Das Buch Daniel [Reprint 2019 ed.] 9783111387932, 9783111026626


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German Pages 40 [44] Year 1926

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Table of contents :
Einleitung
1. Die Abfassungszeit des Sucher.
2. Die Daniel-Erzählungen
3. Die Gesichte und ihre Deutung
4. Die Apokalyptik des Buches
Inhaltsübersicht
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Das Buch Daniel [Reprint 2019 ed.]
 9783111387932, 9783111026626

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Aus

der

Welt

der

Religion

Forschungen und Berichte, unter Mitwirkung von Rudolf Gtto und Friedrich Niebergall, herausgegeben von Gustav Mensching Praktisch-theologische Reihe:

1:

2: 3:

4:

Prof. D. Friedrich Niebergall, Moderne Evangeli­ sation. 1924 Mk. -.70 Prof. D. Dr. Rudolf Gtto, Zur Erneuerung und Aus­ gestaltung des Gottesdienstes 1925 Mk. 3.50 Prof. D. Dr.Rudolf Gtto u. Lic. Gustav Mensching, Lhorgebete für Rirche, Schule und Haus, insonderheit auch für Jugendfeiern 1925 Geb. Mk. 1.50 Pastor Ludwig Heitmann, vom Werden der neuen Mk. —.80 Gemeinde 1925 Reutestamentliche Reihe:

Die Erforschung der Mk. —.70

1:

Prof. D. Rudolf Bultmann, synoptischen Evangelien. 1925

1:

Lic. Gustav Mensching, Die Bedeutung des Leidens im Buddhismus und Christentum. 1924 Mk. —.30

1:

Priv.-Doz. Lic. Theodor Gdenwald, Nietzsche und das heutige Lhristentum 1926

Religionsgeschichtliche Reih«:

Religionsphilosophisch« Reihe:

Es werden weiterhin erscheinen:

D. Dr. Baumgartner, Israel in der vorderasiatischen Religionswelt. Prof. D. Faber, Psychologie u. Phänomenologie der Religion. Prof. D. Dr. Frick, Mission, aber nicht Propaganda! Prof. D. Dr. Hölscher, Die Propheten. Lic. Mensching, Luthers Galaterkommentar von 1535 in Auszügen übersetzt. Prof. D. Niebergall, Religionspädagogik der Gegenwart. Prof. D. Dr. Gtto, Indische Religionstexte. Pfarrer D. Pfister, Die Psychoanalyse und die theoretischen Fächer der Theologie. Prof. Dr. Schaeder, Die orientalisch-hellenistische Gnosis. Prof. D. v. Soden, Das Lutherbild im Wandel der Zeiten. Privatdozent Lic. wünsch, Barth und Gogarten. Prof.

Kus der Welt der Religion Forschungen und Berichte, unter Mitwirkung von Rudolf Otto und Friedrich Niebergall, herausgegeben von Gustav Mensching

Rlttestamentliche Reihe,

Heft 1

Das Bud) Daniel von

Walter Baumgartner Dr. theol. et phil., a. o. Prof. d. Theologie an der Univ. Marburg

1926 Verlag von Klfred Töpelmann in Gießen

Kus

der

Welt

der

Religion

Forschungen und Berichte, unter Mitwirkung von Rudolf (Dtto und Friedrich Niebergall, herausgegeben von Gustav Mensching Klttestamentliche Reihe, heft 1

Leicht veränderter Rbdruck aus der „Christlichen Welt" 1925 Nr. 31/32 - 37/39

Die Inhaltsübersicht befindet sich auf Leite 40

Abseits und eigenartig steht es im Alten Testament da. Ts enthält Erzählungen und Weissagungen wie die meisten Propheten­ bücher, aber beides charakteristisch verschieden, von der Kirche im allgemeinen nicht sonderlich hoch eingeschätzt, höher von Sekten und Gemeinschaften, hat es doch mit dem Schema der vier Weltreiche die Geschichtswissenschaft bis in die Neuzeit hinein beherrscht, ©ft für lange Zeit in die Ecke gestellt, packt es doch je und je, in Zeiten der Erschütterung, der Ratlosigkeit und Verzweiflung, die Geister. Es hat seinen guten Grund, daß es in der hebräischen Bibel nicht unter den Propheten steht; aber es ist auch kein Zufall, daß die griechische Bibel und Luther es dorthin gestellt haben. Am nächsten steht ihm unter allen Büchern der Bibel die (Offenbarung des Johannes, mit der es auch die eigenartige Rolle und Wirkung in der Geschichte des Christentums gemeinsam hat. Auf ihnen beiden fußen alle chiliastisch-apokalyptischen Strömungen bis hinauf zu den Adventisten und Ernsten Bibelforschern unserer Tage. was ist es mit diesem Buch und seinen Weissagungen? was hat die moderne Bibelwissenschaft, der es nur um die Erkenntnis der Wahrheit zu tun ist und die sich auf der ernsten und mühsamen Arbeit von Generationen und Jahrhunderten aufbaut, was hat sie zu diesem Buche zu sagen? Ich rede erst kurz von der Frage der „Echtheit", besser der Entstehungszeit des Buches, von der das ganze Verständnis abhängt, dann kurz von den Erzählungen, und darnach eingehend von den Gesichten, ihrer Deutung und ihrer Eigenart. Für alles Detail, und für so manche Frage, die hier nur ge­ streift oder garnicht berührt werden kann, verweise ich auf die Fach­ literatur. Neben den gelehrten Kommentaren von Weinhold (1889, in Strack-Zöcklers Kurzgefaßtem Kommentar), Vehrmann (1894, in Nowacks Handkommentar), Marti (1901, im Kurzen Hand­ kommentar) nenne ich von neueren Arbeiten: A. Vertholet, Daniel und die griechische Gefahr (1907, Religionsgeschichtliche Volks­ bücher II 17), G. Hölscher, Die Entstehung des Buches Daniel (Theol. Studien und Kritiken 1919, S. 113 — 138), Ed. Meyer, Ursprung und Anfänge des Christentums II (1922) S. 184—199, Adam C. welch, Visions of the End (1922), M. Haller, Das Judentum (Schriften des Alten Testaments in Auswahl II 3, 2. Aufl. 1925).

4

1. vie Abfassungszeit des Sucher. 1. Das Danielbuch ermangelt einer Überschrift, und überhaupt jeder Angabe über Verfasser und Abfassung, wie die meisten Erzeug­ nisse des hebräischen Schrifttums ist es anonym. Spätere Zeiten hatten das Bedürfnis, zu jedem Bibrlbuch auch den Verfasser zu Kennen. Und weil das ganze Buch, mit Ausnahme von c. 3, von den Erlebnissen und Gesichten des Daniel handelt, meinte man, es müsse auch von Daniel, dem jüdischen Seher am babylonischen und persischen Hof, verfaßt sein. Das Judentum hat diese Tradition aufgebracht, und das Christentum hat sie übernommen und mit gött­ licher Autorität bekleidet. Aber sie ist — das können wir heut mit aller Bestimmtheit sagen - falsch.

2. Gerade für die Zeit, die Daniel selber miterlebt haben müßte, enthält das Buch eine ganze Reihe schwerster Verstöße gegen alle gute geschichtliche Überlieferung. Eine Einnahme Jerusalems im dritten Jahr des Jojakim 1, 1 (d. h. 605 v. Chr.), ein Belsazar als Sohn und Nachfolger des NebuKadnezar 5, 1; 7, I, ein „Darius der weder" als Nachfolger des gestürzten Belsazar 6, I, als Vor­ gänger des Rqros 6, 29 und Sohn des Xerxes 9, 1 - um nur diese Beispiele herauszugreifen - sind bare Unmöglichkeiten. Was würden wir zu einem Buche sagen, das die Schlachten von Jena und Auerstädt ins Jahr 1799 verlegt, den I. und III. Napoleon zusammenwirft, den ehemaligen Kronprinzen zum Sohn und Nach­ folger von Wilhelm I. und zum letzten deutschen Kaiser stempelt! Besser, ja schließlich geradezu unheimlich genau unterrichtet zeigt sich das Buch erst in der Geschichte des 3. und 2. Jahrhunderts. Erhalten wir doch in c. 11 — wenn auch in Form einer Weis­ sagung — eine erst knappe und dann immer eingehendere Dar­ stellung der Geschichte des Ptolemäer- und Seleukidenreiches bis hinab zu Antiochus IV. Epiphanes und seiner Verfolgung der jüdischen Religion. Es gibt nur eine Erklärung dafür: daß das Buch nicht aus der babylonisch-persischen Zeit stammt, über die es sich so schlecht orientiert zeigt, sondern aus der des Antiochus, die mit all ihren Schrecken der Verfasser selber erlebt haben muß. Und nur zu diesem Ansatz stimmt seine Sprache (ein spätes hebräisch und ein spätes Westaramäisch, beides mit persischen und sogar vereinzelten griechischen Fremdwörtern durchsetzt), die späte literarische Bezeugung (erst gegen 100 v. Chr.) und die Stellung in der hebräischen Bibel (nicht unter den „Propheten", sondern unter den „Schriften", dem dritten und jüngsten Teil des Kanons).

