Das Bekenntnis des Hofmanns: Lutheraner und Reformierte am Hof Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten 9783110647006, 9783110642704

What was the significance of religious differences in the court of the Great Elector? This micro-historical study explor

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Das Bekenntnis des Hofmanns: Lutheraner und Reformierte am Hof Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten
 9783110647006, 9783110642704

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Thomas Throckmorton Das Bekenntnis des Hofmanns

Thomas Throckmorton

Das Bekenntnis des Hofmanns

Lutheraner und Reformierte am Hof Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein, der Axel Springer Stiftung und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – 242138915

Trotz sorgfältiger Herstellung unserer Bücher passieren manchmal Fehler. Leider war die Kapitelnummerierung falsch. Dies wurde korrigiert. Wir entschuldigen uns für den Fehler. ISBN 978-3-11-064270-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-064700-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-064283-4

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck Coverabbildung: Unbekannter Künstler, Ansicht des kurfürstlichen Schlosses, Berlin, um 1690, Öl auf Leinwand, 164,50 X 189,00 cm, Stadtmuseum Berlin, Inv.Nr. GEM 89/10 [Reproduktion: Oliver Ziebe, Berlin] www.degruyter.com

Vorwort Bei diesem Buch handelt es sich um die geringfügig überarbeitete Version meiner Dissertation, die im Sommersemester 2018 von der Universität Hamburg angenommen wurde. Dass sie zu dem werden konnte, was sie heute ist, habe ich den Quellen und Zeitgenossen zu verdanken, die mir auf meinem Weg begegnet sind. Mit Andreas Fromm, Raban von Canstein, Martin Friedrich Seidel und Otto von Schwerin traf ich auf Protagonisten, die nicht nur einen hohen Unterhaltungswert boten, sondern kombiniert geradezu natürlich den Ansatz und die Form der Arbeit vorgezeichnet zu haben scheinen. Ich selbst und das Projekt wuchsen also gewissermaßen mit ‚meinen Hofleuten‘ mit. Sie und ihre Zeugnisse sind die Basis und sie machten die Arbeit an meiner Dissertation zu einem großen Vergnügen. Dass dieses Buch sich allerdings nicht ganz so natürlich und ganz so von selbst entfaltet hat, wie es mir rückblickend vorkommen mag, ist mir durchaus bewusst.Vielmehr haben sehr viele Menschen auf unterschiedliche Art und Weise dazu beigetragen, denen ich danken möchte. Mein besonderer Dank gilt meinem Dissertationsbetreuer Professor Dr. Markus Friedrich, der meine Arbeit konstruktiv begleitete, indem er mir einerseits die Unabhängigkeit gewährte, die ich zur Entfaltung meines Projektes wollte und brauchte, und mir andererseits hilfreiche Denkanstöße gab, wenn ich sie nötig hatte. Auch meinem zweiten Betreuer Professor Dr. Jürgen Sarnowsky möchte ich für interessante Gespräche und viele nützliche Hinweise danken. Herrn Professor Dr. Frank Göse gilt mein Dank für die Übernahme des Drittgutachtens. Namentlich möchte ich auch Professor Dr. Wolfgang Neugebauer und Professor Dr. Andreas Schunka für ihre Ratschläge danken sowie Professor Dr. Matthias Pohlig, der mich als Betreuer meiner Master-Arbeit darin bestärkte, ein Promotionsprojekt zu entwickeln. Hinzu kommen viele weitere Historikerinnen und Historiker, von deren Anregungen ich profitiert habe, auch wenn ich sie nicht alle namentlich würdigen kann. Die Förderung durch das Graduiertenkolleg „Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit“ hat sehr zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Dafür danke ich allen Mitgliedern und Verantwortlichen. Sehr dankbar bin ich auch für die freundliche Hilfe der vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der verschiedenen Archive und Bibliotheken, die ich besuchen durfte. Mein ganz herzlicher Dank gilt darüber hinaus der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften, der Axel Springer Stiftung und der Evangelischen Kirche BerlinBrandenburg-schlesische Oberlausitz für ihre großzügigen Druckkostenzuschüsse.

https://doi.org/10.1515/9783110647006-001

VI

Vorwort

Der Kammergerichts- und Konsistorialrat Martin Friedrich Seidel schrieb einmal an einen Prediger: „[…] die Leute, so nicht in einen Schiffe mitt uns gewesen, verstehen weinig von den ungewittern so wir erlitten.“ Das Zitat erinnert mich an meine Kolleginnen und Kollegen aus meinem Graduiertenkolleg und dem Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg, mit denen ich eine schöne Zeit verbracht habe und von denen einige gute Freunde wurden. Mit in diesem Schiff waren aber auch in gewisser Weise mein Freundeskreis und mein Bruder, die mich zum Teil mit Korrekturarbeiten, zum Teil mit Freizeitausgleich unterstützt und so massiv zu meiner Lebensqualität beigetragen haben. Die „Ungewitter“, die ich erlitt, durfte meine Frau Laura aus nächster Nähe beobachten. Ihr danke ich für ihren Rückhalt, vor allem in den letzten stressigen Monaten, und überhaupt für alles. Meine Eltern haben mich immer darin unterstützt, meinen eigenen Weg zu gehen und ohne diese Unterstützung wäre ich vermutlich nie angekommen. Ihnen möchte ich diese Arbeit widmen. Berlin, im Juli 2019

Thomas Throckmorton

Inhalt Abkürzungsverzeichnis

XI

 . . . . .

Einleitung 1 Auftakt: Andreas Fromm 1 2 Fragestellung und Eingrenzungen Forschungsstand 9 Quellenlage 18 Begriffe und Gang der Arbeit 21

 .

Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten 24 Die Grundlagen und Voraussetzungen der Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms: Die Konkordienformel, Johann Sigismunds gescheiterte 26 zweite Reformation und der Landtagsrezess von 1653 Die theologische Positionierung 30 36 Die kirchenpolitischen Maßnahmen Die kurfürstliche Selbstdarstellung 44 Zwischenresümee 47

. . . . 

.. .. .. .

Der Hof zu Berlin-Cölln als interkonfessioneller Interaktionsraum 50 Der kurbrandenburgische Hof – eine kurze Verortung 57 Der bikonfessionelle Hof in Zahlen Der Hof als konfessionelle Bühne: Repräsentation und Integration 59 Facetten des interkonfessionellen Zusammenlebens bei Hofe 65 Konfessionsbewusstsein und -sensibilität 65 Zwischen Religionsfrieden und Konkurrenz 67 Konfession und Kontext 78 Zwischenresümee 80

 . .. .. .. ..

82 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm Fromm und die Irenik 82 Fromms Eintritt in das Konsistorium 82 Das Konsistorium als Schauseite des Hofes 83 Das Konsistorium stellt sich vor 85 Verdeckte Manöver und interkonfessionelle Schikane

. . . .

50

87

VIII

.

.. .. .. .. . . .. .. . . .



Inhalt

Wie man einen interkonfessionellen Konflikt auf die Politica richtet: Argumentationsstrategien bei der Absetzung Joachim 97 Kemnitzens 1659 Die Untersuchung gegen Kemnitz und die Erfindung eines Vertrauensbruchs 97 Martin Friedrich Seidel und Johann Georg Reinhart vor dem 112 Konsistorium 114 Das Konsistorium nach Kemnitz Zwischenresümee 117 Fromm am Ziel 119 123 Fromm und die Zweifel „Gott wird dz Land schrecklich straffen“ – Fromm und das Berliner Religionsgespräch 1662 123 „Als wan er mit dem Teuffel gefochten hätte“ – ein Kryptocalvinist 132 auf Abwegen Fromm und der Aufstand 145 153 Andreas Fromm – eine Gegendarstellung Zwischenresümee – ein außergewöhnlich normaler Hofmann? Nebst einer weiteren Konversion 155

.. ... ... ..

Strategien des lutherischen Hofmanns im märkischen Kirchenstreit: 161 Raban von Canstein und Martin Friedrich Seidel Die Verschärfung der interkonfessionellen Konflikte in den 1660er 161 Jahren als Auslöser von Rollenkonflikten Interkonfessionelles Vertrauen kommunizieren: Die höfische Bühne 165 Vermitteln, Beeinflussen, Fernbleiben: Die lutherische Bühne 176 Martin Friedrich Seidel und das Konsistorium 177 Martin Friedrich Seidel – ein konfessionelles Profil 177 Martin Friedrich Seidel und die beste Regel der christlichen Hofleute 184 Raban von Canstein und der Geheime Rat 192 Raban von Canstein – ein konfessionelles Profil 192 Raban von Canstein zwischen den Fronten 200 214 Zwischenresümee und Exorzismus

 . ..

Otto von Schwerin und die reformierte Perspektive Otto von Schwerin 219 Otto von Schwerin – ein konfessionelles Profil

. . . .. ... ...

219 219

Inhalt

.. . . .

Otto von Schwerin als kirchenpolitischer Akteur 239 Die reformierte Hinterbühne des Hofes Die Hofprediger 243 Zwischenresümee 248

IX

225

. .

250 Der Beamtenrevers von 1668 Symbol und Sichtbarkeit: Raban von Canstein und der Revers 253 Gewissenskonflikte und alte Strategien: Martin Friedrich Seidels, Johann Georg Reinharts und Gabriel Luthers Reaktion auf den 259 Revers Zwischenresümee 270 Mehr Skrupel, eine Erklärung und ein Ausblick 272

 .

278 Schlussbetrachtung Ausklang: Andreas Fromm



Quellen- und Literaturverzeichnis

 . .

Personenregister

304

283 285

Abkürzungsverzeichnis ADB AFSt/H

Allgemeine Deutsche Biographie Archiv der Franckeschen Stiftungen, Halle/ Saale, Handschriften Hauptabteilung BLHA Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam CA Confessio Augustana/ Augsburger Konfession FB Gotha Universität Erfurt, Forschungsbibliothek Gotha FBPG Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte FC Formula Concordiae/ Konkordienformel FSATS Fortgesetzte Sammlung von Alten und Neuen Theologischen Sachen GKl Archiv Zentral- und Landesbibibliothek Berlin, Sammlungen des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster zu Berlin (Streitsche Stiftung), Archiv GStA PK Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin HJb Historisches Jahrbuch HStAM Hessisches Staatsarchiv Marburg HZ Historische Zeitschrift JBBK Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte JbGMOD Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands JBLG Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte JBrKG Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte JGNKG Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte NDB Neue Deutsche Biographie ÖStA HHStA Österreichisches Staatsarchiv, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien Sächs. HStA Dresden Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden Sächs. StA Leipzig Sächsisches Staatsarchiv Leipzig SBB-PK Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung StABa Staatsarchiv Bamberg ThLZ Theologische Literaturzeitung TRE Theologische Realenzyklopädie ZHF Zeitschrift für Historische Forschung ZVKGS Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte der Provinz Sachsen

https://doi.org/10.1515/9783110647006-002

1 Einleitung 1.1 Auftakt: Andreas Fromm Im Frühjahr 1668 befand sich ein lutherischer Geistlicher namens Andreas Fromm mit seiner Familie auf der Flucht.¹ Sein Ziel war Prag und seine Kontaktperson vor Ort ein Jesuitenpater namens Matthäus Zeidler. Noch während der Reise schrieb Fromm ihm einen Brief über seine künftigen Pläne und gab ihm obendrein Einblicke in sein Eheleben: „Gerne wollte Ich beym Predigampt [!] bleiben […] Meine Ehe-Frau […] wird zur stätigen Enthaltung des Ehelichen Werckes gar leicht zu bereden seyn/ sintemalen wir schon etliche Jahr her nicht in einem Bette zusammen gelegen/ sondern haben uns die Keuschheit zu lernen geübet.“² Seine eheliche „Keuschheit“ betonte Fromm gegenüber dem Pater nicht ohne Grund: Er bereitete seine Konversion zum Katholizismus und seine Priesterweihe vor. Es war nicht der erste religiöse Sinneswandel des angehenden Priesters. Der 1621 in Plänitz in der Grafschaft Ruppin geborene Predigersohn war ursprünglich lutherisch getauft. Nach einer Zwischenstation in Stettin, wo er eines der frühesten deutschen Oratorien geschrieben hatte,³ erwarb er 1651 den Grad eines Licentiatus Theologicae und wurde im selben Jahr Probst in der Kirche St. Petri zu Cölln an der Spree. Ende 1656 wurde er als geistlicher lutherischer Konsistorialrat bestallt. Damit gelangte er an den mehrheitlich reformiert geprägten Hof Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten – und schon bald machten sich erste religiöse Auffälligkeiten bemerkbar. 1658 wurde Fromm vom Präsidenten des Konsistoriums Joachim Kemnitz vorgeworfen, ein Kryptocalvinist zu sein. Ein Jahr später wurde Kemnitz entlassen. 1662 gestand Fromm dem reformierten Hofprediger Bartholomäus Stosch, dass er längst im Inneren „Reformatae Religionis sey“⁴ und sich nur nach außen als Lutheraner ausgebe. 1666 sagte er dann zu demselben Stosch in einem Gefühlsausbruch, „er könne nicht länger stille darzu schweigen […] Lutherani leiden hostilitäten von Reformirten.“⁵

 Vgl. zur Person Fromms die Angaben in Kapitel 4.1.1.  O.A.: Copie des Schreibens so Herr Licent. Andreas Fromme […] An den Pater Matthäus Zeidler […] geschrieben/ verdeutscht, o. D., o.O., unpag.  Noack, Lothar u. Splett, Jürgen: Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frühen Neuzeit. Berlin-Cölln 1640 – 1688. Berlin 1997, S. 126.  Fromm, Andreas: Etliche Brieffe L. Andreae Frommi […] Welche Er innerhalb zehen und mehr Jahren an die Churfürstl. Brandenb. Hoffprediger eigenhändig geschrieben. Cölln/ Spree 1667, Brief X.  Meinardus, Otto (Hrsg.): Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rates aus der Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm. Siebenter Band. Erste Hälfte. Von Anfang Mai 1663 https://doi.org/10.1515/9783110647006-003

2

1 Einleitung

Nun bekannte er sich klar zum lutherischen Glauben und floh nach Wittenberg, dem Bollwerk des traditionellen Luthertums.⁶ 1669 dann hielt er schließlich seine erste heilige Messe als Priester in Prag.⁷ In den 13 Jahren von seinem Stellenantritt bei Hofe als Konsistorialrat bis zu seiner ersten Messe hatte Fromm es also geschafft, vom Luthertum zum Kryptocalvinismus, von dort zurück zum Luthertum und schließlich in den Schoß der katholischen Kirche zu flüchten.⁸ Wie konnte es zu diesem wendungsvollen Werdegang kommen? Ohne die Besonderheiten in Fromms Biographie kleinreden zu wollen, war er keineswegs der Einzige am kurbrandenburgischen Hofe in konfessionellen Nöten. Zwischen 1659 und 1668 kam es zu einer weiteren Flucht inklusive Konversion sowie insgesamt zu fünf weiteren Entlassungen von Hofbeamten, die religiös motiviert waren. All diese Fälle werfen die Frage auf: Was war das für ein Hof, der eine solche Entwicklung begünstigte? Die Antwort darauf möchte dieses Buch geben.

1.2 Fragestellung und Eingrenzungen Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst und der Dienstherr Andreas Fromms, war reformiert, so wie es alle Hohenzollern waren seit der Konversion Johann Sigismunds an Weihnachten 1613. In ganz Brandenburg-Preußen stellten die Reformierten jedoch eine sehr kleine Minderheit dar. Die Mark Brandenburg war sogar fast vollständig monokonfessionell lutherisch. Eine der wenigen reformierten Inseln war der Fürstenhof in Berlin-Cölln. Hier stellten die Reformierten die

bis Ende Dezember 1666. Leipzig 1919 (Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 91), Nr. 674, S. 467 f., Zitat S. 467. Im Folgenden werden sämtliche Bände der Protokolle und Relationen als Kurztitel angegeben.  Vgl. Noack/ Splett, Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 129.  Seine Frau hatte er offenbar überzeugen können, sodass sie mit ihm konvertierte. Der Jesuit Matthias Tanner schreibt in einem Brief u. a. zu Fromms erster Messe: „[…] als Er beym höchsten Altar recht hohepriesterlich opfferte/ haben ihm seine […] vier Söhne die Fackeln fürgetragen/ und nachmals haben die zween Aeltesten mit der Tochter und Seiner Frau Gemahlin/ das Göttliche Sacrament von seinen händen empfangen […]“ Reinhart, Elias Sigismund: Elias Sigismund Reinharts/ Der heiligen Schrifft Doctors, Professors, und Superintendentens In Leipzig Antwort auff der Post An herrn Pater Matthias Tannern […] Leipzig 1669, S. 8.  Im Album Academiae Vitebergenis wurde beim Eintrag zu Fromms Erlangung des Magistergrads, den er 1645 in Wittenberg erworben hatte, nachträglich „Fromme homo trium religionum“ hinzugefügt, vgl. Weissenborn, Bernhard: Album Academiae Vitebergensis. Jüngere Reihe Teil 1 (1602– 1660). Textband. Magdeburg 1934, 44, 167, S. 432.

1.2 Fragestellung und Eingrenzungen

3

Mehrheit, wobei noch immer ca. ein Drittel der höheren Hofbeamten Lutheraner waren.⁹ Die Kirchenpolitik des Kurfürsten, die in den 1660er Jahren zu Konflikten mit der lutherischen Geistlichkeit führte, die man heute unter dem Begriff Märkischer oder Berliner Kirchenstreit zusammenfasst, ist schon vielfach untersucht worden.¹⁰ Obwohl in eben jene Zeit alle konfessionell bedingten Entlassungen und Fluchten bei Hofe fallen, wurden die Hofleute als Betroffene und Akteure in den Konflikten in der Forschung bisher jedoch kaum berücksichtigt.¹¹ Darüber hinaus weiß man auch grundsätzlich wenig über die Koexistenz und das Zusammenwirken der Konfessionen bei Hofe. Seit der umfassenden prosopographischen Studie Peter Bahls zur höheren Beamtenschaft am Hof des Großen Kurfürsten aus dem Jahr 2001 ist zwar die konfessionelle Aufteilung des Hofes bekannt.¹² Die Aussagekraft dieser quantitativen Daten stößt jedoch an ihre Grenzen, wenn man darüber hinaus nach der Wahrnehmung und dem konkreten Verhalten der Höflinge fragt.¹³ In der aktuellen Forschung fehlt also noch eine akteursorientierte Untersuchung des Hofes, die sich vor allem auf qualitative Methoden stützt.¹⁴ An diesem Punkt setzt die vorliegende Arbeit an. Sie möchte die bisherige Forschung zur Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten um die Perspektive der Hofleute erweitern, versteht sich aber zugleich als ein Beitrag zur allgemeinen Geschichte des

 Vgl. für genauere Angaben zur konfessionellen Aufteilung des Hofes v. a. Kapitel 3.2.  Vgl. Kapitel 1.3.  Vgl. auch die Kritik Leibetseders an der Fixierung der älteren Forschung zur brandenburgischpreußischen Kirchenpolitik auf die Fürsten und Könige: „Andere Akteure, die an der Ausgestaltung der Konfessionspolitik mitwirkten oder auch einfach nur mit deren Auswirkungen im Alltag zu leben hatten, tauchen dagegen bestenfalls am Rande auf.“ Leibetseder, Mathis: Alltag zwischen Konflikt und Toleranz. Beobachtungen zur Konfessionspolitik Brandenburg-Preußens im 18. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Historische Forschung (ZHF) 41 (2014), S. 231– 260, Zitat S. 232.  Vgl. Bahl, Peter: Der Hof der Großen Kurfürsten. Studien zur höheren Amtsträgerschaft Brandenburg-Preußens. Köln u. a. 2001 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz Beiheft 8), zur Konfession S. 196 – 216. Vgl. ausführlich zur konfessionellen Aufteilung des Hofes Kapitel 3.2.  Bahl verknüpft seine Daten zwar mit zahlreichen Beispielen und Ergebnissen aus der Literatur – auch zum Thema Konfession – stellt aber selbst zum Desiderat einer umfassenden Hofgeschichte fest: „Mehr als die Erarbeitung eines der hier noch fehlenden Teilbereiche, des prosopographischen, kann auch die vorliegende Arbeit nicht leisten.“ Bahl: Hof, Zitat S. 17.  Gabriel Almer verspricht in seiner (allerdings nur in Teilen auf den Hof konzentrierten) Dissertation zwar einen akteursorientierten Zugriff in Bezug auf reformierte Entscheidungsträger, löst dieses Versprechen aber für den Hof unter Friedrich Wilhelm m. E. nicht ein, vgl. Almer, Gabriel: Calvinista Aulico-Politicus. Konfession und Herrschaft in Brandenburg-Preußen (ca. 1660 – 1740). Diss. FU Berlin 2016, http://www.diss.fu-berlin.de/diss/receive/FUDISS_thesis_000000101618 (17.4. 2017), zum Hof S. 202– 248.

4

1 Einleitung

kurbrandenburgischen Hofes. Ferner dient sie ganz grundsätzlich der Erforschung von konfessioneller Pluralität in einem höfischen Bezugsrahmen im 17. Jahrhundert. Das Ziel dieser Arbeit ist es also, die Bedeutung konfessioneller Unterschiede bei Hofe, ihren Einfluss auf die Beziehungen der Hofleute und das interkonfessionelle Miteinander sowie die Haltung der Hofbeamten zur Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms zu untersuchen. Damit verbunden sind einige Prämissen und Einschränkungen, die im Folgenden kurz angesprochen werden sollen. Im Zentrum dieser Arbeit steht die Betrachtung einzelner Hofleute. Besonders vier von ihnen werden uns für einen großen Teil der Untersuchung begleiten: Dies sind der schon erwähnte Lutheraner und Konsistorialrat Andreas Fromm, der ebenfalls lutherische Konsistorial- und Kammergerichtsrat Martin Friedrich Seidel, der lutherische Amtskammerpräsident und Oberhofmarschall Raban von Canstein sowie der reformierte Oberpräsident Otto von Schwerin.¹⁵ Wie durch ein Vergrößerungsglas sollen Fromms, Seidels, Cansteins und Schwerins konfessionelle Verortung, ihr Umgang mit der jeweils anderen Konfession, ihre konfessionell begründeten Konflikte sowie ihre Handlungsspielräume und Bewältigungsstrategien im Umgang mit diesen Konflikten sichtbar gemacht werden. Anhand dieser vergleichsweise gut dokumentierten Einzelfälle werden allgemeine Rückschlüsse auf die Bedeutung, die Probleme und die Regulierung der Bikonfessionalität am Hof Friedrich Wilhelms gezogen. Die Arbeit steht in ihrem Ansatz also in der Tradition der Mikrogeschichte und bedient sich ihrer Methoden, indem sie einzelne Akteure und ihre Handlungsmöglichkeiten ins Zentrum des Interesses stellt, mit dem Anspruch einer konsequenten sozialen Kontextualisierung und einer möglichst umfassenden Quellenauswertung.¹⁶ Die für die Mikrogeschichte typische Verkleinerung des Untersuchungsbereichs in Hinblick auf übergeordnete Zusammenhänge erfolgt insofern, als dass die Bewältigung multikonfessioneller Konstellationen in einem

 Vgl. für Detailinformationen zu den Hofleuten die jeweiligen Kapitel.  Vgl. Ulbricht, Otto: Mikrogeschichte. Menschen und Konflikte in der Frühen Neuzeit. Fankfurt a. M./ New York 2009, S. 13 – 15; Ulbricht, Otto: Divergierende Pfade der Mikrogeschichte. Aspekte der Rezeptionsgeschichte. In: Im Kleinen das Große suchen. Mikrogeschichte in Theorie und Praxis. Hanns Haas zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Ewald Hiebl u. Ernst Langthaler. Innsbruck u. a. 2012 (Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raumes 2012), S. 22– 36, hier S. 22 f.; Hiebl, Ewald u. Langthaler, Ernst: Einleitung: Im Kleinen das Große suchen. Mikrogeschichte in Theorie und Praxis. In: Ewald/ Langthaler (Hrsg.): Im Kleinen, S. 7– 21, hier S. 10 – 13; vgl. allgemein zur Mikrogeschichte neben den obigen Arbeiten u. a. Levi, Giovanni: On Microhistory. In: New Perspektives on Historical Writing. Hrsg. von Peter Burke. University Park, PA 1992, S. 93 – 113; vgl. auch Medick, Hans: Mikro-Historie. In: Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion. Hrsg. von Winfried Schulze. Göttingen 1994, S. 40 – 54.

1.2 Fragestellung und Eingrenzungen

5

höfischen Kosmos untersucht wird: Das große Feld der konfessionellen Pluralität wird in ihrer Manifestation bei Hofe am Beispiel von vier Hofbeamten untersucht, die in ihrem individuellen Verhalten wiederum die Diskurse und Konflikte ihrer Zeit repräsentieren und somit über sich selbst hinausweisen. Auch werden die Auswirkungen eines kurzen, aber prägenden Abschnitts der Brandenburgischen Kirchengeschichte auf der Hofebene beleuchtet. Von den Einzelfällen, die in dieser Arbeit untersucht werden, wird wiederum auf eine größere Gruppe von Fürstendienern und allgemeine konfessionelle Herausforderungen bei Hofe geschlossen. Während Andreas Fromm anhand einer dichten Überlieferung über einen längeren Zeitraum hinweg verfolgt werden kann, erfolgt der Zugriff auf seine Kollegen aufgrund der Quellenlage zwangsläufig weniger umfassend. Aus der Überlieferung ergibt sich hier ein Schwerpunkt, der auf einzelne Phasen und Ereignisse sowie die Interaktion und Kommunikation der Höflinge in unterschiedlichen Kontexten zugeschnitten ist. Dadurch stehen die sozialen Positionen der Fürstendiener und damit verbundene Rollenerwartungen im Vordergrund. Vereinzelt – vor allem im Fall von Andreas Fromm – erlauben die Quellen aber auch einen Einblick in die Wahrnehmungshorizonte der Hofbeamten, sodass ausschnitthaft die Gefühls- und Gedankenwelt vormoderner Hofleute in Bezug auf die gemischt-konfessionelle Konstellation greifbar wird. Die Einschränkungen des zu untersuchenden Personenkreises hat zwei Gründe: Erstens erzwingt der oben formulierte Anspruch einer quellengesättigten, akteursorientierten Analyse von vorneherein eine Begrenzung, da das auszuwertende Material sonst kaum zu bewältigen wäre. Zweitens existiert über die vier genannten Protagonisten hinaus zu den kurbrandenburgischen Hofleuten unter Friedrich Wilhelm schlichtweg wenig Material in Bezug auf den formulierten bikonfessionellen Interessenschwerpunkt. Selbst die wenigen Hofbeamten, von denen überhaupt Nachlässe erhalten sind, haben meist keine schriftlichen Zeugnisse mit konfessionellem Bezug hinterlassen. Dennoch existieren immerhin einige Quellen zu weiteren Hofleuten, sodass die Protagonisten von einem kleinen Ensemble ihrer Kollegen begleitet werden, deren Namen unterschiedlich häufig wiederkehren werden. Mit ihren Beispielen werden die Geschichten der vier Hauptfiguren angereichert, um ihren Einzelfällen eine größere allgemeine Aussagekraft zu verleihen. Zudem stützt sich diese Arbeit auf die schon erwähnte prosopographische Studie Peter Bahls, durch welche die Konfession, die Herkunft, die Heiratsverbindungen und zahlreiche weitere Details der höfischen Elite bereits bekannt sind.¹⁷ Diese Daten werden in Beziehung zu den individuellen

 Bahl: Hof; vgl. auch Kapitel 3.2.

6

1 Einleitung

Fallbeispielen der oben genannten Protagonisten gesetzt. Ihr Verhältnis ist dabei wechselseitig: Einerseits lassen sich die Beobachtungen durch die prosopographischen Informationen leichter einordnen, andererseits füllen sie die Daten erst mit Leben und kreieren dadurch ein genaueres Bild vom Hofe. Damit fußt diese Arbeit zwar in Teilen auf quantitativem Material, will aber dezidiert darüber hinausgehen, indem nach konkreten Verhaltensstrategien, der Interaktion und der Wahrnehmung der Hofleute gefragt wird. Das wird deshalb betont, weil die Bikonfessionalität am Hof des Großen Kurfürsten in der Vergangenheit meist nur in Form von Heiratskreisen und politischen Hofparteiungen behandelt und – wenn überhaupt – durch wenige bekannte Fallbeispiele ergänzt wurde.¹⁸ Solche Ansätze eröffnen jedoch nur eine eingeschränkte Perspektive auf die tatsächlichen interkonfessionellen Realitäten, denn nur weil bspw. ein Lutheraner keine Calvinistin geheiratet hätte, bedeutete das noch lange nicht, dass er nicht einen Calvinisten zum Abendessen besuchen konnte. Nachdem nun geklärt wurde, wer im Zentrum dieser Arbeit steht, soll nicht verschwiegen werden, wer es nicht tut. Hier sind zunächst die mittleren und unteren Chargen bei Hofe zu nennen ebenso wie Personen, die nur zeitweise bei Hofe waren oder kein Amt ausübten, also zur höfischen Gesellschaft, aber nicht zum Hofstaat gehörten. Beide Gruppen sind in Bezug auf konfessionelle Aspekte nicht ausreichend gut in den Quellen dokumentiert. Alle Hofleute in dieser Studie gehören somit zur höheren Beamtenschaft. Sie haben politische Ämter inne, d. h. sie sind Teil des Hofstaats und der Regierung bzw. Verwaltung. Eine klare Trennlinie zwischen politischen Entscheidungsträgern und der höfischen Gesellschaft lässt sich jedoch ohnehin nicht ziehen, da gerade die adligen Räte zugleich an gesellschaftlichen Ereignissen teilnahmen.¹⁹ Außerdem findet der weibliche Teil des Hofes kaum eine Berücksichtigung, was angesichts des wachsenden Forschungsinteresses an Frauen bei Hofe bedauerlich ist.²⁰ Dies hängt vor allem mit der Quellenlage zusammen.²¹ Dorothea

 Vgl. Kapitel 1.3.  Vgl. hierzu auch Kapitel 3.3.  Vgl. u. a. Keller, Kathrin: Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts. Wien u. a. 2005; Schleuming, Regina: Hof, Macht, Geschlecht. Handlungsspielräume adeliger Amtsträgerinnen am Hof Ludwigs XIV. Göttingen 2016 (Freunde – Gönner – Getreue. Studien zur Semantik und Praxis von Freundschaft und Patronage 11).  Peter Bahl schreibt in einem Aufsatz zu weiblichen Amtsträgerinnen am BrandenburgischPreußischen Hof, „dass die archivalische Quellenlage so schlecht ist, dass er fast verzweifeln könnte.“ Vgl. Bahl, Peter: Kurfürstliche und königliche Dienerinnen. Weibliche Amtsträger in Brandenburg-Preußens höfischer Welt 1640 – 1713. In: Schloss: Macht und Kultur. Entwicklung und Funktion Brandenburg-Preußischer Residenzen. Hrsg. von Jürgen Kloosterhuis u. a. Berlin

1.2 Fragestellung und Eingrenzungen

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von Kreytzen, die lutherische Ehefrau des reformierten Oberpräsidenten Otto von Schwerin, ist die einzige Frau bei Hofe, zu der sich einige spärliche Informationen mit konfessionellem Bezug finden lassen. Es ist bekannt, dass sie eine enge Beziehung zur reformierten Kurfürstin Luise Henriette ebenso wie zu den Prinzen pflegte.²² Im Jahr 1665 setzte sie sich zudem bei der Kurfürstin für die Berliner Geistlichen ein und wurde später wegen ihrer Konfession als negativer Einfluss auf Otto von Schwerin wahrgenommen.²³ Ansonsten bleibt die weibliche Perspektive in dieser Arbeit unberücksichtigt. Besser ist die Quellenlage zu den Kurfürstinnen Luise Henriette von Oranien und Dorothea von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg.²⁴ Beide dienten den Untertanen sowie den späteren Historikerinnen und Historikern als konfessionelle Projektionsfläche für eigene Erwartungen und Bewertungen – so wurden Luise Henriettes Tod 1667 und die Hochzeit Friedrich Wilhelms mit der Lutheranerin Dorothea, die nach der Heirat jedoch zum reformierten Glauben konvertierte, in Beziehung zur Abmilderung der Kirchenpolitik gesetzt.²⁵ Der tatsächliche Einfluss der Kurfürstinnen auf die Religionspolitik kann jedoch nicht seriös eingeschätzt werden.²⁶ Da der Schwerpunkt der Betrachtung auf den Hofleuten

2012 (Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin zugleich Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin 15), S. 49 – 76.  Vgl. Hein, Max: Otto von Schwerin. Der Oberpräsident des Großen Kurfürsten. Königsberg 1929, S. 153; Meusel, Friedrich: Briefe des Prinzen Karl-Emil und des späteren Königs Friedrichs I. an Freifrau von Schwerin. Nebst einem Brief der Königin Sophie Charlotte. In: HohenzollernJahrbuch 12 (1908), S. 32– 49.  Vgl. Kapitel 6.1.2.  Dennoch existieren zu beiden Kurfürstinnen nur wenige Publikationen. Eine positive Ausnahme stellt Ulrike Hammers Monographie zu Luise Henriettes Rolle als kulturelle Vermittlerin dar, die jedoch als publizierte Magisterarbeit bisweilen (verständlicherweise) an Grenzen stößt, vgl. Hammer, Ulrike: Kurfürstin Luise Henriette. Eine Oranierin als Mittlerin zwischen den Niederlanden und Brandenburg-Preußen. Münster u. a. 2001 (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 4).  Vgl. etwa Landwehr, Hugo: Bartholomäus Stosch, kurbrandenburgischer Hofprediger (1604– 1686). In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte (FBPG) 6 (1893), S. 92– 140, hier S. 127.  Hammer schließt aus einem Bericht des hessischen Gesandten Lincker, wonach sich Luise Henriette für die Berliner Prediger eingesetzt habe, darauf, dass sie mildernd auf die Kirchenpolitik eingewirkt habe, vgl. Hammer: Luise Henriette, S. 132 f. Derselbe Lincker schreibt jedoch in einem anderen Bericht, wie einige lutherische Berliner Bürger bei ihrer Aufbahrung 1667 aus religiösen Gründen über sie gespottet hätten (vgl. Kapitel 5.1). Auch ließen ihr die Berliner Prediger eine Supplik überbringen, die man später zerknüllt auf einem Gang fand und daraus schloss, dass man mit der Unterstützung Luise Henriettes nicht rechnen könne (vgl. Kapitel 6.1.2). Für eine eindeutige Aussage über ihre Haltung in und ihren Einfluss auf die Kirchenpolitik müssten also mehr Quellen gesichtet werden.

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1 Einleitung

liegt, werden auch die Kurfürstinnen nur am Rande Berücksichtigung finden. Das gleiche gilt für Friedrich Wilhelm. Über den Glauben des Kurfürsten und seine Haltung zu anderen Konfessionen ist schon viel geschrieben worden,²⁷ wobei bisweilen der Fehler gemacht wird, Aussagen aus seinen Verordnungen und Resolutionen zu seiner persönlichen Überzeugung zu stilisieren.²⁸ In seiner Verantwortung für die Kirchenpolitik, in seiner Selbstdarstellung und als Bezugspunkt bei Hofe wird er gleichwohl sehr präsent sein. Ihn als religiöse Persönlichkeit neu zu vermessen, ist indes nicht das Ziel dieser Arbeit. Zuletzt noch einige Worte zur zeitlichen Eingrenzung: Als größerer Rahmen dient die Regierungszeit Friedrich Wilhelms von 1640 bis 1688. Dieser Zeitraum ermöglicht es, das Verhalten von Höflingen innerhalb eines etablierten bikonfessionellen Umfelds zu beobachten. Während unter Johann Sigismund die Transformation des Hofes hin zum bikonfessionellen Schema noch im Gange und er in Georg Wilhelms Regierungszeit vom Dreißigjährigen Krieg überschattet war, erfolgte unter Friedrich Wilhelm seine Konsolidierung. Die bikonfessionelle Zusammensetzung des Hofes war nun fest etabliert. Außerdem ist Friedrich Wilhelms Kirchenpolitik geradezu ein Klassiker der brandenburgisch-preußischen Geschichtsschreibung, in der aber der Blick auf den Hof ein noch fehlendes Mosaikstück ist. Zuletzt ist der Hof des Großen Kurfürsten bereits prosopographisch erschlossen, sodass eine solide Grundlage für eine qualitative Untersuchung vorhanden ist. Der engere Rahmen der Arbeit liegt auf dem Zeitraum zwischen 1657 und 1668, was sich bei der Analyse der vorhandenen Quellen herauskristallisiert hat. In diesem Zeitraum finden sich die mit deutlichem Abstand meisten Zeugnisse zu Hofleuten mit Konfessionsbezug. Dass die Häufung der Quellenzeugnisse mit der Hochphase der interkonfessionellen Konflikte in Brandenburg und Berlin korrespondiert, hat einerseits damit zu tun, dass Konflikte in der Tendenz mehr Quellen produzieren als friedliche Phasen, liegt andererseits aber auch daran, dass nach 1668 durch einen Beamtenrevers bestimmte binnenkonfessionelle lutherische Strömungen am Hofe zum Schweigen gebracht wurden.²⁹ Gemeinsam mit den einschneidenden Entwicklungen ab den 1680ern

 Vgl. stellvertretend Gericke, Wolfgang: Glaubenszeugnisse und Konfessionspolitik der Brandenburgischen Herrscher bis zur Preußischen Union 1540 bis 1815. Bielefeld 1977 (Unio und Confessio 6), S. 36 – 45.  Als eine vergleichsweise ‚private‘ Äußerung darf man hingegen Friedrich Wilhelms Brief an seine Nichte bewerten, in dem er die Prädestinations- und die Abendmahlslehre als die beiden Hauptunterschiede zwischen Reformierten und Lutheranern benennt, vgl. o. A.: Ein Schreiben des Großen Kurfürsten an seine Nichte, die Königin Charlotte Amalie von Dänemark (Mai 1671). In: Historische Zeitschrift (HZ) 59 (1888), S. 517– 520.  Vgl. dazu Kapitel 7.

1.3 Forschungsstand

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durch die Aufnahme der Hugenotten und der wachsenden Bedeutung des Pietismus in Brandenburg-Preußen, die alte bikonfessionelle Strukturen aufbrachen,³⁰ ergibt sich so die zeitliche Abgrenzung zur Regierungszeit Friedrichs III./I.

1.3 Forschungsstand Als Untersuchung zur Bikonfessionalität am Hof des Großen Kurfürsten knüpft diese Arbeit vor allem an Forschungsfelder zur Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms, zur konfessionellen Pluralität und zum frühneuzeitlichen Hof an. In der brandenburgisch-preußischen Geschichtsschreibung bilden Konfession und Religionspolitik ein weites Feld mit einer langen Tradition,³¹ die schon früh von der Tendenz geprägt war, die Kirchenpolitik der Hohenzollern – und ganz besonders jene Friedrich Wilhelms – seit Johann Sigismunds Konfessionswechsel mit einer Trias von Staatsräson, Toleranz und Modernisierung in Verbindung zu bringen. Die Ursprünge dieser Deutung beginnen bereits bei Samuel Pufendorfs Lob für das Edikt von Potsdam,³² das sich u. a. in der Hervorhebung von Friedrich Wilhelms Einsatz für den Kirchenfrieden und die lutherische Kirche  Für Klingebiel stellen diese Entwicklungen eine Epochenzäsur in der Brandenburgischen Kirchengeschichte dar, vgl. Klingebiel, Thomas: Pietismus und Orthodoxie. In: Tausend Jahre Kirche in Berlin-Brandenburg. Hrsg. von Gerd Heinrich. Berlin 1999, S. 293 – 324, hier S. 294– 302; etwas vorsichtiger urteilt Göse, hebt aber trotzdem die Bedeutung des Pietismus zur Aufweichung des bikonfessionellen Schemas in Brandenburg hervor, vgl. Göse, Frank: Zwischen religiösem Dissens und konfessionspolitischen Ausgleichsversuchen. Die Kirchenpolitik der brandenburgisch-preußischen Herrscher 1640 – 1740. In: Kreuzwege. Die Hohenzollern und die Konfessionen 1517– 1740. Hrsg. von Mathis Leibetseder. Berlin 2017, S. 92– 103, hier S. 97 f.Vgl. zum Pietismus als binnenkonfessionelle Strömung auch Taatz-Jacobi, Marianne: Erwünschte Harmonie. Die Gründung der Friedrichs-Universität Halle als Instrument brandenburg-preußischer Konfessionspolitik – Motive, Verfahren, Mythos (1680 – 1713). Berlin 2014 (Hallesche Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 13), S. 37– 39.  Das Ziel dieses Abschnitts kann und soll nicht sein, einen erschöpfenden Forschungsüberblick zur gesamten Brandenburgisch-Preußischen Kirchengeschichte zu geben, und beschränkt sich auf Strömungen und Studien mit einer Relevanz für den Großen Kurfürsten und diese Arbeit. Vgl. für einen Einblick in andere Epochen der Brandenburgisch-Preußischen Kirchengeschichte bspw. die folgende Reihe: Beutel, Albrecht u. a. (Hrsg.): Protestantismus in Preußen. 5 Bde. Frankfurt a. M. 2009 – 2013; vgl. zu der Zeit bis zu Johann Sigismunds Konversion Stegmann, Andreas: Die Reformation in der Mark Brandenburg. Leipzig 2017.  Vgl. zu Pufendorfs Lob von Friedrich Wilhelms Toleranz Klesmann, Bernd: Samuel von Pufendorfs Taten des Großen Kurfürsten. In: Perspektivweitung – Frauen und Männer machen Geschichte. Beiträge des zweiten Colloquiums in der Reihe „Kulturgeschichte Preußens – Colloquien“ vom 10. und 11. Oktober 2014. Hrsg. von Jürgen Luh u. Julia Klein (KultGeP – Colloquien 2). http://www.perspectivia.net/publikationen/kultgep-colloquien/2/klesmann_taten (20. 2. 2018).

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1 Einleitung

im Geschichtswerk des Hofpredigers Daniel Heinrich Hering zur reformierten Kirche Brandenburgs von 1785 fortsetzte.³³ Johann Gustav Droysen deutete die Hinwendung der Hohenzollern zum Calvinismus schließlich erstmals als einen geistigen Aufbruch und verknüpfte den Konfessionswechsel dadurch mit Konzepten der Modernisierung und der Staatsbildung.³⁴ Ähnliche Gedanken finden sich bei Hintze wieder, der sich mit den Einflüssen einer spezifisch calvinistischen, progressiv verstandenen Geisteshaltung zur Herausbildung eines absolutistischen Staatswesens in Brandenburg-Preußen unter dem Primat der Staatsräson beschäftigte.³⁵ Oestreich griff dessen Überlegungen auf, indem er die Bedeutung des Neostoizismus als wirkmächtigen calvinisch-niederländischen Kulturimport für die Entwicklung Brandenburg-Preußens hervorhob.³⁶ Diese Verbindung von Calvinismus, Modernisierung, Staatsräson und Toleranz war prägend für die Forschung, die sich noch immer mit der Frage auseinandersetzt, inwieweit die Minderheitenposition der reformierten Kurfürsten eine politisch notwendige Toleranzpolitik und/ oder eine bewusst angestrebte Unterordnung der Kirche unter den absolutistischen Staat zur Folge hatte, die den (nicht intendierten) Weg in die Moderne gewiesen haben könnte. Obwohl frühere Deutungen inzwischen häufig kritisiert und überprüft werden,³⁷ ist deren Wirkmächtigkeit noch immer spürbar.³⁸ Die deutlichste Kritik an früheren Interpreta-

 Vgl. Hering, Daniel Heinrich: Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Reformirten Kirche in den Preußisch-Brandenburgischen Ländern. Bd. 2. Breslau 1785, etwa S. 28 f.  So schon Droysen, Johann Gustav: Geschichte der Preußischen Politik. Zweiter Theil. Die territoriale Zeit. Zweite Abtheilung. Leipzig 21870, etwa S. 421 u. 436.  Vgl. Hintze, Otto: Kalvinismus und Staatsräson in Brandenburg zu Beginn des 17. Jahrhunderts. In: Ders.: Regierung und Verwaltung. Gesammelte Abhandlungen zur Staats-, Rechts- und Sozialgeschichte Preußens (Otto Hintze/ Gesammelte Abhandlungen III). Hrsg. von Gerhard Oestreich. Göttingen 21967, S. 255 – 312; Hintze, Otto: Die Epochen des evangelischen Kirchenregiments in Preußen. In: Ders.: Regierung und Verwaltung, S. 56 – 96, hier v. a. S. 70 – 84.  Oestreich, Gerhard: Calvinismus, Neostoizismus und Preußentum. Eine Skizze. In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands (JbGMOD) 5 (1956), S. 157– 181; Ders.: Politischer Neostoizismus und Niederländische Bewegung in Europa und besonders in Brandenburg-Preußen. In: Ders.: Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze. Berlin 1969, S. 101– 156, v. a. S. 139 – 156.  Vgl. u. a. Kleinehagenbrock, Frank: Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst (1620 – 1688). Konfessionsstreit und Politik. In: Protestantismus in Preußen. Lebensbilder aus seiner Geschichte. Band 1. Vom 17. Jahrhundert bis zum Unionsaufruf 1817. Hrsg. von Albrecht Beutel. Frankfurt a. M. 2009, S. 87– 104; Hahn, Peter-Michael: Calvinismus und Staatsbildung: Brandenburg-Preußen im 17. Jahrhundert. In: Territorialstaat und Calvinismus. Hrsg. von Meinrad Schaab. Stuttgart 1993, S. 239 – 269.  Ribbe problematisiert bspw. zwar die vermeintliche Toleranz Friedrich Wilhelms, fasst aber abschließend zusammen: „Doch wollte dieses territorial und politisch disparate Staatswesen

1.3 Forschungsstand

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tionen formulierten in jüngster Zeit Marianne Taatz-Jacobi und Jürgen Luh, die die Kirchenpolitik der Hohenzollern als reformierten Konfessionalisierungsversuch deuteten.³⁹ Aus den zahlreichen älteren Arbeiten, die vor allem Friedrich Wilhelms Einsatz für religiös Verfolgte und seine Duldsamkeit gegenüber anderen Konfessionen hervorhoben,⁴⁰ sticht in ihrem Urteil alleine Hugo Landwehrs Studie zur Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms aus dem Jahr 1894 heraus, die zugleich die erste Monographie zu dem Thema darstellt. Zwar betonte auch er grundsätzlich den Einsatz des Kurfürsten für den Kirchenfrieden, nahm aber zugleich die Perspektive der lutherischen Zeitgenossen ein, die die Religionspolitik als Eingriff in ihre Glaubenspraxis, als Bekehrungsversuch und Förderung der Reformierten verstanden hätten.⁴¹ Die zweite Monographie zur Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms, die Martin Lackner vorlegte, bewertet den Kurfürsten wieder nach traditionellem Muster und betont seinen Einsatz für Toleranz und die „Eingliederung der Kirche in den absolutistischen Staat“.⁴² In jüngster Zeit ist mit Johannes Ruschkes Arbeit zu Paul Gerhardt und dem Berliner Kirchenstreit eine weitere Mo-

überleben oder gar eine führende Rolle im Reich oder in Europa übernehmen, […] dann mußte der eingeschlagene Pfad der religiösen Duldung konsequent weiter beschritten werden. […] Als Inhaber des Episkopats band der Kurfürst die Kirche an den Staat, um ihn – erfolgreich – zu stärken“. Vgl. Ribbe, Wolfgang: Brandenburg auf dem Weg zum polykonfessionellen Staatswesen (1620 – 1688). In: Heinrich (Hrsg.): Tausend Jahre Kirche in Berlin-Brandenburg, S. 267– 292, v. a. S. 281 u. 288, Zitat S. 288. Kritisch, aber auch auf die Frage der Toleranz konzentriert, ist Heinrich, Gerd: Religionstoleranz in Brandenburg-Preußen. Idee und Wirklichkeit. In: Preußen. Versuch einer Bilanz. Band 2: Preußen. Beiträge zu einer politischen Kultur. Hrsg. von Manfred Schlenke. Reinbeck 1981, S. 61– 87.  Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 15 – 19; Luh, Jürgen: Zur Konfessionspolitik der Kurfürsten von Brandenburg und Könige in Preußen 1640 – 1740. In: Ablehnung – Duldung – Anerkennung. Toleranz in den Niederlanden und in Deutschland. Ein historischer und aktueller Vergleich. Hrsg. von Horst Lademacher. Münster u. a. 2004 (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 9), S. 306 – 324.  Vgl. neben den oben erwähnten Arbeiten Hintzes etwa Orlich, Leopold von: Geschichte des Preußischen Staates im siebzehnten Jahrhundert; mit bes. Beziehung auf das Leben Friedrich Wilhelm’s des Großen Kurfürsten Aus archival. Quellen u. aus vielen noch ungekannten Orig.Handschriften. Zweiter Theil. Berlin 1839, S. 465 f.; Keller, Ludwig: Der Große Kurfürst in seiner Stellung zu Religion und Kirche. In: Hohenzollern-Jahrbuch 7 (1903), S. 38 – 65.  Zugleich zielte seine Kritik vor allem auf kurfürstliche Berater ab, vgl. Landwehr, Hugo: Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten. Berlin 1894, u. a. S. IIIf., 3 – 13, 190 f.  Lackner, Martin: Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten. Witten 1973 (Untersuchungen zur Kirchengeschichte 8), besonders deutlich S. 304– 309, Zitat S. 308.

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nographie erschienen, die bedeutsam für das Thema dieser Arbeit ist.⁴³ Wie der Titel schon sagt, konzentriert er sich auf die Konfessionskonflikte von ungefähr 1653 bis 1668 und den Lieddichter Paul Gerhardt. Auch Ruschke geht auf die Toleranzfrage ein und folgt trotz seiner Differenzierung zwischen dem frühneuzeitlichen und dem modernen Toleranzverständnis in manchen Deutungen Landwehr und Lackner.⁴⁴ Zugleich löst er sich von früheren Arbeiten zur Kirchenpolitik, indem er eine detaillierte Rekonstruktion der Ereignisse, eine quellen- und akteursnahe Darstellung und die Einbettung der konfessionellen Konflikte in die theologischen Kontroversen der Zeit in den Vordergrund rückt, was auch damit zusammenhängt, dass sein Hauptinteresse den Predigern um Paul Gerhardt gilt.⁴⁵ Insgesamt mehrt sich inzwischen die Zahl der Untersuchungen, die neue Fragestellungen und Perspektiven auf die brandenburgisch-preußische Kirchengeschichte anwenden und dabei an aktuellere Ansätze der Konfessionsforschung anknüpfen.⁴⁶ Zu dieser Entwicklung trägt die vorliegende Arbeit bei, indem sie eine an der aktuellen Forschung zu konfessioneller Pluralität geschulte Perspektive auf den kurbrandenburgischen Hof überträgt.

 Ruschke, Johannes: Paul Gerhardt und der Berliner Kirchenstreit. Eine Untersuchung der konfessionellen Auseinandersetzungen über die kurfürstlich verordnete ‚mutua tolerantia‘. Tübingen 2012 (Beiträge zur historischen Theologie 166).  Ebd., v. a. S. 96 – 106.  Ruschkes Monographie repräsentiert zugleich einen großen Forschungszweig der Brandenburgischen Kirchengeschichte, die Paul Gerhardt-Forschung, die durch ihr Interesse an der Person Paul Gerhardts und seinen Kollegen im Vergleich zu politikgeschichtlich geprägten Ansätzen näher an die Akteure heranrückt und viele interessante Quellen erschlossen hat.Weitere wichtige Arbeiten sind u. a.: Schulz, Otto: Paul Gerhardts Geistliche Andachten in hundert und zwanzig Liedern. Nach der ersten durch Johann Georg Ebeling besorgten Ausgabe mit Anmerkungen, einer geschichtlichen Einleitung und Urkunden. Berlin 1869; Beeskow, Hans-Joachim: Brandenburgische Kirchenpolitik und -geschichte des 17. Jahrhunderts – ein Beitrag zur Paul-Gerhardt-Forschung. 2 Bde. Diss. masch. Berlin (Ost) 1985. Vgl. ferner den Forschungsüberblick bei Ruschke: Paul Gerhardt, S. 16 – 25.  Im Folgenden seien nur einige Beispiele mit Bezug zur Regierungszeit Friedrich Wilhelms genannt: Leibetseder: Alltag; Ders.: „Callvinische Füchse und Hunde.“ Konfessionelle Aspekte schulischer Ehrenhändel im Berlin des späten 17. Jahrhunderts. In: Jahrbuch für historische Bildungsforschung 15 (2009), S. 127– 152; Ders.: Ein Rosenkrieg im Hause Sparr. Konfession, Konversion und Kindeserziehung in einer Adelsfamilie des 17. Jahrhunderts. In: Streifzug durch Brandenburg-Preußen. Archivarische Beiträge zur kulturellen Bildungsarbeit im Wissenschaftsjahr 2010. Hrsg. von Jürgen Kloosterhuis. Berlin 2011 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz. Arbeitsberichte 14), S. 1– 56; Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie; Almer: Calvinista; Peters, Jan: Märkische Lebenswelten. Gesellschaftsgeschichte der Herrschaft Plattenburg-Wilsnack, Prignitz 1550 – 1800. Berlin 2007, u. a. S. 279 – 286, 491– 508.

1.3 Forschungsstand

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Das Interesse an konfessioneller Pluralität hat inzwischen schon seit vielen Jahren Konjunktur.⁴⁷ Besonders in Deutschland vollzog sich diese Entwicklung in Auseinandersetzung mit dem von Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling in den 1970er und 1980er Jahren entwickeltem Konfessionalisierungsparadigma. Reinhard und Schilling deuteten die Herausbildung der Konfessionen im 16. und 17. Jahrhundert unter Ausblendung inhaltlich-theologischer Aspekte als einen strukturell und zeitlich weitgehend parallel verlaufenden Prozess zur Herausbildung sozialer Großgruppen, der zur Sozialdisziplinierung der Bevölkerung und somit zur Schaffung eines homogenen Untertanenverbandes und der Entstehung des modernen Staates beigetragen habe.⁴⁸ Ihre Thesen sorgten für eine lebhafte und anhaltende Diskussion,⁴⁹ in deren Verlauf zahlreiche Studien entweder zur Widerlegung oder Ausdifferenzierung des Paradigmas veröffentlich wurden, wobei u. a. die etatistische Perspektive, die modernisierungstheoretische

 Im Folgenden seien aus der Fülle an Publikationen nur wenige Sammelbände als repräsentative Beispiele genannt: Pietsch, Andreas u. Stollberg-Rilinger, Barbara (Hrsg.): Konfessionelle Ambiguität. Uneindeutigkeit und Verstellung als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit. Heidelberg 2013 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 214); Safley, Thomas Max (Hrsg.): A Companion to Multiconfessionalism in the Early Modern World. Leiden 2011 (Brill’s Companions to the Christian Tradition 28); Dixon, Scott u. a. (Hrsg.): Living with Religious Diversity in Early Modern Europe. Farnham 2009; Lotz-Heumann, Ute u. a. (Hrsg.): Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit. Heidelberg 2007 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 205); Bahlcke, Joachim (Hrsg.): Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Winfried Eberhard zum 65. Geburtstag. Leipzig 2006; Greyerz, Kaspar von u. a. (Hrsg.): Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Heidelberg 2003 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201).  Das Konfessionalisierungsparadigma hat eine Unmenge an Publikationen inspiriert. Zu den grundlegenden Arbeiten zur Entwicklung der These gehören u. a.: Reinhard,Wolfgang: Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters. In: ZHF 10 (1983), S. 257– 277; Schilling, Heinz: Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 – 1620. In: HZ 246 (1988), S. 1– 45.  Die Aktualität der Konfessionalisierungsthese belegen zahlreiche aktuelle Publikationen. So hat etwa Andreas Holzem eine vergleichende Kirchengeschichte in der Frühen Neuzeit veröffentlicht, die dezidiert das Konfessionalisierungsparadigma aufgreift, wenn auch mit zahlreichen Modifizierungen. Vgl. Holzem, Andreas: Christentum in Deutschland 1550 – 1850. Konfessionalisierung – Aufklärung – Pluralisierung. 2 Bde. Paderborn 2015, v. a. Bd. 1, S. 3 – 32. Daniela Hacke versteht die Konfessionalisierung in Abgrenzung zu älteren Definitionen als ergebnisoffenen kommunikativen Prozess, vgl. Hacke, Daniela: Konfession und Kommunikation. Religiöse Koexistenz und Politik in der Alten Eidgenossenschaft (Die Grafschaft Baden 1531 – 1712). Köln u. a. 2017, etwa S. 43 – 45. Auch Marianne Taatz-Jacobi betreibt mit ihrer Dissertation zur Gründung der Universität Halle eine „Reaktivierung des Konfessionalisierungsparadigmas“, vgl. Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 26 – 30, Zitat S. 26.

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Komponente und die Ausblendung der für die Zeitgenossen so wichtigen theologischen Inhalte kritisiert wurden.⁵⁰ Die Debatte hat in Verbindung mit Impulsen aus dem Ausland dazu beigetragen, den Blick auf Phänomene zu schärfen, die sich konfessionellem Schablonendenken entziehen, bspw. multikonfessionelle Konstellationen, Dissidententum, konfessionelle Ambiguität und Interkonfessionalität.⁵¹ Damit verbunden ist die Tendenz, die konkreten Strategien und Mechanismen der Konfliktaustragung sowie der Regulierung des konfessionellen Miteinanders zu beleuchten und sie sorgfältig in die sozialen und politischen Kontexte oder die Lebenszusammenhänge einzelner Akteure einzubetten.⁵² Auf diese Weise wird immer deutlicher, dass die konkrete Realisierung von Interkonfessionalität von verschiedenen Faktoren abhängig war. Der Suche nach solchen Faktoren und der Einbettung der interkonfessionellen Interaktion in ihre sozialen Zusammenhänge ist diese Arbeit verpflichtet. Ein weiterer Aspekt, der eine Rolle spielt, ist die binnenkonfessionelle Pluralität und damit verbunden konfessionelle Zuschreibungen, da es für die lutherischen Hofleute bisweilen entscheidend war, von ihren Glaubensgenossen als Lutheraner wahrgenommen zu werden.⁵³ Hilfreich ist in diesem Zusammenhang das Konzept der Konfessionskultur, das maßgeblich von Thomas Kaufmann geprägt wurde. In einfachen Worten bedeutet Konfessionskultur, dass bestimmte konfessionelle Gruppen ein ähnliches Verständnis bezüglich der theologischen Auslegung, gemeinsamer Symbole und der religiösen Praktiken teilen und dass

 Einen Überblick zur älteren Konfessionalisierungsforschung bietet u. a. Kaufmann, Thomas: Die Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft. Sammelbericht über eine Forschungsdebatte. In: Theologische Literaturzeitung (ThLZ) 121 (1996), Sp. 1008 – 1025 u. 1112– 1121. Neuere Ansätze bezieht Hacke in ihren Forschungsüberblick mit ein, vgl. Hacke: Konfession, S. 34– 42.  Vgl. stellvertretend die Literaturangaben oben in Fußnote 47.  Ein Vorreiter war hier Etienne François mit seiner lesenswerten Studie zu Augsburg, vgl. François, Etienne: Die unsichtbare Grenze. Protestanten und Katholiken in Augsburg 1648 – 1806. Sigmaringen 1991 (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg 33); vgl. ferner Volkland, Frauke: Konfession und Selbstverständnis. Reformierte Rituale in der gemischtkonfessionellen Kleinstadt Bischofszell im 17. Jahrhundert. Göttingen 2005 (Veröffentlichungen des Max-PlanckInstituts für Geschichte 210), etwa S. 19 – 22; Luebke, David M.: Hometown Religion. Regimes of Coexistence in Early Modern Westphalia, Charlottesville/ London 2016, etwa S. 181– 183 u. 205 f.; Frijhoff,Willem: The Threshold of Toleration. Interconfessional Conviviality in Holland during the Early Modern Period. In: Ders.: Embodied belief. Ten Essays in Religious Culture in Dutch History. Hilversum 2002 (Studies in Dutch Religious History 1), S. 39 – 65.  Vgl. zu dem Begriff binnenkonfessionelle Pluralität Kaufmann, Thomas: Einleitung: Transkonfessionalität, Interkonfessionalität, binnenkonfessionelle Pluralität – Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. In: Greyerz (Hrsg.): Interkonfessionalität, S. 9 – 15, hier S. 15.

1.3 Forschungsstand

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diese Gemeinsamkeiten bis in den Alltag und die Gesellschaft hineinwirken.⁵⁴ Der Begriff lenkt also den Blick darauf, wie Konfession sich im Alltag manifestierte bzw. konkret ‚gelebt‘ und verstanden wurde, wodurch binnenkonfessionelle Unterschiede greifbar werden. So wird auch überprüfbar, an welchen Kriterien die Akteure die Zugehörigkeit zu einer Konfessionsgemeinschaft festmachten oder wann sie diese ihren Mitmenschen absprachen – dies war nämlich durchaus variabel, was mit den angesprochenen binnenkonfessionellen Unterschieden zusammenhing.⁵⁵ Das anhaltende Interesse an der Konfessionsgeschichte in all ihren Facetten hat sich bislang nur begrenzt in der Hofforschung niedergeschlagen. Diese hatte lange Zeit ohnehin ein Nischendasein gefristet, da sich die meisten Historikerinnen und Historiker vor allem auf die politischen Institutionen des Hofes und den Behördenausbau konzentriert hatten.⁵⁶ Erst Norbert Elias! erstmals 1969 veröffentlichtes Werk zur höfischen Gesellschaft rückte den Hof selbst in seinen Funktionen ins Zentrum des Interesses. Indem er den Hof am Beispiel Frankreichs als Herrschaftsinstrument des Königs interpretierte, mit dem er den Adel ‚domestiziert‘ und so entmachtet habe, überwand er die alte künstliche Trennung der politischen Institutionen des Hofes von der höfischen Gesellschaft in der Forschung.⁵⁷ Seit diesem Perspektivwechsel hat sich die Hofforschung in teils kritischer Auseinandersetzung mit Elias’ Werk immer weiter ausdifferenziert, sodass

 Kaufmann selbst definierte den Begriff als „Formungsprozess einer bestimmten, bekenntnisgebundenen Auslegungsgestalt des christlichen Glaubens in die vielfältigen lebensweltlichen Ausprägungen und Kontexte hinein, in denen der allenthalben wirksame Kirchenglaube präsent war“. Vgl. Kaufmann, Thomas: Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur. Tübingen 1998 (Beiträge zur historischen Theologie 104), S. 7. Inzwischen ist das Konzept der Konfessionskultur selbst wiederum Gegenstand von Diskussionen geworden, vgl. Tagungsbericht: HAT 2016: Frühneuzeitliche Konfessionskultur(en): Stand und Zukunft eines Konzepts, 20.09. 2016 – 23.09. 2016 Hamburg. In: HSoz-Kult, 21.10. 2016, www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6763 (1. 2. 2018).  Vgl. Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 28 – 30; auch Freist, Dagmar: Glaube – Liebe – Zwietracht. Religiös-konfessionell gemischte Ehen in der Frühen Neuzeit. Berlin/ Boston 2017 (Bibliothek Altes Reich 14), S. 162 f.  Vgl. Duindam, Jeroen: Royal Courts. In: The Oxford Handbook of Early Modern European History, 1350 – 1750. Volume 2. Cultures and Power. Hrsg. von Hamish Scott. Oxford 2015, S. 440 – 477, hier S. 444; vgl. auch den Überblick zur älteren Forschung bei Müller, Rainer A.: Der Fürstenhof in der Frühen Neuzeit. München 22004 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 33), S. 89 – 92.  Elias, Norbert: Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichtswissenschaft. Amsterdam 2002 (Norbert Elias Gesammelte Schriften 2).

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1 Einleitung

sie kaum mehr zu überblicken ist,⁵⁸ und sucht nun zunehmend den Vergleich zu außereuropäischen Höfen.⁵⁹ Dieser Vielfalt zum Trotz ist der Hof als ein Schauplatz interkonfessioneller Begegnung in der Forschung unterrepräsentiert⁶⁰ – Josef Matzerath stellt sogar grundsätzlicher fest, „dass die Rolle der Konfession für den Hof noch ungeklärt ist.“⁶¹ Damit stellt er die Forschungslage zwar womöglich ein wenig dramatischer dar, als sie ist,⁶² aber in der Tat ist es schwierig, Literatur über die Religion am Hof zu finden, die über eine Behandlung der (zweifelsohne bedeutsamen) Hofprediger hinausgeht.⁶³

 Vgl. etwa den Forschungsüberblick von Bihrer, der allerdings nur einen Untersuchungszeitraum bis ca. 1618 abdeckt: Bihrer, Andreas: Curia non sufficit. Vergangene, aktuelle und zukünftige Wege der Erforschung von Höfen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. In: ZHF 35 (2008), S. 235 – 272; der Überblick Duindams zum Hof bildet in seiner Schwerpunktsetzung und durch die Verweise im Fußnotenapparat die aktuellen Tendenzen der Hofforschung ab, vgl. Duindam: Royal Courts.  Vgl. etwa Duindam, Jeroen: The Court as a Meeting Point: Cohesion, Competition, Control. In: Prince, Pen, and Sword. Eurasian Perspectives. Hrsg. von Maaike van Berkel u. Jeroen Duindam. Leiden/ Boston 2018 (Comparative Studies in Governance 15), S. 32– 128.  Dies bedeutet nicht, dass es gar keine Forschung gäbe. Es fand bspw. 2013 eine Tagung zu gemischt-konfessionellen Höfen statt, zu der jedoch bedauerlicherweise keine Publikation existiert, vgl. den Tagungsbericht: Mixed Courts: Dynasty, Politics, and Religion in the Early Modern World, 14.03. 2013 – 16.03. 2013 Gotha. In: H-Soz-Kult, 08.07. 2013, www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-4907 (8. 3. 2018); vgl. ferner Magvas, Kornèl: Franz Benda (1709 – 1786) und Johann Gottlieb Naumann (1741– 1801). Zwei protestantische Musiker im Dienste des sächsischen Hofes. In: Konfession und Konflikt. Religiöse Pluralisierung in Sachsen im 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. von Ulrich Rosseaux u. Gerhard Poppe. Münster 2012, S. 141– 151; Hausenblasovà, Jaroslava: Zwischen Nutzen und Ideologie. Strategien der Ämterbesetzung in habsburgischen Zentralbehörden des 16. Jahrhunderts. In: Konfessionelle Pluralität, S. 367– 380; Bůžek, Václav: Konfessionelle Pluralität in der kaiserlichen Leibkammer zu Beginn des 17. Jahrhunderts. In: Konfessionelle Pluralität, S. 381– 395.  Matzerath, Josef: Hof und Konfession. In: Konfession und Konflikt, S. 233 – 250, Zitat S. 233. Auch wenn sich sein Beitrag vornehmlich auf das 18. und insbesondere das 19. Jahrhundert konzentriert, bezieht sich sein Urteil auf die gesamte Hofforschung.  In der Forschung zum englischen Hof existieren bspw. einige Arbeiten, die auch auf gemischtkonfessionelle Verhältnisse eingehen. Vgl. u. a. Smuts, Malcolm: Religion, European Politics and Henrietta Maria’s Circle, 1625 – 1641. In: Henrietta Maria. Piety, Politics and Patronage. Hrsg. von Erin Griffey. Aldershot 2008, S. 12– 37; Morton, Adam: Sanctity and Suspicion: Catholicism, Conspiracy and the Representation of Henrietta Maria of France and Catherine of Braganza, Queens of Britain. In: Queens Consort, Cultural Transfer and European Politics, c. 1500 – 1800. Hrsg. von Helen Watanabe-O’Kelly u. Adam Morton. London/ New York 2017, S. 172– 201.  Vgl. etwa den Sammelband von Meinhardt, Matthias u. a. (Hrsg.): Religion Macht Politik. Hofgeistlichkeit im Europa der Frühen Neuzeit (1500 – 1800). Wiesbaden 2014 (Wolfenbütteler Forschungen 137).

1.3 Forschungsstand

17

Ähnliches lässt sich zum Hof Friedrich Wilhelms feststellen. Grundsätzlich existieren noch immer vergleichsweise wenige Untersuchungen zum brandenburgisch-preußischen Hof, die zumindest in Teilen die Zeit Friedrich Wilhelms berücksichtigen, wobei ihre Zahl seit der Jahrtausendwende deutlich zugenommen hat.⁶⁴ Die zahlreichen älteren behördengeschichtlichen Arbeiten und politischen Biographien über einzelne Räte liefern hingegen kaum Informationen über den Hof.⁶⁵ Obwohl das Interesse an der Kirchenpolitik Friedrich Wilhelm so groß ist, gilt die schlechte Forschungslage insbesondere in Bezug auf die konfessionelle Konstellation bei Hofe, die häufig nur mit dem Verweis auf wichtige reformierte Hofleute und ihre Heiratskreise abgehandelt wird.⁶⁶ Wie die Höflinge konfessionsübergreifend miteinander umgingen, wie sie über die jeweils andere Konfession dachten und inwieweit der Hof als Gesamtsystem durch konfessionelle Unterschiede geprägt war, wird durch das zählen von Heiratskreisen aber  Die umfassendste Beschreibung Hofes neben Bahls Arbeit stellt noch immer das populärwissenschaftliche Werk Eduard Vehses dar, vgl. Vehse, Eduard: Geschichte des preußischen Hofs und Adels und der preußischen Diplomatie. Erster Theil. Hamburg 1851 (Ders.: Geschichte d. deutschen Höfe seit der Reformation 1. 1. Abteilung: Preußen. 1. Theil); vgl. ferner Falcke, Jeannette: Studien zum diplomatischen Geschenkwesen am brandenburgisch-preußischen Hof im 17. und 18. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 2003 (Quellen und Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 31); Duindam, Jeroen: Wien – Versailles – Berlin. Fragen zum brandenburgischen Hof aus europäischer Perspektive. In: Membra unius capitis. Studien zur Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg (1640 – 1688). Hrsg. von Michael Kaiser u. Michael Rohrschneider, Berlin 2005 (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F. Beiheft 7), S. 193 – 212; Scharfenort, Louis von: Die Pagen am Brandenburg-Preußischen Hof 1415 – 1895. Beiträge zur Kulturgeschichte des Hofes auf Grund archivalischer Quellen. Berlin 1895, S. 15 – 28. Des Weiteren existieren Arbeiten zur politischen Repräsentation des Hofes und der Residenzbildung, vgl. hierzu die Literaturangaben in Kapitel 3.  Vgl. u. a. Oestreich, Gerhard: Der brandenburg-preußische Geheime Rat vom Regierungsantritt des Großen Kurfürsten bis zu der Neuordnung im Jahre 1651. Eine behördengeschichtliche Studie, Würzburg 1936 (Berliner Studien zur neueren Geschichte 1); vgl. außerdem die Literatur zum Konsistorium in Kapitel 4.1. Die relativ zahlreichen politischen Biographien zu einzelnen Räten, die jedoch mehrheitlich für meine Fragestellung uninteressant sind, werden im Folgenden nur zitiert, sofern der entsprechende Hofbeamte erwähnt wird.  Hahn behandelt in zwei seiner Aufsätze einige reformierte höfische Netzwerke, reformierte Schlüsselfiguren sowie die Bindung der Offiziere an den Hof, vgl. Hahn: Calvinismus, S. 255 – 257 u. 267 f.; Ders.: Aristokratisierung und Professionalisierung. Der Aufstieg der Obristen zu einer militärischen und höfischen Elite in Brandenburg-Preußen von 1650 – 1725. In: FBPG, N.F. 1 (1991), S. 161– 208; ferner geht Opgenoorth auf eine Reihe wichtiger reformierter Amtsträger bei Hofe ein, vgl. Opgenoorth, Ernst: „Ausländer“ in Brandenburg-Preußen. Als leitende Beamte und Offiziere 1604– 1871. Würzburg 1967 (Beihefte zum Jahrbuch der Albertus-Universität Königsberg/ Pr. XXVIII), v. a. S. 13 – 38. Landwehr betont die Bedeutung des Oberpräsidenten Otto von Schwerin und des Hofpredigers Bartholomäus Stosch, vgl. Landwehr: Kirchenpolitik; Ders.: Stosch, S. 92– 140.

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1 Einleitung

nicht ersichtlich. Eine Ausnahme ist die Arbeit Rudolf von Thaddens zu den Brandenburgisch-Preußischen Hofpredigern aus dem Jahr 1959, die u. a. auch ihre Einflussmöglichkeiten und ihre theologischen Positionen behandelt.⁶⁷ Somit lässt sich festhalten, dass sowohl in Bezug auf Brandenburg-Preußen als auch auf den Hof im Allgemeinen die Bedeutung von Konfession und Multikonfessionalität nur unzureichend erforscht ist. Deutlich weiter ist diesbezüglich die Forschung zur Adelskultur, die wegen der Beziehung des Adels zum Hof auch interessante Erkenntnisse zum Umgang mit konfessioneller Differenz bei Hofe liefern kann, die in diese Arbeit mit einfließen.⁶⁸

1.4 Quellenlage Aussagekräftige Quellen zur Bikonfessionalität bei Hofe sind vergleichsweise selten und relativ weit verstreut. Als symptomatisch für die Quellenlage darf der Nachlass Rabans von Canstein betrachtet werden, der sich hauptsächlich im Archiv der Franckeschen Stiftungen in Halle, aber in Teilen auch im Staatsarchiv Leipzig befindet.⁶⁹ Canstein war theologisch interessiert, wie zahlreiche handschriftliche religiöse Studien belegen, und hinterließ den mit Abstand umfangreichsten Nachlass, der im Rahmen dieser Arbeit untersucht wurde – trotzdem bietet er im Verhältnis zu seinem Umfang enttäuschend wenige Informationen über seine Haltung und seine Beziehungen zu Reformierten. Eine Herausforderung dieser Arbeit bestand somit darin, einzelne Zeugnisse aus verschiedenen Überlieferungskontexten und Perspektiven zusammenzutragen und durch vereinzelte in der Literatur dokumentierte Informationen zu ergänzen, um die Hofleute möglichst gut erfassen zu können. Dadurch wird das Thema aus vier Überlieferungskontexten bzw. Perspektiven beleuchtet. Die obrigkeitliche Perspektive (1) wird durch die Bestände des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz repräsentiert, insbesondere die Reposi-

 Thadden, Rudolf von: Die Brandenburgisch-Preußischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der absolutistischen Staatsgesellschaft in BrandenburgPreußen. Berlin 1959.  Vgl. insbesondere Schreiber, Arndt: Adeliger Habitus und konfessionelle Identität. Die protestantischen Herren und Ritter in den österreichischen Erblanden nach 1620. Wien/ München 2013 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 58); ferner u. a. Asch, Ronald G.: Religiöse Selbstinszenierung im Zeitalter der Glaubenskriege. Adel und Konfession in Westeuropa, in: Historisches Jahrbuch (HJb) 125 (2005), S. 67– 100.  Vgl. die im Verlauf der Arbeit zitierten Bestände sowie die Quellenangaben im Literaturverzeichnis.

1.4 Quellenlage

19

tur 47 zu Geistlichen Angelegenheiten, aus deren Akten die Kommunikation zwischen Räten und Kurfürst sowie einige Vorkommnisse im Konsistorium nachvollzogen werden können. Die Perspektive der Hofleute selbst (2) wird durch Selbstzeugnisse berücksichtigt, die auf verschiedene Bestände und gedruckte Quellen verteilt sind. Dazu gehört bspw. das ebenfalls im Geheimen Staatsarchiv befindliche Tagebuch Ottos von Schwerin, das er angelegt hatte, um die Erziehung der Prinzen zu dokumentieren, deren Hofmeister er war.⁷⁰ Martin Friedrich Seidels Sammelleidenschaft und Interesse an der Geschichtsschreibung ist es zu verdanken, dass sich ebenfalls im Geheimen Staatsarchiv sowie in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz einige Schriften und Sammlungen aus seinem Nachlass befinden, die wichtige Informationen zu ihm selbst sowie zu anderen Räten bieten.⁷¹ Darüber hinaus konnten einige Schriftstücke aus dem Besitz des Konsistorialrats Johann Georg Reinhart ausgemacht werden, die aus unbekannten Gründen ihren Weg ins Sächsische Hauptstaatsarchiv Dresden gefunden haben.⁷² Hinzu kommt der bereits erwähnte Nachlass Rabans von Canstein. Von Andreas Fromm existieren neben zahlreichen selbst verfassten Schriften auch mehrere Briefe, die noch zu seinen Lebzeiten publiziert wurden.⁷³ Insgesamt ist von den untersuchten Räten leider nur ein relativ kleiner Teil der Korrespondenz erhalten, von dem wiederum lediglich ein noch kleinerer Teil konfessionell interessant ist.⁷⁴ Um zusätzlich eine Außenperspektive auf den Hof zu erhalten (3), wurden Gesandtschaftsberichte eingesehen, von denen jedoch nur die Relationen des hessischen Gesandten Georg Lincker ausführlichere Informationen liefern.⁷⁵  Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (GStA PK), I. HA, Rep. 94, IV HC 9.  Vgl. die im Verlauf der Arbeit zitierten Bestände sowie die Quellenangaben im Literaturverzeichnis.  Hauptstaatsarchiv Dresden (Sächs. HStA Dresden), 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 07226/06 1662– 1668.  Vgl. die im Verlauf der Arbeit zitierten Bestände sowie die Quellenangaben im Literaturverzeichnis.  Von Otto von Schwerin sind bspw. zahlreiche Briefe ediert sowie im Nachlass erhalten, die sich – wie im Übrigen der gesamte Nachlass Schwerins – jedoch für das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit als uninteressant ergeben haben. Ein Teil seines Nachlasses befindet sich im Bundesarchiv in Koblenz, ein anderer im polnischen Staatsarchiv in Olsztyn (ehemals Allenstein). Beide Teile liegen als Mikrofilm im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz vor: GStA PK, XIII. HA, Nr. 96.  Eine sehr ausführliche Zusammenfassung der Berichte bei Ribbeck, Walther: Aus Berichten des hessischen Sekretärs Lincker vom Berliner Hofe während der Jahre 1666 – 1669. In: FBPG 12 (1899), S. 141– 158. Für bestimmte Details lohnt sich dennoch ein Blick in die Originale, vgl. hierzu die im Verlauf der Arbeit zitierten Bestände sowie die Quellenangaben im Literaturverzeichnis.

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1 Einleitung

In Bezug auf Umfang und Bedeutung spielt auch die Perspektive der Berliner Geistlichen (4), die mit dem Kurfürsten im Konflikt standen, eine sehr wichtige Rolle. Sie dokumentierten den märkischen Kirchenstreit für die Nachwelt ausführlich, um so eine Art Gegenarchiv zur obrigkeitlichen Perspektive über jene Vorgänge anzulegen, die sie als eine Verfolgung der lutherischen Kirche deuteten. Für diese Arbeit von besonderem Interesse sind drei Bände aus dem Nachlass des Diakons der Berliner Marienkirche Martin Lubath,⁷⁶ die sich heute in den Sondersammlungen der Zentral- und Landesbibliothek Berlin im Archiv des Gymnasiums zum Grauen Kloster (Streitsche Stiftung) befinden. Die Bände aus Lubaths Nachlass wurden zwar in ihrer jetzigen Form nicht von ihm kompiliert, gehen aber in weiten Teilen auf ihn zurück.⁷⁷ Sie umfassen hauptsächlich Abschriften und Originale verschiedenster Briefe, Protokolle und Akten zum märkischen Kirchenstreit, die teilweise durch Randbemerkungen und kurze Erläuterungen ergänzt wurden. Hinzu kommen tagebuchartige, mit Abschriften aus Briefen und Akten angereicherte Aufzeichnungen des Diakons der Nikolaikirche Samuel Lorentz, die in der Forschungsbibliothek Gotha zu finden und dort als Diarium Berolinense tituliert sind.⁷⁸ Obwohl es den Predigern vor allem darum ging, die Verfolgung ihrer Kirche und ihr eigenes Verhalten zu dokumentieren, befinden sich auch zahlreiche wertvolle Informationen zu lutherischen Hofleuten in ihren Sammlungen, da sie sich gerade in der Hochphase des Kirchenstreites intensiv mit ihnen austauschten. Auf diese Weise wurden verschiedene Äußerungen und Verhaltensweisen der Hofbeamten dokumentiert. Für die Paul-Gerhardt-Forschung haben bereits Beeskow und vor allem Ruschke diese Sammlungen ausgewertet – aufgrund ihres Erkenntnisinteresses haben sie jedoch zahlreiche Zeugnisse nicht berücksichtigt, die für den Hof von großem Interesse sind. Bedingt durch die Quellenlage kommen die Hofleute insgesamt nicht so häufig selbst zu Wort, wie es wünschenswert gewesen wäre. Häufiger werden ihr Verhalten und ihre Aussagen entweder aus der Perspektive der obrigkeitlichen Überlieferung oder aus der Perspektive der Berliner Geistlichen vermittelt. Daraus ergibt sich der oben angesprochene Schwerpunkt auf die soziale Position der Hofleute und damit verbundenen Rollenerwartungen. Es ist relativ gut nach-

 Zentral- und Landesbibibliothek Berlin, Sammlungen des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster zu Berlin (Streitsche Stiftung), Archiv (GKl Archiv) XII/90/1, XII/90/2, XII/90/3.Vgl. zu Lubath u. a. Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 244– 250; Ruschke: Paul Gerhardt, S. 115.  Vgl. zu Lubaths Sammlung mit weiterer Literatur Ruschke: Paul Gerhardt, S. 10 f.  Forschungsbibliothek Gotha (FB Gotha), Chart. A 281. Vgl. zu Lorentz u. a. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 114.

1.5 Begriffe und Gang der Arbeit

21

vollziehbar, wie sie sich gegenüber dem Kurfürsten und gegenüber den lutherischen Geistlichen verhielten. Die Perspektive der Hofleute selbst ist hingegen deutlich seltener überliefert. Durch die Kombination möglichst vieler Quellen und der vorhandenen Daten kann dies jedoch zum Teil ausgeglichen werden.

1.5 Begriffe und Gang der Arbeit Bisher sind schon einige Begriffe gefallen, die noch geklärt werden sollen, um Missverständnisse zu vermeiden. Zuerst muss auf die im Zusammenhang mit Friedrich Wilhelm immer wieder diskutierte Toleranz eingegangen werden. Der frühneuzeitliche Toleranzbegriff ist als ein Ertragen und Erdulden zu verstehen, also als eine unangenehme Notwendigkeit, die nicht aus dem Respekt vor der individuellen Freiheit hergeleitet wurde oder positiv besetzt war. Daneben existierte ein Toleranzbegriff, der weiter ging und auf der Annahme eines gemeinsamen Glaubensfundaments zwischen den protestantischen Konfessionen basierte.⁷⁹ Diese beiden Bedeutungsebenen trugen mit zu den Konflikten zwischen der Obrigkeit und den lutherischen Geistlichen in den 1660er Jahren bei. Anschaulich für den Unterschied ist ein Zitat Martin Luthers über die Zwinglianer, das der konkordientreue Prediger Samuel Pomarius laut Otto Schulz auf das letzte Blatt eines Druckes setzen ließ:⁸⁰ „Welltlich wollen wir mit yhn eins sein, das ist leiblichen zeitlichen fride halten, Aber geistlich wollen wir sie meyden, verdamnen und straffen weil wir odem haben“.⁸¹ Trotz der Bedeutungsverschiebung des Toleranzbegriffs darf man angesichts der von Friedrich Wilhelm vielfach belegten Behauptung, Lutheraner wie Reformierte gleich zu behandeln und nur einen Kirchenfrieden zu suchen,⁸² m. E. trotzdem durchaus darüber diskutieren, inwieweit seine Politik als Toleranzpolitik beschrieben werden darf. Man muss

 Vgl. Almer: Calvinista, S. 78 – 80; Ruschke: Paul Gerhardt, S. 101– 106; Dixon, Scott: Introduction. In: Living with Religious Diversity, S. 1– 20, hier S. 5 – 11; Kaplan, Benjamin J.: Divided by Faith. Religious Conflict and the Practice of Toleration in Early Modern Europe. London 2007, S. 8 f.  Vgl. Schulz: Paul Gerhardt, S. XXVI; er hatte eine Predigt des in Kapitel 1.1 erwähnten Andreas Fromm gemeinsam mit einer eigenen Predigt drucken lassen und ohne das Wissen Fromms das Zitat hinzugesetzt. Dies war Teil einer ganzen Reihe von Angriffen gegen Fromm, die ausführlich in Kapitel 4.1.4 behandelt werden, vgl. auch dort für mehr Informationen zu Pomarius.  Luther, Martin: Daß diese Wort Christi „Das ist mein Leib“ noch fest stehen, wider die Schwärmgeister (1527). In: Ders.: D. Martin Luthers Werke. Bd. 23. Predigten und Schriften 1527. Weimar 1901 (WA 23), S. 85.  Vgl. Kapitel 2.4.

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1 Einleitung

dabei nur darauf achten, die Perspektive und die Maßstäbe der Zeitgenossen nicht aus den Augen zu verlieren. In dieser Arbeit wird jene von der Konkordienformel (künftig: FC) geprägte und besonders von den Theologen der Universität Wittenberg vertretene binnenkonfessionelle lutherische Strömung eine wichtige Rolle spielen, die man gemeinhin als orthodoxes Luthertum bzw. lutherische Orthodoxie bezeichnet. Angesichts der berechtigten Kritik an diesem Begriff ⁸³ werde ich für diese Strömung hauptsächlich die Bezeichnung Konkordienluthertum verwenden. Wenn sich hier und da doch das ein oder andere orthodoxe Wort in die Arbeit schleicht, so hat dies vor allem stilistische Gründe. Kurz soll auch auf den Begriff Interkonfessionalität eingegangen werden. Er wird hier meist als Adjektiv verwendet und umfasst ganz allgemein die Interaktion zwischen Angehörigen verschiedener Konfessionen, d. h. ein wechselseitiger religiöser Austausch bis hin zu Vermischungen wird damit nicht impliziert.⁸⁴ Nun bleibt nur noch der Hofmann. Wie schon bei den obigen Ausführungen aufgefallen sein dürfte, werden die kurfürstlichen Räte mit unterschiedlichen Begriffen wie Hofmann, Hofbeamter, Fürstendiener oder (seltener) Höfling belegt. Man kann darüber streiten, ob ein bürgerlicher geistlicher Konsistorialrat wie Andreas Fromm als Hofmann bezeichnet werden darf, da er wohl kaum an den Aktivitäten der Hofgesellschaft teilnahm (bei Raban von Canstein und Otto von Schwerin ist dies wiederum freilich anders). Dennoch habe ich mich für eine vergleichsweise unscharfe Begriffsverwendung entschieden, zum einen aus stilistischen Gründen, zum anderen weil alle Akteure durch ihre Zugehörigkeit zum Hof in einer (allerdings unterschiedlich starken) Beziehung zueinander standen, wie im Folgenden noch deutlich werden wird. Begriffe wie Hofmann sind also im Sinne der Zugehörigkeit zum sozialen System des Hofes zu verstehen und beschränken sich nicht auf adlige Mitglieder einer höfischen Gesellschaft. Die Untersuchung verläuft im Folgenden vom Großen ins Kleine. In Kapitel zwei wird der große kirchenpolitische Kontext verfolgt, indem die Maßnahmen Friedrich Wilhelms und die damit verbundenen Konflikte skizziert werden. Denn

 Vgl. Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 34– 37.  Die „wechselseitige[n] Austauschprozesse“, von denen Kaufmann spricht, gehen m. E. etwa über eine bloße konfessionsübergreifende Interaktion hinaus, vgl. Kaufmann: Einleitung, S. 15. Dass ein derartiger Austausch bis hin zu hybriden religiösen Praktiken durchaus vorkam, wurde bereits in verschiedenen Studien festgestellt; stellvertretend sei hier nur auf ein Beispiel verwiesen: Plummer, Marjorie Elizabeth: Religious Diversity and Interconfessional Interactions in the Soester Börde, 1649 – 1720. In: Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit. Kontexte und Konkretionen. Hrsg. von Coscarelli, Luisa u. a. Hamburg 2018 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 59), S. 39 – 59.

1.5 Begriffe und Gang der Arbeit

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nur wenn man die Ursachen für die konfessionellen Differenzen in Berlin und Brandenburg nachvollziehen kann, werden die Konflikte bei Hofe verständlich. Im dritten Kapitel soll zunächst ein Einblick in den Berlin-Cöllner Hof gegeben werden, um davon ausgehend seine konfessionelle Aufteilung zu behandeln und anhand verschiedener Einzelbeobachtungen allgemeine Thesen zur Bikonfessionalität am Hof Friedrich Wilhelms zu formulieren. Damit bildet dieses Kapitel die Basis für die folgenden Abschnitte. Die Kapitel vier bis sieben fokussieren sich auf einen engeren Untersuchungszeitraum von etwa 1657 bis 1668 und die vier Hauptprotagonisten. Kapitel vier verfolgt Andreas Fromm auf seinem Karriereweg bei Hofe, der mit seiner Flucht endete, und versucht daraus allgemeine Schlüsse zu ziehen. In Kapitel fünf stehen mit Raban von Canstein und Martin Friedrich Seidel zwei weitere lutherische Hofleute im Zentrum. In einem ersten Schritt wird von ihnen jeweils ein konfessionelles Profil erstellt, d. h. die Haltung zu ihrer eigenen und zur anderen Konfession ausgeleuchtet, um davon ausgehend ihre konkreten Strategien in der Bewältigung der sich in den 1660ern zuspitzenden konfessionellen Konflikte zu beleuchten. Im sechsten Kapitel wird am Beispiel Otto von Schwerins ähnlich vorgegangen, mit dem Unterschied, dass er die reformierte Perspektive repräsentiert. Das siebte Kapitel konzentriert sich schließlich auf einen Schlüsselmoment, als ein Revers für Hofbeamte zur Absetzung von gleich drei lutherischen Räten führte und bestimmte lutherische Strömungen vom Hof verbannte. Zuletzt sei noch auf einige formale Entscheidungen verwiesen. Die Datumsangaben erfolgen alle nach dem alten Kalender, so wie es damals in BrandenburgPreußen üblich war. Zitate aus archivalischen Quellen orientieren sich am Original und sind orthographisch nur sehr sanft angeglichen, d. h. Abkürzungen und Fremdwörter wurden nur dann aufgelöst oder modernisiert, wo Verständnisschwierigkeiten vermutet wurden. Archivalische Quellen werden nur bei direkten Zitaten oder sehr detaillierten Paraphrasen mit recto/ verso-Angaben versehen.

2 Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten Im Jahr 1667, also ungefähr ein Jahr nachdem Andreas Fromm die Bedrückung der Lutheraner öffentlich angeprangert und vom Berliner Hof geflüchtet war, veröffentlichte er eine Rechtfertigungsschrift,⁸⁵ in der er an einer Stelle die reformierten Brandenburger bat, sich in die lutherische Perspektive hineinzuversetzen: Nun das jenige/ worin den Lutherischen gemeinen zu viel geschiehet/ denselben Reformirten […] zum Nachdencken vorzustellen/ könten sie den ganzen casum […] invertiren und also setzen/ als wenn sie ein gantz land vol reformirte kirchen hätten/ die vormahl im recht guten Flor und Verfassung gestanden/ und im gantzen Lande vorhin niemahlen die Lutherischen einig exercitium religionis gehabt hätten. Numehr aber wehre die hohe Obrigkeit/ die hoff-kirche/ einige Rähte und nur gar wenig Leuthe im Lande Lutherisch […] Nun die Lutherischen fingen an sich über sie [die Reformierten] zu erheben/ macheten ihren Kirchen durch den Arm der hohen Obrigkeit heimlich und offentlich, directè und indirectè allerley praejudiz […] Sie setzeten sich mehr und mehr in possession den Reformirten in allerhand kirchen-Sachen/ wider die gewöhnlichen Verfassungen und Constitutiones der Reformirten Kirchen/ Leges vorzuschreiben/ als / e. g. daß […] sie solten bey der Tauffe den Exorcismum brauchen/ so ofte es die Reformirten (die etwa vom ansehen des hofes eingenommen) begehren würden/ und dergleichen Leges mehr […] so obligierten sie [die Lutheraner] dieselben [die Reformieren] mit Reversen […] die ein Juramentum religiosum Syncretisticum in sich hielten. Der die Reverse nicht abstatten wollte/ bekäme keine Pfarr/ oder hätte er eine/ so würde er abgesetzet; der davon reden wollte/ daß es unrecht wäre/ müste auch aller seiner Dignitäten entsetzet werden […] die Lutherischen hiessen ihre […] scripta, darin ihnen ketzerey imputiret/ […] Schandbücher/ Schmachbücher/ Lästerbücher/ und die Reformirten solten […] dawider nicht einmal sauer sehen/ eine Feder regen/ oder zischen […] Wie würde ihnen nun solches gefallen?⁸⁶

Dieses trotz einiger Kürzungen noch immer sehr dramatische Gedankenexperiment mag einen gewissen Eindruck vom Gefühlshaushalt so manches Lutheraners vermitteln, wenn er auf die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms blickte.⁸⁷ Wie

 Fromm, Andreas: Andreae Frommen […] Welcher artibus einiger Reformirten de facto entsetzet ist/ Nöthige Erklehrung/ Und abgedrungene Verantwortung […] Wittenberg 1667.  Ebd., S. 50 – 53.  Dass Fromms Darstellung keine vollkommene Überzeichnung lutherischer Befindlichkeiten darstellt, bezeugt ein etwas bekannteres Schriftstück, das Johann Christoph von Löben 1690 in einem Turmkopf in Palzig bei Züllichau (heute Palck bei Sulechów) platzierte. Hier heißt es: „In unserem Churfürstenthum haben die luther. Stände zwar das exercitium ihrer Confession noch zu genießen und soll man nicht sagen, daß wir in ecclesia pressa leben. Allein seit dem ao. 1614 Churfürst Johann Sigismund sich zu der Calvinischen Religion bekennet, haben die sogenannten Reformierten in der Mark Brandenburg sich dermaßen ausgebreitet und befestiget, daß nicht nur ihresgleichen die geistlichen consistoria besitzen und die jura episcopalie handhaben; auch in https://doi.org/10.1515/9783110647006-004

2 Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten

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stark sich die konfessionellen Konflikte jener Zeit vor allem in das lutherische, aber auch das reformierte kollektive Gedächtnis einprägten, demonstrieren die zahlreichen Zeugnisse der Geistlichen zur Dokumentierung ihrer Bedrückung ebenso wie die sehr früh einsetzende historiographische Beschäftigung mit dem Thema.⁸⁸ Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass auch der Hof durch die konfessionellen Kontroversen erschüttert wurde. Wie noch zu zeigen sein wird, stellten sie einige Räte vor Loyalitätskonflikte, weckten Gewissensängste und ließen schließlich sogar Reformierte am kirchenpolitischen Kurs zweifeln. Es kann also keineswegs von einem klaren Antagonismus zwischen Hofcalvinismus und lutherischer Geistlichkeit und Bevölkerung die Rede sein⁸⁹ – die Hofleute waren mitunter in gleichem Maße von dem Konflikt betroffen. Bevor jedoch endlich mit dem Hof der eigentliche Ort des Interesses genauer betrachtet werden kann, ist ein kurzer Überblick zu den konfessionellen Verhältnissen in der Mark Brandenburg und den interkonfessionellen Konflikten nötig. Sie steckten den Rahmen ab, in dem sich die Hofleute bewegten. Wie bereits erwähnt, haben sich schon zahlreiche Historikerinnen und Historiker mit dem märkischen Kirchenstreit auseinandergesetzt.⁹⁰ Deshalb kann hier auf einen ausufernden ereignisgeschichtlichen Überblick verzichtet werden.⁹¹ Stattdessen sollen im Folgenden nur die wichtigsten Ereignisse zusammengefasst und systematisiert werden. Ergänzt werden sie durch eigene Beobachtungen zur kurfürstlichen Selbstdarstellung, deren Bedeutung als Komponente der Religionspolitik m. E. bisher noch nicht genug hervorgehoben wurde.⁹²

allen Städten fast alle Civilbeidienungen und Äter ihnen konferieret, sondern auch an vielen Orten, sonderlich wo das jus vocandu penes principem, reformierte Prediger oder doch Syncretisten, qui mutuae studeant tolerantiae, angesetzt werden. Und ist klar genug, aus denen ao 1662 u. 1664 publizierten edictis, zu denen die ordinandi sich durch reversales verpflichten müßen, wie weit unsere lutherische Freiheit bisher eingeschränkt worden. Doch haben wir Ursach, zu gott zu beten, daß er ein status religionis noch so erhalten und nicht schlimmer wolle werden lassen.“ In: O. A.: Geschichte der Herren, Freiherren und Grafen von Löben. O.O. 1975, Anhang 11, S. 9.  Vgl. Kapitel 1.3.  Vgl. etwa Kapitel 3.1 sowie die weiteren Ausführungen in dieser Arbeit.  Vgl. Kapitel 1.3.  Insbesondere Ruschke bietet eine extrem detailreiche Darstellung der Ereignisse, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt.  Vgl. aber schon Taatz-Jacobis Hinweise zur Begründung der religionspolitischen Maßnahmen: Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 68; ferner Kleinehagenbrock: Friedrich Wilhelm, S. 98.

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2 Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten

2.1 Die Grundlagen und Voraussetzungen der Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms: Die Konkordienformel, Johann Sigismunds gescheiterte zweite Reformation und der Landtagsrezess von 1653 Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms in Brandenburg zielte auf die Marginalisierung der FC ab. Diese war 1577 zur Festigung der lutherischen Einheit entworfen worden und galt in Brandenburg – ebenso wie in vielen anderen Territorien und Reichsstädten – als symbolisches Buch der lutherischen Kirche, auf das Geistliche ordiniert und vociert wurden, d. h. sie hatten einen Eid abgelegt, nach ihren Vorgaben zu lehren. Neben der Festlegung der zentralen Lehrpunkte des Luthertums, den Doctrinalia, enthält die FC auch Anathemata, in denen (aus konkordienlutherischer Sicht) falsche Lehren und Konfessionen verworfen werden – so auch die Lehren der Calvinisten bzw. der reformierten Kirche, wie es im Falle Brandenburgs der passendere Begriff ist.⁹³ Die Verwerfung vermeintlicher Irrlehren von der Kanzel, Elenchus genannt, gehörte zum Amtsverständnis der meisten Prediger, und wurde nicht selten mit polemischen und beleidigenden Angriffen auf die Gegenseite verbunden. Reformierte Lehren wurden also nicht nur wiederlegt, sondern die Reformierten selbst verdammt und verketzert.⁹⁴ Nun ist es so, dass die Hohenzollern seit der Konversion Kurfürst Johann Sigismunds im Jahr 1613 allesamt reformiert waren. Als Mitglieder einer sehr kleinen Minderheit sahen sich die Kurfürsten von Brandenburg also nicht alleine einer überwältigenden lutherischen Mehrheit gegenüber, sondern einer Mehrheit, die sich an der FC orientierte, einem Buch, das die Reformierten verdammte. Zudem war die FC ein Kernelement des strengen Luthertums wittenbergischer Prägung, des Konkordienluthertums. Die Konsolidierung eines Kernluthertums durch die Befolgung aller in den Bekenntnisschriften festgelegten Lehrpunkte und die Abwehr jeglicher das Seelenheil gefährdender Abweichungen und Verwässerungen der reinen Lehre waren Teil dieser binnenkonfessionellen Strömung: die FC galt in Brandenburg „unumstritten als Kriterium von Rechtgläubigkeit und heilsnot-

 Vgl. allgemein zur FC und ihrer Entwicklung Kolb, Robert: Die Konkordienformel. Eine Einführung in ihre Geschichte und Theologie. Göttingen 2011 (Oberurseler Hefte, Ergänzungsband 8); für einen gedrängten Überblick vgl. Wallmann, Johannes: Konkordienformel. In: Religion in Geschichte und Gegenwart Online. http://dx.doi.org/10.1163/2405 – 8262_rgg4_COM_12094 (26. 2. 2018). Die FC ist inklusive einer Einleitung abgedruckt in: Dingel, Irene (Hrsg.): Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition. Göttingen 2014, S. 1165 – 1607.  Vgl. zur Bedeutung der Polemik Ruschke: Paul Gerhardt, S. 54.

2.1 Die Grundlagen und Voraussetzungen der Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms

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wendige Richtschnur.“⁹⁵ Reformierte – erst recht einstmals lutherische Konvertiten – wurden vor diesem Hintergrund als Bedrohung des Luthertums wahrgenommen. Aus diesem Grund gehörte es schon seit Johann Sigismund zur kirchenpolitischen Agenda der Hohenzollern, die Bedeutung der FC in Brandenburg zu schwächen. Ihre Betonung der einen reinen Lehre und die Verdammung der Reformierten wurden als Hindernis für die Etablierung des reformierten Glaubens in Brandenburg wahrgenommen, den es doch zu fördern und in seiner Ausbreitung zu unterstützen galt. Unmittelbar nach seiner Konversion zum reformierten Glauben an Weihnachten 1613⁹⁶ hatte Johann Sigismund seinen Untertanen zwar die Glaubensfreiheit garantiert. Trotzdem verfolgte er gemeinsam mit seinen reformierten Beratern das Ziel, einer zweiten Reformation zur Durchsetzung zu verhelfen, die er als Vollendung der lutherischen Anfänge verstanden wissen wollte.⁹⁷ Allerdings stießen er und seine Berater schnell auf heftigen Widerstand.⁹⁸ Dieser äußerte sich sogar gewalttätig im sog. Berliner Tumult vom März 1615, als ein Mob in Reaktion auf die Bilderentfernung im Dom die Häuser der Hofprediger Martin Füssel und Karl Sachse⁹⁹ stürmte und dabei – gerüchteweise – von der lutherisch verbliebenen Kurfürstin Anna höchstpersönlich von einem Fenster des Schlosses aus angefeuert worden sein soll.¹⁰⁰ Die Reaktionen Johann Sigismunds auf diesen Widerstand und das Scheitern seines Reformationsversuchs bildeten gemeinsam die Ausgangslage für die künftigen interkonfessionellen Beziehungen. Er zielte nun auf eine Schwächung des Konkordienluthertums ab, um die Akzeptanz des reformierten Glaubens dadurch zu erhöhen. Damit prägte er grundlegende religionspolitische Handlungsmuster, die Taatz-Jacobi wegen ihrer Vorbildfunktion  Ebd., S. 49 – 51, Zitat ebd., S. 51.  Vgl. zur Konversion u. a. Nischan, Bodo: Prince, People and Confession. The Second Reformation in Brandenburg. Philadelphia 1994, S. 81– 110; Delius,Walter: Der Konfessionswechsel des brandenburgischen Kurfürsten Johann Sigismund. Eine Berliner Weihnachtsüberraschung am Anfang des 17. Jahrhunderts. In: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte (JBBK) 50 (1977), S. 125 – 129; vgl. für einen kurzen Überblick zur Konversion und den ihr folgenden Ereignissen Stegmann: Reformation, S. 225 – 231; vgl. zu den Einflüssen, die zu Johann Sigismunds Konfessionswechsel beitrugen Burghardt, Franz Josef: Zwischen Fundamentalismus und Toleranz. Calvinistische Einflüsse auf Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg vor seiner Konversion. Berlin 2012 (Historische Forschungen 96).  Auf diese Weise umging man die Schwierigkeit, dass die Reformierten nicht im Augsburger Religionsfrieden berücksichtigt waren und folglich das ius reformandi eigentlich nicht für reformierte Fürsten galt, vgl. Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 45 f.  Vgl. zur zweiten Reformation in Brandenburg Nischan: Prince.  Vgl. zu Füssel und Sachse Thadden: Hofprediger, S. 172– 175.  Vgl. zum Berliner Tumult Nischan: Prince, S. 185 – 192; Faden, Eberhard: Der Berliner Tumult von 1615. In: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte (JBLG) 5 (1954), S. 27– 45.

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für die späteren Hohenzollern als konfessionellen Maßnahmenkatalog bezeichnet, der u. a. in der Publikation von Polemikverboten, der bewussten Streichung und Auslassung der FC in Verordnungen und anderen öffentlichen Schriften sowie der Planung von Religionsgesprächen bestand.¹⁰¹ Die Basis für die konfessionelle Koexistenz legte er bereits 1614 mit einem Antiverketzerungsedikt¹⁰² sowie seinem Glaubensbekenntnis – der Confessio Sigismundi. ¹⁰³ Während das Edikt Kanzelpolemiken verhindern sollte, die häufig mit der Widerlegung anderer Lehren einhergingen, und einen ersten Versuch darstellte, die FC als Bekenntnisschrift in Brandenburg zu schwächen,¹⁰⁴ garantierte die Confessio Sigismundi den Lutheranern zugleich grundsätzlich die freie Religionsausübung, d. h. er verzichtete auf sein ius reformandi. ¹⁰⁵ Darüber hinaus schuf das kurfürstliche Bekenntnis das theologische Fundament der Brandenburger Reformierten, indem es die lutherische Ubiquitätslehre, die Realpräsenz beim Abendmahl sowie den Exorzismus bei der Taufe verwarf, jedoch in der Prädestinationslehre sehr dicht am lutherischen Gnadenuniversalismus lag. Mit dem letzten Punkt baute man eine innerprotestantische Brücke zu den Lutheranern, was jedoch nicht davon

 Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 53. Die weiteren Maßnahmen bestanden in der Schaffung von reformierten Ausbildungsstätten, der Berufung geeigneten Personals, dem Ausbau der Hofpredigerstellen, die Veränderung der bestehenden Behördenstruktur sowie in Eingriffen in das Taufritual. Das strategische Element bei Johann Sigismunds Vorgehen hebt etwa auch Thadden hervor, vgl. Thadden, Rudolf von: Die Fortsetzung des „Reformationswerks“ in Brandenburg-Preußen. In: Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der „Zweiten Reformation.“ Wissenschaftliches Symposium des Vereins für Reformationsgeschichte 1985. Hrsg. von Heinz Schilling. Gütersloh 1986 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 195), S. 233 – 250, hier S. 236. Burghardt hingegen verweist auf die Bedeutung der Persönlichkeit des laut Burghardt konfliktscheuen Johann Sigismund für dessen Kirchenpolitik, die auf Konfrontationsvermeidung abgezielt habe, vgl. Burghardt: Fundamentalismus und Toleranz, S. 82– 84; Ders.: Brandenburg 1608 – 1688. Hofcalvinismus und Territorienkomplex. In: Reformed Majorities in Early Modern Europe. Hrsg. von Herman Johan Selderhuis u. a. Göttingen 2015, S. 111– 138, hier S. 114 f.  Das Edikt ist u. a. abgedruckt bei Mylius, Christian Otto: Corpus Constitutionum Marchicarum […] Bd. I, 1, Berlin/ Halle 1737, Sp. 353 – 356; auch bei Gericke, Wolfgang: Glaubenszeugnisse und Konfessionspolitik der Brandenburgischen Herrscher bis zur Preußischen Union 1540 bis 1815. Bielefeld 1977 (Unio und Confessio 6), S. 132– 136.  Die Confessio Sigismundi ist u. a. abgedruckt bei Mylius: Corpus I, 1, Sp. 464– 474; auch bei Gericke: Glaubenszeugnisse, S. 122 – 131.  Sie wird bei der Nennung der Schriften, an welche sich Prediger orientieren sollen, nicht erwähnt und durch einen Verweis auf „selbst ertichtete Glossen und neue Lehr Formuln“ indirekt diskreditiert, vgl. Mylius: Corpus I, 1, Sp. 355; vgl. dazu Nischan: Prince, S. 112; vgl. auch Ruschke: Paul Gerhardt, S. 37 f.  Vgl. Mylius: Corpus I, 1, Sp. 473 f. Wie oben in Fußnote 97 bereits erwähnt wurde, besaß er dieses Recht als Reformierter jedoch streng genommen gar nicht.

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ablenken sollte, dass auch diese Schrift das traditionelle Luthertum zu schwächen suchte, insbesondere durch die Berufung auf die Confessio Augustana (im Folgenden CA) variata, die von Konkordienlutheranern abgelehnt wurde.¹⁰⁶ Im Zusammenspiel zwischen Johann Sigismunds Konfessionalisierungsplänen und dem Widerstand der Landstände und der Bevölkerung wurden somit grundlegende Weichenstellungen für das künftige bikonfessionelle Verhältnis in Brandenburg vorgenommen.¹⁰⁷ Weitere wichtige Rahmenbedingungen schufen die Regelungen des Westfälischen Friedens. Durch das Friedenswerk von 1648 waren die Reformierten nunmehr in den Augsburger Religionsfrieden aufgenommen,¹⁰⁸ während gleichzeitig durch die Normaljahresregel, welche in den Territorien die konfessionellen Verhältnisse vom 1.1.1624 garantierte, das Luthertum in Brandenburg vor einer reformierten Konfessionalisierung rechtlich geschützt war.¹⁰⁹ Eine weitere bedeutende Grundlage für die interkonfessionellen Beziehungen in Brandenburg legte Friedrich Wilhelm selbst – oder vielmehr wurde ihm diese Grundlage von den kurmärkischen Ständen ins Nest gelegt. Um den Aufbau eines stehenden Heeres finanzieren zu können, musste der Kurfürst ihnen im Landtagsrezess von 1653 religiöse Zugeständnisse machen: er garantierte ihnen die Anerkennung aller symbolischen Bücher – also auch der FC. Allerdings war die Letztere nicht explizit genannt, sondern nur abgedeckt durch die Wendung, dass alle lutherischen „Symbolici Libris ungekränkt verbleiben, und es in allen gelaßen werden soll, wie die Landes Recesse von Ao. 1611, und 1615, darvon dispo-

 Vgl. zu den Lehrpunkten ebd., Sp. 465 – 473; vgl. auch Nischan: Prince, S. 118 f.; Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 47 f.; Ruschke: Paul Gerhardt, S. 38 f.  Luebke leitet aus dem Brandenburger Beispiel sogar den Idealtypus einer sog. konzentrischen Multikonfessionalität ab, die dann entstehe, wenn eine bereits konfessionalisierte Bevölkerung nochmals konfessionalisiert werden solle, vgl. Luebke, David M.: A Multiconfessional Empire. In: Companion to Multiconfessionalism, S. 129 – 154, hier S. 146 f.; zuvor vermutete schon Thadden, dass Johann Sigismund u. a. an einer bereits lutherisch konfessionalisierten Bevölkerung gescheitert war, vgl. Thadden: Reformationswerk, S. 236 u. 244. Mit Blick auf den oben geschilderten Berliner Tumult ist diese Diagnose durchaus einleuchtend.  Vgl. zu den Friedensverhandlungen und den Zielen des Kurfürsten Lackner: Kirchenpolitik, S. 71– 89.  Vgl. für einen kurzen Überblick zum Normaljahr Fuchs, Ralf-Peter: Normaljahr. In: Enzyklopädie der Neuzeit Online. Hrsg. von Friedrich Jaeger. http://dx.doi.org/10.1163/2352-0248_edn_ a3008000 (19. 2. 2018); für eine ausführliche Darstellung vgl. Ders.: Ein ‚Medium‘ zum Frieden. Die Normaljahrsregel und die Beendigung des Dreißigjährigen Krieges. München 2010. Allerdings muss die Bedeutung der Normaljahresregel insofern relativiert werden, als sich die Brandenburger Lutheraner auch ohne diesen Schutz nicht ohne weiteres hätten calvinisieren lassen.

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nieren.“¹¹⁰ Im Rezess von 1615, auf den sich die Regelung beruft, ist die FC allerdings namentlich eingeschlossen.¹¹¹ Zusätzlich zu den Regelungen im Landtagsrezess stellte Friedrich Wilhelm zudem in einem Nebenrezess ein Religionsgespräch in Aussicht und mahnte die Lutheraner zur Moderation an.¹¹² Die Stände gewährten ihm das Recht, ein solches Gespräch einzuberufen, legislative Maßnahmen gegen konfessionelle Polemik zu ergreifen und eine Zensur theologischer Schriften durch das Konsistorium einzuführen.¹¹³ Die Vereinbarungen des Landtags- und Nebenrezesses waren insofern als Basis für die künftige interkonfessionelle Beziehung bedeutend, als dass sie mit zu den späteren Konflikten beitrugen (wie das Recht zur Zensur und zur Einberufung eines Religionsgesprächs) und als Argumentationsgrundlage in Konflikten benutzt wurden (wie die Garantie der FC ohne ihre Nennung). Dies waren zusammen genommen die wichtigsten Grundpfeiler, welche das bikonfessionelle Zusammenleben in Brandenburg grundlegend strukturierten. Den konfessionellen Maßnahmenkatalog, den ihm seine Vorgänger hinterlassen hatten, führte Friedrich Wilhelm dabei teilweise fort und entwickelte ihn weiter.¹¹⁴ Idealtypisch lassen sich seine Maßnahmen zur Marginalisierung des Konkordienluthertums auf drei Ebenen feststellen: theologischer Doktrin, Legislation und kommunikativer Selbstdarstellung.

2.2 Die theologische Positionierung Die theologische Ausrichtung der Brandenburger Reformierten besaß schon seit Johann Sigismunds Konversion eine religionspolitische Komponente. Keineswegs soll damit behauptet werden, dass die reformierte Doktrin in Brandenburg ausschließlich zweckrationalen, strategischen Überlegungen unterworfen war. In ihrer Wirkung spielte sie allerdings eine wichtige Rolle zum Schutz und zur Ver-

 Mylius, Christan Otto: Corpus Constitutionum Marchicarum […] Bd. VI, 1. Berlin/ Halle 1751, Sp. 427 f.  Laut Mylius handelte es sich nicht um einen Rezess, sondern einen Revers Johann Sigismunds. Der Text ist abgedruck ebd.: Sp. 257– 264, die Garantie der FC Sp. 260; vgl. zum Rezess von 1615 Nischan: Prince, S. 207– 211.  Mylius: Corpus VI, 1, Sp. 463 – 465. Vgl. zum Landtags- und dem Nebenrezess sowie den Verhandlungen Ruschke: Paul Gerhardt, S. 132 f.; Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 62 f.; Lackner: Kirchenpolitik, S. 111– 114; Opgenoorth, Ernst: Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg. Eine politische Biographie. Erster Teil: 1620 – 1660. Göttingen u. a. 1971, S. 257– 262.  Vgl. Lackner: Kirchenpolitik, S. 114.  Vgl. Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 60 – 68.

2.2 Die theologische Positionierung

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breitung des reformierten Glaubens in Brandenburg. Die zentralen Elemente, die unter Friedrich Wilhelms Vorgängern bereits etabliert und unter ihm weitergeführt wurden, bestanden in einer Distanzierung vom Genfer und niederländischen Calvinismus, einer damit verbundenen partiellen Annäherung an lutherische Positionen sowie dem Aufgreifen irenischer Ansätze. Dadurch bot man Anknüpfungspunkte zum Luthertum und stellte sich zugleich gegen konkordienlutherische Strömungen. Diese Aspekte bildeten allerdings kein in sich geschlossenes Lehrgebäude, sondern stellten eher Prinzipien dar, an denen sich die reformierte Theologie orientierte.¹¹⁵ Wie oben bereits angeschnitten wurde, hatte sich Johann Sigismund in der vom Hofprediger Martin Füssel entworfenen Confessio Sigismundi auf eine universalistische Auslegung der Prädestinationslehre festgelegt, d. h. man hob, ähnlich wie die Lutheraner, das Gnadengeschenk Gottes hervor und distanzierte sich von der doppelten Prädestination, wie sie im westeuropäischen Calvinismus vorherrschte, wonach Gott aus seiner Gnade einige von Ewigkeit her zur Seligkeit und in seiner Gerechtigkeit andere zur Verdammnis erwählt habe.¹¹⁶ Damit entsprach man zwar ohnehin gängigen deutschen reformierten Tendenzen, ging zugleich aber einem wichtigen innerprotestantischen Streitpunkt aus dem Weg und näherte sich der lutherischen Gnadenlehre an.¹¹⁷ Auch wurde schon in der Zeit Johann Sigismunds eine Anbindung an die sog. Irenik gesucht, eine theologische Strömung, die für einen friedlichen Ausgleich der Konfessionen eintrat.¹¹⁸ Einer der prominentesten deutschen Vertreter solcher irenischen Ansätze war Georg Calixt. Er ging – dabei schon bestehende Tendenzen aufgreifend – von einem Fundamentalkonsens, dem sog. consensus antiquitatis aus, d. h. dass Christen aller Konfessionen im Glaubensfundament einig seien, welches er hauptsächlich aus der Heiligen Schrift und der Kirchentradition der ersten

 Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 69.  Vgl. Mylius: Corpus I, 1, Sp. 471– 473.  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 63 – 68.  Die Irenik war jedoch keineswegs akonfessionell, d. h. Irenik und ein ausgeprägtes Konfessionsbewusstsein schlossen sich nicht aus. Vgl. zur Irenik ebd., S. 74. Ein umfassender begriffsgeschichtlicher und kritischer Überblick findet sich bei Müller, Hans-Joachim: Irenik als Kommunikationsreform. Das Colloquium Charitativum von Thorn 1645. Göttingen 2004 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 208), S. 29 – 58; ferner Hotson, Howard: Irenicism in the Confessional Age: The Holy Roman Empire, 1563 – 1648. In: Conciliation and Confession. The Struggle for Unity in the Age of Reform, 1415 – 1648. Hrsg. von Howard P. Louthan u. Randall C. Zachmann. Notre Dame, IN 2004, S. 228 – 285; vgl. zur Bedeutung der Irenik für die reformierte Konfession Benrath, Gustav Adolf: Irenik und Zweite Reformation. In: Schilling: Die reformierte Konfessionalisierung, S. 349 – 358.

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2 Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten

500 Jahre ableitete.¹¹⁹ Johann Sigismund hatte an diese Ansätze etwa in der Garantie der lutherischen Glaubensfreiheit in der Confessio Sigismundi oder auch durch die Auswahl irenisch orientierter Hofprediger und Professoren der Universität Frankfurt/ Oder angeknüpft.¹²⁰ Diese Anbindung an die Irenik wurde – auch zur Zeit Friedrich Wilhelms – von wittenbergisch geprägten Theologen vielfach als Synkretismus gescholten, also als die Vermischung verschiedener Lehren, die aus ihrer Sicht eine Gefahr für das wahre Luthertum darstellte.¹²¹ Unter Georg Wilhelm und Friedrich Wilhelm wurden diese Ansätze verstetigt, was in erster Linie mit dem Hofprediger Johann Bergius zusammenhängt.¹²² Er vertrat konsequent irenische Positionen und gehört zu den prägendsten Hofpredigern der brandenburgisch-preußischen Geschichte. In dem Zeitraum von seiner Berufung 1624¹²³ bis zu seinem Tode im Dezember 1658 entwickelte sich unter seinem Einfluss ein Korpus von zentralen Schriften, auf die sich die Brandenburger Reformierten beriefen – sie erfüllten somit in gewissem Maße die Funktion von Bekenntnisschriften. Neben der bereits erwähnten Confessio Sigismundi wa-

 Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 76 – 79; Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 55 f.; Böttigheimer, Christoph: Das Unionskonzept des Helmstedter Irenikers Georg Calixt (1584– 1656). In: Irenik und Antikonfessionalismus im 17. und 18. Jahrhundert. Hrsg. von Harm Klueting. Hildesheim u. a. 2003 (Hildesheimer Forschungen 2), S. 55 – 70.  Vgl. Nischan: Prince, S. 236; die Theologen der Universität Frankfurt/ Oder – Christoph Pelargus, Gregor Francke und Johann Bergius – folgten allesamt irenischen Ansätzen, vgl. ebd. Johann Sigismund hatte sogar versucht, Calixt nach Frankfurt/ Oder zu holen, vgl. Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 55. Auch der unter Johann Sigismund bedeutendste Hofprediger Martin Füssel vertrat irenische Positionen, vgl. Thadden: Hofprediger, S. 104 u.172– 174.  Vgl. zum Synkretismus und seiner (ursprünglich nicht) negativen Bedeutung Müller: Irenik, S. 58 – 62. Der Gegensatz zwischen Calixts irenischen Ansätzen und der konkordienlutherischen Theologie waren die Ursache für harte konfessionelle Auseinandersetzungen in Königsberg, vgl. dazu Lackner: Kirchenpolitik, S. 173 – 182.  Vgl. zu Bergius Nischan, Bodo: John Bergius: Irenicism and the Beginning of Official Religious Toleration in Brandenburg-Prussia. In: Church History 53 (1984), 389 – 404; Ders.: Johann Peter Bergius. In: Berlinische Lebensbilder. Band 5. Theologen. Berlin 1990 (Einzelveröfentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 60), S. 35 – 60; ferner Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 14– 24; Thadden: Hofprediger, S. 175 – 178; Bahl: Hof, S. 429 f.; vgl. für einen kurzen, auf der bestehenden Literatur beruhenden Überblick auch Kohnle, Armin: Johann Sigismund (1572– 1619) und Johann Bergius (1587– 1658). Zwischen Luthertum und Calvinismus. In: Protestantismus in Preußen. Lebensbilder aus seiner Geschichte. Band 1. vom 17. Jahrhundert bis zum Unionsaufruf. Hrsg. von Albrecht Beutel. Frankfurt a. M. 2009, S. 23 – 41, zu Bergius S. 34– 36 u. 38 – 41.  Schon vor 1624 begleitete er Johann Sigismund als Prediger vor allem auf dessen Reisen nach Preußen, vgl. Thadden: Hofprediger, S. 176. 1620 war er bereits zum Hofprediger in Königsberg bestallt worden, konnte seine Stelle wegen des Widerstandes der lutherischen Stände aber nicht antreten, vgl. Bahl: Hof, S. 429 f.

2.2 Die theologische Positionierung

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ren dies das Protokoll des Leipziger Religionsgesprächs von 1631 sowie die Zusammenfassung der reformierten Positionen vom Thorner Religionsgespräch von 1645, die Declaratio Thoruniense. ¹²⁴ Beim Leipziger Religionsgespräch, das 1631 im Rahmen eines Fürstenkonvents zustande kam und an dem neben Johann Bergius Theologen aus Hessen-Kassel und Kursachsen teilnahmen, wurden auf Basis der CA invariata Glaubensunterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Reformierten und Lutheranern definiert. Trotz gewisser Differenzen, vor allem in der Christologie und der Abendmahlslehre, war man sich in den meisten Punkten einig und betonte die Gemeinsamkeiten ebenso wie den Willen, sich „einander christliche Liebe ins künftige [zu] erzeigen.“¹²⁵ Auch beim Thorner Religionsgespräch, das 1645 vom polnischen König einberufen worden war und das zwischen Katholiken, Böhmischen Brüdern, Reformierten und Lutheranern stattfand, war Bergius wieder dabei und traf auf den oben erwähnten Calixt. Obwohl das Gespräch scheiterte, wurde die reformierte Hauptschrift in den Kanon der Brandenburger reformierten Schriften aufgenommen, da hier zentrale Lehrpositionen noch einmal formuliert waren.¹²⁶ Die theologischen Positionen der Brandenburger reformierten Kirche leisteten einen wichtigen Beitrag zu ihrer Existenzsicherung als Minderheitenreligion und ihrer Ausbreitung. Die Ablehnung der doppelten Prädestination bedeutete nicht alleine eine Anbindung an die Lutheraner, sondern zugleich eine Distanzierung von den Ergebnissen der Dordrechter Synode von 1618/19,¹²⁷ deren Teilnehmer sich klar gegen einen Gnadenuniversalismus ausgesprochen hatten. Genau dies allerdings hatte dem Calvinismus unter den Lutheranern einen noch schlechteren Ruf eingebracht als er ohnehin schon besessen hatte und die innerprotestantischen Spannungen nur erhöht.¹²⁸ Weil er genau einen solchen Ausgang der Synode befürchtet hatte, hatte auch Bergius seinerzeit eine Teil-

 Vgl. Nischan: Bergius, S. 399 f.  Das Protokoll ist u. a. abgedruckt bei Gericke: Glaubenszeugnisse, S. 143 – 156, Zitat S. 156. Vgl. zum Leipziger Religionsgespräch u. a. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 84– 87; Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 56 f.; Hotson: Irenicism, S. 254.  Erstmals abgedruckt in: O.A.: Acta Conventus Thoruniensis celebrati Anno 1645 mens. Septrembr., Octobr., Novembr. […] Warschau 1646; übersetzte Auszüge bei Gericke: Glaubenszeugnisse, S. 160 – 164. Ruschke weist darauf hin, dass man in der Prädestinationslehre nicht mehr so eindeutig eine universalistische Position einnahm wie noch in Leipzig, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 91; vgl. allgemein zum Thorner Religionsgespräch ebd., S. 87– 91; Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 57; Müller: Irenik.  Vgl. zur Dordrechter Synode Dooren, Johannes Pieter van: Dordrechter Synode. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE) 9. Berlin/ New York 1982, S. 140 – 147.  Vgl. Hotson: Irenicism, S. 246 – 249.

