, wie Ehre, insbesondre auch Geschlechtsehre, Freiheit, Leben, müssen auch die Träger dieser Rechtsgüter dieselben sein. Es gilt hier dasselbe wie bei den einaktigen Handlungen, RGSt. 10 53, 30 150, 31 150, 32 138, 44 229, 48 136; Rechtspr. 5 607, 4 D 1455/13 28. IV. 1914, 1 D 51/17 1. III. 1917.

e.)

k)

g) h)

y) Endlich muß die ganze Reihe der einzelnen Tätigkeitsakte sich äußer« lich als ein in sich abgeschlossener, einheitlicher Vorgang darstellen, 4 D 96/8 22. II. 1918, RGSt. 44 226, 52 233, 55 135, es muß sonach eine gewisse Kontinuität der ganzen Handlung in die Erscheinung treten, RGSt. 9 346. Wann dies an­ zunehmen sei, ist wiederum lediglich Talfrage. Verfehlt ist es, auf die in Fortsetzungszusammenhang begangene Handlung StGB. § 73 unmittelbar oder entsprechend anzuwenden, wie vielfach geschieht (auch RG. hielt sich früher nicht immer hiervon frei, z. B. RGSt. 44 227,) 1 D 705/21 17. XI. 21. Denn es wird durch ein und dieselbe Handlung stets nur ein deliktischer Tatbestand, wenn schon stoßweise, verwirklicht und nur e i n Strafgesetz verletzt, nicht mehrere, wie § 73 voraussetzt. Ebensowenig wird dasselbe Strafgesetz mehrmals ver­ letzt; auch gleichartige Jdealkonkurrenz liegt nicht vor. Zum Abschluß kommt die in Fortsetzungszusammenhang begangene Handlung erst mit dem letzten zu ihr gehörigen Einzelakt, RGSt. 10 203, 15 370, 20 226, 38 387, 40 319, 43 357, 44 273, 47 308, 51 171, 54 318, 56 56. über die hieraus gezogenen Folgerungen für die Be­ gangenschaftszeit vgl. § 2 StGB. über die Wirkung einer während des Laufs der fortgesetzten Handlung und vor ihrem Abschluß eintretenden Amnestie s. § 2 Anm. u. RGSt. 54 318. Auch fahrlässig kann eine Handlung im Fortsetzungszusammenhang begangen werden. Anders die allgemeine Meinung und AG., z. B. 1D 73/18 3. VI. 1918; RGSt. 41 98, 47 332 , 50 87, 53 266. Dagegen bereits dahingestellt gelassen von 3D 494/16 12. II. 1917, und 4D 396/13 4. VII. 1913 bei einem fortgesetzt pflichtwidrigen Unterlassen einer gebotenen Überwachung; und bejaht von Rechtspr. 2 770,9 7. 5 D 1155/10 3. III. 11; 5 D 803/13 3. II. 14; 3 D 336/16 23. X. 16 (IW. 17 47). Da aber nur die fahrlässige Herbeiführung eines Erfolgs nicht gewollt ist und nicht auf Vorsatz beruht, im übrigen aber das Tätigwerden vor­ sätzlich sein kann, so kann, soweit die Handlung vorsätzlich i st, auch eine Begehung im Fortsetzungszusammenhang stattfinden und diese vorsätzliche Handlung kann dann den über die Vorstellung hinaus

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Einleitung.

verursackten Erfolg durchaus fahrlässig verursacht haben. Köhler, Strfr. S. 544. — Olshausen zu § 73 Nr. 8 a: Binding Hdb. I, 537: M. E. Mayer S. 171; Wachenfeld 112; Frank zu §74; Beling, Verbrechen S. 370; Liszt 235 Anm. 2; Meyer-Alls. 233; Feisenberger in ZStRW. 17 533; Lobe, BVO. gegen Preistreiberei S. 123. i) Dieselbe Person kann sich an einem Teil von Einzelakten als Mittäter, Anstifter, Gehilfe, an einem andern Teil als Begünstiger beteiligen. Die einzelnen Teilnahmehandlungen können je nach der subjektiven Be­ schaffenheit des Vorsatzes unter sich real konkurrieren oder auch ihrerseits eine fortgesetzte Handlung bilden, RltzSt. 17 227, 34 5, 47. Es ist aber auch denkbar, daß Handlungen, die sich äußerlich zunächst nur als Be­ teiligungen an einem oder mehreren Einzelakten darstellen, als Teilnahmehandlungen an dem ganzen fortgesetzten Delikt gewollt sind, wenn dieses als solches erkannt ist. Daun findet im Gegensatz zum erstgenannten Fall zwischen den mehreren Teilnahmesornreu kein Zusammentreffen nach StGB. § 73 oder § 74 statt, vielmehr sind alle Teilnahmehandlungen wie bei einem eintätigen Delikt als eine einzige Teilnahme zusammenzufassen, 3 D 280/21 4. IV. 21 in IW. 1921 8392 und 1 D 1095/21 22. XII. 21. k) Zu unterscheiden ist die im Fortsetzungszusammenhang begangene eine Handlung von dem Kollektivdelikt, bestehend in der Gewerbs- und Gewohnheitsmäßigkeit der Ver­ übung. Letztere ist nicht gleichbedeutend mit jener. Die gewcrbsund gewohnheitsmäßigen Delikte werden begrifflich nicht durch die Einheit des Vorsatzes zusammengehalten, wie das im Fortsetzungs­ zusammenhang begangne Delikt, sondern nur durch die einheitliche auf eine dauernde Erwerbsquelle gerichtete Absicht oder durch die Gewöhnung. Alles was unter i gesagt ist, gilt daher in besonderem Maße auch für sie. i) Der Klageverbrauch sowohl bei Verurteilung als bei Freisprechung wegen einer fortgesetzten Straftat bezieht sich auf alle vor der Verur­ teilung liegenden Einzelakte nach dem Grundsatz des ne bis in idem, auch wenn sie in dem Urteil nicht aufgeführt und behandelt sind. So richtig v. Lilienthal IW. 1921 846 Anm. — A. M. RGSt. 54 333 hinsichtlich der Freisprechung. Ebenso soll nach RG. die Verurteilung wegen des Einzelakts als selbständiger Tat die spätere Einbeziehung in einen Fort­ setzungszusammenhang nicht hindern. Bedenklich. m) Innerhalb einer in Fortsetzungszusammenhang begangenen Straftat, in der es nur unselbständige Einzelakte gibt, kann nicht noch von einem gewohnheitsmäßigen Handeln gesprochen werden, da dieses mehrere selbständige Handlungen voraussetzt. So mit Recht 1 D 348/21 11. VII. 21 gegenRGSt. 34 310. Nur das ist natürlich denkbar, daß eine im Fortsetzungszusammenhang begangene einheitliche Straftat ein Teil eines gewohnheits- oder gewerbsmäßigen Tuns wie auch etwa eines Bandendiebstahls, sein kann RGSt. 56 90. Die Festsetzung der Ge­ werbsmäßigkeit (z. B. Schleichhandel) ist mit der Annahme eines Fort­ setzungszusammenhangs nicht schlechthin unvereinbar, 1D1569/20 23. IV.21. 8. Das Dauerverbrechen, v. Bar, 3 408; Loening, BglDarst. 1, 439; Höpfner 1 S. 250. Es ist begrifflich die Verwirklichung des Tatbestandes durch eine während eines gewissen Zeitraums ununterbrochen fortdauernde Willensbetätigung. Der Wille wird hier nicht nur durch eine die juristische Vollendung des Deliktes herbeiführende Tätigkeit verwirklicht, fonbem darüber hinaus noch durch Aufrechterhaltung des gewollten Erfolgs als eines

dauernden, |o daß durch dieses Aufrechterhalten die Betätigung ihren Fortgang nimmt, z. B. der Eingesperrte wird eingesperrt gehalten, der Hausfriedensbruch wird durch dauerndes Verweilen im umfriedeten Raum aufrecht erhalten; Fahnenflucht, RGSt. 27 158, 38 417; unzüchtige Gegenstände werden dauernd f e i l g e h a l t e n. M. E. Mayer S. 126 sieht nicht im Aufrechterhalten das Wesen des Delikts, sondern im Zustand und unterscheidet es darum nicht von dem Zustandsdelikt. Die echten Un­ terlassungsdelikte sind zumeist Dauerverbrechen, sofern nicht die Handlung nur zu einer ganz bestimmten Zeit geboten war und nach dieser Zeit eine Handlungspflicht nicht weiter besteht, RGSt. 8 390, 43 130; Din­ ding, Hdb. I-S.840, Normen II S.514; Allfeld S.255. 9. Hiervon verschieden sind die Zustandsverbrechen. A. Köhler S. 538; Liszt S. 239; M. E. Mayer S. 126 hält den Begriff für überflüssig. Sie liegen vor, wenn mit der Herbeiführung des verbrecherischen Erfolgs das deliktische Verhalten zu Ende ist und auch — anders als beim Dauerverbrechen — ein Aufrechterhalten des hierdurch geschaffenen Zustands nicht statt­ findet, dieser Zustand aber als rechtswidriger von selbst f o r t d a u e r t, z. B. die Körperverletzung, die Aneignung beim Diebstahl, die falsche Anzeige nach StGB. § 169. Die Vollendung der verbotenen Hand­ lung und die Verwirklichung des verbrecherischen Tatbestands tritt hier schon mit Herbeiführung des Zustandes ein, nicht erst mit Wiederaufhebung desselben, während bei den Dauerverbrechen die Vollendung bis zum Ende des Auf­ rechterhaltens ansteht. 10. Besondere Deliktseinheiten werden zuweilen durch das Gesetz, geschaffen. So bilden die einzelnen in KO. § 239 und § 240 vorgesehenen Handlungen und Unterlassungen eines Schuldners, sofern sie gegenüber ein und derselben Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung unter sich zu­ sammentreffen, nicht selbständige Straftaten, sondern stellen nur ein einheit­ liches Delikt des strafbaren Bankrotts dar, indem die Einheitlichkeit durch die Beziehung auf die eine Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung vermittelt wird, RGSt. 2 337, 13 235, 29 344, 35 288, 43 357, 48 118, Rechtspr. 2 210. Hierher gehört auch das sog. zusammengesetzte Berbrechen, wie Raub, zu­ sammengesetzt aus Diebstahl uni) Nötigung. Binding, Lehrb. 1, 15; MeyerAllfeld S. 235. 11. Das Kollektivdelikt. Hier handelt es sich nicht um eine einzige Hand­ lung, die nur stoßweise in unselbständigen Teilakten verwirklicht tvird, sondern um mehrere selbständige Ei uzelhandl ungen, die aber gemeinsam haben eine gleichartige Geneigtheit und Disposition des Charakters des Täters, einen gleichen Hang, immer von neuem wiederholt zu werden. Der Vorsatz ist somit stets ebenfalls; ein neuer und selbständiger, nur der Boden, auf dem er wächst, ist gemeinsam. Um dieser gleichen Geneigt­ heit, dieser einheitlichen Charakteranlage willen, wird hier die natürliche Hand­ lungsmehrheit rechtlich zu einer Deliktsei nheit zusammen­ gefaßt. Meyer-Allfeld S. 234. RGSt. 41110. So die Gewerbs- und Gelvohnhettsmätzigkeit, z. B. auch beim Lebensmittelhandel, RGSt. 55 22. Vgl. auch unten XIV. 2 f. Im einzelnen hierüber der besondere Teil. 12. Die vom Gesetz geregelte Tätigkeit wird zuweilen als Inbegriff einer Mehrheit solchen Tuns zusammengefaßt, z. B. Zweikampf, unzüchtige Hand­ lungen, Mißhandlungen, Schlägerei, das Leben gefährdende Behandlung usw. Meyer-Allfeld S. 231.

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Einleitung.

XIV. Teilnahme an der Willensverwirklichnng anderer. 1. Es wurde gezeigt, daß der Urheberwille den Tatbestand einer Straf­ tat nicht nur allein durch eigenhändige Tätigkeit, sondern auch in mittelbarer Täterschaft verwirklichen kann. Daneben gibt es aber noch andre Arten des Zusammenwirkens mehrerer Personen bei einer Straftat. Neben die mittel­ bare Täterschaft tritt dieTettnahme im eigentlichen Sinne und die Mittäterschaft. 2. Der Unterschied von Täterschaft und T e i l^ a b m e ist nicht immer für das Strafrecht von Bedeutung geweserr. Die geschichtliche Ent­ wicklung ging lange Zeit dahin, den Teilnehmer als Miturheber und Täter anzusehen. So die Römer (1. 1 Dig. 48, 9; 1.4 und 10 Big. 48, 4). Auch die gemeinrechtliche Doktrin faßte Täterschaft und Teilnahme im Concursus plurium ad idem delictum zusammen. Berlich Cond. LVI 2 sagt: „omnis, quis auxilio, solatio, consilio, suppetiis, mandato vel alioquis modo ad crimen aliquod peragendum iuvit, puniri debet ut principalis", Lobe, Die allgem. strafrechtlichen Begriffe nach Carpzov (1894) S. 29. Erst das Preuß. Straf­ gesetzbuch von 18 51 brachte die Unterscheidung des Teilnehmers vom Täter und die strafrechtliche Abhängigkeit des Anstifters und Gehilfen vom Haupttäter. Gerad? die .jüngsten Reichsnebengesetze aber beseitigen wiederum zuweilen den Unterschied zwischen Täterschaft und Teilnahme, so z. B. Reichsges. betr. Bestrafung des Sklavenhandels und Skla­ venraubs v. 28. VII. 1895; §§ 45 und 48 des Ges. über das Auswanderungsivesen v. 9. VI. 1897. — Bon außerdeutschen Strafgesetzbü­ chern hat das Norwegische von 1902 die volle strafrechtliche Selbständigkeit der Teilnahme als Miturheberschaft unter Verwischung ihrer einzelnen Fornren neben die Täterschaft hingestellt und Anstiftung und Täterschaft im all­ gemeinen Begriff der Urheberschaft verschmolzen. Mit Recht sieht E. 19 davon ab und behält die besonderen Rechtsfiguren der Mittäterschaft, Anstiftung und Beihilfe neben der Eintäterschaft bei. Nur die Vorschrift von StGB. § 50 dehnt er auch auf die st r a f a u s s ch l i e ß e n d e n Umstände aus und vermindert damit die Abhängigkeit (akzessorisch'' Natur) der Teilnahme von der Haupttat. Nach StGB, ist nur die vorsätzliche Teilnahme strafbar, vgl. hierzu Meyer-Allfeld S. 207 Anm. 20. § 20 des Urhcberges. kennt auch eine fahrlässige Veranlassung. Diese Abhängigkeit der Teilnahme (akzessorische Natur) von der Haupt­ tat einerseits und die Unterscheidung von der Täterschaft andererseits kommt in folgendem zum Ausdruck: a) der Teilnehmer haftet für den Erfolg der Haupttat nur soweit, als dieser innerhalb auch seines Vorsatzes liegt und von seinem Willen mit umfaßt wird. Andrerseits wird die Teilnahmehandlung beschränkt durch den Umfang der Haupthandlung: bleibt diese hinter der Vorstellung des Teil­ nehmers zurück, so entfällt feine Haftung für das gewollte Mehr, vollends wenn die Haupttat von seiner Vorstellung völlig verschieden, ein aliud ist. b) Persönliche Eigenschaften und Verhältnisse treffen nur den Täter oder Teilnehmer, bei dem sie vorliegen. StGB. § 50. c) Da der Irrtum des Teilnehmers über die Schuld des Haupttäters auf die Natur der Haupttat ohne Einfluß ist, macht er die Teilnahme nicht zu einer strafbaren Handlung, wenn die Haupttat straflos ist und irrig nur vom Teilirehmer für strafbar gehalten wird. Mit dem Wegfall der Haupttat wird An­ stiftung und Beihilfe gegenstandslos, RGSt. 1138,18 419,40 21,insbesondere z. B. auch zum Selbstmord. Vgl. hierzu Lassally in ZStAW. 1921 642.

d) Die Teilnahme ist in ihrer Strafbarkeit zwar abhängig vom Vorhanden­ sein einer Straftat, die Begehungsform der Haupttat vermag aber keinen Einfluß auf die Begehungs­ form der Teilnahmehandlung auszuüben. So kann durch eine einzige Handlung die mehrfache Anstiftung zu bet» schied enen selbständigen Straftaten ebenso die mehrfache Beihilfe zu ihnen erfolgen und daher Idealkonkurrenz zwischen den verschiedenen Anstiftungen und Beihilfen nach StGB. § 73 vorliegen. Meyer-Allfeld S. 211. So auch 3 D 118/05 v. 26. VI. 05 abweichend von der sonstigen Auffassung des RG. Das Reichsgericht ist gegenteiliger Mei­ nung, RGSt. 3 145, 4 95, 5 227, 8 153,11 37, 38 26 u. a. Ebenso Bauer, Die akzessorische Natur der Teilnahme (1904) S. 112. Dabei wird aber das Wesen der Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat verkannt und die Einwirkung der sog. „akzessorischen Natur" überspannt. Der natürlichen Betrachtungsweise wird zugunsten einer juristischen Konstruktion Gewalt angetan. Niemals vermag die Theorie eine einzige Handlung, die mehrere zu verschiedenen Handlungen anstiftet, zu mehreren natürlichen Handlungen zu stempeln. Es liegen zwar mehrere Anstiftungen und BeihUfen vor, aber begangen durch ein und dieselbe Handlung. Ebenso Frank Anm. III 3 zu § 73; A. Köhler S. 498; v. Olshausen, Anm. 19 zu § 73; v. Liszt § 52. — Wo die Teilnahmehandlung zum selbständigenDelikt erhoben worden ist, hat sie ihre Abhängigkeit von der Haupttat verloren. Hier erkennt auch das RG. die Möglichkeit einer Mehrheit oder Einheit von Handlungen im natürlichen Sinne an, RGSt. 1 350, 4 60; Rechtspr. 3 391. e) Beim Zusammentreffen verschiedener Teilnahmeformen bei ein und derselben Haupttat kommt nur die umfassendere noch in Be­ tracht, da die weniger umfassende ihr subsidiär ist. So wenn der Anstiftung die Beihilfe nachfolgt, nur Anstiftung, RGSt. 47 372, 53 19ü; IW. 1921 839 -; ferner: RGSt. 2 145, 16 374, 27 273, 33 401, 53 189. f) Beim Zusammentreffen mehrerer gleichartiger Teilnahme­ formen bei ein und derselben Haupttat, wie z. B. mehrerer Beihilfe­ handlungen, liegt an und für sich, wenn die verschiedenen Bechilfen auf Grund selbständigen Borsatzes in selbständigen Handlungen geleistet werden, der Fall des § 74 vor. Diese mehrtätigen Beihilfshandlungen werden aber, auch wenn sie nicht, was die Regel sein wird, auf einheitlichem Vorsätze beruhen, rechtlich zu einer einheitlichen Beihilfe, einer Art Kollektivd elikt zusammen gefaßt. Alle Teilnahmehandlungen an ein und derselben fremden Tat bilden eine Einheit, sodaß sowohl StGB. § 73 wie § 74 ausgeschlossen ist, IW. 1921 839 2. Was von den verschiedenen Teil­ nahmeformen gilt, muß auch von den gleichartigen angenommen werden. RGSt. 36 25. Meyer-Allfeld S. 211. 3. Die Urheberschaft wird zu Miturheberschaft in folgenden Fällen: ;i) bei der Mittäterschaft. Jemand kann sich mit einem Täter, der gleichfalls Urheber einer Straftat werden will, dergestalt verbinden, daß sie durch gemeinsames Tun eine gemeinsame Ursache der von jedem gewollten Tat setzen. Jeder ist dann zum Teil unmittelbarer Eigen­ täter, zunr andern Teil zugleich mittelbarer Täter, insofern er durch das Tun des Genossen zugleich seinen eignen Willen als Urheber verwirklichen will, Kohler, Leitfaden des Strafrechts S. 36. Die Mittäterschaft braucht sich aber nicht notwendig auf die Verwirklichung des ganzen Tatbestands

in demselben Umfange wie beim andern Mittäter zu erstrecken, sie kann auch nur einen Teil der Straftat umfassen. So kann sich die Mittäterschaft auf das gemeinschaftliche Mißhandeln befchränten und nur bei dem einen der Tötungsvorsatz vorliegen. Es kann auch nur das Eindringen in ein Gebäude in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken geschehen, die Wegnahme von Sachen und ihre Aneignung darin dann von jedem in Einzeltäterschaft vorgenommen werden, was wichtig für die Frage ist, ob Entwendung nach § 370 Nr. 5 oder Diebstahl nach § 243 angenommen werden muß. Zum Unterschied von der Teilnahme im engeren Sinne liegt hier keine Abhängigkeit der einen Mittäterhandlung von der andern derart vor, daß die eine bestimmend auf die andere wirkt, diese ihr akzessorisch ist. Der Mittäter bleibt immer selbständiger Täter. b) Bei der Anstiftung. Wer mit dem Willen, einen strafbaren Erfolg zu ver­ ursachen, in einem anderen den Vorsatz erzeugt, seinerseits diesen Erfolg herbeizuführen, bleibt selbst noch Urheber dieses Erfolgs. Er ist nur der entferntere Urheber für eine nähere Bedingung, nämlich die Erzeugung des Vorsatzes zur Tat im andern, der die unmittelbare Ursache zur Tat wird. Die Anstiftungstätigkeit ist mit der Vorbereitungshandlung gegen­ über der unmittelbaren Ausführung der Tat zu vergleichen, sie bringt zu­ nächst nur eine Gefährdung des Rechtsguts, das erst durch die Handlung des Angestifteten die endliche Verletzung erfährt. Da nur beim Eintritt des letzten Erfolges der Haupttat die Verursachung des Zwischenerfolges, der Erzeugung eines deliktischen Willens, strafbar wird und diese von der Natur der verursachten Haupttat ihren Charakter erhält, liegt echte Abhängigkeit, akzessorische Teilnahme vor. c) Bei der Nebentäterschaft (schlecht auch „zufällige Mittäterschaft" genannt). Auch hier liegt zwar ein Setzen von verschiedenen als Ursachen anzusprechen­ den Umständen vor, die in ihrer Vereinigung ober auch allein jeder für sich den einen Erfolg herbeizuführen geeignet sind. Es fehlt aber das verknüp­ fende Band des Willens, zusammenzuwirken, wie es bei der Mittäterschaft vor­ handen ist. Vor allem will kein Nebentäter mittelbarer Täter in dem Sinne fein, daß er die Tätigkeit des andern als die seine gelten läßt, noch will der andere seinerseits zugleich als Werkzeug für den Einen tätig fein. Selbst eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs stattfinden müßte; Wolf die ein­ seitige bloße Benutzung derTätigkeit desAndern macht diese noch nichtzu einer Mittäterschaft. Die Nebentäterschaft kann auch erst nach Beginn der Tätigkeit des andernTäters eintreten, ohne daß dadurch notwendig imRechtIX S.256; RGSt. 14 92, 43 295. So kann jemand durch mehrere von einander un­ abhängig auf ihn einwirkende Personen in Nebentäterschaft angestiftet wer­ den. Vgl. hierzu E. 19 § 31, der auch fahrlässige Nebentäterschaft kennt. 4. Beihilfe ist von der Urheberschaft der Hauptat zu unterscheiden. Der Gehilfe will weder als unmittelbarer noch als mittelbarer Täter den strafbaren Erfolg des Haupttäters herbeiführen, er will auch nicht, wie der Anstifter eine entferntere Ursache für diesen etwa von ihm gewollten Erfolg fetzen. Viel­ mehr beschränkt sich der von ihm allein gewollte Erfolg ausschließlich auf die Förderung der Tätigkeit eines andern, die ihrerseits Ursache zu dem Erfolg werden will. Der Gehilfe muß sich natürlich den Erfolg der Haupt­ tat vorstellen, da er anders die Tätigkeit, die er fördern will, nicht erkennen kann. Der Erfolg der Haupttat wirkt als Vorstellungsinhalt bei ihm aber nur insoweit, als dieser ein Element zur Willensbildung für das Fördern einer fremden Tat abgibt, nicht zur Willensbildrmg der eignen Verur -

jachung dieses Erfolgs. Der Gehilfe will nicht den Erfolg der Haüpttat, er stellt ihn fich nur als Erfog einer ihm fremden Handlung vor, auf deren bloße Förderung und Unterstützung sich sein Wille und Borsatz beschränkt. In dieser Beschränkung ist notwendig zugleich die Abhängigkeit von einer Haupt­ tat gegeben. Abweichend RGSt. 56 170. 5. Teilnahme an einem Sonderverbrechen. Sonderverbrechen, deli. weiteren Sinne, wie Anstiftung und Beihilfemöglich. §50 kommt hier nicht in Frage, da es sich nicht um straferhöhende Umstände, soirdern um strafbegründendeUmstände handelt. Nur bei uneigentlichen Beamtendelikten, die keine Sonderdelikte sind, wird § 50 von Bedeutung. So die herrschende Meinung und RGSt. 15 398, 25 234, 36 148; vgl. namentlich Nagler, Teilnahme, S. 83, Beling, Lehre vom Berbrechen S. 425. 6. Die sogen, notwendige Teilnahme. Gewisse Straftaten enthalten einen Tatbestand, der zu seiner Verwirklichung die Beteiligung mehrerer zu beut unter Strafe gestellten Tun oder Unterlassen erfordert, Freudenthal, Die notwendige Teilnahme am Verbrechen (1901) S. 100; § 35 MStGO. v. 1. XII. 1898. a) Es gibt Tätigkeiten, die begrifflich zur Erreichung des mit ihnen be­ zweckten Erfolgs des Zusammentreffens mit der Tätigkeit eines andern bedürfen. Es müssen einander korrespondierende Hand­ lungen vorliegen, die durchaus von gleichartigen zu unterscheiden sind. So bei Abschluß eines Vertrags, bei dinglichen Übertragungen. Im bürger­ lichen Recht ist dies bei den gegenseitigen Verträgen eine bekannte Erschei­ nung. Niemand kann verkaufen, wenn nicht der andere kauft, niemand kann geben, wenn nicht der andere nimmt. Erst die Vereinigung der für sich verschiedenen Tätigkeiten zu einem Ganzen bringt den auch für jede einzelne Tätigkeit gewollten gemeinsamen Erfolg. Nach Freudenthal a. a. O. spricht man hier von BegegnnngSdelikten. Der Herbeiführung eines Er­ folgs gegenüber, zu dem notwendig zwei solche korrespondierende, sich er­ gänzende Tätigkeiten verschiedner Personen erforderlich sind, kann sich mm der Gesetzgeber, der den Erfolg verhindern will und als rechtswidrig mißbilligt, auf verschiedene Weise verhalten. Einmal kann er die gesamte korrespondierende TätigkeitbeiderTeile verbieten. Will er den Abschluß eines Kaufs mißbilligen, so kann er sowohl das Verkaufen als das Ankaufeil unter Strafe stellen. Er kann aber auch aus kriminalpolitischen Gründen sich nur gegen diceine SeitederTätigkeiten wenden und nur das Verkaufen oder nur das Ankäufen, oder gar nur eine Teiltätigkeit des Verkäufers oder Käufers mit Strafe bedrohen, sofern er gerade in dieser das Verwerfliche und Schädliche und besonders Treibende für den Erfolg erblickt. Jener Fall liegt vor bei dem Verbot des Kettenhandels als des Einschiebens eines unwirtschaftlichen, darum unlautern Zwischenhandels. Bei § 1 Nr. 4 der Preistreibereiverordnung pom 8. V. 18 richtet sich das Verbot sowohl gegen

den Berläujer als gegen den Käufer. Beim verbotenen Kettenhandel ist der Verkäufer, der unwirtschaftlich an einen gleichstehenden Abkäufer ver­ kauft, ebenso wie der Abkäufer, der unwirtschaftlich von einem gleichstehenden BeMufer kauft, je ein selbständiger Täter, Lobe, Kommentar z. PreistrBO. S. 90; RGSt. 51 54; RGSt. in LZ. 18 318. Dagegen richtet sich das Verbot des § 1 Nr. 1 der gen. PreistrBO. nur gegen den Verkäufer und zwar bedroht er sogar nur einzelne Berkaufshandlungen: das Fordern, sich versprechen lassen und sich gewähren lassen von über­ mäßig hohen Preisen. Die korrespondierende Tätigkeit des Abkäufers, die im Versprechen und Gewähren solcher Preise besteht, ist nicht verboten, Lobe, Komm. z. PreistrBO. S. 76. Beide Seiten der korrespondierenden Tätigkeit werden wieder bei den Verabredungen nach StGB. § 83, Mil. StGB. v. 20. VI. 72 §§ 59,103, bei StGB. § 109, § 334 Abs. 1 u. 2, HGB. § 318 s Leihen und Verleihen von Aktien) vom Verbot getroffen. Das Gleiche liegt vor bei StGB. §§ 142 Abs. 1 u. 2, 171, 173, 205, 320 Abs. 2 usw. Nur eine Seite der korrespondierenden Tätigkeiten dagegen wird verboten u. A. in StGB. § 84, § 87, § 301, § 184, § 331 KO. § 211, 243, usw. Vgl. Freudenthal a. a. O. S. 111 ff. RGSt. 2 440, 5 436, 8 294, 13 181, 23 242; Rspr. 4 28. Wo nur die eine Seite der kor­ respondierenden Tätigkeit vom Gebot und Verbot getroffen und zur Bildung einer Straftat verwendet wird, bleibt die andere Seite zwar Teilnahme im natürlichen Sinne, sie gehört aber nicht zum Tatbestandsnrerkmal des Delikts und es ist dann auch für die Anwendung der Vorschriften des StGB, über die Teilnahme nach §§ 47 ff. kein Ramu. RGSt. 2 440, 5 436, 8 294, 13 181, 23 242; Rspr. 4 28. Die Folge hiervon ist, daß es für das Vorhandensein eines Delikts, das nur aus der einen Seite der korrespoirdiereridcn Tätigkeit gebildet worden ist, auf Deliktsvoraus­ setzungen auf der andern Seite nrcht ankommt, RGSt. 19 192. Über die Frage, ob eine über diese notwendige korrespondierende Tätig­ keit hinausgehende Teilnahme i. S. von §§ 47 ff. an der verbotenen korrespondierenden Tätigkeit des andern Teils strafbar ist, s. unter II vird nicht unter der Ursache verstanden, nach der man bei der eingetretencn Wirkung forscht. Die Feststellung, daß eine oder mehrere Kräfte oder Kraft­ träger als notwendige Bedingungen für ihr Wirken überhaupt da waren, bringt uns daher nicht weiter. Daß ihr Dasein conditio sine qua non der Wirkung sein muß, macht sie noch nicht zur Ursache der Wirkung für den für das Recht in Betracht kommenden Vorgang. Ist nun weiter Kraft das von einem Ge­ genstand auf den andern Wirkende und kann dies nach der uns allein zugäng­ lichen Art unseres Erkennens nur in raumzeitlicher Form geschehen, so folgt mit Notwendigkeit, daß die Wirkung als erfolgte Änderung eines Zu-

stand es der Erscheinungswelt auch raumzeitlich bestimmt sein muß und zwar dort, wo das Wirken verschiedener Kräfte zeitlich und räumlich zusammentrifft, in ihrem Kreuzungspunkt. Soll der fallende Stein den Körper eines Menschen verletzen, so müssen Stein und Körper räumlich und zeitlich Zusammentreffen, und daß dies geschieht, muß dadurch herbeigeführt worden sein, daß der Stein zu bestimmter Zeit und in bestimmter Richtung durch die Schwerkraft bewegt wurde und ebenso der Mensch zu be­ stimmter Zeit und in bestimmter Richtung sich bewegte. Die beider Bewegungen treibende Kraft muß sonach zu bestimmter Zeit und nach bestimmter Richtung in Tätigkeit treten, sollen sie sich kreuzen in ihren Wegen und die durch ihr Zusammentreffen im Kreuzungspunkt ein­ tretende Wirkung hervorbringen. Dazu bedarf es aber ihrer Auslösung und ihres Antriebs in einem vorausgegangenen Zeit­ punkt und an einem räumlich entferntliegenden Ort. Der Umstand nun, der diese Auslösung der Kraft zu der bestimmten Zeit und in der bestimmten Richtung gibt und der notwendig selbst wieder eine Kraft­ wirkung ist, da anders nicht die Auslösung und Richtungsgabe einer andem Kraftwirkung möglich ist, wird Ursache genannt. Sofort leuchtet ein, daß es hier­ nach gleichzeitig mehrereUrsachen für den Eintritt eines Erfolgs geben muß, da ja mehrere Kraftwirkungen in einem Kreuzungspunkte Zu­ sammentreffen müssen, um einen bestimmten Erfolg zu erzeugen, mehrere Kräfte sonach der Auslösung und Richtunggabe bedürfen. Die Kraft, die die Wirkung der Schwerkraft auf den Stein zur Auslösung und dadurch diesen zum Fallen bringt, vermag nur dann die Körperverletzung eines Menschen zu verursachen, wenn gleichzeitig eine andere Kraft mit.virkt, die den Menschen in den raumzeitlichen Kreuzungspunkt mit der Wirkungslinie jenes fallenden Steines führt. Sodann erhellt, daß es u ä h e r e und entferntere Ur­ sachen gibt, insofern die Auslösung der Kraft, deren Wirkung in ihrem Kreu­ zungspunkte die unmittelbare Ursache bildet, ihrerseits wieder Wirkung von anderen Kräften ist, die in ihrem Kreuzungspunkt Zusammentreffen und in gleicher Weise von anberen vorzeitig und räumlich entfernt wirkenden Kräften ausgelöst worden sind. So auch Stammler Wirtsch. und Recht (3. Ausl.) S. 362. So ist die Lösung des Steins von der Verbindung mit dem Mörtel, die die Auslösung der Wirkung der Schwerkraft auf ihn bewirkt, selbst wieder die Wirkung auf diesen Mörtel einwirkender Kräfte, vielleicht des Sturms oder Regens, vielleicht eines das gewaltsame Abbrechen bewirkenden Menschen, vielleicht weit zurückliegender nachlässiger Herstellung des Mörtels durch den Maurer, vielleicht unsachgemäßer Aufstellung zufolge falscher Konstruktion des Architekten. Und die Bewegung des Menschen, die ihn an den Auffallpunkt des Steins führt, ist vielleicht die Wirkung eines ihm von einem Dritten ge­ gebenen Stoßes und daher unfreiwillig, oder durch einen beeinflußten oder einen unbeeinflußten Willen des Menschen hervorgerufen. Für den vom Erfolg ausgehenden rückschauenden Beobachter zeigen sich daher stets mehrere sowie nähere und entferntere Auslösungen wirkender Kräfte als Ursachen. Damit zerfließt zugleich die Auffassung eines einheit­ lichen in sich abgeschlossenen Vorgangs als eines Ausschnitts aus der unend­ lichen Reihe des Geschehens. Das Recht aber hat es nur mit solchen bestimmten abgeschlossenen Vorgängen zu tun, es will daher einen Anfangspunkt des Vorgangs festgestellt wissen. Und da für es als die Ursache in erster Linie Handlungen von Menschen in Betracht kommen, fragt es, wann kann von einer Kräfte auslösenden und so zu einem bestimmtenErfolg führendenHandlung

gesagt werden, sie komme als Ursache in Betracht. Wie das geltende StGB, schweigt sich auch E. 19 darüber aus, wie weit für den Erfolg gehaftet werden soll. 2. Am weitesten zurück in die Vergangenheit geht die auch v«m de« Etraf» seuateu des RG. vertretene Auffassung v. VuriS, wonach jede conditio sine qua non als gleichwertig und als Ursache anzusprechen ist. RGSt. führt in 1 D 527/16 25.1.1917 z. B. aus: „Im strafrechtlichen Sinne gilt jede Handlung oder Unterlassung als Ursache, die nicht weggedacht werden kann, ohne daß dadurch der rechtswidrige Erfolg entfiele. Trifft dies zu, so hört die Ursache nicht auf, Ursache zu sein, wenn außer ihr noch andere Ursachen mehr oder weniger zur Herbeiführung des Erfolgs beigetragen haben. Auf den Grad der Verursachung kommt es nicht an." Vgl. ferner RGSt. 1 373, 5 29, 6249,7332,9148,15151,19141,27 80,3491; Rspr. 3641; RMG.8 274, 13 36, 215. Ebenso v. Buri GerS. 29 269; ZStRW. 1 400; Die Kausalität (1873); Liszt § 29 II; Beling, Grdz. 30; Frank § 1 III; Mayer S. 139. I. Mill, System der beb. u. indukt. Logik; M. E. v. Brunneck, Die herrschende Kausa­ litätstheorie (1897) S. 32; Finger 1 274; Hartmann, Das Kausalproblem (1900); Hälschner 1 227; v. Lilienthal 28; über ausländische Auffassungen vgl. G. Kück, Die Lehre vom Kausalzusammenhang im ausl. Strafrecht (1911). Besonders weit geht Fischer, Das kausale Element im sog. Begehungsdelikt durch Unterlassung, ZStRW. 23 S. 467, wonach „grundsätzlich von einem Faktor, damit er i. S. des Strafrechts als Ursache gilt, nichts weiter verlangt werden könne, als daß er den Eintritt des Erfolges ermögliche, nicht daß darin ein zwingendes Hinwirken auf den Erfolg liege". Zutreffend bemerkt Staffel, Zur Fortbildung der Lehre von der adäquaten Vereinfachung a. a. O. S. 425, eine andere conditio sine qua non als die aus einer Wahrscheinlichkeit ab­ geleitete, existiere nicht. Ihre praktische Korrektur erhält dieser weitgehende Ursachenbegriff, der die logische Gleichwertigkeit aller Bedingungen mit der juristischen und praktischen annimmt (Mezger in StRZ. 1921 205), durch die Beschränkung, die die für die Strafe allein maßgebende Zurechnung zur Schuld bringt. Für das Strafrecht konrmt es aber nicht auf die logische Rechtfertigung des allgemeinen Begriffs „Ursache" an, sondern darauf, darzutun, welche Handlungen nach den Bedürfnissen des Lebens verboten und erlaubt sind, wo für sie also die Verursachung beginnt und aufhört. Vgl. auch Kriegsmann GerS. 68 315. 3. Andere Auffassungen suchen aus der Unendlichkeit dieser Zahl von Be­ dingungen, die nicht weggedacht werden können, ohne daß der Erfolg entfiele, und zu denen schließlich die Erschaffung der Welt selber als letzte Ursache gehört, einige herauszuheben und bezeichnen sie dann allein als „Ursache", a) Nach Ortmann soll die letzte Bedingung Ursache sein. Dieser seien früher Hairdlungen dritter gleichzustellen, wenn sie die spätere Hand­ lung durch Zwang oder Irrtum hervorgerufen haben, GerS. 439 ff. b) Nach $8 ir Im et) er, GerS. 37 und „über Ursachenbegriff und Kausal­ zusammenhang" (1885) ist Ursache die wirksam st e Bedingung, die mehr als die übrigen zum Erfolg beigetragen hat (Übergewichtstheorie). Dagegen Merkel 103. c) Binding , Normen I S. 116 und Normen II S. 492 bestimmt „Verur­ sachung" als die Herbeiführilng des Übergewichts der positiven Bedingungen über die negativen Bedingungen durch den menschlichen Willen, beschränkt sich also streng auf die Bestimnkung, wann der mensch­ liche Wille Ursache ist, weniger darauf, was der Begriff der Ursache an sich ist. Er sieht in den positiven Bedingungen die „zum Erfolg hinstrebertden Kommentar ;. Strafgesetzbuch.

8. Ausl.

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Umstände", in den negativen die „chn abhaltenden Umstände", S. 491. S. 628 ergänzt er sich dahin: „Die Kansalitätsnrsache wird nur kritisch, wenn die zwecks Veränderung der Lage vom Angeklagten ergriffene Hand­ lungsweise nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg unter­ blieben wäre. Dann ist zweifellos in dem Erfolg ein Koeffizient seines Willens enthalten. Nun erst erhebt sich die Frage: Bedingung oder Ur­ sache. Ursache ist der Wille, wenn die ganze Veränderung al- Erfolg der Handlung des Angeklagten betrachtet werden muß, wenn seine Energie es war, die den Sieg über die negativen Bedingungen davon­ getragen hat. Die Bemessung dieser Energie beruht wesentlich auf indi­ vidueller Schätzung." — Vgl. Givanovitsch, Du principe de causalitfe esliciente (1908) S. 48. M. E. Mayer S. 144. d) Kohler, Studien aus dem Strafrecht 1 S. 83 ff. (1890). GA. 51 337 und Wachenfeld 89 sehen ähnlich wie Biriding als Ursache die Ent­ fesselung der auf den Erfolg hinlenkenden Kraft, das die Richtung auf ihn bestimmende Element. e) A. Riehl, Der philosophische Kritizismus Bd.2 S.267 (1879) setzt den ruhenden Zustand in Gegensatz zu dem veränderten, be­ wegten Zustand, und erklärt diesen für die Ursache, wenn er be­ wegend und verändernd in einen andern unbewegten Zustand eingreift. Ursache unb Wirkung sind die zu notwendiger Suggestion in der Zeit ver­ knüpften Veränderungen. So auch Fischer, Das kausale Element im sog. Begehungsdelikt durch Unterlassung, ZStRW. 23 459; Erfolg ver­ ursachen heißt, seinen Eintritt ermöglichen durch Hervorbringen einer Veränderung, durch die die Entstehung des Erfolgs bedingt ist. Diese Veränderung ist Umschaffung eines Zustandes in den andern, durch den die Entstehung immer weiterer Zustände bedingt wird. Ebenso v. Rohland, VglDarst. 1 S. 349. Kohler, Wachenfeld u. a. Auch Binding, Normen II S. 627 stellt auf die Veränderung der Lage ab, die der Täter vorfand und in die er eingriff, und scheidet die „Borhandlungen, die zur Schaffung der von ihm abzuändernden Lage notwendig waren, vollständig aus. Nur bez. der nach Beginn bet Handlung eingetretenen Abänderung werde die Berursachungsfrage bedeutsam". Gegen den Unterschied von bewegten unb unbewegten Zuständen E. Hartmann, Das Kausalproblem (1900) S. 38 ff.

4. Bon einem andern Gesichtspunkt aus sucht die von Kries begründete Lehre von der adäquate« Verursachung dem Problem beizukommen. Um die uferlose Ausdehnung der Gleichwertigkeit aller Bedingungen nach dem Grundsatz der conditio sine qua non (zu 2) einzuschränken, beläßt sie es zwar begrifflich dabei, daß jede Bedingung als Voraussetzung für den Erfolg von Bedeutung ist, sofern sie nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele, umgrenzt aber den Kreis des in Betracht kom­ menden Geschehens nach dem Gesichtspunkt der Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit der Folgen, die diese Bedingungen nach bett Erfahrungen des Lebens unb Kenntnissen des Naturgeschehens nach sich ziehen, bte baher ben Bebingungen „angepaßt", „angemessen" (abäquat) erscheinen und somit nach dem Erfahrungsschatz der Menschen den typischen Verlauf der von den Bedingungen ausgelösten Wirkungen darstellen und baher berechen­ bar sind. Nur den innerhalb dieses zu bestimmenden Kreises oder Spiel­ raums gelegenen Bedingungen, die eine, spezifische Gefahr des Erfolgs bilden, wird dann der Erfolg als von ihnen verursacht zugerechnet.

Es wird also aus den unendlich vielen Bedingungen durch Zurechnung zur Verursachung eine Anzahl herausgehoben, ähnlich, wie dann der so verursachte Erfolg wieder dem Urheber zur Schuld verantwortlich zugerechnet wird. Im einzelnen wird dieser Gedanke verschieden aus­ gestaltet, Liepmann, GA. 52 326 ff. Radbruch, Die Lehre von der ad­ äquaten Verursachung (1902). Ferner zu beachten Rosin, Uber die Betriebs­ gefahr int „Recht der Arbeiterversicherung" (1890/92). Vertreter dieser Theorie sind namentlich außer v. Kries: Merkel, Liepmann, Heß, Hartmann, v. Rohland, Träger, Kriegsmann, Krückmann, Rümelin, Rumpf, Zitelmann, Köhler, Ortmann, Meyer-Allfeld u. a. — Siehe hierzu unter VIII 2. Die

Zivilsenate des Reichsgerichts habe« diesen Ursachenbegriff ausgenommen. RGZ. 34 91, 69 59, 344, 78 270, 81 359 u. A. fordern für einen rechtlich beachtlichen Zusammenhang der Ereignisse, daß die nur mittelbar eingetretene Folge nicht in einem so entfernten Zusammenhang mit dem als Ursache in Anspruch genommenen Ereignisse stehen darf, daß er nach der Auffassung des Lebens vernünftigerweise nicht mehr in Betracht gezogen werden kann. Niemand haftet für völlig außergewöhnliche Wirkungen seiner Tat, für unberechenbaren Zufall. Hierbei werden wieder verschiedene Standpunkte eingenommen: a) Der Täter muß den Erfolg nach seinem Erfahrungswissen als mög­ lichen und wahrscheinlichen voraussehen, v. Bar 2 199, 201; v. Kries, Prin­ zipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung (1886) und über den Begriff der objekt. Möglichkeit, Bierteljahrsschrift f. wissensch. Philos. 12 (1888) 181 ff.; Merkel-Liepmann 121. b) Der verkehrserfahrene Mensch muß den Erfolg als Folge der Bedingung als erfahrungsgemäß eintretend voraussehen können, Mfeld 164; Kriegsmann GerS. 68134; v. Rohland, Prakt. Kausallehre 46; Träger, Kausalbegriff 159 läßt die Bedingungen gelten, die dem ein­ sichtigsten Menschen oder dem Täter (etwa krast seines überdurch­ schnittlichen Wissens) zur Zeit der Tat als den Erfolg herbeiführend bekannt waren. Hartmann, Kausalproblem mit besonderer Berücksichtigung des Berursachungsbegriffs des StGB. S. 51. So auch RGZ. 81 359. c) Der objektive Beobachter (Richter) muß die bei der Handlung schon vorliegenden Bedingungen haben erkennen und mit den später ein» tretenden haben rechnen können. Diese „nachträgliche Prognose" soll der Mchter vornehmen. Rümelin, Arch. f. ziv.Prax. 90171. Meyer-Allf. S. 109. Dagegen Radbruch, Die Lehre von der adäquaten Verursachung (1902).

B. Durch (scheinbares) Unterlassen. 1. Ein Zuwiderhandeln gegen ein Verbot kann nicht nur durch Körper­ bewegung, sondern auch durch gewollte Körperruhe verübt werden und es entsteht dann die Frage, worin solchenfalls die Verursachung eines verbotenen Erfolgs besteht. Man spricht hier von mlechle« UnterlassnugSdelitten, delicta commissiva per ommissionem. Daß durch solche Unterlassungen rechtswidrige Erfolge verursacht werden können, wird wiederholt vom StGB, anerkannt, z. B. § 322 Abs. 1 und 2, wo das Nichtaufstellen von Feuer­ zeichen als Ursache für die Strandung des Schiffes und direkt als Handlung bezeichnet wird. Bon Bedeutung ist die neue Regelung in E. § 16: „Wegen Herbeiführung eines Erfolgs durch Unterlassung ist nur strafbar, wer rechtlich verpflichtet war, den Eintritt des Erfolgs durch Handeln zu verhindern. Diese Pflicht besteht auch für den, der durch seine Tätigkeit die Gefahr des Eintritts

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Einleitung.

des Srfolgs herbeigeführt hat." Eine entsprechende Vorschrift fehlt im StGB. Vgl. hierzu „Unterlassene Lebensrettung" von Kleinfeller in StRZ. 1921 197. 2. Auch hier begegnen verschiedene Auffassungen. Eine Übersicht bringt Meyer-Mfeld S. 113 ff. a) Nach der sog. Jnterferenztheorie beruht die Verursachung in der Vornahme eines Willensentschlusses als inneren Seelenvor-g a n g s. Sie schließt sich im übrigen der Theorie der conditio sine qua non an. Ist diese Vornahme des Entschlusses, nicht zu handeln, eine nicht wegzudenkende Bedingung für den Eintritt des Erfolgs, soll dieses NichtHandeln Ursache geworden sein; v. B u r i, ZStRW. 1 400, dagegen v. Bar 2 251; Liszt 133; Träger, Das Problem der Unterlassungs­ delikte 18. b) Nach Luden, Abhandl. 2 227 soll die statt der unterlassenen und wäh­ rend der Unterlassung anderweit vorgenommene Tätig­ keit die Ursache für den Erfolg bilden. Dagegen mit Recht schon v. Bar 2 249. c) Nach Merkel-Liepmann 134 soll die Ursache in einem v o ran gegangenen $ itn des Unterlassenden liegen. Dann müßte folgerichtig, wenn dieses Tun schuldlos begangen wurde, ein dolus subsequens aber nicht beachtlich ist, ein späteres schuldhaftes Unterlassen gleich­ wohl unberücksichtigt bleiben, weil es nicht ursächlich wurde. Diese Folge zieht in der Tat Kraus, ZStRW. 23 789. d) Nach Binding Normen II 577 trägt die Borhandlung einen doppelten Charakter: zur Hälfte fördert sie die Gefahr, zur Hälfte hindert sie die Gefahr. Das Setzen der abhaltenden Bedingungen durch sie soll nach Ansicht des Handelnden ein Äquivalent für das Schaffen positiver (fördernder) oder das Vernichten negativer (hindernder) oder das Verhindern der Ent­ stehung negativer Bedingungen sein und diese Absicht muß sich realisiert haben, das Äquivalent muß die Wirkung der Förderung suspendieren. Dies tut es aber nur solange es erhalten bleibt, die selbstgesetzte Förderung hemmt. Dann bedeutet Unterlassung Aufgeben dieses Äquivalents, und darin liegt die Verursachung, indem durch Nichthemmen der selbst­ gesetzten Kausalität ihr Lauf gelassen wird. e) Andre, wie Beling, Lehre vom Verbrechen 224, Liszt § 30 erblicken eine Verursachung schon darin, daß ein Erfolg nicht gehindert wurde, obwohl er gehindert werden konnte und stellen nur die Verant­ wortung zur Schuld darauf ab, ob man verpflichtet war zu hindern ober nicht. f) Nach Wachenfeld 95 liegt das kausale Element in der Übernahme der Herrschaft über einen bereits angeregten Kausalitätsvorgang. Hiermit berührt er sich mit Binding a. a. O. S. 561, der das Wesen der Handlung darin sieht, „daß der Urheber sich mittels ihrer als eine zur Abhaltung be­ stimmter schädlicher Erfolge wirkende Bedingung, als ein „Garant" da­ gegen aufstellt. g) Vielfach wird endlich auf die Erwartung vom Standpunkt des Interessenten abgestellt. Die Unterlassung der Handlung, die den Gang der Ereignisse durchkreuzen würde, wenn sie vorgenommen wäre, wird zur verursachenden Unterlassung, wenn der Interessent ihre Vornahme erwarten durfte, Allfeld 172; Merkel-Liepmann 135; A. Köhler 215. Diefe Erwartung ist insbesondere dann vorhanden, wenn der Unter­ lassende zuvor ein Geschehen in der Natur in Lauf gesetzt hat ober wenn

das Gesetz das Tun geradezu gebietet, Stöckmann, über Kausalität lind Verantwortung i. Strafr. 38. h) Endlich wird als besonderer Fall, in dem die Handlung zu erwarten war, der betrachtet, daß eine Rechtspflicht zu ihrer Vornahme bestand. So auch E. 19 § 16 und Meyer-Allfeld S. 116, Liepmann S. 79. Eine bloß sittliche Pflicht zum Handeln genügt nicht. Diese Auffassung reicht schon an das echte Untcrlassungsdelikt heran. 3. In Wahrheit liegt in allen diesen Fällen kein bloßes Nichttun, über­ haupt kein bloßes Unterlassen vor, sondern ein sehr energisches Tun. Nur das Wesen dieses Tuns und sein Inhalt ist von dem unmittelbaren Aus­ lösen einer kausalwirkenden Naturkraft verschieden. Geht man davon aus, daß jede Wirkung der Kreuzungspunkt mindestens zweier raumzeitlich wirkenden Kräfte ist, so wird jede die Zeit und Richtung der einen Kraftwirkung beeinflussende dritte Kraft, die in einer zeitlich vorher stattfindenden Kreuzung auf sie trifft, die Entstehung des zweiten Kreuzungspunktes, also den durch das Zusammentreffen jener ersten beiden Kräfte entstehenden Erfolg verhindern. Es findet ^ann überhaupt keine Ver­ ursachung dieses Erfolgs statt. Sofern nun aber wieder jene dritte Kraft ebenso durch ein Zusammentreffen mit einer vierten in ihrer Einwirkung auf eine der beiden ersten Kräfte gehindert wird, steht der Auswirkung dieser und chrem Zusammentreffen in einem Kreuzungspunkt kein Hindernis mehr entgegen. Daher wird die Auslösung einer eine andere in ihrer Wirkung hin­ dernden Kraft zur entfernteren Ursache für diejenige KraftWirkung, die nun durch jene behinderte Kraft ihrerseits nicht mehr gehindert wird. Diese Ursacheneigenschaft liegt aber nicht nur dann vor, wenn eine Kraft a die Auswirkung einer Kraft b tatsächlich schon hindert, sondern auch dann, wenn eine Kraft a derart in Bewegung gesetzt wird, daß sie die Auswirkung einer Kraft b bei ihrem Fortwirken so rechtzeitig hindern würde, daß sie zu einem bestimmten Erfolg nicht mehr bei­ tragen kann. Beispiel: Die Auslösung der Schwerkraft eines Steines führt dessen Fall herbei. Im ungehinderten Weiterfallen würde er die Bewegungsrichtung eines Menschen kreuzen, mit diesem zusammentreffen und ihn verletzen. Wäre nun in der Fallrichtung des Steins ein Balken schon vorgeschoben gewesen, ehe der Stein die Bewegungsrichtung des Balkens erreichte, so daß er auf diesen auftrifft nnb damit im Weiterfallen verhindert oder doch in seiner Richtung abgelenkt wird, so wird das Zustandekommen der Kreuzung mit der Bewegungsrichtmig des Menschen verhindert, die Verursachung einer Körperverletzung durch den Fall ausgeschlossen (Unterbrechung des Kausalzusammenhangs). Wenn dann etwa durch Zurückziehen des Balkens der Stein von neuem wieder zu Fall gebracht wird, so wird das Zurückziehen zur neuen Ursache des Fallens und einer etwa doch noch herbeigeführten Körperverletzung. Die den früheren Fall verursachende Kraft wirkt hierbei nicht mehr mit. War dagegen der Balken beim Beginn des Falls des Steins noch nicht soweit vorgeschoben, daß er dessen Richtung kreuzte, war jedoch bereits die Beweg ii n g so eingeleitet, daß sie in ihrem ungehinderten Weiterwirken den Balken vor seiner Kreuzung mit der Bewegungsrichtung des Steins in dessen Fallrichtung bringen mußte, so war schon dadurch eine Lage von verschiedenen Srafttoirtungen geschaffen, die in ihrem ungeh ind erten Weiterwirken einen Zustand herbciführte, der dem gleichkam, daß der Balken vor der Kreuzung mit dem fallen-

den Stein in der Fallrichtung vorhanden war und damit dessen Weiterfallen hinderte. Wird daher die Fortbewegung des Balkens ge­ hemmt, bevor er die Fallrichtung kreuzt, so wird damit eine andere Lage der wirkenden Kräfte geschaffen, eine im entschei­ denden Moment dem fallenden Stein sonst entgegenwirkende Kraft wird an dieser ihrer Wirkung gehindert. Damit aber wird diese die Fortbewe­ gung des Balkens hindernde Krast zur Ursache, daß der Stein nunmehr un­ gehindert weiterfällt, und somit zur weiteren Ursache für dessen Zusammentreffen mit dem Menschen. Dieses Ursachenverhältnis ist selbstver­ ständlich genau dasselbe, ob der Balken durch einen Menschen vorgeschoben und in seinem Weiterschieben gehindert wird, oder ob etwa bloße Naturkräfte, etwa Wasserkraft, Wind u. a. das Borschieben bewirken und das Weiter­ schieben hindern. Würde z. B. durch Wasserkraft der Balken vorgeschoben werden und bei ungehindertem Weiterwirken der Wasserkraft das Fallen des Steins aufgehalten haben, so würde, wenn etwa der Sturm einen Ast bricht, dieser ins Wasser sällt und die weitere Borschiebung des Balkens durch die Wasserkraft hindert, so daß er nun nicht mehr den fallenden Stein aufhalten kann, unbedenklich der hindernde Ast und der ihn abbrechende Sturm als Ur­ sache dafür anzusprechen sein, daß der Stein den Menschen traf. Denn durch den Sturm ist in einen Kausalverlauf von Kraftwirkungen eingegriffen worden, und an dessen Stelle ein anderer Kausalverlauf hergestellt worden, der nun erst das Zusammentreffen des Steins mit dem Menschen ermöglichte, während der vorher vorhandene Kausalverlauf diefes ausschloß. Nun kann auch ein Mensch durch seine Handlungen einen Kausalverlauf von Kräften in Bewegung setzen, die bei ihrem Weiterwirken eine andere Kraft in ihrem Wirken hemmen und dadurch den Eintritt eines Erfolgs be­ stimmter Art ausschließen. Diejenige Kraft, die dann dieses Weiterwirkei! hemmt, wird nach dem Dargelegten damit zur Ursache für den von der nun­ mehr ungehemmt wirkenden Kraft hervorgebrachten Erfolg. Diese hemmende Kraft kann aber auch derselbe Mensch anwenden, der zuvor die für Hemmung einer dritten Kraft die­ nende andere Kraft in kausale Bewegung gesetzt hat. Bestand dieses Jnbewegungsetzen einer Kraft zur Hemmung einer dritten Kraft, die ungehemmt einen Erfolg herbeiführen würde, in der Verwirklichung eines Willens durch ein Tun, so kann nun gleichfalls in der Verwirklichung eines entgegen­ gesetzten Willens, in einem gewollten Nichttun, die Hemmung der Weiterwirkung jener ersten Kraft, die Hinderung des Tuns liegen und dann wird das gewollte Nichttun (das Un­ terlassen) als Hemmung des ursprünglich gewollten und bereits in derVerwirklichung begriffenen Tuns zur Ursache. Ein auf die äußere Tätigkeit der rechtzeitigen Hemmung einer Kraft gerichtetes Wollen bedeutet daher selbst schon das Vorhandensein einer diese Kraft hemmenden Kraft, die das Zusammentreffen jener mit einer dritten und somit den hierdurch bewirkten bestimmten Erfolg hindert. Und wird dieses auf körperliches Tätigwerden gerichtete Wollen in ein auf Körperruhe gerichtetes Wollen (XIII 1) umgewandelt, so bedeutet diese Um­ wandlung ein neues Wollen mit anderem Inhalt und da­ mit zugleich die Vernichtung der ursprünglichen hemmen­ den Kraft. Diese Umwandlung des Willens aber ist dann die Ursache für das nunmehr ungehemmte Wirken der Kräfte, die in ihrem Zusammentreffen

den Erfolg zeitigen. Bgl. auch Peterson, Untätigkeit und Energie S. 108. Binding Normen II S. 555, 588.

Wie nun aber von den entfernt liegenden Ursachen nach der adäquaten Berursachungstheorie nur diejenigen für das Rechtsleben als relevante Ursachen in Betracht gezogen werden, deren Einfluß auf den Erfolg zur Zeit der Tat einem einsichtigen Menschen erkennbar war, so auch hier. Nur diejenige auf ein Tun oder Nichttun gerichtete Willensumwandlung kommt für das Rechts­ leben als Ursache in Betracht, die voraussehbar eintreten konnte und als solche eine Hemmungsbeseitigung für eine auf den Erfolg hinwirkende Kraft be­ deutete. Dies aber setzt vor allem voraus, daß zunächst der auf Hemmung gerichtete Wille nach außen erkennbar in die Erscheinung getreten und mit seiner Verwirklichung begonnen worden ist. Nur bei einem derartigen Willen kann auch mit einer Umwandlung in entgegengesetztem Sinne, d. h. dem Mchthenrmen, dem Unterlassen der Hemmung, gerechnet werden. Ein nach außen nicht erkennbar gemachter Wille ist nicht in Betracht zn ziehen, auch wenn er noch so ernstlich vorhanden war und daher zur Zeit seines Bestehens in Wirklichkeit die Hemmung durch seine Verwirklichung bei ungehindertem Fortwirken in Aussicht stand.

C. Durch echte Unterlassung. Die echte Unterlassung besteht im pflichtwidrigen Nichtfassen und Nicht verwirklichen eines Entschlusses inbezug auf ein Tun, dessen Vornahme das Recht gebietet. Ihr Wesen besteht also im Richtein­ greifen in den Kausalverlauf, im Gegensatz zu den unter L. behandelten Fällen, in denen gerade hemmend in einen in Bewegung ge­ setzten Kausalverlauf eingegriffen wird. Das Gesetz verlangt mit seinem Gebot, einen vorhandenen Ablauf wirkender Ursachen zu hemmen, die „Unterbrechungeiner Ursachenreihe herbeizuführen, um den sonst durch sie erzeugten Erfolg zu vermeiden. Dieses Nichtunterbrechen ist der durch die gebots­ widrig gewollte Körperruhe verursachte Erfolg, nicht der Erfolg, der durch das Zusammentreffen der ungehemmt wirkenden Kräfte herbeigeführt wird. Eingehend hierzu Binding, Normen II, 99 ff., 104 ff.

D. Unterbrechung des Kausalzusammenhangs Der Ausdruck ist, wörtlich genommen, natürlich verfehlt, denn ein Kausal­ zusammenhang ist entweder vorhanden oder nicht vorhanden, kann aber, wenn er vorhanden ist, nicht unterbrochen werden, M. E. Mayer S. 155; Löffler, Schuldformen 2, Köhler S. 186. Der Ausdruck will besagen, daß die Ent­ wicklung eines Geschehens zu einem bestimmten Erfolg, der, wenn er eingetrcten wäre, dann mit diesem im Kausalzusammenhang stände, abgebrochen, gehemmt wird, so daß es eben zum Abschluß der Entwicklung nicht kommt. Pomp, Die sogen. Unterbrechung des Kausalzus. (1911) 17; Winchowski, Die Unterbrechung des Kausalzusammenhangs (1904); Liszt § 29 IV. RGSt. lt 141. Nach allgemeiner Meinung und der ständigen Auffassung des RG. wird der Kausalzusammenhang nur durch eine vorsätzliche, nicht nur fahrlässige Handlung unterbrochen, die in einem bewußten WLlensvorgang ihre Ursache hat, Wachenfeld, ZStRW. 1918 114; Frank S. 14; Neukirch in IW. 21 890; RG. in IW. 1920 922; GA. 14 533. In Wahrheit kann er aber ebenso durch jedes Naturgeschehen unterbrochen werden. Übereinstimmend Doerr, Strafrecht S. 42. Beruht der ursächlich herbeigeführte Erfolg im Zusammentreffen verschiedener zeit-

räumlich wirkender Kräfte in einem Kreuzungspunkt, so wird der ursächliche Zusammenhang dann nicht herbeigeführt, wenn durch eine anderweite Kraft­ wirkung auf eine jener wirkenden Kräfte ihr Zusammentreffen ver­ hindert wird. Dadurch wird nicht ausgeschlossen, daß die eine der beiden Kräfte mit einer anderen wirkenden Kraft, auch der, die die eine von chnen ursprünglich gehemmt hat, zusammentrifft und mit ihr den gleichen Erfolg herbeiführt. Dann scheidet nur die gehemmte Kraft als Ursache für den ein* getretenen Erfolg aus. War der Fall des Steines durch das Borschieben des Balkens aufgehalten, so hat die Kraft, die die Schwerkraft ausgelöst hat, nicht bis zum Zusammentreffen des ihre Richtung kreuzenden Menschen gewirkt, der Kausalzusammenhang ist durch das Borschieben des Balkens „unterbrochen". Wird durch das Zurückziehen des Balkens von neuem die Schwerkraftwirkung auf den Stein ausgelöst und dadurch dessen Fall ver­ ursacht, ihm dabei aber eine Richtung gegeben, die den fallenden Stein noch den weiterschreitenden Menschen treffen läßt, so ist nunmehr nur die neue Auslösung der Schwerkraft, nicht mehr die frühere als Ursache des Zusammen­ treffens mit dem Menschen anzusprechen. Denn jene frühere Auslösung gab dem Steinfall eine andere Richtung und hätte in einem anderen Kreuzungs­ punkt zum Zusammentreffen geführt, als durch die neue Auslösung geschehen ist.

XVIII. Pers-trliche Strafausschließungsgründe. Zu unterscheiden von den Gründen, die schon die Rechtswidrigkeit einer Handlung verneinen oder den Umfang des Gebots oder Verbots beschränken, sowie von denen, die trotz der Rechtswidrigkeit und Berbotswidrigkeit die Schuld bei der Zuwiderhandlung ausschließen, sind die Gründe, die den äußeren und inneren Tatbestand einer Straftat bestehen lassen, den deliktischen und schuld­ haften Charakter der Handlung also nicht verändern, aber wegen ihrer krimi­ nalpolitischen Bedeutung die Entstehung eines Strafanspruchs als Folge der Zuwiderhandlung verhindern. Nach der — hier abgelehnten — Auffassung des RG. bilden der Strafrechtsirrtum, soweit er nach der BO. v. 18. I. 1917 zu beachten ist, der Mangel an Einsicht nach StGB. § 56 der­ artige Strafausschließungsgründe. Streit ist auch über die Natur der übrigen im 4. Abschnitt des StGB, aufgeführten „Gründe, welche die Strafe aus­ schließen". Ein echter persönlicher Strafausschließungsgrund findet sich jedoch in §247 Abs.2. Aus staatsrechtlichen Gründen war ferner früher das in­ ländische Staatsoberhaupt eines monarchischen Staats privilegiert. Durch RB. 109 ist dieses Privilegium für die Zukunft den deutschen Fürsten entzogen, ihre während der Regierungszeit begangenen Handlungen bleiben jedoch straffrei, Meyer-Allfeld S. 90. Auch die in den jetzt aufgehobenen §§11 und 12 des StGB, enthalten gewesenen Privi­ legien bedeuten persönliche Strafausschließungsgründe. Diese Vorschriften sind mit Rücksicht darauf, daß sie in die RB. als Art. 36 und 30 ausgenommen worden sind, schon in E. 19 weggelassen und nunmehr durch R G e s. zur Anpassung des Strafgesetzbuchs an das Berfassungs­ recht (vom...................) gestrichen worden. Wegen ihrer strafrechtlichen Be­ deutung bedürfen sie aber weiterhin einer Erläuterung in einem Kommentar pes StGB., müssen nunmehr aber hier ihre Stelle finden. 1. RB. Art. L6. Kein Mitglied des Reichstags oder eines Landtags darf zu irgend einer Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufs getanen Äußerungen gerichtlich oder

Persönliche Strafausschließungsgründe.

Verzicht auf Strafanspruch.

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dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb der Versamm­ lung zur Verantwortung gezogen werden. a) Zu den Privilegierten gehören auch die Mitglieder der Bürgerschaf­ ten der freien Städte Hamburg, Lübeck, Bremen, a.M. BindingHdb. I 674, nicht aber die Mitglieder deren Senate, die Regie­ rungsvertreter, ebensowenig die Mitglieder von Arbeiter- und Soldatenräten, Betriebsräten, örtlichen Vertretungen, wie Ratsverfammlungen und Stadt­ verordnetenversammlungen. b) Als privilegierte Handlungen sind bezeichnet die Abstimmungen, die ihrer Natur nach nur innerhalb der Versammlung erfolgen, und Aeußerungen, die in Ausübung des Berufs getan sind, d.h. des parlamen­ tarischen Berufs als Volksvertreter, zum Zwecke der Erfüllung der ihnr als solchen zukommenden Aufgaben. Daher scheiden aus Äuße­ rungen, die nur gelegentlich einer solchen Berufsausübung oder zwar in der Versammlung, aber nicht in der Berufsausübung, sondern etwa im Privatgefpräch mit andern, gefallen sind, ebenso Tätlichkeiten, RGSt. in DIZ. 1913 856. Ob die „Äußerungen" mündlich, schriftlich oder durch konkludente Handlungen (mimisch) erfolgen, ist belanglos, nur dürfen sie letzterenfalls nicht zu Tätlichkeiten ausarten. Nicht notwendig ist, daß die Äußerung gerade in der Vollversammlung geschieht, sie kann auch in Ausschüssen, Kommissionen usw. fallen. Die Tätigkeit außerhalb des Reichs­ tags jedoch, in Wahlversammlungen usw., ist nicht straffrei. c) Im Gegensatz zu Art. 37 darf die Verfolgung niemals stattfinden, eben weil von vornherein kein Strafanspruch entstanden ist, und zwar weder eine strafgerichtliche, noch eine disziplinarrechtliche noch eine zivilrechtliche. Doch wird die Stellung zur Disposition politischer Beamten für zulässig erachtet, Arndt, Verf. des dtsch. R., S. 71. Die Disziplinierung durch den Reichstag oder Landtag selbst bleibt natürlich offen. 2. RV. Art. 39. Wahrheitsgetreue Berichte über die Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstags, eines Landtags oder ihrer Ausschüsfe bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei. a) Bericht ist die erzählende Darstellung eines historischen Vorgangs in seinen« wesentlichen Verlaufe, RGSt. 18 207. Wahrheitsgetreu ist er nur, toenti er den Vorgang, den er schildern will, richtig und inhaltlich voll­ ständig, ohne Färbung, wiedergibt. Daß er den ganzen Vorgang schlldert, ist nicht nötig, es genügt der Bericht über einen Teil, nur muß dieser Teil­ bericht als solcher erkennbar sein. Bemerkungen über den Vorgang sind keine Schilderungen des Vorgangs mehr, RGSt. 15 32. Die Vorschrift bezieht sich nur auf deutsche Vertretungen. b) Das Privileg ist jetzt auch auf Berichte über Verhandlungen von Aus­ schüssen ausgedehnt worden, doch nur, wenn diese Verhandlungen öffentlich waren. Berichte über Verhandlungen in Provinzialland­ tagen, Stadtverordnete, Arbeiter- und Soldatenräte sind nicht privilegiert, ebensowenig über Gerichtsverhandlungen, RGSt. 1 19, 3 303, 19 238. c) Straffrei ist nur der Inhalt der Berichte; ob mit ihm ein form al co P r e ß d e l i k t begangen wird, ist eine andere Frage, RGSt. 28 49.

XIX. Verzicht auf den Strafanspruch.

1. Begnadigung. Das Begnadigungsrecht steht dem Reich und den Län­ dern, diesen als eignes, zu. Für das Reich übt nach RB. Art. 49 Abs. 1 der

Reich spr «ident das Begnadigungsrecht aus, für die Länder ist dies in den Landes Verfassungen geordnet und den Landesregiemngen, -uweüen auch dem Justizminister, übertragen, jedensalls ist es heute ein Ausfluß drr Staatsgewalt, über die geschichtliche Entwicklung A. Kohler S. 648; Lobe, Die strafrechtl. Begriffe nach Carpzov S. 63. Entscheidend ist die Zuständig­ keit des erstinstanzlichen Gerichtes. Eine Delegation auf höhere Behörden ist möglich. In Bayern ist sie durch die BO. v. 11. VII. 19 auch teilweise auf die Gerichte erfolgt. Ebenso in Oldenburg durch Bel. des Staatsmin. v. 17. VIII.21 (®8L547). Die Begnadigung ist Verzicht auf die Straf­ vollstreckung, Liszt § 75, Binding, Grundriß S. 312, Heimberger, Das landesrechtliche Abolitionsrecht S. 10, Sauer, Grundfragen des Strafrechts S. 354, Elsas, über das Begnadigungsrecht (1883). Gegenstand der Begnadigung sind die Strafen sowie alle anderen öffentlich-rechtlichen Unrechts­ folgen, insbesondere auch die Befugniserteilung zur Urteilsveröffentlichung, v. Bar 3 S. 470, nicht dagegen subjektive Rechte Privater, wie Buß­ ansprüche. Die Begnadigung ist eine vollständige oder teilweise. Zu letztrer gehört auch die Strafumwandlung, Binding, Handb. I, 878, die sich aber an das bestehende Strafensystem halten muß. Erlaß der Hauptstrafe beseitigt nicht von selbst auch die Nebenstrafe. Sie kann ferner eine un­ bedingte und eine aufschiebend, nicht auflösend bedingte sein. AIS solche ist sie seit 1895 zugslassen namentlich für bisher unbestrafte und jugend­ liche Personen mit Setzung einer Bewährungsfrist, Klee, ZStRW. 24 69, 26 458. Sie ist fortgebildet worden in E. 19 § 63 in die bedingte Strafaussetzung bei Gefängnis, Einschließung und Haft. Bei Zucht­ haus soll die bedingte Aussetzung mit der Natur der Strafart unvereinbar sein, Begr. S. 67. Die Begnadigung ist von der Einwilligung des Verur­ teilten unabhängig. Sie ist Sache des freien Ermessens und un­ widerruflich, auch nicht anfechtbar. Vgl. hierzu Binding, Handbuch I, 879, a. M. A. Köhler S. 653. 2. Im ^Gegensatz zu ihr steht die Abolition, als Verzicht auf Durchführung der Rechtspflege, der Strafverfolgung im einzelnen Falle die früher in manchen Bundesstaaten zulässig war, sich auch in den neueren Verfassungen findet. Der Reichsverfassung ist sie fremd. Preuß. Berf. v. 30. XL 20 u. Bad. Bers. v. 21. III. 19 verlangen besonderes Gesetz, Bayr. Berf. v. 14. VIII. 19 untersagt sie schlechthin. Zuweilen, wie in Hessen, ist sie nur nach Zustimmung des Landtags zulässig. Hess. Berfassung v. 12. XII. 19 Art. 61 (RegBl. S. 439). Solange eine Sache beim Reichs­ gericht anhängig ist, findet keine Niederschlagung statt, 9t® St. 28 419, a. M. 33 204. über Versprechen einer Abolition RGSt. 53 67.

3. Rehabilitation, Wiederverleihung verlorener Rechte, bedeutet ein Rückgängigmachen eingetretener Unrechtfolgen, Liszt § 78 *. Delaquis, Rehab. t Straft. S. 219. Sie findet sich insbesondere bei Aberkennung der Ehren­ rechte und wird in E. 19 §81 den Gerichten übertragen. Ein besondrer Fall ist die Lilgung der Eintragung im Strafregister; vgl. Ges. über be­ schränkte Auskunft aus dem Strafregi st er und die Tilgung vonStrafvermerken v o m 9. IV. 20 (RGBl. S. 507); preuß. AusfBO. des IM. v. 21. VI. 20 zur Strafregisterverordnung (JMBl. S. 340); bayr. BO. über Niederschlagung usw. v. 6. II. 19 (GBl. S. 42) und vom 2. I. 19; sächs. BO. über Löschung im Strafregister v. 12. II. 19 (GBl.

S. 28); württemb. AusfBO. v. 21. VII. 20 (Amtsbl. S. 173); vom 3. XII. und 30. XII. 20 (Amtsbl. 235); bad. BO. v. 27. VII. 18; thür. Anordnung bett, polizeiliche Straflisten v. 17.1. 21 (GS. 21). Liszt § 78 b. Vgl. zum Gesetz v. 9. IV. 20 die Bemerkungen zu § 245 unter 4. In formalistischer Auslegung verlangt RG., daß die vorgeschriebene Tilgung auch wirklich vor-genommen sein muß, um die Strafe unberücksichtigt zu lassen. RGSt. 56 68, 75.

