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German Pages [204] Year 2010
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589
Forschungen zur systematischen und çkumenischen Theologie
Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar und Gunther Wenz Band 125
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Reinhard Leuze
Das Christentum Grundriss einer monotheistischen Religion
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-56358-8
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Vorwort Diese Darstellung soll keine Glaubenslehre im herkçmmlichen Sinne sein. Die christliche Religion soll zunchst von außen betrachtet werden, indem sie in den Kreis der anderen monotheistischen Religionen, Judentum und Islam, eingeordnet wird und so ihr spezifisches Profil gewinnt. Dabei verfolge ich keine apologetischen Absichten: Es geht mir nicht darum, die Hçchstgeltung des Christentums gegenber diesen Religionen zu erweisen. Der Akzent liegt stattdessen auf der gemeinsamen monotheistischen Problematik, die ich als das Verhltnis von Transzendenz und Offenbarung zur Sprache bringe. Wenn sich die Religionen einer Problemstellung bewußt werden, die sie alle teilen, vermag das Denken ihre verschiedenen Sichtweisen zusammenzufhren – im Gegensatz zu einer unreflektierten Frçmmigkeit, die sich gelegentlich an einem exklusiven Wahrheitsbewusstsein erfreut. Der zweite christologische Teil wird dann in das Innere der christlichen Religion fhren. Hier wird sich zeigen, dass das christliche Gottesverstndnis trotz der monotheistischen Gemeinsamkeit in einer Weise entfaltet werden muß, die sich die jdische Religion und der Islam nicht aneignen kçnnen. Auch der letzte Teil, in dem die Vorstellung der Kirche und die Bedeutung der Sakramente entfaltet werden, verdeutlicht die spezifische Struktur der christlichen Religion, die sich von den anderen monotheistischen Glaubensweisen unterscheidet. Diese Abhandlung erscheint in der vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht betreuten Reihe »Forschungen zur systematischen und çkumenischen Theologie«. Ich danke den Herausgebern, besonders meinem Mnchner Kollegen Gunther Wenz. Frau Dipl.-rel.-pd. Dietlinde Schmidt und stud.theol. Manuel Sauer haben bei der Erstellung des Manuskripts mitgewirkt. Auch bei ihnen mçchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Gewidmet sei dieses Buch meiner Frau, die den Weg meines theologischen Denkens immer begleitet hat.
Mnchen, im Dezember 2009
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Reinhard Leuze
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Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
Offenbarung und Transzendenz – Die monotheistischen Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Was ist Offenbarung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Offenbarung und Polytheismus . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Monotheismus und Offenbarung – ein problematisches Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gottes Einheit und Gottes Offenbarsein . . . . . . . . . . . . 4.1 Die islamische Theologie – die Mu‘taziliten . . . . . . . 4.2 Parallelen in der jüdischen Tora-Vorstellung – ein Vergleich von jüdischem und islamischem Denken . . . 4.3 Gott selbst und das Geschaffensein der Offenbarung – christliche Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Offenbarung – ein Moment des göttlichen Wesens . . . . 5.1 Die christliche Trinitätslehre und das Bekenntnis zur göttlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die islamische Antwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Universalität und Erwählung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Uneinholbarkeit des Transzendenten . . . . . . . . . . . 8. Offenbarung als Selbsterschließung . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Verborgenheit und Offenbarsein Gottes im jüdischen Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Die christliche Perspektive und die Antwort der Kabbala 8.3 Logos – Memra¯ – Schechina . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Die wechselseitige Beziehung der monotheistischen Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Gott in der Geschichte seiner Offenbarungen . . . . . . 9.2 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Jesus von Nazareth . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Tod und das Bewusstsein Jesu . . . . . . . . 3. Gottes Antwort auf den Tod: Die Auferstehung . 4. Der Tod und das Weitergehen der Offenbarung 5. Der Tod als Heilsereignis . . . . . . . . . . . . . 6. Offenbarung als Theophanie . . . . . . . . . . . 7. Jesus, der Repräsentant der Menschen . . . . . 8. Die Wandlung des Gottesbildes . . . . . . . . .
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Inhalt
9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.
Offenbarung als Visualisierung . . . . . . . . . . Von der Transzendenz zur Offenbarung . . . . . . Jesus Christus und der Zwiespalt in Gott . . . . . Die Konstitution des Geistes . . . . . . . . . . . . Das Wort Gottes und die Leiblichkeit Christi . . . Das Verhältnis der monotheistischen Religionen . Die Trinität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ursprung des Transzendenten . . . . . . . . . Der Geist als verwandelndes Bewusstsein . . . . . Die Erwartung Jesu und die christliche Hoffnung
III. Die Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bildwerdung . . . . . . . . . . . . . 2. Die Verleiblichung . . . . . . . . . . . . 3. Das eine Amt und die Vielfalt der Ämter 3.1 Das befreiende Wort . . . . . . . . . 3.2 Das belehrende Wort . . . . . . . . . 3.3 Das ermahnende Wort . . . . . . . . 3.4 Amt und Repräsentanz . . . . . . . 3.5 Die christliche Freiheit . . . . . . . .
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IV. Das eine Sakrament und die Vielzahl sakramentaler Handlungen . 155 V.
Die sakramentalen Handlungen und das menschliche Werden 1. Die Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Krankensalbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Firmung bzw. Konfirmation . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Ordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Das wirkende Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Die Buße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Der Segen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
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Einleitung Zu einer Darstellung christlicher Glaubensaussagen gibt es verschiedene Zugangsmöglichkeiten. Man kann versuchen, eine Vorverständigung herbeizuführen über Quellen der Gotteserkenntnis, vor allem über die Heilige Schrift und die Probleme, die sich mit ihrer Auslegung verbinden; man kann das für überflüssig halten und mit der „Sache“ selbst, der Entfaltung des christlichen Gottesverständnisses beginnen, oder man kann, wenigstens andeutungsweise, einen allgemeinen Kontext umschreiben, in dem diese Entfaltung erst ihren Sinn gewinnt. Aus Gründen, die hier nicht im Einzelnen dargelegt werden müssen, meine ich, dass dieser Weg in unserer Zeit der einzig gebotene sein kann. Wer das Christentum als Religion versteht und sich nicht mit verschiedenen terminologischen Kunstgriffen über diese im Grunde banale Feststellung hinwegsetzt, wird es in seinem Verhältnis zu den anderen Religionen zu bestimmen und zu würdigen wissen und an der Frage nicht vorübergehen dürfen, was unter dem Begriff „Religion“ eigentlich zu verstehen sei. Freilich droht dieses Vorhaben die Grenzen zu sprengen, die man bei einer Darstellung des christlichen Glaubens tunlichst einhalten sollte. Insofern beschränke ich mich in diesem Zusammenhang1 auf fundamentaltheologische Überlegungen, die das Verhältnis der großen monotheistischen Religionen, also des Judentums, des Christentums und des Islam in den Blick nehmen. Diese Beschränkung empfiehlt sich wegen der grundlegenden gemeinsamen Überzeugung, welche diese Religionen miteinander verbindet, dem Glauben an den einen, einzigen Gott. Es ist erstaunlich, wie wenig diese Gemeinsamkeit wahrgenommen wird: Oft gewinnt man den Eindruck eines Kampfes verschiedener Götter, der von ihren jeweiligen Anhängern mit einer latenten Bereitschaft zur Gewalt ausgefochten wird, einer Gewalt, die jederzeit zu explodieren vermag und für die Tötung des Anderen das Versprechen ewiger Seligkeit bereit hält. Aber es sind keine verschiedenen Götter, es ist immer der Eine, der zwar in unterschiedlicher, oft widersprechender Weise wahrgenommen wird, aber doch der Eine ist und bleibt.2 Der eine Gott, der keine
1 Eine ausführlichere Erörterung der Thematik gibt mein Buch Religion und Religionen, Münster 2004. 2 P. Sloterdijk bleibt zu sehr an der Oberfläche, wenn er meint, „die Gleichsetzung von Abrahams El mit dem JHWH der mosaischen Religion, dem Vater der christlichen Trinität und dem Allah Mohammeds“ sei „nicht mehr als eine fromme Konvention“; in: ders., Gottes Eifer, Frankfurt a.M./Leipzig 2007, 184). Ebenso gehen die Vertreter christlicher Theologie in die Irre, die unentwegt die Identität von
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anderen Götter neben sich hat, ist derselbe Gott, ob ihn Juden, Christen oder Muslime anbeten. Diese Selbigkeit bleibt unangetastet, auch wenn sich die Anhänger dieser Religionen unterschiedliche Vorstellungen von diesem Gott machen. Natürlich darf man diese Differenzen nicht übersehen oder klein reden – das Ergebnis wäre eine naive und letztlich schädliche Harmonisierung, welche die Fakten außer Acht ließe. Aber die unbestreitbaren Unterschiede berechtigen allenfalls zu der Feststellung, Juden, Christen und Muslime glaubten nicht an den gleichen Gott, die Selbigkeit dieses Gottes können sie nicht aufheben, ja nicht einmal in Frage stellen. Unter diesen Voraussetzungen empfiehlt es sich, zunächst die prinzipielle Einheit der monotheistischen Religionen in den Blick zu nehmen. Indem das Christentum das von ihm so genannte Alte Testament in den eigenen Kanon der heiligen Schriften übernommen hat, hat es den Anfang eines Weges beschritten, der zur Einbeziehung aller relevanten monotheistischen Religionen führen sollte. Die Aussage, der Jahwe Israels sei der Vater Jesu Christi, meint ja nichts anderes als Selbigkeit in Verschiedenheit, denn niemand kann behaupten, beide Gottesvorstellungen seien nur in ihrer Gleichheit und nicht auch in ihrer Differenz zu begreifen. Wenn aber diese Unterschiede die Selbigkeit Gottes unangetastet lassen, dann dürfen sie nicht nur in der Abgrenzung von der eigenen allein richtigen Auffassung wahrgenommen werden, sondern müssen als Möglichkeiten des einen Gottes ihre Anerkennung finden. Daraus folgt, dass die christliche Religion das Alte Testament nicht nur als eine Sammlung von Schriften verstehen darf, die das in Jesus Christus erschienene Heil vorbereiten, sondern auch im Blick auf die eigenständige Entwicklung der jüdischen Religion betrachten muss, einer Religion, die eine Möglichkeit des einen Gottes ist, zu dem auch Christen und Muslime beten. Es geht also nicht an, im Kontext fundamentaltheologischer Überlegungen nur Texte des Alten Testamentes heranzuziehen. Man muss dazu bereit sein, Aussagen der jüdischen Theologie zu rezipieren, und wird so mit der Erkenntnis belohnt, dass es gemeinsame Aufgaben des Denkens gibt, die nur in einem allgemeinen monotheistischen Zusammenhang bearbeitet werden können. Allerdings ist es mit der Einbeziehung des Judentums noch nicht getan. Ohne die Berücksichtigung des Islam als der anderen großen Universalreligion wäre eine monotheistische Grundlegung des christlichen Glaubens Makulatur. Die Selbigkeit des einen Gottes, der keine anderen Götter neben sich hat, gilt auch hier, vertritt der Islam doch am pointiertesten dieses monotheistische Credo. Der Hinweis, Jesus beziehe sich auf den Gott Israels, aber nicht auf Allah, verfängt demgegenüber nicht, weil man an das Vorhergehende anknüpft und nicht an das Künftige. Ebenso wenig vermag das Argument, der Islam habe Jahwe und dem Vater der christlichen Trinität betonen, demgegenüber aber die Verbindung zu Allah als etwas Nebensächliches und rein Formales abwerten.
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sich ja mit dem Koran seine eigene heilige Schrift zugeeignet, die fundamentale Gemeinsamkeit der monotheistischen Religionen aufzuheben. Muhammad verbindet seine Aussagen über Gott mit dem Gott der Juden und dem Gott der Christen, von daher ist die Gemeinsamkeit nicht nur in der an sich schon genügenden Behauptung der Selbigkeit Gottes gegeben, sondern auch in der Gleichheit verschiedener Aspekte des Gottesverständnisses zementiert. Wie beim Judentum so sollen auch hier die Differenzen nicht verschwiegen werden, sie können uns aber nicht davon abhalten, die Aussagen über Allah als Möglichkeit des einen Gottes zu begreifen, der sich Juden, Christen und Muslimen in jeweils spezifischer Weise zeigt. Aus alledem folgt, dass eine Darlegung des christlichen Glaubens nur sinnvoll sein kann, wenn man die allgemeinen monotheistischen Voraussetzungen bedenkt. Freilich ist damit noch nicht die Frage beantwortet, wie sich diese, die monotheistischen Religionen übergreifende Grundlegung vollziehen soll. Drei Wege scheinen mir möglich zu sein: Zunächst wäre eine Gesamtgeschichte des einen Gottes denkbar, der keine anderen Götter neben sich hat. Hier müsste die Entwicklung des israelitischen Gottes entfaltet werden, der erst zu dem wurde, der er für Juden, Christen und Islam selbstverständlich ist: zu dem einen Gott, dem nichts anderes gleichkommt. Daraufhin wären die Besonderheiten der Offenbarung Gottes in Jesus Christus und der Kundgabe eben dieses Gottes an Muhammad herauszustellen. Schließlich müsste gefragt werden, was der Fortgang der Offenbarungen Gottes in der Geschichte eigentlich besagen soll: Wenn das Spätere nicht als Widerlegung des Früheren verstanden werden darf, sondern als eine eigenständige Enthüllung des einen Gottes, der immer derselbe bleibt, angesehen werden muss, dann muss man darüber nachdenken, was die bis zum Widerspruch gehende Vielfalt der Offenbarungen zu bedeuten vermag – für uns, die sich nur eine dieser Offenbarungen in ihrem Vollsinn zu eigen machen und nun deshalb mit der Frage konfrontiert sind, was die anderen, von uns nicht gewählten, für uns besagen, wenn auch sie Möglichkeiten des einen Gottes sind. Letztlich müsste dieser Weg zu einem spekulativen System führen, das beansprucht, das Werden Gottes nachzuzeichnen, in dem alle Gegensätze und Widersprüche ihre begriffliche Klärung und darin ihre Aufhebung finden. Eben dieser Anspruch scheint mir zu hoch zu sein, als dass er erfüllt werden könnte. Gilt nicht auch hier die Bemerkung Kants, mit der er eine Lösung der Theodizeefrage abwies, die Verfechtung der Sache Gottes sei die „Sache unserer anmaßenden, hierbei aber ihre Schranken verkennenden Vernunft“?3 Dieser Weg wird nicht der unsere sein, auch wenn immer wieder Problemstellungen angesprochen werden müssen, die nur so eine befriedigende Lösung erfahren könnten. 3 I. Kant, Über das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee, in: Werke in 6 Bänden, Bd. VI, Darmstadt 1983, 105 – 124, hier 105.
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Der zweite Weg verzichtet auf das Unterfangen, das Werden des einen Gottes nachzuzeichnen und so die individuell gültige Offenbarung in einen größeren Zusammenhang einzubeziehen. Hier müsste es um die Erreichung eines bescheideneren Zieles gehen: Die großen monotheistischen Religionen sollen in ihrem Wesen erfasst und als ganze miteinander verglichen werden. Es ist keine Frage, dass auf diesem Weg wichtige Erkenntnisse gewonnen werden können. Er geht von der, wie ich meine, zutreffenden Wahrnehmung aus, dass der Monotheismus polytheistischen Religionsformen überlegen ist, und versucht dann, die religionsspezifischen Erfahrungen des einen Gottes voneinander abzugrenzen. Der zweite Weg ist der Weg des Vergleiches, darin beschlossen ist sowohl seine Notwendigkeit wie seine Begrenzung. Die Notwendigkeit besteht in der Unerlässlichkeit der Aufgabe, die Eigenart der jeweiligen Religion begrifflich zu erfassen, weil nur so eine Reflexion des eigenen Glaubens möglich ist. Die Begrenzung äußert sich in der Gefahr der Sterilität, die diesen Weg wie ein unvermeidlicher Schatten begleitet. Wer vergleicht, bleibt der Gefangene des Status quo; er stellt fest, was ist, und kommt nicht darüber hinaus. Man kann dieser Statik auch nicht dadurch entrinnen, dass man diesen Vergleich mit einer Wertung verbindet, also etwa versucht, die christliche Religion als die höchste der monotheistischen Religionen zu erweisen. Die argumentative Kraft dieser Versuche bleibt gering, da sie unreflektiert von dem ausgehen, was sie beweisen wollen, der Überlegenheit ihrer eigenen Glaubensweise.4 Der spekulative Weg genießt den Vorzug, die Notwendigkeit anderer Religionen verstehbar zu machen. Der Weg des Vergleiches darf sich diesen Vorzug nicht zugute halten. Er erfreut sich an der Höchstgeltung der eigenen Glaubensweise und muss sich im Übrigen mit der Verwunderung begnügen, dass die Anderen das noch nicht gemerkt haben und auch gar nicht den Eindruck erwecken, als würden sie es je merken. Weiterführend scheint mir der dritte Weg zu sein, den ich nun erläutern will: Er geht von derselben Voraussetzung aus wie die beiden anderen Wege, der Einheit und Selbigkeit des einen Gottes, der Gott der Juden, der Christen und der Muslime ist. Die Behauptung der Existenz dieses Gottes stellt das Denken vor große, im Grunde unlösbare Probleme, und es kommt alles darauf an, zu erkennen, dass diese Probleme die monotheistischen Religionen zusammenführen, weil sie eine gemeinsame Aufgabe für diese Glaubensweise darstellen. Nirgendwo wird so deutlich wie hier, dass Theologie der Versuch ist, das 4 Viele Argumentationsweisen christlicher Religionstheologie verfallen diesem Verdikt. So hat z. B. F. Schleiermacher in seinen Lehnsätzen aus der Religionsphilosophie (in: ders., Der christliche Glaube § 7 – 10 Bd. I, Berlin 1960, 47 – 74), wie ich meine, zu Recht die monotheistischen Religionen besonders hervorgehoben. Seine Höherstellung des Christentums gegenüber Judentum und Islam vermag aber nicht zu überzeugen (vgl. besonders 63 f).
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Undenkbare zu denken, unlösbar und im Grunde überflüssig für die Kinder der Welt, faszinierend und unaufgebbar für alle, die meinen, die menschliche Vernunft und das Geheimnis Gottes seien eng miteinander verbunden. Es wäre an der Zeit, dass die monotheistischen Religionen versuchten, in ihrer jeweils spezifischen theologischen Orientierung sowohl die Einheit Gottes zu artikulieren wie auch die religionsübergreifenden Probleme zu benennen, die sich aus dieser Einheit ergeben. Gerade wer vor der Wand des Unlösbaren steht, muss sich mit dem Anderen, der dasselbe Schicksal teilt, verbünden. So kann man sagen, dass das Denken vereint, während die unreflektierte Frömmigkeit, sofern sie sich zum Standpunkt des eigenen partikularen Rechthabens verfestigt, spaltet und schlimme Konsequenzen im Gefolge hat. Im ersten Kapitel meiner Abhandlung soll es darum gehen, die theologische Problematik des Monotheismus zu entfalten. Die gemeinsame Aufgabe, die sich der jüdischen, christlichen und islamischen Theologie stellt, besteht darin, das Verhältnis von Transzendenz und Offenbarung genauer zu bestimmen. Beide Momente müssen zur Geltung kommen, wenn der Glaube an den einen Gott, der keine anderen Götter neben sich hat, dargestellt werden soll. Aber als Momente stehen sie in einem unaufhebbaren, nicht zu überbrückenden Kontrast. Während die Transzendenz die Jenseitigkeit Gottes betont, die Aussage, dass er keinem anderen Wesen gleich ist, meint die Offenbarung seine Zuwendung zur Welt, eine Zuwendung, die ohne Begrenzung nicht denkbar ist. Alle monotheistischen Religionen müssen diesen Kontrast ertragen – sie können weder die Transzendenz Gottes verkleinern, weil die Rede von der Einheit Gottes sonst nicht ihren definitiven Ausdruck fände, sie müssen aber gleichermaßen daran festhalten, dass dieser eine Gott sich ihnen kundgetan hat, weil sonst Glaube und religiöses Leben nicht möglich wäre. Die Art und Weise, wie das theologische Denken den Gegensatz von Transzendenz und Offenbarung artikuliert und versucht, Möglichkeiten der Vermittlung aufzuzeigen, wirft ein Licht auf die Individualität der jeweiligen Religion. Aber diese spezifische Ausprägung ist nicht so groß, dass nicht das Verbindende der monotheistischen Problematik dahinter erkennbar wäre, und es kommt alles darauf an, diese Gemeinsamkeit bewusst zu machen. Gerade die Unlösbarkeit der Aufgabe zeigt, dass die monotheistischen Religionen nicht am Ziel sind, sondern sich auf dem Weg befinden – auf dem Weg zu dem einen Gott, den sie behaupten, aber nur fragmentarisch erkennen können (1. Kor 13,9). Das erste Kapitel können wir dem Bereich der Fundamentaltheologie zuweisen, weil hier die christliche Religion in einen größeren Zusammenhang gestellt wird und als spezifische Ausprägung des monotheistischen Glaubens zur Darstellung kommt. Mit Beginn des zweiten Kapitels steht dann die Entfaltung des christlichen Glaubens im Vordergrund. Dabei soll es zunächst um eine knappe Charakteristik der Gestalt Jesu von Nazareth gehen. Weil dieser Mensch als Person Kundgabe des einen Gottes ist, weil er nicht wie ein Prophet eine Offenbarung überbringt, sondern selbst als Erscheinung des einen Gottes verstanden werden muss, deshalb darf man nicht von dieser Gestalt abstra-
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Einleitung
hieren und sich damit begnügen, das von ihr Mitgeteilte zu bewahren, nein, man muss sie in die Betrachtungen einbeziehen – ansonsten ginge die Explikation des christlichen Glaubens am Entscheidenden vorbei. Wie sollen wir aber zu dieser Gestalt einen anderen Weg finden als den Weg unserer eigenen Projektionen? Wie sollen wir verhindern, dass wir in ihr unser Bild eines vollkommenen Menschen spiegeln, dass wir die Erscheinung Gottes in einem Menschen so sehen, wie wir sie gerne hätten, wie sie unserem Weltbild und den von uns erkannten Notwendigkeiten entspricht? Die einzige Möglichkeit, diesen Weg der Selbsttäuschung zu vermeiden, ist die Anwendung der historisch-kritischen Methode. Damit treten wir ein in ein Reich, das dem Glauben recht fremd zu sein scheint: in das Reich der Wahrscheinlichkeit. Historische Urteile sind Urteile, die unter dem immerwährenden Vorbehalt besserer Erkenntnis, genaueren Wissens und umfassenderer Einsicht stehen. Der Glaube aber will Gewissheit und lebt von Gewissheit. Neben dem monotheistischen Dilemma, das die christliche Religion mit Judentum und Islam teilt, eröffnet sich eine zweite spezifisch christliche Aporie: der unaufhebbare Gegensatz zwischen einer historischen Person, die nur mit den Resultaten der historischen Forschung beschrieben werden kann, die für die ständige Revision ihrer Ergebnisse offen sein muss, und der religiösen Bindung an eben diese Person, die nicht unter Vorbehalt erfolgen kann und deshalb eine letztgültige Entscheidung fordert. Ebenso wie das monotheistische Dilemma muss die christliche Theologie dieses Dilemma, das ausschließlich zu ihr gehört, aushalten; sie darf nicht den damit verbundenen Problemen entfliehen und sich in eine Scheinwelt begeben, die nur von religiösen Wunschvorstellungen belebt wird. Weil sich für den christlichen Glauben die Offenbarung Gottes in einem Menschen zentriert, ist es unumgänglich, sich mit den Mitteln historischer Forschung der Eigenart dieses Menschen zu nähern – alles andere käme einer Verweigerungshaltung gleich, welche die Prägung neuzeitlichen Denkens für unerheblich erklärt. Die Eigenart Jesu zu beschreiben, ohne auf sein schlimmes Schicksal, den Tod am Kreuz, einzugehen, wäre ein nutzloses Unterfangen. Hier bündeln sich alle Fragen, die wir mit dieser Person verbinden, deshalb sollen meine Ausführungen zur Christologie hier ihren Schwerpunkt finden. Dabei stellt die Tatsache des Kreuzestodes Jesu kein ernsthaftes Problem dar ; an der historischen Faktizität dieses Endes sind keine Zweifel möglich. Im Gegensatz dazu ist es aber höchst unsicher, wie Jesus selbst seinen eigenen Tod verstanden hat. Wir werden davon zu reden haben, dass in seiner Verkündigung und seinem Wirken, der Botschaft von der Nähe des Reiches Gottes, die Transzendenz Gottes von der Offenbarung überholt wird, dass die göttliche Gegenwart so machtvoll zur Erscheinung kommt, dass die Verborgenheit Gottes in den Hintergrund rücken muss. Am Kreuz vollzieht sich der umgekehrte Prozess: Der Gott, dessen Wirken nicht verstanden wird, umhüllt das irdische Geschehen mit seinem un-
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durchdringlichen Geheimnis, während die befreiende Gegenwart eben dieses Gottes zu verschwinden droht. In der Polarität beider extrem entgegengesetzter Gotteserfahrungen lässt sich das ganze Leben des Menschen Jesus beschreiben. Aber der Mensch Jesus gehört nicht nur zu den Menschen; er gehört auch zu Gott – an dieser Aussage darf der christliche Glaube nicht vorbeigehen. So wird der Konflikt zwischen Jesus und Gott zu einem Konflikt in Gott selbst, und genau dieser Widerspruch bezeichnet den Unterschied der christlichen Gottesvorstellung von der Gottesvorstellung der anderen monotheistischen Religionen. Während diese ihren Schwerpunkt darin finden, Gott als ewiges Sein begreiflich zu machen, kommt die Eigenart der christlichen Perspektive da in den Blick, wo von einem Werden Gottes die Rede ist. Schon die Behauptung der Inkarnation verliert ihren Sinn, wenn sie nicht mit einer Reflexion über dieses Werden verbunden wird. Der am Kreuz zutage tretende Konflikt in Gott selbst ist Kulmination und Peripetie dieses Werdens. Der Gott, der sich in sich selbst entzweit, weil er das Andere, seine Schöpfung, als Moment seines eigenen Bewusstseins wiederfindet, kann seinen Zwiespalt nur dadurch überwinden, dass er ein Anderer wird. Dieses Anders-Werden ist gleichzusetzen mit der Entfaltung des Geistes. Der Geist ist nicht mehr eine von Gott ausgehende, ihm aber quasi unterstellte Kraft wie im Judentum oder im Islam, er ist Gott selbst – ein Moment seines Wesens, das nur als Werden erfasst und beschrieben werden kann. Indem Gott – in der Auferstehung Jesu – sein Geschöpf in sich zurücknimmt und damit den Zwiespalt begründet, die Infragestellung seiner selbst, erhöht er auch den Geist zu einem Moment seines Wesens. Ohne diesen Zwiespalt käme dem Geist keine Gleichrangigkeit zu, ohne ihn bliebe er jene untergeordnete Kraft, die Gott in seinen Dienst nimmt, um auf der Erde zu wirken. So aber, in der Entzweiung des Kreuzes, ist der Geist ebenso Moment des einen Gottes wie Jesus Christus, den er in seine Ewigkeit hineingenommen hat. Seine Erhöhung folgt aus der Erhöhung von Jesus selbst, weil die Diskrepanz von Schöpfer und Geschöpf nur überwunden werden kann, wenn Gott in einem Moment seines Wesens diese Überwindung bewirkt. Im Geschehen von Kreuz und Auferstehung widerspricht sich Gott selbst – nur er selbst kann diesen Widerspruch lösen, indem er als Geist die Kluft zwischen ihm und der von ihm geschaffenen Welt beseitigt. Die Überwindung der von mir bezeichneten Diskrepanz ist kein Heilsereignis, auf das die Christenheit zurückzublicken vermag, sie ist Ausdruck christlicher Hoffnung, die sich erst am Ende der Zeit erfüllen wird. Deshalb mündet der christologische Teil meiner Darlegungen in die Eschatologie ein, die das Werden Gottes als das Wirklichwerden des Geistes beschreibt. Diese Realisation des Geistes ist kein momentanes Ereignis, sondern der Prozess, in dem das Werden Gottes und das Werden der Welt zusammenfinden. Erst wenn Gott alles in allem ist, wird die Diskrepanz von Schöpfer und Geschöpf beseitigt sein.
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Einleitung
Die christliche Rede von einem Werden Gottes nötigt uns nun auch dazu, von der Gemeinschaft der Glaubenden als einer Kirche zu reden. Die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus ist nicht einfach als ein abgeschlossenes Ereignis zu betrachten, auf das der Glaubende zurückblicken kann, sie verlangt eine permanente Vergegenwärtigung und Aktualisierung, und damit sprechen wir nicht nur den Auftrag, sondern zugleich das Wesen der Kirche an. Als Leib Christi demonstriert sie die Unumkehrbarkeit der Aussage, dass Gott die Leiblichkeit für sich gewonnen hat, um sie nie wieder preiszugeben. Ihr Wesen bedarf der Verifikation, wenn es nicht einem nebulösen Mystizismus anheim fallen soll. Diese Verifikation ist die Wahrnehmung ihres Auftrages, das Sakrament der Eucharistie zu vollziehen. Indem Gott seine Leiblichkeit allen Glaubenden zum Geschenk macht, bewirkt er die Mitteilung des Heils an jeden einzelnen Menschen. Er bewirkt sie, indem er Personen beruft, deren primäre Aufgabe darin besteht, das Sakrament des Abendmahls zu feiern. Deshalb erhält dieses Sakrament eine Sonderstellung, die uns dazu veranlasst, es terminologisch von allen anderen sakramentalen Handlungen zu unterscheiden. Und auch die Person, die dazu beauftragt wird, diese sakramentale Feier zu leiten, ist als Träger des einen Amtes unterschieden von allen anderen Ämtern und Diensten, die prinzipiell von ihr wahrgenommen werden können, aber vor allem der aus dem allgemeinen Priestertum resultierenden Vielfalt der Charismen aufgegeben sind. Im einen Sakrament des Abendmahls werden wir uns immer wieder des Geheimnisses des göttlichen Werdens bewusst. In den davon zu unterscheidenden sakramentalen Handlungen steht demgegenüber das Werden des Menschen im Vordergrund. Meine Ausführungen wollen einen Beitrag dazu leisten, den, wie ich meine, unfruchtbaren und aufgrund der Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung überholten Streit um die Zahl der Sakramente zu überwinden. Deshalb sollten nicht nur die Taufe, sondern auch die Firmung bzw. die Konfirmation, die Ordination und die Eheschließung als sakramentale Handlungen verstanden werden. Es ist auch für den Protestantismus wichtig, die sakramentale Dimension der Kirche zu beachten, weil ohne sie nicht deutlich werden kann, was die Verwirklichung Gottes eigentlich bedeutet. Die Sakramentalität führt uns sozusagen in den inneren Bezirk, in dem die Gläubigen das Mysterium der Menschwerdung erfahren. Der Verleiblichung Gottes entspricht aber die Vergeistigung der Welt. So wie sich die Kirche auf der einen Seite nach innen zurückzieht, um in der Stille wahrzunehmen, was im Geschehen der Inkarnation den Menschen mitgeteilt wird, muss sie sich auf der anderen Seite der Welt öffnen, wenn sie die Rede vom Geist als Moment des göttlichen Wesens glaubwürdig machen soll. Denn der Geist steht ihr nicht zur Verfügung, er kann wirken, wo er will, und sich
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auch in anderen Kulturen, Religionen und Weltanschauungen manifestieren. Die Kirche sollte diese prinzipielle Unbegrenztheit des Geistes nicht als Begrenzung ihres eigenen Soseins empfinden, sondern darauf hoffen, dass die Vergeistigung der Welt in eine Vollkommenheit mündet, wo man ihrer nicht mehr bedarf. Gott als Geist begründet die Konstitution der Kirche, er weist aber zugleich auf ihr Ende hin. So wichtig die sakramentale Dimension für die Kirche ist, so verfehlt wäre es doch, ihr Wirken auf diesen Bereich zu beschränken. Dabei will ich in diesem Zusammenhang von den vielfältigen Aktivitäten absehen, die ihr aufgetragen sind, um den Menschen zu dienen: in der sozialen Arbeit, in der Seelsorge, um hier nur wenige Wege zu nennen. Es geht primär um die Vermittlung des Heils, die nicht ausschließlich als sakramentale Vermittlung verstanden werden darf. Neben dieser Vermittlung steht das Wortgeschehen, dass den Menschen in einen anderen Zustand seiner selbst versetzt. Genauer gesagt handelt es sich um das der Kirche aufgetragene befreiende Wort, das den Christen im Unterschied zur Belehrung und zur Ermahnung von allen Zwängen losspricht und ihm selbst die Bestimmung des persönlich verantworteten Glaubens überträgt. Dieses befreiende Wort verdichtet sich in der Zusage der Vergebung der Sünden, die man sich nicht selbst gewähren kann, sondern von Anderen empfangen muss. Damit gehen wir von den sakramentalen Handlungen über zu den Weisen des wirkenden Wortes, wobei ich in diesem Zusammenhang zwei Vollzüge, die Buße und den Segen, behandeln möchte. Es hat, wie zu zeigen sein wird, keinen Sinn, die Buße mit der sakramentalen Dimension der Kirche in Verbindung zu bringen. Auf der anderen Seite muss dem Segen als einer spezifischen Form des Wortgeschehens eine größere Bedeutung zugewiesen werden, als es in dogmatischen Entwürfen im Allgemeinen der Fall ist. Deshalb sollen Darlegungen über diese Sprachform am Ende dieser Abhandlung stehen. Aus christlicher Sicht erschließt sich die Bedeutung des Segens nur dann, wenn er trinitarisch verstanden wird. In ihm schließen sich Anfang und Ende, Schöpfung und Vollendung zusammen. Die Vollendung ist nicht nur das Ende der Welt, sie ist zugleich Ziel des göttlichen Werdens. Das Ziel ist Gott als Geist, der die Leiblichkeit in sich aufnimmt und bewahrt. Der Geist ist die Zukunft Gottes, auch wenn er schon jetzt Moment seines Wesens ist. Wenn die Kirche von der Hoffnung auf diese Zukunft beseelt ist, erfährt sie das Wirken des Geistes in der Gegenwart.
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I. Offenbarung und Transzendenz – Die monotheistischen Religionen
1. Was ist Offenbarung? Fasst man den Begriff der Offenbarung weit genug, dann lässt er sich mit jeder Religion verbinden. Denn in jeder Religion ist vom Göttlichen die Rede. Es fragt sich aber, ob sich nicht die Vielfalt der Religionen besser erschließt, wenn wir uns um eine Profilierung des Offenbarungsbegriffes bemühen. Versteht man unter Offenbarung die übernatürliche Mitteilung eines jenseitigen, numinosen Urhebers, der den Menschen etwas kundtun will, was sie unter keinen Umständen von sich aus wissen oder erkennen können, dann wird der Kreis der Religionen, die dieser Bestimmung entsprechen, enger. So gesehen darf zwar der Buddhismus nach wie vor als Religion bezeichnet werden; er lässt sich aber nicht auf eine Offenbarung zurückführen. Die Erleuchtung, die Buddha zuteil wurde und die ihn zur Gründung einer neuen religiösen Gemeinschaft veranlasste, ist nicht die von einem Autor ausgehende Mitteilung einer übernatürlichen Wahrheit, sondern eine in einem einmaligen Vorgang geschenkte Erkenntnis, die, einmal ausgesprochen, nach Meinung der Buddhisten von allen Menschen nachvollzogen werden kann. Wenn wir in unserer Bestimmung des Offenbarungsbegriffes das Moment des Übernatürlichen betonen, sehen wir uns zu einer weiteren Einschränkung veranlasst: All das, was die altprotestantische Orthodoxie oder von ihr beeinflusste theologische Konzeptionen mit Begriffen wie natürliche Offenbarung, allgemeine Offenbarung, Schöpfungsoffenbarung, Uroffenbarung usw. zu erfassen suchte, sollte besser in einer anderen Terminologie zum Ausdruck gebracht werden. Denn auch hier gilt die in ihrer Berechtigung nicht zu diskutierende Auffassung, dass prinzipiell jedem Menschen eine Erkenntnis des jenseitigen Schöpfergottes möglich ist, auch wenn die faktische Disposition, etwa die den Menschen charakterisierende Sündhaftigkeit, einen natürlichen Zugang zu diesem Gott nicht erlaubt. So handelt es sich bei der Offenbarung um die übernatürliche Mitteilung eines transzendenten Numens, das den Menschen etwas sagt, was sie von sich aus niemals wissen können. Wie kann dieses transzendente Numen aber gedacht werden? Ohne Zweifel haben wir hier an ein fest umrissenes Gegenüber zu denken, ein personal bestimmtes Wesen, das sich durch einen formulier-
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Die monotheistischen Religionen
baren Willen kennzeichnen lässt.1 Damit können wir Phänomene der religiösen Vorstellungswelt aus unseren Betrachtungen ausschließen, die zwar einen übernatürlichen Ursprung behaupten, aber diesen zugunsten der heiligen Schriften völlig zurücktreten lassen, so dass nur noch das in ihnen aufbewahrte, absolute Wissen interessiert, aber nicht mehr die „Gestalten“, die sich hinter ihm verbergen.2 Der Urheber der Offenbarung muss einbezogen sein in das Offenbarungsgeschehen; nur in der Dreiheit, die den Offenbarer, die Offenbarung und den jeweils angesprochenen Menschen umschließt, gewinnen wir die Prägnanz, die diesem Begriff zukommen muss.
2. Offenbarung und Polytheismus Fragt man, welchen Formen der Religiosität diese Bestimmung des Offenbarungsbegriffes entspricht, dann wird man zunächst an Ausprägungen eines polytheistischen Glaubens denken, der sich zu einem Henotheismus, also zur Forderung, nur einen Gott zu verehren, verdichten mag. In beiden Fällen wird die Existenz anderer göttlicher Wesen nicht bestritten, auch wenn die Überlegenheit und ausschließliche Verehrungswürdigkeit des Einen außer Frage steht. In diesem polytheistischen bzw. henotheistischen Rahmen ist die Begrenzung, deren das fest umrissene Gegenüber, von dem wir sprachen, bedarf, selbstverständlich gegeben. Gott ist der eine Gott im Gegensatz zu anderen Göttern, die zwar auch da sind, aber nicht unbedingt für den Gläubigen von Bedeutung sein müssen. Der polytheistische bzw. henotheistische Gott ist ein begrenzter Gott, und gerade in dieser Begrenzung kann er ohne jedes Problem Subjekt einer möglicherweise ergehenden Offenbarung sein. Es geht mir nicht darum, dieses Phänomen mit einer Vielzahl möglicher Beispiele aus der Religionsgeschichte zu belegen. Ich will mich auf ein Dokument beschränken, das im Stand eines naiven Bewusstseins vielleicht als durchgehendes Plädoyer für einen strengen Monotheismus verstanden werden könnte, in Wirklichkeit aber in seinen ältesten Schichten polytheistische bzw. henotheistische Ausprägungen erkennen lässt, die Rede ist vom von uns so genannten Alten Testament. Die Geschichte Israels ist eben nicht die Geschichte eines von Anfang an feststehenden, selbstverständlich geglaubten Monotheismus, sie stößt zu diesem erst im Laufe einer langen, Jahrhunderte währenden Entwicklung vor, die erst in der Prophetie ihren Abschluss und ihre bleibende Erkenntnis findet.3 Weder der „Gott der Väter“ noch der mit 1 Damit soll nicht gesagt sein, dass der Begriff der Person in allen monotheistischen Religionen eine besondere Bedeutung hat. Letztlich gilt das nur für die christliche Religion. 2 Beispielsweise sei auf die Verehrung hingewiesen, welche die Veden in der indischen Religiosität genießen. 3 Vgl. F. Stolz, Einführung in den biblischen Monotheismus, Darmstadt 1996.
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Monotheismus und Offenbarung
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dem Namen „Jahwe“ bezeichnete Gott sind Entfaltungen eines monotheistischen Gottesverständnisses – allein dadurch, dass dieser so weit über alle anderen Götter erhoben wird, dass sie sich schließlich im Wesenlosen verlieren, entsteht der Glaube an den einen Gott, neben dem es nur Götzen, aber keine anderen Götter gibt. Man muss sich einmal den Weg Jahwes vergegenwärtigen, der zunächst als Gott der Israeliten nur im Gegensatz zu anderen Stammesgöttern definiert wird (vgl. vor allem Ri 11,24!), schließlich sich aber als der Einzige herausstellt, der keinen Gott neben sich hat (Jes 44,6 ff), um den Erkenntnisprozess der Religionsgeschichte zu begreifen, der nicht mit einer von Anfang an feststehenden Wahrheit beginnt, sondern alles, was er als erworbenes Gut zu überliefern im Stande ist, erringen und gewinnen muss.
3. Monotheismus und Offenbarung – ein problematisches Verhältnis Die monotheistischen Religionen setzen dieses mühsam erzielte Resultat quasi als selbstverständliche Grundlage ihres eigenen Glaubensverständnisses voraus. Sie führen die Geschichte der Offenbarungen dieses einen Gottes, der erst der wurde, der er für sie schon immer war, weiter ; aber man muss sich klarmachen, dass diese Weiterführung eine tiefe Problematik in sich birgt. Die monotheistische Erkenntnis bedeutet einen unermesslichen Gewinn an Transzendenz, doch stellt sich die Frage, wie dieses in die Unbegreifbarkeit entrückte Numen noch Subjekt einer möglicherweise ergehenden Offenbarung sein kann. Der Eine, der kein Gegenüber hat, weil nichts ihm gleichkommt, der unendliche Horizont, vor dem sich alles Tun und Verstehen vollzieht, die alles umfassende und bestimmende Wirklichkeit, kann sie noch jene fest umrissene Größe sein, die sich in einer wie auch immer georteten Offenbarung Menschen mitzuteilen vermag? Es ist kein Zweifel möglich: In den monotheistischen Offenbarungsreligionen treten Offenbarung und Transzendenz in einen Gegensatz zueinander. Während ein begrenztes Numen sehr wohl Urheber einer Offenbarung sein kann, wird es schwierig, das Allumfassende, Eine als Ursprung einer göttlichen Mitteilung zu denken. Andererseits sind die monotheistischen Religionen darauf angewiesen, eben das zu tun. Sonst bliebe ihnen nichts anderes übrig, als in einem antwortenden Schweigen der Unermesslichkeit des Göttlichen zu entsprechen; sie fänden keine Botschaft mehr, die sie mitteilen könnten, gingen an der Unaussprechlichkeit des Unsagbaren zugrunde. Somit lässt sich beides sagen: Die radikale Erfahrung göttlicher Transzendenz lässt die Möglichkeit einer Offenbarung des Jenseitigen zum Problem werden. Ebenso gilt, dass gerade diese Erfahrung eine Kundgabe des Göttli-
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Die monotheistischen Religionen
chen notwendig macht. Nur in dieser Doppelheit, man könnte auch von einer Dialektik sprechen, wird die Eigenheit der monotheistischen Religionen verstehbar. Ihre Aufgabe besteht darin, die Transzendenz des Jenseitigen, des nicht unserer Wirklichkeit Zugehörigen, zu wahren, und zugleich die Mitteilung dieses Einen zur Sprache zu bringen. Wir müssen der Frage nachgehen, wie sie versuchen, dieser Aufgabe gerecht zu werden.
4. Gottes Einheit und Gottes Offenbarsein Zunächst darf man davon ausgehen, dass die Notwendigkeit, Transzendenz und Offenbarung miteinander zu verbinden, eine Differenzierung erfordert. Gott in seiner unerforschlichen Jenseitigkeit und Gott in seinem Offenbarsein müssen unterschieden werden. Eben diese Unterscheidung berührt aber die Unmittelbarkeit des monotheistischen Credos: Wenn als fundamentale Glaubensaussage die Behauptung der Einheit Gottes gelten soll, wird jede Differenzierung problematisch. Verletzt sie nicht dieses grundlegende Bekenntnis, führt sie nicht da eine Unterscheidung ein, wo nichts als die Einheit artikuliert werden dürfte? Und hat diese Verletzung nicht gewichtige Folgen, die letztlich einer Preisgabe des monotheistischen Ranges gleichkommen? Befinden wir uns nicht im Dunstkreis des Polytheismus, wenn wir das Reich der Unterschiede eröffnen, auch wenn formal die Rede von dem einen Gott nicht aufgegeben, sondern sogar mit Vehemenz beibehalten wird? Man mag in christlicher Perspektive bestreiten, dass es sich hier um ein gewichtiges Problem handelt. Für eine Religion, die in ihrem Reden von Gott Differenzierungen für unabdingbar hält, ist es auf den ersten Blick nicht so erheblich, wenn andere sich an der Frage abmühen, wie das Denken in Unterscheidungen vermieden werden kann. Dennoch halte ich diese Einschätzung für vordergründig. Wenn das gemeinsame Ziel darin besteht, die Einheit des sich offenbarenden Gottes auszusagen, dann muss jeder Versuch, diesem Ziel näherzukommen, bedacht werden, unabhängig davon, welcher monotheistischen Religion er zuzuordnen ist.
4.1 Die islamische Theologie – die Mu‘taziliten Es ist klar, dass die radikalsten Versuche, jede Differenzierung von Gott fernzuhalten, im jüdischen bzw. islamischen Denken zu finden sind. Beginnen wir mit diesem: Aus jeder Beschreibung des göttlichen Wesens, nicht nur aus der Behauptung einer an die Menschen gerichteten Offenbarung, erwächst die Gefahr der Pluriformität. Daher setzen die Mu‘taziliten, völlig konsequent, bei der Lehre von den Eigenschaften Gottes ein, die allem Anschein nach eine
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Gottes Einheit und Gottes Offenbarsein
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Differenzierung in Gott unausweichlich werden lässt. Wenn ich von der Barmherzigkeit Gottes rede, meine ich nicht dasselbe wie bei der von mir aufgestellten Behauptung seiner Ewigkeit, um nur eines von vielen Beispielen zu nennen. Gerade die Rede von den Eigenschaften Gottes eröffnet einen Raum des Vielgestaltigen, der um den Preis der Einheit verschlossen bleiben sollte. Die Mu‘taziliten sind bereit, alles für diesen Preis zu opfern, indem sie nur eine negative Bedeutung göttlicher Attribute anerkennen und damit eine reale Unterschiedenheit in Gott selbst verneinen. Ebenso tun sie alles, um den Eindruck zu vermeiden, die Offenbarung sei ein Moment Gottes selbst, so dass es nötig wäre, in ihm die unergründliche Seite seines Wesens und den offenbaren, den Menschen zugewandten Aspekt zu unterscheiden. Natürlich wird das Faktum der Offenbarung, das im Koran festgehaltene Wort Gottes, nicht bestritten, aber dieses Wort ist etwas von Gott Geschaffenes, also nicht notwendig und ewig mit dem göttlichen Wesen verbunden. Gott bleibt in sich selbst der Eine, an den keine Unterscheidung herangetragen werden kann. Sehen wir zurück auf die dem Monotheismus gestellte Aufgabe, Transzendenz und Offenbarung miteinander zu verbinden, kommt die von den Mu‘taziliten erarbeitete Lösung in den Blick: Offensichtlich gelingt es ihnen, das transzendente Moment des Göttlichen in eindrucksvoller Weise zu wahren. Da nichts anderes Gott gleich ist, hat er nichts neben sich, seine Einzigartigkeit ist über jeden Zweifel erhaben. Der Versuch des Menschen, in das göttliche Geheimnis einzudringen, ihn mit weltlichen Kategorien verfügbar zu machen, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Demgegenüber muss man sagen, dass dem Moment der Offenbarung nicht das gleiche Gewicht zukommt. Wollte man eine terminologische Differenzierung vornehmen, so könnte man behaupten, eine Offenbarung sei zwar gegeben, von einer Selbstoffenbarung des einen Gottes könne aber keine Rede sein.4 Natürlich lassen sich solche Unterscheidungen infrage stellen. Der Gott, der den Menschen mitteilt, was er von ihnen will, verrät auch etwas über sich selbst. Und doch zögern wir, diese indirekte Selbstmitteilung als Selbstoffenbarung zu bezeichnen. Die Intention des Transzendenten, wenn man so anthropomorph reden darf, besteht nicht darin, Aufschlüsse über das göttliche Wesen zu geben, sondern den Menschen auf den Weg der „Rechtleitung“ zu führen. Die Gefahren, die diese Verhältnisbestimmung von Offenbarung und Transzendenz begleiten, sind leicht zu benennen: Ich sehe sie in der Fixierung auf ein autoritäres Gegenüber, das Forderungen stellt, ohne die Einsicht in den Grund dieser Forderungen zu vermitteln. Die göttlichen Gebote werden mit 4 Damit gilt für die Mu‘taziliten, was ich in meiner Gotteslehre, wie ich heute meine, zu pauschal vom Islam als ganzem behauptet habe: die Preisgabe der Selbstoffenbarung zu Gunsten der göttlichen Transzendenz (siehe hierzu: R. Leuze, Gotteslehre, Stuttgart u. a. 1988, 45).
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Die monotheistischen Religionen
der Autorität ihres Urhebers begründet, sie werden aber nicht mit einer Erkenntnis des göttlichen Wesens beglaubigt. Dieses Wesen bleibt verschlossen; eben so wahrt der eine Gott seine Transzendenz. Das entscheidende Moment, das die Mu‘taziliten dazu befähigt, die Transzendenz des einen Gottes, nämlich Allahs über jeden Zweifel zu erheben, liegt in der Distanzierung von Offenbarer und Offenbartem. Man mag diese Aussage für verwunderlich halten, wenn man sich die unvergleichliche Bedeutung, welche das Wort Gottes, der Koran, auch für die Mu‘taziliten besitzt, vor Augen führt. Dennoch ist er etwas qualitativ anderes als Gott selbst, weil er von Gott geschaffen wurde, also der Schöpfung angehört. Diese Differenz zwischen Schöpfer und Geschaffenem charakterisiert die gesamte Lehre von der Offenbarung; sie ermöglicht die Unzugänglichkeit des einen Gottes, der sich den Menschen kundtut. Wir erkennen hier ein bestimmtes Modell, Offenbarung und Transzendenz miteinander zu verbinden, das keineswegs auf den Islam beschränkt ist. Ähnliche Vorstellungen finden sich in der jüdischen Religion und im christlichen Denken, wobei der Inhalt der Offenbarung natürlich in jeweils spezifischer Weise bestimmt werden muss.
4.2 Parallelen in der jüdischen Tora-Vorstellung – ein Vergleich von jüdischem und islamischem Denken Fragen wir nach der jüdischen Entsprechung der den Muslimen gegebenen heiligen Schrift, dann müssen wir selbstverständlich die Tora nennen. Bei diesem Begriff geht es nicht nur um die sowohl schriftlich wie mündlich überlieferte Sammlung von Geboten und Verboten, sondern um eine „komplexe theologische Größe, die den praktischen Gesetzesgehorsam erst motiviert“5. Nichts macht diese Behauptung deutlicher als die Identifikation der Tora mit der präexistenten Weisheit (Prov 8,22 – 24), die in der Weisheitsliteratur ihren Anfang nimmt und für das jüdische Tora-Verständnis unabsehbare Folgen hat. Wenn wir die eben erwähnte Stelle aus den Sprüchen Salomons im Auge behalten, dann sehen wir, dass die Aussage, das Wort Gottes gehöre zur Schöpfung, nicht genügt. Die als göttliche Weisheit verstandene Tora geht der Schöpfung vorher, sie ist sozusagen der Bauplan, nach dem die Welt erschaffen wurde. Gleichwohl ist sie von Jahwe erschaffen worden, sie steht zu ihm in einem Verhältnis der Subordination. Damit wird die Transzendenz Jahwes im Sinne einer Betonung seiner Überlegenheit gewahrt: Die Tora steht am Anfang seiner Wege, vor der Schöpfung, vor der Zeit, aber man kann nicht sagen, dass sie schon in Ewigkeit bei Gott war. Das Modell, von dem wir sprachen, gewinnt so deutliche Konturen: Es besteht darin, die Offenbarung als Geschaffenes von Gott zu distanzieren, 5 J. Maier, Geschichte der jüdischen Religion, Freiburg 1992, 136.
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Gottes Einheit und Gottes Offenbarsein
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zugleich aber als die von ihm kommende, für die Menschen heilsnotwendige Mitteilung der Schöpfung vor- und überzuordnen. Diese Doppelheit, die letztlich darauf zurückzuführen ist, dass die von Gott kommende Offenbarung zwischen Gott und den Menschen lokalisiert werden muss, spiegelt sich auch in der islamischen Theologie wider. Die vielfältigen, ˘ ahmiten wie Mu‘taziliten dazu aus dem Koran abgeleiteten Erwägungen, die G veranlassten, das Wort Gottes als begrenzt, endlich und damit als geschaffen anzusehen, machen es auf der anderen Seite notwendig, seine hervorragende, gegenüber allem anderen ausgezeichnete Stellung zu betonen. Aus Sure 85,21 f geht hervor, dass von einer Präexistenz des Korans geredet werden muss; wenn er in der „Nacht der Bestimmung“ hinabgesandt wurde, so heißt das, dass die himmlische Urschrift schon vorher bei Gott war. Dieser Urkoran ist in ˘ ahmiten das „einzige geschaffene Ding“,6 das sich in der under Sicht der G mittelbaren Gegenwart Gottes befindet. Freilich gewinnt man den Eindruck, dass die strenge Trennung von ha¯liq, den nur Gott zustehenden Attributen, und mahlu¯q, dem Irdischen, Geschaffenen, Vergänglichen, wie sie für das islamische Denken charakteristisch ist, gerade da Probleme bereitet, wo von einer Vermittlung des Gegensatzes von Gott und Mensch, eben von einer Offenbarung, die Rede sein soll. So mag sich das Zögern mancher islamischer Denker erklären, vom Geschaffensein des Korans zu reden, auch wenn sie, wie der Hanafit Ibn-at-Talg˘¯ı, davon ausgehen, dass der Koran in der Zeit entstanden ist und die Formulierung akzeptieren: „Er existierte, nachdem er nicht existiert hatte.“7 Das Dilemma ist offensichtlich: Die Alternative von ha¯liq und mahlu¯q soll dazu dienen, die Transzendenz und Einzigartigkeit Gottes zu betonen, aber die Feststellung der Offenbarung verlangt nach einem Denken, das über diese Alternative hinausführt. Im Umkreis des hier zu besprechenden Modells wird noch kein Drittes gedacht, das seinsmäßig zwischen ha¯liq und mahlu¯q zu stehen käme,8 aber ein Ungenügen an dieser Entgegensetzung ist schon zu spüren, so dass das Aufkommen anderer Lösungsversuche nicht verwundern muss. Gerade an der islamischen Theologie sehen wir, dass die Konzeption, die Offenbarung als Geschaffenes zu verstehen und damit von Gott zu distanzieren, auf Schwierigkeiten stößt. Die Problematik dieses Modells wird hier 6 T. Nagel, Geschichte der islamischen Theologie, München 1994, 109. 7 W.M. Watt/M. Marmura, Der Islam II. Politische Entwicklungen und theologische Konzepte, in: Die Religionen der Menschheit, Bd. 25,2, Stuttgart u. a. 1985, 280. 8 Zu den interessanten Ansätzen in dieser Richtung vgl. Nagel, Geschichte, 132. Nagel meint, die Ontologie, die nur schaffendes und geschaffenes Sein kannte, sei „zu faszinierend“ gewesen, „sie musste erst auf die widersinnige Spitze getrieben werden, ehe ein Umdenken einsetzte“ (ebd. 133). Nur – worin war diese Faszination begründet? Offensichtlich ließ sich auf diese Weise die Unvergleichlichkeit, Einzigkeit, eben die Transzendenz des einen Gottes ins rechte Licht rücken. Unter diesen Voraussetzungen wird es schwierig, die Offenbarung dieses einen Gottes zu denken.
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Die monotheistischen Religionen
deutlicher als in der jüdischen Theologie, und man kann fragen, warum das so ist. Der Grund scheint mir darin zu liegen, dass das Geschaffene Gott gegenüber eine andere Dignität beanspruchen darf, als es im islamischen Denken möglich wäre. Indem das jüdische Denken Tora und Weisheit gleichsetzt, wird das Geoffenbarte emporgehoben über den Rang einer oder auch der einzigen göttlichen, heilsnotwendigen Mitteilung. Es ist Prinzip, Richtschnur und Plan der Schöpfung im Ganzen. Es ist nicht nur „Ding in der Gegenwart Gottes“, sondern gewinnt, obwohl von Gott geschaffen, eine ungleich größere Selbständigkeit. Die Weisheit, sprich, das göttliche Gesetz, kann sich wie eine Person selber vorstellen (Prov 8,22 ff), sie ist „Gespielin“ des einen Gottes, der sie vor der Schöpfung hervorgebracht hat. Aber auch wenn wir den Aspekt der geoffenbarten Schrift mehr in den Vordergrund rücken, kommt die Eigenständigkeit des Geschaffenen in den Blick. Gott selbst, so sagen die rabbinischen Theologen, studiert die Tora und die aus ihr erwachsende Halacha.9 Das heißt, dass das von ihm Geschaffene nicht einfach seiner geistigen Verfügungsgewalt untersteht, sondern für ihn selbst zur Aufgabe des Verstehens wird. Indem die Tora auf der einen Seite mit der Schöpfung verbunden, andererseits aber als besondere Gabe an Israel verstanden wird, in der seine Erwählung gründet,10 wird die grundlegende Diskrepanz von Schöpfer und Geschaffenem überspielt. Die Exklusivität der Gnadengabe, die Israel von den unreinen Weltvölkern unterscheidet, bewirkt ein Gefühl der Zusammengehörigkeit von Gott und Israel, das die prinzipielle Unterscheidung von Gott und Mensch in den Hintergrund treten lässt. Damit verliert die Differenz von Geschaffenem und Ungeschaffenem die fundamentale Relevanz, die ihr im Islam zukommt. Das Judentum konnte sich dieser strengen Alternative entziehen, indem es die zeitliche Fixierung der Tora im Blick auf die Zukunft infrage stellte.11 So zählt beispielsweise Maimonides die Unabänderlichkeit der Tora zu den Glaubensartikeln des Judentums, während in islamischer Perspektive das Geschaffensein des Korans die Möglichkeit eröffnet, einzelne Bestimmungen durch den Erlass einer autoritativen Person, etwa eines inspirierten Imam, umzustoßen.12 9 Vgl. Maier, Geschichte, 138. 10 Dass zwischen dem Konzept der Tora als universaler Schöpfungsordnung und der erwählungstheologisch begründeten exklusiven Verpflichtung Israels auf die Tora eine deutliche Spannung besteht, hat Maier zu Recht betont (ebd. 139). 11 Für die messianische Vollendung wird die volle Erfüllung der Tora erhofft, nicht ihre Ablösung. Nur im Blick auf den endgültigen, transzendenten Heilszustand, die kommende Welt ergibt sich keine Möglichkeit einer Auskunft, „weil er eben transzendent und somit einer menschlichen Definition entzogen ist“ (ebd. 138). 12 Watt betont die politischen Implikationen, die sich mit der Frage verbinden, ob der Koran geschaffen oder ungeschaffen sei (Watt/Marmura, 183). Man wird allerdings der hier angesprochenen Problematik nicht gerecht, wenn man nur eine haarspalterische theologische Streitfrage zu erkennen meint (ebd. 182). Es geht um die grundlegende Aufgabe, Gott und seine
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Gottes Einheit und Gottes Offenbarsein
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4.3 Gott selbst und das Geschaffensein der Offenbarung – christliche Lösungen Obwohl das Judentum, wie wir sehen werden, auch andere Konzeptionen zum Verhältnis von Offenbarer und Offenbarung ausgebildet hat, erweist hier das Modell, die Offenbarung als Geschaffenes vom Offenbarer als dem einen, einzigen und ewigen Gott zu unterscheiden, seine größte Tragfähigkeit. Die Überführung dieses Modells in den Kontext der großen Universalreligionen Christentum und Islam bereitet dagegen erhebliche Schwierigkeiten; es ist kein Wunder, dass sich diese Vorstellungen weder hier noch dort durchsetzen konnten. Wir sind beim Islam den Gründen nachgegangen, müssen uns aber noch mit der christlichen Ausformung dieses Modells befassen. Sie stellt sich in vollkommener Weise im Arianismus dar, jener frühchristlichen Richtung des Christentums, die im ersten Konzil von Nicäa 325 verurteilt wurde und danach über kurz oder lang ihren Einfluss und ihre Bedeutung verlor. Für Arius ist die im christlichen Sinn verstandene Offenbarung des einen Gottes, eben Christus, der Sohn Gottes, nicht schon immer, also ewig, bei Gott gewesen, sondern er wurde durch Gottes Willen aus dem Nichts ins Dasein gerufen. Es gab also einen „Zustand“, wo er noch nicht war ; bevor er (von Gott) hervorgebracht wurde, gab es ihn nicht. Er gehört also auf die Seite der Schöpfung, nicht zu Gott selbst in seinem ewigen Wesen. Auch bei Arius sehen wir die Eigenheiten des von uns beschriebenen Modells: Nachdem eine qualitative Distanzierung von Gott und seiner Offenbarung vorgenommen wurde, wird diese vor allem anderen von Gott Geschaffenen ausgezeichnet, um ihren einmaligen, mit nichts vergleichbaren Rang zu kennzeichnen. Er, der Logos, ist vor aller Zeit entstanden,13 im Blick auf die Schöpfung kommt ihm eine Mittlerschaft zu. Man braucht sich nur die oben zitierte Stelle aus den Sprüchen Salomons zu vergegenwärtigen, um die Parallelität dieser Anschauungen zu erkennen, eine Parallelität, die noch dadurch unterstrichen wird, dass Arius nicht nur vom Sohn oder vom Logos, sondern auch von der Weisheit, der Sophia, redet.14 Das Bemühen, unter den gegebenen Voraussetzungen den Rang der Offenbarung hervorzuheben, führt allerdings zu Aussagen, die das logische Fassungsvermögen übersteigen. Wie soll gedacht werden, dass etwas existiert, was einmal nicht existierte, ohne die Anschauungsform der Zeit hinzuzudenken? Hier war Ibn-at-Talg˘¯ı konsequenter, wenn er vom Koran behauptete, er sei muhdat, Offenbarung in ein Verhältnis zu bringen, der sich alle monotheistischen Religionen gegenübersehen. 13 Die entscheidenden Stellen finden sich bei F. Loofs, Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte, Tübingen 61959, 184. 14 Vgl. ebd.
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also entstanden in der Zeit.15 Aber die Widersprüchlichkeit ereilt auch ihn, wenn er das, was ist, aber nicht immer war, in diesem einen Fall nicht als etwas Geschaffenes begreifen will. Freilich sind diese Einwände nicht entscheidend. Entscheidend ist etwas anderes: Wer die Offenbarung der Schöpfung zuordnet, eröffnet sich die hypothetische Möglichkeit, Gott auch ohne seine Offenbarung denken zu können. Die Transzendenz bleibt gewahrt, aber es könnte sein, dass sie sich in ein unheimliches Nichts verwandelt, das alle Entfaltungen des Offenbarseins zu verschlingen droht. Diese Gefahr mag im Judentum als gering erscheinen, da die Verbindung von Offenbarung und Erwählung die Unergründlichkeit des Transzendenten bändigt. In den Universalreligionen Christentum und Islam aber bezieht sich Gott in gleicher Weise auf alle Menschen. Das heißt, dass er zunächst einmal in eine größere Distanz zu ihnen rückt. Dieser Distanz kann nur begegnet werden, indem das Offenbarte zu einem Moment des göttlichen Wesens wird, nicht geschaffen, sondern gleich ewig mit ihm. Damit verlassen wir das hier besprochene Modell und wenden uns anderen Konzeptionen zu.
5. Die Offenbarung – ein Moment des göttlichen Wesens 5.1 Die christliche Trinitätslehre und das Bekenntnis zur göttlichen Einheit Die Bemühungen, Gottes Offenbarsein in seinem Wesen zu verankern, es also nicht als Geschaffenes von ihm selber abzusondern, haben in allen monotheistischen Religionen vielfältige Ausprägungen erfahren. Beginnen wir mit der christlichen Sichtweise: Die Trinitätslehre darf als der Versuch verstanden werden, der Erfahrung, dass das Offenbarsein Gottes zu Gott selbst gehört, eine begriffliche Bestimmung zu geben. Demgegenüber kommt der Lehre von den Eigenschaften Gottes der zweite Rang zu. Sie legt sich als systematische Durchdringung biblischer Aussagen nahe, verbindet sich aber nicht so eng mit dem Proprium des christlichen Glaubens wie die Explikation des dreieinigen Gottes. Mit der Trinitätslehre ist auch das eigentümliche Phänomen gegeben, das ich als Selbstkonstitution Gottes bezeichnen möchte. Es wird ja nicht einfach behauptet, Vater, Sohn und Heiliger Geist seien von Ewigkeit her existent, sondern Sohn und Heiliger Geist sind Hervorbringungen des Vaters, für die westliche Anschauung ist der Heilige Geist auch Hervorbringung des Sohnes. Damit hat die christliche Theologie eine Konsequenz gezogen, die jüdischem und islamischem Empfinden bedenklich erschiene: Wenn das Offenbarsein Gottes zu Gott gehört, dann muß er sich im Blick auf dieses Offenbarsein erst 15 Watt/Marmura, Islam, 280.
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selber definieren, er ist nicht einfach so, wie er schon immer war, sondern bestimmt sich als der Dreieinige, und hinter diese Bestimmung können wir im Blick auf den offenbaren Gott nicht mehr zurückgehen. Wir haben unsere Überlegungen unter das Begriffspaar Offenbarung und Transzendenz gestellt und müssen nun fragen, wie die christliche Antwort in der Relation dieser beiden Termini zu beurteilen ist. Muss man nicht kritisch bemerken, dass hier von einem Gleichgewicht zwischen beiden Polen nicht mehr die Rede sein kann, sondern zugunsten des einen der andere zu verschwinden droht? Wenn es nicht nur zu Gottes Wesen gehört, sich zu offenbaren, sondern aus diesem Moment die umfassende Definition des göttlichen Seins abgeleitet wird, dann muss man erwägen, ob der Mensch Gott nur in der Beziehung zu ihm selbst gelten lässt, ob er nicht mehr dem Gedanken Raum gibt, dass Gott über andere Dimensionen seines Soseins verfügt, die den Menschen nicht erreichen und in der Beziehung zu ihm überhaupt nicht verständlich sind. Man kann der christlichen Theologie nicht pauschal vorwerfen, sie habe zugunsten ihrer trinitätstheologischen Orientierung den transzendenten Aspekt der Gottheit vernachlässigt. Sie hat verschiedene Möglichkeiten wahrgenommen, das Offenbarsein Gottes ohne Preisgabe seiner Unergründlichkeit auszusagen, und es kann in unserem Zusammenhang nur darum gehen, einiges anzudeuten, was beliebig erweitert werden könnte. Die Verbindung von Offenbarung und Transzendenz kann sich in der Weise vollziehen, dass dem offenbaren Gott ein Äquivalent zugeordnet wird, das für das uns unbegreifliche, auch potentiell schreckliche Ansichsein Gottes steht, das unserer Verfügungsmacht generell entzogen bleibt. M. Luthers Rede vom offenbaren und verborgenen Gott ist das wohl prominenteste Beispiel für diese Sichtweise. Auch wenn wir uns an den offenbaren Gott halten sollen und der Glaube gerade in der vertrauensvollen Annahme der Zusage Christi besteht, auch wenn wir über den verborgenen Gott nicht spekulieren sollen, getreu dem Grundsatz: „Quae supra nos, nihil ad nos“16, wäre doch Luthers Rede von Gott ihrer eigentümlichen Dynamik beraubt, wenn sie sich nicht mehr in der Spannung zwischen deus revelatus und deus absconditus abspielte, wenn sie auf diesen fundamentalen Gegensatz verzichten müsste. Allerdings darf im Verständnis Luthers der offenbare Gott nicht im Sinne der Trinitätslehre aufgefasst werden, die er ihrerseits zu den hohen Artikeln der göttlichen Majestät rechnete.17 Wenn wir aber, als vorläufige Arbeitshypothese, diese Lehre als Explikation des offenbaren Gottes akzeptieren, dann folgt daraus, dass wir dem dreieinigen Gott ein Äquivalent zuordnen müssen, das in sich jene Momente des Transzendenten versammelt, die der trinitarische Gott nicht einzuholen vermag. Gott oder die Gottheit an sich ist dann 16 De servo arbitrio, in: Luthers Werke in Auswahl, hg. v. O. Clemen, Bd. 3, Berlin 51959, 177. 17 BSLK 414, 10 f.
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sozusagen Gott vor seiner trinitarischen Selbstkonstitution, er ist nicht nur Ursprung der im christlichen Sinne verstandenen Offenbarung, sondern das unergründliche Eine, das andere Kundgaben ermöglicht und aktualisiert, wie sie vor allem in der jüdischen Religion und im Islam zur Erscheinung kommen. Mir scheint, dass die trinitätstheologische Entfaltung des Gottesverständnisses dieses Äquivalents bedarf, wenn ein Reden von Gott gelingen soll, das Offenbarung und Transzendenz in angemessener Weise verbindet. Die Lehre von der göttlichen Dreieinigkeit wird damit auf die Funktion beschränkt, die ihr tatsächlich zukommt, nämlich ein Modell zu sein, das den in sich offenbaren Gott verstehbar machen soll. Gott in seinem Ansichsein ist von diesem Modell sehr wohl zu unterscheiden; er steht für das Transzendente, das unser Begreifen übersteigt, ist insoweit der Verborgene, dessen Willen wir nicht ergründen können, aber zugleich der Grund, der andere Offenbarungen seiner selbst ermöglicht. Er ist der Ursprung jenes Gottes, der sich zu Israel in eine exklusive Beziehung setzt, er ist der Ursprung jenes Gottes, der durch den Engel Gabriel Muhammad den Koran überbringen lässt, in ihm mag auch die Quelle anderer Offenbarungen sein, die wir kennen, aber nicht anerkennen, wenn sie nicht völlig unserem Wissen entzogen sind, weil sie erst in der uns verschlossenen Zukunft zutage treten werden. Das Göttliche kann in seiner Transzendenz dann am besten bewahrt werden, wenn die von ihm ausgehende Offenbarung sich nicht absolut setzt. Wenn sie ihre Grenze findet an dem Verborgenen, das dem ganz Anderen wesenhaft zugehört und durch keine Enthüllung angetastet werden darf. Und wenn sie ferner ihre Grenze findet an der Möglichkeit anderer Offenbarungen, die die eine, von der wir ausgehen, nicht zunichte macht, aber doch im Kontext anderer verständlich werden lässt. Der Monotheismus als solcher ist ja nicht, wie vielfach behauptet, der Nährboden der Intoleranz; er wird es erst da, wo er sich mit der Singularität einer einzigen Offenbarung verbindet, die sich absolut setzt und die Erkenntnis des Göttlichen ausschließlich für sich beansprucht. Wenn das oder der Eine als Quelle der Vielheit verstanden wird, bin ich sehr wohl in der Lage, das Andere zu achten, weil es in der Einheit desselben Ursprungs mit meinen eigenen Vorstellungen verbunden ist. Obwohl die hier beschriebene Verbindung von Offenbarung und Transzendenz m. E. den Vorzug verdient, hat das christliche Denken in der Vergangenheit auch andere Möglichkeiten wahrgenommen, denen ich nun meine Aufmerksamkeit zuwende. Wenn die Transzendenz nicht vor allem in einem Ursprung jenseits der Trinität gesucht werden soll, wenn sie ausschließlich in der Verbindung mit dem dreieinigen Gott wahrgenommen werden darf, dann sind die drei „Personen“ nicht in gleichem Maße dazu disponiert, diese Verbindung herzustellen. Da der Sohn Gottes, der Logos, nur in seiner Zugewandtheit zur Welt verstehbar wird und der Heilige Geist diese Zugewandtheit für die Glaubenden aktualisiert, liegt es am Vater, jene Transzendenz zu ver-
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gegenwärtigen, die für ein monotheistisches Gottesverständnis unabdingbar ist. Wenn andererseits die Trinität konsequent aus dem Gedanken der Offenbarung abgeleitet wird und sich der Vater in seinem Wesen ebenso kundtut wie der Sohn und der Heilige Geist, gelangen wir zu der paradoxen Aussage, dass sich der Vater gerade in seiner Unzugänglichkeit offenbart. Er ist, um mit K. Rahner zu sprechen, „die Selbstmitteilung, in der das Mitgeteilte das Souveräne, Nicht-Umfassbare bleibt, das auch als Empfangenes in seiner unverfügbaren, unumgreifbaren Ursprungslosigkeit verbleibt“.18 So legitim, ja notwendig die hier waltende Intention ist, das Moment des Transzendenten in das christliche Gottesverständnis einzubeziehen, so problematisch sind die Folgen, die sich damit verbinden. Die Problematik besteht darin, dass das Verhältnis, in dem sich die drei göttlichen Personen zur Offenbarung befinden, in unterschiedlicher Weise bestimmt werden muss. Während die Rede vom Sohn und vom Heiligen Geist nur vom Offenbarsein des einen Gottes her verständlich wird, kann der Vater der Offenbare nur um den Preis des Paradoxes sein. Er ist der Offenbare, indem er in seiner Unzugänglichkeit verbleibt. Die behauptete Wesensgleichheit der drei göttlichen Personen verwandelt sich so in ein nicht einsehbares Postulat. Der Vater als Anwalt der Transzendenz stellt sich den beiden anderen Personen gegenüber, und das zutage tretende Resultat ist eine Gefährdung der trinitarischen Einheit. Nimmt man die Verpflichtung ernst, die Transzendenz des Göttlichen zu wahren, dann muss man über die Vorstellung der Trinität hinausgehen. Sie bleibt erhalten als ein Modell christlichen Verstehens, das versucht, den offenbaren Gott zu beschreiben. Innerhalb dieses Modells sind nicht nur der Sohn und der Heilige Geist, sondern auch der Vater Ausdruck des offenbaren Gottes, der Vater, wie ihn Jesus in seiner Verkündigung den Menschen nahezubringen wusste. Aber diese Vorstellung des Vaters gibt nur einen Aspekt des Göttlichen wieder ; sie erfasst nicht das göttliche Geheimnis in seiner für uns unbegreiflichen Ganzheit. Dieses Geheimnis suchen wir jenseits der Dreiheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist, es ist das Eine als der Ursprung von allem, die Quelle aller für die monotheistischen Religionen grundlegenden Offenbarungen. Damit gehen wir hinter die als Selbstkonstitution begreifbare Bestimmung des offenbaren Gottes zurück. In diesem Zurückgehen rückt der andere Topos der Gotteslehre, den wir neben der Trinitätstheologie kennen in den Vordergrund, nämlich die Lehre von den Eigenschaften Gottes. Diese Lehre verbindet die monotheistischen Religionen untereinander, während das trinitarische Denken als eine Besonderheit des christlichen Glaubens gewertet werden muss. Man kann ihr nicht gerecht werden, wenn man die in den heiligen Schriften belegten Aussagen über Gott einfach nebeneinander stellt oder 18 K. Rahner, Der dreifaltige Gott als transzendenter Urgrund der Heilsgeschichte, in: Mysterium Salutis, Bd. II, Einsiedeln u. a. 1967, 318 – 397, hier 338.