3. Aber so groß war die Macht der Tradition, daß diese Er­ klärung, wie einfach und schlagend sie auch ist, nur überaus lang­ sam und unter Überwindung stärkster Widerstände durchdrang. Nach ihrem ersten Vertreter, dem Neuplatoniker Porphyr, den sein Christen­ hatz so scharfsichtig machte, begegnen wir ihr erst wieder bei Spinoza und Newton. 3m 18. Jahrhundert wird sie genauer begründet und beginnt in der theologischen Wissenschaft heimisch zu werden. Und im 19. Jahrhundert setzt sie sich — dem leidenschaftlichen widerstand der Orthodoxie (Hengstenberg und seiner Schule) zum Trotz — schließlich völlig durch. Forscher wie Franz Delitzsch, Hermann Strack, Eduard König, Samuel Gettli, Adolf Schlatter haben ihr — der Line zaghafter, der Andere entschiedener — zu­ gestimmt. Ernst Sellin, der heute den Lehrstuhl Hengstenbergs in Berlin innehat, bezeichnet sie als „absolut sicher". Auch das Calwer Bibellexikon hat ihr in seiner neuesten Auflage (1924) seine Tür geöffnet. Für die Wissenschaft ist dieser Streit erledigt. Sie ist in keiner alttestamentlichen Frage so einmütig wie gerade in dieser. Meinungsverschiedenheiten bestehen nur in den feineren Fragen, wo die Forschung noch im Flusse ist. 4. Freilich hören trotzdem die versuche nie auf, gegenüber der bösen Kritik die Abfassung des Buches durch Daniel oder doch mindestens die Glaubwürdigkeit der Geschichten und die Echtheit der Weissagungen zu retten. Als jüngste Beispiele nenne ich G. Stokmann, Vie Erlebnisse und Gesichte des Propheten Daniel (1922) und Charles Boutflower, In and around the Book of Daniel (1923). Vie älteren Auffassungen und Deutungen findet man am besten bei Zöckler im 17. Band von I. p. Langes Theo­ logisch-homiletischem Bibelwerk (1870) zusammengestellt, hier nur ein paar Beispiele für die Art der Beweisführung, die heute noch im wesentlichen dieselbe ist wie vor 100 Jahren. Man sucht die Irrtümer vom Verfasser aus spätere Abschreiber abzuschieben: in 1, 1 sei ursprünglich Iojachin statt Iojakim genannt gewesen (mit dem dritten Jahr stimmt es aber auch dann noch nicht!). Man be­ hauptet, der geschichtliche Belsazar, der Sohn Naboneds, sei Regent für seinen erkrankten oder internierten Vater gewesen (aber 7, 1 wird nach seinen Königsjahren datiert!). Oder mit „Belsazar" sei Evilmerodach, der Sohn und Nachfolger Nebukadnezars, oder Naboned, der letzte Babylonierkönig, „gemeint". Und mit „Darius dem Meder" nicht der bekannte Darius L, sondern ein sonst freilich nirgends bezeugter Unterkönig dieses Namens, oder Gobryas, der Feldherr des Kyros und Eroberer von Babylon usw. Alles will­ kürliche Behauptungen, und auch unzulängliche, weil sie auf so

6 äußerliche Weise Fehler beseitigen wollen, die tief in der ganzen Hrt und Entstehung des Buches wurzeln.*)

2. Vie Daniel-Lrzählungen. 1. In seiner ersten Hälfte (c. 1-6) enthält das Danielbuch sechs Geschichten von Daniel und seinen drei Freunden. Die erste (c. 1) erzählt, wie diese vier jüdischen Knaben, durch Schönheit und Begabung ausgezeichnet, an Uebukadnezars Hof kommen, während der drei Jahre Pagenschule leben sie nur von Wasser und Gemüse, um sich ja nicht durch den Genuß von wein und Fleisch vom heidnischen Tisch zu verunreinigen, aber diese vegetarische Kost schlägt bei ihnen gut an und beim Schlußexamen vor dem König stehen sie, und vor allem Daniel, weitaus an der Spitze aller Schüler. Die zweite Geschichte (c. 2) gibt ein Beispiel von Daniels Weisheit und zeigt, wie er die weltberühmten Chaldäer auf ihrem eigenen Gebiete schlägt. Sie vermögen dem König den Traum, den er vergessen, nicht zu sagen und sollen darum sterben, aber Daniel rettet sie. Denn auf sein Gebet hin offenbart ihm Gott den Traum mitsamt der Deutung. Und Uebukadnezar verbeugt sich vor Daniel und erhebt ihn und die Freunde zu hohen Ämtern. Die dritte Geschichte (3, 1 - 30) handelt von den drei Freunden allein. Sie weigern sich, einer Kiesenstatue, die der König hat auf­ stellen lassen, zu huldigen, und werden in einen siebenfach über­ heizten Ofen geworfen. Ein Engel gesellt sich zu ihnen. Das Feuer läßt sie unversehrt. Der König muß wiederum die wacht des jüdischen Gottes anerkennen. Die vierte Geschichte (3, 31—4, 34): Uebukadnezar hat einen beängstigenden Traum von einem stolzen Baum, der dann bis auf einen Stumpf abgehauen wird, wieder ist Daniel allein imstand, ihn zu deuten. Und wie er ihn gedeutet hat, so geht er am König selber in Erfüllung. Don Wahnsinn befallen, lebt er sieben Jahre lang wie das Vieh, bis er in sich geht und sein verstand zurück­ kehrt. Das teilt Uebukadnezar selber in einem Erlaß seinen Unter­ tanen mit. Die fünfte Geschichte (5, 1-6, 1): während König Belsazar ein Gelage abhält und mit den heiligen Geräten aus dem Tempel zu Jerusalem seinen Mutwillen treibt, malt eine Hand eine geheimnis-

*) Daran haben auch die Keilschriftforschung und die Erschließung der Ulten Orients nichts geändert, vgl. meinen Üufsatz „Neues keilschriftliches Material zum Buche Daniel?" Zeitschrift f. d. alttestamentliche Wissenschaft 45 (1926) heft 1/2.

volle Inschrift an die wand. Keiner kann sie lesen. Da erinnert die Königinmutter an Daniel. (Er kommt, liest die Inschrift und deutet sie aus den nahen Untergang des babylonischen Reiches. Und in jener Nacht wird Belsazar ermordet. Die letzte Geschichte (c. 6, 2 — 29) spielt unter „Darius dem Meder". Die auf Daniel neidischen Höflinge entlocken dem arglosen König den (Erlaß, daß während 30 Tagen niemand etwas von einem Menschen oder Gott erbitten dürfe als von ihm. Wie sie gerechnet hatten, kehrt sich Daniel nicht an das verbot, wird beim Gebet ertappt und in die Löwengrube geworfen. Uber die Löwen krümmen ihm kein haar. Der König läßt ihn heraus und gibt seine Verleumder mit Frau und Kind den Tieren preis. 2. (Es sind ausgesprochene Legenden. Damit begreifen sich ohne weiteres die Wunder und all die sonstigen Unwahrscheinlich­ keiten und Unmöglichkeiten, die uns unerträgliche Schwierigkeiten machen, wenn wir sie als Geschichte nehmen wollen. Die Haupt­ motive, die Rettung aus dem Feuerofen, die Rettung vor den wilden Tieren, die Bestrafung des Verfolgers oder umgekehrt seine Be­ kehrung, kehren in jüdischen, christlichen, buddhistischen, mohamme­ danischen Legendensammlungen wieder. Wertvoll werden diese Legenden für uns dadurch, daß sie das Ideal des jüdischen Frommen zeichnen, der den Geboten seiner Religion auch in heidnischer Um­ gebung und bis zum Martyrium die Treue hält; Gott läßt ihn nicht im Stich und führt alles zu herrlichem Ausgang. Mit dieser strengen Gesetzlichkeit kontrastiert nun die völlige Unbefangenheit, mit der diese Frommen den Dienst am heidnischen Hose versehen, die fast kindliche Freude, mit der alle ihnen widerfahrenden Ehrungen berichtet werden. Aber dahinter steckt doch das ernste und schwere Problem, wie sich der fromme Jude im Exil zur heidnischen Um­ welt und zum heidnischen Staate stellen sollte. Sollte er nach dem Grundsatz ubi bene ibi patria sich in Babylon völlig zu Hause fühlen und Schritt für Schritt mit den altererbten Bräuchen schließlich auch das, was er vor allen andern Völkern voraus hatte, preis­ geben? Es gab solche. Oder sollte er in Babylon nur den Kerker, in seiner Regierung nur den Unterdrücker und Kerkermeister sehen und voll Ungeduld dem Tag der Befreiung und der Heimkehr nach Palästina entgegenharren, wo man allein richtig leben und arbeiten und Gott dienen zu können meinte? (Es gab auch solche. Aber hier schwebt ein anderes Ideal vor. Das Ideal, das einst Jeremia in seinem berühmten Brief an die Exulanten (c. 29) verfolgt hatte: in dem fremden Lande sein natürliches Leben leben und auch an dem Staate, an dessen wohl und weh man nun einmal gebunden,

