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German Pages 473 Year 1976
Das ausländische Strafrecht der Gegenwart Herausgegeben von Edmund Mezger † Adolf Schönke † Hans-Heinrich Jescheck
Fünfter Band Niederlande . Schweden
Duncker & Humblot . Berlin
M e z g e r t — S c h ö n k e t — Jescheck
Das ausländische Strafrecht der Gegenwart Fünfter
Band
Das ausländische Strafrecht der Gegenwart Herausgegeben von
E d m u n d Mezger + Adolf S c h ö n k e f Hans-Heinrich Jescheck
Fünfter
Band
Niederlande · Schweden
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Das ausländische Strafrecht der Gegenwart / hrsg. von E d m u n d Mezger . . . — B e r l i n : Duncker u n d Humblot. I S B N 3-428-01474-X N E : Mezger , Edmung [Hrsg.] Bd. 5. Niederlande , Schweden. — 1. Aufl. — 1976. I S B N 3-428-03680-8
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1976 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1976 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 01474 X (Gesamtausgabe) I S B N 3 428 03680 8 (Bd. 5)
Inhall
Prof. Dr. W. P. J. Pompe t , Utrecht: Das niederländische Strafrecht
Prof. Dr. Ivar Agge und Prof. Dr. Hans Thornstedt, Das schwedische Strafrecht
7
Stockholm: 249
Das niederländische Strafrecht Von Professor Dr. W. P. J. Pompe t Staatliche Universität Utrecht
Nach einer Übersetzungsvorlage
von
P r o f e s s o r D r . W . M . E. Noach Universität Utrecht überarbeitet u n d ergänzt
von
D . S chaff meist er Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg i. Br.
Vorwort Die Darstellung des niederländischen Strafrechts für das „Ausländische Strafrecht der Gegenwart" ist eine der letzten Arbeiten des am 26. J u l i 1968 verstorbenen Altmeisters der niederländischen Straf rechtslehre Professor Mr. Willem P. J. Pompe, der durch sein umfassendes wissenschaftliches Werk und die Gründung eines Zentrums der strafrechtlichen und kriminologischen Forschung i n Utrecht weit über die Grenzen seines Landes hinaus bekannt geworden ist. Pompe hat diesen Beitrag i n niederländischer Sprache verfaßt. Die Darstellung des A l l gemeinen Teils folgt i n Aufbau und Durchführung seinem wissenschaftlichen Hauptwerk „Handboek van het Nederlandse straf recht", das von 1935 bis 1959 fünf Auflagen erlebt hat und i n jener Zeit das führende Lehrbuch des Allgemeinen Teils des niederländischen Strafrechts gewesen ist. Die Darstellung des Besonderen Teils konnte auf eine solche bewährte Vorarbeit und erschöpfende Durchdringung des umfangreichen Stoffs nicht zurückgreifen und hält sich deshalb eng an den Gesetzestext und das dadurch vorgegebene System. Die deutsche Übersetzung des Beitrags von Pompe verdanken w i r i n ihrer ersten Fassung dem Lektor für Kriminologie und heutigen Leiter des Willem-Pompe-Instituts für Strafrechtswissenschaften i n Utrecht, Professor Mr. W. M. E. Noach. Die Arbeit hätte demgemäß auch schon viel früher erscheinen können, doch gelang es trotz aller Bemühungen nicht, die geplanten Beiträge über das Strafrecht anderer Länder beizubringen, mit denen die Darstellung des niederländischen Strafrechts durch Pompe i n einem Bande veröffentlicht werden sollte. Da bis zur Behebung dieser Schwierigkeiten Jahre dahingegangen waren, befand sich der Beitrag von Pompe nicht mehr auf dem neuesten Stande und mußte überarbeitet werden. Zunächst war daran gedacht, die Darstellung i n der ursprünglichen Form zu belassen und die inzwischen eingetretene Entwicklung i n einem Nachtrag anzufügen. Angesichts der raschen Fortschritte des niederländischen Strafrechts auf allen Gebieten während der sechziger und siebziger Jahre erschien dieser Weg jedoch bald als nicht mehr gangbar, und man entschloß sich zu einer vollständigen Überarbeitung des ursprünglichen Textes. Sie wurde von dem Referenten i m Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht D. Schaffmeister besorgt.
10
Vorwort
Der Aufbau und die Darstellungsweise blieben dabei unverändert. Dies gilt insbesondere für die eigenen Ansichten, die Pompe vielfach bei der Erörterung der theoretischen Probleme des Allgemeinen Teils dargelegt hat. U m den persönlichen Stil des Autors zu bewahren, wurde auch die mehrfach von i h m verwendete Ich-Form grundsätzlich beibehalten. I m Text mußten jedoch zahlreiche Eingriffe vorgenommen werden, um die umfangreichen Gesetzesänderungen der Jahre 1965 bis 1975 und die wichtigste neuere Rechtsprechung einzuarbeiten. Das niederländische Straf recht unterlag i n den letzten 15 Jahren unter dem Einfluß neuer Methoden und Denkansätze einem starken Wandel, und diese Entwicklung ist keineswegs abgeschlossen. Die wichtigsten Ä n derungen und gesetzgeberischen Vorhaben sind vom Bearbeiter i n dem erheblich erweiterten § 3 der Darstellung zusammengefaßt worden. Dabei wurde besonderer Wert auf die nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt einsetzenden Bemühungen u m eine grundlegende Reform der niederländischen Kriminalpolitik gelegt. Wegen der Vielzahl der Änderungen und Ergänzungen, die sich über den gesamten Text erstrecken, ist darauf verzichtet worden, jeweils i m einzelnen die Eingriffe des Bearbeiters auszuweisen, doch sind sie i n der Regel an dem mitgeteilten Datum der eingearbeiteten Gesetzesänderungen oder Entscheidungen sowie dem Erscheinungsjahr der nachgetragenen Literatur erkennbar. Die Schwierigkeit der deutschen Fassung der Beiträge zum „Ausländischen Strafrecht der Gegenwart" liegt naturgemäß darin, für die Begriffsbildungen des fremden Rechts die ihrer spezifischen Bedeutung entsprechenden Ausdrücke i n der deutschen Sprache zu finden. Gerade bei Sprachen, die wie die niederländische und die deutsche nahe verwandt sind, besteht die Gefahr, durch sprachliche Gleichsetzung von Begriffen inhaltliche Veränderungen vorzunehmen, die dem Sinn des Ausdrucks i n der niederländischen Rechtssprache nicht gemäß sind. Der Bearbeiter hat deshalb bewußt Rechtsbegriffe der deutschen Dogmatik nur zurückhaltend verwendet und häufig wörtliche Übertragungen vorgezogen, um dadurch die auch i n der Sache unterschiedliche Terminologie anzuzeigen. So w i r d beispielsweise i n der Regel nicht von „Tatbestand" gesprochen, sondern der i n der niederländischen Dogmatik übliche Begriff „Deliktsumschreibung" beibehalten, der alle i n die Strafvorschrift aufgenommenen Voraussetzungen der Strafbarkeit umfaßt. Diese Merkmale werden demgemäß auch nicht als „Tatbestandsmerkmale" bezeichnet, zumal i n der niederländischen Dogmatik zwischen „Elementen" und „Bestandteilen" der Deliktsumschreibung unterschieden wird. Bei den Elementen handelt es sich nach der vom Bearbeiter befolgten Begriffsbildung u m i n der Strafvorschrift ausdrücklich genannte Merkmale, bei den Bestandteilen u m die all-
Vorwort
gemeinen ungeschriebenen Voraussetzungen der Strafbarkeit wie Rechtswidrigkeit und die Schuld. Weitere Beispiele unterschiedlicher Terminologie t r i f f t der Leser vor allem i m Rahmen der Teilnahmeund Schuldlehre an. Das hier dargestellte niederländische Strafrecht beruht zwar auf einem Strafgesetzbuch, das am 1. September 1976 neunzig Jahre i n K r a f t ist. Dieses Recht hat jedoch durch zahlreiche Novellengesetze längst die Wende von der klassischen Richtung zur modernen K r i m i nalpolitik vollzogen. Dabei sind Wege zur Bewältigung neuer K r i m i nalitätsphänomene beschritten worden, die allgemeine Beachtung verdienen und zum Teil auch schon gefunden haben. Für den Rechtsvergleicher, der an dem umfassenden Reformwerk der Gegenwart m i t w i r k t , bietet das niederländische Strafrecht einen reichen Vorrat an Lösungsmöglichkeiten, die sich unter voller Wahrung der Rechtsstaatlichkeit durch Eigenständigkeit, Einfachheit und Praktikabilität auszeichnen sowie das große Vertrauen der Rechtsgemeinschaft i n die Justiz erkennen lassen. Die jüngsten Beispiele hierfür bilden die anstehende Reform der Geldstrafe, die i n ihrer zukünftigen Form ein Gegenstück zum Tagessatzsystem darstellen wird, und die jetzt verwirklichte Einführung der Strafbarkeit von Personenverbänden i m allgemeinen Strafrecht, nachdem sich diese Neuerung i m Wirtschaftsstrafrecht bewährt hat. Die Darstellung des niederländischen Strafrechts durch Willem P. J. Pompe möge nicht nur den bedeutenden Beitrag unserer Nachbarn zur europäischen Rechtskultur i n deutscher Sprache bekannt machen, sondern auch den Namen eines großen niederländischen Juristen festhalten, der nach den Jahren der Entfremdung daran mitgewirkt hat, die Verbindung zur deutschen Strafrechtswissenschaft wiederherzustellen. Hans-Heinrich
Jescheck
Inhaltsverzeichnis Erster
Teil
Geschichte und Quellen des niederländischen Strafrechts §1
Die Zeit vor dem Strafgesetzbuch v o n 1886
17
§2
Das Strafgesetzbuch von 1886
20
§3
Die wichtigsten Änderungen seit 1886 u n d neue Vorhaben
22
§4
Die Quellen des niederländischen Strafrechts
44
§5
Textausgaben, L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung
46
Zweiter
Teil
Allgemeiner Teil des Strafrechts §6
Vorbemerkung zur Darstellung
52
Erstes K a p i t e l Die Strafbarkeit Erster Abschnitt:
von Tat und Täter
Die Straftat
§7
Straftat u n d Gesetz
53
§8
Verbrechen (misdrijven) u n d Übertretungen (overtredingen)
55
§9
Die gesetzliche Definition der Straftat
57
§ 10 Zeit u n d Ort der Straftat
60
§11 Der Kausalzusammenhang
61
Zweiter
Abschnitt:
Rechtswidrigkeit u n d Schuld
§ 12 Die Rechtswidrigkeit
62
§13 Gesetzliche Vorschrift u n d amtlicher Befehl
67
§ 14 Die Notwehr
69
§15 Der Notstand (overmacht)
72
§16 Die Schuld
74
§17 Vorsatz u n d Fahrlässigkeit
75
Inhaltsverzeichnis § 18 Das Verhältnis von Vorsatz u n d Fahrlässigkeit zu den Tatbestandselementen der Straftat u n d zur Hechtswidrigkeit
13 76
§ 19 Der Vorsatz
78
§ 20 Die Fahrlässigkeit
82
§21 Die Zurechenbarkeit
83
§ 22 Schuldunfähigkeit (Zurechnungsunfähigkeit) infolge mangelnder Entwicklung oder krankhafter Störung der Geistesfähigkeiten
85
§ 23 Mangelnde oder eingeschränkte Schuldfähigkeit aufgrund jugendlichen Lebensalters
89
Dritter
Abschnitt:
Die besonderen Erscheinungsformen der Straftat
§ 24 Die allgemeine Ausweitung der Strafbarkeit
90
§25 Der Versuch
91
§26 Täterschaft u n d Teilnahme
95
§ 27 Die mittelbare Täterschaft §28 Die Mittäterschaft
99 101
§29 Die Anstiftung
103
§30 Die Beihilfe
107
§ 31 Das Zusammentreffen von Straftaten
109
Zweites K a p i t e l Strafen und Maßregeln § 32 Die Entwicklung des Strafen- u n d Maßregelsystems Erster Abschnitt:
112
Das allgemeine Strafensystem
§ 33 Überblick über die gesetzliche Regelung
113
§34 Die Gefängnisstrafe
115
§35 Die Haft
116
§ 36 Die Geldstrafe
117
§37 Die Nebenstrafen
118
§ 38 Die bedingte Verurteilung
120
Zweiter Abschnitt:
Besondere Strafen u n d Maßregeln für bestimmte Personengruppen
§ 39 Die strafrechtliche Behandlung v o n Jugendlichen
122
§ 40 Geisteskranke u n d Psychopathen
124
§41 Gefährliche Rückfalltäter
127
Inhaltsverzeichnis Dritter
Abschnitt:
Institutionen zur Rehabilitation des Straftäters
§42 Die Reklassierung
127
§43 Das Strafregister
129
Drittes K a p i t e l Die Strafverfolgungs-
und
Strafvollstreckungsvoraussetzungen
§44 Die Verfolgbarkeit
130
§45 Die Vollstreckbarkeit
139
Dritter
Teil
Die einzelnen Straftaten des Strafgesetzbuches § 46 Vorbemerkung zur Darstellung
140
Erstes K a p i t e l Straftaten
gegen Staat und Gesellschaft
§47 Straftaten gegen die Sicherheit des Staates
142
§ 48 Straftaten gegen die königliche Würde und gegen Oberhäupter u n d Vertreter befreundeter Staaten
145
§ 49 Straftaten gegen die Ausübung von Staatspflichten u n d -rechten . . 146 § 50 Straftaten gegen die öffentliche Ordnung
147
§ 51 Der Zweikampf
157
§ 52 Straftaten gegen die allgemeine Sicherheit von Personen u n d Sachen 159 § 53 Straftaten gegen die Staatsgewalt
164
§ 54 Straftaten gegen das öffentliche Vertrauen
171
§ 55 Straftaten gegen den Personenstand u n d die Ehe
177
§ 56 Straftaten gegen die Sitten
178
§57 Das Verlassen Hilfsbedürftiger
186
Zweites K a p i t e l Straftaten
gegen Personen
§ 58 Straftaten gegen die Ehre
187
§ 59 Die Verletzung von Geheimnissen
190
§ 60 Straftaten gegen die persönliche Freiheit
191
§ 61 Straftaten gegen das Leben u n d die Gesundheit
194
Inhaltsverzeichnis
15
Drittes K a p i t e l Straftaten
gegen das Vermögen
§62 Diebstahl u n d Feldfrevel
200
§63 Erpressung
203
§64 Unterschlagung
205
§65 Betrug
206
§ 66 Benachteiligung von Gläubigern oder Berechtigten
213
§67 Sachbeschädigung
216 Viertes K a p i t e l Die übrigen
Straftaten
§68 Straftaten i m A m t
217
§ 69 Straftaten gegen die Schiff- u n d L u f t f a h r t
225
§70 Hehlerei
234
Vierter
Teil
Einige wichtige strafrechtliche Nebengesetze §71 Das Militärstrafrecht
238
§72 Das Wirtschaftsstrafrecht
240
§ 73 Das Straßenverkehrsstrafrecht
244
Abkürzungeverzeichnis a. F. avas DeD Diss. H. H. i. d .F. i. V. m. mgv MOB n. F. N. J. NJB nl. B G B nl. GrundG nl. GVerfG nl. H G B nl. M i l i t ä r disziplinarG nl. M i l i t ä r S t G B nl. StGB nl. StPO nl. StVG nl. StVO nl. WirtschaftsstrafG StBl. StGB T. v. S. VO W.
zstw
alte Fassung afwezigheid van alle schuld (Fehlen jeglicher Schuld) D e l i k t en D e l i n k w e n t (zitiert nach Jahr u n d Seite) Dissertation Höge Baad (oberstes Gericht der Niederlande m i t Sitz i n Den Haag) i n der Fassung i n Verbindung m i t maandblad geestelijke volksgezondheid (zitiert nach Jahr u n d Seite) Medisch Opvoedkundig Bureau neue Fassung Nederlandse Jurisprudentie (zitiert nach Jahr u n d Seite oder Nummer) Nederlands Juristenblad (zitiert nach Jahr u n d Seite) niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch (Burgerlijk W e t boek) niederländisches Grundgesetz (Grondwet) niederländisches Gerichtsverfassungsgesetz (Wet op de rechterlijke organisatie) niederländisches Handelsgesetzbuch (Wetboek van koophandel) niederländisches Militärdisziplinargesetz (Wet op de krijgstucht) niederländisches Militärstrafgesetzbuch (Wetboek van m i l i t a i r strafrecht) niederländisches Strafgesetzbuch (Wetboek van strafrecht) niederländische Strafprozeßordnung (Wetboek van strafvordering) niederländisches Straßenverkehrsgesetz (Wegenverkeerswet) niederländische Straßenverkehrsordnung (Wegenverkeersreglement) niederländisches Wirtschaftsstrafgesetz (Wet op de economische delicten) Staatsblad v a n het K o n i n k r i j k der Nederlanden (zitiert nach Jahr u n d Nummer) Strafgesetzbuch (deutsch) Tijdschrift voor Straf recht (zitiert nach Jahr u n d Seite) Verordnung Weekblad v a n het recht (zitiert nach Nummer) Zeitschrift f ü r die gesamte Strafrechtswissenschaft (zitiert nach Band, Jahr u n d Seite)
Erster
Teil
Geschichte und Quellen des niederländischen Straf rechts § 1 Die Zeit vor dem Strafgesetzbuch von 1886
I m frühen Mittelalter galt germanisches Strafrecht, das von den drei vorherrschenden Stämmen, die die Niederlande bewohnten, entwickelt worden war, den Franken, Friesen und Sachsen. Dieses Volksrecht ist i n den leges barbarorum aufgezeichnet; für die Niederlande vor allem i n der lex Salica, der lex Frisionum und der lex Saxonum. Daneben galten für die Gebiete der Niederlande, die zum fränkischen Reich gehörten, Kapitularien, ein Obrigkeitsrecht, das von den fränkischen Königen erlassen war. I m späteren Mittelalter war der Stammesverband verschwunden und das fränkische Reich zerbröckelt. Damals galten für die verschiedenen Territorien und Städte Land- und Stadtrechte: das mittelniederländische Recht. I n dem „Rechtsbuch von Den Briel" hat Jan Matthijssen 1 dieses Recht für die holländische Stadt Den Briel beschrieben. Das Strafrecht wurde i m Mittelalter auch vom kanonischen Recht beeinflußt. Gegen Ausgang des Mittelalters erhielt das römische Recht stetig wachsende Bedeutung für die Niederlande. Deutlich t r i t t dies i n dem bekannten Werk von Joost de Damhoudere aus Brügge hervor, dessen „Praxis rerum criminalium" mehrere Auflagen i n lateinischer (1554), niederländischer und französischer Sprache (1555) erfuhr. Später hat sich herausgestellt, daß dieses Werk ein Plagiat des Buches „Practijcke Crimineele" von Philips Wielant aus Gent war, das u m 1500 geschrieben, jedoch erst 1872 herausgegeben wurde. A u f der Grundlage des römischen Strafrechts schrieb der Utrechter Hochschullehrer Anthonius Matthaeus II sein bekanntes Werk „De criminibus" (1664). 1 J. Matthijssen, Het Rechtsboek v a n den Briel, u m 1405. Eine Neuausgabe von J. A. Fruin u. M. S. Pols i n : Werken der Vereeniging tot uitgave der bronnen van het oude Vaderlandsche recht, Erste Reihe, Nr. 1 erschien 1880 i n Den Haag. Dieses älteste erhaltene Werk, i n dem u. a. Straf- u n d Strafprozeßrecht behandelt w i r d , ist ausführlich besprochen i n : J. Ph. De Monté Verloren, Geschiedenis van de wetenschap v a n het strafrecht en strafprocesrecht i n de noordelijke Nederlanden vóór de codificatie, Amsterdam 1942, S. 4 - 1 1 .
2 Ausländisches Strafrecht V
18
D s niederländische Strafrecht
Von einem einheitlichen niederländischen Strafrecht konnte auch i n der neuen Zeit noch nicht die Rede sein. Die niederländischen Provinzen gelangten erst i m sechzehnten Jahrhundert zur staatlichen Einheit. Diese Einheit blieb auf die nördlichen Gebiete, die etwa den heutigen Niederlanden entsprechen, beschränkt. Die burgundischen Fürsten hatten i m fünfzehnten Jahrhundert begonnen, alle Gebiete der gegenwärtigen Benelux-Staaten unter ihre Herrschaft zu bringen. Ende des fünfzehnten Jahrhunderts gingen diese burgundischen Gebiete aufgrund der Heirat von Maximilian von Österreich mit Maria von Burgund auf das Haus Habsburg über. Dem Enkel von Maximilian, Karl V. y gelang es i n der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, alle Gebiete der gegenwärtigen Benelux-Staaten unter seiner Herrschaft zu vereinigen. Durch die Heirat seines Vaters — Philipps des Schönen — war Karl V. zugleich Erbfolger des spanischen Throns. Unter der Regierung seines Sohnes Philipp II. begann der Aufstand, der sogenannte achtzigjährige Krieg (1568 -1648). Er fand mit der Unabhängigkeit der sieben niederländischen Provinzen seinen Abschluß i n der Republik der Vereinigten Niederlande, während das gegenwärtige Belgien unter der spanischen, später wieder der habsburgischen Herrschaft verblieb. Rechtseinheit wurde i n der Republik der Vereinigten Niederlande indes nicht erreicht, denn sie war ein Staatenbund, i n dem jede Provinz ihr eigenes Recht beibehielt. Versuche zur Vereinheitlichung des Strafrechts, die unter Philipps Landvogt Alba 1570 unternommen wurden, hatten wegen des damals begonnenen Aufstands nur umstrittenen Erfolg. Sie bestanden aus zwei Kriminalordonnanzen m i t vornehmlich strafprozessualen Vorschriften, die von dem niederländischen Juristen Viglius van Aytta verfaßt waren. Die „Constitutio Criminalis Carolina", die i m Jahre 1532 unter der Regierung des deutschen Kaisers Karl V. zustande gekommen war, kann i n den Niederlanden nicht als geltendes Recht angesehen werden. Die Einheit des niederländischen Strafrechts wurde vielmehr erst zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts unter dem Einfluß Frankreichs und durch das Gedankengut der französischen Revolution von 1789 erreicht. Über das Strafrecht der einzelnen Provinzen aus der Zeit der Republik, vor allem aus der bedeutendsten Provinz Holland, die die heutigen Provinzen Nord- und Südholland umfaßt, gibt es verschiedene zeitgenössische Bücher. Ich nenne nur zwei: der berühmte Hugo Grotius (Hugo de Groot) schrieb 1631 seine „Inieidinge tot de Hollandsche Rechts-Geleerdheid" (Einführung i n die holländische Rechtsgelehrtheit), die in Buch I I I , Teil 32 - 39 über „Verbintenisse u i t misdaed" (Verbindlichkeiten aus Verbrechen) handelt. Der bekannte Hochschullehrer
§ 1 Die Zeit v o r dem Strafgesetzbuch v o n 1886
19
aus Franeker (Friesland) Ulrik Hub er schrieb 1686 „Heedendaegse Rechtsgeleertheyt, soo eiders als i n Friesland gebruikelijk" (Heutige Rechtsgelehrtheit i n Friesland und anderenorts). Das Strafrecht der Republik hat für das erste niederländische Strafgesetzbuch noch Bedeutung gehabt, i m Laufe des neunzehnten Jahrhunderts jedoch haben die neuen, vor allen Dingen französischen Auffassungen den Einfluß des alten niederländischen Strafrechts verdrängt. Dieses erste niederländische Strafgesetzbuch „Crimineel Wetboek voor het Koningrijk Holland" entstand 1809 während der kurzen Zeit, i n der der Bruder Napoleon Bonapartes, Louis Napoleon, König von Holland war. Merkwürdigerweise trägt dieses Gesetzbuch trotz der engen staatlichen Verknüpfung m i t Frankreich niederländische Züge, die an das S traf recht der Republik anschließen. I m Jahre 1811 wurden die Niederlande dem französischen Reich einverleibt und das „Crimineel Wetboek" durch den „Code pénal" von 1810 ersetzt. Nach der Befreiung i m Jahre 1813 blieb der Code i n Erwartung eines eigenen niederländischen Gesetzbuches vorläufig i n Kraft. Diese Übergangslösung dauerte bis zur Einführung unseres heutigen Strafgesetzbuches i m Jahre 1886. Zwar wurde der i n den Niederlanden geltende „Code pénal" i n den fünfundsiebzig Jahren seiner Anwendung wesentlich geändert, er eignete sich jedoch keineswegs als Kodifikation eines niederländischen Strafrechts. A n Versuchen, zu einem neuen Gesetzbuch zu gelangen, hatte es zwischenzeitlich nicht gefehlt. Der erste Entwurf, der sich an das „Crimineel Wetboek" von 1809 und damit an die niederländische Tradition anschließt, stammt schon aus dem Jahre 1815. A u f der Grundlage dieses Entwurfs wurde der Volksvertretung i m Jahre 1827 eine neue Gesetzesvorlage unterbreitet. Sie stieß jedoch auf eine solche Ablehnung, daß die Regierung sie zurücknahm. Die schärfste K r i t i k wurde von den Volksvertretern aus dem jetzigen Belgien geübt. I m Jahre 1815 w u r den nämlich die Niederlande, Belgien und Luxemburg aufgrund der Entscheidung des Vertrages von Wien zu einem Königreich zusammengeschlossen. Während die (nördlichen) Niederlande erst 1811 von Frankreich einverleibt worden waren, hatte Belgien dieses Schicksal schon 1795 ereilt. Für die Belgier war daher das französische Strafrecht gewissermaßen schon heimisch geworden, so daß sie einem Gesetzbuch unter Einfluß des alten Strafrechts der Republik keine Sympathie entgegenbringen konnten. Die K r i t i k von belgischer Seite hat dazu beigetragen, daß die Entwicklungslinie des niederländischen Strafrechts unterbrochen worden ist. Obwohl sich Belgien 1830 von den Niederlanden lossagte, haben die Belgier i n bedeutendem Maße daran mitgewirkt, unser Strafrecht am französischen „Code pénal" zu orientieren. I n den 2·
20
D s niederländische Strafrecht
Jahren 1839 -1842 wurden aufs neue Strafgesetzentwürfe eingereicht, die sogar vereinzelt angenommen, aber nicht eingeführt wurden. Ebenfalls 1847 und 1859 wurden Entwürfe vorgelegt, sie erlangten jedoch gleichfalls keine Gesetzeskraft. Schließlich wurde 1870 eine Staatskommission gebildet, die 1875 dem Justizminister einen Entwurf für ein Strafgesetzbuch unterbreitete. 1881 verabschiedete die Volksvertretung den Entwurf, und 1886 folgte die Inkraftsetzung. § 2 Das Strafgesetzbuch von 1886
Das Strafgesetzbuch von 1886 ist maßgeblich von A. E. J. Modderman geprägt. Man kann es als sein Lebenswerk ansehen. I m Jahre 1863 promovierte Modderman m i t einer Arbeit über die Reform der Strafgesetzgebung la . I m folgenden Jahr wurde er Hochschullehrer für Strafrecht i n Amsterdam und wechselte sechs Jahre später nach Leiden. Er war Mitglied der Staatskommission von 1870 zur Vorbereitung des neuen Gesetzbuches. Als Justizminister verteidigte er 1880 und 1881 die Gesetzesvorlage i n beiden Häusern des Parlaments. Es war ihm jedoch nicht vergönnt, die Inkraftsetzung des Gesetzes i m Jahre 1886 mitzuerleben. Seine von dem deutschen Philosophen Krause stark beeinflußte, ideal gesinnte Persönlichkeit, die Widersprüche zu versöhnen suchte, war von großer Bedeutung für Wesen und Inhalt des Gesetzbuches. Verständlicherweise haben die französische Rechtsprechung und — wenn auch i n geringerem Umfang — die französische Literatur das niederländische Strafrecht und seine Anwendung während der Geltung des Code pénal beeinflußt. Zur selben Zeit, vor allem aber nach I n krafttreten des Gesetzbuches, machte sich auch der Einfluß der deutschen Literatur i n stets zunehmendem Maße bemerkbar. Das Strafgesetzbuch selbst ist zwar mehr dem Vorbild des „Code pénal" von 1810 als dem des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 gefolgt. Die von der niederländischen Strafrechtswissenschaft vertretenen Lehren aber wurden i n starkem Maße durch die deutsche Strafrechtsliteratur und damit indirekt auch durch das deutsche Strafgesetzbuch beherrscht, an das diese Literatur anknüpft. Die zwei führenden Autoren der Zeit nach 1886, der Amsterdamer Hochschullehrer G. A. van Hamel und der Utrechter Hochschullehrer D. Simons, übernahmen verschiedene Begriffe und Theorien aus der deutschen Literatur. Der sog. bedingte Vorsatz ist ein Beispiel dafür. Die Rechtsprechung ging indes oftmals einen anderen l a A. J. E. Modderman, D e hervorming onzer Strafwetgeving. Kritische beschouwing der w e t van 29 J u n i 1854 (Staatsblad n ° 102), T e i l I, Diss. L e i den-Den Haag 1863. E i n weiterer Band ist nicht erschienen.
§ 2 Das Strafgesetzbuch v o n 1886
21
Weg. Die Lehre vom bedingten Vorsatz etwa wurde von der Rechtsprechung des Höge Raad, des höchsten Gerichts der Niederlande, erst i m Jahre 1950 übernommen. Obwohl ausländische Einflüsse deutlich erkennbar sind, hat das niederländische Strafrecht doch eigene Züge. Es ist nicht leicht, sie i n wenigen Sätzen hinreichend zu beschreiben. Einige kennzeichnende Wesenszüge w i l l ich anzudeuten versuchen. Sie hängen m i t dem niederländischen Volkscharakter zusammen. Ich entnehme sie einer Darlegung, die Modderman als Antwortnote der Ersten Kammer vorlegte l b . Das Gesetzbuch ist einfach. Die Straftaten sind nicht i n drei, sondern lediglich i n zwei Kategorien eingeteilt, nämlich i n Verbrechen (misdrijven) und Übertretungen (overtredingen). Es gibt nur drei Hauptstrafen: Gefängnisstrafe für Verbrechen, Haft für als Verbrechen eingestufte Fahrlässigkeitstaten und Übertretungen, Geldstrafe für beide Kategorien. Ein bedeutsames Wesensmerkmal des niederländischen Gesetzbuchs und zugleich ein sprechendes Beispiel für seine Einfachheit liegt darin, daß besondere Minima für die einzelnen Straftaten unbekannt sind. Der Gesetzgeber beschränkt sich darauf, bei jeder Straftat das Höchstmaß der Strafe festzulegen. Bestimmungen über Strafmilderungsgründe, die es dem Richter ermöglichen, den Strafrahmen nach unten zu durchbrechen, fehlen deshalb i m Gesetz. Das Gesetzbuch ist ferner u m praktische Lösungen bemüht. Die Praktikabilität i m Sinne von Iherings steht i m Vordergrund, theoretische Überlegungen und logische Schlußfolgerungen bleiben dahinter zurück. Die Teilnahmeformen etwa sind i n zwei Hauptgruppen unterteilt, nämlich Täter, worunter auch die Anstifter zu zählen sind, und Gehilfen. Das Gesetzbuch zeigt auch ein großes Vertrauen in die Gerichtsbarkeit. So gewährt das Fehlen gesetzlicher Strafminima dem Richter einen großen Ermessensspielraum. Modderman nennt ferner noch die Liebe zur Gleichheit. Ein Beispiel hierfür könnte man darin sehen, daß eine besondere Strafart für nicht kriminelle Verbrechen, etwa den Zweikampf, oder seinerzeit für die politischen Verbrechen, also die Ehrenhaft, fehlt. Der Einfluß der Ideen von Modderman, die den allgemeinen niederländischen Auffassungen entsprechen, läßt sich auch daran erkennen, daß die Freiheitsstrafe weitgehend auf Besserung der Gefangenen gerichtet ist. Darum wurde die Zuchthausstrafe und der gesamte Unterlb Abgedruckt i n : H. J. Smidt, Geschiedenis v a n het Wetboek v a n strafrecht, Bd. I, Haarlem 1881, S. 16 - 22.
22
D s niederländische Strafrecht
schied zwischen entehrender und nicht entehrender Freiheitsstrafe, der i m französischen Code ausdrücklich aufrechterhalten ist, i n unser Gesetzbuch nicht übernommen. Moralische Werte zumal auf sexuellem Gebiet werden darüber hinaus i n unserem Gesetzbuch mehr als i m französischen Code geschützt. Modderman berief sich dabei auf niederländische Privatorganisationen, die sich die Bekämpfung von Prostitution, Alkoholismus und Tiermißhandlung zur Aufgabe gestellt hatten. Anschluß an private Initiative findet man bei der Anwendung des niederländischen Strafrechts vor allem auch i n der sog. Reklassierung der Delinquenten, einer aus privater Initiative geborenen Bewegung, die i n diesem Jahrhundert so großen Einfluß erlangt hat, daß ohne sie verschiedene Strafbestimmungen keine angemessene Anwendung finden könnten. Hierbei denke ich vor allem an die bedingte Verurteilung, die jedoch erst 1915 i n das Strafgesetzbuch aufgenommen wurde. § 3 Die wichtigsten Änderungen seit 1886 und neue Vorhaben 2
Das Strafgesetzbuch ist durch die Zeit gekennzeichnet, i n der es entstanden ist. Man kann sie als den Höhepunkt der klassischen Richtung bezeichnen. Das Strafrecht aus dieser Zeit ist ein Schuldstrafrecht m i t dem Vorbehalt, daß nur dann eine Tat unter Strafe gestellt wird, wenn dies i m Interesse der Gemeinschaft für zweckdienlich gehalten wird. 1886 hatte jedoch die sogenannte moderne Richtung i m Straf recht bereits begonnen, so daß das Strafgesetz damals schon i n einem gewissen Sinne veraltet war. I n einer Reihe von Änderungsgesetzen haben die Ideen dieser modernen Richtung ihren Ausdruck gefunden 3 . Ich nenne hier als die bedeutendsten: die Änderung des Jugendstraf rechts, mit der der Erziehungs2 Eine eingehende deutschsprachige Darstellung der Entwicklung des niederländischen Strafrechts seit dem Zweiten Weltkrieg bis Ende der sechziger Jahre geben W. C. van Binsbergen u n d F. Kuitenbrouwer, Neue E n t w i c k lungen i m holländischen Straf recht seit dem Zweiten Weltkrieg i n : Schweizerische Zeitschrift f ü r Strafrecht — Revue Pénale Suisse, Jg. 85 (1969), Heft 1, S. 1 - 4 8 . Außerdem ist auf J. M. van Bemmelen, Les développements récents du droit pénal néerlandais, i n : Revue d u droit pénal et de c r i m i nologie, 54. Jg. (1974), S. 307 - 322 hinzuweisen. 8 Die hier n u r angedeuteten Änderungsgesetze sind zum größten T e i l i m Sachzusammenhang näher besprochen u n d m i t vollständigem T i t e l u n d Fundstelle angegeben worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Wunsch nach Erneuerung verstärkt aufgetreten u n d hat zu einem grundlegenden Wandel i n der niederländischen K r i m i n a l p o l i t i k geführt. Uber die gesetzgeberischen Maßnahmen und Vorhaben aus dieser Zeit, die vornehmlich das Jugendstrafrecht, das Sanktionenrecht u n d das Gefängniswesen betreffen, w i r d am Ende dieser Ubersicht berichtet.
§ 3 Änderungen seit 1886 — neue Vorhaben
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gedanke vorherrschend wurde (Gesetze von 1901/1905 und 1961/1965); die Ausweitung der Möglichkeit einer bedingten Entlassung, die zuvor kaum praktische Bedeutung hatte; die Einführung der bedingten Verurteilung (1915); das Gesetz von 1925, das die Anwendbarkeit der Geldstrafe anstelle einer Freiheitsstrafe erweiterte; das Gesetz von 1925 (1928), durch das für sogenannte psychopathische Delinquenten die sichernde Maßnahme der Unterbringung i n einer Heil- und Pflegeanstalt (terbeschikkingstelling van de Regering) eingeführt wurde; drei Gesetze von 1929: das erste dehnte vor allem die Regelung der bedingten Verurteilung aus, das zweite brachte einige Änderungen i m Gefängniswesen und führte die Jugendgefängnisstrafe i n das Strafensystem ein (in Kraft 1939), das dritte Gesetz sah eine sichernde Maßnahme für Berufs- und Gewohnheitstäter neben der Strafe vor, ist aber bis heute noch nicht i n Kraft getreten. Neben diesen Änderungen, die sich auf einen Charakterwandel des Strafrechts i m Geiste der modernen Richtung beziehen, gibt es eine große Anzahl von Novellen, die mehr oder weniger durch die historische Situation zu erklären sind. So wurde anläßlich des Eisenbahnerstreiks i m Jahre 1903 der Streik von Beamten und Eisenbahnern unter Strafe gestellt. Ein Gesetz von 1920 brachte eine Reihe von Strafbestimmungen zur Bekämpfung revolutionärer Umtriebe, die damals vor allem von kommunistischer Seite drohten. Ebenso wurden i m Jahre 1934 Vorkehrungen zum Schutze der öffentlichen Ordnung aufgrund der nationalsozialistischen Unruhen getroffen. I n den Jahren 1951 und 1952 sind dann verschiedene Strafgesetze i m Zusammenhang mit dem Kalten Krieg erlassen worden: das w o h l wichtigste darunter aus dem Jahre 1952 faßt die gesamte Materie des Kriegsstrafrechts i n einem besonderen Gesetz zusammen. I m Zusammenhang situationsbedingter Änderungen können ferner die Straftatbestände zum Schutze der internationalen Luftfahrt angeführt werden, die durch spektakuläre Flugzeugentführungen veranlaßt und i n Ausführung der internationalen L u f t fahrtabkommen von Den Haag (1970) und Montreal (1971) i n das Strafgesetzbuch aufgenommen wurden 4 . Andere aktuelle Vorkommnisse lösten eine Reihe von Reformvorschlägen aus, die sich zum Teil noch i m Gesetzgebungsverfahren befinden, zum Teil aber auch nach näherer Prüfung wieder fallengelassen wurden. Die i n Vietnamdemonstrationen 4 Einschlägig sind die Gesetze v o m 16. M a i 1969, StBl. 224; 31. März 1971, StBl. 166 u n d 10. M a i 1973, StBl. 228. Neben zahlreichen Erweiterungen bestehender Strafbestimmungen zum Schutze v o r Beeinträchtigungen der Sicherheit der Schiffahrt und des öffentlichen Verkehrs auf Vorfälle i m F l u g verkehr w u r d e n die A r t . 385 a - c neu i n das Strafgesetzbuch eingefügt. A u s führlich dazu J. A. Borman, N i e u w straf recht tegen luchtpiraterij, i n : Ars aequi 1973, S. 402 ff. u n d M. R. M,ok, De s t r i j d tegen de luchtpiraterij, i n : N J B 1973, S. 837 ff. und 879 ff.
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erfolgte Verunglimpfung des amerikanischen Präsidenten als Mörder zog einige Strafverfahren wegen Beleidigung von Oberhäuptern befreundeter Staaten i m Sinne des Artikels 117 nl. StGB nach sich und setzte eine lebhafte Diskussion über die Beleidigungstatbestände allgemein und insbesondere die Beleidigung von Vertretern ausländischer Mächte i n Gang 5 . Die Häufung von Fällen falschen Bombenalarms i n den Jahren 1971 und 1972 (insgesamt mehr als 1200) ließ den Ruf nach einer speziell dagegen gerichteten Strafbestimmung aufkommen. Nach gründlicher Sichtung des Materials zeigte sich jedoch, daß alle aufgeklärten Fälle auch ohne eine solche Bestimmung hinreichend strafrechtlich verfolgt werden konnten. Ein echtes Bedürfnis für dieses Vorhaben wurde daraufhin verneint 6 . Die Besetzung unbewohnter Häuser schließlich, denen m i t dem Tatbestand des Hausfriedensbruchs nicht wirksam strafrechtlich begegnet werden konnte 7 , führte zu einem Gesetzentwurf, der die strafrechtliche Verfolgbarkeit sicherstellen soll 8 . Ferner w i r d aller Voraussicht nach die Rechtsprechung des Höge Raad zum Verbergen von Minderjährigen nach A r t . 280 nl. StGB, dessentwegen sich Mitarbeiter bestimmter sozialer Hilfsorganisationen (Sosjale Joenit; Pro Juventute) zu verantworten hatten, weil sie von zuhause entlaufenen minderjährigen Mädchen Schutz auch vor polizeilichen Nachforschungen gewährten, zu einer Gesetzesänderung führen. I m Rahmen der parlamentarischen Behandlung des Justizhaushalts 1975 wurde jedenfalls der Justizminister aufgefordert, eine Änderung dieser Strafbestimmung i n dem Sinne vorzubereiten, daß solche Organisationen nicht mehr zur M i t w i r k u n g an der Rückführung entlaufener Minderjähriger gezwungen werden können 83 ·. 5 Z u r Vorbereitung einer Gesetzesänderung wurde 1968 eine Arbeitsgruppe unter Leitung des seinerzeitigen Generalstaatsanwalts beim Höge Raad, G. E. Langemeijer, eingesetzt. A u f der Grundlage ihres Berichts wurde am 8. A p r i l 1971 ein Gesetzentwurf über eine Neuregelung der strafbaren Beleidigung eingereicht (Parlamentsdrucksache 11.249, Nr. 1 ff.). β Vgl. die Begründung zum Reichshaushalt 1975 — Hauptteil V I — Justiz, Parlamentsdrucksache 13.100, Nr. 2, S. 11 unter 29. 7 Der Höge Raad hatte i n seinem U r t e i l v o m 2. Februar 1971, N. J. 1971, 385 die Besetzung einer leerstehenden Wohnung i m konkreten F a l l als nicht wegen Hausfriedensbruchs strafbar angesehen, w e i l das Gesetz den tatsächlichen Gebrauch des angegriffenen Objekts als Wohnung voraussetze. Später (Urteil v o m 16. November 1971, N. J. 1972, 61) hat er auch die Qualifikat i o n als Eindringen i n einen geschlossenen Raum abgelehnt. 8 Durch Königliche Verfügung v o m 7. März 1973 wurde bei der Zweiten K a m m e r ein Gesetzentwurf eingebracht m i t dem Ziel, die Gesetzeslücke zu schließen, u m drohendem Selbstschutz vorzubeugen (Parlamentsdrucksache 12.305). Vorgeschlagen w u r d e ein Übertretungstatbestand (Art. 442 b) m i t einer maximalen Strafdrohung von zweihundert Gulden, mehr u m ein p o l i zeiliches Einschreiten, als u m strafrechtliche Repression zu ermöglichen. Motie Roethof u. a. v o m 6. Februar 1975, Parlamentsdrucksache 13.100 Nr. 24. Sie wurde i n der Sitzung v o m 11. Februar 1975 angenommen. Vgl. Handelingen der Tweede Kamer, Sitzungsperiode 1974 - 75, S. 2707. Vgl. auch S. 192 f.
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Über diese durch aktuelle Vorfälle ausgelösten Änderungen oder Änderungsvorschläge hinaus gibt es eine Anzahl neuer Strafbestimmungen, die durch technische Entwicklungen der Zeit und damit verbundener Häufung von Belästigungen veranlaßt sind. Zur Abwehr von Verletzungen des persönlichen Lebensbereichs mit Hilfe moderner A b hörgeräte und Ton- und Bildaufnahmetechniken wurden neue Strafbestimmungen geschaffen 9. Ob und welche Maßnahmen zur Sicherung dieses Bereichs i m Zusammenhang m i t dem Aufbau von Systemen für eine Personenregistration getroffen werden müssen, w i r d augenblicklich von einer Staatskommission untersucht 10 . I n diesen Zusammenhang gehören auch die wenigen Strafbestimmungen, die i m Rahmen der in zahlreichen Sondergesetzen i n den sechziger und siebziger Jahren intensivierten Umweltschutzgesetzgebung i n das Strafgesetzbuch gelangt sind. Es handelt sich u m die Tatbestände der vorsätzlichen oder fahrlässigen Gefährdung durch ionisierende Strahlen oder radioaktive Stoffe 11 sowie u m die vorsätzliche oder fahrlässige Verschmutzung von oberirdischen Gewässern ohne behördliche Genehmigung 12 . Von wiederum anderer Beschaffenheit sind einige Gesetzesänderungen, die i n der niederländischen Parteipolitik Anlaß zu tiefgreifenden Zwistigkeiten gegeben haben. I m niederländischen Parteiwesen spielt nämlich die Konfession eine bedeutende Rolle. Es gibt drei große christliche Parteien, von denen zwei auf protestantischer und eine, noch größere, auf katholischer konfessioneller Grundlage stehen. Bis nach dem Ersten Weltkrieg bildeten diese drei Parteien eine Koalition, die mehrere Male die Regierung stellte. Eines ihrer Ergebnisse sind die so9 M i t dem ersten Gesetzentwurf (Parlamentsdrucksache 8.911) von 1966 sollte das Telephongeheimnis geschützt werden, der zweite (Parlamentsdrucksache 9.419) von 1967 richtete sich gegen das Abhören der Wohnung und gleichgestellter Räume u n d der d r i t t e (Parlamentsdrucksache 9.649) von 1968 verbot das Herstellen von photographischen Aufnahmen mittels List oder Kunstgriffs an einem nichtöffentlichen Ort. A l l e drei Entwürfe wurden i m Wet houdende enige strafbepalingen tot bescherming van de persoonlijke levenssfeer (Gesetz über einige Strafbestimmungen zum Schutze des persönlichen Lebensbereichs) v o m 7. A p r i l 1971 StBl. 180 zusammengefaßt, m i t dem die A r t . 139 a - 139 g u n d 441 a u n d 441 b i n das Strafgesetzbuch eingefügt wurden. 10 Die damit beauftragte Staatskommission Koopmans hat am 29. Januar 1974 einen Zwischenbericht herausgebracht: Privacy en persoonsregistratie. Interimrapport van de Staatscommissie bescherming persoonlijk levenssfeer i n verband met persoonsregistraties, Den Haag 1974. 11 Die A r t . 161 quater u n d 161 quinquies nl. StGB wurden durch das K e r n energiewet (Kernenergiegesetz) v o m 21. Februar 1963, StBl. 82 eingefügt u n d traten am 1. Januar 1970 i n K r a f t . 12 Die A r t . 173 a u n d 173 b nl. StGB w u r d e n durch Wet verontreiniging oppervlaktewateren (Gesetz über die Verschmutzung von oberirdischen Gewässern) v o m 13. November 1969, StBl. 536 eingefügt u n d traten am 1. Dezember 1970 i n K r a f t . Eine Neufassung ist durch das Gesetz v o m 5. J u n i 1975, StBl. 353 beschlossen, aber noch nicht i n K r a f t .
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genannten Sittlichkeitsgesetze von 1911, durch die die Strafbestimmungen für unzüchtige Handlungen i n erheblichem Maße erweitert worden sind. Die anderen konfessionsfreien Parteien widersetzten sich diesen Bestrebungen. Hauptsächlich richtete sich der Widerstand gegen die Erweiterung der Strafbarkeit des Handels m i t anstößigen oder die Jugend sexuell aufreizenden Schriften. Später hat dieser Widerstand nachgelassen. Die weitere Ausweitung der Strafbarkeit sexuellen Verhaltens durch das Gesetz von 1927, das i m Zusammenhang mit internationalen Verträgen zustandekam, und durch das Gesetz von 1936 erfolgte erheblich reibungsloser. I n diesen Zusammenhang kann man auch das Gesetz von 1932 einordnen, durch das bestimmte Äußerungen unter Strafe gestellt wurden, soweit sie religiöse Gefühle verletzten. Der politische Gegensatz zwischen rechts- und linksgerichteten Gruppen, der i n den Niederlanden vor dem Zweiten Weltkrieg durch konfessionelle Verschiedenheiten beherrscht war, hat auch bei anderen Strafgesetzen eine Rolle gespielt, vor allem bei der sogenannten Psychopathen-Gesetzgebung von 1925. Es ist hauptsächlich auf die Beharrlichkeit der rechtsstehenden — i n jener Zeit also der konfessionellen — Parteien zurückzuführen, daß bei zurechnungsfähigen — sei es auch vermindert zurechnungsfähigen — psychopathischen Kriminellen die sichernde Maßregel der Unterbringung i n einer Heil- oder Pflegeanstalt nur i n Verbindung m i t einer (evtl. minderen oder auch zur Bewährung ausgesetzten) Strafe auferlegt werden kann. I n neuerer Zeit ist indes eine größere Zurückhaltung gegenüber Tatbeständen zu beobachten, m i t denen moralische Wertvorstellungen fixiert werden. Die gesamten Sittlichkeitsstraftaten werden zur Zeit von einer dafür eingesetzten Kommission auf ihre heutige Strafwürdigkeit hin untersucht 13 . Einige Straftatbestände wurden bereits aus dem Strafgesetzbuch entfernt, w e i l sie nicht mehr der herrschenden Moral entsprechen. Als der Ehebruch als Scheidungsgrund i m bürgerlichen Recht wegfiel, wurde auch seine Strafbarkeit aufgehoben 14 . Als weitere Beispiele von Straftatbeständen, die seit kurzer Zeit nicht 13 Die Adviescommissie zedelijkheidswetgeving hat unter Leitung ihres neuen Vorsitzenden, Prof. M r . A. L. Melai bisher zwei Zwischenberichte herausgebracht. Der i n Den Haag 1973 erschienene zweite Zwischenbericht sieht vor, die Tatbestände der öffentlichen Verletzung des Schamgefühls (Art. 239 nl. StGB) u n d der Pornographie (Art. 240, 240 bis nl. StGB) stark einzuschränken u n d i m Strafmaß drastisch zu senken. Maßgeblich ist der Gedanke der Aufrechterhaltung des Jugendschutzes u n d Schutzes vor u n vermuteter Konfrontation neben der Wahrung der internationalen V e r pflichtungen durch ein E i n - u n d Ausfuhrverbot. 14 A r t . 241 nl. StGB wurde durch Wet tot w i j z i g i n g van de wetgeving naar aanleiding van de herziening v a n het echtscheidingsrecht (Gesetz zur Änder u n g der Gesetzgebung aus Anlaß der Reform des Scheidungsrechts) v o m 6. M a i 1971 (1. Oktober 1971), StBl. 291 aufgehoben.
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m e h r als s t r a f w ü r d i g angesehen w e r d e n u n d d e m z u f o l g e außer K r a f t gesetzt w u r d e n , k ö n n e n d i e H o m o s e x u a l i t ä t zwischen E r w a c h s e n e n u n d J u g e n d l i c h e n ü b e r sechzehn J a h r e n 1 5 u n d das V e r b o t d e r A n p r e i s u n g u n d des V e r k a u f s v o n e m p f ä n g n i s v e r h ü t e n d e n M i t t e l n a n M i n d e r j ä h r i g e 1 6 a n g e f ü h r t w e r d e n . E i n e A n p a s s u n g a n geänderte M o r a l v o r s t e l l u n g e n bezwecken auch d i e seit g e r a u m e r Z e i t d i s k u t i e r t e n Vorschläge z u e i n e r R e f o r m d e r V o r s c h r i f t e n ü b e r d i e A b t r e i b u n g 1 7 . Das A b t r e i b u n g s v e r b o t s o l l z w a r n i c h t w e g f a l l e n , jedoch d i f f e r e n z i e r t e r u n d enger gefaßt w e r d e n 1 8 . A u f d e r a n d e r e n Seite s i n d a l l e r d i n g s einige S t r a f b e s t i m m u n g e n w i e das V e r b o t d e r R a s s e n d i s k r i m i n i e r u n g h i n z u g e k o m m e n . A l s S t r a f g r u n d w i r d ζ. B . b e i d e r Rassen15 Der A r t . 248 bis nl. StGB w u r d e durch das Gesetz v o m 8. A p r i l 1971 (12. M a i 1971), StBl. 212 aufgehoben. 16 Durch Gesetz v o m 28. August 1969 (1. Januar 1970), StBl. 350 wurde A r t . 240 bis nl. StGB geändert u n d A r t . 451 ter nl. StGB aufgehoben. Die Rechtsetzungsbefugnisse provinzialer u n d gemeindlicher Gesetzgeber über empfängnisverhütende A r t i k e l w u r d e n ausgeschlossen bzw. eingeschränkt. 17 Mehrere Gesetzentwürfe sind bei der Zweiten K a m m e r anhängig: E i n Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Abgeordneten Lamberts 1 u n d Roethof v o m 25. J u n i 1970: Parlamentsdrucksache 10.719; ein Regierungsentwurf v o m 23. J u n i 1972: Parlamentsdrucksache 11.890 — i h m ging ein Zwischenbericht der Commissie Abortusvraagstuk unter L e i t u n g von Professor Dr. G. J. Kloosterman v o m 5. März 1971 voraus; der E n t w u r f ist inzwischen aufgrund einer Absprache der Parteien, die das K a b i n e t t Den U y l tragen, v o m A p r i l 1973 zurückgenommen worden (11.890, Nr. 6) — ; ein E n t w u r f der christdemokratischen Abgeordneten van Schaik u n d van Leeuwen v o m 23. Januar 1975: Parlamentsdrucksache 13.253 u n d ein E n t w u r f der liberalen Abgeordneten Veder-Smit u n d Geurtsen v o m 12. Februar 1975: Parlamentsdrucksache 13.302. Die sozialdemokratischen u n d liberalen Initiativnehmer haben unter Vorlage eines gemeinsamen Entwurfs ihre früheren Entwürfe am 6. M a i 1976 (Parlamentsdrucksache 13.909, Nr. 1 ff.) zurückgenommen. Z u welcher Lösung sich der Gesetzgeber durchdringen w i r d , ist trotz dieses sozialliberalen Gemeinschaftsentwurfs heute noch v ö l l i g offen. 18 Die eingebrachten Entwürfe suchen eine Lösung des Interessenkonflikts zwischen dem geistigen u n d körperlichen W o h l der Frau u n d dem Schutz des werdenden Lebens durch Einschaltung einer Beratungsphase, ohne sich auf eine Fristen- oder spezifizierte Indikationenregelung festzulegen. Der erste E n t w u r f w i l l die wichtigsten Abtreibungstatbestände streichen u n d überläßt die Entscheidung dem behandelnden A r z t i m Vertrauen auf die Disziplinaraufsicht, der Regierungsentwurf institutionalisierte ein Beratungsverfahren u n d verstärkte den Schutz des werdenden Lebens m i t f o r t schreitender Entwicklung, während der dritte E n t w u r f die unterschiedliche Schutzwürdigkeit i n den verschiedenen Entwicklungsstadien ablehnt u n d das vordringliche Interesse an der Erhaltung des werdenden Lebens i n den Vordergrund stellt. Der E n t w u r f der Liberalen schlägt eine Aufhebung der geltenden Abtreibungstatbestände (Art. 295 - 298 nl. StGB) u n d eine Neuregelung i n einem besonderen T i t e l X I X A Schwangerschaftsabbruch vor. D a r i n w i r d die Strafverfolgung v o n Ä r z t e n wegen Schwangerschaftsabbruch von der Nichtbefolgung von Vorschriften abhängig gemacht, die i n einem besonderen Gesetz über den Abbruch von Schwangerschaften geregelt werden. Die Aufsicht darüber w i r d einer Kommission anvertraut. N u r auf deren A n t r a g k a n n eine Strafverfolgung stattfinden. Der Gemeinschaftse n t w u r f hält i m wesentlichen an diesem System fest.
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d i s k r i m i n i e r u n g a n g e f ü h r t , daß „ d i e h e r r s c h e n d e n A u f f a s s u n g e n ü b e r M o r a l sie n i c h t l ä n g e r e r d u l d e t e n " 1 9 . A u c h a u f eine A u s d e h n u n g des s t r a f r e c h t l i c h e n Tierschutzes k a n n i n diesem Z u s a m m e n h a n g h i n g e wiesen werden 20. Neben diesen d u r c h a k t u e l l e A n l ä s s e oder d u r c h e i n e n W a n d e l der herrschenden M o r a l a u f f a s s u n g e n v e r u r s a c h t e n R e f o r m e n der S t r a f t a t b e s t ä n d e des Strafgesetzbuchs i s t i n d e r Z e i t nach d e m Z w e i t e n W e l t k r i e g eine ganze R e i h e v o n V e r ä n d e r u n g e n z u verzeichnen, m i t d e n e n L ü c k e n geschlossen, V e r b e s s e r u n g e n e r z i e l t oder l a n g gehegte R e f o r m v o r h a b e n r e a l i s i e r t w u r d e n . So w u r d e n d u r c h eine E r w e i t e r u n g d e r S t r a f b e s t i m m u n g ü b e r G e h e i m n i s v e r l e t z u n g e n i n A r t . 272 n l . S t G B d i e ü b e r v i e l e Einzelgesetze v e r s t r e u t e n S t r a f v o r s c h r i f t e n gleichen I n h a l t s a b g e l ö s t 2 1 . U n t e r d e n n e u e n V e r b r e c h e n s t a t b e s t ä n d e n ist d i e nach l a n g e r A n l a u f z e i t i n das Strafgesetzbuch a u f g e n o m m e n e a k t i v e u n d passive Bestechung v o n A r b e i t n e h m e r n e r w ä h n e n s w e r t , die n i c h t B e a m t e s i n d 2 2 . Z u m Schutze b e s t i m m t e r akademischer T i t e l 2 3 , z u r V e r h i n d e r u n g v o n M i ß b r ä u c h e n m i t d e m W a p p e n d e r schweizerischen E i d genossenschaft 2 4 s o w i e z u r G e w ä h r l e i s t u n g d e r h a n d e l s r e c h t l i c h e n V o r 19 J. M. van Bemmelen, Positieve criteria voor strafbaarstelling, i n : Speculum Langemeijer, Zwolle 1973, S. 1 ff. (13). Die A r t . 137 c, 137 d und 137 e nl. StGB wurden durch das Gesetz v o m 18. Februar 1971, StBl. 96 zur A u s führung des internationalen Vertrags v o n New Y o r k v o m 7. März 1966 über die Ausschaltung der Rassendiskriminierung eingefügt. 20 Durch das Wet op de dierenbescherming (Tierschutzgesetz) v o m 25. Januar 1961 (1. März 1961), StBl. 19 fiel die Straflosigkeit des Versuchs der T i e r quälerei weg, wurde die fahrlässige Begehungsweise allgemein unter Strafe gestellt u n d der Katalog der Tathandlungen, die als Tierquälereien angesehen werden, erweitert. 21 Sie erfolgte durch das Wet tot vaststelling v a n algemene bepalingen omtrent de bestraffing van schending v a n geheimen (Gesetz zur Feststellung allgemeiner Vorschriften über die Bestrafung von Geheimnisverletzungen) v o m 30. J u n i 1967 (9. Aug. 1967), StBl. 377, nachdem bereits i m Jahre 1953 ein erster Gesetzentwurf eingereicht (Parlamentsdrucksache 3030) u n d 1966 durch einen neuen (Parlamentsdrucksache 8.535) ersetzt worden war. 22 Seit 1908 ist eine solche Bestimmung wiederholt gefordert worden. Der neue A r t . 328 ter nl. StGB wurde schließlich durch das Wet houdende strafbaarstelling van omkoping v a n anderen dan ambtenaren (Gesetz über die Strafbarkeit der Bestechung von anderen als Beamten) v o m 23. November 1967 (25. Dezember 1967), StBl. 565 i n das nl. StGB eingefügt. Uber den Gesetzentwurf berichten ausführlich C. F. Rüter / A. J. Hoekema, Omkoping van anderen dan ambtenaren. I n : T. v. S. 1968, S. 132 ff. u n d J. M. van Bemmelen, Niet-ambtelijke omkoping. I n : N J B 1966, S. 181 ff. 23 I n A r t . 435 nl. StGB w u r d e durch das Wet tot regeling v a n het wetenschappelijk onderwijs (Gesetz zur Regelung des wissenschaftlichen U n t e r richts) v o m 22. Dezember 1960 (1. Januar 1961), StBl. 559 eine neue Ziffer 3 eingefügt. 24 A r t . 435 d nl. StGB wurde durch ein Ergänzungsgesetz v o m 1. November 1948, StBl. J 180 eingefügt u n d durch das Änderungsgesetz v o m 20. M a i 1955, StBl. 207 geändert.
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Schriften über das Maklerwesen wurden neue Übertretungstatbestände geschaffen. Schließlich sei i n diesem Zusammenhang noch auf das Vorhaben hingewiesen, einen Straftatbestand zu schaffen, m i t dem die mißbräuchliche Verwendung von Vorwissen i m Börsengeschäft geahndet werden kann 2 6 . Doch nicht nur der Besondere Teil des Strafgesetzbuchs hat insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg Veränderungen erfahren, auch die Vorschriften des Allgemeinen Teils wurden über die eingangs erwähnten Neuerungen unter dem Einfluß der Ideen der modernen Richtung hinaus nach neuen Erfahrungen und Erkenntnissen revidiert und ergänzt. Eine Gesamtreform des Allgemeinen Teils stand zur Diskussion, wurde aber nicht weiter verfolgt 2 7 . Wichtige Reformen sind jedoch realisiert und weitere befinden sich mehr oder weniger weit fortgeschritten noch i m Gesetzgebungsverfahren oder sind oder werden durch Kommissionen oder Gutachten vorbereitet. Eingeführt wurde vor allem eine Neuregelung des Jugendstrafrechts i n den Art. 77 a - 7 7 k k nl. StGB, die nach langer Anlaufzeit 1961 zustandekam 28 und am 1. J u l i 1965 i n K r a f t trat. Allerdings ist die Reform noch nicht abgeschlossen; zur Schließung einiger i n der Praxis festgestellter Lücken und zur redaktionellen Verdeutlichung einiger A r t i k e l wurde am 3. Januar 1975 ein Entwurf zur teilweisen Änderung des Jugendstrafrechts und Jugendstrafverfahrensrechts 28a eingebracht. 25 A r t . 436 a w u r d e durch das Wet houdende w i j z i g i n g v a n de bepalingen van het Wetboek v a n Koophandel omtrent maakelaars (Gesetz über die Änderung der Vorschriften des Handelsgesetzbuchs über Makler) v o m 21. J u l i 1966 (1. Januar 1967), StBl. 319 eingefügt. 26 Nach dem Vorschlag einer Kommission, die zur näheren Untersuchung dieses Fragenkomplexes eingesetzt war, soll der K a u f oder Verkauf von an der Börse notierten Gesellschaftsanteilen dann strafbar sein, w e n n dabei kursrelevante Kenntnisse verwendet werden, die jemand v o r der Bekanntmachung aufgrund seines Berufes oder seiner F u n k t i o n erlangt hat. Vgl. Commissie Vennootschapsrecht. Rapport inzake m i s b r u i k v a n voorwetenschap, Den Haag 1973, S. 6. Wo dieser Tatbestand i m Strafgesetzbuch eingestellt werden soll, hat die Kommission offengelassen. 27 E i n Reformkatalog m i t allein 38 zu den einzelnen T i t e l n des Allgemeinen Teils formulierten Fragen findet sich bei J. M. van Bemmelen, Het A l gemeen Deel van het Wetboek van Straf recht. I n : N J B 1966, S. 273 ff. 28 A m 11. Februar 1948 w u r d e die Kommission Overwater m i t dem A u f trag eingesetzt, eine Anpassung des Jugendstrafrechts zu beraten. I m Jahre 1951 erstattete sie ihren Bericht. Zehn Jahre später k a m dann das auf dieser Grundlage beruhende Wet tot herziening v a n het kinderstrafrecht en het kinderstrafprocesrecht (Gesetz über die Reform des Jugendstrafrechts u n d des Jugendstrafverfahrensrechts) v o m 9. November 1961, StBl. 402 zustande. 28a Ontwerp v a n wet tot partiële w i j z i g i n g van het kinderstrafrecht en kinderstrafprocesrecht (Gesetzentwurf zur teilweisen Änderung des Jugendstrafrechts u n d Jugendstrafverfahrensrechts) v o m 3. Januar 1975, Parlamentsdrucksache 13.236, Nr. 1 ff. Er w u r d e am 12. M a i 1976 Gesetz (StBl. 1976,
282).
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M i t der Neufassung von 1961 wurde die untere Altersgrenze für die strafrechtliche Verantwortlichkeit auf zwölf Jahre festgelegt (Art. 77 a nl. StGB). Die obere Altersgrenze für die Anwendung des Jugendstrafrechts liegt grundsätzlich bei achtzehn Jahren (Art. 77 b nl. StGB), ist jedoch nicht starr, sondern i n bestimmten Grenzen beweglich 29 . Das Jugendstraf recht bezweckt vor allem die Erziehung des jugendlichen Straftäters zu einem „Menschen i n der Gesellschaft". Diesem Ziel dienen sowohl die Strafen wie auch die Maßregeln. Neben der Einweisung i n eine Erziehungsanstalt (von einem bis zu sechs Monat(en)), der Geldstrafe (von fünfzig Cent bis zu einhundertundfünfzig Gulden) und dem Verweis ist der Arrest als besondere Form der Freiheitsstrafe neu hinzugekommen. Er kann von vier Stunden bis zu vierzehn Tagen dauern und innerhalb von zwei Monaten ratenweise vollstreckt werden (Art. 77 η nl. StGB). Bei den Maßregeln wurde die „Einweisung i n eine Anstalt für Sonderbehandlung" neu aufgenommen. Es handelt sich um eine medizinische Maßnahme für geistig gestörte jugendliche Straftäter. Der Richter darf sie lediglich anwenden, wenn die Persönlichkeit des Minderjährigen eine solche Maßnahme unbedingt erforderlich macht (Art. 77 k nl. StGB). Eine weitere wichtige Reform des Allgemeinen Teils brachte die vollständige Umgestaltung des Einziehungsrechts (Art. 33 - 33 c nl. StGB) i m Jahre 195830. Die Einziehung braucht nunmehr nicht mehr als Zusatzstrafe ausgesprochen zu werden, sondern kann auch an die Stelle einer Hauptstrafe treten 3 1 . Der Anwendungsbereich der Einziehung wurde stark erweitert. Sie ist nicht mehr nur bei Verbrechen, sondern bei allen Straftaten anwendbar. Ferner wurde der Kreis der Gegenstände und Forderungen, die eingezogen werden können, erheblich ausgedehnt 32 . Ohne gegenteilige Anordnung des Richters erstreckt sich die 29 Bereits früher bestand die Möglichkeit, Jugendliche zwischen sechzehn u n d achtzehn Jahren nach Erwachsenenstrafrecht zu beurteilen. Sie ist aufrechterhalten worden (Art. 77 c nl. StGB). Gibt die Persönlichkeit eines Täters dem Richter dazu Anlaß, k a n n er andererseits auch Jugendstrafrecht anwenden, wenn der Täter das achtzehnte Lebensjahr zur Zeit der Begehung der Tat schon vollendet hatte (Art. 77 d nl. StGB). 30 Sie erfolgte durch Wet houdende w i j z i g i n g v a n de bepalingen betreffende verbeurdverklaring en inbeslagneming (Gesetz über die Änderung der Vorschriften über die Einziehung u n d Beschlagnahme) v o m 22. M a i 1958 (1. Februar 1959), StBl. 296. 31 Dies gilt unter der Voraussetzung, daß die Straftat nicht m i t mehr als einer sechsjährigen Gefängnisstrafe bedroht ist (Art. 33 Abs. 2 nl. StGB). 82 Nach A r t . 33 a nl. StGB unterliegen der Einziehung dem Verurteilten gehörende Gegenstände u n d Forderungen, die ganz oder größtenteils durch oder m i t Hilfe der Straftat erlangt sind, u n d — unter bestimmten Voraussetzungen — Gegenstände, i n bezug auf die die Straftat begangen wurde, Gegenstände, m i t deren H i l f e die Tat begangen oder vorbereitet wurde, Gegenstände, m i t deren Hilfe die E r m i t t l u n g des Verbrechens behindert wurde,
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Einziehung auch auf die Verpackung (Art. 33 b nl. StGB). Neu ist auch die Möglichkeit, die Strafwirkung der Einziehung durch einen geldlichen Zuschuß an den Geschädigten abzuschwächen (Art. 33 c nl. StGB). M i t demselben Gesetz wurde darüber hinaus die Maßregel der „Entziehung aus dem Verkehr" eingeführt. I h r unterliegen Gegenstände, deren unkontrollierter Besitz dem Gesetz oder dem allgemeinen Interesse w i derspricht 33 . Von großer praktischer Bedeutung erwies sich die Einführung der Transaktionsbefugnis für die Polizei, die gleichfalls i m Jahre 1958 erfolgte 34 . Für einen bestimmten Katalog von Übertretungen vor allem des Verkehrsrechts wurde die Möglichkeit geschaffen, daß Polizeibeamter und Beschuldigter übereinkommen, unmittelbar nach Feststellung eines Tatbestandes die Angelegenheit mit einer leichten Buße nach festem Tarif zu erledigen und dadurch eine Strafverfolgung abzuwenden. Die Regelung knüpft an die — allerdings allgemein für alle Übertretungen — i n Art. 74 nl. StGB gewährte Transaktionsbefugnis der Staatsanwaltschaft an. Die Staatsanwaltschaft ist demzufolge auch berufen, den Gebrauch der polizeilichen Befugnis durch Richtlinien zu lenken (Art. 74 bis Abs. 3 nl. StGB). Die durch Transaktion erledigte Strafsache gilt als rechtskräftig abgeschlossen35; wegen des Grundsatzes „ne bis i n idem" kann sie deshalb nicht erneut strafrechtlich geahndet werden. Von ihrer Transaktionsbefugnis macht die Polizei heute umfassend Gebrauch. 1971 betrug i h r Anteil an der Gesamtheit der erledigten Übertretungen 40 °/o36. Ein grundlegender Wandel i m Sanktionensystem des niederländischen Strafgesetzbuches bahnte sich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg an. I n zwei bedeutsamen, dem Strafgesetzbuch nicht einversowie Gegenstände, die zur Begehung des Verbrechens angefertigt oder bestimmt sind. 33 Die Entziehung aus dem Verkehr ist als selbständiger T i t e l I I A i n den A r t . 36 a - 36 c nl. StGB neu geregelt worden. 34 A r t . 74 bis nl. StGB w u r d e durch das Änderungsgesetz v o m 9. Januar 1958 (1. M a i 1959), StBl. 7 eingeführt. Z u r Ausführung der darin der V e r w a l t u n g eingeräumten Befugnisse erging f ü r die uniformierten Beamten der Gemeinde- u n d Reichspolizei die Königliche Verordnung v o m 21. A p r i l 1959, StBl. 127 — sie wurde i. d. F. der Verordnung v o m 22. Dezember 1967, StBl. 671, i n StBl. 1968, 1 neu bekanntgemacht u n d ist seither erneut, zuletzt durch die Verordnung v o m 11. August 1971, StBl. 517 geändert worden. F ü r die uniformierten Militärs der Königlichen Marechaussee w u r d e die Königliche Verordnung v o m 7. J u n i 1962, StBl. 204 i. d. F. der letzten Änderung durch die Verordnung v o m 23. Feburar 1968, StBl. 69 erlassen. 85 H. R., U r t e i l v o m 17. Dezember 1963, N. J. 1964, 385 m i t A n m . von Pompe. 36 Ihre Bedeutung k a n n an einem Vergleich der Erledigung von Übertretungen durch U r t e i l u n d Transaktion i n drei markanten Jahren: 1958 (ohne polizeiliche Transaktion), 1968 (höchste Erledigungsziffern) u n d 1971 (letztes Berichtsjahr) veranschaulicht werden.
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leibten Gesetzen hatte der Gesetzgeber neue Wege der Kriminalpolitik beschritten. I m Gesetz über die Grundsätze des Gefängniswesens von 195137 und i n einer Gefängnisverordnung von 195338 verankerte er moderne Grundsätze des Vollzugs der Freiheitsstrafe und öffnete damit die Tür für eine individualisierende und differenzierende Behandlung von Strafgefangenen. I m Gesetz über die Wirtschaftsstraftaten von 195039 baute er ein neues Strafensystem für eine große Anzahl dort zusammengefaßter Wirtschaftsverstöße des nicht kodifizierten Strafrechts auf, i n dessen Mittelpunkt die Vermögens- und Betriebsstrafen stehen; er schuf damit ein Experimentierfeld, auf dem ihr späterer Einsatz auch zur Bekämpfung der Straftaten des Kernstraf rechts erprobt werden konnte. Beide Gesetze haben die tatsächliche Entwicklung der Kriminalpolitik i n den Niederlanden geprägt und haben an den bisherigen und den anstehenden Reformen zum Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs entscheidenden Anteil. Das Gesetz
über
die Grundsätze
des Gefängniswesens
von
1951 e r -
ging mit dem Ziel, die Einzelhaft als Grundsatz abzuschaffen und die Vollstreckung der Freiheitsstrafen unter Aufrechterhaltung des Charakters der Strafe oder der Maßregel auch auf die Vorbereitung der Rückkehr des Häftlings i n das gesellschaftliche Leben auszurichten (Art. 26). Diese Grundsätze sind nunmehr i m Strafgesetzbuch wiederzufinden. Heute w i r d die Gefängnisstrafe nach Maßgabe der Persönlichkeit des Verurteilten i n uneingeschränkter oder i n eingeschränkter Gemeinschaft oder i n Einzelhaft verbüßt (Art. 11 nl. StGB), während nach der früheren Fassung eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren oder weniger vollständig und eine von längerer Dauer während der ersten fünf Jahre i n Einzelhaft verbracht werden mußte. Der Gefangene w i r d nach Möglichkeit i n einer Anstalt untergebracht, deren Regime seiner A r t der Erledigung Verurteilung durch den Kreisrichter Transaktionen durch den Staatsanwalt Transaktionen durch die Polizei
1958
1968
1971
309 048
280 504
260 576
702 136
780 711 855 375
909 813 770 218
—
Quelle: Justitiële Statistiek 1958, Zeist 1960 (Tabelle 24 auf S. 21) und 1971, Den Haag 1973 (Tabelle 32 auf S. 28). 37 Beginselenwet gevangeniswezen (Gesetz über die Grundsätze des Gefängniswesens) v o m 21. Dezember 1951, StBl. 596 i. d. F. der letzten Änderung durch das Gesetz v o m 10. Dezember 1975, StBl. 684. 38 Gevangenismaatregel (Gefängnisverordnung) v o m 23. M a i 1953, StBl. 237 i. d. F. der letzten Ä n d e r u n g durch die Verordnung v o m 16. J u l i 1971, StBl. 447. 39 Wet op de economische delicten (Gesetz über die Wirtschaftsstraftaten; WirtschaftsstrafG) v o m 22. J u n i 1950, StBl. Κ 258 i. d. F. der letzten Änderung durch das Gesetz v o m 23. J u n i 1976, StBl. 377.
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Persönlichkeit am besten entspricht, wobei sowohl die Dauer der Strafe als auch die Resozialisierungsmöglichkeiten für den Gefangenen berücksichtigt werden (Art. 12 nl. StGB). Wie sehr seit Inkrafttreten des Gesetzes über die Grundsätze des Gefängniswesens der Vollzug der Freiheitsstrafe weiter entwickelt worden ist, w i r d schon daran deutlich, daß eine Anstalt wie das Jugendgefängnis i n Zutphen, das sich ursprünglich durch ein besonders fortschrittliches Regime auszeichnete 40 , heute seine einmalige Stellung verloren hat und ein i m Dezember 1975 verabschiedetes Gesetz die A u f hebung der diesbezüglichen Vorschriften des Allgemeinen Teils vorsieht 41 . Infolge der Wahrnehmung der Ermächtigung i m Gesetz über die Grundsätze des Gefängniswesens, auch andere Anstalten speziell m i t dem Jugendstrafvollzug zu betrauen, gibt es heute hinsichtlich Regime und Behandlungsmethoden keine wesentlichen Unterschiede mehr, so daß eine Sonderregelung für Zutphen überholt ist 4 2 . Als Ausdruck und Folge einer grundlegend gewandelten Einstellung der Strafpraxis zur Freiheitsstrafe ist auch die i m selben Gesetz enthaltene Neuregelung der bedingten Entlassung anzusehen. Die bedingte Entlassung hat heute erheblich geringere Bedeutung als zu Beginn der fünfziger Jahre, weil die durchschnittliche Dauer des vom Richter auferlegten Freiheitsentzugs seither ständig gesunken ist. Der Schwerpunkt der für Verbrechen ohne Bewährung auferlegten Gefängnisstrafe hat sich immer mehr zum Freiheitsentzug bis zu einem Monat hin verlagert 4 2 * während der längerfristige Freiheitsent40 Die besondere Aufgabe wurde dieser Anstalt durch das Gesetz v o m 25. J u n i 1929 (1. Oktober 1937), StBl. 361, das auch die A r t . 13 - 13 d i n das Strafgesetzbuch einfügte, zugewiesen. 41 Gesetz zur Aufhebung der A r t . 13 - 13 d Strafgesetzbuch u n d zur Ergänzung der gesetzlichen Vorschriften über die bedingte Entlassung v o m 10. Dezember 1975, StBl. 684. 42 Vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf, Parlamentsdrucksache 12.751, Nr. 3, S. 6 linke Spalte. 42a Die kurzfristige Freiheitsstrafe w i r d heute i n einem so erheblichen Umfang angewendet, daß ein nicht zu bewältigender Rückstand i n der Strafvollstreckung entstanden ist. Wartezeiten bis zu einem Jahr vereiteln den Zweck, den der niederländische Richter m i t i h r zu erreichen sucht, n ä m lich m i t einem short sharp shock auf den Täter einzuwirken. Deshalb sind i m Wege eines kollektiven Gnadenerlasses die vor dem 1. Januar 1975 verhängten Gefängnisstrafen unter 14 Tagen erlassen u n d längere entsprechend gekürzt worden. Vgl. Verordnung über den Gnadenerlaß aus Anlaß des entstandenen Rückstandes i n der Vollstreckung der Freiheitsstrafen v o m 17. J u l i 1975 (1. August 1975), StBl. 400. J. M. van Bemmelen, Voorwaardelijke kwijtschelding van körte vrijheidsstraffen. I n : N J B 1975, S. 906 ff. befürwortet eine Ausdehnung auf nach dem 1. Januar 1975 ergangene Urteile, w e i l der Rückstand m i t dieser Maßnahme noch nicht aufgeholt werden k ö n ne.
3 Ausländisches Strafrecht V
34
D s niederländische Strafrecht
zug stark rückläufig war 4 3 . Von 14 143 m i t Gefängnisstrafe ohne Bewährung geahndeten Verbrechen lagen lediglich etwas mehr als 11 °/o, nämlich 1578 Verurteilungen, i m Strafmaß über sechs Monaten und nur 41 (0,3 °/o) über drei Jahren Gefängnis. Eine lebenslängliche Gefängnisstrafe w i r d praktisch nicht mehr verhängt 4 4 . Das Gesetz beabsichtigt, den nach der alten Regelung i n den Art. 15-16 nl. StGB geltenden frühesten Zeitpunkt für eine bedingte Entlassung durch A n rechnung der i n Untersuchungshaft verbrachten Zeit herabzusetzen und gleichzeitig gegen die Verweigerung der Entlassung zum frühestmöglichen Zeitpunkt einen Rechtsbehelf zu gewähren 45 . I n dem Maße, i n dem die durchschnittliche Dauer der Gefängnisstrafe abnahm, gewann die Strafaussetzung zur Bewährung an Boden, die nach Art. 14 a nl. StGB bis zu einer Höchststrafe von einem Jahr Gefängnis zulässig ist. Auch diese Einrichtung steht zur Reform an, die Überlegungen sind indes noch nicht zu Gesetzesvorschlägen gediehen. Die Reformbedürftigkeit der Strafaussetzung zur Bewährung wurde jedoch eingehend auf der Tagung der Niederländischen Juristenvereinigung von 1974 anhand eines gemeinschaftlichen Gutachtens von G. E. Mulder und H. Schootstra erörtert und befürwortet 4 6 . Die darin enthaltenen Vorschläge zielen u. a. auf Verlängerung der Höchststrafe, die ausgesetzt werden kann, auf IV2 Jahre Gefängnis, Einführung einer Unterscheidung zwischen Auflagen und Weisungen nach deutschem Vorbild und der „probation" nach englischem Muster, bei der der Straftäter durch Bewährung nicht nur die Vollstreckung, sondern selbst den Ausspruch einer Strafe von sich abwenden kann.
43
V o n den 1959 wegen Verbrechen erfolgten 9868 Verurteilungen zu Gefängnisstrafe ohne Bewährung verhängten bis zu einem Monat: 3 6 % ; von einem bis zu drei Monat(en): 20,3%; von drei bis zu sechs Monaten: 19,7%; von sechs Monaten bis zu einem Jahr: 16,1%; ein Jahr: 2,4%; zwischen ein u n d drei Jahren: 4 , 6 % u n d drei Jahre u n d mehr: 0,9%. Die entsprechenden Prozentsätze für 1971 betragen: 57,2; 16,9; 14,7; 7,9; 1,2; 1,7 u n d 0,3. Gegenüber 1970 hat sich 1971 die abfallende Tendenz i n der Dauer der Strafen gefangen. Quelle: Criminele Statistiek 1971, Den Haag 1974, S. 28, Tabelle 18. 44 Von 1959 bis 1971 erfolgte jeweils lediglich eine Verurteilung i n den Jahren 1963 u n d 1969. 45 Ausführlich vgl. dazu die Begründung (Anm. 42) sowie den am 7. März 1974 erstatteten Vorläufigen Bericht des Justizausschusses: Parlamentsdrucksache 12.751, Nr. 4. Hingewiesen sei lediglich noch darauf, daß zur W a h r u n g der Einheit der A n w e n d u n g die Entscheidung über den Rechtsbehelf bei einem besonderen Vollstreckungssenat des Gerichtshofs A r n h e i m (3 Berufsrichter, 2 Sachverständige) konzentriert werden soll. 46 Das Gutachten ist abgedruckt i n : Handelingen der Nederlandse Juristenvereniging, Teil I 2, Zwolle 1974, S. 3 - 90.
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Beide i m vorgenannten Entwurf angeklungenen Ziele — nämlich die Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Strafzeit und die Stärkung der Rechtsstellung des Gefangenen — sind Anliegen, die der Gesetzgeber auch anderweitig verfolgt hat und weiter verfolgt. Durch eine Novelle zum Haftrecht, mit der neben strafprozessualen Vorschriften die A r t . 27 und 77 h h nl. StGB geändert wurden, hat er die bis dahin ins Ermessen des Richters gestellte Anrechnung der i n Untersuchungshaft verbrachten Zeit 4 7 auf die verhängte Freiheitsstrafe zur Pflicht gemacht 48 . Der Stärkung der Rechtsstellung des Gefangenen gilt ein 1973 der Zweiten Kammer zugeleiteter Entwurf 4 9 . Er wurde auf der Grundlage eines Kommissionsberichts (Kommission G. E. Mulder) aus dem Jahre 1967 erarbeitet und enthält einige Verbesserungsvorschläge für das Gesetz über die Grundsätze des Gefängniswesens. Beabsichtigt ist, die Vielzahl der dort i n Art. 44 vorgesehenen disziplinären Strafen i n den Haftanstalten und Gefängnissen auf vier nach dem heutigen Verständnis sinnvolle Maßnahmen (Strafzelle, vorübergehende Absonderung von der Anstaltsgemeinschaft, Taschengeldentzug und Verweis) zu reduzieren und deren Anwendung durch das Erfordernis schriftlicher Anordnung und andererseits die Einräumung eines Rechtsbehelfs an das Aufsichtsorgan der Anstalt einzugrenzen und zu kontrollieren. Der Stärkung der Rechtsstellung von Straftätern m i t mangelnder Entwicklung oder krankhafter Störung ihrer Geistesfähigkeiten (geestvermogens) dient schließlich ein Entwurf zur Reform der Maßregel der Unterbringung i n einer Heil- oder Pflegeanstalt 50 . Die Maßregel soll nur noch für Verbrechen m i t einer Strafdrohung von einem Jahr oder mehr und ausschließlich durch Kollegialgerichte (Bezirksgericht, Gerichtshof) verhängt werden können. Außerdem soll die Vor47 Die bis zu vier Tagen mögliche Sicherstellung (inverzekeringstelling), die der eigentlichen richterlichen Haftanordnung regelmäßig vorausgeht, ist ausdrücklich einbezogen worden. 48 Wet tot herziening van de bepalingen van het Wetboek van Strafvorder i n g betreffende toevoeging van een raadsman en toepassing van voorlopige hechtenis en w i j z i g i n g van de artikelen 27 en 77 h h van het Wetboek van Strafrecht (Gesetz zur Reform der Bestimmungen des Strafverfahrensgesetzbuchs über die Beiordnung eines Verteidigers u n d die Anwendung der Untersuchungshaft u n d zur Änderung der A r t . 27 u n d 77 h h Strafgesetzbuch) v o m 26. Oktober 1973 (1. Januar 1974), StBl. 509. 49 E n t w u r f eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Grundsätze des Gefängniswesens i m Hinblick auf die Rechtsstellung des Häftlings vom 29. März 1973: Parlamentsdrucksache 12.337. 50 Gesetzentwurf zur Änderung der Vorschriften des Strafgesetzbuchs, des Strafverfahrensgesetzbuchs, des Gesetzes über die Grundsätze des Gefängniswesens u n d einiger anderer Gesetze über die Unterbringung i n einer H e i l oder Pflegeanstalt . . . v o m 19. August 1972: Parlamentsdrucksache 11.932. I m Falle seiner Annahme würden ein neu gefaßter Abschnitt i m Allgemeinen Teil (Art. 37 - 39 c) eingefügt, zwei A r t i k e l ergänzt (Art. 12 a u n d 90 quinquies) und zahlreiche weitere Bestimmungen des niederländischen Strafgesetzbuchs geändert.
3*
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aussetzung für die Anordnung der Maßregel verschärft werden 5 1 . Die Unterbringung selbst soll vorzugsweise i n Privateinrichtungen erfolgen, die dafür bestimmt sind. Für Verbrechen, für die keine Untersuchungshaft zulässig ist 5 2 , soll sie vollständig unterbleiben. I n solchen Fällen soll der Richter vielmehr Auflagen anordnen und eine Reklassierungseinrichtung bestimmen, die bei der Erfüllung der Auflagen Unterstützung gewährt. Neben zahlreichen weiteren, insbesondere strafprozessualen Garantien 5 3 soll auch die 1925 eingeführte obligatorische Verbindung von Strafe und Unterbringung i n einer Heil- oder Pflegeanstalt bei vermindert zurechnungsfähigen Tätern wegfallen 54 . Die Vermutung liegt nahe, daß i n dem Maße, i n dem i m Zuge stärkerer Rationalisierung des Strafrechts die Freiheitsstrafe an Überzeugungskraft verlor und vom Richter zurückhaltender angewendet w u r de, der Anteil anderer Strafen, insbesondere der Geldstrafe, an der Gesamtzahl der Verurteilungen gestiegen ist. Ein eindeutiger und anhaltender Trend i n diese Richtung w i r d aber durch die Statistik nicht bestätigt 55 . Der Anteil der Gefängnisstrafe an der Gesamtheit der wegen Verbrechen nach dem Strafgesetzbuch auferlegten Hauptstrafen und Maßregeln, der vor dem Ersten Weltkrieg (1913) bei 50 °/o, vor dem Zweiten Weltkrieg (1938) bei 47 °/o und danach (1948) bei 40 °/o lag, war zwar seither laufend zurückgegangen und hatte sich von 1966 bis 1970 bei der 30 °/o-Marke festgesetzt, zeigte jedoch i m Jahre 1971 erstmalig wieder einen Anstieg um etwa 2 %. Der Anteil der Geldstrafe ist andererseits von ehemals 40 °/o auf über 60 °/o i n den sechziger Jahren geklettert, wobei allerdings die m i t einer bedingten Freiheitsstrafe kombinierte Geldstrafe knapp 20 % ausmacht. Auch dieser Anteil ist i n letzter Zeit nahezu konstant geblieben und war 1971 sogar erstmals rückläufig. Die Höhe der auferlegten Geldstrafen weist zudem darauf 51
Heute ist sie zulässig, w e n n die öffentliche Ordnung dies entschieden verlangt (Art. 37 Abs. 3 nl. StGB); die vorgeschlagene Fassung lautet dagegen: w e n n die Sicherheit von anderen oder die allgemeine Sicherheit von Personen und Gütern i m Hinblick auf den Ernst der begangenen Straftat oder die Häufigkeit der vorangegangenen Verurteilungen wegen Verbrechen die Verhängung dieser Maßregel verlangt (Art. 37 a Abs. 1 Ziff. 2 nl. StGB n. F.). 52 Die Untersuchungshaft ist n u r für einen bestimmten Katalog schwererer Verbrechen zugelassen (Art. 67 nl. StPO). 53 U. a. ist die regelmäßige Einschaltung eines Verteidigers u n d die Berufung an den Vollstreckungssenat beim Gerichtshof A r n h e i m vorgesehen. 54 Vgl. i m einzelnen die ausführliche Begründung: Parlamentsdrucksache 11.932, Nr. 3 und den Vorläufigen Bericht des Justizausschusses v o m 15. A u gust 1973, ebenda Nr. 4, der insbesondere rügt, daß zwischen den Zielsetzungen — Behandlungs- oder Sicherungsmaßnahme — keine eindeutige Wahl getroffen sei (S. 1 u n d 3). 55 Die nachfolgenden Angaben sind der Criminele Statistiek 1971, a.a.O. (Anm. 43), Tabelle 17 auf S. 30 u n d dem Schaubild auf S. 16 entnommen.
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hin, daß die empfindliche, i n der Größenordnung an Monatsgehälter heranreichende Geldstrafe nicht als Alternative zur kurzen Freiheitsstrafe verwendet wird. Knapp die Hälfte der i m Jahre 1971 wegen Verbrechen nach dem Strafgesetzbuch verhängten Geldstrafen liegt i m Betrag unter einhundert Gulden, die andere zwischen einhundert und fünfhundert Gulden. Ein kleiner A n t e i l von nur 1,8 °/o, und zwar 336 Verurteilungen, entfällt auf Geldstrafen über fünfhundert Gulden 5 6 . Gleichwohl ist eine Verschiebung von kleinen zu mittleren Beträgen festzustellen, die jedoch mehr dem gewachsenen Wohlstand der breiten Masse und der Geldwertminderung Rechnung tragen dürften, als Ausdruck einer geänderten kriminalpolitischen Einschätzung der Geldstrafe sind. Neben der Gefängnis- und der Geldstrafe fallen die anderen Sanktionen kaum mehr ins Gewicht, insbesondere ist die Haftstrafe nahezu zur Bedeutungslosigkeit abgesunken. U m die tatsächliche Anwendung der das Vermögen treffenden Strafen und Maßregeln zu untersuchen und Reformvorschläge für die gesetzliche Regelung zu unterbreiten, wurde 1966 vom Justizminister eine Kommission eingesetzt. Sie brachte 1969 einen Zwischen- 5 7 und 1972 einen abschließenden Bericht 5 8 heraus. Die Kommission hat aufgrund umfassender empirischer und rechtsvergleichender Untersuchungen zahlreiche, auch grundlegende Reformen vorgeschlagen. Dabei ist vielfach die Regelung i m nl. Wirtschaftsstrafgesetz von 1950 V o r b i l d gewesen. A u f der Grundlage ihrer Berichte hat das Justizministerium einen Gesetzentwurf über die Vollstreckung der Vermögensstrafen erstellt und dem Parlament zugeleitet 5 8 a . Hinsichtlich des anderen Teils 56 Quelle: Criminele Statistiek 1971, a.a.O. (Anm. 43), Tabelle 22 auf S. 32. Geht man auf die Jahre der Entstehung des Strafgesetzbuchs zurück, w i r d deutlich, daß dem Gesetzgeber die Gefängnisstrafe als vornehmlichste Hauptstrafe vor Augen stand, hat er doch die deliktsspezifisch angedrohten Geldstrafenmaxima sehr gering gehalten (für Diebstahl nach A r t . 310 nl. StGB ζ. B. sechzig Gulden) und damit den Richter gezwungen, sie auf w i r k liche Bagatellfälle zu beschränken. Vgl. A. G. Bosch, Het ontstaan van het Wetboek van Strafrecht, Zwolle 1965, S. 121. I n plus/minus 71 °/o der Gesamtverurteilungen wegen Verbrechen nach dem nl. StGB wurden damals unbedingte Freiheitsstrafen, nur i n 29 °/o unbedingte Vermögensstrafen ausgesprochen. Vgl. die Übersicht in: Vermogensstraffen. Interimrapport van de Commissie-Vermogensstraffen, Den Haag 1969, S. 18. 57 Vermogensstraffen. Interim-rapport van de Commissie-Vermogensstraffen, Den Haag 1969. 58 Vermogensstraffen. Eindrapport, Den Haag 1972. Er enthält als Anlage I V einen zweiten Zwischenbericht der Kommission zum Thema: Das Strafrecht und der Verletzte. 58a Ontwerp van wet tot herziening van de bepalingen van het Wetboek van Strafrecht en het Wetboek van Strafvordering betreffende de tenuitvoerlegging van vermogensstraffen (Gesetzentwurf zur Reform der Bestimmungen des Strafgesetzbuchs und des Strafverfahrensgesetzbuchs über die Vollstreckung von Geldstrafen) vom 25. A p r i l 1975, Parlamentsdrucksache 13.386, Nr. 1 ff.
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der Vorschläge, der die Grundsatzfragen betrifft, w i r d ein weiterer Gesetzentwurf vorbereitet 5 9 . Er wird, wenn auch nur ein Teil der Vorschläge verwirklicht werden kann, umfangreiche Änderungen des Strafgesetzbuchs mit sich bringen. Die Kommission hat ihre Vorschläge i n 25 Punkten zusammengefaßt, die wegen ihrer grundlegenden Bedeutung für die künftige Entwicklung des niederländischen Strafrechts hier i m Wortlaut wiedergegeben werden 6 0 : 1. Die Transaktion w i r d bei allen Straftaten möglich 81 . 2. Die Möglichkeit zum Schuldspruch ohne Anwendung einer Strafe w i r d allgemein (und bleibt deshalb nicht mehr auf Kreisgerichtsund Jugendsachen beschränkt). 3. Die Möglichkeit zur Auferlegung von Geldstrafen w i r d allgemein, so daß die daran jetzt noch geknüpften Beschränkungen (vgl. die Art. 14 a und 24 nl. StGB) wegfallen. 4. Die speziellen Geldstrafenmaxima verschwinden. A n ihre Stelle treten fünf generelle Maxima (Geldstrafenkategorien). 5. Die (generellen) Maxima der fünf Geldstrafenkategorien betragen: für die erste 200,— Gulden; für die zweite 1000—, Gulden; für die dritte 10 000,— Gulden; für die vierte 25 000,— Gulden; für die fünfte 100 000,— Gulden. 6. Wenn für eine Straftat keine Geldstrafenkategorie festgelegt ist, beträgt das Maximum der Geldstrafe 200,— Gulden i m Fall einer Übertretung und 10 000,— Gulden i m Fall eines Verbrechens (mit anderen Worten: die erste bzw. die dritte Kategorie ist dann automatisch anwendbar). 7. Ist der Beschuldigte eine juristische Person m i t einem umfangreichen Betrieb, kann der Richter bei Auferlegung einer Geldstrafe auf die nächsthöhere Geldstrafenkategorie „ausweichen" (d. h. eine Kategorie höher als die, die für die Straftat festgesetzt ist). 8. Das generelle M i n i m u m der Geldstrafe w i r d von 50 Cent auf 5,— Gulden erhöht. 9. Die Möglichkeit der Zahlung einer Geldstrafe i n Raten w i r d gesetzlich geregelt. 50 Vgl. Begründung zum Reichshaushalt 1975, a.a.O. (Anm. 6), S. 9 Ziff. 17 u n d 18. 60 Vermogensstraffen. Eindrapport, a.a.O. (Anm. 58), S. 45 ff. 61 Nicht n u r bei Übertretungen wie i m heutigen A r t . 74 nl. StGB. Der Vorschlag k n ü p f t an A r t . 36 nl. WirtschaftsstrafG an.
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10. Das M i n i m u m der Geldstrafe i m Jugendstrafverfahren w i r d 2,50 Gulden, das Maximum (jetzt 150,— Gulden) 200,— Gulden betragen. 11. Jede Nebenstrafe (also nicht nur — wie jetzt — die Einziehung) kann ohne Kombination m i t einer anderen Sanktion auferlegt werden. 12. Die Möglichkeit, i m Falle einer Verurteilung wegen einer Straftat die Maßregel der Entnahme des rechtswidrig erlangten Vorteils aufzuerlegen oder — i m Falle der Transaktion — die Zahlung eines Betrages zu verlangen, der (maximal) diesem Vorteil entspricht, w i r d allgemein. (Jetzt kann diese Maßregel nur bei Verurteilung wegen einer Wirtschaftsstraftat angewendet werden.) 13. I m Falle einer bedingten Verurteilung kann der Richter i n Form einer besonderen Auflage anordnen, daß eine Sicherheitsleistung (deren Maximum dem der Geldstrafe entspricht) erbracht werden muß. Die bereits bestehende Möglichkeit, bei einer Wirtschaftsstraftat die Erbringung einer Sicherheitsleistung i n Form einer selbständigen Maßregel oder einer Auflage bei der Transaktion zu verlangen, bleibt unberührt. 14. I n der Regelung der Einziehung und der Entziehung von Gegenständen aus dem Verkehr werden einige Änderungen vorgenommen, die — soweit sie materieller Natur sind — hauptsächlich auf einen verbesserten Rechtsschutz des berechtigten Dritten abzielen. 15. Die Anforderungen an die Begründung von strafrechtlichen Urteilen werden für den Fall der Auferlegung einer Freiheitsstrafe verschärft. 16. Verhängt der Richter eine Geldstrafe von mehr als 200,— Gulden, muß er i n dem Urteil angeben, i n welcher Weise dabei der Leistungsfähigkeit des Verurteilten Rechnung getragen wurde. I n das Strafgesetzbuch werden einige allgemeine Vorschriften über Leistungsfähigkeit und Vermögenssanktionen aufgenommen. (Das System der proportionalen Geldstrafe — das sog. Tagessatzsystem — wurde nach gründlichem Studium und ausführlicher Überlegung aus den Gründen abgelehnt, die i m Hauptteil V des Ersten Z w i schenberichts auseinandergesetzt sind.) 17. Die Vorschriften über die Vollstreckung der Geldstrafen und anderer Vermögenssanktionen werden verdeutlicht, ergänzt und übersichtlicher geordnet. I n Fällen, i n denen der zu bezahlende Betrag nicht rechtzeitig i n voller Höhe geleistet wird, erhält der Verurteilte eine Mahnung, die i h n 5,— Gulden zusätzlich kostet. Bleibt er danach noch einen Monat i m Verzug, erfolgt eine neue
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Anmahnung, die die (ausstehende) Schuld u m 20°/o bis zu einem Maximum von 1000,— Gulden erhöht. 18. Es w i r d eine Möglichkeit geschaffen, die Geldstrafen etc. i n einem vereinfachten Verfahren u. a. auch von Bank- und Girokonten beizutreiben. 19. Die Anwendung der Ersatzhaft, sofern sie vom Richter angeordnet w i r d (die bestehende Verpflichtung dazu entfällt), w i r d an strengere Voraussetzungen gebunden. Diese Vorschläge sind von der Kommission i n die Form konkreter Gesetzesvorschläge gebracht und i m einzelnen begründet worden 6 2 . Dies ist hinsichtlich der i m Zweiten Zwischenbericht unterbreiteten Empfehlungen über die Errichtung eines Fonds für Entschädigungsleistungen an Opfer strafbarer Handlungen unterblieben. Die Hauptpunkte dieser Empfehlungen lauten: 20. Eine natürliche Person, die durch eine Straftat geschädigt wird, kann einen Entschädigungsanspruch (bis zu einem näher festzusetzenden Höchstbetrag und unter der Voraussetzung, daß der Schaden einen festzusetzenden Mindestbetrag übersteigt) gegenüber dem Fonds geltend machen, wenn der Straftäter ihr gegenüber für diesen Schaden nach bürgerlichem Recht verantwortlich ist und der entsprechende Betrag vom Täter nicht vollständig eingetrieben werden kann und darf. 21. Der Fonds ist nicht zuständig für: Schäden, gegen die der Geschädigte versichert ist; Schäden, gegen die man i m Kreis der Geschädigten i n der Regel versichert ist; Schäden, die zum normalen Betriebsrisiko gehören; Schäden i n Fällen, i n denen das Haftpflichtversicherungsgesetz für Kraftfahrzeuge anwendbar ist und wenn der Geschädigte hinsichtlich des Schadens als professioneller Risikoträger angesehen werden muß. 22. Die Anzeige bei der Justiz oder Polizei ist keine allgemeine Voraussetzung für die Möglichkeit, eine Entschädigung aus dem Fonds zu bekommen. 23. Der Fonds hat, ebenso wie professionelle Risikoträger, ein Regreßrecht an den Täter vorbehaltlich einer Begrenzungs- oder Aus62
Sie sind dem abschließenden Bericht als Anlage beigefügt. Vgl. V e r mogensstraffen. Eindrapport, a.a.O. (Anm. 58), S. 51 - 94. Die Vorschläge zur Vollstreckung sind i n dem erwähnten E n t w u r f (Anm. 58 a) m i t einigen M o d i fikationen (z.B. ist die Mahngebühr auf fünfundzwanzig Gulden festgesetzt u n d die obligatorische Anordnung der Ersatzhaft beibehalten worden) aufgegriffen worden. Vgl. auch u n t e n A n m . 201 a.
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schlußbefugnis des Regreßrechtes aufgrund richterlicher Anordnung (der Richter kann den Täter i m Urteil auch verpflichten, einen bestimmten Betrag i n den Fonds einzuzahlen). Die Kommission schließt mit einer Empfehlung und einer Feststellung: 24. Es w i r d empfohlen, die betriebswirtschaftlichen Aspekte des Einzugs und der Beitreibung der Geldstrafen von einem Unternehmensberatungsbüro untersuchen zu lassen; vorzugsweise von einem Büro mit besonderer Erfahrung und Sachkunde auf dem Gebiete der Einziehung von Geldforderungen. 25. Es gibt keinen tatsächlichen Anhaltspunkt für die Annahme, daß das Niveau der i n der Praxis auferlegten Geldstrafen hinter den Indexzahlen für Löhne und Preise zurückgeblieben ist. Die i m Zweiten Zwischenbericht der Kommission entwickelten Gedanken zur Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Opfer von Straftaten sind nur zu einem Teil i n einen Gesetzentwurf vom November 197263 übernommen worden, der die Schaffung eines Fonds für Opfer von Gewaltstraftaten nach schwedischem und britischem Vorbild vorsieht. Er beabsichtigt lediglich — schon nach dem Wortlaut seiner Präambel — eine vorläufige Regelung für die dringendsten Fälle. Die Leistungen aus dem Fonds sollen eine Hilfe bei Schäden gewähren, die durch körperliche Verletzung oder Tod verursacht sind, sofern der Täter nicht i n Anspruch genommen und Schadensersatz auch nicht auf andere Weise erreicht werden kann, es andererseits aber ungerechtfertigt und unbillig wäre, das Opfer den Schaden selbst tragen zu lassen. Die Kommission hatte demgegenüber von einer Begrenzung des Fonds auf Opfer von Gewaltstraftaten abgeraten, schon w e i l ζ. B. ein finanziell leistungsschwacher Bürger durch eine Vermögensstraftat ebenfalls übermäßig hart getroffen werden könne. Auch der Vorschlag der Kommission, dem Strafrichter die Befugnis einzuräumen, den Täter unmittelbar zur Schadensersatzleistung an den Fonds zu verpflichten, ist nicht i n den Entwurf aufgenommen worden. Dies geschah allerdings lediglich deshalb, weil er den Rahmen einer vorläufigen Regelung gesprengt hätte. Sollten die mit dem Fonds 63 Wetsontwerp voorlopige regeling schadefonds geweldmisdrijven (Gesetzentwurf zur vorläufigen Regelung eines Entschädigungsfonds für Gewaltverbrechen) v o m 24. November 1972: Parlamentsdrucksache 12.131. I m Haushalt 1975 wurden für den Fonds eine M i l l i o n Gulden bereitgestellt (DeD 1975, S. 300). Der E n t w u r f wurde inzwischen angenommen: Wet voorlopige regeling schadefonds geweldmisdrijven (Gesetz zur vorläufigen Regelung eines Entschädigungsfonds für Gewaltverbrechen) v o m 26. J u l i 1975, StBl. 382. Vgl. dazu ausführlich: P. Neleman, Voorlopige regeling schadefonds geweldmisdrijven. I n : Ars aequi 1975, S. 551 - 556.
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gemachten E r f a h r u n g e n indes bestätigen, daß e i n B e d ü r f n i s f ü r eine solche besondere N e b e n s t r a f e oder M a ß r e g e l gegeben ist, w i r d d a r über i m Zusammenhang einer allgemeinen Untersuchung neuer altern a t i v e r S a n k t i o n e n n e u entschieden w e r d e n 6 4 . M i t e i n e r solchen U n t e r suchung ist j ü n g s t d i e K o m m i s s i o n Enschedé b e a u f t r a g t w o r d e n 6 4 a . Sie s o l l p r ü f e n , ob g r u n d s ä t z l i c h eine größere V a r i a t i o n s b r e i t e i m S a n k t i o n e n s y s t e m des n i e d e r l ä n d i s c h e n Strafgesetzbuchs w ü n s c h e n s w e r t ist. Sie g r e i f t d a m i t e i n T h e m a auf, das s o w o h l i n d e r L i t e r a t u r 6 5 als auch i n d e r R e c h t s p r e c h u n g 6 6 w i e d e r h o l t a n g e k l u n g e n ist. I n diesem Z u s a m m e n h a n g sei auch d a r a u f h i n g e w i e s e n , daß e i n G e s e t z e n t w u r f v o r b e r e i t e t w i r d , d e r die N e b e n s t r a f e d e r U n t e r b r i n g u n g i n e i n e m A r b e i t s haus abschaffen w i r d 6 7 , u n d daß d i e v e r a l t e t e G n a d e n v e r o r d n u n g v o n 1887 d u r c h d i e G n a d e n v e r o r d n u n g v o n 1976 ersetzt w e r d e n s o l l 6 7 a . I n engem Z u s a m m e n h a n g m i t d e n V o r s c h l ä g e n d e r K o m m i s s i o n , d i e d i e V e r m ö g e n s s t r a f e n u n t e r s u c h t h a t , s t e h t schließlich das V o r h a b e n , i n das Strafgesetzbuch a l l g e m e i n e B e s t i m m u n g e n ü b e r die Täterschaft u n d S t r a f b a r k e i t v o n j u r i s t i s c h e n P e r s o n e n u n d Gesellschaften a u f z u n e h m e n . E i n entsprechendes Gesetz i s t n a c h k u r z f r i s t i g e r p a r l a m e n t a rischer B e r a t u n g verabschiedet w o r d e n 6 8 . B i s l a n g f o l g t e das n i e d e r l ä n 64 Vgl. die A n t w o r t n o t e (Memorie v a n Antwoord) zum erwähnten Gesetzentwurf, a.a.O. (Anm. 63), Nr. 8, S. 8. 64a Die Kommission wurde v o m Justizminister am 13. September 1974 eingesetzt. 65 Siehe J. M. van Bemmelen, Voorstellen v a n nieuwe Strafmethoden, i n : N J B 1970, S. 1 ff. u n d neuerdings derselbe, Herziening van het strafrechtel i j k sanctiestelsel, i n : N J B 1975, S. 265 ff., sowie W. C. F. van Hattum, A f schaffing van de gevangenisstraf, i n : N J B 1975, S. 613 ff., der f ü r eine v o l l ständige Abschaffung der Gefängnisstrafe e i n t r i t t und an deren Stelle eine Arbeitsstrafe ohne Freiheitsentzug oder i n Fällen, i n denen sich die obligatorische A r b e i t nicht durchführen läßt, eine psychiatrische oder erzieherische Behandlung vorschlägt. ββ So hat der Polizeirichter von A r n h e i m i m Dezember 1971 bei drei j u gendlichen Gewalttätern auf Vorschlag des Verteidigers eine Strafe m i t der besonderen Auflage zur Bewährung ausgesetzt, daß die Täter während einer bestimmten Zeit i n einem Krankenhaus, einem sozialpädagogischen Z e n t r u m u n d einer Einrichtung f ü r I n v a l i d e n arbeiten. Die Entscheidung ist zwar i m Rechtsmittelverfahren wegen Formfehlers aufgehoben worden, zeigt aber, daß auch die Richter nach A l t e r n a t i v e n zur Freiheitsstrafe suchen. Als V a riante zur Wochenendstrafe w i r d diese Sanktion v o n Th. W. van Veen, Weekenddienst, bijzondere voorwaarde of nieuw straf?, i n : Procès 1973, S. 81 ff. i m Grundsatz befürwortet, doch eine nähere gesetzliche Regelung f ü r erforderlich gehalten. 67 Vgl. die Hinweise i n der Begründung zum Reichshaushalt 1975, a.a.O. (Anm. 6), S. 11 unter Ziff. 26 u n d 27. M i t der Abschaffung des Arbeitshauses soll gleichzeitig die Strafbarkeit v o n Bettelei u n d Landstreicherei aufgehoben u n d damit ein weiterer Beitrag zur Entkriminalisierung geleistet werden (ebenda, Nr. 85 a, S. 3). 67 » Gratieregeling (Gnadenverordnung) v o m 30. J u n i 1976 (1. Oktober 1976), StBl. 378. 68 Wet houdende vaststelling v a n algemene bepalingen omtrent de strafbaarheid van rechtspersonen (Gesetz zur Feststellung allgemeiner Bestim-
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dische Strafgesetzbuch noch dem für das kontinentale Strafrechtsdenk e n charakteristischen G r u n d s a t z universitas
delinquere
non potest.
In
der Begründung zum Strafgesetzbuch von 1886 heißt es demzufolge: „Eine strafbare Handlung kann allein durch eine natürliche Person begangen werden. Die Fiktion der Rechtspersönlichkeit gilt nicht auf dem Gebiete des Strafrechts. W i r d somit das Strafgesetzbuch durch den Beschluß einer Vereinigung verletzt, komme ihr Rechtspersönlichkeit zu oder nicht, so t r i f f t die Strafbestimmung nur diejenigen, deren persönliche M i t w i r k u n g am Beschluß oder an der Ausführung beweisbar ist 6 9 ." Schon damals hat es indes eine ganze Reihe von Gesetzen gegeben, die die Verantwortlichkeit für von juristischen Personen begangene Handlungen regelten 70 . Heute ist die Anerkennung der Täterschaft und Strafbarkeit von juristischen Personen und Gesellschaften i m Wirtschafts-, Steuer- und Zollstrafrecht, i m Opiumgesetz, Gesetz über Glücksspiele und anderen Sondergesetzen des Nebenstrafrechts verbreitet 7 1 . I m Gegensatz zur deutschen Regelung i m § 26 OWiG kann eine Sanktion nicht nur als Nebenfolge aus Anlaß einer Straftat auferlegt werden, die eine bestimmte natürliche Person i n leitender Funktion begangen hat. Vielmehr ist z. B. ein Unternehmen als Täter strafbar, wenn eine Wirtschaftsstraftat von Personen begangen wird, die i m Unternehmensbereich aufgrund eines Dienstverhältnisses oder einer anderen Ursache handeln (Art. 15 nl. WirtschaftsstrafG); die Stellung der handelnden Person i m Unternehmen ist also unwichtig. I m Kernstrafrecht war der Grundsatz bisher allerdings nur teilweise anerkannt. Der i m Jahre 1965 neu eingefügte Art. 50 a nl. StGB 7 2 geht zwar davon aus, daß Übertretungen durch juristische Personen begangen werden können, räumt jedoch für diesen Fall nur die Möglichkeit ein, durch eine gesetzliche Vorschrift bestimmte natürliche Personen zur mungen über die Strafbarkeit juristischer Personen) v o m 23. J u n i 1976 (1. August 1976), StBl. 377. 69 Zitiert nach van Binsbergen-Kuitenbrouwer, Neue Entwicklungen, a.a.O. (Anm. 2), S. 28. 70 Β. V. A. Röling, De strafbaarheid v a n de rechtspersoon, i n : T. v. S. 1957, S. 1 ff. (2). 71 Z u r Strafbarkeit juristischer Personen i m niederländischen Straf recht vgl. D. S chaff meist er, Das niederländische Wirtschaftsstrafgesetz, seine Handhabung und seine grundsätzliche Bedeutung f ü r die deutsche Reform des Wirtschaftsstrafrechts. I n : ZStW Bd. 85 (1973), S. 782 ff. (S. 801 -807) m i t L i t e r a t u r - u n d Rechtsprechungshinweisen. Zentral steht dieses Thema i n der neuesten systematischen Darstellung des niederländischen Wirtschaftsstrafrechts: A. Mulder, Schets van het economisch straf recht, 3. Aufl. Zwolle 1975, S. 54-84. Auch der K o m m e n t a r zum nl. StGB: Noyon, T. J. / G. E. Langemeijer / J. Remmelink, Het Wetboek van Strafrecht, 7. Aufl. bearb. von J. Remmelink, A r n h e i m 1972 ff., A r t . 51, A n m . 12 ff. auf S. 388 ff. behandelt das Thema ausführlich, obgleich die Strafbarkeit juristischer Personen i m Kernstraf recht erst seit August 1976 gilt. 72 Durch das Änderungsgesetz v o m 2. J u n i 1965 (12. J u l i 1965), StBl. 238.
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strafrechtlichen Verantwortung zu ziehen, ohne näher darlegen und nachweisen zu müssen, daß sie tatsächlich an der Tat beteiligt waren. Der Beschuldigte muß vielmehr beweisen, daß die Tat außerhalb seines Einflußbereichs geschehen ist (Art. 51 nl. StGB). Die zuvor bereits überwiegend befürwortete Einführung der Verantwortlichkeit von j u ristischen Personen i n das Kernstrafrecht 7 3 bedeutet den erfolgreichen Abschluß eines Experiments, das der Justizminister schon 1951 ankündigte: „Die allgemeine Einführung der Strafbarkeit von juristischen Personen wartet auf die Erfahrung, die durch die Rechtsprechung mit dem Wirtschaftsstrafgesetz gemacht w i r d 7 4 . " § 4 Die Quellen des niederländischen Strafrechts
Die wichtigste Quelle des niederländischen Strafrechts bildet das Strafgesetzbuch von 1881, das 1886 i n K r a f t getreten ist. Es erging aufgrund des Kodifikationsartikels der Verfassung (Art. 164), i n dem vorgeschrieben ist, daß u. a. das ordentliche und das Militärstrafrecht i n allgemeinen Gesetzbüchern geregelt werden, die Befugnis des Gesetzgebers jedoch unberührt bleibt, einzelne Gegenstände i n besonderen Gesetzen zu regeln. Von dieser Befugnis zur sondergesetzlichen Regelung hat der niederländische Gesetzgeber i n großem und stets zunehmendem Maße Gebrauch gemacht. Schon bei der Inkraftsetzung des Strafgesetzbuchs i m Jahre 1886 wurde i m Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch eine ziemlich große Anzahl (etwa fünfzig) Einzelgesetze beibehalten 75 . Über die übergroße Fülle an nicht kodifiziertem Straf recht wurde schon i n den zwanziger Jahren geklagt 7 6 ; sein Umfang ist seither ständig weiter angewachsen und noch weniger überschaubar geworden. Nicht nur neue Tatbestände werden außerhalb des Strafgesetzbuchs i n Sondergesetzen angesiedelt, sondern gelegentlich auch bestehende Strafbestimmungen ausgegliedert 77 . 78 A u f der Tagung der niederländischen Juristenvereinigung 1966 zum Thema: „ M u ß das Strafgesetzbuch Bestimmungen über die strafrechtliche Verantwortlichkeit von anderen als natürlichen Personen enthalten?" — m i t Gutachten von F. O. Kist u n d L. H. C. Hulsman — Verhandelingen N J V 1966, Bd. 1 2 — wurde die Frage m i t sehr großer Mehrheit positiv beantwortet. 74 Aus der Antwortnote zum Haushalt der Justiz, zit. nach Röling, De strafbaarheid, a.a.O. (Anm. 70), S. 27. 75 A r t . 10 Invoeringswet Wetboek van Straf recht (Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch) v o m 15. A p r i l 1886, StBl. 64 enthielt sogar einen langen K a talog aufrechterhaltener Regelungen auf dem Gebiete des Allgemeinen Teils. Selbst die i n Sondergesetzen vorgesehenen Ermittlungsbefugnisse blieben i n K r a f t , „auch wenn gegen die Straftaten jetzt i m Strafgesetzbuch vorgesorgt ist" (Art. 12). 76 Vgl. D. Simons, Leerboek van het Nederlandse Strafrecht. Eerster Deel — Algemeene Leerstukken, 5. A u f l . Groningen 1927, S. 61. Die nach 1886 bis 1924 erlassenen sondergesetzlichen Strafbestimmungen sind dort (S. 61 - 69) zusammengestellt worden, w e i l „die beinahe nicht mehr zu übersehende A n -
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Durch die Aufrechterhaltung des sondergesetzlichen Strafrechts w u r de auch die Streitfrage entschieden, welchen Umfang das Dritte Buch haben müsse, das die Übertretungen enthält. Hätte man alle bestehenden strafrechtlichen Nebengesetze aufgenommen, wäre dieses Buch sehr vielgestaltig und unzusammenhängend geworden. Die nachfolgenden Jahrzehnte haben aber immer deutlicher gezeigt, daß eine Aufnahme aller Übertretungen und sogar aller Verbrechen i n das Gesetzbuch ein unmögliches Unterfangen gewesen wäre. Eine i m Jahre 1886 noch nicht vorhersehbare Zunahme staatlicher Daseinsvorsorge hat eine so große Anzahl neuer Gesetze und i m Zusammenhang damit neuer Strafbestimmungen gebracht, daß ihre Kodifikation i n einem Strafgesetzbuch praktisch unmöglich wäre. Man denke an die Sozialgesetzgebung, die seit dem letzten Quartal des vorigen Jahrhunderts stets zugenommen hat, und obendrein an die Wirtschaftsgesetzgebung, die sich vor allem seit der Wirtschaftskrise i m Jahre 1929 immer mehr ausweitete. A n der Ausweitung der Gesetzgebungstätigkeit des Staates i n diesen Bereichen, die einen immer größeren Raum des gesellschaftlichen Lebens erfaßt und differenziertere Regelungen schafft, scheitert der die Einheitlichkeit des Strafrechts anstrebende Kodifikationsgedanke: „Das Strafgesetzbuch war bestimmt für alle Stände, für alle Zeiten, für alle Plätze; das Sondergesetz w i r d gegeben für bestimmte Stände, für zeitliche Umstände, für örtliche Verhältnisse 78 ." Der so entstandene Wildwuchs von strafrechtlichen Sonderregelungen ist für den Bereich der Wirtschaft i m obenerwähnten Wirtschaftsstrafgesetz von 1950 für eine große Anzahl von Wirtschaftsstraftaten des nicht kodifizierten Strafrechts zusammengefaßt und vereinheitlicht worden. Ähnliche Zusammenfassungen finden sich für das Steuer- und Zollstrafrecht 79 . Noch nicht erwähnt wurden die Strafbestimmungen, die in Rechtsnormen unter dem Range des Gesetzes enthalten sind: i n allgemeinen zahl von besonderen Strafbestimmungen" dies wünschenswert erscheinen ließ (S. 61 A n m . 4). 77 Als neueres Beispiel k a n n die Aufhebung der A r t . 254 u n d 457 nl. StGB, die das Veranstalten von bzw. die Teilnahme an verbotenem Glücksspiel unter Strafe stellten, durch Wet op de kansspelen (Gesetz über die Glücksspiele) v o m 10. Dezember 1964 (31. Dezember 1964), StBl. 483 angeführt werden. 78 H. J. A. Nolte, Het strafrecht i n de afzonderlijke wetten — rechtshistorisch, rechtsphilosophisch en systematisch bewerkt, Utrecht-Nijmegen 1949, S. 53. 79 Algemene Wet inzake rijksbelastingen (Allgemeines Gesetz über Reichssteuern) v o m 2. J u l i 1959 (unterschiedliches I n k r a f t t r e t e n f ü r die einzelnen Steuern), StBl. 301 i. d. F. der letzten Änderung durch das Gesetz vom 23. J u n i 1976, StBl. 377; Algemene Wet inzake de douane en de accijnsen (Allgemeines Gesetz über den Z o l l u n d die Abgaben) v o m 26. Januar 1961 (1. Oktober 1962), StBl. 31 i. d. F. der letzten Änderung durch das Gesetz v o m 23. J u n i 1976, StBl. 377.
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Verwaltungsverordnungen des Königs (Art. 57 nl. Grundgesetz), der Provinzialverwaltung (Art. 87 Provinciewet (Gesetz über die Provinzen) von 1962) sowie i n Satzungen von Gemeinden (Art. 195 und 196 Gemeentewet (Gemeindegesetz) von 1851), Wassergenossenschaften (Art. 5 Keurenwet (Gesetz über Satzungen) von 1895) und Wirtschaftsorganisationen, die Vorschriften m i t bindender Wirkung für die angeschlossenen Unternehmen i m Hinblick auf soziale, wirtschaftliche und technische Aspekte erlassen können (Art. 93 Abs. 2 Wet op de bedrijfsorganisatie (Gesetz über die Wirtschaftsorganisation) von 1950). § 5 Textausgaben, Literatur und Rechtsprechung
Textausgaben Die amtliche Veröffentlichung der niederländischen Gesetze und ebenfalls der allgemeinen Verwaltungsverordnungen erfolgt i m „Staatsblad van het K o n i n k r i j k der Nederlanden". Daneben gibt es eine Reihe von nicht offiziellen Textausgaben: „De Nederlandse Wetboeken" (hrsg. von Fruin, J. Α.; bearbeitet durch Bink, N. J.), 1967, Ergänzungen 1968 und 1969 [umfassende Gesetzessammlung] . „Nederlandse Wetgeving", Teil B: „Nederlandse wetboeken en aanverwante wetten" (hrsg. ursprünglich von Voellmar, H. F. A. / A. Ver maas; inzwischen von Ph. A. N. Houwing / J. R. Stellinga / M. C. Hofman) [umfassende Gesetzessammlung i n Form einer Loseblattausgabe seit 1954]. „Nederlandse Wetboeken", Ausgabe Schuurman & Jordens (Wetboek van Strafrecht, hrsg. von P. A. J. Losecaat Vermeer) [Taschenausgabe der Gesetzbücher i n kurzfristiger Neuauflage] 80 . „Wetboek van Straf recht en Wetboek van Strafvordering met . . . arresten" (hrsg. von Cremers, W. A. M. / J. J. M. van Benthem / J. C. J. van Vucht), [Loseblattausgabe; außer den Gesetzestexten des Strafund Strafverfahrensgesetzbuches und wichtiger Nebengesetze (ζ. T. auszugsweise) sind auch die wichtigsten Entscheidungen des Höge Raad in ihren Kernsätzen erwähnt]. Eine deutsche Übersetzung des Strafgesetzbuches von den Professoren Dochow (Art. 1 - 91) und Teichmann (Art. 92 - 475) wurde erstmalig als Beilage der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd. 80 I n derselben Sammlung erscheinen die: Nederlandse Staatswetten, die mehr als 170 Sondergesetze umfassen; diese Staatswetten enthalten viele Strafbestimmungen.
§ 5 Textausgaben, L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung
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I, 1881, zugleich Bd. I der „Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher i n deutscher Übersetzung" veröffentlicht. I n der Fassung nach dem Stande von August 1958 erschien eine zweite Übersetzung von K. Toebelmann i m Jahre 1959 als Bd. 76 derselben Reihe. Eine Neufassung nach dem Stand vom 1. Mai 1976 ist i m Druck. Strafrechtsgeschichte Zur Strafrechtsgeschichte ist die i m Auftrag der Königlich Niederländischen Akademie für Wissenschaften herausgegebene „Geschiedenis van de Nederlandse Rechtswetenschappen", 2 Bde., Amsterdam 1942 - 1956, zu nennen; J. Ph. De Monté Verloren hat die Geschichte der Strafrechtswissenschaft bis zur Kodifikation (1795) verfaßt und W. P. J. Pompe die Geschichte seit der Kodifikation (1795 -1930). Daneben sei noch auf K . J. Frederiks, „Het Oud-Nederlandsche Strafrecht", Bd. 1, 1918 (weitere Bände sind nicht erschienen) hingewiesen. Die Entstehungsgeschichte des nl. StGB von der Regierungsvorlage bis zur Verabschiedung ist systematisch und nach A r t i k e l n geordnet in H. J. Smidt, „Geschiedenis van het Wetboek van Strafrecht", 5 Bde., dargestellt; eine zweite Auflage der ersten drei Bände erfolgte durch J. W. Smidt, 1891 - 1892, die der beiden letzten Bände, die sich m i t den strafrechtlichen Einzelgesetzen befassen, die m i t dem StGB zusammen i n K r a f t getreten sind, von E.A. Smidt 1900-1901. Eine neue Darstellung — beschränkt auf die A r t . 1 - 9 1 nl. StGB — gibt A. G. Bosch, „Het ontstaan van het wetboek van Strafrecht", Zwolle 1965. Lehrbücher und Kommentare A n älteren noch immer einflußreichen Lehrbüchern zum nl. StGB sind zu erwähnen: G. A. van Kamel, „Inleiding tot de studie van het Nederlandsche Strafrecht", 4. Aufl. von J. V. van Dijck, Haarlem-Den Haag 1927. G. A. van Hamel w a r 1880 - 1910 Professor an der Städtischen Universität i n Amsterdam und hat zusammen m i t Franz von Liszt u n d Adolphe Prins die „Internationale Kriminalistische Vereinigung" ( I K V ) gegründet. Das Buch behandelt den Allgemeinen Teil.
D. Simons, „Leerboek van het Nederlandsche Strafrecht", 6. Aufl. von W. P. J. Pompe, 2 Bde., Groningen-B at a via 1937 und 1941. Simons w a r 1897 - 1928 Professor an der Staatlichen Universität i n Utrecht; wie van Hamel w a r er Anhänger der sogenannten modernen Richtung i m Straf recht, fühlte sich jedoch mehr als van Hamel der Gedankenwelt verbunden, die i n der Lehre Beccarias z u m Schutze der individuellen Freiheit zum Ausdruck gebracht war.
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W. Zevenbergen, „Leerboek van het Nederlandsche Strafrecht", Groningen-Den Haag, 1924. Zevenbergen w a r 1920 -1925 Professor an der Freien (Kalvinistischen) U n i versität i n Amsterdam; er w a r gemäßigter Anhänger der Vergeltungslehre u n d Schüler u n d Anhänger Belings.
Aus neuerer Zeit seien genannt: J. M. van Bemmelen: „Ons strafrecht". Mehrere Teile i n kurzfristigen Neuauflagen, Haarlem-Groningen 1959 - 1975. Teil 1. Het materiële strafrecht. Algemeen deel. 5. Aufl. 1975. Teil 2. Het pénitentiaire recht. Bearbeitet von D. E. Krantz. 2. Aufl. 1973. Teil 3. Bijzondere delicten. 4. Aufl. 1973. Van Bemmelen w a r v o n 1931 - 1968 Professor an der Universität i n Leiden.
J. M. van Bemmelen / W. F. C. van Hattum, „Hand- en Leerboek van het Nederlandse Strafrecht", 2 Bde., Arnheim-Den Haag, Bd. 1 Allgemeiner Teil durch van Hattum. 1953, Bd. 2 Besonderer Teil durch van Bemmelen, 1954. Z u van Bemmelen s. o.; van Hattum w a r ehemaliger Professor an der Rechtshochschule i n Batavia, später Richter am Bezirksgericht i n Den Haag.
W. C. van Binsbergen, „Inleiding strafrecht", 2. Aufl. Zwolle 1972. Van Binsbergen w a r von 1963 - 1969 Professor an der Universität Utrecht und ist jetzt Generalstaatsanwalt am Gerichtshof Leeuwarden.
Ch. J. Enschedé / A. Heijder , „Beginselen van Strafrecht", 2. Aufl. Deventer 1974. Enschedé w a r von 1959 - 1971 Professor an der Städtischen Universität i n Amsterdam u n d ist jetzt Richter am Höge Raad; Heijder ist seit 1968 Professor für Strafrecht an der Städtischen Universität i n Amsterdam.
D. Hazewinkel-Suringa, „Inleiding tot de Studie van het Nederlandse Strafrccht", 7. Aufl. von J. Remmelink, Groningen 1975. F r a u Hazewinkel-Suringa w a r von 1932 - 1959 Professor an der Städtischen Universität i n Amsterdam; Remmelink w a r v o n 1963- 1968 Professor an der Universität Groningen u n d ist jetzt Reichsanwalt beim Höge Raad.
T. J. Noyon, „Het Wetboek van Strafrecht verklaard"; Bd. I : Art. 1 - 176, Bd. I I : A r t . 177-479, 6. Aufl. von G. E. Langemeijer, Arnheim 1954. Die 7. Aufl. dieses Kommentars w i r d (nunmehr i n Loseblattform) von J. Remmelink bearbeitet; der Kommentar liegt nach der fünfzehnten Ergänzungslieferung vom Januar 1976 bis einschließlich Art. 328 bis vor. Noyon w a r Generalstaatsanwalt beim Höge Raad, Langemeijer A m t bis Ende 1973 inne; zu Remmelink s. o.
hatte dieses
§ 5 Textausgaben, L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung
49
W. P. J. Pompe, „Handboek van het Nederlandse Strafrecht", 5. Aufl., Zwolle 1959. Pompe w a r von 1928 - 1963 Professor an der Staatlichen Universität Utrecht, vorher (1921 - 1928) i n Nijmegen.
H. JB. Vos , „Leerboek van Nederlandsche Strafrecht", 3. Aufl., Haarlem 1950. Die Werke von Pompe, Vos u n d Hazewinkel-Suringa befassen sich m i t dem Allgemeinen Teil des S traf rechts, die Einleitung von van Binsbergen enthält einen geschichtlichen A b r i ß u n d einige Grundzüge des Allgemeinen Teils, während die Grundzüge v o n Enschedé u n d Heijder einen allgemeinen Überblick über das Straf- u n d Strafprozeßrecht bieten.
Deutschsprachige
Literatur
Über die Entwicklung des Strafrechts i n den Niederlanden haben i m Auslandsteil der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW) berichtet: W. J. P. Pompe i n Bd. 63 (1951), S. 350 ff. und Bd. 70 (1958), S. 15 ff. sowie E. Brongersma i n Bd. 78 (1966), S. 180 ff. Literaturberichte
sind i n der gleichen Zeitschrift erschienen von
C. F. Rüter i n Bd. 80 (1968), S. 455 ff. und von I. Sagel-Grande i n Bd. 86 (1974), S. 235 ff. Ferner ist hinzuweisen auf den bereits erwähnten Aufsatz von W. C. van Binsbergen / F. Kuitenbrouwer, Neue Entwicklungen i m holländischen Straf recht seit dem Zweiten Weltkrieg. In: Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht — Revue Pénale Suisse, Bd. 85 (1969), S. 1 ff. Zeitschriften Als strafrechtliche Fachzeitschrift erschien seit 1886 in Leiden die Tijdschrift voor Strafrecht. Seit 1970 w i r d sie unter dem Namen Delikt en Delinkwent fortgesetzt und erscheint i n Arnheim. Für Fragen des Strafvollzugs und verwandter Sachgebiete gab es seit 1922 das Maandblad voor berechting en reclassering. Nahezu vier Jahrzehnte ist diese Zeitschrift von Ν. Muller, einem ehemaligen Richter i n Amsterdam, herausgegeben worden; seit 1960 wurde sie von einer neuen Redaktion geleitet, der Muller bis zu seinem Tode am 16. 2.1965 angehörte. Seit 1972 w i r d die Zeitschrift mit dem neuen Namen Procès unter neuer Schriftleitung fortgesetzt. Der alte Name ist als Untertitel erhalten. 4 Ausländisches Strafrecht V
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D s niederländische Strafrecht
Daneben erschien seit 1949/50 die Maandschrift voor het gevangeniswezen. Diese Zeitschrift w i r d seit 1970 m i t dem neuen Namen Balans herausgegeben. Als kriminologische Fachzeitschrift gibt es seit 1959 ff. i n Meppel die Nederlands Tijdschrift voor Criminologie. Neben diesen speziellen Fachzeitschriften für verschiedene Disziplinen innerhalb des Strafrechts gibt es eine Reihe wichtiger allgemeiner Zeitschriften, die regelmäßig auch strafrechtliche Beiträge enthalten. Es sind dies: Ars aequi, seit 1951/1952 i n Deventer; Nederlands Juristenblad,
seit 1926 i n Zwolle;
Rechtsgeleerd Magazijn Themis, seit 1970 i n Zwolle (es handelt sich um die Fortsetzung der Zeitschriften Themis, seit 1839, und Rechtsgeleerd Magazijn, seit 1882). Für die Sonderbereiche Wirtschafts- und Verkehrsstrafrecht ist außerdem noch auf die Zeitschriften: Social-economische Wetgeving, seit 1952/53 i n Zwolle und Gent (zugleich Mitteilungsblatt der niederländischen Vereinigung für Europäisches Recht) und Verkeersrecht — Juridisch Maandblad seit 1953 in Den Haag, hinzuweisen.
betreffende
het wegverkeer,
Rechtsprechung Es existiert keine periodische Sammlung nur strafrechtlicher Entscheidungen. Die Zeitschrift Delikt en Delinkwent enthält jedoch nunmehr eine Rubrik „Rechtsprechung", i n der alle strafrechtlichen Entscheidungen des Höge Raad i n ihren Kernsätzen veröffentlicht und i n einem jährlichen Überblick systematisch erfaßt werden. Eine Sammlung der wichtigsten strafrechtlichen Entscheidungen enthält das Buch: Arresten over straf recht. Gesammelt und herausgegeben von J. M. van Bemmelen, H. Burgersdijk und C. P. Chr. M. Oomen, 9. Aufl. Groningen 1973. Eine Auswahl strafrechtlicher Urteile vornehmlich des Höge Raad, doch auch anderer Gerichte, w i r d i m vollen Wortlaut oder auszugsweise i n der allgemeinen Entscheidungssammlung Nederlandse Jurisprudentie veröffentlicht, die seit 1913 i n Zwolle erscheint und ab 1.
§ 5 Textausgaben, L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung
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Januar 1936 mit dem Weekblad van het Recht (1838 -1935) vereinigt wurde. Zu ihr gehört auch eine nach Paragraphen geordnete Leitsatzund Literaturkartei. Statistiken Die gerichtlichen Statistiken werden i n den Niederlanden seit 1850 jährlich vom Justizministerium, ab 1900 vom Centraal Bureau voor de Statistiek herausgegeben. Für das Strafrecht sind die nachfolgend aufgeführten Statistiken von Bedeutung: Crimineele Statistiek,
1900/1902 ff. i n Den Haag.
Sie enthält Angaben über den Stand u n d die Bewegung der K r i m i n a l i t ä t . Es werden u. a. aufgeschlüsselt: die Straftaten nach A r t , Geschlecht des Täters, Gebiet, Erledigung; die Strafen nach Straftat, früheren Verurteilungen, Geschlecht u n d Lebensalter des Täters.
Gevangenisstatistiek,
1900/1901 ff. i n Den Haag.
Sie enthält einen Uberblick über Insassen der Strafanstalten nach Geschlecht, Lebensalter, auferlegter Strafe, Personalstärke, Disziplinarmaßnahmen, Krankheits- u n d Arbeitstage sowie über Arbeitslohn der Gefangenen.
Justitiële Statistiek, 1900/1901 ff. i n Den Haag. Sie gibt einen Überblick über Umfang u n d A r t der Tätigkeiten der Rechtspflegeorgane sowie die A n w e n d u n g einiger prozeßrechtlicher Normen.
Maandstatistiek Politie en Justitie, 1957 ff. i n Den Haag, (bis 1965 unter dem Titel: Maandstatistiek van rechtswezen, politie branden).
en
Sie enthält Angaben über die der Polizei bekanntgewordene K r i m i n a l i t ä t , Erledigung von Strafsachen durch die ordentliche u n d die Militärgerichtsbarkeit, sowie über die Besetzung der Strafeinrichtungen.
Toepassing der Kinderwetten,
1912/1914 ff. i n Den Haag.
Vor 1914 w a r diese Statistik über die A n w e n d u n g der Jugendgesetze Bestandteil der Kriminalstatistik. Sie berichtet u. a. über die Anwendung der Bestimmungen des Jugendstrafrechts, den Stand u n d die Entwicklung der Jugendkriminalität u n d die Verhältnisse i n den Anstalten für Jugendliche.
Toepassing der Wegenverkeerswet,
1950/1953 ff. i n Den Haag.
Vor 1953 w a r diese Statistik über die A n w e n d u n g des Straßenverkehrsgesetzes Bestandteil der K r i m i n a l s t a t i s t i k . Sie gibt einen Uberblick über die A r t der Verkehrsdelikte u n d ihre Streuung, die verurteilten Personen und die auferlegten Sanktionen.
Dokumentation Neben Chroniken und regelmäßigen Literaturberichten oder Buchbesprechungen i n den genannten Fachzeitschriften informieren regelmäßig über auch strafrechtliche Neuerscheinungen: 4*
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D s niederländische Strafrecht
Justitiële verkenningen, Documentatieblad van het Ministerie van Justitie, seit 1975 i n Den Haag. Es handelt sich u m die Fortsetzung des Documentatieblad, das seit 1956 v o m Studie- en Voorlichtingscentrum bzw. Wetenschapelijk Voorlichtings- en Documentatiecentrum (seit 1962) des niederländischen Justizministeriums herausgegeben wurde.
Data Juridica, seit 1973 i n Deventer.
Zweiter
Teil
Allgemeiner T e i l des S traf recht θ § 6 Vorbemerkung zur Darstellung
Das Erste Buch des Strafgesetzbuches trägt die Überschrift: Allgemeine Bestimmungen. Es umfaßt elf Titel, von denen zwei — Titel I I a über die Entziehung aus dem Verkehr und Titel V i l i a über das Jugendstrafrecht — 1958 bzw. 1961 eingefügt wurden. Der letzte Titel enthält verschiedene Legaldefinitionen. Die Titel I bis V i l i a gelten für das kodifizierte ebenso wie für das nicht kodifizierte Strafrecht, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt (Art. 91 nl. StGB). Dieses Erste Buch umfaßt indessen nicht den gesamten Allgemeinen Teil des Strafrechts. So finden sich ζ. B. keine Bestimmungen über die Frage der Kausalität oder über Vorsatz und Fahrlässigkeit. Auch haben verschiedene Gesetzesbestimmungen erst eine klare Bedeutung durch die Rechtsprechung des Höge Raad erhalten. I n diesem zweiten Teil meines Grundrisses werden alle allgemeinen Lehrsätze behandelt werden, auch wenn sie nicht i m Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches geregelt sind. Dabei werden die bedeutendsten Entscheidungen des Höge Raad angegeben. I n der Literatur bestehen natürlich über die allgemeinen Lehrsätze verschiedene Auffassungen. Begreiflicherweise werde ich meine eigene Auffassung vortragen. A n dere Meinungen werde ich lediglich m i t einem Hinweis auf andere A u toren andeuten, ohne jedoch i m einzelnen die Fundstellen i m Schrifttum nachzuweisen. Diese allgemeinen Lehren werde ich i n drei Kapiteln behandeln. Zunächst werde ich i n drei Abschnitten die Umstände darstellen, die mit der Strafbarkeit von Handlungen und Personen zusammenhängen. Danach wende ich mich den Rechtsfolgen der Straftat zu, und zwar i n
§7 Straftat u n d Gesetz
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einem ersten Abschnitt dem allgemeinen Strafensystem und i n einem zweiten Abschnitt der besonderen strafrechtlichen Behandlung bestimmter Personengruppen. Das dritte Kapitel ist schließlich den Strafverfolgungs- und den Strafvollstreckungsvoraussetzungen gewidmet. Die Grundlagen für diese Unterteilung findet man i m Gesetz. Sie ist für die Auslegung und Anwendung des S traf rechts von praktischer Bedeutung. Die anderen Autoren wählen eine andere Einteilung des Stoffes, m i r aber scheint diese Einteilung für das Verständnis des geltenden Rechts besser. Erstes Kapitel
Die Strafbarkeit von Tat und Täter Erster Abschnitt Die Straftat δ 7 Straftat und Gesetz
A r t . 1. Abs. 1 nl. StGB enthält die bekannte, der „Declaration des droits de l'homme et du citoyen" von 1789 entnommene Bestimmung: Eine Tat ist nur strafbar aufgrund einer vor ihrer Begehung erlassenen gesetzlichen Strafbestimmung. Dieser A r t i k e l schließt zwei Grundsätze ein: die Straftat muß i n einer Gesetzesvorschrift umschrieben sein, und die Gesetzesvorschrift muß vor der Tat erlassen sein. Unter Gesetzesvorschrift ist dabei sowohl eine Bestimmung i n dem Gesetz selbst — d. i. eine Bestimmung, die i n gemeinsamer Beratung von König und Parlament ergangen ist (Art. 119 nl. Grundgesetz) — als auch eine Bestimmung aufgrund eines Gesetzes durch ein i m Range tiefer stehendes Staatsorgan zu verstehen. Der erste Grundsatz — i n der Feuerbachschen Formel: nulla poena sine lege — w i r f t die Frage nach der Zulässigkeit der Analogie auf. Der Wortlaut schließt die Analogie nicht ausdrücklich aus. A r t i k e l 11 „Gesetz über allgemeine Bestimmungen hinsichtlich der Gesetzgebung des Königreichs" 8 1 bestimmt, daß der Richter nach dem Gesetz Recht sprechen muß. Dieses Gesetz von 1829 gilt für das gesamte niederländische Recht, also sowohl für das Privat- als auch für das Strafrecht, aber dennoch entnimmt man diesem A r t i k e l nicht ein Analogieverbot für 81 Wet houdende algemeene bepalingen der wetgeving van het K o n i n g r i j k (Gesetz über allgemeine Bestimmungen hinsichtlich der Gesetzgebung des Königreichs) v o m 15. M a i 1829, StBl. 28.
D s niederländische Strafrecht
das Bürgerliche Gesetzbuch und das Handelsgesetzbuch. Daß die meisten Autoren und auch der Höge Raad i n A r t . 1 nl. StGB jedoch ein solches Verbot sehen, scheint m i r aus historischen Überlegungen erklärlich. Der A r t i k e l unterstreicht nämlich, daß das Strafgesetz nach dem bekannten Wort von Franz von Liszt die Magna Charta für den Bürger, selbst für den Straftäter ist. Obwohl der Höge Raad an seiner Auffassung festhält, daß die Analogie für das Strafrecht verboten ist, sind doch verschiedene Entscheidungen ergangen, i n denen eine extensive Interpretation praktisch zu dem gleichen Ergebnis kommt, wie es durch eine Analogie erreicht worden wäre 8 2 8 3 . Die Grenze zwischen Analogie und extensiver Gesetzesauslegung verläuft fließend. Beide Methoden gestatten eine Berufung auf den Zweck des Gesetzes, wobei jedoch die erste dabei über die Grenzen des Gesetzeswortlauts hinausgeht, während die zweite (die teleologische Interpretation) behauptet, innerhalb dieser Grenzen zu bleiben. Wie man auch über die gesetzliche Zulässigkeit der Analogie denken mag, i n jedem Fall kann man dem Wortlaut des Art. 1 nl. StGB kein weiterreichendes Analogieverbot entnehmen als das, eine Handlung, die nicht unter den Wortlaut einer Strafvorschrift fällt, durch das M i t t e l der Analogie strafbar zu machen. Die gesetzlichen Bestimmungen, die Strafausschließungsgründe enthalten, können sicherlich auch nach der Auffassung des Höge Raad und der Autoren, die ebenfalls ein Analogieverbot befürworten, durch Analogie über den Wortlaut hinaus ausgedehnt werden. Ebenso können Bestimmungen über die Voraussetzungen der Strafverfolgung analog erweitert werden. Die zweite i n A r t . 1 Abs. 1 nl. StGB enthaltene Regel — nach der Feuerbachschen Formel: nulla poena sine praevia lege — war schon für die gesamte Gesetzgebung, also auch für das Privatrecht, i n Art. 4 Gesetz über allgemeine Bestimmungen . . . von 1829 aufgestellt worden. Diese Vorschrift lautet: „Das Gesetz ist allein für die Zukunft verbindlich und hat keine rückwirkende Kraft." Daß diese i n Art. 1 nl. StGB für das Strafrecht enthaltene Regel sich schon hieraus ableiten läßt, hat der Höge Raad 8 4 anerkannt, indem er unter Berufung auf diesen A r t i k e l auch für die Anwendung des Disziplinarrechts forderte, daß die gesetzliche Strafandrohung der Handlung vorausgegangen sein müsse. 82 Eine Strafbestimmung zum Schutze von Telegrapheneinrichtungen wurde auch auf Telephoneinrichtungen angewendet. H. R., U r t e i l v o m 21. November 1892, W. 6282. 83 Die Störung eines anderen durch hinderliches Vorausfahren auf dem Fahrrad wurde nach A r t . 426 bis nl. StGB für strafbar erachtet, obwohl der Wortlaut dieses A r t i k e l s n u r das behindernde Folgen m i t Strafe bedroht. H. R., U r t e i l v o m 23. Januar 1928, N. J. 1928, S. 363; W. 11807. 84 H. R , U r t e i l v o m 23. Januar 1930, N. J. 1930, S. 165; W. 12077.
§ 8 Verbrechen u n d Übertretungen
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Eine Ausnahme vom Grundsatz des A r t . 1 Abs. 1 nl. StGB, wonach die zur Anwendung gelangende Gesetzesbestimmung vor der Tat erlassen sein muß, findet sich i n Art. 1 Abs. 2 nl. StGB: „Bei Gesetzesänderung nach Begehung der Tat kommen die für den Beschuldigten günstigsten Bestimmungen zur Anwendung." Wenn die alte und die neue Gesetzgebung für den Beschuldigten gleich günstig bzw. gleich ungünstig ist, hat der Richter die freie Wahl zwischen beiden 85 . Als Gesetzesänderung gilt auch eine Neuerung i n anderen als Strafgesetzen, ζ. B. die Änderung der privatrechtlichen Volljährigkeitsgrenze 86 . I m Anschluß an den Zweck dieser Gesetzesbestimmung hält der Höge Raad eine Gesetzesänderung i m Sinne von A r t . 1 Abs. 2 nl. StGB für nicht gegeben, wenn diese Änderung nicht Ausfluß einer geänderten Auffassung des Gesetzgebers über die Strafwürdigkeit der Handlung ist 8 7 . Welche Bestimmungen für den Angeklagten günstiger sind, muß von Fall zu Fall beurteilt werden. Wenn seit Begehung der Tat das Gesetz mehrmals geändert wurde, kommen neben dem Gesetz, das zur Zeit der Tatbegehung galt, alle späteren Änderungen für den Vergleich i n Betracht. Der Berufungsrichter kann die günstigere Bestimmung auch dann anwenden, wenn diese erst nach dem Urteil i n erster Instanz eingeführt ist. Wie der erste Absatz gilt auch der zweite ausschließlich für die Frage der materiellen Strafbarkeit, also weder für die Verfolgungsvoraussetzungen noch für Änderungen i m Strafprozeßrecht. Eine redliche Auslegung von Art. 1 Abs. 2 nl. StGB führt aber zu der Annahme, daß nach Tatbegehung eingeführte gesetzliche Strafausschließungsgründe wohl einzubeziehen sind. § 8 Verbrechen (misdrijven) und Übertretungen (overtredingen)
Das niederländische Strafrecht kennt keine Drei-, sondern nur eine Zweiteilung der Straftaten i n Verbrechen (misdrijven) und Übertretungen (overtredingen), wobei die Verbrechen (misdrijven) etwa den Bereich der deutschen Straftaten, also Verbrechen und Vergehen, umfassen, während die Übertretungen (overtredingen) den Ordnungswidrigkeiten gleichgesetzt werden müßten, i m Gegensatz zu diesen aber zum Kriminalstrafrecht zählen 88 . Nach den Motiven 8 9 ist hiermit nicht 85
H. R., U r t e i l v o m 3. Januar 1934, N. J. 1934, S. 1139; W. 12733. H. R., U r t e i l v o m 3. Dezember 1906; W. 8468. 87 Seit H. R., U r t e i l v o m 6. A p r i l 1915, N. J. 1915, S. 427; W. 9764. 88 I m deutschen Text sind durchgehend die Begriffe Verbrechen und Übertretungen verwendet worden, auch w e n n i n der deutschen Terminologie der Begriff Verbrechen enger gefaßt ist. 89 H. J. Smidt, Geschiedenis van het Wetboek v a n strafrecht, Bd. I, Haarlem 1881, S. 64. 86
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D s niederländische Strafrecht
ein quantitativer, sondern ein qualitativer Unterschied gemeint. Verbrechen sollten Verstöße gegen das Hecht sein, d. h. Handlungen, die schon Unrecht waren, bevor der Gesetzgeber sprach, und deren Unrechtmäßigkeit w i r einsehen würden, selbst wenn der Gesetzgeber nicht gesprochen hätte. Übertretungen sind dagegen Handlungen, die erst Unrecht durch das Gesetz werden und deren Unrechtmäßigkeit allein aus dem Gesetz bekannt sein kann. I n praxi ist dieser qualitative Unterschied jedoch auch schon i m nl. Strafgesetzbuch selbst nicht immer eingehalten worden. Das Hetzen eines Tieres auf einen Menschen (Art. 425 nl. StGB) oder die falsche Namensangabe vor einer zuständigen Behörde (Art. 435 Ziff. 4 nl. StGB) scheinen doch wohl Verstöße gegen das Recht zu sein, obwohl sie i m Strafgesetzbuch unter die Übertretungen eingereiht sind. Das Gewähren von Gelegenheit zum Glücksspiel, das seit 1911 strafbar ist, scheint dagegen eher dem Ordnungsstrafrecht zuzugehören, obwohl der Gesetzgeber die Tat auch heute noch zu den Verbrechen zählt 9 0 . I n späteren Gesetzen, insbesondere i m nl. Wirtschaftsstrafgesetz, ist der qualitative Unterschied vollständig verwischt worden. Nach Art. 2 nl. WirtschaftsstrafG sind eine große Anzahl von Wirtschaftsstraftaten als Verbrechen eingestuft, wenn sie vorsätzlich begangen sind, sonst als Übertretungen. Es ist wohl deutlich, daß die Unterscheidung zwischen kriminellem Unrecht und Ordnungsunrecht nicht danach getroffen werden kann, ob die Tat vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde. Die Zweiteilung der Straftaten i n Verbrechen und Übertretungen hat Bedeutung, w e i l das Gesetz unterschiedliche Rechtsfolgen damit verbindet. Bei Übertretungen sind z.B. Versuch und Beihilfe nicht strafbar (Art. 46 und 52 nl. StGB). Für Verbrechen ist grundsätzlich das Bezirksgericht (arrondissementsrechtbank) i n erster Instanz zuständig, für Übertretungen dagegen der Kreisrichter (kantonrechter) 91 . Der wichtigste Unterschied zwischen beiden besteht darin, daß bei Verbrechen Vorsatz oder Fahrlässigkeit i n die Deliktsumschreibung aufgenommen ist, während dies bei Übertretungen i n der Regel nicht der Fall ist. Vorsatz und Fahrlässigkeit sind also bei Verbrechen Elemente des Delikts, bei Übertretungen sind demgegenüber nach der Rechtsprechung des Höge Raad fehlender Vorsatz und Fahrlässigkeit lediglich ein Strafausschließungsgrund, wie später noch dargelegt werden 90 Früher A r t . 254 bis nl. StGB, jetzt durch Gesetz über die Glücksspiele von 1964 (Anm. 77) ebenfalls als Verbrechen unter Strafe gestellt (Art. 31 i. V. m. A r t . 35 Gesetz über die Glücksspiele). 91 A r t . 44 u n d 56 Gerichtsverfassungsgesetz (Wet op de rechterlijke organisatie en het beleid der justitie) v o m 18. A p r i l 1827, StBl. 20 i. d. F. der Änderung durch Gesetz v o m 7. September 1972, StBl. 461, neu bekanntgemacht i n StBl. 1972, 463; letzte Änderung durch Gesetz v o m 10. Dezember 1975, StBl. 684.
§ 9 Die gesetzliche Definition der Straftat
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soll. A l l e diese unterschiedlichen Rechtsfolgen sind nach herrschender Meinung auf einen quantitativen Unterschied zwischen Verbrechen und Übertretungen zurückzuführen. Der i n den Motiven erwähnte qualitative Unterschied w i r d deshalb als überflüssig und irreführend angesehen. Die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Wirtschaftsstrafrechts, die in der Wirtschaftskrise von 1930 bis 1939 eingesetzt hat und i m nl. W i r t schaf tsstraf G von 1950 kodifiziert ist, hat verschiedene Autoren zu der These veranlaßt, daß sich i m niederländischen Recht eine Dreiteilung der Straftaten, und zwar i n Verbrechen, Übertretungen und sogenannte Verwaltungsverstöße, ergeben habe. Z u den Verwaltungsverstößen müßten die sogenannten Wirtschafts- sowie viele Steuerstraftaten gerechnet werden. Die Besonderheit dieser dritten Gruppe läßt sich nicht leicht feststellen. Die Trennung zwischen Verbrechen und Übertretung innerhalb dieser Gruppe w i r d ausschließlich durch das Gewicht bestimmt, das der Gesetzgeber der Straftat zuerkennt. Hält er die Straftat für so schwer, daß er Gefängnisstrafe verhängen will, stuft er sie als Verbrechen, sonst als Übertretung ein. Der niederländische Gesetzgeber hat nämlich die Gefängnisstrafe ausschließlich für Verbrechen vorbehalten, obgleich eine bestimmte Vorschrift darüber i m Gesetz nicht zu finden ist. Verbrechen werden also nach niederländischem Recht mit Gefängnisstrafe, Haft oder Geldstrafe bedroht, während Übertretungen allein mit Haft oder Geldstrafe geahndet werden können. § 9 Die gesetzliche Definition der Straftat
Nach der Lehre ist die Straftat eine schuldhafte Normverletzung, die der Gesetzgeber i m Interesse der Rechtsordnung und des Allgemeinwohls unter Strafe gestellt hat. Der Gesetzgeber selbst verwendet den Begriff Straftat aber i n einem anderen Sinn. Für ihn ist Straftat eine Tat, die kraft einer gesetzlichen Bestimmung strafbar ist. Straftat i m Sinne des Gesetzes ist also auch eine Tat, die der Täter wegen krankhafter Störung seiner Geistesfähigkeiten nicht schuldhaft begangen hat. Ebenso — aber diese Auffassung w i r d nicht von allen Autoren geteilt — ist nach der Terminologie des Gesetzes eine Straftat gegeben, wenn die Tat wegen Notwehr oder eines gleichwertigen Strafausschließungsgrundes nicht rechtswidrig ist. Dies bedeutet nicht, daß der Gesetzgeber eine Strafe für anwendbar halten würde, wenn die Rechtswidrigkeit oder Schuld fehlen. I n diesen Fällen liegt vielmehr eine Straftat vor, jedoch kann die Person, die die Tat begangen hat, deswegen nicht bestraft werden. Der Gesetzgeber kennt also nebeneinander die Straftat und die ihretwegen strafbare Person. Ob die Tat strafbar ist, w i r d durch die gesetzliche Umschreibung entschieden; die Person, die die
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D s niederländische Strafrecht
Tat begangen hat, ist ihretwegen strafbar, wenn sie sich nicht auf i r gendeinen Strafausschließungsgrund berufen kann. Die zu Beginn dieses Paragraphen erwähnte theoretische Definition findet man also i m Gesetz wieder, wenn man die gesetzliche Umschreibung i m Zusammenhang m i t den Strafausschließungsgründen betrachtet. Die Rechtswidrigkeit ist manchmal m i t i n die gesetzliche Umschreibung der Straftat aufgenommen, aber meistens w i r d sie unterstellt, soweit kein Strafausschließungsgrund eingreift (Art. 40 - 43 nl. StGB). Die Schuld findet man zum Teil i n der Deliktsumschreibung (Vorsatz, Fahrlässigkeit) ausdrücklich erwähnt, zumeist aber w i r d auch sie vorausgesetzt, soweit kein Strafausschließungsgrund (vor allem Unzurechnungsfähigkeit wegen mangelnder Entwicklung oder krankhafter Störung der Geistesfähigkeiten nach A r t . 37 nl. StGB) vorliegt. Das dritte theoretische Erfordernis, daß die Strafandrohung der Rechtsordnung und dem Allgemeinwohl dienlich sein muß, kommt sowohl i n gesetzlichen Umschreibungen wie i n Strafausschließungsgründen vor. So kann etwa nach A r t . 101 nl. StGB der E i n t r i t t eines Niederländers in die Kriegsdienste einer fremden Macht nur dann eine Straftat werden, wenn danach Krieg zwischen den Niederlanden und dieser Macht ausbricht, oder kann nach A r t . 43 Abs. 2 nl. StGB ein unbefugt gegebener amtlicher Befehl dann ein Strafausschließungsgrund sein, wenn derjenige, der diesen Befehl befolgt, i n gutem Glauben annimmt, daß dieser Befehl rechtmäßig ergangen sei. A m deutlichsten t r i t t die gesetzliche Unterscheidung zwischen der Straftat und dem ihretwegen strafbaren Täter i n Art. 350 nl. Strafverfahrensgesetzbuch 92 hervor. Danach ist der Richter gehalten, nachdem er die angeklagte Tat für erwiesen erklärt hat, zuerst die Frage zu beantworten, ob diese Tat strafbar ist, und danach, wenn sie bejaht wird, die Frage zu beantworten, ob der Angeklagte deswegen strafbar ist. Die erste Frage betrifft die Subsumtion der für erwiesen erklärten Tat unter die gesetzliche Umschreibung einer Straftat, die zweite Frage betrifft eventuelle Strafausschließungsgründe. Der Höge Raad ist i n seiner Terminologie nicht immer sicher. A m deutlichsten und entschiedensten hat er sich i m obigen Sinne i n einem Urteil von 193393 ausgesprochen. Für die Strafbarkeit sind deshalb nach niederländischem Recht zwei Arten von Umständen zu unterscheiden, nämlich die Elemente, die in 92 Wetboek v a n Strafvordering (nl. StPO) v o m 15. Januar 1921, StBl. 14, i n der Fassung der letzten Änderung durch Gesetz v o m 23. J u n i 1976, StBl. 377. 93 H. R., U r t e i l v o m 27. November 1933, N. J. 1934, S. 199; W. 12746.
§ 9 Die gesetzliche Definition der Straftat
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der gesetzlichen Umschreibung zu finden sind, und die die Strafbarkeit ausschließenden Umstände. Daneben haben die straferhöhenden und strafmindernden Umstände für die Strafbarkeit Bedeutung. Diese die Strafbarkeit ausschließenden, erhöhenden oder mindernden Umstände werden in der Überschrift zu Titel I I I des Ersten Buches nl. StGB genannt. Bei diesen Umständen muß nach A r t . 50 nl. StGB, der unter Titel V über die Täterschaft und Teilnahme steht, zwischen persönlichen und nicht persönlichen Umständen unterschieden werden. Persönliche Umstände sind Eigenschaften der straffälligen Person wie der strafausschließende Umstand der Unzurechnungsfähigkeit nach Art. 37 nl. StGB oder der straferhöhende Umstand der Beamteneigenschaft nach Art. 44 nl. StGB. Für das materielle Strafrecht beschränkt sich die Bedeutung dieser Unterscheidungen auf den erwähnten Art. 50 nl. StGB i m Teilnahmerecht. Bedeutsamer ist die Unterscheidung von Straftat und Straftäter für das Strafprozeßrecht und dort vornehmlich für das Wiederaufnahmerecht (Art. 457 nl. StPO). Die Wiederaufnahme ist nämlich u. a. möglich, wenn nach einer rechtskräftigen Verurteilung eine neue Tatsache bekannt wird, die sehr wahrscheinlich, weil der Angeklagte nicht strafbar war, zur Entlassung aus der Rechts ver folgung geführt hätte, wenn sie dem Richter vor der Verurteilung bereits bekannt gewesen wäre, mit anderen Worten aufgrund eines die Strafbarkeit ausschließenden Umstandes. Würde man i m Falle von Notwehr wegen fehlender Rechtswidrigkeit nicht mehr von einer Straftat i m Sinne des Gesetzes sprechen, dann würde eine nach rechtskräftiger Verurteilung entstandene Vermutung der Notwehr keinen Wiederaufnahmegrund darstellen. Das war aber offensichtlich nicht die Absicht des Gesetzgebers. Der Höge Raad anerkannte dann auch die Möglichkeit der Wiederaufnahme i n einem Fall, in dem die neue Tatsache einen Strafausschließungsgrund wahrscheinlich machte, der die Rechtswidrigkeit ausschloß94. Von den genannten Umständen, die die Strafbarkeit betreffen, müssen die i m Dritten Kapitel behandelten Umstände unterschieden werden, die sich auf die Verfolgbarkeit beziehen, so der Antrag bei A n tragsdelikten (Art. 64 nl. StGB), die Verjährung (Art. 70 nl. StGB) oder auch die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des niederländischen Strafgesetzes (Art. 2 ff. nl. StGB). Wenn die VerfolgungsVoraussetzungen fehlen, muß der Richter die Staatsanwaltschaft für unzuständig erklären (Art. 349 nl. StPO). I n einem solchen Fall kommt es zu keiner Sachentscheidung, da bei Fehlen von Verfolgungsvoraussetzungen weder i n die Beweisaufnahme eingetreten noch die Strafbarkeit der Tat 94
H. R , U r t e i l v o m 9. Dezember 1947, N. J. 1948, 154.
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D s niederländische Strafrecht
geprüft wird. Da kein Sachurteil ergeht, wenn die Staatsanwaltschaft für unzuständig erklärt wird, kann dieselbe Tat aufs neue verfolgt werden, wenn später die Verfolgungsvoraussetzungen gegeben sind. Die Regel „ne bis i n idem" (Art. 68 nl. StGB) ist dann nicht anwendbar.