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bestenfalls notdürftig gliedert. Man muss zur Eigenschaft vor allen anderen Eigenschaften zurückgehen, die deshalb keine Eigenschaft mehr ist, sondern das Transzendente in seinem Ursprung bezeichnet, aus dem alles hervorgeht: Gott ist Einer. Diese Einheit Gottes ist, ausgehend vom Schema Israel in Dt 6,4, das fundamentale Bekenntnis jedes monotheistischen Glaubens und damit die grundlegende Mitteilung jeglicher Offenbarung. Zugleich sehen wir in ihr den vorzüglichsten Versuch, die Transzendenz des Göttlichen in Worte zu fassen. Einheit, das ist die Seinsweise des Göttlichen vor jeder Selbstaussage, die ihrerseits Voraussetzung für die Mitteilung an die Menschen, für die Offenbarung ist. Einheit, das ist die Seinsweise des Göttlichen vor seiner Selbstdifferenzierung, vor jenem Selbstbewusstsein, das sich begreift, indem es sich unterscheidet. Wenn Gott sich als der Eine offenbart, dann fordert er uns dazu auf, in der Offenbarung hinter die Offenbarung zurückzugehen. Er fordert uns dazu auf, im Blick auf die Unergründlichkeit des Einen die Partikularität jeder Kundgabe wahrzunehmen. Nicht, dass man auf diese Kundgaben verzichten könnte: Sie sind die Weisen, in denen das Göttliche zu uns in eine Beziehung tritt. Aber sie müssen überschritten werden: Hin auf das Eine, das allen Kundgaben vorhergeht, hin auf die Möglichkeit anderer Mitteilungen des Göttlichen, die wir anerkennen können, auch wenn wir im Glauben erfahren, dass sie nicht für uns bestimmt sind. Wir sehen, dass der christliche Glaube in besonders radikaler Weise versucht, der Frage nachzugehen, was es heißt, den offenbaren Gott zu denken. Er gelangt so zur Konzeption einer Selbstkonstitution Gottes; nicht anders haben wir die Bemühungen um eine Trinitätslehre zu verstehen. Diese Bemühungen, so unerlässlich sie auch sein mögen, leisten eines nicht in ausreichendem Maße: Sie sichern nicht die Transzendenz des einen Gottes, der sich offenbart. Diese Forderung bleibt der christlichen Theologie aufgegeben: Wenn sie sich ihr nicht stellt, sie gar für unerheblich erklärt, sinkt sie herab auf das Niveau eines heidnischen Polytheismus. So wird das Postulat unabdingbar, dem offenbaren Gott den verborgenen gegenüberzustellen; nur in der Polarität dieser Beziehung bleibt der Monotheismus des christlichen Denkens gewahrt. 5.2 Die islamische Antwort Die Aufgabe, Transzendenz und Offenbarung miteinander zu verbinden, wird freilich nicht nur der christlichen Theologie gestellt; Judentum und Islam werden mit ihr in derselben Weise konfrontiert. Dabei bevorzugt der Islam eine andere Zugangsweise, um der Lösung dieses Problems näherzukommen. Er verwirft den Vorsatz, Offenbarung so radikal zu denken, dass sie in den Gedanken einer göttlichen Selbstkonstitution mündet. Dennoch ist auch ihm die Notwendigkeit bewusst, Gott in seiner Beziehung zu den Menschen im
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Besonderen und zu seiner Schöpfung im Allgemeinen zu begreifen. Gott wird also nicht nur als der Eine, in sich Unterschiedslose gedacht; der Islam verzichtet nicht darauf, auch das Besondere an ihm zu benennen, das seine Relation zur Welt begründet und ermöglicht. Wenn ich vom Islam rede, so meine ich damit nicht die Überlegungen islamischer Theologen, sondern den Koran selbst. Es gibt vor allem einen Begriff in dieser heiligen Schrift, der Gott in seiner Beziehung zur Welt artikuliert, den Terminus amr. Dabei geht es noch nicht um die Bedeutungsnuance dieses Wortes, die man mit „Befehl“ wiedergeben könnte; hier mag eine Folge göttlicher Weisungen gemeint sein, die in ihrer Punktualität nicht zu einer Aussage über das göttliche Wesen berechtigen. Es geht vielmehr um die göttliche Fügung, die generell zu Gott gehört und deshalb im Sinne einer Hypostase verstanden werden darf. Da sie in ständiger Wirksamkeit die Schöpfung zum Kosmos ordnet,19 versteht man die Übersetzung R. Parets, der amr mit dem griechischen Begriff logos wiedergibt.20 Mit diesem Terminus schafft der Koran die Möglichkeit, die Vermittlung Gottes zur Welt zu denken, und zwar nicht nur als eine Ansammlung unzähliger Akte, die auf das von ihm Geschaffene einwirken, sondern als einen Aspekt seines Soseins, der seinen Willen zur Schöpfung und zur Mitteilung an die Menschen in seinem Wesen verankert. Wenn man die Aussage in Sure 17,85 hinzuzieht, dass der Geist (ar-ru¯h) zur göttlichen Fügung des Herrn gehört, dann sehen wir, dass der Koran das begriffliche Instrumentarium bereitstellt, das in der christlichen Theologie zur Ausbildung der Trinitätstheologie führte. Man darf fragen, warum die islamische Theologie kein entsprechendes Modell geschaffen hat, das in der Lage wäre, die Vermittlung Gottes zur Welt in sein Wesen zu integrieren. Letztlich war es der Vorbehalt göttlicher Transzendenz, der die islamischen Denker daran hinderte, entsprechende Konzeptionen zu entwickeln. Zu lehren, wie amr, der Logos, aus Gott hervorgeht und in welcher Weise der Geist (ar-ru¯h) diesem Logos zugehört, und so letztlich doch einen Prozess göttlicher Selbstkonstitution anzuvisieren, erschiene als ein Akt spekulativer Vermessenheit, in dem der Mensch die ihm gegebenen Grenzen überschreitet. Es kommt hier vieles zusammen, was die unterschiedliche Charakteristik beider Religionen zum Vorschein bringt: Zunächst vor allem eine Zurückhaltung, Bestimmungen der Heiligen Schrift, also in diesem Fall des Korans, theologisch auf den Begriff zu bringen. Diese Aufhebung in den Begriff, also die Antwort auf die Frage, wie sich Gott, amr und ar-ru¯h zueinander verhalten, ist eine vollgültige Interpretation des heiligen Textes, und die Relevanz dieser Interpretation wird im Islam sehr viel geringer eingeschätzt als im Christentum. So sicher es auch ist, dass das Wort Gottes Gott, den Logos und den Geist 19 Nagel, Geschichte, 188. 20 Der Koran, übersetzt von R. Paret. Kommentar und Konkordanz, Stuttgart u. a. 1980, 25.
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aufeinander bezieht, wir müssen deshalb noch lange nicht verstehen, wie diese Beziehung gedacht werden kann.21 Ein Zweites ist genauso wichtig: Das christliche Reden zielt von vornherein auf eine prozessuale Dimension in Gott selbst. Die Menschwerdung Gottes behauptet ja ein Geschehen, das sich an Gott vollzieht, also nicht eine Wirksamkeit, die sich ausschließlich nach außen, auf die von ihm geschaffene Welt richtet. Von daher eröffnet sich die Möglichkeit, auch das Innere Gottes, seine Immanenz, nicht nur als ruhende Einheit zu begreifen, sondern als permanente Dynamik, die im Hervorgehen des Logos und des Geistes aus dem Vater ihren Ausdruck findet. Die Verkündigung Jesu als des Sohnes des einen Gottes eröffnet weitere Möglichkeiten, das Sein Gottes in sich als einen Prozess zu beschreiben, der Sohn und Geist aus dem Vater entstehen lässt. So kulminieren die Vorgaben des Neuen Testaments in einer im Lauf der Jahrhunderte ausformulierten Trinitätslehre, während die Vorgaben des Korans keine vergleichbare Entfaltung erfahren konnten. Das Problem, Offenbarung und Transzendenz miteinander zu vereinbaren, erweist sich dabei in beiden Religionen als eine schwierige, im Grunde unlösbare Aufgabe. Während die christliche Religion die begriffliche Bestimmung des offenbaren Gottes so weit vorantreibt, dass sie die Wahrung der Transzendenz nur mithilfe der Entsprechung eines verborgenen Gottes erreichen kann – es sei denn, sie begnüge sich mit der paradoxen Aussage, Gott offenbare sich als Geheimnis – lässt die islamische Theologie eine größere Vorsicht walten. Aber auch für diese Vorsicht entrichtet sie einen Preis: Es wird nicht klar, wie sich Gott und sein Offenbarsein zueinander verhalten. Zunächst muss man sagen, dass amr, der Logos, und der ihm zugehörige Geist auf der einen Seite und das Wort Gottes auf der anderen Seite unverbunden nebeneinander stehen. Nicht, dass es nicht einzelne islamische Theologen gegeben hätte, die versucht hätten, hier eine Verbindung herzustellen, besonders erwähnt sei der ins 8./9. Jahrhundert zu datierende Sufja¯n b. ‘Ujaina, der Offenbarung als Rede Gottes verstand und sie „mit der ununterbrochen von Gott ausstrahlenden Fügung (amr)“ gleichsetzte, „die am Ende der Zeiten in ihn zurückkehren werde“.22 Aber diese Auffassungen schufen nicht die Grundlage für eine Lehrbildung des islamischen Denkens, die in einer der christlichen Dogmenentwicklung vergleichbaren Weise die begriffliche Artikulation göttlicher Selbstmitteilung vollzogen hätte. Statt21 So ist es bezeichnend, dass nach der vom Koran gegebenen inhaltlichen Bestimmung der Mensch in seine Schranken verwiesen wird. „Man fragt dich nach dem Geist. Sag: Der Geist ist Logos von meinem Herrn. Aber ihr habt nur wenig Wissen erhalten. Wenn wir wollen, nehmen wir weg, was wir dir (als Offenbarung) eingegeben haben. Dann findest du für dich niemand, der in dieser Angelegenheit […] gegen mich Sachwalter wäre. (Es ist) nichts als Barmherzigkeit von deinem Herrn (wenn er dir Offenbarungen eingibt). Die Huld, die er dir (damit) erweist, ist groß.“ (S 17, 85 – 87, zitiert nach der Übersetzung Parets). 22 Nagel, Geschichte, 132.
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dessen dominierte, wie wir sahen, eine Ontologie, die nur „schaffendes“ und „geschaffenes“ Sein kannte; wenn sie als faszinierend empfunden wurde, dann sicher deshalb, weil sie die besten Möglichkeiten bot, die Transzendenz des ganz Anderen, des einen Gottes, vor allem anderen zu betonen.23 Aber auch wenn man von der ungeklärten Frage absieht, wie sich Gott, Logos und Geist zueinander verhalten und sich in ein islamischem Denken vertrauteres Terrain begibt, indem man das Verhältnis von Gott und Wort Gottes, also von Gott und Koran, erörtert, drängt sich der Eindruck in den Vordergrund, dass zahlreiche Fragen ohne Antwort bleiben. Die Ablehnung der von den Mu‘taziliten gegebenen Lösung, die vom Geschaffensein des Korans ausgeht, bedeutet zwar eine wichtige Klarstellung, sie ist aber weit davon entfernt, eine umfassende Erhellung der anstehenden Probleme zu bieten. Die Klarstellung besteht darin, dass Gottes Offenbarsein zu seinem Wesen gehört, dass es also gar nicht möglich ist, ihn zu denken, ohne seine Kundgabe für die Menschen einzubeziehen. Wie verhält sich aber Gottes Offenbarsein zu ihm selbst, wie lässt sich beides miteinander verbinden? Wir wissen, dass die islamische Rechtgläubigkeit nicht nur das Geschaffensein des göttlichen Wortes bestreitet, sondern auch den Gedanken an eine andere Weise des Hervorgehens untersagt, weil sich daraus eine göttliche Selbstkonstitution nach der Art der christlichen Trinitätslehre ergeben könnte. Da das Wort Gottes etwas Besonderes, zu Gott Gehörendes ist, ohne dass man über das Wie seines Entstehens spekulieren dürfte, muss es als göttliche Eigenschaft betrachtet werden. Die Lehre von den Eigenschaften Gottes bekommt also in der islamischen Theologie ein Gewicht, dem im christlichen Denken nichts Vergleichbares an die Seite gestellt werden kann. Die ganze Aufgabe, den offenbaren Gott in seiner Transzendenz oder, umgekehrt formuliert, den transzendenten Gott in seiner Offenbarung auszusagen, fällt ihr zu, weil andere Möglichkeiten, hier zu Feststellungen zu kommen, nicht wahrgenommen werden. Nun mag es ja auf den ersten Blick so scheinen, dass die Aufgabe, Transzendenz und Offenbarung miteinander zu verbinden, auf diesem Wege am besten bewältigt werden kann. Gottes Offenbarsein dokumentiert sich in seinem Wort, dem Koran, hier erblicken wir die vorzüglichste Eigenschaft, die Gott in seiner Zuwendung zu den Menschen kenntlich macht. Aber eben dieses Wort demonstriert auch die Unzugänglichkeit Gottes, weil es immer wieder seine Einzigkeit einschärft, also den Gedanken betont, dass er mit nichts anderem vergleichbar sei. Man mag hier einen koranischen Beleg für die eben erörterte christliche These sehen, dass sich Gott als Geheimnis offenbart. Und doch gehen die Auffassungen islamischer Rechtgläubigkeit in eine andere Richtung. Während im christlichen Denken das göttliche Geheimnis die Möglichkeiten der 23 Siehe dazu Anmerkung 8.
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Sprache nicht infrage stellt, sondern um eine zuvor verschlossene Dimension bereichert, waltet in der islamischen Orthodoxie eine Tendenz, das Reden von Gott restriktiven Regeln zu unterwerfen. Diese Tendenz lässt sich an vielen Äußerungen islamischer Rechtgläubigkeit ablesen – ich verweise nur auf einen kurzen Abriss der sunnitischen Glaubenslehren, der im 10. Jahrhundert verfasst wurde, wo es heißt: „Wisse, dass es in der Sunna keinerlei Analogieschlüsse geben kann. Auf sie treffen keine Gleichnisse zu, (um sie zu erkennen) folge man niemals eigenen Ansichten […]! Es geht allein um das Fürwahrhalten der Überlieferungen vom Gottesgesandten ohne Wie und ohne Erläuterung.“24 Es ist klar, dass das Verbot jedweder Analogie, sei sie nun als analogia entis oder als analogia fidei zu charakterisieren, das Reden von Gott nur mit strengsten Einschränkungen gelten lässt. Jede bildhafte oder anthropomorphe Aussage über Gott, die sich im Koran findet, soll nachgesprochen und geglaubt werden; der Gläubige kann sie aber nicht verstehen, und er soll sich um ein solches Verständnis auch gar nicht bemühen. In dieser Hinsicht ist das Wort Gottes ein Wort ohne Bedeutung, jedenfalls ohne eine Bedeutung, die vom Menschen nachvollzogen oder jemals eingesehen werden könnte. Gott kennt sich selbst, und er lässt die Menschen im Koran wissen, dass er sich selbst kennt, aber darf man sagen, dass er sie an diesem Wissen teilhaben lässt? Das Verhältnis von Offenbarung und Transzendenz wird im Christentum anders bestimmt als im Islam: Während im Christentum das Interesse an der göttlichen Selbstmitteilung die Definition des göttlichen Wesens beherrscht, so dass, wie schon gesagt, der Offenbarung ein Moment zugeordnet werden muss, das die Transzendenz zum Ausdruck bringt, erfährt im Islam der Inhalt der Offenbarung zugunsten einer Betonung seines Andersseins eine strenge Begrenzung. Bei dieser Begrenzung verfährt der islamische Glaube mit einer solchen Konsequenz, dass man sich zu der Frage veranlasst sieht, was denn eigentlich von Gott den Menschen mitgeteilt werde, wenn der Islam – wie Judentum und Christentum auch – eine Offenbarungsreligion sein soll. Es ist klar, dass die strenge Begrenzung, von der ich sprach, nicht in die prinzipielle Verweigerung einer göttlichen Mitteilung münden darf. Dann wäre eine Beziehung des Menschen zu Gott nicht mehr möglich, und alles, was wir mit dem Begriff Religion bezeichnen, wäre dahin. Gott verbindet sich mit den Menschen, indem er mitteilt, was er von ihnen will. Diese Konzentration auf den göttlichen Willen scheint mir ein Charakteristikum der islamischen Religion zu sein. Mag vieles in der Beschreibung des göttlichen Wesens unter dem Vorbehalt unerreichbarer Transzendenz stehen, mag der wahre, eigentliche Name Allahs unbekannt sein, seine Forderungen an die Menschen sind im Koran und in der Tradition klar festgehalten, auch wenn sie natürlich im jeweiligen kulturellen Umfeld und in der jeweiligen Zeit immer neu ausgelegt werden müssen. Die Betonung des gött24 Nagel, Geschichte, 226.
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lichen Willens ermöglicht eine vorzügliche Verbindung von Transzendenz und Offenbarung. Die eine wird gewahrt, weil Gott in seinem Wesen letztlich unerforschlich bleibt, die andere wahrgenommen, weil er sich nicht in seiner Unkenntlichkeit verschließt, sondern eine Beziehung zu den Menschen herstellt. Eben diese Verbindung begründet die Erkenntnis, dass wir einen und denselben Gott meinen, wenn wir von Gott oder Allah sprechen. Die Offenbarung Allahs ist nicht die Kundgabe eines Numens, das sich in der Vielfalt religiöser Erfahrungen verlieren könnte, sondern ein nach außen gerichtetes Handeln des einen Gottes, der sich bereits in der Geschichte Israels und in Jesus Christus mitgeteilt hat. Trotzdem meine ich, dass gerade die islamische Verbindung von Transzendenz und Offenbarung zeigt, dass der Weg des christlichen Verständnisses ein anderer sein muss. Wir erkennen hier ein Ungenügen am göttlichen Willen, das Judentum und Islam fremd ist.25 Nicht, dass die göttlichen Gebote als quantit ngligeable zu betrachten wären, sie werden sogar in der Bergpredigt in einer Zuspitzung und Radikalität vorgetragen wie nirgends sonst. Aber der christliche Glaube sucht und findet einen Gott, der sich in seinen Geboten selbst beglaubigt und eben nicht nur eine nicht zu hinterfragende Autorität, die vom Menschen, der ihr das Leben verdankt, verlangen darf, was er zu tun hat. Das Ungenügen am göttlichen Willen wird nur gestillt in einer Beschreibung des göttlichen Wesens, in jener von der Offenbarung herkommenden Bestimmung göttlichen Selbstseins, der wir uns bereits zugewandt haben. So treten Offenbarung und Transzendenz als zwei Pole auf, die nur in ihrer wechselseitigen Ergänzung das Geheimnis des göttlichen Wesens erschließen können. Freilich: Die Konzentration auf die göttliche Willensoffenbarung hat auch im Islam keine Abstraktion vom göttlichen Wesen zur Folge. Würde man an diesem Punkt radikal denken, stände Allah für ein anonymes X, das Weisungen erteilt, ohne in irgendeiner Weise befragt werden zu können. Diese absurde Konsequenz wird von keiner theologischen Schule vertreten. Auch die Mu‘taziliten, die bei der Explikation der göttlichen Eigenschaften die größte Zurückhaltung walten lassen, sind weit davon entfernt, derartige Folgerungen zu ziehen. Gerade weil sie den göttlichen Willen und das ihm entsprechende Handeln in den Vordergrund rücken, sehen sie sich zu Aussagen veranlasst, die über die Relation von Befehl und Gehorsam hinausgehen. Der Mensch muss imstande sein, das von Gott Verlangte zu vollbringen, ihm muss also in diesem Sinn eine Freiheit des Willens zugebilligt werden. 25 Hier mag man den richtigen Kern einer Betrachtungsweise sehen, die diese beiden Religionen als Gesetzesreligionen begreift. Allerdings muss man sich, wie ich meine, von dieser Terminologie verabschieden. (Vgl. dazu meinen Beitrag Der Prophet Muhammad in christlich-theologischer Perspektive, in: Lernprozess Christen Muslime, hg. v. A. Renz/S. Leimgruber, Münster u. a. 2002, 203 – 213, hier 211.) Gleichwohl geht der christliche Glaube entschiedener über die Betonung des göttlichen Willens hinaus, als es dem Judentum oder dem Islam möglich wäre.
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Aber auch im Blick auf Gott ergeben sich zwingend inhaltliche Aussagen: Er verlangt das Gute und verbietet das Böse, entsprechend antwortet er auf das freie Tun des Menschen mit der ihm innewohnenden Eigenschaft der Gerechtigkeit. Eben diese Gerechtigkeit stellen die Mu‘taziliten in den Mittelpunkt ihrer theologischen Aussagen – trotz ihrer immer wieder bewiesenen Ehrfurcht vor der göttlichen Transzendenz. Ein weiteres kommt hinzu: Die göttlichen Eigenschaften können dazu dienen, das prinzipielle Anderssein Gottes (Sure 42,11; Sure 112,4) in Worte zu fassen, und gerade darin haben sie ihre Berechtigung. So entfaltet sich die in ihrem Kontext fest verwurzelte negative Theologie, die bemüht ist, das ganz Andere als ganz Anderes zur Sprache zu bringen.26 Allerdings haben auch diese Annäherungen an eine Entfaltung der Lehre von den göttlichen Eigenschaften dem islamischen Denken nicht genügt. Wenn wirklich von einer Offenbarung Gottes die Rede sein soll, dann darf man sich nicht auf die negative Theologie beschränken. Gott hat sich selber mit Eigenschaften bezeichnet, also sind wir nicht berechtigt, diese zu verwerfen, auch wenn sie den Horizont unserer Erfahrung entschieden überschreiten.27 Wenn dem Wort Gottes eine Realität zukommt, so meint al-Asˇ‘arı¯, dann kommt sie auch allen übrigen Eigenschaften zu, von denen in der Offenbarung die Rede ist.28 Wir haben es mit realen Attributen zu tun, deren eigentliche Natur dem Menschen unbekannt bleibt“.29 Wir sehen, dass der Konflikt zwischen Offenbarung und Transzendenz, dem sich alle monotheistischen Religionen zu stellen haben, hier eine unverwechselbare islamische Ausprägung findet. Blicken wir auf die theologischen Schulen, so ist das Resultat ambivalent: Die Asˇ‘ariten räumen der Offenbarung ein größeres Gewicht ein, weil sie im Koran nicht nur eine Willensoffenbarung, sondern auch eine Selbstbeschreibung Gottes erblicken. Wenn die in der heiligen Schrift genannten Eigenschaften Gottes wirkliche Eigenschaften mit distinkter Realität sind, dann erblicken wir im Koran nicht nur eine Kundgabe des göttlichen Willens, wir dürfen vielmehr von einer Wesensoffenbarung reden. Und doch wird diese Aussage falsch, wenn wir sie 26 In seinem Buch Der Koran sieht T. Nagel ein Kennzeichen des Denkens der Mu‘taziliten in der Verbindung von negativer Theologie und der Betonung der göttlichen Gerechtigkeit; in: ders., Der Koran. Einführung, Texte, Erläuterungen, München 1983, 225. 27 Mit der Auffassung, die im Koran genannten göttlichen Eigenschaften seien Selbstbeschreibung Gottes, sprechen wir die gemeinsame Überzeugung aller al-Asˇ‘arı¯ nahestehenden Theologen ˘ uwainı¯, der sich darum bemüht hat, diese Eiaus. In diesem Umkreis war es besonders al-G genschaften als Resultat eines Prozesses verständlich zu machen, der über die menschliche Erfahrung hinausgeht. Vgl. hierzu T. Nagel, Die Festung des Glaubens, München 1988,136). 28 Vgl. Nagel, Geschichte, 149. 29 Ebd. 150. Das gilt, obwohl man nach al-Asˇ‘arı¯ von einer Analogie zwischen Gott und Welt auszugehen hat (vgl. ebd. 149). Dass al-Asˇ‘arı¯ weder die in seiner Sicht von den Mu‘taziliten vorgenommene Entleerung des Gottesbildes billigte noch der völligen Verähnlichung Gottes mit seiner Schöpfung, „die in manchen Kreisen des Sunnitentums gepflegt wurde“ (ebd.), seine Zustimmung gab, macht den Reiz, aber auch die Problematik seiner Position aus.
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nicht mit bedeutsamen Einschränkungen versehen. Denn diese Wesensoffenbarung ist für den Menschen nicht verstehbar. Was die Eigenschaften, die Gott für sich selber nennt, als solche bedeuten, wissen wir nicht. Wir vernehmen Wörter, die wir aus unserer irdischen Sprache kennen und mit einer bestimmten Bedeutung gebrauchen. Wegen des prinzipiellen Andersseins Gottes verlieren sie aber, in Beziehung auf Gott gesprochen, diese Bedeutung und nehmen eine andere, uns unbekannte an. Letztlich kann also der Schritt von der Willensoffenbarung zur Wesensoffenbarung nicht vollzogen werden; der Abstand, der Gott und die Menschen voneinander trennt, ist viel zu groß. Auf der anderen Seite stehen die Mu‘taziliten: Indem sie den Koran für die Möglichkeiten menschlicher Interpretation offen halten, verstehen sie es, das Dokument der Offenbarung den Menschen näher zu bringen, den Radius der göttlichen Kundgabe sozusagen zu erweitern. Da sie aber zugleich den Wert dieser heiligen Schrift herabstufen, indem sie sie als eine von Gott geschaffene Wesenheit begreifen, behält auch bei ihnen letztlich die göttliche Transzendenz die Oberhand. Weder im Koran noch irgendwo sonst beschreibt Gott sich selbst; sein Wesen wird für uns immer unzugänglich sein. So enthüllt sich für uns der Unterschied der beiden monotheistischen Universalreligionen: Während das Christentum im Interesse der Offenbarung zu einer Selbstkonstitution Gottes fortschreitet, versucht der Islam von vornherein, das Gleichgewicht von Transzendenz und Offenbarung zu wahren. Wenn die Christen auf die an Muhammad ergangene Offenbarung blicken, dann werden sie zum Ursprung dieser Selbstkonstitution zurückgeführt. Obwohl der Islam, zeitlich gesehen, die jüngste der monotheistischen Offenbarungsreligionen verkörpert, ist er die Religion des Ursprungs, als die er sich ja auch versteht. Indem er diesen Ursprung in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen rückt, erinnert er die Christen an das prae göttlicher Selbstkonstitution, ein Vorher, das natürlich nicht zeitlich, sondern logisch verstanden werden muss. Diese Erinnerung entwertet nicht die spezifische Gestaltung des christlichen Gottesverständnisses. Sie macht aber darauf aufmerksam, dass die Sichtweise anderer monotheistischer Religionen keine Verirrung, sondern eine notwendige Ergänzung darstellt.
6. Universalität und Erwählung Es mag überraschen, dass ich die Rückkehr zum Ursprung mit dem Islam verbinde und nicht mit der jüdischen Religion, von der alle monotheistischen Glaubensweisen ausgegangen sind. Der Islam zeigt das Resultat eines Erkenntnisprozesses, der Gott als den Einen begreift, der nichts Vergleichbares neben sich hat. Ich bin am Ende dieses Prozesses angekommen und mir zugleich bewusst, dass der eine Gott, von dem ich rede, vor allem Anfang der
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Eine, Ewige ist. Ich nehme das Resultat an und abstrahiere von der Geschichte, die zu diesem Resultat geführt hat. Während der Islam diese Abstraktion ermöglicht, verweigert sie die jüdische Religion. Man kann deren Eigenheit nicht erfassen ohne eine Betrachtung der Geschichte Israels, und diese Geschichte ist die Geschichte jenes Erkenntnisprozesses, der zum Bekenntnis des einen Gottes führte, der keine anderen Götter neben sich hat. Blicken wir auf die Anfänge dieser Geschichte, dann sehen wir, wie gesagt, noch nicht den einen Gott, sondern eine Vielfalt verschiedener Ausprägungen von Offenbarung, die erst in einem langwierigen, hier nicht weiter zu verfolgenden Prozess, zu einem monotheistischen Gottesverständnis geführt haben. Erst in einer Jahrhunderte währenden Entwicklung wurde aus dem „Gott der Väter“, dem Schöpfungsgott „El“, dem Stammesgott „Jahwe“ der eine einzige Gott, der auch als Subjekt christlicher und islamischer Offenbarungen namhaft gemacht werden darf. Es ist lehrreich zu verfolgen, wie sich in dieser Geschichte Offenbarung und Transzendenz zueinander verhalten. Generell kann man sagen, dass sich die Offenbarung in den Dienst der jeweils größeren Transzendenz des verkündigten Gottes stellt, bis sie schließlich in der Botschaft der Propheten jene Ausprägung des Monotheismus erreicht, die nicht nur für Juden, sondern auch für Christen und Muslime verpflichtend ist. Jahwe wird nicht mehr wie noch in den Anfängen im Gegenüber zu den anderen Göttern begriffen, er ist auch nicht mehr der diesen Göttern schlechthin Überlegene, sondern der Einzige, dem allein das Prädikat ,Gott‘ zuerkannt werden kann. Diese Einzigkeit ist aber der größtmögliche Gewinn an Transzendenz, der sich denken lässt. So hat in der Geschichte Israels gerade die Fülle der Offenbarungen die Basis für ein Gottesverständnis geschaffen, das nicht nur auf den Rahmen der jüdischen Religion begrenzt blieb, sondern sowohl für das Christentum wie für den Islam als Grundlage dienen konnte. Steht die Offenbarung in der Geschichte Israels im Dienste einer von Mal zu Mal tiefer erfassten göttlichen Transzendenz, so treten am Ende dieses Prozesses beide in einen Widerspruch zueinander. Während die begriffliche Erfassung des einen Gottes, dem nichts gleichkommt, eine prinzipielle Gleichheit in der Relation Gottes zu den Menschen nach sich ziehen müsste, darf das Festhalten Israels an der Aussage der göttlichen Erwählung als Verweigerung gegenüber dieser Konsequenz verstanden werden. Sowohl Christentum wie Islam haben diese Konsequenz zu einem wichtigen Moment ihres Selbstverständnisses erhoben, und in beiden Religionen fehlt es nicht an kritischen Äußerungen zum jüdischen Partikularismus. Zwar lässt sich schwerlich bestreiten, dass das in der Geschichte Israels gewonnene Gottesverständnis die Begründung von Universalreligionen verlangt; andererseits muss jeder monotheistischen Religion zugebilligt werden, in der Offenbarung eine Entsprechung zur radikal erfassten göttlichen Transzendenz zu suchen und zu finden, eine Entsprechung, die die Verflüchtigung des transzendenten Gottes in ein unerreichbares, geheimnisvolles Numen ver-
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Universalität und Erwählung
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hindert und den Bezug Gottes zu den Menschen herstellt, der Religion, Kult und Glaube entstehen lässt. Man muss fragen, ob nicht das Bewusstsein der Erwählung für jüdisches Empfinden eben dieses Äquivalent darstellt, so dass die Aufforderung, dieses Bewusstsein aufzugeben, nur auf eine äußerliche Kritik hinausliefe, die sich weigert, andere Religionen von ihren immanenten Notwendigkeiten her zu betrachten. Auch wenn die Erwählung Israels nicht ausdrücklich bei den Glaubensaussagen vermerkt wird, die den Kernbestand jüdischen Glaubens bezeichnen, so finden sich doch etwa bei Maimonides andere Formulierungen, die der sogenannten jüdischen Partikularität gerecht zu werden versuchen.30 Gott hat die Tora dem Volk Israel und eben nicht anderen Völkern gegeben, sie sind verpflichtet, diese Gebote zu halten, und zeichnen sich gerade dadurch vor der Welt aus. Das jüdische Erwählungsbewusstsein nimmt also eine Funktion wahr, die jede Offenbarung eines monotheistischen Gottes wahrnehmen muss, es stellt die Konkretion her, die verhindert, dass der eine Gott, der verehrt werden soll, sich in den unerreichbaren Bezirken der Transzendenz verflüchtigt. Trotzdem waren die Universalreligionen Christentum und Islam im Recht, wenn sie zu der Vorstellung eines Gottes weitergegangen sind, der sich gleichermaßen an alle Menschen wendet. Sie haben damit nur eine Konsequenz gezogen, die sich aus der Entwicklung des israelitischen Gottesverständnisses ergibt. Es ist wichtig, einen Sinn im Weitergehen der Offenbarungen Gottes zu sehen; nur so ist eine prinzipielle Anerkennung anderer monotheistischer Glaubensformen möglich. Dabei verliert das Frühere nicht seine Gültigkeit: Weder die Geschichte Israels, in der sich die Erkenntnis des einen Gottes herauskristallisierte, die Christentum und Islam zur Grundlage ihrer eigenen Bestimmungen gemacht haben, noch – im Blick auf den zeitlich späteren Islam – die christliche Religion, in der Gott sein Eingehen auf die Geschichte eines auserwählten Volks mit einer Geschichte beantwortet, die er an sich selbst vollzieht. Sowohl Christentum wie Islam haben im Grunde eingestanden, dass das Vergangene zwar vergangen, aber nicht überholt ist: Das Christentum, indem es die hebräische Bibel als eigene heilige Schrift übernahm und der Islam, indem er im Koran vielfältige Bezüge auf die heilsgeschichtliche Tradition von Juden wie von Christen erkennen lässt. Allerdings haben sie im Allgemeinen diese Bezüge monopolistisch verwaltet, indem sie die hebräische Bibel als Altes Testament nur innerhalb ihres eigenen Kontextes gelten ließen bzw. den Koran zur einzig legitimen Interpretationsinstanz erhoben. Dennoch finden sich in den kanonischen Schriften zahlreiche Hinweise, die verdeutlichen, dass das Vergangene nicht als Vergangenes abgetan werden muss, sondern in seiner Bedeutung für die Gegenwart uneingeschränkte Gültigkeit besitzt. 30 Die dreizehn Glaubensartikel des Maimonides belegen das in eindrucksvoller Weise.
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So hält Paulus im Römerbrief 9 – 11 an Israel als dem Volk Gottes fest, obwohl die Offenbarungsgeschichte inzwischen weitergegangen ist, und der Koran billigt Juden wie Christen als den „Leuten der Schrift“ einen besonderen Rang zu, weil sie sich in einer Beziehung zu dem Gott befinden, den die Muslime selbst als den Einen verehren. Wir sehen, dass gerade unter den Bedingungen des Monotheismus eine unaufhebbare Spannung zwischen Transzendenz und Offenbarung besteht. Diese Spannung äußert sich für die jüdische Religiosität in dem Kontrast, der sich zwischen der Partikularität des jüdischen Erwählungsbewusstseins und der Allgemeinheit des verehrten Gottes auftut, der als Schöpfer des Himmels und der Erde in seiner Relation zur gesamten Menschheit verstanden werden muss. Zwar hat das Christentum in seiner Universalität diese Spannung aufgehoben; sie kehrt aber an anderer Stelle wieder : Die Hervorhebung eines einzelnen Menschen, der in seiner Verbundenheit mit Gott vor allen anderen ausgezeichnet wird, so dass er in einmaliger Weise als Offenbarung dieses Gottes behauptet werden muss, diese Hervorhebung bringt eine Besonderheit zur Geltung, die dem jüdischen Erwählungsbewusstsein korrespondiert. Wenn der eine Gott sich kundtun will, dann muss er das Besondere suchen, und dieses Besondere findet er für die christliche Perspektive in dem einen Menschen Jesus von Nazareth. Blickt man bei dieser Gegenüberstellung auf den Islam, so könnte man in ihm die einzige Religion sehen, die versucht, den Gegensatz von göttlicher Universalität und offenbarungsspezifischer Konkretion auszugleichen. Natürlich ist das heilige Buch, der Koran, als heilige Schrift ausgegrenzt von allen anderen Büchern, seien sie weltlichen oder geistlichen Inhalts, weil in ihm festgehalten wird, was Gott selber gesprochen hat. Insofern steht dieses Buch für das Besondere, das wir mit dem Geschehen der Offenbarung verbinden. Auf der andere Seite hat dieses Besondere in sich eine Tendenz zur Abstraktion, die weder dem Bewusstsein eines erwählten Volks noch der Vorstellung eines in exemplarischer Weise mit Gott verbundenen Menschen eigen sein kann. Es geht ja nicht um das konkrete Buch als einzelnen Gegenstand neben vielen anderen, sondern um die in ihm enthaltene heilige Schrift, die im strengen Sinne als Offenbarung klassifiziert werden muss. Die Schrift ist schon in sich selber Abstraktion, weil sie zeichenhaft etwas anderes vertritt, wie immer dieses andere auch bestimmt werden mag. Im Koran wird die Abstraktion, die der Schrift als solcher zukommt, noch gesteigert, weil die Vorstellungen, die mit den Wörtern der Schrift bezeichnet werden, das menschliche Fassungsvermögen übersteigen, zuweilen völlig unerreichbar für es sind, so dass die Überführung in die Konkretion einer bestimmten Bedeutung nicht immer möglich ist. Damit vermeidet der Islam nicht die Konkretion, die jeder Offenbarung zukommt, er nimmt sie aber im Moment des Enthüllens sogleich wieder in die göttliche Transzendenz zurück. Es scheint, als wolle er eine Brücke schlagen
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Die Uneinholbarkeit des Transzendenten
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von der unbestreitbaren Diesseitigkeit göttlicher Präsenz zu der unerreichbaren Jenseitigkeit göttlichen Soseins, das im Koran die Zeichen einer Schrift hinterlässt, die wir sprechen, hören, aber nicht hinreichend verstehen können.
7. Die Uneinholbarkeit des Transzendenten Die Transzendenz des monotheistischen Gottes bleibt das Unbewältigte und nicht zu Bewältigende, dem sich alle diesem Glauben folgenden Religionen gegenübersehen. Sie überantwortet das auserwählte Volk dem Rätsel der Geschichte, indem sie es in eine Jahrtausende währende Zerstreuung führt und im Leiden der Verfolgung und Vernichtung seine Identität gewinnen lässt. Aber auch die christliche Religion, die, so mag es scheinen, in der Radikalisierung des Offenbarungsgeschehens die stärkste Gegenbewegung zur Erfahrung göttlichen Andersseins auslöst, sieht sich dieser Transzendenz gegenüber. Wenn die Offenbarung in einem Menschen, der auf dieser Erde lebt, Gestalt annimmt, dann bedeutet der Tod dieses Menschen, das bleibende Entzogensein menschlicher Verfügbarkeit, ein erneutes Vordringen der transzendenten Wirklichkeit, die sich zurückzog, aber nicht verloren ging. Zwar lässt sich ein großer Teil der christlichen Lehrbildung auf die Intention zurückführen, diesem Vordringen Grenzen zu setzen, indem die bleibende Präsenz des Offenbarers festgehalten wird, dennoch spüren wir im Christentum gerade da, wo es nicht zu selbstgefälliger Routine erstarrt, den Schmerz des Abschieds, dem die Hoffnung auf das Wiederkommen des Erlösers korrespondiert. Schließlich, am offensichtlichsten vielleicht, der Islam, wo die göttliche Transzendenz der göttlichen Offenbarung Grenzen setzt, weil Gott als der ganz Andere mit den Menschen nicht vergleichbar ist und sich mit ihnen auch nicht vergleichbar macht. Die Offenbarung findet ihre Schrift, aber sie zögert, diese Schrift als Sprache lebendig werden zu lassen. Dieses Zögern ist keine Verweigerung, denn der Gläubige erfährt von Gott, was er zu seinem Heil erfahren muss. Aber ein Vertiefen in die göttlichen Geheimnisse steht unter dem Vorbehalt der Transzendenz; die Sprache Gottes dient nicht einfach der Kommunikation, sie ist die Selbsterschließung Gottes, an der der Mensch Anteil hat, die von ihm aber nicht in vollem Umfang nachvollzogen werden kann.
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8. Offenbarung als Selbsterschließung Damit kommen wir auf frühere Überlegungen zurück. Ich sagte, die Selbsterschließung Gottes sei die Voraussetzung für eine Mitteilung, die den Weg vom Transzendenten zu den Menschen findet. Auch im Islam darf man von einer solchen Selbsterschließung reden. Indem Gott im Koran sich selbst beschreibt, ist er in Ewigkeit sich selbst gegenwärtig. Wer sich selbst zu beschreiben vermag, ist aus der Einfachheit herausgetreten, er steht in einem Selbstverhältnis, das bei Gott nur völlige Klarheit der Erkenntnis bedeuten kann. Die Behauptung göttlicher Selbsterschließung impliziert noch keine Differenz von Christentum und Islam. Wohl aber die Art und Weise, wie beide Religionen mit dieser gemeinsam vorausgesetzten Selbsterschließung umgehen. Die christliche Theologie hat einen zentralen Begriff der antiken Philosophie, den Logos, mit ihr verbunden und so zum Ausdruck gebracht, dass göttliche Selbsterschließung und göttliche Zuwendung zur Welt zusammenfallen. Die islamische Theologie hat entsprechende mit dem Begriff amr gegebene Möglichkeiten nicht genutzt, vielleicht auch nicht nutzen wollen. Indem für sie die göttliche Selbsterschließung im Koran gegenständlich wird, ist natürlich auch der Bezug zur Schöpfung im Allgemeinen und zur Menschheit im Besonderen mitgedacht, und doch bleibt jener Rest göttlicher, vom Menschen nicht einsehbarer Selbstbeschreibung, jener Bezirk göttlichen Fürsichseins, der vom Weltbezug des Transzendenten nicht tangiert wird. Auf der anderen Seite begnügt sich das christliche Denken nicht damit, den Logos-Begriff in die Bestimmung des göttlichen Wesens zu integrieren. Indem es die Mensch-, ja Fleischwerdung des Logos behauptet, radikalisiert es den Offenbarungsgedanken in einer Weise, die dem Islam fremd bleiben muss. 8.1 Verborgenheit und Offenbarsein Gottes im jüdischen Denken Eben diese Radikalisierung bleibt das Spezifische des christlichen Glaubens. So sehr er sie mit der gebotenen Konsequenz zu vollziehen hat, so wenig darf er, wie wir sahen, den in der göttlichen Transzendenz beschlossenen Ursprung hinter sich lassen; die beiden anderen monotheistischen Religionen können als Mahnung verstanden werden, hier nicht in einer Form christlicher Selbstvergessenheit die gemeinsamen Wurzeln aus den Augen zu verlieren. In ihrem unablässigen Bestreben, die göttliche Transzendenz zu wahren, finden wir viele Gemeinsamkeiten, und die Tatsache, dass die verschiedenen Religionen entstammenden theologischen Schulen sich wechselseitig beeinflusst haben, braucht niemanden zu verwundern. Das Modell der Mu‘taziliten, alles von Gott Ausgehende als Geschaffenes zu qualifizieren und eben so von Gott zu distanzieren, findet seinen Widerhall in der jüdischen Theologie des
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Mittelalters, etwa bei Saadja Gaon, der den Gott zugehörigen Lichtglanz, den Kabod, der Schöpfung zurechnet und ihn gerade so von Gott in seinem unergründlichen, verborgenen Selbstsein trennt.31 Diese Trennung wird von Saadja Gaon so kompromisslos vollzogen, dass seiner Meinung nach die Propheten in ihren Gottesvisionen (Jes 6,1 – 3; Hes 1 – 3) nicht Gott selbst, sondern nur den erschaffenen Lichtglanz, eben den Kabod, geschaut haben.32 Man kann streng genommen nicht den verborgenen und den offenbaren Gott als die beiden gleich gewichtigen Pole seines für uns im Ganzen unerforschlichen Wesens bezeichnen. Der verborgene Gott ist Gott selbst; er offenbart sich nicht und spricht nicht, sondern „verharrt im Schweigen und trägt das All“, wie der dem aschkenasischen Chassidismus zuzurechnende Eleasar aus Worms formuliert,33 eine Richtung der jüdischen Mystik, die von Saadja Gaon beeinflusst wurde.34 Was wir wahrnehmen können, ist das Gott gegenüber Andere, das er freilich geschaffen hat, um darin offenbar sein zu können, eben den Kabod, der mit der Schechina und dem Heiligen Geist identifiziert zu werden vermag.35 Man könnte den Eindruck gewinnen, diese Richtung jüdischen Denkens betone die göttliche Transzendenz mit nicht zu überbietender Schärfe, indem sie Gott selbst nicht mehr Subjekt der Offenbarung sein lässt, sondern diese Offenbarung in einem anderen sucht, das freilich auf Gott als den eigentlichen Urheber zurückgeführt werden muss. So wundert es nicht, dass für Saadja Gaon auch die göttlichen Eigenschaften weit entfernt davon sind, als Selbstbeschreibung Gottes gelten zu können; er folgt auch hier den Vorgaben der Mu‘taziliten, indem er eine reale Verschiedenheit dieser Eigenschaften bestreitet und die Vielfalt der biblischen Anthropomorphismen allegorisch interpretiert.36 Doch auch damit ist der Transzendenzerfahrung im jüdischen Denken noch nicht Genüge getan: Maimonides scheint die Auffassungen der Mu‘taziliten im Besonderen und der sich rationaler Argumente bedienenden islamischen Theologie im Allgemeinen, also des kala¯m, überbieten zu wollen, indem er ihnen eine unstatthafte Verähnlichung mit Gott vorwirft.37 Wenn die 31 G. Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Frankfurt 61996, 121. 32 Maier, Geschichte, 256 f. Diese Differenzierung diente natürlich dazu, die in den prophetischen Visionen zum Ausdruck kommenden Anthropomorphismen von Gott zu distanzieren, sie eben nur einer von ihm geschaffenen Erscheinungsweise zuzuschreiben. Damit antwortet Saadja auf die karäische, aber auch auf die islamische Polemik (ebd.). Wieder ein Beispiel für den Wettstreit der Religionen um jeweils tiefere Erfassung göttlicher Transzendenz! 33 Scholem, Mystik, 120. 34 Maier, Geschichte, 254. 35 Scholem, Mystik, 120. 36 D. Kaufmann: Geschichte der Attributenlehre in der jüdischen Religionsphilosophie des Mittelalters, Hildesheim u. a. 1982, Nachdruck der Ausgabe von 1877, 30, 33, 59. Kaufmann behandelt dort die vielfältigen Bezüge zur Attributenlehre der Mu‘tazila. 37 Vgl. ebd. 418 – 420. Das Resultat der von Maimonides vorgetragenen scharfsinnigen Kritik besteht darin, dass es zwischen den Attributen Gottes und den gleichen Bezeichnungen bei den Menschen „hinsichtlich der Bedeutung schlechterdings nichts Gemeinsames, sondern bloße
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Schrift den Eindruck erweckt, verschiedene Eigenschaften Gottes zu nennen, dann muss man sich darüber im Klaren sein, dass sie sich der Sprechweise der Menschen bedient.38 So ist es für Maimonides wie für die Mu‘taziliten geboten, Aussagen der Schrift im Blick auf die unbeschädigte Transzendenz Gottes zu interpretieren, während die Asˇ‘ariten im Interesse der Integrität des göttlichen Wortes eine derartige Deutung verwerfen und die Einzigartigkeit Gottes in anderer Weise in den Vordergrund rücken. 8.2 Die christliche Perspektive und die Antwort der Kabbala Es ist klar, dass sich die christliche Theologie, so sehr sie die Mahnungen der anderen monotheistischen Religionen beachten sollte, an diesem Wettlauf um die jeweils größere Transzendenz nicht beteiligen kann. Vielleicht ist sie aber in besonderer Weise dazu berufen, die Problematik zu erkennen, die sich mit diesen Bemühungen verbindet, ja notwendigerweise verbinden muss. Die Grenze ist da erreicht, wo man nicht mehr sagen kann, dass der eine Gott sich offenbart, sondern dieses Offenbarsein einem anderen, von ihm qualitativ Verschiedenen zuschreibt. Hier wird das Gleichgewicht von Offenbarung und Transzendenz empfindlich gestört, und es ist sehr wohl verständlich, dass die jüdische Theologie andere Lösungen ersann, die die hier angezeigte Problematik mildern. Schon dadurch, dass der Aspekt des göttlichen Offenbarseins nicht mehr als bloß Geschaffenes degradiert wird, sondern in einem anderen Verhältnis zum göttlichen Selbstsein erscheint, wird der unheilvolle Riss, der Gott und seine Offenbarung voneinander trennt, ein wenig geschlossen. Bezeichnenderweise hat sich der deutsche Chassidismus den besonderen Nachdruck, mit dem Saadja Gaon das Geschaffensein des Kabod akzentuierte, nicht zu eigen gemacht.39 Freilich ist damit noch nicht die Frage beantwortet, wie das Verhältnis von Gott und seinem Offenbarsein zu denken sei, wenn dieses nicht einfach als Geschaffenes deklariert werden kann. Die große Leistung der Kabbala besteht darin, hier neue Wege gewiesen zu haben. Indem sie unter Aufnahme neuplatonischer Vorstellungen die Erscheinungsweisen Gottes, seine Zugänglichkeit für die Menschen, als Emanationen zu verstehen lehrte, erreichte sie zwei wichtige Ziele: Zum einen werden alle Aspekte der Offenbarung enger mit dem Wesen Gottes verknüpft, als die Aussage des bloßen Geschaffenseins es zuwege bringen könnte. Aber diese Verknüpfung vollzieht sich nicht auf Namensgleichheit, Homonymie“ gibt (ebd. 421). M.E. wird mit dieser Aussage der notwendige Ausgleich zwischen den Erfordernissen der Transzendenz und den Erfordernissen der Offenbarung verfehlt, und zwar nicht nur unter der Perspektive christlicher Theologie, sondern auch im Zusammenhang des jüdischen Offenbarungsglaubens. 38 Ebd. 394. 39 Scholem weist darauf hin, dass für die Chassidim zwischen „erschaffener und emanierter Glorie kein Unterschied“ besteht, „was für Saadja keineswegs gilt“; Scholem, Mystik, 121.
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Kosten der göttlichen Transzendenz. Die Kabbala wagt es, hinter alle göttlichen Erscheinungsweisen zurückzugehen und den einen, hinter allem verborgenen Gott in Worte zu fassen: Er hat zwei Bezeichnungen, von Namen darf man ja nicht reden, weil jeder Name eine Weise seines Offenbarseins ist. Zwei Bezeichnungen also, die wir als Grenzbegriffe charakterisieren müssen, weil sie nur da ihre Bedeutung gewinnen, wo der Gläubige mit der Bewegung des Transzendierens an ein Ende gekommen ist, wo er sie nicht mehr weiterführen kann: ‘ajin (nichts) und ‘Þn sf (Unendliches)40. Damit hat die Kabbala den Weg ausgeschritten, der von der äußersten Transzendenz bis zur höchsten Zuwendung, die sich in der Schechina verkörpert, führt; sie ist den beiden Momenten, die beim monotheistischen Reden unaufgebbar sind, in eindrucksvoller Weise gerecht geworden. Indem sie verschiedene göttliche Eigenschaften als Sefirot in ihr System zu integrieren weiß, gibt sie eine andere Antwort als die Mu‘taziliten und die von ihnen beeinflussten jüdischen Theologen Saadja Gaon und Maimonides. Wenn man die monotheistischen Religionen in einen Dialog bringen will, könnte man sagen, sie trägt den Bedenken der Asˇ‘ariten Rechnung, nach denen die Eigenschaften Gottes eine spezifische Bedeutung besitzen und nicht einfach die Tatsache umschreiben, dass Gott existiert. Auf der anderen Seite erlauben die Gedanken der Kabbala, eine Brücke zu christlichen Trinitätsvorstellungen zu schlagen, was man von den Konzeptionen von Saadja Gaon oder Maimonides nicht behaupten kann. Es ist nicht erstaunlich, dass die christlichen Kabbalisten die Dreieinigkeit auf die obersten Sefirot übertrugen;41 sie bringen damit nur sachliche Verbindungen zum Ausdruck, die zwischen beiden Anschauungen bestehen. Der gemeinsame Gedanke ließe sich dahingehend formulieren, dass die Verknüpfung von Transzendenz und Offenbarung eine Selbstentfaltung des Göttlichen notwendig macht. Nur so wird der Gefahr begegnet, dass beides auseinanderfällt, bis dahin, dass man streng genommen nicht einmal mehr die Behauptung wagen kann, Gott habe sich geoffenbart. Zwar ist die Kabbala nicht so radikal wie die christliche Theologie, die die Selbstentfaltung Gottes als Selbstkonstitution begreift und daneben keine andere gelten lassen will.42 Sie betont sozusagen mehr die Bewegung, die von Gott zu uns führt und umgekehrt. Dadurch ist es ihr möglich, das Äußerste der Transzendenz zum Ausdruck zu bringen und nicht hinter einer festgefügten Gottesvorstellung verschwinden zu lassen. In der christlichen Gotteslehre müssen wir dem in der Trinitätsvorstellung sichtbar werdenden deus revelatus den deus absconditus an die Seite stellen, um Entsprechendes zu erreichen. Diese positive Einschätzung der Kabbala kann nun freilich nicht besagen, 40 Vgl. J. Maier, Die Kabbalah, München 1995, 84 f. 41 Ebd. 52. 42 Das Fortschreiten von der Selbstentfaltung zur Selbstkonstitution ist in der Tat ein Weg, dem jüdisches und islamisches Denken nicht zu folgen vermag.
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dass das christliche Denken Vorstellungen dieser Art uneingeschränkt übernehmen könnte. Schon die Bewegung der Offenbarung, die auf die Tora, die Schechina und die Gemeinde Israels zielt, ist so anders strukturiert, dass eine christliche Adaption sich von selbst verbietet. Auch werden wir in der Neuzeit göttliche Eigenschaften nicht mehr wie die Kabbala als selbständige Hypostasen begreifen, sondern als Markierungen einer Bewegung der Sprache, die den Menschen vom Irdischen zum Transzendenten führt. Man muss aber der Kabbala zugute halten, dass sie die Möglichkeit begünstigt, das Reden von Gott in der Form gegenläufiger Bewegungen darzustellen, einer Bewegung, die vom Transzendenten ausgeht, sich immer mehr vergegenständlicht, um schließlich in einer nicht widerrufbaren Konkretion die Menschen zu erreichen, und einer Bewegung, die vom Menschen ihren Ausgang nimmt, die Bedingtheiten des Weltlichen hinter sich lässt und in jenem unnennbar Einen ihre Ruhe findet, das als Ursprung von allem erkannt wird. Wenn man versucht, die Gotteslehre in der Relation dieser Bewegungen darzustellen, also nicht einfach als Resultat dogmatischer bzw. trinitarischer Festlegungen erscheinen zu lassen, wird man auf das kabbalistische Denken und das ihm zugrunde liegende neuplatonische Erbe nicht verzichten dürfen. Wir sehen, dass die Linie, die vom mu‘tazilitischen Denken zur jüdischen Theologie führt, keineswegs die einzige Explikation jüdischer Gottesvorstellungen im Mittelalter darstellt. Es gibt sehr wohl einen anderen Traditionsstrang, der das Transzendente in seinem unzugänglichen Geheimnis belässt, aber den Weg zur Offenbarung als Weg der Selbstentfaltung dieses Geheimnisses verstehen lehrt. Dieser Weg kann nicht einfach als Resultat einer Verführung durch das neuplatonische Denken abgetan werden. Schon die hebräische Bibel gibt vielfältige Hinweise, welche die Legitimität dieses Weges bestätigen. Ich meine die Rede von den Erscheinungsweisen des Transzendenten, in denen Gott sich kundtut, ohne das Geheimnis seines Selbstseins zu verlieren. Die biblische Rede vom Kabod, den Panim oder dem Namen Jahwes darf als geglückter Ausdruck einer Verbindung von göttlicher Transzendenz und göttlicher Offenbarung interpretiert werden. Man könnte sagen: Gott sucht das Andere seiner selbst, um von den Menschen wahrgenommen werden zu können. Er schafft nicht nur im Menschen die Bedingungen der Möglichkeit, Offenbarung zu verstehen, er verwirklicht sie auch in sich selbst. Diese Selbstverwirklichung ist, konsequent verstanden, nicht creatio ex nihilo, sie ist eine spezifische Möglichkeit des eigenen, göttlichen Andersseins. So gesehen wird der systematische Grund deutlich, weshalb das neuplatonische Emanationsmodell eine so große Faszination auf jüdisches wie christliches Denken ausüben konnte. Es vermag, wenn auch nur in andeutender Bildhaftigkeit, zu erklären, wie Gott das Andere seiner selbst zu finden vermag.
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8.3 Logos – Memra¯ – Schechina Unter diesen Voraussetzungen wird verständlich, dass die Logos-Spekulation nicht nur im christlichen, sondern auch im jüdischen Denken eine große Bedeutung gewinnen konnte. Gerade mit ihrer Hilfe lässt sich Gott in seinem unzugänglichen Anderssein und Gott in seinem der Welt und den Menschen zugewandten Für-uns-Sein voneinander unterscheiden. Während Gott gemäß Philo in seinem höchsten Zustand der Verborgenheit ohne Eigenschaften ist und man ihn in dieser Seinsweise weder beschreiben noch über ihn reden noch ihn vergleichen kann,43 vermittelt der Logos zwischen dem unfassbaren Gott und der menschlichen Vernunft. Zwar ist der Status dieses vermittelnden Wesens von Philo noch nicht exakt bestimmt worden – er kann den Logos als Abbild Gottes, als Erstgeborenen oder auch als Erzengel bezeichnen44 – aber die Absicht, zwischen Gott in seinem Ansichsein und Gott in seiner Zuwendung zu den Menschen zu unterscheiden, wird nur allzu deutlich. Diese Absicht entspricht einer sachlichen Notwendigkeit, eben der unabweisbaren Aufgabe, Transzendenz und Offenbarung miteinander zu vereinen. Sie konkretisiert sich nicht nur in der Aufnahme eines wichtigen Terminus der griechischen Philosophie, sondern ebenso im Kontext aramäischer Begrifflichkeit. Hier ist der Memra¯ das den griechischen Logos ersetzende Äquivalent, und die Unterscheidungen zwischen Jahwe selbst und Memra¯ sind ebenso signifikant wie aufschlussreich. Der Memra¯ ist es nämlich, der die Aktionen bei der Schöpfung unternimmt, während Jahwe als „hintergründiger Betrachter des Schöpfungswerkes, das vor seinem Antlitz entsteht und gelingt“,45 gesehen wird. Wir nehmen hier im Bereich der Schöpfungstheologie dasselbe Phänomen wahr, das wir im jüdischen Denken auch schon im Kontext der Offenbarung bemerken konnten: Das Interesse an der göttlichen Transzendenz wird so stark akzentuiert, dass die Gefahr einer Spaltung zwischen dem verborgenen Gott und dem der Welt und den Menschen zugewandten Aspekt des Transzendenten nicht von der Hand zu weisen ist. Gerade wenn göttliche Transzendenz und göttliche Offenbarung mit gleichem Ernst bedacht werden, wird es schwierig, wenn nicht unmöglich, eine bruchlose Einheit herzustellen. Die hier und an anderen Stellen angedeutete Spaltung darf und soll zwar kritisiert werden, man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass sie erst auf einem Niveau des religiösen Denkens entstehen kann, das nur die monotheistischen Religionen, nicht etwa die Ausprägungen des Polytheismus erreicht haben. Natürlich bedeutet diese Spaltung eine Gefahr für die Reinheit des monotheistischen Glaubens. Wenn Gott in seiner Transzendenz und Gott in seiner 43 Vgl. den von C. Thoma verfassten Artikel, Gott III Judentum, TRE XIII, 626 – 645, hier 636. 44 Ebd. 45 Ebd. 637.
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Offenbarung zu sehr auseinandertreten, kann dieser Antagonismus leicht zu einem Dualismus führen, der ja in der Tat in der Religionsgeschichte eine wichtige Rolle gespielt hat. Vielleicht können wir in dieser Perspektive den systematischen Grund sehen, der die jüdische Theologie des Mittelalters dazu veranlasst hat, sich von allen Logos-Spekulationen abzuwenden. Historisch gesehen hat der Einfluss der Mu‘taziliten hier Entscheidendes bewirkt.46 Es empfiehlt sich, bei dieser Feststellung einen Moment zu verweilen, enthüllt sie doch eine geistige Kommunikation zwischen den Religionen, von der die angeblich so kommunikative Neuzeit nur träumen kann. Die monotheistischen Religionen müssen wieder dahin kommen, ihren Glauben an den einen Gott als eine gemeinsame Aufgabe für das theologische Denken zu begreifen. Und diese Aufgabe besteht eben in dem nie vollkommen zu lösenden Problem, Transzendenz und Offenbarung miteinander zu vereinen. Kaum ist, wie etwa bei den Mu‘taziliten oder Maimonides, die Reinheit des Monotheismus gewährleistet, drängt sich sogleich die Frage in den Vordergrund, wie denn dieser eine Gott für die Menschen präsent sein könne. Auch die Abweisung der mit den Begriffen Logos bzw. Memra¯ sich vollziehenden Hypostasenbildung bringt diese Frage nicht zum Verstummen. Gerade das religiöse Denken des Judentums ist mit einer bemerkenswerten Kreativität der Frage nachgegangen, in welchen Gestalten die Präsenz des Transzendenten beschrieben werden könne. Wir haben gesehen, wie die mit der göttlichen Weisheit identifizierte Tora jene Zuwendung versinnbildlicht, die Gott seinem erwählten Volk zuteil werden lässt. In einer besonderen Verdichtung erscheint diese Zuwendung in der göttlichen Schechina, die in vorzüglicher Weise dazu geeignet ist, die Funktionen von Logos bzw. Memra¯ zu übernehmen. Wir können nicht mehr sagen, ob diese Schechina ursprünglich die göttliche Präsenz an einem bestimmten Ort bezeichnete, also im Kultus verwurzelt war, oder ob sie von Anfang an in ihrem Bezug auf die Volksgemeinschaft und deren Gottesverhältnis zu verstehen ist. Diese Relation ist jedenfalls ihr eigentliches Charakteristikum: Gott bleibt nicht in unerreichbarer Ferne, er zieht, in Gestalt der Schechina, mit seinem Volke mit. Sie steigt mit den Israeliten nach Ägypten hinunter und dann wieder in das gelobte Land hinauf,47 sie begleitet Israel in die Gefangenschaft, so dass gesagt werden kann: „Gott selbst ist heimatlos geworden wie sein Volk.“48 Es ist klar, dass die göttliche Dimension des Für-uns-Seins hier eine andere Qualität gewinnt. Die Bedeutung der göttlichen Offenbarung besteht nicht einfach darin, dass er sich für uns fassbar macht, so dass wir ihn und er uns 46 Vgl. ebd. 637 und meine weiter oben gemachten Ausführungen zu Saadja Gaon. 47 TRE XIII, 637. 48 Vgl. den von D. Vetter verfassten Artikel, Gott 1 Jüdisch, in: Lexikon religiöser Grundbegriffe. Judentum. Christentum. Islam, hg. v. A.T. Khoury, Graz 1987, 396 – 411, hier 410.
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hören kann. Er macht sich fassbar, indem er teilhat am Schicksal seines auserwählten Volkes. Die Geschichte ist nicht mehr ausschließlich das von außen, durch sein unergründbares Walten verhängte Geschick, sie ist auch nicht auf ein Handeln der göttlichen Gerechtigkeit zu beschränken, die das Gute belohnt und das Böse ahndet, sie ist nicht einmal nur der Erweis göttlicher Barmherzigkeit, die dem Volk Israel eine Befreiung zuteil werden lässt, die es aufgrund seiner Taten gar nicht verdient hätte. Die Geschichte ist – die Vorstellung der Schechina macht es deutlich – ein Geschehen, das sich nicht nur an Gottes Volk, sondern auch an ihm selbst vollzieht. Es fällt leicht, von hier aus Verbindungslinien zu christlichen Glaubenssätzen zu ziehen. Der Gott, der die Geschichte der Menschen an sich selbst vollzieht, kann zum Subjekt einer eigenen Geschichte werden. Die Rede von der Inkarnation des Sohnes Gottes meint eben dies: Gott vollzieht seine eigene Geschichte, um an der Geschichte der Menschen teilhaben zu können. Das soll nicht besagen, dass man die Schechina und Jesus Christus ohne weiteres parallelisieren könnte. Jene wird niemals zum Partner Gottes; denn Gott hat keinen Partner ;49 sie bleibt ihm untergeordnet ähnlich der im Koran bezeichneten Wirkungsweisen des Transzendenten. Dennoch: Dass Gott die Geschichte nicht nur von außen lenkt, sondern an sich selbst erfährt, ist der Schechina und dem in Jesus Christus präsent gewordenen Gott gemeinsam. Neben der nur dem auserwählten Volk übermittelten Tora ist es vor allem die Geschichte dieses Volkes, die Gottes Präsenz unter den Menschen anschaulich werden lässt. Man kann sagen, die Schechina sei „der verhüllte Ausdruck dafür, dass Gottes Selbstoffenbarung Geschichte gemacht habe und dass Gott zur Verwirklichung seiner Geschichtspläne die Menschen brauche“.50 Gerade die im jüdischen Denken besonders hervorgehobene Freiheit menschlichen Handelns lässt die Geschichte als ein Zusammenwirken von Gott und Mensch verstehen, das die Nähe Gottes, seine fortwährende Präsenz, erfahrbar macht. Je stärker sich die religiösen Vorstellungen einem theologischen Determinismus annähern – wir finden dafür im christlichen Denken und vor allem im Islam genügend Beispiele – desto größer wird die Distanz von Gott und Mensch. Da sich die Universalreligionen Christentum und Islam gleichermaßen auf alle Menschen beziehen, kann die Geschichte nicht mehr in der Weise Ort der göttlichen Nähe sein wie im jüdischen Denken. Die Universalreligionen vollziehen in dieser Hinsicht einen Weg der Transzendierung des Göttlichen, der freilich im christlichen Glauben von der Geschichte durchbrochen wird, die Gott an sich selber erfährt.
49 TRE XIII, 638. 50 Ebd. 639.
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9. Die wechselseitige Beziehung der monotheistischen Religionen Blicken wir auf die jüdische Religion im Ganzen, so sehen wir, dass sie Möglichkeiten bereithält, die vom Christentum wie vom Islam in unterschiedlicher Weise wahrgenommen werden. Während beispielsweise in der Vorstellung der Schechina die göttliche Präsenz ihren Ausdruck findet und sie darin sowohl auf Jesus Christus wie auf den Heiligen Geist verweist,51 hat auf der anderen Seite die jüdische Theologie die Ungreifbarkeit göttlicher Transzendenz in einer Weise akzentuiert, die islamischen Theologen als Vorbild dienen konnte, wobei, wie wir sehen, auch Beeinflussungen in der umgekehrten Richtung nicht auszuschließen sind. Man kann bei dieser Betrachtungsweise schwer verstehen, wieso sich die einzelnen monotheistischen Religionen so absolut setzen konnten, wie das in der Vergangenheit immer wieder geschah und auch in der Gegenwart in vielen Erscheinungsformen anzutreffen ist. Wieso sehen die monotheistischen Religionen nicht, dass der Glaube an den einen Gott sie vor Aufgaben stellt, die sie gemeinsam nicht lösen können, geschweige denn, dass eine einzelne von ihnen dazu in der Lage wäre? Letztlich hängt dieses Unvermögen damit zusammen, dass die jeweilige Offenbarung ohne den Kontext eines übergreifenden Geschehens aufgenommen wird und sich damit eben als einzige, absolute Wahrheit präsentiert. Die Zusammenschau der Offenbarungen erschließt aber erst die Fülle des göttlichen Handelns; man unterwirft Gott willkürlich gesetzten Grenzen, wenn man von dieser Zusammenschau absieht und einzelnes für das Ganze hält. Das Begriffspaar Offenbarung und Transzendenz eröffnet die Möglichkeit, diese Zusammenschau zu vollziehen. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass die Geschichte Israels als ein langer, mühsamer Weg hin zum monotheistischen Glauben verstanden werden kann. Die Bedeutung der israelitischen Prophetie besteht vor allem darin, dass sie diesen Weg bis zu seinem Ende gegangen ist, eben bis zu der bei Deuterojesaja überlieferten Aussage Jahwes: „Ich bin der Erste und ich der Letzte, und außer mir ist kein Gott“ (44,6). Diese Geschichte göttlicher Offenbarungen, die Jahwe von einem Stammesgott, der die Interessen der ihm anvertrauten Volksgemeinschaft vertritt, zu dem einen Gott des Himmels und der Erde werden lässt, lässt sich als ein Prozess fortschreitender Universalisierung beschreiben.52 Universalisierung bedeutet aber zugleich Entgrenzung, eine Entgrenzung, die nur in einer Bewegung des Transzendierens zu gewinnen ist. Dieser Bewegung ist es zu verdanken, dass Jahwe nicht ein Gott neben 51 Auf die Bezüge zu Jesus Christus ist bereits hingewiesen worden. Aussagen der jüdischen Literatur, nach denen die Schechina anwesend ist, wo sich Juden mit der Tora befassen (Vgl. P.N. Levinson, Einführung in die rabbinische Theologie, Darmstadt 1982, 44) machen aber auch eine Analogie zum christlichen Verständnis des Heiligen Geistes deutlich. 52 Vgl. dazu F. Stolz, Einführung, vor allem 155 f.
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vielen anderen der damaligen religiösen Welt geblieben ist, einer der Götter, die entstehen und zusammen mit den Kulturen, die sie groß gemacht haben, wieder vergehen, sondern dass er zum Gott Israels wurde, dessen Identität mit dem Gott Jesu von Nazareth und mit Allah außer Frage steht. Sie darf nach religiösem Verständnis nicht als eine Leistung des über seine Grenzen hinausfragenden Menschen verstanden werden, sondern geht ihrerseits auf eine Folge göttlicher Offenbarungen zurück, in denen Gott sich immer mehr als der Eine erweist, der keine anderen Götter neben sich hat. Dieses Zusammenspiel göttlicher Offenbarungen und der vom Menschen ausgehenden Bewegung des Transzendierens gerät mit der Explikation des monotheistischen Glaubens in eine kritische Phase. Die Offenbarung setzt sich in einen Gegensatz zu dem in seiner Transzendenz und Erhabenheit auf alle Menschen in gleicher Weise bezogenen Gott. Gott steht in einem Kontrast zu dem auf ein einziges Volk gerichteten Handeln, das in exklusiver Weise Gegenstand seiner Zuwendung ist. Aber nicht nur in dieser Hinsicht macht sich bemerkbar, dass Offenbarung und Transzendenz in eine verschiedene Richtung weisen. Die Bewegung des Transzendierens entfaltet eine solche Dynamik, dass das Geschenk der Offenbarung nur zögernd angenommen wird, sich sozusagen vor dem Forum des Unsagbaren verantworten muss. So wird das Geschenk der Offenbarung, der im Tetragramm JHWH repräsentierte Name Gottes nicht wirklich angenommen; die religiöse Scheu gebietet es, die Verwendung, ja selbst die Aussprache dieses Namens einzuschränken bzw. ganz zu unterlassen. Eine andere Möglichkeit, auf die Radikalität dieser Bewegung zu reagieren, ist das immer stärker werdende Auseinanderfallen von Gott in seinem unzugänglichen Selbstsein und Gott in seiner für die Menschen erschließbaren Präsenz. Wir haben uns Beispiele für dieses Auseinanderfallen im jüdischen Denken des Mittelalters vergegenwärtigt, die zur Genüge deutlich machen, dass die Einheit von Offenbarung und Transzendenz verloren ging und eine Vermittlung nur mithilfe schwieriger spekulativer Konstruktionen, wie sie etwa die Kabbala vorgelegt hat, geleistet werden kann. Man kann sagen, dass Christentum und Islam den Prozess der Universalisierung, der ein Kennzeichen der Geschichte Israels ist, zu Ende geführt haben. Der eine Gott, der keine anderen Götter neben sich hat, ist in gleicher Weise auf alle Menschen bezogen. Damit haben sie der Bewegung des Transzendierens in einer Weise entsprochen, die in der Prophetie Israels vorgebildet war,53 aber doch nicht zum Fundament der jüdischen Religion werden konnte. Nur – die Erkenntnis einer in der Bewegung des Transzendierens liegenden 53 Nicht nur in der späteren, sondern auch schon in der früheren! So vermag Amos das göttliche Heilshandeln im Exodus zu relativieren (Amos 9,7), natürlich im Zusammenhang der Ansage des Gerichts an das Volk Israel.
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Konsequenz besagt noch nichts über das Verhältnis von Transzendenz und Offenbarung. Die Frage, wie dieses Verhältnis zu gestalten sei, muss in beiden Religionen beantwortet werden, und es ist interessant, die unterschiedlichen Wege zu sehen, die Christentum und Islam dabei gegangen sind. Der Schritt, der von einem Gott, der sich einem Volk in besonderer Weise zuwendet, zu einem Gott führt, der sich auf alle Menschen in gleichem Maße bezieht, ist ja zunächst, ich sagte es schon, ein Vorgang der Distanzierung. Natürlich lässt sich diese Distanzierung mit allgemeinen Aussagen überspielen, etwa der, dass Gott das Wohl aller Menschen will oder, unter christlicher Perspektive, dass er alle Menschen liebt. Aber diese Allgemeinheit entbehrt der Konkretion, die jede Religion fordert. Mit unseren Begriffen gesagt: Ein transzendentes Wesen ersetzt noch keine Offenbarung, auch wenn es sich gütig zu allen Menschen hinabneigt. Sowohl Christentum wie Islam verlören ihr inneres Leben ebenso wie ihre nach außen gehende Wirkung, wenn sie ihren Grund nicht in einer von Gott kommenden Offenbarung fänden, einer Offenbarung, die nicht in einer Mitteilung allgemeiner Wahrheiten besteht, sondern in einer Botschaft, die jeden Menschen erreichen will und erreichen soll. Dabei antwortet der christliche Glaube in besonders radikaler Weise auf die Distanzierung, die sich mit dem Faktum verbindet, dass sich Gott in gleichem Maße auf alle Menschen bezieht. Gott erwählt nicht mehr ein einzelnes Volk, sondern einen einzelnen Menschen. Aber die Erwählung eines einzelnen Menschen unter den unzähligen, die gelebt haben und noch leben werden, hat nur einen Sinn, wenn dieser Mensch für alle anderen steht. In der Zuwendung zu diesem einen Menschen wendet sich Gott der ganzen Menschheit zu, er ist in seiner Person die Offenbarung, die alle abstrakten Allgemeinheiten hinter sich lässt und für alle anschaulich macht, was es heißt, mit Gott verbunden zu sein, aber auch, was es heißt, den Willen und die Fügungen Gottes nicht mehr verstehen zu können. Jesus Christus ist der exemplarische Mensch, weil er in einer exklusiven Beziehung zu Gott steht. Gottes Offenbarung, aber auch seine Transzendenz werden in diesem Leben für alle sichtbar. Gerade darin, dass Gott in einem Menschen zur Erscheinung kommt, findet seine Zuwendung zu allen Menschen ihren unauslöschlichen Ausdruck. Gott beantwortet die monotheistische Distanzierung damit, dass er einen Menschen zur Wirklichkeit seines Offenbarseins werden lässt. Die Transzendenz des ganz Anderen wird umgriffen von der Nähe eines menschlichen Schicksals, das, wenn man von der Vereinzelung historischer Bedingtheiten absieht, unser eigenes sein könnte. Wie schon zuvor bei der Betrachtung der Trinitätslehre wird auch hier deutlich, dass die Behauptung, Gott habe sich geoffenbart, in keiner Religion so radikal zur Geltung gebracht wird wie im Christentum. Aber auch diese Radikalität bringt das Transzendente nicht zum Verschwinden. Wir werden sehen, wie es im Leben Jesu in den Umkreis des in seiner Nähe erfahrenen Gottes tritt; und auch die Geschichte der jüngsten monotheistischen Universalreligion, des Islam, lässt sich als Vordringen des Bewusstseins göttlicher
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Transzendenz beschreiben. Damit wird die Besonderheit christlicher Gotteserfahrung nicht widerlegt, ebenso wenig wie diese als Falsifizierung des jüdischen Gottesverständnisses verstanden werden darf. Wir sehen, dass auch der christliche Glaube keine endgültige, definitive Lösung für die Bestimmung des Verhältnisses von Offenbarung und Transzendenz gefunden hat und deshalb eine Offenheit für weitere Antworten in der Zukunft bewahrt werden muss. Betrachten wir unter dieser Perspektive den Islam, so bemerken wir ein eindeutiges Zurückweisen christlicher Offenbarungs-Radikalität. Die Tatsache, dass der Koran das Prädikat „Sohn Gottes“ für Jesus Christus ablehnt, ist ja nur äußerer Hinweis auf eine tiefer liegende innere Differenz. Diese Differenz besteht darin, dass nach islamischem Verständnis kein Mensch als Person Offenbarung Gottes sein kann. Wohl ist es den Menschen, eben den Propheten, möglich, das Wort Gottes zu überbringen; sie selbst sind aber von der Botschaft, die sie mitteilen, streng zu unterscheiden, und an dieser Unterscheidung darf im Interesse der fundamentalen Differenz von Gott und Mensch nicht gezweifelt werden. Die Distanzierung Gottes, die mit seiner prinzipiell gleichen Beziehung zu allen Menschen einhergeht, wird im Islam nicht mit der Aussage einer um so größeren Nähe überboten, sondern in ihrer vollen Relevanz zur Geltung gebracht. Das heißt nicht, dass das Moment der Offenbarung in dieser Religion keine Rolle spielte; wir haben uns immer wieder vom Gegenteil überzeugen können. Es ist aber eine Offenbarung, so könnte man sagen, unter dem Vorbehalt des prinzipiellen göttlichen Andersseins. So dürfen wir, im Ganzen gesehen, im Islam die Glaubensweise erblicken, welche die Transzendenz des göttlichen Wesens am stärksten akzentuiert, stärker als das Christentum mit seiner Radikalisierung des Offenbarungsverständnisses, stärker aber auch als das Judentum, das sich in vielfältigen Aussageweisen darum bemüht hat, Gottes Zuwendung zu seinem Volk zu verdeutlichen.