8 mitarbeiten, und Gott auch im fremden Lande dienen. Über eben dann galt es, um nicht auf jene schiefe Ebene allmählichen Abfalls zu geraten, den Strich zwischen sich und der heidnischen Welt ganz deutlich und scharf zu ziehen. Nur Treue zum jüdischen Brauch auch im Kleinen konnte unbedingte Zuverlässigkeit und Treue auch im Letzten gewährleisten. (Es ist das edelste Judentum jener Seit, das hier zu uns spricht.

3. Vie weiteren wissenschaftlichen Probleme können hier nur flüchtig skizziert werden. Vie Geschichten Nr. 2 - 6 sind ehedem einzeln umgelaufen. Vas erhellt daraus, daß Nr. 2 und 4, 3 und 6 sachliche Varianten sind, Nr. 2 und 4 — 6 von Daniel handeln, Nr. 3 dagegen nur von den drei Freunden, und daß die Erzählungen auch sonst nicht völlig auf­ einander abgestimmt sind. 3n 1, I8fs. hat der König mit Daniel gesprochen und sich persönlich von seiner überragenden Weisheit überzeugt. Trotzdem wendet er sich in c. 2 wegen des Traumes nicht an ihn,- Daniel hört nur durch Zufall von der Sache 2, 14ff. und wird dem König als ein völlig Fremder vorgestellt 2, 25ff. Auch in c. 4 wendet sich der König zunächst wieder an seine Weisen,- erst wie diese versagt haben, kommt Daniel an die Reihe. Ebensowenig weiß Belsazar von dem hochberühmten Seher, der zu­ gleich einer der höchsten Würdenträger am Hof seines Vaters ge­ wesen 2, 48f.; die Königinmutter mutz erst an ihn erinnern 5, 10ff. Da c. 3 nur von der Weigerung der drei Freunde berichtet, hat es den Anschein, als habe Daniel dem Götzenbild gehuldigt, was doch unmöglich die Meinung des Buches sein kann. Datz Nebukadnezar die Macht des jüdischen Gottes anerkennt 2, 47; 3, 28ff. 32f.; 4, 34, bleibt in der Folge ohne alle Wirkung. Diese und andere ähnliche Beobachtungen weisen untrüglich daraus hin, datz die Er­ zählungen ursprünglich jede für sich ein abgeschlossenes Ganzes bildeten. Später wurden sie zu einem Legendenkranz vereinigt*) und Nr. 1 dazu gedichtet als Einleitung, die die Situation schafft und auch schon die zwei Hauptmotive, Daniels Weisheit und Frömmigkeit, an­ klingen läßt. Entsprechend der neueren Auffassung von der Lntstehungszeit des Buches hat man die Legenden meist als Reflex der makkabäischen Zeit verstanden und in Nebukadnezar, Belsazar, Darius den ver­ kleideten Antiochus zu finden vermeint. Aber sie zeigen nicht das jüdische Volk, sondern den einzelnen Juden in heidnischer Umgebung.

*) Dabei suchte man auch, sie gegenseitig in Beziehung zu bringen; so wurden die drei Freunde aus c. 3 auch in c. 2 eingeführt 2, 17ff., wo sie aber völlig bedeutungslos bleiben.

Und das Verhältnis zum heidnischen Staat und seinem Oberhaupt ist nicht grundsätzlich feindlich,- nur wenn der König vom Größen­ wahn befallen wird oder wenn ihn Neid und Verleumdung gegen die hochgestellten Juden aufstachelt, kommt es zum Zusammenstoß. Das alles ist nicht die Situation der Seleukidenzeit, sondern die der Perserzeit. Jene Geschichten sind somit älter als das Vanielbuch. Ihre Vorgeschichte läßt sich noch weiter zurückverfolgen. Sehen wir einmal von ihrer jüdisch-legendären Färbung ab, so gehören sie in den Kreis orientalischer hofgeschichten, wie wir sie aus dem Buch Esther, dem aramäischen Achikarroman, aus herodot, Ktesias, plutarch und aus 1001 Nacht kennen. Überall ist es, mit geringen Schwankungen, dieselbe stereotype Sultansfigur: im Grunde gutmütig, im Zorn oder durch Verleumdung leicht zu unbesonnener Tat hingerissen, dann aber auch schnell wieder bereit sie gutzumachen. Für mehrere dieser Erzählungen läßt sich geradezu eine alt­ orientalische vorjüdische Grundlage wahrscheinlich machen. Der Er­ zählung von c. 2 liegt das schon aus der Josefsgeschichte bekannte verbreitete Motiv vom Traumdeuter zugrunde, der dieser seiner Fähigkeit seinen Aufstieg zu den höchsten Ehren verdankt. Zu Nebukadnezars Wahnsinn (c. 4) ist bei Luseb eine babylonische Schwestersage erhalten. Daß Babylon während eines Gelages er­ obert wurde, erzählen auch herodot und Tenophon. Ein beliebtes Sagenmotiv ist auch die Geisterschrift an der Wand*), und darum ist es natürlich müßig, darüber zu grübeln, was für ein Schrift­ system es gewesen sein könnte. Das Mene Tekel, erst durch ein Wortspiel auf den Fall des Babylonierreiches bezogen, dürfte ur­ sprünglich ein aus aramäischen Gewichtsbezeichnungen gebildeter Rätsel- oder Zauberspruch gewesen sein. Die Juden haben diese Geschichten übernommen und judaisiert, indem sie ihren berühmten Landsmann Daniel als Held einführten**). — Ebenso sind aber auch in den übrigen Erzählungen, von denen sicher die Einleitung (c. 1) rein jüdischer Herkunft ist, allerlei beliebte Motive verwendet. In c. 1 z. B. der Aufstieg jüdischer Jugend an fremdem Königshof (vgl. Josef, Mose, Esther) und der Jüngling, der in Frage und Antwort alle seine Rivalen aussticht (vgl. den Wettstreit der drei Pagen III. Esra. 3 f. und Luk. 2, 41 ff.). *) vgl. Brüder Grimm, Deutsche Sagen Ur. 25 76; Friedr. v. b. Leyen, Deutsches Sagenbuch III (1919) Nr. 95 313. **) Besonders deutlich wird dies bei der nur in der griechischen Bibel erhaltenen Geschichte, wie Daniel den Drachen zu Babel tötet, indem er ihm Rüchen aus Pech, Fett und haaren ins Maul wirft: genau wie er auf einem assyrischen Siegelzylinder (Jastrow, Bildermappe zur Religion Babyloniens und Assyriens, 1912, Rbb. 198) dargestellt ist.

10 Und woher schließlich die Gestalt des Daniel? hat es nicht vielleicht doch unter den Exulanten in Babylon einen frommen Seher dieses Namens gegeben, auf den dann alle möglichen Geschichten ge­ häuft wurden? Hn sich wäre das denkbar- aber zwei Stellen bei Ezechiel weisen uns nach einer anderen Richtung. Ez. 28, 3 redet von Daniel als einem hochberühmten Weisen, und Cz. 14, 14. 20 nennt Noah Daniel Hiob als notorische Gerechte. Über Daniel ist für Ezechiel kein jüngerer Zeitgenosse, sondern offenbar eine Gestalt grauer Vorzeit, und doch von dem Daniel unseres Buches ebenso­ wenig zu trennen, wie jener Hiob von dem Hiob des nach ihm benannten Buches. Entweder existierten verschiedene Überlieferungen über die Zeit dieses Daniel. Oder es war ein kühner Griff eines „Dichters" - vielleicht desjenigen, dem wir den Legendenkranz mitsamt seiner Einleitung verdanken — die Gestalt der Vergangen­ heit als Pagen an Nebukadnezars Hof zu bringen. So vermögen wir mit den Methoden moderner Sagenforschung weit über das uns vorliegende Buch zurückzudringen und seine Vor­ geschichte wenigstens in ihren Umrissen zu erkennen. Und um so mehr müssen wir dann die einheitliche und charaktervolle Gestalt unserer Legenden bewundern.