§ 10 Zeit und Ort der Straftat
Für die Anwendung des Strafrechts müssen zuerst Zeit und Ort der Straftat festgestellt werden. Die Tatzeit ist unter anderem wichtig i n Zusammenhang m i t Art. 1 Abs. 1 und 2 — „nulla poena sine lege" —; A r t . 37 a — hier w i r d die Anwendbarkeit einer bestimmten Maßregel von dem Umstand abhängig gemacht, ob der Angeklagte zur Tatzeit i n seinen Geistesfähigkeiten unzulänglich entwickelt oder durch Krankheit gestört war —; A r t . 71 — er betrifft die Verfolgungs ver jährung — und Art. 77 a ff. nl. StGB — hierin w i r d die Anwendung von Strafe sowie bestimmter Maßregeln von dem Alter des Delinquenten i m Zeitpunkt der Begehung der Tat abhängig gemacht. Der Tatort erlangt Bedeutung i n Zusammenhang m i t A r t . 2 ff. nl. StGB — sie regeln die Anwendbarkeit des niederländischen Strafrechts auf Straftaten, die inner- und außerhalb der Niederlande begangen sind. Bei manchen Straftaten spielen sowohl die Tatzeit wie der Tatort eine Rolle, so ζ. B. bei Art. 311 Ziff. 3 nl. StGB, i n dem für den Diebstahl die Begehung zur Nachtzeit und i n einer Wohnung als straferhöhende Umstände genannt sind. Eine Antwort auf die Frage nach Zeit und Ort der Straftat kann nicht durch abstrakte Theorien gewonnen, die Lösung muß vielm e h r f ü r j e d e einzelne S t r a f Vorschrift i m R a h m e n i h r e r
Zielsetzung
gefunden werden. So könnte die Zeit nach einem anderen K r i t e r i u m bestimmt werden als der Ort und für jede Straf Vorschrift Zeit und Ort wieder nach einem eigenen Kriterium. Die Tatzeit kann i m Zusammenhang m i t der Garantiefunktion des Strafgesetzes, der Unzurechnungsfähigkeit und der Anwendbarkeit des Jugendstraf rechts am besten als die Zeit bestimmt werden, i n der der Täter persönlich das getan oder unterlassen hat, was von seiner Seite aus für die Begehung der Tat erforderlich war. Diese Auffassung entspricht dem Sinn dieser Vorschriften. Bei der Beurteilung der Verfolgungsverjährung könnte man zweifeln, weil der Beginn der Verjährung vernünftigerweise am besten auf den Zeitpunkt gelegt werden sollte, an dem die Straftat offenbar wird. Er ist aber für jeden konkreten Fall verschieden. I n Anbetracht der verhältnismäßig langen Verjährungszeiten — für die leichtesten Straftaten beträgt sie immerhin bereits zwei Jahre — scheint es m i r jedoch vertretbar, auch für Art. 71 nl. StGB die oben genannte Definition der Tatzeit anzunehmen.
§11 Der Kausalzusammenhang
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Für den Tatort kann eine entsprechende Begriffsbestimmung nicht befriedigen. Der Höge Raad n i m m t für A r t . 2 nl. StGB und damit auch für Art. 3 - 7 nl. StGB zwei Tatorte an, und zwar den Ort, an dem der Täter persönlich gehandelt hat, wie auch den Ort, an dem ein evtl. eingesetztes Mittel seine Wirkung entfaltet 0 5 . Diese Auffassung stimmt mit der in der parlamentarischen Antwortnote zu Art. 2 nl. StGB vertretenen Ansicht überein. Eine verschiedene Bestimmung von Zeit und Ort der Tat ist mit dem Gesetzestext darum zu vereinbaren, weil der Gesetzgeber in den oben genannten A r t i k e l n 37 a, 38, 71 und 77 a (nicht allerdings 77 b - d) nl. StGB von der Zeit der Tat und i n Art. 2 nl. StGB von dem Ort der Straftat spricht. Unter Straftat w i r d man mehr als die persönliche Handlung des Täters verstehen können. Gründe dafür, auch den Ort des endgültigen Erfolgs der Straftat als Tatort anzuerkennen, scheinen mir indes nicht gegeben. Dies würde i m Widerspruch zu der Zielsetzung von Art. 2 ff. nl. StGB stehen. Zeit und Ort wurden hier für Handlungsdelikte bestimmt. Für Unterlassungsdelikte ist die Zeit und der Ort entscheidend, an dem der Täter hätte handeln müssen 96 . § 11 Der Kausalzusammenhang
I m Gesetz werden verschiedene Straftaten auf unterschiedliche Weise durch das Verursachen eines Erfolgs gekennzeichnet. Darüber hinaus hat der Eintritt eines Erfolges bei einigen Straftaten eine straferhöhende Wirkung. Die Körperverletzung nach A r t . 300 nl. StGB ist ζ. B. mit einer Gefängnisstrafe bis zu höchstens zwei Jahren bedroht, auf Körperverletzung mit Todesfolge dagegen steht eine Gefängnisstrafe bis zu sechs Jahren. Aus diesen sich aus dem Gesetz ergebenden Gründen stellt sich für das Strafrecht die Frage, was unter Ursache und Erfolg verstanden werden muß. Auch hier gilt, daß für verschiedene A r tikel verschiedene Bedeutungen für Ursache und Erfolg angenommen werden können. Es besteht allerdings eine Neigung sowohl bei den Autoren als auch i n der Rechtsprechung, eine übereinstimmende Definition von Ursache und Erfolg für das gesamte Recht zu geben. Nachdem der Höge Raad die Beantwortung der Frage zunächst als eine klare Tatsachenfrage dem Tatrichter überlassen hatte, hat er seit einer Entscheidung aus dem Jahre 193397 i n einer Verkehrsunfallsache mit Todesfolge, die Anlaß zur Verfolgung wegen fahrlässiger Tötung (Art. 95 H. R., U r t e i l v o m 6. A p r i l 1915, N . J . 1915, S. 427; W. 9764 und 5. Februar 1934, N. J. 1934, S. 749; W. 12761. 96 H. R., U r t e i l v o m 8. J u n i 1936, N. J. 1936, 954. 97 H. R., U r t e i l v o m 30. Oktober 1933, N. J. 1933, S. 1777; W. 12683.
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D s niederländische Strafrecht
307 nl. StGB) bot, einen Kausalzusammenhang zwischen verantwortungslosem Fahren und Tod angenommen, weil der Unfall und Tod vorhersehbare Folgen des unachtsamen Fahrens waren und der Tod als ein i n jeder Hinsicht wahrscheinlicher Erfolg des Unfalls angesehen werden kann. Man könnte sagen, daß dadurch die sog. adäquate U r sachentheorie angenommen wurde. Neben diesem Urteil gibt es andere zu Art. 307 wie auch zu A r t . 300 nl. StGB, i n denen der Höge Raad nicht immer die gleiche Auffassung über den Kausalzusammenhang zugrundelegte. M i r scheint i m Sinne des Gesetzes dann von Ursächlichkeit gesprochen werden zu können, wenn i m Augenblick der Handlung unter Berücksichtigung aller zu dieser Zeit gegebenen Umstände der später eingetretene Erfolg wahrscheinlich ist. A n Stelle der Wahrscheinlichkeit könnte man auch von der Zielsetzung sprechen, mit der man die Zielgerichtetheit i m Recht zum Ausdruck bringt. Von verursachtem Erfolg spricht man dann, wenn die Handlung auf einen Erfolg gerichtet war. Verursachung durch Unterlassung w i r d i n der Literatur angenommen, wenn durch die Unterlassung eine besondere Rechtspflicht verletzt worden ist. Daraus ergibt sich deutlich, daß die Frage von Ursache und Erfolg für das Strafrecht normative Bedeutung hat, d. h. daß i m Strafrecht von Erfolg nur gesprochen werden kann, wenn die verursachende Handlung i m allgemeinen rechtswidrig war.
Zweiter Abschnitt Rechtswidrigkeit u n d Schuld § 12 Die Rechtswidrigkeit
Das niederländische Strafrecht ist ein Schuldstrafrecht. Was Schuld ist, w i r d i m Strafgesetz nicht definiert. Vermeidbarkeit der rechtswidrigen Handlung aber scheint m i r eine zufriedenstellende Definition zu sein. Wenn Schuld i n diesem Sinne vorhanden ist, folgt daraus die Vorwerfbarkeit. A n dieser Begriffsbestimmung zeigt sich, daß Schuld Rechtswidrigkeit voraussetzt. Der Strafgesetzgeber verwendet das Wort Schuld i n diesem Sinne nirgends, der Begriff Rechtswidrigkeit allerdings taucht an einigen Stellen auf. Rechtswidrig bedeutet nach dem Sprachgebrauch des niederländischen Gesetzgebers „ i m Widerspruch zum Recht". Dabei sind sich die heutigen Autoren ausdrücklich und die Rechtsprechung implizit darüber einig, daß Rechtswidrigkeit nicht nur bei Widerspruch zu dem
§ 12 Die Rechtswidrigkeit
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geschriebenen Recht, sondern auch bei Widerspruch zum ungeschriebenen Recht angenommen wird. Obgleich also Rechtswidrigkeit, ebenso wie die Schuld, eine Voraussetzung für die Strafbarkeit ist, hat der Gesetzgeber sie i n die gesetzliche Umschreibung der meisten Straftaten nicht ausdrücklich aufgenommen. Daran zeigt sich, daß als strafbar die Handlungen beschrieben werden, die i n der Regel rechtswidrig sind. Für Ausnahmefälle, bei denen als strafbar umschriebene Handlungen nicht rechtswidrig sind, hat der Gesetzgeber Strafausschließungsgründe vorgesehen. I n dieser Weise wurde nicht überall i m niederländischen Strafgesetzbuch vorgegangen. I n verschiedenen Deliktsumschreibungen kommt der Begriff „rechtswidrig" doch vor, so bei Hausfriedensbruch (Art. 138 nl. StGB), Freiheitsberaubung (Art. 282 nl. StGB), Unterschlagung (Art. 321 nl. StGB), Diebstahl (Art. 310 nl. StGB) und Betrug (Art. 326 nl. StGB). Beim Diebstahl und Betrug bezieht sich die Rechtswidrigkeit nur auf die Absicht. Diebstahl ist die Wegnahme eines fremden Gutes in der Absicht der rechtswidrigen Zueignung; Betrug begeht, wer jemanden mit betrügerischen M i t t e l n zur Herausgabe eines Gutes i n der Absicht rechtswidriger Bereicherung bewegt. Diese Abweichungen geschahen aus folgenden Gründen. Die Verfasser des Strafgesetzbuchs trugen sich mit dem Gedanken, als Strafausschließungsgrund zusätzlich anzuführen, daß jemand i n Ausübung eines i h m zustehenden Rechts handelt. Sie haben eine derartige Bestimmung aber weggelassen, weil sie i n ihrer Allgemeinheit Mißverständnisse und Unsicherheit wecken könnte 9 8 . A n ihrer Stelle haben sie bei den Straftaten, bei denen die Ausübung eines eigenen Rechts die Rechtswidrigkeit und damit die Strafbarkeit ausschließen würde, den Begriff „rechtswidrig" i n die gesetzliche Tatumschreibung aufgenommen. M i r scheint das nicht folgerichtig zu sein. Wenn der Gesetzgeber einen allgemeinen Strafausschließungsgrund für zu weit erachtete, hätte er bei den Straftaten, bei denen er die Rechtswidrigkeit i n die Tatumschreibung hineinnahm, stattdessen einen besonderen Strafausschließungsgrund einführen müssen, kraft dessen nicht strafbar ist, wer Hausfriedensbruch usw. in Ausübung eines i h m zustehenden Rechtes begeht. Aufgrund dieser Auffassung des Gesetzgebers muß eine Tat als i m Sinne des Gesetzes rechtswidrig angesehen werden, wenn sich herausstellt, daß dem Angeklagten kein eigenes Recht zur Tat zustand. Zwar hat der Begriff rechtswidrig also auch i m Gesetz die Bedeutung des Widerspruchs zum Recht, doch dieser Widerspruch zum Recht w i r d i n den Fällen, in denen der Begriff i n der Deliktsumschreibung vorkommt, 98
Smidt, I, a.a.O. (Anm. 89), S. 409.
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dann angenommen, wenn sich zeigt, daß der Täter sich nicht auf ein eigenes Recht zur Tat berufen kann. Da es sich hier u m Straftaten handelt, die i m allgemeinen schon als unrechtmäßig angesehen werden können, wenn kein eigenes Recht zur Tat vorliegt, scheint dies berechtigt. Doch ist der Gesetzgeber auch hier nicht konsequent gewesen. Denn bei manchen Deliktsumschreibungen, i n denen das Wort rechtsw i d r i g vorkommt, genügt das Fehlen eines eigenen Rechts nicht. So ist i n Art. 138 nl. StGB nicht nur unter Strafe gestellt, daß jemand rechtswidrig i n die Wohnung eines anderen eindringt, sondern auch, daß er dort nach der ersten Aufforderung des Rechtsinhabers, sich zu entfernen, widerrechtlich verbleibt. Eindringen, d. h. das Eintreten gegen den Willen des Bewohners, ist i m allgemeinen unrechtmäßig. Wenn es also ohne eigenes Recht geschieht, kann man annehmen, daß es stets rechtsw i d r i g ist. Rechtswidrig aber verbleibt man nicht schon i n der Wohnung eines anderen, wenn man dort ohne Recht verweilt. Rechtswidrig w i r d das Verweilen erst, wenn man ohne eigenes Recht i m Hause bleibt, obwohl der Rechtsinhaber dazu auffordert, sich zu entfernen. Die gesetzliche Wendung „widerrechtlich verbleibend sich auf die Aufforderung des Rechtsinhabers nicht entfernen" w i r d also erst verwirklicht, wenn man nach einer ersten Aufforderung sich auch nach der zweiten noch nicht entfernt. Die Technik des Gesetzgebers, bei der gesetzlichen Umschreibung die Widerrechtlichkeit zu unterstellen und nur für Ausnahmefälle, i n denen die Straftat nicht rechtswidrig ist, Strafausschließungsgründe zu gewähren, hat für den Strafprozeß die Bedeutung, daß die Rechtswidrigkeit nicht i n die Anklage aufgenommen und nicht bewiesen werden muß. Eventuelle Strafausschließungsgründe dagegen müssen bewiesen werden. I n den Fällen, i n denen die Rechtswidrigkeit i n die Deliktsumschreibung aufgenommen ist, w i r d sie i n die Anklage aufgenommen und bewiesen werden müssen. I n der Rechtsprechung begnügt man sich zwar nicht für die Anklageschrift, aber für die Beweisführung i n der Regel damit, die übrigen darin angeführten Umstände zu beweisen, und nur i m Ausnahmefall die Rechtswidrigkeit dann gesondert zu untersuchen, wenn besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer der Angeklagte ein eigenes Recht zu dieser Tat haben könnte". Was hier über die Bedeutung der Rechtswidrigkeit für die Straftat dargelegt ist, scheint einem bekannten Urteil des Höge Raad aus dem Jahre 1933 100 zu widersprechen. Es handelte sich hier u m eine Delikts99 Hierfür siehe vor allem H. R., U r t e i l v o m 29. A p r i l 1935, N. J. 1936, 50 m i t A n m e r k u n g von Pompe. 100 H. R., U r t e i l v o m 20. Februar 1933, N. J. 1933, S. 918 m i t A n m e r k u n g von Taverne; W. 12600 m i t A n m e r k u n g von van Bemmelen.
§ 12 Die Rechtswidrigkeit
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Umschreibung, i n der die Rechtswidrigkeit nicht vorkam (Art. 82 Viehgesetz von 1920: Vorsätzlich Vieh i n einen seucheverdächtigen Zustand bringen). Weil der Angeklagte nach richtiger wissenschaftlicher Einsicht und i n wohlverstandenem Interesse der Gesunderhaltung des Viehbestandes gesundes Vieh i n einen Stall gebracht hatte, i n dem sich krankes Vieh befand, erwog der Höge Raad, daß wegen fehlender Rechtswidrigkeit i m gegebenen Fall der betreffende Gesetzesartikel auf diese Handlung nicht angewendet werden könne, obgleich sie dem Wortlaut nach darunter fiel. Damit hat der Höge Raad die Rechtswidrigkeit als einen unausgesprochenen Bestandteil der Straftat behandelt. I n der Literatur w i r d dieser Strafausschließungsgrund heute vielfach als „Fehlen der materiellen Rechtswidrigkeit" bezeichnet. Nach meiner Auffassung hätte i n diesem Fall die Straflosigkeit infolge von Notstand (overmacht) nach Art. 40 nl. StGB angenommen werden müssen. Obgleich sich i n den letzten Jahren wiederholt Personen auf diese Entscheidung berufen haben, die für Straftaten vor Gericht standen, zu denen sie aufgrund ihres Gewissens oder ihrer politischen Überzeugung gedrängt wurden, ist der außergesetzliche Rechtfertigungsgrund zwar gelegentlich von unteren Gerichten angenommen 10051 , jedoch i n keiner späteren höchstrichterlichen Entscheidung bestätigt worden 1 0 1 . Die Technik des Gesetzgebers gilt allein für normale Fälle. Für diese Fälle t r i f f t tatsächlich i m allgemeinen die Regel zu, daß die Deliktsumschreibung eine Handlung beinhaltet, die — abgesehen von Ausnahmen — für rechtswidrig gehalten wird. Als ein außergewöhnlicher Fall muß das Unterlassungsdelikt angesehen werden. Ein Verursachen durch Unterlassen i m Sinne des Gesetzes kann nur angenommen werden, wenn durch die Unterlassung eine besondere Rechtspflicht verletzt wird. Es ist eine von Fall zu Fall zu entscheidende Frage, ob diese besondere Rechtspflicht vorhanden ist. Niemand w i r d bezweifeln, daß die Mutter, die i n Tötungsabsicht ihrem K i n d jegliche Nahrung und weilooa Als jüngstes Beispiel für die Anerkennung des Wegfalls der materiellen Rechtswidrigkeit durch den Tatrichter k a n n die Strafsache gegen einen Mitarbeiter der Vereinigung Pro Juventute wegen Verbergens einer m i n d e r jährigen Person nach A r t . 280 nl. StGB angeführt werden; der Angeklagte wurde v o m Bezirksgericht Leeuwarden m i t U r t e i l v o m 30. Oktober 1974, N. J. 1975, 89 aus der Rechtsverfolgung entlassen. Die Strafsache ist jedoch noch nicht abgeschlossen. 101 Hinzuweisen ist vor allem auf H. R., U r t e i l v o m 3. J u l i 1972, N. J. 1973, 78 m i t A n m e r k u n g von van Veen i n der Sache Sosjale Joenit (vgl. auch u n ten S. 192 m i t Anm. 344) und auf Gerichtshof Amsterdam, U r t e i l v o m 19. September 1969, N . J . 1969, 356 i n der Sache Besetzung Maagdenburg (vgl. auch unten S. 151 m i t Anm. 256). Eine Bestandsaufnahme u n d Würdigung der veröffentlichten Entscheidungen, i n denen seit 1967 der ungeschriebene Strafausschließungsgrund fehlender materieller Rechtswidrigkeit geltend gemacht wurde, gibt Th. W. van Veen, Ontbreken v a n materiële wederrechtelijkheid, i n : DeD 1975, S. 189 - 207 u. S. 274 - 290.
5 Ausländisches Strafrecht V
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Das niederländische Strafrecht
tere Pflege vorenthält, wegen Totschlags schuldig ist, wenn daraufhin der Tod eintritt. Die Nachbarin jedoch, die weiß, daß das K i n d ohne Nahrung und weitere Pflege zurückgelassen ist, und dennoch sich nicht um das K i n d kümmert, macht sich nicht des Totschlags schuldig. Zwar hat sie nach ungeschriebenem Recht die Pflicht, für das K i n d zu sorgen, aber die Verletzung dieser Pflicht genügt nicht zur Annahme des Totschlags i m Sinne des Gesetzes. Dies ergibt sich aus A r t . 450 nl. StGB, wonach als Übertretung m i t Haft oder Geldstrafe bestraft wird, wer als Zeuge einer augenblicklichen Lebensgefahr für einen anderen es unterläßt, diesem die Hilfe zu leisten, die er i h m ohne Gefahr für sich selbst leisten kann, unter der weiteren Bedingung, daß der Tod des Hilfsbedürftigen eintritt. Das oben erwähnte Verhalten der Nachbarin erfüllt diese Deliktsumschreibung. Daraus ergibt sich, daß sie nicht für das Verbrechen des Totschlags, sondern allein für die Zuwiderhandlung gegen Art. 450 nl. StGB bestraft werden kann. Eine weitere Gruppe außergewöhnlicher Fälle, bei denen die Rechtswidrigkeit ausdrücklich festgestellt werden muß, bilden die Delikte, die als ein verbotener Zustand umschrieben sind. Solche Tatbestände kommen i m Strafgesetzbuch nicht vor, aber vereinzelt i n besonderen Gesetzen oder Verordnungen. So muß etwa eine Regentonne mit einem Deckel versehen sein, Zuwiderhandlungen gegen diese Vorschrift sind mit Strafe bedroht. Als Täter dieser Straftat sieht der Höge Raad denjenigen an, der es unterläßt, dem verbotenen Zustand ein Ende zu setzen, in unserem Beispiel es also unterläßt, einen Deckel auf der Regentonne anzubringen, obgleich er dazu imstande und verpflichtet ist 1 0 2 . Die Rechtswidrigkeit ist also i m allgemeinen kein Element der Straftat, außer wenn sie ausdrücklich i n die gesetzliche Umschreibung aufgenommen worden ist. I n verschiedenen A r t i k e l n gebraucht der Gesetzgeber allerdings i n der Deliktsumschreibung Begriffe, die sachlich auf Rechtswidrigkeit hinauslaufen. Ein Vorbild liefert die Tierquälerei nach Art. 254 nl. StGB, die i m Gesetz umschrieben w i r d als vorsätzliches Verursachen von Schmerzen oder Verletzungen an einem Tier ohne vernünftigen Zweck oder unter Überschreitung dessen, was zur Erreichung eines solchen Zweckes zulässig ist. Als weiteres Beispiel kann die Körperverletzung angeführt werden. Der Gesetzgeber umschreibt diese Straftat i n A r t . 300 nl. StGB mit dem einen Wort: Mißhandlung. Man hat darunter zu verstehen das Zufügen von Schmerz oder einer Verletzung ohne vernünftigen Zweck oder ohne ein vernünftiges Mittel. I n diese Richtung geht auch die Rechtsprechung des Höge 102 H.R., Urteile v o m 19. Dezember 1910; W. 9123 u n d 13. J u n i 1932, N . J . 1933, S. 63; W. 12532.
§ 13 Gesetzliche Vorschrift u n d amtlicher Befehl
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Raad 1 0 3 . Ferner kann der Gesetzesbegriff „unzüchtige Handlung" in Art. 247 nl. StGB angeführt werden, die man als Handlung umschreiben könnte, die das geschlechtliche Schamgefühl verletzt, doch müßte noch der Zusatz: „ohne vernünftigen Zweck" oder „ohne vernünftiges M i t t e l " erfolgen, damit z.B. Handlungen eines Arztes zum Zwecke einer Untersuchung ausgeschlossen werden 1 0 4 . M i t derartigen Wendungen sorgt der Gesetzgeber dafür, daß viele Handlungen, die innerhalb vernünftiger Grenzen für erlaubt angesehen werden müssen, vom Strafrecht nicht erfaßt werden. Beispiele hierfür sind: begründete Züchtigung durch Eltern oder sachgemäße Berufsausübung durch einen Arzt. I n Fällen, i n denen die Deliktsumschreibung keine Grundlage für Straffreiheit abgibt, bieten die gesetzlichen Strafausschließungsgründe, insbesondere der Notstand nach Art. 40 nl. StGB, einen Ausweg. Letztlich könnte man sich auch noch auf den i n der Rechtsprechung des Höge Raad anerkannten Grundsatz stützen: keine Strafe ohne Schuld. Denn wenn die Rechtswidrigkeit fehlt, fehlt auch die Schuld.
§ 13 Gesetzliche Vorschrift und amtlicher Befehl
Als erster gesetzlicher Strafausschließungsgrund sei die gesetzliche Vorschrift genannt. I n Art. 42 nl. StGB findet man die wohl selbstverständliche Bestimmung, daß nicht strafbar ist, wer eine Tat zur Ausführung einer gesetzlichen Vorschrift begeht. Gesetzlich ist jede Vorschrift, die entweder vom Gesetzgeber selbst oder von einem Rechtsetzungsorgan mit geringerem Rang erlassen ist, das seine Befugnis zum Erlaß der Vorschrift dem Gesetz entnimmt 1 0 5 . Es muß eine Vorschrift sein, mit anderen Worten eine Bestimmung, durch die eine Pflicht auferlegt wird, also nicht bloß eine Befugnis verliehen wird. Wie i m vorangehenden Paragraphen dargelegt wurde, hat der Gesetzgeber für die Fälle, i n denen eine ansonsten strafbare Handlung i n Ausübung eines eigenen Rechts begangen wird, Straffreiheit dadurch ermöglicht, daß er die Rechtswidrigkeit i n die Deliktsumschreibung m i t aufgenommen hat. Wenn sich das Recht aber aus einer gesetzlichen Pflicht ergibt, ist Art. 42 nl. StGB anwendbar. Die Befugnisse eines Ermittlungsbeamten ζ. B. sind eine Folge seiner gesetzlichen Pflicht, Straftaten aufzuspüren. Solch eine Befugnis, die i m Gesetz ausdrücklich dem Ermittlungsbeam103
U. a. i m U r t e i l v o m 10. Februar 1902, W. 7723. 104 F ü r diese Auslegung von A r t . 247 nl. StGB k a n n man sich auf das U r teil des Höge Raad v o m 27. M a i 1931, N. J. 1931, S. 1040 m i t A n m e r k u n g von Pompe; W. 12344 berufen. 105 H. R., U r t e i l v o m 26. J u n i 1899; W. 7307. 5'
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Das niederländische Strafrecht
ten eingeräumt ist, ist die Festnahme einer verdächtigen Person nach Art. 53 und 54 nl. StPO. Doch nicht jedes M i t t e l zur Ausführung einer gesetzlichen Vorschrift entlastet den Täter. Wenn ζ. B. ein Ermittlungsbeamter zur Festnahme eines flüchtenden Beschuldigten diesen erschießt, kann er sich nicht auf A r t . 42 nl. StGB berufen. Die Mittel zur Ausführung der gesetzlichen Vorschrift müssen vielmehr angemessen, also vernünftig sein 1 0 6 . I n Art. 42 nl. StGB ist die Rede von einem (scheinbaren) Konflikt zwischen zwei gesetzlichen Verpflichtungen, einerseits derjenigen, die sich aus der gesetzlichen Strafbestimmung ergibt, und andererseits derjenigen, die durch die gesetzliche Vorschrift gegeben ist, auf die der Täter sich beruft. Dieser K o n f l i k t besteht aber i n Wirklichkeit nicht, da i n den Fällen von A r t . 42 nl. StGB die gesetzliche Vorschrift die Strafbestimmung i n dem Sinne verdrängt, daß die Pflicht aus der Strafbestimmung hinter die aus der gesetzlichen Vorschrift zurücktritt. Manchmal kann das Verhältnis von Strafbestimmung und gesetzlicher Vorschrift zu Zweifeln Anlaß geben. Einen solchen Fall hatte der Höge Raad einmal zu entscheiden 107 . Er wendete hierbei Art. 42 nl. StGB auf einen Fall an, i n dem der Angeklagte ohne die erforderliche Genehmigung Bäume gefällt hatte, was unter Strafe gestellt war. Dabei konnte dieser sich jedoch auf eine gesetzliche Vorschrift berufen, nach der diese Bäume zugunsten der Wasserregulierung zu fällen waren. M i r scheint diese Entscheidung zweifelhaft, w e i l der Angeklagte auf A n frage sicher die Genehmigung erhalten hätte und auf diesem Wege die Normverletzung hätte vermeiden können. Art. 43 Abs. 1 nl. StGB t r i f f t eine entsprechende Regelung für den amtlichen Befehl, der durch die dafür zuständige Behörde erlassen ist, wie Art. 42 nl. StGB für die gesetzliche Vorschrift. Die M i t t e l zur Ausführung des ordnungsgemäß erteilten amtlichen Befehls müssen ebenso wie bei A r t . 42 nl. StGB angemessen, also vernünftig sein. Art. 43 Abs. 2 nl. StGB enthält darüber hinaus die Bestimmung, daß ein unbefugt erteilter amtlicher Befehl die Strafbarkeit nicht aufhebt, es sei denn, der Untergebene habe ihn i n gutem Glauben als ordnungsgemäß angesehen und i m Rahmen seiner Unterordnung befolgt. Hier w i r d eine Straftat zur Ausführung eines unbefugt erteilten amtlichen Befehls begangen. Der Gesetzgeber verleiht auch hier Straffreiheit, knüpft sie jedoch an zwei Bedingungen. Die erste besteht darin, daß der Täter i n gutem Glauben gehandelt hat, m i t anderen Worten aufrichtig meinte, 100 Dies hat der Höge Raad beiläufig ζ. B. i m U r t e i l vom 3. M a i 1915, N. J. 1915, S. 813; W. 9820, festgestellt. 107 H. R., U r t e i l v o m 5. November 1946, N. J. 1947, 132 m i t A n m e r k u n g von Pompe.
§ 14 Die Notwehr
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daß der Befehl ordnungsgemäß ergangen war. Dieser gute Glaube schließt Vorsatz i n bezug auf die mangelnde Befugnis, nicht aber Fahrlässigkeit aus. Man kann gutgläubig sein, was nicht ausschließt, daß man bei genügender Sorgfalt hätte wissen müssen, daß die eigene Auffassung falsch ist. Die zweite Bedingung bedeutet, daß die Straftat, die i n Ausführung des unberechtigt erteilten amtlichen Befehls begangen wurde, infolge ihrer Art, also i m allgemeinen, zu denjenigen Handlungen gehören muß, die der Täter innerhalb seiner Amtstätigkeit vorzunehmen hat, etwa ein Befehl zur Verhaftung, der einem Polizeibeamten vom Polizeikommissar erteilt wird. Wäre eine solche Anordnung einem Briefträger von dem Direktor eines Postamts erteilt worden, würde Art. 43 Abs. 2 nl. StGB nicht anwendbar sein, auch wenn der Briefträger i n gutem Glauben gehandelt hätte. Als Untergebener gilt dabei nicht nur ein untergeordneter Beamter, sondern auch jeder andere, der bei den gegebenen Verhältnissen i m allgemeinen die Pflicht hat, der Anordnung des Beamten Folge zu leisten 1 0 8 . Der Rechtsgrund für Art. 43 Abs. 2 nl. StGB liegt nicht i m Wegfall der Widerrechtlichkeit, denn der Befehl ist unbefugt gegeben, und ebensowenig i m Wegfall der Schuld, denn guter Glaube schließt Fahrlässigkeit nicht aus. Die Rechtfertigung dieser Bestimmung ergibt sich aus einer Zweckmäßigkeitserwägung, die auf eine Förderung des Gehorsams gegenüber amtlichen Anordnungen abzielt. § 14 Die Notwehr
Ein dritter Strafausschließungsgrund wegen fehlender Rechtswidrigkeit ist die Notwehr. Das Gesetz verwendet den Ausdruck nicht, umschreibt aber die Notwehrlage i n A r t . 41 Abs. 1 nl. StGB. Nach dieser Bestimmung w i r d die Notwehr i m Gegensatz zum französischen Recht zwar als allgemeiner Strafausschließungsgrund aufgefaßt, der nicht auf einzelne Straftaten beschränkt ist, jedoch i n engen Grenzen gehalten. Nicht strafbar ist, wer eine Tat begeht, die durch die notwendige Verteidigung von Körper, Ehrbarkeit oder Vermögen seiner selbst oder eines anderen gegen einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff geboten ist. Notwehr ist also auf Verteidigung von Körper, Ehrbarkeit oder Vermögen beschränkt 1 0 8 a . Ehrbarkeit bedeutet wie i n den Art. 239 ff. nl. StGB die Ehre auf geschlechtlichem Gebiet. Sie umfaßt also 108 I n diesem Sinne i m p l i z i t H. R., U r t e i l v o m 21. M a i 1918, N. J. 1918, S. 645; W. 10295. iosa Deshalb scheiterte die Berufung der Besetzer der M O B Leiden auf den Strafausschließungsgrund der Notwehr, die m i t der Besetzung die Schließung dieser medizinischen Behandlungseinrichtung verhindern wollten. Das Recht auf oder das Interesse an einer medizinischen Behandlung sei kein notwehrfähiges Gut. H. R., U r t e i l v o m 26. November 1974, N. J. 1975, 150.
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Das niederländische Strafrecht
weniger als die Ehre 1 0 9 , jedoch mehr als das nur Körperliche, denn sie betrifft die Unberührtheit des Körpers, die ein sittlicher Begriff ist. Unter Vermögen ist wie i n A r t . 310 nl. StGB (Diebstahl) jedes materielle Gut zu verstehen. Noch auf andere Weise ist die Notwehr beschränkt. Die Tat muß zur Verteidigung geboten sein. Man darf also nicht weiter gehen, als notwendig ist, um das angegriffene Interesse zu verteidigen. Wenn das Drohen mit einem Revolver bereits ausreicht, würde ein tödlicher Schuß die Grenzen der Notwehr überschreiten. Ebenso muß die Verteidigung selbst erforderlich sein. Diese Erforderlichkeit ist naturgemäß relativ zu verstehen, denn unbedingt erforderlich ist eine Verteidigung niemals. Sie muß also erforderlich sein zum Schutz des Interesses. Wenn dieser Schutz auch durch Flucht erfolgen könnte, wäre das Merkmal der Erforderlichkeit nicht erfüllt. Sowohl das Gebotensein des Verteidigungsmittels als auch die Erforderlichkeit der Verteidigung selbst müssen nach der vernünftigen Einsicht der angegriffenen Person i m Augenblick des Angriffs beurteilt werden. Hierdurch ist einerseits ein gewisser Spielraum für die Notwehr eingeräumt, andererseits bedeutet es aber auch eine Beschränkung. Wenn ζ. B. ein geringwertiges Vermögensinteresse angegriffen wird, etwa einige Äpfel i n einem Obstgarten gestohlen werden, würde der Täter durch A r t . 41 nl. StGB nicht gedeckt sein, wenn der Angreifer niedergeschossen würde. Nach vernünftiger Beurteilung ist nämlich bei einem solchen MißVerhältnis zwischen verteidigtem Interesse und dem zur Verteidigung zugefügten Schaden die Verteidigung nicht erforderlich und das M i t t e l nicht geboten. Die Erforderlichkeit und das Gebotensein müssen nicht rein tatsächlich, sondern normativ nach dem Zweckgedanken aufgefaßt werden, auf den die Begriffe „geboten" und „erforderlich" beide hinweisen. Der Angriff muß ferner gegenwärtig sein. Das ergibt sich schon daraus, daß es sich u m eine Verteidigung handeln muß. Ob der Angriff noch gegeben ist, muß genauso wie die Notwendigkeit der Verteidigung und das Gebotensein des Verteidigungsmittels nach der vernünftigen Beurteilung des Angegriffenen i m Augenblick seiner Handlung entschieden werden 1 1 0 . Eine Verteidigungshandlung w i r d durch Notwehr nicht gerechtfertigt, wenn ein Angriff i n Wirklichkeit nicht vorliegt, aber der Handelnde nach vernünftiger Beurteilung annehmen durfte, daß er angegriffen wurde (sog. Putativnotwehr). 109
H. R., U r t e i l v o m 8. Januar 1917, N. J. 1917, S. 175; W. 10066. H. R., U r t e i l v o m 22. November 1949, N. J. 1950, 179 (in der letzten E r wägung zum zweiten Kassationsmittel). 110
§ 14 Die N o t w e h r
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Auch das Aufstellen von Fußangeln, Fangeisen und dergleichen könnte unter Notwehr fallen. I n einem solchen Fall ist das Aufstellen dieser Abwehrmittel lediglich Vorbereitung, nicht aber Verteidigung selbst. Ob die dann automatisch eintretende Verteidigung die gesetzlichen Erfordernisse erfüllt, muß von Fall zu Fall beurteilt werden. Der Angriff muß außerdem rechtswidrig sein. Rechtswidrig bedeutet hier, daß der Angriff i m Widerspruch sowohl zum geschriebenen wie zum ungeschriebenen Recht steht. Der Angriff durch ein Tier kann also nicht zur Notwehr führen, es sei denn, das Tier könne als Werkzeug eines angreifenden Menschen angesehen werden. Ein Tier kann nämlich nicht rechtswidrig angreifen 111 . W i r d jemand durch ein Tier angefallen, kann er sich bei seiner Verteidigung evtl. auf Notstand nach Art. 40 nl. StGB berufen. Der Angriff durch einen Geisteskranken kann indes zur Notwehr berechtigen, denn ein Geisteskranker kann widerrechtlich handeln, wenn auch bei i h m die Zurechnungsfähigkeit und damit die Schuld nach A r t . 37 nl. StGB fehlt. Einige Autoren sind der Auffassung, daß der Angriff durch einen Geisteskranken nicht zur Notwehr berechtigt. Zwar scheint m i r dies unrichtig, doch muß ihnen zugestanden werden, daß bei einem Angriff durch einen erkennbar Geisteskranken die Haltung des Verteidigers vernünftigerweise eine andere sein muß als bei einem Angriff durch einen normalen Menschen. I n Notwehr handelt man nicht mehr rechtswidrig. Es handelt sich hier zwar nicht mehr wie i n A r t . 42 und 43 Abs. 1 nl. StGB um eine Pflicht, sondern u m ein Recht, nämlich das natürliche Recht der Verteidigung gegen Unrecht. Diese Verteidigung ist unter normalen Umständen der Obrigkeit anvertraut, doch hat der Täter i n dem i n Art. 41 Abs. 1 nl. StGB beschriebenen Notfall keine Gelegenheit, rechtzeitig die Hilfe der Obrigkeit herbeizurufen. Die Notwehr ist nach niederländischem Recht deshalb i n so engen Grenzen gehalten, u m dieses Selbsthilferecht auf ein Mindestmaß zu beschränken. Wer die gesetzlichen Grenzen der Notwehr überschreitet, handelt rechtswidrig, ist dann jedoch nicht immer auch strafbar. Die Überschreitung der Grenzen der erforderlichen Verteidigung ist nach Art. 41 Abs. 2 nl. StGB nämlich dann nicht strafbar, wenn sie eine unmittelbare Folge einer heftigen Gemütsbewegung gewesen ist, die durch den A n griff verursacht wurde. Es müssen also drei Merkmale gegeben sein, die untereinander i n Kausalzusammenhang stehen: ein rechtswidriger Angriff, eine dadurch verursachte heftige Gemütsbewegung (Angst, Wut, usw.) und eine durch diese Gemütsbewegung verursachte Überschreitung der Grenzen der notwendigen Verteidigung. Infolge dieses 111
H. R., U r t e i l v o m 11. M a i 1903. W. 7928.
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Das niederländische Strafrecht
letzten Erfordernisses muß der Angegriffene sich zuerst innerhalb der Grenzen erforderlicher Verteidigung befunden und diese danach überschritten haben 1 1 2 . Die Überschreitung kann nach dem Wortlaut die Erforderlichkeit der Verteidigung betreffen, wenn nämlich die Verteidigung nicht nötig war, weil man sich durch Flucht retten konnte, oder wenn die Verteidigung zu weit ging, wenn man etwa den Angreifer tötete, obwohl ein Faustschlag schon ausgereicht hätte. I m Gegensatz zu verschiedenen Autoren meine ich, daß die Überschreitung nach dem Wortlaut auch die Verteidigung selbst betreffen kann, wenn man etwa nach anfänglichen Verteidigungshandlungen weiterhin auf den Angreifer einschlägt, obgleich dieser schon seinen Angriff eingestellt hat. I n den Fällen des Notwehrexzesses nach A r t . 41 Abs. 2 nl. StGB bleibt die Tat rechtswidrig, und überdies kann Schuld gegeben sein, denn eine heftige Gemütsbewegung hebt die Schuld nicht auf. Die Gewährung der Straffreiheit ist nach meiner Auffassung aus Billigkeitserwägungen zu erklären. Der Angreifer ist hier i n gewissem Sinne selbst die Ursache der betreffenden Überschreitung. Es erscheint unbillig, dem rechtswidrigen Angreifer auch i n diesem Fall den Schutz seiner Interessen durch das Strafgesetz zu gewähren. § 15 Der Notstand (overmacht)
I n Art. 40 nl. StGB ist ein sehr summarisch umschriebener Strafausschließungsgrund enthalten. Danach ist nicht strafbar, wer eine Tat begeht, zu der er durch „overmacht" gedrängt wird. Der A r t i k e l ist dem Art. 64 Code pénal entnommen, i n dem nebeneinander als Strafausschließungsgründe der Zustand der Geisteskrankheit und der Zwang durch eine Kraft genannt sind, der der Täter keinen Widerstand entgegensetzen konnte. I m Gegensatz zu den besprochenen allgemeinen Strafausschließungsgründen zieht der Gesetzgeber hier keine deutlichen Grenzen. Nach den Motiven hat er zwei Fallgruppen vor Augen gehabt, nämlich das Handeln oder Unterlassen auf ein Drängen hin, dem der Täter keinen Widerstand bieten konnte (Notstand i m engeren Sinne), und das Handeln oder Unterlassen i n einer Lage, i n der die Begehung der Straftat nicht mehr als unerlaubt anzusehen ist (Notstand i m weiteren Sinne) 118 . Diese Zweigleisigkeit, für die der Gesetzestext keinen Anhaltspunkt gibt, spielt i n der Rechtsprechung des Höge Raad weiterh i n eine Rolle. Ursprünglich hat unser höchstes Gericht diesen Strafausschließungsgrund strikt auf Fälle beschränkt, i n denen i m Augenblick der Handlung der Täter keinen Widerstand leisten konnte 1 1 4 . Erst 112 113 114
H. R., U r t e i l v o m 24. J u n i 1895, W. 6699. So Smidt, I, a.a.O. (Anm. 89), S. 404. H. R., U r t e i l v o m 28. J u n i 1887, W. 5449.
§15 Der Notstand
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geraume Zeit später wendete der Höge Raad A r t . 40 nl. StGB auf einen Fall an, i n dem der Täter zwar Widerstand hätte leisten können, nach den gegebenen Umständen die Strafbarkeit für die Zuwiderhandlung gegen die betreffende Verordnung aber als aufgehoben angesehen werden mußte. Dabei berief sich der Höge Raad auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, nach der A r t . 40 nl. StGB auch immer den Notstand i m weiteren Sinne eingeschlossen hat 1 1 5 . Die meisten Autoren unterscheiden ebenso zwischen Notstand i m engeren Sinne, bei dem der Täter keinen Widerstand leisten konnte, und dem Notstand i m weiteren Sinne, bei dem der Täter vernünftigerweise keinen Widerstand zu leisten brauchte. Verschiedene Gründe sprechen nach meiner Auffassung dafür, den Notstand i m Sinne des Gesetzes als einen Zwang aufzufassen, dem unter den gegebenen Umständen der Täter keinen Widerstand zu leisten brauchte. I n Art. 40 nl. StGB w i r d nicht zwischen zwei prinzipiell verschiedenen Strafausschließungsgründen Notstand i m engeren und weiteren Sinne unterschieden. Darüber hinaus ist es praktisch nicht möglich herauszufinden, ob ein individueller Täter Widerstand leisten konnte oder nicht. Verschiedene Autoren schwächen bei dieser A r t von Fällen die Anforderungen dann auch dahin ab, daß sie Notstand i m engeren Sinne für gegeben halten, wenn vom Täter nicht mehr verlangt werden kann, daß er Widerstand leistet. Doch damit verändern sie das K r i t e r i u m und fragen, ob es erlaubt war, keinen Widerstand zu leisten. Es kann wohl zugestanden werden, daß die besonderen Umstände, die den Notstand bilden, sowohl subjektiver (psychischer) als auch objektiver Natur sein können. Rein subjektive Umstände können jedoch nach der Rechtsprechung des Höge Raad keinen Notstand begründen. Darum erkannte er den inneren Gewissensdrang nicht als Notstand an 1 1 6 . Nach dem Zweiten Weltkrieg hat er allerdings doch einen Weg zur Berücksichtigung von Gewissensnöten als Strafausschließungsgrund eröffnet 1 1 7 . Zwar bemüht er dazu nicht viele Worte, doch muß ein solcher Strafausschließungsgrund sich wohl auf A r t . 40 nl. StGB stützen. Welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Gewissensnöte zum Notstand werden, hat der Höge Raad allerdings offengelassen. Nach der von m i r vertretenen Auffassung beruht der Rechtsgrund der Straffreiheit bei Notstand auf dem Wegfall der Rechtswidrigkeit. Notstand ist jedoch ein sehr viel umfassenderer Strafausschließungs115
H. R., U r t e i l v o m 15. Oktober 1923, N. J. 1923, S. 1329; W. 1113. H. R., U r t e i l v o m 26. J u n i 1916, N. J. 1916, S. 703; W. 9955. 117 H. R., U r t e i l v o m 20. J u n i 1950, N. J. 1951, 348 m i t A n m e r k u n g von Pompe. 116
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Das niederländische Strafrecht
grund, als die bisher behandelten es sind. Von einer geschriebenen oder ungeschriebenen Pflicht zur Begehung einer Straftat wie i n Art. 42 und 43 Abs. 1 nl. StGB braucht beim Notstand keine Rede zu sein. Ebenso wenig braucht dazu ein Recht wie bei A r t . 41 nl. StGB zu bestehen. Gemeinsam kann für alle unter Notstand fallenden Handlungen lediglich gesagt werden, daß die Gesetzesregelung hier zurücktritt und i n Notstand vorgenommene Handlungen deshalb nicht rechtswidrig sind. § 16 Die Schuld
Das niederländische Strafrecht ist ein Schuldstrafrecht. Schuld ist der zentrale Begriff der Strafbarkeit. Der Grundsatz „keine Strafe ohne Schuld" w i r d für unser Recht vom Höge Raad ausdrücklich anerkannt 1 1 8 . Was Schuld bedeutet, hat der Gesetzgeber nicht definiert. Wenn er den Begriff Schuld wie ζ. B. bei der fahrlässigen Tötung nach A r t . 307 nl. StGB i m Strafgesetzbuch verwendet, bedeutet dies Fahrlässigkeit. I m Strafverfahrensgesetzbuch w i r d er ebenfalls, aber dann — wie i n A r t . 27 nl. StPO — i n dem Sinne von „Tatbegehung, die A n laß zu Ermittlungen bietet" gebraucht. Auch der Höge Raad definiert den Schuldbegriff nicht, obwohl er den Grundsatz „nulla poena sine culpa" i m oben genannten U r t e i l ausdrücklich bestätigt. Über den Schuldbegriff hat i n der Literatur lange Zeit Unsicherheit geherrscht. Ältere Autoren vertreten die Auffassung, daß Schuld nichts anderes als entweder Vorsatz oder Fahrlässigkeit sei; sie wurden i n ihrer Meinung durch den Sprachgebrauch bestärkt, nach dem Vorsatz und Fahrlässigkeit Schuldformen sind. I m Anschluß an die bekannte Frank'sche Formulierung kennzeichnete man später die Schuld als Vorwerfbarkeit. Diese Kennzeichnung scheint m i r zwar nicht unrichtig, sie ist aber undurchsichtig, und darüber hinaus bezeichnet Vorwerfbarkeit nicht das Wesen der Schuld selbst, sondern eher eine Folge der Schuld. Aufgrund von Schuld kann man jemandem nämlich einen Vorw u r f machen. Ihrem Wesen nach ist Schuld vorhanden, wenn jemand eine unerlaubte Handlung begeht, obgleich er anders hätte handeln können. Juristisch könnte man formulieren, daß Schuld bei vermeidbarem rechtswidrigen Verhalten gegeben ist. Der niederländische hat ebenso wie der ausländische Gesetzgeber die Schuld m i t Hilfe von vier Begriffen aufgebaut, nämlich Rechtswidrigkeit, Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit und Zurechenbarkeit. Schuld i m Sinne vermeidbaren rechtswidrigen Verhaltens liegt dann vor, wenn ein positives Tun oder Unterlassen rechtswidrig ist, der Täter die 118
H. R., U r t e i l v o m 14. Februar 1916, N. J. 1916, S. 681; W. 9958.
§ 7 Vorsatz und Fahrlässigkeit
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Rechtswidrigkeit kennt oder vernünftigerweise kennen kann und die Tat i h m aufgrund seines Geisteszustandes zugerechnet werden kann. Schuld ist also nicht eine Gesinnung des Täters, wie es die sogenannte moderne Richtung behauptet hat. Schuld ist nämlich nicht eine Eigenschaft einer Person, sondern eines Handelns. Natürlich besteht zwischen Tat und Täter ein Zusammenhang. Der Täter hat Schuld, mit anderen Worten: er trägt die Schuld. Schuld i m Rechtssinne ist jedoch vermeidbares rechtswidriges Verhalten. Die Gesinnung der Person kann Einfluß auf die Schuld i n diesem Sinne haben. Man könnte dann von „culpa i n causa" sprechen. Diese Rechtsfigur ist zwar i m niederländischen Gesetz nicht ausdrücklich anerkannt, Gesetzgeber und Richter aber haben ihr mehrmals erkennbar Rechnung getragen. M i t diesem Gedanken ist der i n der deutschen Dogmatik verwendete Begriff der Lebensführungsschuld verwandt. Die nachfolgenden Paragraphen befassen sich mit der A r t , i n der der Gesetzgeber die Begriffe aufbaut, die zusammen die Schuld bilden. Die Rechtswidrigkeit haben w i r bereits behandelt. Jetzt folgen Vorsatz und Fahrlässigkeit, wobei auch ihr Verhältnis zur Rechtswidrigkeit und Zurechenbarkeit berücksichtigt werden soll. § 17 Vorsatz und Fahrlässigkeit
Vorsatz und Fahrlässigkeit werden i m Gesetz i n der Regel mit den Worten „vorsätzlich" und „schuldhaft" umschrieben. I n den A r t . 198 Abs. 4 und 199 Abs. 3 nl. StGB w i r d das Wort Fahrlässigkeit verwendet. Für das Wort „vorsätzlich" kommen mitunter artgleiche Ausdrücke wie „ i n Kenntnis" (Art. 135 f. nl. StGB) und „wissend, daß" (Art. 247 nl. StGB) vor. Auch für die Worte „Schuld" und „Fahrlässigkeit" gebraucht der Gesetzgeber gelegentlich andere Wendungen wie etwa „ernsthafte Gründe für die Vermutung" (Art. 240 Abs. 2 nl. StGB) und „mußte erwarten" (Art. 418 Ziff. 2 und 419 Ziff. 2 nl. StGB). Inwieweit diese artgleichen Wendungen m i t Vorsatz und Fahrlässigkeit identisch sind, w i r d später besprochen werden. Wenn weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit noch ein synonymer Ausdruck i n der gesetzlichen Umschreibung eines Verbrechens enthalten ist, muß angenommen werden, daß dafür Vorsatz erforderlich ist. Bei den Übertretungen werden Vorsatz, Fahrlässigkeit oder übereinstimmende Begriffe i m Gesetzbuch selten und außerhalb des Gesetzbuches fast niemals verwendet. I n dem i m vorangehenden Paragraphen genannten Urteil von 1916 hat der Höge Raad entschieden, daß das Fehlen von Vorsatz und Fahrlässigkeit einen Strafausschließungsgrund bildet, wenn dies auch aus dem Gesetz nicht ausdrücklich hervorgeht.
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Das niederländische Strafrecht
Dies gilt ebenso für Übertretungen, wenn i n der Deliktsumschreibung Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht aufgenommen sind. Sie sind zwar dann nicht Elemente der Übertretungstatbestände, ihr Fehlen aber führt zur Straffreiheit 1 1 9 . § 18 Das Verhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit zu den Tatbestandselementen der Straftat und zur Rechtswidrigkeit
Vorsatz und Fahrlässigkeit tragen ihrem Wesen nach allein zur Schuld bei, wenn der Täter voraussieht oder voraussehen kann, daß sein Verhalten rechtswidrig ist. Der Gesetzgeber bezieht Vorsatz und Fahrlässigkeit aber i n der Regel nicht auf die Rechtswidrigkeit, sondern nur auf die nach Maßgabe der Deliktsumschreibung gegebenen Elemente der Straftat. Die Rechtswidrigkeit ist, wie w i r gesehen haben, grundsätzlich nicht i n die Deliktsumschreibung aufgenommen. I n dem Begriff Vorsatz selbst, wie er i n unserem Gesetz gebraucht wird, liegt eine Beziehung zur Rechtswidrigkeit auch nicht eingeschlossen. Er ist nämlich ein wertmäßig neutraler Begriff, mit anderen Worten, er bedeutet nicht „böser Vorsatz" (dolus malus). Dies gilt auch für die Fahrlässigkeit. Zwar ist i n ihr bereits ein Tadel enthalten, dieser bedeutet jedoch nicht, daß Fahrlässigkeit begriffsnotwendig auf die Rechtswidrigkeit der Tat bezogen sein muß. Wie w i r d dieser scheinbare Widerspruch zwischen der Gesetzgebung und dem Grundsatz „keine Strafe ohne Schuld" gelöst? Es ist klar, daß die Ausrichtung von Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit auf die Elemente der Straftat nicht notwendigerweise mit sich bringt, daß Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit sich auch auf die Rechtswidrigkeit richten. Obgleich man weiß oder billigerweise wissen kann, was man tatsächlich tut, kann man doch über die Rechtswidrigkeit seines Tuns i n entschuldbarer Unkenntnis sein. Dies kann geschehen, wenn man die Norm nicht kennt, deren Verletzung i n der Deliktsumschreibung unter Strafe gestellt ist. Selbst wenn man weiß, was man tut, und die Norm kennt, muß man die Rechtswidrigkeit nicht kennen. Man kann nämlich annehmen, daß man sich auf einen Strafausschließungsgrund berufen kann, der die Rechtswidrigkeit ausschließt. Die hier erörterten Fragen werden manchmal unter dem Begriff des Irrtums zusammengefaßt. I n unserer Gesetzgebung ist jedoch dem I r r t u m kein besonderer Platz eingeräumt. Neben Vorsatz und Fahrlässigkeit scheint m i r auch eine besondere Behandlung des Irrtums überflüssig, ja sogar irreführend. I r r t u m ist nicht nur fehlender Vor119
H. R., U r t e i l v o m 23. M a i 1921, N. J. 1921, S. 962; W. 10766.
§18 Verhältnis zu den Tatbestandselementen
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satz, und entschuldbarer I r r t u m ebensowenig nur fehlende Fahrlässigkeit. I r r t u m bedeutet vielmehr Nichtwissen, während man glaubt zu wissen, fehlender Vorsatz dagegen bloß Nichtwissen. Die Lehre vom I r r t u m w i r d deshalb i n der niederländischen Strafrechtsliteratur i m allgemeinen nicht behandelt. Nach der Deliktsumschreibung muß Vorsatz auf die Elemente gerichtet sein, die durch das Wort „vorsätzlich" oder einen entsprechenden Begriff grammatikalisch erfaßt werden. Ein Beispiel: I n Art. 125 nl. StGB w i r d die Straftat der Wahlbehinderung umschrieben als „bei Gelegenheit einer kraft gesetzlicher Vorschrift ausgeschriebenen Wahl mit Gewalt vorsätzlich jemanden hindern, sein Wahlrecht frei und unbehindert auszuüben". Der Vorsatz muß hier nicht auf den Umstand gerichtet sein, daß die Wahl kraft gesetzlicher Vorschrift ausgeschrieben ist, denn das Wort „vorsätzlich" bezieht sich auf diesen Satzteil nicht. Wenn in der Deliktsumschreibung weder das Wort „vorsätzlich" noch ein synonymer Ausdruck vorkommt, muß der Vorsatz auf alle Elemente gerichtet sein, solange sich nicht auf irgendeine Weise das Gegenteil ergibt. So muß sich bei Widerstand gegen die Staatsgewalt nach Art. 180 nl. StGB — d. i. Widerstand m i t Gewalt oder Drohung mit Gewalt gegen einen i n der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes tätigen Beamten — der Vorsatz des Täters darauf richten, daß er sich gegen einen Beamten widersetzt und dieser i n der Ausübung seines Amtes handelt. Darauf jedoch, daß diese Ausübung des Amtes rechtmäßig erfolgt, braucht sich der Vorsatz nicht zu erstrecken. Dies kann man einmal mit einem Hinweis auf die Motive rechtfertigen, aus denen hervorgeht, daß suo periculo handelt, wer sich einem Beamten in dem Glauben widersetzt, daß dieser unrechtmäßig handelt. Andererseits kann man argumentieren, daß es das erkennbare Streben des Gesetzgebers war, den Gehorsam gegenüber amtlichen Befehlen zu fördern 1 2 0 . Wenn der Täter nun i n Übereinstimmung m i t der Deliktsumschreibung vorsätzlich bzw. fahrlässig ein Verbrechen begangen h a t 1 2 1 und entweder die Norm nicht kennt oder nicht kennen kann 1 2 2 , oder zu Unrecht glaubt oder glauben kann, sich auf einen Strafausschließungsgrund berufen zu können, durch den die Rechtswidrigkeit wegfällt, fehlt bei ihm Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit i n bezug auf die Rechtswidrigkeit und damit auch die Schuld. Nach Jahrzehnten hat der Höge Raad, der i m angegebenen Urteil von 1916 den Grundsatz „keine Strafe ohne Schuld" anerkannt hatte, zum Schluß die Konsequenz aus die120
Vgl. dazu A r t . 43 Abs. 2 nl. StGB u n d die obigen Ausführungen dazu. Dasselbe gilt f ü r Vorsatz oder Fahrlässigkeit i n bezug auf die Elemente einer Übertretung. 122 Dies dürfte allein bei Übertretungen vorkommen. 121
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Das niederländische Strafrecht
sem Grundsatz gezogen, indem er einen solchen Fall fehlender Schuld auch als Strafausschließungsgrund gelten ließ 1 2 3 . Es handelte sich hier u m einen Motorradfahrer, der aufgrund fehlerhafter Auskunft der Ortspolizei sich ein erforderliches Dokument nicht beschafft und dafür strafrechtlich zu verantworten hatte. § 19 Der Vorsatz
Vorsätzlich handeln bedeutet nach niederländischem Recht willentlich und wissentlich handeln 1 2 4 . Der Streit über die Frage, ob Vorsatz Willen oder Wissen ist, also der Streit zwischen der Willens- und der Vorstellungstheorie, hat weder für die niederländische Gesetzgebung noch für die Rechtsprechung und Literatur Bedeutung erlangt. Der Wille umfaßt immer auch die Kenntnis, man kann schließlich nur wollen, was man kennt. Dies t r i f f t für alle Elemente der Straftat zu, i n bezug auf die das Gesetz Vorsatz verlangt, nämlich sowohl für die Handlung, als auch für die Verursachung eines Erfolges und die Begleitumstände. Bei Totschlag kann man ζ. B. nur dann, aber dann auch immer, annehmen, daß der Schuldige das Opfer töten wollte, wenn er auf irgendeine Weise wußte, daß seine Handlung den Tod des Opfers zur Folge haben würde. Ebenso kann man etwa bei der Unterschlagung nur davon sprechen, daß der Schuldige sich das Gut eines anderen zueignen wollte, wenn er seine Tat i n Kenntnis des Begleitumstandes verübte, daß das Gut einem anderen zugehörte. Vorsätzlich handeln oder unterlassen bedeutet deshalb, daß man weiß, was man tut oder nicht tut. Manchmal gebraucht der Gesetzgeber demzufolge auch anstelle des Begriffs „vorsätzlich" Ausdrücke wie etwa i n Art. 188 nl. StGB „wissend, daß" oder i n Art. 135 nl. StGB „ i n Kenntnis von" oder ähnliche Wendungen. Diese Begriffe sind offenbar synonym verwendet 1 2 5 . Oft, und zwar i n den A r t i k e l n 92, 225, 310, 326 u. a. nl. StGB w i r d der Begriff „Augenmerk" verwendet. Welche Bedeutung kommt diesem Begriff zu? Augenmerk bedeutet Absicht. Hiermit ist aber die Bedeutung noch nicht hinreichend erläutert. Es liegt nahe, Absicht als persönliches Ziel zu definieren, durch das der Täter zu seiner Handlung i n dem Sinne veranlaßt wird, daß er nicht gehandelt hätte, wenn er gewußt 123 H. R., U r t e i l v o m 22. November 1949, N. J. 1950, 180, dem eine Reihe weiterer Entscheidungen gefolgt ist. Z u m „Fehlen jeglicher Schuld" (avas) als außergesetzlichem Strafausschließungsgrund ausführlich: G. E. Mulder, Geen straf zonder schuld. I n : Verkeersrecht 1974, S. 233 - 239 u. 257 - 263. 124 So die Motive, vgl. Smidt , I, a.a.O. (Anm. 89), S. 77. 125 M a n siehe die Motive, Smidt , I, a.a.O. (Anm. 89), S. 78 i n Verbindung m i t A n m e r k u n g 1 u n d den Bericht an den König, Smidt , I, a.a.O. (Anm. 89), S. 78.
§ 19 Der Vorsatz
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hätte, daß das Ziel nicht erreicht würde. Aber auch eine andere Bedeutung für Augenmerk als Absicht ist denkbar, durch die Augenmerk und Vorsatz identisch würden. Wenn jemand beispielsweise eine Bombe i n ein Auto w i r f t und dabei persönlich bezweckt, allein den darin befindlichen Minister zu töten, zugleich aber erkennt, daß der gleichfalls i m Auto sitzende König m i t getötet werden wird, richtet sich sein A u genmerk i n erster Linie darauf, den Minister und nicht den König zu töten, doch er weiß, daß seine Handlung i n der konkreten Situation die Richtung, also das Ziel hat, zugleich den König zu töten. Der Tod des Königs ist dann zwar nicht das persönliche, von i h m angestrebte Ziel, das ihn zu seiner Handlung bewogen hat, aber sein Tod ist i n dem Ziel seiner willent- und wissentlich unternommenen Handlung Inbegriffen. Man w i r d also sagen können, daß auch der Tod des Königs sein sachliches Ziel, seine sachliche Absicht war. Dieser Gedankengang, durch den Augenmerk eine ebenso weite Bedeutung erhält wie Vorsatz, macht vielleicht einen allzu subtilen Eindruck. Offenbar aber hat er bei der Entstehung des Strafgesetzbuches eine Rolle gespielt. I n der A n t w o r t note 1 2 6 wurde der Begriff Augenmerk allgemein m i t einem auf einen Erfolg gerichteten Vorsatz gleichgestellt. Es ließen sich noch mehr Hinweise in der Entstehungsgeschichte des Strafgesetzbuchs für die These anführen, daß Augenmerk und Vorsatz identisch sind. Ein entscheidendes Argument für die weitere oder engere Auffassung ist indes i m Gesetz selbst nicht zu finden. I n Übereinstimmung mit den meisten Autoren bin ich der Auffassung, daß Augenmerk i m niederländischen Strafgesetzbuch i n der Regel eine persönliche Absicht voraussetzt und demzufolge eine engere Bedeutung hat als Vorsatz. Hierfür kann man sich auf den allgemeinen Sprachgebrauch berufen. Es gibt aber auch Fälle, i n denen der Gesetzgeber erkennbar von dem Gedanken ausgegangen ist, daß Augenmerk dieselbe Bedeutung wie Vorsatz zukommt. Ein Beispiel findet sich i n Art. 92 nl. StGB, wonach der Anschlag unter Strafe gestellt ist, der mit dem Augenmerk unternommen wird, den König zu töten. Vorsätzlich zu handeln oder zu unterlassen, bedeutet also, willentlich und wissentlich zu handeln oder zu unterlassen. Wie sicher muß nun das Wissen sein, u m von Vorsatz reden zu können? M i t anderen Worten, wie weit erstreckt sich der Vorsatzbegriff? Damit ist die Frage nach der Grenze zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit gestellt. Hier bietet sich der i n der deutschen Strafrechtswissenschaft entwickelte Begriff des sog. bedingten Vorsatzes an. Einerseits w i r d allgemein anerkannt, daß die Kenntnis von der Möglichkeit, daß ein bestimmter Erfolg eintreten w i r d oder ein Begleitumstand gegeben ist, für den Vor128
Smidt, I, a.a.O. (Anm. 89), S. 81 f.
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Das niederländische Strafrecht
satz nicht ausreicht. Andererseits w i r d auch durch die große Mehrheit der Autoren verneint, daß sichere Kenntnis verlangt sei. Ursprünglich hat es über diesen Fragenbereich seit dem Inkrafttreten des niederländischen Strafgesetzbuchs einen Meinungsstreit zwischen einflußreichen Lehrbuchautoren (van Kamel, Simons, Zevenbergen) und der Rechtsprechung gegeben. Van Hamel und nach i h m die anderen genannten Autoren bejahten den bedingten Vorsatz, und zwar nach allerlei Variationen i m Geiste der bekannten Frank'sehen Formel. Bedingter Vorsatz sei anzunehmen, wenn jemand handele, obgleich er von der Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung wisse, aber auch gehandelt hätte, wenn er vom sicheren E i n t r i t t des Erfolges gewußt hätte. Der erwähnte Gegensatz zwischen Wissenschaft und Praxis trat bereits bei der Behandlung des Gesetzentwurfs i n der Volksvertretung hervor. Minister Modderman, ehemaliger Hochschullehrer für Strafrecht an den Universitäten i n Amsterdam und später i n Leiden, bejahte den bedingten Vorsatz. Er verstand darunter, daß der Täter nicht sicher ist, ob die Tatverwirklichung erfolgt, und i n diesem Zweifel dennoch wagt zu handeln 1 2 7 . Die Zweite Kammer selbst hat demgegenüber die Kenntnis, daß die Tat geschehen kann, was sie Leichtsinn nannte, nicht als Vorsatz, sondern als Fahrlässigkeit angesehen 128 . Der Minister klammerte sich aber nicht an seinen dogmatischen Standpunkt und übernahm Abänderungsanträge der Zweiten Kammer, i n denen i m Hinblick auf die Unsicherheit über die Grenze zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit die gesetzlichen Strafdrohungen i n verschiedenen A r t i k e l n erhöht wurden 1 2 9 . Nach meiner Auffassung braucht die Grenze zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht m i t Hilfe des Begriffs bedingter Vorsatz gezogen zu werden. Schon die Begriffsbestimmung stößt auf Schwierigkeiten. A m schärfsten ist sie von Frank gegeben, aber i n einer Weise, daß der Beweis für das Vorliegen dieses so definierten Vorsatzes nicht geliefert werden kann, denn niemand kann wissen — auch der Delinquent nicht —, wie ein Delinquent gehandelt haben würde, wenn die Situation eine andere gewesen wäre als die, i n der er wirklich gehandelt hat. Die Grenze muß nach meiner Meinung auf eine andere Weise gezogen werden, nämlich so, daß für vorsätzliches Handeln oder Unterlassen die Kenntnis der Wahrscheinlichkeit ausreichend ist bzw. für den Vorsatz i n bezug auf Folgen die Kenntnis, daß die Handlung die Richtung hat, den Erfolg hervorzubringen. Man könnte dies auch so ausdrücken, 127
81. 128
Antwortnote an die Zweite Kammer, vgl. Smidt , I, a.a.O. (Anm. 89), S.
Bericht der Zweiten Kammer, vgl. H. J. Smidt, Wetboek van Strafrecht, Bd. I I , Haarlem 1881, S. 120. 129 Vgl. Smidt, I I , a.a.O. (Anm. 128), S. 134 u. 138.
Geschiedenis van het
§ 19 Der Vorsatz
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daß nicht exaktes Wissen, also sichere Kenntnis, erforderlich ist, sondern man kann sich mit dem Begreifen oder Erwarten begnügen. Diese Auffassung knüpft normal an die äußere Situation an; der Beweis des Vorsatzes w i r f t dann auch keine unüberbrückbaren Schwierigkeiten auf. Ursprünglich teilte die höchstrichterliche Rechtsprechung diese Auffassung. Der Höge Raad nahm Vorsatz nur bei „bestimmter Erwartung" an 1 3 0 , wenn nämlich der Täter wußte, daß seine Handlung sehr wahrscheinlich den Tod des Opfers verursachen würde, und demzufolge dessen Tod als möglichen und wahrscheinlichen Erfolg seiner Handlung gewollt hat 1 3 1 . Nach dem Krieg hat er allmählich die Grenze zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zugunsten des Vorsatzes verschoben. So begründete er den Versuch zu vorsätzlichem Totschlag mit der Erwägung, „daß der Tod des Opfers als ein vorhersehbarer Erfolg" der erwiesenen Handlung angesehen werden kann 1 3 2 . Einen weiteren Schritt ging er m i t der Annahme von Tötungsversuch i n den Fällen, i n denen das Überfahren des Betroffenen „als wahrscheinlicher Erfolg zu erwarten war — und damit nach vernünftiger Erwartung auch dessen Tod" 1 3 3 . „ Z u erwarten" bedeutet, daß irgendetwas erwartet werden konnte; also wertet hier der Höge Raad nicht bewußte, sondern unbewußte Fahrlässigkeit als Vorsatz. Noch bedenklicher w i r d dieses Urteil durch die darin enthaltene Erwägung, für Vorsatz sei hier nicht erforderlich, daß der Tod gewollt sei. I m Jahre 1954 übernahm schließlich der Höge Raad ausdrücklich den bedingten Vorsatz. Dies geschah i n einem Fall, i n dem der Täter sich wissent- und willentlich „der keineswegs als unwirklich zu vernachlässigenden Chance" ausgesetzt hatte, daß die für die Strafbarkeit der Straftat erforderlichen Begleitumstände gegeben waren 1 3 4 . Einige Jahre später hat der Höge Raad diese vage Formel, die an sich nur die bewußte Fahrlässigkeit anzeigt, durch die Formel ersetzt, daß der Angeklagte sich willent- und wissentlich der „keineswegs geringen Chance" ausgesetzt hatte, daß die bestimmten Begleitumstände gegeben waren 1 8 5 . I n beiden Urteilen spricht der Höge Raad von bedingtem Vorsatz, ob130 131 132 138
Röling. 134
H. H. H. H.
R, R, R., R.,
U r t e i l v o m 19. J u n i 1911; W. 9203. U r t e i l v o m 23. J u l i 1937, N. J. 1938, 869. U r t e i l v o m 26. März 1946, N. J. 1946, 226. U r t e i l v o m 6. Februar 1951, N. J. 1951, 475 m i t A n m e r k u n g von
H. R., U r t e i l v o m 9. November 1954, N. J. 1955, 55 m i t A n m e r k u n g von
Pompe. 135
H. R., U r t e i l vom 26. Februar 1957, N. J. 1957, 385 m i t A n m e r k u n g von
Pompe.
6 Ausländisches Strafrecht V
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Das niederländische Strafrecht
gleich die zuletzt zitierte Formel lediglich das Erwarten oder Begreifen der Begleitumstände enthält, i n denen er i n früheren Urteilen gerade den Vorsatz sah, ohne von bedingtem Vorsatz zu sprechen. § 20 Die Fahrlässigkeit
Fahrlässigkeit ist einerseits ebenso wie Vorsatz eine Schuldform, wobei das dargelegte Verhältnis zur Rechtswidrigkeit und Zurechenbarkeit stets vorausgesetzt ist, andererseits aber muß sie vom Vorsatz unterschieden werden. Fahrlässigkeit fällt deshalb i n den Bereich der Vermeidbarkeit der Tat, aber sie besteht nicht i n dem Voraussehen, Erwarten, Begreifen der Tat, mit anderen Worten nicht i m Vorsatz. I m Anschluß daran scheinen m i r drei Gruppen von Fahrlässigkeit unterschieden werden zu müssen. Da Vorsatz vorliegt, wenn die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung, evtl. auch die Richtung der Handlung vorausgesehen wird, ist die erste deutlichste Gruppe der Fahrlässigkeitsdelikte also die, bei denen der Täter die Wahrscheinlichkeit nicht vorausgesehen hat, wohl aber hat voraussehen können. Die zwei anderen Gruppen beinhalten Fälle, i n denen der Täter nicht die Wahrscheinlichkeit vorausgesehen hat oder voraussehen konnte, sondern nur die Möglichkeit. Die zweite Gruppe ist die, bei der der Täter die Möglichkeit wirklich vorausgesehen hat, die dritte Gruppe die, bei der der Täter sie voraussehen konnte. Bei der zweiten und dritten Gruppe muß noch ein Vorbehalt angemeldet werden. Schuld ist nämlich nur dann gegeben, wenn ein rechtswidriges Tun oder Unterlassen zu vermeiden gewesen wäre. Wenn nun nur von der Möglichkeit die Rede ist, kommt man auf das Gebiet des Risikos, das zum Teil erlaubt, zum Teil unerlaubt ist. Beim erlaubten Risiko — ein Begriff, der von Binding herausgestellt ist — kann nicht mehr von Rechtswidrigkeit gesprochen werden, also auch nicht von Schuld und deshalb auch nicht von Fahrlässigkeit. Man muß deshalb das erlaubte Risiko bei der zweiten und dritten Gruppe der Fahrlässigkeit ausschließen, was durch den Zusatz erfolgen könnte, daß bei der Voraussicht oder Voraussehbarkeit der Möglichkeit die Handlung hätte vermieden werden müssen. Bei der Grenzziehung zwischen erlaubtem und unerlaubtem Risiko muß einerseits den Interessen Rechnung getragen werden, denen durch die Handlung gedient wird, etwa dem Schnellverkehr, und andererseits sowohl den Interessen, welche dadurch zu Schaden kommen können, als auch dem Gefährdungsgrad. Zugleich erlegt jedes Risiko bei einer Handlung dem Täter die Pflicht auf, vorsorgliche Maßnahmen zu treffen, die ζ. T. durch den Gesetzgeber ausdrücklich vorgeschrieben, ζ. T. i n ungeschriebenem Recht enthalten sind. I n jedem konkreten Fall muß beurteilt werden, ob der Tä-
§21 Die Zurechenbarkeit
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ter bei der gegebenen Möglichkeit des Schadenseintritts, die er vorhersah oder vorhersehen konnte, dieses Risiko eingehen durfte. Was hier vom Erfolg gesagt wurde, gilt mutatis mutandis auch für die Begleitumstände. Von Fahrlässigkeit ist demnach bei fehlender Aufmerksamkeit und Umsicht die Rede, die die Voraussicht und das Verhalten betreffen. Bei Fahrlässigkeitsdelikten genügt nach niederländischem Strafrecht indes nicht jedes Maß an Unaufmerksamkeit und fehlender Umsicht. Es muß sich um eine mehr oder weniger grobe oder erkennbare Unvorsichtigkeit handeln 1 3 6 . Da bei Übertretungen allein das Fehlen jeglicher Schuld Strafausschließungsgrund ist, ist ein geringeres Maß an Unvorsichtigkeit als bei Verbrechen erforderlich, bei denen die Fahrlässigkeit ausdrücklich als Element i n die Deliktsumschreibung aufgenommen ist 1 3 7 . Abgesehen von diesem Unterschied zwischen Verbrechen und Übertretungen w i r d bei der Feststellung der Fahrlässigkeit die Täterpersönlichkeit i n Rechnung gestellt werden müssen. Von einem Sachverständigen w i r d z. B. ein größeres Maß an Vorsichtigkeit erwartet werden als von einem Laien. W i r haben bereits erwähnt, daß der Gesetzgeber nicht nur für Vorsatz, sondern auch für Fahrlässigkeit begriffsähnliche Ausdrücke verwendet hat. So nennen die A r t . 418 und 419 nl. StGB neben „wußte" (Vorsatz) auch „mußte erwarten". Dieser Ausdruck für Fahrlässigkeit bezieht sich allein auf die erstgenannte Gruppe der Fahrlässigkeitsdelikte. Manchmal ist anstelle von „erwarten" der Ausdruck „vermuten" gebraucht (so i n Art. 240 bis, 97 b u. a. nl. StGB). Die Ausdrücke sind zwar verwandt, aber nach meiner Meinung nicht identisch. Von Vermuten kann man schon sprechen, wenn von Erwarten noch nicht die Rede ist. § 21 Die Zurechenbarkeit
Als letztes Erfordernis der Schuld muß die Zurechenbarkeit genannt werden. Dieser Begriff reicht bis i n das tiefste Wesen des Strafrechts hinein und ist darum auch höchst problematisch. Eine Tat w i r d jemandem zugerechnet, weil sie sein eigenes Werk ist. I m Rahmen des Rechts erlangt die Zurechenbarkeit ihren Inhalt, indem sie zu zwei Tatsachen i n Beziehung gesetzt wird, nämlich zunächst zur Tat, die dem Täter zurechenbar ist oder nicht, und danach zur Sanktion, dem Zwangsmittel, 136
So auch H. R., U r t e i l v o m 3. Februar 1913, N. J. 1913, S. 571; W. 9459. I n diesem Sinne entschied der Höge Raad durch U r t e i l v o m 2. M a i 1938, N. J. 1938, S. 1014 m i t der Überlegung, daß der Täter f ü r eine Übertret u n g n u r dann nicht verantwortlich ist, w e n n jegliche Schuld fehlt, während für Verbrechen ein bestimmtes Maß an Schuld erforderlich ist. 137
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das dem Täter infolge dieser Zurechnung auferlegt wird. Die zivilrechtliche Sanktion, die i m Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung nach Art. 1401 nl. BGB besteht, könnte der Zurechenbarkeit einen anderen Inhalt geben als die aus einer Strafe bestehende strafrechtliche Sanktion. Der Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung w i r d i m niederländischen Recht gelegentlich auch für die Tat eines Geisteskranken befürwortet. Die Strafe dagegen würde auf der Grundlage des für das niederländische Recht allgemein anerkannten Schuldstrafrechts für Geisteskranke nicht gerechtfertigt und sogar sinnlos sein. I m Anschluß an die deutsche Terminologie w i r d i n der niederländischen Literatur meistens zwischen Zurechnungsfähigkeit des Täters und Zurechenbarkeit seiner Tat unterschieden. M i r scheint der Begriff der auf den Täter bezogenen Zurechenbarkeit zwar nicht mißverständlich. Der theoretische Lehrsatz, daß die Zurechnungsfähigkeit als Schuldfähigkeit vor den anderen Bestandteilen der Schuld untersucht werden muß, w i r d i n den Niederlanden jedoch nicht vertreten und entspricht auch nicht dem niederländischen Strafprozeßrecht. Nach Art. 350 nl. StPO muß sich nämlich der Richter zunächst die Frage stellen, ob die angeklagte Tat erwiesen und strafbar ist. Bei Verbrechen ist dabei die Prüfung von Vorsatz oder Fahrlässigkeit Inbegriffen. Erst danach ist die Frage zu beantworten, ob der Angeklagte deswegen strafbar ist. I n diesem Zusammenhang ist demzufolge nach der Meinung einiger Autoren, denen ich mich anschließe, zu prüfen, ob irgendein Strafausschließungsgrund vorliegt. A u f jeden Fall aber ist erst hier nach übereinstimmender Auffassung die Zurechnungsunfähigkeit aufgrund mangelnder Entwicklung oder krankhafter Störung der Geistesfähigkeiten zu berücksichtigen. Das Problem, ob die Zurechenbarkeit i m Rahmen des Schuldstrafrechts allein auf die Willensfreiheit des Menschen gegründet werden kann, soll hier als philosophische Frage außer Betracht bleiben. Auch Autoren, die dem Determinismus anhängen, befürworten für unser geltendes Recht die Schuld und damit die Zurechenbarkeit. Einstimmig w i r d zwar die Zurechenbarkeit m i t der international bekannten Formel umschrieben, daß eine Tat jemandem zugerechnet werden kann, wenn er i n der Lage ist, die Bedeutung der Tat zu begreifen und überdies nach dieser Einsicht seinen Willen auszurichten. Wie man diese psychische Verfassung des Täters jedoch feststellen soll, bleibt höchst schwierig. I n den Niederlanden w i r d ebenso wie i m Ausland, soweit m i r bekannt ist, unterstellt, daß der Täter zurechnungsfähig ist, also über diese beiden Fähigkeiten i n bezug auf die Tat verfügt. Die Zurechnungsunfähigkeit muß glaubhaft gemacht werden, sie ist ein in Art. 37 nl. StGB umschriebener Strafausschließungsgrund.
§ 22 Unzurechnungsfähigkeit wegen Geistesschwäche
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§ 22 Schuldunfähigkeit (Zurechnungsunfähigkeit) infolge mangelnder Entwicklung oder krankhafter Störung der Geistesfähigkeiten
Nach Art. 37 nl. StGB ist nicht strafbar, wem die Tat infolge mangelnder Entwicklung oder krankhafter Störung seiner Geistesfähigkeiten nicht zugerechnet werden kann. Es handelt sich um einen Strafausschließungsgrund, der unter Beweis gestellt werden muß. Auch wenn der Richter nach der Beweisaufnahme weiterhin an der Zurechenbarkeit Zweifel hegt, bleibt der Täter strafbar 1 3 8 . Verschiedene Autoren sind jedoch anderer Auffassung. Sie nehmen an, daß bei Zweifeln an der Zurechenbarkeit eines der Erfordernisse der Schuld und damit die Schuld selbst nicht erwiesen sei; darum dürfe keine Verurteilung erfolgen. Praktisch hat dieser grundsätzliche Meinungsunterschied nach meiner Ansicht keine große Bedeutung. Unbestritten ist für beide Seiten, daß Strafe Schuld verlangt. Diejenigen, die i m Gegensatz zum Gesetzgeber für jeden konkreten Fall den Beweis der Zurechenbarkeit fordern, werden gleichwohl praktisch dasselbe Resultat wie ihre Gegner erzielen. Für den Beweis eines Strafausschließungsgrundes braucht man nämlich nicht die feste Überzeugung des Richters zu verlangen. Schon der Nachweis von Tatsachen kann genügen, die das Vorhandensein des Strafausschließungsgrundes als naheliegend erscheinen lassen. Wer nun bei Zweifeln an der Zurechenbarkeit nicht verurteilen will, w i r d als Anhänger der herrschenden Meinung argumentieren, daß ernsthafte Gründe für das Vorliegen eines Schuldausschließungsgrundes anzunehmen seien. Diese ernsthaften Gründe werden für die Anhänger der zweiten Auffassung bereits stets ausreichen, die Zurechenbarkeit für nicht erwiesen zu halten. Für die Umschreibung des Strafausschließungsgrundes verwendet der Gesetzgeber i n Art. 37 nl. StGB die sogenannte gemischte Methode. Zuerst werden „biologische", genauer psychiatrische Merkmale genannt, nämlich mangelnde Entwicklung oder krankhafte Störung der Geistesfähigkeiten; danach werden, in ursächlichem Zusammenhang damit, psychologische Merkmale wenn nicht genannt, so doch angedeutet. Hierfür verwendet der Gesetzgeber den Ausdruck: (wer eine Tat begeht, die ihm aufgrund . . . krankhafter Störung seiner Geistesfähigkeiten) „nicht zugerechnet werden kann". I m ursprünglichen Entwurf lautete diese Wendung: „nicht in der Lage ist, in bezug auf die Tat seinen Willen zu bestimmen." Aufgrund der K r i t i k von psychiatrischer Seite an dieser Formel hat der Minister die freiere Form „nicht zugerechnet werden kann" gewählt. I m Anschluß an die oben erwähnte 138 So entschied auch der Höge Raad durch U r t e i l v o m 10. November 1924, N. J. 1925, S. 169; W. 11302.
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international übliche Terminologie ist darunter zu verstehen: nicht i n der Lage sein, die Bedeutung der Tat innerhalb der Rechtsordnung zu begreifen oder — wenn er es doch kann — nicht i n Übereinstimmung mit dieser Einsicht den Willen zu bestimmen. Die psychiatrischen Merkmale der Schuldunfähigkeit bringen für die Gesetzesauslegung wenig Schwierigkeiten mit sich. Der Gesetzgeber spricht von Geistesfähigkeiten. Dieses Wort kam auch i m ursprünglichen Entwurf vor, wurde jedoch aufgrund psychiatrischer, materialistisch gefärbter Bedenken bei der Verabschiedung des Strafgesetzbuchs durch „Verstandesfähigkeiten" ersetzt. Darin lag die Gefahr einer zu starken Einschränkung dieser Bestimmung, denn pathologische Zwangshandlungen sind auch bei ungestörter Verstandeskraft möglich. I n den sog. Psychopathengesetzen, die 1928 i n K r a f t gesetzt wurden, ist dafür wieder der Begriff Geistesfähigkeiten eingesetzt worden. Es drängt sich nunmehr die Frage auf, ob auch bei angeborener Taubstummheit oder Blindheit von mangelnder Entwicklung der Geistesfähigkeiten gesprochen werden kann 1 3 9 . Nach meiner Auffassung könnte jemand wegen eines solchen angeborenen Gebrechens unter Art. 37 nl. StGB fallen, wenn nämlich seine Geistesfähigkeiten nicht m i t Hilfe dafür bestimmter besonderer M i t t e l speziell gefördert wurden. Ebenso kann man sich die Frage stellen, ob Trunkenheit unter krankhafte Störung der Geistesfähigkeiten gerechnet werden muß. Für das niederländische Recht muß diese Frage verneint werden. I m ursprünglichen Entwurf war neben der mangelnden Entwicklung oder krankhaften Störung der Geistesfähigkeiten auch der Zustand der Bewußtlosigkeit erwähnt. Gerade u m Trunkenheit als eigenständigen Grund für Straffreiheit auszuschalten, hat die Zweite Kammer den Zustand der Bewußtlosigkeit aus dem A r t i k e l des Entwurfs gestrichen. I m niederländischen Strafrecht hat sich daraus die eigenartige Situation ergeben, daß eine Regelung über den Einfluß von Trunkenheit auf die Strafbarkeit einer Handlung fehlt. I n der Rechtsprechung w i r d Trunkenheit unter Art. 37 nl. StGB nur dann gebracht, wenn sie pathologisch ist. Als krankhafte Störung der Geistesfähigkeiten w i r d i n diesen Fällen nicht die Trunkenheit als solche angesehen, sondern der krankhafte Geisteszustand, aufgrund dessen die Trunkenheit pathologisch wurde. Durch Trunkenheit könnte weiterhin auch Vorsatz oder Fahrlässigkeit i m Hinblick auf eine bestimmte Tat entfallen. Dies w i r d indes nicht ohne weiteres anzunehmen sein, denn Vorsatz und Fahrlässigkeit erfordern lediglich eine Kenntnis oder mögliche Kenntnis, die nicht mit der Einsicht oder möglichen Einsicht i n die Bedeutung der Tat innerhalb der Rechtsordnung gleichzusetzen ist, wie sie für die Zurechenbarkeit verlangt wird. 139
Motive, Smidt , I, a.a.O. (Anm. 89), S. 365.
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I n der Rechtsprechung w i r d die normale Trunkenheit demzufolge praktisch niemals als Grund für fehlenden Vorsatz oder fehlende Fahrlässigkeit anerkannt. Der Richter rechtfertigt dies vermutlich m i t einer Berufung auf die Figur der culpa i n causa. Wenn die Trunkenheit dem Täter nicht vorzuwerfen ist, träfe diese Berufung nicht zu. Für diesen Fall aber fehlt eine gesetzliche Regelung. Die psychologischen Voraussetzungen, die i m Begriff unzurechenbar enthalten sind, wurden bereits erläutert. I m Anschiuß daran könnte man neben Unzurechenbarkeit auch verminderte Zurechenbarkeit annehmen, denn von demjenigen, der voll imstande ist, die Bedeutung seiner Tat zu erkennen und demgemäß zu handeln, bis hin zu demjenigen, der dazu überhaupt nicht in der Lage ist, zieht sich eine Skala von stufenweise abnehmender Zurechenbarkeit. Der Begriff der verminderten Zurechenbarkeit spielt aber i m niederländischen Gesetz keine Rolle, da — abgesehen von einigen Ausnahmen i m Fiskalstrafrecht — keine besonderen Strafminima bestehen, sondern nur das allgemeine Minimum der Strafart gegeben ist. Es besteht deshalb kein Bedürfnis nach einer gesetzlichen Regelung der strafmindernden Umstände und deshalb auch nicht der verminderten Zurechenbarkeit. Der Richter hat vollständige Freiheit, die Strafe nach Maßgabe der Schuld festzusetzen. Der Begriff der verminderten Zurechenbarkeit kann auch zu Mißverständnissen Anlaß geben. Der entscheidende Unterschied ist der zwischen zurechenbar und nicht zurechenbar. Die Einführung einer verminderten Zurechenbarkeit könnte zu der mißverständlichen Vorstellung führen, daß dies ein dritter Begriff zwischen Zurechenbarkeit und Unzurechenbarkeit sei. Ebenso irreführend scheint mir die i n der niederländischen Rechtsprechung und Literatur denn auch kaum genannte teilweise oder partielle Zurechenbarkeit zu sein, die als die Geistesverfassung einer Person zu verstehen ist, der aufgrund krankhafter Störung ihrer Geistesfähigkeiten die eine Straftat nicht, eine andere aber wohl zugerechnet werden könne. Dieser Begriff verkennt die Relativität der Zurechenbarkeit. Sie ist nämlich immer auf eine bestimmte Straftat bezogen, die einem bestimmten Täter zugerechnet werden kann oder nicht. Diese Relativität der Zurechenbarkeit muß allerdings durch den Hinweis akzentuiert werden, daß Zurechenbarkeit von der Fähigkeit abhängt, die Bedeutung der Straftat innerhalb der Rechtsordnung zu erkennen. Denn ein Geisteskranker, der diese Fähigkeit nicht besitzt, kann sehr wohl imstande sein, die Bedeutung zu begreifen, die ein Fehlverhalten ζ. B. für die Ordnung in einer Krankenanstalt hat. Der Gedanke, der in dieser Relativität der Zurechenbarkeit liegt, öffnet den Weg für ein Verständnis des Phänomens, daß eine absolute Zurechen-
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barkeit bei keinem oder fast keinem Menschen angetroffen werden kann. Eine Einsicht i n die Bedeutung, die seine Handlung für die eine oder andere begrenzte sittliche Ordnung, ζ. B. die einer Anstalt oder einer Gruppe innerhalb einer Anstalt, hat, w i r d dagegen bei jedem Menschen vorhanden sein. Von prinzipieller und praktischer Bedeutung scheint es m i r ebenfalls zu sein, auf den dynamischen Charakter der Zurechenbarkeit hinzuweisen. Die Menschen und auch die Straftäter lassen sich nicht i n eine starre Einteilung nach Zurechenbaren und Unzurechenbaren untergliedern. Zurechenbarkeit i m Sinne von Verantwortlichkeit ist i m K e i m wohl bei jedem Menschen vorhanden. Durch allerlei interne und externe Einflüsse kann die Verantwortlichkeit jedoch ab-, aber auch zunehmen. Die Behandlung der psychopathischen Straftäter w i r d i n den Niederlanden immer mehr danach ausgerichtet, das Verantwortungsgefühl und damit die Verantwortlichkeit und Zurechenbarkeit selbst zu entwickeln. Ich nenne hier als Beispiel die Dr. van der Hoeven-Klinik i n Utrecht, die durch P. Α. H. Baan gegründet worden ist. Die tatsächlichen Verhältnisse, die zur Anwendung von Art. 37 nl. StGB führen, muß der Richter feststellen, aber er kann diese Aufgabe praktisch nicht ohne Aufklärung durch einen sachverständigen Psychiater erfüllen. Die Zusammenarbeit zwischen Psychiater und Richter hat i n den Niederlanden mehrmals zu Schwierigkeiten geführt. Für die Lösung dieser Probleme hat man vereinzelt nach dem Gesetzgeber gerufen; er solle bestimmen, bei welchen Delikten und bei welchen Straftätern psychiatrische Beratung erforderlich ist. Die allgemeine Meinung geht jedoch dahin, daß die Lösung nicht durch den Gesetzgeber, sondern durch den Richter gefunden werden muß. Psychiater und Richter müssen einander verstehen lernen. I n den letzten Jahrzehnten ist man hierbei sicher einen großen Schritt weitergekommen, obwohl noch nicht alle Schwierigkeiten beseitigt sind. Diese Schwierigkeiten sind durch die Anwendung der sog. Psychopathengesetze seit 1928 angewachsen. Denn seither hat der Psychiater nicht nur über die Frage der Unzurechenbarkeit, sondern auch über die der Gefährlichkeit des betreffenden Straftäters Erklärungen abzugeben, auf deren Grundlage der Richter die „Sicherheitsmaßregel" der Unterbringung in einer Heiloder Pflegeanstalt 140 anordnen kann.
140 Nach wörtlicher Übersetzung w i r d der Täter „der Regierung zur Verfügung gestellt" (ter beschikkingstelling v a n de Regering). Ob der Sicherungs- oder der Behandlungscharakter der Maßregel i m Vordergrund steht, ist selbst i m neuen E n t w u r f (Anm. 54) offengeblieben.
§ 23 Mangelnde Schuldfähigkeit aufgrund jugendlichen Lebensalters
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§ 23 Mangelnde oder eingeschränkte Schuldfähigkeit aufgrund jugendlichen Lebensalters
Nach Art. 37 nl. StGB ist die Schuldunfähigkeit als Strafausschließungsgrund nur anerkannt, wenn sie auf mangelnder Entwicklung oder krankhafter Störung der Geistesfähigkeiten beruht. Daß weder Trunkenheit noch heftige Gemütsbewegung einen Strafausschließungsgrund bilden, selbst wenn sie i m Augenblick der Tat den Täter zurechnungsunfähig machen, ist auf den unausgesprochenen Gedanken der culpa i n causa zurückzuführen. Bei Jugendlichen, die aufgrund ihres Lebensalters nicht i n der Lage sind, die Bedeutung einer Straftat innerhalb der Rechtsordnung zu erkennen, spielt dieser Gedanke naturgemäß keine Rolle. Die Bedeutung des Jugendalters für die Strafbarkeit des Täters ist i m Laufe der Geltung unseres Strafgesetzbuchs verschieden gewesen. Zu Beginn, seit 1886, galt, daß Jugendliche unter zehn Jahren nicht strafbar waren und zwischen zehn und sechzehn Jahren nur, wenn sie die Tat mit Unterscheidungsvermögen für Recht und Unrecht begangen hatten. Diese gesetzliche Regelung wurde durch die Jugendgesetzgebung von 1901 geändert, die 1905 i n K r a f t getreten ist. Das Mindestalter für die Strafbarkeit entfiel, doch hatte der Richter stets die Wahl zwischen (Jugend-)Strafen und (Jugend-)Maßregeln, so daß er bei einem Angeklagten, dem aufgrund seines jugendlichen Alters die Tat nicht zugerechnet werden konnte, stets von Strafe absehen konnte. Inzwischen ist wiederum eine grundlegende Reform erfolgt und eine weitere — allerdings vornehmlich redaktionelle — Änderung i n das Gesetzgebungsverfahren eingebracht worden 1 4 1 . Es wurde aufs neue ein M i n destalter für die Strafbarkeit, und zwar auf zwölf Jahre, festgesetzt (Art. 77 a nl. StGB). Bei jugendlichen Tätern zwischen zwölf und achtzehn Jahren werden besondere Jugendstrafen oder -maßregeln auferlegt (Art. 77 b nl. StGB). Bei Jugendlichen über sechzehn Jahren kann der Richter jedoch auch Erwachsenenstrafrecht anwenden, wenn der Ernst der begangenen Straftat und die Persönlichkeit des Täters ihm dazu Veranlassung geben (Art. 77 c nl. StGB). I n einem solchen Fall muß dieser Grund ausdrücklich i m Urteil angegeben werden 1 4 2 , darüber hinaus werden jedoch keine besonderen Ausführungen über die Persönlichkeit des Täters verlangt 1 4 3 . Bei Jugendlichen, die zur Tatzeit bereits achtzehn Jahre alt waren, ist demgegenüber i m Grundsatz Er141 Z u r Änderung durch das Gesetz über die Reform des Jugendstrafrechts und des Jugendstrafverfahrensrechts von 1961 (Anm. 28) u n d den anhängigen Gesetzentwurf sei auf die Ausführungen zur E n t w i c k l u n g des Strafrechts auf S. 29 verwiesen. 142 H. R , U r t e i l v o m 25. März 1968, N. J. 1968, 348. 143 H. R., U r t e i l vom 9. A p r i l 1974, N. J. 1974, 244.
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wachsenenstrafrecht anwendbar, es kann jedoch auch auf das Jugcndstrafrecht zurückgegriffen werden, wenn die Persönlichkeit des Täters dazu Veranlassung gibt (Art. 77 d nl. StGB). I n allen Fällen, i n denen das Jugendstrafrecht angewendet wird, kann der Richter, wenn er es i m Zusammenhang m i t dem geringen Ernst der Tat, der Persönlichkeit des Täters und den Umständen, unter denen die Tat begangen wurde, für ratsam hält, i m Urteil anordnen, daß keine Strafe oder Maßregel auferlegt w i r d (Art. 77 f nl. StGB). Das neue Recht hat demnach an dem Grundsatz festgehalten, daß die aufgrund des jugendlichen Alters fehlende Zurechenbarkeit der Tat zur Straflosigkeit führt.
Dritter Abschnitt D i e besonderen Erscheinungsformen der Straftat § 24 Die allgemeine Ausweitung der Strafbarkeit
Allgemeine Ausweitungen der Strafbarkeit außerhalb und zugleich i m Anschluß an die Deliktsumschreibung sind i m niederländischen Strafgesetzbuch i n den Regelungen des Versuchs (Art. 45 - 46 nl. StGB), der Täterschaft und Teilnahme (Art. 47 - 50 und 52 nl. StGB) und i n einigen Bestimmungen über die Konkurrenzen (Art. 55 und 56 nl. StGB) zu finden. Versuch (Art. 45 nl. StGB) und Beihilfe (Art. 48 nl. StGB) sind nur bei Verbrechen, nicht aber bei Übertretungen strafbar. I n Art. 46 nl. StGB ist dies für den Versuch, i n Art. 52 nl. StGB für die Beihilfe unnötigerweise noch ausdrücklich bestimmt. Dies geschah in der Absicht, Rechtsetzungsorgane i m Range unter dem Gesetzgeber (allgemeine Verwaltungsverordnungen der Exekutive und Verordnungen bzw. Satzungen der Provinzen, Gemeinden, Genossenschaften und Wirtschaftsorganisationen) daran zu hindern, Versuch und Beihilfe zu einer Übertretung doch unter Strafe zu stellen. Dies ist nämlich durch Art. 91 nl. StGB ausgeschlossen, wonach die Bestimmungen der Titel I - V I I I A des Ersten Buches und damit die Bestimmungen über Versuch, Teilnahme und Konkurrenzen für das gesamte Strafrecht anwendbar sind, es sei denn, das Gesetz, also nicht Bestimmungen i m Range unter dem Gesetz, bestimme etwas anderes. Für die Teilnahme hat der Höge Raad das ausdrücklich entschieden 144 .
144 H. R , Urteile v o m 15. Februar 1909, W. 8846; vom 19. A p r i l 1909, W. 8866 und (gegen diese Strafbarstellung über einen Umweg) v o m 27. Dezember 1911, W. 9274.
§25 Der Versuch
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§ 25 Der Versuch
Der Versuch eines Verbrechens ist strafbar, wenn sich der Entschluß des Täters durch einen Beginn der Ausführung des Verbrechens offenbart hat und die Ausführung nur aufgrund vom Umständen nicht vollendet worden ist, die von seinem Willen unabhängig sind. Drei Voraussetzungen müssen also erfüllt sein: ein Entschluß zur Ausführung eines Verbrechens, eine Offenbarung des Entschlusses durch einen Beginn der Ausführung der Straftat und fehlender freiwilliger Rücktritt. Entschluß und Vorsatz sind nahe verwandt. Man könnte den Entschluß als Anfangsstadium des Vorsatzes bezeichnen. Einige Autoren leiten aus dem Erfordernis des Tatentschlusses ab, daß Versuch zu Fahrlässigkeitsdelikten nicht möglich ist. Nach meiner Auffassung muß man hier unterscheiden. Wenn die Fahrlässigkeitstat als vorsätzliches Handeln umschrieben ist und lediglich hinsichtlich eines Begleitumstandes kein Vorsatz, sondern nur Fahrlässigkeit erforderlich ist, scheint mir der Versuch sicher möglich und strafbar. Zu nennen ist etwa die Hehlerei nach A r t . 417 bis nl. StGB. Danach ist das (naturgemäß vorsätzliche) Kaufen usw. eines durch eine Straftat erlangten Gegenstandes auch strafbar, wenn der Täter zwar nicht weiß, aber vernünftigerweise wissen kann, daß der Gegenstand durch eine Straftat erlangt ist. Strafbar ist demnach auch der Entschluß, den betreffenden Gegenstand zu kaufen, obgleich man wissen kann, daß er durch eine Straftat erlangt ist. Der Entschluß muß durch einen Beginn der Ausführung offenbar geworden sein. I n der Literatur besteht ein Meinungsstreit darüber, was unter einer Ausführungshandlung zu verstehen ist. Einige Autoren suchen das K r i t e r i u m i n der sog. subjektiven, andere i n der sog. objektiven Richtung. Die einen sehen auf die Ausrichtung des Täterwillens auf die Tat, die anderen fordern entweder, daß die Handlung eine Gefahr für das Rechtsgut herbeigeführt haben muß oder ihrer A r t nach an die Deliktsumschreibung anschließt. Da A r t . 45 nl. StGB dem Art. 2 Code pénal nachgebildet ist und diese Bestimmung ursprünglich, vor der Änderung von 1832, lautete: Toute tentative de crime manifesté par des actes extérieurs, et suivie d'un commencement d'exécution . . . , scheint m i r der Anschluß an die Deliktsumschreibung als Kriterium für die Ausführungshandlung zutreffend. Doch bleibt die Frage offen, welche Verbindung zwischen Ausführungshandlung und Deliktsumschreibung bestehen muß. Der Höge Raad sucht das K r i t e r i u m i m Anschluß an die Deliktsumschreibung, hat aber i m Laufe seiner Rechtsprechung dieses Erfordernis
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für den Versuch einmal weiter, dann wieder enger definiert. Eine sehr enge Auslegung brachte er i n einem Urteil von 1934 145 . I n diesem Fall ging es um eine Brandstiftung m i t Hilfe einer Lunte, die durch alle Stockwerke eines Hauses verlegt und an einen Gasanzünder angeschlossen war. Der Höge Raad entschied, daß noch keine Ausführungshandlung gegeben war, da der Angeklagte noch nicht mit der in der Deliktsumschreibung genannten Brandstiftung selbst begonnen hatte. Für den Beginn der Ausführung der Brandstiftung sei eine Handlung erforderlich, die ohne jedes weitere Eingreifen des Täters selbst zum Brand führen würde. I n früheren Urteilen hatte der Höge Raad als Ausführungshandlung eine Handlung angesehen, die mit der nach der Deliktsumschreibung verlangten Handlung i n unmittelbarem Zusammenhang stand 1 4 5 a . M i r scheint die Interpretation i m Urteil von 1934 zu eng zu sein. Ausgehend von der Deliktsumschreibung halte ich einen Beginn der Ausführung bei einer Handlung für gegeben, die die Tendenz hat, das Verbrechen zu vollenden. Diese finale Begriffsbestimmung knüpft an denselben Gedankengang an, den ich als K r i t e r i u m für den Kausalzusammenhang vorgetragen habe. I n einem U r t e i l von 1951 146 scheint der Höge Raad seine Interpretation erweitert zu haben. Einen Anfang der Ausführung des Totschlags nahm er i n einem Fall an, i n dem der A n geklagte die erste Phase begonnen hatte, nämlich das Opfer bev/ußtlos zu schlagen, und die zweite Phase, das Opfer durch Gas zu vergiften, nicht beginnen konnte, weil ihm die erste mißglückte. Eine Abkehr vom Urteil von 1934 scheint m i r aber nicht sicher, denn i n fester Rechtsprechung bezieht der Höge Raad bei der Entscheidung über den Beginn der Ausführung auch straferschwerende Umstände i n die Deliktsumschreibung ein, die selbständig rechtswidrige Handlungen darstellen. Er bejahte beispielsweise den Beginn der Ausführung eines Diebstahls mit Gewaltanwendung nach A r t . 312 nl. StGB i n einem Fall, in dem der Täter begonnen hatte, Gewalt anzuwenden 147 . I n dem i m 145
H. R , U r t e i l vom 19. März 1934, N. J. 1934, S. 450; W. 12731. i45a Der unmittelbare Zusammenhang der Handlung m i t der beabsichtigten Straftat taucht auch i n einem jüngst veröffentlichten U r t e i l des Gerichtshofs Amsterdam v o m 28. Dezember 1971 — N. J. 1975, 84 — m i t A n m e r k u n g von C. Bronkhorst auf. Der Versuch einer Freiheitsberaubung wurde bejaht, w e i l die Handlung des Angeklagten — er hatte die Frau eines Polizisten unter dem Vorwand, i h r M a n n habe einen U n f a l l gehabt, zum Einstieg i n seinen Wagen veranlassen wollen, der Sohn hatte jedoch auf die Nachricht h i n bei der Polizei angerufen u n d seinen Vater erreicht — i n einem so unmittelbaren Zusammenhang m i t der beabsichtigten Straftat stehe und dafür von so entscheidender Bedeutung sei, daß sie angesehen werden müßte, als sei sie zur Ausführung des Planes und des Verbrechens begangen. 146
ling. 147
H. R., U r t e i l v o m 29. M a i 1951, N . J . 1951, 480 m i t A n m e r k u n g von RöH. R., U r t e i l v o m 28. J u l i 1911, W. 9225.
§25 Der Versuch
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Jahre 1951 entschiedenen Fall handelte der Angeklagte ebenfalls bereits für sich rechtswidrig, als er auf sein Opfer einschlug, wenn dies auch nicht wie i m Fall von 1911 als straf erschwerender Umstand für den Totschlag i n die Deliktsumschreibung aufgenommen ist. Die Definition des Begriffs „Beginn der Ausführung" i n Art. 45 nl. StGB scheint m i r nicht nur entscheidend für den Unterschied zwischen Vorbereitung und Ausführung, sondern auch für die Abgrenzung der Strafbarkeit des sog. untauglichen Versuchs zu sein. I m Schrifttum w i r d üblicherweise zwischen absoluter und relativer Untauglichkeit unterschieden. Diese Untauglichkeit w i r d gewöhnlich auf das M i t t e l und auf das Objekt bezogen, während m i r die absolute oder relative Untauglichkeit der Handlung wichtig zu sein scheint, bei der das Mittel gebraucht w i r d und die auf das Objekt gerichtet ist. Zucker ist zwar als ein absolut untaugliches M i t t e l anzusehen, u m jemanden zu töten. Wenn aber jemand bei einem Apotheker Arsen bestellt, doch stattdessen Puderzucker geliefert bekommt und der Käufer i n der Vorstellung, Arsen erhalten zu haben, davon jemandem etwas i n dessen Tee mit der Absicht gibt, i h n zu töten, dann hat er eine Handlung ausgeführt, die nur relativ untauglich ist, und zwar nur deshalb untauglich, weil ihm zufällig ein anderer als der bestellte Stoff geliefert wurde. Nach meiner Meinung vermag die Formel, die ich für die Ausführungshandlung vorschlug, auch die Probleme des untauglichen Versuchs zu lösen. Ausführungshandlung ist die Handlung, die unter den konkreten Umständen die Tendenz hat, also nach ihrer A r t geeignet ist, die Vollendung eintreten zu lassen. Nach dieser Begriffsbestimmung ist die Hingabe von Zucker an Stelle von Arsen i m oben genannten Fall als Beginn der Ausführung anzusehen. Der Höge Raad hat sich offenbar nur selten zur Frage des untauglichen Versuchs äußern können. I n einer Entscheidung aus dem Jahre 1906 148 verneinte er strafbaren Versuch, „wenn der Täter zur Durchführung seines Entschlusses, ein bestimmtes Delikt zu begehen, ausschließlich ein M i t t e l verwendet hat, das dazu i n keinem Fall und keiner beliebigen Person gegenüber führen kann". I n Urteilen aus dem Jahre 1948 und 1949 149 hat er dagegen für den Beginn der Ausführung eines Mordes nicht für erforderlich gehalten, daß Gift in einer tödlichen Menge verabreicht wird. Mangel am Tatbestand ist nach niederländischem Recht nicht strafbar. Ich möchte diese Rechtsfigur als eine unvollständige V e r w i r k lichung der Deliktsumschreibung bezeichnen, die weder i n der Unvollständigkeit der Handlung selbst noch i m Ausbleiben des zu verursa148
H. R., U r t e i l v o m 7. M a i 1906, W. 8372. H. R., Urteile vom 24. Februar 1948, N. J. 1948, 272 m i t A n m e r k u n g von Pompe und 29. März 1949, N. J. 1949, 422 m i t A n m e r k u n g von Röling. 149
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chenden Erfolgs, sondern i m Fehlen von Begleitumständen liegt. So hat der Höge Raad i m Falle einer Abtreibung bei einer Frau, deren Leibesfrucht nicht mehr lebte (Art. 295 ff. nl. StGB), Straflosigkeit angenommen, denn zur Zeit der Handlung muß die Leibesfrucht leben. Diese Tatsache muß auch nachgewiesen werden 1 5 0 . Die Schwierigkeit dieses Nachweises hat den Gesetzgeber i m Jahre 1911 veranlaßt, unter die Sittlichkeitsverbrechen einen A r t i k e l 251 bis nl. StGB aufzunehmen. Danach ist strafbar, wer eine Frau i n Behandlung nimmt, bei der er die Erwartung erweckt, daß durch diese Behandlung die Schwangerschaft gestört werden kann. Diese als Verbrechen eingestufte Straftat kann auch bei einer schwangeren Frau begangen werden, deren Leibesfrucht bereits gestorben ist, und sogar bei einer nichtschwangeren Frau. Wenn die Abtreibung einer toten Leibesfrucht als Mangel am Tatbestand auf der Grundlage der Art. 295 ff. nl. StGB schon strafbar wäre, hätte es kaum Grund für den Erlaß von Art. 251 bis nl. StGB gegeben. Ich habe auch darum Bedenken, den Mangel am Tatbestand als Versuch zu bestrafen, weil Versuch ein „Streben ist, ohne Erfolg zu haben" (streven zonder te slagen). I n den Fällen aber des Mangels am Tatbestand war der von dem Täter beabsichtigte Zustand bereits erreicht, bevor er seine Handlung begann. Das dritte Erfordernis des strafbaren Versuchs, daß der Täter nicht freiwillig zurückgetreten sein darf, stellt den Richter vor Beweisschwierigkeiten. Die niederländische Regelung knüpft an den Code pénal an, während die deutsche Regelung (§ 46 a. F. und 24 n. F. StGB) hier eine zweckmäßigere Lösung bietet, indem sie den freiwilligen Rücktritt als Strafausschließungsgrund behandelt. Der Höge Raad hat indessen die Schwierigkeit, die negative Tatsache zu beweisen, daß kein freiwilliger Rücktritt vorgelegen hat, dadurch überbrückt, daß er sich mit dem Beweis der Ausführungshandlung und eines Umstandes begnügt, der erklärt, warum es nicht zur Vollendung gekommen ist. I n einem Fall nämlich, i n dem erwiesen war, daß der Angeklagte zwar auf jemanden geschossen, ihn aber nicht getroffen hatte, billigte der Höge Raad die Schlußfolgerung des Bezirksgerichts, daß es nur diesem letzten, von dem Willen des Angeklagten unabhängigen Umstand zu verdanken war, daß der Versuch des Angeklagten mißlang 1 5 1 . Die A n nahme eines freiwilligen Rücktritts hängt von vielerlei Umständen ab. Wenn etwa jemand einem anderen eine nicht tödliche Menge Gift beibringt und danach mit seinem Versuch aufhört, w i r d freiwilliger Rückt r i t t angenommen werden können, wenn der Täter die Handlung als eine erste Dosis angesehen hat m i t dem Ziel, das Opfer nach und nach 150 151
H. R., U r t e i l v o m 1. November 1897, W. 7038. H. R., U r t e i l vom 11. Februar 1924, N. J. 1924, S. 785; W. 11176.
§ 26 Täterschaft u n d Teilnahme
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durch weitere Giftzusätze zu schwächen und schließlich zu töten. Ob man davon ausgehen kann, ist aber eine Tatfrage. I n einem Urteil von 1948 152 hat der Höge Raad diese Frage ζ. B. verneint und die Tatsache, daß der Angeklagte davon abgesehen hatte, seinem Opfer weitere Giftmengen beizubringen, nicht als freiwilligen Rücktritt gewertet. Furcht vor Entdeckung dagegen schließt die Freiwilligkeit des Rücktritts regelmäßig aus, wenn der Täter diese Entdeckung für wahrscheinlich hielt. Besonders milde war jedoch der Höge Raad i n einer Entscheidung aus dem Jahre 1889 153 ; er bejahte darin den freiwilligen Rücktritt von einem Meineid i n einem Fall, i n dem der Zeuge erst nach Unterbrechung der Sitzung und auf Drängen des Vorsitzenden den Meineid widerrufen hatte, obgleich der Zeuge i n der Hauptverhandlung den Meineid bereits abgelegt und der Staatsanwalt schon Untersuchungshaft i n dieser Sache beantragt hatte. A n dieser Entscheidung hat der Höge Raad später aber nicht festgehalten 154 . Damit brachte er die Vorsitzenden bei der Beweisaufnahme i n eine schwierige Lage, wenn sie weiterhin Zeugen aufforderten, ihre Aussagen zu widerrufen. Durch diesen Widerruf würden die Zeugen nämlich Beweis gegen sich selbst liefern. Beim Versuch eines Verbrechens w i r d nach niederländischem Recht die angedrohte Höchststrafe um ein Drittel vermindert. Bei Verbrechen, die mit lebenslänglicher Gefängnisstrafe bedroht sind, verkürzt sich das Maximum auf 15 Jahre. Die Maxima der besonderen Strafen für Jugendliche werden bei Versuch nicht heruntergesetzt. Die Nebenstrafen bleiben ebenfalls unverändert. § 26 Täterschaft und Teilnahme
Der Gesetzgeber unterscheidet Täterschaft i m engeren und i m weiteren Sinne. Als Täterschaft i m engeren Sinne w i r d das Verüben einer Straftat i m Sinne der Verwirklichung der Deliktsumschreibung verstanden. Täterschaft i m weiteren Sinne umfaßt sowohl die Täterschaft i m engeren Sinne als auch sämtliche weiteren in Art. 47 nl. StGB i n gleicher Weise mit Strafe bedrohten Beteiligungsformen. Es sind dies: das Verübenlassen, das Mitverüben und das Veranlassen einer Straftat durch bestimmte Mittel. Die Beihilfe ist in A r t . 48 nl. StGB geregelt. Als Gehilfe ist danach strafbar, wer dem Täter bei der Tatbegehung behilflich ist oder ihm Gelegenheit, Mittel oder Auskünfte zur Tat152
H. R , U r t e i l v o m 24. Februar 1948, N. J. 1948, 272. H. R., U r t e i l vom 17. J u n i 1889, W. 5742. 154 H. R., U r t e i l vom 17. J u n i 1952, N. J. 1952, 680 m i t A n m e r k u n g von Pompe. 153
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Das niederländische Strafrecht
begehung verschafft. Die Täter i m Sinne des Strafgesetzbuchs werden also i n Art. 47 nl. StGB, die Gehilfen i n A r t . 48 nl. StGB genannt. Nach der seit August 1976 geltenden Neufassung des A r t . 51 nl. StGB können Straftaten sowohl von natürlichen als auch von juristischen Personen begangen werden 1 5 5 . W i r d eine Straftat von einer j u ristischen Person begangen, kann die Strafverfolgung eingeleitet und können die i m Gesetz vorgesehenen Strafen und Maßregeln ausgesprochen werden entweder gegen die juristische Person oder gegen die natürliche Person, die den Auftrag zu der verbotenen Handlung gegeben oder dabei die tatsächliche Leitung innegehabt hat, oder gegen beide gemeinsam. Zwar nannte auch die alte Fassung dieses Artikels bereits Vorsteher, Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder als mögliche Täter, doch blieb diese Bestimmung i m Rahmen der individuellen Strafbarkeit. Wegen Übertretung wurde nämlich gegen diejenigen Vorstände oder Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder keine Strafe verhängt, bei denen sidi zeigte, daß die Übertretung ohne i h r Zutun verübt worden war. Dieser A r t i k e l enthielt für Übertretungen (also nicht für Verbrechen), i n denen i n der Deliktsumschreibung Vorstände oder Aufsichtsräte genannt sind, also lediglich eine Täterschaftsvermutung gegenüber allen Vorständen und Aufsichtsräten; sie entfiel indessen für einzelne Mitglieder des Vorstands oder Aufsichtsrats, wenn Beweis geführt wurde, daß die Zuwiderhandlung ohne deren Zutun verübt wurde. Dieser Beweis brauchte nicht durch den betreffenden Angeklagten selbst zu erfolgen, denn nach niederländischem Strafprozeßrecht müssen auch die Staatsanwaltschaft und der Richter entlastende Umstände ermitteln. Die damals vorgesehene Täterschaftsvermutung mußte von der Schuldvermutung unterschieden werden. Wenn sich nicht nachweisen ließ, daß die Tat ohne das Zutun eines Vorstandsmitglieds erfolgt war, konnte sich dieses immer noch auf den Strafausschließungsgrund berufen, daß die Schuld fehlte. Dadurch, daß die Strafbarkeit auf natürliche Personen beschränkt war, enthielt das Strafgesetzbuch eine empfindliche Lücke. Wenn nämlich i n der Deliktsumschreibung eine persönliche Eigenschaft wie etwa „Eigentümer" enthalten ist oder die strafbare Handlung so umschrieben ist, daß sie nur von einer Person m i t bestimmter Eigenschaft verübt werden kann wie etwa die Inbetriebnahme durch den Unternehmer, konnte für eine solche Tat niemand i n Betracht kommen, wenn Eigentümer oder Unternehmer eine juristische Person war. So ging der Vorstand einer Aktiengesellschaft straffrei aus, der von der Staatsanwalt155 Ausführlich w i r d über die Einführung der Täterschaft und Strafbarkeit juristischer Personen i n das nl. StGB oben auf S. 42 - 44 berichtet.
§ 26 Täterschaft u n d Teilnahme
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schaft verfolgt wurde, w e i l er ohne Konzession Autobusse i n Betrieb genommen hatte. Der Höge Raad begründete diese Entscheidung damit, daß in diesem Fall allein die Aktiengesellschaft i n Betrieb nehme 1 5 6 . Manchmal sind die Tatbestände so gefaßt, daß es Schwierigkeiten bereitet herauszufinden, wer als Täter i n Betracht kommt. Dies gilt bei Straftaten, die als verbotener Zustand umschrieben sind. Solche Deliktsumschreibungen kommen i m Strafgesetzbuch selbst nicht vor, wohl aber i n einigen Verordnungen von Rechtsetzungsorganen i m Range unter dem Gesetzgeber. So müssen ζ. B. Sammelbecken für Regenwasser abgedeckt und verschlossen sein oder dürfen nicht mehr als drei Schiffe nebeneinander liegen. Zuwiderhandlungen werden bestraft. Der Höge Raad betrachtet als Täter diejenige Person, die imstande und verpflichtet ist, dem verbotenen Zustand ein Ende zu setzen 1 5 7 . Merkwürdigerweise hat er diese Lösung nicht i n einem Fall gewählt, i n dem jemand wegen unbefugter Einäscherung einer Leiche verfolgt wurde. A r t . 1 nl. BestattungsG von 1869 bestimmte, daß Leichen begraben werden muß ten; der Verstoß gegen diese Vorschrift war strafbar. Der Höge Raad entschied, daß die Person nicht strafbar war, die für die Einäscherung gesorgt hatte, da das Gesetz keine Person bezeichne, die für die Tat strafbar sei. Der verbotene Zustand, der besteht, wenn eine Leiche nicht bestattet wird, hat ihn offensichtlich nicht zur Anwendung der oben genannten Formel veranlaßt. Manche Straftaten sind gesetzlich so umschrieben, daß sie nur i n unmittelbarer oder mittelbarer Zusammenarbeit begangen werden können. I n einigen solchen Fällen ist nicht die M i t w i r k u n g jeder betroffenen Person m i t Strafe bedroht. Dann stellt sich die Frage, ob die nicht mit Strafe bedrohte M i t w i r k u n g vielleicht als Teilnahme bestraft werden kann. Sie muß für jede Strafbestimmung gesondert beantwortet werden. Regelmäßig w i r d aber die notwendige Teilnahme von Personen, deren M i t w i r k u n g nicht i n einer Deliktsumschreibung unter Strafe gestellt ist, auch nicht über Art. 47 ff. nl. StGB strafbar werden können. Sonst wäre es nämlich überflüssig, die Strafbarkeit der notwendigen Teilnahme bei anderen Straftaten ausdrücklich hervorzuheben. Darüber hinaus geht es i n diesen Fällen der notwendigen Teilnahme oft u m Personen, die gerade durch die Strafbestimmung geschützt werden sollen. Man denke an Sexualdelikte gegen Minderjährige. Wenn aber die betreffende M i t w i r k u n g über das notwendige Maß, das zur Erfüllung des Straftatbestandes erforderlich ist, hinausgeht, wenn also ζ. B. 156
H. R., U r t e i l v o m 21. Februar 1938, N. J. 1938, 820. H. R., Urteile v o m 19. Dezember 1910, W. 9123 und 13. J u n i 1932, N. J. 1933, S. 63; W. 12532. 157
7 Ausländisches Strafrecht V
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ein Minderjähriger nicht nur die Unzucht zuläßt, sondern mit den i n Art. 47 nl. StGB genannten M i t t e l n dazu auffordert, ist Strafbarkeit gegeben, i n casu Anstiftung zur Unzucht mit einem Minderjährigen. Die Deliktsumschreibung gibt manchmal Anlaß zu Zweifeln, ob man es mit Verüben, Verübenlassen oder Anstiftung zu t u n hat. Dies ist der Fall bei Handlungen, die i n Zusammenarbeit von verschiedenen Personen durchgeführt werden und bei denen unsicher ist, wessen Handlung i n dem betreffenden Tatbestand gemeint ist. Ein Beispiel bietet der Ausdruck „drucken". Zutreffend ist er i n erster Linie für den Setzer, doch auch der Herausgeber des Druckerzeugnisses und evtl. auch der Eigentümer der Druckerei können i n Betracht kommen. Ebenso gilt dies für den Ausdruck „bauen". Er kann sich auf den Maurer, den Bauunternehmer, den Architekten und den Bauherrn oder Auftraggeber beziehen. Wenn man etwa von dem Herausgeber sagt, daß er druckt, könnte man von dem Eigentümer der Druckerei sagen, daß er drucken läßt oder dazu anstiftet, doch könnte man von diesem Eigentümer ebenso sagen, daß er druckt. Unter Berufung auf den Sprachgebrauch entschied der Höge Raad, daß nicht ausschließlich der Eigentümer einer Druckerei, sondern eher der Herausgeber i m Sinne von Art. 419 nl. StGB druckt. Dabei bleibt offen, ob auch noch andere Personen als Drucker i n diesem Sinne i n Betracht kommen 1 5 8 . Ebenso ist entschieden, daß auf jeden Fall der Bauherr i m Sinne von Art. 6 nl. WohnungsG baut, während auch hier die Frage unbeantwortet blieb, ob darüber hinaus andere Mitbeteiligte i m Sinne des Gesetzes bauen 1 5 9 . I n dieser Hinwendung zur Beurteilung einer Handlung i m sozialen Geschehensablauf zeigt sich ein neues Verständnis des zuvor rein physisch aufgefaßten Handlungsbegriffs. Man spricht von „funktionaler Täterschaft". I n der Praxis hat diese Sichtweise zur Folge, daß immer weniger von der Konstruktion der mittelbaren Täterschaft Gebrauch gemacht werden muß. Die alte Unterscheidung zwischen selbständigen Teilnehmern oder Tätern und unselbständigen oder akzessorischen Teilnehmern findet sich i m niederländischen Strafgesetzbuch nicht. Nach dieser Unterscheidung, die noch durch die älteren Autoren, namentlich van Hamel und Simons, gelehrt wurde, werden die Anstiftung ebenso wie die Beihilfe als von der Haupttat abhängig angesehen. Nach niederländischem Strafrecht sind jedoch alle i n A r t . 47 nl. StGB genannten Tatbeteiligten Täter, also neben denjenigen, die die Tat verüben, verüben lassen und mitverüben auch diejenigen, die dazu mit bestimmten Mitteln anstiften. lr>8 H. R., U r t e i l vom 13. März 1933, N. J. 1933, S. 1385 m i t A n m e r k u n g von Pompe; W. 12606. 159 H. R., Urteil vom 29. Juni 1936, N. J. 1937, 9 m i t A n m e r k u n g von Pompe.
§ 27 Die mittelbare Täterschaft
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Die alte Unterscheidung enthält aber nicht bloß eine Frage der Terminologie. Ihre Vertreter behaupten, daß man nur Täter sein könne, wenn man die persönliche Eigenschaft besitze, die nach der gesetzlichen Umschreibung einiger Straftaten von demjenigen verlangt wird, der die Tat verübt. Deshalb sind sie der Auffassung, daß nicht nur die Beamteneigenschaft besitzen muß, wer ein Amtsdelikt verübt, sondern auch, wer es verüben läßt oder mitverübt. Die Autoren von heute weisen diese Unterscheidung und die damit a priori verbundene Schlußfolgerung allerdings zurück. Auch der Höge Raad entschied, daß man ein Amtsdelikt verüben lassen kann, ohne Beamter zu sein 1 6 0 . § 27 Die mittelbare Täterschaft
Die in Art. 47 nl. StGB genannten Formen der mittelbaren und der Mittäterschaft sind i m Gesetz nicht näher umschrieben, wohl aber die Anstiftung und die beiden Formen der Beihilfe in Art. 48 nl. StGB. Was unter dem i m Strafgesetzbuch verwendeten Begriff „verüben lassen" zu verstehen ist, ist in der Literatur und Rechtsprechung allmählich herausgearbeitet worden. „Verüben lassen" bedeutet eigentlich: „herbeiführen, daß ein anderer verübt", doch ist diese Begriffsbestimmung einerseits zu weit und andererseits zu eng. Die Begriffsbestimmung ist zu weit, weil der Gesetzgeber „verüben lassen" und „anstiften" nebeneinander unter Strafe stellt. Auch anstiften ist „herbeiführen, daß ein anderer verübt". Würde man den Begriff „verüben lassen" nicht einengen, wäre nicht nur die Strafbarkeit der Anstiftung neben der des Verübenlassens überflüssig, sondern auch die Strafandrohung für die Anstiftung selbst sinnlos, da die Anstiftung nicht ohne weiteres strafbar ist, vielmehr nur, wenn sie mit bestimmten i m Gesetz erschöpfend angeführten Mitteln begangen ist. Deshalb hat man „verüben lassen" auf die Fälle beschränkt, in denen derjenige, der die Tat verübt, straffrei ist 1 6 1 . Straffreiheit muß nach meiner Auffassung so verstanden werden, daß derjenige, der die Tat verübt, nicht für das Delikt strafbar ist, das der andere verüben läßt. Wenn jemand einen anderen bittet, einen schweren Gegenstand nach unten zu werfen, während er sich dabei vorstellt, einen Dritten zu töten, und auf diese Bitte hin der andere, ohne diese Absicht zu erkennen, aber auch ohne sich zu vergewissern, ob diese Handlung eine 160
H. R., U r t e i l vom 21. A p r i l 1913, N. J. 1913, S. 961; W. 9501. So entschied der Höge Raad, daß man für Verübenlassen nur bestraft werden kann, wenn sich die Straflosigkeit desjenigen zeigt, der die Tat begangen hat. H.R., Urteile v o m 27. J u n i 1898, W. 7146; 25. J u n i 1923, N . J . 1923, S. 1294; W. 11104 und 11. J u n i 1928, N. J. 1928, S. 1514; W. 11871. 181
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Gefahr für Dritte bilden kann, diesen Gegenstand nach unten wirft, dann läßt derjenige, der die Bitte ausspricht, Totschlag verüben, der Ausführende verübt dagegen eine fahrlässige Tötung. Die Bestimmung des Begriffs „verüben lassen" als „herbeiführen, daß ein anderer verübt" muß also durch den Zusatz beschränkt werden, daß dieser andere für das Delikt nicht strafbar ist, das der erste verüben läßt. Diese Begriffsbestimmung ist aber andererseits zu eng. Die Straffreiheit des Tatausführenden kann ja auf verschiedenen Gründen beruhen. Sie kann einerseits darin liegen, daß er sich auf einen Strafausschließungsgrund, ζ. B. Unzurechnungsfähigkeit i m Sinne von Art. 37 nl. StGB, berufen kann. Sie kann aber auch darauf zurückzuführen sein, daß er selbst die Tat nicht so ausführt, wie sie i m Gesetz umschrieben ist, m i t anderen Worten, die Tat nicht verübt. Das kann der Fall sein, wenn der Ausführende nicht den erforderlichen Vorsatz hat. Es kann auch vorkommen, daß er eine für die VerÜbung der Tat erforderliche persönliche Eigenschaft nicht hat. I n allen derartigen Fällen, in denen der Ausführende straffrei ist, w i r d derjenige als mittelbarer Täter strafbar sein, der die Ausführung durch den anderen herbeiführt. Der Begriff „verüben lassen" muß also dahin verstanden werden, daß sich schuldig macht, wer herbeiführt, daß ein anderer, der für diese Straftat nicht strafbar ist, eine Straftat ausführt 1 6 2 . Es ist dabei nicht erforderlich, daß eine persönliche Beziehung zwischen demjenigen besteht, der verüben läßt, und demjenigen, der die Tat ausführt 1 6 3 . So kann zwischen dem Veranlasser der Tat und der ausführenden Person eine Zwischenperson eingeschaltet sein, die den Auftrag zur Ausführung überbracht hat. Diese Zwischenperson braucht selbst nicht straflos zu sein 1 6 4 . Darüber hinaus ist erforderlich, daß der Veranlasser die Ausführung der Straftat vorsätzlich herbeiführt. Zusätzlich w i r d Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit i n bezug auf die Elemente der Straftat verlangt, wenn die Deliktsumschreibung dies für denjenigen vorschreibt, der die Tat begeht. So könnte man zwar davon sprechen, daß jemand ein Fahrlässigkeitsdelikt wie die fahrlässige Tötung nach Art. 307 nl. StGB begehen läßt. Wer aber herbeiführt, daß ein anderer ohne Vorsatz und Fahrlässigkeit eine Handlung begeht, durch die der Tod eines Dritten verursacht wird, kann schon wegen VerÜbung dieses Delikts bestraft werden, 162 So entschied der Höge Raad i n bezug auf eine persönliche Eigenschaft i m U r t e i l v o m 19. Dezember 1910, W. 9122. 163 H. R., U r t e i l v o m 18. Oktober 1960, N. J. 1961, 415. 164 So schon entschieden v o m Höge Raad i m U r t e i l v o m 25. J u n i 1917, N. J. 1917, S. 818; W. 10145 m i t A n m e r k u n g von Simons, der damit nicht einverstanden war.
§ 28 Die Mittäterschaft
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wenn i h m selbst Fahrlässigkeit in bezug auf diesen Tod vorzuwerfen ist. Die Deliktsumschreibung i n Art. 307 nl. StGB, nach der derjenige strafbar ist, dem infolge seiner Unachtsamkeit der Tod eines anderen vorzuwerfen ist, läßt nämlich i n diesem Falle zu, von unmittelbarer und nicht nur mittelbarer Täterschaft zu sprechen.
§ 28 Die Mittäterschaft
Als Mittäter ist strafbar, wer zusammen mit einer oder mehreren anderen Person(en) eine Straftat i n dem Sinne ausführt, daß jeder für sich, wenigstens aber alle zusammen, die Elemente der Deliktsumschreibung verwirklichen. Für Mittäterschaft ist also eine Ausführungshandlung erforderlich. Hierdurch unterscheidet sich diese Teilnahmeform von der Beihilfe, die nach A r t . 48 nl. StGB darin besteht, bei der Begehung einer Straftat behilflich zu sein. Der Begriff der Ausführungshandlung wurde bereits bei der Erörterung des Versuchs behandelt. Für die Mittäterschaft könnte sie als eine Handlung bezeichnet werden, die darauf gerichtet ist, gemeinsam m i t anderen die Vollendung einer Straftat herbeizuführen. Der Höge Raad grenzt zwar mit Hilfe eines solchen Kriteriums die Mittäterschaft von der Beihilfe ab. Er verlangt nämlich eine unmittelbare Zusammen- oder Mitarbeit 1 6 5 . Er scheint aber dazu zu neigen, bei Mittäterschaft eher eine Ausführungshandlung anzunehmen als beim Versuch. Kennzeichnend dafür sind zwei Urteile aus dem Jahre 1934. Als Ausführungshandlung für den Versuch reichte nicht einmal aus, daß jemand eine Zündschnur durch alle Stockwerke eines Hauses verlegt und an einen Gaszünder angeschlossen hatte 1 6 6 ; i n einem anderen Brandstiftungsfall nahm er jedoch Mittäterschaft an, obgleich sich die Tätigkeit des Angeklagten darauf beschränkte, einem anderen einen Büschel Stroh zu reichen, den dieser anzündete, u m damit einen Heuboden i n Brand zu setzen 167 . Der Höge Raad begründete dies damit, daß u. a. i m Zusammenhang m i t der erfolgten Absprache über die gemeinsame Brandstiftung die Zusammenarbeit zwischen beiden Personen so vollständig und eng gewesen sei, daß es mehr oder weniger zufällig war, wer von den beiden das Heu i n Brand setzte. Der Höge Raad steht hiermit auf der Grenze der sog. subjektiven Auffassung i n bezug auf die Ausführungshandlung, denn er beurteilte die Handlung des Angeklagten als Mittäterschaft i m Gesamtzusammenhang der getroffenen Vereinbarung. 185 H. R., u. a. U r t e i l v o m 25. M a i 1914, N. J. 1914, S. 898; W. 9655. ιββ v g l . die auf S. 92 u n d i n A n m . 145 wiedergegebene Entscheidung. 187 H. R., U r t e i l v o m 29. Oktober 1934, N. J. 1934, S. 1673 m i t A n m e r k u n g von Taverne; W. 12851 m i t A n m e r k u n g von van Bemmelen.
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Wenn jeder der Mitbeteiligten die strafbare Handlung, so wie sie i m Gesetz umschrieben ist, gleichzeitig vollständig erfüllt, braucht man nicht von Mittäterschaft, sondern kann man auch von Täterschaft sprechen. Wenn man aber Mittäterschaft annimmt, werden sämtliche M i t täter auch für die Taten der anderen mitverantwortlich. So ist jeder der Mittäter für den straferschwerenden Umstand des Einbruchsdiebstahls strafbar, auch wenn nicht alle bei dem Einbruch gehandelt haben 1 6 8 . Ausschließlich Mittäterschaft kommt allerdings i n Betracht, wenn der Täter die Straftat nicht vollständig entsprechend der Deliktsumschreibung verwirklicht hat. Dies kann sich u. a. ergeben, wenn zwei Personen bei einem Amtsdelikt zusammenarbeiten, jedoch nur eine der beiden Personen die gesetzlich vorgeschriebene Beamteneigenschaft hat. Der für die Mittäterschaft erforderliche Vorsatz bezieht sich wie bei der mittelbaren Täterschaft auf zweierlei. Zunächst muß der Vorsatz auf die Mitarbeit bei der Ausführung gerichtet sein; darüber hinaus muß Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit i n bezug auf die Elemente der Deliktsumschreibung gegeben sein, wenn sie dort für die Tatbegehung verlangt sind. Für die Mittäterschaft bei Vorsatztaten stellt der Höge Raad diese Anforderungen 1 6 9 ; für die Mittäterschaft bei Fahrlässigkeitsdelikten hält er jedoch Vorsatz in bezug auf die Zusammenarbeit nicht für erforderlich 170 . Nach meiner Auffassung verkennt der Höge Raad hierbei den Vorsatzcharakter der strafbaren Mittäterschaft. Bei unvorsätzlichem Zusammenwirken bei der Ausführung einer Fahrlässigkeitstat ist nach meiner Meinung jeder der Beteiligten für die Tatbegehung verantwortlich. Ein Grenzfall dürfte der vom Höge Raad entschiedene Fall einer vom Kapitän und Lotsen gemeinschaftlich begangenen Zuwiderhandlung gegen die Vorschrift des Art. 473 nl. StGB durch Unterlassen sein, hat er doch hier allein aus der formellen Verantwortlichkeit des Kapitäns trotz Übergabe des Kommandos an den Lotsen die gemeinschaftliche Ausführung der Unterlassung gefolgert, ohne daß darüber hinaus ein gemeinsamer Plan oder eine Vereinbarung zwischen beiden getroffen worden w a r 1 7 1 .
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H. R., U r t e i l vom 6. Dezember 1943, N. J. 1944, 245. H. R., U r t e i l v o m 9. Februar 1914, N. J. 1914, S. 648; W. 9620. 170 Dies zeigt sich i n der Entscheidung v o m 14. November 1921, N. J. 1922, S. 179; W. 10842. 171 H. R., U r t e i l vom 10. A p r i l 1973, N. J. 1973, 468 m i t A n m e r k u n g von van Veen. 169
§29 Die A n s t i f t u n g
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§ 29 Die Anstiftung
I m Anschluß an die Erörterung zur mittelbaren Täterschaft muß als Anstifter zu einer Straftat bezeichnet werden, wer herbeiführt, daß ein anderer eine Straftat begeht, für die dieser sich nicht als straffrei erweist. Für die Anstiftung verlangt das Gesetz ausdrücklich Vorsatz. Für die mittelbare Täterschaft muß jedoch gleichfalls Vorsatz i n bezug auf die Herbeiführung der Straftat vorhanden sein, obgleich das i m Gesetz nicht ausdrücklich gefordert ist. Daneben muß auch beim Anstifter Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit i n bezug auf die Elemente der Straftat gegeben sein, zu der er anstiftet. Der Anstifter braucht allerdings auch nur insoweit vorsätzlich oder fahrlässig zu handeln, als es ein Täter nach der Deliktsumschreibung müßte. Einige Autoren sind der Meinung, daß der Anstifter in bezug auf alle Elemente vorsätzlich handeln muß; mir allerdings scheint das i m Widerspruch zum allgemeinen Charakter der Teilnahmeformen zu stehen. Über den erforderlichen Vorsatz enthält Art. 47 Abs. 2 nl. StGB zwar die Regelung, daß für Anstifter allein die Handlungen neben ihren Folgen in Betracht kommen, zu denen sie vorsätzlich angestiftet haben. Diese Bestimmung scheint m i r aber unvollständig, weil die Anstiftung zu Fahrlässigkeitstaten nicht erfaßt ist. Sie ist darüber hinaus auch undeutlich, denn sie enthält keine Aussage hinsichtlich der die Handlung begleitenden Elemente der Straftat. Die Bestimmung erhält einen vernünftigen Sinn, wenn man sie so auslegt, daß ζ. B. der Anstifter zu einer Körperverletzung, die den Tod zur Folge hat, wegen Anstiftung zur Körperverletzung mit Todesfolge strafbar ist. Für dieses Delikt ist nämlich nach Art. 300 Abs. 3 nl. StGB lediglich Vorsatz i n bezug auf die Körperverletzung erforderlich. Auch wenn der Angestiftete vorsätzlich die Mißhandlung so lange fortsetzt, bis das Opfer stirbt, wäre der Anstifter nur wegen Anstiftung zur Körperverletzung m i t Todesfolge strafbar, während sich der Angestiftete des Totschlags schuldig gemacht hätte. Sowohl die gesetzliche Qualifikation wie auch das gesetzliche Strafmaximum für die Anstiftung werden i n diesem Beispiel dem Art. 300 Abs. 3 nl. StGB entnommen. Diese gemäßigte Anwendung würde auch gelten, wenn Art. 47 Abs. 2 nl. StGB nicht bestünde. Die Vorschrift ist also nicht nur unvollständig und unklar, sondern darüber hinaus auch überflüssig. Sie scheint mit dadurch erklärlich, daß der Gesetzgeber die veraltete Unterscheidung von selbständigen und unselbständigen Teilnahmeformen noch vor Augen hatte und darum i n A r t . 47 Abs. 2 nl. StGB bestimmen wollte, daß Anstiftung i n bezug auf den Vorsatz doch als selbständige Teilnahmeform behandelt werden müßte, obgleich sie nach dieser Unterscheidung unselbständig wäre.
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Das niederländische Strafrecht
Anstiftung ist ebenso unselbständig und ebenso selbständig wie alle anderen Teilnahmeformen. Der Anstifter w i r d für seine eigene Handlung, aber dafür nur dann bestraft, wenn der Angestiftete die Straftat tatsächlich ausführte, zumindest aber einen strafbaren Versuch unternahm. Neben Art. 47 nl. StGB, der Anstiftung zu jedem Delikt mit Strafe bedroht, wurde durch eine Novelle aus dem Jahre 1924 172 unter die Verbrechen gegen die öffentliche Ordnung eine neue Strafbestimmung aufgenommen, nach der auch die Aufwiegelung zu einem Verbrechen mit Strafe bedroht ist. Die Bedeutung des neuen Art. 134 bis nl. StGB liegt darin, daß jemand, der m i t den in Art. 47 nl. StGB erwähnten Anstiftungsmitteln einen anderen zur Begehung eines Verbrechens zu bewegen suchte, auch strafbar ist, wenn dieses Verbrechen oder ein strafbarer Versuch dazu nicht erfolgt ist. Man bezeichnet dieses Delikt auch manchmal i n Anlehnung an den Duchesne-Paragraphen des deutschen Strafgesetzbuchs (§ 30 n. F., § 49 a a. F. StGB) als mißglückte Anstiftung. Diese Bezeichnung ist aber irreführend, denn aus der Deliktsumschreibung, i n der als zusätzliche Strafbarkeitsbedingung aufgestellt ist, daß das Verbrechen, zu dem man aufzufordern suchte, oder ein strafbarer Versuch dieses Verbrechens nicht erfolgt ist, ist nicht herauszulesen, ob man es m i t einer mißglückten mittelbaren Täterschaft oder mit einer mißglückten Anstiftung zu t u n hat. Außerdem umfaßt die Deliktsumschreibung nicht nur die „mißglückte Anstiftung". Davon kann nur die Rede sein, wenn die Person, die man zu bewegen sucht, nicht für die Straftat zu gewinnen ist. Vielmehr ist auch die „erfolglos gebliebene Anstiftung" darin enthalten. Sie liegt vor, wenn die aufgeforderte Person die Tat ausführen w i l l und auch schon vorbereitet hat, aber noch nicht zur Ausführung gekommen ist 1 7 3 . Nicht strafbar ist allerdings nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die erfolglose Anstiftung zur Beihilfe und zum Versuch. Das Wort „Verbrechen" sei i n A r t i k e l 134 bis nl. StGB i m Gegensatz zur sonstigen Bedeutung (Art. 78 nl. StGB) i n einem engeren Sinne verwendet, der Beihilfe und Versuch nicht umfasse. Dies w i r d formal aus dem Zusatz „oder einen strafbaren Versuch" gefolgert 1 7 4 . Neben der Umschreibung der strafbaren Aufwiegelung zu einem Verbrechen i n Art. 134 bis Abs. 1 nl. StGB findet man i m zweiten A b satz einen Strafausschließungsgrund. Der Aufwiegler bleibt straffrei, 172 Wet tot w i j z i g i n g en aanvulling v a n het Wetboek van strafrecht met betrekking tot de u i t l o k k i n g (Strafrechtsänderungs- und -ergänzungsgesetz i n bezug auf die Anstiftung) v o m 28. J u l i 1924, StBl. 370. 173 Die Strafbarkeit der „erfolglos gebliebenen A n s t i f t u n g " stellte der Höge Raad durch U r t e i l v o m 8. Februar 1932, N. J. 1932, S. 1609; W. 12501 fest. 174 H. R., U r t e i l v o m 29. J u n i 1971, N. J. 1972, 232 m i t die Strafbarkeit bejahender Stellungnahme des Generalstaatsanwalts Langemeijer u n d kritischer A n m e r k u n g von Bronkhorst.
§29 Die A n s t i f t u n g
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wenn die Straftaten, zu denen er aufruft, aus Umständen unterbleiben, die von seinem Willen abhängig sind. Bei einem Vergleich m i t Art. 45 nl. StGB, durch den der Versuch unter Strafe gestellt ist, fallen zwei Unterschiede auf. I n A r t . 45 nl. StGB ist der nicht freiwillige Rücktritt des Täters zu einer Voraussetzung der Strafbarkeit des Versuchs gemacht worden, während in A r t . 134 bis Abs. 2 nl. StGB das Eingreifen desjenigen, der die i n A r t . 134 bis nl. StGB umschriebene Straftat verübt, als Strafausschließungsgrund formuliert ist. Überdies kann man bei Art. 134 bis Abs. 2 nl. StGB nicht von einem freiwilligen Rücktritt sprechen, denn hier erlangt der Aufwiegler Straffreiheit, wenn er die Straftat des Aufgewiegelten verhindert. Allerdings reicht nach der Rechtsprechung des Höge Raad dafür aus, daß er aufhört, weitere Informationen und M i t t e l zu beschaffen, die der Aufgewiegelte zur Ausführung des Verbrechens oder eines strafbaren Versuchs dazu gebraucht hätte 1 7 5 . Maximal können für das Verbrechen nach Art. 134 bis nl. StGB fünf Jahre Gefängnis oder eine Geldstrafe i n Höhe von sechshundert Gulden verhängt werden; allerdings darf niemals eine schwerere Strafe ausgesprochen werden, als für den Versuch des Delikts, zu dem aufgewiegelt ist, auferlegt werden kann. Wenn der Versuch zu dieser Straftat wie ζ. B. bei der Körperverletzung nach A r t . 300 Abs. 1 nl. StGB nicht strafbar ist, kann keine höhere Strafe als für das Delikt selbst ausgesprochen werden. Der Grund für die Unterscheidung zwischen mittelbarer Täterschaft und Anstiftung liegt darin, daß der Gesetzgeber die Anstiftung nur m i t Strafe bedroht, wenn sie durch bestimmte, i m Gesetz erschöpfend aufgezählte M i t t e l erfolgt. Als M i t t e l sind genannt: Geschenke, Versprechungen, Machtmißbrauch, Gewalt, Drohung oder Täuschung. Es braucht sich nicht um Geschenke oder Versprechungen i n Geld oder materiellen Gütern zu handeln, vielmehr reicht auch ζ. B. die Einräumung oder das Versprechen von Vergünstigungen aus. Auch stillschweigende Versprechungen sind Inbegriffen 176 . Unter Drohung ist nicht nur die A n drohung von Gewalt, sondern ζ. B. auch die Androhung von Ehrverletzungen zu verstehen. Wenn die Gewalt oder die Bedrohung so stark ist, daß derjenige, gegen den sie gerichtet ist, sich auf Notstand nach Art. 40 nl. StGB berufen kann, ist nicht mehr Anstiftung, sondern m i t telbare Täterschaft gegeben. Irreführung als M i t t e l der Anstiftung braucht nicht so weit zu reichen, daß der für die Strafbarkeit der Tatbegehung erforderliche Vorsatz bei dem Angestifteten entfällt, denn 175 176
H. R., U r t e i l vom 25. J u n i 1968, N. J. 1969, 20. H. R., U r t e i l v o m 22. Oktober 1917, N. J. 1917, S. 1130; W. 10180.
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dann ist dieser nicht strafbar und liegt mittelbare Täterschaft vor. Durch Irreführung kann man zu einer Straftat anstiften, wenn man ζ. B. jemandem weismacht, daß ein anderer i h m Unrecht angetan hat, und er dadurch dazu bewegt wird, diesen anderen zu verletzen. Machtmißbrauch liegt vor, wenn man einen anderen durch Anwendung seiner Macht 1 7 7 zu einer Straftat veranlaßt. Dabei liegt schon in der Veranlassung zu einer Straftat ein Machtmißbrauch 178 . Neben den sechs genannten M i t t e l n wurde durch eben das Gesetz von 1924, das Art. 134 bis nl. StGB einführte, auch das weitere, umfassende Mittel des Verschaffens von Gelegenheit, Mitteln und Hinweisen dem Art. 47 nl. StGB hinzugefügt. Dieses M i t t e l ist auch bei der Beihilfe i n Art. 48 nl. StGB genannt. Der Zusatz bei der Regelung der Anstiftung erklärt sich dadurch, daß Beihilfe nach der Rechtsprechung des Höge Raad voraussetzt, daß der Tatentschluß des Täters bereits vorliegt, bevor ihm vom Gehilfen Gelegenheit, M i t t e l oder Hinweise verschafft werden 1 7 9 . Gehilfe ist nämlich, wer die Ausführung der Straftat erleichtert oder fördert, was voraussetzt, daß der Täter den Entschluß zur Straftat bereits vorher hatte. Wer Gelegenheit, M i t t e l oder Hinweise verschafft und dadurch bei dem Täter erst den Tatentschluß weckt, ist nicht mehr Gehilfe, sondern Anstifter 1 8 0 . Vor der Gesetzesänderung von 1924 wäre er aber als Anstifter nicht strafbar gewesen. Wie die Rechtsprechung i n der Zeit von 1898 bis 1924 mit dieser Gesetzeslücke hat auskommen können, bleibt ein Rätsel. Vermutlich haben die Richter in solchen Fällen immer angenommen, daß der Täter den Entschluß bereits hatte, bevor i h m die Gelegenheit, M i t t e l oder Hinweise verschafft wurden. Diese Vermutung w i r d durch einige spätere Urteile des Höge Raad bestärkt, in denen sich seine Neigung zeigt, in solchen Fällen Beihilfe anzunehmen, wenn sich nicht Anstiftung oder mittelbare Täterschaft als gegeben erweisen. Abschließend seien noch einige Entscheidungen des Höge Raad zur Anstiftung zusammengetragen, die noch nicht behandelt wurden: Die Anstiftung w i r d an dem Ort begangen, an dem ζ. B. das Versprechen gegeben wird, nicht aber dort, wo die Tat ausgeführt wird, zu der ange177 Sie braucht nicht aus einem Rechtsverhältnis zu erwachsen, sondern kann sich auch aus einem tatsächlichen Abhängigkeitsverhältnis ergeben. H. R., U r t e i l vom 29. J u n i 1971, N. J. 1972, 116. 178 H. R , U r t e i l vom 6. J u n i 1910, W. 9045. 179 H. R., U r t e i l vom 13. J u n i 1898, W. 7145. 180 So stiftet zum Verbrechen der Behandlung zum Zwecke der A b t r e i bung (Art. 251 bis nl. StGB) an, wer einem Abtreiber die Adresse einer Frau m i t t e i l t m i t dem Hinweis, daß sie ihre Schwangerschaft abbrechen lassen möchte. H. R., Urteile v o m 11. Januar 1932, N . J . 1932, S. 1143 u. 5. Jan. 1942, N. J. 1942, 238.
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stiftet worden ist 1 8 1 . Der Anstifter ist nur für die Straftat verantwortlich, zu der er angestiftet hat, auch wenn etwa der Angestiftete später die Tat gemeinschaftlich mit Dritten ausgeführt hat 1 8 2 . Allerdings umfaßt ζ. B. die Anstiftung, jemanden zu verprügeln, auch die daraus entstehenden Verwundungen 1 8 3 . Die Anstiftung muß stets auf das vollendete Verbrechen gerichtet sein, strafbar ist sie jedoch auch dann, wenn die Tatausführung i m Versuchsstadium stecken bleibt 1 8 4 . Die Anstiftung ζ. B. zu einem Betrug muß nicht unmittelbar, sondern kann auch durch eine Zwischenperson erfolgen 1 8 5 . Die eingeschaltete Person kann selbst strafbar sein, denn sowohl die Beihilfe zur Anstiftung 1 8 6 wie auch die Anstiftung zur Anstiftung 1 8 7 sind strafbar. § 30 Die Beihilfe
Gehilfe ist, wer die Straftat erleichtert oder fördert 1 8 8 . Art. 48 nl. StGB umschreibt zwei Fälle strafbarer Beihilfe: unter Ziffer 1 die vorsätzliche Hilfeleistung bei der Tatbegehung und unter Ziffer 2 die vorsätzliche Verschaffung von Gelegenheit, Mitteln und Hinweisen zur Tatbegehung. Die Abgrenzung der Beihilfe einerseits von der Mittäterschaft und andererseits von der Anstiftung ist in den beiden vorhergehenden Paragraphen bereits erörtert worden. Für die Strafbarkeit der Beihilfe verlangt das Gesetz, daß der Täter die Straftat begeht. Der Täter muß also die Straftat i n Übereinstimmung mit der Deliktsumschreibung verwirklichen. Nicht erforderlich ist, daß der Täter deswegen auch strafbar ist. Umstände, die die Strafbarkeit des Täters ausschließen, stehen deshalb einer Bestrafung des Gehilfen nicht entgegen, es sei denn, dieser Umstand träfe auch für den Gehilfen zu. Persönliche, also an die Person des Täters gebundene Strafausschließungsgründe — wie ζ. B. die Unzurechnungsfähigkeit nach Art. 37 nl. StGB — führen für den Gehilfen nicht zur Straffreiheit, unpersönliche — wie etwa Notwehr nach A r t . 41 nl. StGB — jedoch 181 H.R., Urteile vom 25. J u n i 1917, N . J . 1917, 821 u. 3. J u n i 1918, N . J . 1918, S. 678. 182 H. R., U r t e i l v o m 21. Dezember 1914, N. J. 1915, 376. 183 H. R., U r t e i l v o m 29. A p r i l 1912, W. 9344. 184 H. R. Urteile vom 17. Dezember 1917, N. J. 1918, S. 79 u. 2. Januar 1933, N. J. 1933, S. 629. 185 H. R., U r t e i l vom 12. Juni 1951, N. J. 1951, 554. 188 H. R., U r t e i l vom 24. Januar 1950, N. J. 1950, 287 m i t zustimmender A n m e r k u n g von Röling. Z u r eigenen Stellungnahme vgl. die Ausführungen i n § 30 über die Beihilfe. 187 H. R., U r t e i l v o m 24. März 1959, N. J. 1959, 559. 188 Diese Umschreibung der Gehilfenhandlung ist i n A r t . 49 Abs. 4 nl. StGB verwendet.
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wohl. Dies ist eigentlich überflüssigerweise noch ausdrücklich in Art. 50 nl. StGB vorgeschrieben. Danach kommen die persönlichen Umstände, wodurch die Strafbarkeit ausgeschlossen, vermindert oder erhöht wird, bei der Anwendung des Strafgesetzes nur bei dem Täter oder Gehilfen in Betracht, den sie persönlich betreffen. Es ist die Frage aufgetaucht, ob die Beihilfe auch bei anderen Teilnahmeformen außer der Täterschaft strafbar sein kann. Beihilfe zur Beihilfe scheint m i r gewiß nicht strafbar, ebensowenig Beihilfe zur Anstiftung. Der Höge Raad allerdings hat i n der erwähnten Entscheidung aus dem Jahre 1950 die gegenteilige Auffassung vertreten. Diese Entscheidung war durch ein Urteil aus dem Jahre 1939 vorbereitet worden, i n der stillschweigend die Strafbarkeit der Beihilfe zur „mißglückten Anstiftung" nach A r t . 134 bis nl. StGB angenommen worden w a r 1 8 9 . Die Meinungen über das Urteil aus dem Jahre 1950 sind geteilt. M i r scheint das Urteil aus drei Gründen unrichtig: 1. Nach Art. 48 nl. StGB w i r d die Beihilfe zum Verüben der Straftat m i t Strafe bedroht; 2. der Titel, unter dem A r t . 48 nl. StGB steht, trägt die Überschrift: Teilnahme an Straftaten, also nicht Teilnahme an Teilnahme an Straftaten; 3. nimmt man einmal Beihilfe zur Anstiftung als strafbar an, dann ist der Weg frei, auch Beihilfe zur Beihilfe zur Anstiftung usw. für strafbar zu halten, womit man die Strafbarkeit ins Uferlose ausbreitet. Aus eben diesem Grund w i r d man auch die Beihilfe zur „mißglückten Anstiftung" nach A r t . 134 bis nl. StGB nicht als strafbar ansehen dürfen. Dagegen kann man wohl die Beihilfe zu einer Straftat bestrafen, wenn der Gehilfe sich einer Zwischenperson bedient. Ebenso wie bei der mittelbaren Täterschaft dargelegt wurde, kann man sich als Gehilfe einer Straftat schuldig machen, wenn man die Gelegenheit, M i t tel oder Hinweise einer dritten Person zu einem Augenblick verschafft, zu dem der Täter den Tatentschluß bereits gefaßt hat. Dieser Dritte ist dann für den Gehilfen die Zwischenperson, durch deren Vermittlung er dem Täter bei der Tatbegehung hilft. Der vom Höge Raad 1950 entschiedene Fall kann jedoch nicht hierzu gerechnet werden, da dort der Angeklagte dem Anstifter eine Liste von Personen gegeben hatte, die sich zur Tatbegehung eignen würden, bevor eine dieser Personen einen Tatentschluß hatte oder auch nur von dem Vorhaben wußte. Der Vorsatz des Gehilfen muß i n erster Linie auf die Hilfeleistung oder die Verschaffung von Gelegenheit, Mitteln oder Hinweisen gerichtet sein. Dies ist in Art. 48 nl. StGB ausdrücklich hervorgehoben. 189
H. R., U r t e i l v o m 27. März 1939, N. J. 1939, 980.
§31 Das Zusammentreffen von Straftaten
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Überdies muß er Vorsatz oder Fahrlässigkeit i n eben der Weise haben, wie sie für andere Tatbeteiligte und auch für den Täter nach der Deliktsumschreibung vorgeschrieben ist. Die i n bezug auf den Vorsatz bei Anstiftung i n Art. 47 Abs. 2 nl. StGB getroffene Regelung findet man i n Art. 49 Abs. 4 nl. StGB auch für die Beihilfe. Sie unterscheiden sich aber i m Ansatz. Art. 49 Abs. 4 nl. StGB schreibt nämlich vor, daß bei der Festsetzung der Strafe nur die Handlungen nebst ihren Folgen i n Betracht kommen, die der Gehilfe vorsätzlich erleichtert oder gefördert hat. Die Regelungen bei der Beihilfe und der Anstiftung stimmen also m i t der Maßgabe überein, daß bei der Beihilfe die Qualifikation nicht nach dem Vorsatz des Gehilfen, sondern des Täters erfolgt und nur die gesetzliche Höchststrafe nach dem Vorsatz des Gehilfen bestimmt wird. Wenn also jemand einem anderen dabei behilflich ist, einen Dritten zu verprügeln, i n der Meinung, daß der andere das Opfer nur verletzen w i l l , während aber der andere das Opfer vorsätzlich totprügelt, ist seine Tat als Beihilfe zum Totschlag zu qualifizieren, aber seine Strafe kann nicht höher sein als die für Beihilfe zur Körperverletzung. Wie sich aus Art. 48 nl. StGB schon ergibt und Art. 52 nl. StGB noch einmal ausdrücklich bestimmt, ist Beihilfe zu einer Übertretung nicht strafbar. Bei Beihilfe zu einem Verbrechen w i r d die Strafe nach Art. 49 nl. StGB u m ein Drittel gekürzt. Bei angedrohter lebenslänglicher Gefängnisstrafe gilt eine Höchststrafe von fünfzehn Jahren. Die Nebenstrafen sind für Täter und Gehilfen gleich.