9.1 Gott in der Geschichte seiner Offenbarungen Man kann in den Auffassungen der monotheistischen Religionen Alternativen sehen, in dem Sinne, dass einer von ihnen die Wahrheit zukommt, während sich die übrigen im Irrtum befinden. Doch ist diese Betrachtungsweise unangemessen, wenn sie auch dem menschlichen Behauptungswillen und dem mit ihm verbundenen religiösen Fanatismus entsprechen mag. Dem inneren Zusammenhang dieser Religionen wird man nur da gerecht, wo man begreift, dass Gott sich in einer Geschichte seiner Offenbarungen zeigt und dass sich diese Geschichte vom Glauben an den Gott der Väter bis zur Kundgabe an Muhammad erstreckt, wobei hier ein Urteil über weitere Religionsbildungen nach dieser Kundgabe nicht gefällt werden soll. Der Einblick in diese Geschichte macht eines rasch deutlich: Gott offenbart
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sich nicht immer in derselben, unveränderten Weise als der, der er ist. Die Gestalt seiner Offenbarung und er selbst sind streng voneinander zu unterscheiden. Gerade aufgrund dieser Differenz wird die Vielzahl seiner Offenbarungen verständlich, die eben nicht Wiederholungen des immer Gleichen sind, sondern jeweils andere Aspekte des göttlichen Geheimnisses in den Vordergrund rücken. So ist der Gott der Väter, vom Gehalt seiner Offenbarung her gesehen, noch nicht der eine Gott der monotheistischen Religionen, der keine anderen Götter neben sich hat. Trotzdem sehen wir in dieser Offenbarung eine unmittelbare Wirkung dieses einen Gottes, der zu dem damaligen Zeitpunkt von den Menschen noch nicht als der Eine erkannt worden ist. Wir haben das Recht, ihn in seiner verhüllten Gestalt auf diesen Einen zu beziehen, weil er den Anfang einer Offenbarungsgeschichte darstellt, eben der Geschichte Israels, die zur Erkenntnis dieses einen Gottes führt. Damit ist die Offenbarung des Gottes der Väter von anderer Qualität als die Offenbarung einer polytheistischen Gottheit, die in ihrem Fürsichsein ohne den Kontext einer zum monotheistischen Glauben führenden Entwicklung betrachtet werden muss. Nicht, dass wir in dieser, wie es die Religionskritik früherer Zeiten wollte, ein Wahngebilde, eine Illusion oder eine auf menschliches Wunschdenken zurückgehende Erdichtung zu sehen hätten. Sie ist ein jeweils spezifischer Ausdruck der einen transzendenten Wirklichkeit, die nach unserer Auffassung ihre schlüssigste und angemessene Explikation im monotheistischen Glauben gefunden hat. Weil sie aber nicht, wie etwa der Gott der Väter, in einem geschichtlichen Zusammenhang mit diesem Glauben verstanden werden darf, bleibt sie in ihrer Vereinzelung erhalten, verbunden mit der jeweiligen Kultur, der sie sich verdankt, aber auch nicht fähig und bereit, den Rahmen dieser historischen Bedingtheit zu sprengen und in eine andere Zeit hinüberzugehen. So sterben die Götter ; aber der eine Gott, zu dem sich die monotheistischen Religionen bekennen, stirbt nicht, weil die Geschichte seiner Offenbarungen weitergeht und seine Selbstenthüllung ihr Ziel noch nicht erreicht hat. Die Geschichte der Offenbarungen dieses Gottes ist die Geschichte der monotheistischen Religionen. Sie ist nur ein Teil der allgemeinen Religionsgeschichte, in der sich ein ungleich umfassenderes Spektrum religiöser Erscheinungen findet. Sie darf aber aus dieser Allgemeinheit gesondert hervorgehoben und betrachtet werden, weil sie den Glauben an den einen Gott zum ausschließlichen Fundament ihres religiösen Verstehens macht,54 entweder in einer auf dieses Ziel hin gerichteten Orientierung wie in der Geschichte Israels oder im explizit formulierten monotheistischen Glauben wie in der jüdischen Religion, im Christentum und im Islam. 54 Eben damit ist das Kriterium formuliert, das uns dazu berechtigt, die monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam gesondert zu behandeln und in diesem Zusammenhang monotheistische Erscheinungsformen in anderen Religionen zu vernachlässigen.
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Gott in dieser Geschichte zu betrachten heißt, zu erkennen, dass man dem Geheimnis des Transzendenten nicht näherkommt, wenn man punktuell eine der göttlichen Kundgaben herausgreift und sie zur allein maßgeblichen erklärt. Erst der Blick auf das Ganze des geschichtlichen Werdens kann uns darüber belehren, wie der eine Gott von den an ihn glaubenden Menschen verstanden werden will. Um dieses Ganze begreifen zu können, scheint mir das Begriffspaar Offenbarung-Transzendenz eine Hilfe zu sein. Am Anfang dieser Entwicklung, in der Geschichte Israels, steht jener Gewinn an Transzendenz, der überhaupt den Gedanken des einen, über alles erhabenen Gottes hervorzubringen vermag. Diese radikal gedachte Transzendenz steht zur Offenbarung in einem ambivalenten Verhältnis: Einerseits lässt sie daran zweifeln, ob es so etwas wie Offenbarung überhaupt geben kann; andererseits fordert sie, quasi als Gegenbewegung, die Offenbarung geradezu heraus. Das religiöse Denken des Judentums vereinigt in seinen Grenzen beides: Auf der einen Seite eine in kompromissloser Jenseitigkeit bezeichnete Gottheit, auf der anderen Seite eine hingebungsvolle Zuwendung dieses numinosen Wesens, das in seinen vielfältigen Erscheinungsweisen und in seinem Mitgehen in der Geschichte Israels seine Präsenz offenkundig macht. Das Christentum nimmt die mit der größtmöglichen Transzendenz gegebene Herausforderung mit Entschiedenheit an, indem es versucht, die Offenbarung des einen Gottes radikal zu denken: Gott greift nicht nur als Subjekt in die Geschichte ein, er macht sich in einem Menschen zum Objekt, an dem Geschichte geschieht. Schließlich der Islam, der ganz bewusst von dieser Radikalisierung Abstand nimmt, die in seiner Sichtweise vernachlässigte Transzendenz des Göttlichen in den Vordergrund rückt, ohne freilich die für eine Religion notwendigen Momente der Offenbarung zu vernachlässigen. Man darf fragen, was die Folge dieser Offenbarungen bedeutet. Zunächst ist sicher die allgemeine Behauptung richtig, dass eine angemessene Rede von Gott ohne die beiden Momente von Offenbarung und Transzendenz nicht gelingen kann. Darf man noch weitergehen und einen Gott zu verstehen suchen, der sich in der zeitlich früheren Universalreligion in größtmöglicher Nähe präsentiert, um dann in der späteren in die Verhülltheit einer Transzendenz zurückzukehren, die im Geschehen seiner Offenbarung durchbrochen, aber nicht aufgelöst wird? Man könnte das Entstehen des Islam und seine bleibende Relevanz als eine Mahnung an das christliche Bewusstsein verstehen, über der Freude aufgrund des Kommens Gottes zu den Menschen die Transzendenz des Einen, Unnahbaren nicht zu vernachlässigen. Jede Religion ist eine Kritik der vorhergehenden, aus der sie entstanden ist oder auf die sie sich in einer strukturellen Ähnlichkeit bezieht. Der christliche Glaube zeigt in der von ihm verkündigten Zuwendung Gottes zu allen Menschen, dass der jüdische Glaube den in seinem eigenen Gottesverständnis liegenden Konsequenzen nicht gerecht geworden ist. Das islamische Be-
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kenntnis wiederholt unter einer anderen Perspektive diese Kritik, es weist aber auch das christliche Bewusstsein darauf hin, dass es immer der Gefahr ausgesetzt ist, über dem Gekommensein Gottes sein Anderssein zu vergessen. Und wir können nicht a priori ausschließen, dass es in der Zukunft eine Religionsbildung geben wird – vielleicht ist sie auch schon da, und wir haben sie nur nicht als solche wahrgenommen – die sich ihrerseits so zum Islam verhält wie dieser zum Christentum und dieses zum jüdischen Glauben.55 Diese Kritik kann nun allerdings nicht bedeuten, dass es für die einzelnen Religionen ratsam wäre, ihre Besonderheit aufzugeben und sich möglichst rasch einem allgemeinen Modell von monotheistischer Religiosität zu unterwerfen. Der jüdische Glaube kann nicht einfach das Bewusstsein göttlicher Erwählung preisgeben, der christliche ebensowenig den Jubel über das Kommen Gottes in diese Welt unterlassen, und auch der Islam hat eine muslimische Identität ausgebildet, die er nicht aufgeben wird und auch nicht aufgeben soll. Was aber die von mir bezeichnete Kritik sehr wohl leisten sollte, wenn auch bisher in den Religionen nur schwache Ansätze dafür zu sehen sind, ist der Verzicht auf ein eschatologisches Anspruchsdenken, das sich selbst vom letzten Wort Gottes gerufen weiß und alles Folgende einem weltlichen und damit für den Glauben an Gott irrelevanten Treiben überantwortet. Die jeweils folgende Religion muss als eine im Grunde gleichberechtigte Möglichkeit des einen Gottes anerkannt werden, die den eigenen Glauben nicht zunichte macht, aber doch das Zugeständnis verlangt, dass dieser Glaube das Geheimnis des Göttlichen nicht zureichend zu beschreiben vermag.
9.2 Zusammenfassung Ich habe versucht, mithilfe der Begriffe Offenbarung und Transzendenz die Geschichte der monotheistischen Religionen zu beschreiben. Diese Glaubensweisen eignen sich in besonderer Weise dazu, mit diesen Begriffen verbunden zu werden, wird doch nur hier das Transzendente radikal gedacht und zugleich von einer Kundgabe eben dieses Transzendenten geredet. Der Buddhismus steht den monotheistischen Religionen in seiner kompromisslosen Umschreibung des ganz Anderen in keiner Weise nach, doch spielt bei ihm das Moment der Offenbarung keine oder nur eine marginale Rolle. Auf der anderen Seite finden sich in der polytheistischen Religiosität Offenbarungen des Göttlichen in großer Zahl, aber das Wagnis, das ganz Andere als das ganz Andere zu denken und zu erfahren, wird dort nicht unternommen. Die Geschichte der monotheistischen Religionen lässt sich als eine Geschichte beschreiben, die Transzendenz und Offenbarung in gleicher Weise zu 55 Unter dieser Perspektive müssten Glaubensweisen wie die Baha¯‘ı¯-Religion einer eingehenden, unvoreingenommenen Analyse unterzogen werden.
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ihrem Recht kommen lässt. Im Grunde sehen wir schon in der jüdischen Religion, dass beide Momente kompromisslos zur Geltung gebracht werden; die daraus resultierende Spannung bewirkt die eigentümliche Dynamik des jüdischen Glaubens. Trotzdem haben Tranzendenz und Offenbarung im Judentum ihr Ziel noch nicht erreicht; sie erfahren in den Universalreligionen Christentum und Islam eine spezifische Vertiefung und Veränderung. Dabei wird man die Frage stellen müssen, wieso Gott zunächst – für den christlichen Glauben – seine Offenbarung in einer Zuwendung zu den Menschen Gestalt werden lässt, die nicht mehr überboten werden kann, um dann, im Islam, sich als der Transzendente zu erweisen, der in seiner Jenseitigkeit noch über das jüdische Verständnis hinausgeht. Es ist klar, dass diese Frage sich einer einfachen Antwort entzieht. Trotzdem muss sie im Raum stehen bleiben, weil sich in ihr das Rätsel des einen Gottes der monotheistischen Religionen verbirgt. Die Begegnung mit der jüdischen Religion, vor allem aber die Auseinandersetzung mit dem Islam, nötigt den christlichen Glauben dazu, neu und elementar danach zu fragen, was für ihn selbst Transzendenz des Göttlichen bedeutet. Er ist in seiner Geschichte dieser Frage gelegentlich ausgewichen, jedenfalls hat er sie nicht immer mit dem gebotenen Ernst behandelt. Wir wollen dieser Frage nachgehen, wobei zunächst die Gestalt Jesu von Nazareth im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen soll, eine Gestalt, in der sich Offenbarung und Transzendenz in eigentümlicher Weise miteinander verbinden.
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II. Jesus von Nazareth 1. Die Botschaft Der Gegensatz von Transzendenz und Offenbarung ist, so sahen wir, das ungelöste Problem der monotheistischen Religionen. Gebannt von der immer tieferen Erfassung eines jenseitigen Wesens, angewiesen auf die Mitteilung eines unbegreiflichen Numens, dass sich erschließt, ohne Menschlichem kommensurabel zu sein, gestalten sie ihr religiöses Leben, immer in der Bewegung zwischen dem unfassbaren göttlichen Geheimnis und einer Kundgabe seines Willens, die in einer Enthüllung des ganz anderen Seins zu kulminieren vermag. Wie gesagt, die monotheistischen Religionen können das Verhältnis von Transzendenz und Offenbarung nicht „lösen“, in dem Sinne, dass sie eine ein für alle Mal gültige Antwort bereit stellen, die in der Lage wäre, die Relation beider Momente bündig und abschließend zu definieren. Die Art und Weise, wie sie an die im Grunde unlösbare Aufgabe herangehen, wirft aber ein bezeichnendes Licht auf ihre jeweilige Eigenheit, auf ihre spezifische Struktur, die die Rede von einer bestimmten, „positiven“ Religion notwendig macht. Die christliche Religion hat aus der immer tieferen Erfassung göttlicher Transzendenz, wie sie für die Geschichte Israels charakteristisch ist, eine Konsequenz gezogen, die andere Religionen, vor allem die jüdische, in Umrissen erkennen lassen, aber doch nicht zur umfassenden Artikulation ihres Glaubens erheben, nämlich die Konsequenz, dass der Bewegung des Transzendierens eine andere ebenso tief empfundene Bewegung entsprechen muss, die die Präsenz des Göttlichen auf der Erde sichtbar macht. Der kompromisslose Vollzug dieser Bewegung, ihr durch keine Schranken aufzuhaltendes Gelingen, ist das Proprium christlichen Glaubens, zugleich aber auch das Kriterium, an dem er sich messen lassen muss. Hier, an diesem neuralgischen Punkt, findet die christliche Religion ihre Verbindung zu der historischen Gestalt des Jesus von Nazareth; nur wenn sie sich dieser Verbindung gewiss ist, darf sie behaupten, diese markante, unverwechselbare und unvergleichliche Erscheinung des religiösen Frühjudentums habe den eigenen Glauben, eben den Glauben der christlichen Kirchen begründet. Was besagt denn das eigentliche Thema der Verkündigung Jesu, die Gottesherrschaft, anderes als dies: Gott soll auf dieser Erde präsent werden? Er herrscht nicht mehr im Verborgenen, sondern für alle sichtbar, hier in dieser Welt. Er tritt heraus aus seiner Unzugänglichkeit, um in der unbezweifelbaren Vollmacht seines Wirkens eine neue, nicht mehr vom Recht des Stärkeren dominierte Gemeinschaft von Menschen zu schaffen.
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Jesus von Nazareth
Wenn irgendwo, dann wird hier Offenbarung radikal gedacht oder, besser gesagt, radikal vollzogen. Jesus hebt die Distanz auf, die bei den Propheten klassischen Stils, aber auch bei Johannes dem Täufer, eine Unterscheidung zwischen dem Subjekt, das die Offenbarung mitteilt, und der Offenbarung selbst möglich macht. Ob die Propheten künftige Ereignisse der Geschichte als ein von Gott kommendes Heil oder Unheil ansagen, ob sie ein von diesem Gott ausgehendes Wort überbringen, das über ein bestimmtes Verhalten eines oder mehrerer Menschen ein letztgültiges Urteil spricht, immer ist es möglich, ja im Sinne des prophetischen Selbstverständnisses sogar geboten, eine Trennungslinie zu ziehen, welche die Überbringer von der Mitteilung trennt, die sie zu überbringen haben. Auch die Religionsgründung Muhammads fügt sich in dieses Selbstverständnis ein. Er ist Prophet, weil er das bereits schriftlich fixierte Gotteswort, den Koran, für die Muslime bekannt gemacht hat. Aber seine Bedeutung erfüllt sich im Verweis auf das Andere, das ihm selbst nicht zugehört, weil es von Gott, dem ganz Anderen ausgegangen ist. Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren, ich will nur noch auf den „Lehrer“ Jesu, Johannes den Täufer, hinweisen. Auch bei ihm sind die angekündigte Tat Gottes, das nahe göttliche Gericht, und er selbst sorgfältig voneinander zu unterscheiden. Nicht, dass seine Worte und sein Handeln, eben der Vollzug der Taufe, irrelevant wären: Sie bewahren die Gläubigen vor dem Schrecken, der kommen wird. Und doch ist die Enthüllung Gottes in diesem Schrecken die Offenbarung, von der Johannes spricht, nicht er selbst. Er weist auf die kommende Kundgabe Gottes hin, verkörpert diese aber nicht in seiner Person. Ganz anders verhält es sich bei Jesus von Nazareth. Bei ihm fehlt nicht nur die Unterscheidung zwischen der Offenbarung und dem Überbringer der Offenbarung, er überwindet, in einer engen Verbindung mit dem bereits Gesagten, auch eine andere Distanz, die für unsere Wahrnehmung von Zeit selbstverständliche Gültigkeit besitzt, nämlich die Distanz von Gegenwart und Zukunft. Die Herrschaft Gottes verbleibt nicht in der Sphäre eines in der Zukunft liegenden, bereits angekündigten Heilsereignisses, sie wird schon jetzt Wirklichkeit, und zwar nirgendwo anders als in den Worten und im Handeln dieses Menschen Jesus von Nazareth. Vergegenwärtigen wir uns das altertümliche und sicher authentische Wort Jesu: „Wenn ich … durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen“ (Lk 11,20), dann sehen wir, dass Jesus in seinem heilenden Handeln die Gottesherrschaft anbrechen lässt. Die Distanz zwischen Prophet und Offenbarung ist verschwunden, ebenso die Distanz zwischen der Jetztzeit und dem für die Zukunft angekündigten Ereignis.1 1 Als Parallele könnte man allenfalls die symbolischen Handlungen alttestamentlicher Propheten anführen, die in ihrem zeichenhaften Tun herbeiführen, was sie als ein in der Zukunft liegendes Geschehen ankündigen. Gleichwohl ist es nicht möglich, die Verhaltensweise Jesu hier einzu-
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Das Bewusstsein Jesu, in seinem Wirken sei die Gottesherrschaft nicht nur ein nahe bevorstehendes Ereignis, sondern in der Gegenwart erlebbare Wirklichkeit, beschränkt sich nicht nur auf sein heilendes Handeln, es äußert sich auch in den Konstellationen seines Lebens, wo er die frohe Botschaft, das Evangelium, seinen Jüngern zuteil werden lässt. Das Wort aus dem Lukasevangelium 17,21: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“ ist ja weit entfernt davon, einen Hinweis auf das inwendige geistliche Leben der Christen zu geben, es zeigt an, dass das heilsame Geschehen der Gottesherrschaft nicht ausschließlich für die Zukunft erhofft werden darf, sondern in den Worten Jesu Wirklichkeit geworden ist. Ich meine, dass diese wenigen, aber signifikanten Belege zeigen, dass Jesus mit dem klassischen Begriff des Propheten nur unzureichend erfasst wird. Wohl sieht auch er sich in seinem Wirken autorisiert von einer anderen, höheren Macht, aber er beschränkt sich nicht darauf, einen von Gott gegebenen Auftrag auszuführen, er ist der Mittler, der das von Gott Gewollte selber ins Werk setzt. Die christliche Theologie darf von diesem Selbstbewusstsein des historischen Jesus nicht abstrahieren; sie unterscheidet sich von anderen religiösen Anschauungen nicht nur durch die spezifische Qualität ihrer Botschaft, sondern auch auf Grund der Bedeutung, die sie diesem einzelnen Menschen zumisst. Das berühmte Diktum A. v. Harnacks „Nicht der Sohn, sondern […] der Vater gehört in das Evangelium“,2 geht an der spezifischen Struktur des christlichen Glaubens vorbei. Die von der christlichen Gemeinde Jesus zugeschriebenen Hoheitstitel bedürfen in jedem Fall der Interpretation, zuweilen auch der Korrektur, und in noch stärkerem Maß gilt das für die bis zur Zwei-Naturen-Lehre führende Verfestigung des christlichen Dogmas. Gleichwohl gründet die hier nur angedeutete Entwicklung des christlichen Denkens in der richtigen Erkenntnis, dass eine Bestimmung des christlichen Glaubens, die von der Gestalt des historischen Jesus absieht, nur ein deformiertes und unvollständiges Ergebnis zeitigen kann. Zwar finden wir bei dieser Gestalt sehr wohl den Gestus des Prophetischen, der von sich weg weist und ausschließlich von dem Anderen her lebt, der ihm den Auftrag zu seiner Sendung gibt. Aber dieser Gestus verbindet sich mit einem Rückverweis auf die Person, welche diesen Auftrag ausführt und gerade so Mittler des göttlichen Willens wird. Und dieser Rückverweis verdankt sich nicht nur der christlichen Gemeinde, die in Jesus Christus den Retter sieht und von daher folgerichtig seine Person in den Mittelpunkt rückt, er ist unlöslich mit der historischen Erscheinung Jesu von Nazareth verbunden, begründet sogar ihre spezifische Charakteristik.3 ordnen. Bei Jesus fehlt die Bewusstheit symbolischen Tuns, weil er in seiner personalen, von Gott gegebenen Vollmacht das in der Zukunft Liegende Wirklichkeit werden lässt. 2 A. v. Harnack, Das Wesen des Christentums, Stuttgart 1950, 86. 3 Die Wichtigkeit dieser Fragestellung kann kaum überschätzt werden. Nur so wird deutlich, dass
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Jesus von Nazareth
Das Bewusstsein Jesu, mit seinem Reden und Wirken den Anbruch der Gottesherrschaft einzuleiten, erklärt seine für einen religiösen Menschen geradezu unglaubliche Souveränität gegenüber allen vorgegebenen Satzungen oder geheiligten Traditionen. Ob wir auf die grundlegenden Ereignisse der Heilsgeschichte des Volkes Israel blicken oder das den göttlichen Willen zu einem unverrückbaren Codex verdichtende göttliche Gesetz, die Tora, ob wir die fest gefügten, nach einem endzeitlichen „Fahrplan“ gestalteten Vorstellungen der Apokalyptiker ins Visier nehmen, oder die Befreiungserwartungen politischer Fanatiker, Jesus wird in seiner Besonderheit von diesen zeitgeschichtlichen Strömungen überhaupt nicht berührt. Man darf sagen, dass für ihn, ebenso wie für Johannes den Täufer, die heilsgeschichtliche Tradition ihre Bedeutung verloren hat.4 Beide versperren den genuin israelitisch-frühjüdischen Weg, nach einem Fehlverhalten sich erneut der göttlichen Gnade zu vergewissern, den Weg der Buße, der sich auf die von Gott vollzogene Erwählung Israels zurückbesinnt.5 Man gewinnt den Eindruck, dass diese Traditionen für Jesus zum Alten, Vergangenen gehören, das er hinter sich lässt, um dem Neuen, der in ihm anbrechenden Gottesherrschaft den Weg zu bereiten. Die Souveränität Jesu äußert sich in einer Befreiung von der Last der Geschichte, auch und gerade da, wo diese Geschichte als ein das Heil begründendes Geschehen verstanden worden ist. Gott wird nicht als Gott dieser Geschichte angerufen, er kommt vor allem als Schöpfer in den Blick, als der Schöpfer, durch den nun die Zukunft beginnt. Ohne Zweifel eröffnet sich schon hier eine Universalisierung des Gottesverständnisses, aus der die christliche Religion wie der Islam die richtigen Konsequenzen gezogen haben. Die in Jesus zum Zuge kommende Gottesherrschaft relativiert auch die Autorität der Tora. Sie ist nicht mehr einfach Ausdruck des göttlichen Willens, der zwar ausgelegt werden kann und ausgelegt werden muss, aber nicht hinterfragt, geschweige denn korrigiert werden darf. Sie muss sich an etwas Anderem, Höheren messen lassen, an den Verpflichtungen, die aus der schon greifbaren Nähe des Gottesreiches erwachsen. Wer diese Verpflichtungen formuliert, ist niemand anders als Jesus selbst. Er besitzt die Autorität, im Falle eines Konflikts zwischen diesen Verpflichtungen und dem Wortlaut der Tora zu Gunsten jener zu entscheiden. Und diese Entscheidung vollzieht sich die Christologie der Urgemeinde und die weitere dogmengeschichtliche Entfaltung des christlichen Glaubens nicht als generelles Missverständnis des historischen Jesus abgetan werden dürfen. Wir haben es mit Interpretationen dieser religiösen Gestalt zu tun, die nicht wiederholen, was er selbst gesagt hat, sondern versuchen, das Wesen dieser einmaligen Erscheinung in der je eigenen Begrifflichkeit zum Ausdruck zu bringen. Als Interpretationen dürfen, ja müssen sie korrigiert, ergänzt und verwandelt werden, man sollte sie aber nicht als Stationen eines Irrwegs auffassen, der im einfachen Zurückgehen zum historischen Jesus verlassen werden könnte. 4 Darauf weist J. Becker in seiner Monographie über Jesus von Nazareth zu Recht hin. Siehe hierzu J. Becker, Jesus von Nazareth, Berlin u. a. 1996, 158 f. 5 Vgl. ebd. 47.
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mit einer Direktheit, ja Schroffheit, die es schwer, wenn nicht unmöglich macht, Jesus ausschließlich als eine markante Gestalt innerhalb der religiösen Strömungen des Frühjudentums zu begreifen. Die Missachtung des Gebots der Elternehrung, also konkret die Zumutung, den gerade verstorbenen Vater nicht selbst zu begraben, ist ein „glatter Verstoß gegen Tora und Halacha“ (Mt 8,21 f = Lk 9,59 f).6 Auch die fundamentale Unterscheidung von rein und unrein verliert angesichts der anbrechenden Gottesherrschaft ihre Gültigkeit. Jesus stellt diese Unterscheidung prinzipiell in Frage (Mk 7,15), und zwar nicht im Sinne einer allgemeinen Vergeistigung und Versittlichung des Menschen, wofür sich im hellenistischen Judentum noch Parallelen finden ließen,7 sondern innerhalb einer Bewegung, die sich allein vom Kommen Gottes bestimmen lässt. So hat er es nicht mehr nötig, in seinen Mahlgemeinschaften, die ihm den Ruf eines Fressers und Weinsäufers einbrachten (Mt 11,19), Zöllner und Sünder auszugrenzen, und eben damit den Unterschied zwischen rein und unrein zu wahren. Die Gottesherrschaft verwirklicht sich gerade in der Aufnahme der Verlorenen, sie schließt ein Gericht, eine Scheidung der Menschen nicht aus, aber dieses Gericht vollzieht sich nicht nach der Maßgabe ehrwürdiger, durch ihr Alter geheiligter religiöser Autoritäten, sondern auf Grund der Einstellung zum Wirken und damit zur Person Jesu selbst (Lk 12,8 f). Was Wunder, dass Jesus in der Souveränität seiner von der Gottesherrschaft inspirierten Botschaft in einer knappen, pointierten Äußerung das Sabbatgebot von jeder unzulässigen Verabsolutierung befreit (Mk 2,27) und sich schließlich in den Antithesen der Bergpredigt (Mt 5,27 – 29) in einer für die jüdische Perspektive ungeheuerlichen Weise der Autorität des Mose an die Seite zu stellen, ja diese sogar zu überbieten vermag. Man muss sich klar machen, was hier geschieht. Werden nicht durch das Verhalten Jesu die Grundfesten der Religion erschüttert? Sofern die Wahrnehmung des religiösen Menschen auf der fundamentalen Unterscheidung von heilig und profan beruht, sofern für sein Empfinden in dieser Welt, aber doch deutlich von ihr geschieden, das ganz Andere zur Erscheinung kommt, eine transzendente Wirklichkeit, geheimnisvoll und nicht verrechenbar, muss man sagen, dass Jesus dieses fromme Bewusstsein korrigiert. Aber eben nicht im Sinne einer innerweltlichen Säkularisierung, die sich mit moralischen Appellen an die Menschen wendet, damit sie das Gute bewirken, das niemand außer ihnen bewirken kann, sondern mit einer von anderswo herkommenden Gewissheit, dass die Gottesherrschaft sich durchsetzen wird, weil niemand anders als Gott selbst ihr Kommen will. Wollen wir mit unseren Begriffen Offenbarung und Transzendenz das Geschehen formulieren, so können wir sagen: Die Offenbarung hat die Transzendenz überholt. Jene beherrscht so sehr die Wirksamkeit Jesu, dass 6 Ebd. 355. 7 G. Bornkamm, Jesus von Nazareth, Stuttgart 71965, 90.
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diese ihre Funktion verliert, das ganz Andere, Abgehobene zu sein. Sie ist sozusagen in der Einheit mit der Offenbarung gegenwärtig, nicht verschwunden, wir werden darauf noch zurückkommen, aber in ihrer Präsenz der Kundgabe des Göttlichen dienstbar, wie sie in Jesus zur Erscheinung kommt. Die Besonderheit Jesu, so sahen wir, lässt sich am besten damit beschreiben, dass wir ihn als einen Menschen verstehen, der die Distanz in ihren vielfältigen, uns selbstverständlichen Formen überwindet: Die Distanz zwischen der Offenbarung und der Person, die sie überbringt, die Distanz zwischen heilig und profan sowie die Distanz zwischen Gegenwart und Zukunft. An dieser Stelle möchte ich noch etwas verweilen. Gerade die Aufhebung dieser Distanz zeigt, dass Jesus nicht der Gruppe der Apokalyptiker zugerechnet werden darf. Diese sind nämlich sehr wohl in der Lage, Gegenwart und Zukunft voneinander zu unterscheiden: Die Gegenwart, in der sie die Vision des Kommenden empfangen, und die Zukunft, in der das ihnen Enthüllte geschehen wird, weil Gott es so beschlossen hat. Ganz anders Jesus: Für ihn könnte ein vor Jahrzehnten bekannt gewordener, nun der Vergessenheit anheim gefallener Buchtitel als Motto gelten: „Die Zukunft hat schon begonnen“.8 Indem er selbst das Kommen der Gottesherrschaft herbeiführt, so dass sie in seinem Wirken bereits gegenwärtig ist, verkehrt sich die natürliche Wahrnehmung der Zeit: Wir dürfen das Vergangene hinter uns lassen und uns dem Anfang des Neuen hingeben, das vor unseren Augen entsteht, aber keineswegs abgeschlossen, keineswegs vollendet ist. Eben diese Unabgeschlossenheit konstituiert den Zukunftsbezug Jesu – sein Wirken meint keine Tat, die in der Geschlossenheit des Einmaligen vor uns steht, sondern einen Prozess, der erst da sein Ende findet, wo die Macht Gottes unbezweifelbar das Leben der Menschen auf dieser Erde bestimmt. Dieser Zukunftsbezug ist etwas anderes als die Erwartungshaltung der Apokalyptiker, weil er sich unlösbar mit dem in der Gegenwart Geschehenen verbindet. Diese prinzipielle Differenz schließt Gemeinsamkeiten nicht aus. So wird man annehmen dürfen, dass Johannes der Täufer und Jesus die Naherwartung eines göttlichen Gerichts geteilt haben. Aber die Verbindung dieser Erwartung mit der Freude über das Kommen Gottes, die in Mahlgemeinschaften, wundersamen Heilungen und der froh machenden Botschaft ihren Ausdruck findet, ist nicht für die anderen, sondern nur für Jesus charakteristisch. Die Bestimmung Jesu bestand eben nicht darin, sich seinem Lehrer Johannes dem Täufer an die Seite zu stellen oder einen anderen Ort in der Wüste aufzusuchen, um dort die Aufforderung zur Buße und die Ankündigung des nahen göttlichen Gerichts zu wiederholen. Ihm muss bewusst geworden sein, dass sein von Gott vorgezeichneter Weg ein anderer zu sein hatte: Er ließ die Menschen nicht zu sich kommen, sondern mischte sich mitten unter sie – in 8 R. Jungk, Die Zukunft hat schon begonnen, Stuttgart 1952.
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Die Botschaft
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ihrem eigenen Umfeld sollte deutlich werden, was das Kommen der Gottesherrschaft bedeutet. In ihrem eigenen Wirkungskreis sollten sie an der Freude teilhaben, die mit diesem Kommen verbunden ist. Es ist kein Zufall, dass Jesus die Praxis Johannes des Täufers, Menschen zu taufen, nicht fortgeführt hat. Denn die Taufe war Abwehr kommenden Unheils, Versiegelung im Angesicht des göttlichen Zorns – und diese Akzentuierung des Kommenden lag Jesus fern. Für ihn bedeutete das Kommen Gottes das Glück der Menschen, und nur wer sich selbst von diesem Glück ausschloss, indem er der Botschaft vom Reich Gottes nicht entsprach, war dem Unheil verfallen. Wenn wir abstrakt formulieren, die Gottesherrschaft sei im Wirken Jesu schon da, aber zugleich noch im Kommen, die Gegenwart sei nicht mehr mit dem Vergangenen zu verbinden, sondern als Beginn einer noch ausstehenden Zukunft zu begreifen, dann verfehlen wir trotz aller Richtigkeit den Charakter der Verkündigung Jesu. Jesus hat nämlich das neue Zeitverständnis, das seine Botschaft von der Nähe des Gottesreichs erfordert, nicht in abstrakten Bestimmungen kundgetan – er hätte damit die Menschen nicht erreicht, geschweige denn eine neue Religion begründet – sondern in einer originären, für ihn charakteristischen Sprachform, den Gleichnissen. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, nur Jesus habe Gleichnisse verwendet, auch die Rabbinen erzählen sie immer wieder, um einen Lehrsatz zu verdeutlichen oder den Sinn einer Schriftstelle zu erklären. Bei Jesus gewinnen sie aber eine andere Bedeutung: Sie stellen sich nicht in den Dienst eines autoritativen Schriftwortes oder einer allgemeinen Wahrheit, sondern veranschaulichen ein Geschehen, das sich eben jetzt vollzieht, das Kommen der Gottesherrschaft.9 Jesu Wahl dieser Möglichkeit der Veranschaulichung zeigt, dass diese Herrschaft noch nicht von allen wahrgenommen werden kann, dass sie in Bildern zu uns sprechen muss. So bleibt das Moment des Transzendenten, man könnte sagen, vorläufig erhalten, aber diese Transzendenz äußert sich nicht darin, dass den einzelnen Teilen des Gleichnisses ein spezifischer, geheimer Sinn zugeschrieben werden muss, der nur von Eingeweihten zu entschlüsseln wäre, wie uns die sekundäre Erläuterung Mk 4,10 – 12 glauben machen will. Dieses Geheimnis ist in dem Gleichnis als solchem präsent, so dass es gar nicht als etwas anderes, von ihm Abgehobenes, als eine auch in anderen Worten zu artikulierende Bedeutung von ihm gelöst werden kann. Deshalb ist die in Mk 4,14 – 16 und unzählige Male in der Kirchen- und Theologiegeschichte praktizierte allegorische Auslegung so verfehlt. Diese Gleichnisse sind kein Rätsel, das in der Auflösung seine Bedeutung einbüßt, sie stehen für sich, und nur der gibt die richtige Antwort, der sich mit ihnen auf die Botschaft von der nahenden Gottesherrschaft einlässt. Damit erweist sich Jesus einmal mehr als der Überwinder festgefügter Formen der Distanz. Die Gleichnisse entwerfen keine Welt von Bildern, die uns 9 G. Bornkamm, Jesus, 63.
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wegführen wollen in eine andere, jenseitige Wirklichkeit; sie zeigen, dass hier im Umkreis alltäglicher Erfahrung das göttliche Geheimnis ergriffen werden will und ergriffen werden soll. Da es sich beim Kommen der Gottesherrschaft um einen Vorgang handelt, der sich in der Geschichte vollzieht, um einen dynamischen Prozess, der nichts Abgeschlossenes, nichts in sich Ruhendes meint, gibt die bildliche Redeweise Jesu nichts Unverrückbares wieder, keine Überwindung des Vergänglichen durch die Erscheinung des Ewigen, sondern ein Geschehen, das unaufhaltsam, quasi von selbst, seine Bahn findet. Die Dynamik der Zeit findet ihre Widerspiegelung in der Dynamik der Natur, die aus ganz Kleinem ganz Großes entstehen lässt, ohne dass es dazu einer unablässig fordernden Bemühung des Menschen bedürfte (Mk 4,26 – 28). Die Dynamik der Zeit fordert vom Menschen keine kontinuierliche Befolgung moralischer Weisungen, wohl aber das ungewöhnliche, der Neuartigkeit der kommenden Gottesherrschaft entsprechende Verhalten – das machen die Parabeln Jesu in einer Weise deutlich, die in ihrer Schlichtheit und Eindringlichkeit ihresgleichen sucht. Zusammenfassend können wir sagen, dass die Besonderheit des Wirkens Jesu in zwei Momenten beschrieben werden kann: Zum einen in einem neuen Zeitverständnis, das Gegenwart und Zukunft zu einer Einheit zusammenfügt, zum anderen in einem neuen Verständnis von Offenbarung, das eine Ablösung des Offenbarungsinhalts von der Person des Offenbarers schlichtweg unmöglich macht. Beide Momente machen es notwendig, Jesus von anderen Religionsstiftern prinzipiell zu unterscheiden. Während für die anderen Begründer einer Religion die Ablösung des Offenbarungsinhalts von der Person des jeweiligen Urhebers grundsätzlich möglich ist – dieser Inhalt kann auch wie bei Buddha eine auf Grund einer Erleuchtung mitzuteilende Lehre sein – käme sie bei Jesus einer Verfehlung seines spezifischen historischen Wirkens gleich. Zum anderen darf die bleibende Beziehung auf diese historische Gestalt nicht absehen von ihrem eigentümlichen, durch keine Analogie erklärbaren Zeitverständnis. Während wir dazu neigen, Gegenwart als Resultat des Vergangenen zu begreifen und in der Verbindung von beiden den Prospekt des Zukünftigen zu betrachten, gilt für Jesus das Primat der Zukunft, die erhofft und geglaubt wird. Diese Zukunft kann hineingeholt werden in die Gegenwart, und eben damit beschreiben wir Jesu prophetisches Tun. Das Eschaton verliert seine prinzipielle Ferne, es verwandelt sich in eine in die Gegenwart eingreifende Macht; eben hier muss sich entscheiden, ob das Neue eine konkrete Gestalt gewinnt oder sich verflüchtigt zu Gunsten des schon immer Gegebenen, das zur Feststellung nötigt, dass alles bleibt, wie es von jeher war.
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Der Tod und das Bewusstsein Jesu
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2. Der Tod und das Bewusstsein Jesu Schaut man auf das Verhältnis von Transzendenz und Offenbarung, wie es sich im Christentum darstellt, so ist hier keine Ausgeglichenheit oder Ausgewogenheit beider Momente wahrzunehmen, die im Ganzen eine beruhigende Stabilität ergeben könnte, sondern ein dynamischer Prozess, in dem zuweilen das eine und zuweilen das andere Moment die Dominanz beanspruchen darf. Wir haben die Verkündigung Jesu als einen Vorgang begriffen, in welchem die Offenbarung die Transzendenz überholt. Wie aber verhält es sich beim Leiden und Sterben Jesu? Sehen wir zunächst von allen christlichen Interpretationen ab, seien sie nun neutestamentlich fundiert oder in der Tradition dazugekommen und nehmen wir die nackte Faktizität eines Menschen in den Blick, dem es nicht gelingt, die ihn beseligende Botschaft wahr zu machen, der, statt dessen, möchte man sagen, einen schmählichen Tod erleidet, der seine Existenz in einem definitiven Scheitern enden lässt. Diese Wahrheit kann für uns nur ein Wissen sein, das sich mit den Mitteln der historisch-kritischen Forschung erschließt, und indem wir das aussprechen, merken wir, dass sich das Wahre bestenfalls in eine Summe von Wahrscheinlichkeiten verwandelt, schlimmstenfalls aber zu dem Eingeständnis unseres Nichtwissens führt, verbunden mit dem Verlust jeglicher Hoffnung, an diesem Nichtwissen in der Zukunft noch etwas zu ändern. Die Frage nach dem Menschsein Jesu stellt sich primär als die Frage nach dem Bewusstsein dieses individuellen Menschen. Erst wenn wir diesem Bewusstsein näher kommen, es vielleicht sogar mit unseren Worten beschreiben können, sind wir in der Lage, die Fülle der Deutungen und Interpretationen, die sich – schützend oder verbergend? – über diese historische Gestalt Jesu gelegt haben, zu entfernen und einen Menschen vor uns zu sehen, den seine unvergleichliche Wirkungsgeschichte noch nicht verschlungen hat, dem das Recht zurückgegeben wird, als Individuum mit den Attributen des allgemein Menschlichen vor uns zu treten: Hoffnung und Illusion, Vertrauen und Enttäuschung, Zuversicht und Verzweiflung, Furcht und Beseligung, Angst und Befreiung, Liebe und Verneinung. Sage niemand, dass dieses Historische für uns uninteressant sei, es komme allein auf das vollbrachte Werk an, dessen Früchte wir im Glauben empfangen! Nein, wer das vere homo wirklich ernst nimmt, muss versuchen, diesen Menschen in seiner Historizität und Individualität wahrzunehmen, er darf sich nicht mit einem Idealbild zufrieden geben, das dogmatische Konstruktionen erleichtert, aber doch letztlich der religiösen Phantasie des jeweiligen Autors entspringt.10 10 Das hat J. Ratzinger in seinem Jesus-Buch zu Recht betont, wenn er schreibt, dass es für den christlichen Glauben wesentlich sei, „dass er sich auf wirklich historisches Geschehen bezieht“ (Joseph Ratzinger Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Freiburg u. a. 2007, 14). Dieser Bezug
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Allerdings: Unseren Bemühungen, in dieser Weise zum vere homo vorzudringen, sind enge Grenzen gesetzt. Bekanntlich hat Jesus nichts Schriftliches hinterlassen, und wenn es sich anders verhielte, hätten wir bestimmt keine Bekenntnisse erhalten, keine Confessiones in der Art Augustins, geschweige denn eine Form der Selbstanalyse, wie sie der neuzeitlichen Subjektivität entspringt. Wenn wir am Selbstbewusstsein Jesu interessiert sind, müssen wir aus den uns vorliegenden Glaubenszeugnissen, die in der Tat etwas anderes intendieren, indirekte Schlüsse ziehen und zugleich zugeben, dass wir über mehr oder weniger gut begründete Vermutungen nicht hinauskommen werden. Diese Unsicherheit sollte uns aber nicht dazu veranlassen, das ganze Unternehmen in Frage zu stellen oder gar wegen mangelnder Erfolgsaussicht zu abrogieren. Da der christliche Glaube sich auf eine Person gründet und nicht auf einen Propheten, dessen Botschaft gesondert zu betrachten wäre, oder einen Erleuchteten, dessen Erkenntnis unabhängig von ihm selbst ihre unanfechtbare Gültigkeit besitzt, führt an der Historizität dieses Menschen und an dem mit ihr verbundenen Interesse kein Weg vorbei. Und weil das Historische ein unaufgebbarer Bestandteil des christlichen Glaubens ist, damit aber niemals Gewissheit oder Sicherheit, sondern bestenfalls Wahrscheinlichkeit verbunden sein kann, kommt der Glaube nur dann zu sich selbst, wenn er den Zweifel als sein ureigenes Moment integriert. Das gilt ebenso für die Relation des Christen zu Gott wie für die Beziehung des Christen zum Menschen Jesus von Nazareth. Da Gott trotz seiner Selbstoffenbarung der ganz Andere, Unfassbare, das unbegreifliche Geheimnis bleibt, eröffnet er niemals einen Raum unumschränkter Gewissheit, sondern immer schließt für ihn eine Bejahung der historisch-kritischen Methode ein (vgl. ebd.). So begrüßenswert diese Prämissen sind, so wenig kann ich finden, dass Ratzinger diese Methode konsequent angewandt hat. Auch die neutestamentliche Exegese im protestantischen Bereich kommt an der Erkenntnis nicht mehr vorbei, „dass im Rahmen einer theologischen Exegese des Neuen Testamentes auch historisch nach der Gestalt Jesu gefragt werden muss“ (J. Frey, Probleme der Deutung des Todes Jesu in der neutestamentlichen Wissenschaft, in: J. Frey/J. Schröter (Hg.), Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, Tübingen 2007, 3 – 50, hier 27). Diese Rückfrage wäre aber unvollständig, wenn sie Überlegungen zum Bewusstsein Jesu in seinem Leiden und Sterben nicht einschlösse. Wird sie in dieser umfassenden Weise gestellt, darf sie eine Auseinandersetzung mit der Aussage Bultmanns nicht versäumen, dass „wir nicht wissen können, ob und wie der irdische Jesu sein Ende, seinen Tod verstanden hat“ (R. Bultmann, Das Verhältnis der urchristlichen Christusbotschaft zum historischen Jesus, in: Exegetica, Tübingen 1967, 445 – 469, hier 453). Im Gegensatz zu Frey halte ich diese Feststellung nach wie vor für zutreffend. Im Unterschied zu Bultmann meine ich aber, dass wir daraus nicht die Berechtigung ableiten dürfen, in der Entfaltung der Christologie vom irdischen Jesu abzusehen. Wenn das Wissen fehlt, muss bei der Historie das Wahrscheinliche seine Stelle einnehmen. Das Wahrscheinliche ist das Bewusstsein des Scheiterns bei einem Menschen, der das Ziel seines Lebens nicht erreicht, sondern dem eigenen Tod ins Auge sieht. Auf dieser Wahrscheinlichkeit muss die christliche Theologie ihr Denken gründen, weil sie an das Historische gekettet ist und sich dem Paradox nicht verweigern kann.
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Der Tod und das Bewusstsein Jesu
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eine Korrelation gegenläufiger Bewegungen, die zwischen Bejahung und Verneinung hin- und hergehen und die Möglichkeit des Zweifels einschließen. In der Person Jesu Christi nehmen wir das Geheimnis des Menschseins wahr, welches darin zum Ausdruck kommt, dass der Andere sich niemals unserer Verfügbarkeit unterstellt, sondern in der Weite aller möglichen Erkenntnis unserem Zugriff entzogen bleibt, weil ihm jene Unverrechenbarkeit zukommt, die mit der Würde der Person untrennbar verbunden ist. Dieses Geheimnis aktualisiert sich in der Begegnung mit lebenden Personen, es bewahrt aber seine Faszination auch in markanten Gestalten der Geschichte, denen wir uns auf Grund der historischen Distanz mit der gebotenen Vorsicht nähern dürfen und nähern sollen, die wir aber letztlich nicht ergründen können. Auch der Mensch Jesus darf seiner Aura, die jeder unverwechselbaren Persönlichkeit zukommt, nicht beraubt werden; man darf ihn nicht zu einer Maschine degradieren, die sich in der Funktion der Heilsvermittlung erschöpft und im übrigen für das von der Heilssucht getriebene Volk Gottes nicht mehr von Belang ist. Nur wenn wir den eben skizzierten Hintergrund im Auge behalten, können wir die Frage nach dem Bewusstsein Jesu, der wir uns nun zuwenden müssen, angemessen erörtern. Nur auf Grund des allgemeinen Vorbehalts, der allem Historischen zukommt, ist es uns möglich, hier adäquate Feststellungen zu treffen. Unter diesen Voraussetzungen lässt sich sagen, dass das Bewusstsein des historischen Jesus, wie es in der Zeit seines Redens und Wirkens offenkundig wird, von einer einmaligen Verbundenheit mit Gott, den er den Vater genannt hat, geprägt war. Ich habe bereits in meiner Analyse der Erwartung des Reiches Gottes diese Einmaligkeit in den Blick genommen, so dass ich mich an dieser Stelle kurz fassen kann. Man muss bei Jesus von einer Übersteigerung des prophetischen Bewusstseins reden, das auf Grund eines göttlichen Auftrags seine Autorität gewinnt, aber in der Erfüllung dieses Auftrags sein Genügen findet. Jesus ist nicht in diesem Sinn an einen göttlichen Auftrag gebunden, er vollzieht in seinem gesamten Wirken den göttlichen Willen, so dass dieser völlig mit seinem Reden und Tun verschmilzt. Daher kann es hier auch keine Diastase zwischen ihm und Gott geben; die Anklagen und Auseinandersetzungen eines Jeremia wären in diesem Zusammenhang undenkbar. Die Einheit zwischen ihm und dem Vater ist ein unverbrüchliches Datum. Eine andere Frage ist, ob Jesus das Bewusstsein dieser Einheit in dem schlimmen Geschick bewahren konnte, das ihm zuteil wurde, in seinem Leiden und seinem Sterben. Das wäre nur dann wahrscheinlich, wenn er entsprechend der Sichtweise der christlichen Gemeinde seinen Tod im Sinne eines Heilsereignisses für die Vielen verstanden hätte. So hätte er dieses Opfer auf sich nehmen können im Bewusstsein, damit den Willen Gottes zu erfüllen und alles ihm auferlegte Leiden zu ertragen – im Blick auf das Heil, das eben so den Menschen zuteil wird. Da wir aber Worte Jesu, die in dieser Richtung verstanden werden müssen (z. B. Mk 8,31; 9,31; 10,32 – 34) nicht ihm selbst
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zuschreiben können, wird man ein daraus resultierendes fortwährendes Bewusstsein einer unverbrüchlichen Einheit mit Gott nicht ableiten dürfen. Das muss auf der anderen Seite nicht besagen, dass Jesus mit der Möglichkeit eines gewaltsamen Todes überhaupt nicht gerechnet hat. Wir wissen zu viel über die Besonderheit seiner Verkündigung wie auch über die Eigenheit seiner Lebensweise, als dass wir Jesus hier in den Stand einer naiven Ahnungslosigkeit versetzen könnten.11 Das Wissen um eine stets gegebene Möglichkeit ist aber etwas anderes als die bittere Erfahrung, in der diese Möglichkeit zur Wirklichkeit wird. Und eben hier sehen wir uns veranlasst, sein Verhältnis zu dem Gott, den er nun nicht mehr Vater nennt (Mk 15,34; Mt 27,40), in anderer Weise zu beschreiben. Wir können bei der Beschreibung dieses Verhältnisses nicht von dem einzigen Ziel, das Jesu Wirken bestimmte, von der Vorstellung des Reiches Gottes absehen. Das Erreichen dieses Ziels und die Wirklichkeit des gewaltsamen Todes stehen in einem so schmerzlichen und unauflösbaren Kontrast, dass Versuche, im Bewusstsein Jesu zwischen beidem eine Brücke zu konstruieren, der Plausibilität entbehren. Die Annahme, Jesus habe durch seinen freiwilligen Opfertod das Kommen dieses Reiches herbeiführen oder jedenfalls beschleunigen wollen, steht zu sehr im Banne des christlichen Interpretationsgeschehens, als dass sie das Prädikat „historisch“ verdiente. Mag sein, dass Jesus nach Jerusalem zog, um eine Entscheidung in der für ihn fundamentalen Botschaft herbeizuführen.12 Die Geschehnisse, die ihn vernichteten, kann er dann nur als Scheitern seiner Mission empfunden haben. Die Behauptung, Jesus habe „seinen erwarteten Tod […] nicht als Infragestellung seiner Botschaft und Hoffnung“ verstanden,13 leuchtet dem unvoreingenommenen Betrachter nicht ein. Angesichts des schmählichen Endes ist etwas anderes um vieles wahrscheinlicher : Das Bewusstsein der einzigartigen Einheit mit dem einen Gott zerbricht in diesem grausamen Geschehen. Wenn der Tod den Sieg davonträgt und nicht die in ihrem Nahen verkündete und partiell verwirklichte Herrschaft Gottes, dann wird der Abgrund sichtbar, der den in seinem Leiden und Sterben vereinsamten Menschen 11 Becker gibt einen interessanten Hinweis auf eine im lukanischen Sondergut (13, 31 – 33) überlieferte Stelle, die deutlich macht, dass sich Jesus der Möglichkeit eines gewaltsamen Todes bewusst war ; Becker, Jesus, 415 f. 12 Entgegen den Aussagen des Johannesevangeliums wird man annehmen dürfen, dass Jesus nur einmal nach Jerusalem gezogen ist, so, wie es der Darstellung der Synoptiker entspricht. In der „Stadt des großen Königs“ (Mt 5, 35) sollte die Entscheidung fallen (vgl. Bornkamm, Jesus, 142). 13 Becker, Jesus, 419. Becker bezieht sich dabei auf die Stelle Mk 14, 25, die er „im Kernbestand“ für ein echtes Jesuswort hält (ebd.). In der Tat drückt sich hier die Gewissheit aus, dass das Reich Gottes auch unabhängig vom Tode Jesu kommen wird. Aber vermag diese eine Stelle das Gewicht der oben zitierten Aussage zu tragen? Becker weist ja selbst darauf hin, dass „die Rekonstruktion der ältesten Gestalt des Spruchs kaum noch gelingen will“ (ebd.). So hält er als Ergebnis lediglich fest: Wie „Jesus im einzelnen sein Todesgeschick mit der Gottesherrschaft koppelte, wird nach Lage der Dinge wohl nur andeutungsweise erfasst werden können“ (ebd.) – andeutungsweise oder gar nicht, möchte ich hinzufügen.
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Der Tod und das Bewusstsein Jesu
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von Gott trennt, der dieses schlimme Schicksal in seinem unergründlichen Willen beschlossen hat, auch wenn die Handlanger des Bösen es zur Tat der Geschichte werden ließen. Der Abgrund vernichtet das Bewusstsein der Einheit, er stellt Gott als den ganz Anderen wieder her, der dem Menschen unbegreiflich ist und immer unbegreiflich bleiben wird. Das heißt: Die Passion macht, vom Bewusstsein Jesu her verstanden, das vere homo wahr ; sie ist die Besiegelung seines wahren Menschseins. Denn dieses Menschsein kommt erst da zu sich selbst, wo es sich in der Distanz zu Gott begreift, wo es ihn als den ganz Anderen wahrnimmt, der in seinem Geheimnis unnahbar und unzugänglich bleibt. Jesus, der Zeuge einer einzigartigen Verbundenheit, hat eben dieses Anderssein in einer exemplarischen Weise an sich erfahren müssen. Wir werden dieser historischen Gestalt nur gerecht, wenn wir die ungeheure Dramatik wahrnehmen, die dieses Leben kennzeichnet: ein Leben, dem es aufgegeben war, den Weg von der Gottverbundenheit zur Gottverlassenheit in einer Weise zu gehen, der nichts Vergleichbares zur Seite gestellt werden kann. Das wahre Menschsein Jesu gebietet uns, die Fülle christlicher Deutungen zu durchstoßen und das Bewusstsein eines von Gott und seinen Anhängern verlassenen Menschen wahrzunehmen, der sich im Scheitern seiner Sendung erfährt. Wer diesen Weg in der erforderlichen Radikalität zurückverfolgt, hat am Ende nur zwei Dinge: Die Wahrscheinlichkeit des Historischen, die sich niemals in sicheres Wissen verwandeln kann, und die Transzendenz eines Gottes, den man nicht versteht. Da beides zu den unaufgebbaren Bestandteilen des christlichen Glaubens gehört, kann dieser nicht einseitig als eine Berge versetzende Gewissheit beschrieben werden. Das Nichtwissen ist die Tugend einer Religion, die an das Historische gekettet ist; das Nichtwissen adelt zugleich einen Glauben, der in dem einen Gott ein Geheimnis sieht, das er nicht begreifen kann. Um diesem Gott zu entsprechen, müssen wir den Weg gehen, den wir in diesem Kapitel beschreiben: Den Weg, in dessen Verlauf sich die göttliche Transzendenz von neuem konstituiert. Ich sagte in einem früheren Zusammenhang, die Offenbarung habe die Transzendenz überholt, und versuchte so, das Wirken Jesu zu charakterisieren. In seiner Passion und seinem Sterben nehmen wir jedoch die gegenläufige Bewegung wahr : Die Transzendenz überholt die Offenbarung. Diese Bewegung findet ihren letztgültigen Ausdruck in der Frage: Warum?, die der sterbende Jesus an Gott richtet. Er stellt sie, aber er erhält keine Antwort. Oder, anders gesagt, die Antwort ist der Tod. Wir sehen, dass die Relation von Offenbarung und Transzendenz nun eine andere Gestalt gewinnt. Während sich Jesus in seinem Reden und Wirken in einer so fest gefügten Verbundenheit mit Gott dem Vater verstand, dass dem Moment der Offenbarung das ganze Gewicht zufiel, das Moment der Transzendenz aber im Kommen der Gottesherrschaft seine Auflösung erfahren durfte, gewinnt die Transzendenz in der Passion Jesu sozusagen ihr Domi-
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Jesus von Nazareth
nium zurück, indem sie das von Gott bewirkte Geschick und das von Gott Erhoffte in einen Gegensatz zueinander treten lässt. Dieser Gegensatz ist aber nichts anderes als der Gegensatz zwischen dem Willen Gottes und dem Willen Jesu. Man mag das Gebet, das Jesus in Gethsemane an den Vater richtet (Mk 14,36), für eine legendäre Ausschmückung halten, es hat aber insofern einen historischen Kern, als es den Gegensatz des göttlichen und des menschlichen Willens vor Augen führt. Und dieser Gegensatz spiegelt sich auch in jenem letzten Wort Jesu wider, das von allen Worten Jesu am Kreuz am besten bezeugt ist (Mk 15,34; Mt 27,46), welches auch terminologisch die Verbundenheit mit dem Vater preisgibt und jenen unbegreiflichen Gott herbeiruft, der der ganz Andere ist und das ganz Andere, nicht Verstehbare will. Jesus hat wie kein anderer den offenbaren Gott verkörpert, und er hat in einer für einen Religionsstifter einmaligen Weise den verborgenen Gott an sich selbst erfahren müssen. Damit ist in seinem Leben jene Spannung vorgegeben, die zum Charakteristikum der christlichen Religion werden musste: der Gegensatz des offenbaren und des verborgenen Gottes. Nicht dass in den anderen monotheistischen Religionen dieser Gegensatz nicht immer wieder zum Ausdruck kommt – wir haben uns im ersten Kapitel zur Genüge davon überzeugen können. Das Christentum treibt diesen Gegensatz aber bis zu seiner äußersten Möglichkeit, bis zu jener Grenze, deren Überschreiten uns in die Mitte dualistischer Betrachtungsweisen führen würde. Es ist kein Wunder, dass die vielleicht gefährlichste Häresie, derer sich die christliche Lehre zu erwehren hatte, die Gnosis war – sie hat den Dualismus zum Prinzip erhoben, indem sie Gott den Schöpfer und Gott den Erlöser in einer heillosen Diastase auseinanderfallen ließ und damit dem Monotheismus den Rücken kehrte. Das Christentum hält an diesem Monotheismus fest, aber sozusagen um den Preis der Integration dieses einmaligen Lebens, das sich in der Spannung zwischen Offenbarsein und Verlorensein vollzieht und in dieser Spannung als ganzes gewürdigt sein will. Damit ist der Monotheismus für die christliche Perspektive niemals einfach zu behaupten. Der Weg von einem Menschen, der selber in Person die Offenbarung Gottes ist, zu einem Menschen, der exemplarisch für unendlich viele andere das Verlassensein von eben diesem Gott erleidet, ist ungeheuerlich – nur im immer wieder neuen Beschreiten dieses Weges wird die christliche Religion ihre Eigenart bewahren können. Hat die christliche Theologie gewagt, diesen Weg in der ihr eigenen Möglichkeit der Reflexion immer wieder zu gehen, oder hat sie sich davor gescheut? Wir haben im ersten Kapitel die Tendenz des christlichen Denkens wahrgenommen, den in der Gestalt der Trinitätslehre als offenbar begriffenen Gott in den Vordergrund zu rücken und demgegenüber die Hervorhebung des unbegreiflichen und unzugänglichen Gottes zu vernachlässigen. Wir sehen nun auf der Ebene der Christologie, dass sich dasselbe wiederholt. Die Bedeutungen, die vom christlichen Denken dem Leiden und Sterben Jesu zu-
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Gottes Antwort auf den Tod: Die Auferstehung
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geschrieben werden, sind ein groß angelegter Versuch, Transzendenz in Offenbarung zu verwandeln. Der historische Jesus, der den Weg der Passion als ein von Gott verhängtes Geschick erfährt, ohne den Willen dieses Gottes verstehen oder gar begreifen zu können, ist ein anderer als der Christus der Bekenntnisse, der diesen Tod freiwillig auf sich nimmt, um für das Heil aller Menschen zu sterben. Der in seinem Bewusstsein von Gott verlassene Jesus ist ein anderer als jene dem Glauben entsprungene Gestalt, die in einer unerschütterlichen Verbundenheit mit Gott das ihr aufgetragene Heilswerk vollbringt. Warum, so mag man fragen, ist der christliche Glaube dem Bewusstsein Jesu nicht treu geblieben, warum hat er versucht, die Differenz zwischen Gott und diesem Menschen so einzuebnen, dass dieser ausschließlich zum in vollständiger Übereinstimmung mit Gott handelnden Organ göttlichen Willens wird? Man kann verschiedene Gründe für diese bereits im Neuen Testament zu belegende Entwicklung nennen. Zunächst darf man in der Tat von einem einmaligem Bewusstsein der Einheit mit Gott ausgehen, das Jesus in die Lage versetzte, so zu reden und zu handeln, wie er geredet und gehandelt hat. Was lag näher, als dieses Bewusstsein in die Zukunft auszuweiten, also auf das ganze Leben Jesu auszudehnen, so dass der Weg der Passion in jener Übereinstimmung geschah, welche die Aktivität Jesu gekennzeichnet hat? Allerdings muss man für diese Verlängerung einen hohen, wie ich meine allzu hohen, Preis entrichten. Verloren geht dabei die Weite der Jesus zuteil gewordenen Gotteserfahrung, eine Weite, die sich von der Überzeugung einer einmaligen Verbundenheit bis zur Erfahrung einer exemplarischen Verlorenheit erstreckt. Verloren geht auch die Zugänglichkeit wahrhaften Menschseins, die in Jesus nicht nur den aus anderen Welten herabsteigenden Heilsbringer sieht, sondern ihn auch in seinem Gegenüber zu Gott wahrzunehmen vermag, einem Gegenüber, das die Frage stellt, die alle Menschen teilen, die Frage: Warum?
3. Gottes Antwort auf den Tod: Die Auferstehung Machen wir uns klar, wovon wir auszugehen haben: Wir nehmen eine mit einem einzigartigen Charisma begabte Gestalt der Religionsgeschichte wahr, die die Nähe des Reiches Gottes verkündet und die dieses Reich in ihrem eigenen Erscheinen und Wirken bereits gegenwärtig werden lässt. Diese Gestalt fordert die Antwort des Gottes, dessen unmittelbare Präsenz sie in die Mitte ihrer Botschaft stellt. Aber Gott, so scheint es, verweigert die Antwort, wie das religiöse Wünschen und Hoffen sie erwartet. Er vollendet nicht, was Jesus begonnen hat. Er macht das Reich Gottes nicht offenbar – als eine für alle Menschen einsichtige, überwältigende Wirklichkeit, die die erste Schöpfung überbietet, indem sie Leid und Tod für immer aus der Menschheit verbannt.
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Jesus von Nazareth
Gott lässt den Boten des Evangeliums sterben. Er bestimmt für ihn einen gewaltsamen, schmählichen Tod. Wer an ihm festhält, wird sehen müssen, dass Gott seine Transzendenz zurückgewinnt. Dass er diese unbezweifelbare, schlichtweg überführende Präsenz nicht will, die Jesus ihm zugemutet hat – jedenfalls jetzt nicht – nicht in dieser Geschichte, die ihr Ende noch nicht fand. Was aber geschieht mit jenen, die nicht nur an ihm festhalten, sondern auch an seiner in Jesus geschehenen Offenbarung? Sie müssen dem Tod ins Auge sehen, sie müssen sich und andere zur Einsicht führen, dass er nicht als Widerlegung der Botschaft Jesu verstanden werden muss, sondern in einem höheren Zusammenhang seinen spezifischen Sinn gewinnt. So wird der Tod zur Mitte des christlichen Glaubens. An ihm entscheidet sich die Wahrheit seiner Rede; nur in ihm und durch ihn hindurch findet die christliche Religion den Zugang zu sich selbst. Natürlich versuchen alle Religionen eine Antwort auf dieses fundamentale Existenzial zu geben. Aber der christliche Glaube kann sich mit jenen Antworten nicht zufrieden geben, weil sich für ihn die Präsenz Gottes in der Person Jesu Christi und der Tod eben dieser Person zu einer unauflöslichen Einheit verbinden. Wenn diese Einheit nicht die Widerlegung des einen durch das andere darstellen soll, ist der Tod Jesu nicht ausschließlich Wiedergewinnung der göttlichen Transzendenz, sondern er erhält seine Bedeutung auch im Lichte der göttlichen, in Jesus für die Menschen sichtbaren Offenbarung. Den Tod Jesu in diesem Sinne verstehbar zu machen, war die vorzügliche Aufgabe christlichen Denkens, und wir können uns vergegenwärtigen, wie es sich diesem Problem stellte. Ein Festhalten an der Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth konnte angesichts dieses schmählichen Todes zunächst nur bedeuten, dass der Tod nicht das letzte Wort behielt. Dass Gott diesen Menschen nicht einfach sterben ließ, wie alle anderen auch; dass er in einem neuen, davon abgehobenen Handeln zum Ausdruck brachte, wie er zu diesem Menschen stand; dass er von sich aus den Gläubigen die Gewissheit zuteil werden ließ, dass die Einheit, die Gott, den Vater, und Jesus miteinander verband, nicht nur als letztlich illusionäres Bewusstsein in der Gestalt dieses Menschen greifbar wurde, sondern dass sie in der Tiefe dem Geheimnis Gottes entsprach. Dieses Handeln konnte nur die Auferweckung Jesu vom Tode sein. Deshalb ist es kein Zufall, sondern eine geschichtliche Notwendigkeit, dass die Vision des Auferstandenen den Ursprung des christlichen Glaubens begründet. Der Tod Jesu kann die in ihm geschehene Offenbarung nicht widerlegen. Gott bekennt sich im Modus seines Handelns zu der Art und Weise, in der Jesus von ihm geredet hat. Er erhebt die Prädikate, in denen Jesus ihn verständlich werden ließ, zu den Prädikaten seiner selbst. Damit ist der Tod als solcher noch weit entfernt davon, Heilsereignis zu sein. Der Tod ist widerlegt, überwunden und in ein anderes Licht gerückt aufgrund der Taten, die folgen. Man kann ihn selbst von der Bestimmung Gottes wegrücken, weil das Eigentliche, von Gott bewirkte Geschehen, danach kommt und in der Tat der Auferweckung sichtbar wird. „Jesus Christus, den
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Gottes Antwort auf den Tod: Die Auferstehung
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Nazoräer, den ihr gekreuzigt habt, hat Gott von den Toten auferweckt“ (Apg 4,10).14 Der Tod ist der Menschen, genauer gesagt der Juden böses Tun. Er gewinnt seine Bedeutung im Horizont der Freiheit der Menschen, welche die ihnen von Gott geschenkten Möglichkeiten dazu verwenden können, sich gegen Gott und den in ihm beschlossenen Willen des Guten zu richten. Gottes unmittelbares Eingreifen wird erst in der Auferweckung Jesu offenkundig. Hier handelt er, weil gar niemand anders handeln könnte. Die Möglichkeiten des Menschen sind mit dem Tod zu Ende. Aber gerade hier, in dieser Unmöglichkeit des Menschen, beginnt die Möglichkeit Gottes. Er kann Tote zum Leben erwecken, weil er der Schöpfer des Lebens ist. Indem er dieses Wunder an Jesus von Nazareth, dem Toten, bewirkt, sagt er : „Ich bin eins mit dir, so wie du dich eins mit mir fühltest, während du am Leben warst.“ Damit zeigt sich, dass die Botschaft von der Auferweckung Jesu primär nicht auf das jenseitige Schicksal der Menschen zielt – im Sinne der apokalyptischen Sichtweise, die uns mitteilt, dass wir auferstehen werden, wie Jesus auferstanden ist – sondern dass es hier zunächst um die entscheidende Frage geht, wie Gott selbst verstanden werden soll. In der Tat der Auferweckung entspricht Gott der Wirksamkeit Jesu, indem er die Ansage des Reiches Gottes zu einem Moment seines eigenen Willens erhebt. Diese Erhebung des Menschlichen in das Göttliche können wir nur dann angemessen aussagen, wenn wir zwei Arten des Willens in Gott unterscheiden: Den Willen, der der Schöpfung der Welt zugrunde liegt, und den Willen, der diese Welt nicht das Letzte sein lässt, sondern sie überbietet, in einer anderen, neuen Welt, in der Leid und Tod nicht mehr herrschen werden und in der die Gemeinschaft der Menschen das Böse in seinen vielseitigen Formen nicht mehr kennt. Die Auferweckung Jesu, sein Sitzen zur Rechten Gottes, zeigt nichts anderes an, als dass beide Willen in Gott vereinigt sind, dass weder der eine noch der andere ein größeres Gewicht beanspruchen darf. Die Erhöhung Jesu besagt nicht, dass neben Gott gleichsam ein zweiter Gott installiert wird, sie bringt vielmehr in mythologischer Form die Aussage zur Geltung, dass Gott nicht nur als Schöpfer dieser Welt bekannt wird, in der wir uns eine befristete Zeit aufhalten, sondern dass er auch sein Ungenügen an dieser von ihm selbst geschaffenen Welt dokumentiert, indem er seinen Willen zu einer neuen Welt offenkundig werden lässt. Es ist wichtig, aus dieser Dualität des göttlichen Willens keine falschen Folgerungen zu ziehen. Weder ergibt sich aus dieser Zweiheit die Konsequenz zweier verschiedener Götter, eines (bösen) Schöpfergottes und eines (guten) Gottes der Erlösung, der die Gläubigen aus der schlechten Welt befreit und in ein jenseitiges Heil führt, wie uns die Gnosis glauben machen will. Noch folgt aus dieser Zweiheit die Annahme zweier göttlicher Personen, die dann in einer ausformulierten Trinitätslehre um eine dritte erweitert werden könnte. Es 14 J. Roloff redet in diesem Zusammenhang von einem Kontrastschema; siehe dazu J. Roloff, Neues Testament, Neukirchen-Vluyn 41985, 185 f. Vgl. auch Frey, Probleme, 47 f.
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kommt alles darauf an, das monotheistische Credo in seiner ganzen Strenge beizubehalten, aber zugleich darauf hinzuweisen, dass diese Einheit im christlichen Verständnis nur als Einheit in der Differenz erfasst werden kann. Wenn diese beiden Willen in Gott vereinigt sind, der eine Wille, der die Welt so will, wie sie ist, und der andere, der eine andere, eine neue will, die sich in vielfältiger Weise von dieser unterscheidet, legt sich natürlich die Frage nahe, wie das Verhältnis dieser Momente zu bestimmen ist. Man kann sagen: Dieses Verhältnis setzt Verweis und Versprechen in eine Beziehung. Der Verweis gründet im Glauben an Gott den Schöpfer, der ohne ein prinzipielles Ja zum Leben überhaupt nicht denkbar ist. So ist es verständlich, dass die monotheistischen Religionen, die in diesem Glauben ihre Einheit finden, die Erlösung von dieser Welt nicht ausschließlich zum Zentrum ihrer Botschaft erheben können. Diese Welt kann nicht zum Objekt einer von außen kommenden Befreiung degradiert werden, weil sie die von Gott gewollte Welt ist und diese Aussage trotz aller zuweilen übermächtig ins Bewusstsein dringender Dunkelheit festgehalten werden muss. Andererseits setzt der christliche Glaube, ausgehend von den messianischen Hoffnungen des Judentums, mit einer solchen Entschiedenheit gegen diese Welt die Erwartung einer anderen, einer besseren, dass nur eine Dualität in Gott selbst diesen Konflikt zu artikulieren vermag: Neben den Verweis tritt das Versprechen, neben den Gott, der als Schöpfer bekannt wird, der Gott, in dem wir unseren Erlöser sehen. Das Sitzen Jesu Christi zur Rechten Gottes ist die Befestigung einer Zweiheit in Gott selbst, ohne die im zeitlichen Kontext nicht von Gott geredet werden kann. Man darf allerdings nicht verschweigen, dass das Bekenntnis der Christen zur Auferstehung Jesu, von seinen geschichtlichen Wirkungen her gesehen, von einer fundamentalen Zweideutigkeit begleitet wird. Man kann einem Menschen keine größere Ehre erweisen, als ihn in seiner Botschaft von Gott zum Moment Gottes werden zu lassen, indem man auf Grund der Weise, wie er von Gott geredet hat, das Wesen Gottes neu definiert. Indem dies aber geschieht, droht die historische Botschaft Jesu ihre ursprüngliche Kenntlichkeit zu verlieren. Das Reich Gottes, von dem Jesus sprach, ist nicht mehr ein Reich für diese Welt, sondern umfangen von einer Sphäre transzendenter Unanschaulichkeit – ein Reich, das irgendwie kommen wird, weil der Gott der Erlösung es verbürgt, ohne dass man Ort und Zeit zu benennen wüsste, eine unvorstellbare Jenseitigkeit, die in schönen Bildern zur Erscheinung kommt, die nur in einer Gegenbewegung zu jeglicher empirischer Verankerung ihre Wahrheit behaupten können. Jesus von Nazareth, der Religionsgründer, den die Erde falsifiziert, aber der Himmel glorifiziert? Die in der Auferstehung Jesu vollzogene Erhöhung Jesu beraubt die Botschaft des Propheten aus Nazareth ihrer ursprünglichen Intention: Sie ist nicht mehr eine Ansage für die künftige Gestalt dieser Welt, sondern der Verweis auf eine jenseitige Wirklichkeit, die mit diesseitigen Vorstellungen, andere haben wir nicht, anschaulich werden soll. Damit treten Transzendenz
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und Immanenz in ein ungeklärtes Verhältnis, das begrifflich nicht zureichend erfasst werden kann. Eben in der Spannung zwischen Transzendenz und Immanenz sehe ich aber den Grund für die unvergleichliche Dynamik der christlichen Religion. Aus der gläubigen Aufnahme der Botschaft Jesu folgt die Verpflichtung, in seinem Sinn für die Verwirklichung des Reiches Gottes auf dieser Erde zu wirken. Wenn aber die Hoffnung der Christen nicht über das den Menschen mögliche Tun hinausgeht, wird dieses Tun leer und schal; das Christentum hört auf, eine Religion neben anderen Glaubensweisen zu sein, es verkümmert zu einem Sozialverein, der mit besten Absichten Gutes zu Wege bringen mag, aber keinen Anspruch auf Weltgeltung mehr erheben kann. Diese Hoffnung ist unaufgebbar, aber zugleich fällt es schwer, ihren Inhalt zu artikulieren. Denn gerade hier, im Blick auf eine Zukunft, die das für Menschen Mögliche prinzipiell hinter sich lässt und deshalb der vorzügliche Ort göttlicher Transzendenz sein müsste, drängen sich ungezügelte Anthropomorphismen auf, Erzeugnisse menschlichen Wunschdenkens, die das Irdische verlängern, indem sie es potenzieren. So wird diese Hoffnung sich darauf beschränken müssen, ein Aufgehobensein des einzelnen in der umfassenden Wirklichkeit Gottes anzunehmen und eine Gemeinschaft aller zu denken, denen diese Erwartung, sei sie nun explizit oder nur latent vorhanden, zugebilligt werden muss. Es ist klar, dass die so beschriebene Hoffnung und die von Jesus eröffnete Perspektive des Reiches Gottes nicht ein- und dasselbe sind. Es bedarf einer Größe, die zwischen beiden vermittelt: Die Botschaft Jesu soll nicht einfach in der Gleichgültigkeit weitergehender Zeit versickern, sondern im von seiner Person inspirierten Tun ihren Widerhall finden. Die Aufgabe, diese Vermittlung zu leisten, ist die vorzügliche Bestimmung der christlichen Kirche. Sie ist nicht das von Jesus angesagte Reich Gottes, im Gegenteil: Erst die Falsifikation der Erwartungen dieses einmaligen Menschen macht ihre Existenz möglich. Gleichwohl ist sie der von ihm vorgezeichneten Perspektive einer neuen Zukunft verpflichtet, indem sie die Wirklichkeit des Reiches Gottes in ausgezeichneten Momenten zur Erscheinung bringt. Als eine irdische Gemeinschaft ist sie fehlbar und unvollkommen. Gleichwohl weist sie über die Grenzen des für den nüchternen Verstand Machbaren hinaus. Sie zeigt, dass das den Menschen Mögliche größer ist, als der common sense es zu bestimmen meint. Und sie hält darüber hinaus den Raum frei für die spezifischen Möglichkeiten Gottes, deren unangefochtene Präsenz sie am Ende der Zeiten erwartet. Damit bildet die christliche Kirche die Brücke zwischen Falsifikation und Glorifikation: Einer Falsifikation, ohne die sie nicht wäre, was sie ist, und einer Glorifikation, die den Menschen in den Himmel erhöht, der das Gottesbild, dem sie sich verpflichtet fühlt, zu einer unverwechselbaren Anschauung gebracht hat.