4. Amnestie (ä/xvymla — Vergessen) bedeutet einen generellen G n a d e n a k t für einen bestimmt umschriebenen Personenkreis mit Rück­ sicht auf bestimmte Straftaten oder bestimmte perfönliche Verhältnisse der Täter. Sie findet sich nicht nur als Begnadigung urteilsmäßig erkannter Strafen, sondern auch als Niederschlagung eines er st eingeleiteten und Untersagung jedweder Ein­ leitung eines Strafverfahrens. Die Niederschlagung äußert ihre Wirkung sowohl auf dem Gebiete des Verfahrens als dem des materiellen Rechts. Berfahrensrechtl i ch wirkt sie als Hinderungsgrund für den Fortgang der anhängigen, noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Untersuchungen; RGSt. 53 39, 55 231t Die Nichtbeachtung des Hinderungsgrunds ist der prozeßrechtlichen Be­ schwerde nach StPO. § 346 zugängig, sofern nicht diese allgemeine Beschwerde durch Ausnahmevorschriften der StPO., wie § 209, § 347, ausgeschlossen ist. Insoweit bedarf es der Einschränkung der Urt. RGSt. 53, 39 u. des OLG. Celle v. 30. I. 19 IW. 7/19, 6. III. 19 IW. 23/19 und 10. III. 19 IW. 12/19. Im übrigen hat das Gericht in jeder Lage des Verfahrens das Vor­ handensein der Voraussetzungen der Amnestien von Amts wegen unb selbständig zu prüfen und ist daher an die Feststellungen einer unteren Instanz nicht gebunden. So ist namentlich das RG. nicht an die tatsächlichen Fest­ stellungen des Urteils gebunden, sondern hat selbständig zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Hinderungsgrund vorliegen, nötigenfalls durch Vornahme eigener Ermittelungen. Es gelten für diese Feststellungen auch nicht die Vorschriften der StPO. §266: RGSt. 5340, 231. —Materiell­ rechtlich bringt die Amnestie auch den staatlichen Strafanspruch selbst zum Erlöschen, und zwar auch die der einzelnen Länder, selbst wenn die Straftaten ausschließlich der Landesgerichtsbarkeit unterliegen. Es wird durch die Amnestie eben ein eigenartiger, von Amts wegen zu beachtender Strafausschlie­ ßungsgrund nach Reichsrecht geschaffen, RGSt. 53 41. Msberg, Die Reichsamnestiegesetze (1919) Nachtrag S. 6 ff. Aus Anlaß des Kriegs und der Staatsumwälzung ist von den Amnestien in erheblichem Umfange Gebrauch gemacht worden, sowohl vom Reich als von den Ländern. I. Im Reich:

1. Waffen st ill ft andsvertrag Art. VI, aufrechterhalten durch Friedensvertrag v. 28. VI. 1919 Art. 212. „Niemand wird wegen der Teilnahme an Kriegsmaßnahmen, die der Unterzeichnung des Waffen­ stillstands vorausgegangen sind, verfolgt werden." Bezieht sich auf die ge­ räumten Gebiete, zu denen auch die linksrheinischen Gebietsteile gehören, vgl. Artt. II u. V des Vertrags. Spionage ist Kriegsmaßnahme, Beschl. I. Strassen. 3.X. 21. 2. Friedensvertrag mit Rußland v. 3./7. III. 18 Art. XII (RGBl. 488) und Zusatzvertrag §§ 1—27 des Art. 23 (RGBl. 644); mit Finn-

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Einleitung.

land v. 7. III. 18 (RGBl. 701) Art. 22 ff.: mit Polen v. 23. X. 19 (RGBl. 1803). 3. Aufruf des Rats der Bolksbeauftragten an das deutsche Volk v. 12. XI. 18 (RGBl. 1303) — „Politische Am­ ii e sti e". 4. B O. des Rats derBolksbeauftragten über Gewährung von Straffreiheit und Strafmilderung v. 3. XII. 18 (RGBl. 1393) — „Bürgerliche Amnesti e". 5. BO. des Rats der Bolksbeauftragten über militärische Vergehen vom 7. XII. 18 (RGBl. 1415) — „Militärische Amnestie«. a) Die Politische Amnestie unterscheidet nicht -wischen Inländer und s2lu§länber, trotzdem sie an daS „deutsche Bolt" gerichtet ist, wie auch in einem Erlaß des Staatssekretärs des Reichsjustizamts vom 25. XI 18 Nr. 10 87-! ausdrücklich anerkannt ist. Der Begriff der politischen Straftaten ist nach den Absichten der Reichs­ regierung weit auszulegen. Er umfaßt die vor dem 15. November 191h be gangenen politischen Straftaten jeder Art, gleichviel, ob diese zur Zuständig­ keit des Reichsgerichts oder der Landesgerichte gehören. Unter politischer Straftaten sind alle Straftaten verstanden, die in unmittelbarem oder mittel barem Zusammenhänge mit Kämpfen um die staatliche, soziale oder wirtschaft­ liche Ordnung begangen worden sind, ohne Rücksicht darauf, unter welche, rechtlichen Gesichtspunkten die Strafe verhängt ist oder bei einer Nieder schlagung zu verhängen sein würde. Nicht einbegriffen sind dagegen Straf taten, bei denen der Täter lediglich aus eigennützigen Beweggründe, gehagelt hat. Danach werden z. B. Fälle der Spionage nur dann straffrei wenn der Täter, sei er Inländer oder Ausländer, sich wenigstens zum Tei durch politische Beweggründe hat bestimmen lassen. Fälle des sogenannte, Perionenschmuggels und der Mederlegung der Arbeit in kriegswichtigen Be trieben werden unter allen Umständen von der Straffreiheit betroffen. DiStraffreiheit bewirkt auch, daß die Pflicht zur Kostentragung in Wegfall kommt b) Die BO. über die Gewährung von Straffreihei und Strafmilderung vom 3. XII. 1918 (bürgerliche Amnestie RGBl. 1393) unterscheidet ebenfalls nicht zwischen Inländern und Aus ländern, findet daher auch auf letztere Anwendung. Bei der Meder schlagung wird unterschieden zwischen dem gesetzlichen Tatbestand und den angedrohten Strafrahmen und der konkreten Tat, der Schwere der dabei zutag­ tretenden Verschuldung und der für sie zu erwartenden Strafe. Ersterenfall werden auch Neben st rasen niedergeschlagen, hierunter fällt also aud die Einziehung dann, toemi sie eine Strafe ist, wie nach StGB. § 41' dagegen nicht, wenn sie eine polizeiliche Maßregel ist, wie nach § 41. Da di Konfiskation des VZGes. § 134 keine Nebenstrafe, sondern eine Haupl strafe, aber auch keine Geldstrafe ist, wird diese Konfiskation nicht von de Amnestie betroffen, RGSt. 54 54. Dasselbe muß gelten von Einziehunge in Nebengesetzen, die nach Art der Konfiskation als Hauptstrafe geregelt sin z. B. BO. v. 13. XI. 15 über das Verbot der Ausfuhr und Durchfuhr von Golt Die aushilfsweise Haftbarkeit nach VZGes. § 153 Abs. 1 Nr. 2 ist allerding gleichfalls keine Strafe und nach RGSt. 54 75 soll deshalb die Amnestie hie keine Anwendung finden. Es dürfte aber eine entsprechende Anwerrdun geboten sein. Eine bereits erkannte Einziehung bleibt ausnahmsweis auch dann bestehen, wenn sie eine Nebenstrafe ist, RGSt. 53 306. — Di Amnestie ist mit Wirkuna für das nan.ie Reick) sofort in Kraft getreten, eine

Veröffentlichung in den einzelnen Ländern hat es nicht bedurft, RGSt. 53 39,52. Daß die niedergeschlagene Straftat vor dem 9. November 1918 begangen ist, bedarf des Nachweises, die bloße Möglichkeit genügt für die Anwendung der Amnestie vom 3. XII. 1918 nicht. Dasselbe gilt hinsichtlich des Nachweises der Begehung vor dem 12. XII. 18 hinsichtlich der militärischen Amnestie, RGSt. 53 324.

c) Die BO. über eine militärische Amnestie vom 7. XII. 1918 (RGBl. 1915) bezieht sich nur auf die im Weltkriege dem deutschen Heere, der deutschen Marine oder der deutschen Schutztruppe angehörig ge­ wesenen Personen. Das ergibt schon die Bezugnahme auf § 38 des Reichs­ militärgesetzes bei der Erwähnung des aktiven Heeres, auch die BO. zur Er­ gänzung und Auslegung der gen. milit. Amnestie vom 13.1.19 (RGBl. 30) § 1, die von einem Dienstverhältnisse „beim kriegführenden Heere usw." spricht. Ebenso AusfBO. des preutz7 Kriegsministers v. 31. III. 19 (ArmeeBOBl. 285) unter 2: „Personen, die gehören zum aktiven Heere im Sinne des § 38 des Reichsmilitärges. v. 2. V. 1874". Wenn ein deutscher Gesetzgeber von „dem" kriegführenden Heere spricht, so meint er eben das deutsche Heer. Die Beschränkung auf Angehörige des deutschen Heeres ist für ihn von vornherein das Gegebene und Natürliche. Auch Alsberg, Die Reichsamnestiegesetze (1919) S. 34 sagt in Anm. 1: „gemeint ist das deutsche Heer". Das steht auch im Einklang mit den vorausgegangenen Gnadenerlassen des Königs von Preußen vom 27.1.16; 27.1.17; 27.1.18 (JMBl. 1916 S. 9; 1917 S. 39; 1918 S. 15). Wenn diese von „Teilnehmern" am gegenwärtigen Kriege sprechen, so ist es für den deutschen Kriegsherrn selbstverständlich, daß er die Angehörigen des deutschen Heeres meint. Znm Überfluß gibt die preuß.Justizministerialverfügung v. 17. I. 15 (JMBl. 14) noch deutlich den Sinn in Nr. 1 an: „Kriegsteil­ nehmer im Sinne des Erlasses (vom 27. I. 15, mit dem die späteren überein­ stimmen) sind alle diejenigen Personen, die dem deutschen Heere oder der deutschen Marine ... angehört haben." Memand war besser über die Absicht der kgl. Gnadenerlasse unterrichtet als das Justizministerium. Wenn dieses daher unwidersprochen vom Könige seine Gnadenerlasse nur auf die Angehörigen des deutschen Heeres anwerrdete und die späteren kgl. Gnaden­ erlasse Gegenteiliges nicht sagten, so darf ohne weiteres angenommen werden, daß es damit den Willen des Königs richtig ausgelegt hat und es geht nicht an, um das Gewicht dieses Auslegungsmittels zu schwächen, einfach die Mini­ sterialerlasse für rechtsunwirksam, weil gegen die Gnadenerlasse verstoßend, zu erNären. Es ist deshalb Goldschmidt in IW. 1921 807 ff. nicht beizu­ treten, wenn er die kgl. Gnadenerlasse unmittelbar, die Amnestie vom 7. XII. aber entsprechend auf die Angehörigen des österreich-ungarischen Heeres an­ wenden will. Die Berufung auf das Kriegsteilnehmergesetz v. 4. VIII. 1914 (RGBl. 328) geht fehl. Abgesehen davon, daß es sich hier um die Ver­ folgung von Gläubigerrechten, nicht staatlichen Strafrechten handelt, ist auch dieses erst durch die Bekanntmachungen v. 22. X. 14 (RGBl. 450) und vom 4. II. 15 (RGBl. 70) auf die Kriegsbeteiligten des österreich-ungarischen Heeres besonders ausgedehnt worden, ebenso wie es einer ausdrücklichen Ausdehnung der Bekanntmachung zum Schutze von Angehörigen immobiler Truppenteile v. 20. I. 16 (RGBl. 47) durch die Bek. v. 28. VI. 17 (RGBl. 567) bedurfte. Man war sich also bei Erlaß der Amnestie v. 7. XII. 18 wohl bewußt, daß die Angehörigen des österreich-ungarischen Heeres bei den etwaigen Begünsti­ gungen für Angehörige des deutschen Heeres in Frage kommen können. Wäre diese Erstreckung gewollt gewesen, wäre der Wille sicher zum Ausdruck ge-

kommen, von einem Übersehen kann nach Lage der Sache keine Rede sein. Auch der Grund der AmnesÜe führt zu keiner Ausdehnung. Dieser ist die Dank­ barkeit und die Gegeirleistung für einen dem Baterkand mit der Kriegsbereiligung geleisteten Dienst. Das trifft auf die Angehörigen der Heere der Bundes­ genossen nicht zu, diese kämpften für ihr Vaterland, nicht für das unsere. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß zuweilen deutsche Truppenteile in öster­ reichisch-ungarischen Verbänden und umgekehrt kämpften. Die Amnestie trifft auch die Fälle von strafbaren Handlungen, die nach der Entlassung des Täters aus dem aktiven Heere bis zum 12. XII. 18 begangen worden sind ^Beschluß der Reichsregierung v. 29. I. 19). 6. B O. desRats der Volksbeauftragten zur Ergänzung der BO. über die militärische Amnestie vom 7. XII. 18. Vom 13.1.19 (RGBl. 30). 7. B O. der Reichsregicrung über Gewährung von Straffreiheit bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften, die auf Grund des Ges. über den vaterländ. Hilfsdienst erlassen sind. Vom 13. I. 19 (RGBl. 95). 8. BO. der Reichsregierung betr. Übertragung der Befugnisse, die dem Kaiser als Kontingentherrn zustanden. Vom 1. II. 19 unter II: Das Recht der Strafmilderung und des Straferlasses wird auf den Präsidenten des Reichsmilitärgerichts übertragen (RGBl. 173). 9. Gesetz über Steuernachsicht. Vom 3. I. 20 (RGBl. 45). 10. Gesetz betr. Gewährung von Straffreiheit an Per­ sonen aus den Abstimmungsgebieten. Vom 23. I. 20 (RGBl. 91). 11. Ges. zur Ergänzung des Ges. z. Verfolgung von Kriegsver­ brechen usw. v. 18. XII. 19. Vom 24. III. 20 (RGBl. 341) Art. I § 2. 12. Ges. über Gewährung von Straffreiheit und Strafmilderung usw. Vom 8. Mai 1920 (RGBl. 910). 13. Ges. betr. Erweiterung der BO. über eine mili­ tärische Amnestie vom 7. XII. 18. Vom 6. VI. 20 (RGBl. 1143). 14. Bekanntmachung betr. Wiederaufhebung der dem kommand. Ge­ neral des VI. Armeekorps erteilten Ermächtigung zum Erlasse rechtskräft. militärger. erkannter Freiheits- und Ehrenstrafen und Niederschlagung müitärger. Untersuchungen. Bom 1. Juli 1920 (RGBl. 1455). 15. Ges. über die Gewährung von Straffreiheit. Bom 4. August 1920 (RGBl. 1487). RGSt. 56 81, 106. 16. Ges. überEntwaffnung der Bevölkerung. Bom 7. VIII. 20 (RGBl. 1553). Hierzu Ausführungsbestimmungen vom 22. VIII. 20 und 4. u. 6. IX. 20 (RGBl. 1595). 17. Ges. über Verschärfung der Strafe gegen Schleich­ handel usw. Bom 18. XII. 20 (RGBl. 2107), § 7. Vgl. hierzu unten unter 5. 18. Bestimmungen über die Behandlung ausländischer Strafarten bei den deutschen Strafregistern. Bom 12. VI. 20 (RZBl. 928). 19. B O. des Rats der Bolksbeauftragten über Zurück­ führung von Waffen und Heeresgut in den Besitz des Reichs. Bom 14. XII. 18 (RGBl. 1425) § 4. 20. G e s., betr. den Ergänzungsvertrag vom 12. II. 21 (RGBl. 1540) zum deutsch-poln. Vertrag vom 1. Oktober 1919 über die Entlassung festgehaltener Personen und die Gewährung von Straf­ freiheit (deutsch-poln. Amnestievertrag). Vom 7. VII. 21 (RGBl. 921) und Bek. v. 9. XIL 21 betr. die Ratifikation (RGBl. 1586).

II. In Preußen. 1. Ges. v. 4. IV. 15 über Niederschlagung von Untersuchungen gegen Kriegsteilnehmer (GS. 71). 2. Ges. v. 18. VII. 18 zur Ergänzung des Ges. v. 4. IV. 15 (GS. 139). 3. Allgem. Verfügung des Justizminist. v. 4. XII. 18 über Gewährung von Straffreiheit und Strafmilderung (ZMBl. 443). 4. Mgem. Berf. des IM. v. 12. XII. 18 zur Ausführung der BO. über eine müit. Amnestie v. 7. XII. 18 sowie der bürgerl. Justizbehörde (JMBl. 504). 5. Berf. des Kriegsministers v. 12. XII. 18 (JMBl. 508). 6. Allgem. Berf. des IM. v. 13. XII. 18. betr. gemeinschaftl. Bestim­ mungen über Ausführung der Amnestieverordnungen des Rats der Bolksbcauftragten vom 3. u. 7. XII. 18 (JMBl. 512). 7. BO. v. 16. II. 19 über Gewährung von Straffreiheit und Straf­ milderung in Disziplinarsachen (GS. 27). 8. Ges. v. 14. VII. 19 über Gewährung von Straffreiheit und Straf­ milderung bei ehrengerichtl. Strafen und ehrengerichtl. Verfahren gegen Arzte (GS. 1171). 9. Ges. v. 27.1. 20 über Niederschlagung von Untersuchungen (GS.(51). 10. Allgem. Berf. v. 1. III. 20 (JMBl. 86). III. In Bayern. 1. BO. über die Niederschlagung von Strafverfahren und Erlaß Don Strafen v. 22. XI. 18 (GBOBl. 1237). 2. BO. v. 16. XII. 18 über die Erstreckung der BO. v. 3. XII. 18 der Bolksbeauftragten auf Bayern (Bayr. Staatsanzeiger Nr. 293). 3. BO. über Niederschlagung von Strafverfahren, Erlaß von Strafen und Löschungen von Strafvermerlen im Strafregister v. 2. I. 19. 4. BO. über Niederschlagung von Strafverfahren, Erlaß von Strafen und Löschungen von Strafvermerken im Strafregister v. 6. II. 19 (GBl. 42). 5. BO. über die Einstellung schwebender Disziplinarverfahren und Ge­ währung von Straffreiheit und Strafmilderung in Disziplinarsachen vom 1. VII. 19 (GBBl. 328).

IV. In Sachse«. 1. BO. v. 27. I. 17 über Löschung im Strafregister (GBBl. 8) „Vermerke zu löschen". 2. Allerh. Erlaß v. 5. II. 17. Erlaß der nach BO. 27. I. 17 zu löschenden Strafe. (GBBl. 21). 3. Allerh. Amnestie v. 25. V 17 (GBBl. 57) für Kriegsteilnehmer und deren Witwen. 4. A l l e r h. A m n e st i e v. 25. V. 17 (GBBl. 59) für Disziplin u. gerichtl. Strafen von Militärpers. 5. Allerh.Erlaß. Amnestie v. 25. V. 18 (GBBl. 72). 6. Allerh. El aß. Amnestie v. 25. V. 18 (GBBl. 74) Militärpersonen. 7. Amnestie v. 19. XI. 18 (GBBl. 367), Straftaten bis 19. XI. 18 betreffend, die zur Ausführung erforderl. werdenden Anordnungen werden im JMBl. verkündet. 8. BO. v. 19. XI. 18 der gesamten Ministerien (GBBl.374). BO. v. 19. XI. 18 erstreckt sich auch auf Berwaltungsbehördenstrafen. 9. Amnestie für alle Personen innerhalb der sächs. Zuständigkeit, die während des Kriegs, wenn auch nur zeitweise, zum aktiven Heere gehört oder

sich in einem Dienst- oder Vertragsverhältnisse beim kriegführeriden Heere be­ funden haben. Vom 30. XI. 18 (GBM. 381). 10. B O. über Löschung im S tr a f r e g i st e-r v. 12. II. 19 (GBBl. 28). 11. Ges. eine Amnestie für Verfehlungen gegen Rationierungsvorschrift bett. v. 24. II. 20 (GBBl. 43) von sächs. Behörden festges. Strafe bis 150 M.

V. In Württemberg. 1. Säers, des IM. v. 25. II. 18 zur Ausführung des Kgl. Erlasses, bett, die Niederschlagung gerichtl. Untersuchungen gegen Kriegsteilnehmer (Amtsbl. 11). 2. Berf. des IM. v. 28. I. 18 zur Ausführung des Kgl. Erlasses, betr die gnadenweise Löschung von Vermerken int Strafregister (Amtsbl. 1). 3. Berf. desIM. v. 18. VI. 18 betr. die Bestimmung über Amnestie in dem Zusatzvertrag zu dem deutsch-russ. Friedensvertrag (RGBl. 622). (Amtsbl. 63). 4. B e r f. d e s IM. v. 10. X. 18 zur Ausführung des Kgl. Gnadenerlasses zu Gunsten der Ehefrauen und Witwen von Kriegsteilnehmern (Amtsbl. 149)» 5. Berf. desIM. v. 15. VII. 18 betr. Best, über Amn. des Friedens­ vertrages zwischen Deutschland und Finnland. 6. B e t f. desIM. v. 21. VIII. 18 betr. Best, über Amn. im deutschukrainischen Zusatzvertrag zum Friedensvertrag (Amtsbl. 145). 7. Berf. des IM. v. 15. XI. 18 zur Ausführung des Erlasses der proviso­ rischen Regierung betr. eine allgemeine Amnestie (betrifft nur Württemberg. Gerichte) (Amtsbl. 205). 8. B e k. d es IM. v. 5. XII. 18, bett. dieAllgemeineAmnestie vom 15. XI. 18 (Amtsbl. 215). 9. Bek. desIM. v. 31.1.19 betr. Ausführungsbest, des Kriegsministers zu dem Amnestiserlaß der Provisor. Regierung v. 19. XI. 18 **) auf dem Gebiet der Militär st rafgerichtsbarkeit (Amtsbl. 11). 10. Berf. des IM. v. 25. III. 19 *) zur Ausführung der BOen. über die Gewährung von Straffreiheit und Strafmilderung v. 3. XII. 18 und die milit. Amnestie v. 7. XII. 18 (Amtsbl. 28). 11. Berf. desIM. v. 24. X. 19 bett, deutsch-poln. Vertrag v. 1. X. 19 (Amtsbl. 125). 12. Berf. des Min. der Justiz, des Innern und der Finanzen bett. Strafregister vom 21. VII. 20 (RegBl. 491). 13. Berf. IM. v. 18. V. 21 bett. Ergänzungsvertrag z. deutsch-poln. FriedensVertrag (Amtsbl. 116). VI. In «ade«.

1. BO., eine allgem. Amnestie betr. v. 2. XII. 18 (GBOBl. 447), von bad. Ger.-Behörden erkannte Strafe, Erweiterung der pol. Amnestie v. 12. XI. 18. 2. BO.v.27.VII. 18über2lufbe6ungt)erbat>.@trofregifter» ordnung v. 28. XI. 96, sowie 1. VIII. 18. *) Bgl. Staatsanzeiger v. 1918 Rr. 273. *) Bisher nicht anerkannt: 1. Abs. 1 giff. 6 des Aufrufs v. 12. XI. 18; 2. «O. v. 3. XII. 18; 3. BO. ». 21. XII. 18; 4. BO. v. 7. XII. 18; 5. BO. v. 13. I. 19 (S. 30); 6. BO. v. 13. I. 19 (6. 95).

3. BO., e ine a ll g e m. Am n e st i e b e t r. v. 27. III. 19: Ermächtigung des IM. zur gnadenweisen Niederschlagung (VBOBl. 176). 4. Gesetz vom 18. VI. 20 über die Niederschlagung von Strafverfahren wegen Verletzung der Vorschriften der Höchstpreise für Wein und Eier und über öffentliche Bewirtschaftung d e r E i e r. (GBOBl. 353): Ermächtigung des IM. zur gnadenweifen Nieder­ schlagung. VII. In Thüringen. 1. Anordnung betr. Polizei!. Straflisten v. 17. I. 21 (GS. 5). 2. Ges. über Gewährung von Straffreiheit. Vom 9. IV. 21 (GS. 88).

VIII. Braunschweig. 1. Ges. über Gewährung von Straferlaß und Strafmilderung für wegen politischer Straftaten Berurteüte. Vom 5. VIII. 19 (GBBl. 233). 2. Erlaß über Gewährung von Straffreiheit, vom 20. IV. 20 (GBBl. 282). IX Mecklenburg-Strelitz. 1. Bek. v.14. XII. 18 über Straferlaß. (Offiz. Anz. Nr. 169.) 2. Bek. v.30. I. 19, betr. Ergänzung der obigen Bek. v. 14. XII. 18 (Offiz. Anz. S. 184). 3. Bek. v. 31. I. 19 betr. einen Gnadenerlaß usw. (Off. Anz. S. 194.) 4. Bek. v.29. X. 19 zu dem deutsch-poln. Vertrag v. 1. X. 19 über Entlassung festgehaltener Personen und die Gewährung von Straffreiheit. (Off. Anz. S. 951.) 5. Bek. v. 6. IV. 20 betr. Gnadenerweise aus Anlaß der Abwehr des letzten Umsturzversuchs. (Off. Anz. S. 357.) 6. Bek. v. 14. VIII. 20 betr. Strafregisterverordnung. (Off. Anz. S. 811.) 7. Bek. v. 24. VIII. 20 zur Ausführung des Ges. über die Gewährung von Straffreiheit v. 4. VIII. 20. (Off. Anz. S. 945.) 5. Eine besondere Stellung nimmt § 7 des Ges. über Verschärfung der Strafen gegen Schleichhandel, Preistreiberei und verbotene Ausfuhr lebens­ wichtiger Gegenstände vom 18. XII. 20 (RGBl. 2107) ein. Diese Vor­ schrift geht über die Tragweite der Vorschrift des StBG. § 2 Abs. 2 — den sie zunächst gegenüber der Auffassung von der Unanwendbarkeit auf temporäre Rechtsvorschriften auch auf diese ausdehnen wollte—hinaus und nähert sich einer Niederschlagung der schwebenden Verfahren, ohne völlig in eine solche überzu­ gehen. Sie ist auch noch in der Revisionsinstanz zu beachten. Die Vorschrift des § 7 bringt einen wesentlich auf sachlich-rechtlichem Gebiete liegenden Strafaufhebungsgrund RGSt. 55 193, 150. 1 D 1873/20 7. VII. 21: 2 D 501/21 15. XL 21; 3D 889/20 14. III. 21; 4 D 228/21 1. XI. 21; 5D 1234/20 14.1.21; RGSt. 55 151. Uber die Art der Verkehrsregelung und die Bedeutung ihrer Abänderung oder Aufhebung RGSt. 56 1, 74, ihren Umfang RGSt. 56 3; vgl. Conrad in StRZ. 1921 Sp. 612. Ders. in DIZ. 21, Sp. 483. Die Vorschriften der PreistreibVO. dienen nicht dem Schutz einer Verkehrsregelung, 2 D 275/21 v. 15. XL 21. Dagegen wird der Erlaubniszwang zum Handel vom RG. als eine Verkehrsregelung angesehen, RGSt. 53 296, 54 145, 55 193, 197, 255. Unter Verkehrsregelung sind alle Regelungsvorschriften zu begreifen, die Form und Bedingungen ordnen, unter denen sich im Einzelfalle der Erwerb oder die Abgabe einer Ware vollziehen darf, 1 D 1142/20 v. 14. III. 1921; ID 1274/21 v. 23. II. 1922; RGSt. 53 296, 54 145. Bestritten ist, ob die Verkehrsregelung vor dem 1. Januar 192], Kommentar z. Strafgesetzbuch. 2. Ausl. 6

Einleitung.

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dem Inkrafttreten des Gesetzes, aufgehoben fein muß und spätere Auf­ hebungen nicht in Betracht kommen, oder ob auch nach dem 1. Jan. 1921 erfolgte Abänderungen zu berücksichtigen sind, sofern sie nur vor dem rechts­ kräftigen Urteil (also auch in der Revisionsinstanz) stattgefunden haben. Letztere Auffassung wurde vorübergehend vettreten von 4 D 601/2117. VT. 21 in IW. 1921 1249 * im Gegensatz zu den übrigen Senaten des RG. unter teilweiser BMgung des Schrifttums. Der 4. Strafsenat hat aber inzwischen seine Sonderauffassung aufgegeben und sich der Meinung der übrigen Senate angeschlossen, wonach nur die vor dem 1. Januar 21 erfolgten Aufbebungen von Berkehrsbeschränkungen in Bettacht kommen, 4 D 1977/20 1. XI. 21. Für den Grundsatz des § 2 Abs. 2 StGB, ist hier kein Raum, RGSt. 50 292, 303, 400, 51150, 52 327. Auf Grund des Gesetzes über die vereinfachte Form der Gesetzgebung für die Zwecke der ltbergangswittschaft ö. 17. IV. 19 (RGBl. 394) ist von der Reichsregierung die BO. über S on d er g erich te gegen den Schleichhandel und Preistteiberei (Wuchergerichte) vom 27. XI. 1919 erlassen worden. 2D 501/21 v. 15. XI. 1921.

XX. Auslieferung. Der Grundsatz, daß ein Deutscher einer ausländischen Regierung zur Ver­ folgung und Bestrafung nicht ausgeliefert werden darf, war ursprünglich in StGB. § 9 ausgesprochen. Er ist jetzt in Art. 112 Abs. 3 der Reichsverfassung ausgenommen und deshalb ist § 9 durch das RGes. zur Anpassung des Sttafgesetzbuchs an das Berfassungsrecht gestrichen worden.

1. RichtauSlieferung seiner Staatsangehörigen an fremde Regier u n g e n ist Grundsatz aller Staaten. Auch die ehemaligen Fürsten Deutsch­ lands sowie die vom Feind als „Kriegsverbrecher" Beschuldigten schützt an sich dieser Grundsatz gegen Auslieferung. Das Gesetz schließt die Auslieferung auch mit Zustimmung des Täters aus. Es gilt auch für den, der nach der Tat Deutscher geworden ist, nicht mehr für den, der die deutsche Staatsangehörigkeit nach der Tat verloren hat. Die Vorschrift hat zwar nur die Auslieferung zur straftechtlichen Verfolgung wegen Ubettretunfl gegen Strafgesetze im Auge, der Grundsatz gilt aber in gleicher Weise auch für Verfolgung wegen Ordnungsstrafen, Zwangsstrafen und Disziplinarstrafen. Att. 228 des Versailler Friedensvertrags, der durch die RB. nicht außer Kraft gesetzt ist, durchbricht diesen all­ gemein völkerrechtlichen Grundsatz, Käckell, ZStRW. 41 685, Wittmaak, über die Verantwortlichkeit der Angehörigen einer Armee in Feindesland (1920), S. 64; Verdroß, Die völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen (1920) S. 84. 2. AuSlieferungsverttäge über Auslieferung Deutscher an deutsche Regierungen bestehen a) für das Reich mit Verein. Staaten von Nordamerika 22. II. 1868 (BGBl. 228, 231), (Nordd. Bund); Italien 31. X. 1871 (RGBl. 446); Großbritannien 14. V. 1872 (RGBl. 229), 5. V. 1894 (RGBl. 535), 30. I. 1911 (RGBl. 175), 17. VIIL 1911 (RGBl. 1912 S. 153); Schweiz 24. L 1874 (RGBl. 113); Belgien 24. XIL 1874 (RGBl. 1875 S. 73; 1879 S. 2; 1901 S. 203); Luxemburg 9. HL 1876 (RGBl. 223); Zusatzvertrag 6. V. 12 (RGBl. 491);

Brasilien 17. IX. 1877 (RGBl. 1878 S. 293); außer Kraft 15. IX. 13 (RGBl. 312); Schweden und Norwegen 19. L 1878 (RGBl. 110), Zusatzvertrag mit Norwegen 19. 1 1878 (RGBl. 110) und 7. HL 07 (RGBl. 239); Spanien 2. V. 1878 (RGBl. 213); Uruguai 12. IL 1880 (RGBl. 1883 S. 287); Kongostaat 25. VII. 1890 bez. Dtsch.-afrik. Kol. (RGBl. 1891 S. 91); Niederlande 31. XIL 1896 (RGBl. 1897 S. 731); bez. Kolonien 21. IX. 1897 (RGBl. 747); Griechenland 12. IIL 1907 (RGBl. 545); Paraguay 26. XL 09 (RGBl. 1915 S. 571); Bulgarien 29. XL 11 (RGBl. 1913 S. 435); Türkei 11. I. 17 (RGBl. 1918 S. 264); Serbien, Konsularvertrag 6. L 1883 Art. 25; (RGBl. 70), Japan, Handels- und Schiffahrtsvertrag 4. IV. 1896 (RGBl. 715); d) für die Bundesstaaten: Preußen mit Frankreich 1845 (GS. 579); RGSt. 42 309; mit Rußland 1885; Bayern mit Frankreich (RBl. 1869 S. 228); mit Rußland (RBl. 1869 S. 769); mit Ber. Staaten v. Nordamerika (RBl. 1854 S. 1089). Die Auslieferungsverträge als Bestandteile des Strafrechts sind von Amts wegen zu berücksichtigen, RGSt. 12 381, 21 180, 32 250. Über den völkerrechtlichen Grundsatz der Spezialität der Auslieferung RGSt. 21 183, 27 128, 415, 29 271, 30 440, 31 428, 32 430, 36 347, 38 112. Andere rechtliche Beurteilung i. S. v. StPO. § 264 verstößt nicht dagegen. Die Auslieferung flüchtiger Seeleute wird in den Handels- und Schiffahrtsverträgen geregelt. Politischen Verbrechern wird all­ gemein ein A s y l r e ch t gewährt. Es wird ausgedehnt aus nicht rein politische Verbrechen, wenn sie mit rein politischen in Verbindung stehen. Liszt § 23. Meyer-Allfeld S. 88. Hiervon macht aber wieder die Altentatsklausel eine Ausnahme. 3. über Rechtshilfe zwischen den Bundesstaate« GBG. Abschn. 13.

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Som 15. Mai 1871.

1. Eine mit dem Tode, mit Zuchthaus, oder mit Festungshaft von mehr als fünf Jahren bedrohte Handlung ist ein Verbrechen. Eine mit Festungshaft bis zu fünf Jahre«, mit Gefängnis oder mit Geldstrafe von mehr als eintanfendfünfhundert Mark bedrohte Handlung ist cht Vergehen. Eine mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu eintanfendfünfhundert Mark bedrohte Handlung ist eine Übertretung. E. 19 §§ 7, 402.

1. Nach Tacitus Kap. 12 Germania war schon bei den alten Teutschen „distinctio poenarum ex delicto“ und deshalb „cognoscitur“ wie Carpzov sagt, „ex qualitate poenae, quae, pro delicto imponitur, qualitas et quantitas delicti“, Lobe, Die allg. strafrechtl. Begriffe nach Carpzov, 1899, S. 51. Die Art der EiuteUuug der einzelnen Straftaten «ach ihrer Schwere, gemessen a« de« für sie gedrohte« Strafen, kannte auch das deutsche Mittelalter. Art. CV der CCC nennt die Missetaten, die mit peinlicher Strafe (an Hals und Hand) bedroht sind, „peinliche Fälle", im Gegensatz zu den nichtpeinlichen Fallen oder „Freveln", die mit der nicht peinlichen Strafe (an Haut und Haar) belegt werden. Ähnlich unterschied man auch in Frankreich schon vor dem code zwischen crimes und delits. An Stelle dieser Zweiteilung findet sich bei Julius Clarus und Carpzov bereüs eine Dreiteilung in deliota levia mit nichtpeinlicher Strafe, delicta gravia seu atrocia mit peinlicher Strafe sowie delicta gravisaima seu atrocissima mit geschärfter Todesstrafe, Lobe a. a. O. S. 50. Die Dreiteilung ging in das österreichische (1768) und bayrische StGB. (1751) über. In seinen preliminaires unterschied der Code penal in Ar­ tikel 1: Pinfractions que les lois punissent de peine de police est une contraven tion; que les lois pun. de peine correctionelle est une d e 1 i t; que les lois pun. de peine afflictive ou infamante est une crime. Diese Unterscheidung diente prozessualen Zwecken und betraf die einzelnen Straffälle. Sie ging in das bayr. StGB, von 1813 und das preußische nach rheinischem Borbild von 1851 über und wurde von da mit der Andemng, daß die Einteilung die Art der Straftaten ergreift, in das deutsche S t G B. übernommen. Das Militär-StGB, kennt nur die Zweiteilung von Berbrechen und Vergehen. 2. Der Zweck der Vorschrift ist ein rein gesetzestechnischer. Auch E. 19 § 7 hält an dieser Einteilung fest, führt aber die Trennung der schwereren Straftaten von den Über­ tretungen strenger durch, freilich nicht genügend im Hinblick auf die Geldstrafen. Gegen eine Scheidung von „Rechtsverbrechen" und „Polizeiübertretungen" überhaupt neuerdings Wachenfeld, Arch. f. Rechts- u. Wirtschaftsphilosophie, Bd. XV, S. 73 ff. Tie Einteilung will die Redaktion des StGB, erleichtern, der Systematik dienen, an einzelne der gebil­ deten Gruppen Regeln anknüpfen lassen, die nur für diese besondere Gruppe gelten, endlich ein Mittel haben, um die verschiedene sachliche Zuständigkeit der Gerichte zu regeln. Daß alle diese Zwecke durch die vorgenommene Dreiteilung mehr oder weniger unvollkommen erreicht worden sind und auf anderem Wege vielleicht besser erreicht werden könnten, ändert an diesem Zwecke und der Bedeutung der tatsächlich vorgenommenen Teilung nichts. Es

ist daher hier müßig, nach der inneren Berechtigung einer solchen Dreiteilung -u fragen, die wohl mit Recht von der überwiegenden Meinung verneint wird. Bgl. im einzelnen über den Stand der Frage namentlich v. L i s z t s Gutachten zum 26. dtsch. Juristentag, Berh. 1 S. 274; E b ermay er , Gutachten zum29. dtsch. Juristentag, Berh. 1 ©.265; W. Rosenberg in ZStRW. 24 1 und Osk. Meyer, Bedeutung und Wert der Dreiteilung der strafbaren Handlungen. S. Die Einteilung bezieht sich nicht aus den einzelnen begangenen Strafs a ll, wie das frühere gemeine Recht und das Preuß. StGB, sie vornahm, sondern auf den gesetzliche« ratbestand, der die vom Gesehgeber vorgestellte Straftat als Zuwider­ handlung gegen sein Verbot oder Gebot bildet, B in ding , Normen II ©.112, 114, dagegen S. 1092, und sie nimmt zum Maßstab nicht die verwirkte Strafe des Änzel-

falls, sondern die angedrohte Strafe auf jenen im Gesetz bezeichneten Tatbestand, RGSt. 3 52, Osk. Meyer, Bedeutung und Wert der Dreiteilung der strafbaren Handlungen, S. 31. Die für diesen gesetzlich normierten Tatbestand angedrohte Strafe stempelt immer die Einzel­ tat, die ihn verwirklicht, zum Verbrechen, Vergehen oder zur Übertretung, nicht entscheidet, ob sie auch tatsächlich mit einer Verbrechens-, Vergehens- oder Ubertretungsstrafe im Sinne von StGB. § 1 belegt wird. Denn nicht die Einzeltat soll einen Namen erhalten und in eine Gruppe eingestellt werden, sondern die Fülle der vom Gesetz normierten Tatbestände als Inhalt seiner Normen soll gruppiert werden, um daran Regelungen knüpfen zu können. Zunächst bezieht sich diese Einteilung deshalb auch nur auf die vom StGB. selbst vorgenommene Regelung und es würde daher nichts ent­ gegenstehen, daß die La«deSgesetzgebu«g auf dem ihr vorbehaltenen Gebiet für ihre Regeln eine andere Einteilung vornehme. Alle formalen Rechtsbegriffe sind auf das Gebiet, für das sie gelten wollen, zu beschränken, Hofacker, Die Staatsverwaltung und Strafrechtslehre (1919) S. 18. Ta sie aber ihrerseits notwendig vielfach auf die Regeln des StGB. Bezug nehmen muß, die an die von ihm geschaffene Gruppeneintellung an­ knüpfen, würde eine Verwirrung entstehen, wenn sie dies täte. Geradezu verhindert aber ist sie an einer andern Einteilung, als der in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, durch den Umstand, daß diese Gruppen auch für die Prozeß- und Gerichtsverfassungs­ gesetze maßgebend sind und deren Zuständigkeit zu ändern ihr nicht freisteht. Kann hier­ nach die Landesgesetzgebung auch keine andere als die in § 1 vorgenommene Dreiteilung einft'chren, so ist es ihr doch unbenommen, soweit sie sich auf dem ihr vorbehaltenen Gebiet frei bewegen kann, nach Belieben in diese Gruppen Tatbestände auch dann einzureihen, wenn sie bei dem von der Landesgesetzgebung angedrohten Strafmaß nach § 1 nicht in sie einzusetzen wären. So kann z. B. die Landesgesetzgebung eine mit mehr als 1500 (früher 150) Mark Geldstrafe bedrohte Tat, wenn sie ihre Verjährung anders als in StGB. § 67 regeln und die Regeln anwenden will, die im StGB, für Übertretungen gelten, dies entweder so tun, daß sie die andere Regelung der Verjährung unmittelbar ausspricht, oder auch so, daß sie die Straftat für eine Übertretung erklärt, womit nun ohne weiteres die für Übertretungen geltenden Regeln anwendbar werden; RGSt. 14 248. Wenn Landesgesetze, die n a ch dem StGB, erlassen sind, eine derartige Versetzung der Straftat in eine andere Gruppe vor­ nehmen, so erhellt der Zweck, die für jene Gruppe gegebenen allgemeinen Vorschriften des StGB, anwendbar zu machen, meist von selbst. Handelt es sich um Landesgesetze, die v o r dem StGB, liegen, so ist nicht aus der in ihnen enthaltenen Bezeichnung der Sttaftat als Verbrechen, Vergehen und Übertretung, oder aus der angedrohten Sttafe ohne weiteres zu entnehmen, daß sie auch die Dreiteilung des § 1 dabei im Sinne gehabt haben und wollten, daß die für die in ihm gebildeten Gruppen geltenden Regeln anzuwenden seien, denn diese Einteilung und Regelung bestand ja damals noch gar Nicht. Es ist deshalb hier im Einzelfalle zu prüfen, welche Bedeutung die Bezeichnung der Sttaftat und die Sttafdrohung im Verhältnis zu der des § 1 hat unb ob damit bezweckt war, die im StGB, an die Gruppe angeknüpften Regeln gelten lassen zu wollen, RGSt. 25 56. Möglicherweise kann sich sogar je nach diesen Regeln eine verschiedenartige Einstellung in diese oder jene Gruppe ergeben. — Auch für MilitStGB. gelten Besonderheiten. 4. Zum Maßstab sind nur die in § 1 hervorgehobenen HiMpistrafe«, RGSt. 52 344: Tod, Zuchthaus, Gefängnis, Geldstrafe, Haft genommen, und zwar ohne Rücksicht auf den nach ganz andern Gesichtspunkten getroffenen Sttafumwandlungsmaßstab des § 29. Tod und Zuchthaus sind hierbei Strafarten, die die Tat immer zu Verbrechen stempeln,

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Strafgesetzbuch.

eine mit Gefängnis bedrohte Straftat ist immer Bergehen, alle anderen werden für ver­ schiedene Straftatengruppen als Strafdrohungen verwendet: ist Festung über 5 Jahre gedroht, wird die Straftat zum Berbrechen, sonst ist sie Bergehen, Hast wird als Haupt­ strafe auch bei dem Bergehen nach StGB. § 185 verwendet, sonst macht ihre Androhung die Tat zur Übertretung. Die Strafdrohung von Geldstrafe über 1500 (früher 150) Mark macht die Tat zum Bergehen, bis zu 1500 (früher 150) Mark zur Übertretung. In $ 207 hat der Gesetzgeber seine eigene Gruppenbezeichnung (Verbrechen) nicht festgehalten; in § 232 wird das „Übertreten" nicht im Sinne von Verüben einer „Übertretung" gebraucht. — Andere Hauptstrafen, wie die als solche zulässige Forst- oder Gemeindearbeit des § 6 Abs. 2 werden nicht als Eintellungsmaßstab herangezogen. Sofern sie Geldstrafen oder Gefängnisstrafen ersetzen sollen, sind sie nicht Hauptstrafen, sondern Ersatzstrafen und es kommen dann von vornherein nur jene in Betracht. Sind sie aber allein angedroht, so ist mangels einer gesetzlichen Eintellungsvorschrist die Schwere der Forst- oder Gemeindearbeitsstrafe in Vergleich mit den Geld- oder Gefängnisstrafen des StGB, zu bringen, auch die Art der Straftat, auf die sie angedroht sind, und mit gleich­ artigen zu vergleichen, für die die in § 1 genannten Strafarten gedroht sind, und danach zu bestimmen, ob sie in die Übertretungs- oder Vergehensgruppe einzustellen sind. Meist wird es sich um Vergehen handeln. Der Verweis im Falle des § 57 Nr. 4 und die ins richterliche Ermessen gestellte Strafe des § 233 sind zwar Hauptstrafen, aber nicht als solche für die normierte Straftat vom Gesetz angedrohte, sondern für den E i n z e l f a l l, der jenen gesetzlichen und mit anderer Hauptstrafe bedrohten Tatbestand verwirllicht, vom Richter verhängte Strafen und deshalb mit Recht nicht als Eintellungsmaßstab herangezogen. Auch für diese Straftaten sind allein die an­ gedrohten Strafen maßgebend. Ersatzstrafen für Hauptstrafen kommen gleichfalls nicht in Betracht, B inding , Hdb. I 514, Oppenh.-Del. A.M. Olshausen und Schwartz. 5. Angedroht ist immer die Höchststrafe der schwersten Strafart. RGSt. 42 397. Sie ist eindeutig bestimmt bei den absoluten Strafdrohungen und ergibt sich bei den relattven aus der Höchstgrenze des Strafrahmens für die schwerste Strafart. Auch eine multiplikativ begrenzte Strafdrohung, wie sie sich für Geldstrafen namentlich in Zoll- und Steuersachen findet, ebenso in verschie­ denen Kriegsverordnungen, z. B. § 5 der alten BBO. v. 23. III. 16 gegen übermäßige Preissteigerung, vgl. auch RGSt. 52 194, kann absolut und relativ sein, z. B. „mit dem x-fachen Betrag" oder „bis zum x-fachen Betrag". Ist zugleich ein Mindestmaß bestimmt, das über den Betrag von 1500 (früher 150) Mark hinausgeht, so ist über die Natur der Straftat als Vergehen kein Zweifel. Vielfach wird angenommen, daß sich beim Mangel eines solchen Mindestmaßes erst im Einzelfall durch die verwirkte Strafe ergibt, ob Über­ tretung oder Bergehen vorliegt, andere, wie z. B. BindingHandb. I S. 516 meinen, es komme die denkbar höchste Strafe bei Bervielfältigung eines denkbar höchsten Grundwerts als Strafdrohung für die Straftat als angedroht in Betracht, deshalb liege stets ein Ver­ gehen vor. Beides ist falsch, erstere Ansicht, die auch RGSt. 5 26,13 223; Rechtspr. 10 710 (nicht RGSt. 42 397) vertreten wird, verstößt gegen § 2 Abs. 1, wonach die Strafe vorher angedroht sein muß. Im Ergebnis frellich läuft sie auf das Richtige hinaus. In der Tat handelt es sich in den Fällen, wo die Strafhöhe in Abhängigkeit von einem Wert des Ge­ genstandes, auf den sich die Straftat bezieht, gesetzt wird, um eine bloße Zusammen­ fassung verschiedener absoluter Strafandrohungen für ver­ schiedene einzelne Straftaten in bezug aus verschiedene Wertgegenstände, nicht um einen relativ bestimmten Strafrahmen. Auch hier bedroht die multiplikativ bestimmte Strafe aber alle Straftaten, die sich auf Gegenstände von diesem bestimmten Wert beziehen, und zwar vonvornherein in der nach dem Wert zu bemessenden Höhe und es wird keineswegs dieses Strafmaß erst mit der Begehung der Einzelhandlung sestgestellt. Es kommt nicht die verwirkte Strafe für den Einzelfall als Maßstab nach § 1 in Betracht, sondern die vorher bereits feststehende Strafandrohung. Nicht durch die Fest­ stellung, daß die Deftaudation 1000 Mark beträgt, wird die Strafandrohung von 2000 Mark als dem Doppelten gefunden und nun erst durch die erkannte Strafe erwiesen, daß die Handlung ein Vergehen ist, da es sich um Bestimmung des Einzelsalls überhaupt nicht handelt — sondern von vornherein ist die Straftat als „Defraudation von 1000 Mark" normiert

und ihre Strafe als doppelter Betrag von 2000 Mark bestimmt angedroht. Zutreffend hierüber Jacobi, ZStRW. 22 165 ff. Zu gleichem Ergebnis auch K L ck e l l, Strft. Abhdl. von Lilienchal 1S15, Heft 187 S. 205. Ebenso RGSt. 42 397 u. 4 v 932/18 18. HI. 1919. Es liegt der Fall nicht anders als bei $ 370 Nr. 5. Die dort normierteStraftat, Entwendung eines geringwertigen Gegenstands, ist von vornherein durch die Strafdrohung als Übertretung gekennzeichnet und nicht wird es der gesetzliche Tat­ bestand erst dadurch, daß im Einzelfall festgesteM wird, es ist ein minderwertiger Gegenstcmd gestohlen, über Berechnung bei Konkurrenz s. I a c o b i a. a. O. S. 166 ff. 6. Auch bei wahlweiser Strafandrohrmg entscheidet die h ö ch st e zur Wahl gestellte Strafe: 4 D 932/18 18. III. 1919. 7. Da unter Handlung im Sinne von § 1 nicht die (konkrete) Harrdlung des Einzelfalls, die die Straftat verwirklicht, zu verstehen ist, sondern der als Berbotsinhalt vom Ge­ setzgeber normierte Tatbestand, der die bedrohte Straftat als abgezogenen Begriff ausmacht, so kommt auch nur die Strafe in Betracht, die auf einen solchen Tatbestand aw gedroht ist. O. Meyer a. a. O. S. 38. Hiernach bleiben außerBetracht alle Strafmilderungs - und Minderungsgründe (Strafschärfungsgründe dieser Art kennt StGB, nicht), die den gesetzlichen Tatbestand der Straftat als solche bestehen lassen und nur für den sie verwirklichenden E i n z e l f a l l einen milderen Straftahmen

gewahren. Hierher gehören vor allem die allgemeinen mildernden Um­ stände und die sogen, „l e i ch t e r e n F ä l l e" des § 94, § 96, aber auch die besonders herausgehobenen Strafminderungsgriinde der I u g e n d nach § 57; RGSt. L 52; Rspr. 8 571 oder des § 157, § 158, die nur eine Strafermäßigung der „an sich verwirkten Strafe" anordnen. Letztere ist deshalb zur Bestimmung nach § 1 allein maßgebend. Auch § 213. Dagegen kommen in Betracht alle Strafmilderungs- und StraferhöhungSgründe, die vom Gesetzgeber als Tatbestandsmerkmale für einen vom ge­ wöhnlichen abweichenden Tatbestand der Straftat verwendet worden sind, derart, daß mit ihnen eine neueStraftatmitbesondererStrafdrohung geblldet worden ist. Zuweilen hat der Gesetzgeber hierzu auch höchstpersönliche, nur in der Person des Täters im Einzelfall vorliegenden Merkmale benutzt, wie Rückfall, Ger wohnheits - und Gewerbsmäßigkeit, ferner § 181 Nr. 2, § 216, § 221 Abs. 2, § 313 Abs. 2 u. a. Die für jene neugebildeten Tatbestände angedrohten schwereren oder niedrigeren Strafmaße bestimmen dann nach § 1 die Natur dieser besonderen Straftat. Hierzu gehört jedoch nicht $ 213, der auch soweit das Geneigtsein zum Zorn als notwendiger Müderungsgrund herausgehoben wird, nur einen „milderen Straftahmen" für die Tat des § 212 schafft. Die Tat bleibt daher auch im Fall von § 213 Berbrechen und der Versuch somit strafbar. RGSt. 14 298, 33 323. 8. Die Strafen für Anstiftung, Versuch, BeihUfe sind lediglich übertragene Strafen der Haupttat oder der vollendeten Tat. Diese Handlungen sind keine selbständigen Straf­ taten, nicht in sich abgeschlossen, sondern unselbständige Begehungsformen der auf Berwirllichung der Hauptstrastat gerichteten Handlung und ohne diese nicht zu denken. Mit dieser zusammen erst verwirklichen sie die Straftat, sie sind wie diese Zuwiderhandlungen gegen gleiche Verbote oder Gebote, bilden mit dieser einen Bestandteil der Straftat und richten sich gegen das gleiche Rechtsgut. K ä ck e l l, Strft. Abhdl. v. Lllienthal 1915 S. 199. Bei dieser ihrer akzessorischen unselbständigen Natur teilensiedieNatur derHaupttat und sind mit dieser unterdieselbe Gruppeeinzureihen, zu der die Strafdrohung für die Haupttat sie stellt. So auch B i n d i n g Hdb. I S. 516, vgl. auch Normen II S. 1142, Liszt S. 121 Meyer-Allf. S. 103, Wach, Vergl. Darstellung 6 S. 4. A. M. Olshausen, Frank, Oppenhoff-D., Schwartz. Anders natürlich, wenn eine Teilnahmeform zu einer selbständigen Straftat erhoben ist, §§ 49 a, 111,257, 219. Auch in § 111 Abs. 1 ist die Höchststrafe, die angedroht wird, durch die doppelte Verweisung aus die Strafe der Anstiftung und von da gemäß § 48 Abs. 2 auf die Strafandrohung für die Straftat, zu der aufgefordert wird, von vomherein genau bestimmt, wird nicht etwa erst durch die Begehung des aufgeforderten in Ge­ wißheit gesetzt. Hiernach ist die Aufforderung zu einem Verbrechen selbst Verbrechen, zu einem Vergehen Vergehen. § 111 ist eine Zusammenfassung mehrerer verschiedener Straftaten. Unbefriedigend ist das Ergebnis RGSt. 39 158 für den Fall des § 111 Abs. 2. Olshausen, Frank.

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9. Tie im StGB, aufgestellten allgemeinen GrnndfLtze gelten für die drei Teliktarten gleichmäßig, sofern nicht einzelne Grundsätze nur für bestimmte Kategorien Vorbehalten worden sind. So §§ 43, 49 a für Berbrechen, §§ 43, 49, 257 für Berbrechen und Vergehen, §§ 6, 28, 37,40,42, 57, 67, 70, 77, 78 für Übertretungen.

19. Durch Gesetz zur Erweiterung des Anwendungsgebiets der Geldstrafe und zur Einschränkung der kurzen Freiheitsstrafen vom 21. XII. 21 (RGBl. 1604) ist in Abs. 2 u. 3 „150“ durch „1500 Mark" ersetzt worden. 2. Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn

diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde.

Bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Hand­ lung bis zu deren Aburteilung ist das mildeste Gesetz anzuwenden. E. 19 § 6.

I. 1. Tie Vorschrift bringt zunächst zum Ausdruck, daß nur auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung eine Strafe verhängt werden darf. Keine Straftat und leine Strafe ohne Gesetz, nullum crimen sine lege, nulla poena sine lege. Schon die allgemeine Fassung: „mit einer Strafe" deutet darauf hin, daß hier eine Vorschrift aufgestellt wird, die allgemeinim Deutschen Reich gelten soll, auch für das Landesstrafrecht. Jedoch gilt auch diese nur für das eigentliche Straf­ recht, nicht also z. B. für Disziplinarstraftecht, nicht für Vorschriften des Ver­ fahrens, nicht für Maßregeln, die keine Strafe sind (event. Einziehung), RGSt. 52 226. Es handelt sich um einen staats- und verfassungsrechtlichen Grundsatz. Er ist aus der englischen Magna Charta in die amerikanische Petitions of Kights übernommen, hat von da den Eingang in die ftanzösische Declaration des droits de rhomme et du citoyen vom 26. VIII. 1789 (nicht zunächst in den code penal v. 25. IX. 1791) gefunden, wurde ins preußische Allgemeine Landrecht und in eine große Anzahl von Verfassungen deutscher Staaten ausgenommen, und er hat daher mit Recht auch in Art. 116 der neuen RB. v. 11. VIII. 1919 Aufnahme gefunden. Vordem galt in Frank­ reich wie in Deutschland sowohl für die Feststellung, was Verbrechen sei, als die, wie es bestraft werde, lediglich Gewohnheitsrecht. So noch heute in einzelnen schweizer Kantonen, wie Uri und Nidwalden, Schweiz. Bundesgericht v. 24. I. 1913 im GerS. 1916 96. Die Bambergensis und die CCC versuchten zwar hier helfend einzugreifen, lassen aber doch das Gewohnheitsrecht in großem Umfange bestehen. Insbesondere war nach Carpzov jede Strafe eine poena extraordinaria und als solche unbestimmt. Tas galt namentlich auch von der Berdachtstrafe. Hierzu kam das willkürliche Begnadigungsrecht, das sich die Ge­ richte, und das ebenso willkürliche Recht zu strafen, das sich die Fürsten anmaßten. Dem­ gegenüber bedeutet der Grundsatz die Garantie staatsbürgerlicher Freiheit und Rechts­ sicherheit, RGSt. 32 186. § 2 Abs. 1 ist die Magna charta der Bürger. Lediglich eine B e r stärkung dieser Garantie bedeutet es. wenn weiter gefordert wird, daß die Strafe gesetzlich bestimmt sein müsse, bevor die Handlung begangen wurde. In dieser Fassung fand der Grundsatz Aufnahme im Code penal v. 12. II. 1810 Art. 4. Tas Preuß. StGB, von 1851 entnahm ihn daraus in wörtlicher Übersetzung: „Kein Berbrechen, kein Bergehen und keine Übertretung kann mit Strafe belegt werden, die nicht gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde". Bon da ist der Grundsatz in dieser Form in das deutsche StGB, übergegangen. Vgl. Schottländer in Lllienthals Abh. Heft 132. Wenn in Art. 116 der neuen RV. gesagt wird: „Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde", so wird damit allerdings dem Wortlaut nach nur gefordert, daß die Handlung ü berhaupt mit einer Strafe bedroht war, so daß es nicht erforderlich ist, daß sie gerade mit der zur Zeit der Aburteilung bestehenden Strafdrohung schon bedroht war. Es hat aber damit keine Änderung des StGB. § 2 Abs. 1 beabsichtigt werden sollen, auch bleibt es bei der Vorschrift des Abs. 2. v. Hippel ZStRW. 1921 405, Käckell in ZStRW 1921 684. Arndt LZ. 1921 Sp. 201; Liszt § 18. Nach E. 19 soll die entsprechende Vorschrift des § 2 Abs. 1 wegfallen mit Rücksicht auf Art. 116 der RV. Begr. zu E. 19 S. 12.

2. Neben diesem rein staatsrechtlichen Grundsatz kam im 18. Jahrh, der strafrecht­ liche Gedanke des psychologische« zwangs der Strafandrohung auf. Hiernach muhte verlangt werden, daß die Strafe v o r der Tat angedroht war, damit sie den Ver­ brecher von ihr abhalten konnte. Mit besonderem Nachdruck vertrat diese Anschauung Feuerbach und von ihm stammt die Formel: „nulla poena sine lege" — keineswegs ein Satz römischen Rechts. Auch der allgemeine Grundsatz der bloßen Generalprä­ vention des Strafgesetzes forderte, daß das Strafgesetz vor der Tat erlassen war. In der Forderung nach Festlegung der Strafdrohung in einem Gesetz begegnete er sich mit dem staatsrechtlichen Grundsatz. Dabei wird unzulässig die vorbeugende Natrrr des Gebots und Verbots ohne weiteres auf die S t r a f d r o h u n g als ihr notwendig anhaftend übertragen. L. Wenn § 2 fordert, daß die Strafe gesetzlich bestimmt sein muß, wird allerdings die Entstehung von Geboten und Verboten ohne Gesetz, also gewohnheitsrechtlich nicht ausgeschlossen. Da die Strafdrohung aber an eine verbotene Handlung anknüpst, sonach nur solche Gebote für das Strafgesetz in Frage kommen, deren Übertretung mit der Straffolge ausgestattet ist, muß notwendig auch das Gebot oder Verbot im Gesetz, das die Strafe droht, seine Anerkennung gefunden haben, kommen nur Gebote und Verbote in Betracht, auf die ein G e s e tz Bezug nimmt. Tas eine Strafe androhende Gesetz braucht kein konstitutionelles Gesetz im engeren Sinne zu sein, es ist jede geschriebene Rechtsvorschrift, wenn sie von zuständiger Stelle in ordnungsmäßiger Form erlassen wurde, also auch Rechtsverordnung, Polizei- und Berwaltungsverordnung, so­ fern sie von einer Behörde erlassen sind, die die Befugnis hierzu durch ein Gesetz erhalten hat, RGSt. 44 35; Binding, Hdb. I S. 230; v. Bar, Ges. u. Schuld I S. 70; v. Liszt, Lehrb. § 18; M e y e r-A l l f e l d S. 71. Hierher gehören also auch die Ver­ ordnungen des Reichspräsidenten auf Grund von Art. 48 Abs. 2 der RB. vom 13.1.20 (RGBl. 207), RGSt. 55 117,56161, so z. B. die vom 28. IX. 21 (RGBl. S. 1271), die Gefängnis bis zu 5 Jahren und Geldstrafen bis 500 000 M. (nach dem Ges. vom 21. XII. 21 nunmehr dem Zehnfachen hiervon!) anordnet. Eine andere Frage dagegen ist, ob diese VO. insoweit rechtsglltig sind, als sie in weitem Umfange die dem Reichs­ präsidenten gegebene Befugnis auf untergeordnete Stellen überträgt. Tie Übertragung einer dem Reichspräsidenten um seiner Stellung willen eingeräumte Be­ fugnis, die nach der Verfassung eine Höch st persönliche sein soll, kann nicht auf untergeordnete Stellen erfolgen, sofern nicht wenigstens auch für diese der Reichs­ präsident noch die Aufsicht ausüben kann und die Verantwortung übernimmt. RGSt. 56 165 will die Überlassung der Durchführung der Anordnungen an untergeordnete Stellen zulassen. — Das „G e s e tz" kann reichsrechtlich oder landesrechtlich sein. Über die Gültigkeit entscheiden die Verfassungen des Reichs und der Bundesstaaten. Das Reich kennt nur G e s e tz e in konstitutioneller Form — nach neuer RV. Art. 68 Abs. 2 ist Gesetz nur das vom Reichstag beschlossene —, keine Strafverordnungen, sofern nicht solche auf Grund besonderer gesetzlicher Ermächtigungen ausnahmsweise zugelassen sind, so § 51 des Konsulargerichtsbarkeitsgesetzes v. 7. IV. 1900 (RGBl. S. 213), das dem Konsul, und § 15 des Schutzgebietsges. v. 25. VII. 1900 (RGBl. S. 812), das dem Reichs­ kanzler und seinem Beauftragten ein Strafverordnungsrecht einräumt; ferner vgl. § 3 des Gesetzes über die Ermächtigung des Bundesrats zu wirtschastl. Maßnahmen v. 4. VIII. 1914 (RGBl. S. 327), das dem Bundesrat ein Strafverordnungsrecht gab, und BBO. über Kriegsmaßnahmen v. 22. V. 1916 (RGBl. S. 401), in der die Befugnis zum Erlaß von Strafandrohungen auf den Reichskanzler vom BR. übertragen war. Nach der neuen Berfassung kommen als anderweite Form der Gesetzge­ bung in Betracht die „g e s e tz l i ch e n M a ß n a h m e n" auf Grund des Ges. über die vereinfachte Form der Gesetzgebung für die Zwecke der Übergangswirtschaft vom 17. IV. 19 (RGBl. S. 394) u. 3. VIII. 20 (RGBl. S. 1493). — BO. der Reichsregierung über Erlaß von Strafbestimmungen durch das Reichsamt für die wirtschaftliche Demobil­ machung v. 27. XI. 18 (RGBl. S. 1339). Die interalliierte Regierung in Schlesien und im Rheinlande hat kein Recht zur Gesetzgebung, Art. 88 des Friedensvertrags Anl. § 3 Abs. 1; 40 1368/20 2. XI. 20 in IW. 1921 532-. Die verkültdrntg mußte für RG e s. nach alter RB. Art. 2 im Reichsgesetzblatt erfolgen, ebenso nach Art. 72 der neuen RB. Tas gilt nicht für die ausnahmsweise zugelassenen Rechtsver-

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Ordnungen, a.M. Binding, Hdb. I S. 207. Daher hält ROHG. 21 60 das Eisenbahnpolizeireglement v. 4.1. 1875 § 62, das nur im Zentralblatt f. d. R. 1875 S. 75 veröffentlicht ist, für gültig. HinsichÜich der Berkürrdung der konsularischen polizeüichen Borschristen traf § 51 Abs. 3 des Konslüargerichtsbark.-Gesetzes besondere Bestimmung, nicht wegen der dem RK. im Schutzgebietsgesetz übertragenen. 4. Dem Richter steht tht Prüfmrgsrecht zu zunächst in der Richtung, ob der Wille des Gesetzes oder derRechtsverordnung verfassungsmäßig zustandegekommen ist. Fleischmann, Die materielle Gesetzgebung im Handb. d. Politik von Laband u. a. Bd. I, S. 280. Die meisten freilich meinen, diese verfassungsmäßige Prüfung stehe allein dem Verkündungsorgan zu und damit werde die Nachprüfung durch den Richter ausge­ schlossen, so auch RGZ. 99 235; RGSt. I v. 29. VI. 08 in SeuffBl. 73 900. GA. 55 325; IW. 1916 596. Das verfassungsmäßige' Zustandekommen des gesetzgeberischen Willens ist aber die erste Voraussetzung für die Wirksamkeit und Rechtsverbindlichkeit eines Gesetzes und die Prüfung des Verkündigungsorgans geschieht lediglich, um sich über das Borliegen seiner Verkündigüngspflicht zu vergewissern, hat aber nicht konstitutive Kraft dahin, einen nicht verfassungsmäßig zustandegekommenen, also rechllich nicht vorhan­ denen Gesetzeswillen durch seine Anerkennung als einen vorhandenen zu schaffen. Folglich muß sich die Prüfung des Richters auch auf das Zustandekommen erstrecken. Nur das ist zugegeben, daß die Berkürrdung des Gesetzeswlllens durch das berufene Organ eine starke tatsächliche Präsumtion des richtigen Zustandekommens enthält, der Richter daher in der Regel ohne weiteres davon ausgehen kann, daß einem verkündeten Gesetze auch ein rechtswirksamer, verfassungsmäßig gebildeter Wille zu Grunde liegt. Das ganze Prü­ fungsrecht des Richters beruht darauf, daß er nach GBG. nur dem Gesetz unterworfen ist, er somit Umfang und Inhalt dieses Unterworfenseins festzustellen hat, soweit ihm darin nicht durch anderweitige Gesetze selbst Grenzen gezogen worden sind. Das ist jedenfalls für die R e i ch s g e s e tz e durch die Reichsverfassung nicht geschehen. RGSt. 56 177; ID 1759/21 v. 2. II. 1922. Meyer-Allfeld S. 73. Wo in einzelnen Landes­ verfassungen für die Landesgesetze eine Beschränkung des richterlichen Prüfungs­ rechts erfolgt ist, ist der Richter allerdings, wie an alle Gesetze, so auch an diese gesetzliche Beschränkung gebunden. Ferner hat der Richter zu prüfen, ob die A u s fertigung und Verkündung des Gesetzeswittens verfassungsmäßig erfolgt ist. Denn erst durch eine rechtswirksame Erllärung wird der Rechts Wille für die ihm Unter­ worfenen verbindlich. Endlich hat der Richter zrr prüfen, ob der verfassungsmäßig gebildete und verfassungsmäßig erklärte Gesetzeswille Rechtswirkung hat, well er sich i m R a h m e n seiner Zuständigkeit hält, insbesondere ob ein Reichs- oder Landesg es e tz «ach der RV. zulassig ist. RB. Art. 13. Uber die erheblichen Zweifel über das bayr. Gesetz v. 12. VII. 1919 über die Bolksgerichte z. B. vgl. u. a. Lunglmayer in Ztschr. f. Rechtspf. i. Bayern 1919 437. Mayer LZ. 1920 8. Ein verfassungswidriges Gesetz darf vom Richter nicht angewendet werden. Triepel, Arch. f. ö.R. 39 536, Bühler, DIZ. 1921 Sp. 580 ff. Schack, Die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Ges. u. BO. (1918) S. 253; Rosin, Das Polizeiverordnungsrecht in Preußen (1895) S. 280; Mayer-Anschütz, Lehrb. b. deutsch. Staatsrechls 7. Aufl. S. 745; Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reichs, 5. Aufl. Bd. 2, 107. Auch RGSt. 34 126, 357, 35 277, 36 421, 1 D 729/21 12. XII. 21, RGZ. 37 240,48 205,64187,10393. Verhandlungen im Berfassungsausschuß der National­ versammlung 39. Sitzung 6. VI. 19 S. 483—486. — Dagegen Jellinek in DIZ. 1921 Sp. 753. Zweifel entstanden namentlich über die Rechtsgültigkeit der ersten Anordnungen der Revolntwnsregieruug, besonders des „Aufrufs des Rats der Bolksbeauftragten an das deutsche Volk" v. 12. XI. 1918 (RGBl. S. 1303) sowie der verschiedenen Amnestien. Die Rechtsgültigkeit dieser Anordnungen ist vom RG. anerkannt worden, RGSt. 53 39, 52, 65, 54 4, 87, 149, 152; RGZ. 100 26 ff.; vgl. hierüber außerdem Hase, Revolution und Recht, Sächs. Arch. 1919 129; Karsten, Gesetz­ gebungsrecht des Rats der Volksbeauftragten, DIZ. 1919 254. v. Liszt, Tie Rückwirkung der Novemberrevolution auf Straftecht und Strafverfahren, IW. 1918 845; Saenger, Die Revolution als Rechtsquelle, Recht u. Wirtschaft 1919 26; Schwalb, Das Gesetzge­ bungsrecht der revolutionären Reichsregierung, DIZ. 1919 281; Conrad, Das RG. und die Amnestieerlasse der Bolksbeauftragten, DIZ. 1919 334, 489, 661. Neben dem Vorgen. „Aufruf" vom 12. XI. 18 kommen in Betracht das Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt

vom 10. II. 19 (RGBl. S. 109) und das Übergangsges. v. 4. HI. 19 (RGBl. S. 285). Drrrch letzteres ist insbesondere in § 1 verordnet, daß die bisherigen Gesetze und Verordnungen des Reichs bis auf weiteres in Kraft bleiben, soweit ihnen nicht das Gesetz vom 10. II. 1919 entgegensteht. Damit ist auch von nun ab die rechüiche Grundlage des Aufrufs vom 12. XI. 18 außer Zweifel gestellt. Vorher war er jedoch nur verbindlich, soweit die Macht der „Bolksbeauftragten" anerkannt wurde, was z. B. in Bayern nicht sogleich der Fall war. Dort erlangte der Aufruf vielmehr erst Rechtsgeltung mit der Einführrmg durch die Regierung des Bolksstaates Bayern in der BO. über die Niederschlagung von Strafver­ fahren vom 16. XII. 18 (Bayr. Staatsanz. Nr. 293 vom 17. XII. 18). Erst mit dem 17. XII. 18 ist der Aufruf der Bolksbeaustragten vom 12. XI. 18 i n B a y e r n in Kraft getreten, Bayr. ObLG. 15. III. 19, Bayr. Ztschr. f. Rechtspfl. 19 214. In Preußen und Sachsen wurde der Aufruf dagegen sofort als rechtsverbindlich anerkannt, Schlayer, StRZ. 1919 5. Die sofortige Geltung fut Württemberg ist bejaht vom RGSt. 53 52; vgl. ferner Waldecker in IW. 1918 745; Anschütz S. 751, Baum S. 752, Hellberg IW. 1919 8; Paul in LZ. 1919 346; Zorn, DIZ. 1919 126. Den örtlichen Arbeiter- und Soldatenräten kommt irgendwelche Gesetzgebungs­ befugnis nicht zu, sie haben nur vorübergehend die v o llz ieh e n d e Gewalt gehabt, RGZ. 100 27 und sind schließlich nur Kontrollorgane, keine Behörden. Kneisner, Die rechtliche Stellung der Arbeiter- und Soldatenräte, HansGZ. 1919 Bell 147; Bredt, Preuß.-Berw.-Bl. 40 489. 5. Das Gesetz gilt so, wie es erklärt ist, d.h. in der Au s fertigung der Ori­ ginalurkunde. Diese ist zu veröffentlichen. Ob die Verkündung ordnungsgemäß ist, haben ebenfalls die Gerichte zu prüfen. Schack in IW. 1922 82. Auch ob der gedruckte Ausgabetag mit dem wirklichen, allein maßgebenden, übereinstimmt, BayrObstLG. II 387/21 v. 21. XU. 1921 u. DIZ. 1922 Sp. 136. Die bei der Veröffentlichung wider den Text der Originalurkunde laufenden Druckfehler haben keine rechlliche Wirkung, sind vom Richter ohne weiteres zu berichtigen und können auch vom Trucker oder Heraus­ geber des Gesetzblattes berichtigt werden. Eine besondere Form hierfür ist nicht vorge­ schrieben, 3D 205/17 2. VII. 1917; RGSt. 51 135; KG. 28. IX. 1917 in DIZ. 1917 969 — nur muß erkennbar sein, daß ein wirklicher Fehler beim Druck vorliegt und vom Drucker oder Herausgeber der Druckschrift berichttgt werden soll. Ist der Irrtum berells in der Originalurkunde vorhanden, muß der diese Ausferttgende auch die Be­ richtigung erklären. Liegt dagegen eine irrige Erklärung seitens des PublikationSorgans im Hinblick auf das vom Gesetzgeber Gewollte und Beschlossene vor, ein fehlerhafter Ausdruck ann auch rückwärts, RGSt. 5417. Eine bloße Auslegungsregel findet sich in § 1 der Reichsabgabenordnung: „Bei Aus­ legung der Steuergesetze sind ihr Zweck, ihre wirtschaftliche Bedeutung und die Ent­ wicklung der Verhältnisse zu berücksichtigen." 8. Die Vorschrift bedeutet weiter den AnSschlnß unbestimmter Strafe«, wie z. B. nach Preuß. BO. v. 8. VII. 1844 „langjährige Zuchthausstrafe" androht. Geschichllich ist der Richter das ursprüngliche und natürliche Organ der Rechtsgemeinschaft zur Besttmmung ihres Strafanspruchs; Rosenfeld, Die richterliche Strafzumessung in Bergl. Darst. III S. 98; Lobe, Gutachten für 32. DJurTag Bd. 1 S. 132 ff. Die infolge Friedlosigkeit freigewordene Rache des Verletzten wie das dem verletzten Gott zu bringende Opfer gingen ursprünglich auf Tötung des Missetäters. Alle anderen all­ mählich an chre Stelle ttetenden Strafarten sind nur Abwandlungen, Abmilderungen dieser ursprünglich einzigen Berbrechensfolge, vorgenommen durch den Richter, der anstatt dem Verhängen der absoluten Strafen, dem „Richten nach Recht", die gemilderten Strafen in dem „Richten nach Gnade" einführte, insbesondere die sogen, „spiegelnden Strafen". Das dem Richter eingeräumte Recht führte aber durch seine wilttürliche Handhabung zu schweren Mißständen, und um ihnen abzuhelfen, schickte sich die erstarkende Staatsgewalt zum Erlaß von Gesetzen über die Straszufügung an. Hierbei blieb man sich aber bewußt, daß eine völlige Regelung der Strafansprüche durch das Gesetz unmöglich sei. Den Ausgleich fiir die notwendige Richterfreiheit einerseits, die wegen der ge­ rechten Beurteilung des einzelnen Falls bleiben mußte, und der Rechtssicherheit anderseits brachten die relative« Strafbeftimmu«ge«. Sie stecken die Grenze ab für die Geltung des Gesetzes und bezeichnen den Raum, in dem der Richter nach wie vor seine ihm ursprünglich frei zustehende Strafzumessungstätigkeit ausüben kann. Es geschieht das in der Weise, daß dem Richter entweder nur eine Strafatt mit Angabe des Mindest­ maßes und des Höchstmaßes, oder zwei oder mehrere Strafarten, deren Rahmen je wieder nach Mindest- und Höchststrafe abgegrenzt ist, zur Verfügung gestellt werden. Kein Aus­ gleich zwischen den beiden Gewalten des Richters und des Gesetzgebers, sondern ein Ver­ drängen des ersteren zugunsten des letzteren ist dort, wo das Gesetz ein absolute Strafe androht. Umgekehrt schlägt E. 19 § 116 einen völligen Verzicht auf ge­ setzliche Regelung vor, indem er in Fällen, die der Richter für besonders leicht erachtet, ihm anheim gibt, nicht nur wie, sondern auch o b gestraft werden soll. Vgl. Begr. z. Entw. v. 1909 S. 321; L o b e a. a. O. S. 154, 155. Das geltende StGB, kennt eine solche Freiheit des Richters nur bei § 199, § 233. In der Regel wird die Todes­ strafe nach § 211 als absolute Strafe bezeichnet. Es ist aber neben ihr nach dem Ermessen des Richters nach § 32 Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte zulässig. In besonderen Sttafgesetzen sind dagegen absolut bestimmte Geldstrafen angedroht, zu denen auch die Androhung eines Vielfachen eines bestimmten Grundwerts gehört; vgl. Anm. 5 zu § 1. Eine Unbestimmtheit des Mindestmaßes der Geldstrafe liegt auch dann nicht vor, wenn, wie z. B. in § 33 des Kriegssteuergesetzes vom 21. VI. 1916 (RGBl. 561) als Mindeststrafe schlechthin „Geldstrafe" angedroht ist, da deren Bezifferung sich aus $ 27 StGB, als mit 3 Mark ergibt, RGSt. 52 343. Durch Art. XI des EG. f. Els.-Lothr. war die bisherige Unbestimmtheit der Straf-

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androhung dortiger Gesetze behoben worden. Im übrigen hat die Landesgesetzgebung etwaige unbestimmte Strafandrohungen ihrer in EG. § 8 auferlegten Pflicht gemäß ab­ zuändern. Soweit dies nicht geschehen ist, ist die Strafdrohung nach § 2 unwirksam ge­ worden. Die Vorschrift bedeutet endlich, daß eine bloß irrtümlich als verbots­ widrig angenommene Handlung, die in Wahrheit einem Verbote nicht zuwiderläuft, straflos ist. Hierher gehören die Fälle des WahnvervrechenS, des sog. Mangels am Tatbestand und des untauglichen Versuchs. Der Irrtum über das Be­ stehen eines Verbots vermag dessen Vorhandensein nicht zu ersetzen. Geyer, GerS. 186fr 59. Binding, Umgek. Irrtum, GerS. 1917 186.

Absatz 1. II. Die Vorschrift trifft ferner Bestimmungen über die zettliche Geltmrg der Straf» gesetzt, d. h. inwieweit sie Handlungen ergreifen, die innerhalb ihrer Geltungsdauer be­ gangen werden. Das zur Zeit der Begehung geltende Gesetz bestimmt die Strafbarkeit der Handlung. Wenn $ 2 sagt, bevor die Handlung begangen wurde, so will er damit als selbstverständlich voraussetzen, daß das Strafgesetz auch bei der Handlung noch gelte. 1. Absatz 1 bestimmt, daß grundsätzlich nur die Gesetze Anwendung finden auf Hand­ lungen, die wShread, nicht aber vor oder nach ihrer Geltung begaage« sind, er bestimmt die Uazulassigreit der rückwirkende« Kraft. Jedes Strafgesetz besteht aus einem Verbot oder Gebot und einer Strafdrohung wider die Zuwiderhandlung dieser Befehle, die zugleich die Grundlage für die Entstehung des staatlichen Strafanspruchs im Falle der Zuwiderhandlung bildet. Die Verbote und Ge­ bote richten sich lediglich an die der Botmäßigkeit Unterworfenen und erst durch sie wird jetzt die Möglichkeit einer strafbaren Tat geschaffen. Derjenige Bestandteil eines Straf­ gesetzes, der in Geboten oder Verboten besteht, muß sonach schon begrifflich vor der Handlung, die mit Strafe belegt werden sott, liegen, da vordem keine verbotene Handlung und somit keine strafwürdige Handlung vorhanden sein kann. — Uber frühere andere Auffassungen in der geschichtlichen Entwicklung v. Bar, Gesetz und Schuld I S. 61. Nicht ebenso begrifflich notwendig ist, daß auch die Strafdrohung gegen die Zuwiderhandlung des Verbots vor der Begehung der Handlung liegt, auch die Strafe hierfür schon vorher bestimmt ist. Abs. 2 beweist selbst die Möglichkeit, daß die Strafe erst nach Begehung der Handlung bestimmt werden kann. Aber sowohl vom Gesichtspunkt staatsbürgerlicher Garantie mrs, als wegen der Möglichkeit psychischer Einwirkung einer Strafdrohung auf den Täter, ist im StGB, positiv angeordnet, daß auch die Strafe vor der Begehung der Handlung gesetzlich bestimmt gewesen sein müsse, Liepmann ZStRW. 32 587. Uber die Bedeutung von Art. 116 der neuen RB. s. oben 11. Wenn die Entstehung von Geboten und Verboten mit der Entstehung der Strafandrohung zeitlich auseinanderfällt, wie es z. B. bei den sog. Blankettstrafgesetzen geschehen kann, muß daher die Handlung, um straffällig zu werden, sowohl vor dem Gesetz, das die Strafdrohung enthält, als vor demjenigen, das das Verbot ausspricht, begangen sein. Eigenartig liegt der Fall, wenn die Berechnung der Strafe von außerstraftechtlichen Be­ stimmungen (z. B. einem Finanzgesetz) abhängig gemacht wird, dieses aber erst nach der Begehung der Handlung (Steuerhinterziehung) erlassen wird, vgl. RGSt. 52 194. Da­ gegen RGSt. 52 341. 2. Daß das zur Zeit der Begehung der Handlung geltende Strafgesetz in seinen beiden Bestandteilen, Verbot und Strafdrohung, darüber hinaus auch noch zur Zeit des Urteils in Kraft stehen müsse, wird in § 2 Abs. 1 nicht verlangt. Das Gegentell erhellt auch aus Abs. 2, wonach das Gesetz außer Kraft getreten sein kann und dennoch vom Richter angewendet werden muß, falls es das müdeste im Verhältnis zu einem jüngeren Gesetze ist. A. M. B i n d i n g Hdb. I S. 245 in Widerspruch mit S. 250. Aus dem bloßen Um­ stand, daß das Strafgesetz nachmals außer Kraft getreten ist, sei es, weil es selbst von vorn­ herein seine Geltungsdauer befristet hat, sei es, weil es aufgehoben worden ist, ohne durch ein neues ersetzt zu werden, sei es, weil es durch ein späteres Gesetz abgeändert worden ist, folgt daher für sich allein noch nicht, daß die unter seiner Geltung begangenen Harrdlungen nicht gemäß der für ihre Übertretung erlassenen Strafdrohung mit Strafe

belegt werden können. Im Gegenteil ist mit der Zuwiderhandlung ein Strafanspruch des Staats nach der damals geltenden Strafsatzung entstanden, der seiner richterlichen Fest­ stellung und Verwirklichung harrt. Es kann sich daher nur fragen, ob aus anderen Gründen als dem des Wegfalls des Strafgesetzes der schon entstandene Strafanspruch unter Umstäden in Wegfall zu kommen hat. Diese Fälle bedeuten dann keine Ausnahme von der Regel der Anwendbarkett des krafillos gewordenen Gesetzes, sondern stellen selb­ ständige, unabhängige Gründe für den Wegfall des Strafanspruchs dar. — In § 2 wird nur der eine Fall des Wegfalls der Gültigkeit des Gesetzes, nämlich der infolge Abänderung durch ein neues Gesetz erwähnt, Abs. 2. Der E. 19 § 6 Abs. 3 behandelt auch den Fall, daß das Gesetz bis zur Aburteilung w e g f ä l l L, ohne durch ein neues ersetzt zu werden. Für diesen Fall stellt er jedoch als Regel auf, daß die Strafbarkeit erlischt und läßt nur als Ausnahmen seine Gültigkeit zu. L. Eine erst nach dem Urteil erfolgte Außerkraftsetzung des Gesetzes ist stets ohne Einfluß. Dahingehende Anträge smd auch in der Kommission für den Entwurf StGB, abgelehnt worden. Vgl. aber RGes. v. 21. XII. 21 (RGBl. 1604) § 10 Abs. 2. 4. Die Entscheidung, ob eine Handlung während der Geltung eines Strafgesetzes begange« ist, hängt ab zunächst einmal von der Bestimmung des Zettpmrkts, zu dem das Strafgesetz itt Kraft getreten ist, und zu dem es außer Kraft getreten ist. Uber das Inkrafttreten des StGB. vgl. zu EG. § 1. Im übrigen beginnt die ve-cbindliche Kraft der Reichsgesetze nach alter RVerf. Art. 2 und neuer RB. Art.71 mit dem 14. Lage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an dem das RGBl, in Berlin gegeben worden ist. Maßgebend ist lediglich der Tag, an dem t a t s ä ch l i ch das RGBlatt ausgegeben ist, nicht der aufgedmckte Ausgabevermerk. Den Gerichten steht es frei, zu prüfen, ob beide übereinstimmen. II387/21 v. 1. XII. 21, BayrObLG. in DIZ. 1922 Sp. 136. Diese Vorschrift bezieht sich aber nur auf Gesetze im formellen Sinn, die unter Mitwirkung der Volksvertretung zustande gekommen sind, nicht auf Rechtsverordnungen, die von einem Organe der Reichsregierung erlassen sind, wie z. B. die ReichspräsidentenVO. auf Grund von Art. 48 Abs. 2 der Verfassung, RGSt. 55 119. Nach Düttmann, ArbBers. 1919 72 u. 136 soll die Frist des Art. 2 der alten RB. auch für den Aufruf der Bolksbeauftragten vom 12. XI. 18 gelten. Demgegen­ über muß aber als der zwar nicht ausgedriickte, aber erkennbare Wille der Bolksbeauf­ tragten angenommen werden, daß die mit Gesetzeskraft in ihm getroffenen Anordnungen sofort mit der Verkündung in Kraft treten sollten, nicht erst nach 14 Tagen. Das gilt namentlich für die Amnestie. In der späteren BO. v. 3. XII. 1918 ist dann auch ausdrücklich gesagt, daß sie mit dem Tage der Verkündung in Kraft treten solle. In den Konsulargerichtsbezirken galten besondere Fristen nach § 30 des Konsularges, vom 7. IV. 1900. Diese Fristen finden entsprechende Anwendung in den Schutzgebieten nach $ 3 des Ges. v. 10. IX. 1900. Im Gesetze selbst kann aber auch ein anderer, ftüherer oder späterer Zeitpunkt des Inkrafttretens bestimmt werden, z. B. schon der „Tag der Verkündung". Hier ist bestritten, ob das Gesetz oder hie Verordnung am Beginn des Tages, an dem die Ausgabe des RGBl, in Berlin erfolgt, am Ende dieses Tages oder im Moment der Ailsgabe in Kraft tritt. Bgl. hierüber näher Engelmann, LZ. 1917 98, der den Beginn des Tages entscheiden läßt. Nach der Regel des BGB. § 187 Abs. 1, die zugleich eine allgemeine Verkehrsregel enthält, von der abzuweichen triftige Gründe vorliegen müssen, RGSt. 35 40, tritt jedoch die Wirkung der an einem Tage erfolgenden Verkündung erst mit dem Ablauf des Tages ein. So auch RGSt. 15 200. Wollte man das Inkrafttreten schon mit dem Beginn des Tages annehmen, obwohl vielleicht erst in den Nachmittagsstunden die Ausgabe des RGBl, erfolgt, so würde für die Vormittagsstunden eine Rückwirkung vorliegen, die dem Grundsatz des § 2 Abs. 1 widerspricht und deutlicher zum Ausdruck gebracht werden müßte, zumal es sich um ein Strafgesetz handelt. Auch die Rückwirkung des RGes. betr. Bestrafung von Zu­ widerhandlungen gegen die österr.-ung. Zollges. v. 17. VII. 1881, verkündet am 26. VII. 1881, das sich vom 1. VII. 1881 ab verbindliche Kraft beilegt, e^t^ätt eine Rückwirkung nur hinsichllich der Strafdrohung, nicht des ihr zugrunde liegenden Verbots, das in § 12 des Zollkartells mit diesem am 1. VII. 1881 in Kraft getreten ist, Binding Hdb. I S. 227, 249. Dagegen geht RGZ. VI 2. X. 05 in IW. 1905 730 Nr. 27 davon aus, daß das mit dem Tage der Verkündung, d. 9. VI. 05, in Kraft gettetene RGes. bett. Änderung der ZPO.