§ 31 Das Zusammentreffen von Straftaten
Bei der Regelung der Konkurrenzen i n Art. 55 - 62 nl. StGB unterscheidet der niederländische Gesetzgeber zwischen Ideal- und Realkonkurrenz. Bei Idealkonkurrenz w i r d nach A r t . 55 nl. StGB nur eine Strafbestimmung angewendet; differieren die Strafbestimmungen i m Strafmaß, ist diejenige mit der höchsten Strafandrohung maßgebend. Bei Realkonkurrenz von Verbrechen mit gleichartigen Hauptstrafen w i r d eine Strafe ausgesprochen; die Höchststrafe ergibt sich aus der Summe der einzelnen S traf maxima, jedoch darf die schwerste Höchststrafe u m nicht mehr als ein D r i t t e l überschritten werden (Art. 57 nl. StGB). Wenn die konkurrierenden Verbrechen mit ungleichartigen Hauptstrafen bedroht sind, w i r d jede dieser Strafen ausgesprochen, doch dürfen sie zusammen die längstdauernde nur um höchstens ein Drittel überschreiten. Geldstrafen werden dabei nach der Höchstdauer der angedrohten Ersatzhaft berechnet (Art. 58 nl. StGB). Treffen Übertretungen und Verbrechen oder Übertretungen untereinander tatmehr-
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heitlich aufeinander, w i r d für jede Übertretung ohne Minderung Strafe auferlegt; die Ersatzhaft für die konkurrierenden Verbrechen und Übertretungen oder Übertretungen darf dabei zusammen das allgemeine Maximum von sechs Monaten (Art. 23 Abs. 5 nl. StGB) nur um ein Drittel übersteigen. Neben der allgemeinen Regelung der Ideal- und Realkonkurrenz sind in diesem Titel über die Konkurrenzen noch zwei besondere Bestimmungen enthalten. Die eine findet sich i n Art. 55 Abs. 2 nl. StGB: Wenn für eine Tat, die unter eine allgemeine Strafbestimmung fällt, eine spezielle Strafbestimmung besteht, kommt allein diese letzte in Betracht. Eine spezielle Strafbestimmung i m Sinne dieses Artikels hält der Höge Raad für gegeben, wenn die Delikts Umschreibung alle Elemente der allgemeinen Strafbestimmung und darüber hinaus noch mindestens ein anderes enthält. Diese Rechtsprechung ist bis auf wenige abweichende Entscheidungen konstant. M i r scheint die Vorschrift überflüssig zu sein. Sie ist lediglich Ausdruck der allgemeinen und umfassenderen Auslegungsregel: lex specialis derogat legi generali. Die zweite besondere Bestimmung findet sich in Art. 56 nl. StGB: Wenn mehrere Taten zwar jede für sich allein ein Verbrechen oder eine Übertretung darstellen, jedoch i n einem derartigen Zusammenhang stehen, daß sie als eine fortgesetzte Handlung angesehen werden müssen, w i r d nur eine Strafbestimmung angewendet; differieren die Strafbestimmungen i m Strafmaß, so ist diejenige mit der höchsten Strafandrohung maßgeblich. Ebenfalls nur eine Strafbestimmung w i r d nach Art. 56 Abs. 2 nl. StGB angewendet, wenn der Angeklagte schuldig ist, einen Gegenstand gefälscht und von ihm Gebrauch gemacht zu haben, falls die Fälschung zu diesem Zwecke verübt wurde. Das Gesetz verlangt zwar nur, daß die einzelnen Straftaten in einem „derartigen Zusammenhang stehen, daß von einer fortgesetzten Handlung die Rede ist". Nach ständiger Rechtsprechung w i r d aber i m Anschluß an eine Bemerkung in den Motiven eine fortgesetzte Handlung i n diesem Sinne einschränkend erst dann angenommen, wenn die betreffenden Taten gleichartig und zugleich Ausdruck ein und desselben unerlaubten Entschlusses sind. Gleichartig sind die Taten, die dieselben Straftatbestände erfüllen, auch wenn sich bei einer oder mehreren strafmildernde oder strafschärfende Umstände hervortun. Die große Schwierigkeit in diesem Titel bereitet die Frage, was unter einer Tat i m Sinne von Art. 55 Abs. 1 nl. StGB über die Idealkonkurrenz zu verstehen ist. Die älteren Autoren und die Rechtsprechung des Höge Raad bis 1932 faßten eine Tat als eine körperliche Handlung auf. I n einer Entscheidung aus dem Jahre 1932 hat der Höge Raad dann eine neue Auffassung über die Bedeutung des Begriffs „eine Tat" in
§31 Das Zusammentreffen von Straftaten
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Art. 55 nl. StGB zugrunde gelegt 1 9 0 . Eine scharf umrissene Definition sucht man aber i n dieser wie auch i n späteren Entscheidungen vergeblich, i n denen ebenfalls die Auffassung abgelehnt wird, eine Tat sei eine körperliche Handlung. Auch i m Schrifttum hat es an Definitionsversuchen nicht gefehlt, ein befriedigendes Resultat ist jedoch ausgeblieben. Was nach der neuen Rechtsprechung des Höge Raad unter dem Begriff „eine Tat" zu verstehen ist, kann besser negativ als positiv ausgedrückt werden. Sie ist einerseits keine körperliche Handlung. Fahren unter Alkoholeinfluß und ohne vorschriftsmäßige Beleuchtung kann man als eine körperliche Handlung ansehen, aber der Höge Raad sah in seiner Entscheidung von 1932 darin zwei Taten. Andererseits kann man eine Tat auch nicht als eine Straftat auffassen, denn dann hätte Art. 55 nl. StGB keinen Sinn mehr. I n diesem Fall könnte eine Tat niemals mehr als eine Strafbestimmung erfüllen, denn eine Strafbestimmung umschreibt gerade eine Straftat. Der Höge Raad hat i n einer Entscheidung aus dem Jahre 1936 die Tateinheit m i t dem Begriff „Einheit der strafrechtlichen Bedeutung der Tat" zu bezeichnen versucht 191 . Damit w i r d allerdings der Unterschied zwischen Tat im Sinne von Art. 55 nl. StGB und Straftat sehr gering. Die neue Rechtsprechung hat die Anwendungsmöglichkeiten von Art. 55 Abs. 1 nl. StGB stark beschränkt. Die praktische Bedeutung dieser Beschränkung ist indessen nicht groß. Wenn es sich um eine Tat handelt, kann nur die schwerste Strafbestimmung angewendet werden, handelt es sich um mehrere Taten, kann diese schwerste Strafe noch um ein Drittel erhöht werden. Von größerer Bedeutung ist die Frage der Tatidentität bei A r t . 68 nl. StGB, der den Grundsatz „ne bis in idem" zum Ausdruck bringt. Der Höge Raad hat für die Bestimmung, wann jemand wegen einer Tat verfolgt wird, über die gegen ihn bereits rechtskräftig entschieden ist, schließlich eine vom Begriff Tateinheit i m Art. 55 nl. StGB abweichende Auslegung der Bedeutung des Begriffs Tatidentität i m Art. 68 nl. StGB gegeben. Darauf w i r d später noch einzugehen sein. Die Gründe für diese neue Rechtsprechung sind einerseits rechtstheoretischer, andererseits praktischer Natur. Man kann darin die A b lehnung einer naturalistisch ausgerichteten Rechtsprechung sehen. Die Tat w i l l man nicht als Handlung i m Sinne einer Körperbewegung auf190 H. R., U r t e i l vom 15. Februar 1932, N. J. 1932, S. 289 m i t A n m e r k u n g von Taverne, der an der Entscheidung beteiligt w a r ; W. 12491 m i t A n m e r k u n g von Vrij. 191 H. R., Urteil vom 2. J u n i 1936, N. J. 1936, 992.
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fassen, sondern als ein zielgerichtetes Streben, das i m Widerspruch zur Rechtsnorm steht. Die praktische Überlegung liegt mehr i n A r t . 68 nl. StGB als i n Art. 55 nl. StGB begründet. Weil nämlich der Richter bei seiner Entscheidung an die Anklageschrift nach A r t . 350 nl. StPO gebunden ist, würde bei einem weiten Tatbegriff eine neue Verfolgung unmöglich sein, wenn die angeklagte Tat nicht bewiesen oder nicht strafbar sein sollte. Je enger man den Begriff Tat i n A r t . 68 nl. StGB faßt, desto geringer ist die Chance, daß das Verfolgungsrecht für diese Tat verfällt. Nach meiner Auffassung würde diese Schwierigkeit besser gelöst werden können, wenn man die jetzige starke Bindung des Richters an die Anklageschrift lockerte. I m Anschluß an die Rechtsprechung des Höge Raad seit 1932 möchte ich die Tateinheit als die Einheit des Zweckes oder der Tendenz des konkreten Verhaltens, soweit dieser Zweck Gegenstand von Normen ist, bezeichnen. Auch wenn diese weitere Umschreibung die neue Rechtsprechung ζ. T. deckt, kann ich ihr wegen ihrer Unbestimmtheit kaum heuristischen Wert zuerkennen. Schließlich sei noch auf Art. 53 nl. StGB hingewiesen. Wenn jemand nach einer Verurteilung zu einer Strafe aufs neue wegen eines Verbrechens oder einer Übertretung für schuldig befunden wird, die vor der Verurteilung begangen ist, w i r d die frühere Strafe nach diesen Konkurrenzbestimmungen, die eigentlich für Fälle gleichzeitiger richterlicher Verhandlung gelten, angerechnet. Dies ist sinnvoll, da sonst die Staatsanwaltschaft die Anwendung der Gesetzesbestimmung unterlaufen könnte, indem sie nicht gleichzeitig verfolgt.
Zweites Kapitel
Strafen und Maßregeln § 32 Die Entwicklung des Strafen- und Maßregelsystems
Die Strafen sind i m Titel II, die Maßregeln i m Titel I I A und I I I des Ersten Buches des nl. StGB geregelt. Die Grundlagen der Strafvollstreckung findet man zu einem Teil i m Strafgesetzbuch, zum anderen Teil in besonderen Gesetzen und in allgemeinen Verwaltungsverordnungen. Ursprünglich war das Strafensystem durch große Einfachheit gekennzeichnet. Nach A r t . 9 nl. StGB gibt es drei Hauptstrafen: Gefäng-
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nis, Haft und Geldstrafe, und vier Nebenstrafen: Unterbringung i n einem staatlichen Arbeitshaus, Einziehung bestimmter Gegenstände, Entziehung bestimmter Rechte und Veröffentlichung des Richterspruchs. Die Hauptstrafen sind imperativ vorgeschrieben: wenn der Richter eine Tat und den Täter für strafbar erachtet, muß er eine Hauptstrafe auferlegen. Die Nebenstrafen sind fakultativ: der Richter kann sie anwenden, i n der Regel allerdings nur zusammen m i t einer Hauptstrafe. Von beiden Regeln gibt es jedoch Ausnahmen 1 9 2 . Die Hauptstrafen hat man einfach gehalten, um die Vergleichbarkeit der Strafen untereinander und damit die Strafzumessung i n richtigem Verhältnis zur relativen Schwere der Straftat zu fördern. Seit Beginn dieses Jahrhunderts wurde diese Einfachheit immer mehr zugunsten der Individualisierung durchbrochen: Durch die Jugendstrafgesetzgebung von 1901 (in Kraft seit 1905) wurden besondere Strafen und Maßregeln für strafrechtlich Minderjährige eingeführt und bei der Novellierung von 1961 aufrechterhalten; durch die Psychopathengesetzgebung von 1925 (in K r a f t seit 1928) wurde eine besondere Maßregel für psychopathische Delinquenten geschaffen; i m Jahre 1915 kam die bedingte Verurteilung; durch ein Gesetz von 1929 (in K r a f t seit 1937) erlangte der Richter die Befugnis, bei Jugendlichen eine Sonderstrafvollstreckung anzuordnen (Jugendgefängnis); i m selben Jahr w u r de zwar die Sicherheitsverwahrung von sog. Berufs- und Gewohnheitsverbrechern beschlossen, aber niemals i n K r a f t gesetzt. Die Behandlung dieser letzten Gruppe von Delinquenten sucht man heute teils mit einer besonderen Weise der Vollstreckung der Gefängnisstrafe, teils mit der speziellen Maßregel, die für psychopathische Delinquenten bestimmt ist, effizient zu gestalten.
Erster Abschnitt Das allgemeine Strafensystem § 33 Überblick über die gesetzliche Regelung
Die drei Hauptstrafen verteilen sich wie folgt auf die Deliktsarten: Die Gefängnisstrafe steht nur auf Verbrechen, nie auf Übertretungen; wahlweise Haft oder Gefängnisstrafe ist bei Fahrlässigkeitsdelikten angedroht; Übertretungen werden mit Haft oder wahlweise mit Haft oder 192 So ist die Einziehung bestimmter Gegenstände i m Zusammenhang m i t Münzfälschungsdelikten obligatorisch (Art. 214 bis nl. StGB) u n d k a n n — wie erwähnt — die Einziehung unter bestimmten Voraussetzungen an Stelle einer Hauptstrafe erfolgen (Art. 33 Abs. 2 nl. StGB).
8 Ausländisches Strafrecht V
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Geldstrafe geahndet. Die Geldstrafe ist nicht an eine Deliktsart gebunden, sie kommt sowohl bei vorsätzlich wie fahrlässig begangenen Verbrechen, wie auch bei Übertretungen vor. Bei Verbrechen steht sie meistens alternativ neben der Gefängnisstrafe oder Haft 1 9 3 . Nach dem Strafgesetzbuch kann der Richter bis auf den Fall einer zur Bewährung ausgesetzten Gefängnisstrafe (Art. 14 a Abs. 2 nl. StGB) nur eine Hauptstrafe verhängen. Eine Kumulation von Hauptstrafen ist i h m also grundsätzlich verwehrt. Seit einer Novelle aus dem Jahre 1925 kann er bei Straftaten, die allein m i t einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Jahren bedroht sind, an Stelle einer kurzen Freiheits- eine Geldstrafe auferlegen und das gesetzliche Höchstmaß der Geldstrafe überschreiten, wenn eine Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe möglich ist (Art. 24 nl. StGB) 1 9 4 . Ein bedeutsamer Wesenszug des niederländischen Strafensystems ist es, daß der Richter nicht an besondere Strafminima für die einzelnen Delikte gebunden ist. Bei einer Freiheitsstrafe kann er für jede Straftat das allgemeine Minimum von einem Tag, bei einer Geldstrafe das allgemeine M i n i m u m von einem halben Gulden aussprechen. Dies schließt an den Gedanken des Gesetzgebers von 1881 an, für den konkreten Fall eine Strafzumessung i m richtigen Verhältnis zur relativen Schwere der Straftat zu gewährleisten. Aufgrund dieser Freiheit des Richters haben also die strafmildernden und strafschärfenden Umstände i m Gesetz nur für das Strafmaximum Bedeutung. Der Richter muß nach der Änderung des Art. 27 nl. StGB i m Jahre 1973 i n seinem Urteil bestimmen, daß die Zeit, die der Verurteilte vor der Urteilsvollstreckung i n der Untersuchungshaft verbracht hat 1 9 5 , bei dem Vollzug der i h m auferlegten Hauptstrafe voll angerechnet wird. Verhängt er eine Geldstrafe, kann er eine entsprechende Regelung treffen, wobei er den Maßstab für die Anrechnung festsetzt (Art. 27 Abs. 3 nl. StGB). 193 Die Gefängnisstrafe ist keine notwendige Straffolge der Verbrechen, das nl. StGB sieht vielmehr auch Verbrechen vor, auf die Gefängnisstrafe alternativ m i t einer H a f t - oder Geldstrafe (z. B. A r t . 300 Abs. 1 nl. StGB), n u r eine Geldstrafe (z. B. A r t . 378 nl. StGB), n u r eine Haftstrafe (z. B. A r t . 356 nl. StGB) oder H a f t - oder Geldstrafe (z. B. A r t . 351 bis nl. StGB) steht. 194 A u f g r u n d der Ausweitung der Anwendungsmöglichkeit der Geldstrafe erübrigte sich die Anpassung einzelner Strafpositionen. So ist etwa beim Diebstahl (Art. 310 nl. StGB) lediglich eine Geldstrafe von einhundertundzwanzig Gulden angedroht, die sich jedoch über A r t . 24 nl. StGB auf zwanzigtausend Gulden erhöht. Vgl. Ch. J. Enschede / A. Heijder, Beginselen van Strafrecht, 2. A u f l . Deventer 1974, S. 152. 195 Unter Einschluß auch der Zeit, die er i n der der eigentlichen U n t e r suchungshaft regelmäßig vorausgehenden Sicherstellung verbracht hat. Vgl. auch oben die Ausführungen i n § 3 auf S. 35.
§ 34 Die Gefängnisstrafe
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Seit Einführung des Strafgesetzbuches ist die Freiheitsstrafe stark zugunsten der Geldstrafe zurückgetreten. Bei Übertretungen, die der Kreisrichter aburteilt, ist der Anteil der auferlegten Freiheitsstrafen an den insgesamt verhängten Strafen sehr gering, bei Verbrechen, für die das Bezirksgericht zuständig ist, bildeten die auferlegten Gefängnisstrafen ursprünglich die Mehrheit, doch haben die Geldstrafen sie bereits seit einigen Jahrzehnten überflügelt. Die Haftstrafe w i r d nur selten ausgesprochen; sie spielt bei den durch das Bezirksgericht verhängten Strafen kaum mehr eine Rolle 19(J . § 34 Die Gefängnisstrafe
Die Gefängnisstrafe ist die schwerste Strafe. Sie ist an die Stelle der entehrenden Zuchthausstrafe getreten. Diese wurde i m Strafgesetzbuch von 1881 nicht aufrechterhalten, weil der Gesetzgeber Bedenken gegen von Gesetzes wegen entehrende Strafen hatte. Es gibt die lebenslängliche und die zeitliche Gefängnisstrafe. Minister Modderman hat die lebenslängliche Gefängnisstrafe nur „blutenden Herzens" aus Furcht davor beibehalten, sonst die Todesstrafe wieder einführen zu müssen. Die Hoffnung auf Rückkehr i n die Gesellschaft ist auch für den lebenslänglich Verurteilten indes nicht verloren, da i n der Regel diese Strafe nach geraumer Zeit i m Gnadenwege in eine zeitliche umgewandelt wird. Die lebenslängliche Gefängnisstrafe w i r d i m niederländischen Strafgesetzbuch immer nur wahlweise neben der zeitlichen angedroht und heute so gut wie nie mehr ausgesprochen. Die Dauer der zeitlichen Gefängnisstrafe beträgt minimal einen Tag, maximal fünfzehn, i n einigen Fällen zwanzig Jahre (Art. 10 nl. StGB). Ursprünglich wurde die Gefängnisstrafe regelmäßig bis zu fünf Jahren i n Einzelhaft vollstreckt. Dieses System wurde durch das i m Rahmen der Entwicklung des Strafrechts besprochene Grundsatzgesetz über das Gefängniswesen von 1951 197 abgeschafft. Heute bildet die Einzelhaft die Ausnahme und die Gemeinschaftshaft die Regel. Durch dieses Gesetz wurde der Grundsatz der Differenzierung der Strafanstalten und der Selektion der Strafgefangenen eingeführt. Jeder Gefangene w i r d heute nach Möglichkeit i n eine Anstalt eingewiesen, deren Regime seiner Persönlichkeit am besten entspricht. Dabei w i r d sowohl auf die Strafdauer als auch auf die Reklassierungsmöglichkeiten für den Gefangenen geachtet. 196 Vgl. zu diesen Ausführungen den Zahlennachweis bei der Darstellung der Entwicklung i n § 3 auf S. 36 f. 197 Vgl. die Ausführungen über die E n t w i c k l u n g des Strafrechts i n § 3 auf S. 32 ff.
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Das niederländische Strafrecht
Nachdem zwei D r i t t e l der Strafe, mindestens aber neun Monate, verbüßt sind, kann der Justizminister nach Art. 15-17 nl. StGB den Verurteilten bedingt freilassen 198 . Dem bedingt Freigelassenen können neben den allgemeinen Bedingungen, Straftaten zu unterlassen und sich gut zu führen, verschiedene besondere Bedingungen gestellt werden. Die Aufsicht über die Einhaltung der auferlegten Bedingungen obliegt der Staatsanwaltschaft. Daneben kann aber auch noch eine besondere Aufsicht eingesetzt werden, die durch die Reklassierungseinrichtungen wahrgenommen wird. Nach Art. 13 ff. a. F. nl. StGB konnte der Richter anordnen, daß Straftäter zwischen achtzehn (evtl. sechzehn) und dreiundzwanzig (evtl. fünfundzwanzig) Jahren die Gefängnisstrafe i n einem besonderen Jugendgefängnis verbüßen. Es mußte eine Gefängnisstrafe von mindestens einem und höchstens drei Jahren verhängt sein und die tatsächliche Strafzeit mindestens noch ein Jahr betragen. Bei einer Strafe bis zu anderthalb Jahren konnte schon nach einem halben Jahr und sonst nach einem Jahr bedingte Freilassung erfolgen. Der Justizminister konnte Straftäter dieses Alters i n ein Jugendgefängnis einweisen, wenn eine solche Anordnung durch den Richter unterblieben war. Diese A r t i k e l sind jetzt aufgehoben worden 1 9 9 . § 35 Die Haft
Die Haft soll eine leichtere Strafe als die Gefängnisstrafe sein. Insbesondere soll die Schande weitgehend ausgeschlossen werden, die i m Volksbewußtsein doch immer noch dem Aufenthalt i m Strafgefängnis anhaftet. Ursprünglich zeigte sich auch an der Vollstreckung, daß die Haft weniger eingreifend als die Gefängnisstrafe war: keine Einzelhaft, freie Wahl der A r t der Arbeit, Aufenhalt nicht i m Straf-, sondern i m Untersuchungsgefängnis. Diese Unterschiede sind aber seit Einführung des Grundsatzgesetzes über das Gefängniswesen großenteils verschwunden. Beibehalten ist lediglich, daß die Haft nicht i n einem Straf-, sondern i m Untersuchungsgefängnis vollstreckt wird. Neben den Untersuchungshäftlingen sitzen hier allerdings auch zahlreiche Strafgefangene — vorübergehend Untergebrachte und Verurteilte m i t kurzen Freiheitsstrafen. Daß die Haft ihrem Wesen nach leichter ist, geht auch aus ihrer Dauer hervor. Sie beträgt mindestens einen Tag und höchstens ein Jahr. I n bestimmten Fällen der Straferhöhung kann sie ein Jahr und vier Monate dauern (Art. 18 nl. StGB). 198 Dies gilt seit einer Novelle von 1915. Z u r jüngst erfolgten Reform sei auf die obigen Ausführungen i n § 3 verwiesen. 199 Vgl. dazu die Ausführungen oben auf S. 33.
§ 36 Die Geldstrafe
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§ 36 Die Geldstrafe
Die Geldstrafe ist die dritte Hauptstrafe i n unserem allgemeinen Strafensystem. Sie kann als gesondert geregelte Hauptstrafe nach A r t . 77 g nl. StGB auch Jugendlichen auferlegt werden. Darüber hinaus kann sie kumulativ zu einer bedingten Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe hinzukommen (Art. 14 a Abs. 2 nl. StGB). Diese Sonderregelungen werden i m Zusammenhang mit den Jugendstrafen und der bedingten Verurteilung behandelt werden. Die Geldstrafe muß mindestens einen halben Gulden betragen. Ein allgemeiner Höchstbetrag ist i m Gesetz nicht festgelegt. Die Höchstbeträge i m Besonderen Teil des nl. Strafgesetzbuchs gehen i m allgemeinen nicht über einen Betrag von zwanzigtausend Gulden hinaus 2 0 0 . I m nl. Wirtschaftsstrafgesetz ist für Verbrechen der Höchstbetrag der Geldstrafe auf einhunderttausend Gulden festgesetzt; daneben kann zusätzlich eine Gefängnisstrafe auferlegt werden (Art. 6 nl. W i r t schaftsstrafG), so daß das Kumulationsverbot für diesen K r i m i n a l i tätsbereich nicht g i l t 2 0 1 . Die Geldstrafe muß innerhalb einer durch den Staatsanwalt festzusetzenden Zeit bezahlt werden (Art. 23 Abs. 2 nl. StGB i. V. m. Art. 553 und 572 nl. StPO). Der Termin kann nach Art. 561 nl. StPO jedesmal um zwei Monate, jedoch maximal nur bis zu zwei Jahren verlängert werden. W i r d die Geldstrafe innerhalb der Frist nicht vollständig bezahlt, w i r d der ausstehende Betrag, sofern es die Umstände zulassen, aus den Vermögensgegenständen und Einkünften des Verurteilten beigetrieben (Art. 23 Abs. 3 nl. StGB). Bleibt auch dies erfolglos, w i r d die Geldstrafe durch Haft ersetzt (Art. 23 Abs. 4 nl. StGB). Die Dauer der Ersatzhaft beträgt zumindest einen Tag und höchstens sechs Monate. Diese Höchstdauer kann i n bestimmten Fällen u m ein Drittel erhöht werden. Auch nach Ablauf der Zahlungsfrist kann der Verurteilte noch zahlen, der Betrag w i r d allerdings u m ein Fünftel (höchstens jedoch 200 Eine Ausnahme bildet insofern die außergewöhnlich hohe Geldstrafe (einhunderttausend Gulden) i m neuen A r t . 328 ter nl. StGB. D a m i t w i r d j e doch i n erster L i n i e das Ziel verfolgt, einen möglichen Gewinn aus der Straftat abschöpfen zu können, denn eine eigens darauf abzielende Sanktion fehlt noch i m nl. StGB. 201 Die hohen Strafdrohungen i m nl. Wirtschaftsstrafgesetz (auch für Übertretungen) beruhen zu einem T e i l darauf, daß Wirtschaftsstraftaten oft m i t hohen oder i n bezug auf hohe Sachwerte(n) begangen werden, wie die Gleitklausel i m A r t . 6 Abs. 1 Satz 2 nl. WirtschaftsstrafG belegt. Sicher spielt auch eine Rolle, daß m a n es i m Wirtschaftsstrafrecht regelmäßig m i t finanzkräftigen Tätern zu t u n hat u n d die Geldstrafe j a auch als wirksame Sankt i o n gegen juristische Personen tauglich sein soll. Wegen der speziellen Maßregel der Vorteilsabschöpfung (Art. 8 Buchst, c nl. WirtschaftsstrafG) könnte dieser Gesichtspunkt bei der Strafzumessung zurücktreten, i n der Praxis w i r d er jedoch überwiegend i n die Geldstrafenbemessung integriert.
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Das niederländische Strafrecht
fünfzig Gulden) erhöht (Art. 23 Abs. 9 nl. StGB). Auch kann sich nach dieser Frist entweder die Staatsanwaltschaft oder der Verurteilte selbst mit dem Antrag an den Richter wenden, den Betrag der auferlegten Geldstrafe herabzusetzen; als Grund kommt lediglich in Betracht, daß seit der Verurteilung die finanziellen Verhältnisse des Verurteilten dermaßen verändert sind, daß sie zu einer niedrigeren Geldstrafe geführt haben würden (Art. 574 nl. StPO) 2 0 1 a . § 37 Die Nebenstrafen
Die Nebenstrafen sind i n Art. 9 Abs. 1 Buchst, b Ziff. 1 - 4 nl. StGB aufgezählt. Weitere sind i n A r t . 39 nl. StraßenverkehrsG 202 und i n A r t . 7 unter Buchst, c und f nl. WirtschaftsstrafG enthalten. Die Nebenstrafen sind dadurch gekennzeichnet, daß sie grundsätzlich nur zusammen mit einer Hauptstrafe auferlegt werden können. Sie dienen großenteils spezialpräventiven Zwecken; es handelt sich dabei i m wesentlichen entweder um Freiheitsstrafen (Unterbringung i n einem staatlichen Arbeitshaus) oder Vermögens- bzw. Betriebsstrafen (Einziehung; Stillegung von Betrieben). Die Unterbringung in einem staatlichen Arbeitshaus 203 war ursprünglich nur bei den Übertretungen der Bettelei, Landstreicherei, später auch der Zuhälterei nach A r t . 434 nl. StGB und der öffentlichen Trunkenheit bei der dritten oder weiteren Wiederholung nach Art. 453 nl. StGB vorgesehen. Danach wurde sie auch für Verbrechen gegen das Dienstverweigerungsgesetz von 19 2 3 2 0 4 i m Falle von Pflichtverletzungen beim Arbeitseinsatz 205 möglich. Ebenso ist sie i m Wirtschaftsstrafgesetz offenbar für arbeitsscheue Schwarzhändler aufgenommen worden (Art. 7 Buchst, b WirtschaftsstrafG). Die Nebenstrafe kann nach 2oia Die i n diesem Absatz angedeutete Vollstreckung der Geldstrafe soll durch den erwähnten E n t w u r f (Anm. 58 a) effektiver gestaltet werden. I n der Hauptsache beinhaltet er die E i n f ü h r u n g der richterlichen Festsetzung von Zahlungserleichterungen u n d eine Anhebung der Aufschläge bei Zahlungsversäumnissen. Die richterliche Anpassung der Geldstrafe nach A r t . 574 nl. StPO soll fortfallen, w e i l sie ein toter Buchstabe i m Gesetz geblieben ist und obendrein neben dem von der Krone ausgeübten Gnadenrecht keinen Sinn hat. 202 Wegenverkeerswet (Straßenverkehrsgesetz) v o m 13. September 1935, StBl. 554 i. d. F. der letzten Änderung durch Gesetz v o m 30. J u n i 1976, StBl. 412. 203 Heute besteht lediglich noch eine solche Einrichtung. Die Maßregel soll abgeschafft werden (vgl. oben § 3). 204 Dienstweigeringswet (Dienstverweigerungsgesetz) v o m 13. J u l i 1923, StBl. 357. 205 Dieser Arbeitseinsatz bei staatlichen Dienststellen außer Waffen- u n d Munitionsfabriken t r i t t für bestimmte prinzipielle Kriegsdienstverweigerer an die Stelle des Militärdienstes (Art. 3 DienstverweigerungsG).
§37 Die Nebenstrafen
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Art. 32 nl. StGB für mindestens drei Monate und höchstens drei Jahre angeordnet werden. Dieses allgemeine Maximum gilt auch für die Übertretungen nach A r t . 434 nl. StGB und das Wirtschaftsstrafgesetz. I n A r t . 453 nl. StGB und i m Dienstverweigerungsgesetz ist ein besonderes Maximum von einem Jahr festgesetzt. Die Strafe w i r d i n einem staatlichen Arbeitshaus vollstreckt, das i n der Hauptsache nach gleichen Grundsätzen wie ein Gefängnis geleitet wird. Auch die bedingte Freilassung ist nach Art. 32 Abs. 2 i. V. m. Art. 15 - 17 nl. StGB möglich. Die Einziehung bestimmter Gegenstände ist ebenfalls als Nebenstrafe ausgestaltet, obgleich manchmal ihre Voraussetzungen i m Gesetz so geregelt sind, daß man eher von einer (spezialpräventiven) Maßregel als von einer (Neben-)Strafe sprechen könnte. Das gilt vor allem i n den Fällen, i n denen auch Gegenstände nach dem Gesetz eingezogen werden können oder müssen, die dem Verurteilten nicht gehören. Die Regelung der Einziehung wurde durch eine Novelle aus dem Jahre 1958 206 grundlegend neugefaßt. Die Art. 33 und 34 nl. StGB wurden geändert und Art. 33 bis nl. StGB a. F. durch die Art. 33 a, 33 b und 33 c nl. StGB ersetzt 207 . Die Vollstreckung der Einziehung geschieht auf die gleiche Weise wie bei der Geldstrafe. Dazu werden die Gegenstände, wenn sie nicht beschlagnahmt sind, i n der richterlichen Entscheidung auf einen bestimmten Geldbetrag geschätzt (Art. 34 nl. StGB). Die Entziehung bestimmter Rechte ist durch den niederländischen Gesetzgeber nicht als entehrende Nebenstrafe, sondern als M i t t e l gedacht, den Täter daran zu hindern, i n Zukunft solche Straftaten zu begehen. Die bedeutsamsten Rechte, die dem Schuldigen nach Art. 28 nl. StGB entzogen werden können, sind: 1. das Bekleiden von Ämtern oder bestimmter Ä m t e r 2 0 8 ; 2. das Dienen bei den Streitkräften; 3. das aktive und passive Wahlrecht bei gesetzlich ausgeschriebenen Wahlen und 4. die Ausübung bestimmter Berufe 2 0 9 . 206 Ausführlicher ist darüber i m Rahmen der Entwicklung des Strafgesetzbuchs i n § 3 auf S. 30 f. berichtet. Siehe insbes. auch A n m . 32 u n d 33. 207 Außerdem wurde durch diese Novelle die besondere Maßregel der E n t ziehung beschlagnahmter Gegenstände aus dem Verkehr eingeführt. Sie kann entweder i m Endurteil selbst oder durch eine besondere richterliche Verfügung ausgesprochen werden (Art. 36 a - c nl. StGB). 208 A m t bezeichnet ein öffentlich-rechtliches Anstellungsverhältnis, i n das man durch die Staatsgewalt berufen ist, u m einen T e i l der Aufgaben des Staates oder seiner Organe zu verrichten. Die Strafe besteht nicht i n der Entziehung des Amtes selbst, obgleich der bisherige Amtsträger nach der Entziehung dieses Rechtes das A m t unrechtmäßig bekleidet.
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Das niederländische Strafrecht
Die Dauer der Entziehung w i r d vom Richter innerhalb eines M i n i mums von zwei und eines Maximums von fünf Jahren festgesetzt 210 ; die Laufzeit beginnt m i t dem Tag, an dem das Urteil vollstreckt werden kann (Art. 31 nl. StGB). Die Veröffentlichung eines Richterspruchs ist ebenfalls nicht als entehrende Nebenstrafe, sondern als M i t t e l gedacht, die Öffentlichkeit vor dem Straftäter zu warnen. Die Nebenstrafen der Entziehung von Rechten und der Veröffentlichung eines Richterspruchs können nur für die Straftaten auferlegt werden, bei denen das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt.
§ 38 Die bedingte Verurteilung
Die sog. bedingte Verurteilung wurde i m Jahre 1915 in das niederländische Straf recht eingefügt. Sie beruht auf zwei Gedanken: einerseits w i l l man dadurch die kurzen Freiheitsstrafen einschränken (negativ), andererseits die Besserung des Straftäters durch dessen eigene Anstrengung erreichen (positiv). Die niederländische Regelung nimmt zwischen dem negativen belgisch-französischen System und dem positiven angelsächsischen einen Zwischenstandpunkt ein. Ebenso wie in Belgien und Frankreich legt der Richter eine Strafe auf, er ordnet aber dabei an, daß sie nicht vollstreckt werden wird, wenn sich der Verurteilte während der Bewährungszeit an die i m Gesetz aufgestellten allgemeinen Bedingungen hält, nämlich weitere Straftaten unterläßt und — wie später hinzugefügt wurde — auch sonst sich gut führt. Ebenso wie i m angelsächsischen System hat der niederländische Richter nach Art. 14 c nl. StGB die Befugnis, darüber hinaus dem Straftäter besondere Bedingungen für sein Verhalten zu stellen und ihn einer besonderen Aufsicht nach Art. 14 d nl. StGB zu unterwerfen (Probation). Dieser positive Aspekt wurde durch eine Novelle aus dem Jahre 1929 verstärkt, durch die die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Strafe teilweise unbedingt, teilweise bedingt aufzuerlegen. Dabei stehen heute zwei Wege offen: entweder w i r d eine Hauptstrafe i n einen bedingten und einen unbedingten Teil getrennt oder einer bedingt auferlegten Freiheitsstrafe w i r d nach Art. 14 a nl. StGB eine unbedingte Geldstrafe hinzugefügt. 209 Hier ist nicht w i e bei einem A m t die Möglichkeit gegeben, jemandem das Recht zur Ausübung aller Berufe zu entziehen. Der Gesetzgeber w i l l den Straftäter nicht brotlos machen. 210 Bei lebenslänglicher Gefängnisstrafe erfolgt sie auf Lebenszeit.
§ 38 Die bedingte Verurteilung
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Das Gesetz nennt die Voraussetzungen nicht, unter denen der Angeklagte bedingt verurteilt werden kann. Es beschränkt sich darauf, diese Möglichkeit bei einer Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe von höchstens einem Jahr, zu Haft oder zu Geldstrafe einzuräumen. Die bedingte Verurteilung kann auch die Nebenstrafen betreffen. Nichterfüllung der allgemeinen oder besonderen Bedingungen braucht nicht zur Vollstreckung der bedingt auferlegten Strafe zu führen. Die Staatsanwaltschaft braucht nämlich keinen diesbezüglichen Antrag zu stellen und, wenn sie einen Antrag stellt, hat der Richter die Wahl, diesen Antrag nicht weiter zu behandeln, sofern er nach summarischer Kenntnisnahme der Akten dazu Veranlassung hat (Art. 14 i nl. StGB), während der Bewährungszeit die Bedingungen oder die besondere Aufsicht zu ändern (Art. 14 g nl. StGB), den Verurteilten zu verwarnen oder die Vollstreckung des Urteils anzuordnen (Art. 14 h nl. StGB). Der Entscheidung des Richters geht ein summarisches Verfahren voraus, bei dem der bedingt Verurteilte Partei ist. Die bedingte oder teilweise bedingte Verurteilung hat einen großen Aufschwung genommen. Bei den Bezirksgerichtssachen (im allgemeinen Verbrechen) schwankt die Anzahl zwischen ungefähr 40 und 50 °/o der gesamten Anzahl der nach dem Gesetz für die bedingte Verurteilung in Betracht kommenden Strafsachen.
Zweiter Abschnitt Besondere Strafen und Maßregeln für bestimmte Personengruppen
Eine Differenzierung i n der strafrechtlichen Behandlung bestimmter Gruppen von Straftätern infolge der Individualisierungstendenz vollzog sich i n den Niederlanden seit Beginn dieses Jahrhunderts i n bezug auf drei Gruppen. Die erste Gruppe bilden die Jugendlichen, i m allgemeinen Straftäter, die das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht haben. I n der zweiten Gruppe werden die sogenannten Psychopathen zusammengefaßt, d. h. Straftäter, die während der Tatbegehung in ihren geistigen Fähigkeiten mangelhaft entwickelt oder krankhaft gestört waren, ohne daß sie jedoch als geisteskrank angesehen werden können. Als dritte Gruppe werden die gefährlichen Rückfalltäter oder auch Berufs- und Gewohnheitsverbrecher erfaßt.
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Das niederländische Strafrecht § 39 Die strafrechtliche Behandlung von Jugendlichen
Sonderbestimmungen über jugendliche Straf täter waren schon i m Gesetzbuch von 1881 und sogar bereits in dem i h m vorangehenden Code pénal enthalten. Die Novelle von 1901, die 1905 in K r a f t trat, brachte aber eine tiefgreifende Änderung, die dahin zusammengefaßt werden kann, daß auf diese Straftäter die allgemeinen Rechtsfolgen des Strafgesetzbuchs nicht mehr angewendet wurden. Die Grundzüge dieser Regelung waren folgende: der jugendliche Täter konnte entweder seinen Eltern wieder anvertraut werden (Art. 38 nl. StGB a. F.), oder bis höchstens zum einundzwanzigsten Lebensjahr „der Regierung zur Verfügung gestellt werden" (Art. 39 ff. nl. StGB a. F.). Beide Möglichkeiten wurden als Maßregel und nicht als Strafe angesehen. Wenn diese Maßregeln nicht auferlegt wurden, konnte der jugendliche Straftäter entweder mit einem Verweis, mit einer Geldstrafe bis zum Höchstbetrag von neunzig Gulden oder mit der Unterbringung i n einer Erziehungsanstalt bis zu höchstens einem Jahr (Art. 39 septies nl. StGB a. F.) bestraft werden. Für diese Maßregeln und Strafen hatte der Gesetzgeber noch verschiedene Altersgrenzen festgelegt. Der Richter bestimmte den Betrag der Geldstrafe und die Dauer des Verbleibs in der Erziehungsanstalt. Die Bestimmungen der Novelle von 1901 sind inzwischen wiederholt geändert und 1961 vollständig neugefaßt worden. Als wichtigste Änderungen vor dieser Neufassung sind drei Novellen aus den zwanziger Jahren zu erwähnen: I m Jahre 1921 wurde eine Maßregel eingeführt, mit der der jugendliche S traf täter unter Aufsicht gestellt werden konnte. Sie war neben einer der oben genannten Maßregeln oder Strafen möglich (Art. 38 decies nl. StGB a. F.). Seit dem Jahre 1922 konnte die Maßregel, den jugendlichen Straftäter „der Regierung zur Verfügung zu stellen", auch bedingt ausgesprochen werden (Art. 39 bis nl. StGB a. F.) ; auch wurde die Unterbringung i n einer Erziehungsanstalt ausgeweitet (Art. 39 octies nl. StGB a. F.). Die dritte bedeutsame Änderung i m Jahre 1929 brachte u. a. die bedingte Freistellung von der Unterbringung i n der Erziehungsanstalt (Art. 39 novies nl. StGB a. F.). Auf die mit der Neufassung des Jugendstraf rechts von 1961 verbundenen Reformen wurde bereits i m Rahmen der Darstellung der Entwicklung des niederländischen Strafgesetzbuchs eingegangen, so daß hier lediglich noch einige allgemeine Bemerkungen über die jetzt geltende Regelung und ihre Handhabung anzufügen sind. Das heutige Jugendstraf recht w i r d sowohl i n den Strafen wie auch i n den Maßregeln vollständig durch den Erziehungsgedanken beherrscht. Die Aufrechterhaltung der Unterscheidung von Strafen und Maßregeln ist
§ 39 Die strafrechtliche Behandlung von Jugendlichen
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deshalb zumindest für diesen Bereich des Strafrechts unbegründet und begegnet Bedenken. A m häufigsten w i r d die Geldstrafe verwendet, die jedoch dank ihrer begrenzten Höhe 2 1 1 , der Möglichkeit ihrer Aussetzung zur Bewährung und der regelmäßigen Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Jugendlichen und der Familie, i n der er lebt, vornehmlich unter erzieherischen Gesichtspunkten auferlegt wird. W i r d der Betrag nicht gezahlt und kann er auch nicht aus dem Vermögen oder Einkommen des Verurteilten beigetrieben werden, kann der ausstehende Betrag auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch Arrest oder Verweis ersetzt werden. Selbst der als besondere Form der Freiheitsstrafe neu eingeführte Arrest hat als „sharp short shock" i n erster L i nie Erziehungswert, zumal der Jugendrichter anordnen kann, daß er innerhalb von zwei Monaten in Raten vollstreckt werden kann. Der als Strafe vorgesehene Verweis und die als Maßregel vorgesehene Anordnung der Jugendaufsicht, mit der ein Vormund beauftragt wird, verzichten ihrer Natur nach schon auf den Freiheitsentzug, doch auch alle anderen eigentlich mit Freiheitsentzug verbundenen Strafen (Arrest und Einweisung in eine Erziehungsanstalt) und Maßregeln (Einweisung in eine Heil- oder Pflegeanstalt und Einweisung i n eine Anstalt für Sonderbehandlung) können zur Bewährung ausgesetzt werden. Daß von dieser Möglichkeit vielfach Gebrauch gemacht wird, liegt i n der Linie der seit dem Kriege zu beobachtenden Zurückhaltung der niederländischen Strafgerichtsbarkeit bei der Anwendung freiheitsentziehender Sanktionen. Aufgrund dieses zurückhaltenden Einsatzes der strafrechtlichen Sanktionsmittel steht heute bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität der (zivilrechtliche) Jugendschutz i m Vordergrund 2 1 2 . Die Jugendlichen haben in den Niederlanden einen beachtlichen und stets wachsenden Anteil an den bekanntwerdenden Beschuldigten 213 . Sie stellten 1973 25 °/o der insgesamt bekanntgewordenen Beschuldigten. Davon entfielen 93 °/o auf männliche und 7 °/o auf weibliche Jugend211 Nach A r t . 77 ο nl. StGB k a n n sie zwischen fünfzig Cent und einhundertundfünfzig Gulden festgesetzt werden. Z u Vorstellungen einer Neufestsetzung dieser Grenzen vgl. Ziff. 10 des oben wiedergegebenen Reformkatalogs der Kommission Vermögensstrafen (S. 38 ff.). 212 Danenben w i r d aber die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des J u gendstrafrechts ausdrücklich bejaht. Vgl. J. C. Hudig, Is straf recht voor k i n deren nog nodig? I n : T. v. S. L X X I I (1963), S. 409. 213 I n den Jahren 1971 bis 1973 w u r d e n insgesamt 118 924; 126 414 und 130 731 Personen bekannt, die nach Einschätzung der Polizei der Begehung eines Verbrechens beschuldigt wurden. Gegenüber dem jeweiligen V o r j a h r bedeutete dies eine Zunahme von 7; 6 u n d 3 % . Die Zahl der jugendlichen Beschuldigten ist demgegenüber m i t Zuwachsraten von 10; 9 u n d 5 % überdurchschnittlich stark angewachsen. Quelle: Jahresbericht der Staatsanwaltschaft 1973, Anlage I V zum Reichshaushalt 1975, a.a.O. (Anm. 6), S. 32.
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Das niederländische Strafrecht
liehe 214 . Bei der justiziellen Behandlung der Jugendstrafsachen fällt auf, daß von der Möglichkeit der Einstellung von Strafsachen aufgrund des allgemein geltenden Opportunitätsprinzips bei der Strafverfolgung gegenüber Jugendlichen großzügiger Gebrauch gemacht w i r d als gegenüber Erwachsenen 215 . So wurden 1971, obgleich insgesamt 28 282 jugendliche Beschuldigte bekanntgeworden waren, vom für ihre Straftaten zuständigen Jugendrichter am Bezirksgericht lediglich 6863 Entscheidungen gefällt. 6452 (94 %) Verfahren endeten m i t einer Verurteilung oder einem Schuldspruch, d. h. nur etwa ein Viertel der bekanntgewordenen jugendlichen Beschuldigten w i r d vom Richter in einem Gerichtsverfahren schuldig gesprochen 216 . § 40 Geisteskranke und Psychopathen
Das Gesetzbuch von 1881 eröffnete die Möglichkeit, Straf täter, die wegen mangelnder Entwicklung oder krankhafter Störung ihrer Geistesfähigkeiten nicht zurechnungsfähig sind, i n einer Anstalt für Geisteskranke i n Verwahrung zu nehmen (Art. 37 Abs. 2 nl. StGB). Wiederholt zeigte sich aber, daß diese geistig unentwickelten oder gestörten Straftäter i n einer Anstalt für Geisteskranke nicht am rechten Platz waren. Nach niederländischem juristischen Sprachgebrauch werden Personen, die weder geisteskrank noch geistig gesund sind, Psychopathen genannt. Die sogenannte Psychopathenfrage wurde nach mehreren Anläufen seit Beginn dieses Jahrhunderts durch eine Novelle aus dem Jahre 1925, die 1928 i n K r a f t trat, strafrechtlich geregelt. Eine Erweiterung brachte das Grundsatzgesetz über das Gefängniswesen von 1951. Die gesetzliche Regelung ist heute i n den Art. 37 Abs. 3 neben Art. 37 a - j nl. StGB zu finden 2 1 7 . Zum richtigen Verständnis der heutigen Regelung muß man zwei Unterscheidungen i m Auge behalten. Zuerst ist zwischen Geisteskranken und Psychopathen zu unterscheiden. Beide sind i m Sinne von A r t . 37 ff. nl. StGB i n ihren geistigen Fähigkeiten mangelhaft ent214
Quelle: Ebenda. Obgleich die Jugendlichen 1971 23,7% der bekanntgewordenen Beschuldigten stellten, betrug der A n t e i l der eingestellten Jugendstrafsachen 28,3% der Gesamteinstellungen. Quelle: Justitiële Statistiek 1971, Den Haag 1973, S. 17 Tabelle 10. 216 Entnommen u n d berechnet aus der i n A n m . 213 genannten Quelle und der Justitiële Statistiek 1971, a.a.O. (Anm. 215), S. 18. Es handelt sich n u r u m einen Annäherungswert, w e i l die A n z a h l der Beschuldigten u n d der Verfahren differieren können u n d zeitliche Verschiebungen zwischen Bekanntwerden u n d Erledigung der Straftat nicht berücksichtigt sind. 217 Hinsichtlich der geplanten Reform durch den eingebrachten Gesetzentw u r f von 1972 (Anm. 50) sei auf die obigen Ausführungen auf S. 35 f. verwiesen. 215
§ 40 Geisteskranke u n d Psychopathen
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wickelt oder krankhaft gestört. Die Geisteskranken gehören aber i n eine Anstalt für Geisteskranke (heute spricht man eher von einer psychiatrischen Krankenanstalt), die Psychopathen dagegen sind nicht unbedingt i n eine solche Anstalt einzuweisen, obgleich jemand nach dem Gesetz zugleich als Psychopath und Geisteskranker behandelt werden kann (Art. 37 Abs. 3 i. V. m. A r t . 37 a Abs. 2 nl. StGB). Zweitens ist zwischen zurechnungsunfähigen und zurechnungsfähigen Straftätern zu unterscheiden. Die Geisteskranken werden vom Gesetzgeber offenbar ohne weiteres als zurechnungsunfähig angesehen. Nur zurechnungsunfähige Straftäter können nämlich vom Strafrichter i n eine psychiatrische Krankenanstalt eingewiesen werden (Art. 37 Abs. 2 nl. StGB). Psychopathische Straftäter sind entweder zurechnungsunfähig oder zurechnungsfähig. Für sie wurde durch das Gesetz von 1925 eine besondere Maßregel eingeführt, die ebenso wie bei jugendlichen Straftätern wörtlich „der Regierung zur Verfügung stellen" genannt, hier jedoch m i t Einweisung bzw. Unterbringung i n einer Heil- oder Pflegeanstalt übersetzt wird. Sie werden der Regierung zur Verfügung gestellt, nicht um von Staats wegen erzogen, sondern versorgt zu werden (Art. 37 Abs. 3 und 37 a Abs. 2 nl. StGB). Der Gesetzgeber hat ausdrücklich den Unterschied zwischen zurechnungsunfähigen und zurechnungsfähigen psychopathischen Straftätern aufrechterhalten wollen; das zeigt sich an der Bestimmung, daß zurechnungsfähige Psychopathen, auch wenn sie der Regierung zur Verfügung gestellt werden, daneben bestraft werden (Art. 37 a Abs. 1 nl. StGB). Die neue Maßregel der Unterbringung i n einer Heil- oder Pflegeanstalt nimmt i n der Psychopathengesetzgebung eine zentrale Stellung ein. Sie kann ausgesprochen werden, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Der Straftäter muß sich eines Verbrechens oder einer Übertretung der Bettelei, Landstreicherei, Zuhälterei oder gewisser Formen strafbarer Trunkenheit schuldig gemacht haben. Weiterhin muß er zur Zeit der Tat i n seinen geistigen Fähigkeiten mangelhaft entwickelt oder krankhaft gestört gewesen sein. Schließlich darf die Maßregel nur angewendet werden, wenn sie i m Interesse der öffentlichen Ordnung unbedingt erforderlich ist (Art. 37 und 37 a nl. StGB). Die Dauer der Maßregel beträgt unbeschadet jederzeitiger Beendigung von Regierungs wegen zwei Jahre, kann aber vom Richter immer wieder um ein oder zwei Jahre verlängert werden (Art. 37 b nl. StGB). Die Maßregel kann auch bedingt ausgesprochen, d. h. unter bestimmten Auflagen zur Bewährung ausgesetzt werden (Art. 37 d nl. StGB). Wenn ein psychopathischer Straftäter zurechnungsfähig ist, muß er gleichzeitig bestraft werden. Der Justizminister kann allerdings Häftlinge, die zu einer Gefängnisstrafe oder zur Unterbringung in einem staatlichen
Das niederländische Strafrecht
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Arbeitshaus verurteilt sind, jedoch aufgrund mangelnder Entwicklung oder krankhafter Störung ihrer geistigen Fähigkeiten sich für einen Aufenthalt i n diesen Anstalten nicht eignen, in eine staatliche Heiloder Pflegeanstalt einweisen (Art. 13 Buchst, c nl. GrundsatzG über das Gefängnis wesen). Die staatliche Versorgung von Psychopathen erfolgt entweder in einer staatlichen oder einer privaten Einrichtung oder auch nach Art. 91 ff. und 111 ff. Psychopathenreglement von 1928 218 in einer Familie. Nach Art. 37 c nl. StGB gebührt der privaten Versorgung der Vorzug vor der staatlichen. Über die tatsächliche Anwendung der aufgrund der Art. 37 ff. nl. StGB möglichen Maßregeln informiert die nachfolgende Tabelle. Danach wurden 1971 dreißigmal die Einweisung in eine psychiatrische Krankenanstalt und i n 254 Fällen die Unterbringung i n einer Heil- oder Pflegeanstalt angeordnet. I n knapp der Hälfte der 254 Fälle wurde die Unterbringung i n einer Heil- oder Pflegeanstalt zur Bewährung ausgesetzt. Den weit überwiegenden Anteil an den insgesamt 272 verhängten Maßregeln haben die durch verminderte Zurechnungsfähigkeit veranlaßten Anordnungen (87 °/o), während die Fälle, i n denen die Tat wegen Zurechnungsunfähigkeit straflos blieb, lediglich 13 °/o ausmachten. Anwendung der Art. 37 und 37a nl. StGB im Jahre 1971 210 psychiatr. Krankenanstalt
H e i l - oder Pflegeanstalt ohne mit insg. Bewährung Bewährung
Art. 37 Abs. 1 nl. StGB ohne eine Maßregel m i t Einweisung i n eine psychiatrische Krankenanstalt (Art. 37 Abs. 2 nl. StGB)
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m i t beiden Maßregeln (Art. 37 Abs. 2 u. 3 nl. StGB) A r t . 37 nl. StGB insgesamt
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A r t . 37 a nl. StGB A r t . 37 u. 37 a nl. StGB insgesamt
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m i t Unterbringung i n einer H e i l - oder Pflegeanstalt (Art. 37 Abs. 3 nl. StGB)
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218 Psychopathenreglement (Psychopathenverordnung) v o m 28. September 1928, StBl. 386 i. d. F. der letzten Änderung durch VO v o m 18. März 1955, StBl. 129. 219 Die Tabelle wurde aus Enschedé / Heijder, Beginselen van strafrecht, a.a.O. (Anm. 194), S. 157 übernommen.
§42 Die Reklassierung
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§ 41 Gefährliche Rückfalltäter
I m Jahre 1929 wurde ein Gesetzentwurf angenommen, der eine neue Maßregel der Sicherungsverwahrung für gefährliche Rückfalltäter brachte. Die Regelung findet sich in Art. 43 bis und 43 ter nl. StGB. Die Dauer der Verwahrung w i r d vom Richter i n den Grenzen von mindestens fünf und höchstens zehn Jahren bestimmt. Die Erfordernisse für die Anwendung dieser Maßregel sind i m Gesetz i n Verbindung m i t der Schwere der für die letzte Straftat auferlegten Gefängnisstrafe und der Schwere und der Anzahl der vorhergehenden Verurteilungen zu einer Gefängnisstrafe festgelegt. Eine weitere Erörterung dieser Bestimmungen erübrigt sich, weil das Gesetz von 1929 bis heute nicht i n K r a f t getreten ist. Es scheint sehr unwahrscheinlich, daß dies jemals geschehen wird, denn i n Art. 19 nl. GrundsatzG über das Gefängniswesen w i r d bestimmt, daß der Minister ein oder mehrere Gefängnisse zur Aufnahme von männlichen Berufsoder Gewohnheitsverbrechern benennt. Nach den Gesetzesmaterialien soll diese Vorschrift dem Ziel dienen, zu einer Lösung des Problems dieser Straftäter zu gelangen. Die Sicherungsverwahrung ist damit wohl abgeschrieben. Dritter Abschnitt Institutionen zur Rehabilitation des Straf täters § 42 Die Reklassierung
Das niederländische strafrechtliche Sanktionensystem ist eng mit der sogenannten Reklassierung verknüpft. Hierunter w i r d die organisierte Bewegung verstanden, die einerseits die zuständigen staatlichen Stellen mit Hintergrundinformationen über Personen versorgt, die einer Straftat beschuldigt werden, und andererseits Personen, die einer Straftat beschuldigt oder wegen einer Straftat verurteilt sind, Unterstützung (ausgenommen Rechtsbeistand) gewährt (Art. 1 Reklassierungsordnung 1970 220 ). Die Reklassierungsbewegung ist aus privater Initiative hervorgegangen. Die erste große Vereinigung stammt schon aus dem Jahre 1823: die Genossenschaft zur sittlichen Verbesserung von Gefangenen 221. 220 Reclasseringsregeling (Reklassierungsordnung) vom 9. Dezember 1969 (1. Januar 1970), StBl. 598. 221 Genootschap tot zedelijke verbetering van gevangenen. I m Gefolge veränderter Zielsetzung änderte sie 1946 ihren Namen i n : Genossenschaft f ü r Reklassierung (Genootschap voor reclassering).
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Das niederländische Strafrecht
Ihre Begründer haben sich anfänglich vornehmlich der karitativen A r beit i n den Gefängnissen und der materiellen Hilfe für entlassene Gefangene gewidmet. Die Informationstätigkeit für die Justiz trat erst Anfang dieses Jahrhunderts allmählich hinzu und die Einschaltung als Bewährungshelfer für bedingt verurteilte oder vorzeitig entlassene Straftäter mit der Einführung der bedingten Verurteilung i m Jahre 1915. I m Laufe der Zeit sind zahlreiche weitere Reklassierungsvereinigungen gegründet worden: so etwa durch van Hamel 1896 die Vereinigung Pro Juventute; 1905 die Abteilung Reklassierung der Heilsarmee; 1916 die Katholische und 1928 die Protestantisch-Christliche Reklassierung sv er einigung. Die moderne Entwicklung, die eine weitgehende Professionalisierung der Reklassierungsarbeit m i t sich brachte, hat schließlich 1973 zum Zusammenschluß verschiedener auf Landesebene arbeitender Reklassierungsvereinigungen i n der Stiftung zusammenarbeitender Reklassierung sv er einigung en (Stichting samenwerkende Reclasseringsinstellingen) geführt. Der rechtliche Rahmen für die Organisation der Reklassierung, die heute vollständig aus öffentlichen Mitteln finanziert w i r d 2 2 2 , ist in der erwähnten Reklassierungsordnung von 1970 neu geregelt worden. Danach sind bei jedem Bezirksgericht Reklassierungsräte von höchstens zwölf Mitgliedern eingerichtet. Dazu zählen je ein Vertreter der Richterschaft, der Staatsanwaltschaft, der Gefängnisverwaltung und vier Vertreter der Reklassierungsvereinigungen sowie ein dem Justizministerium verbundener Distriktpsychiater. Der Rat verfolgt die Entwicklung der Reklassierung, ergreift Initiativen i n ihrem Interesse und fördert die Zusammenarbeit der i m Gerichtsbezirk tätigen Reklassierungseinrichtungen untereinander und m i t den Organen der Strafrechtspflege. Darüber hinaus gibt es einen Zentralrat für Gefängniswesen, Psychopathenpflege und Reklassierung (Centrale Raad van Advies voor het Gevangeniswezen, de Psychopathenzorg en de Reclassering), in dem wiederum Angehörige der Reklassierungseinrichtungen und der Justiz vertreten sind. A u f dem Gebiet des Jugendschutzes fungiert eine besondere Institution, nämlich das Beratungskollegium für den Jugendschutz (College van Advies voor de Kinderbescherming) als allgemeines Beratungsorgan bei der strafrechtlichen (und privatrechtlichen) Behandlung Jugendlicher.
222 1974 wurden i m Reichshaushalt fünfzig Millionen Gulden für die Reklassierungsarbeit ausgewiesen, w o v o n dreiundvierzig M i l l i o n e n zur D e k kung der Personalkosten benötigt wurden. Vgl. Enschedé / Heijder, Beginselen van strafrecht, a.a.O. (Anm. 194), S. 63.
§ 43 Das Strafregister
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§ 43 Das Strafregister
Die ursprünglich durch Königliche Verordnung von 1896 eingeführten Strafregister waren dazu bestimmt, der Justiz und evtl. auch anderen Dienststellen Auskünfte über die justizielle Vergangenheit von Personen zu verschaffen, die mit der Justiz i n Berührung gekommen waren. Sie enthielten regelmäßig alle unwiderruflichen Verurteilungen wegen Verbrechen (und wegen einzelner weniger Übertretungen). Anfangs blieben diese Verurteilungen bis zum 80. Lebensjahr des Verurteilten i m Strafregister aufgezeichnet. Dies hatte oft eine verhängnisvolle Bedeutung für diejenigen, die vom Bürgermeister ein polizeiliches Führungszeugnis i m Zusammenhang mit einer Ernennung oder mit der Emigration usw. erhalten wollten. Die Führung des Strafregisters und die Erteilung von Auskünften daraus ist jetzt i m Gesetz über die justizielle Dokumentation und über Führungszeugnisse von 1955 223 geregelt. Dieses Gesetz ist am 1. Januar 1959 i n Kraft getreten. Die Straf register enthalten heute die unwiderruflichen Verurteilungen wegen Verbrechen und wegen Bettelei, Landstreicherei und Zuhälterei sowie wegen anderer Übertretungen, wenn dafür Freiheitsstrafen verhängt sind. Einer Verurteilung steht es gleich, wenn der Täter nach Art. 37 Abs. 3 nl. StGB i n einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht wurde. Der Vermerk einer Verurteilung w i r d nach Ablauf von vier Jahren aus dem Strafregister entfernt. Wurde eine Gefängnisstrafe oder die Unterbringung i n einem staatlichen A r beitshaus verhängt, beträgt die Frist acht Jahre, bei bedingter Verurteilung oder bei Verurteilung von strafrechtlich Minderjährigen zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Monaten und bei Verurteilung zu einer i n einem Jugendgefängnis zu verbüßenden Gefängnisstrafe vier Jahre. Solange noch eine andere Verurteilung i m Strafregister aufgezeichnet ist, bleibt der Vermerk auch nach Ablauf der genannten Fristen bestehen. Auskünfte aus dem Strafregister werden an niederländische richterliche Beamte, den Justizminister und innerhalb bestimmter Grenzen an Einrichtungen der Reklassierung und des Jugendschutzes gegeben. Die Generalstaatsanwälte bei den Gerichtshöfen können ebenfalls i n bestimmten Grenzen aus den Auskünften des justiziellen Dokumentationsdienstes Mitteilungen an andere Personen weitergeben, die m i t öffentlichen Aufgaben betraut sind. Auszüge aus dem Strafregister werden auch dem Bürgermeister zum Zwecke der Abgabe von Führungszeugnissen ausgehändigt. 223 ^ e t 0 p justitiële documentatie en op de verklaringen omtrent het gedrag (Gesetz über die justizielle Dokumentation u n d Führungszeugnisse) v o m 15. Aug. 1955, StBl. 395 i. d. F. der letzten Änderung durch Gesetz v o m 8. A p r i l 1976, StBl. 229. 9 Ausländisches Strafrecht V
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Das niederländische Strafrecht
Drittes
Kapitel
Die Strafverfolgungs- und Strafvollstreckungsvoraussetzungen Die Strafverfolgungsvoraussetzungen sind i n den Niederlanden im Gegensatz zu früher nicht mehr i m Strafverfahrens-, sondern i m Strafgesetzbuch geregelt. Das gleiche gilt für die Strafvollstreckungsvoraussetzungen. Sie sind i m Titel V I I I des Ersten Buches nl. StGB unter der Überschrift behandelt: „Erlöschen des Rechts zur Strafverfolgung und der Strafe." Daneben gibt es noch einige Bestimmungen über die Verfolgbarkeit i n anderen Titeln des Ersten Buches: unter Titel I die Art. 2 - 8 nl. StGB über den örtlichen Geltungsbereich des Straf rechts; unter Titel V die Art. 53 und 54 nl. StGB über die Pressedelikte und unter Titel V I I die Art. 64 ff. nl. StGB über Antragsdelikte. Amnestie und Begnadigung sind i m nl. Grundgesetz geregelt. § 44 Die Verfolgbarkeit
Verfolgbarkeit und Strafbarkeit liegen nahe beieinander. Ob die i m Strafgesetz genannten Umstände der Verfolgbarkeit oder der Strafbarkeit zuzurechnen sind, entscheidet der Gesetzgeber. Als allgemeine Richtschnur kann hier gelten, daß diejenigen Umstände zur Strafbarkeit zu zählen sind, die Bezug zur Zweckmäßigkeit der Strafe haben; zur Verfolgbarkeit gehören demgegenüber diejenigen, die die Zweckmäßigkeit des Strafverfahrens und insbesondere die Frage betreffen, ob der Prozeß erwünscht ist. Ein deutliches Beispiel liefert der für die Verfolgung einer Beleidigung erforderliche Antrag. Der Gesetzgeber hat den Antrag als Verfolgungsvoraussetzung für dieses Delikt verlangt, weil schon das Strafverfahren gegen den Beleidiger selbst für die Ehre und den guten Namen der beleidigten Partei schädlich sein kann und der Gesetzgeber es deshalb von dessen Antrag abhängen lassen wollte, ob dieses Verfahren stattfinden soll oder nicht. Bei verschiedenen Delikten ist indes sowohl die Strafe als auch das Strafverfahren unerwünscht. Es steht dann i m Ermessen des Gesetzgebers, ob er Voraussetzungen für die Strafbarkeit oder für die Verfolgbarkeit aufstellen w i l l . Zwischen Strafbarkeit und Verfolgbarkeit bestehen erhebliche Unterschiede i n den Rechtsfolgen. Die Vorschrift des Art. 1 nl. StGB, daß eine Tat nur kraft einer ihrer Begehung zeitlich vorausgehenden gesetzlichen Bestimmung strafbar sein kann, bezieht sich allein auf die Strafbarkeit und nicht auf die Verfolgbarkeit. I n einem solchen Fall ergeht ein Sachurteil, der Angeklagte w i r d aus der Rechtsverfolgung
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Die V o l b a r k e i t
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entlassen (Art. 352 Abs. 2 nl. StPO). Wenn der Richter indes zu dem U r teil gelangt, daß eine Verfolgungsvoraussetzung fehlt, weist er die Strafklage des Staatsanwalts als unzulässig ab. Damit w i r d nicht über die Tat selbst entschieden, so daß diese Entscheidung, selbst wenn sie rechtskräftig ist, nach Art. 68 nl. StGB einer neuen Verfolgung nicht i m Wege steht. I m Strafgesetzbuch kommen die nachfolgenden allgemeinen Bestimmungen über die Verfolgbarkeit vor: (1) Bestimmungen über den Anwendungsbereich des niederländischen Strafgesetzes i n den Art. 2 - 8 nl. StGB 2 2 4 . Die Umstände, die das niederländische Strafrecht vor allem für i m Ausland begangene Straftaten anwendbar machen, werden i n Rechtsprechung und Literatur i m Anschluß an die Wendung i n A r t . 5 Abs. 3 nl. StGB: „die Verfolgung kann auch stattfinden . . . " als Verfolgungsvoraussetzungen angesehen 225 . Der niederländische Gesetzgeber geht von der Regel aus, daß das niederländische Strafgesetz auf jedermann anwendbar ist, der innerhalb der Niederlande eine Straftat begeht (Art. 2 nl. StGB). Man könnte dies auch Territorialitätsgrundsatz nennen. Ganz richtig ist diese Bezeichnung jedoch nicht. Dieser Grundsatz beruht nämlich auf der Souveränität der niederländischen Staatsgewalt über alle Personen, die sich innerhalb des niederländischen Reichsgebiets befinden. Nach Art. 2 nl. StGB kann aber das niederländische Strafgesetz auch auf eine Person angewendet werden, die sich zur Tatzeit außerhalb der Niederlande aufgehalten hat. Nach dem Wortlaut ist nämlich nicht der A u f enthaltsort des Straftäters, sondern der Tatort entscheidend. Ständiger Rechtsprechung zufolge kann man sich außerhalb der Niederlande befinden und sich dennoch einer Straftat innerhalb der Niederlande schuldig machen, und zwar dadurch, daß das verwendete Tatmittel sich auf niederländischem Boden auswirkt und eine Handlung zu einer Straftat werden läßt. Als Beispiel aus der Rechtsprechung kann der Fall angeführt werden, daß ein beleidigender Brief vom Ausland an jemanden in die Niederlande gesendet w i r d 2 2 6 . I n solchen Fällen werden als Tatort sowohl der Ort angesehen, an dem der Straf täter handelte, als auch der, an dem sich das Tatmittel ausgewirkt hat. Wenn das nie224 Diese Vorschriften werden m i t u n t e r auch als internationales Strafrecht bezeichnet. Der Begriff ist jedoch irreführend, denn es handelt sich u m nationales Recht, das v o m niederländischen Gesetzgeber über die Anwendbarkeit des niederländischen Strafrechts insbesondere für Straftaten erlassen ist, die außerhalb der Niederlande begangen sind. 225 H. R., U r t e i l v o m 22. J u n i 1931, N. J. 1931, S. 1252. 2 e - H. R., U r t e i l vom 5. Februar 1934, N. J. 1934, S. 749.
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Das niederländische Strafrecht
derländische Strafgesetz angewendet wird, weil das Tatmittel sich i n den Niederlanden auswirkte, während sich der Straftäter i m Ausland aufhielt, kann nicht das oben genannte Territorialitätsprinzip, sondern muß das (nationale) Schutzprinzip Grundlage sein. A u f demselben Grundsatz wie Art. 2 nl. StGB beruht Art. 3 nl. StGB, wonach das niederländische Strafgesetz auf jedermann außerhalb der Niederlande anwendbar ist, der sich an Bord eines niederländischen Schiffes oder Luftfahrzeugs einer Straftat schuldig macht. Ebenso wie Art. 3 nl. StGB enthalten auch die A r t . 4 - 7 nl. StGB Erweiterungen von A r t . 2 nl. StGB für Straftaten, die außerhalb der Niederlande begangen sind. Art. 5 - 7 nl. StGB beruhen auf dem Personalitätsprinzip: Das niederländische Strafgesetz kann angewendet werden, wenn sich ein Niederländer außerhalb der Niederlande einer Tat schuldig macht, die nach niederländischem Strafgesetz als Verbrechen angesehen w i r d und auch nach dem am Tatort geltenden Gesetz mit Strafe bedroht ist (Art. 5 Abs. 1 Ziff. 2 nl. StGB). Eine Verfolgung kann auch dann stattfinden, wenn der Angeklagte erst nach der Tatbegehung Niederländer w i r d (Art. 5 Abs. 2 nl. StGB). Nach Art. 5 Abs. 1 Ziff. 1 nl. StGB kann das niederländische Strafgesetz zusätzlich dann angewendet werden, wenn ein Niederländer außerhalb der Niederlande einige ausdrücklich genannte Verbrechen begeht, die der niederländischen Rechtsordnung, auch wenn sie außerhalb der Niederlande begangen sind, besonderen Schaden zufügen und durch die zugleich nationale Pflichten verletzt werden (Landesverrat, Hochverrat, Bigamie, Kaperei u. a. m.). Für diese Straftaten gilt nicht die obengenannte Bestimmung des Art. 5 Abs. 2 nl. StGB, wenn auch der Wortlaut irrtümlicherweise nicht ausschließlich auf Art. 5 Abs. 1 Ziff. 2 bezogen ist 2 2 7 . Der niederländische Beamte, der sich außerhalb der Niederlande eines Amtsdelikts schuldig macht, fällt nach Art. 6 nl. StGB unter das niederländische Strafgesetz. Dies hat hauptsächlich für Konsularbeamte Bedeutung, selbst wenn sie eine andere als die niederländische Staatsangehörigkeit besitzen. Der Kapitän oder die Mitglieder der Besatzung eines niederländischen Schiffes können nach niederländischem Strafgesetz bestraft werden, falls sie außerhalb der Niederlande ein Schiffahrtsdelikt begehen, auch wenn sie sich nicht an Bord befinden (Art. 7 nl. StGB). Durch den Zusatz, daß die Tat auch außerhalb des Fahrzeugs begangen sein kann, w i r d Art. 3 nl. StGB erweitert. 227
H. R., U r t e i l vom 20. J u n i 1950, N. J. 1950, 646.
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Art. 4 nl. StGB erklärt das niederländische Strafgesetz auf jedermann für anwendbar, ob Niederländer oder nicht, der sich außerhalb der Niederlande bestimmter, i m Gesetz genannter Verbrechen schuldig macht. Dieser A r t i k e l beruht zu einem großen Teil auf dem nationalen Schutzprinzip. A n Delikten werden u. a. genannt: Hochverrat (nicht Landesverrat, denn er kann von einem Ausländer zum Nutzen seines eigenen Vaterlandes begangen werden) und Verbrechen, die niederländisches Geld, staatliche Wert- und Gütezeichen sowie staatliche oder sonstige behördliche Schuldverschreibungen betreffen. Nicht mehr auf dem nationalen Schutzprinzip, sondern auf dem internationalen oder vielmehr universalen Prinzip beruht die Bestimmung, daß das niederländische Strafgesetz auf jedermann Anwendung findet, der sich außerhalb der Niederlande bestimmter Schiff- und Luftfahrtsverbrechen (Art. 4 Ziff. 5 und 7 nl. StGB) 2 2 8 oder des Falscheides vor einem internationalen Gericht (Art. 4 Ziff. 6 nl. StGB) schuldig macht. Ebenso auf dem Universalitätsprinzip beruht die Ausdehnung der Anwendbarkeit des niederländischen Strafgesetzes auf jeden, der außerhalb der Niederlande ein Verbrechen gegen ausländische Münzen oder Banknoten begeht (Art. 4 Ziff. 3 nl. StGB) 2 2 9 . A r t . 8 nl. StGB schränkt die Anwendung der A r t . 2 - 7 nl. StGB durch die i m Völkerrecht anerkannten Ausnahmen wie ζ. B. die Immunität von Gesandten ein. Man könnte diesen A r t i k e l für überflüssig halten, weil das Völkerrecht dem nationalen Recht vorgeht. Für das durch Verträge geschaffene Völkerrecht ist dies heute ausdrücklich i n Art. 66 nl. GrundG anerkannt. (2) Beschränkungen der Verfolgbarkeit von Pressedelikten in Art. 53 und 54 nl. StGB. Für die sog. Pressedelikte — d. s. mit dem M i t t e l der Presse verübte Straftaten, die i n Veröffentlichungen von Gedanken bestehen, die selbständig schon Straftaten bilden — hat der Gesetzgeber i n den Art. 53 und 54 nl. StGB i n bezug auf die Herausgeber und Drucker nicht die Strafbarkeit, aber die Verfolgbarkeit beschränkt. Dies erfolgte, um die Pressefreiheit, die nach A r t . 7 nl. GrundG geschützt ist, nicht zu einem toten Buchstaben werden zu lassen. Die geschützte Pressefreiheit bedeutet nämlich ein Verbot der staatlichen Vorzensur „unter dem Vorbehalt der Verantwortlichkeit eines jeden nach dem Gesetz". Die Furcht 228 Die Ausdehnung auf Luftfahrtverbrechen erfolgte durch das erwähnte Gesetz von 1973 i n Ausführung der Verträge v o n Den Haag (1970) u n d Montreal (1971) (s. o. S. 23 i. V. m. A n m . 4). 229 Diese Ausdehnung erfolgte durch das Strafrechtsänderungsgesetz v o m 31. März 1932, StBl. 131 i n Ausführung des internationalen Vertrages zur Bekämpfung der Falschmünzerei v o m 20. A p r i l 1929.
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Das niederländische Strafrecht
nun davor, daß die Veröffentlichung einer Schrift eine Straftat darstellt, könnte den Herausgeber oder Drucker veranlassen, seine notwendige M i t w i r k u n g zu verweigern, weil er sonst als Täter, Mittäter oder Gehilfe verfolgt werden kann. U m dem zuvorzukommen, bestimmen Art. 53 nl. StGB — i m Hinblick auf den Herausgeber — und Art. 54 nl. StGB — i m Hinblick auf den Drucker —, daß sie i n dieser Eigenschaft nicht verfolgt werden, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: 1. muß die Druckschrift ihren Namen und Wohnort angeben und 2. muß der Täter bekannt sein oder auf die erste Anmahnung hin nach Eröffnung einer gerichtlichen Voruntersuchung durch den Herausgeber bzw. Drucker bekanntgemacht werden. Durch diese Bestimmungen werden Herausgeber und Drucker vor einer Strafverfolgung geschützt, wenn sie sich an die darin genannten Voraussetzungen halten. Der Gesetzgeber wollte verhindern, daß niemand wegen der verübten Straftat tatsächlich verfolgt werden kann. Darum hat er die zwei Bedingungen aufgestellt und auch den Art. 53 und 54 nl. StGB einen zweiten Absatz hinzugefügt, nach dem die Bestimmung des ersten Absatzes nicht anwendbar ist, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Herausgabe oder des Setzens strafrechtlich nicht verfolgbar oder außerhalb der Niederlande ansässig ist. Die Art. 53 und 54 nl. StGB sind auf die Herausgeber und Drucker beschränkt. Der Buchhändler oder der Zeitungsverkäufer, also Personen, die den Druck verbreiten, werden i n diesen A r t i k e l n nicht genannt. Sie treten erst auf, nachdem die Straftat schon vollendet ist, denn sie besteht darin, zu veröffentlichen, d. h. für die Öffentlichkeit erhältlich zu machen. Ebensowenig w i r d der Redakteur in diesen A r t i keln genannt. Er w i r d also nicht gegen Strafverfolgung geschützt. Wenn er darum die Unterbringung eines Beitrages ablehnt, weil er befürchtet, daß dessen Veröffentlichung strafbar ist, muß der Autor versuchen, seinen Beitrag anderswo oder selbständig zu publizieren. Wenn der Herausgeber oder Drucker sich nicht an die in Art. 53 und 54 nl. StGB genannten Voraussetzungen hält, kann er also wegen Teilnahme an dem Pressedelikt verfolgt werden. Für eine Verurteilung ist allerdings erforderlich, daß der Vorsatz, also die Kenntnis des Inhalts des Beitrages, bewiesen wird. Dieser Beweis w i r d oft schwierig zu erbringen sein. Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber in den Art. 418 und 419 nl. StGB dem Herausgeber bzw. Drucker einer strafbaren Schrift oder Abbildung Strafe angedroht, wenn der Täter entweder nicht bekannt ist oder auf die erste Anmahnung nach der Eröffnung einer richterlichen Voruntersuchung nicht bekanntgemacht ist und darüber hinaus der Herausgeber oder Drucker wußte oder erwarten mußte, daß der Täter zum Zeitpunkt der Herausgabe strafrechtlich nicht verfolgbar oder außerhalb der Niederlande ansässig sein würde.
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(3) Antragsdelikte. Bei einigen Delikten ist der Antrag des Geschädigten Verfolgungsvoraussetzung. Manchmal ist wie bei der Beleidigung nach Art. 269 nl. StGB der Antrag i n bezug auf jeden Täter oder Teilnehmer, manchmal nur i n bezug auf einen Täter oder Gehilfen erforderlich, der i n einer besonderen Beziehung zum Geschädigten steht, ζ. B. der Ehegatte oder Verwandte in gerader Linie oder i m zweiten Grad der Seitenlinie wie in Art. 316 Abs. 2 nl. StGB. Titel V I I (Art. 64 - 67) nl. StGB enthält Bestimmungen über die Stellung und Rücknahme des Antrags. Diese Vorschriften werden durch die A r t . 164 - 166 nl. StPO ergänzt. Dadurch, daß der Gesetzgeber bei bestimmten Straftaten die Verfolgung von einem Antrag abhängig macht, zeigt er eine besondere Rücksicht auf individuelle Interessen, und zwar auf die Interessen dessen, gegen den die Straftat gerichtet war. Diese Rücksicht zeigt sich aber nur negativ, nämlich i n der Verhinderung der Verfolgung, wenn der Geschädigte meint, daß sie seinen Interessen zuwiderläuft. Es kann aber der Fall vorkommen, daß die Verfolgung eines Antragsdelikts i m allgemeinen Interesse erwünscht ist. Innerhalb bestimmter Grenzen hat der Gesetzgeber dieser Überlegung durch ein Gesetz aus dem Jahre 1934 Rechnung getragen. I n einem neuen Art. 67 a nl. StGB w i r d für das Antragsdelikt der Beleidigung bestimmt, daß die Staatsanwaltschaft trotz fehlenden Antrags aufgrund allgemeinen Interesses verfolgen kann. Dafür ist erforderlich, daß sie den Antragsberechtigten von der beabsichtigten Strafverfolgung benachrichtigt und daraufhin innerhalb von acht Tagen (bei Aufenthalt außerhalb Europas einem Monat) keine Beschwerde eingeht. Der Sinn dieser Bestimmung liegt darin, die Möglichkeit einer Strafverfolgung i m allgemeinen Interesse in den Fällen zu eröffnen, i n denen der Geschädigte etwa aus Bequemlichkeit oder, weil er sich über die Beleidigung erhaben fühlt, keinen Antrag stellt. (4) Rechtskräftige richterliche Entscheidungen. Nach Art. 68 nl. StGB kann niemand nochmals wegen einer Tat verfolgt werden, über die i n bezug auf seine Person rechtskräftig entschieden ist. Für diese Gesetzesbestimmung sind zwei Gründe maßgeblich: Ehrfurcht vor der richterlichen Entscheidung (ne bis i n idem) und Rücksicht auf die Ruhe des Angeklagten (nemo debet bis vexari). Eine richterliche Entscheidung w i r d rechtskräftig, soweit kein ordentliches Rechtsmittel dagegen mehr offensteht (Art. 557 und 558 nl. StPO). Nach dem Wortlaut von Art. 68 nl. StGB gilt diese Bestimmung nur für Entscheidungen über die (angeklagte) Tat selbst. Darunter sind sowohl Entscheidungen darüber zu verstehen, ob die Tat erwiesen ist oder nicht, wie auch Entscheidungen über die Strafbarkeit einer erwiesenen
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Das niederländische Strafrecht
Tat. Darum erstreckt sich das Verbot i n Art. 68 nl. StGB nur auf Freispruch, Entlassung aus der Rechtsverfolgung, wenn die Tat zwar erwiesen, jedoch nicht strafbar oder der Täter nicht strafbar ist (Art. 352 Abs. 2 nl. StPO), Verurteilung zu einer Strafe oder Auferlegung einer Maßregel und auf die sog. richterliche Verzeihung, wobei der Kreisrichter bei unbedeutenden Übertretungen nach A r t . 398 Ziff. 9 nl. StPO die Tat zwar für erwiesen und strafbar erklärt, ohne jedoch eine Strafe aufzuerlegen. Art. 68 nl. StGB betrifft nur Endurteile nach Art. 138 nl. StPO. Entscheidungen über die Tat ergehen aber nicht nur in Endurteilen. Zu nennen sind etwa die Beschlüsse, den Angeklagten außer Verfolgung zu setzen oder die Sache zur Hauptverhandlung zu verweisen. Die Rechtsfolge der Außerverfolgungsetzung w i r d i n Art. 225 nl. StPO gesondert geregelt: der Angeklagte, der außer Verfolgung gesetzt ist, kann i n bezug auf dieselbe Tat nicht nochmals verfolgt werden, wenn nicht neue belastende Tatsachen bekannt geworden sind. W i r d die Sache indes zur Hauptverhandlung verwiesen, so ist damit bezweckt, eine weitere Verfolgung bis zum Endurteil zu erreichen. Das rechtskräftige Urteil muß von einem Richter i n den Niederlanden, Surinam oder den Niederländischen A n t i l l e n gesprochen sein. Für rechtskräftige Urteile ausländischer Richter gilt eine engere Regelung. Die Begrenzung versteht sich dadurch, daß ausländische rechtskräftige Urteile i n den Niederlanden nicht vollstreckt werden können. Darum erstreckt sich das Verbot einer erneuten Verfolgung bei diesen rechtskräftigen Urteilen nur auf Freisprüche, Entlassungen aus der Rechtsverfolgung und auf Verurteilungen, denen die vollständige Vollstrekkung, Begnadigung oder Vollstreckungsverjährung folgte (Art. 68 Abs. 2 nl. StGB). I m Wege der Analogie w i r d auch die Auferlegung einer Maßregel und die durch einen ausländischen Richter ausgesprochene richterliche Verzeihung die Rechtsfolge des Art. 68 nl. StGB nach sich ziehen müssen. Bedenklich bei dieser Regelung für ausländische rechtskräftige Urteile ist die Einbeziehung der Entlassung aus der Rechtsverfolgung. Wenn nämlich diese Entlassung durch den ausländischen Richter gewährt wird, w e i l die Tat nach dem betreffenden ausländischen Recht nicht strafbar ist, kann der Angeklagte nach niederländischem Recht nicht verfolgt werden, obgleich die Tat nach diesem Recht strafbar sein würde. Nach dem Wortlaut des A r t . 68 nl. StGB ist eine dreifache Identität erforderlich, es muß sich nämlich u m dieselbe Tat, dieselbe Person und dieselbe Rechtsbeziehung handeln. Die Identität der Rechtsbeziehung ist gewahrt, wenn es u m eine strafrechtliche Verfolgung geht. Eine zivilrechtliche oder disziplinarrechtliche rechtskräftige Entscheidung
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Die V o l b a r k e i t
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über dieselbe Tat gegen dieselbe Person steht deshalb einer strafrechtlichen Verfolgung ebensowenig i m Wege, wie eine rechtskräftige strafrechtliche Entscheidung eine zivilrechtliche oder disziplinarrechtliche verhindert. Ernsthafte Schwierigkeiten bereitet ebenso wie bei den Konkurrenzen in A r t . 55 nl. StGB die Festlegung des Begriffs „Tat" i n Art. 68 nl. StGB. Auch hier hat die Rechtsprechung des Höge Raad seit 1932 zu großer Unsicherheit geführt. Zunächst erkannte der Höge Raad dem Begriff „Tat" i n beiden A r t i k e l n dieselbe Bedeutung zu 2 3 0 . Seit einigen Jahren aber macht er einen Unterschied zwischen der Auslegung des Begriffs „eine Tat" i n Art. 55 nl. StGB und A r t . 68 nl. StGB i n dem Sinne, daß der Begriff i n Art. 68 nl. StGB als umfassender verstanden w i r d 2 3 1 . Bei der Anwendung von A r t . 68 nl. StGB sind überdies die Fallgestaltungen vielfältiger als bei A r t . 55 nl. StGB. Bei A r t . 68 nl. StGB geht es nämlich nicht nur u m Kumulation von Straftaten, sondern auch u m ihre Alternativität. Dieser A r t i k e l liegt i m Grenzgebiet zwischen Strafrecht und Strafprozeßrecht, und deshalb kann sich dort Unsicherheit über ein bestimmtes tatsächliches Geschehen auftun. Wenn etwa jemand einen anderen erschießt, kann dies entweder vorsätzlich oder fahrlässig erfolgen. Nach einem Freispruch vom angeklagten Totschlag stellt sich A r t . 68 nl. StGB einer neuen Verfolgung wegen fahrlässiger Tötung entgegen. Solch eine Alternative kann auch entstehen, wenn Zweifel darüber bestehen, an welchem Ort oder zu welchem Zeitpunkt die Tat stattgefunden hat. Die Entscheidung über die Frage, ob man es hier m i t derselben Tat zu t u n hat, hängt von der Auslegung der Anklageschrift ab. Gelangt der Richter zu dem Ergebnis, daß i n der zweiten Anklageschrift dieselbe Tat gemeint und nur ein früheres Versäumnis i n bezug auf Ort oder Zeit der Tat nachgeholt ist, dann ist A r t . 68 nl. StGB anwendbar. Schließlich kann sich eine alternative Fallgestaltung ergeben, wenn jemand wegen einer Tat verfolgt und dabei ein für die Strafbarkeit erforderliches Element nicht angeklagt wird. Wenn der Angeklagte deswegen aus der Rechtsverfolgung entlassen wird, kann eine erneute Verfolgung aufgrund einer ergänzten Anklageschrift wegen A r t . 68 nl. StGB nicht zum Erfolg führen. Die Schwierigkeiten bei der Auslegung des Begriffs „dieselbe Tat" in Art. 68 nl. StGB könnten meines Erachtens zu einem großen Teil
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F ü r Art
68 H
R } U r t e i l v o m 17
juni
1932) N.
j. 1 9 3 2 ) s. 1659.
H. R., U r t e i l vom 17. Dezember 1963, N. J. 1964, 385 m i t A n m e r k u n g von Pompe. Der H. R. stellte fest, daß v o n einer T a t i. S. von A r t . 68 nl. StGB gesprochen werden kann, selbst w e n n hinsichtlich der einzelnen Handlungen — es ging u m Schwarzfahrten und Fahren ohne Führerschein — Tatmehrheit angenommen werden muß.
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Das niederländische Strafrecht
aufgefangen werden, wenn man dem Richter die Freiheit gewährte, die Anklageschrift unter der Voraussetzung zu ändern, daß sie auf dasselbe tatsächliche Geschehen bezogen bleibt. (5) Der Tod des Angeklagten. Das Recht zur Strafverfolgung erlischt auch mit dem Tod des Angeklagten (Art. 69 nl. StGB). Etwas anderes gilt bei Wirtschaftsstraftaten. Kann von jemandem angenommen werden, daß er sich einer W i r t schaftsstraftat schuldig gemacht hat, dann kann der Richter auch nach dessen Tod durch Verfügung, also außerhalb einer Hauptverhandlung (Art. 138 nl. StPO), die Einziehung schon beschlagnahmter Sachen aussprechen und einige Geldverpflichtungen auferlegen (Art. 16 nl. W i r t schaftsstrafG). (6) Die Verjährung. Das Recht auf Strafverfolgung erlischt ebenfalls durch Verjährung (Art. 70 nl. StGB). Diese Bestimmung stützt sich auf zwei Gründe: durch Zeitablauf w i r d die Erinnerung an die Straftat geschwächt und der Beweis erschwert. Übertretungen verjähren i n zwei Jahren, Verbrechen, die mit Geldstrafe, Haft oder Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren bedroht sind, in sechs Jahren, schwerere Straftaten i n zwölf Jahren und Verbrechen, auf die lebenslängliches Gefängnis steht, i n achtzehn Jahren. Für Personen, die vor Tatbegehung unter 18 Jahre alt waren, werden diese Termine auf ein Drittel gekürzt. Die Verjährungsfrist beginnt i n der Regel an dem Tag, der der Tatbegehung folgt. Einige Ausnahmen sind i n Art. 71 nl. StGB aufgezählt. Die Verjährung w i r d durch eine Verfolgungshandlung unter der Voraussetzung unterbrochen, daß diese Handlung dem Verfolgten bekannt oder auf die i m Gesetz genannte Weise zugestellt ist (Art. 72 nl. StGB). Nach der Unterbrechung beginnt eine neue Verjährungsfrist zu laufen. Die Verjährung w i r d gehemmt, wenn die Strafverfolgung selbst ausgesetzt wird, um eine Vorfrage zu entscheiden. Dies kann u. a. der Fall sein, wenn der Strafrichter die Entscheidung eines Zivilrichters über einen Rechtsstreit abwarten w i l l (Art. 73 nl. StGB i. V. m. Art. 14 nl. StPO). (7) Die außergerichtliche Erledigung. Eine Erledigung außerhalb eines Gerichtsverfahrens durch die sog. Transaktion ist nur bei Übertretungen, also nicht bei Verbrechen möglich 2 8 2 . Es können drei Formen dieser außergerichtlichen Erledigung unterschieden werden.
§ 45 Die Vollstreckbarkeit
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Die erste und zugleich älteste Form gilt für Übertretungen, die nach der Deliktsumschreibung ausschließlich m i t Geldstrafe als Hauptstrafe bedroht sind. Bietet der Beschuldigte an, innerhalb der von der Staatsanwaltschaft zu bestimmenden Frist den Höchstbetrag der Strafe zu zahlen und zugleich die möglicherweise der Einziehung unterliegenden Gegenstände auszuliefern, auf sie zu verzichten oder ihren Schätzwert zu entrichten, darf der Staatsanwalt dieses Angebot nicht zurückweisen (Art. 74 Abs. 4 nl. StGB). Die zweite Form gilt für Übertretungen, die nach der Deliktsumschreibung entweder mit Geldstrafe als einziger Hauptstrafe oder mit Haft bedroht sind. Die Sache kann i n diesem Falle erledigt werden, wenn der Beschuldigte freiwillig die Bedingungen erfüllt, die der Staatsanwalt auf ein vor Beginn der Hauptverhandlung eingereichtes Gesuch des Beschuldigten hin zur Abwendung der Strafverfolgung gestellt hat (Art. 74 Abs. 1 - 3 nl. StGB). Diese Form der Erledigung wurde durch ein Gesetz aus dem Jahre 1921 zur Vereinfachung der Rechtspflege bei leichten Strafsachen eingeführt. Seit dieser Zeit w i r d die große Mehrheit der Kreisgerichtsstrafsachen auf diese Weise erledigt. Durch ein Gesetz aus dem Jahre 1958 wurde mit Wirkung vom 1. Mai 1959 eine dritte Form der außergerichtlichen Erledigung geschaffen. Danach kann durch allgemeine Verwaltungsverordnungen bestimmten Ermittlungsbeamten i n näher zu bezeichnenden Übertretungsstrafsachen, die gegen Personen von über sechzehn Jahren geführt werden, die gleiche Befugnis erteilt werden, wie sie in Art. 74 Abs. 1 nl. StGB den Beamten der Staatsanwaltschaft zuerkannt ist. Entsprechende Verwaltungsverordnungen sind in den Jahren 1959 und 1962 ergangen 233 . Berechtigt sind uniformierte Beamte der Reichs- und Gemeindepolizei sowie bestimmte uniformierte Beamte der Gendarmerie (Koninklijke Marechaussee). Die Erledigungsbefugnis erstreckt sich auf Verkehrsübertretungen. Die Aufsicht über die Ausübung obliegt der Staatsanwaltschaft. § 45 Die Vollstreckbarkeit
So wie sich die Verfolgbarkeit verfahrensrechtlich der Strafbarkeit von Tat und Täter (Erstes Kapitel) anschließt, kann man die Vollstreckbarkeit mit den Rechtsfolgen der Straftat (Zweites Kapitel) in Verbin232 Zur Ausweitung der Möglichkeit auch für Verbrechen nach dem V o r b i l d des A r t . 36 WirtschaftsstrafG vgl. Ziffer 1 i m oben wiedergegebenen Reformvorschlag der Kommission Vermögensstrafen (§ 3). 233 v g l . die j n A n m . 34 wiedergegebenen Verordnungen. Über die heutige Bedeutung der Erledigung von Übertretungen durch Transaktionen vgl. die Tabelle i n A n m . 36.
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Das niederländische S t r a f r c h t
dung bringen. I m Strafgesetzbuch sind zwei Umstände genannt, die das Recht zur Vollstreckung einer durch den Richter auferlegten Strafe ausschließen. Als erster Umstand ist der Tod des Verurteilten anzuführen (Art. 75 nl. StGB). Auch hier enthält das Wirtschaftsstrafgesetz von 1950 eine Abweichung, denn die Vollstreckbarkeit einer Einziehung aufgrund einer Wirtschaftsstraftat erlischt durch den Tod nicht (Art. 13 nl. W i r t schaftsstrafG). Der zweite dieser i m Strafgesetzbuch genannten Umstände ist die Verjährung (Art. 76 nl. StGB). Das Recht zur Vollstreckung der Strafe erlischt durch Verjährung, deren Fristen u m ein Drittel länger sind als die der VerfolgungsVerjährung. I n keinem Fall ist die Frist kürzer als die auferlegte Strafe. Die Verjährung beginnt einen Tag nach dem Tag, an dem der Richterspruch vollstreckt werden kann (Art. 77 nl. StGB). Flieht ein Verurteilter aus der Strafanstalt, i n der er seine Strafe verbüßt, beginnt am darauf folgenden Tag eine neue Verjährungsfrist. Die Frist läuft u. a. nicht, wenn der Verurteilte, sei es auch in einer anderen Strafsache, festgesetzt ist (Art. 77 Abs. 3 nl. StGB).
Dritter
Teil
Die einzelnen Straftaten des Strafgesetzbuches § 46 Vorbemerkung zur Darstellung
Das Zweite Buch des niederländischen Strafgesetzbuchs enthält die Verbrechen, das Dritte die Übertretungen. Einige Verbrechen und viele Übertretungen waren schon von Anfang an nicht i n das Gesetzbuch aufgenommen worden. Heute ist ihre Anzahl infolge der wachsenden staatlichen Tätigkeit vor allem auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet stark angewachsen 234 . Die Reihenfolge der Verbrechen i m Zweiten Buch entspricht in etwa der im französischen Code pénal und i m deutschen Strafgesetzbuch und nicht der i m schweizerischen Gesetzbuch von 1942. Es sind zunächst die Verbrechen gegen die Gemeinschaft und danach die gegen einzelne Personen aufgenommen worden. Der Besondere Teil beginnt m i t den Verbrechen gegen den Staat und seine Organe, gegen die öffentliche 234
Ausführlich wurde darüber oben i n § 4 auf S. 44 f. berichtet.
§ 46 Vorbemerkung zur Darstellung
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Ordnung, gegen den guten Glauben i m gesellschaftlichen Verkehr (Fälschungsdelikte) und gegen die Sittlichkeit. Danach folgen die Verbrechen gegen die Ehre, gegen die persönliche Freiheit, gegen Leib und Leben und gegen das Vermögen. Gegen Ende werden die Amtsverbrechen und die Schiff- und Luftfahrtsverbrechen umschrieben. Der Dreißigste Titel schließlich faßt einige Verbrechen unter dem Sammelnamen Begünstigung zusammen. Die Übertretungen werden i m Dritten Buch — soweit überhaupt korrespondierende Titel aufgenommen worden sind — nach derselben Rangfolge geordnet. I m Unterschied zu den Überschriften i m Verbrechensteil, die die Angriffsrichtung des Delikts unmittelbar benennen — ζ. B. „Verbrechen gegen die Staatsgewalt" —, w i r d hier lediglich ein Bezug zum jeweiligen Rechtsgut hergestellt: ζ. B. „Übertretungen i n bezug auf die Staatsgewalt". Für die Auslegung eines Artikels ist von Bedeutung, i n welchen Titel er aufgenommen ist. Die Fälschungsartikel sind nicht unter die Verbrechen gegen das Vermögen eingereiht, und deshalb ist die nach Art. 225 nl. StGB geforderte Möglichkeit eines Nachteils nebensächlich. Die Vortäuschung einer Straftat ist als Verbrechen gegen die Staatsgewalt i m Art. 188 nl. StGB mit Stiafe bedroht, während i n A r t . 268 nl. StGB die falsche Anzeige gegen eine bestimmte Person als Verbrechen gegen die Ehre und den guten Namen strafbar ist. Abtreibung ist nach A r t . 295 ff. nl. StGB als Verbrechen gegen das Leben unter Strafe gestellt, und darum fordert die Rechtsprechung den Beweis, daß die Leibesfrucht zur Zeit der Abtreibung gelebt hat. I n dieser Übersicht sollen die Straftaten nach Deliktsgruppen behandelt werden. Eine vollständige Wiedergabe der Deliktsumschreityungen erscheint m i r dabei allerdings überflüssig zu sein, zumal demnächst eine neue deutsche Übersetzung des niederländischen Strafgesetzbuchs vorliegen w i r d 2 8 5 . Weil für Verbrechen i n der Regel Vorsatz erforderlich ist, w i r d auf dieses Element der Verbrechenstatbestände nur in besonderen Fällen eingegangen.
235 I n der Sammlung Außerdeutscher Strafgesetzbücher i n deutscher Ubersetzung liegt als Band 76 eine Übersetzung von K. Toebelmann (Stand August 1958) vor. Eine von D. Schaffmeister bearbeitete Neuauflage nach dem Stand vom 1. M a i 1976 ist i m Druck.
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Das niederländische Strafrecht
Erstes Kapitel
Straftaten gegen Staat und Gesellschaft § 47 Straftaten gegen die Sicherheit des Staates
Der Erste Titel des Zweiten Buches befaßt sich m i t Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates, und zwar sowohl Verbrechen gegen die innere Sicherheit (Hochverrat und verwandte Verbrechen i n Art. 92, 94 - 96, 97 a, 97 b nl. StGB), Verbrechen gegen die äußere Sicherheit (Landesverrat und verwandte Verbrechen i n Art. 93, 96, 97, 98 - 105 nl. StGB) als auch Verbrechen gegen die innere und äußere Sicherheit gemeinsam (Verletzung von Staatsgeheimnissen und andere Verbrechen i n Art. 98 - 98 c nl. StGB). Dieser Titel wurde mehrmals grundlegend geändert. I m Jahre 1920 erging ein Gesetz zur Bekämpfung von revolutionären Unruhen 2 3 6 , mit dem der Gefahr des Kommunismus vorgebeugt werden sollte. Eine zweite erhebliche Änderung erfolgte i m Anschluß an das Gesetz über das Kriegsstrafrecht aus dem Jahre 195 2 2 3 7 , in dem sich Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg niederschlugen. Durch ein Gesetz aus dem Jahre 1951 über den Schutz von Staatsgeheimnissen schließlich w u i d e Art. 98 nl. StGB geändert 2 3 8 und wurden die Art. 98 a - 98 c sowie Art. 429 quinquies nl. StGB hinzugefügt 2 3 9 . Als erste Deliktsgruppe innerhalb dieses Titels können die Straftaten zusammengefaßt werden, die die Gefährdung bestimmter Verfassungsorgane und -Institutionen mit Strafe bedrohen. So ist in Art. 92 nl. StGB der Anschlag gegen den König, die regierende Königin oder den Regenten 240 , i n Art. 93 nl. StGB der Anschlag gegen den Staat und i n Art. 94 nl. StGB der Anschlag gegen die verfassungsmäßige Regierungsform und Thronfolge unter Strafe gestellt. Ein Anschlag liegt nach Art. 79 nl. StGB vor, sobald sich der Entschluß des Täters durch einen Beginn der Ausführung i m Sinne von A r t . 45 nl. StGB offenbart hat. Die Art. 95 - 95 a nl. StGB bedrohen gewisse Gewalthandlungen 236 Wet houdende nadere voorzieningen tot bestrijding révolutionnaire woelingen (Gesetz zur Bekämpfung von revolutionären Unruhen) vom 28. J u l i 1920, StBl. 619. 237 Wet houdende vaststelling van de wet Oorlogsstrafrecht (Gesetz über das Kriegsstrafrecht) v o m 10. J u l i 1952 (5. August 1952), StBl. 408. 238 Eine nochmalige Änderung erfolgte durch das Gesetz zur Feststellung allgemeiner Bestimmungen über die Bestrafung von Geheimnisverletzungen von 1967 (Anm. 21). 239 ^ e t bescherming staatsgeheimen (Gesetz zum Schutz von Staatsgeheimnissen) v o m 5. A p r i l 1951, StBl. 92. 240 Er w i r d nach A r t . 36 ff. nl. GrundG ernannt, wenn der K ö n i g minderj ä h r i g oder aus anderen Gründen außerstande ist, die Regierungsgeschäfte zu führen.
§ 47 Straftaten gegen die Sicherheit des Staates
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oder Drohungen mit Gewalt gegen den Kronrat (Reg ering sraad) 2i i, gegen den Ministerrat oder gegen ein Mitglied dieser beiden Gremien mit Strafe. Nach Art. 96 nl. StGB sind die Verschwörung zu einem in den Art. 92 - 95 a nl. StGB bezeichneten Verbrechen, sowie gewisse Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlungen strafbar. Verschwörung liegt nach Art. 80 nl. StGB vor, wenn zwei oder mehr Personen übereingekommen sind, das Verbrechen zu verüben. Die weiteren Tatbestände dieses Titels betreffen nicht die Gefährdung bestimmter Verfassungsorgane und -Institutionen, sondern die Gefährdung der staatlichen Sicherheit allgemein durch Krieg, Revolution und Verrat von Staatsgeheimnissen. Sie können unter diesen drei Gesichtspunkten i n Gruppen zusammengefaßt werden. Die zweite Deliktsgruppe innerhalb dieses Titels bilden demzufolge die Strafbestimmungen zum Schutz gegen Krieg oder Benachteiligung i m Krieg. Hierzu zählen die Verbindungsaufnahme zu einer ausländischen Macht in der Absicht, diese zu feindseligen oder kriegerischen Aktionen gegen den Staat zu veranlassen, i n einem solchen Vorhaben zu bestärken oder zu unterstützen (Art. 97 nl. StGB), die Führung von Unterhandlungen mit einer ausländischen Macht i m Auftrag der Regierung zum Nachteil des Staates (Art. 99 nl. StGB) und die Vornahme von Handlungen, wodurch die Gefahr entsteht, daß die Niederlande i n einen von anderen Mächten geführten Krieg hineingezogen werden, sowie die Nichtbeachtung von Anordnungen, die in Kriegszeiten aus Gründen der Staatssicherheit getroffen sind (Art. 100 Ziff. 1 und 2 nl. StGB). Auch den freiwilligen Eintritt eines Niederländers i n den Militärdienst einer ausländischen Macht kann man i n diese Gruppe einbeziehen. Er ist nach A r t . 101 nl. StGB strafbar, wenn er i n Voraussicht eines Krieges mit dieser Macht erfolgt und dieser dann wirklich ausbricht. Schließlich gehören hierher auch die nach A r t . 102-105 nl. StGB strafbare Hilfeleistung für den Feind oder Benachteiligung des Staates gegenüber dem Feind. Die dritte Deliktsgruppe umfaßt die auf Schutz gegen Revolutionen gerichteten Tatbestände: die Verbindungsaufnahme mit einer Person oder Organisation i m Ausland in der Absicht, sie zur Unterstützung einer Revolution zu veranlassen (Art. 97 a nl. StGB) und die Vornahme bestimmter anderer Handlungen, die auf die Vorbereitung, Unterstützung oder Ermöglichung einer Revolution gerichtet sind (Art. 97 b nl. StGB). 241 Der Begriff k o m m t i m heutigen nl. GrundG nicht mehr vor; an seine Stelle ist nach A r t . 46 nl. GrundG der Staatsrat (Raad van State) getreten, w e n n er bei Abwesenheit des Königs oder Regenten die königliche Gewalt vertritt.
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Das niederländische Strafrecht
Die vierte Deliktsgruppe enthält schließlich die Strafbestimmungen über die Verletzung von Geheimnissen, die sowohl für die innere als auch für die äußere Sicherheit des Staates gewahrt werden müssen (Art. 98 - 98 c nl. StGB). Hierzu sind auch die Übertretungen i m Zweiten Titel des Dritten Buches — Übertretungen i n bezug auf die Staatsgewalt — zu rechnen, nämlich der unbefugte Aufenthalt i n einem Sperrgebiet (Art. 429 quinquies nl. StGB) 2 4 2 und die unbefugte Anfertigung oder Veröffentlichung von Aufnahmen, Zeichnungen und Beschreibungen von Militäranlagen (Art. 430 nl. StGB). Kennzeichnend für verschiedene Verbrechen dieses Titels ist die Ausdehnung der Strafbarkeit auf Versuchshandlungen (Art. 92 - 94 nl. StGB), auf Verschwörung (Art. 96 und 103 nl. StGB) und auf Vorbereitungs- und Unterstützungshandlungen (Art. 96, 97 - 97 b, 98 c nl. StGB). Der dadurch ermöglichte Zugriff i n einem frühen Stadium der Betätigung des verbrecherischen Entschlusses offenbart den Willen, den A n fängen staatsgefährdenden Handelns zu wehren, trägt aber auch der Tatsache Rechnung, daß der Täter etwa bei vollendetem Landesverrat für das betroffene Land oft nicht greifbar wäre. Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlungen werden jedoch oft nur unter Strafe gestellt, wenn sie mit der Absicht erfolgen, das hoch- oder landesverräterische Ziel zu erreichen (Art. 96, 97, 97 a, 98 c nl. StGB). U m zu verhindern, daß solche Handlungen bestraft werden, ohne daß die verlangte Absicht vorliegt, hat der Gesetzgeber an mehreren Stellen ausdrücklich erklärt, daß diese Handlungen ohne eine solche Absicht nicht strafbar sind (Art. 96 Abs. 3, 98 c Abs. 2 und 103 a nl. StGB). Bestimmte Handlungen, wie die Unterstützung eines Spions oder die M i t w i r k u n g zur Fahnenflucht, die per se den Feind begünstigen, sind mit einer leichteren Strafe bedroht, wenn sie ohne die Absicht dieser Hilfeleistung begangen sind (Art. 104 nl. StGB). Wegen der Gefährlichkeit der betreffenden Handlungen hat der Gesetzgeber andererseits aber auch verschiedene Taten gleichermaßen unter Strafe gestellt, nicht nur, wenn der Täter wußte, sondern auch wenn er ernsthafte Gründe für die Vermutung hatte, daß die Sache, mit der er sich befaßte, gefährlich war (Art. 97 b, 98 a nl. StGB). Überdies w i r d neben der vorsätzlichen Verletzung bestimmter Geheimnisse (Art. 98 a nl. StGB) auch die fahrlässige Preisgabe bestraft (Art. 98 b nl. StGB). Bedeutsam für diesen Titel ist ferner der Unterschied zwischen Verbrechen, die „ i m Falle des Krieges" (Art. 100 Ziff. 1 nl. StGB) und die „ i n Kriegszeiten" (Art. 100 Ziff. 2, 102, 104, 105 nl. StGB) begangen 242 Die ursprünglich als A r t . 429 ter nl. StGB 1951 eingestellte Übertretung erhielt diese neue Nummer durch ein Gesetz von 1971 (Anm. 19).
§
Straftaten gegen die
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rd
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sind. Unter Krieg w i r d auch der Bürgerkrieg verstanden (Art. 87 Abs. 2 nl. StGB). Bei bestimmten Verbrechen (Art. 100 Ziff. 2, 101 - 107 nl. StGB) fällt darunter auch ein Waffenkonflikt, der nicht als Krieg bezeichnet werden kann und von dem die Niederlande entweder betroffen sind, um sich allein oder kollektiv selbst zu verteidigen, oder u m den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen (Art. 107 a nl. StGB). Solch ein Waffenkonflikt braucht nicht zu bedeuten, daß die Niederlande selbst an Kriegshandlungen teilnehmen. Es kann sein, daß die Niederlande infolge internationaler Verpflichtungen sich nur auf wirtschaftliche Sanktionen beschränken. Der Ausdruck „ i m Falle von Krieg" bedeutet, daß ein Krieg, oder was damit gesetzlich gleichgestellt wird, gegeben ist. Die Wendung „ i n Kriegszeiten" hat demgegenüber eine weitere Bedeutung, denn sie umfaßt auch die Zeit der Kriegsdrohung und die Zeit der außerordentlichen Einberufung von Wehrpflichtigen (Art. 87 Abs. 3 nl. StGB). Als Höchststrafe für Verbrechen dieses Titels w i r d Gefängnisstrafe auf Lebenszeit oder bis zu höchstens zwanzig Jahren angedroht (Art. 92 - 95 a, 97, 97 a, 98 a Abs. 2, 102 nl. StGB). Nach dem bereits erwähnten Gesetz über das Kriegsstrafrecht von 1952 können die Strafen dieses Titels i m Kriegsfall erhöht (Art. 1) und kann anstelle der Höchststrafe die Todesstrafe verhängt werden (Art. 4 - 9). § 48 Straftaten gegen die königliche Würde und gegen Oberhäupter und Vertreter befreundeter Staaten
Der Zweite Titel enthält Verbrechen gegen die königliche Würde, der Dritte Verbrechen gegen Oberhäupter und Vertreter befreundeter Staaten. Die beiden Titel können gemeinsam behandelt werden, weil die Bestimmungen völlig parallel liegen. M i t Strafe bedroht sind: 1. der Anschlag auf das Leben oder die Freiheit der nicht regierenden Königin, des Thronfolgers oder eines Mitglieds des königlichen Hauses (Art. 108 nl. StGB) sowie des regierenden Fürsten oder eines anderen Oberhauptes eines befreundeten Staates (Art. 115 nl. StGB); 2. der tätliche Angriff auf die Person des Königs, der regierenden Königin, des Regenten oder auf eine der unter Ziff. 1 genannten Personen (Art. 109,110 und 116 nl. StGB); 3. die vorsätzliche Beleidigung einer der unter Ziff. 2 erwähnten Personen (Art. 111, 112 und 117 nl. StGB) oder eines Vertreters einer ausländischen Macht bei der niederländischen Regierung, soweit die Beleidigung ihm in dieser seiner Eigenschaft zugefügt w i r d (Art. 118 nl. StGB) 2 4 3 ; 10 Ausländisches Strafrecht V
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Das niederländische S t r a f r c h t
4. die Verbreitung, öffentliche Ausstellung oder Anschlagung einer Schrift oder Abbildung, i n der eine Beleidigung einer der unter Ziff. 3 erwähnten Personen enthalten ist, oder deren Vorrathaltung zu diesem Zweck sowie die Verlautbarung darüber. Erforderlich ist, daß der Täter um diese Beleidigung weiß oder ernstliche Gründe zu ihrer Vermutung hat (Art. 113 und 119 nl. StGB). Bei den unter Ziff. 1 und 2 genannten Straftaten w i r d eine zeitliche Gefängnisstrafe angedroht, die je nach angegriffener Person von höchstens sechs bis zur Höchststrafe von fünfzehn Jahren reicht. Die in den Ziff. 3 und 4 genannten Beleidigungsfälle sind daneben mit einer Geldstrafe bedroht. Als Nebenstrafe kann der Entzug bestimmter Rechte ausgesprochen werden (Art. 114 und 120 nl. StGB). Gefängnisstrafe auf Lebenszeit oder bis zu höchstens zwanzig Jahren w i r d verhängt, wenn der unter Ziff. 1 genannte Anschlag den Tod zur Folge hat oder mit Vorbedacht unternommen w i r d (Art. 108 und 115 nl. StGB). § 49 Straftaten gegen die Ausübung von Staatspflichten und -rechten
Der Vierte Titel des Zweiten Buches enthält Verbrechen gegen die Ausübung von Staatspflichten und -rechten. Die Art. 121-124 nl. StGB umschreiben dieselben Straftaten wie die Art. 95 und 95 a nl. StGB mit der Maßgabe, daß bei den Straftaten unter diesem Titel die Gewalt oder die Drohung mit Gewalt gegen die Generalstaaten — d. s. die zwei Kammern, aus denen sich das niederländische Parlament zusammensetzt — oder deren Mitglieder (Art. 121 nl. StGB), gegen die Provinzialstände oder den Gemeinderat, deren Vorsitzenden (er ist nicht immer Mitglied) oder ihre Mitglieder (Art. 123 - 124 nl. StGB) gerichtet ist. Art. 122 nl. StGB stellt auch die Verschwörung zu dem Verbrechen des Art. 121 nl. StGB unter Strafe sowie bestimmte Vorbereitungs- und Unterstützungshandlungen, indem er für dieses Verbrechen den Art. 96 Abs. 2 und 3 nl. StGB für entsprechend anwendbar erklärt. 243 Aus dem Fehlen des Zusatzes bei der Beleidigung befreundeter Staatsoberhäupter i n A r t . 117 nl. StGB hat die Rechtsprechung gefolgert, daß es keinen Unterschied mache, ob dessen Beleidigung sich auf den privaten Bereich oder seine öffentliche Stellung bezieht. Vgl. Gerichtshof 's-Hertogenbosch, U r t e i l v o m 17. März 1954, N. J. 1954, 649. Voraussetzung f ü r eine Strafbarkeit nach A r t . 117 nl. StGB ist weder, daß es sich u m einen „amtierenden Politiker" handelt, noch daß durch die Handlung die diplomatischen Beziehungen zu dem Staat gefährdet sind. Vgl. H. R., U r t e i l v o m 7. November 1967, N. J. 1968, 44. Irrelevant ist auch, daß eine gleichwertige Äußerung — z.B.: „Der Präsident von A m e r i k a ist Kriegsverbrecher nach dem Recht von Nürnberg u n d Tokio" — i n A m e r i k a selbst nicht zur Verfolgung u n d V e r u r teilung Anlaß gegeben haben würde. Vgl. H. R., U r t e i l v o m 5. November 1968, N. J. 1969, 78. Z u der durch diese Vorfälle ausgelösten Reformdiskussion sei auf die obigen Ausführungen i n § 3 auf S. 23 f. i. V. m. Anm. 5 verwiesen.
§ 50 Straftaten gegen die öffentliche Ordnung
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Die Art. 125 - 129 nl. StGB betreffen Verbrechen anläßlich einer kraft gesetzlicher Vorschrift ausgeschriebenen Wahl. Nach Art. 125 nl. StGB w i r d bestraft, wer m i t Gewalt oder Drohung mit Gewalt vorsätzlich jemanden daran hindert, sein Wahlrecht frei und ungehindert auszuüben. Wer durch Geschenk oder Versprechen jemanden besticht, sein Wahlrecht nicht oder auf bestimmte Weise auszuüben, w i r d nach Art. 126 Abs. 1 nl. StGB straffällig 2 4 4 . Die gleiche Strafe trifft auch den bestochenen Wähler (Art. 126 Abs. 2 nl. StGB). Nach Art. 127 nl. StGB macht sich strafbar, wer eine betrügerische Handlung verübt, durch die eine Stimme ungültig oder eine andere Person bezeichnet wird, als bei Abgabe der Stimme gemeint war. I m nächstfolgenden A r t i k e l w i r d mit Strafe bedroht, wer vorsätzlich sich für einen anderen ausgibt und an einer Wahl teilnimmt (Art. 128 nl. StGB). Nach Art. 129 nl. StGB schließlich handelt strafbar, wer vorsätzlich einen Erfolg der Abstimmung vereitelt, d. h. einer Abstimmung ihre Folgen nimmt, und ebenso, wer eine betrügerische Handlung verübt, durch die eine Abstimmung ein anderes Ergebnis erfährt. § 50 Straftaten gegen die öffentliche Ordnung
Der Fünfte Titel des Zweiten Buches enthält Verbrechen gegen die öffentliche Ordnung, der Zweite Titel des Dritten Buches Übertretungen, die die öffentliche Ordnung betreffen. Unter Verbrechen gegen die öffentliche Ordnung werden Verbrechen verstanden, die eine Gefahr für das gesellschaftliche Leben bilden und die natürliche Ordnung der Gesellschaft stören 245 . Der Begriff öffentliche Ordnung ist vage. Man könnte sagen, daß jedes Delikt gegen die öffentliche Ordnung gerichtet ist. Die unter diesen Titeln zusammengefaßten Straftaten sind daher auch sehr unterschiedlich. Ihre Strafbarkeit ist aus Anlaß neuer gesellschaftlicher Gefahren i n einigen Punkten erweitert worden. So wurde Art. 131 nl. StGB durch das bereits erwähnte Gesetz gegen revolutionäre Umtriebe aus dem Jahre 1920 ausgedehnt und führte ein Gesetz aus dem Jahre 1934 aus Anlaß staatszersetzender und antisemitischer Äußerungen von Seiten der kleinen Gruppe niederländischer Nationalsozialisten die Art. 137 a - 137 d ein 2 4 6 . Die Art. 137 c und 137 d nl. StGB wurden durch ein Gesetz von 1971 wieder eingezogen und durch die 244 E i n Beginn der Ausführungshandlung w i r d angenommen, sobald das Geschenk angeboten ist, auch w e n n die Person, deren Stimme m a n zu kaufen sucht, unbestechlich zu sein scheint. H. R., U r t e i l vom 15. J u n i 1896, W. 6824. 245 Smidt, I I , a.a.O. (Anm. 128), S. 66. 246 Wet houdende nadere voorzieningen ter bescherming van de openbare orde (Gesetz über nähere Vorkehrungen zum Schutze der öffentlichen Ordnung) vom 19. J u l i 1934, StBl. 405.
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neuen Art. 137 c - 137 e nl. StGB ersetzt, m i t denen bestimmte Formen der Rassendiskriminierung unter Strafe gestellt wurden 2 4 7 . Ferner ist auf die neuen Strafbestimmungen zur Abwehr von Verletzungen des persönlichen Lebensbereichs mit Hilfe moderner Abhörgeräte und Tonund Bildaufnahmetechniken hinzuweisen (Art. 139 a - 139 g nl. StGB), die ebenfalls 1971 neu i n das Strafgesetzbuch aufgenommen wurden 2 4 8 . Eine erste Deliktsgruppe bilden Verbrechen, denen gemeinsam ist, daß sie i n der Öffentlichkeit mündlich, durch Schrift oder durch Abbildung begangen werden. I n der Öffentlichkeit bedeutet hier: für Auge oder Ohr des Publikums wahrnehmbar. Z u diesen Verbrechen zählen: Aufwiegelung zu einer Straftat oder zu gewalttätigem Auftreten gegen die Staatsgewalt (Art. 131 nl. StGB), Anbieten von Informationen, Gelegenheit und Mitteln, u m eine Straftat zu begehen (Art. 133 nl. StGB), Äußerungen i n beleidigender Form über die Staatsgewalt, ein Staatsorgan oder eine öffentliche Einrichtung (Art. 137 a nl. StGB) oder über eine Bevölkerungsgruppe wegen ihrer Rasse, Religion oder Lebensanschauung (Art. 137 c nl. StGB) sowie der Aufruf zu Haß, Diskriminier u n g 2 4 9 oder zum gewalttätigen Vorgehen gegen die Person oder das Gut von Menschen wegen ihrer Rasse, Religion oder Lebensanschauung (Art. 137 d nl. StGB) und schließlich Äußerungen, die durch verächtliche Gotteslästerung religiöse Gefühle kränken (Art. 147 Ziff. 1 nl. StGB) 2 5 0 . Den hier genannten Verbrechen sind jeweils sogenannte Verbreitungsdelikte beigeordnet (Art. 132, 134, 137 b, 137 e und 147 a nl. StGB), die mit den bereits besprochenen Verbreitungsdelikten der Art. 113 und 119 nl. StGB völlig übereinstimmen. Manche Verbrechen aus dieser Deliktsgruppe sind zugleich gegen die Staatsgewalt gerichtet (Art. 131 - 132 und 137 a - 137 b nl. StGB). Außer gegen die Staatsgewalt kann sich die Beleidigung nach den Art. 137 a 247 Nähere Angaben zu diesem Gesetz von 1971 sind oben i n Anm. 19 enthalten. 248 Nähere Angaben zu diesem Gesetz von 1971 sind oben i n A n m . 9 aufgenommen. 249 Nach der Legaldefinition von A r t . 90 quater nl. StGB w i r d unter D i s k r i minierung jede F o r m eines Unterschiedes, jeder Ausschluß, jede Beschränk u n g oder jeder Vorzug verstanden, der bzw. die das Ziel hat oder die Folge haben kann, daß die Anerkennung, der Genuß oder die Ausübung unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit der Rechte der Menschen u n d der fundamentalen Freiheiten auf politischem, wirtschaftlichem, sozialem oder kulturellem Gebiet oder i n anderen Bereichen des öffentlichen Lebens zunichte gemacht oder beeinträchtigt w i r d . 250 Diese Straftat wurde durch Wet tot aanvulling van het Wetboek van strafrecht met voorzieningen betreffende bepaalde voor goodsdienstige gevoelens krenkende uitingen (Gesetz zur Ergänzung des Strafgesetzbuchs m i t Vorkehrungen gegen bestimmte, religiöse Gefühle verletzende Äußerungen) vom 4. November 1932, StBl. 524 eingefügt.
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und 137 b nl. StGB auch gegen ein Staatsorgan oder gegen eine öffentliche Einrichtung richten 2 5 1 . Hinsichtlich der Tathandlungen werden gelegentlich zusätzliche einschränkende Anforderungen gestellt. Rein sachliche Äußerungen hat der Gesetzgeber nämlich um der geistigen Freiheit willen nicht verbieten wollen. So werden i n den Art. 137 a und 137 b nl. StGB nicht beleidigende Äußerungen gegenüber den dort genannten Hoheitsträgern schlechthin bestraft, sondern nur solche i n beleidigender Form (Formalbeleidigungen). Auch die Gotteslästerung nach Art. 147 Ziff. 1 nl. StGB ist nicht als solche strafbar, sondern nur eine verächtliche Gotteslästerung, die in ihrer Form für religiöse Gefühle verletzend ist. Einige der i n dieser Gruppe genannten Verbrechen werden durch Übertretungstatbestände ergänzt. So ist wegen einer Übertretung strafbar, wer an auf Diskriminierung gerichteten Aktivitäten teilnimmt oder sie finanziell oder sonst materiell unterstützt (Art. 429 ter nl. StGB), oder i n der Ausübung seines Berufes jemanden wegen seiner Rasse benachteiligt (Art. 429 quater nl. StGB) 2 5 2 . Ergänzend zu Art. 147 Ziff. 1 nl. StGB ist nach A r t . 429 bis nl. StGB schließlich wegen einer Übertretung strafbar, wer auf einem vom öffentlichen Weg aus sichtbaren Platz Worte oder Abbildungen aufstellt oder aufgestellt läßt, die als verächtliche Gotteslästerung für religiöse Gefühle verletzend sind. Eine zweite Deliktsgruppe innerhalb dieses Titels bilden die Tatbestände, die die Nichtanzeige schwerwiegender Verbrechen unter Strafe stellen. Sie sind i n den Art. 135 und 136 nl. StGB umschrieben. Danach macht sich strafbar, wer i n Kenntnis von einer Verschwörung zu einem der Verbrechen der Art. 92 - 95 a, 102 oder 121 nl. StGB (Art. 135 nl. StGB) oder von einem Entschluß zur Begehung bestimmter sehr ernster Verbrechen — Fahnenflucht i n Kriegszeiten, Militärverrat, Mord, Notzucht und gemeingefährliche Straftaten m i t drohender Lebensgefahr (Art. 136 nl. StGB) — zu einem Zeitpunkt, zu dem die Begehung dieser Verbrechen noch verhindert werden kann, den Beamten der Justiz oder Polizei oder dem Bedrohten nicht rechtzeitig und hinreichend davon Kenntnis gibt. Die Anzeigepflicht besteht auch, wenn 251 Der Begriff Staatsgewalt ist gleichbedeutend m i t Regierung, unter Staatsorgan oder öffentliche Einrichtung sind dagegen öffentlich-rechtliche Körperschaften oder Institutionen zu verstehen. 252 Die erste Verurteilung wegen Diskriminierung von Menschen wegen ihrer Rasse wurde durch ein U r t e i l des Kreisgerichts Amsterdam v o m 13. November 1973 wegen Verweigerung des Zugangs zu einer Tanzbar ausgesprochen, wurde jedoch wegen prozessualer Mängel i n der Berufungsinstanz aufgehoben (Urteil des Bezirksgerichts Amsterdam v o m 13. J u n i 1974) u n d ist jetzt i m Kassationsverfahren zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen worden (H. R., U r t e i l v o m 25. Februar 1975, N. J. 1975, 231 m i t A n m e r k u n g von van Veen).
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das Verbrechen bereits begangen ist, die dadurch ausgelöste Lebensgefahr jedoch noch abgewendet werden könnte (Art. 136 Abs. 2 nl. StGB). Die Tat ist nur strafbar, wenn das Verbrechen tatsächlich begangen wird. Nicht strafbar sind Personen, die sich durch diese Bekanntgabe der Gefahr einer Strafverfolgung ihrer selbst oder bestimmter ihnen nahestehender anderer Personen aussetzen würden (Art. 137 nl. StGB). Eine dritte Deliktsgruppe umfaßt die Verbrechen, die den Schutz der Individualsphäre betreffen. Hierzu zählen nicht nur die Tatbestände, die ein widerrechtliches körperliches Eindringen i n geschützte Bereiche oder ein unbefugtes Verbleiben darin unter Strafe stellen, sondern auch die i m Jahre 1971 neu hinzugekommenen Straf Vorschriften gegen ein Eindringen i n die Privatsphäre m i t Hilfe verschiedener technischer Hilfsmittel. Daß diese gegen Individualrechte gerichteten Straftaten als Verbrechen gegen die öffentliche Ordnung eingeordnet worden sind, findet seine Rechtfertigung allgemein darin, daß die staatliche Garantie geschützter Individualbereiche Grundlage jeder freiheitlichen Ordnung ist. Andererseits geht es natürlich auch um den Schutz öffentlicher Gebäude und der Benutzung des Telephons als öffentliche Einrichtung, so daß i m Sachzusammenhang auch unmittelbar öffentliche Ordnungsbelange angesprochen sind 2 5 3 . Die erste Untergruppe kann unter dem Begriff Hausfriedensbruch zusammengefaßt werden. Strafbar ist, wer i n eine Wohnung oder einen umschlossenen Raum oder Hof, die bzw. der i m Gebrauch eines anderen steht (Art. 138 nl. StGB), oder i n einen für öffentliche Dienste bestimmten Raum (Art. 139 nl. StGB) widerrechtlich eindringt oder dort unbefugt verweilt und sich auf Aufforderung des Berechtigten nicht sogleich entfernt. Zu diesen Strafbestimmungen sind i n letzter Zeit eine Reihe von Entscheidungen ergangen, die durch Hausbesetzungen und Besetzungen von Universitätsgebäuden (Besetzung des Maagdenhuis i n Amsterdam) durch Studenten ausgelöst wurden. Der Höge Raad hat entschieden, daß leerstehende Häuser nicht unter den Schutz des Hausfriedensbruchs nach Art. 138 nl. StGB fallen. Die Vorschrift schütze das Hausrecht, und es sei deshalb erforderlich, daß das angegriffene Objekt „tatsächlich als Wohnung i n Gebrauch" sei 2 3 4 . Ein mehr253 I n der B R D ist demgegenüber das Abhörverbot i n den besonderen T i tel „Strafbarer Eigennutz u n d Verletzung fremder Geheimnisse" aufgenommen worden (Art. 284 - 302 f StGB). 254 H.R., U r t e i l vom 2. Februar 1971, N . J . 1971, 385. Auch für den u m schlossenen Raum w i r d verlangt, daß er tatsächlich von einem anderen benutzt w i r d . H. R., U r t e i l v o m 16. November 1971, N . J . 1972, 61. Vgl. a u d i oben A n m . 7. Z u der durch diese restriktive Rechtsprechung ausgelösten Ge setzesvorlage sei auf die obigen Ausführungen auf S. 24 m i t A n m . 8 verwiesen.
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monatiger Klinikaufenthalt bedeute jedoch nicht, daß die weiterhin möblierte Wohnung nicht mehr i n Gebrauch sei 2 5 5 . Die Besetzung eines Universitätsgebäudes mit dem Ziel, der Forderung nach mehr Demokratie in der Universität Nachdruck zu verleihen, wurde dagegen als strafbar angesehen 256 . Eindringen bedeutet, eine Wohnung, einen umschlossenen Raum oder einen Hof zu betreten gegen den gegenüber der eintretenden Person entweder durch Erklärung oder aus anderen Umständen erkennbaren unmißverständlichen Willen des Berechtigten 257 . A n einigen Beispielen ist der Begriff i m Gesetz näher konkretisiert worden. Wer sich den Zugang verschafft hat, indem er eingebrochen oder eingestiegen ist oder falsche Schlüssel, einen falschen Auftrag oder eine Verkleidung benutzt hat, oder wer ohne Vorkenntnis des Berechtigten und anders als infolge eines Versehens in einer Wohnung usw. zur Nachtzeit angetroffen wird, gilt als Eindringling (Art. 138 Abs. 2 und 139 Abs. 2 nl. StGB). Unbefugtes Verweilen an einem vorgenannten Orte ist demgegenüber gegeben, wenn jemand nicht nur kein Recht hat, sich dort aufzuhalten, sondern überdies sein Aufenthalt gegen das Recht steht. Wenn jemand auf die erste Aufforderung hin sich nicht entfernt, kann der Richter annehmen, daß er dort unbefugt verweilt. Kommt er auch der zweiten Aufforderung nicht nach, kann daraus gefolgert werden, daß er Hausfriedensbruch in der zweiten Handlungsalternative begeht 258 . Inhaber des hier geschützten Hausrechts kann jeder sein, der die Sache i m Gebrauch hat, unabhängig davon, ob dafür ein Rechtsgrund besteht 259 . So hat ζ. B. der vom anderen Ehegatten getrennt lebende Ehegatte die ehemalige eheliche Wohnung nicht mehr in Gebrauch und demzufolge kein eigenes Recht, als Mieter i n die Wohnung mit Gewalt einzudringen 260 . Auch mehrere Benutzer können das Recht zu gleicher Zeit innehaben 261 . 235
H. R , U r t e i l v o m 4. Januar 1972, N. J. 1972, 121. Die Berufung auf den außergesetzlichen Strafausschließungsgrund fehlender materieller Rechtswidrigkeit (s. o. S. 65) scheiterte, w e i l nicht dargetan war, daß alle gesetzlichen M i t t e l ausgeschöpft waren, das gesteckte Ziel zu erreichen u n d ohnehin Demokratisierung, für die auch eine Änderung der gesetzlichen Vorschriften erforderlich sei, nur auf gesetzlichen Wegen angestrebt werden dürfe. E i n unverschuldeter I r r t u m über die Erlaubtheit des Druckmittels läge ebenfalls nicht vor, w e i l kein einziger Hinweis dafür vorhanden sei, daß der Angeklagte sich nicht dessen bewußt zu sein brauchte, daß er gegen das Strafgesetz handelte. Gerichtshof Amsterdam, U r t e i l vom 19. September 1969, N. J. 1969, 356. Die Kassation i n diesem Verfahren wurde verworfen. H. R., U r t e i l vom 12. M a i 1970, N. J. 1971, 97. 257 H. R., U r t e i l v o m 16. Dezember 1969, N. J. 1971, 96 (Besetzung des mexikanischen Konsulats). 258 H. R , U r t e i l v o m 12. J u n i 1951, N. J. 1951, 618. 259 H. R., U r t e i l v o m 14. Dezember 1914, N. J. 1915, 368. 260 H. R., U r t e i l vom 9. J u n i 1941, N. J. 1941, 702. 256
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Als Straferschwerungsgründe nennt das Gesetz die Äußerung von Drohungen und die Verwendung von Mitteln, die geeignet sind, Furcht einzuflößen (Art. 138 Abs. 3 und 139 Abs. 3 nl. StGB). Außerdem kann die Strafe um ein Drittel erhöht werden, wenn zwei oder mehr Personen das Delikt i n Vereinigung begehen (Art. 138 Abs. 4 und 139 Abs. 4 nl. StGB). Die zweite Untergruppe bilden die 1971 neu geschaffenen Tatbestände zum Schutze des persönlichen Lebensbereichs. Hierunter fallen sowohl die Tatbestände, die das gesprochene Wort gegen unbefugtes Abhören und Aufnehmen sichern, wie auch diejenigen, die das rechtmäßige Interesse an der eigenen Abbildung schützen. Dem Schutze des gesprochenen Wortes dienen die A r t . 139 a - 139 e sowie 441 a nl. StGB, dem Schutz einer Person vor unbefugter Abbildung die Art. 139 f und 139 g sowie 441 b nl. StGB. Strafbar macht sich, wer ein Gespräch abhört oder aufnimmt, jedoch w i r d i m Strafmaß oder hinsichtlich der Formulierung von Ausnahmen danach differenziert, wo bzw. wie das Gespräch geführt wird. Das in einer Wohnung, einem umschlossenen Baum oder Hof ohne Verwendung eines Telephons gesprochene Wort genießt den umfassendsten Schutz. Solche Gespräche mit einem technischen M i t t e l abzuhören oder aufzunehmen ist bei Strafe verboten, außer wenn dies i m Auftrag eines Gesprächsteilnehmers oder ohne offenbaren Mißbrauch mittels einer Anlage erfolgt, die auf Geheiß des Inhabers des Hausrechts und nicht verborgen vorhanden ist (Art. 139 a nl. StGB). Als weiterer Vorbehalt ist die i m Interesse der Staatssicherheit durch besondere gemeinschaftliche Anordnung des Ministerpräsidenten, des Justiz- und Innenministers verfügte und auf jeweils drei Monate begrenzte Überwachung durch den inländischen Sicherheitsdienst genannt (Art. 139 a Abs. 2 Ziff. 3 nl. StGB). M i t geringerer Strafe w i r d bedroht 2 6 2 , wer ein Gespräch mit technischen M i t t e l n heimlich abhört oder aufnimmt, das außerhalb einer Wohnung oder eines umschlossenen Raumes geführt wird. I m übrigen gelten dieselben Einschränkungen des Verbots m i t Ausnahme der Verwendung der zuvor erwähnten Anlage. Zwar nicht i m Strafmaß, jedoch hinsichtlich der Ausnahmen vom Abhör- und A u f nahmeverbot ist demgegenüber der Straftatbestand variiert, der das Abhören und Aufnehmen von fernmündlichen Gesprächen — außer dem drahtlosen Fernsprechverkehr — mit technischen Hilfsmitteln unter Strafe stellt (Art. 139 c nl. StGB). Hier führt nicht nur der Auf281 Die i m Hause anwesende F r a u n i m m t das Hausrecht deshalb nicht i m Namen des Mannes wahr. H. R., U r t e i l v o m 27. J u n i 1927, N. J. 1927, S. 946. 262 Gegenüber einer Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe bis zu zwanzigtausend Gulden ist hier eine Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten oder eine Geldstrafe bis zu zehntausend Gulden angedroht.
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trag eines Gesprächsteilnehmers zur Straflosigkeit, vielmehr ist die Bestimmung auch nicht anwendbar, wenn der Inhaber des für das Gespräch benutzten Telephonanschlusses außer i n offenbaren Mißbrauchsfällen dazu Auftrag erteilt, und — zusätzlich zu der i m Interesse der Staatssicherheit möglichen Telephonüberwachung — wenn das Abhören und Aufnehmen zum Zwecke einwandfreier Tätigkeit der Telephoneinrichtung sowie zu Zwecken des Strafverfahrens erfolgt. Diesen gegen das Abhören und Aufnehmen von Gesprächen gerichteten Strafdrohungen sind eine Reihe von Tatbeständen hinzugefügt worden, die dem eigentlichen Delikt vor- oder nachgelagert sind, vom Gesetzgeber aber für ebenso strafwürdig angesehen wurden. I n gleicher Weise ist nämlich strafbar, einerseits, wer ein technisches Hilfsmittel an einem bestimmten Platz gegenwärtig sein läßt i n der Absicht, daß damit ein Gespräch rechtswidrig abgehört oder aufgenommen w i r d (Art. 139 d nl. StGB), und andererseits, wer einen Gegenstand zur Verfügung hat oder einem anderen zur Verfügung stellt, dem durch unbefugtes Abhören oder Aufnehmen erlangtes Material entnommen werden kann, oder solches Material einem anderen bekanntmacht (Art. 139 e nl. StGB). Die Weitergabe oder Veröffentlichung von durch Empfangsgeräte für drahtlose Télégraphié oder Telephonie aufgefangenen Nachrichten war bereits vor der Novelle von 1971 als Übertretung strafbar, wenn diese Nachrichten weder für den Empfänger noch für die Öffentlichkeit bestimmt waren (Art. 441 nl. StGB). Dem ist als weiterer Übertretungstatbestand durch die Novelle von 1971 das Verbot der Werbung mit technischen Hilfsmitteln für das heimliche Abhören oder Aufnehmen von Gesprächen hinzugefügt worden (Art. 441 a nl. StGB). Die Straftatbestände zum Schutze von Personen vor unbefugter Abbildung und deren Verwendung sind weniger differenziert, insbesondere weil der Gesetzgeber keine Eingrenzung der Strafbarkeit durch die Formulierung von Ausnahmen vom allgemeinen Verbot für erforderlich hielt. Der Grundtatbestand ist i n Art. 139 f Ziff. 1 nl. StGB enthalten. Danach macht sich mit einer Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe bis zu zwanzigtausend Gulden strafbar, wer unter Verwendung einer durch eine List oder einen Kunstgriff geschaffenen Gelegenheit von einer Person, die sich in einer Wohnung oder einem nicht für die Öffentlichkeit zugänglichen Raum befindet, mit einem technischen Hilfsmittel eine Abbildung anfertigt, durch die dessen rechtmäßiges Interesse geschädigt werden kann 2 6 3 . Die gleiche 283 Die erste Verurteilung wegen dieses neuen Straftatbestandes — sie betraf einen Pressephotographen, der i n einer Wohnung i n Amsterdam eine verborgene Kamera benutzt hatte — erfolgte durch das Bezirksgericht A m sterdam, U r t e i l v o m 27. März 1973. I n der Berufung entschied der Gerichts-
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Strafe trifft denjenigen, der über eine auf diese A r t erlangte Abbildung verfügt (Art. 139 f Ziff. 2 nl. StGB). Wer dagegen eine solche Abbildung veröffentlicht, hat eine wesentlich höhere Geldstrafe zu erwarten (Art. 139 g nl. StGB). Der dort angedrohte Höchstbetrag von einhunderttausend Gulden liegt weit über dem sonst üblichen Maß und räumt damit ähnlich wie der bereits erwähnte Tatbestand über Bestechungsfälle in der Wirtschaft (Art. 328 ter nl. StGB) die Möglichkeit ein, die damit verbundenen Gewinnchancen zunichte zu machen. Die Anfertigung von Abbildungen i n einem öffentlichen Restaurant oder ähnlichen umschlossenen Räumen, die unter Benutzung eines dafür angebrachten, jedoch nicht i n deutlicher Weise bekanntgemachten Hilfsmittels erfolgt, ist schließlich nach A r t . 441 b nl. StGB als Übertretung mit Haft bis zu zwei Monaten oder einer Geldstrafe bis zu vierhundert Gulden strafbar. Die vierte Deliktsgruppe kann unter der Überschrift „Störung von Ruhe und Ordnung" zusammengefaßt werden. Die Ruhestörung durch falsche Alarmrufe oder Signale ist als Verbrechen, allerdings nur mit einer Gefängnisstrafe bis zu zwei Wochen oder einer Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Gulden (Art. 142 nl. StGB), die Störung der Nachtruhe dagegen als Übertretung strafbar (Art. 431 nl. StGB). Ferner können zu dieser Gruppe die gegen Versammlungen gerichteten Straftaten gerechnet werden, nämlich die Verhinderung einer genehmigten öffentlichen Versammlung durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt (Art. 143 nl. StGB) sowie die Störung einer solchen Versammlung durch Unordnung oder Lärm (Art. 144 nl. StGB). Die fünfte Deliktsgruppe umfaßt Straftatbestände, die die Verletzung der religiösen Freiheit betreffen. Darunter fallen die Verhinderung von erlaubten öffentlichen Religionsversammlungen, kirchlichen Feierlichkeiten oder Trauerfeiern durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt (Art. 145 nl. StGB) sowie die Störung solcher Veranstaltungen durch Unordnung oder Lärm (Art. 146 nl. StGB). I n diesen Zusammenhang gehören auch die i n Art. 147 Ziff. 2 und 3 nl. StGB umschriebenen Verbrechen. Danach ist strafbar, wer einen Religionsdiener bei der erlaubten Ausübung seines Amtes verspottet oder einen Kultgegenstand beschimpft, wo und wenn der Gottesdienst erlaubt ist 2 6 4 . Weiter hof Amsterdam am 16. November 1973 und i n der Kassation der H. R., U r t e i l vom 25. J u n i 1974, N. J. 1974, 455 m i t A n m e r k u n g von van Veen. Die schließlich rechtskräftig verhängte Strafe fiel allerdings sehr niedrig aus: eine Woche Gefängnis auf Bewährung. 204 Die Beschränkung des Strafrechtsschutzes auf erlaubten Gottesdienst hängt m i t dem i n den Niederlanden noch immer f ü r gültig erachteten V e r bot von kirchlichen Prozessionen zusammen, sofern diese nicht zugelassen sind (Art. 184 Abs. 2 nl. GrundG).
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sind die Verhinderung oder Behinderung des befugten Zutritts zu einem Friedhof oder des genehmigten Transports eines Leichnams zu einem Friedhof oder Krematorium (Art. 148 nl. StGB), die Verletzung von Grabstätten oder Grabmälern (Art. 149 nl. StGB), die rechtswidrige Ausgrabung, Wegnahme oder Verlegung einer Leiche (Art. 150 nl. StGB) und die Beseitigung einer Leiche i n der Absicht, den Todesfall oder seine Ursache oder eine Totgeburt zu verheimlichen (Art. 151 nl. StGB), zu nennen. Merkwürdigerweise ist die Leichenschändung als solche in diesem A r t i k e l nicht unter Strafe gestellt. Als sechste Deliktsgruppe sind darüber hinaus noch zwei wichtige besondere Verbrechen aus diesem Titel zu erwähnen: die Beteiligung an kriminellen oder verbotenen Vereinigungen 2 6 5 (Art. 140 nl. StGB) sowie die öffentliche Gewaltausübung gegen Personen oder Sachen (Art. 141 nl. StGB). Die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis geahndet werden, die Beteiligung an verbotenen Vereinigungen mit höchstens eineinhalb Jahren Gefängnis oder einer Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden. Gegenüber Gründern oder Leitern solcher Vereinigungen können schwerere Strafen ausgesprochen werden (Art. 140 Abs. 3 nl. StGB). Die öffentliche Gewaltausübung mit vereinten Kräften w i r d mit bis zu viereinhalb Jahren Gefängnis bestraft; der A r t i k e l sieht ferner starke Straferhöhungen für dadurch verursachte Verletzungserfolge vor (Art. 141 Abs. 2 Ziff. 1 - 3 nl. StGB). Eine Sonderstellung nimmt schließlich ein durch ein Gesetz aus dem Jahre 195 6 2 6 6 eingeführter Tatbestand ein, der die gewinnsüchtige Vermittlung eines Pflegekindes unter bestimmten Voraussetzungen unter Strafe stellt (Art. 151 a nl. StGB). Das Delikt begeht, wer aus Gewinnsucht unterstützt, daß ein K i n d unter sechs Monaten, das nicht unter der Vormundschaft einer juristischen Person steht, ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Rates für Jugendschutz (Raad voor de kinderbescherming) als Pflegekind aufgenommen wird. Die Aufnahme eines solchen Kindes als Pflegekind andererseits wurde durch dieselbe Novelle als Übertretung pönalisiert (Art. 442 a nl. StGB). Nach dem ursprünglichen Regierungsentwurf sollten unter die Verbrechen gegen die öffentliche Ordnung auch die Bettelei und i n gewissen Grenzen die Landstreicherei eingestellt werden. Nach ausführlicher Beratung sind diese Strafbestimmungen indes in das Dritte Buch her2β3 Darunter werden auch Stiftungen verstanden (Art. 140 Abs. 4 nl. StGB). 286 Wet houdende invoering van de mogelijkheid van adoptie (Gesetz über die Einführung der Möglichkeit einer Adoption) vom 26. Januar 1956, StBl. 42.
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übergenommen worden, öffentliches Betteln und mittelloses Umherstreifen werden mit kurzer Haft bestraft, und wenn der Beschuldigte arbeitsfähig ist, kann für höchstens drei Jahre die Unterbringung i n einem staatlichen Arbeitshaus angeordnet werden (Art. 432 - 434 nl. StGB). Gleichbehandelt w i r d seit 1911, wer als Zuhälter aus der Unzucht einer Frau Vorteil zieht (Art. 432 Ziff. 3 nl. StGB). Dieses i m auffälligen Gegensatz zum deutschen S traf recht als Übertretung eingestufte Delikt knüpft indes eher an das unter die Sittlichkeitsverbrechen aufgenommene Kuppeleiverbot an, das i n Art. 250 bis nl. StGB umschrieben ist. Wer berufs- oder gewohnheitsmäßig Unzucht von anderen m i t Dritten herbeiführt oder fördert, w i r d stets aus dieser Unzucht wohl auch Vorteil ziehen. Das Verbrechen nach Art. 250 bis nl. StGB w i r d aber durch einen Bordellinhaber, die Übertretung nach Art. 432 Ziff. 3 nl. StGB der gesetzlichen Umschreibung nach durch einen Zuhälter begangen. Die „Übertretungen in bezug auf die öffentliche Ordnung" i m Zweiten Titel des Dritten Buches haben untereinander noch weniger gemeinsam als die zuvor behandelten Verbrechen gegen die öffentliche Ordnung. Außer den wegen des Sachzusammenhangs bereits erwähnten Übertretungstatbeständen sind dort nämlich eine ganze Reihe weiterer Übertretungen zu finden. I h r Zusammenhang mit der öffentlichen Ordnung ist manchmal ziemlich vage, so daß sich nicht empfiehlt, sie geschlossen darzustellen. Ein Teil der Übertretungen w i r d deshalb erst bei den Strafbestimmungen erwähnt, an die sie sachlich i m hinreichenden Maße anknüpfen 2 6 7 . Hier werden lediglich diejenigen Übertretungen besprochen, bei denen ein solcher Anknüpfungspunkt fehlt. Die erwähnte Novelle von 1934 zum Schutze der öffentlichen Ordnung brachte neben den bereits behandelten Strafbestimmungen der Beleidigung der Staatsgewalt u. a. eine Übertretung, m i t der eine Handhabe geschaffen werden sollte, die Uniformfreudigkeit des damals aufkommenden Nationalsozialismus zurückzudrängen. Trotz dieser speziellen Zielrichtung ist die Deliktsumschreibung allgemein abgefaßt. 287
So werden die A r t . 435 Ziff. 1 und 2 und 436 nl. StGB i m Anschluß an die Verbrechen gegen die Staatsgewalt der A r t . 195 ff. nl. StGB behandelt werden, und A r t . 435 Ziff. 4 nl. StGB i m Anschluß an A r t . 184 nl. StGB. Die A r t . 435 b - 4 3 5 d nl. StGB betreffen spezielle Fälle des unerlaubten W e t t bewerbs und werden deshalb i m Zusammenhang m i t A r t . 328 bis nl. StGB besprochen werden. Die A r t . 437 - 437 quater nl. StGB dienen dem K a m p f gegen die Hehlerei u n d sollen deshalb i m Anschluß an die A r t . 416 ff. nl. StGB dargestellt werden. A r t . 440 nl. StGB k n ü p f t an die Bestimmungen über die Falschmünzerei usw. an u n d w i r d daher bei A r t . 208 ff. nl. StGB zu erörtern sein. A r t . 442 nl. StGB betrifft schließlich die Benachteiligung von Gläubigern und k o m m t deshalb i m Anschluß an A r t . 340 ff. nl. StGB zur Sprache.
§51 Der Zweikampf
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M i t Haft bis zu zwölf Tagen oder einer Geldstrafe bis zu dreihundert Gulden kann danach bestraft werden, wer i n der Öffentlichkeit Kleidungsstücke oder auffällige Abzeichen trägt oder führt, die Ausdruck einer bestimmten politischen Richtung sind (Art. 435 a nl. StGB). Als weitere Übertretung ist hier die Zuwiderhandlung gegen die Registrier- und Vorlagepflicht i m Hotelgewerbe zu nennen. Wer gewerbsmäßig anderen Personen Unterkunft für die Nacht verschafft und kein durchlaufendes Register führt oder es unterläßt, in diesem Register Ankunft und Abreise der Nachtgäste zu vermerken oder es dem Bürgermeister oder einem von i h m angewiesenen Beamten zu zeigen, kann nach Art. 438 nl. StGB bestraft werden. I n der Begründung ist diese Strafvorschrift als für die allgemeine Sicherheit und gute Ordnung unentbehrlich bezeichnet worden. Die letzte hier zu erwähnende Übertretung betrifft den Handel mit militärischen Ausrüstungsgegenständen. Die i n der Begründung hergestellte Verbindung zur Fahnenflucht nach Art. 203 nl. StGB rechtfertigt kaum eine Zuordnung zu diesem Delikt, auch wenn solche Zuwiderhandlungen bevorzugt von Fahnenflüchtigen begangen werden dürften. Nach Art. 439 nl. StGB macht sich strafbar, wer von einem Soldaten unter Offiziersrang Ausrüstungsgegenstände kauft oder annimmt oder solche Gegenstände verkauft oder an Dritte abgibt, wenn dies ohne schriftliche Erlaubnis des kommandierenden Offiziers geschieht, wie auch, wer gewohnheitsmäßig solche Gegenstände kauft und die durch allgemeine Verordnung der inneren Verwaltung erlassenen Vorschriften über die darüber zu führenden Register nicht befolgt. § 51 Der Zweikampf
Der Sechste Titel i m Zweiten Buch behandelt den Zweikampf. I n der Begründung zu diesem Titel w i r d dieser Platz des Zweikampfes i m Strafgesetzbuch damit gerechtfertigt, daß die Ausfechtung von Duellen die Selbstjustiz fördere und damit i n einem zivilisierten Staat die gesellschaftliche Ordnung angreife. Auf der anderen Seite sollen wegen der besonderen Absicht des Täters die Strafbestimmungen über Mord, Totschlag und Körperverletzung hier nicht angewendet werden. Diese doppelte Überlegung hat zu zwei Gruppen von Strafbestimmungen i n diesem Titel geführt. I n der ersten Gruppe werden Handlungen i n Verbindung mit einem Zweikampf unter Strafe gestellt (Art. 152, 153 und 154 Abs. 1 und 5 nl. StGB), i n der zweiten die Strafen für Verbrechen gegen Leib und Leben unter dem besonderen Gesichtspunkt eines nach Regeln geführten Zweikampfes vermindert (Art. 154 Abs. 2 - 4 , 155 und 156 nl. StGB). Eine besondere Ehrenstrafe ist i n keiner der Fälle vorgesehen, alle im Zusammenhang mit einem Zweikampf straf-
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baren Handlungen werden vielmehr m i t Gefängnisstrafen unterschiedlicher Schwere bedroht, i n einem Fall (Art. 153 nl. StGB) alternativ auch mit der Geldstrafe. Bei der Umschreibung der ersten Deliktsgruppe hat der Gesetzgeber dem üblichen Verlauf eines Zweikampfes zweckmäßig Rechnung tragen wollen. So w i r d das Antreiben zu einer Herausforderung zum Zweikampf oder zur Annahme einer Herausforderung und die Überbringung einer Herausforderung nur unter Strafe gestellt, wenn der Zweikampf daraufhin stattfindet (Art. 152 nl. StGB). Aus demselben Grund ist der Zweikampf auch für denjenigen strafbar, der seinem Gegner keine Körperverletzung zufügt (Art. 154 Abs. 1 nl. StGB), der Versuch zum Zweikampf jedoch nicht (Art. 154 Abs. 5 nl. StGB). Es kann nämlich vorkommen, daß jemand sowohl die Ehre als auch das Leben des Herausforderers oder des Herausgeforderten dadurch retten will, daß er einerseits die Herausforderung oder ihre Annahme fördert, andererseits aber hinter dem Rücken der Duellgegner die Polizei über Ort und Zeit des Zweikampfes i n Kenntnis setzt. Dies würde er wahrscheinlich nicht tun, wenn er selbst oder die Duellgegner strafbar wären. Auf der anderen Seite ist indessen unbeschränkt strafbar, wer jemanden öffentlich oder in Gegenwart Dritter schmäht oder verspottet, weil er nicht zum Zweikampf herausgefordert oder eine Herausforderung dazu abgewiesen hat (Art. 153 nl. StGB). Bei der zweiten Deliktsgruppe werden die Strafen für Verbrechen gegen Leib oder Leben erleichtert, wenn diese Verbrechen in einem nach Regeln geführten Zweikampf verübt worden sind (Art. 154 Abs. 2 - 4 nl. StGB). Ist der Zweikampf indes nicht nach Regeln geführt worden, werden die Strafbestimmungen über Mord, Totschlag und Körperverletzung angewendet. Für einen ordentlichen Zweikampf ist erforderlich, daß die Bedingungen vorab geregelt sind, der Zweikampf in Gegenwart beiderseitiger Zeugen stattfindet und der Täter sich nicht vorsätzlich und zum Nachteil der Gegenseite einer betrügerischen Handlung schuldig macht oder von den Bedingungen abweicht (Art. 155 nl. StGB). Zeugen und Ärzte, die einem Zweikampf beiwohnen, sind nicht strafbar (Art. 156 Abs. 1 nl. StGB). Zeugen machen sich jedoch strafbar, wenn die Bedingungen nicht vorab geregelt sind oder sie die Parteien zur Fortsetzung des Zweikampfes antreiben, und auch, wenn sie vorsätzlich oder zum Nachteil einer oder beider Parteien eine betrügerische Handlung der Parteien oder eine Abweichung von den Bedingungen zulassen oder selbst so eine betrügerische Handlung begehen (Art. 156 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 nl. StGB). Sie werden wegen Beihilfe zum Mord, Totschlag oder zur Körperverletzung bestraft, wenn sie bei einem Zweikampf, in dem eine der Parteien getötet oder ihr
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eine Körperverletzung zugefügt wird, vorsätzlich und zum Nachteil dieser Partei sich der Begehung oder Zulassung eines Betrugs oder der Abweichung von den Regeln schuldig machen. Die Strafbestimmungen über den Zweikampf werden in den Niederlanden nicht oder höchst selten angewendet, offenbar weil Zweikämpfe nicht oder kaum mehr stattfinden. § 52 Straftaten gegen die allgemeine Sicherheit von Personen und Sachen
Der Siebente Titel enthält die Verbrechen, durch die die allgemeine Sicherheit von Personen oder Sachen gefährdet wird. Drei wichtige Novellen aus neuerer Zeit haben diesen Deliktsbereich ansehnlich erweitert. Durch das Kernenergiegesetz von 19 6 3 2 6 7 i l wurden die vorsätzliche und fahrlässige Gefährdung durch ionisierende Strahlen oder radioaktive Stoffe und durch das Gesetz über die Verschmutzung von oberirdischen Gewässern von 196 9 2 0 8 die vorsätzliche und fahrlässige Verschmutzung von oberirdischen Gewässern als neue Straftatbestände eingeführt. Durch das Gesetz gegen die Luftpiraterie von 197 1 2 6 9 w u r den schließlich eine Anzahl bestehender Verbrechen gegen die Sicherheit des öffentlichen Verkehrs auf den Luftverkehr ausgedehnt. Die gesetzlichen Deliktsumschreibungen sind bis auf die Ausnahmen in Art. 159 - 161 nl. StGB paarweise zusammengestellt, und zwar zunächst die vorsätzlichen und danach die fahrlässigen Straftaten. Ferner zeigen sie bis auf die Art. 159 und 160 nl. StGB eine einheitliche Struktur. Bestimmte, entweder vorsätzliche oder fahrlässige Handlungen werden nur unter der zusätzlichen Bedingung mit Strafe bedroht, daß bestimmte Folgen zu befürchten oder verwirklicht sind. Der typische Deliktsaufbau der gemeingefährlichen Verbrechenstatbestände läßt sich an den ersten beiden A r t i k e l n dieses Titels aufzeigen. Nach Art. 157 nl. StGB w i r d bestraft, wer vorsätzlich einen Brand stiftet, eine Explosion hervorruft oder eine Überschwemmung verursacht, und zwar mit Gefängnis bis zu höchstens: 1. zwölf Jahren, wenn dadurch Gemeingefahr für Sachwerte zu befürchten ist; 2. fünfzehn Jahren, wenn dadurch Lebensgefahr für einen anderen zu befürchten ist; 267a Vgl. d a z u die Angaben i n A n m . 11. 268 v g l dazu die Angaben i n A n m . 12. 289 Vgl. dazu die Angaben in A n m . 4.
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Das niederländische Strafrecht
3. lebenslänglich oder zwanzig Jahren, wenn dadurch Lebensgefahr für einen anderen zu befürchten ist und die Tat den Tod eines Menschen zur Folge hat. Nach Art. 158 nl. StGB macht sich strafbar, wer fahrlässig einen Brand, eine Explosion oder eine Überschwemmung herbeiführt. Die Strafmaxima richten sich danach, ob aus der Tat eine Gemeingefahr für Sachwerte oder Lebensgefahr für einen anderen entstanden ist oder der Tod eines Menschen verursacht wurde. Bei der Vorsatztat muß die Gefahr oder der Tod zu befürchten, bei der Fahrlässigkeitstat diese Folge verwirklicht sein. Dieser Unterschied erklärt sich für die unter Ziff. 1 und 2 genannten Fälle dadurch, daß bei der vorsätzlichen Begehungsform Raum für den strafbaren Versuch gelassen werden muß. I n dem unter Ziff. 3 umschriebenen Fall sind die Worte „zu befürchten" gerade deswegen eingefügt, u m nicht bei jeder Todesfolge ohne weiteres diese Strafbestimmung anwenden zu müssen, sondern nur, wenn i m Augenblick der Handlung ein verständiger Mensch diese Lebensgefahr vorhersehen konnte. Die drei Tatbestände, die diesem Aufbau nicht folgen, pönalisieren die Behinderung von Maßnahmen und die Zerstörung von Anlagen zur Abwehr von Gefahren durch Brand und Überschwemmung. Sie umschreiben lediglich Vorsatztaten und sind nicht als Erfolgsdelikte konzipiert. Die Art. 159 und 160 nl. StGB drohen nämlich demjenigen Strafe an, der bei oder i n Voraussicht von Brand oder Wassersnot auf bestimmte Weise der Löschung des Brandes oder der Verhinderung oder Eindämmung der Wassersnot entgegenarbeitet. A r t . 161 nl. StGB, der sich ebenfalls auf Überschwemmungen bezieht, folgt i n seiner Redaktion schon eher dem A r t . 157 nl. StGB. Danach macht sich strafbar, wer vorsätzlich eine Anlage, die zum Schutz gegen Wasser oder zur Entwässerung dient, zerstört, unbrauchbar macht oder beschädigt, wenn dadurch Überschwemmungsgefahr zu befürchten ist. Die Verursachung einer Gemeingefahr für Sachwerte oder Lebensgefahr w i r d hier allerdings ebenfalls nicht verlangt. Die anderen gemeingefährlichen Straftaten in diesem Titel sind demgegenüber jeweils i n vorsätzlicher und fahrlässiger Begehungsweise strafbar und richten sich gegen bestimmte Allgemeingüter. Die Umschreibung entspricht dabei zwar nicht immer dem Wortlaut, wohl aber dem Sinn der Art. 157 und 158 nl. StGB. Die Art. 161 bis und 161 ter nl. StGB schützen Elektrizitätsanlagen vor Vernichtung, Störung oder Verunsicherung; die A r t . 161 quater und 161 quinquies nl. StGB Menschen, Tiere, Pflanzen, Sachwerte, Boden, Wasser und L u f t vor Gefährdung durch ionisierende Strahlen oder radioaktive Stoffe und die Art.
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162 und 163 nl. StGB Anlagen, die dem öffentlichen Land-, Wasser- und Luftverkehr dienen, vor Vernichtung, Beschädigung, Behinderung und Verunsicherung. Nach A r t . 164 und 165 nl. StGB ist strafbar, wer vorsätzlich oder fahrlässig Gefahr für den Schienenverkehr verursacht; nach A r t . 166 und 167 nl. StGB, wer Zeichen, die für die Sicherheit der Schiff- oder Luftfahrt angebracht sind, vernichtet, beschädigt, wegnimmt oder verstellt bzw. deren Wirkung vereitelt oder ein falsches Zeichen aufstellt; nach A r t . 168 und 169 nl. StGB, wer Wasser- oder Luftfahrzeuge sinken bzw. abstürzen, stranden oder verunglücken läßt, zerstört, unbrauchbar macht oder beschädigt und nach A r t . 170 und 171 nl. StGB, wer Gebäude oder Bauten zerstört oder beschädigt. A r t . 172 und 173 nl. StGB drohen demjenigen Strafe an, der bestimmten Trinkwassereinrichtungen für das Leben oder die Gesundheit schädliche Stoffe zuführt, und A r t . 173 a und 173 b nl. StGB demjenigen, der ohne Genehmigung der zuständigen Wasserbehörde i n ein Gewässer einen Stoff einbringt, durch dessen Zusatz für andere bisherige Nutzer ein Nachteil entsteht. Nach A r t . 174 und 175 nl. StGB macht sich strafbar, wer ohne entsprechenden Hinweis für das Leben oder die Gesundheit schädliche Waren verkauft, zum Kauf anbietet, ausliefert oder verteilt. Das Gesetz zum Schutze der Bevölkerung 2 7 0 fügte schließlich die A r t . 175 a und b nl. StGB hinzu, nach denen die Nichtbeachtung von gesetzlichen Vorschriften zum Schutze der Bevölkerung i m Kriegsfall m i t Strafe bedroht ist. Soweit bei der vorsätzlichen Begehung dieser Verbrechen verlangt ist, daß Lebensgefahr für einen anderen zu befürchten ist und die Tat den Tod eines Menschen zur Folge hat, w i r d i n der Regel lebenslange oder zeitliche Gefängnisstrafe bis zu zwanzig Jahren als Höchststrafe angedroht. Ausnahmen finden sich i n A r t . 161 bis nl. StGB, der sich auf Elektrizitätswerke bezieht, und i n Art. 162 nl. StGB, der Anlagen des öffentlichen Land-, Wasser- und Luftverkehrs betrifft. Die Höchststrafe beträgt hier jeweils fünfzehn Jahre Gefängnis. Die erste Ausnahme läßt sich vielleicht dadurch erklären, daß A r t . 161 bis nl. StGB erst i m Jahre 1922 271 eingeführt wurde. Ein Grund für die zweite Ausnahme kann darin bestehen, daß i n A r t . 162 nl. StGB nicht Lebensgefahr, sondern nur Gefahr für die Sicherheit des Verkehrs zu befürchten sein muß. So lautet aber auch A r t . 166 nl. StGB i n bezug auf die zur Sicherheit der Schiff- und Luftfahrt aufgestellten Zeichen. I n Art. 164 (Gefahr 270 Wet bescherming bevolking (Gesetz z u m Schutze der Bevölkerung) v o m 10. J u l i 1952, StBl. 404. A r t . 175 b Ziff. 1 u n d 2 nl. StGB w u r d e später durch Gesetz v o m 20. M a i 1955, StBl. 207 geändert. 271 Wet tot aanpassing v a n het wetboek v a n strafrecht aan huidige toestanden op het gebied der aanwending van electrisch arbeidsvermogen (Gesetz zur Anpassung des Strafgesetzbuchs an die heutige Situation auf dem Gebiete der A n w e n d u n g elektrischer Energie) v o m 19. M a i 1922, StBl. 313.