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4. Der Tod und das Weitergehen der Offenbarung Der Tod Jesu, so sagten wir, steht in der Mitte des christlichen Glaubens. Er hat eine ganz andere Bedeutung als der Tod anderer Religionsstifter, sei es das Sterben Buddhas oder Muhammads, um nur diese beiden zu nennen. Denn deren Werk war getan, sie hatten in ihrem Leben vollbracht, was zu vollbringen war, indem sie die ihnen zuteil gewordene Erleuchtung den Menschen als die für das Heil notwendige Erkenntnis mitteilten, indem sie die von Gott durch einen Engel überbrachte Offenbarung an die Gemeinschaft der Gläubigen weitergaben. Jesu Werk war aber nicht getan. Auch wenn es der späteren christlichen Deutung des Heilsgeschehens so erscheinen mochte. Er hatte etwas Neues angestoßen, etwas Zukünftiges, das in seinem Wirken bereits Gegenwart wurde, aber doch nur eine momentane Präsenz gewinnen konnte, während die übermächtige, für jeden unbezweifelbare Evidenz dem Kommenden vorbehalten blieb. Und mitten in diesem von ihm selbst ausgelösten Prozess ereilte ihn der gewaltsame Tod, der dazu führen musste, das Ganze radikal in Frage zu stellen, zumal das vorgegebene Ziel, die Verwirklichung des Reiches Gottes, in einer illusionären Ferne zu verschwinden drohte. Sein Tod war eine Anfechtung für den christlichen Glauben, bevor er zum Heilsereignis werden konnte. Weil die Auseinandersetzung mit ihm den Ursprung des christlichen Denkens bildet, ist diese Religion in einer Weise an die Zeit gewiesen, wie das in anderen Glaubensweisen undenkbar wäre. Hier geht es nicht nur um die Aufhebung der Zeit in der Zeit wie in den östlichen Religionen, es steht auch nicht die vom göttlichen Willen bestimmte Ordnung der Zeit im Blick auf die Erlangung des ewigen Heilsziels im Vordergrund wie im Islam, sondern die Zeit soll als die von Gott geschenkte Möglichkeit begriffen werden, weiter zu führen, was Jesus beginnen, aber nicht vollenden konnte, eben die Verwirklichung des Reiches Gottes. Indem Jesus in seiner Verkündigung immanente messianische Strukturen bewahrte, ist sein Reden von der Zukunft nicht primär eine Ankündigung einer Aufhebung aller Zeit, sondern seine Botschaft bezieht sich zunächst auf ein Weitergehen der Zeit in veränderter Gestalt. Sein Tod ist die Widerlegung seiner ursprünglichen Hoffnung, die unbezweifelbare Wirklichkeit des Reiches Gottes auf dieser Erde noch erleben zu können. Indem aber die weitergehende Zeit integraler Bestandteil seiner Botschaft ist, bedeutet diese Widerlegung nicht die Vernichtung seines Wollens und Wirkens: Was er beabsichtigte, hat mit seinem Tod nicht die seiner Intention gemäße Erfüllung gefunden, andere sind aufgerufen, an seine Stelle zu treten. In diesem Sinn ist sein Tod ein Fragment, das der noch ausstehenden Zeit dringend bedarf: Andere sollen weiterführen, was er nicht zu vollenden vermochte. Deshalb erschließt sich das christliche Leben nicht im Halten der von Gott
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gegebenen Gebote, sondern in der Nachfolge Jesu. Und die christliche Kirche ist nicht das Resultat einer Verlegenheitslösung, die sich aus den fehlgeschlagenen Erwartungen Jesu ergibt, sondern die geistliche Entsprechung der ausstehenden Zeit, die ein Weitergehen der Geschichte ermöglicht. Indem Jesus die Nähe des Reiches Gottes verkündigte, hat er eine Bewegung ausgelöst, die ihr Ziel nicht in seiner historischen Begrenztheit finden konnte. Der Auftrag der Kirche besteht darin, diese Bewegung aufzunehmen und weiterzuführen. Damit setzt sich in der Kirche das Offenbarungsgeschehen fort, das in Jesus seinen Ursprung, aber nicht seine Vollendung erreichte. Auch der Kirche ist diese Vollendung nicht beschieden; wenn diese da ist, wird jene nicht mehr sein. Das ändert aber nichts an ihrer erhabenen Bestimmung – ihre Würde wie die immer gegebene Möglichkeit ihres Versagens rücken so in ein helles Licht. Die Offenbarung ist nicht ein mit der Geschichte Jesu abgeschlossener Prozess; indem der Kirche die Aufgabe zukommt, ihn weiter zu führen, darf sie sich als eine Glaubensgemeinschaft verstehen, die mit den Glaubensgemeinschaften anderer Religionen nur bedingt verglichen werden kann. Diese blicken auf eine geschehene Offenbarung bzw. eine vollzogene Erleuchtung zurück, die sie in ihrem Glauben und Wissen bewahren, beherzigen und zum Maßstab ihres Lebens erheben. All dies ist auch den Christen vertraut, und doch gehen sie im selben Moment darüber hinaus. Indem sie fortführen, was Jesus nicht zu vollenden vermochte, sind sie nicht nur Hörer des Wortes, sondern Mitwirkende am Geschehen der von ihm ausgehenden Offenbarung. In der Preisgabe an die Zeit erkennen wir das Spezifische des christlichen Glaubens. Und damit rückt wieder die elementare Bedeutung in den Vordergrund, welche der Tod für die christliche Religion besitzt. Der Tod Jesu ist zunächst das Unbegriffene, das Nichtverstehbare: Gerade weil das Wirken Jesu nicht abgeschlossen ist, gerade weil von seinem Ende her die Mitteilung der Offenbarung nicht als vollbrachte Tat gesehen werden darf wie bei anderen Religionsstiftern, bricht der Tod in ein Geschehen ein, das auf eine umfassendere Präsenz Gottes angelegt war. Die Christen mussten darauf mit der Botschaft von der Auferstehung Jesu antworten, wenn sie denn an der Aussage, im historischen Jesus habe sich die Enthüllung Gottes vollzogen, festhalten wollten. Aber das war nur das Eine: Die Erfahrung seines Todes ist zugleich die Bestimmung ihres Auftrags. Sie müssen fortsetzen, was er nicht vollenden konnte. Sie wirken mit am Geschehen der Offenbarung, das er inauguriert, aber nicht zum Abschluss gebracht hat. Natürlich verstehen sie diese Mitwirkung nicht als eine eigene Leistung, sozusagen als ein von Menschen selbst vollbrachtes Werk. Diese Mitwirkung gründet in dem Moment des göttlichen Willens, das sich in der Gestalt des zur Rechten Gottes sitzenden Gottessohnes verkörpert. Allerdings hat sich das christliche Denken mit dieser Aussage nicht begnügt. Die Vorstellung der Mitwirkung an der dem Religionsgründer zuteil
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Jesus von Nazareth
gewordenen Offenbarung war so ungewöhnlich, dass sie in einer spezifischen Bestimmung des göttlichen Wesens ihren Ausdruck finden musste. Diesen Ausdruck erkennen wir in der christlichen Rede vom Heiligen Geist. Eben diese Rede macht deutlich, dass es nicht in der Macht eines Menschen stehen kann, den von Gott ergangen Auftrag auszuführen, sondern dass diese Fähigkeit „von oben“ geschenkt werden muss. Wird die Rede von der Wirksamkeit des Heiligen Geistes ernst genommen, verliert die Aussage, dass die Christen dazu berufen sind, die an Jesus ergangene Offenbarung fortzusetzen, ihren anstößigen Charakter. Sie dürfen auf die Worte des johanneischen Jesus vertrauen, der den Heiligen Geist in der Vorstellung des Parakleten ankündigt, eben jenen „Geist der Wahrheit“, der sie „in die ganze Wahrheit leiten“ wird (Joh 16,13).
5. Der Tod als Heilsereignis Man könnte sich vorstellen, dass mit dem oben skizzierten Modell die christliche Antwort auf den Tod Jesu von Nazareth ausgesprochen wäre: Dieses Sterben war das schlimme Tun seiner Feinde; Gott aber hat sich zu ihm bekannt und gegen sie gewandt, indem er ihn von den Toten auferweckte und allen, die an ihn glauben, dasselbe Geschick verheißt. Aber wir wissen, dass diese Antwort nicht die einzige geblieben ist. Der Skandal dieses Todes war zu groß, als dass er einfach dem bösen Treiben der Gegner Jesu überlassen werden konnte. Wenn Gott so mit Jesus verbunden war, wie die neutestamentliche Verkündigung lehrt, dann konnte er in der Stunde seines Todes nicht ausschließlich zum Opfer der Menschen werden, dann musste dieses Sterben mit dem göttlichen Willen in einer direkten Verbindung stehen. Es genügte nicht zu behaupten, Gott wolle die Freiheit des Menschen, also auch die Möglichkeit, das Böse, gegen Gottes Gebot Gerichtete zu tun, und in dieser Möglichkeit eine Erklärung für das faktische Verhalten der Feinde Jesu zu finden, das seine Passion und seinen Tod zur Folge hatte. Leiden und Sterben Jesu mussten ein von Gott unmittelbar gewolltes Geschehen sein; sonst wäre die im Leben und Wirken Jesu praktizierte Einheit von Vater und Sohn an seinem Ende zerbrochen, nicht nur im womöglich historischen Bewusstsein Jesu, von Gott verlassen worden zu sein, sondern auch im Tun Gottes selber, der das Böse gegenüber Jesus gewähren lässt, ohne einzugreifen. Diese direkte Verbindung wird mittels eines kleinen Wortes hergestellt, dem griechischen „deı˜“, das in den Leidensankündigungen Jesu aufscheint (Mk 8,31) und zum Ausdruck bringt, dass sich hinter den Exzessen des Bösen etwas verbirgt, das letztlich stärker sein wird als die Mächte menschlicher Dunkelheit und Gemeinheit: die göttliche Fügung.15 15 Auch Frey sieht in diesem „deı˜“ eine sehr frühe Todesdeutung Jesu; in: Frey, Probleme, 48.
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Der Tod als Heilsereignis
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Diese Fügung kann in ihrer Kargheit und Unanschaulichkeit nur da erfasst werden, wo sie als eine Fügung ohne Zweck begriffen wird. Das göttliche Muss verlöre seine Stringenz, wenn es an die Erreichung eines bestimmten Zieles gekoppelt wäre, es bleibt zunächst als das von Gott kommende und von den Menschen hinzunehmende Geschick stehen. Damit wird diese Fügung zum vorzüglichen Ort göttlicher Transzendenz. Der Mensch sieht in seinem Geschick kein unpersönliches Schicksal, sondern den Willen des einen Gottes, er kann diesen Willen aber nicht erklären, er kann ihm nicht einen bestimmten Sinn zuweisen und wahrt gerade so den Abstand zu dem ganz Anderen, der in seinem unbegreiflichen Wesen Zwecke verfolgen mag, die uns uneinsichtig bleiben. Gerade die jüdische Religion und der Islam geben vielfältige Zeugnisse von dieser göttlichen Fügung,16 die in einem Willen beschlossen ist, der sich dem Verständnis der Menschen entzieht. Damit wahren sie die Transzendenz des einen Gottes, der als die alles bestimmende Wirklichkeit von nichts Geschehenem entlastet werden kann, aber eben deshalb in einer die Menschen distanzierenden Unbegreiflichkeit verharren muss. Abstrakt betrachtet hätte die christliche Religion den Tod Jesu auch in dieser Weise sehen können: Als den im Grunde sinnlosen Abbruch eines offenbarenden Handelns, das darauf ausgerichtet war, die Nähe des liebenden Gottes gegenwärtig werden zu lassen, und doch im Blick auf das schmähliche Ende die Ferne eben dieses Gottes demonstrierte. Sie hätte sich mit dem fernbestimmten Muss begnügen können oder, wenn ihr an einer Erweiterung gelegen wäre, den apokalyptischen Hintergrund einbeziehen können, vor dem dieses Muss zu sehen ist, dann wäre ihr zwar nicht die Verstehbarkeit, aber doch die Einsicht in den göttlichen Plan zuteil geworden: „Der Menschensohn muss viel leiden und von den Ältesten und den Hohen Priestern und den Schriftgelehrten verworfen werden und getötet werden, und nach drei Tagen auferstehen.“ (Mk 8,31) Es ist klar, dass diese Abstraktion dem christlichen Glauben nicht genügen konnte. Den Menschen, der die Nähe Gottes verkündete wie kein anderer, der seine Gegenwart spüren ließ und die Hoffnung auf seine unbezweifelbare Präsenz in das Zentrum seines Wirkens rückte, diesen Menschen in seinem Ende zum vorzüglichen Beispiel göttlicher Unbegreiflichkeit zu erniedrigen, hätte eine Widersprüchlichkeit in den Glauben hineingetragen, die nicht mehr auszuhalten wäre, trotz aller dem christlichen Denken eigenen Freude am Paradox. Man hätte nicht nur die Offenbarung, sondern zugleich die Widerlegung der Offenbarung mitgeteilt, und es versteht sich von selbst, dass diese Inkonsistenz nicht die Grundlage für einen die Welt umfassenden Glauben hätte bieten können. 16 Der prägnanteste Begriff für diese Fügung ist das türkische Wort „kismet“. Die maßgebende Rolle des göttlichen Willens wird nicht bestritten. Er ist aber unerklärbar, prinzipiell dem menschlichen Verständnis entzogen.
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Jesus von Nazareth
Der Tod Jesu konnte nicht bleiben, was er ursprünglich war und im Grunde immer noch ist: Der sichtbare Ausdruck des unbegreiflichen göttlichen Willens, der seine Propheten, die vom Bewusstsein der mit ihm gewonnenen Einheit durchdrungen sind, der Bösartigkeit der Menschen preisgibt bis zum gewaltsamen und schmählichen Ende ihres Lebens. Dieser Tod musste mit einem Sinn versehen werden, und zwar nicht nur mit einer in der Unerreichbarkeit Gottes verborgenen Intention, sondern mit einer Bedeutung, die ihn als ein zum Heil der Menschen vollzogenes Geschehen begreifbar werden ließ. Kurzum, dieser Tod musste soteriologisch interpretiert werden, damit er nicht mehr die Funktion der Widerlegung erfüllen konnte, von der ich oben sprach. So ließ sich ein Zusammenhang herstellen zwischen dem Gottesverständnis, das der historische Jesus seinen Jüngern nahe brachte, und der spezifischen Erfahrung Gottes am Kreuz. So wenig es zunächst den Anschein haben mochte, beides ließ sich als ein Handeln der göttlichen Liebe verstehen, das sich der Bedürftigkeit und der Not der Menschen erbarmt. Von der Aufnahme der Zöllner und Sünder in die Mahlgemeinschaft Jesu bis zum Tod des Gerechten, der, selbst unschuldig, den Tod für andere erleidet, lässt sich eine Linie ziehen, welche die Schlüssigkeit des christlichen Gottesverständnisses verbürgt. So gesehen führt der Fortgang des Lebens Jesu nur scheinbar von einer Erfahrung der göttlichen Nähe zu einer Erfahrung göttlicher Transzendenz. Diese Transzendenz erweist sich, genau gesehen, als letztgültiger Erweis göttlicher Liebe, weil das Sterben dieses Gerechten anderen Menschen zugute kommt. Gerade an diesem neuralgischen Punkt, dem Kreuzestod des Jesus von Nazareth, hat das christliche Denken seine entscheidende Leistung vollbracht: Die Kulmination göttlicher Unbegreiflichkeit verwandelt sich in das bleibende, zwischen Himmel und Erde stehende Zeichen göttlicher Liebe. Die Finsternis der Transzendenz musste dem Lichte der Offenbarung weichen. Der Tod ist nicht mehr die Widerlegung der Botschaft Jesu. Er ist vielmehr die Versiegelung ihrer Wahrheit. Denn dieses Sterben geschieht für die Vielen (Mk 10,45b), für uns bzw. für euch, wie verschiedene Aussagen, die ihren Ursprung im Umkreis der Abendmahlsparadosis haben dürften, bestätigen.17 Damit wird ein Denken begründet, das den Tod Jesu als solchen in seiner Bedeutung für das Heil der Menschen zu erhellen versucht. Weder die Botschaft von der Auferstehung Jesu noch der Hinweis auf die göttliche Notwendigkeit konnten den Tod als Heilsereignis verständlich werden lassen; erst die Aussage, der Tod Jesu ermögliche den für die Menschen versperrten Zugang zu Gott, vermochte die Zuversicht zu schenken, bei diesem Ereignis handele es sich nicht um den sinnlosen Abbruch einer von Gott her bestimmten Existenz, sondern um ein fundamentales Geschehen, das Gott und die Menschen zusammenführt. Gleichwohl stellt sich die Frage, mit welchem Recht das christliche Denken 17 Vgl. Roloff, Neues Testament, 189.
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Der Tod als Heilsereignis
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den Tod Jesu als ein Ereignis versteht, das zum Heil der Menschen geschehen ist. Das Bewusstsein Jesu selbst kann dafür keine Legitimation bieten; denn es ist kaum anzunehmen, dass Jesus seine Passion als ein für ein höheres Ziel zu erduldendes Leiden verstanden hat. Will sich das christliche Denken mit diesem in der Stunde des Sterbens von Gott und den Menschen verlassenen Mann verbinden, dann muss es die Erfahrung des verborgenen, in allem Grauen schweigenden Gottes zu seiner eigenen Erfahrung machen. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu ist auf diese Weise nicht zu erschließen. Und dennoch lässt sich nicht behaupten, dass dieses Verständnis in keine Beziehung zum Wirken des historischen Jesus gebracht werden kann. Der christliche Glaube weigert sich, das schmähliche Ende Jesu als Widerlegung seiner Botschaft gelten zu lassen. Er sieht diesen Tod im Lichte des Gottes, den Jesus den Menschen nahe gebracht hat; im Lichte eines Gottes, der sich ihnen in nicht überbietbarer Radikalität zuwendet, der alle Grenzen sprengt, um bei ihnen zu sein, eines Gottes, der die ihm innewohnende Transzendenz von seiner Offenbarung überholt sein lässt, eines Gottes, der die Liebe ist (1. Joh 4,8.16). Er hält, so grotesk es klingen mag, am Glauben an Jesus fest, auch wenn Jesus selbst in der Stunde seiner Verzweiflung seiner Botschaft nicht immer gewiss sein mochte. Der Glaube an Jesus ist nichts anderes als die Überzeugung, die ihn in seinen Worten und Taten als Erscheinung des einen Gottes begreift. Wenn er in seinem Leben Erscheinung Gottes war, dann ist er es auch in den Prüfungen der Passion und in der Stunde seines Todes. Auch hier tut er das Wesen des Gottes kund, den er in seinem Leben verkündigt hat. Wenn dieser Gott Liebe ist, dann ist auch das Sterben und der Tod Tat seiner Liebe. Diese Liebe kann aber nur dann bestehen, wenn Gott selbst zum Subjekt des Geschehens wird – wenn er nicht einen Menschen sterben lässt, um am Opfer eines anderen seine Liebe zu demonstrieren, sondern selbst den Tod erleidet. Damit erweist sich der Tod Jesu als Schlüssel zur Christologie. Handelt es sich nur um den Tod eines von Gott begeisterten und dann eben von diesem Gott verlassenen Menschen, wird die Ferne Gottes nicht durchbrochen; die Botschaft Jesu wäre ein bloßes Versprechen, dem die Wirklichkeit nicht entspricht. Erst wenn wir die Aussage wagen, dass in diesem Menschen Gott selbst leidet und stirbt, ist die heillose Diskrepanz von Gott und Mensch überwunden, ist die Versöhnung beider erreicht. Nur so lässt sich die Botschaft Jesu, dass Gott die Liebe ist, aufrechterhalten. Gott ist die Liebe, wenn er nicht ausschließlich die anderen, seine Geschöpfe sterben lässt, um selber in seinem ewigen Genügen zu verweilen, sondern eben da, wo er das Schicksal der Menschen teilt, erfüllt sich die von ihm gegebene Definition. Wenn wir Gott in der bis zum Tod führenden Passion Jesu zum Subjekt erheben, indem wir sagen, dass er selbst als der erkannt werden darf, der leidet und stirbt, müssen wir in der Konsequenz dieses Geschehens Gott von Anfang als Subjekt dieses Lebens begreifen, so sehr es zugleich die Biographie des einzelnen Individuums Jesus von Nazareth ist. Das besagt nichts anderes, als dass Gott in diesem
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Jesus von Nazareth
Leben seine eigene Geschichte beginnt. Er lenkt nicht nur die Geschichte der Menschen – mit allen Prädikaten, welche die Dogmatik für die Art und Weise seiner Leitung ersann – er vollzieht die Geschichte an sich selbst. So wird er eins mit den Menschen, unlöslich verbunden mit den Kennzeichen ihrer Existenz. Es ist eine Verbindung, die sein Anderssein nicht aufhebt, aber doch mit der Ansage einer um so größeren Nähe überbietet. Auf diese Weise wird deutlich, welche Bedeutung der Tod Jesu für das Heil der Menschen hat. Wir sehen hier nicht nur das tragische Sterben eines einzelnen Menschen, der, von Gott verlassen, in seiner Mission gescheitert ist, sondern den Tod Gottes. Gott beginnt seine eigene Geschichte, und er setzt sich mit diesem Sterben einer Erfahrung aus, die ihm von Natur aus wesensfremd sein muss, nämlich der Erfahrung eigener Endlichkeit.18 Indem er diese Erfahrung macht, überwindet er von sich aus die Grenze, die Göttliches und Menschliches voneinander trennt. Das Menschliche wird aufgenommen in die Fülle seines in der Entfaltung begriffenen Seins, es ist nicht mehr dem ewigen Vergessen verfallen und eben damit versöhnt. Diese Sicht der Versöhnung setzt sich nun freilich ab von der traditionellen Sicht des Kreuzestodes Jesu, die sein Sterben als Sühne für die Sünde der Menschen begreift. In dieser Sicht wird Gott zum Objekt des versöhnenden Handelns Jesu Christi – er ist es, der in seiner Ehre vom sündhaften Tun der Menschen beleidigt worden ist und nun Genugtuung fordern darf. Aber auch wenn man Gott nicht als den zu Versöhnenden in den Mittelpunkt rückt, bleibt die Vorstellung, die Versöhnung und Sühne in eins setzt, erhalten. Die gottwidrigen Handlungen der Menschen werden addiert und hypostasiert – so bedarf es einer wahrhaft übermenschlichen Tat, welche im Stande ist, die alle Dimensionen sprengende menschliche Schuld und die mit ihr notwendigerweise verbundene Strafe aufzuheben und zu vergeben. Es war eine große Leistung der sozinianischen Kritik, die Fragwürdigkeit dieser Konzeptionen zu enthüllen; viele Entwürfe neuzeitlicher Christologie haben daraus die notwendigen Konsequenzen gezogen.19 Zusammenfassend können wir sagen: Der Tod Jesu musste als ein Sterben für die Vielen, als ein Sterben für uns verstanden werden, weil sich in dieser Weise Reden und Wirken des historischen Jesus und sein bitteres Ende zu einer Einheit zusammenfügen ließen. Der Gott der Liebe, den Jesus in das Zentrum seiner Botschaft rückte, einer Liebe, die alle Schranken des Her18 Das hat H. Blumenberg zu Recht betont, wenn er das Vorwissen Gottes infrage stellt: „Es kann kein Vorwissen von etwas geben, für das man keinen ,Begriff‘, beruhend auf anschaulicher Selbstgegebenheit besitzt“; in: H. Blumenberg, Matthäuspassion, Frankfurt 1988, 125. Die Konsequenz für die christliche Theologie kann nur darin bestehen, von einem Werden Gottes zu reden. 19 Vgl. dazu den Beitrag von F. Nüssel, Die Sühnevorstellung in der klassischen Dogmatik und ihre neuzeitliche Problematisierung, in: Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, Tübingen 2007, 73 – 94 und ausführlicher G. Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit I–II, München 1984/86.
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kommens, des religiös fundierten Gesetzes, der gesellschaftlich sanktionierten Taxierung und Deklassierung durchbricht, dieser Gott erweist sich auch im Tod seines Propheten als der gleiche Gott, weil dieses Sterben nicht für sich selber steht, sondern der göttlichen Zuwendung ihren letztgültigen Ausdruck verleiht. Der so verstandene Tod Jesu und die Verkündigung seiner Auferstehung erfüllen in dieser Sichtweise dieselbe Funktion: Sie halten an der Wahrheit der in Jesus geschehen Offenbarung fest, nicht in der Beschränkung ihrer von der Naherwartung geprägten zeitlichen Perspektive, wohl aber in der Enthüllung des göttlichen Wesens, das als Liebe beschrieben werden muss. Dieses Festhalten an der Jesus zuteil gewordenen Offenbarung schließt aber die Notwendigkeit ein, über die Dimension des Historischen hinauszugehen. Die Rede von der Auferstehung Jesu gibt ein signifikantes Zeugnis dieser Notwendigkeit, weil ein die Grenzen von Raum und Zeit sprengendes Ereignis nicht der Historie zugerechnet werden kann. Der Gott, der gerade in seinem transzendenten Handeln sich zum Anwalt eines Menschen macht, darf in den Möglichkeiten seines Tuns nicht in den Umkreis des für uns Messbaren eingezwängt werden. Aber auch der in der oben skizzierten Weise verstandene Tod Jesu muss dem Bereich des bloß Historischen entzogen werden. Wenn wir nur das Historische gelten lassen, haben wir kein Recht, den Tod Jesu mit einer Interpretation zu befrachten, die seinem Bewusstsein nicht entsprach. Dieses Recht empfangen wir nur von der Wahrheit der in ihm sichtbar gewordenen göttlichen Selbstmitteilung, die auch da ein Walten der göttlichen Liebe zu erkennen vermag, wo wir in unserer natürlichen Befangenheit nur das blinde Geschehen eines unbegreiflichen Verhängnisses wahrnehmen können. Damit rückt der Kreuzestod Jesu in das Zentrum des christlichen Glaubens. Eben hier erfahren wir die tiefste Dimension göttlicher Liebe. Weil im Reden und Wirken des historischen Jesus Gott offenbar wurde, sind wir berechtigt, das Leiden und Sterben dieses Menschen nicht nur als das verzweifelte Ende eines Gefolterten und Getöteten zu begreifen, sondern dieses Geschehen auch als ein der Historie entnommenes Ereignis zu betrachten, in dem sich das Schicksal des den Menschen zugewandten Gottes widerspiegelt. Wenn wir nur einen Menschen zum handelnden bzw. leidenden Subjekt dieses Geschehens machen, wird die Distanz zwischen Gott und Mensch nicht überwunden, zwischen dem Gott, der den Menschen leiden lässt und selbst nicht leidet, und dem Menschen, der alles „von oben“ Verfügte zu erdulden hat. Wenn wir uns aber daran erinnern, dass bereits der historische Jesus die ihm zuteil gewordene Offenbarung in eigentümlicher Weise auf seine Person konzentriert hat, dürfen wir die von ihm vorgestellte Einheit zwischen Gott und Mensch bis in die Passion hinein verlängern, indem wir das hier berichtete Geschehen auch als ein an Gott selbst vollzogenes Geschehen begreifen. Wenn wir sagen, in dieser Passion habe Gott selbst gelitten, sei Gott selbst gestorben, gehen wir über die historische Begrifflichkeit hinaus, wir finden
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Jesus von Nazareth
eine andere Sprache, die nicht berichtet, was sich einmal in der Vergangenheit zugetragen hat, sondern ein immer gültiges und darin zeitloses Geschehen zu erzählen weiß, man könnte von einer mythischen Sprache reden. Diese Sprache erhebt Gott zum Subjekt des in der Passion berichteten Geschehens, und eben damit enthüllt sich das Geheimnis des christlichen Glaubens: Wenn Gott selber das Schicksal der Menschen auf sich nimmt, indem er leidet und stirbt, wenn er auf die Eigenschaften verzichtet, die ihn wesensmäßig vom Menschen trennen, dann ist die Distanz zwischen Gott und Mensch überwunden und die Versöhnung zwischen beiden erreicht. Der Gott der liebenden Zuwendung, den Jesus in seinem Reden und Wirken anschaulich werden ließ, macht nicht Halt vor den Stigmata menschlicher Existenz: Um seinen Tod zu wissen, das Leiden zu ertragen und das Sterben anzunehmen. Er macht sich diese Stigmata zu eigen, so dass wir ihn nicht mehr ausschließlich als den Jenseitigen betrachten sollen, der von keiner Vergänglichkeit weiß, sondern als den mitten unter uns Gegenwärtigen, der unser Schicksal teilt und darin ewig leidet und ewig stirbt. Wir sehen: An der Erwartung der Nähe des Reiches Gottes, von der sich Jesus bestimmen ließ, können wir nicht in derselben Weise festhalten. Sie hat sich als zeitbedingt erwiesen; deshalb kann ihr nur in einer Verbindung von Falsifikation und Modifikation begegnet werden. Die Zeitbedingtheit Jesu lassen wir hinter uns, wenn wir seine Botschaft von der Nähe des Reiches Gottes in eine Botschaft von der Nähe Gottes verwandeln und damit das Essenzielle seines spezifischen Gottesverständnisses zum Ausdruck bringen. Diese Nähe ist ja nicht einfach die Nähe allmächtiger Omnipräsenz, es ist die Nähe liebender Zuwendung, welche die Schranken religiöser und gesellschaftlicher Konvention durchbricht und allen bestimmt ist, die sich ihrer Annahme nicht verweigern. Auch hier muss man natürlich die Möglichkeit einer Falsifikation ins Auge fassen: Wie lässt sich das einsame Sterben eines Menschen, der von seinen Freunden verlassen und von seinen Feinden gepeinigt wird, mit der liebenden Zuwendung des Gottes vereinbaren, den Jesus in das Zentrum seiner Botschaft rückte? Der christliche Glaube hat die radikalste Antwort auf diese Frage gegeben, die sich überhaupt denken lässt, wenn die Verkündigung Jesu ihr Recht behalten soll: Gott selbst ist es, der in diesem Menschen leidet und stirbt. Wir dürfen nicht nur von diesem einzelnen Menschen reden, wenn wir von seinem Schicksal berichten, wir dürfen den in ihm sichtbaren Gott zum Subjekt des Geschehens machen. Dann ist die Menschwerdung die Erfüllung liebender Zuwendung, die Menschwerdung, in der Gott seine Selbstgenügsamkeit preisgibt, indem er das Geschick der Menschen teilt. Der christliche Glaube erzählt also nicht nur die Geschichte dieses Menschen, er erzählt zugleich in ihr die Geschichte Gottes, der in der Menschwerdung sich selbst entäußert, das Geschick der Menschen bis in die tiefsten Abgründe des Schmerzes und des Vergehens in sich aufnimmt, um so die Wahrheit seiner Definition zu gewinnen, die Wahrheit des Gottes, der die
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Offenbarung als Theophanie
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Liebe ist. Natürlich kann diese Erzählung nur in der Sprache des Mythos vermittelt werden, aber der Verzicht auf diese Erzählung bedeutete eine Preisgabe der Besonderheit des christlichen Glaubens, seiner Eigenart, die ihn gerade von den anderen monotheistischen Religionen abhebt. Gott hat Jesus von Nazareth nicht nur zum exklusiven Träger einer fundamentalen Offenbarung bestimmt, er hat in ihm seinen sichtbaren Ausdruck gefunden; die Person Jesu von Nazareth ist die von ihm bestimmte Theophanie, in der er den Menschen erscheinen will. Deshalb verehren die Christen im Kind in der Krippe den menschgewordenen Gott, deshalb sehen sie in seinem Reden und Wirken nicht nur das Auftreten eines Propheten, der seinen von Gott gegebenen Auftrag erfüllt, sondern die Visualisierung des geheimnisvollen göttlichen Wesens, deshalb erblicken sie in seinem Leiden und Sterben nicht nur das tragische Ende eines edlen Menschen, sondern das Schicksal des Gottes, der das Geschick der Menschen teilt.
6. Offenbarung als Theophanie So wird uns klar, in welcher Weise Transzendenz und Offenbarung im christlichen Denken miteinander verschränkt sind. Diese Verschränkung kommt am besten in der an sich paradoxen, gleichwohl aber prägnanten Formulierung des Kolosserbriefs zum Ausdruck, die Christus als das Bild des unsichtbaren Gottes bezeichnet (Kol 1,15). Diese Unsichtbarkeit meint ja nicht nur ein momentanes Nicht-sehen-Können des göttlichen Wesens, sie charakterisiert das prinzipielle Anderssein des Göttlichen, das auch in seiner Zuwendung zu den Menschen niemals verschwinden wird. Dass dieses prinzipiell Andere zur Erscheinung kommt, dass es sich in einem Bilde widerspiegelt, obwohl es als das undurchdringliche Geheimnis über gar kein Bild verfügt, ist das Wunder der Offenbarung. Die Geschichte des menschgewordenen Gottes muss in einer stetigen Transparenz auf diese Bildwerdung hin betrachtet werden, in einer Überschreitung des Historischen im Blick auf die zeitlose Gültigkeit des ewig Stehenden. Wenn Christus das Bild des unsichtbaren Gottes ist, dann ist er eben kein zweiter Gott neben Gott, dann kann das Verhältnis von Vater und Sohn nicht primär als die Relation zweier Personen begriffen werden. Das Gegenübersein des Bildes ist ein Gegenübersein der Erscheinung, in der Gott sich wiederfindet und die Menschen Gott erkennen können. Das Christentum hat die Transzendenz Gottes mit derselben Entschiedenheit festgehalten wie die anderen monotheistischen Religionen, es hat aber erkannt, dass die in ihrer Notwendigkeit nirgendwo bestrittene Offenbarung erst da ihre letztgültige Gestalt gewinnt, wo sie als Erscheinung den Menschen sichtbar wird. Die Relation von Hören und Tun genügt nicht, wenn wir das Eigentliche des christlichen Glaubens beschreiben wollen. Er gewinnt seine
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Jesus von Nazareth
Zuversicht aus der geschehenen und immerzu präsenten Theophanie, in der das Unbegreifliche nahe kommt und für die Menschen fassbar wird. Die Theophanie, von der der christliche Glaube Kunde gibt, hat nicht den Charakter einer einmaligen Enthüllung, die das Wesen Gottes zur Anschauung bringt, um sich so dem Gedächtnis der Christen anzuvertrauen. Der Gott, der sich den Menschen in Liebe zuwendet, teilt die Geschichte der Menschen, er wird sichtbar in den verschiedenen Stationen eines menschlichen Lebens. Die historischen Daten dieses Lebens, eben die Geburt, die Taufe durch Johannes, die Zeichen seiner Wirksamkeit, die Passion, der Tod am Kreuz, entschlüsseln ihre Bedeutung für den Glauben nur dann, wenn sie die Möglichkeit der Bildwerdung des sich in seiner Offenbarung zeigenden Gottes in sich tragen. Es genügt nicht, dass wir Gott in den Bildern erkennen können, in denen er sich in den hervorgehobenen Ereignissen des Lebens Jesu zeigt. Wir dürfen auch umgekehrt sagen, dass Gott sich in den Bildern findet, in denen er sein Wesen mit dem Leben Jesu in eins setzt. Die Offenbarung des einen Gottes darf nicht schlichtweg als ein Akt der Akkommodation verstanden werden, in dem Gott sich für die Menschen fassbar macht, damit sie begreifen können, was er von ihnen will. Seine Offenbarung ist immer auch Prozess göttlicher Selbsterschließung. Das Wesen Gottes steht nicht von vornherein statuarisch fest, es muss auch für ihn selbst gewonnen werden. Anders wäre die Aussage, dass Gott sich eine Geschichte zu eigen macht, ohne jeden Sinn.
7. Jesus, der Repräsentant der Menschen Was bedeutet es, dass Gott sich im Bild eines am Kreuz gemarterten Menschen wiederfindet? Seine Selbsterschließung findet erst da ihr Ende und ihre Vollendung, wo er den Schmerz und das Elend dieses mit ihm in einmaliger Weise verbundenen Menschen in sich aufnimmt und zu einem Merkmal seines eigenen Wesens macht. Damit wird dieser eine, in besonderer Weise ausgezeichnete Mensch zum Repräsentanten aller anderen Menschen. Seine Singularität, das Bewusstsein einer exklusiven Nähe zu dem einen Gott, den er den Menschen nahe brachte, kommt in seinem Reden und Wirken zum Ausdruck, in der spezifischen Weise seines Handelns. Seine Allgemeinheit nehmen wir in seinem Geschick wahr, in jenem Leiden und Sterben, das ihn mit anderen Menschen vergleichbar werden lässt. Nicht, dass andere denselben Weg zu gehen hätten wie er, aber doch so, dass der Mensch in seiner Verwundbarkeit und Hinfälligkeit potenziell oder faktisch immer den Mächten des Bösen ausgesetzt ist, die ihn eben hier treffen und vernichten. Wenn Gott sich die Geschichte dieses Menschen aneignet, verbindet er sich in der Passion und im Tod Jesu nicht mehr mit der Indivi-
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Jesus, der Repräsentant der Menschen
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dualität eines von ihm ausgezeichneten Menschen, sondern mit dem Menschlichen schlechthin. Indem Gott Jesu Leiden und Jesu Tod zu einem Moment seiner eigenen Geschichte macht, nimmt er die Hinfälligkeit des Menschlichen im Allgemeinen in sein Wesen auf. Jesus beschreitet einen Weg, der von der Einmaligkeit einer religiösen Existenz zum Repräsentanten der gesamten Menschheit führt. Erst dieser Weg als ganzer ermöglicht die in ihm geschehene Versöhnung von Gott und Mensch. In seiner Verkündigung verkörpert er die Nähe des liebenden Gottes, der die Menschen in ihrer Verlorenheit sucht und findet. In seiner Passion verkörpert er die Universalität des von Leiden, Todesangst und den Anfechtungen des Bösen geknechteten Menschen, der gerade in den kummervollen Widrigkeiten seines Daseins in das göttliche Geheimnis aufgenommen wird. Der vom Bewusstsein seiner göttlichen Sendung Erfüllte wird zum Anwalt der Menschen; in seinem Leiden bringt er ihr Schicksal vor Gott, der es zu seinem eigenen Schicksal werden lässt. Jesus in diesem Sinn als Repräsentanten der Menschen vor Gott zu verstehen ist etwas anderes als der Gedanke der Stellvertretung, der in den klassischen Versöhnungstheorien eine so große Rolle spielte.20 Für diesen Gedanken ist die Vorstellung eines anklagenden Gottes virulent, der die Menschen ob ihrer Sündhaftigkeit zur Rechenschaft zieht und sie zur Einsicht führt, dass sie von sich aus nichts zu ihrer Rechtfertigung beitragen können. Christus wird dann als der Heilsbringer erkannt, der Schuld und Strafe auf sich nimmt und den Menschen so einen ungehinderten Zugang zu Gott ermöglicht. Er kann dieses Werk der Versöhnung nur zuwege bringen, weil er sich aufgrund seiner Sündlosigkeit prinzipiell von allen anderen Menschen unterscheidet und deshalb in der Lage ist, freiwillig das Schlimme zu ertragen, das die anderen im Grunde verdient hätten. So erscheint Christus gerade in seinem Leiden und Sterben als das Gegenüber der Menschen, als der Mittler, der ihnen das Heil zu schenken vermag, weil er sich in seiner Göttlichkeit und in seiner Schuldlosigkeit prinzipiell von ihnen unterscheidet. Gerade so kann er aber nicht wirklich Repräsentant der Menschen sein, derjenige, der das nicht verschuldete Leid der Vielen vor Gott bringt und die Identifikation Gottes mit diesem Leid bewirkt. Darin aber besteht die Versöhnung, dass Gott sich dieses Leid menschlicher Endlichkeit zu eigen macht, so dass wir ihn nur in Christus sehen können, das heißt mit den Wundmalen an seinem Körper, die auch den Auferstandenen in seiner Kenntlichkeit bewahren. Diese Versöhnung beseitigt die Schranken, die Gott und den Menschen voneinander trennen, weil sie die Definitionen, die 20 Die Rede von der inklusiven Stellvertretung, wie sie sich etwa bei C. Gestrich findet (Christentum und Stellvertretung, Tübingen 2001, 389 u. a.) lässt freilich eine solche Entgegensetzung nicht gelten. Hier ist Stellvertretung gerade als Repräsentation begriffen (vgl. ebd. 222). Ich meine aber, dass der Begriff „Stellvertretung“ seine spezifische Bedeutung verliert, wenn er in dieser Weise verwendet wird.
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Jesus von Nazareth
beide wesensmäßig unterscheiden, aufhebt, indem Gott das Menschliche für sich hinzugewinnt. Dieser Gott, der in seiner Liebe zu den Menschen die Grenzen seiner Definition überschreitet, weil er das Menschliche zu einem Moment seines Wesens macht, entspricht genau der Vorstellung, die der historische Jesus in seinem Reden und Tun seinen Hörern nahe brachte. Deshalb kann nur er der Repräsentant der Menschen vor Gott werden und niemand sonst. Er war das Gegenüber der Menschen, indem er Gott in anderer Weise gegenwärtig werden ließ, wie es seine religiösen Zeitgenossen vermochten. Aber in seiner Passion hört er auf, Gegenüber zu sein, er wird zum Repräsentanten, der in sich die Verwundbarkeit aller Menschen verkörpert, die ja nicht primär für ihre Schuld bezahlen, sondern oft einem Schicksal ausgesetzt sind, das sie nicht begreifen und nicht annehmen können.21
8. Die Wandlung des Gottesbildes Zu behaupten, dass Gott diese Repräsentation in sein Wesen aufnimmt, bedeutet eine Revolution des Gottesverständnisses, die das Christentum in einen Gegensatz zu anderen theistischen Religionsformen bringt. Zwar kennen wir im jüdischen Denken Vorstellungen, etwa in Bezug auf die Schechina, die als Präfigurationen des christlichen Denkens verstanden werden können.22 Aber der hier vorherrschende strikte Monotheismus lässt die Radikalität christlicher Aussagen nicht zu, und im Islam wären sie ohnehin undenkbar. In der Passion Jesu verliert Gott sein Gegenübersein. Eben diese letzte Konsequenz der Inkarnation muss das christliche Denken bejahen, wenn es seiner Eigenart gerecht werden will. Gott verliert dieses Sein gerade da, wo der Mensch für sich allein ist, weil das mit dem Bewusstsein des nahenden Todes verbundene Leiden ihn in der Schöpfung vereinzelt. Gott will in seiner Liebe gerade diese Grenze aufheben, die ihn und den Menschen unfehlbar scheidet, und anders kann diese Aufhebung gar nicht wahr werden, als dass wir in der Passion eines Menschen Gott selbst zu erkennen imstande sind. 21 Darin besteht ja gerade die Schranke des traditionellen, in der Relation von Sünde, Schuld, Strafe und Vergebung eingeengten Verständnisses, dass es für die Hinfälligkeit des Menschen ausschließlich sein persönliches Vergehen oder das schuldhafte Tun des gesamten Menschengeschlechts verantwortlich macht, statt die Schöpfung als solche mit dem Elend des Menschen zu verbinden. Gerade der juridische Charakter der im Westen ausgebildeten Versöhnungstheologie macht diese Schwäche besonders deutlich. Die Ostkirche hat sich von solcher Einseitigkeit frei gehalten, indem sie die Vergänglichkeit des Menschen in den Mittelpunkt rückte und die Erlösung als Befreiung aus dieser Begrenzung begriff. 22 Als Beispiel mag die Aussage des Rabbi Meir dienen: „Wenn ein Mensch gepeinigt wird, so spricht dabei die Schechina: Ich empfinde diesen Schmerz mit“ (M. Sanhedrin 6,5, in: Die Lehre des Judentums nach den Quellen, hg. v. W. Homolka, Bd. II, München 1999, 65).
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Offenbarung als Visualisierung
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Dieser Mensch leistet nichts mehr, er vollbringt auch kein allgenugsames Opfer, dem die Qualität zukäme, als Werk eines gottmenschlichen Mittlers den erzürnten Gott zu versöhnen. Von all diesen Vorstellungen muss sich das christliche Denken verabschieden. Aber es gäbe sich selbst auf, wenn es Passion und Kreuzestod aus den fundamentalen Artikeln des Glaubens verbannte. Die christliche Botschaft ist alles andere als die Gaukelei einer heilen Welt. In ihr tut sich der Abgrund menschlicher Existenz auf, indem sie das Leiden und die Mächte des Bösen schonungslos zur Schau stellt. Sie beruhigt sich nicht mit der Schöpfung Gottes, mit der Zufriedenheit dessen, der weiß, dass alles gut ist. Sie gibt diese Schöpfung an Gott zurück, indem sie ihn selbst die ihr innewohnende Kontingenz erfahren lässt. Indem sie ihn vom handelnden Subjekt zu einem leidenden Objekt werden lässt, das alles zu erdulden hat und nicht mehr der Akteur seiner selbst ist. Gott muss seine Schöpfung erdulden, daraus entsteht eine neue Definition seines Wesens. Nur der, der sein Gegenübersein aufgegeben hat, kann in neuer Weise zum Gegenüber werden. Die Botschaft der Auferstehung besagt eben dies: Gott hat eine neue Weise des Gegenüberseins gewonnen. Er ist nicht nur der von seiner Definition her ganz Andere, weil das Jenseitige nicht in seiner Unbegreiflichkeit verharrte, sondern einer Geschichte teilhaftig wurde. Diese Geschichte nimmt es hinein in seine Ewigkeit. Gott in Christus anzusehen heißt: diese Geschichte für immer zum Moment göttlicher Präsenz zu machen. Wir können niemals hinter diese Geschichte zurück, das ist der Inhalt der Aussage des christlichen Glaubens, dass Christus für immer zu Gott gehört. Der Unterschied zu den anderen monotheistischen Religionen besteht nicht darin, dass diese einen Gott verehren und wir einen trinitarischen. Der eine Gott ist in allen drei Religionen derselbe, aber nur im christlichen Glauben wird er als derjenige erfahren, der in einer Geschichte ausgesagt werden muss, die an ihm geschieht.
9. Offenbarung als Visualisierung Damit hängt zusammen, dass das Verhältnis von Transzendenz und Offenbarung im Christentum anders bestimmt werden muss als im Judentum oder im Islam. Der Gott, der sich das Zeitliche zu eigen macht, muss auch im Raume sichtbar werden. Man kann die Zeit nicht gewinnen, ohne im Raum zu erscheinen; beides gehört unweigerlich zusammen. Die Begrenztheit des Irdischen kongruiert mit seiner Sichtbarkeit. Daher bedeutet Offenbarung im christlichen Sinn immer auch Visualisierung.23 Vom christlichen Glauben her 23 Diese Visualisierung besagt, dass das an sich Unsichtbare sichtbar zur Erscheinung kommt. Dies ist eine paradoxe Formulierung, die aber gerade so das Phänomen angemessen beschreibt. Das
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Jesus von Nazareth
lässt sich das alttestamentliche, im Judentum und Islam bewahrte Bilderverbot nicht rechtfertigen, darin sind die Entscheidungen des VII. Ökumenischen Konzils von unbezweifelbarer Gültigkeit. Das Verständnis der Offenbarung als Visualisierung geht vom Wirken des historischen Jesus aus, der ja nicht wie andere Propheten das ihm aufgetragene Wort Gottes ausrichtete, sondern die Mitteilung Gottes in eigentümlicher Weise auf seine Person konzentrierte und zur Erscheinung brachte. Dies ist sozusagen der historische Kern der Bildwerdung, die im Verständnis der Geschichte Jesu als der Geschichte Gottes selbst sowohl in die Vergangenheit wie in die Zukunft ausgreift: Zum Ursprung dieses Lebens, das im Kind in der Krippe vergegenwärtigt wird, bis zum Ende, das in den Stationen der Passion für das glaubende Bewusstsein als Heilsgeschehen greifbar ist.24
10. Von der Transzendenz zur Offenbarung Der Weg von der Transzendenz zur Offenbarung, den wir in diesem Kapitel beschreiben, ist ein Weg, der am Tod nicht vorbeiführt, sondern gerade in der Konfrontation mit ihm seine spezifische Prägung gewinnt. Der christliche Glaube darf nicht absehen von der Wahrnehmung eines Menschen, der in der Erwartung einer besseren Zukunft lebte und wirkte, ja in seinem einzigartigen Verbundensein mit Gott diese Zukunft schon partiell Gegenwart werden ließ, aber dann die Vollendung nicht erleben durfte, sondern das Scheitern seiner persönlichen Mission. Der Skandal dieses Todes ist so groß, dass er auch durch die Botschaft der Auferweckung nicht beseitigt werden kann – dass Gott sich zu einem Gescheiterten bekennt, ändert an der Tatsache des Scheiterns nichts. Deshalb muss gerade hier, an diesem neuralgischen Punkt christlichen Denkens und Fühlens, der Weg beschritten werden, der von der Transzendenz zur Offenbarung führt. Ein Weg, der zögerlich mit dem unpersönlichen „deı˜“ beginnt, weil hier Transzendenz und Offenbarung in einem unbestimmten Schwebezustand verharren, aber dann in dem Sterben für die Vielen eine dem Moment der Offenbarung zu Hilfe kommende Konkretion gewinnt, eine besagt aber auch, dass das Moment der Transzendenz im Offenbarsein des Bildes nicht einfach verschwindet, sondern als immer Mitgegebenes zur Sprache gebracht werden muss. Das Bild verweist auf etwas, was sich der sinnlichen Wahrnehmung verweigern muss. 24 Da das Christusgeschehen im ganzen als Theophanie verstehbar wird, finden die einzelnen „Daten“ dieses Geschehens ihren bleibenden Ausdruck in Bildern, welche die Präsenz des Göttlichen in eine Präsenz im Raum überführen und darin in einer Sphäre vergegenwärtigen, in der alle Worte zur Ruhe gekommen sind. Man darf diese Bilder aber nicht als gleichwertig betrachten. Sie werden von einer Dynamik bestimmt, die dem Verlauf des Lebens Jesu entspricht. In dieser Dynamik streben sie dem Ziel zu, dem Bild des Gekreuzigten, das in der zwischen Himmel und Erde ausgespannten Erscheinung des menschgewordenen Gottes die Versöhnung von Gott und Mensch sichtbar werden lässt.
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Von der Transzendenz zur Offenbarung
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Konkretion, die in allen Versöhnungstheorien ihren Niederschlag findet, mögen sie nun in der Gegenwart akzeptabel sein oder nicht. Das christliche Bewusstsein gäbe sich selbst auf, wenn es sich weigerte, an diesem schrecklichen Ende den Weg von der Transzendenz zur Offenbarung zu gehen. Indem es den Mut des Glaubens aufbringt, diese Bewegung zu vollziehen, stellt es eine Einheit wieder her, die der historischen Betrachtung verloren zu gehen droht, eben die Einheit zwischen dem Leben und Wirken Jesu auf der einen und seinem Sterben und Tod auf der anderen Seite. Das Wirken Jesu stellte sich, wie wir sahen, in einer Verbundenheit mit Gott dar, die ihn selbst, nicht eine von ihm zu separierende Botschaft, als göttliche Offenbarung in den Mittelpunkt rückte. Sehen wir in dieser Perspektive die Passion und das Sterben Jesu, dann erkennen wir, dass in diesem schmählichen Ende Gott selbst leidet und stirbt und eben so das Schicksal der Menschen zu seinem eigenen macht. Indem wir dieses Geschick nicht nur dem einzelnen Individuum zuschreiben, das es erdulden und ertragen muss, sondern Gott selbst mit ihm in eine unlösbare Verbindung bringen, halten wir die Einheit mit Gott, die Jesus in seinem Reden und Handeln wirklich werden ließ, fest, ja wir radikalisieren sie sogar, indem wir Prädikate, die zunächst diesem einzelnen Menschen zukommen, zu Prädikaten Gottes erheben und damit der Zeit entwinden, die sich verflüchtigt und verrinnt. Die Übertragung dieser Prädikate auf Gott bedeutet keine Absage an das monotheistische Credo, auch wenn es manchen Kritikern jüdischer oder islamischer Provenienz so scheinen mag. Jesus von Nazareth ist kein Gott neben Gott, dem Vater; er ist die Offenbarung Gottes, und diese Offenbarung beschränkt sich nicht auf sein Reden und Wirken, in dem die Wirklichkeit des Reiches Gottes nahe zu kommen schien, sie umgreift auch das Geschehen der Passion und des schmählichen Endes. Eben diese Überschreitung des Offenbarungsgeschehens, die nicht nur die Aktivität eines religiösen Menschen in den Blick nimmt, der, von der Wirklichkeit des einen Gottes durchdrungen, den Menschen die frohe Botschaft mitteilt und für sie wirklich werden lässt, sondern auch die Passivität, die ihn zum Objekt willkürlichen und bösartigen Verhaltens erniedrigt, bewirkt die Versöhnung von Gott und Mensch. Wir sehen, dass es nicht genügt, Jesus als einen Menschen zu betrachten. Der hier geschehenen Offenbarung werden wir nur gerecht, wenn wir Jesus auch das Prädikat der Gottheit zusprechen, also das vere homo, vere deus aufrechterhalten. Dabei gehen wir von der Verkündigung dieses Menschen aus, der sich in einer exemplarischen Einheit mit Gott wusste, und eben diesen Gott in seinem Reden und Wirken zur Erscheinung brachte. Das Geschehen der Offenbarung hier nicht enden zu lassen, sondern auch auf die Passion und das Ende am Kreuz auszudehnen, bedeutet, auch im Leiden und Sterben nicht nur einen verlassenen Menschen wahrzunehmen, sondern zugleich den Gott, der diese Verlassenheit in sein eigenes Wesen aufnimmt. Die Passion Jesu als Offenbarung zu verstehen bedeutet, die Gottheit Jesu in den Rang einer unabdingbar notwendigen Aussage zu erheben. Denn erst hier
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Jesus von Nazareth
konstituiert sich die Eigenart des christlichen Gottesverständnisses, die in der Verkündigung Jesu vorgebildet ist, aber nun ihre definitive Festlegung gewinnt. Die Ablehnung des Kreuzes ist immer eine Verwerfung des christlichen Glaubens in seiner Gesamtheit. Ebenso gilt das Umgekehrte: Wer erkennt, dass das Bild des Gekreuzigten das Bild des unsichtbaren Gottes selber ist, der in dieser Gestaltwerdung seine Bestimmung findet, weil er sich selbst in dem ihm gemäßen Bild erkennt, der hat, wenn man so sagen darf, den Nerv des christlichen Glaubens berührt, unabhängig davon, wie er sich diese Versöhnung im einzelnen vorzustellen oder zu denken vermag. Die Aussage, Jesus sei wahrer Mensch und wahrer Gott, gewinnt im Geschehen der Passion ihre spezifische Relevanz. Das heißt natürlich nicht, dass sie auf dieses Geschehen beschränkt werden könnte. Man kann, ja man muss sie auf das Vorhergehende wie auf das Folgende ausweiten. Wenn Gott in der Passion eines Menschen zur Erscheinung kommt, dann muss er die Potentialität des Menschseins schon immer in sich getragen haben. Diese Potentialität des Menschseins wird in der Alten Kirche, ausgehend vom Prolog des Johannesevangeliums, mit dem Begriff des Logos bezeichnet, der schon immer bei Gott war. So wird die Aussage „Gott ist Mensch geworden“ (homo factus est) verständlich und sinnvoll. Sie bezeichnet den Beginn jener Geschichte, die Gott sich zueignet, weil er die Schranken der Nicht-Zeitlichkeit durchbricht, indem er die Zeit nicht nur schafft und gestaltet, sondern auch an sich selbst erfährt. Raum und Zeit sind die Möglichkeiten Gottes, die er in seiner Unendlichkeit nicht schon seit jeher besitzt, sondern erst in sich und für sich verwirklichen muss. Dass diese Verwirklichung als Konsequenz seines Willens verstanden werden muss, sich den Menschen zu offenbaren, hat das christliche Denken in einer Eindringlichkeit zur Geltung gebracht, die in den anderen Religionen keine Entsprechung findet. Indem Gott den Raum für sich gewinnt, findet er, als solcher unsichtbar, das Bild seiner selbst. Indem Gott die Zeit für sich gewinnt, geht er ein in die Geschichte. Diesem Eingehen wird noch nicht Genüge getan in einer Lenkung von außen, einer göttlichen Providenz, die alles, auch das Schlimme zum Besten wendet. Dieses Eingehen wird ihm als einem Menschen zuteil, der nicht nur das bewegende Subjekt, sondern auch das leidende Objekt der Geschichte ist. Als Mensch ist Gott in einem Bilde sichtbar, als Mensch ist er der Geschichte unterworfen und kann erst so erfahren, was Zeit bedeutet. So erschließt die Aussage der Menschwerdung das Zentrum des christlichen Glaubens, weil sie Gott in seiner Eigenart definiert.
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Jesus Christus und der Zwiespalt in Gott
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11. Jesus Christus und der Zwiespalt in Gott Machen wir uns das Resultat unserer bisherigen Überlegungen bewusst. Wir stehen an einem Punkt, wo die unauslotbare Differenz zwischen dem Gottsein und dem Menschsein Jesu ihre radikalste Zuspitzung erfährt: Zwischen dem Gottsein, an dem der Glaube festhält, indem er das Passionsgeschehen in die Verkündigung Jesu integriert und diesen Menschen gerade hier zur Visualisierung des einen Gottes werden lässt, und dem Menschsein, das eine von ihrer Mission beseelte religiöse Gestalt vor Augen führt, die sich in ihrem Scheitern wahrnimmt und den Willen Gottes nicht mehr versteht. Nur wenn wir uns diesen Gegensatz in seinem ganzen Ernst vergegenwärtigen, können wir darüber nachdenken, was die von der traditionellen Dogmatik ausgesagte Einheit der beiden Naturen bedeutet. Wenn der von Gott verlassene Mensch Jesus Gott in Frage stellt, indem er die eine Frage „Warum?“ an ihn richtet und auf diese Frage keine Antwort erhält, dann dürfen wir im Sinne dieser Einheit zu der Aussage kommen, dass Gott am Kreuz Jesu sich selber zum Problem wird. Indem er das Schicksal der Menschen in sein eigenes Wesen aufnimmt, stellt er sich selbst in Frage. G. Büchner spricht hier von einem Riss in der Schöpfung,25 der nicht ausschließlich die von ihm geschaffene Welt kennzeichnet, sondern sich in das unauslöschliche Zeichen verwandelt, das Gott an sich selber trägt; nicht mehr einfach, nicht mehr vollkommen, sondern in sich gespalten. Er blickt auf sein Gegenbild in der Schöpfung und nimmt sein Urteil zurück, das er am Anfang der Zeit gesprochen hat: Und siehe, es war sehr gut (Gen 1,31). Das Kreuzesgeschehen ist ein Drama in Gott selbst, das letztlich aus dem Ungenügen der Schöpfung, aus der Unvollkommenheit der von ihm geschaffenen Welt hervorgeht und Gott essentiell verändert, der sein Bild in einem leidenden und sterbenden Menschen gefunden hat. Indem er sich in diesem Bild sieht, entfernt er sich von sich selbst und findet sich im Zweifel eines Menschen wieder, der zum Zweifel in ihm selber wird. Die Ruhe des Beisich-selbst-Seins ist verloren, weil Gott nicht mehr der Gebieter der Schöpfung ist, sondern ein Wesen, das an ihrer Unvollkommenheit teil hat. Das Geschaffene ist nicht mehr das Jenseits seiner ungetrübten Seligkeit, es ist eingedrungen in den inneren Bezirk seines Friedens und konfrontiert ihn mit der Tiefe der Problematik, die aus seinem Werk resultiert. Erst wenn wir den Gott wahrnehmen, der sich selbst in Frage stellt, können wir die Eigenart des christlichen Gottesverständnisses begreifen. Weder das Judentum noch der Islam verstehen Gott in dieser Weise. Der Gott, der das Bild seiner selbst sucht und es in einem am Kreuz verendenden Menschen findet, kann nur als ein Gott gedacht werden, der sich selber zur Frage wird. Die Schöpfung gibt die Frage an ihn zurück, die sie selber stellt, und seine Zu25 Vgl. G. Büchner, Dantons Tod, 3. Akt.
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wendung äußert sich gerade darin, dass er diese Frage nicht zurückweist, sondern zu seiner eigenen macht.26 Er nimmt sie auf in das Geheimnis seines unergründlichen Wesens, und kann von da an nur als Sein in der Differenz bestimmt werden. Freilich: Eine Differenz wird immer da gedacht werden müssen, wo wir von einer Selbstoffenbarung Gottes zu reden haben. Die Einheit Gottes ist niemals eine Einheit ohne Unterscheidung, auch im Judentum nicht und ebenso wenig im Islam. Dass aber diese Unterscheidung nicht nur den Weg beschreibt, auf dem Gott für die Menschen fassbar wird, um sich ihnen mitteilen zu können, dass sie, bildlich gesprochen, nicht einfach das Mittel in der Hand Gottes bleibt, sondern sich verselbständigt und eine Frage an Gott zurückgibt, die er dann zu seiner eigenen macht, die Frage nach sich selbst, diese spezifische Dynamik des Offenbarungsgeschehens erkennen wir nur in der christlichen Religion. Diese Dynamik ist darin begründet, dass Gott sich in einem Menschen offenbart und nicht in einer heiligen Schrift. Die Schrift stellt Gott nicht infrage, sie ist die objektivierte Fixierung seines Willens, womöglich auch seines Wesens, kein Agens, das auf ihn eine Gegenwirkung ausübt. Der Mensch aber ist zu dieser Gegenwirkung fähig und bereit. Er ist nicht der stumme Ausdruck göttlichen Soseins, der in der Vielfalt möglicher Auslegung belebt werden muss, sondern von vornherein lebendiges Gegenüber, Erscheinung, welche die Eigenständigkeit nicht preisgibt. Eben so richtet er die Frage an Gott, die zu Gottes eigener Frage wird, die Frage „Warum?“ Indem sich Gott diese Frage zu eigen macht, stellt er die Frage nach sich selbst. Jesus übt diese Gegenwirkung gerade da aus, wo er der Möglichkeit selbständigen Handelns beraubt ist, weil man ihn zum Opfer der Mächte des Bösen erniedrigt hat. Nicht in der Einheit mit dem göttlichen Willen, dessen irdische Verkörperung er zu sein meinte, sondern im Auseinanderbrechen dieser Einheit, in der Wahrnehmung seiner Vereinzelung, die das Leiden unweigerlich mit sich bringt und in der Erfahrung seines allgemeinen Verlassenseins kann er die Frage stellen, die zur Frage Gottes selber wird. Und er stellt sie nicht nur für sich, er stellt sie für alle Menschen. Weil er die Erscheinung des einen Gottes ist, kann er der Anwalt aller Menschen sein. Erst die Aufnahme dieser Frage konstituiert das christliche Gottesbild. Erst im Zusammenhang mit ihr wird seine Besonderheit verständlich. Diese Besonderheit tritt da in voller Klarheit ins Bewusstsein, wo wir uns vergegenwärtigen, wie andere religiös oder philosophisch geprägte Weltanschauungen mit dem Ungenügen der Schöpfung umgegangen sind. Man kann wie die Gnosis dieses Ungenügen einem im Grunde bösen Schöpfergott zuschreiben, von dem sich das in Christus gefasste Prinzip der Erlösung in 26 Eben darin unterscheidet sich der Gott des christlichen Glaubens vom Gott Hiobs, der die Fragen des in vielfacher Weise heimgesuchten und geprüften Menschen an sich vorübergehen lässt.
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Jesus Christus und der Zwiespalt in Gott
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vorzüglicher Deutlichkeit abhebt. Die Versöhnung von Gott und Welt wird aber in dieser Weise nicht gedacht, sondern nur die Erlösung durch ein Jenseitiges, das die Seelen rettet, die Schöpfung aber der ihr innewohnenden Bosheit preisgibt. Das Ungenügen der Schöpfung kann auch, verbunden mit dem aus ihm resultierenden Problem der Theodizee, zur generellen Absage an den Gedanken eines göttlichen Wesens führen, weil es als unmöglich erscheint, diese Welt, wie sie ist, mit einer sie begründenden Vollkommenheit zusammenzubringen.27 Der Tod Gottes am Kreuz ist dann das finstere oder befreiende Zeichen des Kommenden: eines von Nietzsche proklamierten generellen Todes dieses Gottes, der zu einer grundlegenden Erfahrung des 20. Jahrhunderts wurde. Aber vielleicht war die Preisgabe dieses die Menschheit seit jeher bewegenden Gedankens vorschnell, vielleicht fehlte nur der Mut, einen Gott zu denken, der sich so sehr von seiner Schöpfung infrage stellen lässt, dass diese ihn selbst nicht mehr infrage stellen muss. Der christliche Glaube fordert dazu auf, diesen Mut zu zeigen und damit zugleich, sich von den traditionellen Lösungen zu verabschieden. Es geht nicht mehr an, das Ungenügen der Schöpfung ausschließlich auf die dem Menschen geschenkte und missbrauchte Freiheit zurückzuführen. Dieses Ungenügen weist auf den Gott zurück, der diese Welt geschaffen hat. Er erkennt sich in einem Bilde wieder, das dieses Ungenügen an sich trägt. Da er es aber als sein Bild erkennt, muss er es aufnehmen als etwas, was zu ihm gehört, obwohl es zunächst so scheinen mochte, als sei er in seiner Vollkommenheit von allem geschieden, was in der Sphäre des Unvollkommenen ist. Er nimmt es mittels der Frage „Warum?“, die der sterbende Jesus an ihn richtet, auf. Er nimmt es auf, indem er diese Frage zu seiner ewigen Gegenwart emporhebt. Gott wird erst da er selber, wo er sich selbst zur Frage wird. Das Kreuz Jesu ist das entscheidende Widerfahrnis seiner Selbstkonstitution, und diese Konstitution bedeutet das Ende seiner seligen Einfachheit. Wie der Mensch nur da zu sich selber kommt, wo er sich selber zum Rätsel wird, so gewinnt Gott sein Selbstsein, indem er das Rätsel seiner Schöpfung in sein eigenes Wesen integriert. Dieses Rätsel nimmt er auf, indem er, wie die alten Bilder uns zeigen, den Gekreuzigten in seine Arme schließt. Wenn dieser zu ihm gehört und niemals mehr von ihm geschieden sein kann, ist er ein anderer geworden: nicht allem gleichzeitig, sondern der Zeit selbst anheimgegeben, die im Tod zur Ruhe kommt und sich in Ewigkeit verwandelt. So endet, was vergleichsweise harmlos begann, mit der Notwendigkeit einer Differenzierung in Gott selbst, die sich aus der Tatsache ergibt, dass wir bei den monotheistischen Religionen von einem Gott reden müssen, der sich offenbart. Diese Offenbarung gehört zu ihm selbst, sie ist nichts von ihm 27 So z. B. in der erwähnten Rede Paynes (G. Büchner, Dantons Tod, 3. Akt): „Merke dir es Anaxagoras, warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus“.
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Geschaffenes, von dem er sich distanzieren könnte wie von einem Werk, das nach außen transferiert wird und sein Eigenleben beginnt. Und doch ist das Offenbare etwas Endliches, weil die Menschen es sonst nicht erfassen könnten, weil sie stumm bleiben müssten angesichts einer Allmacht, die nicht willig ist, sich selbst zu begrenzen. Indem Gott in seiner Offenbarung das Endliche in sein Wesen integriert, eröffnet sich die Möglichkeit einer Dynamik, die das christliche Gottesverständnis in vollem Umfang zur Geltung bringt. Es begnügt sich nicht wie der Islam mit der Kundgabe der Heiligen Schrift, einer Schrift, die spricht und bedeutet, aber nicht reagiert. Er sieht die Offenbarung in einer menschlichen Person, und diese Person steht nicht für das wortlose Gehorchen, sie verkörpert den Aufschrei der gequälten Schöpfung. Sie erfährt an sich selbst, dass nicht alles gut ist, sondern erst die Zukunft die Wende zum Guten bringen muss. Das Wort wurde Fleisch, aber als Fleisch blieb es nicht einfach das von Gott Gesagte, die Rede Gottes verwandelte sich in eine Frage, die Einlass fand im innersten Bezirk göttlicher Einsamkeit, und diese Frage erschöpft sich in dem schlichten Wort „Warum?“. Ist sie einmal gestellt, in Gott selbst für alle Ewigkeit präsent, verliert der Gedanke der Existenz eines göttlichen Wesens seine banale Selbstverständlichkeit. Das Kreuz ist das Zeichen des Gottes, der sich selbst in Frage stellt, und anders als in dieser Zweiheit können wir ihn als Christen gar nicht erfahren. Nur wenn wir begreifen, dass die in Gott aufgrund der von ihm ausgehenden Offenbarung gesetzte Differenz in eine Zweiheit mündet, die nicht mehr im Sinne einer innergöttlichen Harmonie überbrückt werden kann, sondern als Zwiespalt in Gott selbst beschrieben werden muss, dringen wir zur Eigentümlichkeit des christlichen Gottesverständnisses vor. Die christliche Tradition hat diesen Zwiespalt, wenn sie ihn denn überhaupt wahrnahm, im Allgemeinen sofort überdeckt, indem sie vorschnell den Heiligen Geist als zwischen Vater und Sohn vermittelnde Größe einführte und so ein Auseinanderbrechen des Gottesbildes verhinderte. Dabei ist die Intention, von der sie sich bei diesem Verfahren leiten ließ, verständlich, ja sogar der Ausdruck einer inneren Notwendigkeit : Eine gnostische Diskrepanz, die den Gott der Schöpfung und den Gott der Erlösung in einen unversöhnten Gegensatz bringt und eben so den Monotheismus zunichte macht, sollte vermieden werden. Dennoch dient die Rede vom Heiligen Geist in diesem Zusammenhang dazu, die Eigenart christlichen Redens von Gott zu verwischen und in einer verfrühten Gloriole unkenntlich zu machen. Diese Eigenart christlichen Redens besteht darin, dass Gott sich selbst zur Frage wird und diesen Zwiespalt in der Ewigkeit seines Daseins bewahrt. Selbst wenn die Geschichte der Menschheit, ja die Evolution des Kosmos ihr Ziel erreicht hat und Leid nur noch Erinnerung und nicht mehr bedrängende Gegenwart sein wird, erhält sich das Zeichen des Kreuzes : Es tritt herein in die unbedrohte Seligkeit, indem es darauf hinweist, dass es
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Glück ohne Bewusstsein des Vergangenen nicht geben kann und nicht geben darf. Allerdings mag diese Argumentation die Frage nach sich ziehen, worin denn nun eigentlich die Versöhnung zwischen Gott und Mensch bestehe. Wenn der Zwiespalt des Menschen in Gott wiederkehrt, so dass beide nun nicht mehr mit sich einig sind, wenn auch dieser der Eine ist und bleibt, dann gewahren wir eine Zerrissenheit des Kosmos und des Metaphysischen, die sich jeder Harmonisierung, die doch auch ein Aspekt von Versöhnung zu sein hat, verweigert. Dennoch bewirkt nur die Gleichsetzung von Gott und Mensch, wie sie in der Rede von der Inkarnation ihren Ausdruck findet, die Überwindung jener heillosen Kluft, welche Gott die ewige Seligkeit und den Menschen das immerwährende Vergehen zuteilt. Nur wenn er Schmerz und Leid nicht mehr als unabdingbar notwendiges Korrelat der Schöpfung von außen betrachtet, sondern in sich hinein nimmt und zum Gegenstand seines ewigen Gedächtnisses erhebt, kann Versöhnung geschehen. Versöhnung bedeutet ja nicht Vergessen, sondern Erinnerung. Das Leid der Menschen fordert nicht nur die Erinnerung der Menschen, die partiell und flüchtig bleiben muss, sondern die Erinnerung eines Wesens, das in die Ewigkeit hinein zu bewahren vermag und gerade so versöhnt. So kehrt der Gekreuzigte zum Vater zurück, den er verkündet und der ihn verlassen hat. Er kehrt zurück als das Bild der unvollkommenen Schöpfung, das Gott suchte und in ihm fand. Gewiss, die Dualität des allmächtigen Gottes und des Gekreuzigten impliziert eine immerwährende Differenz, welche die Eigenart des christlichen Gottesverständnisses bestimmt. Doch nur in dieser Differenz ist Versöhnung möglich; nur in dieser Differenz ist Versöhnung wirklich. Die klassische Trinitätslehre ging von der richtigen Erkenntnis aus, dass wir uns nicht damit begnügen können, von Gott als dem Einen zu reden, dass wir ihn nur in der Differenz zur Sprache bringen können. Aber sie hat diese Differenz nicht so entfaltet, dass die ihr innewohnende Dynamik eine adäquate Darstellung fand; das von ihr ausgehende Drama Gottes wurde bestenfalls angedeutet, aber nicht wirklich expliziert. Es ist das Drama des Gottes, der Liebe ist (1. Joh 4,16). Wahrhafte Liebe ist aber nicht möglich ohne Selbstgefährdung. Das gilt nicht nur für die Menschen, das gilt auch für Gott. Der Mythos von einem Gott, der seinen Sohn opfert, um die Menschen mit sich zu versöhnen, drückt diese Selbstgefährdung nicht in angemessener Weise aus. Er kommt letztlich über die Vorstellung eines handelnden göttlichen Subjekts nicht hinaus, das zwar unerhörter, ja ungeheuerlicher Taten fähig ist, aber gerade so den Charakter immerwährender Aktivität in keinem Moment verliert. Ein Wesen, das immer nur handelt, aber nichts an sich erfährt, ist kein Wesen, das ohne Beifügung und Einschränkung als Liebe definiert werden darf. Gott erfährt die von ihm verursachte Schöpfung an sich selbst. Sie spiegelt sich im Schicksal des zu ihm gehörenden Menschen wider, das in jener einen Frage sich verdichtet, die der
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Jesus von Nazareth
Sterbende an Gott richtet, der Frage: „Warum?“ Gott gibt dem Sterbenden keine Antwort mehr, aber er weist diese Frage auch nicht wie der Gott des Buches Hiob zurück. Er nimmt sie in sein innerstes Wesen auf und zahlt dafür den Preis, als der Eine nicht mehr einig zu sein mit sich selbst. Ich habe an anderer Stelle gefordert, die Trinitätslehre müsse ergänzt werden durch die Rede vom verborgenen Gott, nur so könne ein einseitiger Offenbarungsmonismus vermieden werden.28 Nun zeigt sich, dass eine Ergänzung nur formalen Kriterien genügen würde, dass wir nur in einer wirklichen Verschränkung die Eigenart des christlichen Glaubens erfassen können. Wenn wir von der Passion Jesu den Schleier jener Interpretationen wegziehen, die das Heil der Menschen im Blick haben und in diesem Sinne jede einzelne Phase dieses Geschehens zu deuten versuchen, bleibt das Faktum eines Menschen übrig, der in seiner bitteren Einsamkeit das Wirken des verborgenen Gottes erfährt. Da wir aber in diesem Menschen zugleich das Bild des Gottes wahrnehmen, der hier auf der Erde in einer irdischen Gestalt erscheint, ist die Verborgenheit Gottes nicht nur Explikation einer grundlegenden menschlichen Erfahrung, sie geht hinein in das Sein Gottes selbst. Gott wird sich selbst zum Rätsel. Dahin ist die ungetrübte Seligkeit des Bei-sichselbst-Seins, dahin die ewig leuchtende Klarheit eines Lichts, das keine Schatten kennt. Der Gott, der seine Schöpfung in sich selber zurücknimmt, ist ein anderer geworden. Man darf die Behauptung wagen, dass die Kunde von der Auferstehung Jesu die Botschaft von diesem Anderswerden Gottes ist. Gott verliert seine Einigkeit, aber er gibt die Einheit nicht preis. Wer von der Auferstehung Jesu redet, redet von der geretteten Einheit. Der Gott, der Mensch wird, weil er in seiner Liebe, die er selbst ist, das Schicksal der Menschen nicht nur von außen betrachten, sondern an sich selber erfahren will, hätte in seiner Selbstgefährdung in einer unaufhebbaren Diastase zerbrechen können, weil Menschsein und Gottsein – der Schrei des Menschen, der Gott nicht versteht, und der allmächtige Gott, der so und nicht anders die Welt geschaffen hat – zu keiner Einheit mehr finden. Vor dem definitiven Zerbrechen steht aber die Tat Gottes, die alles entscheidet: Er gibt die Einigkeit preis, um die Einheit in neuer Weise entstehen zu lassen. Indem er den einen Menschen Jesus von Nazareth in sein Wesen aufnimmt, nimmt er die ganze Schöpfung in sich auf, um gerade dadurch sein Sein grundlegend zu verändern. Das Christentum bekennt Gott nicht nur als Schöpfer des Himmels und der Erden, wie die anderen monotheistischen Religionen, es demonstriert auch das Ungenügen dieser Schöpfung, ein Ungenügen, das Gott an sich selbst erfährt, um daraufhin ein anderer zu werden. Die mangelnde Vollkommenheit der Schöpfung, die tiefe Verstrickung der Menschen in Schuld und Leid, das allgemeine Verhängnis immerwährender Vergänglichkeit, die alles Entstehen mit Zerstörung ahndet, hat Eingang ge28 Siehe oben Kap. I, 5.1.