Z. Vie Gesichte und ihre Deutung. Die zweite Hälfte des Buches (c. 7-12) enthält vier Gesichte, die dem Daniel unter Belsazar, Darius, Kyros zuteil geworden. Bus der ersten Hälfte kommt noch das Traumgesicht des Uebukadnezar (c. 2) hinzu, hier herrscht eine andere und besondere Stimmung. „Es gibt einen Gott im Himmel, der Geheimnisse ent­ hüllt, und er hat dem König kundgetan, was am Ende der Tage geschehen soll", sagt Daniel 2, 28. Und von der „Zeit des Endes", ihren „Geheimnissen" und deren „Enthüllung" ist dann immer wieder die Rede. E§ sind die Stichworte und Merkmale der so­ genannten Rpokalyptik, jener seltsamen Welt von Engeln und Gesichten und Offenbarungen, die alle nur das Line wollen: den Frommen die Geheimnisse der Endzeit offenbaren. I. Ich beginne mit demjenigen Stück, das dem Verständnis am wenigsten Schwierigkeiten bereitet, c. 10-12. Im dritten Jahr des Kyros sieht Daniel, nachdem er sich drei Wochen lang mit Fasten und Kasteien vorbereitet hat, den Engel Gabriel, der ihm schließlich ein gewaltiges Zukunftsbild entrollt (II, 2 ff.): Drei persische Könige werden auftreten, und der vierte wird unermeßlich reich sein und gegen Griechenland rüsten (v. 2): in Wirklichkeit waren es mehr als vier Perserkönige, im vierten scheinen

Darius hystaspes und Darius Kobomannus in eins zusammengeflossen. „(Ein großer König wird auftreten" (v. 3): Alexander der Große. „Sein Reich wird zerbrechen und den vier Winden des Himmels verteilt werden" (v. 4): Alexanders Reich zerfällt in die Diadochenreiche. „(Erstarken wird der König des Südens" (v. 5): ptolemaeus Lagi, der Begründer des ptolemäerreiches. „Aber einer aus seinen Feldherrn wird nach stärker sein und herrschen": Seleukus, erst Feldherr des ptolemaeus, macht sich selbständig und begründet das Seleukidenreich 312 v. Thr. „Nach Verlauf von Zähren werden sie sich verbünden" (v. 6): Nach längerem Kriegszustand schließen ptolemaeus II. und Seleukus II. Frieden. „Die Tochter des Königs des Südens wird zum König des Nordens kommen": die heirat der Berenike, Tochter des ptolemaeus II., mit Antiochus II. ist eine der Zriedensbedingungen; 248 reist sie mit riesiger Mitgift und großem Gefolge nach Antiochien. „Sie wird hingegeben werden mit­ samt ihrem Gefolge und ihrem .Kinde' und ihrem Helfer": Laodikea, die frühere Gattin des Antiochus, die er wieder ausgenommen, ver­ giftet ihn, und bringt dann auch Berenike mit ihrem Söhnlein ums Leben. Und so geht es weiter; Satz um Satz, und Zug um Zug. Bei Daniel die Weissagung; in der aus griechischen und jüdischen Historikern genau bekannten Geschichte der Diadochenzeit die Erfüllung. Mit v. 21ff. wird die Weissagung noch eingehender: „An seine Stelle tritt ein verächtlicher, dem man die königliche würde nicht zugedacht hatte" (v. 21): nachdem Seleukus IV. durch Gift getötet worden (vgl. v. 20), reißt sein jüngerer Bruder Antiochus IV. Epiphanes (175 bis 164), der erst ohne alle Aussichten auf den Thron als Geisel in Rom lebte, dann aber ausgewechselt wurde, die Herrschaft an sich. Und nun folgt eine ganz genaue Schilderung seiner Regierung: die Niederwerfung seines Rivalen Heliodor (v. 22), die Intrigen, mit denen er sich auf dem Thran behauptet (v. 23f.), sein erster ägyptischer Feldzug, der mit der Plünderung des Tempels in Zerusalem endete (v. 25-28), der zweite ägyptische Feldzug des Jahres 168, auf dem ihm die Römer („kittäische Schiffe") in die (Quere kommen (v. 29f.), worauf er seine Wut an den Juden aus« läßt (v- 30ff). „Truppen van ihm treten auf und entweihen das Heiligtum, beseitigen das tägliche Opfer und stellen den wüsten Greuel auf" (v. 31): der „wüste Greuel" ist der auf dem Brand­ opferaltar errichtete Altar des Zeus. Und weiter lesen wir, wie er die hellenistisch Gesinnten zu gewinnen sucht (v. 32a), wie die Frommen festbleiben und das Volk warnen (v. 32b 33a), wie sie dafür eine Zeitlang durch Schwert und Feuer, Gefängnis und Plünderung leiden (v. 33b), dann eine kleine Hilfe erfahren (v. 34,

12 die Siege des Iudas Makkabäus), großen Zulauf haben, aber auch viele fallen (v. 35). Jener aber überhebt sich gegenüber den Göttern und „redet Ungeheures" (v. 36): Antiochus ließ sich selber als Gott verehren.

Die Beziehung der v. 5 — 39 auf die Diadochenzeit und auf Antiochus ist völlig klar und ist auch nie bezweifelt worden. Line solche Weissagung aber, die in 34 Versen die Geschichte von rund anderthalb Jahrhunderten in dieser Bestimmtheit und Ausführlich­ keit behandelt, ist auch innerhalb der alttestamentlichen Prophetie ein Unikum. Noch Luther und Hengstenberg sahen freilich gerade darin den sichersten Beweis ihrer göttlichen Herkunft. Stokmann S. 167 f. müht sich, den sittlich-religiösen Zweck nachzuweisen, der allein so etwas rechtfertigen könnte, und glaubt ihn darin zu finden, daß diese Weissagung „in der Hot jener Zeit dem Gottesvolk als ein ununterbrochener Leitfaden dienen sollte, der es ihm ermöglichte, die vorausschauende Weisheit und die leitende, schützende und rettende Hand des Hüters Israels auch in den tiefsten Dunkelheiten und härtesten Kämpfen zu erkennen." Allein das könnte doch höchstens für die Zeit des Kntiochus Cpiphanes gelten, nicht für die ganzen Ereignisse vorher, die Juda doch nur indirekt und gelegentlich be­ trafen. Und wäre ein solcher durchgehender „Leitfaden" für die wirren der assyrischen und babylonischen Zeit nicht noch viel not­ wendiger gewesen? Es will doch etwas heißen, wenn der „bedenk­ lich spezielle Charakter" dieses elften Kapitels selbst Männer wie I. p. Lange, Zöckler, von Grelli stutzig machte und dazu brachte, es als nachträglich eingeschoben oder doch als nach dem Gang der Geschichte überarbeitet anzusehen. Aber der Zusammenhang ver­ bietet solch willkürlichen Notbehelf, mit dem man sich um die einzig mögliche und einzig ehrliche Erklärung herumdrücken wollte. L§ ist gerade dieses Kapitel, das auch in der positiven Theologie der Er­ kenntnis zum Durchbruch verholfen hat, daß hier eben nicht Weis­ sagung, sondern vaticinium ex eventu, d. i. erst nachträglich formulierte Weissagung, vorliegt und daß das Danielbuch demnach unter Antiochus verfaßt ist. Und nun die Fortsetzung, 11, 40 ff.: Es kommt zu einem neuen Krieg mit dem König des Südens. Der König des Nordens fällt in viele Länder ein, und ins „Land der Pracht" (das ist Palästina). Aller Schätze Ägyptens bemächtigt er sich; Libyen und Äthiopien werden ihm untertan. Schlimme Gerüchte aus Norden und Osten beunruhigen ihn. Er bricht auf, schlägt sein Zeltlager zwischen dem Meer und dem „Berg der heiligen Pracht" (das ist der 3ion) auf und dort ereilt ihn der Tod.