11 Ausländisches Strafrecht V
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Das niederländische Strafrecht
für den Schienenverkehr), 172 (Trinkwasserverschmutzung) und 174 nl. StGB (Verkauf schädlicher Waren usw.) w i r d allein verlangt, daß der Tod als Folge eintritt. I n all diesen Bestimmungen w i r d gleichwohl die Höchststrafe angedroht. Eine auffallend geringe Höchststrafe von nur fünf Jahren Gefängnis steht auf die vorsätzliche Nichtbeachtung einer gesetzlichen Bestimmung zum Schutze der Bevölkerung, wenn dadurch Lebensgefahr für einen anderen zu befürchten ist und die Tat den Tod eines Menschen zur Folge hat (Art. 175 a nl. StGB). Bei den 1969 neu eingeführten Straftatbeständen der Gewässerverschmutzung fehlt jegliche über einen Nachteil hinausgehende Erfolgsqualifizierung. Das Strafmaß ist demzufolge auch m i t einer Höchststrafe von sechs Monaten Gefängnis oder sechshundert Gulden Geldstrafe für die Vorsatztat nicht höher als etwa für die fahrlässige Brunnenvergiftung nach A r t . 173 nl. StGB. Bei Verurteilung wegen einer gemeingefährlichen Straftat kann dem Straftäter ein Verbot auferlegt werden, den Beruf auszuüben, i n dem er das Verbrechen begangen hat. I m Falle einer Verurteilung wegen gefährlichen Warenverkaufs kann die Veröffentlichung des Urteils angeordnet werden (Art. 176 nl. StGB). I m Ersten Titel des Dritten Buches werden Übertretungen umschrieben, die die allgemeine Sicherheit von Personen und Sachen betreffen. Die darunter zusammengefaßten Zuwiderhandlungen haben i n erster Linie Belästigungscharakter, was sich an den zum Teil sehr geringen Strafdrohungen zeigt. Sie werden deshalb auch regelmäßig, wenn durch die Tat eine andere schwerwiegendere Straftat verwirklicht ist, zurücktreten. Die nachfolgenden Übertretungstatbestände sind unter diesem Titel gesammelt worden. A r t . 424 nl. StGB bedroht denjenigen m i t Geldstrafe bis zu dreißig Gulden (im Wiederholungsfalle bis zu drei Tagen Haft), der auf oder an einem öffentlichen Weg oder an einem für die Öffentlichkeit zugänglichen Ort seinen Übermut gegen Menschen oder Sachen richtet, wodurch Gefahr oder Schaden entstehen kann. Unter Übermut ist nach der Begründung jede Handlung zu verstehen, die m i t der allgemeinen Sicherheit von Personen und Gütern unvereinbar ist, soweit sie nicht unter eine andere Strafbestimmung, etwa eine Straftat der A r t . 157 ff. nl. StGB, der Körperverletzung usw., fällt. Man kann den Begriff des Übermuts m i t dem des groben Unfugs gleichsetzen. Der Täter muß dabei mit dem Willen gehandelt haben, sinnlos Schaden zu stiften oder einen anderen zu belästigen. Nach Art. 425 nl. StGB w i r d bestraft, wer ein Tier auf einen Menschen hetzt, ein seiner Aufsicht unterstehendes Tier, wenn es einen
§ 52 Straftaten gegen die allgemeine Sicherheit
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Menschen anfällt, nicht zurückhält oder nicht hinreichend Sorge trägt, daß ein seiner Aufsicht unterstehendes gefährliches Tier keinen Schaden zufügt. Die Tat kann m i t sechs Tagen Haft bzw. fünfzig Gulden Geldstrafe geahndet werden. M i t derselben Strafe (im Wiederholungsfalle zwei Wochen Haft) w i r d bestraft, wer i m Zustand der Trunkenheit den Verkehr behindert oder die Ordnung stört, die Sicherheit eines anderen gefährdet oder eine Handlung vornimmt, die besondere Umsicht oder Vorsicht zur Verhütung von Gefahr für Leib und Gesundheit Dritter erfordert (Art. 426 nl. StGB). Nach A r t . 426 bis nl. StGB 2 7 2 kann m i t einem Monat Haft bzw. zweihundert Gulden bestraft werden, wer einen anderen rechtswidrig auf einem öffentlichen Weg i n seiner Bewegungsfreiheit behindert oder zusammen m i t einem oder mehreren anderen sich gegen dessen ausdrücklich erklärten Willen weiterhin aufdrängt oder i h m i n behindernder Weise folgt 2 7 3 . A r t . 427 nl. StGB stellt verschiedene, näher umschriebene Handlungen unter Strafe, die ohne die erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen für die Sicherheit auf öffentlichen Wegen verrichtet werden (unter Ziff. 1 - 5 ) , daneben die Sperrung eines öffentlichen Land- oder Wasserweges oder die Behinderung des Verkehrs darauf ohne behördliche Erlaubnis (unter Ziff. 6). Nach A r t . 428 nl. StGB ist m i t einer Geldstrafe bis zu einhundert Gulden strafbar, wer seine eigenen unbeweglichen Sachen ohne Erlaubnis des Bürgermeisters oder des von i h m angewiesenen Beamten i n Brand setzt. Schließlich sind verschiedene, näher bestimmte Handlungen unter Strafe gestellt, die eine Brandgefahr (Art. 429 Ziff. 1 - 3 nl. StGB), die Gefahr eines Nachteils durch Wasser Verschmutzung (Art. 429 Ziff. 4 nl. StGB) und die Gefährdung von elektrischen Hochspannungsleitungen durch Flieger oder Drachen (Art. 429 Ziff. 5 nl. StGB) bewirken können. Sie können m i t Haft bis zu vierzehn Tagen oder einer Geldstrafe von bis zu zweihundert Gulden bestraft werden.
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Dieser A r t i k e l wurde zugleich m i t den A r t . 358 bis — 358 quater nl. StGB durch das sog. Stakingswet (Streikgesetz) v o m 11. A p r i l 1903, StBl. 101 eingeführt. 273 Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung k a n n auch das beharrliche Fahren vor einem anderen ein hinderliches Folgen sein. H. R., U r t e i l v o m 23. Januar 1928, N. J. 1928, S. 363. 11*
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Das niederländische Strafrecht § 53 Straftaten gegen die Staatsgewalt
Die i m Achten Titel enthaltenen Verbrechen gegen die Staatsgewalt sind auf die Behinderung der geregelten Arbeit der Beamten gerichtet. Unter dem Begriff des Beamten ist jeder zu verstehen, der von der Obrigkeit angestellt ist und Staatsaufgaben erfüllt. Nach Art. 84 nl. StGB sind i n den Beamtenbegriff alle Personen eingeschlossen, die aufgrund gesetzlicher Wahlen gewählt sind, und alle Angehörigen der Streitkräfte. Z u den Beamten und Richtern zählen auch die Schiedsrichter. Eine erste Deliktsgruppe i n diesem Titel befaßt sich m i t der aktiven Bestechung von Beamten 2 7 4 . Die Strafbarkeit der Beamten selbst w i r d i m Achtzehnten Titel, der die Verbrechen i m A m t behandelt, i n den A r t . 362 - 364 nl. StGB geregelt. I n A r t . 177 nl. StGB w i r d demjenigen eine Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden angedroht, der einem Beamten ein Geschenk oder Versprechen i n der Absicht gibt, i h n zu bewegen, i n seinem A m t 2 7 5 pflichtwidrig etwas zu t u n oder zu unterlassen, sowie einem Beamten ein Geschenk oder Versprechen infolge oder aus Anlaß dessen gibt, was dieser i n seinem A m t pflichtwidrig getan oder unterlassen hat. Nach A r t . 178 nl. StGB w i r d m i t Gefängnis bis zu sechs Jahren bestraft, wer einem Richter ein Geschenk oder Versprechen gibt i n der Absicht, seine Entscheidung zu beeinflussen. Geschieht dies i n der Absicht, eine Verurteilung i n einer Strafsache zu erreichen, kann eine Höchststrafe bis zu neun Jahren Gefängnis verhängt werden. Jeweils kann auch der Entzug bestimmter Rechte ausgesprochen werden (Art. 177 Abs. 3 und 178 Abs. 3 nl. StGB). Eine zweite Deliktsgruppe betrifft die Einwirkung auf das Verhalten von Beamten durch Zwang oder Widerstand. Wer einen Beamten m i t Gewalt oder Drohung m i t Gewalt zur Vornahme einer Amtshandlung oder zur Unterlassung einer rechtmäßigen Amtshandlung zwingt, w i r d nach Art. 179 nl. StGB m i t Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. W i derstand leistet, wer sich m i t Gewalt oder Drohung m i t Gewalt gegen einen Beamten, der i n rechtmäßiger Ausübung seines Amtes tätig ist, oder gegen Personen, die dem Beamten auf sein Gesuch h i n dabei helfen, widersetzt. Er kann nach A r t . 180 nl. StGB mit Gefängnis bis zu 274
Der Ausdruck „Bestechung" ist allerdings i m Gesetzestext vermieden, w e i l er die Annahme des Geschenks usw. einschließt. Die Strafvorschriften sind jedoch auch bei Nichtannahme des Geschenks usw. anwendbar. H. R., U r t e i l v o m 25. A p r i l 1916, N. J. 1916, 551. 275 Verlangt ist nicht, daß der Beamte f ü r die von i h m erwarteten Dienste zuständig ist, sondern nur, daß sein A m t i h n dazu i n die Lage versetzt. H. R., U r t e i l v o m 26. J u n i 1916, N. J. 1916, 916 u. a.
§5
Straftaten gegen die
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einem Jahr oder Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden bestraft werden. Die Höchststrafen i n diesen beiden A r t i k e l n sind stufenweise bis zu zwölf Jahren heraufgesetzt, wenn das Verbrechen eine leichte oder schwere Körperverletzung oder den Tod zur Folge hat (Art. 181 nl. StGB) und auf bis zu fünfzehn Jahren, wenn das Verbrechen diese Folgen hat und von zwei oder mehreren Personen mit vereinter K r a f t begangen ist (Art. 182 nl. StGB) 2 7 6 . Für die i n dieser Deliktsgruppe behandelten Straftaten werden auch die Vorstandsmitglieder und vereidigten Beamten der Eisenbahn sowie der Schiffs- oder Flugkapitän 2 7 7 als Beamte angesehen (Art. 183 nl. StGB). Die dritte Deliktsgruppe umfaßt die Behinderung von Amtshandlungen und Nichtbefolgung amtlicher Befehle. Vier Verbrechens- und zwei Übertretungstatbestände lassen sich unter diesem Gesichtspunkt verbinden. Zunächst droht A r t . 184 nl. StGB, der eine Reihe von Bestimmungen aus Nebengesetzen ersetzt 278 , demjenigen bis zu drei Monaten Gefängnis oder zwölfhundert Gulden Geldstrafe an, der einen A u f sichts- oder Ermittlungsbeamten bei seinen Amtshandlungen behindert oder seinen Anordnungen nicht Folge leistet. Wer als Beschuldigter von einem Ermittlungsbeamten nach A r t . 52 nl. StPO nach seinem Namen gefragt w i r d und die Namensangabe verweigert, handelt nach der Rechtsprechung des Höge Raad nicht gegen diese Vorschrift 2 7 9 . Wer jedoch einen falschen Namen angibt, verstößt gegen die lediglich als Übertretung eingestufte besondere Strafbestimmung i n A r t . 435 Ziff. 4 nl. StGB. Wie schon bei den Straftaten der vorherigen Gruppe sind auch die Schiffs- oder Flugkapitäne, soweit sie strafprozessuale Funktionen wahrnehmen, i n den Strafrechtsschutz einbezogen worden (Art. 184 Abs. 3 nl. StGB). I n unklarer und nach meiner Meinung überflüssiger Weise sind darüber hinaus die Personen gleichgestellt, die kraft gesetzlicher Vorschrift fortdauernd oder zeitlich begrenzt m i t einem öffentlichen A m t beauftragt sind (Art. 184 Abs. 2 nl. StGB) 2 8 0 . 276 Die Erfolgsqualifikation w i r d allein demjenigen angelastet, dessen eigene Tat die Verletzung zur Folge hat. Die übrigen Beteiligten sind dafür nicht verantwortlich. H. R., U r t e i l v o m 9. J u n i 1908, W. 8726. 277 Diese Eigenschaft k o m m t ihnen allerdings nicht generell, sondern n u r insoweit zu, als sie Befugnisse oder Pflichten aufgrund der nl. StPO w a h r nehmen. A r t . 183 Abs. 2 nl. StGB wurde durch das Gesetz v o m 16. März 1967, StBl. 152 (Anm. 291) eingefügt u n d durch das Gesetz v o m 16. M a i 1969, StBl. 224 geändert. 278 Gleichwohl finden sich i m Nebenstrafrecht noch Strafbestimmungen, nach denen Zuwiderhandlungen gegen Anordnungen v o n Ermittlungsbeamten strafbar sind. E i n V o r b i l d bietet A r t . 26 WirtschaftsstrafG. 279 A r t . 52 nl. StPO stelle lediglich klar, daß der Ermittlungsbeamte sich i n der reditmäßigen Ausübung seines Amtes befinde. H. R., U r t e i l v o m 27. J u n i 1927, N. J. 1927, 926. 280 I m Unterschied zu A r t . 180 nl. StGB, der sich auf alle Beamten bezieht, schützt A r t . 184 nl. StGB gerade diejenigen Amtspersonen, die m i t einer
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Das niederländische Strafrecht
Daneben sind eine Reihe von Störaktionen unter Strafe gestellt. Eine Gefängnisstrafe bis zu vierzehn Tagen oder eine Geldstrafe bis zu zweihundertvierzig Gulden ist vorgesehen, wenn jemand bei einer Gerichtsverhandlung oder an einem Ort, an dem ein Beamter i n rechtmäßiger Amtsausübung tätig ist, Unruhe stiftet und sich nach einer von seiten oder auf Veranlassung der zuständigen Behörde erteilten A u f forderung nicht entfernt (Art. 185 nl. StGB). M i t einer Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten oder einer Geldstrafe bis zu eintausendzweihundert Gulden kann nach Art. 186 nl. StGB belegt werden, wer sich anläßlich eines Volksauflaufs nicht unverzüglich entfernt, nachdem dies von oder auf Veranlassung der zuständigen Behörde zum dritten Male angeordnet worden ist. Wer schließlich eine auf Veranlassung der zuständigen Behörde öffentlich angebrachte Bekanntmachung i n der A b sicht rechtswidrig abreißt, unleserlich macht oder beschädigt, deren Kenntnisnahme zu verhindern oder zu erschweren, kann nach Art. 187 nl. StGB m i t einer Gefängnisstrafe bis zu einem Monat oder einer Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden bestraft werden. Fehlt diese Absicht, bleibt die Tat als Übertretung nach Art. 447 nl. StGB mit einer Geldstrafe bis zu dreißig Gulden strafbar. Eine vierte Deliktsgruppe befaßt sich m i t der Behinderung der Rechtspflege. Sie kann weiter unterteilt werden i n Straftaten, die sich — wie die Vortäuschung einer Straftat, Begünstigung, Gefangenenbefreiung — vornehmlich auf Strafverfahren beziehen, und solchen, die — wie die Verweigerung von Zeugnispflichten oder der Vorlage von Urkunden — richterliche Anordnungen allgemein strafrechtlich absichern. Die Vortäuschung einer Straftat w i r d m i t Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft (Art. 188 nl. StGB). Dieses Verbrechens macht sich schuldig, wer eine Straftat als begangen anzeigt, obgleich er weiß, daß sie nicht begangen worden ist. Das Delikt ist i m Gegensatz zur falschen Anzeige nach A r t . 268 nl. StGB, bei der die Benachteiligung der angezeigten Person i m Vordergrund steht, auf die Behinderung der Rechtspflege gerichtet. Auch für die Begünstigung, die man als Beihilfe nach Begehung einer Tat bezeichnen könnte (accessory after the fact), ist dieser Gesichtspunkt maßgebend. Für sie w i r d eine Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten oder eine Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden angedroht. Begünstigung begeht, wer eine Person, die eines Verbrechens schuldig ist oder wegen eines Verbrechens verfolgt wird, verbirgt, Aufsicht beauftragt oder befugt sind, strafbare Handlungen zu ermitteln oder zu untersuchen. Die Handlung, die behindert oder vereitelt w i r d , muß deshalb auch m i t dieser Aufsicht, E r m i t t l u n g oder Untersuchung i n V e r b i n dung stehen. H. R., U r t e i l v o m 11. März 1895, W. 6637 u. a.
§5
Straftaten gegen die
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i h r beim Entkommen behilflich ist, sowie wer Spuren des Verbrechens i n der Absicht beseitigt oder verbirgt, das Verbrechen zu verheimlichen oder seine Aufdeckung zu erschweren (Art. 189 nl. StGB). Wer diese Handlung vornimmt, u m der Strafverfolgung zu entgehen oder sie von bestimmten verwandten oder verschwägerten Personen abzuwenden, ist nach A r t . 189 Abs. 2 nl. StGB nicht strafbar. M i t derselben Strafe kann nach A r t . 190 nl. StGB die Behinderung einer richterlichen Leichenschau geahndet werden 2 8 1 . Erheblich höher liegt das Strafmaß bei der Gefangenenbefreiung. Strafbar ist sowohl die Befreiung als auch die Unterstützung 2 8 2 bei der Selbstbefreiung einer Person, der durch die Staatsgewalt oder kraft richterlicher Entscheidung die Freiheit entzogen ist. Wer sich selbst befreit, ist zwar nicht strafbar; andererseits gibt es jedoch keine Bestimmung wie i n A r t . 137 oder 189 Abs. 2 nl. StGB zugunsten der Befreiung von Anverwandten. Zeugen, Sachverständige oder Dolmetscher, die als solche nach dem Gesetz vorgeladen sind und vorsätzlich ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht nachkommen 283 , machen sich nach A r t . 192 nl. StGB strafbar. Soweit es sich um Strafsachen handelt, können sie m i t einer Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten, i n anderen Sachen m i t einer bis zu vier Monaten bestraft werden. Unvorsätzliches unberechtigtes Ausbleiben kann als Übertretung nach A r t . 444 nl. StGB zur Auflage einer Geldstrafe bis zu einhundertundzwanzig Gulden führen. Ebenfalls einer Übertretung, und zwar nach A r t . 445 nl. StGB, macht sich schuldig, wer als vorgeladener Verwandter, Vormund oder Kurator i n Jugend-, Entmündigungs- oder Unterbringungssachen ausbleibt. Ebenso wie der sich weigernde Zeuge etc. kann bestraft werden, wer einer gesetzlichen Anordnung zu Vorlage einer Urkunde nicht nachkommt, deren Unechtheit behauptet w i r d oder die zum Vergleich m i t einem anderen angeblich unechten Schriftstück dienen soll (Art. 193 nl. StGB). Wer, nachdem er oder sein Ehegatte, m i t dem er i n Gütergemeinschaft lebt, i n Konkurs geraten ist, oder als Angehöriger des Vorstands oder des A u f sichtsrats einer Aktiengesellschaft, Gesellschaft m i t beschränkter Haf281 Obgleich der Täter regelmäßig dadurch die Aufdeckung einer Straftat erschweren dürfte (Begünstigung), w i r d hier i m Gegensatz zur Begünstigung nicht schon eine Straftat als gegeben vorausgesetzt, sondern etwa n u r der Verdacht eines unnatürlichen Todes. 282 Darunter werden ebenso w i e i n A r t . 48 nl. StGB ohne Ausnahme „alle möglichen Formen vorsätzlicher, bei der Selbstbefreiung gewährter H i l f e " verstanden. H. R., U r t e i l v o m 11. November 1952, N. J. 1953, 138. 283 Dazu gehören folgende Handlungen: Erscheinen, Zeugnis ablegen, eine Untersuchung vornehmen, einen Bericht erstatten oder eine Information erteilen, die Aussagen übersetzen u n d daneben einen Eid oder ein Gelöbnis ablegen i n den Fällen, i n denen das Gesetz dies als Garantie f ü r die richtige E r f ü l l u n g dieser Tätigkeiten verlangt. Noyon / Langemeijer / Remmelink, a.a.O. (Anm. 71), A r t . 192, A n m . 2 auf S. 490.
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tung, genossenschaftlichen oder anderen rechtsfähigen Vereinigung oder Stiftung gesetzlich vorgeladen ist, u m Auskünfte zu geben, und ohne stichhaltige Gründe vorsätzlich ausbleibt oder sich weigert, die geforderten Auskünfte zu erteilen oder vorsätzlich unrichtige Auskünfte gibt, w i r d nach A r t . 194 nl. StGB m i t Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft. Eine fünfte Deliktsgruppe bezieht sich auf die unbefugte bzw. untersagte Ausübung von Rechten. Wenn jemand ein Recht unbefugt ausübt, das i h m durch richterliche Entscheidung entzogen ist, macht er sich nach A r t . 195 nl. StGB schuldig und kann m i t einer Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten bestraft werden. Amtsanmaßung begeht, wer Kennzeichen trägt oder Handlungen vornimmt, die zu einem A m t gehören, das er nicht innehat. Die Höchststrafe dafür beträgt drei Monate Gefängnisstrafe oder sechshundert Gulden Geldstrafe (Art. 196 nl. StGB). Wer als Ausländer i n den Niederlanden verbleibt, obgleich er weiß oder ernstzunehmende Gründe für die Vermutung hat, daß er aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift zum unerwünschten Ausländer erklärt ist, kann nach Art. 197 nl. StGB m i t einer Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten belegt werden 2 8 4 . Diese Verbrechen werden durch die i n den A r t . 435 Ziff. 1 - 3 , 436 und 436 a nl. StGB umschriebenen Übertretungen ergänzt. Danach ist das unbefugte Führen eines niederländischen Adelstitels oder diverser Berufsbezeichnungen und akademischer T i tel 2 8 5 , das unbefugte Tragen eines niederländischen Ordenszeichens sowie die Annahme eines ausländischen Ordenszeichens, Titels oder Ranges oder einer ausländischen Würde ohne die nach A r t . 76 nl. GrundG erforderliche königliche Bewilligung mit einer Geldstrafe von bis zu dreihundert Gulden strafbar. Wer ohne die nach dem Gesetz erforderliche Zulassung einen Beruf ausübt, kann m i t einer Geldstrafe bis zu eintausend Gulden, wer m i t der Zulassung die Grenzen seiner Befugnis überschreitet, m i t einer Geldstrafe bis zu fünfhundert Gulden belangt werden, wenn dazu keine Notwendigkeit bestand. Von einer Notwendigkeit kann nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur die Rede sein, wenn die Hilfe plötzlich dringend erforderlich und von einer befugten Person nicht sogleich zu erhalten ist 2 8 6 . Zur Gewährleistung der handelsrechtlichen Vorschriften über das Maklerwesen wurde 1966 284 A r t . 197 nl. StGB ist durch das Wet . . . inzake de verlegging van de personencontrole naar de buitengrenzen v a n het Beneluxgebied (Gesetz . . . über die Verlegung der Personenkontrolle an die Außengrenze der Beneluxländer) v o m 23. J u n i 1960, StBl. 239 neu gefaßt u n d i m Strafmaß von drei auf sechs Monate Gefängnis angehoben worden. 285 Dieser Schutz insbesondere des Ingenieurstitels wurde durch ein Gesetz von 1960 (Anm. 23) als neue Ziff. 3 i n A r t . 435 nl. StGB eingestellt u n d geändert durch die Gesetze v o m 16. März 1968, StBl. 161 u n d 21. Dezember 1972, StBl. 759.
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Straftaten gegen die
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ferner ein Übertretungstatbestand geschaffen, der das unbefugte Auftreten als Makler unterbinden helfen soll 2 8 7 . Eine sechste Deliktsgruppe enthält Straftaten gegenüber Gegenständen, die der öffentlichen Gewalt anvertraut sind (Art. 198 - 202 nl. StGB). Bis zu drei Jahren Gefängnis können für die sogenannte Pfandentstrickung verhängt werden. Sie begeht, wer vorsätzlich eine Sache einer kraft Gesetzes erfolgten Beschlagnahme oder einer gerichtlichen Sequestration 288 entzieht, sie nach ihrem Entzug verbirgt oder eine beschlagnahmte Sache zerstört, beschädigt oder unbrauchbar macht (Art. 198 Abs. 1 nl. StGB). Für den Verwahrer, der eine dieser Handlungen begeht oder zuläßt oder dazu Beihilfe leistet, beträgt die Höchststrafe vier Jahre Gefängnis (Art. 198 Abs. 2 nl. StGB). M i t Gefängnis bis zu zwei Jahren bzw. drei Jahren w i r d bestraft, wer von der öffentlichen Gewalt angebrachte Siegel bricht, beseitigt, beschädigt oder den durch ein derartiges Siegel angelegten Verschluß auf andere Weise vereitelt (Art. 199 nl. StGB). Bei Pfandentstrickung und Siegelbruch ist nicht nur — wie üblich — vorsätzliches Handeln unter Strafe gestellt, sondern auch, soweit der Verwahrer tätig wird, die fahrlässige Begehung. Die zulässige Strafe beträgt bis zu einem Monat Haft oder Geldstrafe bis zu zweihundertundvierzig Gulden. Weiterhin macht sich wegen Verwahrungsbruchs m i t Gefängnis bis zu drei Jahren strafbar, wer vorsätzlich Überführungs- oder Beweisstücke, Urkunden, Unterlagen oder Register, die sich dauernd oder zeitweise i n amtlicher A u f bewahrung befinden oder einem Beamten oder einem anderen i m I n teresse des öffentlichen Dienstes übergeben worden sind, zerstört, beschädigt, unbrauchbar macht oder beseitigt (Art. 200 nl. StGB). Wer Briefe oder andere Postsachen, die einem Post- oder Telegraphenamt übergeben oder i n einen Briefkasten geworfen sind, ihrer Bestimmung entzieht, öffnet oder beschädigt, w i r d m i t Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft (Art. 201 nl. StGB). U m ein Jahr Gefängnis kann die Strafe bei allen genannten Straftaten dieser Deliktsgruppe heraufgesetzt werden, wenn der Straftäter sich den Zugang zum Tatort m i t den M i t t e l n des Einbrechers verschafft hat (Art. 202 nl. StGB). Die siebente und letzte Deliktsgruppe i n diesem Titel betrifft Straftaten gegen die Militärgewalt, soweit sie nicht von Militärpersonen 286 H. R., U r t e i l v o m 26. März 1957, N. J. 1957, 473. Ganz überwiegend bet r i f f t die Rechtsprechung zu diesem A r t i k e l Fälle medizinischer Hilfeleistungen durch andere als zugelassene Ärzte. 287 Vgl. dazu die Angaben i n A n m . 25. 288 Gerichtliche Sequestration ist nach A r t . 1767 nl. B G B die Hinterlegung einer Sache, über die gestritten w i r d , aufgrund richterlicher A n o r d n u n g bei einem Dritten, der sich verpflichtet, sie nach Beendigung des Streits samt der Früchte an den Berechtigten herauszugeben.
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begangen werden. Art. 203 und 204 nl. StGB umschreiben Teilnahmehandlungen an Militärverbrechen i n Friedenszeiten: die Anstiftung (mit den i n A r t . 47 Abs. 1 Ziff. 2 nl. StGB genannten Mitteln) zur Fahnenflucht, Meuterei oder zum Aufruhr von i m Reichsdienst stehenden Soldaten oder deren Unterstützung (in der i n A r t . 48 nl. StGB umschriebenen Weise). Angedroht sind Gefängnisstrafen bei Fahnenflucht bis zu sechs Monaten und bei Aufruhr und Meuterei bis zu sechs Jahren. Ferner ist die Werbung für fremden Militärdienst ohne Zustimmung des Königs m i t Gefängnis bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu sechstausend Gulden unter Strafe gestellt. A r t . 206 nl. S t G B 2 8 9 droht schließlich demjenigen eine bis zu zweijährige Gefängnisstrafe an, der sich selbst für den Militär-, N o t - 2 9 0 oder Zivildienst untauglich macht oder machen läßt und demjenigen, der einen anderen auf dessen Bitten h i n für diese Dienste untauglich macht. T r i t t i m letzteren Fall die Todesfolge ein, beträgt die Höchststrafe sechs Jahre Gefängnis. Der Dritte Titel des Dritten Buches enthält die Übertretungen, die die Staatsgewalt betreffen. Einige Übertretungstatbestände daraus wurden bereits zuvor behandelt, und zwar A r t . 444 und 445 nl. StGB i m Anschluß an Art. 192 nl. StGB and A r t . 447 nl. StGB i m Anschluß an A r t . 187 nl. StGB. Da A r t . 447 bis nl. StGB i m Anschluß an die Schiffund Luftfahrtsverbrechen der A r t . 381 ff. nl. StGB erörtert werden soll, sind hier lediglich drei Übertretungstatbestände zu erwähnen. Nach Art. 443 nl. StGB steht auf die Zuwiderhandlung gegen eine allgemeine Polizeiverordnung, die aufgrund des Gemeindegesetzes bei außergewöhnlichen Umständen durch den Bürgermeister oder den Kommissar der Königin i n der Provinz erlassen und verkündet worden ist, eine Strafe von zwei Monaten Haft oder dreihundert Gulden. Eine Übertretung nach A r t . 446 nl. StGB begeht, wer bei Gefahr für die allgemeine Sicherheit von Personen oder Sachen oder bei der Entdeckung eines Verbrechens auf frischer Tat die Hilfeleistung verweigert, die von amtlicher Seite von i h m gefordert w i r d und zu der er i m stande ist, ohne sich einer unmittelbaren Gefahr auszusetzen. Es kann eine Geldstrafe bis zu einhundert Gulden festgesetzt werden. A r t . 446 a nl. S t G B 2 9 1 sichert schließlich die nach der Strafprozeßordnung vorgeschriebene unverzügliche Einschaltung des Staatsanwalts 289 Der A r t i k e l wurde durch die Gesetze v o m 28. J u l i 1958, StBl. 439 u n d 23. A p r i l 1971, StBl. 448 geändert. 290 Er ist ein durch das erwähnte Gesetz von 1952 (Anm. 270) eingerichteter Dienst zum Schutze der Bevölkerung. 291 Diese Übertretung w u r d e durch Wet tot regeling van de strafvordering buiten het rechtsgebied van een rechtbank en enige daarmee verband houdende voorzieningen (Gesetz zur Regelung des Strafverfahrens außerhalb des Rechtsgebietes eines Bezirksgerichts u n d einige damit zusammenhängende Vorkehrungen) v o m 16. März 1967, StBl. 152 eingefügt.
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bei Ermittlungsmaßnahmen, die außerhalb des Gerichtsbezirks eines Bezirksgerichts i m Ausnahmefall auch von Personen vorgenommen werden können, die keine Ermittlungsbeamten sind (Art. 539 b nl. StPO), strafrechtlich ab. M i t seiner Strafdrohung von bis zu drei Monaten Haft und einer Geldstrafe bis zu zweitausend Gulden hat der Gesetzgeber die Wichtigkeit der prozessualen Vorschrift unterstrichen. § 54 Straftaten gegen das öffentliche Vertrauen
I m Neunten bis Zwölften T i t e l sind die Verbrechen gegen das öffentliche Vertrauen enthalten, d. h. gegen das Vertrauen, das bestimmten eidlichen Erklärungen, Münzen, Geldscheinen und Banknoten, von Staats wegen ausgegebenen Wert-, Prüf- oder Gütezeichen sowie gewissen Schriftstücken zugunsten des Rechtsverkehrs entgegengebracht werden soll. Die Eidesdelikte Der Meineid, die vorsätzliche Abgabe einer falschen Erklärung unter Eid, ist i n A r t . 207 nl. StGB unter Strafe gestellt, wenn eine gesetzliche Vorschrift eine eidliche Erklärung verlangt (ζ. B. Zeugeneid i m Prozeß) oder daran Rechtsfolgen knüpft (ζ. B. eidliche Vernehmung einer Partei und Offenbarungseid i n Zivilprozessen) 292 . Der Eid muß mündlich oder schriftlich 2 9 3 , persönlich oder durch einen dazu besonders Bevollmächt i g t e n 2 9 4 geleistet worden sein. Eine Erklärung ist schon dann falsch, wenn sie nicht der vollen Wahrheit entspricht, sie muß aber, u m nach A r t . 207 nl. StGB strafbar zu sein, vorsätzlich wahrheitswidrig abgegeben sein. Dabei ist erforderlich, daß dem Vorsatz zu einer falschen Erklärung auch eine Abweichung von der Wirklichkeit entspricht, die Erklärung muß also objektiv falsch sein. Der Widerspruch zwischen Erklärung und Überzeugung allein reicht nicht aus 2 9 5 . Für Meineid kann Gefängnisstrafe bis zu sechs Jahren verhängt werden. Die Strafdrohung ist auf neun Jahre erhöht, wenn der Meineid i n einer Strafsache zum Nachteil des Angeklagten 2 9 6 abgelegt worden ist. Der Entzug bestimm292 Ausgeschlossen ist durch diese Wendung ζ. B. der E i d v o n Zeugen, die die gesetzlich vorgeschriebene Altersgrenze noch nicht erreicht haben. 293 E t w a bei Protokollen v o n Ermittlungsbeamten unter Bezugnahme auf den Amtseid (Art. 153 nl. StPO). 294 E t w a bei der eidlichen Vernehmung der Partei i m Zivilprozeß (Art. 1982 nl. BGB). 295 H. R., U r t e i l v o m 1. Dezember 1964, N. J. 1965, 178. Über Einzelheiten
sei verwiesen auf Noyon / Langemeijer / Remmelink, a.a.O. (Anm. 71), Art.
207, A n m . 7 u n d 8 auf S. 554 u n d 555. 296 Das Gesetz nennt neben dem Angeklagten noch den Beklagten, doch k o m m t dieser Begriff i m geltenden Strafverfahrensgesetzbuch nicht mehr vor. Er hat heute lediglich noch Bedeutung, w e n n der E i d i n einem M i l i t ä r -
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ter Rechte (Bekleidung von Ämtern, Dienst bei den Streitkräften, aktives und passives Wahlrecht sowie Auftreten als A n w a l t oder gerichtlicher Verwalter) kann angeordnet werden (Art. 207 Abs. 4 nl. StGB). Dem Eid ist das Gelöbnis oder die Bestätigung gleichgestellt, das bzw. die nach dem Gesetz an die Stelle des Eides treten kann. Dies gilt von jeher für die Personen, deren Religion einen Eid verbietet, und seit dem Jahre 19 1 6 2 9 7 auch für diejenigen, die aufgrund ihrer Auffassungen über Religion unüberwindliche Bedenken gegen die Eidesleistung hegen. Aufgrund einer Änderung von 1971 steht die Wahl heute dem Betroffenen völlig frei 2 9 8 . W i r d die Eidesleistung gewählt, so richtet sich die Form nach dem Eidesgesetz von 1911 299 . I m Zusammenhang m i t der Schaffung einer gemeinschaftlichen Benelux-Regelung über die Bestrafung von Falschaussagen, die unter Eid vor internationalen Gerichten abgelegt werden, wurde 1966 i m Neunten Titel ein weiterer Tatbestand hinzugefügt 3 0 0 . Danach w i r d m i t einer Gefängnisstrafe bis zu sechs Jahren bestraft 3 0 1 , wer vor einem internationalen Gericht mündlich oder schriftlich vorsätzlich eine falsche Erklärung i n der Form des Eides oder einer gleichgestellten Bekräftigung abgibt (Art. 207 a nl. StGB). Die Strafverfolgung findet n u r auf Antrag des internationalen Gerichts statt, vor dem die Falschaussage erfolgte (Art. 207 a nl. StGB), der jedoch nicht wie sonst (Art. 66 nl. StGB) befristet ist 3 0 2 . Damit w i r d vermieden, daß ein nationales Gericht die Strafverfahren abgelegt wurde. Noyon / Langemeijer J Remmelink, a.a.O. (Anm. 71) A r t . 207, A n m . 8 auf S. 556. 297 Wet . . . betreffende het eedsvraagstuk (Eidesgesetz) v o m 28. A p r i l 1916, StBl. 174. 298 Das Eidesgesetz v o n 1916 (Anm. 297) wurde durch das Gesetz v o m 8. A p r i l 1971 (12. M a i 1971), StBl. 211 geändert. E i d u n d Gelöbnis stehen danach dem Betroffenen zur freien Wahl. Nach H. R., U r t e i l v o m 27. J u n i 1972, DeD. 72.169 braucht indessen das Sitzungsprotokoll nicht auszuweisen, daß einem Zeugen die W a h l eingeräumt wurde. 299 Eedswet (Eidesgesetz) v o m 17. J u l i 1911, StBl. 215. W i r d der E i d nicht i n der dort oder i n der von der Religion des Vereidigten vorgeschriebenen F o r m geleistet, legt er keinen E i d i m Sinne des Gesetzes ab. E i n solcher F a l l k a n n dann nach A r t . 192 nl. StGB zu beurteilen sein. Noyon / Langemeijer /
Remmelink, a.a.O. (Anm. 71), Art. 207, Anm. 5 auf S. 553. 300
Wet . . . inzake de bestraffing van meineidige verklaringen voor i n t e r nationale gerechten (Gesetz . . . über die Bestrafung meineidiger Aussagen vor internationalen Gerichten) v o m 21. J u l i 1966 (24. August 1966), StBl. 322. eoi Aussagen i n Strafsachen zum Nachteil des Angeklagten g i l t die gleiche Straferhöhung w i e beim Meineid (Art. 207 a Abs. 2 nl. StGB) ; auch der Entzug bestimmter Rechte ist vorgesehen. 302 Durch eine Erweiterung des A r t . 4 Ziff. 6 nl. StGB wurde die Zuständigkeit des niederländischen Strafrichters f ü r diese Taten unabhängig davon begründet, ob sie von einem Niederländer oder Ausländer i m Ausland begangen worden sind. Vgl. auch die obigen Ausführungen auf S. 133.
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Falschheit einer Aussage annimmt, die das internationale Gericht als wahr bewertet. Die Fälschungsdelikte Die Fälschungsdelikte sind für jedes Angriffsobjekt so aufgebaut, daß zuerst die Nachahmung oder Verfälschung mit der Absicht, es als echt oder unverfälscht auszugeben bzw. zu gebrauchen oder ausgeben bzw. gebrauchen zu lassen 803 , und dann das vorsätzliche Ausgeben bzw. Gebrauchen als echt und unverfälscht, das Verwenden oder Verkaufen usw. unter Strafe gestellt ist 3 0 4 . Diese beiden Tatbestandstypen werden dann i m Zusammenhang m i t dem Gegenstand variiert, auf welchen die Fälschung sich bezieht. Bei Münzen ist neben der Nachahmung oder Verfälschung nach Art. 210 nl. StGB auch die Wertverringerung strafbar, woran sich ebenfalls eine Bestimmung über die Verwendung eines solchen Münzstückes anschließt. Bei staatlichen Wertzeichen w i r d neben der Nachahmung oder Fälschung auch die Anfertigung unter widerrechtlicher Verwendung echter Stempel i n A r t . 216 Ziff. 2 nl. StGB m i t Strafe bedroht. Bei Fälschung von Gütezeichen oder nach dem Gesetz erforderlichen Meisterzeichen für Platin-, Gold- oder Silbersachen wird, wie bei Wertzeichen, auch die widerrechtliche Verwendung echter Stempel nach A r t . 217 Ziff. 2 nl. StGB, daneben aber auch das Einsetzen echter Güte- oder Meisterzeichen i n andere als die ursprünglich gestempelten Edelmetallsachen nach A r t . 217 Ziff. 3 nl. StGB m i t einer Gefängnisstrafe bis zu fünf Jahren geahndet. A r t . 218 nl. StGB gewährt für Eichstempel den gleichen Schutz wie A r t . 216 nl. StGB für Wertzeichen. Für andere Güte- oder Prüfzeichen, die nach dem Gesetz auf Gütern oder ihrer Verpackung angebracht werden müssen oder können, t r i f f t A r t . 219 nl. StGB die gleiche Regelung wie für Edelmetallsachen. Schließlich ist bei Gegenständen, die der Eichung unterliegen, das Entfernen des Untauglichkeitszeichens nach A r t . 221 Abs. 1 nl. StGB und bei verwendeten staatlichen Wertzeichen das Entfernen von Stempeln unter Strafe gestellt, m i t denen diese für den weiteren Gebrauch entwertet werden sollen (Art. 222 nl. StGB) 3 0 5 . Bei Münzen, Geldscheinen und Banknoten w i r d zwischen der Ausgabe von falschen oder gefälschten Gegenständen, die man selbst angefertigt hatte oder bei deren Empfang man bereits wußte, daß sie falsch oder gefälscht waren (Art. 209 nl. StGB), und ihrer Ausgabe unterschie303 Vgl. A r t . 208, 216 Ziff. 1, 225 Abs. 1, 227 Abs. 1, 229 Abs. 1, 230 Abs. 1 u n d 231 Abs. 1 nl. StGB. 304 Vgl. A r t . 209, 220, 225 Abs. 2, 227 Abs. 2, 229 Abs. 2, 230 Abs. 2 u n d 231 Abs. 2 nl. StGB. 305 ζ. B. durch Beseitigung der Poststempel bei Briefmarken. Das Überkleben eines solchen Stempels m i t einem T e i l einer anderen Briefmarke reicht als Tathandlung nicht aus. H. R., U r t e i l v o m 31. März 1913, N. J. 1913, 911; W. 9485.
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den, wenn man erst nach Empfang davon Kenntnis erhielt (Art. 213 nl. StGB). I m ersten Fall w i r d nicht nur die Ausgabe unter Strafe gestellt, sondern auch nach Art. 209 nl. StGB die Vorrathaltung oder Einführung i n die Niederlande. Dies gilt nach A r t . 220 nl. StGB auch für Wert-, Prüf- und Gütezeichen. A n die Verbrechen der A r t . 208 ff. und 216 nl. StGB knüpft A r t . 440 nl. StGB an. Danach ist wegen einer Übertretung m i t einer Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden strafbar, wer Drucksachen oder andere Gegenstände i n einer Form, die sie Geldscheinen und Banknoten, Münzen, m i t staatlichem Gütezeichen versehenen Platin-, Gold- oder Silbersachen oder Briefmarken ähnlich macht, anfertigt, verbreitet oder zur Verbreitung vorrätig hat. Ein verbrecherischer Vorsatz ist hier nicht erforderlich. Die Gegenstände werden zumeist zu Reklamezwecken oder aus Spielerei angefertigt sein. Schließlich gibt es eine Reihe von Fälschungsverbrechen, die durch den Besitz von Stoffen oder Gegenständen gekennzeichnet sind, von denen der Schuldige weiß, daß sie zur Begehung von Fälschungsverbrechen bestimmt sind 3 0 6 . Soweit sie zur Fälschung von Münzen und Banknoten bestimmt sind, ist auch ihre Herstellung strafbar. Der Zehnte Titel bezieht sich auf die Fälschung usw. von sowohl niederländischen als auch ausländischen Münzen, Geldscheinen und Banknoten 3 0 7 . Die i m Elften Titel genannten Fälschungsverbrechen erstrekken sich dagegen auf Wert-, Prüf- und Gütezeichen der Niederlande; einige Tatbestände (Art. 216, 219, 220 und 222 nl. StGB) sind jedoch auch auf entsprechende Zeichen von Surinam und der Niederländischen A n t i l l e n sowie auf solche ausländischer Mächte oder völkerrechtlicher Organisationen ausgedehnt worden (Art. 222 bis nl. StGB). Die Art. 217, 218 und 221 nl. StGB gelten ausschließlich für niederländische Güteund Prüfzeichen. Das häufigste und für die Praxis bedeutendste Fälschungsverbrechen ist die i n A r t . 225 nl. StGB umschriebene Schriftfälschung. Danach ist m i t einer Gefängnisstrafe bis zu fünf Jahren strafbar, wer eine Schrift 3 0 8 , aus der ein Recht, eine Verbindlichkeit oder eine Schuldbe306
Einschlägig sind die A r t . 214, 223 u n d 234 nl. StGB. 307 Früher sah der i m Zusammenhang m i t dem Vertrag zur Bekämpfung der Falschmünzerei von Genf durch Gesetz v o m 31. März 1932, StBl. 131 (Anm. 229) aufgehobene A r t i k e l 212 nl. StGB eine geringere Strafe für entsprechende Fälschungsdelikte an ausländischer Währung vor. Durch seinen Wegfall erlangte das ausländische Geld den gleichen Rechtsschutz. 308 £ ) e r Begriff w i r d zwar w e i t gefaßt, muß jedoch eine gewisse Sprachbezogenheit haben. Er scheint i n dieser Hinsicht enger gefaßt zu sein als der deutsche Begriff „ U r k u n d e " . I m Unterschied zur deutschen Rechtsprechung w u r d e nämlich ζ. B. die Fabriknummer eines Autos nicht als Schrift anerkannt. H. R., U r t e i l v o m 15. J u n i 1931, N. J. 1932, S. 1342.
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freiung hervorgehen kann oder die zum Beweis einer Tatsache bestimmt ist, fälschlich anfertigt oder verfälscht. Die Bestimmung zum Beweis kann durch Gesetz, durch rechtmäßige Anordnung einer Verwaltungsbehörde oder durch den gesellschaftlichen Verkehr erfolgen 3 0 9 . Der Täter muß auch hier wieder m i t der Absicht handeln, diese Schrift als echt und unverfälscht zu gebrauchen oder durch andere gebrauchen zu lassen 310 . Die Schriftfälschung setzt nicht voraus, daß die Schrift i n Wirklichkeit 3 1 1 , und ebensowenig, daß sie i m Original gebraucht w i r d 3 1 2 . Merkwürdigerweise w i r d die Möglichkeit eines Nachteils, der durch den Gebrauch entsteht, verlangt. Dies erinnert mehr an ein Vermögensdelikt als an ein Verbrechen gegen das öffentliche Vertrauen. Gerade w e i l es hier u m ein Verbrechen gegen das öffentliche Vertrauen geht, w i r d dieses Erfordernis vom Höge Raad aber sehr leicht genommen. Die Möglichkeit eines Nachteils w i r d ζ. B. schon angenommen, wenn durch die begangene Schriftfälschung das Vertrauen der Öffentlichkeit i n die Notare untergraben 3 1 3 oder eine polizeiliche E r m i t t l u n g 3 1 4 oder K o n t r o l l e 3 1 5 erschwert werden kann. Er kann auch darin bestehen, daß der Geschädigte auf sein Geld hat warten müssen 316 . Die Schriftfälschung w i r d nach A r t . 226 nl. StGB schwerer (Gefängnisstrafe bis zu sieben Jahren) bestraft, wenn sie an öffentlichen U r kunden oder bestimmten Wertpapieren (öffentliche Schuldverschreibungen, Industrieobligationen, Anteils- und Dividendenpapiere, Certifikate sowie für den Umlauf bestimmte K r e d i t - und Handelspapiere) begangen wird. I n bezug auf öffentliche Urkunden umschreibt A r t . 227 nl. StGB das besondere Verbrechen der Falschbeurkundung. Eine solche Urkunde w i r d durch eine nach dem Gesetz zuständige Person, ζ. B. 309 Sie ist bei einer Schrift gegeben, der i m gesellschaftlichen Verkehr gewöhnlich Bedeutung f ü r den Beweis einer Tatsache zuerkannt w i r d . H. R., U r t e i l v o m 14. M a i 1957, N. J. 1957, 472. Eine solche Beweisbestimmung fehle z . B . Lochkarten, die zur Erstellung von Lohntabellen per Computer dienen sollten (also reine H i l f s m i t t e l f u n k t i o n hatten). Gerichtshof von Amsterdam, U r t e i l v o m 18. Februar 1972, N . J . 1972, 210. Kritisch dazu: Noyon / Lange-
meijer / Remmelink, a.a.O. (Anm. 71), Art. 225, Anm. 3, Β unter d auf S. 629.
310 I n der Schuldfeststellung k a n n offenbleiben, ob der Angeklagte die Schrift selbst gebrauchen oder gebrauchen lassen wollte. H. R., U r t e i l v o m 2. Januar 1939, N. J. 1939, 577. 311 H. R., U r t e i l v o m 3. J u n i 1969, N. J. 1969, 409. 312 Unter „Gebrauchen" fällt auch die Vorlage einer Fotokopie unabhängig davon, i n wessen A u f t r a g sie angefertigt worden ist. H. R., U r t e i l v o m 21. Dezember 1971, N. J. 1972, 79. 313 H. R , U r t e i l v o m 29. März 1943, N. J. 1943, 371. 314 H. R , U r t e i l v o m 14. Oktober 1940, N. J. 1941, 41 m i t Hinweis auf den eintretenden Schaden f ü r die Gemeinschaft. 315 H. R., Urteile v o m 14. Dezember 1936, N. J. 1937, 392 und 5. Februar 1952, N. J. 1952, 239. 316 H. R., U r t e i l vom 13. Februar 1973, N. J. 1973, 139.
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einen Notar ausgestellt, zu dessen Aufgabe es gehört, zu beurkunden, was i h m der Antragsteller zur Niederschrift angibt. Nach A r t . 227 nl. StGB ist nun mit einer Gefängnisstrafe bis zu sechs Jahren strafbar, wer i n eine öffentliche Urkunde eine falsche Angabe über eine Tatsache, deren Wahrheit die Urkunde erweisen soll, i n der Absicht aufnehmen läßt, diese Urkunde zu gebrauchen oder von anderen gebrauchen zu lassen, als entspräche seine Angabe der Wahrheit. Der Inhalt der Urkunde ist dann nicht falsch, weil die Angabe dem Urkundsbeamten gegenüber wirklich erfolgte. Die Mitteilung selbst aber ist unwahr. Darin liegt der Strafgrund. Auch hier ist wiederum verlangt, daß aus der Verwendung der Urkunde ein Nachteil entstehen kann. I m Zwölften Titel findet man darüber hinaus einige besondere Erscheinungsformen der Schriftfälschung, bei denen die Möglichkeit eines Nachteils nicht verlangt ist. Dazu gehört zunächst die vorsätzliche Abgabe einer falschen schriftlichen Erklärung durch einen Arzt über eine Todesursache oder über den augenblicklichen oder früheren Bestand oder Nichtbestand von Krankheiten, Schwächen oder Gebrechen nach Art. 228 nl. StGB. Für den Fall, daß die Erklärung i n der Absicht abgegeben wird, jemanden i n eine psychiatrische Krankenanstalt aufnehmen zu lassen oder dort zu belassen, ist das Strafmaß mehr als verdoppelt (sieben Jahre und sechs Monate Gefängnis gegenüber drei Jahren). Ferner zählt dazu die fälschliche Anfertigung oder Verfälschung einer solchen schriftlichen ärztlichen Erklärung durch eine beliebige Person i n der Absicht, Amtsträger oder Versicherer irrezuführen (Art. 229 nl. StGB). Auch wer Führungszeugnisse oder Zeugnisse über Fähigkeiten, Gebrechen oder andere Umstände i n der Absicht fälschlich anfertigt oder verfälscht, das falsche oder gefälschte Zeugnis zu gebrauchen oder gebrauchen zu lassen, u m eine Anstellung zu erlangen oder Wohlwollen und Unterstützung zu wecken, ist — allerdings minder — strafbar (Art. 230 nl. StGB). Art. 231 nl. StGB schließlich enthält zwei Straftatbestände i m Hinblick auf Reisepässe, Passierscheine und Reiseanordnungen 317 . Unter Strafe gestellt ist einmal die fälschliche Anfertigung oder Verfälschung solcher Papiere und andererseits die Ausstellung eines solchen Papiers auf einen falschen Namen, Vornamen oder eine falsche Eigenschaft 318 . Hier sind demnach die Tat317 Unter Reisepaß w i r d das f ü r den Grenzübergang u n d den Verbleib i m Ausland erforderliche Legitimationspapier verstanden, wobei allerdings „verschiedene Formen von Reisepapieren" einbezogen sind. Gerichtshof Amsterdam, U r t e i l v o m 9. November 1938, N. J. 1939, 234. Was m i t den beiden anderen genannten Papieren gemeint ist, bleibt verborgen. Bei Noyon /
Langemeijer / Remmelink, a.a.O. (Anm. 71), Art. 231, Anm. 2 auf S. 670 werden sie definiert: veiligheidskaart als ein Freigeleit i n der Besatzungszeit — also w o h l Passierschein — u n d reisorder als A u f t r a g einer staatlichen Stelle, eine Reise i n das Ausland zu unternehmen.
§ 55 Straftaten gegen den Personenstand u n d die Ehe
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handlungen der Schriftfälschung (Art. 225 nl. StGB) und Falschbeurkundung (Art. 227 nl. StGB) zusammengefaßt. Die erforderliche A b sicht richtet sich demzufolge auch nicht nur darauf, das falsche Papier als echt und unverfälscht zu gebrauchen oder gebrauchen zu lassen, sondern auch darauf, es zu verwenden oder verwenden zu lassen, als entspräche sein Inhalt der Wahrheit. Die Höchststrafen für die hier besprochenen Fälschungsverbrechen schwanken zwischen neun Jahren (Art. 208, 209 nl. StGB) und drei Monaten (Art. 213 nl. StGB) Gefängnis. Die Schriftfälschung kann m i t Gefängnis bis zu fünf Jahren (Art. 225 nl. StGB), bei den straferschwerenden Umständen des A r t . 226 nl. StGB bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft werden. Bei Verurteilung wegen der Verbrechen der A r t . 208 - 211, 216 - 222 bis und 225 - 229 nl. StGB kann als Nebenstrafe der Entzug bestimmter Rechte angeordnet werden (Art. 215, 224 und 235 nl. StGB). § 55 Straftaten gegen den Personenstand und die Ehe
Der Dreizehnte Titel behandelt die Verbrechen gegen den Personenstand. Sie knüpfen einerseits an die Fälschungsverbrechen an. Verdunkelung des Personenstandes nach A r t . 236 nl. StGB w i r d nicht selten i n Tateinheit m i t einer Schriftfälschung nach A r t . 225 nl. StGB oder einer Falschbeurkundung nach A r t . 227 nl. StGB vorkommen 3 1 9 . Andererseits hängen diese Verbrechen m i t den Verbrechen gegen die Sitten und dem Verlassen Hilfsbedürftiger aus den nächsten beiden Titeln zusammen. So könnte der Dreizehnte bis Fünfzehnte Titel aus der Sicht von Ehe und Familie gesehen werden, obwohl die Verbrechen aus diesen drei Titeln auch andere Aspekte aufweisen. Der hier behandelte Titel enthält drei Verbrechen gegen den Personenstand: die Verdunkelung des Personenstandes, d. h. die Abstammung eines anderen w i r d ungewiß gemacht (Art. 236 nl. StGB); die Schließung einer Doppelehe oder die Eheschließung i n dem Wissen, daß der andere Teil dadurch eine Doppelehe eingeht (Art. 237 nl. StGB) und schließlich die Eheschließung durch eine unverheiratete Person, 818
Z u denken ist zunächst an A m t , Beruf, Personenstand u n d Geschlecht
(N oy on / Langemeijer / Remmelink, a.a.O. [Anm. 711, Art. 231, Anm. 1 auf
S. 669), nicht jedoch z.B. an das A l t e r (H. R., U r t e i l v o m 21. A p r i l 1913, N. J. 1913, 961). 819 Daß die Personenstandsfälschung zur Falschbeurkundung nicht i m V e r hältnis der Spezialität zueinander steht, w e i l verschiedene Rechtsinteressen geschützt werden, hat zur Folge, daß das unten erwähnte Verfolgungshindernis eine Verfolgung wegen Falschbeurkundung nicht hindert. H. R. f U r t e i l v o m 21. März 1957, N. J. 1957, 483. 12 Ausländisches Strafrecht V
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Das niederländische Strafrecht
die dabei vorsätzlich dem anderen Teil verschweigt, daß dagegen ein gesetzliches Hindernis besteht (Art. 238 nl. StGB). Dabei ist allerdings die Strafbarkeit erst gegeben, wenn aufgrund dieses Hindernisses die Ungültigkeit der Ehe ausgesprochen ist. Die Verdunkelung des Personenstandes kann nicht verfolgt werden, bevor eine Klage auf Feststellung oder Anfechtung des Personenstandes erhoben ist und der Z i v i l richter darüber ein Endurteil erlassen hat. Wenn der Zivilprozeß indes wegen Untätigkeit der Parteien keinen hinreichenden Fortgang nimmt, kann die Staatsanwaltschaft dennoch verfolgen, nachdem der Richter entschieden hat, daß ein Anfang eines Urkundenbeweises i m Sinne von A r t . 209 nl. BGB vorliegt 3 2 0 . Die Strafen für diese Verbrechen betragen bis zu fünf Jahren (Art. 236 nl. StGB) bzw. vier Jahren (Art. 237 Abs. 1 und 238 nl. StGB) Gefängnis. Für den Fall, daß jemand eine Doppelehe eingeht und der Gegenseite seinen Ehestand verschweigt, ist das Strafmaß auf sechs Jahre Gefängnis angehoben (Art. 237 Abs. 2 nl. StGB). I m Falle der Bigamie kann als Nebenstrafe auch der Entzug bestimmter Rechte angeordnet werden (Art. 237 Abs. 3 nl. StGB). Neben diesen drei Verbrechen enthält der Vierte Titel des Dritten Buches zwei Übertretungstatbestände i n bezug auf den Personenstand. Nach A r t . 448 nl. StGB macht sich strafbar, wer seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Anzeige an den Standesbeamten für die Eintragung von Geburts- und Sterbefällen nicht nachkommt. A r t . 449 nl. StGB, der den A r t . 199 f. Code pénal nachgebildet ist, droht dem Geistlichen Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden an, der die kirchliche Eheschließungszeremonie vornimmt, bevor die Beteiligten i h m ihre standesamtliche Eheschließung durch Vorlage der Heiratsurkunde nachgewiesen haben. W i r d die Übertretung innerhalb von zwei Jahren wiederholt, kann auch Haft bis zu zwei Monaten verhängt werden 3 2 1 . § 56 Straftaten gegen die Sitten
Der Vierzehnte Titel befaßt sich m i t Verbrechen gegen die Sitten. Die meisten Sittlichkeitsverbrechen beziehen sich auf den sexuellen Bereich, nämlich die A r t . 239 - 251 bis nl. StGB, während die A r t . 252 - 254 bis nl. StGB verschiedenartige Verbrechen auf anderen Gebieten der Sittlichkeit i n einem allgemeineren Sinne wie die Verabreichung starker Getränke an Betrunkene und Kinder, die Überlassung 320
Diese zuvor i n A r t . 323 nl. B G B a. F. enthaltene Regelung wurde durch Invoeringswet Boek I nieuw B. W. (Einführungsgesetz zum Ersten Buch des Neuen Bürgerlichen Gesetzbuchs) v o m 3. A p r i l 1969 (1. Januar 1970), StBl. 167 i n A r t . 236 Abs. 3 nl. StGB aufgenommen. 321 Nach A r t . 200 Code pénal steigt der Strafrahmen bei einmaliger Wiederholung bereits auf zwei bis vier Jahre.
§ 56 Straftaten gegen die Sitten
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von Kindern für Bettelei, gefährliche Kunststücke oder Arbeit sowie die Tierquälerei 3 2 2 enthalten. Der Sechste Titel des Dritten Buches führt einige Übertretungen gegen die Sitten an, die sich an diese Sittlichkeitsverbrechen anschließen, zu einem Teil aber inzwischen aufgehoben sind. Die ursprüngliche Fassung des Strafgesetzbuchs enthielt schon mehr Sexualverbrechen als der Code pénal, der vorher i n den Niederlanden gegolten hatte. Der Gesetzgeber von 1881 hatte nämlich das deutsche Strafgesetzbuch als Vorbild gewählt, die Bestimmungen über die B l u t schande und die gleichgeschlechtliche Unzucht nach §§ 173 und 175 Reichsstrafgesetzbuch a. F. waren von i h m jedoch nicht i n das Strafgesetzbuch aufgenommen worden. Eine große Änderung erfuhr dieser Titel i m Jahre 1911 durch das Gesetz zur Bekämpfung der Sittenlosigk e i t 3 2 3 . Die Strafbestimmungen gegen die Pornographie (Art. 240 und 240 bis nl. StGB) und gegen die Kuppelei und Zuhälterei (Art. 250 - 250 ter nl. StGB) wurden ausgedehnt und die gleichgeschlechtliche Unzucht von Volljährigen m i t Minderjährigen (Art. 248 bis nl. StGB), die Verführung Minderjähriger (Art. 248 ter nl. StGB) und Behandlungen mit dem Ziel oder unter der Vortäuschung, daß dadurch eine Schwangerschaft abgebrochen w i r d bzw. werden kann (Art. 251 bis nl. StGB), unter Strafe gestellt. Danach sind diese Strafbestimmungen noch einige Male ergänzt worden, und zwar i m Jahre 1927 324 die A r t . 240, 240 ter und 250 bis nl. StGB, i m Jahre 1934 325 wiederum Art. 240 nl. StGB, i m Jahre 1936 326 dann die A r t . 240 bis, 245, 248 bis und 250 nl. StGB. Während der Besetzungszeit wurde von den Deutschen die Strafbarkeit der Blutschande und der Homosexualität zwischen Männern eingeführt, doch nach der Befreiung wurden diese Strafvorschriften wieder aufgehoben. Nach diesem ständigen Ausbau des Sittlichkeitsstrafrechts setzte 322 Früher w a r noch das Veranstalten bzw. die Teilnahme a m verbotenen Glücksspiel (Art. 254 bis u n d 457 nl. StGB) i n diesem T i t e l bzw. i m Ubertretungsteil enthalten, die Tatbestände w u r d e n jedoch 1964 aufgehoben u n d i n das Nebenstrafrecht herübergenommen. Vgl. oben A n m . 77. 323 Wet ter bestrijding v a n zedeloosheid (Gesetz zur Bekämpfung der Sittenlosigkeit) v o m 20. M a i 1911, StBl. 130. 324 Wet houdende w i j z i g i n g van het Wetboek v a n straf recht . . . i n verband met de Verdragen ter bestrijding van den handel i n vrouwen en kinderen en ter beteugeling v a n de verspreiding v a n en den handel i n ontuchtige u i t gaven (Strafrechtsänderungsgesetz i m Zusammenhang m i t den Verträgen zur Bekämpfung des Handels m i t Frauen u n d K i n d e r n u n d zur Einschränk u n g der Verbreitung von u n d des Handels m i t unzüchtigen Ausgaben) v o m 13. M a i 1927, StBl. 156. 325 Vgl. oben A n m . 246. 326 Wet tot w i j z i g i n g en aanvulling v a n de bepalingen betreffende de zeden i n het Wetboek van straf recht ter betere bescherming van minder jarigen (Gesetz zur Änderung u n d Ergänzung der strafrechtlichen Sittenvorschriften z u m besseren Schutze der Jugendlichen) v o m 18. J u l i 1936, StBl. 203. 12*
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dann i n den sechziger Jahren eine starke Gegenströmung ein, die inzwischen zur Aufhebung einer Reihe von Tatbeständen 327 , vor allem aber auch zur Einschränkung der Verfolgung von Straftaten gegen die Sittlichkeit geführt hat 3 2 8 . Eine allgemeine Reform des Sittlichkeitsstrafrechts, die zahlreiche weitere Einschränkungen bringen wird, ist i n Vorbereitung 8 2 9 . Die erste Deliktsgruppe innerhalb dieses Titels behandelt die Verletzung der Ehrbarkeit. Unter Ehrbarkeit ist entweder das Ehrgefühl — oder besser das Schamgefühl 830 — auf geschlechtlichem Gebiet oder — wenn man vom Gefühl absehen w i l l — die menschliche Würde, der Wert, der dem Geschlechtsleben des Menschen zuzuerkennen ist, zu verstehen 331 . Nach A r t . 239 nl. StGB ist die Verletzung des Schamgefühls strafbar, wenn sie öffentlich erfolgt oder ein anderer gegen seinen Willen gegenwärtig ist. I n den A r t . 240 und 240 bis nl. StGB werden Handlungen unter Strafe gestellt, die für das Schamgefühl anstößige Äußerungen betreffen. Dabei w i r d seit dem Jahre 1911 der Jugend ein besonderer Schutz eingeräumt. Nach A r t . 240 nl. StGB ist strafbar, wer für das Schamgefühl anstößige Schriften, Abbildungen oder Gegenstände verbreitet oder Handlungen vornimmt, die der Verbreitung dienlich sind. Wer den Inhalt solcher Schriften öffentlich zu Gehör bringt, macht sich i n gleicher Weise strafbar. Die Höchststrafe beträgt ein Jahr Gefängnis oder Geldstrafe bis zu sechstausend Gulden, wenn der Schuldige den anstößigen Inhalt kennt. Hat er ernsthafte Gründe zu der Vermutung, daß sie für das Schamgefühl anstößig sind, w i r d er 327 So A r t . 248 bis nl. StGB — Homosexualität zwischen Erwachsenen u n d Jugendlichen über sechzehn Jahren — durch ein Gesetz v o n 1971 (Anm. 15), A r t . 241 nl. StGB — Ehebruch — ebenfalls 1971 (Anm. 14) u n d A r t . 451 ter nl. StGB — Ausstellen u n d Anbieten v o n u n d Werben f ü r empfängnisverhütendein) Mittel(n) — i m Jahre 1969 (Anm. 16). 828 So z. B. durch einschränkende Verfolgungsrichtlinien der Generalstaatsanwälte hinsichtlich der Pornographietatbestände oder durch auffallend niedrige Strafen: fünfundzwanzig Gulden für eine Pornographieaffäre.
Vgl. Noyon / Langemeijer / Remmelink, a.a.O. (Anm. 71), Vorspann zu Titel
X I V , A n m . 2 auf S. 687. 329 Vgl. die obigen Ausführungen auf S. 26 m i t A n m . 13. 330 I m Anschluß an Pompe i n einer A n m e r k u n g zu H. R., U r t e i l v o m 2. M a i 1932, N. J. 1932, S. 1197 ist diese Umschreibung v o m Höge Raad übernommen worden. Vgl. H. R., Urteile v o m 25. März 1952, N . J . 1952, 240; 19. November 1968, N. J. 1969, 360 u n d 1. Dezember 1970, N. J. 1971, 374, w o er von einer unter den gegebenen Umständen f ü r das normal entwickelte Schamgefühl verletzenden Handlung spricht. 331 Die Ehrbarkeit w i r d verstanden als ein allgemeiner Begriff, „ w i e er nach den i m Lande herrschenden Sitten, die durch die bei einer bedeutenden Mehrheit des niederländischen Volkes i n diesem Punkte lebenden Auffassungen bestimmt werden, aufzufassen ist". H. R., Urteile v o m 17. November 1970, N . J . 1971, 373; 13. J u n i 1972, N . J . 1973, 297 u n d 19. November 1974, N. J. 1975, 133.
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m i t Gefängnis oder Haft bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe bis zu sechstausend Gulden bestraft. Nach A r t . 240 bis nl. StGB macht sich strafbar, wer einem Minderjährigen unter achtzehn Jahren eine solche Schrift usw. oder ein M i t t e l zur Unterbrechung der Schwangerschaft anbietet, ganz oder zeitweise überläßt, i n die Hände gibt, zeigt oder den Inhalt einer solchen Schrift usw. zu Gehör bringt. Die Tat kann m i t Gefängnis bis zu sechs Monaten und einer Geldstrafe bis zu eintausendundzweihundert Gulden geahndet werden, wenn dem Schuldigen der Inhalt der Schrift oder das M i t t e l bekannt ist. Fehlt die Kenntnis, liegen jedoch ernstliche Gründe für die Vermutung vor, daß die Schrift anstößig ist oder das M i t t e l zur Abtreibung dient, ist die Höchststrafe auf drei Monate Gefängnis oder Haft oder Geldstrafe bis zu eintausendundzweihundert Gulden reduziert. Eine Straferschwernis sieht das Gesetz vor, wenn die nach A r t . 240 nl. StGB strafbaren Handlungen berufs- oder gewohnheitsmäßig begangen werden (Art. 240 Abs. 3 nl. StGB). Werden die Verbrechen der A r t . 240 und 240 bis nl. StGB i m Beruf begangen, so kann i m Wiederholungsfall unter bestimmten Voraussetzungen ein Berufsverbot verhängt werden (Art. 240 ter nl. StGB). Der sechste Titel des Dritten Buches enthält einige Übertretungstatbestände, die an diese Verbrechen anknüpfen. A r t . 451 nl. StGB bedroht denjenigen m i t Haft bis zu drei Tagen oder Geldstrafe bis zu dreißig Gulden, der i n der Öffentlichkeit für das Schamgefühl anstößige Lieder singt, Ansprachen hält oder auf einen vom öffentlichen Weg aus sichtbaren Ort für das Schamgefühl anstößige Worte oder Zeichen aufstellt. A r t . 451 bis nl. StGB, der ebenso wie der inzwischen aufgehobene A r tikel 451 ter und 451 quater nl. StGB i m Jahre 1911 eingeführt wurde, hat zum Ziel, die Jugend gegen Schriften, Abbildungen und Gegenstände zu schützen, die geeignet sind, die Sinnlichkeit der Jugend zu reizen. Danach ist m i t Haft bis zu zwei Monaten oder Geldstrafe bis zu vierhundert Gulden strafbar, wer solche Schriften usw. öffentlich ausstellt, anbietet, anschlägt oder zu Gehör bringt oder sie Jugendlichen unter achtzehn Jahren anbietet, überläßt oder ihnen gegenüber zu Gehör bringt. Nach A r t . 451 quater nl. StGB w i r d schließlich m i t Haft bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden bestraft, wer ein M i t t e l zur Unterbrechung der Schwangerschaft öffentlich ausstellt oder öffentlich oder unverlangt ein solches M i t t e l oder Dienste zur Unterbrechung der Schwangerschaft anbietet oder als erwerbbar bezeichnet. Die zweite Deliktsgruppe umfaßt zunächst vier Tatbestände, i n denen der außereheliche Beischlaf gegen oder ohne den (verantwortlich gefaßten) Willen der Frau m i t schwerer Strafe bedroht wird, und eine
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Das niederländische Strafrecht
Reihe weiterer Tatbestände, mit denen andere unzüchtige Handlungen i n den Strafrechtsschutz einbezogen werden. Unter Strafe gestellt sind die Notzucht m i t einer Höchststrafe von zwölf Jahren Gefängnis (Art. 242 nl. StGB) und der Geschlechtsverkehr m i t einer Frau, die sich i m Zustand der Bewußtlosigkeit oder Ohnmacht befindet, m i t einer Höchststrafe von acht Jahren Gefängnis (Art. 243 nl. StGB). Der Geschlechtsverkehr m i t einem Mädchen unter zwölf Jahren kann m i t einer Gefängnisstrafe von bis zu zwölf Jahren (Art. 244 nl. StGB), der mit einer Frau zwischen zwölf und sechzehn Jahren mit einer Gefängnisstrafe bis zu acht Jahren (Art. 245 nl. StGB) geahndet werden. Liegen keine weiteren straferschwerenden Umstände vor (Körperverletzung, Tod, Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses), ist hinsichtlich dieser letzten Straftat Strafverfolgung nur auf Antrag möglich (Art. 245 Abs. 2 nl. StGB). Darüber hinaus w i r d bestraft, wer jemanden durch Gewalt oder Drohung m i t Gewalt zwingt, unzüchtige Handlungen zu verüben oder zu dulden. Dieser „tätliche Angriff auf das Schamgefühl" w i r d m i t Gefängnis bis zu acht Jahren geahndet (Art. 246 nl. StGB). Wer m i t jemandem, von dem er weiß, daß er sich i m Zustand der Bewußtlosigkeit oder Ohnmacht befindet, oder m i t jemandem, der noch nicht sechzehn Jahre alt ist, unzüchtige Handlungen verübt oder eine Person unter sechzehn Jahren zur Begehung oder Duldung solcher Handlungen oder außerhalb der Ehe zur Geschlechtsgemeinschaft m i t einem Dritten verleitet, w i r d mit Gefängnis bis zu sechs Jahren bestraft (Art. 247 nl. StGB). Unter Ohnmacht w i r d i n den A r t . 243 und 247 nl. StGB nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur die physische Wehrlosigkeit verstanden, die ihre Ursache i n einem beim Opfer selbst gelegenen Unvermögen zu handeln findet 3 3 2 . Für die hier genannten Verbrechen ist Vorsatz erforderlich, doch braucht er sich nicht auf das Lebensalter zu erstrecken 333 . Wenn die Verbrechen, die i n den A r t . 243 und 245 - 247 nl. StGB umschrieben sind, eine schwere Körperverletzung oder den Tod zur Folge haben, werden die Strafen nach A r t . 248 nl. StGB auf zwölf Jahre Gefängnis erhöht. Warum demzufolge eine schwere K ö r perverletzung bei der Notzucht nach A r t . 242 nl. StGB und dem Geschlechtsverkehr mit einem Mädchen unter zwölf Jahren nach A r t . 244 nl. StGB nicht straferschwerend w i r k t , leuchtet nicht ein. Hat eines der obigen Verbrechen den Tod zur Folge, kann eine Gefängnisstrafe bis zu fünfzehn Jahren verhängt werden (Art. 248 Abs. 2 nl. StGB). 332 H. R., Urteile v o m 30. August 1909, W. 8903; 21. J u n i 1943, N. J. 1943, 559 u n d 29. November 1966, N. J. 1967, 116. 333 H. R., Urteile v o m 24. Oktober 1898, W. 7194 u n d 15. Februar 1949, N. J. 1949, 275.
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Daneben gibt es i n dieser Gruppe einige Tatbestände, i n denen der sexuelle Mißbrauch von insbesondere Schutzbefohlenen Jugendlichen und unter Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses unter Strafe gestellt wird. So w i r d m i t Gefängnis bis zu vier Jahren bedroht, wer durch Geschenke oder Versprechen von Geld oder Gut, Mißbrauch von aus tatsächlichen Verhältnissen sich ergebendem Übergewicht oder Verführung einen unbescholtenen Minderjährigen bewegt, unzüchtige Handlungen m i t ihm zu treiben oder solche Handlungen von i h m zu dulden (Art. 248 ter nl. StGB). Es handelt sich um ein Antragsdelikt, für das die Antragsfristen verlängert sind (Art. 248 ter Abs. 1 und 2 nl. StGB). Das Treiben von Unzucht m i t eigenen Kindern — Stiefoder Pflegekinder sind einbezogen — oder Schülern sowie m i t Minderjährigen, die allgemein der Pflege, Erziehung, Aufsicht oder Ausbildung des Täters anvertraut sind, ist gesondert i n A r t . 249 Abs. 1 nl. StGB geregelt. Die Höchststrafe beträgt hier sechs Jahre Gefängnis. Andere, nicht auf Jugendliche beschränkte Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnisse genießen denselben Strafrechtsschutz. I n gleicher Weise strafbar macht sich nämlich der Beamte, der m i t einer Person Unzucht treibt, die seiner Gewalt unterworfen oder seiner Aufsicht anvertraut oder anbefohlen ist, sowie auch der Leiter, Arzt, Lehrer, Beamte, Aufseher oder Angestellte i n einem Gefängnis, einem staatlichen Arbeitshaus, einer staatlichen Anstalt für Jugendschutz, einem Waisenhaus, einem Krankenhaus, einer psychiatrischen Krankenanstalt oder einer Wohltätigkeitseinrichtung, der m i t einer darin aufgenommenen Person Unzucht treibt (Art. 249 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 nl. StGB). Die weiteren Tatbestände dieser Deliktsgruppe betreffen nicht eigene sexuelle Betätigung, sondern die Förderung der Unzucht von anderen m i t Dritten. Strafbar ist zunächst, wer bewirkt oder fördert, daß Minderjährige m i t Dritten Unzucht verüben. Die Höchststrafe beträgt drei Jahre Gefängnis, bei bestimmten Vertrauensverhältnissen vier Jahre Gefängnis (Art. 250 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 nl. StGB). Die Strafe kann u m ein Drittel erhöht werden, wenn der Täter das Verbrechen berufs- oder gewohnheitsmäßig betreibt (Art. 250 Abs. 2 nl. StGB). Auch gegenüber Erwachsenen ist das Bewirken oder Fördern der Unzucht von anderen mit Dritten strafbar, jedoch nur, wenn der Täter daraus einen Beruf oder eine Gewohnheit macht (Art. 250 bis nl. StGB). Aufgrund dieser Strafbestimmung können die gewohnheits- oder berufsmäßige Kuppelei sowie das Bordellwesen mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu zweitausend Gulden bekämpft werden. Wer dagegen als Zuhälter aus der Unzucht einer Frau Vorteil zieht, macht sich lediglich einer Übertretung nach A r t . 432 nl. StGB strafbar. Nach Art. 250 ter nl. StGB schließlich w i r d der Frauenhandel
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und der Handel m i t Minderjährigen männlichen Geschlechts m i t einer Gefängnisstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. Als Nebenstrafe kann für alle hier genannten Sexualverbrechen der Entzug bestimmter Rechte angeordnet werden, die Begehung der i n den A r t . 248 ter - 250 ter nl. StGB enthaltenen Verbrechen kann zusätzlich zum Berufsverbot führen, wenn der Täter i n seinem Beruf gehandelt hat (Art. 251 nl. StGB). Eine Sonderstellung i m Rahmen dieses Titels nimmt A r t . 251 bis nl. StGB ein, m i t dem die Strafbarkeit der Abtreibung erweitert worden ist. Die Abtreibung als solche ist als Verbrechen gegen das Leben nach A r t . 295 - 298 nl. StGB unter Strafe gestellt, doch muß dabei der Beweis erbracht werden, daß zur Zeit der Abtreibung die Leibesfrucht lebte 8 3 4 . Weil dieser Beweis besonders schwierig ist — der Höge Raad hatte ausdrücklich hervorgehoben, daß das Gesetz keine Rechtsvermutung kenne, woraus das Leben oder die Lebensfähigkeit abgeleitet werden dürfe —, hat der Gesetzgeber i m Jahre 1911 diesen A r t i k e l eingeführt. Danach w i r d m i t einer Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bis zu sechstausend Gulden bestraft, wer eine Frau i n Behandlung nimmt — gleichgültig ob sie schwanger ist oder nicht 3 3 5 — und dabei zu erkennen gibt oder die Erwartung erweckt, daß dadurch die Schwangerschaft unterbrochen werden kann 3 3 6 . Als straferschwerend w i r d angesehen, wenn der Täter aus Gewinnstreben oder berufs- oder gewohnheitsmäßig handelt, sowie wenn er Arzt, Hebamme oder Apotheker ist (Art. 251 bis Abs. 2 nl. StGB). I h m droht zusätzlich ein Berufsverbot, wenn er das Delikt i n seinem Beruf begeht (Art. 251 bis Abs. 3 nl. StGB). Die restlichen Straf ν or sehr if ten dieses Titels enthalten keine Sexualverbrechen, sondern Verbrechen gegen die guten Sitten auf verschiedenen anderen Gebieten. Ein Verbrechens- und nunmehr noch ein Übertretungstatbestand 337 richtet sich gegen den Mißbrauch berauschender Getränke. Strafbar bis 334 Ständige Rechtsprechung seit H. R., U r t e i l v o m 1. November 1897, W. 7038. 335 H. R , U r t e i l v o m 20. J u n i 1950, N. J. 1950, 678. 336 Die i n Aussicht gestellte braucht m i t der tatsächlich durchgeführten Behandlung nicht identisch zu sein. H. R., U r t e i l v o m 7. Dezember 1965, N. J. 1966, 322. 337 Früher w a r noch der Verkauf von Spirituosen an Jugendliche i m A r t . 454 nl. StGB m i t einer Haftstrafe bis zu drei Wochen bedroht. Diese Bestimm u n g ist jedoch durch D r a n k - en Horecawet (Schankgesetz) v o m 7. Oktober 1964 (1. November 1967), StBl. 386 aufgehoben u n d i n das Nebenstrafrecht herübergenommen worden.
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zu neun Monaten Gefängnis oder sechshundert Gulden Geldstrafe macht sich, wer solche Getränke an jemanden verkauft oder jemandem verabreicht, der sich i n offenbarem Zustand der Trunkenheit befindet, wer einen Jugendlichen unter sechzehn Jahren trunken macht oder wer jemanden durch Gewalt oder durch Drohung m i t Gewalt zur Einnahme solcher Getränke zwingt (Art. 252 nl. StGB). Einer Übertretung nach Art. 453 nl. StGB macht sich schuldig, wer sich i m offenbaren Zustand der Trunkenheit auf einem öffentlichen Weg befindet. Es kann eine Geldstrafe bis zu dreißig Gulden verhängt werden, i m Wiederholungsfalle Haft bis zu drei Tagen. Beim zweiten Rückfall innerhalb eines Jahres, nachdem die erste Verurteilung wegen Rückfalls rechtskräftig geworden ist, w i r d Haft bis zu zwei Wochen verhängt. Beim dritten und jedem weiteren Rückfall kann der Schuldige außerdem, wenn er arbeitsfähig ist, zur Unterbringung i n einem staatlichen Arbeitshaus bis zu einem Jahr verurteilt werden. Gegen den Mißbrauch von Kindern für bestimmte Tätigkeiten richtet sich A r t . 253 nl. StGB. Er droht demjenigen bis zu drei Jahren Gefängnis an, der ein unter seiner Gewalt stehendes K i n d unter zwölf Jahren an einen anderen gibt oder i h m überläßt, obwohl er weiß, daß es zum oder beim Ausüben von Bettelei, von gefährlichen Kunststücken oder von gefährlicher oder gesundheitsschädlicher Arbeit gebraucht werden soll. Schließlich ist noch die Tierquälerei unter die Sittlichkeitsverbrechen aufgenommen worden. Beide dem Tierschutz gewidmeten Straf Vorschriften (Art. 254 und 455 nl. StGB) wurden durch das Tierschutzgesetz von 1961 m i t dem Ziel geändert, den Strafrechtsschutz auszuweiten 338 . Tierquälerei begeht, wer ohne vernünftigen Zweck oder unter Überschreitung dessen, was zur Erreichung eines solchen Zweckes zulässig ist, vorsätzlich einem Tier Schmerz oder eine Verletzung beibringt oder die Gesundheit eines Tieres schädigt oder einem Tier, das i h m zumindest zum Teil gehört und zu dessen Versorgung er verpflichtet ist, die nötige Versorgung vorenthält (Art. 254 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 nl. StGB). Darauf steht Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu eintausend Gulden; die Gefängnisstrafe kann auf ein Jahr Gefängnis erhöht werden, wenn innerhalb von fünf Jahren nach rechtskräftiger Verurteilung erneut eine Tierquälerei begangen w i r d (Art. 254 Abs. 2 nl. StGB). Art. 455 Abs. 1 nl. StGB umschreibt die gleichen Handlungen, verlangt aber nicht wie A r t . 254 nl. StGB Vorsatz. Welche Handlungen i m einzelnen als Tierquälerei angesehen werden, w i r d hier an neun Beispielen konkretisiert (Art. 455 Abs. 2 Buchst, a - i nl. StGB). Es kann Haft bis zu einem Monat oder Geldstrafe bis zu 838
Siehe oben A n m . 20.
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Das niederländische Strafrecht
sechshundert Gulden verhängt werden, bei Wiederholung innerhalb von drei Jahren nach rechtskräftiger Verurteilung ist Haft bis zu drei Monaten möglich. § 57 Das Verlassen Hilfsbedürftiger
Der Fünfzehnte Titel enthält lediglich zwei Verbrechen: die Verletzung der Unterhaltspflicht und die Aussetzung oder das Verlassen von Kindern unter sieben Jahren. Wegen Unterhaltspflichtsverletzung macht sich strafbar, wer vorsätzlich jemanden, zu dessen Unterhalt, Pflege oder Versorgung er kraft Gesetzes oder kraft Vertrages verpflichtet ist, i n einen hilflosen Zustand versetzt oder i n einem solchen Zustand beläßt (Art. 255 nl. StGB). Eine strafbare Aussetzung begeht, wer ein K i n d unter sieben Jahren als Findelkind aussetzt oder es i n der Absicht verläßt, sich seiner zu entledigen (Art. 256 nl. StGB). Die weiteren Bestimmungen enthalten Straferschwerungs- bzw. Strafmilderungsgründe. Das erste Verbrechen kann m i t einer Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden bestraft werden, das zweite m i t einer Gefängnisstrafe bis zu vier Jahren und sechs Monaten. Falls eine dieser Taten eine schwere Körperverletzung zur Folge hat, beträgt die Höchststrafe sieben Jahre und sechs Monate, hat sie den Tod zur Folge, neun Jahre Gefängnis (Art. 257 nl. StGB). Hat der Vater oder die Mutter das K i n d ausgesetzt oder verlassen, können die Höchststrafen nochmals u m ein D r i t t e l angehoben werden (Art. 258 nl. StGB). A u f die Hälfte heruntergesetzt werden kann die Höchststrafe, wenn die Tat von der Mutter unter dem Einfluß der Furcht vor der Entdeckung ihrer Niederkunft kurz nach der Geburt begangen worden ist (Art. 259 nl. StGB). Der Grund für die Strafbarkeit dieser Verbrechen liegt nicht i n der konkreten Gefahr. Manche Autoren weisen auf die abstrakte Gefahr hin. M i r scheint die Vernachlässigung einer Pflicht, die sich vor allem aus dem Familienverband ergibt, der wichtigste und eigentliche Strafgrund zu sein. Hierfür spricht die Stellung des Titels i m Anschluß an die beiden vorhergehenden. I n diese Richtung weist auch die Rechtsprechung des Höge Raad. Danach bringt ein Mann seine Kinder i n einen hilflosen Zustand, auch wenn er sie der Mutter als der für ihre Pflege geeignetsten Person überläßt, ohne jedoch Vorkehrungen für ihren Lebensunterhalt zu treffen. Weil weder die Frau noch die Kinder imstande waren, den Lebensunterhalt zu besorgen, und auch kein Beistand von der Familie zu erwarten war, hatte er sich nach A r t . 255 nl. StGB strafbar gemacht 339 . 339 H. R., Urteile v o m 8. M a i 1951, N. J. 1951, 523 u n d 22. November 1960, N. J. 1961, 212.
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Der Fünfte Titel des Dritten Buches unter der Überschrift „Übertretungen i n bezug auf Hilfsbedürftige" enthält als einzigen Tatbestand die unterlassene Hilfeleistung, die i m Gegensatz zum deutschen § 330 c StGB einmal nur als Übertretung und zum anderen unter engeren Voraussetzungen strafbar ist. Lediglich m i t einer Haftstrafe bis zu drei Monaten oder einer Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden kann nämlich bestraft werden, wer als Zeuge einer augenblicklichen Lebensgefahr für einen Dritten es unterläßt, diesem diejenige Hilfe zu leisten oder zu verschaffen, die er i h m leisten oder verschaffen kann, ohne Gefahr für sich selbst oder andere vernünftigerweise befürchten zu müssen. Für die Strafbarkeit ist darüber hinaus noch erforderlich, daß der Tod des Hilfsbedürftigen eintritt. Bei der parlamentarischen Beratung dieser Strafvorschrift wendete eine Minderheit gegen die Strafbarkeit ein, daß das Gebot zur Hilfeleistung nicht zum Recht, sondern zum Sittengesetz gehöre. Heute sind indes auch Stimmen laut geworden, die befürworten, daß diese Straftat nicht als Übertretung, sondern als Verbrechen bestraft werden müsse.
Zweites Kapitel
Straftaten gegen Personen § 58 Straftaten gegen die Ehre
Der Sechzehnte Titel des Zweiten Buches behandelt unter der Überschrift „Beleidigung" die Verbrechen, die durch den Angriff gegen die Ehre oder den guten Namen einer Person gekennzeichnet sind. Was unter der Ehre oder dem guten Namen zu verstehen ist, bedarf einer näheren Erklärung. I n diesem Titel kann nach meiner Auffassung die Ehre als Anerkennung des Wertes einer Person als sittliches Wesen bezeichnet werden. Der gute Name ist dann diese Anerkennung innerhalb der Gesellschaft ohne Rücksicht auf den wirklichen sittlichen Wert. A u f welche Weise die Ehre und der gute Name angegriffen werden können, hängt von den konkreten, nach Zeit und Ort bestimmten Umständen ab. Der Titel umfaßt verschiedene Verbrechen. Zunächst w i r d die Schmähung i n A r t . 261 nl. StGB umschrieben. Dieses Delikt w i r d als Angriff auf die Ehre oder den guten Namen einer Person definiert, der darin besteht, daß sie einer bestimmten Tat m i t dem erkennbaren Zweck beschuldigt wird, dies bekanntzumachen. Die Höchststrafe für dieses Grunddelikt beträgt sechs Monate Gefängnis oder eine Geldstrafe von sechshundert Gulden. Straferschwerend w i r k t ,
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wenn diese Beschuldigung durch Schriften oder Abbildungen erfolgt. I n diesem Fall kann die Tat als Schmähschrift m i t einer Höchststrafe von einem Jahr Gefängnis oder sechshundert Gulden Geldstrafe geahndet werden. Ursprünglich verlangte der Gesetzgeber den animus iniurandi; aufgrund der Unklarheit dieses besonderen Vorsatzes hat er sich indes auf den Vorsatz i n seiner allgemeinen Bedeutung beschränkt und dem A r t i k e l einen dritten Absatz angefügt, wonach das Verbrechen der Schmähung oder Schmähschrift nicht vorliegt, wenn der Täter offensichtlich i m allgemeinen Interesse oder zur notwendigen Verteidigung gehandelt hat. I n Art. 262 nl. StGB w i r d dann die Verleumdung umschrieben. Danach macht sich strafbar, wer das Verbrechen der Schmähung oder Schmähschrift i n den Fällen verübt, i n denen der Wahrheitsbeweis für die zur Last gelegte Tat zulässig ist, er aber diesen Beweis nicht erbringt und die Anschuldigung wider besseres Wissen erfolgt ist. Der Beweis für die Wahrheit der vorgeworfenen Tat braucht nur zugelassen zu werden, wenn der Richter die Ermittlung der Wahrheit zur Beurteilung der Einlassung des Angeklagten, er habe i m allgemeinen Interesse oder zur notwendigen Verteidigung gehandelt, für erforderlich hält oder einem Beamten eine i n Ausübung seines Amtes begangene Tat zur Last gelegt w i r d (Art. 263 Ziff. 1 und 2 nl. StGB). Der Beweis ist jedoch nicht zulässig, wenn die zur Last gelegte Tat nur auf Antrag verfolgt werden kann und kein Antrag gestellt worden ist (Art. 264 nl. StGB). Wurde der Beleidigte wegen der vorgeworfenen Tat rechtskräftig verurteilt, ist eine Verurteilung wegen Verleumdung ausgeschlossen (Art. 265 Abs. 1 nl. StGB); wurde er rechtskräftig freigesprochen, w i r d der Freispruch als ausreichender Beweis der Unwahrheit der Tat gewertet (Art. 265 Abs. 2 nl. StGB); ist wegen der vorgeworfenen Tat eine Strafverfolgung eingeleitet, w i r d die Verfolgung wegen Verleumdung ausgesetzt, bis der Richter über die vorgeworfene Tat rechtskräftig entschieden hat (Art. 265 Abs. 3 nl. StGB). Als drittes Verbrechen folgt i n A r t . 266 nl. StGB die einfache Beleidigung. Sie ist als Beleidigung definiert, die nicht Schmähung oder Schmähschrift ist und die einem anderen i n der Öffentlichkeit mündlich oder mittels Schrift oder Abbildung entweder i n seiner Gegenwart mündlich oder tätlich oder durch eine zugesandte oder angebotene Schrift oder Abbildung zugefügt w i r d 3 4 0 . Die Höchststrafe beträgt drei Monate Gefängnis oder sechshundert Gulden Geldstrafe. I n der Praxis w i r d häufig der Verfolgung wegen einfacher Beleidigung der Vorzug gegeben, u m der Möglichkeit eines Wahrheitsbeweises zu entgehen. 340 Die einfache Beleidigung besteht folglich aus Beeinträchtigungen der Ehre, die nicht i n einem bestimmten T a t v o r w u r f münden.
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Als vierter Tatbestand innerhalb dieses Titels w i r d i n A r t . 268 nl. StGB die verleumderische Anzeige umschrieben. Danach w i r d demjenigen Gefängnis bis zu drei Jahren angedroht, der vorsätzlich gegen eine bestimmte Person bei der Behörde einen falschen Strafantrag oder eine falsche Anzeige schriftlich einreicht oder niederschreiben läßt, so daß die Ehre oder der gute Name dieser Person angegriffen wird. Der Unterschied dieses Verbrechens zu der Vortäuschung einer Straftat, die nach A r t . 188 nl. StGB als Verbrechen gegen die Staatsgewalt unter Strafe gestellt ist, w i r d an der Zielrichtung des Delikts deutlich. A l l e hier aufgeführten Verbrechen gegen die Ehre und den guten Namen können nur auf Antrag des Beleidigten verfolgt werden (Art. 269 nl. StGB). Eine Ausnahme gilt nur für die Beleidigung eines Beamten während oder wegen der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes (Art. 269 i. V. m. 267 nl. StGB). Für die Fälle der Beamtenbeleidigung ist darüber hinaus das Strafmaß u m ein D r i t t e l angehoben (Art. 267 nl. StGB). Weiter treffen w i r i n diesem Titel ein Verbrechen gegen die Ehre oder den guten Namen von Verstorbenen an. Danach ist m i t Gefängnis bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden strafbar, wer i n bezug auf einen Verstorbenen eine Tat verübt, die als Schmähung oder Schmähschrift i m Sinne von A r t . 261 nl. StGB gewertet werden müßte, wenn er noch am Leben wäre (Art. 270 Abs. 1 nl. StGB). Das Verbrechen w i r d nur auf Antrag des Ehegatten sowie von Verwandten oder Verschwägerten des Verstorbenen i n gerader oder i n der Seitenlinie bis zum zweiten Grade verfolgt (Art. 270 Abs. 2 nl. StGB). Der Titel schließt m i t einem Tatbestand, i n dem verschiedene Formen der Verbreitung von Schriften oder Abbildungen m i t beleidigendem oder Verstorbene verunglimpfenden Inhalt unter Strafe gestellt werden (Art. 271 Abs. 1 und 2 nl. StGB). Auch hier ist für die Verfolgung — abgesehen von der oben erwähnten Ausnahme bei Beleidigung von Beamten während oder wegen der rechtmäßigen Ausübung ihres Amtes — ein Antrag erforderlich. Antragsberechtigt sind die i n A r t . 269 und 270 Abs. 2 nl. StGB angegebenen Personen (Art. 271 Abs. 4 nl. StGB). Die Höchststrafe beträgt drei Monate Gefängnis oder Geldstrafe von sechshundert Gulden. I n Fällen, i n denen die Straftat i m Beruf begangen worden ist, kann bei bestimmten Rückfallvoraussetzungen zusätzlich ein Berufsverbot ausgesprochen werden (Art. 271 Abs. 3 nl. StGB). Die besondere Regelung der Verunglimpfung Verstorbener i n den A r t . 270 und 271 nl. StGB zeigt, daß die anderen i n diesem Titel auf-
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genommenen Verbrechen gegen die Ehre und den guten Namen lebender Personen gerichtet sein müssen. Auch die Beleidigung von j u r i stischen Personen oder Personenmehrheiten ist ausgeschlossen. Der Gesetzgeber hat allerdings i m Jahre 1934 die Strafwürdigkeit der Beleidigung bestimmter Personenmehrheiten anerkannt und durch Einführung der bereits behandelten A r t . 137 a ff. nl. StGB darauf gerichtete Sondertatbestände geschaffen.
§ 59 Die Verletzung von Geheimnissen
Der Siebzehnte Titel enthält unter der Überschrift „Verletzung von Geheimnissen" zwei Straftatbestände. Wie i m vorigen Titel geht es, wenn auch nicht ausschließlich, u m die Verletzung von persönlichen Interessen, hier u m die Verletzung von Vertrauensverhältnissen. Die beiden Verbrechen sind demzufolge Antragsdelikte, das Verbrechen nach A r t . 272 nl. StGB jedoch nur, wenn es sich gegen eine bestimmte Person richtet. Beide Strafbestimmungen sind durch das Gesetz zur Feststellung allgemeiner Bestimmungen über die Bestrafung von Geheimnisverletzungen aus dem Jahre 1967 341 neu gefaßt worden. Nach A r t . 272 nl. StGB macht sich mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu sechstausend Gulden strafbar, wer ein Geheimnis, von dem er weiß oder vernünftigerweise vermuten muß, daß er zu dessen Wahrung aufgrund eines gegenwärtigen oder früheren Amtes oder Berufes oder einer gesetzlichen Vorschrift verpflichtet ist, vorsätzlich verletzt. Wenn es sich u m die Verletzung eines Berufsgeheimnisses handelt, w i r d das Verbrechen wohl stets gegen eine bestimmte Person gerichtet sein. Doch auch bei der Verletzung von Amtsgeheimnissen kann dies oft zutreffen. I n diesen Fällen ist die Geheimnisverletzung nur auf Antrag desjenigen verfolgbar, gegen den sich die Tat richtet (Art. 272 Abs. 2 nl. StGB). Der i m A r t . 272 nl. StGB strafrechtlich abgesicherten Schweigepflicht steht das sowohl i m Zivilrecht (Art. 1946 Abs. 2 Ziff. 3 nl. BGB) wie auch i m Strafprozeß (Art. 218 nl. StPO) anerkannte Aussageverweigerungsrecht zur Seite. Diese Bestimmungen sind erforderlich, w e i l sich aus der Schweigepflicht nicht ohne weiteres ein Aussageverweigerungsrecht gegenüber dem Richter ableiten läßt. Nach A r t . 273 nl. StGB macht sich m i t Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu eintausendzweihundert Gulden strafbar, wer vorsätzlich Einzelheiten über einen Handels- oder Gewerbebetrieb, bei dem er tätig ist oder gewesen ist, bekanntmacht, deren Geheimhaltung i h m auferlegt ist. Welche Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse unter 341
Siehe oben A n m . 21.
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die vertragliche Geheimhaltungspflicht fallen sollen, hat stets die Unternehmensleitung zu entscheiden. I h r kommt demzufolge auch das alleinige Antragsrecht zu (Art. 273 Abs. 2 nl. StGB). § 60 Straftaten gegen die persönliche Freiheit
Der Achtzehnte Titel enthält Verbrechen gegen die persönliche Freiheit. Es handelt sich u m eine Reihe von Tatbeständen, die von Anbeginn zum traditionellen Grundstock gehörten und bisher kaum Änderungen erfahren haben. Einige Strafvorschriften darunter, wie die über den Sklavenhandel, dürften heute kaum noch Aktualität besitzen, andere jedoch, wie das Verbergen von Minderjährigen, haben durch jüngste Vorfälle (Sosjale Joenit; Pro Juventute) zu bedeutsamen höchstrichterlichen Entscheidungen Anlaß gegeben 342 . Neue Straftatbestände wie etwa der erpresserische Menschenraub (§ 239 a StGB) oder die Geiselnahme (§ 239 b StGB), die i n Deutschland i n dem entsprechenden Titel eingestellt wurden, hat der niederländische Gesetzgeber bisher nicht geschaffen. Die erste Deliktsgruppe bilden vier Straftatbestände, die den Sklavenhandel betreffen. Danach ist mit bis zu zwölf Jahren Gefängnis strafbar, wer Sklavenhandel treibt oder vorsätzlich daran teilnimmt (Art. 274 nl. StGB), m i t ebenfalls bis zu zwölf Jahren Gefängnis, wer als Kapitän auf einem Schiff i n Dienst t r i t t oder Dienst tut, das zum Sklavenhandel bestimmt ist, oder es dazu gebraucht (Art. 275 Abs. 1 nl. StGB) 3 4 3 , m i t bis zu neun Jahren Gefängnis, wer als Besatzungsangehöriger auf einem solchen Schiff anheuert oder freiwillig i m Dienst bleibt, nachdem er von dieser Bestimmung oder Verwendung erfahren hat (Art. 276 nl. StGB) und mit bis zu acht Jahren Gefängnis schließlich, wer an der Verpachtung, Befrachtung oder Versicherung eines Schiffes m i t w i r k t , das zum Sklavenhandel bestimmt ist. Die zweite Deliktsgruppe umfaßt einige Entführungstatbestände. Wegen Menschenraubes macht sich schuldig, wer eine Person über die Grenzen der Niederlande i n der Absicht führt, sie rechtswidrig i n die Gewalt eines anderen zu bringen oder sie i n einen hilflosen Zustand zu versetzen. Die Höchststrafe beträgt zwölf Jahre Gefängnis (Art. 278 nl. StGB). Die nachfolgenden A r t i k e l 279 und 280 nl. StGB sind auf den Schutz der gesetzmäßigen Gewalt oder Aufsicht über Minderjährige gerichtet. Strafbar macht sich, wer einen Minderjährigen dieser 842
Siehe oben A n m . 100a u n d 101. Wenn der Transport den Tod von einem oder mehreren Sklaven zur Folge hat, ist die Höchststrafe auf fünfzehn Jahre Gefängnis angehoben (Art. 275 Abs. 2 nl. StGB). 843
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Gewalt oder Aufsicht entzieht. Die Höchststrafe beträgt sechs Jahre Gefängnis und ist auf neun Jahre angehoben, wenn List, Gewalt oder Gewaltandrohung angewendet w i r d oder der Minderjährige jünger als zwölf Jahre ist (Art. 279 nl. StGB). Ist oder hat sich der Minderjährige dieser Gewalt oder Aufsicht entzogen, w i r d m i t Gefängnis bis zu drei Jahren oder — wenn der Minderjährige unter zwölf Jahre alt ist — zwölf Jahren bestraft, wer i h n verbirgt oder der Nachforschung der Justiz oder Polizei entzieht (Art. 280 nl. StGB). Schließlich gehört zu dieser Gruppe noch die Entführung einer minderjährigen Frau. Sie wird, wenn sie zwar m i t der Zustimmung der Frau, aber gegen den Willen ihrer Eltern oder Vormünder geschieht, m i t einer Gefängnisstrafe bis zu sechs Jahren (Art. 281 Abs. 1 Ziff. 1 nl. StGB) und m i t einer Gefängnisstrafe bis zu neun Jahren bestraft, wenn die Frau durch List, Gewalt oder Drohung m i t Gewalt entführt w i r d (Art. 281 Abs. 1 Ziff. 2 nl. StGB). I n beiden Fällen muß der Entführer i n der Absicht handeln, sich des Besitzes der Frau i n oder außerhalb der Ehe zu versichern. Das Verbrechen w i r d nur auf Antrag verfolgt (Art. 281 Abs. 2 nl. StGB). Wenn der Entführer m i t der entführten Frau eine Ehe eingegangen ist, ergeht erst Verurteilung, nachdem die Nichtigkeit der Ehe ausgesprochen ist. Innerhalb dieser Deliktsgruppe hat der Tatbestand des Verbergens von Minderjährigen jüngst die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Gegen dieses Verbot verstieß nämlich ein Helfer der Sosjale Joenit i n Den Haag, der der Polizei bei der Suche nach einem minderjährigen Mädchen, das von zuhause fortgelaufen und sich an i h n gewendet hatte, die Mithilfe verweigerte, weil er meinte, dadurch die Interessen der Minderjährigen am besten wahren zu können. Seine Berufung auf den Strafausschließungsgrund fehlender materieller Rechtswidrigkeit, w e i l er durch sein (verbotenes) Handeln m i t einem angemessenen M i t tel einen vernünftigen Zweck angestrebt habe, anerkannte der Höge Raad jedoch nicht. Wer eine Interessenwahrung an sich ziehe, die durch Gesetz anderen anvertraut sei, könne sich auf keinen Rechtfertigungsgrund b e r u f e n , . . . w e i l er meine, daß er es besser wisse 3 4 4 . 344 So faßt van Veen die Auffasung des H. R. i n seiner A n m e r k u n g zu dem oben wiedergegebenen U r t e i l (Anm. 101) zusammen (S. 217). Ausgangspunkt dieser Entscheidung des H. R. sind die i n N . J . 1972, 13 u n d N . J . 1972, 262 veröffentlichten Entscheidungen des Bezirksgerichts u n d des Gerichtshofs i n Den Haag. I n dieser Sache liegt eine weitere Entscheidung des H. R. v o m 16. Oktober 1973 vor, die i n N. J. 1974, 29 abgedruckt ist. D o r t w i r d die These, daß die Befolgung eigener Einsicht keinen Strafausschließungsgrund abgeben könne, nochmals unterstrichen. Ob die i n A n m . 100a angeführte Strafsache „Pro Juventute" zur Anerkennung eines Strafausschließungsgrundes führen w i r d , w e i l sie i n tatsächlicher Hinsicht anders liegt — K o n t a k t a u f nahme m i t der Familie u n d offiziellen Instanzen sowie verantwortliche u n d kontrollierbare Vermittlungsbemühungen —, ist noch offen. Die Problematik u n d Überlegungen zur Reform des A r t . 280 nl. StGB (Anm. 8 a) aufgrund der
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Die dritte Deliktsgruppe w i r d durch den vorsätzlichen und fahrlässigen Freiheitsentzug gebildet. Strafbar macht sich, wer jemandem w i derrechtlich die Freiheit nimmt oder den widerrechtlichen Freiheitsentzug aufrechterhält sowie auch, wer für den Freiheitsentzug einen Platz verschafft 345 . Wenn die Tat vorsätzlich erfolgt ist, steht darauf Gefängnis bis zu sieben Jahren und sechs Monaten; hat sie eine schwere Körperverletzung oder den Tod zur Folge, ist eine Gefängnisstrafe bis zu neun bzw. zwölf Jahren möglich (Art. 282 nl. StGB). Der fahrlässige Freiheitsentzug sowie dessen fahrlässige Aufrechterhaltung sind m i t Haft bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden strafbar (Art. 283 nl. StGB). Hat er eine schwere Körperverletzung oder den Tod zur Folge, so betragen die Höchststrafen neun Monate bzw. ein Jahr Haft. Die vierte Deliktsgruppe umfaßt schließlich die Verbrechen der Nötigung und der Bedrohung. Die Nötigung w i r d mit Gefängnis bis zu neun Monaten oder einer Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden bestraft (Art. 284 nl. StGB) 3 4 6 . Sie begeht, wer mit bestimmten Mitteln einen anderen zu einer Handlung, Unterlassung oder Duldung zwingt. Als Nötigungsmittel sind genannt: Gewalt oder eine andere Tätlichkeit oder Drohung m i t Gewalt oder m i t einer anderen Tätlichkeit gegen den anderen oder gegen Dritte oder m i t einer Schmähung oder Schmähschrift 3 4 7 . Soweit mit einer Schmähung oder Schmähschrift gedroht wird, kann nur auf Antrag verfolgt werden (Art. 284 Abs. 2 nl. StGB). Die Bedrohung w i r d m i t einer Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren bestraft (Art. 285 nl. StGB). Sie begeht, wer einem anderen gegenüber bestimmte Drohungen ausspricht. Genannt werden die Bedrohung m i t offener Gewalt durch vereinte Kräfte gegen Personen oder Sachen, m i t einem Verbrechen, durch das die allgemeine Sicherheit von Personen oder Sachen gefährdet wird, m i t Notzucht, m i t einem tätlichen Angriff auf das Schamgefühl, m i t einem gegen das Leben gerichteten Verbrechen, mit schwerer Mißhandlung oder m i t Brandstiftung. Erforderlich ist, daß die Drohung i n einer Weise geäußert wird, daß bei dem Bedrohten der Eindruck erweckt werden kann, daß dadurch seine persönveränderten F u n k t i o n dieser Strafbestimmung werden nunmehr eingehend erörtert von Th. W. van Veen, Onttrekken v a n minderjarigen aan gezag en opzicht. I n : Procès 1975, S. 109 ff. 345 Der Begriff „Platz" w i r d w e i t ausgelegt. Auch wer ein A u t o zur V e r f ü gung stellt, k a n n i n diesem Sinne Platz f ü r den Freiheitsentzug schaffen. H. R., U r t e i l v o m 21. Dezember 1948, N. J. 1949, 152. 348 A r t . 284 nl. StGB w u r d e durch das erwähnte Streikgesetz v o n 1903 (Anm. 272) erweitert. 347 Die Begriffe Schmähung u n d Schmähschrift sind hier i m gleichen Sinne w i e i n A r t . 261 nl. StGB verwendet. H. R., U r t e i l v o m 14. März 1961, N . J . 1962, 64. 13 Ausländisches Strafrecht V
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Das niederländische Strafrecht
liehe Freiheit tatsächlich mehr oder weniger ernsthaft beeinträchtigt wird. Der Wille des Täters muß darauf gerichtet sein, diesen Eindruck zu erzeugen 348 . Für den Fall, daß die Drohung schriftlich und unter einer bestimmten Bedingung (d. h. ein direkter Hinweis auf dasjenige, was von dem Bedrohten gefordert wird) erfolgt, ist das Strafmaß verdoppelt (Art. 285 Abs. 2 nl. StGB). Bei allen i n diesem Titel aufgeführten Verbrechen bis auf den fahrlässigen Freiheitsentzug, die Nötigung und die einfache Bedrohung kann als Nebenstrafe der Entzug bestimmter Rechte (das Bekleiden bestimmter Ämter, der Dienst bei den Streitkräften, das aktive und passive Wahlrecht sowie das Auftreten als A n w a l t oder gerichtlicher Verwalter) ausgesprochen werden (Art. 286 nl. StGB).
§ 61 Straftaten gegen das Leben und die Gesundheit
Die vorsätzlichen
Tötungsdelikte
Der Neunzehnte Titel enthält Verbrechen gegen das Leben. Es können vier Deliktsgruppen unterschieden werden. Die erste Deliktsgruppe besteht aus Totschlag und Mord. Totschlag begeht, wer vorsätzlich einem anderen das Leben n i m m t 3 4 9 . Darauf steht Gefängnis bis zu fünfzehn Jahren (Art. 287 nl. StGB). Daneben w i r d als eine erschwerte Form m i t lebenslänglichem Gefängnis oder 848
H. R., U r t e i l v o m 5. Januar 1914, N. J. 1914, 397 u. a. Die Rechtsprechung tendiert dahin, die Beweisanforderungen nicht zu überspannen, sondern läßt Raum f ü r die Berücksichtigung von Erfahrungswissen u n d „vernünftigerweise zu erwartenden" Geschehensabläufen. So hat nach Auffassung des Höge Raad der Tatsachenrichter aus dem Umstand, daß der Angeklagte vorsätzlich ein großes Messer i n den Bauch des Opfers stach, m i t Recht ableiten können, daß er dessen Tod als wahrscheinliche Folge gewollt hat, denn der Angeklagte habe wissen müssen, daß ein solcher Stich wahrscheinlich den Tod verursacht. H. R., U r t e i l v o m 23. J u l i 1937, N. J. 1938, 869. Wenn feststeht, daß der Tod durch eine v o n zwei Handlungen (der Angeklagte hatte sein Opfer einige M i n u t e n m i t einem Schal gewürgt u n d dann i n einen Graben gelegt, wobei sein K o p f sogleich unter Wasser geriet) eingetreten ist, k a n n der Richter annehmen, daß der Angeklagte die Handlungen m i t Tötungsvorsatz ausübte, ohne entscheiden zu müssen, infolge welcher H a n d l u n g der Tod eingetreten ist. H. R , U r t e i l v o m 26. J u n i 1962, N. J. 1963, 11. Schließlich ist erwähnenswert H. R., U r t e i l v o m 8. J u n i 1971, N. J. 1972, 90: Der Angeklagte habe durch verschiedene Handlungen — u. a. hatte er sein Opfer vollständig entkleidet u n d i n trunkenem Zustand nachts bei kaltem Winterwetter auf einer abseitigen Straße zurückgelassen — die Gesundheit seines Opfers einer so ernsten Gefahr ausgesetzt, daß der kurz darauf eingetretene Tod — auch w e n n das Opfer nicht an einer Herzschwäche gelitten hätte — als eine vernünftigerweise zu erwartende Folge dieser Handlungen gewertet werden kann. 849
§ 61 Straftaten gegen das Leben u n d die Gesundheit
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m i t Gefängnis bis zu zwanzig Jahren der Totschlag bestraft, der vor, bei oder nach einer Straftat i n der Absicht verübt wird, die Ausführung der Tat vorzubereiten oder zu erleichtern oder bei Entdeckung auf frischer Tat sich selbst oder anderen Beteiligten die Straflosigkeit oder den Besitz des rechtswidrig Erlangten zu sichern (Art. 288 nl. StGB) 3 5 0 . M i t derselben Strafe w i r d Mord bestraft. Mord ist Totschlag m i t Vorbedacht. Unter Vorbedacht w i r d nach höchstrichterlicher Rechtsprechung das Erwägen eines Planes i n ruhiger Überlegung verstanden 351 . Die zweite Deliktsgruppe bilden der Kindestotschlag und der Kindesmord. Wegen Kindestotschlags macht sich die Mutter schuldig, die unter der Wirkung der Furcht vor der Entdeckung ihrer Niederkunft ihrem K i n d bei oder kurz nach der Geburt das Leben nimmt. Die Höchststrafe beträgt sechs Jahre Gefängnis (Art. 290 nl. StGB). Kindesmord begeht sie, wenn sie das K i n d bei oder kurz nach der Geburt i n Ausführung eines unter der Wirkung von Furcht vor der Entdeckung ihrer bevorstehenden Niederkunft gefaßten Beschlusses tötet. Die Höchststrafe ist für diesen Fall auf neun Jahre Gefängnis angehoben (Art. 291 nl. StGB). Von Vorbedacht kann man hier nicht ohne weiteres sprechen, da dieser Tötungsplan zumeist nicht i n ruhiger Überlegung erwogen sein wird. Beide Tatbestände privilegieren lediglich die entbindende Mutter, andere Teilnehmer an ihrer Tat sind wegen Teilnahme am Totschlag oder Mord, nicht aber am Kindestotschlag oder Kindesmord strafbar (Art. 292 nl. StGB). Die dritte Deliktsgruppe betrifft die Tötung auf Verlangen und die Unterstützung des Selbstmords. Die Tötung aufgrund ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens ist i n A r t . 293 nl. StGB umschrieben 352 . Sie w i r d m i t zwölf Jahren Gefängnis bedroht 3 5 3 . Euthanasie ist i n den 350 g i n Totschlagsversuch f ä l l t allein unter diese erschwerte Form, w e n n die andere Straftat tatsächlich stattgefunden hat. H. R., U r t e i l v o m 27. J u l i 1901, W. 7635. 351 Der Täter muß sich Rechenschaft über die Bedeutung u n d Folgen der Tat i n einer Gemütsstimmung haben geben können, die ein Nachdenken zuläßt. H. R., U r t e i l v o m 22. März 1909, W. 8851. E i n Zustand nervlicher Überspannung u n d Gefühlsverwirrung infolge der Zerstörung des Ehelebens des Täters schließt allerdings Vorbedacht nicht aus. H. R., U r t e i l v o m 19. N o vember 1942, N. J. 1942, 479. 352 E i n solcher F a l l k a n n auch gegeben sein, w e n n die Tötung aufgrund eines Entschlusses erfolgte, gemeinsam aus dem Leben zu gehen, die Tötung beim Handelnden selbst jedoch mißlingt. E i n solcher V o r f a l l liegt dem U r t e i l des Bezirksgerichts Amsterdam v o m 21. September 1910 (Paleis v a n Justitie 1910, 978) zugrunde. Mangels ausdrücklichen u n d ernstlichen Verlangens des Mädchens w u r d e jedoch A r t . 293 nl. StGB f ü r den jungen M a n n nicht anerkannt, sondern M o r d nach A r t . 289 nl. StGB angenommen. 353 Die auffallend hohe Strafdrohung — i n Deutschland droht § 216 StGB ζ. B. lediglich bis zu f ü n f Jahren Freiheitsstrafe an — geht auf den F a l l
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Das niederländische Strafrecht
N i e d e r l a n d e n s t r a f b a r , Gewissensnot w i r d h i e r n i c h t als e i n S t r a f a u s schließungsgrund a n e r k a n n t 3 5 4 . D i e M o t i v e der Täter w e r d e n jedoch i m S t r a f m a ß b e r ü c k s i c h t i g t 3 5 5 . A l s w e i t e r e n T a t b e s t a n d k e n n t das n i e d e r ländische S t r a f r e c h t noch d i e U n t e r s t ü t z u n g des S e l b s t m o r d s . S t r a f b a r m i t G e f ä n g n i s bis z u d r e i J a h r e n m a c h t sich, w e r e i n e n a n d e r e n z u m S e l b s t m o r d v e r a n l a ß t , i h m d a b e i b e h i l f l i c h ist oder i h m d i e M i t t e l d a z u v e r s c h a f f t ( A r t . 294 n l . S t G B ) . F ü r d i e S t r a f b a r k e i t i s t e r f o r d e r l i c h , daß d e r S e l b s t m o r d tatsächlich a u s g e f ü h r t w i r d . A u c h dieser S t r a f t a t bestand k a n n i m Zusammenhang m i t der T ö t u n g auf Verlangen i m S i n n e e i n e r echten S t e r b e h i l f e B e d e u t u n g g e w i n n e n , w e n n sich n ä m l i c h „ J a n Slotboom" aus dem Jahre 1850 zurück: Er hatte gegen Geld eine F r a u auf i h r Verlangen h i n i n bestialischer Weise umgebracht. F ü r solche Vorfälle wollte sich der Gesetzgeber ein ausreichendes Strafmaß erhalten. Vgl. Smidt, I I , a.a.O. (Anm. 128), S. 440/1. 854 Aus der Existenz des besonderen Tatbestandes der Tötung auf Verlangen w i r d gefolgert, daß der Gesetzgeber i n Gewissenskonflikten keinen G r u n d f ü r einen Ausschluß der Strafbarkeit gesehen hat. Bezirksgericht Utrecht, U r t e i l v o m 11. März 1952, N. J. 1952, 275. Das jüngste U r t e i l i n einer Euthanasiestrafsache: Bezirksgericht Leeuwarden, U r t e i l v o m 21. Februar 1973, N . J . 1973, 183 formuliert dagegen die Voraussetzungen einer infolge „overmacht" i m Sinne eines (psychischen) Notstandes nicht strafbaren Sterbehilfe anhand eines Gutachtens des medizinischen Sachverständigen des staatlichen Gesundheitswesens: A . Es muß sich u m einen Patienten handeln, der durch K r a n k h e i t oder U n f a l l unheilbar k r a n k ist — kurze oder lange Phasen von Besserung oder Verschlechterung können damit verbunden sein — oder der medizinisch als unheilbar angesehen werden muß. B. Sein körperliches u n d geistiges Leiden muß f ü r den Patienten subjektiv untragbar u n d ernst sein. C. Der Patient muß vorher — evtl. schriftlich — zur Kenntnis gegeben haben, daß er das Leben beenden, jedenfalls von seinem Leiden erlöst sein will. D. Der Eingriff muß durch einen A r z t — den behandelnden A r z t oder einen Spezialarzt i m Einvernehmen m i t diesem A r z t — erfolgen. Den von dem Sachverständigen zusätzlich geforderten E i n t r i t t der Sterbephase oder zumindest ihre A n k ü n d i g u n g hat das Gericht abgelehnt. Welchen weiteren Verlauf die Rechtsentwicklung i n den Niederlanden nach diesem aufsehenerregenden U r t e i l nehmen w i r d , das angesichts der schon fehlenden, auf L i n d e r u n g des Leidens abzielenden H a n d l u n g i n der F o r m u lierung der Voraussetzungen aktiver Sterbehilfe w o h l als obiter d i c t u m gewertet werden muß, ist noch nicht abzusehen. Rechtsmittel w u r d e n nicht eingelegt. Z u r Euthanasieproblematik sind an neueren Beiträgen zu nennen: F. Kuitenbrouwer, Euthanasie — de v r i j h e i d voorop. I n : m g v 1973, S. 471 ff.; W. C. van Binsbergen, Euthanasie — een aantal kanttekeningen. I n : DeD 1974, S. 459 ff. sowie die Diskussion i n : N J B 1974, S. 1253 ff. (M. G. Rood) u n d N J B 1975, S. 184 ff. (H. J. Heering u. a. m i t Stellungnahme von M. G. Rood). 355 I n den beiden erwähnten Euthanasieentscheidungen (Anm. 354) v e r hängte i m ersten F a l l das Bezirksgericht Utrecht eine Gefängnisstrafe von einem Jahr u n d setzte die Strafe m i t Rücksicht darauf zur Bewährung aus, daß es „soweit i h m bekannt das erste M a l ist, daß ein F a l l von Euthanasie dem U r t e i l des niederländischen Richters unterworfen w i r d " . Bei dem zweiten F a l l verhängte das Bezirksgericht Leeuwarden eine Gefängnisstrafe von einer Woche, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.
§61 Straftaten gegen das Leben u n d die Gesundheit
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der Angesprochene entschließt, nicht selbst die Tötungshandlung vorzunehmen, sondern nur die Tötungsmittel (etwa Tabletten oder Gift) zu beschaffen. Als vierte Deliktsgruppe folgen schließlich die Verbrechen der A b treibung 8 5 6 . Strafbar macht sich zunächst die Frau, die die Abtreibung oder den Tod ihrer Leibesfrucht herbeiführt oder durch einen anderen herbeiführen läßt. Sie w i r d m i t Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft (Art. 295 nl. StGB). Daneben ist die Fremdabtreibung unter Strafe gestellt. Erfolgt sie ohne Zustimmung der Frau, beträgt die Höchststrafe zwölf Jahre Gefängnis, hat sie zudem deren Tod zur Folge, beträgt sie fünfzehn Jahre (Art. 296 nl. StGB). A u f Fremdabtreibung m i t Zustimmung der Frau stehen bis zu vier Jahre und sechs Monate Gefängnis; t r i t t hier die Todesfolge ein, steigt die Höchststrafe auf sechs Jahre Gefängnis (Art. 297 nl. StGB). Wenn die Abtreibung durch einen Arzt, eine Hebamme oder einen Apotheker als Täter oder Gehilfen vorgenommen wird, werden die jeweils angedrohten Höchststrafen u m ein D r i t t e l heraufgesetzt und kann als Nebenstrafe ein Berufsverbot ausgesprochen werden (Art. 298 nl. StGB). Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen der Herbeiführung der A b treibung und der des Todes. Demzufolge ist nicht erforderlich, daß das K i n d durch die Abtreibung getötet wird. Der Umstand, daß das K i n d lebend zur Welt kommt, hindert die Vollendung des Verbrechens nicht. Das Gesetz stellt die vorzeitige Trennung vom Mutterleib unter Strafe 3 5 7 . Eine Abtreibung liegt nicht vor, wenn sie auf medizinische Indikation zur Rettung des Lebens der Mutter und des Kindes geschieht (abortus praematurus), denn i n diesem Fall kann nicht mehr von einem Verbrechen gegen das Leben gesprochen werden. Für die Anwendung dieser Strafbestimmungen w i r d verlangt, daß die Leibesfrucht zur Zeit der Tat lebte 8 5 8 . Die Schwierigkeit dieses Beweises hat anscheinend die Anwendung stark behindert. Deshalb wurde i m Jahre 1911, wie erwähnt, i n dem Titel über die Verbrechen gegen die Sitten ein Auffangtatbestand eingefügt 3 5 9 . Die vorsätzlichen
Körperverletzungsdelikte
Unter der Überschrift „Mißhandlung" enthält der Zwanzigste Titel Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit. Eine Mißhandlung 356
Hinsichtlich der anstehenden Reformen vgl. die Ausführungen auf S. 27 m i t A n m . 17 u n d 18. 357 H. R , U r t e i l v o m 12. A p r i l 1898, W. 7113. 358 Ständige Rechtsprechung. Vgl. oben A n m . 334. 359 Über diesen Auffangtatbestand (Art. 251 bis nl. StGB) wurde i n § 56 über die Straftaten gegen die Sitten auf S. 184 berichtet.
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begeht, wer einer anderen Person ohne vernünftigen Zweck oder ohne ein angemessenes M i t t e l für einen solchen Zweck Schmerz oder eine Verletzung zufügt. I h r steht die vorsätzliche Beeinträchtigung der Gesundheit gleich. Das Verbrechen der Mißhandlung w i r d m i t Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden bestraft (Art. 300 Abs. 1 nl. StGB). Für den Fall, daß die Tat eine schwere Körperverletzung zur Folge hat, ist die Höchststrafe auf vier Jahre angehoben; wenn der Tod eintritt, können bis zu sechs Jahre Gefängnis verhängt werden (Art. 300 Abs. 2 und 3 nl. StGB). Der Versuch der Mißhandlung ist nicht strafbar (Art. 300 Abs. 5 nl. StGB). Ist die Mißhandlung m i t Vorbedacht ausgeführt, ist das Strafmaß auf drei Jahre erhöht, bei den entsprechenden Erfolgsqualifikationen auf sechs bzw. auf neun Jahre (Art. 301 nl. StGB). Als qualifizierte Tatbestände werden die schwere Mißhandlung und die schwere Mißhandlung m i t Vorbedacht umschrieben. Ein besonderer Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung, i n dem die Verwendung bestimmter gefährlicher M i t t e l wie Waffen oder Messer als strafverschärfend gewertet werden, kennt das niederländische Strafrecht nicht, wohl aber einige Strafverschärfungen, wenn die Straftat gegenüber bestimmten Personen oder unter Verwendung gefährlicher Stoffe begangen wird. Allerdings w i r d bei der Verwendung gefährlicher Waffen oft Vorsatz zu schwerer Körperverletzung angenommen, selbst wenn ein entsprechender Verletzungserfolg ausbleibt 3 6 0 , und i n diesen Fällen wegen Versuchs bestraft. Eine schwere Mißhandlung begeht, wer einer anderen Person eine schwere Körperverletzung beibringt. Als schwere Körperverletzung müssen kraft Gesetzes angesehen werden: eine Krankheit, deren vollkommene Genesung aussichtslos ist; die andauernde Unfähigkeit zur Ausübung von jemandes Amts- oder Berufstätigkeit; die Abtreibung oder der Tod der Leibesfrucht einer Frau sowie auch eine Störung der Verstandeskraft, wenn sie länger als vier Wochen gedauert hat (Art. 82 nl. StGB). Die Aufzählung ist nicht als abschließend anzusehen, sondern nennt nur einige Beispiele. Der Richter kann weitere Fälle einbeziehen, wenn sie hinreichend gewichtig sind, u m nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch als schwere Körperverletzung bezeichnet werden zu können 3 6 1 . Da die Deliktsumschreibung nicht die Handlungen ausschließt, die zu einem vernünftigen Zweck und m i t einem angemessenen 860 Beispiele hierfür sind etwa H. R., U r t e i l v o m 7. Januar 1935, N. J. 1935, 389 (Schießen m i t einem Revolver aus nächster Nähe) u n d H. R., U r t e i l vom 12. M a i 1964, N. J. 1965, 26 (Schläge an den K o p f m i t einem schweren Blockhobel). 361 H. R., Urteile v o m 22. Oktober 1922, W. 7505 u n d 20. Oktober 1923, N. J. 1923, S. 11122.
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M i t t e l für einen solchen Zweck verübt sind, stellt sich die Frage, ob medizinische Operationen unter diesen Tatbestand fallen. Die rechtliche Qualifikation als schwere Mißhandlung schließt dies jedoch bereits aus, und obendrein sind diese Handlungen nicht gegen die Unversehrtheit des Körpers gerichtet, sondern sollen dem Körper und der Person nützen. Für die schwere Körperverletzung w i r d verlangt, daß der Vorsatz des Täters auf die Zufügung einer schweren Körperverletzung gerichtet ist. A u f die Tat stehen acht Jahre Gefängnis (Art. 302 nl. StGB); w i r d sie m i t Vorbedacht ausgeführt, können zwölf Jahre Gefängnis verhängt werden (Art. 303 nl. StGB). Für beide Fälle sieht das Gesetz eine weitere Strafverschärfung vor, wenn die schwere K ö r perverletzung den Tod zur Folge hat, nämlich zehn bzw. fünfzehn Jahre Gefängnis (Art. 302 Abs. 2 und 303 Abs. 2 nl. StGB). Als strafverschärfende Umstände wertet das Gesetz weiter, wenn der Schuldige ein K ö r perverletzungsdelikt gegen seine Mutter, seinen gesetzlichen Vater, seinen Ehegatten oder sein K i n d oder gegen einen Beamten während oder wegen der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes verübt 3 6 2 oder er für den Körper oder das Leben schädliche Stoffe verabreicht. Die jeweils angedrohten Strafen können i n diesen Fällen u m ein D r i t t e l erhöht werden (Art. 304 nl. StGB). Bei den m i t Vorbedacht ausgeführten Körperverletzungen kann zusätzlich als Nebenstrafe der Entzug bestimmter Rechte angeordnet werden (Art. 305 nl. StGB). Schließlich w i r d noch die Teilnahme an einem Angriff oder einer Schlägerei, worin verschiedene Personen verwickelt sind, als besonderes Verbrechen unter dem Vorbehalt der Verantwortlichkeit eines jeden für seine eigenen Handlungen erfaßt. Die Höchststrafe beträgt zwei Jahre Gefängnis, wenn der Angriff oder die Schlägerei nur eine schwere Körperverletzung zur Folge hat, und drei Jahre, wenn der Tod eintritt (Art. 306 nl. StGB). Der Grund für diesen Sondertatbestand ist i n den Beweisschwierigkeiten bei derartigen Angriffen oder Schlägereien, an denen mehrere Personen (zumindest mehr als zwei) beteiligt sind, zu suchen. Fahrlässige Tötung und Körperverletzung Der Einundzwanzigste Titel trägt die Überschrift „Verursachen des Todes oder einer Körperverletzung durch Schuld". Schuld bedeutet hier wie auch an anderen Stellen i m Strafgesetzbuch Fahrlässigkeit. Strafbar m i t Gefängnis oder Haft bis zu neun Monaten sind die fahrlässige Tötung (Art. 307 nl. StGB) und mit Gefängnis oder Haft bis zu 362
Auch hier braucht sich der Vorsatz nur darauf zu erstrecken, daß der Täter einen Beamten i n F u n k t i o n verletzt, nicht auch auf die Rechtmäßigkeit seiner Amtshandlung. H. R., Urteile v o m 29. November 1909, W. 8937 u n d 14. Oktober 1912, N. J. 1913, 41; W. 9381.
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Das niederländische Strafrecht
sechs Monaten die fahrlässige schwere Körperverletzung oder die fahrlässige Körperverletzung, aus der eine zeitweilige Krankheit oder zeitweilige Unfähigkeit zur Ausübung von Amts- oder Berufsverpflichtungen herrührt (Art. 308 nl. StGB). Das Strafmaß w i r d bei diesen Fahrlässigkeitsstraftaten u m ein Drittel angehoben, wenn sie i n der Ausübung eines Amtes oder Berufes begangen werden; außerdem kann i n einem solchen Fall ein Berufsverbot ergehen und die Veröffentlichung des Urteils angeordnet werden (Art. 309 nl. StGB).
Drittes
Kapitel
Straftaten gegen das Vermögen Der Zweiundzwanzigste bis einschließlich Siebenundzwanzigste Titel enthält die Verbrechen gegen das Vermögen. Man könnte sie auch W i r t schaftsstraftaten nennen, weil sie gegen wirtschaftliche Interessen gerichtet sind. Der Begriff würde aber irreführen, weil darunter i n der Kriminologie Verbrechen verstanden werden, die aus einem wirtschaftlichen Motiv heraus oder auch i n Ausübung des Berufs erfolgen. Nach dem ersten Gesichtspunkt müßte man dazu dann ebenso die Kuppelei und bestimmte Formen des qualifizierten Totschlages rechnen, nach dem zweiten die gesamten Verbrechen und Übertretungen i m Amt. Überdies werden jetzt als Wirtschaftsstraftaten die Delikte bezeichnet, für die i m Wirtschaftsstrafgesetz materielle und formelle strafrechtliche Sonderregelungen getroffen sind. Da sich die Verbrechen gegen das Vermögen gegenseitig ergänzen, ist es begründet, sie i n ihrem wechselseitigen Zusammenhang zu sehen. Dies t r i f f t insbesondere für die wichtigsten Straftatbestände zu: den Diebstahl, die Unterschlagung, den Betrug. § 62 Diebstahl und Feldfrevel
Diebstahl ist die Wegnahme einer Sache, die ganz oder zum Teil einem anderen gehört, i n der Absicht, sie sich rechtswidrig zuzueignen (Art. 310 nl. StGB). Dafür werden bis zu vier Jahre Gefängnis oder Geldstrafe von bis zu einhundertzwanzig Gulden 3 6 3 angedroht. Die Wegnahme besteht i n der Schaffung eigenen Gewahrsams. Darin liegt der Unterschied zwischen Diebstahl und Unterschlagung, denn bei ihr hat der Täter das Gut bereits i n seinem Gewahrsam. Unter Sache fällt 3β3 Wegen der allgemeinen Ausweitung der Anwendungsmöglichkeit der Geldstrafe ist die Anpassung der einzelnen Strafpositionen, die hier besonders niedrig liegt, unterblieben. Vgl. oben A n m . 194.
§ 62 Diebstahl und Feldfrevel
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alles, was für den Eigentümer einen Wert hat, etwa auch ein Brief 3 6 4 , nicht jedoch Rechte oder Rechte an geistigen Produkten (Urheber- und Patentrecht). Auch die elektrische Energie fällt wegen ihres wirtschaftlichen Wertes, den sie ebenso wie Wasser und Gas hat, unter den Begriff, obgleich es sich nicht u m einen materiellen Gegenstand handelt 3 6 5 . Es ist nicht nötig, daß die Sache i m Eigentum eines bestimmten anderen steht, denn über das Eigentum goldener Kronen i m Gebiß eines Verstorbenen ζ. B. könnte man endlos streiten, auf jeden Fall gehören sie aber nicht demjenigen, der sie für sich aus dem Gebiß entwendet 3 6 6 . I m Anschluß an den Grundtatbestand sind zwei Formen qualifizierten Diebstahls geregelt: der schwere Diebstahl und der Diebstahl mit Gewaltanwendung. Als schwerer Diebstahl w i r d mit einer Gefängnisstrafe bis zu sechs Jahren bedroht der Diebstahl: von Vieh aus einer Weide; bei bestimmten Notlagen 3 6 7 ; während der Nachtzeit i n einer Wohnung oder einem umschlossenen Grundstück, auf dem eine Wohnung steht, durch jemanden, der sich dort ohne Wissen oder gegen den Willen des Inhabers des Hausrechts aufhält; durch zwei oder mehr Personen gemeinsam sowie der Diebstahl, bei dem der Schuldige mittels Einbruchs, Aufbrechens oder Einsteigens 368 , falscher Schlüssel 369 , eines gefälschten Auftrags oder mittels Verkleidung sich den Zugang zum Tatort des Verbrechens verschafft oder die wegzunehmende Sache i n seinen Bereich gebracht hat (Art. 311 Abs. 1 Ziff. 1 - 5 nl. StGB). Für den Fall, daß der Diebstahl zur Nachtzeit von zwei oder mehr Personen gemeinsam oder mittels Einbruchs usw. erfolgt, ist die Höchststrafe nochmals — und zwar auf Gefängnis bis zu neun Jahren — angehoben (Art. 311 Abs. 2 nl. StGB). Die zweite Form der Qualifikation besteht darin, daß vor, bei oder nach dem Diebstahl gegen Personen Gewalt angewendet oder m i t Gew a l t i n der Absicht gedroht wird, diesen Diebstahl vorzubereiten oder 364
H. R., U r t e i l v o m 21. Februar 1938, N. J. 1938, 929. H. R., Urteile v o m 23. M a i 1921, N. J. 1921, 564 u n d 3. Januar 1922, N. J. 1922, 280. 366 Die Erben oder Angehörigen eines Verstorbenen haben jedenfalls eine solche Verfügungsgewalt über seine Leiche, daß ein „Zugehören" i m Sinne v o n A r t . 310 nl. StGB angenommen werden könne. H. R., U r t e i l v o m 25. Juni 1946, N. J. 1946, 503. 367 Genannt werden Brand, Explosion, Wassernot, Schiffbruch, Strandung, Eisenbahnunglück, A u f r u h r , Meuterei oder Kriegsnot. 368 Unter Einsteigen w i r d nach A r t . 89 nl. StGB auch Untergraben sowie Überschreiten von angrenzenden Gräben u n d Kanälen verstanden. 369 Nach A r t . 90 nl. StGB sind darunter alle Werkzeuge zu verstehen, die nicht zum ö f f n e n des Schlosses bestimmt sind. W i r d ein solches Werkzeug gebraucht, verliert es seine Eigenschaft als falscher Schlüssel nicht dadurch, daß es sich als ungeeignet erweist. H. R., U r t e i l v o m 18. M a i 1971, N. J. 1971, 390. 365
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Das niederländische Strafrecht
zu erleichtern oder — bei Entdeckung auf frischer T a t 3 7 0 — für sich selbst oder für andere Beteiligte entweder die Flucht zu ermöglichen oder den Besitz des gestohlenen Gutes sicherzustellen. Die Höchststrafe beträgt neun Jahre Gefängnis (Art. 312 Abs. 1 nl. StGB). Sie ist auf zwölf Jahre für den Fall heraufgesetzt, daß die Tat zur Nachtzeit, i n einer Wohnung oder einem umschlossenen Grundstück, auf dem eine Wohnung steht, oder auf einem öffentlichen Weg, i n einem fahrenden Zug oder von mehreren Personen gemeinsam begangen w i r d (Art. 312 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 nl. StGB). Die gleiche Strafe w i r d angedroht, wenn der Täter sich den Zugang zum Tatort mittels Einbruchs usw. verschafft hat oder die Tat eine schwere Körperverletzung zur Folge hat (Art. 312 Abs. 2 Ziff. 3 und 4 nl. StGB). Bis zu fünfzehn Jahren Gefängnis können verhängt werden, wenn die Tat den Tod nach sich zieht (Art. 312 Abs. 3 nl. StGB). Neben diesen drei Diebstahlstatbeständen sind unter dem Titel Diebstahl noch der einfache und der qualifizierte Felddiebstahl aufgenommen worden. Für den einfachen Felddiebstahl, der speziell auf ländliche Gegenden zugeschnitten ist, ist nach A r t . 44 nl. GerichtsverfassungsG 3 7 1 der Kreisrichter und nicht, wie bei den Verbrechen sonst üblich, das Bezirksgericht zuständig. Felddiebstahl besteht i n der rechtswidrigen Wegnahme von Sand, Dünger, Rasensoden, Reith, Obst, Feldfrüchten und weiteren derartigen Sachen ohne Gewalt oder Drohung m i t Gewalt gegen Personen. Darauf steht Gefängnis bis zu einem Monat oder eine Geldstrafe bis zu einhundertzwanzig Gulden, i m Wiederholungsfalle zwei Monate Gefängnis (Art. 314 nl. StGB). Der qualifizierte Felddiebstahl ist m i t einem viel höheren Strafmaß, nämlich Gefängnis bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bis zu einhundertzwanzig Gulden, bedroht. Die Strafverschärfung t r i t t ein, wenn der Felddiebstahl m i t Hilfe von Schiffen, Wagen oder Zug- oder Lasttieren, bei bestimmten Notlagen, zur Nachtzeit, von mehreren Personen gemeinsam oder mittels Einbruchs usw. verübt wird. I n diesem Fall ist nicht mehr der Kreisrichter, sondern das Bezirksgericht zuständig. Gegen den Täter eines i n diesem Titel umschriebenen Verbrechens oder seinen Gehilfen ist die Strafverfolgung ausgeschlossen, wenn er der Ehegatte dessen ist, gegen den das Verbrechen verübt wird, und weder Trennung von Tisch und Bett noch Gütertrennung besteht 370 Dafür w i r d nicht verlangt, daß derjenige, der jemanden bei einem Diebstahl oder Diebstahlsversuch überrascht, schon Kenntnis von der Straftat hat. H. R., U r t e i l v o m 16. März 1965, N. J. 1965, 269. 371 Wet op de rechterlijke organisatie en het beleid der justitie (Gerichtsverfassungsgesetz) v o m 18. A p r i l 1827, StBl. 20 i. d. F. der Änderung durch Gesetz v o m 7. September 1972, StBl. 461, neu bekanntgemacht durch Beschluß des Justizministers v o m 11. September 1972, StBl. 1972, 463; zuletzt geändert durch das Gesetz v o m 10. Dezember 1975, StBl. 684.
§63 Erpressung
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(Art. 316 Abs. 1 nl. StGB). Liegt solch eine Trennung vor oder ist der Täter oder Gehilfe ein Verwandter i n der geraden Linie oder i n der Seitenlinie bis zum zweiten Grade, ist die Strafverfolgung nur zulässig, wenn ein gegen ihn gerichteter Antrag dessen vorliegt, gegen den das Verbrechen begangen wurde (Art. 316 Abs. 2 nl. StGB). Bei Verurteilung wegen eines Diebstahls oder wegen qualifizierten Felddiebstahls kann als Nebenstrafe der Entzug bestimmter Hechte angeordnet werden (Art. 313 und 315 Abs. 2 nl. StGB). Verwandt m i t dem Felddiebstahl sind die feldpolizeilichen Übertretungen des Siebten Titels des Dritten Buches. Sie betreffen Handlungen, die für Verfügungs- oder Nutzungsberechtigte von Gärten, Weiden oder gewissen anderen Grundstücken schädlich sein können. Einer der vier dort genannten Übertretungen macht sich jedoch nur schuldig, wer die Handlung ausführt, ohne dazu berechtigt zu sein 3 7 2 . Vorsatz ist nicht erforderlich. M i t Geldstrafe bis zu dreißig Gulden macht sich strafbar, wer sein nicht ausfliegendes Federvieh i n Gärten oder auf ein besätes oder bepflanztes Grundstück laufen läßt (Art. 358 nl. StGB). Die Übertretung kann sowohl i n geschlossenen Ortsteilen als auch auf dem freien Lande begangen werden. M i t bis zu fünfzig Gulden kann bestraft werden, wer Vieh auf bestimmten land- oder forstwirtschaftlich genutzten Grundstücken laufen läßt (Art. 459 nl. StGB). Weiter ist der Aufenthalt auf besäten oder bepflanzten oder zur Aussaat oder Bepflanzung hergerichteten Grundstücken sowie auf Weiden oder Wiesen während der Monate Mai bis einschließlich Oktober m i t einer Geldstrafe bis zu dreißig Gulden bedroht (Art. 460 nl. StGB) 3 7 3 . Schließlich ist i n gleicher Weise strafbar, wer sich entgegen einem offenkundigen Verbot auf dem Grundstück eines anderen befindet oder dort Vieh laufen läßt (Art. 461 nl. StGB). Diese Vorschrift w i r d i n der Praxis oft dazu verwendet, den Jagddelikten vorzubeugen. § 63 Erpressung
Der Dreiundzwanzigste Titel umschreibt zwei Verbrechen der Erpressung: die Erpressung m i t Gewaltanwendung oder -drohung und die m i t Androhung von anderen empfindlichen Übeln. Der niederlän372
Das fehlende Hecht ist Element der Übertretung u n d muß demzufolge angeklagt u n d bewiesen werden. H. R., U r t e i l v o m 7. M a i 1888, W. 5554. 373 Der A r t i k e l schützt den Nutzungsberechtigten selbst gegenüber dem Eigentümer. H. R., U r t e i l v o m 4. J u n i 1928, N. J. 1928, S. 1339.
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dische Sprachgebrauch unterscheidet hier zwischen Erpressung und A b nötigung, nach deutschem Sprachgebrauch kann man den Unterschied i n Anlehnung an die §§ 253 und 255 StGB und i m Hinblick auf die jeweiligen Nötigungsmittel am besten m i t räuberischer Erpressung und Erpressung kennzeichnen. Räuberische Erpressung begeht, wer i n der Absicht, sich oder einem anderen einen rechtswidrigen Vorteil zu verschaffen, durch Gewalt oder Drohung m i t Gewalt jemanden zur Herausgabe einer Sache, die ganz oder teilweise diesem oder einem Dritten gehört, oder zur Eingehung einer Schuld oder Aufhebung einer Forderung zwingt (Art. 317 nl. StGB). Die Straftat ist erst vollendet, wenn derjenige, gegen den die Gewalt angewendet oder die Drohung ausgesprochen wird, die Verfügungsgewalt über die herauszugebende Sache verloren hat 3 7 4 . Die angedrohten Höchststrafen reichen von neun bis fünfzehn Jahren Gefängnis und sind ebenso wie beim Diebstahl mit Gewaltanwendung nach Art. 312 nl. StGB differenziert. Die Erpressung unterscheidet sich von der räuberischen Erpressung nur durch das Tatmittel. Der Täter übt Zwang aus durch Drohung m i t einer Schmähung, einer Schmähschrift 375 oder der Offenbarung eines Geheimnisses 376 . Dafür droht das Gesetz bis zu drei Jahre Gefängnis an. Das Verbrechen ist ein Antragsdelikt. Antragsberechtigt ist derjenige, gegen den das Verbrechen verübt ist. Der Natur der Sache nach w i r d ein solcher Antrag nur selten gestellt. Beide Straftaten sind, soweit sie innerhalb der Familie begangen werden, nach Maßgabe der Regelung des Familiendiebstahls i n A r t . 316 nl. StGB entweder nicht oder nur auf Antrag verfolgbar (Art. 319 nl. StGB). Bei Verurteilung wegen einer Erpressung kann der Entzug bestimmter Rechte ausgesprochen werden (Art. 320 nl. StGB).
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H. R , U r t e i l v o m 17. Januar 1921, N. J. 1921, 315. Die beiden Begriffe sind identisch m i t denen i n A r t . 261 nl. StGB. D a r unter f ä l l t also nicht schon eine wahre oder auch falsche Klage oder A n zeige, durch die jemandes Ehre oder guter Name angegriffen w i r d . Wer demzufolge m i t rechtswidriger Vorteilsabsicht sittlichen Druck durch Drohung m i t einer solchen Klage ausübt, begeht keinen Versuch zu dieser Straftat. H. R., U r t e i l v o m 26. November 1888, W. 5648. 37β Offenbarung eines Geheimnisses ist nicht allein allgemeine Bekanntgabe, sondern auch Kenntnisgabe m i t dem Ziel, daß das Geheimnis der Person bekannt w i r d , der gegenüber der Bedrohte es geheimhalten w i l l . H. R , U r t e i l v o m 17. J u l i 1931, N. J. 1932, 430. 375
§ 64 Unterschlagung
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§ 64 Unterschlagung
Der Vierundzwanzigste Titel enthält die Unterschlagung. Dieses Verbrechen knüpft eng an den Diebstahl an. Während indes Diebstahl i n der Verschaffung des Gewahrsams i n der Absicht der widerrechtlichen Zueignung besteht, liegt Unterschlagung vor, wenn der Täter ein fremdes Gut, das er bereits — aber nicht aufgrund eines Verbrechens — i n Gewahrsam hat 3 7 7 , sich rechtswidrig zueignet 3 7 8 . Die Abgrenzung muß sich danach richten, ob der Vorsatz der rechtswidrigen Zueignung schon zum Zeitpunkt der Wegnahme besteht, oder erst aufkommt, nachdem man die Sache bereits einige Zeit i m eigenen Gewahrsam hat, ohne einen solchen Vorsatz zu haben 3 7 9 . Das Gesetz droht eine bis zu dreijährige Gefängnisstrafe oder eine Geldstrafe bis zu einhundertundzwanzig Gulden an (Art. 321 nl. StGB). Das Verbrechen ist i n den Niederlanden sehr allgemein formuliert. Es umfaßt sowohl die Untreue als auch die Unterschlagung. Allerdings kennt das Gesetz einige Strafverschärfungen. M i t bis zu vier Jahren Gefängnis w i r d nämlich bestraft, wenn die Unterschlagung durch eine Person begangen wird, die die Sache aufgrund ihrer persönlichen Dienstbeziehung oder ihres Berufes odei gegen Entgelt i n Gewahrsam hat (Art. 322 nl. StGB). Eine weitere Verschärfung, nämlich auf bis zu fünf Jahren Gefängnis ist vorgesehen, wenn die Sache von demjenigen unterschlagen wird, dem sie i n einer Notsituation i n Verwahrung gegeben worden ist, oder von Vormündern, Pflegern, Verwaltern, Testamentsvollstreckern oder Leitern von Wohltätigkeitseinrichtungen oder Stiftungen i n bezug auf Sachen, die sie i n dieser Eigenschaft i n Gewahrsam haben (Art. 323 nl. StGB). Eine große Schwierigkeit bei den Unterschlagungstatbeständen bedeutete die Frage, ob Geldsummen, also nicht Geldstücke, unterschlagen werden können. Man kann nämlich argumentieren, daß bei Empfang einer Geldsumme, die man einem anderen überbringen soll, nicht die empfangenen Geldstücke, sondern nur eine Summe i n gleichem Wert zu übermitteln ist; die Geldstücke würden durch den Emp377 Elektrische Energie w i r d ζ. B. von der Gemeinde nicht anvertraut oder i n Gewahrsam gegeben. Die Aneignung ist deshalb Diebstahl, nicht U n t e r schlagung. H. R., U r t e i l v o m 3. Januar 1922, N. J. 1922, 280. 378 Die Verweigerung des Angeklagten, ein i n V e r w a h r u n g genommenes Moped an den Eigentümer zurückzugeben, solange ein an seinem A u t o verursachter Schaden nicht vergütet ist, w i r d nicht als Zueignungsakt angesehen. H. R., U r t e i l v o m 8. März 1966, N. J. 1966, 342. 379 So H. R , U r t e i l v o m 2. J u n i 1959, N . J . 1960, 115, der aufgrund dieser Erwägung zur Annahme einer Unterschlagung einer Sache i n einem Selbstbedienungsladen kam, noch bevor der Täter den Laden verlassen oder die Kasse passiert hatte.
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Das niederländische Strafrecht
fang Eigentum des Empfängers werden, und dieser habe gegenüber dem Berechtigten nur eine persönliche Verpflichtung. Die Rechtsprechung hat die Unterschlagung von Geldsummen dennoch anerkannt. Dies gilt auch für Geld, das zugunsten des Empfängers auf ein Girokonto bei dessen Bank überwiesen ist und das er für den Berechtigten zu verwalten hat 8 8 0 . Für die Strafverfolgung ist auch bei den Verbrechen der Unterschlagung, soweit sie innerhalb der Familie begangen sind, entweder keine oder nur eine Verfolgung auf Antrag möglich (Art. 324 i. V. m. 316 nl. StGB). Als Nebenstrafen sind der Entzug bestimmter Rechte, die Veröffentlichung des Urteils sowie auch Berufsverbot möglich (Art. 325 nl. StGB). § 65 Betrug
Der Fünfundzwanzigste Titel faßt unter der Überschrift „Betrug" eine Reihe verschiedenartiger Strafbestimmungen zusammen. Er ist wiederholt geändert und vor allem erweitert worden. So kamen durch ein Gesetz von 1915 die Namensfälschung (Art. 326 bis nl. StGB) und der unlautere Wettbewerb (Art. 328 bis nl. StGB) hinzu 8 8 1 , i m Jahre 1924 wurde der Betrug m i t Konnossementen (Art. 329 bis nl. StGB) eingefügt 3 8 2 , durch ein Gesetz von 1928 dann der Schwindel (Art. 326 a nl. StGB) 3 8 3 und 1967 schließlich die aktive und passive Bestechung von Arbeitnehmern, die nicht Beamte sind 8 8 4 . Die erste Deliktsgruppe und den Kernstraftatbestand i n diesem Titel bildet der Betrug. Dieses Verbrechen verlangt ebenso wie die Erpres380 H. R., U r t e i l v o m 13. Februar 1933, N. J. 1933, S. 580. Bei Verfügungen über fälschlich überwiesene Bankguthaben ist die Frage aufgetaucht, ob der Verfügende sich Geld zueignet, das zwar nicht dem richtigen Empfänger, aber auch nicht dem tatsächlichen gehört. Dazu H. R., U r t e i l v o m 17. Oktober 1972, N. J. 1973, 20. 881 Wet tot aanvulling van het Wetboek v a n Strafrecht met een nieuw a r t i k e l ter bestrijding v a n oneerlijke mededinging (Gesetz zur Ergänzung des Strafgesetzbuches m i t einem neuen A r t i k e l zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs) v o m 2. August 1915, StBl. 365. 382 Wet tot herziening van verschillende titels van het Tweede Boek van het Wetboek v a n Koophandel en w i j z i g i n g v a n daarmede samenhangende artikelen i n andere Wetboeken . . . (Gesetz zur Reform verschiedener T i t e l des Zweiten Buches des Handelsgesetzbuchs u n d damit zusammenhängender A r t i k e l i n anderen Gesetzbüchern . . . ) v o m 22. Dezember 1924 (1. Februar 1927), StBl. 573. 883 Wet tot aanvulling v a n het Wetboek van Strafrecht met eene bepaling tot bestrijding van de z. g. flesschentrekkerij (Gesetz zur Ergänzung des Strafgesetzbuchs m i t einer Vorschrift zur Bekämpfung des sogenannten Schwindels) v o m 12. M a i 1928, StBl. 176. 884 Fundstelle u n d L i t e r a t u r sind oben i n A n m . 22 angegeben.
§ 65 Betrug
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sungstatbestände Bereicherungsabsicht, unterscheidet sich aber von ihnen dadurch, daß das Ziel des Täters nicht m i t Gewalt oder bestimmten Drohungen, sondern m i t bestimmten betrügerischen Handlungen erreicht wird. Wegen Betruges ist m i t Gefängnis bis zu drei Jahren strafbar, wer i n der Absicht, sich oder einem anderen widerrechtlich einen Vorteil zu verschaffen, durch das Annehmen eines falschen Namens oder einer falschen Eigenschaft, durch listige Kunstgriffe oder durch ein Lügengewebe jemanden zur Herausgabe einer Sache oder zur Eingehung einer Schuld oder Aufhebung einer Forderung bewegt (Art. 326 nl. StGB). Die Rechtsprechung hat die Anwendung des Betrugstatbestandes sehr ausgeweitet. So wurde eine Betrugshandlung bereits bei einem Ladenbesitzer angenommen, der durch eine betrügerische Handlung seinen Konkurrenten bewog, i h m einen Brief zur Einsicht zu geben; er wollte damit kontrollieren, ob der Absender des Briefes sich an die vertraglichen Preisabsprachen gehalten hatte 3 8 5 . Weiter braucht sich die betrügerische Handlung nicht unmittelbar gegen die Person zu richten, die man zu einer Verfügung verleiten w i l l ; möglich ist auch die Einschaltung einer Zwischenperson, wenn nur der Vorsatz darauf gerichtet ist, das Opfer zur Verfügung zu veranlassen und ein Ursachenzusammenhang zwischen M i t t e l und Verfügung besteht 386 . Der Gesetzgeber hat zwar eine einfache Lüge für dieses Verbrechen als nicht ausreichend angesehen und darum ein Lügengewebe gefordert, die Rechtsprechung hat jedoch mehrmals entschieden, daß jemand eine falsche Eigenschaft angenommen habe, obgleich es sich i n Wirklichkeit nicht u m eine falsche Eigenschaft, sondern nur u m eine Unwahrheit oder ein Verschweigen der Wahrheit gehandelt hat. Dies geschah ζ. B. i n einem Fall, als eine Frau für ihren kranken arbeitslosen Mann die Arbeitslosenunterstützung abholen kam, ohne dabei anzugeben, daß sie selbst i n dieser Woche gearbeitet hatte 3 8 7 . Als falsche Eigenschaft wurde hier angesehen, daß sie sich als jemand ausgab, der dafür i n Betracht kam, sich den ausgezahlten Betrag aushändigen zu lassen. Auch die Absicht, sich rechtswidrig einen Vorteil zu verschaffen, w i r d weit auf gefaßt; es genügt i n der Regel allein die Tatsache, daß man sein Ziel durch eines der genannten betrügerischen M i t t e l zu erreichen 385
H. R , U r t e i l v o m 21. Februar 1938, N. J. 1938, 929. H. R., U r t e i l v o m 18. J u n i 1968, N. J. 1969, 70. 887 H . R . , Urteile v o m 22. Oktober 1934, N . J . 1935, 52; 18. Januar 1937, N . J . 1937, 676 u n d 29. März 1949, N. J. 1949, 506. Weitere Fälle der Vortäuschung einer falschen Eigenschaft aus der Rechtsprechung sind etwa: Vortäuschen, Bevollmächtigter eines D r i t t e n zu sein (H. R., U r t e i l v o m 21. Februar 1938, N . J . 1938, 929); Auftreten als Verkäufer von durch Invaliden geflochtenen K ö r b e n (H. R., U r t e i l v o m 9. M a i 1961, N. J. 1962, 65) oder als Kontoinhaber m i t ausreichendem Guthaben (H. R., U r t e i l v o m 9. M a i 1972, N. J. 1972, 415). 386
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Das niederländische Strafrecht
sucht 388 . Nicht erforderlich ist, daß der Täter einen anderen benachteiligen w i l l . Der Richter braucht auch nicht festzustellen, zu wessen Lasten der Nachteil geht 3 8 9 . Als Betrugsfälle außerhalb des wirtschaftlichen Bereichs wurden u. a. angesehen das betrügerische Bewegen zur Abgabe einer ärztlichen Erklärung über die Wehruntauglichkeit 3 9 0 oder einer Bescheinigung über eine erfolgreiche mündliche Prüfung, die auf den Namen eines anderen abgelegt wurde 3 9 1 . Zum Kernbestand des Β etrugss traf rechts gehört auch das uralte Verbrechen der Verrückung von Grenzsteinen (Art. 333 nl. StGB). Danach macht sich m i t Gefängnis bis zu zwei Jahren strafbar, wer i n der Absicht, sich oder einem anderen widerrechtlich einen Vorteil zu verschaffen, Kennzeichen von Grundstücksgrenzen zerstört, versetzt, entfernt oder unbrauchbar macht. Oft w i r d damit zugleich eine Sachbeschädigung verbunden sein, ein Verhältnis der Spezialität gegenüber dem allgemeineren Tatbestand besteht jedoch nicht 3 9 2 . Als zweite Deliktsgruppe können der Schwindel und die Namensfälschung zusammengefaßt werden, die i m Anschluß an den Betrug i n diesen Titel eingefügt worden sind. Wegen Schwindels macht sich i n gleicher Höhe wie wegen Betrugs strafbar, wer berufs- oder gewohnheitsmäßig Sachen i n der Absicht kauft, sich oder einem anderen ohne vollständige Bezahlung die Verfügung über diese Sachen zu sichern (Art. 326 a nl. StGB). Die Zechprellerei und der Logisbetrug fallen indes nicht darunter, so daß hier weiterhin eine Strafbarkeitslücke bestehen geblieben ist. Der Tatbestand der Namensfälschung ist m i t den bereits behandelten Fälschungsverbrechen nahe verwandt. Danach w i r d m i t Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bis zu zehntausend Gulden bestraft, wer auf oder i n einem Werk der Literatur, der Wissenschaft, der Kunst oder des Gewerbes fälschlich einen Namen oder ein Zeichen anbringt oder den echten Namen oder das echte Zeichen i n der Absicht verfälscht, dadurch glaubhaft zu machen, daß das Werk von der Hand desjenigen herrühre, dessen Namen oder Zeichen er darauf oder darin angebracht hat (Art. 326 bis Ziff. 1 nl. StGB). Dieselbe Strafe t r i f f t denjenigen, der ein solches Werk verkauft, zum Kauf anbietet, ausliefert, zum Verkauf vorrätig hat oder i n das europäische Reichsgebiet einführt (Art. 326 bis Ziff. 2 nl. StGB). Der Tatbestand hat nicht zum 388 So schon H. R., U r t e i l v o m 20. Januar 1913, N. J. 1913, S. 504. I n A n m e r kungen zu Urteilen des H. R. hat Pompe mehrfach kritisch darauf hingewiesen, daß dieses Element der Deliktsumschreibung damit ausgehöhlt werde, etwa zu H. R., U r t e i l v o m 29. A p r i l 1935, N. J. 1936, 50. 389 H. R., U r t e i l v o m 27. M a i 1936, N. J. 1936, 51. 390 H. R., U r t e i l v o m 27. November 1939, N. J. 1940, 219. 891 H. R., U r t e i l v o m 24. Januar 1950, N. J. 1950, 287. 892 H. R , U r t e i l v o m 8. Dezember 1970, N. J. 1971, 292.