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Die Konstitution des Geistes
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funden in das göttliche Sein. Indem Gott den Gekreuzigten zu sich erhöht, verinnerlicht er die Tragik des menschlichen Daseins. Den Blick von außen, die Distanz von Schöpfer und Geschöpf hat er aufgegeben. Er begnügt sich nicht damit, das Böse als Resultat menschlicher Freiheit zu betrachten, das Böse, das sein Gericht erwarten muss. Denn er weiß, dass diese Freiheit das vorzügliche Geschenk ist, mit dem er die Menschen in der Schöpfung ausgestattet hat. So fällt alles Böse, das geschehen ist, letztlich zurück in die Unergründlichkeit seines Wesens. Er sieht alles Vergehen nicht in seiner Ewigkeit von außen, sondern in sich selbst, weil er den Gekreuzigten zu sich genommen hat, und damit dem Tod einen Raum gewährt, den er für immer beanspruchen darf. Die Botschaft der Auferstehung Jesu bedeutet nicht einfach: den Sieg des Lebens über den Tod. Diese Deutung käme einer Veräußerlichung des christlichen Denkens gleich, weil sie letztlich auf die Mitteilung hinausliefe, dass alles Schlimme in einem happy end sein Ziel erreicht. Es geht nicht um Sieg oder Triumph, so wie überhaupt der herrschaftliche Gestus des überkommenen Gottesbildes dringend der Korrektur bedarf. Der Tod wird nicht beseitigt, sondern überwunden, im wahrsten Sinn des Wortes aufgehoben. Als das unwiderruflich Geschehene bleibt er präsent, auch und gerade da, wo er seine Macht verliert. Gott nimmt in dem toten Sohn seine Schöpfung in sich zurück. Er macht sie in dieser Person zu einem Teil seines Wesens. Sie wird zu einer bleibenden Frage an ihn selbst, aber er löst sie deshalb nicht auf. Er hält, könnte man sagen, diese Frage aus, und deshalb geht die Geschichte weiter.
12. Die Konstitution des Geistes Die Frage, welche die Schöpfung an Gott richtet, wird in der Aufnahme der Person Jesu zu einer Frage in ihm selbst. Auch wenn er, wie eben formuliert, diese Frage aushält, bleibt sie nicht einfach als ein Mahnmal des in der Schöpfung Misslungenen stehen, das die Spaltung in Gott hineinträgt, aber ansonsten nichts bewirkt. Der Gott, der im Blick auf das von ihm vollbrachte Werk seiner Fraglichkeit inne wird, begründet in sich den Willen zu einer neuen Schöpfung, zu einer neuen Welt, die Leid und Tod nicht mehr kennt. Gott setzt diesen Willen nicht einfach durch ein von ihm gesprochenes Wort in die Tat um, das wäre ein unzureichendes, letztlich fatales Verständnis seiner Allmacht. Sein Wille tut sich nicht dadurch kund, dass auf einmal etwas ist, wo vorher nichts war. Er gewinnt die ihm zukommende Wirklichkeit in der Entwicklung, in der Evolution des Kosmos im Allgemeinen und der Geschichte der Menschheit im Besonderen. Die Kraft, welche diese Entwicklung steuert, ist die Kraft des göttlichen Geistes. Natürlich war der Geist eine schon von Anfang an in Gott bestehende
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Potenzialität, so wie die Möglichkeit der Menschwerdung im göttlichen Wesen verankert ist, bevor sie in der Geschichte ihre Tatsächlichkeit erreicht. Aber diese Potenzialität gewinnt ihr Selbstsein erst da, wo Gott sich seine eigene Fraglichkeit bewusst macht. Das Bewusstsein, das nicht mehr mit sich einig ist, setzt den Geist frei; es setzt ihn als eine Kraft frei, welche die Ursache der Spaltung überwindet. Diese Ursache ist die von Gott geschaffene Welt, die Gott in ihrer Unvollkommenheit zurücknimmt. Der Geist wirkt dieser Ursache entgegen, indem er eine neue, eine andere Welt intendiert, die diese Unvollkommenheit überwunden hat, indem sie Begrenztheit bewahrt, den allgemeinen Verfall jedoch beseitigt. Die Stunde des Geistes ist erst nach der Auferstehung Jesu gekommen – das Kirchenjahr bringt dies zum Ausdruck, indem es das Pfingstfest auf die Erinnerung an die Himmelfahrt Christi folgen lässt. Der christliche Glaube wagt es, die Selbstoffenbarung Gottes als göttliches Drama zu beschreiben. Und dieses Drama hat sein Ende noch nicht gefunden. Wir stehen vor einem Gott, der im Kreuz Jesu seine eigene Fraglichkeit bekundet. Aber sein aus dieser Fraglichkeit resultierendes Wirken, das Wirken des Heiligen Geistes, steht noch am Anfang – trotz einer nun zweitausend Jahre umfassenden Kirchengeschichte, welche zahlreiche und eindrucksvolle Zeugnisse dieses Wirkens bietet. Gott hat sich noch nicht in seiner ganzen Fülle als Geist ausgesagt, er gewährt hier noch nicht die Definition seines Wesens, die er im Kreuz Jesu um den Preis seiner Einigkeit gegeben hat. So verbindet sich die Erfahrung des Wirkens seines Geistes mit der Erfahrung seiner Transzendenz, der Erfahrung eines umfassenden Geheimnisses, das sich gelegentlich in einem unergründlichen Dunkel verdichtet, statt sich zu lösen in einem alles überstrahlenden Licht, in dem wir den Sinn des Ganzen erkennen könnten. Die Zukunft ist der Ort der Hoffnung und des Vertrauens auf eine Welt, die das Versprechen Jesu wahr macht und das von ihm angekündigte Reich Gottes begründet und befestigt. Sie ist aber zugleich auch der vorzügliche Ort göttlicher Transzendenz. Das Nichtwissen des Menschen, der auf Prognosen angewiesen ist, welche die Möglichkeit der Falsifikation als unausweichlichen Schatten mit sich führen, dieses Nichtwissen darf von keiner religiösen Gewissheit, und sei sie noch so sehr mit apokalyptischen Bildern gesättigt, überspielt werden. Diesem Nicht-Wissen korrespondiert einzig und allein die Transzendenz des einen Gottes, den die Dramatik seiner Selbstoffenbarung nicht daran hindert, sein Geheimnis zu wahren. So bemerken wir beides, die bleibende Unzugänglichkeit Gottes, dessen Wirken für uns ein Rätsel bleibt, und jenes Wirken des Geistes, das auf eine neue Welt zielt und damit jene Spaltung überwindet, die Gott in sich selbst gefunden und im toten Jesus am Kreuz definiert hat. Wir sind nun in der Lage, besser zu begreifen, wie sich das christliche Offenbarungsverständnis von der Sichtweise anderer monotheistischer Religionen unterscheidet. Jede Offenbarung zielt letztlich auf eine Differenzierung
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Die Konstitution des Geistes
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in Gott selbst, weil Gott in jeder Kundgabe sich selbst und nicht etwas anderes zur Sprache bringt. Gott erscheint in etwas Endlichem, weil er anders von den Menschen nicht wahrgenommen werden könnte. Diese Annahme der Endlichkeit lässt sich auf den unbedingten Willen zurückführen, mit den Menschen in eine Verbindung zu treten, ihnen Aufschluss zu geben über die Forderungen, welche das Transzendente an sie richtet und ihnen Einblick zu geben in das göttliche Wesen, soweit es für Menschen fassbar ist und fassbar sein kann. Diese Annahme muss nicht besagen, dass Gott nicht derselbe bleibt, der er immer war, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Eben hier berühren wir nun die Eigenart des christlichen Glaubens. Gott bleibt nicht derselbe, im Geschehen seiner Offenbarung wird er in die Geschichte der Menschen hineingezogen. Das Endliche, in dem er zur Erscheinung kommt, findet seine eigene Sprache, und diese Sprache erhebt sich zum Wort, das er nicht mehr von außen hört, sondern als eine Stimme vernimmt, die in ihm selber spricht. Diese Stimme ist die Stimme der Menschen, nicht das Wort der Offenbarung, aber dieses Wort kommt nicht mehr ohne diese Stimme aus, seit sie sich vernehmen ließ. Weil es nun nur zusammen mit dieser Stimme gehört werden will, ist Gott nicht mehr derselbe wie zuvor. Er ist nicht mehr der Unveränderliche, er ist das Wesen, das nicht nur wirkt, sondern auch geschehen lässt, an sich geschehen lässt. Erst dieses An-sichGeschehen-Lassen macht die christliche Rede vom Sohn und dem Heiligen Geist verständlich: Vom Sohn, der die Einigkeit Gottes zunichte macht, und vom Geist, der seine Kraft aus dem Verlust dieser Einigkeit gewinnt, indem er eine Verwandlung der Schöpfung intendiert29 und das von Jesus Versprochene herbeiführt, nämlich das Reich Gottes. Dass Gott in seiner Offenbarung sein eigentliches Sosein so weit verlässt, dass Geschichte nicht nur als das von ihm Bewirkte, sondern auch als das an ihm Geschehene verstanden werden muss, macht die Besonderheit des christlichen Gottesverständnisses aus. Damit hängt auch zusammen, dass Offenbarung in dieser Perspektive nicht als ein bereits abgeschlossenes, lediglich in die Vergangenheit zu datierendes Ereignis begriffen werden darf. Der von Jesus Christus ausgelöste Prozess in Gott selbst ist noch nicht an sein Ende gekommen. Gott ist sich seiner eigenen Fraglichkeit bewusst geworden, aber die Überwindung dieser Fraglichkeit, ihre Aufhebung in einer höheren Einheit, die das Vergangene bewahrt, aber nicht mehr mit der Virulenz unverhohlener Präsenz wirksam werden lässt, ist noch nicht vollzogen. Die Wirksamkeit des Geistes, dem diese Aufhebung anvertraut werden muss, ist – auch zweitausend Jahre nach der Erscheinung Christi – immer noch in der 29 Ich rede bewusst von einer Verwandlung der Schöpfung. Der zuvor gebrauchte Ausdruck „neue Schöpfung“ besagt ja nicht, dass hier etwas entsteht, was zu allem zuvor Geschehenen keine Beziehung hat. Alles Geschehene wird aufgenommen in die Wirklichkeit Gottes, verwandelt in die andere Dimensionalität des göttlichen Geistes.
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Jesus von Nazareth
Phase schüchterner, zaghafter Versuche – weit entfernt von einer überwältigenden Wirklichkeit, welche die Entrechtung der Menschen beseitigt und Leid und Tod überwindet. Erst die Erfüllung des Versprechens Jesu, das Kommen des von ihm angekündigten Reiches Gottes, bedeutet die Überwindung der Fraglichkeit in Gott selbst und sein Erreichen einer neueren, höheren Einheit, die das Vergangene nicht vergisst und nicht verkennt, aber doch unwiderruflich als Vergangenes definiert und festzuhalten vermag. Gott muss sich in der Geschichte wieder gewinnen, hier muss er sich selbst finden, er, der am Kreuz Jesu seine Einigkeit verloren hat und die Einheit nur in einem tiefen Zwiespalt auszusagen vermag. Sein Werden ist unlöslich verbunden mit der Geschichte der Menschen, und das bedeutet, dass sein Verhältnis zur Zeit ein anderes geworden ist. Er hat sie nicht nur zusammen mit der Schöpfung erschaffen, sondern so in sein Wesen hineingenommen, dass sie den Charakter des bloßen Gegenübers verliert und zu einem Merkmal seines Soseins wird. Gerade weil die Zeit zu ihm gehört und nicht mehr als die in seiner Perspektive von außen zu betrachtende Folge des Entstehens und Vergehens betrachtet werden kann, bewirkt er nichts mehr aufgrund seiner Allmacht, sondern alles mit Hilfe des Geistes, der geschehen lässt, ohne zu gebieten. Der Geist wird erst da zu einem Moment an Gott selbst, wo Gott sich nicht mehr von der Zeit als einem seiner Geschöpfe distanziert, sondern wo er sie integriert als das ihm Zugehörende, ohne das er nicht mehr sein kann und nicht mehr sein will. Damit ist der Geist mehr als eine von Gott ausgehende Kraft, eine seiner Wirkungsweisen, wie wir sie in den anderen monotheistischen Religionen wahrnehmen. Er ist vielmehr der Beweger des göttlichen Werdens, jene unaufhaltsame Dynamik, die Gott nicht sein lässt, wie er ist, sondern die ihn weitertreibt bis zur Vollendung der Geschichte, die zugleich seine eigene Vollendung ist. Weil Gott seine Fraglichkeit erfahren hat, darf und muss er als ein werdender Gott beschrieben werden. Er ist nicht mehr der Vollkommene, ein in der ewigen Seligkeit beschlossenes und verschlossenes Wesen, sondern der Werdende, der als Ziel sucht, was er in seinem Selbst nicht mehr findet. Seine Fraglichkeit macht es ihm unmöglich, sich des Geistes als einer seiner Wirkungsweisen zu bedienen. Sie nimmt diesen hinein in die Definition seines Wesens. Wir können nicht mehr von Gott reden, ohne von Jesus Christus zu reden, der ihm die Fraglichkeit des eigenen Wesens bewusst gemacht hat. Wir können aber genauso wenig eine Beschreibung Gottes geben, ohne die Bedeutung des Heiligen Geistes zu entfalten, der aus der Spaltung des göttlichen Bewusstseins als ein Moment an Gott selbst hervorgeht und im Weiteren als die den göttlichen Prozess bewegende Kraft beschrieben werden muss. Das ist der bleibende Sinn des trinitarischen Redens. Gott als Geist zu begreifen heißt, die Selbstverständlichkeit des Gedankens der göttlichen Allmacht infrage zu stellen. Aus dieser Allmacht resultiert die
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Das Wort Gottes und die Leiblichkeit Christi
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Schöpfung des Kosmos und die Hervorbringung des Menschen. Aber die Ohnmacht des Gekreuzigten, die zu einer Ohnmacht des lebendigen Gottes selber wird, paralysiert die primär gegebene Allmacht, so dass das christliche Gottesverständnis nur als eine Einheit von Allmacht und Ohnmacht bestimmt werden kann.30 Das aus dieser Einheit hervorgehende Moment an Gott selbst ist der Heilige Geist, der nicht mehr gebietender Wille ist, der alles aufgrund des bloßen Wortes entstehen lässt, sondern nur in der Sphäre der Freiheit zu wirken vermag.
13. Das Wort Gottes und die Leiblichkeit Christi Wenn wir die Relation von Wort und Gott bedenken, gelingt es uns leichter, das Spezifische der christlichen Sichtweise in den Blick zu bekommen. Das Wort, das Gott spricht, ist sozusagen das natürliche Korrelat seiner Allmacht. Nirgends sehen wir das deutlicher als am Schöpfungsbericht der Priesterschrift (Gen 1,1 ff), wo das göttliche Wort genügt, um das Seiende ins Dasein zu rufen. Dieses Wort strukturiert nicht nur das Handeln Gottes in der Schöpfung, sondern ebenso sehr die Zuwendung, in der Gott in seiner Offenbarung dem Menschen nahe kommt. Von Seiten der Menschen entspricht diesem Wort die Haltung des Gehorsams. Der Prophet hat das ihm aufgetragene besondere Wort an die jeweiligen Adressaten auszurichten; diese müssen es in seiner spezifischen Bedeutung anerkennen und befolgen. Diese Beziehung von Gott und Wort erreicht ihre definitive Festlegung in der umfassenden Aussage Gottes, die nicht nur Wort, sondern auch Schrift, „Heilige Schrift“ wird. Sie dokumentiert sich als die autoritative Instanz, welche die unterwerfende Hinnahme des Gläubigen fordert, eine Annahme des Gesagten ohne Kritik und ohne Zweifel. Natürlich gibt es in allen monotheistischen Religionen Möglichkeiten, den Keim des Fundamentalismus, der in dieser Betrachtungsweise angelegt ist, zu ersticken. Trotzdem wird eine in dieser Weise verstandene Relation von Gott und Mensch immer wieder Erscheinungsformen undifferenzierter Gläubigkeit hervorrufen, weil sie als mögliche Konsequenz dieses offenbarungstheologischen Ansatzes verstanden werden kann. Die christliche Sichtweise bringt die von der göttlichen Allmacht ausgehende Beziehung von Gott und Wort nur in einer vielfältigen Brechung zur Geltung. Indem der Prolog des Johannesevangeliums den Begriff „Logos“ für das Gott schon von Anfang an zugehörende Wort verwendet, überschreitet er die Vorstellung eines aus dem Jenseits kundgegebenen Willens; denn „Logos“ meint die die Welt durchwirkende Vernunft, nicht einfach die autoritative Mitteilung einer jenseitigen Instanz. 30 Vgl. meine Gotteslehre, 98.
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Jesus von Nazareth
So ist von vornherein die Potentialität des Eingehens des Göttlichen in das Menschliche mitgedacht, eines Eingehens, welches das Moment des Transzendenten nicht preisgibt, aber doch seine Entschlossenheit kund tut, die Relation von Gott und Mensch nicht einfach als die Relation von Befehl und Gehorsam zu verstehen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass der Prolog wenig später die Mensch- ja Fleischwerdung des Wortes berichtet. Die Annahme der Leiblichkeit bedeutet die Absage an das Wort als vorzügliches Medium göttlicher Selbstmitteilung, und zwar in zweifacher Weise: Zum einen, weil die Visualisierung des Transzendenten die bloße Möglichkeit des Hörens einer göttlichen Mitteilung überbietet, indem sie eine Evidenz zur Erscheinung bringt, die auf Überführung, nicht auf Unterwerfung zielt und zum anderen, weil Leiblichkeit nie ausschließlich von der Fähigkeit des machtvollen Wirkens her bestimmt werden kann, sondern immer die Möglichkeit des An-sich-Geschehen-Lassens einschließt. Das Transzendente, das als Wort Fleisch wurde, sieht anders aus als ein Gegenüber, das seinen Willen in einem Wort kund tut, welches sich in der Heiligen Schrift verfestigt. Die Rede von der leiblichen Auferstehung Jesu besagt eben dies: Gott ist in alle Zukunft ohne seine in Christus angenommene Leiblichkeit nicht mehr zu denken. Damit werden die zwei hiermit verbundenen Momente im christlichen Gottesverständnis bewahrt: das Moment der Evidenz und das Moment des An-sich-Geschehen-Lassens. Das Moment der Evidenz findet seinen Ausdruck im Vorgang der Eucharistie, der den Prozess der Visualisierung zur Darstellung bringt, der sich mit der Fleischwerdung des Wortes verbindet. Das Moment des An-sich-Geschehen-Lassens muss da zum Ausdruck kommen, wo wir von Gott reden, wo wir das christliche Verständnis von anderen monotheistischen Sichtweisen unterscheiden. Wir verzichten auf die Vorstellung einer Allmacht, die nicht die Vorstellung der Ohnmacht als ebenbürtiges Korrelat an ihrer Seite hat. Wir verzichten auf die Vorstellung eines Wortes, das als Wort Gottes Gehorsam, ja Unterwerfung fordert. Das heißt nicht, dass Gott sprachlos geworden wäre. Da, wie wir sahen, der Geist zur Definition seines Wesens gehört, vollzieht sich seine Selbstmitteilung nicht mehr ohne ihn. Der Geist befestigt die Verbundenheit von Gott und Mensch, die in der Inkarnation ihren Grund und im Reich Gottes ihre Vollendung findet. In dieser Verbundenheit wird die Sprache Gottes zur Sprache der Menschen; die Distanz zwischen einem Gott, der spricht, und dem Menschen, der antwortet, wird überboten durch das geistgewirkte Reden und Handeln, das nur mehr die Einheit von Gott und Mensch, nicht die Unterscheidung beider zur Geltung bringt.
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Das Verhältnis der monotheistischen Religionen
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14. Das Verhältnis der monotheistischen Religionen Der Verlauf der Geschichte belehrt uns allerdings darüber, dass die Offenbarung des Geistes die göttliche Transzendenz nicht überholt, geschweige denn beseitigt hat. Das Christentum greift in eine Zukunft vor, die in ausgezeichneten Momenten erkennbar, aber keineswegs die beherrschende Wirklichkeit ist. Es darf den Ursprung „des Gottes der Ferne“ nicht verleugnen, auch wenn das Entscheidende, was es zu sagen hat, in eine andere Richtung zielt. Indem es sich der Gemeinsamkeit mit den anderen monotheistischen Religionen versichert, wehrt es der Gefahr eines weltabgewandten Schwärmertums, das nur antizipiert, weil es sich weigert, Gegebenheiten zur Kenntnis zu nehmen. Es bleibt seinem Ursprung treu, weil es weiß, dass sein Ursprung auch der Ursprung Gottes ist, zugleich gibt es aber die Hoffnung nicht auf, dass dieser Ursprung nicht das Letzte sein wird, dass Gott seine Unbegreiflichkeit mehr und mehr zurücknimmt, um sie schließlich ganz in der überwältigenden Präsenz seiner Offenbarung vergehen zu lassen. Das Verhältnis von Offenbarung und Transzendenz kann nur im Zusammenhang der drei großen monotheistischen Religionen erörtert werden. Da der Gott dieser Religionen derselbe Gott ist, ob wir ihn nun in Christus erkennen, mit dem Namen Jahwe benennen oder als Allah anrufen, wird sich die hier vorgegebene Relation nur da erschließen, wo wir die jüdische Religion, den Islam und das Christentum in unsere Überlegungen einbeziehen. In diesem umfassenden Kontext wird das komplexe Geflecht deutlich, in dem sich die beiden uns vorgegebenen Begriffe zur Darstellung bringen lassen. Man muss, wie im ersten Kapitel gezeigt, davon ausgehen, dass der Monotheismus einen größtmöglichen Gewinn an Transzendenz einschließt, so dass die Offenbarung als solche zum Problem wird. Gleichwohl ist sie, gerade aufgrund des stark betonten Andersseins des Göttlichen, absolut notwendig; die Frage kann also nur sein, wie diese Offenbarung entfaltet werden kann. Die eine Möglichkeit besteht darin, die Offenbarung nur so weit zur Geltung zu bringen, wie die in ihrem Wesen erfasste göttliche Transzendenz dies zulässt. Damit beschreiben wir den Weg des islamischen Glaubens. Gott wahrt seine Unanschaulichkeit, indem er sich in seinem Wort offenbart, einem Wort, das als Heilige Schrift den Menschen zugeeignet wird. Diese Selbstmitteilung Gottes dürfen wir nicht primär als Explikation des göttlichen Wesens verstehen, denn damit würde die im Interesse des göttlichen Andersseins erfolgende Begrenzung der Offenbarung in unzulässiger Weise überschritten. Es geht vor allem um die Kundgabe des göttlichen Willens, der für die Gläubigen verständlich ist und auch verständlich sein muss. Aussagen, die darüber hinausgehen, stehen unter dem Vorbehalt der Unbegreiflichkeit Gottes; es gibt keine irgendwo definierte Notwendigkeit, sie zu verstehen; man darf sich in der jeweils eigenen Frömmigkeit damit begnügen, sie zu rezitieren und als das ureigene Wort Gottes glaubend zu vernehmen.
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Jesus von Nazareth
Die andere Möglichkeit besteht darin, auf diese radikal erfasste göttliche Transzendenz mit einer ebenso radikal erfassten Gegenbewegung zu antworten, welche die Offenbarung als eine unüberbietbare Nähe des Göttlichen an- und aussagt, Gott als den sichtbaren, ja unserer Verfügung anheim gegebenen zur Sprache bringt und auf diese Weise die Distanz von Göttlichem und Menschlichem zunichte macht: Diese Möglichkeit hat der christliche Glaube wahrgenommen. Dabei gestaltet sich das Verhältnis von Offenbarung und Transzendenz in einem Prozess wechselseitiger Überholung, der bis jetzt noch zu keinem Abschluss gekommen ist. Wir sehen an der Gestalt des historischen Jesus, dass die Offenbarung Gottes in einer Weise erfüllte Gegenwart wurde, die das Moment der Transzendenz in den Hintergrund treten ließ. Aber dieses Moment war weit entfernt davon, sich auf die Dauer zu verabschieden; in der Erfahrung der Gottverlassenheit, die Jesus am Kreuz zu erdulden hatte, kehrte es mit elementarer Gewalt zurück. Der christliche Glaube setzte dieser Erfahrung seine eigene entgegen, indem er ein Geschick, das man als Rückzug des in seiner Offenbarung handelnden Gottes verstehen könnte, als Fortsetzung, ja als Kulmination seiner enthüllenden Zuwendung zur Menschheit verstand. Auch die mit dem Tod Jesu gegebene Erfahrung, dass nicht nur Gott den Offenbarer verlässt, sondern auch dieser die seiner Botschaft vertrauenden Menschen, konnte die Dynamik des christlichen Offenbarungsverständnisses nicht beirren. Denn der mit seinem Tod in die göttliche Ewigkeit aufgenommene Offenbarer bewirkt eine Wandlung des göttlichen Wesens. Gott setzt seine Offenbarung als Geist, der die Transzendenz des Göttlichen in der Macht göttlicher Gegenwart überbietet, fort und gerade so auch das Handeln des historischen Jesus. Die Dynamik seiner sich den Menschen zuwendenden Wirksamkeit ist ungebrochen – und dennoch ist der Geist keine unbezweifelbare, allen Menschen einsichtige Realität, sondern ein Kommen und Gehen, welches das Dunkel zurücklässt, das Alleinsein des Menschen mit seinen Fragen und Ängsten, in seinem Ausgeliefertsein an eine Welt, deren Sinn sich ihm nicht zu erschließen vermag. In dieses Dunkel und in diesem Dunkel hat sich Gott zurückgezogen – er schweigt, wo er antworten müsste, er gibt sich nicht zu erkennen. Wer an ihm festhält, wird von seiner bleibenden Transzendenz reden müssen, er wird diese Rede nicht aufgeben dürfen, trotz der Ansage seiner unüberbietbaren Nähe, von der der christliche Glaube lebt. Sehen wir in dieser Weise Christentum und Islam als Alternative, weil sie zwei streng von einander zu unterscheidende Möglichkeiten verwirklichen, die in der radikalen Erfassung göttlicher Transzendenz enthalten sind, dann gewinnt die Frage ein besonderes Interesse, wie sich die jüdische Religion zu diesen Extremen verhält. Generell kann man sagen, dass sie weder der einen noch der anderen Möglichkeit zuzuordnen ist, sondern beide keimhaft in sich schließt. Die starke Betonung des göttlichen Willens als Kern des transzendenten Offenbarungshandelns, verbunden mit der Einsicht in das prinzipielle
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Die Trinität
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Anderssein Gottes, eröffnet einen Weg für die islamische Perspektive, die in einem Prozess der Universalisierung jeden Menschen zum potentiellen Adressaten göttlicher Anrede erhebt. Auf der anderen Seite impliziert die Aussage der Erwählung eines Volkes – neben unendlich vielen anderen, die eben nicht in dieser Weise Partner des einen Gottes sind – eine spezifische Form göttlicher Zuwendung, die den Gedanken als möglich erscheinen lässt, dass Gott in einem Menschen – neben zahllosen anderen, von denen eben das nicht behauptet werden kann – zur Erscheinung kommt. So bestätigt sich erneut die immer wieder zu treffende Wahrnehmung, dass die jüdische Religion der Grund ist, der sowohl das Christentum sowie den Islam aus sich entlässt – beide Religionen können auch danach beurteilt werden, ob sie diesen Grund als Ansage ihrer eigenen Herkunft annehmen und anerkennen, oder ob sie ihn in einem krampf- und letztlich sündhaften Bemühen um eigene Identität verleugnen und sich selbst als Grund setzen, ohne es wirklich zu sein.
15. Die Trinität Kehren wir zur Eigenart des christlichen Glaubens zurück, der in diesem Kapitel in seiner Verankerung in Jesus Christus Gegenstand der Betrachtungen sein soll. Wir wissen, dass der Gott Israels als ein Gott der Geschichte zu begreifen ist, als ein Gott, der in seinem Handeln in der Beziehung zu seinem Volk verstehbar wird, in den von ihm ausgehenden Taten der Befreiung ebenso wie in seiner Bestrafung schuldhaften Vergehens. Die Frage, ob Gott sich nicht nur auf die Geschichte Israels bezieht, sondern in dieser für ihn wesenhaften Beziehung selbst eine Geschichte hat, steht dabei noch im Hintergrund. Eben das verändert sich in der Sichtweise des christlichen Glaubens. Denn dieser führt zur Explikation eines Gottes, der sich nicht mehr primär auf eine Geschichte bezieht, sondern selbst eine Geschichte hat. Die Trinitätslehre darf als Entfaltung dieser Gott selbst zukommenden Geschichte verstanden werden. Ja, man muss es noch zugespitzter formulieren: Nur so gewinnt sie überhaupt ihren Sinn. Die Bedeutung der Inkarnation in Jesus Christus besteht darin, dass Gott in ihr seine eigene Geschichte beginnt. Und die Bedeutung des Heiligen Geistes ist darin zu sehen, dass er in ihm seine eigene Geschichte fortsetzt, eine Geschichte, die noch nicht zu ihrem Abschluss gekommen ist und erst in der Verwirklichung des Reiches Gottes ihr Ende finden wird. Lässt sich hinter diese Geschichte zurückgehen? Darf sich der christliche Glaube der göttlichen Ewigkeit versichern, indem er die von Gott angenommene Zeit zu seinem immerwährenden Prädikat erhebt und damit als etwas über jeden Anfang hinaus Gegebenes erscheinen lässt? Eben das hat die klassische Trinitätslehre versucht, indem sie Gott in der Relation von
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Jesus von Nazareth
Vater, Sohn und Heiligem Geist begriff und behauptete, ihn in alle Ewigkeit nicht anders denken zu können. Sie hat aber damit die Dynamik des göttlichen Werdens zu Gunsten einer Darstellung des immer Seienden ihrer eigentlichen Vitalität beraubt, sie hat sie in der kraftlosen Aussage des Immer-so-Gewesen-Seins verschwinden lassen. Diese Aussage hat ihre definitive Artikulation in der Lehre von den drei in ihrem Wesen gleichen Seinsweisen bzw. Personen gefunden. Aber diese Wesensgleichheit besteht in keiner Weise. Denn der Logos bzw. Christus bedeutet zunächst nichts anderes als die Möglichkeit Gottes, für sich selber, also nicht nur für das von ihm Geschaffene, einen Anfang zu setzen, er bedeutet die Möglichkeit, in der Zeit seine eigene Geschichte beginnen zu können. Und der Geist ist zunächst nichts anderes, als eine von Gott ausgehende Kraft, die selbstverständlich ihm untergeordnet werden muss. Dass diese Kraft zu einem Moment des göttlichen Wesens wird, so dass der eine Gott auch als Geist ausgesagt werden kann, ist nur bei einem Gott verständlich, der die Zeit aufgenommen und seine eigene Geschichte begonnen hat. So ist die Trinität das Resultat der Selbstwerdung Gottes, nicht ein unbezweifelbares metaphysisches a priori. Wenn wir sie im Zusammenhang mit Gottes eigener Geschichte denken, gewinnt sie ihren Sinn, wenn wir davon absehen, ist sie nichts weiter als eine spekulative Konstruktion. Anders gesagt: Da der christliche Glaube Gott in seiner Selbstwerdung wahrnimmt, kann er nicht einfach das von ihm erhoffte Resultat dieses Werdens in die Zeit vor aller Zeit verlegen und damit als etwas schon immer Gegebenes zur Sprache bringen. Er würde ja damit das Spezifische seines Gottesverständnisses überspielen und Gottes Eingehen in die Geschichte als eine äußerliche Begebenheit charakterisieren, die das Wesen des Transzendenten unberührt lässt. Wenn wir die Ewigkeit Gottes in der Rückschau auf das immer schon Gewesene verstehen, ist das trinitarische Sein Gottes keine Wirklichkeit, sondern nur eine Möglichkeit, die er mit der ihm eigenen Geschichte wahrnehmen wird. Dass Gott nie nur Wirklichkeit, sondern immer auch Möglichkeit ist, macht das Spezifische des christlichen Gottesverständnisses aus. In der Erscheinung Jesu Christi wird diese Möglichkeit zum Ereignis, indem Gott diesen Menschen in seine eigene Wirklichkeit integriert. Gottes Möglichkeit ist es, nicht nur Gott, sondern auch Mensch zu sein. In seiner Selbstdefinition als Geist verwirklicht er die zweite der ihm zukommenden Möglichkeiten. Aber dieser Prozess ist noch nicht zum Abschluss gekommen, weil Gott sich an die Geschichte gebunden hat und das Resultat seines Werdens mit ihrem Ende zusammenfallen lässt. Als Geist vollzieht er die endgültige Absage an die ihm von seinem Ursprung her zukommende Autarkie, denn der Geist ist nur da er selbst, wo er sich dem außer ihm Seienden mitteilt und es mit seinem eigenen Leben erfüllt. Gott als Geist lenkt die Geschichte nicht mehr von außen, er verzichtet auf sein Gegenübersein zu Gunsten einer von innen her wirkenden Kraft, einer Dy-
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Der Ursprung des Transzendenten
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namik, die von sich aus dem Ziel zustrebt, das das göttliche Werden und die menschliche Geschichte zu einer Einheit zusammenführt. Im Erreichen dieses Ziels findet Gott Genügen an dem Bild von sich selbst, eben an dem Bild des Menschen, das er in Jesus Christus gefunden hat. Dieses Genügen bedeutet die Ruhe Gottes, die Ruhe des Sabbats, wie sie im Bericht von der Schöpfung der Welt vorgebildet ist. Gott kann diese Ruhe erst dann finden, wenn sich die ganze Menschheit mit dem einen Menschen vergleichen kann, mit dem er seine Geschichte begonnen hat. Der Geist vollzieht den Weg dieser Vergleichung, und die christliche Hoffnung erfüllt sich in der Aussage, dass dieser Weg zu dem ihm bestimmten Ende kommt.
16. Der Ursprung des Transzendenten Die Trinitätslehre darf nicht als Beschreibung des sich immer gleichen ewigen Gottes verstanden werden. Sie ist eine begriffliche Fixierung des Gottes, der in der Geschichte der Menschen sein Sosein verändert. Er verändert es in dem Sinne, dass er in Christus das Menschsein für sich hinzugewinnt, während er von seinem Ursprung her als Gegensatz zu allem Menschlichen ausgesagt werden muss. Er verändert es, indem er den Geist in die Definition seines Wesens hineinnimmt, also nicht mehr als eine von ihm ausgehende Kraft distanziert. Die anderen monotheistischen Religionen bestreiten diese Geschichte Gottes, und deshalb ist es nur folgerichtig, wenn sie sich mit der Trinitätslehre nicht befreunden können. Wie können wir einen Dialog mit Vertretern dieser Religionen beginnen, wo wir selbst Zeugen einer Geschichte sind, welche die anderen nicht sehen und sehen wollen, einer Geschichte, die ihr Ende noch nicht gefunden hat? Das Gemeinsame finden wir nur, wenn wir hinter diese Geschichte zum Ursprung des Transzendenten zurückgehen. Aber hier mag mancher den Einwand erheben, ob wir damit nicht überfordert sind. Wie können wir als an die Zeit gebundene und der Zeit anheim gegebene Menschen das Unvordenkliche in Worte fassen, das Unbegreifliche, das sich noch nicht mitgeteilt hat, das vor jeglicher Offenbarung in seinem Geheimnis verschlossen ist, unnahbar, ohne Beziehung in sich selbst, ohne den Gedanken einer Beziehung zu uns? Wir können es, weil im Transzendenten der Ursprung immer Gegenwart ist. Gott verliert nichts, wenn er sein Sein zur Trinität erweitert, gerade deshalb ist es möglich, sein Sein vor der Trinität zu bedenken, ihn vor seinem Werden zur Sprache zu bringen. Judentum und Islam erinnern uns an die Gegenwart des Ursprungs; sie ermahnen uns, dass man von der Zukunft Gottes nicht reden kann, wenn man seine Herkunft aus den Augen verliert. Indem die Christenheit die hebräische Bibel in ihren Kanon übernimmt, gesteht sie zu, dass die Abstraktion von der Herkunft in die Irre führen muss. Aber auch den Islam muss sie als eine in
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Jesus von Nazareth
diesem Sinne begriffene Mahnung verstehen. Denn diese Glaubensweise, obwohl chronologisch die letzte der monotheistischen Religionen, hat den Weg der Rückkehr noch konsequenter vollzogen, insofern die Dynamik des in der Geschichte Israels sich offenbarenden Gottes aufgehoben wird in der Aussage einer ewigen Gleichheit, die im Blick auf die Menschen als Anderssein bestimmt werden muss. Das Zurückgehen hinter die Geschichte des werdenden Gottes eröffnet nicht sogleich den Zugang zu dem unbegriffenen Einen, das, ohne Willen und ohne Bewusstsein, Ursprung aller Wirklichkeit ist. Denn auch die anderen monotheistischen Religionen erfassen die göttliche Einheit nicht in der Weise, dass sie jegliche Differenzierung von ihr fernhalten. Sie denken Gott nicht ohne die ihm zugehörige Selbsterschließung, ohne die Vergegenwärtigung seines Wesens, die zugleich die Quelle seiner Offenbarung für die Menschen ist. Sie denken ihn nicht ohne die mit ihm verbundene, mit der Tora identifizierte Weisheit, sie denken ihn nicht ohne sein ureigenes Wort, das als Koran den Menschen nahe gebracht werden wird, um das jüdische und das islamische Verständnis knapp zu charakterisieren. Erst wenn wir uns mit diesem Zurückgehen nicht zufrieden geben und Gott vor seiner Selbsterschließung zur Sprache bringen, stoßen wir auf das namenlose, unbegriffene Numen, das sich der Sprache verweigert. So sehr hier unsere Möglichkeiten versagen, so sehr erfahren wir zugleich in diesem jeder Bestimmung entzogenen Einen die geheimnisvolle Mitte aller Religionen, ja auch aller philosophischer Konzeptionen, die sich von einer religiösen Intention leiten lassen. Das Zurückgehen schenkt uns das Einverständnis gemeinsamen Schweigens, während der Blick auf das auf die Zukunft hin offene geschichtliche Werden das Profil des je eigenen Glaubens deutlich macht. Weder auf das eine noch auf das andere dürfen wir verzichten. Ich komme nochmals auf die im ersten Kapitel erhobene Forderung zurück, die Trinitätslehre müsse durch Aussagen über den verborgenen Gott ergänzt werden.31 Nun sehen wir, wie diese Ergänzung sinnvoll vorgenommen werden kann. Die Verbindung beider Aspekte des Transzendenten ist die Verbindung von Vergangenheit und Zukunft. Der Blick zurück ist der Blick in die Verborgenheit des Unenthüllten, das seine ewige Präsenz über die Zeiten hinweg bewahrt. Der Blick nach vorn ist der Blick auf den Prozess des göttlichen Werdens, das in der Geschichte Gottes seinen Anfang nimmt und in der Entfaltung des Geistes universale Dimensionen gewinnt. Weil die Geschichte der Menschen noch nicht abgeschlossen ist, hat auch das Werden Gottes noch nicht sein Ziel erreicht. Die Offenbarung Gottes kommt nicht ausschließlich in der Geschichte Jesu zur Erscheinung, sie wirkt weiter in der Aufnahme des Geistes in das göttliche Wesen, welche die Trinität erst zur Wahrheit des Transzendenten erhebt. Man darf die Dreieinigkeit nicht behaupten, man kann aber im Glauben Zeuge ihres Werdens werden. Die 31 Siehe oben Kap. I, 5.1.
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Der Geist als verwandelndes Bewusstsein
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Spannung zwischen schon und noch nicht, die die eschatologische Existenz des Christen kennzeichnen soll, dient nicht nur der Beschreibung menschlicher Zeitlichkeit, sie ist zugleich eine Charakterisierung des göttlichen Werdens. Gott hat in dem Menschen Jesus von Nazareth seine eigene Geschichte begonnen, aber die Integration des Geistes in die Definition seines eigenen Wesens ist noch nicht zu ihrem Abschluss gekommen. Sie ist verbunden mit der Geschichte der Menschheit, die ihr Ziel noch nicht erreicht hat. So gesehen ist die Trinität Vision der Zukunft, nicht Ausdruck bereits erfüllter Gegenwart. Die Zukunft Gottes und die Zukunft der Menschen sind nicht voneinander zu trennen. Da Gott die Möglichkeit wahrnahm, Geschichte an sich selbst zu erfahren, ist der Rückzug in die Unberührtheit des Transzendenten versperrt. Wer als Gott Mensch wird, bleibt ewig an die Geschichte der Menschen gebunden. Er erreicht sein Selbstsein nur in der Verbindung mit ihnen; das Anderssein gewinnt eine qualitativ andere Dimension, indem es sich in der Relation zu den Menschen im Gegensatz zu seinem Ursprung definiert.
17. Der Geist als verwandelndes Bewusstsein Blicken wir nun zurück auf das Wirken des historischen Jesus: Wir unterscheiden ihn von anderen Religionsstiftern, die sich dem Gedächtnis der Menschheit durch die Abgeschlossenheit ihres Redens und Tuns eingeprägt haben. Jesu Leben endet als Fragment. Er hat begonnen, was er nicht zu vollenden vermochte, die Verwirklichung des Reiches Gottes. Damit blicken wir nicht einfach auf eine in ihm geschehene Offenbarung, sondern wir erkennen zugleich die Notwendigkeit, das Geschehen dieser Offenbarung fortzusetzen und zu vollenden, was er nicht vollenden konnte. Die prinzipielle Unabgeschlossenheit christlichen Denkens wird uns bewusst. Diese von der Erscheinung Jesu aus entfaltete Unabgeschlossenheit findet nun ihre Entsprechung in der Unabgeschlossenheit Gottes selbst, der im Begriff ist, seine Definition zu verifizieren, aber sein Sein als Geist noch nicht in seiner universalen Bedeutung verwirklicht hat. Sein Sein als Geist ist das Reich Gottes, von dem Jesus sprach, verwandelt durch die Widerlegung des Todes, aufgehoben in jene unanschauliche Sphäre, welche die Vergänglichkeit nicht mehr kennt. Am Ende steht die neue Ewigkeit Gottes, nicht die Ewigkeit des Unvordenklichen, sondern die Ewigkeit des Insichseins, die Ewigkeit des Transzendenten, das sich der von ihm geschaffenen Menschheit vergewissert, indem es sie zu sich nimmt und als Bleibendes anerkennt und bewahrt. Die Menschen fragen, was bleiben und was vergehen wird. Aber sind diese Fragen von ihren persönlichen Interessen zu lösen, die den Schranken der Zeitlichkeit Unterworfenes unangemessen verlängern wollen und anderes in die Wesenlosigkeit des Vergessenen hinabstoßen, das Gott für sich selbst erhalten will? Der göttliche Geist aber überführt das Irdische in den Bereich
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Jesus von Nazareth
größter Unanschaulichkeit. Er verwandelt, wo wir zu behalten wünschen, wir können nichts als selbstverständlichen, für immer zu bewahrenden Besitz betrachten. Der noch unabgeschlossene Prozess, in dem sich Gott als Geist definiert, bedeutet das Weitergehen und die Vollendung göttlicher Offenbarung. Er bedeutet aber zugleich das Vordringen einer neu qualifizierten Dynamik göttlicher Transzendenz. Es ist nicht die Transzendenz des Ursprungs, die als Unbegriffenes und sich selbst nicht Begreifendes alles Seiende aus sich entlässt. Man könnte hingegen von der Transzendenz der Verwandlung reden, von der numinosen Macht, welche die Schöpfung, die unter dem Gesetz des Todes steht, in ihre Ewigkeit hinüberzieht. Diese Macht wird in der christlichen Terminologie als Geist bestimmt. Wollte man sich menschlicher Analogien bedienen, könnte man den Geist als universales Bewusstsein bezeichnen. Die Fähigkeit des Bewusstseins besteht ja gerade darin, das Abwesende präsent zu machen und ihm eine spezifische Wirklichkeit zu schenken. Dabei kann man sich diese Abwesenheit in unterschiedlicher Weise vorstellen: Als die Abwesenheit des bereits Geschehenen, also Vergangenen, das nur in der Erinnerung vor dem definitiven Vergessen bewahrt wird und auch als die Abwesenheit des räumlich Getrennten, das in der vorstellenden Tätigkeit ein unmittelbares Leben gewinnt, um nur zwei Beispiele herauszugreifen. Die Zusage des ewigen Lebens bedeutet für die Menschen nichts anderes als ihre Aufnahme in das Bewusstsein des göttlichen Geistes, der da bleibende Präsenz verleiht, wo nach dem Gesetz des Todes ewiges Vergessen gelten müsste. Die Menschen missachten die verwandelnde Macht dieses Bewusstseins, wenn sie sich ein Weiterleben nach dem Tode ausdenken, das ihren Maßstäben und Wünschen entspricht. Schon der Blick auf die Tätigkeit des eigenen Bewusstseins gibt darüber Aufschluss, dass die Vorstellung des Abwesenden etwas anderes ist als das Abwesende selbst. Die transformierende Kraft der Veränderung kommt in ungleich höherem Maß dem göttlichen Geist zu, der das Seiende von seiner natürlichen Bestimmtheit, zu sein und nicht mehr zu sein, befreit und ihm in sich selbst ewige Dauer verleiht. Als universales Bewusstsein bewirkt der Geist die Transzendierung des Vergänglichen, das in eine andere, für uns unvorstellbare Daseinsweise hinübergeht, die wir als Sein bei Gott verstehen. Sein bei Gott heißt Sein im göttlichen Geist. Gott hat den Geist in die Definition seines Wesens aufgenommen; deshalb kann er nicht mehr existieren ohne den Bezug auf das ihm Wesensfremde, ohne die Relation zum anderen seiner selbst. Deshalb vergisst er die Schöpfung nicht, auch wenn sie als solche der Vergänglichkeit unterworfen ist. Sie muss ihm gegenwärtig bleiben – in seinem Bewusstsein, in seiner Erinnerung. Gott in seinem Ansich-Sein kann sehr wohl autark sein; Gott als Geist kann das eben nicht. Er ist wesenhaft Beziehung, und diese Beziehung richtet sich auf das außer ihm
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Der Geist als verwandelndes Bewusstsein
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Gegebene, auf das, was er selber nicht ist, auf die Welt, auf die Menschen im Besonderen. Wenn er die Menschen in seine Ewigkeit hinein nimmt, ist es nicht die Tat einer majestätischen Herablassung, ein quasi souveräner Akt, der genauso gut unterbleiben könnte. Da er sich als Geist definiert hat, sehen wir hierin eine Handlung göttlicher Notwendigkeit, ein aus dem göttlichen Wesen hervorgehendes Tun, das nie mehr ohne die Menschen sein will, weil es sich definitiv mit ihnen verbunden hat. Die Menschen leben weiter, weil Gott sie in seinem Bewusstsein bewahrt. Wenn sie aber ihr Weiterleben nicht mehr dem Impuls des eigenen, gleichwohl von Gott geschenkten Lebens verdanken, sondern nur noch in ihm sind, was sie sind, bekommt ihr Leben eine ganz andere Valenz. Es ist kein Weiterleben im strengen Sinn des Wortes mehr, sondern eine andere, für uns unanschauliche Weise des Seins. Wer nur wirklich ist, weil er im Gedächtnis Gottes bewahrt wird, hat ein anderes Sein als ein Lebewesen, das in seiner geschöpflichen Eigenständigkeit existiert. Die vom Geist bewirkte Angleichung an Gott kommt einer Verwandlung gleich, die Grundbedingungen irdischen Existierens aufhebt. So verschwindet die Differenz der Geschlechter, die für unsere Wahrnehmung von Welt fundamentale Bedeutung hat. Auch wenn man der apokalyptischen Rede von der neuen Leiblichkeit Glauben schenkt, kann man nicht so tun, als sei im Jenseits eine um vieles besser qualifizierte Ausstattung des Menschen gegeben, die das weitere Leben als eine unaufhörliche Quelle von Freude und Lust erfahrbar mache. Wenn der Mensch ausschließlich im Bewusstsein Gottes weiterlebt, verliert er die Gegenständlichkeit des Geschöpflichen, die ihn in seiner irdischen Existenz gekennzeichnet hat.32 Er wird Teil der unendlichen Bewegung des göttlichen Geistes, der in der Fülle seiner Beziehungen die Unerschöpflichkeit des Transzendenten zum Ausdruck bringt. Die Individualität des Einzelnen wird nicht beseitigt, denn das Gedächtnis Gottes wird nur da in seiner Wahrheit offenbar, wo es die Besonderheit jedes Menschen erhält und nicht in einem unbestimmten Allgemeinen verdampfen lässt. Ob wir diese bewahrte Individualität als Seele, als Einheit von Leib und Seele oder als neue Leiblichkeit bestimmen, ist demgegenüber eine sekundäre Frage, welche die dogmatische Theologie nicht allzu sehr belasten sollte, weil sie der Unanschaulichkeit des Transzendenten ohnehin nicht gerecht zu werden vermag. Für uns muss es genügen, die Grundaussagen christlicher Hoffnung zu 32 Von daher ist es nicht zufällig, dass sich die eschatologischen Vorstellungen des christlichen Glaubens von den Ausmalungen des Paradieses, wie wir sie im Koran finden, unterscheiden. Wer auch im Jenseits an der unüberbietbaren Differenz von Gott und Mensch festhält, wird den Menschen ein in irdischen Vokabeln beschriebenes Glück zuweisen, von dem Gott in seiner Transzendenz unberührt ist. Wenn aber das Weiterleben der Menschen als Eingehen in das göttliche Bewusstsein bestimmt wird, kann das eschatologische Sein nur als Transzendierung aller irdischen Bedingtheiten verstanden werden.
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artikulieren. Diese Hoffnung richtet sich nicht primär auf den einzelnen Menschen, der weiterleben will, obwohl oder weil er bemerkt, dass sein diesseitiges Leben begrenzt ist, womöglich das Ende näher bevorsteht, als er vermutet. Sie gewinnt ihre Orientierung zunächst an Gott selbst, an der Erwartung, dass sein Sein als Geist voll zur Geltung kommt. Denn so sehr dieses Sein in der Geschichte begründet ist, die Gott an sich selbst erfährt, so wenig kann man sagen, dass dieses Sein in seiner Selbstentfaltung schon an das ihm bestimmte Ende gekommen ist. Dieses Ende wird erst da erreicht, wo das Andere in seiner Fülle in das göttliche Bewusstsein integriert ist und in ihm auf ewig weiterlebt.33 Solange die Geschichte der Menschen und die Evolution des Kosmos weitergehen, also sich das Andere in immer neuen Verzweigungen als Objekt seiner relationalen Tätigkeit darbietet, kann man nicht sagen, Gott als Geist habe sich umfassend expliziert. Er, und damit Gott selbst, ist im Werden, und keine definitive Festlegung irgendeiner Religion kann ihn hindern, diesen Prozess des Werdens bis zum Punkt Omega zu vollziehen.
18. Die Erwartung Jesu und die christliche Hoffnung Zum Abschluss dieser Überlegungen blicken wir zurück auf die Erwartung Jesu und vergleichen sie mit den Strukturen christlicher Hoffnung, die wir soeben angedeutet haben. Zunächst fällt eine Analogie ins Auge, die beide miteinander verbindet: Es ist jene Spannung zwischen schon und noch nicht, die sowohl das Zeitverständnis Jesu wie das Zeitverständnis des christlichen Glaubens charakterisiert. Während für Jesus das Reich Gottes sowohl gegenwärtige Wirklichkeit wie Gegenstand einer auf die Zukunft gerichteten Erwartung war, vollzieht sich das christliche Reden vom Geist in einer ähnlichen Doppelheit. Wenn die Kirche von der Erfahrung des Geistes lebt, bezieht sie sich auf den Gott, der schon wesenhaft Geist ist, und nicht auf eine von ihm ausgehende Kraft, die ihm prinzipiell untergeordnet werden müsste. Andererseits ist die Rede von Gott als Geist noch nicht eingelöst; sie kann genauso gut als Beschreibung einer Hoffnung gelten, die eine Zukunft in den Blick nimmt, die das für die meisten Verborgene in die Evidenz des nicht mehr Bezweifelbaren überführen wird. Diese grundsätzliche Analogie darf uns nun allerdings nicht blind machen für die Unterschiede, die zwischen Jesu Erwartung des Reiches Gottes und der christlichen Hoffnung bestehen. Es wäre naiv, diese Differenz dadurch überwinden zu wollen, dass man die Christen ermahnte, zur spezifischen in der 33 Freilich ist diese Integration keine undifferenzierte Ansammlung alles Geschehenen, es sei gut oder böse. Die Integration des Geistes ist zugleich das Gericht Gottes. Das Böse, das in das Bewusstsein des göttlichen Geistes tritt, kann nicht weiter bestehen, während das Gute als das in Gott Bleibende erkannt wird.
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Die Erwartung Jesu und die christliche Hoffnung
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Historie fixierten Erwartung Jesu zurückzugehen und auf den eigenen Beitrag christlichen Denkens zu verzichten. Die Erwartung Jesu kann in der Rückschau nur in der Perspektive ihres Scheiterns gesehen werden; wer an Jesus als der Kulmination des göttlichen Offenbarungshandelns festhält, muss diese Erwartung korrigieren, wenn er ehrlich bleiben will. Wie lässt sich diese Korrektur, deren Notwendigkeit nicht bestritten werden kann, genauer beschreiben? Sie ist gleichzusetzen mit einem von neuem beginnenden Prozess des Transzendierens, der die für Jesus Christus charakteristische Korrelation von Gegenwart und Zukunft in die Dynamik des göttlichen Werdens überführt. Gott beginnt in Jesus seine eigene Geschichte, er gewinnt im Kontext dieser Geschichte sein Sein als Geist, und eben damit bezeichnen wir einen Prozess, der sein Ende noch nicht erreicht hat. Die Bewegung des Transzendierens, von der wir sprachen, kommt einer Entgrenzung des Irdischen gleich, da die Zukunft der Menschen nicht mehr im Blick auf ihr Gegenübersein zu Gott bedacht wird, sondern als Einheit mit Gott thematisiert werden muss, eine Einheit, die als Aufnahme in die Fülle des göttlichen Bewusstseins apostrophiert werden darf. Man darf sagen, dass diese Entgrenzung des Irdischen schon in der Botschaft des historischen Jesus eine spezifische Dynamik entfaltet, die, soll sie weitergeführt werden, eine Veränderung im göttlichen Wesen selbst zur Folge haben muss. Wenn wir im Sinne Jesu sagen, dass Hunger und Armut in der Gottesherrschaft nicht sein werden, dann bewegen wir uns im Rahmen eines messianischen Programms, das ein Reich ähnlich dieser Welt meint, in dem Gerechtigkeit herrscht. Wenn wir aber wiederum entsprechend der Botschaft Jesu die Behauptung wagen, dass auch Krankheit, Leid und Tod in diesem Reich keinen Platz haben werden,34 dann setzen wir uns über die Konstanten der Schöpfung hinweg und transzendieren irdische Gegebenheiten in einer Weise, die vom Jenseits erhofft, was sie im Diesseits nicht zu finden vermag. Soll diese Hoffnung einen Grund haben und nicht eine vage Wunschvorstellung bleiben, die ins Ungefähre zielt, muss sie sich auf einen Gott beziehen, der sich nicht damit begnügt, Schöpfer dieser Welt zu sein. Einen Gott, der das Menschsein in sich aufgenommen hat und deshalb bewahren will, was unweigerlich dem Los ewigen Vergessens anheim fiele. Das Reich Gottes ist das Reich seines Gedächtnisses, das Reich seiner ewigen Erinnerung. Dieser Begriff bezeichnet genau, worum es in diesem Zusammenhang geht: die Wendung von außen nach innen. Gott wendet das Gegenüber seines Selbst, das nach außen hin Geschaffene, die Schöpfung, zurück in sein Inneres, es gewinnt neues Leben, indem es einkehrt in das ewige Bewusstsein des Transzendenten, indem es außerhalb desselben nichts, innerhalb seiner aber alles ist. Eben diese unaufhörliche Integration ist das eschatologische Tun Gottes, 34 Vgl. Becker, Jesus, 221. Ich habe bereits an früherer Stelle (Anm. 10) auf die Problematik dieser Stelle hingewiesen.
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eines Gottes, der nicht einfach sich selber denkt, auch nicht als Denken des Denkens charakterisiert werden kann, sondern das außer ihm Seiende in sich bewahrt und ihm dadurch Ewigkeit schenkt. Da Gott in seiner bewahrenden Tätigkeit ein Wesen in Beziehung ist und immer bleiben wird, kehrt er nicht in die Einfachheit seines Ursprungs zurück. Da er Geist geworden ist, wird er es auch immer bleiben. Damit wird angenommen, dass die Vorstellung der Herrschaft Gottes bzw. des Reiches Gottes mehr meint als das Weiterleben einer bestimmten menschlichen Individualität. Es ist ein Weiterleben in der Gemeinschaft mit anderen menschlichen Individualitäten, aber diese Gemeinschaft beruht auf der alles verbindenden Einheit des göttlichen Bewusstseins. Die Beziehung der Individualitäten untereinander ist der Verantwortung menschlicher Autonomie entzogen, die sie als Aufgabe, Pflicht oder Erfüllung ureigenen Strebens verstehen mag, sie wird indes zurückgenommen in das Spiel des göttlichen Bewusstseins. In diesem Spiel kommt der göttliche Geist zu sich selbst. Indem er alles Irdische zu sich zieht, bürgt er für die Heiterkeit des Endes, ohne welche die christliche Hoffnung nichts wäre als eine billige Gaukelei. Allerdings wäre es verfehlt, diese Heiterkeit als ewiges Vergessen zu beschreiben. Die Zukunft der Menschen besteht ja gerade in der Erinnerung Gottes, und das heißt: Alles wird aufgehoben und zugleich ewig bewahrt. Die Seinsweisen der göttlichen Dreieinigkeit können als Momente dieses Bewahrens verstanden werden. Das gilt auch für den Geist, der als Bewusstsein der Erinnerung fähig ist und deshalb das Geschehene vor ewigem Vergessen schützt. Doch bleibt dieser Modus des Erinnerns nicht der einzige. Das Erinnern findet auch im jenseitigen Dasein seine Gestalt, weil es ohne Leiblichkeit nicht sein kann und nicht sein will. Diese Gestalt visualisiert sich im Antlitz Jesu Christi, dem Bild Gottes, das zugleich das Bild aller Menschen ist. Wenn die Rede von der Anschauung Gottes im Eschaton ihren Sinn gewinnen soll, dann nur im Blick auf dieses Antlitz, das verbürgt, dass die Menschwerdung Gottes nicht dem Zufall der Geschichte preisgegeben wird, sondern als das Ein-füralle-Mal-Geschehene ewige Präsenz beanspruchen darf. Gott ist Geist, aber er ist nicht nur Geist. In der Inkarnation hat er seine Sichtbarkeit bejaht, und diese Bejahung nimmt er nicht zurück, weil er sich definitiv mit dem Menschsein verbunden hat. Indem er sich zeigt, erinnert er sich an das Irdische seiner Existenz, und die Seligen, die ihn sehen, wissen, dass sie so waren, wie er ist. Sie leben weiter in der Erinnerung Gottes, aber in dieser geschenkten Dauer erinnern sie sich selbst. Die Leiblichkeit ihres Vergangenseins wird ihnen präsent – als die Leiblichkeit Christi, der in seiner Annahme des Menschlichen das Sterbliche mit den Prädikaten des Ewigen versieht. Sie sehen die Gestalt Christi – nicht nur sein Antlitz –, sondern das Ganze seiner sichtbaren Erscheinung, hinübergeführt in den Bezirk des Transzendenten, aber nicht ausgelöscht, nicht zerstört und verdorben, sondern der Vergänglichkeit entnommen. Sie sehen die Wundmale, die den Schmerz bewahren, nicht als bedrängende Gegenwart, aber doch als das der
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Die Erwartung Jesu und die christliche Hoffnung
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Vernichtung Entrissene, weil das Leiden nur dann nicht vergeblich ist, wenn es erinnert wird. So ist die Annahme des Menschseins kein Ereignis, das sich in der Geschichte erschöpft, sondern jenes Werden in Gott selbst, das keine Ewigkeit zurückzunehmen vermag. Die Seligen sehen die Gestalt Christi, aber sie sehen sie nicht mit ihren eigenen Augen, denn sie sind nun ausschließlich Teil des göttlichen Bewusstseins. Sie sehen mit dem Auge Gottes, doch dieses Auge ist nicht körperlich, denn für Gott erschließt sich die Präsenz des Vorhandenen in anderer Weise als für die menschliche Wahrnehmung. Sowohl der Geist wie Jesus Christus sind Momente göttlichen Erinnerns. Der Geist als universales Bewusstsein, in dem nichts verloren geht, was je geschehen und gedacht worden ist. Jesus Christus als die in die Ewigkeit aufgenommene Leiblichkeit, der Sohn Gottes, der dem fortwährenden Verfall der Materie seine körperliche Dauer entgegensetzt und damit die Präsenz des Vergangenen nicht nur als Entität des Bewusstseins, sondern als körperliche Wirklichkeit verbürgt. Der Sohn und der Geist sind die Weisen göttlichen Erinnerns, die zum Ausdruck bringen, dass der eine Gott von seiner Schöpfung nicht unberührt geblieben ist, dass er nicht einfach in der zeitlosen Unveränderlichkeit derselbe blieb, sondern in den ihm zugeeigneten Seinsweisen das Ganze der Evolution und der menschlichen Geschichte mit seinem Wesen verbunden hat. In den Seinsweisen des Sohnes und des Geistes ist Gott das außer ihm Seiende präsent. Aber müssen wir nicht auch von einer Erinnerung seiner selbst sprechen? Einer Erinnerung, die zurückgeht hinter die hinzugewonnenen Seinsweisen des Sohnes und des Geistes? Wir müssen das in der Tat, wenn wir die Rede vom Werden Gottes ernst nehmen. Dieses Werden hat einen Ursprung, und dieser Ursprung ist Gott selbst, Gott in seiner Einfachheit. Gott erinnert sich an seinen Ursprung, aber weil Gott es ist, der sich erinnert, ist dieser Ursprung bleibende Gegenwart. Sein Erinnern ist anders als das Erinnern des Sohnes und des Geistes, die das der Zeit anheim Gegebene in Ewiges verwandeln. Seine Erinnerung ist Vergegenwärtigung des Nicht-Zeitlichen, die Präsentation eines Ursprungs, der bleibt, in allem Werden, das sich auch an ihm vollzieht.35 Obwohl seine Erinnerung keine Berührung mit der Zeitlichkeit hat, muss sie gedacht werden, weil wir in Gott selbst ein Vor und ein Danach unterscheiden können. Gott erinnert sich an die Einfachheit seines Ursprungs, die vor allem Werden seiner selbst da war und immer da sein wird, weil ihm das 35 Das ist das Paradox des Göttlichen, dass es zu bleiben vermag, wo es wird, und zu werden vermag, wo es bleibt. Die monotheistischen Religionen tun sich schwer damit, dieses Paradox zu akzeptieren. Wenn sie vom Werden reden, wird ihnen das Bleiben unbegreiflich; wenn sie das Bleiben betonen, weisen sie das Werden von sich. Aber nur in dieser scheinbar widersprüchlichen Doppelheit lässt sich das Wesen Gottes in angemessener Weise beschreiben. Deshalb darf man die Religion, die von einem noch nicht zum Abschluss gekommenen Werden Gottes ausgeht, das Christentum, und die Religion, die seine in sich beharrende Selbigkeit in den Mittelpunkt rückt, den Islam, nicht ausschließlich als Alternative betrachten.
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Prädikat der Ewigkeit zukommt. Indem er sich erinnert, nimmt er die Seinsweisen des Sohnes und des Geistes in sich zurück, er führt sie hinein in die Einfachheit seines Wesens, die für uns immer ein unergründliches Geheimnis bleiben wird. Die Einfachheit ist Ziel und Ursprung Gottes zugleich. Sie ist das große Omega, die Ruhe des siebten Tages, in die wir eingehen werden, wenn die Evolution des Kosmos, die Geschichte der Menschheit und die Dynamik trinitarischer Selbstentfaltung dort angelangt sind, wo es keine Rückkehr mehr gibt.
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III. Die Kirche Die christliche Kirche lebt von dem Glauben, dass in Jesus Christus der eine, unsichtbare Gott erschienen ist. Er hat den Gläubigen nicht nur das Wort Gottes überbracht, er selbst ist das Wort – in sichtbarer Gestalt. So klar und unbezweifelbar diese Beziehung ist, so wenig ist mit ihr schon die Frage beantwortet, wie von der Perspektive des historischen Jesus aus sich seine Person und die Kirche zueinander verhalten. Hat Jesus die Kirche gewollt? Diese Frage lässt sich mit einem klaren Nein und einem eindeutigen Ja beantworten. Jesus war bestimmt von der Erwartung der Herrschaft Gottes, und in dieser Erwartung hat die Vorstellung einer über die Zeiten hinweg dauernden, in bestimmten Institutionen sich verfestigenden Gemeinschaft der Gläubigen keinen Raum. Nimmt man das Ganze dieses Lebens in den Blick, ergibt sich eine völlig andere Sichtweise. Jesus konnte nicht zu Ende führen, was er zu Ende führen wollte. Sein Leben endet, wie wir sahen, als Fragment. Andere sind aufgerufen, das Begonnene weiterzuführen. Weil sie das Ziel seines Lebens nicht für vergeblich halten, weil sie von der Überzeugung beseelt sind, um seinetwillen lohne es sich, alles Übrige hintanzustellen, fühlen sie sich dazu verpflichtet. Die Christen sind Menschen, die einen Abwesenden vertreten. Eben diese Vertretung, die sich eng mit dem Begriff der Nachfolge verbindet, führt uns zur Eigenart der Bedeutung von Kirche. Kirche ist nicht einfach Gemeinschaft der Gläubigen. Als solche könnte sie mit anderen religiösen Gemeinschaftsbildungen, etwa der islamischen umma, verglichen werden. Die Kirche vertritt einen Abwesenden. Sie begnügt sich nicht damit, seine Worte, seine Lehre und seine Botschaft weiterzugeben. Sie setzt fort, was er begonnen hat. Ein Zweites kommt hinzu: Die Kirche macht den Abwesenden präsent. Sie vergegenwärtigt ihn, so dass er, wiewohl seine irdische Existenz für uns verloren ist, als anwesend erfahren werden kann. Damit entspricht sie, so überraschend das klingen mag, dem historischen Jesus. Da dieser, wie wir sahen, die Offenbarung Gottes ganz auf seine Person konzentriert hat, reicht es für sie nicht aus, eine von dieser Person ablösbare Lehre oder ein von ihr im Prinzip unabhängiges Wort Gottes weiterzugeben. Die Kirche wird da ihrer Bestimmung gerecht, wo sie die ihr überkommenen Aufgaben der Weiterführung und der Vergegenwärtigung wahrnimmt. In der Weiterführung verfolgt sie die Intention, von der sich Jesus leiten ließ, indem er die Herrschaft Gottes in das Zentrum seines Redens und Wirkens rückte. In der Vergegenwärtigung macht sie einen Abwesenden präsent, indem sie ihn in ihrem kultischen Handeln zur Erscheinung bringt. In den beiden Modifikationen ihres Tuns entspricht sie den Dimensionen
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Die Kirche
von Raum und Zeit; aber sie entspricht nur, indem sie verwandelt. Das Reich Gottes, das Zentrum der Verkündigung Jesu, ist ja nicht einfach etwas noch Ausstehendes, ein Gut der Zukunft, das einmal Wirklichkeit sein wird, aber jetzt noch nicht da ist. Jede Gegenwart ist auch Vorschein dieser erhofften Zukunft, und die Kirche darf als Bedingung der Möglichkeit beschrieben werden, die Präsenz des Zukünftigen sichtbar werden zu lassen. Weil sie an die Zukunft des Geistes glaubt, darf sie seinen Möglichkeiten in der Gegenwart vertrauen. Die verwandelnde Kraft des göttlichen Bewusstseins entreißt das dem unaufhörlichen Verfall Preisgegebene dem ewigen Vergessen, indem sie das Zeitliche in die göttliche Ewigkeit entrückt und gerade so zu neuem Leben führt. Damit wird Zeit anders qualifiziert, und in dieser Hinsicht treffen sich die Intention der Verkündigung Jesu und die Aussage des christlichen Glaubens, wie sie in der Kirche bewahrt wird. Sie ist nicht ausschließlich Grund und Abstraktion des ewig Fließenden und darin unaufhörlich Vergehenden, sondern das im Blick auf die Ewigkeit Gottes Aufgehobene und Bewahrte. Die Kirche kann die Naherwartung, von der sich Jesus bestimmen ließ, nicht übernehmen; sie ist aber sehr wohl dazu verpflichtet, sich die von ihm vollzogene Auszeichnung der Zeit zu eigen zu machen. Freilich kann man fragen, ob sie damit über den allgemeinen monotheistischen Glauben hinausgeht, der unisono das Bekenntnis spricht: „Meine Zeit steht in deinen Händen“ (Ps 31,16). Man muss sehr wohl diese Überbietung des allgemeinen monotheistischen Glaubens behaupten, weil das Verhältnis Gottes zur Schöpfung ein anderes geworden ist. Da Gott in Christus die Schöpfung in sich zurücknimmt, nimmt er auch die Zeit in sein Wesen auf, und zwar nicht nur als das, was er nicht ist, was ihn in seiner ewigen NichtZeitlichkeit von allem Geschaffenen trennt, sondern auch als das von ihm selbst Erfahrene, das als unaufgebbares Moment zu seinem Sosein gehört. Die in ihn eingegangene Zeit löst sein eigenes Werden aus, das als Werden Gottes nicht mehr der Zeit unterworfen ist, aber sich ohne sie niemals hätte vollziehen können. Damit gewinnt die Zeit für die Christen eine andere Dignität: Sie verharrt nicht in der Distanz des Geschöpflichen im Blick auf den Gott, der sie in seinem Wesen von sich ausschließt, sondern sie entspricht dem Einen, der sie für sich selbst übernommen hat. Die Wechselwirkung zwischen Gott und Mensch beruht auf der Verschränkung von Zeit und Ewigkeit, die gerade für den christlichen Glauben charakteristisch ist. Die Kirche in ihrer Zeitlichkeit ist ein Phänomen des Übergangs von der Erscheinung Christi bis zur vollkommenen Geistwerdung Gottes, in der alles ewiges Bewusstsein und nichts mehr auseinanderfallendes Geschehen sein wird. Dieser Übergang markiert die Begrenzung der Kirche, aber zugleich impliziert er ihre Bedeutung. Das Werden Gottes vollzieht sich nicht unabhängig von dem, was in ihr geschieht. Je mehr sie dem Wirken des Geistes Raum gibt, sowohl in ihrem eigenen Umkreis wie in ihrem Verhältnis zur Welt,
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Die Bildwerdung
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desto mehr kann Gott sich selbst als Geist verwirklichen. Als Phänomen des Übergangs ist sie in exemplarischer Weise eine Kreatur der Zeitlichkeit. Nur wenn sie bedenkt, dass sie nicht immer da war und nicht immer da sein wird, wird sie ihrer Aufgabe gerecht. In ihrer Zeitlichkeit ist sie das Urbild der Gläubigen, ja der Menschen überhaupt, die als Wesen des Übergangs wahrnehmen, was Zeit bedeutet, und von ihr erfahren müssen, dass sie eben so dazu berufen sind, Gott zu entsprechen. Die Kirche ist also dazu da, sich selbst überflüssig zu machen. Wenn die Integration der Wirklichkeit in das göttliche Bewusstsein so umfassend vollzogen ist, dass die Selbständigkeit des Geschöpflichen definitiv und für immer aufgehoben wird, gibt es keinen Ort mehr, wo sie sein könnte oder sein müsste. Sie kommt ihrem Auftrag um so wahrhaftiger nach, je mehr sie die Zukunft des Geistes intendiert, welche ihre eigene Ablösung bedeutet. Sie ist nicht das Reich Gottes, von dem Jesus redete. Sie kann aber die Notwendigkeit ihrer Existenz begründen, indem sie das von Jesus vorgegebene Ziel nicht aus den Augen verliert, aber in einer Weise transformiert, die der kommenden Wirklichkeit des Geistes gerecht wird. So vollzieht sich ihre Geschichte zwischen dem in Jesus gegebenen Ursprung und einem Ende, das die vollkommene Bestimmung Gottes als Geist mit sich bringen wird. In dieser Weise erschließt sich die Modifikation ihres Tuns in der Dimension der Zeit. So sehr sich die Kirche als zeitliches Phänomen begreifen muss, so wenig kann sie sich der Aufgabe entziehen, der Dimension des Raums gerecht zu werden. Die Erscheinung des Ewigen, von der sie herkommt, zielt ja auf eine Präsenz im Raum; das ein für alle Mal Geschehene muss vergegenwärtigt werden, wenn es nicht zu einer Kunde von etwas längst Vergangenem verkommen soll. Ich habe den Begriff der Visualisierung der Offenbarung gebraucht, um die Besonderheit der christlichen Glaubensperspektive deutlich zu machen. Diese Visualisierung muss sich in der Geschichte der christlichen Kirche fortsetzen – alles andere wäre eine Verweigerung, die sich, implizit oder explizit, auf ein vorchristliches Bewusstsein zurückzieht. So müssen wir fragen, wie die Kirche ihrem Auftrag gerecht wird, das einmal Geschehene in seiner permanenten Sichtbarkeit zu vergegenwärtigen. Dieser Frage soll mithilfe zweier Begriffe nachgegangen werden, die dazu geeignet sind, das Gemeinte zu verdeutlichen: Bildwerdung und Verleiblichung.
1. Die Bildwerdung Dass Offenbarung nicht nur als Wortgeschehen verstanden werden kann, wie es manchem Vertreter protestantischer Theologie plausibel erscheinen mochte, dass es hier um die sichtbare Präsenz von etwas an sich Unsichtbarem geht, ist eine schon den Ursprüngen der Christenheit vertraute Vorstellung.