Über diesen dritten ägyptischen Feldzug schweigen sich die Makkabäerbücher, ebenso wie Livius, polybius, Appian völlig aus. Über nicht deswegen, „roetl sie eine Berichterstattung über dieses unvoll­ endet abgebrochene Unternehmen für überflüssig hielten", wie Stokmann S. 189s meint; denn sie berichten sehr viel geringfügigere Dinge, und vor allem die Makkabäerbücher hätten sich diesen Unter­ gang des Tyrannen sicher nicht entgehen lassen. Sondern einfach, weil sie davon nichts wissen. Nur seinen Tod melden sie, lassen ihn aber im fernen Persien sterben. Oder gehen die v. 40 ff. — oder gar schon v. 36ff. — gar­ nicht mehr auf Antiochus, sondern aus den Antichrist, wie Hieronymus und Luther es auffatzten? Wir verstehen, wie sie auf diesen Ge­ danken kommen konnten. Allein nichts im Text weist auf einen solchen Wechsel des Subjekts und der ganzen Situation. vielmehr liegt hier im Unterschied zu 11, 3-39 wirkliche Weissagung vor, wie dies in der Fortsetzung 12, 1 — 3 völlig deutlich ist: der Engel Michael wird sich in jener Zeit der größten Bedrängnis zum Schutz seines Volkes erheben und viele der Entschlafenen werden vom Tode erwachen. Der Übergang vom einen zum andern verrät sich auch in der Darstellungsweise. Nur v. 40a klingt noch so be­ stimmt, wie das vorhergehende; dann fällt sie in den unbestimmten Ton so vieler jüngerer prophetischer Orakel. Nun läßt sich auch der Zeitpunkt der Abfassung der c. 10 — 12 noch genauer bestimmen. Erlebt ist die Entweihung des Heiligtums am 25. Dezember 168 (o. 31). Erlebt ist ferner „eine kleine Hilfe" (v. 34), worunter vielleicht eher die ersten Erfolge des Judas Makkabäus vom Jahre 167 als die Wiederweihe des Tempels am 25. Dezember 165 gemeint sind. Sicher nicht erlebt der Tod des Antiochus Ende 164. Die Abfassung fällt somit zwischen 167 und Winter 164. IRit 12, 5 — 12 kommt noch eine Schlußszene. Daniel hört, wie ein Engel einem andern schwört: „Nach Zeit, Zeiten (d. h. zwei Zeiten) und einer halben Zeit (also nach dreieinhalb Zeiten d. i. Jahren), wenn die Wacht des Zerstörers des heiligen Volkes zu Ende sein wird, wird sich all dies erfüllen" (v. 7). Auf dreiein­ halb Jahre ist die Drangsal berechnet, wobei ihr Ende ja noch aus« steht. Rechnen wir als Anfangstermin nach v. 31 die Entweihung des Tempels am 25. Dezember 168, so kommen wir mit dem Ende der Frist in den Juni 164. Auf diesen Zeitpunkt war also der große Umschwung erwartet. Etwas anders ist die Frist in 12, 11 f. berechnet. In v. 11 auf 1290 Tage, d. h. den Monat zu 30 Tagen genommen, 3 Jahre und 7 Monate. 3n d. 12 auf 1335 Tage. Aber warum diese

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abweichenden Berechnungen, nachdem die Stift in v. 7 doch schon bestimmt worden? Die Antwort ergibt sich daraus, daß dabei die Zahl der Tage immer zunimmt: weil sich die Erwartung auf den berechneten Tag nicht erfüllt hat, schiebt man nachträglich den Zeit­ punkt, ohne ihn grundsätzlich zu ändern, durch andere Berechnung einmal und ein zweites Mal etwas weiter hinaus. Jene beiden Verse stellen also zwei etwas später gemachte Zusätze dar.

2. c. 8. 3m 3. Jahr des Belsazar fühlt sich Daniel nach Susa versetzt und hat dort folgendes Gesicht. (Er sieht am Ulajflutz einen Widder stehen, mit zwei hörnern, von denen das eine später, aber höher gewachsen ist. (Er stößt damit nach westen, Norden und Süden, beherrscht alles und tut, was er will (v. 3f.). Dann sieht er einen Ziegenbock von Westen her über die ganze Crde kommen, aber ohne sie zu berühren. (Er hat ein ansehnliches Horn aus der Stirn. (Er stürzt sich auf den Widder los, zerbricht ihm seine Hörner, wirft ihn zu Boden und zertritt ihn. Das große Horn auf seiner Stirne zerbricht. Kn seiner Stelle wachsen derer vier, und aus einem von diesen wieder ein kleineres Horn, das nach Lüden und Osten und gegen das Prachtland wächst, Sterne vom Himmel schlägt, das tägliche Opfer beseitigt, das Heiligtum verunehrt (v. 5 — 12). Und Daniel hört, wie ein heiliger den andern frägt, auf welche Zeit das alles gelte, und die Antwort erhält: „auf 2300 Abend-Morgen" (v. 13 f.). was bedeuten diese Tiere? hier eine Auslegung aus den letzten Jahren: Der Widder bedeutet die vereinigten Mächte Mittel­ europas, Deutschland und Gsterreich-Ungarn. Das später gewachsene, aber höhere Horn ist Kaiser Wilhelm neben Kaiser Franz Joseph. Der Fluß, an dem der Widder steht, ist der Rhein. Der Ziegen­ bock, der von Westen über die Erde kommt, ohne den Boden zu berühren, ist Wilson, dessen Truppen zu Schiff kamen. Daß der Ziegenbock den Widder niederwirft, bedeutet den Zusammenbruch der beiden Monarchien vor Amerika. Die Deutung stammt von einem Schweizer Bauern und ist 1920 ausgezeichnet worden. Sie ist durchaus ernst gemeint und sie stimmt auch genau. Und trotz­ dem ist sie willkürlich und falsch. Denn nicht darauf kommt es an, was irgend zu der Weissagung paßt und stimmt, sondern was der Text wirklich meint. Und was er meint, dafür ist die Deutung Gabriels v. 20 ff. allein zuständig. Der Widder mit den zwei Hörnern bedeutet, so lesen wir dort, das medisch-persische Reich; das später, aber höher gewachsene Horn geht dann offenbar auf Persien. Der Ziegenbock ist das griechische Reich. Das große Horn, das bald abbricht, ist dessen erster König,

d. h. Alexander der Große. Die vier Hörner, die dann an seine Stelle treten: „vier Reiche werden aus seinem Volke erstehen, aber nicht in seiner Kraft", das sind die vier wichtigsten Diadochenstaaten, vgl. 11, 4. Und jenes kleine Horn, das zuletzt kommt und so hoch wird, mit seinen frechen Reden und Gebaren, ist ein König, der in der letzten Zeit ihres Reiches erstehen wird, „frech von Angesicht und kundig der Ränke". Die in v. 9 — 12 und 23-25 gegebene Schilderung deckt sich weitgehend, ja oft bis aufs Wort mit der in 11, 36 ff, gegebenen Schilderung des Antiochus, so daß auch hier niemand anders gemeint sein kann. Die Situation ist also dieselbe wie dort: mitten in der Re­ gierungszeit des Antiochus. Das tägliche Opfer ist abgeschafft und das Heiligtum entweiht (v. 11). Sein Tod aber („ohne Zutun von Menschenhand wird er zerschmettert" v. 25) wird erst erwartet. So­ weit ist das Rätsel dieses Gesichts völlig geklärt. Es bleiben nur noch die 2300 „Abend-Morgen" von v. 14. Das sind nicht 2300 Tage (Stokmann S. 1292), sondern, wie Gen. 1, 5 ff. zeigt, 1150 Tage: das macht 3 Jahre und 70 Tage, also beträchtlich weniger als die dreieinhalb Zeiten von 12, 7. Das Ende wird hier also früher erwartet als dort, und entsprechend muß auch der Stand­ punkt etwas früher sein. Das Gesicht ist weder so eingehend, noch so umfassend wie das­ jenige von c. 11; in allem wesentlichen aber ebenso durchsichtig, wenn uns die beiden Tiere erst stutzig machen, so gibt uns doch die Deutung des Engels mit der ausdrücklichen Nennung von Medien­ persien und Griechenland den Schlüffe!. Man kann höchstens fragen, warum denn ersteres gerade durch den Widder und letzteres durch den Ziegenbock symbolisiert werde. Zöckler erinnert an den „soliden Wohlstand, ja den fetten Reichtum des perserreiches", und im Gegensatz dazu an das „kampfbereite, sprungfertige und wehrhafte Wesen" des makedonischen. Aber die Schafböcke sind bekanntlick mindestens so rauflustig wie die Ziegen­ böcke. vorsichtiger sagen Andere: wir wiffen es nicht; oder es sei Zufall, und wir dürften dahinter nichts weiter suchen. Aber es scheint doch kein Zufall zu sein, und wir können den Grund auch erkennen — dank einem wertvollen Aufsatz von Tumont in der „Klio" IX (1909) S. 263-273. Das ausgehende Alter­ tum besaß eine astrologische Geographie, die sich bis in die persische Zeit zurückverfolgen läßt, in ihren wurzeln aber sicher auf die babylonische Astrologie zurückgeht. Jedem Tierkreiszeichen war da ein besonderes Land unterstellt. Babylon stand unter dem Stier, Kleinasien unter dem Löwen, Ägypten unter dem waffermann, Persien unter dem Widder, Syrien aber unter dem