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2 Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten

nahme am Gespräch abgesagt.¹²⁹ Die Brandenburger vermieden mit ihrer Distanzierung eine Quelle für weitere Differenzen. Durch die Rezeption irenischer Ansätze wurden zugleich die Gemeinsamkeiten mit den Lutheranern betont – es gab zwar Unterschiede, doch diese waren nicht zwingend heilsnotwendig, so lautete die Position der Reformierten, wie sie auch von Johann Bergius in vielen Predigten und Schriften geäußert wurde.¹³⁰ Dieser irenischen Linie folgten auch die Verhandlungen der Brandenburgischen Hofprediger mit John Dury 1668 (Bergius hatte schon in den 1650ern Kontakte zu ihm geknüpft) und mit dem katholischen Bischof Christoph Roja von Spinola 1682 über Möglichkeiten eines Kirchenfriedens bzw. einer Union, denen die Brandenburgische Seite jedoch mit Skepsis begegnete und die auch scheiterten.¹³¹ Aus dem irenischen Standpunkt heraus wurde ein Kirchenfrieden propagiert, der freilich vor allem jenen nutzte, die in der Minderheit waren: den Reformierten selbst. Indem man theologisch die Anbindung an ebenfalls irenisch orientierte Lutheraner suchte, grenzte man sich zugleich von dem für die lutherische Konfessionskultur in Brandenburg prägenden Konkordienluthertum ab, wie es vor allem von der Universität Wittenberg repräsentiert wurde, und schwächte es. Denn während einerseits für den Kirchenfrieden gefochten wurde, wurde andererseits klar gemacht, wer der Friedensstörer waren, nämlich die Konkordienlutheraner, die „unsere Kirchen oder Lehrer unter verhasseten Menschen Namen/ die sich doch auff keines Menschen/ sondern allein auff Christi Namen/ Wort und Lehre beruffen/ als Ketzer richten

 Vgl. Nischan: Bergius, S. 398; Thadden: Hofprediger, S. 176.  So schreibt er etwa über den „unterscheidt und Vergleichung der Evangelischen“, dass es „eigendtlich nicht zweyerlei Religion [sind], ob sie schon in etliche Lehrpuncten und Ceremonien streitig seyn.“ In: Bergius, Johann: Unterscheidt und Vergleichung Der Evangelischen/ In Lehr und Ceremonien […] Berlin 1635, Zitat S. 1. Auch in anderen Schriften propagierte Bergius das gemeinsame Glaubensfundament der Protestanten, den Gnadenuniversalismus und einen Kirchenfrieden. Besonders bekannt sind die Folgenden: Ders.: Der Wille Gottes von aller Menschen Seligkeit […] Berlin 1653; Ders.: Apostolische Regell/ Wie man in Religionssachen recht richten solle […] Elbing 1641. Für ein Verzeichnis seiner Werke vgl. Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 16 – 23.  Vgl. zu den Gesprächen Landwehr, Hugo: Johannes Duraeus’ Unionsverhandlungen mit Kurbrandenburg. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 10 (1889), S. 463 – 479; Ders.: Spinolas Unionsbestrebungen in Brandenburg. In: Märkische Forschungen 20 (1887), S. 234– 241. Oft wird auch der von Benedict Skytte bei Hofe vorgestellte Plan einer Universaluniversität mit den brandenburgischen theologischen Positionen in Verbindung gebracht, da die Universität allen Religionen offen sein sollte. Insgesamt begegneten Friedrich Wilhelm und die als Gutachter beauftragen Räte aber dem Plan von vorneherein mit großer Skepsis und waren nicht sehr daran interssiert; vgl. dazu Lackner: Kirchenpolitik, S. 270 – 273; Opgenoorth, Ernst: Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg. Zweiter Teil: 1660 – 1688. Göttingen u. a. 1978, S. 61.

2.2 Die theologische Positionierung

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und verdammen.“¹³² Die theologischen Positionen konnten also dazu beitragen, den interkonfessionellen Diskurs zu verändern, Ressentiments gegenüber den Reformierten abzubauen und die Bedeutung konkordienlutherischer Positionen für die lutherische Konfessionskultur Brandenburgs abzuschwächen.¹³³ Wie schon eingangs erwähnt, soll die Theologie der Brandenburger Reformierten damit nicht auf eine politische Strategie reduziert werden. Dass sie aber eine strategische Komponente besaß, die den Zeitgenossen sehr wohl bewusst war, legt etwa die Domkirchenordnung von 1664 nahe, die als Maßstab für alle reformierten Gemeinden in Brandenburg-Preußen galt und die den Predigern einschärfte, auf keinen Fall von den Lehren der drei Bekenntnisschriften – also der Confessio Sigismundi, dem Protokoll des Leipziger Religionsgesprächs und der Declaratio Thoruniense – abzuweichen.¹³⁴ Bei aller Betonung konfessionsübergreifender Gemeinsamkeiten wurde außerdem peinlichst genau darauf geachtet, nicht die Bindung an den gesamteuropäischen Calvinismus aufzugeben. Als Friedrich Wilhelm nach Publikation des sog. zweiten Toleranzedikts im Jahr 1664¹³⁵ von einigen lutherischen Stimmen vorgeworfen wurde, „daß demnach Se. Churfürstl. Durchl. und die Märckische Reformirten kirchen sich von andern Reformirten Gemeinen absondern und anders glauben/ und lehren/ als andere“, veröffentlichte der Hofprediger Bartholomäus Stosch im Auftrag seines Herrn eine Schrift, um diese Behauptungen zu zerstreuen.¹³⁶ Hätte man den Eindruck vermittelt, nicht mehr reformiert, sondern eine bloße Splittergruppe zu sein, so hätte dies die Geltung Brandenburgs gegenüber anderen reformierten Territorien und Städten schmälern können – und außerdem wären die Brandenburger Reformierten als Sekte nicht mehr im Augsburger Religionsfrieden mit eingeschlossen gewesen. Die richtige theologische Positionierung war also nicht nur für das Seelenheil, sondern auch mit Blick auf eine vorteilhafte Selbstdarstellung von Bedeutung.

 Bergius: Apostolische Regell, Zitat S. 53.  So auch Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 57.  Vgl. dazu Kapitel 6.3.  Siehe dazu unten Kapitel 2.4.  Stosch, Bartholomäus: Summarischer Bericht Von der Märckischen Reformirten Kirchen Einträchtigkeit/ mit andern in und ausser Deutschland Reformirten Gemeinen […] Cölln a.S. 1666, unpag. Der Autor gibt nur seine Initialen B.S. an, die in diesem Kontext jedoch sehr leicht zu entschlüsseln sind.Vgl. zu der Schrift auch Landwehr: Stosch, S. 118 f. Für mehr Informationen zu Stosch vgl. unten Kapitel 2.3.

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2 Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten

2.3 Die kirchenpolitischen Maßnahmen Nun ist es an der Zeit, auf die konkreten kirchenpolitischen Maßnahmen Friedrich Wilhelms und die Entwicklung des Märkischen Kirchenstreits einzugehen. Der Kanon der entscheidenden Ereignisse und ihre Dramaturgie wird seit Landwehrs Studie zur Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten, also seit über 120 Jahren, in der Forschung immer wieder sehr ähnlich nacherzählt¹³⁷ und nur hier und da ein wenig verschlankt oder erweitert, wobei es durchaus große Unterschiede in der Deutung gibt.¹³⁸ Deshalb möchte ich mich im Folgenden auf eine recht knappe Darstellung der wichtigen Ereignisse beschränken.¹³⁹ Hier sollen also nur die bedeutendsten Meilensteine des Kirchenstreits zusammengefasst werden, die im weiteren Verlauf der Arbeit – sofern es nötig ist – noch vertieft werden. Noch vor dem Landtagsrezess von 1653 hatte Friedrich Wilhelm einen ersten Schritt zur Stärkung des landesherrlichen Zugriffs auf das lutherische Kirchenwesen unternommen, indem er 1646 das Konsistorium dem Geheimen Rat unterstellt hatte, d. h. Eingaben in Kirchenangelegenheiten liefen erst über den Geheimen Rat, bevor sie an die Kirchenbehörde gingen.¹⁴⁰ Nach dem Landtagsrezess von 1653 wird die nächste Wegmarke auf dem Pfad zum Märkischen Kirchenstreit für gewöhnlich im Jahr 1654 angesetzt, als der Kurfürst verfügte, dass keine theologischen Schriften veröffentlicht werden dürften, ohne dass sie vom Konsistorium revidiert und zensiert worden seien.¹⁴¹ Der Anlass für das entsprechende Reskript war ein prominenter Protagonist dieser Studie: der lutherische Probst der Petrikirche in Cölln an der Spree Andreas Fromm. Er hatte eine Disputation ohne Wissen der Obrigkeit publizieren lassen, vermutlich in irenischer Absicht.¹⁴² Die Zensur zog Proteste der Landstände nach sich, die jedoch ungehört

 Vgl. Landwehr: Kirchenpolitik.  Vgl. die Literaturangaben in Kapitel 1.3.  Zugleich sei auf Ruschke verweisen, der die aktuellste und ausführlichste Darstellung zu den interkonfessionellen Konflikten der 1650er und 1660er Jahre bietet, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt.  Vgl. Luh: Konfessionspolitik, S. 309; Lackner: Kirchenpolitik, S. 115.  Das Reskript ist abgedruck in: Mylius: Corpus I, 1, Sp. 361– 364. Vgl. dazu u. a. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 135 f.; Lackner: Kirchenpolitik, S. 116; Landwehr: Kirchenpolitik, S. 194 f.  Fromm wird in dem Reskript namentlich erwähnt, vgl. Mylius: Corpus I, 1, Sp. 361 f. Es existiert ein Schreiben Fromms an das Konsistorium, aus dem hervorgeht, dass er im Herbst 1653 einen Konvent mit anderen Geistlichen abhalten wollte, um über verschiedene Thesen und „von der kirchen noturfft“ zu sprechen. Viele hätten aber abgesagt, weil sie gefürchtet hatten, dies sei verboten. Fromm wollte mit seinem Schreiben klarstellen, ob dies wirklich verboten sei, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „des Probstes Fromm bey der St. Petrikirchen allhier Streitigkeiten mit dem Magistrat und dem Lic. Pomario 1654– 1659“, Fol. 24. Das kurfürstliche Reskript war vermutlich die Antwort auf Fromms Anfrage. Die Thesen, die Fromm besprechen wollte, sind nicht über-

2.3 Die kirchenpolitischen Maßnahmen

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blieben.¹⁴³ Das Zensurrecht war Friedrich Wilhelm schließlich im Nebenrezess seinerzeit gewährt worden.¹⁴⁴ Auch wenn es vermittelt über das mehrheitlich von Lutheranern besetzte Konsistorium geschah,¹⁴⁵ erhielt damit ein reformierter Fürst den Zugriff auf einen wichtigen Aspekt des lutherischen Selbstverständnisses.¹⁴⁶ Der erste ernstzunehmende Angriff auf das Konkordienluthertum fand indes erst zwei Jahre später statt, und zwar durch eine Verordnung vom 3.12.1656, wonach angehende Geistliche künftig nur noch im Konsistorium examiniert und nicht mehr auf die FC ordiniert werden sollten. Auch sollten nun die Konsistorialräte als Beisitzer den Examen beiwohnen, zumindest die geistlichen Räte.¹⁴⁷ Davor war es durchaus üblich gewesen, Ordinationen in Pfarrhäusern oder Sakristeien durchzuführen, das Examen wiederum war in der Bibliothek der Nikolaikirche durchgeführt worden.¹⁴⁸ Damit war die Ordination stärker zentralisiert und stand unter der Aufsicht von teilweise reformierten Beisitzern – etwa dem Hofprediger und Konsistorialrat Johann Bergius. Der größte Skandal aus lutherischer Sicht aber bestand in der Streichung der FC. Diese war schließlich eine zentrale Bekenntnisschrift der lutherischen Kirche in Brandenburg und wurde häufig in Ordinations- und Vokationsurkunden aufgenommen. Dies war besonders brisant, weil der Kurfürst doch erst drei Jahre zuvor im Landtagsrezess den Ständen den Bestand der FC noch garantiert hatte, auch wenn sie nicht explizit erwähnt worden war. Neben der heiligen Schrift und den „uhralte[n] Symbola“ sollte die Ordination jetzt nur noch auf die CA erfolgen, wobei ausgelassen wurde,

liefert, aber angesichts seiner Einstellung in den 1650er Jahren ist von seinen irenischen Absichten auszugehen. Vgl. zu Fromms damaliger Haltung Kapitel 4.1.  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 136.  Vgl. Kapitel 2.1.  Vgl. zur Zusammensetzung und Behördengeschichte des Konsistoriums Kapitel 4.1.2 und 4.1.3.  Vgl. zur Bedeutung der Publizistik gerade für das Luthertum Kaufmann, Thomas: Luther and Lutheransim. In: The Oxford Handbook of the Protestant Reformations. Hrsg. von Ulinka Rublack. Oxford 2017, S. 146 – 166, hier S. 162.  Mylius: Corpus I, 1, 365 f.; vgl. zu Ablauf und Bedeutung der Ordination sowie der Einführung ins Pfarramt Graff, Paul: Geschichte der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen in der evangelischen Kirche Deutschlands. 1. Band. Bis zum Eintritt der Aufklärung und des Rationalismus. Waltrop 1997 (ND nach der Auflage von 1937), S. 385 – 400.  So eine vom Konrektor des Joachimsthalschen Gymnasiums Ferdinand Pusthius, der seit 1686 in Berlin lebte, aus verschiedenen Quellen zusammengetragene Berliner Chronik, vgl. [Pusthius, Ferdinand]: Chronicon Berolinense: continens res Berolini actas ab a. 1307. usque ad a. 1699, Accedit Series consulum Berolinensium. In: Schriften des Vereins für die Geschichte der Stadt Berlin 4 (1870), S. 37. 1641 hatte der Kurfürst noch die Praxis, dass Ordinationen in der Nikolaikirche durchgeführt werden, bestätigt, vgl. Mylius: Corpus I, 1, Sp. 359 f.

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2 Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten

ob variata oder invariata. Wer bisher schon befürchtet hatte, dass Friedrich Wilhelm in die lutherische Konfessionskultur eingreifen oder gar das Land calvinisieren würde, durfte sich nun bestätigt fühlen. Insbesondere für die Geistlichkeit war dies ein Angriff auf ihre Glaubensgrundlage.¹⁴⁹ Da viele angehende Prediger die ungeliebte Verordnung anscheinend umgingen, indem sie sich außer Landes ordinieren ließen, wurde diese Maßnahme durch zwei Circularverordnungen vom 3. 3.1657 an die Inspektoren ergänzt, wonach neuberufene Geistliche nicht mehr außerhalb des Landes examiniert und ordiniert sowie neu berufene Prediger nur mit Konfirmation des Konsistoriums zum Amt zugelassen werden dürften.¹⁵⁰ Dies waren die ersten Aufsehen erregenden Maßnahmen des Kurfürsten gegen das Konkordienluthertum, auf die einzelne Geistliche mit polemischen Schriften und Predigten reagierten.¹⁵¹ Diese Polemik wiederum nutzte Friedrich Wilhelm als Rechtfertigung für seine weiteren Schritte zur etappenweisen Abschaffung der FC aus Brandenburg. Tatkräftig unterstützt wurde er dabei von seinem neuen Hofprediger Bartholomäus Stosch, der auf den Ende 1658 verstorbenen Bergius im Amt als erster Hofprediger und Konsistorialrat gefolgt war.¹⁵² Obwohl er ähnliche Positionen wie sein Vorgänger vertrat und predigte,¹⁵³ war Stosch bei den Lutheranern ungleich unbeliebter als der auch auf lutherischer Seite respektierte Bergius. Dem friedliebend-irenischen Bergius einen aggressiv-irenischen Stosch gegenüberzustellen, mag Letzterem möglicherweise ein wenig Unrecht tun.¹⁵⁴ Insgesamt aber

 Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 138 f.; die Stände beschwerten sich dementsprechend über die Maßnahme, vgl. Landwehr: Kirchenpolitik, S. 195 – 197.  Mylius: Corpus I, 1, 365 – 368.  Vgl. etwa Ruschke: Paul Gerhardt, S. 138 – 140; Landwehr: Kirchenpolitik, S. 197– 199. Wie angespannt die Lage war, verdeutlichen die Vorfälle um den Prediger David Fessel und den Subrektor des Gymnasiums zum Grauen Kloster Gottfried Rösner. Ersterer verweigerte einem Regierungsrat, dessen todkranke Tochter ohne den Exorzismus zu taufen, während Zweiterer in einem Schultheaterstück die reformierte Abendmahlslehre angriff, vgl. zu beiden Fällen Ruschke: Paul Gerhardt, S. 145 – 148.  Vgl. zu Stosch Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 431– 436; Landwehr: Stosch; Thadden: Hofprediger, S. 179 – 184.  Insgesamt ist die Liste der Veröffentlichungen Stoschs kleiner als die von Bergius. Bekannt ist neben dem in Kapitel 2.2 angesprochenen summarischen Bericht vor allem eine irenische Predigt, die er 1653 vor dem Landtag hielt und deren Druck Friedrich Wilhelm 1659 beauftragte: Stosch, Bartholomäus: Predigt/ über die Evangelische Warnung Christi/ Wegen der falschen Propheten […] Berlin 1659. Landwehr und Ruschke weisen auf Stoschs belehrenden Ton und die Vorwürfe gegen die verketzernden Lutheraner hin, was sein erklärtes Ziel einer Verträglichkeit konterkariert habe. Es folgten denn auch einige lutherische polemische Reaktionen auf die Schrift, vgl. Landwehr: Stosch, S. 107– 110; Ruschke: Paul Gerhardt, S. 142– 145.  Vgl. die Bewertung der beiden Hofprediger in Kapitel 6.3.

2.3 Die kirchenpolitischen Maßnahmen

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bestätigen die erhaltenen Quellen den Eindruck, dass Stosch – wohlwollend formuliert – das nötige Augenmaß im Umgang mit den konkordientreuen Lutheranern fehlte und er durch zu große Härte die Konflikte eher anheizte denn löste.¹⁵⁵ An der Kirchenpolitik ab 1659 war er maßgeblich mit beteiligt, so etwa als Verfasser einer Antiverketzerungsverordnung, die als sog. erstes Toleranzedikt in die Geschichte einging und am 2. Juni 1662 erlassen wurde.¹⁵⁶ Das Edikt, das Stosch mit teils wörtlichen Auszügen aus seiner „Predigt über die Evangelische Warnung Christi“ angereichert hatte,¹⁵⁷ verbot die Verdammung der Reformierten von der Kanzel, die häufig mit der Widerlegung ihrer Lehren eiherging. Auch wurde verboten, den brandenburgischen Reformierten Lehren zu unterstellen, die nicht in ihren offiziellen Bekenntnisschriften enthalten seien. Wer dies nicht befolge, könne sich gerne eine Stelle außerhalb des Landes suchen. Allerdings beschränkte das Edikt sich nicht auf ein Polemikverbot, was man deutlich knapper hätte formulieren können, sondern enthielt für Lutheraner anstößige Formulierungen. So heißt es z. B., dass Johann Sigismund von Gott „zu der wahren Evangelische[n] Reformirten Religion durch sein Wort und Geist erleuchtet“ worden sei,¹⁵⁸ oder „daß viele oder die meisten [gemeint sind Lutheraner] Unsere hohe Gnade und Gedult mißbrauchen, und die Freyheit des Gewissens und Gottesdienstes […] auf […] verdammen und verketzern der Reformirten, ziehen“.¹⁵⁹ Folgerichtig galt das Verketzerungsverbot natürlich nur für Lutheraner. Der kontroverseste Punkt betraf aber wieder die FC: Die Prediger wurden explizit dazu angehalten, dass „das Wort Gottes lauter und rein, wie solches in den Prophetischen und Apostolischen Schrifften gegründet, und in den 4. haupt-Symbolis der Augspurgischen Confession, von Anno 1530. und derselben Apologie wiederholet ist, fürgetragen werde“.¹⁶⁰ Die FC war wieder einmal ausgelassen, sie sollte nicht mehr als Grundlage der Prediger dienen.¹⁶¹ Neu ordinierte Geistliche sollten sich mit einem entsprechenden Revers zu dem Edikt verpflichten.¹⁶² Die Marginalisierung der FC versuchte der Kurfürst fortzuführen, indem die Bindung an das ideelle Zentrum des Konkordienluthertums, die Uni-

 Vgl. die Beispiele in dieser Arbeit; ferner besonders Landwehr: Stosch.  Das Edikt ist abgedruckt in: Mylius: Corpus I, 1, Sp. 376 – 382, vgl. zu dem Edikt Ruschke: Paul Gerhardt, S. 149 f.; Lackner: Kirchenpolitik, S. 126 f.; Landwehr: Kirchenpolitik, S. 203 – 205.  Dies wies Landwehr nach, vgl. Landwehr: Stosch, S. 115 f.  Mylius: Corpus I, 1, Sp. 377.  Ebd. Weiter heißt es, sie würden mehr gegen die „Evangelische MitChristen“ eifern, „als wider öffentliche hurer, Trunckenbolde, Wucherer, Geizige und andere Sünder“.  Ebd., Sp. 379.  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 150; Lackner: Kirchenpolitik, S. 127.  Mylius: Corpus I, 1, Sp. 379.

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2 Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten

versität Wittenberg, gekappt wurde: Kurz auf das Edikt folgte am 30. Juni 1662 eine Verordnung, welche die Besetzung von Predigerämtern mit Absolventen der Universität Wittenberg verbot.¹⁶³ Am 21. August wurde allen Landeskindern verboten, an der juristischen oder theologischen Fakultät in Wittenberg zu studieren.¹⁶⁴ Die Friedensbekundungen des Kurfürsten konnten kaum verschleiern, dass spätestens dieses kleine Paket antikonkordienlutherischer Maßnahmen auf eine Veränderung der lutherischen Konfessionskultur abzielte.¹⁶⁵ Zeitgleich, während der Kurfürst den antireformierten Ressentiments somit noch einmal weitere Nahrung gab,¹⁶⁶ lud (bzw. nötigte) er die Geistlichen seiner Residenz zum Berliner Religionsgespräch, das darauf abzielte, keine heilsrelevanten Unterschiede zwischen Lutheranern und Reformierten festzustellen, und 1663 scheiterte.¹⁶⁷ Am 16. September 1664 folgte die Antwort auf das gescheiterte Gespräch: Das sog. zweite Toleranzedikt leitete die konfliktreichste Phase des märkischen Kirchenstreits ein.¹⁶⁸ Auch hier war Stosch an der Abfassung beteiligt.¹⁶⁹ Es war im Vergleich zum ersten Edikt zwar insofern abgeschwächt, als dass auch Reformierten das Verdammen verboten wurde – doch dafür war nun eine Auflistung der Namen enthalten, mit denen man die Reformierten nicht bezeichnen sollte, sowie der Lehren, die man ihnen nicht unterstellen durfte. Hinzu kam ein Passus zur optionalen Auslassung des im Brandenburger Luthertum sehr wichtigen Exorzismus bei Taufen.¹⁷⁰ Noch schwerwiegender war, dass sich nun alle Prediger – nicht wie zuvor nur die neu Ordinierten – in einem Revers zum Edikt bekennen mussten.¹⁷¹ Dies schloss auch die Berliner Geistlichen ein, die ihre Unterschrift verweigerten. Dadurch entstand eine Dilemmasituation, bei der die Prediger nicht unterschreiben konnten, ohne ihr Gewissen zu verletzen, und der  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 150 f.  Das Edikt ist abgedruckt in: Mylius, Christian Otto: Corpus Constitutionum Marchicarum […] Bd. I, 2. Berlin/ Halle 1737, Sp. 79 – 82.  Vgl. Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 64– 68.  Gerade das Studienverbot in Wittenberg wurde kritisch aufgenommen und führte zu Protesten etwa der hinterpommerschen Stände sowie zu Spannungen mit Kursachsen und anderen Mächten, vgl. Lackner: Kirchenpolitik, S. 127 f.; Ruschke: Paul Gerhardt, S. 151; Landwehr: Kirchenpolitik, S. 205 – 208.  Vgl. zum Religionsgespräch Kapitel 4.4.1. Eine sorgfältige Kontextualisierung und Rekonstruktion des Gesprächs liefert Ruschke: Paul Gerhardt, v. a. S. 176 – 344.  Das Edikt ist u. a. abgedruckt in: Mylius: Corpus I, 1, Sp. 381– 386.  Vgl. Landwehr: Stosch, S. 116.  Vgl. zum Edikt auch Kapitel 4.4.2.  Vgl. zum Edikt und den Revers Lackner: Kirchenpolitik, S. 132 f.; Landwehr: Kirchenpolitik, S. 215 – 218; Ruschke: Paul Gerhardt, S. 353 – 357. Ruschke verweist darauf, dass die Reverse in einem separaten Befehl angeordnet worden sein müssen, ebd., S. 384. Die Reverse existierten übrigens in verschiedenen, leicht abweichenden Versionen, vgl. ebd., S. 384 f.

2.3 Die kirchenpolitischen Maßnahmen

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Kurfürst ihnen nicht nachgeben konnte, ohne dass seine hohe Autorität beschädigt worden wäre. Die Berliner standen im Mittelpunkt des Konflikts, wobei darauf hingewiesen werden muss, dass das Edikt und die Reverse ganz Brandenburg beschäftigten.¹⁷² Als schließlich mit Elias Sigismund Reinhart und Georg Lilius die ersten Berliner Prediger am 28.4.1665 entlassen wurden,¹⁷³ sah sich Friedrich Wilhelm genötigt, am 4. 5.1665 eine Deklaration aufzusetzen, um den Schritt zu rechtfertigen und die Glaubensfreiheit der Lutheraner zu betonen.¹⁷⁴ Dies änderte nichts daran, dass die Spannungen fortbestanden. Nachdem auch Paul Gerhardt, der zweite Diakon der Berliner Nikolaikirche und das prominenteste Opfer des Kirchenstreits, 1666/1667 erst abgesetzt worden war und dann seine Wiedereinsetzung abgelehnt hatte,¹⁷⁵ verzichtete Friedrich Wilhelm am 6. Juni 1667 auf Druck der kurmärkischen Stände schließlich auf den Revers in der Kurmark, was wegen ihrer Vorbildfunktion für ganz Brandenburg ein symbolisch sehr bedeutsamer Schritt war.¹⁷⁶ In einer Deklaration vom 6. 5.1668 erlaubte Kurfürst dann sogar einen moderaten Elenchus, führte aber dafür einen Revers für seine Beamten ein, der später noch ausführlich behandelt wird.¹⁷⁷ Mit diesen Entscheidungen lässt man die Hochphase des Kirchenstreits gemeinhin enden, was jedoch nicht bedeutet, dass es nach 1668 keine interkonfessionellen Konflikte mehr gegeben hätte.¹⁷⁸ Vielmehr verlagerte Friedrich Wilhelm die Kirchenpolitik von grundsätzlichen Regelungen hin zu flexibleren Entscheidungen,¹⁷⁹ wobei auch

 Dies wird etwa deutlich am Einsatz der Landstände gegen die Reverspolitik oder auch an zeitgenössischen Schriften, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 386; vgl. auch Schwartz, Paul: Die Verhandlungen der Stände 1665 und 1668 über die Religionsedikte. In: Jahrbuch für brandenburgische Kirchengeschichte (JBrKG) 30 (1935), S. 88 – 114; vgl. ferner das Panorama bei Landwehr: Kirchenpolitik, S. 219 – 226.  Vgl. Kapitel 5.3.2.2.  Vgl. ebd.  Zwar wurde durch den Einsatz des Berliner Magistrats und der Stände Gerhardt die Unterschrift unter den Revers erlassen, ihm dafür aber nahegelegt, dass man trotzdem davon ausgehe, dass er den Edikten ohnehin folge, was er nicht akzeptierten konnte, vgl. ausführlich Ruschke: Paul Gerhardt, S. 436 – 458.  Das entsprechende Reskript ist abgedruckt in: Mylius: Corpus I, 1, Sp. 393 – 396. Vgl. dazu Ruschke: Paul Gerhardt, S. 459 f.; Lackner: Kirchenpolitik, S. 140 f.; Landwehr: Kirchenpolitik, S. 227.  Vgl. Kapitel 7  Vgl. etwa die Ausführungen zu einzelnen lokalen Konflikten bei Leibetseder: Alltag, S. 244– 249.  Vgl. Landwehr: Kirchenpolitik, S. 230 – 236; seine Vermutung, die Kirchenpolitik sei abgemildert worden, weil Schwerin von seinen kirchenpolitischen Aufgaben entbunden worden sei und der Kurfürst sich nun persönlich um die Sache gekümmert habe, ist zurückzuweisen, siehe dazu bspw. unten Kapitel 2.5 und Lackner: Kirchenpolitik, S. 141 f.

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2 Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten

nach 1668 noch immer Eingriffe in die lutherische Ritualpraxis und Kirchenzucht stattfanden.¹⁸⁰ Anstatt einen Revers zu unterschreiben, mussten angehende Geistliche nun Befragungen durch Stosch über sich ergehen lassen, der durch sein Verhalten bei den Gesprächen dazu beitrug, seinen Ruf bei den Lutheranern noch weiter zu verschlechtern.¹⁸¹ Für viele moderne Betrachter erschließen sich die Gründe für die Schärfe der Konfessionskonflikte der 1650er und 1660er Jahre nicht sofort.Wenn man sich die Perspektive des Kurfürsten zu Eigen macht, so hatte Friedrich Wilhelm schließlich nie die Glaubensfreiheit der Lutheraner selbst in Frage gestellt oder je angetastet, sondern nur die Verketzerung seiner Konfession unterbinden wollen und die FC, mit der sie legitimiert wurde, bekämpft. Bekanntlich haben ältere Deutungen diese obrigkeitliche Sichtweise mitunter übernommen. Inzwischen überwiegen jedoch differenziertere Urteile zur Kirchenpolitik, die unterschiedlich stark die Bevorzugung der Reformierten, die strategischen Gründe für die kurfürstliche Toleranzrhetorik und die Eingriffe in die Brandenburger lutherische Konfessionskultur hervorheben.¹⁸² Tolerant nach heutigen Maßstäben war der Kurfürst nämlich nur gegenüber Reformierten und nicht-konkordienlutherischen Strömungen. Sein Einsatz für die evangelische Kirche im Reich und in Europa, auf den gerne verwiesen wird,¹⁸³ muss dagegen im politischen Kontext gesehen werden: es galt, bei den anderen protestantischen Fürsten Vertrauen zu erwerben und die gesamtprotestantische Sache gegenüber dem Katholizismus zu stärken.¹⁸⁴ Die bestehende lutherische Konfessionskultur in Brandenburg versuchte er hingegen

 Vgl. etwa Manten, Georg: Das Notbischofsrecht der preußischen Könige und die preußische Landeskirche zwischen staatlicher Aufsicht und staatlicher Verwaltung. Unter besonderer Berücksichtigung der Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II. Berlin 2007 (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 32), S. 76 f.  Vgl. Landwehr: Stosch, S. 128 f.  Vgl. die Literaturangaben in Kapitel 1.3. Taatz-Jacobi und Luh charakterisieren die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms, wie schon erwähnt, sogar als reformierten Konfessionalisierungsversuch. Dies geht m. E. ein wenig zu weit, da man mit dem Begriff nicht nur eine Stärkung der reformierten Seite, sondern die Schaffung eines monokonfessionellen Territoriums assoziieren könnte. Spätestens seit Johann Sigismunds gescheiterter zweiter Reformation war mit den zur Verfügung stehenden Mitteln eine vollständige Konfessionalisierung jedoch gar nicht mehr umsetzbar, was auch Friedrich Wilhelm bewusst gewesen sein dürfte. Auch lässt sich aus den Maßnahmen Friedrich Wilhelms nicht eindeutig ableiten, ob er nicht tatsächlich nur das Konkordienluthertum bekämpfen wollte.Vgl. Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, v. a. S. 26 – 30; Luh: Konfessionspolitik, S. 324.  Vgl. Lackner: Kirchenpolitik, S. 290 – 304.  Hahn verweist ferner auf die Möglichkeit, dass auch die innere Kirchenpolitik von strategischen Erwägungen im Hinblick auf das Corpus Evangelicorum beeinflusst gewesen sein könnte, vgl. Hahn: Calvinismus, S. 252.

2.3 Die kirchenpolitischen Maßnahmen

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aufzubrechen, indem er die FC aus dem Bewusstsein nach und nach zu löschen und die Bindung der Prediger an Wittenberg zu kappen versuchte.¹⁸⁵ Unabhängig von den strategischen Elementen seiner Kirchenpolitik ist es ohne Frage nachvollziehbar, dass ein Reformierter keinen Gefallen daran finden konnte, von der Kanzel herab verdammt zu werden. Man sollte sich aber auch im Klaren darüber sein, was die Bindung an Wittenberg und die FC für viele Kleriker bedeutete. Die große Mehrheit der Brandenburger Geistlichen hatte bei ihrer Ordination ein Gelübde auf die FC abgelegt, nicht wenige in Wittenberg selbst studiert.Wie Ruschke sehr klar anhand der Berliner Geistlichen um Paul Gerhardt aufzeigte, war für die Brandenburger Prediger der Elenchus Teil ihres Amtsverständnisses, was keineswegs bedeutete, dass sie keinen weltlichen Frieden mit den Reformierten halten wollten. Die FC hatte eine Bedeutung, die weit über die Verdammung der Reformierten hinausging – für viele war sie ein essentieller Bestandteil des (in ihren Augen) wahren allein selig machenden Luthertums. Wer von ihr abfiel, verriet seine Kirche und seinen Glauben.¹⁸⁶ Der Kurfürst aber reduzierte sie auf ein „Lästerbuch“, wie es in einem seiner Schreiben heißt,¹⁸⁷ und griff als Außenseiter in die lutherische Glaubenspraxis ein. Nur wer sich die Bedeutung der FC als Teil eines relativ geschlossenen Lehrgebäudes bewusst macht, bekommt ein Verständnis dafür, warum die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms so viel Unruhe produzierte. Hinzu kam, dass die Lutheraner gleichzeitig beobachten konnten, wie der Kurfürst durch die Einrichtung von Hofpredigerstellen in seinen Neben-Residenzen die Zahl der reformierten Gemeinden langsam, aber sicher wachsen ließ.¹⁸⁸ Schwerer wogen vermutlich Eingriffe in die lutherische Ritualpraxis, wie die angesprochenen Bestimmungen zum Exorzismus, und die teils verletzenden Formulierungen in den Edikten, die einen Religionsfrieden nicht gerade erleichterten.

 Vgl. etwa Luh: Konfessionspolitik, S. 310; Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, v. a. S. 74 f.; Ribbe: Brandenburg, S. 273 f. Ribbe sieht dabei einen Zusammenhang zwischen den konfessionellen Konflikten und dem Unmut der Berliner Bevölkerung über die Besteuerung zum Ausbau der Stadtbefestigung Berlin-Cöllns. Auch wenn dies gewiss nicht zu einer positiven Grundstimmung beigetragen hat, konnte ich keine direkten Kausalzusammenhänge zwischen Religionskonflikt und der Besteuerung feststellen.  Vgl. etwa Ruschke: Paul Gerhardt, S. 51– 59, 437 f., 505 – 521.  Vgl. Kapitel 4.2.1.  Vgl. Thadden: Hofprediger, S. 16 – 25; Luh: Konfessionspolitik, S. 110 f.; Hering: Beiträge 2, S. 219 – 317.

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2 Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten

2.4 Die kurfürstliche Selbstdarstellung Die konfessionelle Selbstdarstellung war ein wichtiger Aspekt der Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms. Dies hatte zunächst einmal grundsätzlich damit zu tun, dass Brandenburg-Preußen ein territorial wie konfessionell fragmentierter Herrschaftskomplex mit katholischen, lutherischen und reformierten Untertanen war.¹⁸⁹ Da Friedrich Wilhelm den Anspruch besaß, das Kirchenregiment als Summus Episcopus konfessionsübergreifend für alle Untertanen auszuüben,¹⁹⁰ war es nur konsequent, öffentlich für den Kirchenfrieden einzutreten. Zwar kannte seine Friedensliebe gegenüber den Katholiken recht enge Grenzen und beschränkte sich darauf, ihnen die Rechte zuzugestehen, die er ihnen zugestehen musste;¹⁹¹ nichtsdestotrotz schadete es seiner Legitimität als oberster Bischof gewiss nicht, irenische Positionen zu vertreten. Besonders gegenüber den lutherischen Untertanen spielte die Irenik und die damit verbundene Betonung gesamtevangelischer Gemeinsamkeiten eine wichtige Rolle zur Legitimierung seiner Ansprüche.¹⁹² Konkret bezogen auf die märkische Kirchenpolitik musste der Eindruck vermieden werden, dass Friedrich Wilhelm in die lutherische Konfessionskultur des Landes eingriff, um seine eigene Religion auf Kosten der Lutheraner zu fördern oder gar ein heimliches Calvinisierungsprogramm zu verfolgen. Es galt Auseinandersetzungen, wie es sie unter Johann Sigismund gegeben hatte, zu vermeiden. Auch hier war ihm die Irenik sehr willkommen. Laufend rechtfertigte der Kurfürst seine religionspolitischen Entscheidungen mit dem Hinweis darauf, dass er den Lutheranern ihre Religionsfreiheit garantiere und dass seine Maßnahmen nur darauf abzielten, den Kirchen- und Landfrieden zu sichern sowie Unruhestifter zu sanktionieren. Im Landtagsrezess von 1653 betonte er etwa, sich niemals die „Herrschafft über die Gewissen anzumaßen“ und dass er weiter „sowoll Lutherischen alß Reformirten unsere Gnade und Beforderung, ohne ansehung der

 Vgl. grundsätzlich zur Charakteristik Brandenburg-Preußens als Mehrfachherrschaft und ihre Konsequenzen für Friedrich Wilhelm den bereits zitierten Sammelband: Kaiser/ Rohrschneider (Hrsg.): Membra unius capitis. Einen Überblick über die kirchlichen Verhältnisse und die Religionspolitik in den Territorien außerhalb Brandenburgs bietet Lackner: Kirchenpolitik, S. 148 – 249; Landwehr: Kirchenpolitik, S. 137– 288.  Vgl. Manten: Notbischofsrecht, S. 75 – 82; vgl. ferner Heckel, Johannes: Die Entstehung des brandenburgisch-preußischen Sumepiskopats. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 13 (1924), S. 266 – 283.  Vgl. Lackner: Kirchenpolitik, S. 250 – 258; Landwehr: Kirchenpolitik, S. 357– 369. Bisweilen verletzte er diese Rechte sogar, vgl. Luh: Konfessionspolitik, S. 312 f.  Vgl. Almer: Calvinista, S. 76.

2.4 Die kurfürstliche Selbstdarstellung

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religion“ angedeien lassen wolle.¹⁹³ Religionspolitische Verordnungen, wie die Zensur theologischer Schriften von 1654, wurden als Maßnahmen zur Sicherung des konfessionellen Friedens dargestellt.¹⁹⁴ In dem Edikt, das Landeskindern den Besuch der Universität Wittenberg verbot, betonte Friedrich Wilhelm seinen unermüdlichen Einsatz dafür, dass seine Untertanen in aller Gottseligkeit und Erbarkeit ein geruhiges, Christliches und stilles Leben führen, aller unzeitiger, unchristlicher Haß und Verbitterung, und absonderlich das untheologische verketzern, verdammen, verfolgen und verlästern, in der Kirchen Gottes eingestellet bleiben, der so hochnöthige kirchenfriede, oder bis derselbe erlanget, eine Christliche tolerantz und Evangelische Bescheidenheit mit besserm Ernst und Eyfer gesucht und befordert […] werden mögen.¹⁹⁵

Als drei Jahre später Lilius und Reinhart entlassen wurden, obwohl sie niemanden von der Kanzel verdammt hatten,¹⁹⁶ sahen sich der Kurfürst und seine Berater gezwungen, eine Erklärung herauszugeben, in der klar gestellt wurde, dass er „über keines Unterthanen Gewissen und Religion jemals Gewalt geübet, noch auch, wegen ungleicher Glaubens bekentnis jemanden angefeindet“ hätte. Auch sei nicht sein Ziel, „eine Religions-Mengerey einzuführen, viellweniger jemanden wider sein Gewissen etwas zu glauben auffzudringen“,¹⁹⁷ aber er könne mit „guten Gewissen nicht dulden, daß man sich mit der Zunge und Feder, mit unbilligem richten und lästern dero Religion […] dero heylsamen Verordnungen freventlich vergreiffe.“¹⁹⁸ Als Friedrich Wilhelm 1668 schließlich seine kirchenpolitischen Edikte abschwächte, verwies er eigens darauf, wie häufig er doch immer betont hätte, „daß Se. Churfürstl. Durchl. niemahls gemeynet gewesen, daß Sie der Lutherischen Religion, und deren freyen Gebrauch hindern wolten“.¹⁹⁹ Die Beispiele sollten genügen, um zu verdeutlichen, dass Friedrich Wilhelm mit dieser letzten Aussage nicht gelogen hatte: Er hatte es ihnen immer wieder gesagt. Dies

 Mylius: Corpus VI, 1, Sp. 428.  So heißt es in der Verordnung, dass es zu verhindern gelte, „daß ein jeder, was ihm in den kopff kommen [!], absque Censura Ecclesiae, seines Gefallens publiciren lasse, dadurch denn allerhand haereses & Schismata einreissen könten, und auch weidliche Ursach dazu gegeben wird“, vgl. Mylius: Corpus I, 1, Sp. 361– 364, Zitat Sp. 363 f.  Vgl. Mylius: Corpus I, 2, Sp. 79 – 81, Zitat Sp. 79.  Siehe zu dem Fall Kapitel 5.3.2.2.  Mylius: Corpus I, 1, Sp. 385 – 390, Zitate Sp. 386 f.; weiterer Druck bei Hering, Daniel Heinrich: Neue Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Reformirten Kirche in den Preußisch-Brandenburgischen Ländern. Bd. 2. Berlin 1787, S. 219 – 222; Schulz: Paul Gerhardt, S. 379 – 381; Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 397, S. 267– 270.  Mylius: Corpus I, 1, Zitat Sp. 388.  Ebd., Sp. 395 – 398, Zitat Sp. 395.

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2 Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten

beschränkte sich im Übrigen nicht auf Verordnungen. Als ihm der Kanzler des Herzogtum Preußens im Rahmen der dortigen Ständeverhandlungen 1662 mitteilte, dass diese versichert sein wollten, bei ihrer Konfession bleiben zu können, antwortete der Kurfürst, „das niehmandt sein wurde, der sich zu beklagen hette, das ich Ihme in (in) Seinem gewissen iemahls turbirdt hette“.²⁰⁰ Selbst Bergius war sich der Bedeutung der Außendarstellung bewusst, argumentierte er doch in einem engagierten Plädoyer für eine Teilnahme am Thorner Kolloquium, dass die Zusage und ein bescheidener Gesprächsstil den Ruf der Reformierten verbessern könnten.²⁰¹ Zu dieser Außendarstellung gehörten freilich auch die oben angesprochenen Publikationen von Bergius und Stosch zur Propagierung der irenischen Linie Brandenburgs. Die ständige Beschwörung des Kirchenfriedens und der lutherischen Religionsfreiheit verleiht den kurfürstlichen Edikten und Resolutionen eine symbolische Bedeutung, die über ihren legislatorischen Zweck hinausweist. Sie dienten Friedrich Wilhelm, um sich als guter und vor allem konfessionell unparteiischer Herrscher darzustellen.²⁰² Gemeinsam mit den irenischen Anleihen in der Theologie flankierte diese Selbstdarstellung die antikonkordienlutherischen Maßnahmen, legitimierte sie und bereitete sie vor. In modernen Worten könnte man von einem konfessionellen ‚Eindrucksmanagement‘ reden. Gerade der Verweis auf die Sicherung von Ruhe und Frieden im Land spielte hier eine wichtige legitimierende Rolle.²⁰³ Wenn Lackner seinerzeit davon überzeugt war, dass „der Kurfürst seine ganze Kirchenpolitik in der Mark Brandenburg unter dem Gesichtspunkt der Staatsraison betrachtete“,²⁰⁴ so lag dies nicht nur an damaligen

 Dies berichtet Friedrich Wilhelm in einem Brief an Otto von Schwerin, in: Hirsch, Theodor (Hrsg.): Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Neunter Band. Politische Verhandlungen. Sechster Band. Berlin 1879, S. 840 f., Zitat S. 841.  Vgl. Müller: Irenik, S. 214– 216.  Vgl. grundlegend zur symbolischen Bedeutung frühneuzeitlicher Gesetzgebung Schlumbohm, Jürgen: Gesetze, die nicht durchgesetzt werden – ein Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates? In: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), S. 647– 663. Auf die Bedeutung der symbolischen Dimension von Kirchenpolitik wies im Zusammenhang mit dem Herzogtum JülichBerg bereits Antje Flüchter hin, vgl. Flüchter, Antje: Konfessionalisierung in kulturalistischer Perspektive? Überlegungen am Beispiel der Herzogtümer Jülich-Berg. In: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? (ZHF Beiheft 35). Hrsg. von Barbara Stollberg-Rilinger. Berlin 2004, S. 225 – 252.  Auch Taatz-Jacobi stellt fest, dass die Kirchenpolitik meist nicht konfessionell, sondern mit der Staatsräson begründet wurde, vgl. Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 68.  Lackner: Kirchenpolitik, S. 144.

2.5 Zwischenresümee

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Forschungstrends, sondern auch daran, dass er die Glaubwürdigkeit der kurfürstlichen Selbstdarstellung nicht hinterfragte.²⁰⁵ Nichtsdestotrotz sollte man ebenso wenig wie bei der theologischen Doktrin die Beschwörung des Kirchenfriedens zur bloßen calvinischen Simulationsstrategie erklären. Es ist durchaus möglich, dass Friedrich Wilhelm sich aus Überzeugung für einen (zumindest innerevangelischen) Kirchenfrieden aussprach – selbstverständlich unter Ausschluss des Konkordienluthertums. Das bedeutet nicht, dass er und jene Berater, die seine Schreiben entwarfen, sich nicht zugleich der strategischen Komponente bestimmter Aussagen und Standpunkte bewusst waren. Strategie und Überzeugung lassen sich nicht eindeutig gegeneinander ausspielen.

2.5 Zwischenresümee Eine funktionierende konfessionelle Koexistenz bedeutete nie die völlige Abwesenheit von Konflikten oder Spannungen, sondern nur, dass das konfessionelle Konfliktpotential erfolgreich eingehegt und reguliert wurde.²⁰⁶ Dies war bis in die 1650er Jahre hinein mehr oder minder gut gelungen, wobei auch der Dreißigjährige Krieg eine Rolle gespielt hatte, da Existenzbedrohung und die Bewältigung der Kriegsfolgen konfessionelle Befindlichkeiten in den Hintergrund treten ließen.²⁰⁷ In Abhängigkeit von äußeren Umständen konnten die Zeitgenossen jedoch recht schnell und unvermittelt von friedlicher Koexistenz in den Modus eines aggressiven Konfessionalismus wechseln.²⁰⁸ Bei anderen multikonfessionellen Konstellationen wurde bereits die Beobachtung gemacht, dass vor allem Eingriffe in den bestehenden Status quo der interkonfessionellen Beziehungen zu Konflikten führen konnten.²⁰⁹ Genau dies tat der Kurfürst mit seinen legislativen Maßnahmen und beschädigte so die zwar keineswegs spannungs- und konflikt-

 Vgl. auch Opgenoorths Kritik an Lackner mit Verweis auf Pufendorfs Inszenierung der Kirchenpolitik: Opgenoorth: Friedrich Wilhelm 2, S. 57.  Vgl. Kaplan: Divided by Faith, S. 9.  Dies bedeutet jedoch nicht, dass Kurfürst Georg Wilhelm in der Kirchenpolitik vollkommen tatenlos gewesen wäre, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 40 – 43.  Vgl. Dixon: Introduction, S. 2.  Vgl. Freist: Glaube, S. 170 f. Vgl. auch den Bericht zur Tagung „Konjunkturen konfessioneller Differenz“: Tagungsbericht: Konjunkturen Konfessioneller Differenz? Zur gesellschaftlichen Interaktion von Lutheranern und Reformierten zwischen 1648 und den Kirchenunionen des 19. Jahrhunderts, 17.03. 2016 – 18.03. 2016 Lutherstadt Wittenberg, in: H-Soz-Kult, 20.05. 2016, www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6527 (29.10. 2018).

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2 Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten

freie, aber im Vergleich zu den 1650er und 1660er Jahren relativ gut funktionierende Koexistenz, anstatt sie zu befördern. Nun war es natürlich keineswegs so, dass Friedrich Wilhelm seine Kirchenpolitik alleine plante und umsetzte.²¹⁰ Damit sind weniger die lokalen Agenten seines Kurses gemeint,²¹¹ sondern vor allem seine höfischen Berater, die ihn beeinflussten, in seinem Auftrag Edikte und Resolutionen konzipierten und die obrigkeitlichen Positionen nach außen hin vertraten. Die Bedeutung Stoschs wurde bereits hervorgehoben – mit dem Oberpräsidenten Otto von Schwerin wird noch eine weitere bedeutende Figur in der Kirchenpolitik gewürdigt werden.²¹² Da der Kurfürst aufgrund seiner weitläufigen Territorien häufig verreist war,²¹³ mussten die Räte vieles in seinem Namen regeln und hielten nur über Korrespondenzen mit ihm Kontakt. Vor allem Landwehr machte diesen Punkt stark, indem er die lauteren Absichten des Kurfürsten hervorhob, während seine Berater „von ihrem reformierten Öl des Guten zu viel hinzuthaten.“²¹⁴ Ganz so leicht ist es indes nicht. Als einige Räte und die Stände versuchten, im Konflikt um die Reverse, die man seit dem Edikt von 1664 unterschreiben musste, zu vermitteln, zeigte sich Friedrich Wilhelm nicht weniger kompromisslos als die Prediger.²¹⁵ Auf keinen Fall sollte die FC im Revers auftauchen, nicht einmal in einer allgemeinen Wendung zu den symbolischen Büchern, wie sie im Landtagsrezess vorkam. Da die Ständevertreter mehrfach auf die Garantie der symbolischen Bücher im Landtagsrezess verwiesen hatten, lud Friedrich Wilhelm schließlich den damaligen Domdechant zu sich, um persönlich die symbolischen Bücher in den Revers einzuarbeiten.²¹⁶ „Im Weggehen hätte S.K.D. sich dieser Worte gebraucht: ‚Grüßet die Deputierten […] Der Revers ist nunmehr so eingerichtet, daß ihn die Prediger unterschreiben sollen, oder ich will sie jagen, daß ihnen die Schuhe abfallen,

 Vgl. Opgenoorths Plädoyer dafür, die Bedeutung der Räte nicht aus den Augen zu verlieren und Friedrich Wilhelm als einen in zahlreiche Kontexte eingebundenen Akteur wahrzunehmen: Opgenoorth: Friedrich Wilhelm I, S. 15 f.; Ders.: Mehrfachherrschaft im Selbstverständnis Kurfürst Friedrich Wilhelms. In: Kaiser/ Rohrschneider (Hrsg.): Membra unius capitis, S. 35 – 52, hier S. 36; daran anknüpfend in Bezug auf die Kirchenpolitik Burghardt: Brandenburg, S. 113.  Vgl. zu den lokalen Verhältnissen etwa die Ausführungen zu Pfarrbesetzungen in Brandenburg bei Almer: Calvinista, S. 120 – 144.  Vgl. Kapitel 6.1.  Vgl. zu Friedrich Wilhelms häufiger Abwesenheit Kapitel 3.1.  Landwehr: Kirchenpolitik, S. VI.  Vgl. zu den Vermittlungsversuchen der Räte Kapitel 5.3.2.2. Vgl. zum Einsatz der Stände Schwartz: Stände.  Am Ende nahm aber doch Schwerin die Änderung vor, vgl. Schwartz: Stände, S. 99.

2.5 Zwischenresümee

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und erweisen, daß Ich herr des Landes sei.‘“²¹⁷ Friedrich Wilhelm scheint also durchaus mit ausreichend persönlichem Eifer bei der Sache gewesen zu sein. Ohne in alte Muster zurückfallen und die Räte Friedrich Wilhelms zu Marionetten seines souveränen Willens degradieren zu wollen, darf man sehr wohl davon ausgehen, dass die Kirchenpolitik, auch in dieser Schärfe, wohl in seinem Sinne verlief.²¹⁸ Diesen Eindruck bestätigt der hessische Gesandte Georg Lincker, wenn er im Januar 1667 berichtete, dass die Lutheraner fürchteten, es würde zu neuen kirchenpolitischen Maßnahmen kommen, jetzt wo der Kurfürst wieder in der Hauptresidenz eingetroffen sei.²¹⁹ Die oben beschriebenen Grundzüge der brandenburgischen Kirchenpolitik entfalteten sich also weitestgehend mit dem Wissen und dem Willen Friedrich Wilhelms. Seine einstmals viel gerühmte Toleranz war eine Toleranz unter seinen Bedingungen.

 Zitiert nach ebd. Schwartz schöpft aus den Berichten der Ständedeputierten aus dem damaligen Brandenburgischen Provinzialständearchiv.  Schon Opgenoorth stellte trotz seines Plädoyers, den Kurfürsten nicht zum autonom entscheidenden Souverän zu stilisieren, fest: „Tatsächlich darf man dem Kurfürsten die Verantwortung für alle wesentlichen Maßnahmen seiner Regierungszeit beimessen“. Vgl. Opgenoorth: Friedrich Wilhelm 1, S. 15.  Vgl. Kapitel 5.2.

3 Der Hof zu Berlin-Cölln als interkonfessioneller Interaktionsraum 3.1 Der kurbrandenburgische Hof – eine kurze Verortung Im Folgenden sollen zunächst allgemeine Beobachtungen und Thesen zur Bikofessionalität am Hof Friedrich Wilhelms dargelegt werden. In diesem Zusammenhang kann und soll es nicht das Ziel sein, den Hof als soziales System insgesamt zu definieren und zu erfassen.²²⁰ Dies ließe die Quellenlage in Bezug auf die Konfession auch gar nicht zu. Stattdessen werden anhand von gebündelten Beobachtungen und Beispielen verschiedene Aspekte des konfessionellen Miteinanders beleuchtet. Dabei wird die Vielgestaltigkeit des Hofes als Kontaktzone der höfischen Gesellschaft, als herrscherlicher Haushalt, als Hofstaat und administratives Zentrum usw. einfach akzeptiert, anstatt eine trennscharfe Differenzierung vorzunehmen.²²¹ Damit ist man nebenbei auch sehr nahe an der zeitgenössischen Vorstellung vom Hofe: Der Historiograph Gregorio Leti stellte in seinen Ausführungen zum Berlin-Potsdamer Hof ganz selbstverständlich die topographische Dimension (indem er die Residenzlandschaft beschrieb), den Charakter als Herrschaftszentrum (indem er politische Entscheidungsträger vorstellte) und die Funktion als point of contact (indem er von adligen Gästen und Aspekten des Alltags berichtete) ganz selbstverständlich nebeneinander.²²² Wenn man sich mit dem kurbrandenburgischen Hof beschäftigt, muss zunächst geklärt werden, von welchem Hof man spricht, da dieser sich geographisch  Zum Hof existieren mittlerweile zahlreiche Definitions- und Typologisierungsversuche, vgl. bspw. den Sammelband von Willoweit, Dietmar u. a. (Hrsg.): Hof und Theorie. Annäherungen an ein historisches Phänomen. Köln/ Weimar 2004. Pečar definierte den Hof als Interaktionssystem, vgl. Pečar, Andreas: Die Ökonomie der Ehre. Höfischer Adel am Kaiserhof Karls VI. Darmstadt 2003 (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne), S. 15 – 19. Den Hof als point of contact charakterisierte Asch, Ronald G.: Der Hof Karls I. von England. Politik, Provinz und Patronage 1625 – 1640. Köln u. a. 1993, S. 13. Hengerer und Schlögl betonten in Anlehnung an die Systemtheorie die Anteile des Hofes, die Eigenschaften einer formalen Organisation aufweisen, vgl. Hengerer, Mark: Kaiserhof und Adel in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Eine Kommunikationsgeschichte der Macht in der Vormoderne. Konstanz 2004 (Historische Kulturwissenschaft 3), v. a. S. 20 – 26; Schlögl, Rudolf: Der frühneuzeitliche Hof als Kommunikationsraum. Interaktionstheoretische Perspektiven der Forschung. In: Geschichte und Systemtheorie. Exemplarische Fallstudien. Hrsg. von Frank Becker. Fankfurt/ New York 2004, S. 185 – 225.  Vgl. zu den Schwierigkeiten, den frühneuzeitlichen Hof klar zu definieren Duindam: Wien – Versailles – Berlin, S. 196 – 199.  Vgl. Leti, Gregorio: Ritratti Historici Politici e Genealogici della Casa […] Elettorale di Brandenburgo. Band 1. Amsterdam 1687, S. 329 – 408. https://doi.org/10.1515/9783110647006-005

3.1 Der kurbrandenburgische Hof – eine kurze Verortung

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nicht einem einzigen Ort zuordnen lässt.²²³ Durch die besondere Struktur Brandenburg-Preußens als Mehrfachherrschaft²²⁴ existierten mit Kleve und Königsberg noch zwei weitere Herrschaftszentren neben Berlin-Cölln. Und auch die Doppelstadt war Teil einer Residenzlandschaft aus verschiedenen Standorten und Hofstaaten, u. a. Potsdam, Oranienburg und Köpenick.²²⁵ Tatsächlich nutzte Friedrich Wilhelm seine zahlreichen Residenzen zur Gründung von reformierten Hofgemeinden,²²⁶ um mit diesen kleinen reformierten Leuchttürmen die Topographie Brandenburg-Preußens konfessionell umzuschreiben. Nichtsdestotrotz stützen sich die folgenden Ausführungen zur Bikonfessionalität am kurbrandenburgischen Hof vor allem auf Quellen aus Berlin-Cöllner Kontexten. Dies ist angesichts der regen Reisetätigkeit Friedrich Wilhelms und seiner teils jahrelangen Aufenthalte in Kleve und Königsberg erklärungsbedürf-

 Auch wenn kein Hof an eine einzige Residenz gebunden war, gilt dies doch in besonderem Maße für Brandenburg-Preußen, vgl. die weiteren Ausführungen in diesem Kapitel sowie Duindam: Wien – Versailles – Berlin, S. 198 f.  Vgl. zur Charakterisierung Brandenburg-Preußens als Mehrfachherrschaft und verschiedenen damit verbundenen Aspekten die Beiträge in: Kaiser/ Rohrschneider (Hrsg.): Membra unius capitis.  Vgl. zur Entstehung der Residenzlandschaft unter Friedrich Wilhelm Elsner, Ines: Friedrich III./ I. von Brandenburg-Preußen (1688 – 1713) und die Berliner Residenzlandschaft. Studien zu einem frühneuzeitlichen Hof auf Reisen. Ein Residenzhandbuch. Berlin 2012, S. 53 – 63; vgl. zur Residenzlandschaft etwa Neugebauer, Wolfgang: Residenz – Verwaltung – Repräsentation. Das Berliner Schloß und seine historischen Funktionen vom 15.–20. Jahrhundert. Potsdam 1999 (Kleine Schriftenreihe der Historischen Kommission zu Berlin 1); Kunisch, Johannes: Funktion und Ausbau der kurfürstliche-königlichen Residenzen in Brandenburg-Preußen im Zeitalter des Absolutismus. In: FBPG, NF 3 (1993), S. 167– 192; Völkel, Markus: The Margraves of Brandenburg and the Kingdom of Prussia. The Hohenzollern Court 1535 – 1740. In: The Princely Courts of Europe: Ritual, Politics and Culture under the Ancien Regime 1500 – 1750. Hrsg. von John Adamson. London 1999, S. 211– 229, zu Kurfürst Friedrich Wilhelm v. a. S. 213 – 219; Schendel, Adelheid: Der Große Kurfürst und seine Residenzen. In: Der Große Kurfürst. Sammler, Bauher, Mäzen. Hrsg. von der Generaldirektion der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci. Potsdam 1988, S. 100 – 104; Heinrich, Gerd: Europäische Ausblicke: Kurfürst Friedrich Wilhelm und die BerlinPotsdamer Residenzlandschaft. In: Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beiträge zur Geschichte des Großen Kurfürsten von Brandenburg. Hrsg. von Dems. Berlin 1990, S. 75 – 97; Ribbe,Wolfgang: III. Berlin als brandenburgisch-preußische Residenz und Hauptstadt Preußens und des Reiches. In: Handbuch der preußischen Geschichte. Band 1. Das 17. und 18. Jahrhundert und große Themen der Geschichte Preußens. Hrsg. von Wolfgang Neugebauer. Berlin/ New York 2009, S. 933 – 1124, hier S. 980 – 996; vgl. auch die Beiträge in: Kloosterhuis (Hrsg.): Schloss: Macht und Kultur.  Vgl. Thadden: Hofprediger, S. 16 – 25; Luh: Konfessionspolitik, S. 110 f.; Hering: Beiträge 2, S. 219 – 317.

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3 Der Hof zu Berlin-Cölln als interkonfessioneller Interaktionsraum

tig.²²⁷ Sowohl die Mehrzahl der Mitglieder der Hofgesellschaft als auch die einflussreichsten Räte folgten i. d. R. entweder Friedrich Wilhelm auf seinen Reisen oder befanden sich in der Berliner Residenzlandschaft und hielten per Korrespondenz Kontakt zum Kurfürsten. Neben Friedrich Wilhelm war also BerlinCölln ganz klar der zentrale Bezugspunkt des Hofes. Bahl bezeichnet Berlin-Cölln somit ganz zurecht als „Haupt-Hof“.²²⁸ Wer sich hingegen dauerhaft in anderen Residenzen aufhielt, war nur zeitweise wirklich anwesend bei Hofe, nämlich wenn der Kurfürst anwesend war.²²⁹ Ohne den Standorten Kleve und Königsberg sowie den Fürstendienern, die vor allem dort tätig waren, zu nahe treten zu wollen, werden sie in den folgenden Ausführungen zum kurbrandenburgischen Hof also kaum berücksichtigt.²³⁰ Der Berlin-Cöllner Hof wird in der Forschung als von der Stadt relativ strikt geschieden betrachtet.²³¹ Agnes Winter spricht von „personeller Distanz und getrennten Erfahrungswelten“²³² und auch Franz Josef Burghardt unterstellt zumindest den reformierten Hofbeamten, „ideologisch scharf getrennt sowohl gegenüber dem Adel […] als auch gegenüber der Berliner Bürgerschaft“ gewesen zu sein.²³³

 Die häufige Abwesenheit des Kurfürsten von Berlin betont Völkel: Margraves, S. 216. Vgl. auch Ledebur, Leopold von: Schauplatz der Thaten oder Aufenthalts-Nachweis des Kurfürsten Friedrich Wilhelm des Großen. Berlin 1840.  Vgl. Bahl: Hof, S. 26.  Asch geht sogar noch weiter, indem er feststellt, dass der Hof nur da ist, wo der Herrscher ist. In dieser Lesart wären die in Berlin-Cölln weilenden Räte bei der Abwesenheit Friedrich Wilhelms nicht bei Hofe, vgl. Asch: Der Hof Karls I. S. 15. Soweit würde ich nicht gehen, da die Räte in der Hauptresidenz im ständigen Kontakt zum Kurfürsten und den ihn begleitenden Beratern standen, sodass sie in den höfischen Kosmos trotz Abwesenheit integriert waren.  Der Status der Nebenresidenzen wird etwa in einigen Beispielen Bert Thissens zu Kleve deutlich, wonach die Schwanenburg vor der Ankunft des Kurfürsten immer eigens bezugsfertig gemacht werden musste und während der Abwesenheit Friedrich Wilhelms nur unzureichend eingerichtet war, vgl. Thissen, Bert: Der Statthalter und die Residenz – Johann Moritz von NassauSiegen und die Stadt Kleve. In: Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604– 1679) als Vermittler. Politik und Kultur am Niederrhein im 17. Jahrhundert. Hrsg. von Irmgard Hantsche. Münster 2005 (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 13), S. 107– 129, hier S. 116 f.  Vgl. etwa Ribbe: Berlin, S. 986; Schultz, Helga: Berlin 1650 – 1800. Sozialgeschichte einer Residenz. Berlin (Ost) 1987, S. 41.  Winter, Agnes: Stadt und Herrschaft unter den Bedingungen von Reformation und Konfessionalisierung am Beispiel der Residenzstadt Berlin-Cölln. In: Stadt und Religion in der frühen Neuzeit: soziale Ordnungen und ihre Repräsentationen. Frankfurt a. M. 2007 (Eigene und fremde Welten: Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel 4), S. 83 – 101, hier S. 100.  Burghardt: Hofcalvinismus, S. 132.

3.1 Der kurbrandenburgische Hof – eine kurze Verortung

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Der Probst der Petrikirche Andreas Fromm beschrieb die Situation rückblickend dagegen ganz anders, als er 1651 seine Stelle antrat: Ich kam zu Cölln in eine solche Gemeine/ da Lutherische die Reformirten vielfältig zu Gevattern bitten/ welches auch von meinen Vorfahren im PfarrAmpt geschehen war; da die Lutherische Schule der Reformirten Leichen hin singet/ und dabey wie auch sonst in der Cantorey den Lobwasser brauchet.²³⁴

Zwar sind auch in Berlin-Cölln nicht alle Reformierten mit Hofleuten gleichzusetzen und Fromms Darstellung nicht über jeden Zweifel erhaben.²³⁵ Nichtsdestotrotz ist seine Beschreibung ein Hinweis darauf, dass der Hof kein totaler Fremdkörper in der Residenz war, der eine calvinistische Parallelgesellschaft beherbergte.²³⁶ So mussten auch schon Historikerinnen und Historiker, die ansonsten von einer klaren Trennung zwischen Hof und Residenz ausgingen, mit Blick in die Kirchenbücher der Nikolaikirche einräumen, dass Angehörige des Stadtbürgertums gerne auf hohe Hofbeamte als Taufpaten zurückgriffen.²³⁷ Hinzu kommt, dass gerade die höfische Elite – auch der reformierte Teil – eher selten auf der Schlossfreiheit oder im neugegründeten Stadtteil Friedrichswerder²³⁸ wohnte, sondern in vielen Fällen Häuser in Berlin und Cölln besaß, d. h. die Hofleute wohnten oft Tür und an Tür mit der Stadtbevölkerung.²³⁹ Auch wenn höfische und städtische Heiratskreise i. d. R. getrennt blieben, kam es auch zu der ein oder anderen ehelichen Verbindung, jedoch meist nicht konfessionsübergreifend.²⁴⁰

 Fromm, Andreas: Andreae Frommen des h. Schrift Lic. Nochmahlige Apologia wieder einige Reformirten zu Cöln an der Spree sonderlich Herrn Bartholomaeum Stoschium […] Wittenberg 1667, S. 30.  Sie war Teil einer Reihe von Rechtfertigungsschriften, die Fromm nach seiner Flucht vom Hofe veröffentlichte, um sich zu verteidigen, vgl. zu den weiteren Schriften die Angaben in Kapitel 4.  Auch Thadden weist darauf hin, dass der Hof kein „gesellschaftsfernes Gebilde“ war, vgl. Thadden: Fortsetzung, S. 248.  Vgl. Schultz: Berlin, S. 43.  Vgl. zum Friedrichswerder Schachinger, Erika: Die Berliner Vorstadt Friedrichswerder 1658 – 1708. Köln u. a. 1993 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz Beiheft 4).  Vgl. Bahl: Hof, S. 266 – 283; siehe auch Winter: Stadt und Herrschaft, S. 86 f.  Bahl: Hof, S. 240 – 242. Mit Otto Bötticher war zumindest ein Konvertit zum reformierten Glauben in das städtische Bürgertum eingeheiratet. Schmitz klassifiziert in seiner Studie über Ratsfamilien in Berlin-Cölln insgesamt vier Heiratskreise, die 1. die Kammergerichtsadvokaten umfassten, 2. sowohl Bindungen zum Kammergericht als auch zum Hof und zu Händlerfamilien hatten, 3. geschlossene Kreise von Kaufmannsfamilien und 4. reformierte Heiratskreise. Die letzten beiden zeichneten sich durch eine besondere Geschlossenheit aus.Vgl. Schmitz, Christian: Ratsbürgerschaft und Residenz. Untersuchungen zu Berliner Ratsfamilien, Heiratskreisen und

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3 Der Hof zu Berlin-Cölln als interkonfessioneller Interaktionsraum

Ferner waren zahlreiche Angehörige des Hofes über Nebenämter und Stiftungen mit der Doppelstadt verbunden.²⁴¹ Bedenkt man außerdem, dass in der damaligen Residenz keine zwei Orte viel weiter voneinander entfernt waren als vielleicht zwanzig Minuten zu Fuß, muss man sich Berlin-Cölln als eine Stadt vorstellen, in der Hofleute und Stadtbürger, Reformierte und Lutheraner ständig einander über den Weg liefen.²⁴² Somit lässt sich festhalten: Nur weil er mehrheitlich reformiert war, war der Hof keineswegs innerhalb der Residenz vollkommen isoliert.²⁴³ Ähnliches lässt sich über den Fürstenhof in Bezug auf seine Bedeutung als Bezugspunkt für den Landadel sagen, also seine Attraktivität als Marktplatz für verschiedene Kapitalsorten, der den umliegenden Adel in die Hofgesellschaft einbindet.²⁴⁴ Denn obwohl nicht zu Unrecht die Bedeutung landfremder Amtsträger für die Herrschaft hervorgehoben wird²⁴⁵ und obwohl der reformierte Hof von einem fast ausschließlich lutherischen märkischen Adel umgeben war, kann von einer Isolation nicht die Rede sein.²⁴⁶ Immerhin 21 Brandenburger zählt Frank Göse unter den Geheimen Räten in der Regierungszeit des Großen Kurfürsten, was einem Anteil von 28 % entspricht – 19 davon entstammten dem Adel, einige davon – wie die Lutheraner Johann Friedrich von Löben, Otto Christoph von Sparr oder Carl Ernst von Platen – alteingesessenen Geschlechtern.²⁴⁷ Auch wenn

sozialen Wandlungen im 17. Jahrhundert, Berlin/ New York 2002 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 101), S. 64– 136.  Vgl. Bahl: Hof, S. 255 – 259 u. 263 – 265.  Zwar war die konfessionelle Vielfalt in Berlin keineswegs so bunt, wie jene, die Frijhoff für die Niederlande beschreibt, aber seine Feststellung, dass interkonfessionelle Kontakte unvermeidlich waren, gilt auch für Berlin. Diese ergaben sich bspw. allein durch den Besuch beim Schuster, vgl. Frijhoff: Threshold, S. 40.  Vgl. auch die Zusammenfassung bei Bahl: Hof, S. 352 f. Opgenoorth zählt zwar einige Formen der Diskriminierung gegen Reformierte auf, etwa die Verweigerung gewisser kirchlicher Handlungen oder die Kritik der Geistlichen an der Taufpatenpraxis, betont aber trotzdem, dass sie keineswegs isoliert waren, vgl. Opgenoorth, Ernst: Die Reformierten in Brandenburg-Preußen – Minderheit und Elite? In: ZHF 8 (1981), S. 439 – 459, hier S. 453 – 458. Dass die Geistlichen interkonfessionelle Taufpatenschaften kritisiert hätten, kann ich zumindest für Berlin-Cölln nur teilweise bestätigen. Zwar kritisierte der Archidiakon Elias Sigismund Reinhart diese Praxis (vgl. Kapitel 4.4.2), aber der Prediger Martin Lubath betonte wiederum ausdrücklich, dass sie akzeptabel wäre, vgl. Kapitel 8.  Vgl. zu diesem Aspekt des Fürstenhofs etwa Pečar: Ökonomie, S. 20 – 22  Vgl. Opgenoorth: „Ausländer“. Laut Bahl stammten mindestens 53,6 % der Hofbeamten nicht aus Brandenburg, jene mit ungeklärter Herkunft nicht eingerechnet, vgl. Bahl: Hof, S. 145 – 147.  Dies konstatierte zuletzt Burghardt: Hofcalvinismus, S. 127 f. u. 132.  Göse, Frank: Rittergut – Garnison – Residenz. Studien zur Sozialstruktur und politischer Wirksamkeit des brandenburgischen Adels 1648 – 1763. Berlin 2005 (Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs 51), S. 333.

3.1 Der kurbrandenburgische Hof – eine kurze Verortung

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gar nicht bezweifelt werden soll, dass die Bedeutung des märkischen Adels am Hof insgesamt schwand – übrigens noch viel stärker unter Friedrich Wilhelms Nachfolgern – kann keineswegs pauschal von einer klaren Grenze zwischen Hof und Adel gesprochen werden, zumal Göse auch auf die Bindung des Adels zum Hof durch Offiziersämter, Feste und persönliche Gnadenerweise hinweist.²⁴⁸ Hinzu kommen die Beziehungen der lokalen adligen Amtsträger zum Hof, die Göse am Beispiel Georg Wilhelms von Arnim aufzeigt, der im Übrigen gleichermaßen zu lutherischen wie reformierten Hofleuten Verbindungen hatte.²⁴⁹ Ohne die Abwehrhaltung des märkischen Adels gegenüber der ‚Calvinisterei‘ und Landfremden unterschätzen zu wollen,²⁵⁰ erhielt der Hof also auch unter Friedrich Wilhelm zahlreiche Verbindungen zum Adel im Territorium aufrecht, die sich nicht allein in der Bekleidung von Hofämtern messen lassen. Als Fromm diesen in eigentümlicher Weise gleichermaßen geteilten wie vernetzten Ort betrat, begann die Doppelstadt erst damit, sich schrittweise vom Dreißigjährigen Krieg zu erholen.²⁵¹ Auch der Hof gewann erst im Laufe der Zeit wieder an Strahlkraft,²⁵² ein Prozess, bei dem vor allem die Verbindungen in die Niederlande über die Kurfürstin Luise Henriette und den Clevischen Stadthalter Johann Moritz von Nassau-Siegen eine wichtige Rolle spielten.²⁵³ Diese schlechten  Ebd., S. 337– 339.  Ebd., S. 371– 376. Weitere Beispiele für solche Beziehungen ebd., S. 377 f.  Vgl. für eine kurze Skizze samt ausgewogener Bewertung der interkonfessionellen Beziehungen zwischen lutherischem Adel und dem reformierten Hof ebd., S. 383 – 401.  Vgl. Hahn, Peter-Michael: Berlin und Potsdam. In: Handbuch kultureller Zentren in der Frühen Neuzeit. Städte und Residenzen im alten deutschen Sprachraum. Band 1. Hrsg. von Wolfgang von Adam u. Siegrid Westphal. O.O. 2012, S. 133 – 195, hier S. 139 u. 142 f. Vehse zeichnet – allerdings ohne seine Quellen anzugeben – ein besonders dramatisches Bild von einer Stadt voller heruntergekommener Häuser und Unrat in den Straßen mit einem Schloss, von dem ein Unbekannter Schreiber 1671 noch gesagt haben soll, man müsse sich dafür schämen. Vgl. Vehse: Deutsche Höfe, S. 140 f. Berlin und die Mark wurden vom Dreißigjährigen Krieg besonders schwer getroffen, vgl. die Ausführungen zu Bevölkerungsverlusten und Kriegsbilanz bei Asche, Matthias: Neusiedler im verheerten Land. Kriegsfolgenbewältigung, Migrationssteuerung und Konfessionspolitik im Zeichen des Landeswiederaufbaus. Die Mark Brandenburg nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts. Münster 2006, S. 40 – 54; vgl. auch Faden, Eberhard: Berlin im Dreißigjährigen Kriege. Berlin 1927, S. 135– 232.  Vgl. zu den grundsätzlichen Startschwierigkeiten Brandenburg-Preußens bei der Entwicklung eines glanzvollen Hofes Hahn, Peter-Michael: Magnifizenz und Legitimation durch die Übernahme kultureller Muster. Die Beziehungen der Hohenzollern zum Haus Oranien und den Niederlanden im 17. Jahrhundert. In: Formen der Visualisierung von Herrschaft. Studien zu Adel, Fürst und Schloßbau vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Hrsg. von Dems. Potsdam 1998, S. 9 – 56, hier S. 17– 20.  Ebd., S. 24– 31; ferner Ders.: Die Hofhaltung der Hohenzollern. Der Kampf um Anerkennung. In: Preußische Stile. Ein Staat als Kunststück. Hrsg. von Patrick Bahners u. Gerd Roellecke.

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3 Der Hof zu Berlin-Cölln als interkonfessioneller Interaktionsraum

Startbedingungen waren mit dafür verantwortlich, dass der Berlin-Cöllner Hof in seiner Magnifizenz nicht an die großen Höfe im Reich und in Europa heranreichte.²⁵⁴ Allerdings sollte man dem brandenburg-preußischen Hofe deshalb nicht vorschnell eine aus dem Rahmen fallende Bescheidenheit unterstellen.²⁵⁵ In Orientierung erst an den Niederlanden, später am französischen Hof, pflegte man einen nicht herausragenden, aber angemessenen höfischen Lebensstil: Es wurde in Möbel und Kunstgegenstände aus den Niederlanden investiert, niederländische Kunsthandwerker angeworben,²⁵⁶ dem Ballspielen und der Jagd nachgegangen,²⁵⁷ Schokolade getrunken²⁵⁸ und es wurden (französische) Modetrends aufgegriffen, deren Freizügigkeit Publikationen mit moralisierenden Warnungen an die Hofdamen provozierte.²⁵⁹ Tatsächlich war eine standesgemäße Hofhaltung essenzieller Bestandteil von Friedrich Wilhelms Strategie zum Aufstieg in den

Stuttgart 2001, S. 73 – 89, hier S. 81 f.; vgl. auch die Beiträge in: Hantsche (Hrsg.): Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604– 1679) als Vermittler Vgl. zur größeren Prachtentfaltung in den späten Regierungsjahren Hahn, Peter-Michael: Residenzhaltung und Hofgesellschaft in Brandenburg und Preußen vom Ende des 15. bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts. In: Schloß und Schloßbezirk in der Mitte Berlins. Das Zentrum der Stadt als politischer und gesellschaftlicher Ort. Hrsg. von Wolfgang Ribbe. Berlin 2005, S. 45 – 58, hier S. 52 f.  Vgl. etwa Opgenoorth: Friedrich Wilhelm 2, S. 65; ferner Hahn: Hofhaltung, S. 81– 84. Passend dazu schreibt Bahl, die Zahl der Reichsgrafen am kurbrandenburgischen Hofe gebe „ein eher mageres Bild“ ab, Bahl: Hof, S. 183 – 185, Zitat S. 185.  Den Unterschied zu anderen Höfen relativiert etwa Duindam: Wien – Versailles – Berlin, S. 209 – 211; vgl. auch Hahn: Hofhaltung, S. 80 f.  Vgl. Riedel, Adolph Friedrich: Die Chatulleinrichtung des Großen Kurfürsten. In: Märkische Forschungen 2 (1844), S. 298 – 337, hier S. 303 u. 310 f.; Hahn: Magnifizenz, S. 24– 29.  Riedel: Chatulleinrichtung, S. 305 u. 316 f.; vgl. auch Streckfuß, Adolf: 500 Jahre Berliner Geschichte. Vom Fischerdorf zur Weltstadt. Erster Band. Berlin 41886, S. 208 f.; vgl. zu Friedrich Wilhelms Engagement für die Förderung des Ballsports Saring, Hans: Das Berliner Ballhaus zur Zeit des Großen Kurfürsten. In: Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins 58 (1941), S. 5 – 7.  Vgl. Streckfuß: 500 Jahre, S. 205; ferner Riedel: Chatulleinrichtung, S. 312.  1689 erschien eine entsprechende Schrift mit einem wunderbaren Titel, der hier voll zitiert wird: O. A.: Der Gedoppelte Blas-Balg Der uppigen Wollust/ Nemlich Die Erhöhete Fontange und Die Blosse Brust/ Mit welchen das Alamodische und die Eitelkeit liebende Frauenzimmer in ihren eigenen/ und vieler unvorsichtigen Manns-Persohnen sich darin vergaffenden herzen ein Feuer der verbothenen Liebes-Brunst anzündet/ so hernach zu einer hell-leuchtenden grossen Flamme einer bittern Unlust ausschlägt; Jedermänniglich/ absonderlich dem Tugend und Erbarkeit liebenden Frauenzimmer zu guter Warnung und kluger Vorsichtigkeit vorgestellet/ und zum Druck befordern Durch Ernestum Gottlieb/ bürtig Veron. Anno 1689.Vgl. zur Mode Streckfuß: 500 Jahre, S. 205 f.; Riedel verweist auf die hohen Aufwendungen aus der Privatschatulle des Kurfürsten für Pomade, Puder und Perücken, vgl. Riedel: Chatulleinrichtung, S. 304; vgl. zu Aufwendungen für Kleidung und Schmuck ebd., S. 301– 303.

3.2 Der bikonfessionelle Hof in Zahlen

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Kreis der gleichrangigen Souveräne.²⁶⁰ Auch wenn diese Strategie nicht aufging und der Status des Hofes im europäischen Vergleich zweitrangig blieb,²⁶¹ ist festzuhalten, dass man sich an europaweit gültigen höfisch-zeremoniellen Normen und Standards orientierte. Obgleich der Konfessionswechsel der Hohenzollern und stärker noch der Dreißigjährige Krieg die Strahlkraft, das Klima und die territoriale Einbindung des Hofes teils negativ beeinflusst hatten, war er also keineswegs ein Exot unter den europäischen Fürstenhöfen oder ein Fremdkörper im eigenen Territorium. Der Hof des Großen Kurfürsten war nicht so isoliert, wie man denken könnte, nicht so karg, wie man denken könnte und wie das folgende Kapitel zeigen wird, war er auch nicht so calvinisch, wie man denken könnte.

3.2 Der bikonfessionelle Hof in Zahlen In seiner umfangreichen prosopographischen Studie hat Peter Bahl dankenswerterweise bereits die konfessionellen Verhältnisse innerhalb der höheren Amtsträgerschaft bei Hofe in quantitativer Hinsicht erschlossen.²⁶² Von insgesamt 343 erfassten Hofleuten waren demnach 167 mit Sicherheit (126) oder wahrscheinlich (41) reformiert, während 105 mit Sicherheit (67) oder wahrscheinlich (38) lutherisch waren. Dies entspricht einem prozentualen Anteil von 48,7 % reformierten und 30,6 % lutherischen Hofleuten. Hinzu kommen zwei Katholiken (0,6 %) und 69 Personen, also 20,1 %, deren Konfession nicht eindeutig bestimmt werden konnte, wobei zu vermuten ist, dass auch hiervon die Mehrheit reformiert war.²⁶³ Daraus ergibt sich, dass die Lutheraner zwar in der Unterzahl waren, aber durchaus eine relevante Minderheit bildeten, machten sie doch immerhin ein Drittel des Hofes aus. Allerdings legen die Daten nahe, dass ihre Anzahl und ihr Einfluss im Laufe der Regierungszeit Friedrich Wilhelms kontinuierlich abnahmen. Bahl hat nämlich auch Neubestallungen nach Fünfjahreszeiträumen und

 Vgl. Stollberg-Rilinger, Barbara: Höfische Öffentlichkeit. Zur zeremoniellen Selbstdarstellung des brandenburgischen Hofes vor europäischem Publikum. In: FBPG, NF 7 (1997), S. 145 – 176, hier v. a. S. 145 – 168. Auch Hahn betont die Bedeutung einer standesgemäßen Hofhaltung für Friedrich Wilhelm, vgl. Hahn: Hofhaltung, S. 81– 84.  Vgl. Stollberg-Rilinger: Höfische Öffentlichkeit, S. 168.  Vgl. Bahl: Hof, S. 196 – 218. Zu dieser höheren Amtsträgerschaft oder auch höfischen Elite zählt Bahl alle Akteure mit politischer Entscheidungsgewalt, Einflussmöglichkeiten und/oder in leitenden Positionen (weshalb etwa auch Hofärzte und Hofküchenmeister, aber keine Künstler berücksichtigt sind), vgl. ebd., S. 25 – 31.  Ebd., S. 199.

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3 Der Hof zu Berlin-Cölln als interkonfessioneller Interaktionsraum

wichtige Ämter anhand der Konfession geordnet. Die Aufstellung zeigt, dass in allen Fünfjahresabschnitten nach 1645 stets mehr Reformierte als Lutheraner am Hof bestallt wurden.²⁶⁴ In den wichtigen Ämtern (u. a. die obersten Ämter wie z. B. der Hofmarschall, Geheime Räte, Konsistorialräte, Geheime Sekretäre) dominierten Reformierte im Großen und Ganzen deutlich.²⁶⁵ Dabei muss zudem bedacht werden, dass hier keine Aufteilung nach Neubestallungen erfolgt, d. h., viele der Lutheraner in hohen Ämtern stammten noch aus der Zeit Georg Wilhelms. Diese Zahlen belegen letztlich nur im Detail, was in der Forschung schon lange vermutet und weiter oben bereits zusammengefasst worden ist: Reformierte wurden konstant am Hof bevorzugt.²⁶⁶ Bahl untersuchte auch das Heiratsverhalten bei Hofe und stellte fest, dass bikonfessionelle Ehen zwar vorkamen, aber selten waren.²⁶⁷ Er schließt daraus, dass „die Hofgesellschaft in jenen Jahrzehnten in konfessionell getrennte Gruppen zerfällt.“²⁶⁸ Dies gelte insbesondere für die bürgerlichen Räte,²⁶⁹ während er beim Adel auch die landsmannschaftliche Zugehörigkeit als zusätzlichen relevanten Faktor für Eheschließungen einschätzt, der sich mit der Konfession verknüpfte.²⁷⁰ Dies führt zu möglichen Zusammenhängen zwischen der geographischen Herkunft und der Konfession. Hier kann Bahl ältere Beobachtungen bestätigen, wonach mehrheitlich reformierte Auswärtige ihren Weg an den kurbrandenburgischen Hof fanden,²⁷¹ was u. a. daher rührte, dass Friedrich Wilhelm für Reformierte selbstverständlich ein attraktiver Dienstherr war.²⁷² Auch hier verstärkten sich Herkunft und Konfession also gegenseitig. Im Lichte der Zahlen wirkt der kurbrandenburgische Hof klar aufgeteilt entlang konfessioneller Linien, teils verstärkt durch geographische Zugehörigkeiten. Dass man deshalb aber nicht vorschnell von zwei voneinander isolierten Gruppen ausgehen sollte, verdeutlichen Bahls Untersuchungen zur reformierten Potsdamer Schlossgemeinde, die neben Hofangehörigen auch Reformierte aus der Stadt und dem Umland anzog. Demnach kam es recht häufig vor, dass reformierte

 Im extremsten Fall stehen einer Neubestallung eines Lutheraners zwölf Neubestallungen von Reformierten gegenüber, vgl. ebd., S. 201.  Ebd., S. 203 – 207.  Ebd., S. 207 f.  Ebd., S. 243 – 246.Vgl. allgemein zu bikonfessionellen Ehen in ihren diskursiven, rechtlichen und alltäglichen Rahmenbedingungen Freist: Glaube – Liebe – Zwietracht.  Bahl: Hof, S. 245 f.  Ebd., S. 246.  Ebd., S. 244– 246.  Ebd., S. 145 – 180, zusammenfassend S. 179 f.  So schon Opgenoorth: „Ausländer“, S. 14 f.

3.3 Der Hof als konfessionelle Bühne: Repräsentation und Integration

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Begräbnisse in der lutherischen Kirche Potsdams abgehalten wurden.²⁷³ Überkonfessionelle Taufpatenschaften waren nicht die Regel, aber durchaus üblich.²⁷⁴ Bahl weist im Übrigen selbst darauf hin, dass die konfessionell oft geschlossenen Heiratskreise nur bedingt Rückschlüsse auf das alltägliche Zusammenleben, das politische Tagesgeschäft oder Patronagebeziehungen zulassen.²⁷⁵ Bis hierhin lässt sich aber vorerst festhalten, dass der kurbrandenburgische Hof unter Friedrich Wilhelm bikonfessionell war, dass die Reformierten eine Mehrheit stellten und dass sie insgesamt bei der Ämtervergabe bevorzugt wurden.

3.3 Der Hof als konfessionelle Bühne: Repräsentation und Integration Um die Begünstigung von Reformierten am Hof des Großen Kurfürsten zu belegen, wird neben Bahls Daten obligatorisch das politische Testament Friedrich Wilhelms von 1667 herangezogen,²⁷⁶ in dem er seinem Nachfolger empfiehlt, Reformierte bevorzugt zu bestallen.²⁷⁷ Dass er selbst diese Maxime ernst nahm, belegen die Zahlen. Umso überraschender lesen sich die folgenden Zeilen, die er im Zusammenhang mit den diplomatischen Verstimmungen nach dem Studienverbot in Wittenberg 1663 an Johann Georg II. von Sachsen richtete: „Wie haben bis anhero an Unserem Hofe keinen Unterschied gemachet und wohl die vornehmsten Chargen an diejenige, welche der Lutherischen Religion zugethan, vergeben, in Hoffnung, man werde Unserem Exempel folgen.“²⁷⁸ Die Aussage weist darauf hin, dass die Bikonfessionalität des Hofes nicht alleine aus des

 Bahl: Hof, S. 211; Bahl, Peter: Paten in der Reformierten Schloß-Gemeinde Potsdam 1662– 1688. Eine Quelle zu den Amtsträgern am Hof des Großen Kurfürsten. In: Genealogisches Jahrbuch 39 (1999), S. 143 – 185, hier S. 152 f.  Bahl: Paten, S. 152 f.  Bahl: Hof, S. 211 f.  Vgl. u. a. ebd., S. 208; Almer: Calvinista, 202; Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 60 – 62; Luh: Konfessionspolitik, S. 307.  Politisches Testament des Großen Kurfürsten Cölln a.d. Spree 19. Mai 1667. In: Die politischen Testamente der Hohenzollern. Hrsg. von Richard Dietrich. Köln/ Wien 1986 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz 20), S. 179 – 204, hier S. 182 u. 185. Hier heißt es etwa „Zur beforderung nun diesses wercks, habt Ihr furnehmlich dahin zu sehen, das wan Solche Subiecta von der Reformirten Religion In Eweren Landen Sich befinden, So da qualificirt undt geschickt, fur andere zu denen bedinungen vndt officien, zu hoffe undt im Lande annehmet undt bestellet, Ja da auch in der Chur Brandenburg keine verhanden, auß der frembde annehmet, vndt den Lutterisschen furziehet.“ Ebd., S. 182.  Meinardus: Protokolle 6, Nr. 818, S. 896 – 905, Zitat S. 899.

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3 Der Hof zu Berlin-Cölln als interkonfessioneller Interaktionsraum

Kurfürsten Duldsamkeit oder äußeren Zwängen heraus existierte, sondern durchaus einen konkreten Nutzen für Friedrich Wilhelm hatte: Sie machte den Hof zu einem Spiegel seiner irenischen Haltung. Zwar stellten Lutheraner die Minderheit und hielten im Durchschnitt die unbedeutenderen Ämter, doch es gab genug von ihnen – auch in mächtigen Positionen – um sichtbar zu sein. Die Tatsache, dass Lutheraner hohe Ämter bei Hofe innehatten, war somit der tägliche Beweis für die überkonfessionelle (Ein‐)Stellung Friedrich Wilhelms. Wenn Johann Georg II. von Sachsen oder andere ihm konfessionelle Parteilichkeit vorwarfen, konnte er einfach auf seine Vorzeigelutheraner verweisen. Welche Bedeutung die Repräsentation der konfessionellen Unparteilichkeit des Herrschers durch die Bikonfessionalität des Hofes hatte, wird klar, wenn man die Gegenprobe macht und sich die Frage stellt: Was wäre, wenn der Hof monokonfessionell reformiert gewesen wäre? Wie hätte sich wohl das gerade in kirchlichen Dingen auch so schon teils schwierige Verhältnis zu den Landständen, den lokalen Amtsträgern vor Ort, der Geistlichkeit und der Bevölkerung gestaltet? Und welche negativen Auswirkungen hätte es womöglich auf die Beziehung zu den lutherischen Fürsten gehabt?²⁷⁹ Um in seiner irenischen Selbstdarstellung ernst genommen zu werden, musste Friedrich Wilhelm einer relevanten Zahl von Lutheranern den Zugang zum Hofe gewähren. Durch ihre Existenz suggerierte der Hof strukturell den Eindruck einer relativen interkonfessionellen Harmonie. Er war gewissermaßen eine Bühne für Friedrich Wilhelms religiöses ‚Eindrucksmanagement‘ und trug somit zur Legitimation seines Summepiskopats bei,²⁸⁰ d. h. in anderen Worten: er besaß eine konfessionelle Schauseite oder Legitimationsfassade.²⁸¹ Dass zu jeder Schauseite auch ein Innenleben gehört, soll zunächst hintenangestellt werden, um an gegebener Stelle darauf einzugehen.²⁸²

 Auf die Gefahr, durch eine zu antilutherische Politik isoliert zu werden, verweist Hahn: Calvinismus, S. 252.  Vgl. Kapitel 2.4.  Ich orientiere mich begrifflich an neo-institutionalistischen Theorien aus der Organisationssoziologie, ohne jedoch dem Hof unterstellen zu wollen, eine moderne Organisation zu sein, vgl. Kühl, Stefan: Organisationen. Eine sehr kurze Einführung. Wiesbaden 2011, S. 137– 143. Siehe auch Hellmann, Kai-Uwe: Organisationslegitimität im Neo-Institutionalismus. In: Einführung in den Neo-Institutionalismus. Mit einem Beitrag von W. Richard Scott. Hrsg. von Konstanze Senge u. Kai-Uwe Hellmann. Wiesbaden 2006, S. 75 – 88. Den möglichen Wert neo-institutionalistischer Konzepte für die Frühneuzeitforschung diskutiert in anderem Zusammenhang Krischer, André: Das Problem des Entscheidens in systematischer und historischer Perspektive. In: Herstellung und Darstellung von Entscheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne. Hrsg. von Barbara Stollberg-Rilinger u. André Krischer. Berlin 2010 (Zeitschrift für Historische Forschung Beiheft 44), S. 35 – 64, v. a. S. 51– 57. Auch Almer verweist allgemein auf die religiöse

3.3 Der Hof als konfessionelle Bühne: Repräsentation und Integration

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Einen essentiellen Teil dieser Außendarstellung machten höfische Ereignisse aus, da sie den kurfürstlichen Machtanspruch und sein Selbstverständnis einer Öffentlichkeit symbolisch vor Augen führten und damit auch real umsetzten.²⁸³ Sie reproduzierten zudem die Ranghierarchie der Hofgesellschaft und machten sie nach außen und innen sichtbar. Die höfische Festkultur und das damit verbundene zeremonielle Zeichensystem waren nicht zwingend konfessionell gebunden, was zur Folge hatte, dass Bekenntnisunterschiede der Anwesenden ausgeklammert wurden. Dasselbe gilt für die mit höfischen Ereignissen verbundene gesellige Interaktion. Alles andere wäre angesichts einer gesamteuropäischen multikonfessionellen höfischen Öffentlichkeit auch kaum praktikabel gewesen.²⁸⁴ Bezogen auf die Niederlande beschrieb schon Willem Frijhoff, wie an gewissen als konfessionsneutral geltenden Orten und in spezifischen (Alltags‐) Situationen andere Normen die Religion überlagern konnten, sodass die Konfession in den Hintergrund trat, sie zu thematisieren mitunter gar als unschicklich gelten konnte.²⁸⁵ Diese Feststellung lässt sich auch auf die öffentlichen Ereignisse am kurbrandenburgischen Hof übertragen. Wenn bspw. der kaiserliche, der französische, der englische und der dänische Gesandte gemeinsam mit dem Bischof von Münster als Gäste des Kurfürsten tafelten und der Kurprinz wenige Tage später für eben jene Gesandten ein Feuerwerk inszenierte – so geschehen im Mai 1680 – dann waren öffentlichkeitswirksame konfessionelle Differenzierungen fehl am Platz.²⁸⁶ Diese Verdeckung konfessioneller Grenzen erhöhte – nicht

Vorbildfunktion des Hofes, ohne jedoch konkreter darauf einzugehen, vgl. Almer: Calvinista, S. 202.  Vgl. etwa Kapitel 5.3 u. 6.2.  Dass auch Friedrich Wilhelm – entgegen älterer Ansichten – als Kind und Kurfürst seiner Zeit großen Wert auf symbolische Inszenierung legte, hat bereits vor einiger Zeit Stollberg-Rilinger anhand seiner Bemühungen zum Aufstieg in den Kreis der Souveräne nachgewiesen, vgl. Stollberg-Rilinger: Höfische Öffentlichkeit. Siehe auch oben Kapitel 3.1.  Vgl. zur Bedeutung dieser höfischen Öffentlichkeit ebd., S. 153 f.  Frijhoff: Threshold, S. 58 – 60 u. 63 f. Er stützt sich dabei auf eine Sammlung humoristischer Anekdoten von Aernout van Overbeke sowie zwei Gerichtsfälle.  Vgl. Vehse: Deutsche Höfe, S. 257 f., der aus den Hofberichten der Frankfurter Relationen schöpft und auf dieser Grundlage wichtige höfische Ereignisse der Jahre 1679 – 1688 zusammenfasst, ebd., S. 250 – 283. Scharfenort erwähnt in seiner Untersuchung zu den Pagen am brandenburgischen Hofe drei Feste, die vor Vehses Bericht ansetzen, etwa zur Taufe des Kurprinzen Karl Emil 1655 und zum Geburtstag Friedrich Wilhelms 1669, bei denen zahlreiche adlige Gäste und Räte geladen waren. Auch hier gibt es keine Hinweise auf eine monokonfessionelle Veranstaltung, was letztlich keine Überraschung ist, vgl. Scharfenort, Pagen, S. 24 f.; vgl. auch die Beschreibung eines Triumphzugs durch die Residenz unter Beteiligung des Magistrats und des Hofs: Schneider, Louis: Sieghafter Einzug des Kurfürsten in Dero Residenz und Festung Berlin am 2. Dezember 1677. In: Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins 13 (1875), S. 44– 56.

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3 Der Hof zu Berlin-Cölln als interkonfessioneller Interaktionsraum

zwingend als intendierte Wirkung, sondern eher als Nebeneffekt – die Integrationskraft des Brandenburger Hofes, weil Höflinge beider Konfessionen konfliktfrei eingebunden werden konnten. Wenn man die im 17. Jahrhundert schwächer werdende Bindung des märkischen Adels an den Hof betonen möchte, könnte man vorsichtiger statt von einer Stärkung der Integrationskraft auch vom Verhindern einer größeren Entfremdung sprechen. Allerdings wurde oben bereits darauf eingegangen, dass diese nicht so schwach war, wie bisweilen angenommen wird.²⁸⁷ In jedem Fall lässt sich festhalten, dass höfische Ereignisse aufgrund ihrer fehlenden konfessionellen Kodierung zugleich indirekt die konfessionsübergreifende Geschlossenheit nach außen demonstrierten und Friedrich Wilhelms irenische Selbstdarstellung unterstützten. Dieselbe Geschlossenheit findet man auch bei solchen Ereignissen, die eindeutig religiös markiert waren, was sich besonders gut an Todesfällen festmachen lässt. Als die Kurfürstin Luise Henriette am 8. Juni 1667 verstarb, wurde sie wenige Tage später aus ihrem Gemach in einem Eichensarg in die Schlosskapelle getragen.²⁸⁸ Der Kammergerichtsrat Gabriel Luther,²⁸⁹ der regelmäßig Berichte vom Hof nach Brandenburg-Bayreuth schickte, schrieb dazu: […] besagten tages kegen abend kamen alle hiro anwesende Churfürstl. hohe Ministri, geheimde Rähte und ander Cavailliere auf dem Churfürstl. Schloße zusammen, und war hierauf kegen zehen uhrn, beij fackeln die Churfürstl. Leiche von den Churfürstl. Cammerherrn und anderen vornehmen Officiren aus dem gemach die große Wendelstiege herunter biß in die Schloßcapelle getragen: die vier Zippel des leich-tuches hielten der herr Oberpraesident freijherr von Schwerin, herr feldmarschall spaar, herr von platen und herr von Somnitz.²⁹⁰

Mit dem Oberpräsidenten Otto von Schwerin,²⁹¹ dem Feldmarschall Otto Christoph von Sparr,²⁹² dem Geheimen Kriegsrat und Generalkriegskommissar Claus

 Vgl. Kapitel 3.1.  Zuvor war sie auf ihrem Paradebett für die Bevölkerung aufgebahrt worden, was Friedrich Wilhelm jedoch nach kurzer Zeit abbrach, da einige Untertanen sie beschimpft haben sollen, vgl. dazu Kapitel 5.1.  Vgl. zu Luther Kapitel 7.2.  Staatsarchiv Bamberg (StABa), Geheimes Archiv Bayreuth (GAB), Nr. 446, Fol. 398 f., Zitat Fol. 298r–298v., Bericht vom 19.6.1667. Otto von Schwerin bestätigt in seinem Tagebuch zur Erziehung der Kurprinzen diese Angaben und erwähnt einige Anwesende namentlich, darunter auch Lutheraner, so etwa den Oberjägermeister Johann Friedrich von Oppen (vgl. Bahl: Hof, S. 550) oder den Direktor des Münzwesens Hans von der Gröben (ebd., S. 490 f.), GStA PK, I. HA, Rep. 94, IV HC 9, Bd. 1, Fol. 353.  Vgl. ausführlich zu Schwerin Kapitel 6.1.

3.3 Der Hof als konfessionelle Bühne: Repräsentation und Integration

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Ernst von Platen²⁹³ sowie dem Geheimen Rat und Kanzler von Hinterpommern Lorenz Christoph von Somnitz²⁹⁴ wurden die Zipfel des Leichentuchs von einigen der ranghöchsten Figuren bei Hofe getragen. Zugleich wurde so die konfessionelle Parität gewahrt: Sparr und Platen waren lutherisch, während Somnitz und Schwerin reformiert waren. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Zipfelträger anhand ihres Bekenntnisses ausgewählt wurden, um ein Gleichgewicht herzustellen, aber genau das ist der Punkt: Im Angesicht gesamthöfischer (Trauer‐) Ereignisse traten – wie Luther selbst schreibt – eben alle „anwesende Churfürstl. hohe Ministri, geheimde Rähte und ander Cavailliere“ zusammen. Zeremonielle Normen, die Loyalität zum Kurhause und die Zugehörigkeit zur Hofgesellschaft ließen konfessionelle Unterschiede in den Hintergrund treten. Das Begräbnis der Kurfürstin am 27. November, an dem selbstredend auch die gesamte Hofgesellschaft teilnahm,²⁹⁵ wurde von dem Oberhofmarschall Raban von Canstein organisiert – einem Lutheraner, der durch den märkischen Kirchenstreit nachweislich in einige schwierige Situationen geriet und einen prominenten Platz in dieser Arbeit einnimmt.²⁹⁶ Für eine Leichenpredigtsammlung zu Luise Henriettes Begräbnis steuerte der Konsistorial- und Kammergerichtsrat Martin Friedrich Seidel ein Trauergedicht bei²⁹⁷ – auch er war ein Lutheraner, der durch die Konfessionskonflikte belastet wurde und noch ausführlich behandelt wird.²⁹⁸ Dabei gilt es zu bedenken, dass der märkische Kirchenstreit zur Zeit der Beerdigung noch nicht abgeklungen war, d. h. noch während Seidel und Canstein als Lutheraner vom Religionskonflikt persönlich betroffen waren, bezeugten sie zeitgleich ihre Zugehörigkeit zur bikonfessionellen Hofgesellschaft. Hier deutet sich bereits an, was im Laufe dieser Arbeit noch häufiger zu beobachten sein wird: Für das Funktionieren bzw. Misslingen der interkonfessionellen Beziehungen bei Hofe besaßen verschiedene Zugehörigkeiten und damit verbundene soziale Rollen eine große

 Vgl. zu Sparr Bahl: Hof, S. 595 f.; ferner Göse, Frank: Der erste brandenburg-preußische Generalfeldmarschall Otto Christoph Freiherr von Sparr 1605 – 1668. Berlin 2006 (Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Komission e.V. 9).  Vgl. zu Platen Bahl: Hof, S. 554 f.  Vgl. zu Somnitz Bahl: Hof, S. 592 f.; ferner Saring, Hans: Lorenz Christoph von Somnitz, ein Staatsmann des Großen Kurfürsten. In: Baltische Studien N.F. 35 (1933), S. 134– 173.  Dies berichtet Luther: StABa, GAB, Nr. 446, Fol. 332 f., Bericht vom 27.11.1667.  Vgl. Cansteins Lebensbeschreibung im Archiv der Franckeschen Stiftungen in Halle/ Saale: AFSt/H A 154a), Fol. 83 – 87. Vgl. ansonsten zu Canstein Kapitel 5.3.2.  O.A.: Sieben Leichpredigten Nebst unterschiedlichen Anderen Traur- und Trost-Schrifften Auff Den frühzeitigen/ doch höchstseligen Abschied Der weyland Durchläuchtigsten Fürstin und Frauen/ Frauen Louysen, Marggäffinn und Churfürstinn zu Brandenburg […] Cölln a. d. Spree 1667, unfol.  Vgl. zu Seidel v. a. Kapitel 4.5 und 5.3.1.

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Bedeutung.²⁹⁹ In diesem Zusammenhang lässt eine kurze Bemerkung Luthers zur Beerdigung Marie Anna von Löbens, der Ehefrau des einflussreichen lutherischen Geheimrats Johann Friedrich von Löben,³⁰⁰ in der Nikolaikirche tief blicken. Nur die Statthalter Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (reformiert) und Ernst Boguslav von Croy (lutherisch) als Vertreter des kurfürstlichen Paares werden namentlich erwähnt und ansonsten hinzugefügt: „[…] sonst aber seind Ihrer sehr viel der difference halben, ob sie wegen des rangs untereinander haben, zurück geblieben.“³⁰¹ Wenn es darum ging, wessen Beerdigung man besuchte, spielten Rangstreitigkeiten also bisweilen eine größere Rolle für die Zeitgenossen als Bekenntnisfragen.³⁰² Die Reihe an Beispielen ließe sich noch weiter fortsetzen.³⁰³ Sie passt gut zu Bahls Feststellung, dass Begräbnisgottesdienste für Reformierte aus der Potsdamer Schlossgemeinde bisweilen in der lutherischen Stadtkirche abgehalten wurden, ohne dass es zu Konflikten kam.³⁰⁴ Durch Ereignisse wie diese wurde der Zusammenhalt der Hofgesellschaft konfessionsübergreifend laufend neu gestiftet und nach außen hin demonstriert. Dies sicherte nicht nur die Integrationskraft des Hofes, sondern unterstützte als Nebeneffekt die kurfürstliche Selbstdarstellung als ein konfessionsneutraler Herrscher, der sich auch seinen Augsburger Religionsverwandten gegenüber gnädig erweist. Die Mitglieder der

 Vgl. allgemein zur Bedeutung der Wechselwirkung zwischen „confessional identity“ mit anderen „notions of individual and group identity“ für interkonfessionelle Beziehung Dixon: Introduction, S. 11– 13.  Vgl. zu Löben Bahl: Hof, S. 529 f.  StABa, GAB, Nr. 445, Fol. 33 f., Zitat 33v – 34r.  Die geringe Bedeutung konfessioneller Unterschiede bei diesen Anlässen wurde von Außenstehenden manchmal mit Verwunderung aufgenommen. Der Archidiakon der Marienkirche Martin Lubath notierte 1671 zur Beerdigung des Lutheraners Johann Cramm – Oberhofmeister der Kurfürstin Dorothea – in der Nikolaikirche überrascht, dass bei der Abdankung „der Schloßhauptmann, herr von Barleps[ch], ein Reformatus“ vor den Altar getreten sei.Vgl. dazu GKl Archiv XII/90/2, Fol. 438r; vgl. zu Cramm Bahl: Hof, S. 457.  Luther berichtet bspw. über Johann Friedrich von Löbens eigener Beerdigung zwei Jahre nach dem Tode seiner Frau, dass viele „ministros“ und fürstliche Vertreter anwesend waren, StABa, GAB, Nr. 446, Fol. 316 f. Im Staatsarchiv Leipzig befindet sich eine Beschreibung der Beerdigung des reformierten Oberkammerherrn und ersten Ministers Konrads von Burgsdorff im Jahr 1652, der seinerzeit der mächtigste Mann bei Hofe war (obgleich er kurz vor seinem Tode in Ungnade gefallen war). Eine Liste der Teilnehmer an seinem Leichenzugs zeigt, dass auch hier die gesamte Hofgesellschaft konfessionsunabhängig zusammenkam und durch Vertreter wichtiger städtischer Vertreter noch ergänzt wurde, vgl. Sächsisches Staatsarchiv Leipzig (Sächs. StA Leipzig), 20532, Nr 1769, Fol. 21– 29. Vgl. für Literatur zu Burgsdorff Kapitel 6.1.1.  Vgl. Bahl: Paten; ferner Ders.: Hof, S. 211.

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Hofgesellschaft trugen auf diese Weise selbst zur konfessionellen Schauseite des Hofes bei.

3.4 Facetten des interkonfessionellen Zusammenlebens bei Hofe 3.4.1 Konfessionsbewusstsein und -sensibilität Obwohl die Hofgesellschaft in der Öffentlichkeit ein Bild der Geschlossenheit abgab, lässt sich dennoch eine sehr hohe Konfessionssensibilität diagnostizieren und bei den Akteuren ein großes Konfessionsbewusstsein feststellen. Dies merkt man zuallererst bei Friedrich Wilhelm selbst. Bei potentiell kontroversen kirchenpolitischen Angelegenheiten wählte er häufig gezielt lutherische Räte zur Bearbeitung der Fälle aus,³⁰⁵ d. h. er wusste genau, wer welchem Bekenntnis anhing. Wie wichtig ihm das war, zeigt der Fall des Hofhistoriographen Joachim Hübner aus den Jahren 1659/1660.³⁰⁶ Im Zusammenhang mit einer Ermahnung, die seine Pflichten als Geschichtsschreiber betrafen, erinnerte Schwerin im Namen des Kurfürsten Hübner daran, was gestalt wir Euch albereit noch Beij Ewrer anwesenheitt zu berlin andeuten laßen, daß Ihr entweder von Unserm Berlinischen Reformirten, oder einem Catholischen, oder auch Lutherischen Ministerio […] ein ausführliches attestatum beijbringen möchtet, daß Ihr Euch zu einer oder anderer Religion, und dero Gemeinde, alß ein wahres glied, mit hertz und mund bekennet.³⁰⁷

Hintergrund dieser Forderung waren Vorwürfe, wonach Hübner keinen Gottesdienst besuche, wessen er sich „hinführo nicht allein entschlagen besondern auch diejenige, so sich dazu bekennen, ferner nicht so offentlich verspotten“ sollte.³⁰⁸ Erst Monate später reagierte Hübner auf die Vorwürfe und betonte, dass er die Hofprediger schon mehrfach mündlich von seinem reformierten Glauben überzeugt hätte und dass die Vorwürfe haltlos seien.³⁰⁹ Er wurde trotzdem entlassen, da er – mutmaßlich – „alle Religionen und kirchengeher offentlich ver-

    

Vgl. hierzu v. a. Kapitel 4.2 und 5.2. Vgl. zu Hübner Bahl: Hof, S. 506; Hering: Beiträge 2, S. 9. GStA PK, I. HA, Rep. 9 (Allg. Verw.), Nr. K lit. F, Fasz. 1, Fol. 23 f., Zitat Fol. 23v. Ebd., Fol. 24r. Ebd., Fol. 29 – 34.

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läßtert, undt seine vieljährige separirung von dem Gottesdienste bekannt“.³¹⁰ Falls Hübner tatsächlich öffentlich Gottesdienstbesucher verspottet haben sollte, so ist es nicht verwunderlich, wenn das negativ auffiel. Unabhängig davon wurde ein Fernbleiben vom Gottesdienst in jedem Fall nicht nur registriert, sondern sogar ein Beleg im Stile einer Mitgliedschaftsbescheinigung eingefordert, um den Verdacht des Dissidententums – oder schlimmer noch: des Atheismus – zu entkräften. Abweichungen und Uneindeutigkeiten wurden registriert und überprüft. 1679 ließ Friedrich Wilhelm der Meldung nachgehen, dass einige Priester unerlaubterweise in der Residenz die Messe halten würden. Bei der Untersuchung kam nicht viel heraus, nur, dass ein Falkner sich regelmäßig in seinem Losement von einem Messpriester aus Halberstadt die Messe hatte lesen lassen, was unterbunden wurde. Er entschuldigte sich mit der Angabe, er habe nicht gewusst, dass dies verboten sei, und unterließ dies künftig.³¹¹ Wenn man sich außerhalb des zulässigen bikonfessionellen Schemas bewegte, blieb dies also nicht verborgen. Wie präsent die Aufteilung des Hofes in lutherische und reformierte Akteure war, demonstrieren nicht zuletzt auch die Berichte von Gesandten, die – sofern sie über Konfessionelles berichten – immer gut darüber informiert sind, wer es wie mit der Religion hält.³¹² Die Bikonfessionalität des Hofes führte also zu einer gesteigerten Konfessionssensibilität und zu einem Vereindeutigungsdruck. Diesen Befund bestätigen nicht nur die konfessionellen Profile in dieser Arbeit, sondern er fügt sich auch in

 Ebd., Fol. 27, Zitat 27r–27v. Schon vor seiner verspäteten Rechtfertigung war Hübners Entlassung beschlossen worden, sodass sein Schreiben keine Wirkung mehr hatte.  Vgl. Lehmann, Max (Hrsg.): Preußen und die katholische Kirche seit 1640. Nach den Acten des Geheimen Staatsarchives. Bd. 1. Leipzig 1878, S. 315; Originale in: GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 23, Fol. 113 – 117. Als Reaktion auf die Aufhebung des Edikts von Nantes ging Friedrich Wilhelm konsequenter gegen Katholiken in seinen Territorien vor (sofern sie nicht rechtlich geschützt waren). In diesem Zusammenhang wurde ihm aus Colberg über Katholiken in „hiesigen Landen“ berichtet, u. a. vom Freiherr Moritz von Schwerin, von dem man nicht genau wisse, ob er von Jesuiten zum Katholizismus verführt worden sei oder nicht, auch weil er häufig fort und derzeit in polnischen Diensten sei und man deshalb keine Informationen über ihn beschaffen könne. Seine Frau besuche aber den reformierten Gottesdienst. Die Konfessionssensibilität ging also über den Hof hinaus, vgl. ebd., Fol. 148 f.  Dies gilt nicht nur für den an Hofinterna sehr interessierten hessischen Gesandten Georg Lincker, sondern auch den katholischen Habsburger Gesandten Johann von Goess, der nur selten über kirchliche Angelegenheiten berichtet. So stellt er etwa fest, dass mit Canstein, Löben und Platen auch lutherische Geheime Räte keine Bedenken gegen die Kirchenpolitik getragen hätten, vgl. Österreichisches Staatsarchiv, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv (ÖStA HHStA), RK Diplomatische Akten Berlin, Berichte 1b, Bericht vom 18. 5.1665. Für einen Überblick zu Linckers Berichten vgl. Ribbeck: Lincker. Linckers Konfessionssensibilität wird in mehreren seiner Berichte greifbar, die im weiteren Verlauf der Arbeit noch mehrfach zitiert werden.

3.4 Facetten des interkonfessionellen Zusammenlebens bei Hofe

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die Ergebnisse anderer Untersuchungen zu multikonfessionellen Konstellationen ein.³¹³ Gerade im Fall Brandenburgs gibt es Hinweise darauf, dass sich das Konfessionsbewusstsein spätestens mit Johann Sigismunds Konversion schärfte und man sensibel für Abweichungen wurde, nicht nur im Ritual, sondern auch in der theologischen Doktrin.³¹⁴ Diese erhöhte Sensibilität mag ein Grund dafür gewesen sein, warum sich kurz nach Friedrich Wilhelms Amtsantritt das Gerücht verbreiten konnte, er wolle künftig keine Lutheraner mehr bei sich dulden und gar deren Kirchen einziehen, was dieser mit einer öffentlichen Erklärung beantwortete.³¹⁵ Die recht klare Grenzziehung sollte eines der Probleme des Konsistorialrats Andreas Fromm werden: als irenischer Lutheraner passte er nicht ins binäre Schema und wurde deshalb wahlweise als Kryptocalvinist oder Synkretist stigmatisiert. Wie man noch sehen wird, trug er freilich einiges zu seinem synkretistischen Image bei, aber trotzdem gilt: Es gab so gut wie keinen Raum für Grenzgänger wie ihn. Man war reformiert oder lutherisch – katholisch zu sein war immerhin noch vorstellbar, aber alles andere als gern gesehen.

3.4.2 Zwischen Religionsfrieden und Konkurrenz Zur klaren Unterscheidung der Konfessionen gehörten grundsätzlich auch getrennte Gottesdienstbesuche. Es gibt keine Hinweise darauf, dass bspw. hochrangige lutherische Hofleute regelmäßig die Domgemeinde besucht hätten, um die Einheit der Hofgesellschaft zu demonstrieren. Wie oben gezeigt wurde, kam die Hofgesellschaft aber zu wichtigen Ereignissen, etwa bei Begräbnissen oder als Taufpaten, konfessionsübergreifend unter dem Dach einer Kirche zusammen.

 Ähnliches konstatierten etwa François für Augsburg und Frijhoff für die Niederlande, vgl. François: Grenze, S. 226 f.; Frijhoff: Threshold, S. 61.  Nischan berichtet etwa von einem Fall kurz nach Johann Sigismunds Konversion, wo den Stendaler Untertanen nicht nur die liturgischen Unterschiede beim Abendmahl bekannt waren, sondern sie auch die Zusammenhänge mit der Ubiquitätslehre verstanden, vgl. Nischan: Prince, S. 200 – 203. Ohnehin war das Luthertum grundsätzlich „tief in der Bevölkerung eingewurzelt“, vgl. Stegmann: Reformation, S. 223; Luebke und Thadden betonen ebenfalls, dass die Bevölkerung bereits lutherisch konfessionalisiert war, vgl. Luebke: A Multiconfessional Empire, S. 146 f.; Thadden: Reformationswerk, S. 236 u. 244. Es soll nicht verschwiegen werden, dass sich jedoch etwa auf dem Land auch Beispiele finden lassen, die eine geringe konfessionelle und religiöse Bildung der Bevölkerung nahelegen, vgl. Peters: Märkische Lebenswelten, S. 506 – 508.  Mylius: Corpus I, 1, Sp. 359 f. Der Kurfürst hielt dieses Gerücht anscheinend für so gefährlich oder wenigstens ärgerlich, dass er die lutherischen Konsistorialräte Joachim Kemnitz und Johann Georg Reinhart damit beauftragte, den Urheber des Gerüchts ausfindig zu machen, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 4, Fol. 553 f.

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Sehr wohl lassen sich zudem vereinzelt gegenseitige Gottesdienstbesuche feststellen: Gesichert sind sie beim reformierten Oberpräsidenten Otto von Schwerin,³¹⁶ der mit seiner lutherischen Frau Helena Dorothea von Kreytzen den Gottesdienst in seinem Gutsbesitz Altlandsberg besuchte. Indirekt bezeugt sind sie vom reformierten Geheimen Rat Paul von Fuchs,³¹⁷ der laut einer älteren Biographie über Jablonski den lutherischen Gottesdienst in seinem Gut in Malchow besucht haben soll.³¹⁸ Beim Kammerjunker Dietrich Sigismund von Buch³¹⁹ konnte Bahl zwar nicht die Konfession klären, dafür sind bei ihm aber gleich Gottesdienstbesuche bei allen drei Konfessionen dokumentiert – dies allerdings keinesfalls regelmäßig.³²⁰ Im Lichte dieser Beispiele kamen gegenseitige Gottesdienstbesuche vermutlich ein wenig häufiger vor als Mischehen und ein wenig seltener als interkonfessionelle Patenschaften. Sie waren Teil der bikonfessionellen Realität, nicht anstößig, aber auch nicht der Regelfall. Da Schwerin und Fuchs Güter mit einer lutherischen Bevölkerung (und in Schwerins Fall mit einer lutherischen Ehefrau) besaßen, zu der sie mit entsprechenden Gottesdienstbesuchen eine Bindung aufbauen konnten, und Buch in den meisten seiner dokumentierten Besuche den Kurfürsten auf Reisen und Feldzügen begleitete, scheinen solche Grenzüberschreitungen auch an bestimmte Kontexte gebunden gewesen zu sein.

 Vgl. Kapitel 6.1.1.  Vgl. zu Fuchs Bahl: Hof, S. 481 f.; Salpius, Friedrich von: Paul von Fuchs, ein brandenburgisch-preußischer Staatsmann vor zweihundert Jahren. Biographischer Essay. Leipzig 1877.  Vgl. Dalton, Hermann: Daniel Ernst Jablonski. Eine preußische Hofpredigergestalt in Berlin vor zweihundert Jahren. Berlin 1903, S. 163.  Vgl. zu Buch Bahl: Hof, S. 441 f.  Dies entlässt sich seinem Tagebuch entnehmen. Nur manchmal geht aus den Formulierungen eindeutig hervor, dass er gemeinsam mit dem Kurfürsten den Gottesdienst besuchte. An anderen Stellen ist nur notiert, dass Friedrich Wilhelm im Gottesdienst war, ohne dass klar wird, ob Buch dabei war. Neben einigen lutherischen Gottesdiensten sind auch zwei Messbesuche Buchs in einer Jesuitenkirche während eines Besuchs beim Grafen Herberstein in Glogau (Schlesien) dokumentiert. Einmal besuchte er auch mit dem 1670 zum reformierten Glauben konvertierten Friedrich II. von Hessen-Homburg einen Gottesdienst in Päwesin, der vermutlich lutherisch war. Hinzu kommen weitere Gottesdienste, die Buch im Rahmen des SchwedischBrandenburgischen Krieges gemeinsam mit dem Kurfürsten in eroberten Städten besuchte, die mutmaßlich allesamt lutherisch waren.Vgl. Kessel, Gustav von (Hrsg.): Tagebuch Sigismund’s von Buch aus den Jahren 1674 bis 1683. Beitrag zur Geschichte des Großen Kurfürsten von Brandenburg. Nach dem Urtexte im Königl. Geheimen Staats-Archive zu Berlin, Bd. I und II. Jena/ Leipzig 1865, Bd. 1, S. 24, 207, 246, 250, 260, 345, Bd. 2, S. 23 f., 89, 98, 109 f., 120, 165. Aus einzelnen Formulierungen, wie etwa, dass Schweinfurt eine „für die lutherische Religion sehr eifrige Stadt“ sei (Bd. 1, S. 25), schließe ich, dass Buch lutherisch getauft war.

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Das Fehlen von Zeugnissen zu gemeinsamen Gottesdiensten der gesamten Hofgesellschaft in der Domgemeinde könnte in diesem Fall zwar auch mit kriegsbedingten Quellenverlusten zu tun haben,³²¹ aber man muss bedenken, dass sich Wittenberg mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem solchen Synkretismus geäußert hätte. Außerdem gab es überhaupt keinen Grund, gegenüber Friedrich Wilhelm eine konfessionelle Einheit zu demonstrieren. Der bikonfessionelle Status des Hofes war festgelegt, er war Teil von Friedrich Wilhelms Herrscherkonzeption, wenn man so will, und so gab es abseits von besonderen Anlässen keinen Grund für einen lutherischen Hofmann, einen fremden Gottesdienst zu besuchen. Dafür spricht auch der Bericht eines sächsischen Gesandten aus dem Jahr 1654: Eigentlich habe ihn der Kurfürst ursprünglich mit in die Domkirche nehmen wollen, sei dann jedoch wegen des Besuchs eines Moskauer Gesandten verhindert gewesen. Deshalb habe Friedrich Wilhelm den sächsischen Besucher „durch dero Cammer: und hoffjunkern in eine lutherische kirche dieses orths, zu St:Peter, auf vorgedachten dero leibewagen führen lassen“, während andere Hofleute in den reformierten Dom gegangen seien.³²² Wenn es keinen außergewöhnlichen Anlass gab, ging man also in getrennte Gottesdienste und nahm die Gesandten gleich mit. Schon anhand der bisherigen Beobachtungen lässt sich Bahls aus den quantitativen Daten gewonnene Vermutung bestätigen, wonach das interkonfessionelle Zusammenleben bei Hofe grundsätzlich längst nicht so konfliktträchtig war, wie häufig angenommen wird. Tatsächlich konnte der Hof als Interaktionssystem ebenso wie als politisches und administratives Zentrum nur funktionieren, wenn ein religiöser Alltagspragmatismus bzw. eine Umgangsökumene praktiziert wurde.³²³ Dass friedliche interkonfessionelle Interaktion bei Hofe die Regel war, lässt sich auch an den konfessionellen Profilen zu Martin Friedrich Seidel, Raban von Canstein und Otto von Schwerin in dieser Arbeit ablesen, bei denen allesamt konfessionsübergreifende Beziehungspflege nachgewiesen werden kann. Dabei handelt es sich natürlich nur um einzelne Schlaglichter.³²⁴ Die Funde

 Vor allem die Bestände des Domarchivs haben erhebliche Verluste erlitten, vgl. Thadden: Hofprediger, S. 2.  Sächs. HStA Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 08265/12, Fol. 12– 14.  Der Begriff Umgangsökumene stammt von Frijhoff, der sie als eine „muddled toleration“ beschreibt, vgl. Frijhoff: Threshold, S. 40.  Ein weiteres Beispiel überkonfessioneller Beziehungen stellt etwa das freundschaftliche Verhältnis des reformierten kurmärkischen Statthalters Johann Gerog II. von Anhalt-Dessau zum lutherischen preußischen Statthalter Ernst Bogislav von Croy dar, vgl. Rohrschneider, Michael: Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627– 1693). Eine politische Biographie. Berlin 1998 (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 16), S. 155 f.