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v. 5. VI. 05 (RGBl. S. 536) üonv Beginn des 9. VI. 05 ab gilt, u. 5 D 450/18 vom 3. VII. 18 nimmt das allgemein an. Es kommt sogar vor, daß für das Inkrafttreten des Verbots ein früherer Zeitpunkt festgesetzt wird, als für die Strafdrohung wegen der Zuwiderhandlungen gegen das Verbot, so z. B. Bek. v. 13. XI. 15 über Goldausfuhr. Auch im besetzten Gebiet treten die deutschen Gesetze mit dem nach deutschem Recht zuDestimmenden Zeitpunkt in Kraft. Hieran hat der Waffenstillstandsvertrag vom 11. Nov. 18, auf Grund dessen die Besetzung erfolgt ist, und Art. 3 a des Rheinlandabkommens als Zusatz zum Friedensvertrag von Versailles vom 28. VI. 1919 (RGBl. S. 687, 1337) nichts geändert. Auch die besetzten Gebiete, insbesondere auch das Saarbeckengebiet, gehören rechtlich noch zum Deutschen Reich und es gelten dort die für das Deutsche Reich erlassenen Gesetze vom Zeüpunkt ihres allgemeinen Inkrafttretens an. Insbesondere liegt keine occupatio bellicosa vor, so daß auch die Bestimmungen der Haager Konvention nicht anwendbar sind. Allerdings bestimmt die BO. 1 der interalliierten Rheinlandkommission vom 10. Januar 1920 in Art. 7 und 8, daß die Gesetze des Deutschen Reichs der Kommission zur Prüfung vorzulegen seien, bevor sie in den besetzten Gebieten in Vollzug gesetzt werden. Ter Rheinlandkommission kommt aber hiemach nur ein Einspruchsrecht, nicht ein Genehmigungsrecht zu. Tas Einspruchsrecht hemmt nicht das Inkrafttreten des Gesetzes als solches, sondern nur dessen Invollzugsetzung. Wann es in Kraft tritt, bestimmt sich ausschließlich nach deutschem Recht. Während der Prüfungszeit durch die Kommission bleibt daher auch nur die Vollziehung, nicht das Inkrafttreten suspendiert imb mit dem Ablauf der Prüfungszeit ohne Einspruch tritt nunmehr ohne weiteres auch die Vollziehbarkeit des bereits vorher in Kraft getretenen Gesetzes ein. Einer Deklaration oder Veröffentlichung bedarf es in dieser Hinsicht nicht erst, von einer rückwirkenden Kraft ist überhaupt keine Rede. RGSt. 6aD 351/21 v. 29. IX. 21 und 1 D 291/21 v. 14. XI. 21, 5 D 1962/20 v. 27. V. 21 in DIZ. 1922 Sp. 61. Vgl. auch Vogels in DIZ. 1921 Sp. 398. Unzutreffend Wunderer in LZ. 1921 Sp. 3 der Nachr. in Nr. 9. Der Zeitpunkt des Außerkrafttretens kann im Gesetze selbst von vornherein bestimmt sein, so z. B. bei RGes. über den Erlaß von Verordnungen für die Zwecke der Übergangs­ wirtschaft vom 6. II. 1921 (RGBl. S. 139) und Ges. v. 3. VIII. 20 (RGBl. S. 1493); es kann aber darin auch einem Dritten die Ermächtigung erteilt werden, den Zeitpunkt des Außerkrafttretens zu bestimmen. Letzteres häufig in den Kriegsgesetzen und Verord­ nungen, die dem Kaiser, dem BR. oder RK. die Befugnis einräumen, diesen Zeitpunkt zu bestimmen. Soweit diese Befugnis dem Kaiser übertragen war, muß angenommen werden, daß diese nunmehr auf den Reichspräsidenten übergegangen ist, soweit sie dem Bundesrat übertragen war, ist an dessen Stelle jedoch nicht der Reichsrat nach Art. 60 der neuen RB., sondern die Reichsregiemng nach Art. 52 getreten. Etwas Gegenteiliges muß ausdrücklich bestimmt werden, so z. B. VO. über Änderung des Ges. betr. Höchstpreise vom 17. I. 20 (RGBl. S. 94), wo in Art. III 357 der „Bundesrat" durch den „Reichsrat" ersetzt wird. Unklar das Höchstpreisgesetz v. 4. VIII. 1914 (RGBl. S. 339). Wie auch dessen Begrün­ dung ergibt, sollen die nach § 1 festgesetzten Höchstpreise nur „ftir die Dauer des Krieges" gelten. Gleichwohl wird nach § 5 der Bundesrat ermächtigt, erst den Zeitpuntt zu bestim­ men, zu welchem das Gesetz außer Kraft tritt. Hiernach bleibt zwar das Gesetz selbst bis zu dieser Erklärung auch über das Kriegsende hinaus in Kraft, die auf seiner Ermächtigung erlassenen Höchstpreise aber verlieren ihre Geltung mit dem Kriegsende. Eine jedenfalls nicht gewollte Regelung. Eine Abänderung des Gesetzes insoweit wäre daher dringend nötig. Teils Erstreckungen, teils Aufhebungen bestehender Kriegsverordnungen bringen BO. über Aufhebung von Kriegsmaßnahmen v. 11. 1.20 (RGBl. 32) auf Grund von 5 27 Abs. 1 des Ausf.-Ges. z. Friedensvertrag v. 31. III. 19 (RGBl. S. 1530) und die beigefügte Anlage zu Art. I. — BO. über das Jnkraftbleiben kriegswirtschafllicher Be­ stimmungen nach Beendigung des Kriegs, vom 22. XII. 19 (RGBl. S. 2138), — BO. über Ausdehnung einzelner Vorschriften für die Kriegswirtschaft auf die Nbergangswittschast v. 12. II. 20 (RGBl. S. 230; betrifft Ausdehnung der BO. v. 18. I. 17). Sodann kommt es darauf an, daß ein Tatbestand vollständig, wie ihn das Strafgesetz vorsieht, durch Handlungen innerhalb der Geltungsdauer des Ge­ setzes verwirklicht worden ist. Wie es sich verhält, wenn das Strafgesetz erst während der Ausführung der Handlung in Kraft tritt oder vor vollständiger Ber-

wirklichung des verbotenen Tatbestandes außer Kraft tritt oder sonst ein Wechsel der Ge­ setzgebung stattfindet, darüber sagt das Gesetz nichts. Abs. 2 behandelt nur den Fall, daß nach Begehung der abgeschlossenen Handlung ein Wechsel in der Gesetzgebung stattfindet. Handlung im Sinne von § 2 ist die Verwirklichung des verbotenen Tatbestandes, des Delikts, a.M. E. 19 § 8 Abs. 2, der nur das persönliche Tättgwerden darunter begreift. Den Umfang dieses Tatbestands und so­ mit den Ausschnitt der ihn verursachenden Handlung bestimmt das Gesetz. Hiernach ist jedenfalls zunächst nur eine Handlung Tatbestandsmerkmal und der innere Zustand des Willens, der als Entschluß oder Vorsatz bezeichnet wird, nur inso­ weit, als er sich in einer anderen Tätigkeit verwirklicht, nicht aber bereits vorher und für sich allein. Daraus folgt, daß zur Zeit der Entschlußfassung das Verbot mit seiner Strafdrohung noch nicht in Geltung zu sein brauchte, sondern erst dann, wenn sich der gefaßte Entschluß durch die zentrale Innervation auf die motorischen Nerven in deren Erregung auslöst und so zur Ursache einer körperlichen Tättgkeit wird, in ein vor­ sätzliches, willentliches Tun verwandelt. Denn bis dahin steht die Änderung des gefaßten Entschlusses und somit seine Nichtverwirklichung dahin. Diese Verwirklichung aber kann geraume Zeit nach der Entschlußfassung erfolgen. B i n d i n g , Umgek. Jrtt. S. 269 ff. In der Regel erfolgt nun die Verwirklichung des objekttven Tat­ bestands des Delikts allmählich durch eine Reihe von Tätigkeitsakten, deren jeder der Auslösung durch Innervation als Ausfluß des vorgefaßten Entschlusses bedarf. Bon diesen sind diejenigen, die die Verursachung nur vorbereiten, die Borbereit««gShandlungeu, straflos, sofern nicht aus ihnen eine selbständige Straftat gebildet wird, wie namentlich häufig dilrch die Kriegswuchergesetzgebung geschehen ist, oder sie in die Straf­ drohung für die fortgeschrittene Handlung ausdrücklich einbezogen worden sind. Es braucht hiernach auch zur Zeit der Begehung von Borbereitungshand­ iungen für die Verwirklichung eines Tatbestandes das Gesetz, das diesen ver­ bietet und strafbar erklärt, noch nicht in Geltung gewesen zu sein. Vgl. auch Kitzinger, Ort u. Zeit der Handlung in BglDarst. I S. 188. Hat dagegen bereits der „Anfang der Ausführung der Verwirklichung eines verbotenen Tatbestands im Sinne von StGB. § 43 begonnen, so kann diesen die Bersuchsftrafe hierfür nur dann treffen, wenn bei Beginn der Ausführung das Strafgesetz schon in G eltung war. ^lndernfalls kann natürlich der Versuch zugleich den selbständigen Tatbestand eines andern Delikts verwirklichen. Ist zu dieser Zeit das Strafgesetz noch nicht in Geltung ge­ wesen, aber zur Geltung gekommen, noch bevor die Ausführungshandlung zur Vollendung gekommen ist und diese Vollendung erst infolge eines unter seiner Herrschaft begangenen weiteren Tätigkeitsaktes eingetreten, so ist auch die Bottursache erst während seiner Gel­ tungsdauer gesetzt unt) auf die vollendete Verwirklichung des Tatbestands das ihn treffende Gesetz anzuwenden, Rspr. 2 213, RGSt. 2 337. Das gilt auch für die Fälle der fortgesetzten. Dauer- oder Kollektivdelikte, sofern sie sich in allen ihren Deliktsmerkmalen auch während der Geltungsdauer des Strafgesetzes verwirklichen. Dabei sind aber die­ jenigen Tätigkeitsakte, die vor dem strafrechtlichen Verbot begangen wurden, als Deliktsvertvirklichungen und auch für die Strafzumessung anszuscheiden und nur diejenigen zur Verwirklichung des strafbaren Tatbestands zu ver­ werten, die innerhalb der Geltungszeit fallen, RGSt. 35 288, 43 357, 44 278. Das­ selbe gilt für bie gewerbs - und gewohnheitsmäßigen Vergehen. 3 D 4793/00 v. 24. I. 01. Wie aber bereits abgeurteilte, verjährte, im Ausland begangene TätigkeitsakLe zum Nachweise dafür herangezogen werden können, daß eine jetzt in Frage stehende Handlung gewohnheitsmäßig, d. h. unter dem ausgebildeten Hange der Wiederholung, oder gewerbsmäßig, d. h. mit der Absicht, aus dem fortgesetzten Betriebe sich eine Erwerbsquelle zu schaffen, begangen ist, also von gewisser Art sei, so können auch Handlungen, die vor der Geltungszeit des Gesetzes liegen und noch unverboten waren, als Beweisgründe dafür verwendet werden, daß die in die Gelttlngszeit fallende Handlung aus dem Hang der Gewohnheit oder in der Absicht der Gewerbsrnäßigkeit begangen wurde. So für Gewerbsmäßigkeit auch RGSt. 5 369, a.M. Binding, Hdb. I S.249, dagegen ohne ausreichenden Grund geleugnet dort von RG. für Gewohnheits­ mäßigkeit bei Wucher. StGB. § 302 d setzt nur voraus, daß der Tatbestand des § 302 wiederholt und gewohnheitsmäßig verwirklicht worden ist, nicht, daß die früftonnncntnr v StrniAcieübud).

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Heren Handlungen, die die Gewohnheitsmaßigkeit herstellen, verboten war. Der Begriff des Wuchers ist nicht vom Berbotensein abhängig. Wie NG. aber auch B a r S. 83, wie hier dagegen auch Frank. Tritt dagegen das Gesetz erst in Geltung, nachdem der zur Verursachung dienende letzte Tätigkeitsakt geschehen ist, also erst nachdem dieser durch die Innervation der motorischen Nerven hervorgerufen wurde, so fällt das Setzen der Ursache, das durch das Gesetz verboten ist, nicht in seine Geltungszeit und ein etwa später innerhalb der Geltungszeit eintretender Erfolg als Wirkung der gesetzten Ursache reicht nicht aus, die Anwendung des Gesetzes zu begründen. Ein Mörder, der am 24. Dez. 1870 sein Opfer in Dresden tödlich verwundet hätte, würde daher nicht, wie Binding, Handb. I S. 274 will, nach § 211 mit dem Tode zu bestrafen gewesen sein, wenn sein Opfer erst im Januar 1871 gestorben wäre, obgleich vordem schon der Mord verboten war. Denn § 2 setzt voraus, daß vor der Begehung der Handlung auch die Strafe angedroht gewesen sein muß. Zur Begehung der Handlung gehört aber vor allem auch das Setzen der Bottursache für den Erfolg, nicht nur der spätere Eintritt des Erfolgs infolge des Fottwirkens der Ursache in weiterem Ablauf der Kausalreihe. Eine andere Frage ist, ob durch das nach dem bisher unverbotenen Setzen der Ursache erlassene Verbot, einen bestimmten Erfolg herbeizuführen, für den Täter nicht eine Unterlassungspflicht begründet wird, der zufolge er nunmehr gehalten ist, der von ihm schuldlos gesetzten Ursache entgegenzuwirken. Dies ist zu bejahen. Läßt er dem ur­ sächlichen Verlauf seinen Fottgang, während er in ihn eingreifen und den Erfolg abwenden konnte, so liegt nun ein schuldhaftes Unterlassen vor, das dem Handeln gleichkommt. Wäre es also dem Täter, der seinem Opfer am 24. XII. 1870 eine Wunde beibrachte, die bei ihrem Fortbestehen tödlich wirtte, — etwa durch Verbluten — möglich gewesen, nach dem 1.1. 1871 den Tod durch Gegenmaßregeln, etwa Unterbinden der Wunden, wieder ab­ zuwenden, so würde dann allerdings die Strafe des § 211 wegen der Unterlassung ein­ setzen können, da diese eine Mitursache des Todes bildete, die während der Geltungsdauer des Gesetzes gesetzt worden ist. Handelt es sich um ein sog. zweiaktiges Delikt, einen strafbaren Tatbe­ stand, der aus zwei Begehungshandlungen zusammengesetzt ist, wie z. B. die Urkunden­ fälschung aus der falschen Anfettigung der Urkunde und dem Gebrauchmachen, StGB. § 267, KO. § 210 Nr. 3 aus unterlassener Bttanzziehung und Zahlungseinstellung, so muß der Anfang der Ausführung beider Tatbestandsteile innerhalb der Geltungs­ dauer des Gesetzes erfolgen, vor der Ausführung beider das Verbot und die Strafe gesetz­ lich bestimmt sein, vgl. auch RGSt. 3 351. Wäre bei der Anfertigung einer falschen Ur­ kunde nur diese Anfertigung, nicht auch ihr Gebrauchmachen, verboten gewesen, so würde die Anfertigung, auch nicht den Anfang der Ausführung einer Urkundenfälschung im Sinne von § 267 bedeuten; ebensowenig, wenn nicht die Anfettigung, sondern nur das Gebrauch­ machen verboten gewesen wäre. Letzterenfalls könnte nur § 270 in Frage kommen, RGSt. 4 69, wenn es sich um Anfang der Ausführung des Gebrauchmachens handelt. Wäre das Anfertigen einer falschen Urkunde noch unverboten gewesen und das Verbot erst nach der Anfettigung, aber vor dem Gebrauchmachen der Urkunde erlassen worden, so könnte dieses Anfettigen nicht hinterher in den Tatbestand des § 267 einbezogen und auch dieserhalb Strafe verhängt werden, Bar G. 81; Kitzinger a. a. O. S. 190. Verschieden von der Berwirllichung zweiaktiger Delitte ist die Ausführung eines einaktigen Delikts, die sich innerhalb einer gewissen Zeitdauer vollzieht. Tie Sttaftat wird nach ihrem Umfang und Inhalt vom Gesetz bestimmt. In § 367 Nr. 9 wird das bloße Mitsichführen von Schußwaffen verboten. In diesem Mitsichführen vollendet und verwirklicht sich also schon insoweit ein verboterrer Tatbestand; nach § 367 Nr. 8 wird das Schießen unter den dott bezeichneten Umstanden verboten, es tritt also eine weitere Berwirllichung eines neuen verbotenen Tatbestands hinzu; nach § 223 a wird die Zufügung einer Körperverletzung durch dieses Schießen be­ straft, wenn sie gewollt war, und nach § 226, wenn die Körperverletzung den Tod zur weiteren Folge hatte, dieser aber nicht gewollt war; dagegen nach § 211, wenn auch der Tod gewollt war. Zuweilen kann also der Eintritt eines gewissen Erfolgs zum Tatbestände gehören, ohne zugleich zur verbotenen Handlung selbst zu gehören, zuwellen besteht dus Handeln aber gerade in der Herbeiführung des bestimmten Erfolgs. Während in § 367 Nr. 8 das bloße Schießen die verbotene Straftat ausmacht, besteht die verbotene Tättgkeit

des § 223 a nicht im Schießen, sondern in der durch das Schießen verursachten Körper­ verletzung. Das Schießen also muß den Erfolg einer Körperverletzung gehabt haben, um zu der in $ 223 a verbotenen Handlung zu werden. Der weitere Erfolg des Todes kann dann Bestandteil der Straftat des $ 226 werden, ohne zugleich Bestandteil der verbotenen Tätigkeit zu sein, dagegen wird der Tod als Erfolg des Schießens auch Bestandteü der Tötungs-Tatigkett, wenn der Erfolg gewoM war und die Herbeiführung dieses Erfolgs den Gegenstand des Verbots bildet, wie es in § 211 geschehen ist. Der Umfang der Hand­ lung also richtet sich nach dem Umfang des W i l l e n s. Soweit dieser die von ihm ange­ stoßene und ausgelöste Kette der Verursachung umfaßt, liegt eine Verwirklichung dieses WiNens und somit eine Handlung vor. Der Umfang des B e r b o t s aber wird vom Gesetz festgesetzt. In welchem Umfange der Gesetzgeber diesen vom WMen umfaßten Berwirklichungsvorgang zur Bildung einer Straftat verwerten will, steht bei ihm. Soweit er ihn aber umfaßt und daher seine Berwirllichung verbietet, soweit muß auch dieses Ver­ bot mit seiner Strafdrohung vor Beginn der Berwirllichung erlassen sein. Bestände zur Zeit, da der Täter den Entschluß saßt, einen bestimmten Menschen zu erschießen und in Ausführung dieses Entschlusses zunächst ein Schießgewehr der in § 367 Nr. 9 erwähnten Art an sich nimmt, nur dieses Verbot, so würde er trotz Tötungsvorsatzes und späterer Ber­ wirllichung dieses Wlllens durch die Tötung doch nur wegen der durch § 367 Nr. 9 ver­ botenen Handlung, die sich als Borbereitungshandlung für die Tötung darstellte, bestraft werden können. Geht der Täter weiter in der Ausführung seines Entschlusses und schießt auf den Menschen, so würde, falls zu dieser Zeit noch kein Verbot der Körperverletzung oder Tötung bestünde, trotz dem weitergehenden Vorsatz der Tötung nur Bestrafung aus § 367 Nr. 8 erfolgen können; bestünde nur das Verbot der Körperverletzung, so würde nur wegen dieser, bestünde bereits das schärfere Gesetz des § 226, so würde nach diesem, und erst wenn schon bei Beginn der Ausführung der Tötung, beim Schießen, auch das Verbot des § 211 in Kraft gewesen wäre, würde das Schießen als vorsätzliche Tötungs­ handlung in Bettacht kommen können. Es muß also bei der Ausführung zur Berwirllichung eines vorgesetzten Erfolgs das diesen Erfolg herbeizuführen verbietende und mit Sttafe bedrohende Gesetz bereits er­ lassen sein. Nur soweit die Tätigkeit als dienend zur Berwirllichung eines bestimmten Erfolgs verboten und mit Sttafe bedroht ist, ist sie Zuwiderhandlung gegen das Verbot, ist sie Unbotmäßigkeit, die Sttale nach sich zieht. III. Wechsel der Gesetzgebung zwischen Handlung und Erfolg. Wie der B e g i n n der Handlung, so muß auch das Ende der Handlung in das zeilliche Geltungsgebiet des Gesetzes fallen. Hierzu gehört, daß der zum Tatbestand des Deliktes gehörigeErfolg ebenfalls noch innerhalb dieser Geltungszeit eingetreten ist, Binding I S. 246; a. M. Beling S. 106 und Kitzinger, Ort und Zeit der Handlung, Bergl. Darst. I S. 188, Olshausen, die lediglich genügen lassen, daß die zu dem einzelnen Berbrechens­ tatbestand erforderliche Tüttgkeit, nicht aber der zur Erfüllung des gesamten Tatbestands gehörige Erfolg in diese Zeit fällt. So auch E. 19 § 8 Abs. 2. Dagegen ist zu sagen, daß ebenso­ wenig, wie eine Handlung, die bei Beginn straflos war, hinterher Strafe nach sich ziehen kann, wenn sie einen Erfolg zeitigte, der später vom Gesetz verpönt wird, v. Bar S. 81; eine Handlung strafbar bleiben kann, die zwar bei Beginn strafbar war, aber vor ihrem Erfolg straflos gelassen wird; denn strafbar und verboten ist eine Handlung immer nur um des durch sie verursachten Erfolgs willen, der die rechtlich zu schützenden Güter verletzt oder gefährdet. Wird die Handlung, nachdem sie die Ursache für einen Erfolg gesetzt hat, der ursprünglich rechllich mißbilligt wurde, bevor dieser Erfolg eingetteten ist, erlaubt, well der Erfolg rechllich nicht mehr mißbilligt wird, so kann die den Erfolg setzende Handlung nicht einmal mehr als Versuch einer strafbaren Tat angesehen werden. Es fehlt an einem Gesetz, das Sttafe bestimmt, b e v o r die Handlung, d. i. Ber­ wirllichung des vollen Tatbestandes, begangen wurde, es sei denn, daß das Unternehmen oder der Versuch als selbständiges Delitt ausgestaltet worden ist. Daher bleibt ein vor der Aufhebung des § 80, $ 81 begangener Mord v ersuch an sich nach § 2 Abs.l strafbar (von Abs. 2 abgesehen), dasselbe gilt von § 82, § 83. Wenn dagegen unter der Geltung einer Höchstpreisverordnung etwa durch Abschicken einer schrifllichen PreiSsorderung, die die Höchstpreise übersteigt, ein Anfang der Ausführung (Versuch) der Höchstpreisüberschreitung begangen ist, so würde auch dann kein strafbarer Versuch

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vorliegen, wenn dieser an sich strafbar wäre, sofern der Erfolg nicht mehr unter der Herrschaft des Gesetzes eingetreten ist. Für fortgesetzte HaAdlnngen und Kollektivdeliste hat ein Wegfall des Gesetzes vor deren Beendtgmrg jedoch nicht den Erfolg, daß nun dasganzeDelikt — trotz seiner Einheitlichkeit — straflos wird, sondern mir, daß der Fortsetzungszusammenhang und die Kollektivtätigkeit eben bloß noch soweit in Betracht kommt, als sie in dieGeltungszeitdesGesetzesfällt. RGSt. 43 355, 44 278; IW. 18 232. Möglich ist es, daß damit die juristische Natur sich ändern kann. So kann ein fortgesetzter Diebstahl von Sachen, deren Aneignung im Laufe der Tätigkeit straflos gelassen wird, nicht mehr als Versuch nach § 242, sondern als fortgesetzte Entwendung nach § 370 Nr. 5 angesehen werden müssen. Eine Aenderang des Gesetzes während der Ausübung fiihrt dazu, zwischen den Tätigkeitsakten zu trennen, die vor und die nach dem Inkraft­ treten des späteren Gesetzes begangen sind. Sofern eine Gesetzesänderung in den Normen stattfindet, wird damit überhaupt die Einheit des Delikts unmöglich gemacht, da eine einzige fortgesetzte Handlung, die eine Zuwiderhandlung gegen zeitlich ver­ schiedene Normen darstellt, ausgeschlossen ist, RGSt. 47 203, 399. Nur sofern die Norm dieselbe bleibt und nur die Strafdrohung wechselt, kann ein fortgesetztes oder Kollektivdelikt unter zwei zeitlich verschiedene Gesetze fallen. Allge­ mein wird angenommen, daß solchenfalls das bei dem letzten Akt des fortgesetzten Delikts oder des Kollektivdelikts geltende Gesetz für die ganze Handlung entscheidend sei, RGSt. 43 355, 50 348, 51 174, 54 318, 56 55; 3 D 4793/00 24. I. 01. 1 D 1873/20 7. XII. 21. Hiergegen aber mit Recht Silberschmidt, ZStRW. 22 58; Bülow, GerS. 59 179; RGSt. 10 203, 15 370, 20 226, 38 387, 40 355, 44 278. Dabei wird aber der Abschluß einer Tat unzulässig dem Begehen det Tat gleichgestellt und außer Acht gelassen, daß vorher tatsächlich ein Begehen stattgefunden hat. Da die ganze Tätigkeit als Einheit angesehen wird, und deshalb nur e in Gesetz zur Anwendung kommt, sind rich­ tiger die Grundsätze der Gesetzeskonkurrenz entsprechend anzuwenden und die Tätigkeit — unter Ausscheidung der nicht unter das Gesetz fallenden — nach dem schwerst e n G e s e tz zu beurteilen. Das braucht aber nicht dasjenige zu sein, bei dem die Tat zum Abschluß kommt. Die Strafe für den Teil der (einheitlichen) Handlung, die das schwerste Gesetz verhängt, absorbiert die geringere Strafe für den andern Teil der fortgesetzten oder kollektiven Handlung. Die für diese Tat angedrohte Strafe ist aber als Strafzu­ messung zu berücksichtigen, also anders, als wenn er völlig straflos bisher ge­ wesen war. Greift eine Amnestie nur für Handlungen Platz, die bis zu einem bestimmten Tag begangen sind und reicht die in Fortsetzungszusammenhang begangene Tat über diesen Zeit punkt hinaus, so ergreift die Amnestie nur den vorher liegenden Teil der fortgesetzten Hand­ lung. Andrer Meimrng RGSt. 54 318, 1 D 1873/20 7. VII. 21, wonach auch dieser Teil nicht von der Amnestie ergriffen wird. Diese Ansicht überspannt die Auf­ fassung von der Einheit der Tat und übersieht, daß die ganze Tat eben nicht ausschließlich in ihrem Endpunkte „begangen" ist, sondern sich über einen längeren Zeitraum hin erstreckt und in jedem während dieser Zeit betätigten Akte Verwirk­ lichung gefunden hat, also „b e g a n g e n" worden ist. Es ist nicht anders als bei einer räumlich sich über mehrere Gebiete erstreckenden Handlung. Auch diese ist nach der eignen Ansicht des RG. in j e d e m Ort, wo eine Tätigkeit stattfand, „begangen", nicht erst dort, wo sie zum Abschluß kam. Ebenso bei einer durch längere Zeit sich fort­ ziehenden Tätigkeit. Eine Handlung ist zu jeder Zeit begangen, in der sich ein Stück von ihr verwirklicht.

Absatz 2. IV. Wechsel der Gesetzgebung nach begangener Handlung (einschließlich des GrfolgS), aber vor erfolgter Aburteilung. Der Wechsel kann eintreten hinsichtlich der G e böte und Verbote ober nur hinsichtlich der auf ihre Zuwiderhandlungen ange­ drohten Strafen und zwar sowohl dadurch, daß neue Vorschriftenerlassen werden, als daß lediglich alte wegfallen. § 2 Abs. 2 erwähnt nur den ersten Fall, der Grundsatz ist ober auf letzteren Fall entsprechend anzuwenden. Im E. 19 § 6 Abs. 3 wird dieser Fall ausdrücklich hervorgehoben und bestimmt: „Füllt das Gesetz bis zur Ab­ urteilung weg, erlischt die Strafbarkeit." Selbstverständlich ist die erste Voraussetzung

für die Anwendbarkeit des § 2 Abs. 2, daß es sich um völlig gleichartige Tatbestände, den­ selben historischen Vorgang handelt, RGSt. 51 154. Soweit die Gebote und Verbote ihrem Inhalt nach geändert werden oder ganz wegfallen, hat dies keinen Einfluß auf die Wider­ rechtlichkeit der Tat, wie sie zur Zeit der Geltung gerade geworden war. Sie bleibt eine verbotswidrige auch nach Wegfall oder Änderung des Verbots. War diese Zuwiderhand­ lung mit Strafe bedroht, so ist durch die Tat gemäß der damaligen Strafsatzung für den Staat ein Strafanspruch bestimmten Inhalts entstanden, und es verbleibt daher zunächst eben bei Bestand dieses Strafanspruches und dieser ist so, wie er entstanden ist, durch den Richter festzustellen, da dessen Urteil nur deklaratorische Natur hat und auch, soweit es bei relativ unbestimmten Strafen rechtsgestaltende Natur hat, doch diese Gestaltung immer nur innerhalb des gegebenen Straftahmens vorzunehmen hat. Auch bei B l a n k e t t strafgesetzen kann die Änderung der ausführenden Norm in Betracht fomnten. A.M. OberstLG. München Entsch. Bd. 19 233. 1. Muß hiernach grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß die.b e i B e gehung der Tat geltende Ltrafdrohrmg maßgebend ist, so steht doch andererseits ebenso grundsätzlich nichts entgegen, wenn der Staat nach Begehung der Tat den ihm erwachsenen Strafanspruch inhaltlich dahin ändern will, daß er ihn verschärft oder mildert oder daß er schlechthin diezurZeitder Urteilsfällung geltende Strafsatzung für bestimmend ftir die Ausmessung der Strafe erklärt. So geschehen in Rußland und Frankreich und als allein richtig erklärt von T r a e g e r , BglDarst. Allg. T. 6 S. 317. Ter Gesichtspunkt zu I I, der Garantie staatsbürgerlicher Freiheit, würde nicht entgegenstehen, da auch hier die willkürliche Strafe und unbestimmte Strafe ausge­ schlossen ist und eine durch ein G e s e tz bestimmte Strafdrohung vorliegt und den Richter bindet, ein Recht des Täters, mit keiner anderen Strafe belegt zu werden, aber natürlich nicht anzuerkennen ist. Dagegen widerspräche die Anwendung einer härteren Strafe dem Gesichtspunkt des psychischen Zwangs und der Generalprävention wie ihn das StGB, anerkennt. Zur Anwendung der etwaigen späteren milderen Strafe aber an Stelle der zur Zeit der Tat geltenden können nur kriminalpolitische und mehr oder weniger vage Billigkeitserwägungen führen. 2. Betrifft die nach der Tat eintretende Änderung des Gesetzes JnhaltundUmf a n g der ttotm, so kann eine Ausdehnung der Gebote und Verbote auf vorher unter botenen Handlungen schon begrifflich diese nicht mehr zu widerrechtlichen gestalten und ihre nachträgliche Erfassung würde schon gegen die Gerechtigkeit der genannten staats bürgerlichen Freiheit verstoßen. Insoweit ist daher ein Recht des Staates gegen den Täter nicht anzuerkennen, erlaubte Handlungen später als unerlaubte hinzustellen. Eine da­ durch herbeigeführte Schärfung des Strafgesetzes nach der Tat muß deshalb unbeachtlich bleiben und ein insoweit zur Zeit des Urteils geltendes Gesetz kann nicht in Betracht kommen, da aus ihm wegen mangelnder Zuwiderhandlung überhaupt kein Straf­ anspruch des Staates irgendwelchen Inhaltes entstanden ist. Daraus folgt aber noch nicht, daß für den urteilenden Richter unter allen Umständen auch mildere spätere Gesetze maßgebend sein müssen, oder, wenn die Norm überhaupt weggefallen, die Tat als nicht mehr verboten behandelt werden dürfe. Vielmehr bleibt es grundsätzlich dabei, daß die Strafdrohung gültig und daszurZeitder Tat geltendeBerbot maßgebend war und daß n a ch d i e s e r N o r m die Tat zu beurteilen ist. Ausgeschlossen ist es na­ türlich auch hier nicht, daß durch positive Gesetzesvorschrist der Staat Ausnahmen macht und die Tat gleichwohl nach dem späteren milderen Gesetz beurteilt wissen will. Sowohl in Fällen zu 1 als den zu 2 läuft es dann in Wahrheit darauf hinaus, daß der Staat auf ein bestimmtes ihm bereits erwachsenes Strafrecht, einen bestimmte« Strafanfpruch ganz ober teilweise verzichtet. Es liegt in Wahrheit keineRückwirkung des späteren Gesetzes auf eine frühere Tat vor, sondern ein Verzicht auf einen ent­ standenen Strafanspruch, und dessen Umfang bemißt sich danach, wiederStrafanspruch sich gestaltet haben würde, wenn er seinerzeit nach einem Gesetz entstanden wäre, das dem späteren Gesetz gleichkommt. Es wird somit dem neuen Gesetz keine Rückwirkung beigelegt und es entsteht der Strafanspruch nicht auf Grund des neuen Gesetzes. Vielmehr bleibt es dabei, daß er nach dem alten Gesetz zur Zeit der Tat e n t st a n d e n ist, lediglich der völlige oder teilweise B e r z i ch t auf ihn, also eine unter demneuen Gesetz erfolgende Maßnahme, regelt sich in ihrem Umfange

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gemäß dieses neuen Gesetzes. Denkbar wäre es nun, allein das zurZ eitderUrteilsf ä l l u n g geltende Strafgesetz für die Frage, ob ein solcher Verzicht angebracht sei oder nicht, entscheidend sein zu lassen. In unklarem Billigkeitsgefühl läßt der Gesetzgeber aber jedes nach der Tat und vor der Verurteilung liegende Gesetz, also auch ein Zwischengesetz, das vor der Urteilsfällung wieder aufgehoben oder abgeändert worden ist, maß­ gebend sein, indem er schon durch dieses einen entsprechenden Verzicht auf seinen Strafanspruch vorgenommen hat. In der Tat ist es ja auch der neue gesetzgebe­ risch e A k t, der den Verzicht enthält. Nur stände der Annahme nichts entgegen, daß durch einen späteren neuen gesetzgeberischen Akt dieser Verzicht wieder rückgängig gemacht worden ist, wie ja grundsätzlich der Staat das Recht hat, einmal entstandene Strafansprüche zu schärfen. Der unter 1 hervorgehobene Gesichtspunkt bet entgegenstehenden General­ prävention käme hier auch wenigstens insoweit nicht in Betracht, als das spätere Ge­ setz — nach dem Zwischengesetz — das zur Z e i t d e r T a t geltende Gesetz nicht verschärft. Der Gesetzgeber hat jedoch diese Erwägung nicht angestellt und will es, wenn er einmal in der Zwischenzeit auf den Strafanspruch verzichtet hatte, aus Billigkeitsgründen zu Gunsten des Täters dabei bewenden lassen. Wenn der Täter einmal deshalb begünstigt werden soll, weil seit seiner Tat das Gesetz sich geändert, muß man auch ihm günstige Zwischengesetze berücksichtigen, vgl. auch Begr. S. 16 z. E. 19 § 6. 3. Hält man fest, daß es sich bei der Vorschrift in Abs. 2 immer um einen Verzicht eines dem Staat bereits erwachsenen Strafanspruchs handelt, so ergibt sich, daß diese Vorschrift nur anwendbar ist, wenn die Gesetzesänderung, die sowohl im Erlaß eines neuen Gesetzes als in Duldung des Wegfalls des ablaufenden Gesetzes bestehen kann, sei es im Hinblick auf Umfang und Inhalt der Gebote und Verbote oder im Hinblick auf die Strafdrohung auf Grund veränderter, annehmbar geläuterter Rechts­ auffassung, 4 D 677/17 v. 11. I. 1918, jedenfalls einer, die nunmehr als die rich­ tige betrachtet wird, hierzu besonders Frank, ZStRW. 14 355 und LZ. 1915 5, NGSt. 13 249, 20 407, 21 294, 32 110, 47 414, 49 387, 50 291, 303, 398, 52 327, 56 147, b e r u h t. Dagegen ist sie nicht anzuwenden, wo dieser Verzichtswille erkennbar fehlt. Ein solcher Berzichtswille kann in der Regel nicht angenommen werden, wo a) das Gesetz geändert oder in Wegfall gestellt wird, weil die tat­ sächliche« Verhältnisse, die es zu regeln bestimmt war, sich geändert haben, z. B. Aufhebung des Belagerungszustandes, OLG. Karlsruhe 2. XII. 1918, StRZ. 19 71. Sind sie dieselben geblieben, soll aber nunmehr eine andere Re­ gelung vorgenommen werden, so ist Verzichtswille aus Zuwiderhandlungen gegen frühere Vorschriften anzunehmen, hat sie sich aber geändert und ist deshalb eine neue Regelung erfolgt oder Regelung überhaupt unterblieben und deshalb die alte Regel aufgehoben, so ist daraus noch nicht zu folgern, daß die Regelung der früheren anderen Verhältnisse für unrichtig gehalten wurde und die gegen sie begangene Zuwiderhand­ lung straflos bleiben soll. So namentlich bei den wirtschaftlichen Not­ gesetzen, 5 D 129/17 8. V. 1917. RGSt. 47 415 , 50 292 , 303, 389, 51 150, 52, 327, 55 172; 5 D 406/20 22. VI. 20. In E. 19 § 6 Abs. 3 ist dieser Gedanke folgendermaßen in gesetzliche Form gebracht: „Die Vorschriften der Abs. 2, 3 stehen der Anwendung eines Gesetzes, das wegen besonderer tatsächlicher Verhältnisse erlassen und wegen Wegfalls dieser Verhältnisse außer Kraft getreten ist, auf die während seiner Geltung begangenen Taten nicht entgegen." b) die Geltungsdauer des Gesetzes von vornherein für bestimmte Zeit oder bis auf wei­ teres angeordnet war ktemporäre Strafgesetze) und nach Ablauf dieser Zeit es von selbst außer Kraft tritt. Vgl. § 12 Abs. 2 und § 27 Nr. 4 Ges. v. 3. VI. 1900 betr. Schlachtvieh und Fleischbeschau (RGBl. S. 547) u. § 2 VZGes. v. 1. VII. 1869 (BGBl. S. 317) und § 10 Zolltarifges. v. 25. XII. 1902 (RGBl. 303), Sozialistengesetz vom 17. VII. 81, und zahlreiche Kriegsnotverordnungen. Diese sind vor­ übergehende Ausnahmegesetze, durch die besonderen Kriegsverhältnisse bedingt. Alsberg, Kriegsges. S.328. RGSt. 20 294,32 112, Hagemann in GA. 1915305; Eb. Schmidt in ZStRW.3797; RGSt.21294,32110, 49387,410,413, 50291, 303,398, 400 , 52 327, 53 255, 55 172, 194; LZ. 17463). Dann liegt ein nachträglicher gesetzgeberischer Akt, in dem ein Verzicht auf entstandenen Strafanspruch 3ii finden wäre, überhaupt nicht vor. Häufig wird der Ablauf der Geltungs-

zeit mit Rücksicht auf die anzunehmende Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse zu 1 verfügt worden sein. Tie Terminierung wird auch zuweilen an eine andere Gewalt, den Reichskanzler, Bundesrat usw., delegiert, RGSt. 50 291. Ter eine oder der andere Fall liegt dann vor, wenn zur Ausfüllung eines Blankettstrafge­ setzes vonl Gesetzgeber oder anderer Stelle, namentlich Verwaltungsbehörden, zwecks Regelung besonderer vorübergehender Verhältnisse Normen erlassen werden. Verfehlt aber ist die vom RG. u. RdNG. ausgestellte Meinung, daß diese ausfüllenden Blankettnormen, wie z. B. auch militärische Anordnungen, nach § 9 c BelZustGes. außer­ halb des Strafgesetzes strinden und deshalb § 2 Abs. 2 nicht auf sie anwendbar sei, RMG. Nr. 117, 7. XI. 1917; RGSt. 46 337, 49 116, 121, 4 D 409/15 15. X. 1915. Immerhin kann § 2 Abs. 2 auch bei temporären Gesetzen und zwar dann zur Anwendung kommen, wenn ihre Aufhebung ebenfalls auf einer veränderten Auffassung über die Strafbarkeit einer Handlung beruht. Nicht z. B. bei Änderung der Höchstpreise, bei neuer Preistreibereiverordn. Lehmann in IW. 07 773. V. Bei der Frage nach dem mildesten Gesetz kommt es nicht wie bei der Vergleichung nach § 73 darauf an, welches Gesetz den milderen Strafrahmen, insbesondere die niedrigere Höchststrafdrohung hat, sondern welches Gesetz auf den bestimmten vorliegenden Fall, der für die Beurteilung nach beiden Gesetzen selbstverständlich derselbe sein muß, RGSt. 51 150, die mildeste Beurteilnng zuläßt, entweder zufolge des von ihm verlangten gesetzlichen Tatbestandes oder der für diesen Tatbestand angedrohten Strafen, RGSt. 33 187 (190). Tie konkrete Tat ist mit allen ihren etwaigen strafausschließenden oder strafmildernden Umständen der Vergleichung zugrunde zu legen und hiernach muß be­ messen werden, ob sie im neuen Recht eine günstigere Behandlung erfährt als im alten, RGSt. 1 191, 43 122, 46 307, 53 33, 245, 54 170. So auch E. 19 § 6, „am mildesten zu beurteilen ist". Nicht sind Strafdrohungen, wie bei § 73, abstrakt zu betrachten und zu vergleichen, oder die sonstigen für die Bestrafung erforderlichen Voraussetzungen. A. M. Schwartz; Mezger, Tie zeitliche Herrschaft der Strafgesetze in ZStRW. 1921 348 ff., der danach entscheiden will, ob der gesamte Rechtszustand ein milderer geworden ist. Der Unterschied ist praktisch unwesentlich. a) Daher sind alle gesetzlichenBorschriften,diedie vorliegende konkrete Hand­ lung nicht als volle Verwirklichung des von ihnen geregelten und vorausgesetzten Tatbe­ stands ansehen lassen, sie nicht unter ihre Normen subsumieren lassen, milder gegenüber den Vorschriften, die voll auf die Handlung Anwendung finden können. Aus welchen Gründen diese Nichtsubsumtion stattfindet, ist dabei völlig gleichgültig, insbesondere ann sie ohne förmliche Änderung des Paragraphen auch dadurch geschehen, daß Yon den Vorschriften in Bezug genommene rechtliche Begriffe durch andere Gesetze eine Abänderung erfahren, vorausgesetzt, daß der rechtliche Begriff in beiden Gesetzen derselbe ist (was z. B. hinsichtlich des Eigentums, nicht aber hinsichtlich des Begriffs Besitz, der Schwägerschaft, EGBGB. Art. 33 der Fall ist). Ebenso ändert BVO. v. 18. I. 1917 die Wirkung des Rechtsirrtums und damit die Schuldvoraus­ setzungen oder mindestens Strafbarkeitsvoraussetzungen des Vorsatzes. 1 D 302/17 v. 1. X. 1917. Vgl. hierzu BO. über Ausdehnung einzelner Vorschriften für die Kriegswirtschaft auf die Übergangswirtschaft v. 12. II. 20 (RGBl. 230), die die vor­ genannte VO. v. 18. I. 17 ausdehnt. So haben die Vorschriften des HGB. über die Buchführung usw. der Bottkaufleute die Strafvorschrift der KO. geändert, RGSt. 33 184, 187; 34 37, 157, hat BGB. §559 und ZPO. §811 den Kreis der dem Ver­ mieterpfandrecht unterworfenen Gegenstände, StGB. § 289, eingeengt; vgl. auch Liszt § 19, Meyer-Allfeld S. 78, Binding I 257, Frank § 2 V. Andrer Meinung: v. Bar, Ges. und Schuld 1, 89; Beling, Verbr. 133; Finger 1, 144; RGSt. 27 98, 31 216, 34 157. Vom Inhalt des Begriffs ist zu unterscheiden der Umkreis von Per­ sonen und Sachen, auf die er sich erstreckt. So ist der Inhalt des Begriffs minderjährig davon unabhängig, ob Personen unter oder über 21 Jahren minderjährig sind. Eine Änderung nach dieser Richtung wirkt daher nur für die Zu­ kunft und ändert an vorhandener Vcinderjährigkeit der vorher minderjährig gewesenen nichts, K ä ck e l l, Bedeutung des Strafgesetzbegriffs usw., strafrechtl. Abhdlg. v. Lilien­ thal, Heft 187 1915, S. 219, 234. Ebenso hat § 244 durch § 248 a keine Änderung insofern

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Strafgesetzbuch.

erfahren, als die früher nach $ 242 beurteilten Straftaten etwa nunmehr nachträglich nach Z 248 a zu beurteilen und deshalb nicht als zur Strafe des Rückfalls dienend anzusehen wären, RGSt. 47 145. Bollig verfehlt ist es, einen Unterschied dahin zu machen, ob der Tatbestand durch die im Strafgesetz selbst enthaltene Norm oder durch eine zur Ausfüllung des Blankettgesetzes dienende außerhalb stehende Norm geregelt wird, wie RG. in ständiger Rechtsprechung unter Verkennung des Wesens des Strafgesetzes tut, wenn es unter „Strafgesetz" nach § 2 überhaupt nur den Strafgesetzparagraphen versteht. RGSt. 4 4,16 171, 32 110,41 4,46 307, 393,47 93. Es handelt hier frellich in Konsequenz seiner Auffassung über Strafirrtum nach § 59. Auch eine Einschränkung oder Aufhebung der ausfüllenden Norm eines Blankettgesetzes kann daher eine nach § 2 Abs. 2 zu be­ achtende Milderung derGesetze herbeiführen, Kackell a.a. O. S. 194. Vgl. ferner Kohlrausch, Tie straftechtliche Rückwirkung einer außerstraftechtlichen Gesetzanwendung ZStRW. 13 41, 63. Wenn Militärbefehlshaber ein Verbot, das er erst auf Grund § 9 b Bel.Zust.Ges. erlassen, zwar auf Grund von § 4 aufrecht erbält, aber inhaltlich ein­ schränkt, ist diese Einschränkung gleichfalls Milderung; a. M. RGSt. 49 305, 410 ; 3 D 930/15 28. II. 1916. Es kann auch die Nonn bestehen bleiben und sich nur das Straf­ gesetz ändern. Ebenso kann die auf Grund von §4 Bel.Zust.Ges. erlassene Norm nach dessen Aufhebung bestehen bleiben als polizeiliche Vorschrift der zuständigen Polizeibehörde. Delius in StRZ. 19 12. Daher sind die ernährungswirtschaftlichen Verordnungen der militärischen Befehlshaber mit der Aus­ hebung des Belagerungszustandes, die durch Aufruf des Rates der Volks beauftragten vom 12. XI. 1918 erfolgt ist, nicht außer Kraft gesetzt, was durch VO. vom 28. II. 1918 (RGBl. 1919 S. 16) noch ausdrücklich festgestellt worden ist. Vgl. ferner Anm. II 4. b) In Betracht kommen hinsichtlich des Strafmaßes auch die allgemeinenstrafrecht­ lichen Bestimmungen, so über die zulässige S t r a f a r t, die Höhe der Mindeststrafe, die Möglichkeit der Anwendung mildernder Umstünde oder son st igerStrafminderungs um stände,Veriährung, RGSt. 32 247, 43 122, 46 269. Nach der feststehenden Rechtsprechung des RG. ist die Gelb­ st r a f e gegenüber einer Freiheits st rafe stets als das geringereStrafü b e l anzusehen, RGSt. 2 205, 18 174, 42 427, 51 327.

c) Ist die Verfolgung der Straftat nach dem einen Gesetz nur a u f A n t r a g zulässig, nach dem andern aber ein Offizialdelikt, so muß das Antragsdelikt als das des milderen Gesetzes angesehen werden. Zweifelhaft ist, wenn das spätere Gesetz die Ver­ folgung eines vorher ohne Antrag verfolgbaren Delikts von einem Antrag ab­ hängig macht. Dann läuft diese Frist zwar nach § 61 von dem dort benannten Zeit­ punkt ab; da der Berechtigte an der Stellung des Antrages rechtlich gehindert war, ist diese Zeit bis zum Erlaß des neuen Gesetzes in die Frist nicht einzurechnen. Vgl. Frank, Komm, zu $ 248 a, Anm. IV 3; DIZ. 12 1294, 1315, 1368, 1464. Über die Unwirksamkeit des Preuß. Ges. betr. Bereitstellung von Mitteln zu Tiensteinkommensver­ besserungen v. 26. V. 1909 (GS. S. 85) vgl. RGSt. 52 342. Ebenso bei Reichszu­ schlag. Ges. v. 9. IV. 1917 (RGBl. S. 349). Außer Betracht müssen jedoch die zivilrechtlichen und r e i n polizeilichen Rechtsfolgen bleiben, nur die Vergleichung der Straffolgen ist statthaft, Meyer-Allfeld S. 77.

VI. Die Zeit der Ab«rteU«ng ist die durch den Latrichter, nicht den Revisionsrichter, RGSt. 41 177, 46 337, 22 347; GA. 47 159, 165. A.M. v. Bar, Ges. und Schuld I 92; Lilienthal IW. 17 933. Wenn aber schon in der Revisionsinstanz feststeht, daß bei Zurückverweisung an die Borinstanz fteigesprochen werden muß, etwa in Anwendung von BBO. 18.1.1917, so wäre die Zurückverweisung nur unnütze Weiterung und es kann dann der Revisionsrichter in der Sache selbst entscheiden, RGSt. 51 51. Im übrigen aber hat der Revisionsrichter bei Prüfung die BBO. 18. I. 1917 außer Bettacht zulassen, 3 D 494/16 12. II. 1917; IW. 17 933. Nach rechtskräftig beendigter Strafsache kommt § 2 Abs. 2 überhaupt nicht in Frage, daher nicht maßgebend bei der Neueinführung der Fassimg der §§ 248 a, 3706 aut früherere rechtskräftige rücksallsgründende Strafen. Vgl. hierzu auch RGSt. 47 145.

A.

Die Strafgesetze des Deutschen Reichs finden Anwendung auf alle

im Gebiete desselben begangenen strafbaren Handlungen, auch wen« der

Dater ein Ausländer ist. S. 19 §§ 1 11. 2.

1. Tie Vorschrift behandelt die räumliche Gelt««- der Gesetze des Deutschen Reiches (nicht der Landesgesetze der einzelnen Bundesstaaten, jetzt „Länder") und be­ kennt sich zum sog. Lerritorialttätsdri«)id,RG St. 1120,15 221. über die verschiedenen Prin­ zipien vgl. Meyer-Allfeld S. 80 ff. Sie erklärt, daß alle gegen die Strafgesetze des Deutschen Reichs in dessen Gebiet begangenen Handlungen von diesen ergriffen werden, gleichgültig, ob der Täter ein Deutscher oder ein Ausländer ist. Einzelne Vorschriften richten sich überhaupt nur gegen Ausländer, StGB. § 296 a, § 3 des Gesetzes betreffend Küstenschiffahrt v. 22. V. 1881. Darin wird aber nicht gesagt, daß nur die im deutschen Gebiet begangenen Handlungen den deutschen Strafgesetzen unterfallen sollen. Wie es mit den im A u Sl a n d begangenen Handlungen zu halten sei, sagt § 3 nicht. Vgl. hierzu § 4. Das Terri­ torialprinzip stellt die Geltung des Strafgesetzes für im Inland begangene Straftaten fest, aber nicht die Nichtgeltung und somit Straflosigkeit der im Ausland begangenen Straf­ taten. Ferner folgt daraus, daß die S t r a f b a r k e i t der Tat sich schlechthin nach in­ ländischem Recht entscheidet und daß der deutsche Richter auf Jnlandstaten kein auslän­ disches Recht anwenden darf. Ebenso E. 19 § 2. (Der einzige Fall, wo er ausländisches Recht anzuwenden hat, vgl. Anm. 3 Nr. 3* zu § 4. Ob die p r o z e s s u a l e Z u l ä s s i g feit der Strafverfolgung bei der Auslieferung eines ins Ausland geflohenen Täters von Bedingungen abhängig gemacht ist, die von ausländischem Strafrecht bestimmt werden, ist eine andere Frage, RGSt. 33 271, 35 257. Ausnahmen in § 6. Vgl. hierzu Harburger, Der straftechtliche Begriff des Inlands (1882). 2. Zum Gebiet des Deutschen Reichs gehört: a) das in neuer RV. Art. 2 bezeichnete „Gebiet der deutschen Länder, d. i. der früheren Bundesstaaten, ehemals auch das Reichsland Elsaß-Lothringen, sowie Helgoland, RGes. v. 15. XII. 1890. Was zum Gebiet des einzelnen Bundesstaates gehört, entscheiden dessen Verfassungen und Staatsverträge. Die Ausübung der Staatsgewalt über ein Gebiet, allein oder gemeinsam mit andern, macht es nicht schon zum Landesteil. Das oberschlesische Abstimmungs­ gebiet hatte dadurch, daß es dem in § 2 der Anlage zu Art. 88 des Friedensver­ trags (RGBl. 1919 S. 687) bezeichneten internationalen Ausschüsse unterstellt war, nicht aufgehört, ein Teil des Deutschen Reichs zu sein. In ihm gelten, zumal dem Ausschuß in § 3 keine Gesetzgebungsgewalt verliehen ist, die deutschen Gesetze weiter, 4 D 1357/20 19. IV. 21. Dasselbe gilt von dem besetzten westlichen Gebiet anr Rhein, vgl. hierzu Anm. 4 zu § 2. DiegeographischeGrenze des Landes liegt, wenn sie durch Flüsse geblldet wird, in der Regel und mangels abweichender Vereinbarungen in der Mitte des Flußbettes, bei schiffbaren Flüssen im Talweg (Donau); für überführende Brücken in deren 9)iitte, RGSt. 9 370, 10 420. Häfen am Meer oder Binnensee sind Bestandteile ihres Hinterlandes, RGSt. 2 17 — Rechtspr. 1 642; StVO. § 10. Ter Bodensee ist zu keinem Teil ausschließliches Gebiet eines anliegenden Nferstaates, vielmehr bildet das Ufer die Grenze des anliegenden Staats­ gebietes. Aber die H ä f e n des Bodensees sind Bestandteile des Hinterlandes, RGSt. 2 17. Ter See steht zwar unter der gemeinsamen und ungeteilten Herrschaft sämtlicher Uferstaaten (Kondominat), eben dadurch aber ist es ausgeschlossen, daß er ganz oder tellweise zum realen Teil Gebiet eines andern ist: Rettich, Die völkerrechtl. Verhältnisse des Bodensees, S. 98—119, 140. A. M. v. Martitz, in Hirths Annalen, nach dem die WiitteUinie entscheidet. Unter Bodensee wird übrigens der Obersee und der Überlingersee verstanden. Tie Folge der Betelligung der Schweiz am Kondominium muß die Neutralität des Bodensees in völkerrechllicher Beziehung sein. Aus dem Kondominium folgt aber nicht, daß es staatenloses Gebiet ist, wie das offene Meer, vielmehr, daß jeder Staat auf ihm sein Recht anwenden kann und soll. Es ist ein Gebiet, mit verschiedenen Rechtsordnungen übereinander geschichtet derart, daß jede von dem ihr zugehörigen Staat geschützt wird. Dagegen ist allerdings

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Strafgesetzbuch.

beim Zellersee die Mitte deS Sees parallel der Uferausdehnung die Grenze ge­ mäß § I des Vertrag- v. 1.1855 zwischen der Schwei- und Baden. Wie der Bodensee, so war auch das sog. Neutral-Moresnet einer gemeinsamen Staatsgewalt unterworfen, nämlich der Belgiens und Preußens, aber niemals dem preußischen Staat als Staatsgebiet einverleibt worden. Als Kondominat war es auch der e in­ seitigen Gesetzgebung eines der beteiligten Staaten entzogen. Die Gesetze des Deutschen Reichs galten daher dort nicht, vielmehr noch der Code pönal, RGSt. 31 259, 38 289, 45 332. Müller, Das neutriüe Gebiet von Moresnet im Archiv f. Landes­ kunde der Preuß. Monarchie, Bd. 5 S. 119. Binding, Handb. I S. 407. Dagegen Schröder, Das grenzstreittge Gebiet von Moresnet, 1902. Im Schrifttum sind die Ansichten geteilt. Jetzt BersaMer Friedensvertrag Art. 27 und 32. b) Das Zubehör dieses Landesgebiets, nämlich

letzte später entmündigt worden, so lkann der Vormund nunmehr auch den Antrag, den Verletzter vorher gestellt hatte, zurückwehmen. Denn er handelt nunmehr für diesen. A. M. VindingHdb. I, S. 651. In der Willenserklärumg ist unbeschräntte Vertretung zulässig. Auch der Täter selbst kann bevollmächtigt Werften, Meyer AUf. S. 326. 3. Wie bei Stellung des Antrags ist zur Zurücknahme bestimmter WAle, datz An­ trag zurückgenomme« werde, erforderlich. Bloße Kundmachung des WMens, daß Ver­ folgung nicht mehr gewollt werde, ist an sich noch keine Willenserklärung, daß Strafan­ trag zurückgenommen werde. Damit ist dieser noch nicht aus der Welt geschafft, es muß der Wille ausdrücklich auf Zurücknahnne des Antrags gehen. Ebensowenig genügt Zu­ rücknahme der Privatklage für sich allein, die auch z. B. lediglich erfolgen kann, um das Kostenrisiko nücht zu tragen. Der Strafantrag bleibt trotzdem be­ stehen und die Möglichkeit einer Verfolgung im öffentlichen Interesse durch StA. bleibt gegeben, RGSt. 8 207, 19 284. Immerhin ist nicht ausgeschlossen, daß in der Zurücknähme der Klage auch die des Strafawtrags enthalten sein kann. Die ganze Frage ist Sache der Auslegung. — Für Zusätze urnd Bedingungen gilt dasselbe wie beim Strafantrag. Bedingtie Zurücknahme des Strafantrags ist nicht schlechthin wirkungslos; a.M. 3 D 4393/03 v. 21. XII. 03. Über „Einschränkungen" RGSt. 44 402. 4. Die Form ist nicht vorgeschrieften, RGSt. 8 80. Die Zurücknahme kann an jede Stelle gerichtet werden, die zur Strarfverfolgung oder Durchführung der in Betracht kom­ menden Strafuntersuchung berufen ist; an eine dieser Stellen muß sie aber erklärt werden. RGSt. 52 200 55 25; 4 D 4242/92 v. 7. II. 1893. Tie Beobachtung der für die Stel lung des Antrags vorgeschriebenen Norm der StPO. § 156 ist nicht verlangt. Ein Ver­ gleich zwischen dem Angeklagten und» Verletzten untereinander genügt allein noch nicht, RGSt. 3 221, 8 79, 52 200. 5. Die Frist zur Zurücknahme mährt nur bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Urteils, d. h. bis zum Beginn der Verkündung der Ur­ teilsformel. Während der Verkündumg, aber vor bereit Beendigung ist Rücknahme nicht mehr zulässig. In welcher Instanz das Urteil ergeht, ist gleichgültig: das erste auf Strafe lautende Urteil ist maßgebend. Ob fties die Rechtskraft erreicht oder in höherer Instanz

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Strafgesetzbuch.

1. Teil.

4. Abschnitt.

aufgehoben wird, ist belanglos, RGSt. L 420, ebenso ob das Verfahren wieder ausgenom­ men wird, RGSt. 8 175,19 284. Daran wird auch durch StPO. § 431 nichts geändert. Privatklage und Strafantrag sind Akte, die chrem Wesen nach verschieden sind und selb­ ständiger Regelung unterliegen, RGSt. 8 207,19 284. Selbstverständlich muß die Strafe aber wegen des Antragsdelikts verhängt worden sein, nicht wegen eines mit chm zusanunentreffenden Offizialdelikts. Dagegen kommt es auf die rechtliche Beurteil lung der strafbaren Handlung, wegen der Strafantrag gestellt ist, nicht an. Auch wenn diese als Offizialdelikt von StA. und Gericht angesehen und deshalb Verfolgung und Ver­ urteilung erfolgte, kann Antrag nur bis zur Verkündung des Urteils zurückgenommen werden und spätere Zurücknahme ist unwirksam, sodaß dann in höherer Instanz gleichwobl wegen Antragsdelikts veruttellt werden kann, ebenso bei Wiederaufnahme des Ver­ fahrens, RGSt. 8 175. Wegen des konkurrierenden Antragsdelikts ist aber die Strafe auch im Falle des $ 73 verhängt, wenn sie aus einem für das konkurrierende Offizialdelitt angedrohten Strafrahmen entnommen wird. Denn die Bestrafung erfolgt auch dann wegen des Antragsdelikts. Dem Strafurteil ist der Strafbefehl gleichzustellen. Ausnahme von der Krist: Seemannsordnung § 96.

v. Der zurückgenommene Antrag kann auch vor Ablauf der Antragsfrist nicht von neuem gestellt oder die Zurücknahme widerrufen werden, RGSt. 36 64, Rspr. 3 181; so auch E. 19 § 41 Abs. 3; a.M. Frank.

7. Ebenso wie die Stellung ist auch die Zurücknahme unteilbar. Daraus folgt, daß schon der Umstand, daß bei mehreren Beteiligten nur gegen einen auf Strafe erkannt wurde, die Zurücknahme des Antrags ausschließt, selbst gegen andere und selbst wenn in höherer Instanz auch dieser freigesprochen wird. Bei relativen An­ tragsdelikten kann die Zurücknahme nicht gegen einen Mein erfolgen, sie ergreift vielmehr den Strafantrag gegen Me in diesem Verhältnis zum Verletzten steherrden Betelligten. Es ist aber trotz § 64 Abs. 2 auch hier zu fragen, ob denn noch eine Zurücknahme gewollt war. Die Zurücknahme wirkt natürlich nur für die Antragsdelikte. Konkurrierende Offizialdelikte werden, wie ohne Strafanttag, so auch nach Rücknahme des Antrags bez. des konkurrrierenden Anttagsdelikts, weiter verfolgt, RGSt. 5 274, 28 125. Es kommen aber nur wirkliche Tellnehmer in Frage. Die Zurücknahme gegen einen als schuldlos Erkannten bedeutet keine Zurücknahme gegen die Schuldigen, Hüppner, GerS. 38 391, es wäre denn, daß die Zurücknahme ohne Rücksicht auf die Beteiligung erfolgte, Frank zu § 64 Nr. III. Eine Ausnahm e von § 64 Abs. 2 findet notwendig dort statt, wo die Zurücknahme des Anttags vom Gesetz selbst auf bestimmten Personenkreis der Beteiligten beschränkt wird, auf andere an der Tat Beteiligten, ihm aber nicht zugehören, dagegen die Zurück­ nahme nicht zugelassen ist, wie in Fällen von §§ 232 und 303. Bei diesen Delikten findet Verfolgung nur auf Anttag statt; nur soweit ^Beteiligte Angehörige sind, ist eben Zurück­ nahme zulässig. Gegen die beteiligten, die Nichtangehörige sind, bleibt also Antrag be­ stehen und Strafverfolgung geht weiter, RGSt. 28 125, 32 280, -BindingHdb. I 649. A. M. Aug. Köhler, S. 435.

65* Der Verletzte, welcher das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, ist selbständig zn dem Anträge auf Bestrafung berechtigt. Solange er min­ derjährig ist, hat unabhängig von seiner eigenen Befugnis auch sein gesetz­

licher Vertreter das Recht, den Antrag zu stellen.

Ist der Verletzte geschäftsunfähig oder hat er das achtzehnte Lebens­ jahr noch nicht vollendet, so ist sein gesetzlicher Vertreter der zur Stellung

des Antrages Berechtigte. E. 19 § 38.

1. Wie im BGB. die Geschäftsfähigkeit im Hinblick auf privattechllich wirksame Rechts­ handlungen geregelt wird, so in § 65 die Geschäftsfähigkeit im Hinblick auf eine besondere, für das Sttaftecht wirksame Rechtshandlung, die Stellung des Strafantrags. Dieser besonderen Regelung bedurfte es, well ohne dies die privattechtlich wirksame Ge-

Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern,

g -S.

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schäftSfähigkeit oder Geschäftsunfähigkeit und die hierfür geregelte Ergänzung durch Stell­ vertretung nicht ohne weiteres auch für das öffenlliche Recht, insbesondere das Strafrecht, maßgebend ist. An sich wäre es denkbar, die öffentlich-rechlliche Handlungsfähigkeit von der n atür lichen Handlungsfähigkeit und deren Nachweis abhängig zu machen und bei ihrem Mangel dem Verletzten einen Vertreter zu bestellen. Das Recht geht aber offen­ bar auch auf dem öffenllichen Gebiete im Allgemeinen davon aus, daß die Präsumtionen der Handlungsfähigkeit und Unfähigkeit, wie sie das bürgerliche Recht für sein Gebiet an ein bestimmtes Atter knüpft, auch für das öffenlliche Recht maßgebend sind. Soweit es abweichen toül, müssen daher besondere Vorschriften getroffen werden. Dies geschieht zunächst in Abs. 1. 2. In Abs. 1 wird die Geschäftsfähigkeit des Verletzten, der das 18. Lebensjahr erreicht hat, gegenüber der bürgellich-rechllichen Geschäfts fähigkett int Hinblick auf die Fähigkeit, einen Strafantrag wegen der strafbaren verletzenden Tat zu stellen, erweitert, insofern sie chm nicht erst mit der bürgerlich-rechüichen Volljährigkett, dem 21. Lebensjahr, sondern bereits mit dem erfüllten 18. Lebensjahr zu­ teil wird. Wann das 18. Lebensjahr vollendet ist, bestimmt sich nach BGB. § 187 Abs. 2, nicht vom Moment der Geburt nach der Stunde, RGSt. 85 37. Der Verletzte kann von da ab selbständig, ohne der Genehmigung seines bürgellich-rechllichen Vertreters zu bedürfen, Strafantrag stellen. Diese Erwetterung der öffenllich-rechllichen Geschäfts­ fähigkeit in der Stellung von Strafanträgen bestand nach § 54 Abs. 1 des preuß. StGB, sogar schon beim 16. Lebensjahr und ist bei den Beratungen der Jmmediatkommission von 1845 auf eine Anregung des Kllegsministers zurückzuführen. Denn ursprünglich sollte nach den Gesetzesvorschlägen bei Minorennen oder Haussöhnen die Befugnis zum An­ trag dem Vormund oder Vater zustehen (Entwurf von 1845 74—78, Revision von 1845 S. 218—226). Der Kriegsminister erklärte aber mit Rücksicht auf die aktiven Offiziere und Unteroffiziere in diesem Verhältnisse für unmöglich, daß die Antragstellung von vormund­ schaftlicher oder vätellicher Gestattung abhängig sein könnte. 3. Die folgellchllge Durchführung der Erteilung der vollen Geschästsfähigkett in Hin­ blick auf die Strafantragstellung schon an den Achtzehnjähllgen hätte dazu führen müssen, die Bettretungsmacht des gesetzlichen Bettreters, die für bürgerlich-rechlliche Handlungen weiter bis zum 21. Lebensjahre des Vertretenen fortbestand, nunmehr für diese öffenllichrechllichen Befugnisse auszuschließen. Wenn der Belletzte hier vollgeschästsfähig ist, bleibt für eine Bettretung begllfflich kein Raum mehr. Das ist inkonsequenterweise aber nicht geschehen. Vielmehr wurde das Vertretungsrecht bei Stellung des Strafantrags dem gesetzlichen Bertteter auch nach erlangter Geschäfts­ fähigkeit des Verletzten auf diesem Gebiete des Sttaftechts weiter belassen, so daß dieser gesetzliche Bettreter nun neben der eigenen Ausübung des Antragsrechts durch den Verletzten auch noch selbst — aber gleichwohl immer als Vertreter — für diesen handeln kann und nach wie vor dabei unabhängig vom Willen seines Vertretenen ist. Der gesetzliche Bettreter des Acinderjähttgen und dieser selbst sind nicht Träger zweier rechllich verschiedener Wülen, sondern reprä­ sentieren beide nur einen Willen, der Kraft gesetzlicher Borschnst sich sowohl auf die

eine wie auf die andere Weise betättgen kann, RGSt. 22 256. Motive zu §63 Entw. StGB, sagen, daß Vater oder Vormund Namens des Verletzten selbständige Sttasanträge stellen können. Die Voraussetzungen für die Strafllage sind hiernach gegeben, wenn entweder vom verletzten Minderjähttgen selbst oder von seinem Vertreter ein gllttg gestellter Strafantrag vorliegt. Der Bettretene kann nicht über das Antragsrecht deS Bettreters und umgekehtt disponieren. Jeder kann also nur von sich aus die Stellung des Anttags unterlassen, oder seinen Anttag zurücknehmen, nicht der eine den des andern, solange das Berttetungsverhältnis dauett. Ist dies aber elloschen, so wird der Wille des früher Bettretenen nun nicht mehr auch durch den andern geblldet, der mündig Gewordene kann sonach nunmehr den von seinem Bertteter gestellten Anttag zurücknehmen, RGSt. 22 256. 4. Zu Abs. 2. Der nach bürgellichem Recht GeschLstsu«fahi-e, BGB. § 104, gilt auch für das öffenlliche Recht für geschäftsunfähig, ebenso der noch nicht 18 Jahre Atte. Diese Geschäftsunfähigen auf dem Gebiete des ösffentlichen Rechts werden durch chren

272

Strafgesetzbuch.

1. Teil.

4. Abschnitt.

Vertreter nach bürgerlichem Recht auch hinsichtlich der Fähigkeit, Strafantrag zu stellen, vertreten. Diese üben dieses Recht aber auch hier nur als ein dem Verletzten zustehendeS, nicht als ein eigenes aus. Ob die tatsächlichen Voraussetzungen die Aufstellung eines Pflegerrechtferttgen, ist vom Strafrichter nicht nachzuprüfen, a. M. RGSt. 35 47 und RGSt. I in GA. 48 447, vgl. auch 59 452. — Auch für den nach BGB. § 104 Nr. 2 geschäfts­ unfähigen Volljährigen kann zum Zwecke der Antragstellung ein Pfleger bestellt werden, RGSt. V in GA. 58 182. 5. Ist der Vater eines Geschäftsunfähigen oder Minderjährigen der gesetzliche Ber treter, so gilt hierfür nichts andres, als wenn der Vormund oder die Mutter der gesetzliche Vertreter ist. Vgl. Motive zu § 63. Nach preuß. StGB. § 54 hatten der Vater oder Vor­ mund Antragsrecht ebenfalls nur als Vertreter. Wenn der Vater nach BGB. § 1685 behindert ist, ist die Mutter Vertreterin. GA. 55 334. 6. Zweifelhafter ist das Antragsrecht des LhemannS und Vater- bei Beleidi­ gungen und Körperverletzungen des minderjährigen Kindes ^oder der Eheftau. Preuß. StGB. § 102 bestimmte, daß, wenn Ehefrauen oder unter väterlicher Gewall stehende Kinder beleidigt werden, sowohl den Beleidigten als den Ehemännern und Vätern das Recht zustehe, auf Bestrafung anzutragen. Nach mehrfachem Schwanken hat man dieses Recht damals schließlich als Ausfluß der mittelbaren Beleidi­ gung angesehen, nicht als Ausfluß ihrer Bertretungsmacht. Dagegen ist die entsprechende Bestimmung im § 190 des Entw. z. DStGB. n i ch t als Ausfluß einer mittelbaren Injurie, sondern als Ausfluß eines Schuhrechts der Ehemänner und Väter angesehen worden zum Zwecke, „die Rechte der Verletzten besonders zu wahren". Dieses auf dem Schutzverhältnis des Vaters oder Ehemannes beruhenden Antragsrecht ist dann aber ein s e l b st ä n d i g e s , nicht vom Recht des Verletzten abgeleitetes Recht, auch keine Vertretung in der Ausübung seines Antragsrechts, sondern ein eigenes Antragsrecht, das sich aber nicht wie im preuß. Recht, auf die „mittelbare Injurie", sondern auf die Ver­ letzung des Schutzbefohlenen und sein Schutzrecht über ihn gründet. Es kommt die „Munt" nicht in ihrer Bedeutung als Bertretungsmacht, sondern nur als Schutzmacht zur Geltung. RGSt. 13 115. Hierin hat aber EG. zu BGB. Art. 34, Nr. VI insofern eine Änderung gebracht, als dieses selbständige Antragsrecht auf Grund des Schutzrechts nunmehr nur noch dem Ehemann, nicht mehr dem Vater zusteht. Für letzteren bestimmt sich Dieb mehr das Antragsrecht auch bei Beleidigungen allein noch nach § 65. Daß dieses Antragsrecht des Ehemanns keine Vertretung in der Ausübung des Rechts der Eheftau ist und war, ergibt gerade der Umstand, daß es bei diesem Antragsrecht auch nach Einführung des BGB. belassen worden ist, obwohl doch die Ehevormundschaft des Mannes aufgehoben worden ist, dieses Recht also gar kein Vertretungsrecht mehr sein kann. Für den in elterlicher Ge­ walt Befindlichen genügten jedoch die allgemeinen Vorschriften über Vertretung auch bei Beleidigungen. Nur darf allerdings die Befugnis, nach dem Tode des Ver­ letzten Strafantrag stellen zu können, für den Vater nicht mehr so begründet werden, wie das RGSt. 13115 vor der Änderung des StGB, geschehen konnte, mit dem eigenen Recht des Vaters, sondern lediglich damit, daß nach dem Zweck dieser Vertretung sie mit dem Tod des Vertretenen nicht erlöschen kann, ebensowenig, wie das im Zweifel nach BGB. § 672 geschieht. BindingHdb. I, S. 630. Daher unzutreffend in der Bezug­ nahme auf 13 115,35 131,38 34. A. M. Frank. Eine unterschiedliche Behandlung zwischen Vater und Vormund, wie sie das RG. macht, das nach dem Tod des Mündels den Vor­ mund nicht für berechtigt zum Strafantrag ansieht, RGSt. 4 147, wohl aber auch nach der Änderung durch EG.BGB. den Vater, ist nicht gerechtfertigt. Entweder bleibt für beide oder für keinen das Antragsrecht nach dem Tod des Verletzten bestehen. Das Antragsrecht des Ehemanns einer beleidigten oder an ihrem Körper ver­ letzten Frau ist vom E. nicht übernommen. Dieser faßt ferner das Antragsrecht des gesetzlichen Vertreters dahin auf, daß der Vertreter nur das Antragsrecht des Ver­ tretenen ausübt.

66.

Durch Verjährung wird die Strafverfolgung und

vollstreckung ausgeschlossen. E. 19 55 121 Abs. 1 Satz 1, 125 Ms. 1 Satz 1.

die Straf­

1. Es wird zwischen Strafverfolgung und Strafvollstreckung unterschieden. Erstere bezeichnen die Motive zu § 64 des Entwurfs auch als „Verjährung der Strafklage", letztere als „Strafverjährung". Hieraus erhalt, daß das Gesetzbuch, wie schon der Ausdruck ergibt, die Verjährung regelt, insoweit dasprozessualeRecht der Strafklage und Strafvollstreckung in Frage steht, nicht aber, so­ weit der durch das Delikt erzeugte Strafanspruch des Staats, das staatliche ma­ terielle Strafrecht selbst in Betracht kommt. Dieser prozeßrechtliche Charatter der Ver­ jährung ergibt sich auch aus § 69, wo Strafverfolgung und Fortsetzung des Strafver­ fahrens gleichgestellt werden. Erwägt man aber den Grund für die Verjährung der Strafverfolgung sowohl wie der Strafvollstreckung, so ergibt sich, daß er für b e i d e nur der sein kann, daß der staatliche Strafanspruch selb st weggefallen ist, anders als bei der Versäumung der Antragsfrist, die den staatlichen Anspruch unberührt läßt. Ist Strafe Vergeltung begangenen Unrechts, so löscht die Zeit allmählich das Bedürfnis nach Vergeltung und auch die Autorität der Rechtsordnung wird durch verspätete Vergeltung nicht mehr gehoben. Hierzu tritt für die Verfolgung die schließliche Unmöglichkeit der Er­ weisbarkeit des staatlichen Strafanspruchs. Wie daher Verjährung im bürgerlichen Recht Untergang des Rechts selbst, nicht nur seiner klageweisen Geltendmachung wirkt, so auch im Strafrecht nicht nur den Untergang des Berfolgungs- und Bollstreckungsrechts, sondern des Strafrechtsanspruchs selbst. Daher ist der Untergang des Strafanspruchs nicht bloß eine Reflexerscheinung des Untergangs der Strafllage und Sttafvollstreckung, Binding Hdb. I, 534, sondern umgekehrt jene erst eine Folgeerscheinung dieses. Wenn daher das StGB, auch nur diese prozessuale Folgeerscheinung regelt, gehört die ihr zugrunde liegende Sttafanspruchsverjährnug doch dem materiellen Recht an. Deshalb nimmt RGSt. 12 435, 30 31, 41 167 an, daß der staatliche Strafansp ru ch verjährt und daher die Bestimrnungen über Verjährung dem materiellen Recht angehören, so auch Schwartz, zugleich aber, daß sie auch einprozeßrechtliches Hindernis des Strafverfahrens bilden, RGSt, 14 382, 23 184, 188 und insoweit also auch dem Prozeßrecht zukommen. Um die materiellrechtliche Wirkung der Verjährung hervorzuheben, spricht C. 19 § 121 von Verjährung der Strafbarkett der Tat. 2. Die Folge der prozessualen Natur ist, daß mit dem strafrechtlichen Verfahren in dem Augenblick innezuhalten ist, wo sich ergibt, daß die Klage verjährt ist. Nichtverjährtheit ist eine prozessuale Voraussetzung des Berfahrerrs, RGSt. 24 270. Das Verfahren ist dann e i n z u st e l l e n. Für eine Freisprechung ist kein Raum, da es zu einer Prüfung der Schuldfrage überhaupt nicht erst kommt. So auch einmal RGSt. 41 167, das sonst im übrigen wegen der materiellen Natur der Verjährung Freisprechung für angezeigt hält, RGSt. 12 434, 41 152, Rspr. 4 595. Diese wäre aber nur möglich, wenn nur der Strasanspruch, nicht auch die Strafverfolgung verjährte. 3. Tie Frage der Verjährung ist als Prozeßvoraussetzung von Amts w e g e n zu prüfen, auch in höherer Instanz, selbst wenn erst in dieser Verjährung ein­ tritt, RGSt. 23 154. In Revisionsinstanz sind diese prozessualen Voraussetzungen vom Revisionsgericht selbständig auf Grun dder Akten zu prüfen, RGSt. 12 434. Nur an die tatsächliche Feststellung des Tatrichters hinsichtlich der Straftat selbst ist es, wie immer, auch hier gebunden. Auch hier kommt man zufolge der prozessualen Regelung des StGB, nicht erst zur Nachprüfung, ob der nraterielle Strafanspruch berechttgt ist. 4. Die Verjährung berühtt nur die persönliche Strafverfolgbarkeit des einzelnen Täters, die Verfolgbarkeit oder Nichtversolgbarkeit des Haupttäters ist ohne Einfluß auf die der Mittäter, Teilnehmer und Gehilfen, sowie umgekehrt, RGSt. 9 13, vgl. auch § 68 Abs. 2. 5. Verjährung läuft ohne Rücksicht auf tatsächliche Möglichkeit der Verfolgung oder Vollstreckung (tempus continuum), auch ohne Rücksicht, ob der zur Strafverfolgung erforderliche Antrag oder die Ermächtigung gestellt ist, § 69 Abs. 2. 6. Die Verjährung der inländischen Strafverfolgung einer von einem Deutschen im Ausland begangenen strafbaren Harrdlung ist ausschließp'ch nach deutschem Recht zu beurteilen, RGSt. 40 402. 67, Die Strafverfolgung von verbrechen verjährt, wenn sie mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Juchchans bedroht sind, in zwanzig Jahren; Kommentar z. Strafgesetzbuch.

2. Aufl.

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Strafgesetzbuch.

1. Teil.

4. Abschnitt.

werm sie im HSchstbetrage mit einer KrecheUSstrafe von einer längeren zehnjährigen Dauer bedroht fmb, in fünfzehn Jahren; wenn sie mit einer geringeren Freiheitsstrafe bedroht sind, in zehn Jahre». Die Strafverfolgung von «ergehen, die im Höchstbetrage mit einer längeren als dreimonatlichen Gefängnisstrafe bedroht sind, verjährt in fünf Jahren, von anderen «ergehen in drei Jahren. Die Strafverfolgung von Übertretungen verjährt in drei Monaten. Die «erjährung beginnt mit dem Lage, an welchem die Handlung be­ gangen ist, ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des eingetretenen Erfolges. E. 19 tt 121 ®bf. 1 Satz L, 415 Abs. 1, 122.

L Das StGB, kennt eine verjähr»»- bei alle» Straftaten.

Sofern in den Nebengesetzen nichts besonderes geregelt ist, kommen auch für diese Straftaten die Ver­ jährungsfristen des StGB, zur Anwendung, RGSt. 52 42. 2. Begin» der verjährnng. Die Motive zu Entwurf § 65 sagen: „Über den Lauf der Verjährung ist nur angeordnet, daß derselbe mit dem Tag der begangenenTat anfüngt. Die besondere Bestimmung, daß hierbei der Zeitpunkt nicht maß­ gebend sei, an welchem der zur Vollendung des Verbrechens erforderlicheErfolg eingetreten ist, erledigt einen Zweifel." Der Zweifel bestand darin, ob die Verjährung beginnen solle mit Vollendung der äußeren, körperlichen Willensbetätigung als solcher, mit dem Abschluß des menschlichen Tätigwerdens, oder ob die ursächliche Fortwirkung dieses Tuns in der Tlußenwelt und die schließliche Her­ beiführung des Erfolgs, der die Rechtsgüterverletzung bedeutet und dessen Eintritt erst zur Vollendung und Verwirklichung des deliktischen Tatbe­ st a n d s, der strafbaren Tat als Delikt gehört, beginnen sott. Eine gleiche Unterscheidung zwischen der Vollendung der Handlung als menschlicher Tätigkeit und Berwirllichung des deliktischen Tatbestands durch Eintritt des durch jene Handlung verursachten rechtswidrigen Erfolgs findet sich in § 46 Nr. 2. Das Gesetz hat, wie die Motive klar erkennen lassen, die Zweifelsftage dahin entschieden, daß nicht erst mit der Berwirllichung des vollen deliktischen Tatbestands — des zur Vollendung des Verbrechens erforderlichen Erfolgs — sondern bereits mit Abschluß des menschlichen Tuns — der begangenen Tat, der begangenen Handlung — der Fristenlauf beginnen sott. Das ist eine rein positiv ge­ setzliche Regelung, die ebenso gut und vielleicht zweckmäßiger anders hätte getroffen werden können, tatsächlich aber deutlich genug in dem bezeichneten Sinne erfolgt ist. überein­ stimmend Liszt§77, Finger 579, Meyer-All f. 306, Schwartz,Kitzinger Ort und Zeit der Handlung, VerglDarst. I, S. 150, 190, 222, Hälschner I, 694, Frank, M. E. Mayer 523, Köhler. 664. Diese zweckmäßige andere Regelung hat der E. 19 § 122 getroffen. Wenn dagege» RESt. 42 172 sagt: „Begangen ist eine straf­ bare Handlung, sobald ihre gesetzlichen Begriffsmerkmale verwirklicht sind. Gehört es int einzelnen Falle zum Tatbestand eines Vergehens, daß das Handeln des Täters einen be­ stimmten Erfolg herbeigeführt habe, und ist dieser Erfolg eingetreten, so kann die Ver­ jährung erst vom Zeitpunkt des E r f o l g s e i n t r i t t s ab zu laufen beginnen, da erst hierdurch der Bergehenstatbestand in seiner konkreten Erscheinung vollendet und damit der Strafanspruch des Staats, soweit er sich gegen das vollendete Vergehen richtet, zur Existenz gelangt ist", so übersieht RG., daß der Gesetzgeber eben Kraft seiner Machtbe­ fugnisse auch anders „kann", nämlich die Verjährung beginnen lassen, wenn e r will, also auch vor Eintritt des Erfolgs, der zur konkreten Verwirklichung des Delikts gehört, schon mit Abschluß der den Erfolg verursachenden menschlichen Tätigkeit die nun einmal längst vor ihrer Wirkung beendet sein kann. Daß StGB, und Motive unter dem „zur Voll­ endung des Verbrechens erforderlichen Erfolg" eben nur den tatbestandsmäßigen, das Delikt charakterisierenden Erfolg verstehen, nicht einen darüber hinaus ein­ tretenden entfernteren Erfolg, der vielleicht für die Strafbarkeit wesentlich ist, aber für die Vollendung des deliktischen Tatbestands gleichgiltig ist, ist sicher. Wäre dieser außerhalb des Delikts liegende Erfolg gemeint, so hätte es einer besonderen Bestimmung hierüber überhaupt nicht bedurft. «Bit RGSt. 42 171 auch RESt. 5 282, 9 282, 21 229,

Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern,

j -7.