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Aiydxspw^ (Steinbock, Ziegenbock). Das Seleukidenreich vertritt hier - für den Orientalen begreiflich - bas ganze Griechenreich. Damit ist das Rätsel gelost, und wir sehen orientalische Astrologie in das Buch Daniel hineinspielen. Und wenn beim Steinbock das eine Horn auf der Stirn be­ tont ist, so geht dies zwar auf Alexander den Großen, wie wir gesehen haben, vielleicht aber ist dabei zugleich an die dem alten Orient wohlbekannte Gestalt des Einhorns gedacht*). Und wenn wir in v. 10 lesen, daß jenes kleine Horn bis zum Himmel wuchs und Sterne herabwarf und zertrat, so ist das bei einem Horn selt­ sam und kaum vorstellbar. 3n der Dffbg. Joh. 12, 4 schlägt der Drache, der das Weib verfolgt, mit seinem Schweif den dritten Teil der Sterne des Himmels herunter — das gibt, wenn man sich nur den Drachen groß genug denkt, ein großartiges Bild. Man möchte vermuten, daß so etwas auch hier im Hintergrund steht. Also wiederum altorientalische Mythologie. 3. Das Traumgesicht des Uebukadnezar. Daniel beschreibt es in 2, 31 ff.: eine riesige Statue, von außergewöhnlichem Glanz und furchtbarem Aussehen; das Haupt von Gold, Brust und Arme von Silber, Bauch und Lenden von Erz, die Schenkel von Eisen, die Füße von Eisen und Ton. Ein Stein, „ohne Menschenhand" von einem Berge losgerissen, trifft und zerschmettert die Züße der Statue, so daß sie zu Fall kommt und in zahllose Stücke zerbricht. Der Stein aber wird zu einem großen Berg, der die ganze Erde erfüllt.

Daniel deutet in v. 37 ff. die Statue auf vier aufeinander­ folgende Reiche, welches sind sie? Das erste ist genau bezeichnet: „Du, o König, bist das Haupt von Gold" (v. 37 f.). Es ist also bas neubabylonische. Erst bei den folgenden kommen die Schwierig­ keiten. Das „nach dir wird ein anderes Reich kommen" (v. 39) will wörtlich genommen sein. Bei der Deutung des Mene Tekel sagt Daniel, die Herrschaft werde von den Babyloniern auf die Meder und Perser übergehen (5, 28). Etwas Ähnliches muß hier gemeint sein, und entsprechend dann im weitern. Die traditionell kirchliche Deutung, schon bei Iosephus zu finden, zählt: medo-persisches, griechisches, römisches Reich. Zur Zeit des Iosephus und der Kirchenväter war allerdings das römische das jüngste Weltreich, dasjenige, unter dem man selber lebte und mit dessen Zusammenbruch man den Anbruch des Gottesreiches erwartete.

*) Ed. Meyer a. a. (D. I944, vgl. Koldervey, Das wiedererstehende Babylon (1914) Abb. 29, 30; Sarre, Vie Kunst des alten Persien (1922) T. 20, 21, 40.

Doch das römische Reich sank in Trümmer, ohne daß das Gottes­ reich kam. Trotzdem hielt man an der Deutung auf das römische fest, mutzte es nun aber bis zur jeweiligen Gegenwart verlängern. Man nahm das Papsttum dazu, oder das mittelalterliche romanisch­ germanische Kaisertum - so z. B. Stokmann S. 49ff.: der Ton symbolisiere die germanische Art, die an übermäßigem Individualismus leide und zur Zerbröcklung und zum Zerfall neige — oder auch das Türkenreich. Aber geht es an, das „römische Reich" derart ins Unendliche zu verlängern? Ergibt sich nicht ein groteskes Mißverhältnis zwischen den genau umschriebenen ersten drei Reichen und dem ungeheuer­ lichen Umfang dieses letzten? Müßten nicht das Papsttum, das römische Reich deutscher Nation, die Türkenmacht, wenn wirklich ge­ meint, auch als selbständige Größen auftreten? In all solchen ver­ suchen können wir nur die Bankerotterklärung jeder Beziehung aus die Zeit des Auslegers und seine Zukunft sehen. Indes auch die Deutung aus das römische Reich selber unter­ liegt gewichtigen Bedenken. Venn auf dieses patzt doch die stark betonte Zerrissenheit und innere Schwäche am allerwenigsten. Aus­ gezeichnet aber paßt sie auf das makedonische, dessen rascher Zerfall nach Alexanders Tod auch in 8, 8. 22 und 11, 4 hervorgehoben ist. Dann muß unter dem dritten das persische und unter dem zweiten das medische Reich verstanden werden. Allerdings ist das medische Reich in Wirklichkeit dem neubabylonischen nicht gefolgt, sondern parallel gegangen. Aber daß das Geschichtsbild des Daniel­ buches ein volkstümliches und darum ziemlich ungenaues ist, haben wir schon gesehen. Und wenn es 5, 28 heißt, daß die Herrschaft von den Babyloniern auf die Meder und Perser übergehe, ist dies auch etwas schief ausgedrückt und liegt schon auf halbem Wege zu der Vorstellung unserer Stelle. - warum schließlich keine Deutung ganz paßt und die relativ beste, die griechische, als die richtige gellen muß, werden wir gleich sehen. Die Deutung auf das Römer­ reich aber stellt schon eine erste Umdeutung nach den späteren Zeit­ verhältnissen dar. Und was bedeutet schließlich der Stein, der den Roloß zu Fall bringt und zu einem Berge wächst? In der Deutung entspricht ihm jenes (fünfte) Reich, das Gott zu ewiger Herrschaft erwecken und das jenen anderen Reichen ein Ende machen wird (v. 44 f.). Man hat dies auf die Römer bezogen, die aber damit zu einem unver­ dienten Nimbus kämen. Oder auf das geistige Reich Thristi, oder auf Christi parusie: aber da fehlt der unentbehrliche zeitliche An­ schluß an die Seleukidenherrschaft. Im Zusammenhang des Daniel­ buches läßt sich nur 12, T-3 vergleichen, wo der Engel Michael

18 sein Volk zum Siege führt, und das „Reich der heiligen des höchsten" 7, 18. 22. 27, d. h. ein jüdisches Zukunftsreich.

£Ufo das neubabylonische, medische, persische, griechische Reich und dann ein jüdisches. Das Traumgesicht gleitet gewissermaßen erst eine Weile über die Erde hin und steigt dann plötzlich kerzen­ gerade in die Luft. Die ersten vier Reiche kennen wir aus der Geschichte, hier scheint die Weissagung erfüllt. Rber wie steht es mit dem fünften? Wir verstehen jetzt, warum die richtige Deutung des vierten Reiches auf das griechische einer andern — derjenigen auf das römische - weichen mußte. Cs war der einzige weg, dem noch ausstehenden Reich des Heils den Platz offen zu halten, wir fühlen uns dadurch zu einem andern Schluß gedrängt. Gleich den Gesichten in c. 8 und 11 muß auch dieses in dem Punkt abgefaßt sein, wo die Geschichte, das vaticinium ex eventu, in Weissagung übergeht. Rlso in der Diadochenzeit. Ein genauerer vergleich der Schilderung des vierten Reiches in v. 33 mit der Deutung v. 41 — 43 zeigt übrigens, daß letztere wesentlich über erstere hinausgeht, während v. 33 nur die Zerrissenheit und Uneinigkeit des einst ge­ einten und starken Reiches betont, scheinen die v. 41-43 in mehr­ fachen Erweiterungen eine stärkere (Ptolemäer) und eine schwächere (Seleukiden) Hälfte zu unterscheiden und heiraten zwischen den beiden zu kennen, wie sie 248 und 193 stattfanden. Huf Rntiochus weist gar nichts. Das Gesicht ist auch in seiner erweiterten Form noch vormakkabäisch. Über sein eigenartiges Geschichtsbild ist damit nur zum kleinsten Teil erklärt. Wie kam man gerade zur Vierzahl der Reiche, die doch nicht durch die Geschichte geboten war; und wie zu ihrer Be­ zeichnung durch Metalle in dieser absteigenden Linie, die doch auch wiederum der Wirklichkeit nicht recht entsprach? Nun kennen wir dazu eine ganze Reihe parallelen, aus denen ich nur die räumlich nächsten und sachlich wichtigsten Herausgreife.