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decken nicht annähernd alle Beziehungen der drei Genannten ab oder ermöglichen die detaillierte Rekonstruktion der täglichen höfischen Interaktion – ganz zu schweigen von den mittleren und unteren Amtsträgern und Dienern, die kaum greifbar sind. Alle Einzelfunde weisen dennoch geschlossen in dieselbe Richtung: Interkonfessionalität war Alltag am Kurbrandenburgischen Hof – und er funktionierte. Dies ist nicht unbedingt überraschend, sind doch inzwischen zahlreiche relativ konfliktfreie multikonfessionelle Konstellationen in ganz Europa dokumentiert.³²⁵ Einen Beleg dafür, dass Multikonfessionalität bei Hofe eine im Reich zumindest teilweise längst akzeptierte Option war, liefert Seckendorff, der kein Problem darin sah, konfessionsfremde Diener einzustellen, solange diese sich friedlich verhielten.³²⁶ Und Matthias Schnettger konstatierte sogar für die protestantischen Reichshofräte am Wiener Hof, die dort eine verschwindend kleine Minderheit bildeten, dass sie bei allen Schwierigkeiten keineswegs isoliert gewesen seien.³²⁷ In Anbetracht der zahlreichen sozialen Kontexte, in denen sich die Akteure bei Hofe bewegten, den verschiedenen Zugehörigkeiten, aus denen sie ihr Selbstbild definierten,³²⁸ ihren vergleichbaren habituellen Dispositionen³²⁹ und

 Vgl. stellvertretend die Beiträge in: Safley (Hrsg.): Companion to Multiconfessionalism. Einen Einblick in das teils friedliche, teils von Konflikten belastete alltägliche interkonfessionelle Zusammenleben speziell in Brandenburg – allerdings mit einem deutlichen Schwerpunkt auf das 18. Jahrhundert – bietet Leibetseder: Alltag.  „Wegen der Religion ist etlicher Orter nicht nur willkührlich/ sondern nothwendig/ daß man auch Diener von einer andern Religion haben müsse/ oder es sind auch die Qualitäten der Leute sonst dermassen gut/ und ihr Verhalten in Religions-Sachen so erträglich/ daß man nicht Ursach hat/ sie zumahl in Aemtern/ daran das Kirchen-Wesen eben nicht hanget/ zu verstossen.“ In: Seckendorff,Veit Ludwig von: Teutscher Fürstenstaat […] Frankfurt a. M./ Leipzig 1711, Additiones, §32, Zitat S. 913.  Vgl. Schnettger, Matthias: Ist Wien eine Messe wert? Protestantische Funktionseliten am Kaiserhof im 17. und 18. Jahrhundert. In: Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung. Hrsg.von Christine Roll u. a. Köln u. a. 2010, S. 599 – 633, hier S. 116 f. Arndt Schreiber hat zudem für den im Vergleich zum Brandenburger Luthertum deutlich stärker benachteiligten niederösterreichischen protestantischen Adel nachweisen können, dass er vielfach interkonfessionelle Beziehungen pflegte, vgl. Schreiber: Adeliger Habitus, S. 238 – 248.  Frauke Volkland plädiert für eine solche Kontextualisierung der Konfession in verschiedene Lebenszusammenhänge und Zugehörigkeiten, um ihre Bedeutung in konkreten Kontexten ermitteln zu können, vgl. Volkland: Konfession, v. a. S. 19 – 22.  Vgl. zum Habitusbegriff Bourdieu, Pierre: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt a. M. 1993, S. 97– 121. Zum Vergleich lohnt sich auch ein Blick ins Habsburger Territorium. So stellte Arndt Schreiber bei niederösterreichischen Adelsfamilien trotz verschiedener Einschränkungen und Benachteiligungen keinen spezifisch antihöfischen Habitus fest, sondern betont die „Existenz einer überkonfessionellen Adelskultur“, vgl. Schreiber: Adeliger Habitus, v. a. S. 141– 150 u. 288, Zitat ebd.

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den damit verknüpften Normen eines spezifisch-höfischen self-fashionings ³³⁰ trat die Konfession schlichtweg oft in den Hintergrund. Somit ist davon auszugehen, dass sich die Hofleute in einem ähnlichen Maße über ihre Zugehörigkeit zur höfischen Elite wie über ihre Religionszugehörigkeit definierten,³³¹ was eine konfliktfreie Interaktion unterstützte.

Es soll übrigens nicht behauptet werden, dass keine habituellen Unterschiede zwischen bürgerlichen Räten und dem Adel existierten – allerdings waren für bürgerliche wie adlige Räte ähnliche höfische Verhaltensnormen wirksam, was sich etwa daran ablesen lässt, dass sich die höfische Ratgeberliteratur gerade an bürgerliche Aufsteiger wandte, um ihnen Strategien und eben auch den passenden Habitus zu vermitteln, vgl. Asch, Ronald G.: Der Höfling als Heuchler? Unaufrichtigkeit, Konversationsgemeinschaft und Freundschaft am frühneuzeitlichen Hof. In: Krumme Touren. Anthropologie kommunikativer Umwege. Hrsg. von Wolfgang Reinhard. Wien u. a. 2007 (Veröffentlichungen des Instituts für historische Anthropologie e.V. 10), S. 183 – 203, hier S. 190.  Weniger als direkter Beleg denn als Veranschaulichung höfischer Ideale und eines spezifischen Habitus mögen die (freilich stereotypen) Ausführungen Gregorio Letis in seiner Geschichte des Hauses Brandenburg dienen. Der Mensch sei demnach ein Stück Gold, das erst durch den Hof in Form gebracht werde. Der Hof sei eine Schule der Tugend, denn wo sonst würde man Höflichkeit, schöne Konversation, feine Sitten, sogar noble Gesichtszüge, das Gute vom Schlechten zu unterscheiden und vieles mehr lernen? (Zitat: „Dove s’impara la Cortesia? nella Cote; dove l’Arte di ben conversare tra gli Huomini in riguardo della società civile? nella Corte?, dove la gentillezza de’ costume, dove le Fattezze signorili, dove l’uso per ben distinguere il buono dal cattivo? nella Corte.“) Dies gelte insbesondere für den Berlin-Potsdamer Hof, was selbstverständlich mit Friedrich Wilhelm zusammenhänge, vgl. Leti: Ritratti Historici, S. 330 – 332, Zitat S. 331. Auch der Neumärkische Kanzler Hans Georg von dem Borne beschrieb in der bekannten Schrift über den Zustand der Mark Brandenburg von 1641 Aspekte eines höfischen Habitus, den er z. B. an Kleidermode und Galanterie festmachte, jedoch als Zeichen eines allgemeinen Sittenverfalls. Hier heißt es u. a., dass die Mehrheit der Hofleute „continuiret in seinem wüsten/ wilden und heidnischen wolleben/ in fressen/ sauffen/ huren/ spielen und anderer uppigkeit/ und werden die meisten Son: und Festtage bey hoffe mit banquetten, tourniren, ringrennen/ mascaraden, balleten, und andern weltlichen wollüsten zugebracht/ und der waren Gottseligkeit wird dabey gar vergessen.“ Vgl. Borne, Hans Georg von dem: Cosultatio Politico Theologica, uber den gegenwertigen/ betrübeten und kümmerlichen Zustande Der Chur und Marck Brandenburgk/ vermittelst ergründunge der wahren hauptursachen des passirten und gegenwertigen jammers […] Frankfurt/ Oder 1641, Zitat Bl. C IVr; vgl. zu Mode und Glanterie ebd., Bl. FIII u. G.  Es handelt sich hierbei um verschiedene sog. partizipative Identitäten, die über Gruppenzugehörigkeiten konstruiert werden und zu einer „Pluralität von in Anspruch genommenen Selbsten“ führen, die sich nicht gegenseitig ausschließen müssen. Vgl. Hahn, Alois: „Partizipative“ Identiäten. In: Furcht und Faszination. Facetten der Fremdheit. Hrsg. von Herfried Münkler. Berlin 1997, S. 115 – 158, hier S. 117 f., Zitat 118; ferner Bohn, Cornelia u. Hahn, Alois: Patterns of Inclusion and Exclusion. Property, Nation and Religion. In: Soziale Systeme 8 (2002), S. 8 – 27, hier S. 12 f. Mathis Leibetseder behandelt einen Ehrenhandel in Berlin-Cölln zwischen Schülern des traditionell reformierten Joachimsthalschen Gymnasiums und des traditionell lutherischen Gymnasiums zum Grauen Kloster im Jahr 1684, bei dem zumindest einige Akteure ihre institu-

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Die Relevanz höfischer Normen wird etwa sichtbar, wenn der Reformierte Gregorio Leti in seiner Geschichte des Hauses Brandenburg den lutherischen Geheimen Kammersekretär Heinrich Rüdiger von Ilgen als Sinnbild eines honnête homme bezeichnet.³³² An dieser Stelle lohnt es sich, noch einmal an eine bereits erwähnte Feststellung Frijhoffs zu erinnern: Bestimmte Orte und spezifisch definierte Situationen aktivierten Normen und Verhaltensweisen, die nicht konfessionell belegt waren, d. h. eine konfessionsübergreifende und -unabhängige Relevanz besaßen.³³³ Hinzu kam, dass die Hofleute an den gleichen Ressourcen interessiert waren, um deren Willen sie religiöse Befindlichkeiten zu dissimulieren bereit waren.³³⁴ Dass die Prioritäten bei Hofe nicht zwingend bei der Konfession lagen, hat sich schon bei Marie Anna von Löbens Beerdigung in Kapitel 3.3 angedeutet. Noch deutlicher demonstriert dies ein relativ bekannter Rangstreit zwischen den Geheimen Räten Christoph Caspar von Blumenthal, Friedrich von Jena und Bodo von Gladebeck im Jahr 1675.³³⁵ Nachdem Letzterer den beiden anderen Räten im Rang vorgestellt worden war, beschwerten sich diese erst, da sie um ihre Ehre und ihr Ansehen unter den Kollegen fürchteten, boykottierten dann die Ratssitzungen und zogen Otto von Schwerin als Unterstützer hinzu. Auch wenn Bahl nicht von allen Beteiligten die Konfession zweifelsfrei klären konnte, war Gladebeck relativ sicher lutherisch (dafür spricht auch, dass seine Leichenpredigt in Wittenberg gedruckt wurde), Blumenthal möglicherweise lutherisch (evtl. ist er im Laufe seines Lebens konvertiert) und Jena und Schwerin reformiert.³³⁶ Diese quer zu konfessionellen Grenzen verlaufende Konfliktlinie sagt viel

tionelle Zugehörigkeit über die konfessionelle Zugehörigkeit stellten. So wurde die Ehre des reformierten Gymnasiums ausgerechnet von gleich mehreren seiner lutherischen Schüler gegen anticalvinistische Beschimpfungen seitens der ebenfalls lutherischen Schüler des Gymnasiums zum Grauen Kloster verteidigt, vgl. Leibetseder: „Callvinische Füchse und Hunde“, v. a. S. 142– 144.  Leti: Ritratti Historici, S. 363. Auch hier wird freilich ein Topos bedient, aber unabhängig von der Frage nach dem Realitätsbezug besitzt die Wiederkehr der immer gleichen Topoi eine gewisse Aussagekraft über die Normen innerhalb einer Gesellschaft oder Gruppe.  Frijhoff: Threshold, S. 58 – 60 u. 63 f.  Vgl. überblicksweise zur Verstellung bei Hofe anhand der höfischen Ratgeberliteratur Asch: Höfling als Heuchler. Diese Ressourcen sind nicht zwingend ökonomischer Natur, sondern umfassen auch soziales und symbolisches Kapital, wie Pečar am Beispiel des Kaiserhofes aufzeigt, vgl. Pečar: Ökonomie, S. 20 – 140.  Vgl. zu dem Fall Göse: Rittergut, S. 343 f.; ferner inklusive abgedruckter Quellen Isaacsohn, Siegfried: Geschichte des preußischen Beamtenthums vom Anfang des 15. Jahrhunderts bis auf die Gegenwart. Zweiter Band. Das Beamtenthum im siebenzehnten Jahrhundert. Berlin 1878, S. 368 – 377.  Vgl. zu Gladebeck Bahl: Hof, S. 484 f.; zu Blumenthal ebd., S. 432 f.; zu Jena ebd., S. 508 f.; zu Schwerin Kapitel 6.1.

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über den Vorrang von Ehre und Rang vor konfessionellen Fragen aus.³³⁷ Selbst wenn man davon ausgeht, dass möglicherweise nur Gladebeck lutherisch war, so bleibt immerhin der Befund, dass bei einem solchen Rangkonflikt die Konfession als Argument gegen seinen Vorrang außen vor blieb. Die Akteure interagierten also konfessionsübergreifend, die Interaktion selbst aber war i. d. R. akonfessionell. Man hatte genug Gemeinsamkeiten, um die Religion übersehen zu können, genügend soziale Intelligenz, um nicht über Religion reden zu müssen und genügend gemeinsame höchst säkulare Interessen, um Bekenntnisdifferenzen überwinden zu können. Das bedeutet indes nicht, dass man es auch immer tat. Tatsächlich lässt sich eine gewisse Ambivalenz zwischen der Überblendung konfessioneller Unterschiede auf der einen und einer immer wieder greifbaren interkonfessionellen Spannung auf der anderen Seite feststellen. Dass eine Umgangsökumene nie frei von Widersprüchen ist und die konfessionelle Differenz trotzdem die Menschen bei Hofe beschäftigte, legt eine kleine Anzahl von Fallbeispielen nahe, in denen die Religion eben doch in den Vordergrund trat. Sie repräsentieren die Ausnahme von der oben formulierten Regel. Man könnte annehmen, dies betreffe vor allem Konflikte, doch die Herausforderung lag auch darin, potentielle Konfliktsituationen von vorneherein zu vermeiden, wie z. B. bei der Taufe eines Kindes des Geheimen Kriegsrates Claus Ernst von Platen in der Marienkirche im Jahr 1664, einem jener Hofleute, die das Leichentuch Luise Henriettes gehalten hatten.³³⁸ So bat er den Archidiakon Martin Lubath, bei der Taufe den für das Brandenburger Luthertum als Distinktionsmerkmal sehr bedeutsamen Exorzismus auszulassen, da reformierte fürstliche Hofdamen anwesend sein würden.³³⁹ Im Umgang mit religiös markierten Situationen war also stets ein gewisses Fingerspitzengefühl vonnöten. Da sich persönliche Begegnungen wie diese grundsätzlich selten – vor allem, wenn es wie hier zu keinem offenen Konflikt kam – in schriftlichen Quellen niederschlagen, muss in Kombination mit den obigen Beobachtungen (etwa den quantitativen Befunden zu Taufpatenschaften) sowie im Lichte der noch folgenden konfessionellen Profile davon ausgegangen werden, dass deutlich häufiger aufeinander Rücksicht genommen wurde, als die Überlieferung suggeriert.

 In diesem Zusammenhang sei auch auf Neugebauers Bemerkung verwiesen, dass unter den Räten verschiedene standesbedingte Konflikte dokumentiert sind. Auch dies sagt viel über die Prioritäten der Zeigenossen aus, vgl. Neugebauer, Wolfgang: Zentralprovinz im Absolutismus. Brandenburg im 17. und 18. Jahrhundert. Berlin 2001 (Brandenburgische Geschichte in Einzeldarstellungen 4), S. 91 f.  Vgl. zu Platen Bahl: Hof, S. 554 f.  Der Vorfall wird detailliert behandelt in Kapitel 5.3.3.

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3 Der Hof zu Berlin-Cölln als interkonfessioneller Interaktionsraum

Nicht oft, aber immer wieder sind Fälle dokumentiert, die eine interkonfessionelle Konkurrenz zum Ausdruck bringen, die teilweise freundlich, teilweise spannungsvoll ausgetragen wurde. Zwei von ihnen sind überliefert in einer fragmentarisch erhaltenen Sammlung des Kammergerichts- und Konsistorialrats Martin Friedrich Seidel³⁴⁰ mit dem Titel „Sechs Decades einiger Personen, welche die reformirte Religion verlassen und lutherisch geworden“, in denen neben Konvertiten auch solche Personen aufgenommen sind, die gegen Widerstände beim Luthertum verharrten.³⁴¹ Das erste Beispiel dreht sich um ein Gespräch zwischen einem nicht näher benannten „vornehmen Ministre“,³⁴² Friedrich Wilhelm und Luise Henriette auf dem Weg nach Oranienburg.³⁴³ Der Minister hätte behauptet, „daß kein Reformirter Lutherisch würde“, worauf der Kurfürst einen Jäger aus seinem Gefolge mit dem Namen Christel³⁴⁴ – den eigentlichen Protagonisten der Geschichte – zu sich rief und ihn fragte: „bist du Reformirt gewesen?“ Christel bejahte und als Friedrich Wilhelm nach den Gründen seiner Konversion fragte, antwortete er: gnedigster herr, zu der zeit dar ich Lutherisch ward, getraueten sich meine Reformirten Prediger nicht mehr Reformirt zu heißen, noch auf Ihre Religion selig zu werden, sondern gaben sich für Lutherische aus, und sagten, dz es eine Religion wäre, so gedachte Ich […] müste mich also an die Religion halten, darinne die Leute selig zu werden nicht zweifelten.³⁴⁵

Und so sei er konvertiert. Selbst wenn man die Geschichte von Christel wegen ihrer Moral und Stilisierung als Fiktion abtut, belegt ihre Existenz noch immer, dass die Zeitgenossen sich mit der Konstellation bei Hofe auseinandersetzten.³⁴⁶ Unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt führt die Anekdote – abgesehen von ihrer antireformierten Botschaft – somit vor Augen, dass die konfessionelle Differenz  Vgl. zu Seidel Kapitel 5.3.1.  Der Auszug umfasst zehn Exempel und befindet sich in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin: SBB-PK, Ms. Boruss. qu. 14, Fol. 130 – 139. Vgl. zum vollen Titel Bolte, Johannes: Martin Friedrich Seidel, ein brandenburgischer Geschichtsforscher des 17. Jahrhunderts. Berlin 1896, S. 31, Nr. 110; Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 420. Das Werk ist nicht datiert. Vgl. zu der Sammlung und was sie über Seidels Konfessionsbewusstsein aussagt Kapitel 5.3.1.1.  Angesichts der Tatsache, dass das Paar mit ihm gemeinsam nach Oranienburg fährt, ist davon auszugehen, dass es sich um Otto von Schwerin handelt.  SBB-PK, Ms. Boruss. qu. 14, Fol. 133 f.  Seidel schreibt an anderer Stelle, er sei ein Förster gewesen, ebd.  SBB-PK, Ms. Boruss. qu. 14, Zitat Fol. 134r – 134v.  Eine komplett frei erfundene Geschichte würde jedoch nicht zu Seidels übrigen Aufzeichnungen passen, die vor allem einen dokumentierenden Charakter haben.Vgl. zu Seidels Nachlass Kapitel 5.3.1.1.

3.4 Facetten des interkonfessionellen Zusammenlebens bei Hofe

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wie eine feine Beschichtung auf der gesamten Hofgesellschaft ruhte, obgleich dies nur in bestimmten Kontexten zum Vorschein kam. Man sprach darüber, man setzte sich, so wie Christel (der als Jäger freilich nicht zum engeren höfischen Kreis zu zählen ist), mit ihr auseinander und man bewahrte Geschichten wie diese, erzählte sie sich möglicherweise auch hinter vorgehaltener Hand, um über die reformierte Akkomodationsstrategie zu spotten. Ganz nebenbei demonstriert sie erneut die große Konfessionssensibilität bei Hofe, denn offensichtlich wusste der Kurfürst, wen er anzusprechen hatte, wenn er einen Konvertiten suchte. Zumindest Friedrich Wilhelm pflegte allem Anschein nach eine Art interkonfessionelle Gesprächskultur, von der Daniel Heinrich Hering auf Grundlage der verschollenen Tagebücher Daniel Ernst Jablonskis berichtet, so etwa von einem Tischgespräch zwischen einem lutherischen Herrn, dem Hofprediger Anton Brusensius³⁴⁷ und Friedrich Wilhelm über die Abendmahlslehre. Als der Lutheraner für das lutherische Abendmahlsverständnis argumentierte, hätte der Kurfürst ihm „eine Weile zu[gehört] und sagte darauf: Schweiget nur.“³⁴⁸ Des Weiteren berichtet Hering von Diskussionen mit einem fränkischen Markgrafen – vermutlich Christian Ernst von Bayreuth – über die Prädestinations- und Abendmahlslehre. Sie hätten Friedrich Wilhelm dazu veranlasst, seine Hofprediger damit zu beauftragen, ihm erstens Belege zu senden, dass Luther „viel härter“ von der Prädestination geschrieben hätte als reformierte Gelehrte, und zweitens in einer Predigt die Lehre von der mündlichen Nießung zu widerlegen.³⁴⁹ Wie repräsentativ solche Episoden für den gesamten Hof sind, muss offen bleiben, doch immerhin ist eine vergleichbare Begebenheit um den Kurprinzen Karl Emil dokumentiert. Dieser habe laut Otto von Schwerin bei einem Gespräch über die Religion mit dem Frankfurter lutherischen Archidiakon Johann Christoph Ludecus³⁵⁰ dergleichen ahrtige reden dabei geführet das sie sich alle darüber verwundert haben, undt wie unter anderm gesaget I. dl. älter herr vater [Johann Sigismund] wehr auch lutterisch gewesen, andtwortete I. dl. wan er nicht gewust das die reformirte religion besser, er wehre wol lutterisch gebliben.³⁵¹

 Vgl. zu Brusensius Thadden: Hofprediger, S. 191 f.; Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. BerlinCölln, S. 84– 88.  Hering: Beiträge 2, S. 12  Ebd., S. 13 f.  Vgl. zu Ludecus Noack, Lothar u. Splett, Jürgen: Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frühen Neuzeit. Mark Brandenburg 1640 – 1713. Berlin 2001, S. 295 – 311.  Schwerin schreibt dies in einem Eintrag zum 7.9.1663 in seinem Erziehungstagebuch für die Kurprinzen, GStA PK, I. HA, Rep. 94, IV HC 9, Bd. 1, Fol. 52r. Abgedruckt bei Orlich, Leopold: Geschichte des Preußischen Staates im siebzehnten Jahrhundert; mit bes. Beziehung auf das

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3 Der Hof zu Berlin-Cölln als interkonfessioneller Interaktionsraum

Doch nun zum zweiten Fall aus Seidels Sammlung: Vom Schicksal des kurfürstlichen Amtsschreibers Caspar Calbersberger hat Seidel nach eigener Aussage von dessen Schwiegersohn, dem Probst der Berliner Nikolaikirche Georg Lilius, erfahren.³⁵² Der Fall liegt zwar vor der Regierungszeit des Großen Kurfürsten,³⁵³ ist aber auf spätere Verhältnisse übertragbar, da die bikonfessionelle Konstellation die gleiche blieb. Calbersberger sei von einigen Reformierten dazu überredet worden, zum Brot brechen zu gehen, hätte wenig später aber aus Gewissensnöten wieder den Weg zurück zum lutherischen Glauben gefunden.³⁵⁴ Als er daraufhin vom reformierten Domprediger Wolfgang Crellius³⁵⁵ zur Rede gestellt worden sei, habe er seine Ängste beschrieben, die er „so empfunden, dz Ich gemeinet es mochte mich der Teüfel hohlen; welches dieser Reformirte Doctor mitt großem Unmuht vernommen, und davon gangen.“³⁵⁶ Teils mit Nachdruck unternommene Konversionsversuche scheinen also auch zur höfischen Realität gehört zu haben, doch obwohl Seidel von einem weiteren Fall berichtet, bei dem jemand vom Glaubensübertritt überzeugt werden sollte,³⁵⁷ lassen sich keine seriösen Aussagen darüber treffen, wie häufig so etwas vorkam. Alleine die Existenz einer Sammlung voller Geschichten wie jener von Christel und Calbersberger im Nachlass eines Hofbeamten belegt jedoch, dass sich der lutherische Teil des Hofes bis zu einem gewissen Grad von den Reformierten bedroht oder bedrängt fühlte und sich in einer Konkurrenzsituation sah. Das bedeutet nicht, dass das Leben bei Hofe von einem permanenten religiösen Wettkampf geprägt war. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Akteure zahlreiche Gemeinsamkeiten besaßen und da-

Leben Friedrich Wilhelm’s des Großen Kurfürsten. Aus archival. Quellen u. aus vielen noch ungekannten Orig.-Handschriften. Erster Theil. Berlin 1838, S. 580.  Vgl. zu Lilius u. a. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 110 f. u. S. 472– 474; Küster, Georg u. Müller, Johann Christoph: Altes und Neues Berlin […] Erster Theil (Altes und Neues Berlin 1), S. 335 – 339; Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 225 – 243. Bei Noack/ Splett ist als Name Kalbesberg angegeben, vgl. ebd., S. 225; ich übernehme im Folgenden Seidels Schreibweise.  Lilius hatte seine erste Frau bereits 1621 geheiratet, vgl. Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 225. Der Schwiegervater hätte also ein hohes Alter erreicht haben müssen, um Friedrich Wilhelm noch an der Macht zu sehen. Da der Domprediger Crellius, der auch erwähnt wird, ab 1627 in Cölln tätig war (zuvor war er Rektor der Universität Frankfurt/ Oder), lässt sich der Vorfall wahrscheinlich in die Regierungszeit Georg Wilhelms datieren.  SBB-PK Ms. Boruss. qu. 14, Fol. 134 f.  Vgl. zu Crellius Bahl: Hof, S. 457 f.; Thadden: Hofprediger, S. 235; Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 99 – 102; Ruschke: Paul Gerhardt, S. 123 f.  SBB-PK Ms. Boruss. qu. 14, Fol. Zitat Fol. 135r.  Es handelt sich um Wolf Andreas Vieritz, der als „Paedagogus bey einem vornehmen reformirten hoffdiener“ angestellt war und auch kurzzeitig konvertierte, doch dann wieder lutherisch wurde und seinen Dienst quittierte. Laut Seidel soll er später ein Dorfprediger geworden sein. Vgl. ebd., Fol. 136 f.

3.4 Facetten des interkonfessionellen Zusammenlebens bei Hofe

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durch meist friedlich miteinander auskamen. Vielmehr war dieses Konkurrenzdenken unterschwellig vorhanden und wurde nur in bestimmten Situationen relevant und sichtbar (etwa bei konkreten Konversionsversuchen), was wiederum zur Folge hat, dass es nur selten in Quellen greifbar wird. Im Übrigen kann man feststellen, dass die Reformierten ihrerseits ähnlich empfanden. Obwohl sie innerhalb der höfischen Elite die Mehrheit stellten, waren sie doch in jeder anderen Hinsicht die Minderheit – möglicherweise sogar bei Hofe, sobald man die mittleren und niederen Fürstendiener hinzunimmt. Daraus ergab sich ein allgemeines Bedrohungsempfinden, welches etwa in der Leichenpredigt zu Lorenz Christoph von Somnitz zum Ausdruck kommt, in der betont wird, dass er zum reformierten Glauben konvertiert sei „an einem Orte/ und zu einer Zeit/ da dieselbe sehr verhaßt gewesen.“³⁵⁸ Auch Konkurrenzdenken findet sich bei den Reformierten. So berichtet der hessische Gesandte Georg Lincker Folgendes: die Lutherische am Hofe haben diese tage vorgehabt einen Ihrer Religion in eine Cammercanzelistenstelle so bald vociren und einzubringen, es auch bereits so weit gebracht gehabt, das [in Chiffre: Otto von Schwerin zweiffelte obs zu hindern], aber [in Chiffre: prediger] haben es beynahe hindertrieben. Aber hingegen wird die Persohn, welche die stelle nicht haben soll wohl Raht werden.³⁵⁹

Ein ähnliches konfessionelles Ringen um eine Stellenbesetzung ist für das Jahr 1671 bekannt, als der Lutheraner Wendelin Lonicer beinahe das ihm schon versprochene Amt als Hausvogt zugunsten des Schwiegersohns des reformierten Hofpredigers Heinrich von Schmettau verloren hätte – wäre er nicht zufällig mit einer Reformierten verheiratet gewesen, die sich für ihn einsetzte.³⁶⁰ Die Konkurrenz der Konfessionen fand also keineswegs auf Augenhöhe statt und es war

 Schmettau, Heinrich von: Allervollkommenste Seelen-Klugheit […] Wie solche/ Bey hochansehnlichster Beysetzung des seligverblichenen Cörpers/ Des weiland wolwürdigen/ hochEdelgebornen hern/ herrn Lorentz Christoph von Somnitz […] in der Churfürstl. Thum-Kirchen allhie Anno 1678. den 7. Maji in einer kurzen Leichpredigt fürgestellet worden […] Berlin 1678, S. 60. Diese und weitere Aussagen zu Schwierigkeiten in der reformierten Glaubensausübung beziehen sich auf Pommern, sind aber m. E. auf andere Reformierte übertragbar angesichts ihrer Minderheitenposition in Brandenburg-Preußen. Vgl. zur Minderheitensituation der reformierten höfischen Elite in Brandenburg und den damit verbundenen Schwierigkeiten Göse: Rittergut, S. 388 f. u. 391 f.  Hessisches Staatsarchiv Marburg (HStAM), 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 353, Bericht vom 20.2./2. 3.1667.  Vgl. Bahl: Hof, S. 212 f.

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3 Der Hof zu Berlin-Cölln als interkonfessioneller Interaktionsraum

eindeutig von Vorteil, reformiert zu sein, was ja auch Bahls Zahlen belegen.³⁶¹ Um hiervon die allgemeine Regel abzuleiten, dass Patronagebeziehungen immer entlang konfessioneller Fronten verliefen, ist die Überlieferungslage jedoch nicht dicht genug.³⁶²

3.4.3 Konfession und Kontext Bis hierhin lässt sich zusammenfassen, dass die Interaktion bei Hofe in der Regel von anderen Aspekten geprägt war als von der Konfession, was ein harmonisches Zusammenleben und gegenseitige Rücksichtname förderte. Dennoch existierte eine gewisse unterschwellige Spannung, die jedoch nur greifbar wird, wenn etwa um Ämter konkurriert wurde oder wenn es zu explizit konfessionell gerahmten Situationen kam, wie bei Konversionsversuchen oder den Tischgesprächen des Kurfürsten. Dies bedeutet indes nicht, dass die Hofgesellschaft in zwei Teile zerfiel, die unabhängig voneinander koexistierten und miteinander konkurrierten. Dafür gibt es einfach zu viele Belege konfessionsübergreifender Beziehungspflege, wie teilweise oben schon aufgezeigt, teilweise später noch in den konfessionellen Profilen genauer dargestellt wird. Dementsprechend finden sich in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms nur wenige Zeugnisse für eindeutig konfessionell begründete Konflikte oder Schwierigkeiten bei Hofe – mit einer Ausnahme: Die Zeit zwischen 1657 und 1668, jener Zeit, in der Friedrich Wilhelm seinen kirchenpolitischen Schwenk hin zur Verdrängung des Konkordienluthertums vollzog. Wie bereits im Auftakt der Arbeit erwähnt wurde, fallen in diesen Zeitraum zwei Rücktritte bzw. Fluchten und vier Entlassungen lutherischer Hofleute aus konfessionellen Gründen (Hübner nicht eingerechnet) – in den übrigen 37 Regierungsjahren des Kurfürsten sind es null. Hinzu kommt, dass – abgese-

 Neben den Zahlen legen das einige Fälle nahe, in denen Akteure entweder durch ihr reformiertes Bekenntnis oder die Förderung des reformierten Glaubens Vorteile zu erzielen und die Bindung zum Kurhaus zu vertiefen suchten, vgl. Göse: Rittergut, S. 392 f.; Neugebauer, Wolfgang: Konfessionelle Klientelpolitik im 17. Jahrhundert. Das Beispiel der Reichsgrafen von Sayn-Wittgenstein. In: Zeitenblicke 4 (2005), Nr. 3, http://www.zeitenblicke.de/2005/3/Neugebauer/index_ html (7. 2. 2018).  Schon Bahl verweist darauf, dass „die Quellen nie so reich fließen, daß sie jede informelle Art personaler Beziehungen oder deutlicher Protektion erkennen ließen.“ Bahl: Hof, S. 142. Bei den Patronagebeziehungen, die Bahl beschreibt, fällt durchaus auf, dass die Konfession von Patron und Klient häufig dieselbe war, was jedoch oft auch daher rührte, dass Hofleute bspw. die Erzieher ihrer Kinder später häufig förderten, die wenig überraschend in ihrer Eigenschaft als Erzieher reformiert waren. Die Konfession scheint also eher ein unterstützender Faktor gewesen zu sein und nicht das zentrale Bindeglied im Patronageverhältnis, vgl. ebd., S. 138 – 143.

3.4 Facetten des interkonfessionellen Zusammenlebens bei Hofe

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hen von den vereinzelten Beobachtungen, die in diesem Kapitel zusammengefasst wurden – nur in diesem Zeitraum im nennenswerten Maße Zeugnisse zum Umgang der Hofleute mit der Bikonfessionalität existieren. Dies hat zum Teil mit der spezifischen Überlieferungssituation zu tun,³⁶³ hängt m. E. aber in erster Linie mit dem bereits beschriebenen Phänomen zusammen, dass eine funktionierende Umgangsökumene schnell in einen Konflikt umschlagen konnte, sobald sich die Rahmenbedingungen änderten.³⁶⁴ Solange es keine einschneidenden Eingriffe in den konfessionellen Status quo gab, war auch das Zusammenleben bei Hofe relativ konfliktfrei. Dies ist der Grund, warum es kaum Quellen zum interkonfessionellen Alltag gibt, denn friedliche Koexistenz produzierte deutlich seltener Quellen.³⁶⁵ Keine Hinweise gibt es darauf, dass Konflikte auf eine konfessionelle Ebene transformiert worden wären, um dadurch der Gegenseite zu schaden,³⁶⁶ nicht einmal im Falle des katholischen Statthalters Adam von Schwarzenberg, dessen Position von Friedrich Wilhelm nach seinem Herrschaftsantritt deutlich geschwächt und dem kurz vor und nach seinem Tod im Jahr 1641 so einiges vorgeworfen wurde – aber nie sein katholischer Glaube.³⁶⁷ Die explizite Auseinandersetzung mit der Bikonfessionalität bei Hofe und offene Konflikte sind also auf einen engen zeitlichen Rahmen (ca. 1657– 1668) und spezifische Konstellationen – nämlich eine Bedrohung des konfessionellen Status quo – begrenzt. Letzteres lässt sich auch auf die Spannungen zu Konvertierungsversuchen und Ämterbesetzungen übertragen, markierten sie schließlich auch einen Eingriff in die bestehende Balance, die zwar asymetrisch war, aber funktionierte. Neben einem engen zeitlichen und thematischen Kontext waren die Konflikte ferner auf einen engen örtlichen Kontext beschränkt und zwar auf zwei Orte: Den Geheimen Rat und das Konsistorium. Hier gehörte es zum Aufgabenbereich der Beamten, sich mit interkonfessionellen Fragen und Konflikten auseinanderzusetzen. Während man sich als Höfling oder Hofbeamter normalerweise aus den Konfessionskonflikten heraushalten konnte, indem man bestimmte Situationen und Gesprächsthemen mied, wurden die Geheimen und Konsistorialräte regelmäßig damit konfrontiert. Ihre Amtsstuben waren die einzigen Orte, an denen

 Vgl. Kapitel 1.4.  Vgl. Kapitel 2.5.  Vgl. Hacke: Konfession, S. 30.  Vgl. zu diesem Phänomen ebd., S. 28 f.  Vgl. etwa Cosmar, Immanuel Wilhelm Carl: Beiträge zur Untersuchung der gegen den kurbrandenburgischen Geheimen Rath Grafen Adam von Schwarzenberg erhobenen Beschuldigungen. Zur Berichtigung der Geschichte unserer Kurfürsten Georg Wilhelm und Friedrich Wilhelm. Großtentheils aus archival. Quellen geschöpft. Berlin 1828; vgl. zu Schwarzenberg auch Bahl: Hof, S. 582.

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3 Der Hof zu Berlin-Cölln als interkonfessioneller Interaktionsraum

man als Hofmann der unangenehmen Frage nach der Religion nicht aus dem Weg gehen konnte. Die Konflikte konzentrierten sich also auf die politisch-administrative Seite des Hofes. Dies hat selbstverständlich auch mit der Überlieferung zu tun, aber nicht ausschließlich, wie zwei Beispiele demonstrieren: Ende des Jahres 1665 – also mitten im Märkischen Kirchenstreit – war der lutherische Hof- und Kammergerichtsrat Hasso Adam von Wedel gemeinsam mit zwei lutherischen Kollegen und dem Berliner Archidiakon Samuel Lorentz Mittag essen. Als die anderen über die Kirchenpolitik, die gescheiterten Einigungsversuche und die Gewissensskrupel der Geistlichen sprachen, zeigte er sich äußerst schlecht informiert und traf Lorentz zwei Tage später erneut, um sich über die Verfolgung aufklären zu lassen.³⁶⁸ Man konnte also problemlos lutherischer Hofmann und trotzdem nicht genau im Bilde über die Konfessionskonflikte in der Residenz sein. Dies galt auch für Reformierte: Als Lorentz 1668 schließlich ins Exil gehen musste, stattete ihm der reformierte kurfürstliche Leibarzt Andreas Nikolaus de Bonnet einen Abschiedsbesuch ab – ganz nebenbei ein schöne Zeugnis für friedliche interkonfessionelle Interaktion – und erzählte, wie er am Hofe erst verwundert gefragt habe, warum man Lorentz denn verjage.³⁶⁹ Auch er war also nicht voll im Bilde. Dies mögen Sonderfälle sein und gerade die lutherischen Hofleute werden mehrheitlich bei ihren Gottesdienstbesuchen die nötigen Informationen bekommen haben. Wenn sie aber bei Hofe waren, sich also in einem anderen Kontext bewegten, trat dies in den Hintergrund. Sie konnten sich auf ihre Rolle als Hofmann zurückziehen. Für die Geheim- und Konsistorialräte galt dies nicht.Was das für sie bedeutete, wird in den folgenden Kapiteln deutlich werden.

3.5 Zwischenresümee Bevor nun mit Andreas Fromm und weiteren Räten die Akteure konkret beleuchtet werden, sollen an dieser Stelle noch einmal die vorigen Beobachtungen zum bikonfessionellen Miteinander zusammengefasst werden. Sie bilden die Grundbedingungen der Umgangsökumene bei Hofe und können eine allgemeine Gültigkeit für die gesamte Regierungszeit Friedrich Wilhelms beanspruchen. 1. Die Zusammensetzung der Hofgesellschaft und die Demonstration konfessionsunabhängiger Geschlossenheit bei öffentlichen höfischen Ereignissen trugen indirekt zur Integrationskraft des Hofes ebenso wie zum irenischen Image

 Vgl. ausführlich Kapitel 5.3.2.2.  Vgl. Kapitel 6.1.2.

3.5 Zwischenresümee

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Friedrich Wilhelms bei und hatten dadurch eine kirchenpolitische Funktion. Der Hof besaß eine konfessionelle Legitimationsfassade. 2. Gerade weil der Hof bikonfessionell war, existierte dort eine große Konfessionssensibilität. Man konnte seine Mitmenschen in der Regel eindeutig einer Konfession zuordnen. Eine Duldung von konfessioneller Ambiguität lässt sich nicht feststellen.³⁷⁰ Vielmehr herrschte ein großer Vereindeutigungsdruck. 3. Interkonfessionalität und eine friedliche Koexistenz war am brandenburgischen Hofe der Normalfall – er war eine funktionierende Umgangsökumene. Deshalb existieren relativ wenige Quellen, in denen die Konfession explizit thematisiert wird. Trotzdem lassen sich eine latente Spannung und Konkurrenz zwischen den Konfessionen nachweisen, die i. d. R. aber nicht in offene Konflikte umschlugen. 4. Interkonfessionalität wird in den Quellen fast nur im Kontext von Konfliktfällen explizit thematisiert, die sich wiederum auf wenige zeitliche, politische und soziale Kontexte beschränken, insbesondere die Zeit zwischen 1656 und 1668. Der erste bedeutende Schauplatz eines solchen Konfliktes wurde mit der Wende in der Kirchenpolitik das Konsistorium – und beteiligt war ein Konsistorialrat namens Andreas Fromm.

 Dies war v. a. im 16. Jahrhundert in einigen multikonfessionellen Gebieten im Reich noch anders, vgl. etwa Luebke: Hometown Religion, S. 15 f. u. 54. Luebke sieht ungefähr ab dem Westfälischen Frieden ohnehin einen allgemeinen Trend zu klaren konfessionellen Grenzziehungen, ohne dass dies eine friedliche Koexistenz ausgeschlossen hätte, ebd., S. 213 – 218.

4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm 4.1 Fromm und die Irenik 4.1.1 Fromms Eintritt in das Konsistorium Am 24.10.1656 wandte sich der lutherische Konsistorialpräsident Joachim Kemnitz gemeinsam mit seinen reformierten Kollegen, dem Hofprediger Johann Bergius und Conrad Schardius sowie dem lutherischen Konsistorialrat Johann Georg Reinhart³⁷¹ in einem Schreiben an den Kurfürsten, in dem sie Andreas Fromm³⁷² für die Stelle als geistlichen Konsistorialrat empfahlen, u. a. wegen seines verträglichen Gemüts, um den Frieden im Konsistorium weiter zu wahren. Als Probst der Kirche St. Petri zu Cölln an der Spree sollte er zugleich für die Vokationen zuständig sein.³⁷³ Friedrich Wilhelm nahm den Vorschlag an, sodass Fromm Anfang 1657 seine Stelle antrat.³⁷⁴ Damit betrat er einen der beiden zentralen Räume, in denen interkonfessionelle Beziehungen explizit thematisiert wurden.³⁷⁵ Die Behörde für das Erziehungs- und Kirchenwesen³⁷⁶ war neben dem Geheimen Rat der Ort, an dem Kir-

 Vgl. für Literatur zu den Räten Kapitel 4.1.3.  Zu Fromm existieren zahlreiche Publikationen, die sich jedoch meist nur auf seine Flucht und spätere Konversion konzentrieren. Die folgende Darstellung ist nicht nur die bisher umfassendste Synthese zu Fromm, sondern umfasst auch zahlreiche Quellen, die bisher unbekannt waren oder noch nicht im Detail ausgewertet wurden. Vgl. u. a. zu Fromm ausführlich Ruschke: Paul Gerhardt, S. 117 f., 141 f. u. 477– 483; Hering: Neue Beiträge 2, S. 274– 308; Küster, Georg Gottfried: Fortgeseztes Altes und Neues Berlin […] (Altes und Neues Berlin 2). Berlin 1752, S. 535 – 554; besonders ausführlich zur publizistischen Polemik infolge von Fromms Flucht und Konversion mit weiteren Literaturangaben sind Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 124– 137; vgl. ferner u. a. Schulz: Paul Gerhardt, S. LXII–LXVII; Köchling, Karl-Heinz: Das Leben des Andreas Fromm (1621– 1683) unter besonderer Berücksichtigung seiner Konversion zur katholischen Kirche. In: Wichmann Jahrbuch für Kirchengeschichte im Bistum Berlin 17/18 (1963/ 64), S. 77– 97; Landwehr: Stosch, S. 121– 124.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 4, Fol. 529 f.  Ebd., Fol. 531 f., vgl. auch Bahl: Hof, S. 413. Die Angabe bei Noack/ Splett, wonach Fromm seit 1654 Konsistorialrat gewesen ist, ist falsch, vgl. Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 124.  Vgl. Kapitel 3.4.3.  Ein gedrängter Überblick zum Konsistorium und seinen Aufgaben findet sich mit weiteren Literaturangaben bei Neugebauer, Wolfgang: Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit in Brandenburg-Preußen. Berlin/ New York 1985, S. 73 – 75; vgl. ferner zu Geschichte und Aufgaben des Konsistoriums (bezogen auf den Zeitraum von seiner Gründung bis zur Regierungszeit Friedrich Wilhelms) u. a. Haß, Martin: Die ältesten Entwürfe einer Konsistorialordnung für die https://doi.org/10.1515/9783110647006-006

4.1 Fromm und die Irenik

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chenpolitik stattfand. Wenn Geistliche in Brandenburg mit Friedrich Wilhelm in Berührung kamen, so geschah dies vermittelt über das Konsistorium. Somit war es ein Spiegel des Kurfürsten und ebenso Teil des konfessionellen ‚Eindrucksmanagements‘ wie öffentliche Ereignisse bei Hofe oder die Selbstinszenierung Friedrich Wilhelms.³⁷⁷ Eine so wichtige Bühne will gut bespielt sein, galt es doch, gegenüber einem vornehmlich lutherischen Publikum den Kirchenfrieden abzubilden und das konfessionsunabhängig gute Kirchenregiment des Kurfürsten zu repräsentieren.

4.1.2 Das Konsistorium als Schauseite des Hofes Das Konsistorium war also Teil der konfessionellen Schauseite des Hofes, was nicht allein an seiner Funktion, sondern auch an seiner konfessionellen Zusammensetzung lag. Die Kirchenbehörde war 1637 umgestaltet worden, als Kurfürst Georg Wilhelm dem Hofprediger Johann Bergius angeboten hatte, reformierter Superintendent zu werden, nachdem die Stelle bereits fünf Jahre vakant gewesen war. Dieser schlug vor, stattdessen künftig je einen reformierten und einen lutherischen Geistlichen zu Konsistorialräten zu ernennen, um Unfrieden zu vermeiden.³⁷⁸ Von nun an war das Konsistorium als eine Behörde angelegt, die konfessionelle Parität suggerieren und so zum Kirchenfrieden beitragen sollte. Der reformierte Konsistorialrat war stets ein Hofprediger, während entweder der Probst aus Cölln an der Spree oder aus Berlin das lutherische Amt besetzte. Hinzu kamen ein Präsident und zwei juristische bzw. weltliche Konsistorialräte, die häufig auch zeitgleich Kammergerichtsräte waren. 1688 wurde die Zahl der juristischen Räte auf fünf erhöht.³⁷⁹ Man mag einwenden, dass die Einbindung reformierter Räte ins vormals rein lutherische Konsistorium alles andere als ein

Kurmark Brandenburg. In: FBPG 27 (1914), S. 1– 55; Herold,Victor: Das Cöllnische Konsistorium im 16. Jahrhundert. In: FBPG 53 (1941), S. 1– 42; Mühler, Heinrich von: Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung in der Mark Brandenburg. Weimar 1846, S. 60 – 74; Dorwart, Reinhold A.: Church Organization in Brandenburg-Prussia from the Reformation to 1740. In: The Harvard Theological Review 31 (1938), S. 275 – 290, v. a. S. 275 – 280; Gundermann, Iselin: Kirchenregiment und Verkündigung im Jahrhundert der Reformation (1517 bis 1598). In: Heinrich (Hrsg.): Tausend Jahre Kirche in Berlin-Brandenburg, S. 147– 241, hier S. 179 f. u. 211– 214; Hintze: Epochen, S. 82 f.  Vgl. Kapitel 2.4 u. 3.3.  Nischan: Bergius, S. 398 f.  Vgl. Bahl: Hof, S. 104– 107.Vgl. zu den Mitgliedern des Konsistoriums auch Themel, Karl: Die Mitglieder und die Leitung des Berliner Konsistoriums vom Regierungsantritt des Kurfürsten Johann Sigismund 1608 bis zur Aufhebung des Königlichen Preußischen Oberkonsistoriums 1809. In: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 41 (1966), S. 52– 111, hier S. 52– 77.

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4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm

Signal des Ausgleichs gewesen sei, nur muss bedacht werden, dass der ursprüngliche Plan unter Johann Sigismund noch gewesen war, die Behörde langsam aussterben zu lassen und durch einen reformierten Kirchenrat zu ersetzen.³⁸⁰ Vor diesem Hintergrund kann man die Einbindung der Reformierten durchaus als Kompromissversuch deuten. Die Räte selbst hoben 1638 im Rahmen eines Vorschlags zur Reform der Konsistorialordnung hervor, dass die paritätische Besetzung des Konsistoriums einer gegenseitigen Kontrolle gleichkomme und dadurch einseitige Benachteiligungen verhindere.³⁸¹ Als Fromm Mitglied des Konsistoriums wurde, war dieses überwiegend mit Lutheranern besetzt: von sechs Räten waren insgesamt vier lutherisch und zwei reformiert.³⁸² Erst ab 1665 kippte dieses Verhältnis, als mit Lucius von Rhaden nicht nur ein Reformierter, sondern auch der Vorsitzende des Dom-Direktoriums, Präsident des Konsistoriums wurde und auch die Zahl der reformierten Räte jene der lutherischen überstieg.³⁸³ Diese vermeintliche Gleichberechtigung spielte für Friedrich Wilhelm eine wichtige Rolle, um die Akzeptanz der Behörde bei seinen Untertanen und der Geistlichkeit zu gewährleisten. Dazu gehörte auch der gezielte Einsatz lutherischer Räte für Aufgaben mit Konfliktpotential. Als etwa der dritte Diakon der Nikolaikirche Johannes Heinzelmann im Jahr 1658 in einer Predigt die Reformierten verdammte, ließ der Kurfürst die Angelegenheit untersuchen – und zwar absichtlich nur von den lutherischen Konsistorialräten.³⁸⁴ Er tat dies aus folgendem Grund: Wir haben euch keinen von unsrer Religion bey dieser comission adiungiren mögen, damit er [Heinzelmann] auch solches nicht etwann für eine persecution halte und ausgebe versehen uns aber zu euch als unsren verpflichteten dienern, und die wahrheit liebenden personen, Ihr werdet gleich durchsehen, und uns eine pflichtmeßige schriftliche unterthanigste relation abstatten.³⁸⁵

 Nischan: Prince, S. 121– 126.  Vgl. Bonin, Burkhardt: Die Versuche märkischer Kirchenrechtsreform im 17. Jahrhundert. In: JBrKG 22 (1927), S. 173 – 231, hier S. 178.  Vgl. Bahl: Hof, S. 413. Hier ist auch Lucius von Rhaden als Konsistorialrat angegeben. Dies ist jedoch falsch und taucht auch nicht in seiner Informationstafel auf, vgl. ebd., S. 562 f.  Ebd.; vgl. zu Rhaden ebd., 562 f. Küsters Behauptung, wonach es bereits von 1648 bis 1653 mit Wolf Dietrich von Rochow einen reformierten Konsistorialpräsidenten gegeben habe, lässt sich mit Bahl nicht belegen, vgl. ebd., S. 413; vgl. auch Küster, Georg Gottfried: Des alten und neuen Berlin dritte Abtheilung (Altes und Neues Berlin 3). Berlin 1756, S. 411.  Vgl. zu dem Fall Ruschke: Paul Gerhardt, S. 138 f.; Landwehr: Kirchenpolitik S. 197 f.; Hering: Neue Beiträge 2, S. 104 f. Vgl. allgemein zu Heinzelmann mit weiteren Literaturangaben Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 177– 185.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Beschuldigungen von Predigern 1652– 1659 (Fol. 55)“, Fol. 15 f.

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Das Konsistorium demonstrierte durch seine Besetzung folglich konfessionelle Gleichberechtigung nach außen und legitimierte im direkten Kontakt mit der lutherischen Geistlichkeit Entscheidungen – im Zweifelsfall durch den gezielten Einsatz lutherischer Räte. Wenn Fromm also mit der Begründung vorgeschlagen wurde, er sei friedfertig und verträglich, so ist dies nicht nur ein Gemeinplatz, sondern eine Grundvoraussetzung, um die symbolische Bedeutung des Konsistoriums für die konfessionelle Selbstinszenierung Friedrich Wilhelms aufrecht erhalten zu können, indem konfliktfrei zusammengearbeitet wird. Risse in dieser Außendarstellung werden nach 1656 greifbar. Den Wendepunkt für das Konsistorium brachte, genau wie für die Kirchenpolitik allgemein, die Verordnung vom 3.12.1656, wonach angehende Geistliche künftig nur noch im Konsistorium ordiniert werden und nicht mehr auf die FC schwören sollten, sowie die zwei ergänzenden Circularverordnungen von 1657.³⁸⁶ Parallel dazu wurde ein neuer Versuch unternommen, die schon lange anstehende Revision der Visitations- und Konsistorialordnung vorzunehmen.³⁸⁷ Es gab also ein kleines Bündel kirchenpolitischer Vorhaben, von denen die Verordnungen gegen die FC zu Konflikten im Konsistorium führten.

4.1.3 Das Konsistorium stellt sich vor Als Fromm im Jahr 1657 bestallt wurde, war der Hofprediger Johann Bergius reformierter geistlicher Konsistorialrat. Als ein irenisch gesinnter Theologe mit einem vergleichsweise guten Ruf unter den Lutheranern³⁸⁸ war er eine Schlüsselfigur für das konfessionelle ‚Eindrucksmanagement‘ der Kurfürsten von Brandenburg.³⁸⁹ Nach seinem Tod Ende 1658 übernahm der Hofprediger Bartholomäus Stosch das Amt des reformierten geistlichen Konsistorialrats, dessen Ruf bei den Lutheranern deutlich schlechter war als der seines Vorgängers.³⁹⁰ Der reformierte juristische Konsistorialrat war seit 1653 Gottfried Schardius, der später als erster reformierter Bürgermeister Berlins in die Geschichte eingehen

 Vgl. Kapitel 2.3.  Vgl. Bonin: Versuche, S. 183 f.  So wies etwa der Berliner Magistrat in einem Schreiben an den Kurfürsten bezüglich angeblicher Kanzelpolemiken im Jahr 1666 darauf hin, dass es zu Bergius Lebzeiten friedlicher gewesen sei und man weniger Beschwerungen erfahren habe, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 143; 1670 – 1702], „[Mappe zum Edikt von 1664]“, Fol. 92f.; vgl. zu Bergius’ gutem Ruf auch Nischan: Johann Peter Bergius, S. 55; vgl. auch Kapitel 6.3.  Vgl. auch Kapitel 2.2.  Ebd.; ferner Kapitel 6.3.

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sollte.³⁹¹ Seine Familie gehörte zu den vergleichsweise alteingesessenen reformierten Familien in der Residenz, also der ersten Generation reformierter Amtsträger nach Johann Sigismunds Konversion.³⁹² Bergius und Stosch hingegen stammten aus Pommern bzw. Schlesien und waren erst später nach Berlin gelangt. Dennoch waren sie alle über Heiratskreise miteinander verbunden: Stosch war über seine erste Ehefrau Catharina Elisabeth mit Schardius verschwägert, dem Bergius wiederum durch seine erste Frau zum Onkel geworden war.³⁹³ Die reformierten Räte entsprachen also ganz den gängigen Vorstellungen vom kurbrandenburgischen Hof, indem sie größtenteils aus Zugezogenen bestanden, die geschlossene Heiratskreise bildeten und dadurch eine weniger starke Bindung an die Residenz hatten.³⁹⁴ Beim lutherischen Teil des Konsistoriums sieht die Sache ganz anders aus. Der Konsistorialpräsident Joachim Kemnitz war gebürtiger Berliner, bereits seit 1625 Konsistorialrat und seit 1648 Konsistorialpräsident. Das Amt war ihm geradezu in die Wiege gelegt worden, war doch schon sein Vater Mitglied des Konsistoriums gewesen.³⁹⁵ Auch Johann Georg Reinhart, seit 1638 juristischer Konsistorialrat, war gebürtiger Berliner und hatte einen Vater, der schon zuvor in kurfürstlichen Diensten war.³⁹⁶ Martin Friedrich Seidel war ebenfalls juristischer Konsistorialrat und zwar seit 1648.³⁹⁷ Genau wie Kemnitz und Reinhart war auch er gebürtiger Berliner und besaß mit Erasmus Seidel einen Geheimen Rat als Vater.³⁹⁸ Während Reinhart mit Eva Sybille von Striepe eine reformierte Ehefrau³⁹⁹ besaß, waren Kemnitz und Seidel als Schwiegersöhne des Vizekanzlers des Kammergerichts, Andreas Kohl,⁴⁰⁰ über Heiratskreise miteinander sowie mit weiteren Berliner Familien verbunden.⁴⁰¹ Kurzum: Die lutherischen Konsistori Vgl. zu Schardius Bahl: Hof, S. 570; Saring, Hans: Die Mitglieder des Kammergerichts zu Berlin unter dem Großen Kurfürsten. In: FBPG 54 (1943), S. 69 – 114 u. 217– 256, hier S. 219 f.  Zur Familie Schardius vgl. Schmitz: Ratsbürgerschaft, S. 124– 130.  Vgl. Bahl: Hof, S. 429 f., 570, 598 f., ferner die Verwandtschaftstafeln S. 629, 651, 653. Alle drei sind damit auch über den Hofprediger Johann Sigismunds Martin Füssel miteinander verbunden.  Vgl. etwa ebd., S. 247; Opgenoorth: „Ausländer“, S. 15. Allerdings sei auf die Ausführungen oben zur Einbettung des Hofes in die Residenz verwiesen, vgl. Kapitel 3.1.  Vgl. zu Kemnitz Bahl: Hof, S. 514 f.; Saring: Mitglieder, S. 218.  Vgl. zu Reinhart Bahl: Hof, S. 561 f.; Saring: Mitglieder, S. 80 – 82.  Vgl. zu Martin Friedrich Seidel Kapitel 5.3.1.1.  Bahl: Hof, S. 588 – 590; Küster trug Informationen zur Familie Seidel vom ausgehenden Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert zusammen, vgl. Küster, Georg Gottfried: Geschichte des altadelichen Geschlechts derer von Seidel vom Ursprung desselben, bis auf jezige Zeiten […] Berlin 1751.  Bahl: Hof, S. 561, ferner die Verwandtschaftstafel S. 632.  Vgl. zu Kohl Bahl: Hof, S. 522; Saring: Mitglieder, S. 72.  Küster: Seidel, S. 642.

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alräte waren viel tiefer in der Residenzstadt verwurzelt als ihre reformierten Kollegen und ihre Bande zum Stadtbürgertum waren deutlich stärker – die konfessionelle und die soziale Zugehörigkeit waren miteinander verschränkt. Wenn Reinhart, Seidel und Kemnitz im Auftrag ihres Dienstherrn Kirchenpolitik machten, konnte dies Auswirkungen bis zu ihren Sitznachbarn in der Kirchenbank haben. Was immer sie als Räte taten – es beeinflusste potentiell ihr eigenes Leben als Lutheraner, ihre Nachbarn, Verwandten, Gemeindemitglieder und Freundschaften, also ihr gesamtes soziales Umfeld.

4.1.4 Verdeckte Manöver und interkonfessionelle Schikane Schon kurz nach Fromms Berufung finden sich Hinweise auf seine irenische bis pro-reformierte Einstellung. Am deutlichsten tritt sie in privaten Briefen zutage, die er zwischen 1657 und 1662 an die Hofprediger Bergius und Stosch schrieb. Sie wurden 1667, also einige Jahre später, von kurbrandenburgischer Seite in Druck gegeben als Reaktion auf Fromms Flucht nach Wittenberg.⁴⁰² Auch wenn sich fast kein Brief mehr archivalisch nachweisen lässt, bezweifelte nicht einmal Fromm selbst ihre Echtheit, als er mit eigenen Polemiken auf den publizistischen Angriff Brandenburgs reagierte.⁴⁰³ In einem seiner späteren Briefe offenbarte Fromm sich Stosch gegenüber gar als Kryptocalvinist: Bißher habe ich […] an mich gehalten (aber vielleicht noch nicht gnug an mich halten können) daß ichs nicht ganz lautbar gemacht/ daß ich Reformatae Religionis sey; nicht aber ex hypocrisy, sondern was guts bey den Lutherischen zu stifften/ nemlich daß sich alle

 Fromm: Etliche Brieffe. Fromm gibt in einer Gegenschrift an, die Briefe stammten alle aus einem Zeitraum zwischen 1657 und 1662. In der Publikation sind sie leider nicht datiert und teilweise in falscher Chronologie angeordnet, vgl. Ders.: Apologia, S. 4.  Vgl. Fromm: Apologia, S. 3 f. Allerdings warf er Stosch vor, einzelne Briefe unterschlagen, gekürzt und nicht chronologisch angeordnet zu haben, um so ein besonders nachteiliges Bild von Fromm zu zeichnen, vgl. ebd. und S. 18 f. Ähnlich seine Ausführungen in Ders.: Nöthige Erklehrung, S. 38 – 41. Als Reaktion veröffentlichte er im Anhang seiner Apologia selbst Briefe von Stosch und Bergius, die insgesamt weniger brisant sind, aber später auch noch vereinzelt eine Rolle spielen werden. Einer der Briefe (Brief X) befindet sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, allerdings als Abschrift von Bartholomäus Stosch, GSTtA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „die gegen […] Fromm […] verfügte untersuchung“, Fol. 31– 33. Ein Bericht Fromms und Stoschs zu den Verwirrungen um die Vokation Christian Nicolais, auf den unten noch ausführlich eingegangen wird, wurde ebenfalls in der Briefsammlung abgedruckt unter dem Titel „Responsum“. Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass sich am Ende des Drucks sogar eine notarielle Bestätigung der Echtheit der Briefe befindet. Vgl. zu allen Schriften Fromms das Verzeichnis bei Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 131– 134.

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Lästerungen/ und alle bittere hertzen […] auff mich möchten ablauffen/ und endlich in der Bitterkeit müde werden/ und sich allgemach zum Frieden […] nähern möchten⁴⁰⁴.

Um dem Mann kein Unrecht zu tun, soll nicht unerwähnt bleiben, dass Fromm nach seinem Weggang aus Berlin sehr viel Wert darauf legte, dass er seinerzeit nie ein Calvinist, sondern nur ein Synkretist gewesen sei.⁴⁰⁵ Als ein solcher erscheint er denn auch in seinen frühen Briefen an Bergius in den ersten zwei Jahren nach seiner Bestallung im Konsistorium. So schlug er im Zuge der Revision der Konsistorialordnung vor, einen jährlichen Konvent im Konsistorium zu halten, um eine „Moderation“ einzuführen und bei den Geistlichen im Lande „ein sittsamer Gemüht gegen Sr. Churfürstl. Durchl. Confession“ zu befördern.⁴⁰⁶ An anderer Stelle wird er sehr viel deutlicher, wenn er „von Herzen“ wünscht, dass Bergius’ Lehre weitergebracht werde, wobei er einschränkend betont, die strenge Prädestinationslehre abzulehnen. Gleichzeitig wolle Fromm die lutherischen Akademien, die anscheinend bereits auf ihn aufmerksam geworden waren, im Unklaren darüber lassen, ob er noch ihrer Lehrmeinung anhänge.⁴⁰⁷ Ab der Zeit kurz vor seiner Berufung ins Konsistorium kann nachgewiesen werden, dass Fromm sich mit seinen irenischen Positionen bei seinen Glaubensgenossen zunehmend verdächtig machte und in Konflikte geriet. So äußerte der Cöllner Magistrat im Juli 1656 die Befürchtung, dass Fromm den Kasseler Katechismus einführen wolle,⁴⁰⁸ woraufhin der Probst von der Kanzel verlesen musste, dass er nichts verändern und bei Luthers Katechismus bleiben werde.⁴⁰⁹ Da die kurfürstliche Verordnung vom 3.12.1656 auch vorschrieb, die Ordinandenexamen ins Konsistorium unter Aufsicht „uffs wenigste eines und des andern Unserm Consistorio zugeordneten Theologi“ zu verlegen,⁴¹⁰ protestierten die Geistlichen der Doppelstadt gegen diese Regelung und boykottierten die Ordinationen, weil nun mit Johann Bergius ein Reformierter als Beisitzer anwesend

 Fromm: Etliche Brieffe, Brief X. Da Stosch erst ab 1659 Konsistorialrat war, wurde der Brief vermutlich zwischen 1659 und 1662 verfasst.  Er beweist dies in 13 umfangreichen Punkten, vgl. Fromm, Andreas: Böse Post wider deß Doctor Reinharts zu Leipzig Antwort auf der Post An Herrn P. Matthiam Tannerum, Soc. Jesu SS. Theol. […] Prag 1669, S. 18 – 43.  Fromm: Etliche Brieffe, Brief A.  Ebd., Brief B.  Vgl. zum Kasseler Katechismus Heppe, Heinrich: Historische Untersuchungen über den Kasseler Katechismus vom Jahre 1539 nach seiner Entstehung und kirchlichen Bedeutung. Kassel 1847.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „des Probstes Fromm bey der St. Petrikirchen allhier Streitigkeiten mit dem Magistrat und dem Lic. Pomario 1654– 1659“, Fol. 25 – 33.  Mylius: Corpus I, 1, Sp. 366 f., Zitat Sp. 366; vgl. auch Kapitel 2.3.

4.1 Fromm und die Irenik

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war.⁴¹¹ Einzig Andreas Fromm kooperierte. Er war als Probst zu Cölln ohnehin für die Ordinationen verantwortlich⁴¹² und führte diese nun ebenso wie die vorangehenden Examen einfach alleine durch,⁴¹³ während die Cöllner Diakone demonstrativ den Raum verließen, sobald die Handlung einsetzte.⁴¹⁴ Der Cöllner Diakon Samuel Pomarius soll sich sogar auf der Kanzel darüber beklagt haben, woraufhin Fromm eine Beschwerde beim Konsistorium einreichte und nebenbei erwähnte, dass der geschätzte Kollege auch sonst anzügliche Predigten halte.⁴¹⁵ Während sich unter den Stadträten also lediglich ein gewisses Unbehagen gegenüber Fromm entwickelt zu haben scheint, entfaltete sich zwischen ihm und seinen geistlichen Kollegen in Berlin-Cölln und vor allem jenen an der Petrikirche, namentlich dem Diakon Samuel Pomarius und dem Archidiakon Martin Hanischius,⁴¹⁶ ein handfester Streit, der in den Beschwerdeschriften beider Seiten an das Konsistorium dokumentiert ist.⁴¹⁷ Laut Fromm, der seine umfang [Pusthius]: Chronicon, S. 37 f.  Dies hatte der Kurfürst in seiner Verordnung von 1656 noch einmal bekräftigt, vgl. Mylius: Corpus I, 1, Sp. 365 f., hier Sp. 366.  [Pusthius]: Chronicon, S. 37.  Ebd., der unbekannte Beobachter der Chronik beteuert: „Seine [Fromms] Diaconi sind, sobald der Actus angegangen, aus der Kirche herausgegangen; doch habe ich selbst gesehen, daß er denen Candidatis beyde hände aufgeleget.“ Ein Brief von Bergius, den Fromm in einer seiner Rechtfertigungsschriften abdrucken ließ, legt nahe, dass der Probst selbst die Verordnung zur Ordination ablehnte, doch Bergius riet ihm davon ab, „daß der Herr vor seinen Kopff mit der Examination anders denn wie befohlen ist/ anizo verfahre“, vgl. Fromm: Apologia, S. 69.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „des Probstes Fromm bey der St. Petrikirchen allhier Streitigkeiten mit dem Magistrat und dem Lic. Pomario 1654– 1659“, Fol. 34 f.  Vgl. neben der im Folgenden zitierten Literatur allgemein zu Pomarius Melle, Johann Hermann von: Ausführliche Nachricht von dem Leben und Charakter des Doctor Samuel Pomarius eines in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts berühmt gewesenen Gottesgelehrten. 3 Bde. Lübeck 1784– 1790; Küster: Altes und Neues Berlin 2, S. 554 f.; vgl. zu Hanischius ebd.  Auf den 24.11.1657 ist eine Beschwerdeschrift Pomarius’ und Hanischius’ datiert. Sie befindet sich neben weiteren Quellen, die im Laufe dieser Arbeit noch zitiert werden, im Nachlass des Juristen und Schriftstellers Johann Karl Konrad Oelrichs, vgl. SBB-PK, Nachlaß Oelrichs Nr. 473, Fol. 1– 3; vgl. zu Oelrichs mit weiterer Literatur Ruschke: Paul Gerhardt, S. 14. Eine zweite Beschwerdeschrift von Pomarius stammt vom 20.12.1658, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „des Probstes Fromm bey der St. Petrikirchen allhier Streitigkeiten mit dem Magistrat und dem Lic. Pomario 1654– 1659“, Fol. 37– 41; Abschrift in SBB-PK, Nachlaß Oelrichs Nr. 473, Fol. 6 – 12. Im Nachlass von Oelrichs finden sich noch Abschriften zu zwei Beschwerden über je eine Predigt des Pomarius und eine Predigt Fromms. Auch wenn die Verfasser nicht genannt sind, wird es sich dabei vermutlich um die beiden Kontrahenten handeln, vgl. SBB-PK, Nachlaß Oelrichs, Nr. 473, Fol. 3 f. Fromm legte schließlich im Winter 1658/59 noch einmal mit einer umfassenden Klageschrift nach, vgl. GStA PK, I.HA, Rep. 47, C4, „des Probstes Fromm bey der St. Petrikirchen allhier Streitigkeiten mit dem Magistrat und dem Lic. Pomario 1654– 1659“, Fol. 42– 58.

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4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm

reiche Klageschrift anonym aus der Perspektive eines Unbeteiligten verfasste und auf sich selbst nur als N.N. und Pomarius als Anathematisten verwies,⁴¹⁸ begann der Streit zwischen ihm und dem Diakon im Frühjahr 1656, nachdem er Pomarius mehrfach – und vergeblich – davon zu überzeugen versucht hatte, die Reformierten weniger scharf anzugehen.⁴¹⁹ Offensichtlich zog Fromm mit seinem Einsatz für einen Kirchenfrieden die Abneigung seines Kollegen auf sich. Pomarius galt als ein linientreuer Konkordienlutheraner wittenbergischer Prägung und war bereits 1654 kurzzeitig suspendiert worden, nachdem er Johann Bergius bei einer Disputation in Wittenberg angegriffen hatte.⁴²⁰ In den folgenden zweieinhalb Jahren fochten Fromm und Pomarius eine Kontroverse über den richtigen Umgang mit den Reformierten aus, wobei sie nicht mit Anspielungen sparten, um klar zu machen, dass sie nicht nur allgemeine Positionen, sondern explizit ihren Gegner angriffen. Ein Beispiel: Fromm beklagte in seiner Beschwerdeschrift, dass Pomarius öffentlich verkündet hätte, dass es schon immer ein Zeichen der rechtgläubigen Lehrer gewesen sei, falsche Lehren zu verdammen, und Gott den Predigern das Schwert des Geistes gegeben habe, um es zu nutzen.⁴²¹ Pomarius seinerseits berichtete in seiner eigenen Beschwerde, dass Fromm als Reaktion auf seine Predigt eine Woche später von der Kanzel erklärt habe, manche würden sich vielleicht wundern, dass er keine Kontroversien behandele und die Calvinisten nicht angreife, aber er wolle sich nicht an Erwartungen von außen anpassen, was wohl vor allem an Pomarius gerichtet war.⁴²² Die Kontrahenten sparten indes auch

 Schon der Titel der Klageschrift lautet „Beschreibung eines bewusten Anathematisten und seiner Zancksucht wieder die reformirten, und eines seiner eigenen collegen NN der sich der Moderaton befließen, gestellet im jahre, da man wieder zancksüchtige zu gott seuffzen muste: DIssIpa IMpIos beLLa VoLentes“, GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „des Probstes Fromm bey der St. Petrikirchen allhier Streitigkeiten mit dem Magistrat und dem Lic. Pomario 1654– 1659“, Fol. 42– 58, hier Fol. 42r. Diese Schrift meint Fromm wohl, wenn er in einem Brief an Stosch von einer „historiam rixosi Pomarii“ berichtet, die er „in eine Summam bracht/ und so gestellet/ als wenn es ein ander referirte“. Sonst sei alles „aus gutem Gewissen mit Grunde der Warheit“ geschöpft. Er bittet jedoch darum, dass sein Name nicht darauf stehe und dass die Schrift keinem Gericht übergeben werde. Aus dem Inhalt lässt sich der Brief ungefähr auf Frühjahr 1659 datieren, vgl. Fromm: Etliche Brieffe, Brief Gg.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „des Probstes Fromm bey der St. Petrikirchen allhier Streitigkeiten mit dem Magistrat und dem Lic. Pomario 1654– 1659“, Fol. 44v.  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 139 f.; Schulz: Paul Gerhardt, S. XXVf.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „des Probstes Fromm bey der St. Petrikirchen allhier Streitigkeiten mit dem Magistrat und dem Lic. Pomario 1654– 1659“, Fol. 46r.  Er soll diese Position sogar mit einem Vers zusammengefasst haben: „Du sprichst zwar so und so hat dis und das sein sollen: Ich aber sage drauff, Ich habs so haben wollen.“ Ebd., Fol. 37v. Fromm wiederum warf Pomarius vor, anti-reformierte bzw. konkordienlutherische Positionen aus Wittenberg zu verbreiten. So habe er den sehr polemischen Frankfurter Katechismus gelehrt

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nicht mit persönlichen Attacken, um ihren Gegner bei der Gemeinde unbeliebt zu machen. Laut Fromm habe Pomarius angeblich keine Gelegenheit ausgelassen, um von der Kanzel gegen ihn zu sticheln „wie ein distelkopff, welcher an allen enden die stacheln von sich strecket.“⁴²³ Pomarius wiederum warf Fromm sogar vor, von der Kanzel gepredigt zu haben, er habe seit seinem Amtsantritt so viel „gezanket undt gebissen das ich mich wohl auß [dem] Mutterleibe heraus gezankt undt gebeisset, welches meine liebe alte Mutter, so damals in der Kirche war, also mit anhören müste.“⁴²⁴ Darüber hinaus beschreibt Fromm mehrere Feindseligkeiten von Seiten seines Diakons. So habe Pomarius nicht alle seine Predigten wie vereinbart wahrgenommen, angeblich um Fromm möglichst viel Arbeit zu machen, und gleichzeitig viele Leichenpredigten an sich gezogen, um ihm finanziell zu schaden.⁴²⁵ Er habe Fromm als Papisten, Weigelianer, Synkrestisten, Socinianer und vieles mehr beschimpft⁴²⁶ und Wittenberger Studenten Schmähsprüche gegen ihn in die Stammbücher geschrieben.⁴²⁷ Auch habe er durch verschiedene symbolische Handlungen seine Abneigung gegenüber dem Kollegen deutlich gemacht, indem er etwa im Gottesdienst die Tür zum Amtsstuhl, in dem Fromm noch saß, immer krachend zugeschlagen habe, sodass es alle gehört hätten. Der Probst habe deshalb eigens ein Stück Stoff an die Tür anbringen müssen, um die Lautstärke zu dämpfen.⁴²⁸ Auch seien Pomarius und der Archidiakon Hanischius meist ferngeblieben, wenn die drei Geistlichen von St. Petri gemeinsam zu Tische geladen waren. Fromm versteht dies als Verweis auf 1Kor 5,11, wonach man mit jenen, die sich Brüder nennen, aber dennoch schlecht sind, nicht einmal zusammen essen solle. Bei anderen Gelegenheiten habe der Küster im Auftrag von Pomarius zerpflückte Wolle auf Fromms Amtsstuhl verteilt, um ihn zum Wolf unter den Schafen zu machen (Mt 7,15), und im Eingang zur Sakristei einen Schlüssel platziert, um zu zeigen, dass die Gnadentür noch offen sei.⁴²⁹ Und dies ist noch nicht alles. Schlussendlich habe Pomarius sogar Spottlieder auf den ungeliebten Kol-

und gegen den oben erwähnten Versuch zur Einführung des Kasseler Katechismus gearbeitet, ebd. 47v. Um das Kapitel nicht auf epische Ausmaße anwachsen zu lassen, sei für weitere Beispiele auf die oben zitierten Klageschriften verwiesen.  Ebd., Fol. 55v.  Ebd., Fol. 37r.  Ebd., Fol. 50r–50v.  Ebd., Fol 48v–49r.  Ebd., Fol. 56v.  Ebd., Fol. 57r.  Ebd., Fol. 57v.

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legen gedichtet, von denen Fromm eines zitiert (die folgende Darstellung ist der tatsächlichen Gestaltung in der Beschwerdeschrift nachempfunden):

(Form. Concord.)

Man deckt mit Gottes Schrifft als einer ketzerhauben den falschen irrsal zu, man spielt mit Luthers Wort wie kinder mit dem Ball, d[ass] unß bald hie bald dort der Bettlers Mantel seij, was mancher fest versprochen auff Bidermannes hand, wird bald wie glaß zubrochen, wenn nur mehr Vortheil scheinet etc.⁴³⁰

Das Lied verdeutlicht mit seiner Anspielung auf Fromms Verrat an der FC ebenso wie die Auseinandersetzungen auf der Kanzel und die kleinen symbolisch aufgeladenen Feindseligkeiten, dass es bei dem Streit zwar auch, aber nicht nur um persönliche Animositäten ging, sondern um einen binnenkonfessionellen Konflikt zwischen dem Wittenberger Konkordienluthertum und irenischen Ansätzen. Fromm wurde zur Zielscheibe, weil Pomarius ihn für einen Synkretisten hielt. Und er stand mit dieser Meinung keineswegs alleine da. Sogar die Universität Rostock, an der Fromm den Grad des Lizenziaten erworben hatte,⁴³¹ sandte auf Anfrage von Pomarius einen Brief an die Ministerien zu Berlin und Cölln, in dem Fromm als Gefahr für die märkische Kirche bezeichnet wurde.⁴³² Schon oben wurde erwähnt, dass alle Berliner Geistlichen gemeinsam mit Pomarius Fromms Ordinationen boykottierten. Auch konnte er einmal, als das Konsistorium nur teilweise besetzt war, einige Räte davon überzeugen, Fromm daran zu hindern, das gebräuchliche Kirchensiegel unter die Ordinationsurkunde zu setzen.⁴³³ Hier lässt sich festmachen, wie Konfessionszugehörigkeiten über Verhalten und Zuschreibungen konstruiert – oder in diesem Fall eben aufgelöst wurden:⁴³⁴ Fromm galt wegen seiner Ansichten und Handlungen unter seinen Glaubensbrüdern nicht mehr als gut lutherisch. Für viele wittenbergisch geprägte Lutheraner war er nicht mehr Teil dessen, was Taatz-Jacobi als ‚konfessionelle Mitte‘ bezeichnete, d. h. für sie hatte er den Punkt überschritten, an dem er noch als

 Ebd., Fol. 56v.  Vgl. Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 127.  Das Schreiben wird sowohl von Fromm als auch von Pomarius erwähnt, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, Fol. 38 und 51. Fromm erwähnt es auch in einem Brief an Bergius, vgl. Fromm, Etliche Brieffe, Brief B.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, Fol. 51v, Fromm geht darauf am Rande in einem Brief an Bergius ein, vgl. Fromm: Etliche Brieffe, Brief B.  Vgl. Stollberg-Rilinger, Barbara: Einleitung. In: Stollberg-Rilinger (Hrsg.): Konfessionelle Ambiguität, S. 9 – 26, hier S. 13 f.

4.1 Fromm und die Irenik

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Teil der lutherischen Konfessionskultur betrachtet werden konnte.⁴³⁵ Die Konsequenzen waren Opposition, Ausgrenzung und Schikane. Fromm selbst deutet an, dass er wegen seiner Berufung zum Konsistorialrat und wegen seiner Verantwortung für Ordinationen Neid auf sich gezogen habe,⁴³⁶ aber offensichtlich standen hier binnenkonfessionelle Differenzen im Vordergrund, insbesondere bei dem Boykott der Ordinationen. Hinzu kommt, dass kein anderer Konsistorialrat in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms vor oder nach Fromm jemals so viel Gegenwind bekommen hatte, was ebenfalls dafür spricht, dass hier vor allem innerkonfessionelle Differenzen und nicht bloß Neid oder dergleichen die Ursache für die Auseinandersetzung waren. Obwohl zugezogen, war Fromm durch seine Ämter als Probst und Inspektor doch ähnlich an die Berlin-Cöllnische Residenz gebunden wie seine lutherischen Kollegen. Er hatte zwangsläufig täglich mit anderen Geistlichen, Bürgern und vor allem seiner Gemeinde zu tun. Entsprach er nicht ihren Verhaltenserwartungen, konnte dies alle seine sozialen Beziehungen gefährden. Fromm informierte Bergius in seinen privaten Briefen von den Konflikten, die er mit Pomarius auszutragen hatte, und bat ihn um Rat.⁴³⁷ Darüber entwickelte er sich nach und nach zu einem Informanten, der Details aus dem Konsistorium frisch an das Ohr der reformierten Hofprediger trug. In einem Brief, der vermutlich 1657 verfasst wurde,⁴³⁸ lässt er Bergius wissen, dass der Konsistorialpräsident Joachim Kemnitz von ihm verlangt habe, einen Prediger auf die FC zu ordinieren – obwohl dies gegen die kurfürstliche Verordnung vom Dezember 1656 verstieß. Er könne Bergius „um der Freundschaft willen“ nicht verbergen, was „gestern abermal vorgangen in herrn Reinhardts hause/ ehe der herr Gevatter [Bergius] kommen“. Kemnitz habe berichtet, dass die Berliner Geistlichen nach Rücksprache mit lutherischen Universitäten und den Landständen bereit seien, die Ordinationen nicht mehr zu boykottieren. Allerdings solle Fromm, so Kemnitz weiter, „mit im Testimonio setzen/ daß der Candidatus addictus wäre Formulae Concordiae“, mit der Ermahnung „dürffte es doch herr D. Bergius nicht wissen.“

 Vgl. Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 29 f.  Fromm klagt in seiner Beschwerdeschrift, dass ihn alle gemieden hätten, nachdem er ins Konsistorium berufen worden sei, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, Fol. 49r.  Vgl. v. a. Fromm: Etliche Brieffe, Brief B, C, D.  Vgl. für die folgenden Ausführungen ebd., Brief F. Da die Briefe ohne Datum publiziert wurden, lässt er sich nicht genau datieren; da Bergius im Dezember 1658 verstarb, muss der Brief 1657 oder 1658 verfasst worden sein. Angesichts der Tatsache, dass Fromm sich darüber wundert, dass Kemnitz sich ganz anders verhalte als er von Reinhart beschrieben worden sei (siehe dazu unten), ist 1657 wahrscheinlicher, da Fromm den Präsidenten noch nicht lange gekannt haben konnte.

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4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm

Fromm war bei der Sache anscheinend etwas unwohl zumute und verwies darauf, dass er von vielen Fällen wisse, in denen die FC nicht berücksichtigt worden sei, u. a. auch bei ehemaligen Konsistorialräten wie Johann Koch oder Peter Vehr.⁴³⁹ Außerdem sei sie auch nicht im Landtagsrezess von 1653 enthalten – was übrigens nicht stimmt. Fromms Argument beruhte einzig darauf, dass sie dort nicht namentlich erwähnt ist.⁴⁴⁰ Diese Strategie sollte nicht zum letzten Mal angewandt werden. Weiter erklärte er, den Frieden zwischen Lutheranern und Reformierten nicht durch die Berufung auf die FC gefährden zu wollen. Wie Fromm im Brief weiter schildert, reagierte Kemnitz äußerst aggressiv auf diese Erklärung, geriet mit ihm in Streit und warf ihm schließlich vor, Calvinist zu sein: Er [Kemnitz] sagete: Stünde es [die FC] doch in allen Vocationibus. R. Itzo wird es in vielen außgelassen/ stehet auch in meiner eigenen Vocation nicht)(Ob ich denn nicht mit Formula Concordiae hielte? Ja/ aber nicht in allen Puncten.) (Worin denn nicht? R. hie ist nicht Zeit und Ort dazu das zu erzählen/ (hätte bald gesaget: Ob condemnationes halten die Prediger am meisten darauff.) (Ich möchte doch nun sagen/ ich wäre ein Reformatus oder wolte es werden/ denn ich wolte ja Lutheranismum nicht helffen fortsetzen und stabiliren. R. Ich bin auff Lutherum nicht getaufft) (Auff Calvinum auch nicht. R. Freylich nicht; auch auff keinen Engel vom himmel nicht.) (Wenn ich das ins Testimonium nicht setzen wolte/ daß der Candidatus Formulae Concordiae addictus wäre, so solte alle das Unheil/ welches daraus kommen würde/ auff mich fallen/ und ich Schuld daran haben/ daß das/ was die vorigen Churfürsten/ so hart verbunden/ in so vielen Reversen und Visit.Abscheiden [!] enthalten/ in Abgang käme. Ich antworte: Probetur.⁴⁴¹

Der Streit wurde schließlich unterbrochen, als Bergius dazukam. Fromms proreformierte Haltung isolierte ihn also nicht nur innerhalb der Predigerschaft, sondern beeinträchtigte auch sein Verhältnis zu den Kollegen im Konsistorium, die ihn möglicherweise nicht feindselig, aber doch skeptisch beäugten. Hier zeigt sich auch, was Fromm von seinen lutherischen Kollegen unterschied. Fromm setzte die antikonkordienlutherische Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms konsequent um. Als Probst predigte er aktiv gegen Pomarius an,⁴⁴² anstatt sich in Zurückhaltung zu üben, wenn es die Klugheit verlangt hätte. Im Konsistorium schlug er zur Änderung der Visitationsordnung vor, acht Supertintendentenstellen ein-

 Vgl. zu Vehr Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 441– 449; auch Bahl: Hof, S. 607. Vgl. zu Koch Noack, Lothar u. Splett, Jürgen: Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frühen Neuzeit. Mark Brandenburg mit Berlin-Cölln 1506 – 1640. Berlin 2009, S. 316 – 323.  Vgl. Kapitel 2.1.  Fromm: Etliche Brieffe, Brief F.  Vgl. etwa die Beschwerde von Pomarius und Hanischius über eine Predigt Fromms in: SBBPK, Nachlaß Oelrichs, Nr. 473, Fol. 1– 4.

4.1 Fromm und die Irenik

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zurichten und mit gemäßigten Inspektoren zu besetzen, um den Kirchenfrieden zu fördern.⁴⁴³ Er arbeitete auf Befehl an einer neuen Agende, um die „Ceremonien […] in verhoffter Verminderung des Schismatis“ abzuändern – und sprach darüber auch mit Reinhart und „mit Doctor Kemnitzen (weiß nun nicht/ wie es angetrofen)“, wie er Bergius schreibt.⁴⁴⁴ Auch davon wussten also die lutherischen Kollegen. Und schlussendlich übernahm er von Amts wegen die Ordinationen, ohne sich am Boykott zu beteiligen, und hielt sich streng an die kurfürstliche Verordnung, die FC auszulassen. Es ist also wenig verwunderlich, dass sich dieser Mann in einem konkordienlutherischen Umfeld unbeliebt machte. Kemnitz, Reinhart und Seidel dagegen mögen zwar auch im Dienste eines reformierten Herrn Kirchenpolitik umgesetzt haben, aber sie nutzten ihre Spielräume, um zugunsten ihrer Glaubensgenossen vermittelnd einzugreifen und Kompromisslösungen zu finden. Wie man aus Fromms Brief entnehmen kann, stand Kemnitz mit den Berliner Geistlichen in Kontakt. Ihn hatte der Probst der Nikolaikirche, Georg Lilius, besucht, um ihm mitzuteilen, dass sie die Ordinationen künftig wieder unterstützen würden.⁴⁴⁵ Zu einem späteren Zeitpunkt steckte Johann Georg Reinhart Informationen an den Diakon Pomarius über eine anstehende Untersuchung durch.⁴⁴⁶ Weiter oben war bereits auf Johannes Heinzelmann eingegangen worden. Nachdem er von der Kanzel gegen Reformierte polemisiert hatte, verlangte Friedrich Wilhelm ein Urteil von seinen lutherischen Konsistorialräten, und zwar von Kemnitz, Reinhart und Seidel. Die drei antworteten ihrem Herrn wie folgt: Sonsten haben E. Churf. Durchl. sich wohl gewiß zu versichern, daß an solchem verdammen und dergleichen ärgerlichen [!] wesen wir im geringsten kein gefallen tragen, sondern haben vielmehr die hiesigen Prediger zum öftern alles ernstes [!] davon abgemahnet, auch gleichwohl bei denen übrigen in Berlin so viel erhalten, daß mann dergleichen in newliger zeit von Ihnen pericht nicht wird gehöret haben: dieser M. Heinzelman aber ist ein newer angehender prediger, so etwar im 5. monath im Ministerio mag gewesen sein, und dahero hofnung, daß Er sich auch ändern möchte, gestaldt wir Ihme, solches abzustellen, alles ernstes untersagt und anbefohlen.⁴⁴⁷

In dem Schreiben gelingt den Räten somit das Kunststück, einerseits ein klares Bekenntnis zur kurfürstlichen religionspolitischen Linie abzugeben, und andererseits doch Heinzelmann vor ernsteren Konsequenzen zu schützen. Auf diese

    

Fromm: Etliche Brieffe, Brief A. Ebd., Brief F. Ebd. Vgl. Kapitel 4.2.1. GStA PK, I. HA, Rep 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], Fol. 17 f., Zitat Fol. 17v.

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4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm

Weise demonstrieren sie kommunikativ ihre Loyalität gegenüber dem Kurfürsten, ohne sich gegen ihre Glaubensgenossen wenden zu müssen. Diese Flexibilität führte dazu, dass Fromm sich im oben behandelten Brief an Bergius darüber wunderte, dass sich der Präsident ganz anders verhalten habe, als er von Johann Georg Reinhart beschrieben worden sei, und vermutete, er könne sich absichtlich den Predigern anpassen, um sie im Sinne eines Wandels durch Annäherung zu beeinflussen.⁴⁴⁸ Kemnitz vollführte demnach das Kunststück, gleichzeitig als Vertreter kurfürstlicher Interessen zu gelten und dennoch die Berliner Geistlichen in ihrem Kampf um die FC zu unterstützen. Es ist nun kein zwingender Widerspruch, sowohl für die FC als auch für eine friedliche Koexistenz einzutreten – für Friedrich Wilhelm und viele Geistliche in der Residenz allerdings schon, wie noch zu zeigen sein wird. Vor diesem Hintergrund werden die lutherischen Räte als Träger zweier sozialer Rollen greifbar – die des Lutheraners und die des Fürstendieners – deren Verhaltensnormen sich in Teilen widersprachen. Die Konsequenz war ein Rollenkonflikt.⁴⁴⁹ Um sowohl die Verhaltenserwartung ihres Herrn als auch jene ihrer Glaubensgenossen zu erfüllen, mussten sich die lutherischen Räte eine gewisse Flexibilität bewahren. Nur so konnten sie gleichermaßen loyale Fürstendiener und Teil der lutherischen ‚konfessionellen Mitte‘ sein. Sie wären sonst entweder ihres Amtes enthoben oder wie Fromm sozial isoliert worden. Dass der Probst angesichts der Ausgrenzung dann die Nähe zu den reformierten Hofpredigern suchte, wirkt in diesem Lichte nur als die konsequente Entwicklung einer self-fulfilling prophecy. Indem er als Synkretist und Verräter gescholten wurde, entwickelte er sich immer stärker zu einem solchen. Fromms Berufung ins Konsistorium und seine Indiskretionen störten den ‚Betriebsfrieden‘ und die Amtsführung seiner lutherischen Kollegen. Schon die Verordnung des Kurfürsten gegen die FC bei Ordinationen hatte das Konsistorium gespalten. Hinter der irenisch anmutenden Fassade der Amtsstube unterstützte Kemnitz die Fortführung der gängigen Ordinationspraxis inklusive FC, versuchte dies vor dem Hofprediger zu verheimlichen und wurde dabei von Seidel und Reinhart gedeckt oder zumindest nicht behindert. Auf der anderen Seite stand Fromm, ein Kryptocalvinist und Maulwurf, der sich strikt an die herrschaftlichen Vorgaben hielt, Kemnitz widersprach und ihn denunzierte. Welche Rolle der reformierte Rat Schardius in dieser Konstellation spielte, lässt sich nicht klären. Da er aber in Fromms Brief nicht auftaucht, wurde er von den lutherischen Räten wohl ebenso im Unklaren gelassen wie Bergius. Der Hofprediger indes ging nicht

 Fromm: Etliche Brieffe, Brief F.  Vgl. ausführlicher zu den Rollenkonflikten, in welche die lutherischen Räte gerieten, Kapitel 5.

4.2 Wie man einen interkonfessionellen Konflikt auf die Politica richtet

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gegen Kemnitz und seine Unterstützer vor. Tatsächlich hielt sich sein Eifer gegen die FC anscheinend in Grenzen, so dass Fromm Sorge trug, dies könne sein schlechtes Image noch weiter beschädigen. So schreibt er im gleichen Brief, in dem es um die Ordination geht, „daß man allenthalben sehr darauff gehet/ daß der herr Gevatter [Bergius] sich erkläret hat/ er könne leiden/ daß sie secundum formula concordiae examiniren, und scheinet/ als ob man daher mich beschuldigen wollte/ daß ich noch weniger Lutheranismum befordere als er.“⁴⁵⁰ Diese Neutralität von Seiten des Hofpredigers änderte sich, als Bergius verstarb und Bartholomäus Stosch 1659 dessen Amt übernahm. Nun stießen Fromms Informationen auf deutlich offenere Ohren.

4.2 Wie man einen interkonfessionellen Konflikt auf die Politica richtet: Argumentationsstrategien bei der Absetzung Joachim Kemnitzens 1659 4.2.1 Die Untersuchung gegen Kemnitz und die Erfindung eines Vertrauensbruchs In seinem persönlichen Exemplar der Konsistorialordnung vermerkte Martin Friedrich Seidel für das Jahr 1659,⁴⁵¹ dass die Vokation Christian Nicolais zum Diakon an St. Petri zu Cölln an der Spree⁴⁵² durch den Protest seines Kollegen Andreas Fromm zu „allerhand wiedrige[n] discurse[n]“ geführt habe.⁴⁵³ Für das gleiche Jahr – wenn auch an anderer Stelle – vermerkte Seidel, dass der Konsistorialpräsident Joachim Kemnitz einen Verweis bekommen und wenig später abgesetzt worden sei, da er „mit den confirmationes Curf. Durchl. präjudicirlich gewesen“.⁴⁵⁴ Der Prediger Johannes Heinzelmann bemerkte zu denselben Vorfällen in seiner Historia von der Reformation zur Calvinisterey in der Mark, die er aus Vorlagen anderer Geistlicher zusammengetragen hatte, „Stoschij und Fromm fin-

 Fromm: Etliche Brieffe, Brief F.  Das Exemplar nutzte Friedrich Holtze in seiner Abhandlung zur Kirchenbaupflicht in der Konsistorialordnung und widmete den Eintragungen Seidels einige Seiten, vgl. Holtze, Friedrich: Die Brandenburgische Konsistorialordnung von 1573 und ihre Kirchenbaupflicht. Berlin 1904 (Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins 39), S. 3 – 37.  Vgl. zu Christian Nicolai, über den sich nur wenige Informationen finden, Ruschke: Paul Gerhardt, S. 119.  Zitiert nach Holtze: Kirchenbaupflicht, S. 16.  Zitiert nach ebd., 32.

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4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm

gen Ihr Corrporal-wesen an mit remotion des H. Praesidenten des Consistorij D. Chemnitij.“⁴⁵⁵ Fromm selbst kommentierte 1669, also Jahre später: Als ich nun […] mich zu den helmstätern gewendet hatte/ da ging[!] der hader an/ und hub sich allerley gifftige Verfolgung à meris Lutheranis wieder mich […] welches ohne mein Antreiben […] so abgelauffen/ das D. Kemnitz/ Pomarius, Reinhart [der Archidiakon zu St. Nikolai Elias Sigismund Reinhart, nicht der Rat Johann Georg Reinhart], und andere von ihrem hauffen nach und nach weggeschaffet sind/ und ihnen also selber wiederfahren ist was sie mir zu thun gedachten.⁴⁵⁶

Alle drei Zeitgenossen beziehen sich auf ein Schlüsselereignis für das Konsistorium und die konfessionellen Verhältnisse bei Hofe im Allgemeinen: Die Absetzung des Konsistorialpräsidenten Joachim Kemnitz im Jahr 1659. Aber was war geschehen? Noch im Dezember 1658 war Pomarius negativ aufgefallen, als er in einer Predigt zum Dankfest für den Sieg der niederländischen Flotte über Schweden die letztere Partei gelobt hatte, anstatt die reformierten Niederländer.⁴⁵⁷ Als der Kurfürst davon erfuhr, ließ er den Fall untersuchen. Ob er durch Fromm davon erfuhr, lässt sich nicht zweifelsfrei klären – unwahrscheinlich ist es freilich nicht.⁴⁵⁸ In jedem Fall hatte er auf Pomarius‘ ‚Skandalpredigt‘ nach alter Gewohnheit mit einer Gegenpredigt reagiert, worüber sich Pomarius wiederum – neben all den anderen Zumutungen, auf die schon eingegangen wurde – in seiner Beschwerde vom 20. Dezember beklagt hatte.⁴⁵⁹ Der Konsistorialrat Johann Georg Reinhart informierte Pomarius wegen der anstehenden Untersuchung. Der Antwortbrief Pomarius’ an seinen „Patron“ und „Gevatter“ Reinhart vom 23.12. ist noch in Abschrift erhalten.⁴⁶⁰ Demnach hatte er

 FB Gotha, Chart. A 280, Fol. 42r. Der vollständige Titel des Manuskripts lautet „Heinzelmann Summarium Historiae Reformatorum, quod se vocant Marchicae. Kurzer Inhalt u. Auszug der Historia von der Reformation zur Calvinisterey in der Mark.“ Vgl. zur Vorlage Heinzelmanns, dem sog. Sebaldus-Manuskript, Ruschke: Paul Gerhardt, S. 13.  Fromm: Böse Post, S. 31.  Vgl. zu dem Fall Ruschke: Paul Gerhardt, S. 140; ferner Hering: Neue Beiträge 2, S. 92– 103; Küster: Altes und Neues Berlin 2, S. 554– 565; Lackner: Kirchenpolitik, S. 121 f.  Vermutlich hat Fromm nicht nur das Konsistorium, sondern auch den Hofprediger informiert, wie man es in anderen Fällen belegen kann, u. a. auch für die Valetpredigt Pomarius’, die er nur kurze Zeit nach der Festtagspredigt hielt, vgl. Fromm: Etliche Brieffe, Brief B, C, D, K.  Die Chronologie der Beschwerdeschriften ergibt sich aus Pomarius’ Schreiben an das Konsistorium vom 20.12. und den Angaben Ruschkes, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „des Probstes Fromm bey der St. Petrikirchen allhier Streitigkeiten mit dem Magistrat und dem Lic. Pomario 1654– 1659 (82 Fol.)“, Fol. 37– 41; Ruschke: Paul Gerhardt, S. 140 mit Fußnote 182.  SBB-PK, Nachlaß Oelrichs 473, Fol. 12 f.

4.2 Wie man einen interkonfessionellen Konflikt auf die Politica richtet

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inzwischen auch vom Konsistorialpräsidenten erfahren, dass von ihm eine Stellungname erwartet wurde. Er schreibt Reinhart, dass er seine Beschwerde vom 20.12. an den Statthalter habe weiterleiten lassen und zeigt sich zuversichtlich. Er hoffe, dass die „Reformirten, welche ohne allen zweifel auf Herrn Lic. frommen zu fortpflantzung ihrer falschen Religion so große stücke halten, selber sehen, was sie von dem Manne haben.“⁴⁶¹ Reinhart solle außerdem Sorge tragen, dass der damalige Amtskammerpräsident und spätere Oberhofmarschall Raban von Canstein alle Informationen erhalte.⁴⁶² Die Reformierten könnten sie ihm vorenthalten. Der binnenkonfessionelle Riss im Konsistorium wird somit noch klarer: Fromms Kollegen – mindestens Reinhart – standen in Kontakt mit Pomarius.⁴⁶³ Und zumindest er sah sie auf seiner Seite. Auch war das interkonfessionelle Misstrauen groß genug, um die Befürchtung zu tragen, einzelne Räte könnten von relevanten Informationen abgeschnitten werden. Mit Canstein erweitert sich der Kreis der betroffenen lutherischen Räte über das Konsistorium hinaus – er wird nicht zum letzten Mal in dieser Arbeit auftauchen. Im Folgenden wurde die Untersuchung eingeleitet und Gemeindemitglieder von Reinhart und Seidel zu der Predigt befragt. Während Fromm sich in einem Brief an Stosch beklagte, dass alle Gemeindemitglieder stillhalten würden, wurde Pomarius bei einem Verhör im Konsistorium vor Kemnitz, Seidel und Reinhart mitgeteilt, dass die Kirchgänger bemerkt hätten, dass er den Sieg gegen Schweden ein wenig unterkühlt zelebriert habe.⁴⁶⁴ Fromm zeigte sich gegenüber Stosch schon voller Freude, es fehle „dem handel nichts mehr/ als 1. daß ich noch in externo coetu Lutheranorum beim öffentlichen Zusammentreffen von Lutheranern […] nicht gar so frey […] wider ihn [Pomarius] reden darff.“⁴⁶⁵ Abgeschlossen wurde der „Handel“ dann aber unfreiwillig von Pomarius selbst: In etwa zeitgleich zu der Untersuchung schrieb er ein Entschuldigungs-

 Zitat Ebd., Fol. 13r.  Vgl. für Literatur zu Canstein Kapitel 5.3.2.1.  Pomarius korrespondierte zudem mit dem Wittenberger Theologen Johann Hülsemann. In insgesamt drei im Nachlass von Oelrichs erhaltenen Briefen von Dezember 1659 und Januar 1660 beklagt er sich u. a. über die Lehrmeinungen und eine Predigt Fromms und berichtete Hülsemann über den Konflikt um die Stelle in Salzwedel, auf den gleich eingegangen wird, vgl. SBB-PK, Nachlaß Oelrichs 473, Fol. 15 – 25; auch mit Hülsemanns Kollegen Abraham Calov und anderen Geistlichen stand Pomarius in Briefkontakt und berichtete ihnen von den konfessionellen Entwicklungen, vgl. Wotschke, Theodor: Brandenburgische Briefe an Hülsemann und Calov. In: JBrKG 17 (1919), S. 48 – 80.  Fromm: Etliche Brieffe, Brief K, vgl. für das von Pomarius verfasste Protokoll zum Verhör vom 10. 2.1659 SBB-PK, Nachlaß Oelrichs 473, Fol. 13 – 15. Der zugehörige Befehl zur Befragung ebd. Fol. 13.  Fromm: Etliche Brieffe, Brief K.

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schreiben an Friedrich Wilhelm. Darin gab er an, inzwischen zum Superintendenten von Salzwedel vociert worden zu sein⁴⁶⁶ – und stieß damit eine ganze Verkettung unglücklicher Ereignisse an, die weit schwerwiegender waren als die Kontroverse um die Schweden-Predigt. Tatsächlich war Pomarius durch den Stadtrat von Salzwedel auf die Stelle als Superintendent berufen worden – zur Überraschung Friedrich Wilhelms, der davon nichts wusste und sicher war, das Vokationsrecht für Salzwedel inne zu haben.⁴⁶⁷ Er befahl dem Rat der Stadt, Pomarius’ Berufung auszusetzen,⁴⁶⁸ und verlangte eine Prüfung des Vokationsrechts in diesem Fall. Wer diesem Befehl Folge leistet und gehorsam die kurfürstlichen Ansprüche überprüft, wird feststellen, dass Friedrich Wilhelm das Recht nicht auf seiner Seite hatte. Er beanspruchte zwar das Vokationsrecht am Ende erfolgreich für sich,⁴⁶⁹ aber die Legitimität dieses Anspruchs war äußerst fragwürdig. In Salzwedel besaßen die Kurfürsten von Brandenburg seit altkirchlichen Zeiten das Recht, den Probst zu ernennen.⁴⁷⁰ So steht es auch im Visitationsabschied für Salzwedel von 1541. Pomarius war aber zum Superintendenten vociert worden. Zu diesem Amt heißt es im Abschied von 1541, dass es vom Probst vergeben werden solle.⁴⁷¹ Bei der zweiten Visitation im Jahr 1579 war aber der Pastor und Superintendent an die Stelle des seiner kirchlichen Aufgaben entledigten Probstes getreten. Zuständig für die Vokation war nun der Rat Salzwedels.⁴⁷² Er übte dieses Recht ohne Widerspruch aus und bekam es sogar im Visitationsabschied von 1646 bestätigt, wobei anzumerken ist, dass pauschal vom Patronatsrecht die Rede ist, ohne konkreten Bezug zum Superintendenten.⁴⁷³ Der Kurfürst beanspruchte also Rechte, die er nie besessen und die er Salzwedel noch wenige Jahre zuvor bestätigt

 GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius, 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 10 – 13, abgedruckt bei Küster: Altes und Neues Berlin 2, S. 555 – 559.  Vgl. Meinardus: Protokolle 5, Nr. 433, 480 f.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius, 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 24.  Er berief sich dabei auf den Visitationsabschied von 1600 und die Matrikel von 1541, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 142; 1660 – 1670], Fol. 25 f.  Vgl. für alle folgenden Ausführungen mit weiteren Belegen Danneil, Johann Friedrich: Kirchengeschichte der Stadt Salzwedel. Halle 1842, S. 186 f.  Vgl. Müller, Julius u. Parisius, Adolf (Hrsg.): Die Abschiede der in den Jahren 1540 – 1542 in der Altmark gehaltenen ersten General-Kirchen-Visitation mit Berücksichtigung der in den Jahren 1551, 1578 – 79 und 1600 gehaltenen Visitationen. Bd. 1.4. Magdeburg/ Salzwedel 1889, S. 248 f.  Im Visitationsabschied von 1579 heißt es, dass der Rat bei Vakanz einen neuen Pfarrer suchen und dem Kurfürsten angeben soll, ebd., S. 247 mit Fußnote 2.  Vgl. Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA), Rep. 40 A, Nr. 639, Fol. 341r. Hier heißt es, dass man dem Rat seine „jure patronatus eligendi,vocandi et praesentandi ministros“ schütze.

4.2 Wie man einen interkonfessionellen Konflikt auf die Politica richtet

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hatte.⁴⁷⁴ Dass Friedrich Wilhelm so engagiert für sein imaginiertes Vokationsrecht stritt, hängt sicher damit zusammen, dass Pomarius ihm wegen seiner anti-reformierten Äußerungen schon länger ein Dorn im Auge gewesen war und die Vokation des Unruhestifters seinen Zorn erregt hatte. Neben den obigen Unstimmigkeiten sollte zusätzlich noch die Vokation von Pomarius’ Nachfolger Christian Nicolai als Diakon für St. Petri zu Cölln an der Spree geprüft werden.⁴⁷⁵ Pomarius’ Berufung hätte wegen seines schlechten Rufes beim Kurfürsten alleine schon ausgereicht, um Kemnitz als verantwortlichem Konsistorialpräsidenten Schwierigkeiten zu machen – kombiniert mit Nicolais Fall aber wurde aus Schwierigkeiten eine Remotion. Mithilfe der Briefe Fromms und späterer Berichte aller Beteiligten, die sich größtenteils decken, lassen sich die Ereignisse um die Vokation Nicolais recht kleinteilig auflösen. Demnach fand sie am Morgen des 28. 3.1659 statt. Als die Urkunde an Fromm zur Bestätigung weitergegeben wurde, äußerte dieser Bedenken, weil die FC mit aufgenommen war. Da Pomarius seine Polemik gegen die Reformierten mit der Bekenntnisschrift gerechtfertigt habe und sie nach Fromms Meinung im Landtagsrezess von 1653 ausgelassen war, forderte er, sie aus der Vokation zu streichen. Da die cöllnischen Räte dagegen protestierten, unterschrieb er schließlich, allerdings mit dem Zusatz And. Fromm L. subscribit, sed cum dissensu quoad obligationem ad F.C. ob nonullas condemnationes ad exemplum multorum magnorum Theologorum Luth. ⁴⁷⁶ Er gab also an, der Verpflichtung auf die FC nach dem Vorbild vieler großer lutherischer Theologen zu widersprechen, da Verketzerungen mit ihr legitimiert würden. Der Rat ließ nun bei Kemnitz nachfragen, wie man damit umgehen solle, woraufhin sich der Präsident am Folgetag, den 29.3., mit den lutherischen Konsistorialräten Martin Friedrich Seidel und Johann Georg Reinhart sowie den Cöllner Bürgermeistern bzw. Räten Sebastian Rhewend, Philipp Trumbach und Nicolaus Peucker traf.⁴⁷⁷ Dort empörten sich die Letzteren über Fromms Subskription und wollten diese nicht akzeptieren. Deshalb schickte man Reinhart abends zu Fromm, um ihn umzustimmen. Der

 Man könnte ihn höchstens dann im Recht sehen, wenn man davon ausgeht, dass das Vokationsrecht für den Superintendenten vom Probst direkt auf seinen Patron, den Kurfürsten, zurückfällt und dadurch die früheren Bestätigungen des Patronatsrechts für Salzwedel auf einer falschen Annahme beruhten.  Vgl. Meinardus: Protokolle 5, Nr. 464, S. 516 f.  Der genaue Wortlaut ergibt sich aus seinen Angaben in zwei Briefen an Stosch, vgl. dazu Fußnote 478.  Vgl. zu Peucker Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 302– 316; Saring: Mitglieder, S. 231 f.; vgl. zu Rhewend und Trumbach Küster, Georg Gottfried: Des Alten und Neuen Berlin vierdte Abtheilung (Altes und Neues Berlin 4). Berlin 1769, S. 418 – 420.

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blieb bei seiner Meinung, ließ aber den Rat schließlich die Vokationsurkunde ohne seine Unterschrift ausstellen und meldete lediglich seinen Protest an. Dieser gesicherte Ereignisablauf erhält in den verschiedenen Versionen der Akteure unterschiedliche Bewertungen und teils abweichende Hinzufügungen. Die frühesten Berichte von der Vokation befindet sich in der Sammlung von Fromms Briefen. Auch wenn eine genaue Datierung nicht möglich ist, wurden sie in jedem Fall noch vor der angeordneten Untersuchung verfasst. Ein Brief an Stosch behandelt die Vorgänge am 28.3.⁴⁷⁸ Über den Folgetag⁴⁷⁹ berichtet Fromm an Stosch, wie die lutherischen Konsistorialräte sowie Mitglieder des Cöllner Magistrats „nebst dem Vocato“ im Haus Kemnitzens zusammengekommen seien, „und ist ein grosser Lerm getrieben.“ Kemnitz habe gar gesagt, „Er wolle über die Libros Symbolicos halten/ wolle die Vocation nicht confirmiren/ wenn er auch Morgen nicht mehr Praesident seyn solte.“ Fromm habe darauf erwidert, dass sich sonst jemand anders finde, der sie bestätigen würde. Interessant daran ist: Fromm war bei dem Treffen gar nicht dabei, wie er in einem späteren Bericht an den Kurfürsten selbst schreibt.⁴⁸⁰ Vermutlich legt er Kemnitz also Worte in den Mund, um dessen Ansehen bei Stosch zu beschädigen. Möglich ist auch, dass Reinhart ihm später von dieser Aussage berichtet hatte und Fromms Antwort Reinhart galt. Denn gleich im nächsten Satz nach Kemnitzens mutmaßlichem Zitat geht Fromm darauf ein, wie der Kollege ihn abends aufsuchte, um ihn umzustimmen. Er würde seinem Ziel eines guten interkonfessionellen Verhältnisses mit seinem Verhalten doch eher schaden. Alles, was bisher aufgebaut worden sei, könne er damit zerstören. Zudem werde ohnehin im nächsten Vierteljahr „es vielleicht wegen Formulae Concordiae zu gutem Ende lauffen“. Fromm gab daraufhin nach und ließ den Cöllner Rat eine Vokation ausfertigen, tat dies aber nur „cum protestatione“.⁴⁸¹

 Fromm: Etliche Brieffe, Brief I. Interessant ist noch ein Unterschied in der Protestformel Fromms. Im Brief an Stosch schreibt Fromm, dass er Andreas Fromm subscribit, sed cum dissensu quoad obligationem ad F.C. maximè [Hervorhebung durch den Autor] ob nonullas condemnationes geschrieben habe. In einem späteren Brief schreibt er, dass er das maximè eigentlich schreiben wollte, aber tatsächlich vergessen habe, wie er beim Blick auf die Subskription gemerkt habe. Dies könne Kemnitz zusätzlich provoziert haben, glaubt Fromm. Tatsächlich macht es wohl zumindest einen kleinen Unterschied, ob man die Konkordienformel komplett ablehnt, oder größtenteils ablehnt. Vgl. ebd., Brief O.  Vgl. zum Folgenden ebd., Brief H. Er ist Brief I vorangestellt, was nicht der tatsächlichen Chronologie entspricht, wie sich mit Hilfe der anderen Berichte nachweisen lässt.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius, 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 57– 68, hier Fol. 64r. Eine zweite Abschrift befindet sich ebd., Fol. 114– 124.  Fromm: Etliche Brieffe, Brief H.

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In einem späteren Brief an Stosch, der vermutlich nur kurze Zeit später verfasst wurde,⁴⁸² unterstellt Fromm Kemnitz nicht „aus wahrem Gewissens-Trieb/ sondern aus Muhtwillen/ und Privat-haß wider mich/ ja wol wider alle Reformirten“ gehandelt zu haben (man beachte übrigens, wie Fromms Identifikation mit den Reformierten hier sprachlich mitschwingt).⁴⁸³ Er schlägt vor, angesichts der laufenden Revision der Konsistorialordnung Kemnitz die Konfirmation der Vokationen zu entziehen und ersatzweise das Superintendentenamt wiederzubeleben. Doch damit nicht genug; Fromm schreibt weiter zur FC: „Wird nicht mehr Ernst geschehen/ als bißhero tempore Bergij [Johann Bergius] p.m. geschehen/ so gehen noch 40. Jahr hin/ ehe man das Idolum Formulae Concordiae stüzet in diesem Lande.)“ Die Worte klingen wie ein Vorgriff auf die verschärfte Religionspolitik, die die 1660er prägen sollte. Am 13.4.1659 ging dann eine kurfürstliche Verfügung von Wiburg ab, in der Friedrich Wilhelm sowohl die Vokation von Pomarius nach Salzwedel als auch jene Nicolais ansprach und eine Untersuchung sowie die Suspension Kemnitzens anordnete.⁴⁸⁴ Am 2. 5.1659 erreichte Kemnitz schließlich der Zorn seines Dienstherrn in Form eines Schreibens.⁴⁸⁵ Darin warf er dem Präsidenten vor, er würde seine „Jura löchern“.⁴⁸⁶ Was Pomarius angehe, so besitze allein der Kurfürst das Vokationsrecht für Salzwedel (was bekanntlich nicht stimmt) und kömpt dieß darzu, das unß referiert worden, das Ihr, alß unsere bürgermeister und Rathmänner alhier Einen diaconum an des Pomarij stelle vociret und in der vocation formulam concordia oder vielmehr discordia (wie sie auch in der wahrheit ist) setzen laßen, unser Consistorial-Raht undt Inspector Herr Fromm aber contradiciret.⁴⁸⁷

 Alle folgenden Zitate ebd., Brief O. Der Brief knüpft in jedem Fall inhaltlich an I und H an, da Fromm anfangs berichtet, dass er bereits den Befehl bekommen habe, Nicolai nun zu introduzieren. Er kann also maximal wenige Tage später verfasst worden sein.  Fromm versucht dies anhand von fünf Punkten nachzuweisen: 1. würden kaum mehr die Hälfte der Vokationen die FC enthalten. Kemnitz hätte solche konkordienfreien Berufungen bestätigt. 2. hätten Nicolais vorige Vokationen auch nicht die FC enthalten, 3. sei in der gesamten Amtszeit Kemnitzens als Präsident „von diesem Orte nicht ein einige Testimonium Ordinationis gegeben worden […] darin der F.C. gedacht wäre“, und 4. habe Kemnitz sich in der Vergangenheit mehrfach gegen Verketzerungen ausgesprochen, wobei Fromm hier als Beleg nur offizielle Äußerungen vor Publikum – also dem Kurfürsten oder Geheimen Räten – nennt. 5. könne man schließlich aus dem Landtagsrezess von 1602 ableiten, dass die Vokationen der Zeit entsprechend jeweils angepasst werden müssten, was nun eben geschehe.  Meinardus: Protokolle 5, Nr. 464, S. 516 f.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius, 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 33 f., Verfasst wurde das Schreiben am 27.4.  Vgl. das Zitat weiter unten.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius, 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 33r.

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Viele lutherische Fürsten hätten die FC ohnehin nie angenommen, auch sei das Lästern und Verdammen per Edikt verboten.⁴⁸⁸ Mit Verweis auf den Nebenrezess von 1653 heißt es weiter, dass auch die Landstände konfessionelle Polemik nicht dulden wollten.⁴⁸⁹ Hinzu komme, dass viele andere Vokationen die FC nicht enthielten, und keine von denen, die von Geheimen Räten ausgestellt worden seien. Kurzum: Man bekommt den Eindruck, als würde kaum jemand mit Entscheidungsgewalt außer Kemnitz die FC unterstützen. Der Kurfürst müsse daraus schließen, das Ihr Euch nicht recht kennet, sondern einen vorsatz haben müßet unsere hohe jura entweder mit willen löchern zulaßen oder gar an Euch zu ziehen, auch die prediger mit fleiß zu informiren unsere wahre christliche Religion zu verketzern und zu verdammen […] Unsere gehorsame Stände aber, indem Ihr Euch unsern hohen nahmen hierzu gebrauchet zu persuadieren, alß ob wir Euch solches aufgelaßen, undt also wider gott sein heil. wort unser gewissen beschweren.⁴⁹⁰

Im Konflikt um Pomarius wolle er „den gelinden Weg gehen“,⁴⁹¹ aber zur Vokation Nicolais müsse Kemnitz eine Verantwortung einreichen und das Urteil seines Dienstherrn erwarten.⁴⁹² Bekanntlich hatte der Rat Salzwedels schon seit Langem sein Vokationsrecht nicht nur unwidersprochen ausgeübt, sondern sogar bestätigt bekommen. Hier konnte man dem Konsistorialpräsidenten eigentlich gar nichts vorwerfen. Die andere Pointe an der Sache ist nun, dass Kemnitz auch mit der Vokation auf die FC überhaupt keine Jura gelöchert hatte. Die kurfürstliche Verordnung von 1656 betraf nur Ordinationen – keine Vokationen – und die FC war grundsätzlich durch den Landtagsrezess gedeckt.⁴⁹³ Sowohl hinsichtlich des Vokationsrechts bei Pomarius als auch der Vokation Nicolais blieben die Rechte des Kurfürsten also unangetastet. Die Vorwürfe besaßen keine legitime rechtliche Grundlage.

 Ebd., Fol. 33v. Er spielt damit auf das Verketzerungsverbot Johann Sigismunds an, vgl. Mylius: Corpus I, 1, S. 353 – 356.  Vgl. Kapitel 2.1.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius, 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 34r.  Allerdings wird Kemnitz befohlen, Kandidaten für Vokationen und Ordinationen künftig dem Kurfürsten oder seinen Statthaltern anzuzeigen und eine Erlaubnis einzuholen, ebd. 34v.  Ebd., Fol. 34r–34v.  Darauf weist schon Lackner hin, vgl. Lackner: Kirchenpolitik, S. 123. Laut Mühler, der jedoch keinen Beleg angibt, waren sowohl die Ordination als auch die Vokation auf die FC bereits in einem Erlass von 1614 verboten worden. Selbst wenn dies stimmen sollte, demonstrieren die bisherige Praxis sowie die noch zu behandelnde Argumentation der Konfliktparteien, dass dieser Erlass in Vergessenheit geraten ist, vgl. Mühler: Geschichte, S. 128.

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Genauso argumentiert dann auch Kemnitz in seiner Verantwortung vom 17. Mai.⁴⁹⁴ Zur Sache mit Pomarius betont er zunächst, dass er die Rechte des Kurfürsten stets hochgehalten habe und dies weiterhin wolle, ferner habe die Stadt Salzwedel laut Aktenlage schon lange das Vokationsrecht ausgeübt.⁴⁹⁵ Auch zu bedenken sei bei dem Fall, dass Fromm und Pomarius schon lange private Streitereien ausgetragen hätten.⁴⁹⁶ Angeblich sei noch gar nicht geklärt, ob Pomarius wirklich „wieder Ewre Churfl. Durchl. undt dero Religionsverwandten verhetzet habe“⁴⁹⁷ und da bisher nur ein Bericht mit Anlagen eingefordert worden, aber noch keine Entscheidung dazu erfolgt sei, wundert sich Kemnitz, wie ungnädig die Vokation aufgenommen worden sei.⁴⁹⁸ Er sei letztlich froh gewesen, eine neue Stelle für Pomarius gefunden zu haben, um dessen Streitereien mit Fromm endlich ein Ende zu setzen.⁴⁹⁹ Zur Vokation Nicolais verweist Kemnitz zunächst auf die Bedeutung der FC unter den Kurfürsten Johann Georg und Joachim Friedrich sowie darauf, dass sie in mehreren Landtagsrezessen enthalten sei. Er betont ferner, dass auch Johann Sigismund nach seiner Konversion den Lutheranern die freie Religionsausübung sowie ihre symbolischen Bücher garantiert hatte.⁵⁰⁰ Nicht nur Georg Wilhelm, sondern auch der Große Kurfürst selbst hätten die FC seines Wissens nie angetastet. Dies ist nun die Stelle, an der er seinen Trumpf ausspielt, indem er den Landtagsrezess von 1653, der den Ständen alle symbolischen Bücher garantiert, direkt zitiert: „sintemahl sie sich der herrschaft uber die gewissen anzumassen, niemaln gemeindt gewesen“.⁵⁰¹ Er schließt daraus: „Ist also dieses im gantzen Lande bei dehnen, die sich zur lutherischen Religion bekenen ausser streit, daß die Formula Concordiae in ihren kirchen recipiret seij“.⁵⁰²

 GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius, 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 39 – 54. Eine weitere Abschrift des Berichts ebd., Fol. 101– 113.  Ebd., Fol. 39r – 42v.  Ebd., Fol. 43r – 43v. Siehe zum Streit die Ausführungen weiter oben.  Ebd., Fol. 43v.  Ebd., Fol. 43v – 44r.  Ebd., Fol. 44v.  Ebd., Fol. 45v – 46v. Kemnitz verweist auf den Rezess vom 15. 2.1615, vgl. Kapitel 2.1.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius, 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 46v – 47r., Zitat Fol. 47r. Das Zitat ist dem Rezess direkt entnommen, vgl. Mylius: Corpus VI, 1, S. 428.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius, 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 47v.