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Ziel, den Urheberschutz zu erweitern, möchte aber ärgerliche Betrügereien m i t den genannten Werken unter Strafe stellen. Er ist deshalb auch nicht nur auf Werke anwendbar, die niederländischen Ursprungs sind 3 9 3 . Als dritter Komplex ist der Versicherungsbetrug behandelt. Einen solchen begeht, wer durch listige Kunstgriffe den Versicherer über U m stände, die sich auf die Versicherung beziehen, i n einen I r r t u m versetzt, so daß dieser einen Vertrag abschließt, den er nicht oder nicht unter denselben Bedingungen abgeschlossen haben würde, wenn er den wahren Sachverhalt gekannt hätte. Die Tat w i r d m i t einer Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr geahndet (Art. 327 nl. StGB) 3 9 4 . Einen schwereren Fall des Versicherungsbetrugs bildet die Brandstiftung oder die Verursachung einer Explosion einer gegen Brandgefahr versicherten Sache, oder die Vernichtung oder Beschädigung eines Wasser- oder Luftfahrzeugs 395 , das oder dessen Ladung oder Fracht versichert ist. Derartige Handlungen können mit Gefängnis bis zu vier Jahren bestraft werden, wenn sie i n der Absicht erfolgen, sich oder einem anderen zum Nachteil des Versicherers widerrechtlich einen Vorteil zu verschaffen (Art. 328 nl. StGB). Z u einer vierten Deliktsgruppe können eine Reihe von Straftatbeständen zusammengefaßt werden, die unlautere Geschäftspraktiken unter Strafe stellen. Wegen unlauteren Wettbewerbs macht sich m i t Gefängnis bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu eintausendachthundert Gulden strafbar, wer eine betrügerische Handlung zur Täuschung der Öffentlichkeit oder einer bestimmten Person verübt, wenn daraus ein Nachteil für seine oder des anderen Konkurrenten entstehen kann. Gehandelt werden muß i n der Absicht, seinen oder eines anderen Handels- oder Betriebsabsatz aufzubauen, zu erhalten oder auszubreiten (Art. 328 bis nl. StGB). A n dieses allgemeine Verbot unlauteren Wettbewerbs zum eigenen oder fremden Nutzen schließen drei Übertretungstatbestände an, i n denen die Verwendung konkreter wirtschaftsrelevanter Kennzeichen m i t Haft bis zu einem Monat oder einer Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden bedroht wird. Strafbar macht sich, wer unbefugt: 1. Worte, Ausdrücke oder Kennzeichen verwendet, die andeuten oder den Ein393
H. R., U r t e i l v o m 19. Januar 1914, N. J. 1914, S. 540. I m Unterschied zum Betrug fehlt hier die Bereicherungsabsicht, so daß die Strafbestimmungen nicht i m Verhältnis der Spezialität zueinander stehen. H. R , U r t e i l v o m 2. A p r i l 1918, W. 10 270. 305 Die Erweiterung auf Luftfahrzeuge erfolgte durch das erwähnte Gesetz von 1971 (Anm. 4). Als Tathandlungen i m einzelnen werden genannt: sinken, stranden oder verunglücken lassen, zerstören, unbrauchbar machen oder beschädigen. 394
14 Ausländisches Strafrecht V
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druck erwecken können, daß sein Auftreten von den Niederlanden, seinen überseeischen Reichsteilen, einer ausländischen Macht oder völkerrechtlichen Organisation gefördert, unterstützt oder anerkannt w i r d (Art. 435 b nl. StGB) 3 9 6 ; 2. das Rote-Kreuz-Zeichen oder damit verwandte Worte oder Zeichen benützt (Art. 435 c nl. StGB) und 3. das Wappen der schweizerischen Eidgenossenschaft oder ein nachgemachtes Zeichen als Fabrik- oder Handelsmarke oder als Teil davon oder zu einem Zweck, der sich gegen die Ehrlichkeit i m Handel richtet, oder unter Umständen gebraucht, die das schweizerische Nationalgefühl verletzen können (Art. 435 d nl. StGB). Als weiteres gegen unlautere Praktiken i m Geschäftsleben gerichtetes Verbrechen ist die i m Jahre 1967 eingeführte Bestechung von Nichtbeamten anzuführen. Deswegen macht sich mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe bis zu einhunderttausend Gulden strafbar, wer, ohne Beamter zu sein, i n Diensten steht oder als Beauftragter auft r i t t und ein Geschenk oder Versprechen aus Anlaß dessen annimmt, was er i n seinem Dienst oder bei der Ausführung seines Auftrages getan oder unterlassen hat oder t u n oder unterlassen wird, und diese Annahme entgegen Treu und Glauben seinem Arbeit- oder Auftraggeber verschweigt (Art. 328 ter Abs. 1 nl. StGB). Die gleiche Strafe t r i f f t denjenigen, der ein solches treu widriges Geschenk oder Versprechen gibt (Art. 328 bis Abs. 2 nl. StGB). Ferner w i r d dem Verkäufer Gefängnis bis zu einem Jahr angedroht, der den Käufer durch Lieferung eines anderen als des bestimmt bezeichneten Kaufgegenstandes oder durch Anwendung listiger Kunstgriffe hinsichtlich der A r t , Eigenschaft oder Menge des gelieferten Gutes betrügt (Art. 329 nl. StGB). Da die Strafvorschrift als allgemein gegen den Betrug i m Handel gerichtet verstanden wird, w i r d der Begriff „ K a u f " weit ausgelegt 397 . Gegen den Betrug i m Handel — nämlich gegen den Handel von Waren m i t betrügerischem Ursprungsnachweis — richtet sich auch das letzte i n diesem Titel aufgenommene Verbrechen. Es befaßt sich m i t der unrichtigen Kennzeichnung von Waren i n bezug auf Handelsnamen, Warenzeichen oder Herkunft. Wer solche unrichtig gekennzeichneten Waren einführt, verkauft, anbietet, ausliefert, verteilt oder zum Verkauf oder zur Verteilung vorrätig hat, w i r d mit Gefängnis bis zu drei 396 A r t . 435 b Abs. 2 nl. StGB enthielt eine Sonderregelung für den Fall, daß die Zuwiderhandlung v o n einer juristischen Person, Gesellschaft, anderen Personenvereinigung oder einem Zweckvermögen begangen w i r d . Der Absatz w u r d e durch das erwähnte Gesetz von 1976 (Anm. 68) aufgehoben. Bei Verurteilung k a n n die Veröffentlichung des Urteilsspruchs angeordnet werden (Art. 435 b Abs. 3 nl. StGB). 397 H. R., U r t e i l v o m 19. J u n i 1951, N. J. 1952, 10.
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Monaten oder Geldstrafe bis zu eintausendzweihundert Gulden bestraft (Art. 337 nl. StGB). Schließlich gehört i n diesen Zusammenhang noch der Betrug m i t Konnossementen. Wer als Inhaber eines Konnossements gegen Entgelt über mehrere Ausfertigungen zugunsten verschiedener Erwerber verfügt, kann nach A r t . 329 bis nl. StGB m i t Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft werden. Die fünfte Deliktsgruppe w i r d von drei Verbrechenstatbeständen gebildet, die zu den gemeingefährlichen Straftaten i n naher Verwandtschaft stehen: der Lebensmittel-, Bau- und Lieferungsbetrug gegenüber den Streitkräften. Verkauf, Angebot oder Auslieferung von verfälschten Eßwaren, Getränken oder Heilmitteln kann m i t Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft werden, wenn die Verfälschung gekannt, aber verschwiegen w i r d (Art. 330 Abs. 1 nl. StGB). Waren sind verfälscht, wenn ihr Wert oder ihre Brauchbarkeit durch Beimengung fremder Bestandteile gemindert ist (Art. 330 Abs. 2 nl. StGB). Hier liegt der Unterschied zur strafbaren Warenfälschung nach Art. 174 nl. StGB. Dort ist der Verkauf usw. von für das Leben oder die Gesundheit schädlichen Waren unter Strafe gestellt. Noch enger als der Lebensmittelbetrug ist der Baubetrug m i t den gemeingefährlichen Verbrechen verbunden. Baubetrug begeht der Organisator oder Baumeister eines Bauwerkes oder der Verkäufer von Baumaterialien, der bei der Ausführung des Bauwerks oder der Lieferung der Stoffe eine betrügerische Handlung verübt, durch die die Sicherheit von Personen oder Sachen oder die Sicherheit des Staates i n Kriegszeiten gefährdet werden kann. Die Tat w i r d m i t einer Gefängnisstrafe bis zu sechs Jahren bedroht (Art. 331 Abs. 1 nl. StGB). Die gleiche Strafe t r i f f t denjenigen, der die Aufsicht über das Werk oder die Lieferung führt und die betrügerische Handlung zuläßt (Art. 331 Abs. 2 nl. StGB). Daran schließt m i t dem gleichen Strafmaß das Verbrechen der betrügerischen Handlung bei Lieferung des Bedarfs für Flotte und Heer an, durch die die Sicherheit des Staates i n Kriegszeiten gefährdet werden kann (Art. 333 Abs. 1 nl. StGB). Auch hier macht sich i n derselben Weise strafbar, wer als Aufsichtsperson die betrügerische Handlung zuläßt. Die Straftat steht i n engem Zusammenhang m i t der betrügerischen Bedarfslieferung i n Kriegszeiten nach A r t . 105 nl. StGB. Der Unterschied liegt darin, daß hier die Handlung die mögliche Gefährdung der Sicherheit des Staates i n Kriegszeit m i t sich bringen, während sie dort i n Kriegszeit begangen sein muß. Ein sechster Komplex an Betrugstatbeständen umfaßt schließlich drei Verbrechen, die Preis- oder Gewinnmanipulationen zum Gegenstand haben. Zunächst ist die Herbeiführung von Preissteigerungen oder -Senkungen von Handelswaren, Wertpapieren oder geldwerten Papie14*
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Das niederländische Strafrecht
ren durch Verbreitung eines lügenhaften Berichtes m i t Gefängnis bis zu zwei Jahren unter Strafe gestellt, wenn sie i n der Absicht erfolgt, sich oder einem anderen widerrechtlich einen Vorteil zu verschaffen (Art. 334 nl. StGB). Daneben ist der Emissionsbetrug i n bezug auf Schuldverschreibungen und Anteilsscheine verschiedener öffentlich- oder privatrechtlicher Aussteller als Verbrechen mit Gefängnis bis zu drei Jahren bedroht. Schuldig daran macht sich, wer nach Übernahme der oder bei M i t w i r k u n g an der Unterbringung von solchen Wertpapieren die Öffentlichkeit durch vorsätzliches Verschweigen oder Entstellen wahrer oder Vorspiegelung falscher Tatsachen oder Umstände zur Zeichnung oder Beteiligung zu bewegen trachtet (Art. 335 Abs. 1 nl. StGB). Die gleiche Strafe t r i f f t die natürliche Person, das Vorstandsmitglied, den geschäftsführenden Gesellschafter oder das Mitglied des Aufsichtsrates, wenn die Tat durch die betreffende Person zugelassen w i r d (Art. 335 Abs. 2 nl. StGB). Das erwähnte Vorhaben, einen Straftatbestand zu schaffen, m i t dem die mißbräuchliche Verwendung von Vorwissen i m Börsengeschäft geahndet werden kann 3 9 8 , würde und müßte an diese Strafvorschrift anschließen. Schließlich ist noch als Verbrechen die Veröffentlichung eines unrichtigen Inventars, einer unrichtigen B i lanz, Gewinn- und Verlustrechnung oder Erläuterung zu einer dieser Urkunden durch einen Kaufmann oder leitende Organe von Gesellschaften oder genossenschaftlichen Vereinigungen mit einer Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr bedroht (Art. 336 nl. StGB). Auch wer eine solche Veröffentlichung zuläßt, macht sich i n gleicher Weise strafbar. Die verfolgten Absichten sprechen für sich und sind nicht als besondere Elemente der Deliktsumschreibung näher gekennzeichnet. Die Möglichkeit eines Nachteils oder auch nur einer Irreführung w i r d nicht verlangt 3 9 9 . Die i m Übertretungsteil früher enthaltenen, hieran anknüpfenden Strafvorschriften gegen die Verletzung handelsrechtlicher Verpflichtungen (Art. 435 e - 435 g nl. StGB) traten i m Jahre 1971 außer K r a f t 4 0 0 . Die Strafverfolgung ist auch bei den Betrugs verbrechen, soweit sie innerhalb der Familie begangen worden sind, unter den i n A r t . 316 nl. StGB genannten Voraussetzungen entweder nicht oder nur mit einem gezielten Antrag möglich (Art. 338 i. V. m. 316 nl. StGB). Nebenstrafen sind bei Verurteilung wegen eines hier behandelten Betrugsverbrechens die Veröffentlichung des Urteilsspruches und das Verbot des Berufes, i n dem die Tat begangen wurde. Der Entzug der anderen 398
Vgl. oben S. 29 m i t A n m . 26. H. R., U r t e i l v o m 19. November 1923, N. J. 1924, 149. 400 Aufgehoben durch Wet op de jaarrekening van ondernemingen (Gesetz über den Jahresabschluß von Unternehmungen) v o m 10. September 1970 (1. Januar [Art. 41] u n d 1. M a i 1971), StBl. 96. 399
§ 66 Benachteiligung v o n Gläubigern oder Berechtigten
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entziehbaren Rechte (Art. 28 Ziff. 1 - 4 nl. StGB) kann jedoch nur bei Verurteilung wegen Betrugs nach den A r t . 326, 328, 331 und 332 nl. StGB erfolgen. § 66 Benachteiligung von Gläubigern oder Berechtigten
Der Sechsundzwanzigste Titel faßt Verbrechen der Benachteiligung von Gläubigern oder Berechtigten zusammen. Es handelt sich zum größten Teil um Konkursverbrechen, nur zwei Tatbestände betreffen Benachteiligungshandlungen außerhalb des Konkurses. Die Strafvorschriften dieses Titels wurden zwar gelegentlich geändert 4 0 1 , jedoch nicht grundlegend erweitert oder eingeschränkt. Zunächst werden der einfache, dann der betrügerische Bankrott umschrieben. Für die Strafbarkeit ist bei beiden erforderlich, daß der Schuldige entweder vor oder nach der Tat i n Konkurs geraten ist 4 0 2 . Einfacher Bankrott liegt vor: wenn die Aufwendungen des Konkursschuldners übermäßig gewesen sind (Art. 340 Ziff. 1 nl. StGB); er i n der Absicht, das Konkursverfahren hinauszuschieben, und obwohl er wußte, daß es dadurch nicht verhindert werden konnte, zu erschwerten Bedingungen Geld aufgenommen hat (Art. 340 Ziff. 2 nl. StGB) oder die Bücher und Unterlagen, i n denen er aufgrund der handelsrechtlichen Vorschriften (Art. 6 nl. HGB) Aufzeichnungen gemacht hat, und die Schriftstücke, die er aufgrund dieses Artikels aufbewahrt hat, nicht i n unversehrtem Zustand vorlegt (Art. 340 Ziff. 3 nl. StGB). Diese Handlungen werden m i t Gefängnis bis zu einem Jahr bedroht. Eines betrügerischen Bankrotts macht sich der Konkursschuldner schuldig: wenn er zur betrügerischen Beeinträchtigung der Rechte seiner Gläubiger Schulden erdichtet hat oder erdichtet oder über Vermögensgegenstände keine Rechenschaft abgelegt hat oder ablegt oder der Konkursmasse 403 eine Sache entzogen hat oder entzieht (Art. 341 Ziff. 1 nl. StGB); eine Sache unentgeltlich oder offenkundig unter Wert 401 Änderungen erfolgten — abgesehen von einer Novelle v o m 7. Februar 1935 (16. März 1935), StBl. 41 (Art. 345 nl. StGB) — durch das Änderungsgesetz v o m 15. Dezember 1955 (12. Januar 1956), StBl. 552 (Art. 340-347 nl. StGB) u n d nochmals durch das Anpassungsgesetz zur Gesetzgebung i m Zusammenhang m i t der Gesellschaft m i t beschränkter Haftung v o m 3. M a i 1971 (29. J u n i 1971), StBl. 287 (Art. 342, 343 u n d 347 nl. StGB). 402 Bei A r t . 340 Ziff. 3 nl. StGB n u r nach, bei A r t . 341 Ziff. 2 nl. StGB n u r vor der Konkurseröffnung. 403 Hierzu werden nicht n u r alle Vermögensbestandteile des Schuldners gerechnet, die tatsächlich i n Besitz u n d V e r w a l t u n g des Konkursverwalters liegen, sondern ebenfalls solche, die rechtlich dazu gehören, auch w e n n sie sich außerhalb des niederländischen Hoheitsgebietes (ausländisches B a n k guthaben oder ausstehende Forderungen) befinden. H. R., U r t e i l v o m 8. J u n i 1971, N. J. 1971, 414.
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Das niederländische Strafrecht
veräußert hat (Art. 341 Ziff. 2 nl. StGB); anläßlich seines Konkursverfahrens oder zu einem Zeitpunkt, i n dem er wußte, daß das Konkursverfahren nicht verhindert werden konnte, einem seiner Gläubiger auf irgendeine Weise einen Vorteil verschafft hat oder verschafft (Art. 341 Ziff. 3 nl. StGB) oder seinen gesetzlichen Verpflichtungen zu Buchhaltung und Vorlage von Büchern, Unterlagen und Schriftstücken (Art. 6 nl. HGB) nicht nachgekommen ist oder nachkommt (Art. 341 Ziff. 4 nl. StGB). Die materielle Tat w i r d zu dem Zeitpunkt begangen, i n dem ζ. B. Vermögensbestandteile entzogen werden, ein Verbrechen w i r d es jedoch erst durch die Konkurseröffnung 4 0 4 . Was die A r t i k e l 340 und 341 nl. StGB für natürliche Personen umschreiben, sehen die beiden nachfolgenden A r t i k e l für die Angehörigen des Vorstands und des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft, einer genossenschaftlichen oder anderen rechtsfähigen Vereinigung oder Stiftung vor, die i n Konkurs geraten ist. Die Tatbestände sind infolge dieses Zusammenhangs indes anders abgefaßt. Eine solche Person w i r d nämlich wegen einfachen Bankrotts mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft, wenn sie mitgewirkt oder zugestimmt hat bei einer Zuwiderhandlung gegen eine rechtmäßige Bestimmung des Gesellschaftsvertrages, der Satzung oder der Statuten, durch die die von der Gesellschaft, Vereinigung oder Stiftung erlittenen Verluste ganz oder großen Teils herbeigeführt worden sind (Art. 342 Ziff. 1 nl. StGB) oder — i n der obengenannten Absicht und Kenntnis — bei der Aufnahme von Geld zu erschwerten Bedingungen (Art. 341 Ziff. 2 nl. StGB) sowie, wenn ihr vorzuwerfen ist, daß die erwähnten handelsrechtlichen Verpflichtungen nicht erfüllt worden sind und die Bücher, Unterlagen und Schriftstücke nicht i n unversehrtem Zustand vorgelegt werden (Art. 341 Ziff. 3 nl. StGB). Parallel dem betrügerischen Bankrott nach Art. 341 nl. StGB droht A r t . 343 nl. StGB den genannten Personen Gefängnis bis zu sechs Jahren an, wenn sie zur betrügerischen Beeinträchtigung der Rechte der Gläubiger eine der dort genannten Handlungen begangen haben oder begehen. Neben diesen an den Konkursschuldner oder die genannten Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder von i n Konkurs geratenen juristischen Personen gerichteten Straftatbeständen umschreibt der Titel zwei Straftaten, die andere als diese Personen betreffen. Gefängnis bis zu vier Jahren und sechs Monaten w i r d demjenigen angedroht, der zur betrügerischen Beeinträchtigung der Rechte der Gläubiger i m Falle des Konkurses oder i n dessen Voraussicht 405 eine Sache der Konkursmasse 404
H. R., U r t e i l v o m 22. Januar 1922, W. 8329. Strafbarkeit ist i n diesem F a l l jedoch auch nur gegeben, w e n n der K o n kurs später tatsächlich eintritt. 405
§ 66 Benachteiligung von Gläubigern oder Berechtigten
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entzieht oder die Bezahlung einer nicht fälligen oder einer fälligen Schuld annimmt. Die Annahme einer fälligen Schuld ist allerdings nur dann strafbar, wenn der Gläubiger weiß, daß das Konkursverfahren vom Schuldner bereits beantragt worden war, oder er i m Einverständnis mit dem Schuldner handelt (Art. 344 Ziff. 1 nl. StGB). Die gleiche Strafe t r i f f t denjenigen, der bei der Prüfung der Ansprüche i m Fall des Konkurses einen nicht bestehenden Anspruch vorgibt oder einen bestehenden mit einem erhöhten Betrag geltend macht (Art. 344 Ziff. 2 nl. StGB). Art. 345 nl. StGB schließlich sichert den gerichtlichen Vergleich 4 0 6 gegen Unterhöhlung durch Abschluß eines Vertrages des Gläubigers m i t dem Schuldner oder m i t einem Dritten, i n dem er sich besondere Vorteile ausbedungen hat. Strafbar macht sich der Gläubiger, wenn er infolge einer solchen internen Übereinkunft dem vom Gericht vorgeschlagenen Vergleich zustimmt. Die Höchststrafe dafür beträgt ein Jahr Gefängnis und w i r d sowohl den Gläubigern als auch dem Schuldner 4 0 7 angedroht. Die bisherigen Strafbestimmungen dieses Titels enthielten Konkursverbrechen, die nachfolgenden sind unabhängig vom Eintritt des Konkurses strafbar. Die erste Bestimmung richtet sich gegen Vorstandsund Aufsichtsratsmitglieder von juristischen Personen und knüpft an das Verbot satzungswidriger Entscheidungen an, das i m Falle des Konkurses als Bankrott strafbar ist. Ihnen w i r d eine Geldstrafe bis zu zwanzigtausend Gulden angedroht, wenn sie an Zuwiderhandlungen gegen eine rechtmäßige Bestimmung des Gesellschaftsvertrages, der Satzung oder der Statuten m i t w i r k e n oder derartigen Zuwiderhandlungen zustimmen, durch die die Gesellschaft, Vereinigung oder Stiftung einen ernstlichen Nachteil erleidet (Art. 347 nl. StGB). Dem Schutz der Durchsetzung von Sicherungsrechten dient schließlich die sogenannte Pfandkehr. Danach macht sich m i t Gefängnis bis zu einem Jahr und sechs Monaten strafbar, wer vorsätzlich seine eigene Sache oder für den Eigentümer eine i h m nicht gehörende Sache einem anderen, der daran ein Pfand-, Zurückbehaltungs-, Nutzungs- oder Gebrauchsrecht hat, entzieht (Art. 348 nl. StGB). Für dieses Delikt sind, wenn es innerhalb der Familie begangen wird, die Verfolgungsvoraussetzungen wie beim Familiendiebstahl geregelt (Art. 348 Abs. 2 i. V. m. 316 nl. StGB). 406 Nach A r t . 138 ff. Faillissementswet (Konkursgesetz) v o m 30. September 1893 (StBl. 140 i. d. F. der letzten Änderung durch Gesetz v o m 3. M a i 1971, StBl. 287) k a n n ein Konkursschuldner seinen Gläubigern einen Vergleich vorschlagen; w e n n i h n eine v o m Gesetz näher bestimmte Mehrheit der Gläubiger annimmt u n d das Gericht i h n gutheißt, k a n n der K o n k u r s eingestellt werden. 407 Handelt es sich u m eine Genossenschaft, Gesellschaft, Vereinigung oder Stiftung, ist das Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied strafbar, das eine solche Übereinkunft schließt (Art. 345 Abs. 2 nl. StGB).
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Das niederländische Strafrecht
Bei Verurteilung wegen eines der i n diesem Titel enthaltenen Konkursverbrechen kann die Veröffentlichung des Urteils angeordnet werden (Art. 349 Abs. 2 nl. StGB). Bei Verurteilung wegen betrügerischen Bankrotts (Art. 341, 343 und 344 nl. StGB) ist zusätzlich der Entzug bestimmter Rechte möglich (Art. 349 Abs. 1 nl. StGB). §67 Sachbeschädigung
Der Siebenundzwanzigste Titel enthält als letzter Verbrechen gegen das Vermögen und handelt von der Zerstörung oder Beschädigung von Sachen. Den K e r n bildet die Sachbeschädigung. Danach macht sich m i t Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden strafbar, wer vorsätzlich und rechtswidrig eine Sache oder ein Tier, die bzw. das ganz- oder teilweise einem anderen gehört, zerstört bzw. tötet, beschädigt, unbrauchbar macht oder beseitigt (Art. 350 nl. StGB). Für den Fall, daß sich derartige Handlungen gegen Anlagen zum allgemeinen Nutzen 4 0 8 oder für die Landesverteidigung richten, ist die Strafe verschärft auf Gefängnis bis zu drei Jahren (Art. 351 nl. StGB). Bei fahrlässiger Begehung beträgt die Höchststrafe Haft bis zu einem Monat oder Geldstrafe bis zu zweihundert Gulden (Art. 351 bis nl. StGB). W i r d vorsätzlich und widerrechtlich ein Gebäude oder ein Wasser- oder ein Luftfahrzeug 4 0 9 , das ganz oder teilweise einem anderen gehört, zerstört oder unbrauchbar gemacht, kann Gefängnis bis zu vier Jahren verhängt werden (Art. 352 nl. StGB) 4 1 0 . A l l e i n diesem Titel angedrohten Strafen können um ein Drittel erhöht werden, wenn die Verbrechen durch zwei oder mehr Personen gemeinsam begangen werden (Art. 354 nl. StGB). Werden die Straftaten i m Familienverband begangen, richten sich die Verfolgungsvoraussetzungen auch hier nach der Regelung, die für den Familiendiebstahl getroffen ist (Art. 353 i. V. m. 316 nl. StGB).
408 Genannt werden Eisenbahn-, Telegraphen-, Telephon- oder Elektrizitätsanlagen, Wasserwehre, Entwässerungsanlagen, Gas- oder Wasserleitungen u n d Kanalisationsanlagen. 409 Die Ausdehnung auf Luftfahrzeuge erfolgte durch das erwähnte Gesetz von 1971 (Anm. 4). 410 Die Aufzählung „vorsätzlich und rechtswidrig" i n diesem A r t i k e l w i r d dahin verstanden, daß der Vorsatz sich nicht auf die Rechtswidrigkeit erstrecken muß. H. R., U r t e i l v o m 21. Dezember 1914, N. J. 1915, 376.
§68 Straf taten i m A m t
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Viertes Kapitel
Die übrigen Straftaten § 68 Straftaten im A m t
I m Achtundzwanzigsten Titel sind die Verbrechen i m A m t zusammengefaßt. Es handelt sich u m Verbrechen, die nur von einem Beamten begangen werden können. Beamter ist, wer vom Staat angestellt ist, u m einen Teil der Staatsaufgaben wahrzunehmen. I m A r t . 84 nl. StGB w i r d der Beamtenbegriff auch auf alle Personen ausgedehnt, die durch gesetzlich ausgeschriebene Wahlen gewählt sind, auf Schiedsrichter und alle Angehörigen der Streitkräfte wie auch des Zivilschutzes, soweit sie einberufen sind. Nicht jedes der hier zu behandelnden Verbrechen kann durch Beamte i n diesem weiten Sinne begangen werden, bei manchen können vielmehr nur bestimmte Beamte Täter sein. Die meisten Verbrechen i m A m t sind auch strafbar, wenn sie von einer beliebigen Person begangen werden; für Beamte sind sie dann oft lediglich weiter gefaßt und werden m i t einer höheren Strafe bedroht. Aufgrund der Natur der Sache richtet sich jede i m A m t begangene Straftat gegen die Staatsgewalt, doch verletzen verschiedene Verbrechen auch andere Interessen, wie ζ. B. das Briefgeheimnis, die persönliche Freiheit oder das Vermögen. Die erste Deliktsgruppe umfaßt strafbare Handlungen, die nur von amtierenden Ministern begangen werden können. Minister machen sich strafbar: wenn sie königliche Verordnungen oder Verfügungen gegenzeichnen, obwohl sie wissen, daß dadurch die Verfassung oder andere Gesetze oder allgemeine Verordnungen der inneren Verwaltung des Staates oder seiner Kolonien und Besitzungen i n anderen Weltteilen verletzt werden (Art. 355 Ziff. 1 nl. StGB); königliche Verordnungen oder Verfügungen ohne die erforderliche Gegenzeichnung eines Ministers ausführen (Art. 355 Ziff. 2 nl. StGB); Verfügungen oder A n ordnungen i n Kenntnis ihrer Verfassungs- oder Gesetzwidrigkeit treffen oder aufrechterhalten (Art. 355 Ziff. 3 nl. StGB) oder die Ausführung von Bestimmungen der Verfassung oder anderer Gesetze oder allgemeiner Verordnungen unterlassen, soweit sie dafür zuständig sind (Art. 355 Ziff. 4 nl. StGB). Die Höchststrafe beträgt drei Jahre Gefängnis. Außerdem kann das aktive und passive Wahlrecht entzogen werden. M i t Haft bis zu sechs Monaten kann ferner ein Minister bestraft werden, wenn er grob fahrlässig verschuldet, daß die Ausführung von Bestimmungen der Verfassung oder anderer Gesetze oder allgemeiner Verordnungen unterbleibt. Die Strafverfolgung findet auf Befehl des Königs oder auf Beschluß der Zweiten Kammer des Parlaments statt.
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Das niederländische Strafrecht
Zuständiges Gericht ist der Höge Raad, und zwar urteilt i n diesen i h m i n erster Instanz zugewiesenen Strafsachen ein besonderes Kollegium, das mit zehn Richtern besetzt ist (Art. 103 i. V. m. 92 nl. GVerfG). Die zweite Deliktsgruppe w i r d durch Straftaten gebildet, die den Einsatz der Streitkräfte betreffen. M i t Gefängnis bis zu drei Jahren w i r d einerseits der militärische Befehlshaber bestraft, der sich weigert oder es vorsätzlich unterläßt, auf die rechtmäßige Aufforderung der zuständigen Zivilbehörde hin die unter seinem Befehl stehenden Streitkräfte einzusetzen (Art. 357 nl. StGB). Wer als Beamter andererseits die Hilfe der Streitkräfte gegen die Ausführung von gesetzlichen Vorschriften, von rechtmäßigen Anordnungen der Obrigkeit oder von richterlichen Urteilen oder schriftlichen Anordnungen anruft, w i r d m i t Gefängnis bis zu sechs Jahren bestraft (Art. 358 Abs. 1 nl. StGB). Die Strafe w i r d auf Gefängnis bis zu neun Jahren angehoben, wenn dadurch die Ausführung verhindert w i r d (Art. 358 Abs. 2 nl. StGB). Als dritte Deliktsgruppe können die durch das bereits mehrfach erwähnte Streikgesetz von 1903 eingeführten Strafbestimmungen über die Behinderung des Eisenbahnverkehrs durch eigenes Personal angesehen werden. Es handelt sich nicht u m reine Verbrechen i m Amt, denn sie können sowohl durch einen Beamten wie auch durch eine andere i m öffentlichen Eisenbahnverkehr dauernd oder zeitweilig beschäftigte Person begangen werden 4 1 1 . Die gesonderte Erwähnung dieses Personenkreises ist erforderlich, weil die niederländische Eisenbahn kein Staatsbetrieb ist, sondern als private Aktiengesellschaft betrieben wird, wenn sie auch eng mit dem Staat verknüpft ist. Die Straftat besteht i n der Unterlassung oder Verweigerung von Arbeiten, zu denen sich der Schuldige ausdrücklich oder kraft seines Dienstverhältnisses verpflichtet hat, i n der Absicht, i n der Ausübung eines öffentlichen Dienstes oder i m öffentlichen Eisenbahnverkehr Stockungen zu verursachen oder fortdauern zu lassen. Dafür werden Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden angedroht (Art. 358 bis nl. StGB). W i r d die Tat von zwei oder mehr Personen aufgrund einer Verschwörung verübt, ist die Strafe auf Gefängnis bis zu zwei Jahren verschärft (Art. 358 ter nl. StGB). I n diesem Fall sind neben den Tätern auch die Anführer oder Urheber der Verschwörung verantwortlich. I n beiden Fällen t r i t t eine jeweilige Verdoppelung der Strafe ein, wenn die Stockung oder ihre Fortdauer erreicht w i r d (Art. 358 quater nl. StGB).
411 Ausgenommen ist das Personal einer Eisenbahn, auf der ausschließlich m i t beschränkter Geschwindigkeit befördert w i r d .
§68 Straftaten i m A m t
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Die vierte Deliktsgruppe umfaßt drei Straftatbestände, die sich ebenfalls nicht nur an Beamte, sondern zugleich auch an nichtbeamtete Personen richten, die mit einem öffentlichen Dienst dauernd oder zeitweise beauftragt sind. Nach der Begründung sind darunter etwa Personen zu verstehen, die einer Verwaltung der niederländischen Staatsbank verbunden sind (ζ. B. Agenten der Staatskasse), Mitglieder einer Staatskommission, die Aufwendungen verursacht, oder Gelehrte, die m i t einer wissenschaftlichen Untersuchung beauftragt sind. Ein Beamter oder eine solche Person machen sich m i t Gefängnis bis zu sechs Jahren strafbar, wenn sie Gelder oder geldwerte Papiere 4 1 2 , die sie i n ihrem Dienst i n Gewahrsam haben, unterschlagen oder die Wegnahme oder Unterschlagung durch einen anderen zulassen oder dabei als Gehilfe m i t w i r k e n (Art. 359 nl. StGB). Unter Unterschlagung ist hier zu verstehen, daß sie das Geld widerrechtlich seiner Bestimmung entziehen 413 . Gefängnis bis zu drei Jahren kann ihnen auferlegt werden, wenn sie ausschließlich zur Verwaltungskontrolle bestimmte Bücher oder Register fälschlich anfertigen oder verfälschen (Art. 360 nl. StGB). Der dritte Tatbestand schließlich dient dem Schutz von Überführungsoder Beweisstücken und von Urkunden, Unterlagen oder Registern, die ein Beamter oder eine solche nichtbeamtete Person i n Gewahrsam hat. Die Unterschlagung, Zerstörung, Beschädigung oder Unbrauchbarmachung ist für sie m i t Gefängnis bis zu vier Jahren und sechs Monaten ebenso strafbar wie die Zulassung solcher Handlungen durch andere oder die M i t w i r k u n g daran als Gehilfe (Art. 361 nl. StGB). Der Begriff der Unterschlagung hat hier ebenso wie i n A r t . 359 nl. StGB eine weitere Bedeutung als bei dem allgemeinen Verbrechen der Unterschlagung; auch wer lediglich eine solche Sache ohne Zueignungsabsicht verlorengehen läßt, unterschlägt i m Sinne dieses Artikels 4 1 4 . Die fünfte Deliktsgruppe bilden die Bestechungstatbestände. Die Bestechung wurde bereits als allgemeines Delikt bei den Verbrechen gegen die Staatsgewalt (Art. 177 und 178 nl. StGB) und i m Rahmen des Betrugs (Art. 328 ter nl. StGB) behandelt. Dort ging es u m die aktive Bestechung von Beamten und die aktive und passive Bestechung von nichtbeamteten Personen. Hier ist demgegenüber die Strafbarkeit der Beamten wegen Annahme von Bestechungsmitteln geregelt. Eine Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden w i r d dem Beamten angedroht, der ein Geschenk 412 F ü r einen Postbeamten sind dies z. B. Postwertzeichen wie Briefmarken, Versicherungsmarken, Quittungsscheine, Postkarten. H. R., U r t e i l v o m 27. J u l i 1938, N. J. 1939, 123. 413 H. R., Urteile v o m 24. M a i 1937, N. J. 1938, 850 u n d 29. November 1949, N. J. 1950, 214. 414 H. R., U r t e i l v o m 13. Januar 1941, N. J. 1941, 480.
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Das niederländische Strafrecht
oder Versprechen annimmt, obwohl er weiß, daß es i h m gegeben wird, u m i h n zu bewegen, i n seinem Amte, ohne dadurch pflichtwidrig zu handeln, etwas zu tun oder zu unterlassen (Art. 362 nl. StGB). Verschärft, und zwar auf vier Jahre Gefängnis, ist die Strafe, wenn durch die Hingabe eine pflichtwidrige Handlung oder Unterlassung erreicht oder belohnt werden soll (Art. 363 nl. StGB). Gegenüber Richtern, zu denen nach Art. 84 nl. StGB auch die die Verwaltungsrechtsprechung ausübenden Richter und die Schiedsrichter zählen, sieht das Gesetz erheblich drastischere Strafen vor. Sie machen sich mit Gefängnis bis zu neun Jahren strafbar, wenn sie ein Geschenk oder Versprechen annehmen, obwohl sie wissen, daß es gegeben wird, u m die Entscheidung einer ihrer Beurteilung unterworfenen Sache zu beeinflussen (Art. 364 Abs. 1 nl. StGB). Die Höchststrafe beträgt zwölf Jahre Gefängnis, wenn das Geschenk oder Versprechen i n dem Bewußtsein angenommen wird, daß dadurch eine Verurteilung i n einer Strafsache erreicht werden soll (Art. 364 Abs. 2 nl. StGB). Die sechste Deliktsgruppe umfaßt Straftaten, die m i t dem Freiheitsentzug i n Zusammenhang stehen. Als erster Tatbestand ist hier die Gefangenenbefreiung zu nennen. Täter kann nur ein Beamter sein, der m i t der Bewachung einer Person beauftragt ist, der durch die Staatsgewalt oder kraft richterlichen Urteils oder richterlicher Verfügung die Freiheit entzogen ist. Ein solcher Beamter macht sich strafbar, wenn er diese Person vorsätzlich entweichen läßt oder befreit oder bei deren Befreiung oder Selbstbefreiung behilflich ist. Die Höchststrafe beträgt drei Jahre Gefängnis (Art. 367 Abs. 1 nl. StGB). Hat er die Flucht, Befreiung oder Selbstbefreiung durch Fahrlässigkeit herbeigeführt, so ist Haft bis zu zwei Monaten oder Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden angedroht (Art. 367 Abs. 2 nl. StGB). Während diese Strafdrohung den Zweck verfolgt, den angeordneten Freiheitsentzug aufrechtzuerhalten, stellt der daran anschließende Straftatbestand Versäumnisse von Beamten unter Strafe, die einen rechtswidrigen Freiheitsentzug verlängern können. Wer nämlich als Ermittlungsbeamter der Aufforderung, einen rechtswidrigen Freiheitsentzug aufzuklären, nicht nachkommt oder der vorgesetzten Behörde davon nicht unverzüglich Kenntnis gibt, w i r d m i t Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft (Art. 368 Abs. 1 Ziff. 1 nl. StGB). Die gleiche Strafe t r i f f t den Beamten, der i n Ausübung seines Amtes von einem unrechtmäßigen Freiheitsentzug Kenntnis erlangt und es unterläßt, unverzüglich einen E r m i t t lungsbeamten einzuschalten (Art. 368 Abs. 1 Ziff. 2 nl. StGB). Handelt der Ermittlungsbeamte oder Beamte fahrlässig, kann Haft bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden ausgesprochen werden (Art. 368 Abs. 2 nl. StGB). Die dritte Straftat innerhalb dieser
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Gruppe betrifft schließlich die Staatsaufsicht über Gefängnisse und andere Anstalten m i t Freiheitsentzug und ist an die Leiter solcher Einrichtungen gerichtet. Da diese Vorschrift i n den Titel über Verbrechen i m A m t aufgenommen ist, erhebt sich die Frage, ob der Leiter einer privaten Heil- oder Pflegeanstalt auch als Täter i n Betracht kommt. Diese Frage scheint m i r bejaht werden zu müssen, denn die Staatsaufsicht erstreckt sich auch auf alle Geisteskranken, denen die Freiheit entzogen ist 4 1 5 . Die Anstaltsleiter machen sich mit Gefängnis bis zu einem Jahr strafbar, wenn sie einer rechtmäßigen Aufforderung zur Vorführung eines Anstaltsinsassen nicht nachkommen oder die Einsicht i n das Aufnahmeregister oder die Aufnahmeurkunde verwehren (Art. 369 nl. StGB). Ergänzend ist A r t . 464 nl. StGB zu erwähnen, wonach sich solche Anstaltsleiter m i t Haft bis zu einem Monat oder Geldstrafe bis zu dreihundert Gulden strafbar machen, wenn sie jemanden i n die Anstalt aufnehmen oder dort behalten, ohne die Einweisungspapiere einzusehen oder die Aufnahme i n der erforderlichen Weise zu registrieren. Als siebente Deliktsgruppe kann eine Reihe von Tatbeständen zusammengefaßt werden, i n denen zusätzlich zum allgemeinen Schutzzweck der Straftaten i m A m t der Schutz bestimmter Privatinteressen beabsichtigt ist. I n zwei Tatbeständen ist zunächst die mißbräuchliche Machtausübung eines Beamten unter Strafe gestellt, wenn sie sich gegen die persönliche Freiheit oder gegen private Vermögensinteressen richtet. Strafbar macht sich nach dem einen, wer als Beamter jemanden durch Mißbrauch seiner Macht zwingt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden (Art. 365 nl. StGB), nach dem anderen, wer als Beamter i n Ausübung seines Amtes etwas fordert, empfängt oder bei einer Auszahlung zurückbehält, was i h m angeblich selbst, einem anderen Beamten oder einer öffentlichen Kasse geschuldet wird, obwohl er weiß, daß es nicht geschuldet w i r d (Art. 366 nl. StGB). I m ersten Fall kann der Beamte m i t einer Gefängnisstrafe bis zu zwei, i m zweiten bis zu sechs Jahren bestraft werden. Die weiteren Strafvorschriften dieser Gruppe sichern die Wahrung der amtlichen Geheimhaltungspflicht sowie die Einhaltung der vom Gesetz gesteckten Grenzen bei der Anwendung von Zwangsbefugnissen. Sie beziehen sich auf das Hausrecht, das Briefgeheimnis sowie das Telegramm« und Telephongeheimnis. So ist m i t Gefängnis bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden strafbar, wer als Beamter unter Überschreitung seiner 415
A r t . 2 Krankzinnigenwet (Gesetz über Geisteskranke) v o m 27. A p r i l 1884, StBl. 96 i. d. F. der letzten Änderung durch Gesetz v o m 28. August 1970, StBl. 430.
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Das niederländische Strafrecht
Befugnis oder Nichtbeachtung der durch das Gesetz bestimmten Formen Hausfriedensbruch begeht (Art. 370 Abs. 1 nl. StGB). Die U m schreibung des Hausfriedensbruchs gleicht bis auf das fehlende Element der Widerrechtlichkeit bei der ersten Handlungsalternative der des allgemeinen i n A r t . 138 Abs. 1 nl. StGB. M i t der gleichen Strafe hat zu rechnen, wer als Beamter bei einer Haussuchung unter Überschreitung seiner Befugnis oder Nichtbeachtung der durch das Gesetz bestimmten Formen Schriftstücke, Bücher oder andere Papiere durchsucht oder beschlagnahmt (Art. 370 Abs. 2 nl. StGB). Weiter w i r d Gefängnis bis zu zwei Jahren demjenigen Beamten angedroht, der außerhalb seiner Befugnisse Briefe, Postkarten, Postsachen, Pakete oder Telegramme, die an die Post aufgegeben sind, sich vorlegen läßt oder beschlagnahmt (Art. 371 Abs. 1 nl. StGB). Die gleiche Strafe t r i f f t den Beamten, der sich unter Überschreitung seiner Befugnisse von einem Beamten oder sonstigen Beschäftigten des Fernsprechamtes über dort vermittelte Gespräche Auskunft geben läßt (Art. 371 Abs. 2 nl. StGB). Der Beamte einer öffentlichen Beförderungsanstalt, dem eine verschlossene Postsache anvertraut ist, macht sich m i t Gefängnis bis zu einem Jahr und sechs Monaten strafbar, wenn er diese Sache vorsätzlich und widerrechtlich öffnet, einsieht oder den I n halt einem anderen bekanntmacht (Art. 372 nl. StGB). Für den Fall, daß er eine solche Sache einem anderen als dem Berechtigten ausliefert, vernichtet, beseitigt, sich zueignet oder den Inhalt verändert oder einen darin eingeschlossenen Gegenstand sich zueignet, ist die Strafe auf Gefängnis bis zu vier Jahren verschärft (Art. 373 Abs. 1 nl. StGB). Das Gesetz sieht eine nochmalige Verschärfung auf Gefängnis bis zu sechs Jahren für die Zueignung vor, wenn eine solche Postsache Geldwert hat (Art. 373 Abs. 2 nl. StGB). Schließlich ist die Verletzung des Telegraphen- und Telephongeheimnisses unter Strafe gestellt. Der Beamte oder sonstige Beschäftigte i m Telegraphenamt macht sich m i t Gefängnis bis zu einem Jahr und sechs Monaten strafbar, wenn er den Inhalt einer dem A m t anvertrauten Nachricht vorsätzlich und widerrechtlich einem anderen bekanntgibt oder ein Telegramm vorsätzlich oder widerrechtlich öffnet, einsieht oder den Inhalt einem anderen bekanntmacht (Art. 374 Ziff. 1 nl. StGB) und m i t Gefängnis bis zu vier Jahren, wenn er eine solche Nachricht oder ein Telegramm vorsätzlich einem anderen als dem Berechtigten ausliefert, vernichtet, beseitigt, sich zueignet oder den Inhalt verändert (Art. 374 Ziff. 2 nl. StGB). Die Strafbarkeit der Verletzung des Telephongeheimnisses ist durch die Novelle von 1971 ausgeweitet und den neuen Straftatbeständen i m Titel über die Straftaten gegen die öffentliche Ordnung angeglichen worden 4 1 6 . Während vorher nur die Bekanntgabe des Inhalts eines Ferngesprächs an einen anderen unter
§68 Straftaten i m A m t
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Strafe gestellt war, sind heute als strafbare Handlungen des Beamten oder sonstigen Beschäftigten des Fernsprechamtes aufgeführt: 1. Abhören oder Aufnehmen eines über den Telephondienst oder das Fernsprechamt geführten Gesprächs; 2. Besitz eines Gegenstandes, dem eine Information entnommen werden kann, die durch Abhören oder Aufnahme eines Gesprächs erlangt ist; 3. Bekanntgabe des Inhalts eines solchen Gesprächs an einen anderen und schließlich 4. Überlassung eines Gegenstandes, dem eine Information über den Inhalt eines solchen Gesprächs entnommen werden kann. Diese Handlungen können m i t einer Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr und sechs Monaten bestraft werden (Art. 374 bis nl. StGB). Wer von den jeweils genannten Personen die Verletzung des Brief-, Telegraphen- und Telephongeheimnisses i n der angegebenen Weise zuläßt oder dabei als Gehilfe m i t w i r k t , ist wie der Täter strafbar (Art. 375 nl. StGB). Die achte Deliktsgruppe innerhalb der Straftaten i m Amte umfaßt einige Strafvorschriften, i n denen entweder gefährliche Pflichtenkollisionen oder gröbliche Pflichtverletzungen von mit besonderen Aufgaben betrauten Beamten unter Strafe gestellt werden. Der Vermeidung von Pflichtenkollisionen dient zunächst das Verbot der mittelbaren oder unmittelbaren Teilnahme eines Beamten an der Annahme von Aufträgen oder an Lieferungen, über die i h m zur Zeit der Handlung die Verwaltung oder Aufsicht ganz oder teilweise übertragen ist (Art. 376 nl. StGB). Zuwiderhandlungen werden m i t Gefängnis bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe bis zu zweitausendvierhundert Gulden geahndet. Die Strafbarkeit der Teilnahme an der Gestellung von Stellvertretern oder dem Umtausch von Losnummern für den Militärdienst, die zusätzlich i n diesem A r t i k e l geregelt war, hat nach Fortfall dieser Möglichkeiten aufgrund eines Gesetzes von 1898 keine Bedeutung mehr, wurde jedoch erst 1975 gestrichen 416a . Einem Interessenkonflikt w i l l auch die i n der Höhe gleiche Strafdrohung gegenüber den Münzbeamten 4 1 7 oder den Sicherungsbeamten 418 vorbeugen. Sie dürfen weder Handel m i t Edelmetallen oder daraus verfertig416
Siehe oben A n m . 9 u n d die Ausführungen zu den A r t . 139 c u n d 139 e nl. StGB i n § 50 auf S. 152 ff. 418a A r t . 376 Ziff. 2 wurde durch Gesetz v o m 26. J u n i 1975, StBl. 340 (Art. I F) aufgehoben. 417
Der ambtenaar van het muntwezen (Münzbeamter) ist aufgrund Wet
toezicht en zorg voor de zaken v a n de m u n t (Gesetz über die Aufsicht über u n d Sorge f ü r die Münzangelegenheiten) v o m 22. Dezember 1955, StBl. 618 eingesetzt (Art. 7). 418
Rechtsgrundlage für den ambtenaar van den waarborg (Sicherungs-
beamter) ist das Waarborgwet (Sicherungsgesetz) v o m 18. September 1852, StBl. 178 i. d. F. der letzten Änderung durch das Gesetz v o m 24. Dezember 1970, StBl. 612 (Art. 7.).
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Das niederländische Strafrecht
ten Gegenständen treiben noch an einem solchen mittelbar oder unmittelbar teilnehmen (Art. 377 nl. StGB). Der Sicherungsbeamte macht sich gleichfalls schuldig, wenn er von einer seiner Amtsstelle vorgelegten Gold- oder Silbersache einen Abdruck oder eine Kopie anfertigt oder einer nicht berechtigten Person davon eine Beschreibung gibt. Er kann m i t einer Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden bestraft werden (Art. 378 nl. StGB). Gröbliche Pflichtverletzungen schließlich behandelt die als letztes Verbrechen i m A m t aufgenommene Straftat, die die Amtsausübung des Standesbeamten betrifft. Er macht sich mit Gefängnis bis zu sechs Jahren strafbar, wenn er eine Eheschließung vornimmt, obwohl er weiß, daß ein Ehegatte dadurch eine Doppelehe eingeht (Art. 379 Abs. 1 nl. StGB). Wenn der Eheschließung i n einem solchen Fall ein anderes gesetzliches Hindernis entgegensteht, beträgt die Höchststrafe Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden (Art. 379 Abs. 2 nl. StGB). Auch einige der i m Achten Titel des Dritten Buches aufgenommenen Übertretungen i m A m t beziehen sich auf die Amtsausübung des Standesbeamten 419 . So ist er m i t einer Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden strafbar, wenn er sich vor der Eheschließung nicht die nach dem Gesetz erforderlichen Beweisstücke und Erklärungen aushändigen läßt (Art. 465 nl. StGB). Die gleiche Strafe erwartet ihn, wenn er die Eintragung einer Urkunde i n das Register unterläßt oder sie auf einem losen Blatt vornimmt (Art. 467 nl. StGB). M i t einer Geldstrafe bis zu zweihundert Gulden muß er bei Zuwiderhandlung gegen gesetzliche Vorschriften über die Personenstandsregister oder -urkunden oder über die Förmlichkeiten vor oder bei der Eheschließung rechnen (Art. 466 nl. StGB) und wenn er es unterläßt, der zuständigen Behörde die nach dem Gesetz erforderlichen Angaben zu machen (Art. 468 Ziff. 1 nl. StGB). Hieran schließt eine an jeden Beamten gerichtete Übertretung an, die Zuwiderhandlungen gegen Verpflichtungen gegenüber dem Standesbeamten m i t Strafe bedroht. Strafbar m i t Geldstrafe bis zu zweihundert Gulden macht sich der Beamte, der es unterläßt, dem Standesbeamten die Angaben zu machen, die eine gesetzliche Vorschrift von i h m fordert (Art. 468 Ziff. 2 nl. StGB). Hingewiesen sei i n diesem Zusammenhang auch auf einen Übertretungstatbestand, der sich an den Kapitän eines niederländischen Schiffes richtet. Er sichert dessen ge419 Die nachfolgend angeführten A r t i k e l 465 u n d 466 nl. StGB sind durch das Einführungsgesetz zum Ersten Buch des neuen Bürgerlichen Gesetzbuchs (Anm. 320) geändert worden. Zugleich wurde ein A r t i k e l 468 a nl. StGB eingeführt, wonach Standesbeamter i m Sinne der A r t i k e l 466 - 468 nl. StGB jeder ist, der infolge einer gesetzlichen Vorschrift m i t der V e r w a h r u n g eines Personenstandsregisters beauftragt ist.
§ 69 Straftaten gegen die Schiff- u n d L u f t f a h r t
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setzliche Verpflichtung, während einer Seereise erfolgende Geburtsund Sterbefälle einzutragen und bekanntzugeben. Für die Zuwiderhandlung w i r d i h m ebenfalls eine Geldstrafe bis zu zweihundert Gulden angedroht (Art. 472 nl. StGB). Zwei weitere Übertretungen i m A m t sind abschließend noch zu erwähnen. Die erste betrifft die Ausgabe von Urteilsabschriften oder -auszügen. Der zuständige Urkundsbeamte, der eine solche Abschrift oder einen solchen Auszug vor ordnungsgemäßer Unterzeichnung des Urteils ausgibt, macht sich m i t Geldstrafe bis zu einhundert Gulden strafbar (Art. 462 nl. StGB). M i t Haft bis zu zwei Monaten oder Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden w i r d der Beamte bestraft, der ohne Erlaubnis der zuständigen Behörde von geheimen Regierungspapieren eine Abschrift oder einen Auszug daraus anfertigt oder sie veröffentlicht (Art. 463 nl. StGB). Diese Bestimmung steht mit der Verletzung von Staatsgeheimnissen (Art. 98 ff. nl. StGB) und der Verletzung p r i vatrechtlicher Geheimhaltungsverpflichtungen (Art. 272 nl. StGB) i n Zusammenhang. § 69 Straftaten gegen die Schiff- und Luftfahrt
Der Neunzehnte Titel des Zweiten Buches enthielt früher lediglich Verbrechen gegen die Schiffahrt. Durch ein Gesetz aus dem Jahre 1957 420 wurde der Titel zwar schon auf Verbrechen gegen die L u f t fahrt ausgedehnt, die eigentlichen Erweiterungen der Straftatbestände auf den Luftfahrtsbereich erfolgten jedoch erst i n Ausführung der internationalen Luftfahrtabkommen von Den Haag (1970) und Montreal (1971) durch die mehrfach erwähnten Gesetze von 1971 und 1973 421 . Der korrespondierende Neunte Titel des Dritten Buches enthält demgegenüber nur Übertretungen, die die Schiffahrt betreffen. Bei der Interpretation der Straftaten gegen die Schiff- und Luftfahrt müssen einige Legaldefinitionen aus dem Allgemeinen Teil berücksichtigt werden. Unter „Kapitän" w i r d jeder Befehlshaber eines Wasserfahrzeugs oder sein Stellvertreter verstanden (Art. 85 Abs. 1 nl. StGB); m i t dem Begriff „Angehörige der Besatzung" werden alle Schiffsoffiziere oder 420 Wet teboekgestelde luchtvaartuigen (Gesetz über registrierte L u f t fahrzeuge) v o m 6. März 1957 (1. August 1959), StBl. 72. Außer der Überschrift wurde lediglich A r t . 389 ter nl. StGB i n diesem T i t e l geändert. 421 Vgl. dazu die obigen Ausführungen auf S. 23 m i t A n m . 4. Das i m Zusammenhang m i t der Bekämpfung von Straftaten an B o r d von L u f t fahrzeugen ebenfalls einschlägige Ausführungsgesetz zum von den Niederlanden am 9. J u n i 1967 unterzeichneten Vertrag von Tokio v o m 16. M a i 1969, StBl. 224 hat f ü r diesen T i t e l keine Bedeutung gehabt.
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Das niederländische S t r a f r e c t
zur Mannschaft gehörige Personen an Bord (Art. 85 Abs. 3 nl. StGB) und m i t dem Begriff „Mitfahrende" alle an Bord befindlichen Personen m i t Ausnahme des Kapitäns erfaßt (Art. 85 Abs. 2 nl. StGB). Als „niederländische Schiffe" werden nur die Fahrzeuge angesehen, die das Gesetz über die Erteilung von Seebriefen und die Erlaubnis zum Führen der niederländischen Flagge von 1926 als Seeschiffe bezeichnet. Fahrzeuge für die Binnenschiffahrt gelten also i m Sinne des Strafgesetzbuches nicht als niederländische Schiffe. I n mehreren Bestimmungen der beiden Titel über die Schiffahrtsstraftaten w i r d der Ausdruck „Wasserfahrzeug" verwendet; er hat nicht diese enge Bedeutung. Nach einer 1973 eingefügten weiteren Legaldefinition werden unter „niederländischen Luftfahrzeugen" sowohl Luftfahrzeuge verstanden, die i n das niederländische Luftfahrtregister eingetragen sind, als auch Luftfahrzeuge, die ohne Besatzung einem Mieter überlassen sind, der den Hauptsitz seiner Unternehmung oder — wenn er einen solchen Sitz nicht hat — seinen festen Aufenthaltsort i n den Niederlanden hat (Art. 86 a Abs. 1 Buchst, a und b nl. StGB). Ein Luftfahrzeug befindet sich „ i n der L u f t " von dem Zeitpunkt ab, an dem nach dem Einstieg alle Außentüren geschlossen sind, bis zu dem Zeitpunkt, zu dem eine der Türen für den Ausstieg geöffnet wird. I m Falle einer Notlandung w i r d der Flug als fortdauernd angesehen, bis die zuständigen Behörden die Verantwortung für das Luftfahrzeug und für die Personen und das Gut an Bord übernehmen (Art. 86 a Abs. 2 nl. StGB). Schließlich ist ein Luftfahrzeug „ i n Betrieb" vom Augenblick der Vorbereitung des Flugzeugs für einen bestimmten Flug durch das Bodenpersonal oder die Besatzung bis vierundzwanzig Stunden nach der Landung. Das Flugzeug ist i n jedem Fall während der gesamten Zeit i n Betrieb, i n der es nach der vorhergehenden Definition i n der L u f t ist (Art. 86 a Abs. 3 nl. StGB). Die erste Deliktsgruppe i n diesem Titel betrifft die See- oder L u f t räuberei. Wegen See- oder Lufträuberei w i r d mit Gefängnis bis zu zwölf Jahren bestraft, wer als Schiffs- oder Flugkapitän auf einem Wasser- bzw. Luftfahrzeug i n Dienst t r i t t oder Dienst tut, obgleich er weiß, daß es dazu bestimmt ist, auf offener See oder i m Luftraum darüber Gewalttaten gegen andere Wasser- oder Luftfahrzeuge oder gegen darauf oder darin befindliche Personen oder Sachen zu verüben, oder es dazu gebraucht (Art. 381 Abs. 1 Ziff. 1 i. V. m. Abs. 4 nl. StGB). Wer als Angehöriger der Besatzung i n Kenntnis dieser Bestimmung oder dieses Gebrauchs auf einem solchen Fahrzeug i n Dienst t r i t t oder freiw i l l i g i m Dienst bleibt, nachdem er davon Kenntnis erhalten hat, kann m i t Gefängnis bis zu neun Jahren bestraft werden (Art. 381 Abs. 1
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Ziff. 2 i. V. m. Abs. 4 nl. StGB). Der Anwendung von Gewalt ist hier entgegen seiner sonstigen Bedeutung das Versetzen i n einen Zustand der Bewußtlosigkeit oder Ohnmacht nicht gleichgestellt (Art. 381 Abs. 3 i. V. m. Art. 81 nl. StGB). See- oder Lufträuberei liegt nicht vor, wenn der Kapitän durch eine kriegführende Macht zu diesen Handlungen ermächtigt ist oder zur Kriegsmarine einer anerkannten Macht gehört. W i r d aber die Ermächtigung überschritten oder hat der Schiffs- oder Flugkapitän Ermächtigungen von verschiedenen Seiten der gegeneinander Krieg führenden Mächte, steht dies dem Fehlen einer Ermächtigung gleich (Art. 381 Abs. 2 nl. StGB). Eine Strafverschärfung ist für den Fall vorgesehen, daß die Gewalttaten den Tod einer auf dem angegriffenen Fahrzeug befindlichen Person zur Folge haben. Dem Schiffs- oder Flugkapitän und den an der Gewalttat beteiligten Personen kann dann eine Gefängnisstrafe bis zu fünfzehn Jahren auferlegt werden (Art. 382 nl. StGB). Daneben sind demjenigen bis zu zwölf Jahren Gefängnis angedroht, der auf eigene oder fremde Rechnung ein zur See- oder Lufträuberei bestimmtes Wasser- oder Luftfahrzeug ausrüstet (Art. 383 nl. StGB). Auch das für eigene oder fremde Rechnung mittel- oder unmittelbare M i t w i r k e n beim Vermieten, Befrachten oder Versichern eines für die See- oder Lufträuberei bestimmten Fahrzeugs ist — und zwar mit Gefängnis bis zu acht Jahren — unter Strafe gestellt (Art. 384 nl. StGB). Wer ein niederländisches Schiff vorsätzlich i n die Gewalt von Seeräubern bringt, macht sich mit Gefängnis bis zu neun Jahren, und wenn er als Kapitän handelt, bis zu zwölf Jahren strafbar (Art. 385 nl. StGB). Für das Kapern von Flugzeugen wurde 1971 i m Anschluß hieran eine eigene Strafvorschrift geschaffen. Danach kann m i t einer Gefängnisstrafe bis zu zwölf Jahren bestraft werden, wer mit Gewalt, Drohung m i t Gewalt oder Furchteinflößung ein Luftfahrzeug in seine Gewalt bringt oder darin hält oder von seinem Kurs abweichen läßt (Art. 385 a nl. StGB). Das Gesetz sieht Straf Verschärfungen auf fünfzehn bzw. zwanzig Jahre vor, wenn die Tat von mehreren gemeinschaftlich oder aufgrund einer Verschwörung begangen wird, eine schwere Körperverletzung zur Folge hat oder i n der Absicht vorgenommen ist, jemandem widerrechtlich die Freiheit zu entziehen oder vorzuenthalten (Art. 385 a Abs. 2 nl. StGB) bzw. durch die Tat der Tod herbeigeführt w i r d (Art. 385 a Abs. 3 nl. StGB). Schließlich gehören zu dieser Gruppe noch die Strafvorschriften über Kaperfahrten. Nach der Begründung zu diesen Bestimmungen weisen die Niederlande i n Übereinstimmung mit einem diesbezüglichen Vertrag Kaperfahrten i m allgemeinen ab, obgleich innerhalb der Grenzen des Völkerrechts erlaubte Fälle bestehen bleiben. I m Hinblick auf diese 15·
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Das niederländische Strafrecht
Fälle sind die Strafbestimmungen abgefaßt. Die Strafbarkeit beschränkt sich hier auf Niederländer, die ohne Erlaubnis der niederländischen Regierung einen Kaperbrief annehmen oder als Kapitän auf einem Schiff i n Dienst treten oder Dienst tun, das m i t ihrem Wissen für Kaperfahrten ohne diese Erlaubnis bestimmt ist. Dafür werden Gefängnis bis zu vier Jahren angedroht (Art. 388 nl. StGB). Bei Angehörigen der Besatzung, die auf solchen Schiffen Dienst nehmen oder i m Dienst bleiben, beträgt die Höchststrafe drei Jahre Gefängnis (Art. 389 nl. StGB). Die zweite Deliktsgruppe w i r d durch Straf Vorschriften gebildet, die Handlungen betreffen, von denen eine Gefahr für die Sicherheit der Schiff- oder Luftfahrt ausgeht. Hierzu gehören zunächst zwei zur Sicherheit des Luftverkehrs i m Jahre 1973 eingeführte Tatbestände, die Gewalttaten an Bord von Luftfahrzeugen während des Flugs und die Durchgabe von unrichtigen Informationen betreffen. Die Gewaltanwendung an Bord eines Luftfahrzeugs während des Flugs w i r d m i t einer Gefängnisstrafe bis zu neun Jahren bestraft, wenn davon eine Gefahr für die Sicherheit des Luftfahrzeugs zu befürchten ist (Art. 385 bis Ziff. 1 nl. StGB). Für den Fall, daß die Tat zu jemandes Tod führt, ist die Höchststrafe auf fünfzehn Jahre Gefängnis heraufgesetzt (Art. 385 bis Ziff. 2 nl. StGB). Unter der gleichen Voraussetzung einer zu befürchtenden Gefahr für die Sicherheit eines Luftfahrzeugs i n der L u f t ist m i t bis zu vier Jahren Gefängnis strafbar, wer Informationen durchgibt, von denen er weiß, daß sie unrichtig sind, oder ernstzunehmende Gründe hat, dies zu vermuten (Art. 385 c nl. StGB). Die Gefährdung der Sicherheit ist ebenfalls als Element i n die Deliktsumschreibung aufgenommen worden, die die Niederlegung der Schiffsleitung während einer Reise unter Strafe stellt. Der Kapitän eines niederländischen Schiffes, der sich während einer Reise der Führung eines Schiffes entzieht, w i r d nämlich mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft, wenn dieses Verhalten die Sicherheit der Mitfahrenden, des Schiffes oder der Ladung i n Gefahr bringt (Art. 390 nl. StGB). Die gleiche Gefängnisstrafe oder eine Geldstrafe bis zu eintausendzweihundert Gulden t r i f f t ihn, wenn er — ohne Notwendigkeit und ohne Vorkenntnis des Eigners oder Reeders — Handlungen vornimmt oder duldet in der Kenntnis, daß diese das Schiff oder die Ladung der Aufbringung, Beschlagnahme oder Fahrtunterbrechung aussetzen können (Art. 405 Abs. 1 nl. StGB). Für den Mitfahrenden, der ohne Notwendigkeit und Vorkenntnis des Kapitäns solche Handlungen i n gleicher Kenntnis vornimmt, droht das Gesetz zwar eine gleiche Geldstrafe, jedoch eine verminderte Gefängnisstrafe von höchstens neun Monaten an (Art. 405 Abs. 2 nl. StGB). Zur Sicherheit der Schiffahrt sind schließlich gesetz-
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liehe Vorschriften zur Verhütung von Zusammenstößen erlassen. Ihre Nichtbeachtung sowohl durch den Kapitän als auch durch die Angehörigen der Besatzung w i r d als Übertretung mit einer Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden geahndet (Art. 473 nl. StGB). Die dritte Deliktsgruppe umfaßt Straftaten, die die Wahrung der Disziplin an Bord zum Gegenstand haben. Hierzu gehören die Machtübernahme, Insubordination, Meuterei sowie die Fälle des strafbaren Ungehorsams an Bord. Die rechtswidrige Machtübernahme w i r d mit Gefängnis bis zu zehn Jahren bestraft. Sie begeht, wer sich als Mitfahrender auf einem niederländischen Schiff widerrechtlich zum Herrn dieses Schiffes macht (Art. 386 nl. StGB). Auch wenn die Täter das Schiff weiterhin zugunsten des Eigentümers führen, bleiben sie strafbar. Eine strafbare Insubordination liegt bei tätlichem Angriff, Widerstand m i t Gewalt oder Drohung m i t Gewalt oder Entzug der Handlungsfreiheit vor, wenn solche Handlungen von Mitfahrenden auf einem niederländischen Schiff oder Seefischereifahrzeug gegenüber dem Kapitän oder von Besatzungsangehörigen gegenüber ranghöheren Vorgesetzten begangen werden (Art. 395 Abs. 1 nl. StGB). Führt das Verbrechen zu einer Körperverletzung, ist die Strafe auf Gefängnis bis zu drei Jahren verschärft; hat sie eine schwere Körperverletzung zur Folge, beträgt die Höchststrafe Gefängnis bis zu sieben Jahren und sechs Monaten und erhöht sich bei Todesfolge auf Gefängnis bis zu zwölf Jahren (Art. 395 Abs. 2 Ziff. 1 - 3 nl. StGB). W i r d die Tat von mehreren Personen gemeinschaftlich verübt, ist sie als Meuterei m i t Gefängnis bis zu sechs Jahren strafbar (Art. 396 Abs. 1 nl. StGB). Auch hier sind bei Eintritt qualifizierender Folgen Straf Verschärfungen vorgesehen: bei Körperverletzung beträgt die Höchststrafe sieben Jahre und sechs Monate, bei schwerer Körperverletzung zwölf Jahre, bei Todesfolge fünfzehn Jahre Gefängnis (Art. 396 Abs. 2 Ziff. 1 - 3 nl. StGB). A u f die Aufwiegelung zur Meuterei auf einem solchen Schiff steht Gefängnis bis zu fünf Jahren (Art. 397 nl. StGB). Ferner sind eine Reihe von Unterlassungen von Mitfahrenden auf einem niederländischen Schiff oder Seefischereifahrzeug als Ungehorsam unter Strafe gestellt: die Nichtbefolgung einer Anordnung des Kapitäns, die i m Interesse der Sicherheit an Bord erteilt worden ist; unterbliebene Hilfeleistung für den Kapitän, dem die Handlungsfreiheit entzogen ist; die nicht rechtzeitige Bekanntgabe einer geplanten Insubordination an den K a p i t ä n 4 2 2 und die Nichtbefolgung einer A n 422 Sie bleibt straflos, w e n n die Insubordination nicht folgt (Art. 400 Abs. 2 nl. StGB).
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Ordnung des Kapitäns, die zur Aufrechterhaltung der Zucht und Ordnung an Bord ergangen ist, durch nicht zur Besatzung gehörige M i t fahrende (Art. 400 Abs. 1 Ziff. 1 - 4 nl. StGB). Die vierte Deliktsgruppe bilden Fälle eigenmächtigen Handelns des Kapitäns. Man könnte sie auch zu den Vermögensdelikten rechnen, da meistens Handeln zum eigenen oder fremden Vorteil verlangt ist und die Deliktsumschreibung durch die Aufnahme besonderer Elemente wie „widerrechtlich" (Art. 402 und 403 nl. StGB) oder „ohne Notwendigkeit" (Art. 407 nl. StGB) den Anwendungsbereich eingrenzt. Als erster Straftatbestand ist die eigennützige Verwendung eines Schiffes durch den Kapitän zu nennen. Die Tat begeht, wer als Kapitän eines niederländischen Schiffes das Schiff dem Eigentümer oder der Reederei entzieht und zu eigenen Gunsten benutzt. Er kann mit Gefängnis bis zu sieben Jahren und sechs Monaten bestraft werden (Art. 387 nl. StGB). Ferner macht sich der Kapitän eines niederländischen Schiffes m i t Gefängnis bis zu sechs Jahren strafbar, wenn er i n der Absicht, sich oder einem anderen widerrechtlich einen Vorteil zu verschaffen oder einen solchen Vorteil zu verdecken, das Schiff verkauft, Gelder auf das Schiff, das Schiffszubehör oder den Schiffsvorrat aufnimmt, Gegenstände der Ladung oder des Schiffsvorrats verkauft, verpfändet, erdichtete Schäden oder Ausgaben i n Rechnung stellt, nicht dafür sorgt, daß an Bord die erforderlichen Tagebücher nach den gesetzlichen Vorschriften geführt werden oder beim Verlassen des Schiffes nicht für die Rettung der Schiffspapiere sorgt (Art. 402 nl. StGB). M i t Gefängnis bis zu drei Jahren macht er sich strafbar, wenn er i n derselben Absicht den Kurs ändert (Art. 403 nl. StGB). Wenn er ohne Notwendigkeit oder entgegen einer gesetzlichen Vorschrift Ladegut über Bord w i r f t , hat er schließlich mit einer Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden zu rechnen (Art. 407 nl. StGB). Die fünfte Deliktsgruppe betrifft strafrechtlich abgesicherte Verpflichtungen, die gegenüber den Mitfahrenden und anderen Seefahrenden sowie gegenüber dem Schiffsgut bestehen. So macht sich der Kapitän eines niederländischen Schiffes schuldig, der vorsätzlich ohne Notwendigkeit einem Mitfahrenden nicht zukommen läßt, was er i h m zu verschaffen verpflichtet ist; er kann m i t Gefängnis bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden bestraft werden (Art. 406 nl. StGB). Ferner kann er m i t einer Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren belangt werden, wenn er der gesetzlichen Verpflichtung zur Hilfeleistung bei Beteiligung an einer Schiffskollision nicht nachkommt (Art. 414 nl. StGB). Handelt er un vorsätzlich, ist er wegen einer Über-
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tretung m i t Haft bis zu drei Monaten oder einer Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden strafbar (Art. 474 nl. StGB). Schließlich gehört hierher noch die Zerstörung und Beschädigung der Ladung, des Schiffsvorrats oder des Schiffsbedarfs, die bzw. der an Bord eines Schiffes vorhanden ist. Diese strafbaren Handlungen können von jedermann begangen werden und sind m i t einer Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren strafbar (Art. 408 nl. StGB). Die sechste Deliktsgruppe umfaßt Straftaten, die man als Schiffahrtsverbrechen gegen die Staatsgewalt bezeichnen könnte. Der Kapitän, der die niederländische Flagge i n der Kenntnis führt, daß er dazu nicht berechtigt ist, w i r d mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden bestraft (Art. 409 nl. StGB). Wenn er durch das Führen eines Kennzeichens seinem Fahrzeug den Anschein verleiht, als sei es ein niederländisches Kriegsschiff oder ein i n niederländischen Gewässern oder Fahrrinnen Dienst tuendes Lotsenfahrzeug, kann eine Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten oder eine Geldstrafe von ebenfalls bis zu sechshundert Gulden verhängt werden. Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu eintausendzweihundert Gulden werden demjenigen angedroht, der ohne Notwendigkeit auf einem niederländischen Wasserfahrzeug als Kapitän, Steuermann oder Maschinist auftritt, obwohl er weiß, daß er nach gesetzlicher Vorschrift dazu nicht befugt ist (Art. 411 nl. StGB). Die grundlose Nichtbefolgung einer rechtmäßigen Aufforderung an den Kapitän, einen Angeklagten oder Verurteilten sowie dessen Strafakten an Bord zu nehmen, kann m i t einer Höchststrafe von bis zu drei Monaten Gefängnis oder einer Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden geahndet werden. Daneben ist eine Strafbestimmung für den Fall vorgesehen, daß der Kapitän zwar eine solche Person an Bord genommen hat, sie aber vorsätzlich entweichen läßt, befreit oder bei ihrer Befreiung oder Selbstbefreiung behilflich ist. Geschieht die Tat vorsätzlich, so kann Gefängnis bis zu drei Jahren (Art. 413 Abs. 1 nl. StGB), soweit die Flucht, Befreiung oder Selbstbefreiung durch Fahrlässigkeit herbeigeführt ist, bis zu zwei Monaten Haft oder eine Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden verhängt werden (Art. 413 Abs. 2 nl. StGB). Als letzte Deliktsgruppe verbleibt eine Anzahl Zuwiderhandlungen gegen die gesetzlich vorgeschriebene Führung von Büchern, Berichten und Papieren und darauf bezogene Straftaten. Aus dem Verbrechensteil gehören hierzu zwei i m Jahre 1924 423 eingefügte Sondertatbestände der 423 Die A r t . 389 bis und 389 ter nl. StGB wurden durch das HandelsrechtsreformG von 1924 (Anm. 382) eingeführt. A r t . 389 ter nl. StGB w u r d e durch das Gesetz von 1957 (Anm. 420) auf Luftfahrzeuge erweitert u n d durch das Gesetz v o m 3. J u l i 1974, StBl. 388 erneut geändert.
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Urkundenfälschung. Wer als Kapitän eines niederländischen Fahrzeugs einen inhaltlich unrichtigen Fahrtenbericht 4 2 4 anfertigt, w i r d mit Gefängnis bis zu vier Jahren bestraft (Art. 389 bis Abs. 1 nl. StGB). Für die M i t w i r k u n g durch Angehörige der Besatzung werden bis zu zwei Jahren Gefängnis angedroht (Art. 389 bis Abs. 2 nl. StGB). Ferner macht sich schuldig, wer bei dem Antrag auf Eintragung eines Schiffes oder Luftfahrzeugs eine falsche schriftliche Erklärung abgibt; er kann m i t einer Gefängnisstrafe bis zu vier Jahren belangt werden (Art. 389 ter nl. StGB). Zuwiderhandlungen gegen handelsrechtliche Verpflichtungen bei der Streichung von Schiffen oder Luftfahrzeugen sind als Übertretungen m i t einer Geldstrafe bis zu zehntausend Gulden strafbar (Art. 447 a nl. StGB) 424 ». Die weiteren Strafvorschriften sind Übertretungen, die i m Neunten Titel des Dritten Buches zusammengefaßt sind und sich ausschließlich auf die Schiffahrt beziehen. M i t einer Geldstrafe bis zu zweihundert Gulden kann der Kapitän eines niederländischen Wasserfahrzeugs bestraft werden, der ausläuft, bevor die nach dem Gesetz erforderliche Musterrolle aufgestellt und unterzeichnet ist (Art. 469 nl. StGB). Die gleiche Strafe t r i f f t den Kapitän, der nicht alle nach gesetzlichen Vorschriften erforderlichen Schiffspapiere oder Unterlagen an Bord hat (Art. 470 nl. StGB). Wer als Kapitän eine Fahrt mit einem niederländischen Wasserfahrzeug ohne eine nach dem Gesetz erforderliche gültige Bescheinigung über ordnungsgemäße Unterkünfte 4 2 5 unternimmt, macht sich ebenfalls einer Übertretung schuldig und kann m i t Haft bis zu einem Monat oder Geldstrafe bis zu eintausend Gulden bestraft werden (Art. 470 a nl. StGB) 4 2 6 . M i t einer Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden w i r d er bestraft, wenn er nicht dafür sorgt, daß an Bord seines Fahrzeugs die nach dem Gesetz erforderlichen Tagebücher nach den gesetzlichen Vorschriften geführt werden oder sie nicht vorlegt, wenn und wo das Gesetz dies fordert (Art. 471 Abs. 1 Ziff. 1 nl. StGB). Die gleiche Strafe t r i f f t auch den Reeder oder Kapitän, wenn er einem I n teressenten auf dessen Anfrage die Einsicht i n die an Bord geführten Tagebücher verwehrt oder sich weigert, davon — gegen Kostenerstat424 Bericht über die Vorfälle auf der Fahrt nach A r t . 353 nl. H G B , den der K a p i t ä n nach der A n k u n f t i m Hafen durch einen Notar aufnehmen läßt. 424a Die heutige Fassung des ehemaligen A r t . 447 bis nl. StGB a. F. m i t ihrer erhöhten Strafdrohung (früher zweitausend Gulden) geht auf das Gesetz v o m 3. J u l i 1974, StBl. 388 zurück. 425 Nach A r t . 407 Abs. 2 nl. H G B w i r d von dem Leiter der Schiffahrtsinspektion f ü r ein Schiff, dessen Unterkünfte, Schiffsküche u n d andere Räume für die Verpflegung bestimmten Vorschriften entsprechen, eine Bescheinigung f ü r die Unterkünfte erteilt. 426 Diese Vorschrift w u r d e durch Wet houdende w i j z i g i n g v a n het Wetboek v a n Koophandel en v a n het Wetboek van Strafrecht (Änderungsgesetz zum Handels- u n d Strafgesetzbuch) v o m 31. J u l i 1957, StBl. 325 eingeführt.
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tung — Abschriften zu erstellen (Art. 471 Abs. 1 Ziff. 4 nl. StGB). A n stelle einer Geldstrafe kann Haft bis zu zwei Monaten verhängt werden, wenn eine Verurteilung wegen dieser Übertretung weniger als zwei Jahre zurückliegt (Art. 471 Abs. 2 nl. StGB). Nach A r t . 539 ν nl. StPO ist der Kapitän eines niederländischen Schiffes verpflichtet, ein Strafregister i n bestimmter Weise zu führen. Bei Zuwiderhandlung gegen diese Vorschrift oder wenn er es nicht vorlegt, wenn und wo das Gesetz dies fordert, w i r d er wegen einer Übertretung mit Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden bestraft (Art. 471 Abs. 1 Ziff. 2 nl. StGB). Ferner ist er nach Art. 539 u nl. StPO verpflichtet, dem Staatsanwalt unverzüglich auf dem schnellsten Wege von jedem Verbrechen Kenntnis zu geben, das an Bord begangen w i r d und durch das die Sicherheit des Fahrzeugs oder der Mitfahrenden i n Gefahr gebracht ist oder der Tod oder eine schwere Körperverletzung verursacht wurde. Handelt der Kapitän dieser Verpflichtung zuwider, kann er mit Haft bis zu drei Monaten oder einer Geldstrafe bis zu zweitausend Gulden bestraft werden (Art. 471 a nl. StGB) 4 2 7 . I n zwei weiteren Übertretungstatbeständen werden arbeitsrechtliche Vorschriften strafrechtlich abgesichert. Der Reeder macht sich m i t Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden strafbar, wenn er das vom Kapitän überreichte Arbeitsbuch dem Musterungsbeamten nicht zuschickt, und ebenso der Kapitän, wenn er das Arbeitsbuch nach Beendigung des Dienstes an Bord dem Besatzungsangehörigen nicht aushändigt (Art. 475 nl. StGB). Reeder und Kapitän machen sich auch einer Übertretung schuldig, wenn an Bord Personen als Angehörige der Besatzung tätig sind, ohne daß sie m i t dem Reeder einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder i n der Musterrolle erwähnt sind. Die Höchststrafe beträgt einhundertzwanzig Gulden für jede Person, die i n dieser Weise beschäftigt ist (Art. 476 nl. StGB). Wer ein Konnossement unterzeichnet, dessen Ausgabe den handelsrechtlichen Bestimmungen (Art. 517 c i. V. m. A r t . 468, 504 oder 506 nl. HGB) widerspricht, w i r d m i t einer Geldstrafe bis zu zehntausend Gulden bestraft (Art. 477 nl. StGB). Die gleiche Strafe t r i f f t denjenigen, für den er i m Rahmen seiner Befugnisse handelt. Dasselbe gilt für die Unterzeichnung eines Fahrscheins, dessen Ausgabe den handelsrechtlichen Vorschriften (Art. 533 b i. V. m. Art. 524 Abs. 1 nl. HGB) widerspricht, und ebenso für die Ausgabe nicht unterzeichneter Fahrscheine. 427 A r t . 471 a nl. StGB wurde durch das erwähnte Gesetz zur Regelung des Strafverfahrens außerhalb des Rechtsgebiets eines Bezirksgerichts von 1967 (Anm. 291) zusammen m i t den strafprozessualen Vorschriften des Titels V I a nl. StPO eingeführt; danach erfolgte eine weitere Änderung durch das erwähnte Gesetz v o m 16. M a i 1969 (Anm. 421).
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Das niederländische Strafrecht
I n beiden Fällen ist jeweils auch derjenige strafbar, für den i m Rahmen der Befugnisse gehandelt w i r d (Art. 478 nl. StGB). Schließlich enthält der Dritte Titel des Dritten Buches i m Rahmen der Übertretungen, die die Staatsgewalt betreffen, noch eine hier einschlägige S traf Vorschrift. Bestimmte Zuwiderhandlungen gegen handelsrechtliche und luftfahrtrechtliche Bestimmungen sind als Übertretung m i t einer Geldstrafe bis zu zweitausend Gulden m i t Strafe bedroht (Art. 447 bis nl. StGB) 4 2 8 . Für die i m Rahmen der dritten Deliktsgruppe behandelten Verbrechen (Art. 386, 395 - 397 und 400 nl. StGB) sowie für die Beteiligung an Kaperfahrten (Art. 389 nl. StGB) sieht das Gesetz eine allgemeine S traf Verschärfung u m ein D r i t t e l der jeweils angedrohten Strafe vor, wenn die Tat von einem Schiffsoffizier begangen w i r d (Art. 401 nl. StGB). Bei den Verbrechen, die i n den A r t i k e l n 381 - 387, 402 und 403 nl. StGB umschrieben sind, kann zusätzlich als Nebenstrafe der Entzug bestimmter Rechte ausgesprochen werden (Art. 415 nl. StGB). § 70 Hehlerei
I m Dreißigsten Titel des Zweiten Buches werden zwei Arten von Verbrechen unter dem gemeinsamen Titel der „Begünstigung" umschrieben. Wenn man die Begünstigung als Teilnahme an einer Straftat auffaßt, ist diese Bezeichnung irreführend. Diese Form der persönlichen Begünstigung ist vielmehr i m Titel über die Verbrechen gegen die Staatsgewalt — und zwar i n A r t . 189 nl. StGB — enthalten. Hier sind dagegen mehrere Arten der Hehlerei und die Pressedelikte untergebracht worden. A u f die Regelung der Verantwortlichkeit von Herausgebern und Druckern von Schriften und Abbildungen strafrechtlicher A r t wurde bereits bei Behandlung der Art. 53 und 54 nl. StGB eingegangen 429 , so daß hier lediglich die drei Tatbestände der Hehlerei sowie einige daran anknüpfende Übertretungstatbestände vorzustellen sind. Durch ein Gesetz über nähere Vorkehrungen zur Bekämpfung der Hehlerei von 1919 haben sie ihre noch heute gültige Fassung erhalten 4 3 0 . 428 Die Erweiterung der Strafvorschrift auf die luftfahrtrechtlichen Bestimmungen erfolgte durch das Gesetz v o n 1957 (Anm. 420). 429 Y g i die Besprechung der Beschränkungen der Verfolgbarkeit von Pressedelikten oben auf S. 133 f. 430 Die A r t . 416, 417 und 437 nl. StGB w u r d e n geändert u n d A r t . 417 bis, 417 ter, 437 bis u n d 437 ter nl. StGB eingefügt durch Wet houdende nadere voorzieningen ter bestrijding van heling (Gesetz über nähere Vorkehrungen zur Bekämpfung der Hehlerei) v o m 7. J u n i 1919, StBl. 311. Lediglich A r t . 437 nl. StGB wurde durch die Novelle v o m 20. November 1963, StBl. 485, erneut geändert.
§ 70 Hehlerei
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Wegen Hehlerei macht sich mit Gefängnis bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bis zu zwölftausend Gulden strafbar, wer vorsätzlich einen durch ein Verbrechen erlangten Gegenstand kauft, mietet, eintauscht, zum Pfände nimmt, als Geschenk annimmt oder aus Gewinnstreben verkauft, vermietet, vertauscht, zum Pfände gibt, befördert, aufbewahrt oder verbirgt (Art. 416 Abs. 1 nl. StGB). Dieselbe Strafe w i r d demjenigen auferlegt, der vorsätzlich aus dem Erlös für einen durch ein Verbrechen erworbenen Gegenstand Vorteil zieht (Art. 416 Abs. 2 nl. StGB). Durch Verbrechen erworben sind nicht nur Gegenstände, die durch ein Verbrechen dem Rechtsträger entzogen oder an deren Stelle getreten 4 3 1 sind, sondern auch solche, die aus einem Verbrechen resultieren wie etwa Falschmünzen, und — nach höchstrichterlicher Rechtsprechung — auch der Erwerb aufgrund Verletzung wirtschaftsrechtlicher Vorschriften, sofern der Verstoß als Verbrechen eingestuft ist 4 3 2 . Die Höchststrafe steigt auf Gefängnis bis zu sechs Jahren an, wenn der Täter gewohnheitsmäßig durch Verbrechen erworbene Gegenstände kauft, einkauft, zum Pfände nimmt oder verbirgt (Art. 417 nl. StGB). Wenn man eine der genannten Hehlerhandlungen ohne Kenntnis der verbrecherischen Herkunft des Gegenstandes begeht, jedoch infolge von Fahrlässigkeit davon keine Kenntnis hatte, beträgt die Höchststrafe Gefängnis oder Haft bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu ζwölftausend Gulden (Art. 417 bis nl. StGB). Bei Verurteilung wegen eines dieser Hehlereitatbestände kann zusätzlich der Entzug bestimmter Rechte ausgesprochen werden, insbesondere aber auch ein Berufsverbot für den Beruf ergehen, i n dem das Delikt begangen wurde (Art. 417 ter nl. StGB). Drei der vier Übertretungstatbestände zur besseren Bekämpfung der Hehlerei richten sich an bestimmte Berufszweige, die als Anlaufstellen für „heiße" Waren besonders gefährdet sind, weil sie m i t Waren zu t u n haben, die besonders häufig gestohlen werden: Gold- und Silberschmiede, Kassenführer, Uhrmacher, Fahrradhändler 4 3 3 , Aufkäufer 4 3 4 , Trödler und Altwarenhändler.
431
So ist eine Geldsumme, die jemand durch Eintausch v o n gestohlenen Banknoten erhält, i m Sinne dieses A r t i k e l s durch ein Verbrechen erlangt. H. R., U r t e i l v o m 21. M a i 1906, W. 8380. 432 H. R., U r t e i l v o m 1. J u n i 1948, N. J. 1949, 89. 433 Sie w u r d e n bei der Verschärfung der Hehlereibestimmungen i m Jahre 1919 (Anm. 430) m i t einbezogen, w e i l die Anzahl der Fahrraddiebstähle stark zugenommen hatte. 434 Nach der Legaldefinition i m A r t . 90 bis nl. StGB w i r d darunter jeder verstanden, der berufs- oder gewohnheitsmäßig gebrauchte Waren aufkauft. Unter Aufkaufen werden alle wie auch immer bezeichnete H a n d lungen einbezogen, die offensichtlich dasselbe bezwecken.
236
Das niederländische Strafrecht
Strafbar m i t Haft bis zu zwei Wochen oder Geldstrafe bis zu sechshundert Gulden machen sich solche Personen, wenn sie keine durchlaufenden Register führen, i n die durch sie geführten Register nicht unverzüglich alle von ihnen angekauften oder auf sonstige Weise erworbenen Waren 4 3 5 aufnehmen oder deren Kaufpreis oder andere Erwerbsbedingungen und ihre Herkunft nicht angeben (Art. 437 Ziff. 1 nl. StGB). I n gleicher Weise werden Zuwiderhandlungen gegen andere durch den Gemeinderat rechtmäßig erlassene Vorschriften über die Registerführung geahndet (Art. 437 Ziff. 2 nl. StGB). Der Zweck der Registerführung besteht darin, daß die Polizei sich jederzeit bei der Suche nach dem Verbleib abhanden gekommener Sachen vergewissern kann, ob eine bestimmte Sache zu einer der obengenannten Personen gelangt ist und von wem sie sie gegebenenfalls erhalten hat. Das Register ist deshalb der örtlichen Polizeibehörde auf ihre erste Aufforderung h i n zur Einsicht vorzulegen; verweigert eine der obengenannten Personen die Vorlage, gilt die gleiche Strafdrohung wie für die unterlassene oder unvollständige Registerführung (Art. 437 Ziff. 1 letzter Halbsatz nl. StGB). M i t einer erheblich höheren Strafe — nämlich Haft bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu sechstausend Gulden — machen sich die obengenannten Personen strafbar, wenn sie von bestimmten Kategorien von Personen Waren ankaufen oder auf andere Weise erwerben oder wenn sie der Verpflichtung nicht nachkommen, der Ermittlungsbehörde i n bestimmter Weise Beistand zu gewähren. Als Personen, von denen keine Gegenstände angekauft usw. werden dürfen, sind Kinder unter achtzehn Jahren (Art. 437 bis Abs. 1 Ziff. 1 nl. StGB) und Personen genannt, die i n Strafanstalten, Fürsorgeanstalten, Waisenhäusern, Heil- oder Pflegeanstalten oder Wohlfahrtseinrichtungen untergebracht sind (Art. 437 bis Abs. 1 Ziff. 2 nl. StGB) oder die dem Käufer usw. unbekannt sind (Art. 437 bis Abs. 1 Ziff. 3 nl. StGB). Eine Person gilt als unbekannt, wenn der Käufer usw. sie der Ortspolizeibehörde gegenüber auf die erste Aufforderung h i n nicht ausreichend beschreibt (Art. 437 bis Abs. 4 nl. StGB). Werden Geschäfte mit solchen Personen nicht vom Goldschmied usw. selbst, sondern von einer für i h n handelnden Person abgeschlossen, ist der Goldschmied usw. gleichwohl strafbar, wenn er es an den nötigen Vorsichtsmaßnahmen oder der nötigen Aufsicht zur Verhinderung solcher Zuwiderhandlungen hat fehlen lassen (Art. 437 bis Abs. 1 Ziff. 4 nl. StGB). Daneben ist auch die handelnde Person selbst i n gleicher Weise strafbar (Art. 437 bis Abs. 2 nl. StGB). 435 Z u diesen Waren gehören auch diejenigen, die nicht der Goldschmied usw. selbst, sondern sein zuständiges Personal angekauft oder erworben hat. H. R., U r t e i l v o m 10. J u n i 1940, N. J. 1940, 833.
§ 70 Hehlerei
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Als Verletzungen von Beistandspflichten, die dem Goldschmied usw. obliegen, werden angeführt: 1. der Ankauf usw. eines Gegenstandes, von dem i h m seitens der Justiz oder Polizei m i t einer deutlichen Beschreibung schriftlich mitgeteilt worden ist, daß er durch ein Verbrechen dem Berechtigten entzogen oder verlorengegangen ist (Art. 437 bis Abs. 1 Ziff. 5 nl. StGB); 2. die Nichtbefolgung einer polizeilichen Anordnung, einen i n seinem Gewahrsam befindlichen Gegenstand für die Dauer von höchstens vierzehn Tagen zu verwahren oder i n Verwahrung zu geben, oder einer sonstigen i n dieser Anordnung gegebenen Anweisung (Art. 437 bis Abs. 1 Ziff. 6 nl. StGB) und 3. das Nichtverschaffen wahrheitsgemäßer Angaben über angekaufte usw. Gegenstände auf schriftliche polizeiliche Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist (Art. 437 bis Abs. 1 Ziff. 7 nl. StGB). Dem Schuldigen kann das Recht zur Ausübung des Berufs, i n dem er eine dieser Übertretungen begangen hat, entzogen werden (Art. 437 bis Abs. 3 nl. StGB). Die beiden weiteren Übertretungstatbestände betreffen Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften, die zur Verhütung der Gefahr der Begünstigung von Verbrechen erlassen sind. Art. 437 ter nl. StGB richtet sich wie die vorhergehenden Übertretungen an den Goldschmied usw. und betrifft Zuwiderhandlungen gegen derartige Vorschriften, die von den Gemeinden erlassen sind. Der Aufkäufer ist zudem schon strafbar, wenn er tätig wird, ohne dies zuvor der Ortspolizeibehörde schriftlich anzuzeigen (Art. 437 ter Abs. 2 nl. StGB). Art. 437 quater nl. StGB richtet sich gegen jedermann und betrifft derartige Vorschriften, die durch allgemeine Verwaltungsvorschriften für bestimmte Wassergebiete erlassen sind 4 3 6 . Die hier genannten Zuwiderhandlungen sind m i t Haft bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu viertausend Gulden bedroht.
436 Er wurde durch Wet houdende voorziening ter bestrijding van de begunstiging v a n m i s d r i j v e n op bepaalde watergebieden (Gesetz zur Bekämpfung der Begünstigung von Verbrechen auf bestimmten Wassergebieten) vom 7. J u n i 1924, StBl. 276 eingeführt u n d beabsichtigte vor allem die Geschäfte derjenigen zu unterbinden, die i n großen Häfen von Schiffsleuten Waren aufkaufen u n d dadurch Diebstähle an Bord von Schiffen unterstützen.
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Das niederländische Strafrecht
Vierter
Teil
Einige wichtige strafrechtliche Nebengesetze § 71 Das Militärstrafrecht 436 *
Das niederländische Militärstrafgesetzbuch (nl. MilitärStGB) aus dem Jahre 1903 487 ist i n drei Bücher aufgeteilt. Die Art. 1 - 7 6 enthalten allgemeine Bestimmungen, die A r t . 77 - 164 Verbrechen und die Art. 165 - 168 Übertretungen. A r t . 1 nl. MilitärStGB bestimmt, daß bei der Anwendung des Gesetzbuchs die Bestimmungen des ordentlichen Strafrechts gelten, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht. Die A b weichungen betreffen vor allem den Geltungsbereich des Strafgesetzes und die Strafen selbst. A n Hauptstrafen kennt das Militärstrafgesetzbuch zusätzlich die Todesstrafe, die aber nur bei Einstimmigkeit auferlegt werden kann (Art. 9 nl. MilitärStGB) und die Militärhaft. A n Nebenstrafen verdienen die Herabsetzung i m Rang und die Zuordnung zu einer Strafklasse Beachtung. Es sind eigentlich eher disziplinarische Maßnahmen. I m niederländischen Militärdisziplinargesetz (nl. MilitärdisziplinarG 4 3 8 ) werden als Disziplinarvergehen alle nicht i n einem Strafgesetz umschriebenen Handlungen bezeichnet, die i m Widerspruch zu einem Dienstbefehl oder einer Dienstvorschrift stehen oder m i t der militärischen Zucht oder Ordnung unvereinbar sind. Aber auch Straftaten fallen darunter, für die der Militärrichter zuständig ist, sofern sie m i t der militärischen Zucht oder Ordnung unvereinbar, jedoch zugleich von so leichter A r t sind, daß die Sache außergerichtlich erledigt werden kann (Art. 2 nl. MilitärdisziplinarG). Die Disziplinarstrafen sind nach 43ea Das Militärstrafrecht u n d das Militärdisziplinarrecht sollen vollständig revidiert werden. Z u r Vorabreform insbesondere der Disziplinarstrafen (u. a. werden der strenge Arrest und die Versetzung i n eine Disziplinarklasse abgeschafft u n d die Geldstrafe als neue Sanktion eingeführt) wurde am 6. Oktober 1971 ein E n t w u r f : Wetsontwerp tot w i j z i g i n g v a n de Wet op de Krijgstucht, het Wetboek van m i l i t a i r strafrecht en het m i l i t a i r e strafprocesrecht (Gesetzentwurf zur Änderung des Militärdisziplinargesetzes, des M i l i tärstrafgesetzbuchs und des Militärstrafprozeßrechts) — Parlamentsdrucksache 11 546 (R 823) Nr. I f f . eingebracht, der 1974 nach zahlreichen Ä n d e rungen von der Zweiten K a m m e r angenommen wurde (vgl. Th. W. van Veen u n d E. J. de Roo, K r o n i e k v a n het strafrecht over 1974, i n : Themis 1975, S. 210 ff. (220 ff.) u n d inzwischen als Gesetz v o m 12. September 1974 i n StBl. 537 veröffentlicht, doch noch nicht i n K r a f t gesetzt ist. 437
Wetboek van m i l i t a i r strafrecht (Militärstrafgesetzbuch) v o m 27. A p r i l 1903 (1. Januar 1923), StBl. 111. Es ist i. d. F. der Änderung durch Gesetz v o m 4. J u l i 1963, StBl. 295 neu abgedruckt i n StBl. 1964, 9 (S. 73 ff.). 438 Wet op de krijgstucht (Militärdisziplinargesetz) v o m 27. A p r i l 1903 (1. Januar 1923), StBl. 112. Es ist i. d. F. der Änderung durch Gesetz v o m 4. J u l i 1963, StBl. 295 neu abgedruckt i n StBl. 1964, 9 (S. 85 ff.).
§71 Das M i l i t ä r s t r a f recht
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dem Rang des Militärs differenziert, und zwar werden Disziplinarstrafen für Offiziere, Unteroffiziere und niedrigere Militärgrade unterschieden (Art. 3 - 5 nl. MilitärdisziplinarG). Sie bestehen aus Verweis und verschiedenen Arrestformen. Für Unteroffiziere und untere Dienstgrade ist zusätzlich Ausgangssperre und Herabsetzung des Ranges möglich. Als Nebenstrafen können die Einbehaltung des Soldes und die Verminderung der Kost hinzukommen, für die unteren Dienstgrade außerdem die Versetzung i n eine Disziplinarklasse und das Verbot, außerhalb des Dienstes eine Waffe zu tragen. Die Anwendbarkeit des niederländischen Strafgesetzes w i r d durch die Art. 4 und 5 nl. MilitärStGB erweitert. Die Strafausschließungsgründe werden i n Art. 38 nl. MilitärStGB ausgedehnt. Danach ist nicht strafbar, wer i n Kriegszeiten innerhalb der Grenzen seiner Befugnisse eine nach den Regeln des Kriegsrechts erlaubte Handlung begeht oder dessen Bestrafung mit einem Vertrag i n Widerspruch stünde, der zwischen den Niederlanden und der mit ihr kriegführenden Macht gültig ist. M i t Rücksicht auf die militärischen Verhältnisse sind auch bei jugendlichen Straftätern i n den Art. 40 - 44 nl. MilitärStGB Abweichungen vom ordentlichen Jugend straf recht vorgesehen. W i r d in Kriegszeiten ein Verbrechen, auf das nach ordentlichem Strafrecht lebenslängliche Gefängnisstrafe steht, von einer der Militärgerichtsbarkeit unterstehenden Person verübt, kann bei Einstimmigkeit die Todesstrafe verhängt werden (Art. 45 nl. MilitärStGB). Darüber hinaus enthält das Erste Buch des Militärstrafgesetzbuchs verschiedene weniger wichtige Abweichungen i n bezug auf Versuch, Teilnahme, Konkurrenz, Antragserfordernis und Verjährung des Rechts der Strafverfolgung und der Strafe. Hingewiesen sei noch auf die Bestimmung i n A r t . 59 nl. MilitärStGB, daß eine Todesstrafe von Rechts wegen durch lebenslange Gefängnisstrafe ersetzt wird, wenn sie nicht innerhalb von drei Jahren nach Rechtskraft der Verurteilung vollstreckt ist. Das Zweite Buch enthält Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates (Erster Titel), Verbrechen der Verletzung von Kriegspflichten ohne die Absicht der Unterstützung des Feindes oder der Benachteiligung des Staates gegenüber dem Feind (Zweiter Titel), Verbrechen, wodurch sich eine Militärperson der Erfüllung ihrer Dienstverpflichtungen entzieht (Dritter Titel), Verbrechen gegen die Subordination (Vierter Titel), verschiedene Dienstpflichtverletzungen (Fünfter Titel), Diebstahl, Unterschlagung und Hehlerei (Sechster Titel), Vernichtung, Beschädigung usw. von den Streitkräften dienenden Gütern (Siebenter Titel) und Verkehrs verbrechen (Achter Titel).
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Das niederländische Strafrecht
I m abschließenden Dritten Buch sind zwei Titel aufgenommen, und zwar i m Ersten Titel Verkehrsübertretungen und i m Zweiten Titel Straftaten, die nach ausländischem Recht strafbar sind. § 72 Das Wirtschaftsstrafrecht
Das nl. WirtschaftsstrafG von 1950 439 enthält mehr Strafprozeß- als materielles Strafrecht. Die Rechtsprechung erfolgt durch besondere Spruchkörper innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit. A n dieser Stelle werde ich mich auf eine kurze Übersicht über die strafrechtlichen Bestimmungen beschränken. Die Wirtschaftsstraftaten werden in Art. 1 nl. WirtschaftsstrafG aufgezählt. Daraus geht hervor, daß das Wirtschaftsstrafrecht auf verschiedenen gesetzlichen Regelungen beruht, die seit dem ersten Weltkrieg und vermehrt dann seit der i m Jahre 1929 begonnenen Wirtschaftskrise erlassen wurden und durch eine Reihe von gesetzlichen Bestimmungen zur Vorbereitung auf einen Kriegszustand und Wirtschaftsregelungen während und nach der Besetzung angereichert sind. Alle diese i n Art. 1 nl. WirtschaftsstrafG angeführten Bestimmungen waren ursprünglich als Gelegenheitsregelungen für besondere Verhältnisse gedacht und auf Zeit angelegt. Der Abbau der staatlichen Lenkung blieb jedoch nach Rückkehr zu normalen Verhältnissen hinter den anfänglichen Erwartungen zurück. Der Staat übernahm und übernimmt laufend neue Lenkungsaufgaben und w i r d in seinen Regelungen immer differenzierter. Infolgedessen ist der anfänglich bewußt klein gehaltene Katalog an Wirtschaftsstraftaten längst zu einem mehr als sechzig Sondergesetze umfassenden Dauerbestand der staatlichen Wirtschaftslenkung angewachsen und wächst weiter 4 4 0 , obgleich sowohl die A r beits- und Sozialgesetzgebung wie auch Steuer- und Zollgesetzgebung grundsätzlich nicht einbezogen wurden. Die i n Art. 1 nl. WirtschaftsstrafG bezeichneten Wirtschaftsstraftaten sind entweder Verbrechen oder Übertretungen. Als Unterscheidungskriterium führt Art. 2 Abs. 1 nl. WirtschaftsstrafG für die ersten beiden der fünf unterschiedenen Gruppen die Schuldform an: Vorsatztaten sind Verbrechen, Fahrlässigkeitstaten Übertretungen. Die Straftaten 430 Über die bedeutende Rolle des nl. WirtschaftsstrafG (Anm. 39) f ü r die Entwicklung des allgemeinen Strafrechts wurde auf S. 32 u n d 37 ff. berichtet. 440 Mulder, Schets, a.a.O. (Anm. 71), S. 29 f. berichtet, daß i m Dezember 1974 fünfundsechzig Sondergesetze aufgenommen waren u n d zehn neue zur Aufnahme i n den Katalog des A r t . 1 nl. WirtschaftsstrafG anstanden. Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des nl. WirtschaftsstrafG erfolgt heute i n zwei Richtungen: Einbeziehung der Umweltschutzgesetzgebung u n d des europäischen Wirtschaftsrechts.
§ 72 Das Wirtschaftsstrafrecht
241
der dritten Gruppe sind Verbrechen oder Übertretungen je nach ausdrücklicher Einstufung des Gesetzes, die Straftaten der vierten Übertretungen und die der fünften Verbrechen. Lediglich eine Ausnahme w i r d genannt. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sind W i r t schaftsstraftaten vorsätzlich begangen, wenn der Täter (oder Gehilfe) wußte, was er tatsächlich t a t 4 4 1 . Er braucht also nicht zu wissen, daß er eine der i n A r t . 1 nl. WirtschaftsstrafG aufgezählten gesetzlichen Bestimmungen übertrat. Dies ist aus zwei Gründen verwunderlich. Erstens sind diese Straftaten jedes M a l als Zuwiderhandlungen gegen bestimmte Vorschriften umschrieben und zweitens sind sie nach ihrem Wesen Gesetzesdelikte, m i t anderen Worten Straftaten, deren Unrechtsgehalt ausschließlich aus dem Gesetz gekannt werden kann. Nach dem Grundgedanken des Strafgesetzbuchs sollen Verbrechen aber immer Rechtsdelikte sein. Praktisch w i r k t sich diese Rechtsprechung allerdings i m Wirtschaftsstrafrecht nicht erheblich aus, w e i l einerseits (wahrscheinlich aufgrund des Opportunitätsprinzips) überraschend mehr Übertretungen als Verbrechen angeklagt werden 4 4 2 und andererseits die tatsächliche Strafhöhe so niedrig liegt, daß sie schon die Strafmaxima für Übertretungen bei weitem nicht ausschöpft 443 . A u f das Wirtschaftsstrafrecht sind ebenso wie auf das andere Nebenstrafrecht die Titel I - V I I I A des Ersten Buches des Strafgesetzbuches anwendbar, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt (Art. 91 nl. StGB). Die A r t . 3 und 4 nl. WirtschaftsstrafG enthalten solche Abweichungen. Nach A r t . 3 nl. WirtschaftsstrafG ist die Teilnahme an einer innerhalb der Niederlande begangenen Wirtschaftsstraftat auch strafbar, wenn die Beihilfe außerhalb des Landes erbracht wird. Es wäre besser gewesen, wenn das Gesetz hier anstatt des Ausdrucks „strafbar" das Wort „verfolgbar" verwendet hätte. Es geht hier u m die Anwendbarkeit des niederländischen Strafgesetzes, deren allgemeine Regelung i n A r t . 2 ff. nl. StGB zu finden ist. Art. 4 nl. WirtschaftsstrafG bestimmt, daß unter Wirtschaftsverbrechen auch Teilnahme und 441 Nachdem der H. R. seit 1939 i n ständiger Rechtsprechung eine W i r t schaftsstraftat n u r dann als vorsätzlich angesehen hatte, w e n n der Täter eine i h m bekannte Vorschrift übertrat, kehrte er 1952 i n zwei Urteilen zu diesem „farblosen Vorsatz" zurück. H. R., Urteile v o m 18. März 1952, N. J. 1952, 314 u n d 315 m i t ebenfalls kritischer Stellungnahme von Röling (S. 642 f.). 442 Vgl. P. Α. H. Bos, Nederlands economisch strafrecht, Gutachten f ü r die Vereniging voor de vergelijkende Studie v a n het recht van België en Nederland, Zwolle 1971, S. 34. 443 Übertretungen können bis zu fünfundzwanzig- bzw. zehntausend Gulden Geldstrafe verhängt werden (Art. 6 Abs. 1 Ziff. 4 nl. WirtschaftsstrafG), die auferlegte Geldstrafe erreichte indes 1970 lediglich 247,84 Gulden i m Durchschnitt; vgl. S chaff meist er, Das niederländische Wirtschaftsstrafgesetz, a.a.O. (Anm. 71), S. 795/6 u n d Mulder, Schets, a.a.O. (Anm. 71), S. 90.
16 Ausländisches Strafrecht V
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Das niederländische Strafrecht
Versuch zu verstehen ist. Diese Vorschrift stimmt zwar m i t Art. 78 nl. StGB überein, doch steht dieser A r t i k e l i m Neunten Titel des Ersten Buches, ist also nach A r t . 91 nl. StGB nicht auf das Nebenstrafrecht anwendbar 4 4 4 . Der Zweite Titel des Wirtschaftsstrafgesetzes regelt die Strafen und Maßregeln. Voran steht der Grundsatz, daß bei Wirtschaftsstraftaten keine anderen Maßnahmen, die auf Strafen und Disziplinierung gerichtet sind, verhängt werden können, als i m Wirtschaftsstrafgesetz vorgesehen sind (Art. 5 nl. WirtschaftsstrafG). Die Vorschrift brach dadurch mit dem seit der Wirtschaftskrise bestehenden System der Mehrgleisigkeit und wollte ein Nebeneinander von Straf-, Disziplinar- und Verwaltungsrecht und damit verbundener Zuständigkeiten möglichst begrenzen. Das WirtschaftsstrafG droht keine deliktsspezifischen Höchststrafen wie das Kernstrafrecht an, sondern für die unterschiedenen Kategorien uniforme Strafmaxima. Die Höchststrafe für ein schweres (leichtes) Verbrechen beträgt sechs (zwei) Jahre Gefängnis und/oder eine Geldstrafe von einhunderttausend (fünfzigtausend) Gulden, für eine schwere (leichte) Übertretung ein Jahr (sechs Monate) Haft und/oder eine Geldstrafe von fünfundzwanzigtausend (zehntausend) Gulden. Eine bedeutsame Abweichung vom Kernstrafrecht liegt darin, daß Gefängnisstrafe oder Haft mit einer Geldstrafe kumuliert werden kann. Der angedrohte Höchstbetrag ist zudem flexibel. Wenn nämlich der Wert der Sachen, mit denen oder i n bezug auf die die Wirtschaftsstraftat begangen wurde, höher als ein Viertel des Geldstrafenmaximums ist, kann dieses Maximum bis auf das Vierfache dieses Wertes festgesetzt werden. Eine Nebenstrafe und verschiedene Maßregeln des Wirtschaftsstrafrechts sind dem Kernstrafrecht (noch) unbekannt. Unter den Nebenstrafen ist die völlige oder teilweise Stillegung der Unternehmung für höchstens ein Jahr neu (Art. 7 Ziff. c nl. WirtschaftsstrafG). Die wirtschaftsstrafrechtlichen Maßregeln bieten an neuen Möglichkeiten: eine Unternehmung kann — bei Verbrechen für höchstens drei, bei Übertretungen für höchstens zwei Jahre — einer Verwaltung un444
Der Gesetzgeber strebte zwar zunächst eine abweichende Regelung an. Eine allgemeine Ausdehnung der Strafbarkeit von Versuch u n d Beihilfe bei Übertretungen schien i h m insbesondere bei Ausfuhrdelikten unentbehrlich. Heute ist die Schwierigkeit gelöst einmal dadurch, daß Verstöße gegen das E i n - u n d Ausfuhrgesetz i n vorsätzlicher Begehungsweise als Verbrechen eingestuft sind, u n d andererseits ist i m A r t . 1 Abs. 2 I n - en uitvoerwet (Einu n d AusfuhrG) v o m 5. J u l i 1962, StBl. 295 ein so weiter Begriff der strafbaren Handlungen zugrunde gelegt, daß auch Vorbereitungshandlungen darunter fallen.
§ 72 Das Wirtschaftsstrafrecht
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terstellt werden; es kann eine Kaution — und zwar i n Höhe von bis zu einhundert- bzw. fünfzigtausend Gulden für drei bzw. zwei Jahre — verlangt werden; es kann ein Geldbetrag gefordert werden, der den geschätzten Vorteil ausgleichen soll, der nicht nur durch die angeklagte und erwiesene Straftat, sondern auch durch gleichartige Straftaten erlangt ist, für deren Begehung durch den Schuldigen hinreichende Anhaltspunkte gegeben sind, und es kann schließlich die Verpflichtung ausgesprochen werden, rechtswidrige Unterlassungen nachzuholen, rechtswidrige Handlungen zu beseitigen und erlittene Folgen wiedergutzumachen (Art. 8 nl. WirtschaftsstrafG). Das Recht zur Vollstreckung der Einziehung bestimmter Gegenstände erlischt nicht m i t dem Tode der Verurteilten (Art. 13 Abs. 1 nl. WirtschaftsstrafG). Auch wenn der Angeklagte vor Rechtskraft des Urteils stirbt, kann der Richter die Nebenstrafe der Einziehung aussprechen und ebenso die Maßregel anordnen, daß ein Geldbetrag zum Vorteilsausgleich oder zur Wiedergutmachung zu leisten ist (Art. 16 Abs. 1 Buchst, a und b nl. WirtschaftsstrafG). Besonders wichtig war die Bestimmung über die Täterschaft und Strafbarkeit juristischer Personen i n A r t . 15 nl. WirtschaftsstrafG, die jetzt ihrem Inhalt nach i n das nl. StGB übernommen worden ist 4 4 5 . Wenn eine juristische Person, eine Gesellschaft, eine andere Vereinigung von Personen oder eine Stiftung eine Wirtschaftsstraftat beging, konnte die Strafverfolgung und konnten die Strafen und Maßregeln nach dieser Regelung entweder gegen diese Kollektive oder gegen diejenigen natürlichen Personen eingeleitet bzw. ausgesprochen werden, die zu dieser Tat Auftrag gegeben oder die tatsächliche Leitung bei der verbotenen Handlung oder Unterlassung gehabt haben. Es konnte auch gegen beide vorgegangen werden. Darüber hinaus müssen noch zwei weitere Titel kurz erwähnt werden. I m Fünften Titel bestimmen die A r t . 33 und 34 nl. WirtschaftsstrafG, daß vorsätzliches Handeln oder Unterlassen i m Widerspruch zu bestimmten Nebenstrafen, Maßregeln, vorläufigen Maßnahmen oder Anordnungen als Wirtschaftsstraftat angesehen wird. I m Sechsten Titel w i r d die außergerichtliche Erledigung, wie sie auch i m Strafgesetzbuch i n A r t . 74 und 74 bis nl. StGB — allerdings nur für Übertretungen — vorgesehen ist, auf Verbrechen ausgedehnt (Art. 36 nl. WirtschaftsstrafG). 445 Z u r jüngst erfolgten E i n f ü h r u n g einer entsprechenden Regelung i n das nl. StGB vgl. die obigen Ausführungen auf S. 42 ff. u n d 96; A r t . 15 nl. W i r t schaftsstrafG ist dadurch überflüssig geworden u n d wurde demzufolge aufgehoben, ohne daß sich jedoch sachlich etwas geändert hat.
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Das niederländische Strafrecht § 73 Das Straßenverkehrsstrafrecht
Das niederländische Straßenverkehrsgesetz (nl. StVG) stammt aus dem Jahre 1935, trat allerdings erst i m Jahre 1951 i n K r a f t und wurde seither mehrmals geändert 4 4 6 . Zur näheren Ausführung dieses Gesetzes erging aufgrund von A r t . 2 nl. StVG die niederländische Straßenverkehrsordnung (nl. StVO) von 1950 447 . Die Straßenverkehrsgesetzgebung bezweckte eine erhöhte Sicherheit auf den Straßen m i t ihrer stets anwachsenden Verkehrsdichte. Außerdem wollte der Staat den Straßenverkehr stärker zentral regeln. Provinziale und gemeindliche Verordnungen sind zwar weiterhin zulässig, jedoch i n beschränkterem Maße als früher. Die Strafdrohungen für Zuwiderhandlungen gegen verschiedene verkehrsrechtliche Vorschriften sind i m A r t . 35 nl. StVG konzentriert. Sie sind dort i n sechs Gruppen eingeteilt, deren Strafmaß von Stufe zu Stufe reduziert wird. Die Zuwiderhandlungen gegen die i n den beiden ersten Gruppen genannten Vorschriften, die m i t einer Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten bzw. derselben Gefängnisstrafe oder einer Geldstrafe bis zu eintausend Gulden geahndet werden können, sind als Verbrechen, die restlichen vier — mit unterschiedlichen Haft- oder Geldstrafen bedroht — als Übertretungen eingestuft (Art. 38 nl. StVG). Daneben sind die fahrlässige Tötung und die fahrlässige schwere oder ernste Körperverletzung i m Verkehr m i t einer Strafverschärfung bei alkoholbedingter Verursachung (Art. 36 nl. StVG) 4 4 8 und der unbefugte Gebrauch eines Kraftfahrzeugs (Art. 37 nl. StVG) als eigenständige Tatbestände umschrieben und als Verbrechen eingestuft (Art. 38 nl. StVG). Die Strafdrohung für Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften verschiedener aufgrund des nl. StVG erlassener Verordnungen enthält A r t . 34 nl. StVG. Sie alle sind als Übertretungen eingestuft. Als besondere Nebenstrafe ist schließlich aus dem nl. StVG die Entziehung der Fahrerlaubnis zu erwähnen. Drei Kategorien von Zuwiderhandlungen werden dabei unterschieden: für die erste kann die Fahrerlaubnis bis zu fünf, für die zweite und dritte bis zu zwei Jahren ent446 Die Fundstelle u n d neueste Fassung ist i n A n m . 202 angegeben. 447 Wegenverkeersreglement (Straßenverkehrsordnimg) v o m 28. August 1950 (1. Januar 1951), StBl. Κ 377 i. d. F. der letzten Ä n d e r u n g durch V e r ordnung v o m 18. November 1975, StBl. 607. 448 A r t . 36 u n d 26 nl. S t V G w u r d e n geändert u n d A r t . 33 a nl. S t V G eingeführt durch das Gesetz v o m 13. M a i 1973 (1. November 1974), StBl. 282. Der am 3. März 1969 eingereichte Gesetzentwurf (Parlamentsdrucksache 10 038) w a r insbesondere wegen der Einführung der obligatorischen B l u t probe, die als Verpflichtung zur M i t w i r k u n g an der Beweisführung angesehen werden könne u n d damit strafprozessualen Grundprinzipien w i d e r spräche, umstritten.
§73 Das Straßenverkehrsstrafrecht
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zogen werden; unter bestimmten Rückfallvoraussetzungen ist i n allen Fällen eine Verdoppelung der Entzugsdauer vorgesehen (Art. 39 nl. StVG). Die Grundregel für das Verhalten i m Straßenverkehr ist i m A r t . 25 nl. StVG formuliert: Es ist verboten, sich auf einer Straße dergestalt zu verhalten, daß die Freiheit des Verkehrs unnötigerweise behindert oder die Sicherheit auf der Straße i n Gefahr gebracht w i r d oder nach vernünftigem Urteil i n Gefahr gebracht werden kann. I n diesen drei Gesichtspunkten ist die Gesamtheit der Vorschriften des Straßenverkehrsgesetzes und der Straßenverkehrsverordnung im Grundsatz enthalten, jedenfalls stehen alle Vorschriften damit i n engem Zusammenhang. Die Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot kann m i t Haft bis zu drei Monaten oder m i t einer Geldstrafe bis zu eintausend Gulden bestraft werden (Art. 35 Abs. 3 nl. StVG). Es folgt i m Art. 26 nl. StVG das Verbot der Teilnahme am Straßenverkehr unter Einfluß von Alkohol oder anderen die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Stoffen 4 4 8 . Danach ist dem Führer eines Fahrzeugs verboten, dieses zu lenken oder lenken zu lassen, während er unter dem Einfluß eines Stoffes steht, von dem man weiß oder vernünftigerweise wissen muß, daß seine Verwendung — ohne oder i n Kombination mit dem Gebrauch eines anderen Stoffes — die Fahrtüchtigkeit vermindern kann. Der Einfluß muß von der A r t sein, daß angenommen werden muß, der Fahrzeugführer sei nicht mehr imstande, ordnungsgemäß zu fahren (Art. 26 Abs. 1 nl. StVG). Bei Alkoholgenuß gilt seit Anfang 1974 ein objektives K r i t e r i u m für die Strafbarkeit; das Verbot besteht, wenn bei einer Untersuchung der Blutalkoholgehalt über fünf Promille zu sein scheint (Art. 26 Abs. 2 nl. StVG). Außer für den Führer eines Fahrzeugs gilt das Verbot auch für jeden, der ein Kraftfahrzeug durch eine i n obiger Weise fahrbeeinträchtigte Person führen läßt (Art. 26 Abs. 3 nl. StVG). Zuwiderhandlungen gegen diese Verbote werden m i t einer Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten bedroht (Art. 36 Abs. 1 nl. StVG). Die gleiche Strafe w i r d für die Unfallflucht und die unterlassene Hilfeleistung gegenüber einem bei einem Unfall verletzten oder i n seiner Gesundheit geschädigten Menschen angedroht (Art. 30 Abs. 1 i. V. m. 35 Abs. 1 nl. StVG). Die Umschreibung des Verbots der Unfallflucht i n A r t . 30 Abs. 1 Buchst, a nl. StVG bezieht einerseits i n den Unfallbegriff Handlungen zur Verhinderung eines Zusammenstoßes mit anderen Fahrzeugen ein und schließt auf der anderen Seite beim Schadensbegriff Schäden aus, die mitfahrenden Personen entstanden sind. Strafverfolgung wegen Verkehrsunfallflucht erfolgt nicht, wenn
246
Das niederländische Strafrecht
sich der Täter innerhalb von vierundzwanzig Stunden freiwillig bei der Ermittlungsbehörde meldet und die erforderlichen Angaben macht (Art. 30 Abs. 2 nl. StVG). Wer trotz Entzugs der Fahrerlaubnis ein Kraftfahrzeug fährt, w i r d ebenfalls mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft (Art. 32 i. V. m. A r t . 35 Abs. 1 nl. StVG). M i t der gleichen Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe bis zu eintausend Gulden kann die vorsätzliche Abgabe unrichtiger Angaben i m schriftlichen Antrag auf Erteilung eines Kennzeichens oder eines Führerscheins geahndet werden (Art. 10 i. V. m. A r t . 35 nl. StVG). Ebenso kann derjenige bestraft werden, der mit amtlichen Kennzeichen bestimmte Handlungen i n der Absicht vornimmt, die Identifizierung des Fahrzeugs zu erschweren (Art. 14 i. V. m. A r t . 35 nl. StVG). Die fahrlässige Tötung durch einen Verkehrsunfall w i r d m i t Gefängnis bis zu einem Jahr, die fahrlässige Herbeiführung einer schweren Körperverletzung m i t Gefängnis oder Haft bis zu neun Monaten bestraft (Art. 36 Abs. 1 und 2 nl. StVG). Stand der Schuldige während des Unfalls unter die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigendem Einfluß von Alkohol oder einem gleichartigen Stoff, wie er nach A r t . 26 Abs. 1 und 2 nl. StVG beschrieben ist, w i r d die Strafe nach A r t . 36 Abs. 3 nl. StGB verschärft. Sie gilt auch für denjenigen, der sich nach dem Unfall einer angeordneten Blutprobe oder anderen Untersuchung widersetzt (Art. 36 Abs. 3 i. V. m. 33 a Abs. 3 und 5 nl. StVG). Die hier umschriebene fahrlässige Tötung bzw. Körperverletzung i m Straßenverkehr entspricht der allgemeinen i n A r t . 307 und 308 nl. StGB, die Strafdrohungen liegen indes höher und sind bei alkohol- oder drogenbedingter Verursachung stark heraufgesetzt. Bei fahrlässiger Tötung unter Alkoholeinfluß w i r d Gefängnis bis zu drei Jahren, bei fahrlässiger Herbeiführung einer schweren Körperverletzung Gefängnis bis zu zwei Jahren angedroht, während die Höchststrafe nach A r t . 307 und 308 nl. StGB Gefängnis oder Haft bis zu neun bzw. sechs Monaten beträgt. Als weiteres Verbrechen ist noch der unbefugte Gebrauch von fremden Fahrzeugen nach A r t . 37 nl. StVG zu nennen. Früher wurde diese Handlung als Diebstahl von Benzin gewertet, was eine übersteigerte Interpretation des A r t . 310 nl. StGB bedeutete. Das Schwarzfahren kann heute aufgrund dieses besonderen Tatbestands mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu eintausend Gulden bestraft werden. Die hier — außer der Grundregel i n Art. 25 nl. StVG — nicht behandelten Übertretungen betreffen vornehmlich Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften i m Zusammenhang mit amtlichen Kennzeichen, Führerscheinen und Anordnungen von zuständigen Beamten.
§ 73 Das Straßenverkehrsstrafrecht
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Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Eigentümers oder Halters eines Kraftfahrzeugs, wenn er das Kraftfahrzeug, m i t dem eine Z u w i derhandlung gegen verkehrsrechtliche Vorschriften begangen wird, nicht selbst geführt hat, ist i n A r t . 40 nl. StVG geregelt. Er muß innerhalb einer gesetzten Frist über die Identität des Fahrers Auskunft geben, sonst ist er wegen einer Übertretung m i t Haft bis zu drei Monaten oder einer Geldstrafe bis zu eintausend Gulden strafbar (Art. 40 i. V. m. Art. 35 Abs. 3 nl. StVG). Wenn der Eigentümer oder Halter eines Kraftfahrzeugs eine juristische Person ist, gelten die Vorstandsmitglieder als Eigentümer oder Halter (Art. 41 nl. StVG). Ein allgemeiner Vorbehalt für die Geltung des niederländischen Straßenverkehrsgesetzes sowie besondere Befugnisse sind für außergewöhnliche Umstände wie Krieg und Ausnahmezustand vorgesehen (Art. 45 nl. StVG).
Das schwedische Strafrecht Von Professor Dr. I v a r Agge und Professor Dr. Hans Thornstedt, Stockholm
übersetzt von fil. mag. Kerstin Schmidt und Prof. Dr. Gerhard Schmidt, Heidelberg
Vorwort der Übersetzer Die Übersetzung eines juristischen Textes kann schon dann zu Schwierigkeiten führen, wenn die Völker, um deren Sprachen es sich handelt, demselben Rechtskreis angehören, dasselbe Rechtssystem haben. Schon hier ist die Übersetzung der Terminologie für bestimmte rechtliche Institutionen und Begriffe oft nicht leicht. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich aber dann, wenn das Recht des fremden Volkes, aus dessen Sprache man i n die Rechtssprache des eigenen Volkes übersetzt, Institutionen und Begriffe aufweist, die dem eigenen Recht fremd oder doch i n einer völlig anderen Weise eigen sind. Vor dieser Schwierigkeit sahen w i r uns zunächst bei der Übersetzung des Beitrages von Ivar Agge und Hans Thornstedt zu Norstedts Juridiska Handbok (Norstedts Juristisches Handbuch). Eine große Hilfe war es dann für uns, als uns vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Straf recht i n Freiburg/B. das Manuskript der inzwischen als Band X C V I der Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher herausgekommenen Übersetzung des schwedischen Kriminalgesetzbuchs von Gerhard Simson, dem hervorragenden Kenner des schwedischen Strafrechts, zugänglich gemacht wurde. Da es uns sinnvoll erschien, daß i n der Übersetzung des schwedischen Strafgesetzes und i n der Übersetzung einer Darstellung des schwedischen Strafrechts die Fachterminologie gleichermaßen wiedergegeben wird, haben w i r uns fast stets der Simson'schen Übersetzung angeschlossen, soweit es sich um Formulierungen des Gesetzes handelte. Nur gelegentlich haben w i r für schwedische Rechtsbegriffe eine andere Übersetzung als Gerhard Simson gewählt, ohne daß w i r damit sagen wollen, eine treffendere Übersetzung gefunden zu haben. Bei der Wahl zwischen einer wörtlichen und einer freieren Übersetzung haben w i r uns öfters für die wörtliche Übertragung entschieden, obwohl sie dann zu der deutschen Sprache und Begriffswelt fremd klingenden Worten führen mußte (ζ. B. myndighetsutövning = Behördenausübung, Behördentätigkeit; myndighetsmissbruk = Behördenmißbrauch) oder zunächst bei isolierter Betrachtung falsche Assoziationen wecken konnte (z. B. skyddstillsyn = Schutzaufsicht, internering = Internierung, Worte, die i m Deutschen einen ganz anderen Klang haben!). Da bei der Übersetzung des Beitrages von Ivar Agge und Hans Thornstedt zu Norstedts Juristischem Handbuch uns zuletzt noch dessen 10. Auflage (1975) zugänglich wurde, i n der der Gesetzgebungsstand
252
V o r w o r t der Ubersetzer
zum 1. Januar 1976 berücksichtigt ist, ergeben sich Unterschiede zu der von Simson übertragenen Gesetzesfassung (Stand 1.1. 75); insbesondere i m Bereich der Straftaten gegen eine öffentliche Tätigkeit (Kap. 17) und der sogenannten Behördendelikte (Kap. 20; früher: Straftaten i m Amt) sind tiefgreifende Änderungen vorgenommen worden, auf die Simson aber schon hingewiesen hat (S. 146 Anm. 135 a, S. 159 Anm. 174 a). Kerstin Schmidt Gerhard Schmidt
Inhaltsverzeichnis Α. ALLGEMEINE REGELN ÜBER D I E T A T U N D D I E T A T F O L G E N V o n Professor em. I v a r Agge u n d Professor Hans Thornstedt I . Einleitung Allgemeine Ausgangspunkte Die Straftheorien Generalpräventive W i r k u n g e n Individualpräventive Zielsetzungen Schwedische Rechtsentwicklung
259 259 261 261 263
Die Quellen des schwedischen Straf rechts Das allgemeine Strafrecht (BrB) Das Spezialstrafrecht Die Einführungsgesetzgebung (BrP)
264 264 265 266
Die Systematik
266
des Brottsbalk
Allgemeine Bestimmungen Straftat u n d Tatfolgen
267 267
Die Anwendung des schwedischen Rechts Kompetenzkonflikte Hauptprinzipien i m Brottsbalk Wirkungen eines ausländischen Strafurteils Auslieferung Vollstreckung eines ausländischen Strafurteils
269 269 270 274 275 276
I I . Folgen der Straftat Allgemeine Strafen Geldstrafen (böter) Vollstreckung der Geldstrafen Gefängnis (fängeise) Bedingte Entlassung ( v i l l k o r l i g frigivning) Die Todesstrafe (dödsstraff) Amtsstrafen (ämbetsstraff) Disziplinstrafen für Soldaten (disziplinstraff för krigsmän)
277 277 280 281 283 284 284 284
Weitere Deliktsfolgen Bedingte Verurteilung ( v i l l k o r l i g dom) Schutzaufsicht (skyddstillsyn) Kriminalpflege i n Freiheit ( k r i m i n a l v â r d i frihet)
285 286 288 289
254
Inhaltsverzeichnis Jugendgefängnis (ungdomsfängelse) 292 Internierung (internering) 293 Überführung i n besondere Fürsorge (överlämnande t i l i särskild vârd) 295
Absehen von einer Anklage
299
Die Bestimmung der Deliktsfolge Die W a h l der F o r m der Folge Strafzumessung Zusammentreffen von Taten u n d Tatfolgen (die Konkurrenzlehre)
303 304 306 309
Straf schär fungs-
und Strafmilderungsgründe
312
Besondere Rechtswirkungen der Straftat Die Einziehung (förverkande)
316 316
I I I . Die Formen der Straftat Der Versuch der Straftat
321
Die Vorbereitung
323
Verabredung Mitwirkung
der Straftat
zu einer Straftat
324
an einer Straftat
325
I V . Besondere Umstände, welche zur Freiheit von Verantwortung führen Irrtum
bei der Tatbegehung
329
Die Gründe für die Freiheit von strafrechtlicher Rechtliche Befugnis Notwehr u n d andere Nothandlungen Befehl des Vorgesetzten Besondere Bestimmungen Einwilligung Der Fortfall der strafrechtlichen Verjährung
Verantwortlichkeit
Verfolgbarkeit
330 331 333 335 335 336 336 337
B. D I E E I N Z E L N E N S T R A F T A T E N Von Professor Hans Thornstedt I . Straftaten gegen das Leben, die Gesundheit, die Freiheit und die Ehre Straftaten gegen Leben und Gesundheit M o r d u n d Totschlag (mord, drap) Kindstötung (barnadrâp) A b t r e i b u n g (fosterfördrivning) Körperverletzung (misshandel)
339 339 340 341 341
Inhaltsverzeichnis Verschulden des Todes eines anderen ( = fahrlässige Tötung; v â l l ande t i l i annans död) 342 Verschulden eines Körperschadens oder einer K r a n k h e i t ( = fahrlässige Körperverletzung; vâllande t i l l kroppsskada eller sjukdom) 343 Gefährdung eines anderen (framkallande av fara för annan) 344
Straftaten gegen Freiheit und Frieden Ungesetzliche Freiheitsentziehung u n d Menschenraub (olaga f r i hetsberövande, människorov) Versetzen i n eine Notlage (försättande i nödläge) Ungesetzlicher Zwang ( = Nötigung; olaga tvâng) Ungesetzliche Bedrohung (olaga hot) Hausfriedensbruch u n d ungesetzliches Eindringen (hemfridsbrott, olaga intrâng) Belästigung (ofredande) Bruch des Post- oder Fernnadiriditengeheimnisses (brytande av post-eller telehemlighet) Gewahrsamsbruch (intrâng i förvar) Unerlaubtes Abhören (olovlig avlyssning)
Ehrenkränkung
344 344 345 346 347 347 349 349 350 350
351
Üble Nachrede (förtal) Verunglimpfung (förolämpning)
352 355
I I . Straftaten gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie
Straftaten gegen die Sittlichkeit
356
Notzucht (valdtäkt) 357 Freiheitsverletzende Unzucht (frihetskränkande otukt) 358 Unzucht m i t K i n d e r n (otukt med barn) 359 Unzucht m i t Jugendlichen (otukt med ungdom) 360 Unzucht m i t A b k ö m m l i n g e n u n d Unzucht m i t Geschwistern (otukt med avkomling; o t u k t med syskon) 361 Unzüchtiges Verhalten (otuktigt beteende) 361 Kuppelei (koppleri) 362 Förderung der Unzucht (främjande av otukt) 362 Verführung eines Jugendlichen (förförelse av ungdom) 363
Straftaten
gegen die Familie
363
I I I . Straftaten gegen das Vermögen
Wegnahmedelikte Diebstahl, Entwendung u n d Entwendung innerhalb einer Gemeinschaft (stöld, snatteri, bodräkt) Raub (ran) Unbefugte Besitzergreifung von Transportmitteln (tillgrepp a ν fortskaffningsmedel) Eigenmächtiges Verfahren (egenmäktigt förfarande) Unerlaubte Selbsthilfe (självtäkt) Unerlaubte Kraftableitung (olovlig kraftavledning)
364 364 371 373 373 375 375
256
Inhaltsverzeichnis
Betrug usw., Erpressung, Wucher und Hehlerei Betrug (bedrägeri) Schwindel (svindleri) Unredliches Verhalten (oredligt förfarande) Erpressung (utpressning) Wucher (ocker) Pfandwucher (ockerpantning) Hehlerei (häleri) Hehlereiverfehlung (häleriförseelse)
Unterschlagung und andere Treulosigkeit Unterschlagung (förskingring) Unbefugte Verfügung (olovligt förfogande) Treulosigkeit gegenüber dem Auftraggeber (trolöshet mot h u v u d man) Mißbrauch einer Befugnis (behörighetsmissbruk) Unerlaubter Gebrauch (olovligt brukande)
Schuldnerstraftaten
375 375 381 382 382 383 384 384 386
386 386 390 393 394 395
396
Unredlichkeit gegen Gläubiger (oredlighet mot borgenärer) 397 Gläubigergefährdung (Nachlässigkeit gegenüber Gläubigern; vârdslöshet mot borgenärer) 399 Gläubigerbegünstigung (mannamân mot borgenärer) 401 Verletzung der Buchführimgspflicht (bokföringsbrott) 401
Sachbeschädigung u.a Sachbeschädigung (skadegörelse) Benutzung eines verbotenen Weges (tagande av olovlig väg)
404 404 406
I V . Gemeingefährliche Straftaten Brandstiftung (mordbrand) Gemeingefährliche Unheilstiftung (allmänfarlig ödeläggelse) Sabotage (sabotage) Kaperung v o n Luftfahrzeugen u n d Luftfahrtsabotage (kapning av luftfartyg, luftfartssabotage) Gemeingefährliche Fahrlässigkeit (allmänfarlig värdslöshet) Verbreitung von Gift oder Ansteckungsstoffen u n d Vernichtung (spridande av gift eller smitta, förgöring) Unterlassen der Abwendung einer Gemeingefahr (underlâtenhet att a v v ä r j a allmänfara)
407 409 409 411 411 412 413
V . Fälschungsdelikte und Meineid, falsche Anklage und andere unwahre Bekundung
Fälschungsdelikte Urkundenfälschung (urkundsförfalskning) Urkundenunterdrückung (undertryckande av urkund) Signaturfälschung (signaturförfalskning) Geldfälschung (penningförfalskning) Wertzeichenfälschung (märkesförfalskning) Fälschung eines festen Kennzeichens (förfalskning av fast märke)
414 414 422 422 423 424 426
Inhaltsverzeichnis
257
Gebrauch von etwas Gefälschtem (brukande av nâgot förfalskat) 426 Ungesetzliche Verbreitung von Nachbildungen (olaga spridande av efterbildning) 427
Meineid, falsche Aussage oder andere unwahre Erklärung Meineid, fahrlässig falsche Bekundung u n d unwahre Parteibekundung (mened, ovarsam utsaga, osann partsutsaga) Falsche Anklageerhebung u n d grundlose Anklageerhebung (falskt âtal, obefogat âtal) Falsche Strafanzeige u n d grundlose Strafanzeige (falsk angivelse, obefogad angivelse) Falsche Anschuldigung u n d fahrlässige Falschbeschuldigung (falsk tillvitelse, värdslös tillvitelse) Beweismittelentstellung (bevisförvanskning) Unterlassene A b w e n d u n g eines Rechtsirrtums (underlâtenhet att a v v ä r j a rättsfel) Unwahre Versicherung u n d fahrlässig falsche Versicherung (osann försäkran, värdslös försäkran) Unwahre Bescheinigung u n d Gebrauch einer unwahren Urkunde (osant intygande, brukande av osann urkund) Mißbrauch einer U r k u n d e (missbruk av urkund) Verleugnung einer Unterschrift (förnekande av underskrift)
428 428 430 431 431 432 433 433 434 435 435
V I . Straftaten gegen die öffentliche Ordnung Ungehorsam gegen die Ordnungsmacht, A u f l a u f und gewaltsamer A u f l a u f (ohörsamhet mot ordningsmakten, upplopp, vâldsamt u p p lopp) Störung einer Veranstaltung oder öffentlichen Zusammenkunft (störande av förrättning eller av allmän sammankomst) Aufwiegelung (uppvigling) Staatsgefährdende Gerüchteverbreitung (samhällsfarlig ryktesspridning) Hetze gegen eine Volksgruppe (hets mot folkgrupp) Ungesetzliche D i s k r i m i n i e r u n g (olaga diskriminering) Verletzung des Glaubensfriedens (brott mot trosfrid) Störung der Totenruhe (brott mot griftefrid) Unerlaubtes Verfahren m i t pornographischen Abbildungen (otillâted förfarande med pornografisk bild) Sittenverderbende E i n w i r k u n g auf Jugendliche (förledande av ungdom) Tierquälerei (djurplâgeri) Glücksspiel (dobbleri) Trunkenheit (fylleri) Ärgerniserregendes Verhalten (förargelseväckande beteende)
436 438 438 439 440 440 442 443 443 444 444 445 446 447
V I I . Straftaten gegen eine öffentliche Tätigkeit Gewalt oder Drohung gegen einen Amtsträger (vâld eller hot mot tjänsteman) 449 Ubergriff gegen einen Amtsträger (förgripelse mot tjänsteman) 450 Gewaltsamer Widerstand (vâldsamt motstând) 450 17 Ausländisches Straf recht V
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Inhaltsverzeichnis Beleidigung eines Amtsträgers (missfirmelse av tjänsteman) Verleumdung einer Behörde (beljugande a ν myndighet) Bestechung (bestickning) Unlautere Tätigkeit bei einer A b s t i m m u n g u n d Verletzung des A b stimmungsgeheimnisses u. a. (otillbörligt verkande v i d röstning, brott mot rösthemlighet) Übergriff i n einer Rechtssache (övergrepp i rättssak) Begünstigung eines Straftäters u n d Förderung einer Flucht (skyddande a ν brottsling, främjande a ν f l y k t ) Übertretung behördlicher Gebote u. a. (överträdelse av myndighets b u d m. m.)
451 451 451 452 452 453 454
V i l i . Hochverrat und Straftaten gegen die Sicherheit des Reiches
Hochverrat (högmälsbrott) A u f r u h r (uppror) Bewaffnete Bedrohung der gesetzlichen Ordnung u n d unerlaubte Gruppentätigkeit (väpnat hot m o t laglig ordning, olovlig k â r v e r k samhet) Straftaten gegen die staatsbürgerliche Freiheit (brott mot medborgerlig frihet) Nichterfüllung der Wehrpflicht (svikande av försvarsplikt)
Straftaten
gegen die Sicherheit des Reiches
Landesverrat (högförräderi) A n s t i f t u n g zum Kriege (krigsanstiftan) Treulosigkeit u n d Eigenmächtigkeit bei Verhandlungen m i t einer fremden Macht (trolöshet, egenmäktighet v i d förhandling med främmande makt) Spionage u. a. (spioneri m. m.) Unerlaubte Nachrichtentätigkeit (olovlig under rättelseverksamhte K r ä n k u n g einer fremden Macht (kränkning av främmande makt) Unerlaubte M i l i t ä r w e r b u n g (olovlig värvning) Annahme einer ausländischen Unterstützung (tagande a v utländskt) understöd) Landesverrat, Treubruch gegen das L a n d u n d landesschädliche Fahrlässigkeit (landsförräderi, landssvek, lansskadlig värdslöshet) Völkerrechtsbruch (folkrättsbrott)
455 455 456 457 457
458 458 459 459 460 462 463 463 463 464 465
I X . Behördenmißbrauch u. a. und militärische Delikte
Behördenmißbrauch
und anderes
467
Behördenmißbrauch u n d fahrlässige Behördenausübung (myndighetsmissbruk, värdslös myndighetsutövning) 467 Passive Bestechung (mutbrott) 468 Verletzung der Schweigepflicht (brott mot tystnadsplikt) 469
Militärische Straftaten
469
Literatur
472
Α. Allgemeine Regeln über die Tat und die Tatfolgen Von Professor em. Ivar A g g e
und Professor Hans
Thornstedt
I . Einleitung Allgemeine Ausgangspunkte K e i n Teil der Rechtsordnung zieht das Interesse der großen Allgemeinheit i m gleichen Grade auf sich wie das Strafrecht, d. h. die Regeln über das Verbrechen und die Strafe. Die Gründe hierfür sind verschiedener A r t , aber zutiefst liegt die wesentliche Ursache i n der eigenen Natur der Strafe. Andere Formen gesellschaftlichen Eingreifens i n den Fällen, i n denen die Mitbürger nicht die ihnen aufgrund Gesetzes oder eigener Verpflichtungen obliegenden Pflichten erfüllen, gehen dahin, so weit wie möglich die Rechtslage herzustellen, welche bestanden hätte, wenn der Täter von Anfang an gemäß den Rechtsregeln gehandelt hätte. Die Strafe bedeutet dagegen — paradox genug —, daß der Täter durch Organe der Gesellschaft eine Minderung seiner sonst geschützten Interessen erfährt, z.B. an Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen. Daß alle Gesellschaften i n der Vergangenheit wie i n der Gegenwart es als notwendig angesehen haben, auf diese i n hohem Grade negative Weise i n die Rechtsverhältnisse des Individuums einzugreifen, muß auf irgendeine Weise erklärt und verteidigt werden können. Daher haben auch seit Jahrhunderten Juristen und Philosophen sich m i t der Frage beschäftigt: Warum bestraft die Gesellschaft diejenigen, die bestimmte als Straftaten bezeichnete Handlungen begangen haben? Hinzu kommt die weitere Frage: Wie soll man strafen, damit die Strafe auf beste Weise ihren Zweck erfüllt? Diese Probleme sind i n der Gegenwart ständiger Gegenstand theoretischer Diskussionen und praktischer Überlegungen und pflegen zuweilen als ein besonderer Wissenschaftszweig unter dem Namen Kriminalpolitik bezeichnet zu werden. Die Straftheorien Hier soll nur an die Hauptmeinungen erinnert werden, die i m Laufe der Zeit hinsichtlich des Strafzwecks vertreten worden sind. I m Zusammenhang damit wollen w i r auch auf einige der praktischen Konsequenzen der „Straftheorien" hinweisen, die sich zur Erkenntnis des 17*
260
Das schwedische Strafrecht
Gesetzgebers herausgeschält haben, besonders mit Rücksicht auf die schwedischen Verhältnisse. Gemäß älterer Betrachtungsweise sollte das Ziel der Strafe sein, gerechte Vergeltung gegenüber dem Täter zu üben. Je nach dem Grad der i n seiner Tat geäußerten Schuld durfte die Gesellschaft i h m als Ausdruck ihrer ethischen Mißbilligung seines Handelns ein Leid zufügen. I n ihrer reinsten Form kann diese Auffassung nicht verteidigt werden. Die Rechtsordnung verfolgt praktische soziale Ziele und kann es nicht zur Aufgabe haben, religiöse oder ethische Prinzipien u m ihrer selbst w i l l e n zu verwirklichen — auch wenn diese Prinzipien wirklich die Vergeltung, d. h. daß Böses m i t Bösem gelohnt wird, fordern sollten. Schon frühzeitig hat man daher eingesehen, daß die Frage nach dem Zweck der Strafe m i t der Vergeltungstheorie nicht ausreichend beantwortet w i r d und daß die Strafe als juristische Institution auf andere Weise muß gerechtfertigt werden können. Dagegen ist die Forderung nach Gerechtigkeit, d. h. nach einer vernünftigen Proportion zwischen Strafe und der Auffassung der Mitbürger über die Verwerflichkeit der strafbaren Handlung i m hohen Maße berechtigt. Damit das Strafgesetz die später zu nennenden praktischen Aufgaben erfüllen kann, w i r d aufgrund gemachter Erfahrungen gefordert, daß es m i t der Auffassung der Mitbürger von der Gerechtigkeit übereinstimmt, auch wenn zugegeben werden muß, daß diese Auffassung oft mehr auf unreflektierten Gefühlen und Gruppeninstinkten basiert als auf vernünftigen Überlegungen über den sozialen Nutzen der Vergeltung für eine begangene Tat. Eine Kombination zwischen dem einen Prinzip, daß die strafenden Maßnahmen der Gesellschaft i n einem gerechten Verhältnis zu der begangenen Tat und zu der darin zutage getretenen Schuld des Täters stehen sollen, und zu dem anderen Prinzip, daß die Strafe bestimmte praktische Zwecke erfüllen soll, ist für einen Gesetzgeber die natürlichste Betrachtungsweise. Die praktischen Wirkungen, welche mit der Strafe erstrebt werden oder zumindest erstrebt werden sollen, bestehen i n der Bekämpfung oder Verhinderung von Straftaten als eines Übels i m Leben der Gesellschaft. Man spricht hierbei von Generalprävention und Individual Prävention (Spezialprävention), je nachdem, ob man nun die W i r k u n gen der Strafe auf die Bürger i n ihrer Allgemeinheit oder ihre W i r kungen auf den bestraften Täter selbst betrachtet. Die Auffassung von der näheren Bedeutung dieser beiden Wirkungsweisen der Strafe hat i m Laufe der Zeit gewechselt und ihren Ausdruck i n verschiedenen A n schauungen und Theorien gefunden.
Einleitung
261
Generalpräventive Wirkungen Was die Generalprävention betrifft, ist man sich seit Urzeiten darüber i m klaren, daß die Strafe nicht bloß dem Verbrecher selbst, sondern auch anderen als Warnung dient. Frühzeitig dürfte man geglaubt haben, daß die Strafe und ihre öffentliche Vollstreckung i m einzelnen Fall unmittelbar abschreckend auf den wirken würde, der zufällig i n die Versuchung geraten würde, das Gesetz zu übertreten. M i t dieser Anschauung konnte man möglicherweise die nach unserer Meinung oft übermäßig grausamen Strafen (ζ. B. Körperstrafen wie Prügel und Verstümmelung) begründen, an denen i n der Gesetzgebung älterer Zeiten Überfluß war. Später hat man erkannt, daß diese Betrachtungsweise i n einer fehlerhaften Sozialpsychologie begründet ist und daß der generalpräventive Effekt der Strafe eher an die Strafdrohung des Gesetzes i m allgemeinen, wie diese vor den Augen der Allgemeinheit durch die Strafrechtssprechung verwirklicht wird, geknüpft ist. Der Abschreckungseffekt, den die Gewißheit des Eintritts der Strafe i m großen gesehen für den Menschen bedeutet, beruht nach dieser A u f fassung nicht auf der Strenge der Strafe, sondern auf dem Grad der Wahrscheinlichkeit der Entdeckung, Anklage und Verurteilung. Daß diese Wirkung des Strafgesetzes bedeutend ist, ist wohl ziemlich allgemein anerkannt, besonders wo es Delikten solcher Natur gilt, daß nicht nur moralische Hemmungen erwartet werden können, u m die Mitbürger von der Begehung der verbotenen Handlung abzuhalten. Neben dieser abschreckenden Wirkung der Strafdrohung kann diese jedoch auch vermutlich auf andere Weise, nämlich moralbildend und moralstärkend wirken. Die Tatsache, daß die Gesellschaft konsequent mit Strafen gegen bestimmte Taten vorgeht, beeinflußt auf lange Zeit h i n die moralischen Wertungen der Mitbürger, ihre Auffassungen von Recht und Unrecht, besonders wenn die Gesetzgebung m i t der üblichen Auffassung übereinstimmt und die Strafe als eine gerechte Reaktion auf das Verbrechen aufgefaßt wird. Der Bürger handelt i m großen gesehen i n Übereinstimmung m i t diesen von dem Gesetz geschaffenen oder bestätigten Wertungen, ohne daß die Strafdrohung i n jedem Einzelfall i n seiner Vorstellung lebendig ist. Individualpräventive Zielsetzungen Betrachtet man danach die individualpräventiven Wirkungen der Strafe, zeigt es sich, daß bedeutende Strafrechtsreformen — nicht zuletzt i n unserem Lande — auf die Straftheorien zurückzuführen sind, welche das Hauptgewicht gerade auf die Wirkungen der Strafe auf das verbrecherische Individuum selbst beziehen. Schon unsere alten Richterregeln, die dem Reformator Olavus Petri zugeschrieben zu werden
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Das schwedische Strafrecht
pflegen, betonen den humanitären Besserungsgedanken: „Denn alle Strafe muß der Besserung dienen und die Strafe muß wenn möglich eine solche sein, daß sie ihn, der bestraft wird, nicht daran hindert, sich zu bessern", heißt es m i t Recht. Erst während des letzten Jahrhunderts hat jedoch dieses Prinzip ernsthaft begonnen, den Inhalt der Strafgesetze zu beeinflussen. Anfangs führte der Besserungsgedanke zu einer Beseitigung unwürdiger Strafarten wie Körper- und Ehrenstrafen sowie der Gemeinschaftsgefängnisse, wo Personen verschiedener Kategorien zusammengepfercht wurden m i t dem leicht einzusehenden Erfolg, daß die Gefangenen moralisch gebrochen wurden. Die individualpräventiven Ideen erhielten jedoch unter dem Einfluß neuerer soziologischer und psychologischer Forschungen eine weitere Bedeutung. Es gilt nicht bloß zu versuchen, durch eine humane und erzieherische Behandlung i n den Strafanstalten den Täter moralisch zu bessern. Durch Berufsausbildung und verschiedene erziehende und stützende soziale Maßnahmen versucht man jetzt i m Zusammenhang m i t der Vollstreckung der Freiheitsstrafe und der Ausgestaltung der übrigen Deliktsfolgen, welche anstelle dieser Reaktionsform treten können, den Gesetzesbrecher wieder einzugliedern, so daß er der Gesellschaft als ein gesetzestreuer Bürger wiedergegeben werden kann. Wenn die Ursache der Tat des einzelnen i n physischer oder psychischer Krankheit oder anderen psychischen Abweichungen zu suchen ist, darf nach den spezialpräventiven Prinzipien die Strafe ersetzt oder kombiniert werden m i t Fürsorgemaßnahmen passender A r t , ζ. B. psychiatrische Betreuung oder Alkoholikerfürsorge. Eine Konsequenz dieser Forderung muß sicherlich werden, daß die traditionellen Deliktsfolgen i n bestimmter Weise ihre Sonderstellung verlieren und m i t anderen sozialen Maßnahmen von mehr oder weniger zwangsbetontem Charakter i n Einklang gebracht werden. Schließlich kann man nicht übersehen, daß bestimmte Täter ihrer Natur nach solche sind oder sich durch die Macht der Umstände dazu entwickelt haben, daß die Aussichten auf ihre Wiedereingliederung sehr gering sind. Der Gesellschaft muß es dann daran gelegen sein, sich dadurch zu schützen, daß sie Personen, die m i t Fug als gefährlich für die Sicherheit von Personen und Eigentum anderer angesehen werden können, für längere oder kürzere Zeit unschädlich macht. Was hier dargelegt wurde, kann als ein Bericht über die kriminalpolitischen Ideen bezeichnet werden, die die Reformarbeit bis zum Strafgesetz (BrB) 1962 geleitet haben. Seit dem Ende der sechziger Jahre ist jedoch eine Reaktion auf die hier geschilderte „Behandlungsideologie" erfolgt. Kriminologische Untersuchungen verschiedener Pflege- und Behandlungsformen haben nämlich gezeigt, daß diese trotz der guten Vorsätze, die hinter ihrer Einführung standen, ineffektiv
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sind. Man beginnt daher i n immer weiteren Kreisen es als fehlerhaft anzusehen, Gesetzesübertreter zwangsweise Behandlungsmaßnahmen auf unbestimmte Zeit zu unterwerfen, wenn die Aussichten auf ein gutes Resultat oft sehr unsicher sind. Schwedische Rechtsentwicklung Das schwedische Recht, wie es bis i n die jüngste Zeit entwickelt worden ist, drückt die oben erwähnten etwas älteren kriminalpolitischen Grundgedanken aus. Der Vollzug der Gefängnisstrafe und anderer freiheitsentziehender Deliktsfolgen w i r d durch ein bedeutendes Maß Individualisierung i n der Behandlung und Differenzierung der Klientel sowie durch einen stufenweisen Übergang zur Betreuung außerhalb der Anstalt und Nachbetreuung nach dem Ende der eigentlichen Strafzeit geprägt. Solche Tatfolgen wie Schutzaufsicht und Jugendgefängnis sind von dem Streben nach Wiedereingliederung und Erziehung m i t Gewicht auf dem Strafvollzug i n Freiheit geprägt. I m Institut der bedingten Verurteilung und i n den prozeßrechtlichen Regeln über die Befugnis der Anklagebehörden zum Absehen von einer Anklage i n mehr bagatellartigen Fällen kommt der Wunsch der Gesellschaft zum Ausdruck, schädliche Wirkungen der Strafe auf Personen zu vermeiden, die keiner anderen Ermahnung als derjenigen bedürfen, die i n der Verfolgung oder Entdeckung der begangenen Tat liegt. Der besondere Betreuungs- und Behandlungsbedarf, der bei bestimmten Gruppen von Tätern vorliegen kann, w i r d durch die neue Form der Tatfolge der Einweisung in besondere Fürsorge, u. a. gemäß dem Jugendfürsorgegesetz und den Gesetzen über verschiedene Formen psychiatrischer Betreuung berücksichtigt. Der Bedarf der Gesellschaft an Schutz gegen gefährliche Täter, für die diese Fürsorgeformen nicht gedacht sind, w i r d durch die Tatfolge der Internierung, die eine recht langfristige Freiheitsentziehung auf relativ unbestimmte Zeit bedeutet, erfüllt. Die Skepsis gegenüber einer Behandlung, die wie oben geschildert sich i n den letzten Jahren gezeigt hat, hat noch nicht zu Gesetzesänderungen geführt. Man kann jedoch beobachten, daß zeitlich unbestimmte Folgen wie Jugendgefängnis und Internierung i n geringerem Umfang als früher verhängt werden. Wahrscheinlich w i r d i n einer nahen Zukunft das Jugendgefängnis abgeschafft werden und w i r d die Internierung abgeschafft oder wesentlich eingeschränkt werden. Eine solche Änderung i n der Gesetzgebung ist i n Dänemark und Norwegen bereits i m Gang. Schließlich muß beachtet werden, daß bei der großen Menge geringfügiger Gesetzesübertretungen und reiner Ordnungswidrigkeiten, welche
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i n der modernen Gesellschaft vorkommen, die individualpräventiven Betreuungs- und Behandlungsgesichtspunkte hinter das Bedürfnis der Gesellschaft zurücktreten, den allgemeinen Gesetzesgehorsam durch ziemlich mechanisch wirkende repressive Sanktionen aufrechtzuerhalten. I n bestimmten Fällen spielen hierbei zeitbestimmte kurze Gefängnisstrafen eine wichtige Rolle. Dies gilt vor allem für Delikte wie Trunkenheit am Steuer, fahrlässige Tötung oder Wehrdienstverweigerung. Gewöhnlich überwiegt jedoch die Geldstrafe, deren Wirkungen hauptsächlich allgemeinpräventiver Natur sein dürften, obwohl sie für den Verurteilten selbst natürlich auch Bedeutung als Denkzettel für die Zukunft haben kann. I n einem späteren Abschnitt dieser Darstellung werden die Hauptregeln der verschiedenen Tatfolgen jeweils für sich dargestellt.
D i e Quellen des schwedischen Strafrechts Das allgemeine Strafrecht (Brottsbalk = BrB) Die Kenntnis der Regeln de? geltenden schwedischen Rechts über Straftat und Tatfolgen w i r d durch ein Studium der entsprechenden Gesetzgebung gewonnen. Der bedeutendste Teil dieser Gesetzgebung ist der Brottsbalk von 1962 (BrB*), welcher anfangs 1965 das Strafgesetz (SL) von 1864 ersetzt hat und eine Menge sich i h m anschließender Gesetze, welche als eine Frucht der i n unserem Land schrittweise durchgeführten Strafrechtsreform zustandekamen. Die sukzessive Reformarbeit hat auch wesentliche Teile des eigentlichen Inhalts des Strafgesetzes umfaßt, und die revidierten Strafgesetzkapitel haben dann i n ziemlich unveränderter Gestalt i n den neuen Brottsbalk einfließen können. So wurden 1942 der wichtige Abschnitt über die Vermögensdelikte sowie die Bestimmungen über den Versuch umgearbeitet. Danach folgte 1948 die umfassende Gruppe der Delikte gegen den Staat und die Allgemeinheit sowie die Regeln über die Vorbereitung und M i t w i r k u n g bei Straftaten sowie über die Deliktsfolge der Einziehung. Die übrigen Teile des Strafgesetzes wurden umgearbeitet und ergänzt i m Zusammenhang mit der Schlußredaktion des Brottsbalk. Nach seinem Inkrafttreten ist der B r B jedoch i n mehreren Punkten * Das schwedische W o r t balk bedeutet i n der Rechtssprache Abschnitt des Schwedischen Reichsgesetzes (Sveriges Rikes Lag); brott bedeutet Straftat. Der Brottsbalk ist der das Strafrecht regelnde Abschnitt des Schwedischen Reichsgesetzes. Gerhard Simson übersetzt brottsbalk m i t „Kriminalgesetzbuch". Hier w u r d e von einer Übersetzung des Begriffs abgesehen, zumal die amtliche A b k ü r z u n g „ B r B " i n einer Übersetzung nicht anders wiedergegeben werden könnte. Der B r B ist i n Kapitel, jedes K a p i t e l wieder i n Paragraphen eingeteilt. Zitierweise: Kap. 1 § 1, abgekürzt: 1:1.
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geändert worden, sowohl was die allgemeinen Verbrechensregeln und die Deliktsfolgen betrifft, als auch hinsichtlich der einzelnen Delikte. Eine Reihe wichtiger Gesetze und anderer Verordnungen des Jahres 1964 ergänzen den B r B m i t Vorschriften, welche zweckmäßigerweise nicht i n dieses Gesetz selbst eingeführt werden sollten. Hierzu gehört das Gesetz über besondere Bestimmungen betreffend jugendliche Täter, das Gesetz über die Personenuntersuchung i m Strafprozeß, das Gesetz über die Vollstreckung der Geldstrafe sowie die Bekanntmachung von Bestimmungen über die Behandlung i n Freiheit dessen, der zu einer Deliktsfolge verurteilt worden ist. I n engem Zusammenhang m i t den Regeln i m B r B stehen auch das Gesetz von 1963 über das allgemeine Strafregister und die Bestimmungen i m Prozeßgesetz 20:7, die die Befugnis des Anklägers regeln, von einer Anklage abzusehen; sie sind durch gewisse Änderungen 1964 dem B r B angepaßt worden. Genannt werden muß auch das wichtige Gesetz von 1966 über Anordnung geschlossener psychiatrischer Pflege i n bestimmten Fällen. Eine bedeutungsvollere Form der Kriminalpflege stellt die Annahme des Gesetzes von 1974 über die Kriminalpflege i n einer Anstalt dar, welches das Gesetz von 1964 über die Behandlung i n einer Strafanstalt ersetzt. Das Spezialstrafrecht Ein dem Umfang nach bedeutender Teil der schwedischen Strafrechtsgesetzgebung besteht i n dem, was als Spezialstrafrecht bezeichnet zu werden pflegt. Hiermit sind die strafrechtlichen Bestimmungen gemeint, die sich i n Gesetzen sehr verschiedener A r t ohne näheren Zusammenhang mit der zentralen Gesetzgebung i m Brottsbalk und ohne eigentlichen inneren Zusammenhang wiederfinden. Von Bedeutung sind ζ. B. die strafrechtlichen Bestimmungen i n der Druckfreiheitsverordnung. Genannt werden müssen auch die Strafbestimmungen i n den Verkehrsgesetzen, Steuer- und Zollgesetzen sowie i n Gesetzen, welche die öffentliche Ordnung und den öffentlichen Haushalt betreffen. Hinsichtlich des Spezialstrafrechts entstehen nicht selten besondere Schwierigkeiten bei der Rechtsanwendung dadurch, daß den über eine große Zahl verschiedener Gesetze zerstreuten Strafbestimmungen oft die Entsprechung i n den allgemeinen Regeln fehlt, welche i m Brottsbalk den Grund für die Anwendimg der Strafvorschriften für die besonderen Delikte sowie der Regeln über die Deliktsfolgen bilden. Die Praxis ist daher auf eine analoge Anwendung der Bestimmung des Brottsbalk i n gewissem Umfang angewiesen. Die folgende Darstellung berücksichtigt das Spezialstrafrecht nicht, auch wenn einzelne Bestimmungen ausnahmsweise erwähnt werden.