275

26 261, SO 310, SS 230, 40402; GA. 51 360. Wie RG. BindingHdb. I 837, Olshausen, OpphDel. Muß hiernach die menschliche Willensbetätigung und ihr Abschluß von dem Abschluß des deliktischen Tatbestands durch Eintritt des Erfolgs nach dem Willen des Gesetzes unter­ schieden werden, so ergibt sich als Folge: Beim Versuch beginnt die Verjährung mit der Beendigung der menschlichen Tätigkeit, gleichviel ob diese sich als unbeendigten oder als beendigten Versuch nach § 46 darstellt. BindingHdb. I S. 838. Bei fahrlässigen Handlungen kcmn Verjährung eintreten, ohne daß ein Erfolg er­ wachsen ist, bei vorsätzlichen Handlungen, deren Erfolg erst nach langer Zeit verursacht wird, wie z. B. bei langsam wirkendem Gist, spät wirksam werden­ der Höllenmaschine, beginnt Verjährung vor Eintritt des Erfolgs mit Ab­ schluß der menschlichen Handlung. Hiervon zu unterscheiden sind jedoch: die in F o rt s e tzu n g szu samm enh a n g begangene Handlung. Hier endete die menschliche Tätigkeit selbst erst mit letztem Akt der Handlung, erst mit diesem ist sie begangen, Verjährung beginnt also nicht schon mit Beginn, sondem erst mit dem Ende des fortgesetzten Handelns. Dasselbe gilt bei Kollektivdelikten hinsichtlich des letzten gewerbs- und gewonheitsmäßigen Akts; RGSt. 6 294, 412, 8 390, 10 203, 25 206, 37 78, 38 387, 44 424; Rspr. 5 740, 7 247, 692, 9 483. Für § 184 Abs. 1 dagegen RGSt. 38 71. bei Dauerdelikten (wie Freiheitsberaubung) dauert die Handlung bis zum Schluß an und es beginnt erst von da ab die Verjährung, RGSt. 9 152, 37 78; Rspr. 4 595, 7 692. — Zuwiderhandlung gegen Regeln der Baukunst kein Dauerdelikt, RGSt. 26 261. Ab­ weichend RGSt. 9 152. Bigamie § 171 vom Gesetzgeber irrtümlich als Dauerdelikt ausgefaßt, Löning, VglDarst. A. 1, S. 440. Meyer-Allf. S. 307. Dagegen läuft für Handlungen, die einen dauernden, vom Recht mißbMigten Zustand bewirken, ohne daß ihre Wiederholung selbst nötig ist, schon mit Ende der Handlung, nicht erst, nachdem der Zustand aufgehoben ist. Bloßes Bestehenlassen eines geschaffenen Zustands ohne daß gleichzeitig ein Erhalten desselben vorliegt, ist kein Handeln mehr, RGSt. 9152,22 435,26 261, 37 78; Rspr. 7 692. M E. Mayer S. 523, Löning, Vgl. Darst. I 439; a. M. Olshausen. — Zu § 171 vgl. daselbst und RGSt. 15 261. Unrichtig bei Auswanderung nach § 140, RGSt. 3 437. BindingLehrb. 2 690. Bei Unterlassungsdelikten kommt es darauf an, ob ein einmaliges Handeln zu einer bestimmten Zeit oder ein einmaliges Handeln innerhalb einer bestimmten Zeit bis zur Herbeiführung eines bestimmten Erfolgs geboten war. Letztenfalls kann ein fort­ gesetztes Unterlassen vorliegen und es beginnt die Verjährung zu der Zeit, wo noch ein Handeln geboten war, RGSt. 8 390, 9 353; Rspr. 2 212. Dagegen bedeutet das Fortbestehen eines Zustands, der durch die Unterlassung der gebotenen Handlung ent­ standen oder geblieben ist, nicht ohne weiteres auch ein fortgesetztes Unterlassen, sofern die Handlung nicht geboten ist, solange der mißbilligte Zustand vorhanden ist. Bei Anstiftung und Beihilfe kommt der akzessorische Charakter nicht in Betracht, da der Erfolg der Handlung nicht maßgebend sein soll. Es kann also auch hier nur auf die menschliche Tätigkeit des Anstiftens und des Helfens als solche ankommen, auch lvenn deren Charakter als Anstiftung und Beihilfe erst durch die spätere Haupttat sich ergibt. So auch Meyer-Allfeld S. 307. Doch sehr bestritten. «. M. BindingHdb. 1, 840, Olshausen zu § 67; RGSt. 5 282, 9 152, 21228, 26 261, 30 300, 40 402,41 17, 42 171, das wegen der akzessorischen Natur die Verjährung erst mit Beendigung der Haupttat beginnen läßt. Wenn sich jedoch bei fortgesetzter Handl u'n g die Beihilfe nur auf einen T e i l a k 1 beschränkt, be­ ginnt die Verjährung gegen den Gehilfen in dem Zeitpunkt, in dem der betreffende Teil der fortgesetzten Tat abgeschlossen ist, 4D 412/18 v. 28. V. 1918. Anders bei Mittäterschaft. Hier gilt jede Tätigkeit des einzelnen Mittäters als die des andern, daher beginnt die Berjährungsftist hier notwendig erst mit Abschluß der letzten gemeinschaftlichen Tätigkeit. Besonders gilt für StGB. § 171 $ 35 Branntweinsteuergesetz 1887 u. a. Seemannsordnung 1902; Urhebergesetz 1901 §§50, 51; Kunstverlaggesetz 1907 §§47, 48; Wechselstempelgesetz 1909 § 23. — EG.StGB. § 7; StGB. § 171, GewO. § 145. — Preßgesetz § 22 (auf alle Straftaten Anwendung, RGSt. 32 69, 88 71, nicht Erpressung 33 230).

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Strafgesetzbuch.

1. Teil.

4. Abschnitt.

ReichsversO. § 147; (Majestätsbeleidigungsgesetz v. 17. XU. 08 ist gegenstandslos ge­ worden). Unter Preßges. § 22 fallen auch solche Handlungen,' die schon vorher verübt wurden, aber 311m Erscheinen der Zeitung mitgehören, RGSt. 42 87 unter Aufgeben von 46 270, vgl. aber hierzu RGSt. 53 194. Wenn Ausführungstätigkeit nicht durch Inhalt der Tnrckschrift in Erscheinung tritt, z. B. durch Herstellung von Nachdri'.ckexemplaren, Warenzeichen usw. liegt § 22 nicht vor, RGSt. 42 87. — Frist beginnt mit erstem Berbreitungsakt, RGSt. 32 69, bei Fortsetzungszusammenhang mit letztem, RGSt. 35 267. Bei Antrags- und Ermächtigungsdelikten beginnt Verjährung ebenfalls mit Begehung der Tat, auch bevor Antrag gestellt ist. 3. Dmrer der BerjLhrmt-. Die Frist wird nach der Kalenderzeit berechnet und lauft zusammenhängend fort. „Die Verjährung erreicht mit dem Beginnedes dem Anfang der Verjährung entsprechenden Kalendertags ihr Ende", (Motive zu § 65). Begann sie also am 15. des Monats, endet sie nachts 12 Uhr des 14. des Monats. Die Länge der Frist wird durch die Strafen bestimmt, wie sie Handlungen solcher Art nach dem Gesetz angedroht sind, nicht wie sie tatsächlich venvirkt ist. Straferhöhungs- und Strafminderungsgründe und mildernde Umstände des einzelnen Falls bleiben außer Betracht, nicht aber wenn sie die ganze Art der Straftat betreffen, wie Jugend unb Rückfall. Ebenso E. 19 § 121 Abs. 2. Ebenso berechnet sich bei Versuch und Beihilfe die Verjähnmgsfrist nach § 44, nicht nach der für die H a u p 1 t a t ange­ drohten Strafe. 4. Die Fripdaner findet sich in 6 Abstufungen: a) 20 Jahre bei Verbrechen, die mit Tod oder lebenslänglicher Freiheitsstrafe be­ droht sind (auch nach MStGB., BindingHdb. 1, 844). 15 Jahre bei Verbrechen mit zeitlicher Strafe von über 10 Jahren. 10 Jahre bei Verbrechen nnt zeitlicher Strafe bis zu 10 Jahren. b) 5 Jahre bei Vergehen mit Gefängnisstrafe von über 3 Monat. 3 Jahre bei Vergehen mit Gefängnisstrafe bis zu 3 Monaten oder Geldstrafe, gleichgiltig ob die Ersatzstrafe 3 Monate übersteigt, RGSt. 1 167. c) 3 Monate bei Übertretungen. Vgl. auch GewO. §§ 147—150. 5. Eine Folge der Verjährrmg ist, daß auch BnßiMslvüche nicht mehr gellend gemacht werden können, weil die Buße nur neben der Strafe ausgesprochen werden kann. 6. Das Urteil hat auf E i n st e l l u n g des Verfahrens zu lauten wegen Unzulässig­ keit der Strafverfolgung; in der Revisionsinstanz auch bei materieller Rüge, RGSt. 41 167, 52 56; 4 D 962/09 v. 10. XI. 09. Nach RGSt. 12 434, Rspr. 4 595, RGSt. I in GA. 46425 ; 4D4717/99v. 2. II. 1900; 4D 4477/99 v. 22.XU 1899sollaufF r e i s p r e ch u n g zu erkennen sein.

68. Jede Handlung des Richters, welche wegen der begangene« Lat gegen den Later gerichtet ist, unterbricht die Verjährung. Die Unterbrechung findet nur rücksichtlich desjenigen statt, auf welchen die Handlung sich bezieht. Rach der Unterbrechung beginnt eine neue Verjährung. E. 19 $§ 124, 415 MI. 1 Satz 2.

1. Die Vorschrift betrifft die Uuterbrechmlg der BerfolgnngSverjähnmg, loährend §72 die Unterbrechung der Vollstreckungsverjährung behandelt. Unterbrechung ist ein pro­ zessualer Vorgang, zu deren selbständiger Prüfung das Revisionsgericht be­ rechtigt ist und wobei der Akteninhalt zu berücksichtigen, RGSt. 12 436, 4117,167, 45 158. Unterbrechung ist eine den Lauf der Frist hemmende Handlung, die eine Frist nicht zum Stillstand bringt, sondern ihre bisherig« Wirkung« in einem Akt «her Kraft setzt. Sie kann oftmals wiederholt werden, solange Frist noch nicht vollendet ist. In § 69 wird das Ruhen der Berfolgungsverjährung behandelt. — Voraussetzung für die unter­ brechende Wirkung einer Handlung ist, daß überhaupt der Lauf der Verjährung bereits begonnen hat. Eine vorher vorgenommene richterliche Handlung ist bedeutungslos, kann namentlich Beginn der Frist nicht beeinflussen, BindingHdb. I, 834.

Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern.

K

68.

277

2. Nach Entwurf § 66 sollte die Strafverfolgungsverjährung schon durch jede wegen der verübten Tat gegen den Täter vorgenommene Handlung des StA. unterbrochen werden. Dies wurde durch RT. dahin geändert, daß nicht einmal die Erhebung der An­ klage des StA. oder Erhebung der Privatklage unterbricht, sondern ein NichteraV erfor­ derlich ist (Erweiterung in StPO. §§463, 459 und § 10 EG. zu MStGB.), der der Straf­ verfolgung dienen will, also eine Handlung des Strafrichters, RGSt. 29 234, aber gleichviel, welchem Bundesstaat er angehört, auch wenn es sich um ein Bergehen gegen Landesgesetze eines anderen Bundesstaats handelt, ob örtlich oder sachlich für Einzelfall zuständig, aber unwirksam, wenn Handlung rechtlich unzulässig, RGSt 11 364, 13 408, 23 186, 32 247, 33 426; vgl. StPO. § 20. — A. M. BindingHdb. I, 849 bzgl. sachlicher Zuständigkeit. An und für sich ist eine gesetzliche Handlung natürlich erforderlich, RGSt. 6 37, 23 184, 24 205. Verwaltungsbehörden, die Strafgerichts­ barkeit besitzen, sind Richter. Daher genügen auch Strafbescheide der Verwaltungs­ behörden und polizeiliche Strafbefehle zur Unterbrechung, StPO. §453 Abs. 4, §459 Abs. 4. Auch der Vorsitzende übt die ihm zustehenden Verfügungen als Richter aus, RGSt. 24 340. Immer muß er in einem Strafverfahren gegen den Beschuldigten wegen der Straftat tätig sein, ob auf eigene Initiative oder auf Ersuchen einer anderen Straf­ verfolgungsbehörde, etwa des StA. oder einer Verwaltungsbehörde, ist gleichgiltig. Nur darf dann die Verwaltungsbehörde nicht lediglich in einem bloßen Berwaltrmgsverfahren ohne straftechtlichen Charakter, sondern sie muß in ihrer Eigenschaft als Straf­ verfolgungsbehörde, etwa wegen Steuer- oder Zollvergehen, tätig gewesen sein. In Begründung verfehlt RGSt. 14 134, wenn schon im Ergebnis richtig; RGSt. 18 405. Auf welchem Beweggründe sonst das Vergehen beruht, etwa um das Eigentum von Beweisstücken festzustellen und zurückzugeben, ist belanglos, RGSt. 11 364. Richter kann auch ein Assessor und Referendar sein, wenn er zur Vornahme der richterlichen Geschäfte qualifiziert ist, RGSt. 13 408. 3.

Die unterbrechende Handlung muß

gegen den Täter gerichtet sein.

Der Täter als solcher, worunter der Teilnehmer, Anstifter, Gehilfe uswfällt, RGSt. 41 17, muß Objekt der Handlung sein, bloße Feststellung der Tat gegen eine unbestimmte Person genügt nicht, RGSt. 6 212, 11 364; er darf nicht nur als Zeuge vernommen werden, RGSt. 1 231, 8 362; Rspr. 6 768, denn die Handlung muß Berfolgungshandlung sein. Welcher Art der Strafverfolgungsakt ist, ist ohne Belang, er kann auch in einem bloßen Ersuchen an andere Behörden oder in Auf­ tragserteilung an andere Personen bestehen. Ebenso genügt Bermittelungstätigkeit zwischen StA. und Polizei, RGSt. 11364, 41 356; Terminsanberaumung, RGSt. 8 311, Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung, Vertagung. Die Tätigkeit muß aber als Ver­ folgungshandlung nach außen auftreten, bloße Verfügungen, die den inneren Dien st betreffen (Wiedervorlegungsanordnung) genügen nicht, RGSt. 21 308, 30 309, Rspr. 6 768, richterliche Verfügung (Anordnung einer Zeugenladung) ge­ nügt aber, wenn diese Verfügung an sich auch intern bleibt und ihre Ausfüh­ rung nur von nichtrichterlichem Beamten vorgenommen wird. Dagegen ist die Kenntnis des von der StA.um Vornahme einer richterlichen Handlung ersuchten Amtsrichters vorn Borliegen einer Straftat nicht erforderlich, RGSt. 30 307, wenn StA. zwecks Straf­ verfolgung tätig wird. Die Einstellung des Verfahrens ist keine Berfolgungshandlung mehr, Unter­ scheidung in RGSt. 21 308 gekünstelt, ebenso 27 81. Gegen den Täter ist auch eine Ein­ ziehung nach § 42 gerichtet, sofern diese als Strafe anzusehen ist. Gleichwohl ist sie zur Unterbrechung nicht geeignet, da sie keine Verfolgung gegen den Täter zwecks Herbei­ führung einer Verurteilung zur Haupt strafe ist.

4. Die unterbrechende Handlung muß wegen der begangenen Tat erfolgen, worunter der bestimmte historische Vorgang, die k o n k r e t e T a t, zu verstehen ist, die juristische Qualifizierung ist nicht erforderlich, eine unrichtige daher auch unschädlich, RGSt. 13 67, 24 77 , 29 344, 33 426. Es muß genügen, daß das konkrete Vorkommnis, das den Verdacht der Strafbarkeit hervorgerufen hat, im allgemeinen bezeichnet wird; auch wenn nur Beteiligung daran in Frage steht, genügt deren Verfolgung. Wegen der Eircheitlichkeit des Delikts unterbricht bei fortgesetzter Handlung, gewerbs- und gewohnheitsmäßiges

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1. Teil.

4. Abschnitt.

Delitt die richterliche Handlung auch die dem Richler unbekanrtt gebliebenen Einzelakte, n. M. RGSt. Z8 426. Bei idealem Zusammentreffen nach § 73 genügt Berfolgungsatt hin­ sichtlich des einen durch die Handlung verwirkten Delikts, RGSt. 29 344, 33 426. Bei realem Zusammentreffen nach § 74 wird nur die Verjährung der Verfolgung wegen der Tat unterbrochen, die zur Verfolgung steht und auf die sich Unter­ brechung bezieht, RGSt. 15 107, 109. Es kann aber mit einem richterlichen Unterbrechungs­ att gleichzeitig die Verfolgung beider Taten betroffen werden sollen. Richterliche Handlung, die Unterbrechung bewirkt, braucht nicht ausdrücklich ihre Richtung auf bestimmte Tat zu bezeichnen. Es genügt, wenn sich aus ihrem Zusammenhang mit eingeleitetem Strafverfahren ergibt, auf welchen als strafbar unterstellten Sachverhalt sich richter­ liche Handlung bezieht, RGSt. 4117, Rspr. 6 768. Daß keinerlei Rechtsbedenken gegen die Verfolgung bestehen, ist nicht erforderlich, 5 D 109/15 v. 15. VI. 1915. 5. Die Unterbrechung wirkt höchstpersönlich, sie wirkt nur gegen den Teilnehmer oder Täter, gegen den die Verfolgungshandlung vorgenommen wird, RGSt. 4 216, 8 362, 13 57, 4117. Sie wirkt also nicht gegen die Tat als solche, nicht gegen subsidiär Haftbare bei Geldstrafe, RGSt. 6 355. Aber gegen Mittäter wirkt auch Unterbrechung gegen den andern Mittäter, RGSt. 36 360. Natürlich kann sie sich auch stillschweigend zugleich gegen alle richten, io kann z. B. Haftbefehl gegen einen eine Berfolgungshandlung gegen alle bedeuten, RGSt. 36 350. Immerhin wird gerade dies letzte nur ganz ausnahmsweise anzuerkennen sein. 6. Nach jedem einzelnen Akt, der die Verjährung unterbrochen hat, be­ ginnt eine «eite Verjährung zu laufen. Hiernach schafft die Eröffnung einer Vorunter­ suchung nicht einen Dauerzustand, so daß Verjährung während Dauer der Unter­ suchung gehemmt ist, zu laufen. Das Gleiche gilt für die Bestimmung eines Termins zur Hauptverhandlung, RGSt. 8 310. Für neue Verjährung gilt dasselbe was für alte gilt, RGSt. 13 67, 23 184. Hiernach kann die Unterbrechung beliebig oft vor­ genommen werden und es ist dadurch möglich, eine Straftat überhaupt der Verjährung zu entziehen. E. 19 § 124 setzt an diese Stelle die richterliche Verlängerung der Verjährungs­ frist, begrenzt diese aber auf bestimmte Zeit. In A b s a tz 3 soll nur diese Tatsache, daß nach der letzten Unlerbrechungshandlung eine neue Verjährung beginnt, zum Ausdrucke gebracht werden, nicht eine für den Beginn dieser neuen Verjährungsfrist abweicherrde Anordnung gegenüber § 67 Abs. 4. Wäre eine solche Abweichung beabsichtigt gewesen, wäre das in der Begründung zum Ausdruck ge­ kommen. Es finden also für die Berechnung der Frist dieselben Vorschriften wie in § 67 Anwendung. Dann begirmt der Fristeulans an dem Tag, wo unterbrechende Handlung er­ folgte, nicht am nächsten, RGSt. 13 67. A. M. Binding 1,863. Das Ende der Verjährung nach § 67 und der neuen Verjährung nach § 68 trifft auf den Beginn des dem Anfang der Verjähmng entsprechenden Kalendertags, der letzte Tag güt mit dem Beginn für beendigt. 7. Der Umstand, daß die unterbrechende richterliche Handlung oder eine ihr gleichlvettige(Strafbescheid) wieder rückgängig gemacht und aufgehoben wird (z. B. Zeugenladung) kann der Handlung den Charakter der Unterbrechung nicht nehmen, diese bleibt bestehen, RGSt. 30 309. 8. Die vor Stellung eines giltigen Strafantrags bewirkten richterlichen Akte sind nicht geeignet, eine Unterbrechung zu bewirken. Verjährung be­ ginnt mit Begehung der Handlung, RGSt. 6 37 (41).

69. Die Verjährung ruht während der Zeit, in welcher auf Grund

gesetzlicher Vorschrift die Strafverfolgung nicht begonnen oder nicht fort­ Ist der Beginn oder die Fortsetzung eines Strafver­ fahrens von einer Vorfrage abhängig, deren Entscheidung in einem anderen

gesetzt werden kann.

Verfahren erfolgen mutz, so ruht die Verjährung bis zu dessen Beendigung. Ist zur Strafverfolgung ein Antrag oder eine Ermächtigung nach dem Strafgesetz erforderlich, so wird der Lauf der Verjährung durch den Mangel des Antrages oder der Ermächtigung nicht gehindert. E. 19 § 123.

Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern. §§ . 5. Stfs. v. 20. 12. 1910, V 825/10; das gleiche gilt hinsichtlich der Frage, ob die nach § 105 Abs. 2 StPO, vorgeschriebene Zuziehung zweier Personen möglich ist, Urt. d. 4. Stfs. v. 7. 6. 1910, IV 363/10.

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2. Teil.

6. Abschnitt.

14. Da die rechtmäßige Amisausübung keinen rechtswidrigen Angriff büdet, gibt es chr gegenüber keine Notwehr, RGSt. 22 300 (bett. Selbsthilfe), 25 151, Urt. d. 3. Stfs. v. 13. 6. 04 III, 796/04. Putativnotwehr ist denkbar, wenn der Angeklagte auf Grund tatsächlichen Jrrtuins z. B. über die Beamteneigenschaft sich rechtswidrig angegriffen glaubt. Irrtum über die Rechtmäßigkeü der Amtsausübung, die nur objekttve Voraussetzung der Strafbarkett ist (A. 15), rechtfertigt Putativnotwehr nicht, RGSt. 55 166. Gegenüber unrechtmäßiger Amtsausübung, wenn sie sich als (rechtswidriger) Angriff darstellt, ist Not­ wehr zulässig und entschuldbare Überschreitung der Notwehr denkbar. 15. Zum irmere« Lat-estand gehört das Bewußtsein des Täters von der Amtseigen­ schast des Beamten und davon, daß dieser eine amtliche Tätigkeit ausübe, desgleichen die Kenntnis von der Eigenschaft der in Abs. 3 bezeichneten Personen, RGSt. 3 14, Rspr. 1 305, 9 382, 473. Ein solcher Irrtum wird häufig auf nicht strastechüichem Gebiete liegen, vgl. 8 112 A. 4 und RGSt. 42 26 gegenüber RGSt. 26 314, 27 406. Eventualdolus reicht aus. Daß der Täter nur eine zweifelhafte Rechtsstage zur Entscheidung bringen wollte, ist gleichgllttg, RGSt. 47 279. Dagegen bildet nach ständiger reichsgerichtl. Rechtsprechung die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung kein vom Vorsatz des Täters zu umfassendes Tatbe­ standsmerkmal, wie man nach der Fassung des Gesetzes allerdings annehmen müßte, sondern nur eine objektive Bedingung der Sttafbarkeit. Der Täter kann sich also nicht darauf be­ rufen, daß er das Vorgehen des Beamten aus irgend welchen Gründen nicht für recht­ mäßig gehalten habe, Rspr. 1642,4 132, 6 478, 7 280, 9 474; RGSt. 2 423, 3 14, 47 280, Urt. d. 1. Stfs. v. 30.4. 1913, IW. 1913 933, Urt. d. 3. Stfi. v. 5.10.1914, LZ. 1915 227, des 5. Stfs. v. 26. 9. 1916 LZ. 1916 1444. RGSt. 55 166. Die Anschauung des RG. wird fast von der ganzen Theorie angefochten; der Entw. hat die Rechtmäßigkeit zu einem vom Borsatze zu umfassenden Tatbestandsmerkmal gemacht, bestraft aber den, der in verschul­ detem Irrtum das Borgehen des Beamten für unrechtmäßig hält, jedoch mit müderer Strafe, bei unverschuldetem Irrtum tritt Straffteiheit ein, Entw. § 185. 16. Verhältnis zu anderen Bestimmungen. Wegen des Verhältnisses zu § 114 vgl. § 114 A. 5 a. Jdealkonkurrenz mit § 240 ist ausgeschlossen, RGSt. 31 4; ebenso mit § 241, auch soweit die Drohung nicht gegen den Beamten, sondern gegen eine zugezogene Person gerichtet ist, Urt. d. 4. Stfs. v. 9.1.1914, Recht 1914 Nr. 707, vgl. auch GA. 55 311. Kann § 113 wegen mangelnder Rechtmäßigkeit der Amtsausübung nicht angewendet werden, so kann immer noch Körperverletzung, tälliche Beleidigung usw. vorliegen. Die Bestim­ mungen der SeemO. § 104 und des BZG. § 161 gehen als Sondervorschriften dem § 113 vor. Liegt der Tatbestand des § 113 (oder § 117) vor, so ist § 17 Nr. 1 des Preuß. Feldpolg. v. 1.4. 1880 nicht anwendbar, RGSt. 38 69. 17. Der Entw. hat die §§ 113, 114 zusammengeworfen, beschränkt den Schutz nicht mehr auf Bollstreckungsbeamte, hebt die Forst- und Jagdbeamten nicht mehr besonders hervor und macht, wie schon A. 15 bemerkt, die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung zu einem vom Borsatz des Täters zu umfassenden Tatbestandsmerkmal, jedoch unter beson­ derer Berücksichttgung des Irrtums. §§ 184—188. 114. Wer es unternimmt, dnrch Gewalt oder Drohung eine Behörde oder einen Beamten zur Bornahme oder Unterlassung einer Amtshandlung zu nötigen, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Sind mildernde llmstande vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bis zu eiuhuuderttausend Marl ein. E. 19 5 184 Abs. 1.

1. In § 114 wird die Beamtemrötignng unter Strafe gestellt; während aber § 113 nur die Bollstreckungsbeamten und die ihnen dort gleichgestellten Personen schützt, bezieht sich § 114 auf alle Beamten, die unter § 359 fallen, und schützt außerdem auch die Behörden. Zu den Beamten i. S. des § 114 gehören demnach auch die berufsmäßigen Mi­ litärpersonen, die, soweit das Sttafgesetz die Beamten schützt, als Beamte i. S. des § 359 zu erachten sind, RGSt. 20 268, 23 17, 29 18. Als Behörde bezeichnet man in der Regel jedes (unmittelbare oder mittelbare) Organ der Staatsgewalt, das dazu berufen ist, unter öffentticher Autorität nach eigenem Ermessen für die Herbeiführung der Zwecke des Staates tätig zu sein. Diese Begriffsbestimmung

würde aber nahezu auf jeden einzelnen Beamten zutreffen; was die Behörde vom ein­ zelnen Beamten unterscheidet, ist, daß der Begriff der Behörde nicht bloß eine selbständige Wirksamkeit des Beamten, sondern eine selbständige, durch Recht und Berfassung dauernd geregelte Organisation des Amtes voraussetzt. Diese braucht nicht eine kollegiale zu sein: sie kann sich auch in der bureaukratischen Form eines einzelnen Beamten darstellen; immer­ hin muß aber das Amt als solches in einer bestimmt geregelten Gliederung ein organischer Bestandtell der Amts- und Behördenverfassung sein. Ein Einzelbeamter wird nicht schon dadurch zur Behörde, daß er zu selbständiger, die Zwecke des Staates fördernder Wirk­ samkeit berufen ist, sondern es muß sein Amt als solches durch den Staatswülen als dau­ erndes Subjekt staatlicher Hoheitsrechte und Pflichten anerkannt und organisiert sein. Keine Behörde ist denkbar ohne eine solche Organisation des Amtes, der Amtsstelle, welche dieselbe in den allgemeinen Organismus der Behörden in der Weise einfügt, daß der Be­ stand der Amtsstelle unabhängig ist von der Existenz, dem Wegfalle, dem Wechsel des Be­ amten als der physischen Person, welcher die Besorgung der in den Kreis des Amtes fal­ lenden Geschäfte anvertraut ist. Von dieser im Beschluß der Verein. Sen. v. 14. li. 1888 RGSt. 18 250 festgelegten Begriffsbestimmung ausgehend, wurden u. a. als Behörden erachtet: ein Schöffengericht RGSt. 19 260, ein Gewerbegericht als Einigungsamt GA. 52 394, der Vorstand und das Ehrengericht einer Anwaltskammer RGSt. 47 394, der Magistrat, der Gemeinderat, die Verwaltung einer städtischen Sparkasse Rspr. 4 135, 1 770, RGSt. 6 247, 39 391, ein bayr. Distriktsrat RGSt. 40 161, das Preuß. Herolds­ amt RGSt. 43 35, die Preuß. Oberförstereien RGSt. 41 442, die Organe Preuß, und mecklenb. Universitäten RGSt. 17 208, ein mit Disziplinargewalt ausgestatteter Bataillons­ kommandeur GA. 55 112, der militärische Gerichtsherr RMG. 7 296, 13 286, 15 269. Dagegen wurde die Behördeneigenschaft abgesprochen dem Preuß. Notar RGSt. 18 246, dem Vorstand einer Ortskrankenkasse RGSt. 38 17, dem Kommandanten einer braunschweig. Gendarmeriestation RGSt. 38 383 u. a. Als Telle einer Behörde wurden erachtet: die Berliner Polizeireviere RGSt. 38 20, 39 358, die Dresdener Polizeibezirks­ wachen RGSt. 32 95. Rein kirchliche B ehörden scheiden aus dem Begriffe der Behörde aus RGSt. 47 49 (bett, den kathol. Bischof von Eimland). Der Arbeiter­ und Soldatenrat kann keine Behörde einsetzen, RGSt. 54 149. 2. Die Handlung besteht in der unternommenen Nötigung zum Vollzug oder zur Unterlassung einer Amtshandlung. Wegen Unternehme« vgl. § 82 A. 1 (Vollendung und Versuch, jedoch nicht vorbereitende Handlung). Die herrschende Lehre nimmt an, daß §113 die Freiheit der Willensbetätigung, §114 die Freiheit der Willensentschließung schützen soll; daraus ergibt sich, daß im Falle des § 113 mit der Wlllensbetätigung, dort der Bollstreckungshanhlung, bereits begonnen sein muß und daß dieselbe noch nicht vollendet sein darf, dagegen hat § 114 eine in der Zukunft liegende Entschließung der Behörde im Auge, die herbeigeführt oder verhindert werden soll, RGSt. 3 339, 20 35, 31 3, 41 89, Rspr. 9 525, 10 179; vgl. jedoch A. 5 über die Verhinderung der Fortsetzung der Amtshandlung. Gegenüber einer bereits entschlossenen Behörde kann § 114 nur noch insoweit in Betracht kommen, als die Nötigung darauf gerichtet wird, die Amtshandlung zu anderer Zeit oder auf andere Weise zur Ausführung zu bringen. RStige« bedeutet Versetzen in eine Notlage, die die Behörde oder den Beamten zur Vornahme oder Unterlassung einer Amtshandlung veranlaßt, oder im Falle des vom Unternehmen umfaßten Versuchs veranlassen soll. Nicht erforderlich ist, daß der Zweck erreicht wird, daß tatsächlich eine Wlllensbeeinflussung stattfindet RG.St. 42 266 und RG. III 445/20 v. 8. 5. 20, V 580/19 V. 10. 2. 20, LZ. 20 770. Mittel der Nötigung sind Gewalt oder Drohung, hinsichllich deren alternative Fest­ stellung zulässig ist, Olsh. 3. Wegen Gewalt vgl. § 113 A. 7 a. Ob unter Gewalt, die auch mittelbar gegen die Behörde usw. gerichtet sein kann, bei Nöttgung zur Vornahme einer Amtshandlung nur vis compulsiva zu verstehen ist, ist bestritten, praktisch ziemlich unerheblich. Bei Nöttgung zur Unterlassung ist jedenfalls auch vis absoluta denkbar. Vgl. Olsh. 3 a, Schwartz 3, Meyer-Allf. 641 (diese beiden uneingeschränkt). Im Gegensatz zu § 113 wird hier nicht Drohung mit Gewalt verlangt, vielmehr ge­ nügt Drohung mit irgend einem Übel, selbst mit einem solchen, dessen Zufügung erlaubt ist, RGSt. 20 35, 55 38 und RG. III 305/20 v. 8. 5. 20, aber es muß immer ein wirkliches Übel angedroht sein, durch dessen Androhung nach der Auffassung des An-

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2. Teil.

6. Abschnitt.

kündigenden der Bedrohte in eine seine freie MÜensbestimmung beschränkende Besorgnis, das Übel erdulden zu müssen, versetzt wird, RGSt. 39 266. Dabei muß das angedrohte Übel auch äußerlich, nicht nur nach der Meinung des Täters, geeignet sein, diese Wirkung hervorzurufen, wie RGSt. 39 268 besonders betont wird, und auch früher schon in gleicher Weise angenommen wurde, GA. 38 352, Urt. d. 3. Stfs. v. 23. 5. und 15. 6. 03 III1328/03, 1694/03 und ein neueres Urt. dess. Senats v. 13.4.1916, LZ. 1916 1036 und v. 15.5.1916 III 137/16. Die Heranziehung des objektiven Umstandes des Geeignetseins könnte, da § 114 auch die Versuchshandlungen umfaßt, bedenklich erscheinen, läßt sich aber wohl damit rechtfertigen, daß hier der Versuch der Vollendung gleichgestellt ist. Vgl. aber Urt. d. 5. Stfs. v. 8. 10. 07 V, 483/07, wonach es genügt, daß die in Aussicht gestellte Maßregel nach der Vorstellung des Täters geeignet war, bestimmend einzuwirken. Als ein Übel i. S. der erwähnten Rechtsprechung kann sich auch die Beschwerde gegen einen Beamten darstellen, den Nachweis vorausgesetzt, daß mit der Beschwerdeführung nicht nur die Her­ beiführung einer abändernden Anordnung aus sachlichen Gründen bezweckt wird, sondern daß daraus für den Beamten selbst Nachteile erwachsen können, RGSt. 39 268, 46 106, GA. 50 291. RG. II200/21 v. 19. 4.21, RGSt. 56 46. Ebenso liegt in der Androhung einer Regreßklage nicht ohne weiteres die Drohung mit einem Übel, zumal wenn der Täter die Klage für begründet hält. Urt. d. 3. Stfs. v. 13. 4. 1916 LZ. 1916 S. 1036. Die Drohung braucht nicht unmittelbar gegen den Bedrohten gerichtet zu sein, es muß aber wenigstens mittelbar die Ankündigung eines Übels auch für den Bedrohten selbst in Frage kommen und gewollt sein. Es muß mit der Drohung ein Zwang auf die Willens­ bestimmung beabsichtigt sein. Eine bloße aufdringliche und belästigende Form eines auf Vornahme einer Amtshandlung gerichteten Antrags genügt so wenig, wie ein Hinweis auf etwaige Folgen und Maßnahmen, der nur darauf berechnet ist, die freie Entschließung des Beamten aus sachlichen Erwägungen in einem dem Täter günstigen Sinne zu beein­ flussen, Rspr. 3 317, 6 358, Urt. d. 3. Stfs. v. 8. 6. 03, III 1675/03. Vgl. auch die Urteile des 5. Stfs. v. 28. 12. 09, V 894/09 (Drohung mit Anzeige wegen Partellichkeit) und v. 12. 1. 1912 V 996/11 (Einschüchterungsversuch: „Warten Sie, ich kriege Sie doch noch einmal") und Urt. d. 3. Stfs. v. 17. 12. 1914, III 945/14 (Drohung mit Veröffentlichung in der Presse in einer Weise, die das Ansehen des Beamten zu beeinträchtigen geeignet ist), RGSt. 39 266 (Drohung mit Besprechung im Reichstag). Nach RGSt. 46 106 und RGSt. 55 37 (Polizeibeamte drohen den Vorgesetzten mit Streik) brauchen die angedrohten Nachteile keine persönlichen zu sein, auch solche genügen, die das Wohl und die Sicherheit der Allgemeinheit treffen würden, sofern die Wahrung dieser Interessen der bedrohten Behörde usw. besonders obliegt oder sie durch deren Gefährdung in ihrer Amtstätigkeit benachteiligt würde; vgl. hierzu Galli DIZ. 1913 783 und GA. 61 212. Das Übel braucht nicht als unmittelbar bevorstehendes in Aussicht gestellt zu werden, RGSt. 34 206, woselbst aber als nötig erklärt wird, daß ein Zusammenhang der Drohung mit einer konkreten Amts­ handlung des Bedrohten erkennbar vorliegt; der Dolus des Drohenden darf sich nicht auf das Bewußtsein von der abstrakten Möglichkeit der Vornahme einer gewissen Amts­ handlung durch den Bedrohten, deren Unterlassung herbeigeführt werden soll, beschränken. Über den Unterschied zwischen Warnung und Drohung vgl. RGSt. 54 236. Drohung mit Ausstand kann genügen RG. I 744/20 v. 13. 12. 20. 3. Zur Vornahme oder Unterlassung einer Amtshandlung muß zu nötigen unter­ nommen worden sein. Amtshandlung ist nach RGSt. 18350 eine Handlung, welche innerhalb der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit des Beamten und vermöge derselben vorzunehmen ist; RG. V 580/19 v. 10. 2. 20, LZ. 20 770, daher gehört die Nötigung zu einer Handlung, die der Beamte nicht als solcher, sondern nur in Ausübung einer allgemeinen Bürgerpflicht vorzunehmen hat (z. B. Zeugnisablegung) nicht hierher. Auf die Art der erzwungenen Amtshandlung kommt vorbehaltlich natürlich des Rechtes der Notwehr nichts an, sie kann rechtmäßig oder unrechtmäßig sein, wofern nur für ihre Vornahme der Beamte sachlich und örtlich zuständig ist, RGSt. 54 113, es kann auch eine Handlung in Frage kommen, deren Vor­ nahme dem Beamten gesetzlich obliegt, mindestens vom Täter dafür gehalten wird, Rspr. 1772, Ann. 1 30, Urt. d. 3. Stfs. v. 17. 12. 1914, UI 945/14. Der Glaube an einen rechtlich be­ gründeten Anspruch auf Vornahme der Handlung schützt den Täter ebensowenig vor Strafe, wie die irrtümliche Annahme, die Unterlassung einer zukünftigen Amtshandlung dürfe erzwungen werden, weil diese unrechtmäßig sei: die Strafbarkeit liegt bei § 114 in der

Wahl des Mittels der Gewalt oder Drohung, durch das ein Zwang auf die Willensbestim­ mung ausgeübt werden soll, litt d. 3. Stfs. v. 4. 5. 05, III 6056/04 und 7. 2. 1910, III 1037/09, ferner des 5. Stfs. v. 17. 6.1910, V 390/10, vgl. Mayer BDB. 1 462 („bet Weg ist verboten, nicht das Ziel"). Die Tätigkeit eines Beamten vexiert nicht dadurch den Cha­

rakter der Amtshandlung, daß der Staat bei Unternehmungen wirtschaftlicher Art (Berg­ werken, Eisenbahnen usw.) im öffentlichen Interesse Erwerbszwecke verfolgt, vorausgesetzt, daß die Dienstleistungen aus der Staatsgewalt abzuleitende, den Staatszwecken dienende sind; anders, wenn es sich nur um die Durchführung eines Privatrechtsanspruchs des Staates handelt, RGSt. 40 215, Urt. d. 3. Stfs. v. 22. 6. 1914, LZ. 1915 141. Bgl. auch GA. 58 191. Die Amtshandlung hört auch nicht deshalb auf, eine solche zu sein, well dem Beamten die örlliche Zuständigkeit fehlt, sie wird damit nur unter Umständen zu einer unrechtmäßigen, was für § 114 gleichgiltig ist. So (im Gegensatz zu RGSt. 18 350) Olsh. L Abs. 2, Mayer BDB. 1434, BindingLehrb. 2 755. Selbst bei Überschreitung der sachlichen Zuständigkeit kann der Charakter der Amtshandlung noch gewahrt werden, Urt. d. 3. Stfs. v. 16. 6. 1910, GA. 58 191 (irrtümlicher Betrieb der Durchsetzung eines Zivllrechtsanspruchs im Verwaltungswege). Amtsniederlegung ist nicht unter allen Umständen Amts­ handlung, wohl aber dann, wenn sie erzwungen wird, damit der Beamte gewisse amtliche Drohungen unterläßt; RG. I 68/20 v. 29. 3. 20, LZ. 20 830 und RGSt. 56 22. 4. Innerer Tatbestand. Der Täter muß sich bewußt sein, auf den freien Wlllen eines Organs der Staatsgewalt einzuwirken, in dem Glauben, daß das von ihm gewählte, im Strafgesetze verbotene Mittel für Erreichung seines Zweckes geeignet sei, GA. 42 404, Urt. d. 3. Stfs. v. 7.2.1910, III1037/09. Der irrige Glaube, der Obrigkeit gegenüber zur N o t wehr oder Selbsthilfe berechtigt zu sein, schützt nicht vor Strafe, RGSt. 22 300, 25 150, Urt. d. 5. Stfs. v. 17. 6. 1910, V 390/10, ebensowenig der Glaube, nicht gegen § 114 zu verstoßen, weil man mit erlaubten Maßregeln (z. B. Streik) drohe, RGSt. 55 37, ferner RG. I 41/21 v. 19. 9. 21 (Glaube zur Selbsthilfe berechtigt zu sein). Im übrigen vgl. § 113 A. 15.

5.

Zusammentreffen mit anderen strafbare« Handlungen.

a) Zu § 113. Diesem gegenüber ist § 114 das allgemeine Gesetz. Allgemeiner nach jeder Richtung: § 114 schützt alle Beamte, § 113 nur die Bollstreckungsbeamten und die ihnen gleichgestellten Personen, § 113 betrifft nur Bollstreckungshandlungen, §114 alle Amtshandlungen, § 113 bezieht sich nur auf die Amtshandlung hemmende, § 114 auch auf die sie herbeiführende Tätigkeit, § 113 verlangt als Mittel Gewalt oder Bedrohung mit Gewalt, § 114 begnügt sich mit der Androhung irgend eines Übels, § 113 setzt voraus, daß die Bollstreckungshandlung schon begonnen hat und noch nicht vollendet ist, § 114 ist an diese Zeitgrenze nicht gebunden, er betrifft im Gegenteil in den meisten Fällen erst die bevorstehende Amtshandlung, da er nicht wie § 113 die freie Willens­ betätigung, sondern die (zukünftige) freie Willensentschließung des Beamten schützen soll. Irrtümlich aber wäre es, aus letzterem Umstande schließen zu wollen, daß § 114 nur auf Fälle der erst zukünftigen, nicht auch der schon begonnenen Amtshandlung An­ wendung finden könnte; dies trifft keineswegs zu; mindestens in den Fällen, in denen es sich um Nötigung eines Beamten zur Unterlassung der Fortsetzung einer begonnenen Amtshandlung handelt, kann und muß § 114 unbedenklich angewendet werden, sollen nicht solche Amtshandlungen überhaupt ohne Schutz bleiben, Olsh. 5, Frank 1 (gewaltsame Entfernung des plaidierenden Staatsanwalts aus der Sitzung), dXayer BDB. 1 456 A. 3, 463, Berlin 6. 6. 1876, GA. 24 531. Andernfalls gelangt man zu der ganz unhaltbaren Folgerung, die Dresden 5. 6. 1912 SächsA. 1914 444 gezogen hat, daß der Beamte, der nach Beginn einer Amtshandlung gezwungen wird, deren Fortsetzung zu unterlassen, schutzlos ist, wenn es sich nicht um einen Boll­ streckungsbeamten handelt und der Widerstand durch Gewalt oder Bedrohung mit Ge­ walt geleistet wird. Richtet sich der Widerstand gegen einen Vollstreckungsbeamten vor Beginn der Amtshandlung, so trifft § 114 zu, RGSt. 20 35. Aus obigem ergibt sich, daß die §§ 113, 114 zu einander nicht im Verhältnis der Ideal-, sondern der Gesetzes­ konkurrenz stehen, derart daß, wo der engere Tatbestand des § 113 gegeben ist, nur diese gegenüber dem § 114 mildere Strafbestimmung zur Anwendung kommt, RGSt. 3 334, 4 143, 20 35, 34 113. Bgl. Mayer BDB. 1 463, Olsh. 7 a. Der § 114 kann daher bei Bollstreckungsbeamten nur in Frage kommen, wenn die Amtshandlung noch nicht

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2. Teil.

6. Abschnitt.

begonnen oder wenn sie bereits beendigt war, als auf den Beamten durch Gewalt oder Drohung eingewirkt wurde, RGSt. 3 335. b) Jdealkonkurrenz mit Nötigung (§ 240) ist ausgeschlossen, RGSt. 31 3. c) Bgl. noch MStGV. § M Abs. 1 und 881*3,1*4 SecmO. Näheres hierzu Mayer BDB. 1 405 ff.

115. Wer an einer öffentlichen Zusammenrottung, bei welcher eine

der in den §§ 113 und 114 bezeichneten Handlungen mit vereinten Kräften begangen wird, teilnimmt, wird wegen AnfrnhrS mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft. Die Rädelsführer, sowie diejenigen Anfrührer, welche eine der in den §§ 113 und 114 bezeichneten Handlungen begehen, werden mit Zuchthaus

bis zu zehn Zohren bestraft; auch kam» auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis­ strafe nicht nnter sechs Monaten ein. C. 19 $ 209.

1. In § 115 wird der Aufruhr unter Strafe gestellt, die Teünahme an einer öffent­ lichen Zusammenrottung, bei welcher eine der in den §§ 113 und 114 bezeichneten Hand­ lungen mit vereinigten Kräften begangen wird. Strafbar ist also nach Abs. 1 schon jeder, der an der Zusammenrottung teilnimmt (vgl. A. 4), ohne Rücksicht, ob er an einer der straf­ baren Handlungen nach §§ 113,114 beteiligt ist. Trifft letzteres zu oder ist jemand Rädels­ führer (vgl. A. 6 a), so tritt die schwerere Sttafe des Abs. 2 ein. Eine besondere Bestrafung aus §§ 113, 114 tritt nicht ein und alternattve Fragestellung bezüglich §§ 113, 114 ist zu­ lässig, RGSt. 54 323. L. Eine Zusammenrottung wird verlangt. Der Begriff steht nicht fest. Frank II be­ zeichnet Zusammenrottung als ein zu gemeinschaftlichem rechtswidrigen Handeln erfol­ gendes räumliches Zusammentreten oder Zusammenhalten mehrerer Personen berart, daß sie nach außen als eine vereinte Macht erkennbar sind. Dieser Begriffsbestimmung ist beizutteten und es besteht kein Bedürfnis, sie dahin einzuengen, daß die Rechtswidrigkeit des Handelns äußerlich erkennbar sein muß, wie es das RMG. 5 57 und das RG. IV 517/07 v. 11. 10.07 und RGSt. 53 305 und Olsh. la tun. Mayer BDB. 1 469 ff. legt besonderen Wert darauf, daß zu der räumlichen Bereinigung der Wille komme, als geschlossene Macht aufzutteten und kommt infolgedessen zu der Begriffsbestimmung: Zusammenrottung ist die Bereinigung unbestimmt vieler Personen zu einer Menschenmenge, die den Wülen hat, als geschlossene Macht aufzutteten. Bgl. dagegen Frank II, 1 und zum Begriff Binding Lehrb. 2 805, Hippel BDB. 2 7. Unbestritten erfordert die Zusammenrottung sowohl hier als in § 122 ein räumliches Zusammentreten oder Zusammensein, für § 115 ist dies selbst­ verständlich, aber auch für § 122 zu fordern; so lange die Gefangenen in ihren Zellen räumlich getrennt sind, kann von einer Zusammenrottung keine Rede sein, RGSt. 2 80, 3 1,15 217, 50 86, GA. 54 478, 56 86. Erfordert wird weiter eine Mehrheitvon Personen. Das RMG. 3 128 und mit ihm Olsh. 2 (wohl auch RGSt. 2 80) erachten schon zwei Per­ sonen für genügend. Hiergegen Binding Lehrb. 2 805, Liszt 418, Mayer BDB. 1 470 A. 4, der jedoch zu weit geht, indem er eine „Menschenmenge" erfordert. Die Frage nach der erforderlichen Zahl von Menschen kann allgemein und ziffernmäßig nicht beantwortet werden; entscheidend erscheint, ob im einzelnen Falle gerade durch die Größe der Personenzahl eine Gefahr für die öffentliche Ordnung erwächst, Frank II, 1 und im Endergebnis auch Olsh. 2 . vgl. auch Hälschner 2 826. Nicht erforderlich ist, daß die Mehrheit von Menschen von An sang an zu dem Zwecke zusammengetreten ist, um eine der in §§ 113,114 bezeichneten Hand lungen zu begehen; auch eine nur zufällig zusammengekommene Mehrheit von Personen, ein Auflauf i. S. des § 116, kann zu einer Zusammenrottung werden, wenn die Zusammen­ gekommenen in dem Bewußtsein zusammenbleiben, es handle sich um die Berübung einer jener Sttastaten, GA. 4142, RGSt. 52 119 (zu § 125). Eine auf Anordnung des Soldaten­ rats versammelte Sicherheitswehr kann eine Zusammenrottung sein, GA. 69 97. 3. Die Zusammenrottung muß eine -fferttliche sein. Dies ist sie nicht schon dann, wenn sie auf einem öffenttichen Platze stattfindet oder von beliebig vielen Personen wahr-

genommen werden kann, sondern nur dann, wenn die den Teilnehmern bewußte Mög­ lichkeit der Beteüigung beliebig vieler, nicht bestimmter Personen gegeben ist, RGSt. 20 298, RMG. 5 57, GA. 41 42, was aber auch bei einer auf einem nicht öffenüichen Platze stattfindenden Zusammenrottung der Fall sein kann, RGSt. 21 370. Tas Merkmal der Offent-lichkeit wird nicht notwendig dadurch ausgeschlossen, daß die Zusammen­ rottung sich auf die Arbeiterschaft eines einzelnen gewerblichen Betriebs beschrankt (Lauta werk), RGSt. 54 89, wo auch nachgewiesen wird, daß die Entscheidung GA. 41 42 nicht entgegensteht. 4. Strafbar ist nach Abs. 1 schon die Teilnahme an der Zusammenrottung, wobei jedoch Tellnahme hier nicht im technisch straftechllichen Sinne zu verstehen ist. Teilnehmer ist jeder, der sich vorsätzlich unb mit Kenntnis von dem strafbaren Zweck der Zusammen­ rottung der zusammengerotteten Mehrhett von Personen anschließt oder mit dem Bewußt­ sein, sich in einer solchen Menge zu befinden, den Willen verbindet, als Tell dieser Menge in ihr zu verbleiben, RGSt. 5 377,9 370,20 403,405,36 174, RMG. 5 57. Spezielle Kennt­ nis des verfolgten Zwecks ist nicht erforderlich, auch nicht, daß der einzelne selbst einen rechts­ widrigen Zweck verfolgt, wohl aber muß er wissen, daß andere dies tun, urrd daß er durch seinen Anschluß die Erreichung des rechtswidrigen Zweckes fördett, desgl. daß es zu einer der Handlungen nach §§ 113, 114, nicht zu irgend welcher anderen unerlaubten Handlung kommen werde, Rspr. 2 150, Frank II3, Mayer BDB. 1 472. Auch wer sich nur aus Neu­ gierde angeschlossen hat, kann Teünehmer sein, wenn er nach Kenntnisnahme des Zwecks der Zusammenrottung in ihr verbleibt. 5. Die Tellnahme an der Zusammenrottung ist nur dann strafbar, wem» bei der Zu-

sammeurottuug eine der m den §§ 113, 114 bezeichnete« Handlungen mit vereinten Kräfte« begangen wird. Soweit § 117 nur eine Schärfung des § 113 darstellt, fällt er unter das Zitat des $ 113, Olsh. 3. Bei der Zusammenrottung bedeutet nicht, wie Mayer BDB. 1 471 annimmt, nur gelegentlich der Zusammenrottung, sondern die Hand^ lung muß infolge der Zusammenrottung begangen sein und gerade dadurch deren Gefährlichkeit erweisen, die Zusammengekommenen müssen das Bewußtsein haben, daß die Verübung einer jener Straftaten in Frage steht und den gemeinsamen Willen, daß solche Sttaftaten verübt werden^ dagegen ist nicht erforderlich, daß jeder einzelne selbst eine solche Handlung begehen wlll, Berlin, 24. 5. 1876, StengleinZ. 6 184, Dresden, 4. 1. 1875, StengleinZ. 5 282; auch nicht, daß mehrere zu gleicher Zeit dieselbe Handlung begangen haben, RG. 52 119. Ebenso Olsh. 3 a und die dort Genannten. Mit «erehrten Kräfte« muß die Widerstandshandlung begangen werden. Die Bedeutung dieses Tat­ bestandsmerkmals ist bestritten. Während Frank II 4, Freudenthal, die notwendige Tell­ nahme S. 136 Mittäterschaft von mindestens zwei Personen verlangen, fordert Mayer BDB. 1 471 wenigstens Täterhandlungen von mindestens zwei Personen, wenn auch ohne bewußt gewolltes Zusammenwirken; auch Schwartz 3 verlangt Tätigwerden mehrerer Personen, die aber auch im Verhältnis vom Täter und Gehllfen stehen können, ähnlich Olsh. 3 c, der aber noch weiter geht und mit RGSt. 20 304, 30 392, 36 174 annimmt, daß eine Betelligung mehrerer straftechtlich verantwortlicher Personen an den Widerstands­ handlungen nicht erforderlich sei; so wird denn auch RGSt. 30 392 die einzelne Gewalt tätigkeit eines einzelnen Teilnehmers an der Zusammenrottung als die Tat der zusammen­ gerotteten Menge angesehen, wenn die übrigen die Begehung einer solchen Tat in den Kreis chrer Vorstellungen vom Verlauf der Sache mit ausgenommen urrd durch chre Be telligung bewußterweise zur Ausführung gebracht haben. Ebenso wird RGSt. 20 304 be­ merkt, es genüge, wenn nur einzelne von der Menschenmenge die bett. Handlungen ausgefühtt haben und es sei auch keineswegs nötig, daß jede einzelne Gewalttättgkeit von einer Mehrheit von Personen ausgegangen sei. Letzteres ist ohne Zweifel richttg und schon deshalb die Forderung der Mittäterschaft oder auch nur der Täterhandlungen mehrerer zu weit gehend; werden aus der Menge heraus von einzelnen von verschiedenen Seiten Steine nach den Beamten geworfen, so ist ohne Zweifel der Tatbestand gegeben, desgl. aber auch, wenn nur einer einen Stein wirft, den ihm ein anderer als Gehllfe zugereicht hat; auch, hier liegt noch ein Handeln mit „vereinten Kräften" vor. Die wellergehende Auffassung der reichsgerichllichen Rechtsprechung entspricht wohl am besten dem Zwecke des Gesetzes; doch erscheint die Begründung tellweise nicht unbedenllich; kann man wirklich sagen, daß in dem bloßen Aufnehmen in die Vorstellung (dem Billigen), verbunden mit dem Dabei-

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2. Teil.

6. Abschnitt.

stehen, ein bewußtes Zurausführungbringen liegt, wie es RGSt. 30 392, 36 174 geschieht? Bgl. Schwartz 3 Abs. 3.

6. Nach Abs. 2 werden strenger bestraft 319. Gemeint sind in § 131 nur ttüSN-ifche Staatseinrichtungen, diese aber ohne Rücksicht, ob sie solche des Reichs oder eines eirrzelnen Larrdes sind, Bestrafung tritt deshalb auch dann ein, wenn der Täter Einrichtungen eines anderen Landes verächllich zu machen sucht als dessen, in dem er die Tat begeht oder in dem er wohnt oder dessen An­ gehöriger er ist, RGSt. 21 395. Die Staatseinrichtungen als solche müssen durch die verleumderischen Behauptungen angegriffen werden; eine Beschuldigung der Staatsver­ waltungsorgane trifft nicht die mtt diesen keineswegs identtschen Staatseinrichtungen als solche, RGSt. 30 265; bilden daher den Gegenstand des Angriffs nur einzelne Maßnahmen oder Beschlüsse einer Behörde oder Staatseinrichtung (z. B. des Reichstags), so kann unter Umständen Beleidigung vorliegen, der Tatbestand des $ 131 ist aber nicht gegeben, RGSt. 20 319/20, woselbst auch bemerkt wird, daß die R e g i e r u n g , sofern damtt ein abstrakter

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2. Teil.

7. Abschnitt.

Begriff bezeichnet wird, nicht als Staatseinrichtung im Sinne des § 131 gelten kann, wohl aber hat RGSt. 30 267 den Staat selbst, die Staatseinrichtungen in ihrer Gesamchett, als Staatseinrichtung bezeichnet. Dagegen Frank IV 2, BindingLehrb. 2 875. 7. Auordrmrrgeir der Obrigkeit. Sie umfassen auch Akte der Gesetzgebungsgewalt, RGSI. 21 394, bestritten von BindingLehrb. 2 873, der aber im Gegensatze zu RüdorffStenglein 7 und Schwartz 8 richterliche Akte hierher rechnet, soweit sie wie Zeugenladungen, Sitzungspolizei usw. eine Gehorsamspflicht auslösen. Ob eine Anordnung sich auf einen bestimmten Einzelfall bezieht urrd diesen für die Gegenwart ordnet, oder ob sie sich als ge­ nerelle, ein bestimmtes Gebiet beherrschende Regel darstellt, ist gleichgültig, RGSt. 4 299; es muß sich aber immer um Anordnungen handeln, die irgend einen in das öffenüiche Leben hinausgreifenden autoritativen Charakter haben, nicht nur behördliche Anweisungen für den inneren dienstlichen Geschäftsverkehr sind, RGSt. 23 151. In RGSt. 16 369 wird zwar abgelehnt, daß unter § 131 nur solche Anordnungen fallen, die in einer für die Regierten verbindlichen Weise erlassen und noch zur Zeit wirksam und verbindlich seien, nicht aber schon ihre volle Wirkung getan haben und zum Abschluß gekommen seien, andererseits aber anerkannt, daß solche Anordnungen ausscheiden, welche weder vom Kundgebenden in Beziehung zu der zur Zeit der Tat bestehenden Regierungsgewalt gesetzt sind, noch zu ihr in solcher Beziehung stehen, daß in der Kundgebung ein Angriff gegen dieselbe ge­ funden werden kann, denen also lediglich eine geschichtliche Bedeutung zukommt. Bloße Unterlassungen fallen nicht unter den Begriff der Anordnungen, wenn nicht bestimmte positive Maßnahmen mit den behaupteten Unterlassungen derart in Zu­ sammenhang stehen, daß sie durch die Kritik der Unterlassungen zugleich mit getroffen werden, RGSt. 30 266. Bestrafung aus § 131 greift auch dann nicht Platz, wenn der Erlaß oder das Bestehen einer erdichteten Anordnung mit dem Bewußtsein der Unwahrheit behauptet wird, um die Stelle, von der sie angeblich ausgegangen ist, verächtlich zu machen, RGSt. 30 266. Nur Anordnungen der inländischen Obrigkeit des Reichs oder der Länder kommen in Frage. Vgl. A. 5. Bestritten ist, ob die obrigkeitlichen Anordnungen rechtsgültig sein müssen; wohl mit Recht verneint von Olsh. 9 b, Frank IV b, dagegen bejaht von BindingLehrb. 2 872, Oppenhoff-Delius 18, Schwartz 1 c, Hippel VDB. 2 77 A. 1. 8. Tie Absicht muß dahin gehen, die Staatseinrichtungen usw. verächtlich zu machen, sie in ihrem sitttichen Werte anzugreifen, sie als aus sittlich verwerflichen Mottven hervor­ gegangen oder zu sittlich verwerflichen Zwecken dienend oder bestimmt hinzustellen, RGSt. 1 161, GA. 35 126; dagegen BindingLehrb. 2 872/73, der jede Bezugnahme auf die Sitt­ lichkeit verwirft und es für ausreichend hält, wenn die Staatseinrichtungen usw. als un­ vernünftig oder zweckwidrig hingestellt werden sollen. Geht die Absicht lediglich dahin, die Anordnung usw. zu beschimpfen oder dem Haß auszusetzen, so trifft — im Gegensatze zu der früheren Bestimmung des preuß. StGB. — § 131 nicht zu. 9. gvealkoukurreuz mit Beleidigung linsb. §§ 187, 196, 197) ist möglich, wenn die Tat sich gegen die Maßnahmen einzelner Beamter oder Beamtenkategorien und gleichzeittg gegen die Staatseinrichtungen oder Anordnungen selbst richtet, GA. 48 303, 22 584, Olsh. 1.

132. Wer unbefugt sich mit Ausübung eines öffentlichen Amtes befaßt oder eine Handlung vornimmt, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bis zu einhunderttaufend Mark bestraft. E. 19 $ 204.

1. Amtsanmaßung ist nur strafbar, wenn es sich um Anmaßung eines öffentlichen Amtes handelt. In den §§ 31,132 werden die Worte „öffentliches Amt" und „öffenüiche Ämter" nicht in dem weiteren Sinne gebraucht, in dem das öffentliche Amt dem Privat­ amt gegenübergestellt wird, vielmehr gilt als öffenlliches Amt nur diejenige Stellung, vermöge deren jemand dazu berufen ist, im Dienste des Reiches oder im unmittelbaren oder mittelbaren Dienste eines Landes als Organ der Staatsgewalt für die Durchführung der Zwecke des Staates tätig zu sein, wobei § 31 Abs. 2 den Begriff auf die Advokaten, die Anwaltschaft, das Notariat, den Geschworenen- und Schöffendienst ausdehnt. Die Ämter,

Berbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung. § 132.

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welche von Anstalten und Korporationen öffentlich-rechüicher Natur verliehen werden, insbesondere die kirchlichen Ämter find als öffentliche Ämter L S. des StGB, nicht anzusehen; Trauung nach jüdischem Ritus, Recht 05 1224. Hieran kann auch das Landes­ recht nichts ändern, das nur darüber entscheidet, ob ein bestimmtes Amt als (unmittelbares oder mittelbares) Staatsamt anzusehen ist, aber den Begriff des öffentlichen Amtes i. S. des StGB, nicht in anderer Weise als es da geschehen, bestimmen kann, RGSt. 10 200, 36 435,47 50. Bei den Kirchenämtern ist die Einschränkung zu machen, daß sie unter § 132 fallen, wenn die geistliche Amtshandlung zugleich eine stattliche Verrichtung darstellt, wie die Erteilung von Zeugnissen über Kirchenbucheinträge, RGSt. 29 241. Nach GA. 60 85 sind die Mitglieder eines nach dem GewGG. errichteten Gewerbegerichts Träger eines öffentlichen Amtes, während die nach GO. § 1312 gebildeten Prüfungsausschüsse als öffent­ liches Amt nicht bettachtet werden; ebensowenig findet § 132 Anwendung bei unbefugter Ausübung eines Gewerbes oder bei der Vornahme von Handlungen, die Konzession oder Approbation verlangen. RGSt. 17 291 betrifft den Auktionator, der unbefugt Immobilien versteigert, während (für Preußen) nach RGSt. 4 422 die von einem öffenllich bestellten Fleischbeschauer ausgeführte Trichinenschau als frost öffentlichen Amtes vorgenommen gilt, da es sich hier nicht nur um eine Bestellung nach § 36 GewO, im Interesse des Publikurns handelt, sondern der Fleischbeschauer als Organ des Staates in gesundheitspolizeilichem Interesse tätig wird. 2. Die Handlung kann eine doppelte sein: strafbar ist sowohl der, der unbefugt sich mit Ausübung eines öffentlichen Amtes befaßt, wie auch der, der unbefugt eine Handlung vornimmt, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf. Hierbei handelt es sich nicht um eine strafbare Handlung mit alternativ verschiedenen Modali­ täten des Tatbestandes, sondern um zwei verschiedene Tatbestände. Im Falle der ersten Atternative tritt der Täter als Beamter auf und handelt — unter Verleugnung seiner Eigen­ schaft als Privatperson — als solcher; er vollführt die Handlung vermöge der angemaßten Beamteneigenschast. Im zweiten Falle legt er seiner Person den Charakett des Beamten nicht bei, sondern verstößt nur dadurch gegen das Gesetz, daß er etwas tut, was nur ein Beamter tun darf. Beide Mischtatbestände können rechtlich oder sachlich zusammenttesfen und dürfen nicht meine Frage an die Geschworenen zusammengefaßt werden, RGSt. 32 86, 2293 RG. VI671/21 v.13.9.21. Vgl. auch Merkel B DB. 2 315. TerbloßeM ißbrauch des Beamtentitels fällt nur unter § 360 Nr. 8. 3. Täter kann in beiden Fällen des § 132 sowohl ein Nichtbeamter als ein Beamter sein, es handelt sich keineswegs um ein Amtsdelitt, weshalb auch Teilnahme, insbesondere auch in der Form der Mittäterschaft, unbeschräntt möglich ist. Mittäterschaft ist z. B. in der Weise denkbar, daß sich mehrere Personen gleichzeitig ein Amt anmaßen, indem jeder von chnen eine Handlung vornimmt, die nur Kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf, RGSt. 55 266. Der Beamte kann sich aus § 132 insbesondere dann strafbar machen, wenn er das Amt, das er ausübt, nicht oder nicht mehr hat, oder wenn er die Grenzen seiner Amisbefugnisse bewußt und ohne Befugnis derart überschreitet, daß diese Über­ schreitung den Charakter einer in den Kreis eines anderen Amtes einschlagenden Amts­ handlung annimmt, RGSt. 18 435, 37 57, Übergreifen des Gerichtsschreibers in die Be­ fugnisse des Richters, Recht 1914 2785. Überschreitet er dagegen nur die Grenzen seiner örllichen oder sachlichen Zuständigkeit, ohne in ein anderes Amt einzugreifen, so kommt nicht § 132, sondern unter Umständen § 339 zur Anwendung. Ein beurlaubter Beamter macht sich durch Ausübung seiner Amtstätigkeit nicht nach § 132 schuldig. 4. Im ersten Falle genügt es nicht, daß der Täter sich als Inhaber eines bestimmten Amtes ausgibt (hier kann § 360 Nr. 8 in Frage kommen), sondern er muß sich auch mit derAusübung oes ange maßten Amtes befaßt haben, er muß unter Vorspiegelung des Amtscharakters eine Handlung vorgenomnren haben, zu deren Vor­ nahme ein öffenlliches Amt die Befugnis gibt. Dabei ist es gleichgültig, ob der Sachver­ halt von dem Betroffenen durchschaut werden konnte oder nicht, LZ. 1915 142, ob die Formvorschriften der Amtshandlung erfüllt sind, RGSt. 23 207 (Zusendung eines nicht unter­ schriebenen Zahlungsbefehls unter Erweckung des Anscheins, als komme er vom Amts­ gericht, vgl. dazu BayZfR. 9 334), ob der Täter oder ein anderer zu der Handlung auch als Privatperson befugt sein würde (z. B. Festnahme nach § 127 StPO.), ob er seinem Amte einen Namen gibt, der zu der Handlung nicht paßt und der vielleicht nicht der Name

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2. TeÜ.

7. Abschnitt.

irgend eines wirklichen Amtes seines Landes ist, V 528/08 v. 13.10. 08, wenn nur die Hand­ lung zu denjenigen gehört, wozu in dem Lande ein wirkliches öffenüiches Amt die Befugnis gibt; aber auch in diesem Falle ist nicht erforderlich, daß die Handlung nur aus der Befugnis irgend eines öffenttichen Amtes entspringt, also einer Privatperson als solcher niemals zustehen könne; der Täter braucht den Namen und die Art des öffentlichen Amtes, das er sich beüegte, nicht genannt zu haben, V 462/09 v. 29. 6. 09, es genügt, wenn seine Hand­ lung zu denen zu rechnen ist, die der Zuständigkeit eines öffentlichen Amtes entsprechen, und wenn sein Verhalten ein solches war, daß daraus hervorging, er handle als Beamter, RGSt. 2 293 ff., GA. 56 68, 82, 60 436, StengleinZ. 4 119; auch darauf kommt es nicht an, ob die Handlung innerhalb der Zuständigkeit des angemaßten Amtes liegt, LZ. 1916 810. Handeln zum Scherz genügt, wenn der Scherz nicht erkennbar ist, Recht 1915 223. 5. Im zweiten Falle ist es nicht nötig, daß der Täter als Inhaber eines öffentlichen Amtes auftritt (RG. 167/21 v. 22.9.21), wohl aber wird eine Handlung vorausgesetzt, die an sich den Gegenstand der Ausübung eines öffentlichen Amtes bildet, sei es, daß ihre Bor­ nahme ausschließlich kraft eines öffentlichen Amtes erfolgen darf, Privatpersonen mithin schlechthin untersagt ist, oder, falls die Handlung zwar auch von solchen bewirkt werden kann, dies jedoch unter derartigen äußeren Umständen geschieht, daß ihre Vornahme sich als Amts­ handlung kennzeichnet und nach außen als unbefugte Wahrnehmung einer öffentlichen Amts­ tätigkeit sich darstellt. Der Täter verleugnet hier, im Gegensatze zu der ersten Begehungsform, seine Eigenschaft als Privatperso n in keiner Weise, vollführt aber die Tat mit dem erkenn­ baren Willen, seine Handlung an die Stelle einer Amtshandlung zu setzen; dementsprechend wurde die zweite Begehungsform als gegeben erachtet beim Schütteln einer Wahlurne, RGSt. 47 184, vgl. auch IV 339/13 v. 24. 6. 1913, Soergel 8 18; dagegen verneint bei einer im Einverständnis mit dem Schwörenden erfolgten außergerichtlichen Abnahme des Eides, RGSt. 34 288, ebenso bei Vornahme einer Scheinpfändung mit Einverständnis des Schuldners, SächsA. 1915 41. Das Borliegen der zweiten Begehungsform wurde bejaht, das der ersten verneint in einem Falle, in welchem ein nicht öffenttich bestellter Fleischbeschauer sich ausdrücklich in einen Gegensatz zum öffenttich bestellten gebracht mit) ein Zeugnis ausgestellt hatte über die von ihm vorgenommene mikroskopische Unter­ suchung geschlachteter Schweine zu dem Zwecke, um dadurch die gesetzliche Voraussetzung für den Verkauf herzustellen, also eine Handlung vorgenommen hatte, welche nur dem bestellten Fleischbeschauer zustand, RGSt. 4 424.

6. Der Täter muß im ersten wie im zweiten Falle unbefugt handeln, RG. III 1200/19 v. 15. 1. 20. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich nach der einschlägigen Reichs- und Landes­ gesetzgebung, Rspr. 1 406, 3 121. 7. Zum inneren Tatbestände gehört in beiden Fällen Vorsatz. Der Täter muß in beiden Fällen wissen, daß er keine Befugnis hat, außerdem im ersten, daß er sich mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes befasse, im zweiten, daß seine Handlung eine solche sei, die nur kraft eines öffenttichen Amtes vorgenornmen werden darf. Irrt er in dieser Richtung über staatsrechtliche Normen oder Befugnisse, so ist der Vorsatz ausgeschlossen, so z. B., wenn er glaubt, der zuständige Beamte könne ihn ermächtigen und habe ihn ermächttgt zur Vornahme der Amtshandlung, RGSt. 27 419, vgl. auch Rspr. 5 737. Ein über die unbefugte Amtsanmaßung oder Vornahme einer Amtshandlung hinausgehender Endzweck (z. B. ein Diebstahl, dessen Ausführung durch die Amtsanmaßung ermöglicht werden soll) schließt selbstredend den Vorsatz und die Bestrafung nach § 132 nicht aus. Vgl. aber Dresden 3. 8. 1874, StengleinZ. 5 157. Mit Recht weist Olsh. 6 darauf hin, daß bei Einmischung eines Beamten in ein anderes öffentliches Amt unter Überschreitung der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit das Bewußtsein, unbeftlgt zu handeln, häufig fehlen wird. 1S3. Wer eine Urkunde, em Register, Akten oder einen sonstigen Gegen­ stand, welche sich zur amtlichen Aufbewahrung an einem dazu bestimmte« Orte befinden, oder welche einem Beamten oder einem Dritten amtlich übergeben worden sind, vorsätzlich vernichtet, beiseite schafft oder beschädigt,

wird mit Gefängnis bestraft.

Berbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung.

§ 133.

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Ist die Handlung in gewinnsüchtiger Absicht begangen, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein; auch kann auf Verlust der bürgerliche« Ehrenrechte erkannt werden. E. 19 I 194.

1. In § 133, der infolge der zahlreichen Post- und Eisenbahndiebstähle in den letzten Jahren eine erhöhte Bedeutung gewonnen hat, wird der Vruch der amtliche« Verfügmrgsgewalt unter Sttafe gestellt, ähnlich wie in § 137 bet Bruch der staatlichen Herrschaftsgewalt. Über die innere Beziehung der Bestimmungen mit Rücksicht auf die Ähnlichkeit des geschützten Rechtsgutes vgl. Merkel BDB. 2 349 ff. Tie strafbare Handlung kann begangen werden an beweglichen (RGSt. 2 118) Gegenstände« jeglicher Art, RG. V 940/17 v. 2. 3.1918, LZ. 1918 928 und RGSt. 51 416, deren dauernde oder vorübergehende Aufbewahrung den Zwecken einer amtlichen Verfügungsgewalt dienen soll. Damit scheiden aus solche Gegenstände, die lediglich als Materialien verbraucht zu werden bestimmt sind (z. B. Schreibpapier), RGSt. 24 385, 33 414, Kohlen zur Heizung einer Lokomotive, RGSt. 51 226, desgleichen das zum Gebrauch bestimmte Amtsinventar, RG. 52 240; als zum Verbrauch der Behörde bestimmt wurden auch erachtet Tuchballen bei einem Bekleidungs­ amt, RG. IV 851/19 v. 16. 1. 20, LZ. 1920 660; Wein in einem Lazarett, RG. III 443/20 v. 11. 10. 20, dagegen nicht Eier bei einem Kriegsernährungsamt, RG. III 1007/20 vom 11. 11. 20, LZ. 1921 63. Nicht erforderlich ist, daß es sich um Gegenstände handelt, an deren Erhaltung ein öffentliches Interesse besteht, wenn dieser Gesichtspunkt auch in der Regel zutreffen wird; ob es sich aber um einen solchen Gegenstand handelt, braucht im einzelnen Falle nicht untersucht zu werden; der Umstand, daß eine Behörde einem Gegen­ stände ihre Fürsorge in erkennbarer Weise zugewendet hat, reicht aus, ihm den Schutz des Gesetzes, das die Auflehnung gegen die öffentliche Ordnung bestrafen will, angedeihen zu lassen, RGSt. 10 389. Aus der Hervorhebung der Urkunden, Register und Akten darf nicht geschlossen werden, daß auch die sonstigen Gegenstände den einzeln hervorgehobenen ähnlich sein, eine Beweiskraft in amllicher Beziehung haben müßten, Rspr. 6 593. Urkunde ist hier im weiteren Sinne gebraucht, vgl. § 92 A. 4, RGSt. 2 425, RMG. 6 14; a.M. Olsh. la; einzelne Fälle siehe Rspr. 6 613 (Bersteigerungsbekanntmachung eines Gerichtsvollziehers), GA. 60 424 lPostpaketadresse). Register fallen auch bann unter § 133, wenn sie nicht einmal im vorerwähnten weiteren Sinne Urkunden sind, RGSt. 7 258. Auch an einem dem Täter selbst gehörigen Gegenstände, ebenso wie an einem herrenlosen, kann das Vergehen nach § 133 begangen werden, da es gleichgültig ist, ob und in wessen Eigentum sich der Gegenstand befindet, RGSt. 47 393; auch auf den Wert der Gegenstände kommt nichts an, Recht 1916 2028 (Brotmarken).

2. Der Gegenstand muß sich zur amtlichen Aufbewahrung an einem dazu bestimmte« Otte befinden, er muß zur Zeit der Tat in amtlichem Gewahrsam sein. Ter Begriff „Amt" ist hier im Gegensatze zu § 132, wo nur ein „öffentliches" Amt in Frage kommt, in dem weiteren Sinne gemeint, den der Sprachgebrauch und das öffentliche Recht mit dem Worte „Amt" im allgemeinen verbindet. Hiernach unterfällt ihm die Verwaltung eines Kreises gewisser, das öffentliche Interesse angehender Geschäfte unter der Autorität des Staates oder unter der Autorität gewisser, ihm untergeordneter Korporationen, RGSt. 29 321, also auch kirchlicher. Bahnsendungen auf dem Güterboden fallen unter § 133, RG. III 559/17 v. 28. 1. 17, LZ. 1918 572; auch auf dem Güterboden einer Pri­ vatbahn, wenn deren Verwaltung die Besorgung von Geschäften übertragen ist, die dem Gesamtwohle dienen und bei denen der Staat oder ein Selbstverwaltungskörper Aufsicht und Verantwortung übernommen hat, RGSt. 29 321, 53 220; RG. III 672/20 v. 8. 7. 20; LZ. 1920 831, RG. II 6/19 v. 1. 4. 19. Tesgl. fällt der Bahn zur Aufbewah­ rung übergebenes Handgepäck unter § 133, RG. III 47/19 v. 31. 3. 19. Ob es sich um dauernde oder vorübergehende Aufbewahmng handelt, ob die Aufbewahrung in öffentlichem oder privatem Interesse erfolgt, ob sie geschieht im Interesse der Rechts­ ordnung oder des wirtschafllichen Verkehrs, ist unerheblich, RGSt. 22 205, 43 175. Taher fallen unter § 133 ebensowohl auf Grund der Hinterlegungsordnung bei Gericht hinter­ legte Gegenstände als Asservate bei der Staatsanwaltschaft, und in gleicher Weise Gegen­ stände des Post- und Eisenbahnverkehrs, Recht 08 385; LZ. 1917 857 (Sortierraum lür Feldpostsendungen); dagegen nicht, wie schon oben bemerkt, Sachen, die zum Ver-

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Strafgesetzbuch.

2. Teil.

7. Abschnitt.

brauch oder Gebrauch der Behörde bestimmt sind, wie Schreibmaterialien, Inventar, Kohlen auf einem Kohlentender, Recht 1917 1913, desgleichen nicht Geldstücke, so lange sie als vertretbare Sachen in Bettacht kommen (anders bei Geld, das der Gemeindeein­ nehmer vereinnahmt und zur Aufbewahrung eingeschlossen hat, I 313/09 v. 7. 6. 09); hier handelt es sich überall nur um amllichen Besitz, nicht um den nach § 133 geschützten, amtlichen Aufbewahrungsbesitz, RGSt. 24 385, 33 413,24 385; GA. 54 299; RMG. 8 247. Das Gleiche ist anzunehmen hinsichllich der Gegenstände öffentlicher Sammlungen (Biblio­ theken usw.), Frank 11. Der Aufbewahrungsott kann auch ein beweglicher sein, RGSt. 22 204 (die Sammeltasche eines Postboten), er braucht nicht durch Gesetz oder Tienstvorschttst bestimmt zu sein, die Bestimmung kann sich vielmehr auch aus Zweck und Wesen der aufzubewahrenden Gegenstände ergeben, Bettin, StengleinZ. 4 295; Recht 1916 775 (Güterwagen auf dem Seitengleise eines Rangierbahnhofs), RGSt. 50 358.' Nach RGSt. 28 107 kann auch die Pttvatwohnung eines Beamten Aufbewahrungsott sein. Dagegen ist mit Olsh. 3 Abs. 2, Frank I 1, Schwartz 2, Meyer-Allf. 649, Binding Lehr­ buch 2 602, Mettel BDB. 2 358 anzunehmen, daß der Gegenstand zur Zeit der Tat sich noch im amllichen Gewahrsam und damit an dem zur Aufbewahrung bestimmten Orte befinden muß. Letzteres wird vom RG. bestritten: dadurch, daß ein Gegenstand in amt­ liche Aufbewahrung gelangt sei, habe er eine ihm den besonderen Schutz des Gesetzes sichernde Eigenschaft erhalten, die fortdauere, bis sie durch Erfüllung des Zweckes, für den der Gegenstand bestimmt ist, oder durch eine anderweillge amtliche Verfügung wieder auf­ gehoben wird, RGSt. 28 108, 19 319, 33 413; RG. II 8/20 v. 13. 2. 20; LZ. 1920 532 (aus dem Güterwagen geworfenes Transpottgut befindet sich, auch solange es noch auf dem Bahnkörper liegt, in amllichem Gewahrsam). Vgl. aber RGSt. 50 358. Zuzustimmen ist dagegen RGSt. 28 108 insofern, als dort angenommen wird, daß mit dem Wegfällen der amllichen Eigenschaft des Beamten, in dessen Verwahrung sich der Gegenstand be­ findet, der amlliche Gewahrsam nicht ohne weiteres aufhött. Im wesentlichen ist es Tat­ frage, ob der amlliche Gewahrsam noch besteht, RGSt. 22 304, 23 283. Ob die amlliche Verwahrung materiell gerechtfertigt, der Beamte zuständig, die Aufbe­ wahrung vorschttstsmäßig war, ist gleichgülttg, es genügt, daß ein Organ der Staatsgewalt im geordneten Geschäftsgänge und in formell zulässiger Weise verfügt hat, daß der Gegen­ stand der Verfügung der Staatsgewalt Vorbehalten sei, RGSt. 28 382, Recht 08 208. 3. Unter § 133 fallen ferner solche Gegenstärrde, welche einem Beamte« oder einem Dritte« avttlich übergebe« worden sind. Es handelt sich hier um gleichwertige Teliktsmettmale, die wahlweise Feststellung zulassen, GA. 61 353; RMG. 10 289. Die Übergabe, sei es an den Beamten, sei es an den Dtttten, muß amtlich geschehen sein, wobei „amllich" in dem oben A. 2 eröttetten weiteren Sinne zu verstehen ist, RGSt. 29 323. Ter Begriff der anttliche« Uebergabe umfaßt sowohl den Fall einer Übergabe kraft Amtes des Übergebenden wie im Hinblick auf das Amt des Empfängers, jede auf eine dieser beiden Atten übergebene Sache befindet sich in dem nach § 133 ge­ schützten amllichen Gewahrsam. Handelt es sich um Übergabe an einen Dtttten (Nicht­ beamten), so kann die amlliche Übergabe nur so zustande kommen, daß sie auf Grund amllicher Anordnung erfolgt, da bei dem Dtttten (Nichtbeamten) die Beziehung auf ein Amt von vornherein ausgeschlossen ist, dagegen ist eine Übergabe auf Grund amllicher Anordnung nicht erfordettich, wenn der Gegenstand einem Beamten mit Rücksicht auf sein Amt von einem Dtttten übergeben worden ist, z. B. der Wechsel dem Notar zur Pro­ testierung, RGSt. 43 247, und die dort angefühtten früheren Urteile. Hiernach kann die amlliche Übergabe an einen Beamten auch durch einen Nichtbeamten erfolgen, während die Übergabe an einen Nichtbeamten mindestens mittelbar von einem Beamten ausgehen muß, wobei weiter erfordert wird, daß trotz der Übergabe an den Dtttten „der amtliche Gewahrsam, die amtliche Verfügungsgewalt" noch fortdauert. Deshalb wurde § 133 für anwendbar erklärt u. a. in folgenden Fällen: Aushändigung eines Beschlusses wegen Be­ strafung von Schulversäumnissen zum Durchlesen und Unterschreiben, RGSt. 10 387; Empfangnahme einer in ortsüblicher Weise in Umlauf gesetzten Bersteigerungsbekanntmachung, RGSt. 12 67; Übergang der in einem Bttefkasten befindlichen Bttefe an den chn amtlich enlleerenden Beamten, RGSt. 22 204; Übersendung einer bei einer Behörde gegen den Angeklagten eingegangenen Beschwerde an diesen zur Ettlärung und Rückgabe, RGSt. 19 319; Vorlage eines Wechsels zum Lesen, den der Beamte noch in den Länden

Berbrechen und Bergehen wider die öffentliche Ordnung,

g ISS.