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Es folgt die Beschreibung des Ablaufs der Vokation sowie Fromms Protest, worauf im Detail nicht mehr eingegangen werden muss.⁵⁰³ Beim morgendlichen Treffen der Cöllner und der Konsistorialräte habe Nicolai übrigens auf Nachfrage erklärt, dass er das Recht des Cöllner Rates nicht anzweifle und die genannten symbolischen Bücher akzeptiere, sich dabei aber dennoch in Moderation üben wolle.⁵⁰⁴ Zum Ende wird Kemnitz grundsätzlich: Das Luthertum könne wohl auch ohne die FC existieren, doch solle ein privatus – womit auf Fromm angespielt wird – sich genau bedenken, ehe er gegen etwas vorgeht, das seit langem eingeführt und geduldet sei.⁵⁰⁵ Freilich könne der Kurfürst entscheiden, wie er die Konfirmation von Vokationen künftig gestalten wolle.⁵⁰⁶ Allerdings werde der FC zwar in der Vokationsurkunde, aber weder in der Konfirmation noch im Revers, der von der Konsistorialordnung vorgesehen ist, gedacht.⁵⁰⁷ Zuletzt betont Kemnitz, dass er die Rechte seines Herrn nie habe löchern oder Unfrieden stiften wollen. Jemand versuche vermutlich, ihn beim Kurfürsten verhasst zu machen.⁵⁰⁸ Die Erklärung wurde auch von Johann Georg Reinhart und Martin Friedrich Seidel mit unterschrieben. Kemnitz hatte zuvor eigens um ein wenig Aufschub gebeten, um sich mit seinen Kollegen besprechen zu können.⁵⁰⁹ Einige Tage später reichte Andreas Fromm seine Version des Falls ein, an die der Hofprediger Bartholomäus Stosch einen Kommentar anhängte.⁵¹⁰ Aus dem Bericht geht hervor, dass Fromm und Stosch Kemnitzens Bericht zugeschickt bekommen hatten. Einen langen Abschnitt widmet Fromm seinem Streit mit Pomarius, dem er die Schuld für ihre Differenzen gibt.⁵¹¹ Als er bei dessen Berufung Bedenken zur Legitimität von Salzwedels Patronatsrecht geäußert habe, sei er von den Kollegen ignoriert worden.⁵¹² Danach schildert Fromm die Vorgänge um die Vokation Nicolais aus seiner Sicht,⁵¹³ wobei Kemnitz als Anstifter der

 Ebd., Fol. 48r–50v. Man erfährt noch, dass Reinhart Fromm auf die Revision der Konsistorialordnung hinwies und andeutete, dass Fromm darüber Einfluss ausüben könne, um ihn umzustimmen, vgl. 50r – 50v.  Ebd., Fol. 49r – 50r.  Ebd. Fol. 51v – 52r.  Ebd., Fol 52r.  Ebd., Fol. 52v – 53r.  Ebd., Fol. 53r – 54r.  Ebd., Fol. 35 f.  Ebd., Fol. 57– 68. Eine zweite Abschrift findet sich ebd., Fol. 114– 124.  Ebd., Fol. 57r – 60v.  Ebd., Fol. 60v – 61r.  Ebd., Fol. 63r–65r. Zu Johann Georg Reinharts Versuch, Fromm noch umzustimmen, macht er seltsame Andeutungen. Reinhart habe ihm gesagt, „es konnte auff der vocation wegen meiner unterschrift keine confirmation folgen (was dabeij mehr vorfiel, wil man ja itzo nicht mehr wissen,

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Sache dargestellt wird, während der Cöllner Magistrat im Großen und Ganzen entlastet wird. Nicolai sei hier das Opfer, von Kemnitz und dem Rat eingeschüchtert, und hätte – so zumindest Fromm – eigentlich keine Probleme mit der Protestformel unter der Subskription gehabt.⁵¹⁴ Im Anschluss an Fromms Ausführungen kommt Stosch zu Wort und rät u. a. dazu, Johann Sigismunds Edikt von 1614 gegen das Lästern und Verdammen⁵¹⁵ neu zu publizieren und ein Religionsgespräch abzuhalten, so wie es im Nebenrezess von 1653 bereits angedacht war.⁵¹⁶ Wie schon Fromms Forderung nach einem härteren Vorgehen gegen die FC, ist auch dies ein Vorgriff auf die späteren Ereignisse. Kemnitzens Absetzung beeinflusste zentrale Weichenstellungen der künftigen Kirchenpolitik. Zuletzt wurde schließlich auch der vocierte Diakon Christian Nicolai um einen Bericht von dem Vorfall gebeten.⁵¹⁷ Seine Version deckt sich in weiten Teilen mit den anderen Darstellungen, doch weicht er gerade von Fromms Schilderung entscheidend ab. Tatsächlich nämlich bekennt er sich klar zur FC. Auf Nachfrage von Kemnitz, ob er die Vokation annehme, habe er erwidert, gerne auf den Zusatz zu Fromms Unterschrift zu verzichten, da er der FC nachleben wolle.⁵¹⁸ Er widerspricht damit der Behauptung, dass er den Zusatz akzeptiert hätte. Welche Schlüsse kann man nun aus all den kurfürstlichen Schreiben und den Berichten ziehen? Abgesehen vom eigentlichen Ablauf der Vokation dreht sich alles um unterschiedliche Interpretationen der FC und des Landtagsrezesses von 1653. Friedrich Wilhelm, Fromm und Stosch sehen in der FC ausschließlich das Lästerbuch, die formula discordiae. Für Kemnitz, Seidel, Reinhart und Nicolai ist sie symbolisches Buch und Bekenntnisschrift, die sie argumentativ gezielt von konfessioneller Polemik entkoppeln, wenn etwa betont wird, dass Nicolai an die nötige Moderation erinnert worden sei.Was den Landtagsrezess betrifft, so wird er vom Kurfürsten diskret unterschlagen, während Fromm bzw. Stosch darauf be-

welches ich aber demnachst, so E. Chfl. dhl. es von mir zu wissen begehren, nochmahlen zu sagen keine scheu trage)“ (Zitat ebd., Fol. 64v – 65r.). Evtl. spielt Fromm mit seiner eingeklammerten Bemerkung auf den großen Lärm und Kemnitzens Aussage an, er wolle die symbolischen Bücher verteidigen, wovon er Stosch geschrieben hatte.Wie oben erwähnt, könnte Reinhart ihm durchaus die Ereignisse bei dem Treffen geschildert haben. Möglicherweise übt er sich aber schlicht in der höfischen Kunst, seine Gegner zu diskreditieren.  Ebd., 65r – 65v. Bei den vorigen Vokationen Nicolais an anderen Orten sei laut Fromm auch nicht der FC gedacht worden.  Vgl. zu dem Edikt Kapitel 2.1.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius, 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 67v – 68r.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „des Probstes Fromm bey der St. Petrikirchen allhier Streitigkeiten mit dem Magistrat und dem Lic. Pomario 1654– 1659 (82 Fol.)“, Fol. 14 f.  Ebd., Fol. 9 – 12.

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stehen, dass die FC in diesem gar nicht enthalten sei. Kemnitz, Seidel und Reinhart schützen sich damit, dass sie laut demselben Rezess noch gelte. Zur Erinnerung: Die FC ist durch die Garantie aller symbolischen Bücher der Lutheraner im Landtagsrezess implizit eingeschlossen, aber nicht explizit genannt. Genau dies ist die Grundlage jener selektiven Landtagsrezess-Exegese, wie man sie hier vorfinden kann. Auf der anderen Seite produzieren Kemnitz, seine Kollegen und Nicolai ein einseitiges Bild von der FC, indem sie deren Anathemata als Grundlage für konfessionelle Polemik ausklammern oder sich davon distanzieren.⁵¹⁹ Beide Seiten blenden also unterschiedliche Aspekte der FC aus und berufen sich auf den Landtagsrezess von 1653. Durch diese Kommunikationsstrategie versuchen sie, das bessere Argument in einer Diskussion zu finden, in der konkordientreue Lutheraner und Reformierte nur schwer einen gemeinsamen Nenner finden können: definiert man die FC eher über ihre Doctrinalia oder ihre Anathemata? ⁵²⁰ Es wird ein Konflikt um die FC ausgetragen, in dem zumindest diese Akteure keinen Kompromiss finden können und deshalb allesamt mit dem Landtagsrezess auf juristische Argumente zurückgreifen und ein einseitiges Bild der FC zeichnen. Obwohl Kemnitz das Recht auf seiner Seite hatte, enthob ihn der Kurfürst schließlich seiner Ämter: am 11. Juni erreichte den Geheimen Rat eine entsprechende Resolution.⁵²¹ Friedrich Wilhelm warf ihm im Fall Pomarius vor, darauf zu beharren, dass Salzwedel das Vokationsrecht innehätte, dass er nicht zugeben wolle, wer beim Streit zwischen Pomarius und Fromm der Anstifter gewesen sei (nämlich Pomarius) und dass er „gar recht zu sein vermeinet, daß auf die formulam concordiae die Berufung geschehen.“⁵²² Was die Vokation Nicolais angehe,⁵²³ habe er den Magistrat aufgewiegelt und sei damit treibende Kraft hinter dem Konflikt um Fromms Zusatz zur Supskription gewesen. Ungnädig wird auch aufgenommen, dass er nicht alleine am 29.3. in seinem Privathaus – „als wann Wir das Consistorium dahin verleget hätten“ – Reinhart, Seidel und den Cöllner Magistrat – „als wann Wir denselben zu Respicirung Unserer Consistorialsachen mit bestellet“ – zur Lagebesprechung geladen, sondern dabei auch noch das halbe  Auf diesen Widerspruch weist Fromm in seinem Bericht zur Vokation selbst hin, GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius, 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 66r.  Vgl. zur FC Kapitel 2.1.  Meinardus: Protokolle 5, Nr. 498, S. 573 – 576; Original: GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius, 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 37– 40; Abschrift ebd., Fol. 125 – 128.  Meinardus: Protokolle 5, S. 574. Das Zitat könnte sich ebenso bereits auf die Vokation Nicolais beziehen, vgl. die folgende Fußnote.  Es gibt keinen expliziten Hinweis darauf, dass nun zu Nicolais Fall gewechselt wird, doch deutet die Wendung „limitirte Vocation“ auf den Zusatz Fromms und damit auf Nicolai hin. Vgl. ferner den darauf folgenden Vorwurf zu Privattreffen in Kemnitzens Haus, der auch auf Nicolais Fall hindeutet, ebd.

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Konsistorium ausgeschlossen hätte.⁵²⁴ Aus all dem müsse der Kurfürst schließen, dass Kemnitz ein „hochschädliches Absehen habe und an anderen Dingen mehr Ursach sein müsse, die vor diesem zu Unserm Verdruß geschehen seind“.⁵²⁵ Seidel und Reinhart sollten für ihr Verhalten lediglich vor dem Geheimen Rat ermahnt werden. In einer Relation an den Kurfürsten vom 12.7.1659 berichten der Statthalter Johann Georg II. von Anhalt-Dessau und die Geheimen Räte von der Absetzung Kemnitzens und der anschließenden Ermahnung Reinharts und Seidel.⁵²⁶ Dort findet sich nun ein interessanter Abschnitt: Da man befürchtete, die Angelegenheit könne den Landständen zu Ohren kommen, „wie unzweiflich wohl zu vermuthen“, sei es besser, wenn es nicht das Ansehen habe, daß dasjenige, was wider D. kemnitzen vorgenommen, wegen der Religion geschehe, da es doch alleine seine actiones und Pflichte angehet, so haben wir E.Ch.D. gnädigste Willensmeinung aus Dero Rescript extrahiret und auf die politica gerichtet […] weil man damit umbgehet und zum Theil sich dazu präpariret, eine Religionssache daraus zu machen.⁵²⁷

Die Räte erahnten also die religionspolitische Brisanz der Absetzung und antizipierten die Situation durch eine politische Umformung des kurfürstlichen Reskripts. Das Schreiben, das Kemnitz verlesen und ausgehändigt wurde, ist noch erhalten, sodass man genau nachvollziehen kann, was es heißt, eine Willensmeinung auf die Politica zu richten.⁵²⁸ Vom ursprünglichen Reskript wurden die Punkte zur Verletzung der kurfürstlichen Rechte bei der Vokation des Pomarius übernommen sowie die Besprechung in seinem Haus mit ausgewählten Kollegen und dem Cöllner Magistrat, nachdem Fromm gegen die FC in Nicolais Vokationsurkunde protestiert hatte. Die Bemerkung zum Streit zwischen Fromm und Pomarius fehlt ebenso wie der explizite Vorwurf, den Cöllner Magistrat aufgewiegelt zu haben, der nun höchstens noch indirekt mitschwingt. Und das Wichtigste: Der FC wird mit keiner Silbe gedacht. Genau hier hätten die Landstände am leichtesten ansetzen können, um „eine Religionssache daraus zu machen“. Passend dazu wurden später Seidel und Reinhart eigens darauf hingewiesen, dass die

 Ebd.  Ebd. Nicolai hingegen wurde in seinem Amt belassen, vgl. ebd., 576.  Meinardus: Protokolle 5, Nr. 507, S. 585 – 588; Original: GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius, 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 137– 140. Eine weitere Abschrift befindet sich in GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 142; 1660 – 1670], Fol. 7– 10.  Meinardus: Protokolle 5, S. 586.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol 133 f.

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FC in dem kurfürstlichen Schreiben gar nicht erwähnt sei.⁵²⁹ Stattdessen wird sehr vage davon gesprochen, Kemnitz habe gegen Edikte und Visitationsabschiede gehandelt, ohne Details zu nennen. Durch die Änderungen des Reskripts wird ein interkonfessioneller Konflikt um die FC säkularisiert und zu einer rein ‚dienstrechtlichen‘ Angelegenheit gemacht. Damit knüpfen die Räte an die Tendenzen an, die man schon in den Berichten der Beteiligten findet. Man könnte Kemnitzens Handlungen möglicherweise in Teilen als Vertrauensbruch gegenüber seinem Dienstherrn bewerten, aber es ist unbestreitbar, dass er hauptsächlich aus religiösen Gründen abgesetzt wurde. Indirekt bestätigt dies der Kurfürst höchstpersönlich in seinem Schreiben gegenüber Kemnitz, wonach er sich in seinem Gewissen beschwert sehe, wenn auf die FC vociert werde.⁵³⁰ Der Geheime Rat klammerte dann aus strategischen Gründen die religiöse Dimension so weit wie möglich aus und hob die Politica hervor – die Absetzung sollte auf keinen Fall den Anschein konfessioneller Parteiname erwecken, um ihr die größtmögliche Legitimität und den Ständen möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Kemnitz argumentierte juristisch, weil der rechtliche Status quo ihn stützte. Ein Argument auf ausschließlich religiöser Ebene – etwa eine für die Zeit typische Berufung auf die Freiheit des Gewissens – hätte ohnehin nicht funktioniert, war doch sein Dienstherr der Meinung, es mit einer Diskordienformel zu tun zu haben.⁵³¹ Dass sich Kemnitzens Position tatsächlich eher aus religiösem Eifer denn aus einer besonders regeltreuen Dienstauffassung speiste, zeigt sich darin, dass er darauf drängte, die FC trotz Verbots in Ordinationsurkunden aufzunehmen und Fromm teilweise hart anging.⁵³² Friedrich Wilhelm seinerseits war trotz der asymetrischen Herr-Diener-Beziehung nicht vollkommen frei in seinen Entscheidungen. Natürlich konnte er nach Belieben über Gnade und Ungnade verfügen, doch insbesondere in solch sensiblen religiösen Fragen war es heikel, den Konsistorialpräsidenten zu entlassen, weil er nach gängiger Praxis Salzwedel das ius patronatus zugestanden und mit Nachdruck eine Vokation auf die FC durchgesetzt hatte. Man kann es auch zugespitzter formulieren: Der Kurfürst hatte Kemnitz ohne legitime Grundlage entlassen, nur

 Meinardus: Protokolle 5, S. 587. Auf die Ermahnung wird weiter unten noch genauer eingegangen.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 33 f., hier Fol. 34r, Schreiben vom 27.4.1659. Eine weitere Abschrift befindet sich in GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 142; 1660 – 1670], „Pomarius (36 Fol.)“, Fol. 15 – 17.  Damit soll nicht behauptet werden, dass Kemnitzens Rechtfertigung überhaupt keine religiöse Dimension besaß, etwa in der Betonung der konkordienlutherischen Tradition in Brandenburg. Außer Zweifel steht aber, dass die rechtliche Dimension deutlich überwiegt.  Vgl. Kapitel 4.1.4.

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weil er seinen Pflichten als Konsistorialpräsident nachgekommen war und sich dabei an geltendes Recht gehalten hatte. Der Vorwurf des konspirativen Treffens im Privathaus zur Besprechung von Konsistorialsachen verliert auch an seiner ohnehin schon geringen Substanz, wenn man bedenkt, dass spezifische formalisierte Regelungen zur Trennung von dienstlichen und privaten Besprechungen usw. nicht existierten. Eine solche Entlassung musste schon sehr gut verkauft werden, wachten die Landstände doch über ihre Religionsausübung und die symbolischen Bücher. Vergessen sollte man auch nicht, dass es keine 50 Jahre her war, als religiöse Kontroversen zum Berliner Tumult geführt hatten.⁵³³ Deswegen musste das Konsistorium zumindest nach außen hin eine konfessionelle Parität und relative Eintracht suggerieren und deshalb lenkten die Geheimen Räte auch die Resolution des Kurfürsten zu Kemnitzens Absetzung auf die Politica, um aus dem Fall eine ‚dienstrechtliche‘ Angelegenheit zu machen. Selbst wenn jedem klar gewesen sein sollte, dass es sich nicht allein um Herrschaftsrechte, sondern im gleichen Maße um einen interkonfessionellen Konflikt um die FC handelte, musste man wenigstens so tun, als wäre dem nicht so, um die Entscheidung legitimieren zu können. Das Resultat ist ein interkonfessioneller Konflikt, über den niemand sagen darf, dass er ein interkonfessioneller Konflikt ist.⁵³⁴ Die Geheimen Räte hatten dies verstanden – der Kurfürst nicht: Als er Kemnitzens Absetzung bestätigte, äußerte er sein Unverständnis über die Befürchtung, dass die Stände sich beschweren könnten.⁵³⁵ Kemnitz zeigte sich erschüttert, als ihm vor dem Geheimen Rat seine Remotion mitgeteilt wurde, und wiederholte seinen Standpunkt aus der Rechtfertigungsschrift. Auch jetzt blieb er in der Rolle des unverstandenen, gesetzestreuen Fürstendieners und damit weiter auf einer rechtlichen Diskussionsebene. Er werde sich noch einmal an den Kurfürsten wenden und sei sich sicher: „E.Ch.D. würde die Ungnade fallen lassen.“⁵³⁶ Doch dazu sollte es nicht kommen,⁵³⁷ ganz

 Vgl. Kapitel 2.1.  Im Gegensatz zu einigen anderen Beispielen zur interkonfessionellen Konfliktführung in Brandenburg-Preußen, die Leibetseder behandelt, lässt sich hier nicht feststellen, dass „Toleranz als Argument“ genutzt wurde, indem auf die laufenden kurfürstlichen Versicherungen der Glaubensfreiheit verwiesen wurde, um die eigene Position zu rechtfertigen. Mit der oben skizzierten ‚Verrechtlichung‘ des Konflikts lässt sich somit ein weiterer Typ der interkonfessionellen Konfliktaustragung identifizieren, vgl. Leibetseder: Alltag, S. 233 – 238.  Meinardus: Protokolle 5, Nr. 515, S. 595 f.; Original: GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 142 f.  Meinardus: Protokolle 5, Nr. 507, S. 585 – 588, Zitat S. 586. Siehe auch: GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 142; 1660 – 1670], Fol. 11 f.

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im Gegenteil: Friedrich Wilhelms Ungnade ging sogar so weit, dass noch Kemnitzens Kindern Jahre später verboten wurde, dessen Witwe standesgemäß in einem Zinnsarg zu bestatten, wie Seidel schreibt.⁵³⁸

4.2.2 Martin Friedrich Seidel und Johann Georg Reinhart vor dem Konsistorium Es bleibt noch zu berichten, wie es den lutherischen Konsistorialräten Johann Georg Reinhart und Martin Friedrich Seidel erging, die nun an der Reihe waren, sich ihre gnädigste Ermahnung mit auf den Weg geben zu lassen. Als auch ihnen das geänderte kurfürstliche Reskript vorgelesen wurde, erklärte Reinhart, dass er mit der Vokation Nicolais nur Frieden habe stiften wollen. So weit, so gut. Dann aber fuhr er fort: Wollte von dessen Intention, so es E.Ch.D. anbracht, nicht sagen; hätte wohl mehr reformirte Kirchen als derselbe gesehen, sich an eine Reformirte verheirathet, in vielen ausländischen reformirten Kirchen Predigten angehört und deren Lehre also befunden, daß er keinen Abscheu dawider trüge, noch weniger verdammete; hätte allzeit an dem Verketzern einen Ekel und Mißfallen gehabt und gegen E.Ch.D. sich nun ins zwanzigste Jahr in Unterthänigkeit also comportiret, daß er alle Churfürstliche Gnade gehabt und noch nimmer einen Verweis bekommen; wäre nicht auf die formulam concordiae getauft.⁵³⁹

Nicht nur spielte Reinhart mit seinem ersten Satz auf einen möglichen Denunzianten an – vermutlich auf Fromm –, sondern ignorierte auch die stille Vereinbarung, dass es hier um eine ‚dienstrechtliche‘ Sache ging. Stattdessen verschob er das Gespräch durch den Verweis auf seine pro-reformierte Einstellung und Distanz zur FC auf die religiöse Ebene. Er erinnerte somit alle Akteure an die konfessionelle Dimension des Konflikts. Die Geheimen Räte wiesen ihn daraufhin zurecht, dass „in E.Ch.D. Rescript von keinem Anbringer noch von der Religion etwas gedacht […] der formulae concordiae wäre auch nicht erwähnet, und vernehme man sonsten diese Erklärung gerne; und ist ihm der erwähnte § nochmals vorgelesen“.⁵⁴⁰

 Später versuchte Kemnitz mit einer Bittschrift die Gnade seines Herrn wieder zu erlangen, konnte ihn aber nicht umstimmen, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 145 f.  Holtze: Kirchenbaupflicht, S. 29.  Meinardus: Protokolle 5, Nr. 508, S. 587.  Ebd.

4.2 Wie man einen interkonfessionellen Konflikt auf die Politica richtet

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Im Gegensatz zu den anderen Akteuren dissimulierte Reinhart die konfessionelle Dimension des Konflikts nicht und störte damit das interkonfessionelle Schauspiel – entweder weil er die Situation falsch definierte, sich tatsächlich nicht kontrollieren konnte oder die Inszenierung bewusst aufdecken wollte. Die Geheimen Räte allerdings fingen ihn auf und retteten die Situation, indem sie ihn darauf hinwiesen, dass er alles falsch einordne – es gehe ja gar nicht um die FC – aber dass man seine Einstellung gerne höre. Danach erklärte man ihm die Situation noch einmal durch Vorlesen des entsprechenden Paragraphen. Die Reaktion auf Reinharts Verhalten macht deutlich, wie wichtig es war, alles auf die offizielle Version hin auszurichten, wonach es sich nicht um eine religiöse Angelegenheit handelte. Alles andere hätte die kurfürstliche Position nicht nur angreifbar gemacht, sondern womöglich die Situation im Rat auch eskaliseren lassen können, vor allem wenn man mit einbezieht, was gleich noch über Reinharts Ausbruch offenbart wird. Das interkonfessionelle Schauspiel sollte unbedingt fortbestehen.⁵⁴¹ Trotz dieses Hinweises bemerkte Reinhart noch: „Wüssten nicht, ob E.Ch.D. die formulam concordiae abgeschafft haben wollten.“⁵⁴² Seidel erklärte sich ähnlich wie der Kollege, wenn auch weniger dramatisch. Dann ergriff schließlich Reinhart noch einmal das Wort und gelobte, „absonderlich, daß er hoffte zu wege zu bringen, daß die stände der formulae concordiae sich begeben.“⁵⁴³ In einem zweiten, fast deckungsgleichen, aber nie abgeschickten Bericht zum Gespräch findet sich noch ein interessanter Zusatz. Demnach habe Seidel am Ende gefragt, wie man nun künftig mit der FC verfahren solle. Der Statthalter antwortete, dass er keine Befehle habe, darüber zu entscheiden, sondern sie nur wegen des Vorfalls ermahnen sollte.⁵⁴⁴ Dies ist ein weiterer Beleg dafür, was hier gespielt wurde: Jeder eindeutige Bezug zur FC wurde ebenso vermieden wie die Formulierung klarer Regelungen für die Zukunft. Die Konfession wurde so weit wie möglich aus dem Konflikt gestrichen, was Reinhart und Seidel, welche die Situation gänzlich anders gedeutet hatten, ein wenig konfus zurückzulassen schien. Zu dem Gespräch existiert noch ein drittes Schreiben, das der Statthalter Johann Georg II. von Anhalt-Dessau wenige Tage später an den Oberpräsidenten

 Die Deutung des Vorfalls erfolgt in Anlehnung an Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München/ Zürich 71991, v. a. S. 196 – 198 u. 208 – 215.  Meinardus: Protokolle 5, S. 587.  Ebd., 588.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 142; 1660 – 1670], Fol. 13 f. Daneben wird noch ein Aspekt des Gesprächs wiedergegeben, der in der Relation an den Kurfürsten nicht auftaucht, aber vom Statthalter später erwähnt wird, siehe unten.

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Otto von Schwerin geschickt hatte.⁵⁴⁵ Darin schreibt er, dass zwar das meiste, was vorgefallen war, in der Relation enthalten sei – „iedoch aufs glimpflichste“⁵⁴⁶ – aber eine Sache müsse er noch berichten, um sich und seine Kollegen vorsorglich vor möglichen späteren Vorwürfen zu schützen. Er hatte den Eindruck, Reinhart habe sich gezielt auf eine religiöse Diskussion vorbereitet in der Erwartung, „man würde mit Ihnen viel in religionßsachen reden oder sich darinn mit Ihnen einlaßen“.⁵⁴⁷ Außerdem habe er viele „gefährliche reden“ gebraucht und u. a. gesagt, „daß Er nemlich sich in solchen sachen ohne deß nicht mengen würde, weil Er wüste, wie es dem könige in England gegangen, der von kleinen sachen angefangen und endlich doruber das leben laßen müssen.“⁵⁴⁸ Diese Anspielung auf König Karl I. von England, der nach dem englischen Bürgerkrieg, der auch mit konfessionellen Konflikten zusammenhing, 1649 hingerichtet worden war,⁵⁴⁹ brachte Reinhart einen scharfen Verweis des Statthalters ein. Der Konsistorialrat erwiderte, er habe dies auf die Patrone bezogen, die sich um des Friedens willen Friedrich Wilhelm nicht widersetzen sollten. Da Reinhart bisher ein guter Diener gewesen sei, wird empfohlen, die Sache auf sich beruhen zu lassen.⁵⁵⁰ Reinhart hatte Kemnitzens Absetzung also tatsächlich (und richtig) als religiös motiviert gedeutet und sich entsprechend vorbereitet. Er hatte Glück, dass ihm seine unüberlegte Bemerkung nur eine Ermahnung einbrachte und nicht weiter schadete. Er übte das Amt des Konsistorialpräsidenten bis 1665 kommissarisch aus, ehe der reformierte Lucius von Rhaden übernahm.⁵⁵¹

4.2.3 Das Konsistorium nach Kemnitz Als Reaktion auf die Vorfälle um Pomarius und die Absetzung ließ Friedrich Wilhelm Johann Sigismunds Edikt gegen das Verketzern von 1614 erneuern⁵⁵² –

 Meinardus: Protokolle 5, Nr. 508, S. 588 f., Original: GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 135 f. Was der Statthalter berichtet, deckt sich mit dem zweiten, nie abgeschickten, Bericht, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 142; 1660 – 1670], Fol. 13 f.  Meinardus: Protokolle 5, S. 588.  Ebd.  Ebd.  Vgl. zu Karl I. etwa Cust, Richard: Charles I. A Political Life. London u. a. 2005.  Meinardus: Protokolle 5, 589.  Vgl. Bahl: Hof, S. 413.  Meinardus: Protokolle 5. Nr. 529, S. 618 f.; Original: GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 53 f.; Abschrift Fol. 147 f. Vgl. auch Landwehr: Kirchenpolitik, S. 198 f. Anscheinend wurde auch die Confessio Sigismundi neu herausgegeben –

4.2 Wie man einen interkonfessionellen Konflikt auf die Politica richtet

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ganz so, wie es Stosch vorgeschlagen hatte. In demselben Schreiben, in dem er das Edikt von 1614 erneuert, fordert Friedrich Wilhelm, dass „das Lutherische Ministerium, wie auch Unsere selbiger Religion zugethane kammergerichtsräte“ Pomarius seine Verfehlungen darlegen und dem Kurfürsten ihre Bedenken mitteilen sollten.⁵⁵³ Wie schon bei Heinzelmanns Kanzelpolemik sollten also ausschließlich lutherische Räte über lutherische Prediger urteilen, um eine Entscheidung zu legitimieren – diesmal war es eben nur das Kammergericht (das im Übrigen in Teilen mit dem Konsistorium deckungsgleich war).⁵⁵⁴ Eine wirkliche Entscheidungsfreiheit ließ der Kurfürst ihnen dabei nicht, wie er nur bedingt subtil andeutet: Und wie sie selbst bekennen müssen, daß Wir niemand umb der Religion willen das geringst [!] Ungleich erwiesen, sondern sie sich vielmehr aller Gnade und Beforderung zu rühmen haben, also wollen Wir auch zu ihnen die gnädigste Zuversicht tragen, sie würden nicht begehren, daß dieser Pomarius allsolche unverantwortliche Bezeigung darumb impune verübet haben soll, weil er der Lutherischen Religion zugethan wäre.⁵⁵⁵

Der Kurfürst betont nach bekanntem Muster seinen grundsätzlich guten Willen gegenüber den Lutheranern und nutzt die lutherischen Hofbeamten dazu, um seine konfessionsneutrale Fassade aufrecht zu erhalten. Nach einer kurzen Störung des konsistorialen Hausfriedens, bedingt durch die Absetzung Kemnitzens, ging man also schnell zu den bekannten Mustern interkonfessioneller Inszenierung über. Zugleich setzte eine stärkere Kontrolle ein: Die Konsistorialräte wurden dazu angehalten, alle Fälle geschlossen zu bearbeiten und an den Geheimen Rat zur Prüfung weiterzureichen.⁵⁵⁶ Auch bei der im Prinzip schon seit 1637 regelmäßig angemahnten und immer wieder verzögerten Revision und Neuauflage der Visitations- und Konsistorialordnung zeigte sich der neue Wind, der mit Kemnitzens Absetzung im Konsistorium wehte. Noch im März 1659, also vor der Entlassung des Präsidenten, hatte das Konsistorium geschlossen einen Entwurf der Konsistorialordnung eingereicht, der mit einem Separatvotum Stoschs versehen

zumindest befindet sich ein Druck im Nachlass Lubaths im Archiv der Bibliothek zum Grauen Kloster, GKl Archiv XII/90/2, Fol. 41– 60.  Meinardus: Protokolle 5, 618 f. Friedrich Wilhelm verfügte im Übrigen auch, dass alle Beamten, Magistrate und Zuhörer melden sollten, falls jemand gegen das Verketzerungsverbot verstoße, womit die Verfügung eine Vorstufe zum Beamtenrevers von 1668 darstellt. Vgl. zum Beamtenrevers Kapitel 7.  Vgl. Bahl: Hof, S. 104; Themel: Mitglieder, S. 60.  Meinardus: Protokolle 5, Nr. 529, S. 618 f., Zitat S. 619.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 4, Fol. 542.

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4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm

war, der ja erst kürzlich ins Amt getreten war.⁵⁵⁷ Danach findet man erst im November 1660 Neues zu dem Projekt. Johann Georg Reinhart wurde aufgetragen, die Ordnung den Ständen vorzulegen, wobei der Kurfürst betonte, dass er es eigentlich nicht für nötig befinde, als Landesherr und oberster Bischof ihre Zustimmung einzuholen. Die Räte sollten mögliche Anmerkungen schnell einreichen, da die Ordnung zügig in Druck gehen sollte.⁵⁵⁸ Solche Aussagen widersprechen nicht zwingend der Selbstdarstellung des Kurfürsten als konfessionsneutraler Herrscher, da er die Stände trotzdem noch mit einbezog und einen interkonfessionellen Dialog zur Ordnung aufrechterhielt. Interessanter ist eine parallele Maßnahme des Kurfürsten, die abseits der Befragung der Stände den Blick in ein Hinterzimmer eröffnet. Denn am 19. November wurden die Geheimen Räte Lorenz Christoph von Somnitz, Johann Tornow, der Vizekanzler Lucius von Rhaden sowie die Konsistorialräte Stosch und Fromm damit beauftragt, die Konsistorialordnung Punkt für Punkt durchzugehen, auf bedenkliche Abschnitte zu prüfen und neue Passagen hinzuzufügen, wenn nötig.⁵⁵⁹ Somnitz, Rhaden und Tornow waren allesamt reformiert.⁵⁶⁰ Zumindest Somnitz war zwar konvertiert, in erster Ehe mit einer Lutheranerin verheiratet und pflegte nachweislich freundschaftliche Beziehungen zum lutherischen Geheimen Rat Raban von Canstein.⁵⁶¹ Aber ganz gleich wie gemäßigt die eingesetzten Räte gewesen sein mögen, es bleibt die lutherische Perspektive doch ganz unberücksichtigt. Zwar wurde mit Fromm auch der lutherische geistliche Konsistorialrat hinzugezogen, aber nach den vergangenen Vorfällen dürfte dies keinen mehr getäuscht haben. Die Teile des Konsistoriums, die man für Hindernisse – um nicht zu sagen Gegner – dieses Unterfangens hielt – nämlich die lutherischen Räte Reinhart und Seidel – wurden absichtlich ausgeschlossen. Stosch gab das sogar persönlich zu: Seidel notierte in seiner Ausgabe der Visitationsordnung, wie er am 19.11.1660 – dem Datum des kurfürstlichen Befehls zu deren Prüfung – den Hofprediger Stosch bat, die laufende Revision zu befördern, woraufhin dieser geantwortet haben soll „cum risu: Ja, Ja, Wir sollen Eure Kirchenordnungen und Visitationen befoddern, damit Ihr uns desto besser im Werck zum Verdammen und Drücken kommt.“⁵⁶²

 Vgl. Bonin: Kirchenrechtsreform, S. 184 f.  Ebd. 186 f.  Ebd.  Vgl. Bahl: Hof, S. 592 f., 562 f. u. S. 604; vgl. allgemein zu Tornow ebd., S. 604; ferner Saring: Mitglieder, S. 92– 95.  Vgl. Bahl: Hof, S. 592 f.; vgl. zu seiner Beziehung zu Canstein Kapitel 5.3.2.1.  Zitiert nach Holtze: Kirchenbaupflicht, S. 37.

4.2 Wie man einen interkonfessionellen Konflikt auf die Politica richtet

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Stoschs beißende Reaktion gegenüber dem Konsistorialrat mag wiederum mit Fromm zusammenhängen, der Seidel in einem Brief an den Hofprediger wenig schmeichelhaft beschreibt.⁵⁶³ Der „Herr S.“ würde nicht „suo sed aliorum (L.R.&M.H.) judicio“ urteilen, wobei mit L.R. und M.H. die Prediger Elias Sigismund Reinhart⁵⁶⁴ und Johannes Heinzelmann von der Nikolaikirche gemeint sind. Zur Erinnerung: für Letzteren hatte Seidel gemeinsam mit den anderen Konsistorialräten 1658 noch ein mildes Urteil erbeten. Der Erstere sollte noch in den kommenden Jahren von sich reden machen. Außerdem sei Seidel arrogant, hätte neulich erst Schardius angefahren und auch „sonst ist er freylich ein Mann der mit L. Rein. und M. heinzelm. kochet was nicht zu Frieden dienet/ wiewol sie nun mögen anfangen verdeckter zu gehen.“ Fromm versuche, so schreibt er, von Seidel einige Schriften zu erlangen – vermutlich um ihm zu schaden – und hoffe, er werde sie ihm in der Hoffnung geben, ihn dadurch vom Synkretismus abbringen zu können. Als Fromms Briefe 1667 herausgegeben wurden, sah sich Seidel dazu genötigt, an Friedrich Wilhelm persönlich eine Bittschrift zu adressieren, um sich zu erklären und die Vorwürfe zu dementieren.⁵⁶⁵ Wieviel Martin Friedrich Seidel mit Reinhart und Heinzelmann ‚gekocht‘ hat, um es in Fromms Worten zu formulieren, kann anhand der Quellen leider nicht beurteilt werden.⁵⁶⁶

4.2.4 Zwischenresümee Bis 1656 war das kurbrandenburgische Konsistorium eine funktionierende Behörde. Seit seiner Wiederbelebung durch Bergius im Jahr 1637 war es zumindest zu keinen aktenkundigen Konflikten gekommen. Das bedeutet nicht, dass es keine Spannungen und Differenzen gegeben haben mag, gerade auch bei interkonfessionellen Fragen oder den andauernden Verzögerungen bei der Neuauflage der Konsistorialordnung. Wenn es sie aber gegeben hat, so waren sie nie gravierend genug, um die Schwelle der Mündlichkeit zu überschreiten. Dann aber kam es zu einer Serie von Ereignissen, welche die Arbeitsabläufe und vor allem den inneren Frieden erheblich störten. Mit den kurfürstlichen Maßnahmen zur Ordination ab 1656 fand eine Zentralisierung hin zum Ort des Konsistoriums statt, was

 Vgl. für alle folgenden Zitate Fromm: Etliche Brieffe, Brief Aa.  Reinhart war an der Nikolaikirche Archidiakon, vgl. zu ihm Ruschke: Paul Gerhardt, S. 112; Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 334– 345.  GKl Archiv XII/90/2, Fol. 359 – 361.  Dass aber auch Seidel im Rahmen seiner Möglichkeiten in Konflikten beschwichtigend zugunsten seiner Konfession zu vermitteln versuchte, kann belegt werden, vgl. Kapitel 5.3.1.2.

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4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm

gleichbedeutend mit einer stärkeren kurfürstlichen Kontrolle und Formalisierung war. Alte Abläufe und Gewohnheiten wurden damit verändert – etwaige Freiheiten der Räte, die zuvor zum Religionsfrieden beigetragen haben mögen, wurden nun nicht mehr geduldet. Damit einher ging die Abschaffung der FC aus den Ordinationsurkunden. Sie betraf nicht die Arbeitsweise des Konsistoriums, sondern die Bekenntnisfreiheit der Lutheraner.⁵⁶⁷ Sie erschütterte das konfessionelle Gleichgewicht ungleich stärker. Neue Regelungen und eine Zentralisierung alleine richten aber nichts aus ohne effektive Überwachung. Bergius, von dem Fromm später gegenüber den Wittenberger Theologen nicht einmal sagen wollte, ob er in seinen Lehren nun wirklich reformiert oder nicht doch eher lutherisch gewesen sei,⁵⁶⁸ war vermutlich relativ nachsichtig im Umgang mit seinen lutherischen Kollegen. Auch hatten die Lutheraner immer die Möglichkeit, Dinge vor ihm zu verheimlichen. Er gewährte ihnen (ob intendiert oder nicht) Handlungsspielräume, die letztlich zum Frieden zwischen den beteiligten Konfessionen beitrugen. Nichtsdestotrotz empfanden die lutherischen Geistlichen seine Anwesenheit bei den Ordinationen bereits als Eingriff in das Kirchenwesen. Erst als mit Fromm ein pro-reformierter, wenn nicht kryptocalvinistischer Lutheraner das Konsistorium betrat, erhöhte sich der Zugriff auf die Räte. Er leitete nicht nur die Versuche weiter, die Regelungen zur Ordination zu unterlaufen, sondern konnte Ordinationen als zuständiger Probst auch aktiv stören, indem er nicht kooperierte – dies hatte zu Kemnitzens Vorwürfen geführt, Fromm sei ein Calvinist.⁵⁶⁹ Als Fromm in Stosch schließlich den richtigen Partner mit einem offenen Ohr und einer harten Hand gefunden hatte, war der alte Betriebsfrieden im Konsistorium endgültig passé. Neubestallungen, Zentralisierung und die Maßnahmen gegen die FC bildeten einen Komplex, der die Behörde veränderte. In Joachim Kemnitzens und Andreas Fromms Person arbeiteten Konkordienluthertum und Irenik bzw. (je nach Perspektive) Kryptocalvinismus gegeneinander. Dass Kemnitz dann am Ende wegen eines Falls entlassen wurde, bei dem er nicht einmal formale Vorgaben oder geltendes Recht verletzt hatte, traf Seidel und Reinhart, wie ihre Reaktionen im Geheimen Rat preisgaben. Von nun an waren die Machtverhältnisse deutlich zugunsten der Reformierten verschoben, wie allein schon die Liste der Mitarbeiter an der Revision der Konsistorialordnung deutlich macht. Mit Reinhart und Seidel existierten zwar noch zwei lutherische Räte, deren Einfluss nicht unterschätzt werden sollte; auch wurde das Konsisto-

 Vgl. Kapitel 2.3.  Vgl. Kapitel 4.4.1.  Vgl. Kapitel 4.1.4.

4.3 Fromm am Ziel

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rium nicht mit einem Male zu einem Unterdrückungsapparat des Luthertums und erfüllte zahlreiche seiner Aufgaben, ohne dass Konflikte dokumentiert wären. Aber trotzdem besaßen die lutherischen Konsistorialräte nun nicht mehr die gleichen Handlungsfreiheiten und Einflussmöglichkeiten wie einst – und mit der Zeit wurden sie immer weiter eingeschränkt. Wie schon erwähnt, wurde 1665 mit Lucius von Rhaden erstmals ein Reformierter Konsistorialpräsident. Ab 1668 schließlich sollten nur noch Reformierte oder eindeutig pro-reformierte Räte im Konsistorium tätig sein.⁵⁷⁰

4.3 Fromm am Ziel Während Martin Friedrich Seidel und Johann Georg Reinhart durch die Veränderungen im Konsistorium in Bedrängnis gerieten,⁵⁷¹ war Andreas Fromm nun obenauf. Als Kemnitz in Ungnade fiel, schrieb er ebenso großzügig wie selbstbewusst an Stosch, dass er „sehe/ wie sehr der Praesident zu Creutze fleucht/ wenn er doch nur erkennen wollte/ daß er unrecht gethan/ und es nicht mehr thun wollte/ wollte ich ihm gerne […] gönnen/ daß seiner Sachen gerahten würde.“⁵⁷² Selbst Pomarius wolle er alles verzeihen, solange dieser erkläre, „daß er die Reformirte Religion nicht verdamme/ noch für Kezerey halte/ sondern tolerire“.Wäre er dazu aber nicht bereit, so dürfe Friedrich Wilhelm ihn nicht im Lande dulden.⁵⁷³ Pomarius in Ungnade zu bringen, war Fromms erklärtes Ziel und womöglich eine persönliche Herzensangelegenheit. Über den Bericht zu den Schikanen, die er von Pomarius und Hanischius erdulden musste, schrieb er an Stosch, dass er gehofft habe, „Gott werde durch M. hochg. herrn Beforderung entlich den Muhtwillen zur Strafe ziehen.“ Mit Nachdruck weist er darauf hin, wie wichtig es sei, durchzugreifen, bittet auch „Fleiß zu thun/ daß da obiges Werck angefangen ist/ wir und sonderlich ich nicht zu Schanden werden.“ Auch fehlt nicht der Hinweis, wie viel „teuffliche gifftige Verfolgung“ er erduldet habe.⁵⁷⁴ Zweifelsohne wollte Fromm also Pomarius schaden oder ihn unschädlich machen. Damit hatte

 Vgl. Bahl: Hof, S. 413 sowie Kapitel 7. Die schrittweise Unterordnung des Konsistoriums betont u. a. auch Luh: Konfessionspolitik, S. 308 f.  Vgl. hierzu auch Kapitel 5.3.1.  Fromm: Etliche Brieffe, Brief M.  Ebd.  Ebd., Brief L. Allein dieser Verweis auf die Verfolgung deutet darauf hin, dass Fromm in diesem Brief über Pomarius und Hanischius schreibt.

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4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm

er eine Kettenreaktion in Gang gesetzt, die letztendlich in Kemnitzens Absetzung gemündet war. Doch was waren seine Motive gewesen, zu diesem Ausgang mit beizutragen, indem er erst die Unterschrift verweigert und später einen für den Präsidenten unvorteilhaften Bericht verfasst hatte? Als Fromm sich weigerte, die Vokationsurkunde des Diakons Christian Nicolai zu unterschreiben, konnte er die Konsequenzen nicht absehen. Es lag im Bereich des Möglichen, dadurch nichts zu gewinnen als ein paar neue Feinde. Auch die Auseinandersetzung mit Pomarius, die trotz möglicher Übertreibungen in Fromms Bericht wohl durchaus heftig ablief, deutet ebenso wie seine späteren Äußerungen und Handlungen darauf hin, dass er aus Überzeugung die FC ablehnte und sich synkretistischen Studien widmete.⁵⁷⁵ Seine Gegner hingegen warfen ihm vor, sich aus materiellen Interessen den Reformierten angedient zu haben.⁵⁷⁶ Auch wenn Fromm meist darauf verwies, dass seine Hoffnung auf einen Kirchenfrieden zu einer Nähe zu den Reformierten geführt habe,⁵⁷⁷ gab ihm seine isolierte Lage gewiss Anreize, den Rückhalt des Hofes zu suchen. Von außen betrachtet war es in jedem Fall richtig, dass er sich schon vor seiner Annäherung an die Hofprediger unbeliebt gemacht hatte – zumindest bei Pomarius. Offensichtlich konnte man sich in Berlin-Cölln zu jener Zeit als lutherischer Geistlicher nicht zur Irenik bekennen, ohne größerem sozialen Druck ausgesetzt zu werden. Die Ambiguitätstoleranz war gering und der Vereindeutigungsdruck hoch. Vor diesem Hintergrund erschien Neutralität wenig erfolgsversprechend, sodass es nicht abwegig war, die Nähe der Reformierten zu suchen. Fromm war wegen seiner irenischen Überzeugungen isoliert, glaubte aber, Menschen mit ähnlichen Ansichten bei den Hofpredigern zu finden. Mit ihnen zusammenzuarbeiten bedeutete, seine theologischen Positionen zu fördern, sich vor potentiellen Feinden zu schützen und bei Hofe zu reüssieren. Fromm soll nicht unterstellt werden, seine Handlungsoptionen sorgfältig und rational abgewogen zu haben – es zeigt aber, dass es durchaus Sinn ergibt, sich so zu verhalten wie es Fromm tat. Gerade weil er oft als Verräter oder als verwirrtes Opfer reformierter Intrigen dargestellt wurde,⁵⁷⁸ ist es wichtig, darauf hinzuweisen.

 Vgl. die Ausführungen und Belege in den folgenden Kapiteln.  Laut Fromms Beschwerdeschrift hatte ihm etwa Pomarius vorgeworfen, Geschenke vom Hofe anzunehmen, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „des Probstes Fromm bey der St. Petrikirchen allhier Streitigkeiten mit dem Magistrat und dem Lic. Pomario 1654– 1659“, Fol. 55.  Vgl. etwa Fromm: Nöthige Erklehrung, S. 16 f. sowie die noch folgenden Belege.  Vgl. stellvertretend etwa das Urteil des Hofpredigers Johann Kunschius, wonach Fromm Stosch zu anti-lutherischen Maßnahmen verführt habe (vgl. Kapitel 6.3) sowie Landwehrs Einschätzung, wonach Stosch Fromm als „willkommenes Werkzeug bei der Durchführung seiner

4.3 Fromm am Ziel

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In jedem Fall ging Fromm gestärkt aus dem Konflikt hervor. Seine Briefe an Stosch wurden nun eindeutiger und erwecken den Eindruck eines gestiegenen Selbstbewusstseins. Immerhin nahm er sich nun heraus, auch den mit den Predigern Reinhart und Heinzelmann ‚kochenden‘ Seidel zu kritisieren,⁵⁷⁹ und zeigte sowohl gegenüber Stosch als auch nach außen hin seine reformierten Neigungen viel offener. Seine bereits oben (Kapitel 4.1.4) zitierte Aussage, wonach er noch „nicht ganz lautbar gemacht/ daß ich Reformatae Religionis sey“, stammt aus dem Zeitraum ab 1660, vermutlich dem Jahr 1662.⁵⁸⁰ Nur Stosch und Tornow habe er bisher davon berichtet, seine Neigungen aber möglicherweise nicht gut genug verborgen. Sollten die „ältesten Reformatae nostrae Ecclesiae allhier“ von ihm fordern, sich öffentlich zu positionieren, so würde er es tun.⁵⁸¹ Er verfolge dabei vor allem den Wunsch, eine „tolerantiam Ecclesiasticam“ zu stiften oder gar, „das aus beyden Parten eins würde/ entweder ganz oder doch auffs meiste“. Wie offen Fromm Partei ergriff und wie unzureichend er dissimulierte, wird im selben Brief sehr deutlich. Demnach hatte Fromm erst neulich versucht, dem Buchhändler am Schloss die reformierte Abendmahls- und Gnadenwahllehre zu erklären, um „ihm etwas von der Warheit mit Glimpff beyzubringen“: [Fromm] sagte des Mundes Essen ginge auffs Brodt; Er [der Buchhändler] antworttet meines Behaltens: Das wäre ja Calvinisch. Ich: hat doch Phil. Melan. Brentius und andere auch so

Pläne benutzte“, vgl. Landwehr: Stosch, S. 124. Schulz sieht Fromm auch eher in der Opferrolle, spricht aber trotzdem davon, dass er eine unwürdige Rolle in den damaligen Konflikten gespielt habe, vgl. Schulz: Paul Gerhardt, S. LXII – LXVII; vgl. ferner die zahlreichen zeitgenössischen polemischen Schriften gegen Fromm bei Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 135– 137.  Fromm: Etliche Brieffe, Brief Aa, vgl. auch Kapitel 4.2.  Ebd., Brief X. Wie schon erwähnt, lässt sich anhand der Chronologie der Briefe leider nicht zweifelsfrei eine Datierung vornehmen, da einzelne Schreiben falsch eingeordnet sind. Da die Briefe aber nicht vollständig willkürlich zusammengesetzt sind, lässt die Ordnung in diesem Fall einige Rückschlüsse zu. Die vorhergehenden Briefe (Brief O-S) behandeln das Kasseler Religionsgespräch von 1661; in Brief T wünscht Fromm Stosch dann ein frohes neues Jahr. Sofern Brief X chronologisch richtig eingeordnet ist, wurde er also 1662 verfasst. Da außerdem keine Briefe nach 1662 in der Sammlung enthalten sind, was sich aus dem Inhalt erschließt und von Fromm selbst angesprochen wird (vgl. Fromm: Apologia, S. 4.), und Fromm darüber schreibt, Elias Sigismund Reinhart verbreite, er bereue angeblich, sich mit den Reformierten eingelassen zu haben, muss der Brief einige Zeit nach Kemnitzens Absetzung verfasst worden sein. Kurz nach Fromms Triumph über Pomarius und Kemnitz erscheint eine solche Behauptung wenig realistisch – egal ob sie stimmte oder als Gerücht gestreut wurde. Deshalb halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass der Brief aus dem Jahr 1662 stammt, vermutlich vor der Zeit des Berliner Religionsgesprächs, da hier erste Meinungsdifferenzen zwischen Fromm und Stosch greifbar werden (siehe unten in diesem Kapitel).  Fromm: Etliche Brieffe, Brief X, auch für alles Folgende.

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statuiret. Er objicirte auch unterandern [!]/ das die Ref. ja gefährlich lehreten von der Gnadenwahl/ Respon. Calvinus und andere haben harte Reden darvon/ aber so lehren die izigen Reformiren nicht/ die sind auch nicht Calvinisch.⁵⁸²

Fromm machte sich zum Sprachrohr der offiziellen reformierten Doktrin, die Teil des kurfürstlichen konfessionellen ‚Eindrucksmanagements‘ war. Da er bereits im Ruf stand, ein Synkretist zu sein, halfen solche Gespräche gewiss nicht dabei, seinen Kryptocalvinismus zu verbergen. Sie geben einen Hinweis darauf, wie überzeugt Fromm von seinen Positionen gewesen sein muss. Nichtsdestotrotz war ihm seine schwierige Lage bewusst. Der Berliner Archidiakon Elias Sigismund Reinhart hatte der Obrigkeit gemeldet,⁵⁸³ Fromm habe gegenüber dem Buchhändler geklagt, dass er den Reformierten zu viel getraut habe. Deshalb überhaupt berichtete Fromm von dem oben zitierten Gespräch. Der Konsistorialrat wusste, dass er kaum richtig reagieren konnte. Würde er es bestreiten, wäre er bei den Lutheranern endgültig verhasst – würde er es unkommentiert lassen, würde er sich bei den Reformierten verdächtig machen. Wie die Angelegenheit ausging, ist nicht überliefert, da sie nicht in den Akten auftaucht und Fromm nicht weiter darüber schreibt. Sie zeigt aber ein weiteres Mal, wie groß der Vereindeutigungsdruck für alle Akteure war. Fromm sollte zu einer offenen Parteinahme gezwungen werden – für seine orthodoxen Kollegen konnte er nur in zwei Kategorien fallen: Lutheraner oder Reformierter bzw. Synkretist. Fromms Position machte ihn zugleich zu einem potentiellen Patron für andere Geistliche, die wegen ihrer reformiertenfreundlichen Haltung umstritten waren. So empfahl er Stosch einen Prediger aus Trebbin, der dort kryptocalvinistischer Umtriebe verdächtigt wurde. Da Stosch ja „schon den Anfang gemachet/ Moderatos in Churfürstlichen Pfarrstellen zu befordern“, bat Fromm ihn, nach einer guten Stelle für den Mann zu suchen.⁵⁸⁴ Nur nebenbei erwähnt sei, dass die Bemerkung zu Stoschs Besetzungspraxis möglichen Befürchtungen, der Kurfürst wolle das Land heimlich calvinisieren, einen guten Nährboden lieferte.

 Ebd.  Stosch wies Fromm darauf hin. Ob Reinhart sich an den Geheimen Rat, das Konsistorium oder eine Einzelperson wandte, geht aus dem Brief leider nicht hervor, nur dass Reinhart, die „lügenhaffte Schlange“, ihn an einem „hohen Orte“ angegeben hatte, ebd.  Ebd., Brief T.

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4.4 Fromm und die Zweifel 4.4.1 „Gott wird dz Land schrecklich straffen“ – Fromm und das Berliner Religionsgespräch 1662 Während Fromm seiner ‚Calvinisterei‘ nachging, brachte das Kasseler Kolloquium von außen zusätzliche Unruhe in die Mark Brandenburg. Das lutherisch-reformierte Religionsgespräch wurde 1661 auf Betreiben des Landgrafen von HessenKassel, Wilhelm VI., einberufen und fand zwischen Professoren der Universitäten Marburg und Rinteln statt.⁵⁸⁵ Zwar brachte das Gespräch keine Einigkeit, aber im Schlussdokument wurde festgestellt, dass man immerhin im Grunde des Glaubens einig sei.⁵⁸⁶ Damit hatte Friedrich Wilhelms Schwager genau das getan, was der Kurfürst bereits im Nebenrezess von 1653 angedacht⁵⁸⁷ und was Stosch nach Kemnitzens Absetzung gefordert hatte. Das Ergebnis musste dem Kurfürsten gefallen. Verständlicherweise war dies in konkordienlutherischen Kreisen anders. Die theologische Fakultät der Universität Wittenberg lehnte die Ergebnisse besonders heftig ab und verfasste eine polemische Epicrisis zum Kolloquium, in der das Gespräch und die Teilnehmer als synkretistisch gebrandmarkt wurden und die in verschiedene Territorien gesandt wurde.⁵⁸⁸ Fromm berichtete Stosch von der Epicrisis – auch seine Informantentätigkeit übte er also weiter aus. Wittenberg habe Exemplare in die ganze Mark geschickt, um Kommentare einzuholen, u. a.

 Vgl. zum Kasseler Religionsgespräch etwa Schormann, Gerhard: Academia Ernestina. Die schaumburgische Universität zu Rinteln an der Weser (1610/21– 1810). Marburg 1982 (Academia Marburgensis 4), S. 170 – 180; Zeller, Winfried: Die niederhessische Irenik. Zum Verständnis der Kirche in Hessen-Kassel von Moritz dem Gelehrten bis Wilhelm VI. In: Frömmigkeit in Hessen. Hrsg. von Bernd Jaspert. Marburg 1970, S. 96 – 140, hier S. 137– 140; Heutiger, Nikolaus: Die Universität Rinteln als Stätte des konfessionellen Ausgleichs. In: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte (JGNKG) 68 (1970), S. 147– 152.  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 93. Interessanterweise widerriefen manche Teilnehmer später ihre Position angesichts der Bevorzugung der Reformierten in Hessen-Kassel, vgl. ebd.  Vgl. Kapitel 2.1.  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 94; Landwehr: Kirchenpolitik, S. 206. Der Titel lautet: Epicrisis facultatis theologicae Wittebergensis de Colloquio Casselano Rintelio-Marpurgensium. Wittenberg 1662; eine deutschsprachige Version erschien ein Jahr später unter dem Titel: Der theologischen Fakultät auf der Universität zu Wittenberg Bedenken über dem Casselischen Colloquio, so zwischen den Rintelischen und Marburgischen Theologen im J. 1661 angestellet […] welches im nächst verwichenen Jahr etlichen Collegiis unterschiedener theologischen Fakultäten und Ministerien […] zugeschickt, […] nun aber zum ersten […] öffentlich ausgefertigt wird. Wittenberg 1663. Der deutsche Titel offenbart, dass die erste lateinische Version von 1662 nur an theologischen Fakultäten und Ministerien kursierte, ehe sie publiziert wurde.

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auch nach Frankfurt/ Oder, Brandenburg und Salzwedel.⁵⁸⁹ An das Ministerium zu Cölln solle auch eines gesandt worden sein, aber Fromm vermutet, es sei von den Berliner Geistlichen abgefangen worden, damit er es nicht in die Hände bekomme.⁵⁹⁰ In den insgesamt drei Briefen zur Epicrisis betont er mehrfach, wie dringend er sich ein Exemplar wünscht, denn „Ihr toller Eyfer erwecket auch meinen Eyfer.“⁵⁹¹ Sein Eifer war inzwischen an einem Punkt, an dem er sogar dazu riet, die in Berlin gehaltenen Predigten zu überwachen. Elias Sigismund Reinhart habe sich auf der Kanzel über eine reformierte Schrift beschwert, die ihm zugeschickt worden sei. Mehr wisse Fromm nicht, „weil man nicht Gelegenheit hat gewisse Leute in ihre Predigten zu schicken.“⁵⁹² Der Wittenberger Schrift folgten unterdessen von Juni bis August 1662 eine Reihe zügig aufeinanderfolgender kurfürstlicher Maßnahmen: Das sog. erste Toleranzedikt, das Einstellungsverbot von Geistlichen, die in Wittenberg studiert hatten, und schließlich das Studienverbot an der juristischen und theologischen Fakultät der Universität Wittenberg für Landeskinder.⁵⁹³ Vor allem gegen die Studienverbote gab es wegen der besonderen symbolischen Bedeutung Wittenbergs große Vorbehalte.⁵⁹⁴ Wie die Maßnahmen von Lutheranern gedeutet werden konnten, demonstriert eine Beschwerde der hinterpommerschen Stände vom 13. Dezember 1662. Sie fühlten sich durch das Studienverbot in Wittenberg direkt als Lutheraner angegriffen. Ihre ganze Kirche fuße auf Lehren aus Wittenberg, so die Stände, ferner wirke das sog. Toleranzedikt, als wolle man nicht nur gegen Unruhestifter vorgehen, sondern vielmehr in religiöse Fragen eingreifen und eine Nebenreligion einführen.⁵⁹⁵ Noch einen Tag vor dem Erlass des Studienverbots in Wittenberg, also am 21. 8.1662, befahl Friedrich Wilhelm dem Konsistorium, reformierte und lutheri-

 Fromm: Etliche Brieffe, Brief Q und R. Die Wittenberger Schrift wurde auch im Geheimen Rat besprochen, vgl. Meinardus: Protokolle 6, Nr. 517, S. 627– 630.  Fromm: Etliche Brieffe, Brief S. Er empfiehlt, alle Ministerien zusammen zu rufen, um ihre Meinung zum Kasseler Religionsgespräch einzuholen. Erneut wird also ein eigenes Religionsgespräch angeraten.  Zitat ebd.  Ebd., Brief Q.  Vgl. Kapitel 2.3.  Vgl. Kapitel 2.3. Fromm erwähnt in einer Gehaltsforderung an den Kurfürsten (vgl. Kapitel 4.4.2) am Rande, dass vor allem die Politik gegen Wittenberg „großen haß zu wege bringet.“ Vgl. GKl Archiv XII/90/2, Fol. 133 f., Zitat Fol. 133v.  Meinardus: Protokolle 6, Nr. 655, S. 752– 756. Auch aus Kursachsen und Schweden gab es Beschwerden wegen des Studienverbots, vgl. den Brief Johann Georgs II. an Friedrich Wilhelm, GStA PK, I. HA, Rep. 13, Nr. 19c, Fasz. 11, gedruckt bei Meinardus: Protokolle 6, Nr. 725, S. 802– 805; vgl. zu Schweden Landwehr: Kirchenpolitik, S. 207.

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sche Geistliche aus Berlin und Cölln zu einem Religionsgespräch zu laden – dem Berliner Religionsgespräch, wie es später genannt werden sollte.⁵⁹⁶ In dem Kolloquium sollte geklärt werden, ob erstens die offiziellen kurbrandenburgischen reformierten Bekenntnisschriften sowie das Toleranzedikt Lehren enthielten, die zur Verdammung führten und ob zweitens es diesen Schriften an Lehren fehle, die notwendig zur Erlangung der Seligkeit seien.⁵⁹⁷ Wie Ruschke zurecht angemerkt hat, waren diese Fragen keine tragfähige Grundlage für ein fruchtbares Kolloquium: Es war offensichtlich, welche Antworten der Kurfürst erwartete und dass er abweichende Positionen als Angriff auf sich und vor allem seine kurfürstliche Autorität deuten würde,⁵⁹⁸ zumal das Gespräch geführt werden sollte, um der interkonfessionellen Polemik ein Ende zu setzen und den Religionsfrieden zu sichern.⁵⁹⁹ Auf diese Weise wurden theologische Fragen über Glaubensinhalte mit dem weltlichen interkonfessionellen Frieden und dem gebührenden Respekt vor Friedrich Wilhelm geknüpft. Eine ähnliche Verflechtung von Religion und Politik bzw. konfessioneller Doktrin und Achtung gegenüber dem Landesherrn hat man auch bei Kemnitz beobachten können – und es war nicht gut für die lutherische Seite ausgegangen. Als Probst zu St. Petri nahm auch Fromm am Religionsgespräch teil und zwar selbstverständlich auf lutherischer Seite. Neben seinen Cöllner Kollegen, dem Archidiakon Johann Buntebart⁶⁰⁰ und dem Diakon Christian Nicolai (über den Kemnitz gestürzt war), waren auch alle Berliner Geistlichen geladen, sowohl von der Nikolaikirche als auch von St. Marien. Auf reformierter Seite nahmen u. a. die Hofprediger Bartholomäus Stosch und Johann Kunschius⁶⁰¹ teil. Geleitet wurden die Gespräche von einem Präsidium aus Fürstendienern, dem der Oberpräsident  Ausführlich zu Ablauf, Vorgeschichte und Wirkung des Berliner Religionsgesprächs Ruschke: Paul Gerhardt, v. a. S. 176 – 344.  Wörtlich lauten die Fragen: „Ob dan in derer Reformirten Confessionibus publicis, und sonderlich welche in Unserm jüngsten Edicto fürnehmlich benennet seind, etwas gelehret und bejahet werde, warumb der, so es lehret, oder glaubet und bejahet, judicio divino verdammet sey: oder ob etwas darinnen verneint oder verschwiegen sey, ohne deßen Wißenschafft und übung der höchste Gott niemand seelig machen wolle.“ Vgl. Schulz: Paul Gerhardt, S. 335 f., Zitat S. 336. Eine Abschrift des Reskripts befindet sich in GKl Archiv XII/90/3, Fol. 218. Es ist u. a. auch gedruckt bei Hering: Neue Beiträge 2, S. 121– 124.  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 177 f.  So besteht das Ziel des Gesprächs darin, dass „doch das Unchristliche verketzern, verlestern und verdammen, auch falsche Deuteleyen und erzwungene beschuldigungen Gotteslästerlicher lehren, allerseits eingestellt“ werden, Schulz: Paul Gerhardt, Zitat S. 335.  Vgl. zu Buntebart Ruschke: Paul Gerhardt, S. 118 f.; Bahl: Hof, S. 442 f.; Noack/ Splett: BioBibliographien. Berlin-Cölln, S. 89 – 94.  Vgl. zu Kunschius Ruschke: Paul Gerhardt, S. 122 f.; Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 221– 224; Thadden: Hofprediger, S. 184.

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Otto von Schwerin vorstand⁶⁰² und dem auch die lutherischen Konsistorialräte Reinhart und Seidel angehörten.⁶⁰³ Nach der ersten Sitzung des Kolloquiums am 1. September standen die Cöllner und Berliner Vertreter vor der Frage, ob sie eine gemeinsame Gruppe bilden oder getrennte Positionen vertreten sollten.⁶⁰⁴ Obwohl die Berliner sie zu einem Abstimmungsgespräch einluden, erschienen Fromm und seine Kollegen nicht, sondern legten schriftlich dar, dass sie zwar in der Prädestinationslehre einen Fundamentaldissens sähen, aber im Gegensatz zu den Berlinern eine Kirchentoleranz ansonsten begrüßten.⁶⁰⁵ Eine andere Position wäre bei Fromm eine große Überraschung gewesen. Auch die Haltung zur Prädestinationslehre fügt sich passgenau in Fromms bisherige Aussagen. So hatte er dem Buchhändler am Schloss ja zu erklären versucht, dass die hiesigen Reformierten nicht die doppelte Prädestination lehren würden.⁶⁰⁶ Und doch deutet sich hier schon eine Unstimmigkeit an. Bisher war Fromm – ganz getreu der theologischen Doktrin der Hofprediger – selbstverständlich davon ausgegangen, dass die streng calvinistische Auslegung der Gnadenwahl in Brandenburg keine Rolle spielte. Jetzt hielt er es für nötig darauf hinzuweisen, dass er hier fundamentale Differenzen sehe. Dem Buchhändler hatte er noch gesagt: „[…] so lehren die izigen Reformiren nicht/ die sind auch nicht Calvinisch.“⁶⁰⁷ Das Schreiben gibt freilich nicht zwingend seine Privatmeinung wieder, sondern repräsentiert das gesamte Cöllner Ministerium. Auch mag Fromm zumindest dieses Mal Rücksicht darauf genommen haben, wie er sich gegenüber den Kollegen zu geben hatte. Diese Andeutung eines Sinneswandels wäre auch nicht der Rede wert, wenn sie sich nicht mit Fromms späteren Aussagen decken würde. Es wurde schon erwähnt, dass Fromm nach seiner Flucht vom Hofe und seiner Rückbesinnung auf das Konkordienluthertumm mit eigenen Schriften auf die Herausgabe seiner Briefe und weitere Angriffe reagiert hatte.⁶⁰⁸ Nach seiner Konversion zum Katholizismus im Jahr 1668 veröffentlichte er zudem einen Konversionsbericht, der in einem biographischen Abschnitt auch seine Hinwendung zum Katholizismus nachzeichnet.⁶⁰⁹ In vielen dieser Schriften be Vgl. zu Schwerins Rolle beim Religionsgespräch Kapitel 6.1.2.  Eine Übersicht über alle Teilnehmer inklusive des Präsidiums bietet Ruschke: Paul Gerhardt, S. 204 f.  Ebd., S. 197.  Ebd., S. 198 f.  Vgl. Kapitel 4.3.  Fromm: Etliche Brieffe, Brief X.  Vgl. Kapitel 4.1.4.  Fromm, Andreas: Andreae Frommen/ der H. Schrifft LICENTIATEN […] Wiederkehrung zur Catholischen Kirchen […] Prag 1668. Ein Jahr später wurde in Köln eine zweite Auflage publiziert, vgl. Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 134. Ein biographischer Abschnitt war ein

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tonte Fromm stets die Bedeutung des brandenburgisch-reformierten Gnadenuniversalismus für seine pro-reformierte Haltung.⁶¹⁰ Die Reformierten seien für ihn geradezu pseudo-lutherisch in diesem Punkt gewesen, vor allem Johann Bergius. Erst später sei ihm klar geworden, dass Bergius’ Nachfolger Stosch nicht so sei. Solange die Reformierten die Dordrechter Synode nicht ablehnten, seien sie Calvinisten und verträten die doppelte Prädestination. Diese Erkenntnis sei für ihn ein zentraler Wendepunkt gewesen.⁶¹¹ Ich glaube, man täte Fromm unrecht, diese Erklärung ausschließlich als bloße Bedienung der Wittenberger Positionen oder nicht belegbare Plausibilisierungsversuche abzutun. Selbstverständlich sind Fromms Rechtfertigungsschriften aufgrund ihrer Stilisierung äußerst problematische Quellen – aber es gibt eben Hinweise darauf, dass er tatsächlich irgendwann an der Glaubwürdigkeit der offiziellen reformierten Positionen zu zweifeln begann. Noch als Fromm 1666 in Wittenberg befragt wurde und einen Religionseid ablegen musste, wunderte man sich etwa über seine bereits erwähnte Behauptung, dass Bergius eher lutherisch als calvinisch gewesen sei.⁶¹²

obligatorischer Teil von Konversionsberichten, um die Hinwendung zur neuen Konfession glaubhaft zu machen, vgl. Rieske, Constantin: Doing the Paperwork: Early Modern Converts, Their Narratives and the (Re)Writing of Religious Lives: In: The Medieval History Journal 18, 2 (2015), S. 404– 429, hier S. 411– 418.  Fromm: Nöthige Erklehrung, S. 7– 12, v. a. S. 8. Seine Behauptung, er habe den Begriff reformiert damals nicht konfessionell eingeordnet, da Reformierte und Lutheraner im Glaubensgrund für ihn ohnehin einig gewesen seien, und dass Stosch seine Überzeugungen ausgenutzt habe, darf hingegen bezweifelt werden. In einer konfessionell angespannten Situation als Geistlicher und umgeben von fast ausschließlich konkordientreuen Predigern wusste Fromm ganz genau, wie der Begriff reformiert gedeutet werden würde. Dafür spricht zusätzlich die bereits thematisierte ausgeprägte Konfessionssensibilität bei Hofe (Kapitel 3.4.1). Fromm wiederholt häufiger, dass der Gnadenuniversalismus die zentrale Grundlage für seine irenische Position gewesen sei, vgl. etwa ebd., S. 13 f.; Fromm: Wiederkehrung, S. 28 – 31. Auch in einer Leichenpredigt distanziert er sich von den Reformierten in der Gnadenfrage, vgl. Fromm Andreas: Die hochwichtige Geistliche Rechtssache von unser ewigen Seligkeit […] bey Christlicher volckreicher Leichbestattung Des […] H. Gottfried Friderich Straßburgs […] bracht worden. Berlin 1657, S. 23 – 26. Dieser Aspekt war ihm nach eigener Aussage so wichtig, dass er sogar den Kontakt zum streng reformierten Hofprediger Crellius gemieden habe, da er hier keinen gemeinsamen Nenner gesehen habe, vgl. Fromm: Apologia, S. 12.  Vgl. etwa Fromm: Nöthige Erklehrung, S. 7– 12; Fromm: Apologia, S. 26 – 34.  Fromm musste in Wittenberg insgesamt 15 Fragen beantworten. Im Protokoll steht dazu: „waß D. Johann Bergium belangt, könte Er mit guten gewißen sagen, daß Er eigendtlich nicht wiße, waß selbiger gewesen […]“, vgl. zu den Fragen und Antworten FB Gotha, Chart. A. 277, Fol. 269 – 273, Zitat Fol. 272r. Julius Ernst Schrödter schreibt an Martin Friedrich Seidel in einem Brief vom 21. 8.1666, dass Fromm behauptet habe, Bergius sei eher lutherisch gewesen als calvinisch, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 94, II A 2, Fol. 246 f., die Aussage zu Fromm 246v.

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Bei der zweiten Session des Berliner Kolloquiums⁶¹³ erklärte das Cöllner Ministerium öffentlich, dass sie alleine wegen der Prädestinationslehre Skrupel hätten.⁶¹⁴ Fromm selbst war bei dieser Session übrigens nicht anwesend, doch war dies kein Zeichen eines Dissenses mit seinen Cöllner Kollegen. In einem Schreiben, in dem er sich im Vorfeld für sein Fehlen entschuldigte, gab er als Ursache nicht näher spezifizierte wichtige Gründe an, fügte aber hinzu, dass „alles was ich heute […] nebst meinen collegen mündlich vorzubringen hette (da ich in loco de coena, wo von heute unter redung sain soll, daß pondus, worauf die vorgelegten fragen zielen, nicht finde) aus den außfürlichen aufsatz unsers ministerii genugsam vernohmen worden“.⁶¹⁵ Er wies also explizit darauf hin, mit der Erklärung seiner Kollegen schlechterdings d’accord zu gehen und erwähnte nebenbei, dass die Abendmahlslehre für ihn das Hauptproblem nicht sei, womit die Prädestinationslehre unausgesprochen noch mehr an Gewicht gewinnt. Auch wenn Fromm nicht aus Protest fehlte, mag der Grund ein grundsätzliches Unbehagen gewesen sein. In einem Sammelband Martin Friedrich Seidels mit allerlei Briefen und Notizen zu diversen Themen befindet sich ein kleiner undatierter Brief Fromms an seinen Kollegen. Seidel selbst hat ihn auf ein größeres Blatt geklebt und darüber notiert: quaestio wahr ob Er beim Colloquio charitativo vom Ministerio Berolinensi separiren solt Ego hoc dissadebam 1. weill er sich [da]durch bej den lutter. suspect man [!], auch 2. alles gute vertrauen beij den conferenten verliehren und durch solche trennungen die handlungen difficiler und weitleuftiger machen werde.⁶¹⁶

Fromm hatte also Rat gesucht, ob alle Lutheraner als Einheit auftreten oder die Ministerien getrennte Positionen vertreten sollten – ausgerechnet bei Seidel, den er bei Stosch einst angeschwärzt hatte.⁶¹⁷ Zugegeben war dies zur Zeit des Kolloquiums bereits ein bis zwei Jahre her. Nichtsdestotrotz ist es nicht selbstverständlich, dass Fromm sich hier hilfesuchend an einen Kollegen wandte, von dem er wusste, dass er tendenziell eher zum anderen binnenkonfessionellen Lager zu zählen war. In jedem Fall hatten Fromms Neigungen und Aktionen also nicht zu

 Vgl. zur Session Ruschke: Paul Gerhardt, S. 208 – 214.  Ebd., S. 210 f.  SBB-PK, Nachlaß Oelrichs Nr. 474/4, Fol. 1r.  GStA PK, I. HA, Rep. 94, II A 2, Fol. 243r. Auf dem Brief Fromms wurde nachträglich links oben die Jahresangabe 1666 gesetzt, was jedoch angesichts des Inhalts nicht stimmen kann. Möglicherweise bezieht sich die Angabe auf Seidels Notiz – allerdings erwähnt Seidel in einer weiteren Notiz zu Fromm (siehe unten in diesem Kapitel), dass Johann Georg Reinhard bereits verstorben sei. Reinhart starb im Jahr 1672, vgl. Bahl: Hof, S. 561.  Vgl. Kapitel 4.2.3.

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einem dauerhaften Bruch mit seinen lutherischen Kollegen im Konsistorium geführt. Das Verhältnis war zumindest gut genug, um sich ratsuchend an sie zu wenden, im Übrigen auch um sich Bücher zu leihen, wie am folgenden Zitat zu ersehen ist. Glaubt man Seidels Notiz, so gab er ihm den Rat, nach Möglichkeit inter- und binnenkonfessionelle Unruhen und Konflikte zu vermeiden. Fromm hörte also nicht auf ihn oder wurde von seinen Kollegen überstimmt. Interessanter als seine Entscheidung ist aber der Brief, den er Seidel als Antwort schrieb: Ich bedancke mich vor überschicketes buch, auch vor seine ausfuhrliche contestation und consilia. Was soll ich machen. Gott muß auch etwas richten. Ich habe ia genug gelitten; Entlich komt ungedult dazu, sonderlich wen mans umb einen nicht verdienet hat. Ich halte aber Gott schicke es also, dz ich meiner moderation theils müde werde, zumahln weil sich es von anfang unser conferentz so unfreundlich anlast. Gott wende alles unwesen, und gebe zwischen unseren Ministeriis gutes vernehmen. Ach mir stehet allezeit das Exempel der stat Magdeburg vor Augen, da viel abgleichen vorgangen ehe die zerstörung daraus erfolget, und furchte ich mich vor einem grossen unglück uber die Marck, welches der sel. alte M. Vher so ofte gegen mir wiederholet hat: Gott wird dz land schrecklich straffen.⁶¹⁸

Bis zu diesem Punkt konnte man sich nur auf Fromms Rechtfertigungsschriften stützen, um Vermutungen darüber anzustellen, ob und wann er Zweifel an seiner pro-reformierten Haltung bekam. Hier liegt nun ein sehr viel unmittelbareres Zeugnis seiner Skrupel vor. Bei aller gebotenen kritischen Distanz: Auch durch den Filter des Textes glaubt man, die Ängste und Sorgen Fromms förmlich mit Händen greifen zu können. Er schreibt nicht nur, dass er erste Zweifel über seine bisherige Haltung bekommt, sondern entfaltet ein Bedrohungsszenario göttlicher Bestrafung. Aus dem Brief spricht Angst. Selbst wenn man Fromms Gefühlsausbruch skeptischer begegnet und einen Anbiederungsversuch in lutherische Richtung vermutet, bleibt festzuhalten: Fromm und seine Kollegen sahen im Vorfeld des Religionsgesprächs Konfliktfelder bei der doppelten Prädestination. Fromm nannte dies später eine Hauptursache für seine Abkehr vom Pfad des Synkretismus. Im gleichen Zeitraum äußerte er gegenüber seinem Kollegen die ersten Zweifel und nachdrücklich formulierte Ängste. Ganz egal, was in ihm genau vorging – er brachte einen inneren Konflikt und Befürchtungen zum Ausdruck. Das sollte man nicht alles wörtlich, aber sehr wohl ernst nehmen, wenn man historische Akteure nicht auf wahlweise zweckrational agierende oder sich an Kausalitätsketten entlanghangelnde Wesen reduzieren möchte.⁶¹⁹ Er hatte immerhin über zwei Jahre hinweg Ausgrenzung und Schikanen ertragen, die kurfürstlichen Vorgaben vertreten und  GStA PK, I. HA, Rep. 94, II A 2, Fol. 243r.  Vgl. Ulbricht: Mikrogeschichte, S. 345.

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so zu Kemnitzens Sturz beigetragen und er war selbstbewusst genug, um die Reformierten in der Öffentlichkeit vor anderen (mindestens einem Buchhändler) zu verteidigen. Was war 1662 geschehen, um ausgerechnet jetzt bei ausgerechnet diesem Mann Zweifel zu wecken? Ohne Frage wurden die Maßnahmen von 1662 von vielen Lutheranern als einschneidend empfunden, wie etwa die zuvor erwähnten Beschwerden der Landstände verdeutlichen. Das Kasseler Religionsgespräch und die Reaktion Wittenbergs hatten von außen Unruhe in die Mark gebracht; die verschiedenen innerhalb von nur kurzer Zeit hintereinander erfolgten kurfürstlichen Reaktionen – das Studienverbot in Wittenberg, das Toleranzedikt und die Einladung zum Religionsgespräch – wirkten eher konfliktbeschleunigend als -beruhigend.⁶²⁰ Fromm aber stand in Opposition zu strengen Wittenberger Positionen, im gemeinsamen Bericht zur Vokation Nicolais hatte Stosch zudem eine Wiederauflage des Edikts von 1614 empfohlen.⁶²¹ Er selbst hatte in einem Brief an Stosch und Schardius geschrieben, dass er hoffe, das Edikt Johann Sigismunds werde „auff itzige Zeiten gerichtet/ wieder gedruckt/ und einem jeden ein Exemplar gegeben […]“⁶²² Eigentlich konnte er mit den Entwicklungen zufrieden sein – nur war er es nicht. In seinen nachträglichen Rechtfertigungs- und Plausibilisierungsversuchen bietet Fromm seinen Lesern zwei Deutungsangebote bezüglich seiner Entwicklung an. Erstens nennt er das Edikt von 1662 als wichtigen Faktor, wobei es ihm vor allem darum geht, Gerüchte zu widerlegen, wonach er daran maßgeblich beteiligt gewesen sei.⁶²³ Fromm sei nur einmal, und zwar 1659, nach seiner Meinung zur Erneuerung des Edikts Johann Sigismunds befragt worden und habe geraten, die Passage, wonach widerspenstige Lutheraner außer Landes gehen sollten,⁶²⁴ zu streichen. Erst drei Jahre später sei das fertige neue Toleranzedikt dann plötzlich an das Konsistorium geschickt worden. Die Neubearbeitung sei ohne sein Wissen erfolgt.⁶²⁵ Die zweite Erklärung Fromms stammt aus seiner Konversionsschrift und ist allgemeiner gehalten: Das Religionsgespräch

 Dies wird alleine schon daran ersichtlich, dass sich die interkonfessionellen Konflikte ab 1662 zuspitzten bis hin zu Predigerentlassungen, vgl. Kapitel 2.3 und die dort zitierte Literatur.  Vgl. Kapitel 4.2.1.  Fromm: Etliche Brieffe, Brief Bb.  Fromm: Nöthige Erklehrung, S. 19 – 21. Wie Hugo Landwehr nachgewiesen hat, stammte das Edikt vielmehr aus Stoschs Feder, vgl. Kapitel 2.3.  Vgl. die entsprechende Passage im Edikt von 1662 bei Mylius: Corpus I,1, Sp. 375 – 382, v. a. Sp. 380. In Johann Sigismunds Edikt ist die gleiche Passage bereits enthalten, ebd., Sp. 353 – 356, v. a. Sp. 355 f.  Fromm: Nöthige Erklehrung, S. 21.

4.4 Fromm und die Zweifel

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habe ihn zu intensiveren Studien angeregt und einen langsamen Sinneswandel herbeigeführt.⁶²⁶ Fromms erste Behauptung, ihm sei das neue Edikt zu streng gewesen, wird durch einen seiner publizierten Briefe konterkariert, in dem er andeutet, dass Johann Sigismunds Edikt zu lasch sei, es täte „genug/ in dem es denen hizigen Leuten das Land offen machet.“⁶²⁷ Dies zeigt: Ihm selbst gelingt es kaum, eine in sich geschlossene, nicht anfechtbare Erzählung von seiner Entwicklung zu konstruieren.⁶²⁸ Hier wird deutlich, dass Konversionsberichte – und hierzu werden bewusst auch Fromms andere Schriften gezählt, da sie in ihren biographischen Abschnitten die gleiche Beglaubigungsfunktion gegenüber den konkordienlutherischen Autoritäten erfüllten, wie sein katholischer Konversionsbericht es gegenüber den Katholischen tat – immer eine geglättete Narration der eigenen Entwicklung zum Glaubenswechsel darstellen.⁶²⁹ Dies ändert aber nichts an dem Befund, dass ihm ab 1662 Zweifel kamen, die sich vermutlich aus einer Vielzahl von Quellen und Umständen speisten. In einer Zeit, da das Kasseler Kolloquium, religionspolitische Maßnahmen und das anstehende Religionsgespräch den konfessionellen Diskurs befeuerten, das interkonfessionelle Verhältnis verkomplizierten und zur Reflexion der Betroffenen anregten, ist es durchaus glaubhaft, dass ein Kryptocalvinist sich zumindest leise hinterfragte. Noch während des Religionsgesprächs deuteten sich weitere Zeichen des Unwillens bei Fromm an. Schon im Vorfeld des Kolloquiums begrüßten er und seine Kollegen zwar die Stiftung einer „Kirchen Tolerantz“, trugen aber Bedenken, ob die vorgelegten Fragen dazu dienlich seien.⁶³⁰ Im Laufe des Kolloquiums blieben die Cöllner insgesamt vergleichsweise passiv, doch sie kamen immer wieder auf die Prädestinationslehre zurück. In einer Erklärung vom 3. Oktober 1662 während der sechsten Session fragten sie die Reformierten, ob sie sich be-

 Er verzichtet natürlich nicht darauf zu erwähnen, dass es der Katholizismus war, der den letzten Ausschlag gab, um sich vom Synkretismus loszusagen, vgl. Fromm: Wiederkehrung, S. 31– 35.  Fromm: Etliche Brieffe, Brief Dd.  Dies zeigt sich auch daran, dass er einige seiner veröffentlichten Briefe relativiert oder kontextualisiert, zu anderen sich wiederum nicht äußert. Er relativiert bspw. seine Aussagen zur Wiederauflegung des Edikts von 1614 im oben zitierten Brief Bb, geht aber nicht auf Brief Dd ein, in dem er implizit ein strengeres Edikt fordert, vgl. Fromm: Apologia, S. 18.  Vgl. zum Spannungsverhältnis zwischen dem Aspekt der Verarbeitung der eigenen Konversion und jenem der Selbstdarstellung und Befolgung bestimmter Muster in Konversionsberichten: Rieske, Doing the Paperwork, zusammenfassend S. 425 f.; vgl. auch Lotz-Heumann, Ute u. a.: Ästhetische und rhetorische Strategien: Einführung. In: Konversion und Konfession, S. 425 – 439, hier S. 426 f.  Ruschke: Paul Gerhardt, S. 188.

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züglich der Prädestinationslehre gemäß der Dordrechter Synode oder der CA erklären würden.⁶³¹ Am 10. Oktober erklärte das Cöllner Ministerium, dass die Lehren der drei brandenburgischen reformierten Bekenntnisschriften nicht verdammenswert seien, verwiesen jedoch erneut darauf, dass sie andere Lehren, wie jene der Dordrechter Synode, ablehnten.⁶³² Fromm verlas beide Schriften im Namen seiner Kollegen und er verwies später auf eben diese Erklärungen, um aufzuzeigen, dass genau dies – die Gnadenlehre – seine rote Linie gewesen sei.⁶³³ In einem Brief der Reformierten an die Berliner Geistlichen nach der neunten Session wird erwähnt, dass Stosch dezidiert Fromms diesbezügliche Skrupel nicht habe ausräumen können.⁶³⁴ Im Laufe des Kolloquiums dann deuteten sich zusätzlich bereits erste Spannungen zwischen den beiden alten Verbündeten an.⁶³⁵ Da das Präsidium beschloss, die Prädestinationslehre erst später im Kolloquium zu behandeln, bat Fromm schließlich den Gesprächsleiter Otto von Schwerin am 20.11.1662, so lange nicht mehr am Gespräch teilnehmen zu müssen, bis dieser Punkt behandelt werde. Ohnehin würden er und seine Kollegen hier die Hauptdifferenz sehen.⁶³⁶ Der für ihn wichtigste Aspekt wurde also so lange verschoben, bis er aus dem Gespräch ausstieg. Sein Kollege Christian Nicolai besuchte die Sitzungen weiterhin und verbündete sich mit den Berliner Geistlichen; es gibt keinen Nachweis, ob Buntebart weiter teilnahm.⁶³⁷ Das Religionsgespräch wurde 1663 – bekanntlich erfolglos – beendet, ohne dass Fromm je wieder hinzutrat.

4.4.2 „Als wan er mit dem Teuffel gefochten hätte“ – ein Kryptocalvinist auf Abwegen Theodor Fontane schrieb über Andreas Fromms Zeit nach dem Religionsgespräch: Fromm, der dem Zelotismus der Wittenberger jahrelang voll Unwillen und Unbehagen den Rücken gekehrt und den Duldungsprinzipien der Reformierten sich zugewandt hatte, mußte

 Ebd., S. 229.  Ebd., S. 230 f. In der neunten Session erklärten die Cöllner nur noch, bei ihrer bisherigen Meinung zu verbleiben, vgl. ebd., S. 245 f.  Vgl. Fromm: Nöthige Erklehrung, S. 10 f.; auch Fromm: Apologia, S. 19.  SBB-PK, Nachlaß Oelrichs, Nr. 474/6, Fol. 1.  Dies schließt Ruschke aus einer heftigen Diskussion zwischen den Cöllner und den reformierten Teilnehmern beim Relitionsgespräch, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 238.  SBB-PK, Nachlaß Oelrichs, Nr. 474/4, Fol. 2; weitere Abschrift in GKl Archiv XII/90/3, Fol. 382.  Vgl. zu Nicolais Seitenwechsel Ruschke: Paul Gerhardt, S. 252 f. Ruschke schließt aus der Nicht-Erwähnung Buntebarts, dass dieser weiter teilgenommen habe, vgl. ebd., S. 248 mit Fußnote 183.

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das leis geknüpfte Band auch wieder lösen, als er erkannte, daß die Reformierten ihren Sieg nur erfochten hätten, um schließlich eine noch härtere Unduldsamkeit zu üben, als die der wittenbergischen Eiferer gewesen war. Er war, wie wir gesehen haben, eine auf Freiheit, Maß und Schönheit gestellte Natur und jede Art der Bedrückung ihm gleich verhaßt.⁶³⁸

Während des Religionsgesprächs war von seinem Hass gegen jegliche Bedrückung noch wenig zu spüren. Zwar hatte er erste Zweifel formuliert und war aus dem Kolloquium ausgeschieden, doch er stand noch immer in dem Ruf, pro-reformiert bis kryptocalvinistisch zu sein.⁶³⁹ Sein „leis geknüpfte[s] Band“ zu den Reformierten löste sich aber noch während des Kolloquiums im März 1663 von allen unbemerkt ein klein wenig mehr. Da nämlich besuchte der zum Katholizismus konvertierte Christian Wilhelm Markgraf von Brandenburg⁶⁴⁰ Berlin – und brachte gleich seinen Beichtvater, den Jesuiten Matthäus Ignatius Zeidler, mit in die Stadt. Mit ihm sei Fromm, so schreibt er in seiner Konversionsschrift, „durch Gottes Schickung ohn mein suchen allda in der Residenz in Conversation gerathen/ und habe mit ihm mündliche un [!] schrifftliche Unterredung von Glaubens-sachen gepflogen […]“⁶⁴¹ Auch in Briefen tauschte sich Fromm mit Zeidler über theologische Fragen aus.⁶⁴² Daneben las er nach eigenen Angaben verschiedene Schriften, darunter ein angeblich sehr praktisches Buch des Jesuiten Jodocus Kedd zur „Erklärung deß waaren allein seligmachenden Römisch-Catholischen Glaubens in 65. Articulen verfasset Anno 1652“.⁶⁴³

 Fontane, Theodor, Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Erster Theil. Die Graffschaft Ruppin. Barnim-Teltow. Berlin 21865, S. 51 f.  Die Abneigung der Berliner Geistlichen gegenüber Fromm äußerte sich bspw. in ihren Beschwerden über sein Fernbleiben bei der zweiten Session, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 208. Weiter unten in diesem Kapitel folgen weitere Beispiele, die verdeutlichen, wie groß das Misstrauen ihm gegenüber auch später noch war.  Christian Wilhelm konvertierte 1632 in Gefangenschaft zum Katholizismus, vgl. Schwineköper, Berent: Christian Wilhelm, Markgraf zu Brandenburg. In: Neue Deutsche Biographie (NDB 3) (1957), S. 226.  Fromm: Wiederkehrung, S. 35 f. Der Berliner Archidiakon Elias Sigismund Reinhart bestätigt in einer polemischen Schrift gegen Fromm, dass Zeidler die Petrikirche besucht und dabei Fromm kennengelernt hat, vgl. Reinhart, Elias Sigismund: Elias Sigismund Reinharts […] In Leipzig öffentlich abgelassener Bericht An Den […] Herrn Vincentium Macarium […] Leipzig 1669, Bl. B.  Ein Brief Fromms ist in Reinharts Schrift abgedruckt; ob er allerdings authentisch ist, kann nicht nachgewiesen werden, vgl. Reinhart: Bericht, Bl. B – BIII. Die Antwort Zeidlers, die erst Monate später erfolgte, hat Fromm in seine Bekehrungsschrift aufgenommen, vgl. Fromm: Wiederkehrung, S. 36 – 46. Hier gilt das gleiche wie beim Abdruck in Reinharts Publikation.  Fromm: Wiederkehrung, S. 46 f. Vgl. zu Kedd Werner: Kedd, Jodok. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB) 15 (1882), S. 518. Ich habe keine Schrift Kedds ermitteln können mit dem Titel, den Fromm angibt.

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Während Fromm seinen interkonfessionellen Interessen nachging, erreichte ihn und seine Kollegen zu St. Petri eine Anfrage seines Kurfürsten Friedrich Wilhelms, der sie um ein Bedenken zum Kasseler Religionsgespräch bat sowie um „Vorschläge zu Christbrüderlichen Verträglichkeit“.⁶⁴⁴ Dass sein Dienstherr noch großes Vertrauen in den Probst und dessen Kollegen setzte, zeigt, dass Fromms Veränderungen zu jenem Zeitpunkt wirklich nur minimal oder zumindest minimal wahrnehmbar waren. Fromm sandte ihm ein persönliches Bedenken, weil er es für sinnvoll hielt, separate Schriften aufzusetzen. Es ist datiert auf den 17.4. 1663, mehrfach in Abschriften erhalten und teilweise in Fromms Konversionsschrift abgedruckt.⁶⁴⁵ Sein Schreiben wirkt zunächst wenig spektakulär, bis sich Fromm in einer gegenüber seinem Kurfürsten erstaunlichen Offenheit darüber äußert, dass die Theologen beim Kasseler Religionsgespräch selbst dann eine Kirchentoleranz befürworteten, wenn die Reformierten die doppelte Prädestinationslehre vertreten würden: daß aber die herren Rintelenses beij so formiertem statu controversae, wie er vor augen lieget, sich bald in eine kirchen tolerantz eingelaßen haben, dasselbige zu billigen […] fället mir noch zur zeit zu schwer […] Gott weiß es wie harte mir diese frage anlieget: Ob man nicht in betrachtung deßen was prov: 17.v15. stehet […] eine wißentliche große sünde dran thue, wenn man beij dieser lezten, sicheren, gottlosen welt solenni tolerantia Ecclesiastica diese Lehre […] will auffhelffen.⁶⁴⁶

Dass ein Rat gegenüber Friedrich Wilhelm seine Skrupel in einer so heiklen Angelegenheit wie der Religion so klar formulierte, passierte nicht oft.⁶⁴⁷ Wieder blitzen die ernsten Gewissensnöte auf, die Fromm schon gegenüber Seidel ein wenig dramatischer formuliert hatte. Zur Stiftung eines interkonfessionellen Friedens, ja möglicherweise sogar einer Union, schlägt er schließlich eine Rückbesinnung auf die Urkirche der ersten 500 Jahre vor und beweist mit diesem Rückgriff auf die Idee des consensus antiquitatis, ⁶⁴⁸ dass er seine irenischen Studien gewissenhaft betrieben hatte.  SBB-PK, Nachlaß Oelrichs, Nr. 475, Zitat Fol. 1r.  Abschriften befinden sich u. a. ebd., Fol. 1– 13; GKl Archiv XII/90/2, Fol. 32– 40; Gotha Chart. A. 282, Fol. 77– 89. Bei der Version aus Gotha schließt ein mutmaßlich eigenhändiger Kommentar vom 23.10.1664 an, wonach Fromm diese Schrift in privaten Studien aus Willen zum Frieden entwickelt habe. Der Teilabdruck betrifft die zweite Frage zum interkonfessionellen Frieden, vgl. Fromm: Wiederkehrung, S. 58 – 66.  SPP-PK, Nachlaß Oelrichs, Nr. 475, Fol. 3v–4r.  Ähnlich offene Worte kamen noch 1659 von Joachim Kemnitz (Kapitel 4.2.1), 1663 von Ewald von Kleist (Kapitel 4.7) und 1668 von den Räten, die sich weigerten, den Revers zu unterschreiben (Kapitel 7).  SPP-PK, Nachlaß Oelrichs, Nr. 475, Fol. 7– 13; zum consensus antiquitatis vgl. Kapitel 2.2.

4.4 Fromm und die Zweifel

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In etwa einen Monat nach dieser Schrift erreichte den Geheimen Rat eine kurfürstliche Resolution aus Königsberg. Demnach habe Fromm geklagt, dass ihm noch einiges seiner Besoldung ausstehe und dass er diese erhalten solle.⁶⁴⁹ Etwas weniger als ein Jahr später, am 17. Februar 1664, reichte Fromm ein weiteres Bittgesuch ein, denn trotz mehrerer Suppliken und mündlicher Anfragen bei den kurfürstlichen Räten habe er noch nichts ausbezahlt bekommen. Weiter schreibt er: [All dies] jammert mich nicht wenig, der ich gleichwoll bißher, nebst treuen Dienst im Consistorio, ohne eitelen ruhm die von S.Ch.D. begehrete religions-tolerantz mit abkrenckung meiner gemühts- und leibes krefte, so daß mirs eine reise nach dem sauabrun gekostet, bestendig getrieben […] auch darüber, weil ich an Lutherischer seiten fast zu allererst das eis in der Marck habe angefangen zu brechen, weil schimpf, schmach, lesterung, hohn und spott heimlich und öffentlich, auch von cantzeln und cathedras Academicis (da man mich auch mit nahmen ausgenennet und dem Teufel übergeben) ia auch grossen Schaden in re familiari, wie das woll zu erachten, erlitten, und also meine zeitliche glückseligkeit aus liebe zur Kirchen tolerantz in große gefahr und schaden gesetzet habe.⁶⁵⁰

Ferner bat Fromm nicht nur um Auszahlung der ausstehenden Zahlungen, sondern auch um Angleichung seines Gehalts an jenes anderer Konsistorial- und Kammergerichtsräte, was anscheinend bisher nicht der Fall gewesen war. Es war nicht ungewöhnlich, bei Bittschriften die eigene Lage ein wenig zu dramatisieren.⁶⁵¹ Mit Blick auf das, was bisher über Fromm berichtet wurde, ist aber auch klar: er hat grundsätzlich recht, wenn er sich über all die erlittenen Schikanen beklagt. Er hatte sich seit den 1650er Jahren tatsächlich für die „kirchen-tolerantz“ eingesetzt und deswegen Anfeindung erfahren. Hinzu kamen die hier nicht erwähnten Zweifel, die ihn seit Kurzem umtrieben und von einem Jesuiten geschickt gefördert worden waren. Dies hatte ihn bis an den Punkt gebracht, dass er nach eigener Aussage sogar eine Kur machen musste. Der „sauabrun“, von dem Fromm schreibt, war in Tönisstein beim Karmeliterkloster St. Antoniusstein, gelegen im Erzbistum Köln, unweit von Andernach. Dies erfährt man aus Fromms Konversionsschrift.⁶⁵² Dort steht auch, dass er auf der Reise große Umwege machte, um u. a. Frankfurt a. M., Koblenz und zuletzt für neun Tage auch Köln zu

 GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 4, Fol. 521; vgl. auch Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 16, S. 7 f. Die Schrift Fromms ist leider nicht erhalten.  Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 18, Zitat S. 8; Original in: GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 4, Fol. 522 f.  Vgl. zur Selbstdarstellung von Supplikanten im Zusammenhang mit einem anderen Fall Ulbricht: Mikrogeschichte, S. 72– 79.  Fromm: Wiederkehrung, S. 67.

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besuchen. Dort habe er Gottesdienste besucht, sich mit verschiedenen katholischen Gelehrten ausgetauscht und katholische Bücher erworben. Fromm schreibt selbst, dass es eine sehr teure Reise gewesen sei.⁶⁵³ Mit Blick auf Fromms persönliche Lage und seine Optionen bieten sich somit zwei Interpretationen an: Es liegt nahe (und der katholische Andreas Fromm des Jahres 1668 würde dies vermutlich auch behaupten) davon auszugehen, dass er den Kurfürsten und seine ausstehenden Gehälter dazu nutzen wollte, um seine kostspielige katholische Studienreise zu finanzieren. Dies erklärt auch den zeitlichen Abstand zwischen beiden Suppliken – eine ist vermutlich vor und die andere nach der Reise abgeschickt worden. Denkbar ist aber auch, dass er sich möglichst viele Optionen offenhalten wollte, da er vor einer höchst unsicheren Zukunft stand. Er hatte bisher ganz auf die Karte des Religionsfriedens bzw. (je nach Perspektive) des Synkretismus gesetzt und als Konsequenz die Ausgrenzung aus der mehrheitlich orthodox geprägten Konfessionskultur Berlin-Brandenburgs ertragen. Nun aber zweifelte er an seiner bisherigen Haltung, ja mehr noch: er zweifelte sogar an seinem Glauben. Eine – egal ob innerlich oder äußerlich vollzogene – Konversion geschieht nicht über Nacht. Man muss sich Fromm in einem recht unsicheren Schwebezustand imaginieren, zum einen, weil er offenschtlich jemand war, der verschiedene theologische Positionen zu durchdringen versuchte,⁶⁵⁴ und zum anderen, weil seine persönlichen religiösen Überzeugungen unmittelbar mit seiner Stellung bei Hofe und seiner sozialen Umwelt verknüpft waren. Es genügte nicht, nur seinen Glauben zu reflektieren, sondern er musste seine Gesamtsituation berücksichtigen.⁶⁵⁵ Es ist also denkbar, dass Fromm mehrgleisig plante. Sollte er – sei es aus wirtschaftlichen und sozialen Zwängen, Gewissensgründen oder einer Mischung aus allem – doch weiter die kurfürstliche Religionspolitik so unterstützen, wie er es bisher getan hatte, sollte er dafür wenigstens angemessen bezahlt werden. Genau in diese Richtung argumentierte Fromm schließlich in einer dritten Bittschrift, die er am 2. April 1664 einsandte, obwohl Friedrich Wilhelm schon im Februar befohlen hatte, die

 Ebd., S. 67– 70.  In diesem Lichte finden sich in Fromm einige Aspekte des „gelehrten Frömmigkeitsstils“ wieder, wie ihn Matthias Pohlig definierte, vgl. Pohlig, Matthias: Gelehrter Frömmigkeitsstil und das Problem der Konfessionswahl: Christoph Besolds Konversion zum Katholizismus. In: Konversion und Konfession, S. 323 – 352, hier v. a. 351 f.  Dass Konversionen auch in ihrem sozialen Kontext untersucht werden müssen, demonstriert Volkland am Beispiel Josua Schlatters aus Bischofszell, dessen Konversion zum Katholizismus eng mit ernsten Familienkonflikten verbunden war, vgl. Volkland: Konfession, S. 139 – 160; die Bedeutung des sozialen Umfelds wird auch an der relativ hohen ‚Rückfallquote‘ bei Konversionen greifbar, auf die Kaplan verweist, vgl. Kaplan: Divided by Faith, S. 292.

4.4 Fromm und die Zweifel

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restierenden Gelder auszuzahlen und sein Gehalt an das der Kollegen anzupassen.⁶⁵⁶ Darin zählt Fromm auf, welche Zuwendungen seine Vorgänger teilweise erhalten hätten, obwohl er deutlich mehr Arbeit zu leisten hätte – insbesondere mit der Zensur, für die er seit 1659 laut eigener Aussage als einziger Konsistorialrat zuständig war.⁶⁵⁷ Er sehe „bei anderen benificia ohne arbeit; bej mir arbeit ohne benificia. Wobei mir offte die worte Joabs einfallen 2. Sam. 19. 6 Du liebst, die Dich haßen, undt haßest, die Dich lieben.“⁶⁵⁸ Er führt weiter aus, dass er trotz der kurfürstlichen Anweisungen noch keine Leistungen erhalten habe, um seinen Brief mit einer Drohung abzuschließen: Wie ich aber an E. Chfl. dhl. gutigkeit ganz keinen zweifel trage, also wünsche ich, das E. Churfl. dhl. ministri, welche dieses expediren würden, hirbej an Abrahams wort: der herr siehets, dencken, undt meinen guten concept von Reformirten, darumb ich so viel gelitten, nicht härter auff die prob setzen mögen.⁶⁵⁹

Fromm war also inzwischen an einem Punkt angelangt, an dem er offen mit einem Seitenwechsel kokettierte, um seine Interessen durchzusetzen, und er es wagte, dies sogar gegenüber dem Kurfürsten zu tun. Dieser befahl ein weiteres Mal die Auszahlung,⁶⁶⁰ doch Fromm sah sich genötigt, am 22. Mai eine weitere Bittschrift einzureichen, in der er allerdings weniger forsch auftrat.⁶⁶¹ Hiernach hört man eine Weile nichts mehr über Fromms persönliche Lage. Glaubt man seinem Konversionsbericht, so las er fleißig allerlei katholische und andere theologische Werke.⁶⁶² Nach außen hin blieb Fromm jedoch bei seiner bisherigen Linie, wie sein hartes Urteil zu Elias Sigismund Reinhart zeigt. Der hatte sich darüber beklagt, dass ein Lutheraner den reformierten Rektor des Joachimsthalschen Gymnasiums und Hofbibliothekar Johann Vorstius⁶⁶³ sowie den lutherischen Diakon der Petrikirche Johann Buntebart als Taufpaten bestimmt hatte. Über Letzteren soll er sogar gesagt haben, „daß der Teufel ja den

 GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 4, Fol. 524.  Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 18, S. 8, Original in: GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 4, Fol. 525 f.Vgl. zur Zensur auch Kapitel 2.3.  Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 18, Zitat S. 9.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 4, Fol. 526r.  Ebd., Fol. 527; vgl. auch Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 18, S. 9.  GKl Archiv XII/90/2, Fol. 133 f. Stattdessen weist Fromm u. a. darauf hin, dass er die revidierte Konsistorialordnung seinerzeit vier Mal habe durcharbeiten müssen und bittet auch um seiner Kinder willen um die Zahlungen.  Fromm: Wiederkehrung, S. 70 f.  Vgl. zu Vorstius Ruschke: Paul Gerhardt, S. 125 f.; Bahl: Hof, S. 607 f.; Noack/ Splett: BioBibliographien. Berlin-Cölln, S. 450 – 461.

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einen Syncretisten balde holen würde.“⁶⁶⁴ Die Konsistorialräte, die der Kurfürst um ein Urteil bat, um den Eindruck eines vorschnell vollstreckten harten Urteils zu vermeiden,⁶⁶⁵ gaben separate Gutachten ab. Fromm empfahl die Androhung der Remotion und im Zweifel die endgültige Absetzung, betonte aber, dies habe nichts mit seinem persönlichen Verhältnis zu Reinhart zu tun.⁶⁶⁶ Wie glaubhaft diese Behauptung ist, sei dahingestellt. Schon beim Streit mit Pomarius hatte sich gezeigt, wie konfessionelle und persönliche Abneigung miteinander Hand in Hand gehen konnten. Unterdessen wurde am 16. September 1664 das sog. zweite Toleranzedikt erlassen und damit die Hochphase des märkischen Kirchenstreits eröffnet.⁶⁶⁷ Das Edikt sorgte wegen verschiedener Veränderungen gegenüber der Version von 1662 für Unruhe, etwa weil es die Bestimmung enthielt, dass Kinder auf Wunsch der Eltern ohne den Exorzismus zu taufen seien.⁶⁶⁸ Doch gerade der Exorzismus besaß eine besondere symbolische Bedeutung, da er sich unter den brandenburgischen bikonfessionellen Bedingungen zu einem wichtigen Distinktionsmerkmal für konkordientreue Lutheraner entwickelt hatte.⁶⁶⁹ Nach dem gescheiterten Religionsgespräch war die Angst vor einer Calvinisierung Brandenburgs ohnehin schon gewachsen und Maßnahmen wie diese trugen nicht gerade zu einer Beruhigung der Lage bei. Hinzu kam, dass zwar erstmals auch Reformierten Schmähungen gegen Lutheraner verboten wurden, aber dann im Edikt eine ganze Reihe von Lehren und Bezeichnungen aufgelistet sind, welche man den Reformierten nicht zuschreiben dürfe, während der Abschnitt zu falschen Aussagen über Lutheraner deutlich kürzer ausfällt.⁶⁷⁰ Potentiell für Lutheraner anstößig waren zudem wertende Formulierungen wie etwa jene, dass „Gott der herr, gleich wie in der Reformirten kirchen, also auch unter denen Lutherischen Theologen,

 Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 281, S. 199 f., hier S. 200.  Vgl. zu dem Fall Kapitel 5.2.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 142; 1660 – 1670], „[unbetitelt]“, Fol. 5. Am Ende wurde Reinhart ein Sonderrevers vorgelegt, der neben den üblichen Punkten u. a. auch beinhaltete, dass er künftig keine Lutheraner mehr attackieren dürfe, die reformierte Paten wählten, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 7 a – c, Fol. 473 – 479.  Vgl. Kapitel 2.3.  Das Edikt ist u. a. abgedruckt bei Mylius, Corpus I, 1, Sp. 381– 386, vgl. zum Exorzismus Sp. 385 f.  Vgl. zur Bedeutung des Exorzismus in Brandenburg vor dem Hintergrund der Konkurrenzsituation zu den Reformierten Nischan: Prince, S. 142 f.; vgl. allgemein zum Exorzismus Nischan, Bodo: The Exorcism Controversy and Baptism in the Late Reformation. In: Sixteenth Century Journal 18 (1987), S. 31– 51.  Vgl. Mylius: Corpus I, 1, Sp. 384 f.

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dann und wann gelahrte Männer erwecket“ habe.⁶⁷¹ Flankiert wurde das Edikt durch Reverse, in denen sich alle Geistlichen zu seiner Einhaltung (einschließlich der Edikte von 1614 und 1662) verpflichten mussten, was einige – auch die Berliner – als Eingriff in ihre Glaubenspraxis betrachteten und nicht mit ihrer Verpflichtung auf die FC vereinbaren konnten.⁶⁷² In ganz Brandenburg tauschten sich Prediger darüber aus, wie mit den Reversen umzugehen sei und auch außerhalb des Territoriums schalteten sich Theologen in die Diskussion ein.⁶⁷³ Wie kritisch die Reverse bewertet wurden, demonstriert auch eine Verfügung an das Konsistorium, in der von kurfürstlicher Seite beklagt wird, dass einige Kirchenpatrone keine neuen Prediger berufen würden, wenn ein Geistlicher verstorben sei, sondern stattdessen Studenten predigen lassen würden, um – so mutmaßt die Obrigkeit – niemanden vocieren zu müssen, der den Revers unterschrieben hatte.⁶⁷⁴ Die neuen interkonfessionellen Spannungen beschäftigten Fromm, sodass er im November 1664 eine Abschrift seines Entwurfs über die Rückkehr zur Kirche der ersten 500 Jahre, den er für den Kurfürsten im April 1663 verfasst hatte, an das Berliner Ministerium sandte. Er war also wirklich davon überzeugt, dass sein Vorschlag zur Stiftung des Religionsfriedens, eines guten Kirchenwesens und zu einem Ende der konfessionellen Spaltung beitragen könnte.⁶⁷⁵ Ob er damit etwas bewirkte, geht nicht aus den Quellen hervor.⁶⁷⁶

 Ebd., Sp. 385.  Vgl. hierzu auch den Überblick zur Verschärfung der interkonfessionellen Konflikte in Kapitel 5.1. Während in älteren Arbeiten meist davon ausgegangen wird, dass die Reverse zeitgleich mit dem Edikt eingeführt wurden, weist Ruschke nach, dass dies erst ein wenig später geschah, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 384 f. Die Reverse erschienen in verschiedenen Versionen, von denen manche strenge Formulierungen enthalten (so etwa die Version in: Fortgesetzte Sammlung von Alten und Neuen Theologischen Sachen (FSATS) 28 (1728), S. 161, wo es heißt, man solle den „Elenchum nebst der Form. Conc emittiren“ und den Exorzismus abschwächen) und andere sich für heutige Ohren recht unverfänglich lesen (etwa die Version in Mylius: Corpus I, 1, Sp. 391– 394), vgl. zu den verschiedenen Versionen Ruschke: Paul Gerhardt, S. 384 f. Zumindest bei den milderen Versionen des Reverses kann die Sorge der Lutheraner nur aus dem Kontext der anderen kurfürstlichen Maßnahmen und der allgemein angespannten Atmosphäre erklärt werden, da es auch schon vorher (sogar vor dem ersten Toleranzedikt) Predigerreverse gegeben hatte; mehrere davon befinden sich in GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 7 a – c. Eine Version des Reverses für Inspektoren und für Prediger ist abgedruckt bei Mylius: Corpus I, 1, Sp. 391– 394.  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 386.  Vgl. Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 725, S. 504.  Diese Hoffnung spricht aus Fromms eigenhändiger Notiz, datiert auf den 23.11.1664, die er unter den Entwurf gesetzt hat, GKl Archiv XII/90/2, Fol. 32– 40, die Notiz Fol. 40r.  Zumindest aber hielten es die Berliner für bewahrungswürdig, findet sich seine Schrift doch nicht allein in Lubaths Nachlass, sondern auch in Gotha, wie bereits oben in Fußnote 645 erwähnt wurde, wohin sie vermutlich durch Samuel Lorentz gelangt ist.

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Insbesondere die Reverse und die damit verbundenen Ängste der Prediger setzten Fromm zu und ließen ihn die kurfürstliche Religionspolitik hinterfragen. Dies geht aus einem Brief hervor, den er Anfang 1665 an seinen Vater addressierte.⁶⁷⁷ Hier schreibt er, dass ein Synkretismus – er benutzt diesen Begriff selbst – nicht umsetzbar sei, auch schädlich, denn in „einem lande, darin eine religion ist, da [be]darff man keines Syncretismi, wo aber 2. religionen sind da mißbrauchet ihn alßbald die partey so die hohe obrigkeit ann ihrer seite hat“.⁶⁷⁸ Die einzige Lösung sehe er in der Rückbesinnung beider Seiten auf die Urkirche – er schreibt auch, dass er dem Kurfürsten einen Entwurf dazu aufgesetzt hatte.⁶⁷⁹ Dann geht Fromm auf seine persönliche Situation ein und offenbart, dass er den Revers, der als Probst und Inspektor auch für ihn galt, wohl selbst noch gar nicht unterschrieben hat und es auch nicht werde: In meinem ampte sitze ich freylich gantz ungewisse, massen sie mich haben können ausm consist. u. pfarrampte, wenn sie nur wollen. Ich habe das auch schon dahin gestellet, traue Gott u. achte es nichts. Ich habe mich schon genug erklehret, dz ich nie wolle unterschreiben. und wann mir meine vorige moderation vorgeworfen wird, sage ich, u. schreibe es, ich wolle daran durchaus nicht gebunden sein […] wan mich candidati fragen, wegen des subscribirens, sage ich; der H. hat sein gewißen, ich aber werde nicht unterschreiben.⁶⁸⁰

Wenn Leute vom Fiskal unter Druck gesetzt würden, zu unterschreiben, bleibe er ganz passiv und brächte durch diese Form der Arbeitsverweigerung seinen Protest zum Ausdruck: Ref. wissen es auch woll, dz ich damit nicht will zuthun haben und nicht subscriptione mea die decreta und sententias bekrefftigen wil, sondern meinen dissensum unverholen contestire, Böses leiden ist ia nicht unrecht, machet kein heucheleiy oder titubantem conscientiam, wenn man öffentlich sein dissensum und mißfallen contestiret. wenn man nur

 GKl Archiv XII/90/2, Fol. 135– 137. Im Brief steht als Datum nur Ao 1665; allerdings schreibt Fromm zu Beginn von einem Schreiben seines Vaters vom 17. November, welches er erhalten habe, ebd. Fol. 135r. Ich gehe deshalb davon aus, dass er die Antwort zu Beginn des Jahres 1665 verfasste. Nach Bahls Angaben starb Fromms Vater bereits 1627 (vgl. Bahl, Hof, S. 480), aber bei Noack/ Splett steht, dass Fromms Vater ihn 1636 nach Berlin mitgenommen habe (Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 124). Außerdem schreibt Seidel nach 1666 über Fromm in einer Notiz, dass u. a. sein Vater seine Entwicklung mit Tränen beklagt hätte, vgl. GSTA PK, I. HA, Rep. 94, II A 2, Fol. 245r; ferner Kapitel 4.7. Zur Zeit der Abfassung des Briefes lebte Fromms Vater also allem Anschein nach noch.  Ebd., Fol. 135r.  Ebd.  Ebd., Fol. 136r.

4.4 Fromm und die Zweifel

141

nicht bößes thut oder approbiret. Wann ich so mich bezeige, kan ich da bey noch ein gut gewissen haben.⁶⁸¹

Doch Fromms Verhältnis zur kurfürstlichen Religionspolitik ist nicht das Einzige, was nun auf den Kopf gestellt ist, sondern auch seine einst gute Beziehung zum Hofprediger Bartholomäus Stosch. Der habe ihm schon „in die augen gesaget: wenn doch der H. vom Consistorium abdanckete.“⁶⁸² Fromm sei sich bewusst, dass Stosch ihn wegen des nicht unterschriebenen Reverses jederzeit entlassen könne, aber nach dem Motto „beßer bald gestorben als lange zu krancket“ wolle er sehen, was komme. Bis dahin versuche er, weiter Widerstand zu leisten: „Ich werde ihnen in votis nirgend was einreumen. wann aber ich überstimmet werde, muß ich es leiden. Entziehe mich aber dann der Execution, gehe aus dem Cosistorio weg, und komme dann nicht hinein.“⁶⁸³ Von seinen pro-reformierten Anfängen bis zu diesem Brief hat Fromm einen weiten Weg zurückgelegt. Er, der 1657 den Konsistorialpräsidenten Joachim Kemnitz noch wegen seines Widerstands gegen die Verordnungen zur FC bei Bergius angeschwärzt hatte,⁶⁸⁴ war nun selbst in der Position, die kurfürstliche Religionspolitik zu unterlaufen. Er tat dies, indem er bei Revers-Kandidaten Zweifel schürte durch die Erklärung, er werde nicht unterschreiben, gegen entsprechende Entscheidungen im Konsistorium stimmte, und sich aus Protest entzog, wenn Reverse unterschrieben wurden. Und sein Verhältnis zum Hofprediger Stosch, mit dem er 1659 sein „Corrporal-wesen“ – wie es Johannes Heinzelmann genannt hatte⁶⁸⁵ – begonnen, dem er sich als Kryptocalvinist offenbart und sich als Informant angedient hatte, war nun zerbrochen. Diesen Sinneswandel konnten Außenstehende kaum glauben. Der Brief, der als Konzept in der Sammlung des Berliner Archidiakons Martin Lubath erhalten ist, wurde an zahlreichen Schlüsselstellen rot unterstrichen – mutmaßlich von Lubath und/ oder seinen Berliner Kollegen. Sie gaben dem Brief in der Sammlung vermutlich auch den Titel „Ein Schreiben h. lic. frommen ad Parentem, darin Er beginnet anders Sinnes zu werden.“⁶⁸⁶

 Ebd., Fol. 136rf.  Ebd., Fol. 136v.  Ebd.  Vgl. Kapitel 4.1.4.  FB Gotha, Chart. A 280, Fol. 42r. Vgl. auch Kapitel 4.2.1.  GKl Archiv XII/90/2, Fol. 135– 137. Wie der Brief in die Sammlung kam, lässt sich leider nicht nachvollziehen – es ist möglich, dass Fromm (oder sein Vater) selbst dafür sorgte, dass er in Lubaths Hände gelangte. Grundsätzlich ist es bemerkenswert, an welche Dokumente Lubath teilweise herangekommen ist.

142

4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm

Fromm war nun längst an dem Punkt, dass er – modern formuliert – innerlich gekündigt hatte, nur noch Dienst nach Vorschrift tat, wo er es musste, und sich widersetzte, wenn er es konnte. Bemerkenswert ist daran, dass Fromm trotz seiner Bekundung, alles hinzunehmen, was geschehe, an seiner Stelle im Konsistorium festhielt. Anstatt sich dem (aus seiner Sicht) Unrecht ganz zu entziehen, suchte er einen Kompromiss zu finden, indem er „nicht bößes thut oder approbiret“,⁶⁸⁷ wie er es nennt, und ansonsten gerade so viel Widerstand leistete, wie es möglich war. Möglicherweise hoffte Fromm, in seiner Stellung noch Positives bewirken zu können. Zweifelsohne bedeutsam war auch, dass ein endgültig vollzogener Bruch handfeste wirtschaftliche Konsequenzen gehabt hätte. Hier ließen sich wiederum Verbindungen zu Fromms Bittschriften über ausstehende Zahlungen und Gehaltserhöhungen aus den Jahren 1663 und 1664 ziehen. Auch wenn er noch als Konsistorialrat tätig war, hatte es die kurfürstliche Religionspolitik also geschafft, einen ihrer größten Unterstützer von der Position eines Irenikers, womöglich eines Kryptocalvinisten, bis in die Opposition zu drängen. Im Februar 1665 näherte Fromm sich sogar den Berliner Geistlichen an. In einem Brief vom 10. Februar ließ er beim Diakon der Nikolaikirche, Georg Lilius, nachfragen, ob er von der „bewusten sache“ mit seinen Kollegen geredet habe und ob „gewiße hoffnung zu machen, daß der höchst nötigste unterricht der einfaltigen, einige disciplin und dieselbe gleichformigkeit in beijden städten (daran hierin viel gelegen) möchte komen erhalten werden.“⁶⁸⁸ Leider geht aus dem Brief nicht hervor, was Fromm genau vorgeschlagen hatte (lediglich, dass es um die Kirchendisziplin ging), doch er zeigt sich sicher, dass das „heilige Werck […] alle finsternüß“ vertreiben könne „und wir unseren zweck erreichen.“⁶⁸⁹ Die Berliner waren zur Zusammenarbeit bereit, wünschten aber von Fromm ein klares Bekenntnis zur FC – jenem symbolischen Buch, das der Konsistorialrat einige Jahre zuvor laut eigener Aussage noch hatte abschaffen wollen.⁶⁹⁰ Und Fromm lieferte: Weil aber von mir eine erklehrung begehret wird ratione Librorum Symbolicorum, habe ich dieselbe willig, und zwar mit eben denen worten, die M. hochg. H. in seinen briefelein gebrauchet, hiermit thun wollen, namblich, Ich bin allerdings gemeinet, nebenst Ihnen beij unsern Libris Symbolicis, besonders Formula Concordiae in allem nach wie vor, mit Gottes hülffe, zu verharren, und also nichts, was dem wercke zu träglich und zu erbawung und

   

Ebd., Zitat Fol. 136r. GKl Archiv XII/90/1, Fol. 191r. Ebd. Vgl. Kapitel 4.2.1.

4.4 Fromm und die Zweifel

143

erhaltung der rechten lutherischen kirchen in diesem Lande gereichet, an mir ermangeln zu laßen.⁶⁹¹

Da die Berliner verständlicherweise ein gesundes Misstrauen gegenüber Fromm an den Tag legten, präzisierte und bekräftigte er sein Gelöbnis noch auf ihren Wunsch. Bei dieser Gelegenheit erfährt man, dass er seinerzeit in die Ordinationsmatrikel eine Erklärung zugunsten der FC gesetzt hatte; auch sei sie im Konfessionseid, den er in Rostock geleistet hatte, enthalten gewesen.⁶⁹² Was aus dem „heilige[n] Werck“ wurde, dazu schweigen die Quellen. Aber sie bezeugen: Fromm war nun beim Konkordienluthertum angekommen. Sollte er zu diesem Zeitpunkt immer noch auf den Kirchenfrieden gehofft haben, wie es seine Schrift zur Urkirche an das Berliner Ministerium vom November 1664 nahelegt, so glaubte er zumindest nicht mehr daran, dass dieser unter den aktuellen Bedingungen praktisch umsetzbar war. Seine Entwicklung lässt sich zwar nicht lückenlos dokumentieren, aber eine schrittweise Abkehr von seinen alten Positionen wird anhand der Quellenlage deutlich nachvollziehbar. Orientiert man sich hauptsächlich an seinen religiösen Überzeugungen (wie es auch seine eigenen Publikationen tun), so wurden bei Fromm durch die Serie von religionspolitischen Maßnahmen im Jahr 1662 erste Zweifel geweckt. Diese wuchsen, als beim Religionsgespräch die Reformierten sich nicht eindeutig genug von der doppelten Prädestination distanzierten – dem einzigen Lehrpunkt, den Fromm als potentielles Hindernis für einen Kirchenfrieden ansah. Dies und die Zufallsbegegnung mit einem Jesuiten setzte eine intensive Auseinandersetzung mit seinen bisherigen Überzeugungen in Gang. Und als schließlich die interkonfessionellen Differenzen durch die Maßnahmen des Jahres 1664 immer stärker und die Ängste vieler Lutheraner größer wurden, kam es zum endgültigen Bruch. Bezieht man seine soziale Situation stärker mit ein (was man unbedingt sollte), so lässt sich festhalten, dass der sich zuspitzende Konflikt Fromm mit seiner binnenkonfessionellen Randposition in eine höchst problematische Lage brachte. Schon früher hatte er deshalb Ausgrenzung aus dem streng konkordientreuen Lager erfahren, doch es gab auch anders gesinnte Lutheraner (obgleich sie nicht so eifrig waren wie Fromm) und vor allem wusste er die Reformierten auf seiner Seite. Die Verschärfung der kurfürstlichen Religionspolitik aber verstärkte den Druck auf alle Akteure, sich konfessionell klar zu positionieren. Je mehr Lutheraner sich durch  GKl Archiv XII/90/1, Fol. 193r.  Ebd., Fol. 193v – 194v. Im Zusammenhang mit der Vokation Christian Nicolais und Kemnitzens Absetzung hatte Fromm hingegen auf seine Vokationsurkunde verwiesen, in der die FC nicht aufgenommen sei, um gegen die konkordienlutherische Seite zu argumentieren, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Pomarius, 1654, 1659 (Fol. 149)“, Fol. 63v.