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Die Einführungsgesetzgebung (Promulgationsgesetzgebung = BrP) Wie oben erwähnt, ist der neue Brottsbalk Anfang 1965 i n K r a f t getreten. Die Regeln hierüber findet man i m Gesetz von 1964 über die Einführung des Brottsbalk. Gemäß der Bestimmungen i n diesem sogenannten Promulgationsgesetz ersetzt der neue Brottsbalk sowohl das Strafgesetz von 1864 wie eine Reihe anderer Gesetze, die dieses Gesetz auf die oben erwähnte Weise ergänzt haben. I m Einführungsgesetz findet man eine Reihe ganz verwickelter Übergangsbestimmungen, welche hauptsächlich durch die veränderte Ausformung des Deliktsfolgensystems veranlaßt sind. Abgesehen von den genannten Sonderbestimmungen w i r d durch B r B § 5 Abs. 1 und 2 der wichtige Rechtsgrundsatz aufgestellt, daß neuer oder verschärfter Strafgesetzgebung keine rückwirkende Kraft zukommen darf. So darf niemand wegen einer Tat verurteilt werden, für die eine Strafe zur Zeit ihrer Begehung überhaupt nicht bestimmt war. Die Strafe soll nach dem Gesetz bestimmt werden, das zur Zeit der Tat galt. Gilt bei der Urteilsverkündung ein anderes Gesetz, soll dieses Gesetz nur angewendet werden, wenn es zu Straffreiheit oder zu einer geringeren Strafe führt. Dieses Prinzip, welches sozusagen bedeutet, daß ein neues Gesetz rückwirkende Kraft haben darf, wenn es zu einem milderen Resultat i m Einzelfall führt, ist jedoch nicht ganz ohne Ausnahme. M i t Rücksicht auf die Notwendigkeit, den allgemeinen Gesetzesgehorsam aufrechtzuerhalten, soll die Hauptregel, daß die Strafbestimmungen anzuwenden sind, die zur Zeit der Tatbegehung galten, i n vollem Umfang gelten, wenn es sich u m eine Tat handelt, die während einer bestimmten Zeit aufgrund besonderer Verhältnisse m i t Strafe bedroht war. Hiermit sind insbesondere Strafbestimmungen i n Krisengesetzen und anderen Gesetzen von begrenzter Gültigkeitsdauer gemeint.
Die Systematik des Brottsbalk Der neue Brottsbalk zerfällt i n drei Hauptabteilungen. Die erste kurze Abteilung (umfassend Kapitel 1 und 2) enthält bestimmte allgemeine Vorschriften, die zweite Abteilung umfaßt die Bestimmungen über die einzelnen Delikte (Kapitel 3 - 22) und — i m Anschluß hieran — die zu dem Allgemeinen Teil des Strafrechts gehörenden Bestimmungen über die sogenannten besonderen Formen der Straftat, d.h. Versuch, Vorbereitung, Verabredung und M i t w i r k u n g an der Tat (Kapitel 23), sowie über Notwehr und andere Nothandlungen (Kapitel 24). Die dritte Hauptabteilung des Gesetzes (Kapitel 25 - 38) enthält die näheren Regeln über die Tatfolgen sowie bestimmte Vorschriften organisato-
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rischer und prozessualer Natur. Die einzelnen Delikte werden i n späteren Abschnitten dieser Darstellung behandelt. Der größere Teil des vorliegenden Abschnittes bringt einen Bericht über das strafrechtliche Folgensystem. Danach w i r d Kapitel 23 über die Formen des Delikts sowie die Gründe für den Ausschluß der Strafbarkeit, die i m Kapitel 24 geregelt sind, behandelt. Die Gliederung folgt auch sonst nicht der Ordnung des Gesetzes; so hat es sich als zweckmäßig erwiesen, i n einem Zusammenhang alle die Regeln darzustellen, welche die Freiheit von (strafrechtlicher) Verantwortung statuieren, sei es, daß sich diese i n dem oben erwähnten Kapitel 24, sei es, daß sie sich an verschiedenen Stellen i n der dritten Abteilung des Brottsbalk befinden.
Allgemeine Bestimmungen Straftat und Tatfolgen Richten w i r zuerst unsere Aufmerksamkeit auf die allgemeinen Bestimmungen i m B r B Kapitel l 1 , finden w i r hier terminologische Erklärungen und prinzipielle Bestimmungen von grundlegender Bedeutung für die Gesetzgebung i n ihrer Gesamtheit. Es erscheint daher begründet, bei diesen Bestimmungen und den Prinzipien, welchen sie Ausdruck verleihen, zu verweilen. Der Gesetzgeber hat es für angebracht gehalten, i n der Einleitung eine nähere Bestimmung der Begriffe Straftat und Tatfolgen zu geben. Die Definition (in 1:1) des ersteren dieser Begriffe — „Straftat ist eine Tat, für welche i n diesem oder i n einem anderen Gesetz oder i n einer Verordnung eine Strafe nachstehender A r t bestimmt ist" — ist Ausdruck des Legalitätsprinzips, welches schon früher, ohne daß es jedoch direkt i m Gesetz ausgesprochen wurde, als grundlegend für das schwedische Strafrecht angesehen wurde. Das ist nun ausdrücklich festgelegt, teils i n der obengenannten Vorschrift i m BrP § 5, teils i n der Verfassung des Jahres 1974. Obwohl Einigkeit über die rechtsstaatlichen Prinzipien des schwedischen Strafrechts herrscht, hat das neue Gesetz keinen ausdrücklichen Standpunkt bezogen zu der empfindlichen Frage über die Zulässigkeit einer analogen Gesetzesanwendung, welche den kriminalisierten Bereich ausdehnt. Aus den Vorarbeiten des Gesetzes geht jedoch hervor, daß zur Gesetzesanalogie nur i n solchen klar abgegrenzten Ausnahmefällen gegriffen werden darf, bei denen Unvollständigkeiten der Gesetzgebung sonst zu nicht zufriedenstellenden Resultaten leiten w ü r 1
Wenn nichts anderes angegeben, beziehen sich die Hinweise auf K a p i t e l und Paragraphen des B r B .
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den. Als Beispiel kann genannt werden, daß bestimmte allgemeine strafrechtliche Bestimmungen, wie die Regeln über örtliche und zeitliche Geltung des Strafgesetzes und über eine vorsätzliche M i t w i r k u n g am Delikt nach einer festen Praxis i m Spezialstrafrecht (Verkehrsstrafrecht, Steuerstrafrecht usw.), analog angewendet werden, wenn nichts anderes bestimmt ist. Das neue Gesetz bringt i n dieser Hinsicht keine Änderung. Die Motive schärfen die Bedeutung der Zurückhaltung einer analogen Gesetzesanwendung ein, soweit es Ausweitungen des kriminalisierten Bereichs betrifft; dagegen ist es nicht als gleich bedenklich angesehen worden, daß die Rechtspraxis ohne direkte Unterstützung durch das Gesetz Regeln über die Freiheit von strafrechtlicher Verantwortung i n bestimmten Ausnahmefällen entwickelt. Aus den einleitenden Bestimmungen (in 1:2) geht auch hervor, daß als Straftaten nur vorsätzlich begangene Taten angesehen werden, wenn nichts Besonderes bestimmt ist. Hierzu soll lediglich bemerkt werden, daß sich i n dem Deliktskatalog des Gesetzes nur eine geringe Zahl sogenannter culposer, d. h. aus Unachtsamkeit begangener Delikte befindet. Als Beispiel können genannt werden: Verschulden des Todes oder schwerer Körperschäden eires anderen (3:7 und 3:8), culpose Hehlerei, sogenann te Hehlerei Verfehlung (9:7), falsche Strafanzeige und falsche Anschuldigung (15:6 und 15:7) sowie gemeingefährliche Fahrlässigkeit, z.B. m i t Feuer- oder Sprengstoffen (13:6). Bestimmte Straftaten sind strafbar nicht nur, wenn sie vorsätzlich begangen werden, sondern auch wenn grobe Fahrlässigkeit dem Täter zum V o r w u r f gereicht. Hier können solche Deliktstypen wie bestimmte Sonderfälle gemeingefährlicher Straftaten und die fahrlässig falsche Bekundung (15:3) genannt werden. Eine bedeutungsvolle allgemeine Bestimmung befindet sich sodann i m Einleitungskapitel des Gesetzes (1:2 Abs. 2). Hier w i r d der Grundsatz aufgestellt, daß eine i n einem selbstverschuldeten Rauschzustand oder einem anderen selbstverschuldeten Verwirrungszustand begangene Tat gleichwohl als Straftat anzusehen ist. Sie w i r d nach den gewöhnlichen Regeln bestraft ohne Rücksicht auf die durch den Rausch usw. bedingte Sinnesbeschaffenheit des Täters. Ausnahmsweise dürfte doch, falls die Tat unter dem Einfluß bestimmter angegebener anormaler Zustände begangen wird, die Bestimmung (in 33:2) über die Freiheit von Tatfolgen oder die Anordnung psychiatrischer Betreuung auch bei selbstverschuldetem Rausch angewendet werden, nämlich wenn es sich u m einen sogenannten pathologischen Rauschzustand handelt. Schon aus der oben zitierten Definition des Begriffs der Straftat geht hervor, daß das neue Gesetz den Begriff Strafe wie einen Eckstein i m strafrechtlichen System beibehält. Als ein Zugeständnis an die Ideo-
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logie, die den individualpräventiven Behandlungs- und Schutzgedanken auch i n terminologischer Hinsicht i n den Vordergrund hat rücken wollen, hat der Gesetzgeber jedoch (in 1:3) die allgemeinen Strafen (Geldstrafe und Gefängnis) und die Disziplinstrafen für Soldaten sowie die überwiegend individualpräventiv ausgebildeten Reaktionen der bedingten Verurteilung, Schutzaufsicht, Jugendgefängnis, Internierung und der Anordnung besonderer Betreuung nebeneinander gestellt unter der gemeinsamen Bezeichnung Tatfolgen. Gleichwohl herrscht insoweit Ungleichheit zwischen den verschiedenen Arten der Tatfolgen, als nur die Strafen i n den Bestimmungen über die einzelnen Delikte i n der zweiten Abteilung des Gesetzes genannt werden. Diese Folgen können und sollen i m Prinzip stets i n Übereinstimmung m i t dem betreffenden Strafgebot verhängt werden, wenn keine anderen Tatfolgen zur Anwendung kommen. Die übrigen Deliktsfolgen werden unter den besonderen Voraussetzungen auferlegt, wie sie für jede dieser Folgen in der dritten Abteilung des Gesetzes angegeben werden, auch wenn sie nicht i n den Bestimmungen über die einzelnen Delikte genannt werden (vgl. 1:4).
Die Anwendung des schwedischen Rechts Kapitel 2 des Gesetzes behandelt die zum Teil recht verwickelten Bestimmungen über die Anwendung schwedischen Rechts oder — wie man es auch auszudrücken pflegt — die Frage über den örtlichen Geltungsbereich des schwedischen Strafrechts. Der Hintergrund der betreffenden Regeln ist kurz dieser. Kompetenzkonflikte
Die Bestimmungen des allgemeinen schwedischen Straf rechts sind ein Ausdruck der Rechtsordnung der schwedischen Gesellschaft und fordern i n der Regel für ihre Anwendbarkeit, daß die begangene Tat auf irgendeine Weise einen Angriff gerade auf die Rechtsordnung Schwedens bedeutet. Die Strafgesetze anderer Staaten stehen neben dem schwedischen m i t einem Anspruch auf Anwendung, sobald man sagen kann, daß sich die Tat gegen Interessen richtet, welche unter dem Schutz der fremden Rechtsordnung stehen. Die Kompetenzkonflikte, die zwischen inländischen und ausländischen Strafgesetzen entstehen können, werden nach den Regeln des sogenannten internationalen Straf rechts gelöst. Diese Bezeichnung ist jedoch irreführend und darf nicht zu der Annahme führen, daß es eine überstaatliche Ordnung gäbe, welche die Bestrafung der verschiedenen Deliktsfälle zwischen den Gerichten der verschiedenen interessierten Staaten verteilen würde, sondern die Rechtsordnung jedes Landes löst diese Frage für
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ihren eigenen Teil, indem sie den Geltungsbereich des eigenen Strafrechts bestimmt, ohne unbedingt vor der Kompetenz zu weichen, die die Strafgesetze anderer Länder sich zulegen. Die sogenannten positiven Kompetenzkonflikte (d. h. Fälle, i n denen die Strafgesetze mehrerer Länder auf dieselbe Tat anwendbar sind) sind daher sehr zahlreich. Zum Teil werden sie durch Zusammenarbeit der betroffenen Länder gelöst, ζ. B. durch Auslieferung eines Rechtsbrechers. Es kommt auch vor, daß ein Urteil eines Gerichtes eines Landes i n einem anderen Land vollstreckt wird. Diese internationale Zusammenarbeit w i r d i m folgenden näher behandelt. Hauptprinzipien im Brottsbalk Die Regeln des schwedischen Rechts über die örtliche Geltung des Strafgesetzes sind, wie bereits erwähnt, i n Kapitel 2 B r B enthalten. I m Prinzip ist dieses Kapitel auch auf das Spezialstrafrecht anwendbar. Nach Gesetzesänderungen i n den Jahren 1972 und 1973 ist das Kapitel ziemlich kompliziert und schwer übersichtlich geworden. Hier sollen nur die Hauptprinzipien dargestellt werden. Die Regeln beruhen i n erster Linie auf dem sogenannten Territorialitätsprinzip, das entscheidendes Gewicht auf den Tatort legt, aber sie nehmen gemäß dem sogenannten Personalitätsprinzip auch Rücksicht auf Nationalität und Wohnort des Täters sowie gemäß dem sogenannten Schutzprinzip auch auf den schwedischen Charakter des durch die Tat verletzten Interesses. I n einigen Fällen w i r d das sogenannte Universalitätsprinzip angewandt, gemäß welchem die Taten ohne Rücksicht auf den Tatort, die Nationalität oder den Wohnort des Täters oder die internationale Anknüpfung des verletzten Interesses strafrechtlich verfolgt werden. I n gewissen Fällen ist die Kompetenz des schwedischen Rechts absolut. I n anderen Fällen ist sie abhängig von einer Ermächtigung zur Anklage durch die Regierung oder die Behörde, welche damit von der Regierung beauftragt ist (der Reichsankläger hat für eine Reihe von Fällen eine solche Ermächtigung generell erhalten). Vor dem Hintergrund dieser Grundsätze stellt das Gesetz folgende Hauptregeln auf. Ohne Rücksicht auf die Nationalität des Täters sollen i n Übereinstimmung mit dem Territorialitätsprinzip gemäß schwedischem Strafrecht und bei einem schwedischen Gericht die i m Inland begangenen Taten abgeurteilt werden. Dasselbe gilt, wenn es ungewiß ist, wo die Tat verübt wurde, aber die Annahme begründet ist, daß sie i n Schweden begangen worden ist (2:1). Das schwedische Territorium umfaßt nicht nur das Land-, sondern auch das Seeterritorium, dessen Grenzen i n dem Gesetz von 1966 über Schwedens Seeterritorium näher beschrieben werden, sowie den Luftraum oberhalb dieser Gebiete. M i t Rücksicht auf die Zweifel, die hinsichtlich der Lokalisierung der Tat i n
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solchen Fällen herrschen, wenn verschiedene Stadien des Handlungsablaufes sich auf den Gebieten verschiedener Staaten abgespielt haben, stellt das Gesetz (in 2:4) die ergänzende Bestimmung auf, daß eine Tat als begangen angesehen w i r d dort, wo die verbrecherische Handlung verübt wird, und auch dort, wo die Tat vollendet wird. Gewisse Zweifel herrschen, inwieweit m i t diesem letzten Ausdruck nicht bloß verstanden werden soll, daß der unmittelbare Erfolg der Tat i n Schweden eingetreten ist, ζ. B., daß jemand durch eine vom Ausland an einen schwedischen Adressaten gesandte explosive Ware verletzt worden ist, sondern auch daß jemand durch ein Attentat i m Ausland verletzt worden, aber erst nach seiner Heimkehr nach Schweden verstorben ist. Bei Versuch eines Delikts gilt die Tat als i n Schweden begangen, wenn das geplante Delikt hier vollendet worden wäre. Für außerhalb Schwedens begangene Straftaten gelten besondere Regeln. Ein schwedisches Gericht kann nur schwedisches Strafrecht anwenden, m i t einer Ausnahme: Gemäß § 3 des Gesetzes vom 10. Dezember 1971 über die Bestrafung i m Ausland begangener Straßenverkehrsdelikte kann ein schwedisches Gericht zu einer Strafe (Geldstrafe von höchstens 500 Kronen) wegen i n einem anderen nordischen Land begangener Verkehrsübertretungen vei urteilen, auch wenn eine schwedische Strafvorschrift nicht verletzt worden ist (s. a. § 2 desselben Gesetzes). Die erste Voraussetzung dafür, daß aus schwedischer Sicht eine Straftat i m Ausland vorliegt, ist also (abgesehen von bestimmten Verkehrsübertretungen i m Norden), daß eine schwedische Straf Vorschrift übertreten worden ist und daß diese Strafbestimmung nach schwedischem Recht auch im Ausland gilt. Ob das der Fall ist, ist oft schwer zu entscheiden. Die Regeln über zentrale Straftaten nach dem BrB, z.B. Mord, Totschlag, Körperverletzung und Vermögensdelikte, werden auch außerhalb Schwedens als gültig angesehen. Dasselbe gilt nach § 1 des Gesetzes über die Bestrafung i m Ausland begangener Verkehrsdelikte, Straftaten nach dem Gesetz (1951:649) über die Strafbarkeit bestimmter Verkehrsdelikte (Verkehrsfahrlässigkeit, unerlaubtes Fahren, Trunkenheit am Steuer, Fahrerflucht u. a.). Vorschriften über die Störung der öffentlichen Ordnung gelten dagegen nur i n Schweden. Trunkenheit und ärgerniserregendes Verhalten (16:15 und 16:16) können somit von einem schwedischen Gericht nur abgeurteilt werden, wenn sie i n Schweden begangen werden. Strafvorschriften können auch andere Begrenzungen haben, die ihre Anwendung i m internationalen Zusammenhang beeinflussen. Somit dienen die Kapitel 17-22 hauptsächlich dem Schutz schwedischer Interessen (s. u. bei Die einzelnen Straftaten). Die Bestimmung i n 17:1 über Gewalt gegen einen Amtsträger schützt somit nur einen schwedischen Amtsträger. Die Mißhandlung eines
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schwedischen Amtsträgers i m Ausland kann also von einem schwedischen Gericht als Gewalt gegen einen Amtsträger bestraft werden, während die Mißhandlung eines ausländischen Amtsinhabers nur als Körperverletzung gemäß 3:5 bestraft werden kann. Wenn i m Ausland eine Straftat begangen wurde, die gegen eine schwedische Strafvorschrift verstößt, welche auf diese Weise nach schwedischer Auffassung auch i m Ausland gilt, w i r d die Frage, ob ein schwedisches Gericht eine Strafe wegen dieser Tat verhängen kann, durch die Regeln i n 2:2 und 2:3 entschieden. Die Hauptregel ist i n 2:2 enthalten und gilt für Taten, die i m Ausland von folgenden Kategorien von Personen verübt worden sind: 1. schwedischer Staatsbürger oder Ausländer mit Wohnsitz i n Schweden, 2. Ausländer ohne Wohnsitz i n Schweden, der Staatsangehöriger eines anderen nordischen Landes (Dänemark, Finnland, Island oder Norwegen) ist und sich i n Schweden aufhält oder nach Tatbegehung schwedischer Staatsangehöriger geworden ist oder in Schweden seinen Wohnsitz genommen hat, 3. anderer Ausländer, der sich i n Schweden aufhält unter der Voraussetzung, daß die Tat so schwer ist, daß sie nach schwedischem Recht Gefängnis von mehr als sechs Monaten m i t sich führen kann. Eine Voraussetzung für die Verfolgung einer i m Ausland begangenen Straftat i n Schweden gemäß 2:2 ist das Vorliegen der sogenannten doppelten Strafbarkeit. Das bedeutet, daß die Tat sowohl nach schwedischem Recht als auch nach dem Recht des Tatorts strafbar sein muß. I n Analogie m i t der Forderung nach doppelter Strafbarkeit gilt weiter, daß ein schwedisches Gericht nicht zu einer strengeren Deliktsfolge als zu der strengsten Strafe, die für die entsprechende Straftat i m Strafgesetz des Tatorts angedroht wird, verurteilen darf. Das Gesagte bedeutet u. a., daß Trunkenheit am Steuer, begangen von einem Schweden i m Ausland — obwohl die Vorschrift über Trunkenheit am Steuer als außerhalb Schwedens gültig angesehen w i r d —, von einem schwedischen Gericht nur bestraft werden kann, wenn dieselbe A r t von Trunkenheit nach dem Recht des Tatorts strafbar ist und daß dafür keine strengere Strafe verhängt werden darf als die, die nach dem Recht des Tatorts möglich ist. W i r d die Tat an einem Ort verübt, der zu keinem Staatsgebiet gehört, ζ. B. auf dem offenen Meer oder i n der Antarktis, kann die Forderung nach doppelter Strafbarkeit selbstverständlich nicht aufgestellt werden. Damit eine an einem solchen Ort verübte Tat i n Schweden soll abgeurteilt werden können, w i r d stattdessen gefordert, daß nach schwedischem Recht eine strengere Strafe als Geldstrafe auf die Tat folgen kann.
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I n bestimmten Fällen ist der Gesetzgeber jedoch der Auffassung, daß eine ausländische Tat von einem schwedischen Gericht auch dann soll verfolgt werden können, wenn die Tat nach dem Recht des Tatorts nicht strafbar ist. Hier machen sich vor allem das Schutz- und das U n i versalitätsprinzip geltend. Die Regeln über die Ausnahme von der Forderung nach doppelter Strafbarkeit und anderen Anforderungen i n 2:2 befinden sich i n 2:3. Die Ausnahmen werden i n folgende sechs Gruppen eingeteilt: 1. Eine Tat, die auf einem schwedischen Schiff oder Luftfahrzeug oder außerhalb des Schiffes i m Dienst vom Befehlshaber oder einem Besatzungsmitglied verübt wurde, 2. eine Straftat, die von einem Soldaten auf einem Gebiet, auf dem sich die schwedische Militärmacht befand (und bestimmte andere Fälle), begangen wurde, 3. eine Tat, die gegen schwedische öffentliche Interessen (schwedischer Staat, schwedische Gemeinde oder eine andere „Personengruppe" oder schwedische öffentliche Einrichtung) begangen wurde, 4. eine Tat, die gegen ein schwedisches privates Interesse innerhalb eines Gebietes, welches keinem Staat gehört (z. B. Diebstahl ζ. N. eines schwedischen Staatsbürgers an Bord eines ausländischen Fahrzeugs auf dem offenen Meer), begangen wurde, 5. Kaperung eines Luftfahrzeuges und Luftfahrtsabotage, Versuch dieser Straftaten, sowie Völkerrechtsverletzung (siehe dort), 6. sehr schwere Straftaten, d. h., wenn die mildeste Strafe nach schwedischem Recht vier Jahre Gefängnis oder mehr ist (ζ. B. Mord und Totschlag, Menschenraub und schwerer Raub). Wie oben angedeutet, werden die jetzt dargestellten Hauptregeln modifiziert durch die besonderen Vorschriften darüber, daß eine Anordnung der Regierung oder des Reichsanklägers dafür erforderlich ist, daß i n bestimmten Fällen eine Anklage erhoben werden darf. Entweder kann das Interesse an einer Bestrafung der Tat i n Schweden sehr gering sein, oder es muß das Recht eines fremden Staates, gegen die Tat einzuschreiten, berücksichtigt werden, oder es können andere Gründe dafür vorliegen, daß die Tat i n Schweden nicht verfolgt werden soll. Von den Fällen, i n denen die Anklagefrage somit zum Gegenstand für eine diskrete Prüfung durch die Regierung oder ihren Beauftragten gemacht wird, kann genannt werden, daß die Tat i n Schweden auf einem ausländischen Schiff oder Luftfahrzeug von einem Ausländer, der Befehlshaber oder Mitglied der Besatzung des Schiffes war oder sonst auf diesem mitfuhr, gegen einen Ausländer oder gegen ausländische Interessen verübt worden ist (2:5 Abs. 1). Das Schutzprinzip erfordert hier kein 18 Ausländisches Strafrecht V
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schwedisches Eingreifen, sondern es kann Rücksicht auf die enge Zusammengehörigkeit des Schiffs m i t dem Land seiner Flagge genommen werden. Umgekehrt fordert das Gesetz (2:5 Abs. 2) eine absolute K o m petenz für das schwedische Strafrecht, wenn die Tat außerhalb Schwedens auf einem schwedischen Schiff oder Luftfahrzeug oder i m Dienst von einem Befehlshaber oder einem Mitglied der Besatzung begangen worden ist oder wenn sie von einem Soldaten an einem Ort begangen wurde, an dem sich eine Abteilung der schwedischen Militärmacht befand. Von praktischer Bedeutung ist vor allem, daß eine besondere Anklageermächtigung nicht erforderlich ist, wenn die Tat i n Dänemark, Finnland, Island oder Norwegen oder auf einem Schiff oder Luftfahrzeug i m regulären Verkehr zwischen Orten der nordischen Länder verübt worden ist. Ebenso gilt schwedisches Recht ohne besondere Anordnung, wenn die Tat i m Ausland von einem Schweden oder Mitbürger der übrigen nordischen Staaten begangen worden ist und sich gegen die schwedischen Interessen gerichtet hat. Hier wirken somit das Schutzprinzip und das Personalitätsprinzip zu einer absoluten schwedischen Strafgesetzkompetenz zusammen. Hinsichtlich der übrigen Taten, welche i m Ausland von Schweden oder Ausländern verübt worden sind, w i r d eine besondere Anordung für die Anklage verlangt gemäß dem, was oben gesagt wurde. Wirkungen eines ausländischen Straf Urteils I m Zusammenhang m i t Schwedens Beitritt zu einer europäischen Konvention des Jahres 1970 über die internationalen Rechtswirkungen eines Strafurteils wurde i n den B r B ein § 5 a über die Wirkung bestimmter ausländischer Strafurteile eingefügt. Ist die Frage der Strafbarkeit wegen einer Tat von einem ausländischen Gericht i n einem Staat, der der genannten Konvention beigetreten ist, oder i n dem Staat des Tatorts geprüft worden und hat das ausländische Straf urteil Rechtskraft erlangt, darf nach 2:5 a der Betreffende wegen derselben Tat i n Schweden nicht angeklagt werden, wenn er 1. von dem ausländischen Gericht freigesprochen worden war, 2. der Tat für schuldig befunden worden war, ohne daß eine Folge ausgesprochen wurde, oder wenn 3. eine verhängte Folge völlig vollstreckt worden ist oder die Vollstreckung noch andauert, oder 4. wenn die verhängte Folge gemäß dem Recht des fremden Staates weggefallen ist. Von dieser Regel gibt es doch bestimmte wesentliche Ausnahmen für den Fall, daß eine Anklage nicht aufgrund des Ersuchens einer schwedischen Behörde erhoben wurde. I n diesem Fall hindert ein ausländisches Strafurteil eine Anklage bei einem schwedischen Gericht nicht wegen einer i n Schweden begangenen Tat, wegen einer Tat gegen ein
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schwedisches öffentliches Interesse, wegen Flugzeugentführung oder wegen des Versuchs dieser Taten, wegen einer Völkerrechtsverletzung oder wegen einer Tat, die so schwer ist, daß gemäß schwedischem Recht die niedrigste Strafe dafür vier Jahre Gefängnis oder mehr sind. Wenn die Frage der Verantwortlichkeit für eine Tat durch U r t e i l i n einem fremden Staat geprüft worden ist und nach den erwähnten Regeln kein Hindernis für eine Anklage i n Schweden gegeben ist, darf eine Anklage jedoch nur nach Ermächtigung seitens der Regierung oder des Reichsanklägers erhoben werden. W i r d eine Anklage erhoben i n einem solchen Falle und w i r d der Betreffende von einem schwedischen Gericht für schuldig befunden der Straftat, wegen welcher er i m Ausland zu einer Folge verurteilt worden ist, muß das schwedische Gericht bei Bestimmung der Deliktsfolge angemessen berücksichtigen, was außerhalb Schwedens gegen den Täter vollstreckt worden ist. Er kann dabei ganz nach den U m ständen zu einer geringeren Strafe verurteilt werden als für die Tat angedroht ist, oder es kann auch von der Verhängung einer Deliktsfolge ganz abgesehen werden. W i r d er i n einem solchen F a l l i n Schweden zu Geldstrafe oder Gefängnis verurteilt, muß eine freiheitsentziehende Folge, welche evtl. i m Ausland gegen i h n vollstreckt worden ist, bei der Bemessung der Folge v o l l angerechnet werden. Durch diese Bestimmungen w i r d das anstößige Ergebnis der Doppelbestrafung einer Straftat vermieden. Auslieferung Seit alters her gibt es eine Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Staaten i n der Form der Auslieferung von Straftätern von dem Land, wo sie sich aufhalten, an ein anderes Land, das die Kompetenz für ihre Bestrafung hat. I n Schweden ist die Auslieferung durch das Gesetz über Auslieferung wegen einer Straftat von 1957 und durch das Gesetz über Auslieferung wegen einer Straftat an Dänemark, Finnland, Island und Norwegen von 1959 geregelt. I m Gesetz von 1957 werden bestimmte Bedingungen für die Auslieferung aufgestellt. Regelmäßig w i r d vorausgesetzt, daß die Straftat außerhalb Schwedens begangen worden ist und einer Straftat entspricht, welche nach schwedischem Recht m i t Gefängnis von mehr als einem Jahr bedroht ist und keinen überwiegend politischen Charakter hat. Die Auslieferung darf nicht erfolgen an ein Land, i n welchem der Täter der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wird, oder wenn die Maßnahme m i t Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse des Täters sich als offenbar unvereinbar m i t den Forderungen der Humanität darstellt. Ein schwedischer Staatsbürger w i r d nicht ausgeliefert. Über die 18*
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Auslieferung entscheidet die Regierung nach einer Äußerung des Obersten Gerichtshofs. Das Gesetz über Auslieferung wegen einer Straftat an die übrigen nordischen Länder erlaubt die Auslieferung unter weniger strengen Voraussetzungen als sie i m Gesetz von 1957 aufgestellt sind. U. a. kann i n bestimmten Fällen ein schwedischer Staatsbürger ausgeliefert werden. Vollstreckung eines ausländischen Strafurteils I n den letzten Jahren wurde die Zusammenarbeit zwischen den Staaten hinsichtlich der Verbrechensverfolgung immer weiter ausgedehnt. Ein Ausdruck hierfür sind Übereinkünfte über die Gegenseitigkeit bei der Vollstreckung von Strafurteilen anderer Länder. Für Schweden wurde der Anfang m i t dem sogenannten nordischen Vollstreckungsgesetz von 1963 gemacht. Danach kann ein Strafurteil, welches i n Dänemark, Finnland, Island oder Norwegen verkündet worden ist, i n Schweden und ein i n Schweden verkündetes Urteil i n einem anderen nordischen Land vollstreckt werden. Das gilt sowohl für die Vollstrekkung von Geldstrafen und Freiheitsstrafen als auch für die Überwachung bedingt Verurteilter und bedingt Entlassener usw. Nächste Schritte wurden m i t dem sogenannten Vollstreckungsgesetz von 1972 unternommen. Danach kann Schweden ein sogenanntes europäisches Strafurteil vollstrecken, d. h. ein Urteil i n einem Strafprozeß, das i n einem der Europäischen Konvention von 1970 über die internationalen Rechtswirkungen eines Strafurteils beigetretenen Land verkündet worden ist. Auch Strafurteile anderer Länder können unter mehr begrenzten Voraussetzungen i n Schweden vollstreckt werden. Ferner kann ein schwedisches Strafurteil i n einem anderen Land als Schweden vollstreckt werden. Wichtig ist jedoch zu wissen, daß ein Ersuchen an einen fremden Staat u m Vollstreckung eines schwedischen Urteils nicht gestellt werden darf, wenn der Verurteilte schwedischer Staatsbürger ist und sich selbst der Maßnahme widersetzt. Schließlich erinnert das Gesetz (2:7) an die Ausnahme und Begrenzungen der schwedischen Jurisdiktionskompetenz, die aus den allgemein anerkannten völkerrechtlichen Regeln oder aus Übereinkommen m i t einer fremden Macht folgen. Seit alters her genießen ζ. B. die Mitglieder einer fremden Gesandtschaft die Vorteile der sogenannten Exterritorialität (oder Immunität) i n strafrechtlicher Hinsicht. Verschiedene internationale Organisationen, deren Mitglieder und Repräsentanten genießen ebenfalls die Vorteile einer solchen Immunität gemäß der Gesetzgebung des Jahres 1966.
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I I . Folgen der Straftat Allgemeine Strafen I m Laufe der Zeit haben die Reaktionen, mit denen die Gesellschaft die Kriminalität hat bekämpfen wollen, bedeutend gewechselt und widerspiegeln so die verschiedenen Auffassungen vom Zweck der Strafe und ihrer Wirkungsweise, die während verschiedener Zeitepochen und i n verschiedenen Ländern herrschten. Während i n früheren Epochen der westlichen Kulturentwicklung Todesstrafen, Körperstrafen und Ehrenstrafen eine wesentliche Rolle neben den Geldstrafen spielten, begann i m Laufe des 19. Jahrhunderts i n unserem Land ebenso wie anderenorts das Reaktionensystem auf den Geldstrafen und Freiheitsstrafen als allgemeinen Strafarten aufzubauen. I n den Strafbestimmungen für die einzelnen Delikte versuchte und versucht der Gesetzgeber immer noch, durch verschiedene Bemessungen dieser Strafarten dem Wertmaßstab der Gesellschaft bezüglich der größeren oder geringeren Gesellschaftsgefährlichkeit oder Verwerflichkeit eines jeden besonderen kriminalisierten Tattypes Ausdruck zu geben. Aber die Entwicklung hat hierbei nicht Halt gemacht. Unter dem Einfluß der i n der Einleitung erwähnten individualpräventiven Strömungen sind allmählich i n unserer Gesetzgebung Deliktsfolgen eines anderen Typs als die klassischen Strafen eingeführt worden, ζ. B. das bedingte Urteil, Jugendgefängnis und Internierung, m i t überwiegend bessernden oder unschädlich machenden Funktionen. Diese Maßnahmen sind i n der Doktrin lange unter gemeinsamer Bezeichnung Schutzmaßnahmen geführt worden. Diese Bezeichnimg w i r d zwar nicht vom neuen Brottsbalk angewendet, der i n 1:3 dieselben neben den allgemeinen Strafen Geldstrafe und Gefängnis und den Disziplinstrafen für Soldaten unter den gemeinsamen Begriff Folgen der Straftat zusammenfaßt. Da die verschiedenen Arten der Strafe die einzigen Folgen sind, die i m Gesetz für die verschiedenen Straftaten festgesetzt werden und die i m Prinzip stets angewendet werden sollen, wenn nicht andere Folgen besonders angezeigt sind gemäß den für sie geltenden Regeln i n Kapitel 2 7 - 3 1 (vgl. die Bestimmung i n 1:4), nehmen die allgemeinen Strafen eine Sonderstellung ein und stellen sie die juristische Grundlage des Sanktionensystems dar. Es ist daher selbstverständlich, daß die folgende Übersicht eingeleitet w i r d m i t einer kurzen Darstellung der Regeln des Gesetzes über Geldstrafen und Gefängnis. Geldstrafen (böter) Wie bekannt, hat die Geldstrafe alte Ahnen i m nordischen Recht und war sie i n unseren mittelalterlichen Gesetzen die unvergleichlich
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gewöhnlichste Deliktsfolge. Sie diente ursprünglich der doppelten A u f gabe der Strafe und Genugtuung des durch die Tat geschädigten Verletzten. Nunmehr unterscheidet die Gesetzgebung deutlich zwischen Strafe und Schadensersatz. Auch i n der modernen schwedischen Strafrechtsprechung dominiert die Geldstrafe auch hinsichtlich der Deliktstypen, bei denen das Gesetz alternativ Gefängnis als Deliktsfolge festgesetzt hat. Dies gilt besonders innerhalb des Spezialstrafrechts. Gewöhnlich w i r d Geldstrafe als einzige Deliktsfolge für die begangene Gesetzesübertretung verhängt. U m der Deliktsfolge eine größere Schärfe zu verleihen, wenn dieses für die Besserung des Täters oder aus Rücksicht auf die allgemeine Gesetzestreue erforderlich erscheint, kann das Gericht jedoch Geldstrafen verhängen und außerdem eine bedingte Verurteilung, Schutzaufsicht oder die Überführung i n die Fürsorge nach dem Jugendfürsorgegesetz aussprechen (s. 27:2, 28:2 bzw. 31:1 Abs. 2). Geldstrafen werden entweder direkt i n Summen oder i n einer bestimmten Anzahl Tagesbußen auferlegt. Aus der Vorschrift i n 25:1 geht hervor, daß zu Tagesbußen verurteilt werden soll außer bei Straftaten leichterer A r t , d. h. wenn die besondere Strafvorschrift einen Höchstbetrag für die Geldstrafe von nicht mehr als 500 Kronen festgesetzt hat. I n diesen mehr bagatellartigen Fällen würde das Tagesbußensystem zu schwerfällig sein, ohne eigentliche kriminalpolitische Vorteile mit sich zu bringen. Hier handelt es sich u m Gesetzesverletzungen, die täglich i n bedeutender Menge begangen werden, z.B. einfachere Verkehrsverstöße und Verstöße gegen wirtschaftsrechtliche Bestimmungen. Innerhalb des Gebiets des Brottsbalk dominierten dagegen die Tagesbußen; lediglich i n zwei Strafbestimmungen kommen Geldstrafen vor, die direkt i n Summen auferlegt werden, nämlich bei Trunkenheit (16:15) und ärgerniserregendem Verhalten (16:16). Der Betrag der Geldstrafen, die direkt i n Summen auferlegt werden, w i r d vom Gericht bzw. bei Strafbefehlen vom allgemeinen Ankläger innerhalb des Rahmens festgesetzt, den die besonderen Strafbestimmungen angeben. Der geringste Geldstrafenbetrag ist 10 Kronen, soweit nichts anderes bestimmt ist (25:3). Innerhalb des Spezialstrafrechts kommt es jedoch vor, daß die Geldstrafen nach einem besonderen Berechnungsgrund festgesetzt werden, ζ. B. dem Wert einer bestimmten Sache, m i t der sich der Täter i n strafrechtlich relevanter Weise befaßt hat. Das Gesetz bezeichnet (25:1 Abs. 2) diese Folgen als normierte Geldstrafen. Diese Geldstrafenform ist i n neueren Gesetzen mehr und mehr durch Tagesbußen ersetzt worden.
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Der Begriff Tagesbußen ist i n das schwedische Recht durch eine Reform des Jahres 1931 eingeführt worden. Er bedeutet einen Versuch, unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit und Effektivität die Geldstrafe den wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters anzupassen. Für den Unbemittelten kann die Zahlung eines relativ kleinen Geldstrafenbetrages vielfach unmöglich sein, und die Strafe muß dann i n Gefängnis umgewandelt werden. Für den Reichen, der dieselbe Straftat begangen hat, kann der gleiche Betrag von untergeordneter Bedeutung sein, und die Strafdrohung verliert für i h n ihre abschreckende Wirkung. Natürlich konnten auch m i t Hilfe des älteren Systems die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Täters bei Festsetzung der Geldstrafe vom Gericht berücksichtigt werden, aber das ließ die Strafzumessung für den Verurteilten manchmal w i l l k ü r l i c h und unverständlich erscheinen. Die Aufgabe des Gerichts bei der Verurteilung zu Tagesbußen zerfällt i n zwei Abschnitte (s. 25:2). Die Anzahl Tagesbußen w i r d nach der Beschaffenheit der Tat von einer bis höchstens 120 Tagesbußen (oder bei mehrfacher Straffälligkeit 180 Tagesbußen) festgesetzt. Die Größe jeder Tagesbuße w i r d m i t Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten bestimmt, besonders m i t Rücksicht auf sein Einkommen, Vermögen und seine Unterhaltsverpflichtungen, und beträgt mindestens zwei, höchsten 500 Kronen. Sie soll damit einem Tageseinkommen (daher der Name) des Verurteilten unter Abzug seiner notwendigen Ausgaben für den eigenen Bedarf und für die i h m gegenüber anderen obliegenden Unterhaltspflichten entsprechen. I n der Praxis gilt die Faustregel, daß eine Tagesbuße Viooo des Jahreseinkommens betragen soll, nachdem man die Steuern und Unterhaltslasten und das eventuelle Vermögen berücksichtigt hat. Die Höhe der Tagesbuße kann ausnahmsweise ermäßigt werden, wenn die Tat Bagatellcharakter hat. Der zusammengelegte Bußenbetrag darf niemals unter 10 Kronen liegen. Die Summe, die der Verurteilte zu bezahlen hat, erhält man dadurch, daß man die Anzahl der Tagesbußen m i t dem vom Gericht als die Höhe jeder Tagesbuße festgestellten Betrag m u l t i p l i ziert. Als Richtschnur für die Ankläger, die Strafbefehle (s. d.) auszufertigen haben, hat der Reichsankläger für die Berechnung der Tagesbuße i n einem Rundschreiben von 1973 Anweisungen erteilt. Auch viele Gerichte gehen bei der Festsetzung der Tagesbußen von diesem Rundschreiben aus. Die Ermittlungen der Umstände, welche die Höhe der Tagesbuße beeinflussen, werden i m Verfahren vom Ankläger geführt. Richtungsweisende Anordnungen sind i n einem Rundschreiben der Reichsanklagebehörde vom Jahre 1963 den allgemeinen Anklägern i n Schweden mitgeteilt worden.
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Vollstreckung der Geldstrafen Obwohl der Gesetzgeber so die wirkliche Schwere der Geldstrafe der wirtschaftlichen K r a f t des Verurteilten angepaßt hat, geschieht es natürlich oft, daß der Verurteilte den i h m auferlegten Betrag nicht bezahlen kann oder nicht freiwillig bezahlen w i l l . Durch das Gesetz von 1964 über die Vollstreckung von Geldstrafen werden die staatlichen Zwangsmaßnahmen geregelt, die erforderlich sind, damit die Strafdrohung eine reale Bedeutung und K r a f t hat. Zunächst versucht das Gesetz durch Bestimmungen über den A u f schub der Zahlung der Geldstrafen oder über die Abzahlung von Geldstrafen es dem loyalen Schuldner zu ermöglichen, seine Schuld an den Staat zu zahlen. Kommt der Betrag auf diesem mehr freiwilligen Weg nicht ein, werden Maßnahmen für die Beitreibung i n Vollstreckungsformen getroffen, wobei eine A r t erzwungenes Ratenzahlungssystem eine bedeutende Rolle spielt, nämlich die sogenannte Pfändung von Lohn, Pension oder Leibrente gemäß dem Lohnpfändungsgesetz (1968: 621). Wenn der zur Geldstrafe Verurteilte i n einer allgemeinen Fürsorgeanstalt für Alkoholiker oder der öffentlichen Fürsorge i n einer Jugendfürsorgeanstalt überstellt wird, sollen Geldstrafen für davor begangene Trunkenheit oder ärgerniserweckendes Verhalten nicht beigetrieben werden. Für den Fall, daß die Geldstrafe nicht auf die eine oder andere Weise beigetrieben werden kann, hat der Gesetzgeber zu dem Ausweg gegriffen, das Gericht auf Antrag des Anklägers die Geldstrafen i n Freiheitsstrafe umwandeln zu lassen, damit die Geldstrafe auch als eine ernstgemeinte Sanktion gegenüber Gesetzesverletzungen dasteht. Dabei hat das Gericht i n jedem einzelnen Fall die Ursachen für die Nichtzahlung der Geldstrafen zu untersuchen und aufgrund dieser Untersuchung zu entscheiden. Wenn man ursprünglich eine Geldstrafe als genügende Sanktion für die Tat angesehen hat, soll die bedeutend strengere Gefängnisstrafe jedoch nur eintreten, wenn besondere Gründe hierfür sprechen. Diese Grundgedanken haben zur Aufstellung folgender Regeln geführt. I n bestimmten Fällen findet eine Umwandlung nicht bezahlter Geldstrafen überhaupt nicht statt, nämlich vor allem, wenn es Bagatellgeldstraf en (d. h. höchstens fünf Tagesbußen bzw. unmittelbar i n Summen auferlegte Geldstrafen von 50 Kronen) betrifft, soweit nicht der Verurteilte es aus Widersetzlichkeit oder offenbarer Nachlässigkeit unterlassen hat, die Geldstrafen zu zahlen, oder wenn die Vollstrekkung der Umwandlungsstrafe erforderlich ist, um ihn zu bessern. Ferner sollen Geldstrafen nicht umgewandelt werden, wenn sie sich auf bestimmte m i t Alkoholmißbrauch zusammenhängende Straftaten beziehen und der Verurteilte Gegenstand der Anstaltsbehandlung wird.
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Für Übertretungen auferlegte Geldstrafen sollen überhaupt nicht i n Gefängnis umgewandelt werden, oder eine ausgesprochene Umwandlungsstrafe soll nicht vollzogen werden, wenn der Verurteilte schon vorher i n bestimmte Anstalten, nämlich eine allgemeine Fürsorgeanstalt für Alkoholmißbrauch, Jugendfürsorgeanstalt oder Arbeitsanstalt eingeliefert worden ist. Auch i n den übrigen Fällen w i r d ein Unterschied zwischen unverschuldetem und selbstverschuldetem Zahlungsvermögen wie auch anderen individuellen Faktoren gemacht, indem eine bedingte Aussetzung der Vollstreckung der Umwandlungsstrafe bewilligt werden kann, soweit den Umständen nach nicht anzunehmen ist, daß der zur Geldstrafe Verurteilte aus Widersetzlichkeit oder offenbarer Nachlässigkeit die Zahlung der Geldstrafe unterlassen hat, oder daß die Vollstreckung der Strafe für seine Besserung notwendig ist. Bei begründeter A n nahme, daß der Verurteilte getan hat, was er konnte, u m die Geldstrafe zu bezahlen, kann die Umwandlungsstrafe unter das Mindestmaß herabgesetzt werden oder, soweit besondere Gründe vorliegen, ganz entfallen. Die Dauer der Umwandlungsstrafe w i r d nach der Anzahl der auferlegten Tagesbußen berechnet. Sind die Geldstrafen direkt i n Summen verhängt worden, entspricht jeder angefangene Betrag von 10 Kronen einer Tagesbuße. M i n i m u m sind zehn Tage und das Maximum 90 Tage Gefängnis. Besondere Ausgleichsregeln sind aufgestellt ebenso Bestimmungen für die Berechnung der Umwandlungsstrafe, wenn mehrere ein und derselben Person auferlegte Geldstrafen umgewandelt werden sollen. Es würde jedoch zu weit führen, hier diese Detailbestimmungen darzulegen. Gefängnis (fängeise) Gefängnis ist die einzige Form der Freiheitsstrafe, die i m Brottsbalk (BrB) als allgemeine Strafe aufgenommen ist. Der Unterschied des älteren Rechts zwischen Strafarbeit als einer schwereren und oft langwierigen Freiheitsentziehung und Gefängnis als einer milderen und mehr kurzzeitigen Freiheitsstrafe ist somit aufgehoben, und die beiden Strafarten sind zu einer Reaktionsform verschmolzen worden. Die Auffassung der Gesellschaft über die Gefährlichkeit und Verwerflichkeit der verschiedenen Deliktstypen w i r d durch die Dauer der Gefängnisstrafe zum Ausdruck gebracht, die i n dem Strafrahmen der einzelnen Strafbestimmungen festgesetzt ist, und i n der Gefängnisstrafe, welche das Gericht für die aktuelle Tat ausspricht. Gemäß der allgemeinen Regel des Gesetzes (26:1) w i r d je nachdem, was für die Straftat vorgesehen ist, zu Gefängnis von bestimmter Dauer, nicht über 10 Jahre, oder auf Lebenszeit verurteilt. Zeitiges Gefängnis darf einen Monat nicht unterschreiten. Wenn zu Gefängnis als gemeinsamer Strafe
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für mehrere Delikte verurteilt wird, kann i n bestimmten Fällen die Strafzeit bis zu 12 Jahre Gefängnis gehen (26:2); hierüber mehr i m folgenden. Für die Gefängnisstrafe als Umwandlungsstrafe für nicht bezahlte Geldstrafen gelten, wie w i r bereits gesehen haben, besondere Regeln. Es kann von Interesse sein, hier darauf hinzuweisen, daß die besonderen Strafrahmen der einzelnen Tatbestände und die Strafzumessungspraxis der Gerichte dazu führen, daß die meisten Freiheitsstrafen, die ausgesprochen werden, i n der Praxis von relativ kurzer Natur sind. Die Freiheitsstrafe bedeutet trotzdem für die meisten Täter einen ernsten Denkzettel und für den Bürger, der m i t dem Gefängnis nicht i n Kontakt gekommen ist, bedeutet die Androhung einer Freiheitsstrafe ein abschreckendes Motiv i n der Stunde der Versuchung. I n den relativ wenigen Fällen, i n welchen die Freiheitsstrafe über mehrere Jahre sich erstreckt, handelt es sich entweder u m Gewohnheitsverbrecher, vor denen die Gesellschaft sich schützen muß, oder u m Täter, deren Taten so schwer sind, daß das Rechtsbewußtsein eine der Straftat proportional entsprechende Reaktion verlangt. I n der modernen schwedischen Kriminalpolitik strebt man immer mehr danach, auch junge Rechtsbrecher anderen Behandlungsformen als der gewöhnlichen Strafe zuzuführen. Schon das traditionelle Alter der Strafmündigkeit, 15 Jahre (33:1), ist ein Ausdruck für dieses Prinzip. I m B r B ist hierzu bestimmt worden (26:4), daß der, der unter 18 Jahre ist, nicht zu Gefängnis verurteilt werden soll, es seien denn besondere Gründe dafür gegeben. Lebenslängliches Gefängnis darf nicht für Taten auferlegt werden, die jemand begangen hat, bevor er das 18. Lebensjahr vollendet hat. Ist er 18, aber noch nicht 21 Jahre alt, darf er zu Gefängnis verurteilt werden, wenn die Freiheitsentziehung vor allem aus Rücksicht auf den allgemeinen Gesetzesgehorsam erforderlich ist oder das Gefängnis sonst als geeigneter als andere Deliktsfolgen erscheint. Das kann der Fall sein, wenn der Jugendliche kein Zeichen einer allgemeinen sozialen Fehlanpassung zeigt, aber doch verantwortlich für die Tat ist, welche normalerweise eine Freiheitsstrafe m i t sich führt. Sonst verhängt man für diese Altersgruppe solche Deliktsfolgen wie Jugendgefängnis, Schutzaufsicht oder i n bestimmten Fällen die Behandlung gemäß dem Jugendfürsorgegesetz. Hierauf werden w i r i m folgenden zurückkommen. Der Inhalt der Gefängnisstrafe ist wie die übrigen freiheitsentziehenden Deliktsfolgen geregelt i m Gesetz (1974: 203) über K r i m i n a l vollzug i n einer Anstalt. Die Bestimmungen über die Vollstreckung des Urteils und die Straf Zeitberechnung sind i m Gesetz (1974: 202) über die Strafzeitberechnung und dergleichen enthalten.
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Bedingte Entlassung (villkorlig frigivning) I n diesem Zusammenhang müssen w i r unsere Aufmerksamkeit auf die Bestimmungen über die bedingte Entlassung richten (in 26:6-24). Durch die bedingte Entlassung hat man — teilweise aufgrund derselben Ideen, die die Schaffung besonderer sogenannter Schutzmaßnahmen für die soziale Wiederanpassung des Täters motiviert haben — die bekannten Ungelegenheiten der Starrheit der üblichen Freheitsstrafe i m Hinblick auf die Länge der Strafzeit mildern wollen. Eine bestimmte Übergangszeit unter Aufsicht ist von größter Bedeutung, wenn der Gefangene die Anstalt verläßt, und eine Abkürzung als Vorteil für sich gut führende Anstaltsinsassen hat auch einen nicht geringen erzieherischen Wert. Die Regeln des Gesetzes über die bedingte Entlassung sagen nach einigen i m Jahr 1965 getroffenen Änderungen hauptsächlich folgendes: Wer eine zeitlich bestimmte Gefängnisstrafe verbüßt, soll bedingt entlassen werden, wenn zwei D r i t t e l der Zeit verbüßt sind. Sind besondere Gründe gegeben, kann die Entlassung bereits nach der Hälfte der Straftat geschehen. I n keinem Fall darf jedoch die Entlassung stattfinden, bevor der Vollzug nicht mindestens vier Monate gedauert hat. Die Frage der bedingten Entlassung w i r d i n erster Hand von dem Überwachungsausschuß geprüft, zu dessen Zuständigkeitsbereich die Kriminalpflegeanstalt gehört. Der Überwachungsausschuß hat ein Entscheidungsrecht i n Fällen, i n denen die Gefängnisstrafe ein Jahr unterschreitet. Ist die Gefängnisstrafe länger, ist dieses Recht dagegen dem zentralen Kriminalpflegeausschuß vorbehalten. Dabei sollen besonders die Wirkungen einer fortdauernden Freiheitsentziehung auf den Verurteilten und die Voraussetzungen füt seine Eingliederung i n die Gesellschaft m i t Rücksicht auf die Verhältnisse, i n welche er i m Fall seiner Freilassung kommen würde, berücksichtigt werden. Hat der Überwachungsausschuß i n der Angelegenheit beschlossen, kann die Sache von dem Verurteilten dem K r i m i n a l pflegeausschuß zur Prüfung vorgelegt werden. Die Regeln über die Überwachung und die Vorschriften, die der Entlassene während der Bewährungszeit zu beachten hat, gleichen i m großen und ganzen denen, die bei der Verurteilung zu der Deliktsfolge Schutzaufsicht gelten, die i n einem späteren Zusammenhang behandelt wird. Beachtet der bedingt Entlassene nicht, was i h m gemäß Gesetz oder mitgeteilten Vorschriften obliegt, kann der Überwachungsausschuß je nach den Umständen geänderte oder verschärfte Vorschriften festsetzen, die Bewährungszeit verlängern usw. I n schwereren Fällen kann der Aufschub der Verbüßung der Reststrafe als v e r w i r k t erklärt werden. Für die Frage einer neuen bedingten Entlassung soll der erwähnte Rest als neue Strafe gerechnet werden. Besteht der bedingt Entlassene
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die Bewährungszeit, gilt die auferlegte Strafe als zum Ende der Bewährungszeit verbüßt. Die Todesstrafe (dödsstraff) Seit 1921 rechnet das schwedische Gesetz die Todesstrafe unter den allgemeinen Strafen nicht als ein normales Ereignis. Weder ein allgemein präventiver Gesichtspunkt noch die Sicherung gegenüber w i r k lich gefährlichen Rechtsbrechern geben ausreichende Gründe, u m zur Todesstrafe zu greifen, die außerdem völlig unvereinbar ist m i t den humanitären Prinzipien, die seit mehr als einem Jahrhundert unsere Kriminalpolitik beherrschen. Nach einem besonderen Gesetz von 1948 über die Todesstrafe i n bestimmten Fällen, wenn Schweden sich i m Krieg befindet, konnte die Todesstrafe auf sehr ernste Straftaten gegen die Sicherheit des Reichs oder die Kampfkraft der Truppen wie A u f ruhr und Landesverrat i m Kriege sowie Verletzung des Völkerrechts angewendet werden. Dieses Gesetz wurde jedoch 1973 aufgehoben. Amtsstrafen (ämbetsstraff) Die besonderen Strafen der Amtsenthebung und Suspension für Amtsinhaber i m staatlichen oder kommunalen Dienst usw. wurden 1975 i m Zusammenhang m i t einer Reform der Vorschriften über die disziplinarische Verantwortlichkeit öffentlich angestellter Personen abgeschafft. Disziplinstrafen für Soldaten (disziplinstraff för krigsmän) Disziplinstrafen gegen Soldaten sind Freizeitstrafe und Disziplinbuße. Früher war Arrest die wichtigste Disziplinstrafe gegen Soldaten. 1973 wurde diese Strafe jedoch abgeschafft und durch die Freizeitstrafe ersetzt. Freizeitstrafe besteht i n dem Verbot, während einer bestimmten Zeit, mindestens acht und höchstens 15 Tage, sich i n der Freizeit außerhalb des Kasernengeländes, Lagers oder ähnlichen Gebietes oder außerhalb des einer bestimmten Truppe überlassenen Teils desselben aufzuhalten. Für den, der an Bord eines Schiffes stationiert ist, bedeutet Freizeitstrafe das Verbot, während einer entsprechenden Zeit oder an einer gewissen Anzahl besonderer Tage, wenigstens fünf und höchstens acht, das Schiff während der Freizeit zu verlassen. Disziplinbuße ist eine Straf art, die i n gewisser Weise nach den Geldstrafen als Vorbild konstruiert wurde. Sie besteht i n Lohnabzug oder entsprechender Bezahlung i n Geld und w i r d für mindestens einen und
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höchstens 40 Tage auferlegt. Z u Disziplinbußen kann i n bestimmten Fällen neben der Gefängnisstrafe verurteilt werden. Nähere Bestimmungen über die Disziplinstrafen, ihre Verhängung und ihre Vollstrekkung sowie über das mildere militärische Disziplinarmittel Zurechtweisung finden sich i n einem besonderen Gesetz des Jahres 1973 über die Disziplinstrafen für Soldaten und i m Militärprozeßgesetz von 1948.
Weitere Deliktsfolgen I n der Einleitung zu der vorliegenden Darstellung wurden Ausführungen über die bedeutungsvollen kriminalpolitischen Strömungen gemacht, welche während des letzten halben Jahrhunderts den schwedischen Gesetzgeber veranlaßt haben, die traditionellen Strafen durch andere Deliktsfolgen zu ergänzen, die auf eine markantere Weise als die gewöhnlichen Strafen den individualpräventiven Zielsetzungen Ausdruck geben. Die i n Frage kommenden Sanktionen zielen weniger auf die begangene Gesetzesübertretung, deren A r t und Schwierigkeitsgrad, als auf die Person des Täters und die Prognose für seine weitere Entwicklung i n sozialer Hinsicht ab. Der Inhalt der Maßnahmen weist eine große Variationsbreite auf, damit der individuelle Behandlungsund Betreuungsbedarf berücksichtigt werden kann. Die Momente freiheitsentziehenden oder freiheitsbeschränkenden Charakters, die untrennbar m i t jedem gesellschaftlichen Zwangseingriff gegen Rechtsbrecher verbunden sind, müssen aus entsprechenden Gründen i n bestimmter Ausdehnung zeitunbestimmt sein. Es gilt hier nicht, eine bestimmte i m Urteil festgestellte Strafzeit zu verbüßen, sondern der Zeitpunkt für die Entlassung aus der Anstalt und der endgültige Abschluß der Maßregel werden durch das Behandlungsresultat und die Aussicht darauf bedingt, daß der Täter sich i n Zukunft an ein gesetzestreues Leben w i r d gewöhnen können. A u f der anderen Seite muß große Rücksicht auf des Verurteilten Anspruch auf Rechtssicherheit genommen werden. Die Zeitrahmen für ein Eingreifen gegen ihn müssen i m Gesetz deutlich angegeben und dürfen nicht allzuweit gefaßt werden. Die Formen der Prüfung seiner Entlassung aus der A n stalt und des Abschlusses der Behandlung müssen unter gerichtliche oder administrative Garantien gestellt werden. Die hier angegebenen Grundsätze kommen, wie w i r gleich sehen werden, i n den Regeln des schwedischen Rechts für die Deliktsfolgen dieser Gruppe zum Ausdruck. Die rechtstechnischen Verschiedenheiten zwischen der Strafe i m eigentlichen Sinn und den übrigen Deliktsfolgen, deren Verschiedenheit durch die eben genannten Zielsetzungen bedingt ist, ergeben sich aus den grundlegenden Bestimmungen i n 1:3 und 4 und sind vorstehend behandelt worden.
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Die nächste Aufgabe der Darstellung ist es, eine kurze Übersicht über jede einzelne der übrigen Typen der Deliktsfolgen zu geben. W i r folgen dabei der eigenen Ordnung des Gesetzes und haben zunächst die beiden Maßnahmen des bedingten Urteils und der Schutzaufsicht zu behandeln, welche i m Prinzip keinen Freiheitsverlust durch Einlieferung i n eine Anstalt bedeuten. Für ein richtiges Verständnis der gesetzlichen Regelung dieser beiden praktisch wichtigen Deliktsfolgen und ihres Verhältnisses zueinander ist ein Rückblick auf die Gesetzgebung auf diesem Gebiet begründet. Bedingte Verurteilung (villkorlig dom) Die bedingte Verurteilung oder, wie das Institut zuerst genannt wurde, das bedingte Strafurteil wurde schon 1906 i n das schwedische Recht eingeführt. Ursprünglich bedeutete bedingte Verurteilung bloß einen Beschluß über den Aufschub der Verpflichtung, die verhängte Strafe zu verbüßen unter der wichtigen Bedingung, daß der Verurteilte sich während einer festgesetzten Bewährungszeit gesetzestreu verhielt. Eine bedingte Verurteilung i n dieser Form konnte nur für verhältnismäßig leichte Taten und für Personen ausgesprochen werden, von denen vermutet werden konnte, daß sie sich schon das bereits Geschehene zur Warnung dienen lassen würden und die als reine „Gelegenheitstäter" bezeichnet wurden. Sodann wurde das Anwendungsgebiet des Instituts ausgedehnt und der bedingte Aufschub der Verbüßung der Strafe wurde m i t einer Überwachung ergänzt i n den Fällen, i n denen es erforderlich erschien. Als Bewährungshelfer waren freiwillige, sozial interessierte Personen tätig. Durch das neue Gesetz, das unmittelbar vor dem Inkrafttreten des B r B galt, wurde die bedingte Verurteilung radikal reformiert. Die Deliktsfolge wurde i n zwei besondere Arten geteilt, i n der Lehre gewöhnlich bezeichnet als einfache bzw. qualifizierte bedingte Verurteilung, wie auch gleichzeitig i h r Anwendungsgebiet weiter ausgedehnt wurde. Die erstere dieser Formen entsprach am ehesten der bedingten Verurteilung des älteren Rechts, während die spätere Form bedeutete, daß die Regeln über die Überwachung m i t einem reichen Register kontrollierender und stützender Maßnahmen kombiniert wurde, zwischen denen das Gericht zu wählen hatte, wenn es die oft tief eingreifenden Vorschriften erließ, die dem Verurteilten als Bedingung für den Aufschub der Strafverbüßung auferlegt werden konnten. Man gab dem Gericht auch die Befugnis, zwischen den Möglichkeiten zu wählen, bereits i m Urteil die Strafe auszusprechen, die der Verurteilte zu erleiden hätte, wenn der Aufschub aufgrund seines Verhaltens später als v e r w i r k t erklärt würde, oder der bedingten Verurteilung die Form eines Aufschubs in der Bestimmung der Strafe zu geben, die also erst dann festgesetzt wurde, wenn der Verwirkungsbeschluß mitgeteilt
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wurde. Eine andere wichtige Neuheit war die Einrichtung der Schutzkonsulenten-Organisationen und der bei den Gerichten bestehenden fakultativen Überwachungsausschüssen. Damit war der erste Schritt getan zur Durchführung einer sogenannten Kriminalpflege i n Freiheit als Alternative zu der Behandlung i m Gefängnis. Die skizzierte historische Entwicklung wurde dadurch zu Ende geführt, daß der B r B definitiv die beiden Formen der bedingten Verurteilung getrennt und sie hat ersetzen lassen durch die (einfache) bedingte Verurteilung und die Schutzaufsicht, die geschaffen wurde als Ersatz der qualifizierten bedingten Verurteilung und die einen bedeutend positiveren Inhalt bekommen hat als diese Deliktsfolge. Die bedingte Verurteilung des B r B ist bestimmt für Rechtsbrecher m i t guter Prognose. M i t Rücksicht auf den Charakter des Täters und seine persönlichen Verhältnisse i m übrigen soll ein begründeter Anlaß für die Annahme vorliegen, daß eine Überwachung oder eine andere tiefergreifende Maßnahme nicht erforderlich ist, u m i h n von weiteren Straftaten abzuhalten (27:1). A n und für sich ist das Anwendungsgebiet für diese Deliktsfolge nicht auf leichtere Straftaten beschränkt. Es w i r d i m Gegenteil vorausgesetzt, daß Freiheitsstrafe auf die Straftat folgen kann. Allgemein präventive Gesichtspunkte motivieren jedoch bestimmte Einschränkungen i n der Anwendung der bedingten Verurteilung. So bestimmt das Gesetz, daß sie nicht ausgesprochen werden darf, wenn angesichts der Schwere der Tat oder sonst aus Rücksicht auf den allgemeinen Gesetzesgehorsam i h r Hindernisse entgegenstehen. Bei Straftaten von Soldaten soll eine bedingte Verurteilung nicht angewendet werden, es sei denn, es kann ohne Gefahr für die Kriegsdisziplin oder die Ordnung innerhalb der Militärmacht (27:1 Abs. 2) geschehen. Abgesehen davon, daß für den Verurteilten eine Bewährungszeit von zwei Jahren festgesetzt wird, während welcher bestimmte allgemeine Anforderungen an seine Lebensführung gestellt werden, hat die Deliktsfolge keinen direkten positiven Inhalt, sondern bedeutet tatsächlich nur einen bedingten Nachlaß der Deliktsfolge der begangenen Straftat. Die einzige Vorschrift, welche m i t dem Urteil verknüpft werden kann, betrifft die Erfüllung der Pflichten zum Ersatz des Schadens, der durch die Tat verursacht worden ist; das Gericht darf insoweit mit der bedingten Verurteilung Vorschriften erlassen. Eine wichtige, bereits i n anderem Zusammenhang erwähnte Regel ist, daß die bedingte Verurteilung m i t Tagesbußen kombiniert werden kann, wenn dies erforderlich erscheint, u m den Rechtsbrecher auf den rechten Weg zu führen, oder aus Rücksicht auf den allgemeinen Gesetzesgehorsam, mögen nun Geldstrafen für die Tat angedroht sein oder nicht (27:2). Diese Möglichkeit, einer bedingten Verurteilung verstärkten Nachdruck zu geben, wurde einige Jahre vor dem Inkrafttreten des B r B einge-
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führt und ist i n ziemlich großem Ausmaß zur Anwendung gelangt, nicht zumindest gegenüber solchen Rechtsbrechern, welche nicht einer einschneidenderen Behandlung i n der Kriminalpflege, wohl aber eines ernsteren Denkzettels i m Hinblick auf ihre Tat als bedürftig angesehen werden. Die Folgen davon, daß der bedingt Verurteilte die i h m gemachten Auflagen nicht beachtet, werden i m großen und ganzen gesehen durch eine Warnung sowie schließlich durch die Beseitigung der bedingten Verurteilung, die dann durch eine andere Deliktsfolge ersetzt wird, erschöpft. Hierüber beschließt das Gericht auf Antrag des Anklägers (17:6). Schutzaufsicht (skyddstillsyn) I m Gegensatz zu dem, was für die bedingte Verurteilung gilt, werden für eine Verurteilung zur Schutzaufsicht nicht solche Forderungen an die persönlichen Eigenschaften und Verhältnisse des Angeklagten gestellt, aus denen sich ergibt, daß die Prognose für seine weitere Entwicklung als besonders günstig bezeichnet werden kann. Die Schutzaufsicht bedeutet zunächst, daß der Verurteilte unter Überwachung gestellt w i r d ; hierzu kommt oft, daß i h m auch noch einschneidendere Beschränkungen seines Selbstbestimmungsrechts auferlegt werden können. Die grundlegende gesetzliche Voraussetzung für eine Verurteilung zur Schutzaufsicht (28:1) ist, daß es erforderlich erscheint, daß der Rechtsbrecher unter Überwachung gestellt wird, daß aber eine einschneidendere Deliktsfolge nicht als erforderlich angesehen wird. Eine wichtige Einschränkung der Möglichkeit der Verurteilung zur Schutzaufsicht ist jedoch i m Gesetz angegeben (28:1 Abs. 3). Wenn die Tat so schwer ist, daß die für sie angedrohte Mindeststrafe Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr ist, kann die Schutzaufsicht nur aus besonderen Gründen i n Betracht kommen. Diese Begrenzung ist vom Gesetzgeber aus allgemeinpräventiven Gesichtspunkten als motiviert angesehen worden. Das Gesetz erinnert auch daran, daß bei einem Angeklagten unter 18 Jahren Schutzaufsicht nur i n Frage kommt, wenn sie angemessener ist als eine Behandlung nach dem Jugendfürsorgegesetz (vgl. 31:1). I n diesem Zusammenhang ist ein Hinweis darauf angebracht, daß der B r B i m Gegensatz zum älteren Recht weder für die bedingte Verurteilung noch für die Schutzaufsicht die ausdrückliche Voraussetzung aufstellt, daß der Angeklagte während der Jahre unmittelbar vor der aktuellen Tat weder eine Gefängnisstrafe verbüßte, noch bedingt verurteilt worden war. Für die Schutzaufsicht gilt besonders, daß die Verhältnisse solche sein können, daß eine effektive Kriminalpflege i n Freiheit bessere Möglichkeiten bietet, auch einen Rückfalltäter zu resozialisieren, als eine freiheitsentziehende Maßnahme i n einer Anstalt.
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Kriminalpflege in Freiheit (kriminalvârd i frihet) Die Tatfolge Schutzaufsicht soll eine Deliktsfolge m i t einem bestimmten positiven Inhalt darstellen, variierend und nuanciert ganz nach den individuellen Eigenschaften des Verurteilten und der Situationen ihrer Gesamtheit. Für die beschließenden Organe gilt es, die geeigneten M i t tel für die Wiederanpassung an ein gesetzestreues Leben zu suchen. Eine gewisse Anleitung kann durch die besondere Personenuntersuchung gewonnen werden, die immer durchgeführt werden soll, bevor das Gericht zur Schutzaufsicht verurteilt. Die näheren Regeln hierüber findet man i m Gesetz von 1964 über die Personenuntersuchung i m Strafverfahren. Der Gesetzgeber hat danach gestrebt, durch eine effektive, den übrigen Deliktsfolgen an die Seite gestellte Kriminalpflege in Freiheit (frivârd) eine Alternative zur Freiheitsstrafe und Anstaltsbehandlung zu schaffen. Es handelt sich also nicht mehr u m einen Aufschub der Strafvollstreckung oder der Verurteilung zur Strafe. Schutzaufsicht bedeutet vor allem, daß der Verurteilte einer Bewährungszeit von drei Jahren unterworfen w i r d (28:4). Schutzaufsicht soll von Anfang der Bewährungszeit an m i t einer Überwachung verbunden sein. Ist eine Überwachung nicht länger erforderlich, kann der Überwachungsausschuß ihr Ende anordnen; wenn Gründe dafür vorhanden sind, kann der Verurteilte aufs Neue unter Überwachung gestellt werden, solange die Bewährungszeit läuft (28:5). Nach Ablauf von zwei Jahren der Bewährungszeit soll die Überwachung ohne besondere Anordnung aufhören. Hält man aus besonderen Gründen eine verlängerte Überwachung des Verurteilten für nötig, kann eine Überwachung für die Zeit danach, doch längstens bis zum Ende der Bewährungszeit angeordnet werden. Wie schon angedeutet, werden die Überwachung und Behandlung, welche unter der Bezeichnung Kriminalpflege i n Freiheit zusammengefaßt werden, von einem Überwachungsausschuß i n Zusammenarbeit m i t dem zuständigen Schutzkonsulenten gehandhabt. Der Überwachungsausschuß hat das Recht, einen Bewährungshelfer für den Einzelfall zu bestimmen. Ist ein anderer als der Schutzkonsulent zum Bewährungshelfer bestimmt worden, soll die Überwachung unter dessen Oberaufsicht stehen (26:12, vgl. 28:6). Das Arbeitsgebiet des Überwachungsausschusses soll die Bezirke eines oder mehrerer allgemeiner Untergerichte umfassen. Er besteht aus fünf Mitgliedern (37:1). Der Vorsitzende muß gesetzeskundig und i m Gerichtswesen erfahren sein sowie von der Regierung bestimmt werden. Die übrigen Mitglieder werden von der betreffenden Provinzial19 Ausländisches Strafrecht V
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regierung bestimmt und müssen Erfahrungen i n der Jugendfürsorge, Arbeitsvermittlung oder sonst i n öffentlichen Ämtern haben (37:2). Der Verurteilte soll den Bewährungshelfer über seine Wohnung und seinen Arbeitsplatz unterrichtet halten und nach dessen Anweisungen Verbindung zu i h m aufrechterhalten. Über die mehr allgemeinen A n weisungen, welche das Gesetz hinsichtlich des Verhaltens des Verurteilten i n der Bewährungszeit enthält (26:14), hat der Überwachungsausschuß das Recht, eine oder mehrere besondere Vorschriften für den Verurteilten zu erlassen, welche für eine bestimmte Zeit oder bis auf weiteres gelten und das betreffen, was er während der Bewährungszeit zu beachten hat (26:15). Das Ziel des Überwachungsausschusses ist es selbstverständlich, diejenigen unterstützenden und kontrollierenden Maßnahmen zu finden, die die Anpassung des Verurteilten an das Leben der Gesellschaft fördern können. Dem Ausschuß steht dabei ein recht reichhaltiges Register von Kriminalpflegemaßnahmen zur Verfügung. Sie können i n vielen Fällen tief i n das Selbstbestimmungsrecht des Verurteilten und seine Lebensführung eingreifen. Die Vorschriften können sich u. a. auf den Aufenthaltsort und die Wohnung während einer bestimmten Zeit beziehen, jeweils auf höchstens ein Jahr. Weiter kann der Überwachungsausschuß Vorschriften für die Ausbildung und Arbeitsanstellung des Verurteilten erlassen. Eine Vorschrift kann sich auch auf die Zeit und die A r t der Erfüllung der Verpflichtung beziehen, die das Gericht dem Verurteilten hinsichtlich des Ersatzes des durch die Tat verursachten Schadens auferlegt hat. Eine bedeutungsvolle Maßnahme der Kriminalpflege i n Freiheit bedeutet i n bestimmten Fällen die Vorschrift für den Verurteilten, sich innerhalb oder außerhalb eines Krankenhauses oder einer ähnlichen Einrichtung ärztlicher Betreuung, einer Entziehungskur oder einer anderen K u r oder Behandlung zu unterziehen. Hierdurch w i l l man versuchen, die tieferen Ursachen der sozialen Fehlanpassung des Rechtsbrechers zu beseitigen. Es mag hinzugefügt werden, daß die einzelnen Vorschriften, wenn es dafür Gründe gibt, geändert oder ersetzt werden können durch neue Vorschriften seitens des Überwachungsausschusses (26:6). Der Bewährungshelfer darf auch hinsichtlich der Erfüllung der Vorschriften Anweisungen geben und sofort die unmittelbar erforderlichen Anpassungen veranlassen (26:17). Wie schon die bedingte Verurteilung kann eine Verurteilung zur Schutzaufsicht m i t einer Verurteilung zu Tagesbußen kombiniert werden, wenn dies erforderlich zur Einwirkung auf den Verurteilten oder aus Rücksicht auf den allgemeinen Gesetzesgehorsam erscheint, sei es, daß Geldstrafen für die Straftat angedroht sind oder nicht (28:2). I n bestimmten Fällen kann es für die Resozialisierung des Verurteilten oder aus anderen Gründen notwendig sein, daß die Behandlung i n
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Freiheit (frivârd) m i t einem kurzzeitigen Anstaltsaufenthalt kombiniert wird. Das Gesetz schreibt vor (28:3), daß, wenn der Angeklagte das 18. Lebensjahr vollendet hat, das Gericht anordnen kann, daß i n der Schutzaufsicht eine Behandlung i n einer Anstalt enthalten sein soll. Je nachdem, was während des Laufes dieser Behandlung bestimmt wird, soll diese mindestens einen und höchstens zwei Monate dauern. Hat die Behandlung einen Monat gedauert, soll sie aufhören, sobald eine weitere Behandlung i n der Anstalt nicht erforderlich erscheint. Die Maßnahme ist nach der Aussage des Gesetzgebers vor allen Dingen durch individualpräventive Gründe motiviert und soll als Teil einer planmäßigen Behandlung schwer zu meisternder Fälle und vor allem von jugendlichen Rechtsbrechern verstanden werden. Die Aufnahme i n eine Anstalt ist nicht als eine Deliktsfolge i m Sinne des B r B (vgl. 1:3) aufzufassen. I h r Zweck ist es, unmittelbar nach dem Urteil die k r i m i nelle A k t i v i t ä t des Rechtsbrechers zu brechen, aber auch i h m Gelegenheit zu geben, den Ernst seiner Situation zu durchdenken. Hierzu soll der kurzzeitige Anstaltsaufenthalt eine Vorbereitung für die länger dauernde Behandlung i n Freiheit sein. Eine wesentliche Aufgabe für die Behandlungsorgane ist es dann, während der Anstaltszeit, solange es möglich ist, die zukünftige Kriminalpflege i n dem aktuellen Fall zu bestimmen. Aus dem Gesagten geht hervor, daß die Aufnahme des Verurteilten i n eine Anstalt i n der Regel zu Beginn der Bewährungszeit erfolgen soll. Unter bestimmten Verhältnissen mag es jedoch begründet sein, i n einem späteren Stadium der Behandlung i n Freiheit die Einlieferung des Verurteilten i n eine Anstalt anzuordnen. Dies kann besonders dann der Fall sein, wenn der Verurteilte sich über seine Verpflichtungen hinweggesetzt hat und es angenommen werden kann, daß er sich nicht durch andere Maßnahmen, ζ. B. verschärfte oder geänderte Vorschriften, die der Überwachungsausschuß anordnen darf, beeinflussen läßt. Über die Aufnahme i n die Anstalt beschließt das Gericht auf Antrag des Anklägers; ein solcher Antrag w i r d nach Darlegung seitens des Ausschusses gestellt (28:8). Abgesehen von dem zuletzt behandelten Eingriff enthält das Gesetz (28:7) Bestimmungen über verschiedene Maßnahmen, die der Überwachungsausschuß beschließen kann, wenn der zur Schutzaufsicht Verurteilte nicht das beachtet, was i h m als Folge des Urteils auferlegt ist. Als Beispiel können geänderte Vorschriften verschiedener A r t und eine Verwarnung erwähnt werden. I n ernsteren Fällen eines Fehlverhaltens des Verurteilten kann der Ausschuß den zuständigen Ankläger ersuchen, beim Gericht die A u f hebung der Schutzaufsicht zu beantragen. Das Gericht muß, wenn dies geschieht, eine andere Folge für die Straftat bestimmen (28:9). Dabei muß auf das Rücksicht genommen werden, was der Verurteilte als Folge der Verurteilung zur Schutzaufsicht erlitten hat, sowie auf die 19'
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Geldstrafen, zu denen er, eventuell kombiniert m i t Schutzaufsicht, verurteilt worden ist. I n der Regel sollte zu zeitlichen Gefängnisstrafen oder, bei jugendlichen Delinquenten, zu Jugendgefängnis gegriffen werden, wenn die Schutzaufsicht als Behandlungsform i n dem aktuellen Fall versagt hat.
Jugendgefängnis (ungdomsfängelse) Eine besondere Deliktsfolge von großer praktischer Bedeutung ist das Jugendgefängnis. Diese Sanktionsform wurde 1935 i n das schwedische Recht eingeführt und wurde früher — nicht ganz richtig — als eine Strafe bezeichnet, obwohl es von Anfang an, unter anderem durch seine relative Zeitunbestimmtheit und elastische Ausformung i m H i n blick auf die Entlassung und die nachfolgende Behandlung, sich klar von den traditionellen Freiheitsstrafen unterschied. I m neuen B r B sind diese Züge weiter hervorgehoben worden, und Jugendgefängnis bedeutet nunmehr eine Deliktsfolge m i t Einschlägen sowohl der Anstaltsbehandlung als auch der Kriminalpflege i n Freiheit. Jugendgefängnis ist für junge Rechtsbrecher gedacht, deren Mangel an sozialer Anpassung oder deren schwer geartete Kriminalität die Gesellschaft zu einschneidenden Maßnahmen motiviert und für die die Anordnung von Schutzaufsicht nicht ausreichend erscheint. Oft handelt es sich u m Personen, die trotz früher angeordneter Kriminalpflege i n Freiheit oder trotz Maßnahmen gemäß dem Jugendfürsorgegesetz etc. wieder rückfällig geworden sind. Das Gesetz drückt die Voraussetzungen so aus, daß zu Jugendgefängnis der verurteilt werden soll, der eine m i t Gefängnis bedrohte Tat begangen hat, soweit m i t Rücksicht auf seine persönliche Entwicklung, Lebensführung und sonstigen Verhältnisse eine solche Erziehung und Ausbildung, wie sie m i t dem Jugendgefängnis angestrebt wird, als angebracht befunden w i r d (29:1). I m Prinzip ist diese Deliktsfolge für Personen gedacht, die 18 Jahre, aber noch keine 21 Jahre alt sind. Diese Altersgrenzen sind jedoch keine ganz festen. Wer noch keine 18 Jahre oder schon 21, aber noch nicht 23 Jahre alt ist, kann ebenfalls zu Jugendgefängnis verurteilt werden, wenn eine solche Deliktsfolge offenbar angemessener als eine andere Folge ist. Es können nämlich Fälle vorkommen, i n denen der Täter trotz seines niedrigen Alters solche Taten begangen hat oder bereits zum wiederholten M a l m i t dem Gesetz i n einer solchen Weise i n Konflikt geraten ist, daß seine Betreuung nach dem Jugendfürsorgegesetz sich als ungeeignet oder sinnlos darstellt. Umgekehrt kann der Reifegrad des Täters trotz eingetretenem Mündigkeitsalter so relativ niedrig sein, daß eine besondere Ausbildung oder Erziehung i n einer Jugendanstalt einer gewöhnlichen Gefängnisstrafe vorzuziehen ist.
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Die Behandlung der zu Jugendgefängnis Verurteilten findet innerhalb und außerhalb der Anstalt statt und darf höchstens fünf Jahre dauern, davon höchstens drei Jahre i n einer Anstalt (29:2). Die Behandlung beginnt selbstverständlich i n der Anstalt, u m außerhalb der A n stalt fortgesetzt zu werden, wenn die Anstaltsbehandlung so lange gedauert hat, wie es i m Hinblick auf den Zweck der Behandlung erforderlich erscheint. Das Gesetz rechnet m i t einer Mindestzeit von einem Jahr für den Anstaltsaufenthalt, wenn nicht besondere Gründe dafür vorhanden sind, daß der Insasse früher i n eine Behandlung außerhalb der Anstalt überführt w i r d (29:4). Zeigt derjenige, der außerhalb der Anstalt betreut wird, sich i n der Befolgung der i h m gemachten Auflagen widerspenstig oder ist aufgrund seiner Führung aus sonstigen Gründen die Anstaltsbehandlung erforderlich, u m neuen Straftaten vorzubeugen, kann er für die Zeit, welche erforderlich erscheint, wieder i n die Anstalt aufgenommen werden (29:9). Die Entscheidung über die Überführung i n die Behandlung außerhalb der Anstalt und die Wiederaufnahme t r i f f t der zentral organisierte Jugendgefängnisausschuß. Dieser besteht aus fünf von der Regierung auf jeweils fünf Jahre ernannten Mitgliedern und Ersatzpersonen. Der Vorsitzende muß stets jemand sein, der ein Richteramt innehat oder innegehabt hat, und ein Mitglied muß Psychiater sein (37:4). Hinsichtlich der Betreuung außerhalb der Anstalt gelten i m großen und ganzen entsprechende Regeln wie für den bedingt Entlassenen, welcher eine Gefängnisstrafe verbüßt hat (vgl. 29:7). Auch hier ist es der zuständige lokale Überwachungsausschuß, der die einzelnen Vorschriften aufstellt, die für eine erfolgreiche nachfolgende Behandlung i n dem einzelnen Fall notwendig erscheinen, und der die Bewährungshelfer bestimmt. Jedoch ist es dem Jugendgefängnisausschuß unbenommen, i n dem Beschluß über die Überführung des Verurteilten i n die Behandlung außerhalb der Anstalt einen Bewährungshelfer zu bestimmen und besondere Vorschriften zu erlassen. Als Folgen schlechter Führung nennt das Gesetz außer der Wiedereinlieferung i n eine Anstalt die Möglichkeit, neue Vorschriften zu erlassen sowie dem Verurteilten eine Warnung zu erteilen (29:8). Umgekehrt darf der Jugendgefängnisausschuß den Abschluß der Überwachung anordnen, wenn diese nicht länger erforderlich ist. Eine solche Anordnung soll i n der Regel nicht erlassen werden, bevor die Behandlung außerhalb der Anstalt eine ununterbrochene Zeit von zwei Jahren gedauert hat (29:7 und 12). Internierung (internering) Die ernsteste und tiefst eingreifende Deliktsfolge innerhalb der hier behandelten Gruppe ist die Internierung, die i m B r B die beiden i n den zwanziger Jahren i n das schwedische Recht eingeführten Schutzmaß-
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nahmen Verwahrung und Internierung i n einer Sicherheitsanstalt ersetzt hat. Der Gesetzgeber nimmt hier i n erster Linie Rücksicht auf das Schutzbedürfnis der Gesellschaft gegenüber solchen Tätern, die sich durch häufige Wiederholung von Straftaten ernsterer A r t oder sonst als gefährlich für die Gesellschaft oder für die Sicherheit der Person oder des Eigentums anderer gezeigt haben. Die Internierung bedeutet einen zeitlich relativ unbestimmten Freiheitsverlust unter Formen, die bezwecken, der Gesellschaft Sicherheit gegen die Gefährlichkeit des Verurteilten zu geben, wie gleichzeitig die Behandlung auf die Wiedereingliederung des Verurteilten i n die Gesellschaft i m Rahmen des Möglichen abzielt. Die gesetzlichen Voraussetzungen der Internierung sind, daß die Tat m i t Gefängnis von zwei Jahren oder darüber bedroht ist und daß m i t Hinblick auf die Straffälligkeit des Beschuldigten, seinen Geisteszustand, seine Führung und seine Lebensumstände i m übrigen es erforderlich erscheint, daß er zu einer langwierigen Freiheitsentziehung ohne i m voraus fest bestimmte Zeit verurteilt wird, u m einer fortgesetzten Begehung schwerer Straftaten durch ihn vorzubeugen (30:1). I m Gegensatz zu dem, was für das Institut der Verwahrung des älteren Rechts galt, w i r d nicht ausdrücklich gefordert, daß die Gefährlichkeit des Täters damit zusammenhängen muß, daß sein Geisteszustand von dem normalen abweicht, obwohl dieses oft der Fall ist. Andererseits ist es deutlich, daß für den Täter, der unter dem Einfluß von Geisteskrankheit, Geistesschwäche oder einer anderen schweren psychischen Abnormität gehandelt hat, die adäquate Tatfolge regelmäßig die Einlieferung i n psychiatrische Pflege sein w i r d (gemäß 31:3 und 4). M i t Rücksicht auf das Gesagte soll i n der Regel eine gerichtspsychiatrische Untersuchung einem Internierungsbeschluß vorangehen. Die Behandlung des zu Internierung Verurteilten findet innerhalb und außerhalb der Anstalt statt. Die Behandlung soll ihren Anfang i n einer Anstalt nehmen. Während der Behandlung außerhalb der Anstalt soll der Verurteilte ständig unter Überwachung stehen; i m übrigen gelten i m großen und ganzen für die Behandlung i n der Freiheit die entsprechenden Normen für den nach einer gewöhnlichen Gefängnisstrafe bedingt Entlassenen (30:9 und 10). Eine für die Internierung wichtige Frage ist die Abwägung zwischen dem Bedürfnis der Gesellschaft auf einen ausreichend langen Schutz gegenüber der Gefährlichkeit des verwahrten Täters und dessen angemessenen Anspruch auf Rechtssicherheit mit Rücksicht auf den psychischen Druck, den die Unbestimmtheit der Zeit für ihn haben muß. Diese Abwägung hat zu folgenden gesetzlichen Regeln geführt. Verurteilt das Gericht zu Internierung, hat es m i t Rücksicht auf die Beschaffenheit
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der Tat und die Umstände i m übrigen eine bestimmte Mindestzeit für die Betreuung i n einer Anstalt zu bestimmen, mindestens ein und höchstens 12 Jahre (30:3). I n der Praxis w i r d die Mindestzeit niemals geringer als die Dauer der Gefängnisstrafe bemessen, die nach gewöhnlichen Strafzumessungsregeln für die Tat festgesetzt werden soll, falls eine Strafe verhängt worden wäre. Nach Ablauf der Mindestzeit soll die Behandlung außerhalb der Anstalt fortgesetzt werden, wenn eine Verwahrung i n der Anstalt nicht länger erforderlich ist, u m den Verurteilten von einer Fortsetzung der Straftaten abzuhalten (30:5). Die Höchstzeit für eine Anstaltsbehandlung über die Mindestzeit hinaus ist insgesamt drei Jahre, oder wenn die Mindestzeit auf drei Jahre oder mehr bestimmt worden ist, insgesamt fünf Jahre, kann aber auf Antrag des Reichsanklägers nach Anhörung des Internierungsausschusses vom Gericht um jeweils drei Jahre verlängert werden, soweit eine weitere Verwahrung i n einer Anstalt erforderlich erscheint, u m einer fortgesetzten ernsten kriminellen Tätigkeit seitens des Verurteilten vorzubeugen (30:8). Der Beschluß über die Überführung i n die Behandlung außerhalb einer Anstalt sowie über den Abschluß der Überwachung dessen, der außerhalb der Anstalt behandelt wird, und über den endgültigen Schluß der Maßnahmen w i r d von dem zentral-organisierten Internierungsausschuß (30:6 und 15) gefaßt. Der Ausschuß besteht aus fünf von der Regierung auf jeweils fünf Jahre ernannten Mitgliedern und Ersatzpersonen. Der Vorsitzende muß immer jemand sein, der ein Richteramt innehat oder innegehabt hat, und ein Mitglied muß Psychiater sein (37:4). Es ist Aufgabe des lokalen Überwachungsausschusses, die Frage des Überganges i n die Behandlung außerhalb der Anstalt vor dem Ende der Mindestzeit und danach mindestens jeden 6. Monat, oder wenn der Verurteilte es selbst beantragt (30:6), zu prüfen. Die Entscheidung hierüber liegt jedoch bei dem Internierungsausschuß. Als Folgen einer schlechten Führung des Verurteilten während der Behandlung außerhalb der Anstalt w i r d unter anderem die Befugnis des Überwachungsausschusses genannt, neue Maßnahmen für den Verurteilten zu bestimmen oder ihn zu verwarnen (30:11). Schließlich kann er wieder i n eine Anstalt überführt werden; hierüber beschließt der Internierungsausschuß (30:12). Überführung in besondere Fürsorge (överlämnande tili särskild vârd) Eine wichtige Neuheit i m B r B ist die Deliktsfolge der Überführung in besondere Fürsorge, wenn diese auch i n gewissen Punkten ein Gegenstück i n der älteren Gesetzgebung hatte. I n dieser Deliktsfolge t r i t t der für das neuere schwedische Strafrecht originelle Zug hervor, für be-
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stimmte Kategorien von Rechtsbrechern die kriminalrechtlichen Reaktionen vollkommen durch sozialrechtliche Maßnahmen ersetzen zu lassen. I n der Tat handelt es sich hier u m verschiedene Typen von Folgen für verschiedene Gruppen von Rechtsbrechern und i m folgenden soll daher jede der verschiedenen Maßnahmen für sich behandelt werden. Hinsichtlich der jungen Rechtsbrecher bedeutet diese Methode eine Fortsetzung der Prinzipien, die ihren Ausdruck i m Gesetz von 1952 m i t seinen Bestimmungen über Deliktsfolgen bei bestimmten Minderjährigen fanden. I m B r B (31:1 Abs. 1) w i r d jetzt bestimmt, daß das Gericht aus Anlaß einer Anklage gegen jemand, auf den das Jugendfürsorgegesetz angewendet werden kann, es dem Jugendfürsorgeausschuß überlassen soll, für die erforderliche Betreuung des jungen Rechtsbrechers zu sorgen. Ist dieser schon Zögling i n einer Jugendfürsorgeschule, w i r d dies der Schulleitung überlassen. I n beiden Fällen sollen die zuständigen Behörden gehört werden, bevor das Gericht seinen Beschluß verkündet. Es ist Aufgabe des Gerichts, sowohl die vom Ankläger behauptete Täterschaft des Jugendlichen als auch das Vorhandensein der juristischen Voraussetzungen für ein Eingreifen gemäß dem Jugendfürsorgegesetz i m einzelnen Fall (vgl. § 25, 26 und 29 des Jugendfürsorgegesetzes von 1960) festzustellen. Maßnahmen nach diesem Gesetz sind als die regelmäßige Behandlungsform für junge noch nicht 18 Jahre alte Rechtsbrecher i n den Fällen, i n denen einschneidendere Maßnahmen als eine mildere Geldstrafe, ζ. B. für eine Ordnungswidrigkeit erforderlich sind, gedacht. Aber auch für den, der 18, aber noch keine 21 Jahre alt ist, kann die Überführung i n Fürsorge nach dem Jugendfürsorgegesetz aus besonderen Gründen passender als eine andere Deliktsfolge sein, beispielsweise wenn neben der aktuellen Tat Ausdrucksformen einer schwereren sozialen Fehlanpassung wie Mißbrauch von Rauschmitteln gegeben sind und ein länger dauerndes Eingreifen seitens der Sozialbehörden erforderlich ist. Ohne Rücksicht auf die Altersgruppe des Jugendlichen kann das Gericht, wenn es den Betreffenden i n Betreuung gemäß dem Jugendfürsorgegesetz überführt, i h m Tagesbußen auferlegen, wenn dies notwendig ist, u m ihn auf den rechten Weg zu führen oder aus Rücksicht auf den allgemeinen Gesetzesgehorsam, gleichgültig, ob für die Tat Geldstrafen angedroht werden oder nicht (31:1 Abs. 2). Die Überführung i n Fürsorge nach dem Gesetz gegen den Alkoholmißbrauch (31:2 Abs. 1) bedeutet i m großen gesehen eine Neuheit i m BrB. Früher konnte eine solche Betreuung an Stelle einer Ersatzstrafe für unbezahlte Geldstrafen treten, die wegen bestimmter i m Zusammenhang m i t dem Alkoholmißbrauch des Täters stehender Delikte ausgesprochen waren; daneben wurden besondere Regeln über das
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Absehen von einer Anklage bei geringeren Taten, die von dem i n die Fürsorgeanstalt für Alkoholiker Aufgenommenen vor der Entlassung aus einer solchen Anstalt begangen waren, aufgestellt. Nunmehr w i r d ganz allgemein festgestellt, daß das Gericht aus Anlaß einer Anklage gegen eine Person, die nach dem Gesetz gegen Alkoholmißbrauch entweder durch Überwachung oder durch Zwangsaufnahme i n eine Pflegeanstalt (vgl. §§15 und 18 i m Gesetz gegen den Alkoholmißbrauch von 1954) behandelt werden kann, es dem Nüchternheitsausschuß überlassen kann, für die erforderliche Trinkerfürsorge zu sorgen. Betrifft es jemand, der sich bereits i n einer Fürsorgeanstalt befindet, ist es Sache der Anstaltsleitung, für eine solche Behandlung zu sorgen. I n beiden Fällen sollen die betreffenden Behörden gehört werden, bevor das Gericht einen Beschluß über die Einlieferung erläßt. Z u m Unterschied von dem, was für die Überführung i n Fürsorge gemäß dem Jugendfürsorgegesetz gilt, ist die Anwendung der hier i n Betracht kommenden Deliktsfolge i m Prinzip auf geringere Taten beschränkt. Ist nämlich für die Tat eine strengere Strafe als Gefängnis bis zu sechs Monaten angedroht, soll die Überführung i n die Fürsorge gemäß dem Gesetz gegen den Alkoholmißbrauch nur erfolgen, wenn besondere Gründe dafür vorhanden sind (31:2 Abs. 2). Ohne ein direktes Gegenstück i m älteren Recht sind die Regeln des B r B über Maßnahmen gegen psychisch abnorme Täter. Das ältere Recht baute auf einer Unterscheidung zwischen den Kategorien der sogenannten zurechnungsunfähigen und zurechnungsfähigen Täter auf. Bestimmte, i m Gesetz kurz bezeichnete schwerere Formen eines mentalen Abnormitätszustandes oder von Entwicklungsstörungen i m Zeitpunkt der Tat, von denen angenommen werden konnte, daß sie die Handlungsweise des Täters beeinflußt hätten, führten dazu, daß dieser als zurechnungsunfähig, d. h. als nicht verantwortlich für seine Tat betrachtet und für straffrei erklärt wurde. Es kam dann auf die Gesundheitsbehörden an, für seine Betreuung durch psychiatrische Pflege zu sorgen, soweit diese erforderlich war. Hinsichtlich der Täter, deren Abnormität nicht von so tiefgehender Natur war, daß sie für straflos erklärt werden konnten, hatte das Gericht je nach den Umständen zwischen der Verwahrung i n einer Sicherheitsanstalt, gewöhnlicher Strafe, die unter den für die Tat festgesetzten Mindestrahmen herabgesetzt werden konnte, oder einer bedingten Verurteilung i n Verbindung m i t besonderer Aufsicht zu wählen. Gemäß B r B hat das Gericht für sämtliche abnormen Täter die angebrachte Deliktsfolge zu bestimmen, soweit nicht die Anklage der Tat gemäß RB 20:7 Abs. 4 unterlassen w i r d (darüber mehr i m folgenden). Ist jemand i n einem Gutachten über das Ergebnis einer nach dem Gesetz von 1966 durchgeführten gerichtspsychiatrischen Untersuchung
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einer geschlossenen psychiatrischen Pflege für bedürftig erklärt worden, soll das Gericht beschließen (31:3), daß er i n eine solche Pflege überführt wird. Ist die Tat nicht unter dem Einfluß schwerer geistiger Störungen — d. h. Geisteskrankheit, Geistesschwäche oder eine andere seelische Abnormität von so tiefgreifender A r t , daß sie einer Geisteskrankheit gleichgestellt werden muß — begangen worden, darf jedoch eine solche Anordnung nur verkündet werden, wenn besondere Gründe dafür vorhanden sind. Eine Alternative zur Behandlung i n einem psychiatrischen Krankenhaus stellt die psychiatrische Behandlung i n freieren Formen dar. Als eine besondere Tatfolge nimmt das Gesetz i n 31:4 die Überführung i n die offene psychiatrische Pflege auf. Diese Behandlungsform ist gedacht für denjenigen, der Straftaten begangen hat und psychiatrischer Behandlung oder Aufsicht bedürftig ist, obwohl ein Grund für eine Einlief erung i n eine geschlossene psychiatrische Pflege gemäß 31:3 nicht gegeben ist. Das Gesetz setzt weiter voraus, daß eine eingreifendere Maßnahme besonderer A r t nicht erforderlich erscheint. Die offene Fürsorge, die i m Gesetz gemeint ist, kann i n Beratimg, Anweisungen und Hilfsmaßnahmen verschiedener A r t bestehen. Es ist eine amtliche A u f gabe der öffentlichen Krankenpflegeverwaltung, dafür zu sorgen, daß eine solche Behandlung i n Anspruch genommen werden kann. Sie ist dabei völlig von der freiwilligen M i t w i r k u n g des Patienten abhängig; irgendwelche Zwangsmittel stehen ihr nicht zur Verfügung. W i r d jedoch ein bestimmtes Maß von Zwang notwendig, u m eine Behandlung ohne Einlieferung i n ein psychiatrisches Krankenhaus durchzuführen, kann das Gericht gemäß 33:2 Abs. 2 zu Schutzaufsicht m i t entsprechend ausgeformten Vorschriften verurteilen (vgl. 26:15 Abs. 2). Durch eine ganz neue Gesetzgebung des Jahres 1967 über die Betreuung bestimmter psychisch entwicklungsgestörter Personen sind Möglichkeiten geschaffen worden, einen Straftäter zur Behandlung i n ein Spezialkrankenhaus für psychisch Entwicklungsgestörter einzuliefern, wenn die rein psychiatrische Pflege nach dem Gesetz von 1966 nicht i n Betracht kommen kann. Es handelt sich hier u m Personen, die zwar nicht als geistesschwach bezeichnet werden können, die aber aufgrund sonstiger Beeinträchtigung der Entwicklung ihres Verstandes unvermeidlich einer Betreuung seitens der Gesellschaft bedürfen. Eine solche kann nach dem Gesetz von 1967 (§ 35) ohne Zustimmung des Betroffenen durchgeführt werden u. a. i n dem Fall, daß er eine Gefahr für die persönliche Sicherheit oder das Eigentum oder ein anderes durch die Rechtsordnung geschütztes Interesse eines anderen darstellt. Die individuelle Rechtssicherheit w i r d teils dadurch berücksichtigt, daß die Maßnahme nach B r B 31:3 vom Gericht beschlossen wird, teils dadurch, daß das Gesetz ein besonderes Kontrollorgan eingeführt hat, den Be-
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schlußausschuß, m i t einem rechtskundigen Vorsitzenden für die Prüfung der Frage des Zeitpunkts der Entlassung des Insassen aus dem Krankenhaus i m einzelnen Fall. Als letzte Alternative für die abnormen Täter, die nicht einer psychiatrischen Pflege bedürfen, weist das Gesetz (33:2 Abs. 2) auf die Möglichkeit hin, Geldstrafen für Gesetzesübertretungen zu verhängen, wenn es zweckgerecht erscheint, u m den Beschuldigten von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Diese Möglichkeit dürfte jedoch selten benützt werden, und unter keinen Umständen dürfen die Geldstrafen i m Fall ihrer Nichtzahlung i n Gefängnisstrafe umgewandelt werden (s. § 10 des Gesetzes von 1964 über den Vollzug von Geldstrafen). Schutzaufsicht soll verhängt werden, wenn sie angebrachter ist als die Überführung i n eine besondere Fürsorge. I n diesem Fall darf jedoch eine Einlieferung i n eine Anstalt (gemäß 28:3) nicht angeordnet werden. Wenn keine der hier dargelegten Fürsorgemaßnahmen oder sonstigen Deliktsfolgen gegenüber einem Täter, der seine Tat unter dem Einfluß solcher geistigen Störungen oder Mängel, die oben als Vollabnormität bezeichnet worden sind, begangen hat, für anwendbar angesehen wird, soll er frei von Tatfolgen (33:2 Abs. 3) sein. Es würde inhuman sein, beispielsweise eine Freiheitsstrafe nur aus allgemeinpräventiven Rücksichten zu verhängen, wenn ein solches Eingreifen nicht auf individualpräventive Gründe gestützt werden kann. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die hier erwähnten Bestimmungen aus juristischer Sicht bedeuten, daß der ältere Gegensatz zwischen zurechnungsfähigen (strafbaren) und zurechnungsunfähigen (straflosen) Tätern sehr wesentlich aufgeweicht worden ist, ausgehend von dem Pflegebedürfnis des Individuums und i n gewisser Weise von dem Schutzbedürfnis der Gesellschaft, so daß es auf das Gericht ankommt, die Deliktsfolge für Personen zu bestimmen, die diesen beiden Kategorien angehören, sowie daß gewisse strafrechtliche Folgen auch weniger eingreifender A r t ebenfalls gegen die letztere Gruppe von Tätern verhängt werden können.
Absehen von einer Anklage I n engem Zusammenhang m i t den Bestimmungen über die Deliktsfolgen stehen die eigentlich zum Prozeßrecht gehörenden Regeln über die Befugnis des Anklägers, i n bestimmten Fällen die Nichterhebung einer Anklage zu beschließen. Diese Befugnis gab es auch i m älteren Recht unter der Bezeichnung Absehen von der Anklage. Bei der Schaf-
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fung des B r B sind die Bestimmungen hierüber revidiert und i n gewisser Hinsicht ergänzt worden. Die wichtigsten Vorschriften befinden sich i n RB 20:7 und i m Gesetz von 1964 m i t besonderen Bestimmungen über jugendliche Täter. I n einigen der erwähnten Fällen ist der dominierende rechtspolitische Gesichtspunkt der sogenannte prozeßökonomische Grund, die Behörden nicht m i t Bagatellsachen zu belasten, bei denen das Interesse der Gesellschaft an der Verfolgung der Tat ziemlich gering ist. I n anderen Fällen ist eine Anklage unnötig oder für den Täter schädlich, w e i l ein sozialrechtlich geartetes Vorgehen auf bessere Weise als irgendeine strafrechtliche Folge den Behandlungsbedarf des Einzelnen sowie das Interesse der Gesellschaft an Schutz gegen die bei i h m vorhandenen asozialen Tendenzen, die aus der begangenen Tat sprechen, berücksichtigt. I n RB 20:7 werden vier Fälle genannt, i n denen der Ankläger beschließen darf, daß auf die Tat eine Anklage nicht folgen soll. Der erste Fall berücksichtigt Bagatelltaten, d. h. Übertretungen, die so gering sind, daß offenbar i m Fall eines Prozesses eine andere Folge als Geldstrafe nicht ausgesprochen würde und die Strafverfolgung des Beschuldigten aus allgemeinen Gesichtspunkten nicht erforderlich ist (RB 20:7 Abs. 1). Das mögliche Anklagerecht des Privatklägers und seine Befugnis, eine Schadensersatzklage zu erheben, w i r d von dieser Regel nicht berührt. I n diesem Zusammenhang soll das sogenannte Absehen von Meldungen genannt werden, das gemäß § 12 der Polizeiinstruktion (1972: 511) zulässig ist. Grundsätzlich ist ein Polizist verpflichtet, seinem zuständigen Vorgesetzten Meldung über Straftaten, die zu seiner Kenntnis kommen und unter die öffentliche Anklage fallen, zu erstatten. Ist jedoch die Straftat unbedeutend oder klar entschuldbar, kann er es unterlassen, eine Meldung zu erstatten oder an den Ankläger weiterzuleiten und die Angelegenheit m i t einem Hinweis oder einer Ermahnung an den Beschuldigten beruhen lassen. Es soll auch daran erinnert werden, daß ein großer Teil von Bagatellprozessen von den Gerichten oder Anklagebehörden durch die Auflage, eine Ordnungsbuße (gemäß den Änderungen des Prozeßgesetzes [RB] i m Jahre 1968) zu bezahlen oder durch die Aufforderung, eine Buße für verbotenes Parken zu bezahlen (gemäß Gesetz 1960: 683 über Bußen für Falschparken), ferngehalten wird. Der andere Fall, i n dem der Ankläger von einer Anklage absehen darf, liegt vor, wenn die Straftat verübt wurde, bevor der Beschuldigte für eine andere Straftat verurteilt ist oder bevor er die Strafe oder eine andere Folge für eine solche Straftat voll verbüßt hat. Von einer A n klage für die neu ermittelte Straftat kann abgesehen werden, wenn dieselbe i m Vergleich zu der bereits abgeurteilten Straftat hinsichtlich der Folgen offenbar ohne nennenswerte Bedeutung ist (RB 20:7 Abs. 2).
Absehen von einer Anklage
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E i n i m allgemeinen Gesetz früher nicht behandelter Fall ist, daß eine Tat offenbar unter dem Einfluß einer solchen seelischen Abnormität, wie sie i n 33:2 gemeint ist, begangen wurde und daß eine geschlossene psychiatrische Pflege bzw. eine Fürsorge für psychisch Entwicklungsgestörte gemäß dem oben erwähnten ohne ein Verfahren angeordnet wird, sowie daß eine Anklage aus besonderen Gründen, ζ. B. w e i l die Schuldfrage i m Verfahren nicht ganz klar ist (RB 20:7 Abs. 4), nicht erforderlich ist. Als ein letzter Fall der Unterlassung der Anklage wegen einer Straftat erwähnt das Gesetz die besondere Befugnis des Reichsanklägers, einen entsprechenden Beschluß zu fassen, wenn es i n einem anderen Fall als i n den zuvor genannten Fällen aus besonderen Gründen offenbar ist, daß die Verhängung einer Rechtsfolge nicht erforderlich ist, u m den Verdächtigen von weiteren Straftaten abzuhalten, und es auch sonst i m Hinblick auf die Umstände nicht erforderlich ist, eine Anklage zu erheben (RB 20:7 Abs. 3). Diese Bestimmung, die eine Neuheit i m schwedischen Recht darstellte, steht i n gewissem Zusammenhang mit der Vorschrift des B r B 33:4 Abs. 3 über die gerichtliche Befugnis, i n Ausnahmefällen ganz von Rechtsfolgen für die Tat abzusehen; hierüber i m folgenden. Humanitäre und ähnliche Gründe liegen dieser Befugnis des Gerichts zugrunde, und i n der Regel dürfte die Frage des Absehens von Folgen der Tat nach einer Prüfung durch das Gericht entschieden werden müssen. Die Möglichkeit des Reichsanklägers, von einer A n klage abzusehen, ist vor allen Dingen für solche Fälle gedacht, i n denen es aus bestimmten Gründen angelegen ist, nicht nur den Täter von der Haftung zu befreien, sondern auch der Prüfung durch das Gericht auszuweichen. Als Beispiel kann genannt werden, daß jemand wegen einer Straftat einer Erpressung ausgesetzt ist und bei den Polizeibehörden u m Schutz gebeten hat. Der Beschluß nach RB 20:7 auf Unterlassung der Anklage muß w i derrufen werden, wenn hinreichende Gründe für den Beschluß nicht länger vorliegen. Die praktisch gesehen bedeutungsvollsten Regeln über die Unterlassung der Anklage wegen einer Straftat sind die, die die jüngsten Täter berücksichtigen. Sie entsprechen i m großen und ganzen den Vorschriften über das Absehen von der Anklage, die i n das schwedische Recht durch ein Gesetz von 1944 eingeführt worden waren. Die neuen Bestimmungen befinden sich, wie schon gesagt, i n einem besonderen Gesetz des Jahres 1964. Die i n Frage kommenden Möglichkeiten spielen eine wichtige kriminalpolitische Rolle hinsichtlich der jüngsten Täter, die hierdurch auf eine elegante Weise i n die Jugendfürsorge mit ihrem reich nuancierten Behandlungssystem hinübergeschleust werden kön-
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nen, ohne den psychischen oder sozialen Schäden unterworfen zu werden, die m i t einer Anklage oder einer Gerichtsverhandlung, auch wenn diese unter Ausschluß der Öffentlichkeit durchgeführt wird, vereint sein können. I n vielen Fällen dürfte auch der Jugendliche, ohne Gegenstand der öffentlichen Jugendfürsorge oder anderer rechtlicher Folgen zu werden, durch Erziehungsberechtigte oder durch die Schule wieder auf den rechten Weg gebracht werden, wenn er die Warnung empfangen hat, die schon darin liegt, daß der Ankläger i h m den Beschluß m i t teilt, daß er wegen der Straftat nicht angeklagt werden soll. Dieser Beschluß kann widerrufen werden, wenn es sich später zeigt, daß es hierfür aus allgemeinen Erwägungen Gründe gibt. Die Befugnis des Anklägers, gemäß dem Gesetz von 1964 eine A n klage zu unterlassen, betrifft Täter, welche zur Zeit der Tat 15, aber noch nicht 18 Jahre alt waren. Eine Begrenzung i m Hinblick auf die Schwere der Tat gibt es nicht, aber es w i r d i m Gesetz bestimmt, daß Anklage erhoben werden muß, wenn dies aus allgemeinen Gesichtspunkten erforderlich ist. Das kann der Fall sein, wenn der Jugendliche die Tat leugnet und der notwendige Beweis gerichtlich erbracht werden muß, oder wenn es wegen der Resozialisierung des Täters angebracht erscheint, daß i h m Geldstrafen auferlegt werden, entweder allein oder i n Verbindung m i t der Überführung i n die Behandlung gemäß dem Jugendfürsorgegesetz (gemäß 31:1). Hier ist gewiß nur das Gericht die zuständige Behörde. Es muß darauf hingewiesen werden, daß die Bestimmungen i m Gesetz von 1964 nicht die Anwendung von RB 20:7 ausschließen. Das Unterlassen einer Anklage gemäß den i n Betracht kommenden Vorschriften berücksichtigt zwei Gruppen von Gesetzesverletzungen, nämlich teils ernstere Fälle, i n denen irgendeine A r t resozialisierender Maßnahmen als erforderlich angesehen wird, und solche Fälle, i n denen die Tat offenbar aus Übermut oder Übereilung geschehen ist und der Beschluß des Anklägers nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig ist. I n den erstgenannten Fällen w i r d gefordert, daß der Minderjährige gemäß dem Jugendfürsorgegesetz unter Überwachung gestellt w i r d oder nach demselben Gesetz der öffentlichen Fürsorge zugeführt oder Objekt einer anderen damit vergleichbaren Maßnahme w i r d oder ohne solche Maßnahme Hilfe oder Unterstützung erhält, und es mit Grund angenommen werden kann, daß hierdurch das bewirkt ist, was am passendsten für seine Resozialisierung ist. I n der Regel soll der Ankläger die Äußerungen des Jugendfürsorgeausschusses einholen, bevor er einen Beschluß hinsichtlich der Anklage faßt.
Bestimmung der Deliktsfolge
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Die Bestimmung der Deliktsfolge Nach dem hier jetzt für die verschiedenen Typen von Deliktsfolgen gegebenen Bericht, haben w i r i m folgenden zu untersuchen, wie das Gericht die Rechtsfolge einer Tat i m Einzelfall bestimmen wird. Es handelt sich hier u m eine Serie voneinander verschiedener und doch miteinander zusammenhängender Gedankenoperationen, die weiter unten jede für sich behandelt werden sollen. Die Darstellung geht dabei zunächst von dem Fall aus, daß nur eine Tat zur Verurteilung vorliegt; die komplizierteren Regeln, die für die Bestimmung der strafrechtlichen Reaktion gegenüber mehrfacher Täterschaft gelten, werden erst danach behandelt. Die besonderen Fragen, die die Verhängung der Amtsstrafen, Absetzung und Suspension sowie der Disziplinstrafen für Soldaten betreffen, werden aus Raumgründen i m allgemeinen nicht behandelt. Die erste Hauptaufgabe des Gerichts ist die Wahl zwischen den Hauptarten der Tatfolgen, die (mit den zuvor erwähnten Ausnahmen) i n B r B 1:3 aufgezählt werden, d.h. den allgemeinen Strafen auf der einen Seite und bedingter Verurteilung, Schutzaufsicht, Jugendgefängnis, Internierung und Überführung i n eine besondere Fürsorge auf der anderen Seite. Die weitere Hauptaufgabe des Gerichts ist die nähere Bestimmung des Maßes und des Inhalts der gewählten Deliktsfolge, soweit eine solche Bestimmung durch das Gericht zu erfolgen hat. Hat das Gericht eine Verurteilung zu einer allgemeinen Strafe gewählt, pflegt man diese spätere Hauptaufgabe seit alters her als Strafzumessung zu bezeichnen. I m älteren Strafrecht, i n dem die allgemeinen Strafen die einzigen i n Frage kommenden Deliktsfolgen waren, wenn man von den Amtsstrafen und den sogenannten Nebenstrafen oder besonderen Tatfolgen, die neben einer Strafe verhängt werden konnten, absieht, zog die Strafzumessungsproblematik größere Aufmerksamkeit i n Theorie und Praxis auf sich als i m modernen Strafrecht, wo eine Reihe anderer Rechtsfolgen für die Durchführung kriminalpolitischer Zielsetzungen zur Verfügung stehen. Die richtige Anwendung dieser Rechtsfolgen zieht daher i n erster Linie das Interesse auf sich. Die Frage bezüglich des rechten Strafmaßes i m Einzelfall ist dessen ungeachtet immer noch von großer Bedeutung für die praktische Gesetzesanwendung. Nur i n gewisser Hinsicht gibt der B r B eine direkte Anweisung für die Beantwortung dieser Frage. Die allgemeinen Gründe für die Strafzumessung sollen daher i m folgenden erörtert werden, wenn die erste der oben angegebenen Hauptaufgaben, die Wahl der Rechtsfolge, behandelt ist.
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Die Wahl der Form der Folge Der Gesetzgeber hat durch die Bestimmungen 1:7 den rechtsprechenden Organen eine gewisse Anleitung für die Wahl der Deliktsfolgenform schenken wollen. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Zielsetzung des Brottsbalk, die Gesellschaft sowohl auf allgemeinpräventiven als auch auf individualpräventiven Wegen gegen Straftaten zu schützen, w i r d als allgemeines Prinzip für die i n Frage kommende Wahl aufgestellt, daß das Gericht unter Beobachtung dessen, was für die Aufrechterhaltung des allgemeinen Gesetzesgehorsams erforderlich ist, besonders berücksichtigen soll, daß die Deliktsfolge zur Förderung der Wiedereingliederung des Verurteilten i n die Gesellschaft geeignet ist. Aus der Diskussion, die der Annahme der Gesetzesstelle i n ihrem jetzigen Wortlaut voranging, geht hervor, daß die Rücksicht auf die generalpräventiven Gesichtspunkte zwar durch die Formulierung der Gesetzesstelle hervorgehoben worden ist, daß aber beide Zielsetzungen i n gleicher Weise bei der Wahl der Deliktsfolgen berücksichtigt werden müssen. Es liegt jedoch i n der Natur der Sache, daß das relative Gewicht der beiden Gesichtspunkte auf dem gesamten Gebiet der Strafrechtsprechung nicht dasselbe ist. So legt das Gesetz bei jugendlichen Tätern großes Gewicht auf die individuellen Erziehungs- und auf andere Resozialisierungsbemühungen der Gesellschaft. Umgekehrt dominieren die generalpräventiven Gesichtspunkte, wenn es sich u m Reaktion gegenüber Ordnungswidrigkeiten handelt, wie überhaupt i m Sonderstrafrecht. Der leitende Grundsatz i n 1:7 muß daher m i t den speziellen Anweisungen für die Wahl der Deliktsfolge, die i n den die verschiedenen Deliktsfolgetypen behandelnden Kapiteln des B r B gegeben werden, ergänzt werden (vgl. auch 1:4 Abs. 1). Solche Anweisungen findet man i n der Regel i n Zusammenhang m i t der gesetzlichen Beschreibung der Voraussetzungen für die Anwendung des betreffenden Deliktsfolgentyps i n der A r t , wie aus der obigen Darstellung hervorgeht. Speziellere Voraussetzungen ergeben sich doch nicht selten aus dem Gesetzestext; hier mögen ζ. B. die besonderen Regeln genannt werden, die die A n wendung der Gefängnisstrafe bei jugendlichen Personen beschränken (26:4), und i n anderer Richtung die Bestimmungen, die die Anwendung bestimmter individualpräventiv motivierter Folgen aus Rücksicht auf den allgemeinen Gesetzesgehorsam (27:1 Abs. 2) oder den Schweregrad der Tat (28:1 Abs. 3) ausschließen. Der Wahl des Deliktsfolgentyps durch das Gericht liegt nicht selten eine besondere Personenuntersuchung zugrunde, die durch ein besonderes Gesetz vom Jahre 1964 über die Personenuntersuchung i m Straf-
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verfahren näher geregelt ist. Das durch eine solche Untersuchung hervorgebrachte Material dient dazu, Klarheit über die persönlichen Verhältnisse des Tatverdächtigen und über die für die Wiederanpassung an die Gesellschaft geeignet erscheinenden Maßnahmen zu schaffen. Sind Gründe dafür gegeben, kann das Gericht einen Arzt damit beauftragen, ein ärztliches Zeugnis über den Beschuldigten abzugeben (sog. § 7-Zeugnis). I n gewissem Umfang sind die Personenuntersuchung und die Einholung eines ärztlichen Zeugnisses obligatorisch. Die Wahl der Rechtsfolgeform muß m i t Rücksicht auf die stark hervortretenden individualpräventiven Zielsetzungen innerhalb des neuen schwedischen Rechtsfolgesystems i n großem Maße von den persönlichen Umständen des Täters und seinem Behandlungsbedarf sowie der Prognose für seine zukünftige Lebensführung abhängig sein. Insbesondere spielen diese Umstände eine entscheidende Rolle, wenn es die Wahl einer anderen Reaktion gegenüber der Tat als die Strafe i m Sinne des Gesetzes zu treffen gilt. Bei diesen anderen Deliktsfolgen t r i t t die aktuelle Tat stärker i n den Hintergrund und spielt sie vor allem die Rolle eines Symptoms für mangelnde soziale Anpassung und eventuelle Gesellschaftsgefährlichkeit des Täters. W i r d wieder zu einer der allgemeinen Strafen gegriffen, bedeutet die Rechtsfolge i n erster Linie eine Reaktion gegenüber dem Deliktstyp als solchem und hat vor allem eine generalpräventive Funktion, auch wenn bei der Bestimmung der Strafe Rücksicht auf die Persönlichkeit des Täters und die Möglichkeit seiner sozialen Wiederanpassung genommen wird. Neben der allgemeinen Bestimmung i n 1:7 über die Wahl der Rechtsfolge muß hier die früher erwähnte Bestimmung i n 1:5 beachtet werden, wonach für ein und dieselbe Tat nicht mehrere Rechtsfolgen auferlegt werden dürfen, wenn nichts anderes bestimmt ist. Ausnahmen von der Hauptregel stellen die Regeln dar, die die Kumulation von Tagesbußen m i t bedingter Verurteilung (27:2), Schutzaufsicht (28:2) und Überführung i n Fürsorge gemäß dem Jugendpflegegesetz (31:1 Abs. 2) zulassen. Diese Regeln sind i m Zusammenhang m i t der Darstellung der entsprechenden Rechtsfolgearten dargestellt worden. I n 1:6 werden schließlich bestimmte Grundregeln über die Bestimmung der Deliktsfolge bei mehrfacher Straffälligkeit aufgestellt. Wie bereits erwähnt, sollen die hierher gehörenden Fragen später behandelt werden. Die andere Hauptaufgabe für das Gericht bei Bestimmung der Tatfolge i m einzelnen Fall besteht, wie bereits einleitungsweise erwähnt, darin, das Maß und den Inhalt der konkreten Folge, die aus den Arten der Rechtsfolgen ausgewählt wird, festzusetzen. W i r d zu einer allgemeinen Strafe verurteilt, besteht die Aufgabe darin, eine der Tat 20 Ausländisches Strafrecht V
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entsprechende Geld- oder Gefängnisstrafe innerhalb des Rahmens der Strafdrohung, die i n dem anzuwendenden Tatbestand des B r B oder i n bestimmten spezialstrafrechtlichen Bestimmungen aufgestellt ist, zu bemessen unter Beachtung besonderer Bestimmungen, die zu einer Überschreitung der Höchstgrenze oder Unterschreitung der untersten Grenze des Strafrahmens führen können. Diese besonderen Bestimmungen nennen also das, was man als Strafschärfungsoder Strafminderungsgründe zu bezeichnen pflegt. Von diesen Begriffen sind zu unterscheiden die sogenannten erschwerenden oder mildernden Umstände, womit die bei der Bestimmung einer höheren oder einer niedrigeren Strafe innerhalb der für den Deliktstyp aufgestellten Strafskala i n Betracht zu ziehenden Faktoren gemeint sind. Die dem Gericht i n dieser Hinsicht obliegende Aufgabe pflegt man m i t einem gemeinsamen Begriff als Strafzumessung zu bezeichnen. Entsprechendes gilt zum Teil bei der Bemessung der Disziplinstrafen für Soldaten. W i r d statt zu Strafe zu einer anderen Deliktsfolge verurteilt, steht das Gericht zuweilen vor der Aufgabe, die Dauer und den Inhalt der Folge i n bestimmter Hinsicht näher zu fixieren. Als Beispiele können die Bestimmung der Mindestzeit für die Behandlung i n einer Anstalt bei Internierung (30:3), die Anordnung der Anstaltsbehandlung bei einem Urteil auf Schutzaufsicht (28:3) und die Wahl zwischen geschlossener und offener Behandlung bei der Überführung i n die psychiatrische Pflege (31:3 und 4) genannt werden. I n großem Ausmaß ist es jedoch Sache anderer Organe, nämlich der Überwachungsausschüsse, der Überwacher oder der zentralen Ausschüsse, die nähere Zeit und den Inhalt der verschiedenen Deliktsfolgen vom Typ der Schutzmaßnahmen detailliert zu bestimmen. Die Regeln hierfür ergeben sich aus der oben gegebenen Darstellung der betreffenden Deliktsfolgen. Strafzumessung Nunmehr sollen die Prinzipien der Strafzumessung, soweit sie die allgemeinen Strafen betreffen, behandelt werden. Das Gesetz stellt insoweit keine allgemeinen Vorschriften auf. Die Bestimmung i n 1:7 läßt i n ihrer endgültigen Fassung die Frage nach diesen Prinzipien unbeantwortet. N u r mittelbar kann diese für die Wahl der Folgeform aufgestellte Direktive bei der Bestimmung der Strafe für eine bestimmte Tat innerhalb des für die Straftat bestimmten Strafrahmens eine Hilfe sein. Es liegt i n der Natur der Sache, daß das Strafmaß i m wesentlichen von der Schwere der begangenen Tat unter Berücksichtigung sämtlicher dazu gehörender Umstände einschließlich des materiellen oder ideellen Schadens, der durch die Tat verursacht worden ist, wie auch von dem Motiv des Täters für die Tat und überhaupt von
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seiner Willensrichtung und inneren Einstellung, so, wie sie i n der Straftat zum Ausdruck kommt, abhängig ist. I n der Praxis w i r d auch berücksichtigt, ob der Täter früher eine Straftat begangen hat oder nicht. Darüber hinaus die Strenge oder Milde der Strafe durch die Persönlichkeit des Täters oder die Prognose für seine zukünftige Führung beeinflussen zu lassen, ist m i t der Entwicklung der Strafreaktion und ihrer Konstruktion auch i m geltenden Recht nicht vereinbar. Unter Berücksichtigung der nun kurz angegebenen Prinzipien gilt es, das relativ gesehen richtige Strafmaß zu finden. Eine absolut betrachtet „gerechte" Strafe dürfte niemals bestimmt werden können, unter anderen aus dem Grunde, weil die Straftat und die gesellschaftliche Reaktion inkommensurable Größen sind. Keine Strafe i m B r B ist i n der Hinsicht absolut bestimmt, daß ein einziges festes Strafmaß i n dem anzuwendenden Strafgesetz bestimmt ist. I n einigen Fällen sind jedoch die Alternativen der Strafzumessung begrenzt, z.B. bei Mord (3:1), für den die Strafe auf Gefängnis von 10 Jahren oder auf Lebenszeit beträgt. Gewöhnlich ist jedoch der Strafsatz gemäß dem Rahmensystem gebildet, d. h. es werden eine obere und eine untere Grenze anwendbarer Strafarten i n der Strafbestimmung aufgestellt. Es kommt auch, besonders bei der Anwendung von Geldstrafen, aber seltener bei Gefängnisstrafen, vor, daß das allgemeine Maximum oder M i n i m u m dieser Strafarten (vgl. 25:2 bzw. 26:1) m i t den Grenzen des Umfangs der besonderen Strafbestimmung zusammenfallen. Innerhalb der so angegebenen Skala hat das Gericht ausgehend von den oben angegebenen Strafzumessungsgründen das geeignete Strafmaß zu bestimmen. Es dürfte jedoch unvermeidbar sein, daß das Rahmensystem zu einer Ungleichheit der Rechtsanwendung führt sowohl bei einem Vergleich verschiedener Gerichte als auch verschiedener Zeitpunkte sowie hinsichtlich der verschiedenen Deliktstypen. Oft entwickelt sich jedoch eine feste Strafzumessungspraxis, besonders bei oft vorkommenden Deliktsarten wie den Eigentumsdelikten oder den zum Spezialstrafrecht gehörenden Verkehrsstraftaten. Die Tendenz unserer Gerichte scheint dabei zu sein, das passende Strafmaß besonders hinsichtlich der Gefängnisstrafe regelmäßig i n dem unteren Teil des Strafrahmens zu suchen. Diese Tendenz kann i n vielen Fällen aus allgemeinpräventiven Gesichtspunkten Bedenken wecken, besonders bei Berücksichtigung der erheblichen Verkürzung der Strafzeit, die faktisch die Folge der verbreiteten Anwendung der bedingten Entlassung (26:6) ist. Die Ungelegenheiten m i t dem Strafrahmensystem treten i m selben Maß deutlicher hervor wie die Rahmen für die Strafzumessung bei den einzelnen Deliktstypen weit gespannt werden. I m schwedischen Recht w i r d diesem Nachteil auf verschiedene Weise entgegengewirkt. Schon seit der partiellen Strafgesetzreform von 1942 betreffend die Vermö20-
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gensdelikte hat der Gesetzgeber mindestens bei einer Mehrzahl von Tattypen eine feste Gradeinteilung i n zwei oder drei Schritten mit selbständigen Strafrahmen für schwere und leichte Straftaten neben den Normalstrafrahmen durchgeführt. Oft, aber nicht immer haben die schweren oder die leichten Fälle eigene Deliktsbeschreibungen. Aus dem Gesichtspunkt der Strafzumessung ist es von geringerer Bedeutung, wenn bloß den besonderen Fällen selbständige Strafrahmen entsprechen, innerhalb welcher die Strafe gemäß den gewöhnlichen Grundsätzen bestimmt wird. Bei der Frage nach der richtigen Beurteilung des Falles als schwere bzw. leichte Tat entstehen nicht selten Zweifel. Oft gibt der Gesetzestext ein oder mehrere richtungweisende Beispiele, besonders bei der Bezeichnung einer Tat als schwer wie bei Körperverletzung (3:6), Diebstahl (8:4), Brandstiftung (13:2) und Meineid (15:1 Abs. 2). Aber auch wenn die Tat als eine leichte zu bezeichnen ist, stellt das Gesetz nicht selten einige oder mehrere Beispiele auf; vgl. solche Strafbestimmungen wie für Erzwingung des Beischlafs (6:1 Abs. 2), die einen weniger schweren Fall der Notzucht ausmacht, für die Entstellung von Urkunden (1402), die einen leichteren Fall der Urkundenfälschung bedeutet, und für Entziehung (10:2), die einen leichteren Fall der Unterschlagung darstellt. Jedoch begnügt sich der Gesetzgeber gewöhnlich damit, m i t dem nicht spezifizierten Umstand, daß die Tat leicht ist, eine mildere Strafdrohung zu verknüpfen; siehe ζ. B. die Bestimmungen über Körperverletzung (3:5), Zugriff auf Beförderungsmittel (8:7), Buchführungspflichtverletzung (11:5) und Meineid (15:1). I n solchen Fällen dürfte die Wahl der Kategorie des Delikts nach ungefähr denselben Erwägungen geschehen, die gemäß dem oben Gesagten bei Bemessung der Strafe innerhalb des betreffenden Strafrahmens angestellt werden. Schließlich muß der Komplikation des Strafzumessungsproblems, die auf der Tatsache, daß die Strafskalen zwei oder mehrere Strafarten aufnehmen können, beruht, einige Aufmerksamkeit geschenkt werden. Wenn w i r hier von den Straftaten von Soldaten absehen und uns an die übrigen Deliktstypen halten, ist es sehr gewöhnlich, daß die Strafbestimmungen sowohl innerhalb als auch außerhalb des B r B die beiden allgemeinen Strafarten Geldstrafe und Gefängnis androhen. Von diesen Straf arten kann j a nicht angenommen werden, daß sie einen zusammenhängenden kontinuierlichen Rahmen bilden, i n welchen die aktuelle Tat unter Anwendung der oben behandelten Strafzumessungsprinzipien „eingesetzt" werden kann. Es sind ja auch Situationen denkbar, z.B. innerhalb des Spezialstrafrechts, i n denen eine sehr hohe Geldstrafe von dem Täter als eine fühlbarere Reaktion als eine Gefängnisstrafe von einigen Monaten empfunden wird. Der
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Gesetzgeber hat die bei der Androhung mehrerer Strafarten für eine Straftat entstehenden Schwierigkeiten dadurch lösen wollen, daß der B r B ausdrücklich bestimmt (in 1:4 Abs. 2), daß Gefängnis als eine schwerere Deliktsfolge als Geldstrafen und Disziplinstrafen anzusehen ist. Bei der Wahl zwischen der schwereren und der milderen Straf art, welche somit i n dem Strafrahmen enthalten ist, sollen nicht nur die oben angenommenen Strafzumessungsprinzipien entscheidend sein, sondern es spielen auch die für die Wahl von Deliktsfolgetypen aufgestellten kriminalpolitischen Direktiven (1:7), die zuvor behandelt wurden, eine Holle. Es muß hinzugesetzt werden, daß nach den Motiven des B r B die Reihenfolge zwischen den verschiedenen i n einer Strafbestimmung aufgenommenen Strafarten nicht als eine A r t Indiz dafür angesehen werden darf, daß die „Normalstrafe" für die Tat i n dem Rahmen der zuerst genannten Straftat zu suchen sei. Zusammentreffen von Taten und Tatfolgen (die Konkurrenzlehre) Bisher hat die Darstellung die Feststellung einer Deliktsfolge behandelt, wenn nur ein Delikt abzuurteilen war. U m die Darstellung nicht zu komplizieren, haben w i r zuvor die Behandlung der besonderen Gesetzesbestimmungen, die das entsprechende Problem, daß der Täter sich mehrfach strafbar gemacht hat, aufgeschoben, obwohl dieses besonders oft der Fall ist. M i t Rücksicht darauf, daß dieser Teil des Strafrechts, die sogenannte Konkurrenzlehre, einen verwickelten Komplex von Regeln darstellt, soll dieses Gebiet nur i n seinen wichtigsten Zügen behandelt werden. W i r halten uns dabei an die Regeln des allgemeinen Strafrechts (im BrB). Die Hauptregel findet man i n 1:6 Abs. 1, die bestimmt, daß bei einer Verurteilung wegen mehrerer Taten eine gemeinsame Deliktsfolge für die Taten verhängt werden soll, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist. Diese Regel stützt sich auf den rechtspolitischen Gedanken, daß alle Straftaten, die dem Beschuldigten gleichzeit i g vorgeworfen werden, i n ihrem Zusammenhang als Ausdruck eines höheren oder eines niedrigeren Grades von Asozialität i n der Lebensführung des Täters betrachtet werden müssen. Damit hängt zusammen, daß der Grundsatz einer gemeinsamen Deliktsfolge, ohne daß dies i m Gesetz besonders ausgedrückt wird, anwendbar ist, sowohl wenn die mehrfache Täterschaft aus mehreren voneinander getrennten strafbaren Handlungen besteht (Realkonkurrenz) oder wenn eine Handlung mehrere Delikte (Idealkonkurrenz) umfaßt. Letztere kann darauf beruhen, daß die Handlung entweder aus mehreren Gesichtspunkten m i t Strafe bedroht ist (ζ. B. Notzucht gegenüber Minderjährigen) oder daß ein Schaden i n mehrerer Hinsicht entsteht (ζ. B. mehrere Personen werden durch ein und dasselbe Attentat verletzt). Die Regel i n 1:6
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Abs. 1 ist bei der Verhängung sowohl von Strafen als auch von anderen Deliktsfolgen anwendbar und nicht davon abhängig, ob die einzelnen Taten jede für sich gemäß der betreffenden Gesetzesbestimmungen nur m i t Geldstrafe oder auch mit Freiheitsstrafen bedroht sind (vgl. 25:4 Abs. 1 und 26:2 Abs. 1). Ausnahmen von der Hauptregel können jedoch vorkommen. So w i r d i n 1:6 Abs. 2 bestimmt, daß das Gericht, wenn besondere Gründe hierfür vorliegen, wegen einer oder mehrerer konkurrierender Taten zu Geldstrafen neben den für die übrigen Straftaten verhängten Rechtsfolgen verurteilen kann. Diese Bestimmung berücksichtigt insbesondere die Fälle, i n denen man m i t Rücksicht auf die Aufrechterhaltung des allgemeinen Gesetzesgehorsams, ζ. B. bei spezialstrafrechtlichen Übertretungen diese hervorheben w i l l , wie man gleichzeitig wegen der übrigen (konkurrierenden) Straftaten zur Gefängnisstrafe oder zu einer individualpräventiv geformten Deliktsfolge vom Behandlungstyp greift. I n derselben Bestimmung w i r d noch eine andere Ausnahme aufgestellt, nämlich daß das Gericht wegen einer bestimmten Straftat eine Gefängnisstrafe neben einer bedingten Verurteilung oder Schutzaufsicht wegen der übrigen Straftaten verhängen kann. Der Vorteil dieser Kombination t r i t t ζ. B. i n dem Fall hervor, daß jemand teils wegen Trunkenheit am Steuer oder wegen eines anderen ernsteren Verkehrsdeliktes, für welches nach einer festen Praxis aus generalpräventiven Gründen Freiheitsstrafen verhängt werden, und teils wegen einer anderen Straftat, ζ. B. wegen eines leichteren Eigentumsdelikts, für das K r i m i n a l pflege i n Freiheit eine ausreichend ernste Deliktsfolge darstellt, verurteilt werden soll. Wenn i m Einzelfall eine gemeinsame Deliktsfolge bestimmt werden soll, geschieht die Wahl der A r t der Folge nach denselben Prinzipien wie sonst, d. h. unter Anwendung von 1:7 und den für die verschiedenen Folgetypen möglicherweise i n Betracht kommenden Regeln. Ist für die Verhängung einer bestimmten Tatfolge Bedingung, daß die Tat von einem i m Gesetz angegebenen Schweregrad ist, reicht gewöhnlich aus, wenn diese Bedingung für eine der konkurrierenden Straftaten erfüllt ist; siehe insoweit für die Internierung die Vorschrift i n 30:1. Für die Bestimmung einer gemeinsamen Deliktsfolge i n Form einer allgemeinen Strafe hat man ausdrückliche Regeln für notwendig angesehen. Für die Wahl einer Strafart w i r d bestimmt, daß Geldstrafen als gemeinsame Strafe für mehrere Straftaten verhängt werden können, wenn auf jede einzelne der Straftaten Geldstrafe folgen kann (25:4 Abs. 1). Die gemeinsame Strafe soll i n Tagessätzen festgesetzt werden, wenn solche für eine der konkurrierenden Taten i m Gesetz
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vorgesehen sind (25:5 Abs. 1). Hinsichtlich der Gefängnisstrafe w i r d bestimmt, daß diese Rechtsfolge als gemeinsame Strafe angewendet werden kann, wenn auf eine der Taten Gefängnis folgen darf (26:2 Abs. 1). Was danach die Bemessung der Strafe selbst betrifft, stellt das Gesetz ebenfalls ausdrückliche Regeln auf. Diese beruhen auf dem Prinzip, daß für Konkurrenzfälle besondere Strafrahmen konstruiert werden, innerhalb welcher die Strafe nach sonst üblichen Strafzumessungsprinzipien bemessen wird. Bei Geldstrafen ist das Maximum i n dem konstruierten Rahmen auf 180 Tagessätze oder, wenn die Geldstrafen direkt i n Summen festgesetzt werden, auf 1000 Kronen bestimmt (25:5 Abs. 2). Soll Gefängnis zu dem konstruierten Strafrahmen gehören, geht das Gesetz von der höchsten der für die einzelnen konkurrierenden Straftaten bestimmten Obergrenze aus und schreibt vor, daß dieses Maximum überschritten werden darf, jedoch nicht u m mehr als zwei Jahre. Hinzu kommt die Einschränkung, daß die Strafe auch nicht die zusammengezählten Höchstgrenzen der konkurrierenden Strafbestimmungen übersteigen darf (26:2 Abs. 2). Was schließlich das Minimum der Strafe bei mehreren Straftaten betrifft, so schreibt das Gesetz (25:5 Abs. 3) vor, daß dieses M i n i m u m bei der Bestimmung der gemeinsamen Strafe nicht unterschritten werden darf, wenn für eine von mehreren zusammentreffenden m i t Geldstrafe bedrohten Taten eine bestimmte niedrigste Geldstrafe festgesetzt ist. Für die Gefängnisstrafe w i r d bestimmt, daß die schwerste der für die Taten festgesetzten Mindeststrafen nicht unterschritten werden darf (26:2 Abs. 3). I m Vorangehenden wurde davon ausgegangen, daß die konkurrierenden Taten eine Strafverfolgung und Verurteilung bei ein und derselben Gelegenheit veranlaßt haben. Sehr oft ist die Situation jedoch so, daß eine der begangenen Taten schon Gegenstand einer Verurteilung zu einer Deliktsfolge gewesen ist, während die andere Tat erst danach den Behörden bekannt w i r d und zur Strafverfolgung führt, sofern nicht die schon früher behandelten Vorschriften i n RB 20:7 § 2 hinsichtlich des Beschlusses, die Tat nicht anzuklagen, zur Anwendung kommen. Es kann oft auf Zufall beruhen, daß nicht alle begangenen Taten gleichzeitig bekannt werden und zu einer gemeinsamen Deliktsfolge führen. Wegen der neu ermittelten Straftat zu einer separaten Rechtsfolge zu verurteilen, würde oft — i m ganzen gesehen — eine allzu strenge Reaktion der Gesellschaft bedeuten und bei unserem jetzigen Deliktsfolgensystem zu technischen Unförmlichkeiten führen. I m Kapitel 34 B r B sind einige teilweise sehr komplizierte Vorschriften enthalten, die darauf abzielen, daß das Ergebnis der Verhängung von Deliktsfolgen so lange wie möglich ungefähr dasselbe bleibt, wie wenn alle begangenen Taten gleichzeitig abgeurteilt worden seien und die Bestimmung einer gemeinsamen Deliktsfolge veranlaßt hätten. I n
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dieser Darstellung hier müssen die hauptsächlich technischen Bestimmungen auf diesem Gebiet übergangen werden. Jedoch soll das grundlegende Prinzip (34:1) kurz angegeben werden. Wenn einer wegen einer Tat zu Gefängnis, bedingter Verurteilung, Schutzaufsicht, Jugendgefängnis oder Internierung (ein reines Geldstrafenurteil w i r d nicht von den Regeln betroffen) verurteilt worden ist und für schuldig befunden wird, vor dem Urteil eine andere Tat begangen zu haben, oder er begeht nach dem Urteil, aber bevor die Deliktsfolge vollkommen vollstreckt ist oder sonst erledigt worden ist, eine andere Tat, hat das Gericht die Wahl zwischen drei verschiedenen Möglichkeiten, u m m i t dem geringstmöglichen Aufwand ein Resultat zu erreichen, welches die Forderungen der Gerechtigkeit und der Vernunft erfüllt. Das Gericht kann entweder anordnen, daß die zuerst verhängte Deliktsfolge auch die zweite Tat mitberücksichtigen sollte (sog. Konsumtion) oder es kann wegen dieser Tat eine selbständige Deliktsfolge verhängen oder es kann schließlich die frühere, durch ein rechtskräftiges Urteil verhängte Deliktsfolge beseitigen und wegen der Straftaten eine Deliktsfolge anderer A r t verhängen. Dabei werden gegebenenfalls die früher festgestellten Regeln über die gemeinsame Rechtsfolge angewendet.
Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründe Wie bereits erwähnt, hat man bei der Strafzumessung nicht nur die erschwerenden und mildernden Umstände zu berücksichtigen, die auf die Bestimmung der Strafe i m konkreten Fall innerhalb des für den Deliktstyp (und den eventuell benannten Schweregrad des Delikts) aufgestellten Strafrahmens einwirken, sondern auch solche besonderen Bestimmungen i m Gesetz, die veranlassen können, daß die Höchstgrenze des anwendbaren Strafrahmens überschritten oder die niederste Grenze unterschritten wird, also die Bestimmungen, die man die Strafschärfungs« bzw. Strafmilderungsgründe nennt. I m folgenden sollen die allgemeinen Bestimmungen des genannten Inhalts, die i m B r B aufgenommen sind, behandelt werden. Ausnahmsweise kommen spezielle Strafmilderungsregeln bei bestimmten Delikten vor, nämlich bei den allgemeingefährlichen Straftaten (13:11), Fälschungsdelikten (14:11) und Aussagedelikten (15:14). Gemäß diesen ziemlich gleichartigen Gesetzesbestimmungen w i r d demjenigen, der sich eines Verstoßes gegen die Strafbestimmungen i n dem entsprechenden Kapitel schuldig gemacht hat, Strafmilderung — i n wenigen Fällen sogar Straffreiheit — unter der Voraussetzung gewährt, daß der Täter, bevor die Tat Ungelegenheit bereitet hat, freiwillig eine erteilte unrichtige Auskunft berichtigt hat oder sonst eine i n Folge der Straftat fortdauernde Gefahr
Strafschärfungs- u n d Strafmilderungsgründe
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oder Ungelegenheit abwehrt (sog. Rücktritt von der Straftat). Abgesehen von diesen Bestimmungen folgt aus der Systematik des BrB, daß der Bedarf an strengeren oder milderen Strafsätzen, der bei den einzelnen Straftaten vorliegen kann, durch die früher behandelte Technik, die wichtigeren Delikte i n mehrere Grade einzuteilen, berücksichtigt wird, wobei besondere Strafrahmen für schwere und leichte Fälle des betreffenden Delikts geschaffen werden. Von allgemeinen Strafschärfungsgründen enthält B r B nur einen, nämlich den Rückfall (Rezidiv). Während i m älteren Recht Strafschärfung beim Rückfall nur innerhalb der Delikte gegen das Eigentum und bei Fälschungsdelikten vorkam, gilt nunmehr die Rückfallsschärfung unabhängig von der A r t der vorangehenden und der jetzt aktuellen Straftat und ist stattdessen von der relativen Schwere der begangenen Straftaten abhängig gemacht worden. Die Vorschrift des Gesetzes über Strafschärfung bei Rückfall (26:3 Abs. 1) sagt, daß jemand, der wegen einer i m B r B m i t Gefängnis bedrohten Straftat zu einer Deliktsfolge verurteilt worden ist und nach Rechtskraft des Urteils eine neue Straftat begeht, für die nach demselben Gesetz Gefängnis bis zu sechs Monaten angedroht ist, wegen Rückfalls zu Gefängnis bis zu zwei Jahren verurteilt werden kann. Ist für die neue Straftat Gefängnis von mehr als sechs Monaten aber höchstens von zwei Jahren bestimmt, darf wegen Rückfalls zu Gefängnis bis zu vier Jahren verurteilt werden. Die Rückfallsschärfung ist nicht obligatorisch. Der Gesetzgeber hat es nicht als notwendig angesehen, irgendeine Strafschärfung für Rückfall aufzustellen, wenn für die neue Straftat eine noch strengere Strafe als hier dargelegt angedroht ist, weil der Strafrahmen für die Tat dann als ausreichend angesehen wird, u m den Rückfall als einen erschwerenden Umstand bei der Strafzumessung innerhalb des gewöhnlichen Strafrahmens zu berücksichtigen. Die Rückfallregel ist einigen besonderen Beschränkungen unterworfen. Teils w i r d vorgeschrieben, daß ein Urteil, das i m konkreten Fall keine strengeren Deliktsfolgen als Geldstrafe oder eine Disziplinstrafe für Soldaten ausspricht, Rückfall nicht begründet, und teils, daß die Straftat, die jemand vor Beendigung seines 18. Lebensjahres begangen hat, nicht zur Begründung einer Straferhöhung wegen Rückfalls herangezogen werden darf (26:3 Abs. 2). Die zuletzt genannte Beschränkung ist ein Zeichen der mildernden Behandlung hinsichtlich der Strafe, die das Gesetz seit altem für junge Gesetzesübertreter vorschreibt; die allgemeinen Strafmilderungsregeln für Straftaten dieser Personengruppe (33:4 Abs. 1) werden i m folgenden behandelt werden. Zum Schluß w i r d i n der genannten Gesetzesstelle bestimmt, daß einem ausländischen Urteil hinsichtlich des Rückfalls nach Prüfung durch das Gericht die gleiche Wirkung wie einem schwedischen zuerkannt werden darf (26:3 Abs. 3). Aus-
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künfte über die früheren Straftaten des Angeklagten erhält das Gericht durch einen Auszug aus dem bei der Kriminalpflegeverwaltung nach den Bestimmungen des Gesetzes von 1963 über ein allgemeines Kriminalregister geführten Register (welches dem Strafregister des älteren Rechts entspricht). Was danach die Vorschriften des B r B über die verschiedenen Arten allgemeiner Strafmilderungsgründe betrifft, sind diese teils i n dem Abschnitt über die Deliktsfolgen (besonders i n Kapitel 33) und teils i n den allgemeinstrafrechtlichen Abschnitten über die sogenannten Formen der Straftat (Kapitel 23) sowie über Notwehr und andere Gründe für den Ausschluß der Strafbarkeit (Kapitel 24) enthalten. Die erste Gruppe der Strafmilderungsgründe berücksichtigt vor allen Dingen bestimmte Eigenschaften bei dem Täter und schließt dicht an die Prinzipien für die Bestimmung der Deliktsfolgen gerade für diese Person an. Die andere Gruppe der Regeln hängt mehr mit der äußeren Situation, i n der die Tat begangen worden ist, zusammen und hat einen engen Zusammenhang m i t den allgemeinen Bedingungen für die K r i minalisierung einer Tat durch die besonderen Strafvorschriften. N u r die erstgenannten Typen der Strafmilderungsgründe sollen i n dem vorliegenden Teil der Darstellung behandelt werden. Die Regeln über die Strafmilderung der anderen Gruppe (ζ. B. bei geringerer Beteiligung an der Tat oder bei der Überschreitung des Notwehrrechts oder der Grenzen des Notstandes) werden i m Zusammenhang m i t den Hauptregeln über die Bestimmung der Strafe bei den Formen der Straftat und über die zuletzt genannten besonderen Gründe für den Ausschluß der Strafbarkeit behandelt. Die wichtigsten Regeln über die Strafmilderung bei der Bestimmung der Deliktsfolge finden sich i m Kapitel 33, das gemäß einer Überschrift die Herabsetzung und Ausschließung von Deliktsfolgen behandelt. Neben den schon behandelten Bestimmungen über den Ausschluß einer Deliktsfolge für den, der noch nicht 15 Jahre alt ist (33:2) und für den, der eine Tat unter dem Einfluß schwerer psychischer Abnormität begangen hat und für den keine der gesetzlichen Tatfolgen als passend angesehen w i r d (33:2 Abs. 3), stellt das Gesetz allgemeine Strafmilderungsregeln i n drei verschiedenen Fällen auf. So w i r d bestimmt, daß derjenige, der eine Tat vor Vollendung des 18. Lebensjahres begangen hat, den Umständen nach zu einer geringeren Strafe als der für die Tat festgesetzten verurteilt werden darf (33:4 Abs. 1). Dieselbe Regel gilt für den, der eine Tat unter dem Einfluß seelischer Abnormität begangen hat, wenn hierzu besondere Gründe vorhanden sind. Natürlich w i r d dabei vorausgesetzt, daß der Betreffende nicht gemäß der obengenannten Bestimmung (33:2 Abs. 3) über die abnormen Straftäter straffrei sein soll.
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Schließlich hat der B r B neue Regeln über die Strafmilderung und den Ausschluß von Deliktsfolgen i n besonderen Fällen eingeführt, i n denen die Umstände die Anwendung der sonst geltenden Regeln anstößig erscheinen läßt. So w i r d bestimmt, daß, wenn ganz besondere Gründe vorliegen und die Rücksicht auf den allgemeinen Gesetzesgehorsam kein offenbares Hindernis darstellt, gleichwohl i n anderen Fällen als den jetzt behandelten eine geringere Strafe als die für die Tat festgesetzte (33:4 Abs. 2) ausgesprochen werden darf. Ist es aufgrund besonderer Umstände offenbar, daß eine Deliktsfolge für die Tat nicht erforderlich ist, darf von ihr ganz abgesehen werden (33:4 Abs. 3). Der Gesetzgeber hat hier an Ausnahmefälle besonderer Art gedacht, i n denen eine sogenannte judizielle Gnade aus humanitären Gesichtspunkten erforderlich erscheint, ζ. B. wenn der Täter ein hohes Alter erreicht hat, wenn er Invalide ist oder selbst durch die Tat schwer geschädigt worden ist. Die Befugnis des Gerichts entspricht i m großen und ganzen dem besonderen Recht, das dem Reichsankläger durch die schon behandelten Regeln i n RB 20:7 Ziff. 3 gewährt wurde, nämlich zu beschließen, daß eine Anklage auf die Tat nicht folgen soll. Es muß hinzugefügt werden, daß clas Recht zur Strafmilderung, das i n den hier behandelten Vorschriften aufgestellt worden ist, bedeutet, daß die Strafe, so tief wie auch immer unter die Untergrenze des für die Tat aufgestellten Strafrahmens herabgesetzt werden kann, d. h. herab bis zu der niedrigsten Geldstrafe, auf die gemäß den Bestimmungen i n 25:2 und 3 erkannt werden darf. Unter den übrigen Vorschriften, die von Interesse für den aktuellen Zusammenhang sind, soll die Strafmilderung genannt werden, die de facto durch die völlige oder teilweise Anrechnung der Zeit erfolgt, während der der Verurteilte sich i n dem Verfahren i n Untersuchungshaft befunden oder sonst eine Freiheitsentziehung erlitten hat (33:5 - 8), sowie die besonderen Strafmilderungsregeln, die i m Zusammenhang m i t den Bestimmungen über die Festsetzung der Rechtsfolgen i n bestimmten Konkurrenzsituationen (34:3 Abs. 2 und 34:7 Abs. 3 sowie 34:9 Abs. 3) gelten. I m Zusammenhang m i t der Abschaffung der Vorschriften über die Amtsenthebung und Suspension als Strafen ist i n einer neuen Bestimmung (33:9) vorgeschrieben worden, daß bei der Bestimmung der Strafe für Straftaten von Arbeitnehmern Rücksicht genommen werden soll auf eine Entlassung oder eine andere Folge, die nach dem Arbeitsvertrag oder einem für das Anstellungsverhältnis maßgebenden Gesetz gegeben ist. Von Geldstrafen oder Disziplinstrafen, die sonst verhängt werden sollten, kann i n einem solchen Fall ganz abgesehen werden.
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Besondere Rechtswirkungen der Straftat Neben den eigentlichen Deliktsfolgen, die i n 1:3 angegeben werden und i m vorangehenden Text dargestellt worden sind, hat man zu beachten, daß die Rechtsordnung an eine begangene Straftat oder ein verkündetes auf Strafe lautendes Urteil verschiedene Rechtswirkungen knüpft, die andere Aufgaben zu erfüllen haben, als Reaktionen auf die begangene Straftat darzustellen. Das Gesetz erinnert hieran i n 1:8. Als einige Beispiele können hier die Verpflichtung zum Schadensersatz gemäß dem Schadensersatzgesetz (1972:207), weiter die Verwirkung des Erbrechts, wenn jemand seinen zukünftigen Erblasser u m das Leben gebracht hat (vgl. Ä B 15:1), die Reichsverweisung eines Ausländers, der hierzulande wegen einer ernsteren Straftat verurteilt worden ist, gemäß §§ 26 und 27 des Ausländergesetzes (1954: 193) und der Verlust des Führerscheins aufgrund bestimmter Typen von Verkehrsdelikten — vgl. § 51 der Bekanntmachung über den Führerschein (1972: 592) — genannt werden. Diese besonderen rechtlichen Konsequenzen einer Straftat oder eines Strafurteils werden i m B r B nur i n zwei Fällen behandelt. Der eine Fall betrifft die Einziehung von Sachen und damit verwandte Rechtswirkungen. Der andere Fall ist i n 20:4 geregelt. Dort w i r d bestimmt, daß der, der zu einem staatlichen oder kommunalen Auftrag, mit dem eine Amtsausübung verbunden ist, gewählt ist (ζ. B. Mitglied beschließender staatlicher oder kommunaler Versammlungen sowie von kommunalen Ausschüssen), durch ein Gericht von dem Auftrag entfernt werden kann, wenn er eine Straftat begangen hat, für die Gefängnis von zwei Jahren und mehr angedroht ist, vorausgesetzt, er hat sich durch die Tat als offenbar ungeeignet für den Auftrag erwiesen. D i e Einziehung (förverkande)
Eine i n der Praxis bedeutungsvolle besondere Rechtswirkung der Tat, die i m entsprechenden Fall die Effektivität der eigentlichen Deliktsfolge erheblich verstärkt, ist die Einziehung. Die hierüber i m B r B Kapitel 36 enthaltenen Regeln sind 1968 durch eine Gesetzesreform modernisiert und bedeutend vereinfacht worden. Die Reform ist als ein Teil der nordischen Gesetzgebungsarbeit auf dem Gebiet des Strafrechts zustandegekommen. Die Bestimmungen sind bei allen Delikten des B r B anwendbar. Was die Verstöße gegen spezialstrafrechtliche Bestimmungen betrifft, enthalten diese i n weiterer Ausdehnung besondere Einziehungsbestimmungen, oft weitergehender Natur als die entsprechende Rechtswirkung i m allgemeinen Strafrecht.
Besondere Rechts Wirkungen der Straftat
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M i t Rücksicht hierauf können die grundlegenden Regeln i m B r B 36:1 und 2 über die Voraussetzungen einer Einziehung wegen einer Straftat nicht analog als Grundlage für einen Einziehungsbeschluß herangezogen werden, wenn das Spezialgesetz keine Einziehungsbestimmungen hat. So kann ein Kraftfahrzeug nicht konfisziert werden, auch wenn der Kraftfahrzeugführer eines schwereren Verkehrsvergehens für schuldig befunden wird. W i r d diese besondere Rechtswirkung i n der spezialstrafrechtlichen Vorschrift, die die Strafe für den entsprechenden Gesetzesverstoß bestimmt, angeordnet, sind die Bestimmungen des B r B Kapitel 36 i m übrigen (d.h. 36:3-12) grundsätzlich i n der Weise anwendbar, die aus der folgenden Darstellung hervorgeht. Die verschiedenen Hauptfälle der Einziehung sind folgende: Gemäß 36:1 soll der Gewinn der Tat gemäß B r B für eingezogen erklärt werden, wenn es nicht offenbar unbillig ist. Ein Vorbehalt w i r d jedoch für solchen Gewinn gemacht, der dem Schaden des einzelnen entspricht; i n diesem Fall sind die Regeln über den Schadensersatz anwendbar. Das Gesetz unterscheidet i n seiner neuesten Fassung nicht zwischen der konkreten Sache (oder dem, was i m entsprechenden Fall an deren Stelle tritt) und deren Wert. Nach dem Gesetz kann der Wert einer bestimmten Sache, ζ. B. ein Bestechungsgeschenk oder die für die VerÜbung der Straftat gegebene Gegenleistung als eingezogen erklärt werden, auch wenn die Sache selbst vorhanden ist. Die Wahlfreiheit des Gerichts zwischen der Einziehung der Sache und ihres Werts birgt praktische und kriminalpolitische Vorteile i n sich, die geeignet sind, die Effektivität der Sanktion zu erhöhen. So kann die Maßnahme gegen mehrere Personen gleichzeitig und nicht bloß gegen den, bei welchem die das Bestechungsgeschenk oder die Gegenleistung darstellende Sache sich befindet, gerichtet werden. Die verschiedenen Alternativen brauchen i m Gesetzestext nicht näher angegeben zu werden, sondern werden von dem Begriff Erträgnis der Straftat gedeckt. Jedoch muß beachtet werden, daß, richtet sich die Einziehung gegen mehrere Personen gleichzeitig, der Wert der Sache die äußerste Grenze der Einziehung ausmacht. Eine Doppelkonfiskation ist somit ausgeschlossen. Ein anderer in 36:1 genannter Fall ist die Einziehung der Vergütung für die Tat, d. h. von Geld oder anderem Gut, das zur Bestreitung von m i t der Tatverübung verbundener Ausgaben gedacht ist. I n diesem Fall kann die Einziehung alternativ den Wert des empfangenen Guts betreffen. Das setzt voraus, daß die Vergütung empfangen worden ist und daß der Empfang eine mit Strafe bedrohte Behandlung gemäß B r B darstellt. Als Beispiel kann hierfür die allgemeine Bestimmung i n 23:2 über die Strafe für die Vorbereitung einer Tat genannt werden,
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eine Handlung, die unter anderem darin bestehen kann, daß jemand m i t dem Vorsatz, eine Straftat auszuführen oder zu fördern, Geld oder anderes als Vergütung oder Gegenleistung für die Tat entgegennimmt. Als dritte Gruppe von Fällen behandelt das Gesetz i n 36:2 die Einziehung von Gegenständen, die als Hilfsmittel bei einer Straftat gemäß B r B angewendet oder durch die Tat hervorgebracht worden sind (die sogenannten Verbrechensprodukte). Hier kommt für die Einziehung die weitere Voraussetzung hinzu, daß die Maßnahme erforderlich ist, u m Straftaten vorzubeugen, oder daß sonst besondere Gründe vorliegen. Als Beispiel für solche „besonderen Gründe" ist zuweilen erwähnt worden, daß es anstößig wäre, wenn der Täter die Tatwerkzeuge, m i t denen er ein Gewaltverbrechen verübt hat, behalten dürfe, auch wenn eine Wiederholung der Tat nicht zu befürchten ist. Der revidierte Gesetzestext stellt den Hilfsmitteln bei der Tat und den producta sceleris auch solche Gegenstände gleich, deren Verwendung eine Straftat gemäß B r B darstellt oder m i t denen man sich i n einer Weise befaßt hat, die eine Straftat darstellt. Damit zielt man auf solche Fälle, i n denen die betreffende Straftat gerade i n der Verwendung von bestimmten Gegenständen i n verwerflicher Absicht besteht, ζ. B. von Schriften oder Bildern, die aus sittlichen oder sonst moralischen Gesichtspunkten anstößig sind und entgegen 16:11 und 16:12 verbreitet worden sind. Hier handelt es sich nicht u m Hilfsmittel für die Tatbegehung und auch nicht um Tatprodukte. Man kann auch auf die Grenzfälle des Begriffs „Hilfsmittel" hinweisen, ζ. B. eine Uniform, die jemand unbefugt trägt, so daß er sich des Vortäuschens einer öffentlichen Stellung (17:15) schuldig macht. Die rechtspolitischen Gründe für die Einziehung eines solchen Gegenstandes zur Verhinderung einer fortgesetzten strafbaren Verwendung derselben können j a genügend klar sein. I n allen nun behandelten Einziehungsfällen kann alternativ zur Einziehung des Wertes gegriffen werden. Aufgrund des engen sachlichen Zusammenhangs m i t der soeben behandelten Einziehung der Hilfsmittel w i r d i n 36:3 ein Fall von Konfiskation behandelt, die streng genommen keine Rechtswirkung der Tat bedeutet, aber die große praktische Bedeutung als M i t t e l zur Verhinderung von Straftaten bekommen kann. Es w i r d dort gesprochen von der Einziehung von „Gegenständen, von denen aufgrund ihrer besonderen Beschaffenheit oder der Umstände i m übrigen befürchtet werden kann, daß sie für eine Straftat verwendet werden", auch wenn eine Tat noch nicht begangen worden ist. Als Beispiele können solche sogenannten typischen Tatwerkzeuge genannt werden wie falsche Münzen, Dietriche, Einbruchswerkzeuge usw. Die Bestimmung hat Bedeutung auch für die spezialstrafrechtlichen Gesetzesübertretungen.