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Die Kirche
Wenn Christus das Bild des unsichtbaren Gottes (Kol 1,15) ist, dann darf die Kirche nicht in eine Bildlosigkeit zurückfallen, wie sie dem Judentum oder dem Islam angemessen sein mag. Sie muss die Präsenz dieses Bildes sichern, andernfalls gäbe sie einen wichtigen Aspekt des christlichen Glaubens preis. Damit erfüllt sie nicht nur ihren Auftrag, das vergangene Heilsgeschehen zu vergegenwärtigen, sondern entspricht auch dem christlichen Glauben, dass das Eschaton nicht nur ein in unvorstellbarer Zukunft liegendes jenseitiges Irgendwann ist, sondern als Vorschein des Zukünftigen in der Gegenwart wirklich wird. Die Gottesschau ist nicht nur dem Jenseits vorbehalten, sie wird in dem wahren Bild Christi bereits Gegenwart. Von daher ist es erstaunlich, dass im Grunde nur die orthodoxe Kirche dieses Moment des Glaubens reflektiert hat und zur Darstellung bringt. In der Ikone Christi wird die Bildwerdung der Offenbarung in vorzüglicher Weise manifestiert. Was wir hier sehen, ist ja nicht als Ergebnis subjektiven künstlerischen Wollens zu verstehen, es ist auch nicht Resultat genialen Vollbringens, das Allgemeines, gerade auch für das religiöse Verständnis Unbezweifelbares zur Darstellung zu bringen vermag, es gewinnt seine Bedeutung einzig und allein aus der Präsenz des Offenbarers, die es verbürgt. Nicht umsonst wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Ikonen für den orthodoxen Gläubigen eine ähnliche Funktion einnehmen, wie sie im weltlichen Bereich bei Menschen wahrgenommen werden kann, die sich in einem Bild der Präsenz eines Verstorbenen oder Abwesenden vergewissern, der ihnen lieb und teuer ist. Der Einwand, in diesem Fall sei das Bild historisch beglaubigt, während wir bei der Ikone nicht wüssten, ob sie mit dem tatsächlichen Aussehen Jesu von Nazareth etwas zu tun habe, verfängt nicht.1 Wir haben ja schon in einem früheren Zusammenhang gesehen, dass der Glaube, der in der Geschichte Jesu Gottes eigene Geschichte erkennt, über die Dimension des Historischen hinausgehen muss.2 So genügt es, im Blick auf dieses eine Antlitz zu erfahren, dass die Offenbarung Gottes im christlichen Verständnis auch immer eine Bildwerdung bedeutet. Freilich muss man hinzufügen, dass die orthodoxe Kirche in dieser Weise nicht nur das Antlitz Christi zur Darstellung bringt, sondern auch die Mutter 1 Dieser Einwand verdankt sich der prinzipiellen Skepsis der neuzeitlichen historischen Fragestellung, während das glaubende Bewusstsein die nicht zu hinterfragende Wirklichkeit des wahrhaftigen Antlitzes Christi voraussetzt. Dabei ist es unerheblich, ob sich diese Überzeugung mit der Legende des Mandylions von Edessa verbindet oder mit der Erzählung des Schweißtuchs der Veronika in einem Zusammenhang steht – in beiden Fällen handelt es sich um Acheiropoieta, also um „nicht von menschlicher Hand gemalte, sondern auf wunderbare Weise dem Tuch aufgeprägte Bilder“; G. Morello, Christus – Das Antlitz der Schönheit, in: R. Krischel/G. Morello/ T. Nagel (Hg.), Ansichten Christi, Köln 2005, 25 – 29, hier 27). 2 Eben dieses Transzendieren des Historischen macht es für den Glauben möglich, das Antlitz Christi als Bildwerdung Gottes anzunehmen und eben so der Eigenart der christlichen Religion inne zu werden.
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Die Bildwerdung
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Jesu, die Propheten, Apostel und Heiligen sowie grundlegende Stationen der Heilsgeschichte vergegenwärtigt. Gottes Offenbarwerden verwirklicht sich gerade darin, dass das der Sinneswahrnehmung prinzipiell Entzogene für das menschliche Auge fassbar wird und gerade so eine Verbindung von Transzendentem und Irdischem entsteht. Die Bildwerdung zielt auf den ihr bestimmten Raum, in dem sie zur Geltung kommen kann und zur Geltung kommen will. Die Distanz der Zeiten wird in reiner Vergegenwärtigung überbrückt. Nicht längst Vergangenes wird zum Leben erweckt, sondern die Anwesenheit des immer Präsenten beglaubigt. Man darf sagen, dass das Bild Ewigkeit intendiert. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Bilder nicht faktisch dem immerwährenden Verfall preisgegeben wären und damit das Los alles Irdischen teilen. Indem sie aber die Flüchtigkeit des einzelnen Moments in die Ruhe des immer Gleichen verwandeln, scheint alle Bewegung zu einem Stillstand gekommen zu sein, und diese Stille ist das innere Leuchten der Ewigkeit. Offenbarung als Bildwerdung impliziert also eine geglückte Verbindung von Offenbarung und Transzendenz. Das Bild, das als solches schon Ewigkeit intendiert, stellt Ewiges dar, indem es Gott oder die im Himmel bewahrten Seligen zur Darstellung bringt. Beide Momente, die wir immer wieder im Widerspruch entfaltet haben, gehen hier eine Einheit ein, die so selbstverständlich wirkt, als könne man es sich leisten, die ganze Problematik ihres Verhältnisses zu vergessen. Man kann die Ikonen mit Fenstern vergleichen, die zwischen der irdischen und der himmlischen Welt angebracht sind und durch die die Bewohner der himmlischen Welt auf unsere Welt herabschauen. Abstrakter formuliert heißt das: Das Transzendente findet einen Zugang zur Versammlung der Menschen, die sich ihm im Gebet, Lobpreis und Dank zuwenden. Die Kirche muss diesen Zugang ermöglichen; sie darf sich nicht in einem Netz innerweltlicher Aktivitäten verfangen, die, so gut und recht sie sein mögen, das Spezifische ihres Auftrags nicht erschöpfen. Die römisch-katholische Kirche und die Kirchen der Reformation haben diese Fenster verhängt, weil sie keine Verehrung der Ikonen kennen, weil eben dieser Gestaltwerdung des Göttlichen bei ihnen keine Bedeutung zukommt. Gleichwohl stellt sich auch bei ihnen die Frage, wie das Transzendente, das ankommen will, ankommen kann. Wir werden darauf zurückkommen müssen. Da die orthodoxe Kirche uns lehrt, Offenbarung als Bildwerdung zu verstehen, eröffnet sie auch einen Einblick in die Bedeutung des Raumes für die christliche Religion. Die Bilder des Transzendenten suchen den ihnen angemessenen Raum, in dem sie anwesend sein können. Dieser Raum muss abgehoben werden von den Bezirken des Profanen, in denen sich das weltliche Leben abspielt. Er wird damit als heiliger Raum qualifiziert. Damit gewinnen wir einen Zugang zum Verständnis des Attributs der Heiligkeit, welches neben den Prädikaten der Apostolizität, der Katholizität und der Einheit zu den Grundbestimmungen des Kirchenbegriffs gehört. Die
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Die Kirche
Heiligkeit der Kirche meint nicht primär die Heiligkeit der Personen, die ihre Glieder sind, sondern die Heiligkeit des Raumes, der die Präsenz des Transzendenten ermöglicht. In diesem Begriff der Heiligkeit verwirklicht die Kirche ihre Gemeinschaft mit den anderen Religionen, für die die Differenz von heilig und profan eine fundamentale Bedeutung hat.3 Das Transzendente findet seinen Ort in der Welt. Es darf aber in seiner Lozierung seine Kenntlichkeit nicht verlieren; man nimmt es wahr als ein Etwas, was in der Welt, aber nicht von der Welt ist. Deshalb ist es angewiesen auf einen abgegrenzten, umfriedeten Bezirk – so haben wir in unserem christlich geprägten Umfeld die Kirchen zu betrachten. Die Heiligkeit der Kirche ist zunächst die Heiligkeit des Raumes, in dem sich der Gottesdienst vollzieht. Und doch ist es nicht der Vollzug des kultischen Handelns als solcher, der den heiligen Raum in seiner Heiligkeit konstituiert.4 Hier geht es zunächst nicht um ein Geschehen, das unablässig wiederholt wird, sondern um etwas Bleibendes, das in seiner unverrückten Selbigkeit Heiligkeit garantiert. Das sind die Bilder, in denen das Transzendente seinen Eingang findet, die Ikonostase, welche den Altarraum vom übrigen Kirchenraum trennt. Der kultische Vollzug ist undenkbar ohne die Grundbedingungen dieses Raumgefüges, die als solche die Heiligkeit konstituieren, welcher das gottesdienstliche Geschehen dann entspricht. Wir werden wieder zu fragen haben, was in der römisch-katholischen Kirche und in den Kirchen der Reformation die Stelle der Ikonostase einnimmt. Kann man hier noch von heiligen Räumen reden, oder sollte dieses Attribut der Kirche nur in einem anderen Kontext seine Relevanz behalten? Wenn wir von der Heiligkeit des Raumes ausgehen, die sich mit der Bildwerdung der Offenbarung verbindet, so besagt das natürlich nicht, dass wir hier stehen bleiben dürfen. Der Raum bezieht sich auf das Geschehen, das sich in ihm vollzieht, und dieses Geschehen wird erst da erfasst, wo man es als Theophanie zu erfahren vermag. Das christliche Verständnis von Offenbarung gewinnt da eine spezifische Bedeutung, wo es in eine Nähe zum Begriff der Theophanie gebracht wird. Ich habe diesen Begriff schon gebraucht, um die Besonderheit der Person Jesu zu charakterisieren.5 Gerade weil dieser nicht von sich wegwies auf einen anderen Inhalt, den er mitzuteilen oder zu überbringen hatte, gerade weil seine Botschaft mit seiner Person zu einer untrennbaren Einheit verschmolz 3 Die unverwechselbare Eigenart des christlichen Glaubens kann nur zur Geltung gebracht werden, wenn das Fundament einer Einheit in den Blick genommen wird, welche alle Religionen miteinander verbindet. Da das Heilige Erscheinungsform des ganz Anderen ist, müssen alle Religionen danach fragen, wie es in dieser Welt Gestalt gewinnt. 4 In der protestantischen Theologie kann dieser Auffassung keine selbstverständliche Geltung zukommen. Ich verweise aber auf den Beitrag von M. Josuttis, Vom Umgang mit heiligen Räumen, in: T. Klie (Hg.), Der Religion Raum geben, Kirchenpädagogik und religiöses Lernen, Münster 1998, 34 – 43, der meiner eigenen Sichtweise ziemlich nahe kommt. 5 Siehe oben Kap. II, 6 und II, 9 (Anm. 24).
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Die Bildwerdung
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und diese Einheit nichts anderes aussagen wollte als Gott selbst, lag es nahe, den Begriff Theophanie zu gebrauchen, um das Geheimnis seines Wirkens in Worte zu kleiden. Die Kirche ist dazu berufen, diese Theophanie fortzusetzen. Aber es wäre eine kurzschlüssige Interpretation ihres Auftrags, wenn sie sich zutrauen wollte, die Einmaligkeit der charismatischen Erscheinung Jesu perpetuieren zu können. Der Tod hat diese Einmaligkeit zu ihrem Ende gebracht, wie er alles Unverwechselbare und Individuelle mit dem Schatten des Vergehens überdeckt. Die Kirche müsste sich auch eine unzureichende Deutung vorwerfen lassen, wenn sie die Fortsetzung der Theophanie ausschließlich als Nachfolge der Christen verstehen würde, die verpflichtet sind, die Forderungen Jesu zu erfüllen. Nur wenn der Gläubige der Präsenz Gottes mit allen Sinnen gewiss sein darf, einer Präsenz, die sich ihm in der faszinierenden Kraft des Numinosen schenkt, einer Präsenz, die er sich nicht erarbeiten muss, nur dann bleibt Theophanie kein historisch vergängliches Datum, sondern wird Gestalt als erlebbare Wirklichkeit. Wir haben damit den Ort des Gottesdienstes bestimmt und sehen zugleich, dass das in der orthodoxen, aber zum Teil auch in der katholischen Kirche wirksame Bestreben, den Himmel auf Erden sichtbar zu machen,6 die Intention Jesu nicht verfehlt, sondern unter anderen geschichtlichen und kulturellen Bedingungen wieder aufgreift, was für ihn Erfüllung seines Wirkens war : der Vorschein des Reiches Gottes.7 Damit wird Offenbarung in einer Radikalität wahrgenommen, die der spezifischen Intention des christlichen Glaubens voll entspricht. Der Jesus, der das Reich Gottes nicht nur als zukünftiges Heilsgut proklamierte, sondern in seinem eigenen Wirken bereits verwirklicht sah, und die Kirche, die den Himmel nicht nur als zukünftige Erfüllung menschlichen Strebens verkündet, sondern ihn im gottesdienstlichen Geschehen bereits Gegenwart werden lässt, stehen in einer geheimen Verbindung, die auch eine Vielzahl historischer Einwände nicht aufzulösen vermag. Trotzdem mag man fragen, ob nicht die gerade für orthodoxes Empfinden charakteristische Einfügung des irdischen in den himmlischen Gottesdienst eine Verbindung von Himmel und Erde impliziert, die das neuzeitliche Den-
6 Vgl. dazu H. Sedlmayr, Die Entstehung der Kathedrale, Graz 1976, 95 – 97 und auch G. Duby, Die Zeit der Kathedralen, Frankfurt 61987, 170 – 172. 7 Das Reich Gottes ist also nicht nur da präsent, wo Recht und Gerechtigkeit praktiziert werden, es ist in einem viel umfassenderen Sinn Ausdruck der beseligenden Gegenwart Gottes. Die Konzeption der Kathedrale, wie sie auf Suger, den Abt von Saint-Denis zurückgeht (vgl. Duby, Kathedrale, 171), kann nicht verstanden werden, wenn man an der Intention, diese Gegenwart wirklich werden zu lassen, vorbeigeht. Eben so wird die Verbindung zum Wirken des historischen Jesus deutlich, auch wenn auf den ersten, aber oberflächlichen Blick die Unterschiede nicht größer sein könnten.
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Die Kirche
ken nicht mehr übernehmen kann.8 Anders gesagt: Wird das Moment der Offenbarung nicht mit einer Vehemenz hervorgehoben, die das korrelierende Moment der Transzendenz in einer Weise zurücktreten lässt, welche das Anderssein des Numinosen gefährdet? Vielleicht ähnelt der Weg der christlichen Kirchen dem Weg Jesu selbst, der, von der Einheit mit Gott, dem Vater, durchdrungen, Offenbarung in ihrer überführenden und beseligenden Macht evident werden ließ, aber gleichwohl in der Passion die Unnahbarkeit und Nicht-Verstehbarkeit Gottes in exemplarischer Weise erfahren musste. Auch die christlichen Kirchen sehen sich an markanten Punkten ihrer Geschichte einem Gott gegenüber, der sich in seiner Unnahbarkeit gleichsam verhüllt, so dass man den Eindruck gewinnen kann, er habe sich in seinem Wesen in sich selbst zurückgezogen. Ich möchte nur zwei dieser Punkte herausgreifen, die allerdings m. E. das Gemeinte besonders deutlich illustrieren, erstens die Offenbarung an Muhammad, die man als Wiedergewinnung göttlicher Transzendenz begreifen muss,9 und zweitens die neuzeitliche Verdrängung Gottes aus der Welt, die zu den Erfahrungen der Gottesferne oder Gottesfinsternis führten, die in besonderem Maße das 20. Jahrhundert geprägt haben.10 Natürlich wird niemand den orthodoxen Kirchen zumuten wollen, aus diesen Erfahrungen die Konsequenzen zu ziehen und auf die bisher praktizierte Visualisierung der Offenbarung zu verzichten. Im Gegenteil: Gerade die in unserem Zusammenhang nur angedeutete Entwicklung macht es notwenig, die Eigenart des christlichen Zeugnisses zur Erscheinung zu bringen, den Gott der Nähe aufleuchten zu lassen – in der Weiterführung des Verhaltens Jesu, der die Gegenwart des Reiches Gottes erfahrbar machte. Diese Zustimmung der nicht-orthodoxen Christen muss aber nicht besagen, dass sie die Einheitlichkeit des orthodoxen Weltbildes, die enge Verbindung von Himmel und Erde, die Vorstellung, dass die Kirche in ihrer liturgischen Praxis den himmlischen Gottesdienst mitfeiert sowie die Zusammenfügung der lebenden Christen mit den Heiligen, die bereits verstorben sind, akzeptieren könnten. Sie begreifen die Visualisierung der Offenbarung als das Zur-Erscheinung-Kommen des Numinosen, das sich im Blick auf die Unendlichkeit des Raums und die Unermesslichkeit vergangener Zeit wieder 8 Es wäre auch anachronistisch, für die Neuzeit den Bau einer Kathedrale zu verlangen. Die Aufgabe der Kirche, die göttliche Gegenwart zu realisieren, kann nicht gelöst werden, ohne die spezifischen geschichtlichen Bedingungen zu berücksichtigen. 9 Man muss fragen, was die Offenbarung Gottes an Muhammed für die Christen besagt. Ich habe an verschiedenen Stellen versucht, diese Frage zu beantworten (vgl. R. Leuze, Christentum und Islam, Tübingen 1994, 52 – 55 und ders., Religion und Religionen, Münster 2004, 325 – 327). Hier geht es vor allem um den Aspekt göttlicher Transzendenz, deren Betonung für die von der Erfahrung der Nähe Gottes ausgehende christliche Perspektive eine Anfechtung bedeuten muss, welcher der christliche Glaube standzuhalten hat. 10 Diese Erfahrungen sind in vielen Publikationen zum Ausdruck gebracht worden, als Beispiel nenne ich hier nur die Abhandlung von D. Sölle, Stellvertretung. Ein Kapitel Theologie nach dem „Tode Gottes“, Stuttgart u. a. 1965.
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Die Verleiblichung
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entzieht. So bringen sie die göttliche Transzendenz zum Ausdruck, die in der ausströmenden Fülle des göttlichen Hierseins zu verschwinden drohte. Das bedeutet nicht, dass die orthodoxe Theologie in der Gefahr stünde, das Moment der göttlichen Transzendenz zu vernachlässigen. Die absolute Unerkennbarkeit des Wesens Gottes ist eine ihrer wichtigsten Annahmen. So herrschen bei dogmatischen Bestimmungen negative Epitheta vor, ja selbst die Visualisierung der Offenbarung als Ikone bringt die Verborgenheit Gottes zum Ausdruck, wenn z. B. im Zentrum der Verklärungsikone das Dunkel dominiert.11 Gerade die Tatsache, dass orthodoxes Empfinden sowohl die göttliche Transzendenz wie das göttliche Offenbarsein mit derselben Entschiedenheit betont, macht deutlich, wie sehr hier das Genuine des christlichen Glaubens zu seinem Recht kommt. Gleichwohl fehlt die Bereitschaft, jene Erfahrungen von Transzendenz in das Glaubensleben zu integrieren, die für die neuzeitliche Entwicklung charakteristisch sind. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass das Zutrauen zur Wirkung des Geistes im Gottesdienst ungebrochen ist und dass von daher eine Einheit von Himmel und Erde in den Blick kommt, die von uns nicht mehr empfunden werden kann. Wenn die Verwirklichung Gottes als Geist primär als das beschrieben werden muss, was die Christen für die Zukunft erhoffen, weniger als bereits erfüllte Gegenwart, wird die Defizienz kirchlichen Tuns nicht nur als schuldhaftes Versagen vor dem Willen des Herrn gedeutet werden können, sondern auch als Ausdruck des Faktums gewertet werden müssen, dass das Kommen des Geistes gegenüber seiner bereits ausweisbaren Präsenz in den Vordergrund rückt.
2. Die Verleiblichung Die Kirche bezieht sich auf das für den Glauben erschlossene Faktum, dass Gott Mensch geworden ist. Dieses Heilsereignis soll nicht nur als historisches Geschehen erinnert werden, es genügt auch nicht, dass die Kirche seine permanente Wirkungskraft bezeugt, sie selbst muss in ihrer sichtbaren Gestalt Ausdruck dieses göttlichen Wirkens sein. Die paulinische Kennzeichnung der Kirche als Leib Christi gibt diesen Sachverhalt am prägnantesten wieder.12 Sie besagt, dass Gott die von ihm angenommene Leiblichkeit nicht ausschließlich in seine Ewigkeit zurücknimmt, sondern in ihrer irdischen Vorfindlichkeit bewahrt wissen will. Die Aussage, Christus sei bei seiner Kirche, meint zunächst, dass sie seinen Weg fortsetzen solle, den Weg der Passion und den Weg, der das ihm vorge11 Dazu K.C. Felmy, Die orthodoxe Theologie der Gegenwart, Darmstadt 1990, 25 und im Folgenden Felmys Ausführungen zu Gregor von Nyssa, ebd. 26 f. 12 Vgl. vor allem 1. Kor 10,16 f und 1. Kor 12,1 – 11.
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Die Kirche
gebene Ziel nie aus den Augen verlieren darf, den Weg hin zum Reich Gottes, das ihm in seiner historischen Begrenzung versagt war, welches die Kirche aber – um den Preis ihrer Selbstaufgabe – am Ende der Zeiten erreichen wird. Weil Gott in der Kirche seine Leiblichkeit bewahrt, ist ihr Leiden auch sein Leiden. Weil die Kirche an die ganze Menschheit gewiesen ist, dürfen wir hier nicht nur vom Leiden des Glaubens sprechen, von den Anfeindungen und Verfolgungen, denen Christen im Lauf der Geschichte ausgesetzt waren und ausgesetzt sind, sondern vom Leiden aller Menschen. Der Gott, der die von ihm angenommene Leiblichkeit niemals preisgeben wird, ist mit ihnen allen verbunden. Als Christus wird er ihr Anwalt sein gegenüber einer Schöpfung und einem Schöpfer, der den Schmerz zum Stigma des Geschaffenen werden lässt. So schwer es für die Kirche oft ist, den Weg der Passion zu gehen, so sehr sie in den Stunden der Bewährung versagt hat und auch versagen mag, so wenig kann man behaupten, dass es ihr leichter fiele, der Freude über das Kommen der Gottesherrschaft Gestalt zu geben, die Jesus in einmaliger und exemplarischer Weise zum Ausdruck brachte. Diese Freude ist schwer zu begreifen, weil sie den Bereich des Sinnlichen nicht asketisch abwertet oder im Angesicht des Ewigen für nichtig erklärt, sondern als von Gott gewolltes Gut im Blick auf die Einzigkeit Gottes in seiner wahren Bedeutung spürbar werden lässt. Wer von der Kirche als Leib Christi redet, wird in ihr nicht nur eine irdisch aufweisbare Wirklichkeit erblicken, die Gemeinschaft fehlbarer Menschen, die sich in der Gemeinschaft des christlichen Glaubens zusammenfinden, um Gott zu verehren; er wird sie auch als die Erscheinung des Transzendenten wahrnehmen, die sich der Inkarnation Gottes im Menschen Jesus verdankt und dazu berufen ist, dieses Heilsereignis in seiner bleibenden Wahrheit zu vergegenwärtigen. Nun wäre Kirche unzureichend beschrieben, wenn man sie nur als Gemeinschaft der Glaubenden zu beschreiben suchte. Sie könnte dann ohne weiteres mit anderen religiösen Vereinigungen verglichen werden. Der Unterschied besteht darin, dass sie sich nicht nur auf eine bereits geschehene Offenbarung bezieht, sondern mit der Aufgabe betraut wird, diese Offenbarung fortzusetzen. Gott nimmt das für sich gewonnene Menschsein nicht zurück, er begnügt sich auch nicht damit, es in eine spirituelle Leiblichkeit zu verklären, er will seine unverrückbare irdische Präsenz. Deshalb ist die Kirche Leib Christi: Als Leib garantiert sie die irdische Vorfindlichkeit, als Leib Christi wird sie einbezogen in das Geheimnis des menschgewordenen Gottes, der eben gerade sie zum Ort seiner permanenten Anwesenheit erhebt. Man kann es auch anders sagen: Die Leiblichkeit ist die Weise, in der Gott sich den Menschen schenkt. Dass er sich schenkt und nicht nur eine Mitteilung seiner selbst den Menschen zukommen lässt, ist das Spezifische des christlichen Glaubens. Und wie könnte er sich anders schenken als so, als in dieser Gestalt? In seinem Ansichsein wäre er das verzehrende Feuer, das alles Irdische in der Asche des Wesenlosen vergehen lässt. In seiner Leiblichkeit
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Die Verleiblichung
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kann er von uns erfasst und begriffen werden. Er musste der Andere des ganz Anderen werden, bevor wir mit ihm kommunizieren können. Dass Gott sich schenkt, heißt, dass er die Leiblichkeit des Menschen nicht nur angenommen hat, sondern auch mitteilen will. Das Sakrament des Abendmahls dürfen wir als die Feier dieser Mitteilung verstehen. Eine Feier, die nicht nur abbildet, was anderswo geschieht, sondern die selbst als Vollzug dieser Mitteilung gedeutet werden soll. Die Eucharistie macht deutlich, dass die Inkarnation nicht nur als Ereignis betrachtet werden darf, auf das die Gemeinschaft der Glaubenden in erinnernder Vergegenwärtigung zurückblickt, sondern dass sie in permanenter Aktualisierung nachvollzogen werden muss. Die auf Jesus zurückzuführende Feier des Abendmahls gewinnt ihren Sinn erst dann, wenn die Unvergleichlichkeit des menschgewordenen Gottes in ihr erfahrbar wird. Sie wird sich nur für den erschließen, der Jesus nicht allein in seiner historischen Begrenzung als einen Menschen begreift, der in einer bestimmten Zeit gelebt hat, dem ihm von Gott bestimmten Auftrag folgte und am Kreuz gestorben ist, sondern der ihn als die in einer individuellen Person erschienene Selbstmitteilung Gottes wahrnimmt, die dem Menschen in der Vielfalt der Möglichkeiten sinnlicher Wahrnehmung nahekommen will. Die Mitteilung des Leibes Christi ist die bleibende Aktualisierung der Inkarnation; sie ist der vornehmste Auftrag der Kirche und konstituiert zugleich diese selbst. Wir wollen uns beides noch näher vor Augen führen. Wieso zeichnen wir diesen Auftrag in einer Weise aus, der alles andere, nicht minder Notwendige, die Verkündigung des Evangeliums, die Praktizierung der Nächstenliebe, soziales Engagement und vieles mehr, zurücktreten lässt? Eben weil die Aussage, dass Gott sich den Menschen schenkt, den Kern des christlichen Glaubens berührt und diese geheimnisvolle Mitte im Geschehen der Eucharistie ihre Wirklichkeit gewinnt. Alle theologischen Deutungen, die der Tatsache gerecht zu werden versuchen, dass Gott unter den Menschen leibhaftig anwesend sein will, sind legitim, ob sie nun der Vorstellung der orthodoxen Kirchen, der römisch-katholischen Kirche oder der lutherischen Kirchen entsprechen. Unangemessen scheint mir hingegen die theologische Konzeption der reformierten Kirchen zu sein, unabhängig davon, ob sie sich mehr auf Zwingli oder Calvin beziehen. Hier wird nicht wirklich erfasst, was Inkarnation eigentlich bedeutet. Inkarnation und Eucharistie vollenden die Bewegung der Vergegenständlichung, die in ihrem radikalen Vollzug das christliche Korrelat zu der Bewegung des Transzendierens bildet, die alle monotheistischen Religionen vereint. Wer darüber nachdenkt, was Verleiblichung der Offenbarung bedeutet, muss bis zum historischen Jesus zurückgehen, zu der Art und Weise seines Wirkens, die sich nicht in der Mitteilung des von Gott geschenkten Wortes erschöpfte, sondern in den natürlichen und selbstverständlichen Vollzügen des Lebens Gottes Gegenwart spürbar werden ließ. Die Mahlgemeinschaften des historischen Jesus sind integraler Bestandteil seiner Botschaft; man kann
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sie nur verstehen, wenn man das Ziel, von dem Jesus sich bestimmen ließ, im Auge behält. Für andere Religionsstifter wäre eine ähnliche Bedeutung des gemeinsamen Essens undenkbar. Selbst wenn man sie nicht wie viele profilierte Gestalten der Religionsgeschichte als Asketen charakterisieren könnte, sondern ihnen wie etwa Buddha oder Muhammad einen Status zuweist, der einen dritten Weg beschreitet13 oder die Gaben der Schöpfung als Gaben Allahs dankbar entgegennimmt,14 könnte man sich nicht vorstellen, dass bei ihnen die Freuden des Kreatürlichen der unmittelbaren Vergegenwärtigung des Transzendenten dienen. Eben das ist aber bei Jesus der Fall. In der Verbundenheit des gemeinsamen Essens hört das Reich Gottes auf, eine bloß zukünftige, in der Hoffnung artikulierbare Größe zu sein, es wird unbezweifelbare Gegenwart. Man muss sich die allgemeine Relevanz dieser von Gott gewirkten Freude am Irdischen klar machen, wenn man die Aufnahme der Zöllner und Sünder in die Gemeinschaft des Essens und Trinkens verstehen will. Die von Jesus vermittelte Freude ist universal gemeint; nur mit dem eigenen, in seiner Einzelheit sich absondernden Willen kann man sich ihr verschließen. Insofern ist es kein Zufall, sondern eine aus dem Wirken Jesu sich ergebende Notwendigkeit, dass Jesus mit einem gemeinsamen Mahl seinen Abschied von den Menschen im Besonderen und der irdischen Welt im Allgemeinen vollzieht. Die Gemeinschaft des Essens und Trinkens soll bestehen bleiben, auch wenn Jesu Präsenz in anderer Weise bestimmt werden muss. Würde die Kirche die Praxis des gemeinsamen Mahles abrogieren, käme das einer Absage an die Verleiblichung der Offenbarung gleich. Diese Absage sollte sich nicht der Illusion hingeben, mit der Beibehaltung des reinen Wortes der Intention des historischen Jesus zu entsprechen, sie liefe auf eine Preisgabe des originären Wirkens Jesu hinaus, das nicht mehr wahrgenommen, geschweige denn nachvollzogen würde. Gleichwohl zeigt sich in dieser Hinsicht die Problematik einer Religion, die sich auf eine charismatische Person zurückführen lässt, deren Wirken sie fortsetzen soll, aber mit den ihr eigenen beschriebenen Mitteln nicht wirklich fortsetzen kann. An sich wäre es die Aufgabe der Christen, die Praxis gemeinsamen Essens und Trinkens als Ausdruck der Freude göttlicher Präsenz beizubehalten und es für die Glaubenden wie für die Nicht-Glaubenden bewusst zu machen, dass die Nähe des Reiches Gottes keine Abkehr von den kreatürlichen Vollzügen verlangt, sondern gerade in ihnen zur Geltung kommen will und kann. Aber schon die Verhältnisse der korinthischen Ge13 Nämlich den Weg zwischen Askese auf der einen und der Hingabe an die sinnlichen Freuden der Welt auf der anderen Seite. Dieser dritte Weg hängt eng mit der Buddha geschenkten Erleuchtung zusammen. 14 Der Islam weist ja in seiner gründenden Urschrift, dem Koran, keine asketischen Tendenzen auf, im Unterschied etwa zum Neuen Testament (vgl. z. B. Sure 24,32 mit 1. Kor 7,7 f).
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meinde zeigen, dass die Christen unfähig sind, der Intention Jesu zu entsprechen, weil die Maßgabe ihrer eigenen Bedürfnisse wahre Gemeinschaft unmöglich macht (1. Kor 11,17 – 19). Die von Paulus geforderte Unterscheidung der Speisen (V. 29) beschreitet einen notwendigen Weg, der gleichwohl in eine andere als die von Jesus vorgegebene Richtung führt. Die uneingeschränkte Bejahung der Kreatürlichkeit, die als Erweis göttlicher Nähe religiös verstehbar wird, verwandelt sich in eine vom Natürlichen abstrahierte Symbolik,15 welche dieselbe Nähe zum Ausdruck bringen will, sie aber in einem rituellen Vollzug institutionalisiert und kanalisiert: die Eucharistie. Das Eigentümliche der Botschaft Jesu wird damit nicht preisgegeben; es wird auch zu Recht gesehen, dass diese Botschaft sich nicht in der Relation von Hören und Glauben erschöpft, sondern vor dem Vollbringen der Werke auch den Vollzug des Glaubens fordert. Dieser Vollzug ist das stets zu wiederholende kirchliche Handeln, das geschehen lässt, was sich urbildlich in der Erscheinung Jesu vollzog: Eine Leiblichkeit, die sich schenkt, weil sie nicht als das quasi von Natur aus Gegebene, sondern als das zugunsten der Menschen Angenommene empfangen werden muss. So verbindet sich die Eucharistie mit der vom historischen Jesus praktizierten Gemeinschaft des Essens und Trinkens: Das Kreatürliche als Ausdruck der Freude über das Kommen des Reiches Gottes verwandelt sich in die Freude an der göttlichen Nähe als solcher, die in der Vermittlung der Leiblichkeit den Menschen zuteil wird, die sich nicht mehr mit der Distanz zu einem körperlosen, aller anthropomorphen Züge ledigen Wesen begnügen müssen. Insofern kann und darf man nicht übersehen, dass die Eucharistie primär Fest und Feier der Inkarnation ist. So sehr das Abendmahl als das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern die Verwiesenheit auf sein Sterben und seinen Tod einschließt, so wenig kann damit der umfassende Sinn des eucharistischen Geschehens verdeutlicht werden. Käme nur das Ende des Lebens Jesu in Betracht, würde es genügen, das Abendmahl als Gedächtnismahl zu feiern, als ein Mahl der Erinnerung, das Leiden und Sterben Jesu rituell nachvollzieht und in der Anamnese des Glaubens Gegenwart werden lässt. Die eigentliche Bedeutung der Realpräsenz 15 Das Symbol zerstört die unmittelbare Einheit, weil es als Repräsentanz eines Anderen im dargestellten und für die Sinne zugänglichen Vorgang wahrgenommen werden soll. In den Mahlgemeinschaften Jesu war diese Einheit noch gegeben, weil sie die Nähe des Reiches Gottes nicht darstellten, sondern in aller gebotenen Schlichtheit und Selbstverständlichkeit wirklich werden ließen. Die Mahlgemeinschaften der Kirche können aber auf dieses Moment der Darstellung nicht verzichten, und deshalb tritt hier eine Spaltung ein, welche die Kennzeichnung als Symbol notwendig werden lässt. Allerdings zeichnet sich das Geschehen der Eucharistie dadurch aus, dass die Intention der symbolischen Handlung darin besteht, sich selbst zu überbieten und so zu einer Einheit zurückzuführen, die der ursprünglichen von Jesus vorgegebenen Einheit entspricht, wenn sie auch mit ihr nicht gleichgesetzt werden darf. Das Symbol muss zum Sakrament erhoben werden. Die Nähe des Mensch gewordenen Gottes wird nicht nur dargestellt, sondern leiblich, ja leibhaftig erfahren.
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erschließt sich auf diese Weise nicht. Sie kommt erst da zur Geltung, wo sich Gott im Geschenk der von ihm angenommenen Leiblichkeit den Menschen mitteilt. Dieses Geschehen zielt auf den Empfang der Gläubigen; ohne ihn bleibt es Zelebration, darstellende Vergegenwärtigung, aber die Bewegung der Vergegenständlichung, die das christliche Gottesverständnis in ihrer ganzen Radikalität zum Ausdruck bringt, erreicht den Menschen nicht, den sie sucht. Sie bricht ab, ohne das Ziel zu finden, das ihr bestimmt ist. Weil die christliche Religion der Bewegung des Transzendierens entspricht, indem sie auf sie mit einer ebenso radikal vollzogenen Bewegung der Vergegenständlichung antwortet, kommt dem Phänomen der Leiblichkeit in dieser Glaubensweise eine entscheidende Bedeutung zu. Das Wort, das sich als Schrift manifestiert, oder die Schrift, die sich als Wort manifestiert, können dieser Bewegung nicht genügen, weil sie der Sphäre des Sinnlichen entsagen, um die Reinheit göttlicher Transzendenz nicht zu gefährden. Aber der christliche Glaube nimmt die Gefährdung der Transzendenz in Kauf, weil er das Datum des Gottes, der Mensch wird, nicht ungeschehen machen will. Mit dieser Gefährdung kehrt das Christentum in den Kreis von Religionen zurück, die es aufgrund seiner vom Judentum herkommenden monotheistischen Bestimmung verlassen hatte. Es kehrt zurück – und bewahrt die andere Qualifikation seines Ursprunges in sich, das ist sein spezifisches Paradox, das es nicht aufzulösen, sondern nur zu entfalten vermag. Diese von mir angesprochene Rückkehr zeigt sich daran, dass wir viele Parallelen erkennen können, die das Christentum mit vielen nicht-monotheistischen Religionen verbinden, während es uns beim Judentum und beim Islam sehr viel schwerer fiele, solche Vergleichsmöglichkeiten zu entdecken. Beginnen wir mit der Vorstellung eines Gottes, der als Mensch unter Menschen erscheint,16 und setzen wir mit der religiösen Bedeutung des heiligen Mahles fort, die in ihrer religionsphänomenologischen Dimension nicht einfach vergessen werden darf, wenn wir versuchen, das Geschehen der Eucharistie genauer zu verstehen. Beide Momente, die wir im Allgemeinen namhaft machen können, finden sich hier wieder : Das Konvivium, die Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen, und die eigentliche Kommunio, in der der Gläubige des Gottes selbst teilhaftig wird.17 Setzen wir mit dem ersten Moment ein: Dass das Abendmahl als ein Mahl der Gemeinschaft angesehen werden muss, das Gott und die Menschen miteinander verbindet, dürfte unbestritten sein. Wir haben gesehen, dass die christliche Theologie diese allgemeine, religionsphänomenologisch ausgewiesene Feststellung in der Perspektive des historischen Jesus verdeutlichen muss, wenn sie ihren eigenen Glauben geltend machen will. Die von ihm 16 Man vergegenwärtige sich in diesem Zusammenhang besonders die hinduistische Avata¯raVorstellung. 17 Hierzu und zum Folgenden vgl. den von A.V. Ström verfassten Artikel Abendmahl I, Das sakrale Mahl in den Religionen der Welt, TRE I, 43 – 47.
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praktizierte Gemeinschaft des Essens und Trinkens ist die Basis jeglicher Lehre vom Abendmahl. In dieser Gemeinschaft erfuhr er die Gegenwart des Reiches Gottes, und seine Erfahrung wurde zur Erfahrung aller anderen, die an diesem Mahl teilnahmen. Wenn die Kirche an diese Praxis anknüpft, darf sie nicht einfach, wie wir sahen, eine Wiederholung des Geschehenen intendieren. Damit wäre nur die schmerzliche Erfahrung einer Abwesenheit verbunden, das Bewusstsein der Leere, welche der Tod einer charismatischen Persönlichkeit hinterlässt. Die Kirche muss vielmehr die bleibende Präsenz des in ihm geschenkten Heiles verdeutlichen, ein Auftrag, der eine andere, kultisch fixierte Form des Essens und Trinkens erfordert. Aber worin besteht dieses Heil? Die naheliegende, in vielen theologischen Konzeptionen zu einem System verdichtete Antwort besteht in der Aussage des Opfers des Sohnes Gottes, der in seinem Tod am Kreuz sein Leben freiwillig für die Sünden der Menschen dahingegeben hat. Dann gewinnt das letzte Mahl Jesu ausschließlich seinen Sinn im Blick auf die bevorstehende Passion, in der er das ihm aufgetragene Werk zum Heil der Menschen vollbringen wird. Die Eucharistie ist Vergegenwärtigung dieses Opfers, und gerade so wird die in Jesus Christus geschenkte Verbindung von Gott und Mensch evident. Man kann nicht bezweifeln, dass in dieser Weise die von uns als notwendig erkannte Aufhebung der Mahlgemeinschaft des historischen Jesus in die kultische, auf fortwährende Wiederholung angelegte Praxis der Kirche gewährleistet wird. Die Aufnahme der Elemente Brot und Wein durch die Gläubigen kann als Reminiszenz der Mahlgemeinschaft Jesu verstanden werden, während sich die Heilsbedeutung im Charakter des Opfers erschließt, das als einmaliges, allgenugsames Opfer Jesu Christi festgehalten wird, aber im Geschehen der Eucharistie in einer Weise seine Aktualität gewinnt, dass dieses – im katholischen Verständnis – selbst als Opfer bezeichnet werden muss, das der Priester Gott darbringt. Betrachten wir dieses Verständnis unter dem Gesichtspunkt einer allgemeinen Religionsphänomenologie, dann erblicken wir ein bezeichnendes Beispiel für die Rückkehr des Christentums in den Kreis der Religionen, von der ich oben geredet habe. Vergegenwärtigen wir uns die generelle Bedeutung des Konviviums, die eine Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen dadurch entstehen lässt, „daß ein Teil des Opfers oder der Mahlzeit dem Gotte übergeben wird, während die Teilnehmer das Übrige verzehren“.18 Es ist klar, dass das römischkatholische Verständnis der Eucharistie hier nicht einfach subsumiert werden kann, weil es den besonderen Bedingungen des christlichen Glaubens Rechnung trägt, die hier notwendigerweise fehlen. Ebenso offensichtlich ist aber, dass dieses Verständnis transparent wird auf religiöse Vorstellungen, die weit
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über die Bestimmungen des Christlichen hinausgreifen und deshalb Gegenstand der allgemeinen Religionswissenschaft sind. Es liegt mir ferne, diese Aufnahme des Religiösen, wie sie besonders für den römischen Katholizismus kennzeichnend ist, zu verteufeln. Anders wäre die Weitergabe des Evangeliums im Wechsel der Zeiten gar nicht möglich. Dennoch meine ich, dass eine Konzeption der Abendmahlstheologie, die das von Jesus Christus erbrachte Opfer in den Mittelpunkt rückt, nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Das Heil in einem vom Sohn Gottes vollzogenen Opfer zu erblicken, ist nur möglich, wenn dieser Sohn als Mensch dieses Opfer im vollen Bewusstsein seiner die Menschen mit Gott versöhnenden Tat auf sich genommen hat. Eben das ist aber, wie wir im christologischen Teil dieser Abhandlung feststellten, höchst fraglich. So müssen wir diesem Menschen ein Recht zurückgeben, das jedem Menschen zusteht, das Recht auf ein eigenes Bewusstsein. Wir dürfen dieses Bewusstsein nicht zugunsten eines Heilsinteresses überformen, das ausschließlich die Seligkeit der Glaubenden im Blick hat, aber den aus den Augen verliert, auf den sich diese Seligkeit gründet. Die hier ausgeführte Problematisierung der Opfer-Vorstellung veranlasst uns dazu, zum zweiten Moment des sakralen Mahles überzugehen, der Kommunio. Diese Kommunio, die dahingehend beschrieben werden kann, dass sich der Mensch das göttliche Wesen einverleibt, „um mit ihm eins zu werden“,19 bildet nach wie vor die Basis jeder eucharistischen Theologie. In ihr wird die Grundaussage der Christologie kultisch und rituell nachvollzogen, nämlich die Menschwerdung Gottes, die Inkarnation. Der Gott, der das ihm Fremde, die Leiblichkeit, angenommen hat, schenkt sich in diesem ihm fremden, aber den Menschen eigenen Gut den Gläubigen. So bleibt die Inkarnation kein fernes Datum der Geschichte, sie erschöpft sich auch nicht darin, wesentlicher Inhalt der christlichen Verkündigung zu sein, erst im realen Vollzug des Abendmahlsgeschehens gewinnt sie ihre Aktualisierung und darin ihre bleibende Gültigkeit. Es mag so scheinen, als ob wir hier denselben Einwand erheben könnten, der unsere Abwendung von der Vorstellung des Opfers begründet hat, den Einwand, dass wir eine Theologie entwickeln, die mit dem Bewusstsein des historischen Jesus kollidiert. Ich meine aber, dass dieser Einwand hier nicht überzeugen kann. Natürlich hat sich der historische Jesus nicht als Mensch gewordener Gott verstanden. Er hat aber in der Zeit seines Wirkens in seinem Bewusstsein eine einzigartige Einheit mit Gott zum Ausdruck gebracht, welche die christliche Interpretation dazu berechtigt, ihn als Erscheinung des einen Gottes zu verstehen. Von da aus führt der hier nicht mehr im Einzelnen nachzuzeichnende Weg zur Aussage der Inkarnation, in der wir das Grunddatum der Christologie erkennen. 19 Ebd. mit Beziehung auf F. Heiler, Erscheinungsformen und Wesen der Religion, Stuttgart u. a. 1961.
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Auch wenn die christliche Lehre, wie jede religiöse Weltanschauung, in ihrer kosmischen Bedeutung zu entfalten ist, mündet sie doch in ein einfaches, man könnte sagen alltägliches Geschehen, die Darreichung von Brot und Wein. Dass diese Darreichung zum kirchlichen Tun schlechthin werden konnte, zeigt die Eigenart des christlichen Glaubens. In seiner sinnlichen Greifbarkeit unterscheidet er sich von den anderen monotheistischen Religionen; im a priori seiner unaufgebbaren, gleichwohl auf das Personale hinzielenden Transzendenz grenzt er sich von den nicht-monotheistischen Religionen ab. Dass der Vorgang des Essens und Trinkens im Mittelpunkt des kultischen Geschehens steht, zeigt, dass die Verleiblichung ihr Ziel erreicht hat und die Bewegung der Vergegenständlichung an ihrem Ende angelangt ist. Eben dieses Ziel bzw. dieses Ende ist zugleich der Anfang und der Grund, von dem aus sich Kirche konstituiert. Wir haben schon gesehen, dass Kirche nicht einfach als Gemeinschaft der Gläubigen bestimmt werden kann, als Zusammenfügung derer, die das Wort Gottes hören und seinen Willen befolgen. Kirche wird bestimmt durch den Auftrag, die Verleiblichung Gottes als permanentes Geschehen zu verifizieren und zu aktualisieren. Indem sie ihren Auftrag erfüllt, gewinnt sie das ihr von Gott zugedachte Wesen. Sie wird zum Ausdruck jener Leiblichkeit, die Gott in seiner Menschwerdung angenommen hat und die er für sich in Ewigkeit bewahren will. Gott nimmt die Leiblichkeit Jesu in sich zurück – wir können ihn nach Christi Tod am Kreuz nicht mehr als rein geistige Existenz vorstellen, sondern müssen in unserer Vorstellung immer hinzufügen, was er für sich erworben hat.20 Aber diese Zurücknahme ist nur das eine Moment des göttlichen Werdens. Das andere lässt sich dahingehend beschreiben, dass er in seinem Leib der Gott ist, der sich mit den Menschen verbindet und sie zu Empfängern seines leiblichen Soseins macht. Der empfangende Mensch gibt die angemessene Antwort auf den Gott, der seine Leiblichkeit nicht für sich behalten will. Er selbst nimmt das in dieser Weise bestimmte göttliche Wesen in sich auf und gibt dadurch die Einzelheit des für sich vor Gott stehenden Individuums preis. Denn im Geschehen der Eucharistie vollzieht sich ja an allen Gläubigen dasselbe: Indem sie sich mit dem Wesen Gottes verbinden, indem sie an seiner Leiblichkeit teilhaben und diese sich selbst zu eigen machen, werden sie miteinander verbunden. Das ihnen geschenkte göttliche Wesen umfasst alle in einer für die Sinne nicht wahrnehmbaren Kommunion, die darauf hinweist, dass Gott nicht nur als das Wesen bestimmt werden kann, das für sich Neues und Unbekanntes hinzugewinnt, nämlich die Leiblichkeit, sondern dass er auch als der Unergründ20 Darin liegen der Sinn und die Berechtigung der theologischen Konzeptionen, welche die Leiblichkeit der Auferstehung Jesu betonen. Der Gedanke einer Vorwegnahme der leiblichen Auferstehung aller Menschen am Ende der Zeiten muss damit nicht verbunden werden. Die Bewahrung in der Erinnerung Gottes ist ein Weiterleben im Geist, während die Leiblichkeit aller Menschen im Allgemeinen dem Prozess des Vergehens verfällt.
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Die Kirche
liche gesehen werden muss, der sich verschenkt und so mit den Menschen für immer verbunden sein will. So erhellt sich für uns die Bedeutung der paulinischen Aussage, welche die Kirche als Leib Christi versteht. Was mit diesem Begriff gemeint ist, muss vom Geschehen der Eucharistie her gedeutet werden; sonst sähen wir uns nur einer metaphysischen Spekulation gegenüber, die mit der Erfahrung des Glaubens nichts zu tun hat. Der Empfang des Brotes beim Abendmahl verbindet alle Christen zu einer Gemeinschaft; zugleich vollzieht sich so die Einigung mit dem Leib Christi (1. Kor 10,16 f). Indem die Christen Gott in seiner Leiblichkeit in sich aufnehmen, konstituieren sie die fortdauernde Präsenz dieser Leiblichkeit, die nicht nur als eine im Diesseits verbleibende begriffen werden muss. Die Kirche ist die dem Diesseits zugewandte Leiblichkeit Gottes; gerade so unterscheidet sie sich prinzipiell von den Gemeinschaftsbildungen anderer Religionen. Wir sehen, dass die paulinische Vorstellung von der Kirche als Leib Christi weit davon entfernt ist, nur ein Bild zu sein. Sie meint eine aufgrund der Inkarnation bestehende, übersinnliche Wirklichkeit, die gleichwohl sinnlich erfahrbar wird. Auch die Ausführungen in 1. Kor 12,12 – 14 sind unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Hier zeigt sich, dass wir zwar vom eucharistischen Geschehen ausgehen müssen, aber von da aus das Ganze des kirchlichen Erscheinungsbildes wahrzunehmen haben. Dieses Ganze ist Leib Christi, weil es sich auf einen Gott bezieht, der die irdische Vorfindlichkeit nicht ausschließlich als das ihm gegenüber Andere definiert hat, sondern selbst seinen Weg zu dieser Wirklichkeit des Irdischen fand. Wenn wir die Kirche als Leib Christi bezeichnen, meinen wir keine Vollkommenheit des jenseitig Göttlichen, sondern eine vom Irdischen geforderte Begrenzung, die sich primär der Aufgabe stellen muss, ihrer eigenen Begrenztheit bewusst zu werden. So lässt sich die Kirche als ein Organismus verstehen, in dem jeder die ihm bestimmte Aufgabe übernimmt, wobei alle Tätigkeiten als gleichermaßen notwendig und gleichermaßen wichtig anzusehen sind. Die Vorstellung des Leibes Christi ist also von ihrem Ursprung her nicht hierarchisch zu denken. Erst die sich auf Paulus berufenden, gleichwohl nicht von ihm stammenden Briefe an die Kolosser und Epheser haben ein hierarchisches Modell eingeführt, indem sie Christus als Haupt der Gemeinde als Leib gegenüberstellen.21 Damit geht die Kühnheit der paulinischen Konzeption, welche die Kirche als Weiterführung und Aktualisierung der Inkarnation begreift, verloren, ganz abgesehen von den problematischen Folgerungen für das Verhältnis von Mann und Frau, die hier nicht erörtert werden sollen.22 21 Vgl. den von E. Schweizer verfassten Artikel s§la in ThWNT VII, 1024 – 1091. Schweizer wertet allerdings die vom Kolosser- und Epheserbrief vorgenommene Änderung der paulinischen Anschauung positiv (vgl. vor allem 1078). Ich kann ihm an dieser Stelle nicht folgen. 22 Vgl. dazu Eph 5,22 – 24.
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Die mit dieser Vorstellung verbundene Absage an die Hierarchie besagt nun allerdings nicht, dass jeder alles tun kann. Im Gegenteil: Da sich Gott in seiner Verleiblichung die menschliche Begrenztheit zu eigen macht, empfängt die Begrenztheit kirchlicher Ämter eine göttliche Würde. Die Fixierung auf einen bestimmten Auftrag resultiert nicht einfach aus der menschlichen Unvollkommenheit, die als notwendiges Übel hingenommen werden muss, sie spiegelt jene Aufnahme der Vergänglichkeit wider, welche das göttliche Werden charakterisiert. Das Verständnis der Kirche als Leib Christi widerspricht nicht dem Erscheinungsbild einer Institution, in der sich Menschliches findet. Die Kirche verliert nur da die Treue gegenüber dem Ursprung, wenn sie das notwendigerweise Begrenzte absolut setzt. Ihre Ämter sind der Variabilität der Geschichte unterworfen, und sie selbst darf in keiner Weise Ewigkeit für sich beanspruchen. Zwar bewahrt Gott für immer die Leiblichkeit, die er für sich gewonnen hat, aber die Kirche als Konkretisierung der Leiblichkeit in der Zeit gibt ihr Dasein preis, wenn die Geschichte an ihr Ende gelangt ist. Wenn Gott alles in allem ist (1. Kor 15,28), wird die Kirche nicht mehr sein.
3. Das eine Amt und die Vielfalt der Ämter Kehren wir zurück zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen: Gott schenkt sich den Menschen in seiner Leiblichkeit. Dieses Geschenk nehmen wir in der Eucharistie entgegen, eben darin erkennen wir die einzigartige Bedeutung dieses Sakraments. Der Vollzug des Schenkens und des Beschenktwerdens setzt ein Gegenüber voraus: auf der einen Seite die Person, die das Geschenk Gottes weiterreicht, auf der anderen die Person, die eben dieses Geschenk empfängt. Aus diesem Gegenüber-Sein begründet sich das Verständnis des kirchlichen Amtes. Der Schenkende – auch wenn er im Auftrag eines Anderen handelt, dessen Geschenk er weitergibt – ist im Vollzug der kirchlichen Handlung nicht einer der Beschenkten, er steht ihnen gegenüber, als der Andere, der die Selbstmitteilung Gottes aktualisiert. Da er der Andere ist, der in seinem Gegenüber-Sein begriffen werden muss, ist das ihm übertragene Amt qualitativ zu unterscheiden von der Vielfalt kirchlicher Dienste und Funktionen,23 die sich alle der Selbstmitteilung des Mensch gewordenen Gottes verpflichtet wissen, aber doch dessen leibliche Gestalt nicht weiterreichen können, weil eben das nicht ihren Aufgaben entspricht. In einer Linie, die von der Menschwerdung Gottes ausgeht und die Kirche als weitergehende Realisierung dieser Menschwerdung begreift, verstehen wir 23 Insofern kann der Aussage des II. Vatikanischen Konzils zugestimmt werden, das Amt des Priesters sei vom allgemeinen Priestertum der Getauften „dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach“ (LG 10) zu unterscheiden.
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Die Kirche
die besondere Bedeutung des einen kirchlichen Amtes: Es aktualisiert die Verleiblichung Gottes im Geschehen des heiligen Abendmahls. Diese Aktualisierung unterscheidet sich von den vielfältigen Möglichkeiten der Vergegenwärtigung der christlichen Botschaft, die von allen Christen, aber im Besonderen von Trägern kirchlicher Berufe wahrgenommen werden. Den Weg Gottes zu den Menschen nachzuvollziehen, indem man das Geschenk seiner Leiblichkeit an die Gläubigen weiterreicht, ist etwas anderes als die Verkündigung der frohen Botschaft, die Weitergabe der christlichen Lehre, das vom christlichen Ethos inspirierte Tun. Hier handelt die dazu bevollmächtigte und dazu beauftragte Person an Gottes Statt, sie repräsentiert den Gott, der zugunsten der Gemeinschaft mit den Menschen das Menschsein angenommen hat. Dort wird das Handeln Gottes und seine Selbstwerdung in vielfältiger Weise bezeugt; hier wird es stellvertretend vollzogen. Die Person, welche diesem Amt Genüge tun darf und Genüge tun muss, ist durch eine spezifische Form religiöser Existenz gekennzeichnet. Sie muss offen sein für den Auftrag, an Gottes Stelle zu stehen und sein inkarnatorisches Handeln zu einer immer neu erfahrbaren Wirklichkeit werden zu lassen. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die Kirche diesen Auftrag an eine besondere Bevollmächtigung knüpft, die aufgrund ihres prägenden Charakters von anderen Diensten unterschieden wird: die Ordination. Ob man nun die Ordination sakramental versteht wie der römische Katholizismus oder die Sakramentalität in Abrede stellt wie die Kirchen der Reformation,24 ist gegenüber der grundlegenden Feststellung, dass es sich um ein einmaliges Geschehen handelt, welches die religiöse Existenz als ganze kennzeichnet und deshalb nicht wiederholt werden darf, von sekundärer Bedeutung. Die Ordination wird nicht aufgelöst in eine Reihe von Amtseinführungen, in denen die geistliche Person einem bestimmten Dienstbereich zugewiesen wird. Sie geht diesen Einführungen voran, weil sie unmittelbar mit der geschenkten Vollmacht verbunden wird, an Gottes Stelle zu treten. Diese Vollmacht kann nur einmal verliehen werden; sie ist unabhängig vom Wechsel verschiedener Tätigkeiten, die auf den Ordinierten im Lauf seines geistlichen Lebens zukommen mögen. Wir sehen, dass sich das eine Amt der Kirche darauf bezieht, dass die inkarnatorische Selbstwerdung Gottes im Gottesdienst nachvollzogen wird, indem der Gläubige die Leiblichkeit Gottes, die Versiegelung seiner unlösbaren Verbindung mit den Menschen, sinnlich greifbar empfängt. Es wäre freilich nicht sinnvoll, die Tätigkeit des mit dieser Aufgabe betrauten Berufsstandes, gemeinhin des Priesters bzw. Pfarrers, auf diesen ausgegrenzten Bereich zu beschränken. Soll die geistliche Person nicht zum Kultdiener erstarren und auch nicht der 24 Vgl. hierzu K. Lehmann/W. Pannenberg (Hg.): Lehrverurteilungen – kirchentrennend?, Bd. I, Rechtfertigung, Sakramente und Amt im Zeitalter der Reformation und heute, Freiburg/Göttingen 1986, 160 f.
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Gefahr ausgesetzt sein, sich in ihrer vermittelnden Funktion über die Gläubigen zu erheben, müssen ihr weitere Aufgabenbereiche übertragen werden, wobei zunächst die Frage nicht entscheidend ist, ob diese Aufgaben bereits neutestamentlich fixiert sind, oder ob sie sich aus den jeweiligen soziologischen Gegebenheiten zwingend ableiten lassen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir mit der Erläuterung dieser Aufgaben den Übergang von dem einen Amt zu den vielen Ämtern vollziehen. Das eine lässt sich als ein Weiterführen des inkarnatorischen Handelns Gottes beschreiben; die vielen sind darauf bezogen, stellen aber nicht es selber dar. Sie lassen sich mit dem Träger des einen Amtes verbinden und müssen zum Teil sogar mit ihm verbunden werden, wenn er nicht zum Kultdiener erstarren soll. Sie können aber genausogut anderen Personen zugewiesen werden, die den übertragenen Aufgaben mit derselben oder einer noch besser ausgewiesenen Kompetenz gerecht zu werden vermögen. Die Kirche ist machtlos ohne das Wort, welches das inkarnatorische Handeln Gottes bezeugt und vergegenwärtigt. Eine sprachlose Kirche wäre eine Kirche, die sich in sich selbst zurückgezogen hat und gerade so dem Wirken Jesu fundamental widerspricht. Dieses Wort muss in der Vielfalt seiner Aspekte gewürdigt werden, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, Entscheidendes wegzulassen oder zu verkürzen. Ich möchte drei Gesichtspunkte unterscheiden: das befreiende Wort, das belehrende Wort und das ermahnende Wort.
3.1 Das befreiende Wort Die Befreiung ist die eigentliche Mitte der christlichen Botschaft. Nur, von welcher Freiheit ist in diesem Zusammenhang die Rede? Wieso erhebt das Neue Testament die Freiheit in zentralen Aussagen zum vornehmsten Inhalt christlicher Verkündigung?25 Gerade der Begriff der Freiheit macht deutlich, dass wir die Besonderheit des christlichen Glaubens nur dann verstehen können, wenn wir sie im Zusammenhang der anderen Weltreligionen betrachten. Die Eigenart des christlichen Freiheitsgedankens wird nur vor dem Hintergrund einer allgemeinen religiösen Freiheit verständlich, welche der christliche Glaube in sich schließt, ohne sich in ihr zu erschöpfen. Jede Religion, wenn sie denn überhaupt ihren Gegenstand, die Bindung und Hingebung an das Transzendente, ernst nimmt, befreit von der Verabsolutierung weltlicher Bedingtheit. Alles Vorfindliche verliert den Rang des Letztgültigen, weil es als irdisch Begrenztes und damit der Zeit Unterworfenes gekennzeichnet werden muss. In der Hingabe an das Transzendente werden die Belange der Welt nicht 25 Das wird besonders deutlich im paulinischen und johanneischen Schrifttum (z. B. Gal 5,1 oder Joh 8,36).
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gleichgültig; sie rücken aber in eine andere Perspektive, die es dem religiösen Menschen ermöglicht, sie zu überwinden und hinter sich zu lassen. In diesem religiösen Kontext bildet sich das Profil der christlichen Freiheit. Sie wird da erfasst, wo die Besonderheit des christlichen Gottesverständnisses erkannt worden ist. Indem die Verbindung von Gott und Mensch in einer Person leibhaftig anschaulich wird, ist die beide trennende Distanz in der Mitte des Heilsgeschehens durchbrochen. In der Inkarnation erfährt Gott selbst die Problematik seines Herr-Seins, das sich mit den Attributen umfassender Macht dekoriert. Deshalb tritt er dem Menschen nicht mehr primär als Gesetzgeber gegenüber. Seine Weisungen werden nicht beseitigt oder für nichtig erklärt, sie sind aber nicht mehr das Zentrum seiner Mitteilung, das ihn primär zu einem Gott erhebt, der etwas von den Menschen will. Sein Geheimnis spricht er da aus, wo er dem Glauben als der Gott bewusst wird, der sich schenkt, nicht da, wo er in der Distanz des Gebieters den Menschen ihr Tun diktiert. Die christliche Freiheit ist primär Freiheit vom Gesetz.26 Und diese Freiheit meint die Entbindung von der Pflicht, immer etwas tun zu müssen, ein gutes Werk auf das andere folgen zu lassen, wo es doch zunächst darauf ankäme, sich beschenken zu lassen und die Erfüllung in der beseligenden Gegenwart Gottes zu finden. Die Aufgabe christlichen Handelns ist immer etwas Nachgeordnetes, immer das Zweite, niemals das Erste, alles andere wäre eine Verfehlung der christlichen Botschaft. Aus dieser Freiheit vom Gesetz ergeben sich die anderen Aspekte des christlichen Verständnisses von Freiheit. Da Gott das Menschsein in sein Wesen aufgenommen hat, spricht er ein Ja zum Menschen, das über das in anderen Religionen vernehmbare Ja hinausgeht. Es ist nicht nur das Ja gegenüber einem Geschöpf, das von ihm gut erschaffen wurde. Es ist die Bejahung seiner selbst. In dieser göttlichen Selbstbejahung erschließt sich für uns die Bedeutung der Rechtfertigung. Da Gott die Endlichkeit in sich hineingenommen hat, weist er die Schranken des Bedingten und Begrenzten nicht mehr von sich zurück. Der in diesen Schranken gefangene Mensch hat es nicht mehr nötig, seine Begrenzung als Trennung von Gott zu erfahren. Fasst man den Begriff Sünde in des Wortes ursprünglicher Bedeutung als Trennung des Menschen von Gott, dann wird die christliche Freiheit als Freiheit von der Sünde verstehbar (Röm 6,18.22). Es ist die Freiheit eines Menschen, der im Glauben die Distanz gegenüber Gott überwindet und sich dessen bewusst ist, dass diese Überwindung keine schwärmerische Selbstüberhebung meint, sondern in dem Mensch gewordenen Gott ihre Begründung findet. Die Möglichkeit, zwischen Gut und Böse wählen zu können, bezeichnet die natürliche Freiheit des Menschen, die ihn im Gegensatz zu Gott als moralisches Wesen konstituiert. Aber diese natürliche Freiheit wird in der christli26 Vgl. Röm 10,4 in Verbindung mit 1. Kor 10,29
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chen Freiheit aufgehoben, die den Glaubenden über den Bezirk der Moral hinausführt, indem sie ihn mit Gott vereinigt, der selbst kein moralisches Wesen ist.27 In dieser Freiheit tut der Christ weder Gutes noch Böses, sondern einzig und allein das (für ihn) Richtige.28 Während die natürliche Freiheit des Menschen zum Stigma seiner Vereinzelung werden kann,29 bedeutet die christliche Freiheit Vereinigung: Vereinigung mit Gott, aus der alles Übrige folgt. Auch der letzte Aspekt christlicher Freiheit, den wir nun bedenken wollen, steht in diesem Zusammenhang: die Freiheit vom Tod. Die Begrenzung Gottes in der Inkarnation hat als Konsequenz die Entgrenzung des Menschen. Er darf sich ewig bewahrt wissen im Gedächtnis Gottes. Indem sich Gott an ihn erinnert, verliert er seine Vergänglichkeit. Indem er das Verhaftetsein an das Endliche von sich abzustreifen vermag, gewinnt er die Freiheit gegenüber dem Bedingten, das ihn in seine Schranken weist und darin umkommen lässt. Es versteht sich von selbst, dass das diese Freiheit bezeugende Wort der Auftrag aller Christen ist. Hier wird wahr, was man als allgemeines Priestertum der Gläubigen bezeichnet. Dabei wird dieses Wort nur da glaubwürdig sein, wo die christliche Freiheit gelebt wird, wo sie die Existenz des Einzelnen bestimmt. Freiheit von der Welt schließt nicht nur die Beglückung des Beschenkten ein, der weiß, dass die Gegebenheiten der Welt ihn letztlich nicht berühren können, sie fordert auch die Bereitschaft zum Konflikt mit den Mächten dieser Welt, sofern sie beanspruchen, was sie nicht beanspruchen dürfen, eben die Bereitschaft zur Nachfolge Christi. Das allgemeine Amt der Christen verbindet sich mit dem besonderen Amt der Ordinierten, die das allgemeine in sich fassen, weil sie ohne es als Christen gar nicht existieren könnten. Eine Kirche, die nicht der Sprachlosigkeit verfallen will, setzt Priester bzw. Pfarrer voraus, die des Wortes mächtig sind. Aber diese Wortmächtigkeit unterscheidet sie nicht prinzipiell, sondern graduell von allen anderen Christen. Das allgemeine Amt des befreienden Wortes sollte von den mit dem einen Amt beauftragten Personen exemplarisch wahrgenommen werden, wenn sie denn in ihrem Beruf überzeugend wirken sollen; doch haben wir damit einen Wunsch bzw. ein Ziel formuliert und nicht eine notwendige Bedingung für das Leben der Kirche.
27 Die Aufgabe, Gott zu denken, fordert die Bewegung des Transzendierens heraus. In dieser Bewegung muss im Blick auf Gott auch die Alternative von Gut und Böse überschritten werden (vgl. R. Leuze, Religion, 219 – 255). 28 D. Bonhoeffer hat eben in diesem Sinne das verantwortliche Handeln des Christen bestimmt, in: ders., Ethik, hg. v. E. Bethge, München 1966, 235. 29 Das tritt besonders beim Freiheitsverständnis von J.P. Sartre zutage, wo die Freiheit des individuellen Für-sich-Seins dem allgemeinen Ansichsein gegenübersteht, ohne dass eine Vermittlung möglich wäre.
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3.2 Das belehrende Wort Man mag fragen, wieso wir dem befreienden Wort das belehrende hinzufügen. Genügt nicht bereits das eine, die frohe Botschaft des Evangeliums, die den Glauben weckt und so christliche Existenz ermöglicht? Bedarf es noch des anderen, das sich in einer heillosen Pluralität verschiedener Lehren zeigt, die einander ausschließen, sich heftig widersprechen und in der Vergangenheit zu blutigen Streitigkeiten, ja Kriegen geführt haben? Woran liegt es, dass die Lehre oder, wenn wir den Terminus für eine Verbindlichkeit beanspruchende Formulierung des Glaubens wählen, dass das Dogma im Christentum eine so große Rolle spielt, während die anderen abrahamitischen Religionen, Judentum und Islam, hier sehr viel geringere Bemühungen an den Tag legen und damit gut auszukommen scheinen? Trotz aller in der Gemeinschaft mit diesen Religionen festgehaltenen göttlichen Unbegreiflichkeit, obwohl das Christentum das gemeinsame monotheistische Credo nicht preisgibt und Gott als den ganz Anderen zur Sprache zu bringen vermag, behauptet der christliche Glaube doch, mehr von Gott zu wissen, als es dem gläubigen Juden oder dem gläubigen Moslem möglich wäre. Da Gott in einem Menschen erschienen ist, also nicht nur in einer heiligen Schrift seinen Willen kundgetan hat, einer Schrift, die das Rätsel nicht nur löst, sondern zugleich bestehen lässt, kann er in anderer Weise Gegenstand menschlicher Rede sein als im jüdischen Glauben oder im Islam. Wir sehen dies bereits im Neuen Testament, wo sich Wesensbestimmungen Gottes finden, die so in der hebräischen Bibel oder im Koran nicht denkbar wären.30 Dieses erhöhte Wissen zieht eine vermehrte Bedeutung der Lehre nach sich, und die gesamte Dogmen- und Theologiegeschichte des Christentums darf als Beleg für diese These gelten. Es wäre verfehlt, in einer Idolisierung der Orthopraxie dieses Moment der Lehre zu eliminieren und zu behaupten, es käme nur auf das christliche Handeln an. Eine im Protestantismus neuerdings stark vertretene antiintellektuelle Tendenz geht am Zentrum des christlichen Glaubens vorbei. Wem aber soll die Aufgabe der Lehre übertragen werden? Wer ist befugt, mit der notwendigen Autorität das Wort zu ergreifen? Wir stoßen hier auf eine prinzipielle, zwischen Katholizismus und Protestantismus virulente interkonfessionelle Differenz, die nicht einfach überbrückt werden kann, weil sie die Eigenart des jeweiligen Bekenntnisses strukturiert. Während der Katholizismus das Amt der Lehre mit dem einen, in sich hierarchisch gegliederten Amt verbindet, wird es für das protestantische Verständnis der Vielfalt verschiedener Ämter zugeordnet. Nicht nur das befreiende, auch das belehrende 30 Dabei ist vor allem an die Identitätsaussagen zu denken, wie „Gott ist Liebe“ (1. Joh 4,8.16) und „Gott ist Geist“ (Joh 4,24). Es ist kein Zufall, dass sich weder in der hebräischen Bibel noch im Koran vergleichbare Wesensaussagen finden lassen.
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Wort hat sein Fundament im allgemeinen Priestertum der Gläubigen, die in der Freiheit ihres spezifischen Glaubens das Evangelium nicht nur weitersagen, sondern auch in der von der Einsicht in das göttliche Wesen her geforderten intellektuellen Zuspitzung verdeutlichen können. Allerdings kann diese Verdeutlichung nur gelingen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind, das heißt, dass in der Regel bestimmte Kompetenzen erworben werden müssen, die dazu befähigen, den christlichen Glauben in der Form der Lehre zu artikulieren. So verbindet sich der Auftrag zu lehren primär mit dem einen Amt des Pfarrers bzw. Priesters, sofern dieses eine Amt der betreffenden geistlichen Person in der Regel nur nach einem mit Erfolg absolvierten Studium der Theologie verliehen wird. Gerade in dieser Hinsicht ist es aber notwendig, den Kreis der Ordinierten zu überschreiten und alle in den Blick zu nehmen, die den christlichen Glauben aufgrund einer vorhergehenden Reflexion darzustellen haben, wie z. B. Religionspädagogen, Katecheten und viele andere mehr. Die Vollmacht der Lehre ergibt sich nach protestantischem Verständnis nicht aus einer bestimmten hierarchischen Stellung, die in ihrer faktischen Bestimmtheit das Recht verleihen könnte zu sagen, was christlich ist und was nicht. Zudem handelt es sich um eine Vollmacht, welche die Glaubensfreiheit des Belehrten nicht einschränkt, geschweige denn zunichte macht. Das Amt der Lehre wird sich nur da als Macht erweisen, wo es zu überzeugen vermag. Belehrung ohne Überzeugung ist nicht Belehrung, sondern Bevormundung.
3.3 Das ermahnende Wort Geht es beim befreienden und belehrenden Wort um den Inhalt des Glaubens, der jeder menschlichen Aktivität vorhergehen muss, so steht beim ermahnenden Wort das Handeln des Einzelnen im Mittelpunkt. Dieses Handeln ist nicht das Zentrum christlicher Existenz, weil der Primat der Erlösung eine derartige Akzentuierung verbietet. Gleichwohl ist es unumgänglich, bei der Beschreibung kirchlicher Vollzüge die ethische Dimension anzusprechen, weil der Glaube ohne Werke tot ist (Jak 2,17). Man kann auch nicht sagen, das Tun folge quasi automatisch aus dem Glauben, so dass es des ermahnenden Wortes gar nicht mehr bedürfe. Denn der Glaube ist niemals vollkommener Glaube, er ist immer gebrochen, in sich selbst verkehrt und dazu geneigt, Verhaltensweisen dem göttlichen Willen zuzurechnen, die ausschließlich auf den eigenen Egoismus zurückzuführen sind. Der Glaube ist unlöslich mit Einbildung verknüpft, einer Weise, sich alles so zurechtzulegen, dass es für das eigene Gefühlsleben stimmig wird, eine Harmonie zu suchen, die im Inneren der Seele eine ungefährdete Ruhe erzeugt und damit vom Einbruch des Transzendenten verschont bleibt. In diese Behaglichkeit trifft die von außen kommende Ermahnung hinein, weil sie den Christen darauf aufmerksam macht, dass die Auslieferung an das Transzendente etwas anderes ist als die
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selbstgefällige Glaubensfestigkeit, durch die sich gerade viele Fromme fundamentalistischer Provenienz auszeichnen.31 Wie lässt sich die Bergpredigt Jesu anders deuten als ein solcher Einbruch des Transzendenten? Das Bewusstsein der Vielen, recht und fromm zu leben, wird angesichts der Radikalität dieser Forderungen erschüttert, die den eigenen Anstand zu etwas Unerheblichem degradieren. Und diese Forderungen sind auch nicht dazu gedacht, letztlich die Ruhe des Gerechtfertigten zu bewirken, der sich in seinem Sündersein wahrnimmt und eben darin von Gott angenommen weiß. Sie lassen sich nicht beruhigen oder aufheben in einem so oder so konzipierten theologischen System, sondern erneuern sich immer wieder in der Kompromisslosigkeit ihrer Aussagen, die Gott als den ganz Anderen ins Bewusstsein bringen, der das normale menschliche Tun verneint. In anderer Weise zeigt auch die Verkündigung des Paulus, dass die Christen des ermahnenden Wortes bedürfen, dass sie nicht im beruhigenden Gefühl, schon auferstanden zu sein, einfach tun und lassen können, was ihnen richtig zu sein scheint. Der Glaube befreit, aber er trägt nicht über die Erfordernisse der Welt hinaus, sondern weist den Entrückten in sie zurück.32 So gewinnt das ermahnende Wort eine zweifache Funktion: Es bewirkt den Einbruch des Transzendenten, der die Selbstgefälligkeit des frommen Bewusstseins zerstört, und zugleich öffnet es den Weg in die Niederungen des Alltags, die das Hochgefühl religiöser Inbrunst nur allzu gern aus den Augen verliert. Es versteht sich von selbst, dass die Aufgabe des ermahnenden Wortes allen Christen zukommt. Gleichwohl legt es sich nahe, den Träger des einen Amtes, der das wortlose Geschehen der Inkarnation vergegenwärtigt,33 auch mit diesem Auftrag zu betrauen, ohne jeden exklusiven Anspruch freilich. Während er als Träger des einen Amtes nachvollzieht, was Gott an sich selbst vollzogen hat und insofern sein Tun unabhängig von seiner persönlichen Charakterbildung Gültigkeit besitzt, kann beim ermahnenden Wort eine aus sich selbst heraus gültige Wirkung nicht behauptet werden. Der Träger des ermahnendes Wortes muss Vorbild sein, wenn seine Worte ihren Zweck nicht verfehlen sollen – wie jeder andere Christ auch. Sowohl das belehrende wie das ermahnende Wort gewinnen ihren Wert nur da, wo bestimmte Voraussetzungen gegeben sind: Hier die Kompetenz des Lehrenden, der die Fähigkeit erworben hat, die Bestimmungen des christli31 Dass man sich nicht nur seiner eigenen Werke rühmen kann, sondern auch des eigenen Glaubens, besonders wenn er unangefochten und in sich selbst verfestigt ist, hat Paulus zu wenig gesehen. Die Geschichte der christlichen Religion, aber auch vielfältige Erscheinungsformen anderer monotheistischer Religionen haben uns darüber belehrt. 32 So korrespondiert der Glaube mit der Liebe zum Nächsten, wie Luther in der Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen eindrucksvoll darlegt. 33 Alles Geschehen vollzieht sich primär in einer Wortlosigkeit, die erst sekundär von Worten begleitet, gedeutet und erhellt wird. Auch der Selbstwerdung Gottes kommt diese ursprüngliche Wortlosigkeit zu. Die Aufgabe des einen Amtes besteht darin, hinter allen liturgischen Formeln die Stille des an Gott Geschehenen ahnen zu lassen.