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4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm

die Reverse bedroht fühlten, umso schwieriger wurde es für jemanden wie Fromm, darin nur notwendige Maßnahmen gegen die FC zu sehen, über die sich nur einige wenige Zeloten beklagen. Er schreibt selbst an seinen Vater, dass der Synkretismus von der Obrigkeit missbraucht werde.⁶⁹³ Seine Zweifel wiederum brachten ihn in Konflikt mit seinen alten Verbündeten, namentlich dem Hofprediger Stosch. In einem sich polarisierenden Umfeld stand Fromm mit seiner Hoffnung auf einen Kirchenfrieden auf Grundlage des consensus antiquitatis zwischen den Fronten auf verlorenem Posten. Seine Suppliken legen außerdem nahe, dass zur jahrelang erduldeten sozialen Ausgrenzung und den Zweifeln an der Kirchenpolitik noch das Gefühl mangelnder Wertschätzung durch die Obrigkeit hinzukam. Dass er sich in dieser Lage dem konkordientreuen Lager annäherte, ist zwar kein zwingendes Resultat, aber ein durchaus nachvollziehbarer Ausweg aus einer Lage, die ihm kaum Handlungsmöglichkeiten ließ. Wie sehr Fromm unter der Gesamtsituation litt, demonstriert eine Notiz seines lutherischen Kollegen im Konsistorium Martin Friedrich Seidel aus dessen bereits erwähnten Sammlung: „Er sah oft wan er in das Consistorium kahm, anders nicht auss als wan er mit dem Teuffel gefochten hette“.⁶⁹⁴ Im Jahr 1665 hört man ansonsten fast nichts über Fromm. Er gehörte zu einer Gruppe einflussreicher lutherischer Konsistorial- und Geheimer Räte, welche in den Konflikten um die Predigerreverse sowie Paul Gerhardts und Elias Sigismund Reinharts Remotion versuchten, zwischen den Berliner Geistlichen und dem Kurfürsten zu vermitteln, doch im Spiegel der Quellen – und damit der Perspektive der Berliner Prediger – erscheint er nicht als einer der besonders aktiven Räte in dieser Angelegenheit.⁶⁹⁵ Es ist jedoch anzunehmen, dass er sich nach wie vor mit seinen geistlichen Kollegen austauschte.⁶⁹⁶ Es sollte noch etwas weniger als ein Jahr dauern, ehe Fromm wieder die Aufmerksamkeit seiner Umwelt erhielt.

 GKl Archiv XII/90/2, Fol. 135– 137, Zitat Fol. 135r.  GStA PK, I. HA, Rep. 94, II A 2, Fol. 245v.  Vgl. zu den Vermittlungsversuchen ausführlich Kapitel 5.3.2.2.  Dies geht indirekt aus einem Brief Fromms an Lilius hervor vom 29.4.1665, einem Termin, an dem sich die lutherischen Räte mit den Geistlichen getroffen hatten. Ihm sei zu Ohren gekommen, dass die Berliner sich in einer Supplik an den Kurfürsten vom selben Tag auf Informationen Fromms berufen und sie falsch wiedergegeben hätten. Er bittet um Stillschweigen, da er ihnen alles im Vertrauen gesagt hätte zum Besten der Kirche, vgl. GKl Archiv XII/90/1, Fol. 197v. Mit Blick auf die Supplik an den Kurfürsten könnte Fromm die Aussage gemeint haben, dass die Reformierten selbst noch nicht alle den Inhalten des Edikts zustimmen würden und dass – soweit die Berliner informiert seien – noch kein Reformierter einen Revers unterschrieben habe, vgl. Schulz: Paul Gerhardt, Nr. 33, S. 376 f.; Original in: GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 142; 1660 – 1670], „Suspension und Remotion Paul Gerhardt (Fol 59)“, Fol. 11 f.; weitere Abschriften in: GKl Archiv XII/90/1, Fol. 199 f.; GKl Archiv XII/90/2, Fol. 152 f.; FB Gotha, Chart. A 281, Fol. 9.

4.5 Fromm und der Aufstand

145

4.5 Fromm und der Aufstand Am 3. April 1666 – nach neun wendungsvollen Jahren im Konsistorium – kam es schließlich zum offenen Bruch und dem Ende von Fromms Karriere bei Hofe.⁶⁹⁷ Die früheste Quelle zu den folgenden Ereignissen ist ein Bericht, der noch am selben Tag vom Konsistorium an den in Kleve weilenden Kurfürsten abging.⁶⁹⁸ Demnach sei dem Ribbecker Pfarrer Johann Müller,⁶⁹⁹ als er im Konsistorium eine Auseinandersetzung mit seinem Küster klären wollte,⁷⁰⁰ der Predigerrevers zur Unterschrift vorgelegt worden. Er aber habe sich aus Gewissensgründen geweigert. Weiter heißt es: Obwol wir diesen verlauff zu referiren […] nicht groß nöthig erachtet, so haben wir es doch derowegen nicht unterlaßen wollen, weill bey dieser gelegenheit unser Collega herr lic. andreas fromme, nach dem gedachter pfarrer abgetreten, gesagt, es köndte auf die arth, wann einer sein gewißen, den revers nicht zu extradiren, vorschüzete, nicht verfahren werden, Er könnte nicht lenger stille darzu schweigen, Er müste seine meinung offenbahren, quod ad instatiam Reformatorum in Marchia Lutherana ecclesia vim patitur, Lutherani leiden hostilitäten von Reformirten, undt wie wir Ihm vorgehalten, daß niemanden, zumahl Ihm als einem verpflichteten diener zustünde, von E. Churfl. durchl. verordnungen so zu reden, hatt er geandtwortet, Er rede nicht wieder E. Churfl. durchl., protestire solemnissime darwieder, sondern wieder E. Churfl. durchl. Consiliarios, die E. Churfl. durchl. darzu reizeten.⁷⁰¹

Fromms Ausbruch, dass die Lutheraner von den Reformierten Gewalt erlitten, machte in der Residenz schnell die Runde. Wenige Tage später erzählte der Konsistorialrat Seidel dem Prediger Martin Lubath von dem Vorfall, der ihn wiederum niederschrieb, um ihn später als Zeugnis für die Verfolgung der Lutheraner

 Die Vorfälle dieses Tages und die Folgen wurden schon des Öfteren nacherzählt, aber nie wurde dabei auf alle verfügbaren Quellen zurückgegriffen. Ausführlich sind v. a. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 477– 480; Hering: Neue Beiträge 2, S. 283 – 298; Küster: Altes und Neues Berlin 2, S. 535 – 547. Vgl. ferner die bisher zitierte Literatur zu Fromm.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „die gegen den Consistorial-Rath und Probst Fromm […] (Fol. 143)“ Fol. 2 f. Eine Abschrift befindet sich in Seidels Sammlung: GStA PK, I. HA, Rep. 94, II A 2, Fol. 238.  Zu Müller vgl. Fischer, Otto: Evangelisches Pfarrerbuch für die Mark Brandenburg seit der Reformation. Zweiter Band: Verzeichnis der Geistlichen in alphabetischer Reihenfolge. Zweiter Teil. Berlin 1941, S. 570. Im Folgenden werden alle Teile des Pfarrerbuchs als Kurztitel angegeben.  Der Küster soll in einer Supplik vom selben Tag noch angegeben haben, dass Müller die Reformierten häufig verketzert habe, GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „die gegen den Consistorial-Rath und Probst Fromm […] (Fol. 143)“, Fol. 2v.  Ebd., Fol. 2v–3v.

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4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm

in seine Sammlung aufzunehmen.⁷⁰² Nachdem Möller erklärt hatte, er werde auf keinen Fall unterschreiben – schon die letzten Edikte hätten ihm so viele Gewissensängste bereitet, „daß Er noch drüber von hinnen komme“ – habe Fromm gesagt, es sei eine schwere Sache, solche Gewissensnöte zu hören und trotzdem die Leute zur Unterschrift zu zwingen. Stosch gefiel dieser Protest nicht: Stoschius fragt, wer zwinget sie? und H. L. Fromm antwortet: die herrn Reformirte: Ecclesia nostra vim patitur a Reformatis, per Brachium principis [= Unsere Kirche erleidet Gewalt von den Reformierten, durch den Arm des Fürsten].⁷⁰³ H. Stoschius, wer sind die Reformirte? H. L. Fromm, die das Edictum gemacht haben. H. Stosch: Wer hat das gemacht? H. L. Fromm, der herr. Stosch, das soll mir ein Schelm nachreden. L. Fromm, ein Schelm leugnet solches, der es doch gethan hat. Tandem post alia, gestehet H. Stoschius daß Ers gemacht, aber nicht allein, sondern herr Buntebart hatte mit gehulfen. dieses erzehlete mir also der H ConsistorialRath Seidell, den 8 April, welcher es alles mit angehört.⁷⁰⁴

Gewiss wussten bald zumindest alle Geistlichen in der Residenz und die höheren Räte von dem Vorfall. So überrascht es nicht, dass auch in Samuel Lorentz’ Sammlung ein Bericht davon erhalten ist, der sich in wesentlichen Teilen mit Lubath deckt, jedoch das Streitgespräch zwischen Stosch und Fromm breiter ausformuliert: [Fromm:] allein itzo sehe ich wohl: vim patitur Ecclesia nostra a Reformatis per Brachium Principis. Stosch: da soll Euch der Teuffel für hohlen, ich wil es meinem herren berichten. H. Protonotarius protocolliret es. Praepos [Fromm]: Ja gar gerne […] kann auch geschehen laßen daß man es also Sr. Chrfl. dhl. berichte. Ich will es auch beweisen. Stosch: Wer seyn die Reformierten? Praepos: Ihr und eures gleichen. Stosch: daß lüget ihr als ein schelm. Praepos: und ich sage das lüget ihr alls ein schelm“.⁷⁰⁵

 GKl Archiv XII/90/2, Fol. 317.  In einer Randbemerkung ist hinzugefügt, dass es in einem anderen Bericht statt der Formulierung per Brachium principis, also durch den Arm des Fürsten, was recht eindeutig gegen den Kurfürsten gerichtet gewesen wäre, vielmehr ad instantiam Reformatorum in Marchia heiße. Dies ist auch die Formulierung, welche die offiziellen Akten verwenden.  GKl Archiv XII/90/2, Fol. 317r – 317v.  FB Gotha, Chart. A 281, Fol. 43. Entweder schöpft Lorentz aus Lubaths bzw. Seidels Darstellung oder ihm wurde Ähnliches von einer anderen Person berichtet, möglicherweise sogar von Fromm selbst bei einem Treffen mit den Berliner Geistlichen (siehe unten), was die detailliertere Wiedergabe erklärt, die entweder als besonders unmittelbar oder besonders literarisiert (oder beides) gedeutet werden kann. Anbei ein längerer Auszug aus dem Streitgespräch: „dieses ist ein armer mann, hat sein weib und kleine unerzogene kinder, bittet um nichts als seins gewißens zu schonen […] Praeses [Schardius].Wenn der herr nicht wil dabey seyn so kan er wohl abtreten oder gar abdancken. Stosch. Es ist nichts unbilliges. Praepos: Es ist die höchste unbilligkeit, weil man vor Lutherischen kirchen hiedurch nicht zu helffen noch gleichheit suchet, sondern sie gar in Servitet bringen will. Stosch: habt ihr doch selbst dazu gerathen und geholffen. Praepos: Zu

4.5 Fromm und der Aufstand

147

Fromms Kollege Buntebart versuchte unterdessen, ihn in einem Brief zu beschwichtigen.⁷⁰⁶ Der lutherische Konsistorialrat Johann Georg Reinhart habe ihn dazu überredet mit Stosch über die Reverse zu sprechen. Dieser habe die Möglichkeit angesprochen, eine erklärende Deklaration herauszugeben, sobald der Kurfürst zurück in Cölln sei,⁷⁰⁷ um u. a. mit dem Missverständnis aufzuräumen, dass jeder, der die Reverse unterschreibe, einem Fundamentalkonsens zustimme, nur weil im Edikt von einer mutua tolerantia die Rede sei.⁷⁰⁸ Möglicherweise könne dies eine Grundlage für weitere interkonfessionelle Gespräche sein. Ein Brief Stoschs an Schardius vom selben Tag bestätigt Buntebart.⁷⁰⁹ Mit Reinhart bemühte sich somit ein lutherischer Rat um Deeskalation, indem er an Buntebart herantrat. Wie in Kapitel 5 noch dargelegt wird, war dies zahlreichen einflussreichen lutherischen Räten ein Anliegen. Bevor es weiter mit Fromm geht, sei noch auf eine andere Beobachtung hingewiesen. Aus den oben zitierten Berichten vom Eklat im Konsistorium geht nämlich hervor, dass Johann Buntebart Stosch bei der Abfassung des zweiten Toleranzedikts unterstützt hatte. Damit bestätigte er den synkretistischen Ruf, den er bei seinen Kollegen hatte.⁷¹⁰

anfang hab ich gesucht ob einige mittel zu beßerer einigkeit könten gefunden werden; weil ich aber sehe daß man unsere kirchen gar in Servitet stecken will, kan ich mit guten gewißen nicht zustimmen. So hab ich auch das Edict nicht gemacht. Stosch: Ich gestehe zwar daß ich das Edict mit H Buntebarth gemachet, aber ihr habt daß eure auch dazu gethan. Praepos: da es gemachet und Tolerantia gesuchet worden, hab ich das wort mutua dazu gesetzet. unser kirchen zum besten und nicht mehr. allein itzo sehe ich wohl: vim patitur Ecclesia nostra a Reformatis per Brachium Principis. Stosch: da soll Euch der Teuffel für hohlen, ich wil es meinen herren berichten. H. Protonotarius protocolliret es. Preapos: Ja gar gerne […] kann auch geschehen laßen daß man es also Sr. Chrfl. Dhl. berichte. Ich will es auch beweisen. Stosch: Wer seyn die Reformierten? Prapos: Ihr und eures gleichen. Stosch: daß lüget ihr als ein schelm. Praepos: und ich sage das lüget ihr alls ein schelm“.  Der Brief ist datiert auf den 9. April 1666, GKl Archiv XII/90/2, Fol. 317 f. Eine Abschrift befindet sich bei Lorentz, FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 44.  Ob hier die Idee für die Deklaration vom 6.6.1667, welche die Prediger von ihrer Reverspflicht entband, geboren wurde, muss offen bleiben, ist aber denkbar. Vgl. zur Deklaration Kapitel 2.3.  Stosch habe sogar gesagt, jeder Prediger könne durchaus mit Protest gegen den Fundamentalkonsens unterschreiben, GKl Archiv XII/90/2, Fol. 318.  Stosch schreibt, er habe mit einem verständigen Lutheraner gesprochen – man müsse wohl die Wendung mutua tolerantia in einer Deklaration erläutern und erklären, dass man ja gar nicht die Doctrinalia der FC verbieten wolle. Dabei verweist er explizit auf Paul Gerhardt, der sich besonders an der Wendung gestört habe. GKl Archiv XII/90/2, Fol. 318 f. Eine weitere Abschrift bei Lorentz, FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 44 f. Dieser vermeintliche Sinneswandel ist insofern erstaunlich, als dass Stosch über ein Jahr Zeit hatte, um sich über die Gewissensskrupel der Berliner Geistlichen ein Bild zu machen.  Vgl. die Beschimpfungen Reinharts in Kapitel 4.4.2.

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4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm

Doch als dieser noch an seinem Brief schrieb, saß Fromm schon bei den Berliner Geistlichen Martin Lubath, Samuel Lorentz und Jakob Helwig⁷¹¹ und diskutierte mit ihnen Punkte für einen alternativen Revers,⁷¹² woraus er einen Tag später – am 10.4. – eine schriftliche Erklärung aufsetzte und den Reformierten zukommen ließ.⁷¹³ In dem Alternativrevers, der „dem gewißen genüge zu thun“ verspricht,⁷¹⁴ wird zwar bspw. eingeräumt, dass man die Reformierten nicht mit Schmähnamen bezeichnen und Lehrunterschiede in moderater Form behandeln wolle⁷¹⁵ – in erster Linie aber ist er als Bekenntnis zum Konkordienluthertum angelegt. So wird klargestellt, dass die Lutheraner an allen symbolischen Büchern – einschließlich der FC – festhielten oder dass „wir mit den Reformirten in grunde des glaubens nicht einig sein, und können daher uns ad mutuam tollerantiam Ecclesiasticam nicht verbinden, noch Reformatos ab erroriby fundamentaliby lossprechen.“⁷¹⁶ Jetzt, da Fromm vom passiven Wiederstand zur offenen Opposition übergewechselt war, tat er es also mit voller Konsequenz. Möglicherweise glaubte er, diese Flucht nach vorn sei nun seine einzige Option – doch weit gefehlt. Als Friedrich Wilhelm in Kleve von der Sache hörte, reagierte er verwundert, weil Fromm „von den Reformirten allzeit eine andere und besser Meinung gehabt, er auch hiebevor selbsten die Unterschreibung der Reversen gut und nöthig be-

 Vgl. zu Helwig Ruschke: Paul Gerhardt, S. 116 f.; Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. BerlinCölln, S. 192– 200. Die anderen beiden Prediger wurden bereits vorgestellt.  GKl Archiv XII/90/2, Fol. 319 – 321, eine weitere Abschrift bei Lorentz, FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 43 f.  Dies bestätigen sowohl Lubath als auch Lorentz, vgl. FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 44r und GKl Archiv XII/90/2, Fol. 320r. Dass die Schrift tatsächlich den Hof erreichte, wird dadurch bestätigt, dass sich ein Exemplar auch unter Akten im Staatsarchiv Dresden befindet, die höchstwahrscheinlich von Johann Georg Reinhart dorthin mitgenommen wurden (vgl. Kapitel 7.2), Sächs. HStA Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 07226/06 1662– 1668, Fol. 62 f. Bis auf minimale orthographische Unterschiede sind alle Versionen des Reverses identisch.  Der volle Titel lautet „Auß mundlicher Unterredung abgefaßeter entwurff der puncte eines Reverses, wie man vermeynet dem gewißen genüge zu thun, welcher aber noch beßer in stylum und Ordnung zu bringen.“  Sogar einer Abschaffung des Exorzismus wird zugestimmt, allerdings nur unter der kaum erfüllbaren Bedingung, dass die gesamte lutherische Kirche in der Mark dem zustimmen müsste, FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 44r; GKl. Archiv XII/90/2, Fol. 321r; Sächs. HStA Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 07226/06, Fol. 62r–62v.  Zitiert nach der Version in Sächs. HStA Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 07226/06 1662– 1668, Fol. 62r.

4.5 Fromm und der Aufstand

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funden“ habe. Er solle lediglich seine gewiss voreiligen Aussagen widerrufen.⁷¹⁷ Friedrich Wilhelm bot Fromm somit einen Ausweg an. Doch er nahm ihn nicht an. Als ihm am 7. Mai das oben zitierte kurfürstliche Reskript vorgelesen wurde, bat er darum, eine schriftliche Erklärung abgegen zu dürfen,⁷¹⁸ die er gleich am nächsten Tag einreichte. In der umfassenden Schrift,⁷¹⁹ die bei der Rekapitulation des Streits im Konsistorium an den richtigen Stellen die nötigen theatralischen Spitzen setzt (der Streit habe ihm etwa „die Thränen herausgezwungen“),⁷²⁰ wie man sie schon aus der Schrift gegen Pomarius kennt,⁷²¹ weicht Fromm jedoch nicht von seiner Position ab. Vielmehr entwickelt er hier jene Argumente für seinen Meinungsumschwung, die er in seinen späteren Drucken wiederholen sollte: Er habe sich früher von ganzem Herzen einen Kirchenfrieden gewünscht, doch dies sei seit Bergius’ Tod, solange die Reformierten sich nicht von der Dordrechter Synode distanzierten und solange die Lutheraner bedrückt würden, nicht möglich. Er habe erkennen müssen, dass eine Annäherung beider Konfessionen nur zu einem Schisma der lutherischen Kirche führen würde – „[…] mir grauet/ wenn ich an meine Moderation, die ich mit unpartheyischem Gemüthe getrieben/ zurücke dencke“.⁷²² Angesichts der Sachlage habe er seine Meinung geändert.⁷²³ Als Lutheraner könne man nicht guten Gewissens den Edikten zustimmen oder die Reverse unterschreiben, da man die Reformierten nicht von

 Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 674 u. 675, S. 467 f., Zitat S. 467; Original in: GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „die gegen den Consistorial-Rath und Probst Fromm […] (Fol. 143)“, Fol. 3 f.; vgl. auch das Protokoll vom 28. April: Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 667, S. 459 – 461, hier S. 461.  In Lubaths Sammlung befindet sich ein Bericht aus Fromms Perspektive über die Verlesung des Reskripts, wonach er den Geheimen Rat darum bat, eine schriftliche Erklärung einreichen zu dürfen, GKl Archiv XII/90/2, Fol. 322; vgl. auch die spätere Relation vom 23.5. an den Kurfürsten, Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 705, S. 492 f., hier S. 492, Original in: GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „die gegen den Consistorial-Rath und Probst Fromm zu Coelln […] (Fol. 143)“, Fol. 34.  Die Erklärung ist vollständig abgedruckt bei Küster, Altes und Neues Berlin 2, S. 537– 543; Original in: GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „die gegen den Consistorial-Rath und Probst Fromm zu Coelln […] (Fol. 143)“, Fol. 6 – 17, zwei Abschriften ebd., Fol. 56 – 66 u. 67– 81; weitere Abschriften in Lubaths und Lorentz’ Sammlung: GKl Archiv XII/90/2, Fol. 323 – 330; FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 57– 62. Eine ausführliche Zusammenfassung der Schrift bei Hering: Neue Beiträge 2, S. 285 – 289.  Küster: Altes und Neues Berlin 2, S. 538.  Vgl. Kapitel 4.1.4.  Küster: Altes und Neues Berlin 2, S. 538 f., Zitat S. 539. In den Ausführungen erwähnt er sogar seine Schrift zur Kirche der ersten 500 Jahre vom 17.4.1663, ebd.  Ebd.: „Diese und andere Gründe haben meine Meinung von der Reformirten Lehre/ welche Meinung ich Bedingungs weise gefasset hatte/ geändert/ welches nicht anders hat seyn können/ massen sich also bald die conceptus und das judicium ändern/ so bald sich status rerum ändert/ wie das in politiis täglich im Schwange gehet.“

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4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm

fundamentalen Irrlehren freisprechen könne, und es sei Sünde, die Dinge im Konsistorium weiterlaufen zu lassen und zu schweigen.⁷²⁴ Ansonsten konzentriert sich Fromm darauf, den Kurfürsten vom Vorwurf der religiösen Verfolgung auszunehmen, dem er als Beweis seiner Loyalität und untertänigsten Zuneigung sogar als Anhang ein Gebet beilegte, das er täglich halte und das nebst anderen Dingen auch Friedrich Wilhelm zum Inhalt hatte.⁷²⁵ Vielmehr habe er die Hostilitäten alleine auf Stosch bezogen, „welcher mich ofte gar hart tractiret hat/ wie meine herren Collegen im Consistorio wissen“ und dessen Feindseligkeiten mit dazu beigetragen hätten, dass Fromm sich von seinen irenischen Ansichten gelöst habe.⁷²⁶ Zuletzt bittet Fromm den Kurfürsten schließlich, die Reverse abzuschaffen.⁷²⁷ Dass Fromm seine Meinung nicht mehr änderte, ist wenig überraschend. Durch den Eklat im Konsistorium hatte er endlich seine inneren Konflikte in einem Ausbruch nach außen tragen können. Hinter diesen Befreiungsschlag zurückzukehren, war vor diesem Hintergrund kein gangbarer Weg, zumal das Verhältnis mit Stosch nun noch schlechter war als zuvor. Der Ausweg, den Friedrich Wilhelm ihm anbot, hätte somit nur zurück in das Gefängnis geführt, aus dem Fromm eben erst ausgebrochen war. Nachdem Stosch eine für Fromm wenig vorteilhafte Gegenschrift eingereicht hatte,⁷²⁸ gab der Kurfürst ihm – verwundert über Fromms 180-Grad-Wende, die er auf seinen Privat-Konflikt mit Stosch zurückführte – eine letzte Möglichkeit zur Revokation und bemerkte in seiner Resolution, „daß Wir der ganzen Lutherischen Kirchen kein größer Gefallen erweisen können, als wann Wir ihn exemplariter abstrafen.“⁷²⁹ Die Verwunderung des Kurfürsten unterstreicht noch einmal, dass Fromms Sinneswandel von außen nicht unbedingt absehbar war – wobei bedacht werden muss, dass Friedrich Wilhelms Wahrnehmung des Konsistorialrats vermutlich stark beeinflusst davon war, welche Informationen er von Stosch erhielt und dass er im Alltag, abseits unvorhergesehener Vorfälle oder wichtiger kirchenpolitischer Aufgaben, wohl kaum einen Gedanken an Fromm verschwende-

 Ebd., S. 540 f.  Ebd., S. 538. Das Gebet befindet sich noch im Geheimen Staatsarchiv, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „die gegen den Consistorial-Rath und Probst Fromm zu Coelln […] (Fol. 143)“, Fol. 18 – 20.  Küster: Altes und Neues Berlin 2, S. 543.  Ebd.  Vgl. unten Kapitel 4.6.  Meinardus: Protokolle 7.1, S. 500.

4.5 Fromm und der Aufstand

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te.⁷³⁰ Doch als die Geheimen Räte in Cölln ihm das Ultimatum verkündeten, überreiche Fromm den Räten nur ein Schreiben, in dem er seinen Standpunkt aus der Erklärung vom 8. Mai wiederholte.⁷³¹ Das war sein Ende als Probst und Konsistorialrat. Mit einem Schreiben aus Kleve vom 6. Juli wurde er abgesetzt und dazu angehalten, in der Residenz zu bleiben, da ein Verfahren gegen ihn eingeleitet werden sollte.⁷³² Das Konzept dieses Schreibens, das von Schwerins Hand ist, enthält indes den Befehl, dass alle Geistlichen, die bereits im Amt seien, künftig erst dann die Reverse unterschreiben sollten, wenn sie den Edikten zuwider handelten. Dieser Teil wurde aber gestrichen.⁷³³ Fast hätte Fromm also mit seiner Erklärung zumindest einen Teilerfolg gegen die Reverspolitik verbuchen können. Stosch und der Advocatus Fisci Matthias Kratz wurden damit beauftragt, belastendes Material zusammenzusuchen.⁷³⁴ Als Fromm der kurfürstliche Befehl im Konsistorium vorgelesen wurde und er seine Siegel abgeben musste, waren Martin Friedrich Seidel verreist und Johann Georg Reinhart krankgemeldet. Von Fromms Kollegen an der Petrikirche, die ebenfalls vorgeladen waren, meldete sich Christian Nicolai krank.⁷³⁵ Somit war kein lutherischer Konsistorialrat und mit Johann Buntebart überhaupt nur ein (allerdings sehr pro-reformierter) Lutheraner anwesend. In dieser Häufung kann

 Besonders eindringlich hat Opgenoorth den politischen Alltag Friedrich Wilhelms geschildert – Fromm war da nur eines von vielen Problemen: „Die Politik eines Staates läßt sich vielleicht nach Ressorts gliedern, das Leben eines Menschen nicht. In Wirklichkeit hat sich der Kurfürst am gleichen Vormittag mit so disparaten Dingen befaßt wie dem polnischen Reichstag, der Verpachtung der klevischen Rheinzölle und der Beschaffung von Tulpen für den Lustgarten!“ Vgl. Opgenoorth: Friedrich Wilhelm 1, S. 17. Burghardt verweist darauf, dass die Konfessionspolitik keineswegs im Zentrum der kurfürstlichen Politik stand, vgl. Burghardt: Hofcalvinismus, S. 118 f. Fromm behauptet übrigens in einer seiner Publikationen, den Kurfürsten nur drei Mal persönlich gesprochen zu haben, vgl. Fromm: Nöthige Erklehrung, S. 42 f.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „die gegen den Consistorial-Rath und Probst Fromm zu Coelln […] (Fol. 143)“, Fol. 39 – 42, Abschrift ebd., Fol. 89 – 92; weitere Abschriften bei Lubath und Lorentz: GKl Archiv XII/90/2, Fol. 331– 333; FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 69 f. Vgl. dazu auch den Bericht der Geheimen Räte vom 27.6.1666, Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 730, S. 505 f., Original in: GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „die gegen den Consistorial-Rath und Probst Fromm zu Coelln […] (Fol. 143)“, Fol. 37 f.  Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 742, S. 512– 514, Konzept in: GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „die gegen den Consistorial-Rath und Probst Fromm zu Coelln […] (Fol. 143)“, Fol. 46 – 48; weitere Abschriften bei Lubath und Seidel: GKl Archiv XII/90/2, Fol. 340 f.; GSTA PK, I. HA, Rep. 94, II A 2, Fol. 239 – 242.  Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 742, S. 514.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „die gegen den Consistorial-Rath und Probst Fromm zu Coelln […] (Fol. 143)“, Fol. 49 f.  Ebd., Fol. 50 – 52.

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4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm

davon ausgegangen werden, dass sich die Lutheraner bewusst dieser konfliktbeladenen Situation entzogen, um ihre Ablehnung symbolisch zum Ausdruck zu bringen und sich nicht zu Komplizen zu machen. Im Brief an seinen Vater hatte Fromm angegeben, genau das Gleiche zu tun, wenn Prediger den Revers unterschreiben mussten.⁷³⁶ Fromm traf sich gleich danach mit Paul Gerhardt und berichtete ihm vom Befehl, die Residenz nicht zu verlassen.⁷³⁷ Er blieb also weiter mit den städtischen lutherischen Kreisen in Kontakt. Diese waren ohnehin in Unruhe, wie ein Brief Buntebarts und Nicolais – der verbliebenen Geistlichen an der Petrikirche – zeigt. Sie sollten die Ordinationen von Fromm übernehmen, doch befürchteten sie, dies würde zu Ärger in der Gemeinde und im Kollegium führen, weshalb sie darum baten, Ordinationen geschlossen vom ganzen Konsistorium durchführen zu lassen.⁷³⁸ Angesichts von Buntebarts Ruf als Synkretist⁷³⁹ und des Verfahrens gegen Fromm bedurften solche Amtshandlungen in der Tat einer zusätzlichen Legitimierung und das konfessionelle ‚Eindrucksmanagement‘, das in den 1650ern noch leidlich funktioniert hatte, eine Auffrischung. Fromm wandte sich indes nicht nur an Gerhardt, sondern auch an seinen Kollegen Seidel, den er um eine Empfehlung für einen Anwalt bat.⁷⁴⁰ Schon vorher hatte er bei Hofe um Stoschs Bericht gebeten, um sich vorbereiten zu können.⁷⁴¹ Das nächste Lebenszeichen Fromms ist dann ein Brief an den Kurfürsten vom 22.7.1666 – und zwar aus Wittenberg, wohin der Konsistorialrat inzwischen geflohen war. Darin begründete er seine Flucht mit der mangelnden Aussicht auf ein faires Verfahren.⁷⁴² Fromms Zeit am kurbrandenburgischen Hofe war beendet.⁷⁴³ Es dauerte indes nicht allzu lange, ehe man einen Ersatz für ihn fand: Johann Buntebart, der Mann, der Stosch beim zweiten Toleranzedikt mutmaßlich zur Hand gegangen war, wurde im März 1667 zum Konsistorialrat be-

 Vgl. Kapitel 4.4.2.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 49.  Ebd., Fol. 73, Original in: GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „die gegen den Consistorial-Rath und Probst Fromm zu Coelln […] (Fol. 143)“, Fol. 53 f.  Vgl. etwa Reinharts Beschimpfungen (Kapitel 4.4.2) sowie die Aussage Stoschs weiter oben in diesem Kapitel, dass Buntebart gemeinsam mit ihm das zweite Toleranzedikt entworfen hatte.  GSTA PK, I. HA, Rep. 94, II A 2, Fol. 244.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „die gegen den Consistorial-Rath und Probst Fromm zu Coelln […] (Fol. 143)“, Fol. 43 f.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „die gegen den Consistorial-Rath und Probst Fromm zu Coelln […] (Fol. 143)“, Fol. 93 f.; Zusammenfassung bei Hering: Neue Beiträge 2, S. 298.  Wie zu Beginn der Arbeit bereits verraten wurde, floh Fromm 1668 nach Prag und konvertierte zum Katholizismus, vgl. Kapitel 1.1.

4.6 Andreas Fromm – eine Gegendarstellung

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stallt.⁷⁴⁴ Aus konkordienlutherischer Sicht wurde also der eine Synkretist durch den nächsten ersetzt.

4.6 Andreas Fromm – eine Gegendarstellung Die Geschichte Fromms, wie sie bisher geschildert wurde, war die Erzählung eines suchenden Gläubigen, der irrt, zweifelt und – von persönlichen Differenzen mit Stosch zusätzlich belastet – in einem leidvollen Erkenntnisprozess in Opposition zur Kirchenpolitik gerät. Sie deckt sich mit dem Narrativ, das Fromm in seiner Rechtfertigung an den Kurfürsten und seinen späteren Drucken selbst von sich verbreitete. Sie wird aber auch gestützt von Fromms Briefen an seinen Vater, an Seidel und an die Berliner Geistlichen – Fromm konstruierte diese Erzählung also nicht völlig aus dem Nichts im Nachhinein für den Kurfürsten und die Leser seiner Drucke. Auch von außen wurde Fromms Sinneswandel registriert, wie die teils sogar rot markierten Dokumente beweisen, welche Seidel und die Berliner Geistlichen bewusst aufhoben. Dieses Narrativ gewinnt dadurch an Glaubwürdigkeit. Man sollte jedoch nicht den Fromm der 1650er Jahre vergessen, der als Informant direkt und indirekt Pomarius’ und Kemnitzens Entlassungen bewirkt und darüber hinaus versucht hatte, weiteren Gegnern jenseits der binnenkonfessionellen Grenze zu schaden, wie bspw. Seidel, den er bei Stosch angeschwärzt hatte. Genau diesen Fromm beschwört Stosch in seiner Gegenschrift zu dessen Erklärung von 1666,⁷⁴⁵ die nur kurz den Streit im Konsistorium behandelt und vielmehr darauf abzielt, die Glaubwürdigkeit seines einstigen Verbündeten anzugreifen.⁷⁴⁶ Viele der Beispiele, die er anführt, sind aus den später publizierten Briefen bekannt, aus denen Stosch also schon für seinen Gegenbericht schöpfte.⁷⁴⁷ Neu ist

 Vgl. Bahl: Hof, S. 442.  Nachdem Stosch gehört hatte, dass er in Fromms Schrift häufig erwähnt wird, hatte er zuvor eigens darum gebeten, die Erklärung zu erhalten, um sich rechtfertigen zu können, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, „die gegen den Consistorial-Rath und Probst Fromm zu Coelln […] (Fol. 143)“, Fol. 21.  Stoschs Bericht ist datiert auf den 18.5. und befindet sich im Geheimen Staatsarchiv, GStA PK, I. HA, Rep. 47, C4, Fol. 22– 30; Abschrift ebd., Fol. 82– 88; weitere Abschriften bei Lubath und Lorentz, GKl Archiv XII/90/2, Fol. 334– 339; FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 63 – 66; Auszüge bei Hering: Neue Beiträge 2, S. 289 – 294.  So verweist er auf Fromms Aussagen, in denen er sich als reformiert bezeichnete, aus Fromm: Etliche Brieffe, Brief X, (FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 63v), auf Fromms Protestzusatz bei der Vokation Christian Nicolais (Ebd., Fol. 64r) und auf seine Aussagen gegen die FC (Ebd., Fol. 65r und 65v).

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4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm

die Anschuldigung, Fromm habe seinerzeit andere zur Konversion überreden wollen und sogar die Beschlüsse der Dordrechter Synode gegenüber seinem Diakon Hanischius verteidigt, was ich aber für unwahrscheinlich halte.⁷⁴⁸ Interessanter ist der Vorwurf, dass Fromm an den Predigerreversen mitgearbeitet habe. Stosch meint konkret die Wendung, dass man sich zum „Edict mutuam tolerantiam betreffend“ verpflichten sollte,⁷⁴⁹ an der sich viele konkordientreue Lutheraner störten.⁷⁵⁰ In der Tat bestätigen dies ebenso die Zeugnisse vom Streit im Konsistorium⁷⁵¹ wie auch ein Brief von Schardius an Stosch, der in die Publikation von Fromms Briefen mit eingefügt wurde.⁷⁵² Später behauptete Fromm, er habe die Worte nicht angeregt, sondern ihnen nur zugestimmt, zum Besten der lutherischen Kirche übrigens, auf dass die Reformierten auch die Lutheraner tolerieren müssten.⁷⁵³ Schon im Streit mit Stosch hatte er behauptet, die Worte aus guter Intention gesetzt zu haben.⁷⁵⁴ Das mag durchaus stimmen, doch ist es auffällig, dass viele Lutheraner diese Wendung ganz anders interpretierten. Doch damit nicht genug. Angeblich habe Fromm im Mai 1665 auf Nachfrage des Berliner Magistrats und der Ministerien erklärt, er wäre dazu bereit, den Revers zu unterschreiben.⁷⁵⁵ Um eine Lüge handelt es sich hier wohl nicht, denn Stosch gibt Zeugen an, wenn er schreibt, dies „hat H Secret. Sturm Sr. Churfl. dhl. damals referiret, und ist alles in gutem Gedächtniß.“⁷⁵⁶ Was den privaten Streit der einstigen Kollegen angeht, habe Fromm meist angefangen und ihn manchmal sogar öffentlich beleidigt.⁷⁵⁷ Ihr Streit sei jedoch nicht konfessionell begründet gewesen und sie hätten sich meist wieder schnell vertragen, da vermutlich Gott

 Ebd., 63v. Immerhin hatte Fromm bspw. beim Gespräch mit dem Buchhändler betont, dass die Brandenburger Reformierten keine doppelte Prädestination lehrten und auch nicht calvinisch seien, vgl. Fromm: Etliche Brieffe, Brief X. Auch die Erklärungen beim Religionsgespräch passen nicht zu Stoschs Behauptungen, vgl. Kapitel 4.4.1.  Mylius: Corpus I, 1, Sp. 392– 394, Zitat Sp. 393. Es gab jedoch viele verschiedene Reverse mit abweichenden Formulierungen, vgl. Kapitel 4.4.2 sowie Ruschke: Paul Gerhardt, S. 384 f.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 64r.  Vgl. den Bericht bei Lorentz in Kapitel 4.5, aus dem der betreffende Auszug noch einmal wiederholt wird: „Stosch: Ich gestehe zwar daß ich das Edict mit H Buntebarth gemachet, aber ihr habt daß eure auch dazu gethan. Praepos: da es gemachet und Tolerantia gesuchet worden, hab ich das wort mutua dazu gesetzet. unser kirchen zum besten und nicht mehr.“ In: FB Gotha, Chart. A. 280, Fol. 43rf.  Fromm: Etliche Brieffe, Brief Ii.  Fromm: Nöthige Erklehrung, S. 31 f.  Vgl. den Bericht bei Lorentz oben in Fußnote 705.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 65r.  Ebd.  Ebd., Fol. 63r–63v.

4.7 Zwischenresümee – ein außergewöhnlich normaler Hofmann?

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glücklicherweise Fromms Eifer gehemmt habe, „daß Er nicht, wie zu Stettin mit Micralio geschehen, mich zu Boden geworfen, oder wie hier mit N.N. sich zugetragen, daß man mit Strewbüchsen und Tintenfäßern zufechten angefangen.“⁷⁵⁸ Stoschs Ausführungen wiederlegen die Darstellung der anderen Quellen nicht, aber sie relativieren Fromms Selbstinszenierung als Opfer der Umstände und seines zweifelnden Gewissens. Er hat möglicherweise nicht mit Tintenfässern gefochten, aber bestimmt trug er seinen Teil zum Konflikt mit Stosch bei. Er mag für sich persönlich beschlossen und Stosch gesagt haben, dass er den Revers nie unterschreiben werde (wie er seinem Vater schrieb), und gleichzeitig öffentlich erklärt haben, dass er es tun würde, wie es Sturm an den Kurfürsten referierte. Solange er noch Konsistorialrat war, musste er auch die Verhaltenserwartungen seitens des Hofes berücksichtigen und konnte sich nicht komplett verweigern. Auch wenn Fromms schrittweise Entwicklung bis zu seinem Ausruf im Konsistorium glaubwürdig wirkt – sonst hätte Stosch gewiss belastende Briefe auch aus der Zeit nach 1662 gefunden – muss man sich also bewusst sein, dass möglicherweise der ein oder andere Widerspruch sowie einige Schattierungen in den Quellen nicht adäquat abgebildet sind.

4.7 Zwischenresümee – ein außergewöhnlich normaler Hofmann? Nebst einer weiteren Konversion Abschließend bleibt noch die Frage, welche Aussagekraft Fromms Geschichte für den Hof als Ganzes und das interkonfessionelle Klima dort besitzt. Schon von den Zeitgenossen wurde er als Sonderfall betrachtet – anders lässt sich die enorme publizistische Reaktion auf seine Flucht und Konversion nicht erklären. Zweifelsohne ist Fromm alles andere als ein typischer lutherischer Hofmann, aber trotz all seiner Besonderheiten darf er m. E. in Bezug auf den Hof und die Residenz doch als etwas gelten, das man in der Mikrogeschichte als das „außergewöhnliche Normale“ bezeichnet.⁷⁵⁹ Weil seine Geschichte aus dem Rahmen fällt, hat sein Fall die Quellen produziert, die man bei anderen Räten nicht findet. Dadurch lassen sich aus seinem außergewöhnlichen Fall Rückschlüsse auf die Lage anderer lutherischer Räte und das bikonfessionelle Verhältnis bei Hofe ziehen. In seiner Wende vom erklärten Kryptocalvinisten hin zum rebellierenden Konkordienlu Ebd., Fol. 65v. Stosch meint vermutlich den Prokanzler der Universität Greifswald Johann Micraelius, vgl. Bülow, von: Micraelius, Johann. In: ADB 21 (1885), S. 700 – 701.  Vgl. Ulbricht: Mikrogeschichte, S. 21; Hiebl/ Langthaler: Einleitung, S. 12; der Begriff wurde geprägt von Grendi, Edoardo: Micro-analisi e storia sociale. In: Quaderni Storici 12 (1977), S. 506 – 520, hier S. 512.

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4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm

theraner bewegte er sich zwischen zwei Extremen – die Umstände, die diese Entwicklung begünstigten, die Ängste und Zweifel, die Fromm währenddessen formulierte und die Reaktionen seiner Umwelt lassen jedoch allgemeine Rückschlüsse zu. Anhand der vergleichsweise reichhaltigen Quellen zu Fromm lässt sich nachvollziehen, wie sich die kurfürstlichen Räte in einem zunehmend polarisierenden Umfeld bewegten. Seine Berichte aus dem Konsistorium bezeugen, wie die Veränderungen in der Kirchenpolitik das Klima vergifteten und Teile des Hofes zu spalten begannen. Die Vereinbarkeit von Hofdienst und Zugehörigkeit zum Luthertum war zum ersten Mal nicht mehr selbstverständlich. Kemnitz entschied sich für das Konkordienluthertum und wurde removiert. Seidel und Reinhart waren vorsichtiger – die Widersprüche sollten sie indes bis zu ihrem eigenen Sturz im Jahr 1668 begleiten.⁷⁶⁰ Fromm demonstriert ferner stellvertretend, welche Sanktionen ein Lutheraner bei bestimmten Normverletzungen von seinen Glaubensgenossen zu erwarten hatte, sobald er in ihren Augen die Grenzen der konfessionellen Zugehörigkeit überschritt. Die Beschreibungen seiner erlittenen Schikanen mögen überzeichnet sein – dass er sich unbeliebt machte, steht jedoch außer Zweifel. Es werden in dieser Arbeit noch weitere Geistliche auftauchen, deren Reputation beschädigt wurde, weil sie als Synkretisten galten. Von nichtgeistlichen Räten ist dergleichen zwar nicht dokumentiert, sehr wohl aber, dass sie ebenfalls eine Schädigung ihres Rufes fürchteten.⁷⁶¹ Fromm und Kemnitz bilden somit zwei Enden einer Skala: wer sich offen für einen vermeintlichen Synkretismus einsetzte, wurde von den Lutheranern sanktioniert, wer sich offen für die FC einsetzte, wurde von Friedrich Wilhelm sanktioniert. Diese Polarisierung festigte das ohnehin schon ausgeprägte Konfessionsbewusstsein und erschwerte es den Akteuren, sich indifferent zum Kirchenstreit zu verhalten oder vermittelnde Positionen einzunehmen. In dieser Lage suchte sich Fromm Rückendeckung, indem er versuchte, erst Bergius, dann Stosch zu seinen Patronen zu machen und manövrierte sich so in eine Position, die ihm kaum Handlungspielräume mehr ließ, als die Zweifel kamen. Die einzige Möglichkeit, seiner Lage zu entfliehen, sah er offensichtlich im Wechsel auf die konkordienlutherische Seite. Eine Nuancierung, wie sie noch aus den Beiträgen beim Religionsgespräch oder dem Konzept an Friedrich Wilhelm spricht, war für ihn keine Option mehr. Wenn man eine introspektive Interpretation wagt, ergeben sich weitere Erkenntnisse: Noch bis in die frühen 1660er Jahre war Fromm überzeugter Ireniker an der Schwelle zum Kryptocalvinismus, bis zu dem Punkt, dass er Ausgrenzung

 Vgl. Kapitel 7.2.  Vgl. v. a. ebd.

4.7 Zwischenresümee – ein außergewöhnlich normaler Hofmann?

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hinnahm und andere denunzierte. Wenn die zunehmende Verschärfung der Kirchenpolitik – gewiss verbunden mit weiteren Faktoren – sogar ihn dazu brachte, seine bisherige Position zu hinterfragen, kann man erahnen, wie weniger reformiertenfreundliche lutherische Hofleute darüber dachten. In der Tat werden andere Fallbeispiele verdeutlichen, dass außer Fromm noch weitere lutherische – und reformierte! – Hofleute an der Kirchenpolitik zweifelten – sie formulieren ihre Sorgen und Ängste jedoch nicht so unmittelbar, wie es von Fromm zumindest vereinzelt bezeugt ist. Wenn er sich an die Zerstörung Magdeburgs erinnert fühlt, Gottes Strafe fürchtet und im Konsistorium nur noch körperlich anwesend ist, so vermittelt dies einen Eindruck davon, welche Assoziationen und emotionalen Prozesse die Konfessionskonflikte in Berlin und Brandenburg bei den Hofleuten imstande waren auszulösen. Tatsächlich ist ein weiterer Fall von Flucht und Konversion bekannt und führt vor Augen, dass Fromms innerer Konflikt keineswegs einzigartig unter den Hofleuten war. Im Oktober 1663 floh der lutherische Geheime Rat und Präsident der Regierung Hinterpommerns Ewald von Kleist über Homburg an den bayerischen Hof und konvertierte schließlich zum Katholizismus.⁷⁶² Zwar behaupten einige Stimmen, die Hauptursache für sein Verhalten seien ständige Streitereien mit seiner reformierten Ehefrau Eleonora Elisabeth von Winterfeld gewesen⁷⁶³ – er indes verwies auf religiöse Konflikte und Zweifel als Ursache. Auch wenn ein Streit mit seiner Frau nachgewiesen werden kann,⁷⁶⁴ war dies wohl nur ein Faktor – evtl. der finale Anstoß – in einem Geflecht aus komplexeren Zusammenhängen.⁷⁶⁵ Um vor seiner Frau zu flüchten, muss man nämlich nicht zum Katholizismus konvertieren. Tatsächlich war Kleist in seiner Position als Präsident der Regierung Hinterpommerns regelmäßig mit Konflikten um das Konkordienluthertum konfrontiert.⁷⁶⁶ Was dies bei ihm auslöste, schilderte er 1663 Friedrich Wilhelm in einem Schreiben, mit dem er seine Flucht zu erklären und entschuldigen suchte:

 Vgl. zur Flucht und Konversion Kypke, Heinrich: Geschichte des Geschlechts v. Kleist. Dritter Teil – Biographien bis 1880. Dritte Abteilung. Muttrin – Damensche Linie. Der Muttriner Ast. Überarb. von Heinrich von Kleist-Retzow u. Sigurd von Kleist. Hamm 22017, S. 272– 278; ferner Bahl: Hof, S. 210 u. 517.  Vgl. Kypke: Kleist, S. 272 f.; vgl. auch Seidels Anmerkungen zu Kleist in Kapitel 5.3.1.1.  Ebd.  Wie auch bei Fromm, vgl. zur sozialen Einbettung von Konversionen Volkland: Konfession, S. 139 – 160.  Vgl. Kypke: Kleist, S. 275 – 277. Für einen gedrängten Überblick über die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms in Pommern vgl. Lackner: Kirchenpolitik, S. 186 – 192.

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so ist es an dem, daß die vielfältigen theologischen Streitigkeiten, mit welchen sowohl Amts als anderer Respecte halber, ich auch occupiret gewesen, mir immer im Sinn gelegen, auch innigst afficirt, und letztlich dermaßen verwirret haben, daß ich, indem ich als ein armer sündiger Mensch für Gott, meinen Herrn Christum, bald auf diese bald auf jene Weise gesuchet, ihn darüber fast ganz sollte verlohren haben, und im Schlamm der Angst und Anfechtung versinken müssen, wenn nicht endlich der grundgütige Gott sich meiner erbarmet, seine Gnadenhand mir geboten, und durch einen Anblick seiner Erleuchtung eine Zuversicht in mir erwecket hätte, also, daß ich meiner gequälten Seelen, welche von den Feinden zum öftern angeschrien worden: Wo ist nun dein Gott? wiederum getrost zusprechen können: Was betrübst du dich meine Seele, und bist so unruhig in mir, harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken, daß er meines Angesichts Hülfe und mein Gott ist. Diesem herzlichen Vertrauen, habe ich durch Gottes Kraft ferner nachgesetzet, und aus denen mir beiwohnenden Zweifelhaftigkeiten, mit Evangelischen Gelehrten mich besprochen, aber den Grund des Trostes und der Versicherung nicht erreichen können.⁷⁶⁷

Die Verzweiflung und der Erkenntnisprozess, die Kleist hier beschreibt, gleichen in ganz erstaunlichem Ausmaße Fromms Äußerungen. Herausragende Fälle wie diese beiden bleiben zwar die Ausnahme am Hofe,⁷⁶⁸ aber man muss sich klar machen: Fromms und Kleists Kollegen im Konsistorium und im Geheimen Rat waren als Fürstendiener mit ähnlichen Konflikten konfrontiert und bewegten sich in dem gleichen polarisierten Umfeld. Dass sie nicht konvertierten und flüchteten, heißt nicht, dass sie davon nicht in irgendeiner Form betroffen waren.⁷⁶⁹ Bei aller Abstraktion vom Einzelfall soll freilich keineswegs verschwiegen werden, dass Fromm weiterhin ein außergewöhnlicher Fall mit zahlreichen Besonderheiten ist, die sich nicht auf andere übertragen lassen. Was etwa die soziale Ausgrenzung angeht, wurde Fromms Lage dadurch verschärft, dass er sowohl Konsistorialrat als auch Probst war. Für ihn als Geistlichen galten ungleich strengere Normen als für andere und die Kollegen betrachteten seinen Synkretismus offensichtlich als Verrat am Luthertum. Sein geistliches Amt brachte die ständige Interaktion mit eben diesen Kollegen mit sich, wodurch er häufiger als andere in potentielle Konfliktsituationen geriet. Schließlich soll auch nicht vergessen sein, dass Fromm keineswegs dazu gezwungen war, derart offensiv für

 Kypke: Kleist, S. 274 f., Zitat S. 274, Schreiben vom 3./13.9.1663, Abschrift in GStA PK, I. HA, Rep. 94, II A 2, Fol. 224 u. 227. Der Brief war eine Antwort auf ein kurfürstliches Schreiben. Friedrich Wilhelm reagierte auf Kleists Brief wohlwollend und zog seine pommerschen Güter nicht ein, vgl. Kypke: Kleist, S. 273 – 278; die Antwort Friedrich Wilhelms auch in: GStA PK, I. HA, Rep. 94, II A 2, Fol. 225 f.  Dies betont schon Bahl in seinem ausgewogenen Urteil zur Repräsentativität dieser Konversionen für das bikonfessionelle Miteinander bei Hofe, vgl. Bahl: Hof, S. 209 – 211.  An dieser Stelle sei auch auf die grundsätzlich bei Hofe greifbare interkonfessionelle Spannung verwiesen, vgl. Kapitel 3.4.2.

4.7 Zwischenresümee – ein außergewöhnlich normaler Hofmann?

159

die Kirchenpolitik einzutreten oder seine Kollegen anzuschwärzen und damit mindestens indirekt Kemnitzens Entlassung befördert zu haben. Im Spiegel der Quellen erscheint er nicht als machtloses Opfer der Umstände, sondern hat vielmehr aktiv zu der Konstellation beigetragen, die später in seiner Flucht mündete. Wie schwierig es ist, ein eindeutiges Urteil über Fromm abzugeben, beweisen zwei Äußerungen seines Kollegen Martin Friedrich Seidel. Häufig zitiert wird eine Aussage, in der er Fromms spätere Konversion bedauerte und seine Fähigkeiten lobte.⁷⁷⁰ Interessanter ist eine Notiz auf der Rückseite eines Briefs von Fromm, den Seidel aufhob. Den Brief selbst hatte der ‚gefallene‘ Probst am 30.7.1666 aus Wittenberg an seinen ehemaligen Kollegen geschickt, um sich für seine übereilte Flucht zu entschuldigen und ihn darum zu bitten, ihm für sein Verfahren ein positives Gutachten auszustellen. Auch Reinhart habe er darum gebeten.⁷⁷¹ Seidels Notiz enthält die bereits zitierte Aussage, dass Fromm, „wan er in das Consistorium kahm, anders nicht auss[sah] als wan er mit dem Teuffel gefochten hette“.⁷⁷² Er schreibt jedoch weiter, dass Fromm in diesem Kampf am Ende unterlegen sei, was gewiss auf seine spätere Konversion bezogen ist.⁷⁷³ Auch schreibt er: „diese zwei brieffe habe ich nich[t] beandtwortet noch mich mich [!] mit diesem Manne, dessen seltzahme concepten mich nichts gutes zu muhtmassen anlass gegeben mich im geringsten engagiren wollen noch konnen […]“⁷⁷⁴ Zu Fromms Wunsch nach einer Beurteilung heißt es schließlich: „hetten ich und der seel h. Raht Reinhart von ihm die wahrheit attestirn müssen so wurde Er kein guhtes zeugnuss kriegen“.⁷⁷⁵ Der Kommentar muss nach Fromms Konversion – da Reinhart bereits verstorben ist, sogar nach 1672 – geschrieben worden sein.⁷⁷⁶ Dies mag ein wichtiger Grund für die Distanzierung und negative Bewertung Seidels sein. In jedem Fall führen beide Beurteilungen in ihrer Gegensätzlichkeit noch einmal vor Augen, dass es sich bei Fromm schon für die Zeitgenossen um eine ambivalente Figur handelte. Sehr viel poetischer – wenn auch unkritischer – hat freilich Fontane diese Ambivalenz beschrieben: „Er war einfach ein Mann, der in

 „Wollte GOtt, es wäre dieser L. Fromme mit Glimpff und gütlichen Mitteln bey unserer Lutherischen Kirche behalten und von solchen Extremitäten abgehalten worden. Ich muss Ihm das Zeugnüß geben, daß Ihm GOtt stattliche Gaben verliehen hatte, und mögen sich andere an seinem Unfall wohl spiegeln.“ Zitiert nach Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 131.  GSTA PK, I. HA, Rep. 94, II A 2, Fol. 245r.  Ebd.  Ebd., Zitat: „utinam non succubuisset.“  Ebd.  Ebd., Fromms Vater und Cousin hätten später sogar mit Tränen um ihn geklagt.  Vgl. zu Reinharts Lebensdaten Bahl: Hof, S. 561.

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4 Irenik und Aufstand: Andreas Fromm

einer kirchlichen Zeit, die durchaus ein „Entweder-Oder“ verlangte, sich mit Wärme […] für ein „Weder, Noch“ entschied.“⁷⁷⁷

 Fontane: Wanderungen, S. 55.

5 Strategien des lutherischen Hofmanns im märkischen Kirchenstreit: Raban von Canstein und Martin Friedrich Seidel 5.1 Die Verschärfung der interkonfessionellen Konflikte in den 1660er Jahren als Auslöser von Rollenkonflikten Nach dem gescheiterten Religionsgespräch und vor allem mit dem zweiten Toleranzedikt samt der Reverspolitik⁷⁷⁸ nahmen die interkonfessionellen Feindseligkeiten in Brandenburg und Berlin zu. Dies betraf zu allererst die Beziehung der Berliner Prediger zur Obrigkeit, die in zahlreichen Publikationen hinreichend dokumentiert ist und die in der Absetzung fast aller Geistlichen der Nikolai- und der Marienkirche zu Berlin endete.⁷⁷⁹ Welche Bedeutung dieser Streit bereits für die Zeitgenossen, gerade die Geistlichen, besaß, bezeugen alleine schon die verschiedenen Aufzeichnungen und Sammlungen lutherischer Prediger, die allesamt als Beitrag zur lutherischen Erinnerungskultur in Brandenburg angelegt waren und ihre Bedrückung durch die Reformierten bezeugen sollten.⁷⁸⁰ Dass auch der Kurfürst persönlich mit großer Leidenschaft involviert war, belegt etwa eine Notiz des dänischen Gesandten Detlev von Ahlefeldt,⁷⁸¹ wonach Friedrich Wilhelm bei einem gemeinsamen Gespräch zufällig auf die Berliner Geistlichen zu sprechen kam und sich so sehr aufregte, dass Ahlefeldt ihn bat, „einige moderation“ in der Angelegenheit zu gebrauchen.⁷⁸² Denkwürdig ist auch

 Vgl. Kapitel 2.3, 4.4.1 u. 4.4.2.  Besonders ausführlich: Ruschke: Paul Gerhardt. Sogar der Habsburger Gesandte Johann von Goess, der sonst kaum über die innerprotestantischen Konflikte berichtet, sah sich 1665 dazu genötigt, dem Kaiser zu schreiben, dass die Religionspolitik „die gemüther sehr perplex“ mache, „und ist von weiterem außschau, alß man sich villeicht nicht einbildet“. ÖStA HHStA, RK Diplomatische Akten Berlin, Berichte 1b, Bericht vom 22.6.1665. Die Ausführungen zum Konfessionskonflikt fehlen in: Pribram, Alfred Francis (Hrsg.): Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg.Vierzehnter Band. Auswärtige Acten. Dritter Band. Erster Theil (Oesterreich). Berlin 1890, S. 216.  Vgl. Kapitel 1.4.  Zu Ahlefeldt und den Umständen seiner Mission siehe Höhnk, Helene: Detlev von Ahlefeldts Gesandtschaftsjournal vom Jahre 1666 […] In: Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Geschichte 36 (1906), S. 79 – 169, hier S. 80 – 83.  Der Kurfürst habe bei seiner Klage über die Prediger eine „große empfindtligkeit unndt eyfer tesmoigniret.“ Ebd., S. 118. Ferner sei auf Friedrich Wilhelms Aussage verwiesen, wonach der die Prediger notfalls jagen werde, „bis ihnen die Schuhe abfallen,“ vgl. Schwartz: Stände, S. 99 u. Kapitel 2.5. https://doi.org/10.1515/9783110647006-007

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5 Strategien des lutherischen Hofmanns im märkischen Kirchenstreit

das Schicksal von David Gigas.⁷⁸³ Er wurde 1666 zum dritten Diakon in St. Nikolai vociert. Da er den Revers unterschrieben hatte, wurde er von seinem Kollegen Samuel Lorentz vom Abendmahl ausgeschlossen, woraufhin er seine Unterschrift widerrief und in der Neujahrspredigt 1667 den Kurfürsten und seine Räte angriff.⁷⁸⁴ Daraufhin ludt Friedrich Wilhelm den Prediger unter falschem Vorwand in sein Schloss ein, ließ ihn auf dem Hof festnehmen und stellte den Berliner Magistrat vor Ort vor vollendete Tatsachen.⁷⁸⁵ Gigas wurde nach Spandau gebracht und blieb dort 23 Wochen in Haft, ehe er des Landes verwiesen wurde. Dies war die mit Abstand strengste Bestrafung eines Predigers während des märkischen Kirchenstreits.⁷⁸⁶ Der märkische Kirchenstreit fand keineswegs im luftleeren Raum zwischen einigen Predigern und ihrem Kurfürsten statt, sondern erfasste in Teilen auch die Bevölkerung. Nachdem etwa der Probst der Nikolaikirche Georg Lilius Anfang 1666 einen selbst entworfenen Revers als Kompromiss unterzeichnet hatte, um wieder in sein Amt eingesetzt zu werden, besuchte laut dem hessischen Gesandten Lincker kaum jemand mehr seine Predigten.⁷⁸⁷ Im Folgejahr brachte die

 Vgl. zu Gigas mit weiteren Literatur- und Quellenangaben Ruschke: Paul Gerhardt, S. 496 f. Im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, der Staatsbibliothek zu Berlin, der Forschungsbibliothek Gotha sowie dem Archiv der Sammlung des Gymnasiums zum Grauen Kloster befinden sich mehrere Dokumente zu Gigas – darunter auch persönliche Berichte zu seiner Verhaftung durch den Kurfürsten in Folge des Kirchenstreits – die zum Großteil noch nicht ausgewertet wurden, obwohl Gigas’ Fall bekannt ist, GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 142; 1660 – 1670], „[eigene Mappe zum Fall Gigas]“, unfol.; SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 54, Fol. 253 – 321; FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 94– 117 (daneben weitere einzelne Abschnitte zu Gigas); GKL Archiv XII/ 90/1, Fol. 230 – 234; GKL Archiv XII/90/2, Fol. 342– 347. Ein Verhörprotokoll ist ferner abgedruckt in: FSATS 46 (1746), S. 972– 976. Vgl. außerdem die von Ribbeck zusammengefassten Berichte Linckers: Ribbeck: Lincker, S. 143 f.  Er bezeichnete u. a. das vergangene Jahr als Angstjahr, wünschte dem Kurfürsten sowie seinen Räten vielsagend die Tugend der Gerechtigkeit und sprach die Hoffnung aus, dass man auch künftig bei den Lehren aller symbolischen Bücher einschließlich der Anathemata verbleiben könne, vgl. einen Auszug der Predigt in: SBB-PK, MS. Boruss. fol. 54, Fol. 271– 273; vgl. ferner die kurze Zusammenfassung in einem Bericht des hessischen Gesandten Lincker, HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 353, Bericht vom 16./26.1.1667.  Vgl. etwa den Bericht Linckers, ebd.; vgl. auch die Schilderungen im Brief Gigas’ an seine Ehefrau aus Spandau vom 10.1.1667, von dem Seidel eine Abschrift bewahrte: SBB-PK, MS. Boruss. fol. 54, Fol. 264– 266, v. a. Fol. 264r.  Das Vorgehen Friedrich Wilhelms wurde auch außerhalb Berlin-Cöllns registriert, so am Kopenhagener Hof und in Frankfurt a. M., vgl. Ribbeck: Lincker, S. 144.  HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 353, Bericht vom 13./23. 3.1667. Auch über Lilius’ Nachfolger Andreas Müller schreibt Lincker im selben Bericht wegen dessen synkretistischen Rufs: „Ob nun […] die Leuthe in die kirch kommen werden, wird die Zeitt geben. der letzte ver-

5.1 Die Verschärfung der interkonfessionellen Konflikte in den 1660er Jahren

163

Berliner Bevölkerung ihren Unmut sehr viel explizieter zum Ausdruck, als die Leiche der verstorbenen Kurfürsten Luise Henriette öffentlich aufgebahrt wurde und „ein und ander ohnzimmliche reden under den lutherischen Pöbell, der Religion halben wieder Ihro Chfl. dl. gefuhret worden, welche als sie seiner Cuhrfst. dl. zu gehör kommen, scharrf verbiethen lassen, daß kein Mensch mehr sollte zugelassen werden“.⁷⁸⁸ Ruft man sich nun noch Fromms Schicksal in Erinnerung, bekommt man einen Eindruck davon, wie das Klima, in dem der Hof und seine Bediensteten eingebettet waren, mit jeder neuen Verordnung, mit jedem neuen gescheiterten Kompromiss, mit jeder aggressiven Reaktion von beiden Seiten ein wenig mehr und mehr vergiftet wurde. In dieser Atmosphäre mussten sich die Hofleute bewegen und mit ihr umgehen. Auf den Zusammenhalt des Hofes und der Hofgesellschaft selbst hatte der sich immer weiter zuspitzende konfessionelle Konflikt in der Residenz jedoch zunächst keinen destabilisierenden Einfluss. Sehr wohl beschäftigte man sich bei Hofe – auch auf reformierter Seite⁷⁸⁹ – mit den Spannungen in der Stadt und den kurfürstlichen Maßnahmen. Ein Beispiel dafür bietet der Kurprinz Karl Emil. Kurz nachdem die von den bedrängten Lutheranern mit großer Hoffnung erwartete, ursprünglich lutherische Kurfürstin Dorothea 1668 entschieden hatte, zum reformierten Glauben zu konvertieren, sagte der Kurprinz zu einigen lutherischen Edelleuten in Königsberg provozierend, es sei, als hätten sie im Schachspiel die Königin verloren.⁷⁹⁰ Nichtsdestotrotz bewahrte der Hof seine konfessionsübergreifende Geschlossenheit und blieb bis 1668 weitestgehend von offenen religiösen Konflikten und Brüchen verschont – eine prominente Ausnahme stellt Andreas Fromm dar. Wie bereits dargelegt wurde, war der höfische Alltag eben nicht ständig durch konfessionelle Gegensätze strukturiert, obgleich sie bekannt und präsent waren. Dies fällt umso stärker ins Gewicht, als die Mehrheit bei Hofe nicht unmittelbar mit interkonfessionellen Kontroversen konfrontiert wurde, wenn sie es nicht darauf anlegte.⁷⁹¹ Ausnahmen waren jene lutherischen Räte, die mit der Religionspolitik betraut waren – die Konsistorialräte und die Geheimen Räte. Als Fürstendiener auf der einen und Lutheraner auf der anderen Seite waren sie

storbene Cöllnische Probst Lilius, nachdem er den Revers underschrieben, hat keine Zuhörer mehr haben können.“ Vgl. dazu auch die Zusammenfassung bei Ribbeck: Lincker, S. 142.  HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 353, Bericht vom 12./22.6.1667, vgl. dazu auch die Zusammenfassung bei Ribbeck: Lincker, S. 147 f.  Vgl. Kapitel 6.2.  Eintrag in Schwerins Erziehungstagebuch vom 8.10.1668, GStA PK, I. HA, Rep. 94, IV HC 9, Bd. 2, Fol. 120v; abgedruckt bei Orlich: Geschichte des Preußischen Staates 1, S. 553.  Vgl. Kapitel 3.4.2 u. 3.4.3.

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5 Strategien des lutherischen Hofmanns im märkischen Kirchenstreit

Träger zweier verschiedener sozialer Rollen, an die unterschiedliche Bündel von Handlungserwartungen, sog. Rollensets, geknüpft waren.⁷⁹² Es gehört zum menschlichen Alltag, Träger vieler verschiedener sozialer Rollen zu sein und mit diversen Handlungserwartungen umzugehen. Doch im sich zuspitzenden märkischen Kirchenstreit wurden die lutherischen Hofleute, die in die Religionspolitik eingebunden waren, durch ihre Aufgaben und ihr Bekenntnis mit widersprüchlichen Erwartungen konfrontiert, wodurch es immer schwerer für sie wurde, diese beiden Rollen miteinander zu vereinbaren. Die Geheim- und Konsistorialräte wurden regelmäßig in kirchenpolitische Entscheidungen eingebunden, mussten kurfürstliche Vorgaben umsetzen und diese nach außen repräsentieren und vermitteln. Gleichzeitig waren sie persönlich genau so wie ihre Gemeinden und Glaubensgenossen von eben jener Politik, deren Träger sie waren, negativ betroffen. Die Ebenen Hof und Konfession überschnitten sich bei ihnen zwangsläufig – sie konnten die interkonfessionellen Konflikte weder vermeiden noch ignorieren. Somit traf sie der märkische Kirchenstreit direkt in die Schnittstelle zwischen ihrer sozialen Rolle als Fürstendiener und jener als Lutheraner. Wenn für die Hofleute im Allgemeinen postuliert wurde, dass ihre Zugehörigkeit zur höfischen Elite neben ihrer konfessionellen Zugehörigkeit existierte und sie bisweilen überlagerte,⁷⁹³ so war es für die Konsistorial- und Geheimen Räte nun anders: Je mehr sich die Konflikte zuspitzten, umso mehr drohte ihre „Pluralität von in Anspruch genommenen Selbsten“⁷⁹⁴ zu kollidieren. Die zunehmenden kirchenpolitischen Kontroversen zwischen Kurfürst, Geistlichkeit und Ständen konfrontierten die lutherischen Räte mit konkurrie Soziale Rollen beschreiben „Bündel von Verhaltensnormen, die eine bestimmte Kategorie von Gesellschafts- bzw. Gruppenmitgliedern im Unterschied zu anderen Kategorien zu erfüllen hat.“ Popitz, Heinrich: Der Begriff der sozialen Rolle als Element der soziologischen Theorie. Tübingen 1967, Zitat S. 21. Trotz verschiedener Begriffe und Schwerpunkte innerhalb der soziologischen Rollentheorie kann diese grundlegende Definition Allgemeingültigkeit beanspruchen; vgl. auch die Ausführungen bei Thiessen, Hillard von: Normenkonkurrenz. Handlungsspielräume, Rollen, normativer Wandel und normative Kontinuität vom späten Mittelalter bis zum Übergang zur Moderne. In: Normenkonkurrenz in historischer Perspektive. Hrsg. von Arne Karsten u. Hillard von Thiessen. Berlin 2015 (ZHF Beiheft 50), S. 241– 286, hier S. 249 f. Um zu kennzeichnen, dass in dieser Arbeit nicht Normen und Normensysteme, sondern der Umgang der Hofleute mit widersprüchlichen Verhaltenserwartungen im Vordergrund steht, wird bewusst auf die Übernahme des Begriffs der Normenkonkurrenz, den Thiessen benutzt, verzichtet, und stattdessen mit dem Rollenbegriff gearbeitet. Tatsächlich hängen Normenkonkurrenz und Rollenkonflikte natürlich sehr eng miteinander zusammen. Für eine gedrängte Übersicht über die soziale Rolle und Rollenkonflikte vgl. Schulz-Schäfer, Ingo: Rolle, soziale. In: Grundbegriffe der Soziologie. Hrsg. von Andreas Kopp u. Anja Steinbach. Wiesbaden 2016, S. 290 – 293.  Vgl. Kapitel 3.4.2.  Hahn: „Partizipative“ Identiäten, S. 118.

5.2 Interkonfessionelles Vertrauen kommunizieren: Die höfische Bühne

165

renden Verhaltensnormen, die immer dann, wenn sie in kirchenpolitischen Fragen hinzugezogen wurden, Rollenkonflikte produzieren konnten: Als Fürstendiener hatten sie ihrem Herrn loyal zu dienen, während sie als Lutheraner ihrer Religion und ihren Glaubensgenossen in keinem Fall schaden durften. Die Verhaltensnormen, die mit diesen beiden Rollen verknüpft waren, widersprachen sich somit, bedeutete doch die Ausführung der kirchenpolitischen Amtspflichten eine Missachtung der konfessionellen Solidarität und im Gegenzug eine Unterstützung der Lutheraner einen Bruch des Treueverhältnisses zwischen Herr und Diener.⁷⁹⁵ Eindrückliche Beispiele dafür bieten Andreas Fromm und Joachim Kemnitz. Ersterer verdeutlicht, welche Sanktionierungen man zu befürchten hatte, wenn man nicht mehr als Teil der lutherischen Konfessionskultur wahrgenommen wurde, während Kemnitz als Warnung dafür stand, was jedem drohte, den der Kurfürst als Saboteur seiner Kirchenpolitik betrachtete. Die Maßnahmen ihres Herrn und die Erwartungen ihrer bedrückten Glaubensgenossen, die sich Unterstützung erhofften, umschlossen die Räte also in einer Zangenbewegung, aus der sie sich nur schwer lösen konnten.

5.2 Interkonfessionelles Vertrauen kommunizieren: Die höfische Bühne Mit der Absetzung des Konsistorialpräsidenten Joachim Kemnitz hatte Friedrich Wilhelm überaus deutlich gemacht, welche Verhaltenserwartung er an seine Räte in der Kirchenpolitik stellte: Sie hatten ihm treu zu dienen, selbst wenn der konfessionelle Status quo und damit die Stellung ihrer eigenen Religion angetastet wurde, was faktisch bedeutete, dass sie sich nicht für die FC und das Konkordienluthertum einsetzen durften. Dass dies für so manchen Lutheraner ein Problem darstellen konnte, hat das Beispiel Kemnitzens zur Genüge verdeutlicht.⁷⁹⁶ Da der Kurfürst getreu seiner konfessionsneutralen Selbstdarstellung auf

 Solche Konflikte werden auch in den politischen Traktaten und höfischen Ratgebern der Zeit berücksichtigt, wo die Treue zum Fürsten teils differenziert behandelt wird und von bedingungsloser Loyalität trotz moralischer und religiöser Bedenken abgeraten wird, vgl. Stolleis, Michael: Grundzüge der Beamtenethik (1550 – 1650). In: Ders.: Staaat und Staatsräson in der frühen Neuzeit: Studien zur Geschichte des öfentlichen Rechts. Frankfurt a. M. 1990, S. 197– 231, hier S. 225 f.  Vgl. Kapitel 4.1.4 u. 4.2.

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5 Strategien des lutherischen Hofmanns im märkischen Kirchenstreit

einen Konfessionseid⁷⁹⁷ und bis 1668 auch auf andere die Konfession betreffende Erklärungen für seine Hofbeamten verzichtete,⁷⁹⁸ konnte er somit nie ganz sicher sein, ob seine lutherischen Diener ihm auch treu ergeben waren. Dies betraf wohlgemerkt nur die Kirchenpolitik, d. h. nicht alle lutherischen Hofleute standen immer unter Generalverdacht, sondern nur die Konsistorial- und Geheimen Räte in kirchenpolitischen Kontexten. Auf der anderen Seite waren die lutherischen Räte klug beraten, keine Zweifel an ihrer religionspolitischen Loyalität aufkommen zu lassen, wollten sie keine Konsequenzen fürchten. Es musste ein Weg gefunden werden, sich gegenseitiger Treue bzw. Huld zu versichern, um ein funktionierendes Herr-Diener-Verhältnis zu gewährleisten. Man löste dieses Problem kommunikativ. Es wurde bereits angeschnitten, dass Friedrich Wilhelm bei interkonfessionellen Konfliktfällen seine lutherischen Räte gezielt einspannte, um seine Politik zu legitimieren.⁷⁹⁹ Gewissermaßen als Nebeneffekt konnte er so gleichzeitig die Haltung seiner Diener überprüfen. Schon als die Konsistorialräte 1658 über die Schmähpredigt des Berliner Predigers Johannes Heinzelmann urteilen sollten, wies Friedrich Wilhelm sie mehr oder minder subtil darauf hin, trotz ihrer Konfessionszugehörigkeit eine gewissenhafte Entscheidung zu treffen.⁸⁰⁰ Sehr viel deutlicher war er dann, als er die Kammergerichtsräte anwies, über Samuel Pomarius zu urteilen.⁸⁰¹ Indem den Räten bestimmte Entscheidungen nahegelegt wurden, gerieten sie bei Abweichungen automatisch in eine Rechtfertigungssituation und machten sich potentiell verdächtig, vom gleichen Schlage wie Kemnitz zu sein. Im Jahr 1660 etwa ließ der Kurfürst anlässlich einer Supplik gegen  Einen Überblick zum Konfessionseid im Alten Reich bietet Schreiner, Klaus: Iuramentum Religionis. Entstehung, Geschichte und Funktion des Konfessionseides der Staats- und Kirchendiener im Territorialstaat der frühen Neuzeit. In: Der Staat 24 (1985), S. 211– 246.  Dies änderte sich 1668 mit dem Beamtenrevers, vgl. Kapitel 7.  Vgl. etwa Kapitel 4.1.2.  Ebd. Zur Erinnerung wird das Schreiben Friedrich Wilhelms hier noch einmal wiederholt: „Wir haben euch keinen von unsrer Religion beij dieser comission adiungiren mögen, damit er [Heinzelmann] auch solches nicht etwann für eine persecution halte und ausgebe, versehen uns aber zu euch als unsren verpflichteten dienern, und die wahrheit liebenden personen, Ihr werdet gleich durchsehen, und uns eine pflichtmeßige schriftliche unterthanigste relation abstatten.“ GStA PK I.HA, Rep 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Beschuldigungen von Predigern 1652– 1659 (Fol. 55)“, Fol. 15 f.  Vgl. Kap. 4.2.3. Auch hier wird die Aussage des Kurfürsten noch einmal voll zitiert: „Und wie sie selbst bekennen müssen, daß Wir niemand umb der Religion willen das geringst [!] Ungleich erwiesen, sondern sie sich vielmehr aller Gnade und Beforderung zu rühmen haben, also wollen Wir auch zu ihnen die gnädigste Zuversicht tragen, sie würden nicht begehren, daß dieser Pomarius allsolche unverantwortliche Bezeigung darumb impune verübet haben soll, weil er der Lutherschen Relgion zugethan wäre.“ Meinardus: Protokolle 5, Nr. 529, Zitat S. 619.

5.2 Interkonfessionelles Vertrauen kommunizieren: Die höfische Bühne

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einen reformierten Prediger seine Geheimen Räte fragen, „ob man die Reformirte und Lutherische vor zween Religionen rechnen könnte“.⁸⁰² Da der Fundamentalkonsens zwischen beiden Konfessionen ein zentrales Element der reformierten Doktrin in Brandenburg war,⁸⁰³ gab es aus kurfürstlicher Perspektive eine eindeutig richtige und eine eindeutig falsche Antwort auf diese Frage, die Rückschlüsse auf die kirchenpolitische Loyalität der Geheimen Räte zuließ. Als 1665 die Berliner Geistlichen sich weigerten, die Predigerreverse zu unterschreiben, fragte Friedrich Wilhelm im Geheimen Rat, „ob sie nicht schuldig, sich gemäß zu halten oder aus dem Lande zu gehen?“⁸⁰⁴ Das eingeschobene „nicht“ in die Formulierung macht deutlich, dass es sich um eine Suggestivfrage handelte. Bevor geklärt wird, wie die Geheimen Räte auf die Fragen antworteten, soll zunächst bei der Kommunikation des Kurfürsten verblieben werden. Unabhängig davon, ob er mit solcherlei Schriften und Fragen gezielt die Treue seiner Räte überprüfen wollte oder nicht – der Effekt blieb derselbe und der Druck auf die Räte war real. Als Friedrich Wilhelm bspw. nach einem längeren Aufenthalt in Kleve im November 1666 wieder in Berlin eintraf, berichtete der hessische Gesandte Lincker, wie dies die lutherischen Räte belastete: „die hiesigen Lutherischen, und zwar die am Hofe sind so wohl alß alle andere, lassen sich einer […] Gemühts-bestürzung vermerken, weyll sie sich besorgen, S. Cuhrf. dl. wird in der drengung auff die Revers underschreibung fortfahren“.⁸⁰⁵ Dieser Bericht bestätigt die Feststellung von weiter oben, dass Friedrich Wilhelm ein großer Eigenanteil an der Kirchenpolitik zugesprochen werden muss, ohne dabei den Einfluss von Figuren wie dem Hofprediger Stosch kleinreden zu wollen.⁸⁰⁶ Wie Lincker nahelegt, war seine Anwesenheit dabei ein entscheidender Faktor. Wenn im Geheimen Rat kirchenpolitische Angelegenheiten besprochen wurden, so gaben sowohl die Gesprächssituation als auch das Thema bereits Hinweise, wie die Räte die Situation zu deuten bzw. zu rahmen hatten. Dass man diese auch übersehen konnte, wurde an Reinharts Ausbruch im Jahr 1659 veranschaulicht. War aber der Kurfürst anwesend und stellte solche Fragen wie die oben zitierten, so gab er der Situation eine Rahmung, die kaum mehr zu übersehen war. Wenn man davon ausgeht, dass Menschen sich in verschiedenen Situationen (unbewusst) laufend

 Meinardus: Protokolle 6, Nr. 131, S. 202.  Vgl. Kapitel 2.2.  Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 388, S. 261.  HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 332, Bericht vom 21.11./1.12.1666, Paraphrase bei Ribbeck: Lincker, S. 142 f.  Vgl. Kapitel 2.5.

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5 Strategien des lutherischen Hofmanns im märkischen Kirchenstreit

die Frage stellen „was geht hier eigentlich vor?“⁸⁰⁷, so gab Friedrich Wilhelm seinen Räten einen klaren Hinweis, was gerade vor sich ging und welches Verhalten von ihnen erwartet wurde.War er nicht vor Ort, was recht häufig vorkam,⁸⁰⁸ so konnte er doch durch entsprechende Fragen und Resolutionen über den Schriftverkehr eine textuelle Rahmung vorgeben. Oder anders ausgedrückt: Friedrich Wilhelm zeigte an, auf wessen Bühne seine Hofleute spielten, und zwar auf seiner. Sie hatten sich entsprechend zu verhalten. Und sie taten es. Analog zu den indirekten Aufforderungen ihres Herrn bekannten sie sich immer wieder dann klar zur kurfürstlichen religionspolitischen Linie, wenn sie mit einer konfessionell konfliktträchtigen Lage konfrontiert waren, die den Anlass dazu geben könnte, ihre Treue in Frage zu stellen. Sie kommunizierten ihre Loyalität und stifteten somit performativ ein funktionierendes Herr-Diener-Verhältnis. Diese Strategie konnte bereits im Konsistorium beobachtet werden, als Kemnitz, Reinhart und Seidel betont hatten, an konfessioneller Polemik im „geringsten kein gefallen [zu] tragen, sondern vielmehr die hiesigen Prediger zum öftern alles ernstes[!] davon abgemahnet“ hätten.⁸⁰⁹ Eine ähnliche Situation ergab sich, als im Jahr 1660 eine Untersuchung gegen den Stendaler Inspektor und Pastor Jakob Schilling eingeleitet wurde.⁸¹⁰ Dieser hatte 1659 die Schrift Brevis historia syncretissimi ex bello evangelico veröffentlicht, in der er die Reformierten teilweise scharf angriff.⁸¹¹ Das Zensurgebot für theologische Publikationen, das seit 1654 in Kraft war,⁸¹² war er umgangen, indem

 Goffman, Erving: Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen. Frankfurt a. M. 1977, S. 16.  Vgl. Ledebur: Aufenthalts-Nachweis, S. 4– 15 (Aufenthalte in Berlin-Cölln), S. 48 f. (Aufenthalte in Oranienburg), S. 50 – 55 (Aufenthalte in Potsdam). Völkel hebt besonders hervor, dass Friedrich Wilhelm gerade in der ersten Hälfte seiner Regierungszeit nur 12 Jahre in Berlin-Cölln weilte, während er sechs in Kleve und sieben Jahre in Königsberg verbrachte. Er zählt jedoch Aufenthalte in Potsdam und Oranienburg nicht mit, was m. E. getan werden sollte wegen der geringen geographischen Entfernung zur Residenzstadt vgl. Völkel: Margraves, S. 216.  GStA PK, I.HA Rep 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], „Beschuldigungen von Predigern 1652– 1659 (Fol. 55)“, Fol. 17v, vgl. Kapitel 4.3.  Vgl. zu Schilling und seinem Fall, der teilweise sehr spektakulär verlief, neben den weiteren Ausführungen Wotschke, Theodor: Der Konsessor Martin Schilling. In: Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte der Provinz Sachsen (ZVKGS) 22 (1926), S. 147– 150; Ders.: Zum synkretistischen Streite in Stendal. In: ZVKGS 15 (1919), S. 36 – 48; ferner Orlich: Geschichte des Preußischen Staates 2, S. 467 f.; Lackner: Kirchenpolitik, S. 124; Ruschke: Paul Gerhardt, S. 166 f.  Die Schrift trägt den vollen Titel „Brevis Historia Syncretismi ex Bello Evangelico, Oder Eine kleine Defension Wieder Den vermeinte Liebes Succurs So ankommen Wieder Der Person und der Sachen Feind.Wittenberg 1659.“ Sie befindet sich in: GStA PK, I. HA., Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659].  Vgl. Kapitel 2.3.

5.2 Interkonfessionelles Vertrauen kommunizieren: Die höfische Bühne

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er die Schrift in Wittenberg hatte drucken lassen. Das Konsistorium erreichte am 17. 2.1660 der kurfürstliche Befehl, ein Gutachten über Schilling zu erstellen. Die Räte sollten nicht nur entscheiden, wie mit ihm zu verfahren sei, sondern wurden auch explizit darum gebeten, zu erklären, was man wohl in einem lutherischen Territorium mit einem reformierten Prediger tun würde, der so handele.⁸¹³ Auch hier also setzte der Kurfürst mit diesem Querverweis von vorneherein einen bestimmten Rahmen. Die lutherischen Konsistorialräte Johann Georg Reinhart, Martin Friedrich Seidel und Andreas Fromm verfassten am 20. Februar ihr Gutachten.⁸¹⁴ Darin gaben sie sich überaus viel Mühe zu verdeutlichen, auf welcher Seite sie stehen – und zwar auf der richtigen, der des Kurfürsten: Wir können nicht umbhin und gestehen gerne, obgleich zu denne also genannten Lutherischen Kirchen wir uns selbsten als Glieder bekennen, daß dergleichen unbefugte und ärgerliche Dinge uns und Zubehörigen nicht alleine abscheulich, sondern auch der Lehre, so wir unterrichtet worden, ganz zuwider seind. So muegen wir auch die Ursachen nicht Absehen und begreifen, warumb dann die Lehre, welche in EChD. Reformirten Kirchen allhier geprediget und geübet wird, ein teufflischer Name gegeben oder dero Bekennern, welche durch Christi Verdienst, gleich wie wir, die Seligkeit zu erhalten gedenken, gefluchet und wider sie gebetet werden soll; erachten derowegen, weil vermöge Göttliches Worts alle Christen (worunter dann die also genannte Reformirte Gemeinen in alle Wege mit gehörig seind) unter sich ein stilles, erbauliches und Gotte wohlgefälliges Leben zu führen angewiesen werden, es habe M. Schilling mit seinem ausgelassenen scripto solchen Befehl außer Augen gesetzet und könne dahero […] solch Verbrechen wohl exemplariter bestrafet und animadvertiret werden.⁸¹⁵

Die Räte distanzieren sich also von einem polemisch verstandenen Konkordienluthertum und beweisen beiläufig ihre Kenntnis der offiziellen reformierten Doktrin in Brandenburg, wenn sie konfessionelle Gemeinsamkeiten im Vertrauen auf Christi Verdienst hervorheben. Die ganze Passage ist somit vor allem eine Loyalitätserklärung sowie eine Stellungname, dass die drei Räte in ihren religiösen Überzeugungen eine binnenkonfessionelle Strömung des Luthertums vertreten, die für den Kurfürsten akzeptabel ist. Der Eindruck einer konfessionell begründeten Parteilichkeit sollte unter allen Umständen vermieden werden,

 SBB-PK Ms. Boruss. fol. 54, Fol. 202. Der Sammelband, in dem sich der Befehl in Abschrift befindet, stammt aus dem Besitz Martin Friedrich Seidels, vgl. Bolte: Seidel, S. 11, Anm. 5, S. 12, Anm. 4, S. 31, Nr. 116.  Ob Friedrich Wilhelm wollte, dass nur Lutheraner den Fall bearbeiten oder ob diese sich automatisch in die Pflicht genommen fühlten, geht aus dem kurfürstlichen Befehl nicht hervor, der nur allgemein an das Konsistorium gerichtet ist.  Meinardus: Protokolle 6, Nr. 49, Zitat S. 77. Sie raten weiter dazu, Schilling zumindest anzuhören, bevor er bestraft wird.

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wollte man nicht wie Kemnitz enden. Deshalb schreiben die Räte, wie „abscheulich“ sie Schillings Verhalten finden, wie ähnlich sich Reformierte und Lutheraner in manchen Aspekten sind und wie richtig die Bestrafung eines solchen Verbrechens ist. Und indem sie all dies kommunizieren, zeigen sie, dass sie gute Räte sind. Dies war vor allem für Seidel und Reinhart wichtig, da Fromms Position zu diesem Zeitpunkt über jeden Zweifel erhaben war, während sie durch ihre Unterstützung für Joachim Kemnitz und ihrem Umgang mit orthodox-lutherischen Predigern potentiell verdächtig waren.⁸¹⁶ Auch der Geheime Rat wurde um ein Gutachten zu Schilling gebeten – und zwar nur die lutherischen Räte. Hier wird wieder die kurfürstliche konfessionspolitische Legitimationsstrategie sichtbar. Johann Friedrich von Löben, Claus Ernst von Platen und Raban von Canstein bewerteten den Fall. Ihr Gutachten eröffneten sie mit einer erstaunlichen Erklärung. Hier heißt es: Nun gereichet EChD. zufoderst zu einem unsterblichen Ruhm, das EChD. […] nie anders sich erwiesen, als daß EChD. Dero Unterthanen und Diener, ob sie schon der Lutherischen Religion beigethan, alle Gnade erzeiget, wie nicht weniger denen in Dero Landen befindlichen Lutherischen Kirchen allen Schutz widerfahren lassen und darnebenst in- und außerhalb des Reiches zu Dero unsterblichen Ruhm vor die Conservation des Evangelischen Wesens mehr als viel andere gethan. Solche gnädige Bezeigung wird auch von allen Lutherischen hochgeschätzet und mit aller unterthänigster Danckbarkeit erkennet, halten auch gewiß davor, daß kein vernünftiger Lutheraner gut heißen wird, EChD. gütiges Gemüthe mit solchen Anzüglichkeiten, die von vielen Predigern unziemlich gebrauchet werden, zu verbittern und zu irritiren. Denn obzwar wir nicht dafür halten, das die zwischen denen Reformirten und Lutherischen Kirchen sich haltende Streitigkeiten in bloßen Differentien der Worte bestehen oder […] daß […] gleich zu achten, was Meinung in denenselben geführet werden: sondern wir hierinnen dieser Meinung verbleiben, daß ein jeder in conscientia verbunden, durch Gottes Gnade dahin sich zu bemühen, damit er in diesen Streitigkeiten dir rechte und der heiligen Schrift am ähnlichsten und gleichförmigste Meinung erlangen möge nicht aber sich vorrede, es gelte gleich, was er hierinnen statuire, sonderlich so er einiges Widersprechen oder Zweifel seines Gewissens findet und doch das Widrige thut: und dahero halten wir dafür, daß sovielmehr die Geistliche schuldig seind, die Meinung, so sie hierinnen dem göttlichen Wort gemäß und in dero Kirchen, darzu sie sich bekennen, hergebracht zu sein befinden, dero Zuhörern mit Zeigung dero Gründe, so solche Lehre in dem Wort Gottes hat, beizubringen, auch was dargegen eingewandt werden kann, abzuleiten.⁸¹⁷

Es wird hinzugefügt, dass man die konfessionellen Unterschiede selbstverständlich mit der angemessenen Moderation behandeln müsse. All dies habe Schilling nicht getan und darüber hinaus jeden Respekt gegenüber der Obrigkeit

 Vgl. Kapitel 4.2.  Meinardus: Protokolle 6, Nr. 40, Zitat S. 62 f.

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vermissen lassen.⁸¹⁸ Es ist recht klar ersichtlich, dass es hier nicht nur relevant ist, was für ein Urteil die Räte über Schilling fällen, sondern auch die Art und Weise, wie sie es tun. Sie schalten ihrem Urteil ein doppeltes Statement vor: Im ersten Abschnitt positionieren sie sich positiv zum Kurfürsten und markieren sich konfessionspolitisch eindeutig, indem sie ihre Dankbarkeit aller Lutheraner gegenüber dem Kurfürsten hervorheben. Im zweiten Abschnitt wiederum positionieren sie sich zu theologischen Differenzen. Denn ein friedliches konfessionelles Zusammenleben sei nicht gleichzusetzen mit einer konfessionellen Gleichgültigkeit, was man als Positionierung gegen einen Fundamentalkonsens und synkretistische Tendenzen verstehen darf. Vielmehr seien die Unterschiede relevant und dürften auch thematisiert werden – solange dies moderat geschehe. Man kann geradezu mit Händen greifen, wie hier das interkonfessionelle Verhältnis zum Kurfürsten abgesteckt wird: Die Hofleute demonstrieren ihre konfessionspolitische Loyalität, ohne ihre konfessionelle Zugehörigkeit oder die innerprotestantischen Grenzen zu relativieren. Der Dank für die gewährte Glaubensfreiheit und die Distanzierung von konfessioneller Polemik stehen gleichberechtigt neben dem Verweis auf konfessionelle Unterschiede, die nicht zu relativieren sind und die man thematisieren dürfen muss. In keinem anderen Beispiel stellten die Räte neben ihrer Loyalität auch ihre konfessionelle Zugehörigkeit so deutlich in den Vordergrund. Diese Praxis lässt sich nicht nur in schriftlichen Gutachten nachweisen, sondern auch in der mündlichen Kommunikation im Geheimen Rat. Dies führt zurück zu der kurfürstlichen Frage, ob das Luther- und das Reformiertentum zwei verschiedene Religionen seien. Als Friedrich Wilhelm diese Frage im Oktober 1660 stellte, haben – so das Protokoll der Ratssitzung – die hh. Räthe beiderlei Confessionen insgesamt unanimiter sustiniret, daß es nicht zwo Religionen, sondern nur eine und daß es nur opiniones, worinnen man discrepirte, wären. Und weil sie in fundamentis fidei einig wären, könnte auch eine die andere nicht verdammen, welches dann SChD. gleichfalls approbiret.⁸¹⁹

Dass Friedrich Wilhelm seinen Räten zustimmte, ist keine Überraschung. Diese Erklärung war sogar so wichtig für ihn, dass er alle, die in der Sitzung nicht anwesend gewesen waren, am nächsten Tag fragte, ob sie ihr zustimmten. Auch sie taten es. Konkret waren dies (beide Tage zusammengenommen) Johann Georg II. von Anhalt-Dessau, Christian Albrecht zu Dohna, Otto von Schwerin, Lorenz Christoph von Somnitz, Johann von Tornow und Friedrich von Jena auf re Ebd, S. 63 f.  Meinardus: Protokolle 6, Nr. 131, S. 202.

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formierter Seite sowie Claus Ernst von Platen, Adam Georg von Putlitz, Johann Friedrich von Löben, Ewald von Kleist und Raban von Canstein auf lutherischer Seite. Somit hatten sich alle bedeutenden, regelmäßig an den Sitzungen am Berlin-Cöllner Hof teilnehmenden Geheimräte jener Zeit der Erklärung angeschlossen.⁸²⁰ Diese besondere Befragung wird angesichts ihrer Bedeutung für den Kurfürsten sowie der – zumindest laut Protokoll – einhelligen Erklärung aller relevanten Räte geradezu zum Äquivalent eines Konfessionseides. Wie schwerwiegend dieser Eid-Ersatz war, ist nicht zu unterschätzen – die Idee eines Fundamentalkonsenses zwischen den evangelischen Konfessionen war zwar nicht neu, aber sie war alles andere als eine Mehrheitsposition. Selbst in den Augen mancher gemäßigter Lutheraner machten sich die Räte damit eigentlich zu Synkretisten.⁸²¹ Interessant ist auch der Vergleich mit dem Urteil der lutherischen Räte zu Schilling, die sie ungefähr sieben Monate zuvor abgegeben hatten. Das Bekenntnis zum Fundamentalkonsens steht in einem klaren Spannungsverhältnis zu ihrer Betonung konfessioneller Unterschiede einige Monate zuvor. Zwar bedeutete das Konzept des Glaubensfundaments nicht zwingend, alle Lehrunterschiede zu nivellieren (nur die heilsrelevanten), d. h. die Erklärung der Räte zu Schilling und ihr Schwur im Geheimen Rat waren nicht prinzipiell unvereinbar. Aber ganz eindeutig wurden sie nun weg von einer rein weltlich verstandenen Verträglichkeit hin zu einem geistlichen Kirchenfrieden gedrängt.⁸²² Daraus lässt sich womöglich erklären, warum sich ein Urteil wie jenes zu Schilling in einer solchen konfessionellen Positionierung nicht wiederholte. Es bleibt noch Friedrich Wilhelms Suggestivfrage aus dem Jahr 1665, ob die Prediger nicht schuldig seien, den Revers zu unterschreiben oder aus dem Lande zu gehen. Anwesend waren in dieser Sitzung am 11. April 1665 Christian Albrecht zu Dohna,⁸²³ Otto von Schwerin und Johann Köppen⁸²⁴ auf reformierter sowie Johann Friedrich von Löben und Raban von Canstein auf lutherischer Seite.⁸²⁵ Sie stimmten alle konfessionsübergreifend Friedrich Wilhelm zu. Eine andere Antwort hätte der Kurfürst wohl kaum geduldet, und selbst wenn doch, so hätten die  Vgl. die Liste aller Wirklichen Geheimen Räte bei Bahl: Hof, S. 408 – 410. Jene damals bestallten Geheimen Räte, die nicht anwesend waren (Sparr, Hoverbeck, Weimann, Dobrzenski von Dobrzenice, Derfflinger, Bonin und Portmann), tauchen in den Ratsprotokollen grundsätzlich nie bis selten auf (wie etwa Bonin), waren nachweislich dauerhaft an anderen Orten eingesetzt (wie etwa Portmann in Kleve) oder mit anderen Aufgaben betraut (wie etwa Sparr als Generalfeldmarschall).  Vgl. Kapitel 2.2.  Vgl. zu diesem Bedeutungsunterschied Kapitel 2.5.  Vgl. zu Dohna Bahl: Hof, S. 463 f.  Vgl. zu Köppen ebd., 521 f.  Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 388, S. 261.

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Räte nichts damit bewirkt, außer sich selbst verdächtig zu machen. Es gab für sie keine sinnvollen Handlungsoptionen. Stattdessen nutzte Löben die Situation sogar, um sich als guter Fürstendiener ins rechte Licht zu rücken, indem er hervorhob, dass er die Berliner Prediger oft ermahnt hätte, sich gemäßigter zu verhalten.⁸²⁶ Wie schon in den Ausführungen zu Fromm angeschnitten worden ist, wurde dem Lizenziaten Elias Sigismund Reinhart – Diakon an der Nikolaikirche in Berlin – 1664 vorgeworfen, den Hofbibliothekar Vorstius und den Diakon der Petrikirche Buntebart als Synkretisten beschimpft zu haben.⁸²⁷ Reinhart war dem Kurfürsten und vor allem dem Oberpräsidenten Otto von Schwerin seit dem Religionsgespräch ein Dorn im Auge.⁸²⁸ Es sprachen sich bei einer Sitzung denn auch alle Geheimen Räte dafür aus, ihm einen Verweis zu geben. Der Oberhofmarschall Raban von Canstein sah sich genötigt, zusätzlich zu betonen, dass er ja Reinhart oft zu mehr Moderation geraten habe.⁸²⁹ Mit diesen auf den ersten Blick unspektakulären Aussagen konnte man als lutherischer Rat zeigen, dass man die Politik nicht nur unterstützte, sondern sich auch aktiv für den Kirchenfrieden einsetzte durch freundschaftliche Ermahnungen an die Glaubensgenossen. Friedrich Wilhelm leitete die Angelegenheit dennoch an das Konsistorium weiter, damit „niemand anlas haben möge, es dahin zu deuten, als hetten wir uns hirmitte zu schleunig verfahren“. Deshalb sollten die Konsistorialräte bedenken, „welche gestalt dieses am vorgedachten Reinhart zu bestraffen sey.“⁸³⁰ Auch wenn er dieses Mal nicht nur Lutheraner auswählte, erinnert die Strategie doch sehr an die bekannten Legitimationsmuster.⁸³¹ Angesichts der kirchlichen Unruhen wollte der Kurfürst wohl auf keinen Fall als Zelot erscheinen und griff deshalb zur Legitimation und Deeskalation auf das Konsistorium zurück. Der Hofprediger Stosch, der (pro-reformierte) Lutheraner Andreas Fromm, der reformierte Gottfried Schardius sowie der Lutheraner Martin Friedrich Seidel gaben jeweils Separatvoten ab. Fromms Urteil wurde bereits an anderer Stelle angesprochen,⁸³² Stosch und Schardius forderten ebenfalls relativ harte Urteile und rieten dazu, Reinhart einen Revers unterzeichnen zu lassen.⁸³³ Seidel hingegen gab ein sehr

 Ebd.  U. a. soll er über Vorstius und Buntebart gesagt haben, „daß der Teufel ja den einen Synkretisten balde holen würde.“ Ebd., Nr. 281, S. 199 – 201, Zitat S. 200; vgl. auch Kapitel 4.4.2.  Vgl. Kapitel 6.1.2.  Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 281, S. 200.  GStA PK, I. HA, Rep 47, Tit. 19 [Ma 142; 1660 – 1670], „[unbetitelt]“, Fol. 3.  Vgl. etwa den Fall Heinzelmann in Kapitel 4.1.2.  Vgl. Kapitel 4.4.2.  GStA PK, I. HA, Rep 47, Tit. 19 [Ma 142; 1660 – 1670], „[unbetitelt]“, Fol. 4– 6

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mildes Urteil in einer überraschend ausufernden Erklärung ab.⁸³⁴ Der Kurfürst solle Reinhart lediglich ermahnen, in Zukunft alle Beschimpfungen zu unterlassen. Unabhängig davon wünsche er seinem Herrn, den er „als unser markischer Theodosius in Religionis et Justitia“ grüße, dass es ihm gelinge, „christliche temperi“ einzuführen, worum er Gott anflehe.⁸³⁵ Auch hier findet sich wieder eine konfessionspolitische Markierung eines lutherischen Rates, da Theodosius I., mit dem er seinen Herrn hier vergleicht, wegen seiner Religionspolitik und dem ersten Konzil von Konstantinopel bekannt ist.⁸³⁶ Seidel offenbart in seinem Gutachten aber eine weitere Dimension in der Kommunikation zwischen lutherischen Hofbeamten und Friedrich Wilhelm. Bevor Seidel nämlich überhaupt sein Urteil formuliert, erklärt er mit Verweis auf Joh 7,51, wonach niemand verurteilt werden soll, bevor er verhört wird, dass es ihm schwer falle, den Fall zu bewerten, ohne den Beschuldigten oder den Denunzianten ausführlich zu befragen. Daraufhin erklärt er, wie „in den Lutherischen und Reformirten kirchen zweierleij Theologi sich finden, darin etliche, von der andern parteij, mitius, etliche rigerosius judiciren, und keines dem andern bishero nachgeben wollen.“⁸³⁷ In den Niederlanden hätte man dieses Problem lange durch die Veröffentlichung von Plakaten gelöst mit der Anweisung, dass alle sich trotz ihrer Uneinigkeit „toleriren, und uber solchen ihre meinungen den göttlichen anschlag an jenen tage erwarten solten“.⁸³⁸ Diese Erduldung bis zum finalen göttlichen Urteil habe grundsätzlich sehr gut funktioniert, bis zur Dordrechter Synode,⁸³⁹ die im Endeffekt nur mehr Unfrieden gestiftet habe. Daraus würden vornehme Gelehrte schließen, dass man theologische Kontroversen dulden solle, solange sie keinen Aufstand nach sich zögen.⁸⁴⁰ Erst hierauf folgt das Urteil über Reinhart. Was Seidel über die Effekte der Dordrechter Synode schreibt, erinnert auffällig an die Streitigkeiten, die Friedrich Wilhelms religionspolitische Maßnahmen per Toleranzedikt und Revers nach sich zogen. Der Konsistorialrat wirkt sichtlich bemüht, der Kirchenpolitik seines Herrn im Allgemeinen und der Beurteilung Reinharts im Besonderen die Schärfe zu nehmen. So wie die Räte im Fall Schilling 1660 ihr Bekenntnis zum Kurfürsten mit einem Bekenntnis zum konfessionellen Unterschied verknüpften, koppelt Seidel hier sein Lob des ‚märki-

 Ebd., Fol. 7– 10.  Ebd., Fol. 10r.  Vgl. Groß-Albenhausen, Kirsten u. Tinnefeld, Franz: Theodosius. In: Der Neue Pauly Online. Hrsg. von Hubert Cancik u. a. http://dx.doi.org/10.1163/1574– 9347_dnp_e1208560 (11.7. 2016).  GStA PK, I. HA, Rep 47, Tit. 19 [Ma 142; 1660 – 1670], „[unbetitelt]“, Fol. 7v – 8r.  Ebd., Fol. 8r.  Vgl. zur Dordrechter Synode Kapitel 2.2.  GStA PK, I. HA, Rep 47, Tit. 19 [Ma 142; 1660 – 1670], „[unbetitelt]“, Fol. 8 f.

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schen Theodosius‘ an einen Beschwichtigungsversuch und eine Warnung vor legislativen Eingriffen in den konfessionellen Status quo. Mit diesem Versuch steht Seidel indes nicht alleine. Schon als der Berliner Diakon Johannes Heinzelmann die Reformierten von der Kanzel verdammt hatte, hatten Seidel und seine Kollegen Kemnitz und Reinhart beschwichtigt mit dem Verweis darauf, dass er erst seit Kurzem im Amt sei.⁸⁴¹ Heinzelmann wurde übrigens am Ende tatsächlich lediglich ermahnt, sich künftig zurückzuhalten.⁸⁴² Einige Jahre später, 1667, lässt sich ähnliches beobachten, als die Kammergerichtsräte (nicht das Konsistorium) eine Beurteilung zu David Gigas abgeben sollten, jenem Prediger, der unter Vorwand ins Schloss geladen und dort festgenommen worden war.⁸⁴³ Da man sich nicht einigen konnte, wurden separate schriftliche Gutachten eingereicht.⁸⁴⁴ Während der reformierte Philipp Wamboldt von Umbstadt und Peter Koch⁸⁴⁵ zum Exil rieten, empfahlen die Lutheraner Johann Georg Reinhart und Gabriel Luther einen Freispruch,⁸⁴⁶ wobei Reinhart den Kurfürsten gar an seine irenische Selbstdarstellung erinnerte, wonach er ja immer das Gewissen seiner Untertanen habe respektieren wollen.⁸⁴⁷ Bekanntlich erreichten sie nichts und Gigas kam in Festungshaft und wurde später ins Exil geschickt. Auch wenn die Räte nicht immer erfolgreich waren, zeigen diese Beispiele, dass sie durch ihre Rolle als Fürstendiener nicht auf einen antilutherischen Kurs festgelegt waren. Vielmehr besaßen sie gewisse Handlungsspielräume, um die Kirchenpolitik abzumildern oder sogar – wie Martin Friedrich Seidel – die kurfürstlichen Maßnahmen grundsätzlich in Frage zu stellen. Und sie nutzten sie auch. Dies funktionierte jedoch nur dann, wenn es keine Zweifel an ihrer Treue, ihrer Gewissenhaftigkeit und ihrer eigenen gemäßigten religiösen Position gab. Deshalb mischte Seidel seiner riskanten Kritik ein überschwängliches Herrscherlob bei – auf keinen Fall durfte er als ‚Kryptowittenberger‘ erscheinen, wollte er mit seinem Ratschlag erfolgreich sein und seine Stellung behalten.

 Vgl. Kapitel 4.1.4.  GSta PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 141; 1614– 1659], Fol. 19.  Vgl. zu Gigas Kapitel 5.1.  GStA PK, I. HA Rep. 47, Tit. 19 [Ma 142; 1660 – 1670], „[eigene Mappe zum Fall Gigas]“, die Akten zum Verhör Gigas’ sind leider unfoliert. Die folgenden Ausführungen beziehen sich sämtlich auf diese Akten  Kochs Konfession ist leider nicht eindeutig zu ermitteln, vgl. Bahl: Hof, S. 521.  Sie argumentierten, Gigas Angriffe gegen die Reformierten seien nicht allzu hart gewesen und täten ihm Leid, die Revokation des Reverses sei nur wegen der Furcht vor der Zustimmung zu einem Fundamentalkonsens erfolgt und zuletzt sei es Gigas nie explizit verboten worden, Details des Verhörs nach außen zu tragen.  Damit folgte er gängigen Argumentationsmustern bei interkonfessionellen Konfliktfällen in Brandenburg-Preußen, vgl. Leibetseder: Alltag, S. 233 – 238.

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Bis zu diesem Punkt lässt sich zur Bedeutung der Kirchenpolitik für die verantwortlichen Hofbeamten somit Folgendes festhalten: In Zeiten interkonfessioneller Spannungen wurde das Herr-Diener-Verhältnis immer dann durch Kommunikation situativ stabilisiert, wenn die Akteure Konfliktpotential wahrnahmen. Man könnte von einem improvisierten Religionsfrieden sprechen. Die Beteuerungen der Räte ergänzten dabei die Selbstdarstellung des Kurfürsten, der sich, wie schon erwähnt, als irenischer Herrscher inszenierte, der seinen Untertanen die Gewissensfreiheit garantiere.⁸⁴⁸ Hinter der konfessionellen Legitimationsfassade des Hofes eröffnet sich damit eine Bühne, auf der die Hofbeamten ihre Rolle als loyale Diener gekonnt in Szene setzten.

5.3 Vermitteln, Beeinflussen, Fernbleiben: Die lutherische Bühne Die Kommunikation mit Friedrich Wilhelm war jedoch nur ein Aspekt der kirchenpolitischen Herausforderungen der Räte. Um ein mehrdimensionales Bild davon zu erhalten, wie sie mit dem Rollenkonflikt umgingen, der ihnen in den obigen Ausführungen unterstellt wurde, muss ihr Verhalten in anderen Zusammenhängen und abseits des Hofes in den Blick genommen werden, also dort, wo sie nicht mit dem Kurfürsten oder den Agenten seiner Kirchenpolitik (etwa dem Hofprediger Stosch) kommunizierten. Es geht somit um die Kommunikation in anderen Kontexten, die man in Anlehnung an Erving Goffman als Nebenbühnen des Hofes bezeichnen könnte.⁸⁴⁹ Alle Hofleute waren täglich in eine Vielzahl von Interaktionskontexten eingebunden, die wiederum mit einer Plura-

 Vgl. Kapitel 2.4.  Vgl. Goffman: Theater, S. 104– 112. Goffman spricht von Hinterbühnen als Rückzugsorten, in denen sich Personen unbeobachtet fühlen und ‚zwanglos‘ geben können, sich der situativen Rollenerwartung der Vorderbühne entziehen und Auftritte auf der Vorderbühne vorbereiten können. Als Beispiele könnte man etwa eine Küche im Verhältnis zu einem Restaurant nennen oder aber den Esstisch, an dem sich Raban von Canstein und Friedrich von Jena über die Kirchenpolitik beschwerten (vgl. Kapitel 5.3.2.2) im Verhältnis zur Geheimen Ratsstube. In diesem Fall wird neutraler von einer lutherischen Bühne gesprochen, um klar zu machen, dass die städtischen lutherischen Kreise nicht an den Hof gebunden waren (und damit keine Hinterbühne im engeren Sinne zur Kommunikation mit Friedrich Wilhelm bilden konnten) und die lutherischen Räte gegenüber den Predigern auch Verhaltenserwartungen zu erfüllen hatten und eine Rolle ausfüllten. Später wird hingegen von einer reformierten Hinterbühne die Rede sein, weil diese nur höfische Kreise umfasste und eher als ‚zwanglos‘ betrachtet werden kann (wobei Menschen natürlich immer irgendeine Rolle einnehmen).

5.3 Vermitteln, Beeinflussen, Fernbleiben: Die lutherische Bühne

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lität von Gruppenzugehörigkeiten zusammenhingen.⁸⁵⁰ Deshalb ist es nicht möglich, alle Räte auf allen Nebenbühnen zu untersuchen, zumal die Quellenlage zu den Hofleuten hierfür nicht dicht genug ist. Aus diesem Grund wird der Fokus hinsichtlich der untersuchten Akteure und ihrer Interaktionskontexte verengt. Konkret werden zwei lutherische, mit der Kirchenpolitik betraute Räte ausgewählt, die vergleichsweise gut dokumentiert sind: der Konsistorialrat Martin Friedrich Seidel und der Oberhofmarschall und Geheime Rat Raban von Canstein. Sie vertreten sowohl den adligen als auch den bürgerlichen Teil der Hofbeamten sowie die beiden kirchenpolitisch relevanten Institutionen, sodass ihre Situation und etwaige damit verbundene Konflikte während des märkischen Kirchenstreits auf andere lutherische Räte übertragbar sind, die in der Religionspolitik tätig waren. Seidel und Canstein werden also in repräsentativen Einzelstudien beleuchtet. Die Perspektive dieser Studien ist wiederum auf die Interaktion mit klarem konfessionellem Bezug konzentriert, d. h. die Quellen zu den sozialen Beziehungen der Räte, ihr Verhalten usw. werden nur in ihrer konfessionellen Dimension berücksichtigt. Die folgenden Studien zu Seidel und Canstein sind zweigeteilt: Zuerst wird vom jeweiligen Rat ein konfessionelles Profil erstellt, um seine religiösen Überzeugungen sowie deren Einfluss auf seine Netzwerke und Interaktion zu skizzieren. Ausgehend von diesem Profil wird dann das konkrete Verhalten im Verlauf des märkischen Kirchenstreits untersucht, um daraus allgemeine Verhaltensstrategien des lutherischen Hofmanns zu abstrahieren. Zu diesem Zwecke werden ergänzend weitere Räte und ihr Verhalten als Belege herangezogen.

5.3.1 Martin Friedrich Seidel und das Konsistorium 5.3.1.1 Martin Friedrich Seidel – ein konfessionelles Profil Martin Friedrich Seidel hatte insbesondere im Zusammenhang mit Andreas Fromm schon den ein oder anderen Auftritt und wurde gemeinsam mit seinen Kollegen im Konsistorium bereits kurz vorgestellt.⁸⁵¹ So ist etwa bekannt, dass er einen Geheimen Rat zum Vater hatte und mit dem verstorbenen Vizekanzler Kohl sowie Joachim Kemnitz verschwägert war.⁸⁵² Da Seidel jedoch, im Gegensatz zu vielen anderen Berliner Hofleuten, der Nachwelt zahlreiche Manuskripte hin-

 Wie in Kapitel 3.4.2 dargelegt wurde, war dies einer der Gründe für die relativ gut funktionierende Umgangsökumene bei Hofe.  Vgl. Kapitel 4.  Vgl. Kapitel 4.1.3.

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terlassen hat,⁸⁵³ bietet er sich für die Erstellung eines konfessionellen Profils an. Auch wenn Seidel bestimmt eine eigene kleine Biographie verdient hätte,⁸⁵⁴ liegt der Fokus im Folgenden auf konfessionellen Aspekten. Wie bereits erwähnt war Seidel in Berlin verwurzelt – noch mehr über seine Mutter Magdalena als den Vater, die als geborene Pasche einer alteingesessenen Berliner Familie angehörte und Tochter eines Bürgermeisters Berlins war.⁸⁵⁵ Obwohl er dadurch ganz selbstverständlich lutherisch geprägt war, besuchte er das reformierte Joachimsthalsche Gymnasium,⁸⁵⁶ was damals für Lutheraner eher unüblich war – aus Kriegsgründen verließ er das Gymnasium bereits wieder nach einem Jahr.⁸⁵⁷ Dennoch prägte ihn der damalige Rektor Samuel Dresemius und unterrichtete Seidel auch noch nach dessen Zeit in Joachimsthal.⁸⁵⁸ In einem Sammelband, den Seidel Henning Witte⁸⁵⁹ zur Abfassung einer Lebensbeschreibung überlassen wollte,⁸⁶⁰ schildert er, dass Dresemius ihn „oft persuadiren wollen, die Reformirte

 Ein Verzeichnis der Werke Seidels befindet sich bei Bolte: Seidel, S. 23 – 32; Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 412– 421; ferner Küster: Seidel, S. 81– 89; zum Schicksal des Seidelschen Nachlasses vgl. ebd., S. 88 f.  Siehe dafür Bolte: Seidel, S. 5 – 22; Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 409 – 421; Küster: Seidel, S. 29 – 40; vgl. auch Bahl, Hof, S. 588 – 590. Seidel ist heute vor allem als Geschichtsschreiber bekannt, insbesondere für seine Bildersammlung zu berühmten märkischen Persönlichkeiten, die jedoch erst lange nach seinem Tod von Küster herausgegeben wurde: Küster, Georg Gottfried (Hrsg.): Martin Friedrich Seidels Bildersammlung, in welcher hundert gröstentheils in der Mark Brandenburg gebohrne, allerseits aber um dieselbe wohlverdiente Männer vorgestellet werden […] Berlin 1751.  Vgl. Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 409. Zur Familie Pasche vgl. Schmitz: Ratsbürgerschaft, S. 65 – 69 u. S. 320, Verwandtschaftstafel 6.  Vgl. Bolte: Seidel, S. 7; vgl. zum Joachimsthalschen Gymnasium Winter, Agnes: Das Gelehrtenschulwesen der Residenzstadt Berlin in der Zeit von Konfessionalisierung, Pietismus und Frühaufklärung (1574– 1740). Berlin 2008 (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 34), S. 121– 150.  Im Jahr 1632, dem Jahr, in dem Seidel in das Gymnasium aufgenommen wurde, besaß es insgesamt nur 38 Schüler, ebd., S. 126 mit Fußnote 155. Erst ab dem späten 17. Jahrhundert stieg die Zahl lutherischer Schüler an dem Gymnasium an, ebd., S. 249 f. Leibetseder zählt bei einem Ehrenhandel im Jahr 1684 zwischen dem lutherischen Cöllner Gymnasium zum Grauen Kloster und dem Joachimsthalschen Gymnasium insgesamt fünf Lutheraner auf der Joachimsthalschen Seite – und damit doppelt so viele wie Reformierte! Vgl. Leibetseder: „Callvinische Füchse und Hunde“, S. 141– 143.  Seidel kehrte später nach Berlin zurück und besuchte das Gymnasium zum Grauen Kloster, vgl. Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 409.Vgl. zu Dresenius, über den sich sonst nur wenige Informationen finden, Küster: Bildersammlung, S. 173 f.; Winter: Gelehrtenschulwesen, S. 447.  Vgl. zu Witte Buchholtz, Arend: Witte, Henning. In: ADB 43 (1898), S. 592 f.  Der Band befindet sich heute in der Staatsbibliothek zu Berlin, SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 200.

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Religion, die Er kurz vor seinem tohde erwehlet, mit anzunehmen.“⁸⁶¹ Seidel hatte zwar nach eigener Aussage große Sympathien für Dresemius, ließ sich aber nicht zur Konversion überreden. Auch der reformierte Theologe Christoph Pelargus wird von Seidel lobend erwähnt.⁸⁶² Weitere konfessionsübergreifende Kontakte knüpfte Seidel auf seinen Studienreisen, von denen Athanasius Kircher⁸⁶³ gewiss der Prominenteste war.⁸⁶⁴ Diesen interkonfessionellen Beziehungen zu Gelehrten stehen Quellen gegenüber, die Seidel als überzeugten Lutheraner zeichnen.⁸⁶⁵ Genau in diesem Spannungsfeld beschrieb ihn auch der Gelehrte Charles Patin⁸⁶⁶ in seinen Relations Historique, in denen er Seidel als einen der „plus honêtte hommes du monde“ preist und ihre gemeinsame Freundschaft hervorhebt, obwohl Seidel Lutheraner sei, und zwar ein eifriger.⁸⁶⁷ Wie eifrig, demonstrieren einige Schriften aus Seidels Nachlass, dessen umfangreichen privaten historiographischen Sammlungen und Aufzeichnungen auch einige Kuriositäten enthalten. Ein besonderes Kleinod ist etwa ein Verzeichniß derer Biere in der Chur-Marck und NeuMarck brandenburg samt ihrer meist sehr derben Bezeichnungen.⁸⁶⁸ Doch von

 Ebd., Fol. 15r.  Ebd., Fol. 39v. Vgl. zu Pelargus Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Mark Brandenburg, S. 480 – 554.  Vgl. zu Kircher u. a. Krafft, Fritz: „Kircher, Athanasius“. In: NDB 11 (1977), S. 641– 645, https:// www.deutsche-biographie.de/pnd118562347.html (3. 3. 2018).  Vgl. zu Seidels Reisen Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 410; Bolte: Seidel, S. 7 f.; Küster: Seidel, S. 29 – 37.  Die Verbindung interkonfessioneller Kontakte mit einem gleichzeitig ausgeprägten Konfessionsbewusstsein war auch für Gelehrte typisch, vgl. zum interkonfessionellen Austausch zwischen Gelehrten etwa Schubert, Anselm: Kommunikation und Konkurrenz. Gelehrtenrepublik und Konfession im 17. Jahrhundert. In: Greyerz (Hrsg.): Interkonfessionalität, S. 105 – 131. Seidel war zwar vor allem Jurist und Rat, verkehrte aber durchaus mit Gelehrten und betrieb eigene Studien, weshalb die Feststellungen Schuberts auch auf ihn übertragbar sind.  Vgl. zu Patin mit weiterer Literatur den Artikel zu seinem Vater Guy Patin in: Jaumann, Herbert (Hrsg.): Handbuch Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Band 1: Bio-bibliographisches Repertorium. Berlin/ New York 2004, S. 497 f.  Patin, Charles: Relations Historiques et curieuses de voyages, En Allemagne, Angleterre, Hollande, Boheme, Suisse &c. Amsterdam 1695, S. 210. Eine Übersetzung des Abschnitts zu Berlin und zu Seidel befindet sich im Nachlass Johann Carl Conrad Oelrichs in der Staatsbibliothek zu Berlin, SBB-PK, Nachlaß Oelrichs, Nr. 518.  SBB-PK, Ms. Boruss. qu. 14, Fol. 113 – 116. Aus der Liste kann man etwa lernen, dass das Bier aus Stendal „Qwartal-Wartze“, das aus Havelberg „Pfaffen-Extract“, jenes aus Nürnberg [!] „Spüelwaßer“, das aus Treuenbrietzen „kühl-ab“, das aus Angermünde „Ketzerbier“ und jenes aus Ahrensfelde „Nonnenpisse“ genannt wurden. In Frankfurt/ Oder nannte man das Bier Püffel, wobei es zwei Sorten gab: Das Weizenbier nannte man „Reformirtenpüffel“ und das Gerstenbier

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konfessionellem Interesse sind vor allem zwei Werke, die auszugsweise in Abschriften erhalten geblieben sind: Das Gynaeceum Marchicum, eine Sammlung von Lebensbeschreibungen meist sehr frommer brandenburgischer Frauen,⁸⁶⁹ sowie die bereits in Kapitel drei erwähnten Sechs Decades einiger Personen, welche die reformirte Religion verlassen und lutherisch geworden, wo neben Konvertiten auch Lutheraner verzeichnet sind, die sich geweigert hatten zum Calvinismus zu konvertieren.⁸⁷⁰ Interkonfessionell zu agieren und vernetzt zu sein, hielt Seidel also nicht davon ab, die kleinen Triumphe auf dem religiösen Parkett zu dokumentieren.⁸⁷¹ Zu den Exempeln gehören bekannte Persönlichkeiten wie Anna von Brandenburg, die auch nach der Konversion ihres Mannes Johann Sigismund standhaft lutherisch geblieben war,⁸⁷² aber auch Unbekannte, wie der Jäger Christel oder der Amtsschreiber Caspar Calbersberger, auf die schon an anderer Stelle eingegangen worden ist.⁸⁷³ An der Tatsache, dass die Hälfte der zehn Exempel kurfürstliche, teilweise höfische Bedienstete betrifft,⁸⁷⁴ mag man ermessen, welche Bedeutung Seidel dem Konfessionsunterschied gerade am Hofe beimaß.⁸⁷⁵ So verwundert es auch nicht, dass er zu Ewald von Kleists Fall dessen Bitte um Entlassung in Abschrift bewahrte und in einer Randnotiz bemerkte, dass Kleist wegen zahlreicher Überredungen zur Konversion – übrigens auch von seiner Frau, „die ihm sonst auch wiederwertig gewesen“ – geflüchtet sei.⁸⁷⁶ Auch die Exempel der frommen Frauen sind häufig konfessionell gefärbt, wenn etwa ihre Treue zum Luthertum hervorgehoben wird.⁸⁷⁷ Der Eintrag zu Katharina von Brandenburg-Küstrin zeigt sogar klar konkordienlutherische anticalvinische Tendenzen, die man bei Seidel sonst nicht so offen ausgesprochen findet. Sie habe dazu beigetragen, „die in der for„lutherischen Püffel.“ Die schwierigen interkonfessionellen Verhältnisse in Brandenburg reichten also sogar bis an den Tresen.  Der Auszug des Werkes befindet sich in SBB-PK, Ms. Boruss. qu. 14, Fol. 29 – 81. Vgl. zum vollen Titel Bolte, Seidel, S. 30, Nr. 80; Noack/ Splett: Bio-Bibliographien, S. 419. Das unveröffentlichte Werk ist nicht datiert.  SBB-PK, Ms. Boruss. qu. 14, Fol. 130 – 139.Vgl. für weitere Informationen Kapitel 3.4.2, wo die Schrift erstmals vorgestellt wurde.  Damit stellt er übrigens keine Ausnahme dar. In Augsburg etwa verwies ein lutherischer Schreiber einer Liste zu Handwerkern und Gerwerbetreibenden in der Stadt im Jahr 1661 mit Genugtuung auf 27 Berufe, in denen kein Katholik tätig sei, vgl. François: Grenze, S. 98.  SBB-PK, Ms. Boruss. qu. 14, Fol. 131– 133.  Vgl. Kapitel 3.4.2.  Vgl. SBB-PK, Ms. Boruss. qu. 14, Fol. 130 – 139.  Zu den Rückschlüssen auf die Bikonfessioalität bei Hofe vgl. Kapitel 3.4.2.  GStA PK, I. HA, Rep. 94, II A 2, Fol. 223 – 227, Zitat Fol. 223v.Vgl. zu Kleist und den Gerüchten über den angeblich schädlichen Einfluss seiner Frau Kapitel 4.7.  So etwa bei Marie Eleonore von Jülich-Cleve-Berg, SBB-PK, Ms. Boruss. qu. 14, Fol. 42 f.