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hält, RGSt. 4S 246; Niederlegen einer Urkunde an einem bestimmten, mit dem TLter vereinbarten Platze in der Wohnung des Beamten, damit der Täter dort von ihrem Inhalt Kenntnis nehme, I 130/15 v. 19. 4. 1915; SoergelSt. 10 14, Übergabe der vom Gen­ darmen beschlagnahmten Schleichhandelsware an die Frau des Gemeindevorstehers zur Aufbewahrung, RGSt. 54 244. In allen diesen Fällen wurde die Fortdauer des amt­ lichen Gewahrsams angenommen und zwar völlig zutreffend, woraus aber keineswegs für den ersten Mischtatbestand jene weitgehenden Folgerungen gezogen zu werden brauchen, die sich unter Umständen aus der RGSt. 28 108 gegebenen Begründung ergeben könnten (vgl. A. 2). Siehe auch: RGSt. 29 321; RMG. 6 9,8 247; GA. 54 299. Tagegen wurde die Fortdauer des Gewahrsams verneint, wenn die Übergabe im Wege der Zustellung oder Ersatzzustellung geschah, RGSt. 35 28, wie sie überhaupt in allen Fällen zu ver­ neinen ist, in denen die Urkunde demBetelligten zu seiner freien Verfügung ohne Vorbehalt des Gewahrsams der Behörde überlassen wird. Auch hier wie beim ersten Mischtatbestande ist es unerheblich, ob die Übergabe materiell gerechffertigt, und der Beamte zuständig ist, RGSt. 28 379 und oben A. 2. 4. Tie Handlung besteht darin, daß der Gegenstand vernichtet, beiseite geschasst oder beschädig wird. Auch hier handelt es sich um gleichwertige Begehungsarten. Ein Gegenstand wird vernichtet, wenn bewirkt wird, daß er zu bestehen aufhört, RGSt. Ter Begriff des Beiseiteschaffens setzt voraus, daß die Sache durch Entfernung von ihrem bisherigen Aufbewahrungsorte der Verfügung des Berechtigten wirklich, sei es auch nur vorübergehend, entzogen worden ist; wobei es gleichgültig ist, ob durch das Beiseiteschaffen jemandem ein Nachtell zugefügt wurde, RGSt. 2 427. Tas Erfordernis „örüicher Entfernung" wird von Liszt 483 bestritten, vom RG. jedoch verlangt, wobei aber nicht gerade eine Entfernung aus den amllichen Geschäftsräumen notwendig ist, RGSt. 22 242; die Urkunde wird auch dann beiseite geschafft, wenn sie dem, der sie

3 370.

in Verwahrung hat, durch Täuschung entzogen wird, RGSt. 12 67, (dagegen RG. IV 429/21 v. 7. 6. 21), wie überhaupt, wenn sie dem Berechttgten unzugänglich gemacht wird, was auch durch unterlassene Herausgabe an den Amtsnachfolger geschehen kann, RGSt. 12 248/49, ebenso wie durch Verstecken innerhalb der Amtslokalitäten, RGSt. 26 413, durch Einheften in einen falschen Akt, während bloßes Verheimlichen bei Auf­ bewahrung an einem zulässigen Orte nicht ausreicht, RGSt. 10 189; vgl. auch RMG. 10 211, 14 138 und RG. 357/16 v. 3. 10. 1916 bett. Beiseiteschaffen von Brotmarken, DIZ. 1911 540 (Vertauschen eines in amllicher Verwahrung befindlichen Gegenstandes). Beschädigen bedeutet eine Beeinträchtigung der Substanz, eine Minderung der Brauch­ barkeit, was bei Urkunden auch ohne Beeinträchtigung der stofflichen Unterlagen durch Durchstreichen, Radieren, überkleben oder sonstiges Fälschen geschehen kann, RGSt. 13 27, 19 319, 33 177; Recht 1915 260. 5. Täter kann jeder sein, der Beamte, der den Gegenstand aufzubewahren hat, der Beamte oder Nichtbeamte, dem er übergeben ist, der Eigentümer, für den er aufbewahrt wird, RGSt. 21 247. 6. Innerer Tatbestand. Das Vergehen kann nur vorsätzlich begangen werden und zwar ist der Vorsatz, well im Tatbestände ausdrücklich hervorgehoben, stets festzustellen, auch wenn er nicht bestritten wird. Dem gegenüber hält das Urteil des 5. Strafsenats v. 12. 10. 1915, V 213/15 Feststellung nur im Bestreitungsfalle für nötig. Der Täter muß das Bewußtsein haben, daß der Gegenstand amllich aufbewahrt wird, daß er amtlich über­ geben worden ist, dagegen ist die Absicht oder das Bewußtsein, sich mit der amtlichen Auto­ rität oder der öffentlichen Ordnung in Widerspruch zu setzen, nicht erforderlich, RGSt. 23 283; RG. III 721/20 v. 27. 9. 20. Glaubt der Täter auf Grund eines öffenllich-rechtliche oder zivilrechttiche Bestimmungen betreffenden Irrtums (z. B. falsche Auslegung einer Ministerialverordnung über die Vernichtung von Akten) zu seiner Handlung befugt zu sein, so entfällt der Vorsatz, RGSt. 27 402; vgl. aber 23 283, wo der Irrtum, zum Einstampfen bestimmte Akten befänden sich nicht mehr in amllicher Aufbewahrung, der Praxis des RG. folgend, als unbeachllicher straftechllicher Irrtum über den Begriff der „amllichen Aufbewahrung" bezeichnet wird; desgleichen ist die Meinung des Täters, als Eigentümer zu der Handlung befugt zu sein, nach RGSt. 47 394 Strafrechtsirrtum, und das Gleiche ist angenommen hinsichllich der irrtümlichen Meinung des Täters, er dürfe über eine für ihn bestimmte Abschrift einer Zustellungsurkunde verfügen, auch so lange

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7. Abschnitt.

sie sich noch in den Händen des zustellenden Postboten befindet. Eine Bemerkung des Vor­ gesetzten, die den Täter zu dem Glauben veranlaßt, der Vorgesetzte sei mit der Beseiti­ gung usw. einverstanden, kann geeignet sein, den Vorsatz auszuschließen. SeuffBl. 03 356. Eventualdolus genügt, RG. V 750/12 v. 14. 1. 1913 (Anzünden von Briesen in einem Brieflasten).

7. Begehung der Tat ht -ewirmfLchtt-er Absicht bildet nach Abs. 2 einen straferhöbenden Umstand. Erstreben eines lediglich ideellen Vorteils lz. B. Ablösen von Marken von Postpaketadressen lediglich zu Sammelzwecken, GA. 60 424), genügt nicht, bestritten aber ist, ob der Vorteil Bermögerlsvorteil sein müsse, oder auch anderer materieller Bar­ tell genügt (z. B. Vermeidung einer Verurtellung). Bermögensvortell verlangen Frank IV, Liszt 602, Binding Lehrb. 2 605 (diese beiden sogar „rechtswidrigen"), dagegen halten materiellen Vortell für ausreichend Olshausen 8 und RGSt. 43 176, vgl. RG. I 344/20 v. 14. 6. 20; LZ. 1920 865 (Wegnahme von Postkarten, um sich durch ihre Benutzung in den Besitz von Liebesgaben zu setzen). Im RGSt. 43 175 wird ausgeführt, daß der in § 3705 hervorgehobene Zweck des alsbaldigen Verbrauchs das Merkmal der gewinnsüch­ tigen Absicht nicht erfüllt. Vgl. auch GA. 60 424; RMG. 6 9; Recht 1916 775, RGSt. 50 396; LZ. 1917 678; anders, wenn z. B. wegen Fortsetzungs-Zusammenhang § 37O5 entfällt, R. 1917 2103. In RGSt. 55 256 wird jedoch zutreffend darauf hingewiesen, daß die Absicht des Genusses und Verbrauchs das Danebenbestehen einer gewinnsüchtigen Absicht nicht ausschließt. Absicht bezeichnet den auf einen bestimmten Erfolg gerichteten Willen des Täters, ohne daß die Erlangung des Gewinnes der Endzweck des Handelns gewesen zu sein braucht; Eventualdolus scheidet sonach aus, LZ. 1914 1052. Ob die Ab­ sicht erreicht werden soll durch Verkauf der entzogenen Sache oder unmittelbar durch die Entziehung ist gleichgültig. 8. Zusammentreffen mit anderen strafbaren Handlungen. Jdealkonkurrenz mit 8 137 ist denkbar, Rspr. 6 426; wird § 137 unanwendbar, well die gesetzliche Statthaftigkeit der Beschlagnahme wegen fehlender Zuständigkeit nicht vorlaq, so kann nicht subsidiär § 133 zur Anwendung kommen, RGSt. 28 379, 54 245. Jdealkonkurrenz mit §§ 242, 243 liegt vor, wenn es sich um eine fremde Sache handelt und die Wegnahme in der Ab­ sicht rechtswidriger Zueignung geschieht, RGSt. 17 103, 43 175, III 782/15, 16. 12. 1915 (Entwendung aus plombiertem Eisenbahnwagen), ähnlich bei § 246 RMG. 6 9,8 79; auch mit § 274 1 kann Jdealkonkurrenz stattfinden, wenn der Gegenstand eine Urkunde ist, die dem Täter nicht oder nicht ausschließlich gehött und die von § 274 1 geforderte Absicht vor­ liegt, LZ. 1914 1052 (dabei kommt § 274 als strengere Bestimmung zur Anwendung und kann auf die Mindeststrafe von einem Tage Gefängnis erkannt werden). Bei fremdem Gegenstand, der vernichtet oder beschädigt wird, ist Jdealkonkurrenz mit § 303 denkbar, vgl. auch RGSt. 19 319. Nach RGSt. 2 425 ist § 348 Abs. 2 gegenüber § 133 das speziellere Gesetz. Mit § 3705 kann § 133 in gleicher Weise konkurrieren wie mit Diebstahl, wobei aber der Zweck alsbaldigen Verbrauchs der gewinnsüchttgen Absicht des § 133 Abs. 2 nicht gleich­ steht, RGSt.43 175, RG.V465/16 v. 7.11.1916; GA.69 95, RG. II429/18 v. 26.11.18, LZ. 1919 327. § 354 steht mit § 133 Abs. 1 in Gesetzes-, mit § 133 Abs. 2 in Jdealkonkurrenz, RG. II 493/19 11. 11.19. RGSt. 54 123.

134» Wer öffentlich angeschlagene Bekanntmachungen, Verordnungen,

Befehle oder Anzeigen von Behörden oder Beamten böswillig abreitzt, be­ schädigt oder verunstaltet, wird mit Geldstrafe bis zu einhunderttausend Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Cf-. 19 8 197.

1. Die im § 134 unter Strafe gestellte Verletzung amtlicher Sundgebnnge« bezeichnet als Gegenstände der Tat: öffentlich angeschlagene Bekanntmachungen, Verordnungen, Befehle oder Anzeigen von Behörden oder Beamten, öffentlich bezeichnet hier einen Ott, an welchem der Anschlag von unbestimmt welchen und wie vielen Personen wahr­ genommen werden kann und sott, der allgemeinen Kenntnisnahme zugänglich ist. So zu­ treffend Kleinfeller BDB. 2 293, der beispielsweise auffühtt: Anschlagsäule, schwarzes Brett, Straße, Vorhalle, Treppenhaus des Amtsgebäudes oder ein zum Vettehr für das Publikum bestimmter Amtsraum. Vgl. auch § 110 91. 5, 6 a. E.

Berbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung. g§ 134, 135.

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2. Die Bekanntmachungen usw. müssen amtlichen Inhalt haben und von einem Beamten oder einer Behörde, wozu auch Gemeinde- und Kirchenbehörden, desgleichen ausländische diplomatische — Konsular-, Zollbehörden usw. — gehören, ausgehen. Alternative Feststellung hinsichllich der Bekanntmachung, Verord­ nung usw. ist zulässig. Privater Anschlag genügt nicht; a.M. BindingLehrb. 2 740. Handelt es sich um eine Bekanntmachung usw. mit amüichem Inhalt, die erkennbarer Weise als von einer Behörde ausgehend sich darstellt, so kommt auf ihre innere Rechtmäßigkeit und die Zuständigkeit der Behörde nichts an. 3. Angeschlagen ist eine Bekanntmachung dann, wenn sie in einer Weise befestigt ist, daß sie nicht ohne besondere Tätigkeit beseitigt, chre Wegnahme nicht ohne vorherige Lösung der Verbindung erfolgen kann. Daher genügt „Aushängen", aber nicht bloßes Auslegen zur Einsicht, RGSt. 36 184. 4. Tie Handlung besteht im Abreiße«, Beschädige«, Verunstalte«. Zum Abreiße« ist keine Gewaltanwendung erforderlich, jede die Vereitelung des Aushanges bezweckende Beseitigung der Befestigung genügt, RGSt. 36 184. Beschädige« und Verunstalte« weisen auf teilweise Beseitigung, auf Unkenntlichmachung, Verunstalten weiter darauf hin, daß dem Schriftstück eine unwürdige Form gegeben wird. 5. Zum inneren Tatbestände wird böSwMigeS Handeln verlangt. Wie ftüher § 95. Hierzu gehört neben dem Vorsatz, daß der Täter das von chm als Unrecht Erkannte gerade zu dem Zwecke will, den Erfolg des Anschlagens der Bekanntmachung zu vereiteln und dadurch zu schaden oder sie durch Verunstaltung in den Augen des Publikums verächUich zu machen, verbunden mit einer" gewissen Genugtuung und Freude an dem schädigenden

Erfolge seiner Handlung. Hieraus ergibt sich, daß mutwillig keineswegs gleichbe­ deutend mit böswillig ist. Mit Recht weist BindingLehrb. 2 840 darauf hin, daß böswillig nicht handelt, wer eine Bekanntmachung nach seiner Meinung im Interesse der Behörde selbst beseitigt, weil er fürchtet, sie könnte in erregten Zeiten Unheil stiften; das Gleiche gilt, wenn er sie abreißt, weil er sie für veraltet usw. hält. 6. § 134 ist gegenüber § 303 der engere Tatbestand, § 135 kann unter Umständen den Tatbestand des § 134 in sich aufnehmen; Korrekturen am Text der Bekanntmachung können in Jdealkonkurrenz als Urkundenfälschung oder nach § 131 strafbar sein, ebenso ist Idealkonkurrenz mit § 274, § 348 Abs. 2 denkbar. Vgl. auch Kleinfeller, BTB. 2 295/96.

135. Wer ein öffentliches Zeichen der Autorität des Reichs oder eines Bundesfürsten oder ein Hoheitszeichen eines Bundesstaats böswillig weg­

nimmt, zerstört oder beschädigt oder beschimpfenden Unfug daran verübt, wird mit Geldstrafe bis zu einhunderttausend Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. E. 19 § 198.

1. Ter Schutz der Autoritätszeichen und Wappen des Kaisers und eines Bundes fürsten entfällt, denn diese Zeichen und Wappen sind nicht mehr solche der Staatshoheit, als welche sie allein geschützt waren, Kiesow DIZ. 1919 874. Statt „eines Bundesstaats" rnuß es in Zukunft heißen: „eines Landes". 2. Während § 103 a die öffentlichen Zeichen der Autorität ausländischer Staaten und die Hoheitszeichen eines solchen Staates schützt, nennt § 135 als Schutzgegenstände die öffentliche« Autoritätszeiche« des Reichs, nicht aber diejenigen der Bundesstaaten und der freien Städte und daneben Hoheitszeichen eines Bundesstaats, nicht aber diejenigen des Reiches. Tiefe Abweichungen sind kaum verständlich, wenn man versucht, zwischen Autoritäts- und Hoheitszeichen einen begrifflichen Unterschied zu machen. Diese Versuche (vgl. Olshausen 1, Kleinfeller VTB. 2 306) gehen fehl und es erscheint richtig anzunehmen, daß Autoritäts- und Hoheitszeichen im wesentlichen das Gleiche be­ sagen: Zeichen, die bestimmt sind, die Regierungsgewalt zum Ausdruck zu bringen, kund» zutun, daß dieser Ort oder diese Sache einer bestimmten Staatsgewalt unterworfen sei, RGSt. 31 147. Frank II 212. Dazu gehören Fahnen (auch die Handelsflaggen), Wappen, Schilder der Behörden, Grenzpfähle usw., dagegen nicht Wasser­ standsmerkmale, RGSt. 31 147, ebensowenig Wappen von Hoflieferanten. Gibt man mit Frank § 103 a II, BindingLehrb. 2 503, Liszt 603, Hälschner II 843, Oppenhoff

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2. Teil.

7. Abschnitt.

Delius 1, Schwartz 1, Kleinfeller BDB. L 306 und mit dem Entwurf, der sowohl bei aus­ ländischen wie inländischen Zeichen nur noch von Hoheitszeichen spricht, die Unterscheidung zwischen Autoritäts- und Hoheitszeichen auf, so bedarf auch die Frage keiner weiteren Untersuchung, ob das Merkmal der Deffenttichkeit nur bei den Autoritätszeichen, wie nach der Fassung angenommen werden muß, oder auch bei den Hoheitszeichen verlangt wird und gegebenenfalls, warum bei diesen nicht. Uber die BedeuUmg des Zusatzes öffent­ lich besteht übrigens auch nach anderer Richtung Streit, ob nämlich damit gesagt sein soll, daß sie öffentlich allgemein sichtbar angebracht sein müssen (so in beiden Fällen der Entwurf § 198), (auch Frank § 103a I verlangt, daß sie „angebracht" sind), oder ob nur zum Ausdruck kommen soll, daß sie kraft der staatlichen oder öffenllichen Gewalt ver­ wendet sind. Letzteres ist mit Kleinfeller BDB. 2 300, Olshausen 1 Abs. 2, Schwartz 1 Abs. 2 anzunehmen. Dieser bemerkt mit Recht, daß nicht nur die auf dem Maste flatternde, sondern auch die heruntergeholte Fahne Gegenstand des Schutzes nach § 135 sei. 3. Tie Handlung enthält einen Mischtatbestand: a) Böswilliges Wegnehmen, Zerstöre« oder Beschädige«. Wegnehmen ist Entfernen von der bisherigen Stelle ohne Aneignungsabsicht und ohne daß ein Wegschaffen er­ forderlich ist. Zerstören vgl. § 125 A. 4, Beschädige« § 133 A. 4. b) Verübung beschimpfende« LrrfrrgS. Beschimpfender Unfug ist eine unberechtigte, eine gewisse Roheit und Frevelhaftigkeit zeigende Handlung, die in der Form, sei es durch Äußerungen oder sonstwie, grobe Mißachtung zum Ausdruck bringt. Näheres vgl. § 166 A. 12. An dem Zeichen muß der Unfug verübt werden, nicht nur in seiner Gegenwart, weshalb Kleinfeller BDB. 2 307 mit Recht Anspucken des Wappens selbst für ausreichend hält, dagegen nicht auf den Boden spucken vor dem Wappen. 3. Nur der erste Mischtatbestand erfordert böswilliges (vgl. § 134 A. 5) Handeln. 4. Ter Teutsche kann die Handlung auch im Auslande begehen, z.B. gegen­ über dem Wappen einer deutschen Gesandtschaft, ist aber nur unter der Voraussetzung des 8 4 Abs. 3 verfolgbar. 5. Gegenüber § 303 enthält § 135, soweit Beschädigen oder Zerstören in Frage kommt, den engeren Tatbestand, dagegen steht er zu § 304 im Verhältnis der Jdealkonkurrenz, da hier die Tatbestände sich nicht decken; wegen des Verhältnisses zu § 134 siehe daselbst Absatz 6.

136» Wer unbefugt ein amtliches Tiegel, welches von einer Behörde oder einem Beamten angelegt ist, um Sachen zu verschließen, zu bezeichnen oder

in Beschlag zu nehmen, vorsätzlich erbricht, ablöst oder beschädigt oder den durch ein solches Siegel bewirkten amtlichen Verschluß aufhebt, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundert­ tausend Mark bestraft. E. 19 8 196.

1. Tie im § 136 aufgestellte Strafdrohung, gegen den Siegelbruch sott nicht sowohl

eine in amtlicher Verfügungsgewalt befindliche Sache, als vielmehr das äußere Zeichen der amllichen Herrschaft über die Sache, wie es in dem amtlichen Siegel und dem durch ein solches bewirkten Verschluß zu Tage tritt, gegen die in den beiden Mischtatbeständen aufgefühtten Handlungen schützen. 2. Gegenstand des Schutzes ist in dem ersten Mischtatbestande das amtliche Siegel unter den dott näher bezeichneten Voraussetzungen. Unter Siegel ist hier selbstverständlich nicht das Siegelwerkzeug wie in §§ 151, 360 *,s, sondern der Siegelabdruck zu verstehen, gleichviel, aus welchem Stoff er besteht (Lack, Wachs, Plombe usw.) und im weiteren Sinne auch die den Abdruck ersetzende Siegelmarke, RGSt. 3 287; ebenso genießt den Schutz des § 136 aber auch eine Pfändungsanzeige, in welcher die gepfändeten Gegen­ stände verzeichnet sind und welche, mit dem Dienstsiegel des Gettchtsvollziehers versehen, am Berwahmngsorte der Pfandobjekte angebracht ist, RGSt. 18 388, 34 398; GA. 51 181; a. M. bezüglich der letztgenannten BindingLehrb. 2 627, Schwartz 1; auch Frank I läßt ein Siegel, das nur der Beglaubigung dient, nicht genügen. Das Siegel muß von einer Behörde oder einem Beantte« angelegt sei«, «m Sachen z« verschließe«, zu bezeichnen oder in Beschlag zu nehme«. Die Sachen können beweg-

Berbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung. § 136.

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liche oder unbewegliche sein. Die Beschlagnahme umfaßt auch die Pfändung. Da die Betätigung der Mißachtung der in der Siegelanlegung ausgedrückten obrigkeiUichen An­ ordnung bestraft werden soll, nimmt die neuere Rechtsprechung zutreffend an, daß e- ge­ nügt, wenn der Beamte das Siegel in Ausübung seines Amtes, in Ausübung der durch diese- begründeten Befugnisse angelegt hat, und wenn er zu der Maßnahme durch sein Amt im allgemeinen ermächtigt und örtlich zuständig ist, sowie daß nicht- darauf antommt, ob der Beschlagnahme selbst wegen Nichtbeachtung einer Vorschrift, von deren Befolgung chre Wirksamkeit abhängt, ein Mangel anhastet, RGSt. 34 398, 36 155, GA. 51 181, 68 394; dagegen 8 35, 22 5, auch BindingLehrb. 2 625, Liszt 603, Meyer-Allf. 650, Schwartz 5. Vgl. auch Merkel BDB. 2 363, der unterscheidet: Siegel, deren Anlegung derart gegen das Gesetz verstieß, daß die Amtshandlung als nichtig anzusehen ist, brauchen nicht beachtet zu werden, eine lediglich anfechtbare Siegelung dagegen bildet eine taug­ liche Grundlage für einen strafbaren Siegelbruch. Frank II Abs. 2 will beim Mangel der rechtlichen Voraussetzungen der Siegelarüegung Notwehr zulassen. Wie die Anlegung eine amtliche sein muß, so auch das Siegel, nur Amtssiegel sind geschützt, nicht auch Privatsiegel des betr. Beamten. Der Zweck der Bezeichnung ist z. B. vorhanden bei Siegelanlegung an untersuchtem Fleisch drrrch den Fleischbeschauer, RGSt. 39 367. Eine nach § 2 NahrungsmG. entnommene, bei dem Besitzer amtlich versiegelt -urückgelassene Probe ist als in Beschlag genommen anzusehen, RGSt. 48 361.

3. Die Handlung des ersten Mischtatbestandes besteht im Vrvreche«, Ablöse« oder Veschadige« des Siegels, gleichwertige Handlungen, die alternative Feststellung -ulassen. Erbrechen bedeutet gewaltsame Entfernung, Ablösen Entfernung ohne Be­ schädigung. Wegen Beschädigung vgl. § 133 A.4. Der zweite Mischtatbestand verlangt Aufhebung des durch da- Tiegel bewirkten amtliche« Verschlusses. Hier kann das Siegel unverletzt und an seiner Stelle bleiben. Einsteigen durch ein Fenster in einen Raum, dessen Tür versiegelt ist, wurde als ausreichend erachtet, Berlin 26. 11. 1874, 29. 3. 1876, StengleinZ. 4 285, 6 220. Dagegen glaubt Frank II 2, daß derjenige nicht unter das Gesetz fällt, der einen offen gelassenen geheimen Eingang benutzt. Vgl. auch BindingLehrb. 2 627. Nach GA. 52 115 (Celle 29. 6. 03) füllt die Entfernung eines Gegenstandes aus einer versiegelten Umschnürung ohne Ver­ letzung des Siegels nicht unter § 136. 4. In beiden Fällen muß der Täter ««befugt handeln, was dann der Fall ist, wenn h m ein Recht zum Handeln nicht zusteht. Daß Mängel der Pfändungshandlung im ein­ zelnen Falle dem Täter nicht die Befugnis zum Siegelbruch geben, wurde schon A. 2 an­ geführt. Da unbefugtes Handeln ausdrücklich als Tatbestandsmerkmal hervorgehoben ist, muß der Mangel der Befugnis, nicht aber auch, wie Schwartz 6 meint, das Bewußtsein dieses Marrgels, stets festgestellt werden, auch wenn es vom Täter nicht bestritten wurde.

5. Der Täter müß ferner in beiden Fällen vorsätzlich gehandelt haben. Das Wort vorsätzlich steht zwar nur bei dem ersten Mischtatbestand, bezieht sich aber auch auf den zweiten. Ter Täter muß also wissen, daß es sich um amtlich beschlagnahmte Gegenstände, um amtliche Siegel, um amtlichen Verschluß handelt und daß er zerstört usw., er muß sich ferner bewußt sein, daß er keine Befugnis zum Handeln hat, dagegen verlangt der Vorsatz nicht das Bewußtsein von der Rechtmäßigkeit der Siegelung, da diese (vgl. A. 2) ja auch nicht objektives Tatbestandsmerkmal ist, ebensowenig den $8Ulen, die Sache der Verstrickung zu entziehen, RGSt. 25 308, GA. 51 182, LZ. 1916 1127. Hält der Täter sich infolge zivilrechtlichen Irrtums zum Handeln befugt (z. B. weil er meint, nach Befrie­ digung des Gläubigers bedürfe es keiner besonderen Anordnung zur Aufhebung der Pfän­ dung), so entfällt der Vorsatz, RGSt. 26 308; dagegen ist dies nicht der Fall, wenn er glaubt, die Siegelanlegung nicht beachten zu müssen, well er sie für ungerecht, anfechtbar, mit Mängeln behaftet hielt. Vgl. auch Merkel BDB. 2 369, der jedoch, wie schon A. 2 bemerkt, -wischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit unterscheidet. 6. Zusammentreffen mit anderen strafbare« Himdlrr«ge«. Jdealkonkurrenz mit § 137 ist angenommen RGSt. 48 365, ebenso Frank § 137 V und Merkel BDB. 2 371; dagegen Olshausen § 117 A. 17b, der Gesetzeskonkurrenz annimmt. Frank IV nimmt auch die Möglichkeit einer Jdealkonkurrenz mit § 133 an. über das Verhältnis zum Fleisch­ beschaugesetz vgl. RGSt. 39 367 (§ 137 betr.). Soweit in Nebengesetzen die Verletzung

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2. TeU.

7. Abschnitt.

amtlicher Verschlüsse unter Strafe gestellt ist (vgl. Merkel BDB. 2 371 A. 3), liegt wohl in der Regel Gesetzeskonkurrenz vor.

137. Wer Sachen, welche durch die zuständigen Behörden oder Beamte«

gepfändet oder in Beschlag genommen worden find, vorsätzlich beiseite schafft, zerstört oder in anderer Weise der Verstrickung ganz oder teilweise entzieht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bis zu emhnnderttausend Mark bestraft. E. 19 § 195.

1. Im Gegensatze zu § 136, der, wie dort A. 1 hervorgehoben wurde, das äußere Zeichen der amtlichen Herrschaft über die Sache schützen soll, bezweckt § 137 den Schutz der Sache selbst und der über sie begründeten staallichen Herrschaftsgewalt gegen den BerstrickuugSbruch. Unter die Sache« fallen körperliche Gegenstände jeder Art, bewegliche und unbewegliche, im Eigentum stehende und herrenlose, dagegen nicht auch u n k ö r perliche Sachen, Forderungen, wie in dem Plenarurtell RGSt. 24 40 eingehend dargelegt ist; wohl aber wird bei Pfändung einer Hypothekenforderung die Hypothekenurkunde als Zubehör der Forderung von der Pfändung umfaßt und sie ist als körperliche Sache anzusehen, die der Verstrickung entzogen werden kann, RGSt. 24 161. Bei Wechseln ist die Forderung an das Vorhandensein der Urkunde als an ihren Träger und ihre Verkörperung geknüpft, die Urkunde aber ist eine körperliche Sache, die Gegenstand des Vergehens nach § 137 sein kann. Vgl. Schwartz L 2. Tie Sachen müssen durch die zuständigen Behörden oder Beamten gepfäudet oder in Beschlag genommen worden sein. Uber Zulässigkeit und Art des Vollzugs der Pfändung und Beschlagnahme entscheidet Reichs- und Landesrecht. Ersteres beschäftigl sich mit Pfändung und Beschlagnahme vorzugsweise in §§ 704 ff. ZPO., §§ 20 ff., 148 ZwVBG., § 93 StGB., §§ 94 ff., 325 ff. StPO., §§ 229 ff., 360 ff. MStGO. und in einer Reihe von Nebengesetzen z. B. Preßg. §§ 23 ff., Fleischbeschaugesetz § 9 (RGSt. 39 367;. Beschlagnahme ist gegenüber der Pfändung der weitere Begriff; sie setzt nach RGSt. 14 288 voraus, daß eine Sache durch einen Amtsakt der Verfügung der sonst berechtigten Person entzogen und der Verfügung der Beamten oder Behörden unterworfen wird, von denen die Maßregel ausgegangen ist, sei es zum Zwecke der Sicherung von Privatinteressen Dritter oder im öffentlichen Interesse, dagegen genügt es weder zur Beschlagnahme noch zur Pfändung i. S. des § 137, wenn die der Verfügungsgewalt einer Person entzogene Sache einer anderen Verfügungsgewalt als derjenigen der mit dem Akte befaßten Beamten oder Behörden unterworfen wird. Wenn mit Rücksicht auf letzteren Umstand Binding Lehrb. 2 614, Frank 1 Abs. 4, Schwartz 2a annehmen, daß die Konkurseröffnung keine Beschlagnahme des zur Konkursmasse gehörigen Vermögens enthalte, so kann dem aus den RGSt. 14 289, 19 85, 41 256 angeführten Gründen nicht beigetreten werden; dagegen ist allerdings mit RGSt. 20 244 anzunehmen, daß ein vor der Konkurseröffnung erlassenes allgemeines Beräußerungsverbot eine Beschlagnahme nach § 137 nicht darstellt. Tie Sache muß, damit sie als verstrickt, beschlagnahmt, gelten kann, durch eine gesetzmäßige amlliche Maßregel der fteien Verfügung der dazu bisher berechtigten Person entzogen und der ausschließlichen behördlichen oder amtlichen Verfügungsgewalt unterworfen worden sein. Ob und unter welchen Voraussetzungen oder von welchem Zeitpunkt an und bis zu welchem eine solche wirksame Verstrickung im einzelnen Falle ent­ steht, fortdauert oder endet, richtet sich nach den besonderen, für die Vornahme der betreffen­ den Beschlagnahme bestehenden gesetzlichen Vorschriften, RGSt. 48 362, wo im Anschluß hieran ausgeführt wird, daß der dem Besitzer amtlich versiegelt zurückgelassene Teil einer nach § 2 NahrgsmG. entnommenen Probe als beschlagnahmt anzusehen ist. Bei B e schlagnahmen nach §§ 94 ff. StP O. wird die Beschlagnahme nicht schon durch die bloße Anordnung derselben, durch den sie verhängenden Beschluß der Behörde und die zur Ausführung desselben erlassene Verfügung von selbst bewirkt, sondern es bedarf dazu noch eines weiteren amtlichen Ausfühmngsaktes, durch welchen jene Anordnung auch nach außen hin betätigt und als in Vollzug gesetzte amlliche Maßregel zur Erfassung und Verstrickung der Säche äußerlich gekennzeichnet wird, wobei der Ausführungsakt selbst allerdings an besondere Förmlichkeiten nicht geknüpft ist und insbesondere nicht die Be-

sitzergreifung der Sache oder die Entziehung derselben aus dem Gewahrsame des Inhabers erfordert. Sonach kann das amtliche Verbot der Verfügung über die Sache oder ihrer Veränderung, an den Inhaber gerichtet, genügen, wenn darin der Auftrag an den In­ haber liegt, die Sache zur Verfügung der Behörde zu bewahren und bereit -u hatten, RGSt. 9 121, 18 72, 52 117, Recht 07 523. Daß die Sache in amtlichen Gewahrsam genommen wird, ist weder zum Inkrafttreten noch zur Fortdauer der Beschlagnahme notig RG. V 2116/20 v. 21. 6. 21. Eine von dem beschlagnehmenden Polizeibeamten mündlich erteilte Weisung, die Sache zur Verfügung der Polizei zu halten, genügt, RG. III 831/19 v. 5. 1. 20; LZ. 1920 391. Auch die im Wege deS Zivilprozesses erfolgende Pfändung muß, abgesehen von ihrer Vornahme durch den zuständigen Beamten (vgl. A. 3), rechtmäßig erfolgt sein, damit § 137 angewendet werden kann. Fehlen die notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen, z. B. ein vollstreckbarer Titel, oder wurden Förmlichkeiten nicht beachtet, deren Nicht­ beachtung der Handlung den Charakter der Pfändung entzieht, z.B. die Besitzergreifung der gepfändeten Gegenstände durch den Gerichtsvollzieher, so entfällt § 137; dagegen trifft dies nicht zu bei der Nichtbeachtung von Förmlichkeiten, deren Unterlassung für den rechtlichen Bestand der Pfändung ohne Bedeutung ist, sondern nur deren Anfechtung rechtfertigen würde. RGSt. 9 403, 14 151, 16 273, 19 287, 36 165 (für die Rechtswirk­ samkeit der Pfändung sind lediglich die gesetzlichen Vorschriften, nicht die im Verwaltungswege erlassenen Geschäftsanweisungen maßgebend), GA. 52 112, 114. Für die Recht­ mäßigkeit der Pfändung beweglicher Sachen kommt besonders § 808 ZPO. in Betracht. Hiernach ist Besitznahme der gepfändeten Sachen durch den Gerichtsvollzieher nötig, die Pfändung muß, sofern die Sachen zulässigerweise im Gewahrsam des Schuldners belassen werden, durch Anlegung von Siegeln oder in sonst geeigneter Weise er­ sichtlich gemacht werden, Rspr. 5 587 (Früchte auf dem Halm) RGSt. 16 273, 18 163, 32 316 (lebendes Vieh), GA. 52 114 (Anbringung des Pfandzeichens nur am obersten rnehrerer aufeinander liegender Säcke); bloßes Aussprechen der Pfändung genügt nicht, RGSt. 5 35, 6 227; vgl. dazu DIZ. 1911 284. In der bei der Pfändung eines Anspruches auf Herausgabe einer beweglichen körperlichen Sache gemäß § 746 ZPO. getroffenen Anordnung, die Sache an einen vom Gläubiger zu beauftragenden Gerichtsvollzieher herauszugeben, liegt nicht eine Verstrickung der Sache nach § 137, RGSt. 24 204. Ob durch eine Pfändung die Individualität der ergriffenen Sache genügend festgestellt und die Pfändung selbst für Dritte (§ 57 der Geschäftsanweisung ftir die preußischen Gerichts­ vollzieher v. 12. 12. 1899) hinreichend erkennbar gemacht worden ist, ist wesentlich tat­ sächlich, III 1135/02 v. 17.4.02; GA. 60 146. Nachträglich er Verfall der angebrachten Pfandzeichen berührt die Wirksamkeit der Pfändung nicht, Rspr. 10 592, RGSt. 18 163, RG. III 664/09 v. 1. 11. 09; vgl. auch § 1253 BGB. Tie Zustellung einer Abschrift des Pfändungsprotokolls an den Schuldner ist keine wesenlliche Form­ vorschrift, Rspr. 10 648. Zu den gesetzlichen Vorschriften, von deren Beachtung die Rechts­ wirksamkeit der Pfändung abhängt, gehört auch die Vorschrift des § 713 ZPO. (Pfändung von Sachen im Gewahrsam des zur Herausgabe bereiten Tritten), RGSt. 19 69. In allen Fällen muß der Gerichtsvollzieher die für seine Amtshandlung erlassenen Gesetze beob­ achten, aber er hat zu entscheiden, ob die in diesen Gesetzen bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Kommt er nach pflichtgemäßem Ermessen zu der Überzeugung, daß im einzelnen Fall die Voraussetzungen vorliegen und konnte er nach der Sachlage zu diesem Ergebnisse gelangen, ohne fahrlässig zu handeln, so befindet er sich in rechtmäßiger Amtsausübung^ mag er auch tatsächlich geirrt haben. Die Pfändung, wenn sie auch angefochten werden kann, ist zunächst rechtswirksam und zu beachten, RG. V 1164/10 v. 12. V. 1911, III 473/10 v. 26. 9. 1910 (Pfändung von Zubehör), RGSt. 25 109 für § 713 ZPO.; das Gleiche gilt aber auch für die Fälle der §§ 803, 811 ZPO. und ähnliche. Vgl. Olshausen 7 Abs. 3, RG. III 1342/05 v. 14. 5. 06, RGSt. 9 404. Bei e i n st w e i l i g e r Ver­ fügung muß die Sache auch in den Gewahrsam der Behörde gekommen sein, Recht 1911 647, 1916 1418, RG. III 238/10 v. 28. 4. 1910, III 277/10 v. 12. 5. 1910. Tie rechtmäßig geschehene Pfändung muß, damit § 137 anwendbar wird, auch zur Zeit der Tat noch bestehen und das gleiche gilt natürlich bei öffentlich rechtlicher Beschlag­ nahme, RGSt. 14 112, 15 388. Die Wirkungen zivllprozesfualer Pfändung dauern im allgemeinen fort, bis die durch den Gerichtsvollzieher fortgenommene Sache dem Schuldner

400

Strafgesetzbuch.

2. Teil.

7. Abschnitt.

zurückgegeben oder bis von der in seinem Gewahrsam belassenen Sache durch den Gerichts­ vollzieher die Pfandzeichen entfernt werden, NGSt. 26 309. In dem Auftrag des Gläu­ bigers an den Schuldner, gepfändete Früchte für ihn einzuernten, liegt keine Rückgabe, Recht 1914 549. Wie weit die Zwangsvoll st reckung in das unbewegliche Ver­ mögen andere Gegenstände ergreift, entscheidet sich nach § 865 ZPO., §§ 1120 ff. BGP., der Begriff des Zubehörs nach §§ 97 ff. BGB., vgl. GA. 60 90 (Feldbahn als Zubehör). Zubehörstücke können, soweit sie bewegliche Sachen sind, gepfändet werden, RGSt. 29 123. Die Wirksamkeit der Beschlagnahme endet nicht mit dem Zuschlag, RGSt. 31 83. Tas an einem Grundstücke bestehende Pachtverhältnis berechtigt nicht zur Wegschaffung der mit dem Grundstücke beschlagnahmten Zubehörstücke, GA. 48 113. Tie Konkurseröffnung und damit die Beschlagnahme (vgl. A. 1) umfaßt das zur Zeit der Konkurseröffnung vorhandene, der Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen des Gemeinschuldners, dagegen nicht Gegenstände, die zu jener Zeit dem Ge­ meinschuldner nicht gehören und ebensowenig solche, die erst nach der Konkurseröffnung durch die Tätigkeit des Gemeinschuldners oder seines Vertreters erworben wurden (kon­ kursfreien Neuerwerb). Taher macht sich der Gemeinschuldner oder sein Vertreter nach § 137 schuldig, wenn er in Kenntnis der Konkurseröffnung (oder mit der gebilligten Möglich­ keit erfolgter Konkurseröffnung rechnend, RGSt. 10 431) in der Zeit zwischen der Konkurs­ eröffnung und der Übernahme der Konkursmasse durch den Konkursverwalter aus dem Geschäfte Waren verkauft oder Gelder aus der Geschäftskasse entnimmt, die zu jener Zeit durch Bezahlung schon vor der Konkurseröffnung vorhanden gewesener Außenstände in die Kasse gelangt waren, NGSt. 41 256. Zuwiderhandlungen gegen die in Kriegsverordnungen erlassenen VeräußerungsVerbote fallen nicht unter § 137, der die Herstellung einer unmittelbaren, besitzähn­ lichen Beziehung eines anderen zu der beschlagnahmten Sache voraussetzt, NGSt. 51 229. 3. Beschlagnahme und Pfändung müssen durch die zuständigen Behörden oder Be­ amten (§ 359 StPO.) erfolgt sein. Nur deutsche Behörden oder Beamte kommen in Be­ tracht, RGSt. 24 10. Das Erfordernis der Zuständigkeit ist nicht gleichzustellen dem der Rechtmäßigkeit in concreto. Es genügt, daß der Beamte a n s i ch zu einer Beschlagnahme der fraglichen Art sachlich und örtlich zuständig war und es ist nicht nötig, daß er die erfor­ derliche Zuständigkeit gerade zu dieser konkreten Beschlagnahme gehabt habe, RGSt. 10 425 (bejahend die Zulässigkeit der Durchsuchung im ehrengerichtlichen Verfahren gegen Rechts­ anwälte), 26 287 (zuständig sind die Behörden oder Beamten, wenn sie im allgemeinen (abstrakt) zur Vornahme der Pfändung ermächtigt und örtlich zuständig sind; daneben ist nur erforderlich, daß bei der Pfändung die wesentlichen Förmlichkeiten beobachtet werden und daß es an der vom Gesetze für notwendig erklärten Voraussetzung, z. B. einem vollstreckbaren Titel, nicht fehlt). Vgl. auch KG. 14. 12. 1917 938/17, LZ. 1918 295. Im übrigen ist die Rechtmäßigkeit der Pfändung nicht Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 137, RGSt. 28 383. Gl. M. Olshausen 5, Frank I Abs. 5, Schwartz 3 b; a. M. BindingLehrb. 2 618, Oppenhoff-Delius 15. Die Erklärung einer Privatperson, z. B. des Konkursverwalters, daß er eine im Besitze des Gemeinschuldners befindliche Sache mit Beschlag belege, führt eine Beschlagnahme nach § 137 nicht herbei, RGSt. 19 85. NTie Zuständigkeit der Behörde oder des Beamten bemißt sich nach den einschlägigen Reichs- und Landesgesetzen, wobei als erstere insbesondere in Betracht kommen die A. 2 angeführten. Aus der Rechtsprechung vgl. im einzelnen: RGSt. 9 121,2146,22 364,26 287, 39 95, Rspr. 3 786,5 244,7 25 (alle betreffen die Zuständigkeit von Polizei-und Verwaltungs­ behörden zu Beschlagnahmen, GA. 56 317 (Fleischbeschaugesetz), Recht 08 218 (Hilfsbeamter des Staatsanw. kann nicht Vertreter zur Vornahme einer Beschlagnahme bestellen). Be­ schlagnahme von Lebensmitteln auf Grund von Kriegsverordnungen kann nach § 10 ALR. II 17 durch den Polizeibeamten erfolgen, auch wenn er nicht Hilfsbeamter der Staats­ anwaltschaft ist, RGSt. 52 117. Uber die Befugnis zu Beschlagnahmen durch Polizei­ beamte, die nicht Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind, vgl. RGSt. 52 118 und KG. 938/17 v. 14. 12. 17, LZ. 1918 295 (Beschlagnahme als vorbeugende Maßnahme). Reichs­ wirtschaftsstellen für Textilwaren sind keine Behörden und nicht zur Beschlagnahme zu­ ständig, RG. II 479/21 v. 30. 9. 21.

Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung.

§ 137.

401

4. Die Handlung besteht darin, daß die gepfändeten Sachen vorsätzlich beiseite ge­ schafft, zerstört oder in anderer Weise der Verstrickung ganz oder teilweise entzogen werden. Beiseiteschaffen § 133 A.4 und Zerstören § 125 A.4 sind als be­ sonders häufige Arten der Verstrickungsentziehung eigens hervorgehoben; eine Ver­ strickungsentziehung liegt immer dann vor, wenn die durch die Beschlagnahme oder Pfändung begründete Verfügungsgewalt der Behörde über die Sache ganz oder teil­ weise dauernd oder vorübergehend aufgehoben wird, RGSt. 3 255, 8 256,15 205,17 90. Ob dies der Fall ist, unterliegt der rechtlichen und tatsächlichen Beurteilung des Einzel­ falles. In der Berbringung der gepfändeten, im Gewahrsam des Schuldners belassenen Gegenstände an einen anderen nicht im Amtsbezirke des pfändenden Gerichtsvollziehers gelegenen Ort ohne Wissen des Pfändungsbeamten wird regelmäßig ein Beiseiteschaffen, eine Verstrickungsentziehung zu finden sein, RGSt. 18 412, auch schon in dem Verbringen in eine andere Wohnung an dem gleichen Orte kann solches liegen, doch wird hier häufig die Entziehungsabsicht fehlen. Vgl. auch Nspr. 10 264, Recht 1915 978. Täuschung des Gerichtsvollziehers kann als Mittel der Entziehung genügen, umsomehr, als das Ent­ ziehen keineswegs unmittelbares körperliches Handanlegen bei Fortschaffen der Sachen verlangt, RGSt. 31 81, 15 205. Ableugnen des Aufbewahrungsortes der gepfändeten Gegenstände gegenüber dem Gerichtsvollzieher kann genügen, Oppenh. Rspr. 17 834, ebenso Verarbeitung verstrickter Sachen in einer Weise, daß sie nicht wieder zu erkennen sind, Oppenh. Rspr. 18 319, Verbauen gepfändeter Hölzer, Recht 07 523. Bloßer Ver­ kaufsabschluß ohne Übergabe und Wegschaffung genügt nicht, RG. III 2406/03 v. 1.10.03; OLG. München St. 3 192, wohl aber Verzehren im Haushalt, III 898/02 v. 7. 4. 02. Bei bloßer Beschädigung eines Pfandstücks verneint Rspr. 7 572 die Anwendbarkeit des § 137. Mit Recht weist Schwartz 4 darauf hin, daß dann das Minus des Beschädigens nach § 303 härter geahndet werden könnte, als das Majus des ganzen oder teilweisen Zerstörens. Daß der Täter sich die Sache aneignet oder daß durch die Entziehung jemandem ein Vorteil oder Nachteil erwächst, ist nicht erforderlich, RGSt. 8 117,14 286. 5. Täter kann jeder beliebige sein, der Schuldner, der Gläubiger, Rspr. 1 705, ein Dritter, auch der Gerichtsvollzieher, wenn er die von ihm gepfändete Sache ohne An­ weisung des Gläubigers und ohne Ermächtigung des Gerichts freigibt, RGSt. 44 43; des­ gleichen ein Gerichtsvollzieher, der eine von einem anderen Gerichtsvollzieher gepfändete Sache aus dessen Besitz entfernt, um sie in einer anderen Sache zu pfänden, RGSt. 8 256. Mittelbare Täterschaft ist möglich, sei es unter Benutzung eines gutgläubig oder eines bewußt rechtswidrig handelnden Werkzeugs, sofern nur dieses nicht den Täter­ willen hat, RGSt. 31 81 (vgl. dagegen Merkel VDB. 2 365 A. 4, der hier Anstiftung und Täterschaft annimmt). Der Käufer einer gepfändeten Sache macht sich nicht nach § 137 schuldig, wenn er sich die Sachen, ohne zu wissen, daß sie schon zur Zeit des Kaufabschlusses gepfändet waren oder nachher, aber vor der Übergabe gepfändet wurden, übergeben läßt, RGSt. 19 292, woselbst weiter ausgcführt wird, daß der Käufer auch nicht verpflichtet ist, den zur Abholung der Sachen Abgeschickten zurückzurufen, auch wenn er nach der Ab­ sendung von der Pfändung erfuhr; zu solchem Widerruf sei er nicht verpflichtet, die bloße Unterlassung des Widerrufs könne ihn nicht zum Mitschuldigen einer Tat machen, die ein positives Handeln, nicht eine bloße Unterlassung voraussetze. Auch dadurch konnte sich der Käufer im vorerwähnten Falle nicht nach § 137 strafbar machen, daß er die Sachen nachher für sich verbrauchte, da dieselben, als sie in seinen Besitz kamen, schon die Verstrickung entzogen waren, RGSt. 19 293. Daß die Tat unter Umständen aber auch wie andere Kom­ missivdelikte durch Unterlassung begangen werden kann, vgl. GA. 49 334, BayObLGSt. 9 268: der Schuldner verkauft die gepfändeten Ggenstände an einen Dritten und läßt sie ihn später abholen, ohne ihn von der Pfändung zu verständigen. 6. Innerer Tatbestand. Das Vergehen kann nur vorsätzlich begangen werden und zwar muß der Vorsatz, da er im Gesetz eigens hervorgehoben ist, stets festgestellt werden, auch wenn ihn der Täter nicht bestritten hat. Um vorsätzlich zu handeln, muß der Täter wissen, daß die Sache von der an sich zuständigen Behörde (oder Beamten) entsprechend gesetzlicher Vorschrift und unter Beachtung der vorgeschriebenen wesentlichen Förmlich­ keiten (also rechtswirksam) noch zur Zeit der Tat beschlagnahmt oder gepfändet ist und daß er sie durch seine Handlung der amtlichen Verfügungsgewalt entzieht. Eventualdolus reicht nach jeder Richtung. Eine Absicht der Zueignung der Sache wird ebensowenig erfordert wie Kommentar z. Strafgesetzbuch.

2. Aufl.

26

Strafgesetzbuch.

402

2. Teü.

7. Abschnitt.

die Absicht auf Erlangung eines Bermögensvorteils oder Zufügung eines BermögenSnachteils. Fehlt dem Tater auf Grund tatsächlichen oder zivil- oder öffentlichrechtlichen Irrtums das Bewußtsein nach einer der vorbezeichneten Mchtungen, so entfällt der Borsatz. Weiß der Täter jedoch, daß die Sache von dem zuständigen Beamten ordnurrgsmäßig rechtswirksam ge­ pfändet ist, so kann er sich nicht darauf berufen, er habe geglaubt, die Pfändung nicht beachten zu müssen, well ihr die materiellrechlliche Grundlage fehlte, V 1164/10 v. 12.5.1911. Zahl­ reiche Entscheidungen behandeln die Frage des I r r t u m s für 8137; folgende seien hervor­ gehoben: RGSt. 1 369/70 (beachtlicher Irrtum, wenn der Täter glaubte, die Beschlag­ nahme des Grundstückes umfasse die Perttnenzstücke nicht), RGSt. 10 431 (der Täter muß sich der Zuständigkeit und da diese nur bei einer an sich gesetzlich zulässigen Maßnahme in Frage kommt, auch der gesetzlichen Statthaftigkeit der Pfändung bewußt sein), vgl. jedoch einschränkend RGSt. 19 289, RGSt. 8121/22 (derJrrtum des Vermieters, auf Grund seines Zurückbehaltungsrechts befugt zu sein, eine, wie er weiß, für einen Gläubiger des Mieters ordnungsmäßig gepfändete Sache wegschaffen zu dürfen, weil daraus niemandem ein Nachtell erwachse, unbeachtlich), RGSt. 14 153 (die Kenntnis von der in ungesetzlicher und un­ gültiger Weise erfolgten Einsetzung eines Observators genügt nicht zur Kenntnis von der vollzogenen Beschlagnahme), RGSt. 19 289 (der Täter muß sich der Zuständigkeit bewußt sein, der gesetzlichen Zulässigkeit aber nur insoweit (und hier wird RGSt. 10 431 unter Hinweis auf RGSt. 9 403 und 14 153 einschränkend ausgelegt), als es sich um Fälle handelt, in welchen die Pfändung an sich als ein ungesetzlicher Akt erscheint oder vom Gesetz als wesenttich vorgeschriebene Förmlichkeiten nicht beachtet sind, nicht aber soweit auch Fälle in Frage kommen, in welchen eine Pfändung wegen etwaiger Außerachtlassung instruktioneller Vorschriften oder wegen etwaiger Ansprüche Dritter möglicherweise eine Anfech­ tung unterliegt. Ist die Amtshandlung bezüglich bestimmter Voraussetzungen in das Er­ messen des Beamten gestellt, so schließt eine der getroffenen Entscheidung entgegenstehende Auffassung des Täters, das Bewußtsein, daß es sich um die Amtshandlung eines zustän­ digen Beamten handle, nicht aus); RGSt. 26 309 (der Irrtum, nach Befriedigung des Gläubers bedürfe es keiner amllichen Aufhebung der Pfändung mehr, ist beachllich); RGSt. 41 257 (Eventualdolus hinsichtlich stattgehabter Konkurseröffnung genügt, Aneignungs­ absicht oder Absicht, Schaden zuzufügen, ist nicht erforderlich); RG. III 205/04 v. 16. 6. 04 ^beachtlicher Irrtum, wenn der Gemeinschuldner glaubt, der Konkursverwalter könne ihm gestatten, zur Konkursmasse gehörige Gegenstände sich anzueignen). 7. zusammentreffe» mit andere« strafbare« Handlungen. Wie § 133 A. 8 bemerkt wurde, ist Jdealkonkurrenz mit § 133 denkbar, wobei jedoch, wenn § 137 wegen Mangels der gesetzlichen Statthaftigkeit der Beschlagnahme nicht zur Anwendung kommen kann, subsidiäre Anwendung des § 133 ausgeschlossen erscheint, RGSt. 28 379; im Ver hältniS zu § 136 nimmt RGSt. 48 365 ebenfalls Jdealkonkurrenz an, vgl. § 136 A. 6; des­ gleichen wird solche angenommen im Verhältnis zu § 242, RGSt. 2 318, zu § 263, RGSt. IS 205, zu § 288, RGSt. 17 42, zu §9- Fleischbeschaugesetz, RGSt. 39 367.

138. Wer als Zeuge, Geschworener oder Schöffe berufen, eine unwahre Tatsache als Entschuldigung vorschützt, wird mit Gefängnis bis zu zwei

Monaten bestraft.

Dasselbe gilt von einem Sachverständigen, welcher zum Erscheinen ge­

setzlich verpflichtet ist. Die auf das Nichterscheinen gesetzten Ordnungsstrafen werden durch

vorstehende Strafbestimmung nicht ausgeschlossen. E. 19 j 228.

1. Die Pflicht des Zeugen, des Geschworenen und Schössen ist eine doppelte: die Pflicht des Erscheinens und für den Zeugen die Pflicht zur Aussage, für Geschworene und Schöffen die Pflicht, als Richter tätig zu sein. Es ist bestritten, ob § 138 sich nur auf die Pflicht zum Erscheinen bezieht. Bejaht von Olshausen 1, Meyer-Alls. 670, Schwartz 1, während Frank-1, BindingLehrb. 2 550 (dieser wenigstens hinsichtlich der Schöffen und Geschworenen) die Stelle auch auf die Weigerung der Aussage oder Dienstleistung beziehen. Erstere Ansicht ist richtig, wenn auch nicht aus dem von Olshausen angefühtten Grunde^

Berbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung.

§§ 188, 18V.

403

daß Entschuldigung und Weigerung Gegensätze seien, denn die auf unwahre Tatsachen gestützte Entschuldigung kann sehr wohl eine verkappte Weigerung enchalten, aber mit Rücksicht auf Abs. 2 und 3, die nur vom Erscheinen sprechen und weiter, wie Schwartz I mit Recht bemerkt, um deswillen, well in Abs. 3 nur die auf das Nichterscheinen gesetzten Ordnungsstrafen erwähnt und aufrecht erhalten sind. Der Entwurf löst den Zweifel we­ nigstens hinsichllich des Zeugen und Sachverständigen, indem er ausdrücklich von „Ent schuldigung des Ausbleibens" und „Begründung der Verweigerung der Aussage oder des Gutachtens" spricht. Vgl. § 228 und Denkschr. 175.

2. Die Bestimmung bezieht sich auf Zeugen und Sachverständige allgemein, mögen sie im reichsrechtlichen Zivll- oder Strafverfahren oder in einem landesrechtlich geregelten Verfahren (Ehrengericht, Disziplinargericht, Sondergericht, Berwaltungsgericht) berufen werden, doch muß es sich immer um Fälle handeln, in denen der berufenden Be­ hörde ein Recht zur Berufung und zum Zeugniszwang zusteht, Olshausen 3 Abs. 2. Ge­ schworene und Schöffen kommen nur für das reichsrechllich geregelte Strafverfahren in Frage. Andere Laienrichter (Handelskammern, Kaufmanns-, Gemeinde-, Gewerbegerichte) fallen nicht unter $ 138. 3. Nur nach erfolgter Berufung kann das Vergehen nach § 138 begangen werden. Die Berufung geschieht bei den Zeugen und Sachverständigen durch Ladung, bei den Schöffen nach § 46 GBG., bei den Geschworenen nach § 93 GBG. Der Versuch, sich der Aufnahme in die Geschworenen- oder Schöffenliste zu entziehen, fällt nicht unter § 138. Eine gesetzlich zum Geschworenen- oder Schöffendienst unfähige Person, die berufen wurde, kann sich nach § 138 strafbar machen, Schwartz 3, Oetker GA. 49 233; a. M. Olshausen 5 b, BindingLehrb. 2 551. 4. Tie strafbare Handlung besteht in dem Borschütze« unwahrer Tatsachen als Lutschntdignng. Unwahre (gleich erdichtete oder entstellte) Tatsachen vgl. § 131 A. 2. Auf den Erfolg kommt es für die Schuldfrage nicht an. Das Borschützen muß gegenüber derjenigen Behörde erfolgen, die in der Lage ist, von der Erscheinungspflicht zu entbinden. Es kann (vor oder nach dem Termine) geschehen, in letzterem Falle entweder, um die Ver­ hängung einer Ordnungsstrafe zu verhindern oder die Aufhebung einer schon verhängten zu erzielen, RGSt. 18 442, 29 315 (dieses Urteil behandelt auch die Frage der Jdealkonkurrenz mit Betrug mrd verneint sie für den vorliegenden Fall, well in dem Verhindern auf eine Geldstrafe zu erkennen, keine Vermögensbeschädigung liege). Auch teilweises Verschweigen fällt unter die Strafdrohung, unabhängig davon, ob die Angabe der vollen Wahrheit das Ausbleiben entschuldigt oder aber der Entschuldigung des Zeugen im Wege gestanden haben würde. Der Zeuge ist verpflichtet, in vollem Umfang und durchaus wahr­ heitsgemäß über den Grund seines Ausbleibens Auskunft zu geben, Dresden 2. 4. 1913, SächsA. 1914 443. 5. Neben der Strafe aus § 138 kann nach Abs. 3 auf die auf das Nichterscheinen ge­ setzten Ordnungsstrafen (StPO. §§ 50, 77, ZPO. §§ 380 , 409, MStGO. §§ 186, 213, GVG. §§ 56, 96) erkannt werden und zwar ohne daß die §§ 73, 74 in Betracht kommen, Olshausen 7.

ISS. Wer von dem Vorhaben eines Hochverrats, Landesverrats, Münzverbrechens, Mordes, Raubes, Menschenraubes oder eines gemeingefähr­

lichen Verbrechens zu emer Zeit, in welcher die Verhütung des verbrechens

möglich ist, glaubhafte Kenntnis erhalt rmd es unterlaßt, hiervon der ve-

hörde oder der durch das verbrechen bedrohten Person zur rechten Zeit An­ zeige zu machen, ist, wenn das verbrechen oder ein strafbarer versuch des­ selben begangen worden ist, mit Gefängnis zu bestrafen. E. 19 § 226.

1. Die unterlassene Berbrechensanzeige ist nur strafbar, wenn es sich um die in § 139 genannten Verbrechen handelt. Hinsichtlich der einzeln aufgeführten ist mit Olshausen 1 anzunehmen, daß alternativ e Feststellung zulässig ist. Hochverrat begreift nur die in §§ 81—82 genannten Straftaten, nicht auch die §§ 83—86 (hochverräterische Handlungen); so die gemeine Meinung, anders nur Hälschner 2 26*

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Strafgesetzbuch.

2. Teil.

7. Abschnitt.

858; Landesverrat §§ 87—92; M ü n z v e rb re ch en §§ 146, 147, 149 (nicht auch Bergehen), Mord aus § 211 (Plagge, „Unterlassene Verhinderung von Verbrechen", Göttingen 1896, S. 9—11, will alle Fälle vorsätzlicher Tötung einbeziehen); de lege ferenda wohl zu erwägen; R a u b §§ 249—251, nicht auch die räuberische Erpressung § 255, Men­ schenraub? 234, nicht auch, wie Plagge a. a. O. annimmt, Kinderraub § 235, die ge­ meingefährlichen Verbrechen des 27. Abschnittes (nicht auch Vergehen), §§ 306 bis 308, nicht der Versicherungsbetrug nach § 265, RGSt. 43 344, §§ 311—313Abs. 1,321 Abs. 2—324. Weitere Strafdrohungen enthalten: Sprengstoffgesetz § 13, MStGB. §§ 60, 70, 104, SpionGes. § 9. L a n d e s g e s e tz e , die die private Anzeigepflicht bevorstehender Ver­ brechen weiter ausdehnen, sind ungültig. Eine Verpflichtung, begangene Verbrechen anzuzeigen, besteht für Private nicht; vgl. aber A. 2. Ter E n t w. nennt in § 226 noch die Verbrechen eines Angriffs gegen Volksverttetung oder Regierung und spricht statt von Menschenraub von Mädchenhandel.

2. Bon dem Borhaben eines der bezeichneten Verbrechen muß der Tater Kenntnis erhalten haben. Zweck der Anzeigepflicht ist, wie sich aus der weiteren Fassung der Be­ stimmung ergibt, die Verhinderung des Verbrechens und daraus folgt, daß von einem Vorhaben des Verbrechens so lange die Rede ist, als seine Verhinderung denkbar ist. Dies aber ist der Fall von dem Zeitpuntt ab, wo jemand sich mit dem Gedanken trägt, ein Verbrechen zu begehen bis zur Vollendung einschließlich des Erfolgs, bei fortdauernden Delikten bis zum Abschluß der Fottdauer, bei gemeingefährlichen, obwohl sie den Eintritt der Gefahr nicht verlangen, so lange, als der bei ihnen durch die Handlung herbeigeführte Zustand der Gefahr bestehen bleibt, RGSt. 14 214. Das gleiche gilt, wenn ein Verbrechen juristisch vollendet, tatsächlich noch nicht beendet ist, vgl. § 146, Inverkehrbringen des ge­ fälschten Geldes, Olshausen 2. Hieraus ergibt sich, daß die Anzeigepflicht auch dann noch besteht, wenn schon eine strafbare Borbereitun^handlung oder ein strafbarer Versuch vorliegt. A. M. Binding Lehrb. 2 673, 678. Bor hat ein Verbrechen der genannten Art nur der, der es selbst begehen will, nicht auch der Anstifter oder Gehilfe; daher verpflichtet Kenntnis nach dieser Rich­ tung nicht zur Anzeige, BindingLehrb. 2 678. Tie herrschende Meinung nimmt auch an, daß Kenntnis von dem Vorhaben eines Unzurechnungsfähigen nicht unter § 139 falle, ein nach dem geltenden Rechte wohl zutreffendes, aber sehr unbefriedigendes, dem Zwecke des Gesetzes widersprechendes Ergebnis, das der Entwurf beseitigt hat, § 226 Abs. 2; dagegen entspricht es dem Zwecke des Gesetzes, anzunehmen, daß Kenntnis von dem Vorhaben eines Verbrechens, das mit untauglichen Mitteln oder am untauglichen Objekt (strafbarer Versuch) begangen werden soll, eine Anzeigepflicht nicht begründe, Heim­ berger VTB. 2 413. Der Entw. will auch strafen, wenn der Täter wegen Untauglichkeit des Versuchs straffrei bleibt, umsomehr bei strafbarem untauglichen Versuch, Denkschr. 174.

3. Glaubhafte Kermtitis muß der Täter von dem Vorhaben erhalten haben. Die herrschende Meinung (vgl. auch GA. 42 394) nimmt an, daß g l a u b h a f t hier rein sub­ jektiv zu verstehen sei; der Täter muß in einer Weise Kenntnis erhalten haben, daß er seiner Persönlichkeit nach bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt an die Wirklichkeit und Ernstlichkeit des Vorhabens zu glauben in der Lage war, mag sie auch anderen nicht glaub­ haft erschienen sein; erschien sie umgekehrt ihm nicht glaubhaft, so genügt es nicht, daß viel­ leicht andere daran glauben konnten. „Glaube n" ist mehr als bloßes Fürmöglichhalten, Vermuten, weniger als volles Überzeugtsein. Frank VII Abs. 2 Nr. 1 und Meyer-Allf. 565 fassen glaubhaft im objektiven Sinne auf. Ter dem § 139 teilweise nachgebildete § 13 Sprengstoffgesetzes sagt: „in glaubhafter Weise" Kenntnis erhält und stellt damit auf ob­ jektive Glaubhafttgkeit ab, Stenglein Nebeng. 1 341 A. 3.

4. Diese glaubhafte Kenntnis muß der Täter z« einer Zeit erhalten haben, m welcher die BerhAung des Verbrechens noch möglich war. Hier entscheidet nicht die subjektive Auffassung des Täters, vielmehr steht ein objektives Erfordernis in Frage. Glaubt der An­ geklagte, die Verhütung sei nicht mehr möglich, so kann dieser Glaube und die dadurch ver­ anlaßte Unterlassung der Anzeige auf Fahrlässigkeit (A. 10) beruhen.

5. Sind die vorbezeichneten Voraussetzungen gegeben, so besteht die Anzeigepflicht und zwar im allgemeinen und vorbehaltlich einiger unten zu erötternder Ausnahmen für jedermann („Wer"). Ob d . erbrechen im In- oder Auslande begangen werden soll,

Beickrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung,

g 139«

405

ist gleichgültig; selbstredend ist auch der im Inland weilende Ausländer zur Anzeige ver­ pflichtet, der Deutsche im Ausland nach Maßgabe des § 4 Abs. 2 Nr. 3. Vgl. Olshausen 5b 6 Nicht verpflichtet zur Anzeige sind: a) die an dem verbrecherischen Vorhaben als Täter, Mittäter, Anstifter, Gehilfen, selbst BeteUigte«. Das Gesetz kennt keine Pflicht zur Selbstanzeige. Die Tat muß also für den, von dem die Anzeige verlangt wird, eine vollkommen fremde sein; das ist sie schon dann nicht, wenn jemand sich an der Verabredung eines Verbrechens beteiligt hat, dann aber zurückgetreten ist, RGSt. L 3. Vgl. RG. I 753/19 v. 2. 2. 20, LZ. 1920 716 (nicht ausgeführte Absicht der Beteiligung beseitigt die Anzeigepflicht nicht). B e günstiger und Hehler sind von der Anzeigepflicht nicht ftei; zu der Zeit, wo die Anzeigepflicht besteht, ist die Tat für sie noch eine fremde, es müßte sich denn um eine als Beihilfe zu bestrafende, vorher zugesagte Begünstigung handeln; hier wird wegen Beihilfe, dagegen nicht aus § 139 gestraft. Personen, die zur Zeugnis­ verweigerung berechtigt sind, sind von der Anzeigepflicht nicht befteit, sie besteht also auch für den Geistlichen trotz des Beichtgeheimnisses, ebenso für die An­ gehörigen (der Entwurf läßt diese straflos); § 226 Abs. 4. RGSt. 2 57,.43 342. Röt­ st a n d (§ 54) kann die Anzeigepflicht beseitigen, RGSt. 43 342 (die Frau fürchtet Miß­ handlung durch den Mann, wenn sie dessen Vorhaben einer Brandstiftung anzeigt); b) nicht verpflichtet ist auch die durch das Verbrechen selbst bedrohte Person, die ja an sich selbst Anzeige erstatten müßte; dabei ist jedoch zu beachten, daß bei gemeingefähr­ lichen Verbrechen jemand nicht schon deshalb Bedrohter ist, weil er durch die Ausführung des Verbrechens möglicherweise geschädigt werden kann, RGSt. 9 385, 43 944. Vgl. A. 7. 6. Anzeige muß erstattet werden ünd zwar hiervon. Ties legt Olsh. 8 mit Recht dahin aus: von der erlangten Kenntnis, so auch Frank V, während BindingLehrb. 2 679 und Schwartz 7 es dahin verstehen, daß das Vorhaben selbst angezeigt werden muß. Ein besonderer praktischer Unterschied besteht nicht; jedenfalls muß soviel angezeigt werden, als notig ist, um die Ausführung des Verbrechens zu verhindern; hiernach bestimmt sich auch, ob im einzelnen Falle die Pflicht besteht, die Ramen der Beteiligten bekannt zu geben. Vgl. auch Heimberger VDB. 2 414. 7. Die Anzeige ist der VehSrde oder der dmch das Verbreche« bedrohten Person zu erstatten. Die im Gesetze gelassene Wahl steht nur dann offen, wenn eine Bedrohter, eine Person, gegen die das Berbrechen sich von vornherein unmittelbar richten soll, vor­ handen ist, was zwar bei Mord, Raub, Menschenraub in der Regel zutreffen wird, nicht aber in den Fällen der §§ 8P—gSzeichat» z«Arm- betucht, -lebe» dieser Ltrafe ist die etw« Wege» Satziehmtg der Pest« »der relegr«dh«gebShre» begründete Strafe verwirkt. s. 19 t 251. 1. In § 276 wird die wiederhotte Verwend««- der dort genannten Wertzeichen unter Strafe gestellt. Wie schon zu § 275 (A. 2) bemerkt wurde, fällt solche Wiederver­ wendung stets unter § 276, gegebenenfalls unter die Bestimmungen des Post- oder Tele graphenfreimarkengesetzes, aber in keinem Fall unter § 275. 2. Scho« einmal verwendet ist ein Wertzeichen dann, wenn es ordnungsmäßig ent­ wertet ist, RGSt. 30 386 (Ablösung einer zur Entrichtung der warenstatistischen Gebühr verwendeten und durch Aufdruck des zollamllichen Stempels entwerteten Stempelmarke von einer ungültig ausgestellten und demnächst bei Seite gelegten Zolldellaration und Verwendung derselben für eine andere Zolldellaration, die derselben statistischen Gebühr unterlag); ferner RGSt. 37 152; die Verwendung von Wechselstempelmarken geschieht in der Weise, daß sie auf der Stückseite des Wechsels an der vorgeschriebenen Stelle aufgeklebt werden und in jeder Marke das Datum der Verwendung in der vorgeschriebenen Weise niedergeschrieben wird. Ist dies geschehen, so ist die Marke verwendet, ohne Rücksicht darauf, ob der Wechsel nachher in Umlauf gesetzt wird; die Marke darf nicht mehr zu anderen Wechseln verwendet werden, die abermalige Verwendung verstößt gegen § 276 ebenso, wie die wiederholte Verwendung der bereits einmal zu stempelpflichtigen Formu­ laren, also Schriftstücken, die noch nicht durch Ausstllung und Unterschrift zu Urkunden geworden sind, gebrauchten Stempelmarken zu anderweiten stempelpflichtigen Schrift­ stücken; vgl. auch KGJ. 2 224 (Wiederverwendung einer auf ein Bollmachtsblankett geklebten und kassierten Stempelmarke). Eine Postfreimarke ist verwendet, auch wenn nach ihrer Abstempelung aber vor der Expedition der Brief zurückgenommen wird; vgl. auch RVO. § 1497 in Stenglein Nebeng. 4. Aufl., Bd. 3 § 1497 A. 3 und die dort ange­ führten, allerdings nur Bersicherungsmarken betreffenden Urteile.

3. Strafbar ist die Wieververwe«d«ng des schon einmal verwendeten Zeichens, und zwar, soweit es sich um Stempelwertzeichen handelt, ohne Rücksicht darauf, ob ein Ent Wertungszeichen vorher entfernt wurde oder nicht, RGSt. 18 286, 23 339, 30 329, 32 116, 37 155. Wievervetwendmtg umfaßt alle diejenigen Tätigkeitsakte, durch die der Schein ordnungsmäßiger Verwendung hergestellt werden soll, RGSt. 32 116, 39 161; vgl. auch RGSt. 38 259 und 34 259 und Stenglein Nebeng. 4. Aufl., Bd. 3, RVO. § 1497 A. 4. In der Besettigmtg oder Abänderrmg eines EntwertungsvermerkeS liegt weder eine Verfälschung noch eine fälschliche Herstellung einer Sternpelmarke, die Beseitigung oder Abänderung fällt also nicht unter § 275, RGSt. 18 288; sie fällt aber auch nicht unter §§ 267, 268, zunächst dann nicht, wenn der Entwertungsvermerk nur die Bestimmung hat, die Marke zu entwerten und Tatsache wie Modalität der Entwertung kennüich zu machen, nicht aber darüber hinaus noch für andere Tatsachen und zu anderen Zwecken Beweis zu liefern, wenn er also überhaupt keine Urkunde ist; aber auch wenn er ausnahmsweise jene weiter gehende Beweisbestimmung und Beweisfähigkeit hat und deshalb im einzelnen Falle als Urkunde zu erachten ist, so entfällt doch die Anwendbarkeit der §§ 267,268, wenn die Abänderung des ursprünglichen oder die Anfertigung eines neuen Entwertungsver­ merkes nur zu dem Zwecke geschah, die Wiederverwendung von schon einmal verwendeten Stempelmarken oder Stempelpapier auszuführen, da die Abänderung oder Beseitigung des Entwertungsvermerkes das regelmäßig anzuwendende Mittel zur Begehung der Straf­ tat nach § 276 ist und deshalb neben dieser nicht besonders bestraft werden kann, RGSt. 18 290 ff., 17 399, 30 329, 32 116; RG. III 71/20 v. 7. 6. 20, vgl. aber RGSt. 39 370. Die Beseitigung oder Abändenmg des Entwertungsvermerkes kommt demnach bei § 276 Abs. 1 nur als Strafzumessungsgrund in Betracht. 4. Anders liegt die Sache in § 276 Abs. 2. Hier bildet die gänzliche oder teilweise Entfernung des Entwertungsvermerkes ein Tatbestandsmerkmal. Nicht erforderlich ist jedoch, daß der Täter selbst die Entfernung vorgenommen hat; es genügt, daß er von ihrer Vornahme weiß. „Nach Entfernung" ist gleichbedeutend mit „unter Entfernung", die Entferimng muß nicht der Wiederverwendung zeillich vorausgehen: sie kann dadurch

erfolgen, daß der auf dem Zeichen befindliche Stempel durch eine neue Stempelung un­ kenntlich gemacht wird, GA. 53 286. S § 276 verlangt in Abs. 1 und Abs. 2 wissentliches Handeln; vgl. wegen „wissent­ lich" § 275 A. 5 und Stengl. Nebenges. 4. Aufl., Bd. 3; RBO. § 1497 A. 2. Nach RGSt. 37 155 soll es unbeachtlicher TtrafrechtSirrtmn sein, wenn der Täter sich irrtümlich zur abermaligen Verwendung der schon einmal verwendeten Marken für befugt gehalten hat; dies trifft mindestens dann nicht zu, wenn der Irrtum auf falscher Auslegung oder Un­ kenntnis nicht strafrechtlicher Bestimmungen der Sternpelgesetze, des Postgesetzes usw. beruht. 6. In den Fällen des § 276 nui6 die Wiederverwendung anders als bei § 275 (A. 5) l**t besttmmmrgSgemäßen Gebrauche Verwendung „zu stempelpflichtigen Schriftstücken" (Abs. 1) „zur Frankierung" Abs. 2 geschehen, RGSt. 6 387. 7. Während es, wie oben bemerkt, für § 276 Abs. 1 gleichgültig ist, ob das Entwer­ tungszeichen gänzlich oder tellweise entfernt wird, findet § 276 Abs. 2 nur Anwendung, wenn diese Voraussetzung vorliegt; andernfalls erfolgt nur Bestrafung aus § 27 Rr. 3 Pöstges, oder § 2 Telegraphenfreimarkengesetz. 8. Nach ausdrücklicher Bestimmung des § 276 tritt in Abweichung von §§ 73, 74 Sm« «mlienmg der nach § 276 verwirkten Strafe mit einer verwirkten Defraudationsstrafe ein, RGSt. 37 152. 9. Veräußerung und Feilhalten schon einmal verwendeter Wert­ zeichen fällt unter § 364. — Spezialbestimmungen enthalten RBO. § 1497, Angestelltenversicherungsgesetz § 1497, vgl. § 275 A. 8.

277. Wer unter der ihm nicht znstehendeu Bezeichnung als Arzt oder

als eine andere approbierte Medizinalpersou oder ««berechtigt ««ter dem Ramen solcher Personen ein Zeugnis über seinen oder eines andere« Ge­ sundheitszustand ausstellt oder ein derartiges echtes Zeugnis verfälscht, und davon zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften

Gebrauch macht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. 1. Die §§ 277—279 stehen in engem Zusammenhang; sie beziehen sich auf Zeugnisse über dem GesNUdhettSzuftand eines Menschen, fei es des Ausstellers selbst oder eines an­

deren und zwar betrifft § 277 die Ausstellung solcher Zeugnisse unter fälschlicher Beilegung der Bezeichnung als Arzt ober andere approbierte Medizinalperson ober unter Mißbrauch bes Namens solcher Personen ober bie Verfälschung echter berartiger Zeugnisse, § 278 bie Ausstellung echter, inhaltlich unrichtiger Zeugnisse burch Arzte ober andere approbierte Medizinalpersonen, § 279 den Gebrauch solcher falscher ober inhaltlich unrichtiger Gesund heitszeugnisse. 2. Rach 8 277 ist strafbar: a) Wer unter seinem richtigen Namen ein Gesundheitszeugnis ausstellt, sich dabei aber als approbierte Medizinalperson bezeichnet, ohne es zu sein, z. B. der Kurpfuscher stellt ein Zeugnis als Arzt aus, Recht 1918 179. Urkundenfälschung im Sinne des § 267 wird hier in der Regel nicht vorliegen, da in den meisten Fällen nicht über bie Identität bet Person getäuchst wird, vgl. § 267 A. 28; b) wer unter dem Namen eines anderen, der approbierte Medizinalperson ist, ein solches Zeugnis ausstellt; c) wer ein von einer approbierten Medizinalperson ausgestelltes Gesundheitszeugnis verfälscht. In den Fällen 2 und 3 kann Urkundenfälschung vorliegen, wenn es sich nicht nur um ein privatschriftliches Zeugnis handelt, das der Urkundeneigenschast entbehrt (§ 267 A. 10). Aber auch wenn sie Urkunden sind, tritt Bestrafung nicht nach §§ 267,268, sondern nach der Spezialbestimmung des § 277 ein, RGSt. 6 1, GA. 58 192 (den Arzt als Beamten betr.). RG. I 173/21 v. 7. 3. 21. Auch Jdealkonkurrenz mit § 363 kommt nicht in Frage, RGSt. 31 296, RG. I 173/21 v. 7. 3. 21. Gleichgültig ist es, ob das Zeugnis inhaltlich richtig ist ober nicht, RGSt. 20 138. 3. Die Bestimmung ist auf approbierte Redizinalpersone« beschränkt (vgl. § 29 GewO.), richtet sich aber auch gegen solche Personen, bie lanbesrechtlich zu ben approbierten

804

Strafgesetzbuch.