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chen Glaubens schlüssig und verständlich zu artikulieren, im anderen Fall die Würdigkeit des Ermahnenden, der vorlebt, was er von anderen fordert. Das eine Amt vollzieht seinen Auftrag in einem Tun vor allen Worten. So wie die Inkarnation, die Annahme der Leiblichkeit im Prozess der Selbstwerdung Gottes, in ein Schweigen mündet, weil das Wort Fleisch wird und die Worte daraus hervorgehen, aber nicht mit diesem Vorgang gleichgesetzt werden dürfen, gewinnt die Vergegenwärtigung der Inkarnation ihren Sinn in der Wortlosigkeit des Tuns, während die Worte des Glaubens sich auf das Vorgegebene beziehen, ohne mit diesem identisch zu sein. Diese Worte, seien sie nun befreiend, belehrend oder ermahnend, bezeugen den Glauben; sie sind die Quelle, aus der sich die Vielfalt der Ämter ableiten lässt. Die Träger des einen Amtes sind dazu aufgerufen, in exemplarischer Weise an der Vielfalt der Ämter zu partizipieren; gleichwohl kommt ihnen in dieser Hinsicht keine übergeordnete oder dominierende Stellung zu. Dies ist der Ort für das allgemeine Priestertum aller Gläubigen, und nicht nur im Katholizismus, auch im Protestantismus wäre es an der Zeit, neu und elementar darüber nachzudenken, was diese Formel eigentlich sagen will. Wenn wir auch der mit dem einen Amt betrauten geistlichen Person in ihrer Teilhabe an der Vielfalt der Ämter keine Dominanz oder qualitative Besonderheit zusprechen, so besagt das nicht, dass sich nicht beides, das eine Amt und die vielen Ämter, in der personalen Union wechselseitig erhellen oder befruchten können. Der Träger des einen Amtes, der mit Wort und Tat den Glauben bezeugt, wird in seinem Bewusstsein immer wieder zu dem schweigenden Vollzug zurückkehren, der ihm allein aufgegeben ist. Auf der anderen Seite wird für den das allgemeine Priestertum verkörpernden Christen das Reden und Tun dieser einen Person transparent werden im Blick auf die kultische Vergegenwärtigung der Inkarnation, die nur ihr allein zukommt. So mag sich manche Verklärung und Überhöhung erklären, die dem Priester im orthodoxen und katholischen Christentum vor allem in der Vergangenheit zuteil geworden ist. Auch die im Protestantismus wirksame Stilisierung des Pfarrers als Hirte seiner Gemeinde gehört in diesen Zusammenhang. Sofern diese Projektionen auf eine wirkliche Erfahrung der Gläubigen zurückgehen, unterliegen sie keiner Kritik. Wenn sie sich aber zum Inhalt einer kirchlichen Lehre vom Amt verfestigen, leisten sie einer hierarchischen Denkweise Vorschub, die jedenfalls im Bereich protestantischer Kirchlichkeit obsolet sein sollte.34
34 Natürlich gibt es eine von Christus ausgehende, im Neuen Testament belegte Verpflichtung zum Hirtenamt (vgl. Joh 21,15 – 17 u. a.). Diese Verpflichtung sollte das Bewusstsein des Trägers des einen Amtes bestimmen. Etwas anderes ist es aber, daraus eine Lehre zu entfalten, die eine qualitative Unterscheidung des einen Amtes von der Vielfalt der Ämter mit dem Hinweis auf die Funktion des Hirten verfestigt.
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3.4 Amt und Repräsentanz Da Gott die Menschlichkeit angenommen hat und nicht als das ihm gegenüber Andere von sich distanziert, ist es notwendig, die Kirche nicht nur als ein in der Vielfalt der von Gott gewollten Ämter geistliches Phänomen zu begreifen, sondern auch als eine Gemeinschaft von Menschen zu sehen, die den natürlichen Gesetzen aller Gemeinschaftsbildungen unterliegt. Versucht man, diese Gesetze zu artikulieren, wird man zunächst den Begriff der Repräsentanz erläutern müssen. Eine Gemeinschaft benötigt einen Sprecher, der ihre Belange nach außen vertritt und der personal verkörpert, wozu sie da ist, was sie in ihrem jeweiligen Wirkungskreis erreichen will. Diesen Repräsentanten können auch bestimmte Leitungsfunktionen übertragen werden, allerdings müssen das Amt der Leitung und das Amt der Repräsentation nicht unbedingt von derselben Person wahrgenommen werden, wie wir bei der Unterscheidung der Funktionen des Bundeskanzlers und des Bundespräsidenten sehen können. Es ist klar, dass der Sprecher einer christlichen Gemeinschaft nicht nur die Belange wahrnehmen wird, die sich im Bereich des irdisch Vorfindlichen erschöpfen; er wird immer wieder gefordert sein, für das einzustehen, was ihm von seinem christlichen Glauben her aufgetragen ist – dann wirken das allgemeine Priestertum, gegebenenfalls auch das eine Amt hinein in sein Tun und Lassen: Die Weltlichkeit wird überhöht im Blick auf das ganz Andere, das die Welt weder geben noch nehmen kann. Gleichwohl bleibt in diesem Zusammenhang das allgemein Menschliche als Ursprung erhalten, während die geistliche Dimension der Repräsentanz zur Erscheinung kommen kann, aber nicht zur Erscheinung kommen muss. Repräsentanz aktualisiert sich in Größen unterschiedlichen Umfangs: Man kann schon vom Pfarrer als Repräsentanten seiner Gemeinde sprechen – von da aus können die Kreise immer weiter gezogen werden bis hin zur Frage, ob nicht die Christenheit als ganze einer Person bedarf, die artikuliert, was sie der Menschheit mitteilen will und mitteilen muss. Eben in dieser Hinsicht wird deutlich, dass wir die Aufgabe der Repräsentation nicht unabhängig von der Größe der menschlichen Gemeinschaft betrachten können, auf die sie sich bezieht. Während kleinere Einheiten, z. B. eine einzelne Kirchengemeinde, nicht unbedingt auf eine Person angewiesen sind, die jene Belange nach außen vertritt, in der die Gläubigen ihre christliche Identität gespiegelt sehen, darf eine größere Gemeinschaft nicht darauf verzichten, sich in der Öffentlichkeit darzustellen, weil sie sonst Gefahr liefe, zu einer stummen Körperschaft zu erstarren, die sich der Teilnahme an der Geschichte versagt, weil ihre Stimme nicht gehört werden kann. Wenn wir darüber hinaus bedenken, dass sich die Repräsentation der jeweiligen Einheit sinnvollerweise auf eine Person konzentriert, weil Gremien manches vermögen, aber kaum über die Fähigkeit verfügen, in ihrer Selbstdarstellung ein Gefühl der Identität zu vermitteln,
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erkennen wir, dass das Amt des Papsttums auch für den Protestantismus eine sinnvolle Möglichkeit bedeutet, wenn man nicht geradezu von einer Notwendigkeit sprechen will. Freilich eine Möglichkeit iure humano, denn die neutestamentliche Bestimmung des Petrusdienstes ist keine tragfähige Grundlage für eine die Geschichte prägende und überdauernde Institution, die sich im Blick zurück auf den Willen Gottes berufen kann, aber nach protestantischer Auffassung nicht a priori diesen Willen für sich zu beanspruchen vermag.35 Wie schon eben angedeutet, sehen wir in den kirchenleitenden Ämtern keine geistliche Notwendigkeit, sondern ein Erfordernis, das sich aus dem Wesen menschlicher Gemeinschaftsbildungen ergibt. Damit ist der Unterschied des protestantischen Prinzips36 zum in der Orthodoxie und im römischen Katholizismus vorherrschenden hierarchischen Denken beschrieben. Wenn die Leitung weltlichen Gegebenheiten entspricht, aber nicht vom Auftrag Christi abgeleitet werden kann, ist es keineswegs zwingend, dass ein Bischof an der Spitze einer größeren kirchlichen Gemeinschaft steht. Eine Vielfalt verschiedener Modelle, die auch die Möglichkeit kongregationalistischer Strukturen einschließt, ist im Horizont christlicher Pluralität gegeben und erlaubt. Die in ihrer Notwendigkeit nicht bestrittene Aufgabe der Leitung zieht nicht mit derselben Stringenz eine Ausweitung ins Universale nach sich, wie wir das beim Begriff der Repräsentanz feststellen konnten. Kurzum: Der Papst als Repräsentant der Christenheit ist eine Vorstellung, für die vieles spricht, eine Vorstellung, die ohne Bedenken in die kirchliche Wirklichkeit des dritten Jahrtausends integriert werden könnte; der Papst als die in der gesamten Kirche mit Leitungsaufgaben betraute Instanz wird immer ein unerfüllter Wunsch vieler Katholiken bleiben.
3.5 Die christliche Freiheit Von daher kann es nicht überraschen, dass die Frage des kirchlichen Amtes jene entscheidende Differenz bezeichnet, die einer fortschreitenden Einigung der Kirchen im Wege steht. Sowohl die hier vollzogene Zuordnung des einen Amtes zur Vielfalt kirchlicher Ämter als auch die Unterscheidung geistlicher und weltlicher Erfordernisse widerstreitet grundlegenden Bestimmungen der Orthodoxie und des römischen Katholizismus. Gerade in diesem Widerspruch enthüllt sich die Legitimität des protestantischen Prinzips. Dieses Prinzip verbindet sich unlöslich mit dem Gedanken der christlichen Freiheit. 35 Vgl. im Einzelnen meinen Artikel Papst, Papsttum, systematisch-ökumenisch, in EKL III, 1027 – 1033. 36 P. Tillich hat diesen m. E. glücklichen Begriff geprägt (vgl. P. Tillich, Der Protestantismus als Kritik und Gestaltung, Gesammelte Werke, Bd. VII, Stuttgart 1962).
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Was diese Freiheit wirklich besagt, haben zwar Paulus und das Johannesevangelium ausdrücklich beschrieben, man gewinnt aber den Eindruck, dass dieses Gut in der Geschichte der christlichen Kirche in einer tiefen Versunkenheit und Unzugänglichkeit verharrte, bis die Reformation eine epochale Wendung vollzog. Luthers sola fide gewinnt in der Verbindung mit der Aussage christlicher Freiheit eine Dynamik, die bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren hat. Denn damit wird eine, wenn ich recht sehe, in der Religionsgeschichte völlig neuartige Struktur religiösen Denkens und Fühlens geschaffen, die auch in nicht-christlichen Religionen keine Parallele hat. Ob wir das in der Orthodoxie oder im Katholizismus vorherrschende hierarchische Denken betrachten oder uns die absolute Autorität des religiösen Lehrers in den östlichen Religionen vergegenwärtigen, wir bemerken immer eine Form religiöser Frömmigkeit, welche die Unmittelbarkeit des Menschen im Blick auf Gott oder das Transzendente verneint und eben deshalb vielfältige Formen der Vermittlung institutionalisiert, die den Weg zum Göttlichen weisen müssen, weil man ihn alleine nicht gehen kann. Nun gibt es freilich Religionen wie das Judentum oder den Islam, welche diese Weisen einer autoritätsgebundenen Vermittlung nicht kennen37 und von daher eher dazu geneigt sein müssten, der Unmittelbarkeit im Verhältnis des Menschen zu Gott Raum zu geben. Aber diese Unmittelbarkeit konkretisiert sich als eine Verpflichtung, welche Gott den Menschen auferlegt, eine Verpflichtung, die er dankbar entgegen nimmt, weil er eben so über den Willen Gottes Bescheid weiß und sich entsprechend zu verhalten vermag. Es handelt sich um die unmittelbare Konfrontation des wollenden Gottes und des ihm gehorchenden Menschen. Wenn sich diese Unmittelbarkeit im Geschenk einer Freiheit aktualisiert, die der natürliche Mensch nicht kennt, erblicken wir darin ein grundsätzlich anderes Phänomen. Die Verpflichtungen resultieren aus dem Geschenk Gottes, sie sind aber nicht dieses selbst. Das Geschenk der Freiheit lässt sich von der Vorstellung der Rechtfertigung lösen, die den Freispruch des angeklagten Sünders artikuliert. Es lässt sich aber nicht vom Bild eines Gottes lösen, der den Menschen dadurch nahe gekommen ist, dass er ihr Menschsein teilt. Die christliche Freiheit ergibt sich aus der überwundenen Distanz von Gott und Mensch: In allem Anderssein, das er sich bewahrt, macht Gott das Schicksal der Menschen zu seinem eigenen. Da das Jenseitige an unserem Los teilnimmt, benötigen wir keine Anleitung, um in ihm das für unser Heil Notwendige zu finden, sind wir nicht auf eine Autorität angewiesen, die unser Denken in die richtige Richtung lenkt. Die Freiheit, welche uns der Glaube schenkt, ist unsere Erhöhung, die uns das Recht gibt, selbst zu lehren und 37 Diese Behauptung müsste natürlich im Einzelnen erheblich differenziert werden, gleichwohl gilt, dass die für die Orthodoxie wie für den römischen Katholizismus kennzeichnende Sakralisierung des hierarchischen Denkens im Judentum oder im Islam keine Parallelen hat.
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selbst zu urteilen. Die neuzeitliche Entdeckung menschlicher Autonomie verdankt sich der mit der Reformation verbundenen Erkenntnis christlicher Freiheit, auch wenn die Aufklärung ihre religiösen Wurzeln nicht mehr gesehen hat oder nicht mehr sehen wollte. Blickt man auf das Gesagte zurück, fällt es nicht schwer, jene Spannung zu bemerken, die zwischen der Herleitung des einen Amtes und der Pluralität der vielen Ämter besteht. Ist diese letztlich in der Entdeckung christlicher Freiheit begründet, die eine hierarchische Ordnung ebenso ausschließt wie eine sakramental verfestigte Ausgrenzung eines bestimmten kirchlichen Amtes, beruht jenes auf einem Gegenübersein von Amt und Gemeinde, das nicht nur temporär erfahrbar wird, sondern in seiner prinzipiellen Entgegensetzung wahrgenommen sein will. Wenn die Inkarnation ein Heilsereignis sein soll, das nicht nur bezeugt, sondern auch dargestellt werden muss, dann tritt die darstellende Person an die Stelle des Gottes, der sich dahingegeben hat, indem er die Menschheit für sich gewann. Wer aber an die Stelle Gottes tritt, ist nicht mehr einer von vielen, die genausogut diese Funktion übernehmen könnten, sondern der Eine im Gegenüber zu den Vielen. Dieses Gegenübersein schließt eine auf das Funktionale beschränkte zeitliche Begrenzung aus, es muss in einem besonderen Amt kenntlich gemacht werden. Das protestantische Prinzip, das die Vielfalt gleichberechtigter Ämter ermöglicht, darf nicht in einer Weise radikalisiert werden, welche das Anderssein Gottes in einer verwirrenden Vielstimmigkeit menschlichen Redens zum Verschwinden bringt. Dieses Anderssein muss visuell erfahrbar sein, in einem Vollzug, der sich in Worten nicht erschöpft und eben deshalb in einem Schweigen zu sich selbst kommt, das dem Geheimnis Gottes am besten zu entsprechen vermag. Recht verstanden ist also das eine Amt nicht der besondere Dienst am Wort, der dann von anderen Ämtern qualitativ abgegrenzt werden müsste. Indem das eine Amt dazu berufen ist, die Menschwerdung Gottes nachzuvollziehen, dringt es in Bereiche vor, die mit den Möglichkeiten der Sprache nicht mehr angemessen erfasst werden können. Weil das Wort Fleisch wurde, können die Wörter nicht mehr genügen. Das Unsagbare, aber menschlicher Gestik nicht Verschlossene muss in der Kirche zum Ereignis werden. Wer die Selbstwerdung Gottes nicht nur bezeugt, sondern in seinem Handeln zur Darstellung bringt, führt einen in besonderer Weise qualifizierten göttlichen Auftrag aus, dem in der Vielfalt kirchlichen Tuns eine Sonderstellung zukommt.
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IV. Das eine Sakrament und die Vielzahl sakramentaler Handlungen
Wir haben das Abendmahl als die heilige Handlung beschrieben, in der das Geschehen der Inkarnation dargestellt, aktualisiert und fortgesetzt wird. So wie Gott sich den Menschen in der irdischen Vorfindlichkeit Jesu Christi mitteilt, schenkt er sich den Gläubigen im Empfang von Brot und Wein. Damit ist das Abendmahl das eine Sakrament schlechthin, dem andere sakramentale Handlungen nicht gleichrangig an die Seite gestellt werden können. Die Gegenwart Gottes unter den Menschen wird nicht nur bezeugt, sondern vollzogen; die Leiblichkeit des Erlösers ist nicht nur eine geglaubte, in der Historie versunkene Faktizität, sondern eine gegenwärtig erfahrbare Wirklichkeit. Das Sakrament geht per definitionem über die Relation des Hörens, die der Transzendenz des Göttlichen am meisten entspricht, hinaus. Es weist die anderen Sinne des Menschen nicht zurück, sondern stattet sie mit einer besonderen Würde aus: Sie sind nicht mehr nur dazu geschaffen, die Wahrnehmungsmöglichkeiten des Menschen in der Welt zu differenzieren und zu spezifizieren, sondern werden zu spezifischen Organen für den Empfang der göttlichen Offenbarung erhoben. Wir haben bereits gesehen, dass die Offenbarung im christlichen Verständnis immer auch Bildwerdung bedeutet; so tritt neben das Hören das Sehen, das in einer Unmittelbarkeit der Evidenz, die Worte niemals vermitteln können, die Offenbarung in einer Gestalt zur Erscheinung bringt, die überführt und überwältigt. Auch von daher müssen die Worte Jesu „Das ist mein Leib“ und „Das ist mein Blut“ gewürdigt werden. Es ist jener Vorgang des Sich-Zeigens, der nur in der visuellen Dimension seinen Sinn gewinnt. Gott zeigt sich in der Inkarnation selbst, und er tut es in anderer, aber gleichwertiger Weise in den Elementen Brot und Wein, die in ihrer Alltäglichkeit dazu bestimmt sind, sichtbarer Ausdruck des Göttlichen zu sein. Dem Sich-Zeigen Gottes korrespondiert das Zeigen des Geistlichen, der den Gläubigen vor Augen führen muss, was er ihnen im Auftrag Gottes mitzuteilen hat. Insofern hat der in der römisch-katholischen Liturgie verbindliche Gestus der Elevation einen guten Sinn, auch wenn ihn die anderen christlichen Konfessionen sich nicht in dieser Bedeutung zu eigen machen. Die für den christlichen Glauben charakteristische Visualisierung der Offenbarung ist aber nur der erste Schritt, in dem sich der Prozess der Vergegenständlichung vollzieht. Indem die Offenbarung sichtbar wird, eröffnet sich für die Menschen eine andere Möglichkeit des Zugangs zum Geheimnis des
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Das eine Sakrament und die Vielzahl sakramentaler Handlungen
Transzendenten, als es die Relation von Hören und Glauben gestattet, auch wenn dieses Hören an die Zeichen einer heiligen Schrift gebunden wird. Dem Bild kommt ja eine ambivalente Wirkung zu: Einerseits vermag es da zu sprechen, wo die Möglichkeiten der zum Laut gewordenen Sprache versagen, es eröffnet einen eigenen Bereich des Ausdrucks, den diese niemals erfassen könnte. Andererseits ermächtigt es zu einer Freiheit der Rede, die eine Fixierung auf das von Gott gesprochene Wort niemals erlauben würde. Indem Jesus Christus in der Inkarnation ein Bild von sich selbst gegeben hat, überwindet er die Begrenzung der Gläubigen auf das in der Schrift von Gott vorgegebene Wort – die Freiheit mündlicher Rede ist ihnen nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich aufgetragen. Eine Religion, welche die Bildwerdung der Offenbarung zu ihrem Thema macht, hat von vornherein eine andere Struktur als die Religionen, die ihre Bedeutung ausschließlich in der Relation Hören, Schrift und Glaube entfalten. Die Radikalität des christlichen Offenbarungsverständnisses ist damit aber noch nicht erschöpfend behandelt. Gottes Erniedrigung kommt darin zur Geltung, dass er sich in die Verfügbarkeit der Menschen begibt. Sich sehen zu lassen ist der erste Schritt auf einem Wege, der im Verfügen der Menschen endet. Wer nicht gesehen werden kann, ist ungebunden und frei. Wenn ihm zugleich alle Macht im Himmel und auf Erden zugesprochen werden muss, ist er der unumschränkte Souverän. Wer sich sehen lässt, schränkt diese Allmacht ein. Wer aber seinen Körper darbietet, sodass die Menschen ihn erfühlen und betasten können, wer ihn ihrer Bereitschaft zur Gewalt aussetzt, der hat sich ihrer Verfügbarkeit ganz und gar ergeben. Nur in dieser Perspektive verstehen wir das Leben und die Passion Jesu, nur in dieser Perspektive erschließt sich die Bedeutung der Eucharistie. Denn dieses Sakrament erfüllt sich ja nicht darin, dass Gott sich sehen lässt, obwohl auch dieses Moment, wie wir gesehen haben, nicht unterschlagen werden sollte. Es gewinnt darin seinen Sinn, dass Gott seine Verfügbarkeit, die er in der Geschichte Jesu Christi erwiesen hat, den Glaubenden in einer immer neu zu vollziehenden sakralen Handlung mitteilt, für alle Sinne des Menschen konkret, geradezu handgreiflich erfahrbar macht. Wir können den Leib Christ ergreifen, wir können ihn mit unseren Händen aufnehmen, zum Munde führen und zerbeißen, weil Gott sich in diesem Geschehen unserer Verfügung unterstellt. Wir können das Blut Christi trinken, weil wir uns auf einen Gott beziehen, dem seine Geistigkeit nicht genügte, der den Körper im Menschen Jesus suchte und fand, so dass die in seinem Auftrag Handelnden die Essenzen seiner Leiblichkeit weitergeben und damit das Eigentümliche des christlichen Glaubens realisieren und aktualisieren. Nun sind wir in der Lage, die Besonderheit des Abendmahls genauer zu bestimmen: In einer anthropologischen Perspektive können wir sie dahingehend entfalten, dass hier die Sinne des Menschen in einer umfassenden
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Das eine Sakrament und die Vielzahl sakramentaler Handlungen
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Weise angesprochen werden, der bei den anderen heiligen Handlungen nichts Entsprechendes an die Seite gestellt werden kann. Hinzu tritt der theologische Aspekt, der von ungleich größerer Bedeutung ist: Das Abendmahl ist ein Sakrament, das einzige im strengen Sinn dieses Begriffs, und das bedeutet: Wir dürfen uns hier nicht damit begnügen, von einer symbolischen Handlung zu reden. Das Symbol verweist auf eine andere Wirklichkeit, an der es partizipiert. Hier aber handelt es sich nicht um Verweis und nicht um Partizipation, sondern wir müssen im Gegensatz dazu sagen: Die Wirklichkeit ist da; sie ist im Geschehen dieser heiligen Handlung präsent. So meint der Ausdruck „Realpräsenz“ das Richtige: Es geht nicht darum, etwas Abwesendes in seiner bleibenden Bedeutung erfahrbar zu machen, sondern um die Mitteilung eines Gottes, der leiblich anwesend ist, weil er sich für die Menschen verfügbar gemacht hat und verfügbar macht. Das religiöse Symbol können wir als Darstellung des Transzendenten definieren. Eine jenseitige Wirklichkeit, die als solche für uns unzugänglich ist und unzugänglich bleiben muss, wird an etwas Anderem, im Bereich unserer sinnlichen Wahrnehmung Liegenden, erkannt. Damit wird dieses Transzendente in diesem Anderen präsent, es bleibt nicht verschlossen in seiner unzugänglichen Jenseitigkeit, sondern kann in unserer irdischen Wirklichkeit wahrgenommen werden. Die Möglichkeit der Wahrnehmung bezieht sich aber auf das Andere des Transzendenten, nicht auf dieses selbst. So stellt das Symbol etwas dar, was wir nicht sehen können, es weist uns aber zugleich über sich selbst hinaus – hinaus in das Unfassbare, das sich unseren Sinnen verschließt. Das christliche Verständnis der Offenbarung geht darüber entschieden hinaus. Wenn Christus das Bild des unsichtbaren Gottes ist, dann ist er nicht das Andere des Transzendenten, das sich uns zeigt, weil uns der direkte Zugang zur jenseitigen Wirklichkeit versperrt ist. Gottes Bestreben zielt nicht primär darauf, sich für die Menschen fassbar zu machen; er sucht und findet sein eigenes Bild. Es ist ein Geschehen in Gott selbst, das die Selbstmitteilung Gottes an die Menschen begründet und vollendet. Die Suche Gottes nach seinem eigenen Bild setzt eine Dogmatik frei, die in der Leiblichkeit Gottes, in seiner Preisgabe an die Verfügbarkeit des Menschen, ihren Höhepunkt oder, man müsste genauer sagen, ihren tiefsten Punkt erreicht. Die Offenbarung Gottes ist keine auf die Menschen zielende Pädagogik, in der sich das Transzendente auf dem bestmöglichen Weg begreifbar macht, sie ist das Werden Gottes selbst, des Gottes, dem es nicht genügt, Gott selbst zu sein. Eben darin ist der Grund dafür zu sehen, dass sie die Transzendenz überholt, dass sie in ihrer nicht zu überbietenden Radikalität das Göttliche an die Menschen ausliefert, die Allmacht zur Ohnmacht degradiert und gerade so die Definition ihres Wesens findet. Die Offenbarung, die sich im Symbol verbildlicht, wahrt die Transzendenz, auch wenn sie die Verborgenheit des Göttlichen überwindet. Die Offenbarung im christlichen Verständnis ist aber nicht als Verbildlichung, sondern als Bildwerdung zu beschreiben. Und diese
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Bildwerdung gibt sich nicht damit zufrieden, endliche Repräsentanz des Unendlichen zu sein, sie findet ihr Ziel erst in der Fleischwerdung, der Inkarnation. Damit wird der Sprache des Symbols ein vorläufiger Charakter zugewiesen,1 während das Endgültige und damit Eschatologische in den Worten des Pilatus zum Ausdruck kommt: „Sehet, welch ein Mensch!“ (Joh 19,5). In diesem Wort ist das Symbol zum Ende gebracht und überwunden. So wie in Jesu irdischem Wirken, wie wir an anderer Stelle sahen,2 die Offenbarung die Transzendenz überholt hat, so geschieht es auch für die glaubende Perspektive des Christen in seinem Leiden und Sterben. Eben deshalb ist das Geschehen des Abendmahls kein symbolisches Geschehen, sondern der rituelle Nach-Vollzug der Bewegung eines Gottes, der sich selbst hingibt, um ein Anderer zu werden. Auch hier vollzieht sich immer wieder die Überholung der Transzendenz durch die Offenbarung, die wir als Wesenszug der Erscheinung Jesu erkannt haben. Er wird Mensch und erfährt die Geschichte an sich selbst, um daraufhin ein anderer zu werden. Diese Menschwerdung ist zwar in der Historie greifbar, sie ist aber als solche kein historisches Ereignis.3 Gott ist immer als derjenige zu bestimmen, der Mensch wird; wir reden hier nicht von einem mit einem bestimmten Datum versehenen Vorgang in der Vergangenheit, sondern von einem Prozess, der in der Zeit verankert, aber zugleich der Zeit enthoben ist. Da die Inkarnation ein immerwährendes Geschehen ist, genügt es nicht, im Glauben an Vergangenes zu erinnern; es bedarf einer Darstellung, die das immer Geschehene unablässig zur Erscheinung bringt und auf diese Weise Ewigkeit in der permanenten Wiederholung des Ritus spürbar werden lässt. Die Feier des Abendmahls ist diese Darstellung, eine Vergegenwärtigung des ewigen göttlichen Werdens und eben deshalb als das eine Sakrament, neben dem es kein anderes gleichwertiges gibt, primär auf Gott und erst in einer davon abgeleiteten Weise auf den Menschen bezogen. Genau hier besteht der Unterschied zu den anderen sakralen Handlungen, die das menschliche Werden in den Vordergrund rücken und den Bezug Gottes auf dieses Werden aktualisieren und ritualisieren. Diese Handlungen entfalten sich aus der Geschichte der Menschen, aus den markanten Übergängen des existentiellen Daseins, indem sie die Beziehung auf das Transzendente freigeben und so zum Ausdruck bringen, dass die Entwicklung des Menschen nicht nur nach immanenten Gesetzen betrachtet werden darf. Die Geschichte Gottes ist davon streng zu unterscheiden. Seine Geschichte ist nicht unsere Geschichte. Er sucht und findet, was uns als Bestimmung 1 Natürlich zeichnet sich das Christentum wie jede Religion durch eine vielfältige Symbolik aus, man denke etwa an die Vorstellung des Heiligen Geistes als Taube und vieles andere mehr. Ihre spezifische Prägung erfährt diese Religion aber durch das Sakrament, das ihre Unverwechselbarkeit konstituiert. 2 Siehe oben Kap. II, besonders II, 10. 3 Ähnliches wäre von der Schöpfung zu sagen. Sie ist als solche kein Ereignis der Historie, weil sie die Zeit aus sich heraussetzt, die dann Historie ermöglicht.
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schon immer aufgegeben ist, während wir in eine Richtung gehen, deren Ziel er selber in seiner Ewigkeit einschließt. Das Abendmahl ist das Sakrament des göttlichen Findens und deshalb das eine Mysterium, das die Kirche bewahrt und vollzieht. Es ist kein Zufall, dass die anderen monotheistischen Religionen das Sakrament nicht kennen. Denn erst in der Einheit des göttlichen Suchens und Findens kann verstanden werden, was diese heilige Handlung bedeutet. Man mag fragen, ob im Judentum oder Islam das göttliche Tun mit diesen Verben beschrieben werden kann. Ganz gewiss gehört es zu den wichtigen Aussagen des jüdischen Glaubens, dass Gott den Menschen sucht, im besonderen das von ihm erwählte Volk. Aber sucht er auch sich selbst? Die Suche gilt dem Anderen, seinem eigenen Geschöpf, das er nicht aus seiner Sorge entlässt, zuweilen zustimmend, aber meist kummervoll begleitet, aber doch niemals aufgibt, weil sein Versprechen nicht gebrochen werden wird. Von einer Suche nach sich selbst kann keine Rede sein. Anders im Christentum: Natürlich soll die Inkarnation von der Perspektive des Menschen aus als Kulmination göttlicher Zuwendung begriffen werden, als die Tat eines Wesens, das um der Menschen willen alles preisgibt, was es selbst besitzt. Aber diese Perspektive spricht nicht die ganze Wahrheit aus. Wenn Gott sein Wesen verändert, ist er auf der Suche nach sich selbst. Die Inkarnation ist auch die Veränderung seines Wesens, ob man sie nur als Verzicht oder als Bereicherung versteht. Eben so führt der Weg Gottes nicht nur zum Menschen, sondern auch in das eigene Anderssein. Dass Gott dieses Andere will und findet, ist die Absage an die Definition metaphysischer Vollkommenheit. Denn das in diesem Sinn Vollkommene bewegt sich nicht, weil es in sich selber ruht. Gott kennt diese Ruhe nicht, deshalb muss man von seiner Selbstwerdung reden. Es wäre allerdings unzureichend, wenn man nur das Suchen Gottes beschreiben wollte. Gott sucht nicht nur, er findet auch. Dass er sich in einem Menschen findet, ist das Zentrum des christlichen Glaubens. Dieses SichFinden in einem Menschen bedeutet die Erhöhung aller Menschen. Für die Kirche geht es darum, dieses göttliche Finden zu einer immer neu erfahrbaren Wirklichkeit werden zu lassen. So legitimiert sich die Feier des Weihnachtsfestes wie das Gedenken an die Passion und den Tod Jesu. Dass Gott in einem Menschen, der leidet, sein Selbst erkennt, ist der endgültige Abschied von jener Vollkommenheit, die zugleich Leidensunfähigkeit bedeutet. Das Sich-Finden in einem Menschen heißt aber auch Selbstwerdung im Leiblichen, Kreatürlichen. Und eben damit erreichen wir das Sakrament des Abendmahls. Mit diesem Sakrament wird das Äußerste bezeichnet, was Gott in der Entfremdung von seiner ursprünglichen Vollkommenheit erreichen kann: Leiblichkeit als Leiblichkeit, Materie als Materie. Man könnte sagen, dass der Vorgang der Inkarnation, in dem Gott als eine
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Das eine Sakrament und die Vielzahl sakramentaler Handlungen
menschliche Person zur Erscheinung kommt, noch überboten wird, indem Gott sich in der Leiblichkeit als solcher hingibt, nicht in einer Leiblichkeit, die als Personalität eine Einheit mit dem Geistigen verkörpert. Es ist der Prozess der Materialisation Gottes, der für das christliche Verständnis nicht mehr zurückgenommen werden darf. Gott verlässt seinen Ursprung, den Ursprung einer reinen Geistigkeit, um das ihm entgegengesetzte Andere, die Materie, in sich zu integrieren. Das heißt nicht, dass in Gott etwas abgetan wäre, dass er nicht mehr Geist sein könnte oder Geist sein wollte, aber dieser Geist hat die Materie in sich aufgenommen, so dass er bereit und fähig ist, sich als Materie den Menschen zu schenken. Nur wenn wir das Geschehen der Eucharistie im Licht der Eigenart des christlichen Gottesverständnisses sehen, können wir ahnen, was hier vor sich geht. Gott gibt den Gegensatz zu seiner Schöpfung, sein Gegenübersein, auf, indem er sich immer wieder von neuem mit ihr zusammenschließt. Die Feier dieser Vereinigung ist die Feier des Abendmahls. In ihr erfahren wir das Mysterium des christlichen Glaubens.
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V. Die sakramentalen Handlungen und das menschliche Werden Mit der Gegenüberstellung des einen Sakraments, des Abendmahles, und der in ihrer Zahl noch genauer zu fixierenden sakramentalen Handlungen beschreiten wir einen ungewöhnlichen Weg. Bekanntermaßen läßt sich die konfessionelle Differenz dahingehend beschreiben, dass der von der römischkatholischen Kirche vollzogenen Festlegung auf sieben Sakramente1 von den durch die Reformation geprägten Kirchen zwei Sakramente entgegengesetzt werden, Taufe und Abendmahl, für die als einzige das biblische Zeugnis in Anspruch genommen wird. Allerdings lassen sich viele Gründe für eine notwendige Relativierung dieser Differenz nennen.2 Trotzdem bleibt in allen Konfessionen der besondere Rang von Taufe und Abendmahl unumstritten. Betrachtet man diese beiden Sakramente genauer, zeigen sich gleichwohl erhebliche Unterschiede, die m. E. dazu führen müssen, die Bedeutung der beiden rituellen Vollzüge getrennt voneinander zu bewerten. Während im Abendmahl das Werden Gottes im Mittelpunkt steht, das in jedem rituellen Vollzug neu zur Darstellung kommt, geht es in der Taufe um das Werden des Menschen. Deshalb ist nur die Eucharistie Sakrament im strengen Sinne, weil sich hier das Kommen Gottes in die Welt ereignet, die Taufe hingegen kann nur als sakramentale Handlung aufgefasst werden, weil hier das Leben eines Menschen im Vordergrund steht, das in seiner Beziehung zu Gott erfahren wird, aber doch das Leben dieses einen Menschen ist und bleibt. Wenn sich die Bedeutung der sakramentalen Handlungen im Blick auf das Leben des jeweiligen Menschen erschließt, wird man bei der Taufe als der Feier am Beginn des Lebens nicht stehen bleiben dürfen, sondern andere fundamentale Bestimmungen einbeziehen müssen, also Bestimmungen, die einen Übergang von einer Existenzform zu einer anderen zum Inhalt haben und dazu geeignet sind, das Allgemeine des menschlichen Lebens zu charakterisieren, also nicht nur spezifische Besonderheiten eines individuellen Daseins vor Augen führen. Neben dem Ja zum Leben überhaupt und im Besonderen zum menschlichen Leben, das in der Taufe als das Ja Gottes vernehmbar wird, steht das Ja zum Tod, zur Vergänglichkeit der Natur im Allgemeinen, zur Sterblichkeit des Menschen als einem grundlegenden Merkmal seiner Existenz. Es wäre ein fatales Missverständnis, wenn man annehmen wollte, dass Gott dieses Ja nicht 1 Diese Festlegung wird auch von vielen orthodoxen Kirchen übernommen. 2 Vgl. dazu zusammenfassend Lehmann/Pannenberg, Lehrverurteilungen, 77 – 79.
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Die sakramentalen Handlungen und das menschliche Werden
spricht, sondern dass er das Leben will und den Tod als einen Feind betrachtet, den er letztlich überwinden will und überwinden wird.3 Fatal deshalb, weil damit Gott als Schöpfer dieser auf Vergänglichkeit gegründeten Welt nicht ernst genommen wird. Damit soll nicht gesagt sein, dass Gott dieses vergängliche, durch den Tod beschlossene individuelle Leben eines Menschen nicht in seiner Ewigkeit bewahrt und so dem universalen Vergessen entreißt – wir haben das an anderer Stelle ausführlicher erörtert.4 Wenn Gott in der Taufe sein Ja zum Leben spricht, spricht er auch sein Ja zum Tod, und so stellt sich unweigerlich die Frage, welche sakramentale Handlung dieses göttliche Ja zum Ausdruck bringt. So erkennen wir den Sinn der von der römisch-katholischen Kirche als Sakrament anerkannten Krankensalbung, früher auch als letzte Ölung bezeichnet,5 die zum Ausdruck bringt, dass der Tod das von Gott gewollte natürliche Ende des menschlichen Lebens ist und als solcher vom Menschen angenommen werden muss. Dieses rituelle Handeln ist trotz der von der Reformation geäußerten Skepsis berechtigt, weil es dem Sakrament des Lebens, der Taufe, das Sakrament des Todes, die Krankensalbung, gegenüberstellt und damit die umfassende Dimension menschlicher Existenz, welche die Einmaligkeit des Lebens erfährt und auf den Tod zugeht, in ihrer Beziehung auf Gott deutlich macht.6 Wenn es um das menschliche Werden geht, gilt es zunächst, die Grunddaten menschlicher Existenz in den Blick zu nehmen, also Leben und Tod, und die sakramentalen Handlungen zu würdigen, welche diesen Grunddaten entsprechen, also Taufe und Krankensalbung.
1. Die Taufe Die sakramentale Handlung der Taufe bringt zum Ausdruck, dass Gott das Leben jedes einzelnen Menschen will. Er will es, weil er selbst Leben ist und sich nicht in seiner Eigentlichkeit vor dem Anderen, seiner Schöpfung, verschließt, sondern seine Schöpfung an allen Gütern teilhaben lässt, die ihm von Ewigkeit her zukommen. Das Ziel der Evolution ist primär Leben und erst in einer davon abgeleiteten Bedeutung der Mensch, der dieses Leben in der Weise seines spezifischen Bewusstseins anzunehmen und zu gestalten hat. Weil Gott den Menschen in seinem spezifischen Bewusstsein will, will er das Leben jedes einzelnen Menschen. Gerade so erfassen wir den Sinn der Taufe: Sie bringt jeden einzelnen Menschen in eine Verbindung mit Gott, mit dem Gott, der in 3 Das gilt trotz der Aussage des Paulus 1. Kor 15, 26, die im Blick auf ihren apokalyptischen Kontext relativiert werden muss. 4 Siehe oben, besonders III, 3.1. 5 Vgl. Lehmann/Pannenberg, Lehrverurteilungen, 133 – 140. 6 Siehe oben Kap. IV und im Folgenden.
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seiner Einzigkeit das Einmalige des einzelnen menschlichen Lebens bejaht und sich eben mit ihm in einer Einheit verbunden weiß. Nur – wie ist diese Verbindung genauer zu denken? Hier muss sich unsere Rede von einer sakramentalen Handlung bewahrheiten. Der rituelle Vollzug der Taufe symbolisiert nicht nur jene göttliche Bejahung, die als allgemeines transzendentes Wohlwollen über jedem Menschen aufscheint, er muss als elementare Mitteilung dieses Wohlwollens verstanden werden. Gott verharrt nicht in seiner Distanz, die jede religiöse Symbolik notwendigerweise voraussetzt;7 er drückt seinen Willen, die Bejahung des menschlichen Lebens, nicht nur aus, sondern teilt sie mit, indem er sich jenes Elementes bedient, ohne das Leben niemals entstehen könnte. So wird das Grunddatum menschlicher Existenz, das Leben im Allgemeinen, überführt in die Besonderheit des jeweiligen individuellen Lebens, das von Gott als dieses einzelne, nicht als das allgemeine schlechthin gewollt wird. Gleichwohl wirft dieses in knapper Form skizzierte Verständnis erhebliche Fragen auf. Diese Fragen beziehen sich zunächst auf das Verhältnis der getauften Menschen, also der Christen, zu allen übrigen Menschen, denen das Wohlwollen Gottes nicht in dieser Weise zugeeignet wird. Muss der Satz, dass Gott das Leben jedes einzelnen Menschen will, nicht sogleich wieder eingeschränkt werden, in dem Sinne, dass er das Leben der Getauften will und ihnen deshalb seine Bejahung zukommen lässt? Aber die Bejahung Gottes ist nur wirkliche Bejahung, wenn sie allen Menschen gilt, also nicht durch eine irgendwie festgelegte Begrenzung ihren eigentlichen Sinn verliert. Gottes Wille zum menschlichen Leben ist universal und nicht an irgendwelche Vorbehalte oder Kautelen gebunden. Wenn Gott das Leben aller Menschen will, dieser Wille aber nur einer bestimmten Anzahl von Menschen in sakramentaler Form zugeeignet wird, so bedeutet das, dass die Getauften nicht nur für sich selber die göttliche Bejahung empfangen dürfen, sondern stellvertretend für alle anderen, die leben, ohne jemals getauft zu werden. So ist die sakramentale Handlung der Taufe durch eine Universalität gekennzeichnet, die ebenso – nur in anderer Weise – beim Sakrament der Eucharistie gegeben ist. Hier begründet sich die Universalität in einem Geschehen, das sich an Gott selbst vollzieht und dort in dem uneingeschränkten Bezug auf die Menschheit als ganze, der nur in seiner unbegrenzten Allgemeinheit zur Geltung kommt, wenn das menschliche Leben noch am Anfang steht, die eigene Entscheidung für oder gegen Gott aber noch nicht getroffen worden ist. Diese Universalität ist unlösbar mit dem christlichen Glauben verbunden. Sie hätte nur dann usurpatorischen Charakter, wenn die Taufe als Eingliederung in eine Heilsgemeinschaft verstanden würde, die als die allein selig 7 Der Übergang von der in den meisten Hochreligionen essentiellen Symbolik zur christlichen Sakramentalität ist im Gottesverständnis dieser Religion begründet, das eine Preisgabe göttlicher Distanz impliziert, die in den anderen monotheistischen Religionen keine Parallele hat.
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machende jeden an sich ziehen will, weil ansonsten das ewige Verlorensein die unausweichliche Folge wäre. Wenn aber die Taufe als Ausdruck und Mitteilung eines allgemeinen göttlichen Willens verstanden wird, der jedes menschliche Leben bejaht, verschwindet der Partikularismus einer begrenzten Gemeinschaft von Erwählten, und der eine Gott rückt in das Zentrum der Aufmerksamkeit, der eine Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, weil er die ganze Schöpfung will. Wird die Taufe in dieser Weise mit dem Ja Gottes zum menschlichen Leben in Verbindung gebracht, rücken traditionelle Aspekte des Taufverständnisses in den Hintergrund, die in der Tradition der christlichen Kirche eine entscheidende Rolle gespielt haben. Die Taufe ist dann nicht mehr die von Gott ausgehende Annahme eines Menschen, der zum christlichen Glauben gekommen ist. Ohne Zweifel wurde sie in der Zeit des Urchristentums so gesehen und dann als Erwachsenentaufe praktiziert. Dass sich diese Praxis in der Geschichte der christlichen Kirche nicht beibehalten ließ und in den großen christlichen Konfessionen von der Säuglingstaufe abgelöst wurde, ist ein, wie ich meine, notwendiger geschichtlicher Prozess, der nicht infrage gestellt werden sollte. Nur kann man diese Änderung nicht gutheißen, ohne sich der Mühe einer theologischen Reflexion zu unterziehen, die den Sinn dieses kirchlichen Handelns verdeutlicht. Ohne Zweifel hat sich das theologische Denken dieser Aufgabe gestellt, gleichwohl sind die Resultate dieser Überlegungen, wie ich meine, in unserer Zeit nicht mehr tragfähig. Die gewichtigste Aussage bestand darin, dass die Taufe von der Erbsünde befreit8 oder jedenfalls mit einer Befreiung von der mit der Erbsünde verbundenen Schuld einhergeht, wie es der Lehre der reformatorischen Kirchen entspricht. Unter dieser Voraussetzung ist die Säuglingstaufe die angemessene kirchliche Praxis, während ein späterer Zeitpunkt natürlich nicht ausgeschlossen bleiben darf, aber doch nicht zur Regel werden sollte. Eine Korrektur der von Augustin entfalteten Lehre von der Erbsünde zieht Folgerungen für das Verständnis der Taufe nach sich, denen man sich nicht verschließen sollte. Augustin hat eine zu radikale Sichtweise menschlicher Sündhaftigkeit vorgetragen, welche die gesamte Menschheit zu einer Masse der Verlorenen zusammenschweißte, aus der dann einzig und allein aufgrund des göttlichen Gnadenhandelns einzelne Erwählte gerettet werden und zum Heil gelangen. Das ist nur deshalb möglich, weil er die natürliche Selbstbezogenheit des Menschen als solche schon zur Sünde erklärte, statt sie seiner Endlichkeit zuzurechnen, die als solche nicht sündhaft ist, weil der Mensch durch sie definiert ist und sich gerade so von Gott unterscheidet. Von daher ist die Liebe zu sich selbst eine Notwendigkeit und keine schuldhafte Verirrung. Der für sich selbst verantwortliche Mensch wird immer bemüht sein, in sich einen Mittelpunkt zu finden, auch wenn er sich damit unwillkürlich eine 8 So die von Augustin entfaltete katholische Auffassung.
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Bedeutung zuschreibt, die angesichts der Majestät Gottes als nichtig erscheinen muss.9 Die Taufe befreit nicht von der Erbsünde, sie befreit auch nicht von der damit verbundenen Schuld. Der für sich selbst verantwortliche Mensch wird schuldig werden, weil er die natürliche Selbstbezogenheit in eine unnatürliche Egozentrik verkehrt, weil er im panischen Bemühen, den eigenen Mittelpunkt zu finden, alles vergisst, was ihn um ein Unendliches übersteigt. Sofern er sich in dieser Verkehrung zu Taten oder Verhaltensweisen hinreißen lässt, in denen er an anderen Menschen schuldig wird, kann er den Weg zu Gott zurückfinden, denn die Vergebung gehört zu den wichtigsten Momenten des christlichen Glaubens, wie wir schon durch das „Vater Unser“ erkennen können. Natürlich kann man von der universalen Faktizität des Schuldigwerdens auf eine allgemeine Disposition des Menschen schließen, der prinzipiell dazu neigt, die ihm gesetzten Schranken zu überschreiten. Trotzdem ist es nicht sinnvoll, diese Disposition mit der sakramentalen Handlung der Taufe zu verbinden. Die Taufe sollte nicht in ihrer Beziehung auf etwas Negatives und Widergöttliches verständlich gemacht werden. Als Vermittlung der göttlichen Bejahung des Lebens steht sie für einen Anfang, der alle Zusagen des ewigen Gottes in sich birgt und das Vergangene unberücksichtigt lässt. Nun erlaubt auch das traditionelle Verständnis eine Interpretation der Taufe, die das mit ihr geschenkte Gut in den Vordergrund rückt und demgegenüber die Austreibung oder Überwindung des Bösen in den Hintergrund treten lässt. Diese Sichtweise ist dann gegeben, wenn der Vollzug der Taufe als Vermittlung des Heils verstanden wird, eines Heils, das dem Getauften die Möglichkeit schenkt, nach seinem irdischen Leben zu Gott und zur himmlischen Seligkeit zu gelangen. Es ist klar, dass unter diesen Voraussetzungen die Bedeutsamkeit der Taufe gewährleistet ist; zugleich verbindet sich mit ihnen aber eine Exklusivität, die nur den Christen den Zugang zu Gott ermöglicht, während die nicht-christliche Menschheit den Weg in die Verdammnis zu gehen hat, in jedem Fall aber von der Hineinnahme in die Fülle der göttlichen Seligkeit ausgeschlossen bleiben muss. Ohne Zweifel hat diese Sichtweise die Tradition der christlichen Kirchen für sich, es ist aber kein Zufall, dass im 20. Jahrhundert, am wirkmächtigsten in den Verlautbarungen des II. Vatikanischen Konzils einschneidende Korrekturen am althergebrachten Exklusivismus vorgenommen worden sind, mit der Folge, dass der Kreis derer, die zu Gott gelangen können, weiter gezogen wurde, so dass auch andere den Seligen zugerechnet werden dürfen.10 9 Natürlich ist es schwierig, im einzelnen Fall eine Grenze zu ziehen zwischen der legitimen natürlichen Selbstbezogenheit des Menschen und jener sündhaften Anmaßung, jener Hybris (CA 2), die an der eigenen Selbstverliebtheit zugrunde geht. Die Aufgabe, diese Grenzziehung immer von neuem vorzunehmen, ist eine anthropologische und ethische Notwendigkeit. 10 Vgl. besonders die Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, in: LThK2 13, 405 – 495.
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Macht man sich diesen Wandel der Perspektive zu eigen, so hat das unmittelbare Konsequenzen für das Verständnis der Taufe: Sie bewirkt nicht etwas, was man ohne sie niemals erreichen könnte, sondern schließt in ihrer Wirksamkeit alle ein, die sich, explizit oder implizit, auf Gott als den Schöpfer des Lebens beziehen. So gewinnt der Gedanke der Stellvertretung einen Sinn: Gott handelt an den Getauften, indem er ihnen sein Ja zum Leben zukommen läßt, aber diese Bejahung hat einen umfassenden, prinzipiellen Charakter, so dass alle anderen Menschen in ihr eingeschlossen sind, weil sie, ebenso wie die Christen, am Gut des Lebens teilhaben. So verwirklicht sich die Universalität dieser sakramentalen Handlung, von der wir bereits gesprochen haben. Die Taufe ist nicht das Eintrittsbillet in eine exklusive Heilsgemeinschaft, sondern ein göttliches Handeln, das erst im Blick auf die gesamte Menschheit verständlich wird. Diese Universalität unterscheidet die Taufe von den anderen sakramentalen Handlungen, die das Besondere und Unverwechselbare eines menschlichen Lebens in den Blick nehmen – wir werden darauf noch zu sprechen kommen. Beziehen wir die Taufe auf die Allgemeinheit des menschlichen Lebens11 und nicht auf die Singularität des christlichen Daseins, erübrigt sich auch die Frage, inwiefern der Glaube zum Empfang der mit der Taufe verbundenen göttlichen Zuwendung notwendig sei. Er ist es nicht, weil die Tat Gottes, das Geschenk des Lebens, vorhergeht, ohne dass mit dieser Gabe die Frage nach der Annahme durch die jeweiligen Menschen unmittelbar verbunden wäre. Gott schenkt das Leben in einer Selbstverständlichkeit, dass es möglich ist, ihn als den Urheber des Lebens zu vergessen, dass sein ursächliches Wirken, welches den Prozess der Evolution steuert, ohne in ihm als selbstständige Ursache in Erscheinung zu treten, übersehen werden kann. Zu dieser Selbstverständlichkeit gehört es, dass die Reaktion des Beschenkten in diesem Zusammenhang keine Rolle spielt. Er empfängt, ohne den Wert der Gabe erkennen zu können.12 Insofern ist die Säuglingstaufe die normale und im Grunde einzig sinnvolle Praxis der Taufe, da das neugeborene Kind nicht weiß, geschweige denn reflektieren kann, was ihm zuteil geworden ist. Die bewusste Annahme des Glaubens, in der der einzelne Mensch in eigener Verantwortlichkeit die Beziehung zu Gott aufnimmt, muss einer anderen sakramentalen Handlung vorbehalten werden. Von daher erübrigen sich die Bemühungen der Reformatoren, den eigenen unmittelbar mit dem Glauben verbundenen Sakramentsbegriff für die Säuglingstaufe zu retten, indem man wie Luther einen Kinderglauben postuliert 11 Diese Aussage steht nur scheinbar in einem Gegensatz zu unserer Feststellung, dass Gott nicht nur die Gattung im Allgemeinen, sondern jedes einzelne Individuum will. Er will jedes Individuum in seiner Singularität, weil sich nur so seine Teilhabe an der Allgemeinheit des Lebens realisiert. Die Singularität des Lebens in seiner jeweiligen Bedeutung wird aber erst in den anderen sakramentalen Handlungen thematisiert. 12 In seiner Rechtfertigung der Kindertaufe hat Luther zu Recht betont, dass das göttliche Handeln der menschlichen Aufnahme vorhergeht.
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oder wie er und viele andere von einem stellvertretenden Glauben der Eltern und Paten spricht, den sich dann der Getaufte im Laufe seiner persönlichen Entwicklung anzueignen habe.13 Schon ein Blick auf die gegenwärtige Taufpraxis zeigt, dass die Konstruktion des stellvertretenden Glaubens nicht aufrechterhalten werden kann, weil das Glaubensverständnis der Eltern und Paten im Allgemeinen so wenig strukturiert ist, dass es eine in dieser Weise intendierte Stellvertretung niemals übernehmen könnte. Ein vorbereitendes Gespräch kann keinen Glaubenskurs ersetzen, es kann aber deutlich machen, dass Gott jedes Leben schenkt, unabhängig von der Tatsache, dass die Eltern diesem einzelnen Kind, das sie in einem bestimmten Moment zur Taufe bringen, das Leben gegeben haben. Die Universalität der Taufe, die wir hier in den Mittelpunkt rücken, schließt es auch aus, dass die Gabe des Heiligen Geistes mit der Taufe verbunden wird, wie es der Vorstellung der Kirchen, aber auch den Aussagen des Neuen Testamentes entspricht.14 Diese Aussagen gründen sich auf die Erwachsenentaufe und haben in diesem Zusammenhang einen guten Sinn. Der göttliche Geist ist Ursprung des menschlichen Geistes, welcher aber nicht als fertig Gegebenes einfach da ist wie das Leben als solches, sondern sich zusammen mit der Entwicklung des menschlichen Bewusstseins erst heranbildet, um sich dann, im Fall des selbstverantworteten Glaubens, mit dem Heiligen Geist zusammenzuschließen. Der Glaube begreift seine eigene Entstehung nicht ausschließlich als Resultat eines natürlichen Entwicklungsprozesses, sondern als Geschenk des göttlichen Geistes, der diesen einen Menschen nicht nur in die Lage versetzt hat, Gott zu suchen, sondern ihn auch zu finden. Wie beim Geschenk des Lebens bedarf es auch hier einer sakramentalen Handlung, die dem Einzelnen gnadenhaft mitteilt, was auch als Ergebnis eines natürlichen Vorgangs verstanden werden könnte, die Gabe, Gott nicht nur zu suchen, sondern ihn auch zu finden. Diese sakramentale Handlung wird als Firmung bzw. als Konfirmation bezeichnet – wie wir im weiteren Verlauf dieser Ausführungen sehen werden. Zurück zur Taufe: Ist sie nicht ihrer Bedeutung beraubt, wenn wir sie weder als Überwindung menschlicher Sündhaftigkeit noch als Gabe des Heiligen Geistes, weder als notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung des Heils, noch als Abwehr des Bösen verstehen? Man darf mit einer Gegenfrage antworten: Ist es zu wenig, wenn wir diese rituelle Handlung ausschließlich auf Gott als den Geber des Lebens beziehen? Wenn wir Gott als Ursprung des Lebens betrachten, bedarf es einer Handlung der Kirche, die diesen Ursprung immer wieder vergegenwärtigt, weil wir nur durch ihn sind, was wir sind. Die Feier des neu geschenkten Lebens ist der Ort, wo diese Handlung stattfinden kann und stattfinden muss. So wird die Kirche befreit von der 13 Vgl. die zusammenfassende Darstellung bei U. Kühn, Sakramente, Gütersloh 1985, 43 – 45 und 85 – 87. 14 Vgl. 1. Kor 6, 11, 2. Kor 1, 21 f, Apg 2, 38 u. a.
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Die sakramentalen Handlungen und das menschliche Werden
Gefahr, nichts anderes zu sein als eine partikulare Heilsgemeinschaft. Die Taufe ist eben kein Initiationssakrament, das dem Getauften Segnungen zuteil werden lässt, die er sonst nirgends erhalten kann. Mit der Taufe bezieht sich die Kirche auf die Menschheit als ganze, weil Gott die Menschheit als ganze will und nicht nur einen auserlesenen Teil von ihr. Dass sich Menschen vor ihm verschließen, ja dem Transzendenten gegenüber überhaupt verweigern, soll damit nicht bestritten werden. Aber diese Scheidung vollzieht sich innerhalb des einzelnen menschlichen Lebens, sie steht nicht am Anfang. Am Anfang steht der universale Wille Gottes, der das Beste für die Menschen zu erreichen sucht.15 Die Taufe ist die Feier des Anfangs, die Feier der unbegrenzten Möglichkeiten, die in jedem Beginnen enthalten sind. Sie führt zum Gott des Ursprungs zurück, nicht zum Gott der Geschichte. Denn die Geschichte als Summe alles Geschehenen lastet schwer – nicht nur auf den Menschen, sondern auch auf Gott. Vielleicht wäre diese Last nicht zu ertragen, wenn nicht immer wieder ein Anfang entstünde, ein Anfang, der neue Möglichkeiten verheißt, unabhängig davon, ob sie im weiteren Verlauf wahrgenommen oder verspielt werden. Gott als Ursprung zu denken heißt, ihn als Beweggrund neuer Anfänge zu verstehen. Und können wir nicht immer wieder in der Geschichte diese Anfänge wahrnehmen, die noch nicht die Last des Folgenden zu tragen haben, die Erstarrung in althergebrachten Formen, die Verfestigung sich selbst genügender Institutionen, die unzähligen Äußerungen des Menschlichen, allzu Menschlichen? Der Inbegriff des Anfangs ist der Beginn des einzelnen Lebens. Er weist unmittelbar auf den Gott zurück, der der Beginn von allem ist. Die Taufe ist die Feier des Beginns des einzelnen Lebens. Aber gerade so weist sie auf Gott als den Beginn allen Lebens zurück. In der mit ihr verbundenen sakramentalen Handlung schließen sich der Beginn des Einzelnen und der Beginn des Ganzen zu einer Einheit zusammen.
2. Die Krankensalbung Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass der sakramentalen Handlung der Taufe eine sakramentale Handlung entsprechen muss, die das Ende des menschlichen Lebens in den Blick nimmt. Das hängt zunächst damit zusammen, dass Gott die Endlichkeit des menschlichen Lebens will, so wie er die Schöpfung als eine Welt erschaffen hat, die sich auf Vergänglichkeit gründet 15 Gottes universaler Wille zum Leben schließt auch einen universalen Heilswillen ein (1. Tim 2,4). Die Selbstverantwortlichkeit des Menschen bewirkt aber eine vom Menschen selbst verursachte Begrenzung, ohne dass wir behaupten könnten, dass Gott diese Begrenzung am Ende der Zeiten überwinden wird.
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Die Krankensalbung
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und nur in der Vergänglichkeit neues Leben ermöglicht. Von daher ist der natürliche Tod des Menschen zu verstehen, ein Tod, der nicht mit der menschlichen Sünde in einem kausalen Zusammenhang steht, sondern als das dem Menschen zukommende Geschick erfahren und angenommen werden muss.16 Die sakramentale Handlung der Krankensalbung verbindet den Gott, der den Tod will, mit dem Menschen, der das Sterben erleidet. Der Mensch kann diesen Tod annehmen, weil er von dem Gott kommt, der ihm auch das Leben geschenkt hat. Diese Annahme vollzieht sich zunächst als das Ja des Menschen zu seiner eigenen Geschöpflichkeit. Sie ist nicht primär verbunden mit der Erwartung eines anderen Lebens über den Tod hinaus, nicht einmal mit der Hoffnung, dass Gott dieses einzelne Leben in seine Ewigkeit hineinnimmt und darin als solches bewahrt. Sie resultiert schlicht und einfach aus der Anerkennung der Tatsache, dass der Mensch ein sterbliches Wesen ist und es von daher widersinnig wäre, wenn er ewig leben würde und ewig leben könnte. Allerdings bezieht sich das christliche Verständnis des Todes nicht nur auf Gott als den Schöpfer dieser vergänglichen Welt. Es bezieht sich in gleichem Maße auf Christus, der in dieser Welt Gott sichtbar werden ließ. Die Vereinigung mit Gott, wie sie sich in der sakramentalen Handlung der Krankensalbung vollzieht, ist nicht nur die Verbindung mit einem universal gültigen Willen, dem man sich fügt, weil er übermächtig ist, sie ist auch die Vereinigung mit einem Wesen, das an sich selbst geschehen liess, was den kranken und sterbenden Menschen in Bälde erwartet. Der christliche Glaube hält an Gott als dem Schöpfer fest und gibt die von ihm geschaffene Welt nicht einem höheren Dämon preis, dessen Fängen man entkommen muss, wenn man selig werden will. Zugleich verzichtet er aber auf die quasi naturgegebene Distanz des Schöpfers, weil Sterben und Tod ihm nicht fremd geblieben sind, sondern durch das Geschick Jesu Christi zu einem Moment seines eigenen Wesens geworden sind. Die Vereinigung mit Gott, wie sie sich in der sakramentalen Handlung der Krankensalbung vollzieht, ist also nicht nur die Ergebung in einen höheren Willen, sondern auch die Erfahrung einer Verbundenheit, die dem gleichen Geschick entspringt. Von daher eröffnet sich im Blick auf das Sterben und den Tod für den christlichen Glauben ein neuer Horizont: Wenn die Vereinigung von Mensch und Gott keine Distanz überbrücken muss, weil sie in der Gleichheit des erfahrenen Geschicks begründet ist, kann nicht nur der Tod als solcher angenommen werden, sondern auch das Sterben, das zum Tode führt. Im Stigma des Geschöpflichen, in Krankheit, Leiden und Schmerz, bleibt der Mensch 16 Es gehört zu den Verdiensten der neuzeitlichen Theologie, diesen Tatbestand ins Bewusstsein gerufen zu haben, nachdem zuvor der Zusammenhang von Sünde und Tod einseitig und ausschließlich hervorgehoben worden war (vgl. dazu W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 2, Göttingen 1991, 306 f und Bd. 3, Göttingen 1993, 603). Die Auffassungen Pannenbergs differieren allerdings erheblich von den hier vorgetragenen Anschauungen.
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nicht allein, weil er eben darin Gott wahrnehmen kann, der das unwiderruflich Existentielle nicht von sich fernhält, sondern sich in Christus zugeeignet hat. Die in der Krankensalbung sich vollziehende Vereinigung mit Gott ist nicht nur die Vereinigung mit Gott dem Schöpfer, sondern auch die Vereinigung mit Christus, dem Erlöser. Er erlöst nicht, indem er Krankheit und Leiden, Sterben und Tod, wegnimmt, wohl aber so, dass er den Menschen von der Vereinzelung befreit, die jeder Schmerz unausweichlich mit sich bringt. Er muss die Stigmen seiner Existenz nicht allein tragen, sondern darf sich in ihnen mit dem verbunden fühlen, der zugleich – ewiges Paradox des Christlichen – die Welt so geschaffen hat, wie sie ist. Wenn es in der sakramentalen Handlung der Taufe um die Vereinigung mit dem Gott des Lebens geht, so reden wir hier von einer Vereinigung mit dem Gott, der den Tod will und zugleich das Sterben an sich selbst erlitten hat. In der sakramentalen Handlung der Krankensalbung vollzieht sich diese Vereinigung. Die Polemik der Reformatoren gegen dieses Sakrament vermag nicht mehr zu überzeugen. Die historisch-kritische Forschung hat deutlich gemacht, dass das von Luther angewendete Kriterium einer Einsetzung durch Jesus Christus differenzierter wahrgenommen werden muss, als es der damaligen Zeit möglich war. Eine strikte Auslegung dieses Kriteriums macht den Sakramentsbegriff auch bei Taufe und Eucharistie zum Problem.17 Bei einer weiteren Auslegung wird aber ins Gewicht fallen, dass die sakramentale Handlung der Krankensalbung in der frühen Christenheit praktiziert wurde (Jak 5, 14). Zwar hat Luther recht mit dem Hinweis, dass hier von einer allgemeinen Krankenölung die Rede sei, die auf die Gesundung des Kranken ziele, es also nicht um eine dem Sterbenden vorbehaltene Praxis gehe.18 Gleichwohl hat die Kirche nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, die Zielsetzung ihres Handelns zu erweitern oder zu verändern, wenn eine anthropologische Notwendigkeit dafür spricht. Eben das ist bei dieser sakramentalen Handlung der Fall, weil sie zusammen mit der Taufe deutlich macht, dass Leben und Tod jedes einzelnen Menschen von der Gegenwart Gottes umschlossen werden. Damit soll nicht gesagt sein, dass es empfehlenswert sei, den Terminus „Krankensalbung“ durch den ursprünglich gebrauchten Begriff „Letzte Ölung“ zu ersetzen. Diese sakramentale Handlung wird ja nicht im Nachhinein überflüssig, wenn der Kranke wieder gesundet und sein Leben fortsetzen kann. Dennoch ist das Bewusstsein der Gläubigen, das diesen Ritus als Sterbesakrament begreift, nicht zu kritisieren und nicht zu verbessern. Dass das II. Vatikanische Konzil und die nachkonziliare Erneuerung der Kran17 Bekanntermaßen hat der irdische Jesus die Taufe nicht eingesetzt. Auch das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern kann man, historisch gesehen, nicht als Einsetzung eines Sakramentes verstehen. 18 Zu den Belegen siehe Lehmann/Pannenberg, Lehrverurteilungen, 133.
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Die Krankensalbung
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kensalbung hier eine Wende gebracht hätten, kann ich nicht feststellen; sie ist auch überhaupt nicht nötig.19 Dass man die Änderung einer kirchlichen Praxis mit einer anthropologischen Notwendigkeit begründet, mag kritische Stimmen hervorrufen, die solche Veränderungen nur aus einem neuen Bedenken des göttlichen Wortes hervorgehen lassen wollen. Man kann diesen Grundsatz in der Theorie wohlfeil anbieten, das kirchliche Handeln belehrt uns allerdings darüber, dass er in dieser Einseitigkeit niemals verwirklicht werden kann und niemals verwirklicht worden ist. Die Einführung der Kindertaufe bietet dafür das beste Beispiel. Es gibt keine neutestamentliche Aussage, die geeignet sein könnte, diese Praxis zu legitimieren. Trotzdem hat die Kirche, wie ich meine, gut daran getan, den anthropologischen und soziologischen Erfordernissen Rechnung zu tragen und ihr sakramentales Handeln in dieser neuen Form zu gestalten. Wenn sie aber hier eine Ausweitung auf den Bereich des Lebens vornimmt, was sollte sie dann daran hindern, auch das Ende des Lebens mit ihrem Tun zu verbinden, um damit anzuzeigen, dass die Wirksamkeit Gottes das ganze menschliche Leben umfasst? Taufe und Krankensalbung entsprechen einander und sind deshalb als gleichgewichtige sakramentale Handlungen zu verstehen. Die Krankensalbung verbindet sich mit dem ihr zugehörigen Element, dem Salböl, das nach katholischem Verständnis ein Olivenöl oder ein anderes ordnungsgemäß geweihtes Pflanzenöl sein soll.20 Dass das Element des Öls im sakramentalen Handeln der reformatorischen Kirchen keine Rolle mehr spielt, ist eine bedauerliche Fehlentwicklung, die durch die Einführung einer Krankensalbung korrigiert werden könnte. Die Vereinigung Gottes mit einem Menschen, der sein nahes Ende erwartet oder befürchtet, geschieht eben auf diesem Wege. Die Zuwendung Gottes tritt da am wirkmächtigsten in Erscheinung, wo der Mensch die unmittelbare Gefahr der Gottverlassenheit am stärksten empfinden muss: in der Stunde des Sterbens. 19 Die Ausführungen in „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“, Band I, heben das Moment der Krankensalbung hervor und drängen alle Implikationen eines Sterbesakramentes zurück, um so eine ökumenische Verständigung zu erreichen. So löblich die Absicht sein mag, so wenig überzeugend ist das Ergebnis. Auch die neueren Verlautbarungen der katholischen Kirche gehen von einer Krankheit aus, die einen lebensbedrohlichen Charakter hat, selbst wenn dieses Sakrament nicht nur denen gespendet werden kann, „die sich in äußerster Lebensgefahr befinden“ (ebd. 136). So geht es auch nicht einfach um das „Bestehen“ der Krankheit, wie uns die Zusammenfassung des Papiers glauben machen will (ebd. 137), sondern um die Vergegenwärtigung menschlicher Endlichkeit, die eine lebensbedrohliche Krankheit nach sich ziehen muss. Die katholische Kirche hat die Notwendigkeit einer auf das Sterben des Menschen bezogenen sakramentalen Handlung richtig gesehen – wieso sind die reformatorischen Kirchen nicht in der Lage, ihr das zuzugestehen? Ökumene vollzieht sich nicht nur im Verfassen von Konsensuspapieren, die es jedem recht machen wollen, sie muss auch die Preisgabe eigener Positionen einschließen. 20 Lehmann/Pannenberg, Lehrverurteilungen, 137.
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Die sakramentalen Handlungen und das menschliche Werden
Wir haben die Taufe als Feier des Lebens und die Krankensalbung als Vorbereitung auf den Tod parallelisiert, um Leben und Tod als die fundamentalen Existentialien des Menschen hervorzuheben. Obwohl beide universal sind, weil sie jeden Menschen betreffen, kommt der sakramentalen Handlung der Taufe ein umfassenderer Charakter zu als der sakramentalen Handlung der Krankensalbung. Steht dort das jedem geschenkte Leben in seiner Allgemeinheit im Vordergrund, geht es hier um das spezifische Leben jedes einzelnen Menschen. Der Tod zieht die Summe des Lebens, er fasst alles zusammen, was jedes Individuum in der ihm zukommenden Verantwortlichkeit erfahren und bewirkt hat. Die Krankensalbung setzt den Glauben des Empfängers dieser sakramentalen Handlung voraus, während die Taufe, wie wir gesehen haben, gerade ohne solche Voraussetzungen auskommt. Der von seinem nahen Ende bedrohte Mensch vereinigt sich mit dem Gott, den er in seinem Leben nicht nur gesucht, sondern auch gefunden hat. Er weiß, dass dieser Gott ihn nicht verlässt, wenn er das Leben verlassen muss, sondern ihn in seiner Ewigkeit bewahren wird. Diese grundlegende Gewissheit übersteigt alle religiösen Fantasien, wie sie vor allem in der Apokalyptik entwickelt worden sind. Sie überlässt Gott die Mittel und Wege, um die Verbindung zu dem Individuum, das sein Leben beendet hat, aufrechtzuerhalten. Sie überlässt sie ihm, ohne sich selbst Geschehnisse auszumalen, die die menschliche Vorstellungskraft übersteigen. Wenn der Tod die Summe des gelebten Lebens zieht, dürfen wir nicht nur auf das Sterben der Christen blicken, denen sich in der sakramentalen Handlung der Krankensalbung der Gott zuwendet, den sie in ihrem Leben gefunden haben. Wir müssen auch das Leben anderer Menschen bedenken, die Gott gesucht haben, ohne ihn je zu finden. Auch sie waren sich des Transzendenten, des alle Menschen um ein Unendliches Übersteigenden bewusst, und wir dürfen hoffen, dass sie im Tode finden, was sie im Leben suchen konnten – wie auch die, die im Leben gefunden haben, merken werden, dass ihr Finden immer auch ein Suchen war, weil die vollkommene Erfüllung dem Irdischen nicht beschieden ist. Und schließlich dürfen wir auch nicht achtlos an jenen Menschen vorbeigehen, die weder gesucht noch gefunden haben. Hier erweist sich einmal mehr die Wahrheit des Dichterworts: „Der Tod ist groß.“21 In seiner Größe enthüllt er die Nichtigkeit ihres Lebens, das sich in Kleinigkeiten erschöpft hat und sich daran gewöhnte, das Beschränkte mit dem Ganzen, mit dem Absoluten zu verwechseln. Der Tod wirft ein helles, man könnte fast sagen unbarmherziges Licht auf diese Beschränkung, indem er sie in ihrer Endlichkeit vorführt und eben so zum Ende bringt. Der Tod ist die Wahrheit, weil er in jedem Moment
21 Schlussstück: Der Tod ist groß/ Wir sind die Seinen/ lachenden Munds./ Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen/ mitten in uns. In: R.M. Rilke, Gesammelte Gedichte, Frankfurt a.M. 1962, 233.
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Die Firmung bzw. Konfirmation
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die Vergänglichkeit des Irdischen realisiert. Er ist die Wahrheit und das Gericht. Damit kommen wir dem oft beschworenen Zusammenhang von Tod und Sünde näher. Wenn wir Sünde als die Absolutsetzung von etwas Endlichem begreifen, dann macht der Tod offenbar, was die Sünde eigentlich ist: Eine Verwechslung des Endlichen und des Unendlichen, indem sie jenem eine Bedeutung zuschreibt, die es niemals haben kann und niemals haben wird und darüber hinaus Letzteres außer Acht lässt, vergisst oder als bloßes Mittel zu einem endlichen Zweck gebraucht. Der Tod ist die Wahrheit, weil er das Endliche als Endliches entlarvt, indem er es vergehen lässt. Er ist das Gericht, weil er den in seiner Endlichkeit gefangenen und sich selbst genügenden Menschen seiner Nichtigkeit überführt und ihn darin umkommen lässt. Man kann sterben und sich allem verweigern, was über einen selbst hinausgeht. Dann bekommt der Tod eine Endgültigkeit, die eine Folge menschlicher Sünde ist. Man kann sterben und sich des Höheren bewusst sein, das uns alle übersteigt. Dann darf man hoffen, dass dieses Höhere uns aufnimmt – und dies ist keine Negation des Todes als eines allgemein menschlichen Schicksals, wohl aber seine Überwindung. Der Sterbende gewinnt die Zuversicht, dass sein Leben nicht vergeblich war, weil alles Erfahrene und alles Bewirkte in einem Transzendenten versammelt wird, das es in seine Ewigkeit hinübernimmt. Vor diesem allgemeinen religiösen Hintergrund wird deutlich, was die sakramentale Handlung der Krankensalbung besagen soll: Indem sie dem Sterbenden die Vereinigung mit Gott zuteil werden lässt, schenkt sie ihm die Gewissheit, dass alle Momente seines individuellen Lebens, von Augenblicken höchster Wirkmächtigkeit bis zu den Tiefen des Erlittenen, kaum oder gar nicht Bewältigten, von der Faszination des Schönen bis zur Verstörung des Schrecklichen, in einem Höheren bewahrt und darin aufgehoben sind. Es wäre gut, wenn sich die reformatorischen Kirchen den Wert dieser sakramentalen Handlung bewusst machen könnten und nicht in einem starren Festhalten an der Polemik der Reformatoren ein spezifisches Handeln der Kirche in dieser Grundbefindlichkeit menschlicher Existenz in Abrede stellen würden. Der Weg zum Menschen, den die Kirche zu gehen hat, ist kein Weg, der über eine äußerliche Anpassung oder gar eine Anbiederung führt. Die Kirche darf den Menschen nicht die geistlichen Güter vorenthalten, die sie von Christus empfangen hat.