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mula concordiae repetierte augsburgische Confession“ gegen den Kryptocalvinismus in Kursachsen zu verteidigen.⁸⁷⁸ Was bereits allgemein für den Berliner Hof festgestellt wurde, lässt sich also auch bei Seidel auf individueller Ebene bestätigen. Seine Wahrnehmung des Hofes und der Residenz ist konfessionell durchdrungen und er denkt in konfessionellen Kategorien. Es gibt Hinweise darauf, dass dies sogar in nicht eindeutig konfessionell markierten Kontexten der Fall war. So berichtet er in einer seiner Sammlungen etwa von dem Fall eines Mann aus dem Jahr 1664, der regelmäßig von seiner trunksüchtigen Frau schikaniert worden sei, bis sie betrunken die Treppe heruntergefallen sei und sich das Genick gebrochen habe. Seidel fügt schließlich ohne Not hinzu, dass der Witwer 1670 zum reformierten Glauben konvertiert sei.⁸⁷⁹ Obwohl in der Beschreibung kein logischer Zusammenhang zwischen der Konversion und der Schikane hergestellt wird, war es für Seidel bedeutsam zu erwähnen, dass der Ehemann später den Glauben wechselte.⁸⁸⁰ Der bisherige Eindruck von Seidel als ein konfessionsübergreifend agierender Mann mit ausgeprägtem Konfessionsbewusstsein findet sich gebündelt in einem persönlich verfassten Text mit dem Titel „Gedanken über die ausführung derer von adel in ansehung der Religion“, der sich in seinem Stammbuch befindet.⁸⁸¹ Hier heißt es: Ich will […] meinen Leser nur dahin vermahnen, daß er niemahls leute von andern Religionen als der seinigen, verdammen, oder verutheilen noch weniger aus der zahl seiner nächsten außschließen, sondern den dürfftigen von was vor nation und religion er auch nur seijn möchte, guthes und hülffe zu erweisen, sich kein gewißen machen dürffe […] Hierauß mach ich den Schluß daß derjenige Christ welcher in Teutschland gebohren worden, sich auch nothwendig an derjenigen Religion zuhalten habe, zu deren bekändnüß er angeführet worden, auch durch versprechungen, gaben, geschenke und beförderungen, nicht davon solle laßen abwendig machen. Ob er gleich nicht allemahl auf die adiaphora zu sehen, oder

 SBB-PK, Ms. Boruss. qu. 14, Fol. 45v–46r. Das volle Zitat: „Anno. 1591, da man sich vor dem benachbahrten einige Verenderung in Religions-Sachen zu befahren gehabt, und die heilsame, in formula concordiae repetirte augsburgische Confession, nebst denen darin wieder die eingeschlichene Irthümer und ketzereyen verteidigte gottliche Wahrheit zu unterdrücken gesucht, da ist diese von Gott erweckte hochlobliche Marckische Placilla in zelo pietatis fortgefahren, und der sächsichen kirchenbekändtniß von der Taufe u. vom abendmahl wieder Johannis Calvini buch, so Er gemeldeten sachsischen kirchen dediciret, in druck verfertigen laßen, welches vermittelst gottlicher Gnade der Zeit großen Nutzen gestiftet […]“  GStA PK, I. HA, Rep. 92, II A2, Fol. 235 – 237.  Seidel erwähnt zwar, dass Andreas Fromm versucht habe, die Ehefrau zur Besserung anzuleiten, deutet jedoch keinen schädlichen Einfluss des einstigen Kryptocalvinisten auf ihren Ehemann an.  SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 632, Fol. 40.

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all und jeden anleitungen seiner lehrer […] blindlings folge und ungeprüfft denselben nachkommen dürffe. […] So wird er sich nicht nur aller orten kluger und vernünfftiger leute liebe und beijfall erwerben, sondern auch manchen rechtschaffenen Menschen erbauen und auf den rechen weg bringen können helffen, ohne verlezung derjenigen Religion worzu er sich bekennet, noch sich daduch einige haß oder verfolgung noch den nahmen eines ketzers oder sincretisten über den hals ziehen welches schon manchen rechtschaffenen menschen […] umb Ehre guth leib und leben gebracht.⁸⁸²

Der Text liest sich angesichts seiner Maximen geradezu wie ein ‚Anti-Fromm‘ und ein ‚Anti-Pomarius’ in einem:⁸⁸³ Bleibe bei Deiner Konfession, wahre den konfessionellen Frieden und werde nicht zum Synkretisten. Zuletzt soll noch ein kurzer Blick auf Seidels soziales Netzwerk in der Residenz und am Hofe geworfen werden, welches sich zugegebenermaßen mit den verfügbaren Quellen nur in sehr groben Strichen skizzieren lässt. Vor allem über verschiedene ihm gewidmete Gratulations- und Kondolenzschreiben lässt sich zunächst Seidels feste Verwurzelung in städtisch-lutherischen Kreisen dokumentieren. Nicht nur ist die große Mehrzahl aller auftauchenden Personen lutherisch – es sind mit Elias Sigismund Reinhart, Georg Lilius, Jakob Helwig, Gabriel Luther und Joachim Kemnitz auch gleich mehrere Lutheraner dabei, die im Laufe des märkischen Kirchenstreits in Konflikte mit der Obrigkeit geraten sollten.⁸⁸⁴ Seine eigenen Gelegenheitsschriften richtete Seidel ebenfalls bevorzugt an Lutheraner, z. B. zum Tode der Geheimen Räte Johann Friedrich von Löben und Claus Ernst von Platen, der Frau Paul Gerhardts und sogar für die Tochter Johannes Heinzelmanns, also jenes polemisierenden Predigers, für den die Konsistorialräte – auch Seidel – ein mildes Urteil erbeten hatten.⁸⁸⁵ Reinhart, Lilius, Helwig, Heinzelmann und Gerhardt waren allesamt Geistliche an der Marien- oder der Nikolaikirche in Berlin. Dass Seidel mit ihnen häufigen Umgang hatte, ist nicht verwunderlich: Er war gebürtiger Berliner, feierte seine erste Hochzeit in der Nikolaikirche und wurde auch dort in einer Familiengruft beigesetzt. Er wohnte nicht in unmittelbarer Schlossnähe in Cölln, sondern in Berlin – sein Haus stand

 Ebd.  Vgl. Kapitel 4.1.4.  Aus dem höfischen Umfeld lassen sich Gelegenheitsschriften außerdem vom Geheimen Rat Johann von Löben und dem Hofmedicus Martin Weise nachweisen. Es befindet sich auch Prominenz unter den Gratulanten, etwa Simon Dach (Seidel kannte ihn von einem Aufenthalt in Königsberg) und Nikolaus Peucker (der Dichter war ein Studienkollege Seidels), alle Gelegenheitsschriften in: SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 200.  Vgl. die Liste von Seidels Werken bei Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 412– 416. Zu Heinzelmann vgl. Kapitel 4.1.2.

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in der Spandauer Straße.⁸⁸⁶ Seidels Verwurzelung in der lutherischen Konfessionskultur und seine Bindung zu Berlin fielen also zusammen und verstärkten sich gegenseitig. Doch auch in der Residenz bewegte sich Seidel keineswegs in exklusiv lutherischen Kreisen. So findet sich etwa auch der reformierte Geheime Rat Thomas von dem Knesebeck unter Seidels Hochzeitsgratulanten.⁸⁸⁷ Für den reformierten späteren Oberpräsidenten Otto von Schwerin verfasste er sogar eine Familiengeschichte, die jedoch nie in Druck ging, obwohl er vom reformierten Leibmedicus Otto Bötticher und vom reformierten Domprediger Wolfgang Crellius empfohlen worden war.⁸⁸⁸ Wenig überraschend pflegte Seidel also sowohl Kontakte zu höfischen als auch zu städtischen Kreisen, zu reformierten wie auch lutherischen Personen. Was oben recht allgemein über die Pluralität von Zugehörigkeiten und die damit verbundenen sozialen Rollen geschrieben wurde,⁸⁸⁹ wird an Seidel somit konkret erkennbar: Er war als Berliner lutherischer Fürstendiener gleichermaßen an Hof, Konfession und Stadt gebunden – dies war für ihn kein Widerspruch bzw. einer, mit dem er umgehen konnte. Die Absetzung von Kemnitz hatte bereits gezeigt, dass diese Konstellation bei seiner Arbeit als Konsistorialrat und in bestimmten Konfliktsituationen aber sehr wohl zu einem Problem werden konnte. Und bedauerlicherweise für Seidel nahmen solche Situationen nach Kemnitz Absetzung tendenziell zu.

 Vgl. Bahl: Hof, S. 588 f.; bevor er das Haus in der Spandauer Straße bezog, wohnte Seidel vermutlich in der Heilig-Geist-Straße, die sich auf dem Gelände des heutigen Marx-Engels-Forums befand. Wegen des Familiengrabs in einer Nebenkapelle der Nikolaikirche kann davon ausgegangen werden, dass Seidel auch dort regelmäßig den Gottesdienst besuchte, auch wenn dies nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann. Aus einem Brief Fromms geht immerhin hervor, dass Seidel von einer polemischen Predigt Heinzelmanns berichtet hatte, der dort Diakon war, vgl. Fromm: Etliche Brieffe, Brief E. Dass Seidel übrigens somit möglicherweise derjenige war, der zur Untersuchung gegen Heinzelmann den Anstoß gegeben hat, überrascht ein wenig. Es ist aber auch denkbar, dass Seidel nur den Kollegen im Privaten davon berichtete und es über Fromm und Bergius erst an das Ohr des Kurfürsten geriet. Für eine Beschreibung des Grabes vgl. Kurth, Julius: Die Altertümer der St. Nikolai-, St. Marien- und Klosterkirche zu Berlin. Berlin 1911, S. 32.  Es handelt sich um Seidels zweite Hochzeit vom 15.11.1654, vgl. SBB-PK, Ms. Boruss. fol 200, Fol. 118 – 133; vgl. zu Knesebeck Bahl: Hof, S. 517 f.; Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. BerlinCölln, S. 205 – 210.  Vgl. Bolte: Seidel, S. 17; Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 421. Eine Abschrift befindet sich in Schwerins Nachlass, GStA PK, XIII. HA, Nr. 96, 2, Dokument 14, unfol. (Mikrofilm; Original im Bundesarchiv Koblenz). Vgl. zu Bötticher Bahl: Hof, S. 436, Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 73 – 75.  Vgl. Kapitel 3.4.2 u. 5.1.

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5.3.1.2 Martin Friedrich Seidel und die beste Regel der christlichen Hofleute Während Fromm – noch ganz dem Synkretismus verbunden – im Jahr 1660 triumphierte und Stosch von Seidels ‚Kochkünsten‘ mit den Berliner Geistlichen berichtete,⁸⁹⁰ wurde dieser in neue konfessionelle Konflikte hineingezogen, die ihn sowohl als Lutheraner wie auch als Fürstendiener in Anspruch nahmen. Schuld daran war Jakob Schilling, jener Stendaler Prediger, der illegal eine antireformierte Schrift veröffentlicht hatte und zu dessen Bestrafung die Konsistorialräte in einem Schreiben vom 20. 2.1660 geraten hatten.⁸⁹¹ Am 17. Februar – also noch am Tag, als der zugehörige kurfürstliche Befehl einging und drei Tage vor dem gemeinsamen Urteil – hatte Seidel ein eigenes Gutachten erstellt, das sich als Konzept in einem Sammelband aus seinem Besitz in der Staatsbibliothek zu Berlin befindet.⁸⁹² Darin zeigt sich Seidel zwar entsetzt – solche Worte wie von Schilling habe er noch „von keinem wiedertauffer und Jesuiten gehört“⁸⁹³ und dieses Verhalten sei schädlich für die lutherische Kirche – doch er rät dennoch zu einem behutsamen Vorgehen.⁸⁹⁴ Ferner fühlt er sich an ein aus seiner Sicht negatives historisches Vorbild erinnert, und zwar an die Kontroversen um Tilemann Hesshus in Magdeburg im Jahr 1563, als zahlreiche Prediger – darunter auch viele Unschuldige – aus der Stadt verwiesen worden seien.⁸⁹⁵ Deshalb solle Schilling zunächst nur ermahnt werden und seine Schrift nicht weiter verbreiten dürfen.⁸⁹⁶ Dies ist nach Fromms Befürchtungen im Umfeld des Religionsgesprächs 1662 und Seidels Verweis auf die Dordrechter Synode samt märkischem Theodosius im Jahr 1664⁸⁹⁷ bereits das dritte Mal (in der Chronologie der Arbeit), dass von lutherischer Seite historische Vergleiche gezogen und kirchenpolitische Ereignisse auf die eigene Situation bezogen werden. Ver-

 Vgl. Kapitel 4.3.  Vgl. Kapitel 5.2.  SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 54, Fol. 204– 207, datiert auf den 17. 2.1660. Das Gutachten war für seine Kollegen gedacht – ob er es ihnen jemals übergab, kann nicht festgestellt werden.  Ebd., Fol. 204r.  Ebd.  SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 54, Fol. 205r. Allerdings habe Friedrich Wilhelm bisher immer sehr klug in solchen Fällen gehandelt, sodass Seidel keine größeren Befürchtungen trage. Er nennt nicht Hesshus, sondern spricht pauschal von Magdeburg 1563, jedoch ist es m. E. klar, dass er sich auf diese Ereignisse bezieht. Vgl. zu den Konflikten in Magdeburg etwa Nahrendorf, Carsten: Humanismus in Magdeburg. Das Altstädtische Gymnasium von seiner Gründung bis zur Zerstörung der Stadt (1524– 1631). Berlin u. a. 2015 (Frühe Neuzeit 193), S. 132– 151.  SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 54, Fol. 206v. Außerdem rechtfertigt Seidel Schillings Verhalten mit seiner insgesamt großen Frustration, die u. a. mit seinem hohen Alter, Armut und vielen Kindern zusammenhänge, ebd., Fol. 204v.  Vgl. Kapitel 4.4.1 u. 5.2.

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knüpft ist damit stets die Furcht, in der freien Religionsausübung eingeschränkt zu werden. Schilling wurde schließlich erst suspendiert und dann abgesetzt, da er sich weigerte, seine Schrift zu widerrufen.⁸⁹⁸ Um ihn doch noch zur Revokation zu bewegen, sollte er in Spandau inhaftiert werden, entzog sich aber der Obrigkeit durch Flucht.⁸⁹⁹ Im März 1661 konnte man seiner schließlich habhaft werden und brachte ihn nach Spandau.⁹⁰⁰ In dieser Zeit zwischen (abgelehnter) Revokation, Flucht und Inhaftierung stand Seidel mit Jakob Schilling in regelmäßigem Kontakt. Schon Ende April 1660 hatte der Pastor Seidel schriftlich gebeten, bei Johann Georg Reinhart und dem Oberpräsidenten Otto von Schwerin nachzuhören, wie es um ihn stehe.⁹⁰¹ Auch danach korrespondierten sie weiter, wobei Seidel versuchte, Schilling zum Einlenken zu bewegen und so vermittelnd auf informeller Ebene in einen eskalierten Konflikt einzugreifen. Zumindest stellt Seidel selbst es so in einer Notiz dar: weill dieser H. M. Schilling sehr perplex geworden habe ich ihm auff begehren nachfolgende schrift zu seiner exculpation auffgesezt er hat sich aber doch nicht versehen wollen und ich halte auch bedencken ihn wider seinen willen zu persuadiren. Zuletzt ward Er auff der feste Spandow incarceriret, kahm aber durch hulffe des stadtküsters in weiberkleidern davon und ward prediger in Sachsen auff den St Annenbergh der arme Custer aber ward auffgestrichen [!], ist aber auch in sachsen befordert worden.⁹⁰²

Den Höhe- und Schlusspunkt der Geschichte nimmt Seidel damit vorweg: Schilling konnte im Herbst 1662 mit Hilfe des Küsters der Nikolaikirche in Spandau fliehen. Bis dahin aber setzte sich Seidel für seinen Glaubensgenossen ein, indem er bspw. eine umfassende Supplik an den Kurfürsten für Schilling aufsetzte, jene,

 Vgl. das Gutachten Tornows, Rhadens und Schwerins vom 26. 3.1660 in: SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 54, Fol. 208 f.; vgl. für den zugehörigen Beschluss des Geheimen Rats vom Folgetag Meinardus: Protokolle 6, Nr. 73, S. 111– 114.  Meinardus: Protokolle 6, Nr. 111, S. 162. Friedrich Wilhelm meinte dazu im Geheimen Rat, dass man noch Mittel und Wege finden werde, um ihn zur Revokation zu bewegen, ebd., Nr. 94, S. 142 f. In Seidels Sammlung befindet sich noch in Abschrift ein Widerruf vom 12.6.1660, den der Geheime Rat für Schilling aufgesetzt hatte, nebst einer schriftlichen Ablehnung Schillings, vgl. SBB-PK, Ms. Boruss. fol 54, Fol. 211 f. u. 218 f.  Vgl. zu dem Fall neben der in Kapitel 5.2 zitierten Literatur die zahlreichen Protokolle und Relationen zu Schilling bei Meinardus: Protokolle 6, die sich über den Register finden lassen.  SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 54, Fol. 210r. Schreiben vom 27.4.1660. Schilling unterstreicht seine schwierige Lage mit Verweis auf seine „jammerlechzenden“ Frau und Kinder, deren Brief er nicht ohne Tränen hätte lesen können. Als er den Brief am 27.4. aufsetzte, befand sich Schilling also nicht in Stendal; möglicherweise war er in Berlin für ein Verhör.  Ebd., Fol. 219v.

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die im Zitat oben erwähnt wird.⁹⁰³ Weitere Briefe deuten an, dass Schilling – teils vermittelt durch Seidel – auf ein kleines Netzwerk lutherischer Räte und Geistliche zugreifen konnte. Über den Konsistorialrat kontaktierte er das Berliner Ministerium sowie die Geheimen Räte Johann Friedrich von Löben⁹⁰⁴ und Raban von Canstein⁹⁰⁵ – zwei jener Räte, die noch vor nicht allzu langer Zeit gelobt hatten, dass Reformierte und Lutheraner im Glaubensfundament einig seien.⁹⁰⁶ Hinzu kommt die Bitte zur Kontaktaufnahme mit Reinhart vor seiner Inhaftierung und ein Angebot Seidels, bei dem lutherischen Geheimen Rat Claus Ernst von Platen wegen des Falls nachzufragen.⁹⁰⁷ Ohne Seidels Vermittlung hatte Schilling zudem die theologische Fakultät der Universität Wittenberg angeschrieben und stand dort mit Abraham Calov in Briefkontakt.⁹⁰⁸ Seidel selbst versuchte er davon zu überzeugen, dass die Reformierten in Brandenburg durchtriebene Pläne schmiedeten, indem er ihm belastendes Material als Anhänge mitsandte, die leider nicht erhalten sind.⁹⁰⁹ Der Stendaler Prediger versuchte also über mehrere Kanäle einen Ausweg aus seiner misslichen Lage zu finden. Seidel war zwar das Hauptziel seiner Bemühungen, aber mit den Geheimen Räten, den Berliner Geistlichen und der Universität Wittenberg spannte Schilling diverse lutherische Akteure mit ein. Vor allem die Räte besetzten Schlüsselpositionen, da sie als direkte Kommunikationskanäle zum Hof fungierten und so zumindest die Möglichkeit einer Konfliktlösung trotz verfestigter Fronten offenhalten konnten.⁹¹⁰ Dies hätte nicht allein

 Ebd., Fol. 220 – 226.  Er bat Seidel von Spandau aus, mit Löben wegen seiner Angelegenheit zu sprechen und die Antworten des Berliner Ministeriums auf ein Schreiben Schillings an ihn weiterzuleiten. Im Zuge dessen beschwerte er sich auch, dass man ihn wegen seines gut lutherischen Bekenntnisses in dieses „Mordhaus“ eingesperrt habe, um ihn zu brechen, SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 54, Fol. 230 f.  Schilling schreibt sogar, er habe mehrere Geheime Räte angeschrieben und von Canstein Ratschläge erhalten, ebd., Fol. 234 f.  Vgl. Kapitel 5.2.  SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 54, Fol. 236.  Ebd., Fol. 232. Hier erwähnt Schilling auch, Canstein bereits vor seiner Inhaftierung kontaktiert zu haben; vgl. für die Briefe an Calov Wotschke: Zum synkretistischen Streite, S. 38 – 48.  Ebd.  Brendecke spricht in Anlehnung an Carl Schmitt davon, dass dem Personenkreis um den Herrscher die Korridore der Macht zufielen, indem dieser die Wahrnehmung des Herrschers beeinflusste und die Interessen der Untertanen und Außenstehenden für ihn berücksichtigte und filterte, vgl. Brendecke, Arndt: Die Blindheit der Macht. Über den subjektiven Mehrwert alteuropäischer Beratung. In: Zeitschrift für Ideengeschichte 3 (2009), S. 33 – 43, hier v. a. S. 39; Schilling berichtete Calov auch, dass sich verschiedene lutherische Räte, die später in dieser Arbeit wieder auftauchen werden – etwa Löben, Platen und Canstein – für ihn einsetzen würden, vgl.Wotschke: Zum synkretistischen Streite, S. 43 f.

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Schilling, sondern potentiell auch dem Brandenburger Luthertum gedient, barg doch jeder Konflikt die Gefahr weiterer kirchenpolitischer Maßnahmen. Seidels Beschwichtigungsversuche sind dabei Ausdruck seiner spezifischen Situation, seiner Überzeugungen und der daraus resultierenden Handlungsmöglichkeiten.⁹¹¹ Seine Schrift zum Adel in Ansehung der Religion legt nahe, dass er für eine friedliche religiöse Koexistenz eintrat und Eiferer wie Schilling ablehnte, zumal es galt, keine weiteren Konflikte zu provozieren.⁹¹² Sein ausgeprägtes Konfessionsbewusstsein lässt jedoch vermuten, dass ihm auch innerkonfessionelle Solidarität am Herzen lag. Eine bedeutende Rolle spielte ferner seine soziale Position: Schillings verschiedene Gesuche zeigen, dass man in lutherischen Kreisen wusste, an welche Räte man sich bei konfessionellen Problemen zu wenden hatte. Das Berliner Ministerium, Reinhart, Seidel, Canstein und Löben waren ohnehin in regelmäßigem Kontakt. Man kannte einander, war teilweise sogar miteinander verschwägert⁹¹³ und sah sich sonntags regelmäßig in der Kirche. Hinzu kamen die anderen städtischen und lutherischen Kontakte Seidels. Auch ihre Erwartungen, die immerhin einen großen Teil seines sozialen Umfelds bildeten, beeinflussten sein Verhalten. Dass eine Enttäuschung entsprechender Verhaltensnormen negative Folgen haben konnte und dies nicht bloß eine hypothetische Möglichkeit war, hat die äußerst reale soziale Ausgrenzung des Lutheraners Fromm demonstriert, als er sich allzu offen der reformierten Seite annäherte, oder auch Georg Lilius, dessen Predigten niemand mehr besuchte, nachdem er den Predigerrevers unterschrieben hatte.⁹¹⁴ Andererseits musste Seidel aufpassen, nicht zum nächsten Kemnitz zu werden, dem für seine Treue zur FC abgesetzten Konsistorialpräsidenten, zumal Seidel wegen seiner Unterstützung für Kemnitz seinerzeit bereits ermahnt worden war.⁹¹⁵ Stosch hatte ihn seitdem im Auge, wie sein Kommentar zur Konsistorialordnung gezeigt hatte und Fromm war eifrig dabei, ihn anzuschwärzen⁹¹⁶ – Letzteres konnte Seidel allerdings wenn, dann nur ahnen. Seidel lehnte also konfessionelle Polemik ab, fühlte sich aber seiner Konfession verpflichtet. Von seinem lutherischen Umfeld hatte er anzunehmen, dass es – zwar nur mutmaßlich, aber mit Blick auf Vergleichsfälle überaus mutmaßlich – ein Minimum an innerkonfessioneller Soli-

 Für die stärkere Berücksichtigung der Handlungsspielräume bzw. -möglichkeiten historischer Subjekte plädiert etwa Ulbricht: Mikrogeschichte, S. 345 – 351.  Vgl. Kapitel 5.3.1.1.  Vgl. Kapitel 4.1.3.  Vgl. zu Fromms Ausgrenzung u. a. Kapitel 4.1.4; vgl. zu Lilius Kapitel 5.1.  Vgl. Kapitel 4.2.1.  Vgl. Kapitel 4.2.3.

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darität erwartete, während Seidel bei Hofe gleichzeitig am besten daran tat, in religiösen Dingen unter dem Radar zu fliegen. Ferner ist es nicht abwegig, dass er sich bis zu einem gewissen Grad auch zur Treue gegenüber Friedrich Wilhelm verpflichtet sah.⁹¹⁷ Somit waren seinen Möglichkeiten und seinem Willen, Schilling zu helfen, recht enge Grenzen gesetzt. Er konnte ihn zwar nicht einfach sich selbst überlassen, aber er konnte (und wollte) ihn ebenso wenig öffentlichkeitswirksam verteidigen – dies hätte ohnehin nichts bewirkt. Also versuchte er, durch geräuschlose Vermittlung deeskalierend auf den Konflikt einzuwirken. Doch Schilling ging auf seine Vorschläge und Entwürfe nicht ein – er zeigte jene Kompromisslosigkeit, die Seidel als gemäßigter Lutheraner und Fürstendiener weder vertreten konnte noch wollte.⁹¹⁸ Im einzigen erhaltenen⁹¹⁹ Brief Seidels an Schilling versucht er, dem Prediger ins Gewissen zu reden, damit er seine Schrift doch widerrufe. Er käme nicht umhin, ihm zu raten, „aufs aller behudtsahmbste zu gehen, unndt wohl erwegen, daß man auch causam Religionis, von Je auß vor hohen Potentaten, sehr bescheidentlich undt mit ausserster demuth tractiren“ müsse.⁹²⁰ Er wiederholt seine Befürchtungen, dass Schilling mit seinem Verhalten der lutherischen Kirche schaden könne, die er schon gegenüber den Kollegen geäußert hatte.⁹²¹ In Zeiten, in denen Verbitterung und Feindseligkeiten immer größer würden, seien sanfte Mittel die bessere Wahl, um die Kirche zu schützen.⁹²² Es folgt eine bemerkenswerte Passage:

 So schrieb er Schilling im einzigen von ihm erhaltenen Brief an den Häftling, dass ihm die Akten zu seinem Fall nicht zukämen und dass es ihm auch nicht zustehe, „daß ich alß ein Churfl: diener unerfodert mich derselben immiscire.“ SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 54, Fol. 236r.  Auch Andreas Fromm beschreibt Schilling in einem Brief an Stosch als uneinsichtigen Menschen: „Ich weiß nicht wie es mit dem Manne ist. Selber verstehet ers nicht. Und andere verwirren ihn. Der ihn zurechte bringen wil/ der ist ihm suspect. Ich habe Liebe gebrauchet wieder ihn. Ist er derselben nicht wehrt/ und wil lieber von Feuerbläsern hie und zu Wittenberg Flammen fangen/ muß ich ihm seinen Willen lassen? Er wil doch ein Märtyrer werden.“ Fromm: Etliche Brieffe, Brief Cc.  In jedem Fall hat Seidel Schilling häufiger geantwortet. So bedankt sich Schilling etwa in seinem Brief an Seidel vom 15.7.1660 für die ihm bisher erzeigten Wohltaten; auch geht aus dem Brief hervor, dass Seidel bei Schilling Kopien einiger Dokumente angefragt hatte. SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 54, Fol. 232r. Das letzte Mal erwähnt Schilling am 17. 2.1662, dass er einen Brief von Seidel erhalten habe, ebd., Fol. 250 f.  Ebd., Fol. 236r – 236v.  Ebd.  Ebd., Fol. 236v – 237r. Auch die Fürstendiener, so fügt er hinzu, müssten mit der nötigen Sanftmut behandelt werden, da sie auch große Gewalt hätten als „pars corporis principis“.

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die gnädigste herrschafft undt in dero abwesen Ihre bestalte Ministry, thun unß ja noch zur Zeit keine ofentliche eingrieffe, oder eüserlichen Zwangk an, Ihr Churf. dhl. leiden unsere confessions verwandten umb sich, dulden auch dieselbe in vornehme ämpter, welches dan mit gewißer dancknehmung undt tieffester demut zu erkennen […] wan unß schon Ihr Churf. durchl. welches Ich doch nicht fürchte […], gar abschaffeten waß wollte man dowieder thun, gewiß Ich wurde nichts anders beginnen, alß an die beste Regell der Christlichsten hofleüte gedencken: Discedendum ex Aulis mala ferendo et gratias agendo [= Aus dem Hof scheiden, indem man das Schlechte erduldet und Dank sagt], die Jenigen so in solchen fällen excediren undt sich von der indignation gar sehr einnehmen laßen, die machen ihre anfechtungen und unglück nur größer, ja gerahten manchmahl darüber zu sambt den Irigen in sehr schmertzlichen Elend.⁹²³

Präzise und knapp fasst Seidel seine Perspektive der aktuellen religionspolitischen Lage zusammen sowie die Konsequenzen, die er daraus zieht. Solange es zur Zeit – eine Formulierung, die nicht unbedingt Optimismus zum Ausdruck bringt – um die Lutheraner noch gut stehe, solle man dankbar sein und sich nicht von außen aufhetzen lassen. Sollte sich dies ändern, so hat man dies zu ertragen und in Dankbarkeit für das Erreichte und Vermeidung des Schlechten vom Hofe zu scheiden. Diese Analyse lässt darauf schließen, dass Seidel ein feines Gespür für den fragilen konfessionellen Frieden in Brandenburg besaß und mit Bedacht seine Handlungsspielräume abschätzte. Seidel und Schilling hielten noch bis Februar 1662 Kontakt.⁹²⁴ Aus Schillings Briefen an Seidel geht hervor, dass der lutherische Oberhofmarschall Raban von Canstein nicht nur ein Mal von ihm kontaktiert worden war, sondern eine ebenso große Bedeutung für den Prediger hatte wie Seidel. Er bat den Konsistorialrat wiederholt, sich mit Canstein zu besprechen, sandte diesem auch eine Gegendarstellung zu seinem Fall zu und überreichte ihm sogar eine Supplik zur Weiterleitung an die Kurfürstin.⁹²⁵ Hier tritt die bereits angesprochene Funktion der Räte als Kommunikationskanäle zum Hof besonders deutlich vor Augen. Auch sollte Seidel Canstein unbedingt mitteilen, dass man versuche, aus Schillings Angelegenheiten eine Zivilsache zu machen, obwohl es doch ganz eindeutig ein theologischer Fall sei.⁹²⁶ Diese Bemerkung wäre nicht der Rede wert, hätte man nicht bei Kemnitz bereits sich äußerste Mühe gegeben, einem religiösen Konflikt einen säkularen Anstrich zu geben. Alte Muster wiederholen sich.⁹²⁷

 Ebd., Fol. 237r – 237v.  Es sind Briefe Schillings vom 1.8.1661, 17.12.1661, 15.1.1662, 30.1.1662, 6. 2.1662, 17. 2.1662 und 28. 2.1662 erhalten, vgl. ebd. Fol. 238 – 252a.  Vgl. die Briefe ebd., Fol. 244 f. u. Fol. 250 f.  Ebd., Fol. 250v.  Vgl. Kapitel 4.2.1.

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Seidel selbst schrieb unter einen der letzten Briefe Schillings: „Ich sehe hierauß dz auch ein Man der Gott gedenket zu bekennen u seinen Glauben zu bezeugen trefflich, und unverandwordlich excediret.“⁹²⁸ Zum zweiten Male in seiner Briefsammlung distanziert sich Seidel gegenüber der Nachwelt also von Schilling. Während er sich erfolglos darum bemühte, Schilling zum Einlenken zu bewegen, war sein Kollege und interimistischer Konsistorialpräsident Johann Georg Reinhart mit Aufgaben beschäftigt, die eine weitere Dimension des Spannungsverhältnisses verdeutlichen, in dem sich die Räte befanden. Denn als Fürstendiener mussten sie nicht nur im Rat über ihre Glaubensgenossen urteilen oder über die Kirchenpolitik beraten, sondern diese Kirchenpolitik auch nach außen hin face-to-face gegenüber eben diesen Glaubensgenossen vertreten. Dies war etwa 1660 der Fall, als Reinhart am kursächsischen Hof u. a. sich im Namen Friedrich Wilhelms beim sächsischen Hofprediger über antireformierte Publikationen aus Wittenberg beschweren sollte.⁹²⁹ Den Umgang mit den eigenen Glaubensgenossen vor Ort darf man sich noch unangenehmer vorstellen, da Reinhart hier seine eigenen Gemeindemitglieder und Prediger zurechtweisen musste. Er gehörte etwa einer Gruppe von Räten an, vor denen sich der Archidiakon der Berliner Marienkirche Martin Lubath am 12.6.1662 verantworten musste, u. a. weil ihm vorgeworfen worden war, das Zensur-Reskript von 1654 missachtet zu haben.⁹³⁰ Noch im selben Monat hatte Reinhart in seinem Amt als interimistischer Konsistorialpräsident die Aufgabe, das gesamte Berliner Ministerium persönlich dazu zu ermahnen, das Reskript von der Kanzel zu verlesen, welches Lubath missachtet hatte. Auch war dem Hof nicht verborgen geblieben, dass die Universität Wittenberg eine Epicrisis zum Kasseler Religionsgespräch an die Brandenburger Ministerien geschickt hatte. Reinhart schärfte ihnen ein, dass dergleichen bei Hofe zu notifizieren sei.⁹³¹ Aus Notizen des Predigers Martin Lubath geht hervor, dass Seidel ihm später mitgeteilt habe, dass ihnen bei Nicht-Verlesung des Reskripts als Strafe der Entzug einiger Korngelder gedroht hätte.⁹³² Das Beispiel unterstreicht noch einmal, was schon häufiger angesprochen wurde: Die Räte und ihre Glaubensgenossen blieben ständig im Gespräch. Sie konnten ihnen an einem Tag als Repräsentanten der Obrigkeit begegnen, um mit ihnen dann am

 SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 54, Fol. 251v.  Vgl. zur Gesandtschaft, die mit mehreren Aufgaben verbunden war: GStA PK, I. HA, Rep. 41, Nr. 17, v. a. Fol. 249 – 261.  Vgl. zu dem Fall Ruschke: Paul Gerhardt, S. 162– 166. Allerdings war Stosch der Wortführer, während Reinhart sich auf einige wenige beschwichtigende Worte beschränkte.  Vgl. zu dem Fall ebd., S. 168 – 173; er wurde von den Geistlichen dokumentiert: GKl Archiv XII/90/2, Fol. 198 – 202.  GKl Archiv XII/90/2, Fol. 199.

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nächsten Tag über die obrigkeitlichen Maßnahmen zu reden. Dass in diesem Fall Reinhart die Rolle des mahnenden Fürstendieners zukam, während Seidel später Informationen weitergab, sollte nicht verallgemeinert werden. Auch Reinhart agierte auf der lutherischen Nebenbühne zugunsten seiner Glaubensgenossen, etwa als er 1659 Andreas Fromm bei der Vokation Nicolais zuredete, oder sich 1666 nach dem Eklat im Konsistorium an Johann Buntebart wandte, um die Situation zu beruhigen und eine Lösung für die Konflikte um die Reverse zu finden.⁹³³ Aus Seidels und Reinharts Beispielen wird greifbar, in welches Spannungsverhältnis die lutherischen Konsistorialräte seit der Absetzung Kemnitzens und der Zunahme der interkonfessionellen Konflikte geraten waren. Als Kommunikationskanäle zum Hof wurden Seidel und seine Kollegen, darunter auch viele Geheime Räte, mit den Verhaltenserwartungen ihrer bedrückten Glaubensgenossen konfrontiert – in diesem Fall konkret mit dem um Hilfe bittenden inhaftierten Schilling. Seine spezifische Lage, seine Abneigung gegen konfessionelle Polemik, seine Furcht vor negativen Auswirkungen für die lutherische Kirche sowie seine eingeschränkten Einflussmöglichkeiten (auf den Kurfürsten) setzten Seidel in seinen Spielräumen einen recht engen Rahmen. Dies hing auch mit dem warnenden Beispiel des entlassenden Konsistorialpräsidenten Kemnitz zusammen. Wer lutherische Prediger unterstützen wollte, musste sehr diskret vorgehen. Zugleich wurde von ihm ein gewisses Maß an innerlutherischer Solidarität erwartet, selbst wenn Seidel persönlich das Verhalten Schillings allem Anschein nach ablehnte. Vor diesem Hintergrund bekommt man eine Vorstellung davon, wie belastend es für ihn und Reinhart gewesen sein mag, gegenüber den Berliner Geistlichen die kurfürstliche Gewalt zu vertreten. Denn wie an Reinharts Beispiel gezeigt wurde, kam noch erschwerend hinzu, dass die Räte mitunter eben jene Politik gegenüber ihren Glaubensgenossen durchsetzen mussten, die sie selbst in Konfliktsituationen brachte und von der sie fürchteten, sie könne sich verschärfen. In Seidels Korrespondenz mit Schilling wird zudem klar, dass dieser Rollenkonflikt nicht nur die Konsistorialräte betraf. Schilling wandte sich direkt und indirekt an fast alle der einflussreichsten lutherischen Geheimen Räte. Es kristallisiert sich somit eine größere Gruppe lutherischer Entscheider heraus, von denen bekannt zu sein schien, dass man sich an sie wenden konnte, wenn man als Lutheraner in Konflikt mit der Obrigkeit stand. In gewissen Grenzen konnte man von ihnen also konfessionelle Solidarität erwarten und erhalten. Die bereits zwischen 1660 und 1662 schwierige Situation der lutherischen Räte sollte sich nach dem gescheiterten Religionsgespräch und dem sog. zweiten Toleranzedikt

 Vgl. Kapitel 4.2.1 u. 4.5.

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noch deutlich verschärfen, wie sich an Raban von Cansteins Beispiel nachzeichnen lässt.

5.3.2 Raban von Canstein und der Geheime Rat 5.3.2.1 Raban von Canstein – ein konfessionelles Profil Zu den Geheimen Räten, die 1660 erklärten, beide evangelische Konfessionen seien im Glaubensfundament einig, gehörte auch Raban von Canstein.⁹³⁴ Als Kammerpräsident und Oberhofmarschall war er einer der einflussreichsten Hofleute in Berlin-Cölln,⁹³⁵ dessen Bedeutung auch daran ablesbar ist, dass er 1658 zur Kaiserwahl Leopolds I. als Wahlbotschafter gesandt wurde.⁹³⁶ Außerdem war er Lutheraner. Seine Stellung und seine Konfession erklären, warum der Prediger Jakob Schilling ihn neben Martin Friedrich Seidel am häufigsten kontaktierte.⁹³⁷ Wie wichtig Canstein sein Glaube war, davon zeugen zahlreiche Bände aus seinem Nachlass, in die er verschiedene religiöse Aufzeichnungen, Gebete und theologische Reflexionen eingetragen hat, darunter ein etwa 300 Seiten langes Manuskript über die göttliche Liebe.⁹³⁸ Auf eine antireformierte oder dezidiert konkordienlutherische Haltung lassen diese Schriften jedoch keine eindeutigen Rückschlüsse zu – vielmehr werden sie hier als eindrucksvolles Zeugnis seiner tiefen Frömmigkeit gedeutet.⁹³⁹ Diese Frömmigkeit ging so weit, dass Canstein in seiner Jugend sogar damit liebäugelte, Theologie zu studieren, wie er in einer Lebensbeschreibung für seine Nachkommen schrieb:

 Vgl. zu Canstein Bahl: Hof, S. 449 f.; Saring, Hans: Canstein, Raban Freiherr von. In: NDB 3 (1957), S. 126 f.; Erdmannsdörffer, Bernhard: Canstein, Raban Freiherr von. In: ADB 3 (1876), S. 765.  Beide Ämter erhielt er 1660. Bereits seit 1652 war er Wirklicher Geheimer Rat und seit 1655 Amtskammerpräsident und Direktor des Öknomomiewesens der Kurmark, vgl. Bahl: Hof, S. 450.  Zur Dokumentation seiner Gesandtschaft zur Kaiserwahl hat Canstein ein Tagebuch hinterlassen, das meines Wissens noch nicht ausgewertet wurde. Es befindet sich in jenem Teil seines Nachlasses, der im Archiv der Franckeschen Stiftungen in Halle/ Saale liegt: AFSt/H A 19:1.  Vgl. Kapitel 5.3.1.2.  Die Bände befinden sich im Archiv der Franckeschen Stiftungen mit den folgenden Signaturen: AFSt/H A 12, AFSt/H A 15:1, AFSt/H A 16, AFSt/H A 17, AFSt/H A 18, AFSt/H A 20, AFSt/H A 21, AFSt/H B 2, AFSt/H B 11; das Manuskript von der göttlichen Liebe in: AFSt/H B 65.  Angesichts der großen Anzahl allein seiner erhaltenen theologischen Schriften ist es m. E. gerechtfertigt, Cansteins Religiösität besonders hervorzuheben, auch wenn seine Frömmigkeit keine Ausnahmeerscheinung war, vgl. etwa Schwerins Tätigkeit als Lieddichter in Kapitel 6.1.1; für einen Überblick zu adligen Frömmigkeitspraktiken am Beispiel protestantischer Adliger in Österreich vgl. Schreiber: Adliger Habitus, S. 69 – 76.

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Ich fandt in solchen meinen jungen Jahren eine sonderbahre […] begierde zu der Theologia, daß ich mir auch vornahm gar deren profession zumachen, welchem sich aber die meinigen widersezten, theilß mit persuation, theils mit bedrewungen. […] jedoch hette mir solches dazu gedienet, daß ich sovil mehr den grundt und gewißheit meines glaubens geleget, gleich doch denn viel zeit und biß auf diese stunde mir besundere zuneigung zu dergleichen studijs, wie wohl eben nicht polemicis, getragen.⁹⁴⁰

Während Cansteins theologisches Interesse gewiss überdurchschnittlich groß war, trifft seine Abneigung gegen konfessionelle Polemik wohl auf die Mehrheit der Lutheraner in höheren Ämtern bei Hofe zu, da ein gewisses Maß an Moderation und Pragmatismus die grundlegende Voraussetzung war, um als überzeugter Lutheraner unter einem reformierten Herrn zu dienen, ohne sich in inneren und äußeren Konflikten aufzureiben. Außerdem war er, anders als etwa die Konsistorialräte,⁹⁴¹ weder bürgerlich noch in Berlin oder Brandenburg verwurzelt, sodass er durch sein soziales Umfeld nicht so eng an konkordienlutherische Strömungen gebunden war wie die Kollegen aus der Kirchenbehörde. Geboren wurde er getreu seinem Namen in Canstein (Westfalen) und diente zunächst Herzogin Anna Sophie von Braunschweig-Wolfenbüttel, ehe er 1651 in kurbrandenburgische Dienste trat.⁹⁴² Trotz seiner Herkunft war er über seine Cousine bereits mit den Pfuels, einem der ältesten Adelsgeschlechter Brandenburgs, verbunden.⁹⁴³ Da Canstein früh seine Eltern verlor und daher finanzielle Schwierigkeiten hatte, finanzierte ihm seine Cousine auch dessen Reisen nach Köln, Amsterdam, England und Frankreich.⁹⁴⁴ Zuvor hatte er in Wittenberg studiert, woraus man jedoch nicht automatisch auf eine Bindung an das Konkordienluthertum schließen darf, zumal er wie gesagt nicht Theologie studierte und nach eigener Aussage ohnehin die Universität vorzeitig aufgrund seiner finanziellen Lage und allgemeiner Kriegswirren verlassen musste.⁹⁴⁵ Cansteins adlige Herkunft und seine religiöse Mäßigung spiegeln sich auch in seinen sozialen Beziehungen wider. Nach dem Tod seiner ersten Frau, die er noch in Braunschweig-Lüneburgischen Diensten geehelicht hatte,⁹⁴⁶ heiratete er 1662  AFSt/H A 154a), Fol. 19r – 21v.  Vgl. Kapitel 4.1.3.  Vgl. Bahl: Hof, S. 450 f.; Saring: Canstein, S. 126 f. Vgl. für die Zeit in Diensten von Anna Sophie bis zu seinem Übertritt in kurbrandenburgische Dienste auch seine Lebensbeschreibung: AFSt/H A 154a), Fol. 33 – 42.  Vgl. zur Familie Pfuel etwa Zedlitz-Neukirch, Leopold von (Hrsg.): Neues Preussisches Adelslexikon […] Vierter Band. Leipzig 1842, S. 35 f.  AFSt/H A 154a), Fol. 27– 29.  Ebd., Fol. 23 – 25.  Bahl: Hof, S. 449 f. u. 639. In seiner Lebensbeschreibung deutet Canstein die Ehe zu seiner ersten Frau als Produkt der göttlichen Vorsehung und betont, wie harmonisch ihre Ehe trotz des

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Hedwig Sophie von Kracht, Tochter des Obristen und Gouverneurs der Festung Küstrin Hildebrand von Kracht und Witwe des Oberstleutnants Bernd Friedrich von Arnim,⁹⁴⁷ wodurch er sich an lutherische, traditionsreiche und mächtige brandenburgische Adelsfamilien band. Sind hier noch Konfession, Herkunft und Stand eng miteinander verbunden, so ergibt sich bei den Taufpatenschaften zu Cansteins Kindern – zu denen übrigens der Stifter der Cannsteinschen Bibelanstalt Carl Hildebrand von Canstein gehörte – bereits ein bunteres Bild.⁹⁴⁸ Zwar finden sich unter den Taufpaten, die Canstein allesamt in seiner Lebensbeschreibung notiert hat, mehrheitlich Lutheraner, aber doch eine beträchtliche Zahl an reformierten Hofleuten und Adligen. Dazu zählen so illustre Persönlichkeiten wie die Statthalter Johann Georg II. von Anhalt-Dessau und Johann Moritz von Nassau-Siegen,⁹⁴⁹ Sophie Theodore von Holland-Brederode (die Ehefrau des Grafen Christian Albrecht zu Dohna) sowie die Kurprinzen Karl Emil und Friedrich.⁹⁵⁰ Zugleich lässt sich an Cansteins Beispiel aufzeigen, dass es zu einfach wäre, soziales Kapital und Konfession gegeneinander auszuspielen, indem man feststellt, dass Standesgemeinsamkeiten und Beziehungspflege unter Umständen bedeutender sein konnten als religiöse Unterschiede,⁹⁵¹ auch wenn dies natürlich grundsätzlich nicht falsch ist. Canstein nämlich wählte seine Paten nicht nur nach Faktoren wie Status oder Konfession aus, sondern richtete sich auch nach dem konkreten räumlichen und sozialen Kontext. Seine Tochter Loysa Henrietta (benannt in Anlehnung an die kurfürstliche Gattin) wurde etwa in

Altersunterschieds zwischen ihm und seiner elf Jahre älteren Gattin gewesen sei, vgl. AFSt/H A 154a), Fol. 36 – 38.  Bahl: Hof, S. 449 f. u. 639; Göse: Rittergut, S. 59; Saring: Canstein, S. 126 f.; AFSt/H A 154a), Fol. 65.  Vgl. zu Cansteins Kindern die Verwandtschaftstafel in: Schicketanz, Peter (Hrsg.): Der Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins mit August Hermann Francke. Berlin/ New York 1973 (Texte zur Geschichte des Pietismus Abt. III, Bd. 1), S. 896.  Zu Johann Georg II. von Anhalt-Dessau vgl. Rohrschneider: Johann Georg II.; vgl. aus der Fülle der Publikationen zu Johann Moritz von Nassau-Siegen neben der in Kapitel 3.1. zitierten Literatur u. a. den Sammelband: Gerhard Brunn u. Cornelius Neutsch (Hrsg.): Sein Feld war die Welt. Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604– 1679). Von Siegen über die Niederlande nach Brasilien und Brandenburg. Münster u. a. 2008 (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 14).  AFSt/H A 154a), Fol. 81 u. 88. Die genannten Personen standen Pate für die Söhne Friedrich Wilhelm und Carl Hildebrand, ausführlicher dazu weiter unten.  So etwa Bahl zu der Beobachtung, dass in der reformierten Schlossgemeinde zu Potsdam auch lutherische Paten auftauchen, vgl. Bahl: Paten, S. 153 f. Die Häufigkeit konfessionsübergreifender Taufpatenschaften konnte je nach regionalen und sozialen Bedingungen stark schwanken; für Beispiele für häufige bzw. seltene interkonfessionelle Taufpatenschaften vgl. Luebke: A Multiconfessional Empire, S. 129 und Schreiber: Adliger Habitus, S. 239.

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Königsberg vom dortigen Hof- und Schlossprediger (und dennoch lutherischen!) Christian Dreier getauft.⁹⁵² Die Taufpaten waren hier nebst anderen fürstlichen Personen der Kurfürst und die Kurfürstin persönlich, die Ehefrau Johann Georgs II. von Anhalt Henriette Catharina von Oranien sowie der reformierte Geheime Rat Friedrich von Jena.⁹⁵³ Als ein Jahr später seine zweite Tochter Margaretha Helena geboren wurde, fand die Taufe in der Berliner Nikolaikirche statt – und nun fanden sich keine der oben genannten Personen unter den Taufpaten, sondern vornehmlich Lutheraner: Der Geheime Kriegsrat Claus Ernst von Platen, der Geheime Sekretär und spätere geheime Rat Franz von Meinders sowie der Generalmajor und Generalwachtmeister Georg Adam von Pfuel.⁹⁵⁴ Hinzu kommt die Witwe des „seel. Ministers von Burgsdorff“,⁹⁵⁵ womit wohl Anna Elisabeth von Löben gemeint ist, die mit Konrad von Burgsdorff zwar einen zum reformierten Glauben konvertierten Ehemann hatte, jedoch selbst vermutlich lutherisch geblieben war.⁹⁵⁶ 1666 wiederum, als Canstein nach eigener Aussage viel Zeit mit dem Hofstaat in Kleve verbrachte, liest sich die Patenliste seines auf den Namen Friedrich Wilhelm getauften Sohnes wieder überaus reformiert. Zwar tauchen auch Lutheraner auf, wie der Feldmarschall Otto Christoph Freiherr von Sparr, aber mit dem Kurfürsten, Johann Georg II. von Anhalt-Dessau, Sophie Theodore von Holland-Brederode sowie Johann Moritz von Nassau-Siegen sind die prominentesten Paten nun wieder reformiert.⁹⁵⁷ Bei der Taufe seines Sohnes Carl Hildebrandt im Jahr 1667 variiert die Patenliste zwar ein wenig, weist aber nach wie vor einige Reformierte und mit Franz Egon von Fürstenberg-Heiligenberg⁹⁵⁸ sogar

 Dreier ist als Anhänger Calixts für seine Konflikte mit orthodox-lutherischen Kräften an der Universität Königsberg bekannt; er nahm 1645 am Thorner Religionsgespräch teil, vgl. Schumacher, Bruno: Dreier, Christian. In: NDB 4 (1959), S. 108 f.  AFSt/H A 154a), Fol. 67 f. Mit Jena war Canstein über Halberstadt verbunden, da Jena zwischen 1660 und 1666 dort Kanzler und Canstein Regierungsdirektor war, vgl. Bahl: Hof, S. 450 u. 508.  AFSt/H A 154a), Fol. 75.  Ebd.  Dafür spricht neben ihrer Zugehörigkeit zu einem traditionsreichen lutherischen Adelsgeschlecht auch die Tatsache, dass der erste Ehemann ihrer Tochter Margarete Catharina mit Ludwig von Canitz in jedem Fall ein Lutheraner war, vgl. Bahl: Hof, S. 444 u. 448.Wie in Kapitel 3.2 bereits erörtert wurde, waren bikonfessionelle Ehen schließlich immer noch eher selten. Hinzu kommen weitere Paten, die wichtigen Adelsgeschlechtern angehörten, familiär mit Canstein verbunden waren oder bei denen über die Familienzugehörigkeit auf einen lutherischen Hintergrund zu schließen ist, so etwa bei Anna Elisabeths Tochter Margarethe Catharina von der Goltz, geb. Burgsdorff, Cansteins beiden Brüdern und der Tante seiner Ehefrau, vgl. AFSt/H A 154a), Fol. 75.  Ebd., Fol. 81. Ansonsten befinden sich unter den Paten u. a. mehrere Clevische Offizielle sowie einige Münchhausens.  Zu Franz Egon vgl. Braubach, Max: Franz Egon. In: NDB 5 (1961), S. 368 f.

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einen Katholiken, und zwar den Bischof von Straßburg, auf.⁹⁵⁹ Aus diesen Variationen kann abgeleitet werden, dass für Canstein viele verschiedene akzeptable Optionen als Taufpaten existierten, deren konkrete Wahl am Ende vom Stand, persönlicher Bindung und so pragmatischen Punkten wie ihrer Verfügbarkeit abhing. Die Konfession als Kriterium war nicht irrelevant, aber diesen Aspekten nachgeordnet. Taufen besaßen eben keine ausschließlich religiöse Bedeutung, sondern auch eine wichtige soziale Dimension,⁹⁶⁰ erschöpften sich aber nicht darin. Sein Beispiel verdeutlicht, von welch großer Flexibilität die Umgangsökumene bei Hofe geprägt war. Zu den Taufpaten Carl Hildebrands gehörte auch der reformierte Konvertit und Geheime Rat Lorenz Christoph von Somnitz.⁹⁶¹ Mit ihm unterhielt Canstein eine enge Beziehung, wie sich anhand einiger Briefe nachweisen lässt, die Somnitz seinem „Patron“, „Herzenß-freund“ und „Bruder“ sandte, während Canstein in Frankfurt bei der Kaiserwahl weilte.⁹⁶² Neben politischen Angelegenheiten, die die Mehrzahl der Briefe bestimmen, berichtet ihm Somnitz auch von persönlichen Problemen bei Hofe,⁹⁶³ verrät ihm, dass der Oberstleutnant von Münchhausen schlecht über ihn geredet habe⁹⁶⁴ und bittet ihn, sich in Frankfurt nach Büchern für ihn zu erkundigen,⁹⁶⁵ von denen er dann interessanterweise besonders gerne

 AFSt/H A 154a), Fol. 88. Weitere Paten sind u. a. der Kurfürst, die Prinzen Karl Emil und Friedrich, Oberst Georg von der Marwitz nebst Gattin (der Vater des Kammerherrn Johann Georg von der Marwitz, vgl. Bahl: Hof, S. 538), der clevische Regierungs- und Amtskammerrat Werner von Blaspeil (ebd., S. 431) sowie Lorenz Christoph von Somnitz. Als im Jahr 1670 Cansteins Tochter Hedwig Lucia in St. Nikolai getauft wurde, lässt sich bei den Taufpaten kein lutherisches Übergewicht feststellen, so standen etwa die Oberhofmeisterin Anna Maria von Mandelsloh (ref., Bahl, Hof, S. 535 f.), Otto von Schwerin d.J. (ref., ebd., S. 585 f.), Lucius von Rhaden (ref.) und Christoph Caspar von Blumenthal (luth., möglicherweise später konvertiert, vgl. Bahl, Hof, S. 432 f.) als Taufpaten; vgl. zur Taufe AFSt/H A 154a), Fol. 102 f.  Dies betont etwa Luebke: Hometown Religion, S. 56 f.  Der genaue Zeitpunkt seiner Konversion lässt sich leider nicht ermitteln, vgl. Bahl: Hof, S. 215.  Die Briefe befinden sich in Cansteins Nachlass in den Franckeschen Stiftungen, AFSt/H G 60M; die zitierten Anreden neben zahlreichen weiteren Beispielen und Affektionsbezeigungen auf Fol. 377, 381 u. 446 f.  Er bleibt jedoch sehr vage und deutet seine Probleme nur an: „hir befinde ichs also dz ich nicht weis was mir zuthun. dz mich viele leutte nicht gerne hir sehen ist gewiß […] ich wils Gott befehlen u. hoffe er werde mir seinen willen zu verstehen geben.“ Ferner weist Somnitz darauf hin, dass er bald verreisen werde und Canstein ihm die Briefe hinterherschicken solle, damit sie im Rat nicht geöffnet würden, vgl. den Brief vom 24. 5.1658, ebd., Fol. 392 f., Zitat Fol. 392r. Ähnlich klagt er in einem Brief vom 7.4.1658, ebd., Fol. 406 f.  Ebd., Fol. 456 f.  Ebd., Fol. 396 f.

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des „Pererij epistola d. causis quare calvinisma eieraverit“ haben möchte, also eine Schrift, in der ein gewisser Pereira dem Calvinismus abschwört.⁹⁶⁶ Ihre Beziehung lässt sich nicht lückenlos dokumentieren, aber Briefe aus dem Jahr 1654,⁹⁶⁷ zwei Einträge aus Cansteins Kalender des Jahres 1667,⁹⁶⁸ die gegenseitige Besuche dokumentieren, sowie die Taufpatenschaft für Carl Hildebrandt im selben Jahr sprechen für eine konstante (politische) Freundschaft.⁹⁶⁹ Cansteins überkonfessionelle Beziehungen betrafen auch die Patronage. Zumindest ein Brief hat sich erhalten, in dem der reformierte Geheime Rat Matthäus von Wesenbeck ihm dafür dankt, seinen Sohn auf einer kurfürstlichen Gesandtschaft mitzunehmen.⁹⁷⁰ Hinzu kommt, dass Canstein selbst als konfessionsfremder Taufpate in Erscheinung tritt. So machte er bei der Taufe einer Tochter des reformierten Statthalters Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau auf Wunsch des Fürsten seine Aufwartung.⁹⁷¹ Darüber hinaus lassen sich im Rahmen seiner Aufträge und Ämter interkonfessionelle Kontakte nachweisen, was wenig überrascht.⁹⁷² Ungewöhnlich mag erscheinen, dass er aufgrund seines Amtes als Oberhofmarschall 1667 auch die Beerdigung Luise Henriettes organisierte, obwohl er nicht ihrer Konfession angehörte.⁹⁷³ Dies ist nicht allein ein Beleg dafür, dass interkonfessionelle Interaktion bei Hofe Alltag war.⁹⁷⁴ Es verdeutlicht auch das persönliche Vertrauen, welches Friedrich Wilhelm Canstein entgegenbrach-

 Ebd., Fol. 434 f., Zitat 435r. Leider konnte ich nicht herausfinden, um welches Werk und welchen Pereira es sich handelt.  AFSt/H F 1, unfol.  AFSt/H A 40, Einträge vom 15./25.3. u. 3./13.5.1667.  Vgl. zur im Vergleich zur Gegenwart deutlich vielschichtigeren Bedeutung des Freundschaftsbegriffs im höfischen Kontext Kühner, Christian: Politische Freundschaft bei Hofe. Repräsentation und Praxis einer sozialen Beziehung im französischen Adel des 17. Jahrhunderts. Göttingen 2013 (Freunde – Gönner – Getreue 6).  Brief vom 27.9.1657, AFSt/H G 73:00, unfol. Bei Bahl sind mit 1655 und 1659 zwei mögliche Sterbejahre von Wesenbecks angegeben; dem Brief nach zu urteilen trifft wohl Letzteres zu, vgl. Bahl: Hof, S. 618 f. Dass Canstein – was zu erwarten war – wiederum selbst als Klient konfessionsübergreifend in Erscheinung tritt, wird an seiner Beziehung zu Hedwig Sophie von HessenKassel deutlich. Bei ihr bedankt er sich etwa 1672 für die Aufnahme seines Neffen in hessische Dienste, vgl. HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 356, Schreiben vom 20./30.11.1672. Auch als der hessische Gesandte Georg Lincker Anfang 1666 Kleve erreichte, lud Canstein ihn gleich zum Essen ein und hob seinen Einsatzwillen für Hedwig Sophie hervor, vgl. HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 332, Bericht vom 5./15.1.1666.  AFSt/H A 154a), Fol. 77.  Während seines Aufenthalts bei der Kaiserwahl in Frankfurt korrespondierte er regelmäßig mit Schwerin über die dortige Lage, vgl. AFSt/H G 60.  AFSt/H A 154a), Fol. 83 – 87.  Vgl. Kapitel 3.3 u. 3.4.2.

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te.⁹⁷⁵ Dies kann auch den Gnadenerweisen abgelesen werden, die der Kurfürst seinem Oberhofmarschall nicht allein durch die Patenschaft für zwei seiner Kinder, sondern auch durch einen persönlichen Besuch in dessen Haus bezeigte.⁹⁷⁶ Canstein agierte also in verschiedensten Kontexten konfessionsübergreifend – sei es bei Ereignissen der höfischen Öffentlichkeit, in seiner privaten Korrespondenz oder bei seinen Amtsgeschäften. Sein ausgeprägtes Konfessionsbewusstsein war kein Hindernis für interkonfessionelle Interaktion und grundsätzlich mit seiner Rolle als Mitglied der Hofgesellschaft und als Hofbeamter vereinbar. Der Hof und der Brandenburgische Adel waren in seinem sozialen Beziehungsgeflecht offensichtlich ebenso wichtige Bezugspunkte wie die Konfession:⁹⁷⁷ Deshalb wählte er reformierte Taufpaten aus dem höfischen Kontext, sofern der Hofstaat anwesend und sie dementsprechend verfügbar waren, und vernetzte sich über seine Heirat mit alteingesessenen (lutherischen) Adelshäusern, deren Namen dann wiederum auch unter den Taufpaten auftauchen. Dass Cansteins soziale Beziehungen in keinster Weise von konfessionellen Aspekten geprägt waren, ist unwahrscheinlich, kann anhand seines unzureichend dokumentierten Alltagshandelns nicht nachgewiesen werden und soll hier auch gar nicht behauptet werden. Die Konfession hinderte ihn aber nicht daran, interkonfessionelle Bande zu knüpfen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass er deshalb einen Sonderfall darstellt. Dagegen sprechen andere Studien,⁹⁷⁸ andere Beispiele aus dieser Arbeit und die Tatsache, dass er von außen nicht als Sonderfall wahrgenommen wurde. Dies hätte sich in schriftlichen Quellen niedergeschlagen, da Abweichungen von der akzeptablen Norm durchaus registriert wurden. Dies geschah etwa bei Hübners vermeintlichem Atheismus⁹⁷⁹ und auch bei Canstein selbst: Nachdem er 1674 wegen des Vorwurfs der Veruntreuung in

 Die enge Beziehung zum Kurfürsten brachte Canstein auch mit der Namensgebung seiner Kinder nach Luise Henriette und Friedrich Wilhelm zum Ausdruck (siehe dieses Kapitel oben). Diese Form der symbolischen Darstellung der Bindung zum Herrscher durch Namen findet sich auch beim Statthalter Johann VIII. von Sayn-Wittgenstein, vgl. Neugebauer: Konfessionelle Klientelpolitik, Abs. 19.  AFSt/H A 154a), Fol. 77. Wie oft Canstein diese Gnade zuteilwurde, kann nicht genau gesagt werden. In Schwerins Erziehungstagebuch wird ein weiterer Besuch des Kurfürsten und der Prinzen bei Canstein erwähnt, der allerdings wohl nur stattfand, weil ein Schaumburgischer Gesandter bei Canstein residierte, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 94, IV HC 9, Nr. 1, Fol. 204.  Dies lässt sich auch bei anderen Adligen feststellen, vgl. Schreiber: Adliger Habitus, v. a. S. 238 – 248.  Ebd.; François: Grenze, v. a. S. 140 – 142 u. 225 – 230.  Vgl. Kapitel 3.4.1.

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Ungnade gefallen war,⁹⁸⁰ hatte er zwischenzeitlich im Dienst von Kurköln gestanden. Als er 1676 über seine Restitution in brandenburgische Dienste verhandelte, wurden ihm Gerüchte vorgehalten, wonach er sich unter Kurköln zum Katholizismus bekannt habe. Er konnte die Vorwürfe ausräumen und wurde im Folgejahr restituiert – dass diese Gerüchte überhaupt in den Quellen auftauchen, liegt m. E. daran, dass sie als ungewöhnliche Normabweichung wahrgenommen wurden – anders als seine inner-evangelischen Kontakte.⁹⁸¹ Auf den ersten Blick war Raban von Canstein also ein angesehenes und bestens vernetztes Mitglied der bikonfessionellen Hofgesellschaft, fest im Glauben und doch pragmatisch genug, um gegenüber Friedrich Wilhelm zu postulieren, dass die evangelischen Konfessionen im Glaubensfundament einig seien. Wie oben dargelegt wurde, war diese Erklärung von 1660 allerdings bereits ein Teil des Problems, dem sich die lutherischen Räte und auch Raban von Canstein gegenüber sahen. Denn je mehr sich die konfessionellen Spannungen in Brandenburg und Berlin intensivierten, umso mehr war auch Canstein persönlich davon betroffen und geriet zunehmend in innere Konflikte. Diese nahm er bewusst wahr und beschrieb sie in seiner Lebensbeschreibung. Hier heißt es zum Jahr 1665: Ich habe auch dieseß Jahr nicht wenig verdrießlichkeit gehabet, wegen des Edicts, dadurch die geistlichen unserer kirchen zu berlin angestrenget worden, solcheß zu unterschreiben, ich habe […] dabey erinnert sie [die Berliner Geistlichen] solten hierunter nichts weigern auß einem bloßen menschlichen eiffer, noch auf waß willigen darin sie ein widersprechen deß gewißens bey sich befinden thete, man hat auch viele vorschläge gethan […] undt glaube ich die Reformirten hetten wohl gethan eß nicht angefangen zu haben, undt die Unsrigen, daß sie im anfange etwaß temperament zugelaßen, aber die sache fandt auf allen seyten ihre obstacula undt opponenten, in welchem Terminis eß auch so daß gantze Jahr geblieben, Gott weiß aber daß ich nicht hierunter geführet Menschen zu gefallen zu thun […] eß wehre unser kirchen beßer gewest etwas nachzugeben, alß etwan zu mehren extremitäten eß zu treiben.⁹⁸²

Nach eigener Aussage stand Canstein also zwischen den Stühlen, da er die kirchenpolitishen Maßnahmen für einen Fehler hielt und zugleich das „temperament“ der Prediger missbilligte. Dass er „nicht wenig verdrießlichkeit“ hatte, lag auch an seiner schwierigen Position als lutherischer Hofbeamter, der zumindest im Rückblick beide Seiten, denen er sich gleichermaßen zugehörig fühlte, für die

 Vgl. mit Literaturangaben Kapitel 7.4.  In seiner Lebensbeschreibung behauptet Canstein, wegen seines festen Glaubens von den Katholiken unter Druck gesetzt worden zu sein, vgl. AFSt/H A 154a), Fol. 112 f.  AFSt/H A 154a), Zitat Fol. 75v–77r.

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Konflikte verantwortlich macht. Wie er konkret im märkischen Kirchenstreit agierte, soll im Folgenden beleuchtet werden.

5.3.2.2 Raban von Canstein zwischen den Fronten Cansteins unangenehme Lage zwischen den Fronten resultierte jedoch nicht alleine aus seiner Ablehnung interkonfessioneller Konflikte. Wäre er kein Geheimer Rat gewesen, so hätte er sich bedeckt und aus allen Streitereien heraushalten können. Es war erst die Kombination aus seinem Amt und seiner Konfessionszugehörigkeit, die ihn in den märkischen Kirchenstreit hineinzog, als dieser im Konflikt um die Predigerreverse seinen Höhepunkt erreichte. Dadurch befand er sich in einer sozialen Position, die ihn zum Adressaten gegenläufiger Erwartungen machte, oder anders formuliert: Amt und Konfession produzierten widersprüchliche Verhaltensnormen. Dieser Rollenkonflikt wiederum schränkte seine Handlungsmöglichkeiten stark ein.⁹⁸³ Denn wenn Canstein sich offen für die Berliner Geistlichen um Paul Gerhardt und Elias Sigismund Reinhart eingesetzt hätte, die ja nicht irgendwelche Prediger, sondern zum Teil Pastoren seiner Heimatgemeinde waren, hätte er gegen die Erwartungen Friedrich Wilhelms verstoßen. Er hätte seine Autorität infrage gestellt, obwohl er ihm Ämter und andere Gnadenerweise zu verdanken hatte. Wenn er sich offen für die Reverspolitik eingesetzt hätte, so hätte er an Ansehen bei seinen Glaubensgenossen verloren und wäre möglicherweise ausgegrenzt worden.⁹⁸⁴ Dass es in der Tat negativ auffiel, wenn ein lutherischer Fürstendiener die Reverspolitik unterstützte, lässt sich aus einem Protokoll vom 28.4.1665 ablesen. An diesem Tag wurden die Berliner Prediger vor das Konsistorium zitiert, da sie sich weiterhin weigerten, mit ihrer Unterschrift unter einem Predigerrevers die Befolgung der Toleranzedikte zu geloben. Für sie stellten die Edikte und Reverse einen Angriff auf das Konkordienluthertum und einen Eingriff in ihre Glaubenspraxis dar.⁹⁸⁵ Im Konsistorium sollten sie vom Oberpräsidenten Otto von Schwe-

 Vgl. zu dem Phänomen, dass „die Ausübung der einen Rolle die Gestaltungsmöglichkeiten der anderen Rollen beeinflusst“, etwa Emich, Birgit: Normen an der Kreuzung. Intersektionalität statt Konkurrenz oder: Die unaufhebbare Gleichzeitigkeit von Amt, Stand und Patronage. In: Thiessen (Hrsg.): Normenkonkurrenz, S. 83 – 100, Zitat S. 99.  Ob Canstein als hochrangiges Mitglied der Hofgesellschaft und Adliger ähnliche Reaktionen zu befürchten hatte wie etwa Fromm oder Lilius sie erhielten, für die als Geistliche noch deutlich strengere Maßstäbe galten, ist fraglich. Irgendwelche negativen Konsequenzen wären aber gewiss zu erwarten gewesen.  Vgl. Kapitel 2.3 u. 5.1.

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rin, mehrheitlich lutherischen Geheimen und Konsistorialräten⁹⁸⁶ sowie dem Hofprediger Bartholomäus Stosch davon überzeugt werden, den Revers doch zu unterschreiben.⁹⁸⁷ Ob der Einsatz mehrheitlich lutherischer Räte ähnlich wie bei anderen Fällen einer Legitimationsstrategie folgte oder dem Zufall geschuldet war, muss offen bleiben. Der Diakon Samuel Lorentz erstellte ein Protokoll von der Sitzung,⁹⁸⁸ die in einem Disput zwischen Elias Sigismund Reinhart und Stosch, einem Machtwort Schwerins und der Entlassung der Prediger Georg Lilius und Elias Sigismund Reinhart eskalierte.⁹⁸⁹ Raban von Canstein trat hier ganz als Vertreter des kurfürstlichen Standpunkts auf und fing an, weil sich der freyherr von Schwerin auf Ihn und andere H Rehte berief, und sagte: Churfl. durchl. intendirte gar nicht einigen Eintrag unser Religion zutuhn, sondern nur das unchristliche Lästern, verdammen aufzuheben […] Müste frey bekennen, das Er als Unser Religion beygetahn, nichts befinde in dem Edicto, was unser conscientz zu nahe were p.p.⁹⁹⁰

Lorentz unterstrich nicht nur einige Abschnitte, wie etwa den letztzitierten Satz, sondern notierte auch am Rand: „helt Edictam nicht contra Conscientiam“.⁹⁹¹ Es wurde also sehr wohl registriert, wenn ein lutherischer Rat sich offen auf die Seite des Kurfürsten stellte. Auffällig ist, dass Canstein sich übrigens erst dann äußerte, als Schwerin sich über die Verweigerungshaltung der Prediger aufregte und sich dabei auf die Aussagen einiger lutherischer Räte berief. Tatsächlich hatte Canstein noch einige Tage zuvor im Geheimen Rat erklärt, dass es akzeptabel sei, einen Revers zu fordern.⁹⁹² Es wirkt so, als fühlte er sich ertappt und nun genötigt, sich genauer zu erklären, nachdem der Oberpräsident aufgedeckt hatte, dass die lutherischen Geheimräte die Reverspolitik bislang unterstützt hatten. Den Abschnitt zu Cansteins schließt Lorentz schließlich mit einem eindeutigen Urteil ab: „Redete also per omnia, nicht auf unsere, sondern der Reformierten seite, in

 Anwesend waren Raban von Canstein, Claus Ernst von Platen, Johann Georg Reinhart, Martin Friedrich Seidel und Andreas Fromm auf lutherischer sowie Lucius von Rhaden und Gottfried Schardius auf reformierter Seite.  Vgl. ausführlich zur Unterschriftsverweigerung der Berliner, die dem Treffen voranging, und den Ereignissen vom 28.4.1665 Ruschke: Paul Gerhardt, S. 384– 398; die zugehörige Verfügung an Schwerin, Platen, Canstein und Rhaden bei Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 393, S. 265 f.  FB Gotha, Chart. A 281, Fol. 5 – 8.  Vgl. zu der Eskalation Kapitel 6.1.2.  FB Gotha, Chart. A 281, Fol. 7r.  Ebd.  Vgl. Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 388, S. 261. Schwerin bezog sich in seiner Berufung auf die lutherischen Räte vermutlich auf diese Sitzung.

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diesem stück. Aber aus erheblichen Ursachen ward Ihm nicht geandtwortet“.⁹⁹³ Von einem vermeintlichen Rollenkonflikt Cansteins ist hier also nichts zu merken. Sein Auftreten fügt sich in seine Erklärung zum Glaubensfundament beider Konfession und seiner oben erwähnten Aussage im Geheimen Rat, als er die Reverspolitik auf Nachfrage des Kurfürsten für gerechtfertigt erklärt hatte.⁹⁹⁴ Doch schon am nächsten Tag, den 29.4.1665 um sechs Uhr morgens, ließ Canstein die Berliner Prediger in sein Privathaus bitten, wo sie neben ihm noch von den lutherischen Räten Platen, Reinhart, Seidel und Fromm⁹⁹⁵ erwartet wurden.⁹⁹⁶ Auch dies hat Lorentz in einem Protokoll festgehalten. Allerdings übernahm nicht der Hausherr das Wort, sondern Claus Ernst von Platen: wir solten doch die Wolfahrt unser kirche betrachten […] Und auch soviel immer möglich Churfl. durchl. submittiren. dan es weren 2 extrema. Es müste entweder Churfl. hoheit und Autoritat fallen, oder wir müsten unterschreiben. das Erste könte nicht seyn. Also würden wol wir uns submittieren und bequemen müssen.⁹⁹⁷

Damit hatte Platen auf den Punkt gebracht, wie verfahren die Situation war, da die kurfürstliche Autorität gegen die religiöse Überzeugung der Prediger stand – beidem gleichermaßen gerecht werden zu können, darin sahen die Räte zu diesem Zeitpunkt bereits keine Möglichkeit mehr. Der hessische Gesandte Georg Lincker brachte die Haltung der lutherischen Hofleute in einem Bericht treffend auf den Punkt: Sie müssten „im Schluss selbst bekennen […], daß die hohe Authorität hirin nunmehr interssiert seye, sich aber über die jenige hefftigst beschweren, so dieses Wercks erste angeber gewesen.“⁹⁹⁸ Laut Lorentz empfahl Platen weiter, eine Supplik an Friedrich Wilhelm zu richten und ihm so weit wie möglich entgegen zu kommen. Auch sollten die Prediger einen eigenen Revers aufsetzen, in dem sie die FC durchaus nennen könnten. Die Räte würden ihnen gerne helfen, solange es zu einer Aussöhnung beitrage.⁹⁹⁹ Platen machte ihnen keine leeren Versprechungen. Tatsächlich unterstützten sie die Geistlichen in den nächsten Wochen bei den Entwürfen von Deklaratio-

 FB Gotha, Chart. A 281, Fol. 7r.  Vgl. Kapitel 5.3; Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 388, S. 261.  Seine Anwesenheit mag man als weiteren Beleg dafür werten, dass er sich 1665 bereits von seiner pro-reformierten Einstellung abgewandt hatte, vgl. Kapitel 4.4.2.  FB Gotha, Chart. A 281, Fol. 8v.  Ebd.  HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 332, Bericht vom 21.11./1.12.1666; vgl. auch die Zusammenfassung bei Ribbeck, Berichte, S. 143.  FB Gotha, Chart. A 281, Fol. 8v.

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nen und alternativen Reversen, um eine Lösung zu finden.¹⁰⁰⁰ Auf diese Weise konnten die Räte persönlich zu einer Deeskalation beitragen und ihrer Kirche einen Dienst tun, ohne ihre Position bei Hofe zu gefährden. Gleichzeitig erhielten sie als eine Art Nebeneffekt die Integrationskraft und Kommunikationsfähigkeit des Hofes als Herrschaftszentrum aufrecht. Ähnliches konnte man bereits bei Jakob Schilling beobachten: Indem sie mit den Predigern auch nach der Absetzung Reinharts und Lilius’ hinter den Kulissen bzw. auf einer exklusiv lutherischen Bühne Kompromisse auszuhandeln versuchten, ließen sie die Kontakte der Obrigkeit zu den Klerikern bzw. den Untertanen nie völlig abreißen.Wie schon bei Schilling fungierten sie auch hier als Kommunikationskanäle, die die Perspektive der Prediger mit einbezogen, ohne dabei die Autorität des Kurfürsten durch öffentlich sichtbaren Widerstand zu beschädigen.¹⁰⁰¹ In Kontakt zu bleiben bedeutete, den Konflikt vor der Eskalation zu bewahren, oder möglicherweise sogar zu lösen. Die Räte sorgten also dafür, dass die Ohren des Hofes auch für Lutheraner offenblieben.Vor diesem Hintergrund besteht die Möglichkeit, dass die Räte gezielt vom Kurfürsten auf die Prediger angesetzt wurden. Dagegen spricht jedoch, dass Friedrich Wilhelm noch am Tag des Geheimtreffens dem Berliner Magistrat befahl, neue Prediger anstelle der entlassenen Reinhart und Lilius zu berufen und somit keine zeitlichen Spielräume zur Kompromissfindung ließ.¹⁰⁰² Wie sich noch zeigen wird, war Friedrich Wilhelm auch in den folgenden Wochen nicht kompromissbereit, was die persönliche Veranlassung langwieriger Verhandlungen hinter den Kulissen ad absurdum geführt hätte.¹⁰⁰³ Auch der Beamtenrevers von 1668 kann als Reaktion auf die Zusammenarbeit der lutherischen Räte mit den Predigern gedeutet werden und ist somit ein Indiz dafür, dass dem Kurfürsten die innerlutherischen Kontakte seiner Hofbeamten ganz und gar nicht zusagten, was auch daran deutlich wird, dass sich Canstein und seine Kollegen noch Anfang 1668 dem Vorwurf ausgesetzt sahen, die Prediger zu unterstützen.¹⁰⁰⁴ Deshalb halte ich es für sicher, dass Canstein und seine Kollegen auf eigene Faust agierten und dass ihr Herr zwar wohl wusste, dass sie Kontakt zu den  Die Konflikte und Lösungsversuche um die Reverse hat Ruschke bereits aus der Perspektive der lutherischen Prediger rekonstruiert. Die Perspektive der Hofleute hingegen wird dabei allerdings (verständlicherweise) nur zum Teil berücksichtigt, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 384– 412.  Vgl. Kapitel 5.3.1.2.  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 396 f.  Als sich später die Ständevertreter mit einschalteten, um einen eigenen alternativen Revers einzureichen, der sich von den unten thematisierten Vorschlägen der Räte in den wichtigen Punkten nicht unterschied, ließ ihnen Friedrich Wilhelm durch Otto von Schwerin ausrichten, dass er diesen ablehne und dass die Prediger den Revers in seiner ursprünglichen Form ohne Veränderungen zu unterschreiben hätten, vgl. Schwartz: Stände, S. 97 f.  Vgl. Kapitel 7.

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Predigern hielten, nicht aber, was sie mit ihnen besprachen und taten.¹⁰⁰⁵ Doch unabhängig davon, ob der Kurfürst vom Einsatz der lutherischen Räte tatsächlich nichts ahnte, ihn veranlasst oder ihn geduldet hatte – der Effekt war der gleiche. Die Hofleute konnten durch die Trennung der höfischen von der lutherischen Bühne ebenso als treue Fürstendiener wie als gute Lutheraner auftreten und die Verbindung der Obrigkeit zu den Predigern riss nicht ab. Die Geistlichen wiederum folgten Platens Rat und entwarfen am 2. Mai eine Deklaration, nachdem sie zunächst noch eine Supplik und eine Liste ihrer „Gewißens-Skrupel“ an den Kurfürsten gesandt und sich hilfesuchend an den Berliner Magistrat gewandt hatten.¹⁰⁰⁶ In dieser Erklärung gelobten sie, auf Schmähungen gegen die Reformierten zu verzichten (so wie es bisher auch immer gewesen sei) und ihnen keine falschen Lehren zu unterstellen. Trotzdem bekannten sie sich explizit zur FC.¹⁰⁰⁷ Auch das hatten die Räte ihnen schließlich eingeräumt. An dieser Stelle kommt wieder Raban von Canstein ins Spiel. Ihm legte Paul Gerhardt die Deklaration zur Begutachtung vor. Noch am 2. Mai – also dem Tag des ersten Deklarationsentwurfs – berichtete Gerhardt seinen Kollegen in einem Brief, dass Canstein einige Änderungsvorschläge gemacht hatte, von denen der wichtigste die Ersetzung der FC durch ein allgemeines Bekenntnis zu den symbolischen Büchern betraf.¹⁰⁰⁸ Doch Gerhardt und seine Kollegen blieben bei ihrem Standpunkt.¹⁰⁰⁹ Dennoch besprach Canstein eine weitere Version mit den Predigern, die auf den 4. Mai datiert ist. Markiert hatte er wieder das Bekenntnis zur FC und einen Absatz zur moderaten Widerlegung reformierter Lehren, sofern sie fundemantal vom Luthertum abweichen.¹⁰¹⁰ Schließlich versuchte Canstein gemeinsam mit Platen und Löben noch ein letztes Mal, Gerhardt bei einem Treffen

 Da die Räte einige Entwürfe der Prediger an den Kurfürsten weiterleiteten (siehe unten), muss er gewusst haben, dass Kontakte bestehen, was aber auch nicht verwunderlich ist, handelte es sich doch im die Prediger der Gemeinde der lutherischen Hofleute. Welcher Art die Kontakte bestanden, konnte er jedoch nicht wissen.  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 396 f. Der Magistrat dokumentierte übrigens die Konflikte um die Geistlichen in einem Protokollbuch. In Bezug auf die Hofleute sind die Einträge jedoch nicht interessant, vgl. Menne-Haritz, Angelika u. Niemann, Arnold: Paul Gehrardt und die lutherische Opposition in Berlin. Edition einiger Eintragungen im Protokollbuch des Rates der Stadt Berlin. In: JBLG 35 (1984), S. 63 – 92.  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 404. Die Deklaration befindet sich in zwei Abschriften in: GKl Archiv XII/90/1, Fol. 213 f. u. FB Gotha, Chart. A 281, Fol.12 f.  GKl Archiv XII/90/1, Fol. 205.  Ebd. Ruschke nennt eine weitere Abschrift des Briefes in Lorentz’ Sammlung, die ich jedoch nicht finden konnte, stattdessen ist dort Gerhardts Brief von Sonntag Exaudi (auf den in Kürze eingegangen wird) doppelt verfilmt, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 405.  Vgl. GKl XII/90/1, Fol. 215 – 218; Abschrift in: FB Gotha, Chart. A 281, Fol. 14.

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in der Amtskammer davon zu überzeugen, die Deklaration zu verändern. Wieder berichtete der Diakon seinen Kollegen in einem Brief, datiert auf Sonntag Exaudi, also den 7. Mai, von dem Treffen,¹⁰¹¹ bei dem die Räte ihm eine überarbeitete Version der Erklärung übergaben, in der statt von der FC erneut allgemein von libris symolicis die Rede war.¹⁰¹² Canstein erklärte Gerhardt, daß unser ihm anvertrauete Declaration nicht würde angenommen werden, es sey denn daß sie nach seinem hiebevor gegebenen model, oder zum wenigsten nach dem hier etwas concipirten unseren aufsaz eingerichtet würde. Formulam Concordiae würde uns unser gnädigster Herr gern vor uns laßen und gestatten, das wir uns an dieselbe hielten; aber daß Er sie ihme [Friedrich Wilhelm] in einer solchen schrifft sollte fürtragen und gleichsam aufs neue uns darzu confirmiren laßen, würde nicht geschehen, sie alleseits die obbesagten herrn meineten, es were genug zu unserer verwahrung, wenn wir uns auff die ungeenderte Augspurgische Confession und alle andere unsere Libros Symbolicos beruffeten, und hettens vor eine gnade zu achten, daß wir anstatt der subscription, zu einer solchen freywilligen undt unverfanglichen erklärung verstatten würden, fehlete auch sonst an andern argumentis persuasorys nicht, die Ich aber weil wir sie schon so oft vielmahls gehöret, zu wiederholen bedenken trage.¹⁰¹³

Es sind drei Dinge, die sich an diesem bemerkenswerten Zitat und allen Treffen mit Gerhardt ablesen lassen. Erstens ist die Vermittlerfunktion der Räte deutlich sichtbar und wird offen angesprochen: Canstein und seine Kollegen sind darum bemüht, alle für den Kurfürsten inakzeptablen Inhalte aus der Erklärung zu filtern, damit sie angenommen werden kann. Canstein sagt ganz klar, dass er seinem Herrn eine solche Erklärung mit FC nicht vortragen könne. Trotzdem blieben die Räte im Dialog mit den Predigern und suchten Kompromissformeln. Sie versuchten zu regeln, was der Kurfürst nicht regeln konnte oder nicht regeln wollte. Ob indes tatsächlich ausgemacht war, dass die Gnade einer solchen Erklärung die Prediger dauerhaft vor der Unterschrift des Reverses bewahrt hätte, wie Canstein es behauptete, ist fraglich. Zwar wurde beim Berliner Probst Georg Lilius später eine Ausnahme gemacht, als dieser einen eigenen Revers entwerfen durfte und

 FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 13.  Ebd., Fol 14. Auch in einem schriftlichen Gutachten zur Deklaration wurden die Geistlichen mutmaßlich von Canstein darauf hingewiesen, dass es genüge, auf die symbolischen Bücher im Allgemeinen zu verweisen. Es ist in Abschrift in Lubaths Sammlung erhalten und weder datiert noch unterzeichnet. Im Inhaltsverzeichnis der Sammlung ist das Schreiben jedoch den Korrekturen Cansteins zugeordnet, die unmittelbar folgen, sodass ich davon ausgehe, dass Canstein der Verfasser ist, vgl. GKl XII/90/1, Fol. 211 f.  GKl XII/90/1, Fol. 209r; Abschrift in: FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 13v.

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wieder eingesetzt wurde,¹⁰¹⁴ doch war dort auch die FC nicht genannt. Ansonsten war Friedrich Wilhelm, wie oben schon erwähnt wurde, i. d. R. nicht kompromissbereit Zweitens ist das, was die Räte als inakzeptabel für den Kurfürsten einschätzten und dementsprechend beharrlich aus den Schreiben zu filtern versuchten, immer die FC. Die kleineren Änderungsvorschläge waren gewiss nicht irrelevant, aber sie ist das Kernproblem bei der Kompromissfindung.¹⁰¹⁵ Die FC wird in jeder Version angestrichen und taucht in der nächsten doch wieder auf. Deshalb griffen die Räte schließlich auf einen Trick zurück, der schon im Landtagsrezess von 1653 angewandt wurde, indem sie allgemein auf alle symbolische Bücher verweisen wollten.¹⁰¹⁶ Dieses ständige Kreisen um die FC und das Ringen um Formulierungen erinnert an die Argumentationsstrategien im Konflikt um Joachim Kemnitz im Jahr 1659. Damals umkreisten auch alle Akteure mit verschiedensten Argumenten das Problem, dass die FC für den Kurfürsten eine Diskordienformel und für Kemnitz ein symbolisches Buch war. Die Konstellation hatte man zu lösen versucht, indem man eine religiös motivierte Absetzung sprachlich auf die Politica gerichtet hatte;¹⁰¹⁷ diesmal planten die Räte, die FC zu berücksichtigen ohne sie explizit zu nennen. In der interkonfessionellen Kommunikation war sie das Reizwort schlechthin, das es im Konflikt mit dem Kurfürsten unbedingt zu vermeiden galt, aber in Wittenbergisch geschulten Augen nicht vermieden werden durfte. Drittens werden die Handlungsspielräume sichtbar, die sich den Räten dadurch boten, dass sie verschiedene Bühnen bespielten. So wie sich Canstein gegenüber dem Kurfürsten im Geheimen Rat ins rechte Licht gerückt hatte, wenn es um die Religionspolitik ging, tat er nun das gleiche gegenüber seinen Glaubensgenossen auf der lutherischen Bühne.Wenn Canstein entscheiden könnte, so heißt es im Zitat aus Gerhardts Brief, dürften sie sich ja gerne an die FC halten, doch da könne man nichts tun. Der Kommunikationsrahmen ist nun ein anderer als bei Hofe und so kann er sich als treuer Glaubensbruder darstellen, was klug ist, ganz unabhängig davon, welche Bedeutung Canstein persönlich der FC zusprach.

 Vgl. zu Lilius’ Sonderrevers mit weiterer Literatur Ruschke: Paul Gerhardt, S. 472– 474; danach besuchte allerdings kaum jemand mehr Lilius’ Predigten, vgl. dazu auch Kapitel 5.1.  Ruschke betont, dass es nicht ausschließlich um die FC gegangen sei und hebt die Bedeutung weiterer Inhalte in einigen Suppliken, Deklarationen und Reversentwürfen der Prediger hervor, etwa die Bezugnahme auf die CA invariata, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 411. Zumindest bei der Kooperation mit den Räten wird jedoch ständig nur um die FC gerungen, sodass man sie trotz allem als den entscheidenden Konfliktgegenstand betrachten darf.  Vgl. Kapitel 2.1.  Vgl. Kapitel 4.2.1.

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Sein Rollenkonflikt wurde also durch eine Trennung von Gesprächsorten und -partnern bewältigt. Friedrich Wilhelm und die reformierten Hofleute wussten nicht, was Canstein den Predigern erzählte. Die Prediger wiederum wussten nicht, dass er hinter den verschlossenen Türen des Geheimen Rates wie ein Synkretist dahergeredet hatte. Passend dazu berichtete der habsburgische Gesandte Johann von Goess am 18. 5.1665, dass „des Churfürsten geheimbe Räthe, die der augspurgischen Confession zugethan, alß Platen, Canstein, und Leven [gemeint ist Löben], alß er ihre Meinung hierüber begert, keine bedenkhen“ gegen die Reverspraxis geäußert hätten.¹⁰¹⁸ Die Räte passten sich also den jeweiligen Kontexten und den damit verknüpften Rollenerwartungen, die an sie gestellt wurden, an.¹⁰¹⁹ Noch während Canstein also den Geistlichen gegenüber seine lutherische Gesinnung hervorhob und mit seinen Kollegen Vermittlungsversuche unternahm, um einen Revers zu umgehen, unterstützte er gegenüber Friedrich Wilhelm eben diesen Revers und zeigte sich damit als guter Fürstendiener. Die Konfession wurde gegenüber den Predigern zum Bindeglied und gegenüber dem Kurfürsten zur überwindenden Ursache potentiellen Misstrauens. Doch zurück zur Deklaration. Die Berliner Geistlichen blieben bei ihrer ursprünglichen Version, die sie auch an den Berliner Magistrat sandten.¹⁰²⁰ Platen reichte sie beim Geheimen Rat ein, wo sie dem Kurfürsten präsentiert wurde.¹⁰²¹ Auch hier wird wieder die Funktion der Räte als Kommunikationskanäle greifbar. Nachdem ihr Schreiben auf Ablehnung stieß, verfassten die Prediger am 27.5. eine weitere Supplik. Sie stellte gleichermaßen ein Bekenntnis zum weltlichen Religionsfrieden wie auch zu ihrer Doktrin dar und wurde durch Paul Gerhardt an Raban von Canstein übergeben.¹⁰²² Diesmal fungierte der Oberhofmarschall als Bindeglied, der die Supplik an Friedrich Wilhelm weiterleitete. Der Kurfürst nahm das Schreiben jedoch ungnädigst auf, wie Lorentz anmerkt.¹⁰²³ Die Prediger fertigten auch einen eigenen alternativen Revers an, der sich eng an ihrer Deklaration orientierte und den sie mehrfach überarbeiteten, da er immer wieder zu-

 ÖStA HHStA, RK Diplomatische Akten Berlin, Berichte 1b, Bericht vom 18. 5.1665.  Dieses kontextabhängige Verhalten auch in der Religion beschränkte sich übrigens nicht exklusiv auf kurbrandenburgische Höflinge des 17. Jahrhunderts.Vgl. etwa Aschs Ausführungen in Bezug auf den Adel in: Asch, Ronald G.: Religiöse Selbstinszenierung im Zeitalter der Glaubenskriege. Adel und Konfession in Westeuropa. In: Historisches Jahrbuch 125 (2005), S. 67– 100, hier S. 71 f.  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 405 f.  So ist es vermerkt in Lorentz’ Sammlung, vgl. FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 14. Auch erwähnen die Geistlichen in einem Brief an den Stadtrat vom 16. 5.1665, dass Platen die Deklaration vor Kurzem eingereicht habe, vgl. GKl Archiv XII/90/2, Fol. 155.  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 406 f.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 17.

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rückgewiesen wurde.¹⁰²⁴ Im Zuge dessen sandte auch Canstein ihnen einen Entwurf, der anstatt auf die FC allgemein auf die symbolischen Bücher verwies. Angenommen wurde sein Vorschlag nicht.¹⁰²⁵ Inzwischen war seit der ersten Eskalation im Konsistorium ein Monat vergangen und der Kurfürst sowie seine reformierten Ratgeber waren nicht untätig geblieben. Schon am 4. Mai ließ er eine von Schwerin konzipierte Deklaration drucken und verbreiten, um die Absetzung der Prediger Lilius und Reinhart vom 28.4. zu legitimieren.¹⁰²⁶ Neben dem Hinweis, dass Räte beider Konfessionen bei der Entlassung zugegen waren (ein weiteres Beispiel für das kurfürstliche konfessionelle ‚Eindrucksmanagement‘), enthält sie Friedensbeteuerungen, allerdings gepaart mit einer Drohung, denn wenn andere „ihres Gewissens halben, wie etliche fürwenden, solch böses Beginnen nicht lassen wollen, So werden Seine Churfürstliche Durchläuchtigkeit auch Gewissens halber solches nicht länger leiden können“.¹⁰²⁷ Die Deklaration stellte also keinen neuen Ansatz zum Kompromiss dar, sondern war eher eine Rechtfertigungsschrift. Doch hinter den Kulissen versuchte auch die reformierte Seite in Person von Otto von Schwerin zu vermitteln, der einen eigenen Entwurf aufsetzte – ob er dies im Wissen oder gar im Auftrag Friedrich Wilhelms tat, muss offen bleiben. Es ist in jedem Fall kein abwegiger Gedanke. Der Revers war sehr kurz gehalten, verzichtete wenig überraschend auf die Nennung der FC und nannte explizit nur die CA.¹⁰²⁸ An die Prediger übergeben wurde diese Version am 7. Juni und zwar durch die lutherischen Räte Canstein, Platen, Reinhart und Löben, in dessen Haus die Berliner geladen worden waren. Abermals waren die lutherischen Fürstendiener also als Vermittler tätig. Sie wiesen die Prediger darauf hin, dass all ihre Schriften, insbesondere ihre Supplik vom 27. 5., den Kurfürsten nur noch mehr erzürnt hätten. Trotz alledem „und damit wir [die Prediger] uns nicht zu bescheren [!] hetten die H Reformirten einen gar gelinden Revers endworffen, und solchen fürlegen wollen.“¹⁰²⁹ Die Prediger aber lehnten auch diesen Entwurf ab. Die Räte waren

 Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 408 – 410. Hier ist der mutmaßlich erste Reversentwurf auch in vollem Wortlaut abgedruckt. Die verschiedenen Reversentwürfe – teilweise mit wahrscheinlich von lutherischen Räten vorgenommenen Korrekturen – befinden sich in Lubaths Sammlung, vgl. etwa GKl Archiv XII/90/2, Fol. 191 f. u. Fol. 206 f.  GKl Archiv XII/90/2, Fol. 185. Da der Entwurf nicht datiert ist, lässt er sich nicht eindeutig chronologisch einordnen. Er muss aber Ende Mai oder in der ersten Junihälfte abgefasst worden sein, da die Geistlichen vor dem 27. Mai an ihrer Deklaration, aber nicht an einem Revers gearbeitet hatten.  Mylius: Corpus I, 1, Sp. 385 – 390; vgl. Kapitel 2.4.  Mylius: Corpus I, 1, Zitat Sp. 389 f.  Der Revers ist dokumentiert bei Lorentz, FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 18.  Ebd., Fol. 17 f., Zitat 17v–18r.

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nicht gerade positiv darüber gestimmt, insbesondere Canstein, während Johann Georg Reinhart sich nachdenklicher gab: (Welches Ihnen [den Räten] fast mißfiel daß wir so gar zu sehr scrupuliren. zumahl war es H Kanstein nicht wohl mit). Unter anderm sagte der H Rath Reinhardt, Er müste bekennen, daß Ihrer Chfl. dhl. Intention gut und wohl gemeinet were, ob aber auch derer Meinung so hinter diesen werck stecken dahin zielen, zweiffele Er. […] baten zulezt wir möchten uns endlich, und zwar in kürze resolviren damit das Werck auffs Ende kame. So wir aber nicht wolten oder konten mochten sie uns nichts mehr davon sagen.¹⁰³⁰

Die Reaktionen Cansteins und Reinharts führen vor Augen, wie die Hofleute einerseits unbedingt eine Kompromisslösung finden wollten und anderseits ähnliche Zweifel hegten wie ihre Glaubensgenossen. Je mehr sich die Situation zuspitzte, umso größer wurde auch ihr persönlicher Konflikt in ihrer Doppelrolle als Fürstendiener und Lutheraner. Doch ihre Drohung, bei einer erneuten Weigerung den Kontakt abzubrechen, machten die Räte nicht wahr. Nur wenige Tage später trafen sich Johann Friedrich von Löben, Raban von Canstein, Claus Ernst von Platen und Johann Georg Reinhart erneut mit den Predigern. Offensichtlich hatten sie die Zwischenzeit genutzt, um auch bei Hofe Vermittlungsversuche zu unternehmen, zeigten sie sich doch recht zuversichtlich, dass man dieses Mal eine Lösung finden könne, selbst wenn die Geistlichen erneut nur einen eigenen Revers einreichen würden. So erklärte Löben: Nun wolten sie nicht diejenigen seyn, so uns etwas wieder gewißen rathen wolten, bedauerte aber, daß hieraus angehende Unheil unser lieben kirche. bäten nochmahls weil sie nicht zeiffeln der Revers mochte angenommen werden, wie wir uns auch darin verwahren wolten, wir solten doch einen unser beliebens aufsezen, und Ihnen solch in privato zu communiciren, bezeugten danebst beteuerlich, daß sie bißhero als Ehrliche leute für uns gesprochen, aber nichts erhalten mögen, wurden auch forthin nichts erlangen, wenn wir uns nicht accomodierten, auch würden anwesende Hh stände schlechte antwort bekommen.¹⁰³¹

Die Berliner gingen auf das Angebot ein und setzten am Folgetag ein neues Reversprojekt auf, das sich inhaltlich stark an ihrem ersten Entwurf orientierte.¹⁰³² Lorentz berichtet, dass die Räte am 15. Juni eine Korrektur zurück vom Hof brachten, die deutlich kompromissbereiter war als die vorigen Korrekturen. Anstatt der Wendung zur FC enthielt der Revers ein Bekenntnis zu „dem Christlich

 Ebd., Fol. 18r.  Ebd., Fol. 19r.  Ebd., Fol. 19 f.

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Concordienbuche (quoad doctrinam)“ und es war eine Berufung auf die „schriften Lutheri“ sowie „seiner getreuen nachfolger“ ausgelassen. Auch fehlte ein Absatz, in dem es u. a. darum ging, dass das Verdammen den genannten Bekenntnisschriften zuwiderlaufe.¹⁰³³ Vor allem die Berufung auf die FC quoad doctrinam stellte eine leicht zu überlesende, aber umso interessantere Neuerung dar, bot sie doch einen Kompromiss, indem die Anathemata von den Doctrinalia in der FC getrennt wurden. Da der Kurfürst seine Kirchenpolitik stets mit Verweis auf die Verdammungen aufgrund der Anathemata in der FC gerechtfertigt hatte, bot dies einen möglichen Ausweg. Die Räte erwarteten von den Berlinern eine sofortige Zustimmung, doch die verweigerten sich auch diesem Vorschlag. In einer schriftlichen Stellungnahme machten sie u. a. deutlich, dass sie ihren „libris symbolicis nicht nur in tantum quoad doctrinam sed in totum quoad thesin et Antithesin“ verpflichtet seien – also der FC im Ganzen inklusive ihrer Antithesen bzw. Anathemata – und dass der Elenchus, auch wenn sie ihn stets mit Bescheidenheit betrieben hätten, nicht ausgeklammert werden könne. Nach wie vor hätten sie Gewissenskrupel.¹⁰³⁴ Damit hatten auch die Räte alle ihre Karten gespielt – und verloren. Nach einem Gespräch mit den Ständevertretern¹⁰³⁵ trafen sich die Geistlichen ein weiteres Mal mit Löben und Reinhart, die nur kurz erklärten, dass sie ihnen zu nichts raten wollten, was ihrem Gewissen zuwiderlaufe und sich somit aus ihren Vermittlungsversuchen zurückziehen würden. Die Berliner baten sie allerdings, sich weiter bei dem Kurfürsten für sie selbst und die lutherische Kirche einzusetzen.¹⁰³⁶ Tatsächlich zogen sich die lutherischen Hofbeamten zurück, während nun mit Johann Köppen und Friedrich von Jena zwei reformierte Räte weitere, jedoch ebenfalls erfolglose Vermittlungsversuche unternahmen.¹⁰³⁷ Dies hinderte die lutherischen Hofleute jedoch nicht daran, weiterhin mit den Predigern zu verkehren. So berichtet der Berliner Diakon Samuel Lorentz, wie er einige Zeit später, am 7.12.1665, bei Canstein zum Mittagessen geladen war, ge-

 Ebd. Die Korrekturen sind von Lorentz durch Klammern und Unterstreichungen kenntlich gemacht worden. Original in: GKl Archiv XII/90/2, Fol. 189 f. Vgl. zu diesem Reversentwurf auch Kapitel 6.1.2.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 19v–20r. Das Schreiben befindet sich auch in Lubaths Sammlung, vgl. GKl Archiv XII/90/2, Fol. 216 f.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 21. Die Stände hatten sich ebenfalls für die Räte eingesetzt. In diesem Zusammenhang fiel auch die Bemerkung Friedrich Wilhelms, dass er die Prediger jagen wolle, bis ihnen die Schuhe abfallen, die in Kapitel 2.5 zitiert wurde; vgl. zu den Bemühungen der Stände Schwartz: Stände.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 21 f.  Vgl. zu ihren Bemühungen Kapitel 6.2.

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meinsam mit anderen Lutheranern, namentlich dem Hof- und Kammergerichtsrat Hasso Adam von Wedel, dem kurfürstlichen Leibarzt Martin Weise und dem designierten Inspektor zu Fürstenwalde, Christoph Daniel Blume.¹⁰³⁸ Bei dieser Gelegenheit soll Canstein Lorentz gefragt haben, wie es mit der Kirchensache weitergehen würde. Als Lorentz antwortete, er wisse es nicht und die Spitze hinzusetzte, der Oberhofmarschall sei da vermutlich besser informiert, antwortete Canstein: Es were am besten wenn [die] Edicta und Reverse gantz auffgehoben werden könten. Weil aber solches nicht zu vermuthen, hette Er offt gerathen […] Weil Chfl. dhl. Herr im Lande weren […], solten dieselbe solches subscribiren nachlaßen und jeden laßen befehlen sich den Edicten gemäß zu bezeigen, oder den verbrecher darüber mit ernst anzusehen. Oder […] daß man denen so in officio säßen, solch subscription erließe, und sie nur von denen foderte, so da befoderung suchten, mit vorbehalt, daß die so nicht subscribiret hätten friedlich und verträglich lebeten.¹⁰³⁹

Nachdem Wedel antwortete, dass die erste Option die beste sei, äußerte Lorentz Bedenken zur zweiten Alternative, da er niemandem die Beichte abnehmen könnte, der einen Revers unterschrieben habe, der seinem Gewissen zuwiderlaufe. Canstein stimmte zu: „das ist wahr; das ist wahr. hierauff sagte ich [Lorentz] ferner: Es ist unmüglich unterschreiben und orthodox luhterisch bleiben.“ Als Wedel und Blume entgegneten, dass man dies nicht nur sagen, sondern „per rationes“ nachweisen und diese einreichen müsste, verwies Lorentz auf die vielen Versuche seiner Kollegen, an die Canstein sich gewiss noch erinnern könne. Wedel, immerhin ein Hof- und Kammergerichtsrat, war also anscheinend nicht im Bilde über all die vergangenen Versuche und bat schließlich, Lorentz sollte „die Hh. doch nur communiciren ad informationem“, was der Diakon ihm versprach.¹⁰⁴⁰ Auch wenn er und seine Kollegen nicht mehr an Lösungsvorschlägen arbeiteten, so beschäftigte Canstein also noch die religionspolitische Lage. Mit den Berliner Geistlichen hatte er als lutherisches Gemeindemitglied ohnehin regelmäßig zu tun und sprach gewiss häufiger mit ihnen, auch wenn nicht gesagt werden kann, ob er mit ihnen über die Reverse sprach. Jetzt, da er es tat, machte er zuerst deutlich, auf welcher Seite er steht, indem er sagte, die Reverse sollten am besten abgeschafft werden. Zugleich rechtfertigte er jedoch auch seine undankbare Rolle als Fürstendiener gegenüber Lorentz durch den Hinweis darauf, dass  Vgl. zu Wedel Bahl: Hof, S. 612 f.; vgl. zu Weise ebd., S. 615 f.; ferner Noack/ Splett: BioBibliographien. Berlin-Cölln, S. 477– 481; vgl. zu Blume Fischer: Pfarrerbuch 2.1, S. 66.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 54v–55r, Zitat Fol. 55r.  Ebd.

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eine solche Abschaffung unrealistisch sei. In einem lutherischen Kontext war dies ebenso geboten wie unausweichlich, zumal Lorentz durch seine Bemerkungen provozierte. Bemerkenswert sind indes Wedels Äußerungen, legen sie doch nahe, dass die anderen lutherischen Hofleute (zumindest jene von Adel), die nicht mit der Kirchenpolitik betraut waren, nur unzureichend über die Konflikte um das Reverswesen informiert waren. Zwei Tage nach dem Gespräch lud Wedel Lorentz schließlich zum Essen ein, um mit ihm bis tief in die Nacht über die Gewissensskrupel der Geistlichen zu sprechen. Er fragte nach, warum man die FC nicht ausgenommen der Anathemata befolgen könne, ließ sich von Lorentz erläutern, warum sich die Reformierten in Brandenburg nicht von anderen Calvinisten unterschieden,¹⁰⁴¹ und diskutierte mit dem Diakon über die Notwendigkeit des Exorzismus. Glaubt man Lorentz, so schloss Wedel das Gespräch mit der Feststellung, „er sehe wohl es würde auff solche art in diesem wercke kein Accomodement zu hoffen seyn.“¹⁰⁴² Es gab unter Lutheranern also einen gewissen binnenkonfessionellen Spielraum, der Gespräche wie die obigen ebenso ermöglichte wie die Vermittlungsversuche der lutherischen Räte. Sie konnten sich mit den Predigern über die Bedeutung der FC und Kompromisse austauschen und auch von streng konkordienlutherischen Positionen abweichen, ohne dass sofort ihre Konfessionszugehörigkeit angezweifelt wurde. Es musste nur klar sein, wo ihre Loyalitäten lagen. Andreas Fromm war aktiv gegen die FC und für irenische Positionen eingetreten – das war ein Schritt zu viel und hatte ihm viele Anfeindungen eingebracht.¹⁰⁴³ Canstein und seine Kollegen konnten ihre innerkonfessionelle Solidarität glaubhaft vermitteln, obwohl sie zur Streichung der FC aus den Reversen rieten und andere Kompromisse in Betracht zogen, wie Canstein sie am Esstisch darlegte. Solche binnenkonfessionellen Gespräche waren aber auf interkonfessioneller Ebene nicht möglich, seitdem Friedrich Wilhelm eine Reverspolitik verfolgte und bei den entscheidenden Punkten – allen voran der FC – keine Diskussion duldete. Eine Revers-Unterschrift aber ließ keine innerlutherischen Spielräume mehr für die Prediger, sondern schied in ihren Augen das Luthertum in einen orthodoxen Teil und die Synkretisten. Zwischen zwei kompromisslosen Fronten kämpften Canstein und seine Kollegen auf verlorenem Posten: Jeder Revers, den sie vorschlugen, musste an der starren Position entweder ihres Herrn oder ihrer Glaubensbrüder scheitern.

 Hierzu verwies Lorentz auf Stoschs summarischen Bericht, wonach man sich nicht von anderen reformierten Kirchen lösen wolle. Vgl. zu dem Bericht Kapitel 2.2.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 55r–55v, Zitat Fol. 55v.  Vgl. etwa Kapitel 4.1.4.

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Raban von Canstein wich indes nach seinen gescheiterten Vermittlungsversuchen auf andere Strategien aus, um sich für seine Kirche einzusetzen. Während Andreas Fromm sich im April 1666 für viele überraschend zur lutherischen Orthodoxie bekannte und mit den Berliner Predigern neue Alternativreverse aufsetzte,¹⁰⁴⁴ und mitten in den Auseinandersetzungen um Paul Gerhardts Entlassung aus dem Pfarramt,¹⁰⁴⁵ weilte Canstein bei seinem Herrn in Kleve und versuchte sich in verdeckter Einflussname. Zu dieser Zeit befand sich der dänische Gesandte Detlev von Ahlefeld beim kurfürstlichen Hofe in Kleve auf diplomatischer Mission.¹⁰⁴⁶ An ihn trat Canstein heran mit der Bitte, sich für seine Glaubensgenossen einzusetzen, wie Ahlefeldt in seinem Journal festhielt: Ist nichts vorgangen, alß daß Ich den herrn Feldmarschall Sparr, Herrn Bluhmenthall unndt den Ober-hoffmarschall h. von Canstein besuchet; da dan dieser letzter sich abermahlß über die verfolgung der Evangelischen prediger zue Berlin beschwerete; unndt daß Ich mitt Ihro Dhrl. herrn von Schwerin darauß reden mögte, begehret.¹⁰⁴⁷

Ob Canstein häufiger an Gesandte mit ähnlichen Anliegen herantrat, muss leider offen bleiben. Zumindest mit Ahlefeld muss er aber schon einmal darüber gesprochen haben, wie die Bemerkung zeigt, dass er sich „abermahlß“ beschwerte. Außerdem lässt sich nachweisen, dass er sich gemeinsam mit dem reformierten Geheimen Rat Friedrich von Jena am 13. 2.1667 in Berlin-Cölln mit dem hessischen Gesandten Lincker traf. Der berichtet, wie sie sich bei einem gemeinsamen Essen über die Edikte beschwerten, „daß man materialia und doctrinalia draus lassen sollen und wünschten daß sie niemahls solches solecismum in politica begehen möchten, alß bereits in Ecclesiasticis geschehen“.¹⁰⁴⁸ Auf die Tatsache, dass sich mit Jena auch ein Reformierter über die Kirchenpolitik beklagte, wird später noch eingegangen.¹⁰⁴⁹ Der überkonfessionelle Konsens im Urteil über die Reverse ist jedenfalls bemerkenswert und lässt den Rückschluss zu, dass der märkische Kirchenstreit den ganzen Hof intensiv beschäftigte. Bedauerlicherweise finden sich kaum Zeugnisse solcher face-to-face-Kommunikation.

 Vgl. Kapitel 4.5.  Vgl. ausführlich dazu Ruschke: Paul Gerhardt, S. 436 – 443.  Vgl. Kapitel 5.1.  Vgl. Höhnk: Ahlefeldt, S. 118.  HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 353, Bericht vom 13./23. 2.1667. In seiner grundsätzlich sehr ausführlichen Zusammenfassung der Berichte Linckers unterschlägt Ribbeck, dass auch Canstein bei dem Treffen dabei war, vgl. Ribbeck: Berichte, S. 143.  Vgl. Kapitel 6.2.

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Von Lincker kann man auch erfahren, wie Canstein reagierte, wenn eine Situation für ihn unerträglich wurde. Er berichtet zum 27. 2.1667, dass Canstein aufs Land vereist sei, höchstwahrscheinlich, weil er sich der Introduzierung Johann Buntebarts als Probst und Inspektor in St. Petri zu Cölln an der Spree habe entziehen wollen. Wie Lincker richtig beobachtet hatte, galt Buntebart als Synkretist, wofür er bekanntlich bereits von Elias Sigismund Reinhart angegriffen worden war,¹⁰⁵⁰ und hatte seinem Ruf alle Ehre gemacht, indem er Stosch bei der Abfassung des sog. zweiten Toleranzedikts zur Hand gegangen war.¹⁰⁵¹ Canstein sei für die Einführung ins Amt zuständig gewesen, doch nun „hat also die bereits außgefertigte auff herrn Canstein gerichtete Comission geändert und herr dechant gröben an dessen statt müssen benahmet werden.“¹⁰⁵² Die Einführung Buntebarts wäre ein öffentlicher Akt gewesen, der Canstein für Außenstehende symbolisch in die Nähe des Synkretisten hätte rücken können. Das galt es zu vermeiden, da er bisher von der Trennung der lutherischen und höfischen Kommunikationskontexte bzw. Bühnen profitiert hatte. Wurde der Rollenkonflikt zwischen dem Fürstendiener und dem Lutheraner im Hofmann als zu schwerwiegend empfunden, blieb in bestimmten Fällen also noch immer die Möglichkeit, sich einer Situation unter Vorwand zu entziehen. Auch als Fromm seine Siegel hatte abgeben müssen, waren fast alle seine Kollegen aus dem Konsistorium und der Petrikirche aus verschiedenen Gründen unpässlich gewesen.¹⁰⁵³ Ob dieses Verhalten negative Konsequenzen hatte, ist nicht überliefert.

5.3.3 Zwischenresümee und Exorzismus Die vorigen Abschnitte haben gezeigt, in welche Zwangslage die lutherischen Räte angesichts der verschärften Religionspolitik geraten waren. Sie repräsentierten einerseits die kurfürstliche Autorität, doch waren andererseits auch ihren Glaubensgenossen verpflichtet. Da Friedrich Wilhelm erwartete, dass sie seine Autorität gegenüber den Berliner Predigern durchsetzen, während die Prediger gleichzeitig auf die innerkonfessionelle Solidarität ihrer Schäflein hofften, gerieten die Hofleute in einen Rollenkonflikt. Auch wenn die Quellen diesen Konflikt durch ihre Perspektive vor allem in Form opponierender Verhaltenserwartungen abbilden, ist auch die persönliche Komponente nicht zu unterschätzen.  Vgl. Kapitel 4.4.2 u. 5.2.  Vgl. Kapitel 4.5.  HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 353, Bericht vom 27.2./9. 3.1667, vgl. auch Ribbeck: Berichte, S. 145.  Vgl. Kapitel 4.5.

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Dies wurde schon an Seidels Beispiel demonstriert, lässt sich aber auch bei Canstein erkennen. Er war ein gemäßigter Lutheraner, der überkonfessionelle Kontakte pflegte, durch treue Dienste für seinen reformierten Herrn höchste Würden erhalten hatte und dem Polemik zuwider war, sofern man seiner Lebensbeschreibung Glauben schenkt. Aber er war dennoch ein überaus überzeugter Lutheraner, der unter anderen Umständen womöglich eine theologische Laufbahn eingeschlagen hätte. Er stand – genau wie seine lutherischen Kollegen – zwischen den Fronten. Eine solche Position wäre unter anderen Umständen vollkommen unproblematisch gewesen, da es keinen Grund gegeben hätte, sie zu thematisieren. Nun aber, in Zeiten des Konflikts, nahm der Druck zu, sich für eine Seite zu entscheiden – den Fürsten oder die Konfession. Und der wuchs, erst mit dem Religionsgespräch, dann mit den Toleranzedikten und schließlich mit den Reversen und den Remotionen der Geistlichen, bis er schließlich kaum mehr aufzulösen war, da Friedrich Wilhelm seine Autorität und die Prediger ihr Gewissen bedroht sahen. Die Räte standen damit vor der Frage: Was tust Du als Lutheraner, wenn sich andere Lutheraner durch eben jenen Landesherrn bedrängt fühlen, dem Du in Treue verbunden bist? Die Antwort Cansteins und seiner Kollegen war ein schwieriger Balanceakt. Ab 1665, als der Konflikt einen neuen Höhepunkt erreichte, setzten sie sich engagiert für eine Lösung im Märkischen Kirchenstreit ein, ohne aber dabei die Kirchenpolitik aktiv zu sabotieren. Offensichtlich wägten sie ihre beschränkten Handlungsmöglichkeiten dabei sorgfältig ab und entwickelten verschiedene Strategien, um die Situation zu bewältigen. Zuvorderst passten sie ihr Auftreten den sozialen Kontexten an, in denen sie sich bewegten. Der auf den Kurfürsten bezogene und der auf die Prediger bezogene Kontext waren recht klar voneinander abgegrenzt. Beide Sphären nutzten die Hofleute als Bühnen, auf denen sie sich den entsprechenden Situationen und der Frage „was geht hier eigentlich vor?“ anpassten. Nur so konnte Platen den Geistlichen sagen, dass sie die FC in ihre Deklaration aufnehmen können, obwohl er es hätte besser wissen müssen (und vermutlich auch wusste), und nur so konnte Canstein in der Ratsstube das gemeinsame Glaubensfundament beschwören und den Predigern zugleich mitteilen, dass er ihnen die FC gerne gönnen würde, wenn es denn in seiner Macht stünde. Entscheidend war, dass weder die Berliner noch Friedrich Wilhelm und seine reformierten Ratgeber jeweils davon erfuhren. Auf diese Weise konnten Canstein und seine Kollegen vermitteln und sich gleichermaßen gegenüber beiden Seiten in ein positives Licht rücken. Diese Strategie war neben dem Dienst an ihrer Kirche auch für ihr persönliches Schicksal relevant, da es keinen Konfessionseid für Fürstendiener gab und sie ihre Loyalität somit nur über Kommunikation vermitteln konnten. Gleichzeitig konnte es nicht in ihrem Interesse sein, vor ihren Glaubensbrüdern als Synkretisten dazustehen wie Andreas Fromm, zumal sie ja tatsächlich um

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ihre Kirche besorgt waren. Nur weil sie durch ihr Verhalten von beiden Seiten das Vertrauen hatten, konnten sie überhaupt Aussicht auf Erfolg bei ihren Vermittlungsversuchen haben. Nebenbei erhielten sie somit die Integrationskraft des Hofes und die Kommunikationskanäle der ihre Konfessionsneutralität laufend beschwörenden Obrigkeit aufrecht. Auf die beengende und konfliktträchtige Kodifizierung des interkonfessionellen Zusammenlebens (zugunsten der Reformierten) durch Edikte und Reverse reagierten sie mit Flexibilität. Sie nutzten also die getrennten Kommunikationsräume bewusst, um sich selbst zu schützen und die Kirchenpolitik ebenso wie den konfessionellen Konflikt in ihrem Sinne zu beeinflussen. Je stärker dieser Konflikt sich zuspitzte, umso breiter fächerte Canstein dabei seine Strategien aus. Nachdem die Vermittlungsversuche gescheitert waren, versuchte er über informelle Kanäle die Kirchenpolitik abzumildern, indem er an Ahlefeldt herantrat. Zudem blieb als letzte Möglichkeit der Rückzug, um dem Rollenkonflikt auszuweichen, wie es bei der Einsetzung Buntebarts geschehen war. Während Seidel an Schilling noch schreiben konnte, dass das Luthertum glücklicherweise noch keine Bedrückung durch die Obrigkeit erfahre,¹⁰⁵⁴ ist Cansteins Verhalten bereits das Resultat eben dieser Bedrückung. Es werden also vier Verhaltensweisen greifbar, die das Funktionieren des Hofes, die Beruhigung des Kirchenstreits, die eigene Stellung der lutherischen Räte bei Hofe sowie ihr Gewissen gewährleisten bzw. schützen sollten: Loyalitätsbekundungen, Vermittlungsversuche, informelle Beeinflussung und Abwesenheit. Hinter der konfessionellen Legitimationsfassade des Hofes befand sich eine höfische Bühne, auf der die lutherischen Hofleute gemeinsam mit dem Kurfürsten sich ihres wechselseitigen Treueverhältnisses versicherten. Daneben wiederum existierte eine lutherische Bühne, auf der sie ihren Glaubensgenossen ihre Unterstützung zusicherten und Vermittlungsversuche initiierten. Darüber hinaus deutet sich zusätzlich zur lutherischen Bühne noch eine Hinterbühne des Hofes an, auf der Canstein bei Gesandten um Hilfe bitten und sich mit Jena über die Kirchenpolitik auslassen konnte. Diese Hinterbühne bleibt zwangsläufig zum Großteil im Verborgenen, da sie von mündlicher Kommunikation geprägt war, aber man kann sie anhand weiterer Beispiele dokumentieren.¹⁰⁵⁵ Auch wenn Canstein (im Gegensatz etwa zu Fromm) kaum Einblicke in seine Gefühlswelt gewährt, verdeutlichen die wenigen dokumentierten emotionalen Reaktionen Cansteins – sei es gegenüber Lincker bezüglich der Reverse, gegenüber den Geistlichen, als diese stur blieben, oder indirekt bei seiner Abwesenheit während Buntebarts Introduktion – dass er sehr wohl persönlich betroffen war.

 Vgl. Kapitel 5.3.1.2.  Vgl. Kapitel 6.2.