2. Teil.

23. Abschnitt.

Medizinalpersonen gehören, z. B. in Bayern die Bader, RGSt. 6 260. Die Hebammen gehören nicht zu den approbierten Medizinalpersonen der GewO., da sie nur eines Prü­ fungszeugnisses (§ 30 Abs. 2 GewO.), nicht einer Approbation bedürfen, RGSt. 10 340; wird landesrechtlich eine Approbation von ihnen verlangt— BindingLehrb. 2273 bestreitet, daß dies zulässig ist — so fallen sie unter §§ 277—279. 4. vesrmdhett-rerrgnisse sind Zeugnisse über den Gesundheitszustand eines Menschen und zwar nicht nur solche über den gegenwärtigen Gesundheitszustand, sondern auch solche über früher durchgemachte Krankheiten und die von ihnen zurückgelassenen Spuren; gl. M. Olsh. I, Frank II, BindingLehrb. 2 273. Nach RGSt. 24 284 gehören auch Impf­ scheine hierher, desgl. fällt darunter die sachverständige Würdigung der über den Ge sundheitszustand eines Menschen unmittelbar wahrgenommenen Tatsachen in ihren Folgen für die Gesundheit, RGSt. 33 293. 5. Zu der Ausstellung, Fälschung oder Verfälschung muß kommen, daß von dem Zeugnis zur räuschung von Behörden oder BersicheruugSgesellfchasten Gebrauch ge­ macht wird. Da die inhaltliche Richtigkeit des Zeugnisses nicht in Frage kommt, braucht die Täuschung nicht darauf gerichtet zu sein, daß eine falsche Vorstellung über den Gesundheits­ zustand erweckt wird, sondern nur auf die Hervorrufung des Glaubens, daß das Zeugnis von einer approbierten Medizinalperson mit dem Inhalt ausgestellt sei, den es zeigt, RGSt. 20138. Nicht erforderlich ist, daß weitere Zwecke verfolgt werden; andererseits trifft $ 277 auch dann zu, wenn der Täter sich einen Bermögensvortell verschaffen oder andere schä­ digen will und ebenso, wenn er berechtigte Zwecke verfolgt oder sich ein besseres Fortkommen verschaffen will, RGSt. 31 296. 6. BersichermrgSgesellschaft ist jedes nicht behördlich organisierte Versicherungs unternehmen, das im Betriebe seines Gewerbes derartiger Gesundheitszeugnisse bedarf, also besonders Lebens-, Alters-, Jnvaliditäts-, Unfallversicherungen (vgl. PrivVUntG. § 6); auch Haftpflichtversicherungen sind hierher zu rechnen, wenn es sich um Schadlos­ haltung der bei Unfällen haftbaren Personen handelt (Olsh. 2 Abs. 2). Ob der Unternehmer ein einzelner, eine Gesellschaft oder eine juristische Person ist, ist gleichgültig. 7. Die Tat kann nur vorsätzlich begangen werden. Die Hervorhebung, daß der Täter im zweiten und dritten Falle „rmberechtigl" handeln muß, hat zur Folge, daß er sich der Rechtswidrigkeit seines Handelns bewußt sein muß und daß das Gericht die objektive Rechtswidrigkeit stets, die subjektive im Bestreitungsfalle feststellen muß. RGSt. 5 112, 8 46; st. M. Schwartz 3. 8. Daß Jdealkoukurreuz mit den §§ 267, 268 ausgeschlossen ist und ebenso mit § 363 wurde schon A. 2 hervorgehoben; ob Jdealkonkurrenz mit § 147 Nr. 3 GewO, möglich ist, wenn der Aussteller mit seinem richtigen Namen unterzeichnet, sich aber fälschlich die Eigen schäft als Arzt beilegt; ist bestritten, bejaht mit Recht von Olsh. 5, Frank VI; verneint von BindingLehrb. 2 273, Schwartz 4.

278. Aerzte und andere approbierte Medizmalperfonen, welche ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Ge­ brauche bei einer Behörde oder Bersichernngsgesellschaft wider besseres Wissen ausstellen, werden mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft. 1. Im Gegensatze zu § 277 handelt es sich hier um eine inhaltlich unrichtige Falschbemkmrdnng, ähnlich wie im § 348, dem gegenüber § 278 als Spezialbestimmung zu erachten ist. Der Aussteller, der nur eine approbierte Medizinalperson sein kann, muß über den Gesundheitszustand eines Menschen — der er wohl auch selbst sein kann — täuschen wollen, sei es, daß er trotz vorhandener Gesundheit eine Krankheit oder statt der vorhan denen Krankheit eine andere bezeugt oder auch die Zeit der vorgenommenen Untersuchung falsch angibt, denn die Stelle unterscheidet nicht zwischen Angaben tatsächlicher und gutachllicher Art, GA. 43 385, 54 292. 2. Das Zeugnis muß zum Gebrauche bei einer Behörde oder Versicherungsge­ sellschaft (vgl. § 277 A. 6) ausgestellt sein, sei es daß der Täter es dort selbst gebrauchen will oder daß ein anderer es dort gebrauchen soll. Selbstverständlich handelt es sich nicht nur um Zeugnisse, die für das Gericht bestimmt sind und dort nach § 255 StPO, verlesen

Urkundenfälschung.

§§ 278—286.

805

werden können, sondern auch um Zeugnisse zum Gebrauche bei anderen Behörden. Das Zeugnis muß vom Arzt in seiner Eigenschaft als Arzt ausgestellt sein; ob dies nicht zutrifft, wenn der Baker, der Arzt ist, ein falsches Zeugnis ausstellt, um den Sohn von der Schule frei zu bekommen, wie Frank I meint, ist zweifelhaft. 3. Vollendet ist die Tat mit der Ausstellung und Aushändigung des Zeugnisses; daß von ihm Gebrauch gemacht und eine Täuschung versucht oder erzielt wird, ist nicht erfor­

derlich. 4. Wider besseres Wisse« schließt den Eventualdolus bezüglich des unrichtigen In­ halts des Zeugnisses auS, vgl. § 164 A. 8; a. M. Lucas Subj. Verschuldung 45. Der Arzt muß auch wissen, daß das Zeugnis zum Gebrauche bei einer Behörde usw. bestimmt ist oder es selbst dort gebrauchen wollen; doch reicht hier im ersteren Falle der Eventualdolus aus. Hält der Täter den objektiv richtigen Inhalt für falsch, so liegt strafloser Versuch Dor; vgl. auch GA. 45 132.

279» Wer, um eine Behörde oder eine BersicherungSgesellschaft über seinen oder eines anderen Gesundheitszustand zu täuschen, von einem Zeug­ nisse der in den §§ 277 und 278 bezeichneten Art Gebrauch macht, wird mit

Gefängnis bis zn einem Jahre bestraft. 1. Der § 279 hat Ähnlichkeit mit § 270. Hier wie dort handelt es sich lediglich um den täuschende« Gebrauch eines Zeugnisses der in den §§ 277, 278 bezeichneten Art, das der Täter nicht selbst unter den Voraussetzungen dieser Bestimmungen ausgestellt hat, von beni er aber weiß, daß es ein Zeugnis der in den §§ 277,278 bezeichneten Art ist; hier wie dort genügt es aber auch, wenn es sich um ein Zeugnis nach § 278 handelt, daß es ovjektw un richtigen Inhalt hat und der Täter dies weiß; ist also nicht erforderlich, daß der Arzt das Zeugnis wider besseres Wissen ausgestellt hat, vielmehr trifft § 279 auch die Fälle, in denen der Arzt durch einen bei ihm erregten Irrtum zur Ausstellung eines inhaltlich unrichtigen Zeugnisses veranlaßt wurde, RGSt. 32 295; ebensowenig wird erforderlich sein, was das erwähnte Urteil unentschieden läßt, daß der Arzt das Zeugnis zum Gebrauche bei einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft ausgestellt hat; gl. M. Schwartz 1. 2. Jdealkonfttrrenz mit § 277 (wenn der Aussteller selbst Gebrauch macht) ist au* geschlossen, Olsh. 2.

289. Reben einer nach Vorschrift der §§ 267, 274, 275, 277—279 erkannten Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Voraussetzung für die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte ist nach § 32 stets, daß die erkannte Gefängnisstrafe nicht unter drei Monate beträgt, was bei § 275 immer zutrifst. Wegen Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter vgl. § 35.

806

Strafgesetzbuch. 2. Teil. 24. Abschnitt.

Vierundzwanzigster Abschnitt. Bmrkerutt. Die Vorschriften, welche das RStGB. in §§281—283 über die Bestrafung des Banke rutts enthielt, sind am 1. Oktober 1879 durch die §§ 209—214 der Konkursordnung ersetzt worden, EG. z. KO. § 3 Abs. 2 Nr. 3. Bei der Reuredaktion der KO., welche auf Grund des RG. v. 17. 5.1898 (RGBl. 230) erfolgte, sind an die Stelle dieser Paragraphen die §§ 239 bis 244 KO. getreten (RGBl. 1898 S. 657 ff.).

Konkursordnung. Drittes Buch. Strafbestimmungen. B orbemerkungen. 1. Die Materie des strafbaren Bankerutts ist im dritten Buch der KO. erschöp­ fend geregelt. Demgemäß sind die landesrechtlichen Strafbestimmungen welche diese Materie betreffen, durch § 4 Abs. 2 EG. z. KO. aufgehoben. Dagegen sind die reichsrechtlichen Strafbestimmungen, welche in anderen Gesetzen als im RStGB. enthalten waren, nicht berührt worden, § 3 Abs. 1 EG. z. KO. Hiernach sind in Kraft ge­ blieben alle Vorschriften, welche die Unterlassirng des vorgeschriebenen Antrags auf Kon­ kurseröffnung mit Strafe bedrohen, vgl. bzgl. der Vorstandsmitglieder und Liquidatoren einer Akttengesellschast § 315 Abs. 1 Nr. 2 HGB., bzgl. der persönlich hastenden Mitglieder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien § 325 Nr. 8 HGB., bzgl. der Vorstandsmitglieder und Liquidatoren einer Erwerbs- und Wirtschastsgenossenschast GenG. § 148 Abs. 1 Nr. 2 (in der Fassung des G. v. 20. 5, 1898, RGBl. 843), bzgl. der Geschäftsführer und Liquidatoren einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung G. betr. die G. m. b. H. § 84 (in der Fassung des G. v. 20.5.1898, RGBl. 867). Ferner sind aufrecht erhalten die §§ 10—12 des RG. betr. die Pflichten der Kaufleute bei Aufbewahrung ftemder Wertpapiere v. 5. 7.1896 (RGBl. 183). Weitere Strafbestimmungen sind erlassen in §§ 109, 112, 113 des PrivBersUntG. v. 12. 5. 1901 (RGBl. 169) und in §§ 5, 6 BaufordG. v. 1.6.1909 (RGBl. 450). 2. In der Rechtslehre ist streitig, ob der strafbare Bankerutt ein Berletzungsdelikt, ein Gefährdungsdelikt oder beides zugleich darstellt. Prakttsche Bedeutung hat die Frage nicht. Das Gesetz macht die Strafbarkeit des Bankerutts nicht von der Tatsache abhängig, daß die Vermögensrechte der Gläubiger durch Verzögerung der Leistung oder in anderer Weise beeinträchtigt werden, sondern von der Tatsache, daß die Zahlungseinstellung bzw. Konkurseröffnung erfolgt ist. Olsh.-Zw. A. 1; Liszt 480.

239. Schuldner, welche ihre Zahlungen eingestellt Haven, oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, werden wegen betrüglichen Bankerutts mit Zuchthaus bestraft, wenn sie in der Absicht,

ihre Gläubiger zu benachteiligen,

1. Vermögensstüile verheimlicht oder beiseite geschafft haben, 2. Schulden oder Rechtsgeschäfte anerkannt oder aufgestellt haben, welche

ganz oder teilweise erdichtet sind, 3. Haudelsbücher zu führen unterlassen haben, deren Führung ihueir gesetzlich oblag, oder 4. ihre Handelsbücher vernichtet oder verheimlicht oder so geführt oder verändert haben, daß dieselben keine Abersicht des VermögenSznstandes gewähre«.

Ginb mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein. 1. Nach § 281 StGB, konnte das Berbrechen des betrügerischen Bankerutts nur von einem KanfmaNN begangen werden. In § 239 KO. ist dieser Ausdruck durch die allgemeine Bezeichnung Schuldner erseht. Die Änderung des Wortlauts hat jedoch nur für die Fälle des Abs. 1 Rr. I und 2 Bedeutung. Die Fälle Abs. 1 Nr. 3 und 4 sind auch heute noch nur als Kaufleute anwendbar, da der Begriff Handelsbücher ausschließlich die Ge­ schäftsbücher von Kaufleuten bezeichnet. Auch besteht eine gesetzliche Verpflichtung zur Führung von Handelsbüchern, wie sie Nr. 3 erfordert, nur für Kaufleute, $ 38 HGB.

2.

Der Begriff Schuldner ist dem bürgerlichen Recht entnommen. Nach OlSh.-Zw. 6 a und Schwartz 2 Abs. 2 soll einM ind erjähriger , der ohne die erforderliche Ermächtigung bezw. Genehmigung ein Erwerbsgeschäst betreibt (§ 112 BGB.) nicht die Eigenschaft eines Schuldners im Sinne des § 239 KO. haben. Diese An­ sicht geht zu weit. Richtig ist nur, daß ein solcher Minderjähriger nicht als Kaufmann im Sinne des HGB. anzusehen ist, RGSt. 26 83 (betr. § 210 Nr. 2, 3 KO.), 45 5, auch nicht vertragsmäßige Verbindlichkeiten haben kann, RGSt. 36 357, RGZS. 51 288. Dagegen besteht kein gesetzliches Hindernis, daß er durch unerlaubte Handlungen Schuldverhält­ nisse begründet, §§ 828, 829 BGB. Eine Ehefrau kann ohne Einwilligung ihres Ehemannes Schuldnerin sein. Diese Einwilligung hat nur Bedeutung für die Haftung des eingebrachten Guts (§8 1395 bis 1399 BGB.) und des Gesamtguts (§ 1460 BGB.), dagegen nicht für die Haftung des Borbe­ hallsguts. Ferner kann eine Eheftau Kaufmann sein, selbst wenn der Ehemann dem Be­ triebe ihres Handelsgewerbes nicht zugestimmt oder ihm sogar widersprochen hat, DüringerHachenburg HGB. 2. Aufl. 1 37, 61, Staub HGB. 10. Aufl 115; Brand HGB. § 1 A. 8. Der Erbe eines Schuldners ist nach Eintritt des Erbfalls auch dann als Schuldner anzusehen, wenn über das Vermögen des Erblassers der Nachlaßkonkurs eröffnet ist oder eröffnet wird. Jäger, Kommentar z. KO. 5. Aufl. Bd. 2 (1914), § 214 A. 7,16, § 239 A. 2. Bei Geschästsschulden einer Firma müssen die Fälle der Zahlungseinstellung (ZE.) und der Konkurseröffnung (KE.) unterschieden werden. Im ersten Fall kann Schuldner nicht bloß diejenige Person sein, auf deren Namen das Geschäft betrieben wird, sondern auch diejenige, welche tatsächlich Inhaber der Firma ist. Im zweiten Fall ist Schuldner nur diejenige Person, über deren Vermögen das Konkursverfahren durch Gerichtsbeschluß eröffnet wurde, RGSt. 29 104, 41 426,49 321. Hat das Konkursgericht es versäumt, eine bestimmte Person als Schuldner zu bezeichnen, so güt als Schuldner diejenige Person,

welche z. Z. der KE. Inhaber ist, RGSt. 49 322. Ein früherer Inhaber kann selbst dann nicht als Schuldner verantwortlich gemacht werden, wenn die vorhandenen Verbindlich­ keiten sämllich aus der Zeit seines Geschäftsbetriebs herrühren, RGSt. 41 426. Dieselben Grundsätze finden auch auf den Teilhaber bezw. früheren Tellhaber einer offenen Handelsgesellschaft Anwendung, RGSt. 41 428. Wird ein Erwerbsgeschäst unter dem Namen einer vorgeschobenen Pers o n betrieben, so ist letztere jedenfalls dann Schuldner, wenn der Gebrauch ihres Namens mit ihrem Wissen und Willen geschieht. In diesem Falle kann angenommen werden, daß sie dem tatsächlichen Inhaber des Geschäfts mindestens Mschweigend Vollmacht ertellt hat; § 164 BGB. Dagegen ist der tatsächliche Inhaber selbst Schuldner, wenn die Per­ son, auf deren Namen das Geschäft betrieben wird, gegen den Mißbrauch ihres Namens Widerspruch erhebt, wenn sie geschäftsunfähig ist und die vorgeschriebene Genehmigung bzw. Ermächtigung fehlt oder wenn sie überhaupt nicht existiert; § 179 Abs. 1 BGB., RGSt. 26188. In dem Urt. RGSt. 25121 hat das RG. den Prokuristen schon deshalb als Schuldner betrachtet, well er „materiell" Geschäftsinhaber gewesen sei. Gl. Ans. GA. 63 428; Olsh.Zw. 6 gäbe des Briefes an einen zur Empfangnahme zuständigen Beamten außechalb der Post­ anstalt, z. B. an einen Landbriesträger sowie die Rückgabe eines irrtümlich bestellten Briefes an den zuständigen Postboten, RGSt. 36 269. Wird ein Brief mit fingierter Adresse durch die Postbehörde selbst in den Postverkehr gebracht, um die Ehrlichkeit eines Postbeamten auf die Probe zu stellen, so ist dieser Brief gleichfalls der Post „anvertraut", RGSt. 161 (63). Ein Brief oder Paket bleibt der Post auch dann anvertraut, wenn die Aushändigung an den Adressaten und die Rückgabe an den Absender nicht möglich ist. Die Verfügungs­ gewalt der Post erlischt erst mit der Vornahme einer der nach § 46 Abs. 6 und 7 PostO. zu­ lässigen Amtshandlungen (Verkauf, Verwendung, Vernichtung), RG. Recht 24 235, Wolcke 91, 92. Das Gesetz verlangt nur, daß die Briefe oder Pakete der Post anvertraut sind, nicht auch, daß sie dem Tater anvertraut sind. Ob der Täter mit dem Briefe dienstlich befaßt war, ist unerheblich. Es genügt, daß er als Postbeamter die tatsächliche Möglichkeit hatte, über den Brief zu verfügen. RGSt. 37 40, 49 215, 54 228. BindingLehrb. 2 947, Olsh. 2 b, Frank I, Schwartz 1; Liszt 617 A. 14; a. M. Meves HH. 3 1003. Dies güt auch für den Fall, daß die strafbare Handlung in der Erstattung der Eröffnung oder Unter­ drückung besteht.

5. Der Ausdruck eröffnet hat dieselbe Bedeutung wie in § 299, vgl. A. 4 daselbst. Die Eröffnung setzt also eine verschlossene Postsendung voraus. Die strafbare Handlung ist vollendet, mit der Lösung des Verschlusses; die teilweise Beseitigung desselben genügt nicht, RGSt. 29 350. Daß der Täter von dem Inhalt der Postsendung Kenntnis nimmt, ist im Falle des § 354 ebensowenig erforderlich, wie im Falle des $ 299, vgl. A. 1 daselbst, BindingLehrb. 2 947. — Ist die Eröffnung erst nach Entfernung der Sendung aus den Diensträumen der Post erfolgt, so kommt lediglich Unterdrückung oder Amtsunterschlagung in Frage.

6. Die der Post anvertraute Sendung wird «nterdrückt, wenn sie in vorschriftswid­ riger Weise dem Postverkehr entzogen, aus demselben entfernt wird, gleichviel, ob dies dauernd oder vorübergehend geschieht, RGSt. 1 115, 28 100, 33277, 52 248; Recht 1919 687; RG. V 1363/14 v. 20. 4. 1915; Dresden LZ. 1918 1165. Daß eine Verzögerung in der Bestellung eintritt, ist nicht notwendig, RGSt. 28 100. Eine Unterdrückung liegt jedoch nicht vor, wenn ein unzuständiger Postbeamter eine Postsendung in vorschriftswidriger Weise dem Empfangsberechtigten aushändigt oder dem Absender zurückgibt, RGSt. 47 70. 7. Die Strafbarkeit der Eröffnung oder Unterdrückung ist ausgeschlossen, wenn diese Handlungen im Gesetz vorgesehen sind. Der Ausdruck „Gesetz" umfaßt auch Verordnungen, insbesondere die aus Grund des § 50 PostG. erlassene Postordnung. Hiernach findet § 354 keine Anwendung in den Fällen der § 99 StPO., § 233 MilStGO., § 121 KonkO., § 32 PostG., $ 35 Abs. 2, Abs. 6, § 45 Abs. 7, § 46 Abs. 3 PostO. v. 28. 7. 1917, RG. v. 21.6.

976

Strafgesetzbuch. 2. Teri. 28. Abschnitt.

1916 betr. eine mit den Post- und Te.egraphengebühren zu erhebende außerordentliche Reichsabgabe Anlage II c (RGBl. 579). 8. Durch die Strafbestimmungen gegen das „Gestatten" und „Hilfeleisten" sind Hand hingen, welche in der Regel eine Beihilfe zu der Straftat eines Dritten darstellen, zu Son derdelitten erhoben worden. Gestatten kann der Postbeamte die Eröffnung oder Unterdrückung nicht bloß aus drücklich, sondern auch stillschweigend, durch Unterlassung einer Amtshandlung. In beiden Fällen ist erforderlich, daß der Beamte eine gewisse tatsächliche Herrschaft über die Postsendung besitzt. Auf welche Weise er diese Herrichast erlangt hat, ist uner­ heblich. Es kommt also nicht darauf an, ob die Sendung dem Postbeamten amtlich zu­ gänglich ist, BindingLehrb. 2 947 A.2; a.M. Hälschner 2 1092, Frank III 3. Unter den Begriff der Hllfeleistung fallen diejenigen Fälle, in denen der Postbeamte eine tatsächliche Herrschaft über die Postsendung nicht besitzt. 9. Der innere Tatbestand des § 354 erfordert nicht eine bestimmte Absicht des Täters; vielmehr genügt ein vorsätzliches Handeln, verbunden mit dem Bewußtsein, daß ein im Gesetz vorgelehener Fall der Eröffnung oder Unterdrückung nicht vorliegt, RGSt. 28 101, 35 82, LZ. 1916 467; vgl. Begr. z. E. 19 S. 147. 10« § 50 findet nur Anwendung, wenn ein uneigentliches Amtsdelitt — also ein mit erhöhter Strafe bedrohter Fall des § 299 — vorliegt, vgl. A. 1. Seine Anwendung ist ausgeschlossen bei der Eröffnung von Paketen sowie bei der Unterdrückung von Briefen oder Paketen, RGSt. 28 102. 11. Zwischen § 348 Abs. 2 und § 354 ist Jdealkonkurrenz möglich. Das Unterdrücken eines Briefes enthält nicht notwendigerweise das Beiseiteschaffen einer Urkunde. Der Borsatz des Täters ist im Falle des § 348 Abs. 2 auf Beseitigung eines Beweismittels, im Falle des § 354 auf Beseitigung eines Beförderungsgegenstandes gerichtet, RGSt. 47 137 a. E. Die abweichende, von BindingLehrb. 2 949 A. 3 bekämpfte Entscheidung RGSt. 35 82 ist aufgegeben. Auch mit § 350 kann § 354 in Jdealkonkurrenz zusarnrnentteffen, RGSt. 51 115; IW. 1918 620; RG. V 363/14 v. 20. 4. 1915, I 76/18 v. 25. 4. 1918, 1 157/19 v. 19. 6. 1919. 12. Wird eine Berurtellung auf Grund des § 354 ausgesprochen, so kann aus die Nebenstrafe des § 358 erkannt werden.

355. Telegraphenbeamte oder andere mit der Beaufsichtigung und Bedienung einer z« öffentliche« Zwecken dienenden Telegraphenanftalt betraute Personen,

welche

die

einer Telegraphenanstalt

««vertrauten

Depeschen verfälsche« oder i« andere«, als in de« im Gesetze vorgesehene« Fällen eröffne« oder unterdrücke«, oder von ihrem JuhaU Dritte rechts­

widrig benachrichtigen, oder einem andere« wissentllch eine solche Hand­ lung gestatten oder ihm dabei wissentlich Hilfe leiste«, werde« mit Sefä«g«is bestraft.

De« einer TelegraphenanstaU anvertrauten Depeschen werden Nach­ richten gleichgeachtet, die dnrch eine z« öffentlichen Zwecken dienende Fern­ sprechanlage vermittett werde«. E. 19 | 180 Nr. 2 und 3.

1. Die gegenwärtige Fassung des § 355 beruht auf der Novelle vom 19. 6. 1912. 2. Die Eröffnung und die Unterdrückung von Depeschen sind in $ 355 ebenso mit Sttafe bedroht wie die Eröffnung und Unterdrückung von Briesen oder Paketen in § 354. Das gleiche gllt von der Gestattung und von der Hllfeleistung in bezug auf diese Hand­ lungen. Zu den erwähnten vier Tatbeständen kommen in § 355 noch vier wettere hinzu, nämlich die Verfälschung von Depeschen, die rechtStoidrige Benachrichtigung von chrem Jnhatt, die Gestattung einer solchen Handlung und die Hllfeleistung bei derselben. Der Ausdruck verfälscht hat dieselbe Bedeutung wie in § 267. Die fälschliche Anfertigung fällt also nicht unter diesen Begriff, RGSt. 8 92, BindingLehrb. 2 953.

Die Benachrichtigung ist rechtswidrig, wenn sie nicht im Gesetz vorge­ sehen ist. 3. Während in den Fällen des § 354 nur ein Postbeamter Täter sein kann, fihmen in den Fällen des § 355 außer den Telegraphenbeamten auch bestimmte A m t s t r L g e r als Later bestraft werden, nämlich diejenigen Personen, welche — ohne Beamte zu sein — mit Beaufsichtigung und Bedienung einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanstalt betraut sind. Wachinger BDB. 9 249. Soweit § 299 auf verschlossene Depeschen anwendbar ist, liegt ein uneigentliches Amtsdelikt vor. In allen übrigen Fällen ist das Vergehen gegen § 355 als ein eigentliches Ämtsdeükt anzusehen. 4. Das Merkmal zu öffentlichen Zwecke« hat in § 355 dieselbe Bedeutung wie in s 317 vgl. A. 3 daselbst. 5. Die Worte Beaufsichtigung und Bedienung sind nicht kumulativ, sondern alter­ nativ zu verstehen, RGSt. 26 185. 6. Betraut mit der Beaufsichtigung oder Bedienung ist eine Person nur dann, wenn ihr eine dieser Funktionen von dem zuständigen Vertreter der Anstalt übertragen ist, RGSt. 26 186. Ob die Übertragung dauernd oder vorübergehend erfolgt, ist unerheblich. 7. Der Begriff Depesche umfaßt die Urschrift, welche von der Aufgabestation in Empfang genommen wird, die Zeichen, welche von der Aufgabestation an die Ankunftstalion übermittelt werden, und die Ausfertigung, welche von der Ankunftstation dem Adressaten ausgehändigt wird. 8. Die Depesche muß einer Lelegrapheustatiou anvertraut sein. Daß sie auch dem Täter anvertraut sei, verlangt das Gesetz nicht, RGSt. 49 215. 9. Jrn Gesetz vorgesehen ist die Berechtigung und Verpflichtung der Telegraphen­ anstalten, unter bestimmten Voraussetzungen eine Depesche an das Gericht, die Staatsanwaltschaft, oder den Konkursverwalter auszuhändigen, § 99 StPO., § 233 MilStGO., § 121 KonkO. 10. Zum Inhalt der Depesche gehören alle Tatsachen, welche aus dem Wortlaut der­ selben ersichtlich sind, also auch die Namen des Absenders und des Empfängers, der Ab­ sendungsort und der Bestimmungsort (§ 8 TelG. v. 6. 4. 1892) Olsh. 3 c, Schwartz 4 Abs. 3, Hälschner 2 1094, Kitzinger VDB. 9 498; a. M. Frank I, Köhler SeuffBl. 69 285. Daß der Täter von dem Inhalt der Depesche amtlich Kenntnis erlangt hat, ist nicht notwendig, vgl. A. 8 RGSt. 49 213. 11. Dritter kann auch ein Telegraphenbeamter oder ein Amtsträger sein, der in gleicher Weise wie der Täter zur Wahrung des Telegraphengeheimnisses verpflichtet ist, RGSt. 49 215. 12. Die Streitfrage, ob Nachrichten, die durch Fernsprecher (Telephon) vermittelt werden, Depeschen im Sinne des § 355 sind, war durch Urt. RGSt. 42 412 verneint worden. Die Novelle v. 19. 6. 1912 hat nunmehr den Abs. 2 hinzugefügt, der die Frage im entgegengesetzten Sinne entscheidet. 13. § 50 ist anwendbar, soweit ein uneigentliches Amtsdelikt vorliegt, vgl, A. 3 und Abschn. 28 Vordem. 14. Jdealkonkrrrrenz mit §§ 267, 274 ist möglich Olsh. 6, Frank II, Schwartz 6. Gegen die abweichende Ansicht von Meves HH. 3 1006 und BindingLehrb. 2 259 A. 4, 953 A. 1, spricht der Umstand, daß nicht jede Depesche eine Urkunde im Sinne der §§ 267, 274 darstellt, vgl. A. 7 und daß § 355 nur ein Verfälschen, nicht auch ein Gebrauchmachen er­ fordert. 15. Im Fall der Verurteilung kann auf die Nebenstrafe des § 358 erkannt werden.

M6. Ein Advokat, Anwalt oder ein anderer Rechtsbeistand, welcher bei den ihm vermöge seiner amtlichen Eigenschaft anvertrante« Angelegen­ heiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient, wird mit Gefängnis nicht «nter drei Monaten bestraft.

Handelt derselbe im Einverständnisse mit der Gegenpartei -nm Nach­ teile seiner Partei, so tritt Zuchthausstrafe bis zu fünf Jahren ein. , v. Hippel Bettel 20, Grobleben GerS. 70260, Otker 192. 6. Liegt Jdealkonkurrenz zwischen einer Übertretung gegen § 361 Nr. 3 bis 8 und einem Vergehen vor, so darf auf die Nebenstrase der Überweisung an die Landes­ polizeibehörde nicht erkannt werden, Königsberg SMZ. 1917 443, Olsh. 2 Abs. 2, Schwartz 3 b, v. Hippel Bettel 21; a. M. BindingLehrb. 2 926, Frank III Abs. 2, Grobleben GerS. 70 260. 7. Der Ausdruck Landespolizeibehörde bezeichnet eine höhere Polizei­ behörde im Gegensatz zur Ortspolizeibehörde. Stehen über der letzteren mehrere In­ stanzen, so hat das Landesrecht zu bestimmen, welche Instanz die in Abs. 3 erwähnten Be­ fugnisse ausüben soll. Kommen die Landespolizeibehörden verschiedener Bundesstaaten in Frage, so ist die Landespolizeibehörde desjenigen Bundesstaats zuständig, in welchem die Verurteilung erfolgte, v. Hippel Beitel 74, 76, BDB. 2 184, Sturm 67. 8. Die Überweisung begründet keine Pflicht, sondern ein Recht der Landes­ polizeibehörde, die in Abs. 3 und 4 vorgesehenen Maßregeln gegen den Berurteüten zu verhängen. Diese Maßregeln sind: Unterbringung in ein Arbeitshaus, Ver­ wendung zu gemeinnützigen Arbeiten, in den Fällen des § 361 Nr. 6 auch Unterbringung in eine Besserungs- oder Erziehungsanstalt oder in ein Asyl, Verweisung von Ausländern aus dem Bundesgebiet. Ob die Anordnung der Landespolizeibehörde mit der Berwaltungsbeschwerde oder mit einem anderen Rechtsmittel angefochten werden kann, ist auf Grund des Landesrechte' der einzelnen Bundesstaaten zu entscheiden, v. Hippel Bettel 77, BDB. 2 184. 9. Ergeht die Entscheidung der Berwaltungsbehörde erst nach Vollzug der gleich­ zeitig erkannten Freiheitsstrafe, so wird der Berurtellte in der Zwischenzeit regelmäßig in polizeiliche Verwahrung (Sicherungshaft) genommen. Die rechtliche Zulässigkeit dieses Verfahrens ist zweifelhaft, vgl. einerseits v. Hippel Bettel 86, anderer­ seits Sturm 80 (für Bayern). Die weitere Festhaltung des Verurteilten erscheint jeden­ falls unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, daß die gesetzliche zulässige Maßregel der Unter­ bringung auf Grund der Überweisung vorläufig vollzogen werden darf. v. Hippel Bettel 86.

10. Der in Abs. 3 bestimmte Zeitraum von zwei Jahren bezieht sich nur auf die Dauer der Unterbringung, der sogen. „Nachhaft". Für die Überlegung und Entschei­ dung der Landespolizeibehörde ist gesetzlich eine Frist nicht bestimmt. Nach dem Wlllen des Gesetzgebers soll diese Entscheidung innerhalb einer angemessenen, aber möglichst kurzen Frist erfolgen, v. Hippel Bettel 91, BDB. 2186, Sturm 78, Frank V, Schwartz 5, Olsh. 4 Abs. 2. In einzelnen Bundesstaaten ist tunlichste Beschleunigung ausdrücklich vor­ geschrieben. v. Hippel Bettel 79.

Der Lauf der zweijährigen Frist beginnt nicht mit dem Zeitpunkt, in dem bie Hauptstrafe vollzogen ist, sondern mit dem Zeitpunkt, in dem die Unterbringung in die Anstalt tatsächlich erfolgt, BindingLehrb. 926 A. 4, v. Hippel BDB. 2 185, Grobleben GerS. 70252, Liszt 265 A. 6, Schwartz 5, Olsh. 4 Abs. 2; a. M. Opph.-Del. 5. Eine^ Ausnahme von dieser Regel tritt jedoch dann ein, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde angeordnet hat, daß für die Berechnung der Frist der zuerst genannte Zeitpuntt maßgebend sein soll, Sturm 78, Frank VI1. Die erwähnte Anordnung hat die Wirkung, daß die gesetzliche Höchst­ dauer der Nachhast abgekürzt wird. Zu einer solchen Maßregel ist die Verwaltungsbe­ hörde befugt, da es von ihrem Ermessen abhängt, ob und in welchem Umfange die Nachhaft vollzogen werden soll.

11. Das Verbot, Personen, die zur Zeit der Verurteilung das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in ein Ar­ beitshaus unterzubringen, ist beschränkt aus weibliche Personen, die wegen Zuwiderhandlung gegen § 361 Nr. 6 verurteilt worden sind; für andere Jugendliche güt dasselbe nicht, Bay. OLG. 8 403. Nach der Ansicht von Schwartz soll es auch unzulässig sein, eine jugendliche Veibsperson, die auf Grund des § 361 Nr. 6 verurteilt ist, zu gemeinnützigen Arbeiten zu verwenden. Das Gesetz enthält ein solches Verbot nicht, Olsh. 4 Abs. 1 b. Im übrigen hat die Frage wohl keine praktische Bedeutung. 12. Seit der Novelle vom 25. 6. 1900 ist die Ausweisung von Ausländern nicht bloß an Stelle, sondern auch neben der Unterbringung zulässig. Die Wirkung der Aus­ weisung ist nicht auf das Gebiet eines einzelnen Bundesstaats beschränkt, sondern erstreckt iich auf das ganze Bundesgebiet, v. Hippel BDB. 2 191. Eine zeitliche Schranke für die Dauer der Ausweisung besteht nicht, Ham­ burg GA. 39 77, Colmar, Els.-LothrZ. 25 174, v. Hippel BDB. 2 191, Sturm 86; a. M. Opph.-Del. 15. 13. Eine besondere Begründung der Überweisung in den UrteÜsgrunden ist nicht erforderlich, da es sich um eine Frage des richterlichen Ermessens handelt. Recht 02 487.

14. Die Revision kann formell auf die Nebenstrase der Überweisung beschränkt werden, RG. BayZfR. 4 125. Praktischen Erfolg hat das Rechtsmittel in diesem Falle nicht, da das richterliche Ermessen bei der Entscheidung über die Nebenstrafe nicht nachgeprüst werben kann, BayOLGSt. 1 239, 250, 301. Zu einer weiteren Prüfung, ob der nicht an­ gefochtene Tell des Urteils eine Gesetzesverletzung enthält, ist das Revisionsgericht gleich­ falls nicht befugt; a. M. BayOLGSt. 1 250. 363»

Wer, um Behörden oder Privatpersonen zum Zwecke seines

besseren Fortkommens oder des besseren Fortkommens eines andere« zu täuschen, Passe, Militarabschiede, Wanderbücher oder sonstige Legitimations­ papiere, Dienst- oder Arbeitsbücher oder sonstige ans Grund besonderer

Vorschriften auszustellende Zeugnisse, sowie KührnngS- oder FahigkeitSzengnisse falsch anfertigt oder verfälscht, oder wissentlich von einer solchen

falschen oder verfälschten Urkunde Gebrauch macht, wird mit Hast oder mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark bestraft. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher zu demselben Zwecke von solchen für einen anderen ausgestellten echten Urkunden, als ob sie für ihn

auSgesteltt feien, Gebrauch macht, oder welcher solche für ihn auSgesteltte Urkunden einem anderen zu dem gedachten Zwecke überlatzt. E. 19 § 240.

1

Durch die Vorschrift des § 363 ist aus dem allgemeinen Tatbestände der Urkunden­ fälschung (§§ 267—270) ein besonderer Tatbestand, nämlich die Kälschrmg Don LegttimatiouSpapieren und Zeugnissen ausgeschieden und einer selbständigen Regelung unterworfen. Zwischen den Fällen der §§ 267 ff. und den Fällen des § 363 bestehen folgende Unter­ schiede : a) In objektiver Beziehung ist das Anwendungsgebiet des § 363 teils enger, teils weiter als dasjenige der §§ 267 ff. Das Anwendungsgebiet ist enger, da § 363 nur auf sogen. Personalpapiere Anwendung findet, d. h. auf Urkunden, welche einen Ausweis über bestimmte per­ sönliche Verhältnisse des Inhabers enthalten. Solche Verhältnisse sind ins­ besondere Bor- und Zuname, Abstammung, Reichs- und Staatsangehörigkeit, Alter, Geburtsdatilm, Geburtsort, Wohnort, Religion, Stand, Gewerbe, Ari und Dauer einer Be­ schäftigung, besondere Kenntnisse und Fähigkeiten, Militärverhältnis. Dagegen sind die §§ 267 ff. auch auf Urkunden anwendbar, welche andere tatsächliche und rechtliche Verhält­ nisse betreffen, RG. IW. 1917 665. Kommentar z. Strafgesetzbuch.

2. Ausl.

65

1026

Strafgesetzbuch. 2. Teil. 29. Abschnitt.

Das Anwendungsgebiet ist weiter, da § 363 nur die fälschliche Anferti g u n g oder Verfälschung der Urkunde, § 267 dagegen auch den Gebrauch der selben erfordert, OTr. GA. 24 373, RGS1. 8 40. b) In subjektiver Beziehung verlangt § 363 nicht bloß eine rechtswidrige Absicht des Täters, vgl. A. 7, sondern auch die allgemeine, unbestimmte Absicht desselben, die Gelegenheit für sein Fortkommen zu verbessern, also seine wirtschaft­ liche Lage günstiger zu gestalten, RGSt. 10 165,12 385 (388), 20 232, 26 84, 27 56, 31 297, 38 145 (148), 43 275, IW. 1917 666, Recht 03 610, 08 532. Diese allgemeine unbestimmte Absicht ist ausgeschlossen, wenn der Täter die Verbesserung seiner Lage dadurch erstrebt, daß er ein bestimmtes eigenes Recht geltend macht, RGSt. 22 225 (227), 38 147, 42 250, 52 186, 212, RG. GA. 42 401, LZ. 1918 1349, Recht 1919 185, RMG. 15 228, oder ein bestimmtes fremdes Recht beeinträchtigt, RGSt. 20 232, 26 84, 27 56, 39 76, GA. 58 192, I 438/19 v. 30. 1. 1919, LZ. 1921 462. Die Absicht, eine Vorschrift des objektiven Rechts zu verletzen, reicht für fick allein nicht aus, um die Anwendung des § 363 auszuschließen, RGSt. 10 165, 26 85, 39 76. Der Unterschied zwischen der allgemeinen, unbestimmten Absicht, welche § 363 er fordert, und der besonderen, bestimmten Absicht, welche unter § 267 fällt, ist nicht mit voller Schärfe durchzuführen. Es bleiben eine Reihe von Grenzfällen übrig,' bei denen es zweifel haft sein kann, ob sie der einen oder anderen Klasse angehören. In solchen Fällen muß der gesetzgeberische Zweck, auf dem die Ausnahmevorschrift des § 363 beruht, entscheiden. Dieser Zweck ging dahin, Zuwiderhandlungen gegen polizeiliche Kontrollvor s ch r i f t e n , welche für das Fortkommen einer Person lästig oder hinderlich sind, milder zu bestrafen, RGSt. 8 38, 20 83, 26 85. 2. Wie schon der Wortlaut ergibt, findet § 363 sowohl auf öffentliche Urkunden als auf PrivatMkunden Anwendung, RGSt. 8 39, 10 164. Erstere können inländische oder ausländische sein, Olsh. 2 Abs. 1, Schwartz 2. Letztere müssen zum Beweise von Rechten oder Rechtsverhältnisse« erheblich sein, RGSt. 22 226, vgl. auch RGSt. 10 164: a. M. RGSt. 20 230, Olsh. 2, Schwartz 2. 3. In § 363 werden drei verschiedene Klassen von Personalpapieren unterschieden: Legitimationspapiere, Zeugnisse, die auf Grund besonderer Vorschriften auszustellen sind, Führungs- oder Fähigkeitszeugnisse. a) Legitimationspapiere sind öffentliche Urkunden, die zum Beweise der Identität, des Personenstandes oder einzelner Personalverhältnisse eines bestimmten Menschen dienen, RGSt. 10 231, 42 250. Im Gesetz sind ausdrücklich genannt Pässe, Atilitärabschiede und Wanderbücher. Diesen Papieren müssen gleichgestellt werden Heimatscheine, OLG. München St. 1 536, 2 412, 5 396, Reise - Ausw eise, OLG. München St. 1 537, Taufscheine, RGSt. 12 386, 29 243, Rostock GA. 44 275, Geburtsur künden, RG. Recht 03 610, LZ. 1915 292. Dagegen gehören nicht zu den Legitimations papieren Zivilversorgungsscheine, RGSt. 27 56, Wandergewerbescheine, RGSt. 42 250, BayZfR. 1918 322, LZ. 1918 1349; a. M. OLG. München St. 2 248, 4 297, Quittungs­ karten der Alters- und Invalidenversicherung, § 1495 RBersO., RGSt. 23 178, 335, 24 348, 36 352, 42 79, Recht 02 354; a. M. Rostock GA. 41 151, Weismann VDB. 7 389, sofern diese Karten lediglich zum Zwecke der Legitimation verwendet werden, Beschei nigungen zur Begründung von Urlaubsgesuchen, RG. Recht 1916 2039, Urlaubsscheine der Militärbehörden, RMG. I S. v. 11. 9. 1917 in S. Fraundorf N. 839 A. R., Truppen­ stammrollen, RMG. 15 225, Atteste über einen Brandschaden, Schütze GA. 37 351, Erlaubnis­ scheine der Forstverwaltung zum Beerensammeln, RGSt. 20 229, Ladungen zum Straf antritt, RG. GA. 41399, Brotscheine, Fleischkarten und andere Lebensmittelkarten, RGSt. 51 280, LZ. 1917 990, Recht 1918 1291, RG. I 461/17 v. 3. 1. 1918, Meldekarten zur Er­ werbslosenfürsorge, LZ. 14 574. b) Zeugnisse sind schriftliche Bestätigungen von eigenen oder fremden Wahr­ nehmungen. Dieselben können öffentliche Urkunden oder private sein. Auf Gründ be­ sonderer Vorschriften auszustellen sind diejenigen Zeugnisse, deren Erteilung allgemein oder unter bestimmten Voraussetzungen als notwendig vorgeschrieben, also von der Will­ kür der Beteiligten unabhängig ist, RGSt. 38 147, I 196/19 v. 3. 7. 1919. Im Gesetz sind ausdrücklich genannt Dienst- oder Arbeitsbücher. Ferner werden zrr

den erwähnten Zeugnissen gerechnet Impfscheine, § 10 JmpfG. v. 8. 4. 1874, Bescheinigungen über eine bestimmte Lehrzeit als Maschinist auf Seedampfschiffen, RGSt. 10 162, bergmännische Anlege atteste , RGSt. 52 187. Ob Zeugnisse über den Besitz von Orden und Militärmedaillen auf Grund besonderer Vorschriften auszustellen sind, hängt von den Statuten oder son­ stigen Bestimmungen ab, die für diese Auszeichnungen bestehen, RG. FS. I 331/17 vom 6. 8. 1917. Unter den Begriff der genannten Zeugnisse fallen nicht die Diplome einer technischen Hochschule, RGSt. 38 147, die Legitimationsscheine des § 119 BZG. GA. 37 436, die sogen. Pferdelegitimationsscheine, Rspr. 8 247, die schriftliche Einwilligung des Vaters einer minderjährigen Person, daß letztere in Dienst oder in Arbeit treten dürfe, RGSt. 21 56, die schriftliche Erklärung des gesetzlichen Vertreters, daß ein Minderjähriger zur Übernahme von Schiffsdiensten ermächtigt sei, § 7 Abs. 2 SeemO. v. 2.6.02, RG. V 171/1912 v. 3. 5. 1912, die Mahlkarten, welche das Recht der Selbstversorger zum Aus­ mahlen von Brotgetreide regeln, RG. Recht 1917 953 und andere Lebensmittelkarten, RGSt. 51 280, Beurkundungen, durch welche die Vornahme bestimmter Rechtsgeschäfte bestätigt werden, RG. I 196/19 v. 3. 7. 1919. Auch die Zeugnisse, welche auf Grund besonderer Vorschriften auszustellen sind, müssen zum Ausweis über rein persön­ liche Verhältnisse des Zeugnisempfängers dienen, vgl. Anm. 1.

c) Führungs- oder Fähigkeitszeugnisse sind schriftliche Bestäti­ gungen, welche die Führung, die Fähigkeiten oder die Leistungen der in ihnen genannteri Personen zum Gegenstand haben. Unerheblich ist, ob diese Zeugnisse von einer offene lichen Behörde oder von einer Privatperson herrühren, ob sie auf Grund besonderer Vor­ schriften auszustellen sind oder nicht, RGSt. 43 273. Dieselben müssen jedoch bestimmt sein, als allgemeine Ausweise zu dienen. Infolgedessen fallen Empfehlungsbriefe, die nur an einzelne Personen gerichtet sind, nicht unter die Vorschrift des § 363, RGSt. 44 369; StRZ. 1918 49. Zu den erwähnten Zeugnissen gehören Atte st e über die Arbeitsfähig­ keit oder Arbeitsunfähigkeit einer Person, RGSt. 25 103, ferner S chulzeugnis s e RGSt. 43 273, dagegen nicht Prüfungszeugnisse, deren Besitz die Voraussetzung für die Ausübung von Rechten — sei es des Inhabers, sei es des Staates oder anderer Personen bildet, RGSt. 43 275, GA. 39 431, RG. FS. I 331/17 v. 6. 8. 1917. Beispiele bieten das Recht des Inhabers, einen vom Staat anerkannten Titel zu führen, RGSt. 38 147, die Stelle eines Volksschullehrers zu bekleiden, RGSt. 39 77.

4. Aus dem in A. 1 d aufgestellten Grundsatz folgt, daß der Täter nicht zum Zwecke seines bessere« Kortkonrmens handelt, wenn er ein Personalpapier fälschlich anfertigt oder verfälscht, um sich einen bestimmten Vorteil zu verschaffen. Ob dieser Vorteil ein Bermögensvorteil ist, macht keinen Unterschied. § 363 ist daher nicht anwend­ bar, wenn der Täter den Zweck verfolgt, seine vorzeitige Entlassung aus der Schule zu bewirken, RG. V 686/12 v. 17. 9.1912, die Verspätung einer militärischen Meldung zu verdecken, RG. GA. 58 192, einen Adelstitel zu führen, RGSt. 29 243. Ebenso ist die Anwendung dieses Paragraphen ausgeschlossen, wenn die Fälschung zu dem Zwecke vor­ genommen wird, eine Schnellzugskarte zu ermäßigtem Preise zu erwerben, RMG. 10 268, eine den Militäranwärtern vorbehaltene Beamtenstelle, auf die der Täter keinen Anspruch hat, zu erlangen, RGSt. 27 56, die unentgeltliche Ausbildung als Krankenschwester auf Kosten eines Frauenvereins zu erreichen, RG. I 266/16 v. 19. 6. 1916. Der genannte Paragraph kann auch nicht zur Anwendung kommen, wenn die Fälschung lediglich als Mittel für die Verübung strafbarer Handlungen dienen soll, z. B. für die Erschwindelung von Handgeld durch Abschluß nicht ernstlich gemeinter Dienstverträge, RG. V 484/09 vom 6. 7. 09, für die Ausführung von Diebstählen in der Stellung eines Verkäufers oder eines Dienstmädchens, RG. II 94/15 v. 13. 4. 1915, vgl. OLG. München St. 1 536. Der zuletzt aufgestellte Satz bedarf jedoch der Einschränkung. Nach der Entstehungsgeschichte des § 363 ist anzunehmen, daß Fälschungen von Personalpapieren, die lediglich zum Zwecke der Erlangung von Almosen bewirkt werden, unter die Strafbestimmung dieses Paragraphen fallen sollen, RGSt. 8 40, 20 232, 25 103 (104), Schütze GA. 37 354, RG. GA. 39 432.

Strafgesetzbuch. 2. TeU. 29. Abschnitt.

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Handelt der Täter zu dem Zwecke, einen bestimmten Vorteil, den er bereits erlangt hat — z. B. eine Anstellung — dauernd zu behalten, so findet § 363 keine Anwendung, Recht 1968 3003. In dem Urteil RGSt. 26 83 ist ausgesprochen, daß der Täter auch dann zum Zwecke seines besseren Forttommens handle, wenn er ein Führungsattest behufs Erlangung einer Wirtschaftskonzession verfälsche. Bon dem hier vertretenen Standpuntt aus kann diese Entscheidung nicht gebilligt werden. Der Täter beeinträchttgt durch seine Handlung ein bestimmtes Recht der Verwaltungsbehörde, nämlich das Recht, die Versagungsgründe des § 33 Abs. 2 GewO, zu prüfen. In dem Urteil I 352/16 v. 25. 9. 1916 hat das RG. anerkannt, dah die Verfälschung eines Reisepasses als Vergehen im Sinne des § 268 an­ zusehen sei, wenn sie das Recht der Militärbehörde zur Verweigerung der Zureise-Erlaubnis in ein bestimmtes Grenzgebiet vereiteln sollte. L. Eine Berfalschrmg im Sinne des § 363 liegt auch dann vor, wenn aus einem Dienst­ buch einzelne Blätter herausgeschnitten und entfernt werden, Posen GA. 46 175, Darm­ stadt GA. 48 155. 6. Die Vorschrift des Abs. 2 bezieht sich auf echte, unverfälschte Urkunden. Der Gebrauch solcher Urkunden ist nur strafbar, wenn der Täter eine von dem Berechtigten verschiedene Person ist, RGSt. 10 262. 7. Zum nuteten Tatbestand des § 363 gehört - ebenso wie zu dem der §§ 267, 268 — eine rechtswidrige Absicht des Täters, RGSt. 10 164, 12 385 (388), 26 84. 8. Jdealkonknrrenz mit §§ 267, 268 ist ausgeschlossen; § 363 geht als lex specialis vor, RGSt. 12 385 (388), 20230, 23 46, RG. IV 983/03 v. 15. 5.03, II410/06 v. 26. 5.06. Frank I, Schwartz 1; a. M. BindingLehrb. 2 276 bzgl. des § 268. Der gleiche Gesichtspunkt gilt auch für das Verhältnis von § 277 und § 363, RGSt. 31298. Streitig ist, ob § 263 und § 363 in Jdealkonkurrenz Zusammentreffen können. Das RG. hat die Frage bejaht, RGSt. 23 46. Gl. Ans. Opph.-Del. 20, Liszt 560 A. 11. Dagegen wird die Frage ver­ neint von Olsh. 6 d, BindingLehrb. 2 276 A. 3, Frankl Abs. 8, Schwartz 4. Letztere Meinung verdient den Vorzug. Ein Betrug ist nur denkbar, wenn der Täter die Absicht hat, sich bestimmte Vermögensvorteile zu verschaffen. Diese Absicht schließt die Anwendung des § 363 aus, wie bereits in A. 4 dargelegt ist. — § 363 ist auch nicht anwendbar, wenn der Tatbestand des § 271 vorliegt, RGSt. 42 82, LZ. 1921 462. 9. Besondere Borschristen sind in § 1495 der RBO. und in §§ 347, 348 des BersG. für Angestellte vom 20. 12. 1911 enthalten, desgleichen an § 1 Nr. 5, 6, 7, 8, 9 der BO. betr. Strafbestimmungen für Zuwiderhandlungen gegen die Paßvorschriften vom 21. 5. 1919 (RGBl. 470).

AK4.

Mit Geldstrafe bis zu emtausendfüufhundert Mark wird bestraft,

wer wissentlich schon einmal verwendetes Stempelpapier nach gänzlicher oder teilweiser Entfernung der darauf gesetzten Schriftzeichen, oder schon

einmal verwendete Stempelmarken, Stempelblankette oder ausgeschnittene oder sonst abgetrennte Stempelabdrücke der im § 276 bezeichneten Art ver­ äußert oder feilhalt. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher wissentlich schon einmal ver­ wendete Post- oder Lelegraphenwertzeichen nach gänzlicher oder teilweiser

Entfernung des Entwertungszeichens veräußert oder feilhält. 19 5 251.

1. Die Vorschrift des Abs. 1 ist aus dem G. über die Wechselstempelsteuer vom 10. 6. 1869 § 23 in das StGB, übernommen. Abs. 2 ist durch die Novelle vom 13. 5. 1891 Art. V hinzugefügt worden. 2. Mit Strafe bedroht ist nur das Veräußern und Feilhalten der in Abs. 1 und 2 auf­ gezählten Gegenstände. Der erste dieser Begriffe umfaßt alle Arten von Rechtsgeschäften, durch welche die Verfügungsgewalt über die erwähnten Gegenstände auf eine andere Person übertragen wird, vgl. RGSt. 48 218. Der zweite Begriff hat dieselbe Bedeutung wie in anderen Stellen des StGB., vgl. § 324, § 367 Nr. 3, 5. Die Verwendung oder Be­ nutzung der Gegenstände fällt unter § 276, RGSt. 6 393. •

3. Das Gesetz verlangt nicht, daß die Entferrmng der Schriftzeiche« (Abs. 1) oder rrttwertrmgSzeicheir (Abs. 2) durch den Täter erfolgt sei; sie kann auch durch eine an­ dere Person vorgenommen sein, vgl. Bericht der RT.-Komm. 8. Leg.-Per. 1. Sess. 1890/1891 Nr. 242 S. 1841.

4. Aus dem Merkmal wissentlich ergibt sich, daß die Tat nur vorsätzlich be­ gangen werden kann. Der Täter muß das Bewußtsein haben, daß die Schristzeichen bzw. Entwertungszeichen entfernt worden sind. Bericht der RT.-Komm. a. a. O.

365* Wer in einer Schankstube oder an einem öffentlichen Bergnügnngsorte über die gebotene Polizeistunde hinaus verwellt, ungeachtet der Wirt, sein Vertreter oder ein Polizeibeamter ihn zum Fortgehen aufgefordert hat, wird mit Geldstrafe bis zu eiuhundertfünfzig Mark bestraft. Der Wirt, welcher das verweilen seiner Gaste über die gebotene Polizei­ stunde hinaus duldet, wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Hast bis zu vierzehn Tagen bestraft. E. 19 § 430.

G. V. 21. 12. 1921 § 1.

1, § 365 gehört zu den sogen. Blaukett-Borschristen, Neumann, Das Blankostraf qesetz 08 (Straftechtl. Abh. Lest 87) 28, BindingLehrb. 2 745, Olsh. 1, Frank I Abs. 2, vgl. auch Cassel GA. 40 176; a. M. Celle GA. 53 187, Breslau GA. 59 357. Das Reichsrecht hat lediglich Art und Maß der Sttafe bestimmt. Dem Landesrecht bleibt die Ent­ scheidung überlassen, ob überhaupt, event, von welcher Behörde, in welcher Form und für welchen Zeitpunkt eine Polizeistunde festgesetzt werden soll. Die Beobachtung der Formvorschriften, welche für die Verkündung von Polizeiverordnungen bestehen, ist hier ebenso­ wenig notwendig wie im Falle des § 361 Nr. 6, vgl. A. 6 daselbst, RGS1. 49 310, KGJ. 12 169, DIZ. 1897 226, 1900 279; a. M. RGSt. 10 298, KG. GA. 39 182, Volzen­ dorfs, BerwArch. 18 460.

In § 365 sind zwei verschiedene Vorschriften zusammengefaßt. Abs. 1 ist gegen die Gäste gerichtet, Abs. 2 gegen den Wirt, RGSt. 49 90, BayOLGSt. 8 10. Die Straf barfeit der Gäste ist davon abhängig, daß eine Aufforderung zum Fortgehen an sie gerichtet wurde, KG, GA. 52 422, OLG. München St. 5 23. Für die Strafbarkeit des Wirts be darf es einer Aufforderung nicht, Cassel GA. 40 176.

2. Eine Schankstube ist ein geschlossener Raum, in dem Getränke zum Genusse auf der Stelle gewerbsmäßig seilgehalten werden. RGSt. 37 261. Streitig ist, ob diese Ge tränke geistige sein müssen oder Gettänke aller Art sein können. Erstere Ansicht vertreten Frank II 1, Opph.-Del. 2, Frh. v. Riedel-Sutner, BayPolStGB. 119, letztere Hamburg GA. 44 404, BindingLehrb. 2 745, Olsh. 2 a, Schwartz 2. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch werden Trinkhallen, in denen Milch oder heilkräftiges Mineralwasser verkauft wird, nicht als Schankstuben bezeichnet. Dagegen besteht kein Bedenken, diesen Ausdruck auf Räume anzuwenden, in denen Kaffee, Tee und ähnliche Genußmittel verabfolgt werden. Eine Schankstube im Sinne des § 365 kann auch vorhanden sein, wenn die für den Gewerbebetrieb vorgeschriebene Erlaubnis (§ 33 GewO.) nicht erteilt ist. Für den Begriff der Schankstube ist wesentlich, daß sie für Jedermann oder wenigstens für einen unbestimmten, individuell nicht begrenzten Personenkreis zugänglich ist. Sie muß also ein öffentlicher Versammlungsort im Sinne des § 285 sein, vgl. A. 1 daselbst, PrOBG. 22 415.

Eine B a h n h o s s r e st a u r a t i o n ist hinsichtlich der Reisenden und der ihnen gleichstehenden Personen als Wartesaal, hinsichtlich anderer Gäste als Schankstube anzu sehen. OLG. München St. 5 88, vgl. A. 5.

3. Ter Ausdruck Bergnügungsort bezeichnet einen geschlossenen oder offenen Rauin, in dem irgendwelche Einrichtungen oder Veranstaltungen zum B e r gnügen der Besucher getroffen sind, BindingLehrb. 2 745, Olsh. 2 b, Frank II 2, Schwartz 2. Es genügt also nicht, daß ein Raum im allgemeinen dazu bestimmt ist, zu Kon­ zerten, Theatervorstellungen, Tanzbelustigungen und ähnlichen Festlichkeiten benutzt zu werden: vielmehr bedarf es noch weiterer Handlungen, um diese Zweckbestimmung zu

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Strafgesetzbuch»

2. Teil.

29. Abschnitt.

verwirklichen; a. M. Plen.-Erk. BayOGHSt. 5 377, OLG. München St. 2 486, - 338, Frh. v. Riedel-Sutner, Bay. PolStGB. 120. Ein Bergnügungsort ist Sffentlich, wenn er einem unbegrenzten Personenkreise zu­ gänglich gemacht wird, vgl. A. 2. Streitig ist, ob das gewerbsmäßige Feilhalten von Getränken zum Wesen eines öffentlichen Bergnügungsorts gehört. Die Frage wird verneint von Olsh. 2 b, Opph.-Del. 5, Schwartz 2, dagegen bejaht von Frank II 2. Für letztere Ansicht spricht der Wortlaut des Abs. 2, in dem der verfüMrngsberechtigte Inhaber des öffentlichen Ber­ gnügungsorts ausdrücklich als „Wirt" bezeichnet ist. 4. Ein Raum, der ausschließlich von einer geschloffene« Gesellschaft benutzt wird, ist weder ein öffenüicher Bergnügungsort, A. 3, noch ein öffentlicher Versammlungsort, A. 2. Auf denselben findet daher § 365 keine Anwendung, RG. LZ. 1-171128, KGJ. 9 277, 11 330,16 322 (325), PrOBG. 1 375, 42 279 (282), Reger 23 312, GA. 50 417, Celle GA. 52 114, Darmstadt Reger 10 86, Karlsruhe Reger 19 100, Olsh. 3, Frank II 1, Schwartz 2, Delius, Das öffentliche Vereins- und Bersammlungsrecht 5. Aufl. (1912) 132, Friedenthal, Das Reichsvereinsgesetz (08) 25, Stier-Somlo, Reichsvereinsgesetz (09) 65. Auf einem ganz arrderen Standpunkt stehen die bayrischen Gerichte. Dieselben vertreten die Ansicht, daß das Landesrecht über die Frage entscheide, welche Räume als öffentliche Bergnügungsorte und als Schankstuben anzusehen seien. Dieses Landesrecht ist enthalten in §4 der Kgl. BO. v. 5. 2. 08 (BayGBBl.55), der an die Stelle des § 6 der Kgl. BO. vom 18. 6. 1862 getreten ist. Nach beiden Vorschriften sind geschlossene Gesellschaften von der Einhaltung der festgesetzten Polizeistunde mit dann befreit, wenn sie ein „besonderes, mit öffenUichen Wirtschastsräumen nicht verbundenes Gesellschastslokal" besitzen. Aus dieser Bestimmung wird die Folgerung abgeleitet, daß alle Räume, die in öffentlichen Wirt­ schaften von geschlossenen Gesellschaften benutzt werden, öffentliche Bergnügungsorte seien, Plen.-Erk. BayOGH. 5 375, OLG. München St. 2 486, 5 383, 6 53, 266, 9 338, BayOLGSt. 9 131,10 277, vgl. auch Frh. v. Riedel-Sutner BayPStGB. 120. Die Recht­ sprechung der bayrischen Gerichte kann nicht gebilligt werden. Bei Blankett-Strafgesetzen ist das Landesrecht nur befugt, denjenigen Tell des gesetzlichen Tatbestandes auszufüllen, den das Reichsrecht nicht geregelt hat. Dagegen ist das Landesrecht nicht befugt, den vom Reichsrecht bereits geregelten Teil dieses Tatbestandes zu erläutern, abzuändern, zu er­ weitern oder einzuschränken. Öffentlicher Bergnügungsort und Schankstube sind reichs­ rechtliche Begriffe, welche nur durch die Reichsgesetzgebung in bindender Weise ausge­ legt werden können. Eine Gesellschaft ist geschlossen, wenn sie aus einem Personenkreis besteht, der nach außen fest begrenzt, nach innen durch wechselseitige persönliche oder sachliche Beziehungen verbunden ist, PrOBG. GA. 50 417, KG. GA. 54 310, Delius 259. Daß die Gesellschaft eine dauernde Organisation und Zweckbestimmung besitzt, ist nicht notwendig, KGJ. 16322, 17 328 (331), 34 C 11 (13), GA. 43 60, BayOLG. 9 131. Delius 142. Infolgedessen kann nicht bloß ein Verein, sondern auch eine Versammlung eine geschlossene Gesellschaft dar­ stellen, Delius 102, 142. Durch Einführung von Gästen wird die rechtliche Natur der ge­ schlossenen Gesellschaft nicht verändert, sofern zwischen dem einführenden Mitglied und dem eingeführten Gast besondere persönliche Beziehungen bestehen, PrOBG. 18 425, Delius 107. Unerheblich ist, ob der von der geschlossenen Gesellschaft benutzte Raum ihr dauernd oder vorübergehend überlassen wurde. Die Gesellschaft kann also auch ein Lokal benutzen, das zu anderen Zeiten als öffentliche Schankstube dient, KGJ. 16 C 322 (325), 34 C 13, PrOBG. 1 375,22 416. Wesentlich ist nur, daß der benutzte Raum, sofern er nicht die ganze Wirtschaft umfaßt, von den übrigen Wirtschastsräumen getrennt ist und daß er während der Dauer der Benutzung ausschließlich zur Verfügung der Gesellschaft steht. Wird die Gesellschaft nur zum Schein oder nur zur Umgehung des Ge­ setzes gegründet, so hat sie keine rechtliche Bedeutung, Delius 132, 145. 5. Der Ausdruck gebotene Polizeistunde bezieht sich auf den Zeitpunkt, der durch Gesetz oder Verordnung für die Schließung der Wirtschaften festgesetzt ist, nicht auf den Zeitpunkt, an dem die Aufforderung des Wirts oder des Polizeibeamten zum Verlassen der Wirtschaft ergeht, Cassel, GA. 40 176. Die Richtigkeit dieser Auslegung ergibt sich schon aus der Tatsache, daß int Fall des Abs. 2 eine Auftorderung überhaupt nicht notwendig ist. Uber die F o r m , in welcher die Polizeistunde bekannt zu machen ist, vgl. A. 1.

Ob eine Verordnung die Polizeistunde für die einzelnen Wirtschaften ihres Bezirks auf verschiedene Zeiten festsetzen kann, ist auf Grund des Landesrecht- zu ent­ scheiden. Für Preußen ist anerkannt, daß sogar sür einzelne Räume derselben Wirt­ schaft eine besondere Polizeistunde festgesetzt werden darf, KG. DIZ. M 819, Wolzendorfs, Berwaltungsarchiv 18 461, Delius, Das öffentliche Vereins- und Versammlungsrecht, 5. Aufl. 183. Der gleiche Rechtszustand ist auch für B a y e r n anzunehmen, Frhr. v. RiedelSutner 121. Die Polizeistunde darf nur für die Nachtzeit festgesetzt werden, nicht auch für die Tageszeit, KGJ. 47 328. Ist für eine bestimmte Wirtschaft eine Verlängerung der Polizeistunde be­ willigt, so güt diese Vergünstigung im Zweifel nur für die Person des Inhabers, nicht für

die Dauer des Wirtschastsbetriebes, KGJ. 20 C 11. Sind mehrere Inhaber der Wirtschaft vorhanden, so hat die Verlängerung, welche einem Mitinhaber gewährt ist, auch für die übrigen rechtliche Wirkung, PrOBG. GA. 62 182. Die Polizeistunde hat für alle Räume Geltung, in denen tatsächlich ein Wirtschafts­ betrieb stattfindet; sie kann sich daher auch auf Nebenräume erstrecken, die in der Regel zu anderen Zwecken benutzt werden, z. B. auf die Privatwohnung des Wirts, KG. GA. 40 350, BayOLG. LZ. 1917684, BayZfR. 1919363. Auf Bahnhofswirtschaften findet die Polizeistunde nur beschränkte An­ wendung. Sie bezieht sich lediglich auf den nicht reisenden Tell des PMikumS, der sich zum Zwecke des Zechens in diesen Wirtschaften aufhält, RGSt. 37 266, KGJ. 12 183, 20 C 8, GA. 39 353, OLG. München St. 5 86. Speisewirtschaften fallen nicht unter die Vorschrift des $ 365. Das Landes­ recht kann die Polizeistunde auch auf diese Betriebe erstrecken und Zuwiderhandlungen mit Strafe bedrohen, KGJ. 20 C 64. Sehr bestritten ist die Frage, ob öffentliche Versammlungen, die in Wirtschaften stattfinden, den Vorschriften über die Polizeistunde unterworfen sind. Ver­ neint wird diese Frage vom OLG. Hamm DIZ. 08 768, ferner von Friedenthal, Reichs­ vereinsgesetz (08) 25, Stier-Somlo DIZ. 08 689, Reichsvereinsgesetz (09) 61, Anschütz DIZ. 08 864. Bejaht wird dieselbe vom PrOBG. 32 391, OLG. Dresden GA. 65 184, Delius DIZ. 08 807, Das öffentliche Vereins- und Versammlungsrecht 5. Aufl. (1912) 183, Hieber-Bazille, Bereinsgesetz (08) 58, Wolzendorfs Verw.-Arch. 18 462. Unentschieden ist Lirrdenberg bei Stenglein Nebenges. 1 7 A. 18, bet die Frage für zweifelhaft erllärt. Die zweite der erwähnten Ansichten wird unterstützt und bestätigt durch die Entstehungsgeschichte des BerG. Bei Beratung desselben wurde sowohl in der Reichstagskommission als in der Plenarsitzung des Reichstags beantragt, dem $ 365 einen Zusatz beizufügen, daß die Po­ lizeistunde auf die Zusammenkünfte von Vereinen und ihnen nach dem Gesetz gleichstehende Zusammenkünfte keine Anwendung finde. In beiden Fällen wurde der Antrag abgelehnt, nachdem ein Regierungsvertreter denselben in der Kommission bekärnpst hatte. RT.Verh. 12. Leg.-Per. 1. Sess. 07/08, Drucks. 819 S. 106, Anttag Albrecht u. Gen. Nr. 830 XX, StenBer. 4733 D (Sitzung v. 6. 4. 08). Ferner sprechen Wortlaut und Zweck des § 1 Abs. 2 BerG. v. 19. 4. 08 dafür, daß nur die sicherheitspolizeilichen Bestimmungen des Landesrechts außer Kraft gesetzt werden sollten, sowett sie nicht aus­ drücklich auftecht erhalten wurden. Landesrechtliche Befugnisse der Polizeibehörden, die auf anderen Gebieten als auf denjenigen des Vereins- und Bersammlungsrechts sowie der Sicherhettspolizei liegen, sind durch das BerG. nicht berührt worden, vgl. § 24 dieses Gesetzes. Durch den Aufruf des Rats der Bottsbeaufttagten v. 12. 11. 1918 Nr. 2 (RGBl. 1303) sind alle Beschränkungen des Bersammlungsrechts — also auch die polizeüiche Be­ schränkung ihrer Dauer — beseitigt worden, vgl. auch Art. 123 RB.; RGSt. 56 177 (183). 6. Der Ausdruck verweilt hat zu der Streitftage Anlaß gegeben, ob der Gast so­ fort nach der Aufforderung zum Fortgehen die Wirtschaft verlassen muß oder ob ihm eine angemessene Frist zum Zahlen, Austrinken und Auffuchen der Garderobe eingeräumt werden darf. In einem Urteil des OLG. München St. 9 137 ist der strengere Standpunkt vertreten, in einem Urteil des BayOLGSt. 13 83 der mildere, der auch von Frank II 3 und Schwartz 4 geteilt wird. In dem Urt. KG. LZ. 1914 311 ist die Frage offen gelassen. Eine einheilliche Antwort auf dieselbe ist wohl nicht möglich. Bei der Ent­ scheidung des einzelnen Falles muß auf die Berkehrssitte Rücksicht genommen

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Strafgesetzbuch.

2. Teil.

29. Abschnitt.

werden, die verschieden sein kann. Nimmt die Beendigung eines Kartenspiels noch längere Zeit in Anspruch, so darf es nach der Aufforderung nicht mehr zu Ende geführt werden.

KG. GA. 42 143. Strafbar ist, wer — verweilt. Aus der allgemeinen Fassung des Abs. 1 muß gefolgert werden, daß die Strafbestimmung desselben nicht bloß gegen denjenigen gerichtet ist, den der Wirt in Ausübung seines Schankgewerbes als Gast ausgenommen hat, sondern auch gegen denjenigen, dem der Wirt die Aufnahme als Gast verweigert hat. Es kommt also nicht darauf an, ob die Person, die zum Fortgehen aufgefordert ist, Speisen und Ge­ tränke erhalten oder bestellt hat, RG. LZ. 1914 1930. Auf Personen, die überhaupt nicht die Absicht haben, Gäste zu werden, findet § 123 Anwendung, sofern sie nicht Angehörige oder Begleiter von Gästen sind.

7. Die Auffarderuug zum Fortgehen braucht nicht mit den Worten des Gesetzes, auch nicht an jeden Gast einzeln zu erfolgen. Es genügt eine an alle Anwesenden gerichtete Kundgebung, daß sie wegen Eintritts der Polizeistunde die Wirtschaft verlassen sollen, BayOLGSt. 10 275. 8. Wirt im Sinne des Abs. 2 ist auch derjenige, den der Wirt zur Leitung oder Beauf­ sichtigung des Wittschaftsbetriebes bestellt hat (§ 151 GewO.), ferner derjenige, der tat­ sächlich in Vertretung des Wirts die Aufsicht über die Schankstube führt und die Verfü­ gungsgewalt über dieselbe hat, RGSt. 36 326, BayOLGSt. 6 152, 17 12, München DIZ. 10. Spruchs. 08 58. E. 19 § 430 Abs. 2, Begr. 365. Hiernach kann auch der Ehe­ gatte des Wirts sowie ein Gewerbegehilfe oder Dienstbote desselben das in Abs. 2 vor­ gesehene Delitt begehen, KG. GA. 42 142. 9. Nicht jede Person, die sich in eine Schankstube zum Zrvecke der Bewirtung begibt, ist als Gast anzusehen. Vielmehr ist erforderlich, daß der Wirt diese Person in die Schank­ stube a u f n i m m t. Auch muß die Aufnahme in Ausübung des Schank­ gewerbes erfolgen, BayOLGSt. 9 130,11 217, BayZfR. 1918 28, KG. Reger 8 264. Logiergäste gehören nicht zu den Gästen im Sinne des Abs. 2 BayOLGSt. 9 131. Dieser Grundsatz kommt selbst dann zur Anwendung, wenn der Logiergast das Nachtquartier im Hause des Wirts nur genommen hat, um an die Polizeistunde nicht ge­ bunden zu sein, KG. GA. 51 59. A.M. KG. SächsA. 15 38, KGJ. 52 378. Privatgäste darf der Wirt auch über die Polizeistunde hinaus in seiner Schank­ stube ftei halten, BayOLGSt. 9 131. Bei Entscheidung der Frage, ob eine Person als Privatgast anzusehen ist, kommt es aus die Willensrichtung des Wirtes, nicht auf die des Gastes an, RG. I 100/15 v. 2. 3. 1916. Dieselbe Person kann vor dem Eintritt der Polizei­ stunde Schankgast, nach diesem Zeitpunkt aber Privatgast des Wirts sein. Für die Be­ urteilung solcher Grenzfälle ist der Gesichtspuntt maßgebend, daß die unentgeltliche Weiterbewirtung eine Fortsetzung des Schankgewerbes darstellt, wenn sie nicht aus besonderen, persönlichen Gründen, sondern aus geschäftlichen Rücksichten geschieht. Verabfolgt der Wirt nach Eintritt der Polizeistunde einem Angestellten der Wach- und Schließgesellschaft, der ihn auf einen Mangel aufmerksam nracht, aus Erkennttichkeit ein Glas Bier, so fehlt der Zusammenhang mit dem Schankgewerbe, RG. III 770/1915 v. 3. 1. 1916. Eine Ausübung des Schankgewerbes liegt gleichfalls nicht vor, wenn der Wirt in­ folge eines starken Gewitterregens seinen Gästen oder anderen Personen gestattet, nach Eintritt der Polizeistunde in seiner Schankstube zu bleiben. Die Wirtschaft erhält in diesem Falle die Eigenschaft eines zeitweiligen Unterstandes; die in derselben wartenden Per­ sonen sind nicht mehr Schankgäste, RG. FS. II 447/15 v. 26. 7. 1915.

10. Das Merkmal duldet hat die Bedeutung, daß der Wirt sein Gewerbe nach Ein­ tritt der Polizeistunde nicht mehr ausüben darf, KG. GA. 40 350. Die bloße Erklärung des Wirts, daß Polizeistunde oder Feierabend sei, genügt nicht. Auch die tatsächliche Ein­ stellung oder Weigerung der Verabfolgung von Getränken reicht nicht aus. Vielmehr ist der Wirt verpflichtet, alle ihm zu Gebote stehenden, den Umständen angemessenen Mittel anzuwenden, um die Räumung der Wirtschaft herbeizuführen, RG. FS. II 447/15 vom 26. 7. 1915, KG. LZ. 1914 311, BayOLG. 2 86, 8 10, BayZfR. 1918 28, OLG. München 3 64, 7 11, 9 37. Solche Mittel sind u. a. Zusammenstetten vor: Stühlen, Verdunkeln der Schankstube, nötigenfalls auch Herbeiholen polizeilicher Hilse. Die Anwendung kör­ perlicher Gewalt kann dem Wirt nicht zilgemiltet werden.

11. Für den innere» L«tbestand genügt in allen Fällen Fahrlässigkeit, vgl. hinsichtlich des Absatz! BayOLG. • 132, Olsh. 7, Frank II 4, Schwartz 4; a.M. BindingLehrb. 2 746, hinsichtlich des Abs. 2 Cassel GA. 40 176, KG. GA. 46 350, Bay. OLG. 3 149,13 83, OLG. München St. 6 266 (268), Celle GA. 59 362, BindingLehrb. 2 746, Frank III, Schwartz 5. Ein Irrtum über Inhalt oder Tragweite der polizei­ lichen Verordnung ist kein Irrtum über das Strafgesetz, vgl. Abschnitt 29 Vordem. 2, Celle GA. 59 362. 12. Jdealwnkiirrenr mit Hausfriedensbruch ist möglich, wenn der Wirt nicht bloß seine öffenllich-rechüiche Pflicht zur Beobachtung der Polizeistunde erfüllen, sondern auch seine privatrechüiche Befugnis zur Verfügung über die Wirtschaftsräume ausüben will, Olsh. 8, Frank § 123 VII, Schwartz 6.

13. In Preußen ist für die Revision wegen Verletzung des § 365 nicht das KG., son­ dern das örtliche Oberlandesgericht zuständig, vgl. Celle, GA. 53187, 59 361, Breslau GA. 59 357, Düsseldorf LZ. 1915 1395, Neumann, Das Blankostrafgesetz 08 (Strafe. Abh. Heft 87) 133, Rosenberg Recht 1916 72: Menner IW. 1916 88; a.M. Rasch Recht 1913 326.

366.

Mit Geldstrafe dis z« sechshundert Marl oder mit Haft dis zu

vierzehn Tagen wird bestraft:

1.

wer den gegen die Störung der Feier der Sonn» und Festtage erlaffenen

2.

Anordnungen zuwiderhandelt; wer in Städten »der Dörfern übermäßig schnell fährt oder reitet,

oder auf öffentlichen Straßen oder Plätzen der Städte oder Dörfer mit gemeiner Gefahr Pferde einfährt oder zureitet; 3. wer auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätze« oder Wasserstraße«

4. 5.

das Borbeifahren anderer mntwillig verhindert; wer in Städten mit Schlitten ohne feste Deichsel oder ohne Geläute

oder Schelle fährt; wer Tiere in Städten oder Dörfern, auf öffentlichen Wegen, Straße« oder Plätzen, oder an anderen Orten, wo sie durch Ausreißem, Schlage«

oder a«f andere Weise Schade« ««richte« können, mit Vernach­ lässigung der erforderlichen SicherheitSmaßregeln stehen läßt oder führt;

6.

wer Hunde auf Menschen hetzt;

7.

wer Steine oder andere harte Körper oder Unrat auf Menschen, avf Pferde oder andere Zug- oder Lasttiere, gegen fremde Häuser, Ge­ bäude oder Einschließungen, oder in Gärte« oder ei«geschlosse«e

8.

Räume wirft; wer nach einer öffentlichen Straße oder Wasserstraße, oder «ach

Orten hinaus, wo Menschen z« verkehren pflegen, Sachen, durch deren Umstürze« oder Herabfallen jemand beschädigt werden Ian«, oh«e gehörige Befestigung aufstellt oder aufhängt, oder Sache« a«f eine Weise avSgießt oder auswirft, daß dadurch jemand beschädigt oder

9.

verunreinigt werden kann; wer auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätze« oder Wasserstraßen

Gegenstände, durch welche der freie Verkehr gehindert wird, «ufstellt, hinlegt oder liegen läßt;

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Strafgesetzbuch.

2. Teil.

2«. Abschnitt.

11. wer Vie z«r ErheWmg der Sicherheit, «eqAemlichkett, Remlichkeit Mb Rrche ans v« öffentliche» Wege«, Straße«, Platze« ober Wasser­ straße« erlassene« Polizeiverorvmmgen übertritt. s. 19 r 431 (betr. Nr. 1), 417 Nr. 1 (bett. Nr. 8—5, 8—10), 429 Nr. 1 (bett. Nr. 6), 429 Nr. 2 (be tt. Nt. 7).