Wo Hesiod, der böotische Dichter des 8. Jahrhunderts v. Ehr., in seinen „Werken und Tagen" v. 109 ff. seine Gedanken über die schlimme Entwicklung der Menschheit vorträgt, da läßt er diese in fünf Stufen — dem goldenen, silbernen, ehernen, heroischen und eisernen Zeitalter — von der höhe göttergleichen Glückes grauer Vorzeit herabsinken zum tiefsten Elend und der äußersten sittlichen Verworfenheit der Gegenwart. Das heroische Zeitalter, das nach Bezeichnung und nach Wesensart die Stufenfolge unterbricht, ist vom Dichter selber in das Schema der vier durch Metalle bezeichneten und immer schlechter werdenden Zeitalter eingelegt, die genau den vier Reichen bei Daniel entsprechen.

3m Avesta zeigt Ahuramazda dem Zarathustra die Wurzel eines Baumes, der vier äste trägt, von Gold, von Silber, von Stahl, und von Stahl mit (Eifen gemischt; und er deutet sie ihm auf vier immer schlechter werdende Perioden des nächsten Jahrtausends. Die Übereinstimmung in der Vierzahl der Perioden und ihrer Bezeichnung durch Metalle geht zu weit, um auf bloßem Zufall zu beruhen. Sie scheint auf die Vorstellung eines großen, in vier Perioden verlaufenden, nach Üblauf sich wiederholenden Weltjahres zurückzugehen und letztlich aus Babylon, der Heimat all solcher Spekulationen, zu stammen. Die Übertragung aus eine Statue — nicht gerade glücklich, insofern sie aus dem Nacheinander ein Neben­ einander macht, aber für das Buge schwer zu umgehen, vgl. die vier äste im Avesta — mag durch Statuen aus verschiedenem Stoff, wie sie der Alte Orient kannte, veranlaßt sein. Die Füße halb aus Eisen und halb aus Ton, die aus dem Schema der Metalle herausfallen und eigentlich ein 5. Reich hinzubringen, sind erst aus der Vorstellung des Kolosses auf schwachen Füßen geflossen, wichtiger ist die andere Veränderung, daß dieser eigentlich zur Wiederholung bestimmte Zyklus nun als Frist der Welt der dahinter anhebenden göttlichen Zeit gegenübertritt. Das neue goldene Zeitalter, das im Kreislauf dahinter hätte beginnen sollen, ist gewissermaßen in die Ewigkeit ausgezogen und der relative Gegensatz zu einem absoluten geworden, hier zum ersten Mal tritt uns, viel schärfer als je bei den Propheten, dieser Dualismus entgegen: hier die ungöttliche und dem Untergang entgegentreibende Welt, dort das ewige Reich Gottes, das genau genommen freilich auch durch ein Menschenreich repräsen­ tiert wird.

4. Daniels Traum in c. 7. Dem von den vier Winden auf­ gepeitschten Meer entsteigen nacheinander vier gewaltige Tiere. Das erste wie ein Löwe mit Adlersflügeln, der auf die Füße gestellt wird und ein Menschenherz bekommt. Das zweite wie ein Bär, der schon drei Rippen im Maul hat und den Befehl erhält: Aus, friß viel Fleisch. Das dritte wie ein Panther mit vier Flügeln und vier Köpfen. Besonders furchtbar aber, und von allen andern verschieden, ist das vierte. Mit seinen gewaltigen eisernen Zähnen frißt und zermalmt es alles. Zehn Hörner hat es. (Ein elftes wächst nach. Drei der früheren werden vor ihm ausgerissen. (Es hat Menschenaugen und einen Mund, der Gewaltiges redet. — Und dann eine neue Szene: (Es werden Throne hingestellt. (Ein hochbetagter mit weißem haar und weißem Gewände nimmt auf feurigem Throne Platz. (Ein Feuerstrom geht von ihm aus. Myriaden von Dienern stehen vor ihm. Bücher werden aufgeschlagen. Über

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die Tiere wird Gericht gehalten. Das vierte wird getötet und dem Feuer übergeben; den andern die Macht genommen. (Einer „wie ein Menschensohn" kommt mit den Wolken des Fimmels daher und erhält die Weltherrschaft für ewige Zeiten. - Daniel versteht das seltsame Gericht nicht und ist bekümmert. Da gibt ihm einer von den Engeln die Deutung. Die vier Tiere bedeuten vier Könige (v. 17) oder Königreiche (v. 23ff.); die 10-j-l Hörner am letzten Tier ebensoviele Könige. Aber welche Reiche und welche Könige gemeint sind, verrät er nicht. Die Rabbiner, die Kirchenväter, Luther und noch Stokmann S. 103 ff. finden hier wie in c. 2 das babylonische, medo-persische, makedonische und römische Reich gemeint. Tatsächlich kehren in Gffbg. 17 die zehn Hörner als römische Kaiser wieder. Und auch der andersartige, brutale Charakter des vierten Tieres scheint aus Rom besonders gut zu passen. „In dieser Deutung und Meinung — sagt Luther — ist alle Welt einträchtig, und das Werk und die Historie beweisens auch gewaltig". Und doch ist diese Deutung un­ haltbar, sobald man methodisch vorgeht. Vas kleine Horn, das nachträglich aufschietzt (v. 8), und dem sich das Hauptinteresse zu­ wendet (». 23ff.), erinnert uns an jenes kleine Horn auf einem der vier Hörner des Ziegenbocks 8, 8, das nur auf Rntiochus gehen kann. Und dem entspricht die nähere Schilderung. Daß es ein Maul hat, das Großes redet 7, 8b. 11. 25a, hat sein Gegenstück in der Zeichnung des Rntiochus 11, 36. Daß es „die Heiligen des Höchsten mißhandelt und Zeiten und Gesetze zu ändern trachtet" (v. 25), wissen wir aus I. Makk. 1 von Rntiochus, der auf die Befolgung der heiligen Bräuche Todesstrafe setzte. Die dreieinhalb Zeiten, die seine Schreckensherrschaft dauern soll, kennen wir aus 12, 7. Darum kann auch hier nur Rntiochus gemeint sein, und nicht der Rntichrist, an den z. B. noch Stokmann S. 107 115 denkt. - Und die zehn Hörner bedeuten nicht christlich-germanische Staaten (Hengstenberg) oder sonst Reiche, die zur Zeit des einstigen Endes vorhanden sein werden (Stokmann S. 116), sondern einfach die zehn Könige von Alexander bis auf Seleukus IV. Und die drei Hörner, die vor ihm ausgerissen werden, sind wahrscheinlich die drei letzten Vorgänger, die alle durch Mord endeten. So ist das vierte Tier auf das makedonische Reich zu deuten, bei dem nur die Seleukidenlinie verfolgt ist. Und die andern Tiere find dann das babylonische, medische und persische, genau wie in c. 2. Und nun die Gerichtsszene. Daß mit dem „Hochbetagten" Gott gemeint ist, steht außer Zweifel. Beim „Menschensohn" hat die Kirche an den Messias oder direkt an Ehristus gedacht. Rber die authentische Deutung redet an entsprechender Stelle (v. 18. 27) von