5.3 Vermitteln, Beeinflussen, Fernbleiben: Die lutherische Bühne

217

Das Verhalten des Kurfürsten und der Prediger beschäftigte ihn intensiv, verärgerte ihn auch mitunter und brachte ihm viel „Verdrießlichkeit“, um es in seinen Worten auszudrücken.¹⁰⁵⁶ Hier wird zumindest in Ansätzen greifbar, wie schwierig der Wechsel zwischen den Bühnen für die lutherischen Räte tatsächlich zu bewältigen gewesen sein muss. Natürlich war nicht jede Situation in ihrem Alltag potenziell konfessionell gefährlich, sodass sie nicht laufend dissimulieren mussten. Sie mussten aber sehr wohl wachsam sein, um in den richtigen Situationen angemessen zu reagieren und das jeweils passende zu sagen oder zu verschweigen. Sie waren für lange Zeit ganz selbstverständlich Lutheraner und Fürstendiener zugleich gewesen. Nun mussten sie – nicht in allen Situationen, aber immer wieder – diese Identitäten strategisch voneinander abspalten und gegeneinander ausspielen, mit dem Ziel, sich und ihre Kirche so gut es geht zu schützen. Die persönliche Verstrickung der Räte illustriert auch eine kurze, aber aussagekräftige Episode um den lutherischen Geheimen Kriegsrat Claus Ernst von Platen, die von Martin Lubath dokumentiert wurde. Ihm Juni 1664 bat er den Archidiakon, dass er „dero töchterchen tauffen möchte, und den Exorcismus auslaße, weil fürstliche Persohnen dabey sein würden (es wer da die fürstin von Anhalt, der Churfürstin fraw Schwester, und eine Fürstin von Donah bei) welche solchem nicht beywohneten.“¹⁰⁵⁷ Bei den fürstlichen Personen handelte es sich nur um reformierte Damen. Lubath weigerte sich, da die Auslassung des Exorzismus seinem Gewissen zuwider laufe und konsultierte auch seine Kollegen,¹⁰⁵⁸ die ihm in einer schriftlichen Erklärung zustimmten.¹⁰⁵⁹ Laut Lubath habe Platen seine Aussage daraufhin relativiert. Er habe nur darum bitten wollen, dass der Exorzismus wegen der fürstlichen Damen „nicht bey der tauffe, sundern vorher möchte adhibiret werden.“ Dies aber sei Lubath zufolge ohnehin die gängige Praxis. Er habe das Kind mit Exorzismus getauft.¹⁰⁶⁰ Auch hier war Platen in einer undankbaren Zwischenposition. Als Hofmann suchte er die Bindung zum Hof und war an standesgemäßen Taufpaten interessiert. Auf keinen Fall sollte ein Exorzismus zu Irritationen bei den fürstlichen Personen führen. Doch die Prediger aus der eigenen Gemeinde galt es ebenso wenig gegen sich aufzubringen. Die Lösung war in diesem Fall einfach, da der Exorzismus getrennt von der Taufe praktiziert wurde und somit aus Sicht der Reformierten auf einer Hinterbühne im Verbor-

    

AFSt/H A 154a), Zitat Fol. 75v–77r; für das volle Zitat vgl. Kapitel 5.3.2.1. GKl Archiv XII/90/2, Fol. 180r. Ebd. Ebd., Fol. 179r. Ebd.

218

5 Strategien des lutherischen Hofmanns im märkischen Kirchenstreit

genen stattfand. Der Konfessionskonflikt in Berlin und Brandenburg hatte also für die Räte nicht nur eine politische Dimension, sondern betraf auch ihren Alltag. Das wurde ein weiteres Mal deutlich, als Samuel Lorentz im Juli 1668 nach einem Konflikt mit dem Probst und späteren Konsistorialrat Andreas Müller¹⁰⁶¹ um die FC entlassen wurde.¹⁰⁶² Lorentz musste das Land verlassen und ging nach Sachsen-Merseburg. In seinen Aufzeichnungen dankt er allen seinen Gönnern, die ihn bei seinem Gang ins Exil finanziell unterstützt haben. Darunter sind: Raban von Canstein mit 50 Reichstalern, Martin Friedrich Seidel mit 10, Johann Georg Reinhart mit 4 und sogar die Witwe von Joachim Kemnitz mit 6 Talern.¹⁰⁶³ Die Lutheraner hielten zusammen.

 Müller ist heute vor allem als gelehrter Orientalist bekannt, vgl. Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 272– 293.  Lorentz hatte Müller vom Abendmahl ausgeschlossen, weil dieser bei seiner Ordination auf die Toleranzedikte geschworen hatte. Vgl. zu dem Konflikt Ruschke: Paul Gerhardt, S. 492– 495; vgl. auch Hering: Neue Beiträge 2, S. 254– 256. Ausführlich hat Lorentz den Konflikt und seine Absetzung selbst dokumentiert, vgl. FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 139 – 172 und 117– 120; weitere Akten in einer separaten Mappe in GStA PK Rep. 47, Tit. 19 [Ma 142; 1660 – 1670], unfol. und in GKl Archiv XII/90/2, Fol. 408 – 414.  Die Liste befindet sich in: FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 162 f.

6 Otto von Schwerin und die reformierte Perspektive 6.1 Otto von Schwerin 6.1.1 Otto von Schwerin – ein konfessionelles Profil Die reformierten Räte waren verständlicherweise von der Kirchenpolitik nicht so stark persönlich tangiert wie ihre lutherischen Kollegen, weshalb die Quellenlage hier deutlich schlechter ist. Dennoch lassen sich hier und da einige Schlaglichter auf die reformierte Perspektive werfen. Dies gilt insbesondere für den Oberpräsidenten Otto von Schwerin, jahrzehntelang der engste Vertraute Friedrich Wilhelms und Luise Henriettes.¹⁰⁶⁴ Der 1616 in Pommern geborene Schwerin trat 1638 als Kammerjunker in brandenburgische Dienste und wurde 1645 Wirklicher Geheimer Rat. Unmittelbar nach der Hochzeit Friedrich Wilhelms mit der Oranierprinzessin Luise Henriette im Jahr 1646 wurde er zudem Oberhofmeister der frisch gebackenen Kurfürstin. Neben zahlreichen weiteren Funktionen und Ehrungen wurde er u. a. 1648 in den Freiherrenstand erhoben und 1654 zum Erbkämmerer der Kur- und Mark Brandenburg ernannt. 1658 schuf der Kurfürst für ihn sogar die neue Stelle des Oberpräsidenten des Geheimen Rats. Er bekleidete damit die höchste Charge bei Hofe und musste sich in Rangfragen nur Reichsgrafen unterordnen. Bis zu seinem Tode im Jahr 1679 nahm Schwerin sowohl formell als auch informell eine der mächtigsten Stellungen bei Hofe ein.¹⁰⁶⁵ Otto von Schwerin war ursprünglich lutherisch getauft, doch konvertierte bereits in jungen Jahren zum reformierten Glauben, vermutlich um 1637, also jener

 Vgl. zu Schwerin Hein: Schwerin. Die anlässlich seines 400. Geburtstags veröffentlichte Biographie von Kerrin Gräfin von Schwerin bietet keine neuen Erkenntnisse zum Oberpräsidenten und basiert ausschließlich auf der bestehenden Literatur, vgl. Schwerin, Kerrin Gräfin von: Otto von Schwerin. Oberpräsident und Vertrauter des Großen Kurfürsten. Berlin 2016; vgl. ferner zu Schwerin Rohrschneider, Michael: „…vundt keine favoritten ahn Eurem hoffe haltet“: Zur Stellung Ottos von Schwerin im Regierungssystem des Großen Kurfürsten. In: Der Zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Michael Kaiser u. Andreas Pečar. Berlin 2003 (Zeitschrift für Historische Forschung Beiheft 32), S. 256 – 269; Hirsch, Ferdinand: Otto v. Schwerin. In: HZ 71 (1893), S. 193 – 259; Niedlich, Karl Ulrich: Otto von Schwerin. Ein christlicher Staatsmann des 17. Jahrhunderts. In: JBBK 47 (1972), S. 55 – 63; Bahl: Hof, S. 584 f.  Für einen gedrängten Überblick zum Lebensweg und seiner Stellung vgl. Rohrschneider: Otto von Schwerin, S. 257 f.; vgl. auch Bahl: Hof, S. 584 f. https://doi.org/10.1515/9783110647006-008

220

6 Otto von Schwerin und die reformierte Perspektive

Zeit, in der er in brandenburgische Dienste trat.¹⁰⁶⁶ Ausschließlich karrieristische Motive hinter der Konversion kann man jedoch nicht nachweisen, abgesehen davon, dass die Herstellung einer solchen Kausalität sehr eindimensional wäre.¹⁰⁶⁷ In jedem Fall kann man Schwerin nicht absprechen, dass er von einer tiefen Frömmigkeit geprägt war, was sich vor allem in zahlreichen selbst verfassten Reflexionen, Gebeten und Kirchenliedern offenbart, die nach seinem Tod herausgegeben wurden.¹⁰⁶⁸ Ähnlich wie bei den Schriften Cansteins lässt sich aus diesen vor allem der Erbauung und persönlichen Andacht dienenden Texten keine konfessionell eindeutige Färbung oder gar Polemik nachweisen, was in dieser Textgattung auch wenig zielführend wäre.¹⁰⁶⁹ Ohnehin zweifelte niemand Schwerins reformierte Überzeugungen an. Schließlich war es sein Glaube, der ihn zu einem der engsten Vertrauten der Kurfürstin Luise Henriette machte. Als sie in den ersten Jahren nach der Hochzeit

 Vgl. Hein: Schwerin, S. 3; Hirsch: Schwerin, S. 195. Das Jahr seiner Konversion lässt sich allerdings nicht mehr archivalisch nachweisen, sondern stützt sich allein auf die Familienbiographie der Schwerins, vgl. Gollmert, Ludwig (Hrsg.): Geschichte des Geschlechts von Schwerin. Theil 2. Biographische Nachrichten. Berlin 1878, S. 305.  Dass ein dualistisches Denken in sich ausschließenden zweckrationalen und vermeintlich ehrlichen religiösen Konversionsmotiven zu kurz greift, wies exemplarisch etwa Mader anhand der Konversion Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg nach, vgl. Mader, Eric-Oliver: Die Konversion Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg: Zur Rolle von politischem und religiös-theologischem Denken für seinen Übertritt zum Katholizismus. In: Lotz-Heumann (Hrsg.): Konversion und Konfession, S. 107– 146. An Bahls Ausführungen zu Konversionen wird m. E. deutlich, wie schwer und spekulativ es in vielen Fällen ist, Konversion und karrieristische Motive tatsächlich kausal miteinander zu verknüpfen, vgl. Bahl: Hof, S. 213 – 215.  Seine Schriften wurden gemeinsam mit den Werken seines Sohnes veröffentlicht, vgl. O. A.: Zweyer hohen Standes-Personen Geistreiche Gebäthe/ Tieffsinnige Meditationes, und Anmuthige Paraphrases verschiedener Psalmen […] Küstrin 1715.  Laut Hein kommt in den Texten das „Vertrauen auf die alles verzeihende Gottesliebe“ zum Ausdruck, was sowohl auf die lutherische Lehre als auch den brandenburgisch-reformierten Gnadenuniversalismus schließen lässt. Er verweist ferner auf ein Gebet für den Kirchenfrieden einschließlich der Bitte, Gott möge die Reformierten davor behüten, dem Exempel ihrer Verfolger zu folgen, vgl. Hein, Schwerin, S. 265 f. In der Tat betont Schwerin mehrfach die alleinige Gnade Gottes als Weg zur Seligkeit, vgl. Geistreiche Gebäthe, S. 302 f. 344 f., 395 f. Andererseits schreibt er in einem Text zu dem Thema, „wie man sich der Sicherheit entschlagen könne“, dass Gott ihm das Himmelreich und die „Crone der ewigen Ehre“ versichere, er aber trotzdem nicht von der Übung eines heiligen Lebens abweichen solle, was man wiederum auf die reformierte Prädestinationslehre hin deuten könnte, vgl. ebd., S. 145 – 151, Zitat S. 148. Es bleibt problematisch, aus solchen Erbauungsschriften und Gebeten spezifische konfessionelle Lehrpunkte herauszufiltern. Auch in Paul Gerhardts Liedern erfährt man schließlich nichts über die FC. Wie im Übrigen auch bei Cansteins geistlichen Texten muss eingeräumt werden, dass Theologen hier möglicherweise noch Feinheiten erkennen könnten, die mir verborgen blieben.

6.1 Otto von Schwerin

221

mehrere Fehlgeburten erlitt, stand ihr Schwerin bei und baute so eine starke religiöse Verbundenheit zu ihr auf, wie er selbst schreibt: „besonders auch I.C.D. meine gnädigste Frau während Dero langwierigen Betrübnisse über so viele unglückliche und unzeitige Geburten, und den so lang hinterzogenen Segen Gottes gnädigst begehret, daß [ich] mit Deroselben und anderen, so um I.C.D. waren, die Zeit mit Singen, Beten, Lesen in der Bibel und anderen Andachtsbüchern zubringen sollte. Wie ich denn zu dem Ende einige Gebete zu I.C.D. Wohlgefallen selbst verfertiget“.¹⁰⁷⁰

Einige dieser Gebete für seine Herrin sind in Orlichs Werk zur Geschichte des preußischen Staates abgedruckt. Hierin deutet er etwa den Tod ihrer Tochter Amalie als „Zuchtrute Gottes“¹⁰⁷¹ und hebt – im Gegensatz zu Schwerins Gebeten aus der gedruckten Sammlung – ganz deutlich die Gewissheit der eigenen Erwählung hervor.¹⁰⁷² Durch diesen spirituellen Beistand stand er sehr hoch in der Gunst der Kurfürstin, was 1651 sogar zu einem Duell zwischen Schwerin und dem Oberkammerherrn Konrad von Burgsdorff führte, der sich als damals mächtigster Mann bei Hofe zurückgesetzt und in seiner Ehre gekränkt fühlte.¹⁰⁷³ Von ihrem vertrauensvollen Verhältnis zeugt auch eine Reihe von Briefen Luise Henriettes an

 GStA PK, I. HA, Rep. 94, IV HC 9, Bd. 1, Fol. 6r–7v; abgedruckt bei Orlich: Geschichte des preußischen Staates 1, S. 562. Das Zitat stammt aus einem Tagebuch, das Schwerin anlegte, um die Erziehung der Prinzen zu dokumentieren, die ihm 1662 von Luise Henriette übertragen wurde (siehe unten).  Vgl. Orlich: Geschichte des Preußischen Staates 3, S. 386 f. Insgesamt befinden sich bei Orlich drei Gebete für die Kurfürstin, ebd., S. 384– 390.  So heißt es bspw. in einem Gebet zur Geburt Karl Emils, „das der heilige Geist mich zu Dir undt Deinem ewigen himmlischen Reiche berufen hat“, ebd., S. 386. Im Gebet zum Tod Amalies steht: „[…] lass mich allezeit diesen lebendigen Trost in meinem Herzen finden, dass ich dein auserwähltes Kind bin.“ Ebd., S. 387. Das dritte Gebet ist noch deutlicher: „Denn Du hast mich, da ich noch nicht geboren war, von Ewigkeit her in die Zahl Deiner gläubigen Kinder, aus unbegreiflicher Liebe mit aufgenommen.“ Ebd., S. 388.  Davon berichtet etwa Pusthius in seiner Berliner Chronik, vgl. [Pusthius]: Chronicon Berolinense, S. 31. Zwar blieb das Duell ohne Todesfolge, doch bei Burgsdorff sollte der Tod nicht allzu lange auf sich warten lassen und schlug im nächsten Jahr zu, kurz nachdem er beim Kurfürsten in Ungnade gefallen war. Vgl. zu Burgsdorffs Sturz Opgenoorth: Friedrich Wilhelm I, S. 231– 235; vgl. allgemein zu Burgsdorff Spannagel, Karl: Konrad von Burgsdorff. Ein brandenburgischer Kriegs- und Staatsmann aus der Zeit der Kurfürsten Georg Wilhelm und Friedrich Wilhelm. Berlin 1903 (Quellen und Untersuchungen zur Geschichte des Hauses Hohenzollern 5); ferner Bahl: Hof, S. 443 – 445. Schwerins große Bedeutung und gute Beziehung zur Kurfürstin kommen auch in dem Gemälde „Allegorie auf die Gründung Oranienburgs“ des Malers Willem van Honthorst zum Ausdruck, in dem Schwerin eine der zentralen Figuren darstellt, vgl. zu dem Gemälde Sammler, Bauherr, Mäzen, S. 19 (Gemälde) u. 30 (Beschreibung).

222

6 Otto von Schwerin und die reformierte Perspektive

Schwerin, die neben Ausführungen zu ihrem Gut in Oranienburg und politischen Angelegenheiten auch Persönliches und Alltägliches enthalten.¹⁰⁷⁴ Konfessionsspezifische Inhalte finden sich dagegen kaum, sieht man von einem Einzelfall ab, als Luise Henriette die letztlich unbegründete Sorge hatte, dass ihr Mann zum Katholizismus konvertieren könnte.¹⁰⁷⁵ Die Kurfürstin war ferner bei der Geburt dreier Kinder Schwerins zugegen, von denen er zwei auf ihren Wunsch nach ihrem Erstgeborenen Sohn Wilhelm Heinrich und nach ihrem Vater Friedrich Heinrich taufen ließ.¹⁰⁷⁶ Schließlich betraute Luise Henriette Schwerin ab 1662 sogar mit der Erziehung ihrer Söhne. So wurde er zum Hofmeister der Prinzen Karl Emil und Friedrich, des späteren Königs in Preußen, sowie später auch Ludwigs. Luise Henriette schrieb dazu 1663 in einem Brief an Schwerin Folgendes: Sie wissen, wie ich Gott versprochen habe, mein Kind in Gottesfurcht zu erziehen, wenn er mir eines schenkt; das ist mein größter Wunsch auf Erden! Ich weiß, dass er in guten Händen ist, die fähig sind, es zu umsorgen; es gibt keine Person, die das besser könnte als Sie.¹⁰⁷⁷

 Von den Briefen sind heute nur noch wenige Exemplare enthalten. Sie befinden sich im Bundesarchiv Koblenz und sind als Mikrofilm im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz verfügbar, GStA PK, XIII. HA, Nr. 96, 2. Leopold von Orlich hat einen Großteil der Briefe ediert, vgl. Orlich: Geschichte des Preußischen Staates 3, S. 422– 478. Hirsch hat Orlichs Transkriptionen teilweise korrigiert, einige neue Briefe ermittelt, sie nummeriert sowie chronologisch geordnet, vgl. Hirsch, Ferdinand: Die Briefe der Kurfürstin Luise Henriette von Brandenburg an den Oberpräsidenten Otto v. Schwerin. In: FBPG 8 (1895), S. 173 – 206. Die Themen in den Briefen reichen von Alltäglichem, wie dem Bedauern der Kurfürstin, dass sie dieses Jahr nicht Karpfen fischen konnte (Brief 58), über ihre Trennung vom Kurfürsten während seiner Feldzüge (u. a. Brief 7, 13, 57) bis hin zu Briefen zur Geburt von Schwerins Tochter, bei der sie als Beistand zugegen war, da der Oberpräsident verreist war (Brief 3, 11).  Vgl. Orlich: Geschichte des Preußischen Staates 3, Nr. 14, S. 435; dazu Hirsch: Briefe, S. 191.  Vgl. etwa die Briefe 3 und 11 bei Orlich: Geschichte des Preußischen Staates 3, S. 426 u. 432 f.; dazu Hirsch: Briefe, S. 187 u. 189 f.; die weiteren Angaben bei Hirsch: Schwerin, S. 206. Bei Hirsch fehlen leider Quellenangaben, aber vermutlich gehen seine Ausführungen auf Aufzeichnungen Schwerins zu Heiraten und Geburten zurück, die dessen Sohn Otto von Schwerin d.J. abgeschrieben hatte und die Hirschs Vater aus dem alten Schwerinschen Familienarchiv in Wildenhof kopieren konnte, ebd., S. 194. Man könnte noch mehr Beispiele für das gute Verhältnis der beiden anbringen, etwa dass Luise Henriette Taufpatin für eine seiner Töchter war und dass Schwerin die Ehe zwischen ihrer jüngeren Schwester Henriette Catharina von Oranien und dem Statthalter Johann Georg II. zu Anhalt-Dessau einfädelte, vgl. dazu Hein: Schwerin, S. 152 f.; zur Heirat Johann Georgs II. und die Hintergründe vgl. Rohrschneider: Johann Georg II., S. 51– 73; zur Bedeutung Schwerins als „ambassadeur d’amour“ ebd., S. 55 f.  „Vous savez comme je promis à Dieu de le faire nourir en sa crainte s’il me donne un enfant; c’est mon plus grand souhait en ce monde! je sais que il est en une si bonne main qui en aura assez de soin, il n’y a personne qui fait mieux cela que Vous.“ Orlich: Geschichte des Preußischen Staates 3, Brief 30, S. 454 f, Zitat S. 455; Übersetzung nach Hein: Schwerin, S. 255.

6.1 Otto von Schwerin

223

Für Luise Henriette war Schwerin also nicht nur ein fähiger Vertrauter, sondern ein religiös so einwandfreier Charakter, dass sie ihm sogar die Unterweisung ihrer Kinder anvertraute.¹⁰⁷⁸ Wie schon bei den Lutheranern Martin Friedrich Seidel und Raban von Canstein hielt Schwerins fester Glaube ihn aber keineswegs von konfessionsübergreifender Interaktion ab.¹⁰⁷⁹ Diese führte ihn in einem Fall sogar bis vor den Traualtar: So war er etwa in zweiter Ehe mit der lutherischen Helene Dorothea von Kreytzen von 1656 bis zu ihrem Tod 1677 verheiratet.¹⁰⁸⁰ Ähnlich wie bei Cansteins interkonfessionellen Beziehungen – der allerdings stets in lutherischen Heiratskreisen verblieb – muss man Schwerins Ehen vor dem Hintergrund adliger Vernetzung betrachten,¹⁰⁸¹ stammten doch seine insgesamt drei Ehefrauen jeweils aus pommerschen, preußischem und märkischem Adel.¹⁰⁸² Immerhin aber begleitete er seine zweite Frau Helene Dorothea hin und wieder sogar in lutherische Gottesdienste, wenn er auf seinem Gut in Altlandsberg weilte, und nahm auch die Prinzen mit, wie er in dem Tagebuch berichtet, das er zur Dokumentation ihrer Erziehung führte. So erfährt man etwa von einer Episode vom 22. 2.1663, als der Kurprinz anscheinend zum ersten Mal mit lutherischen Kirchenbräuchen konfrontiert wurde: „Kurtz nach 6. aufgestanden, gebehtet undt ganz angezogen, ümb 8. in die reformirte kirche gegangen, ümb halb 10. in die lutterische, undt weil er meine fraw daselbst communiciren sehen, hatt er den prediger hernach gefraget, warümb er am tage liecht anzünde.“¹⁰⁸³ Es ist gut möglich, dass diese Gottesdienstbesuche nicht alleine ein Zugeständnis an Schwerins Ehefrau waren, son-

 Vgl. zur Erziehung der Prinzen auf Grundlage des Tagebuchs Hirsch, Ferdinand: Die Erziehung der älteren Söhne des Großen Kurfürsten. In: FBPG 7 (1894), S. 141– 171; ferner Orlich: Geschichte des Preußischen Staates 1, S. 561– 636. Dort sind auch zahlreiche Auszüge aus dem Tagebuch abgedruckt.  Vgl. zu Seidels und Cansteins interkonfessioneller Interaktion Kapitel 5.3.1.1 u. 5.3.2.1.  Vgl. Hein: Schwerin, S. 264.  Bikonfessionelle Ehen waren laut Freist beim Adel zwar kein alltägliches, aber im Allgemeinen akzeptiertes Mittel zum Eintritt in geschlossene soziale Kreise, vgl. Freist: Glaube – Liebe – Zwietracht, S. 312. In Brandenburg betrachtete man solche Verbindungen insgesamt mit deutlich mehr Skepsis, vgl. Göse: Rittergut, S. 397. Bei der höfischen Elite waren bikonfessionelle Eheschließungen selten, vgl. Kapitel 3.2.  Seine anderen Ehefrauen waren Sophie von Schlabrendorff und Dorothea von Flemming, vgl. Bahl: Hof S. 584 u. die Verwandtschaftstafel ebd., S. 638. Durch eine kluge Heiratspolitik für seine insgesamt 8 Töchter gelang es Schwerin, sein Familiennetzwerk in Brandenburg-Preußen noch deutlich auszubauen, vgl. Hahn: Aristokratisierung, S. 198.  GStA PK, I. HA, Rep. 94, IV HC 9, Bd. 1, Fol. 24 f., Zitat Fol. 24v.; abgedruckt bei Orlich: Geschichte des Preußischen Staates 1, S. 576 f. Im Tagebuch sind weitere doppelte Gottesdienstbesuche am 7. und 8. 5.1663, dem 14. 5.1663, dem 29. 5.1664, dem 22. und 23. 3.1668 sowie dem 20. 8. 1671 dokumentiert: GStA PK, I. HA, Rep. 94, IV HC 9, Bd. 1, Fol. 39 f., 90; Bd. 2, Fol. 42 f., 213.

224

6 Otto von Schwerin und die reformierte Perspektive

dern – gerade wenn die Prinzen ihn begleiteten – auch eine große symbolische Bedeutung hatten und somit Teil der kurfürstlichen irenischen Selbstdarstellung waren:¹⁰⁸⁴ Schwerin konnte damit sowohl die Bindung der Herrschaft an die lutherischen Untertanen demonstrieren sowie seine eigenen Bande als Herr über Altlandsberg zur Bevölkerung stärken. Noch bemerkenswerter ist indes ein anderer Eintrag aus dem Erziehungstagebuch Schwerins vom 24. 5.1663. Da wurde der Oberpräsident nämlich von einem Begräbnis aus der Kirche weggerufen, weil es dem Kurprinzen schlecht ging. Dies war nicht irgendein Begräbnis, sondern von einem „D. Chemnitzen“.¹⁰⁸⁵ Schlägt man in Bahls Prosopographie nach, so findet man heraus, dass am 24. 5.1663 in der Nikolaikirche das Begräbnis des ehemaligen Konsistorialpräsidenten Joachim Kemnitz stattfand – desselben Kemnitz, der 1659 beim Kurfürsten in Ungnade gefallen war, weil er sich für die FC eingesetzt und die Kirchenpolitik sabotiert hatte!¹⁰⁸⁶ Dass Schwerin eine lutherische Beerdigung besuchte, ist grundsätzlich nicht aufsehenerregend, da es Teil jener Umgangsökumene war, die bereits anhand vieler Beispiele aufgezeigt wurde.¹⁰⁸⁷ Dass er als mächtigster reformierter Höfling aber in Zeiten interkonfessioneller Konflikte genau zu dieser Beerdigung in ausgerechnet jener Kirche ging, die als Zentrum des lutherischen Widerstands galt, ist nicht zu erwarten gewesen.¹⁰⁸⁸ Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass das Tagebuch am 21.7.1663 von einem weiteren, jedoch weniger bemerkenswerten konfessionellen Brückenschlag berichtet, als Schwerin gemeinsam mit dem lutherischen Generalfeldmarschall Otto Christoph Freiherr von Sparr dessen schon zu Lebzeiten angefertigtes Epitaph in der Marienkirche besichtigte.¹⁰⁸⁹ Darüber hinaus lassen sich bei Schwerin auch Beziehungen zu katholischen Akteuren nachweisen, allerdings nur im Kontext von Versuchen, seine Bindung zu den Habsburgern zu stärken. Dass Schwerin darum bemüht war, in den Reichsfreiherrenstand aufgenommen zu werden (was 1648 geschah),¹⁰⁹⁰ ist weder

 Dies vermutet Hein: Schwerin, S. 263 f.; ebenso Almer: Calvinista, S. 143.  GStA PK, I. HA, Rep. 94, IV HC 9, Bd. 1, Fol. 37.  Vgl. Bahl: Hof, S. 514; vgl. zu Kemnitzens Absetzung Kapitel 4.2.1.  Vgl. neben den konfessionellen Profilen etwa Kapitel 3.4.2.  Schwerin hatte seinerzeit sogar die Verfügungen zur Untersuchung gegen Kemnitz für den Kurfürsten konzipiert und dabei die FC mit dem Begriff „Schmähbuch“ belegt, vgl. Meinardus: Protokolle 5, Nr. 464, S. 516 f. Er war also an der Absetzung desselben Mannes mit beteiligt gewesen, dessen Beerdigung er nun besuchte.  GStA PK, I. HA, Rep. 94, IV HC 9, Bd. 1, Fol. 45; abgedruckt bei Orlich: Geschichte des Preußischen Staates 1, S. 579.  Vgl. Meinardus, Otto: Die Erhebung Ottos von Schwerin in den Reichsfreiherrenstand. In: FBPG 17 (1904), S. 549 – 555.

6.1 Otto von Schwerin

225

überraschend noch etwas Besonderes. Interessanter ist, dass er einen seiner Söhne in der kaiserlichen Armee im kniggeschen Regiment unterbrachte und so die Bindung zu den Habsburgern festigte.¹⁰⁹¹ Dass der Reichsadel sich konfessionsunabhängig um gute Beziehungen zum Kaiser bemühte, ist vollkommen normal. Es sollte hier nur erwähnt werden, weil damit wieder einmal vor Augen geführt wird, was in den allgemeinen Ausführungen zum Hof geschrieben wurde: Die Akteure waren eingebettet in ein Geflecht aus mannigfaltigen Zugehörigkeiten und Verhaltensnormen, in dem die Konfession nur eine von vielen bedeutenden Kategorien war.¹⁰⁹² Was also schon bei den anderen konfessionellen Profilen festgestellt wurde, gilt auch für Schwerin: Er war zwar ein überzeugter Reformierter, pflegte aber interkonfessionelle Kontakte. Für ihn war es kein Widerspruch, die reformierten Kurprinzen zu erziehen, gleichzeitig lutherische Gottesdienste zu besuchen und nebenbei seinen Sohn bei den Habsburgern unterzubringen.

6.1.2 Otto von Schwerin als kirchenpolitischer Akteur Trotz seiner konfessionsübergreifenden Interaktion gilt Schwerin in der Forschung gemeinhin als der neben dem Hofprediger Bartholomäus Stosch entscheidende Antrieb zur Verschärfung der kurfürstlichen Kirchenpolitik in 1660ern. Schon Hugo Landwehr stellte vor mehr als 120 Jahren fest, dass Schwerins Vorgehen „von einer gewissen Aggressive gegen das Luthertum nicht freizusprechen“ sei. Belegt sah er dies in der tatsächlich sehr großen Zahl an Verordnungen und Berichten in der Kirchenpolitik, die Schwerin persönlich konzipiert und im Namen seines Herrn gezeichnet hatte.¹⁰⁹³ Auch zog Landwehr eine Verbindung zwischen Schwerins Freistellung von seinen kirchenpolitischen Pflichten aus gesundheitlichen Gründen im Jahr 1669 und der Entspannung des märkischen Kirchenstreits.¹⁰⁹⁴ In jüngeren Arbeiten fällt das Urteil ähnlich aus: Almer folgt Landwehrs Sichtweise,¹⁰⁹⁵ während Ruschke ihm teils Parteilichkeit, teils Ungeschick in der Religionspolitik be-

 Vgl. Pribram: Urkunden und Actenstücke 14.1, S. 721 u. 729. Der Habsburger Gesandte Goess riet in diesem Zusammenhang dazu, den Sohn zu protegieren, um die guten Beziehungen zu Schwerin aufrechtzuerhalten, ebd., S. 721.  Vgl. Kapitel 3.4.2.  Landwehr: Stosch, S. 106 f.  Landwehr: Kirchenpolitik, S. 230.  So schreibt er die Härte der Toleranzedikte vor allem Stosch und Schwerin zu, vgl. Almer: Calvinista, S. 52. Auch von Thadden folgte seinerzeit Landwehr in dieser Einschätzung, vgl. Thadden: Hofprediger, S. 181.

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6 Otto von Schwerin und die reformierte Perspektive

scheinigt.¹⁰⁹⁶ In der Tat fungierte Schwerin in den 1660er Jahren als eine Schlüsselfigur in der Kirchenpolitik und galt als der Mann, an den man sich bei interkonfessionellen Konflikten zu wenden hatte.¹⁰⁹⁷ Was seinen reformierten Eifer angeht, gestaltet sich die Sache jedoch komplexer, wie auf den folgenden Seiten aufgezeigt wird. Es finden sich genügend Beispiele, die Schwerins Einfluss auf die Verschärfung der Kirchenpolitik belegen. Eine wichtige Rolle spielte er etwa bei dem Berliner Religionsgespräch. Er saß dem Präsidium vor, was einschloss, dass er das Kolloquium moderierte sowie Anfangs- und Abschlussreden hielt.¹⁰⁹⁸ Auf keinen Fall soll hier in Abrede gestellt werden, dass die Berliner Geistlichen ihren eigenen Beitrag zum Scheitern des Gesprächs beitrugen, indem sie bspw. seinen Fortgang verschleppten. Von weitläufigen Schriften und argumentativen Spitzfindigkeiten lassen sich aber auch die reformierten Gesprächsteilnehmer nicht freisprechen. Auch stand die obrigkeitliche Verordnung des Kolloquiums einschließlich der sehr problematischen Fragen einer Einigung im Weg, da das Gespräch so zur kirchenpolitischen Maßnahme wurde, die auf höchst unglückliche Weise theologische Positionen an die Autorität des Kurfürsten band. Schließlich ist noch zu beachten, dass die im Vorfeld verordneten kurfürstlichen Maßnahmen das Kolloquium von vorneherein belasteten.¹⁰⁹⁹ Dies alles ändert jedoch nichts daran, dass Schwerin selbst ein Teil des Problems war, da er gemeinsam mit den anderen Räten im Präsidium die enge Bindung des Gesprächs an die Obrigkeit verkörperte. Außerdem drängte er auf einen dem Kurfürsten genehmen Ausgang des Kolloquiums und war darauf bedacht, die Autorität seines Herrn zu wahren. Schwerin war nie ein neutraler Moderator, sondern kommentierte das Gespräch und attackierte die Berliner mehrfach für ihre Positionen, während er die Reformierten hingegen mit Lob bedachte.¹¹⁰⁰

 Ruschke: Paul Gerhardt, S. 341 f.  Auch Canstein hatte 1666 bekanntlich Ahlefeldt gebeten, mit Schwerin zu sprechen, vgl. Kapitel 5.3.2.2.  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 181 f. Landwehr geht sogar davon aus, dass Schwerin die Einladung zum Kolloquium konzipierte, vgl. Landwehr: Kirchenpolitik, S. 209; dies hinterfragt jedoch Ruschke und verweist auf Stosch als möglichen Verfasser, was angesichts seiner Position und seiner Verfasserschaft der Toleranzedikte einleuchtet, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 177 f.  Vgl. Ruschkes zusammenfassende Bewertung: Ruschke: Paul Gerhardt, S. 340 – 344. Eine echte theologische Diskussion sei wegen der teils oberflächlichen und vagen Positionen aller Teilnehmer nie zustandegekommen, ebd., S. 328 – 332. Vgl. zum Religionsgespräch ferner Kapitel 4.4.1.  In der dritten Session etwa wünschte er sich in den Antworten der Lutheraner die gleiche Klarheit wie bei den Reformierten zu finden. Wie Ruschke bemerkt, waren die reformierten Stellungahmen jedoch keineswegs so viel eindeutiger, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 216 f. In der

6.1 Otto von Schwerin

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Nach den ersten recht erfolglosen Sessionen verschärfte Schwerin laut Ruschke ab der achten Sitzung seinen Leitungsstil und erhöhte den Druck auf eine Einigung, da abzusehen war, dass das Gespräch nicht auf die Antworten hinauslief, die der Kurfürst vorgesehen hatte.¹¹⁰¹ Die problematische Rolle Schwerins wird in dem Plädoyer deutlich, das er zum Ende der Session hielt. Friedrich Wilhelm hatte vorgeschlagen, das Gespräch nach dem Vorbilde des Kasseler Kolloquiums weiterzuführen.¹¹⁰² Als die Berliner sich reserviert gegenüber dem Vorschlag zeigten, schärfte Schwerin ihnen den Befehl ein, verwies aber gleichzeitig – ganz im Sinne er kurfürstlichen konfessionsneutralen Selbstdarstellung – darauf, dass weder sein Herr noch das Präsidium intendierten, „daß jemand auß was vor respect es immer sein möchte wieder sein beßer wißen von seiner Meinung recediren solle“.¹¹⁰³ Wenig später sprach er dann die Hoffnung aus, dass „mehr friede und vertraulichkeit, als leider bißher gewesen, gestifftet werden möge“.¹¹⁰⁴ Diese Mischung aus Anordnung, Garantie der Gewissensfreiheit und indirekter Drohung steht stellvertretend für die wenig erfolgsversprechende Konstellation des Kolloquiums. Bei dieser Gelegenheit lobte Schwerin übrigens auch wieder einmal die reformierten Teilnehmer.¹¹⁰⁵ Von nun an verwies der Oberpräsident immer wieder auf den Kurfürsten, verknüpfte das Verhalten der Berliner mit dem ihm schuldigen Respekt und sprach Drohungen aus.¹¹⁰⁶ Bei einem inoffiziellen Treffen am 3. und 4. April 1663 fragte er die Prediger Samuel Lorentz und Jakob Helwig (die anderen lutherischen Geistlichen entschuldigten sich wegen Krankheit und wichtiger Geschäfte) direkt, ob sie die Chfl. dhl. für unsern fürsten und herrn erkenneten? Denn es ließe sich ansehen, alß ob wir solches nit thun wollten, weil wir unß so gahr weigerten deroselben einige Unterthängisten schuldigen Gehorsam zu leisten in dem wir deßen für geschriebenen modo conferendi nicht folgen wollten!¹¹⁰⁷

vierten Session beklagte er – laut Ruschke ungerechtfertigt – erneut die angeblich unklaren Antworten der Berliner, ebd., S. 220 f. Weitere Beispiele werden im Folgenden noch angesprochen.  Ebd., S. 239 f.  Ebd.  GKl Archiv XII/90/3, Fol. 407r.  Ebd., Fol 467v.  Ruschke: Paul Gerhardt, S. 242.  Schon in der vierten Session hatte Schwerin auf die kurfürstliche Autorität verwiesen und angedroht, man müsse Friedrich Wilhelm Meldung machen, wenn die Berliner keine klaren Positionen formulieren würden, ebd., S. 220 f. Bei einer inoffiziellen Session warf Schwerin ihnen vor, sich gegen den vom Kurfürsten gewünschten Kirchenfrieden zu stellen, ebd. S. 280 f. In der 13. Session beklagte er erneut, dass die Verschleppung der Gespräche durch die Berliner der kurfürstlichen Intention zuwider liefen, ebd, S. 289 f.  GKl Archiv XII/90/3, Fol. 422r.

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6 Otto von Schwerin und die reformierte Perspektive

Am Folgetag ließ er sie in den Geheimen Rat kommen und geloben, Friedrich Wilhelm als ihren Herrn anzuerkennen.¹¹⁰⁸ Besonders gegen Elias Sigismund Reinhart als einem der lutherischen Wortführer entwickelte Schwerin im Laufe des Kolloquiums eine zunehmende Aversion.¹¹⁰⁹ Reinhart berichtet über die 14. Session am 1. Mai 1663,¹¹¹⁰ wie der Oberpräsident ihm mit Verweis auf Samuel Pomarius’ Schicksal gedroht hatte:¹¹¹¹ Wir bestürzen uns über dieser Redensart […] Wann solches Sr. CHurfürstl. Durchl. berichtet würde, daß man deroselben Religion nicht leiden wollte, so würde etwas vielleicht erfolgen, das nicht wenig Nachdenkens verursachen könnte. […] Und wollen die herren Räthe dem hrn. Lic. Reinharten hiemit nicht verhelen, wo Er nicht würde ablassen von solchen principiis, es ihme schwere Verantwortung geben würde um die ganze Märkische Kirche […] Wir wüßten ja wohl, wie es dem Pomario gangen, Sr. Churfürstl. Durchl. hätten ja die Macht noch, […] die so ihre Religion nicht leiden wolten, aus dem Lande zu jagen.¹¹¹²

Als Reinhart erwiderte, dass er ja nicht alleine für die Positionen der Berliner verantwortlich sei, soll Schwerin ihm „mit großer commotion ins Wort“ gefallen sein: „Niemand anders, niemand anders, Sein Werk ists.“¹¹¹³ Danach soll er sich noch weiter mit Reinhart gestritten und ihm Heuchelei unterstellt haben.¹¹¹⁴ Spätestens hier wird deutlich, wie sehr er inzwischen über die Lutheraner verärgert war, sowohl aus Verständnislosigkeit über die Berliner Positionen als auch

 Vgl. dazu Ruschke: Paul Gerhardt, S. 295 – 298.  Vgl. ebd., S. 300.  Noch kurz vor der folgenden Begebenheit hatten sich Schwerin, Lucius von Rhaden und Gottfried Schardius mit den Berlinern zurückgezogen, um sich über die Abendmahlslehre auszutauschen. Was zunächst vielversprechend begann, indem sie die Berliner neutral nach ihrem Abendmahlsverständnis fragten, endete in einer weiteren Diskussion, da die Räte die Positionen ihrer reformierten Gesprächsteilnehmer verteidigten, vgl. ebd., S. 305 – 307.  Der Cöllner Diakon und Gegner Fromms Samuel Pomarius war 1659 wegen seiner polemischen Predigten entlassen worden, vgl. Kapitel 4.1.4 u. 4.2.3.  Der Brief ist abgedruckt bei Schulz: Paul Gerhardt, Nr. 17, S. 347– 351, Zitat, S. 348; Original in: GKl Archiv XII/90/3, Fol. 431 und 433 – 436.  Schulz: Paul Gerhardt, Nr. 17, S. 349.  In dem Gespräch warf Schwerin Reinhart vor, dass aus ihrem jüngsten Schreiben hervorgehe, dass sie die Reformierten nicht als Brüder annehmen wollten. Darauf Reinhart: „Gnädiger herr, einen nicht vor einen Bruder aufnehmen wollen, in Glaubensbekenntniß, und einen gar nicht leiden wollen, das ist ein großer Unterscheid. Das letzte ist von uns nie gehöret, und bleiben wir optimi interpretes nostrorum verborum.“ Schwerin antwortete: „So wäre es ja, wenn man so mit ihnen umgehen wollte, daß man sie nicht vor Brüder erkennen wollte, eitel heuchelei.“ Reinhart erwiederte: „Gnädiger herr, ein rechtschaffener ehrlicher Contradicent ist kein heuchler.“ Ebd. Später beklagte Reinhart, dass man ihnen in ihre Lehren eingreife, was Schwerin wider als Respektlosigkeit gegenüber ihn selbst und damit indirekt den Kurfürsten auslegte, ebd., S. 350.

6.1 Otto von Schwerin

229

gewiss deswegen, weil ihre Ablehnung der Reformierten als Brüder ihn ebenfalls ganz persönlich betraf. Die Verhandlungen hatten ihn am Ende so frustriert, dass er schließlich in der letzten Sitzung offen zugab: „wenn ich nicht auß respect S. Chfl. dhl. dieser Conferentz beywohnen müste, Ich dergleichen Conversation nimmer mehr beywohnen wollte, sondern derselben gantz entschlagen, weil sie die Reformirten Christen schimpfflich anfechten“.¹¹¹⁵ Als Elias Sigismund Reinhart sich und seine Kollegen verteidigen wollte, gab Schwerin zurück, dass er so auftrete, „alß wen es Petry selber were und spräche; auff deeßen bekändtnus Christus seine kirch bauen wollte.“¹¹¹⁶ Glücklicherweise für Schwerin wurde das Religionsgespräch dann ja auch nicht mehr fortgesetzt, sodass er keine weiteren Sitzungen über sich ergehen lassen musste. Schwerins Auftreten bei dem Religionsgespräch lässt sich indes nicht nur aus seinem Ärger oder seinen reformierten Überzeugungen heraus erklären, sondern es muss auch seine persönliche Lage in Betracht gezogen werden. 1661 war der Oberpräsident auf den preußischen Landtag gesandt worden, um mit den Ständen über ihre Rechte und die Anerkennung von Friedrich Wilhelms Souveränität über Preußen zu verhandeln.¹¹¹⁷ Im Zuge der Verhandlungen pochten die Stände auch auf ihre Privilegien, vor allem im Religionswesen, und sperrten sich gegen eine Stärkung des reformierten Glaubens. Als Schwerin keine Fortschritte erzielte, riet er schließlich im Frühjahr 1662 dem Kurfürsten zu einer persönlichen Anreise und einer Aussetzung des Landtags bis zu dessen Ankunft, was schließlich auch in die Tat umgesetzt wurde.¹¹¹⁸ Einige Briefe legen nahe, dass Schwerin sein Scheitern als persönliche Niederlage empfunden haben muss. So beklagte er sich beim Kurfürsten, dass man in Berlin schlecht über ihn rede, da er nichts Zählbares in den Verhandlungen vorzuweisen hätte.¹¹¹⁹ Schon zuvor hatte Friedrich Wilhelm ihm seiner Gnade versichert, „den Ihr bisz itzo nichts anders gethan, Als was zu meinem dienste gereichet ist.“¹¹²⁰ Offensichtlich hatte Schwerin Luise Henriette sogar geschrieben, dass er einen Rücktritt in Betracht ziehe, angesichts

 GKl Archiv XII/90/3, Fol. 443v.  Ebd.  Vgl. Opgenoorth: Friedrich Wilhelm 2, S. 26 – 36; Lackner: Kirchenpolitik, S. 166 – 182.  Vgl. Hirsch: Schwerin, S. 254– 258; vgl. ausführlich zu den Ständeverhandlungen und Schwerins Rolle dabei Hein: Schwerin, S. 162– 211.  Hirsch: Schwerin, S. 255; der Brief Schwerins, auf den Hirsch verweist, muss als verloren gelten, aber die Antwort Friedrich Wilhelms findet sich bei Orlich: Geschichte des Preußischen Staates 3, Nr. 155, S. 155.  Hirsch: Urkunden und Actenstücke 9, S. 863. In dieser Zeit ließ Schwerin auch beim Geheimen Rat Johann von Hoverbeck nachfragen, ob Friedrich Wilhelm ihm noch vertraue, vgl. Hein: Schwerin, S. 195.

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6 Otto von Schwerin und die reformierte Perspektive

der Missbilligung, die er seitens des Kurfürsten für sein Vorgehen bei den Ständeverhandlungen empfunden habe, doch sie beruhigte ihn.¹¹²¹ Nach dieser ‚Niederlage‘ stand Schwerin somit beim Religionsgespräch unter einem großen Erfolgsdruck.¹¹²² Dementsprechend verwundert es auch nicht, dass er seinem Herrn erst nach Ende des Kolloquiums am 18. Juni 1663 Relation erstattete und sich entschuldigte, dass er ihm bisher keine Informationen habe zukommen lassen.¹¹²³ In der Relation gab er selbst zu, dass er habe abwarten wollen, bis „etwas Beständiges referiret werden könte“.¹¹²⁴ Ferner gab er vor allem Elias Sigismund Reinhart die Hauptschuld am Scheitern des Gesprächs, da er seine Kollegin negativ beeinflusst habe.¹¹²⁵ Ruschke geht zu Recht von der Möglichkeit aus, dass Schwerin hier bewusst einen Sündenbock suchte, um von potentiellen eigenen Fehlern abzulenken.¹¹²⁶ Im Bewusstsein seines Scheiterns in Preußen und der Erwartung des Kurfürsten an das Religionsgespräch, erhöhte Schwerin den Druck, als er bemerkte, dass es nicht voranging. Zugleich schnitt er den Kurfürsten von allen Informationen ab, in dem Wissen, dass er das Vertrauen seines Herrn hatte, aber gewiss auch, weil er keine schlechten Nachrichten, sondern Erfolgsmeldungen übersenden wollte. Als die Erfolge weiter ausblieben, wurde auch Schwerin gereizter und machte schließlich Reinhart zum Hauptschuldigen – sei es nun aus tatsächlichem persönlichen Groll oder Kalkül oder einer Mischung aus beidem – um das Scheitern vor Friedrich Wilhelm rechtfertigen zu können.¹¹²⁷ Reinhart war von nun an für Schwerin der Kopf der widerspenstigen Prediger. Als bspw. 1664 im Geheimen Rat darüber gesprochen wurde, dass Reinhart den Diakon Johann Buntebart als Synkretisten beschimpft hatte,¹¹²⁸ wies Schwerin darauf hin, dass  Dies geht aus einem Brief Luise Henriettes an Schwerin hervor, vgl. Orlich: Geschichte des Preußischen Staates 3, Nr. 24, S. 439 f.; Hirsch weist darauf hin, dass Orlichs Datierung falsch ist, vgl. Hirsch: Briefe, S. 195.  Dies vermutet auch Ruschke: Paul Gerhardt, S. 182. Göse schreibt, dass Schwerins Position bei Hofe für einen gewissen Zeitraum im Jahr 1663 im Allgemeinen geschwächt war. Durch sein gutes Verhältnis zu Luise Henriette habe er seine Lage aber stabilisieren können, vgl. Göse: Rittergut, S. 344.  Die Relation ist abgedruckt bei Schulz: Paul Gerhardt, Nr. 20, S. 357– 360; Original in: GStA PK, I. HA, Rep. 47, Nr. 16, unfol.  Schulz: Paul Gerhardt, S. 358.  Ebd., v. a. S. 359 f.  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 352; Ähnliches wird angedeutet bei Landwehr: Kirchenpolitik, S. 212– 214.  Obwohl sich seine Kollegen für ihn einsetzten, wurde Reinhart daraufhin als Erzieher des Prinzen von Kurland abgesetzt und ihm der Aufenthalt am Hof verboten, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 350.  Der Fall wurde bereits in Kapitel 5.3 angesprochen.

6.1 Otto von Schwerin

231

der schlechte Verlauf des Religionsgesprächs allein seine Schuld gewesen sei.¹¹²⁹ Obwohl er reformiert war, wurde also auch der Oberpräsident durch die Religionspolitik unter Druck gesetzt. Zwar musste er, im Gegensatz zu seinen lutherischen Kollegen, nicht fürchten, als Fürstendiener womöglich seiner eigenen Kirche zu schaden – nichtsdestotrotz hatte er die hohe Erwartungshaltung seines Kurfürsten zu erfüllen. Gerade wegen seiner mächtigen Stellung war die Rollenerwartung an ihn umso anspruchsvoller. Diese Mischung als Erfolgsdruck, persönlicher Verärgerung und sicher auch Unverständnis über die Berliner Positionen fand nicht nur in seinem Verhalten beim Religionsgespräch Ausdruck, sondern brach sich zwei Jahre später noch stärker Bahn. Wie an anderer Stelle bereits berichtet wurde,¹¹³⁰ stellte Schwerin gemeinsam mit anderen Räten den Berliner Geistlichen am 28. April 1665 im Auftrag des Kurfürsten ein Ultimatum, die Reverse zu unterschreiben, woraufhin die Prediger Elias Sigismund Reinhart und Georg Lilius ihres Amtes enthoben wurden. Während dieses Aufeinandertreffens wurde Schwerin laut einem Protokoll der Geistlichen sehr hitzig, und fing an zu importuniren [= schimpfen], das unser Ministerium allein dem Edict wollte wiedersprechen, da sich doch kein einziges im Lande dessen unterstanden hette. würden wir aber nicht alsofort, und von stund an unterschreiben, würden sie fortfahren, wie sie es im befehl hetten.¹¹³¹

Beim importunieren muss sich Schwerin auch auf die lutherischen Räte berufen haben, weil nun Canstein das Wort ergriff.¹¹³² Nach seinen Beschwichtigungsversuchen wurden die Prediger zunächst aus dem Raum geschickt. Als sie zurückkamen und auf ihrem Standpunkt beharrten, fragte sie Schwerin, wer ihnen denn auf welche Weise in ihre christliche Freiheit eingreife. Es folgte ein kurzer Disput, bei dem Reinhart den brandenburgischen Hofprediger Bartholomäus Stosch ebenso wie „seinesgleichen, die wieder uns lehren“ als „adversary“ bezeichnete, bis Schwerin sich einschaltete und anfing, gewaltig […] auf H. L. Reinharten zu fulminiren, sprach: Ihr dürfet dem Churf. vor sein angesicht nicht kommen, und wol hier das grosse maul haben, Ihr wiegelt alle Eure Collegen

 Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 281, S. 199 – 201, hier S. 200. Auch gegenüber Ständevertretern betonte Schwerin im Zusammenhang mit Diskussionen um das sog. zweite Toleranzedikt, dass Reinhart seine Kollegen negtativ beeinflusst habe, vgl. Schwartz: Stände, S. 93.  Vgl. Kapitel 5.3.2.2.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 6v–7r.  Vgl. zu Cansteins beschwichtigenden Worten Kapitel 5.3.2.2.

232

6 Otto von Schwerin und die reformierte Perspektive

auf, Ich sage, haltet das maul biß Ihr werdet gefraget werden! Wir wollen von keinen adversarys wissen, sondern freunde solt Ihr sein!¹¹³³

Je schärfer der Konflikt wurde, umso schwieriger wurde Schwerins Aufgabe, die kurfürstliche Agenda durchzusetzen, bis ihm am Ende nur der soeben zitierte, verzweifelte Befehl blieb, den Mund zu halten und sich zu vertragen.¹¹³⁴ Es ist jedoch nicht so, dass Schwerin in der Kirchenpolitik nur dem Druck seines Dienstherrn nachgab – er bewies durchaus Eigeninitiative im Kampf gegen das Konkordienluthertum. Im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz befinden sich etwa mehrere Konzepte des berüchtigten sog. zweiten Toleranzedikts von 1664.¹¹³⁵ Den besonders kontrovers aufgenommenen Zusatz zur Auslassung des Exorzismus hatte Otto von Schwerin mit eigener Hand hinzugefügt.¹¹³⁶ Und nicht nur hier, sondern auch auf seinem Gutsbesitz in Altlandsberg, wo er deutlich mehr Handlungsfreiheit besaß, verfügte Schwerin 1672 die optionale Auslassung des Exorzismus bei der Taufe.¹¹³⁷ Angeblich führte er etwa zur gleichen Zeit sogar das Brotbrechen in der lutherischen Stadtkirche ein.¹¹³⁸ Er ging also auch in seinem persönlichen Machtbereich gegen das wittenbergisch geprägte Luthertum vor (sogar das Luthertum insgesamt, wenn es stimmt, dass er das Brotbrechen einführte).¹¹³⁹ Dass Schwerin sich tatsächlich einen gewissen Ruf

 FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 7v.  Eine gewisse Dramatisierung seines Auftretens durch die Berliner Prediger ist nicht auszuschließen, doch wird Schwerin gewiss in der ein oder anderen Form gegen Reinhart fulminiert haben, selbst wenn der Wortlaut nicht genau stimmen mag. Reinhart war inzwischen ohnehin das bevorzugte Ziel von Schwerins Zorn geworden, wie an den obigen Ausführungen deutlich gemacht wurde.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 143; 1670 – 1702], „[Mappe zum Edikt von 1664]“, Fol. 10 – 18; vgl. zu dem Edikt Kapitel 2.3.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 143; 1670 – 1702], „[Mappe zum Edikt von 1664]“, Fol. 18. Ansonsten aber hatte wohl Stosch den größten Anteil am Edikt, vgl. Kapitel 2.3 u. 4.5.  Vgl. Hering: Beiträge 2, S. 248.  So der Schlosspfarrer zu Altlandsberg Theodor Krücke, laut dessen Aussage das Brotbrechen noch bis in die 1860er Jahre beibehalten wurde, vgl. Krücke, Theodor: Geschichte der evangelisch-reformierten Schloßkirchengemeinde zu Alt-Landsberg. Festgabe zum 250jährigen Jubiläum am 2. August 1907. Berlin 1907, S. 30. Da Krücke auf eine Quellenangabe verzichtet und angesichts der großen innerevangelischen Konflikte, gerade zum Abendmahl, ist dieser Information jedoch mit Vorsicht zu begegnen. Auch Almer gibt an, dass Schwerin das Brotbrechen eingeführt habe, wobei jedoch aus seinen Anmerkungen nicht klar hervorgeht, ob er sich auf Akten oder nur auf Krücke stützt, vgl. Almer: Calvinista, S. 143.  Laut dem Extrakt aus einem Schreiben Schwerins an den Prediger in Alt-Landsberg aus Lubaths Sammlung hat Schwerin sich bei diesem sogar bitterlich beschwert, dass er sich zwar der

6.1 Otto von Schwerin

233

für seine Härte in interkonfessionellen Auseinandersetzungen erworben hatte, bezeugen auch die Aufzeichnungen des Berliner Diakons Samuel Lorentz. Kurz nachdem der Prediger 1668 abgesetzt worden war,¹¹⁴⁰ so schreibt er, besuchte ihn noch der kurfürstliche (und reformierte) Leibarzt Andreas Nikolaus de Bonnet, um Abschied zu nehmen.¹¹⁴¹ Dieser berichtete Lorentz, er sei heute bei Hofe gewesen und habe einen vornehmen Reformierten gefragt: „waß ist denn die Ursach, warumb man H. M. Lorentzen, den frommen, Ehrlichen Mann wegjaget?“ Der Herr habe geantwortet: „Invidia Schweriniana.“¹¹⁴² Ob dies tatsächlich die Ursache war, sei dahingestellt. Es lässt aber tief blicken, dass man es Schwerin bei Hofe zutraute, der Hauptantrieb hinter der Absetzung gewesen zu sein. An dieser Stelle sei auch noch einmal an die Beschwerde der Hofleute Raban von Canstein und Friedrich von Jena über die Kirchenpolitik beim hessischen Gesandten Lincker im Jahr 1667 erinnert.¹¹⁴³ Sie ließen sich nämlich nicht nur „über die Edicta heraus“, wie schon bekannt ist, sondern „ließen dabeneben noch viele piquante worte fließen, welche zweyfells ohne auff 223 [Schwerin] geziehlt waren und so großer gesellschaft schwerlich verschwiegen bleiben.“¹¹⁴⁴ Sie und Lorentz stützen also Landwehrs eingangs erwähnte Einschätzung, wonach Schwerin einer der Hauptverantwortlichen für die Verschärfung der Kirchenpolitik war. Bis hierhin entsteht der Eindruck, als könne der ‚Privatmann‘ Schwerin von dem Kirchenpolitiker Schwerin unterschieden werden, abhängig vom jeweiligen sozialen Kontext, in dem er wahlweise die Rolle des Ehemanns und gläubigen Christenmenschen oder jene des konfessionell harten Hundes des Kurfürsten einnahm. Neben der Rollenperspektive lässt sich diese Diskrepanz indes durch binnenkonfessionelle Differenzierung erklären – denn gegen die wittenbergische lutherische Orthodoxie vorzugehen, hieß nicht, das Luthertum als Ganzes abzulehnen. Aber auch der Kirchenpolitiker Schwerin konnte manchmal anders. Nachdem die Prediger Lilius und Reinhart 1665 entlassen worden waren, machte der Oberpräsident zwar im Namen des Kurfürsten klar, dass zumindest Reinhart keine Aussicht auf Wiedereinsetzung habe,¹¹⁴⁵ beteiligte sich jedoch wenig später, Polemik enthalten wolle, zugleich aber an der FC festhalte, das ein Lästerbuch sei und den Reformierten Falsches unterstelle, vgl. GKl Archiv XII/90/2, Fol. 429.  Vgl. Kapitel 5.3.3.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 164; vgl. zu Bonnet Bahl: Hof, S. 437.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 164r; der Ausspruch ist auch dokumentiert bei Lubath, vgl. GKl XII/90/2, Fol. 408.  Vgl. Kapitel 5.3.2.2.  HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 353, Bericht vom 13./23. 2.1667.  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 407. Angesichts der Tatsache, dass Schwerin Reinhart als vermeintlichen Antreiber der lutherischen Opposition ausgemacht hatte (siehe oben), verwundert dies nicht.

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6 Otto von Schwerin und die reformierte Perspektive

ganz wie die lutherischen Räte, an informellen Vermittlungsversuchen. So wurde schon erwähnt, dass auch er für die Berliner einen eigenen Reversentwurf aufsetzte. Und nicht nur das: Auch der Entwurf, den die lutherischen Räte am 15. Juni 1665 zurück vom Hofe brachten und der den Berlinern mit der Berufung auf die FC quoad doctrinam am weitesten entgegen kam,¹¹⁴⁶ war laut Lubaths Aufzeichnungen von Schwerin ergänzt worden.¹¹⁴⁷ Ausgerechnet der Oberpräsident hatte also die FC nicht gestrichen, sondern ergänzt und so einen neuen Lösungsvorschlag gemacht. Möglicherweise ist dieser Entwurf zustande gekommen, weil sich Mitglieder des Berliner Magistrats an den Oberpräsidenten gewandt hatten – dies war am 23. Mai 1665 zumindest geplant worden, wie aus den Aufzeichnungen Lorentz’ hervorgeht.¹¹⁴⁸ Auch als einige Ständevertreter im Geheimen Rat einen eigenen Reversentwurf vorlegten, zeigte sich Schwerin kompromissbereit.¹¹⁴⁹ Sie setzten eine allgemeine Wendung zur Wahrung der lutherischen symbolischen Bücher in den Revers, wodurch die FC zumindest implizit eingeschlossen war – sie wiederholten also den rhetorischen Kunstgriff, mit dem es schon die lutherischen Räte versucht hatten und der noch beim Landtagsrezess von 1653 funktioniert hatte, in der Hoffnung, dem würden Prediger und Kurfürst gleichermaßen zustimmen.¹¹⁵⁰ Schwerin war damit zufrieden – Friedrich Wilhelm nicht, wie der Oberpräsident den Ständevertretern zwei Tage später mitteilen musste.¹¹⁵¹ Dies zeigt, dass Schwerin mit seinen Kompromissvorschlägen auf Eigeninitiative handelte. Der Kurfürst wusste zwar, dass sein Oberpräsident mit den Ständevertretern um eine Lösung rang (spätestens dann, wenn ihm neue Reversvorschläge präsentiert wurden), aber die konkrete Gestaltung dieser Lösung lag bei Schwerin. Seine Ideen fanden bloß kein Gehör.¹¹⁵² Parallel zu seinem harten Vorgehen  Vgl. Kapitel 5.3.2.2.  GKl Archiv XII/90/2, Fol. 189 f. Lubath notierte auf dem Dokument, dass es sich um einen zu Hofe von Schwerin korrigierten Revers handle. Dieses Detail wurde in Kapitel 5.3.2.2 bewusst ausgelassen.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 16. Demnach hatte der Konsistorialrat Johann Georg Reinhart vorgeschlagen, dass der Berliner Bürgermeister Johann Tieffenbach, am besten gemeinsam mit Samuel Lorentz, nach Altlandsberg fahren solle, um sich mit Schwerin über seine Entscheidung, Reinhart eine Rückkehr ins Amt zu verwehren, auszutauschen, um eine friedliche Lösung zu finden. Vgl. zu Tieffenbach Schmitz: Ratsbürgerschaft, S. 80 – 87.  Der Kurfürst war nicht anwesend, sondern nur mehrere Geheime Räte, darunter Reformierte wie auch Lutheraner, vgl. Schwartz: Stände, S. 97.  Ebd. Vgl. zum Landtagsrezess von 1653 Kapitel 2.3.  Schwartz: Stände, S. 98.  Der Kurfürst beugte sich erst später den Forderungen der Ständevertreter, doch die lehnten den neuen Kompromissrevers trotzdem ab, übrigens auch die Prediger, vgl. ebd., S. 99; vgl. zum Engagement der Stände auch Ruschke: Paul Gerhardt, S. 412– 425; Friedrich Wilhelms geringe Kompromissbereitschaft kommt auch in der wegen ihres Unterhaltungs- und Symbolwertes schon

6.1 Otto von Schwerin

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agierte er also auch auf der lutherischen Bühne und versuchte Brücken zu schlagen, um den Konflikt friedlich beizulegen. Ein ähnliches Vorgehen lässt sich im Übrigen auch beim Beamtenrevers von 1668 feststellen, auf den noch im Folgenden eingegangen wird und wo er sich mit lutherischen Räten austauschte, die von Gewissensnöten geplagt waren.¹¹⁵³ Schwerin war es auch, der im Konzept zur Absetzung des Konsistorialrats Andreas Fromms im Jahr 1666 eine Abschwächung der Reverspolitik eingebaut hatte – die jedoch nie übernommen wurde.¹¹⁵⁴ Zu guter Letzt darf nicht vergessen werden, wie Schwerin 1659 aus dem Geheimen Rat von gefährlichen Reden des lutherischen Konsistorialrats Johann Georg Reinhart über enthauptete Könige berichtet worden war.¹¹⁵⁵ Der Oberpräsident hätte ihn bei Friedrich Wilhelm anzeigen können, was mindestens zu einer Ermahnung, im schlimmsten Fall zu einer Remotion geführt hätte. Da es keine weiteren Quellen zu dem Vorfall gibt, tat er dergleichen ganz offensichtlich nicht, sondern schützte Johann Georg Reinhart, anstatt ihn für seine Entgleisung abzustrafen. All diese Beispiele zeigen, dass Schwerin nicht grundsätzlich als religiöser Eiferer porträtiert werden kann, sondern durchaus das richtige Fingerspitzengefühl an den Tag legen konnte. Womöglich wegen solcher Handlungen zweifelte sogar der Kurfürst höchstpersönlich mitunter an Schwerins konfessionspolitischer Verlässlichkeit. Als etwa Paul Gerhardt Ende 1666 begnadigt worden war, berichtete die Berliner Zeitung Sonntagischer Mercur davon und erwähnte, dass der Kurfürst Gerhardts Unschuld und Moderation hervorgehoben hätte.¹¹⁵⁶ Der hessische Gesandte Georg Lincker berichtet über das Entsetzen vieler Reformierter bei Hofe darüber, dass man einen Prediger, der seinem Fürsten den Gehorsam verweigert hatte, als unschuldig bezeichnet hatte. Zudem erwähnt er, dass Schwerin für diese Passage verantwortlich gewesen sei: das in beykommender gazette mit NB gezeichnete ist von freiherrn von schwerin aufgesetzet, von Pöttern abgeschrieben und dergestalt dem drucke übergeben worden. alß es nun vergangen sontag publiciret, erschrecken die sämbtliche Reformirte über dem wort unschuld

mehrfach erwähnten Drohung gegen die Prediger zum Ausdruck, wonach er sie notfalls jagen werde, bis ihnen die Schuhe abfallen, vgl. dazu Kapitel 2.5. Fairerweise sei daran erinnert, dass die Geistlichen keineswegs kompromissbereiter waren als Friedrich Wilhelm.  Vgl. Kapitel 7.2.  Vgl. Kapitel 4.5.  Vgl. Kapitel 4.2.2. Zur Erinnerung: Reinhart hatte im Geheimen Rat nach der Absetzung des Konsistorialpräsidenten Joachim Kemnitz Vergleiche zur Entwicklung unter Karl I. von England und seiner Hinrichtung gezogen.  Vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 447 f. Die Meldung ist u. a. abgedruckt in: Hering: Neue Beiträge 2, S. 232; Landwehr: Kirchenpolitik, S. 225 f.

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6 Otto von Schwerin und die reformierte Perspektive

(denn das [ist] schuld genug, das der prediger eben darumb vom ambt removiret worden, das er den Revers nicht underschreiben wollen, wiewohl er doch sonsten noch heimlich böse dienst der Reformirten Kirche getahn) sonderlich aber [der Hofprediger] herr Stoschius […] Churbrandenburg [Friedrich Wilhelm] sagte darauff Stoschio ins Ohr, Er sehe wohl, wer das word unschuld dergestalt hienein haben wollen, namblich Schwerin und ist nicht ohne daß dem verlauht nach dessen Fraw viele dinge den Lutherischen zum besten durchtreibet.¹¹⁵⁷

Derselbe Schwein, der so manchen konkordientreuen Lutheraner in Angst und Schrecken versetzt hatte, galt also inzwischen bei seinem Herrn, der ansonsten im engsten Vertrauensverhältnis zu seinem Oberpräsidenten stand, wegen seiner lutherischen Ehefrau als potentieller Unsicherheitsfaktor in der Kirchenpolitik.¹¹⁵⁸ Diese Szene mutet gleichsam an wie die Gegenprobe auf die Frage, ob Schwerin tatsächlich unter großem Erfolgsdruck stand – ein Fehler genügte, um Gerüchte über den schädlichen Einfluss seiner Frau zu produzieren. Hinzu kommt, dass Friedrich Wilhelm seinem Oberpräsidenten anscheinend grundsätzlich ein zu nachsichtiges Vorgehen gegen die Prediger unterstellte, denn sonst hätte er ihn nicht sofort verdächtigt. Zu großem Schaden für Schwerin erwuchs diese Sache jedoch nicht. Er blieb bis zu seinem Tode der treuste und wichtigste Vertraute des Kurfürsten. Von Schwerins Frau Helena Dorothea ist übrigens nur ein Fall überliefert, bei dem sie versuchte, etwas „den Lutherischen zum besten“ durchzutreiben, wie es der Kurfürst formulierte. Gemeinsam mit Anna Ehrentraut von Platen – der Ehefrau Claus Ernst von Platens – hatte sie laut Samuel Lorentz am 15. Mai 1665 eine Supplik der Geistlichen an die Kurfürstin weitergereicht und zwar „ausfällig mit Rockküßen und milden thränen“.¹¹⁵⁹ Es sei „auch mit gnadigen Minen angenommen worden, sambt versprechung möglichst gnädigster fürsprach, allein es ist solches folgenden 19 Maii oben in vorderem gange auff der Erden gefunden“ worden, woraus Lorentz schließt, „es müßen die Supplicata nicht so gar angenehme gewesen seyn.“¹¹⁶⁰ Ob Kurfürstin Luise Henriette nicht möglicherweise

 HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 353, Bericht vom 16./26.1.1667; vgl. auch die Zusammenfassung bei Ribbeck: Berichte, S. 145.  Frauen in bikonfessionellen Ehen standen grundsätzlich in dem Ruf, ihre Männer zu manipulieren und im schlimmsten Fall zur Konversion zu verführen, vgl. Freist: Glaube – Liebe – Zwietracht, S. 301– 306.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 15r.  Ebd.

6.1 Otto von Schwerin

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trotzdem ihren Mann zu einer Abmilderung der Kirchenpolitik zu bewegen versuchte, ist nicht überliefert.¹¹⁶¹ Fügt man nun alle Episoden, Szenen und Informationen zusammen, die über Otto von Schwerin auf den letzten Seiten zusammengetragen wurden, so ergibt sich ein recht buntes Bild. Einerseits galt er bei seinen Mitmenschen als ein fester Reformierter und der Kurfürstin als spiritueller Beistand, der religiös sogar integer genug war, um mit der Erziehung der Prinzen betraut zu werden. Andererseits war er mit einer Lutheranerin verheiratet, die er in lutherische Gottesdienste begleitete, und besuchte sogar die Beerdigung des gut orthodox-lutherischen Kemnitz. Auf den dritten Blick schließlich trat er beim Religionsgespräch schroff auf, ergriff Partei für die Teilnehmer seiner Konfession, fulminierte gegen Elias Sigismund Reinhart und kümmerte sich eigenhändig um die Auslassung des Exorzismus im zweiten Toleranzedikt wie auch in Altlandsberg. Im Großen und Ganzen bekommt man den Eindruck, dass Schwerins Haltung sich grundsätzlich an der binnenkonfessionellen Demarkationslinie zum Konkordienluthertum orientierte, d. h. analog zur kurfürstlichen Selbstdarstellung hatte er kein Problem mit einem gemäßigten Luthertum, ging aber umso engagierter gegen jene vor, die die Reformierten nicht als Brüder in Christo angerkennen wollten. Dieser Eindruck ist gewiss nicht ganz falsch, nur sollte man nicht davon ausgehen, dass Schwerin von seinen religiösen Prinzipien auf bestimmte Handlungsmuster festgelegt war. Eine solche eindimensionale Annahme würde nicht nur den Alltagsrealitäten der stets in verschiedenste Lebenszusammenhänge eingebetteten Zeitgenossen gerecht werden, sondern wird auch durch die Quellen wiederlegt. Denn wie passt der Besuch von Kemnitzens Beerdigung, der sehr großzügige Reversentwurf inklusive FC quoad doctrinam und der schädliche Einfluss seiner Ehefrau bezüglich Paul Gerhardts vermeintlicher Unschuld in das Bild eines Reformierten, der eine klare Grenze bei der FC zieht? Somit wird der Oberpräsident zu einem anschaulichen Beispiel für zwei Dinge: Erstens waren auch die reformierten Hofleute von den konfessionellen Konflikten betroffen, wenn auch in anderer Weise als ihre lutherischen Kollegen. Zweitens bewegte Schwerin sich – so wie alle Hofleute – in vielen verschiedenen Kontexten, an die er sein Verhalten anpasste. Zunächst zum ersten Punkt: Friedrich Wilhelm verließ sich darauf, dass sein Oberpräsident alle Angelegenheiten vor Ort geräuschlos und zu seiner Zufriedenheit regelte – dies schloss gewiss auch die diskrete und damit konfliktfreie Vermittlung ein. Aus dieser

 U. a. Ruschke hält es für möglich, dass sie insgesamt einen mildernden Einfluss auf die Kirchenpolitik hatte, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 398; ebenso Hammer: Luise Henriette, S. 132 f. Wirklich nachweisen lässt sich dies aber nicht.

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6 Otto von Schwerin und die reformierte Perspektive

Rollenerwartung, die für Schwerin als wichtigstem Vertrauten Friedrich Wilhelms in besonderem Maße galt, erklärt sich die Mischung aus kompromisslosem Auftreten und gleichzeitigen Vermittlungsangeboten. Er sollte liefern und er konnte dies nur, wenn er – ähnlich wie es die lutherischen Räte, gleichwohl aus anderen Gründen, taten – die Kommunikationskanäle des Hofes zu den Predigern aufrechterhielt. Hinzu kommt, dass Schwerin gerade wegen seiner Stellung auch eher zur Zielscheibe anderer Hofleute werden konnte, d. h. von seinen Erfolgen und seiner Außendarstellung hing auch seine Position ab.¹¹⁶² Zu der Rollenerwartung an Schwerin, die ebenso wie seine persönlichen religiösen Überzeugungen relativ stabil war, traten kontextabhängig weitere Parameter, die jede soziale Situation anders definierten. Dies führt zum zweiten Punkt. Obgleich Reinhart vermutlich auch aus strategischen Gründen zum Hauptverantwortlichen für das gescheiterte Religionsgespräch stilisiert wurde, sind die Situationen, in denen Schwerin mit ihm aneinandergeriet, doch auffällig. Eine persönliche Aversion wird in seinem Verhalten gewiss eine Rolle gespielt haben, zumal er gegenüber den Räten, die 1668 den Beamtenrevers nicht unterschreiben wollten, sehr viel freundlicher auftrat.¹¹⁶³ Dies mag damit zusammenhängen, dass er mit ihnen die gemeinsame Bindung zum Hof teilte, wodurch sich von vorneherein eine bessere Grundlage für entsprechende Gespräche ergab.¹¹⁶⁴ Handlungen wie etwa der Besuch lutherischer Gottesdienste oder Kemnitzens Beerdigung fallen wiederum in einen außerhöfischen Kontext. Hier konnte sich Schwerin anders verhalten, als wenn er im Namen des Kurfürsten handelte. Hinzu kommt der symbolische Aspekt der Gottesdienstbesuche als Brückenschlag zu den Untertanen. Auch die Unterbringung von Schwerins Sohn im kniggeschen Regiment folgt dieser Logik der Kontexte. Die Rahmenbedingungen prägten im Übrigen offensichtlich nicht nur Schwerins Verhalten, sondern auch die Wahrnehmung Außenstehender. Es ist kein Wort des Kurfürsten zum vermeintlich schädlichen Einfluss der Ehefrau Schwerins überliefert – bis zu dem Punkt, als die Reformierten sich über die Formulierung zu Gerhardts angeblicher Unschuld empörten.

 Vgl. zur Konkurrenz Schwerins Rohrschneider: Schwerin, S. 265 – 268.  Vgl. Kapitel 7.2.  Vgl. zu den konfessionsübergreifenden Gemeinsamkeiten der Hofleute Kapitel 3.4.2.

6.2 Die reformierte Hinterbühne des Hofes

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6.2 Die reformierte Hinterbühne des Hofes¹¹⁶⁵ Zu den anderen einflussreichen reformierten Räten existieren deutlich weniger Quellen mit Bezug zur bikonfessionellen Situation des Hofes als bei Schwerin, was nicht sonderlich überrascht. Sie hatten keinen Grund, sich nicht in Konformität zu den kirchenpolitischen Vorgaben zu verhalten, weshalb sich z. B. keine Abweichler bei den in den Ratsstuben besprochenen interkonfessionellen Konfliktfällen finden, die im Verlauf dieser Arbeit schon präsentiert wurden. Symptomatisch ist etwa der in Lorentz’ Sammlung dokumentierte Vorwurf des 1667 inhaftierten und abgesetzten Predigers David Gigas,¹¹⁶⁶ dass sich die lutherischen Räte zwar für seine Wiedereinsetzung ausgesprochen hätten, ihre reformierten Kollegen jedoch still geblieben wären.¹¹⁶⁷ Warum sollten sie sich auch für konkordientreue Lutheraner einsetzen, die den Elenchus gegen den reformierten Glauben praktizierten? Hinzu kam, dass sie ja die Profiteure der kurfürstlichen konfessionellen Agenda waren. Überraschend wirken mag der Befund, dass man auch keine offenen Bekenntnisse zum reformierten Glauben seitens der Räte findet. Andererseits wäre es angesichts der Gemengelage weder klug gewesen, offensiv aufzutreten, noch wäre es nötig gewesen, da für die Anhänger der ‚Calvinisterei‘ nicht derselbe Vereindeutigungsdruck galt, wie für Lutheraner. Man musste weder Friedrich Wilhelm noch seinen Glaubensgenossen etwas beweisen. Lediglich ein Beispiel ist von Lubath in einem Bedenken zum zweiten Toleranzedikt dokumentiert, wo er schreibt, dass der 1662 verstorbene reformierte Geheime Rat Johann von Tornow früher „in unsers theilß gegenwart Calvinum so hoch lobte und ehrete, daß er sagte: Nach der Apostel zeiten hette keiner beßer und den Aposteln näher geschrieben alß der her Calviny.“¹¹⁶⁸ Überliefert sind auch interkonfessionelle Späße, die Friedrich von Jena 1664 bei den Hanauischen Religionsverhandlungen zwischen Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel geäußert haben soll.¹¹⁶⁹ Laut einer Beschwerde der hessisch-darmstädtischen Deputierten an Landgraf Ludwig habe Jena die Verhandlungen verschleppt und sich hervorgetan durch „gantz schimpflich reden, von schulpoßen von groben lutheranern, item das es beßer sey, Catholisch als Lutherisch zu werden, undt dz Lutherus unrecht gethan, daß er

 Vgl. zu dem Begriff Goffman: Theater, S. 104– 112 sowie die Ausführungen in Kapitel 5.3.  Vgl. zu Gigas Kapitel 5.1.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 114.  GKl Archiv XII/90/2, Zitat 158r.  Vgl. zur Rolle Jenas bei der Vermittlung im Konflikt zwischen dem lutherischen Grafen Friedrich Kasimir von Hanau und den reformierten Ständen Eilers, Eilhart: Friedrich von Jena. Ein Beitrag zur politischen Geschichte des Großen Kurfürsten. Leipzig 1935, S. 96 – 98.

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6 Otto von Schwerin und die reformierte Perspektive

solche separation eingeführet“.¹¹⁷⁰ Offensichtlich erreichte die Beschwerde auch Friedrich Wilhelm, denn ihm gegenüber musste sich Jena schriftlich rechtfertigen. Er schrieb, daß ich dem sel. herrn Luthero deme ich sonst viel deferire [hier: beschuldigen/zuschreiben] die reformation und geschehene separation von der papstlichen kirchen alleine solte deferiret haben, solcher übereylung und ignorantz erinnere ich mich nicht, aber wohl das als wir miteinander, außer dem concipienten, welcher im bette lag, schertzeten, ich sagte wan noch alles Catholisch oder Römisch, so könten wir bischoffe, abte, praelaten pp. werden, und als ein andermahl der concipient auch außer der conferentz die Wittenbergische geistliche parten hielt, sagte ich ich wollte viel lieber Meintzisch Catholisch als Wittenb. Lutherisch sein, warumb hat der gute man nicht alle andere dergleichen privat und schertzdiscurse zugleich mit in das P.S. gebracht?¹¹⁷¹

Das Beispiel wurde nicht alleine gewählt, um zu zeigen, dass man auch interkonfessionelle Scherze kannte und Jena sich nie für einen trefflichen Spaß zu schade war, sondern vor allem, weil es eben sonst so gut wie keine Beispiele für reformierte Räte gibt, die ihre Konfession offensiv hervorhoben. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass dies nicht bedeuten muss, dass sie dies tatsächlich nie taten, sondern dass es nur niemand für verzeichnungswürdig hielt. Bei den lutherischen Hofbeamten ist dieses Verhalten schließlich auch hauptsächlich durch Aufzeichnungen der Berliner Geistlichen belegt, die verständlicherweise nur wenig zu den reformierten Hofleuten festhielten. Fast überliest man, dass Jena dem Kurfürsten übrigens schreibt, dass er Luther „sonst viel deferire“, doch keinesfalls die Kirchenspaltung. Vergleichbar mit dem Verhalten der lutherischen Räte, sah sich Jena also dazu genötigt, im rechten konfessionellen Licht dazustehen. Fast nur in den Berichten des hessischen Gesandten Georg Lincker sowie in Lorentz’ Aufzeichnungen finden sich einige spärliche Informationen zu reformierten Hofleuten. Bereits erwähnt wurde Bonnets Beschwerde über Lorentz’ Entlassung, die angeblich sogar in einem regelechten Wutausbruch endete: Wer so gottlos handle und fromme Menschen ängstige, dem solle es genauso ergehen und es „hole doch der Teuffel alle Reformirten, die an daß Unglück undt unverdienter verfolgung schuld haben, undt breche ihnen die hälse“.¹¹⁷² Da Bonnets Worte durch Lorentz’ Feder überliefert sind, sind sie in dieser Schärfe womöglich mit Vorsicht zu genießen. Dass er aber kritisch über die Kirchenpolitik dachte, ist nicht abwegig, zumal er nicht der einzige Reformierte mit dieser Haltung war.

 HStAM, 4 f Staaten P in Hanau 220, Schreiben vom 5.10.1664, unfol.  Ebd., Schreiben vom 5.11.1664.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 164v.

6.2 Die reformierte Hinterbühne des Hofes

241

Schon erwähnt wurde nämlich auch Linckers Treffen mit Canstein und Jena, bei dem sich beide über die Kirchenpolitik und namentlich Otto von Schwerin beklagt hatten.¹¹⁷³ Es war auch Friedrich von Jena, der die letzten Vermittlungsversuche im Konflikt mit den Berlinern unternahm. So berichtet Lorentz, wie er gemeinsam mit dem Geheimen Rat Johann Köppen einen weiteren Reversentwurf aufsetzte und Ende Juli 1665 an Georg Lilius übergab.¹¹⁷⁴ Als die Berliner diesen ablehnten, reichte er im September eine weitere Version ein, die mit ihren geringen Änderungen jedoch den Geistlichen ebensowenig zusagte.¹¹⁷⁵ Schließlich forderte er Georg Lilius am 2. Oktober zu sich und berichtete ihm, „wie Chrf. dhl. an Ihn begehret, daß kirchwerck also zu dirigiren, u. auffs Ende zu bringen, daß wir dabey könten bleiben u. Chrf. dhl. hoher Respect erhalten würde. Produzierte darauff den neuen auffsaz des Revers.“¹¹⁷⁶ Zumindest in diesem Fall lässt es sich also belegen (sofern man Jena glaubt), dass Friedrich Wilhelm persönlich Vermittlungsversuche veranlasste. Dies war allerdings schon, nachdem sich die Stände eingeschaltet und Friedrich Wilhelm dadurch unter Zugzwang gesetzt hatten.¹¹⁷⁷ Doch Jenas Bemühungen fruchteten nicht – weitere Treffen oder Reverse sind nicht überliefert.¹¹⁷⁸ Es mag übrigens kein Zufall sein, dass Lilius als Kontaktperson ausgewählt wurde, hatte der Kurfürst doch schon im Mai gegenüber dem Berliner Magistrat gemutmaßt, dass der Probst nur von seinen Kollegen zu einer Verweigerungshaltung gedrängt werde.¹¹⁷⁹ Bekanntlich wurde Lilius am Ende tatsächlich schwach und setzte einen eigenen Revers auf.¹¹⁸⁰ Außer Jena beschwerte sich noch der Hofprediger Johann Kunschius bei Georg Lincker über die Kirchenpolitik. Sie sei in einem „zu hehren tohn angefangen alß daß es mit reputation könne außgeführt werden“, zudem habe sich Stosch „zu viell durch den Probst Fromme […] weyß machen und verführen lassen“.¹¹⁸¹ In-

 Vgl. Kapitel 5.3.2.2 u. 6.1.2.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 23r. Der Revers ähnelt den strengeren Vorschlägen, die bereits gemacht worden waren, da er auf eine Nennung der symbolischen Bücher komplett verzichtet und damit auch hinter Schwerins Vorschlag mit FC quoad doctrinam zurückbleibt, vgl. ebd., Fol. 23r – 23v.  Ebd., Fol. 23v; weitere Abschrift in: GKl Archiv XII/90/2, Fol. 194. Ruschke erwähnt nur diesen Vorschlag Jenas, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 411.  Ebd., Fol. 24. Dieser Revers ist leider nicht überliefert.  Vgl. dazu Ruschke: Paul Gerhardt, S. 412– 425.  Dies hing damit zusammen, dass sowohl die Stände als auch die Prediger weiter die Reverse ablehnten, vgl. ebd.  Ebd., S. 472.  Vgl. Kapitel 5.1.  HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 353, Bericht vom 30.1./9. 2.1667; vgl. hierzu auch Ribbeck: Berichte, S. 143.

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6 Otto von Schwerin und die reformierte Perspektive

teressant ist an dieser Information nicht alleine, dass ein Hofprediger seinen Kollegen kritisiert, sondern auch, dass das Narrativ um Andreas Fromms ‚Kryptocalvinisterei‘ im Vergleich zur lutherischen Version umgekehrt wird: In Kunschius’ Augen war es nicht Stosch, der Fromm ausnutzte und verführte, sondern umgekehrt. Ein anderes Licht auf die reformierte Perspektive wirft ein Schreiben des Hofpredigers Bartholomäus Stosch an den reformierten Geheimen Kammer- und Kanzleisekretär Gottfried Sturm aus dem Jahr 1665.¹¹⁸² Darin bezog er sich auf ein Schreiben der Berliner Prediger, in dem sie um Erlass des Reverses baten und sich zugleich zum Konkordienluthertum bekannten.¹¹⁸³ Seine Empörung ist aus dem Brief deutlich herauszuhören, wenn er etwa schreibt: „Ich erschrecke über der B.[erliner] Schrifft. Machen sie es doch ie lenger je ärger. Ihre Schrifft ist ein inversus Reversus. Sie rühmen sich, daß sie bißher des unchristl. verdammens sich enthalten: aber o des unverschamtten ruhmes!“¹¹⁸⁴ Er fügt auch hinzu: „Ich wünschte, das ich hette S. E.Fr. von Schw.[erin] sprechen können.“¹¹⁸⁵ Auf reformierter Seite lassen sich also nicht nur kritische Stimmen zur Kirchenpolitik, sondern auch zum Verhalten der lutherischen Geistlichen finden. Auch führt dieser Brief Schwerins Schlüsselrolle in der Kirchenpolitik erneut vor Augen. Auch wenn diese wenigen Beispiele keine sehr solide Quellenbasis bilden, wird aus ihnen ersichtlich, dass die Kirchenpolitik auch die reformierten Räte beschäftigte und von ihnen bisweilen kritisch gesehen wurde, obgleich sie nicht persönlich im gleichen Maße betroffen waren wie ihre lutherischen Kollegen. Dass man sich namentlich über Stosch und Schwerin beklagte, unterstreicht deren Bedeutung für die Kirchenpolitik ebenso wie der empörte Brief des Hofpredigers. Somit verstecken sich hinter der konfessionsneutralen Fassade des Hofes und der höfischen Bühne im Angesicht des Kurfürsten nicht nur einige lutherischen Nebenbühnen, sondern auch eine kleine reformierte Hinterbühne, auf der man die Kirchenpolitik in einer Art und Weise kritisierte, wie dies Friedrich Wilhelm gewiss nicht geschmeckt hätte. Direkte negative Auswirkungen der Kirchenpolitik mögen die Reformierten ansonsten wohl hinsichtlich ihrer Reputation in der Residenz und dem Territorien

 Der Brief ist abgedruckt in: Meinardus: Protokolle 7.1, Nr. 414, S. 286 f., hier S. 287; Original in: GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 143; 1670 – 1702], „[Mappe zum Edikt von 1664]“, Fol. 56; vgl. zu Sturm Bahl: Hof, S. 602 f.  Vgl. zu dem Kontext Landwehr: Stosch, S. 118; Ruschke: Paul Gerhardt, S. 408.  Meinardus: Protokolle 7.1, S. 287. Er geht ferner ausführlich auf das Bekenntnis der Prediger zur FC ein und erklärt, dass der Kurfürst dies nicht akzeptieren könne, da sie damit auch ihre Anathemata zur Richtschnur für ihr Amt machen würden.  Ebd.

6.3 Die Hofprediger

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gespürt haben.¹¹⁸⁶ Dass sie die überwältigende lutherische Mehrheit zudem bisweilen als ein wenig bedrohlich empfunden haben mögen, wurde mit Verweis auf Somnitz’ Leichenpredigt in Kapitel 3.1 angesprochen. Vielsagend ist zudem, dass Lorentz anlässlich seines Treffens mit dem reformierten Leibmedicus Bonnet kurz vor seiner Abreise¹¹⁸⁷ sinngemäß bemerkte, dass es auch gute Reformierte gäbe,¹¹⁸⁸ was wiederum viel darüber aussagt, was er von den meisten Reformierten dachte. Nichtsdestotrotz sollte der Abschiedsbesuch Bonnets bei Lorentz eine weitere Mahnung sein, allzu vorschnell eine strikte Trennung des reformierten Teils des Hofes von der Residenz zu postulieren.¹¹⁸⁹ Vielmehr ist grundsätzlich von einer funktionierenden Alltagsinteraktion auszugehen, die von den interkonfessionellen Konflikten jedoch gewiss belastet wurde.

6.3 Die Hofprediger Nachdem die Hofprediger schon an verschiedenen Stellen dieser Arbeit einen Auftritt hatten – so etwa in den Ausführungen zur Kirchenpolitik oder den Konflikten im Konsistorium¹¹⁹⁰ – ist es nun an der Zeit, ihre Bedeutung im Rahmen des bikonfessionellen Hofes noch ein wenig mehr zu beleuchten. Obwohl Hofgeistliche grundsätzlich eine bedeutende Rolle an Fürstenhöfen spielten und dort in einer Schlüsselposition waren,¹¹⁹¹ können die Hofprediger Friedrich Wilhelms in diesem Bezug nur skizzenhaft behandelt werden. Dies liegt daran, dass das Domarchiv enorme Kriegsverluste erlitten und Thadden in seiner Studie von 1959 einen Großteil der verbliebenen Quellen bereits ausgewertet hat.¹¹⁹² Trotzdem sollen hier einige Beobachtungen zu den Hofpredigern dargelegt werden.

 Einige Beispiele zu den Schwierigkeiten reformierter Adliger in Brandenburg nennt Göse: Rittergut, S. 388 – 392; wie schon in Kapitel 3.1. erwähnt, verweist Opgenoorth auf einige Formen der Diskriminierung gegen Reformierte, etwa die Verweigerung gewisser kirchlicher Handlungen oder die Kritik mancher Geistlicher an der Taufpatenpraxis, betont aber trotzdem, dass die Reformierten deshalb keineswegs isoliert waren, vgl. Opgenoorth: Die Reformierten, S. 453 – 458.  Vgl. Kapitel 6.1.2.  Wörtlich heißt es, Bonnet sei „ein reformierter, aber gar […] aufrichtiger mann“, vgl. FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 164r.  Vgl. Kapitel 6.1.2.  Vgl. u. a. Kapitel 2.2, 2.3. u. 4.1.4.  Vgl. bspw. die einführenden Worte von Gleixner, Ulrike u. Westphal, Siegrid: Perspektiven eines Konfessionsvergleichs. In: Religion Macht Politik, S. 11– 25.  Schon Thadden selbst beklagte die Quellenlage, vgl. Thadden: Hofprediger, S. 2. Hinzu kommen weitere Studien zu einzelnen Predigern, vgl. Landwehr: Stosch; Nischan: Bergius;

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6 Otto von Schwerin und die reformierte Perspektive

Neben ihrer wichtigen Rolle als Repräsentanten der brandenburgischen reformierten Kirche und religionspolitische Akteure, besaßen die Hofprediger unzweifelhaft auch einen enormen Einfluss als Seelsorger für die reformierte Dombzw. Hofgemeinde und zuvorderst für das kurfürstliche Paar. Über diese relativ pauschale Feststellung hinaus kann aber kaum gesagt werden, wie sich ihr Wirken konkret in den reformierten (und möglicherweise auch lutherischen) höfischen Kreisen gestaltete – es sind schlichtweg keine Nachlässe, Berichte oder Korrespondenzen erhalten, die darüber eine Aussage erlauben. Eine Ausnahme bildet lediglich das Konsistorium, über das Fromm und Seidel Zeugnisse hinterlassen haben.¹¹⁹³ Recht gut bezeugt ist die enge religiöse Bindung zwischen Bartholomäus Stosch und der Kurfürstin Luise Henriette.¹¹⁹⁴ Nimmt man Otto von Schwerin hinzu, so deuten sich gewisse binnenkonfessionelle Gruppen an, die zueinander einen engeren Kontakt pflegten als zu anderen Glaubensgenossen – früher sprach man hier etwa von der oranischen Partei. Indes sollte man vorsichtig damit sein, die Pauschalisierungen der Vergangenheit zu reproduzieren und den Hof voreilig in verschiedene klar getrennte Parteiungen einzuteilen, die durch religiöse, politische oder soziale Gemeinsamkeiten strukturiert waren. Anhand der Beispiele Schwerins und Cansteins wurde m. E. recht klar gezeigt, dass die Interaktion bei Hofe komplexer und kontextabhängig funktionierte. Es bleibt die Möglichkeit, die Bedeutung der Hofgeistlichen in der Hofgesellschaft sozialgeschichtlich über Netzwerke zu spezifizieren. Hier fällt erstens auf, dass die Hofprediger – kaum überraschend – in geschlossen reformierten Heiratskreisen verkehrten,¹¹⁹⁵ sowie zweitens, dass es ihnen häufig gelang, sich fest und dauerhaft bei Hofe zu etablieren und ganze Amtsträgerdynastien zu gründen.¹¹⁹⁶ Zu dieser Entwicklung trug neben der Konfession auch bei, dass die ersten Hofprediger allesamt zugewandert und somit ohnehin relativ isoliert von den eingesessenen Familien waren,¹¹⁹⁷ zumal es keine standesbedingten Bindungsmöglichkeiten gab wie beim Adel, etwa Otto von Schwerin.

Kohnle: Johann Sigismund und Johann Bergius; vgl. ferner Bahls zusammenfassende Ausführungen zu den Hofpredigern: Bahl: Hof, S. 70 – 73.  Vgl. Kapitel 4.  Vgl. Landwehr: Stosch, S. 104 f. u. 125 – 127.  Vgl. die Stammtafeln im Anhang bei Thadden: Hofprediger und bei Bahl: Hof, S. 628 f. u. 651. Die Bildung fester Heiratskreise bei Hofpredigern ist ein Phänomen, das in mehreren Territorien des Reiches beobachtet werden kann, vgl. Schorn-Schütte, Luise: Umstrittene Theologen. Die Rolle der Hofprediger zwischen Herrscherkritik und Seelsorge im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Gleixner/ Westphal (Hrsg.): S. 27– 47, hier S. 31.  Vgl. Bahl: Hof, S. 73.  Ebd., S. 70 f., ferner Opgenoorth: „Ausländer“, S. 14– 16.

6.3 Die Hofprediger

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Die Hofprediger, die in Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit noch am besten gegriffen werden können, sind Johann Bergius und Bartholomäus Stosch. Als jeweils erste Hofprediger mit einem enormen Einfluss auf die Kirchenpolitik wurden sie gleichsam für ihre Zeitgenossen wie die Historikerzunft zu zwei herausragenden Symbolfiguren, die den kirchenpolitischen Schwenk ab den späten 1650er Jahren verkörperten.¹¹⁹⁸ Besonders deutlich tritt dieses Deutungsmuster in der anonymen lutherischen Klageschrift Vox Opressorum in Marchica Brandenburgica supplex vor Augen, wo es von Bergius heißt, er sei „unserer Religio und derselben Verwandten/ nicht so ungnädig gewesen […] sondern mit unsern Theologen fried freundlich umbgegangen“. Ihn müsse man rühmen, während Stosch den Kurfürsten „zur Ungnade inflammiret“ habe.¹¹⁹⁹ Mit Blick auf Stoschs Einfluss auf die Toleranzedikte ist dieses Bild gewiss nicht völlig aus der Luft gegriffen, zumal mit Kunschius sogar ein reformierter Hofprediger Kritik an ihm übte. Aber er war ganz sicher nicht alleine für die Kirchenpolitik verantwortlich. Im Zusammenhang mit der Absetzung Andreas Fromms schrieb er dazu dem Kurfürsten einige aufschlussreiche Zeilen: Meinet aber H. Frommo, daß Ich entweder über die Jura Principis oder wieder die Bitterkeit und Lästerung etlicher Lutherischen Prediger mehr geiffert habe, alß Bergius […], so thut Er mir mehr Ehre an, alß Mir gebühret, sintemal H. Bergus hierinnen sein ambt wol verrichtet hat […] und hette Er mehr Wißenschafft gehabt von den vorgelauffenen Lästerungen, oder mehr Befehl von der hohen Obrigkeit, wie wir haben, so würde Er mehr und kräfftiger alß ich geiffert haben.¹²⁰⁰

Wie sehr Bergius nun geifert hätte, wenn er den Kirchenstreit hätte miterleben müssen, weiß man nicht, aber anscheinend erwartete Friedrich Wilhelm von Stosch ein hartes Auftreten in der Religionspolitik, wie der Hofprediger am Rande mit Verweis auf den „Befehl von der hohen Obrigkeit“ andeutet. Die Ehre gebührt also dem Kurfürsten im gleichen Maße wie seinem Seelsorger. Stosch hatte auch eine gewisse Rollenerwartung zu erfüllen und er wurde ihr gerecht: Er galt bei den Lutheranern auch dann noch als berüchtigt, als die Reverse 1668 durch Befragungen für neue Geistliche ersetzt wurden, die der Hofprediger persönlich durchführte.¹²⁰¹ Der Eindruck von Stosch als ein strenger Agent der kurfürstlichen

 Vgl. Kapitel 2.  O. A.: Vox Oppressorum in Marchica Brandenburgica supplex. Das ist an se. Churf. Durchleuchtigkeit zu Brandenburg unterthänigste Supplicata […] Salzbach 31677, S. 46; vgl. auch die Aussage des Berliner Magistrats, dass es unter Bergius friedlicher als unter Stosch zugegangen sei, in Kapitel 4.1.3.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 65v.  Vgl. Landwehr: Stosch, S. 128 – 130.

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6 Otto von Schwerin und die reformierte Perspektive

Kirchenpolitik wird durch die Aufzeichnungen Lorentz’ gestützt. So habe ihn der reformierte Hofbibliothekar Johann Vorstius am Nachmittag des 20. August 1665 besucht und ihm von einem Gespräch mit Stosch erzählt. Der Hofprediger habe gesagt, wenn jemand behaupte, der Kurfürst würde den Berlinern die Reverse erlassen, der würde lügen, „denn sie solten und müsten alle subscribiren, solte auch nicht ein Prediger im lande bleiben […] Es müste denn Gott sonderlich ins Werk greiffen, oder ein krieg dazwischen kommen.“¹²⁰² Aussagen wie diese dürften zu Stoschs kompromisslosem Ruf beigetragen haben.¹²⁰³ Nebenbei ist das Gespräch ein weiteres Beispiel dafür, dass die reformierten Hofleute keineswegs vollkommen getrennt von der Residenz und ihren lutherischen Einwohnern agierten und lebten.Was schließlich noch Stoschs interkonfessionelle Interaktion bei Hofe anbetrifft, so fällt auf, dass er sich gemäßigte bzw. dem reformierten Glauben zugeneigte Personen ausguckte, um mit ihnen zusammenzuarbeiten. Er tat dies nicht nur mit Andreas Fromm, sondern auch mit Johann Buntebart, mit dem er das zweite Toleranzedikt konzipierte¹²⁰⁴ und der vermutlich als Anerkennung seiner reformiertenfreundlichen Haltung 1667 zum Konsistorialrat bestallt wurde.¹²⁰⁵ Möglicherweise sollten diese Kooperationen dazu beitragen, für gemäßigte Lutheraner akzeptable Maßnahmen auszuarbeiten, obgleich die lutherischen Zeitgenossen wohl eher vermuteten, dass er nur Opfer für sein ‚calvinisches Seelengift‘ suchte. Oben wurde bereits angedeutet, dass auch Stosch in der Kirchenpolitik nicht frei von Rollenerwartungen seitens des Kurfürsten war. Dies gilt in beschränkterem Maße auch für die anderen Hof- und Domprediger. Für die konfessionelle Außendarstellung Friedrich Wilhelms war es von größter Bedeutung, dass sich gerade seine Prediger an die kirchenpolitischen Vorgaben hielten. Dies bedeutete in erster Linie, nur gemäß der drei offiziellen Bekenntnisschriften zu lehren, auf die sich der Kurfürst immer wieder berief.¹²⁰⁶ So heißt es in der Domkirchenordnung von 1664, die als Vorbild für alle reformierten Geistlichen gelten sollte, wie folgt: Es wird auch zur Erbauung der Kirchen und der Widerwärtigen Lästerung abzuwenden, nöthig seyn, daß die Prediger in ihren Predigten sich befleißigen nach der apostolischen

 FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 23r.  Auch weiß der hessische Gesandte Lincker davon zu berichten, wie Stosch im Zusammenhang mit der Absetzung des Predigers Samuel Lorentz ihm gesagt habe, „daß er zu abermahliger absetzung der vornembsten lutherischen Priester [!] ziehle.“ HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 353, Bericht vom 21./31.1.1668.  Vgl. Kapitel 2.3 u. 4.5.  Vgl. Kapitel 4.5.  Vgl. Kapitel 2.2.

6.3 Die Hofprediger

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Vermahnung, daß sie einträchtig gesinnt seyn unter einander nach Jesu Christo, und daß sie alle subtile und unerbauliche Fragen, und was die Zuhörer zum Vertrauen zu Gott, zur Buße und Besserung des Lebens nicht aufmuntern kann, evitiren. Vor allen Dingen aber die Lehre von dem Willen Gottes wegen der Menschen Seligkeit und Verdammniß, als um welcher willen die kirche am meisten veracht gemacht wird, der Gemeine Gottes also vortragen, wie dieselbe aus Gottes Wort in der von S. Churf. Durchl. Großherrn-Vaters hochseel. Andenkens ausgelassenen Confession und hernach zu Leipzig und Thoren von den churf. Theologis wiederholet, erkläret und vertheidiget worden. Dann weil S. Churf. Durchl. in Dero Anno 1662. ausgelassenen Edicto ernstlich befehlen, daß die anderen Kirchen von der Reformirten Kirchen Lehre, nicht anders, als was sie in den 3. Confessionibus bekennen, urtheilen sollen; so würde es ungereimt seyn, daß in S. Churf. Durchl. Hauptkirche ein Anderes geschehe.¹²⁰⁷

Die Prediger mussten allesamt die Ordnung unterschreiben.¹²⁰⁸ Auf keinen Fall sollte also Aufsehen erregt werden, indem die Hofprediger genau jene Lehren verbreiteten, welche die Lutheraner ihnen unterstellten und welche der Kurfürst den Lutheranern zu unterstellen verboten hatte. Darüber hinaus wurde im April 1664 analog zu den Reversen für die lutherischen Prediger auch ein Revers für die reformierten Geistlichen aufgesetzt, den alle Hofprediger unterschrieben. Darin bekannten sie sich gleichermaßen zu den Toleranzedikten und gelobten, sich für eine mutua tolerantia einzusetzen.¹²⁰⁹ Wie wichtig diese Vorgaben für die Außendarstellung der Herrschaft waren, zeigt ein Vorfall, der sich lange nach dem märkischen Kirchenstreit ereignete. So beklagte sich Friedrich III. 1690 in einem Reskript darüber, dass seine Prediger der Domgemeinde entgegen der Kirchenordnung von der doppelten Prädestination gepredigt hätten, was nicht nur die Gemeinde, sondern auch einige lutherische Gottesdienstbesucher verwirrt und vor den Kopf gestoßen hätte.¹²¹⁰ Die betroffenen Prediger Georg Conrad Bergius, Anton Brusensius, Heinrich von Schmettau und Christian Cochius waren übrigens allesamt noch unter Friedrich Wilhelm eingestellt worden.¹²¹¹ Zu Georg Conrad Bergius bemerkte schon Thadden, dass er im Gegensatz zu seinem Vater eher

 Die Ordnung ist abgedruckt bei Hering: Beiträge 2, S. 107– 112, hier S. 108 f. Ein Entwurf der Verordnung mit einigen wenigen Unterschieden befindet sich in: GStA PK, I. HA, Rep. 2, Nr. 11, Fol. 139 – 144.  Vgl. Hering: Beiträge 2, S. 112.  Eine Abschrift befindet sich bei Lubath, vgl. GKl Archiv XII/90/1, Fol. 198.  GStA PK, I. HA, Rep. 2, Nr. 11, Fol. 159 – 161. Die Prediger rechtfertigten sich damit, dass auch aus den drei offiziellen Bekenntnisschriften hervorgehe, dass nur wenige erwählet seien, ebd., Fol. 162– 167.  Vgl. zu Georg Conrad Bergius Bahl: Hof, S. 428 f.; Thadden: Hofprediger, S. 185 f.; zu Brusensius Bahl: Hof, S. 441; Thadden: Hofprediger, S. 191 f.; zu Schmettau Bahl: Hof, S. 573 f.; Thadden: Hofprediger, S. 186 – 188; zu Cochius Bahl: Hof, S. 455; Thadden: Hofprediger, S. 192 f.

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6 Otto von Schwerin und die reformierte Perspektive

einen Gnadenpartikularismus vertreten habe.¹²¹² Auch wenn dieser Vorfall sich erst deutlich nach dem Untersuchungszeitraum ereignete, lässt er darauf schließen, dass es für die Hof- und Domprediger keineswegs selbstverständlich war, sich an die offizielle Doktrin zu halten. Außerdem wird klar, wie viel Bedeutung auch noch der Nachfolger Friedrich Wilhelms auf eine widerspruchsfreie und prolutherische Selbstdarstellung in Konfessionsfragen glaubte legen zu müssen.

6.4 Zwischenresümee Der kurze Blick auf die reformierte Seite hat zunächst bestätigt, was zu vermuten war, und zwar, dass die reformierten Hofleute ungleich weniger persönliche Schwierigkeiten mit der Kirchenpolitik und der bikonfessionellen Lage bei Hofe hatten als ihre lutherischen Kollegen. Von ihnen sind keine Rollenkonflikte, Gewissensnöte oder Konversionsgedanken überliefert, wie man sie bei den lutherischen Räten beobachten kann. Dass sie – bezogen auf die Residenz und das Territorium – als eine sehr kleine Minderheit sich bisweilen ungerecht behandelt und von lutherischen Schmähpredigten persönlich angegriffen gefühlt haben mögen, ist naheliegend.¹²¹³ Dafür spricht Schwerins Unverständnis gegenüber den Lutheranern beim Religionsgespräch und übrigens auch das Siegel der Domgemeinde, das sich der Allegorie der Rose unter Dornen bedient.¹²¹⁴ Von einer alltäglichen Ausgrenzungserfahrung darf jedoch keineswegs ausgegangen werden, denn sonst ließen sich die zahlreichen konfessionsübergreifenden Taufpatenschaften kaum erklären, die sich auch zwischen Hofleuten und städtischen Eliten festmachen lassen.¹²¹⁵ Sehr wohl aber beschäftigte sich auch der reformierte Teil des Hofes mitunter äußerst kritisch mit der Kirchenpolitik gegen das Konkordienluthertum und ihren Auswirkungen auf das Verhältnis der evangelischen Konfessionen. Die konfessionelle Schauseite des Hofes, samt seiner von kommunizierter Einigkeit geprägten höfischen Bühne, verdeckte also nicht alleine lutherische Nebenbühnen, sondern auch eine reformierte Hinterbühne, auf der keine interkonfessio-

 Vgl. Thadden: Hofprediger, S. 185.  Der erbitterte Widerstand der Lutheraner gegen die Reformierten wird etwa bei Konflikten um Simultaneen gut sichtbar, vgl. dazu den Überblick bei Leibetseder: Alltag, v. a. S. 244– 253; Almer: Calvinista, S. 107– 119.  Vgl. Winter: Stadt und Herrschaft, S. 98.  Vgl. Kapitel 3.1. Schon Opgenoorth relativierte die vermeintliche Ausgrenzung reformierter Eliten in Brandenburg, vgl. Opgenoorth: Die Reformierten, S. 457 f.

6.4 Zwischenresümee

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nellen, sondern vielmehr binnenkonfessionell-reformierte Trennlinien erkennbar werden. Das Bekenntnis alleine sagte also noch nichts darüber aus, ob jemand die Kirchenpolitik guthieß. Und wenn er sie guthieß, bedeutete dies nicht zugleich eine klare Frontstellung zu allen Lutheranern. Vor allem Schwerins Beziehungspflege, ebenso wie die ergänzenden vereinzelten Überlieferungen überkonfessioneller Kontakte, verdeutlicht vielmehr, dass die Reformierten weiterhin aktiv an der Umgangsökumene teilnahmen. Schon bei den lutherischen Fallbeispielen wurde immer wieder deutlich, dass die Bindung der Hofleute an andere Identitäten die konfessionelle Zugehörigkeit oft überlagerte. Anhand Otto von Schwerins Balanceakt zwischen religiöser Grenzüberschreitung und religiöser Verfolgung wird offenkundig, wie stark diese Zugehörigkeiten vom konkreten Interaktionszusammenhang abhängen konnten. Es hing vom situativen Kontext ab, wie Interkonfessionalität jeweils realisiert wurde.¹²¹⁶

 Schon Frijhoff wies auf die situative bzw. spontane Umsetzung einer friedlichen Umgangsökumene hin, vgl. Frijhoff: Threshold, S. 40; vgl. auch Kapitel 3.4.2.

7 Der Beamtenrevers von 1668 Im Laufe der 1660er Jahre hatten sich die Kreise um die lutherischen Hofleute immer enger gezogen und die Vereinbarkeit ihrer lutherischen und ihrer höfischen Rolle zunehmend erschwert. Trotz gewisser Zugeständnisse an die kurmärkischen Stände und die Abschwächung der Reverspolitik im Jahr 1667¹²¹⁷ hatte sich die Lage noch nicht wieder entspannt. Dies bekamen nicht zuletzt auch die Fürstendiener zu spüren, die nun stärker in den Fokus Friedrich Wilhelms rückten. Der lutherische Oberhofmarschall Raban von Canstein schreibt etwa in seiner Lebensbeschreibung über das beginnende Jahr 1668: Viele wiederwertigkeiten habe ich sonsten auch dieß jahr wegen die Edicten gehabt, denn mier anfangs im Januar: die bedencken, so ich schrifftlich verschiedentlich aufgesetzet, mich sehr verwiesen worden, Ich habe mich aber dergestalt verantworthet das man mier auch ferner nichts gesaget.¹²¹⁸

Von welchen schriftlichen Bedenken Canstein spricht, bleibt leider unklar. Seine Reversprojekte für die Prediger lagen bereits mehr als zwei Jahre zurück, sodass es sich durchaus um andere Schriften handeln könnte. Andererseits könnte sein damaliges Engagement jetzt erst aufgefallen (bzw. von Dritten an den Kurfürsten herangetragen worden) sein.¹²¹⁹ Um welche Bedenken es sich auch gehandelt haben mag – sie wurden Canstein anscheinend negativ ausgelegt. Dies belegt im Nachhinein, warum es für die Räte all die Jahre wichtig gewesen war, die höfischkurfürstlich-orientierten und die lutherisch-städtischen Kommunikationskontexte zu trennen. Canstein war nicht der einzige, der sich einen Rüffel abholen musste. Der hessische Gesandte Lincker berichtete am 8. Januar 1668, dass der Kurfürst neulich die lutherischen Konsistorialräte zu sich habe rufen lassen „und occasione ein und anderer discordie ihnen vorgehalten“,¹²²⁰ da sich ihre Prediger

 Vgl. Kapitel 2.3.  AFSt/H A 154a), Fol. 93r.  Friedrich Wilhelm hielt sich zwar ungefähr von Oktober 1665 bis November 1666 nicht in Berlin auf, war aber 1667 die meiste Zeit in seiner Hauptresidenz zu finden. Auch wenn man spekulieren darf, inwieweit der Tod der Kurfürstin Luise Henriette am 8.6.1667 gewisse Dinge – wie etwa die Kirchenpolitik – zeitweise an Bedeutung verlieren ließ, hätte es also genug Zeit gegeben, um schon früher von Cansteins Verhalten zu erfahren und ihm einen Verweis zu geben. Vgl. Ledebur: Aufenthalts-Nachweis, S. 9 f.  Vgl. für alles Folgende HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 353, Bericht vom 8./18.1. 1668. https://doi.org/10.1515/9783110647006-009

7 Der Beamtenrevers von 1668

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so undankbar verhielten, obwohl er seinen Religionsverwandten alle Gnade erwiesen habe. Friedrich Wilhelm hätte „ein und anderß ihnen dar wohl angeordnet“, doch wenn man in die Neumark blicke, „würde mann schon sehen daß es ohngetahn bliebe.“¹²²¹ Er warf ihnen also das Verhalten der Geistlichen vor und deutete an, dass sie seine Vorgaben nicht ordentlich umsetzten.¹²²² Nach jahrelang erfolgreich praktizierter Doppelstrategie waren die Räte nun also an dem Punkt angelangt, wo ihr Bekenntnis gepaart mit dem Einsatz für ihre Kirche sie verdächtig und zu schlechtgelittenen Fürstendienern machte. Es dauerte nicht mehr lange, ehe sie auch zur Zielscheibe der kurfürstlichen Reverspolitik wurden. Am 6. Mai 1668 erließ Friedrich Wilhelm noch eine Deklaration, in der er bekräftigte, die freie Religionsausübung der Lutheraner nicht einschränken zu wollen, und sogar einen moderaten Elenchus erlaubte.¹²²³ Mit diesem Zugeständnis lässt man gemeinhin die Hochphase des märkischen Kirchenstreits ausklingen, auch wenn es danach noch immer zu Konflikten kam.¹²²⁴ Damit war

 Im Frühjahr 1668 konnten die neumärkischen Stände durchsetzen, dass die Reverse auch in der Neumark abgeschafft wurden, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 461. Ob es im Vorfeld – insbesondere Ende 1667 – zu interkonfessionellen Konflikten gekommen war und inwieweit die Konsistorialräte hier eingebunden waren, konnte ich nicht herausfinden.  In diesem Zusammenhang schreibt Lincker auch, Friedrich Wilhelm habe „fast wehemühtig vorbracht, es [sei] ihme zwar lieb gewesen, den Religions-eyffer und Gutes Gemüht zu sehen, wenn es nur nicht in der Lutherischen gegenwart geschehen, der ihm wohlbekante hartneckligkeit es anderst und nur zu ihrem vorteyhl außdeuteten.“ Sein mit Wehmut vorgebrachter Satz mag sich auf die Beschwerden der kurmärkischen Stände beziehen, die sich am 7.12.1667 über Eingriffe des Konsistoriums in die Nennung der symbolischen Bücher bei Vokationen beklagten, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 460. Angesichts ihres Verhaltens über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg kann ich mir jedoch nicht vorstellen, dass zumindest die Konsistorialräte Reinhart und Seidel eine aktive Rolle bei diesem Eingriff gespielt haben konnten. Insgesamt bleibt leider unklar, welche Personen und welche Ereignisse Friedrich Wilhelm konkret meint, wenn er vom Religionseifer und dem guten Gemüt spricht.  Das Reskript ist mehrfach gedruckt, vgl. etwa Mylius: Corpus I, 1, Sp. 395 – 398; Schulz: Paul Gerhardt, S. 415 f. Im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz befinden sich mehrere Konzepte der Schrift, an deren Abfassung Stosch und Schwerin beteiligt waren. Ursprünglich hatte Stosch einen Passus eingefügt, wonach Friedrich Wilhelm die Idee eines Fundamentalkonsenses begrüße, aber auch jene schütze, die ihn ablehnten. Dieser Teil wurde nie aufgenommen, um weitere Kontroversen zu vermeiden. Es existiert ferner ein Protokoll, bei dem Schwerin und Stosch gemeinsam mit Georg Conrad Bergius das Konzept besprechen, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma 142; 1660 – 1670], Fol. 37– 43 u. 126 f.  Besonders betont diesen Schwenk Landwehr: Kirchenpolitik, S. 230; in späteren Arbeiten wird zwar vorsichtiger geurteilt, aber dennoch auf eine Beruhigung der Lage verwiesen, was mit dem Ende der allgemeinen kirchenpolitischen Erlasse und dem Wechsel zu Fall-zu-Fall-Entscheidungen in Konfliktfällen verknüpft wird, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 462 f.; ähnlich

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7 Der Beamtenrevers von 1668

die Reverspolitik jedoch noch nicht beendet – im Gegenzug nämlich wurde den Geheimen-, den Kammergerichts- und den Konsistorialräten nun ein Revers vorund die kirchenpolitische Belastung damit auf sie umgelegt. Da es nicht gelungen war, die Prediger durch legislative Maßnahmen unmittelbar zu disziplinieren, suchte man die Ursache dieses Scheiterns nun bei jenen, in deren Verantwortungsbereich die Umsetzung dieser Maßnahmen gelegen hatte: den Fürstendienern. Und mehr noch: Laut dem habsburgischen Gesandten Johann von Goess habe Friedrich Wilhelm seine lutherischen Räte gar verdächtigt, die Prediger heimlich unterstützt zu haben, und deshalb den Revers aufsetzen lassen: Weiln aber die churfürstliche edicta sehr ad specialia kommen und den Lutherischen gedünkt, dass sie Gewissen halber hierin nit pariren künnten, als haben die Predicanten sich geweigert, gewisse Revers […] zu unterschreiben.Weiln man nun vermuthet, dass sie von den lutherischen Räthen gestärkt worden, als haben I.Ch.D. an dieselbe begehrt, sie sollten eine gewisse Schrift unterschreiben.¹²²⁵

Die oben erwähnten Vorwürfe gegen Canstein und die lutherischen Konsistorialräte fügen sich passgenau in Goess’ Erklärungsangebot. Und sie hatten ja in der Tat ihre Prediger unterstützt. Dass sie gleichzeitig auch stets bemüht gewesen waren, ihre Treuepflicht nicht zu verletzen, fiel nicht mehr ins Gewicht.¹²²⁶ Alleine die Tatsache, dass sie mit den Geistlichen zu tun hatten, machte sie in seinen Augen zu potentiellen Saboteuren der Kirchenpolitik. Der Beamtenrevers wurde nur einen Tag nach der Deklaration, also am 7. Mai 1668, im Geheimen Rat verlesen. Einen weiteren Tag später, am 8. Mai, wurde er auch den Kammergerichts- und Konsistorialräten vorgelegt. Jeder hatte zu unterschreiben oder mit seiner Remotion zu rechnen. Die zu unterzeichnende Erklärung lautete wie folgt: demnach seine Churfürstliche Durchlauchtigkeit zu Brandenburg, unser gnädigster herr, im Jahr 1662 und 1664 einige Edicta publiciren laßen, darüber auch den 6. Maij 1668 eine gnädigste Declaration herausgegeben, in welchem sie gnädigst verordnet, wie hinfüro alles zu guter Einigkeit zwischen den Reformirten und Lutherischen, in diesen seiner Churfürstlichen durchl. landen dirigirt werden solle, solcher Edicten halber aber bishero von einigen, welche solche einigkeit viel mehr zu hindern, als zu befordern geneigt seind, viele weitlauffigkeiten verursachet worden; und den seine Churfürstliche durchlauchtigkeit gnädigst begehren, daß von allen dero Rähten und dienern über solche Edicta und deren observirung steif und feste gehalten werde […] so geloben wir unterschriebene hirmit und auf die pflicht,

Heinrich: Religionstoleranz, S. 64– 74; kritischer Lackner: Kirchenpolitik, S. 142 f.; vgl. auch Kapitel 2.3.  Pribram: Urkunden und Actenstücke 14.1, S. 384 f.  Vgl. u. a. Kapitel 5.3.

7.1 Symbol und Sichtbarkeit: Raban von Canstein und der Revers

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so seiner Churfürstl. durchlaucht wir albereit unterthänigst abgestattet, daß wir niemals verstatten wollen, daß eintziger geistlicher oder weltlicher wieder abberürte Edicta handele, und da solches geschehe, undt iemand gefunden würde, der sich hiervon entweder selbsten vergreiffe, oder auch seiner Collegen hirgegen zu handeln persuadirte, daß wir solches sofort an seine Churfürstliche durchlauchtigkeit in unterthänigkeit bringen, und aus liebe und freundschaft gegen eine oder andere person desfals nichts verschweigen wollen.¹²²⁷

Der Revers beinhaltete also den Schwur, die Edikte zu befolgen, sowie eine Denunziationsverpflichtung. Das Fehlen eines Konfessionseids in BrandenburgPreußen wurde somit durch die Einführung eines folgenreichen kirchenpolitischen Reverses ausgeglichen. Folgenreich war dieser Schritt aus zwei Gründen: Erstens wurde die binnenkonfessionelle Spaltung des Luthertums weiter vorangetrieben, indem konkordienlutherische Strömungen erstmals formal vom Hofe ausgegrenzt wurden. Zweitens wurde gleichsam die bisher rein kommunikativ produzierte kirchenpolitische Einigkeit zwischen Fürst und Fürstendiener formalisiert. Damit wurden den Räten wichtige Spielräume und Grauzonen genommen, die sie bisher ausgenutzt hatten, um ihre Rollen als Lutheraner und Hofbeamte miteinander vereinbaren zu können. Dass dies keine Mutmaßung ist, sondern auch von den Betroffenen so wahrgenommen wurde, möchte ich auf den folgenden Seiten nachweisen.¹²²⁸

7.1 Symbol und Sichtbarkeit: Raban von Canstein und der Revers Als der Revers im Geheimen Rat präsentiert wurde, unterschrieben alle Anwesenden unverzüglich – auch Raban von Canstein,¹²²⁹ was laut dem hessischen

 GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma. 142; 1660 – 1670], Fol. 110, Abschrift ebd., Fol. 114; das Konzept des Reverses mit Ergänzungen durch Schwerin auch ebd., Fol. 124 f. Der Revers und die Folgen erregten genug Aufsehen, um auch in die Sammlungen Lubaths und Lorentz’ zu gelangen, vgl. GKl Archiv XII/90/2, Fol. 405 f.; FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 171. Der Revers ist abgedruckt in: FSATS 50 (1750), S. 499 f.; Hering: Neue Beiträge 2, S. 260 f.  Abgesehen von der Flucht Andreas Fromms sind der Beamtenrevers und seine Folgen die wohl bekanntesten Ereignisse mit Hof- und Konfessionsbezug. Trotzdem existiert noch keine detailliertere Analyse, die möglichst alle verfügbaren Quellen ausschöpft und über eine Paraphrase der Geschehnisse hinausgeht. Vgl. zum Beamtenrevers Ruschke: Paul Gerhardt, S. 427 f.; Lackner: Kirchenpolitik, S. 142– 144; Hering: Neue Beiträge 2, S. 262– 268; FSATS 50 (1750), S. 499 – 519.  Sein Namenszug findet sich gemeinsam mit u. a. Schwerins, Jenas, Somnitzens, Meinders’, Blumenthals und Stoschs Unterschrift auf dem Revers in: GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma. 142; 1660 – 1670], Fol. 110.