1.1. Nr. 1 enthält eine Blimlett-Vorschrift. Die Ausfüllung derselben ist dem Landes­ recht überlassen. G. v. 21. 12. 1921 § 1. 2. Die landesrechtlichen Bestimmungen müssen die Kei« der Sonn- und Festtage zum Gegetrstand haben. Mit diesem Ausdruck wird die religiöse Sonntags­ heiligung bezeichnet im Gegensatz zu der Sonntagsruhe der GewO. ($ 41a, § 55 a, § 105 a—i, § 136 Abs. 3), die auf sozialpolitischen und wirtschaftlichen Gründen beruht, RGSt. 20 89, KGJ. 10 320, OLG. München St. 10 301. Zuwiderhandlungen gegen die erwähnten Vorschriften der GewO, sirrd in § 146 a dieses Gesetzes mit Strafe bedroht. Durch die GewO, sind weitergehende Bestimmungen des Landesrechts nicht beseitigt, vgl. § 105 i, § 155 GewO. Verschieden von den Festtagen im Sinne der Nr. 1 sind auch die politischen Feiertage, der 1. Mai und der 9. November, welche seit der Revolution tells durch Reichsgesetz, teils durch Landesgesetz eingeführt worden sind, vgl. G. v. 17. April 1919 (RGBl. 393). Dagegen bezieht sich Art. 139 der neuen Reichsver­ fassung auch auf die kirchlichen Feiertage, soweit sie staatlich anerkannt sind. 3. Die religiöse« Interesse«, zu deren Schutze Nr. 1 dient, müssen christliche sein. Bestimmungen über die Sabbath-Feier fallen nicht unter diese Vorschrift, Rotering GerS. 58 93. Auch die christlichen Interessen werden nur soweit geschützt, als sie staatlich anerkannt sind. Sonn- und Festtage im Sinne der Nr. 1 sind daher nur diejenigen Tage, welche zu gleicher Zeit kirchliche und staatliche Feiertage sind, KG. GA. 46 57, Rote­ ring 93. Die christlichen Interessen müssen allgemeine sein. Ein allgemeines Interesse, jede Arbeit oder sonstige Tätigkeit an Sonn- und Festtagen zu verhindern, besteht nicht. Zulässig sind daher nur Verbote von Handlungen, die nach außen hin unmittelbar in die Erscheinung treten und geeignet sind, die äußere Heilighaltung der Sonn- und Festtage zu beeinträchtigen, RGSt. 20 89, KG. GA. 46 141, BayOLG. 5 100. Daß die Sonntagsfeier tatsächlich gestört wird, ist nicht notwendig, RG. LZ. 1915 1660, KG. 46 57, OLG. München 7 134. 4. In Preußen ist durch die Kabinettsordre vom 7. 2. 1837 (Pr. GS. 19), die für die alten Provinzen noch heute güt, den Regierungen die Befugnis beigelegt, die nach den Verhältnissen der einzelnen Orte oder Gegenden ihres Bezirkes erforderlichen An­ ordnungen zu treffen. Für die Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover, Hessen-Nassau sowie für Hohenzollern hat das G. v. 9. 5. 1892 (Pr. GS. 107) den Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten die gleiche Ermächtigung erteilt. In Bayern ist durch Art. 1 Nr. 2 des PolStGB. v. 26. 12. 1871 bestimmt: „Die in § 366 Z. 1 vorgesehenen Anordnungen gegen die Störung der Feier der Sonn- und Festtage werden, unter Beachtung des § 82 der II. Berfassungsbeilage für gemischte Orte, durch Verordnungen oder die aus Grund derselben ergehenden ortspolizellichen Vorschriften erlassen." Auf Grund dieser Gesetzesbestimmung ist die KB. v. 21. 5. 1897, die Feier der Sonnund Festtage betr., ergangen, die in § 8 zwischen konfessionellen gemischten und arrderen Orten unterscheidet. Hiernach sind Sonn- und Festtage im Sinne der Nr. 1: in ka­ tholischen Orten die Sonntage, die gemeinsamen und die besonderen katholischen Festtage, in protestantischen Orten die Sonntage, die gemeinsamen Fest­ tage und der Charfteitag, in gemischten Orten die Sonntage und die gemein­ samen Festtage, die besonderen nach Maßgabe des § 82 II Berf.-Beil. oder einer örtlichen Vereinbarung, vgl. Frh. v. Riedel-Sutner 219, Roth, Sonntagsfeier und Sonntagsruhe in Bayern (1899) 31, Geib, Handbuch für die Gemeindebehörden der Pfalz, 3. Aufl., bearbeitet von Besnard (01), 2 223 ff. Lber den Begriff des konfessionell gemischten Ortes vgl. RGSt. 17 57, 33 440, OLG. München St. 5 59, 6 257, 7 331. Die verfassungs­ mäßige Gültigkeit der BO. v. 21. 5. 1897 ist bestritten Graßmann-Piloty, Bayerisches Staatsrecht 2 494. Nach der Rechtsprechung der bayerischen Gerichte gehört die Prüfung

dieser Frage nicht zu ihrer Zuständigkeit, BayOLG. 1 406, 5 317, 351,373, OLG. München St. 5 58, 7 331. Für Württemberg vgl. die KBO. v. 27. 2. 1871 in der Fassung v. 27. 5.1895, v. Schicker, Württ. PolStGB. 4. Anfl. 700, für Sachsen G. v. 10. 9. 1870 (GBBl. 313) in Verbindung mit Ausf.-BO. des Minist, v. 10. 9. 1870 (GBBl. 317), 29. 6. und 5. 10. 1910 (GBBl. 203, 371). RGSt. 20 82. 5. Auf Werktage, welche den Sonn- und Feiertagen vorhergehen, bezieht sich Nr. 1 nach seinem klaren Wortlaut nicht, KG. GA. 46 56, Reger 23 44, Rotering GerS. 58 116, v. Schicker, Württ. Polizeistrafrecht 79; a.M. PrOBG. Reger 23 44. 6. Mit welcher Stunde der strafrechtliche Schutz der Sonn- und Festtage beginnt, ist eine Frage der tatsächlichen Auslegung, die nach Wortlaut und Zweck der einzelnen An­ ordnung zu prüfen ist, KG. GA. 46 141. 7. Für den inneren Tatbestand genügt in der Regel Fahrlässigkeit, sofern nicht aus der BO. selbst das Gegenteil hervorgeht, BayOLGSt. 6 203 (206), 7 209 (210), OLG. München St. 5 292 (294), 6 91, 7 134, Olsh. e, Frank I, Schwartz 3, Rotering GerS. 58 105. 8. Für Preußen hat das KG. in ständiger Praxis daran festgehalten, daß die Gerichte befugt sind, die Gesetzmäßigkeit einer zunr Schutze von Sonn- und Festtagen erlassene Polizei-BO. zu prüfen. Beispiele bieten das allgemeine Verbot, an diesen Tagen zll jagen, KGJ. 19 C 325, 20 C 120, 26 C 76, 28 C 24, das Verbot, während des Haupt­ gottesdienstes Proben für Theater-Vorstellungen abzuhalten, KGJ. 32 C 43. Die Frage, ob das KG. oder das örtliche OLG. für die Revision zuständig ist, muß ebenso entschieden werden wie in den Fällen der § 361 Nr. 6 und § 365, vgl. § 361 VI11, § 365 A. 13. II. 1. In Nr. 2 sind zwei verschiedene Gruppen oon Delikten zusammengefaßt, deren gemeinsames Merkmal darin besteht, daß sie nur innerhalb bewohnter Ortschaften — Städte oder Dörfer — begangen werden können. Bei der ersten Gruppe ist nicht erforderlich, daß der Ort der Tat zu den öffentlichen Straßen oder Plätzen gehört. Bei der zweiten (Gruppe ist die Öffentlichkeit der Straße bzw. des Platzes ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal. 2. Der Begriff der Oeffentlichkeit in Nr. 2 ist der gleiche wie in § 116 und in anderen Stellen des StGB. Frank II, Schwartz 6. 3. Nebermätzig schnell fährt oder reitet der Täter, wenn seine Geschwindigkeit so groß ist, daß sie eine Gefahr für Personen oder Sachen begründet, vgl. v. Schicker, Württ. PolStR. 81. Bei Prüfung der Frage, ob eine solche Gefahr bestanden hat, ist auf die örtlichen Verhältnisse Rücksicht zu nehmen. Die straßenpolizeilichen Verord­ nungen der Verwaltungsbehörden über das Höchstmaß der zulässigen Geschwindigkeit sind für die Gerichte in dieser Frage nicht bindend, KG. DIZ. 1914 701. Geht ein zum Reiten oder Fahren benutztes Pferd gegen den Willen seines Lenkers durch, so liegt eine strafbare Handlung im Sinne der Nr. 2 nicht vor, Opph.-Del. 7. Eine Ausnahme ist nur für den Fall anzunehmen, daß das Durchgehen auf einem Verschulden des Kutschers oder Reiters beruht, Olsh. a, Frank II, Schwartz 7. 4. Das Verbot, übermäßig schnell zu fahren, gilt nicht bloß für den Führer eines mitWferden oder anderen Zugtieren bespannten Fuhrwerks, sondern auch für den Führer einer Maschine, z. B. eines Kraftwagens oder eines Straßenbahnwagens, KG. DIZ. 1914 701, sowie für den Radfahrer, RG. GA. 51 195. 5. Unter den Begriff Einfahren fällt nicht jedes Probefahren mit einem. Pferde, das dem Fahrenden noch unbekannt ist. Wesentlich ist die Absicht, aus einem noch nicht zu diesem Zweck benutzten Pferde ein brauchbares Wagenpferd zu machen, Frankfurt GA.

40 352. 6. über den Begriff der gemeinen Gefahr vgl. Abschnitt 27 Vordem. 4. 7. Für den inneren Tatbestand genügt Fahrlässigkeit Olsh. a, Schwartz 7; a. M. Frank II und Rotering, ZStRW. 26 737/738, die in den Fällen der zweiten Gruppe Vorsatz verlangen.

8. Jdealkonkurrenz mit fahrlässiger Körperverletzung ist möglich, Rspr. 5 604, RG. GA. 51 195. III. Die jetzige Fassung der Nr. 3 beruht auf der Novelle v. 26. 2. 1876.

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Strafgesetzbuch. 2. Teil. 2S. Abschnitt.

MutwMig bezeichnet eine besondere Art des Vorsatzes, die in der ALitte zwischen „vor sätzlich" und „böswillig" steht. Der Täter muß an dem Erfolg seiner Handlung Freude haben; ein anderes Mottv, welches die Handlung rechtferttgen oder entschuldigen könnte, darf nicht vorliegen. Dagegen ist das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, welches in einem Urteil Colmar GA. 51 208 verlangt wird, nach der herrschenden Ansicht nicht notwendig. IV. Nr. 4 bezieht sich nur auf Städte, nicht auf Dörfer. Für den inneren Tatbestand genügt Kahrlassigteit, Frank IV. V. Die Bezeichnung wer trifft auf jeden zu, der die Tiere tatsächlich unter seiner Ob Hut hat, Olsh. a, Schwartz 11. Daß die imdere« Orte öffentliche sind, verlangt das Gesetz nicht, Schwartz 11. Daher können auch offene Höfe und Toreinfahrten zu diesen Orten gehören, v. Schicker, Württ. PolSM. 82. Der Täter, welcher die Tiere stehe« laßt, begeht ein Unterlassungsdelikt: er erfüllt die Verpflichtung nicht, die durch die Umstünde des Falles gebotenen Sicher heitsmaßregeln zu beobachten, Olsh. a. Der Begriff führt umfaßt auch das Treiben von Tieren, SächsOLG. 27 507, Schwartz 11. Die Möglichkeit eines Schade«S genügt: der wirkliche Eintritt eines solchen ist nicht erforderlich, SächsOLG. 27 507. Für den inneren Tatbestand reicht Fahrlässigkeit aus, wie schon der Ausdruck V e r nachlässigung erkennen läßt. Weitergehende Vorschriften des Laadesrechts sind zulässig, KG. GA. 44 405. VI. Nr. 6 findet auf H««de jeder Art Anwendung. Ein Unterschied zwischen gefähr­ lichen (§ 367 Nr. 11) und anderen Hunden ist im Gesetz nicht gemacht. Auf bedeutet in der Richtung auf. Es kommt also nicht darauf an, ob der gehetzte Hund tatsächlich einen Atenschen angepackt hat. OLG. München St. 4 228 (230). Der Täter hetzt auch dann, wenn er durch seine Handlung nicht eine Körperverletzung herbeiführen, sondern nur Schrecken verursachen will. Der innere Tatbestand erfordert Vorsatz, Olsh. a, Frank VI, Schwartz 12; a. M. Rotering ZSMW. 26 735, Otto Mayer, Deutsches Berwaltungsrecht 2. Aufl. 1 279 A. 18. Die Strafbarkeit der Harrdlung ist ausgeschlossen, wenn die Handlung rechtmäßig ist, z. B. wenn sie zu den Amtsbeftlgnissen eines Polizeibeamten gehört, RGSt. 43 132,

GA. 48 301. Jdealkonknrrenz mit Körperverletzung ist möglich, RGSt. 8 315, Olsh. a, Frank § 73 VII 2 b Schwartz 13, Köhler, Grenzlinien zwischen Jdealkonknrrenz und Gesetzeskon kurrenz (1900) 86, v. Bar, Gesetz und Schuld 3 542 A. 66; a. M. BindingLehrb. 1 79, Rotering ZSMW. 26 735 und Lobe, Einl. 22, welche Nr. 6 für eine subsidiäre Vorschrift erklären. Als Waffe oder gefährliches Werkzeug im Sinne des § 223 a kann der Hund nicht angesehen werden, RGSt. 8 316. VII. Unter den Begriff Unrat fallen nicht bloß Gegenstände, welche Ekel erregen, sondern alle Gegenstände, welche geeignet sind, eine Verunreinigung von Menschen oder Räumen herbeizuführen, RGSt. 21 318, KGJ. 46 C 369 (370), OLG. München St. 8 207. Anfbedeutet, wie in Nr. 6, in der Richtung auf. Es ist also nicht notwendig, daß die Menschen, Pferde oder andere Tiere getroffen sind, RGSt. 3 306, OLG. München St. 4 228 (230), 5 278. Andererseits bringen die Worte in und gegen zum Ausdruck, daß das Ziel getroffen sein muß, Olsh. b, Frank VII, Schwartz 15, Rotering ZSMW. 26 735: a. M. Begr. z. E. 19 S. 365. Ein Werfen auf Mensche« liegt nicht bloß dann vor, wenn eine Gefahr für das Publikum im allgemeinen entsteht, sondern auch dann, wenn bestimmte einzelne Personen gefährdet werden, RGSt. 21 314 (318), Breslau GA. 42 425. Der Ausdruck Zug» ober Lasttiere bezeichnet bestimmte Arten von Tieren, die zu bestimmteri Zwecken dienen. Aus demselbenkann nicht mit Olsh. c « und Schwartz 17 gefolgert werden, daß die Tiere zur Zeit der Tat an bestimmten Orten oder in bestimmter Weise verwendet sein müssen. Grund der Strafbestimmung ist die abstrakte Gefahr für den Leiter der Tiere und andere Personen, die sich in der Nähe derselben befinden. Das Merkmal fremd ist auch auf Gärten und eingeschlossene Räume zu beziehen, Frank VII, Schwartz 16, v. Schicker, Württ. PolSM. 82; a.M.Olsh. c. Gingeschlosse« ist ein Raum, wenn er eingefriedigt oder eingehegt, also im Sinne des § 123 „befriedet" ist. Hiernach sind auch Gebäude zu den eingeschlossenen Räumen zu rechnen, Olsh. c y, Schwartz 17 Abs. 2.

Der innere Tatbestand erfordert Borsatz, Frank VII, Schwartz 18. Begr. z. E. 19 S. 365. Jdealkonknrrenz mit vorsätzlicher Körperverletzung ist möglich, RGSt. 21314, BayOLG. 5 57. VIII. Die jetzige Fassung der Nr. 8 beruht auf der Novelle vom 26. 2. 1876. Schwartz folgert aus dem Worte nach, daß der Täter sich außerhalb der öffentlichen Straße, Wasserstraße oder des Ortes, wo Vcenschen zu verkehren pflegen, befinden müsse. Dagegen nimmt das RG. an, daß der Täter sich nicht bloß neben oder über den genannten Orten, sondern auch auf oder in denselben befinden könne, GA. 53 77. Für diese, auch von Olsh. b Abs. 2 vertretene Ansicht spricht der Zweck der Vorschrift. Das auf der öffent­ lichen Straße usw. verkehrende Publikum soll vor jeder Beschädigung und Verunreinigung geschützt werden ohne Unterschied, aus welcher Richtung dieselbe droht. Eine konkrete Ge­ fahr ist nicht notwendig, RGSt. 17 304. Zu den Sachen, durch die jemand verunreinigt werden kann, gehört Staub, der beim Ausklopfen von Decken, Matratzen, Kissen sich entwickelt, nicht, KG. Recht 1917340. - Ausgietzen umfaßt auch das Begießen von Blumen, bei denen das Wasser durch die Töpfe oder über dieselben auf die Straße läuft, v. Schicker 84. Das Lagern von Dünger auf dem Straßenkörper fällt nicht unter den Begriff auslverfen im Sinne der Nr. 8; dasselbe kann unter die Begriffe „hinlegen" oder „liegen lassen" im Sinne der Nr. 9 fallen, KG. GA. 43 136. Der innere Tatbestand erfordert ein vorsätzliches Handeln, verbunden mit dem Be­ wußtsein der begleitenden Umstände. Nach einem Urt. RGSt. 17 305 soll es nicht notwendig sein, daß das Bewußtsein des Täters sich auf die dNöglichkeit der Beschädigung erstreckt. Mit Recht vertreten jedoch BindingLehrb. 2 929 A. 4, Olsh. a, Frank VIII, Schwartz 20 die Ansicht, daß dieses Urteil zu weit geht. Das Acerkmal, daß durch Umstürzen oder Herab­ fallen der Sachen jemand beschädigt werden kann, gehört zum gesetzlichen Tatbestand. Auf dasselbe muß daher § 59 Anwendung finden. IX. 1. Auch die jetzige Fassung der Nr. 9 beruht auf der Novelle v. 26. 2. 1876. 2. Oeffentlich sind die Wege, Straßen, Plätze, wenn sie tatsächlich dem öffent­ lichen Verkehr dienen. Liegt dieses Merkmal vor, so kommt es auf die Eigentums-Verhält­ nisse nicht an, RG. IW. 09 303, KGJ. 21 C 90, München St. 5 96, Celle GA. 39 81, Jena GA. 41 152; a. M. KG. GA. 39 82. Der erwähnte Grundsatz bedarf jedoch der Einschrän­ kung: Der Eigentümer eines Privatgrundstücks, welcher dasselbe dem öffentlichen Ge­ brauch freigegeben hat, ist jederzeit befugt, sein Grundstück dem öffentlichen Verkehr wieder zu entziehen, RG.JW.09 303, KGJ. 9 245,21 C92, vgl. auch das zu §366 Nr. 10 ergangene Urt. KGJ. 1 268; a. M. München 5 98. Ist streitig, ob eine rechtliche Verpflichtung zur Duldung des öffentlichen Verkehrs besteht, so darf der Eigentümer den tatsächlichen be­ stehenden Zustand nicht einseitig ändern. Celle GA. 39 81. 3. Der Begriff Wasserstraße ist ebenso auszulegen wie an anderen Stellen des StGB., vgl. § 243 Nr. 4, § 250 Nr. 3. 4. Unter den Begriff Gegenstände fallen nur bewegliche Sachen, RGZ. 47 328, BayOLG. 6 150, Marienwerder GA. 46 456, Olsh. b, Frank IX, Schwartz 24; a. M. München St. 10 278, welches auch einen mit dem Grund und Boden fest verbun­ denen Prellstein zu den Gegenständen im Sinne der Nr. 9 gerechnet hat, vgl. Abs. 7. 5. Frei ist der Verkehr, wenn er nicht auf bestimmte Personen beschränkt ist. 6. Der freie Verkehr wird nicht bloß dann gehindert, wenn er vollständig unmöglich gemacht wird, sondern auch dann, wenn er nur beeinträchtigt oder erschwert.wird, Bay. OLGSt. 2 120, OLG. München St. 4 417, 5 98. Der Eintritt einer Verkehrsstörung ist also nicht notwendig. Es genügt, daß die Handlung des Täters geeignet ist, den Ver­ kehr zu stören, BayOLGSt. 1 281, 305, 2 204, 3 67, OLG. München St. 4 417, 5 98. Eine Hinderung des freien Verkehrs wird mit Recht angenommen, wenn die Fahrbahn durch Aufstellung eines Wagens so eingeengt ist, daß zwei Fuhrwerke nicht mehr ausweichen können, BayOLGSt. 1 304, OLG. München St. 4 416. Dagegen liegt eine solche Verkehrs­ hinderung nicht vor, wenn ein Fußweg durch Aufstellung eines Drehkreuzes für das un­ befugte Befahren mit Wagen oder Karren gesperrt wird. 7. Aufstellt, hinlegt, liegen läßt sind verschiedene Seiten derselben Tätigkeit. We­ sentlich ist das Hinschaffen von Gegenständen in einen dem freien Verkehr dienenden Raum. Der Begriff „aufstellen" umfaßt auch das Stehenlassen von bespannten oder unbe-

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Strafgesetzbuch. 2. Teil. 29. Abschnitt.

spannten Wagen. BayOLG. 1 281, 2 321, OLG. München St. 4 416, Z 477, 8 396, sowie von Kraftwagen, KG. GA. 63 343. Nach dem in A. 4 erwähnten Urteil OLG. München St. 16 278 soll die Anbringung eines mit dem Grund und Boden fest verbundenen Gegen­ stands gleichfalls unter diesen Begriff fallen. Dagegen unterscheidet das OLG. Marien­ werder, GA. 46 456, in zutreffender Weise, ob die Verbindung eine vorübergehende oder eine dauernde ist. 8. Die Anwendung der Nr. 9 setzt eine objekttve rechtswidrige Handlung voraus. In Ermangelung besonderer Vorschriften muß die Berkehrssitte für maßgebend erachtet werden. Der Gesetzgeber kann nicht gewollt haben, daß Handlungen, die einem allgemeinen Berkehrsbedürfnis entsprechen, unter Umständen sogar notwendig sind, auf Grund der Nr. 9 bestraft werden. Beispiele bieten die Aufnahme und das Absetzen von Reisenden auf öffentlichen Straßen, das Auf- und Abladen von Reisegepäck, Kohlen, Waren aller Art vor den Haustüren, BayOLG. 6 412, Colmar ElsLothZ. 43 65. Eine Person, welche an sich zur Niederlegung von Gegenständen berechttgt ist, kann sich dadurch strafbar machen, daß sie diese Gegenstände übermäßig lange auf der Straße beläßt, Ban. OLGSt. 3 67. Zu weit gehen BayOLGSt. 1282 und OLG. München St. 4 416, wenn sie ganz allgemein den Grundsatz aufstellen, daß das Privattnteresse dem öffentlichen Interesse weichen müsse. 9. Tater kann nicht bloß derjenige sein, der die körperliche Arbeit des Aufstellens uslv. verrichtet, sondern auch derjenige, der diese Maßregeln an ordnet oder veranlaßt, BayOLGSt. 1 304, OLG. München St. 5 478. 10. Der innere Tatbestand erfordert weder Borsatz noch das Bewußtsein der Rechts­ widrigkeit, Fahrlässigkeit genügt, BayOLGSt. 1 282,302 (305), OLG.MünchenSt. 4 418; a. M. Colmar GA. 51 208. X. 1. Die Blankett-Borschrist der Nr. 10 hat ihre jetzige Fassung ebenfalls durch die Novelle v. 26. 2. 1876 erhalten. 2. Der Begriff der Polizeiverordnnngen ist verschieden von den Begriffen „polizeüiche Vorschriften" § 361 Abs. 1 Nr. 6 A. VI 2 und „polizeiliche Anordnungen" § 367 Abs. 1 Nr. 2 A. II. Er bezeichnet Rechtsnorme n, welche von der zuständigen Polizeibehörde auf Grund einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung erlassen werden. Einzelne Gebote oder Verbote, welche eine Polizeibehörde innerhalb ihrer allgemeinen Zuständigkeit erläßt, gehören ebensowenig zu den PolBO. tvie allgemeine VerwaltungsVerordnungen dieser Behörde, KG. GA. 44 59. Die Rechtsnormen, welche eine PolBO. enchält, werden in der Regel allgemeine sein; wesentlich ist dies jedoch nicht, BindingLehrb. 2 929 A. 6; a. M. Olsh. a, Frank X, Schwartz 26. Die Zuständigkeit der Polizeibehörden zum Erlaß von PolBO. wird durch das Landesrecht bestimmt, vgl. für Bayern Art. 2 Nr. 6 BayPolStGB. v. 26. 2. 1871. Ebenso ist das Landesrecht für die Form ihrer Verkündung maßgebend. 3. Die PolBO. müssen zur Erhaltung der Sicherheit, Bequemlichreit, Reinlich­ keit und Ruhe erlassen sein. Daß in einer dieser Richtungen tatsächlich eine Störung einge­ treten sei, wird in den Fällen der Nr. 10 ebensowenig verlangt, wie in den Fällen der Nr. 9, vgl. A. IX 6. Die erwähnte Zweckbestimmung kann auch vorliegen, wenn durch eine PolBO. be­ stimmte politische Demonstrationen verboten werden, z. B. das Aushängen polnischer Fahnen, KG. GA. 44 406 und das Tragen französischer Uniformen zur Fastnachts­ zeit. Streittg ist, ob Nr. 10 auch Anwendung finden kann, wenn eine PolBO. bestimmte Formen des gewerblichen Lohnkampfs — insbesondere das Streikpostenstehen — verbietet oder ihre Zulässigkeit von dem Ermessen der örtlichen Polizeiorgane abhängig macht. Die Frage ist bejaht v. KG. Reger 25 460, DIZ. 05 653, Dresden SächsOLG. 25 300, 499, 35 338, Olsh. b Abs. 2, Frh. v. Riedel-Sutner 329, v. Feilitsch SächsA. 1918 31; verneint ist dieselbe von Kracht, Das Streikpostenverbot (Würz. Diss. 1914) 16, und Zschaler, Boykott, Sperre, Aussperrung, Streik, Ausstand, Verruf im Lichte des geltenden Rechts (Leipz. Diss. 1917) 690. In dem Urt. RGSt. 34 130 ist die Frage offen gelassen. Durch § 152 GewO, wird der Erlaß verkehrspolizellicher Vorschriften nicht ausgeschlossen. Unter letzterem Gesichtspunkt können auch Verbote oder Beschränkungen des Herumstehens auf öffentlichen Straßen rechtswirffam sein, vgl. BayOLG. 2 196.

Eine PolVO. zürn Schutze der in Nr. 10 genannten Interessen ist auch dann gültig, wenn sie Eingriffe in bie Gewerbefreiheit enthält, BayOLGSt. 3 116 (118), OLG. München St. 4 268 (270), 8 335 (339) oder dieAusübung bestehen­ der Privatrechte beeinträchtigt, KGJ. - 245, BayOLGSt. 3 64, OLG. München St. 4 9, 5 419. Das öffentliche Interesse geht in solchen Fällen der privatrechtlichen Be fugnis vor, KGJ. 9 245, BayOLGSt. 3 64. OLG. München St. 4 9, 5 419. Der Umstand, daß eine PolBO. bisher nur in beschränktem Umfange angewendet oder vollständig in Vergessenheit geraten ist, hat auf ihre Rechtswirksamkeit keinen Ein fluß. BayOLGSt. 1 392, 3 64, OLG. München St. 4 7, 199, 5 419, 6 252. 4. Als Wege oder Straßen im Sinne der Nr. 10 können nur Bodenflächen angesehen werden, die tatsächlich für den Verkehr benutzbar sind. Eine PolBO., welche die Wiederherstelllung eines durch Schlamm, Schutt oder Geröll unbrauchbar gewordenen Weges betrifft, fällt daher nicht unter Nr. 10, BayOLGSt. 4 241. 5. Der Begriff Wasserstraße ist nicht anwendbar auf Bäche, auf denen keinerlei Ver­ kehr stattfindet, BayOLGSt. 3 62. 6. Das Merkmal öffentlich hat in Nr. 10 dieselbe Bedeutung wie in Nr. 9, vgl. A. IX 2. Es kommt also lediglich darauf an, ob der Weg, die Straße, der Platz oder die Wasserstraße tatsächlich dem öffentlichen Verkehr dient; dagegen ist es unerheblich, ob die für den Verkehr benutzte Bodenfläche zum öffentlichen Eigentum des Staates oder eines Kommunalverbandes gehört. Auch der Nachweis eines gesetzlichen oder vertrags­ mäßigen Rechts zum öffentlichen Gebrauch ist nicht erforderlich, BayOLGSt. 1 201 (205), 276, 3 27, 5 142, 8 206,12 283,13 430, OLG. München St. 3 84, 5 96, 6 119,166, Ham­ burg LZ. 1914 204; a. M. KGJ. 11 269. Die hier entlvickelten Grundsätze beziehen sich jedoch nur auf die Auslegung der gesetzlichen Bestimmung in Nr. 10. Die einzelne Pol.BO. kann mit dem Begriff „öffentlicher Weg" usw. einen engeren Sinn verbinden. Es muß daher in jedem einzelnen Falle unter Berücksichtigung von Wortlaut und Zweck der anzuwendenden VO. festgestellt werden, welche Arten von Wegen usw. gemeint sind, KGJ. 21 C 94. 7. Eine PolVO., welche zur Ausfüllung der Blankett-Borschrift in Nr. 10 erlassen wird, darf nur schuldhafte Handlungen mit Strafe bedrohen, KG. GA. 51 62. Ob auch Fahrlässigkeit strafbar sein soll, muß aus Wortlaut, Inhalt und Zweck der einzelnen VO. ermittelt werden, BindingLehrb. 2 930; a. M. BayOLGSt. 4 316 (318). Ein Irrtum über den Begriff der öffentlichen Straße wird in der Rechtsprechung als unbeachtlicher Strafrechtsirrtum angesehen, BayOLG. 12 278. Nach der hier vertretenen Ansicht ist er als Irrtum über Inhalt und Tragweite der anzuwendenden PolVO. aufzufassen, vgl. Abschn.29 Vordem. 2. 8. Soweit Nr. 10 keine Bestimmung trifft, sind ergänzende Borschrifterr des Landes­ rechts zulässig. Beispiele bieten die Art. 44, 93, 94 bayr. PolStGB. v. 26. 12. 1871, BayOLGSt. 3 63, 85, 4 25, 392, OLG. MünchenSt. 5 221. 9. Die Notwendigkeit ober Zweckmäßigkeit ber PolBO. unterliegt nicht ber Prüfung des Gerichts. In Art. 15 bayr. PolStGB, ist dieser Grundsatz ausdrücklich anerkannt worden, BayOLGSt. 2 204. 10. Eine Sondervorschrift ist in § 21 KraftfahrG. v. 3. 5. 09 (RGBl. 437) enthalten. Dieselbe bezieht sich auf die zur Erhaltung der Ordnung und Sicher­ heit auf den öffentlichen Wegerr oder Plätzen erlassene n p o lizeilichen Anordnungen.

366 a. Wer die zum Schutze der Dünen und der Mutz» und Meeresufer, sowie der auf denselben vorhandenen Anpflanzungen und Anlagen er­ lassenen Polizeiverordnungen übertritt, wird mit Geldstrafe bis zu ein­ tausendfünfhundert Mark oder mit Haft bestraft. 19 S 420.

G. V. 21* 12. 1921 $ 1.

Die Blankett-Borschrift des § 366 a ist durch die Novelle vom 26.2. 1876 in das StGB, eingefügt worden. In der Begr. z. Entw. v. 23. 11. 1875 RT. Drucks. Nr. 54 S. 68 ist gesagt, daß auch die natürlichen Schutzwehren der Gewässer zur Verhütung gemeiner Gefahr des Schutzes bedürfen.

Strafgejetzbuch. 2. Teil. 29. Abschnitt.

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Polizeiverordnungen zum Schutze der Flußufer sind auch dann rechtsgültig, wenn sie in bestehende Privalrschte, z. B. Fischereirechte, eingreifen, KGJ. 11 191, St C 51. Fahrlässigkeit genügt, Olsh. 2.

367.

Mit Geldstrafe bis z« eintarrsendfünfhimdert Mark oster mit

Haft wirst bestraft: 1. wer ohne Borwisseu der vehörste einen Leichnam beerdigt oster bei­

feite schafft, oster wer «nbefngt einen Teil einer Leiche ans dem Ge­

wahrsam der staz« berechtigten Personen wegnimmt; 2. wer den polizeilichen Anordnungen über vorzeitige Beerstigvnge« entgegenhan stell; 3. wer ohne polizeiliche Erlaubnis Gift oster Arzneien, soweit ster Haustel mit denselben nicht freigegeben ist, zubereitet, feilhält, verkauft oster sonst an andere überläßt;

4. wer ohne die vorgeschriebene Erlaubnis Schießpulver oder ander«

explodierende Stoffe oder Fenerwerke -«bereitet; 5. wer bei der Aufbewahrung oder bei der Beförderung von Gistware», Schießpulver oder Feuerwerken, oder bei der Aufbewahrung, Be­ förderung, Verausgabung oder Verwendung von Sprengstoffen oder anderen explodierenden Stoffen, oder bei AnSübnng der Befugnis

zur Zubereitung oder Feilhaltung dieser Gegenstände,

sowie

der

Arzneien die deshalb ergangenen Verordnungen nicht befolgt; 5a. wer bei Versendung oder veförderung von leicht entzündlichen oder

ätzenden Gegenständen durch die Post die deshalb ergangenen Ver­ ordnungen nicht befolgt;

6. wer Waren, Materialien oder andere Vorräte, welche sich leicht von selbst entzünden oder leicht Keuer fange«, an Orten oder in Behält-

nissen aufbewahrt, wo ihre Entzündung gefährlich werden kann, oder wer Stoffe, die nicht ohne Gefahr einer Entzündung bei einander liegen könne«, ohne Absonderung aufbewahrt; 7. wer verfälschte oder verdorbene Getränke oder Eßwaren, inSbesonder«

trichinenhaltiges Fleisch feilhält oder verkauft;

8. wer ohne polizeiliche Erlaubnis an bewohnten oder von Menschen besuchten Orten Selbstgeschosse, Schlageisen oder Kvtzangel« legt, oder an solchen Orten mit Kenergewehr oder anderem Schießwerkzeuge schießt, oder Feuerwerkskörper abbrennt;

S. wer einem gesetzlichen verbot zuwider Stoß-, Hieb- oder Schußwaffe«, welche i« Stöcken oder Röhren oder in ähnlicher Weise verborgen sind,

feilhält oder mit sich führt;

10. wer bei einer Schlägerei, in welche er nicht ohne sein verschulde« hineingezogen worden ist, oder bei einem Angriff sich einer Waffe, insbesondere eines Messers oder eines anderen gefährliche« Werk­

zeuges bedient;

11. wer ohne polizeiliche Erlaubnis gefährliche wilde Tiere Hilt, »der wilde oder b-Sartige Tiere frei umherlaufen läßt, oder in Anfehnug

ihrer die erforderlichen vorfichtSmatzregel« zur Berhütnag von Be­ schädigungen «nterläht;

12. wer auf öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätze«, auf Höfe«, in Häusern und überhaupt an Orten, an welchen Menschen Verkehre«, Brunnen, Setter, Gruben, Lffuungen oder Abhänge dergeftatt «nverdeckt oder ««verwahrt läßt, daß daraus Gefahr für audere ent­

stehen kam»;

12. wer trotz der polizeiliche« Aufforderung eS nnterläßt, Gebäude, welche den Einsturz drohen, auszubessern oder uiederzureiße«; 14. wer Bauten oder Ausbesserungen von Gebäuden, Brunnen, Brücke«, Schleusen oder anderen Bauwerken vornimnlt, ohne die von der Polizei angeordneten oder sonst erforderlichen Sicherungsmaßregeln z«

treffe«; 15. wer als Bauherr, Banmeister oder Bauhandwerker einen Ba« oder

eine Ausbesserung, wozu die polizeiliche Genehmigung erforderlich ist, ohne diese Genehmigung oder mit eigenmächtiger Abweichnng

von dem durch die Behörde genehmigten Vanplane ausführt oder aus­ führen läßt; 16. wer den über das Abhalten von öffentlichen Bersteigeruugeu und

über das Verabfolgen geistiger Getränke vor «nd bei öffentlichen Versteigerungen erlassenem polizeilichen Anordnungen znwiderhandett.

I« den Fätte« der Nr. 7 bis 9 kann neben der Geldstrafe oder der Haft anf die Einziehung der verfälschten oder verdorbenen Getränke oder Eßware«, ingleichen der Gelbstgeschosse, Schlageise« oder Knßangel« sowie

der verbotenen Waffe« erkannt werden» ohne Unterschied, ob sie dem Berurteitten gehören oder nicht. E. 19 §§ 218, 432 (6etr. Nr. 1 und 2), 419 (betr. Nr. 3—6, 9), 429 Nr. 3 (bett. Nr. 8), 299 (bett. Nr. 10), 129 Nr. 4 (betr. Nr. 11), 416 (betr. Nr. 12—15), 435 (bett. Nr. 16). G. v. 21. 12. 1921 $ 1.

I. In Nr. 1 sind drei verschiedene Delikte zusammengefaßt, a) die heimliche Be­ erdigung einer Leiche, b) die heimliche Entfernung derselben, c) die unbe­ fugte Wegnahme von Leichenteilen. Als Leichnam oder Leiche im Sinne der Nr. 1 ist auch ein totgeborenes Kind anzusehen, sofern es lebensfähig gewesen ist, Bay. OLGSt. 19 205.

VehKrde im Sinne der Nr. 1 ist die zuständige Behörde. In der Regel ist dies die Ortspolizeibehörde, § 60 PStG. v. 26. 2. 1876, in den Fällen des § 157 StPO, auch die Staatsanwaltschaft und das Amtsgericht, RGSt. 28 121, Posen GA. 43 61, in den Fällen des § 154 MilStGO. die Militärbehörde und das Amtsgericht. Veerdignng bezeichnet jede Art von Leichenbestattung, auch die Verbrennung, Olsh. b«, Schwartz 1 a, Frh. v. Riedel-Sutner BayPolStGB. 242, v. Schicker, Württ. PolStR. 91, vgl. auch Begr. z. E. 19 S. 366, wo der Ausdruck „Beerdigung" durch „Be­ stattung" ersetzt ist. Unter den Begriff beiseiteschaffeu fällt jede Handlung, durch welche die Leiche ört­ lich aus der Lage, in der sie sich befindet, entfernt und der Besichtigung durch die zustänKommentar z. Strafgesetzbuch.

2. Ausl.

tztz

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dige Behörde dauernd oder vorübergehend entzogen wird, RGSt. 28 120. Demgemäß gehört auch der Fall hiecher, daß die Leiche eines Unbekannten, der auf der Landstraße getötet oder eines natürlichen Todes gestorben ist, beseitigt wird, Begr. z. BE. 519. Wird die ganze Leiche aus dem Gewckhrsa« der dazu berechtigten Person wegge^ nommen, so liegt ein Vergehen im Sinne des $ 168 vor, das mit Gefängnis bestraft wird. Die gleiche Strafe war in § 166 des Entw. eines Nordd. StGB, auch für die Wegnahme von Leichenteilen angedroht. Die Änderung ist allem Anschein nach erfolgt, um Studie­ rende und Arzte, die sich aus Leichtsinn oder aus wissenschaftlichem Interesse in Anato­ mien Leichentelle aneignen, vor dem Gefängnis zu bewahren, vgl. RTBerh. I. Leg.Per. Sess. 1870, Drucks. 6 Anlage 3 S. 47. Leichentelle, die im Leichenkeller eines Krankenhauses aufbewahrt werden, befinden sich im Gewahrsam der Krankenhaus-Verwaltung, KG. GA. 43 414. Die zum Gewahrsam berechtigte Person kann auch ein Krankenhaus oder eine Uni­ versitätsklinik sein. v. Schicker 91. Der innererntbestimd erfordert Vorsatz, Olsh.c, Schwartz 1 b; tellw. a.M. Frank II. IL Der Ausdruck polizeiliche Anordnungen in Nr. 2 ist nicht auf die Form, sondern auf den Inhalt zu beziehen. Gemeint sind Anordnungen, die im polizellichen Interesse erlassen wurden, gleichviel, ob sie in einem Reichsgesetz oder in einem Landesgesetz, in

der Verordnung einer Polizeibehörde oder eines anderen Staatsorgans enthalten sind, Posen GA.4S 355. Ebenso unerheblich ist, ob die Anordnungen allgemeinen Charakter haben oder einen einzelnen Fall betreffen, Olsh. o., Frank II, Schwartz 2; a.M. Begr. z. VE. 862. Als polizeiliche Anordnung im Sinne der Nr. 2 gilt auch § 60 PStG. Vorzeitig ist die Beerdigung nicht bloß dann, wenn sie vor der etwa vorgeschriebenen Feststellung der Todesursache stattfindet, sondern auch dann, wenn sie vor der Eintragung des Sterbesalls xtv das Sterberegister erfolgt, Posen GA. 45 355. Für den inneren Tatbestand genügt Fahrlässigkeit, sofern nicht Wortlaut und Inhalt der polizellichen Anordnung etwas anderes ergeben, Olsh. 2a. III. Nr. 3 findet Anwendung, soweit der Handel .... nicht freigegeben ist. Nach dem Worllaut dieser einschränkenden Bestimmung kann es zweifelhaft sein, ob dieselbe nur auf den Ausdruck „Arzneien" oder apch auf den Ausdruck „Gist" zu beziehen ist. Für die letztere Ansicht spricht § 34 Abs. 3 GewO. Aus dieser Vorschrift ist mit Recht gefolgert worden, daß die Landesgesetzgebung bestimmen kann, in welchen Fällen der Handel mit Gist einer besonderen Genehmigung oder polizellichen Erlaubnis bedarf, KGJ. 16 469, 36 C 79, PrOVG. DIZ. 1900 254. Hiernach ist Nr. 3 nicht anwendbar, soweit die Landesgesetze den Handel mit Gist steigegeben haben, über den Rechtszustand in den einzelnen Bundesstaaten vgl. Lebbin, Verkehr mit Heilmitteln und Giften im Deutschen Reiche (1900) 222 ff. Für den gewerbsmäßigen Handel mit Gift ist übereinstimmendes Landesrecht geschaffen dcktch den Beschluß des Bundesrats v. 29. 11. 1894 (abgedruckt bei Lebbin 200). Dieser Beschluß, das sogen. „Reichsgistgesetz", stellt keine bindende Verordnung dar, son­ dern das Muster des Entwurfs einer solchen, welches die einzelnen Bundesstaaten ihren landespolizellichen Vorschriften zu Grunde legen sollten und auch tatsächlich zu Grunde gelegt haben, vgl. für Preilßen MinPolBO. v. 22. 2. 06 (Pr. MinBl. f. d. inn. Verw. 42), für Bayern KGBO. v. 16. 6. 1895 (GVBl. 267), 26.2. 01 (GBBl. 469), für die übrigen Bundesstaaten Lebbin 214 ff. Für den Handel mit Arzneien ist eine polizeiliche Erlaubnispflicht erforderllch, Böttger, Die reichsgesetzlichen Bestimmungen über den Verkehr mit Arzneimitteln außechalb der Apotheken 4. Aufl. (02) 120. Gemäß § 6 Abs. 2 GewO, wird durch Kais. VO. bestimmt, welche Apothekerwaren dem steien Verkehr zu überlassen sind. Auf Grund dieser Vorschrift ist die Kais. BO. betr. den Verkehr mit Arzneimitteln vom 22. 10. 01 (RGBl. 380) ergangen. Dieselbe hat jedoch nicht bestimmt, welche Arzneimittel für den Handel steigegeben sind, sondern umgekehrt, welche Arzneimittel dem freienBerkehr entzogen sind, vgl.A. 4. Eine wellergehende Beschränkung des Handels mit Arzneimitteln ist erfolgt durch die BRVO. v. 22. 3. 1917 (RGBl. 270), welche auf Grund des sogen. Ermächttgungsgesetzes v. 4. 8. 1914 erlassen wurde, vgl. Art. IV Nr. 2 VO. v. 27. 11. 1919 (RGBl. 1915). Als H and e l im Sinne dieser BO. ist jede eigen­ nützige, auf den Umsatz von Waren gerichtete Tättgkeit anzusehen, also nicht bloß der Kauf

und Verkauf, sondern auch die Vermittlung solcher Geschäfte, RG. 1 334/21 v. 27.6. 1921. Ein einmaliges Gelegenheitsgeschäft genügt, RGSt. 51 380, 52 58 (61), 53 310 (313). 2. Der Begriff Gift ist im StGB, nicht näher bestimmt. Aus dem Wortlaut des § 229 folgt, daß mit diesem Ausdruck ein Stoff bezeichnet wird, der geeignet ist, die Gesundheit zu zerstören, RGSt. 10 179. Weiter wird in Übereinstimmung imt dem allgemeinen Sprachgebrauch verlangt, daß die Zerstörung durch die chemische Beschaffenheit des Stoffes verursacht werde und daß schon eine geringe Menge des Stoffs diese Wirkung habe, Olsh. § 229 A. 3, § 367 Nr. 3 b «, Frank § 229 II 1, § 367 III 1, Schwartz 4, Liszt 333, Golly, Tatbestand des 8 367 Z. 3 RStGB. (Breslauer Diss. 1917) 7. In den Fällen der Nr. 3 kann die Landesgesetzgebung bestimmen, welche Stoffe als Gift im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sind, KGJ. 16 469, 36 C 79, vgl. A. 1. Demgemäß ist in dem Entwurf des Bundesrats vom 29. 11. 1894 § 1 Abs. 2 gesagt: „Als Gifte im Sinne dieser Bestimmungen gelten die in Anlage I aufgeführten Drogen, chemischen Präparate und Zubereitungen", Lebbin 200, 246. Für das Anwen­ dungsgebiet der Nr. 3 gilt also der Grundsatz, daß der besondere Giftbegriff des Landes­ rechts dem allgemeinen Giftbegriff des StGB, vorgeht. 3. Arzneien im Sinne der Nr. 3 sind Zubereitungen, die als M ittel zur Be­ seitigung oder Linderung von Krankheiten bei Menschen oder Tieren äußerlich oder innerlich angewendet werden, vgl. § 1 Kais. VO. v. 22.10.01. Hiernach umfaßt der Begriff der Arzneien auch Mittel, die ausschließlich für T i e r e bestimmt sind, vgl. Celle und Kiel GA. 37 71,39 356, KG. und München Reger 13 69, 70, 16 307, Böttger 207. Hinsichtlich der Frage, ob Stärkungs-, Kräftigungs- oder andere Vorbeugungs­ mittel zu den Arzneien gehören, hat die Rechtsprechung der Gerichte geschwankt, vgl. KG. GA. 44 408, Reger 33 46, OLG. München St. 8 340, sowie die bei Böttger 16 und Lebbin 17 ff. abgedruckten Urteile. Die Verfasser der Kais. BO. v. 22. 10. 01 haben diese Mittel nicht als Arzneien angesehen, wie schon der Wortlaut des § 1 erkennen läßt, Böttger 17, Lebbin 16. Dagegen sind in der BRVO. vom 22. 3. 1917 § 2 (RGBl. 270) auch die Mittel zur Verhütung von Krankheiten als Arzneimittel bezeichnet. Fälschungen von Arzneimitteln fallen nur dann unter Nr. 3, wenn sie trotz der Fälschung noch die Natur eines Arzneimittels behalten. RGSt. 56 111. 4. Die Arzneien, mit denen der Handel nicht freigegeben ist, sind aufgezählt in den Verzeichnissen A und B, welche der Kais. BO. v. 22. 10. 01 (RGBl. 380) als Anlagen bei gefügt sind, sowie in der K a is. B O. v. 31. 3.1911 (RGBl. 181 und den BO. vom 18.2. 1920 (RGBl. 253), 21. 4. 1921 (RGBl. 490), durch welche das Verzeichnis B ergänzt worden ist. Die in dem Verzeichnis A aufgeführten Zubereitungen, welche aus ver­ schiedenen Stoffen zusammengesetzt sind, Böttger 15, dürfen außerhalb der Apotheken nicht als Heilmittel feilgehalten werden. Dagegen ist es erlaubt, sie als Genuß mittel sowie zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder technischen Zwecken fellzuhalten, RGSt. 22 197, BayOLGSt. 14 269, Böttger 19. Ob die Zubereitungen ganz oder teil­ weise aus heilkräfttgen Stoffen bestehen, ist unerheblich. Strenger sind die Vorschriften, welche für die im Verzeichnis B genannten Stoffe gelten. Letztere dürfen außerhalb der Apotheken weder zu Heilzwecken noch zu anderen Zwecken feilgehalten und verkauft werden. Ob den Stoffen des Verzeichnisses B die aus ihnen angefertigten Zubereitungen gleichzustellen sind, ist bestritten und zweifelhaft. Das KG. hat die Frage verneint, Reger 22 256. Gl. Ans. Lebbin 35 ff.; a. M. Böttger 46. Die Kais. BO. v. 22. 10. 01 läßt verschiedene Ausnahmen von den erwähnten Regeln zu: a) für den Großhandel bestehen überhaupt keine Verkehrsbeschrän­ kungen (§ 3). Bei Entscheidung der Frage, ob Groß- oder Kleinhandel vorliegt, muß in Ermangelung einer gesetzlichen Begriffsbestimmung die Auffassung der beteiligten Ber­ kehrskreise als maßgebend angesehen werden. Der unmittelbare Absatz an den Verbraucher gilt in der Regel nicht als Großhandel, KG. GA. 48 369, BayOLGSt. 4 29, Lebbin 59. b) Auf kosmetische Mittel, Desinfektionsmittelund Hühner­ augenmittel finden die Vorschriften, welche für die Zubereitungen des Verzeich­ nisses A erlassen sind, nur teilweise Anwendung (§ 1 Abs. 2 a). c) Der Verkauf von Stoffen

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des Verzeichnisses B ist zulässig, wenn eranApotheken ober öffentliche A n st a l t e n bestimmter Art erfolgt (§ 3). Soweit die Reichsgesetzgebung den Handel mit Arzneimitteln freigegeben hat, kann die Landesgesetzgebung ihn nicht untersagen oder beschränken, BayOLGSt. 11187, Kronecker DIZ. 1898 296. 5. Über die Anwendbarkeit der Nr. 3 auf einzelne Heilmittel vgl. die Urteile betr. verdünnteAlovtinktur OLG.MünchenSt.9313,Dr.Schwarzes Alpenkräuter tee BayOLGSt. 6 201, OLG. München St. 8 339, Stollwerks Brustb onbons KG. Reger 12 322, Brusttee KG. Reger 13 69, Scotts Emulsion BayOLGSt. 8 34, Fluid KG. Reger 16 306, Harzer Gebirgstee BayOLGSt. 4 175, Lipsia Hautb a ls am BayOLGSt. 4 322, Wasmuths H üh ne r au g e n ring e Celle und Stettin GA. 42 425, 43 267, 45 144, Hubert Ulrichs Kräuterwein BayOLG. 6 58, Lebensbitter RGSt. 4 394, Lebensessenz OLG. München St. 7 466, liquo r p] um bi KG. Reger 17 84, Augsburger Magentropfen Bay. OLGSt. 3 142, Merkurialsalbe RGSt. 22 197, Myrrhen-Cröme KG. Reger 16 306, Nährsalze BayOLGSt. 6 99, Pain Expeller RGSt. 16 359, Restitutionsfluid KG. Reger 13 69, 70, S antal Grötzner BayOLGSt. 6 48, Streukügelchen OLG. München St. 113,7 332,519, Boltakreuze, Wurm tabletten, Zahnhalsbänder KG. Reger 22 255, 256. 6. Der Begriff znbereiten umfaßt nicht nur die Bereitung, sondern auch die Dosierung und die Herrichtung der Abgabe, Begr. z. BE. 862. Das Landesrecht bestimmt, ob und in welchem Umfange das Zubereiten von Gist bzw. Arzneien freigegeben werden soll. Die Kais. BO. v. 22. 10. 01 bezieht sich nur auf das Feilhalten und Verkaufen von Arzneien. 7. Ter Ausdruck feilhalten ist in Nr. 3 ebenso auszulegen wie in § 184 Nr. 1, § 324, §364, §367 Nr. 7, 9 StGB., § 10 Nr. 2, § 12 Nr. 1,2 desNahrungsmittelG. und in anderen Nebengesetzen. Hiernach liegt das Feilhalten einer Ware jedenfalls dann vor, wenn sie an einer dem Pub likum zugänglichen Stelle zum Verkauf bereit ge­ stellt ist, RGSt. 25 242, KGJ. 23 C 64, BayOLGSt. 8 35. Weiter geht Celle GA. 49 333, welches ein Feilhalten auch dann annimmt, wenn die zum Verkauf bereitgestellte Ware in einem dem Publikum nicht zugänglichen Privatzimmer sich befindet. A. M. Golly 23, Die Begr. z. VE. 862 erblickt eine Gesetzeslücke darin, daß der Begriff „feilhalten" nicht auf die in Kellern und Lagerräumen aufbewahrten Warenvorräte bezogen wird. Behufs AusMung dieser Lücke sind die Worte „zum Verkauf vorrättg hält" in § 307 Nr. 6 VE. eingefügt worden. Ein Feilhalten als Heilmittel im Sinne der Kais. BO. v. 22. 10. 01 § 1 liegt nur vor, wenn in einer den Kauflustigen erkennbaren Weise die Absicht ausgedrückt wird, eine Zubereitung als Mittel gegen Krankheit in den Handel zu bringen, KGJ. 23 C 57 (64), 42 C 426, Celle GA. 52 113. Bei Feststellung dieses Merkmals ist nicht die Meinung oder Absicht des Käufers maßgebend, sondern der Wille des Verkäufers, BayOLGSt. 3 145, 6 202, 8 35, OLG. München St. 8 341. Ein bloßes Ankündigen oder A n p r e i s e n von Arzneien stellt noch kein Feil halten dar, KGJ. 42 C 426. 8. Das Merkmal an andere überlassen bezeichnet jedes Inverkehrbringen, gleichviel, ob es entgeltlich oder unentgeltlich geschieht, RGSt. 3 122, OLG. München St. 2 48, 7 332 (334), Stuttgart Reger 8 266. Dieses Merkmal ist stets dann gegeben, wenn die tatsächliche Verfügungsgewalt eingeräumt wird, BayOLG. 16 76. Eine Arznei wird nicht an andere überlassen, wenn sie bei Behandlung eines Kranken, z. B. durch Einreiben verbraucht wird, RGSt. 33 305. Streitig ist, ob die Abgabe von Arzneien aus einer Hausapotheke an Ange­ hörige und Dienstboten ein Überlassen an andere darstellt. Die Frage ist bejaht vom OLG. Breslau Reger 21 329 (332), verneint vom KG. Reger 20 95 und vom OLG. Stuttgart Reger 25 349 (351). Die Entscheidung hängt von den besonderen Umständen des einzelnen Falles ab. Wenn der Inhaber der Hausapotheke lediglich Arzneien liefert, ist er strafbar. Wenn er zugleich bei der Heilbehandlung mitwirkt, kann er straflos sein. Ferner besteht Streit darüber, ob der Vorsteher oder Geschäftsführer eines Ver­ eins unter die Strafbestimmung der Nr. 3 fällt, wenn er aus den Vorräten des Vereins

Arzneien an Mitglieder abgibt. Bejaht haben die Frage Breslau, Celle^. Oldenburg GA. 48 145, 4 9331, 53 300, 56 116,61 165, Dresden und Stuttgart Reger 10 300, 25 349, Frank III c, Böttger 144, Frh. v. Riedel-Sutner 287, Golly 26. Verneint haben dieselbe KGJ. 5 39, GA. 40 352, 46 356, Cöln RheinArch. 71II 9, Olsh. f ß. Erstere Ansicht ver­ dient den Vorzug, da sonst die im Interesse der Gesundheitspolizei erlassenen Vorschriften leicht umgangen werden könnten, vgl. auch Begr. z. VE. 862.

9. Wie schon der allgemeine Ausdruck wer andeutet, kann Täter im Sinne der Nr. 3 nicht bloß der Geschäftsinhaber, sondern auch ein Angestellter (Handlungsgehllfe, Gewerbegehilfe) sein, RGSt. 27 168. 10. Für den hmereitTatbestand genügt F ahrlässigkeit, RGSt. 22 197 (198), BayOLGSt. 4 178 324, OLG. München St. 4 10 (12), 7 332(334), Olsh. a, Frank III3 Frh. v. Riedel-Sutner 286. Gänzlich verfehlt ist die von Celle GA. 49 334 vertretene An­ sicht, daß schon der äußere Tatbestand Nr. 3 zur Bestrafung ausreiche, vgl. Vordem. 3 zu Abschnitt 29. Ein Irrtum über die Rechtsbegriffe „Gist" oder „Arznei" stellt einen Straf­ rechtsirrtum dar, BayOLGSt. 4 177. Dagegen ist der Irrtum über Inhalt oder Tragweite der Kais. VO. v. 22. 10. 01 als ein tatsächlicher anzusehen, auf den § 59 Anwendung findet, vgl. Vordem, zu Abschnitt 29.

11. Jdealkorrkrrrrerrr mit § 147 Abs. 1 Nr. 1 GewO, ist möglich, soweit der Handel mit Giften gewerbsmäßig betrieben wird, Landmann-Rohmer, GewO. 7. Aufl. 1 423, ebenso mit § 148 Nr. 7 a GewO., soweit ein Gewerbebetrieb mit Giften oder Arzneien im Umherziehen stattfindet, RGSt. 47 20. In beiden Fällen ist § 367 Nr. 3 dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafe androht.

12. Die Eiuziehang ist in den Fällen der Nr. 3 nicht zulässig, vgl. Abs. 2, KG. GA.46142. 13. Eine besondere Unterart der Arzneien bllden die sogen. Geheimmittel, KGJ. 23 C 57, a. M. RGSt. 16 362. Unter diesen Begriff fallen diejenigen Arzneien, deren Be­ standteile und Mischungsverhältnisse weder staallich anerkannt noch sonst allgemein be­ kannt oder aus der Ankündigung ersichtlich sind, RGSt. 6 330, 16 360, KGJ. 12 265, 14 402, 20 C 50, Landmann-Rohmer GewO. 1 118, 670, Urban, Die gesetzlichen Bestimnrungen über die Ankündigung von Geheimmitteln, Arzneimitteln und Heilmethoden (04) 86. Die bloße Angabe der Bestandteile ohne gleichzeitige Angabe der Mengen genügt nicht, um den Begriff eines Geheimmittels auszuschließen, KG. GA. 38 454. Andererseits werden Gehör-Apparate, Boltakreuze, Gicht- und Rheumattsmusketten nicht zu den Geheim­ mitteln gerechnet, KG. Reger 22 255. Das Feilhalten und der Berkaus von Geheimmitteln sind durch die reichst rechttiche Vorschrift des $ 367 Nr. 3 mit Strafe bedroht. Dagegen lind die landesrecht lichen Vorschriften bestehen geblieben, welche die Ankündigung oder A n p r e i. sung von Geheimmitteln für strafbar erklären, RGSt. 6 330, 16 360 , 23 428 (430), Kronecker DIZ. 1898 295, Kitzinger BDB. 9 24, Olsh. g, Frank III 3. Schwartz 5.

IV. Das Anwendungsgebiet der Nr. 4 ist erheblich eingeschränkt durch das Spreng st o f f - G e s e tz v. 9. 6. 1884, welches die Herstellung von Sprengstoffen ohne polizeiliche Ermächttgung mit Gefängnis (j 9), unter Umständen sogar mit Zuchthaus (§§ 7, 8) bedroht. Zur Anwendung der Nr. 4 ist nicht erforderlich, daß die Zuwendung g e w e r v s mäßig erfolgt. Fahrlässigkeit genügt.

V. 1. Die Vorschrift der Nr. 5, deren jetzige Fassung auf der N o v e l l e v. 26. 2. 1876 beruht, pellt einBlankett-Strafgesetz dar, vgl. Vordem. 2 zu Abschnitt 29. Soweit Nr. 5 den Verkehr mit Gistware« betrifft, ist diese Vorschrift nur auf Per­ sonen anwendbar, welche befugt sind, Gist zuzubereiten, fellzuhalten oder zu verkaufen. Personen, welche eine der erwähnten Handlungen unbefugt vornehmen, fallen unter die Strafbestimmung der Nr. 3, KGJ. 15 312, 38 C 49 (52). Soweit Nr. 5 den Verkehr mit Sprengstoffe« betrifft, geht dieser Vorschrift die lex specialis des § 9 SprengstG. v. 9. 6. 1884 vor, RGSt. 13 26, 15 247, 41 158. Die Poli zeilichen Bestimmungen, welche in § 9 Abs. 2 des genannten Sondergesetzes vorgesehen sind, können auch das Herstellen, Feilhalten, Aufbewahren, Befördern, Verausgaben und Verwenden von Sprengstoffen regeln, RGSt. 15 245, 41 157, Rspr. 9 681; a. M. hinsicht­ lich des Verwendens RGSt. 34 441.

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Soweit Nr. 5 den Verkehr mit Arzueie« betrifft, kann der durch reichsrechtliche Ber< Ordnungen erlaubte Handel durch landesrechtiche Verordnungen nicht beschrankt werden, vgl. A. 4 a. E. Rach der i s e n b a h n v e r k e h r S - O. v. 23. 12. 08 (RGBl. 09 S. 93) dürfen explosionsgefährliche Gegenstände nicht befördert werden. Unter diesen Begriff fallen gemäß 5 54 I B 1 auch Sprengstoffe Munition, Aündwaren und FeuerwerkSkörper. Ob Fahrlässigkeit genügt, ist nach dem Inhalt der einzelnen BO. au ent scheiden. Im Zweifel wird die Frage zu bejahen sein. L. Nr. La, ist durch die N ov elle vom 13. 5. 1891 Art. VI in das StGB, ein­ geschaltet worden. Nach der Post-O. v. 28. 7. 1917 §51 (RGBl. 765) sind leicht entzündliche Sachen und ätzende Flüssigkeiten von der Postbeförderung ausgeschlossen. Nach § 6 III dieser BO. dürfen Zündhütchen, Zündspiegel und Patronen für Handfeuerwaffen unter bestimmten Voraussetzungen mit der Post befördert werden. VT. 1. In Nr. 6 sind zwei verschiedene Tatbestände als selbständige Delikte neben­ einander gestellt. Im ersten Fall — Aufbewahren von Vorräten — kommt es nicht bloß auf die Beschaffenheit, sondern auch auf die Menge der Gegenstände an, die sowohl Stoffe derselben Art als Stoffe verschiedener Art sein können. Im zweiten Fall — Aufbewahren von Stoffe« — ist allein die Beschaffenheit der Gegenstände wesentlich, die Stoffe verschiedener Art sein müssen. Im ersten Fall genügt eine abstrakte Gefahr: im zweiten Fall ist eine konkrete notwendig, RGSt.

30 111. 2. Der Begriff Vorräte ist ebenso auszulegen wie in § 308, vgl. A. 5 das. Es soll der Gefahr vorgebeugt werden, die durch das unvorsichtige Lagern einer Mehrzahl von leicht entzündlichen oder leicht feuerfangenden Sachen entsteht, Colmar GA. 40 461. Da die erforderliche Mindestmenge von den Umständen des einzelnen Falles abhängt, so be­ steht kein rechtliches Hindernis, diese Menge bei Sachen, die sich leicht von selbst entzünden, anders zu bemessen als bei Sachen, die leicht Feuer fangen, vgl. Olsh. b, Frank VII, Schwartz 15. Ob die Vorräte Eigentum des Täters oder anderer Personen sind, ist uner­ heblich. L. Eine Sache kann auch leicht Feuer fangen, wenn sie in einem geschlossenen Gesäß aufbewahrt wird, RGSt. 30 113. 4. anfbewahren bezeichnet das Lagern einer Sache vor der Zeit, in der sie bestimmungsgemäße Verwendung finden soll, RGSt. 22 435, Frank VII. 5. Fahrlässigkeit genügt, RG. GA. 47 445. VH, 1. Seit Einführung des NahrMittelG. v. 14. 5. 1879 ist das Anwendungs­ gebiet der Nr. 7 auf diejenigen Fälle beschränkt, welche nicht unter $ 10 Nr. 2, § 11 des ge­ nannten Gesetzes fallen. Es sind dies die Fälle, in denen verfälschte bzw. verdorbene Ge­ tränke oder Eßwaren unter Mitteilung dieses Umstandes verkauft oder ohne eine zur Täuschung geeignete Bezeichnung fellge­ halten werden, RGSt. 6 34, 268 (271), 12 302, 26 114 (116), 419, KGJ. 23 C 115 (118), BayOLGSt. 7 7, Hamburg LZ. 1916 490, SächsOLG. 23 10, 25 412, Begr. z. VE. 863. Eine weitere Einschränkung ist durch §§ 26—28 des RG. bett, die Schlachtvieh- und Fleisch­ beschau v. 3. 6. 1900 herbeigeführt worden, das als lex specialis des Nr. 7 vorgeht. 2. Der Ausdruck Eßware« bezieht sich auch auf Gegenstände, die vor dem Genusse noch einer besonderen Zubereitung durch Kochen usw. bedürfen, z. B. auf rohes Fleisch, RGSt. 6 269. Gewürze, die den Speisen zugesetzt werden, um einen bestimmten Geschmack hervorzurufen, oder zu verstärken, sind keine Eßwaren, SächsOLG. 25 412. 3. Verfälscht hat dieselbe Bedeutung wie im NahrMittelG., SächsOLG. 23 12. Hier­ nach liegt eine Verfälschung vor, wenn die in Nr. 7 genannten Gegenstände durch Z u satz oder Entziehung von Stoffen verschlechtert werden oder den Anschein einer besseren Beschaffenheit erhalten, RGSt. 4 435, 5 296, 6 51. Als Maßstab der Vergleichung ist bei Naturerzeugnissen die natürliche Zusammenetzung der letzteren, RGSt. 38 28, 41 209, bei verkehrsüblichen Kunstprodukten die ge-

setzliche oder herkömmliche Regel, RGSt. 12 97,14 430, bei seltenen oder neuen Kunstpro­ dukten die berechtigte Erwartung des Publikums, RGSt. 40 149, 50 216 (218), GA. 49 141 zu Grunde zu legen. Veränderungen einer Ware, die auf bekannten, nicht verwerflichen Geschäftsgebräuchen beruhen, gelten nicht als Verfälschung, RGSt. 6 54, 14 430. Bei Prüfung der Frage, ob ein Geschäftsgebrauch verwerflich ist, kommt es nicht bloß auf die Wünsche und Gewohnheiten der Produzenten, sondern auch auf die Wünsche und Gewohn­ heiten des Publikums an, RGSt. 15 162,195,16 317, LZ. 1916 884, BayOLG. 72 9. Eine Verfälschung kann auch durch Vermischung besserer und schlechterer Waren bewirkt werden, RGSt. 3 234 (236). In allen Fällen der Verfälschung ist notwendig, daß die Veränderung an der Ware selbst vorgenommen wird, RGSt. 4 435,14 429. 4. Auch der Begriff verdorben ist ebenso auszulegen wie im NahrMittelG., RGSt. 26 420. Demgemäß sind als verdorben auch diejenigen Gegenstände anzusehen, deren Tauglichkeit oder Verwertbarkeit nicht völlig aufgehoben, sondern nur gemindert ist. RGSt. 5 291, 26 420. Beispiele bieten das Fleisch einer kranken Kuh, RGSt. 26 419, eines verendeten Tieres, RG. Recht 1916 1243, eines ungeborenen Kalbs, RGSt. 5 287. 5. Maßgebend ist der Zeitpunkt, in dem die Getränke bzw. Eßwaren feilgehalten oder verkauft sind. Wein ist daher auch dann als verdorben anzusehen, wenn er durch ge­ eignete Behandlung nachträglich wieder in einen genießbaren Zustand versetzt werden kann, RGSt. 6 270. 6. Fahrlässigkeit genügt, RGSt. 6 37, SächsOLG. 23 11. 7. Die Einziehung der verfälschten oder verdorbenen Gegenstände kann neben der Strafe ausgesprochen werden. § 367 Abs. 2. VIII. In Nr. 8 sind drei selbständige Tatbestände zusammengefaßt, welche das ge­ meinsame Merkmal haben, daß sie an bewohnten oder von Menschen besuchten Orten ohne polizeiliche Erlaubnis vorgenommen werden: a) das Legen von Selbstgeschossen, Schlageisen oder Fußangeln, b) das Schießen mit Feuergewehr oder anderen Schieß­ werkzeugen, c) das Abbrennen von Feuerwerkskörpern. Die beiden ersten Fälle sind dem pr. StGB. § 345 Nr. 6 entnommen; der dritte Fall ist durch die Novelle v. 26. 2. 1876 in das StGB, eingefügt. Nach der herrschenden Ansicht soll durch diese Vorschriften nicht bloß eine Gefährdung, sondern auch eine Belästigung des Publikums verhütet werden, vgl. Motive z. Novelle v. 26. 2. 1876, RTBerh. 2. Leg.-Per. 3. Sess. 1875/76 Bd. 3 Nr. 54 S. 179, Olsh. b, Frank IX, Schwartz 23 ; a.M. hinsichtlich des ersten Falls BayOLGSt. 5 305. 2. Die räumliche Ausdehnung der Orte ist so weit zu bemessen, als die gefährliche Wirkung der benutzten Gegenstände in der Regel reicht, RGSt. 9 128, KGJ. 16 485, GA. 43 62, BayOLGSt. 2 386, 4 382, 5 309, Jena ThürBl. 46 231. 3. Bewohnt ist ein Ort, wenn tatsächlich Menschen an ihm wohnen, BayOLGSt. 5 308. Besucht ist derselbe, wenn Menschen an ihm zu verkehren pflegen, RG. GA. 47 440, KG. GA. 43 62, BayOLG. 5 308. Ob zur Zeit der Tat Menschen daselbst anwesend waren, ist unerheblich, RG. GA. 47 440, Recht 1921 2085, BayOLGSt. 2 386, 4 382. Daß gelegentlich ein Mensch an den Ort kommt, genügt nicht, BayOLG. 5 308. Andererseits ist nicht erforderlich, daß der Verkehr ein dauernder ist, vielmehr ist Nr. 8 auch anwendbar, wenn nur zu gewissen Zeiten ein Verkehr stattfindet, Recht 1921 2085. Ein Recht, den Ort zu betreten, ist nicht notwendig. Öffentlichkeit des Ortes ist nicht erforderlich, Bay. OLGSt. 5 308. 4. Selbstgeschotz ist ein Schießwerkzeug, dessen Entladung beim Berühren oder Be­ treten von selbst (automatisch) erfolgt. Eine blinde Ladung genügt, BayOLGSt. 5 307. — Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist nur das Legen strafbar, nicht auch das Unterhalten einer von anderen gelegten Vorrichtung. Begr. z. E. 19 S. 365. 5. Zu den Schießwerkzeugen wird auch die sogen. Knallfixpistole gerechnet, RG. Recht 1912 957, BayOLGSt. 12 221, 416, dagegen nicht ein als Kinderspielzeug dienendes Blaserohr, RG. VI. ZS. GA. 38 242, a. M. Frh. v. Riedel-Sutner BayPol. StGB. 308, der auch andere Kinderspielzeuge, wie Bogen und Schleudern, für Schieß­ werkzeuge erklärt. 6. Unter den Begriff schießen fällt nur das vorsätzliche Abdrücken eines ge­ ladenen Gewehrs, RGSt. 48 323, a. M. RG. StRZ. 1916 337. Eine scharfe Ladung ist nicht erforderlich, RG. IW. 1898 649, GA. 53 439, BapOLGSt. 5 307.

1048

Strafgesetzbuch

2 Teil.

29. Abschnitt.

7. Nr. 8 findet keine Anwendung, wenn ein gesetzlicher Strafausschließungs­ grund, z. B. Notstand oder Notwehr, vorliegt, Celle GA. 58 240, Frank IX. Streitig ist, ob Nr. 8 angewendet werden kann, wenn ein zivilrechtlicher Notstand inr Sinne des § 228 BGB. vorhanden ist. Die Frage wird bejaht Bay. OLG St. 4 382, Siel DIZ. SS 523, Titze DIZ. #4 285, Ahsbahs GA. 53 427, vgl. auch Otter Not­ wehr und Notstand nach §§ 227, 228, 904 BGB. (03) 10 A. 1, 48 A. 1, 53 A. 2. Verneint wird dieselbe von Hasse DIZ. #3 523, vgl. auch Pollwein BlfRA. 74 445, der einen ver­ mittelnden Standpuntt einnimmt. Voraussetzung für die Anwendung der Nr. 8 ist die Rechtswidrigkeit der Hand­ lung, BayOLGSt. 2 387. Rechtswidrig handelt nicht, wer in Ausübung einer öffentüchrechttichen oder privatrechtlichen Befugnis von einer Schußwaffe Gebrauch macht, RGSt. 44 353, KGJ. 16 485. Die Ausübung einer solchen Befugnis kann jedoch rechtswidrig werden, wenn ein Privatrecht mit einer Pflicht des öffentlichen Rechts oder ein öffentliches Recht mit einer chöheren Rechtspflicht in Widerspruch treten. Der Inhaber eines Jagd scheins oder einer Jagdkarte ist daher nicht berechtigt, an jedem beliebigen Orte zu schießen, BayOLG. 2 386, SächsOLG. 26 217, Dalcke-Delius, Pr. Jagdrecht 6 Aufl. 61, Ebner, Pr. Jagdrecht (1908) 561; das Mitglied einer mit Schußwaffen ausgerüsteten Jugend­ wehr darf nicht im Garten der Eltern private Schießübungen abhalten, BayOLG. Beiblatt z. Bay. Justiz-Min.-Bl. 1915 389. Die Kenntnis der Bewohner oder Besucher eines Ortes, daß daselbst Selbstgeschosse gelegt sind, ist unerheblich, BayOLGSt. 6 173. 8. Der trmere Tatbestand erfordert Vorsützlichkeit der Handlung, RGSt' 48 323. Frank IX, Schwartz 26; a. M. RG. StRZ. 1916 337, Olsh. d. Im übrigen genügt Fahr­ lässigkeit. Gänzlich unrichttg ist RGSt. 4 245, welches das Delitt der Nr. 8 für ein „rein formales" erklärt und ein „äußerliches Handeln" für ausreichend erachtet. 9. Jdealkouknrrenz mit Körperverletzung ist möglich, RGSt. 9 127. 10. Einziehung der Selbstgeschosse, Schlageisen oder Fußangeln ist im ersten Fall der Nr. 8 zulässig. Die im zweiten Fall benutzten Feuergewehre oder anderen Schießwerkzeuge können nicht als verbotene Waffen im Sinne des Abs. 2 angesehen werden, BayOLGSt. 12 418. IX. Die Blankett-Vorschrist der Nr. 9 bezieht sich nur auf Waffe« im engeren Sinne und zwar nur dann, wenn dieselben in bestimmter Weise verborge« sirrd. Eine erschöpfende Regelung der Materie des verbotenen Waffentragens sollte durch diese Vorschrift nicht erfolgen, RGSt. 20 43, 36 110 , 42 304, KGJ. 26 C 86. Die Landesgesetzgebung ist also befugt, weitergehende Strafbestimmungen gegen das verborgene Tragen an­ derer Waffen, gegen das Tragen von Waffen, die in anderer Weise ver­ borgen sind und gegen das offene Tragen von Waffen zu erlassen. Für Preu­ ßen vgl. § 345 Nr. 7 pr. StGB. OTr. GA. 27103, das den Erlaß ergänzender Vorschriften im Wege der PolBO. nicht ausschließt, RGSt. 20 43, 36 109. Die abweickende Ansicht des KG. 25 6 87, 26 C 49, 53 ist später wieder aufgegeben, KG. 26 C 86, vgl. 9 291; für Bayern BO. v. 19. 11. 1887, Frh. v. Riedel-Sutner Bay. PolStGB. 124, 594, für Württemberg Art. 49 Nr. 6 Württb. PolStGB. v. Schicker, Württ. PolSM. 109, 295, 296, für Sachsen BO. v. 30. 11. 1835, SächsOLG. 9 112.

2. Ein gesetzliche- Verbot im Sinne der Nr. 9 ist auch ein Verbot, das auf Grund gesetzlicher Ermächttgung in einer BO. erlassen ist, vgl. Bay. PolStGB. v. 26. 12. 1871 Art. 2, PrOTr. GA. 27 103.

3. Unter den Begriff Stoß* ober Hiebwaffe» fallen nur Werkzeuge, die zum Angriff oder zur Verteidigung geeignet und bestimmt sind, z. B. im Griff feststehende Messer, BayOLGSt. 4 406, dagegen nicht Knüppel und Bierkri'lge, Berh. d. Nordd. RT. vom 5. 4. 1870, StenBer. 667 (Abg. Schwarze).

4. Eine Waffe, die in einer Tasche, einem Sack oder einem Futteral getragen wird, ist nicht i« ähnlicher Weise verborgen. Es muß eine besondere Vorrichtung vor­ handen sein, durch welche das Vorhandensein der Waffe verdeckt wird, OLH. b. 5. Die Worte mit sich führe« haben dieselbe Bedeutung wie bei sich führen in § 243 Nr. 5. Mit Strafe bedroht ist nicht der Besitz, sondern das Tragen der ver­ botenen Waffen.

v. Für den tatteren Latbeftattd genügt Fahrlässigkeit, Olsh.-Zw. c, Frank X, Schwartz 29; a.M. BindingLehrb. 1 79. 7. Die Etaziehttttg der verbotenen Waffe kann neben der Strafe ausgesprochen werden, § 367 Abs. 2. 8. Besondere Vorschriften sind enthalten a) über das Feilhalten ton Hand feuerwaffen im G. v. 19. 5. 1891 §§1,9 (RGBl. 109), b) über den Besitz von Schuß­ waffen in der BO. v. 13. 1. 1919 (RGBl. 31), c) über den Gewahrsam an Militär waffen im G. v. 7. 8. 1920 § 1, 13 Nr. I (RGBl. 1553). Tie Zuwiderhandlungen gegen die beiden zuletzt genannten BO. können sachlich zusammentreffen, vgl. das zum Abdruck bestimmte Urteil RG. I 1226/21 v. 23. 2. 1922. X. 1. Die jetzige Fassung der Nr. 10 beruht auf der Novelle v. 26. 2. 1876. 2. Nach der Rechtsprechung des pr. OTr. GA. 25 61 und des RG. GA. 48 305 genügt zur Annahme eine Schlägerei im Sinne der Nr. 10 die Beteiligung von zwei Personen. Gl. Ans. Celle GA. 49 335. Dagegen ist nach der herrschenden, von Olsh. b a, Opph.-Del. 60, Frank XI, Schwartz 32 vertretenen Meinung die Beteiligung von mindestens drei Personen notwendig. Für diese Ansicht spricht die Entstehungsgeschichte der Vor­ schrift. Letztere war in dem Entw. eines Nordd. StGB, nicht enthalten, sondern wurde erst auf Grund eines Antrags Lasker und Gen. als Zusatz zu § 222 (jetzt 227) ausgenommen. RTBerh. v. 5. 4. 1870, StenBer. 667, 24. 5. 1870, StenBer. 1173, Drucks. Nr. 114 Z.3, Nr. 182 3.33 a, 33 b (I. Leg.-Per. Sess. 1870 Bd.4 S. 430, 481, 733). Es fehlt jeder Anhaltspunkt für die Annahme, daß der Ausdnlck „Schlagerei" in dem erwähnten Antrag einen anderen, weitergehenden Sinn haben sollte, als in § 222 Entw. bzw. § 227 StGB. 3. Die Worte nicht ohne sein Verschulden hinetagezogen sind ebenso auszulegen wie in § 227. 4. Während § 227 einen „von Mehreren gemachten" Angriff erfordert, fehlt dieser Zusatz in Nr. 10. Aus dem Unterschied der Fassung wird mit Recht gefolgert, daß ein Angriff im Sinne der Nr. 10 auch dann vorliegt, wenn er nur von einer einzigen Person ausgeführt ist, RGSt. 13 3, Rspr. 10 46, BayOLGSt. 5 192. Eine Herausforderung enthält noch keinen Angriff, RGSt. 32 36, ebensowenig das Abfeuern eines Schreckschusses, Rspr. 10 505. 5. Der Ausdruck gefährliche- Werkzeug hat dieselbe Bedeutung wie in § 223 a. 6. Das Merkmal sich bediene« ist nicht schon dann gegeben, wenn der Täter ein Messer aus der Tasche zieht und in der Hand behält, um es zum Angriff ober zur Verteidigung zu benutzen; vielmehr ist erforderlich, daß der Täter von dem Messer irgend einen G e brauch macht, RGSt. 5 170, Celle GA. 49 335 (338); a.M. RG.GA. 38 333. Ein solcher Gebrauch ist schon dann anzunehmen wenn der Täter mit einem geöffneten Messer um sich schlägt, ohne gegen eine bestimmte Person Tätlichkeiten zu verüben. BayOLGSt. 7 392. 7. Durch Notwehr kann die Strafbarkeit einzelner Tätigkeitsakte aus­ geschlossen werden, RGSt. 3 238, GA. 52 405, BayOLGSt. 7 392, aber auch die Straf­ barkeit der ganzen Tat RG. GA. 59 312, RMG. 18 188. Wird der Einwand der Notwehr erhoben, so muß geprüft werden, ob derselbe sich auf den gesamten Vorgang bezieht. 8. Der innere Tatbeftand erfordert Vorsatz, Frank XI. 9. Zwischen Nr. 10 und 8 223a besteht Gesetzeskonkurrenz; erstere Vor­ schrift wird durch letztere ausgeschlossen RG. GA.47 162; DIZ. 07 240; RMG. 18 188. Derselbe Grundsatz gilt auch für das Verhältnis von Nr. 10 und § 227; erstere Bestimmung stellt eine Erweiterung der letzteren dar, RGSt. 5 170, 13 4. 10. Wie im Falle des § 227 kann auch der Gegner des Täters TeUnehmer im Sinne des § 56 Nr. 3 StPO, sein, Rspr. 9 235, 10 130; GA. 55 330, Löwe-Rosenberg StPO. 15. Aufl. §56 A. 12« S. 171. XI. 1. Nr. 10 enthält zwei verschiedene Tatbestände, nämlich das «nbefttgte Hatte« von Tieren (§ 833 BGB.) und die Nichterfültang der «nfsicht-psticht, welche dem Tier­ halter nach den Umständen des Falles obliegt, RG. VI. ZS. GA. 46 240. Unter letzteren Begriff fällt sowohl die Duldung des Umherlaufens als die Unterlassung der erforderlichen Vorsichtsmaßregeln.

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Strafgesetzbuch.

2. Teü. 2S. Abschnitt.

2. Über den Begriff der wilde» Tiere vgl. $ 292 A. III1. Bösartig sind diejenigen Tiere, von denen wegen ihrer eigentümlichen Veranlagung Beschädigungen -u befürchten sind, BayOLGSt. 6 40, OLG. München St. 4 534. Als bösartig ist auch ein Hund an zusehen, der in der Absicht, zu spielen, einen Menschen von hinten anfällt, RG. VT. ZS. GA. 44 452. 3. Ein Tier lauft nicht frei herum, wenn es in einem umschlossenen Hofraum oder Garten sich befindet und aus demselben nicht entweichen kann, BayOLGSt. 6 40, 66 4. Für den taierewTatbestand genügt Fahrlässigkeit, BayOLGSt. 640, 67. 5. Weitergehende Borfchrifte» des LiMdeSrecht- sind zulässig, KG. GA. 44 405. XII. 1. Ein Ort, an dem Menschen verkehre», ist ein Ort, der von Menschen b e sucht wird (§ 367 Nr. 8). Letzterer kann nicht von Orten unterschieden werden, an denen Menschenzu verkehren pflegen (z 366 Nr. 8), vgl. A. VIU 3, a.M. FrankXIII. Nicht erforderlich ist, daß der Ort ein öffentlicher ist, daß er für Jedermann ohne Unter­ schied zugänglich ist und daß der Zugang zu ihm jederzeit gestattet ist, RG. II 510/1910 v. 11. 10. 1910. Demgemäß kann ein eingefriedigter, zur Nachtzeit verschlossener Bau­ platz zu den Orten gehören, an denen Menschen verkehren RG. VI. ZS. LZ. 1916 946. Entscheidend ist, daß tatsächlich ein Verkehr stattfindet. Ob derselbe ein befugter oder un­ befugter ist, macht keinen Unterschied, solange er vom Berechtigten geduldet wird, RG. GA. 37 202, RG. I 1081/12 v. 6. 2. 1913, BayOLGSt. 4 255. 2. Brunne» sind künslliche Anlagen zur Fassung oder Förderung des Wassers, RG. GA. 42 427 A. 3. Ob ein Graben unter den Begriff der Grube fällt, ist Talfrage, SächsOLG. 25 25. Der Bau oder Hilfsbau eines Bergwerks kann eine Grube im Sinne der Nr. 12 sein, Olsh. c. 4. Der Ausdruck Oeffuung ist nicht bloß auf Vertiefungen der Boden­ fläche zu beziehen, BayOLGSt. 4 255, OLG. München St. 7 176, sondern auch auf Löcher in einer Brücke, RGZ. 44 177 und auf Lücken in den Sprossen eines Treppengeländers, RG. IW. 1892 454, dagegen nicht auf den gänzlichen Mangel eines solchen Geländers, RGZ. 34 34. 5. Der Begriff Abhang umfaßt nicht bloß die natürliche Senkung (Abdachung) eines Bergs oder Hügels, fonbeut auch die künstliche Böschung, welche durch Aufschütten oder Abgraben von Erdmassen entsteht. Die Seitenwand eines gewöhnlichen Straßengrabens wird nicht als Abhang angesehen; bei anderen Gräben sind die besonderen Umstände des einzelnen Falles maßgebend RGZ. 25 53, 34 34, SächsOLG. 25 28. Auf ein senk­ recht abfallendes Mauergewölbe wird der Begriff des Abhangs nicht angewendet, RG. GA. 46 448. 6. Die Verdeckung oder Verwahrung einer Öffnung kann nicht gefordert werden, wenn an dem Ort, wo die Öffnung sich befindet, nur ortskundige Arbeiter verkehren und letztere durch die Anbringung einer Einfriedigung in ihren Verrichtungen behindert würden, RG. VI. ZS. GA. 46 241. Aus der Pflicht, einen Keller zu verwahren, folgt noch nicht die Pflicht, denselben zu verschließen, BayOLG. I. ZS. Reger 21 333. Die Entscheidung hierüber hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. 7. Der Begriff Andere umfaßt auch Kinder, RG. Reger 13 313 und gebrechliche Personen. 8. Fahrlässigkeit genügt. 9. Als Täter ist derjenige anzusehen, der für die Verdeckung oder Verwahrung zu sorgen hat. Dies kann der Eigentümer des Ortes sein, aber auch der Inhaber oder Verwalter desselben, RGSt. 6 64, 15 58. Fdealkoukurreuz mit Tötung oder Körperverletzung ist möglich, RG. GA. 45 34. 10. 11. Weitergehende Vorschriften M Landesrechts sind zulässig, KGJ. 6 319. XIII. 1. Der Ausdruck wer bezieht sich nicht bloß auf den Eigentümer, sondern auch auf andere Verfügungsberechtigte, BayOLGSt. 7 348. Zu letzteren kann auch ein Bevollmächtigter oder Verwcüter gehören, ebenso der Ehemann einer im gesetz­ lichen Güterstande lebenden Eigentümerin. BayOLGSt. 11102. Eine Person, der die Verfügungsberechtigung fehlt, kann durch die polizelliche Aufforderung nicht verpflichtet werden. Der Eigentümer eines Gebäudes, der nach der polizellichen Aufforderung sein Eigentum weiter verkauft, bleibt straftechtlich verantwortlich, OLG. München St. 1 271.