den „heiligen", dem Israel der Zukunft. Der einzelne Mensch scheint nur ein Repräsentant jenes künftigen Reiches- und seine Menschennatur wird betont im Gegensatz zu den Ungeheuern, die die Weltmächte vertreten. — Die Herrschaft der heidnischen Welt­ mächte gebrochen, das Reich des Gottesvolkes begründet: damit schließt das Gesicht genau so wie die früheren. Bis zu v. 8 läuft die Weissagung dem Gang der Geschichte parallel und ist in der Geschichte erfüllt. Mit v. 9 erhebt sie sich ins Mythologische und ist unerfüllt geblieben. In v. 2 — 8 ist es vaticinium ex eventu, in v. 9-14 wirkliche Weissagung. Der Unterschied auch in Stoff und Stil wird hier besonders deutlich, wie die früheren Gesichte stammt also auch dieses aus der seleukidischen Zeit. Nach v. 8. 19ff. speziell aus der des Antiochus IV. Indes spricht manches dafür, daß der Grundbestand in Gesicht und Deutung wie in c. 2 vormakkabäisch ist und nach den Erfahrungen unter Antiochus nachträglich erweitert wurde. Über auch schon im ursprünglichen Bestand verrät sich gegenüber c. 2 in der stärkeren Betonung des andersartigen und furchtbaren Charakters des vierten Tieres eine Verschärfung in der Beurteilung, die schon eine genauere Bekanntschaft und somit etwas jüngere Entstehung verrät. Die Deutung des Gesichts ist im Grunde verblüffend einfach. Saft zu einfach, konnte es scheinen. Und tatsächlich - so sicher sie die Meinung des Verfassers trifft, denn sie hält sich an seine eigenen Angaben — gilt es weiter zu fragen: wie kommt er dazu, diese so einfachen Gedanken in solch seltsame Sormen zu kleiden? warum erscheinen die Reiche in Gestalt der aus dem Wasser kommenden Tiere, Gott als der hochbetagte, das Volk Israel als der Men­ schensohn? Ls gibt allerdings Lxegeten, die auf jede derartige Stage eine genaue Antwort haben. Rach Stokmann S. 102 ff. z. B. bedeutet das große Meer das unstete, haltlose Gewoge der Volkerwelt, die winde mächtige Zeitströmungen, die jene erregen und jeweilen durch den Kampf der gegeneinander anstürmenden wogen ein Siegesreich als beherrschende Macht hervorgehen lassen. Das Sinnbild für Ba­ bylon geben die Königstiere Löwe und Adler ab. Der Bär wird das Symbol des kraftvollen, aber ungelenken und schwerfälligen medopersischen Reiches; die medische Seite befindet sich in ruhendem Zustande, die persische erhebt sich zu neuem Raube. Der schlanke Panther erinnert an den flinken Eroberer Alexander; das buntge­ fleckte Pantherfell an die farbenreiche Mischung abend- und morgen­ ländischer Kultur in seinem Reiche usw. Ganz abgesehen davon, daß diese Deutung nach dem oben Aus­ geführten für das zweite und dritte Tier ja gar nicht zutrifft, so

22 wirkt sie, weil sie nur höchst gezwungen alles deuten kann, komisch. So und so vieles widerstrebt ihr: das, was nicht aus dem zu Sym­ bolisierenden gewonnen ist, sondern einfach gegeben war und nun in freier weise zur Symbolisierung benutzt wurde. So offenbar gleich die seltsamen Tiere, furchtbar anzusehen, zwei geflügelt, eines mit vier Köpfen, wir kennen solch mischgestaltige Zabelwesen aus der babylonisch-assyrischen und hektischen Mythologie, und wissen, daß noch die persische Kunst diese Typen zur Darstellung ihrer eigenen Dämonengestalten benützte. Das erste Tier, ein Löwe mit Adlerflügeln, wie ein Mensch auf die Deine ge­ stellt : ich kann mir dazu keine schönere Illustration denken als jenen aus dem Babel-Bibelstreit bekannten Löwengreifen vom Palast Assurnasirpals*). Und zum Panther mit vier Köpfen und Zlügeln kann ich wenigstens einen geflügelten Panther mit zwei Köpfen zeigen **). Natürlich müssen wir mit direkten Identifikationen äußerst vor­ sichtig fein; aber wir sehen jedenfalls, woher diese seltsamen Tier­ wesen unseres Gesichtes stammen: nämlich aus der altorientalischen Mythologie. Und nun die Gerichtsszene, wir sind es gewöhnt, uns Gott als alten Mann mit langwallendem Bart zu denken, und die bild­ liche Kunst, die wahrscheinlich gerade von unserer Danielstelle aus­ ging, hat das Ihrige zur Verbreitung dieser Vorstellung getan. Aber dem alten Israel lag sie völlig fern. Ihm war Jahwe ein rüstiger Krieger, ein Recke, der mit Riesenschritten über alle Berge dahin eilt (vgl. Micha 1, 3). Die Vorstellung hier muß aus der Zremde zu Israel gekommen sein. Aber woher? Man könnte an den babylonischen Mondgott Sin denken, den „Vater der Götter und Menschen", der gern mit langwallendem Barte auf einem Thron­ sessel dargestellt wird***). Td. Meyer (a. a. G. S. 199) erinnert an Ahuramazda, bei dem jedenfalls der Zeuerstrom als Waffe wieder­ kehrt. Noch näher aber kommt die Schilderung, die der spätrö­ mische Dichter Tlaudius Tlaudianus in seinem Gedicht auf das Kon­ sulat des Stilicho II 424 ff. vom Gott Aion gibt****): In unbekannter,

*) Greßmann, Altorientalische Texte und Bilder zum A. T. II (1909) Abb. 168 — Jastrorv, Bildermappe zur Religion Babyloniens und Assy­ riens (1912) Abb. 120, vgl. auch Abb. 100, 193, 195; Sarre, Die Kunst des alten Persien (1922) T. 16. **) O. Weber, hetitische Kunst (1922) T. 14. Die Vierzahl der Köpfe ist vermutlich zeitgeschichtlich auf die vier dem Danielbnch bekannten (II, 2) Perserkönige zu deuten. ***) vgl. Greßmann, Texte und Bilder II Abb. 95. ****) Monumenta Germaniae Historien, Anet, antiq. Tomus X; vgl. Greßmann, Zeitschr. f. Kirchengesch. 41 (1923) 175 ff. Vie hellenistische Ge­ stirnreligion (Beihefte zum Alten Grient 5, 1925) 17 ff.

Kaum den Göttern zugänglicher Ferne befindet sich seine höhle. Am Eingang sitzt als Wächterin die hochbetagte Physis. Lin ehr­ würdiger Greis mit weißem haar schreibt bleibende Gesetze, in­ dem er den Sternen ihre Bahn bestimmt und prüft, was die Pla­ neten der Welt bringen. 3n der Tiefe der höhle aber ruhen die Zeitalter aus Erz, Eisen, Silber, und ganz hinten das von röt­ lich schimmerndem Golde, das den Menschen nur selten zu Teil wird. Der eintretende Sonnengott aber, von der Physis und dem Greise ehrfürchtig begrüßt, nimmt von dem Gold und schreibt den Namen des Stilicho darauf. — Lin ehrwürdiger Greis als Herr der Zeiten, der schreibt und die Herrschaft verteilt, und dazu die durch Metalle vertretenen Zeitalter - ist die Übereinstimmung mit Dan. 7 und 2 nicht ganz überraschend? Und endlich der Nlenschensohn, eines der schwierigsten religions­ geschichtlichen Probleme, das ich hier natürlich auch nur streifen kann, wie wir sahen, versteht der Verfasser darunter das Volk Israel. Aber ebenso klar ist, und darin liegt das Berechtigte an der kirchlichen Deutung, daß er nicht von sich aus darauf gekommen ist, Israel als einen vom Himmel kommenden Menschen darzustellen. Es muß eine durch die Tradition gegebene Gestalt sein, die er dann erst in diesem Sinn umdeutet. Aber was für eine? „Men­ schensohn" ist nach aramäischem Sprachgebrauch einfach soviel wie Mensch. Und das „wie" gehört zum apokalyptischen Stil, der ge­ naue Bezeichnungen vermeidet. Also einfach „ein Mensch". Allein wer mit den Wolken des Himmels daher kommt, um die Weltherr­ schaft in Empfang zu nehmen, kann kein gewöhnlicher Mensch sein. „Mensch" ginge also bloß aus das Aussehen der betreffenden Ge­ stalt, hinter der ein Gott oder ein Engel stecken könnte. Denn gerade bei den Engeln wird ihre menschenähnliche Figur öfter her­ vorgehoben (8, 15. 9, 21. 10, 16), und Michael nimmt 12, 1 eine ähnliche führende Stelle ein. Oder „Mensch" ist ein Terminus und bezeichnet den Menschen xaV den Urmenschen. So die Vermutung von Bousset und Greßmann, die neuerdings durch die Forschungen Reitzensteins eine unerwartete Stütze gefunden zu haben scheint: in jener chaldäisch-iranischen Mischreligion, die eine Vorstufe der manichäischen und mandäischen Religion darstellt, spielt der Ur­ mensch eine wichtige Rolle als Erlöser"). Ist der Traditionsstoff unseres Gesichts als einheitliches Ganzes übernommen oder sind Vorstellungen verschiedener Herkunft zu einem Ganzen erst zusammengefügt? In der ersten Hälfte meinte Gunkel*) **)

*) vgl. Reitzenstein, Das iranische Lrlösungsmysterium (1921), S. 117 ff., Greßmann, a. a.