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7 Der Beamtenrevers von 1668

Gesandten Lincker gerüchteweise weder erwartet noch erwünscht gewesen war: „dieses kommet einigen vor alß wann es mehr H. Canstein zu superiren u. dienstlos zu machen (zumahl man weijß daß 60.76.41.27.89.95 [Stosch] ihn längst gern an gewolt) angesehen alß auff die Religio gemühet gewesen sey.“¹²³⁰ Wieder einmal taucht Stosch als eine Schlüsselfigur auf, wenn es um die Bedrückung der Lutheraner geht. Zu den Gerüchten, dass Cansteins Entlassung angestrebt wurde, gibt es keine weiteren Zeugnisse – das interkonfessionelle Klima bei Hofe war jedoch offensichtlich vergiftet genug, dass man dies für realistisch hielt. Wie Lincker weiter berichtet, standen jedoch einige Reformierte dem neuen Revers durchaus kritisch gegenüber: Es seij dem aber wie Ihm wolle so mißfelt H. Bergio und mehr der Reformirten kirche dieser methodus procedendi und daß man s. Cuhrfl. Authorität engagire. 223 [Schwerin] helt sich anitzo auff dem lande auf also weiß ich nicht ob er bej der sache interessiert, absonderlich weyll Er und oben in Cyphern benannter [gemeint ist wohl Stosch] nicht gut freund sein sollen.¹²³¹

Der Hof war also – wie schon bei anderen Angelegenheiten – auch beim Beamtenrevers keineswegs klar entlang konfessioneller Linien gespalten.¹²³² Wenn Linckers Einschätzung stimmt, so hatte sich inzwischen auch das Verhältnis zwischen dem Hofprediger Bartholomäus Stosch und dem Oberpräsidenten Otto von Schwerin verschlechtert¹²³³ – oder aber es war nie so gut, wie man aus ihrer gemeinsamen Bedeutung in der Kirchenpolitik schließen könnte. Canstein jedenfalls habe nur „ein wenig gestuzet“, dann aber unterschrieben.¹²³⁴ Kurz darauf bekam er allerdings wohl doch Skrupel – ob aus eigenen Überlegungen heraus oder im Austausch mit Glaubensgenossen, bleibt offen. Rückblickend fasst er in seiner Lebensbeschreibung zusammen: hernach im sommer bin ich wegen der unterschrifft deß andern Reverses, undt weil zu deßen subscription ich mich auf geschehene declaration, bringen laßen, hernach aber so fort gesehen das man dies mißbrauchen, auch einige sich herüber ergern wollen, so habe ich al-

 HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 353, Bericht vom 13./23. 5.1668.  Ebd.  Schwerin war allerdings sehr wohl am Beamtenrevers beteiligt, wie das Konzept im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz zeigt, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma. 142; 1660 – 1670], Fol. 124 f.  1665 hatte Stosch sich im Zusammenhang mit einem Brief der Berliner noch gewünscht, er könne mit Schwerin sprechen (vgl. Kapitel 6.2.), 1667 hatte er sich dann über Schwerins Zusatz, dass Paul Gerhardt unschuldig sei, beklagt (vgl. Kapitel 6.1.2) und nun also berichtete Lincker, dass er und Schwerin nicht „gut freund sein sollen.“  HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 353, Bericht vom 13./23. 5.1668.

7.1 Symbol und Sichtbarkeit: Raban von Canstein und der Revers

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sofort deß andern tages, schrifftlich meine Declaration übergeben, welche auch S. Churfl. dhl. empfangen und pleno consilio verlesen worden.¹²³⁵

In der Erklärung, die im Zitat angesprochen wird, präzisiert Canstein, „wie weit durch diese Subscription ich mich salva conscientia verbinden lassen könte“, da er sich am Vortag nicht ausführlich genug habe mündlich rechtfertigen können.¹²³⁶ Das Ziel der Deklaration besteht explizit darin, dass „zuförderst Ew. Churfl. Durchl. als auch andere, welche solches sonsten aus meiner bloßen Unterschrift nicht nehmen können, sehen mögen, wohin und wie weit eigentlich meine Meynung gehe.“¹²³⁷ Diese legt er im Folgenden in vier Punkten dar. Erstens könne er sich an nichts binden lassen, was der Lutherischen Religion freies Exercitium hindere. Deshalb verstehe er den Revers und auch die Edikte so, dass lutherische Geistliche lediglich von überzogenen Beschimpfungen gegen die Reformierten abgehalten werden sollten. An andere Aspekte der Edikte könne er sich nicht binden lassen, ohne gegen sein Gewissen zu handeln.¹²³⁸ Zweitens stellt er zur Sicherheit klar, dass die Observierung der Edikte nicht einschließen könne, die moderate Wiederlegung der reformierten Lehre zu verhindern.¹²³⁹ Drittens äußert Canstein Befürchtungen, dass die Phrase „gute Einigkeit der Reformierten und Lutheraner“ auf einen Fundamentalkonsens der Konfessionen anspiele, womit jeder, der „dazu cooperieren solle, auch den Consensum fundamentalem agnosciren müßte: Denn sonst er nicht solche Einigkeit mit denen, die er im Fundament dissentient hält, befördern könnte. Hiervon aber führen die meisten in der Marck wiedrige Meynungen.“¹²⁴⁰ Dass Canstein nun auf keinen Fall schriftlich einem Fundamentalkonsens zustimmen wollte, den er (allerdings acht Jahre) zuvor noch im Geheimen Rat beschworen hatte, ist übrigens ein Beleg dafür,

 AFSt/ H A 154a), Fol. 93r–94r. Dies bestätigt Lubath, GKl Archiv XII/90/2, Fol. 404.  FSATS 50 (1750), S. 501– 504, Zitat S. 501; Zusammenfassung bei Hering: Neue Beiträge 2, S. 262 f.; die Erklärung ist archivalisch in mehreren Abschriften enthalten: GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma. 142; 1660 – 1670], Fol. 149 – 152; GKl Archiv XII/90/2, Fol. 405 f.; FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 171 f. Sächs. HStA Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 07226/06, Fol. 58 – 60.  FSATS 50 (1750), S. 501.  Ebd., S. 501 f. Er schreibt wörtlich: „Dann zu weitern, und was sonst etwan in denen Edicten enthalten, meine ich nicht daß Ew. Churfürstl. Durchl. mich und andere verbinden wollen; gleich ich auch darzu ohne Verletzung meines Gewissens mich nicht adstringiren laßen könnte.“ Zitat ebd., S. 502.  Ebd., S. 502. Es geht ihm darum, dass die Räte dazu angehalten werden, die Observierung der Edikte zu überwachen, in denen der Elenchus verboten wird, während er andererseits in der Deklaration wiederum teilweise zugelassen wird. Er will also sicher gehen, dass die Deklaration beim Befehl zur Überwachung der Edikte mit berücksichtigt wird.  Ebd., S. 502 f.

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7 Der Beamtenrevers von 1668

wie wichtig es für die Räte seinerzeit gewesen war, auf verschiedenen Bühnen agieren zu können.¹²⁴¹ Viertens schließlich will er die Denunziationsverpflichtung so verstehen, dass sie nicht Glaubensgenossen betreffe, die unter Gewissenszweifeln litten, Äußerungen im Privaten träfen oder beim Elenchus der Tradition halber potentiell anstößige Wendungen gebrauchen würden, sondern nur jene, die Unruhe stiften und den Kurfürsten verhasst machen wollten.Weiter schreibt er zur Denunziation: Außerdem aber wird verhoffentlich von mir und andern nicht begehret werden, anderer, und sonderlich Glaubensgenossen Ankläger und Denuncianten zu seyn; Wodurch auch nichts anders, als eine Dissidentz und Mißtrauen gestifftet, und alle Vertraulichkeit und menschliche Societät aufgehoben werden.¹²⁴²

Er schließt seine Deklaration mit einer weiteren Erläuterung seiner Motive: Und weil dieses alles, was ich hier angeführet, zu Erläuterung meiner gethanen Subscription und Declarirung meines Gewissens in so weit dienet, daß jedermann wisse; wie weit ich mich hierunter obligat machen wollen, niemand aber durch meine bloße hand irre gemacht werde; So bitte ich diese unterthänigste Erklährung bey meine Subscription zu legen.¹²⁴³

Wie schon mit seinen einleitenden Worten demonstriert Canstein auch mit dieser Wendung, dass er erkannt hat, dass eine Unterschrift unter einen Revers eine andere Qualität hat als die bisherigen unverbindlichen Bekenntnisse der Beamten zur kurfürstlichen Kirchenpolitik. Der Revers nahm ihnen die letzten Spielräume, die sie noch besessen hatten, als alle konfessionellen Versicherungen sowohl gegenüber dem Kurfürsten als auch gegenüber ihren Glaubensgenossen mündlich kommuniziert und im schlimmsten Fall höchstens protokolliert worden waren. Es wurde bereits oft genug darauf hingewiesen, dass die lutherischen Räte genau deshalb, weil sie in verschiedenen Kontexten mündlich ihre Verbundenheit zum Ausdruck bringen konnten, in der Lage waren, ihre widersprüchlichen Rollenerwartungen zu vereinbaren.¹²⁴⁴ Eine Unterschrift jedoch unterlief alle Strategien der Hofleute, weil sie unveränderlich, dauerhaft bindend und für alle wahrnehmbar und überprüfbar war. Canstein sagt selbst, dass niemand „durch meine bloße hand irre gemacht“ werden solle und wie wichtig es ihm sei, dass „jedermann wisse; wie weit ich mich hierunter obligat machen wollen“.¹²⁴⁵ Die Un    

Vgl. Kapitel 5. FSATS 50 (1750), S. 503 f. Ebd., S. 504. Vgl. Kapitel 5.3. FSATS 50 (1750), S. 504.

7.1 Symbol und Sichtbarkeit: Raban von Canstein und der Revers

257

zweideutigkeit der Unterschrift verleiht ihr eine enorme symbolische Bedeutung. Sie kommuniziert gegenüber dem Kurfürsten und allen anderen die absolute Loyalität des Beamten in kirchenpolitischen Fragen. Doch auch wenn die Unterschrift selbst unzweideutig sein mag, so ist es ein Revers nicht unbedingt. Er wird von Außenstehenden bzw. den Menschen, die einen solchen Revers samt Unterschrift lesen, gedeutet. Der Unterzeichner gibt also die Kontrolle über sein konfessionelles Image an andere ab, die entscheiden, ob z. B. mit guter Einigkeit zwischen Lutheranern und Reformierten eine Vermischung oder einfach Frieden gemeint ist. Und dementsprechend beurteilen sie dann den Unterzeichner. Noch viel schwerer wiegt schließlich die Denunziationsverpflichtung. Canstein musste nicht nur fürchten, als Synkretist zu gelten, sobald der Revers bekannt wird, sondern sogar als Informant, als ein zweiter Andreas Fromm. Die Konsequenz konnte nur Misstrauen und soziale Ausgrenzung sein. Im schlimmsten Fall würden alle, denen Canstein sonntags in der Kirche begegnete, ihn meiden, in der Angst, verraten zu werden. Um genau dies zu verhindern, legte der Oberhofmarschall seine schriftliche Erläuterung mit der expliziten Intention bei, dass „andere, welche solches sonsten aus meiner bloßen Unterschrift nicht nehmen können, sehen mögen, wohin und wie weit eigentlich meine Meynung gehe“.¹²⁴⁶ Dass dieser Revers in der Tat nicht nur inhaltlich und wegen seiner formalisierenden Wirkung problematisch, sondern nicht zuletzt auch wegen seiner Sichtbarkeit so gefährlich für die lutherischen Räte war, bezeugt die Tatsache, dass der Beamtenrevers und seine Folgen sowohl bei Lubath als auch bei Lorentz gut dokumentiert sind.¹²⁴⁷ Die Lutheraner in der Residenz behielten ihre Glaubensgenossen bei Hofe im Auge. Als Canstein 1660 hinter den geschlossenen Türen der Ratsstube dem Fundamentalkonsens zugestimmt hatte, war er ungesehen geblieben – sonst hätte dies sich vermutlich in der Dokumentation der Geistlichen niedergeschlagen, so wie zahlreiche andere Beispiele, aus denen sich diese Arbeit speist. Bei dem Revers war dies anders, auch weil neben den Geheimen auch die Konsistorial- und Kammergerichtsräte betroffen waren. Es ist davon auszugehen, dass Cansteins Unterschrift niemandem verborgen geblieben wäre. Dementsprechend erleichtert zeigt er sich dann auch in seiner Lebensbeschreibung darüber, wie positiv seine Deklaration aufgenommen wurde: Undt ob ich zwar nicht erlangen könen daß meine handt mier wird zurücke gegeben, oder diese meine Declaration beij meiner Unterschrifft wehre beygeleget worden, so hat doch dieseß so viel gefruchtet, daß die Reformirten sich noch ferner declariren müßen, undt ist

 Ebd., S. 501.  Nicht nur der Revers und Cansteins Erklärung, sondern auch die weiter unten behandelten Ereignisse um die Räte Seidel, Reinhart und Luther sind in den Sammlungen dokumentiert.

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7 Der Beamtenrevers von 1668

dabey meine Erklehrung in vieler leute hände, in- undt außerhalb deutschlandt kommen, auch haben alle unsere Theologi an welche verschiedentlich ich es gebracht, solches genugsahm zu sein erachtet, wie solches die hierin ergangenen Acten ausweisen.¹²⁴⁸

Raban von Canstein war es also in der Tat überaus wichtig, dass seine Deklaration verbreitet wurde und dass er Zuspruch für sie bekam. Es ging schließlich um seinen Ruf als Lutheraner. Dies macht noch einmal deutlich: Bei dem Beamtenrevers ging es gewiss um Inhalte (besonders die Denunziationsverpflichtung), aber im gleichen Maße spielte auch die Sichtbarkeit eine Rolle. Die Unterschrift und die Aufmerksamkeit, die der Revers auf sich zog, blockierten die bisher von den lutherischen Hofleuten praktizierte Trennung ihrer Rollen. Sie konnten nicht mehr vor dem Kurfürsten gute Diener und vor den Lutheranern gute Glaubensgenossen sein. Wenn sie unterschrieben, waren sie das Erste, taten sie es nicht, waren sie das Zweite – beides hätte empfindliche Konsequenzen für ihr Verhältnis zu Friedrich Wilhelm oder anderen Lutheranern gehabt. Canstein indes versuchte mit seiner mutigen Erklärung einen finalen Spagat. Er selbst übrigens schreibt, dass er „dabey nicht anders vermuhtet, als das man mier würde gleich andern meine Erlaßung gegeben haben, darzu ich mich den schon parat gehalten.“¹²⁴⁹ Er sandte deshalb Otto von Schwerin seine Deklaration und bat um seine Einschätzung, wie anstößig die Schrift aufgenommen worden sein mag. Auch bat er den Oberpräsidenten, sich für ihn einzusetzen.¹²⁵⁰ Eine Antwort ist nicht erhalten. Man fragt sich, ob Canstein sich der Ironie bewusst war, dass nun er selbst, der den Predigern so oft zugeredet hatte, wenigstens einen abgeschwächten Revers zu unterschreiben,¹²⁵¹ vor einem ganz ähnlichen Konflikt stand. Allerdings war er trotz seiner religiösen Überzeugungen Hofmann genug, um einen kreativen Ausweg zu finden – genau dazu waren die Geistlichen seinerzeit nicht bereit gewesen. Sein Plan war erfolgreich: Zwar wurde seine Deklaration nicht zur Unterschrift gelegt,¹²⁵² aber er blieb in kurfürstlichen Diensten und organisierte noch im selben Jahr die Hochzeit Friedrich Wilhelms mit Dorothea von SchleswigHolstein-Sonderburg-Glücksburg.¹²⁵³

 AFSt/ H A 154a), Fol. 94r.  Ebd., Fol. 94r–95r.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma. 142; 1660 – 1670], Fol. 148.  Vgl. Kapitel 5.3.2.2.  Vgl. das Zitat aus der Lebensbeschreibung oben. Auch bei Lubath findet sich eine Randbemerkung, wonach der Kurfürst die Erklärung zurückgewiesen habe, vgl. GKl Archiv XII/90/2, Fol. 404.  AFSt/ H A 154a), Fol. 95r.

7.2 Gewissenskonflikte und alte Strategien

259

7.2 Gewissenskonflikte und alte Strategien: Martin Friedrich Seidels, Johann Georg Reinharts und Gabriel Luthers Reaktion auf den Revers Am gleichen Tag, an dem Raban von Canstein seine Deklaration einreichte, am 8. Mai 1668, wurde der Revers auch den Kammergerichts- und Konsistorialräten im Kammergericht vorgelegt. In Lubaths Sammlung befindet sich hierzu der Bericht eines der anwesenden Räte,¹²⁵⁴ der leider nicht zweifelsfrei identifiziert werden kann.¹²⁵⁵ Demnach ging erst alles seinen gewohnten Gang: „Erstlich wurden dienstliche Consistorialsachen expetirt. Nach diesen zog der herr vicecantzler einen Revers hervor, welchen der freyherr von Schwerin, herr von Canstein, herr von Somnitz, herr Jehna, herr Köppen und herr von Rhaden schon unterschreiben hatten.“¹²⁵⁶ Rhaden machte den Räten klar, dass Friedrich Wilhelm von allen eine Unterschrift erwarte, „wie ichs [der Verfasser des Berichts] denn eilend und ohne durchlesen herr wamwold [Philipp Wamboldt von Umbstadt], herr Lüderitz, herr Rocho, herr Schoschius, und herr Cosel unterschrieben. herr reinhart nahm ihn, und laß ihn durch, wurde aber gewar das einige declaration de Anno 1668 gedacht würde“. Es handelte sich um die oben erwähnte Deklaration vom 6. Mai. Die Räte wussten also noch nichts von dieser Erklärung. Als der Lutheraner Johann Georg Reinhart darum bat, sie zu sehen, log Stosch, dass es sich um die Deklaration von 1665 handele.¹²⁵⁷ Obwohl er unter Druck gesetzt wurde, verblieb Reinhart dabei, dass er erst die Erklärung sehen müsse, ehe er unterschreiben könne. Auch Seidel (bekanntlich auch ein Lutheraner) zögerte, denn er sei dem Kurfürsten zwar gehorsam ergeben, „wenn es nur nicht in einerley weise wider dz gewißen lieffe, so geschwinde aber könne Er keinen Revers unterschreiben, der noch politische sondern Religionsdinge mit berürte, bitte  GKl Archiv XII/90/2, Fol. 402.  Da der Erzähler angibt, selbst unterschrieben zu haben (siehe Zitat weiter unten), zugleich aber in Kontakt mit den Berliner Predigern gestanden haben muss, gehe ich davon aus, dass es sich um den lutherischen Kammergerichtsrat Hasso Adam von Wedel oder aber Otto von Grote handelt. Andere Räte werden in dem Bericht erwähnt und/ oder lassen sich zweifelsfrei der reformierten Konfession zuordnen. Vergleicht man den Bericht mit den Unterschriften auf dem Revers, bleiben nur die beiden übrig. Vgl. die Abschrift des Reverses im Nachlass des Historiographen, Bibliothekars und Theologen Johann Christoph Bekmanns, der sämtliche Unterzeichner mit dem Datum ihrer Unterschrift auf seinem Exemplar vermerkte, GStA PK, VI. HA, Nl. Be(c)kmann, Nr. 21, Fol. 408. Vgl. zu Wedel Bahl: Hof, S. 612 f.; zu Grote ebd., S. 492 f.; vgl. zu Bekmann Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Brandenburg, S. 36 – 60.  Alles Folgende bis zur nächsten Fußnote einschließlich der Zitate aus: GKl Archiv XII/90/2, Fol. 402r.  Vgl. zu der Deklaration oben Kapitel 2.3.

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7 Der Beamtenrevers von 1668

umb dilation und abschrifft des Reverses.“¹²⁵⁸ Auch der lutherische Kammergerichtsrat Gabriel Luther schloss sich Reinhart und Seidel an.¹²⁵⁹ Ganz offensichtlich war dies nicht die Reaktion, die Rhaden erwartet hatte: „[H]irauff brach der herr Vicecanzler, der gantz erblast war, herauß, S. Ch. d. habe mir zugleich gesaget, dz die, so sich zu unterschreiben weigern würden, solten dimittiret werden.“¹²⁶⁰ Die drei Räte zeigten sich zwar zuversichtlich, dass Friedrich Wilhelm ihre Vorsicht verstehen würde, „dieses aber wurde so gar guth nicht angenommen.“¹²⁶¹ Überraschenderweise schloss sich dann auch der lutherische Konsistorialrat Johann Buntebart den Verweigerern an, der wegen seines Rufs als Synkretist einstmals den Prediger Reinhart zu Beschimpfungen und Canstein zum Verreisen getrieben hatte,¹²⁶² „worüber die herren reformirten Räthe anfingen zu lachen.“ Von ihm konnten sie dies wohl nur als ironischen Scherz verstehen. Doch er meinte es ernst. „Er müste zwar gestehen, dz er ein guther Helmstädter were“, aber er wolle trotzdem die Deklaration sehen, weil es etwas anderes sei, den Edikten nachzuleben oder einen Revers zu unterschreiben. Der Revers hatte also nicht nur für Canstein, sondern sogar für einen waschechten Synkretisten wie Buntebart eine andere, neue Qualität. Die amüsierte Stimmung war damit schnell verflogen und kippte in Feindseligkeit, als der Hofprediger Stosch wütend wurde und Buntebart fragte, ob er „auch wollte ein rebell werden?“ Diese indirekte Beleidigung wollte Seidel wiederum nicht auf sich sitzen lassen, doch antwortete Stosch auf seine Widerworte nur, dass er nicht mit ihm rede. Als dann noch „einige ex Reformatis der Universität Wittenberg“ gedachten, wurde auch der reformierte Vizekanzler Lucius von Rhaden wütend und sagte: „Was Wittenberger! ich achte die Wittenberger vor nichts!“¹²⁶³ Laut Bericht endete hier die dramatische Sitzung und man ging auseinander, jedoch nicht ohne dass Rhaden den Verweigerern noch zurief, dass sie unterschreiben müssten oder entlassen würden, worauf Seidel nur geantwortet haben soll: „Fiat voluntas domini, und gingen also darvon.“¹²⁶⁴

 GKl Archiv XII/90/2, Fol. 402r.  Tatsächlich war Gabriel Luthers Urgroßvater Heinz der Onkel Martin Luthers, sodass jede andere Reaktion des Kammergerichtsrats auch eine Enttäuschung gewesen wäre, vgl. Bahl: Hof, S. 533.  GKl Archiv XII/90/2, Fol. 402r.  Alles Folgende bis zur nächsten Fußnote einschließlich der Zitate aus: Ebd., Fol. 402v.  Vgl. Kapitel 4.4.2 u. 5.3.2.2.  Rhadens wütende Reaktion erklärt sich aus der großen Bedeutung Wittenbergs als Hüterin des Konkordienluthertums, vgl. dazu Ruschke: Paul Gerhardt, S. 57– 59; ferner Kapitel 2.  Deutlich knapper beschreibt ein Protokoll aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz die Vorgänge im Kammergericht, widerspricht der dramatischen Schilderung aus Lubaths Sammlung aber im Wesentlichen nicht. Demnach hätten Reinhart, Seidel und Luther

7.2 Gewissenskonflikte und alte Strategien

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Noch am selben Tag informierte Rhaden persönlich den Kurfürsten, der ihm auftrug, die Räte am Folgetag erneut vorzuladen, ihnen die Deklaration zu verlesen und klarzumachen, dass man sie entlassen werde, wenn sie nicht alsbald unterschrieben.¹²⁶⁵ Ganz gleich also, wie groß der Einfluss von Stosch und Schwerin auf den Beamtenrevers gewesen sein mag – es war Friedrich Wilhelms Entscheidung, keine Kompromisse bei der Unterschrift zu machen. Obwohl Rhaden sie am Folgetag erneut ins Kammergericht lud und mit ihrer Entlassung drohte, blieben Seidel, Reinhart, Luther und Buntebart in ihrer Haltung unverändert.¹²⁶⁶ Gleich nach der Sitzung aber begannen sie damit, ihre lutherischen und höfischen Kontakte zu aktivieren, um ihre Lage zu prüfen und mögliche Auswege zu finden. Zunächst lud Martin Friedrich Seidel den Berliner Diakon Samuel Lorentz am Nachmittag zu sich ein und zeigte ihm den Beamtenrevers.¹²⁶⁷ Der Prediger befürchtete vor allem, dass das Edikt die Räte gegen ihre eigenen Beichtväter und Glaubensbrüder ausspielen und das Luthertum spalten würde: zeigete wie sie alß unsere beichtkinder dar uns Hoc modo solten und müsten aus dem lande jagen, nennen wir sie facta subscriptione ad Confessionem, könten wir es auch den Syncretistischen predigern nicht versagen. theten wir es nicht solten sie uns verklagen, da uns dan nicht die Reformirten, sondern unsere eigene beichtkinder extermiren würden. H. Seidel sagete eben dieses hätten sie schon gesaget und überleget, und daher in Namen Gottes beschloßen, eher ihr ampt niederzulegen, als solches anzugehen, weil sie ihr glaubensbekäntnüs, die Formula Concordiae verleugnen müsten.¹²⁶⁸

Es ist die erste und einzige Quelle, in der Seidel sich explizit zur FC bekennt. Durch das Gespräch erhielt Seidel nicht nur eine Bestärkung, sondern konnte vor allem auch vorfühlen, wie eine Unterschrift von anderen Lutheranern aufgenommen werden würde. Wie schon bei Cansteins Erklärung spielte neben der persönlichen Überzeugung die Bewertung durch Seidels soziale Umwelt eine entscheidende Rolle. Nun wusste er, dass auch sein lutherisches Umfeld der Meinung war, dass der Beamtenrevers eine Vereinbarkeit seiner Rollen als Fürssich Bedenkzeit und eine Abschrift des Reverses samt Deklaration erbeten. Buntebart habe angegeben, dass in der Deklaration etwas enthalten sei, dem er nicht sofort zustimmen könne und dass der Beamtenrevers weiter gehe als die Toleranzedikte, zu denen er sich bekenne, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma. 142; 1660 – 1670], Fol. 147. Lorentz berichtet nur kurz über die Vorgänge vom 8. Mai, vgl. FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 132.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma. 142; 1660 – 1670], Fol. 46; Abschriften in: GKl Archiv XII/ 90/2, Fol. 403; Sächs. HStA Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 07226/06, Fol. 29.  FB Gotha, Chart. A. 281, Fol. 132.  Ebd., Fol. 132 f.  Ebd., Fol. 132v–133r.

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7 Der Beamtenrevers von 1668

tendiener und Lutheraner unmöglich machte. Würden sie ihn akzeptieren, müssten sie konsequenterweise auch die Synkretisten dulden. Würden sie ihn nicht akzeptieren und anfeinden, müsste er sie wegen der Denunziationsverpflichtung melden. Laut Georg Gottfried Küster hat Seidel an anderer Stelle geschrieben, dass der Diakon der Marienkirche Jakob Helwig ihn von der ReversUnterschrift abgehalten habe. Die entsprechende Quelle konnte ich nicht mehr auffinden, aber falls die Angabe stimmt, so besprach er sich also mit weiteren Predigern neben Lorentz.¹²⁶⁹ Es ist davon auszugehen, dass sich auch Reinhart und Luther an Geistliche wandten – bei Luther ist in jedem Fall belegt, dass er sich einige Monate später (aber in Zusammenhang mit dem Revers) Rat bei Martin Lubath holte.¹²⁷⁰ Außerdem findet sich in Lubaths Sammlung ein Memorial des kurfürstlichen Leibarztes Martin Weise mit Argumenten zur Rechtfertigung einer Unterschriftsverweigerung.¹²⁷¹ Da er in der dritten Person plural schreibt, ist es wahrscheinlich, dass er sich auf Luther, Reinhart und Seidel bezieht. Hinzu kommt, dass er Gabriel Luthers Schwiegervater war¹²⁷² und dass auch später Kontakte zwischen ihm und den Räten zur Konfliktvermittlung zweifelsfrei belegt werden können, wie unten noch gezeigt wird. Es war ein kluger Schachzug, Weise hinzuzuziehen, war dieser doch als dienstältester Leibarzt, der den Kurfürsten bereits 1638 von einer schweren Krankheit geheilt hatte, eine Person mit besonderem Zugang zu Friedrich Wilhelm.¹²⁷³ Zusätzliche indirekte Hinweise auf weitere innerlutherische Kontakte ergeben sich daraus, dass Christian Nicolai, der Archidiakon der Cöllner Petrikirche, Reinharts Beichtvater war,¹²⁷⁴ weshalb anzunehmen ist, dass Reinhart mit ihm sprach. Nachdem die lutherische Seite konsultiert worden war, gingen die Räte dazu über, sich ihrer höfischen Kommunikationskanäle zu bedienen. Zunächst richteten Reinhart, Seidel und Luther noch am 9. Mai ein gemeinsames Schreiben

 Küster: Altes und neues Berlin 2, S. 489. Küster verweist als Beleg auf ein eigenes Werk, in dem ich jedoch keine Angaben dazu finden konnte.  Vgl. Kapitel 7.4.  Vgl. GKl Archiv XII/90/2, Fol. 423 f. Das Memorial ist zwar nicht datiert, da aber ein Argument darauf abzielt, dass die Deklaration noch nicht publiziert sei, ist davon auszugehen, dass die Räte sich kurz nach dem Vorfall im Kammergericht an Weise gewandt hatten. Weitere Argumente des Memorials beziehen sich vor allem auf uneindeutige Formulierungen und Regelungen zur Denuntiationsverpflichtung sowie – wie schon bei Canstein – den Abschnitt zur Stiftung einer guten Einigkeit.  Vgl. Bahl: Hof, S. 553 u. 615.  Vgl. Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 477 f.  Vgl. Bahl: Hof, S. 561 f.

7.2 Gewissenskonflikte und alte Strategien

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direkt an den Kurfürsten und baten, ihnen die Unterschrift zu erlassen.¹²⁷⁵ Buntebart wurde bei dieser wie auch bei allen künftigen Bemühungen Reinharts, Seidels und Luthers nicht mit einbezogen. Als die Räte keine Antwort erhielten, taten sie das, was man tun musste, wenn man bei Hofe in ernsten Schwierigkeiten steckte: sie kontaktierten den reformierten Oberpräsidenten Otto von Schwerin. Gemeinsam wandten sie sich am 16. Mai in einem Brief an ihn, um zu klären, ob sie denn nun tatsächlich ihrer Ämter enthoben seien, und um darum zu bitten, sich für sie einzusetzen.¹²⁷⁶ Zusätzlich sandten sowohl Seidel als auch Luther dem Oberpräsidenten separat Briefe und baten ihn um Unterstützung, wobei vor allem Ersterer sein gutes Verhältnis zu Schwerin betonte, das noch auf seinen Vater zurückginge.¹²⁷⁷ Zwei Tage später sandte ihnen der Oberpräsident eine sehr beschwichtigende, aber entschiedene Antwort. Im Ton sehr viel verbindlicher als seinerzeit gegenüber den Predigern – insbesondere Elias Sigismund Reinhart¹²⁷⁸ – wies er zunächst darauf hin, dass nicht nur er und die anderen Reformierten, sondern sogar Canstein unterschrieben hätten – die Unterschrift des lutherischen Oberhofmarschalls hatte also Gewicht. Dabei ließ Schwerin geschickt den Teil mit der Deklaration Cansteins aus.¹²⁷⁹ Ferner versicherte er den Räten „bey meiner Ehre und aufrichtigem Gewissen, daß wann ich im geringsten absähe, daß hierunter etwas gefährliches vor die Lutherische Kirche verborgen; ich dieselbe vielmehr ab- als zurathen wollte.“¹²⁸⁰ Die religiöse Doktrin würde davon nicht betroffen und es sei ohnehin die Pflicht eines Rates, böswillige Prediger zu melden, welche die Reformierten verdammten. Sie sollten den Kurfürsten nicht verdächtigen, gegen ihren Glauben vorgehen zu wollen – zugleich aber erwähnt Schwerin, sie könnten im Zweifel später ihre Unterschrift noch immer widerrufen. Er fürchte, wenn sie ihrem Herrn antilutherische Absichten zutrauten, würde dieser davon ausgehen, dass sie die Beschimpfungen seitens einiger lutherischer Prediger be-

 GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma. 142; 1660 – 1670], Fol. 145 f.; Sächs. HStA Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 07226/06, Fol. 31 f.; GKl Archiv XII/90/2, Fol. 422; abgedruckt in: FSATS 50 (1750), S. 504– 507.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma. 142; 1660 – 1670], Fol. 136 u. 139; Sächs. HStA Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 07226/06, Fol. 33; GKl Archiv XII/90/2, Fol. 422 f.; abgedruckt in: FSATS 50 (1750), S. 507– 510.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma. 142; 1660 – 1670], Fol. 137 f., 140 u. 144. Seidels Brief ist undatiert und auf Luthers Brief der 7.5. vermerkt, doch aus dem Inhalt lassen sich die Briefe auf die Zeit nach dem 9.5. datieren, da bspw. die ausbleibende Reaktion des Kurfürsten erwähnt wird.  Vgl. Kapitel 6.1.2.  Vgl. FSATS 50 (1750), S. 510 – 514, hier S. 510 f.; handschriftliche Versionen in: GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma. 142; 1660 – 1670], Fol. 141– 143; Sächs. HStA Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 07226/06, Fol. 34– 36; GKl Archiv XII/90/2, Fol. 406 – 408.  FSATS 50 (1750), S. 511.

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7 Der Beamtenrevers von 1668

grüßten. Nach dem aus dem Munde eines Reformierten etwas seltsamen Argument, dass er selbst übrigens jederzeit entsprechende Geistliche angeben und keinen Widerspruch zu seinem Gewissen sehen würde, betont er abschließend, dass mit der Wendung zur guten Einigkeit zwischen den Konfessionen nicht auf einen Fundamentalkonsens oder eine Union angespielt würde. Ansonsten bittet er die Räte, sie „wollen kein ferners Bedencken tragen, den Revers zu unterschreiben, oder auf allen Fall von mir die Opinion nicht haben, daß ich ihnen hierunter helfen könne“.¹²⁸¹ Auch wenn er die Räte also nicht unterstützen wollte oder konnte, tritt einem hier der vermittelnde Schwerin entgegen. Auffällig sind die Verweise auf die eigene Ehre und sogar das eigene Gewissen, um eine Bindung zu den Räten aufzubauen, die höchstens eine minimale Glaubwürdigkeit beanspruchen kann, sofern man Schwerins lutherische Vergangenheit sowie seine Ehefrau berücksichtigt.¹²⁸² Aus seinem Brief geht ferner indirekt hervor, dass er die Deklaration Cansteins kannte. Er greift dessen Befürchtungen nämlich auf, ohne dass dies nötig gewesen wäre (und ohne zu erwähnen, dass Canstein diese Befürchtungen geäußert hatte) – Seidel, Reinhart und Luther hatten kein Wort zur guten Einigkeit verloren. In ihrer Verzweiflung wandten sich die Räte schließlich am 6. Juni 1668 – also einen Monat, nachdem ihnen der Revers vorgelegt worden war – noch einmal mit einer Supplik an Friedrich Wilhelm.¹²⁸³ In Dokumenten aus dem Hauptstaatsarchiv Dresden, die einst Johann Georg Reinhart zur Dokumentation des Falls aufgehoben hatte,¹²⁸⁴ lässt sich nachvollziehen, mit wieviel Sorgfalt die Räte ihre Bittschrift vorbereiteten. Dort finden sich nämlich zwei stellenweise abweichende Versionen der Supplik inklusive eines Konzepts. Seidel, Reinhart und Luther rangen also buchstäblich um jedes Wort, auf dass ihre Bittschrift gnädig aufgenommen werde.¹²⁸⁵ Dies versinnbildlicht, unter welchem Druck sie standen. Im

 Ebd., S. 511– 513, Zitat S. 513.  Vgl. Kapitel 6.1.1.  FSATS 50 (1750), S. 514– 519; Abschrift in: GKl Archiv XII/90/2, Fol. 424– 426.  Es handelt sich um das bereits zitierte Bündel in Sächs. HStA Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 07226/06. Reinhart hat zahlreiche der aufgehobenen Schreiben beschriftet, sodass von einer gezielten Bewahrung und Strukturierung der Quellen für die Nachwelt auszugehen ist. Aus einer dieser Beschriftungen geht auch hervor, dass die Dokumente einst zu Reinhart gehörten: „Copia Schreibens an den freyherrn von Schwerins Excell. welches h. Rath Seydell, h. Rath Luther und Ich abgelaßen.“ Ebd., Fol. 38v.Wie genau Reinharts Dokumente ihren Weg ins Staatsarchiv Dresden gefunden haben, lässt sich nicht nachvollziehen.  Vgl. die tatsächlich abgeschickte Variante ebd., Fol. 40 – 43, die Alternative samt Konzept ebd., Fol. 44– 47 u. 48 – 51. In der nie abgeschickten Version hatten die Räte auf die Nennung des Edikts von 1664 verzichtet und dafür an anderer Stelle der Deklaration vom 6. 5.1668 gedacht.

7.2 Gewissenskonflikte und alte Strategien

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Schreiben selbst leisten sie dem Kurfürsten ein Gelöbnis, das sich wie ein Ersatz zum Beamtenrevers liest: Wir versprechen hiemit, daß wir den profan und land-friede, auch alle aufrichtige Treue und menschliche Freundschaft, wie dieselbe in E.C.D. Edict de Anno 1664 enthalten, und in republica christiana billig conserviret werden soll, nach allem Vermögen selbst exerciren, befördern, und andere dazu anmahnen wollen, des unterthänigsten Vertrauens, E.C.D. werden uns dargegen, was die tolerantiam ecclesiasticam betrifft, wieder die offenbahren Bekänntnissen unserer Kirchen etwas anzunehmen, oder gar fortzustellen, im Gewissen nicht graviren lassen.¹²⁸⁶

Auffällig und wenig überraschend ist, dass die Denunziationspflicht der Räte im Vergleich zum Revers fehlt. Unauffälliger ist ein anderes, aber wichtiges Detail: Die drei Räte schreiben nicht, dass sie das Toleranzedikt von 1664 befördern, sondern nur, dass sie den Frieden, so wie er im Edikt enthalten ist, erhalten werden. Sie bekennen sich also nur zu einem Teil des Edikts, nämlich dem Verketzerungsverbot, und distanzieren sich damit subtil zugleich von den anderen Inhalten. Sie gehen also ähnlich wie Canstein vor, indem sie eine Differenzierung vornehmen, die eine Unterschrift nicht leisten kann. Im Gegensatz zum Oberhofmarschall machten sie nur den Fehler, dass sie nicht erst unterschrieben und dann eine Erklärung dazulegten, sondern eine Unterschrift durch ein Versprechen zu ersetzen versuchten. Sie unterschätzten die Bedeutung der Unterschrift für den Kurfürsten. Gerade wenn Linckers und Goess’ Angaben stimmen, wonach Friedrich Wilhelm annahm, dass die Räte seine Maßnahmen hintertrieben,¹²⁸⁷ musste ihm eine solche Unterschriftsverweigerung höchst verdächtig vorkommen. Canstein hatte hingegen als erstes klargestellt, dass er loyal ist, und erst danach eine Differenzierung vorgenommen. Deshalb hatte er Erfolg und die Räte nicht. Am 10. Juni entschied der Kurfürst, ihre Bestallung anstehen zu lassen bis sie unterschreiben würden.¹²⁸⁸ Johann Georg Reinhart erfuhr davon von seinem Schwiegersohn, dem kurfürstlichen Magdeburger Rat Hans Jacob von Cratz,¹²⁸⁹ der ihm eine Notiz der entsprechenden Entscheidung aus der Ratssitzung zukommen ließ.¹²⁹⁰ Reinhart erhielt also Kommunikationskanäle zum Hof aufrecht, um informiert zu blei-

Außerdem sind in der Version, die abgeschickt wurde, je ein längeres Zitat des Theologen Johannes Poliander und des Kirchenvaters Cyprian von Karthago eingefügt.  FSATS 50 (1750), S. 515 f.  Vgl. Kapitel 7.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma. 142; 1660 – 1670], Fol. 128.  Vgl. zu Cratz Bahl: Hof, S. 561.  Sächs. HStA Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 07226/06, Fol. 54 u. 57.

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ben und seine Wiedereinstellung zu betreiben. Die Klaviatur höfischer Strategien, die sie schon für die Prediger bespielt hatten, wurde nun erneut eingesetzt. Cratz sprach für Reinhart auch mit Otto von Schwerin.¹²⁹¹ Dieser berichtete ihm, dass jüngst Nachrichten vom dänischen Hof eingetroffen seien, „worüber S. Chfl. dl. sich merklich alteriret befunden theten [!], weil sie auß obigen so viel aber ersinnen könne, daß alle bißhero betragene schwirigkeiten der prister ex instigatione seiner Rehte“ geschehen seien.¹²⁹² Wenn die Räte den Kirchenfrieden gezielt sabotieren wollten, müsse man, so der Kurfürst, mit „fiskalischer inquisition“ dagegen vorgehen. Schwerin jedoch zeigte sich auch hier wieder als ausgleichende und vermittelnde Figur: „S. Excellens contestireten […], wie sie deß H. Vaters [Reinharts] und der seinigen guter freund wehren und begehreten von mihr [Cratz] solches zu hinterbringen.“¹²⁹³ Damit werden die Aussagen Linckers bestätigt, wonach Friedrich Wilhelm seine Räte der Hintertreibung der Kirchenpolitik verdächtigte. Es stand nicht gut um ihre Sache. Ähnlich wie schon im Fall der Berliner Prediger bemühten sie sich weiter um eine Lösung, indem sie eine Schrift aufsetzten, in der sie ihre Gewissenskrupel in drei Punkten darlegten und den Kurfürsten baten, diese in einer Deklaration auszuräumen.¹²⁹⁴ Den Entwurf sandten sie an Luthers Schwiegervater Martin Weise. Laut einer Notiz Reinharts aber hat dieser die Supplik am Folgetag zurückgesandt „und unserer erklährung begehret […], da Ihrer Churfl. durchl. solchergestalt die sache nicht fürgetragen werden könte.“¹²⁹⁵ Die Skrupel Weises überraschen mit Blick in den Entwurf kaum, ist die Supplik doch eher eine Erklärung – und zwar eine sehr offene. Nach einigen einleitenden Ausführungen¹²⁹⁶

 Ebd., Fol. 56.  Ebd., Zitat Fol. 56r. Die entsprechenden Nachrichten vom dänischen Hof, aus welchen die Anstiftung der Prediger durch die Räte zu ersehen sein soll, konnte ich leider nicht finden. Möglicherweise hängen sie mit dem dänischen Gesandten Detlev von Ahlefeldt zusammen, bei dem Canstein sich einst über die Verfolgung der Prediger beklagt hatte, vgl. Kapitel 5.3.2.2.  Ebd., Zitat Fol. 56r–56v. Cratz betonte daraufhin selbstverständlich auch seine eigene Treue zu Reinhart.  Ebd., Fol. 52 f. Der Entwurf der Schrift ist undatiert, doch aufgrund der Notiz zu Weise (vgl. die folgende Fußnote) wurde er wohl am 23. oder 24.6. aufgesetzt.  Ebd., Fol. 47. Die Notiz findet sich einige Blätter zuvor, muss sich aber auf diesen Entwurf beziehen: Die Räte sandten ihn am 24.6. an Weise. Dies war der Hochzeitstag Friedrich Wilhelms mit Dorothea, auf den sie gleich im ersten Satz der Schrift Bezug nehmen. Da am 4.7. eine weitere Supplik abgeschickt wurde, bleibt als Zeitfenster ein Abschnitt zwischen dem 24.6. und dem 3.7. Somit lässt sich die Notiz zu Weise eindeutig dieser Supplik zuordnen und der Entwurf auf den 24.6. datieren.  Ebd., Fol. 52r – 52v. Abgesehen von der Rekapitulation der Ereignisse und dem Verweis auf die Gewissenszweifel, die kein rechtschaffener Christ ignorieren könne, beklagen die Räte, dass

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kommen die Räte zu den drei Punkten, weshalb sie den Revers nicht unterschreiben können: 1. Erstlich daß wir dafür gehalten haben, Ew. Churfl. druchl. wolten durch solche unterschreibung des Reverses, unß undt andere Ihrer Räthe undt diener verbinden, daß Wir die Churfl. Edicta, wie sie in dieser sache ad: 1662 undt 1664 publiciret, simpliciter solten approbiren undt darüber halten; welches unß, die wir in der Lutherischen kirchen gebohren undt erzogen, auch in derselben durch Gottes gnade biß an unser ende zu verharren gedencken, in unserm gewißen nicht zu verantworten stünde, weil es der Lutherischen Kirchen praejudicirlich, undt den Mitgliedern undt neben Christen anstößig undt ärgerlich zu seyn, müste angenommen werden. Denn ob unß gleich die Churf. gnädigste declaration diesen scrupel gutes theilß hette benehmen können, so haben wir doch befunden, daß dieselbe noch nicht publiciret undt fest gestellet, undt über dem in denen verbis dispositivis et obligatoriis reversus derselben nicht eins gedacht war. 2. Zum andern, solten Wir unß verbinden zu einer Einigkeit, welche wir nicht wißen können, ob sie von der unione Ecclesiarum oder unione animorum pace ac concordia civili, Christiana et politica civium utriusque Religionis inter se, zu verstehen sey. 3. zum dritten, solten wir als alte diener, unß verbunden zu einer delation die ziemblich general gesetzt, undt also gestellet ist daß sie eines Lutherischen Ehrlichen Mannes gewißen undt guten nahmen continuirlich beschweren, undt nicht allein von aller conversatione civili, sondern auch vom Gottesdienst in den kirchen abhalten müste.¹²⁹⁷

Punkt zwei und drei bezüglich der Denunziationspflicht und der vermeintlichen Kirchenunion kennt man bereits aus früheren Suppliken sowie aus Cansteins Deklaration. Sie verdeutlichen ein weiteres Mal, wie wichtig die soziale Komponente war und wie misstrauisch die Räte ob der Kirchenpolitik der letzten Jahre inzwischen waren. Überraschend ist der erste Punkt: Sie halten die Edikte selbst für „präjudicirlich“ bzw. formulieren abgeschwächt, dass sie so „zu seyn, müste angenommen werden.“ Sichtbar wird auch hier die Bedeutung ihres sozialen Umfelds durch den Verweis auf ihre Gemeindemitglieder, doch im Kern sind es die Räte selbst, die die Edikte wegen ihrer Zugehörigkeit zur lutherischen Kirche nicht in allen Punkten annehmen können. Alle ihre Bemühungen der letzten Jahre, die Kirchenpolitik abzuschwächen oder nicht mit ihr assoziiert zu werden, laufen an diesem Punkt zusammen. Dies wird besonders deutlich an Seidel: Als die FC aus den Ordinationen gestrichen wurde, unterstützte er zwar Kemnitz bei dessen Verteidigungsschrift, zeigte sich aber insgesamt recht moderat.¹²⁹⁸ Er versicherte schließlich Schilling 1661 im Gefängnis, dass ihrer Kirche „ja noch zur Zeit keine ofentliche eingrieffe“ gemacht würden und verwies auf die Regel der christlichen ihnen seinerzeit im Kammergericht eine dreitägige Bedenkzeit, die sie erbeten hätten, nicht gewährt worden sei.  Ebd., Fol. 52v–53r.  Vgl. Kapitel 4.2.

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Hofleute: „Discedendum ex Aulis mala ferendo et gratias agendo [= aus dem Hofe scheiden, indem man das Schlechte erduldet und Dank sagt].“¹²⁹⁹ Als dann die Reverspolitik begann, versuchte er in Konflikten milde Urteile zu erwirken, appellierte an den „märkischen Theodosius“ Friedrich Wilhelm mit Verweis auf die Niederlande und versuchte im Hintergrund Kompromisse zu erwirken.¹³⁰⁰ Mit jeder neuen kirchenpolitischen Deklaration stellte sich für Seidel aufs Neue die Frage, wie weit er sie mittragen kann und welche Konsequenzen er daraus zieht. Da er vor 1668 nie persönlich auf die Edikte verpflichtet wurde, blieb ihm ein gewisser Handlungsspielraum und er fand in den oben genannten Strategien lange eine Antwort auf diese Frage. Nun aber hatte sich der Konflikt so weit zugespitzt, dass er seinem Dienstherrn in Religionssachen offensichtlich misstraute. Zudem nahm ihm der Revers seine alten Handlungsspielräume. Er musste eine eindeutige Antwort auf die Edikte und das Reverswesen formulieren und er hätte es beinahe getan – mit einem klaren „Nein“, wodurch er seiner Regel der christlichen Hofleute treu geblieben wäre. Doch das Schreiben wurde, wie gesagt, nie abgeschickt. Stattdessen machten die Räte einen letzten Versuch, um ihren Rollenkonflikt dauerhaft aufzulösen und trotzdem in kurfürstlichen Diensten zu bleiben. In einer auf den 4. Juli datierten Supplik bitten Sie ihren Herrn, er möge sie lediglich von ihren kirchenpolitischen Aufgaben entbinden: Solchem nach bitten wir unterthänigst Ew. Churf. durchl. wollen doch unß diese unsere unterthänigste hertz- undt schriftliche erklehrung, die gefaßete ungnädige meijnung, gnädigst fahren laßen, undt unß nach dero gnädigstem belieben, wo ia nicht in allen, doch in dehnen ienigen functionen, darinnen wir mit geistlichen händeln nicht mehr zu thun haben dürffen, gnädigst wieder restituiren, undt unß, dero unterthänigst gehorsahmste unlängst aber schrift- undt mündtliche erlaßene diener, mit gnädigst enthebung des vorgelegten Reversus zu dero hohen Churf. gnaden gnädigst hinwieder annehmen.¹³⁰¹

Das Lösungsangebot der Räte bestand also in einer Trennung ihrer religiösen Überzeugung vom politischen Amt, die durch eine funktionale Differenzierung zwischen geistlichen und weltlichen Aufgaben ermöglicht werden sollte und somit den Rollenkonflikt aufgelöst hätte. Schon in ihrer Supplik vom 6. Juni hatten Seidel, Reinhart und Luther argumentativ differenziert zwischen ihrer Rolle als Lutheraner einerseits, welche den Revers nicht annehmen können, und ande-

 SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 54, Fol. 236 f. Vgl. zu dieser Episode Kapitel 5.3.1.2.  Vgl. Kapitel 5.2 u. 5.3.1.2.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma. 142; 1660 – 1670], Fol. 117– 119, Zitat Fol. 118v – 119r.

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rerseits jener als Fürstendiener, die dennoch alles für den Kirchenfrieden tun werden: Contestieren darneben, daß wir an unchristlichen wieder das 8te Geboth lauffenden […] friedstöhrigen Worten und Wercken keinen Gefallen tragen auch als Leute einer gar andern Profeßion in den hochwichtigen Theologischen händeln, so lange wir leben, uns nicht mischen, sondern vielmehr als secularia membra militantis in hisce terris ecclesiae, das allerhächste haupt der Kirchen Jesum […] mit anruffen wollen, auf daß er vortrefliche Werckzeuge ausrüsten, und solche Consilia von oben herab verleihen wollte, wodurch dieses allerhöchste […] Werck auf Erden recht möge gegründet und wohl aufgeführet werden […] Und warum wollen denn wir, als von Gott nicht darzu beruffen, von solchen Dingen, als singuli urtheilen, worzu wir weder verordnet, noch von E.C.D. bestellet worden.¹³⁰²

Diese Trennung ihrer religiösen von ihrer politischen Rolle, der in der Supplik vom 4. Juli schließlich eine klare Aufgabentrennung folgte, war gleichbedeutend mit einer Loslösung ihrer Loyalität zum Kurfürsten von ihrer konfessionellen Bindung. Sie wären damit in die dankbare Situation anderer lutherischer Höflinge gekommen, von denen keinerlei Gewissenskonflikte bezeugt sind, da sie nicht in gleichem Maße persönlich betroffen waren. Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass in einem interkonfessionellen Konflikt eine Differenzierung zwischen Religion und Politik als Argumentationsstrategie zum Einsatz kommt. Auch bei Kemnitzens politisch begründeter Absetzung finden sich ähnliche Tendenzen.¹³⁰³ Zur interkonfessionellen Konfliktführung gehörte also die Ausklammerung konfessioneller Befangenheit aus den Politica – sei es wie im Falle der drei Räte zur Ausräumung aller Zweifel bezüglich ihrer Loyalität oder wie im Falle Kemnitzens als Legitimation seiner Entlassung. Als Kommunikationskanal zur Überbringung dieses Angebots wirkte erneut Otto von Schwerin, doch der Kurfürst lehnte ab.¹³⁰⁴ Aber auch dann gaben Seidel, Reinhart und Luther noch nicht auf. Nachdem sie um einen Erlass des Reverses gebeten, einen Ersatzschwur geleistet und eine Trennung von ihren kirchenpolitischen Aufgaben angeboten hatten, versuchten sie sich nun in einem eigenen Revers. Im Hauptstaatsarchiv Dresden befinden sich insgesamt fünf verschiedene Konzepte, die um den 22. und 23. Juli 1668 entstanden.¹³⁰⁵ Alle Konzepte variieren  FSATS 50 (1750), S. 516 – 518.  Vgl. Kapitel 4.2.1.  Im Innnenteil der Supplik befindet sich eine Notiz, wonach Schwerin das Schreiben am 21.7. im Geheimen Rat präsentiert habe und Friedrich Wilhelm jedoch meinte, er wolle sie nicht im Dienst haben, wenn sie nicht unterschreiben, GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma. 142; 1660 – 1670], Fol. 118.  Sächs. HStA Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 07226/06, Fol. 63/1– 66. Nur zwei Konzepte sind datiert, und zwar auf den 22. bzw. 23. Juli 1668, ebd., Fol. 64 und 66.

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nur in einzelnen Punkten und kreisen im Prinzip um zwei Probleme: Erstens will man sich zum Religionsfrieden bekennen, aber nicht uneingeschränkt zu den Edikten des Kurfürsten. Zweitens soll die Denunziationsverpflichtung aus dem Revers ausgelassen oder stark spezifiziert werden. Das folgende Konzept ist repräsentativ: Weil obbenandte Edicta und Declaration, bloß undt alleine von Sr. Churf. durchl. zu erhaltung des landtfriedens, publiciret worden, daß nehmlich zwischen denen Reformirten undt lutherischen Liebe, freundtschafft, undt ein gutes vernehmen erhalten werde, wie darneben wie ingleichen allen Lutherisch:Evangelischen kirchen die vollkommene freyheit des Gewißens, undt übung der Religion verbleiben soll. Also verpflichte ich mich bey denen pflichten, womit s. Churfl. durchl. ich albereit verbunden, daß deroselben hochlöbl. intention Ich unterthänigst und gehorsahmst nachleben, die jenigen, so wieder den landtfrieden handeln, von ihrem unfug abzustehen, fleißig ermahnen, oder Seiner Churfl. durchl. unterthänigst hinterbringen will. Geschehen Cölln an der Spree 22. July 1668.¹³⁰⁶

Über eine Notiz bei Lubath erfährt man, dass die Räte tatsächlich einen Alternativrevers vorlegten, dieser aber auch abgelehnt wurde.¹³⁰⁷ Damit waren alle ihre Karten gespielt. Sie wurden entlassen.¹³⁰⁸

7.3 Zwischenresümee Vor allem ihre nie abgeschickte Erklärung vom 24.6. und ihre Alternativreverse führen noch einmal gebündelt vor Augen, in welcher Situation sich nicht alleine Seidel, Reinhart und Luther, sondern viele der einflussreichsten lutherischen Räte in den 1660er Jahren befanden.¹³⁰⁹ Sie unterstützten die sog. Toleranzedikte nämlich keineswegs, sondern standen sämtlichen über einen Religionsfrieden hinausreichenden legislatorischen Eingriffen des Kurfürsten mindestens skeptisch gegenüber. Canstein mag sich zwar auf der höfischen Bühne zum gemeinsamen Glaubensfundament der Reformierten und Lutheraner bekannt haben – als es 1668 mit dem Beamtenrevers ernst wurde, schreckte er aber vor einer Un-

 Ebd., Fol. 64r.  Vgl. GKl Archiv XII/90/2, Fol. 414.  So schreibt der hessische Gesandte Lincker in einem Bericht vom 22.7./1.8.1668, dass die „suspendierte Lutherische Cammergerichtsrähte […] nunmehr ihren formellen abschied haben“. Vgl. HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 353, Bericht vom 22.7./1. 8.1668.  Es wäre sehr interessant gewesen, wie Löben und Platen, die sich auch als Vermittler zwischen Hof und Geistlichen hervorgetan hatten, auf den Beamtenrevers reagiert hätten, doch sie mussten dies nicht mehr erleben: Löben starb 1667 (vgl. Bahl: Hof, S. 529), Platen erkrankte 1667 schwer und starb 1669 (vgl. Opgenoorth: Friedrich Wilhelm 2, S. 45; Bahl: Hof, S. 554 f.)

7.3 Zwischenresümee

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terschrift zurück, eben weil er eine Einigkeit im Sinne von Einheit nicht offen unterstützen wollte. Freilich lagen zwischen den beiden Vorfällen acht Jahre, in denen sich vieles verändert hatte. Die zahlreichen kirchenpolitischen Maßnahmen hatten die lutherischen Räte über die Zeit hinweg misstrauischer gemacht. Auch wurden sie zunehmend in die Ecke gedrängt: Je härter man ihre Glaubensbrüder anging, umso größer wurde der Druck, ihnen beizustehen. Sie mussten sich in einem Konflikt positionieren, den sie eigentlich nicht führen wollten, waren sie doch Befürworter einer friedlichen interkonfessionellen Koexistenz, wie beispielhaft anhand der konfessionellen Profile vor Augen geführt wurde. Gleichzeitig wollten sie um (fast) jeden Preis in ihrer Stellung bleiben. Auch dies führen die unzähligen Versuche Seidels, Reinharts und Luthers zur Vermeidung der Ungnade eindringlich vor Augen. Ihr Einsatz zeigt, um wie viel es für sie ging. Dabei fällt auf, dass sie im Wesentlichen auf die Strategien zurückgriffen, die sie oder die Berliner Geistlichen selbst bereits im Konflikt um die Predigerreverse angewandt hatten, wobei sie diese sogar in ihrer dramaturgischen Steigerung exakt reproduzierten: Sie kooperierten mit einflussreichen Hofleuten (Schwerin und Weise) und verfassten erst Suppliken, dann Deklarationen und schließlich Alternativreverse. Sie folgten also einem klaren Handlungskatalog zur Konfliktlösung,¹³¹⁰ der ihnen bestens vertraut, aber schon damals gescheitert war. Da man seinerzeit auch wegen der Kompromisslosigkeit der Geistlichen keine Lösung finden konnte,¹³¹¹ dachten die Räte möglicherweise, dass sie dieses Mal Erfolg haben könnten. Sie lagen in jedem Fall falsch. Canstein hingegen entschied sich für eine neue Herangehensweise: Anstatt sich zuerst grundsätzlich zu verweigern und dann zu verhandeln, unterschrieb er erst und reichte dann seine Erklärung nach. Der für Friedrich Wilhelm so wichtige symbolische Akt der Unterschrift war damit getätigt und es konnte die Feinjustierung folgen. Er hatte mit einer klugen Aktion – oder dem richtigen Instinkt – seine Position gesichert.

 Die Begriffswahl ist angelehnt an Marianne Taatz-Jacobi, die bezüglich der kurfürstlichen Kirchenpolitik einen konfessionspolitischen Maßnahmenkatalog identifiziert, der maßgeblich von Johann Sigismund entwickelt und von ihm sowie seinen Nachfolgern entsprechend der gemachten Erfahrungen modifiziert und variiert wurde, vgl. Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie, S. 45 – 68, v. a. S. 53; vgl. auch Kapitel 2.1.  Damit soll nicht impliziert werden, dass die Kompromisslosigkeit der Geistlichen der Hauptgrund für ihre Entlassung gewesen sei; schließlich zeigte sich die kurfürstliche Seite ebenso wenig kompromissbereit, abgesehen davon, dass erst die Angriffe auf die FC den Konflikt herbeigeführt hatten. Vgl. zu den Vermittlungsversuchen der Räte Kapitel 5.3.2.2.

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7.4 Mehr Skrupel, eine Erklärung und ein Ausblick Nur wenige Tage nach dem abgelehnten Alternativrevers kam es bei Hofe zu einem Ereignis, welches nahelegt, dass keineswegs nur Seidel, Reinhart, Luther und Canstein ‚skrupulierten.‘ Am 27. Juli 1668 wurden die Räte Peter de Battier,¹³¹² Otto von Grote, Dietrich Krüger,¹³¹³ Michael Matthias,¹³¹⁴ Franz von Meinders,¹³¹⁵ Hoyer Friedrich von Striepe¹³¹⁶ und Joachim Ernst Wernicke¹³¹⁷ vor den Oberpräsidenten Otto von Schwerin gefordert.¹³¹⁸ Sie hatten nämlich ebenfalls noch immer nicht den Revers unterschrieben, der nun immerhin seit fast drei Monaten existierte. Schwerin verlas den Räten eine kurfürstliche Erklärung, aus der man vernehmen kann, dass Friedrich Wilhelm auch von ihnen eine Unterschrift erbeten hätte, „wann sie nicht alsofortig darauf von hinnen verreiset, undt seitdem sich wenig alhier befunden hetten.“¹³¹⁹ Die Formulierung legt absichtliche Abwesenheit zur Vermeidung der Unterschrift nahe und tatsächlich lässt sich nur bei einem der Räte – Hoyer Friedrich von Striepe – laut Bahl eindeutig nachweisen, dass er reformiert war. Meinders und Wernicke waren lutherisch, während die Konfession der anderen Räte nicht ermittelt werden kann. Angesichts ihres Verhaltens waren sie jedoch wohl eher lutherisch als reformiert. Nun forderte Schwerin auch von ihnen die Unterschrift ein. Damit sie nicht, „wie einige andere gethan, unnöhtige Scupel ihme machen möchten“, stellte er klar, dass der Revers nur auf die Einhaltung des interkonfessionellen Friedens und nicht auf einen Synkretismus hinauslaufe. Auch betreffe die Denunziationspflicht nur Unruhestifter und beziehe sich nicht auf private Äußerungen. Jeder, der wolle, würde

 Vgl. zu Battier Bahl: Hof, S. 426,  Zu Krüger existieren keine Angaben bei Bahl.  Vgl. zu Matthias Bahl: Hof, S. 539 f.  Vgl. zu Meinders ebd., S. 540 f.  Vgl. zu Striepe ebd., S. 600 f.  Vgl. zu Wernicke ebd., S. 617 f. Auch wenn in der Quelle kein Vorname genannt ist, muss es sich um Joachim Ernst handeln, waren doch die anderen beiden Wernickes in Bahls Prosopographie entweder bereits tot oder erst ab 1670 in kurbrandenburgischen Diensten, vgl. ebd., S. 616 – 618.  Vgl. den Bericht in: GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma. 142; 1660 – 1670], Fol. 129 – 131. Es befinden sich leicht abweichende Abschriften in den Unterlagen Johann Georg Reinharts und Lubaths: Sächs. HStA Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 07226/06, Fol. 67 f.; GKl Archiv XII/90/2, Fol. 415 f. Lubath zufolge, der die Information von Gabriel Luther erhalten hatte (siehe unten), waren auch Hasso Adam von Wedel und Christian Sigismund von Heydekampf geladen, da sie nicht unterschrieben hätten. Zumindest Wedel hatte aber wohl bereits unterschrieben, vgl. Kapitel 7.2  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 19 [Ma. 142; 1660 – 1670], Fol. 129v.

7.4 Mehr Skrupel, eine Erklärung und ein Ausblick

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diese Erklärung schriftlich bekommen. Alle Räte unterschrieben.¹³²⁰ Gabriel Luther kam an ein Protokoll der Sitzung und sandte es an den Prediger Martin Lubath zur Bewertung mit Bitte um Diskretion, da sein Informant, der anonym bleibt, darum gebeten habe.¹³²¹ Die lutherischen höfischen Netzwerke funktionierten also weiter tadellos. Lubath riet ihm übrigens von der Unterschrift ab und argumentierte ähnlich wie Lorentz gegenüber Seidel, wenn er darauf hinwies, dass dies dazu beitragen würde, die letzten konkordientreuen Prediger aus dem Land zu jagen.¹³²² Mit diesem Dokument endet die Geschichte der konfessionellen Konflikte bei Hofe. Sie hatten zur Absetzung Kemnitzens geführt, Ewald von Kleist zu Rücktritt und Konversion bewegt, Fromm erst in die soziale Ausgrenzung, dann in die Verzweiflung und schließlich in den Schoß der katholischen Kirche getrieben, die lutherischen Geheimen und Konsistorialräte zu allerlei kreativen Bewältigungsstrategien gedrängt und am Ende Seidel, Reinhart und Luthers Entlassung verursacht. Wer nun noch als Lutheraner bei Hofe war, der war entweder nicht dem Konkordienluthertum verbunden oder aber mit seiner Unterschrift zum Schweigen gebracht worden. Nach 1668 schlugen sich keine Konfessionskonflikte mit höfischem Bezug mehr in schriftlichen Quellen nieder. Nach seiner Entlassung wurde Johann Georg Reinhart 1670 Magdeburger Geheimer Rat unter Herzog August von Sachsen-Weißenfels, blieb aber in BerlinCölln und starb dort 1672.¹³²³ Gabriel Luther wechselte in Brandenburg-Bayreuthische Dienste und starb ebenfalls 1672 in Bayreuth.¹³²⁴ Raban von Canstein bat 1669 nach eigener Aussage aus erheblichen Ursachen, die nicht näher spezifiziert sind, um seine Entlassung, wurde aber nur von seinem Hofmarschallamt entbunden.¹³²⁵ 1674 wurde er wegen des Verdachts auf Veruntreuung suspendiert,

 Ebd., Fol. 129 – 131, Zitat Fol. 129v. Der hessische Gesandte Lincker bestätigt, dass nun alle lutherischen Räte unterschrieben hatten, HStAM, 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 353, Bericht vom 29.7./8. 8.1668.  GKl Archiv XII/90/2, Fol. 416 f.  Ebd., Fol. 416 u. 418.  Vgl. Bahl: Hof, S. 561 f.  Vgl. ebd., S. 533. Für die Markgrafen war er schon zuvor jahrelang als Berichterstatter bei Hofe tätig gewesen. In einem seiner letzten Berichte vom 5. 8.1668 schreibt er noch, dass sich sein Umzug nach Bayreuth verzögern wird, da es Probleme beim Möbeltransport gäbe, vgl. StABa, GAB, Nr. 446, Fol. 424 f. Über den Revers oder andere Aspekte der interkonfessionellen Konflikte berichtete er nie.  In seiner Lebensbeschreibung heißt es, dass die Ursachen aus seinen Schriften hervorgehen würden, doch weder im Teil seines Nachlasses in Halle noch jenem in Leipzig konnte ich diese Schriften ausmachen, vgl. AFSt/H A 154a), Fol. 98 f.

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wurde aber drei Jahre später restituiert und blieb bis zu seinem Tod 1680 in brandenburgischen Diensten.¹³²⁶ Martin Friedrich Seidel fand eine Anstellung in schwedischen Diensten als Hofkammergerichtsrat zu Wolgast.¹³²⁷ An seiner in Teilen erhaltenen Korrespondenz kann nachgewiesen werden, dass die Räte auch nach ihrer Entlassung Kontakt zu ihrer alten Heimat und den Geistlichen hielten. So sind einige Briefe des ehemaligen Diakons an der Nikolaikirche und einst ins Gefängnis geworfenen David Gigas erhalten sowie ein Schreiben Seidels,¹³²⁸ in denen sich auch einige Informationen zu ehemaligen Leidensgenossen und den Beschwerlichkeiten der Exilanten finden lassen. So beklagt Gigas in einem Brief vom 3. Oktober 1669 die Freude vieler Reformierter ob des Todes Elias Sigismund Reinharts.¹³²⁹ In Neujahrsgrüßen zum 1. Januar 1672, in denen er Seidel auch zu seiner neuen Stelle in Wolgast gratuliert, erfährt man von Gigas, dass er Post von Gabriel Luther erhalten habe, „deßelben gesundheit, aber dem Berlinischen sehr ungleichen Zustand [er] verstanden“ habe. Luther sei im vergangenen Jahr in Berlin gewesen, um die Beerdigungen seiner Schwiegermutter und seines Schwagers Martin Weise dem Jüngeren – also des Sohnes jenes Martin Weises, der die Räte 1668 unterstützt hatte – zu besuchen.¹³³⁰ In seiner Antwort vom 25. Januar zeigt sich Seidel betrübt, dass er seinen „Schwager“ Luther in diesem Leben wohl nie mehr sehen werde.¹³³¹ Jedoch habe er mit ihm im vergangenen Jahr sechs Wochen zu Berlin „jucundissime [= erfreulichst] conversiret, da wir einander unser anliegen offenherzig entdeket. die Leute, so nicht in einen Schiffe mitt uns gewesen, verstehen weinig von den ungewittern so wir erlitten.“¹³³² Trotz aller Widrigkeiten gibt er sich erleichtert:  Vgl. Bahl: Hof, S. 450; laut Opgenoorth war Canstein mit seinen Aufgaben als Hofkammerpräsident überfordert und trug so selbst zu der Untersuchung gegen ihn bei, vgl. Opgenoorth: Friedrich Wilhelm 2, S. 47– 50. Zu den Vorwürfen gegen Canstein und den Verhandlungen zu seiner Restitution, an der u. a. Otto von Schwerin beteiligt war, finden sich umfangreiche Bestände im Staatsarchiv Leipzig: Sächs. StA Leipzig, 20532, Nr. 2461, Nr. 5175 u. Nr. 5176.  Vgl. zu den folgenden Jahren Bolte: Seidel, S. 12– 14; vgl. auch Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 412 f.  SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 54, Fol. 308 – 321. Aus der Zeit von Gigas’ Verhaftung hat Seidel mehrere Dokumente gesammelt, die er wohl vom Diakon selbst erhalten hat, wie ein Schreiben nahelegt, ebd., Fol. 253 – 307, v. a. Fol. 303.  Ebd., Fol. 310 f., hier Fol. 311r. Der Prediger starb am 10.9.1669 an einer Blutvergiftung, vgl. Ruschke: Paul Gerhardt, S. 112.  SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 54, Fol. 312 f., Zitat Fol. 313r.  Ebd., Fol. 315 f., hier Fol. 316r. Seidels Bruder Joachim Ernst hatte 1670 Katharina Elisabeth Weise – eine Tochter Martin Weises – geheiratet. Daraus ergab sich die Verschwägerung vgl. den Stammbaum bei Bolte: Seidel, o.S.; ferner Bahl: Hof, S. 615.  SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 54, Zitat Fol. 315v.

7.4 Mehr Skrupel, eine Erklärung und ein Ausblick

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Ich bin zwar in keinem Paradieß […] ja dennoch vergnüget Mich und die Meinigen, daß wir alhier gott lob eine ungekränkte freyheit des gewißens haben, undt heuchlerischen spöttern und verfolgern, unserer eigenen kirchen, nicht mehr vor augen gehen dürffen, sondern ohn betrübtnüß und unruhe des herzens, die predigt anhören […] können.¹³³³

Ein eifriger und einst für seinen Glauben verfolgter Prediger wie Gigas wollte natürlich Sätze wie diese hören – aber in der Tat war Seidel nun von seinem jahrelangen inneren Konflikt befreit, sodass er sich gewiss erleichtert fühlte, als nun der alte Druck von ihm abfiel.¹³³⁴ Ein Jahr später beklagte Gigas in einem weiteren Neujahrsgruß den Tod Johann Georg Reinharts und Gabriel Luthers, von denen Letzterer ihm durch seine Briefe ein großer Beistand gewesen sei.¹³³⁵ In den Folgejahren hatte Seidel vor allem wegen des Krieges zwischen Kurbrandenburg und Schweden mit Widrigkeiten zu kämpfen.¹³³⁶ Da er der Forderung Friedrich Wilhelms an alle Landeskinder nicht nachkam, den schwedischen Dienst zu quittieren, versuchte der Kurfürst sein Vermögen einzuziehen.¹³³⁷ Als 1678 schließlich Stralsund fiel und der Große Kurfürst in die Stadt einzog, trafen Seidel und sein alter Herr nach zehn Jahren wieder aufeinander: Es war Seidels Aufgabe, den Sieger im Namen der Schweden zu begrüßen. Als habe es nie einen Revers gegeben, fragte der Kurfürst ihn, warum er damals aus brandenburgischen Diensten ausgeschieden sei und bot ihm eine Stelle sowie die Rückgabe seiner eingezogenen Güter an.¹³³⁸ Sein Verhalten mag überraschen, jedoch hatten die konfessionellen Konflikte inzwischen an Schärfe verloren. Außerdem ist Gnade ein wichtiges Herrscherideal – in diesem Moment wog eine solche Verhaltensnorm schwerer als alte konfessionelle Differenzen.¹³³⁹ So wurde Seidel 1679 wieder Kammergerichtsrat. Die Wiederaufnahme seiner Aufgaben im Konsistorium lehnte er jedoch ab. Somit hatte er es mit elf Jahren Verspätung und über viele Umwege doch noch geschafft, eine Trennlinie zwischen dem Fürstendiener

 Ebd., Fol. 315r.  Seine Erleichterung schilderte er wohl auch Johann Ernst Pfuel, dem ehemaligen Lehrer seines Sohnes und zum damaligen Zeitpunkt Professor für Poesie in Greifswald, vgl. Bolte: Seidel, S. 12 mit Fußnote 4.  Schreiben vom 24.1.1673, SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 54, Fol. 320 – 323, v. a. Fol. 320r.  Vgl. zu den Feldzügen gegen Schweden Opgenoorth: Friedrich Wilhelm 2, S. 180 – 187.  Vgl. Bolte: Seidel, S. 12 f.  Ebd., S. 13.  Bolte betont, dass Friedrich Wilhelm schon 1671 seinem alten Rat eine schriftliche Anerkennung seiner Dienste und eine ehrenvolle Entlassung ausgestellt habe, vgl. ebd., S. 12.

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7 Der Beamtenrevers von 1668

und dem Lutheraner in ihm zu ziehen, die ihn mit nunmehr ruhigem Gewissen schlafen gelassen haben mag.¹³⁴⁰ Zum Abschluss gilt es noch, ein letztes Mosaikstück in das Gesamtbild zum Beamtenrevers zu fügen, denn das Schicksal einer Figur ist bis jetzt unterschlagen worden: Was war eigentlich mit Johann Buntebart? Schließlich hatte er zum großen Amüsement aller Anwesenden auch Gewissensskrupel formuliert. Während Seidel, Reinhart und Luther noch um die Wortwahl in ihren Suppliken rangen, wurde er laut einer Notiz Lubaths im Juni durch einen kurfürstlichen Spezialbefehl wieder in sein Amt eingesetzt, da er in seiner Funktion als Geistlicher bereits den Predigerrevers unterschrieben hatte. Schließlich habe er einen eigenen Spezialrevers unterzeichnet,¹³⁴¹ der ebenfalls bei Lubath dokumentiert ist und sich nur unwesentlich vom Original unterscheidet.¹³⁴² Jahre später (1676) stellte Lucius von Rhaden bezüglich der Bestallung eines Nachfolgers Buntebarts sogar fest, dass man nach der Entlassung der drei Räte und der Neubesetzung ihrer Ämter schlichtweg vergessen habe, Buntebart erneut zur Unterschrift aufzufordern.¹³⁴³ Egal ob es nun einen Spezialrevers gegeben hat oder Buntebart komplett vergessen worden war – beide Fälle offenbaren eine obrigkeitliche Nachsicht, auf die andere Räte nicht hoffen durften. Nicht nur für die Hofleute, sondern auch für den Kurfürsten hing es vom Kontext ab, wie Interkonfessionalität geregelt wurde. Einem Buntebart, der mutmaßlich gemeinsam mit Stosch das zweite Toleranzedikt aufgesetzt hatte, von Elias Sigismund Reinhart beschimpft

 Gigas sandte Seidel im Mai 1680 noch einmal einen Brief, nachdem er von dessen Wiedereinsetzung erfahren hatte. Es ist der letzte überlieferte Brief von ihm und es war wohl der erste seit vielen Jahren, da Gigas schreibt, wie wichtig ihm noch ein Brief Seidels aus dem Jahr 1672 sei (d. h. Seidel hat also entweder danach nichts Denkwürdiges mehr zu Papier gebracht oder seitdem nicht mehr mit Gigas korrespondiert). Für ihn sei es ein Wunder, dass Seidel nicht nur restituiert wurde, sondern dass er auch „sich der Consistorial-Raths-stelle begeben, ja, umb Ihr gewißen zu praeserviren, umb verschonung derselben gehorsambst gebethen, auch gnädigste willfahrung von sr. Churfstl. durchl. erhalten“ hatte. Er wünschte, dass Gabriel Luther noch am Leben wäre, um das noch erleben zu können. Vgl. SBB-PK, Ms. Boruss. fol. 54, Fol. 318 f., Zitat Fol. 318r. Allem Anschein nach hatte Seidel also explizit aus Gewissensgründen um einen Verzicht auf die Konsistorialratsstelle gebeten.  GKl Archiv XII/90/2, Fol. 404.  Ebd., Fol. 418 f. Der Revers erläutert lediglich umfassender die Intention Friedrich Wilhelms, aber die Forderungen, über die Edikte zu wachen und Verstöße anzuzeigen, sind die gleichen. Den Revers entworfen haben soll Somnitz.  GStA PK, I. HA, Rep. 47, Tit. 4, Fol. 438 – 442. Buntebart habe sich lediglich erklärt, den Edikten nachzuleben, so wie er es immer getan habe. Diese Stelle bezieht sich m. E. nicht auf den Spezialrevers bei Lubath, da er mehr beinhaltet als bloß den Edikten nachzuleben. Vermutlich ist damit nur die mündliche Erklärung Buntebarts am 8. Mai gemeint, als er die Unterschrift verweigerte, obwohl er ein Helmstedter sei, vgl. Kapitel 7.2.

7.4 Mehr Skrupel, eine Erklärung und ein Ausblick

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und von Canstein bei seiner Introduktion gemieden worden war, konnte man durchaus entgegenkommen. Denn einen Synkretisten wollte Friedrich Wilhelm auf keinen Fall in seinem Gewissen beschweren.

8 Schlussbetrachtung Als sich die Berliner Geistlichen im Rahmen der Konflikte um die Reverspolitik mit Ständevertretern austauschten, soll der Prediger Martin Lubath die folgenden Worte gesprochen haben: Es wäre die Toleranz zwiefach: eine innerliche und eine äußerliche. Zu dieser – als zum Begräbnis, Kindtaufen gehen u. dergl. – wollten sie sich gern bequemen; zu der innerlichen aber nimmermehr, weil sie nicht anders als ein rechter Synkretismus und dem Calvinismo gar noch verwandt wäre.¹³⁴⁴

Die äußerliche Form der Toleranz, die Lubath anspricht, ist genau jene, die auch das bikonfessionelle Verhältnis am Hofe Friedrich Wilhelms prägte. Einerseits verliefen die konfessionellen Linien sehr deutlich durch die Hofgesellschaft: Man wusste genau, wer welchem Bekenntnis anhing, man ging, wenn es keinen besonderen Anlass gab, in getrennte Gottesdienste und man heiratete im Regelfall innerhalb der eigenen Konfession. Religiöse Ambiguitäten, die sich dem bikonfessionellen Schema entzogen, fielen negativ auf. Andererseits war der Hof von einer regen interkonfessionellen Interaktion geprägt: Man pflegte konfessionsübergreifend Beziehungen, verfasste sich gegenseitig Gelegenheitsschriften, stand einander Pate und beschwerte sich (wie Jena und Canstein¹³⁴⁵) sogar gemeinsam über die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms. Bei öffentlichen, auch religiös konnotierten Anlässen demonstrierte man eine überkonfessionelle Geschlossenheit nach außen und diente dadurch nebenbei Friedrich Wilhelm als Element seiner Selbstdarstellung als konfessionsneutraler Summus Episcopus. Dieser alltäglichen, konfliktfreien Interkonfessionalität stand wiederum eine gewisse Spannung gegenüber, die immer wieder greifbar wird und bestätigt, dass eine friedliche konfessionelle Pluralität nicht die Abwesenheit von Konflikten, sondern nur ihre Regulierung bedeutete.¹³⁴⁶ Dennoch lässt sich festhalten: Der kurbrandenburgische Hof als ein bikonfessionelles soziales System war grundsätzlich eine funktionierende Umgangsökumene. Dies änderte sich ab den 1650er Jahren. Als die kurfürstliche Religionspolitik mit ihren Maßnahmen gegen die FC den konfessionellen Status quo in Brandenburg infrage stellte, wurde nicht nur das interkonfessionelle Verhältnis in Brandenburg und der Residenz, sondern auch das am Hofe belastet. Dies betraf

 Zitiert nach Schwartz: Stände, S. 95.  Vgl. Kapitel 6.2.  Vgl. Kaplan: Divided by Faith, S. 9. https://doi.org/10.1515/9783110647006-010

8 Schlussbetrachtung

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nicht alle Aspekte des höfischen Miteinanders gleichermaßen stark, sondern besonders die Geheimen und die Konsistorialräte, die durch ihre Ämter regelmäßig in kirchenpolitischen Fragen herangezogen wurden. Konfessionelle Konflikte bei Hofe schlugen sich also mehrheitlich in bestimmten zeitlichen und sozialen Kontexten in schriftlichen Quellen nieder – in der Zeit des märkischen Kirchenstreits sowie im Umfeld des Geheimen Rats und des Konsistoriums. In besonderem Maße davon betroffen waren die lutherischen Räte, da sie an einer Politik beteiligt waren, die auf Teile ihrer eigenen Glaubensgemeinschaft abzielte. Ihr Umgang mit dieser Herausforderung lässt sich in drei Phasen einteilen. Auf die ersten Maßnahmen gegen die FC folgte eine kurze Phase des Widerstands, wie ihn der Konsistorialpräsident Joachim Kemnitz mit der Rückendeckung von Martin Friedrich Seidel und Johann Georg Reinhart betrieben hatte und der sich darin äußerte, die Vorgaben zur Auslassung der FC bei Ordinationen nach Möglichkeit zu unterlaufen. Nach Kemnitzens Entlassung 1659 und im Zuge der Verschärfung der konfessionellen Konflikte passten die lutherischen Räte ihr Verhalten an. Sie reagierten mit verschiedenen Kommunikationsstrategien zur Stabilisierung der prekären Herr-Diener-Beziehung auf der einen und zur Aufrechterhaltung eines guten binnenkonfessionellen Verhältnisses zu den Predigern auf der anderen Seite. Außerdem versuchten sie hinter den Kulissen Kompromisslösungen zu vermitteln und die Kirchenpolitik abzuschwächen. Als Nebeneffekt hielten sie auf diese Weise die Funktion des Hofes als Bezugspunkt verschiedener Interessen aufrecht. Diese relativ lange Phase der kommunikativen interkonfessionellen Stabilisierung wurde 1668 mit dem Beamtenrevers beendet. Er veränderte die Bedingungen der Umgangsökumene bei Hofe, indem er die Hofleute vom Konkordienluthertum abschnitt und ihnen durch seine Sichtbarkeit nach außen hin die kommunikativen Spielräume nahm, die sie zuvor genutzt hatten. Danach war der Hof zwar immer noch bikonfessionell. Er blieb es auch, obwohl insgesamt mehr Reformierte neu bestallt wurden als Lutheraner.¹³⁴⁷ Aber trotzdem war der Hof nun anders bikofessionell als vor 1668. Seine konkordienlutherischen Anteile waren marginalisiert worden – die entsprechenden Hofbeamten waren nun entlassen oder hielten sich bedeckt, sodass nach 1668 deutlich weniger Quellen zum interkonfessionellen Verhältnis mit Hofbezug überliefert sind.¹³⁴⁸ Zum Teil mag dies damit zusammenhängen, dass

 Vgl. Bahl: Hof, S. 201.  Allerdings sei etwa auf die Bedeutung des Geheimen Rats Paul von Fuchs in der Kirchenpolitik der späteren Regierungsjahre des Kurfürsten hingewiesen, dem oft ein mäßigender Einfluss zugesprochen wird, vgl. etwa Burghardt: Hofcalvinismus, S. 130; vgl. zu Fuchs Bahl: Hof, S. 481– 483.

280

8 Schlussbetrachtung

der märkische Kirchenstreit seinen Höhepunkt überschritten hatte, aber auch in den 1670ern und 1680ern gab es interkonfessionelle Konflikte.¹³⁴⁹ Nur dieses Mal war kein Hofmann involviert. Auch Seidel und Canstein, die am Hofe blieben bzw. zurückkehrten, hielten sich dieses Mal heraus. Seidel hatte sogar ausdrücklich um die Verschonung von kirchenpolitischen Aufgaben gebeten.¹³⁵⁰ Die Bikonfessionalität am Hof Friedrich Wilhelms wurde also zwischen 1656 und 1668 transformiert und durch den Beamtenrevers formalisiert. Welche Bedeutung die bikonfessionelle Konstellation bei Hofe und ihre Transformation während des märkischen Kirchenstreits für die Hofleute hatte, wurde anhand der vier Protagonisten Andreas Fromm, Martin Friedrich Seidel, Raban von Canstein und Otto von Schwerin aufgezeigt. An jedem von ihnen lassen sich je unterschiedliche Phasen und Aspekte des interkonfessionellen Verhältnisses aufzeigen. Der Konsistorialrat und Probst Andreas Fromm erlaubte u. a. einen vertieften Einblick in das Konsistorium während der späten 1650er Jahre, also der Phase des Widerstands gegen die Kirchenpolitik. Die Entlassung Kemnitzens und die Ausgrenzung, die Fromm für seine offen pro-reformierte bis kryptocalvinistische Haltung erfuhr, gaben die Grundstruktur vor, in der sich alle Lutheraner bei Hofe und in der Residenz in den kommenden Jahren bewegen mussten: Wer als Lutheraner die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms zu eindeutig unterstützte und sich damit gegen die FC wandte, lief Gefahr, von seinen Glaubensgenossen nicht mehr als Teil der eigenen Konfessionskultur betrachtet zu werden. Wer das Gegenteil tat und sich eindeutig für die FC einsetzte, hatte die Ungnade Friedrich Wilhelms zu fürchten. Konstant ziehen sich Ausgrenzungen und Entlassungen bzw. die Furcht vor ihnen durch die Jahre bis 1668.¹³⁵¹ Fromm gelang es als einzigem Protagonisten, beide Sanktionierungen zu erleben: Erst die Ausgrenzung durch die Lutheraner, dann die Ungnade. Im gleichen Maße, wie er sich schrittweise von den Reformierten distanzierte, wurde er in den Kreis der anderen lutherischen Prediger reintegriert.¹³⁵² Dass Fromms Handlungsmöglichkeiten am Ende so eingeschränkt waren, dass er sich entweder nur für die pro-

 Vgl. etwa die Beschwerden über Stoschs Befragungen bei Landwehr: Stosch, S. 128 – 130; vgl. auch Ruschke: Paul Gerhardt, S. 463.  Vgl. Kapitel 7.4.  Man denke etwa an den Boykott von Lilius’ Predigten (vgl. Kapitel 5.1) oder die Befürchtungen der Räte im Zusammenhang mit dem Beamtenrevers (vgl. Kapitel 7.2 u. 7.3). Zwar hatten die Räte nicht die gleichen Sanktionen zu befürchten wie Geistliche, an welche die Prediger offensichtlich deutlich schärfere Maßstäbe anlegten. Dennoch wäre ein offener Einsatz gegen die FC nicht folgenlos geblieben, denn sonst hätten sie nicht die möglichen sozialen Konsequenzen der Reversunterschrift selbst angesprochen.  Vgl. v. a. Kapitel 4.4.2 u. Kapitel 4.5.

8 Schlussbetrachtung

281

reformierte oder die konkordienlutherische Seite entscheiden konnte, lag zwar auch an der spezifischen sozialen Position, in die er sich hineinmanövriert hatte. Mit verantwortlich war aber auch die sich im Laufe des Kirchenstreits immer stärker polarisierende Atmosphäre, die jeden Einzelnen immer drängender vor die Frage stellte, auf welcher Seite er steht. Eine indifferente Haltung zu den Konflikten wurde immer schwerer, zumal die Solidarität für die Glaubensgenossen nicht alleine als eine Verhaltenserwartung der Umwelt, sondern als eine internalisierte Verhaltensnorm betrachtet werden muss. Die Räte setzten sich also zunehmend selbst unter Druck. Genau dieser Prozess lässt sich beispielhaft an Fromms Selbstzeugnissen nachvollziehen, die einen Einblick in die Haltung und Gefühle eines Rates zu den konfessionellen Konflikten erlauben. Je schärfer der Konflikt wurde, umso größer wurden Fromms Zweifel. Damit verknüpft waren Ängste, die bis hin zur Befürchtung göttlicher Strafen reichten. Dieser Weg führte erst zu einer inneren Distanzierung und mündete schließlich in einem Befreiungsschlag, als er die Verfolgung der Lutheraner anprangerte. Dass Fromm mit seinen Sorgen und Nöten nicht alleine stand, zeigt das Beispiel Ewald von Kleists, Seidels ahnungsvolle Formulierung, wonach der Kurfürst die Lutheraner noch nicht bedrücke, und die verzweifelten Versuche der Räte, eine Unterschrift des Beamtenreverses zu vermeiden.¹³⁵³ An den Beispielen Martin Friedrich Seidels und Rabans von Canstein kann man ablesen, wie die lutherischen Hofleute mit der für sie unangenehmen kirchenpolitischen Lage umgingen. Ihr ausgeprägtes Konfessionsbewusstsein bei gleichzeitiger interkonfessioneller Interaktion führt die praktizierte Umgangsökumene bei Hofe deutlich vor Augen. Ihre Identität(en) speiste(n) sich aus ihrer höfischen, konfessionellen, ständischen und städtischen Zugehörigkeit (plus alle jene, die hier nicht in den Blick genommen werden konnten), denen kontextabhängig eine unterschiedlich große Bedeutung zukam. Der Kirchenstreit brachte diese Bindungen aus dem Gleichgewicht, sodass ihre Rolle als Hofmann mit ihrer Rolle als Lutheraner samt den jeweils damit verknüpften Verhaltenserwartungen immer schwerer miteinander vereinbar wurde. Der innere und äußere Druck stieg, sich für das Konkordienluthertum oder die kurfürstliche Seite zu entscheiden, doch genau das konnten und wollten die Räte nicht, zum einen, weil sie Sanktionierungen zu fürchten hatten, zum anderen aber gewiss auch aus Überzeugung. Anders lassen sich ihr anhaltendes Engagement sowie ihre Skrupel beim Beamtenrevers nicht erklären. Als Ausweg aus diesem Rollenkonflikt nutzten sie die räumliche Trennung zwischen den höfischen und den lutherisch-städtischen Kommunikationskontexten und passten sich der jeweiligen Bühne an, auf der sie

 Vgl. Kapitel 4.7, 5.3.1.2 u. 7.3.

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8 Schlussbetrachtung

spielten. Um potentiellen Zweifeln des Kurfürsten an ihrer Treue zu begegnen, demonstrierten sie auf der höfischen Bühne sehr deutlich ihre Loyalität, während sie zeitgleich auf der lutherischen Bühne ihre konfessionelle Solidarität zum Ausdruck brachten. Beides – die Treue zum Fürsten bzw. die Bindung zum Hof ebenso wie die Verwurzelung im Luthertum und die Sorge um ihre Kirche – gehörte zu ihrem Selbstbild, doch nun dissimulierten sie je nach Situation einen dieser Aspekte. Mit dieser Strategie versuchten sie sich nicht nur selbst zu schützen, sondern auch die Kirchenpolitik und die konfessionellen Konflikte in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ihr Ziel lag weder in einer Sabotage der Kirchenpolitik (wie zum Teil bei Kemnitz) noch in einer kompletten Abschaffung der FC (wie bei Fromm), sondern in Vermittlung und Beschwichtigung, auf dass der Kurfürst seine Autorität wahren und die lutherischen Geistlichen guten Gewissens im Amt bleiben könnten. Außerdem kommunizierten sie nicht alleine mit den Predigern, sondern versuchten die Kirchenpolitik informell zu beeinflussen und vermieden konfliktträchtige Situationen. Sie lavierten laufend, um das Verhältnis zum Kurfürsten zu stabilisieren, ihren konkordienlutherischen Predigern ihre Unterstützung zu demonstrieren, ihrem eigenen Gewissen gerecht zu werden und gleichzeitig eine Kompromisslösung zu finden. Es ging für die lutherischen Räte im märkischen Kirchenstreit also in gleich dreifacher Weise um ihr Bekenntnis – das Bekenntnis zu ihrem Glauben, das Bekenntnis zu ihrem Herrn und das Bekenntnis zu ihren Glaubensgenossen. Die Handlungsspielräume, die sie dabei nutzten, verschwanden mit dem Beamtenrevers von 1668. Die interkonfessionelle Beziehung der lutherischen Räte zu Friedrich Wilhelm wurde formalisiert und für alle nach außen hin sichtbar gemacht. Die alten Kommunikationsstrategien konnten nicht mehr greifen und es folgten Entlassungen. Otto von Schwerin schließlich erlaubt einen Einblick in die reformierte Perspektive. Auch wenn diese aufgrund der schlechteren Quellenlage deutlich kürzer behandelt wurde als die lutherische Seite, liefert sie dennoch wertvolle Erkenntnisse. Zunächst wird deutlich, dass selbst ein so eifrig antikonkordienlutherischer Kirchenpolitiker wie Schwerin interkonfessionelle Beziehungen pflegte. Dies lag u. a. an binnenkonfessionellen Differenzierungen zwischen gemäßigten und orthodoxen Lutheranern, hing aber auch von der jeweiligen kommunikativen Situation ab, in der Schwerin sich befand. Wie Interkonfessionalität konkret realisiert wurde, hing also vom sozialen Kontext ab. Darüber hinaus wurde an Schwerins Beispiel greifbar, dass auch die reformierten Räte durch die Kirchenpolitik unter Druck gesetzt wurden, da Friedrich Wilhelm von ihnen Ergebnisse erwartete. Der Seitenblick auf Schwerins Glaubensgenossen bei Hofe zeigte, dass auch einige reformierte Hofleute der Kirchenpolitik kritisch gegenüberstanden. So, wie unter den Lutheranern mannigfaltige Haltungen zwischen

8.1 Ausklang: Andreas Fromm

283

strenger Konkordientreue und Kryptocalvinismus existierten, bildeten also auch die Reformierten keineswegs einen homogenen Block. Bei allen vier Protagonisten wurde ersichtlich, wie sehr das interkonfessionelle Verhältnis bei Hofe mit anderen Zugehörigkeiten, den politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und der jeweiligen kommunikativen Situation verknüpft war. Dies verdeutlicht, dass Interkonfessionalität stets in die Lebenszusammenhänge der Zeitgenossen eingebettet betrachtet werden muss. Darüber hinaus wurde an ihren Beispielen sehr plastisch greifbar, wie Individuen in der Frühen Neuzeit in multikonfessionellen Settings agierten, welche Auswirkungen Konfessionsdruck auf sie haben konnte und wie sie kreativ darauf reagierten. In der Gesamtbetrachtung lässt sich der Berlin-Cöllner Hof während des märkischen Kirchenstreits als ein vierfaches Gebilde beschreiben: Nach außen hin demonstrierte er eine irenisch anmutende Legitimationsfassade (1). Dahinter stand eine Bühne, auf der die lutherischen Räte gegenüber Friedrich Wilhelm ihre kirchenpolitische Loyalität in Szene setzten (2). Doch zum Hof gehörte auch eine lutherische Bühne, auf der – unbehelligt vom Kurfürsten oder anderen unerwünschten reformierten Beobachtern – dieselben Räte gegenüber den Predigern ihre innerkonfessionelle Solidarität hervorhoben, um Kompromisse rangen und sich in informeller Einflussnahme übten (3). Schließlich besaß der Hof auch eine Hinterbühne (4), auf der lutherische und reformierte Hofleute in konfessionsübergreifender Eintracht über die Kirchenpolitik klagten und wo bisweilen (wie bei Kemnitz und Fromm im Konsistorium) gegeneinander gearbeitet wurde. Und nicht zuletzt herrschte dort auch Angst, wie einige Aussagen Andreas Fromms eindrucksvoll vor Augen führen.

8.1 Ausklang: Andreas Fromm Apropos Andreas Fromm: Als den kurfürstlichen Räten am 7. und 8. Mai 1668 der Beamtenrevers vorgelegt wurde, befand er sich bereits seit mehr als einem Monat in Prag.¹³⁵⁴ Während Reinhart, Seidel und Luther mit ihrem Gewissen rangen und um ihre Stellen kämpften, wurde Fromm am 19. Mai „in den Schoß der waaren/ heiligen/ Catholischen Kirchen/ zu grosser Vergnügung meiner Seelen aufgenommen“.¹³⁵⁵ Hatte Fromm also am Ende einen Ausweg aus seinen inneren Konflikten gefunden? Es existieren Gerüchte, wonach er in vertraulichen Ge-

 Fromm: Wiederkehrung, S. 83.  Ebd., S. 83 f.

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8 Schlussbetrachtung

sprächen zugegeben haben soll, seinen Schritt bereut zu haben.¹³⁵⁶ Tatsächlich ist ein Brief Andreas Fromms aus dem Jahr 1675 im Druck erhalten – an seinen alten Verbündeten und späteren Feind, dem Hofprediger Bartholomäus Stosch!¹³⁵⁷ Und tatsächlich bat Fromm ihn – da die Stelle des Probstes der Petrikirche seit Buntebarts Tod im Jahr 1674 anscheinend noch immer vakant war – wieder von seiner ehemaligen Kanzel lehren zu dürfen. Hatte Fromm also wieder Geschmack am Synkretismus gefunden? Nicht ganz, denn er wollte „dogmata Catholica“ von seiner alten Kanzel predigen. Er schlug vor, strittige Lehren anhand der Bibel und der Urkirche der ersten 500 Jahre zu behandeln mit dem Ziel, dass die protestantischen Konfessionen danach keinen Grund mehr hätten, gegen die Katholiken zu grollen.¹³⁵⁸ Zurück zum Protestantismus wollte Fromm also vermutlich nicht. Die Idee des consensus antiquitatis hatte ihn indes seit seinen Cöllner Zeiten allem Anschein nach nie mehr ganz losgelassen. Im katholischen Fromm steckte also noch ein Stück des irenischen Konsistorialrats, der einst die FC abschaffen wollte. Der konkordientreue Berliner Prediger Elias Sigismund Reinhart drehte in einer Schrift von 1669 das Verhältnis hingegen um, indem er im irenischen Fromm bereits den katholischen Geistlichen entdeckt haben wollte. Demnach habe ein „hohes Haupt der Christenheit beym ersten Anblick“ Fromms gesagt: „Der Kerl sieht aus wie ein Jesuit/ er wird auch noch einmahl ein Jesuit.“¹³⁵⁹

 Sie sind zusammengefasst bei Küster: Altes und Neues Berlin 2, S. 551.  FSATS 26 (1726), S. 733 – 735. Das Original konnte ich nicht ausfindig machen. Den Brief ließ Fromm über einen Konrektor aus Spandau namens Christoph Schulze überbringen. Sie hatten sich im Rahmen einer Reise des Konrektors nach Rom getroffen, vgl. Ebd.; ferner Küster: Altes und Neues Berlin 2, S. 551.  „Si cum Praenob. et Ampliss. Dominatione vestra mihi ut ante conversari liceret, amplius dico: […] si Praepositura Coloniensi jam vacante per rationem status fieri posset: […] ut mihi dogmata Catholica ex pristina mea cathedra docere concederetur, considerem per dei gratiam omnes theses controversas ex verbo dei scripto sed juxta interptretationem Antiquitatis quinquesecularis ea moderatione et dexteritate proponere, ut neutra pars Catholicis jure succensere posset.“ FSATS 26 (1726), S. 734. Küster erwähnt lediglich, dass Fromm in dem Brief um seine Bestallung in Cölln gebeten habe, womit er den Inhalt verfälscht, vgl. Küster: Altes und Neues Berlin 2, S. 551; dies bemerkte kritisch schon Hering: Neue Beiträge 2, S. 307 f.  Reinhart: Antwort auff der Post An […] Tannern, S. 69. Bei Noack/ Splett ist angegeben, dass Fromm dem Jesuitenorden beitrat, vgl. Noack/ Splett: Bio-Bibliographien. Berlin-Cölln, S. 129. Soweit ich die Schriften nach seiner Konversion überblicke, konvertierte er nur in einer Jesuitenkirche zum Katholizismus, gehörte jedoch nie dem Orden an.

9 Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen Archiv der Franckeschen Stiftungen, Halle/ Saale, Handschriften Hauptabteilung (AFSt/H) A 12, A 15:1, A 16, A 17, A 18, A 19: 1, A 20, A 21, B2, B 11, B 65 Religiöse Schriften Rabans von Canstein A 40 Handschriftliche Eintragungen im Schreibkalender des Raban von Canstein A 154a) Canstein, Raban. Bericht über sein Leben mit Ahnentafel F 1 Brandenburg. Obermarschall. Verschiedene Verschickungen, in denen dieser gebraucht worden. G 60 Briefe Rabans von Canstein G 73:00 Kurfürstl. Brandenburgische Erlasse, politische Erörterungen, Entwürfe usw.

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam (BLHA) Rep. 40 A Kurmärkisches Konsistorium Nr. 639 Visitationsabschiede in der alten Stadt Salzwedel d. a. 1541, 1551, 1579, 1600 und 1646 https://archive.thulb.uni-jena.de/staatsarchive/receive/stat_file_00001084 (8. 7. 2017)

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (GStA PK) I. HA, Rep. 2 Berliner Dom Nr. 11 Orig. Fundation der Kirchen zur Heyl. Drey Einigkeit […] Memorial wegen einer Kirchenordnung I. HA, Rep. 9 Allgemeine Verwaltung I. HA, Rep. 41 Beziehungen zu Kursachsen Nr. 19 1660, 1661 Absendung des Kammergerichtsrats Johann Georg Reinhart wegen verschiedener Verhandlungen I. HA, Rep. 47 Geistliche Angelegenheiten Tit. 4 Anstellungen beim Consistorio 1576 – 1742 Tit. 7 a-c Priestersachen, Reverse, Inspektoren Tit. 19 [Ma 141; 1614 – 1659] Luth. Predigerschmähungen 1614 – 1659 Tit. 19 [Ma 142; 1660 – 1670] Luth. Predigerschmähungen 1660 – 1673 Tit. 19 [Ma 143; 1670 – 1702] Luth. Predigerschmähungen 1670 – 1702 Tit. 23 Catholische Religion 1669 – 1782 C4 Coelln a. d. Spree I. HA, Rep. 94 Kleine Erwerbungen IV HC 9 Erziehungstagebuch Ottos von Schwerin, 2 Bde. II A 2 [Sammlung Seidels] zur Sittengesch. des 16. und 17. Jahrhunderts Die Originalversion dieses Kapitels wurde bearbeitet. Unglücklicherweise wurde eine falsche Kapitelnummerierung genutzt. Diese wurde nun korrigiert. Bitte entschuldigen Sie den Fehler. https://doi.org/10.1515/9783110647006-011

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9 Quellen- und Literaturverzeichnis

VI. HA, Nl. Be(c)kmann Nr. 21 Sammlung von Nachrichten und Dokumenten zur Kirchengeschichte XIII. HA Reprographie Nr. 96 Nachlass Ottos von Schwerin (Mikrofilm)

Hessisches Staatsarchiv Marburg (HStAM) 4 f Staaten P in Hanau 220 1664 – 1665 Sendung Dalwigks nach Berlin wegen der Hanauer Religionssache 4 f Staaten P in Preußen, Königreich 332 1666 – 1667 Zustände am brandenburgischen Hof (besonders Anhalt) 353 1667 – 1668 Kirchliche Unruhen 356 1671 – 1677 Korrespondenz der L. Hedwig Sophie mit Ministern des Kurfürsten v. Brandenburg

Österreichisches Staatsarchiv, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien (ÖStA HHStA) RK Diplomatische Akten Berlin, Berichte 1b Berichte aus Berlin 1665 – 1667

Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung (SBB-PK) Ms. Boruss. qu. 14 Sammelband zur Geschichte der Mark Brandenburg Ms. Boruss. fol. 54 Sammelband mit Materialien über die Prediger Georg Coelestin, Jakob Schilling und David Gigas Ms. Boruss. fol. 200 Martin Friedrich Seidel: Sammelband zu seiner Lebensgeschichte Ms. Boruss. fol. 632 Martin Friedrich Seidel: Stammbuch Nachlaß Oelrichs, Nr. 473 Abschriften von Briefen und Predigten Brandenburgischer Theologen 1657 – 1660 Nachlaß Oelrichs, Nr. 474/4 [Briefe von Andreas Fromm und Andreas Vorstius aus dem Jahr 1663] Nachlaß Oelrichs, Nr. 474/6 Responsum Reformatorum Nachlaß Oelrichs, Nr. 475 [Brief Andreas Fromms an Friedrich Wilhelm aus dem Jahr 1663] Nachlaß Oelrichs, Nr. 518 [Patin über Seidel]

Staatsarchiv Bamberg (StABa) Geheimes Archiv Bayreuth (GAB) Nr. 445 Luthers Relationen Bd. 1 1664 – 1668 Nr. 446 Relationen Luthers aus Berlin Bd. 2 1664 – 1668

Gedruckte Quellen

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Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (Sächs. HStA Dresden) 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv) Loc. 07226/06 1662 – 1668 Wie Kurfürst Friedrich Wilhelm zu Brandenburg das Schmähen und Lästern auf der Kanzel abgeschafft und seine Ratskollegien angehalten, dass sie per Revers verbindlich gemacht, diejenigen Geistlichen, so dagegen handeln, zu deferieren Loc. 08265/12 1488, 1635 – 1696 Kursächsische Gesandtschaft an Kurbrandenburg

Sächsisches Staatsarchiv Leipzig (Sächs. StA Leipzig) 20532, Rittergut Rötha mit Trachenau Nr. 1769 Angelegenheiten Brandenburg um 1660 Nr. 2461 Angelegenheiten des Vaters Rabanus von Canstein Nr. 5175 Angelegenheiten des Vaters Rabanus von Canstein Nr. 5176 Angelegenheiten des Vaters Rabanus von Canstein

Universität Erfurt, Forschungsbibliothek Gotha (FB Gotha) Chart. A. 277 Acta et consultationes theologicae Chart. A 280 Summarium Historia Reformationis Marchica. ab Anno 1613 ad Annum praesentem. Acta reformationis Marchicae. Tom. 1 Chart. A 281 Acta reformationis Marchicae. Tom 2 Chart. A. 282 Scriptorum consiliorum et judiciorum Volumina duo

Zentral- und Landesbibliothek Berlin, Sammlungen des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster (Streitsche Stiftung) GKl Archiv XII/90/1 Akten betr. die Religionsstreitigkeiten unter Kurf. Friedr. Wilhelm I. GKl Archiv XII/90/2 Universitates contra Syncretism. GKl Archiv XII/90/3 Acta Reformationis Marchica et Colloquium cum Reformatis Berolinense

Gedruckte Quellen Bergius, Johann: Unterscheidt und Vergleichung Der Evangelischen/ In Lehr und Ceremonien […] Berlin 1635. — Der Wille Gottes von aller Menschen Seligkeit […] Berlin 1653. — Apostolische Regell/ Wie man in Religionssachen recht richten solle […] Elbing 1641. Borne, Hans Georg von dem: Cosultatio Politico Theologica, uber den gegenwertigen/ betrübeten und kümmerlichen Zustande Der Chur und Marck Brandenburgk/ vermuttelst ergründunge der wahren hauptursachen des passirten und gegenwertigen jammers […] Frankfurt/ Oder 1641.

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Gedruckte Quellen

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herzen ein Feuer der verbothenen Liebes-Brunst anzündet/ so hernach zu einer hellleuchtenden grossen Flamme einer bittern Unlust ausschlägt […] O.O. 1689. O.A.: Ein Schreiben des Großen Kurfürsten an seine Nichte, die Königin Charlotte Amalie von Dänemark (Mai 1671). In: HZ 59 (1888), S. 517 – 520. O.A.: Sieben Leichpredigten Nebst unterschiedlichen Anderen Traur- und Trost-Schrifften Auff Den frühzeitigen/ doch höchstseligen Abschied Der weyland Durchläuchtigsten Fürstin und Frauen/ Frauen Louysen, Marggäffinn und Churfürstinn zu Brandenburg […] Cölln a. d. Spree 1667. O.A.: Vox Oppressorum in Marchica Brandenburgica supplex. Das ist an se. Churf. Durchleuchtigkeit zu Brandenburg unterthänigste Supplicata […] Salzbach 31677. O.A.: Zweyer hohen Standes-Personen Geistreiche Gebäthe/ Tieffsinnige Meditationes, und Anmuthige Paraphrases verschiedener Psalmen […] Küstrin 1715. Lehmann, Max (Hrsg.): Preußen und die katholische Kirche seit 1640. Nach den Acten des Geheimen Staatsarchives. Band 1. Leipzig 1878. Meinardus, Otto (Hrsg.): Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rates aus der Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm. Bd. 1 – 7.1. Leipzig 1879 – 1919 (Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 41, 54, 55, 66, 80, 89, 91). [Pusthius, Ferdinand]: Chronicon Berolinense: continens res Berolini actas ab a. 1307. vsque ad a. 1699, Accedit Series consulum Berolinensium. In: Schriften des Vereins für die Geschichte der Stadt Berlin 4 (1870). Patin, Charles: Relations Historiques et curieuses de voyages, En Allemagne, Angleterre, Hollande, Boheme, Suisse &c. Amsterdam 1695. Reinhart, Elias Sigismund: Elias Sigismund Reinharts/ Der heiligen Schrifft Doctors, Professors, und Superintendentens In Leipzig Antwort auff der Post An herrn Pater Matthias Tannern […] Leipzig 1669. — Elias Sigismund Reinharts […] In Leipzig öffentlich abgelassener Bericht An Den […] Herrn Vincentium Macarium […] Leipzig 1669. Schicketanz, Peter (Hrsg.): Der Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins mit August Hermann Francke. Berlin/ New York 1973 (Texte zur Geschichte des Pietismus Abt. III, Bd. 1). Schmettau, Heinrich von: Allervollkommenste Seelen-Klugheit […] Wie solche/ Bey hochansehnlichster Beysetzung des seligverblichenen Cörpers/ Des weiland wolwürdigen/ hoch-Edelgebornen hern/ herrn Lorentz Christoph von Somnitz […] in der Churfürstl. Thum-Kirchen allhie Anno 1678. den 7. Maji in einer kurzen Leichpredigt fürgestellet worden […] Berlin 1678. Schulz, Otto: Paul Gerhardts Geistliche Andachten in hundert und zwanzig Liedern. Nach der ersten durch Johann Georg Ebeling besorgten Ausgabe mit Anmerkungen, einer geschichtlichen Einleitung und Urkunden: Berlin 1869. Seckendorff, Veit Ludwig von: Teutscher Fürstenstaat […] Frankfurt a. M./ Leipzig 1711, Additiones. Stosch, Bartholomäus: Summarischer Bericht Von der Märckischen Reformirten Kirchen Einträchtigkeit/ mit andern in und ausser Deutschland Reformirten Gemeinen […] Cölln a. S. 1666. — Predigt/ über die Evangelische Warnung Christi/ Wegen der falschen Propheten […] Berlin 1659.

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Literatur

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Thissen, Bert: Der Statthalter und die Residenz – Johann Moritz von Nassau-Siegen und die Stadt Kleve. In: Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604 – 1679) als Vermittler. Politik und Kultur am Niederrhein im 17. Jahrhundert. Hrsg. von Irmgard Hantsche. Münster 2005 (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 13), S. 107 – 129. Ulbricht, Otto: Mikrogeschichte. Menschen und Konflikte in der Frühen Neuzeit. Fankfurt/ New York 2009. — Divergierende Pfade der Mikrogeschichte. Aspekte der Rezeptionsgeschichte, in: Im Kleinen das Große suchen. Mikrogeschichte in Theorie und Praxis. Hanns Haas zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Ewald Hiebl u. Ernst Langthaler. Innsbruck u. a. 2012 (Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raumes 2012), S. 22 – 36. Vehse, Eduard: Geschichte des preußischen Hofs und Adels und der preußischen Diplomatie. Erster Theil (Ders.: Geschichte d. deutschen Höfe seit der Reformation 1. 1. Abteilung: Preußen. 1. Theil). Hamburg 1851. Völkel, Markus: The Margraves of Brandenburg and the Kingdom of Prussia. The Hohenzollern Court 1535 – 1740. In: The Princely Courts of Europe: Ritual, Politics and Culture under the Ancien Regime 1500 – 1750. Hrsg. von John Adamson. London 1999, S. 211 – 229. Volkland, Frauke: Konfession und Selbstverständnis. Reformierte Rituale in der gemischtkonfessionellen Kleinstadt Bischofszell im 17. Jahrhundert. Göttingen 2005 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 210). Willoweit, Dietmar u. a. (Hrsg.): Hof und Theorie. Annäherungen an ein historisches Phänomen. Köln/ Weimar 2004. Winter, Agnes: Das Gelehrtenschulwesen der Residenzstadt Berlin in der Zeit von Konfessionalisierung, Pietismus und Frühaufklärung (1574 – 1740). Berlin 2008 (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 34). — Stadt und Herrschaft unter den Bedingungen von Reformation und Konfessionalisierung am Beispiel der Residenzstadt Berlin-Cölln. In: Stadt und Religion in der frühen Neuzeit: soziale Ordnungen und ihre Repräsentationen. Frankfurt a. M. 2007 (Eigene und fremde Welten: Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel 4), S. 83 – 101. Wotschke, Theodor: Brandenburgische Briefe an Hülsemann und Calov. In: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 17 (1919), S. 48 – 80. — Der Konsessor Martin Schilling. In: Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte der Provinz Sachsen 22 (1926), S. 147 – 150. — Zum synkretistischen Streite in Stendal. In: Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte der Provinz Sachsen 15 (1919), S. 36 – 48. Zeller, Winfried: Die niederhessische Irenik. Zum Verständnis der Kirche in Hessen-Kassel von Moritz dem Gelehrten bis Wilhelm VI. In: Frömmigkeit in Hessen. Hrsg. von Bernd Jaspert. Marburg 1970, S. 96 – 140.

Personenregister Anna, Kurfürstin von Brandenburg: 180 Anna Sophie von Braunschweig-Wolfenbüttel: 193 Arnim, Bernd Friedrich von: 194 Arnim, Georg Wilhelm von: 55 Battier, Peter de: 272 Bergius, Georg Conrad: 247 Bergius, Johann : 32 – 34, 37 – 38, 46, 82 – 83, 85 – 88, 90, 93 – 97, 103, 117 – 118, 127, 141, 149, 156, 245 Blumenthal, Christoph Caspar von: 72 Bonnet, Andreas Nikolaus de: 80, 233, 240, 243 Brusensius, Anton: 75, 247 Buch, Georg Sigismund von: 68 Buntebart, Johann: 125, 132, 137, 146 – 147, 151 – 152, 173, 191, 214, 216, 230, 246, 260 – 261, 263, 276, 283 Burgsdorff, Konrad von: 195, 221 Calixt, Georg: 31, 33 Calbersberger, Caspar: 76, 180 Canstein, Raban von: 4, 18 – 19, 22 – 23, 63, 66, 69, 99, 116, 161, 170, 172 – 173, 177, 186 – 187, 189, 192 – 216, 218, 220, 223, 231, 233, 241, 244, 250, 252 – 261, 263 – 265, 267, 270 – 273, 277 – 278, 280 – 281 Christian Ernst von Brandenburg-Bayreuth: 75 Cochius, Christian: 247 Crellius, Wolfgang: 76, 183 Croy, Ernst Bogislav von: 64 Dohna, Christian Albrecht zu: 171 – 172, 194 Dorothea, Kürfurstin von Brandenburg: 6 – 7, 68, 163, 223, 236, 258 Friedrich, Kurprinz von Brandenburg: 9, 194, 222, 247 Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg: S. 1 – 9, 11, 17, 19 – 24, 26, 29 – 32, 35 – 52, 54 – 62, 65 – 66, 68 – 69, 74 – 76, 78 – 85, 93 – 96, 98, 100 – 112, 114 – 117, 122 – 125, 134, 136 – 140, 144 – 145, 147 – 148, 150, 152 – 153, 155 – 157, 161 – 162, 164 – 169, 171 – 176, 185, 188, 190 – 191, 195, 197 – 208, 210, 212, 214 – 217, 219, https://doi.org/10.1515/9783110647006-012

224, 226 – 231, 233 – 243, 245 – 247, 250 – 252, 256 – 266, 268 – 272, 275 – 278, 280 – 283 Fromm, Andreas: 1 – 2, 4 – 5, 19, 22 – 24, 36, 53, 55, 67, 80 – 82, 84 – 85, 87 – 99, 101 – 103, 105 – 110, 112, 116 – 159, 163, 165, 169 – 170, 173, 177, 182, 184, 187, 191, 202, 212 – 216, 235, 241 – 242, 244 – 246, 257, 273, 280 – 284 Fuchs, Paul von: 68 Füssel, Martin: 27, 31 Georg Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg: 8, 58, 83 Gerhardt, Paul: 11 – 12, 20, 41, 43, 144, 152, 182, 200, 204 – 207, 213, 135, 137 – 238 Gigas, David: 162, 175, 239, 274 – 275 Gladebeck, Bodo von: 72 – 73 Goess, Johann von: 207, 252, 265 Grote, Otto von: 272 Hanischius, Martin: 89, 91, 119, 154 Heinzelmann, Johannes: 84, 95, 97, 115, 117, 121, 141, 166, 175, 182 Helwig, Jakob: 148, 182, 227, 262 Hübner, Joachim: 65 – 66, 78, 198 Ilgen, Hans Rüdiger von: 72 Jena, Friedrich von: 72, 171, 195, 210, 213, 216, 233, 239 – 241, 278 Johann Georg II von Anhalt-Dessau: 64, 109, 113, 171, 194 – 195, 197 Johann Georg II., Kurfürst von Sachsen: 59 – 60 Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg: 2, 8 – 9, 26 – 27, 29 – 32, 39, 44, 67, 75, 84, 86, 105, 107, 114, 130 – 131, 180 Karl Emil, Kurprinz von Brandenburg: 75, 163, 194, 222 Katharina von Brandenburg-Küstrin: 180 Kemnitz, Joachim: 1, 82, 86 – 87, 93 – 99, 101 – 112, 114 – 115, 118 – 120, 123, 125, 130, 141, 153, 156, 159, 165 – 166, 168, 170, 175, 177, 182 – 183, 187, 189, 191, 206, 218, 224, 237 – 238, 267, 269, 273, 279 – 280, 282 – 283

Personenregister

Kircher, Athanasius: 179 Kleist, Ewald von: 157 – 158, 172, 180, 273, 281 Koch, Johann: 94 Koch, Peter: 175 Kohl, Andreas: 86, 177 Kracht, Hedwig Sophie von: 194 Kracht, Hildebrand von: 194 Kreytzen, Helena Dorothea von: 7, 68, 223 Krüger, Dietrich: 272 Kunschius, Johann: 125, 241 – 242, 245 Lincker, Georg: 77, 162, 167, 202, 213 – 214, 216, 233, 235, 240 – 241, 250, 254, 265 – 266 Lilius, Georg: 41, 45, 76, 95, 142, 162, 182, 187, 201, 203, 205, 208, 231, 233, 241 Löben, Anna Elisabeth von: 195 Löben, Marie Anna von: 64, 72 Löben, Johann Friedrich von: 54, 64, 170, 172 – 173, 186 – 187, 204, 207 – 210 Lonicer, Wendelin: 77 Lorentz, Samuel: 20, 80, 146, 148, 162, 201 – 202, 207, 209 – 212, 218, 227, 233 – 234, 236, 239 – 241, 243, 246, 257, 261 – 262, 273 Lubath, Martin: 20, 73, 141, 145 – 146, 148, 190, 217, 234, 239, 257, 259, 262, 270, 273, 276, 278 Ludecus, Johann Christoph: 75 Luise Henriette, Kurfürstin von Brandenburg: 7 – 8, 55, 62 – 63, 73 – 74, 163, 189, 195, 197, 219 – 223, 229, 236 – 237, 244 Luther, Gabriel: 62 – 64, 175, 182, 259 – 264, 266, 268 – 276, 283 Luther, Martin: 21, 75, 88, 92, 240 Matthias, Michael: 272 Meinders, Franz von:195, 272 Moritz von Nassau-Siegen: 55, 194 – 195 Müller, Andreas: 218 Müller, Johann: 145 Nicolai, Christian: 97, 101, 103 – 109, 112, 120, 125, 130, 132, 151 – 152, 191, 262 Pelargus, Christoph: 179 Peucker, Nicolaus: 101 Pfuel, Georg Adam von: 195 Platen, Anna Ehrentraut von: 236

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Platen, Claus Ernst von: 54, 62 – 63, 73, 170, 172, 182, 186, 195, 202, 204, 207 – 209, 215, 217, 236 Pomarius, Samuel: 21, 89 – 95, 98 – 101, 103 – 106, 108 – 109, 114 – 115, 119 – 120, 138, 149, 153, 166, 182, 228 Reinhart, Elias Sigismund: 41, 45, 98, 117, 121 – 122, 124, 137 – 138, 144, 173, 182, 200 – 201, 203, 208, 214, 228 – 231, 233, 237 – 238, 260, 263, 274, 276 Reinhart, Johann Georg: 19, 82, 86 – 87, 95 – 96, 98 – 99, 101 – 102, 106 – 109, 112 – 114, 116, 118 – 119, 126, 147, 151, 156, 159, 167 – 170, 175, 185 – 187, 190, 202, 208 – 210, 218, 235, 259 – 266, 268 – 273, 275, 276, 279, 283 Rhaden, Lucius von: 84, 114, 116, 119, 259 – 261, 276 Rhewend, Sebastian: 101 Schardius, Gottfried: 82, 85 – 86, 96, 117, 130, 147, 154, 17 Schilling, Jakob: 13, 168 – 172, 174, 184 – 192, 203, 216, 267 Schmettau, Heinrich von: 77, 247 Schwerin, Otto von: 4, 7, 19, 22 – 23, 48, 62 – 63, 65, 68 – 69, 72, 75, 77, 114, 126, 132, 151, 171 – 173, 183, 185, 201, 208, 213, 219 – 239, 241 – 242, 244, 248 – 249, 254, 258 – 259, 261, 263 – 264, 266, 269, 271 – 272, 280, 282 Seidel, Erasmus: 86 Seidel, Magdalena: 178 Seidel, Martin Friedrich: 4, 19, 23, 63, 69, 74, 76, 86 – 87, 95 – 97, 99, 101, 106 – 109, 112 – 113, 116 – 119, 121, 126, 128 – 129, 134, 144 – 146, 151 – 153, 156, 159, 161, 168 – 170, 173 – 175, 177 – 192, 202, 215 – 216, 218, 223, 244, 259 – 264, 267 – 276, 279 – 281, 283 Somnitz, Christoph von: 62 – 63, 77, 116, 171, 196, 243, 259 Sparr, Otto Christoph von: 54, 62 – 63, 195, 213, 224 Stosch, Bartholomäus: 1, 35, 38 – 40, 42, 46, 48, 85 – 87, 97, 99, 102 – 103, 106 – 107, 115 – 119, 121 – 123, 125, 127 – 128, 130, 132, 141, 144, 146 – 147, 150 – 156, 167,

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Personenregister

173, 176, 184, 187, 201, 214, 225, 231, 236, 241 – 242, 244 – 246, 254, 259 – 261, 276, 283 Stosch, Catharina Elisabeth: 86 Striepe, Eva Sybille von: 86 Striepe, Hoyer Friedrich von: 272 Tornow, Johann von: 116, 121, 171, 239 Trumbach, Philipp: 101 Umbstadt, Philipp Wamboldt von: 175, 259

Vehr, Peter: 94, 129 Vorstius, Johann: 137, 173, 246 Wedel, Hasso Adam von: 80, 211 – 212 Weise, Martin: 211, 262, 266 Wernicke, Joachim Ernst: 272 Wilhelm VI., Landgraf von Hessen-Kassel: 123 Winterfeld, Eleonora Elisabeth von: 157 Witte, Henning: 178 Zeidler, Matthäus Ignatius: 1, 133