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Nachdem das Gesetz die verschiedenen Fälle der Einziehung behandelt hat, gibt es i n seiner umgearbeiteten Fassung i n 36:4 eine Zusammenstellung der Personen und anderer Rechtssubjekte, bei denen die Einziehung wegen einer Straftat geschehen kann. Es handelt sich hier vor allem u m Personen, die sich anläßlich der Straftat m i t dem Gegenstand abgegeben haben, nämlich u m den Täter und andere Beteiligte an der Tat, u m denjenigen, an dessen Stelle der Täter oder ein anderer Beteiligter gehandelt hat (ζ. B. eine juristische Person), sowie u m denjenigen, der sonst durch die Tat einen Gewinn erlangt hat. Aber auch derjenige, der nach der Tat die Sache erworben hat, kann von der Einziehung betroffen werden, nämlich wer die Sache aufgrund Ehegüterrechts, Erbrechts oder Testaments erlangt oder sonst nach der Tat das Eigentum auf andere Weise erworben hat und dabei wußte oder begründeten Anlaß hatte anzunehmen, daß zwischen dem Gegenstand und der Tat ein Zusammenhang bestand. Als Schutz für einen solchen Eigentümer der Sache, dem die Tat völlig unbekannt ist, w i r d ausdrücklich i m Gesetz hervorgehoben, daß Gegenstände nicht eingezogen werden können, wenn sie bei Begehung der Tat nicht einer der Personen gehörte, die i n 36:4 aufgezählt werden. Besondere Rechte an der Sache, ζ. B. ein begrenztes, einem anderen zustehendes Sachenrecht soll grundsätzlich auch nach der Einziehung weiter bestehen. Eine Anordnung, daß dieses besondere Recht erlöschen soll, kann nur nach den für die Einziehung der Sache geltenden Vorschriften ergehen. Für die Anwendbarkeit der Einziehungsbestimmung 36:1 und 2 w i r d nicht vorausgesetzt, daß jemand eine Sanktion für die Straftat auferlegt wird. So besteht die Möglichkeit, daß dem Täter aus subjektiven Gründen, z.B. gemäß 33:1 und 2 wegen Minderjährigkeit oder psychischer Abnormität eine solche Sanktion nicht auferlegt werden kann. I n 36:8 w i r d jedoch für diese Fälle vorgeschrieben, daß das Gericht eine Anordnung über die Einziehung oder eine andere besondere Rechtswirkung, die auf die Tat folgen kann, nur erlassen darf, wenn und soweit dies m i t Rücksicht auf die Sinnesart des Täters, die Beschaffenheit der Tat und die übrigen Umstände als angebracht angesehen werden kann. Daß der Täter verstorben oder die Tat verjährt ist und eine Deliktsfolge mit Rücksicht hierauf nicht verhängt werden kann, hindert an und für sich die Anwendung der Einziehungsregeln nicht. I n diesen Fällen w i r d jedoch vorausgesetzt, daß der Antrag binnen fünf Jahren seit der Tatbegehung gestellt w i r d und dies aus allgemeinen Erwägungen erforderlich erscheint (36:9). Abschließend sollen weiterhin ein paar allgemeine Bestimmungen genannt werden. I m 36:5 w i r d bestimmt, daß das Gericht zur Verhinderung von Mißbrauch ζ. B. eines gefährlichen Gegenstandes oder einer
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gefälschten Urkunde anstelle der Einziehung eine bestimmte Maßnahme vorschreiben darf. Die Bestimmung ist auch innerhalb des Spezialstrafrechts anwendbar. Eine wichtige Neuheit bei den partiellen Reformen der Einziehungsvorschriften i m Gesetz von 1968 stellt die Einführung der i n 36:11 enthaltenen generellen Regel für alle hierher gehörenden Fälle dar, daß, wenn i n einem Gesetz oder i n einer Verordnung eine Bestimmung über die Einziehung oder eine andere solche besondere Rechtswirkung einer Straftat enthalten ist, die Verhängung einer solchen Maßnahme gleichwohl unterlassen werden darf, wenn es sich als offenbar unbillig erweist. Hierdurch w i r d u. a. die Strenge gemildert, die aus der Erweiterung des von den Einziehungsmöglichkeiten betroffenen Personenkreises durch 36:4 folgen kann. Ferner stellt das Gesetz i n 36:10 eine Verjährungsvorschrift für die Einziehung auf: eine Entscheidung über die Einziehung oder über eine Maßnahme zur Vorbeugung von Mißbrauch verfällt, wenn der Beschluß nicht innerhalb 10 Jahren vom Zeitpunkt der Rechtskraft an vollstreckt wird. Schließlich erinnert 36:12 an die ziemlich selbstverständliche Tatsache, daß das eingezogene Gut der Krone zufällt, wenn nichts anderes bestimmt ist.
I I I · Die Formen der Straftal Die besonderen Tatbestände i m B r B unter den spezialstrafrechtlichen Gesetzen setzen voraus, daß die Handlung, die nach ihnen strafbar ist, den Charakter einer vollendeten Tat hat. Die betreffende Tatbeschreibung muß voll erfüllt sein, d. h. die m i t Strafe bedrohte Handlungsweise soll zu Ende geführt und der schädliche Erfolg, der eventuell i n dem gesetzlichen Tatbestand angegeben wird, soll eingetreten sein. Die vollendete Straftat ist also die Normalform der Tat. Jedoch ist oft auch eine unvollendete Handlung eine ernste Gefahr für die vom Gesetz geschützten Rechtsinteressen, und die Haftung muß daher unter bestimmten Umständen i n einem zeitigen Stadium des deliktischen Vorhabens des Täters eintreten, auch wenn die Tat aus irgendeiner U r sache nicht vollendet wird. Als besondere Form der Straftat werden aus diesen Gründen i m B r B der Versuch, die Vorbereitung und die Verabredung der Tat bestraft. Schließlich muß beachtet werden, daß die Mehrzahl der Deliktsbeschreibungen davon spricht, daß eine einzige Person als Täter die unter Strafe gestellte Handlung begangen hat. Es ist jedoch äußerst gewöhnlich, daß sich mehrere Personen an der Straftat beteiligt haben und Gesetzesbestimmungen nötig sind, die unter bestimmten Voraussetzungen die strafrechtliche Verantwortung ausweiten und zwischen sämtlichen Verantwortlichen verteilen. Man muß also m i t einer Beteiligung an der Tat als einer der besonderen Formen des Delikts rechnen.
Versuch der Straftat
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Der Versuch der Straftat Der Versuch ist i m modernen schwedischen Recht i n bedeutender Ausdehnung, praktisch bei allen ernsteren Deliktstypen, unter Strafe gestellt. Die entsprechenden Regeln sind seit der teilweisen Strafrechtsreform von 1942 einheitlich ausgestaltet. I n den Kapiteln des B r B über die einzelnen Delikte wird, gewöhnlich am Ende des Kapitels angegeben, bei welchen Deliktstypen nicht nur die vollendete, sondern auch die versuchte Tat strafbar ist. Damit sind jedoch keine genügenden Regeln für die Bestrafung einer Tat als Versuch eines bestimmten Delikts gegeben. Das Gesetz muß auch näher definieren, welche Handlungen als Versuch bezeichnet werden sollen, und bestimmen, nach welchen Grundsätzen die Strafe für den Versuch zu bemessen ist. Beide Fragen werden durch die Vorschrift 23:1 beantwortet, die i n der Hauptsache unverändert aus dem früher geltenden Recht übernommen worden ist. Damit ein strafbarer Versuch vorliegt, w i r d gemäß 23:1 Abs. 1 zunächst gefordert, daß jemand die Ausführung einer Tat begonnen hat, ohne daß diese zur Vollendung gekommen ist. Bei der Deutung dieses Ausdrucks hat man die verschiedenen denkbaren Fälle zu beachten. Die Situation kann sein, daß der Täter alles, was er nach dem Tatplan zu t u n hat, ausgeführt hat und nun bloß auf das Resultat seiner Handlung wartet; er hat z.B. eine auf eine bestimmte Zeit eingestellte Sprengladung unter einer Brücke angebracht. Bei diesem sogenannten beendeten Versuch muß die Strafe natürlich auch eintreten, wenn der Erfolg infolge dazwischenkommender Umstände ausbleibt. Wenn der Täter nicht den gesamten Tatplan durchgeführt hat, stellt sich die Sache i n verschiedenen Fällen verschieden dar. Es ist zunächst klar, daß derjenige, der eine Handlung begonnen hat, die unmittelbar zur V o l l endung der Tat hatte führen sollen, einen strafbaren Versuch begonnen hat, wenn der Handlungsverlauf abgebrochen wird. Wer seinen Feind u m den Hals faßt, u m i h n zu erwürgen, hat sich des Mordversuchs schuldig gemacht, auch wenn das Opfer sich loszureißen vermag. Weiter müssen die Fälle beachtet werden, i n denen die Vollendung voraussetzt, daß der Täter mehrere ungleichartige Handlungen i n einer bestimmten i m Gesetz vorausgesetzten Reihenfolge ausführt, jedoch i n unmittelbarem Zusammenhang. Hier ist es für eine Versuchsstrafe ausreichend, daß der Täter die erste dieser Handlungen begonnen hat. Bei einem Notzuchtsversuch ist es ζ. B. ausreichend, daß der Täter begonnen hat, Gewalt gegen die Frau anzuwenden, oder daß er ihr, u m seinen Willen durchzusetzen, gedroht hat, ohne daß die Sexualhandlungen selbst begonnen worden sind. Es w i r d jedoch stets vorausgesetzt, daß der Tatplan darauf ausgeht, die Tat ohne wesentliche Unterbre21 Ausländisches Straf recht V
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chung zu vollenden. Wer eine verschlossene Schreibtischschublade aufbricht, u m bei einer späteren Gelegenheit Geld an sich zu nehmen und m i t der Beute zu verschwinden, hat sich nicht des Diebstahlsversuchs schuldig gemacht. I n anderen Fällen kann schließlich ein Versuch auch dann vorliegen, wenn die Vollendung der Tat für einen späteren Zeitpunkt beabsichtigt ist. Dies gilt, wenn die einzelnen Handlungen gleichartiger Natur sind. W i l l jemand beispielsweise einen anderen mittels kleiner täglicher Giftdosen, die jede für sich nicht lebensgefährlich sind, vergiften, liegt Versuch des Giftmords schon dann vor, wenn der Täter die erste Dose i n die Kaffeetasse des Opfers zu schmuggeln versucht. Jedoch nennt 23:1 als weitere Bedingung der Versuchsstrafbarkeit, daß die Gefahr bestanden hat, daß die Handlung zur Vollendung der Tat führen würde oder daß eine solche Gefahr nur aufgrund zufälliger Umstände ausgeschlossen war. Wer auf einen anderen m i t einem ungeladenen Revolver schießt, von dem kann wohl bis zu einem gewissen Grad gesagt werden, eine gefährliche Willensrichtung an den Tag gelegt zu haben. Unterläßt er es jedoch zu kontrollieren, ob die Waffe irgendeinen Schuß enthält, ist kein hinreichender Grund, i h n nur wegen seiner bösen Absicht zu bestrafen, gegeben. Anders liegt der Fall, wenn der Schuß versagt oder wenn die Ehefrau des Täters, die die heftige Laune ihres Mannes kennt, ohne sein Wissen die Patronen entfernt hat, kurz bevor er zu einem Zusammentreffen m i t seinem Gegner geht. Die Vollendung des Totschlags w i r d hier nur durch zufällige U m stände ausgeschlossen, die außerhalb der Berechnung des Täters gelegen haben. Für die Annahme eines strafbaren Versuchs des Verbrechens w i r d selbstverständlich vorausgesetzt, daß der Täter vorsätzlich gehandelt hat, d. h. daß er den Willen gehabt hat, die Tat, zu welcher die Versuchsstrafe i n Beziehung gesetzt ist, zu vollenden. Wenn i n dem obengenannten Beispiel dem Mann m i t dem Revolver der Tötungsvorsatz für den Augenblick der Schußabgabe nicht nachgewiesen werden kann, kann er nicht wegen Versuchs des Totschlages gemäß 3:2 bestraft werden. Hatte er den Vorsatz, dem anderen schwere körperliche Schäden zuzufügen, kann er wegen Versuchs der schweren Körperverletzung gemäß 3:6 bestraft werden. Lag nach den Ermittlungen nicht einmal dieser Vorsatz vor, kann er höchstens wegen ungesetzlicher Bedrohung gemäß 4:5 bestraft werden. I n 23:3 wortung pflegt — freiwillig
w i r d eine Regel über die Freiheit von strafrechtlicher Verantaufgestellt für den Fall, daß — wie man es auszudrücken der Täter vom Versuch zurücktritt. Damit ist gemeint, daß er die Ausführung der Tat abbricht oder sonst dazu beiträgt,
Vorbereitung der Straftat
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daß die Tat nicht vollendet wird. Dies kann ebenso auf einer Sinnesänderung bei i h m beruhen wie darauf, daß er zur Ansicht gelangt ist, daß die Handlung sofort entdeckt werden und zu einer Bestrafung führen kann. Der Rücktritt muß jedoch freiwillig geschehen sein. Der Rücktritt ist nicht freiwillig, wenn der Handelnde sich gezwungen fühlte, weil der Versuch entdeckt wurde oder er glaubte, daß er entdeckt worden sei, daß die Polizei i h m auf der Spur sei oder weil die Ausführung der Straftat sich als schwerer als von i h m gedacht erwies, oder weil er erkannte, daß sie nicht den erhofften Gewinn erbringen würde. Bei einem beendeten Versuch muß der Täter natürlich irgend etwas unternehmen, u m den E i n t r i t t des Handlungserfolges zu verhindern, und für die Straffreiheit w i r d i n diesem Fall gefordert, daß seine Gegenmaßnahme auch wirklich dazu geführt hat, daß der Schaden nicht eingetreten ist. Die Versuchsstrafe w i r d gemäß 23:1 Abs. 2 vom Strafrahmen für die vollendete Straftat ausgehend bestimmt. Die oberste Grenze des Strafrahmens bei Versuch ist die höchste Strafe, die für das vollendete Del i k t bestimmt ist. I n der Praxis dürfte jedoch die Strafe niedriger gesetzt werden als diejenige, die auf eine vollendete Tat folgt. Ein allgemeines Mindestmaß ist nicht bestimmt, sondern i m Prinzip kann die Strafe so niedrig wie auch immer gesetzt werden. Eine Ausnahme w i r d jedoch für die schwereren Deliktsarten gemacht, indem das Gesetz bestimmt, daß die Versuchsstrafe nicht milder als Gefängnis sein darf, wenn die niedrigste Strafe für das vollendete Delikt Gefängnis bis zu zwei Jahren oder darüber ist.
Die Vorbereitung der Straftat Durch die teilweise Strafgesetzreform von 1948 wurden einheitliche allgemeine Regeln über die Bestrafung der Vorbereitung als einer besonderen Deliktsform geschaffen. Die Vorbereitung ist nicht i n der gleichen Ausdehnung wie der Versuch strafbar. Die Vorbereitung w i r d nur bei schwereren Delikten bestraft, wie aus den ausdrücklichen Bestimmungen i n den verschiedenen Kapiteln des Gesetzes hervorgeht. Welche Handlungen als strafbare Vorbereitungsmaßhahmen angesehen werden sollen, geht aus den Bestimmungen i n 23:2 Abs. 1 hervor. Man kann hier zwei verschiedene Gruppen solcher Maßnahmen unterscheiden. Z u einer Gruppe w i r d das Überlassen oder Entgegennehmen von Geld oder anderem als Vergütung oder Entgelt für die Förderung oder Ausführung der Straftat gerechnet. M i t Vergütung sind hier die M i t t e l zur Bestreitung von Ausgaben für eine Tat gemeint und m i t Entgelt Mittel, die als Lohn für eine Straftat gegeben werden. 21*
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Die andere Form der Vorbereitung liegt vor, wenn jemand sich m i t bestimmten typischen Hilfsmitteln für die Tat, wie Gift, Sprengstoff, Waffen, Dietrich, Fälschungswerkzeugen usw. befaßt. Die Tat besteht darin, daß man diese Hilfsmittel anschafft, anfertigt, aushändigt, annimmt, verwahrt, wegschafft oder sich auf andere ähnliche Weise m i t ihnen befaßt. Wie bei dem Versuch w i r d vorausgesetzt, daß die Straftat vorsätzlich begangen wird. Es besteht jedoch der Unterschied, daß bei der Vorbereitung nicht die Absicht notwendig ist, daß das geplante vollendete Delikt von derselben Person begangen werden soll, die i n dem einleitenden Stadium des deliktischen Handlungsverlaufs tätig gewesen ist; vielmehr ist es ja oft so, daß der Täter seinen deliktischen Einsatz gerade durch die Vorbreitungshandlungen erfüllt hat und daß die eigentliche Ausführung der Tat von einer anderen Person abhängt. Das Gesetz beschreibt das Verhältnis so, daß der Täter den Vorsatz hat, die Straftat auszuführen oder zu fördern. Die Strafe wegen Vorbereitung soll ihn jedoch nicht treffen, wenn er selbst des vollendeten oder versuchten Delikts schuldig ist. Die oben behandelten Regeln über die Haftungsfreiheit bei Rücktritt vom Versuch finden gemäß 23:2 Abs. 3 entsprechende Anwendung auch bei der Vorbereitung zur Tat. Hier ist außerdem Haftungsfreiheit auch gegeben, wenn die Tat zur Vollendung kommt, wenn nämlich die Vorbereitungshandlung i n einer unbefugten Beschäftigung mit Hilfsmitteln bestanden hat und der, der sich hierdurch strafbar gemacht hat, freiwillig der strafbaren Anwendung des Hilfsmittels vorbeugt; daß die Tat dennoch verübt worden ist, kann ja billigerweise nicht i h m zur Last gelegt werden. Über die Strafe für Vorbereitung heißt es i n 23:3 Abs. 3, daß sie unterhalb der Höchstgrenze bestimmt w i r d und unterhalb der niedrigsten Grenze, die für die vollendete Strafe gilt, festgesetzt werden darf; jedoch soll zu keiner höheren Strafe als zu Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren verurteilt werden, es sei denn, daß Gefängnis von acht Jahren oder darüber auf die vollendete Straftat folgen kann. War die Gefahr für die Vollendung gering, soll der Täter nicht bestraft werden.
Verabredung zu einer Straftat Die durch die Gesetzesreform von 1948 eingeführte Deliktsform Verabredung einer Straftat wurde i m Strafgesetz (SL) als dritter Hauptfall der Vorbereitung behandelt, da man der Auffassung war, daß die Verabredung bestimmte psychische Vorbereitungen zu einer
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Straftat umfasse. I m B r B hat sie i n erster Linie aus gesetzestechnischen Gründen eine selbständige Stellung als Deliktsform erhalten. Eine Verabredung zu einer Straftat liegt gemäß 23:3 Abs. 2 bei mehreren verschiedenen Formen psychischer A k t i v i t ä t vor, nämlich daß jemand i m Einvernehmen mit einem anderen eine Straftat beschließt, i m Versuch der Anstiftung eines anderen oder i n der Aufsichnahme der Tatausführung oder i n dem Anbieten dazu. A u f dieselbe Weise wie bei der Vorbereitung zur Straftat hat man i n den einzelnen Kapiteln des B r B die A n t w o r t auf die Frage zu suchen, bei welchen Delikten die Verabredung m i t Strafe belegt ist. Diese Deliktsform ist auf einige wenige schwere Arten von Straftaten beschränkt. Bei den schwersten Straftaten gegen den Staat wie Landesverrat (19:1), Landesverrat i m Kriege und Treubruch gegen das Land (22:1), hat das Gesetz weiterhin den Verabredungsbegriff ausgeweitet, so daß Strafbarkeit schon eint r i t t , wenn jemand i n Verbindung m i t einer fremden Macht bzw. dem Feind tritt, u m vorzubereiten, zu ermöglichen oder zu erleichtern, daß die Straftat gegen den Staat verübt werden kann (vgl. 19:14 und 22:12). Es w i r d also nicht gefordert, daß der beabsichtigte Kontakt zu einem richtigen Komplott oder zu einem Beschluß oder Auftrag verräterischer Natur führt. Hinsichtlich der Straffreiheit beim freiwilligen Rücktritt von der Verabredung sowie der Bestimmung der Strafe für diese Deliktsform gelten i m großen und ganzen dieselben Regeln wie für die Vorbereitung einer Straftat.
Mitwirkung an einer Straftat Es ist gewöhnlich, daß mehrere Personen auf die eine oder die andere Weise an der Ausführung einer Straftat mitwirken. Da jedoch die Vorschriften des BrB i m allgemeinen für den Fall gedacht sind, daß die Straftat von einem Täter begangen wird, sind besondere Bestimmungen für den Fall der M i t w i r k u n g mehrerer Personen nötig. Diese Bestimmungen findet man i n 23:4 - 6. Die Hauptregel ist, daß jeder Mitwirkende eine selbständige Verantwortung für die Tat auf sich nimmt; er kann somit ohne Rücksicht darauf, ob die übrigen Mitwirkenden verurteilt werden können oder ζ. B. aufgrund Minderjährigkeit oder Irrtums über die vorliegenden Umstände straffrei bleiben, bestraft werden. Dagegen w i r d natürlich gefordert, daß eine strafbare Handlung tatsächlich zustandekommt, sei es, daß sie i n einem vollendeten Delikt besteht oder i n einem Versuch oder i n der Vorbereitung einer Straftat i n den Fällen, i n denen das Gesetz eine Strafe für diese frühzeitigen Stadien der Durchführung einer Straftat bestimmt.
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Das schwedische Strafrecht
Formell macht das Gesetz einen Unterschied zwischen den Tätern und den übrigen Personen, die an der Tat m i t w i r k e n (23:4 Abs. 1). Diese werden entweder als Anstifter oder als Gehilfen bezeichnet. Täter ist, wer durch ein eigenes unmittelbares Handeln die mit Strafe bedrohte Handlung ausgeführt hat. Anstifter ist, wer einen anderen dazu vermocht hat, eine Straftat zu begehen, oder sonst m i t psychischen M i t t e l n einen solchen Beitrag geleistet hat, daß die Tat daraufhin zur Ausführung gelangt ist. Wer einem Täter, der auf jeden Fall die Straftat begangen haben würde, einen Rat oder Hinweise gibt, kann nicht als Anstifter bezeichnet werden. Er kann dagegen wegen Beihilfe bestraft werden. Als Gehilfen betrachtet das Gesetz nämlich jeden, der ohne Täter oder Anstifter zu sein, eine Straftat m i t Rat oder Tat gefördert hat, d. h. an ihr m i t psychischen oder physischen M i t t e l n mitgewirkt hat. Es w i r d nicht gefordert, daß die Hilfe von so wesentlicher Beschaffenheit ist, daß die Straftat sonst nicht zustandegekommen wäre, sondern es reicht, daß der Beitrag, den der Gehilfe geleistet hat, den Ereignisverlauf i n Richtung auf eine Förderung der Tat beeinflußt hat, sei es auch bloß durch Wachestehen am Tatort oder dadurch, daß die übrigen Mitwirkenden i n ihrem Tatentschluß bestärkt werden. Die jetzt behandelten Prinzipien für die Einteilung der Mitwirkenden als Täter bzw. Anstifter oder Gehifen sind Modifikationen unterworfen, u m den wirklichen Verhältnissen i n bestimmten Fällen besser zu entsprechen. Wenn jemand beispielsweise ein kleines K i n d oder eine deutlich geistesgestörte Person als Werkzeug für eine Straftat benutzt, würde sich die Bezeichnung des Kindes oder des Kranken als Täter und des anderen als Anstifter oder Gehilfen zweifellos eigentümlich ausnehmen. Die Rechtspraxis dürfte den wirklich Verantwortlichen hier so beurteilen, als ob er selbst die Tat verübt hätte. Gelegentlich begegnet man i n solchen Fällen dem Terminus mittelbarer Täter. I n einer anderen Gruppe von Fällen hat man einen anderen als den unmittelbar Handelnden als Täter anzusehen. Dies ist bei Deliktsarten der Fall, für die es kennzeichnend ist, daß die Straftat von einem Verwalter, Schuldner oder einer anderen Person i n besonderer Stellung (Spezialsubjekt) begangen wird. Das Gesetz erinnert (in 23:4 Abs. 2) daran, daß nicht nur das Spezialsubjekt, sondern auch derjenige, der neben i h m zu der Tat mitgewirkt hat, strafrechtlich verantwortlich gehandelt hat. Bei der Verteilung dieser Verantwortung ist es natürlich, daß das Spezialsubjekt m i t seiner besonderen Stellung als Täter betrachtet wird, auch wenn nach außen ein anderer Mitwirkender die Straftat ausgeführt hat, ζ. B. i m Auftrag eines Konkursschuldners diesem gehörende Vermögensgegenstände von Bedeutung zum Schaden für die Forderungsinhaber zerstört hat (vgl. 11:1).
M i t w i r k u n g an der Straftat
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Wie einleitend hervorgehoben wurde, w i r d i m Prinzip jeder, der an einer i m Gesetz m i t Strafe bedrohten Handlung mitgewirkt hat, bestraft. Jedoch ist diese Regel nicht ohne Ausnahme. I n bestimmten Fällen ergibt sich aus dem Gesetzestext deutlich, daß die Verantwortung allein einen bestimmten oder bestimmte Mitwirkende trifft. So w i r d gemäß 16:1 Abs. 2 nur der Anstifter oder der Anführer eines Auflaufs bestraft, wenn dieser i n der gutartigen Form verlaufen ist, daß die Volksansammlung sich auf den Befehl der Behörden auflöst. I n anderen Fällen kann man aus dem Zweck der Gesetzesbestimmung indirekt auf eine Begrenzung des Kreises der strafrechtlich Verantwortlichen schließen. Besonders ist dies der Fall bei solchen Mitwirkenden, die i n Wirklichkeit durch das Strafgesetzbuch geschützt werden sollen, ζ. B. derjenige, dessen abhängige Stellung beim Abschluß eines unter den Tatbestand des Wuchers (9:5) fallenden Vertrages oder i m Fall der freiheitsverletzenden Unzucht (6:2) ausgenützt wird. Ebenso muß aus praktischen Gründen der Kreis der strafbaren Mitwirkenden deutlich begrenzt werden, wenn es die zahlreichen Übertretungen außerhalb des Strafgesetzes betrifft. Die Regeln über die Anwendung der M i t w i r kungsregeln innerhalb des Spezialstrafrechts sollen hier nicht behandelt werden. Die Strafe für Anstifter und Gehilfen w i r d i m Prinzip innerhalb des für den Täter anwendbaren Strafrahmens bemessen, wobei natürlich der Anteil eines jeden an der verübten Tat berücksichtigt wird. Das Gesetz hebt i n 23:4 Abs. 2 hervor, daß jeder Beteiligte nach dem Vorsatz oder der Fahrlässigkeit, die i h m zur Last fällt, beurteilt werden soll. Dies kann dazu führen, daß bei verschiedenen Mitwirkenden verschiedene Strafgesetze zur Anwendung kommen, wenn der eine vorsätzlich und der andere lediglich fahrlässig gehandelt hat. Ist jemand gestorben, kann somit für einen Mitwirkenden der Tatbestand des Mordes oder Totschlags (3:1 oder 2) anwendbar sein, während ein anderer bloß wegen fahrlässiger Tötung verurteilt w i r d (3:7). Aber die Bestimmung bedeutet auch, daß die verschiedenen Grade des Vorsatzes oder der Fahrlässigkeit bei ihnen berücksichtigt werden und daß die besonderen Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründe für bestimmte Mitwirkende, nicht aber für andere von Bedeutung sein können. Die jetzt behandelten allgemeinen Strafzumessungsregeln werden durch eine besondere Vorschrift über die Strafmilderung und Straffreiheit i n 23:5 ergänzt und modifiziert. Dort w i r d bestimmt, daß derjenige, der zur M i t w i r k u n g an einer Tat durch Zwang, Hinterlist oder Mißbrauch seiner Jugend, seines Unverstandes oder seiner abhängigen Stellung veranlaßt worden ist oder nur i n geringerem Maße mitgewirkt hat, m i t einer unter der unteren Grenze des sonst für die Tat bestimm-
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ten Strafrahmens liegenden Strafe, d. h. bis hinunter zum M i n i m u m der Geldstrafe bestraft werden kann. I n geringfügigen Fällen kann das Gericht sogar ganz davon absehen, denjenigen, der unter den eben genannten Umständen gehandelt hat, zu bestrafen. Diese Grundsätze finden entsprechende Anwendung, wenn es darum geht, daß die strafrechtliche Haftung, die für einen Täter i n besonderer Stellung (s. oben) bestimmt ist, einen anderen Mitwirkenden treffen soll. Schließlich müssen die besonderen Regeln 23:6 über die sogenannte negative Beihilfe beachtet werden. Damit ist die Situation gemeint, daß von dem, der es unterlassen hat, eine Tat zu verhindern oder zu entdecken, i n gewisser Hinsicht gesagt werden kann, daß er an der Verwirklichung der Tat mitgewirkt hat. Da jedoch eine allgemeine Pflicht zur Verhinderung einer Straftat vernünftigerweise nicht aufgestellt und m i t einer Strafdrohung sanktioniert werden kann, hat das Gesetz die strafrechtliche Verantwortlichkeit auf zwei Fallgruppen begrenzt. 23:6 Abs. 1 bestimmt die Strafe für den, der es unterläßt, eine bevorstehende Straftat beizeiten anzumelden oder sonst aufzudecken, wenn es ohne Gefahr für i h n selbst oder seine Angehörigen geschehen kann. Es handelt sich nur um bestimmte schwere Fälle, die i n jedem einzelnen Kapitel des Gesetzes angegeben werden. Die Strafe ist i n gewisser Hinsicht begrenzt und w i r d gemäß, was für den, der nur i n geringerem Umfang an der Tat mitgewirkt hat, bestimmt ist, bemessen. I n keinem Fall kann eine strengere Strafe als zwei Jahre Gefängnis auferlegt werden. Die Strafbestimmung setzt voraus, daß der Zuwiderhandelnde erkannt hat oder hätte erkennen müssen, daß eine Straftat unmittelbar bevorstand. I n 23:6 Abs. 2 w i r d i n entsprechender Weise die Verantwortung für Eltern und andere Sorgepflichtigen festgesetzt, die es unterlassen, eine unter ihrer Aufsicht stehende oder ihnen Gehorsam schuldige Person an der Begehung einer Straftat zu hindern, wenn dies ohne Gefahr für sie selbst und ihre nächsten Angehörigen und ohne Anzeige bei der Behörde geschehen kann. Eine allgemeine Voraussetzung für eine Strafe wegen negativer Beihilfe ist natürlich, daß die Tat soweit gediehen ist, daß eine Strafe objektiv gesehen dafür verhängt werden kann.
Irrtum
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I V . Besondere Umstände, welche zur Freiheit von Verantwortung führen I m folgenden soll eine Reihe untereinander ganz verschiedenartiger i n Zusammenhang m i t einer an sich m i t Strafe belegten Handlung stehender Verhältnisse behandelt werden, die nach der Meinung des Gesetzes oder der Praxis eine strafrechtliche Verantwortlichkeit entfallen lassen. Es handelt sich hier sowohl u m Umstände, die schon bei der Verübung der Tat vorliegen als auch u m später eingetretene Ereignisse, die dazu führen, daß die Verantwortung, die der Täter durch die Straftat auf sich geladen hat, „wegfällt", d. h. gemäß besonderer Gesetzesbestimmungen ihn nicht trifft. Ohne jede theoretische Systematik sollen i n dem folgenden Abschnitt die wichtigsten Strafbefreiungsgründe kurz dargestellt werden.
Irrtum bei der Tatbegehung Wie schon früher dargestellt, setzt B r B (1:2 Abs. 1) voraus, daß eine Straftat m i t Vorsatz begangen wird, wenn nichts anderes i m Gesetz bestimmt wird. Für die Annahme des Vorsatzes w i r d gefordert, daß der Handelnde bei der Durchführung der Tat die tatsächlichen Verhältnisse gekannt hat, die die Tat zu einem bestimmt beschaffenen Delikt stempeln, und daß er den schädlichen Erfolg hat herbeiführen wollen — oder zum mindesten sich durch die Gewißheit oder Wahrscheinlichkeit, daß dieser Erfolg das Ergebnis seiner Handlung sein würde, nicht hat hindern lassen. Was vor allem die Forderung nach Kenntnis der Tatumstände betrifft, kann dies auch so ausgedrückt werden, daß ein Irrtum oder falsche Vorstellungen über irgendeinen wesentlichen Umstand i m Ereignisverlauf den Vorsatz und damit gemäß B r B i n der Regel auch die strafrechtliche Verantwortimg ausschließen. Lädt jemand einen anderen zu einem D r i n k ein, den er für ein alkoholisches Getränk hält, der aber infolge einer schicksalhaften Verwechslung mehrerer gleichartiger Flaschen ein gefährliches Gift ist, und stirbt der andere, w i r d der Einladende gewiß nicht wegen Mords gemäß 3:1 bestraft. Wer auf einem Parkplatz das Fahrrad eines anderen nimmt und es i n dem Glauben benutzt, daß es sein eigenes sei, und erst später den I r r t u m entdeckt, kann nicht wegen eigenmächtigen Verhaltens gemäß 8:8 bestraft werden. Jedoch befreit ein vorangegangener I r r t u m nicht immer von jeder strafrechtlichen Verantwortung. I n bestimmten Fällen belegt das Gesetz nicht nur die vorsätzliche Rechtsverletzung, sondern auch fahrlässiges Handeln m i t Strafe, wenn dadurch ein wichtiges rechtliches Interesse verletzt wird. Als Beispiel kann die fahrlässige Tötung gemäß 3:7 oder die gemeingefährliche Fahrlässigkeit gemäß 13:6 genannt
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werden. I m Spezialstrafrecht werden bekanntermaßen i n großer Ausdehnung die Fahrlässigkeit oder Versäumnisse verschiedener A r t bestraft, auch wenn kein Schaden entstanden ist, ζ. B. die Fahrlässigkeit i m Straßenverkehr oder das Unterlassen, einer bestimmten Erklärungspflicht nachzukommen. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Handlungsweise fahrlässig ist oder nicht, darf natürlich auf die besonderen Umstände Rücksicht genommen werden, die zu besonderer Vorsicht hätten veranlassen müssen, sowie auf die besonderen Eigenschaften bei dem Zuwiderhandelnden, die ihn instand setzten, besser als andere Personen zu beurteilen, ob ein Risiko dafür, daß die Handlung einen Schaden hervorrufen werde, besteht. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß i n gewissem Umfang sich auf I r r t u m als Grund für eine Befreiung von strafrechtlicher Verantwortung berufen kann, wer eine an sich strafbare Rechtsverletzung verursacht hat. Dagegen ist dies nicht zugelassen, wenn es einen sogenannten Rechtsirrtum betrifft, d. h. Unkundigkeit oder Nichtverständnis hinsichtlich der Existenz und Bedeutung des Strafgesetzes selbst. Die Gesetzgebung würde i n gewisser Weise sinnlos werden, wenn die Bürger ohne weiteres ihre Unkenntnis vom Inhalt des Gesetzes anführen und damit den unangenehmen Folgen der Gesetzesverletzung entgehen könnten. Nur wenn der Gesetzesinhalt zweifelhaft ist oder das Gesetz nicht i n vorschriftsmäßiger Weise veröffentlicht worden ist, soll ein Bürger sich durch die Berufung auf Rechtsirrtum entschuldigen können.
Die Gründe für die Freiheit von strafrechtlicher Verantwortlichkeit Bedeutungsvolle Ausnahmen von der Anwendung einer Straf Vorschrift werden i m Einzelfall durch die Gründe für den Ausschluß der Strafbarkeit, auch objektive Gründe für die Freiheit von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genannt, veranlaßt, die i m B r B Kap. 24 aufgeführt und i n bestimmten Punkten durch gewohnheitsrechtliche Regeln ergänzt werden. Es handelt sich hier i m großen gesehen u m typisierende Ausnahmen von den besonderen Deliktsbeschreibungen und nicht u m Verhältnisse, die die Beurteilung der Person des Täters als Grundlage für die Wahl von Sanktionen und für die Bestimmung der Reaktion i m einzelnen Fall betreffen. Das Gesagte unterscheidet die hier gemeinten Ausnahmeregeln von den Fällen des Ausschließens einer Sanktion, die das Gesetz i n Kap. 33 nennt und i m vorangegangenen behandelt worden sind. Die objektiven Gründe für die Freiheit von strafrechtlicher Verantwortlichkeit können verschiedener A r t sein. Zunächst handelt es sich u m eine Reihe von Fällen, i n denen eine Straftat, die sonst als delik-
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tisch und strafbar zu betrachten wäre, nicht zu einer Bestrafung des Täters führt, wenn sie unter dem Druck einer sogenannten Interessenkollision geschah, die die Handlung rechtfertigt. Hiermit ist folgendes gemeint: Eine Straftat bedeutet eine Verletzung bestimmter besonderer oder allgemeiner Interessen, die der Gesetzgeber eines besonderen Schutzes für wert gefunden hat. Jedoch können Situationen entstehen, i n denen wichtige Gemeinschaftsinteressen Beachtung fordern und ein solches Gewicht haben, daß sie wahrgenommen werden müssen, auch wenn dies auf Kosten der zuletzt genannten, sonst strafbewehrten Interessen geschieht. Rechtliche Befugnis I n verschiedenen Situationen können besondere staatliche und sonst öffentliche Gemeinschaftsinteressen nicht durchgeführt werden, ohne daß Beamte und andere Funktionäre sowie i n bestimmten Fällen einzelne Personen eine sogenannte rechtliche Befugnis erhalten, um i n die Interessensphäre des einzelnen einzugreifen. Der staatliche Zwang ist m i t jedem geordneten Gemeinschaftsleben untrennbar verbunden. Man straft ja den Gerichtsvollzieher nicht wegen eigenmächtigen Verfahrens gemäß 8:8, den Leiter von Strafanstalten nicht wegen ungesetzlicher Freiheitsentziehung gemäß 4:2, den eine Hausdurchsuchung durchführenden Kriminalbeamten nicht wegen Hausfriedensbruchs gemäß 4:6 oder den Zeugen, der aussagt, den Angeklagten betrunken auf einem öffentlichen Platz gesehen zu haben, nicht wegen übler Nachrede gemäß 5:1. Aber es w i r d i n diesen Fällen natürlich vorausgesetzt — was oft an den entsprechenden Gesetzesstellen angedeutet w i r d —, daß der Handelnde eine i h m aufgrund eines allgemeinen Gesetzes, von Dienstvorschriften oder aus der Natur der Sache zustehenden Befugnis nicht überschreitet. Besonders bedeutungsvoll ist dabei, daß die gesetzlichen Formen für die öffentlichen Amtshandlungen beachtet werden. Die Formalitäten sind oft der beste Schutz des Individuums gegen die administrative Willkür. Zuweilen ist es nicht ohne weiteres klar, daß eine eine Verletzung privater Interessen rechtfertigende rechtliche Befugnis vorliegt. Der Gesetzgeber hat hier aufgrund des Gewichtes dieser Interessen es als notwendig angesehen, gesetzlich die Grenzen für die Straffreiheit der Verletzungshandlung näher zu präzisieren. Als Beispiel kann die Bestimmung i n 24:2 genannt werden, die das Maß an Gewalt behandelt, das i n bestimmten näher beschriebenen Situationen angewendet werden darf. Zuerst w i r d der Fall genannt, daß ein Polizist, der eine dienstliche Maßnahme zu vollziehen hat, Gewalt oder Drohung mit Gewalt begegnet oder auf diese Weise angegriffen wird. Er darf dann zur Durchführung der dienstlichen Maßnahme Gewalt anwenden, die
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m i t Rücksicht auf die Umstände als gerechtfertigt (wörtlich verteidigbar. Die Übers.) angesehen werden kann (24:2 Abs. 1). Den Polizisten werden solche Wachposten, Soldaten oder Zivilverteidigungspersonen gleichgesetzt, die unter bestimmten Verhältnissen Polizeiaufgaben erfüllen, Wachdienst leisten oder dienstlich die Ordnung aufrechtzuerhalten haben. Die Vorschrift behandelt danach i n gleicher Weise (in 24:2 Abs. 2) die Gewalt, die gegenüber Gefangenen oder Verhafteten, Festgenommenen oder sonst der Freiheit entzogenen Personen, wenn sie fliehen, sich wehren oder auf eine andere Weise Widerstand gegen den leisten, unter dessen Aufsicht sie stehen, angewendet werden darf, wenn dieser bei ihnen Ordnung halten oder die Flucht verhindern soll. Z u m Schluß w i r d an derselben Gesetzesstelle der praktisch wichtige F a l l genannt, daß jemand, der verhaftet, festgenommen oder dem sonst die Freiheit entzogen werden soll, zu entkommen versucht oder den, der die Maßnahme durchzuführen hat, daran zu hindern versucht. Auch hier darf ein gerechtfertigtes Maß angewendet werden; dies darf sich nicht nur gegen den, der ergriffen werden soll, sondern auch gegen einen anderen, der i n dieser Situation Widerstand leistet, richten. Die Beurteilung der Frage, wann die rechtliche Befugnis der Gewaltanwendung gegeben ist und welches Maß an Gewalt als gerechtfertigt ( = angemessen. Die Übersetzer) angesehen werden kann, stellt die Rechtsanwendung oft vor schwierige Probleme. Jedoch ist es klar, daß die zwischen dem Allgemeininteresse an der Durchführung der dienstlichen Maßnahmen und der Integrität des einzelnen vorzunehmende Abwägung die A r t der Gefahr für die Gemeinschaftsordnung, die von der Seite dessen droht, gegen den die Gewaltanwendung gerichtet werden soll, sowie die Situation i n ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen hat. Es hat also der, der die rechtliche Befugnis ausübt, zwischen Zweck und Mittel abzuwägen. Man darf nicht auf einen falsch parkenden Kraftfahrer schießen, der versucht zu vermeiden, daß er wegen seines Versehens aufgeschrieben wird, während härtere Methoden angemessen sein können, wenn es gilt, einen gefährlichen Gewalttäter festzunehmen. Gewisse Hinweise ergeben sich zuweilen aus besonderen Verwaltungsvorschriften, z.B. aus der Polizeiinstruktion (1972: 511) und aus der Bekanntmachung (1969: 84) über den Gebrauch von Schußwaffen i m Polizeidienst. Sind die als angemessen anzusehenden Grenzen für die Gewalt überschritten, ist die Handlung grundsätzlich gemäß ihrem Erscheinungsbild strafbar. Ausnahmsweise kann jedoch eine Strafminderung oder Freiheit von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gemäß den allgemeinen Regeln i n 24:5 eintreten (darüber Näheres weiter unten). Schließlich muß an die Regel erinnert werden, daß, wenn jemand gemäß dem eben Gesagten zu Gewaltanwendung berechtigt ist, dieselbe Befugnis jeder hat, der i h m zur Hilfe kommt (24:2 Abs. 3).
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Notwehr und andere Nothandlungen Nicht alle Interessenkollisionen sind dadurch gekennzeichnet, daß es die Durchführung der Rechtsprechung, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder andere Gemeinschaftsfunktionen sind, die den Grund dafür geben, daß die persönliche Integrität des einzelnen oder andere Rechtsinteressen weichen müssen. Auch private Interessen können unter einem allgemeinen Gesichtspunkt von solchem Gewicht sein, daß der Gesetzgeber Eingriffe i n die Interessen eines anderen privaten Rechtssubjekts zuläßt, damit die erstgenannten gerettet oder gegen menschliche Angriffe oder sonstige äußere Gefahren geschützt werden können, die ihnen i n bestimmten Lagen drohen. B r B kennt auch ausdrücklich Vorschriften, seien sie auch ganz allgemeiner Natur, über die wichtigsten Situationen, i n denen sonst rechtswidrige Handlungen gegen Interessen eines einzelnen m i t dem Ziel einer Verteidigung vorgenommen werden dürfen. Diese Regeln behandeln die Befugnis zur Notwehr und anderen Nothandlungen. Notwehr als Grund einer Verantwortungsfreiheit hat alte Ahnen i n unserer Rechtsordnung, aber ihre Regeln waren früher recht verwickelt und schwer deutbar. I m neuen B r B sind die Bestimmungen i m Hinblick auf den Inhalt der Notwehr vereinfacht und vereinheitlicht worden. Nach 24:1 liegt ein Recht zur Notwehr dann vor: wenn jemand versucht, einen begonnenen oder fortdauernden deliktischen Angriff auf die Person oder das Vermögen abzuwehren, oder den zu zwingen, der durch Gewalt oder durch Drohung m i t Gewalt oder auf andere Weise hindert, daß Vermögensgegenstände nach frischer Tat zurückgeholt werden, oder zu verhindern, daß jemand unbefugt i n einen Raum, ein Haus, einen Hof oder ein Schiff eindringt oder den von solchen Orten zu entfernen, der unbefugt i n sie eingedrungen ist, oder, wenn es sich um eine Wohnung handelt, sonst sich weigert, diese auf Aufforderung hin zu verlassen. Der einzelne Bürger hat so eine klar umschriebene Befugnis, seine persönliche Integrität und seinen Hausfrieden gegen allerhand Angriffe ernsterer A r t zu verteidigen. Wie aus dem Gesetzestext hervorgeht, liegt das Notwehrrecht bei Eingriffen gegen eine Person vor, sobald der Eingriff deliktisch ist, d. h. eine an sich m i t Strafe bedrohte Handlung darstellt. Es w i r d aber nicht gefordert, daß der Angriff für den Angreifer i m besonderen Fall strafrechtliche Verantwortung begründen kann. Auch der Angriff eines Strafunmündigen oder psychisch Abnormen berechtigt zu Notwehr, wenn auch bei der Beurteilung der Angemessenheit der zur Abwehr des Angriffs geübten Gewalt Rücksicht auf den Entwicklungsgrad oder den geistigen Zustand des Täters genommen werden muß.
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Hinsichtlich des Schutzes des Eigentums hat der Gesetzgeber eine Abwägung zwischen dem Recht des einzelnen und dem allgemeinen Interesse daran, daß die Mitbürger ihr Recht nicht i n eigene Hand nehmen dürfen, was den Rechtsfrieden der Gemeinschaft gefährden würde, getroffen. Das Recht zur Gewaltanwendung w i r d daher auf solche Besitzverletzungen beschränkt, bei denen das Gesetz Selbsthilfe zuläßt, weil von den Exekutivbehörden Hilfe nicht erwartet werden kann. Diese Fälle werden i n der gemäß B r P § 14 noch geltenden Regel des älteren Rechts beschrieben, gemäß der niemand etwas eigenmächtig zurückholen darf, es sei denn, daß es sich u m gestohlenes Gut handelt, das nach frischer Tat zurückgeholt wird, oder u m andere Besitzverhältnisse, die ohne gesetzliches Recht zerstört worden sind und die nach frischer Tat wieder hergestellt werden. Das Recht zur Selbsthilfe erlaubt jedoch die Anwendung Gewalt nur, wenn der Täter auf frischer Tat ertappt w i r d und die Maßnahme auf Gewalt oder eine Drohung solcher Art, wie aus dem oben zitierten Gesetzestext (24:1) hervorgeht, stößt. Die schwierigste Frage bei der Ausübung des Notwehrrechts ist die Beurteilung des Maßes von Gewalt, das angewendet werden darf, u m dem deliktischen Angriff zu begegnen. Zur Beantwortung der Frage ist eine Abwägung zwischen der Gefährlichkeit des Angriffs und der Bedeutung des bedrohten Interesses auf der einen Seite und der A r t der Notwehrhandlung auf der anderen Seite nötig. Da es jedoch nicht immer möglich ist, die Abwägung schnell i n der Stunde der Gefahr zu treffen, hat das Gesetz dem Angegriffenen einen bedeutenden Spielraum gegeben, i n welchem beurteilt werden soll, ob seine Notwehrhandlung angemessen ist. So heißt es i n 24:1 Abs. 2 letzte Ziffer, daß die Notwehrhandlung keine Haftung nach sich ziehen wird, soweit sie nicht m i t Rücksicht auf die Beschaffenheit des Angriffs und die Bedeutimg des Angegriffenen offenbar ungerechtfertigt ist. Aus der Formulierung des Gesetzestextes geht hervor, daß die Notwehrregeln nicht nur zugunsten des Angegriffenen selbst, sondern auch für den, der i h m zur Hilfe kommt, gelten. Hat jemand stärkere Gewalt angewendet oder schwereren Schaden angerichtet, als nach dem Gesagten zulässig ist, d. h. hat er sich eines sogenannten Notwehrexzesses schuldig gemacht, kann er gemäß 24:5 Abs. 1 frei von strafrechtlicher Verantwortung sein, wenn die U m stände so waren, daß er schwerlich Überlegungen anstellen konnte. Ist der Notwehrexzeß aus den Umständen nicht völlig entschuldigt, kann gleichwohl eine Strafminderung gemäß derselben Gesetzesstelle begründet sein (Abs. 2). Ein weiterer Grund zur Straffreiheit neben den bisher behandelten ist die Nothandlung. I n unserem älteren Recht fehlte eine ausdrückliche Regelung allgemeinen Charakters darüber,
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auch wenn die Rechtspraxis eine Notlage als eine gültige Entschuldigung i n ungefähr gleichem Umfang gutgeheißen haben dürfte wie der BrB. I n 24:4 w i r d demjenigen Freiheit von strafrechtlicher Verantwortlichkeit gewährt, der zur Abwehr einer Gefahr für Leben oder Gesundheit, zur Rettung wertvoller Vermögensgegenstände oder aus einer anderen ähnlichen Ursache i n Not handelt, wenn die Handlung m i t Rücksicht auf die Beschaffenheit der Gefahr, den einem anderen entstehenden Schaden und die Umstände i m übrigen als gerechtfertigt angesehen werden muß. Auch hier handelt es sich somit u m eine A b wägung zwischen entgegenstehenden Interessen, hauptsächlich privater Natur. I n bestimmten Fällen kann das Notrecht nach der herrschenden D o k t r i n sich weiter erstrecken als bisher gesagt ist, ζ. B. wenn der Handelnde vor einer sogenannten Pflichtenkollision gestanden hat. Dieser und andere spezielle Fälle müssen jedoch hier beiseite gelassen werden. Es soll darauf hingewiesen werden, daß die Regeln über den Ausschluß der Strafbarkeit bei Nothandlungen subsidiär sind gegenüber den Bestimmungen über Notwehr und rechtliche Befugnisse bei Dienstausübung. Die allgemeinen Bestimmungen über Straffreiheit und Strafmilderung (24:5) finden auch beim Überschreiten der Grenzen des Notrechts Anwendung. Befehl des Vorgesetzten Z u m Schluß nimmt B r B 24:6 als besonderen Grund für die Ausschließung der Strafbarkeit auf, daß jemand eine Straftat auf Befehl eines Vorgesetzten begeht. Vor allen Dingen hat das Gesetz hierbei die militärischen Dienstverhältnisse berücksichtigt, i n denen die Disziplin besondere Anforderungen an eine unbedingte Gehorsamspflicht stellt (vgl. 21:1), aber auch i n anderen Dienstverhältnissen, z.B. polizeilichen, kann der Untergeordnete i n Kollision zwischen einer Gehorsamspflicht und der Achtung geschützter rechtlicher Interessen anderer geraten. Das Gesetz bestimmt nun, daß eine an sich strafbare Handlung, die jemand auf Befehl seines Vorgesetzten begeht, keine Haftung für i h n mitführen soll, wenn er m i t Rücksicht auf die A r t des Gehorsamsverhältnisses, die Beschaffenheit der Tat und die Umstände i m übrigen dem Befehl nachkommen muß te. Besondere Bestimmungen Neben den in den B r B aufgenommenen Bestimmungen über den Ausschluß der Strafbarkeit bei der Lösung von Interessenkollision gibt es ausnahmsweise Regeln i n der Spezialgesetzgebung: Als Beispiel mögen hier die Bestimmungen über Kastration und Sterilisation i n Gesetzen über diese Eingriffe (1944: 133 und 1975: 580) sowie die Vorschriften
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über ein ziemlich weitgehendes Notrecht bei der Brandbekämpfung gemäß § 12 des Brandgesetzes (1974: 80) genannt werden. Einwilligung Zuweilen w i r d als ein besonderer Grund für die Rechtmäßigkeit einer sonst strafbaren Handlung die Einwilligung der Person, deren rechtliche Interessen durch die Handlung verletzt werden, angeführt. Oft liegt es i n der Natur der Sache, daß die Tat, u m strafbar zu sein, unerlaubt geschehen sein muß, d. h. ohne die Einwilligung des Betroffenen. Als Exempel kann die unbefugte Verfügung (gemäß 10:4) und der unerlaubte Gebrauch (gemäß 10:7) genannt werden. Damit eine Einwilligung eine sonst verbotene Handlung i m allgemeinen zur erlaubten macht, ist Voraussetzung, daß sie freiwillig von einer Person erteilt worden ist, die imstande ist, die Bedeutung der Handlung zu beurteilen, und daß sie die Verletzung eines Interesses berücksichtigt, über das der Einwilligende verfügen darf. I n der Regel kann die Disposition nur das eigene Recht einer Privatperson betreffen. Stehen gleichwohl allgemeine Interessen auf dem Spiel, hat die Einwilligung keine strafbefreiende Wirkung. Unter anderem aus diesem Grund w i r d eine Privatperson nicht als berechtigt angesehen, ihre Einwilligung zu einer Handlung zu geben, die eine schwere Verletzung für ihre eigene körperliche Integrität bedeutet. Man kann somit nicht gesetzlich einwilligen, getötet oder verstümmelt zu werden. W i r d der Eingriff jedoch zu einem nach gängiger Auffassung gut geheißenen Zweck ausgeführt, stellt sich die Frage anders. So kann eine Amputation aus medizinischen Gründen notwendig sein und w i r d durch die Einwilligung des Patienten erlaubt. Zuweilen braucht nicht einmal eine ausdrückliche Einwilligung vorzuliegen, wenn die Umstände so sind, daß angenommen werden kann, daß der Eingriff den Wünschen des Patienten entspricht. I n diesem Fall liegt eigentlich eine Notsituation vor, die die Maßnahme als überwiegend nützlich für den Patienten rechtfertigt. Überhaupt entstehen innerhalb der Lehre von den Gründen für einen Ausschluß der Strafbarkeit bei medizinischen Eingriffen verschiedener A r t viele kontroverse Probleme. Diese Fragen können hier nicht behandelt werden.
Der Fortfall der strafrechtlichen Verfolgbarkeit Über die verschiedenen Regeln hinaus, die bisher behandelt worden sind und die dazu führen, daß eine an sich strafbare Handlung als erlaubt oder sonst frei von Haftung angesehen wird, bleiben nun bestimmte Vorschriften i m B r B zu behandeln, die auf einen Wegfall
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einer schon eingetretenen Straf Schuldigkeit hinauslaufen, entweder dadurch, daß eine Anklage für die Tat nicht mehr erhoben oder dadurch, daß eine auferlegte Deliktsfolge nicht mehr vollstreckt werden kann. Z u Beginn müssen wohl die rechtlichen Konsequenzen aus dem Tod des Täters berücksichtigt werden. Daß Gefängnis oder eine ähnliche Freiheitsentziehung sowie eine Deliktsfolge m i t anderer als ökonomischer Bedeutung verfällt, wenn sie überhaupt nicht oder teilweise nicht vollstreckt werden konnte, ist j a selbstverständlich. Wenn es sich u m Geldstrafen handelt, ist dieses nicht i m gleichen Maß sicher. Regelmäßig geht die Verpflichtung, Strafe zu bezahlen, wohl nicht einmal auf die Erben des Toten über, wenn das Urteil i n der Sache vor dem Todesfall verkündet worden ist. I n 35:7 Abs. 2 werden jedoch gewisse Modifikationen dieses Grundsatzes aufgeführt, wenn bestimmt wird, daß eine angefangene Vollstreckung für die Beitreibung von Geldstrafen fortgesetzt werden soll, wenn sie soweit fortgeschritten ist, daß das U r t e i l während der Lebenszeit des Verurteilten rechtskräftig geworden ist und Fahrnisgegenstände gepfändet oder i n öffentliche Verwahrung genommen worden waren, u m die auferlegten Geldstrafen abzugelten. Zum Vergleich soll angeführt werden, daß das Gesetz einen strengeren Standpunkt annimmt, wenn es die besondere Rechtswirkung der Tat i n Form der Einziehung von Sachen gemäß Kapitel 36 gilt. Ist die Klage auf Einziehung innerhalb von 10 Jahren seit der Tatbegehung erhoben und zugestellt worden, kann auf Einziehung erkannt und diese i n gewöhnlicher Weise vollstreckt werden, wenn es innerhalb von 10 Jahren seit dem Eintritt der Rechtskraft des Einziehungsbeschlusses geschieht (36:9 und 10). Es w i r d jedoch vorausgesetzt, daß die Erhebung einer solchen Klage aus allgemeinem Gesichtspunkt erforderlich erscheint. Verjährung Praktisch gesehen äußerst bedeutungsvoll und weitgehend sind die Bestimmungen des Gesetzes über den E i n t r i t t des Wegfalls der Verfolgbarkeit durch die sogenannte Verjährung. Das Gesetz unterscheidet zwischen der Verjährung des Rechts auf Anklage eines begangenen Delikts und der Verjährung der Vollstreckung der »Strafe oder einer anderen Verbrechensfolge, die dem Täter bereits auferlegt ist. I n beiden Fällen ist der Gedanke des Gesetzgebers der, daß nach Ablauf einer längeren Zeit, i n der eine Bestrafung nicht begehrt worden bzw. eine Strafe nicht vollstreckt worden ist, das Interesse der Gesellschaft an einer Reaktion auf die Straftat deutlich schwächer geworden ist, besonders wenn die Tat verhältnismäßig geringfügig ist. Hat der Täter außerdem i n abgelaufener Zeit keine schwereren Taten begangen, 22 Ausländisches Strafrecht V
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dürfte i n der Regel eine Bestrafung nicht erforderlich sein, u m i h n auf den rechten Weg zu führen. Schließlich müssen hinsichtlich der A n klageverjährung die praktischen Schwierigkeiten berücksichtigt werden, die sich oft daran zeigen, nach Ablauf mehrerer Jahre eine vollständige Ermittlung der Straftat herbeizuführen. Die angeführten Gesichtspunkte haben zu den Vorschriften i n 35:1 und 2 geführt, daß die Möglichkeit für die Verurteilung zu einer Folge wegen der Tat wegfällt, wenn nicht der Verdächtige verhaftet worden ist oder innerhalb des Laufs einer bestimmten i m Gesetz angegebenen sich nach der Schwere der Tat richtenden Zeit Kenntnis von der A n klage bekommen hat. Die längste Verjährungszeit beträgt 25 Jahre, die kürzeste zwei Jahre. Die Zeit w i r d i m allgemeinen vom Tag der Tatbegehung an berechnet, obwohl für einige spezielle Fälle eine andere Berechnungsgrundlage angegeben w i r d (in 35:4). Daß die Verhaftung oder die Anklage die für eine Straftat laufende Verjährung unterbrechen, ist verständlich; aber w i r d der Verhaftete freigelassen, ohne daß i h m eine Anklage zugestellt worden ist, oder w i r d ein Prozeß gegen jemand abgewiesen oder eingestellt, nachdem i h m die Anklage zugestellt worden ist, w i r d die Verjährungsfrage i n dieselbe Lage versetzt, als ob die Verhaftung oder Zustellung der Anklage nicht stattgefunden hat (35:3). I n 35:6 ist eine absolute Verjährungsfrist von fünf Jahren für die Mehrzahl der Fälle, i n denen die Strafe nur Geldstrafe sein kann, von 15 Jahren für die übrigen Fälle, i n denen die Strafe Geldstrafe sein kann, sowie für die Fälle, i n denen die Straftat zu Gefängnis führen kann, aber von nicht mehr als zwei Jahren, sowie von 30 Jahren für die übrigen Fälle festgesetzt. Die Regeln des Gesetzes über die Verjährung einer auferlegten Strafe können i n bestimmten Fällen praktische Bedeutung laben, ζ. B. wenn es dem Verurteilten gelingt, sich vor den Vollstreckungsbehörden während einer längeren Zeit verborgen zu halten. Die Verjährungszeit für eine durch Urteil verhängte Gefängnisstrafe variiert zwischen fünf und 30 Jahren (Näheres siehe 35:8), während auferlegte Geldstrafen wegfallen, wenn seit der Rechtskraft des Urteils drei Jahre verflossen sind, es sei denn, daß zuvor ein Antrag auf Umwandlung der Geldstrafen dem Verurteilten zugestellt worden ist (35:7 Abs. 1). Die Verjährungszeit beträgt fünf Jahre bei Jugendgefängnis und 15 Jahre für Internierung. Ausgangspunkt für die Berechnung der Verjährungszeit ist der Tag der Rechtskraft des Urteils, soweit die Vollstreckung nicht davor begonnen hat (35:10). I m Gesetz werden auch Regeln über die Berechnimg der Verjährungszeit gegeben, wenn die Vollstreckung von Gefängnis, Jugendgefängnis oder Internierung abgebrochen w i r d (35:9 und 10); diese Regeln brauchen hier nicht erörtert zu werden.
Β . D i e einzelnen Straftaten Von Professor Hans T h o r n s t e d t
I . Straftaten gegen das Leben, die Gesundheit, die Freiheit und die Ehre I n der ersten Kategorie von Straftaten sind i m B r B die enthalten, die sich hauptsächlich gegen den einzelnen oder seine Interessen richten. Diese Delikte werden i m B r B Kap. 3 - 1 2 beschrieben. A n der Spitze stehen die strafbaren Handlungen gegen das Leben und die Gesundheit (Kap. 3) und danach folgen die Straftaten gegen Freiheit und Frieden (Kap. 4) und die Ehrverletzungen (Kap. 5). Die Straftaten gegen die Sittlichkeit und die Straftaten gegen die Familie werden i n Kap. 6 und 7 behandelt. A m Schluß dieser Kategorie steht die große Gruppe der Vermögensdelikte i n Kap. 8 - 12.
Straftaten gegen Leben und Gesundheit Die hierher gehörenden Delikte können i n drei verschiedene Hauptgruppen eingeteilt werden. Die eine Gruppe umfaßt die Delikte, die sich gegen das Leben eines anderen richten. Hierunter werden Mord, Totschlag, Kindstötung und fahrlässige Tötung gezählt. Eine andere Gruppe stellen die Taten dar, die sich gegen die körperliche Gesundheit oder das Wohlbefinden eines anderen richten, vor allem die Körperverletzungsdelikte. Schließlich sind bestimmte Taten schon m i t Rücksicht darauf, daß sie eine Gefahr für die Verletzung des Lebens oder der Gesundheit eines anderen darstellen, m i t Strafe bedroht. Mord und Totschlag (mord, drap) Kap. 3 w i r d eingeleitet m i t den zwei Delikten, die die vorsätzliche Tötung eines anderen zum Gegenstand haben, nämlich der Mord (3:1) und der Totschlag (3:2). Mord liegt nach dem Gesetzestext vor, wenn jemand einen anderen des Lebens beraubt. M i t „einem anderen" ist hier ein anderer Mensch i m Gegensatz zur Leibesfrucht gemeint. Das Töten einer Leibesfrucht war früher als Abtreibung strafbar (s. u.). Als Grenze zwischen den 22*
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Begriffen Leibesfrucht und Mensch gilt der Geburtsvorgang. Aus der Formulierung des Gesetzes folgt auch, daß weder Selbstmord, noch — was von praktischer Bedeutung ist — der Versuch zum Selbstmord eine strafbare Handlung ist. Eine weitere Folge hieraus ist, daß auch nicht die M i t w i r k u n g zum Selbstmord i n Form der Anstiftung oder Beihilfe strafbar ist. Eine Frage, die zu beantworten dem Gesetzgeber i n diesem Zusammenhang nicht gelungen ist, ist, ob die Sterbehilfe (Euthanasie), d. h. die Tötung eines Menschen aus Mitleid oder auf seinen Wunsch, zulässig sein soll. Das Gesetz erlaubt die Sterbehilfe nicht, aber i n der Praxis dürfte es vorkommen, daß ein Arzt dazu beiträgt, das Leben hoffnungslos kranker Personen zu verkürzen, ohne daß dieses als gegen Recht und Gesetz streitend angesehen wird. Gemäß dem Strafgesetz wurde der Unterschied zwischen Mord und Totschlag so bestimmt, daß Mord die Tötung m i t Absicht (d. h. nach Überlegung) ist, während Totschlag die Tötung i n Eile (d. h. unüberlegt) ist. Der B r B zieht jedoch die Grenze auf andere Weise. Mord ist nun sozusagen der Normalfall der vorsätzlichen Tötung, während Totschlag vorliegt, wenn eine vorsätzliche Tötung mit Rücksicht auf die Um^ stände, die die Tat veranlaßt haben, oder aus anderen Ursachen als minderschwer anzusehen ist. Als Beispiel für diese Umstände, die eine Tötung minderschwer machen, kann der Fall angeführt werden, daß der Täter unter dem Druck einer seelischen Depression beschlossen hat, sich selbst und seine Ehefrau zu töten und die Tötung der Ehefrau durchführt, mit dem Selbstmord aber mißglückt. Ein anderes Beispiel liegt vor, wenn jemand, der schwerer physischer oder psychischer Mißhandlung ausgesetzt war, schließlich seinen Peiniger ums Leben bringt. Als Mord muß u. a. die Tötung behandelt werden, die auf eine besonders gefährliche A r t geschieht, ζ. B. wenn sie Teil eines auf die Durchführung einer anderen Tat gerichteten Plans war. Mord ist es auch, wenn der Täter besonders überlegt vorgegangen ist, ζ. B. mittels vergifteter Speisen oder Getränke getötet hat, oder wenn die Tat unter Zufügung unnötiger Schmerzen verübt wurde. Die Strafe für Mord ist Gefängnis bis zu zehn Jahren oder auf Lebenszeit und für Totschlag Gefängnis von sechs bis zehn Jahren. Versuch, Vorbereitung und Verabredung zu Mord und Totschlag sowie die Unterlassung der Aufdeckung einer solchen Tat sind strafbar gemäß den Bestimmungen i m B r B Kap. 23. Kindstötung (barnadräp) Eine Form der vorsätzlichen Tötung von geringerer Strafbarkeit ist die Kindstötung (3:3). Sie liegt vor, wenn eine Frau ihr K i n d bei der Geburt oder nach der Geburt innerhalb einer Zeit tötet, i n der sie auf-
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grund der Niederkunft sich i n einem erregten Sinneszustand befindet oder i n einer schweren Bedrängnis. Die Strafe ist Gefängnis bis zu sechs Jahren. Zu beachten ist, daß die Strafmilderung nur der Frau selbst zugutekommt. Eine andere Person, ζ. B. der Kindsvater, der zu der Kindstötung dadurch mitgewirkt hat, daß er die Frau zur Tat angestiftet hat, w i r d wegen Teilnahme an Mord oder Totschlag bestraft. Versuch und Vorbereitung
zur Kindstötung sind strafbar.
Abtreibung (fosterfördrivning) Eine Straftat, die sehr lange Diskussionsgegenstand gewesen ist, war die Abtreibung der Leibesfrucht, die gemäß 3:4 gegeben war, wenn jemand unbefugt eine Leibesfrucht abtrieb oder auf andere Weise tötete. Man meint, daß eine Leibesfrucht zum Zeitpunkt der Befruchtung der Eizellen bis zur Geburt, genauer gesagt bis zum Beginn der Wehen vorhanden ist. Diese Straf Vorschrift wurde jedoch 1974 aufgehoben. Die Regeln über die Abtreibung findet man jetzt i n dem Abtreibungs-(Abort-)Gesetz von 1974. Dieses berechtigt i m Prinzip die Frau zur Abtreibung während der ersten 12 Wochen der Schwangerschaft und ermöglicht eine Abtreibung auch zu einem späteren Zeitpunkt der Schwangerschaft. Nur ein zugelassener Arzt darf die Abtreibung durchführen. Das Abtreibungsgesetz droht Strafen — Geldstrafe oder Gefängnis bis zu einem Jahr oder i n schweren Fällen Gefängnis von sechs Monaten bis zu vier Jahren — an für den, der ohne die Befugnis der Ausübung des Arztberufes eine Abtreibung vornimmt. Diese Straftat w i r d ungesetzliche Abtreibung genannt. Auch der Versuch der ungesetzlichen Abtreibung ist strafbar. Ein Arzt, der die Vorschriften des Gesetzes nicht beachtet, kann zu Geldstrafen oder Gefängnis bis zu sechs Monaten verurteilt werden. Körperverletzung (misshandel) B r B 3:5 behandelt die Körperverletzung. Diese Straftat besteht i n der Zufügung von Körperschäden, Krankheit oder Schmerzen oder i n der Versetzung i n Bewußtlosigkeit oder i n einen ähnlichen Zustand. Als Körperschäden werden typische Schäden wie Wunden, Schwellungen und Brüche, aber auch Funktionsstörungen wie Lähmungen oder Schäden an den Augen oder am Gehör angesehen. Auch andere umfassendere Eingriffe i n die körperliche Substanz, ζ. B. das Abschneiden des Haares einer Frau, w i r d als Körperverletzung angesehen. Unter Krankheit fallen außer körperlichen Krankheiten auch Geisteskrankheiten und psychische Invalidität. Ein psychisches Leiden, das einen medizinisch beweisbaren Effekt mitführt, gehört auch hierher, ζ. B.
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ein psychischer Schock. M i t Schmerzen meint man ein physisches Leiden, welches nicht allzu unbedeutend ist. Einem anderen ein geringeres körperliches Unbehagen zuzufügen, ζ. B. durch störende Geräusche oder störendes Licht, ist keine Körperverletzung, ebensowenig geringere Knüffe oder Reißen oder Schneiden an den Kleidern eines anderen. Dies kann jedoch als Belästigung angesehen werden. Die Körperverletzung w i r d m i t Rücksicht auf die Schwere der Tat i n zwei Straftaten eingeteilt: Körperverletzung (3:5) und schwere Körperverletzung (3:6). Als Beispiel einer schweren Körperverletzung kann genannt werden, daß die Tat lebensgefährlich war, daß der Täter schweren Körperschaden oder eine ernsthafte Krankheit verursacht oder sonst eine besondere Rücksichtslosigkeit oder Rohheit gezeigt hat. Die Strafe für die Körperverletzung ist Gefängnis bis zu zwei Jahren. Ist die Tat leicht, ist die Strafe Geldstrafe (die Deliktsbezeichnung ist auch dann Körperverletzung). Eine schwere Körperverletzung w i r d m i t Gefängnis von einem bis zu zehn Jahren bestraft. Versuch und Vorbereitung zur Körperverletzung, die nicht leicht ist, ist strafbar. Dasselbe gilt von der Verabredung zu und Unterlassung der Aufdeckung einer schweren Körperverletzung. Ist die Körperverletzung, die nicht schwer ist, nicht auf einem öffentlichen Platz verübt worden, soll sie vom Ankläger nicht angeklagt werden, es sei denn, daß der Verletzte Strafanzeige erstattet hat oder eine Anklage aus allgemeinen Gesichtspunkten (ζ. B. wenn es sich u m die Körperverletzung an Ehefrau oder K i n d zu Hause handelt) erforderlich ist. Verschulden des Todes eines anderen ( = fahrlässige Tötung; vâllande tili annans död) Hat jemand aus Fahrlässigkeit den Tod eines anderen verursacht, w i r d er hierfür wegen Verschuldens des Todes eines anderen (fahrlässige Tötung. Die Übers.) gemäß 3:7 bestraft. Hierher gehören ζ. B. die Fälle, daß jemand infolge unvorsichtigen Fahrens m i t einem K r a f t fahrzeug eine Person überfährt und tötet. Auch eine Unterlassung kann eine Haftung gemäß dieser Gesetzesstelle m i t sich führen. Hierfür w i r d jedoch wie bei Unterlassungsdelikten i m allgemeinen gefordert, daß eine besondere Rechtspflicht zur Handlung vorgelegen hat. Sieht jemand, daß ein anderer am Ertrinken ist, und stürzt er sich gleichwohl nicht i n das Wasser, u m den anderen zu retten, kann er som i t i m allgemeinen nicht zur Verantwortung gezogen werden. Anders ist die Lage jedoch, wenn er beispielsweise als Lebensretter i n einem Freibad angestellt war. I n diesem Fall ist durch Vertrag eine Rechts-
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pflicht zur Handlung entstanden. Gewöhnlicher ist es, daß aufgrund Gesetzes oder besonderer Bestimmung, ζ. B. durch Instruktion für bestimmte Beamte, eine Rechtspflicht gegeben ist. Fahrlässigkeit liegt vor allem vor, wenn der Betrefffende die Möglichkeit eines tödlichen Ausganges hätte erkennen müssen, auch wenn diese Möglichkeit i h m praktisch niemals vorgeschwebt hat. Jemand fährt m i t hoher Geschwindigkeit bei Rotlicht über die Verkehrsampel hinaus, ohne überhaupt über das Risiko, einen anderen zu überfahren, nachzudenken. Aber wenn i h m das Risiko bewußt war, braucht nur Fahrlässigkeit vorliegen. Diese A r t Fahrlässigkeit kann sich jedoch i n der Praxis dem sogenannten bedingten Vorsatz nähern, was i n dem angegebenen Beispiel zutrifft, wenn angenommen werden kann, daß der Betreffende das Auto nicht gebremst hätte, auch wenn er erkannt hätte, daß er einen Menschen überfahren würde. Wäre dies der Fall, wäre er wegen Totschlags oder Mord zu bestrafen. Eine strafbare Fahrlässigkeit liegt schließlich vor, wenn jemand fehlerhaft angenommen hat, daß die i n Frage kommende Handlung oder Unterlassung aus besonderen Gründen erlaubt war. Es tötet beispielsweise jemand einen anderen i n dem Glauben, daß er einem zur Notwehr berechtigenden A n griff ausgesetzt sei, während i n Wirklichkeit jedoch keine Notwehrsituation gegeben ist. Unter 3:7 fallen eindeutig auch Verfahren von relativ geringem Charakter. Die Strafskala enthält dafür neben Gefängnis bis zu zwei Jahren Geldstrafe für den Fall, daß die Tat leicht ist. Ist die Tat schwer, ist die Strafe Gefängnis von sechs Monaten bis zu vier Jahren. Verschulden eines Körperschadens oder einer Krankheit ( = fahrlässige Körperverletzung; vallande tili kroppsskada eller sjukdom) Der Strafbestimmung 3:7 über die fahrlässige Tötung schließt sich die Bestimmung 3:8 über das Verschulden eines Körperschadens oder einer Krankheit (fahrlässige Körperverletzung. Die Übers.) an. Hiernach w i r d unter denselben allgemeinen Voraussetzungen wie i n 3:7 bestraft, wer aus Fahrlässigkeit einem anderen einen Schaden oder eine Krankheit zufügt, die nicht gering sind. Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten oder wenn die Tat schwer ist, Gefängnis bis zu zwei Jahren. Wenn die Tat nicht schwer ist, darf sie vom Ankläger nicht angeklagt werden, es sei denn, der Verletzte hat Strafantrag gestellt und die Anklage ist aus allgemeinen Gesichtspunkten erforderlich.
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Gefährdung eines anderen (framkallande av fara för annan) Setzt jemand aus Fahrlässigkeit einen anderen einer Gefahr aus, ist es oft vom Zufall abhängig, ob dieser geschädigt oder getötet w i r d oder gar keinen Schaden erleidet. Weil das Handeln des Täters gleichermaßen verwerflich sein kann, sei es, daß aus Zufall kein Unglück eint r i t t , sei es, daß jemand getötet oder geschädigt wird, hat man i n 3:9 bestimmte Fälle der Gefährdung eines anderen unter Strafe gestellt. Voraussetzung für die Strafbarkeit ist, daß man aus grober Fahrlässigkeit einen anderen einer Gefahr für sein Leben oder der Gefahr für schwere Körperschäden oder ernster Krankheit aussetzt. W i r d die Gefährdung von einer anderen Strafbestimmung gedeckt, ζ. B. i n Vorschriften über allgemeingefährliche Straftaten i m B r B Kap. 13 (s. darüber unten) oder durch die Bestimmung über Fahrlässigkeit i m Straßenverkehr i m § 1 des Gesetzes von 1951 über die Strafen für bestimmte Verkehrsdelikte, soll jedoch die Strafe wegen Gefährdung eines anderen nicht verhängt werden. Die Strafe für diese Tat ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren.
Straftaten gegen Freiheit und Frieden Diese Delikte werden i m B r B Kap. 4 behandelt. Hier werden zuerst Delikte genannt, denen eine Freiheitsberaubung innewohnt, nämlich die ungesetzliche Freiheitsentziehung und der Menschenraub sowie das Versetzen i n eine Notlage. I n dem Kapitel werden weiter allgemeine Regeln über ungesetzlichen Zwang ( = Nötigung) und ungesetzliche Bedrohung sowie Bestimmungen über Hausfriedensbruch und anderes Eindringen i n die Sphäre des Privatlebens gegeben. Ungesetzliche Freiheitsentziehung und Menschenraub (olaga frihetsberövande, människorov) Freiheitsentziehung kann die Form der ungesetzlichen Freiheitsentziehung gemäß 4:2 oder des Menschenraubs gemäß 4:1 annehmen. Eine ungesetzliche Freiheitsentziehung liegt vor, wenn man einen anderen der Freiheit beraubt. I n erster Linie kann dies dadurch geschehen, daß man einen anderen entführt oder einsperrt, aber es kann auch auf andere Weise, ζ. B. dadurch, daß man i h n fesselt oder unter Bewachung stellt, geschehen. Auch die Wegnahme der Kleider eines Badenden oder des einzigen Bootes von einer abgelegenen kleinen Insel, auf der ein anderer sich befindet, kann als ungesetzliche Freiheitsentziehung angesehen werden. Dagegen ist es keine ungesetzliche
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Freiheitsentziehung, einen anderen aus seiner Wohnung auszuschließen oder sein Fahrrad unbrauchbar zu machen. Eine rein zufällige Freiheitsentziehung fällt nicht unter diese Gesetzesstelle. Selbstverständlich liegt keine ungesetzliche Freiheitsentziehung vor, wenn die Freiheitsentziehung rechtmäßig ist gemäß Bestimmungen i n einem Gesetz oder einer Verordnung, ζ. B. bei Verhaftung oder Festnahme, der Vollstreckung von Gefängnisstrafen oder der Einlieferung i n die Geisteskranken- oder Trinkerfürsorge. Menschenraub ist eine ungesetzliche Freiheitsentziehung ernsterer A r t , die darin liegt, daß jemand sich eines Kindes oder einer anderen Person bemächtigt und diese entführt oder einsperrt m i t dem Vorsatz, ihr am Leben oder an der Gesundheit zu schaden, sie zu Dienstleistungen zu zwingen oder einen anderen zu erpressen. Die Strafe für ungesetzliche Freiheitsentziehung ist Gefängnis von einem bis zu zehn Jahren oder, wenn die Tat weniger schwer ist, Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Für Menschenraub ist die Strafe Gefängnis von vier bis zehn Jahre oder auf Lebenszeit. Ist der Menschenraub weniger schwer, ist die Strafe Gefängnis bis höchstens sechs Jahre. Versuch, Vorbereitung und Verabredung zu diesen beiden Delikten sowie die Unterlassung ihrer Aufdeckung sind strafbar. Versetzen i n eine Notlage (försättande i nödläge) Dieses Delikt, das i n 4:3 geregelt ist, kommt i n zwei verschiedenen Formen vor. Beiden gemeinsam ist, daß der Täter ungesetzlichen Zwang ( = Nötigung. Der Übers.) oder eine Irreführung als M i t t e l für die Tat anwendet. Die eine Form besteht darin, daß jemand m i t diesen M i t t e l n veranlaßt hat, daß ein anderer i n Kriegs- oder Arbeitsdienst oder i n einen anderen Zwangszustand gerät. Dabei hat man u. a. an den Zwang gedacht, den eine Besatzungsmacht entgegen internationalen Konventionen oder völkerrechtlichen Grundsätzen angewendet hat, u m die Bevölkerung eines okkupierten Landes zu Kriegs- oder Arbeitsdienst zu zwingen. Die andere Form des Versetzens i n eine Notlage ist dadurch charakterisiert, daß jemand mittels ungesetzlichen Zwangs oder Irreführung dazu veranlaßt wird, sich ins Ausland zu begeben oder dort zu bleiben, wo befürchtet werden kann, daß er einer Verfolgung ausgesetzt oder zu unzüchtiger Lebensweise ausgenützt w i r d oder auf andere Weise i n eine Notlage gerät. Die Bestimmung ist i n erster Linie gegen den sogenannten weißen Sklavenhandel mit Frauen und Kindern gerichtet, aber auch dazu gedacht, die Flüchtlinge i n Schweden vor Agenten fremder Länder zu schützen.
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Die Strafe für das Versetzen i n eine Notlage ist Gefängnis von einem bis zu zehn Jahren oder, wenn die Tat weniger schwer ist, Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Versuch, Vorbereitung und Verabredung zu dieser Tat sowie die Unterlassung ihrer Aufdeckung ist strafbar. Ungesetzlicher Zwang ( = Nötigung; olaga tvâng) Die Handlungsfreiheit der Bürger w i r d i m allgemeinen durch die Bestimmung über den ungesetzlichen Zwang (Nötigung) i n 4:4 geschützt. Dort w i r d mit Strafe bedroht, daß man durch bestimmte Zwangsmaßnahmen die Handlungsfreiheit eines anderen einschränkt, so daß er gezwungen wird, etwas zu tun, zu dulden oder zu unterlassen. Die Nötigung kann verschiedener A r t sein. Zunächst w i r d i m Gesetz die Körperverletzung genannt (worunter eine Körperverletzung gemäß 3:5 verstanden wird) oder andere Gewalt sowie Drohung m i t einer strafbaren Handlung. Die Nötigung kann auch i n der Drohung bestehen, einen anderen wegen einer Straftat anzuklagen oder anzuzeigen oder darin, daß man über einen anderen Nachteiliges bekanntgibt (ζ. B. daß man einer Ehefrau berichtet, daß i h r Mann ihr untreu war). Damit die Nötigung i n diesen Fällen strafbar ist, ist es jedoch erforderlich, daß sie unangemessen ist. Die Entscheidung, wann eine Nötigung unangemessen ist, kann zuweilen Schwierigkeiten bereiten. I n erster Linie muß die Frage m i t Rücksicht auf den Zweck, zu welchem der Zwang angewendet wurde, geprüft werden. W i r d ζ. B. die Drohung, einen anderen wegen einer Straftat anzuzeigen, angewendet, u m den Genötigten zu veranlassen, einen angemessenen Schadensersatz zu erstatten, zu welchem er aufgrund der Straftat verpflichtet ist, ist die Nötigung angemessen. W i r d der Zwang angewendet, m i t dem Ziel, dem Gezwungenen Schaden zuzufügen oder einen unbilligen Vorteil zu erreichen, gilt sie als unangemessen. Weiter ist i n der Regel Nötigung mittels Drohung m i t Maßnahmen gegen andere als den Gezwungenen (ζ. B. gegen einen Angehörigen) als unangemessen anzusehen. I n vielen Fällen ist eine Zwangsausübung vollkommen gesetzmäßig, ζ. B. u m Ordnung auf einem öffentlichen Platz zu halten oder u m Vollstreckungs- oder andere Exekutivmaßnahmen durchzuführen. Die Nötigung kann als Tatbestandsmerkmal i n andere bestände eingehen, wie ζ. B. i n das Versetzen i n eine Notlage freiheitsverletzende Unzucht, die Erpressung und i n Delikte bürgerliche Freiheit. I n solchen Fällen t r i t t selbstverständlich sondere Haftung für eine rechtswidrige Nötigung ein.
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bis sechs Jahre. Als Beispiel für Umstände, die dazu führen, daß eine Nötigung als schwer betrachtet werden muß, kann angeführt werden, daß die Tat einen Zwang zum Geständnis oder eine andere Tortur darstellt. Versuch und Vorbereitung zur schweren Nötigung sind strafbar. Die Nötigung mittels einer Drohung m i t der Anklage oder Anzeige eines anderen wegen einer strafbaren Handlung oder mittels der Bekanntgabe einer nachteiligen Tatsache über einen anderen muß1 vom Ankläger nur angeklagt werden, wenn der Verletzte die Straftat anzeigt oder die Anklage aus allgemeinen Gesichtspunkten erforderlich erscheint. Ungesetzliche Bedrohung (olaga hot) Das Recht auf Freiheit und inneren Frieden w i r d weiterhin durch die Bestimmung i n 4:5 über die ungesetzliche Bedrohung geschützt, die u. a. die ältere Bestimmung über Strafbarkeit des Gebrauchs lebensgefährlicher Waffen ersetzt. Eine ungesetzliche Drohung begeht, wer eine Waffe gegen einen anderen erhebt oder sonst m i t einer strafbaren Handlung auf eine Weise droht, die geeignet ist, bei dem Bedrohten ernste Furcht für seine oder eines anderen Sicherheit an Person oder Vermögen hervorzurufen. Es ist nicht notwendig, daß m i t einer gegen den Bedrohten gerichteten Tat gedroht wird. Auch wo m i t Maßnahmen gegen einen Dritten, ζ. B. gegen einen Verwandten des Drohungsempfängers, gedroht wird, kann eine ungesetzliche Drohung vorliegen. Die ungesetzliche Drohung kann Teil einer anderen Straftat, ζ. B. Raub, Notzucht oder Beamtenbedrohung, sein. I n diesen Fällen w i r d 4:5 nicht angewendet. Die Strafe für ungesetzliche Drohung ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Hausfriedensbruch und ungesetzliches Eindringen (hemfridsbrott, olaga intrâng) Die Bestimmung über Hausfriedensbruch i n 4:6 Abs. 1 schützt den Frieden der Wohnung. Gemäß dieser Bestimmung ist es strafbar, unerlaubt i n die Wohnung eines anderen, sei es „Raum, Haus, Hof oder Schiff" einzudringen oder sich darin aufzuhalten. Auch das unerlaubte Einschieichen oder sich Verbergen i n der Wohnung eines anderen w i r d von dieser Strafbestimmung betroffen. Unter Wohnung w i r d nicht nur eine Räumlichkeit oder ein anderer Ort verstanden, an dem eine Person ständig oder für längere Zeit wohnt. Auch eine zufällige Wohnung, ζ. B. ein Hotelzimmer, eine Bootskajüte oder ein Zelt, kann die Wohnung einer Person darstellen.
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Hausfriedensbruch kann vorliegen, auch wenn niemand i n dem Hause gerade zum Zeitpunkt der Tat wohnt, wenn nur die Räumlichkeit, obw o h l sie leersteht, nicht aufgegeben ist, sondern fortwährend einem anderen als Wohnung dient. Der Strafschutz gilt nicht nur der eigentlichen Wohnung, sondern auch dem zur Wohnung gehörenden Hof oder Garten. Hof oder Garten brauchen nicht umzäunt zu sein, wenn es klar ist, daß das Gebiet zur Wohnung gehört. Auch Scheunen und andere Wirtschaftsgebäude, die innerhalb des Hofs oder des Gartens liegen, werden zur Wohnung gerechnet, dagegen nicht mehr, wenn sie weiter abseits liegen. Es spielt keine Rolle, wer die Wohnung besitzt. Ein Angestellter hat somit Hausfrieden i n seiner Wohnung, auch wenn i h m diese vom A r beitgeber zur Verfügung gestellt wird. Durch die Bestimmung über das ungesetzliche Eindringen (4:6 Abs. 2) w i r d der Strafschutz auf andere Räumlichkeiten ausgedehnt, i n denen Menschen arbeiten oder sonst sich aufzuhalten pflegen. So liegt ein ungesetzliches Eindringen vor, wenn jemand unerlaubt eindringt oder sich aufhält i n einem Kontor einer Fabrik, einem anderen Gebäude oder Schiff auf einem Lagerplatz oder einer anderen solchen Stelle (ζ. B. einem umzäunten Bauplatz). Das Eindringen oder Sichaufhalten i n diesen Räumlichkeiten muß unerlaubt sein. Selbstverständlich kann es nicht strafbar sein — ohne Unordnung oder L ä r m zu machen — i n für die Allgemeinheit geöffnete Lokale zu gehen oder sich dort aufzuhalten, ζ. B. ein Amtsgebäude während der Dienstzeit zu besuchen, u m eine Auskunft zu verlangen, oder i n ein Geschäft zu gehen, u m einzukaufen oder die dort ausgestellten Waren anzuschauen. Der strafrechtliche Schutz für die Wohnung und andere Räumlichkeiten w i r d verstärkt durch Bestimmungen über die Notwehr i m B r B 24:1. Danach darf man Gewalt anwenden, u m jemanden daran zu hindern, unerlaubt i n einen Raum, ein Haus, einen Hof oder ein Schiff einzudringen oder u m den, der unerlaubt i n eine solche Räumlichkeit eingedrungen ist, zu entfernen. Handelt es sich u m die Wohnung, hat man auch das Recht, den, der erlaubt hereingekommen ist, aber auf Aufforderung sich weigert, die Wohnung zu verlassen, gewaltsam zu entfernen (vgl. Allgemeine Regeln über die Tat und die Tatfolgen). Die Strafe für Hausfriedensbruch und ungesetzliches Eindringen ist Geldstrafe. Ist die Tat schwer, ist die Strafe jedoch Gefängnis bis zu zwei Jahren. Für eine Tat, die nicht schwer ist, darf Anklage vom A n kläger nur erhoben werden, wenn der Verletzte Strafantrag gestellt hat oder die Anklage aus allgemeinen Gesichtspunkten erforderlich erscheint.
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Belästigung (ofredande) A n die Bestimmungen über den Hausfriedensbruch und das ungesetzliche Eindringen schließt sich die Strafbestimmung über die Belästigung i n 4:7 an. Diese liegt vor, wenn jemand einen anderen handgreiflich belästigt oder sonst i h n m i t Schüssen, Steinwürfen, L ä r m oder anderem rücksichtslosen Benehmen stört. Viele verschiedenartige Handlungen fallen unter diese Bestimmung. Handgreifliches Belästigen liegt ζ. B. vor, wenn man einen anderen stößt oder t r i t t (unter der Voraussetzung, daß keine Schmerzen entstehen und die Tat keine Körperverletzimg ist; s. darüber oben) oder an seinen Kleidern reißt oder zerrt. Das Einschlagen von Fensterscheiben oder das Werfen von Steinen i n den Hof oder Garten eines anderen ist eine Belästigung. Sich einer Frau ungebührlich zu nähern, kann hierher gerechnet werden (wenn es nicht unzüchtiges Verhalten ist; s. darüber unten). Rücksichtslose Benutzung des Radios, u m Nachbarn zu stören, kann ebenfalls eine Belästigung sein, wie die Störung der Nachtruhe eines anderen durch wiederholte Telephonanrufe. Auch jemanden durch die falsche Mitteilung über den Tod einer nahestehenden Person aufzuregen oder durch L ä r m oder nächtliches Herumschleichen zu erschrecken, kann als Belästigung angesehen werden. Die Strafe für Belästigung ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Ist die Belästigung nicht auf einem öffentlichen Platz verübt worden, darf sie vom Ankläger nur angeklagt werden, wenn der Verletzte Strafantrag gestellt hat oder die Anklage aus allgemeinen Gesichtspunkten erforderlich ist. Bruch dfes Post- oder Fernnachrichtengeheimnisses (brytande av post-eller telehemlighet) Diese Straftat besteht gemäß 4:8 darin, daß man sich unerlaubt Zugang zu Mitteilungen verschafft, die durch eine allgemeine Beförderungsanstalt befördert werden, wie Postsendungen, Telephongespräche oder andere Fernmitteilungen. Der Schutz gilt nur während der Zeit, i n der die Mitteilung befördert wird. Sich den Zugang zu einem Brief i n dem Briefkasten des Adressaten zu bereiten, fällt nicht unter diese Gesetzesstelle, sondern ist als Gewahrsamsbruch zu beurteilen, wenn der Brief geschlossen oder der Briefkasten verschlossen ist (s. u.). Es ist nicht strafbar, ein Telephongespräch m i t seinem Radioapparat abzuhören. Dagegen kann eine Mitteilung dessen, was man gehört hat, eine Geldstrafe bis zu 500 schwedische Kronen gemäß der Königlichen Verordnung vom 9. Juni betreffend die Empfänger von Radiosendungen oder Drahtsendungen m i t sich führen.
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Die Strafe für den Bruch des Post- und Fernnachrichtengeheimnisses ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. I n diesem Zusammenhang kann erwähnt werden, daß § 21 des DataGesetzes vom 11.5. 1973 Geldstrafe oder Gefängnis bis zwei Jahre für den vorsieht, der sich unbefugt Zugang verschafft zur Aufnahme in eine automatische Datenbehandlung. Gewahrsamsbruch (intrâng i förvar) Wenn man i n einem anderen F a l l als den eben erwähnten Fall i n 4:8 unerlaubt einen Brief oder ein Telegramm öffnet oder sich sonst Zugang zu einem Gegenstand verschafft, der versiegelt oder hinter einem Schloß oder sonst verschlossen aufbewahrt wird, w i r d man gemäß 4:9 wegen Gewahrsamsbruch verurteilt. Nach dieser Vorschrift ist es regelmäßig nicht strafbar, Einsicht i n Dokumente, die unversiegelt auf einem Schreibtisch oder i n einer unverschlossenen Schreibtischschublade liegen, zu nehmen. Ist dagegen der Verwahrungsort verschlossen, w i r d die Strafbestimmung anwendbar. Die Strafe für Verwahrungsbruch ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Die Tat darf vom Ankläger nur bei Strafantrag des Verletzten, oder wenn die Anklage aus allgemeinen Gesichtspunkten erforderlich ist, angeklagt werden. Unerlaubtes Abhören (olovlig avlyssning) Durch eine Gesetzesänderung von 1975 wurde als Ergänzung der früher erwähnten Vorschriften über den Schutz der persönlichen Unverletzlichkeit eine allgemeine Vorschrift 4:9 a über das Verbot des unerlaubten Abhörens mit technischen Hilfsmitteln eingeführt. Gemäß dieser Vorschrift w i r d bestraft, wer i n einem anderen als dem i n 4:8 genannten Fall unerlaubt mittels eines technischen Hilfsmittels für Tonwiedergabe heimlich ein Gespräch zwischen vier Augen oder ein Gespräch zwischen anderen abhört oder aufnimmt. Dasselbe gilt von einem heimlichen und unerlaubten Abhören oder Aufnehmen von Verhandlungen bei einer Versammlung oder einer anderen Zusammenkunft, zu der die Allgemeinheit keinen Z u t r i t t hat, vorausgesetzt, daß der Täter nicht ein berechtigter Teilnehmer ist. Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Wer m i t dem Vorsatz, das Fernnachrichtengeheimnis zu brechen oder eine Tat gemäß 4:9 a zu verüben, ein technisches Hilfsmittel anbringt, w i r d wegen Vorbereitung einer Tat gemäß 4:8 bzw. 4:9 a m i t Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft.
Ehrenkränkung
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Wegen unerlaubten Abhörens, das nicht an einem öffentlichen Platz geschieht, und der Vorbereitung hierzu darf Anklage vom Ankläger nur erhoben werden, wenn der Verletzte eine Strafanzeige macht oder wenn die Anklage aus einem allgemeinen Gesichtspunkt erforderlich erscheint.
Ehrenkränkung I m B r B Kap. 5 w i r d die Ehrenkränkung behandelt, d. h. der Angriff auf das Interesse einer Person, als geachtetes Gesellschaftsmitglied betrachtet und behandelt zu werden. Als Ehrenkränkung i m weiteren Sinn kann man auch die i m B r B Kap. 15 behandelten Delikte der falschen und grundlosen Anklageerhebung, der falschen und grundlosen Strafanzeige, der falschen und fahrlässig falschen Anschuldigung sowie der Entstellung eines Beweismittels ansehen. Die Ehrenkränkungsdelikte gemäß Kap. 5 unterscheiden sich von diesen Delikten u. a. dadurch, daß sie unmittelbar — ohne Zusammenhang m i t dem Rechtswesen i n Form einer Anklage, Anzeige usw. — das soziale Ansehen einer Person angreifen. Als allgemeine Voraussetzimg für eine Strafe nach Kap. 5 gilt, daß der Angriff sich gegen eine natürliche Person richten muß. Beleidigende Äußerungen über oder gegenüber Vereinigungen, Gesellschaften und Behörden sind nicht strafbar nach dieser Gesetzesstelle. Ausnahmsweise können andere Bestimmungen zum Schutz solcher Kollektive eingreifen, ζ. B. die Bestimmungen über die Hetze gegen eine Volksgruppe (16:8), die staatsgefährdende Gerüchteverbreitung (16:6) oder die Verleumdung einer Behörde (17:6). Der Angriff auf die Ehre eines Toten ist unter bestimmten Voraussetzungen strafbar gemäß 5:4. Die Mittel, mit denen man die Ehre eines anderen angreift, können natürlich von sehr verschiedenem Charakter sein. Gewöhnlich geschieht es w o h l durch Äußerungen i n Wort und Schrift, aber auch andere Möglichkeiten, ζ. B. mittels einer Karikatur oder einer anderen Zeichnung oder mittels schimpflicher Behandlung des Körpers eines anderen, können dafür i n Frage kommen. Die Ehrenkränkung w i r d oft mittels gedruckter Schriften begangen. I n diesem Fall w i r d die Strafbarkeit der Tat i n erster Linie durch die TF ( = Druckfreiheitsverordnung) bestimmt, die jedoch insoweit auf den B r B verweist. Die Strafe t r i f f t doch i n diesem Fall i n erster Linie den Verfasser der Schrift oder — bei periodischen Schriften — den Herausgeber. Bezüglich der Ehrenkränkung unterscheidet man zwischen übler Nachrede und Verunglimpfung.
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Das schwedische Strafrecht
Üble Nachrede (förtal) Üble Nachrede liegt gemäß 5:1 vor, wenn man einen anderen als strafbar oder tadelnswert i n seiner Lebensweise beschreibt oder sonst Auskünfte über i h n gibt, die geeignet sind, i h n der Mißachtung anderer auszusetzen. Die Straftat besteht also darin, daß man i n Bezug auf eine Person gegenüber einer oder mehreren anderen Personen eine Behauptung aufstellt, die für den Genannten herabsetzend ist. Daß sie eine größere Verbreitung findet, ist nicht erforderlich, sondern es genügt, daß sie zur Kenntnis einer einzelnen Person gelangt. Selbstverständlich kann jedoch die Verbreitung eines herabsetzenden Gerüchtes strengere Folgen nach sich ziehen als eine Behauptung, die bloß einer oder einigen Personen gegenüber ohne die Absicht, daß diese sie weiter verbreiten, gemacht wird. Die Behauptung muß einem anderen als dem Betroffenen gegenüber aufgestellt werden. Kommt sie bloß zur Kenntnis des Betroffenen, liegt nämlich nicht üble Nachrede, sondern Verunglimpfung vor. Eine herabsetzende Behauptung braucht nicht i n Worten aufgestellt zu werden; es kann eine üble Nachrede sein, Diebesgut zwischen die Sachen eines anderen zu legen, u m den Schein zu erwecken, daß er sich des Diebstahls schuldig gemacht habe. Für die üble Nachrede w i r d gefordert, daß die herabsetzende Äußerung eine gewisse Bestimmtheit hat. Starke Anforderungen werden jedoch nicht gestellt. Auch mehr allgemeine ehrenkränkende Beurteilungen können als üble Nachrede verfolgt werden. Die Behauptung kann herabsetzende Umstände verschiedener A r t zum Gegenstand haben, sowohl Straftaten als auch andere Handlungen, von denen behauptet wird, daß der Betroffene sie tatsächlich begangen habe, ζ. B. daß er wegen eines Delikts verhaftet gewesen sei oder daß er perverse Neigungen habe. Ebenso kann es eine üble Nachrede sein, wenn man über eine Frau behauptet, daß sie vergewaltigt oder von einem Heiratsschwindler betrogen worden sei. Bei der Beurteilung, ob eine Behauptung geeignet ist, den Betroffenen der Mißachtung anderer auszusetzen — d. h. ob sie herabsetzend i n Bezug auf seinen „guten Namen und Ruf" ist — muß Ausgangspunkt die soziale Wertschätzung an seinem Ort und innerhalb seiner eigenen Gesellschaftsschicht oder seines Personenkreises sein. Es w i r d also nicht gefordert, daß die Behauptung für das gesellschaftliche Ansehen des Gekränkten herabsetzend ist gemäß der Auffassung, die als die allgemein herrschende innerhalb der Gesellschaft i n ihrer Gesamtheit oder i n tonangebenden Kreisen der Gesellschaft gilt, sondern entscheidend ist, ob die Behauptung herabsetzend für das Ansehen des Gekränkten i n
Ehrenkränkung
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den besonderen Kreisen ist, denen er zugehört. A l l z u eng darf jedoch dieses Milieu nicht bestimmt werden. Einen anderen einer Straftat zu beschuldigen, ist i n der Regel, aber nicht unter allen Umständen, ehrenkränkend. Nur wenn die Beschuldigung herabsetzender A r t ist, liegt eine üble Nachrede vor. Die Behauptung, daß jemand sein Auto falsch geparkt oder die für den Straßenverkehr geltende Geschwindigkeitsbeschränkung überschritten habe, dürfte kaum für das Ansehen des Betroffenen herabsetzend sein. Bei der Gestaltung der Bestimmungen über die Ehrenkränkung waren die Meinungen geteilt, ob wahre Beschuldigungen als ehrenkränkend angesehen werden sollen oder nicht. I m B r B ist dieses Problem so gelöst worden, daß ein allgemeines Recht, die Wahrheit zu sagen, wenn diese beleidigend ist, nicht besteht. Unter bestimmten Umständen ist es jedoch aus allgemeinen Gründen notwendig oder zumindest wünschenswert, daß wahre, aber beleidigende Äußerungen straffrei bleiben. Die somit erforderliche Abwägung zwischen dem Schutz vor herabsetzenden Behauptungen und der Forderung auf Meinungsfreiheit ist vom Gesetzgeber i n 5:1 Abs. 2 so getroffen worden, daß wegen einer üblen Nachrede nicht verurteilt werden darf, wer verpflichtet war, sich zu äußern oder wenn es zumindest m i t Rücksicht auf die Umstände zu rechtfertigen ist, daß er eine Äußerung i n der Sache machte. Es kann jedoch niemals sozial notwendig oder w ü n schenswert sein, das Aufstellen unwahrer beleidigender Äußerungen zu erlauben. Derjenige, der unter diesen Umständen eine beleidigende Äußerung macht, entgeht daher der strafrechtlichen Verantwortung bloß, wenn er beweisen kann, daß die Äußerung wahr war, oder daß er zumindest einen guten Grund für sie hatte. Verpflichtet, sich auf herabsetzende Weise zu äußern, ist z.B. ein Zeuge i n einem Prozeß, der j a die Wahrheit sagen muß, wie unangenehm dies auch für eine der Parteien oder für Dritte sein kann. Ein anderes Beispiel ist der Beamte, der sich über den Bewerber für ein öffentliches A m t zu äußern hat. Die Fälle, i n denen eine herabsetzende Äußerung oder über einen anderen angemessen erscheint, können sehr verschiedener A r t sein. I n politischen Debatten wie i n der allgemeinen Diskussion sozialer, kultureller und wissenschaftlicher Fragen muß die Meinungsfreiheit i n weitem Maße berücksichtigt werden, auch wenn einzelne Personen dadurch i n bestimmter Weise angegriffen werden. Ebenso hat der Gesetzgeber berücksichtigt, daß die berufsmäßige Nachrichtenvermittlung durch die Vorschriften über die Ehrenkränkung nicht i m allzu hohen Grade eingeschränkt wird. Daß die Nachrichtenvermittlung vollständig und zuverlässig ist, ist oft wichtiger, als daß einzelne Per23 Ausländisches Strafrecht V
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sonen gegen Beleidigungen i n der Presse geschützt werden. Tatsächlich scheint der B r B der Presse so große Freiheit zu lassen, daß der Schutz des einzelnen gegenüber der Presse i n Wirklichkeit ebensosehr durch die Publikationsbestimmungen der Presseorganisation und dem eigenen Gericht der Presse, dem Meinungsausschuß (opinionsnämnd) der Presse, wie von den rechtsprechenden Organen des Staates wahrgenommen wird. I n der Regel dürfte die Bestimmung über die üble Nachrede erst angewendet werden, wenn ein Presseorgan auf auffallende Weise von diesen vereinbarten Publikationsbestimmungen abweicht oder durch die Veröffentlichung einer unwahren Behauptung ohne vernünftigen Grund eine Privatperson verletzt wird. Der Gesetzgeber hat weiterhin anerkannt, daß der Umgang zwischen den Menschen eine nicht unbedeutende Freiheit auch zu herabsetzenden Berichten über andere verlangt. Gemäß seiner Meinung muß es auch innerhalb der Familie und dem täglichen Umgang Raum für eine weitere Äußerungsfreiheit geben. Eine unter solchen Umständen gemachte herabsetzende Mitteilung muß daher oft als angemessen angesehen werden, und eine Strafe für üble Nachrede kann dann nicht verhängt werden, wenn die Mitteilung wahr ist oder der Äußernde einen vernünftigen Grund gehabt hat für die Annahme, daß sie wahr gewesen sei. Man kann weiterhin daran denken, daß eine sogenannte Retorsion i m gewissen Umfang angemessen ist. Damit werden Fälle berücksichtigt, daß der Beleidigte selbst die Ehrenkränkung hervorgerufen hat dadurch, daß er den Täter durch Belästigung, Mißhandlung oder Beleidigung gereizt hat. Für die Bestrafung wegen übler Nachrede w i r d regelmäßig gefordert, daß sich die Tat gegen eine lebende Person richtet. Jedoch w i r d i n 5:4, wie schon früher angedeutet, i n gewisser Weise auch die Ehre eines Verstorbenen geschützt. Üble Nachrede über einen Verstorbenen führt nämlich zur Bestrafung, wenn die Tat die Nachkommen verletzt oder sie sonst unter Berücksichtigung der seit dem Tode des Verstorbenen verflossenen Zeit und der übrigen Umstände als eine Verletzung des Friedens angesehen werden kann, der dem Verstorbenen zukommen muß. Eine Begrenzung des Schutzes für die Ehre des Verstorbenen auf eine bestimmte Zeit nach seinem Tod ist somit nicht vorgeschrieben. Jedoch muß der Zeitfaktor eine große Rolle spielen, so daß die üble Nachrede über einen Verstorbenen i n der Regel nicht bestraft werden kann, wenn zur Zeit der Tat ein naher Angehöriger des Verstorbenen nicht mehr lebt. Die Gesetzesstelle ist nicht dafür gedacht, die historische Forschung oder das Recht auf freie Meinungsäußerung und K r i t i k i m übrigen einzuschränken. Eine Strafe gemäß dieser Bestimmung
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dürfte daher hauptsächlich herabsetzende Äußerungen treffen, nicht wahr sind oder keine vernünftige Ursache haben.
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Bei der üblen Nachrede unterscheidet man m i t Rücksicht auf die Schwere der Straftat zwischen übler Nachrede (5:1) und schwerer übler Nachrede (5:2). Bei der Beurteilung, ob die Tat schwer ist, soll besonders berücksichtigt werden, ob die Behauptung ihrem Inhalt nach oder durch den Umfang ihrer Verbreitung oder aufgrund anderer Umstände geeignet war, einen ernsteren Schaden herbeizuführen. Die Strafe für üble Nachrede ist Geldstrafe und Gefängnis bis zu zwei Jahren. Die Ehrenkränkungsdelikte können regelmäßig vom Verletzten selbst angeklagt werden. Man hat es nicht für ein Interesse der Gesellschaft angesehen, die Initiative zur Verfolgung solcher Taten zu übernehmen. Die üblen Nachreden können jedoch i n Ausnahmsfällen so beschaffen sein, daß eine öffentliche Anklage berechtigt ist, ζ. B. wenn die ganze soziale Existenz einer Person durch die üble Nachrede bedroht ist und sie ohne offizielle Unterstützung nicht den Schutz bekommen kann, dessen sie bedarf, oder wenn der Inhaber eines öffentlichen Amtes einer üblen Nachrede ausgesetzt w i r d ; die seine amtlichen Maßnahmen zum Gegenstand hat. 5:5 bestimmt daher, daß die üble Nachrede vom Ankläger angeklagt werden darf, wenn der Verletzte Strafanzeige erstattet und die Anklage aus besonderen Gründen unter allgemeinen Gesichtspunkten notwendig erscheint. Diese Regel gestattet den A n k l ä gern, ohne eingehendere Untersuchungen unberechtigte Anzeigen wegen übler Nachrede zurückzuweisen. Ist ein ausländischer Staat durch eine üble Nachrede über sein Staatsoberhaupt, wenn dieses sich i n Schweden aufhält, oder über seinen Repräsentanten i n Schweden verletzt worden, kann der Ankläger die Tat ohne die soeben erwähnte Einschränkung anklagen. Stattdessen w i r d i n einem solchen F a l l eine Anordnung der Anklage durch die Regierung oder den von ihr damit Beauftragten erfordert. Die üble Nachrede zum Nachteil eines Verstorbenen kann von den Angehörigen oder, wenn die Anklage aus besonderen Gründen unter allgemeinen Gesichtspunkten erforderlich erscheint, vom Ankläger angeklagt werden. Verunglimpfung (förolämpning) Die andere Form der Ehrenkränkung ist die Verunglimpfung, worüber i n 5:3 Bestimmungen enthalten sind. Die Verunglimpfung w i r d i m Gesetz als Schmähung eines anderen durch eine kränkende Beschimpfung oder Beschuldigung oder durch ein anderes schimpfliches Verhalten i h m gegenüber beschrieben. 23*
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Das schwedische Strafrecht
Bezeichnend für dieses Delikt ist, daß es sich gegen den Beleidigten selbst richtet. Enthält die Tat außerdem beleidigende Äußerungen gegenüber einer dritten Person, liegt üble Nachrede vor und ist nur die Bestimmung über die üble Nachrede anwendbar. Unter Verunglimpfung fallen Schimpfworte und beschimpfende Drohungen oder Beschuldigungen (sog. Verbalinjurien), schimpfliche Handlungen, Darstellungen und dergleichen (Formalinjurien) sowie die verachtungsvolle Behandlung des Körpers eines anderen, z.B. durch Anspucken (Realinjurien). I n bestimmten Fällen können jedoch Realinjurien andere Tatbestände erfüllen, ζ. B. Belästigung gemäß 4:7 (s. o.) oder unzüchtiges Verhalten gemäß 6:6 (s. u.). Es ist denkbar, daß die Verunglimpfung zuweilen straffrei aus entsprechenden Gründen wie die üble Nachrede bleibt, nämlich wenn sie aufgrund von Umständen, ζ. B. w e i l der Verletzte den Angriff provoziert hat, angemessen erscheint. Die Strafe für Verunglimpfung ist Geldstrafe oder, wenn die Tat schwer ist, Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Wegen dieser Straftat kann Anklage i n der Regel nur vom Verletzten erhoben werden. Hinsichtlich einer Verunglimpfung, durch die ein ausländischer Staat verletzt wird, gilt jedoch dasselbe, das zur Verletzung durch eine üble Nachrede gesagt worden ist. Verunglimpfung eines anderen i n oder wegen seiner Amtstätigkeit kann des weiteren vom Ankläger angeklagt werden, wenn der Verletzte die Straftat angezeigt und die Anklage aus besonderen Gründen unter allgemeinen Gesichtspunkten erforderlich erscheint.
I L Straftaten gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie Straftaten gegen die Sittlichkeit Die Straftaten gegen die Sittlichkeit i m B r B Kap. 6 haben hauptsächlich solche Handlungen zum Gegenstand, die entweder einen Angriff auf die sexuelle Freiheit des Individuums oder auf sexuelle Integrität i m übrigen darstellen oder i n sexueller Hinsicht einen Übergriff gegen Kinder und Jugendliche bedeuten. Zu der erstgenannten Kategorie gehören Notzucht und freiheitsverletzende Unzucht und zu den letzteren u. a. Unzucht m i t Jugendlichen oder die Verführung von Jugendlichen. I n diesem Kapitel werden jedoch auch einige andere Handlungen m i t Strafe bedroht, die die Gesellschaft aus Gründen des Anstandes und aus sozialer Rücksicht nicht tolerieren w i l l , ζ. B. Unzucht m i t A b kömmlingen, Unzucht unter Geschwistern, Kuppelei und Förderung von Unzucht.
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Früher wurden die Handlungen der meisten Sittlichkeitsdelikte als Unzucht bezeichnet. Es herrschte jedoch eine gewisse Unklarheit darüber, was dieser Ausdruck bedeutete. I m B r B ist dieser Ausdruck daher i n einigen Fällen m i t „Beischlaf" und m i t „geschlechtlichen Handlungen" i n anderen Fällen ersetzt worden. M i t „Beischlaf" ist i m B r B ein normaler Beischlaf zwischen Mann und Frau i. S. des allgemeinen Sprachgebrauchs gemeint. Der Beischlaf braucht jedoch nicht vollendet zu sein; es ist ausreichend, daß die Geschlechtsteile einander berührt haben. Geschlechtliche Handlung bedeutet Beischlaf sowie andere sexuelle Handlungen zwischen zwei Personen verschiedenen oder desselben Geschlechtes, die typischerweise darauf zielen, die sexuellen Triebe beider oder eines einzelnen zufriedenzustellen oder zu wecken. Samenerguß ist nicht erforderlich. Hinsichtlich der Frage einer anderen geschlechtlichen Handlung als Beischlaf zwischen Personen verschiedenen Geschlechts (heterosexueller Geschlechtsverkehr) ist i n erster Linie an Beischlafsversuch und beischlafsähnliche Handlungen gedacht. Geschlechtliche Handlungen dieser A r t können auch darin bestehen, daß der Mann m i t seinem Geschlechtsorgan andere Teile des weiblichen Körpers als dessen Geschlechtsorgane berührt. I n der Regel w i r d eine direkte körperliche Berührung erfordert, aber eine geschlechtliche Handlung kann auch i n anderen Fällen vorliegen. Die Berührung muß i n der Regel auf eine bestimmte Dauer gerichtet sein; eine bloß flüchtige Berührung des Geschlechtsorgans ist kaum als geschlechtliche Handlung anzusehen. Bei homosexuellen Handlungen gilt dasselbe. Als geschlechtliche Handlung werden solche Verhaltensweisen angesehen, die dem normalen Geschlechtsverkehr i n heterosexuellen Fällen entsprechen. Als geschlechtliche Handlungen werden nur Handlungen zwischen Menschen verstanden. Sexualhandlungen mit Tieren werden somit von diesem Ausdruck nicht erfaßt. Notzucht (väldtäkt) Kapitel 6 w i r d mit einer Bestimmung über die Notzucht eingeleitet (6:1). Diese Straftat liegt vor, wenn jemand eine Frau m i t Gewalt gegen sie oder mit einer Drohung, die eine unmittelbare Gefahr bedeutet, zum Beischlaf zwingt. Für Notzucht w i r d also Zwang zum Beischlaf gefordert. Die Tat ist strafbar, auch wenn ein verheirateter Mann den Beischlaf mit seiner Ehefrau erzwingt. Der Zwang soll ein sogenannter Raubzwang (s. u. bei Raub) sein, d. h. entweder aus Körperverletzungen oder Beeinträchtigung der körperlichen Bewegungsfreiheit oder einer Drohung, die eine erste Gefahr für Leib oder Gesundheit oder ein anderes wichtiges Interesse darstellt, bestehen. M i t Gewalt w i r d gleichgestellt, daß jemand i n Ohnmacht oder einen anderen solchen Zustand versetzt wird. Es w i r d jedoch gefordert, daß die Frau gegen ihren W i l -
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Das schwedische Strafrecht
len i n einen solchen machtlosen Zustand versetzt worden ist. Eine Frau zu verleiten Schnaps zu trinken, u m dann, wenn sie vollkommen betrunken ist, den Beischlaf m i t ihr auszuüben, ist somit keine Notzucht. Dagegen kann die Handlung als freiheitsverletzende Unzucht strafbar sein (s. u.). Die Straftat der Notzucht ist m i t Rücksicht auf ihren Schweregrad aufgeteilt i n zwei Formen: Notzucht (6:1), und wenn die Tat minderschwer ist, Erzwingung des Beischlafs (6:2). Als eine Erzwingung des Beischlafs kann die Tat angesehen werden, wenn beispielsweise der Täter früher i n einer Ehe oder sonst m i t der Frau i n intimer Verbindung gestanden hat oder wenn die Frau eine Annäherung von Seiten des Mannes gestattet oder dazu ermuntert hat. Die Strafe für Notzucht ist Gefängnis von zwei bis zehn Jahre, während die Strafe für Erzwingung des Beischlafs Gefängnis bis vier Jahre ist. Der Versuch dieser Taten ist strafbar. Hinsichtlich der Anklage gelten für die Notzucht besondere Regeln. Zunächst darf der Ankläger eine solche Tat nur anklagen, wenn die Verletzte sie anzeigt oder eine Anklage aus allgemeinen Gesichtspunkten erforderlich erscheint. Diese Begrenzung des Anklagerechts geschieht m i t Rücksicht auf die Frau, die manchmal großen Unannehmlichkeiten durch eine Anklage und einen Prozeß wegen einer gegen sie verübten Notzucht ausgesetzt wird. Das Anklagerecht ist jedoch auch zeitlich so begrenzt, daß der Ankläger keine Anklage wecken darf, wenn seit der Tat sechs Monate verflossen sind, es sei denn, daß vor Ablauf dieser Zeit eine Anzeige erstattet worden ist oder nachweisbar ein triftiger Entschuldigungsgrund vorgelegen hat. Nach Ablauf der Sechsmonatsfrist darf auch die Verletzte selbst keine Anklage wegen der Tat erheben, wenn sie nicht einen triftigen Entschuldigungsgrund hat. Erscheint die Anklage aus allgemeinen Gesichtspunkten erforderlich — ζ. B. wenn die Frau infolge der Körperverletzung gestorben ist — darf der Ankläger jedoch auch nach Ablauf der sechs Monate die Klage erheben. Zweck dieser Verjährungsregelung ist es u. a., der Frau die Möglichkeit zur Erpressung dadurch, daß sie längere Zeit m i t einer Anzeige der Tat droht, zu nehmen. Freiheitsverletzende Unzucht (frihetskränkande otukt) Unter dieser Bezeichnung sind i n 6:2 verschiedene Sittlichkeitsdelikte heterosexueller und homosexueller Natur zusammengefaßt. Eine Gruppe freiheitsverletzender Unzucht w i r d i m Gesetz so beschrieben, daß jemand — ohne daß Notzucht vorliegt — einen anderen zum Beischlaf oder anderem geschlechtlichen Verkehr mittels Nötigung oder
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durch schweren Mißbrauch der abhängigen Stellung des Genötigten zwingt. Die Tat kann also aus allen A r t e n hetero- oder homosexueller geschlechtlicher Handlungen (hinsichtlich der Bedeutung dieses Ausdrucks (s. o.) bestehen — auch darin, daß eine Frau die Tat gegen einen Mann verübt. Das Opfer soll zu der Handlung durch Nötigung, womit dasselbe gemeint ist wie i n dem Tatbestand über die Nötigung i n 4:4 (s. o.), oder durch schweren Mißbrauch seiner abhängigen Stellung gezwungen werden. Das Abhängigkeitsverhältnis kann seinen Grund ζ. B. i n einem Anstellungs- oder Gehorsamsverhältnis, i n dem Verhältnis, das i n einer Anstalt zwischen dem Personal und den Insassen besteht, haben oder darin, daß das Opfer für den Erwerb von Narkotika auf den Täter angewiesen ist. Eine andere Gruppe von Fällen, die zu der freiheitsverletzenden U n zucht zählen, besteht i n geschlechtlichen Handlungen m i t einem anderen unter unzulässiger Ausnutzung des Umstandes, daß dieser bewußtlos ist oder sich i n einem anderen hilflosen Zustand befindet. Hierher gehört auch für geschlechtliche Handlungen m i t einer Frau die Ausnutzung des Umstandes, daß sie sich aus eigenem Entschluß total betrunken hat. Freiheitsverletzende Unzucht liegt schließlich vor, wenn jemand geschlechtliche Handlungen m i t einem anderen vornimmt unter unzulässiger Ausnutzung der Tatsache, daß dieser geisteskrank oder geistesschwach ist. Für die Strafbarkeit ist schließlich nötig, daß der Täter gewußt hat, daß sein Partner geisteskrank oder geistesschwach war. Die Strafe für freiheitsverletzende Unzucht ist Gefängnis bis zu vier Jahren. Hinsichtlich der Anklage gelten für diese Tat dieselben Regeln wie für die Notzucht. Unzucht mit Kindern (otukt med barn) N i m m t jemand geschlechtliche Handlungen m i t Kindern unter 15 Jahren vor, w i r d er wegen Unzucht m i t Kindern (6:3) verurteilt. Die Bestimmung gilt für Kinder beiderlei Geschlechts. Für die Bestrafung w i r d erfordert, daß der Täter gewußt hat, daß das K i n d keine 15 Jahre alt war oder — gemäß einer Sondervorschrift i n 6:9 — daß er begründete Veranlassung hatte, dies anzunehmen. Die Strafe für Unzucht m i t Kindern ist Gefängnis bis zu vier Jahren. Ist die Tat schwer, z. B. wenn der Täter sich besonders rücksichtslos an dem K i n d vergreift, ist die Strafe Gefängnis von zwei bis acht Jahre. Der Versuch der Unzucht mit Kindern ist strafbar. Ist der Alters- und Entwicklungsunterschied zwischen dem Täter und dem Opfer gering — es hat z. B. ein fünfzehnjähriger Junge geschlecht-
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liehe Handlungen m i t einem vierzehnjährigen Mädchen vorgenommen — darf die Tat vom Ankläger nicht angeklagt werden, es sei denn, daß die Anklage aus allgemeinen Gesichtspunkten erforderlich ist. Unzucht mit Jugendlichen (otukt med ungdom) Diese i n 6:4 behandelte Straftat bedeutet geschlechtliche Handlungen m i t Jugendlichen über 14 Jahren und ist etwas verschieden ausgeformt bei heterosexuellen und homosexuellen Übergriffen. Bei heterosexuellen geschlechtlichen Handlungen (6:4 Abs. 1) ist die Schutzgrenze 18 Jahre. Geschlechtliche Handlungen mit einer anderen Person des anderen Geschlechts unter 18 Jahren sind strafbar, wenn der Jugendliche unter der Aufsicht des Täters i n einer Schule, Anstalt oder anderen Einrichtung steht oder der oder die Jugendliche sonst unter der Überwachung, Betreuung oder Leitung des Täters stehen. Strafbar sind auch geschlechtliche Handlungen m i t einer Person diesen Alters, wenn dies unter der Ausnutzung ihrer abhängigen Stellung geschieht. Bei homosexuellen geschlechtlichen Handlungen (6:4 Abs. 2) liegen die Altersgrenzen etwas anders. Zunächst w i r d jede geschlechtliche Handlung m i t einer Person desselben Geschlechts bestraft, die noch nicht 18 Jahre alt ist, unter der Voraussetzung jedoch, daß der Täter selbst das 18. Lebensjahr vollendet hat. Ferner werden homosexuelle geschlechtliche Handlungen m i t einer Person unter 20 Jahren bestraft, wenn dies unter den Voraussetzungen (Autoritätsmißbrauch) geschieht, die gemäß 6:4 Abs. 1 die heterosexuellen geschlechtlichen Handlungen m i t einer Person unter 18 Jahren strafbar machen. Auch i n diesem Fall w i r d jedoch gefordert, daß der Täter das 18. Lebensjahr vollendet hat. Wie bei der Unzucht m i t Kindern w i r d auch hier gefordert, daß der Täter gewußt hat, daß das Opfer das vom Gesetz berücksichtigte Alter noch nicht erreicht hat oder daß er vernünftige Veranlassung gehabt hat, es anzunehmen. Die Strafe für Unzucht m i t Jugendlichen ist Gefängnis bis zu vier Jahren. Der Versuch ist strafbar. Hinsichtlich der Anklage wegen Unzucht m i t Jugendlichen gilt dieselbe Begrenzung wie bei der Unzucht mit Kindern, wenn geringe Alters- und Entwicklungsunterschiede zwischen dem Täter und seinem Opfer bestehen.
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Unzucht mit Abkömmlingen und Unzucht mit Geschwistern (otukt med avkomling; otukt med syskon) I n 6:5 w i r d der Inzest („Blutschande") bestraft. I n früheren Zeiten war der Geschlechtsverkehr innerhalb mehrerer Verwandtschafts- und Schwägerschaftsgrade verboten. I m B r B ist jedoch bloß der Inzest m i t nahen Anverwandten, nämlich der Beischlaf m i t einem eigenen K i n d und dessen Abkömmlingen, die Unzucht m i t einem Abkömmling, und der Beischlaf zwischen Vollgeschwistern, Unzucht m i t Geschwistern, beibehalten worden. (Vor 1974 war auch der Beischlaf zwischen Halbgeschwistern strafbar.) Nicht bestraft w i r d jedoch, wer zu einer solchen Tat mittels Nötigung, Zwang oder auf eine andere unzulässige Weise verführt worden ist. Die Strafe für Unzucht m i t Abkömmlingen ist Gefängnis bis zu zwei Jahren und für Unzucht m i t Geschwistern Gefängnis bis zu einem Jahr. Unzüchtiges Verhalten (otuktigt beteende) Diese gemäß 6:6 strafbare Tat besteht aus zwei verschiedenen Typen von Handlungen. Der eine Typ des tinzüchtigen Verhaltens (6:6 Abs. 1) besteht i m Berühren von Kindern unter 15 Jahren auf eine die Sittlichkeit verletzende Weise. Besteht die Handlung i n geschlechtlichen Handlungen, ist sie stattdessen als Unzucht mit Kindern strafbar. Der andere Typ umfaßt andere die Sittlichkeit verletzende Handlungen. I m Gesetzestext werden diese dahin beschrieben, daß man sich vor einem anderen i n anstoßerregender Weise entblößt oder daß man sonst durch Worte oder Handlungen, die offenbar Anstand und Sitte verletzen, anstößig gegenüber einem anderen auftritt. Z u entscheiden, was Anstand und Sitte verletzt, ist zuweilen schwierig. Für die Beantwortung der Frage kann entscheidend sein, gegen wen sich die Handlung richtet. Eine Handlung kann ζ. B. sittlichkeitsverletzend sein, wenn sie vor einem Minderjährigen stattfindet, während es nicht der Fall zu sein braucht, wenn sie vor einem Erwachsenen verübt wird. Die Auffassung über das, was sittlichkeitsverletzend ist, kann auch mit den Zeit- oder Milieuverhältnissen wechseln. Regelmäßig dürfte jedoch das unzüchtige Verhalten i n exhibitionistischen Handlungen bestehen und solche fallen ohne Zweifel unter die Gesetzesstelle. Wenn die Handlung nicht gegen eine bestimmte Person gerichtet ist, sondern dadurch charakterisiert wird, daß sie Anstoß bei einem größeren oder kleineren Kreis von Personen erregt, ζ. B. wenn zwei Personen auf einem öffentlichen Platz Geschlechtsverkehr ausüben, kann die Tat als ärgerniserregendes Benehmen beurteilt werden (16:16).
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Die Strafe für unzüchtiges Verhalten ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu einem Jahr. Kuppelei (koppleri) Wegen Kuppelei w i r d gemäß 6:7 Abs. 1 bestraft, wer die unzüchtige Lebensführung eines anderen fördert oder ausnutzt. Unzüchtige Lebensführung bedeutet i n diesem Zusammenhang, gewohnheitsmäßig außereheliche Verbindungen zufälliger Natur zu haben. I n erster Linie ist selbstverständlich die mehr oder weniger berufsmäßige weibliche oder männliche Prostitution gemeint. Die Förderung einer ständigen freien Verbindung kann also nicht Kuppelei sein. Für die Strafbarkeit w i r d weiter gefordert, daß der Täter gewohnheitsmäßig oder u m des Gewinnes willen handelt. Für Gewohnheitsmäßigkeit reicht es nicht, daß die Tat dieses Typs bei mehr als einer Gelegenheit begangen w i r d ; es w i r d eine gewisse Regelmäßigkeit i n der Tätigkeit gefordert. Kuppelei liegt weiterhin vor, wenn man — auch ohne gewohnheitsmäßig oder ohne Gewinnabsicht — einen anderen, der noch keine zwanzig Jahre alt ist, zu einer unzüchtigen Lebensführung verleitet. Die Strafe für Kuppelei ist Gefängnis bis zu vier Jahren. Ist die Tat schwer, ζ. B. wenn der Täter eine unzüchtige Lebensweise i n größerem Umfang gefördert oder wenn er rücksichtslos einen anderen ausgenützt hat, ist die Strafe Gefängnis von zwei bis sechs Jahre. Förderung der Unzucht (främjande av otukt) Die Förderung einer zufälligen geschlechtlichen Verbindung zwischen anderen, u m sich einen besonderen Gewinn zu verschaffen, ist Förderung von Unzucht gemäß 6:7 Abs. 3. I m Gegensatz zu der Hauptform der Kuppelei w i r d hier weder Gewohnheitsmäßigkeit noch die Förderung einer unzüchtigen Lebensführung verlangt. Unter dieses Delikt fällt ζ. B., daß ein Hotelportier gegen Entgelt, das den gewöhnlichen Preis übersteigt, ein Zimmer an ein Paar vermietet, das sich zufällig getroffen hat und beabsichtigt, Geschlechtsverkehr auf dem Zimmer auszuüben. Auch ein Taxichauffeur, der gegen besondere Bezahlung einem Fahrgast hilft, eine Prostituierte zu finden, dürfte gemäß dieser Gesetzesstelle strafbar sein. Die Strafe für Förderung von Unzucht ist Geldstrafe oder Gefängnis bis 6 Monate.
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Verführung eines Jugendlichen (förförelse av ungdom) Verschafft man sich eine gelegentliche Geschlechtsverbindung m i t einem Minderjährigen oder versucht man, sich eine solche zu verschaffen dadurch, daß man ein Entgelt verspricht oder gibt, macht man sich gemäß 6:8 der Verführung eines Jugendlichen strafbar. Die Altersgrenze ist für heterosexuelle Verbindungen 18, für homosexuelle Verbindungen 20 Jahre. Die Bestimmung bezweckt, den Jugendlichen dagegen zu schützen, i n die heterosexuelle oder homosexuelle Prostitution hineingezogen zu werden, und richtet sich vor allem gegen die Ausnutzung Jugendlicher i n der Straßenprostitution und ähnlichen Verhältnissen. Erforderlich ist, daß das, was gegeben oder versprochen wird, eine wirkliche Vergütung ist. Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten.
Straftaten gegen die Familie I m B r B Kap. 7 werden bestimmte gegen die Familie als gesellschaftliche Institution gerichtete Straftaten behandelt. Wegen Doppelehe w i r d bestraft eine verheiratete Person, die eine neue Ehe schließt oder eine unverheiratete Person, die eine Ehe m i t einer bereits verheirateten Person eingeht. Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Ein Fall familienrechtlichen Betrugs w i r d i n 7:3 bestraft. Wegen Verfälschung der Familienstellung w i r d nämlich bestraft, wer ein K i n d verbirgt oder vertauscht oder wer auf andere Weise durch die Abgabe einer unrichtigen Anmeldung gegenüber einer Behörde oder durch die Unterlassung einer Anmeldung sich oder einem anderen eine falsche Familienstellung anmaßt oder einen anderen seiner richtigen Familienstellung beraubt. Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Der Versuch ist strafbar. Wenn ein Dritter unbefugt ein K i n d unter 15 Jahren von dem Sorgeberechtigten trennt, liegt Eigenmächtigkeit mit einem Kind vor (7:4). Gleiches gilt, wenn ein Ehegatte ohne beachtenswerte Gründe eigenmächtig ein K i n d unter 15 Jahren entführt, über das beide Gatten die Personensorge haben, oder wenn ein Ehegatte oder ein anderer, dem das Sorgerecht über ein solches K i n d übertragen werden soll, sich eigenmächtig des Kindes bemächtigt und sich selbst zu seinem Hecht verhilft. Die Strafe kann also den treffen, der nach einem Gerichtsbeschluß, der i h m die Personensorge über das K i n d überträgt — viel-
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leicht unter herzzerreißenden Szenen — sich das K i n d holt, ohne die gesetzlichen Formalitäten für die Vollstreckung des Beschlusses zu veranlassen. Dagegen ist es gestattet, selbst das K i n d zu holen, wenn darüber keine Uneinigkeit besteht. Der Straftatbestand ist nämlich nur für solche Fälle gedacht, i n denen es sich u m Eigenmächtigkeit handelt. N i m m t die unbefugte Handlung an dem K i n d die Form einer w i r k lichen Freiheitsberaubung an, t r i t t an Stelle der Strafbarkeit wegen Eigenmächtigkeit m i t einem K i n d die Strafe für Menschenraub, ungesetzliche Freiheitsberaubung oder für Versetzung i n eine Notlage gemäß B r B Kap. 4 (s. Sachregister). Die Strafe für Eigenmächtigkeit m i t einem K i n d ist Geldstrafe oder Gefängnis bis sechs Monate. Weil es sich hier um schwierige Fälle handelt und die Frage einer Anklage mit besonderer Vorsicht gehandhabt werden muß, darf diese Tat vom Ankläger nur angeklagt werden, wenn es aus allgemeinen Gesichtspunkten erforderlich ist.
I I I . Straftaten gegen das Vermögen Die Bestimmungen über die Vermögensdelikte befinden sich i m B r B Kap. 8 - 1 2 . Die Vermögensdelikte werden folgendermaßen gruppiert. Kapitel 8 enthält Diebstahl, Raub, eigenmächtiges Verfahren und bestimmte andere m i t diesen Delikten verwandte Straftaten. I n Kapitel 9 sind aufgeführt Betrug und andere Unredlichkeitsdelikte, Erpressung, Wucher und Hehlerei, i n Kapitel 10 Unterschlagung, Untreue gegen den Auftraggeber und andere Untreuedelikte, i n Kapitel 11 Schuldnerdelikte und i n Kapitel 12 die Schadenszufügung.
Wegnahmedelikte Diebstahl, Entwendung und Entwendung innerhalb einer Gemeinschaft (stöld, snatteri, bodräkt) Das wichtigste der i m B r B Kap. 8 behandelten Delikte ist der Diebstahl, die häufigste aller ernsteren Gesetzesübertretungen. Gemäß 8:1 liegt Diebstahl vor, wenn man unbefugt eine Sache, die einem anderen gehört, m i t der Absicht an sich nimmt, sie sich zuzueignen, vorausgesetzt, daß der Zugriff einen Schaden bedeutet. So w i r d Diebstahl zunächst dadurch charakterisiert, daß der Täter unerlaubt etwas nimmt, daß einem anderen gehört, oder anders ausgedrückt, sich der unerlaubten Wegnahme einer Sache eines anderen schuldig macht. Hat man die
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Erlaubnis, eine Sache an sich zu nehmen, ist es also kein Diebstahl, sondern eine andere Straftat, ζ. B. Betrug oder Unterschlagung, wenn man den Eigentümer einer solchen i n eigenen Gewahrsam genommenen Sache beraubt. I n einem Selbstbedienungsladen an der Kasse vorbeizugehen, ohne die Waren vorzuzeigen, die man i m Geschäft an sich genommen hat, w i r d nunmehr gewöhnlich als Diebstahl oder Entwendung (d. h. Diebstahl geringwertiger Sachen) beurteilt, obwohl man ja der Ansicht sein müßte, daß der Kunde die Erlaubnis des Geschäftsinhabers hatte, Waren i m Geschäft an sich zu nehmen. Eine Wegnahme ist nicht nur dann unerlaubt, wenn der Täter die Sache ohne Zustimmung des Gewahrsamsinhabers nimmt, sondern auch i n bestimmten anderen Fällen, wenn die weggenommene Sache i n keines Menschen Gewahrsam steht. So w i r d ζ. B. als Diebstahl bestraft die Wegnahme von Sachen von einer Leiche oder von auf einem Grabe niedergelegten oder angebrachten Gegenständen. Das Ansichnehmen von Fundsachen ist dagegen nicht als unerlaubte Wegnahme zu beurteilen, sondern ist eine völlig zulässige Handlung. Dagegen kann man wegen Fundverheimlichung oder unbefugter Verfügung (s. darüber unten) bestraft werden, wenn man Fundstücke ohne eine entsprechende Anmeldung bei der Polizei behält. Ist ein Gegenstand nur zufällig verlegt oder vergessen worden, gehört er rechtlich gesehen doch nicht zu den Fundsachen, und die Wegnahme eines solchen Gegenstandes kann somit zur Bestrafung wegen Diebstahls führen. Oft ist jedoch die Entscheidung schwer, ob ein Gegenstand als Fundgegenstand oder als ein nur zufällig verlegter oder vergessener Gegenstand anzusehen ist. Als Regel kann man sagen, daß eine Sache nicht als Fundsache betrachtet werden darf, wenn der frühere Inhaber sich i n der Nähe befindet und weiß, wo er die Sache finden wird. U m die Anwendung dieser Regel zu illustrieren, sollen hier einige Beispiele angeführt werden. Ein Offizier hatte während einer M i l i t ä r übung seinen Uniformmantel auf einen Zaun gehängt. Als die Truppe verlegt wurde, wurde der Mantel vergessen. Eine Person, die später am Tag den Mantel fand, m i t nach Hause nähme und behielt, wurde wegen Diebstahls verurteilt. — Eine Besucherin vergaß ihre Handtasche i m Haus einer Bekannten. Diese eignete sich den Inhalt der Tasche zu und wurde deswegen wegen Diebstahls verurteilt. — Diebstahl wurde nicht angenommen i n Fällen, i n denen jemand auf öffentlicher Landstraße einen an einen anderen adressierten Brief gefunden und aus diesem Geld entwendet hatte oder jemand ein Fahrrad an sich genommen hatte, das längere Zeit am Wegrand gestanden hatte. Weiter gilt, daß Gegenstände, die i n öffentlichen Verkehrsmitteln wie Eisenbahn, Straßenbahn, Omnibus oder Passagierdampfer, oder
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innerhalb des Gebiets, das zu dem Verkehrsunternehmen gehört, liegengelassen worden sind, nicht als Fundsachen betrachtet werden. So wurde wegen Diebstahls verurteilt jemand, der i n einem Eisenbahnwagen eine liegengelassene Geldbörse an sich genommen hatte, ohne den Fund dem Bahnpersonal anzumelden. Ebenso wurde jemand wegen Diebstahls verurteilt, weil er eine auf dem Deck eines Dampfers liegengebliebene Handtasche an sich genommen und sich ihren Inhalt zugeeignet hatte. I n diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß eine unerlaubte Wegnahme auch vorliegen kann, wenn der Täter es unterläßt, den gestohlenen Gegenstand vom Tatort m i t sich zu nehmen, wenn er nur durch die Ansichnahme des Gegenstandes die Möglichkeiten des Eigentümers erschwert, die Sache wiederzubekommen. Ein Schornsteinfeger, der einen Sack Kaffee auf dem Dach eines Hausbodens, wo er gearbeitet hatte, gefunden und an einer anderen Stelle des Dachbodens versteckt hatte, u m i h n später bei einer besseren Gelegenheit zu holen, wurde wegen Diebstahls verurteilt. Dasselbe Schicksal traf eine Wäscherin, die während ihrer Arbeit i n dem Haus eines anderen eine Brieftasche aus einer Schreibtischschublade nahm und diese i n der Diele zwischen irgendwelchen Sachen und der Dielenwand versteckte i n der Absicht, sich bei einer günstigeren Gelegenheit Geld aus der Brieftasche zu nehmen. Schließlich ist festzustellen, daß eine Bestrafung wegen Diebstahls nicht erfolgen kann, wenn die Wegnahme zwar unerlaubt ist, aber der Täter irrigerweise glaubte, daß er ein Recht hatte, die Sache an sich zu nehmen, ζ. B. wenn er durch ein Mißverständnis zu der Auffassung gelangt ist, daß der Eigentümer seine Zustimmung zu seiner Handlung gegeben habe. Gegenstand des Diebstahls kann nur die Sache eines anderen sein. Dringt jemand i n ein Leihhaus ein und holt er seine eigene Uhr heraus, die er dort zum Pfand gegeben hat, macht er sich nicht des Diebstahls schuldig. Die Tat ist jedoch nicht straffrei, sondern als eigenmächtiges Verfahren zu betrachten (s. u.). Diebstahl liegt auch nicht vor, wenn ich eine Sache wegnehme, von welcher ich fälschlicherweise glaube, daß sie einem anderen gehört, sie aber i n Wirklichkeit m i r gehört. Bestraft w i r d auch nicht, wer i m Glauben, daß es seine eigene Sache sei, die Sache eines anderen wegnimmt. Als Beispiel hierzu möge folgender Fall angeführt werden: Ein Apfelbaum i n einem Garten streckt seine Zweige über das angrenzende Grundstück. Der Eigentümer dieses Grundstücks glaubte, daß die Äpfel, die über seinem Grundstück hängen, i h m gehören und pflückte sie ab. Er wurde freigesprochen, als er später wegen Diebstahls der Äpfel angeklagt war.
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Wild, das sich auf dem Jagdgebiet einer Person aufhält, w i r d nicht als dieser gehörig angesehen, bevor sie es getötet oder gefangen hat. Dasselbe gilt von Fischen, die sich i m Fischwasser einer Person befinden. Unerlaubte Jagd und unerlaubtes Fischen gehören daher nicht zum Diebstahl, sondern stellen den Gegenstand für eine mildere Bestrafung gemäß besonderer Bestimmungen i m Jagdgesetz und i m Fischereigesetz dar (vgl. Abteilung Jagd und Fischen). Kann dagegen gesagt werden, daß das W i l d oder der Fisch w i r k l i c h einer bestimmten Person gehört, was der Fall ist, wenn sich das W i l d i n einem umhegten Jagdpark oder i n einem Käfig und der Fisch i n einem Teich oder Sumpf aufhält, führt die Wegnahme von Tieren zur Bestrafung wegen Diebstahls. Jedoch kann nicht alles, was einem anderen gehört, Gegenstand eines Diebstahls sein. Für den Diebstahl w i r d nämlich gefordert, daß die Tat einen wirtschaftlichen Gewinn für den Täter und einen wirtschaftlichen Schaden für den Eigentümer darstellt. Daraus folgt, daß die Wegnahme an und für sich wertloser Gegenstände m i t sogenanntem Affektionswert, d. h. von Sachen, die aus Gefühlsgründen für den Eigentümer von Wert sind, aber auf dem allgemeinen M a r k t keinen Wert haben, ζ. B. Briefe, nicht als Diebstahl bestraft wird. Anders stellt es sich dar, wenn die Gegenstände Marktwert haben ζ. B. Briefe eines bekannten Dichters, die als Autographen verkauft werden können. Nicht bloß Geld und Gegenstände, die an und für sich Wert auf dem allgemeinen Markt haben, wie Schmuck, Kleider, Möbel usw., sondern auch Gegenstände, die einen bestimmten Wert repräsentieren, wie ζ. B. Wertpapiere verschiedener A r t — Schuldbriefe, Wechsel, Schecks, Aktien, Sparbücher und Pfandquittungen — können Gegenstand eines Diebstahls sein. Dasselbe gilt auch für Identitätskarten, Rationierungskarten, Erlaubnispapiere und andere Urkunden, die zum Bezug rationierter Waren berechtigen. Z u m Diebstahl w i r d weiter gefordert, daß der Täter die unerlaubte Wegnahme der Sache eines anderen i n der Absicht durchgeführt hat, sich diese Sache zuzueignen. Damit ist gemeint, daß der, der die Sache nimmt, die Absicht hat, sie i n sein Eigentum zu überführen und definit i v den Eigentümer des Rechts über sie zu berauben. Das kann dadurch geschehen, daß er die Sache behält, verkauft oder tauscht oder, wenn es sich u m Verbrauchsartikel handelt, ζ. B. Lebensmittel oder Treibstoffe, das gestohlene Gut verbraucht. Beabsichtigt der Täter nur, den Gegenstand zu entleihen und danach dem Eigentümer zurückzugeben, macht er sich nicht eines Diebstahls, sondern eines eigenmächtigen Verfahrens schuldig. Die Grenzziehung zwischen Diebstahl und eigenmächtigem Verfahren ist oft schwer, wenn es die Wegnahme von Transportmitteln gilt.
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Es ist ja nicht ungewöhnlich, daß jemand ein Fahrrad oder ein Auto „leiht" und m i t diesem ein Stück des Weges fährt, u m es dann auf der Landstraße oder auf einem Parkplatz stehenzulassen. I m B r B hat man versucht, diese Schwierigkeiten, soweit es sich u m motorgetriebene Transportmittel handelt, durch die Einführung einer besonderen Bestimmung i n 8:7, m i t einer Bestrafung wegen Wegnahme von Transportmitteln, zu lösen (s. darüber unten). Diebstahl liegt jedoch vor, wenn der Täter das Fahrzeug wegnimmt, u m es zu behalten, zu verkaufen oder auszuschlachten. Der Diebstahl ist vollendet, auch wenn es dem Täter bei seiner Entdeckung nicht gelungen war, sich das Gestohlene zuzueignen. So ist vollendeter Diebstahl anzunehmen, wenn jemand i n einen Laden einbricht und eine Menge Waren i n einem Sack zusammensammelt, aber von der Polizei festgenommen wird, bevor er den Laden verlassen kann. Charakteristisch für den Diebstahl ist schließlich, wie oben angedeutet, daß er auf der einen Seite einen wirtschaftlichen Gewinn für den Täter, auf der anderen Seite einen wirtschaftlichen Schaden für den Eigentümer bedeutet. Daraus folgt, daß man wegen Diebstahls nicht bestraft werden kann, wenn man eine Sache wegnimmt, u m diese sofort zu zerstören, ζ. B. die U h r eines anderen wegnimmt und sie i n den See wirft. I n einem solchen Fall entsteht zwar dem Eigentümer ein Schaden, aber dem Täter kein Gewinn. Die Handlung w i r d nur als eigenmächtiges Verfahren oder Schadenszufügung bestraft. Aus denselben Gründen ist es kein Diebstahl, wenn man den Kanarienvogel eines anderen aus dem Käfig entfliegen läßt. Weiter w i r d wegen Diebstahls nicht bestraft, wer Ersatz für das unerlaubt Weggenommene leistet, w e i l dann kein wirtschaftlicher Schaden für den Eigentümer entsteht. Die Bestrafung wegen Diebstahls ist sogar ausgeschlossen, wenn kein Entgelt gegeben wird, der Täter aber die Möglichkeit zum Schadensersatz hat und aus den Umständen hervorgeht, daß er die Absicht gehabt hat, ein Entgelt zu entrichten. Solche Handlungen sind natürlich nicht straffrei, sondern sind regelmäßig als eigenmächtiges Verfahren anzusehen. Es ist nicht immer notwendig, daß der Gewinn aus dem Diebstah] dem Täter zugute kommt. Die Bestrafung wegen Diebstahls erfolgt auch dann, wenn der Täter absichtlich einem anderen einen Gewinn verschafft, ζ. B. wenn er das Gestohlene wegschenkt. So liegt Diebstahl auch vor, wenn der Schaden einen anderen als den Eigentümer trifft, ζ. B. das Pfandhaus, wo die gestohlene Sache beliehen worden ist, oder eine Versicherungsgesellschaft, bei der für die Sache eine Diebstahlsversicherung abgeschlossen ist.
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M i t Rücksicht auf die Tatumstände w i r d der Diebstahl i n drei Grade eingeteilt. Die leichteste Form eines Diebstahls nennt man Entwendung (8:2), die sozusagen normale Form Diebstahl (8:8) und die schwerste Form schweren Diebstahl (8:4). Außerdem gibt es eine besondere, m i t einer milden Strafe bedrohte Form des Diebstahls, die sogenannte Entwendung innerhalb einer Gemeinschaft (8:3). Nach dem Strafgesetz wurde ursprünglich die Grenze zwischen Entwendung und Diebstahl m i t Rücksicht auf den Wert des Weggenommenen so gezogen, daß Diebstahl vorlag, wenn der Wert der weggenommenen Sache 15 und später 30 Kronen überstieg, während die Wegnahme als Entwendung verurteilt wurde, wenn der Wert diesen Betrag nicht überstieg. Diese bestimmte Wertgrenze ließ man 1942 fallen, und bei der Entscheidimg darüber, ob eine Tat als Entwendung oder als Diebstahl zu beurteilen ist, soll man nunmehr überlegen, ob die Tat als leicht m i t Rücksicht sowohl auf den Wert des Weggenommenen als auch auf die übrigen Umstände der Tat angesehen werden kann. Dies bedeutet, daß die Gerichte die Freiheit haben, alle Umstände bei der Begehung der Tat zu beachten, die die Tat als mehr oder weniger schwer erscheinen lassen. Eine Wegnahme von Sachen von verhältnismäßig großem Wert kann somit als Entwendung angesehen werden, wenn die übrigen Umstände mildernd sind, ζ. B. daß die Tat aus Unbedachtsamkeit geschah. Umgekehrt kann eine Wegnahme von Sachen m i t geringem Wert als Diebstahl bestraft werden, wenn die übrigen Umstände erschwerend sind, ζ. B. die Wegnahme rationierter Waren. Die Regierung hat i m Jahre 1972 durch Änderungen i n den Anklägerund Polizeiinstruktionen und i n einem Rundschreiben an die Polizeibehörden (SFS 1972: 23-25) Regeln aufgestellt, u m vorzubeugen, daß mehr bagatellartige Entwendungen Gegenstand einer Anklage oder eines Urteils werden. Dabei hat man an erster Stelle an die Entwendungen von Waren m i t ziemlich niedrigem Wert — i n der Regel unter 20 Kronen — aus Geschäften gedacht. Wenn die Umstände erschwerend sind oder der Beschuldigte sich früher eines Vermögensdeliktes von ähnlicher oder ernsterer A r t schuldig gemacht hat, muß jedoch Anklage erhoben werden. Schwerer Diebstahl liegt nach der Ausdrucksweise des Gesetzes vor, wenn die Tat mit Rücksicht auf die Umstände bei ihrer Begehung als schwer anzusehen ist. Als Beispiele für die Beurteilung werden bestimmte Tatsachen aufgeführt, die die Tat zu einer schweren machen können. Diese Tatbestände sind, daß der Diebstahl mittels Einbruch verübt worden ist, daß er auf Sachen gerichtet war, die jemand bei sich trug, daß der Täter m i t Waffen, Sprengstoffen und ähnlichen Hilfsmitteln versehen war oder daß die Tat sonst von gefährlicher 24 Ausländisches Strafrecht V
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A r t war oder auf Sachen von bedeutendem Wert gerichtet war oder besonders fühlbaren Schaden m i t sich geführt hat. Einbruch ist gegeben, wenn der Täter mittels Gewalt, falscher Schlüssel oder auf ähnliche Weise sich Eintritt i n einen verschlossenen Raum, wo die weggenommene Sache verwahrt wurde, verschafft hat. Diebstahl von Sachen, die jemand bei sich trägt, ist vor allen Dingen der Taschendiebstahl, aber auch die Wegnahme von oder aus einer Handtasche, sogenanntes Taschenreißen und ähnliches. Als Diebstähle besonders gefährlicher A r t können solche genannt werden, bei denen der Täter besondere technische Hilfsmittel angewandt hat, wenn die Tat zu einer fest organisierten diebischen Tätigkeit gehört oder wenn sie von einer ungewöhnlichen Geschicklichkeit oder Verschlagenheit zeugt. Als gefährlicher Diebstahl kann weiter der Diebstahl während eines Brandes, eines Schiffbruchs, einer Verdunkelung oder Evakuierung oder unter anderen Verhältnissen, i n denen die Gesellschaft es schwer hat, sich gegen Straftäter zu wehren, bezeichnet werden. Es ist jedoch zu beachten, daß die Gerichte an die Exemplifizierung des Gesetzes nicht gebunden sind. Es muß nicht immer ein Urteil wegen schweren Diebstahls ausgesprochen werden, wenn die Tat mittels Einbruchs begangen worden ist. Andererseits können auch andere als die aufgeführten Umstände dazu führen, daß die Tat als schwer anzusehen ist. Der bereits erwähnte Schornsteinfeger, der einen Sack Kaffee auf dem Dachboden eines Hauses, i n dem er seine Tätigkeit ausübte, wegnahm, wurde wegen schweren Diebstahls verurteilt, teils weil er das Vertrauen, das der Hauseigentümer einem Schornsteinfeger, der sich i m Hause aufhalten darf, muß entgegenbringen können, verletzt hat, teils weil der Diebstahl eine schwer erhältliche rationierte Ware betraf. Richtig dürfte es sein, eine Tat nicht ohne besonderen Anlaß als schwer zu betrachten. Entwendung innerhalb einer Gemeinschaft liegt vor, wenn jemand einen anderen, der i h m i n bestimmter Hinsicht nahesteht, bestiehlt. Das ist der Fall, wenn ein Miterbe aus dem Nachlaß stiehlt, wenn nahe Angehörige (Gatten, Geschwister, Eltern und Kinder, Adoptiveltern, Adoptivkinder, Pflegeeltern und Pflegekinder) einander bestehlen, während sie zusammenwohnen, und wenn eine Person Sachen wegnimmt, die sie gemeinsam m i t anderen zu Eigentum hat. Die Strafe für Entwendung ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Diebstahl w i r d m i t Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Schwerer Diebstahl führt zu Gefängnis von sechs Monaten bis zu sechs Jahren. Entwendung innerhalb einer Gemeinschaft w i r d m i t Geldstrafe oder m i t Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft.
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Versuch und Vorbereitung zum Diebstahl sind strafbar. Dagegen w i r d nicht bestraft der Versuch oder die Vorbereitung zur Entwendimg oder Entwendung innerhalb einer Gemeinschaft. Dies führt i n der Praxis zu gewissen Schwierigkeiten, weil es oft schwer zu entscheiden ist, ob ein Versuch oder eine Vorbereitung der Wegnahme bei Vollendung der Tat als Entwendung oder als Diebstahl hätte beurteilt werden müssen. Insbesondere hat die Frage, ob die Wegnahme von Waren geringeren Werts i n einem Laden als vollendete Entwendung oder bloß als straffreier Versuch zur Vollendung beurteilt werden soll, Schwierigkeiten bereitet. I n einem Urteil hat der Oberste Gerichtshof jedoch 1972 zu bestimmten hierher gehörenden Problemen Stellung genommen (NJA 1972, S. 253). I n einem Laden ohne Kassensperre hat jemand einen Aschenbecher i m Wert von 60 schwedischen Kronen an sich genommen und i n eine Manteltasche gesteckt. Eine Ladenangestellte beobachtete sein Tun jedoch, und nach einem Hinweis gab er den Aschenbecher heraus, während er noch i m Geschäft war. Er wurde wegen Entwendung angeklagt, aber der Oberste Gerichtshof war der Auffassung, daß eine vollendete Wegnahme nicht vorlag. Weil eine vollendete Wegnahme i n diesem Fall nicht schwerer hätte bestraft werden können als Entwendung oder eigenmächtiges Verfahren (wenn es i h m an ZueignungsVorsatz gefehlt hätte; s. u.) und diese Delikte i m Versuchsstadium nicht strafbar sind, wurde die A n klage verworfen. Der Oberste Gerichtshof erklärte, daß i m Hinblick auf die Entwicklung der gerichtlichen Praxis als allgemeine Regel gelten sollte, daß eine vollendete Wegnahme nicht als gegeben angesehen werde, bevor die Ware aus dem Laden oder bei Warenhäusern m i t deutlich abgegrenzten Abteilungen aus der jeweiligen Abteilung herausgebracht sei. Sind Laden- oder Warenhausabteilungen m i t einer Kassensperre versehen, bedeutet das Passieren der Sperre ganz natürlich, daß die Ware aus dem Laden oder der Abteilung herausgebracht wird. Raub (ran) Ein m i t Diebstahl i n gewisser Weise verwandtes, i n 8:5 behandeltes Delikt ist der Raub. Charakteristisch für den Raub ist, daß der Täter durch Gewalt oder durch Drohung m i t Gewalt wegnimmt oder auf andere Weise sich einen wirtschaftlichen Gewinn erzwingt. Das Mittel, mit welchem der Raub durchgeführt wird, der sogenannte Raubzwang, muß entweder „Gewalt gegen eine Person" oder eine „Drohung, die eine unmittelbare Gefahr bedeutet", sein. M i t „Gewalt gegen eine Person" sind handgreifliche Maßnahmen gegen eine Person gemeint, 24*
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durch die diese mißhandelt oder gezwungen wird. Für eine solche Gewalt reicht es also nicht, daß man rasch eine Sache einer Person entreißt oder einem Schlafenden oder Betrunkenen etwas wegnimmt. Der Gewalt gleichgestellt ist eine Maßnahme, durch die jemand i n Ohnmacht oder einen ähnlichen Zustand versetzt wird. Der Ausdruck „Drohung, die eine unmittelbare Gefahr bedeutet", bezieht sich auf eine unmittelbar bevorstehende Gefahr für das Leben und die Gesundheit oder ein anderes bedeutungsvolleres Interesse einer Person. Raub kommt i n drei verschiedenen Formen vor. Die erste ist Diebstahl mittels Raubzwangs. Die andere Form besteht i n der Gegenwehr mittels Raubs gegen eine Person, die das Diebesgut von dem auf f r i scher Tat ertappten Täter zurückholen w i l l . Streng genommen liegen hier zwei verschiedene Delikte vor, nämlich Diebstahl und Gegenwehr gegen den, der seine Sache zurückholen w i l l . M i t Rücksicht auf den engen Zusammenhang zwischen dem Diebstahl und der Gegenwehr hat der Gesetzgeber es jedoch als richtig angesehen, diesen Fall m i t dem mittels Raubzwangs durchgeführten Diebstahl gleichzustellen. Schließlich bezeichnet man als Raub den Fall, daß jemand mittels Raubzwangs einen anderen zwingt, eine Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen, wodurch der Täter einen Gewinn erhält und der Genötigte einen Schaden leidet. Hierunter fallen Maßnahmen, durch die jemand gezwungen wird, Sachen herauszugeben oder Schuldbriefe oder andere Urkunden auszustellen. Diese Form des Raubes ist nahe verwandt mit der Erpressung, unterscheidet sich aber von dieser dadurch, daß sie mittels Raubzwangs durchgeführt wird, während dagegen die Erpressung m i t anderen Mitteln geschieht. Der Raub ist aufgeteilt i n zwei Grade, Raub (8:5) und schwerer Raub (8:6). Schwerer Raub kann vorliegen, wenn die Gewalt lebensgefährlich war oder der Täter dem anderen eine schwere Körperverletzung oder eine ernsthafte Krankheit zugefügt hat, oder wenn er sonst eine besondere Rohheit gezeigt oder auf rücksichtslose Weise die schutzlose und gefährdete Stellung des Beraubten ausgenützt hat. Die Strafe für Raub ist Gefängnis von einem bis zu sechs Jahren. Für schweren Raub ist die Strafe Gefängnis von vier bis zehn Jahre. Versuch, Vorbereitung und Verabredung zum Raub sowie das Unterlassen der Anzeige des Raubes sind gemäß den allgemeinen Bestimmungen i m B r B Kap. 23 strafbar. Wie oben dargelegt, beziehen sich die Strafbestimmungen gegen Diebstahl und Raub auf unerlaubte Zugriffe auf das Eigentum eines anderen, die mit Zueignungsabsicht geschehen und einen Gewinn für den Täter und einen Schaden für den Eigentümer der weggenommenen Sache bedeuten. Verletzungen des Rechtes, eine Sache zu besitzen
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oder sich m i t ihr zu befassen, die ohne Zueignungsabsicht oder ohne daß Schaden oder Gewinn entsteht, erfolgen, werden durch die Strafbestimmungen über unbefugte Besitzergreifung von Beförderungsmitteln, eigenmächtiges Verfahren und Selbsthilfe verfolgt. Unbefugte Besitzergreifung von Transportmitteln (tillgrepp av fortskaffningsmedel) Dieses Delikt liegt gemäß 8:7 vor, wenn jemand unerlaubt ein einem anderen gehörendes Motorfahrzeug oder anderes Beförderungsmittel wegnimmt und gebraucht. Die Bestimmung ist nicht anwendbar, wenn die Tat gleichzeitig als Diebstahl oder Raub angesehen werden kann. Wie oben angedeutet, ist sie gedacht für solche Fälle der Entwendung von motorgetriebenen Beförderungsmitteln, i n denen der Täter keine Zueignungsabsicht hat. Die Praxis dürfte jedoch dahin führen, daß sie i n der Mehrzahl der Fälle einer Entwendung solcher Beförderungsmittel angewendet wird. Nur wenn es schon aus dem Typ der Tat hervorgeht, daß der Täter die Zueignungsabsicht gehabt hat — ζ. B. wenn er das Fahrzeug verkauft oder es behält und umlackiert, u m die Wiedererkennung zu erschweren, oder es ausschlachtet und die Einzelteile verkauft — werden die Gerichte eine Kraftfahrzeugentwendung wohl als Diebstahl betrachten. Die Bestimmung berücksichtigt nicht nur Kraftfahrzeuge, sondern auch andere motorgetriebene Beförderungsmittel, ζ. B. Motorboote. Auch ein Segelboot mit Hilfsmotor an Bord dürfte als ein motorgetriebenes Beförderungsmittel anzusehen sein. Für die Entwendung von Beförderungsmitteln gelten ungefähr dieselben Strafrahmen wie für Diebstahl. Die Strafe für den Normalfall ist somit Gefängnis bis zwei Jahre; ist die Tat leicht, ist die Strafe Geldstrafe, und ist sie schwer, Gefängnis von sechs Monaten bis vier Jahre. Versuch und Vorbereitung sind strafbar, jedoch nicht, wenn das Delikt i m Fall seiner Vollendung als leicht anzusehen ist. Eigenmächtiges Verfahren (egenmäktigt förfarande) Gemäß 8:8 w i r d das Delikt des eigenmächtigen Verfahrens i n drei verschiedene Formen aufgeteilt. Die erste Form ist die unerlaubte Wegnahme, die nicht als Diebstahl, Raub oder unbefugte Besitzergreifung von Transportmitteln strafbar ist. Wann eine unerlaubte Wegnahme vorliegt, ist i m Zusammenhang m i t der Darstellung des Diebstahls oben näher erörtert worden. Wegen eigenmächtigen Verfahrens w i r d man ζ. B. bestraft, wenn man eine verpfändete Sache sich zurück-
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holt, ohne den auf die Sache geliehenen Betrag zu bezahlen. Eine solche Handlung kann nicht als Diebstahl oder Raub beurteilt werden, weil man nicht die Sache eines anderen, sondern nur eine eigene Sache an sich nimmt. Ebenso ist es ein eigenmächtiges Verfahren, wenn der Täter einem anderen ohne dessen Zustimmung einen Geldbetrag wegnimmt, den der andere i h m schuldig ist, oder wenn er unerlaubt eine Sache an sich nimmt und hierfür vollen Ersatz zahlt. Ein wirtschaftlicher Schaden entsteht i n diesen Fällen nicht, und es liegen daher folgerichtig weder Diebstahl noch Raub vor. Die Entwendung von Gegenständen ohne ökonomischen Wert, ζ. B. von Briefen, ist auch als eigenmächtiges Verfahren zu betrachten. Die andere Form des eigenmächtigen Verfahrens ist gegeben, wenn jemand ohne eine Entwendung zu begehen das Recht eines anderen verletzt, ungestört eine Sache zu besitzen , ζ. B. dadurch, daß er einen Raum verschließt, i n dem der andere das Recht zum Aufenthalt hat, ein Schloß aufbricht, einen Weg absperrt, einen Zaun niederreißt oder auf dem Grundstück eines anderen baut. Die dritte Form des eigenmächtigen Verfahrens umfaßt den Fall, daß jemand durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt einen anderen i n der Ausübung seines Rechtes hindert, eine Sache zu nehmen oder zu behalten. Für diese Form dürfte eine nähere Darstellung am Platze sein. Als Hauptregel gilt i m schwedischen Recht, daß man sich sein Recht nicht selbst holen darf, sondern daß man sich an Gerichte und Vollstreckungsbehörden zu wenden hat, wenn man eine Forderung bezahlt, einen Mieter hinausgesetzt, Diebesgut zurückerstattet haben w i l l usw. I n besonderen Situationen besteht jedoch ein Recht zur sogenannten gesetzlichen Selbsthilfe. Bei einer unerlaubten Wegnahme oder einer anderen Verletzung des Besitzes einer Sache kann der Besitzr oder jemand, der seine Interessen wahrnimmt, ζ. B. seine Familie oder sein Angestellter, unmittelbar, nachdem die Tat begangen ist — während sie noch „frisch" ist — die weggenommene Sache wieder an sich nehmen oder den verletzten Besitz wieder herstellen. Ebenso können Jagd- oder Fischereiberechtigte, die einen Wilderer oder unerlaubt Fischenden antreffen, diesem die Beute und Geräte wegnehmen. Weiter hat der Vermieter das Recht, einen Mieter daran zu hindern, Fahrnisgegenstände fortzuschaffen, bevor dieser die Miete bezahlt oder eine Sicherheit dafür gestellt hat. Setzt sich jemand m i t Gewalt oder durch Drohung m i t Gewalt gegen solch eine gesetzliche Selbsthilfe zur Wehr, macht er sich des eigenmächtigen Verfahrens schuldig. Eigenmächtiges Verfahren w i r d m i t Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Ist das Delikt schwer, ist die Strafe Gefängnis bis zu zwei Jahren.