3. Die Firmung bzw. Konfirmation Von den Markierungen, die das Leben nach außen begrenzen, Geburt und Tod, gehen wir nun über zu den entscheidenden Momenten innerhalb des einzelnen Lebens, die in ihrem Bezug auf Gott bedacht sein wollen und in weiteren
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Die sakramentalen Handlungen und das menschliche Werden
sakramentalen Handlungen ihren Ausdruck finden. Zunächst richten wir unseren Blick auf die Entwicklung des Menschen, die wir mit der Entfaltung des Bewusstseins gleichsetzen können. Der Mensch vereinigt in sich eine Fülle des von ihm Erfahrenen und Erlebten; er vermag vieles in seinem Gedächtnis zu bewahren, um es dann bei gegebenem Anlass wieder in sein Bewusstsein zu rufen und sich entsprechend zu verhalten. So bildet sich für jeden Menschen eine spezifische Welt, unterschiedlich in ihrer Differenzierung und Vielgestaltigkeit, aber doch, gelegentlich in rudimentärer Form, immer vorhanden. Das Bewusstsein lässt diese spezifische Welt erstehen, es weist aber zugleich den Menschen auf sich selbst zurück und verschafft ihm die Möglichkeit, „Ich“ zu sagen und zugleich im Denken zu erfassen, was er damit sagt. So sind „Ich“ und „Welt“ die Koordinaten, innerhalb derer sich die Entfaltung des menschlichen Bewusstseins vollzieht. Zusammen mit dieser Entfaltung entsteht nun aber auch das, was wir als Glaube bezeichnen. Der heranwachsende Mensch fragt nach dem Jenseits seiner spezifischen Welt, nach dem, was die Summe einzelner Erfahrungen übersteigt, nach dem Transzendenten. Und genau hier empfängt er die Antwort der Religionen, ihre jeweils unterschiedliche Weise, das Transzendente zu bestimmen, dem Unsagbaren eine sprachliche Artikulation zu verleihen. Im Geschehen der Firmung bzw. der Konfirmation geht es natürlich um die Antwort der christlichen Religion, um die Art und Weise, wie sie ihr Verständnis von Gott und von dem auf ihn bezogenen Menschen zu explizieren versteht. Dieser Mensch, der seine Welt bereits in Umrissen gewonnen hat und über ein reflektiertes Bewusstsein verfügt, macht sich die ihm vermittelte Sichtweise des christlichen Glaubens zu eigen, er nimmt sie an, man kann auch sagen, er bestätigt sie. So gewinnen die Ausdrücke „Firmung“ und „Konfirmation“ ihren Sinn. Zunächst bezieht sich diese rituelle Handlung natürlich auf die Taufe zurück, insofern nun der Ort dafür gegeben ist, sich Gott als Geber des Lebens bewusst zu machen, also sich nicht mit den natürlichen Ursachen der eigenen Entstehung zu begnügen, sondern sie auf den transzendenten Grund zurückzuführen, dem sie sich verdankt. Aber dieses Bewusstsein Gottes als des Schöpfers ist nur ein Moment des christlichen Glaubens, der in dem heranwachsenden Menschen Gestalt annimmt und nun bestätigt werden will. Es geht um die beglückende Gewissheit, Gott nicht nur suchen zu müssen, sondern ihn bereits gefunden zu haben. Dieses Finden wird aber nicht als Resultat menschlicher Aktivität verstehbar, sondern erst in der Passivität des empfangenden Menschen einsichtig. Der Mensch findet, weil Gott sich schenkt. In der sakramentalen Handlung der Firmung bzw. Konfirmation eignet Gott dieses Geschenk zu. Es ist das Geschenk, ihn erkennen zu können, also nicht nur dem Ungefähr eines blinden Schicksals ausgeliefert zu sein, sondern sich einem transzendenten Wesen anvertrauen zu können, das man ansprechen darf und ansprechen muss. Diese Erkenntnis bleibt immer fragmentarisch, sie bleibt Stückwerk, wie
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Die Firmung bzw. Konfirmation
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Paulus es formuliert (1. Kor 13,9), und sie bleibt immer gefährdet: Gott kann sich verschließen, und der Mensch kann sich verirren, ohne jemals zu seinem Ursprung zurückzukehren. Das Finden wird nicht zum Besitz – das gilt schon für die Beziehung der Menschen, für die Relation zu Gott aber in besonderem Maße. Wer aber das Gefundene verloren und vielleicht auch das Suchen aufgegeben hat, dennoch aber in einem bestimmten Moment seines Lebens Gott von neuem entdeckt, der darf sich an seine Firmung bzw. Konfirmation erinnern, weil ihm hier das längst verschwunden Geglaubte zugeeignet worden ist. Mit dieser sakramentalen Handlung verbindet sich die Mitteilung des göttlichen Geistes. Dieser Geist sucht seine irdische Entsprechung, und er findet sie im menschlichen Geist, der sich als Bewusstsein äußert. Dieses Bewusstsein richtet sich auf seinen Ursprung, auf Gott selbst; es verliert sich nicht in der Leere der Transzendenz, weil Gott es aufnimmt und mit sich vereinigt. Gott schenkt die Erkenntnis seiner selbst, weil er Geist ist. Er verbindet seinen Geist mit dem Geist des Menschen, der ihn sucht und findet. Beide gelangen zu einer Einheit, welche die naturgegebene Distanz von Gott und Mensch überwindet. Damit sehen wir wieder die Eigenart der christlichen Religion: Sie verbindet sich mit den anderen monotheistischen Religionen in der Betonung göttlicher Transzendenz. Aber zugleich überbrückt sie die Distanz von Mensch und Gott in zweifacher Weise: in der Menschwerdung Gottes und in der Mitteilung des göttlichen Geistes. In der sakramentalen Handlung der Firmung bzw. Konfirmation vollzieht sich diese Mitteilung. Der Mensch, der Gott gefunden hat, erfährt dieses Zum-Glauben-Kommen nicht als autonomes Resultat seines selbstständigen Suchens und Bemühens, sondern als Wirkung des Gottes, den er in seinem Wesen erkannt hat. So vollzieht sich die Vereinigung von Gott und Mensch, eine Vereinigung, welche die Geistigkeit Gottes und die Geistigkeit des Menschen voraussetzt, aber erst da realisiert wird, wo der menschliche Glaube sich auf den Einen richtet, der der Ursprung von allem ist. Dass diese Vereinigung an eine sakramentale Handlung gebunden wird, gehört ebenso zur Besonderheit des christlichen Glaubens. Obwohl es sich um einen Vorgang handelt, der sich zwischen dem göttlichen Geist und dem menschlichen Geist abspielt, wird die Dimension des Elementaren, Zeichenhaften nicht vernachlässigt. Gott hat ja, trinitarisch gesprochen, in der zweiten Person die Leiblichkeit an sich genommen, deshalb wirkt er auch als Geist nicht so, als ob es Christus nicht gäbe. Somit ist die Vereinigung von Gott und Mensch nicht als eine ausschließlich geistige zu beschreiben, sondern als eine Vereinigung darzustellen, die das Zeichen einschließt und fordert. Um welches Zeichen handelt es sich aber in diesem Zusammenhang? Gehen wir von der im Neuen Testament vorausgesetzten Erwachsenentaufe aus, dann ist es sinnvoll, die Verleihung des Geistes zu einem Moment dieser sakramentalen Handlung zu machen; so hätte sich dann der göttliche Geist an das
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Die sakramentalen Handlungen und das menschliche Werden
Element des Wassers gebunden. Wird aber die Säuglingstaufe praktiziert, ist es, wie wir gesehen haben, wenig plausibel, die Gabe des Geistes mit diesem Vorgang zu verknüpfen. Er bleibt der sakramentalen Handlung der Firmung bzw. Konfirmation vorbehalten.22 Diese sakramentale Handlung fordert nun aber ein anderes Zeichen, wenn sie denn als sakramentales Geschehen ernst genommen werden will. Der für das christliche Denken kennzeichnenden Materialisation Gottes entspricht bei diesem Ritus die Salbung mit Öl, wie sie sowohl in den orthodoxen Kirchen als auch in der römisch-katholischen Kirche praktiziert wird. Die Kirchen der Reformation täten gut daran, sich darüber Gedanken zu machen, ob sie nicht die Feier der Konfirmation mit einer ähnlich verstandenen Salbung verbinden sollten. Damit würde nicht nur bei der sakramentalen Handlung der Krankensalbung, sondern auch hier dem Faktum entsprochen, dass die frühere Christenheit diese Salbung als wesentliches Moment ihres kirchlichen Handelns betrachtet hat. Den Ritus der Konfirmation in dieser Weise zu erweitern, würde natürlich ein Hinausgehen über ein Verständnis bedeuten, das mit diesem Vorgang nur eine Segnung, aber nicht eine Handlung verbindet, die dem Bereich des Sakramentalen nahe kommt. Genau diese Erweiterung aber muss vollzogen werden, wenn wir die Konfirmation als Mitteilung einer Gabe verstehen, welche die Säuglingstaufe nicht mitteilt, weil sie sie gar nicht mitteilen kann, nämlich die Gabe des Heiligen Geistes. So erhält die sakramentale Handlung der Konfirmation ihre eigene Würde, die sie auf die gleiche Stufe stellt wie die sakramentalen Handlungen der Taufe und der Krankensalbung. Hier wird dem Heranwachsenden die Definition seines Christseins übermittelt, das heißt: Er definiert sich nicht selbst, sondern Gott bestimmt ihn in seinem Sosein, das er in eigener Verantwortung übernimmt. Mag er sich auch im weiteren Verlauf seines Lebens von seinem Glauben abwenden, er hat doch immer die Möglichkeit, zu den sakramentalen Handlungen der Taufe und der Konfirmation zurückzukehren, indem er sich bewusst macht, dass er sein Leben Gott verdankt und indem er sich in Erinnerung ruft, dass ihm geschenkt wurde, was er missachtet hat, eben die Gabe, Gott zu finden, und er ihn somit nicht im zeitlich Begrenzten und Vergehenden suchen muss. Wir sehen, dass es unerlässlich ist, die Konfirmation nicht nur als Segenshandlung zu verstehen. Hingegen ist die Verbindung mit der Salbung wünschenswert, aber keine unbedingte Notwendigkeit. Gerade die Kirchen 22 Die Praxis der westlichen Kirche, Taufe und Firmung zeitlich auseinanderzuhalten, zog die theologische Konsequenz nach sich, die in der Taufe übermittelte Gabe des Geistes von der in der Firmung zugeteilten Geistgabe zu unterscheiden. Da die Taufe im Sinne der neutestamentlichen Aussagen mit der Gabe des Geistes verbunden war, musste man sich bei der Firmung etwas Neues einfallen lassen, nämlich die Befähigung zum Kampf in der Welt und zum geistlichen Wachstum (vgl. den von G. Kretschmar verfassten Artikel Firmung, in: TRE XI, 192 – 204). Niemand kann behaupten, dass diese Differenzierung überzeugend gelungen ist. Wenn die Geistgabe nicht mit der Taufe, sondern mit der Firmung verbunden wird, entfallen diese Schwierigkeiten.
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Die Firmung bzw. Konfirmation
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der Reformation, die dem hier verwendeten Element eine zwar, wie ich meine, unbegründete, gleichwohl unbestreitbare Aversion entgegenbringen, können der Sakramentalität dieses Vorgangs auch in anderer Weise inne werden. Die Verleihung des Geistes darf kein ausschließlich geistiger Vorgang bleiben, wenn er sakramental verstanden werden soll. Die für den christlichen Glauben fundamentale Visualisierung verlangt eine Darstellung und Realisierung in einem für alle sichtbaren Zeichen. Dieses Zeichen ist die Handauflegung, eine bereits im Urchristentum mit der Mitteilung des Heiligen Geistes verbundene Praxis (Apg 8,17). Der von Thomas von Aquin aufgestellte Grundsatz, dass die Sakramente bewirken, was sie bezeichnen,23 gilt auch in diesem Zusammenhang. Dass der Geist Gottes den Menschen, der zum Glauben gekommen ist, an seiner Wirklichkeit teilhaben lässt, ist kein Vorgang, der in der Unsichtbarkeit verborgen bleibt. Er teilt sich in einer für die Sinne wahrnehmbaren Form nach außen mit. So ist es für die Menschen sowohl möglich, von außen nach innen zu gehen wie auch umgekehrt im Bereich des inneren Geschehens nach einer von außen wahrnehmbaren Entsprechung zu fragen. Es wäre verfehlt, die Handauflegung als magisches Ritual oder als einen pseudo-physikalischen Vorgang misszuverstehen. In der Magie zwingt das Äußere das Innere, indem es sich dieses gefügig macht. Hier aber geht alles vom Inneren aus, das seine äußere Entsprechung sucht und findet. Diese Entsprechung findet im Ritual der Handauflegung ihre angemessene Verwirklichung. So wird sinnfällig deutlich gemacht, dass niemand autonom zum Glauben kommt, sondern jeder auf die Vermittlung durch andere angewiesen ist. So wie man sich den Segen nicht selbst geben kann, sondern einer anderen Person bedarf, die einem diesen Segen zuspricht, kann die Mitteilung des Geistes nicht in einer Art von Autosuggestion erfolgen, sondern nur dann zur Wirkung kommen, wenn ein dazu beauftragter Repräsentant der Kirche diese Handlung vollzieht. Es legt sich nahe, dass die mit diesem Auftrag betraute Person Träger oder Trägerin des einen Amtes in der Kirche ist. So wie sie im Sakrament der Eucharistie das Geschenk des Mensch gewordenen Gottes an die Gläubigen weiterreicht, überbringt sie in der sakramentalen Handlung der Firmung bzw. Konfirmation die Gabe des Geistes an den Menschen, der zum Glauben gekommen ist. Für das nicht-hierarchische Denken der reformatorischen Kirchen ist es allerdings nicht notwendig und nicht einmal sinnvoll, dass ein Bischof oder einer seiner Vertreter diese Rolle übernimmt. Im Gegensatz dazu legt es sich nahe, eben jener Person diesen Auftrag zuzuweisen, die den heranwachsenden Menschen in den christlichen Glauben eingeführt hat, also im Allgemeinen den Pfarrer oder die Pfarrerin der jeweiligen Gemeinde.
23 S. th. III, 62, 1, ad 1.
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Die sakramentalen Handlungen und das menschliche Werden
4. Die Ordination Wir haben bereits gesehen, dass das eine Amt der Kirche von der Vielfalt kirchlicher Ämter und Dienste unterschieden werden muss. Dieses eine Amt bezieht sich auf das eine Sakrament der Eucharistie, dem keine andere kirchliche Handlung gleichgestellt werden kann, weil es das Werden Gottes in dieser Welt repräsentiert und aktualisiert. Die Vollmacht, dieses Sakrament zu verwalten, kommt dem Träger oder der Trägerin dieses einen Amtes zu; sie wird ihm oder ihr durch die Ordination übertragen. So stellt sich die Frage, wie diese Ordination ihrerseits zu bewerten ist. Sie kann ja kein Sakrament sein, weil sie nicht Ausdruck des göttlichen Werdens ist, sondern das menschliche Werden in den Mittelpunkt rückt. Ist sie aber, wie Taufe, Krankensalbung und Firmung bzw. Konfirmation eine sakramentale Handlung? Wir müssen uns zunächst über eine Einschränkung im klaren sein: Während die bisher behandelten sakramentalen Handlungen auf das Menschsein als solches bezogen sind, geht es hier um einen Vollzug, der nur für bestimmte Menschen infrage kommt. Damit geht ein wesentliches Moment verloren, das bei den bisher behandelten sakramentalen Handlungen von großer Bedeutung war, eben die Verbindung Gottes mit den fundamentalen Gegebenheiten menschlicher Existenz, mit Leben, Tod und mit dem Weg des Individuums zum Bewusstsein seiner selbst. Die Tatsache, dass die Ordination im Leben des jeweiligen Menschen einen wichtigen Einschnitt darstellt, reicht als solche nicht aus, um die Sakramentalität dieser kirchlichen Handlung zu rechtfertigen. Wenn wir dennoch in diesem Sinne argumentieren, so liegt das ausschließlich an der besonderen Beziehung zwischen Gott und dem Menschen, der die Geschichte des Transzendenten immer wieder von neuem zur Darstellung bringt. Wer das Werden Gottes repräsentiert und aktualisiert, muss von einer Einheit mit Gott herkommen, die anders strukturiert ist als die in der Taufe, der Konfirmation oder der Krankensalbung bewirkte Verbindung. Diese Einheit wird in der Ordination geschenkt, und von daher ist es legitim, auch in diesem Ritus eine sakramentale Handlung zu sehen. Es ist die Einheit eines Menschen mit Gott, die nicht nur die Fähigkeit verleiht, die Geschichte des Transzendenten zu bezeugen, sondern auch die Gabe vermittelt, diese Geschichte sichtbar zu machen und sie nach außen für andere darzustellen. Darsteller und das Jenseitige, das dargestellt wird, verschmelzen miteinander, die Distanz des Verweisens und Bezeugens ist überwunden. Parallelen für dieses Geschehen gibt es nur im säkularen Bereich des Theaters, wo der Schauspieler sich mit der Person identifiziert, die er auf der Bühne darstellt. Für das religiöse Verständnis ist es zwingend, dass die mit dem einen Amt betraute Person nicht von sich aus die geforderte Einheit herstellen kann, sondern als ein stets zu aktualisierendes Geschenk empfan-
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Die Ordination
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gen muss. Der Empfang dieses Geschenkes vollzieht sich in der sakramentalen Handlung der Ordination. Von daher bereitet es keine Schwierigkeiten, die theologische Aussage zu verstehen, die an diesen Vorgang eine Mitteilung des göttlichen Geistes knüpft,24 die über das in der Firmung bzw. Konfirmation zu bezeichnende Geschehen hinausgeht. Wer sich mit einer anderen Person identifiziert, muss imstande sein, am Geist dieser Person zu partizipieren. Um so mehr gilt dies für die Identifikation mit Gott, die Voraussetzung für das eucharistische Handeln ist. In der sakramentalen Handlung der Ordination schenkt Gott der mit dem einen Amt beauftragten Person seinen Geist und ermöglicht ihr dadurch die Identifikation mit ihm selbst. So wird dieses eine Amt immer in einem Gegenübersein zu den anderen kirchlichen Ämtern und Diensten verstanden werden müssen. Gleichwohl ist damit nicht eine besondere Qualifikation der Person verbunden, welche dieses Amt ausübt. Die Besonderheit tritt im Vollzug des eucharistischen Geschehens zutage, unabhängig von ihm – wenn der Priester oder Pfarrer als Mensch unter Menschen agiert – verschwindet sie, weil sie im alltäglichen Umgang nur eine unzulässige Glorifizierung der geistlichen Person bewirken würde. Die in der Ordination vermittelte Gabe des Geistes wird hinfällig, wenn der Ordinierte in einer späteren Entscheidung seines Lebens sich vom Glauben abwendet und die ihm ermöglichte Identifikation mit Gott prinzipiell verweigert.25 Man kann hier eine Entsprechung zur in der Firmung bzw. Konfirmation mitgeteilten Gabe des Geistes sehen. Natürlich verbindet sich mit beiden sakramentalen Handlungen eine Intention des Menschen, die sich auf sein ganzes Leben bezieht, und diese Intention schließt sich mit dem göttlichen Willen zusammen, der auf die lebenslange Verbundenheit mit diesem Menschen ausgerichtet ist. Gleichwohl muss man der Faktizität Rechnung tragen, dass die Intentionalität des Anfangs nicht in jedem Fall durchgehalten wird – von Seiten des Menschen her, der in seiner Freiheit getroffene Entscheidungen widerrufen kann, und von der Seite Gottes, der, in Reaktion darauf, seinen Geist in sich zurückzunehmen vermag. Von daher ist die Lehre des Konzils von Trient, das bei beiden Sakramenten von einer bleibenden Kennzeichnung spricht, infrage zu stellen.26 Hier wird etwas als von vornherein gegeben statuiert, was in der Dynamik des individuellen Lebens erst realisiert werden muss, wobei diese Verwirklichung gelingen, aber auch scheitern kann. Der Versuch evangelischer Theologen, der katholischen Lehre vom bleibenden Charakter dadurch entgegenzukommen, dass man von einer lebensgeschichtlich umfassenden Inanspruchnahme des 24 Vgl. Lehmann/Pannenberg, Lehrverurteilungen, 161. 25 Insofern hat die Äußerung Luthers, ein abgesetzter Priester sei nichts anderes als ein „schlechter Laie“ (WA 6, 408, 23 f), einen guten Sinn. 26 DS 1774.
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Die sakramentalen Handlungen und das menschliche Werden
Ordinierten durch die Ordination redet,27 trägt nicht zur Lösung der Schwierigkeiten bei, weil Anspruch und Erfüllung in einen Gegensatz treten können, der durch keine noch so gut gemeinte Überbrückung harmonisiert werden darf. Außerdem bleibt es problematisch, die Eigenheit der Ordination mit dieser Inanspruchnahme zu verdeutlichen, weil Ämter und Dienste von Nicht-Ordinierten in der von ihnen geforderten Hingabe an Gott eine ähnliche Prägung ihres Lebens erfahren können. In der Dimension des Sakramentalen geht es immer, so sehen wir, um eine Vereinigung des Menschen mit Gott, in der Taufe mit ihm als dem Schöpfer des Lebens, in der Krankensalbung mit ihm als einem Wesen, das den Tod will und den Tod bestimmt, in der Firmung bzw. Konfirmation um die Verbindung des Glaubens mit dem göttlichen Geist, in der Ordination um eine Einheit, welche die Selbstdarstellung Gottes durch den dazu beauftragten Menschen ermöglicht – um von der Eucharistie nicht zu reden, in der Gott seinen eigenen Weg zum Menschen sucht und findet. Zugleich verbindet sich das Sakramentale mit einem Element oder einer zeichenhaften Handlung, weil der Weg Gottes zu den Menschen als ein Weg in die Sichtbarkeit, man könnte fast sagen in die Greifbarkeit, beschrieben werden kann. Dieses Zeichen ist bei der Ordination als das Auflegen der Hände zu bestimmen. Dieser biblisch bezeugte Brauch gewinnt in der Ordination seinen eigentlichen Sinn. Natürlich kennen wir ihn auch sonst von Amtsübergaben, wo der Zuspruch des göttlichen Segens sich nicht nur als Zuspruch des Wortes vollzieht, sondern in der Handauflegung seinen symbolischen Ausdruck findet. Als sakramentale Handlung geht aber die mit der Ordination verbundene Handauflegung über dieses zeichenhafte Tun hinaus. Sie wird nur verständlich, wenn wir den Bezug zu dem einen Sakrament beachten, das allen sakramentalen Handlungen gegenübersteht. Die Ordination verleiht den Auftrag und die Vollmacht, den einen Gott darzustellen, der Mensch wird; deshalb kann sie selbst nicht nur als symbolische Handlung verstanden werden, sondern muss in ihrer sakramentalen Dimension einsehbar sein. Wer dazu befugt ist, im eucharistischen Geschehen auf die Seite Gottes zu rücken, kann nicht in einer Weise in sein Amt eingeführt werden, die in ihrer Bedeutung einer beliebigen Amtsübergabe entspricht. Die Identifikation mit Gott, die der Fähigkeit zur Selbstdarstellung eben dieses Gottes vorhergehen muss, bedarf der sakramentalen Dimension, wenn sie in ihrem Auftrag und in ihrer Würde ernst genommen werden soll. Wie sollte sich Gott mit dem Menschen, der ihn in seinem Werden darzustellen vermag, nicht sakramental verbinden? Nur die Einheit, die in dieser Verbindung hergestellt wird, schafft die Voraussetzung für die Darstellung des fundamentalen Zusammenseins von Gott und Mensch, das für den christlichen Glauben eine entscheidende Bedeutung erhält. Da die Ordination nur in ihrer Beziehung auf das eine Amt der Kirche 27 Lehmann/Pannenberg, Lehrverurteilungen, 162, dort weitere Belege.
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Die Ordination
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verstanden werden kann, ist es notwendig, mit der Handauflegung Personen zu beauftragen, die ihrerseits bereits ordiniert sind. Zudem sollte im Unterschied zur Firmung bzw. Konfirmation auch die Frage einer umfassenden Repräsentanz der mit der Vollmacht der Amtsübergabe versehenen Person berücksichtigt werden. In diesem Geschehen muss der Zusammenhang zum Ausdruck kommen, der die Kirchen trotz ihrer unterschiedlichen Ausprägung verbindet, also die gemeinsame Verpflichtung, den Gott darzustellen, der auf sein unberührtes Selbstsein verzichtet, um den Menschen greifbar nahe zu kommen. Der Auftrag der Bischöfe oder anderer mit entsprechender Befugnis versehener Personen zielt darauf ab, diese Einheit der Kirche ins Bewusstsein zu rufen; deshalb liegt es an ihnen, die Ordination vorzunehmen und so jene Weite des Blickes zu ermöglichen, die den gelegentlich in ihren Einzelinteressen befangenen Gemeinden verloren zu gehen droht. Auch wenn von dieser Perspektive aus ein Verständnis für die römischkatholische Sichtweise möglich ist, welche die Vornahme der Ordination ausschließlich den Bischöfen zuweist, können grundlegende und bleibende Differenzen in dieser Frage nicht übersehen werden. Sie hängen letztlich damit zusammen, dass das Amtsverständnis der katholischen Kirche hierarchisch strukturiert ist, während die reformatorischen Kirchen eine in dieser Weise gegliederte Sicht des Amtes ablehnen. Gerade die sakramentale Handlung der Ordination macht deutlich, dass das Problem des kirchlichen Amtes sich einer Instrumentalisierung mit dem Ziel einer Einheit der Kirchen verweigert, sondern seine Funktion darin zu erfüllen scheint, das Profil der einzelnen Konfessionen zu schärfen. Es wäre illusorisch und verfehlt, die in dieser Beziehung zutage tretenden Differenzen für überwindbar zu halten. Demgegenüber muss die in der katholischen Tradition geforderte Konzentration auf die Übergabe der eucharistischen Geräte und die Salbung der Hände nicht mehr als kirchentrennendes Hindernis gelten.28 Zwar gehört, wie wir gesehen haben, die Materialisation zu den entscheidenden Kennzeichen des christlichen Gottesverständnisses, doch wird man in reformatorischer Perspektive beide Vollzüge als eine unangemessene Ausweitung dieses spezifisch christlichen Ansatzes verstehen. Während die Salbung bei den Riten der Firmung bzw. Konfirmation und bei der Krankensalbung ein unaufgebbares Moment darstellt, das im Bereich der reformatorischen Kirchen wieder neu zur Geltung gebracht werden sollte, dient sie hier einer religiösen Überhöhung des Priesterstandes, deren prinzipielle Entbehrlichkeit selbst dem katholischen Denken nahegebracht werden sollte. Das Gleiche wäre von der Übergabe der eucharistischen Geräte zu sagen. Die Bedeutung des priesterlichen Tuns, Gott zu repräsentieren, schlägt hier um in eine Zelebration des Priestertums als solchen und führt damit weg vom Zentrum des christlichen Glaubens. Da aber die römisch-katholische Kirche 28 Lehmann/Pannenberg, Lehrverurteilungen, 160 f.
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Die sakramentalen Handlungen und das menschliche Werden
seit 1947 klargestellt hat, dass nicht die Übergabe der eucharistischen Geräte, sondern allein das Weihegebet der Kirche in Verbindung mit der Handauflegung als konstitutiv für die Ordinationshandlung zu gelten hat,29 ist der Raum für Möglichkeiten einer Verständigung geöffnet. Die Pluralität ausdeutender Riten muss deshalb nicht eingeschränkt werden; sie steht im Dienste der christlichen Vielfalt, die in keinem Fall einer angestrebten Uniformität weichen sollte.
5. Die Ehe Im Unterschied zu dem einen Sakrament haben wir die sakramentalen Handlungen auf das menschliche Werden bezogen. Sowohl die Geburt eines Menschen wie der Tod als Bestimmung seiner Endlichkeit wie der in der Firmung bzw. Konfirmation verdichtete Moment des Bewusstwerdens sind Grunddaten menschlicher Existenz, die in ihrer Beziehung zu Gott erfasst und gewürdigt werden müssen. Die sakramentale Handlung der Ordination kann diese Allgemeinheit nicht für sich beanspruchen, weil sie nur bestimmten Menschen zugeeignet wird; gleichwohl vollzieht sich auch in ihr die Kennzeichnung eines Übergangs, einer grundlegenden Veränderung des Daseins, welche die Einordnung in diesen Zusammenhang rechtfertigt. Überblickt man diese sakramentalen Handlungen, wird man als eines ihrer gemeinsamen Merkmale die Einmaligkeit ihres Vollzuges feststellen können. Das hat die katholische Lehrmeinung dahingehend zum Ausdruck gebracht, dass sie bei Taufe, Firmung und Ordination von einem character sacramentalis spricht, der in der jeweiligen Handlung verliehen wird. So wie das Leben dem Einzelnen nur einmal geschenkt wird, wie er nur einmal das Sterben erleiden muss, so wie der kontinuierliche Prozess der Bewusstwerdung in einem Moment verdichtet werden kann, sind die zugehörigen sakramentalen Handlungen nur in ihrer Einmaligkeit sinnvoll und verstehbar. So wird auch die Beauftragung mit dem einen Amt, die Ordination, nur als singulärer Vollzug einsichtig, der nicht beliebig wiederholt werden kann. Wenn die sakramentale Handlung der Krankensalbung nicht ohne Einschränkungen genannt werden darf, dann liegt das nur daran, dass die Erwartung des Einmaligen, des Todes, und der faktische Eintritt desselben voneinander unterschieden werden müssen. So wird es aufgrund der geschichtlichen Kontingenz menschlichen Daseins notwendig, dass die sakramentale Handlung der Krankensalbung wiederholt werden kann und im gegebenen Fall auch wiederholt werden muss. Die Orientierung an den entscheidenden Lebensvollzügen des menschlichen Daseins führt uns dazu, die Eheschließung als weitere sakramentale Handlung zu kennzeichnen. Der religiöse Charakter der Ehe gründet sich 29 Ebd. 161.
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Die Ehe
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zunächst auf die Intention der Letztgültigkeit, mit der die Partner, im allgemeinen Mann und Frau,30 ihr gemeinsames Leben beginnen und auch beenden wollen. So erkennen wir in der auf das ganze Leben bezogenen Gemeinschaft zweier Menschen ein Moment des Eschatologischen, das von sich aus auf die Ewigkeit des Transzendenten verweist. Wenn die Ehe reduziert wird auf eine zeitlich begrenzte, in einem Vertrag fixierte Lebenspartnerschaft, verliert sie ihren religiösen Sinn und verkümmert zu einer rein säkularen Beziehung, die sich in nichts von anderen Vertragsverhältnissen unterscheidet. Die Intentionalität der Eheschließung, die sich auf das ganze Leben der jeweiligen Partner beziehen muss, ist natürlich von der faktischen Dauer zu unterscheiden, von der Möglichkeit des Scheiterns, die jeder Ehe beigegeben ist. Insofern kann sich das starre Festhalten der römisch-katholischen Kirche auf der Unauflöslichkeit der Ehe nur dem Wortlaut nach auf die Aussagen Jesu berufen, während sie in dieser Hinsicht den Kern seiner Botschaft gründlich verfehlt.31 Jede Ehe, jedes Versprechen einer Treue bis zum Tode ist ein eschatologisches Wagnis, weil niemand für sich garantieren kann. Insofern entspricht die Vorstellung der Ehe keineswegs den Normen bürgerlicher Konvention, weil sie in der Fluktuation des Werdens und Vergehens intentional eine Dauer aufscheinen lässt, die das Ewige zu repräsentieren vermag. Dass die Aufgabe der Ehe in dieser Repräsentation besteht, wird aber nicht nur von ihrer anthropologischen Struktur her deutlich, sondern auch vom christlichen Gottesverständnis. Da Gott in Christus Mensch geworden ist, kann die letztgültige Beziehung zweier Menschen Abbild einer göttlichen Relation sein und insofern sakramentalen Charakter haben. Eben dies macht die für das christliche Eheverständnis relevante Stelle im Epheserbrief deutlich (Eph 5,23 – 25). Die Inkarnation Gottes schließt die Zueignung einer Leiblichkeit ein, die Gott von seinem Ursprung her fremd war. Eben in dieser Zueignung eröffnet sich der Weg Gottes zur menschlichen Ehe, die personale und darin auch leibliche Gemeinschaft ist. Somit ist die Ehe nicht nur 30 Es ist hier nicht der Ort, das Problem homosexueller Lebensgemeinschaften zu erörtern. Wenn die Intention der Letztgültigkeit und damit einer definitiven Bindung beider Partner gegeben ist, vermag ich nicht einzusehen, wieso das für das Verhältnis von Mann und Frau Gesagte nicht auch hier Geltung erlangen sollte. Entscheidend ist das Versprechen zweier Menschen, die in ihrem gemeinsam unternommenen eschatologischen Wagnis ihrer Verbindung eine transzendente Qualität verleihen, die ihren Ausdruck in der hier thematisierten sakramentalen Handlung findet. Die biblischen Aussagen zur Homosexualität sind in ihrer kulturellen und historischen Begrenztheit zu würdigen und zu relativieren. Eine allgemeine, über die Zeiten hinweg gültige Verpflichtung kann aus ihnen nicht abgeleitet werden. 31 Es ist ja offensichtlich, dass das vom historischen Jesus in der Tat rigoros formulierte Scheidungsverbot ohne die Intention, die Stellung der Frau im damaligen kulturellen Umfeld zu stärken, nicht verstanden werden kann. Dass andere geschichtliche Konstellationen andere Lösungen erforderlich machen oder wenigstens als möglich erscheinen lassen, zeigen bereits die Ausführungen des Apostels Paulus in 1. Kor 7,10 – 12.
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Die sakramentalen Handlungen und das menschliche Werden
Schöpfungsordnung, weil dieser Begriff die Distanz von Schöpfer und Geschöpf nicht aufhebt. Das christliche Verständnis der Ehe muss über diesen Begriff hinausgehen, weil die Einbeziehung in das Mysterium der Erlösung damit nicht zum Ausdruck gebracht werden kann. Dem Epheserbrief kommt das große Verdienst zu, diesen Zusammenhang erkannt zu haben. Er hat damit die Voraussetzungen für ein spezifisch christliches Eheverständnis geschaffen. Die bereits früher erörterte Vorstellung des Leibes Christi hat ihn dazu geführt, die letztgültige Verbindung zweier Menschen nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer von Gott gesetzten Ordnung zu betrachten, sondern auch in ihrer christologischen Bedeutung zu erfassen. Die vorgetragene Parallelisierung – Christus als Haupt verhält sich zur Kirche als dem Leib Christi wie der Mann zur Frau – kann man allerdings nicht übernehmen. Sie verkennt den Grundsatz der Gleichberechtigung beider Partner, aus dem erst eine wahre Gemeinschaft hervorgehen kann. Man muss allerdings fragen, wie die der Ehe zugewiesene Aufgabe der Repräsentation bestimmt werden soll, wenn die vom Epheserbrief gezogenen Verbindungslinien nicht akzeptiert werden. Gott nimmt die den Menschen zugehörige Leiblichkeit an, um sich mit ihnen zu verbinden. Die wirkliche, von der jeweils spezifischen Personalität bestimmte Einheit zweier Menschen entspricht dem Gott, der die Verbindung zu ihnen in seiner Leiblichkeit sucht und findet. In diesem Sinn lässt sich die kirchliche Eheschließung als sakramentale Handlung verstehen. Freilich wollen die Unterschiede zu den bisher behandelten sakramentalen Handlungen und zu dem einen Sakrament beachtet sein. Während wir bisher immer eine Konzentration auf das spezifische Element – Wasser, Brot und Wein, Salböl – feststellen konnten, kann hier davon nicht die Rede sein. Dieser Unterschied geht aus einer anderen prinzipiellen Differenz hervor. Sowohl das Sakrament der Eucharistie wie die bisher behandelten sakramentalen Handlungen sind auf den einzelnen Menschen bezogen. Sei es, dass er den Leib und das Blut Christi empfängt, sei es, dass ihm das Geschenk des Lebens oder das Geschenk des Bewusstseins zugeeignet wird, sei es, dass er sich in der Vorbereitung auf das Sterben in Gott geborgen wissen darf, oder in der Ordination in eine andere Weise seiner Existenz hinübergeht, immer geht es um dieses eine Individuum, das der Gnade Gottes teilhaftig wird. Die sakramentale Handlung der Eheschließung bezieht sich nicht auf den Einzelnen, sondern auf die Beziehung zweier Menschen. Deshalb verdichtet sie sich nicht in einem dargebrachten oder übereigneten Element, sondern in einem Ritus, der die Wechselseitigkeit des Geschehens zum Ausdruck bringt. Von daher ist die Aussage der katholischen Dogmatik sinnvoll, dass die Brautleute selbst das sakramentale Zeichen konstituieren, während der Priester nur als qualifizierter Assistent an diesem Vorgang beteiligt ist. Dennoch können wir dieses Geschehen nicht nur als eine symbolische Handlung begreifen, da die Einbeziehung in das göttliche Mysterium nicht nur dargestellt, sondern auch vollzogen wird.
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Die Ehe
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Während wir die Taufe als Verbindung des neu geschenkten individuellen Lebens mit Gott verstehen, der der Ursprung dieses Lebens ist, sehen wir in der sakramentalen Handlung der Eheschließung eine Verbindung Gottes mit den beiden Partnern, die ihren gemeinsamen Lebensweg beginnen. Die Parallelität von Taufe und Eheschließung ist damit aber noch nicht erschöpft. So wie Gott sich in der sakramentalen Handlung der Taufe als das transzendente Wesen erweist, das zu jedem neu geschenkten Leben sein Ja spricht, so erweist er sich in der kirchlichen Trauung als der Jenseitige, der jede, mit der von mir angesprochenen eschatologischen Intention geschlossene Verbindung als Abbild seines eigenen Soseins erkennt. Gottes Liebe erkennt keine Schranken an, auch nicht die Schranken des menschlichen Bewusstseins. Das wird in der Säuglingstaufe deutlich, wo der Getaufte nicht wissen kann, was mit ihm geschieht; in der Gott sich auf ihn bezieht, jener sich aber noch nicht auf Gott bezieht. In anderer Weise sehen wir das auch, wenn Menschen sich für die Dauer ihres Lebens miteinander verbinden, ohne einen explizit religiösen Bezug herzustellen. Sie schließen in ihrem Bewusstsein Gott aus, aber Gott schließt sie nicht aus. Gerade weil sie das eschatologische Wagnis eingehen, ist er ihnen nahe. Leben und Tod, die Entstehung des menschlichen Bewusstseins, die letztgültige Entscheidung für einen gemeinsamen Lebensweg, der Entschluss zu einem Leben, das sich in besonderer Weise dem Dienst Gottes verpflichtet weiß, das sind fundamentale existentielle Vollzüge des menschlichen Werdens, in denen die sakramentalen Handlungen ihren Ort haben. Wir schließen die Explikation dieser Handlungen mit der Betrachtung der Ehe ab. Das Weitere bleibt einem anderen Zusammenhang vorbehalten.
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VI. Das wirkende Wort 1. Die Buße Wir haben gegenüber dem Verständnis der evangelischen Kirchen die Reihe der sakramentalen Handlungen beträchtlich erweitert, indem wir Konfirmation bzw. Firmung, Krankensalbung, Ordination und Ehe in diesem Kontext entfaltet haben. Damit verbindet sich eine Annäherung gegenüber der Sichtweise der römisch-katholischen Kirche, die sich nicht primär ökumenischen Impulsen verdankt, sondern ihren Grund in der Tatsache findet, dass die grundlegenden existentiellen Gegebenheiten des menschlichen Daseins in ihrem religiösen Bezug deutlicher werden, wenn sie in dieser Weise für ein sakramentales Verständnis offen sind. Man kann sich nun natürlich fragen, wieso wir die bezeichnete Linie nicht noch weiter ausziehen und das einzige bisher noch nicht behandelte Sakrament der katholischen Kirche, die Buße, in diesen Zusammenhang hineinnehmen. Genau hier halte ich es aber nicht für sinnvoll, von einem Sakrament bzw. von einer sakramentalen Handlung zu sprechen. Die Gründe sollen im Folgenden dargelegt werden. Der erste, entscheidende Grund liegt darin, dass wir hier nicht von einer faktisch oder intentional einmaligen Veränderung der Seinsweise reden können wie bei den anderen von uns aufgeführten sakramentalen Handlungen. Damit soll nicht gesagt sein, dass das Schuldigwerden und die Vergebung der Schuld nicht zu den grundlegenden existentiellen Vollzügen des menschlichen Daseins gehört. Aber wir werden immer wieder an anderen Menschen schuldig und bedürfen deshalb immer wieder von neuem der Vergebung, so dass wir hier ein Kontinuum wahrnehmen, dass unser ganzes Leben begleitet. Eben damit grenzt sich die Relation von Buße und Vergebung von den anderen sakramentalen Handlungen aus. Der zweite Grund besteht in einem Einwand, den schon die Reformatoren gegen das Verständnis der Buße als Sakrament erhoben haben. Es fehlt das sakramentale Zeichen. Auch in dieser Hinsicht verbietet sich eine Zuordnung zu dem einen Sakrament oder den verschiedenen sakramentalen Handlungen. Denn bei diesen ist die Prävalenz eines spezifischen Elementes oder, im Fall der Ehe, einer die Verbindung darstellenden und bewirkenden Handlung, gegeben, während wir in dem Geschehen von Buße und Vergebung nichts von alledem finden können. Was sich hier abspielt, entzieht sich der Zugangsmöglichkeit für die Vielfalt der Sinne und verweigert sich der Handgreiflichkeit, die bei allem Sakramentalen unabdingbar dazugehört. In der Relation von Buße und Vergebung vollzieht sich ein Wortgeschehen, das nicht über sich hinausdrängt und ein Zeichen fordert, sondern in sich selbst sein Genügen findet.
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Das wirkende Wort
Dieses Wortgeschehen setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: Zum einen aus dem Bekenntnis der Schuld, das aus der Reue über die begangene Tat hervorgegangen ist und zum anderen aus dem Zuspruch der Vergebung, der die Schuld zunichte macht und so die Gemeinschaft mit Gott wieder herstellt. Das Eigentümliche dieses Geschehens besteht darin, dass das Wort der Vergebung bewirkt, was es ausspricht.1 Es stellt also nicht einen Sachverhalt fest, der unabhängig von ihm wirklich wird und sich nur in der sprachlichen Artikulation für den Anderen erschließt, sondern die Faktizität bindet sich an das Wort, das sie ausspricht, und ist ohne es nicht zu gewinnen. So erlangt das Wort der Vergebung eine Struktur, die in einer Analogie zum sakramentalen Handeln begriffen werden kann, wenn auch aus den genannten Gründen hier nicht von einem Sakrament geredet werden darf. Diesen Gründen sei nun noch ein letzter hinzugefügt: Für das sakramentale Handeln der Kirche ist die Beziehung auf ein gottesdienstliches Geschehen ebenso wesentlich wie die Beziehung auf eine mit dem besonderen Amt beauftragte geistliche Person. Das heißt nicht, dass in besonderen Fällen – auch nach katholischer Auffassung – ebenso Laien die Taufe vornehmen können und dass es – in evangelischer Sicht – bei speziellen Gegebenheiten auch dem Nichtordinierten möglich ist, die Feier des gemeinsamen Abendmahles zu leiten. Eine Regel soll und kann daraus nicht werden. Bei der Relation von Buße und Vergebung verhält es sich aber anders. Hier sollte deutlich werden, was die reformatorische Rede vom allgemeinen Priestertum der Gläubigen eigentlich aussagt: Jeder Christ kann dem Anderen seine Schuld vergeben, und zwar nicht nur dann, wenn ihm selbst Böses zugefügt wurde, sondern auch da, wo von einer schlimmen Tat die Rede ist, die ihn selbst nicht betrifft. So verlässt das Wortgeschehen, dem wir uns hier zuwenden, den Bereich des Sakralen2 und damit auch des Sakramentalen und geht hinüber in die profane Gemeinschaft der Menschen, die nicht gedeihen könnte ohne das immer wieder ausgesprochene Wort der Vergebung, eben dieses Wort, das nicht nur spricht, sondern auch bewirkt. Gerade indem wir den Bereich des Sakramentalen verlassen, finden wir in der Relation von Buße und Vergebung den Zugang zum Wirken des historischen Jesus. Beides ist mit dem Wirken dieser Gestalt unlösbar verbunden: die nachdrückliche Aufforderung zur Buße, also zur Umkehr, und der Zuspruch der Sündenvergebung, den Jesus in eigener Vollmacht den Menschen zuteil werden lässt.3 Hier erkennen wir in signifikanter Weise, dass es nicht genügt, 1 Damit wird das Wort der Vergebung als performative Äußerung erkennbar. Die Eigentümlichkeit dieser Sprachform ist von L. Wittgenstein und in seinem Gefolge von J.L. Austin analysiert worden. 2 Damit soll nicht gesagt sein, dass der Zuspruch der Sündenvergebung nicht auch im Gottesdienst seinen Ort hat. Er ist aber nicht auf den Bezirk des Sakralen beschränkt, sondern weitet sich, aufgrund des allgemeinen Priestertums der Gläubigen, in einer Weise aus, die alle zwischenmenschlichen Relationen betrifft. 3 Vgl. z. B. Mk 1,15 und Mk 2,5.
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Die Buße
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Jesus als einen Menschen darzustellen, der permanent von sich weg auf Gott verweist, sondern dass wir ihn als den Menschen sehen müssen, der an die Stelle Gottes tritt und deshalb in der christlichen Sichtweise zu Recht als Gott bezeichnet werden kann. Sünden vergeben kann im Umkreis des monotheistischen Glaubens, also im Judentum und im Islam, nur Gott. Wenn Jesus als Mensch diese Vollmacht für sich beansprucht, stattet er sich mit einer Befugnis aus, die Göttliches dem Bereich des Menschlichen anvertraut und überlässt. Insofern ist es nur konsequent, dass Jesus diese Vollmacht nicht für sich selbst reserviert, sondern sie in einer persönlichen Beauftragung auf seine Jünger überträgt.4 Ob wir diese Beauftragung mit dem allgemeinen Priestertum der Gläubigen verbinden wie in den reformatorischen Kirchen oder sie einem besonderen Priestertum vorbehalten wie in der römisch-katholischen Kirche, hat zwar kontroverstheologisch eine erhebliche Bedeutung, ist aber im Blick auf die Eigenart des christlichen Glaubens im Verhältnis zu den anderen Religionen peripher. In jedem Fall wird die Radikalität der Bewegung deutlich, die Gott hin zu den Menschen vollzieht, indem er auf das ihm selbst Vorbehaltene verzichtet und es den Menschen überträgt, die an seiner Stelle handeln dürfen und handeln sollen. In dieser Übertragung spiegelt sich das Geheimnis des christlichen Glaubens wider, das wir mit dem Begriff der Inkarnation in einem Wort zusammenfassen. Da das Christentum eine Religion ist und nichts anderes, hat es die Unterscheidung des Sakralen und des Profanen nicht aufgehoben. Die Dimension des Sakramentalen ist das eindrücklichste Zeugnis dafür, dass diese Unterscheidung bestehen bleibt. Sie bedeutet jedoch keine Trennung. Keine Religion darf sich damit zufrieden geben, das Weltliche als Weltliches sich selbst zu überlassen und nur den Frieden der Seele zu verkünden. In christlicher Terminologie gesprochen heißt das: Der missionarische Auftrag gehört zum Wesen der Kirche. Wenn sie auch nicht von der Welt ist, so greift sie doch in die Geschicke der Welt ein, ihre Stimme muss vernehmbar sein – als Mahnung und Anklage, wenn die Gebote der Sittlichkeit missachtet werden. So erhält die Aufforderung zur Buße ihren Sinn – die Eigengesetzlichkeit des Politischen wird durchbrochen zugunsten höherer Zielsetzungen, die sowohl im Bereich der Moral wie im Bereich der Religion Geltung besitzen. In der Notwendigkeit der Buße verschränken sich Kirche und Welt,5 während die Unterscheidung von Sakralem und Profanem ihre jeweilige Eigenständigkeit betont. Nirgendwo wird diese Verschränkung so deutlich wie am Beispiel des historischen Jesus. Mit seiner Aufforderung zur Buße durchbricht er die 4 Mt 18,18 und mit Beziehung auf Petrus Mt 16,19. 5 Die Aufforderung zur Buße gehört zum politischen Auftrag der Kirche. Gerade in der Wahrnehmung dieses Auftrages hängt aber alles an ihrer eigenen Glaubwürdigkeit. Wenn sie selbst über ihre eigenen Verfehlungen hinweggeht oder sie mit letztlich billigen Bekenntnissen der allgemeinen Sündhaftigkeit zudeckt, darf sie ihre Stimme in der Politik nicht mehr zur Geltung bringen, sondern muss, hoffentlich beschämt, schweigen.
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Das wirkende Wort
Selbstgefälligkeit gesellschaftlicher Gegebenheiten, die sich bei den „Weltkindern“ genauso finden wie bei den Frommen. Er durchbricht sie zugunsten eines höheren Zieles, des Reiches Gottes, das er verkündet und verkörpert. Aber diese Umkehr führt nicht zur Abwendung von der Welt wie bei Johannes dem Täufer. Die Freude über das Kommende überträgt sich auf die Gegenwart, sie strahlt hinein in die natürlichen Gegebenheiten des Lebens, in das Essen, das Trinken und das Schöne in der Wahrnehmung der Natur. Die Aufforderung zur Buße intendiert nicht das Ideal des asketischen Lebens, wohl aber die Absage an die Verabsolutierung alles Endlichen, die Wahl des Einen, Transzendenten, aus dem alles Endliche hervorgeht. Die Buße ist, so haben wir gesehen, kein Sakrament und keine sakramentale Handlung. Wäre es anders, so müssten wir sagen: Die Buße ist das einzige Sakrament, das sich mit Fug und Recht auf den historischen Jesus beziehen kann.
2. Der Segen Die Buße, so haben wir gesehen, zielt auf das Wort der Vergebung, das bewirkt, was es ausspricht. Damit erhält dieses Wort eine eigentümliche sprachliche Struktur, die sich mit der Vorstellung der Sprache als Bezeichnung eines außer ihr gegebenen Sachverhaltes nicht vereinbaren lässt. Wir müssen fragen, ob es nicht andere Bereiche des religiösen Redens gibt, die sich in diesen Zusammenhang einfügen lassen. Hier mag einem zunächst das Gebet in den Sinn kommen, also Worte, mit denen sich der glaubende Mensch an Gott wendet. Aber ob es sich nun um einen Wunsch oder eine Bitte handelt, mit denen der Gläubige Gottes Hilfe erfleht, oder um Äußerungen des Lobes und des Dankes, bei näherem Zusehen merken wir, dass die Wirkung nicht in den gesprochenen Worten selber liegt, sondern der souveränen Entscheidung Gottes überlassen bleibt. Die einzige Sprachform, die in diesem Kontext noch der Erläuterung bedarf, ist das vielfältig bezeugte Wort des Segens. Hier verschmelzen Wort und Wirkung zu einer Einheit, die nur im Wort der Vergebung eine Parallele findet. Wir nehmen zunächst eine Selbstmächtigkeit des gesprochenen Wortes wahr, die über das in der Buße angezeigte Wortgeschehen noch hinauszugehen scheint. Ist dort alles zurückgebunden an den göttlichen Auftrag, den Jesus für sich selbst wahrnimmt und an seine Jünger weitergibt, so scheint das Segenswort eine eigene Dignität zu gewinnen, für welche die Relation zu einer höheren Instanz entbehrlich wird. So kann beispielsweise der Segen, den Isaak dem falschen Adressaten, nämlich Jakob, zukommen ließ, nicht mehr zurückgenommen werden – es ist nicht einmal mehr möglich, ihn auch der Person zu gewähren, die ihn eigentlich beanspruchen könnte, nämlich Esau (Gen 27, 1 – 45). Es ist klar, dass diese Selbstmächtigkeit des gesprochenen Wortes in einen
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Der Segen
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Gegensatz zur Verfügungsmacht der göttlichen Lenkung geraten muss, die ihre Überlegenheit angesichts eines solchen Automatismus behaupten muss. Die Bileam-Erzählung (Num 22 – 24) versucht, hier eine Synthese zu erreichen, indem sie einerseits die Vorstellung des wirkenden Wortes unangetastet lässt, aber andererseits sicherstellt, dass dieses Wort nur im Einklang mit dem Willen Jahwes erfolgen kann. So nähern wir uns der Frage, was Segen in der religiösen Sprache der Gegenwart bedeutet. Er vereinigt als Sprachform zwei Momente, die im Grunde einander widersprechen: Zum einen das wirkende Wort; denn die Erteilung des Segens ist etwas anderes als die an Gott gerichtete Bitte, die sich ausschließlich der Allmacht Gottes unterstellt; zum anderen eine Rückbindung an Gott, der eigentlich als das Segen gewährende Subjekt verstanden werden muss und dieses ihm zukommende Prädikat nicht in einer der Vollmacht der Sündenvergebung entsprechenden Weise den dazu beauftragten Menschen übergeben hat. Von daher wird verständlich, dass die Erteilung des Segens in einer konjunktivischen Form erfolgen muss, während der Zuspruch der Sündenvergebung nur als Indikativ seinen Sinn gewinnt. Eben dieser indikativische Charakter zieht die Analogie des Wortes der Vergebung und des sakramentalen Geschehens nach sich, auf die wir bei der Erläuterung der Buße hingewiesen haben. Beide Vollzüge sind nur zu verstehen, wenn man begreift, dass die heilsame Wirkung in einer unlöslichen Verbindung mit dem für die Sinne wahrnehmbaren Vorgang, sei es die mit dem Wort verbundene Handlung, sei es das gesprochene Wort als solches, steht. Der konjunktivische Charakter des Segens, der das wirkende Wort mit dem Vorbehalt versieht, dass es letztlich an Gott liegt, ob der Segen seinen spezifischen Sinn erfüllt, hebt die Analogie zum sakramentalen Handeln, von der wir beim Wort der Vergebung sprachen, auf. Andererseits zeichnet sich die Segenshandlung durch eine größere Nähe zum sakramentalen Handeln aus als das Wort der Vergebung, weil dieses ohne Zeichen auskommt, während die Mitteilung des Segens sich meist mit dem Gestus des Segnens verbindet.6 Dieser Gestus ist vom sakramentalen Zeichen genau zu unterscheiden: Das Zeichen, sei es als Element oder als Handlung zu bestimmen, bindet die spezifische Wirkung des jeweiligen Sakramentes an sich, während der mit dem Segen verbundene Gestus das wirkende Wort begleitet, aber nicht in sich hineinzieht.7 Mit der Betrachtung des Segens gewinnen wir eine weitere Perspektive, die es ermöglicht, einen Blick auf die anderen monotheistischen Religionen zu werfen. Die sakramentale Dimension gehört ja zu den unverwechselbaren Eigenheiten der christlichen Religion. Ebenso ist das mit dem Begriff Buße 6 Meist, aber nicht immer. Auch rein verbale Segnungen sind möglich. 7 Auch die mit einem Zeichen verbundenen Segnungen müssen nochmals differenziert werden, und zwar unter dem Gesichtspunkt ob sie ohne oder mit Berührung vollzogen werden (vgl. D. Greiner, Segen und Segnen, Stuttgart u. a. 1998, 325). Aber auch in diesem Fall ist ein sakramentales Verständnis nicht zwingend erforderlich.
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Das wirkende Wort
bezeichnete Wortgeschehen in der weiter oben charakterisierten Gestalt nur im christlichen Glauben möglich. Beim Segen verhält es sich anders. Nicht zufällig redet schon der Schöpfungsbericht der Priesterschrift vom Segen Gottes, den dieser nicht nur den Menschen zukommen lässt (Gen 1,28), sondern auch den Tieren (V. 22). Damit gehören die Ausführungen über den Segen primär in eine Theologie der Schöpfung, die Aufgabe aller monotheistischen Religionen ist.8 Aber auch noch in anderer Weise führt uns der Segen über das Zentrum des christlichen Glaubens hinaus. Während die sakramentale Dimension, aber auch das Bußgeschehen, die Immanenz des Göttlichen in den Vordergrund rückt, nehmen wir beim Segen wahr, dass Gott die ihm wesensmäßig zukommende Transzendenz nicht preisgibt. Gerade weil er das eigentliche Subjekt des Segens ist und bleibt, erfahren wir nicht nur seine Zuwendung, mit der er uns beschenkt,9 sondern werden zugleich des unbegreiflichen Ursprunges gewahr, der für uns nicht fassbar ist und auch niemals fassbar werden kann. Eine Theologie des Segens ist nur da sinnvoll, wo der Zusammenhang des Christentums mit den anderen monotheistischen Religionen bedacht wird. Im Verweis auf Gott als den Schöpfer des Himmels und der Erde finden sie ihre Einheit, so unterschiedlich die Vorstellungen von der Schöpfung im Einzelnen auch ausfallen mögen. Gott ist nicht nur als Prinzip alles Geschaffenen erkennbar, sondern auch als personales Wesen erfahrbar, dass will, dass etwas anderes sei als er selbst und diesen Willen zur Tat werden lässt. In diesem Willen bejaht er das von ihm Geschaffene, es ist ein Ja, dass sich in der mehrmals wiederholten Feststellung artikuliert, dass das Entstandene gut ist. Doch Gott verwahrt diese Bejahung nicht in seiner Innerlichkeit, er wendet sie seinen Geschöpfen zu, und diese Zuwendung vollzieht sich im Akt des Segens. Der Ritus des Segens ist Gottes eigener Ritus, mit dem alles beginnt. Gott vollzieht ihn, ohne dass hier schon im Blick wäre, dass Menschen selbst Segnende sein könnten. Unsere Feststellung, Segen sei ein Widerspruch in sich, löst sich hier auf: Wort und Wirkung fallen zusammen ohne den Vorbehalt göttlicher Zustimmung, denn Gott selbst verkörpert die von vornherein gegebene Einheit. Gott, der selbst das Leben ist, will Leben für das Andere seiner Selbst. Dieses Andere wird nicht nur für gut befunden, es wird gesegnet. So ist der Segen das Vorzeichen, das die gesamte Schöpfung, die erst in ihrem Drang zum Leben verständlich wird, dominiert. Er ist das Zeichen des Anfangs, er ist aber auch das Zeichen des Endes. Denn Gott segnet nicht nur die Tiere, er segnet nicht 8 Das hat C. Westermann in: Der Segen in der Bibel und im Handeln der Kirche, München 1992, zu Recht betont. 9 Da das Moment der Zuwendung entscheidend ist, halte ich es für verfehlt, mit F. Steffensky den Segen als „Sprache und Gebärde der Sehnsucht“ zu bezeichnen; in: F. Steffensky, Segen, Gedanken zu einer Geste, PTh 1993, 2 – 11, hier 11.
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Der Segen
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nur den Menschen, er segnet auch den Sabbat. Er segnet nicht nur das Tun, sondern auch die Ruhe von allem Tun (Gen 2,3). Diese Ruhe ist die Vollendung, der wir entgegengehen. Dass Gott sie segnet, ist Ausdruck unserer Hoffnung. Vollendung ist nicht das banale Nichts, das alles zunichte macht, was existiert hat und nicht mehr ist. Sie ist die Bewahrung des Endlichen, das nicht mehr lebt, aber aufgehoben ist in der Einheit Gottes. Wir wissen, dass alles Leben auf der Erde nicht ewig dauern wird. Aber alle Phantasien des Weltuntergangs werden überboten durch das Zeichen des Segens, das bereits am Anfang steht: des Segens, den Gott dem siebten Tag zuteil werden lässt, dem Tag der Ruhe von allen Werken. Schließen sich am Anfang alle monotheistischen Religionen zu einer Einheit zusammen, die im Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer ihren Ausdruck findet und im Zeichen des göttlichen Segens die definitive Bejahung erfährt, so werden im Blick auf das Ende Differenzen dieser Religionen deutlich, vor allem unterschiedliche Akzentuierungen zwischen Judentum und Christentum. Die Segnung, die der priesterschriftliche Schöpfungsbericht dem siebten Tag zuteil werden lässt, hat für den jüdischen Glauben als primäre Konsequenz die Heiligung des Sabbats: Hier soll die Ruhe Gottes unter den Menschen Wirklichkeit werden. Demgegenüber begnügt sich die christliche Sichtweise nicht mit dem Hinweis auf das irdische Leben der Gläubigen, so sehr auch hier auf die Einhaltung der sonntäglichen Ruhe Wert gelegt wird. Sie verbindet Anfang und Ende, die Schöpfung und das ewige Sein Gottes, das alles Geschehene im eigenen Bewusstsein zur Ruhe kommen lässt. Erst die Eschatologie vermag zu enthüllen, was die göttliche Segnung des Sabbats eigentlich bedeutet. Danach wird Gott „am siebten Tag ruhen, indem er diesen siebten Tag, nämlich uns, ruhen lässt in sich“.10 Eindrücklicher kann die christliche Hoffnung nicht mehr artikuliert werden. Wir ruhen in Gott, indem er uns in seinem Gedächtnis bewahrt. Er vermag uns zu bewahren, weil er Geist ist. So wie der Mensch als geistiges Wesen sich erinnert und in dieser Erinnerung das Geschehene lebendig werden lässt, ist für Gott das Ganze der Wirklichkeit präsent, weil er das dem Vergehen der Zeit Anheimgegebene aufnimmt und in die Ruhe seines eigenen Sabbats transzendiert. In der Ruhe des Sabbats findet Gott zu sich selbst zurück. Seine Geistigkeit verwirklicht sich nicht mehr in der Hinwendung zum Anderen seiner Selbst, sondern in einem reinen Bei-sich-Sein, das das Geschehene geschehen sein lässt und Neues nicht mehr will. Gott ist nicht nur Gott der Schöpfer, sondern auch Gott der Vollender. Indem er den Sabbat segnet, segnet er die Vollendung und spricht das Ja zu sich als Geist. Von daher genügt es nicht, den Segen nur schöpfungstheologisch zu verstehen. Er muss in christlicher Perspektive trinitarisch gedeutet werden.11 Denn die Vollendung ist das eigentliche „Werk“
10 Augustin, Vom Gottes-Staat (De civitate dei), 22. Buch, 30. Kapitel, Bd. 2, München 1978, 835. 11 D. Greiner hat zu Recht auf die Notwendigkeit einer trinitarischen Begründung hingewiesen
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Das wirkende Wort
des Geistes. Hier, in der Rückkehr Gottes zu sich selbst, erfährt er die Reinheit des ungefährdeten Bei-sich-selbst-Seins. Er erfährt sie, ohne das Vergangene abzustoßen und im Orkus des Vergessens verschwinden zu lassen. Er erfährt sie, indem er das Geschehene in sich aufnimmt und bewahrt. Dass Gott nicht nur die Tiere und Menschen, sondern auch den Sabbat segnet, begründet die Hoffnung der Religionen. Wir sehen, dass die Eigenart des Segens darin besteht, Anfang und Ende zu einer Einheit zusammenzufügen. Das gilt bereits für Gott selbst, der nicht als der immer Gleiche beschrieben werden darf, sondern sich erst in seinem Werden für die Menschen erschließt. Der Segen ist das vornehmste Prädikat seines Schöpfungshandelns, in ihm versinnbildlicht sich die liebende Zuwendung, welche die Entstehung des Lebens möglich macht. Diese Zuwendung ist der Beweggrund seines Werdens, das erst zur Ruhe kommt, wenn der Geist einkehrt in sich selbst. Indem Gott den Sabbat segnet, segnet er sich selbst als Geist. Diese ewige Ruhe ist die Vision des Anfangs, sie ist von Anfang an präsent, weil Gott in allem Werden sich in der Zeitlichkeit nicht erschöpft. Indem er sich als Geist sieht, hat er das Ziel seines Werdens immer bei sich. Der irdische Segen kann nur ein schwaches Abbild des göttlichen Segens sein. Gleichwohl ist es unter diesen Voraussetzungen kein Zufall, dass der primäre Ort des Segens die kultische Feier, der Gottesdienst, ist. Und ebenso wenig ist es verwunderlich, das der Segen am Anfang oder am Ende dieses Geschehens gesprochen werden muss: als das göttliche Zeichen des Kommens, das die menschliche Hinwendung zu Gott in der göttlichen Zuwendung zum Menschen geborgen sein lässt, und als das göttliche Zeichen des Gehens, das die Entlassung in die Welt unter den Schutz eben dieses Gottes stellt. Das in dieser Entlassung beschlossene Ende ist nur relativ, bezogen auf einen bestimmten Gottesdienst, dem andere folgen werden. Und so gilt der Segen nicht der absoluten Ruhe, sondern dem stetig weitergehenden Wechsel in der Welt. Trotzdem ist jedes Ende Inbegriff der Zeitlichkeit überhaupt und verweist so auf das absolute Ende, auf den Sabbat, der alles Werden in seine ewige Ruhe ausmünden lässt. Wenn in der kultischen Handlung Anfang und Ende im Segen zusammenfinden, dann leitet dieser Segen hinüber zu dem großen Segen Gottes, der durch ihn Schöpfung und Vollendung in ihrer Einheit hervortreten lässt. In diesem Segen wird die Bejahung deutlich, die über der Schöpfung steht und als solche die Hoffnung auf das Ende begründet. Der Glaube an Gott den Schöpfer widerspricht der Befürchtung, dass alles Endliche im Nichts verloren geht und der Sinn des Ganzen in das Reich menschlicher Illusionen verwiesen werden muss. Da sich alle monotheistischen Religionen in diesem Glauben vereinen, ist die Hoffnung kein Privileg des christlichen Denkens, sondern
(Greiner, Segen, 266). Ob sie der von ihr gestellten Aufgabe gerecht geworden ist, muss allerdings bezweifelt werden (vgl. ebd. 267 – 355).
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Der Segen
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eine Haltung, man könnte auch sagen eine Tugend, die Judentum, Christentum und Islam zusammenführt. Der göttliche Segen verifiziert die Zuwendung, in der Gott sich und sein Werk verbindet. Der am Schluss des Gottesdienstes gesprochene aaronitische Segen bringt das in einer Weise zum Ausdruck, an die keine andere Segensformel hinreicht. Hier wird, in einer für jedes monotheistische Empfinden unerlässlichen Bewegung des Transzendierens, alles der Verfügungsmacht Gottes anheimgestellt, aber zugleich äußert sich diese Macht nicht in einem Verschlossensein unberechenbarer Omnipotenz, sondern erstrahlt in einem Licht, das die Züge eines Antlitzes erkennen lässt. Wer sein Gesicht zeigt, zeigt sein Wesen. So ist die Rede von den panim, also vom Angesicht Gottes, auch im alttestamentlichen Verständnis nicht einfach als anthropomorphe Aussage zu klassifizieren, sondern sie intendiert die Evidenz des Sich-sehen-Lassens, die als eine Konsequenz der göttlichen Zuwendung beschrieben werden muss. Freilich wird das christliche Verständnis über diese Interpretation hinausgehen. Gott kann sein Angesicht leuchten lassen, weil er es in dem Antlitz Jesu Christi gewonnen hat. Sein Handeln hat eine Gestalt gewonnen, die man betrachten, in die man sich versenken kann. Was Visualisierung der Offenbarung heißt, ist hier zu Ende gedacht. Viel mehr als alle messianischen Weissagungen verweist der aaronitische Segen auf Jesus Christus, weil hier, im Bild des unsichtbaren Gottes, alle Auslegungskünste, die von Anthropomorphismus oder vom übertragenen Sinn einer bestimmten Ausdrucksweise reden, an ihr Ende kommen. In der Erscheinung Gottes in einem bestimmten Menschen ist der Anthropomorphismus überwunden, und der übertragene Sinn der panim Jahwes verwandelt sich in die direkte Aussage des einen Bildes des unsichtbaren Gottes. Dieses Bild steht zwischen Gott dem Schöpfer und Gott dem Geist, zwischen Anfang und Ende. Sein Leuchten begleitet den Glaubenden auf dem Weg in der Zeit.
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Literatur
199
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Register Namen Khoury, A. T. 48 Klie, T. 126 Kretschmar, G. 174 Krischel, R. 124 Kühn, U. 165
Arius 25 al-Asˇ’arı¯ 36 Augustin 162, 191 Austin, J. L. 186 Becker, J. 62, 70, 117 Blumenberg, H. 84 Bonhoeffer, D. 143 Bornkamm, G. 63, 65, 70 Büchner, G. 95, 97 Bultmann, R. 68 Calvin, J.
131
Duby, G.
127
Maier, J. 22, 24, 43 Maimonides 39, 43ff, 48 Marmura, M. 23f, 26
Eleasar aus Worms
43
Felmy, K. C. 129 Frey, J. 68, 75, 80 Gestrich, C. 89 Gregor von Nyssa 129 Greiner, D. 189, 191f ˘ uwainı¯ 36 al-G Harnack, A. v. 61 Homolka, W. 90 Ibn-at-Talg˘¯ı 23, 25 Josuttis, M. 126 Jungk. R. 64 Kant, I. 9 Kaufmann, D.
Lehmann, K. 140, 159f, 168f, 177ff Leimgruber, S. 35 Leuze, R. 21, 128, 143 Levinson, P. N. 50 Loofs, F. 25 Luther, M. 27, 146, 150, 164, 168, 177
43
Nagel, Tilman 23, 31f, 34, 36 Nagel, Tobias 124 Nietzsche, F. 97 Nüssel, F. 84 Pannenberg, W. 140, 159f, 167ff, 177ff Paret, R. 31f Philo 47 Rahner, K. 29 Ratzinger, J. Benedikt XVI. Renz, A. 35 Rilke, R. M. 170 Roloff, J. 75, 82 Saadja Gaon 43ff, 48 Sartre, J. P. 143 Schleiermacher, F. 10 Scholem, G. 43f
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67f
202
Register
Schweizer, E. 138 Sedlmayr, H. 127 Sloterdijk, P. 7 Sölle, D. 128 Steffensky, F. 190 Stolz, F. 18, 50 Ström, A. V. 134 Sufja¯n b.’Ujaina 32 Suger von Saint-Denis Thoma, C.
Thomas von Aquin Tillich, P. 149 Vetter, D.
175
48
Watt, W. M. 23f, 26 Wenz, G. 84 Westermann, C. 190 Wittgenstein, L. 186
127
Zwingli, H.
47
131
Begriffe Abendmahl 14, 131, 133ff, 139f, 153ff, 186 Akkommodation 88 amr 31f, 42 Amt 14, 139ff, 143ff, 147f, 151, 176f, 179 Ämter und Dienste 14, 139ff, 144, 147, 151, 176 Analogie 34, 66 analogia entis 34 analogia fidei 34 Anthropomorphismus, anthropomorph 34, 43, 77, 133, 193 Apokalyptik, apokalyptisch 64, 75, 81, 102, 115, 170 Arianismus 25 Auferstehung Jesu 13, 73ff, 79, 82, 85, 91, 100f Avata¯ra 134 Baha¯’ı¯ 56 Buddhismus 17, 56 Buße 15, 62, 64, 185ff Charisma
14, 73
Determinismus Dogma 144
49
Ehe 14, 180ff Elevation 153 Emanation 44, 46 e˘n so˘f 45 Erwählung 24, 26, 38ff, 52, 56, 62, 109 Eschatologie, eschatologisch 13, 56, 66, 181, 183, 191 Eucharistie 14, 106, 131, 133ff, 137, 139, 154, 158f, 161, 175f, 178,182 ewiges Leben 114 Firmung, Konfirmation 14, 165, 172ff, 185 Forschung, historisch-kritische 12, 14, 67, 168 Freiheit 75, 97, 101, 105, 141ff, 145, 149ff, 154 Fundamentalismus, fundamentalistisch 105, 146 Fundamentaltheologie 11 Gebet 125, 188 Geheimnis 13f, 54, 56, 59, 66, 69, 71, 74, 86, 89, 96, 102, 111, 120, 142, 151, 153 Geist, Heiliger 13ff, 28f, 31ff, 43, 50, 80, 98, 101ff, 106ff, 122f, 129, 165, 173, 175, 177f, 191, 193 Gericht 60, 63f, 101, 116, 171
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203
Register Gesetz 42 Gesetesreligionen 35 Glaube 10ff, 15, 30, 35, 53, 57, 59f, 68, 71, 73f, 81, 86f, 91, 94, 97, 102, 108, 124, 129f, 134f, 145, 148, 150, 153f, 158, 161f, 164f, 167, 170, 172f, 179f, 187, 190 Gnosis 72, 75, 96 Gott – Eigenschaften Gottes 20f, 26, 29, 33, 36f, 43ff, 47 Allmacht 104ff, 154f, 189 Barmherzigkeit 21, 49 Einfachheit 42, 95, 118ff Einheit 7, 10f, 20, 30, 112, 191 Ewigkeit 21, 113ff, 122, 129, 157, 160, 167, 170f Gerechtigkeit 36, 49 Liebe 82ff, 87f, 90, 99f, 183 Verborgenheit 12, 28, 42, 47, 83, 100 Vollkommenheit 15, 95, 97, 157 Weisheit 22, 24f, 48 – offenbarer und verborgener Gott 27, 43, 72, 100 – deus absconditus/revelatus 27, 45 – als Schöpfer 13, 22, 40, 62, 72, 75f, 100, 117, 160, 167, 172, 190ff – Menschwerdung Gottes 14, 102, 106, 118, 136f, 139, 151, 156, 173 – Selbstkonstitution Gottes 26, 28ff, 31, 33, 37, 45, 97 – Werden Gottes 9f, 13, 15, 112f, 116f, 119, 122, 137 Häresie 72 Halacha 24, 63 Heil 14f, 41, 62, 69, 78, 82ff, 135f, 150 Henotheismus 18 Hierarchie, hierarchisch 138f, 147, 149ff, 175, 179 Hoffnung 15, 77, 102, 115ff, 167, 191f Homosexualität 181 Inkarnation 13f, 49, 86, 90, 94, 99, 106,
109, 118, 130f, 133, 136, 138, 142f, 146f, 151, 153f, 156f, 182, 187 Islam 7, 21, 26, 28, 30f, 35, 37ff, 49ff, 62, 78, 81, 90, 95f, 98, 109, 111f, 124, 134, 144, 150, 157, 187, 193 jüdische Religion, Judentum 7ff, 26, 28, 30, 34f, 37f, 50, 54f, 57, 76, 81, 95f, 109, 124, 134, 144, 150, 157, 187, 191, 193 Kabbala 44ff, 51 Kabod 43, 46 kala¯m 43 Kirche, 13ff, 77, 79, 121ff, 143, 148, 157, 165 – Heiligkeit der 125f Konvivium 134f Kommunio 134, 136 Koran 23ff, 28, 31ff, 37, 39ff, 49, 53, 60, 112, 144 Krankensalbung 160, 166ff, 178ff, 185 Logos
25, 28, 31ff, 42, 47f, 94, 105, 110
Magie 175 memra¯ 47f Monotheismus, monotheistisch 18f, 21, 28, 30, 38, 40, 54, 72
11,
negative Theologie 36 Opfer 69, 91, 96, 135f Ordination 14, 140, 176ff, 182, 185 Papsttum 149 Polytheismus 18f, 30, 47, 54 Präexistenz 23 Priestertum, allgemeines 14, 143, 145, 147f, 186f Providenz 94 Realpräsenz 133, 155 Rechtfertigung 142, 150
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204
Register
Rechtleitung 21, 89 Reich Gottes 12, 61f, 65, 69f, 73, 75ff, 86, 10ff, 106, 109, 113, 116ff, 122f, 127f, 130, 132, 135, 188 Religion, Begriff der 7, 17, 34 Sabbat 63, 111, 191f Sakrament 14, 139, 153, 155ff, 175, 186 sakramentale Handlungen 14, 153, 156, 159ff, 185 Schechina 43, 45f, 48ff, 90 Schöpfung 22ff, 42, 47, 90f, 95ff, 99ff, 104f, 111, 114, 117, 119, 122, 130, 132, 156, 158, 160, 162, 166, 190ff Schrift 7, 18, 24, 29, 31, 37, 39ff, 96, 98, 105f, 134, 144, 153f sefirot 45 Segen 15, 175, 188ff Stellvertretung 89, 164f Sünde(n) 15, 17, 84, 89f, 135, 142, 162f, 167, 171
Taufe 14, 60, 65, 159ff, 169, 172, 174, 178, 183 Theodizee 9, 97 Theophanie 87f, 92, 126f Tod 101, 114, 117, 143, 159f, 167, 170f, 178, 180 Tod Jesu 12, 41, 67ff, 78ff, 92, 97, 133, 135, 137 Tora 22, 24, 39, 46, 48f, 62, 112 Trinität 26, 29, 52, 75, 99, 104, 109ff, 113 umma
121
Vernunft 11, 47 Versöhnung 83f, 86, 89f, 93f, 97, 99 Wort Gottes 121
21, 23, 32ff, 36, 56, 106f,
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