2. Der Ausdruck Gedsmde ist hier im weiteren Sinne von Bauwerk gebraucht. Daher fällt auch eine Mauer unter diesen Begriff, OLG. München St. 1 272. Ob das Gebäude an einer Straße liegt, ist unerheblich, Colmar Reger 13 71.

3. Die Strafbarkeit der Uuterlassuug ist an zwei Voraussetzungen geknüpft a) das Gebäude muß dem Einsturz drohen, b) dem Verfügungsberechtigten muß eine polizeiliche Aufforderung zur Ausbesserung oder zum Nieder­ reißen zugegangen sein. Streitig ist, ob die Voraussetzung, daß das Gebäude dem Einsturz droht, der rich­ terlichen Prüfung unterliegt. Die Frage ist bejaht vom OLG. Hamm GA. 66 155, ferner von BindingLehrb. 2 106 A. 6, Olsh. 6, Frank XIV, Schwartz 37. Verneint ist dieselbe vom BayOLGSt. 2 302, 4 412, 11 101, 16 106, OLG. München St. 8 162, Opph.-Del. 75, Frh. v. Riedel-Sutner, Bay. PolStGB. 364, v. Schicker, Württ. PolStR. 113. In dem Urt. BayOLG. 16 108 ist jedoch die Einschränkung gemacht, daß der Straf­ richter prüfen dürfe, ob die Polizeibehörde gesetzliche Vorschriften verkannt habe. Einen vermittelnden Standpunkt nimmt Otto Mayer, Deutsches Berwaltungsrecht 2.Aufl. I 275 A. 9 ein, der das Landesrecht für maßgebend erklärt. Nach dem Worttaut des Gesetzes hübet der Umstand, daß das Gebäude dem Einsturz droht, ein Tatbestandsmerkmal. Es besteht kein Grund, die Feststellung desselben dem Tatrichter zu entziehen. Eine bestimmte Form für die polizeiliche Aufforderung ist nicht vorgeschrieben. Insbesondere ist nicht erforderlich, daß die Worte des Gesetzes gebraucht oder die einschlä­ gigen Gesetzesstellen angeführt werden. Es genügt, daß der Grund der Auffordemng aus ihr unzweideutig hervorgeht, BayOLGSt. 2 298, OLG. München St. 8 164. Die Aufforderung muß eine individuelle sein, KGJ. 14 398, BayOLGSt. 2 302, Rotering ZStRW. 26 766. Sie muß von der zuständigen Behörde ausgehen. Für Bayern vgl. KBO. v. 4. 1. 1872 I § 11 (Frh. v. Riedel-Sutner 570). 4. Für den tateren Tatbestand genügt Fahrlässigkeit. 5. Nach Art. 165 Vich. PolStGV. ist der Richter verpflichtet, die Berechttgung der Polizeibehörde zur Beseittgung des ordnungswidrigen Zustandes im Strafurteil auszusprechen, Frh. v. Riedel-Sutner 378. XIV. 1. Die Begriffe Vante« und Banwerke sind im weitesten Umfange auszulegen: sie umfassen nicht bloß Arbeiten, die auf Ausführung, Veränderung oder Niederlegung von Gebäuden gerichtet sind, RGZ. 70 206, sondern auch Arbeiten an anderen Anlagen, die mit dem Grund und Boden in Verbindung stehen, RG. VI. ZS. GA. 42 453. Ein Unterschied zwischen Hoch- und Tiefbauten, Haupt- und Nebenbauten wird nicht gemacht. Demgemäß wird auch die Ausschachtung von Sand- und Lehmgruben sowie die Anlage von Wegen und Wasserleitungen zu den Bauten gerechnet, RGZ. 6 260, VI. ZS. Gruchots Beitr. 35 939, GA. 42 453.

2. Der Ausdruck vornimmt wird vom RG. nicht bloß aus den Baumeister und den Bauharrdwerker, sondern auch auf den Bauherrn bezogen, RGZ. 6 260, 8 236, 17 105, GA. 44 298. Gl. Ans. Olsh. b, Schwartz 38, Opph.-Del. 76; a.M. BayOLGSt. 7 348, BindingLehrb. 2 106, Frank XV. Die Ansicht des RG., welche auf die Entstehungs­ geschichte der Vorschrift gestützt wird, geht zu weit. Es besteht allerdings kein Bedenken, die Vorschrift der Nr. 14 auf einen Bauherrn anzuwenden, der eine von der Polizei an­ geordnete, dem Bauherrn persönlich bekannt gemachte Sicherungsmaßregel unterläßt. Dagegen ist kein Gmnd ersichtlich, weshalb der Bauherr auch für die Unterlassung anderer Sicherungsmaßregeln strafrechtlich verantworttich sein sott, wenn er nicht gleichzeitig Bau­ meister bzw. Bauhandwerker ist, vgl. § 330 A. 3. 3. Unter den sonst erforderlichen Sicherungsmaßregeln sind diejenigen zu verstehen, welche von der Polizei nicht angeordnet, aber durch die Sachlage geboten sind. 4. Fahrlässigkeit genügt.

5. Nach Birrding Lehrb. 2 106 soll Nr. 14 im Verhältnis zu § 330 eine subsidiäre Bor schrist darstellen. Diese Ansicht kann nicht gebilligt werden. Beide Vorschriften sind von­ einander unabhängig. § 330 bezieht sich auf die Nichtbeachtung bautechnischerRegeln, vgl. A. 1, 4 daselbst; Nr. 14 betrifft die Versäumung baupolizeilicher Anordnungen und allgemeiner Erfahrungssätze, RG. VI. ZS. GA. 43 295.

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Strafgesetzbuch.

2. Teil.

29. Abschnitt.

Enthält die Unterlassung der vorgeschriebenen oder gebotenen Sicherungsmaß regeln zugleich eine Zuwiderhandlung gegen die UnfaUverhüttmgSvnrschrifte» einer Berufsgenossenschast, so wird durch die Verwirkung einer gemäße 850, 871 RBO. zu ver­ hängenden Geldstrafe die Anwendung der Nr. 14 nicht ausgeschlossen. 7. Für Vatzer« vgl. die Sondervorschrist in Art. 105 Bay. PolStGB., Frh. v. RiedelSutner 378. XV. 1. Nr. 15 legt jeder der daselbst genannten Personen eine selbständige Verantwortlichkeit auf. Wer die polizeiliche Genehmigung einzuholen hat, ist gleichgültig. Uber den Begriff Bauherr vgl. § 330 A. 3. Der Umstand, daß ein Bauherr für sein Grundstück einen Verwalter bestellt hat, genügt nicht, um den ersteren von seiner strastechllichen Verantwortlichkeit zu befreien, BayOLGSt. 3 72. Der Grundsatz des § 151 Abs. 1 GewO, ist entsprechend anzuwenden. Ist der Bauherr eine jurfftische Person, so trifft die Berantworllichkeit den gesetzlichen Vertreter, BayOLGSt. 3 14. Bamneister im Sinne der Nr. 15 ist jeder Bauleiter, vgl. § 330 A. 3. Der Be­ griff Bimhaüdwerker ist nur auf Personen anwerrdbar, die einen Tell der Bauarbeiten selbMudig ausführen, BayOLGSt. 3 72. Gesellen, die unter Leitung eines Handwerks­ meisters arbeiten, fallen nicht unter diesen Begriff. 2. Ba« hat dieselbe Bedeutung wie in § 330. 3. Voraussetzung für die Anwendung der Nr. 15 ist, daß nach Landesrecht über­ haupt eine poltzeUiche Genehmig««- erforderlich ist, BayOLGSt. 11 388. 4. Eine Abweichung von dem durch die Behörde genehmigten Bauplan liegt auch dann vor, wenn der Täter eine von der Polizeibehörde bei der Genehmigung beigefügte Anordnung oder Bedingung nicht beachtet, BayOLGSt. 7 359,15 73. Auch hier ist Voraussetzung, daß die Beifügung der Anordnung oder Bedingung nach den bestehenden Vorschriften zulässig ist, BayOLGSt. 11 388. Die erwähnten Beschränkungen müssen sich auf die A u s f ü h r u n g des Baus beziehen. Andere Beschränkungen, z. B. in der Ver­ wendung von Keller- oder Dachräumen kommen nicht in Betracht, BayOLGSt. 15 73. 5. Die Abweichung ist eigenntachtig, wenn sie eine Arbeit betrifft, für die nach Larrdesrecht die bmlpolizeiliche Genehmigung vorgeschrieben, aber nicht eingeholt ist, BayOLG. 2 343,11 388, 12 351,15 72, 89 (93); a. M. BayOLG. 1 254, 4 232. v. Nach der herrschenden Ansicht soll für den nmere« Tatbeftand Fahrlässigkeit ge­ nügen, BayOLGSt. 2 48,122,3 71,4 153, OLG. München St. 4 267, 6 510, Olsh. b, Frank XVI, Schwartz 39. Mit Recht macht jedoch BindingLehrb. 2 106 geltend, daß ein eigen = mächtiges Abweichen von dem genehmigten Bauplan ohne Kenntnis des Plans und der Abweichung nicht denkbar sei. Praktische Bedeutung hat die Streitftage nicht, da der zweite Tatbestand der Nr. 15 nur einen besonderen Fall des ersten darstellt. 7. Dem Strafrichter steht ein PrüstmgSrecht zu, ob die polizeiliche Genehmigung gesetzlich vorgeschrieben und ob eine Bedingung der Genehmigung gesetzlich zulässig ist, BayOLGSt. 14 73. 8. Ob mehrere Abweichunge« von dem genehmigten Bauplan eine einzige Straf­ tat oder eine Mehrzahl selbständiger Straftaten darstellen, hängt von den Umständen des Falles ab, BayOLGSt. 2 51. 9. In dem Urt. RGSt. 37 78 ist ausgesprochen, daß die Verjährung mit dem A b schluß der Ausführung des Baus beginne; die Fortdauer des durch die Ausführung geschaffenen ordnungswidrigen Zustands sei ohne Belang. Das Bay. OLG. und das OLG. Dresden, die ftüher einen abweichenden Standpunkt einnahmen, haben sich dieser Ansicht angeschlossen, BayOLGSt. 15 30, 17 81, SächsOLG. 26 393, vgl. auch Frh. v. Riedel-Sutner Bay. PolStGB. 371, Beling ZStRW. 39 664. Die einst sehr bestrittene Frage kann nunmehr als erledigt gelten. Uber die ältere Rechtsprechung vgl. GA. 35 206, BayOLGSt. 2 8, 234, 244, 3 222, 4 282, 5 107, 8 33,11 7, OLG. München St. 312, 286,4 96, 481, 5 76, 140, SächsOLG. 11 323, 13317,15 124,2118. Maßgebend ist die tatsächliche Beendigung der Bauarbeiten, nicht die Anzeige von der Vollendung der­ selben, Frh. v. Riedel-Sutner 371, 372; a. M. BayOLGSt. 1 255, 4 282, 5 261, OLG. München St. 3 286,5 140. Ob hinsichtlich einzelner Arbeiten die Verjährung vor Vollendung des ganzen Baus beginnen kann, ist Tatftage, RGSt. 37 79, a. M. BayOLGSt. 1 255.

10. Eine Tondervorschrift fürgewerblicheAnlagen ist in § 177 Abs. 1 Nr. 2 GewO, enthalten, GA. 51 408, BayOLGSt. 7 359. 11. Für Bayer« bestimmt Art. 105 Bay. PolStGB., daß der Richter verpflichtet ist, die Berechtigung der Polizeibehörde zur Beseitigung des ordnungswidrigen Zustandes im Strafurteile auszusprechen. Frh. v. Riedel-Sutner 378, vgl. OLG. München St. 5 78. XVI. 1. Rr. 16 ist in das StGB, eingefügt durch die Novelle zum WucherG. v. 19. 6. 1893 (RGBl. 198), vgl. GA. 41 236.

2. Eine reichsrechtliche Ergävznug der Nr. 16 enthält § 148 Rr. 4a Gew O., der Zuwiderhandlungen gegen die auf Grund des § 38 erlassenen Vorschriften mit Strafe bedroht. 3. Für Bayern vgl. Kgl. BO. v. 21. 5. 1897 § 3 (GBBl. 197), Min. Bkm. v. 17. 10 1894 (GBBl. 588), 20. 10. 1900 (GBBl. 1182), Frh. v. Riedel-Sutner, Bay. PolStGB. 469, 649, 805.

368.

Mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Haft dis z«

vierzehn Tagen wird bestraft:

1. wer den polizeilichen Anordnungen über die Schließung der Wein­

berge zuwiderhandelt; das durch gesetzliche oder polizeiliche Anordnungen gebotene

2. wer

Raupen unterlaßt;

r. wer ohne polizeiliche Erlaubnis eine nene Feuerstätte errichtet oder eine bereits vorhandene an einen andere« Ort verlegt; 4. wer es unterläßt, dafür zu sorgen, daß die Keaerstätten in seinem Hause in baulichem und brandsicherem Zustande unterhalten, oder

daß die Schornsteine zur rechten Zeit gereinigt werden; 5. wer Scheunen, Ställe, Böden oder andere Räume» welche zur Auf­ bewahrung feuerfangender Sachen dienen» mit »«verwahrtem Keuer oder Licht betritt, oder sich denselben mit ««verwahrtem Keuer oder Licht nähert; 6. wer an gefährlichen Stellen in Wäldern oder Heiden, oder in gefähr­ licher Nähe von Gebäuden oder feuerfangende« Sachen Keuer an­

zündet;

7. wer in gefährlicher Nähe von Gebäuden oder feuerfangenden Sachen mit Keuergewehr schießt oder Feuerwerke abbrennt; 8. wer die polizeilich vorgeschriebenen Feuerlöschgerätschaften über­ haupt nicht oder nicht in brauchbarem Zustande hält oder andere feuer­

polizeiliche Anordnungen nicht befolgt;

9. wer unbefugt über Gärte« oder Wemberge, oder vor beendeter Ernte über Wiesen oder bestellte Acker, oder über solche Acker, Wiesen, Weiden oder Schonungen» welche mit einer Einfriedigung versehen sind» oder deren Betreten durch Warnungszeichen untersagt ist, oder auf einem

durch WarmmgSzeichen geschlossenen Privatwege geht» fährt» reitet oder Bieh treibt; 10. wer ohne Genehmigung deS Jagdberechtigten oder ohne sonstige Be­ fugnis auf einem fremden Jagdgebiete außerhalb deS öffentlichen-

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Strafgesetzbuch.

2. Teil.

29. Abschnitt

gemeine* Seibrauche Bestimmten Wege», wem» auch *i$t jagend, dach int Jagd anSgerüftet, betroffen wird; 11.

wer unbefugt Eier oder Jnnge von jagdbarem Federwild oder von GingvSgeln tnditintntf* S. 19 Z 418 (betr. Nr. 3—8), § 398 (bett. Nr. 10).

G. v. 21. 12. 192i;$ 1.

I. 1 Zu den Anordnungen über die Schließ«»- der Weimberge gehören auch die Anordnungen über den Beginn der Weinlese, BayOLGSt. 1 372. 2. Die Frage, ob Kahrttsfi-kett genügt, ist nach Wortlaut, Inhalt und Zweck der einzelnen Anordnung zu entscheiden. II. 1. Der Begriff Rarche« umfaßt auch die Beseitigung vonRaupennestern, Frh. v. Medel-Sutner BayPolStGB. 400. 2. Für die Frage, ob Fahrlässigkeit genügt, ist die gesetzliche oder polizelliche An­ ordnung maßgebend.

HI. 1. Unter den Begriff der Feuerstätte fällt nicht bloß der Herd oder Ofen, sondern die gesamte Feuerungsanlage, also alles, was zur brandsicheren Konstruktion dieser Anlage gehött, Olsh. a Abs. 2. 2. Mit Strafe bedroht ist die Srrichttmg und die Verlegnug, also der Bau einer neuen Feuerstätte. Die Änderung einer bereits vorhandenen fällt unter Nr. 4, vgl. A. 3 das., Rspr. 4 621. 3. Taterim Sinne der Nr. 3 kann auch der Verwalter und der M i e t e r sein, BindingLehrb. 2 30. 4. Fahrlässigkeit genügt. 5. Die Zuwiderhandlung gegen Nr. 3 ist kein Dauerdelikt. Die Verjährung beginnt mit dem Zeitpuntt, in dem die Handlung der Errichtung oder Verlegung vollendet ist, RGSt. 22 435, BayOLGSt. 2 8. 6, Für Bayer« vgl. die Sondervorschrist in Art. 105 BayPolStGB. Frh. v. RiedelSutner 378. IV. 1. Uber den Begriff der Feuerstätte vgl. A. III 1. 2. Frank IV und Schwartz 4 folgern aus den Worten in seinem Hause, daß die Straf­ androhung nur gegen den Eigentümer gerichtet sei. Dagegen wollen BindingLehrb. 2 29, Olsh. c und Opph.-Del. 8 die Nr. 4 auch auf Personen anwenden, welche an Stelle des Eigentünrers die Verfügungsgewalt über das Haus haben. Für letztere Ansicht spricht das Prattische Bedürfnis. Im Falle eines Eigentumswechsels hat auch der Erw e r b e r die Pflicht, rechtzeitig für die Herstellung eines brandsicheren Zustands zu sorgen. BayOLGSt. 6 161. 3. Der Begriff «uterhatte« bezieht sich nicht bloß auf die Vornahme der erforderlichen Ausbesserungen, sondern ganz allgemein auf die Erhaltung des vorgeschrie­ benen Zustands bei Änderungen jeder Art, vgl. A. III 2, Rspr. 4 621. 4. Die Bezeichnung Schornstein trifft nicht zu auf gewundene Kanäle, die bestimmt sind, den Rauch in ein anderes Rohr zu leiten, KG. GA. 46 143.

5. zur rechten Zeit bedeutet zu derjenigen Zeit, welche vorgeschrieben oder nach den Umständen des Falles erforderlich ist. 6. Fahrlässigkeit genügt. 7. Für Bicher« vgl. Art. 105 BayPolStGB., Frh. v. Riedel-Sutner 378. V. 1. Eine Sache ist fenerfa«ge«d, wenn sie leicht Feuer fängt, § 367 Nr. 6. Dieses Merkmal kann auch dann vorhanden sein, wenn die Sache in einem geschlossenen

Gefäß aufbewahrt wird, RGSt. 30 113.

2. Ein Raum dient zur Aufbewahrung feuerfangender Sachen, wenn er tatsäch­ lich zu diesem Zwecke verwendet wird, BindingLehrb. 2 28, Schwartz 5, Fch. v. Riedel-Sutner 351; a. M. Frank V, nach dessen Ansicht auch leere Räume unter die Vorschrift der Nr. 5 fallen können. 3. Ob ein Feuer oder Licht ««verwahrt ist, muß nach den Umständen des Falles — mtt Rücksicht auf die Feuergefährlichkeit der ausbewahrten Sachen, die Größe ihrer Ent­ fernung vom Feuer oder Licht und die Beschaffenheit der Schutzvorrichtungen — beurteilt

werden. RGSt. 7 202 (207), Recht 06 195, BayOLGSt. 16 2. Eine brennende Lampe ist in der Regel kein unverwahrtes Licht im Sinne der Nr. 5, StRZ. 1917 433. 4. Der Ausdruck betritt ist ungenau. Die Strafbestimmung der Nr. 5 wird auf jeden angewendet, der in einem verbotenen Raume mit unverwahrtem Feuer oder Licht sich aufhält, also auch auf denjenigen, der in diesem Raume ein unverwahrtes Licht an­ zündet, RGSt. 30 115, StRZ. 1917 433. 5. Fahrlässigkeit genügt. 6. Weitergehende Vorschriften des Landesrechts sind zulässig, RGSt. 7 206. VI. 1. Nr. 6 erfordert, ebenso wie Nr. 5, eine konkrete Gefahr. Es hängt also von den Umständen des einzelnen Falles ab, ob eine Stelle in Wäldern bzw. die Nähe von Gebäuden usw. als gefährlich anzusehen ist. 2. Über den Begriff der feuerfangenden Sachen vgl. A. V 1. 3. Während Nr. 5 Feuer und Licht gleichstellt, ist die Anwendbarkeit der Nr. 6 auf Feuer beschränkt. Hieraus folgt, daß eine brennende Zigarre oder ein brennendes Streich­ holz kein Feuer im Sinne der Nr. 6 darstellt, v. Schicker, Württ. PolStR. 126. 4. Das Anzünden eines Feuers fällt nur dann unter Nr. 6, wenn die Handlung i m Freien vorgenommen wird. RG. StRZ. 1917 433. Auch das Unterhalten eines von anderen angezündeten Feuers ist strafbar, RG. GA. 46 114. 5. Bei dem inneren Tatbestand ist zu unterscheiden zwischen der Handlung des Anzündens, die nur vorsätzlich begangen werden kann, und der Kenntnis der übrigen Tatbestandsmerkmale, die fahrlässigerweise fehlen kann. 6. Nach der Ansicht von BindingLehrb. 2 29 soN der Eigentümer straflos bleiben, lvenn das Feuer, das er in seinem eigenen Walde anzündet, nur für letzteren gefährlich werden kann. Diese Ansicht kann nicht gebilligt werden. Bei einem Widerstreit öffentlich rechtlicher Pflichten und privatrechtlicher Befugnisse müssen erstere den Vorzug haben. 7. Landesrechtliche Vorschriften zur Ergänzung der Nr. 6 sind zulässig, vgl. § 44 Nr. 3 pr. Feld- und ForstpolizeiG. v. 1. 4. 1880. VII. 1. Die Worte in gefährlicher Nähe haben dieselbe Bedeutung wie in Nr. 6; es muß also eine konkrete Gefahr vorliegen, RG. V 203/12 v. 4. 6. 1912. 2. Unter den Begriff schießen fällt auch das Abfeuern blinder Schüsse, vgl. § 367 A. VIII 6. 3. Die Handlung des Schießens kann nur vorsätzlich begangen werden, vgl. § 367 A. VIII 6; hinsichtlich der Kenntnis der übrigen Tatbestandsmerkmale genügt fahr»

lässiges Verschulden. 4. Über Strafausschließungsgründe vgl. § 367 A. VIII 7.

Die dort aufgestellten Grundsätze finden auch auf die Fälle des § 368 Nr. 7 Anwendung. 5. Jdealkonkurrenz mit Körperverletzung ist möglich, ebenso mit einer Zuwider­ handlung gegen § 367 Nr. 8, da § 368 Nr. 7 nur gegen Feuersgefahr schützen will. VIII. 1. Anordnungen im Sinne der Nr. 8 sind allgemeine Bestimmungen, KG. GA. 37 308, 42 281. Ist die Polizeibehörde in einer solchen Bestimmung ermächtigt, Einzelverfü­ gungen zu erlassen, so fallen die Zuwiderhandlungen gegen letztere gleichfalls unter Nr. 8, BayOLGSt. 1 421, 3 350, 5 202. 2. Die Anordnungen müssen feuerpolizeiliche sein. Zu letzteren gehören auch die Bestimmungen über Einrichtung einer Pflichtfeuerwehr über den Zwang zum Eintritt in dieselbe, zur Beteiligung an den vorgeschriebenen Übungen und anderen Dienst­ leistungen, zur Stellung von Pferden, KGJ. 8 236, 41 437, BayOLGSt. 3 106, 10 425, OLG. München St. 3 516, 4 44, Sächs. OVG. Reger 23 312. In Preußen werden Ortsstatuten, die nicht von einer Polizeibehörde, sondern von einer Gemeindebehörde aufgestellt sind, nicht zu den feuerpolizeilichen Anordnungen gerechnet, KGJ. 36 0 8. 3. Die Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über das Halten von Lösch­ geräten kann auch fahrlässig begangen werden. Welcher innere Tatbestand bei anderen Zuwiderhandlungen vorliegen muß, ist nach Wortlaut und Zweck der einzelnen Anordnung zu entscheiden.

1056

Strafgesetzbuch. 2. Teil.

29. Abschnitt.

Da Nr. 8 eine B lankett-V orschrift darstellt, so gilt der Irrtum, über Existenz, Inhalt oder Tragweite der Anordnung als Irrtum über eine Tatsache, vgl. Abschnitt 29 Borbem. 2. 4. Die Frage, wie weit das Prüfungsrecht^»der Gerichte sich erstreckt, ist nach L an desrecht zu beurteilen. Für Bayern vgl. Art. 15 BayPolStGB., BayOLGSt. 3 105, OLG. München St. 2 308, 309, 6 108, Frh. v. Riedel-Sutner BayPolStGB. 354. 5. Unterläßt es der Verpflichtete, die Vorschriften über das Halten von Löschgeräterr bzw. von brauchbaren Löschgeräten zu befolgen, so liegt ein Dauerdelikt vor. Die Ver­ jährung beginnt in diesem Falle erst mit der Herstellung des ordnungsmäßigen Z u st a n d s , Frank VIII. Bei anderen Unterlassungen kann die Verjährung schon mit dem Zeitpunkt beginnen, in dem die Handlung vorgenommen werden muß, vgl. BayOLGSt. 3 90. IX. 1. In Nr. 9 werden vier Klassen von Örtlichkeiten unterschieden. Das unbefugte Betreten von Gärten und Weinbergen ist stets strafbar; das unbefugte Be treten der übrigen Örtlichkeiten wird nur unter bestimmten Voraussetzungen bestraft. Ob ein Friedhof als Garten angesehen werden kann, ist Tatfrage, RG. GA. 50 130. Der Begriff Acker findet nur auf Grundstücke Anwendung, die zur Gewinnung von Feldfrüchten b e stimmt sind. Ein Friedhof (Gottesacker) ist daher kein Acker im Sinne der Nr. 9 RG. GA. 50 130. B e st e llt ist der Acker, wenn er besät oder bepflanzt ist, Olsh. b «. 2. Die Warnungszeichen müssen von einer berechtigten Person aufgestellt sein, PrOTr. GA. 24 470. Ob letztere eine Behörde oder eine Privatperson ist, macht keinen Unterschied, Frh. v. Riedel-Sutner BayPolStGB. 401. Ein Schlagbaum kann als War­ nungszeichen dienen, wenn diese Zweckbestimmung aus den Umständen sich ergibt, KG. DIZ.

1911 95. 3. Unbefugt ist — wie in anderen Stellen des StGB., vgl. § 300 A. 7 — gleichbe deutend mit rechtswidrig. Ein Beamter, der in Ausübung seines Amtes ein fremdes Grundstück betritt, handelt nicht unbefugt, ebensowenig eine Militärperson, die in Ausübung ihres Dienstes z. B. bei einer Truppenübung die gleiche Handlung bc geht. Für die Befugnis des Jagdberechtigten und des F i s ch e r e i b e r e ch tigten zum Betreten fremder Grundstücke sind die besonderen Vorschriften des Landes­ rechts maßgebend, vgl. Dalcke-Del. Pr. Jagdrecht 6. Aufl. 27, pr. FischereiG. v. 11. 5. 1916 (GS. 55) §13, bayr.VO. v. 5. 10. 1863, bzw. 19. 3. 1896 § 8. Dagegen ist die Überschreitung einer sachlich oder zeitlich beschränkten Dienstbarkeit unbefugt, SächsOLG. 27 401. Der schlechte Zustand eines öffentlichen Weges rechtfertigt das Betreten der angrenzenden Privatgrundstücke nicht, sofern nicht die Voraussetzungen des Notstands oder der erlaubten Selbsthilfe gegeben sind, Marienwerden GA. 46 463. 4. Die Zuwiderhandlung gegen Nr. 9 kann nur vorsätzlich begangen werden, RG. StRZ. 1914 679, OLG. München St. 5 21,Jena ThürBl. 59 54, GA. 63 461. B e d i n g t e r Vorsatz genügt, RG. StRZ. 1914 680. Zum Vorsatz gehört im Falle der Nr. 9 auch das B e wußtsein der Rechtswidrigkeit, da das Merkmal „unbefugt" ausdrücklich in den gesetzlichen Tatbestand ausgenommen ist. Der Irrtum über das Bestehen einer Befugnis schließt den Vorsatz aus, RGStRZ. 1914 679, Jena GA. 63 461. 5. Eine Bestimmung über besondere Vorrechte der Posten enthält § 17 Post-G. vom 28. 10. 1871, Vgl. Jena GA. 63 461. 6. Weitergehende Vorschriften des Landesrechts sind zulässig, vgl. Pr. Feld- u. ForstpolizeiG. § 10, KG. GA. 53 181, Rindfleisch GA. 56 44, BayPolStGB. v. 26. 12. 1871 Art. 115, 122, BayOLGSt. 3 168. X. 1. Die Genehmigung -des Berechtigten kann ausdrücklich oder stillschweigend mündlich oder schriftlich erteilt werden. Sie ist nur wirksam, wenn sie vor dem Betreten des Jagdgebiets eingeholt wird, BayOLGSt. 8 407, 9 399. 2. Die sonstige Befugnis kann eine öffentlich-rechtliche sein, z. B. die eines Forstschutzbeamten, Gendarmen, Grenzaufsehers, RGSt. 16 202, BayOLG. 16 56, OLG. München St. 3 69 oder eine privatrechtliche, z. B. Notstand im Sinne des § 228 BGB., Rostock DIZ. 1911 544, Ausübung eines Notwegerechts, Jena ThürBl. 53 217, Geschäftsführung ohne Auftrag KG. GA. 39 356, vgl. Dalcke-Del. Pr. Jagdrecht 376. Be­ ruht das Betreten des Jagdgebiets auf einer Berkehrssitte oder Duldung von feiten des

Berechtigten - z. B. Lagern am Rande eines öffentlichen Wegs, Benutzung eines Privat­ wegs — so kann hierdurch gleichfalls eine Befugnis im Sinne der Nr. 10 begründet werden, vgl. OLG. München St. 423.

S. Übet den Begriff Ja-dgebiet vgl. § 292 VI und VII. 4. Der Begriff -ffeutlicher Weg im Sinne der Nr. 10 ist vom Gesetzgeber selbst dahin erläutert, daß der Weg zum gemeinen Gebrauch bestimmt sein muß. Es kommt also nicht darauf an, ob der Weg die rechtlichen Eigenschaften eines öffentlichen im Sinne des Berwaltungsrechts hat, sondern sediglich darauf, ob er dem öffentlichen Bertehr fteigegeben ist, vgl. Begr. z. E. 19 345. Dieses Merkmal trifft nur zu auf diejenigen Telle eines Wegekörpers, welche dem allgemeinen Verkehr dienen, also von jedermann zum Gehen, Fahren, Reiten, oder Biehtreiben benutzt werden dürfen, RGSt. IS 203, BayOLGSt. 2 429,14 42, OLG. München St. 5 408, 7 292.

Hiernach sind nicht zum gemeinen Gebrauch bestimmt Straßengräben, RGSt. 16 203, Holzabfuhrwege in Staatswäldern, auf denen ein Verkehr von Fußgängern und Fuhr« werken nur geduldet wird, BayOLGSt. 14 42, Feldwege, die ausschließlich von den an­ grenzenden Grilndbesitzern zu landwirtschaftlichen Zwecken benutzt werden, OLG. München St. 7 292. Zu weit geht Colmar GA. 39 183, wenn es auch schiffbare Wasserläufe zu den öffentlichen Wegen rechnet. Das StGB, betrachtet die „Wasserstraßen" nicht als Teil dieser Wege, wie schon der Wortlaut der § 243 Nr. 4, § 250 Nr. 3, § 366 Nr. 3, 8, 9, 10 erkennen läßt, vgl. Ebner, Pr. Jagdrecht (08) 537.

5. Nach der Rechtsprechung des RG. ist zur Jagd ausgerüstet, wer ein zur Jagdaus­ übung geeignetes Werkzeug, insbesondere ein Schießgewehr, in einem solchen Zu­ stand bei sich führt, daß von demselben bei sich darbietender Gelegenheit sofort zum Zwecke der Ausübung Gebrauch gemacht werden kann", RGSt. 9 413, Rspr. 9 558. Diese Begriffs­ bestimmung ist zu billigen, soweit sie Schießgewehre und Hunde betrifft, vgl. hinsichtlich der ersteren RGSt. 9 416, hinsichtlich der letzteren SächsOLG. 5 513. Bei den Hunden kommt es also darauf an, ob sie nach den Umständen des Falles zur Jagdausübung benutzt werden können, vgl. Ebner Pr. Jagdrecht 542; a. M. Celle GA. 48 148, Dalcke-Del. Pr. Jagdrecht, 6. Ausl. 377, auch Frank und Schwartz a. a. O. Bei Jagdgeräten dagegen muß der Begriff der Ausrüstung auf Gegenstände beschränkt werden, die nach ihrer Beschaffenheit zur Verwendung bei der Jagd nicht nur geeignet, sondern auch dauernd bestimmt sind, vgl. § 295 A. 7. Zur Jagdausübung ist ein Werkzeug geeignet bzw. bestimmt, wenn es zur Erlegung oder Besitzergreifung jagdbarer Tiere dienen kann bzw. dienen soll, KG. GA. 40 346, Olsh. c «, Frank X Abs. 3, Ebner 541, a. M. Dalcke-Del. 378, der die Eigenschaft der Jagdbarkeit nicht für wesentlich hält. Ob von dem Werkzeug, das eine Person bei sich führt, sofort Gebrauch gemacht werden kann, ist Tatfrage. Bei Schießgewehren wird nicht für erforderlich erachtet, daß sie geladen sind, RGSt. 9 414, 20 5, Rspr. 9 558. Die Möglichkeit des sofortigen Gebrauchs wird auch angenommen, wenn die Hähne eines Gewehrs zur Ruhe gestellt sind, RGSt. 9 414, wenn das Schloß mit einem Taschentuch umwickelt ist, Rspr. 9 556 und wenn das Gewehr in einem Futteral getragen wird, Ebner 540. Dagegen ist der sofortige Gebrauch ausgeschlossen, wenn das Gewehr in einzelne Teile zerlegt und in einen verschrrütten Ruck­ sack verpackt ist, Ebner a. a. O., ebenso wenn der Inhaber des Gewehrs überhaupt keine Patronen bei sich hat, vgl. Rspr. 1 671, Marienwerder GA. 49 368, Rostock MecklZ. 22 308. Hat ein Begleiter des Inhabers die Patronen in Verwahrung, so kommt es darauf an, ob der Inhaber bzw. sein Begleiter das Gewehr jederzeit schußfertig machen kann. Bay. OLGSt. 2 431, OLG. München St. 10 185. 6. Der Ausdruck betroffen wird ist — wie Rotering ZStRW. 26 731 treffend sagt veraltete Kanzleisprache. Mit Strafe bedroht wird derjenige, der das ftemde Jagdgebiet unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen betritt, RGSt. 13 58. Die Entdeckung auf frischer Tat ist nicht wesentlich. Der Täter muß auch dann bestraft werden, wenn er von niemand gesehen worden ist RGSt. 13 58, 55 8, Rspr. 3 354, 7 596, Marienwerder GA. 49 368, Olsh. d, Schwartz 16, Opph.-Del. 42, Dalcke-Del. 379, Ebner 542, Begr. z. E. 19 S. 345, st. M. BindingLehrb. 1 332, Nagler BDB. 8 492. Kommentar z. Strafgesetzbuch.

2. Aml.

Strafgesetzbuch. 2. Teil. 29. Abschnitt.

1058

7. Für den hmerot Tatbestand genügt F ahrlässigkeit, RGSt. 38 104, KG. Recht 1913 473, BayOLGSt. 2 429 (431 ),8407, Darmstadt GA. 44175, Jena ThürBl. 53218, OlSh. a, Frank X, Schwartz 17; a. M. BindingLehrb. 1 332, Nagler BDB. 8 492. 8. Liegt der Tatbestand desunberechtigtenJagens vor, so findet Nr. 10 keine Anwendung. Letztere Vorschrift hat gegenüber dem § 292 nur subsidiäre Be deutung, RGSt. 29 5, KG. GA. 42 282, Jena ThürBl. 53 218.

9. Auf Etttziehrm- der Ausrüstungsgegenstände kann nicht erkannt werden. Ebner 544, Dalcke-Del. 380. XI. 1. Nr. 11 ist teilweise außer Kraft gesetzt durch das Reich-G. v. 23. 3.1888 betr. den Schutz von Bögeln (RGBl. 111). Letzterer untersagt in § 1 Abs. 1 ganz allgemein das AuSnehmen von Eiern und Jungen der Bögel. Nach § 8 b findet das erwähnte ReichsG. keine Anwendung auf die nach Maßgabe der Larrdesgesetze jagdbaren Bögel. Für diese ist die Strafbestimmung der Nr. 11 in Geltung geblieben.

2. Schon aus der Wahl des Ausdrucks wer folgt, daß das in Nr. 11 enthaltene Verbot gegen jedermann gerichtet ist. Er trifft auch den Jagdberechtigten, sofern ihm nicht die Befugnis, Eier und Junge auszunehmen, von der Landesgesetzgebung aus drücklich beigelegt ist, RGSt. 40 240. Für Preußen vgl. JagdO. v. 15. 7. 07 § 42, Dalcke-Del. Pr. Jagdrecht 6. Aufl. 240, 380, Ebner Pr. Jagdrecht 246; für Bayern Kgl. BO. v. 5. 10. 1863 bzw. 19. 3. 1896 § 10, Frh. v. Riedel-Sutner Bay. PolStGB. 436, 781. 3. Zrmge im Sinne der Nr. 11 sind nur Tiere, die noch nicht flügge sind. Dieselben müssen noch im Neste sich befinden, da sie sonst nicht ausgenommen werden können, DalckeDel. 241, 381. 4. Der imrereTatbestand der Nr. 11 erfordert B orsatz, Olsh. d, FrankXI, Schwartz 18, Nagler BDB. 8 486.

369-

Mit Geldstrafe bis zu eintausend Mar? oder mit Haft bis zu

vier Wochen werden bestraft: L Personen, welche ohne obrigkeitliche Unweisung oder ohne Genehmi­

gung des Anhabers einer Wohnung Schlüssel zu Zimmern oder Behält­

nissen in ver letzteren anfertigen oder Schlösser an denselben öffnen, ohne Genehmigung des

Hausbesitzers oder seines Stellvertreters

einen Hausschlüssel unfertigen, oder ohne Erlaubnis der Polizeibehörde

Nachschlüssel oder Dietriche verabfolgen;

2.-------------------3.

Gewerbetreibende, welche in Feuer arbeiten, wenn sie die Vorschriften nicht befolge«, welche von der Polizeibehörde wegen Anlegung und

Verwahrung ihrer Feuerstätten, sowie wegen der Art und der Zeit,

sich des Feuers zu bediene«, erlasse« sind. e. 19 $ 434 (betr. Nr. 1), $ 418 (betr. Nr. 3).

@. v. 21. 12. 1921 8 1.

I. 1. Der Ausdruck Persoue« ist durch die N o v e l l e vom 19. 6. 1912 an die Stelle des Ausdrucks Schlossen gesetzt worden, da die in Nr. 1 mit Strafe bedrohten Hand­ lungen auch durch andere Personen als durch Schlosser begangen werden können, vgl. Bericht der RTKomm. 12. Leg.-Per. II. Sess. 09/10 Nr. 392 Anlage 2 S. 50.

2. Das Gesetz unterscheidet drei Arten von Schlüsseln: a) Schlüssel zu Zim mern oder Behältnissen in einer Wohnung, d) Hausschlüssel, e)Nach schlüssel. Die Vorschriften über Hausschlüssel finden keine Anwendung auf Schlüssel, welche eine Tür außerhalb des Hauses, z. B. eine Hoftür oder Gattentür öffnen, KG. Reger 16 307. Die Erlaubnis der Polizeibehörde ist nur für die Verabfolgung der Nachschlüssel, nicht auch für ihre Anfertigung, vorgeschtteben.

3. Für den nmere« Tatbepaud genügt Fahrlässigkeit, Olsh. e, Frank I, Schwartz 2.

II. Nr. 2 und Absatz 2, welche sich auf die Verletzung der Vorschriften über die Maß und Gewichtspolizei beziehen, sind durch § 23 der Matz- «nd Gewichtsordnung vom 30. 5. 08 (RGBl. 355) aufgehoben worden. Letztere ist am 1. 4. 1912 in Kraft getreten. Kaii. VO. v. 24. 5. 1911, RGBl. 244. III. Nr. 3 ist ein Blankett-Gesetz, vgl. Abschnitt 29 Vordem. 2. Die von der Polizei erlassenen Vorschriften können allgemeine und besondere sein. Fahrlässigkeit genügt.

370. Mit Geldstrafe bis zu eintausend fünfhundert Mark Hast wird bestraft:

oder mit

wer unbefugt ein fremdes Grundstück, einen öffentlichen oder Privat­

1.

weg oder emen Grenzrain durch Abgraben oder Abpfliigen ver­ ringert ; 2.

wer unbefugt von öffentlichen oder Privatwegen Erde, Steine oder Rasen, oder ans Grundstücken, welche einem anderen gehören, Erde,

Lehm, Sand, Grand oder Mergel gräbt, Plaggen oder Bütten haut, Rasen, Steine, Mineralien, zu deren Gewinnung es einer Verleihung, einer Konzession oder einer Erlaubnis der Behörde nicht bedarf, oder ähnliche Gegenstände wegnimmt; 3. wer von einem zum Dienststande gehörenden Unteroffizier oder Ge­

meinen des Heeres oder der Marine ohne die schriftliche Erlaubnis

des vorgesetzten Kommandeurs Montierungs- oder Armaturstücke kauft oder zum Pfande nimmt; 4. wer unberechtigt fischt oder krebst;

5.

wer Nahrungs- oder Genutzmittel oder andere Gegenstände des haus­ wirtschaftlichen Verbrauchs in geringer Menge oder von unbedeutendem Werte zum alsbaldigen Verbrauch entwendet oder unterschlägt. Wer die Tat gegen einen Verwandten absteigender Linie oder gegen seinen Ehegatten begeht, bleibt straflos;

6.

wer Getreide oder andere zur Fütterung des Viehes bestimmte oder geeignete Gegenstände wider Willen des Eigentümers wegnimmt, «m

dessen Bich damit zu füttern.

Inoden Fällen der Nr. 5 und 6 tritt die Verfolgung nur auf Antrag ein.

Die Zurücknahme des Antrages ist zulässig. E. 19 $ 433 (betr. Nr. 1 und 2), S§ 395,$396 (betr. Nr. 4>, 366 (bett. Nr. 5). @. v. 21. 12. 1921 § 1.

I. 1. Ein Grundstück ist ein fremdes, wenn es nicht ausschließlich im Eigentum des Täters steht. Auf Wege und Grenzraine bezieht sich das Merkmal „fremd" nicht. Der Allein-Eigentümer dieser Bodenfläche ist ebenfalls strafbar, wenn er durch Ab­ graben oder Abpflügen derselben die Rechte eines Dritten beeinträchtigt, vgl. § 921 BGB. RGSt. 26 74, GA. 49 271, 59 343, OLG. München St. 8 78. 2. Eine Verringerung im Sinne der Nr. 1 ist auch anzunehmen, wenn das fremde Grundstück, der Weg oder der Grenzrain infolge des Abgrabens oder Abpslügens gänzlich verschwindet, OLG. München St. 8 78.

3. Der bittere Tatbestand erfordert Vorsatz, vgl. Begr. z. E. 19 366. Der Vorsatz muß auch das Bewußtsein umfassen, daß die Handlung eine unbefugte ist. Bedingter Vor­ satz genügt, RG. GA. 59 343. II. 1. Die Grundstücke müssen einem andere« gehören, also — wie in Nr. 1 — fremde sein. Für öffentliche und Privatwege besteht diese Beschränkung nicht.

1060

Strafgesetzbuch. *2. Teil. 29. Abschnitt.

2. Gegenstände, die aus Grundstücke« gegraben oder weggenommen werden, tötrneu nur solche sein, die zur Zeit der Tat Bestandteile dieser Grundstücke sind, Rspr. 9 313, Recht 1910 249, Rostock GA. 39 449, Breslau GA. 49 300. Es muß also die Substanz des Grund stücks gemindert werden, Begr. z. E. 19366. Streitig ist, ob die Gegenstände, die von öffent­ lichen oder Privatwegen gegraben bzw. weggenommen werden, ebenfalls Bestandteile dieser Wege sein müssen. Die Frage wird von der herrschenden Meinung bejaht, Olsh. a, Frank II, Schwartz 6, vom OLG. Breslau GA. 49 300 dagegen verneint. Letztere Ansicht ist mit dem Wortlaut des Gesetzes vereinbar, aber nicht mit seinem Zweck. Der Gesetzgeber kann unmöglich gewollt haben, daß die Wegnahme von Steinen, die auf einem öffentlichen Wege lagern, milder bestraft werden soll, als die Wegnahme von Steinen, die neben diesen: Wege auf einem Privatgnmdstück lagern. Für eine solche Unterscheidung würde jeder ver­ nünftige Grund fehlen. In § 308 Nr. 11 BE. sind die Worte „von öffentlichen oder Privat wegen" durch die Worte „aus einem öffentlichen oder Privatweg" ersetzt worden, vgl. Begr. 865, ebenso in E. 19 § 433 Abs. 2, vgl. Begr. 366. 3. Graben bezeichnet die Beschädigung eines Grundstücks durch Ausheben einzelner Bodenbestandteile. Die Benutzung eines Werkzeugs ist im Falle der Nr. 2 ebensowenig notwendig wie im Falle des § 303, OLG. München St. 8 424. 4. Der Ausdruck Plaggen oder Bütten haut, bedeutet das Abschälen von Stücke:, einer mit Pflanzen bewachsenen Oberfläche vom Waldboden, v. Schicker, Württ. PolStN. 144 oder von Torfmooren, Siebs GA.- 66 291. 5. Aehnliche Gegenstände im Sinne der Nr. 2 sind ungestochener Torf, RGSt. 2127 (30), Tropfsteine, OLG. München St. 5 259, Eis, Schlamm, Rotering ZStRW. 26 724, Kies, BE. § 308 Nr. 11, Schlüsselblumen mit Wurzeln, NG. III 3537/03 v. 3. 12. 1903, 6. Der innere Tatbestand erfordert ein vorsätzliches Handeln, Königsberg GA. 37 73. Die Absicht der rechtswidrigen Zueignung ist auch im Fall der Wegnahme nicht notwendig, Celle GA. 49 315, Frank II, Schwartz 8; a. M. OLG. München St. 8 422 (424), SächsOLG. 23 411, Olsh. d. Wer infolge tatsächlichen Jrrtiuns glaubt, zur Wegnahme befugt zu sein, kann nicht bestraft werden, OLG. München St. 2 299. 7. Die unbefugte Sandgewinnung aus einem fremden Waldgrundstück kann durch die Landesgesetzgebung besonders geregelt werden, EG. z. StGB. § 2, BayOLG. 1 147. III. 1. Der Ausdruck Dienststand wird in den Militärgesetzen nicht gebraucht. Mit den Personen, welche zum Dienststand gehören, sind die Militärpersonen des aktiven Heeres und der aktiven Marine gemeint, MilStGO. § 1 Nr. 1, RMG. § 49 vgl. BE 8 307 Nr. 4, Begr. 862. 2. Ob die Montiermtgs- und Armaturstücke Eigentunr des Fiskus oder Privateigen tum des Verkäufers bzw. Verpfänders sind, macht keinen Unterschied, BindingLehrb. 1 394, Olsh. a, Frank III, Schwartz 9; a. M. BayOLGSt. 16 112, Frh. v. Riedel-Sutner Bau. PolStGB. 99. 3. Fahrlässigkeit genügt Olsh. n, Frank 111, Schwartz 9 ; a. M. BindingLehrb. 1 395. teilweise auch Köhler GerS. 61 127. 4. Zwischen § 259 und § 370 Nr. 3 besteht Gesetzeskonkurrenz. Erstere Vorschrift schließt die letztere aus, BindingLehrb. 1 394, Olsh. a, Frank III, Schwartz 9, a.M. Beling VDB. 7 88, Köhler GerS. 61 127. IV. 1. Der Begriff fischen entspricht dem Begriff jagen, vgl. § 292 A. II, III, Delius Pr. FischereiG. v. 11. 5. 1916 (1916) 9. Er umfaßt alle Handlungen, welche tnif Erlegung oder Besitzergreifung von herrenlosen fischbaren Tieren gerichtet sind, Rspr. 4 132. Daß tatsächlich ein solches Tier erbeutet wird, ist nicht notwendig. RGSt. 13 200,14 420. Unter den Begriff des Fischens kann auch die Aneignung toter Fische fallen, ebenso wie die Aneignung von Fallwild unter den Begriff des Jagens fällt, vgl. § 292 A. V, München GA. 45 144. Voraussetzung ist auch hier, daß der Körper des Fisches noch nicht gänzlich zerstört ist, vgl. § 292 A. III. Fische in Teichen und anderen geschlossenen Privatgewässern können nicht Gegenstand des Fischfangs sein, da sie nicht herrenlos sind, § 960 BGB., BayOLGSt. 1 269. Das Landesrecht bestimmt, welche Tiere fisch bar sind, Begr. z. E. 19 S. 344, Pr. FischereiG. v. 11. 5. 1916 § 4, BayFischereiG. v. 15. 8. 08 Art. 1 Abs. 1 und 3, Kgl. BO. v. 18. 3. 09 (Bay. GBBl. 245).

2. Das Krebsen stellt eine Unterart des Fischerls dar. Begr. z. (S:. 19 S. 344. Das selbe ist neben dein Fischen ausdrücklich erwähnt, weil der Ausdruck „.Krebse fischen" nicht üblich ist, RGSt. 17 164.

L. Das unberechtigte Fischen oder Krebsen entspricht dem unberechtigten Jagen. Wie dieses enthält es einen Eingriff in die ausschließliche Befugnis eines Dritten zur Er­ legung und Aneignung bestimmter Tierarten, RGSt. 13 195 (199), OLG. München St. 9 186. Das Landesrecht entscheidet auch hier, ob ein Fischereirecht besteht, welchen Inhalt und Umfang es hat, welche Person Inhaber desselben ist. 4. Der innere Tatbestand erfordert Vorsatz. Letzterer muß auch das B e w u ß t sein der Rechtswidrigkeit umfassen, BayOLGSt. 6 393, Jena ThürBl. 59 132. Ein Irrtum des Täters über Existenz, Inhalt oder Umfang seines Fischereirechts steht dem tatsächlichen Irrtum gleich, Colmar StRZ.1915 426.

5. Nach einem Urteil des KGJ. 49 361 soll Jdealkonkurrenz zwischen unberechtigteni Fischen und der Uebertretnng fischereipolizeilicher Vorschriften ausgeschlossen sein. Die Frage ist nach denselben Gesichtspunkten zu entscheiden wie die Frage, ob ein Wilderer zugleich wegen unberechtigten Jagens und wegen Jagens ohne Jagdschein bestraft werden kann, vgl. § 292 A. XII 1. Es kommt auf Wortlaut und Sinn der einzelnen Polizeivor­ schrift an. 6. Die Einziehung der Fanggeräte und Fische ist inr Fall der Nr. 4 nicht zulässig. V. 1. Nach der ursprünglichen Fassung der Nr. 5 Abs. 1 war strafbar, „wer Nahrungs- oder Genußmittel von unbedeutendem Werte oder in geringer Menge zum als, baldigen Verbrauche entwendet". Durch die Novelle vom 19. 6. 1912 hat dieser Tatbestand eine erhebliche Erweite­ rung erfahren: a) In denselben sind neben Nahrungs- oder Genußmitteln auch andere Gegenstände des hauswirtschaftlichen Verbrauchs ausgenommen lvorden, b) die Streitfrage, ob Nr. 5 auch auf den Fall der Unterschlagung an­ wendbar sei, RGSt. 24 39, ist vonr Gesetzgeber ausdrücklich im bejahenden Sinne be­ antwortet worden, c) Die von der Rechtsprechung aufgestellte Regel, daß Lüsternheit, Naschhaftigkeit, Befriedigung eines augenblicklichen Bedürfnisses oder Beseitigung einer augenblicklichen Notlage Beweggrund der Tat sein nrüsse, RGSt. 10 310, 13 373, Rspr. 6 425, BayOLGSt. 1 323 ist in Wegfall gekommen. RGSt. 4.6 379 (380) vgl. aucb Recht 1919 377. Die gegenwärtige Fassung der Nr. 5 Abs. 2, welche dem § 248 a Abs. 3 entspricht, beruht gleichfalls auf der Novelle vom 19. 6. 1912. Durch die Änderung sollte deutlicher als bisher zum Ausdruck gebracht werden, daß dlbs. 2 nur einen persönlichen Straf ausschließungsgrund aufstellt, Begr. z. Novelle v. 19. 6. 1912, RTVerb. 12. Lg. Per. I. Sess. 1909-10 Nr. 6 S. 18. 2. Die Zuwiderhandlung gegen Nr. 5 wird als VerbrmrchsenLwendMtg, Rothstein, Zur Lehre von der Entwendung (Bonner Diss. 1913) 56 A. 8, BerbrauchsmiLLelerttwendrmg Meyer-Allf. 4 52, Anneigung von BerbrauchsnnLteln Frank V bezeichnet Streitig ist, ob diese Zuwiderhandlung die rechtliche Natur eines Sorrderdelikts hat oder lediglich eine besondere Art von Diebstahl oder Unterschlagurrg darstellt. Die Streitfrage hat prak­ tische Bedeutung für den äußeren und inneren Tatbestand, vgl. A. 3 sowie für die Mög lichkeit einer Jdealkonkurrenz mit Diebstahl A. 15. Als delictum sui gcneris fassen die Vorschrift der Nr. 5 auf Liszt 458, Meyer-Allf. 453, Wachenfeld 388, Geyer und Fried Länder ZStNW. 2 303, 11 398, Harburger VDB. 6 300, Schlosky, Der Mundraub 1897) 10, 44. Dagegen betrachten die erwähnte Vorschrift als spccies des genus „Diebstahl" bzw. „Unterschlagung" BindingLehrb. 1 307, Olsh. a, Frank V Abs. 1 und 3, Schwartz 16. Diesen Standpunkt teilt auch das RG. Dasselbe hat in ständiger Recht sprechung angenommen, daß die Entwendung im Sinne der Nr. 5 den voller: äußerer: und inneren Tatbestand des Diebstahls erfordere, RGSt. 3 424, 5 405, 6 327, 9 298,12 8 (11), 13 392,14 316 (BerStS.), 17 333, 24 38, 28 325, 43 176, 46 377, 51 69, Rspr. 4 85, 6 424, 10 334. Für die Ansicht des RG. spricht nicht bloß die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, die auf § 349 Nr. 3 Pr. StGB, beruht, Goltd. Mat. 2 739 ff., Begr. z. §§ 365, 366 Entw. Nordd. StGB., sondern auch die Begründung der Novelle vom 19. 6. 1912, RTVerh. 12. Leg.-Per. II. Sess. 1909/10 Nr. 6 S. 18, in der ausdrücklich auf die „fest-

1062

Strafgesetzbuch. 2. Teil. 29. Abschnitt.

stehende Rechtsprechung" verwiesen wird, vgl. auch die Begr. BE. eines deutschen StGB. 747. In der Begr. z. E. 19 313 wird die Entwendung als Sonderdelikt bezeichnet. 3. Gegenwärtig sind in Rr.5 zwei verschiedene Tatbestände als gleichwertig neben einander gestellt, der Fall der Entwendung und der Fall der. Unterschlagung. Im ersten Fall müssen die allgemeiue« Merkmale des Diebstahls, im zweiten diejenigen der Unter­ schlagung vorliegen. Hieraus folgt, daß Gegenstand der Entwendung und der Unterschla­ gung nur eine fremde bewegliche Sache sein kann, BindingLehrb. 1 307. Zu den aL gemeinen Merkmalen der genannten Delikte müssen noch die bestmvere« Merkmale des § 370 Nr. 5 hinzutreten. Die fremden beweglichen Sachen müssen Nahrungsmittel oder Genußmittel oder Gegenstände des hauswirtschastlichen Verbrauchs sein. Ihre Menge muß gering oder ihr Wert unbedeutend sein. 4. Nahrungsmittel sind Stoffe, welche der Ernährung des menschlichen Körpers dienen. Unerheblich ist, ob sie vor dem Verbrauch noch einer besonderen Zu­ bereitung bedürfen, RGSt. 1 224, 4 74, 13 372, 53 72. Beispiele sind rohe Kartoffeln RGSt. 1 224, Fische RGS1.10 308, BayOLGSt. 1 323, Stallhasen RG. IW. 1911 855, Hühner OLG. München St. 1 126, Brotgetreide RGSt. 13 372. Genußmittel sind Stoffe, welche nicht zur Ernährung des menschlichen Körpers, son­ dern zur Befriedigung anderer Bedürfnisse desselben dienen, sofern sie durch Aufnahme in den Körper verbraucht werden. Beispiele sind Bonbons RG» IV 9111/12 v. 29. 8. 1912, Rauchtabak und Zigarren RGSt. 5 289, 9 47, OLG. München St. 6 343, aber nicht Blumen RGSt. 4 73, auch nicht Seife und Zahnpasta RMG. 17 85. In der zuletzt genannten Entscheidung wird auch verlangt, daß die Wirkung des Stoffs auf den Körper des Genießenden eine angenehme sei. Gl. Ans. Frank V Abs. 6 Nr. 1, Schwartz 12. Gegen diese Ansicht besteht das Bedenken, daß derselbe Stofs, z. B. eine schlechte Zigarre, auf verschiedene Personen in ganz verschiedener Weise wirken kann. Eine scharfe Unterscheidung zwischen Nahrungsmitteln und Genußmitteln ist nicht lnöglich. Zahlreiche Stoffe, z. B. Kaffee, können sowohl zur Ernährung als zur Befrie­ digung anderer Bedürfnisse benutzt werden. Ebenso können manche Stoffe, z. B. Back­ pulver, LZ. 1915 1530, bei der Zubereitung von Nahrungsmitteln und Genußmitteln gleich­ mäßig Verwendung finden. Daher muß die alternative Feststellung genügen, daß der verbrcnlchte Stoff ein Nahrungsmittel oder ein Genußmittel gewesen ist. Bestehen Zweifel, ob ein Stofs überhaupt zu den Nahrungs- und Genußmitteln gehört, so ist die Berkehrs­ sitte maßgebend; a.M. Schloskp 13. Der Begriff Nahrungs- und Genußmittel ist auf Gegenstände zu beschränken, die zur Ernährung oder zum Genusse von Menschen dienen, RGSt. 47 260. Biehfutter fällt unter diese Begriffe nicht, Rspr. 2 294; dasselbe kann jedoch ein Gegenstand des Haus wittschaftlichen Verbrauchs sein. Befinden sich Nahrungs- oder Genußmittel in einem Gefäß, z.M. Mllch in einem Topfe, Wein in einer Flasche, so schließt die ohne selbständige Zueignungsabsicht erfolgte Wegnahme des Gefäßes die Anwendung der Nr. 5 nicht aus, Rspr. 3 516, RMG. 7 234, OLG. München St. 1 126. Aus dem Wortlaut der Nr. 5, insbesondere aus dem Ausdruck andere Gegen st ä n d e darf nicht gefolgert werden, daß diese Vorschrift nur auf diejenigen Nahrungsnnd Genußmittel Anwendung finde, welche zugleich Gegenstände des hauswittschaftlichen Verbrauchs sind, RGSt. 47 262, Frank V Abs. 6; a. M. Seidel Monatsschr. f. Krim.Psych. 9 206. Eine Einschränkung des Kreises der Gegenstände, für die Nr. 5 bereits galt, war nicht beabsichtigt. 5. Eine Sache ist Gegenstand des Verbrauchs, wenn sie durch ihre bestimmungs gemäße Verwendung untergeht oder ausgezehrt wird, also eine stoss liche Zerstörung oder Umgestaltung erleidet, RGSt. 46 422, 47 267, 51 318, 53 230; LZ. 1914 299; Recht 1918 819, RG. I 295/18 v. 4. 7. 1918. Die bloße Abnutzbarkeit der Sache genügt nicht. Ein Verbrauch im Rechtssinrw durch Veräußerung (§ 92 BGB.) kommt nicht in Betracht, RGSt. 51 318. Eine Sache ist Gegenstand des hauswirtschastlichen Verbrauchs, wenn sie ge wöhnlich in der Haushaltung verbraucht wird, vgl. RGSt. 53 229. Entscheidend ist die V e r k e h r s s i t t e. In der Begründung der Novelle vom 19. 6. 1912 ist ausdrücklich die Anschauung des Volkes im gewöhnlichen Leben für maß gebend erklärt, RTBerh. 12. Leg.-Per. 1. Sess. 1907/09 Nr. 1262 S. 17. Gl. Ans. RGSt.

47 259, 268, GA. 60 415. Daß die Berkehrssitte eine allgemeine sei, ift nicht erforderlich. Sie kann auf bestimmte örtliche Bezirke, RGSt. 47 268, auf bestimmte Personenkreise, Ztitzer LZ. 1914 1157, auf bestimmte Arten von Hauswirtschaften, RGSt. 5153, beschränkt win. Zu den Gegenständen des hauswirtschaftlichen Verbrauchs gehören Brennholz, RGSt. 53 205, RG. GA. 60 415, 66 76, Recht 1919 1227, Kohlen, Recht 1919 377, und sonstiges Heizmaterial, Gas und andere Beleuchtungsmittel, vgl. Begr. z. Novelle v. 19. 6.1912, a. a. O. 17, RG. S1RZ. 1915 360, RG. I 603/15 v. 4. 11., 2. 12. 1915. Für Gegenstände des hauswirtschaftlichen Verbrauchs sind auch erklärt Terpenttn und Firnis, RGSt. 47 80, roher Kalk, RGSt. 51 51, Lederstücke, RG. I 329/18 v. 23. 9. 1918, RGSt. 53 229, Heu, Stroh und Futter für Tiere, welche dem Haushalt zu dienen pflegen, RGSt. 46 379, 47 247 (265), 268, Recht 1918 820, KGJ. 49 381. Ob letzteres der Fall ist, muß auf Grund Der örtlichen Verhältnisse beurteilt werden, RGSt. 47 268. Die Eigenschaft von Gegen­ ständen des hauswirtschafllichen Verbrauchs ist verneint worden für Wäschestücke, RGSt. 46 422, Kleidungsstücke, RGSt. 53 230, BayOLGSt. 13 29 (31), Schuhe, RG. Recht 1915 86, RGSt. 53 230, Handtücher, DIZ. 1913 1140, neue Zeitungen, KG. IW. 1917 619, Stroh zum Füllen von Strohsäcken, RG. Recht 1917 1362, Brotkarten, RGSt. 51 317, LZ. 1918 702, Rolläden, RG. II 1067/20 v. 19. 11. 1920, Vorhänge, Tischmesser LZ. 1922 166.

6. Eine Menge im Sinne der Nr. 5 kann nicht bloß aus vertretbaren (§ 91 BGB.), 'ondern auch aus anderen Sachen bestehen. GA. 50 386, 53 443, RG. 116/20 v. 4. 3. 1920. Was der Dieb auf der Fürcht verliert, wird mitgerechnet, RG. V 384/12 vom 21. 7. 1912. Wert im Sinne der Nr. 5 ist der Berkehrswert der Sache zur Zeit der Entwendung ozw. Unterschlagung, RG. IW. 1918 180, RMG. 2 50. Bei Bestimmung des Wertes ist also ein objektiver Maßstab anzulegen. Die besonderen Verhältnisse und Bedürflisse des Täters sind ebensowenig zu berücksichtigen wie diejenigen bes Geschädigten, RGSt. 13 371 (376), 48 53, GA. 65 545, LZ. 1919 812, RMG. 2 50, 7 234, Schneider -ZStRW. 39 722, Schierlinger BayZfR. 18 34; a.M. Recht 1918 1030. Schleichhandelsoreise bleiben außer Betracht. Bei Ermittlung des Wertes, den Holz auf dem Stamm hat, sind die Kosten der Fällung in Abzug zu bringen, Recht 1921 1745. In Kriegszeiten kann eine Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, wie Knappheit und Teuerung der Lebensmittel, Rationierung derselben, auf die Bestimmung des Wertes Einfluß haben, RGSt. 51 318, 418, IW. 1919 48, BayZfR. 1917 122. Auch die Entwertung des Geldes ist zu berücksichttgen, Recht 19212078. Die Frage, ob eine Menge gering oder ein Wert unbedeutend ist, liegt im wesentlichen Hilf tatsächlichen! Gebiet, RGSt. 8 407, DIZ. 24 1023, RMG. 3 135. Das Reoisionsgericht kann die Feststellung des Tatrichters nur beanstanden, wenn ein Rechtsirrtum erkennbar ist oder wenn wenigstens der Verdacht eines solchen besteht, Rspr. 3 517, RGSt. 55 182, BayOLGSt. 1 323. In zweifelhaften Fällen muß daher ersichtlich sein, auf wel­ chem rechtlichen Gesichtspuntt die Entscheidung des Tatrichters beruht, RGSt. 46 412, Rspr. 6 424. In dem Urt. Rspr. 3 517 wird der Standpunkt vertreten, die tatsächliche Annahme, daß 15 Flaschen Wein eine geringe Menge bildeten, sei zwar auffällig, könne aber im Wege der Revision nicht bekämpft werden. Dagegen ist im Urt. RGSt. 46 408 die tatsächliche Feststellung, daß ein Zwanzigmarkstück ein geringfügiger Gegenstand sei, nicht für maßgebend erachtet worden. Schierlinger BayZfR. 18 35 hält alle Wert betrüge unter zehn Mark für geringwertig, will aber mit der fortschreitenden Geld cntwertung eine mäßige Erhöhung dieser Wertgrenze zulassen. Nach der Ansicht von Köhler, IW. 1921 750, soll das Werturteil des Tatrichters anfechtbar sein, wenn es mit anerkannten Ersahrungssätzen, mit der allgemeinen Berkehrsauffassung in Widerspruch steht. Aus dem Umstand, daß die Vorschrift der Nr. 5 nur Gegenstände von unbedeutendem Werte anführt, darf nicht gefolgert werden, daß die Entwendung oder Unterschlagung wertloser Gegenstände straflos bleiben soll. In der Sitzung des Norddeutschen Reichs tags vom 8. 4. 1870 ist ein entsprechender Antrag des Abg. Lasker ausdrücklich abgelehnt lvorden, StenBer. 770, vgl. auch 769 (Staatsminister Leonhardt und Abg. Miquel).

Sind mehrere Personen als Mittäter beteiligt, so ist die Gesamtmenge vezw. der Gesamtwert der entwendeten oder unterschlagenen Gegenstände maß

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Strafgesetzbuch.

gebend, RGSt. 8 407,

ist-

2. Teil. 2V. Abschnitt.

!• 309, Rspr. 5 352, 6 425,

LZ 1915 1457, 1919 812, Recht

376.

Derselbe Grundsatz findet auch Anwendung, wenn eine fortgesetzte Hand lung angenommen wird, vgl. A. 13, RGSt. 17 333, 50 396, Recht 1915 2779, 1918 821, IW. 1918 180, I D 159/18 v. 29. 4. 1918, OLG. Marienwerder LZ. 1918 794, Dött, Beilagenhest z. GerS. 71 (08) 138 A. 2: a. M. Liszt 459 A. 9, IW. 1918 621 A. 1, Friedlander ZSMW. 11 412. Wie schon der Wortlaut des Gesetzes ergibt, sind die Merkmale „geringe Menge" und „unbedeutender Wert" alternativ nebeneinander gestellt. Die Feststellung eines dieser beiden Merkmale genügt, RGSt. 10 309, Rspr. 3 517, IW. 1911 855, 1919 48. Die Anwendung der Nr. 5 ist ausgeschlossen, wenn sich unter den Sachen von geringer Menge oder von unbedeuterrdem Werte auch solche befinden, die — wie z. B. Schuhe weder als Nahrungsmittel noch als Genußmittel noch als Gegenstände des Hauswirtschaftlichen Verbrauchs angesehen werden können, vgl. A. 12 A, RG. GA. 49 142, LZ. 1915 630, Recht 1918 635. 7. Die Entwendung oder Unterschlagung muß zmn alsbaldige« Verbrauch erfolgen. Aus dem Wort zum folgt, daß der Täter bei der Tat nicht bloß den Borsatz, sondern auch die Absicht des alsbaldigen Verbrauchs haben muß, daß diese Art der Verwen­ dung Zweck der Tat sein muß. Gleichgültig ist, ob die Absicht des Täters später ver­ wirklicht wird oder nicht, RGSt. 10 310, Rspr. 6 305, RG. I 518/15 v. 7. 10. 1916. Der Ausdruck B erbrauch hat in der Verbindung „zum Verbrauch" dieselbe Bedeutung wie in der Verbindung „Gegenstände des Verbrauchs", vgl. A. 5. Der Zweck des Verbrauchs liegt daher nicht vor, wenn die Zerstörung oder Umgestaltung der Sache nicht in Aussicht genommen ist, RG. Recht 1917 1362, z. B. wenn entwendete Fische in einen Weiher gesetzt, BayOLGSt. 1 323, oder entwendete Rosensträucher in einen Garten eingepflanzt wetben sollen, RG. Recht 1913 3088. Durch den Zweck, eine Sache gegen Entgelt zu veräußern, wird der Berbrauchszweck ausgeschlossen. In § 349 Nr. 3 pr. StGB, war ausdrücklich bestimmt, daß diese mildere Vorschrift auf die Entwendung in gewinnsüchtiger Absicht nicht anwendbar sei. Der Veräußerung gegen Entgelt wird die Schenkung jedenfdlte dann gleichzustellen sein, wenn ein Aufzehren oder sonstiges Aufbrauchen der Sub stanz durch den Empfänger nicht beabsichtigt ist. Das Merknral alsbald erfordert nicht, daß der Verbrauch sofort und auf der Stelle stattfindet, RGSt. 1225, 13 372, IW. 1919 48, daß er sich unmittelbar an die Tat anschließt und ohne Unterbrechung fortgesetzt wird, RGSt. 10 311. Andererseits hat „alsbald" auch nicht die allgemeine Bedeutung von „zukünftig". Der Zweck, einen Vorrat für spätere Zeiten anzusammeln, schließt den Zweck des alsbaldigen Verbrauchs aus, RGSt. 1 225, 10 310, Rspr. 6 425, RMG. 2 50, 3 135, 18 70, BayOLGSt. 1 323, 14 53. Der Täter muß durch ein gegenwärtiges, augenblickliches Be­ dürfnis der hauswirtschastlichen Verwendung zu seiner Handlung bestimmt worden jein, RGSt. 53 230. Hiernach ist es im wesentlichen Tatftage, ob ein Verbrauch, der kein sofortiger sein soll, noch als ein alsbaldiger angesehen werden kann. In dem Urt. LZ. 1920 962 ist gesagt, daß es der Feststellung besonderer Umstünde bedürfe, um die Annahme zu rechtfertigen, daß die Ansammlung von drei Zentner Kohlen nicht zur Ver­ sorgung für längere Zeit, sondern zum alsbaldigen Verbrauch erfolgt sei. In einem Urt. RG. GA. 50 386 ist ausgesprochen, daß die Absicht des alsbaldigen Verbrauchs nicht vor­ liege, wenn jemand Donnerstag Kaninchen stiehlt, um Sonntag einen Braten zu haben. In dem Urt. RGSt. 10 308 ist eine solche Absicht ebenfalls verneint worden, weil die Menge von 46 Heringen für mindestens drei Mahlzeiten ausreichen sollte, vgl. auch RGSt. 51 418. Dagegen ist RGSt. 13 371 gebilligt, daß ein Verbrauch von 8 Pfu,rd Brot für eine Haushaltung von 8 Personen als ein alsbaldiger angesehen wurde. Auch in anderen Urtellen wurde anerkannt, daß die Zahl der Verbraucher für die Frage des alSbäldigen Verbrauchs erheblich sein kann, RG. I 318/17 v. 1. 11.1917. Hinsichtlich der Gegenstände des hauswirtschastlichen Verbrauchs ist streitig, ob der aülbaldige Verbrauch zugleich ein hauswirtschaftlicher sein müsse. Der erste und zweite Strafsenat des RG. hat die Frage bejaht, RGSt. 46 379 (380), LZ. 1915 548. Gl. Ans. KGJ.49 383, Olsh.^F, Ftank V 2, Stitzer LZ. 1914 235, 1158, Gatti DIZ. 1914 7^6, Rothstein, Zur Lehre von der Entwendung (1913) 62. Der dritte Strafseüat,

welcher die Frage ursprünglich ebenfalls bejaht hatte, NGSt. 47 263, hat dieselbe in spä teren Urteilen verneint, RGSt. 47 80, LZ. 1914 778. Gl. Ans. RMG. 18 115, OLG. Hamburg GA. 63 133. In einem Urt. des vierten Strafsenats, RGSt. 47 269, ist die Frage offen gelassen, in dem Urt. RGSt. 52 246 wird das erwähnte Urteil des dritten Straf senats, RGSt. 47 263, gebilligt. Für die erste Ansicht spricht die Erwägung, daß der Ge setzgeber keinen ersichtlichen Grund hatte, Entwendungen der in Nr. 5 genannten Gegen stände auch dann milder zu bestrafen, wenn der alsbaldige Verbrauch ein gewerblicher sein sollte. Hiernach fällt die Entwendung von Biehfutter nicht unter die Vorschrift der Nr. 5, lvenn das zu fütternde Tier für gewerbliche Zwecke benutzt wird. Dient dasselbe Tier gleichzeitig ftir Zlvecke der Hauswirtschaft, so kommt es darauf an, welcher Zweck der über wiegende ist, RG. III 939/12 v. 13. 12. 1913, II 695/14 v. 5. 1. 1915. Der Zweck des alsbaldigen Verbrauchs wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Täter gleichzeitig noch andere Zwecke, z. B. die Verdeckung einer Unterschlagung verfolgt, IW. 1916 331, ebensowenig dadurch, daß ein Bedürfnis für den alsbaldigen Verbrauch der entwendeten Gegenstände nicht besteht. Der Täter kann z. B. Kohlelt auch dann zum alsbaldigen Verbrauch entwenden, wenn er noch einen ausreichenden Vorrat an diesem Brennstoff besitzt, Recht 1919 377. 8. Ist die Vorschrift der Nr. 5 auf den Verbrauch durch Tiere anwendbar, vgl. A. 7 a. E., so muß sie auch auf den Verbrauch durch dritte Personen anwendbar sein, RGSt. 13 375, 53 168, Recht 1919 691; RG. I 318/17 v. 1. 11. 1917, IV 265/18 v. 13. 12. 1918; a. M. Begr. z. E. 19 S. 313. In Fällen der letzteren Art ist jedoch mit be­ sonderer Sorgfalt zu prüfen, ob die Absicht des Täters dahin geht, eine Zuwendung aus seinem Vermögen zu machen. Eine solche Zuwendung würde eine Schenkung (§ 516 BGB.) - - also eine Veräußerung — darstellen, welche den Begriff des Verbrauchs im Sinne der Nr. 5 ausschließt, vgl. A. 5, 7, RG. 1911 1853. Für die Erforschung des Willens des Täters kann es tatsächlich von Bedeutung sein, daß die Zuweirdurig an einen Angehörigen erfolgt, der mit dem Täter in h ä u s l i ch e r G e m e i n s ch a f t lebt. Ein Rechtsgrund< satz, daß nur die Zuwendung an Angehörige der erwähnten Art unter die Vorschrift der Nr. 5 fallen soll, besteht nicht. Ein solcher Grundsatz ist auch in denr von Oborniker be­ kämpften Urteil des RG. IW. 1916 331 nicht aufgestellt worden. 9. eutweuden bedeutet, wie in § 248a, aus fremdem Gewahrsam weg n e h m e n. 10. Der Artsdruck unterschlagen ist inr Sirrne des § 246 gebraucht. 11. Im Fall der Entwendung muß der volle innere Tatbestand des Diebstahls vor liegen; der Täter muß also die Absicht der rechtswidrigerr Zueignung im Sinne des § 242 haben, vgl. A. 2. Ebenso rnuß im Fall der Unterschlagung der B o r > satz der rechtswidrigen Zueignung gegeben sein. Bei beiden Delikts arten muß der Täter arrch die Absicht des alsbaldigen Verbrauchs haben. Sein Wissen der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale rnuß auch die Kenntnis der ge ringen Menge, des u n bedeutenden Wertes und des Haus »virtschaftlichen Verbrauchs umfassen. Rspr. 10 334, BindingLehrb. 1 310. Fehlt die Kenntnis eines dieser Merknrale, so fehlt auch der Grund, die nrildere Strafe der Nr. 5 anzuwenden, Begr. z. VE. 750. In dem Urt. RGSt. 3 165 wird der Standpunkt vertreten, daß derjenige, der ein Bündel mit Eßwaren entwenden will, aber aus Irrtum über den Inhalt dieses Bündele ein solches mit Tuch entwendet, wegen gemeinen Diebstahls zir bestrafen ist. Diese An­ sicht ist mit Recht angefochten von Frank V, Harburger VDB. 6 301, Geyer, Friedländer und Rotering ZStRW. 2 307, 11 414, 26 722, Student, Streitfragen bei der Lehre vom Mundraub (Rostocker Diss. 06) 29. In dem erwähnten Falle liegt der straflose Versuch einer Entwendung im Sinne der Nr. 5 vor. Derselbe steht in Realkonkurrenz mit einem voÜendeten Vergehen der Unterschlagung, )venn der Täter seinen Jrrtrun nach Ausfüh rung der Tat entdeckt und das Bündel behalten hat, Friedländer ZStRW. 11 414, Student 29, 38, Schlosky, Mundraub (1897) 33-34. 12. In der Entscheidung der Bereinigte« Strafsenate v. 7. 7.1886, RGSt. 14 312, ist der Grundsatz aufgestellt: „Derjenige, welcher in der Absicht, lediglich Nahrungs- oder Genußnrittel von un bedeutendem Werte oder in geringer Menge zum alsbaldigen Verbrauche zu ent

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2. Tell.

29. Abschnitt.

wenden, in einem Gebäude ein Behältnis erbricht, demnächst aber infolge eines nach dem Erbrechen gefaßten neuen Entschlusses Sachen anderer Art aus diesem Behältnisse stiehlt, begeht in dem Falle, wenn eine einheitliche Tat vorliegt, einen schweren Diebstahl, dagegen in dem Falle, wenn mehrere selbständige Taten vorliegen, einen einfachen Diebstahl". Diese Entscheidung ist von Olsh. § 243 A. 25 Abs. 5 und Schwartz § 370 A. 16 Abs. 2 ge­ billigt, dagegen von der Mehrzahl der Schriftsteller beanstandet worden, vgl. Frank § 243 in 2, 5 370 V Abs. 1, BindingLehrb. 1309 A. 6, Wachenfeld 388, Harburger BDB. 6 300, Goldschmidt und Kohler GA. 47 261 Text und A. 1, Geyer und Friedlander ZSMW. 2 306, 11 404, Berger, Mundraub, (1895) 96, Schlosky, Mundraub 39, Höpfner, Einheit und Mehrheit der Berbrechen (01) 225. Eine befriedigende Lösung der schwierigen und zweifelhaften Frage ist nur möglich, wenn zunächst das Verhältnis zwischen Entwendung und einfachem Diebstahl klargestellt und sodann ermittelt wird, ob bezw. welche Ab­ weichungen bei dem Hinzukommen eines erschwerenden Umstands eintreten. Hiernach sind folgende Fälle zu unterscheiden: A. Entwendung und einfacher Diebstahl a ) Der Täter hat nur den Vorsatz, Gegenstände der in Rr. 5 bezeichneten Art, z. B. Brot zu entwenden. Bei Ausführung der Tat nimmt er außer dem Brot auch (Selb weg, das er zufällig findet. Dieser Fall ist nicht anders zu beurteilen als der Fall, in dem der Täter ursprünglich nur den Vorsatz hat, eine geringe Menge Brot zu entwenden, aber unter Erweiterung seines Vorsatzes eine nicht geringe Menge wegnimmt, oder der Fall, in dem der Täter gleichzeitig einen Laib Brot zum alsbaldigen Verbrauch und einen anderen zur Aufbewahrung entwendet. Sobald die in Nr. 5 bestimmten Grenzen nach irgend einer Richtung überschritten sind, findet diese Ausnahm evorschrist keine Anwendung; vielmehr fällt die Handlung ausschließlich unter die allgemeine Regel des § 242. Bon Jdealkonkurrenz zwischen § 242 und § 370 Nr. 5 kann in solchen Fällen keine Rede sein, vgl. RG. GA. 49 142, Recht 1915 984,1918 635, RG. 1159/18 v. 29. 4. 1918, BindingLehrb. 1 309. b) Der Täter hat nur den Borsatz, Brot zu entwenden. Bei Ausführung der Tat nimmt er st a t t d e s B r o t e s , das er nicht findet, Geld weg. Nach dem unter a aufge stellten Grundsatz liegt auch hier ausschließlich Diebstahl im Sinne des § 242 vor, Begr. z. BE. 750. < > Der Täter hat den Vorsatz, Brot und Geld zu entwenden. Bei Ausführrrng der Tat nimmt er beides oder, weil er Brot nicht findet, Geld allein weg. Für diesen Fall gilt dasselbe wie unter a und b, vgl. Recht 1918 1631, LZ. 1922 165.