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Unerlaubte Selbsthilfe (självtäkt) Dieses Delikt besteht i n einer unerlaubten Entwendung oder einem anderen Eingriff i n das Besitztum eines anderen, die der Täter unternimmt, u m sich selbst sein Recht zu holen, obwohl die Situation so ist, daß ein Recht zur gesetzlichen Selbsthilfe nicht gegeben ist. Unerlaubte Selbsthilfe liegt ζ. B. vor, wenn ein Hauswirt ohne Inanspruchnahme der Vollstreckungsbehörden einen Mieter, der trotz Kündigung nicht auszieht, auf die Straße setzt, oder wenn ein Bestohlener sich die gestohlene Sache einige Zeit nach dem Diebstahl zurückholt (nimmt er sie zurück, während die Tat „frisch" ist, liegt die obenerwähnte straffreie gesetzliche Selbsthilfe vor). Die Strafe für unerlaubte Selbsthilfe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Unerlaubte Kraftableitung (olovlig kraftavledning) Ein Verhalten, dessen Bestrafung ursprünglich gewisse Schwierigkeiten bereitet hat, ist die unerlaubte Ableitung elektrischer Energie. Früher wurde eine solche Handlung den Umständen nach entweder als Diebstahl oder als Schadenszufügung beurteilt. Gemäß B r B 8:10 liegt hier nun ein besonderes Delikt vor, die unerlaubte Kraftableitung, für welche die Strafe Geldstrafe oder Gefängnis bis höchstens zwei Jahre ist. Versuch und Vorbereitung der unerlaubten Kraftableitung sind strafbar.
Betrug usw. Erpressung, Wucher und Hehlerei Betrug (bedrägeri) Gemäß BrB 9:1 ist Betrug gegeben, wenn jemand mittels Täuschung einen anderen zu einer Handlung oder einer Unterlassung veranlaßt, die einen Gewinn für den Täter und einen Schaden für den Getäuschten oder denjenigen, den er vertritt, bedeutet. Hieraus geht hervor, daß das Betrugsdelikt drei wichtige Kennzeichen hat: 1. Täuschung eines anderen, die 2. ein Handeln oder Unterlassen auf Seiten des Getäuschten herbeiführt, sowie 3. eine Vermögensverschiebung von dem Getäuschten zu dem Täter. Diese Kennzeichen sollen jedes für sich untersucht werden. Die Täuschung kann entweder i m Hervorrufen eines Irrtums bei einem anderen oder i n der Aufrechterhaltung oder Verstärkung einer unrichtigen Vorstellung, die ein anderer bereits hegt, bestehen. Eine Situation, deren rechtliche Beurteilung m i t bestimmten Schwierigkeiten verbunden ist, liegt vor, wenn jemand nur die fehlerhafte Vorstellung eines anderen ausnützt, ohne sie zu ver-
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stärken oder aufrechtzuerhalten. Beim Kauf eines Grundstücks m i t Geschäftslokalen i n Stockholm geht der Käufer auf einen ungewöhnlich hohen Preis ein, da er i r r i g annimmt, daß i n wenigen Jahren unweit des Hauses eine Untergrundbahnstation angelegt wird. Der Verkäufer, der den I r r t u m des Käufers wohl erkennt, klärt ihn über die richtigen Verhältnisse nicht auf. Ist dies Betrug oder nicht? Die A n t w o r t auf die Frage ist i n gewisser Weise davon abhängig, ob der Verkäufer nach den allgemeinen Anschauungen der Geschäftswelt verpflichtet ist, den Käufer über seinen I r r t u m aufzuklären. Die Grenze zwischen einer unerlaubten Anwendung der Geschäftsgewandheit und einer strafbaren unehrlichen Handlungsweise ist i n solchen Fällen oft schwer zu ziehen. I n dem gewählten Beispiel dürfte der Verkäufer keine A u f klärungspflicht haben. I n anderen Fällen liegt jedoch eine Aufklärungspflicht für einen Vertragskontrahenten vor. W i r d diese mißachtet, kann Strafbarkeit wegen Betruges gegeben sein. Einem bei einer Stadt angestellten Pförtner wurde während vieler Jahre irrtümlich der volle Lohn seitens zwei Gemeindebehörden ausgezahlt, ohne daß der Pförtner anzeigte, daß er auf diese Weise eine doppelte Bezahlung erhielt. Das Gericht war der Auffassung, daß der Pförtner verpflichtet gewesen wäre, die Stadt über ihren I r r t u m aufzuklären, und verurteilte i h n wegen Betrugs. Der Irrtum, der bei dem Getäuschten hervorgerufen wird, kann Verhältnisse der verschiedensten A r t i n Vergangenheit, Gegenwart und auch i n Zukunft betreffen. A l l e falschen Angaben, die bei einer Geschäftstransaktion gemacht werden, können jedoch nicht als so irreführend angesehen werden, als daß sie eine Strafbarkeit wegen Betrugs herbeiführen müssen. Besonders i m Einzelhandel ist es sehr üblich, Waren i n übertriebener Weise anzupreisen. Solange die Reklame sich auf mehr unbestimmte Ausdrücke wie „erstklassig", „außerordentlich", „der Welt beste Schuhcreme" o. ä. beschränkt, kann Strafbarkeit wegen Betrugs nur eintreten, wenn die Ware vollkommen minderwertig ist. Ein Mann verkaufte ein völlig untaugliches Präparat unter der A n gabe, daß dieses ein allgemein angewendetes und bekanntes Imprägnierungsmittel für Korkmatten sei. I n diesem Fall lag Betrug vor, was dagegen nicht der Fall gewesen wäre, wenn das Präparat i n irgendeiner Weise anwendbar gewesen wäre. Behauptet der Verkäufer dagegen wahrheitswidrig, daß die Ware bestimmte Eigenschaften hat, ζ. B. daß eine tuberkulöse K u h reaktionsfrei sei, macht er sich des Betruges schuldig. Auch wenn irreführende Reklame nicht immer als Betrug bestraft werden kann, kann sie jetzt zu Maßnahmen nach dem Gesetz (1970: 412) über unerlaubten Wettbewerb (Verbot, ausgesprochen von dem Marktgericht, und Strafe, auferlegt von dem allgemeinen Gericht) führen.
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Die Täuschung braucht sich nicht nur auf rein tatsächliche Verhältnisse zu beziehen; sie kann auch die Ansichten einer Person betreffen, ζ. B. die Ausführungen eines Sachkundigen hinsichtlich der Qualität einer Ware. Betrug kann auch vorliegen, wenn man einen anderen hinsichtlich seiner eigenen Absicht täuscht. So ist es z.B. strafbar, Geld unter dem Versprechen der Rückzahlung zu leihen, ohne dabei die Absicht zu haben, es jemals zurückzuzahlen, oder durch Vorspiegelung einer baldigen Liquidität sich K r e d i t zu verschaffen, obwohl man nicht daran denkt zu bezahlen. Man kann jedoch Vertragspartnern nicht auferlegen, jederzeit über ihre Absichten einen klaren Bescheid zu geben. Kauft jemand ein Haus m i t der Behauptung, daß er es als Wohnung für sich selbst verwenden w i l l , verkauft er es aber i n W i r k lichkeit nach dem Kauf unmittelbar m i t Gewinn weiter, kann er nicht wegen Betrugs verurteilt werden. Eine klare Grenze zwischen erlaubter Anwendung der Geschäftsgewandtheit und strafbarer Unehrlichkeit ist auch i n diesem Punkt schwer zu ziehen. Man muß sich damit zufriedengeben, festzustellen, daß nur Verhalten, welche gemäß gängiger Auffassung klar unerlaubt sind, als Betrug bestraft werden können. Damit Betrug gegeben ist, w i r d weiter gefordert, daß die Täuschung eine Handlung oder Unterlassung seitens des Getäuschten herbeiführen muß, d. h. daß die Handlung oder Unterlassung nicht vorgenommen wäre, wenn nicht der Täter auf den Getäuschten eingewirkt hätte. Ein Beispiel für eine Unterlassung ist es, die Geltendmachung einer Forderung i n Konkurs oder die Unterbrechung einer Forderungsverjährung zu versäumen. Die Handlung oder Unterlassung kann rechtlicher A r t sein, wie der Abschluß eines Vertrages, ζ. B. eines Kaufs. Gelingt es jemand, einen anderen zu überzeugen, daß eine moderne Imitation ein echtes antikes Möbelstück ist, und bringt er dadurch diesen dazu, das Möbelstück zu kaufen, liegt somit Betrug vor. Die Handlung oder Unterlassung kann auch rein tatsächlich sein. Betrug ist so ζ. B. gegeben, wenn man den Finder eines verlorenen Gegenstandes m i t der Behauptung, man sei der Eigentümer, dazu veranlaßt, die Sache herauszugeben. Die Handlung oder Unterlassung des Getäuschten muß schließlich einen Gewinn für den Täter und einen Schaden für den Getäuschten bedeuten. M i t Gewinn und Schaden werden hier genauso wie beim Diebstahl wirtschaftlicher Gewinn und Verlust verstanden. Gewinn und Schaden sollen i n einem solchen Verhältnis zueinander stehen, daß eine Vermögensverschiebung vom Getäuschten zum Täter stattfindet; der Täter veranlaßt ζ. B. eine Person, eine wertlose Sache zu einem hohen Preis zu kaufen. Dagegen ist es kein Betrug, wenn Gewinn und Verlust nicht i n einem solchen nahen Verhältnis zueinander stehen, ζ. B. wenn jemand einen anderen durch Täuschung veranlaßt, auf ein
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gewinnbringendes Geschäft zu verzichten, und dann selbst dieses Geschäft tätigt. Die Vermögensverschiebung braucht nicht unmittelbar aus der Handlung des Getäuschten zu folgen. I n bestimmten Fällen kann das Resultat der Handlung während einer kürzeren oder läneren Zeit i n der Schwebe sein, und man kann nicht entscheiden, ob Betrug vorliegt, bevor diese Zeit zu Ende gegangen ist. Wer mittels unrichtiger Angabe zu seinem Vorteil einen anderen zur Errichtung eines Testaments veranlaßt, w i r d des Betrugs für schuldig angesehen, wenn der Getäuschte stirbt, ohne das Testament zu widerrufen. Anderenfalls liegt nur ein versuchter Betrug vor. I n der Regel soll jedoch die Frage, ob eine Vermögensverschiebung stattgefunden hat, nach den Zuständen zum Zeitpunkt der Vornahme der Handlung des Getäuschten entschieden werden. Wurde jemand durch Täuschung dazu veranlaßt, Aktien für einen Preis weit über dem Börsenwert zu kaufen, liegt Betrug vor, auch wenn der Wert der Aktien später gestiegen ist. Strafbarkeit wegen vollendeten Betrugs ist auch nicht ausgeschlossen, wenn jemand, der durch Täuschung zum Kauf wertloser Waren veranlaßt wurde, diese unmittelbar zurückgibt und se L n Geld zurückbekommt. Ebenso liegt vollendeter Betrug vor, wenn jemand einen Versicherungsvertrag abschließt und dabei unrichtige Angaben hinsichtlich des Risikos für den Versicherungsfall macht, auch wenn die Versicherungszeit sodann abläuft, ohne daß der Versicherungsfall eintritt. I n einem solchen Fall entsteht übrigens oft ein unmittelbarer Schaden für die Versicherungsgesellschaft dadurch, daß der Versicherungsvertrag geschlossen wird, weil wahrscheinlich eine höhere Prämie festgesetzt worden wäre, wenn der Versicherungsnehmer richtige Angaben gemacht hätte. I n der Regel soll der Gewinn dem Täter selbst zufallen, aber ebenso wie beim Diebstahl t r i t t die Strafbarkeit wegen Betrugs ebenfalls ein, wenn der Täter einem anderen einen Vorteil verschafft. Jedoch muß der Gewinn des anderen vom Täter besonders beabsichtigt sein und darf er für diesen nicht nur eine unwesentliche Nebensache sein. Veranlaßt man durch Täuschung seinen Widersacher, völlig unnötig eine teurere Zugreise zu unternehmen, hat die Eisenbahn gewiß einen Gew i n n davon, aber dieser Gewinn ist für den Täter ein Nebenumstand, und die Tat w i r d daher nicht als Betrug beurteilt. Wie oben angedeutet, ist für das Vorliegen des Betrugs nicht notwendig, daß der aus der Handlung des Getäuschten entstehende Schaden diesen t r i f f t ; es reicht, wenn der Schaden jemanden trifft, den der Getäuschte vertritt. Damit ist gemeint, daß der Getäuschte entweder berechtigt ist — ζ. B. aufgrund einer Vollmacht oder i n seiner Eigenschaft als Vormund oder Treuhänder — Rechtshandlungen vorzunehmen für Rechnung des Geschädigten, oder daß er die tatsächliche Mög-
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lichkeit hat, über das Vermögen des Geschädigten zu verfügen. Betrug liegt somit vor, wenn jemand durch falsche Angaben eine Angestellte dazu bewegt, die Sachen des Hausherrn herauszugeben, oder wenn man jemanden dazu veranlaßt, ein Testament zu errichten, durch welches die gesetzlichen Erben ihres Rechtes beraubt werden. Ein Fall dagegen, i n welchem der Getäuschte nicht i m Sinne des Gesetzes den Geschädigten vertrat, war folgender. Ein Wehrpflichtiger holte an einer Tankstelle eine auf Rechnung eines Truppenverbandes requirierte Menge Benzin ab. Dabei veranlaßte er durch Täuschung den Tankwart, einen Teil des Benzins i n seinen eigenen Wagen abzufüllen. Der aus der Tat entstehende Schaden traf die Staatskasse, aber der Tankwart vertrat nicht die Staatskasse auf eine solche Weise, daß Betrug vorlag. Der Wehrpflichtige konnte aber wegen Amtsmißbrauchs bestraft werden. Wie der Diebstahl w i r d auch das Delikt des Betrugs mit Rücksicht auf die Umstände, unter denen die Tat begangen wurde, i n drei verschiedene Grade eingeteilt. Der leichteste Grad w i r d betrügerisches Verhalten (9:2) bezeichnet, der Zwischengrad Betrug (9:1) und der schwerste Grad schwerer Betrug (9:3). Betrügerisches Verhalten liegt vor, wenn die Tat mit Rücksicht auf den Umfang des Schadens und die übrigen Umstände der Tat als gering anzusehen ist. Betrügerisches Verhalten bedeutet auf dem Gebiet der Betrugsdelikte das Pendant zur Entwendung unter den Diebstahlsdelikten. Außerdem werden als betrügerisches Verhalten bestimmte i m Gesetz angegebene Fälle des Schmarotzens bestraft, d. h. unredliche Verhaltensweisen, die nach der Charakteristik, die oben für dieses Del i k t gegeben worden ist, nicht immer als Betrug angesehen werden können. I m Gesetz werden i n Betracht kommende Verhaltensweisen beschrieben wie Benutzung von Wohnraum, Nahrungsmitteln, Transportmitteln, Eintritt zu einer Vorstellung oder Ähnliches, ohne dafür ein Entgelt zu entrichten, obwohl diese Leistungen nur unter der Voraussetzung der Barbezahlung angeboten werden. Danach w i r d bestraft, wer sich i n einem Hotel einmietet oder eine Mahlzeit in einem Restaurant bestellt und dann ohne Bezahlung abreist oder sich entfernt. Dagegen w i r d nicht bestraft, wer beabsichtigt hat, recht zu handeln, aber sein Geld zu Hause vergessen hat. Die hier gemeinten Verhaltensweisen sind strafbar ohne Rücksicht darauf, ob jemand vom Täter getäuscht wurde oder nicht. Als Beispiel eines Falles, i n dem eine Täuschung nicht vorliegt, kann die i n einem Zug oder auf einem Boot als blinder Passagier durchgeführte Schwarzfahrt genannt werden. Hierher gehört auch der sogenannte Automatenbetrug, der dadurch charakterisiert ist, daß man Münzautomaten ausnutzt, ohne die vorgeschriebene Summe einzuzahlen; man legt ζ. B. Metallstücke oder
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falsche Münzen i n einen Telefonapparat. Bricht man dagegen einen Automaten auf, macht man sich des Diebstahls schuldig. Den hier behandelten Fällen des Schmarotzens w i r d gleichgestellt, wenn jemand, der die Allgemeinheit nach bestimmten Gebührensätzen zu bedienen hat, eine höhere Bezahlung nimmt, ohne darauf hinzuweisen. Hinsichtlich des Schmarotzens sowohl als auch bei Annahme einer höheren Gebühr gilt, daß das Delikt, wenn es nicht als leicht angesehen werden kann, als Betrug behandelt w i r d und, wenn es schwer wird, als schwerer Betrug. Bei der Beurteilung, ob ein Betrug schwer ist, soll besonders beachtet werden, ob der Täter allgemeines Vertrauen mißbraucht hat oder sich einer falschen Urkunde oder irreführenden Buchführung bedient hat oder ob die Tat sonst von besonders gefährlicher Natur war, bedeutende Werte betroffen oder einen besonders fühlbaren Schaden herbeigeführt hat. M i t dem Ausdruck, daß der Täter das allgemeine Vertrauen mißbraucht hat, sind solche Fälle gemeint, i n denen jemand, der aufgrund seiner Stellung oder Tätigkeit Vertrauen bei der Allgemeinheit genießt, ζ. B. ein Beamter, ein A n w a l t oder ein autorisierter Revisor, unter Mißbrauch seiner Stellung einen Betrug verübt. A u f Benutzung einer falschen Urkunde oder einer irreführenden Buchführung als M i t t e l des Betrugs folgt i n der Regel allein die Strafe für schweren Betrug, obwohl die Fälschung und i n bestimmten Fällen die irreführende Buchführung an und für sich strafbar sind. Hat der Betrüger eine falsche Urkunde verwendet, pflegt das Delikt i n dem Urteil als „schwerer Betrug mittels Urkundenfälschung" bezeichnet zu werden. Von besonders gefährlicher A r t ist der Betrug u. a., wenn er sich gegen die Allgemeinheit oder gegen einen größeren Kreis von Personen richtet. Wie hinsichtlich des schweren Diebstahls gilt auch beim schweren Betrug, daß das Gesetz die schweren Betrugsfälle nur exempelweise aufzählt. Auch andere Fälle als die i m Gesetz genannten können als schwerer Betrug beurteilt werden. Andererseits ist das Gericht nicht gezwungen zur Strafe wegen schweren Betrugs nur deswegen, weil die i m Gesetz aufgeführten Umstände vorliegen, zu verurteilen. Andere Umstände des Falles können nämlich zu einer milderen Verurteilung führen. Die Strafrahmen für Betrugsdelikte sind dieselben wie für die Diebstahlsdelikte. Das betrügerische Verhalten w i r d somit wie die Entwendung m i t Geldstrafe und Gefängnis bis höchstens sechs Monaten bestraft, der Betrug wie Diebstahl m i t höchstens zwei Jahren und schwerer Betrug wie schwerer Diebstahl m i t Gefängnis von sechs Monaten bis zu sechs Jahren. Versuch und Vorbereitung zum Betrug und schweren Betrug sind strafbar, während Versuch und die Vorbereitung zum betrügerischen
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Verhalten wie der Versuch und die Vorbereitung zur Entwendung straffrei sind. Als Vorbereitung zum Betrug oder schweren Betrug werden gemäß 9:11 Abs. 2 bestimmte Handlungen bestraft, die nicht i n den allgemeinen Vorbereitungsbestimmungen i n 23:2 aufgenommen sind, nämlich daß jemand sich selbst oder einem anderen Schaden zufügt oder sein oder das Vermögen eines anderen beschädigt oder zu beschädigen versucht i n der Absicht, den Versicherer zu betrügen, oder i n sonst betrügerischer Absicht. Strafbar als Vorbereitung zum Betrug ist somit, Feuer an das eigene Haus zu legen m i t dem Ziel, die Brandversicherungssumme ausgezahlt zu bekommen. Eine solche Tat kann jedoch außerdem als Brandstiftung oder Schadenszufügung strafbar sein. Straffreiheit t r i t t jedoch ein, wenn der Täter vor Schadenseintritt freiwillig von der Vollendung der Tat Abstand genommen hat. Schwindel (svindleri) Eine weitere Form der Vorbereitung zum Betrug ist unter der Bezeichnung „Schwindel" strafbar. Diese i n 9:9 behandelte Tat umfaßt bestimmte betrügerische Verfahren, die sich gegen die Allgemeinheit oder gegen einen weit gestreckten Personenkreis, ζ. B. gegen die A k t i o näre einer großen Gesellschaft richten. Schwindelei liegt i n zwei Fällen vor: Der eine Fall (9:9 Abs. 1) liegt vor, wenn jemand i n der Absicht, den Preis einer Ware, Wertpapiere oder andere Vermögensgegenstände zu beeinflussen, irreführende Angaben publiziert (ζ. B. i n der Form eines Artikels oder eines Interviews i n einer Zeitung) oder auf andere Weise i n der Öffentlichkeit verbreitet. Ein Beispiel solchen Schwindels bietet der Fall, daß ein Finanzmann das Gerücht verbreitet, eine Gesellschaft sei konkursreif, u m zu erreichen, daß die Kurse der Aktien i n dieser Gesellschaft sinken und er die Gelegenheit bekommt, sich die Aktienmajorität für einen billigen Preis zu verschaffen. Der andere Fall des Schwindels (9:9 Abs. 2) liegt vor, wenn jemand, der bei der Gründung einer Aktiengesellschaft oder eines anderen Unternehmens m i t w i r k t oder aufgrund seiner Stellung besondere Kenntnis von einem Unternehmen besitzen müßte, i n der Öffentlichkeit oder unter Interessenten des Unternehmens irreführende Angaben, die geeignet sind, die Beurteilung des Unternehmens i n wirtschaftlicher H i n sicht zu beeinflussen und dadurch Schaden herbeizuführen, publiziert oder auf andere Weise verbreitet. Die hier gemeinten Personen sind die Gründer von Aktiengesellschaften, Vorstandsmitglieder, geschäftsführende Direktoren, Revisoren und andere. W i r d der Schwindel von diesen Personen begangen, braucht der Ankläger nicht zu beweisen, daß die irreführenden Angaben i n der Absicht der Beeinflussung des
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Wertpapierkurses oder i n ähnlicher Absicht verbreitet wurden. Für die Strafbarkeit reicht aus, daß die Angaben geeignet sind, dadurch Schaden herbeizuführen, daß die Beurteilung der wirtschaftlichen Stellung und Möglichkeiten des Unternehmens beeinflußt wird. Diese Form des Schwindels liegt ζ. B. vor, wenn ein Gesellschafts vorstand i n der A b sicht, die Zeichnung einer Obligationenanleihe zu fördern, eine falsche Bilanzrechnung bekanntgibt, die Stellung der Gesellschaft als besser darstellt, als sie i n Wirklichkeit ist. Bringt der Schwindel m i t sich, daß durch die irreführenden Angaben andere zu verlustbringenden geschäftlichen Transaktionen veranlaßt werden, liegt vollendeter Betrug vor. Strafbarkeit wegen Schwindels t r i t t i n einem solchen Fall nicht ein, sondern die Verurteilung erfolgt nur wegen Betrugs, i n der Regel wegen eines schweren Betrugs. Die Strafe für Schwindel ist Gefängnis bis zu zwei Jahren oder, wenn die Tat Zeicht ist, Geldstrafe. Ist die Tat schwer, ist die Strafe Gefängnis von sechs Monaten bis zu vier Jahren. Unredliches Verhalten (oredligt förfarande) Als eine Auffangbestimmung neben den Regeln über die Strafbarkeit des Betrugs stellt sich die Bestimmung i n 9:8 über die Strafbarkeit unredlichen Verhaltens dar. Damit Betrug vorliegt, wird, wie oben näher dargelegt, gefordert, daß jemand mittels Irreführung zu einer Handlung oder einer Unterlassung veranlaßt wird, die i h m Schaden und dem Täter Gewinn bringen. Unredliches Verhalten liegt vor, wenn die Handlung, die der Getäuschte unternimmt, ihn oder eine von i h m vertretene Person schädigt, ein entsprechender Gewinn aber bei dem Täter nicht eintritt. Man macht sich z.B. des unredlichen Verfahrens schuldig, wenn man durch Täuschung einen anderen veranlaßt, eine unnötige Reise zu unternehmen oder ein verlustbringendes Geschäft, das für den Täter keinen Gewinn bringt, zu tätigen. Das unredliche Verhalten w i r d m i t Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Erpressung (utpressning) Während Betrug darin besteht, daß man durch Irreführung jemanden zu einer für diesen verlustbringenden und für den Täter gewinnbringenden Handlung oder Unterlassung veranlaßt, liegt Erpressung gemäß 9:4 vor, wenn jemand durch eine Nötigung zu einer solchen Handlung oder Unterlassung veranlaßt wird. M i t Nötigung ist hier dasselbe gemeint wie i n dem Tatbestand über die rechtswidrige Nötigung (4:4), nämlich entweder jemanden m i t Gewalt oder Drohung m i t einer straf-
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baren Handlung zu nötigen oder durch die Drohung m i t einer Anzeige wegen einer Straftat oder m i t einer nachteiligen Mitteilung gegen einen anderen einen Zwang auszuüben. Erpressung liegt nicht vor, wenn die Gewalt sich gegen eine Person richtet, oder bei Drohung mit einer unmittelbaren Gefahr, d. h. wenn Raubzwang angewendet wird, da die Tat dann Raub ist. Hat die Erpressungsdrohung den Charakter der Drohung mittels einer Anklage oder Anzeige wegen eines Delikts oder mittels einer nachteiligen Mitteilung über einen anderen, w i r d weiterhin für die Strafbarkeit gefordert, daß der Zwang unangemessen ist. Wie weit die Drohung mit einer Anklage oder Anzeige oder der Angabe einer nachteiligen Auskunft i m besonderen Fall als unangemessen anzusehen ist, beruht ebenso wie bei der Nötigung gemäß 4:4 nicht nur auf dem Inhalt der Mitteilung, sondern auch auf der Handlung oder Unterlassung, die erzwungen wird. So kann es i n der Regel nicht als Erpressung angesehen werden, einen anderen durch Drohung zur Bezahlung einer Schuld zu zwingen. Dagegen ist es unangemessen, einen anderen zu einer unbegründet hohen Schadensersatzzahlung für eine von i h m verübte Tat mittels der Drohung mit einer Anklage wegen dieser Tat zu zwingen. Ist der erzwungene Schadensersatz angemessen, liegt i n der Regel keine Erpressung vor. Unangemessen ist es auch, einen anderen dadurch zum Abschluß einer geschäftlichen Vereinbarung zu zwingen, daß man i h m droht, seiner Ehefrau zu erzählen, daß er ihr untreu war. Die Strafe für Erpressung ist Gefängnis bis zwei Jahre. Ist die Tat leicht, kann die Strafe jedoch auf Geldstrafe herabgesetzt werden. Ist die Tat schwer, ist die Strafe Gefängnis von sechs Monaten bis sechs Jahre. Auch Versuch und Vorbereitung zur Erpressung sind strafbar; hinsichtlich des Versuchs gilt abweichend von den allgemeinen Regeln, daß der Rücktritt niemals von der Strafbarkeit befreien kann. Wucher (ocker) I n 9:5 w i r d der Wucher behandelt. Diese Straftat ist dadurch gekennzeichnet, daß der Täter beim Abschluß eines Vertrages oder der Vornahme eines anderen Rechtsgeschäfts zu seinem eigenen Vorteil ausnutzt, daß sein Partner sich aus bestimmten Gründen seinen Forderungen nicht widersetzen kann. Der am meisten vorkommende Typ des Wuchers ist die Ausnützung einer großen wirtschaftlichen Schwierigkeit oder einer anderen Notsituation des Opfers. Wucher liegt auch vor, wenn der Täter die Urteilslosigkeit des Opfers i m allgemeinen oder hinsichtlich der A r t des i n Frage kommenden Geschäfts ausnutzt, oder wenn er sich des Leichtsinns oder der i m Verhältnis zu i h m abhängigen
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Stellung des Opfers bedient. Der Vorteil, den der Wucherer sich verschafft, soll wirtschaftlicher A r t sein, wie ζ. B. die Gewährung eines Darlehens gegen unangemessen hohe Zinsen oder sonst unbillige Bedingungen oder der Kauf eines Gegenstandes, den das Opfer gezwungenermaßen zu einem Schleuderpreis veräußern muß. Es ist nicht notwendig, daß der Wucherer eine Gegenleistung erbringt; die E r w i r kung einer Schenkung oder einer testamentarischen Anordnung kann als Wucher beurteilt werden, wenn die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit wegen Betrugs nicht vorliegen. Z u beachten ist, daß Strafbarkeit wegen Wuchers nur i n den Fällen vorliegt, i n denen der Täter überführt wird, gewußt zu haben, daß das Opfer i n einer bedrängten Lage sich befand, urteilslos war usw. Die Strafe für Wucher ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zwei Jahre oder bei schwerem Wucher Gefängnis von sechs Monaten bis zu vier Jahren. Versuch und Vorbereitung bei Wucher sind strafbar. Pfandwucher (ockerpantning) Bei Zahlung eines Vorschusses an Personen i n wirtschaftlich schlechten Verhältnissen ereignet sich zuweilen, daß der Darlehensgeber als Sicherheit einen gefälschten Revers oder Wechsel, einen auf einen höheren Betrag als die wirkliche Schuldsumme lautenden Schuldbrief oder einen Scheck ohne Deckung entgegennimmt, um die Urkunde als Druckmittel bei Rückforderung des Darlehens zu verwenden. Oft liegt i n diesen Fällen Wucher vor, obwohl Beweis hierfür nicht erbracht werden kann. Das Verhalten ist daher i n 9:10 als ein besonderer Tatbestand m i t Strafe bedroht unter der Bezeichnung Pfandwucher, und die Strafe hierfür ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Hehlerei (häleri) Eine häufige Straftat ist Hehlerei (9:6), worunter bestimmte Handlungen verstanden werden, die die Ausnutzung der strafbaren Tätigkeit eines anderen oder die Verstärkung des durch eine solche Tätigkeit erreichten Erfolges bedeuten. Hehlerei liegt vor allem vor, wenn jemand eine Sache kauft oder verwertet, die einem anderen durch eine strafbare Handlung entwendet wurde, oder sich damit auf eine andere Weise befaßt, die geeignet ist, die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes zu erschweren. Hiermit ist vor allen Dingen die rechtswidrige Beschäftigung m i t Diebesgut, das früher sogenannte Verbergen von Diebesgut (tjuvgömmeri) gemeint; aber auch das Befassen mit Gegenständen, die einem anderen durch andere Straftaten,
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ζ. B. Betrug, Erpressung, Wucher oder Veruntreuung abhanden gekommen sind, gehören hierher. Auch die Beschäftigung m i t unerlaubt entzogenem Geld gehört hierher. Voraussetzung ist, daß das frühere Delikt zur Zeit der Hehlerhandlung vollendet ist. Wenn der Mieter eines Autos dieses unerlaubt verkauft, nimmt er dem Eigentümer das Auto weg und macht sich dadurch der Unterschlagung schuldig. Der Käufer begeht jedoch nicht Hehlerei, wenn er das Auto m i t Wissen u m die Tat des Verkäufers kauft, sondern er leistet Beihilfe zur Unterschlagung dadurch, daß die Wegnahme gerade durch die Überlassung des Autos an i h n geschieht. Hehlerei liegt weiter vor, wenn jemand sich einen „unangemessenen Gewinn" aus dem strafbaren Erwerb eines anderen verschafft. Als Beispiel kann der Fall genannt werden, daß jemand eine Sache annimmt, die für gestohlenes Geld gekauft worden ist, oder Geld entgegennimmt, das für eine gestohlene Sache bezahlt wurde. Die A n nahme von Geld, das letztlich aus einer Straftat herrührt, ist natürlich nicht immer strafbar. So kann ein Täter Brot i n einem Laden kaufen oder Bus fahren, ohne daß der Geschäftsinhaber oder der Buschauffeur sich durch die Annahme des aus einer Straftat stammenden Geldes einer Hehlerei schuldig machten. Entscheidend ist, ob der Empfänger sich einen „unangemessenen" Gewinn schaffen w i l l , was ζ. B. der Fall ist, wenn er für den Verkauf an den Täter eine Extrabezahlung nimmt. Hehlerei kann schließlich dadurch begangen werden, daß man eine aus einer Straftat entstandene Forderung geltend macht. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Fall, daß ein Wucherer einen Wechsel übernimmt, von dem er weiß, daß er wucherisch zustande gekommen ist, und nun versucht, den Betrag von dem Opfer des anderen Wucherers einzutreiben. Gemeinsam für alle Formen der Hehlerei ist, daß die Haftung nur eintritt, wenn der Täter wußte, daß eine Straftat verübt wurde. Wußte der Täter beispielsweise nicht, daß die von i h m gekaufte Sache gestohlen war, daß der von i h m gezahlte Betrag aus einer Unterschlagung stammt oder daß der Schuldbrief, aus dem er Bezahlung fordert, aufgrund eines Betrugs ausgestellt wurde, kann er nicht wegen Hehlerei bestraft werden. Die Strafe für Hehlerei ist Gefängnis bis zu zwei Jahren oder wenn die Tat schwer ist, Gefängnis von sechs Monaten bis vier Jahre, i n leichten Fällen ist die Strafe bloß Geldstrafe oder Gefängnis bis sechs Monate.
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Hehlereiverfehlung (häleriförseelse) Wenn der Täter nicht erkannt hat, daß eine Straftat vorlag, aber i n einem solchen Maß unachtsam war, daß er ζ. B. eine Sache kaufte, obwohl er begründeten Anlaß hatte anzunehmen, daß sie gestohlen war, w i r d er nicht wegen Hehlerei, sondern gemäß 9:7 wegen Hehlereiverfehlung zu Geldstrafe oder Gefängnis bis sechs Monate verurteilt. Die Hehlereiverfehlung ist jedoch i n einer Hinsicht ausgedehnter als die Hehlerei. Wußte nämlich derjenige, der bei der Entziehung der Sache mitgewirkt hat, indem er sie kaufte oder sonst sich m i t ihr auf eine die Rückgabe an den Berechtigten erschwerende Weise befaßte, nicht, daß eine Straftat vorlag, kann er nicht wegen Beihilfe zu dieser Tat verurteilt werden, da die Beihilfe zu Entziehungsdelikten (Diebstahl, Betrug, Unterschlagung usw.) Vorsatz voraussetzt. Hatte er jedoch vernünftigen Anlaß anzunehmen, daß eine Straftat vorlag, soll er gemäß einer ausdrücklichen Bestimmung i n 9:7 wegen Hehlereiverfehlung bestraft werden. Die Bestimmung ist zustande gekommen, u m u. a. die Möglichkeit zu schaffen, den zu bestrafen, der — obwohl er hinsichtlich der richtigen Verhältnisse hätte mißtrauisch sein dürfen — von einem Abzahlungskäufer Autos, die an diesen unter Eigentumsvorbehalt verkauft worden sind, erwirbt, bevor die Zahlungen geleistet sind. Der Abzahlungskäufer macht sich i n einem solchen Fall der unbefugten Verfügung (siehe darüber weiter unten) schuldig und derjenige, der das Auto von i h m kauft, kann wegen Hehlereiverfehlung verurteilt werden, wenn nicht bewiesen werden kann, daß er den Eigentumsvorbehalt kannte, aber es dennoch deutlich ist, daß er Anlaß zur Annahme eines solchen gehabt hätte.
Unterschlagung und andere Treulosigkeit Unterschlagung (förskingring) Dieses Delikt w i r d gemäß B r B 10:1 dadurch charakterisiert, daß der Täter zum eigenen Gewinn und zum Schaden für einen anderen ein i h m gegebenes Vertrauen enttäuscht dadurch, daß er sich Sachen aneignet, die er für Rechnung eines anderen besitzt. Gegenstände der Unterschlagung können sowohl Fahrnis als auch Grundstücke sein. Bei Grundstücken kann die Unterschlagung sowohl das Grundstück i n seiner Gesamtheit wie dessen Bestandteile und Zubehör umfassen. Die Strafbarkeit wegen Unterschlagung fordert, wie kürzlich angedeutet, daß der Täter sich Sachen zugeeignet hat, die er aufgrund eines Vertrages, eines öffentlichen oder privaten Dienstverhältnisses oder
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einer ähnlichen Stellung für einen anderen i n Besitz hat m i t der Verpflichtung, sie herauszugeben oder darüber Rechenschaft zu legen. Der Täter muß somit eine gewisse Vertrauensstellung einnehmen gegenüber dem, der berechtigt ist, die Sache zurückzufordern oder für sie Rechnungslegung zu verlangen. Eine solche Stellung haben ζ. B. ein Garderobier i n einem Restaurant, ein Einziehungsbevollmächtigter, ein Angestellter i n öffentlichem oder privatem Dienst und sogar ein Wehrpflichtiger, der für Rechnung der Staatskasse Material i n Besitz hat. Da der zur Rechnungslegung Verpflichtete den Besitz an der Sache aus einem anderen Grund als dem eben angegebenen erlangt, z.B. durch Fund, w i r d er nicht wegen Unterschlagung, sondern wegen unbefugter Verfügung (siehe dort) bestraft, wenn er sie sich zueignet. Dasselbe gilt, wenn er die Sache nicht für eines anderen, sondern für eigene Rechnung besitzt, was ζ. B. der Fall ist bei einer Sache, die auf Abzahlung oder unter der Bedingung, daß sie nicht vor vollständiger Ratenzahlung i n das Eigentum des Käufers übergeht, gekauft ist. Verkauft der Käufer die Sache vorher weiter, liegt nicht Unterschlagung, sondern unbefugtes Verfügen vor. Der Täter muß weiterhin verpflichtet sein, die Sache herauszugeben oder über sie Rechnung zu legen. Damit ist nicht an die Fälle der Kreditgewährung gedacht; man kann nicht wegen Unterschlagung bestraft werden, wenn man ein Darlehen nicht zurückbezahlt, auch wenn man das Geld auf andere Weise verwendet hat, als man dem Darlehensgeber versprochen hat. A u f ein solches Verhalten kann überhaupt keine Strafe folgen, es sei denn, man habe gegenüber dem Darlehensgeber einen Betrug begangen, ohne sich einer Schuldnerstraftat schuldig gemacht (siehe hierüber unten) zu haben. M i t der Verpflichtung zur Herausgabe der Sache oder zur Rechenschaftslegung ist nicht nur an die Fälle gedacht, daß man verpflichtet ist, die anvertraute Sache von den eigenen getrennt zu halten, wozu beispielsweise ein Kassierer, ein Vormund oder ein Testamentsvollstrecker bzw. Nachlaßverwalter verpflichtet ist, sondern auch an den Fall, daß eine Verpflichtung zur getrennten Aufbewahrung nicht vorgelegen hat, ζ. B. i n bestimmten Fällen von Kommissionsgeschäften. Für die Unterschlagung w i r d weiterhin gefordert, daß die Verpflichtung zur Herausgabe oder Rechenschaftslegung für den Täter dadurch entstand, daß er den Besitz an der Sache erhielt. Das bedeutet, daß eine Person, die eine ihr gehörende und i n ihrem Besitz befindliche Sache verkauft und es unterläßt, die Sache an den Käufer auszuliefern, nicht wegen Unterschlagung, sondern nur wegen unbefugten Verfügens bestraft werden kann. Dasselbe gilt von dem sogenannten Doppelverkauf, d. h. Verkauf einer Sache an zwei Personen. Die Tathandlung w i r d i m Gesetz als Aneignung der Sache oder eine Vernachlässigung dessen, was der Täter zur Erfüllung 25*
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seiner Herausgabe- oder Rechnungspflicht zu beachten hat, beschrieben. Unter Aneignung w i r d — wie bei der Behandlung des Diebstahls näher erklärt worden ist — die Einverleibung der Sache i n das Vermögen des Täters verstanden. Die Handlungen, durch die der Täter seine Rechnungslegungspflicht vernachlässigt, können i m übrigen von verschiedener A r t sein. Der Täter kann leugnen, daß er das anvertraute Gut entgegengenommen hat, er kann eine falsche Rechnung ablegen oder es unterlassen, Rechnung zu legen. Besteht das anvertraute Vermögen i n Geld, das m i t Mitteln der Rechnungslegungspflichtigen vermischt wurde, kann die Strafbarkeit wegen Unterschlagung auch eintreten, wenn der Rechnungspflichtige bewirkt, daß seine eigene wirtschaftliche Stellung derart wird, daß das Recht des Berechtigten an Wert sinkt. Werden die anvertrauten Gelder mit den eigenen Geldern des Rechenschaftspflichtigen vermischt, verliert nämlich der Berechtigte sein Eigentum an ihnen und bekommt stattdessen eine Forderung gegen den Rechenschaftspflichtigen. Übersteigen dessen Schulden seine eigenen Einkünfte, kann der Berechtigte i m Fall eines Konkurses nicht seine ganze Forderimg erf ü l l t bekommen, sondern muß er sich damit begnügen, den Überschuß m i t den übrigen Gläubigern des Rechenschaftspflichtigen zu teilen. Daher kann man sagen, daß das Recht des Berechtigten auf Herausgabe seines Geldes i m Wert sinkt, sobald es m i t den Einkünften einer verschuldeten Person vermischt wird. Das Gesetz verlangt daher von dem Rechenschaftspflichtigen, daß er jederzeit seine Rechenschaftsschulden soll bezahlen können. Erlauben seine wirtschaftlichen Verhältnisse dies nicht, muß er die anvertrauten Gelder getrennt von seinen eigenen halten, so daß das Eigentumsrecht des Berechtigten niemals gefährdet wird. Es kann nach dem Gesetz von 1944 über die Mittel der Rechnungslegung dadurch geschehen, daß er nach Erhalt der Gelder sie unverzüglich auf der Bank unter dem Namen des Berechtigten einzahlt oder auf eine andere Weise die Gelder getrennt hält, ζ. B. dadurch, daß er sie i n einer besonderen Kasse, i n einem Kuvert oder bei einer dritten Person verwahrt. Waren die anvertrauten Gelder schon m i t den eigenen Einkünften des Rechenschaftspflichtigen vermischt, konnte dieser gemäß früher geltenden Bestimmungen sie nicht ohne Herausgabe an den Berechtigten zu dessen Gunsten m i t Ausschlußwirkung für die übrigen Gläubiger absondern. Durch das soeben erwähnte Gesetz ist es dem Rechenschaftspflichtigen gestattet, eine solche Absonderung vorzunehmen unter der Voraussetzung, daß er i n dem Zeitpunkt, an welchem die Maßnahme durchgeführt wird, nicht zahlungsunfähig ist, d. h. daß er imstande ist, seine fälligen Schulden zu bezahlen. Sogar anvertraute Gelder, die nicht getrennt aufbewahrt waren, für den Rechenschafts-
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Pflichtigen aber unmittelbar erreichbar sind, u m sie abzusondern, gelten als für den Berechtigten zurückgelegt, wenn nur bei der Absonderung nicht gezögert wird. Unterläßt es ein Rechnungspflichtiger, sich dieser Möglichkeit zu bedienen, macht er sich der Unterschlagung schuldig, wenn er wirtschaftliche Transaktionen vornimmt, die die Gefahr mit sich führen, daß i h m die pflichtgemäße Rechnungslegung ermöglicht wird. Für die Entscheidung, ob eine Unterschlagung gegeben ist, braucht man nicht abzuwarten, daß der Berechtigte einen endgültigen Verlust erleidet. Die Verhältnisse sollen nach der Situation i m Zeitpunkt der Unterschlagungshandlung beurteilt werden, nicht nach der Situation, i n der das anvertraute Gut zurückgegeben oder über die Gelder Rechenschaft gelegt werden soll. Ein Vormund, der für eigene Rechnung m i t den Geldern des Mündels spekuliert, hat Unterschlagung begangen, auch wenn er bei Ende der Vormundschaft volle Rechenschaft über die Einkünfte des Mündels legen kann. Entscheidend ist, daß er i m Augenblick der Spekulation dem Mündel Schaden dadurch zufügt, daß er seines eigenen Vorteils w i l l e n dieses einem Verlustrisiko aussetzt. Spekuliert er dagegen m i t den Geldern des Mündels für dessen Rechnung, kann man annehmen, daß er seine Pflichten als Vormund versäumt, aber er macht sich nicht der Unterschlagung schuldig. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß man einer Bestrafung wegen Unterschlagung nicht entgehen kann, indem man das Unterschlagene vor der Rechnungslegung ersetzt oder Angehörige oder Freunde bittet, den Berechtigten schadlos zu halten. Eine Folge dieser Regel ist, daß Strafbarkeit wegen Unterschlagung auch gegeben ist, wenn der Täter nicht die Absicht gehabt hat, dem Berechtigten einen definitiven Verlust zuzufügen, oder nicht einmal erkannt hat, daß durch seine Handlung ein solcher Verlust entstehen könnte. Für die Strafbarkeit ist es ausreichend, daß er erkennt, daß die Forderung des Berechtigten an ihn durch die Unterschlagungshandlung unmittelbar i n ihrem Wert sinkt. Die Unterschlagung soll stets einen Gewinn für den Täter m i t sich führen. Wie bei Diebstahl und Betrug ist es aber i n bestimmten Fällen ausreichend, daß der Täter vorsätzlich einem anderen durch die Tat einen Gewinn bereitet. Bringt diese Tat keinen Gewinn, kann Treulosigkeit gegenüber dem Auftraggeber (siehe unten) oder unerlaubtes Verfügen vorliegen. Wie beim Diebstahl und Betrug ist die Unterschlagung mit Rücksicht auf die Schwere des Delikts eingeteilt i n drei Grade: Entziehung (10:2), Unterschlagung (10:1) und schwere Unterschlagung (10:3).
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Entziehung liegt vor, wenn die Unterschlagung m i t Rücksicht auf den Wert der unterschlagenen Sache und die übrigen Umstände der Tat als leicht anzusehen ist. Bei der Beurteilung, ob die Tat leicht ist, muß besonders berücksichtigt werden, ob sie einen schweren Vertrauensmißbrauch darstellt oder nicht. Eine schwere Unterschlagung liegt vor, wenn die Tat mit Rücksicht auf die Umstände ihrer Begehung als schwer anzusehen ist. Als Richtlinie für die Beurteilung hierüber hat das Gesetz — wie bei Diebstahl und Betrug — gewisse Umstände aufgezählt, die i n der Regel die Tat als eine schwere erscheinen lassen. Vor allem muß hier genannt werden, daß der Täter eine verantwortungsvolle Stellung mißbraucht hat. Als Beispiel eines Inhabers einer solchen Stellung können qualifiziertere öffentliche Beamte und Angestellte, Rechtsanwälte, Vormünder und Nachlaßverwalter sowie Privatangestellte i n leitender Stellung oder m i t selbständiger Geldverwaltung genannt werden. Weiterhin ist die Unterschlagung regelmäßig schwer, wenn der Täter eine unechte Urkunde oder irreführende Buchführung angewendet hat. Wie bei dem schweren Betrug soll i n der Regel der Täter wegen der Urkundenfälschung nicht neben der schweren Unterschlagung bestraft werden. Schließlich soll die Unterschlagung als schwer betrachtet werden, wenn sie von besonders gefährlicher Art ist, ζ. B. wenn der Täter die Tat m i t großer Geschicklichkeit begangen hat, wenn sie bedeutenden Werten gegolten hat oder einen ganz besonders spürbaren Schaden mit sich gebracht hat. Die Strafrahmen für die Unterschlagung sind dieselben wie für Diebstahl und Betrug. So w i r d Entziehung m i t Geldstrafe oder Gefängnis bis sechs Monate bestraft, Unterschlagung m i t Gefängnis bis zwei Jahre und schwere Unterschlagung m i t Gefängnis von sechs Monaten bis sechs Jahre. Der Versuch der Unterschlagung und der schweren Unterschlagung ist strafbar. Der Versuch der Entziehung ist wie der Versuch der Entwendung und des betrügerischen Verhaltens straffrei. Irgendwelche besonderen Bestimmungen für die Strafbarkeit der Vorbereitung der Unterschlagung gibt es nicht. Unbefugte Verfügung (olovligt förfogande) Gewissermaßen als Ergänzung zu den Strafbestimmungen über die Unterschlagung ist die Strafbestimmung über die unbefugte Verfügung i n 10:4 anzusehen. Dieses Delikt umfaßt bestimmte Formen von Unredlichkeit, die man nicht als eine Unterschlagung ansieht, die aber doch Strafe verdienen. Ein unbefugtes Verfügen besteht darin, daß
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der Täter — ohne sich der Unterschlagung schuldig zu machen — einen anderen des diesem zukommenden Eigentums- oder Sicherheitsrecht an einer Sache, die der Täter i n Besitz hat, beraubt. Vom Diebstahl unterscheidet sich die unbefugte Verfügung dadurch, daß die Handlung sich gegen eine Sache richtet, die der Täter schon besitzt, weswegen eine Wegnahme nicht erfolgt. Die strafbare Handlung kann hauptsächlich i n drei verschiedenen Fällen vorkommen. Zunächst ist der Fall zu merken, daß der Täter wie bei der Unterschlagung die Sache für einen anderen besitzt m i t der Verpflichtung, sie zurückzugeben oder Rechenschaft über sie abzulegen, aber m i t dem Unterschied zur Unterschlagung, daß sich die Verpflichtung nicht auf Vertrag, Dienstverhältnis oder ein ähnliches Verhältnis gründet. Diese Situation liegt ζ. B. dann vor, wenn der Täter eine Sache findet oder infolge Irrtums oder eines anderen Zufalls i n ihren Besitz kommt. Für Fundsachen gilt nach dem Gesetz über Fundsachen von 1933, daß der Finder verpflichtet ist, unverzüglich den Fund bei der Polizeibehörde oder, wenn er bekannt ist, bei dem Eigentümer anzuzeigen. Besondere Regeln gibt es auch über die Verpflichtung, das Einfangen des Tieres eines anderen und die Bergung des sogenannten Seefundes anzumelden. Unterläßt der Finder oder der, der das Tier oder den Seefund an sich genommen hat, dieses ordnungsgemäß anzumelden, liegt gemäß 10:8 Fundverheimlichung vor. Unterläßt der Finder es, die Meldepflicht zu erfüllen m i t dem Ziel, sich die Sache zuzueignen, oder ergreift er Maßnahmen, u m den Eigentümer seines Rechtes zu berauben, verkauft oder versteckt er ζ. B. die Fundsache, liegt jedoch eine unbefugte Verfügung vor, und die besondere Strafe für Fundverheimlichung w i r d nicht ausgesprochen. Ein anderes Beispiel unerlaubten Verfügens ist, daß jemand ohne zu zahlen sich Waren aneignet, die er ohne Bestellung zugesandt bekam. Der andere Fall der unbefugten Verfügung liegt vor, wenn der Täter eine Sache besitzt und aufgrund Vertrags, Dienstverhältnisses oder einer ähnlichen Stellung verpflichtet ist, die Sache zurückzugeben oder über sie Rechenschaft zu legen, die Verpflichtung aber erst entstanden ist, nachdem er den Besitz an der Sache erlangt hat. Wie oben besprochen, kann hier eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung nicht eintreten. So liegt ein unerlaubtes Verfügen vor, wenn man eine Sache, die man besitzt, an mehrere Personen verkauft (Doppelverkauf). Der Verkauf einer Sache, die man besitzt, führt nämlich die Verpflichtung m i t sich, die Sache an den Käufer herauszugeben, und ein neuer Verkauf der Sache schadet dem Recht des ersten Käufers auf Herausgabe der Sache an ihn. Gibt jedoch der Verkäufer die Sache an den ersten Käufer heraus, hat er sich i h m gegenüber natürlich nicht einer unerlaubten Verfügung schuldig gemacht, aber der Doppelverkauf ist dann
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i n der Regel als Betrug oder unredliches Verfahren gegenüber dem zweiten Käufer strafbar. Eine unbefugte Verfügung liegt ferner vor, wenn man Sachen, die man verkauft oder an einen anderen verpfändet hat, ohne i n Erfüllung dieses Vertrages die Sache an diesen auszuliefern, verbraucht oder sich auf eine andere Weise zueignet. Die dritte A r t der unerlaubten Verfügung liegt vor, wenn der Täter die Sache eines anderen oder eine Sache, an der ein Sicherungsrecht eines anderen besteht, mehr für seine eigene als für des anderen Rechnung besitzt. Wie oben angedeutet, liegt hier keine Unterschlagung, sondern eine unbefugte Verfügung vor, wenn der Täter über die Sache verfügt. Hierher gehört der nicht ungewöhnliche Fall, daß eine Person Sachen verkauft oder zu Pfände gibt, die auf Abzahlung gekauft worden sind unter dem Vorbehalt, daß das Eigentumsrecht an der Sache dem Käufer erst nach Zahlung des ganzen Kaufpreises zufällt. Jedoch ist zu merken, daß ein dem Eigentumsvorbehalt zuwiderlaufendes Verfügen über Abzahlungssachen dann nicht strafbar ist, wenn der Verkäufer nicht die Absicht hat, bei Nichtzahlung die Sache wieder an sich zu nehmen, sondern nur beabsichtigt, die Eintreibung des Kaufpreises durch Drohung m i t einer Anklage wegen unbefugter Verfügung zu erleichtern. Ein Wiederverkäufer von Kraftfahrzeugen, der ein Auto unter Eigentumsvorbehalt erwirbt, kann ζ. B. nicht wegen unerlaubten Verfügens verurteilt werden, weil er das Auto verkauft, bevor er es bezahlt hat, da bei seinem Kauf beiderseits vorausgesetzt werden mußte, daß der Verkäufer die Autos m i t den Geldern bezahlen soll, die er durch diesen Verkauf erlangt. Auch wer m i t Eigentumsvorbehalt für den Verkäufer für den Verbrauch bestimmte Waren, ζ. B. Lebensmittel, kauft, kann nicht wegen unbefugter Verfügung bestraft werden, wenn er die Waren verbraucht. Die strafbare Handlung besteht darin, daß die Sache demjenigen entzogen wird, der ein Recht daran hat, oder daß dieser auf andere Weise seines Rechtes beraubt wird. Der Normalfall ist, daß der Täter sich die Sache eines anderen zueignet. Die Zueignung kann durch positive Maßnahmen, ζ. B. den Verbrauch des Eigentums, geschehen, aber der Täter kann sich die Sache auch durch rein passives Verhalten zueignen: ζ. B. dadurch, daß er es mit Zueignungsvorsatz unterläßt, eine Fundsache anzumelden. Für die unbefugte Verfügung w i r d nicht gefordert, daß der Täter einen Gewinn erlangt oder daß jemand Schaden erleidet. Somit liegt eine unbefugte Verfügung vor, wenn der Täter eine i h m anvertraute Sache wegwirft. Gleichermaßen verfügt unbefugt, wer unerlaubt, eine bei i h m deponierte Sache verkauft und über den Kaufpreis dem Eigentümer Rechnung legt. Behält er den Kaufpreis selbst, w i r d er wegen
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Unterschlagung bestraft. Schließlich liegt eine unbefugte Verfügung vor, wenn eine vollkommen solvente Person Gelder, die sie getrennt zu halten verpflichtet ist, m i t ihren eigenen M i t t e l n vermischt. Ist sie nicht solvent, t r i t t die bereits erwähnte Strafbarkeit wegen Unterschlagung ein. Die unbefugte Verfügung w i r d m i t Geldstrafe oder Gefängnis bis zwei Jahre bestraft. Fundverheimlichung w i r d m i t Geldstrafe bestraft. Hinsichtlich der Anklage gilt eine Einschränkung bei unbefugter Verfügung über Sachen, die unter Eigentumsvorbehalt auf Abzahlung gekauft worden sind. U m vorzubeugen, daß Finanzierungsfirmen die Polizei und die Anklagebehörden als Hilfe bei der Eintreibung ihrer Forderung benutzen, ist bestimmt, daß i n diesem Fall eine Anklage wegen unbefugter Verfügung nicht erhoben werden soll, es sei denn, daß die Anklage aus besonderen Gründen aus allgemeinen Gesichtspunkten erforderlich erscheint. Treulosigkeit gegenüber dem Auftraggeber (trolöshet mot huvudman) Die Regeln über die Unterschlagung treffen nicht alle Fälle, i n denen jemand i m wirtschaftlichen Leben ein i h m gegebenes Vertrauen enttäuscht. Unter der Bezeichnung Treulosigkeit gegenüber dem Auftraggeber werden i n 10:5 weitere Verhaltensweisen zusammengestellt, die als strafwürdig angesehen werden. Treulosigkeit gegenüber dem A u f traggeber liegt vor, wenn jemand, der als Inhaber einer besonderen Vertrauensstellung wirtschaftliche Angelegenheiten für einen anderen zu besorgen oder die Aufsicht über ihre Besorgung zu führen hat, seine Vertrauensstellung mißbraucht und dadurch dem Auftraggeber Schaden zufügt. Eine weitere Voraussetzung der Treulosigkeit gegenüber dem Auftraggeber ist, daß die Tat nicht als Unterschlagung strafbar ist. Die besondere Vertrauensstellung kann darin bestehen, daß der Betreffende ein Amtsinhaber oder Angestellter i m staatlichen oder kommunalen Dienst oder i n einem privaten Dienstverhältnis ist. Dieses ist jedoch nicht notwendig. Das Delikt kann ζ. B. auch von kommunalen Vertrauensleuten, Vorstandsmitgliedern und Revisoren i n Aktiengesellschaften, Vereinen und anderen Verbänden, Vormündern, Treuhändern und Testamentsvollstreckern begangen werden. Z u beachten ist, daß die Vertrauensstellung die Betreuung wirtschaftlicher Angelegenheiten zum Gegenstand haben soll. Eine Kinderschwester, die ein K i n d schlecht betreut, kann somit nicht wegen Treulosigkeit gegenüber dem Auftraggeber bestraft werden.
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Die strafbare Handlung besteht darin, daß der Täter seine Vertrauensstellung mißbraucht. Dies kann sowohl durch rechtliche Maßnahmen wie durch tatsächliche Verfügungen erfolgen. Strafbarkeit wegen Treulosigkeit gegenüber dem Auftraggeber t r i t t jedoch nicht ein, wenn der Täter sich darauf beschränkt, den Auftraggeber zu beraten. Überredet der Täter den Auftraggeber, selbst die Handlung vorzunehmen, kann, wenn der Täter davon einen Gewinn hat, Betrug und sonst unredliches Verfahren vorliegen. Damit Untreue gegenüber dem Auftraggeber vorliegt, ist weiter zu fordern, daß die Handlung zu einem Schaden für den Auftraggeber führt. Nicht notwendig ist, daß der Schaden wie bei Diebstahl, Betrug und Unterschlagung unmittelbar durch die Handlung entsteht. Die Strafbarkeit ist auch gegeben, wenn der Schaden als indirekte Folge des Mißbrauchs der Stellung des Täters eintritt. Zu einem Gewinn für den Täter braucht das Delikt nicht zu führen. Es dürfte jedoch üblich sein, daß die Treulosigkeit gegenüber dem Auftraggeber mit Gewinnstreben begangen ist. Eine besondere Form der Treulosigkeit gegenüber dem Auftraggeber w i r d i n 10:5 Abs. 3 behandelt. Sie liegt vor, wenn jemand, der eine Rechtsangelegenheit für einen anderen zu besorgen hat — ζ. B. ein Rechtsanwalt, der den Auftrag zur Führung eines Prozesses erhalten hat — zum Schaden des Auftraggebers seine Vertrauensstellung mißbraucht. Hier t r i t t Strafbarkeit auch ein, wenn die Angelegenheit nicht wirtschaftlicher Natur ist. Treulosigkeit gegenüber dem Auftraggeber hat wie mehrere andere Vermögensdelikte einen besonderen Strafrahmen für den Fall, daß die Tat schwer ist. Bei der Beurteilung, ob die Tat als schwer anzusehen ist, soll besonders berücksichtigt werden, ob der Täter eine falsche Urkunde oder eine irreführende Buchführung verwendet oder ob er dem Auftraggeber bedeutenden oder besonders fühlbaren Schaden zugefügt hat. I m Normalfall ist die Strafe für Untreue gegenüber dem Auftraggeber Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Ist die Tat schwer, ist die Strafe Gefängnis von sechs Monaten bis zu sechs Jahren. Der Versuch der Treulosigkeit ist strafbar. Mißbrauch einer Befugnis (behörighetsmissbruk) I n 10:6 w i r d unter dieser Bezeichnung eine Anzahl mit der Treulosigkeit gegenüber dem Auftraggeber verwandter Fälle der Unredlichkeit aufgenommen, die begangen worden sind, ohne daß der Täter irgendeine Vertrauensstellung innegehabt hat. Es gibt drei verschiedene For-
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men des Mißbrauchs der Befugnis. Die erste besteht darin, daß der Täter durch den Mißbrauch seiner Befugnis, anstelle eines anderen eine Rechtshandlung vorzunehmen, diesem Schaden zufügt, vorausgesetzt, daß die Tat nicht als Unterschlagung, unbefugtes Verfügen oder Treulosigkeit gegenüber dem Auftraggeber zu betrachten ist. Als Beispiel kann der Fall genannt werden, daß jemand, der ein Grundstück verkauft hat, m i t Hilfe seiner eigenen Eintragung eine Hypothek auf das Grundstück aufnimmt, bevor der neue Eigentümer die Eintragung beantragt hat, oder daß jemand zum Nachteil eines anderen sich einer Vollmacht bedient, welche er gefunden oder versehentlich erhalten hat. Damit vollendeter Mißbrauch einer Befugnis i n dieser Form vorliegt, w i r d wie bei der Treulosigkeit gegenüber dem Auftraggeber gefordert, daß der, für den die Rechtshandlung vorgenommen wird, direkt oder indirekt einen wirtschaftlichen Schaden erleidet. Das ist nicht notwendig bei der anderen Form des Mißbrauchs einer Befugnis, die darin besteht, daß der Täter unter Mißbrauch der Befugnis zur Geltendmachung eines Schuldbriefs oder einer ähnlichen Urkunde etwas für sich fordert, was einem anderen zukommt. Auch bei der dritten Form des Mißbrauchs einer Befugnis w i r d nicht gefordert, daß ein Schaden entsteht. Diese strafbare Handlung w i r d dadurch charakterisiert, daß der Täter Zahlung aufgrund einer nicht ausgehändigten Urkunde fordert, ζ. B. eines Schuldbriefs, der dem Schuldner abhanden gekommen ist, ohne daß dieser ihn als Beweis der Forderung herausgeben wollte, oder daß der Täter Zahlung einer bereits bezahlten Schuld oder die Auslieferung bereits erhaltener Sachen fordert, oder daß er schließlich gegenüber einer Forderung sich auf eine Quittung beruft, die nicht erteilt worden ist, d. h. die der Gläubiger nicht als Beweis für die Bezahlung der Schuld auszugeben beabsichtigt hatte. Anlaß dafür, daß die beiden zuletzt genannten Formen des Mißbrauchs einer Befugnis zum Gegenstand einer Strafvorschrift gemacht worden sind, ist, daß die beiden den Versuch, einen wirtschaftlichen Schaden zu verursachen, darstellen. Die Strafe für den Mißbrauch der Befugnis ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zwei Jahre.
Unerlaubter Gebrauch (olovligt brukande) Von den Delikten i m B r B Kap. 10 bleibt nun übrig der unerlaubte Gebrauch einer Sache gemäß 10:7, der darin besteht, daß jemand, der die Sache eines anderen besitzt, diese unerlaubt benutzt und dadurch Schaden oder Nachteil verursacht. Unerlaubter Gebrauch liegt nur bei Benutzung von Sachen vor, die der Täter bereits i n seinem Besitz
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hat oder unter solchen Umständen betreut, daß eine unerlaubte Entwendung nicht vorliegt. Die Verwendung von Sachen, die durch unerlaubten Zugriff i n den Besitz des Täters geraten sind, stellt sich, wie bei der Behandlung von Kap. 8 näher entwickelt worden ist, als die Wegnahme von Transportmitteln, eigenmächtiges Verfahren oder Diebstahl dar. Als unerlaubter Gebrauch w i r d ζ. B. bestraft, daß ein Handwerker ohne Erlaubnis die i h m zur Reparatur übergebene Sache verwendet oder daß ein Pfandleiher eine i h m zum Pfand gegebene Sache benutzt. Auch Verwendung von Fundsachen kann als unerlaubter Gebrauch beurteilt werden. Für die Strafbarkeit w i r d jedoch gefordert, daß der unerlaubte Gebrauch zu einem Schaden oder einem Nachteil führt. Ein Nachteil entsteht ζ. B., wenn ein Garderobier i n einem Restaurant die Überkleider der Gäste verwendet oder ein Juwelier einen anderen die Juwelen tragen läßt, die i h m zur Schätzung überlassen worden sind. Unerlaubter Gebrauch kann auch vorliegen, wenn der Besitzer eines Grundstücks dieses zum Nachteil eines anderen verwendet, ζ. B. dadurch, daß er unerlaubt baut, gräbt, pflügt oder Tiere dort weiden läßt. Die Strafe für unerlaubten Gsbrauch ist Geldstrafe oder Gefängnis bis sechs Monate.
Schuldnerstraftaten B r B Kap. 11 behandelt Schuldnerstraftaten, die i n der ursprünglichen Fassung des Strafgesetzes den sogenannten Konkursverbrechen entsprachen. Den Schuldnerstraftaten ist gemeinsam, daß sie Handlungen darstellen, die sich gegen die Gläubiger des Täters überhaupt richten i m Gegensatz ζ. B. zur Unterschlagung oder Treulosigkeit gegenüber dem Auftraggeber, die sich gegen einen einzelnen Gläubiger richten, zu dem der Schuldner i n einem bestimmten näher angegebenen Verhältnis steht. Jedoch sind nicht alle Handlungen, die die Rechte der Gläubiger beeinträchtigen, m i t Strafe belegt. A n und für sich ist es somit nicht strafbar, daß jemand es unterläßt, seine Schulden zu bezahlen oder seine wirtschaftlichen Angelegenheiten schlecht besorgt. Solche Verhaltensweisen schaden sicherlich den Gläubigern, aber aus praktischen Erwägungen ist hier die Strafbarkeit bedeutend einzuschränken. Die Bestimmungen über die Schuldnerdelikte richten sich somit allein gegen bestimmte i m Gesetz näher beschriebene Verhaltensweisen, die geeignet sind, die Aussichten der Gläubiger auf Bezahlung zu mindern.
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Unredlichkeit gegen Gläubiger (oredlighet mot borgenärer) Das wichtigste Schuldnerdelikt ist die Unredlichkeit gegen Gläubiger gemäß 11:1 und 2. Diese Straftat kommt i n drei verschiedenen Formen vor. Die erste besteht i n Maßnahmen, durch die ein Schuldner (d. h. jemand, der einem anderen Geld schuldet) sich in Zahlungsschwierigkeit versetzt oder — wenn er bereits i n Zahlungsschwierigkeit ist — diesen Zustand verschlimmert. M i t Zahlungsschwierigkeit ist das Unvermögen gemeint, die fälligen Schulden zu bezahlen. Solche Maßnahmen schaden den Gläubigern, da deren Aussichten auf volle Bezahlung ihrer Forderung dadurch gemindert werden. Jedoch können nicht alle Maßnahmen, durch die die Zahlungsschwierigkeit entsteht oder verschlimmert wird, als Unredlichkeit gegen Gläubiger beurteilt werden. Strafbar sind nur solche Fälle, i n denen der Schuldner Vermögensgegenstände, die mit Rücksicht auf die Verhältnisse des Schuldners von wirtschaftlicher Bedeutung sind, zerstört oder verschenkt. Unter Zerstörung von Vermögensgegenständen w i r d nicht nur die rein tatsächliche Vernichtung einer Sache verstanden, ζ. B. der Schuldner läßt empfindliche Waren ohne Schutz draußen i m Freien stehen oder er zerschlägt seine Möbel, sondern auch Maßnahmen, die der Vernichtung wirtschaftlich gleichzustellen sind, ζ. B. daß er eine teure Maschine als Schrott verkauft. Der Schenkung werden schenkungsähnliche Transaktionen gleichgestellt, wie der Verkauf von Sachen zum Schleuderpreis, der Verzicht auf Rechte bei der Teilung der Gütermassen oder Erbteilung oder die Zeichnung einer Lebensversicherung unter Einsetzung einer anderen Person zum Versicherungsnehmer. Bezeichnend für die Unredlichkeit gegen Gläubiger ist, daß die Tat sich gegen die Gläubiger richtet, die der Schuldner bereits hat, wenn die strafbare Handlung vorgenommen wird. Es ist somit nicht strafbar, wenn eine schuldenfreie Person, die beabsichtigt, sich auf risikoreiche Geschäfte einzulassen, i h r Vermögen an ihre Kinder verschenkt, u m damit zu verhindern, daß es für die Bezahlung der Schulden verwendet wird, i n welche sie durch ihre Geschäfte geraten kann. Ferner liegt keine Unredlichkeit gegen Gläubiger vor, wenn eine schuldenfreie Person, die nicht i n Zahlungsschwierigkeit ist, eine Geldsumme verschenkt, ihre übrigbleibenden Eingänge aber ausreichen, ihre bereits fälligen Schulden zu begleichen und sie vernünftige Aussichten hat, ausreichend zu verdienen, u m sich von ihren übrigen Schulden zu befreien, wenn diese jeweils fällig werden. Auch wenn es sich später zeigt, daß ihr Einkommen geringer ist als berechnet, und sie deshalb i n Zahlungsschwierigkeit gerät, kann ihre frühere Schenkung nicht zu einer strafrechtlichen Verantwortung führen. Überhaupt gilt, daß eine Weggabe von Sachen, die i n dem Zeitpunkt, i n dem sie erfolgt, Wirtschaft-
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lieh zu verteidigen ist, nicht strafbar ist, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners sich später verändern. Die Unredlichkeit gegen Gläubiger ist vollendet, sobald die Zerstörung oder das Verschenken von Vermögensgegenständen durch den Schuldner ihn i n Zahlungsschwierigkeiten bringt oder diese verschlimmert. Strafbarkeit liegt ebenfalls vor, wenn die Gäubiger später volle Befriedigung für ihre Forderung erhalten. Z u den Verpflichtungen des Schuldners sind auch Unterhaltspflichten gegenüber Kindern, Gatten und Eltern zu rechnen. Somit liegt eine Unredlichkeit gegen Gläubiger vor, wenn ein Mann seine Einkünfte seiner Familie überläßt, u m Zahlung eines Unterhaltsbeitrages für ein außereheliches K i n d zu verhindern. Nach den früheren Bestimmungen über die Konkursdelikte war für die Strafbarkeit erforderlich, daß der Schuldner i n Konkurs geriet oder ohne Konkurs eine öffentliche Vergleichsverhandlung erreichte. Jetzt ist dies nicht mehr notwendig. I n der Natur der Sache liegt es jedoch, daß es oft schwer ist, die Zahlungsschwierigkeit einer Person zu beweisen, ohne daß sie i n Konkurs gerät oder bei dem Versuch der Vollstreckung ohne vollstreckbare Einkünfte angetroffen wird. Als Beweis für die Zahlungsschwierigkeit einer Person können jedoch auch die Umstände dienen, die neben einem erfolglosen Vollstreckungsversuch Anlaß zum Konkurs geben, ζ. B. daß ein Kaufmann seine Zahlungen einstellt oder während einer gewissen Zeit die Zahlung eines protestierten Wechsels unterläßt. Die andere Form der Unredlichkeit gegen Gläubiger w i r d dadurch charakterisiert, daß der Schuldner bei einer Zwangsvollstreckung zum Nachteil seiner Gläubiger seine Vermögensstellung als schlechter darstellt, als sie ist. Zwei Typen solcher Verhaltensweisen sind strafbar. So ist es strafbar, wenn der Schuldner, der i n Konkurs geraten ist, öffentliche Vergleichsverhandlungen außerhalb eines Konkurses erreicht hat oder dem der Offenbarungseid auferlegt worden ist, Einkünfte verschweigt, nicht vorhandene Schulden angibt oder eine ähnliche unrichtige Auskunft gibt. Strafbar ist es jedoch nicht, wenn die Auskunft auf Veranlassung des Schuldners oder einer anderen Person berichtigt wird, bevor der Schuldner beim Konkurs oder bei einer Vergleichsverhandlung das Vermögensverzeichnis beschworen oder den Vollstreckungseid geleistet hat oder bevor die Auskunft auf andere Weise dem Vollstreckungsverfahren zugrundegelegt worden ist. Zu beachten ist, daß nur Handlungen, die sich gegen die Gläubiger insgesamt richten, als Unredlichkeit gegen Gläubiger bestraft werden. Eine unrichtige Auskunft, durch die einem einzigen Gläubiger Schaden zugefügt wird, ζ. B. die Nichtangabe seiner Forderung, gehört nicht zu dem hier behandelten Delikt. Wenn der Schuldner das Vermögensverzeichnis beeidigt und dabei eine solche Forderung nicht angibt, w i r d
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er wegen Meineids bestraft. Die Bestrafung wegen Meineids ist auch die einzige Folge, die bei der Angabe eines erdichteten Einkommens eintreten kann. — Der andere hierher gehörige Typ liegt vor, wenn der Schuldner durch die Berufung auf eine unrichtige Urkunde oder einen Scheinvertrag verhindert, daß erforderliche Vermögensgegenstände i n Anspruch genommen werden, u m dem Gläubiger Bezahlung oder Sicherheit durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme als Konkurs oder Vergleichsverhandlung leisten zu können, ζ. B. Zwangsvollstreckung, Lohnpfändung oder Beschlagnahme. I n diesen Fällen kann somit ein bloßes Verschweigen einer Einnahme (ohne Eid) nicht bestraft werden. Die dritte Form der Unredlichkeit gegen Gläubiger liegt vor, wenn ein i n Konkurs geratener Schuldner der Konkursverwaltung Einkünfte entzieht oder vorenthält, oder wenn ein Schuldner, der so schlechte wirtschaftliche Verhältnisse hat, daß der Konkurs nahe bevorsteht, Einkünfte von wirtschaftlicher Bedeutung m i t dem Vorsatz, diese Einkünfte dem Konkurs vorzuenthalten, ins Ausland verbringt. Auch der Versuch, Einkünfte ins Ausland zu bringen, ist strafbar. Die Unredlichkeit gegenüber Gläubigern ist i n zwei Grade eingeteilt, von denen der m i t der härteren Strafdrohung schwere Unredlichkeit gegen Gläubiger (11:2) genannt wird. Als Beispiele von Umständen, die die Unredlichkeit zu einer schweren machen, erwähnt das Gesetz, daß der Schuldner eine unrichtige Angabe i n dem Vermögens Verzeichnis oder i m Vollstreckungsverzeichnis beeidigt hat, daß er eine falsche Urkunde oder irreführende Buchführung verwendet hat oder daß die Tat von erheblichem Umfang war, was ζ. B. der Fall ist, wenn seine Schulden sehr groß sind oder sein Verhalten auf die Größe der Verteilung der Konkursmasse bemerkenswert eingewirkt hat. Die Strafe für Unredlichkeit gegen Gläubiger ist Gefängnis bis zu zwei Jahren und für schwere Unredlichkeit Gefängnis von sechs Monaten bis zu sechs Jahren. Gläubigergefährdung (Nachlässigkeit gegenüber Gläubigern; värdslöshet mot borgenärer) Unter dieser Bezeichnung werden i n 11:3 bestimmte Handlungen von gleicher A r t wie diejenigen behandelt, die die Unredlichkeit gegen Gläubiger charakterisieren, aber für weniger strafwürdig gehalten werden. Die i n Frage kommenden Delikte sind von zweierlei A r t . Die eine A r t umfaßt wie die erste Form der Unredlichkeit gegen Gläubiger bestimmte Maßnahmen, durch die der Schuldner seine Zahlungsschwierigkeit verursacht oder verschlechtert. Als erste dieser
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Maßnahmen erwähnt das Gesetz, daß ein Schuldner, der ein Unternehmen betreibt, diesen Betrieb unter Verbrauch bedeutender Mittel ohne entsprechenden Nutzen für den Betrieb fortführt. Der Gesetzgeber hat hier beabsichtigt, den Geschäftsinhabern, die Kredit erhalten haben, einzuschärfen, daß sie das Geschäft unter Rücksicht auf die Kreditgeber betreiben sollen. Strafbar sind i n erster Linie solche Schuldner, die ein verlustbringendes Geschäft dadurch i n Gang halten, daß sie sich Kredit mit dem i n Wirklichkeit als Kreditbasis wertlosen Geschäft verschaffen. Ferner liegt Gläubigergefährdung vor, wenn ein verschuldeter Geschäftsinhaber für seinen eigenen Bedarf aus dem Geschäft einen größeren Betrag entnimmt, als dieses vernünftigerweise ertragen kann. Das gleiche gilt für den, der das Geschäft i n Form einer Aktiengesellschaft betreibt und sich mehr Gehalt verschafft, als es die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft zulassen. Weiterhin w i r d es als Gläubigergefährdung bestraft, wenn der Schuldner dadurch seine Zahlungsschwierigkeit bewirkt oder verschlechtert, daß er verschwenderisch lebt — d. h. für seinen eigenen Bedarf einen bedeutend größeren Betrag verwendet, als es m i t Rücksicht auf seinen Beruf und seine Stellung angemessen ist — indem er sich auf abenteuerliche Unternehmungen oder leichtsinnige Schuldverpflichtungen einläßt oder andere solche Maßnahmen ergreift. Z u merken ist, daß es nicht als Schuldnerdelikt strafbar ist, wenn eine schuldenfreie Person Schulden macht, die sie nicht bezahlen kann. Wer Schulden hat, ist dagegen aus Rücksicht auf seine bisherigen Gläubiger verpflichtet, sich von hochgradig risikovollen Geschäftstransaktionen fernzuhalten. Für die Unredlichkeit gegen Gläubiger w i r d gefordert, daß der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit vorsätzlich bewirkt oder verschlechtert. Gläubigergefährdung liegt dagegen schon dann vor, wenn der Schuldner den Zustand der Zahlungsschwierigkeit durch grobe Fahrlässigkeit bewirkt oder verschlechtert. Die andere A r t von Gläubigergefährdung entspricht der anderen A r t der Unredlichkeit gegen Gläubiger. Gläubigergefährdung liegt i n diesem Fall vor, wenn der Schuldner bei Konkurs oder i n öffentlicher Vergleichsverhandlung ohne Konkurs oder i n dem Verzeichnis zum Offenbarungseid aus grober Fahrlässigkeit Einkünfte verschweigt, nicht vorhandene Schulden angibt oder ähnliche unrichtige Auskünfte gibt. Wie bei der Unredlichkeit gegen Gläubiger t r i t t keine Strafe ein, wenn die Angabe berichtigt wird, bevor sie beeidigt w i r d oder sonst dem Vollstreckungsverfahren zugrundegelegt worden ist. Die Strafe für Gläubigergefährdung ist Gefängnis bis zwei Jahre.
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Gläubigerbegünstigung (mannamân mot borgenärer) Wie bei der Behandlung des Konkursverfahrens näher dargestellt wird, bezweckt dieses, eine Verteilung der Einkünfte des Konkursschuldners zwischen seinen Gläubigern herbeizuführen m i t Rücksicht auf die Größe ihrer Forderung und ihres gegenseitigen Vortrittsrechts. U m zu verhindern, daß der Schuldner die Grundlagen für eine solche Verteilung erschüttert, indem er unzulässig einen Gläubiger auf Kosten der übrigen bevorzugt, w i r d i n 11:4 eine Strafe für die Begünstigung von Gläubigern festgesetzt. Diese Straftat liegt vor, wenn der Schuldner vor einem bevorstehenden Konkurs die Forderung eines Gläubigers bezahlt oder eine Sicherheit für sie bestellt und dadurch i n beträchtlicher Weise das Recht der übrigen Gläubiger verringert. Der Bezahlung und der Bestellung einer Sicherheit werden andere ähnliche Handlungen gleichgestellt, ζ. B. daß der Schuldner, der Waren auf Kredit gekauft hat, den Kauf rückgängig macht, d. h. die Waren zurückgibt und dadurch den Verkäufer von der Notwendigkeit befreit, mit unsicherem Resultat für den Konkurs seine Forderung auf das Kaufgeld zu überwachen. Ist der Schuldner buchführungspflichtig, ist er strafbar schon dann, wenn er auf die beschriebene Weise einen Gläubiger begünstigt, bevor der Konkurs als bevorstehend bezeichnet werden kann, seine wirtschaftliche Stellung aber so ist, daß er gemäß gutem Kaufmannsbrauch seine Zahlungen offenbar einstellen müßte. Als Gläubigerbegünstigung w i r d schließlich auch bestraft, daß der Schuldner unehrlich bei Vergleichsverhandlungen ohne Konkurs verfährt, indem er einem Gläubiger Bezahlung oder einen anderen Vorteil verspricht mit dem Zweck, diesen dazu zu überreden, der Vergleichsvereinbarung beizutreten. Unter bestimmten Voraussetzungen ist der Gläubiger wegen Teilnahme an der Gläubigerbegünstigung strafbar. Das ist der Fall, wenn er, u m den Schuldner zu einer Tat zu veranlassen, sich unangemessener Drohungen oder unzulässiger Versprechungen einer Vergünstigung bedient oder wenn er i n heimlichem Einverständnis m i t dem Schuldner handelt. Die Strafe für Gläubigerbegünstigung ist Gefängnis bis zwei Jahre. Verletzung der Buchführungspflicht (bokföringsbrott) Ein Schuldnerdelikt von gewissermaßen anderer A r t als die bisher bekannten ist die Verletzung der Buchführungspflicht gemäß 11:5. I m Buchführungsgesetz (1929:117) werden, wie i n einem anderen Zusammenhang näher dargestellt wird, Bestimmungen darüber aufgestellt, wann eine Buchführungspflicht gegeben ist und wie diese erfüllt 26 Ausländisches Strafrechl V
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werden soll. Für Aktiengesellschaften und wirtschaftliche Vereinigungen werden weiterhin bestimmte Vorschriften i n den für diese A r t von Zusammenschlüssen geltenden besonderen Gesetzen gegeben. Die Strafbestimmungen für einen Verstoß gegen die Regeln über die Buchführungspflicht sind i n den eben genannten Paragraphen des B r B aufgenommen worden. Jedoch werden nicht alle Verstöße gegen die Buchführungspflicht bestraft. Der Anlaß hierzu ist, daß die Buchführung eines Geschäfts privaten Charakter hat und es zu großen Ungelegenheiten für den i m Wirtschaftsleben Stehenden führen kann, wenn seine Geschäftsgeheimnisse bei einer polizeilichen Untersuchung bloßgelegt werden. Man hat daher eine Anklage wegen Versäumung der Buchführungspflicht nur i n den Fällen für notwendig angesehen, i n denen man Anlaß hat anzunehmen, daß der Buchführungspflichtige seine wirtschaftlichen Verpflichtungen nicht erfüllen kann und die Handelsbücher aus diesem Anlaß sowieso Gegenstand einer Untersuchung werden. I m Gesetz w i r d daher bestimmt, daß Anklage wegen Verletzung der Buchführungspflicht nur erhoben werden darf, wenn der Schuldner innerhalb fünf Jahren seit der Tat i n Konkurs gefallen ist, einen Vergleich erreicht hat, einen Vergleich angeboten oder seine Zahlungen eingestellt hat. Diese Einschränkung des Anklagerechts bedeutet jedoch nicht, daß ein Wirtschaftsunternehmen ohne Risiko der Folgen falsche Bücher führen oder nachlässig i n seiner Buchführung sein darf, wenn es sich bloß davor hütet, i n Zahlungsschwierigkeiten zu geraten. Eine Versäumung der Buchführungspflicht kann zu Tadel und anderen Maßnahmen von Revisoren, Teilhabern und Kreditgebern führen, die ernste wirtschaftliche Wirkungen für den Säumigen haben können. Weiter ist zu bemerken, daß — wie schon früher bemerkt — die Benutzung einer irreführenden Buchführung zum Zweck eines Betruges, einer Unterschlagung oder Treulosigkeit gegenüber dem Auftraggeber regelmäßig dazu führt, daß die Tat als schwere zu betrachten ist. Die Berufung auf eine falsche oder fahrlässige Buchführung kann Strafbarkeit wegen Steuerbetrugs oder fahrlässiger Steuererklärung nach dem Steuerstrafgesetz mit sich führen. Außerdem w i r d i n § 10 des Steuerstrafgesetzes die Strafbarkeit für die Erschwerung der Steuerkontrolle festgesetzt. Dieses Delikt liegt vor, wenn jemand — ohne daß er strafbar wegen eines Buchführungsdelikts gemäß B r B ist — seine Buchführungspflicht oder die Pflicht zur Führung und Bewahrung von Rechenschaften, welche für bestimmte Steuerpflichtige vorgeschrieben sind, nicht beachtet und dadurch ernsthaft die Kontrolltätigkeit der Behörde bei der Berechnung von Steuern oder allgemeinen Abgaben erschwert. Die Strafe hierfür ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren.
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Als Verletzung der Buchführungspflicht werden auch nicht alle Fälle bestraft, i n denen ein Gewerbetreibender seine Buchführungspflicht versäumt, sondern nur die Fälle, i n denen die Versäumnis vorsätzlich oder aus Unachtsamkeit erfolgt und dazu führt, daß die Stellung und Entwicklung des Unternehmens in wesentlichen Fragen nicht mit Hilfe der Buchführung beurteilt werden können. So werden einzelne Flüchtigkeitsfehler oder fehlerhafte Eintragungen nicht bestraft. Mehrere kleinere Fehler können jedoch zusammen dazu führen, daß die Buchführung allmählich so schwer überschaubar wird, daß ein strafbares Verhalten vorliegt. Eine Verletzung der Buchführungspflicht kann sowohl durch die Eintragung unrichtiger Auskünfte i n die Handelsbücher als auch durch das Unterlassen der Eintragung von eintragungspflichtigen Auskünften begangen werden. Die Bestrafung unrichtiger Wertangaben i n der Buchführimg ist oft nicht möglich, was darauf beruht, daß die Bewertung von Einkünften i n einem Betrieb eine reine Ermessensfrage ist und es daher schwer zu beweisen ist, daß der Schuldner bei der Bewertung vorsätzlich oder aus Unachtsamkeit falsche Angaben gemacht hat. Hinzu kommt, daß die Schaffung stiller Reserven durch die Ansetzung von Vorräten und anderen Einkünften unter ihrem wirklichen Wert i n bestimmter Ausdehnung erlaubt ist, und daß es unter den Unternehmern sogar als verdienstvoll angesehen wird, so zu handeln. Wenn die Einkünfte ganz offenbar auf eine Weise über- oder unterbewertet werden, die gegen gute Geschäftssitten streitet, t r i t t jedoch eine strafrechtliche Haftung ein. Die Strafe für die Verletzung der Buchführungspflicht ist Gefängnis bis zu zwei Jahren. Ist die Tat leicht, kann die Strafe Geldstrafe sein. Das bisher über die Schuldnerdelikte Gesagte könnte zu der A n nahme führen, daß nur der Schuldner selbst ein Schuldnerdelikt begehen und dafür bestraft werden könnte. Das ist jedoch nicht der Fall. Gemäß der Sondervorschrift i n 11:7 soll derjenige, welcher anstelle des Schuldners steht, bestraft werden, als ob er selbst der Schuldner wäre, wenn er eine solche Handlung begangen hat, die unter die Schuldnerdelikte fällt. Dies gilt vor allem für diejenigen, die Aktiengesellschaften, Vereine oder andere Zusammenschlüsse vertreten, d. h. Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer usw. sowie für sämtliche gesetzliche Vertreter wie Vormünder und Treuhänder. Auch andere Personen, die anstelle des Schuldners handeln, können wegen einer Schuldnerstraftat bestraft werden, ζ. B. ein angestellter Buchhalter, der unrichtige Bücher ohne das Wissen des Schuldners führt. I n diesem Fall macht sich jedoch auch der Schuldner strafbar, wenn er versäumt hat, die Buchführung zu überwachen.
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Sachbeschädigung u. a. B r B Kap. 12 enthält Bestimmungen über die Sachbeschädigung und Benutzung eines verbotenen Weges. Sachbeschädigung (skadegörelse) Diese Straftat liegt gemäß 12:1 vor, wenn man feste oder bewegliche Vermögensgegenstände zum Nachteil des Rechts eines anderen zerstört oder beschädigt. Unter Schaden versteht man hier eine äußere Veränderung einer unbeweglichen oder beweglichen Sache, die eine Verschlechterung der Brauchbarkeit oder des Aussehens der Sache bedeutet. Es ist nicht notwendig, daß die beschädigte Sache einen Vermögenswert hat. Auch die Beschädigung von Gegenständen, die nur einen sogenannten Affektionswert haben, ist strafbar. Die Veränderung darf jedoch nicht allzu gelegentlich oder unbedeutend sein. Ein leichter Fleck, der ohne Schwierigkeiten entfernt werden kann, ist somit keine Sachbeschädigung i m Sinne des Gesetzes. Es ist nicht notwendig, daß die beschädigte Sache einem anderen als dem Täter gehört. Es genügt, daß die Sachbeschädigung einen Nachteil für das Recht eines anderen an der Sache herbeiführt. So kann der Eigentümer selbst wegen Sachbeschädigung bestraft werden, wenn er sein eigenes Haus zum Nachteil für die Mieter oder Miteigentümer anzündet, unter der Voraussetzung natürlich, daß die Tat nicht eine solche Gefahr bedeutet, daß er wegen Brandstiftung (mordbrand) strafbar ist. Für die Strafbarkeit w i r d gefordert, daß die Tat vorsätzlich verübt wird. Fahrlässige Sachbeschädigung führt i n der Regel bloß die Verpflichtung zum Schadensersatz m i t sich. Jedoch sind bestimmte Fälle der fahrlässigen Sachbeschädigung strafbar (Kap. 13). Nicht alle Fälle der Sachbeschädigung werden nach Kap. 12 bestraft; i n bestimmten Fällen ist Strafbarkeit nach anderen Vorschriften gegeben. So kann, wie bereits angedeutet, Strafbarkeit für Sachbeschädigung gemäß Kap. 13 gegeben sein. Weiter kann eine Sachbeschädigung einen Verstoß gegen Kap. 14 bedeuten, ζ. B. die Unterdrückung von Urkunden, Wertzeichenfälschung oder Fälschung eines festen Kennzeichens (s. Fälschungsdelikte). Die Zerstörung eigener Sachen kann als Unredlichkeit gegen Gläubiger beurteilt werden (s. Schuldnerstraftaten). Die Sachbeschädigung ist m i t Rücksicht auf die Schwere des Delikts i n drei Grade eingeteilt: Schadenszufügung (12:2), Sachbeschädigung (12:1) und schwere Sachbeschädigung (12:3).
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Schadenszufügung liegt vor, wenn die Sachbeschädigung m i t Rücksicht auf die Geringfügigkeit des Schadens und die übrigen Umstände der Tat als leicht angesehen werden kann. Außerdem werden gemäß 12:2 Abs. 2 als Schadenszufügung gewisse Verfahrensweisen m i t dem Zubehör eines Grundstücks bestraft, die eigentlich als Zueignungsdelikte gemäß Kap. 8 oder Unterschlagung gemäß Kap. 10 betrachtet werden müßten, aber nach allgemeiner Auffassung milder als die gewöhnlichen Wegnahme- und Unterschlagungshandlungen behandelt werden. Es handelt sich hier um Naturprodukte, d. h. Produkte, die nicht Gegenstand menschlicher Bearbeitung i n Form von Pflanzung oder Erzeugung, Bearbeitung oder Sammlung waren. Näher bestimmt w i r d Strafe angedroht dem, der i n Wald oder Feld unerlaubt wachsende Bäume oder Gräser wegnimmt oder auf einem solchen Gebiet von wachsenden Bäumen unbefugt Reisig, Äste, Birkenrinde, Rinde, Laub, Bast, Eicheln, Nüsse oder Harz wegnimmt. Dagegen ist es nicht strafbar, Beeren von wildwachsenden Bäumen oder Büschen oder Zapfen von Nadelbäumen zu pflücken. Bestraft w i r d auch, wer i m Wald oder Feld unerlaubt Windbruch (d. h. vom Wind gebrochene Bäume oder Zweige), Steine, Kies, Torf oder anderes dieser A r t , das nicht zum Gebrauch bereitgestellt ist, wegnimmt. Darunter fällt u. a. Tang und i n bestimmten Fällen Moos. A u f dem Feld eines anderen Preiselbeeren, Blaubeeren, Multebeeren und andere Beeren, wilde Blumen und Pilze sowie herabgefallene Tannenzapfen, Eicheln oder Nüsse aufzunehmen, ist jedoch voll erlaubt. Die Wegnahme eines der i n der Vorschrift aufgeführten Naturprodukte w i r d jedoch als Schadenszufügung nur unter der Voraussetzung bestraft, daß die Tat m i t Rücksicht auf den Wert des Entwendeten und die übrigen Umstände als leicht anzusehen ist. Sind Erzeugnisse von hohem Wert oder ζ. B. i n Verkaufsabsicht weggenommen worden, ist dies nach den gewöhnlichen Bestimmungen für Diebstahl, eigenmächtiges Verfahren und Unterschlagung strafbar. Zu beachten ist auch, daß die Wegnahme von Grundstückszubehör, das Gegenstand menschlicher Bearbeitung war, die sogenannten Kulturprodukte (ζ. B. Obst i n Gärten, wachsendes Getreide, Gras auf bearbeiteter Böschung, gefällte Bäume, bearbeiteter Windbruch, gesammelte Zapfen), niemals als Schadenszufügung betrachtet werden kann, sondern daß eine solche Tat unabhängig von größerer oder geringerer Schwere immer als Zueignungs- oder Unterschlagungsdelikt zu behandeln ist. Als Hinweis für die Beurteilung, ob eine schwere Sachbeschädigung vorliegt, nennt das Gesetz bestimmte Umstände, die i n der Regel die Tat zu einer schweren machen. Hier w i r d zunächst der Fall genannt, daß die Tat eine ganz besondere Gefahr für Leib oder Leben eines anderen mitgeführt hat. Man muß aber doch daran denken, daß i n einem solchen Fall oft die Voraussetzungen für Brandstiftung oder allgemein-
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gefährliche Unheilstiftung erfüllt sind und dann die Strafbarkeit wegen eines dieser Delikte gegeben ist. I m übrigen soll nach dem Gesetz die schwere Sachbeschädigung als gegeben angesehen werden, wenn die Tat an einer Sache verübt worden ist, die große wirtschaftliche oder kulturelle Bedeutung hat, oder wenn der Schaden sonst besonders fühlbar ist. Die Strafe für Schadenszufügung ist Geldstrafe, für Sachbeschädigung Gefängnis bis zu sechs Monaten und für schwere Sachbeschädigung Gefängnis bis zu vier Jahren. Versuch und Vorbereitung der schweren Sachbeschädigung sowie die Unterlassung der Aufdeckung einer solchen Tat sind strafbar, aber dies gilt nicht für die Schadenszufügung und Sachbeschädigung. Wenn die Schadenszufügung nur private Rechte verletzt, darf vom Ankläger keine Anklage erhoben werden, wenn nicht die Anklage aus besonderen Gründen unter dem Gesichtspunkt der Allgemeinheit erforderlich ist. Benutzung eines verbotenen Weges (tagande av olovlig väg) I n 12:4 w i r d schließlich die Benutzung eines verbotenen Weges bestraft. Dieses Delikt liegt vor, wenn man unbefugt über ein Grundstück oder eine Anpflanzung oder über ein anderes Besitztum, das dadurch beschädigt werden kann, fährt oder geht. Einen verbotenen Weg über ein Grundstück oder eine Anpflanzung (womit ein Garten oder ein anderes bepflanztes kleineres Gebiet gemeint ist) zu nehmen, ist somit immer strafbar, während das Betreten anderen Grunds und Bodens straffrei ist, wenn dadurch kein Schaden verursacht wird. Das Gehen über einen frisch gesäten Acker oder ein Getreidefeld ist also strafbar, während das Betreten eines Waldgebietes i n der Regel straffrei ist. Die Provinzverwaltung kann jedoch unter bestimmten Voraussetzungen m i t Geldstrafe bewehrte Verbote des Betretens von Feldgebieten erlassen, auch wenn diese nicht unter die i n Kap. 12 aufgestellte Vorschrift fallen. M i t dem Begriff „einen Weg zu nehmen" sind Fahren, Reiten oder Gehen über ein Gebiet, das keinen Weg darstellt, gemeint. Auch bei einer einzelnen Gelegenheit, unerlaubt über ein solches Gebiet zu gehen, ist strafbar. Die Strafe ist Geldstrafe, und die Straftat ist derselben Anklagebegrenzung wie die Schadenszufügung unterworfen.
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I V . Gemeingefährliche Straftaten Charakteristisch für die i m B r B Kap. 13 behandelten gemeingefährlichen Straftaten ist, daß sie i n Allgemeinheit eine Gefahr für Leib und Leben von Menschen, eine Zerstörung von Gegenständen oder eine Störung staatlicher Funktionen, die nicht nur einzelne Menschen oder Gegenstände, sondern einen mehr unbestimmten oder weit gestreckten Kreis bedrohen, hervorrufen. Diese Delikte werden i n Übereinstimmung m i t dem, was bei den Fälschungs- und Eidesdelikten der Fall ist, i n erster Linie deshalb m i t Strafe belegt, weil sie sich gegen öffentliche Interessen richten, vor allen Dingen gegen das Interesse der allgemeinen Sicherheit für Person und Eigentum. Das bedeutet nicht, daß Privatinteressen durch diese Delikte nicht beeinträchtigt werden können. I m Gegenteil können dem Einzelnen durch sie schwere körperliche und wirtschaftliche Schäden zugefügt werden. Wenn jedoch eine schädigende Handlung nicht m i t der für die gemeingefährlichen Straftaten entscheidenden Gefahr verbunden ist, ist sie zu anderen Gruppen von Straftaten zu zählen, ζ. B. zu den Delikten gegen Leben und Gesundheit i n Kap. 3 oder zur Sachbeschädigung Kap. 12. Brandstiftung (mordbrand) Die Bestimmungen über die gemeingefährlichen Delikte werden eingeleitet mit einer Bestimmung i n 13:1 über Brandstiftung. Diese liegt vor, wenn jemand einen Brand anlegt, der eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit eines anderen oder für umfassende Zerstörungen von Vermögensgegenständen eines anderen bedeutet. Brandstiftung erfordert somit als erstes, daß ein Brand angelegt worden ist. Damit ist gemeint, daß man ein selbständig brennendes Feuer verursacht hat. Damit dies der F a l l ist, müßte i n der Regel gefordert werden, daß das Feuer i n Flammen schlägt oder daß zumindest in dem angezündeten Gegenstand ein Verbrennungsprozeß von solcher Stärke entstanden ist, daß eine bestimmte Gefahr besteht, daß er sich selbständig ausbreitet. Weiter w i r d ein Brand dadurch charakterisiert, daß er ein Feuer ist, daß „losgekommen" ist, d. h. ein Feuer, das nicht unter Kontrolle ist. Brennt man einen Reisighaufen an, ohne daß Gefahr besteht, daß sich das Feuer ausbreiten wird, liegt also auch keine Inbrandsetzung vor. Weiter w i r d für die Brandstiftung gefordert, daß der Brand eine Gefahr für einen anderen bedeutet, nämlich für dessen Leben und Gesundheit oder für eine umfangreiche Zerstörung seines Vermögens. Unter umfangreicher Zerstörung des Vermögens w i r d ein Schaden verstanden, der in seinem Umfang bedeutend ist. Bei der Beurteilung hier-
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von muß jedoch auch unter anderem Rücksicht auf die Bedeutung des Schadens aus wirtschaftlichen oder kulturellen Gesichtspunkten genommen werden. Das Anzünden des eigenen Hauses ist somit keine Brandstiftung, es sei denn, daß die genannte Gefahr vorliegt, ζ. B. dadurch daß jemand zur Zeit der Inbrandsetzung sich i m Hause befindet, daß Vermögensgegenstände eines anderen darin verwahrt werden oder daß die Gefahr besteht, daß das Feuer sich auf fremde Gebäude oder Räume, i n denen sich andere Menschen befinden, ausbreitet. Es ist auch keine Brandstiftung, die Sachen eines anderen von geringem Umfang und Wert anzuzünden, wenn der Brand allein diese Sache bedroht, ζ. B. einen Heustapel mitten auf einem Feld. Eine solche Handlung ist stattdessen als Sachbeschädigung strafbar. Es muß jedoch beachtet werden, daß die Brandstiftung nicht fordert, daß die Gefahr verwirklicht worden ist, also jemand getötet oder geschädigt oder Vermögensgegenstände zerstört worden sind; die Tat ist vollendet, sobald der Brand entstanden und die Gefahr für einen anderen hervorgerufen ist. W i r d jemand durch den Brand getötet oder verletzt, ist dies auch gemäß B r B Kap. 3 strafbar. Eine gemeinsame Strafe w i r d dabei für beide Straftaten bemessen. Dagegen w i r d nur wegen Brandstiftung und nicht zugleich wegen Sachbeschädigung Strafe verhängt, wenn die Brandstiftung einen Schaden an fremden Vermögensgegenständen verursacht hat. Die Strafbarkeit wegen Brandstiftung setzt schließlich voraus, daß der Täter vorsätzlich gehandelt hat. Das bedeutet einerseits, daß er m i t Wissen und Willen den Brand angelegt, andererseits, daß er die U m stände gekannt hat, die die Gefahr für einen anderen m i t sich führen (ζ. B. daß jemand sich i n dem angezündeten Gebäude aufhielt oder daß der Wind i n Richtung der angrenzenden Bebauung wehte), zum anderen vermutlich, daß er erkannt hat, daß ein bestimmtes Risiko für andere gegeben war. Für die Annahme des Vorsatzes reicht es im übrigen, daß der Täter über diese Umstände i m ungewissen war, aber daß er von der Inbrandsetzung auch nicht Abstand genommen hätte, wenn er völlig sicher gewesen wäre, daß diese Umstände vorlagen. Dagegen fordert das Gesetz nicht, daß der Täter den Vorsatz gehabt haben muß, einem anderen einen tatsächlichen Schaden an Person oder Eigentum zuzufügen. Es ist somit Brandstiftung, wenn jemand Feuer an ein Haus legt, i n dem, wie er weiß, jemand schlafend liegt, auch wenn er hofft, daß diese Person erwachen und sich vor dem Verbrennen retten wird. W i r d die Tat aus Fahrlässigkeit begangen, kann eine Bestrafung wegen gemeingefährlicher Fahrlässigkeit erfolgen (s. u.). M i t Rücksicht auf die Schwere des Delikts w i r d die Brandstiftung i n zwei Grade
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eingeteilt, Brandstiftung (1:3) und schwere Brandstiftung (13:2). Bei der Beurteilung, ob eine Brandstiftung als schwere anzusehen ist, soll man nach dem Gesetz besonders darauf achten, ob der Brand i n einem dicht bebauten Ort angelegt worden ist, wo er sich leicht ausbreiten konnte, oder ob er sonst eine Gefahr für mehrere Menschen oder für Vermögensgegenstände von besonderer Bedeutung darstellte. Bei dem zuletzt genannten Ausdruck denkt man an den Fall, daß die bedrohte Sache von besonders großem Umfang oder bedeutendem Wert oder besonders bedeutungsvoll ζ. B. für die Versorgung der Bevölkerung (ζ. B. ein größeres Warenlager) oder unter kulturellen Gesichtspunkten (als historisches oder künstlerisch bedeutendes Gebäude) war. Die Strafe für Brandstiftung ist Gefängnis von zwei bis zu acht Jahren, für schwere Brandstiftung Gefängnis von sechs bis zu zehn Jahren oder auf Lebenszeit. Versuch, Vorbereitung und Verabredung zur Brandstiftung sowie das Unterlassen ihrer Aufdeckung sind nach den Regeln i m B r B Kap. 23 strafbar. Gemeingefährliche Unheilstiftung (allmänfarlig ödeläggelse) Eine mit der Brandstiftung verwandte allgemeingefährliche Straftat ist die allgemeingefährliche Unheilstiftung gemäß 13:3. Auch hier w i r d die Herbeiführung einer Gefahr für Leben oder Gesundheit eines anderen oder für eine umfangreiche Zerstörung fremder Vermögensgegenstände bestraft. Die Gefahr soll jedoch nicht durch Brand, sondern durch Explosion, Überschwemmung, Erdeinsturz, Schiffsbruch, Flug- oder Zugunglück oder durch anderes solches „Unheil tc verursacht werden. Das Unglück muß — wie die gegebenen Beispiele zeigen — von umfangreicher Beschaffenheit sein. Ein gewöhnliches Autounglück gehört somit nicht hierher. I m übrigen gelten für die Voraussetzungen der Strafbarkeit und für die Bestrafung wegen gemeingefährlicher Unheilstiftung i n den entsprechenden Teilen dasselbe wie für Brandstiftung. Sabotage (sabotage) Unter diese Bezeichnung sind i n 13:4 Sachbeschädigungen und andere Maßnahmen zusammen aufgeführt worden, die ernsthaft wichtige staatliche Funktionen hindern oder stören. Diese Handlungen können i n zwei besondere Gruppen eingeteilt werden. Die erste Gruppe umfaßt die Zerstörung oder Beschädigung von Vermögensgegenständen, die eine erhebliche Bedeutung für die Verteidigung, Volksversorgung, Rechtspflege oder Verwaltung oder für
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die Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung und Sicherheit haben. Hier ist ζ. B. an Sachbeschädigung an Befestigungsanlagen und Kasernen oder sogar bloß an einem einzigen Militärflugzeug (aber kaum bei einem Militärkraftwagen), den Amtsräumen eines Gerichtes oder einer Behörde, an einer für die Volksversorgung bedeutenden Fabrik, an einer Polizeiwache oder Brandstation gedacht. Der Zerstörung oder Beschädigung werden andere Maßnahmen gleichgestellt, die dazu führen, daß die Anwendung einer der soeben genannten Gegenstände ernsthaft gestört oder gehindert wird. Zu diesen Maßnahmen w i r d jedoch nicht die Verweigerung von Arbeitskraft oder die Aufforderimg hierzu gerechnet, wie vor allem Blockade, Streik und Aussperrung. Ein Streik i n einer für die Volksversorgung wichtigen Fabrik kann somit nicht als Sabotage bestraft werden, auch wenn der Betrieb dadurch lahmgelegt wird. I n kritischen Situationen darf der Staat versuchen, mit solchen Situationen auf andere Weise fertigzuwerden, ζ. B. durch Gesetze über die Dienstpflicht. Während des Krieges oder bei Kriegsgefahr kann die Verweigerung der Arbeitskraft i n bestimmten Situationen als Landesverrat strafbar sein. Die andere Gruppe der Sabotagehandlungen besteht i n Sachbeschädigung oder anderen Handlungen, die ernsthaft stören oder hindern den öffentlichen Verkehr (d. h. Verkehr auf Straßen, Eisen- und Straßenbahnen sowie zur See und i n der Luft) oder die Anwendung von Telegraph, Telefon, Radio oder ähnlichen öffentlichen Hilfsmitteln oder einer Anlage für die Versorgung der Allgemeinheit m i t Licht, Wärme oder K r a f t (d. h. u. a. Wasserwerke und Kraftwerke, die Wasser und Elektrizität zum allgemeinen Gebrauch liefern, seien sie i n öffentlichem oder privatem Besitz). Auch hier macht das Gesetz jedoch eine Ausnahme für Handlungen, die die Verweigerung der Arbeitskraft oder die Aufforderung hierzu darstellen. Zur Bestrafung wegen Sabotage ist erforderlich, daß die Tat vorsätzlich geschieht. Eine Bestrafung wegen Sabotage erfolgt nicht, wenn die Tat zugleich eine Brandstiftung oder gemeingefährliche Unheilstiftung darstellt. Während des Krieges oder bei Kriegsgefahr können die hierher gehörenden Taten als Landesverrat zu beurteilen sein. Ist die Sabotage als schwer anzusehen — ζ. B. wenn sie eine Gefahr für Schwedens Sicherheit oder für mehrere Menschenleben oder für Vermögensgegenstände von besonderer Bedeutung verursacht hat — w i r d sie gemäß 13:5 als schwere Sabotage behandelt. Die Strafe für Sabotage ist Gefängnis bis zu vier Jahren und für schwere Sabotage Gefängnis von zwei bis zu zehn Jahren oder auf
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Lebenszeit. Versuch, Vorbereitung und sowie die Unterlassung der Aufdeckung strafbar.
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Verabredung zur Sabotage einer solchen Straftat sind
K a p e r u n g von Luftfahrzeugen u n d Luftfahrtsabotage (kapning av luftfartyg, luftfartssabotage)
I m Zusammenhang m i t der Ratifizierung einer 1970 i m Haag angenommenen Konvention zur Bekämpfung der unbefugten Inbesitznahme von Luftfahrzeugen wurde 1971 i n Schweden eine neue Vorschrift 13:5 a über die Kaperung von Luftfahrzeugen i n den B r B eingeführt. Diese Bestimmung wurde 1973 ergänzt durch einen neuen Absatz über die Luftfahrtsabotage aus Anlaß der Ratifizierung einer 1971 i n Montreal geschlossenen Konvention durch Schweden. Eine Kaperung von Luftfahrzeugen liegt gemäß 13:5 a Abs. 1 vor, wenn jemand an Bord eines Luftfahrzeuges sich durch Nötigung des Fahrzeugs bemächtigt oder i n seine Manövrierung eingreift. M i t Nötigung w i r d eine solche Handlung verstanden, wie sie i n dem Tatbestand über die Nötigung i n 4:4 gemeint ist (s. oben), d. h. daß man durch Körperverletzung oder sonst m i t der Drohimg einer strafbaren Handlung jemanden zwingt, etwas zu tun, zu dulden oder zu unterlassen. Die Straftat soll „an Bord eines Luftfahrzeuges" verübt werden. Sie kann also auch begangen werden, wenn das Flugzeug sich auf dem Boden befindet. Luftfahrtsabotage besteht gemäß 13:5 a Abs. 2 darin, daß jemand sätzlich irgendeine andere Maßnahme ergreift, die geeignet ist, Gefahr für die Sicherheit des Luftfahrzeuges während des Fluges beizuführen, oder daß jemand das Luftfahrzeug unbrauchbar für Flug macht dadurch, daß er es zerstört oder beschädigt.
voreine herden
Die Strafe für diese Taten ist Gefängnis bis zu vier Jahren oder, wenn die Tat schwer ist, Gefängnis von zwei bis zu zehn Jahren oder auf Lebenszeit. Bei der Beurteilung, ob die Tat schwer ist, soll besonders beachtet werden, ob der Täter eine Gefahr für mehrere Menschenleben herbeigeführt hat oder ob die Tat sonst von besonders gefährlicher A r t war. Versuch, Vorbereitung und Verabredung zu diesen Delikten sowie die Unterlassung ihrer Aufdeckung ist strafbar. Gemeingefährliche Fahrlässigkeit (allmänfarlig vardslöshet)
Aus dem oben Angeführten geht hervor, daß Brandstiftung, gemeingefährliche Unheilstiftung, Sabotage und Luftfahrtsabotage vorsätzlich begangen werden müssen, damit auf sie Strafe folgen kann. W i r d die
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Tat aus Unachtsamkeit begangen, kann stattdessen die Strafe für gemeingefährliche Fahrlässigkeit gemäß 13:6 eintreten. Wer einen Waldbrand oder eine Gefahr dadurch verursacht, daß er ein brennendes Streichholz oder eine Zigarettenkippe wegwirft, kann ζ. B. nach dieser Vorschrift bestraft werden. E i n Verhalten, auf das die Bestimmung oft angewendet wird, ist, daß jemand ein Feuer dadurch verursacht hat, daß er vergessen hat, die Leitungsschnur eines elektrischen Bügeleisens oder eines anderen Haushaltsgeräts aus der Steckdose herauszuziehen. Die Strafe für gemeingefährliche Fahrlässigkeit ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten oder — wenn die Tat schwer ist — Gefängnis bis zu zwei Jahren. Verbreitung von Gift oder Ansteckungsstoffen und Vernichtung (spridande av gift eller smitta, förgöring) Von den gemeingefährlichen Delikten bleiben noch übrig die einander gleichgearteten Straftaten der Verbreitung von Gift oder Anstekkungsstoffen gemäß 13:7 und die Vernichtung gemäß 13:8 sowie die Fahrlässigkeit m i t Gift oder Ansteckungsstoffen gemäß 13:9. Ein Verbreiten von Gift oder Ansteckungsstoffen liegt vor, wenn jemand Lebensmittel, Wasser oder anderes vergiftet oder infiziert, auf andere Weise Gift oder ähnliches verbreitet oder eine ernsthafte Krankheit überträgt oder verbreitet und durch diese Handlung eine allgemeine Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen herbeiführt. Die Strafe hierfür ist Gefängnis bis zu sechs Jahren; ist die Tat schwer — ζ. B. wenn sie m i t dem Vorsatz geschieht, einem anderen an Leben und Gesundheit zu schaden, oder wenn viele Menschen der Gefahr ausgesetzt werden — w i r d der Täter m i t Gefängnis von vier bis zu zehn Jahren oder auf Lebenszeit bestraft. Die Vernichtung liegt vor, wenn jemand eine Gemeingefahr für Tiere oder Pflanzen mittels Gift hervorruft oder eine bösartige Krankheit überträgt oder verbreitet oder Ungeziefer oder Unkraut verbreitet oder i n ähnlicher Weise handelt. Die Strafe für Vernichtung ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Ist die Vernichtung schwer — so wenn sie i n der Absicht begangen wurde, Schaden zuzufügen, oder wenn Vermögensgegenstände von bedeutendem Wert der Gefahr ausgesetzt worden sind — ist die Strafe Gefängnis von sechs Monaten bis zu sechs Jahren. Versuch, Vorbereitung und Verabredung zur Verbreitung von Gift oder Ansteckungsstoffen und zur Vernichtung sowie das Unterlassen der Aufdeckung dieser Straftaten sind strafbar.
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Die Verbreitung von Gift oder Ansteckungsstoffen und die Vernichtung setzen Vorsatz beim Täter voraus. Wenn jedoch jemand aus grober Unachtsamkeit eine solche Handlung begeht, wie sie i n 13:7 oder 8 beschrieben wird, ist er gemäß 13:9 wegen Fahrlässigkeit mit Gift oder Ansteckungsstoffen zu bestrafen. Die Strafe hierfür ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu drei Jahren. Unterlassen der A b w e n d u n g einer Gemeingefahr underlâtenhet att a v v ä r j a allmänfara)
Ohne nach den bisher behandelten Vorschriften i m B r B Kap. 13 strafbar zu sein, kann jemand — beispielsweise bei der Handhabung m i t Feuer, Sprengstoffen oder Gift — die Gefahr eines Brandes oder eines solchen Unheils, wie es i n der Vorschrift über die gemeingefährliche Unheilstiftung vorausgesetzt wird, oder eine Gemeingefahr der i n den Bestimmungen über die Verbreitung von Gift oder Ansteckungsstoffen und Vernichtung genannten A r t herbeigeführt haben. Das ist ζ. B. der Fall, wenn jemand ein Feuer anzündet und dieses sich trotz der Beachtung vernünftiger Vorsicht ausgebreitet und eine Gefahr für das Leben oder Vermögen anderer herbeigeführt hat. Die strafrechtliche Verantwortung für gemeingefährliche Fahrlässigkeit kann hier nicht eintreten. Wer jedoch erkennt, daß er eine Gefahr der genannten A r t hervorgerufen hat, ohne zu versuchen, diese abzuwehren, macht sich strafbar gemäß 13:10 wegen unterlassener Abwendung einer Gemeingefahr. Die Strafe hierfür ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu einem Jahr. Andererseits w i r d i n 13:11 bestimmt, daß der, der sich wegen eines gemeingefährlichen Delikts strafbar gemacht hat, i n den Genuß einer gewissen Strafmilderung kommen kann, wenn er die von i h m herbeigeführte Gefahr freiwillig abgewehrt hat, bevor ein bedeutender Schaden entstanden war. Ein Brandstifter kann somit milder bestraft werden, wenn er das Feuer löscht, bevor es u m sich gegriffen und einen erheblichen Schaden verursacht hat. Ist die durch die Tat herbeigeführte Gefahr gering und ist die Tat nicht mit einer strengeren Strafe als Gefängnis bis zu einem Jahr bedroht (ζ. B. gemeingefährliche Fahrlässigkeit), t r i t t sogar Straffreiheit ein.
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V. Fälschungsdelikte und Meineid, falsche Anklage und andere unwahre Bekundung Fälschungsdelikte Die Fälschungsdelikte werden i m B r B Kap. 14 behandelt. Die Verfälschung w i r d vom Gesetz nicht i n erster Linie als Verletzung eines privaten Rechts aufgefaßt, sondern als Verletzung eines öffentlichen Interesses, nämlich des allgemeinen Vertrauens i n die Echtheit von Schriftstücken und anderen Urkunden und Gegenständen, die als Beweismittel i m Rechts- und Geschäftsleben Bedeutung zu haben pflegen. Oft stellt eine Fälschung zugleich einen Angriff gegen das w i r t schaftliche Recht einer Privatperson dar — jemand verfälscht ζ. B. eine Quittung, u m sich den Anschein zu geben, eine Schuld bezahlt zu haben und beraubt somit den Gläubiger seines Rechtes — aber für die Beurteilung der Tat ist dieser betrügerische wirtschaftliche Zweck nicht entscheidend. Die Fälschungsstrafe t r i t t auch bei tatsächlich erfolgter Bezahlung der Schuld ein, w e i l es für das Rechtsleben schädlich ist, daß unechte Beweismittel geschaffen und angewendet werden. Unecht ist ein Beweismittel, das i n der vorliegenden Fassung nicht von dem stammt, der es scheinbar unterzeichnet hat oder sonst als sein Aussteller darsteht. M i t der Schaffung unechter Beweismittel darf nicht verwechselt werden, daß einer echten Urkunde ein unrichtiger Inhalt gegeben wird. Ein solches Verfahren w i r d nicht als Fälschung betrachtet, kann aber i n bestimmten Fällen als unwahre Versicherung, unwahre Bescheinigung oder eine andere Straftat gemäß Kap. 15 bestraft werden. Der Schutz, der somit dem allgemeinen Vertrauen i n die Echtheit von Beweismitteln geschenkt wird, ist nicht an jedes Objekt gebunden, dem Bedeutung i n beweisrechtlicher Hinsicht zukommen kann, sondern an bestimmte Typen von Gegenständen, die i n dieser Hinsicht besondere Bedeutung haben, weil sie i m Handel und Wandel regelmäßig als Beweismittel angewendet werden. Dies ist der Fall bei Gegenständen, die durch Schrift, Ziffern oder andere Zeichen einen Gedankenausdruck des Ausstellers gegenüber einem größeren oder kleineren Kreis von Personen vermitteln. I n den einzelnen Bestimmungen i n Kap. 14 werden verschiedene Gruppen solcher Beweismittel aufgeführt. Urkundenfälschung (urkundsförfalskning) A n der Spitze der gegen Fälschung geschützten Beweismittel sind die Urkunden zu nennen. Der Ausdruck „Urkunde" w i r d i m B r B i n einer ganz speziellen Bedeutung gebraucht, die i n bestimmter Hinsicht von der sonstigen Bedeutung dieses Wortes abweichen dürfte. Unter
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„Urkunde" w i r d nämlich gemäß 14:1 — die Vorschrift, die die Urkundenfälschung bestraft — ein Protokoll, Vertrag, Schuldbrief, Zeugnis oder anderes Schriftstück, das zu Beweiszwecken errichtet worden ist oder sonst als Beweis von Bedeutung ist, sowie Legitimationskarten, ein Billet oder ein ähnliches „Beweiszeichen" verstanden. Als Urkunden werden somit teils Schriftstücke, teils bestimmte Zeichen, nämlich sogenannte Beweiszeichen bezeichnet. Schriftstücke sind dadurch gekennzeichnet, daß sie i n einer bestimmten sprachlichen Form abgefaßt sind, mittels welcher sie einen bestimmten Gedankeninhalt vermitteln. Gewöhnlich handelt es sich hierbei natürlich u m die schriftliche Darstellung i n verschiedener A r t . Aber auch eine Diktaphonrolle oder Tonfolie, die eine eingesprochene Mitteilung enthält, w i r d als ein Schriftstück betrachtet. Was die geschriebenen Schriftstücke betrifft, haben die technischen Methoden für die Herbeiführung der Schrift keine selbständige Bedeutung. Das Schriftstück kann gedruckt, maschinegeschrieben oder handschriftlich sein. Es kann unterzeichnet sein oder nicht; dennoch kann es als Fälschungsobjekt betrachtet werden. Wesentlich ist nur, daß das Schriftstück i m Äußeren i n irgendeiner Weise dem entspricht, was für Schriftstücke der A r t , der es zuzugehören scheint, normal und typisch ist. Dam i t das Schriftstück Bedeutung als Beweismittel haben und somit den strafrechtlichen Schutz gegen Fälschung genießen soll, w i r d jedoch stets gefordert, daß es nach dem Inhalt des Schriftstücks möglich ist zu entscheiden, wer der Aussteller ist oder als Aussteller angegeben wird. Dies kann oft aus der Unterschrift mittels Namenszeichnung, Namensstempel, Initialen, Namenszeichen oder ähnlichem hervorgehen, aber die Unterschrift ist keine unabdingbare Forderung an eine U r kunde, wenn deren Ursprung auf andere Weise festgestellt werden kann. Auch beglaubigte Abschriften oder Fotokopien werden als U r kunden betrachtet. Ferner ist zu erwähnen, daß das Schriftstück Bedeutung als Beweismittel haben soll aufgrund seines i n sprachlicher Form abgefaßten Inhalts und nicht aufgrund seiner rein äußeren Beschaffenheit, ζ. B. aufgrund der Qualität des Papieres oder als Handschriftenprobe. Die Urkunden, die i n der Praxis am meisten i n Gefahr sind, Gegenstand einer Verfälschung zu werden, sind solche, die ihrem Inhalt nach abgefaßt worden sind, um als Beweismittel zu dienen. Neben den oben angeführten gesetzlichen Beispielen für solche Urkunden i n 14:1 können solche erheblichen Schriftstücke wie Quittung, Vollmacht, Wechsel und Scheck sowie Zeugnisse verschiedener Art, ausgefertigt von Behörden oder von Privatpersonen, genannt werden. Neben solchen sogenannten Absichtsurkunden rechnet das Gesetz nunmehr zu den Urkunden
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auch Schriftstücke, die nicht errichtet wurden, u m als Beweismittel zu dienen, ζ. B. zwischen den Parteien eines Rechtsstreits gewechselte und für die Entscheidung des Streits bedeutungsvolle Briefe. Solche Urkunden pflegt man Zufallsurkunden zu nennen. Die Zeichen i m Sinne des Gesetzes haben die Eigenschaft m i t den Schriftstücken gemeinsam, daß sie einen Gedankeninhalt vermitteln. Dieser Gedankeninhalt ist jedoch nicht wie bei den Schriftstücken i n eine bestimmte sprachliche Form gekleidet, sondern w i r d durch einzelne Zeichen wie Buchstaben, Ziffern oder isolierte Worte i n Zusammenhang m i t der Ausstattung des Zeichens vermittelt. Zeichen haben eine Assoziations- oder Symbolwirkung auf die Personen, die diese Zeichen und deren Bedeutung kennen. Die Zeichen können entweder ihre Funktion als selbständiger Gegenstand (ζ. B. Billette oder Legitimationskarten) haben oder m i t einem anderen Gegenstand verbunden sein und ihre Wirkung gerade durch diese Verbindung ausüben (Poststempel auf einer Briefmarke, Kontrollstempel auf einer Goldschmiedearbeit). M i t Rücksicht auf die Funktion der Zeichen unterscheidet man zwischen Beweiszeichen, Kontroli- und Wertzeichen. Ein Beweiszeichen ist dadurch gekennzeichnet, daß es etwas über ein Verhältnis aussagt, das außerhalb des Zeichens selbst oder des Gegenstandes, mit dem es verbunden ist, liegt, ζ. B., daß jemand Anspruch auf eine bestimmte Leistung hat oder eine bestimmte Befugnis oder Eigenschaft innehat. Hierher gehören Billette, Kassenquittungen und Legitimationskarten (unter der Voraussetzung, daß sie nicht als Schriftstücke betrachtet werden), Kontermarken oder Rationierungskarten. Ein Kontrollzeichen übt seine Beweisfunktion nur unter der Voraussetzung aus, daß es auf einem Gegenstand angebracht ist, über welchen es eine Aussage hinsichtlich ζ. B. seiner Beschaffenheit oder seines Ursprunges macht. Als Beispiel für Kontrollzeichen können Gold- und Silberstempel genannt werden sowie die Justierungsmarken auf Maßen und Gewichten. Wertzeichen schließlich sind dazu gedacht, durch ihre Anwendung unmittelbar eine bestimmte rechtliche oder wirtschaftliche Wirkung herbeizuführen. Dies kann oft dadurch geschehen, daß das Zeichen auf einem Dokument oder einem anderen Gegenstand angebracht wird, obwohl diese Zeichen auch getrennt davon einen bestimmten Wert repräsentieren können. Ein typisches Beispiel für Wertzeichen sind die Briefmarken. Bestimmte Kontroll- und Wertzeichen genießen den Schutz nach den Vorschriften über die Strafbarkeit wegen Wertzeichenfälschung. Die Beweiszeichen dagegen werden wie oben erwähnt m i t den Schriftstücken als Urkunde betrachtet. Der Anlaß hierzu ist u. a., daß die
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Grenze zwischen Schriftstücken und Beweiszeichen nicht scharf ist. So ist es ζ. B. oft schwer zu entscheiden, ob ein Eisenbahnbillet eine solche ausführliche sprachliche Formulierung hat, daß es als ein Schriftstück zu betrachten ist, oder ob es zu den Zeichen zu rechnen ist. Ein Unterschied zwischen Schriftstücken und Beweiszeichen als Urkunden ist jedoch, daß Beweiszeichen immer Absichtsurkunden sind, was j a bedeutet, daß sie zustandegekommen sind, u m als Beweis zu dienen, und daß diese ihre Funktion aus den Zeichen hervorgehen soll. Die strafbare Handlung besteht bei der Urkundenfälschung gemäß 14:1 entweder i n der Herstellung einer falschen Urkunde oder i n dem Ändern oder Ausfüllen einer echten Urkunde, welches „fälschlich" geschieht. Als wichtigstes Beispiel für die Herstellung einer falschen Urkunde nennt das Gesetz, daß jemand den Namen einer wirklichen oder erdichteten Person schreibt. Es handelt sich hierbei u m Urkunden (in der Praxis immer Schriftstücke), die m i t der eigenhändigen Namenszeichnung des Ausstellers versehen zu sein pflegen. Damit die Urkunde als falsch bezeichnet werden kann, w i r d also hier gefordert, daß sie nicht von dem unterschrieben ist, dessen Name sich unter dem Schriftstück befindet. Jedoch kann eine Unterschrift, die von einem anderen als dem scheinbaren Aussteller geleistet worden ist, nicht immer als Fälschung bezeichnet werden. Wenn nämlich jemand m i t Zustimmung eines anderen eine Urkunde m i t dessen Namen unterzeichnet hat, w i r d diese Unterschrift nicht als falsch bezeichnet, auch wenn die A r t der Unterzeichnung aus der Unterschrift nicht hervorgeht. Natürlich liegt dann auch keine Verfälschung vor, wenn jemand den Namen eines anderen schreibt unter Zusatz seines eigenen Namens, ζ. B. m i t der Formulierung „durch Ν. N. gemäß Auftrag". I n diesem Fall macht sich übrigens der Betreffende der Fälschung nicht einmal schuldig, wenn er nicht die Einwilligung oder den Auftrag, mit dem Namen des anderen zu zeichnen, hat. Sein Verhalten ist jedoch nicht straffrei, sondern w i r d gemäß 15:11 als unwahre Bescheinigung bestraft. I n diesem Zusammenhang entstehen spezielle Probleme, wenn es sich u m das Zeichen mit der Firma einer juristischen Person handelt. Wenn man ohne Genehmigung oder andere Befugnisse den Namen eines zur Unterzeichnung Berechtigten einer Firma schreibt, u m eine scheinbar richtige Firmenzeichnung herzustellen, macht man sich natürlich der Fälschung schuldig. Zweifel können jedoch i n solchen i m täglichen Leben gewöhnlichen Fällen herrschen, i n denen der Name der juristischen Person durch einen Stempel oder auf ähnliche Weise auf dem Schriftstück angebracht w i r d und eine Signatur für den Namen des unterzeichnenden Repräsentanten handschriftlich hinzugefügt wird. Sei es, daß die Signatur die Initialen eines anderen, sei es, daß sie die 27 Ausländisches Strafrecht V
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eigenen des Täters enthält, kann die Lage so sein, daß das Anbringen des Namens der juristischen Person auf die gewöhnliche Weise (ζ. B. m i t Stempel) das Wesentliche ist, u m die Vorstellung zu schaffen, daß das Schriftstück echt ist. Ein ungehöriges Anbringen des Firmennamens i n Verbindung m i t den eigenen Initialen des Täters muß daher als die Herstellung einer falschen Urkunde angesehen werden. Das gleiche gilt natürlich, wenn die Signatur so gezeichnet wird, daß sie auf einen anderen wirklichen oder erdichteten Repräsentanten der juristischen Person hinzudeuten scheint. Wie oben erwähnt, kann eine falsche Urkunde i m Namen einer erdichteten Person geschrieben sein. Hierbei ist jedoch zu beachten, daß das Schriftstück, um als falsch angesehen zu werden, den Anschein von einem anderen als dem wirklichen Aussteller ausgestellt zu sein, erwecken muß. T r i t t dieser unter einem erdichteten Namen auf oder fertigt er unter diesem Namen ein Schriftstück aus, kann dieses nicht als unecht angesehen werden, wenn es nicht geeignet ist, i n anderer Hinsicht als die Identität des Ausstellers betreffend irrezuführen; i n solch einem Fall kann er dagegen wegen unwahrer Bescheinigung strafbar sein. Es muß jedoch bemerkt werden, daß i n diesem Punkt Unsicherheit herrscht über die redite Grenzziehung zwischen Fälschung und unwahrer Bescheinigung. Ein Bankkonto unter falschem Namen zu eröffnen und dann unter diesem Namen auf das Konto eingezahltes Geld abzuheben, muß nämlich nach Äußerungen beim Zustandekommen dieser Gesetzesstellen als Fälschung beurteilt werden. I n der Rechtspraxis ist es jedoch nur als unwahre Bescheinigung angesehen worden, daß eine Person, die wegen Betrunkenheit aufgegriffen, dabei mündlich einen falschen Namen angab, bei der Freilassung den Empfang der ihr gehörigen Gegenstände m i t demselben falschen Namen quittierte. Eine falsche Urkunde kann man auch dadurch herstellen, daß man — wie i n 14:1 gesagt w i r d — „sich fälschlich die Unterschrift eines anderen verschafft". Hierher gehören gewiß nicht die Fälle, i n denen man durch irreführende Auskünfte einen anderen dazu veranlaßt, eine Urkunde auszustellen; eine solche Urkunde ist ja echt, und die Handlung kann i n den meisten Fällen als Betrug, unredliches Verfahren oder Versuch des Betruges bestraft werden. Dagegen sind hier Fälle gemeint, i n denen man durch irgendeine Manipulation einen anderen dazu veranlaßt, seinen Namen auf ein Schriftstück zu setzen, das zu unterzeichnen er nicht beabsichtigt. Er bekommt ζ. B. ein Schriftstück vorgelesen mit anderem Inhalt als das, welches er danach unterzeichnet i m Glauben, daß es das vorgelesene Schriftstück darstelle.
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Das Gesetz spricht schließlich davon, daß jemand „auf sonstige Weise eine falsche Urkunde herstellt". M i t dieser Alternative ist eine generelle Deliktsbeschreibung beabsichtigt, aber vor allen Dingen zielt dieser Ausdruck auf Schriftstücke, die nicht m i t einer Namensunterschrift versehen sind, ebenso auf Beweiszeichen, die sehr häufig keine eigenhändige Signatur oder ähnliches haben. Entscheidend ist hier, ob die hergestellte Urkunde falsch ist, d. h. nicht von der Person, von welcher her zu stammen sie sich den Schein gibt, herrührt. Es handelt sich hier ζ. B. um völlig gedruckte oder auf ähnliche Weise hergestellte Schriftstücke, gewöhnlich von der Natur eines Wertpapiers. Ob nun i n der Urkunde Namenszeichnungen i n Faksimile enthalten sind oder nicht, ist hier doch die Frage, ob eine Fälschung vorliegt, davon abhängig, ob die Urkunde von der dafür zuständigen Person i n einer Druckerei hergestellt oder bei einer Druckerei bestellt worden ist. Ist dies der Fall, ist die Urkunde nicht falsch, auch wenn der Hersteller oder Besteller seine Instruktionen überschritten hat. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Zeichen, ζ. B. Eisenbahnfahrkarten. Diese sind echt, sobald sie auf die gewöhnliche Weise von dem zuständigen Billetverkäufer ausgefüllt oder hergestellt worden sind. Wenn dieser dabei unrichtig verfahren hat, indem er das Billet ohne Bezahlung ausgehändigt hat, spielt dies i n der erwähnten Hinsicht keine Holle; das Zeichen ist doch als unecht anzusehen. Verwendet dagegen eine unzuständige Person die Fahrkartenmaschine eines Bahnhofs, u m ein Billet zu drucken, ist dieses als falsch anzusehen. Unter der fälschlichen Veränderung einer echten Urkunde versteht das Gesetz einen Zusatz zum Text, die Löschung eines Teils des echten Textes oder die Ersetzung eines Teils des Textes durch einen neuen Text. Die Urkunde muß jedoch nach der Maßnahme anwendbares Beweismittel bleiben; anderenfalls kann Strafbarkeit wegen Urkundenunterdrückung gemäß 14:4 eintreten. Z u bemerken ist weiter, daß Änderungen nicht tatbestandsmäßig sind, wenn sie vom Aussteller selbst oder von jemandem i n seinem Auftrag vorgenommen werden, bevor die Gelegenheit bestand, daß die Urkunde ihre Funktion als Beweismittel ausübt. Dies geht aus der Forderung des Gesetzes hervor, daß die Änderung „fälschlich" geschehen sein muß. Die letzte Form der Urkundenfälschung w i r d i m Gesetz mit dem Ausdruck umschrieben, daß jemand „eine echte Urkunde fälschlich ausfülltHierbei w i r d an solche Situationen gedacht, i n denen zwar eine echte Urkunde i m großen und ganzen fertiggestellt ist, aber i n bestimmter Hinsicht noch offengelassen wird, ζ. B. bei der Ausstellung eines Schecks der Betrag aus irgendeinem Grund noch nicht eingesetzt wird. W i r d er später von einer Person eingesetzt, die dazu nicht berechtigt ist — sei es, daß sie erlaubterweise i n den Besitz der Urkunde 27*
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gekommen ist, sei es, daß dies nicht der Fall ist — ist die Maßnahme als eine Verfälschung aufzufassen und die fertige Urkunde ist als unecht anzusehen. Hiermit darf nicht der Fall verwechselt werden, daß der Aussteller der Urkunde jemanden beauftragt oder erlaubt, die Urkunde auszufüllen (ζ. B. den Betrag auf dem Scheck einzusetzen, weil dieser bei der Ausstellung der Urkunde nicht genau bestimmt werden konnte) und der andere seine Befugnisse überschreitet. I n diesem Fall kann eine Strafe wegen Treulosigkeit gegenüber dem Auftraggeber oder wegen Mißbrauch einer Befugnis i n Betracht kommen, aber die Urkunde ist echt. Für die Strafbarkeit der Urkundenfälschung w i r d schließlich gefordert, daß die Herstellung einer falschen Urkunde oder die Veränderungen einer echten Urkunde — eine Gefahr in Beweishinsicht bedeutet hat, d. h. daß die Handlung die Gefahr mit sich geführt hat dafür, daß die Fälschung als Beweismittel gebraucht werden sollte. Hiermit w i r d i n erster Linie gefordert, daß die falsche Urkunde mit der entsprechenden echten Urkunde eine solch große Ähnlichkeit hat, daß eine Verwechslung geschehen oder sonst die unechte Urkunde als eine echte i m Rechtsleben angesehen werden kann. Wieviel hier zu fordern ist, ist bei den verschiedenen Urkundentypen verschieden und muß von Fall zu Fall beurteilt werden. Von einer allzu plumpen Fälschung, die unmittelbar Mißtrauen auch bei einer ziemlich oberflächlichen Betrachtung wecken muß, kann nicht gesagt werden, da sie eine hinreichend große Gefahr bedeutet, um denjenigen, der die Urkunde mißbraucht, wegen Urkundenfälschung strafrechtlich verantwortlich anzusehen. Dagegen kann die Ausnutzung einer solchen Urkunde Strafbarkeit wegen Betrugs zur Folge haben. Eine Gefahr i n Beweishinsicht ist nur gegeben, wenn eine falsche Urkunde als Beweismittel i n einem praktisch aktuellen Fall von rechtlicher Bedeutung w i r d angewendet werden können. Eine solche Gefahr liegt beispielsweise nicht vor, wenn eine Fälschung nur zum Scherz geschieht oder u m dem Täter Erfolg i m gesellschaftlichen Leben zu verschaffen. Somit w i r d eine Frau nicht bestraft, die ihr Geburtsjahr i m Alterszeugnis ändert, wenn kein Anlaß besteht, damit zu rechnen, daß das Zeugnis anders angewendet wird, als nur ihren Bekanntschaftskreis davon zu überzeugen, daß sie jünger als i n Wirklichkeit ist. Aus denselben Gründen kann die Verfälschung eines historischen Dokumentes von ausschließlich wissenschaftlichem Interesse nicht gemäß Kap. 14 bestraft werden. Für das Vorliegen einer Gefahr i n Beweishinsicht w i r d weiter gefordert, daß es verhältnismäßig wahrscheinlich ist, daß die falsche U r kunde als Beweismittel mißbraucht werden kann. Die Gefahr muß bei der Ausführung der Fälschung bestehen. Wer aus Scherz eine unechte
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Urkunde hergestellt hat unter Umständen, die es unwahrscheinlich machten, daß die Urkunde als Beweismittel i n einem ernsthaften Zusammenhang angewendet werden würde, kann somit nicht wegen Fälschung bestraft werden, wenn die Urkunde dann entgegen aller Erwartung durch irgendjemand mißbraucht wird. Die Strafe für Urkundenfälschung setzt voraus, daß der Täter m i t Vorsatz gehandelt hat. Dies bedeutet, daß er teils die Beschaffenheit der Urkunde, die er gefälscht hat, teils die Umstände, die eine Gefahr i n Beweishinsicht m i t sich führen, gekannt hat. Außerdem dürfte man verlangen müssen, daß der Täter erkannte, daß diese Umstände ein solches Risiko wie oben erwähnt m i t sich führten. Bei Ungewißheit des Täters betreffend irgendeiner dieser Tatsachen reicht es jedoch nach allgemeinen Regeln über den Vorsatz aus, daß man annehmen darf, daß er auf dieselbe Weise gehandelt haben würde, auch wenn er vollkommen sicher hinsichtlich des Vorhandenseins dieser Tatsache gewesen wäre. Wie die Mehrzahl wichtiger Delikte i m B r B ist die Urkundenfälschung i m Hinblick auf die Schwere der Tat i n drei Grade eingeteilt: die Entstellung einer Urkunde (leichte Straftaten; 14:2), Urkundenfälschung (14:1) und schwere Urkundenfälschung (14:3). Bei der Beurteilung, inwieweit das Delikt leicht ist, ist besonders zu beachten, ob die gefälschte Urkunde von geringer Bedeutung war, ζ. B. eine Kassenquittung, Kontrollzeichen oder ein ähnlicher Empfangsbeweis, oder ob die Tat geschah, um einem anderen zu seinen Rechten zu verhelfen, ζ. B. wenn man unbefugt eine Quittung über eine bereits erfolgte Bezahlung ausstellt. Als Beispiele der Umstände, die regelmäßig dazu führen, daß die Tat als schwere Urkundenfälschung betrachtet werden kann, nennt das Gesetz, daß die Fälschung ein behördliches Archivaktenstück von Bedeutung betreffen muß, wie ζ. B. ein Gerichtsprotokoll oder Grundstücksbücher, oder eine Urkunde, die i m allgemeinen Rechtsverkehr besonders bedeutungsvoll ist als Obligation, A k t i e oder Belastungsurkunde, oder wenn die Tat sonst von besonders gefährlicher A r t ist, womit beispielsweise an den Fall gedacht ist, daß ein gefälschtes Wertpapier einen bedeutenden Betrag darstellt. Die Strafe für Urkundenentstellung ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten, für Urkundenfälschung Gefängnis bis zu zwei Jahren und für schwere Urkundenfälschung Gefängnis von sechs Monaten bis zu sechs Jahren. Der Versuch und die Vorbereitung der U r k u n denfälschung und der schweren Urkundenfälschung, aber nicht der Urkundenentstellung, sind strafbar gemäß den hierüber i m B r B Kap. 23 aufgestellten Regeln.
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Nicht bloß der Mißbrauch von Urkunden, der i n der Herstellung falscher oder der Fälschung echter Urkunden besteht, w i r d zu den Fälschungsdelikten gezählt. Gemäß 14:4 w i r d hierher auch die U r kundenunterdrückung gezählt, die vorliegt, wenn eine Urkunde zerstört, unbrauchbar gemacht oder beiseite geschafft wird. Voraussetzung für die Strafbarkeit ist jedoch, daß der Täter bei Gelegenheit der Tatausführung nicht berechtigt war, über die Urkunde zu verfügen. So kann natürlich nicht ein Schuldner strafbar sein, der einen von ihm ausgestellten Schuldschein zerstört, den er nach Bezahlung seiner Schuld zurückbekommen hat. Es ist jedoch zu beachten, daß der Besitzer einer Urkunde i n der Verfügung über sie gehindert sein kann, w e i l sie von Bedeutung als Beweismittel für einen anderen ist. So kann ζ. B. jemand verpflichtet sein, i n seinem Besitz befindliche Schriftstücke vorzulegen, wenn sie von Bedeutung als Beweismittel i n einem Prozeß sind, sei es, daß er selbst Partei i m Verfahren ist oder nicht (RB 38:2). Die Zerstörung solcher Schriftstücke nach Entstehung der Auslieferungspflicht (z.B. durch die Anhängigmachung des Rechtsstreits) führt zur Strafbarkeit wegen Unterdrückung einer Urkunde. Wer zur Buchführung verpflichtet ist, muß seine Buchführungsunterlagen 10 Jahre aufbewahren. Zerstört er sie vorher vorsätzlich, liegt Urkundenunterdrückung vor. Wie bei der Urkundenfälschung w i r d weiter gefordert, daß der Handlung eine Gefahr in Beweishinsicht innewohnt, was hier zunächst bedeutet, daß die Unterdrückung der Urkunde ein Risiko dafür darstellt, daß der Beweis der Tatsache, über die die Urkunde Auskunft geben könnte, erschwert oder immöglich gemacht wird. Die Strafe für Urkundenunterdrückung ist Gefängnis bis zu zwei Jahren oder wenn die Tat leicht ist, Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Ist die Tat schwer, ist die Strafe Gefängnis von sechs Monaten bis zu vier Jahren. Versuch und Vorbereitung der Unterdrückung einer Urkunde sind strafbar, doch nicht, wenn das Delikt i m Fall seiner Vollendung als leicht angesehen worden wäre. Signaturfälschung (signaturförfalskning)
Ein besonderes Problem ist, wie man denjenigen bestrafen soll, der ein Kunstwerk mit einer falschen Signatur versieht. Eine derartige Signatur w i r d nämlich selten auf eine solche Weise ausgeführt, daß sie als eine Urkunde betrachtet werden kann. Man hat die Schwierigkeit auf die Weise gelöst, daß eine besondere Bestimmung über die Strafe für diese und bestimmte ähnliche Handlungen i n 14:5 aufgenommen
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worden ist. Die Straftat, die die Gesetzesstelle meint, die Signaturfälschung, liegt vor, wenn jemand ohne Erlaubnis ein Erzeugnis der Kunst oder der Gebrauchskunst oder ein sonstiges Werk dieser A r t (ζ. B. Handwerks- und Industrieprodukte m i t einem bestimmten künstlerischen Charakter) m i t der Unterschrift oder der Signatur eines anderen versieht oder auf andere Weise verfälscht. Das unbefugte A n bringen eines Warenzeichens oder einer anderen Ursprungsbezeichnung auf gewöhnlichen Industrieprodukten gehört dagegen nicht hierher. Solche Verhaltensweisen können nach anderen Bestimmungen strafbar sein, ζ. B. nach dem Warenzeichengesetz. Auch fallen unter die Vorschrift keine anderen Handlungen als die Fälschung der Signatur. Schließlich w i r d gefordert, daß der Täter durch das Anbringen der Signatur oder ihre Fälschung den Schein erweckt hat, daß ein anderer bestätigt hat, der Urheber des Werkes zu sein. So ist ζ. B. nicht strafbar, wenn jemand eine Kopie eines Kunstwerks anfertigt und dabei auch die Signatur nachbildet, aber gleichzeitig das Erzeugnis m i t einem Hinweis darauf versieht, daß es eine Kopie ist. Wegen Signaturfälschung ist auch nicht strafbar, wer seine eigene Signatur auf ein Kunstwerk setzt, das von einem anderen ausgeführt worden ist. Die Strafe für Signaturfälschung ist Gefängnis bis zu zwei Jahren; ist die Tat leicht, ist die Strafe Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten, und ist die Tat schwer, Gefängnis von sechs Monaten bis zu vier Jahren. Versuch und Vorbereitung der Signaturfälschung, die i m Fall ihrer Vollendung nicht als leicht anzusehen wäre, sind strafbar. Geldfälschung (penningförfalskning)
Ein Fälschungsobjekt anderer A r t ist das Geld. Die Geldfälschung ist gemäß 14:6 strafbar. Objekt dieser Handlung sind nach dem Gesetz innerhalb und außerhalb Schwedens gültige Geldscheine oder Geldmünzen. Damit ist Geld gemeint, das irgendwo tatsächlich allgemein als Bezahlungsmittel angewendet wird, auch wenn es nach der geltenden Gesetzgebung nicht das gesetzliche Zahlungsmittel ist. Die Fälschung von Scheinen oder Münzen, die nicht als Bezahlungsmittel verwendet werden, sondern nur Metallwert oder Wert für Münzsammler haben, w i r d nicht als Geldfälschung bestraft. Transaktionen mit solchen Gegenständen können jedoch als Betrug oder Versuch des Betruges angesehen werden. Die strafbare Handlung bei der Geldfälschung besteht entweder i m Nachmachen von Scheinen oder Münzen oder i n anderen Fälschungsmaßnahmen, ζ. B. i n der Verringerung der Substanz einer echten Münze oder in der Veränderung des Wertes auf echten Münzen oder Scheinen.
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Die Strafe ist Gefängnis bis zu vier Jahren oder, wenn die Tat leicht ist, Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Ist die Tat schwer, ist die Strafe Gefängnis von zwei bis zu acht Jahren. Versuch und Vorbereitung zur Geldfälschung sind strafbar, jedoch nicht, wenn die Tat i m Fall der Vollendung als leicht anzusehen gewesen wäre. Das gleiche gilt für die Unterlassung der Aufdeckung einer solchen Tat. Wertzeichenfälschung (märkesförfalskning)
I n 14:7 w i r d unter der Bezeichnung Wertzeichenfälschung die Verfälschung bestimmter Wert- und Kontrollzeichen bestraft. (Hier muß darauf hingewiesen werden, daß die dritte A r t von Zeichen die Beweiszeichen, wie schon erwähnt, als Urkunden betrachtet werden und somit durch die Vorschrift gegen die Urkundenfälschung geschützt sind.) Wie oben bei der Behandlung der Urkundenfälschung entwickelt wurde, sind Wertzeichen solche, die unmittelbar eine bestimmte rechtliche oder wirtschaftliche Wirkung mitführen; oft sind sie Träger eines Geldwertes. Das typische Beispiel eines Wertzeichens ist die Briefmarke. Geschützt gegen Fälschung sind gemäß 14:7 die geltenden öffentlichen oder für die Allgemeinheit bestimmte Wertzeichen. Hiermit sind gemeint ζ. B. Briefmarken und die sogenannten Stempelmarken, Marken und Coupons, die für den Einkauf von Bus- und Straßenbahnbillets angewendet werden, sowie Gasmünzen. Die Zeichen brauchen keinen öffentlichen Charakter zu haben; es reicht, daß sie für die A l l gemeinheit bestimmt sind. So werden ζ. B. Marken, die von einer privaten Verkehrsgesellschaft ausgestellt sind, m i t von kommunalbetriebenen Unternehmungen ausgegebenen Marken gleichgestellt. Aus der Forderung, daß die Marke gültig sein muß, folgt ζ. B., daß die Fälschung einer Briefmarke, die nicht mehr gilt, nicht strafbar ist, auch wenn die Marke einen hohen philatelistischen Wert hat. Kontrollzeichen werden ja, wie oben erwähnt, auf einem bestimmten Gegenstand angebracht und sagen damit etwas über diesen aus, ζ. B. über seinen Ursprung oder seine Qualität. Der Schutz für Kontrollzeichen ist etwas eingeschränkter als für Wertzeichen und umfaßt nur öffentliche ausländische oder inländische Kontrollzeichen. Als öffentliches Zeichen w i r d jedoch nicht nur die von staatlichen oder kommunalen Beamten ausgeführte Zeichnung, sondern auch eine von einer Privatperson aufgrund öffentlicher Autorisation vorgenommene Zeichnung angesehen, ζ. B. wenn eine Privatperson einen Brief m i t einem von der Post zur Verfügung gestellten Frankierapparat frankiert. Als Beispiel eines so geschützten Zeichens kann ferner genannt werden der sogenannte Eintragungskontrollstempel, der auf Belastungsurkunden und Belastungsbeweise gesetzt wird, Zeichen, die auf Reisegepäck zum
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Beweis der Zollvisitation angebracht werden, Kontrollstempel auf Gold- und Silberarbeiten, Eichmarken auf Maßen und Gewichten sowie die sogenannte S-Markierung elektrischer Apparate. Das strafbare Verhalten kann von mehrfach verschiedener A r t sein. Eine Form besteht i m Nachmachen eines Wert- oder Kontrollzeichens. Z u bemerken ist, daß als Nachmachen eines Zeichens auch das Anbringen von Kontrollzeichen m i t entsprechenden Geräten betrachtet wird, wenn es von einer unzuständigen Person geschieht. Eine andere Form ist das Anbringen eines falschen Zeichens. Hierher gehört auch das Wiederanbringen einer benutzten Briefmarke einer postbehandelten Sendung auf einer anderen noch nicht durch die Post behandelten Sendung. Der Tatbestand kann auch dadurch erfüllt werden, daß eine unzuständige Person fälschlich ein echtes Zeichen anbringt. I n den Fällen, i n denen der Täter für die Anbringung des Zeichens zuständig ist, liegt eine Zeichenfälschung auch dann nicht vor, wenn die Markierung unrichtig geschieht. Einen Brief zu niedrig zu frankieren, ist somit keine Fälschung. Eine Fälschung liegt auch nicht vor, wenn eine Amtsperson einen Kontrollstempel auf einen Gegenstand setzt, der nicht auf diese Weise gestempelt werden dürfte. Die Amtsperson kann sich stattdessen durch dieses Verhalten eines Amtsdeliktes schuldig machen. Als eine Form der Zeichenfälschung erwähnt das Gesetz schließlich auch, daß man „ein derartiges Zeichen oder das mit einem Zeichen gekennzeichnete" verfälscht. Hier ist ζ. B. an den Fall gedacht, daß ein echtes Zeichen i n Wert, Datum oder ähnlichem geändert w i r d oder ein Makulationsstempel von einem Zeichen entfernt wird, ζ. B. von einer Briefmarke, so daß diese aufs neue verwendet werden kann. Eine Fälschung eines mit einem Zeichen gekennzeichneten Gegenstandes liegt vor, wenn ein geeichtes Gewicht leichter gemacht oder der Goldgehalt i n einer kontrollierten Goldarbeit herabgesetzt wird. Wie bei der Urkundenfälschung und anderen Delikten i m B r B Kap. 14 w i r d auch hier die Forderung aufgestellt, daß die Handlung eine Gefahr in Beweishinsicht nach sich ziehen muß. Hierdurch w i r d aus dem strafbaren Bereich ζ. B. der Fall ausgeschlossen, daß die Fälschung aus Spaß geschieht oder für einen privaten Gebrauch, ohne daß es Anlaß für die Annahme gibt, daß jemand dadurch irregeführt werden soll. Die Strafe für Zeichenfälschung ist Gefängnis bis zu zwei Jahren, oder, wenn die Tat leicht ist, Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten, und wenn sie schwer ist, Gefängnis von sechs Monaten bis zu vier Jahren. Versuch und Vorbereitung zur Zeichenfälschung sind strafbar, jedoch nicht, wenn das Delikt i m Fall der Vollendung als leicht anzusehen gewesen wäre.
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Durch die Bestimmungen 14:8 über die Strafe für die Fälschimg eines festen Kennzeichens werden geltende Grenzzeichen, Wasserstandsmarken als Anhaltspunkt für die Wasserregulierungen sowie die Markierungen für Plan- und Höhenmessungen geschützt. Die Straftat besteht darin, daß man ein festes Kennzeichen fälschlich anbringt, entfernt, wegnimmt, beschädigt oder zerstört. Als weitere Voraussetzung für die Strafbarkeit w i r d gefordert, daß die Handlung Gefahr in Beweishinsicht m i t sich führt. Die Strafe für dieses Delikt ist Gefängnis bis zu vier Jahren oder, wenn das Delikt leicht ist, Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Versuch und Vorbereitung sind strafbar, jedoch nicht, wenn die Tat i m Fall der Vollendung als leicht zu betrachten wäre. Gebrauch v o n etwas Gefälschtem (brukande av nâgot förfalskat)
Gemäß den jetzigen Vorschriften über die Fälschung w i r d i n keinem Fall gefordert, daß das Gefälschte angewendet wird, u m einen I r r t u m bei einem anderen zu erwecken. Die Fälschungstaten sind nämlich vollendet, sobald die eigentliche Fälschungshandlung durchgeführt ist. Es besteht jedoch gelegentlich das Bedürfnis, den bestrafen zu können, der ein gefälschtes Beweismittel verwendet hat. Daher werden i n 14:9 Bestimmungen über die Strafbarkeit des Gebrauchs von Gefälschtem gegeben. Diese Strafbestimmung, die gemeinsam für die verschiedenen oben behandelten Fälschungsobjekte ist, ist für den gedacht, der sich irgend eines gefälschten Gegenstandes bedient hat, ohne selbst die Fälschung vorgenommen zu haben. Bedient sich dagegen der Fälscher selbst des gefälschten Gegenstandes, w i r d er nur wegen Fälschung und nicht auch nach dieser Bestimmung wegen des Gebrauchs des Gefälschten bestraft. Die strafbare Handlung w i r d i m Gesetz für jede A r t der Fälschungsobjekte besonders beschrieben: Berufung auf eine falsche Urkunde, Angebot oder Feilhalten eines Werks mit falscher Signatur, Inumlaufsetzen falscher Geldscheine oder falscher Geldmünzen, Anwendung falscher Wert- oder Kontrollzeichen sowie Berufung auf falsche feste Zeichen, wobei stets hinzugefügt wird, daß die Bestimmung auch denjenigen meint, der sonst Gebrauch von etwas macht, das auf die i n Kap. 14 beschriebene Weise gefälscht ist. Damit der Gebrauch des Gefälschten strafbar sein soll, w i r d gefordert, daß die Tat eine Gefahr in Beweishinsicht bedeutet. Hierbei ist zu merken, daß eine solche Gefahr bei dem Gebrauch vorliegen kann,
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ohne daß sie bei der Fälschung vorlag, ζ. B. wenn eine falsche Urkunde i m Scherz hergestellt worden war, ohne daß ein Risiko vorzuliegen schien, daß m i t ihr Mißbrauch getrieben wurde, daß dann aber jemand unbefugt sich i n den Besitz der Urkunde gesetzt und sie verwendet hat. Andererseits kann eine Gefahr i n Beweishinsicht bei der Fälschung vorgelegen haben, während eine solche Gefahr ausgeschlossen ist bei dem Gebrauch, welcher dann straffrei ist. Die Strafe für den Gebrauch von etwas Gefälschtem ist die gleiche wie für die Fälschung. Entsprechendes gilt für den Versuch und die Vorbereitung des Gebrauchs. Ungesetzliche Verbreitung von Nachbildungen (olaga spridande av efterbildning) Damit ein Beweismittel als gefälscht angesehen werden soll, wird, wie aus dem zuvor Gesagten hervorgegangen sein dürfte, gefordert, daß es eine so große Ähnlichkeit m i t echten Beweismitteln hat, daß es geeignet ist irrezuführen. Jedoch werden zuweilen Nachbildungen von Beweismitteln hergestellt, die an und für sich nicht gedacht sind, eine Verwechslung m i t den echten Beweismitteln herbeizuführen und bei einer normalen sorgfältigen Betrachtung auch nicht Anlaß zu einer solchen Verwechslung geben können. Als Beispiel können die A b b i l dungen von Geldscheinen oder Briefmarken i n Zeitungs- oder Reklameheften genannt werden. Es hat sich gezeigt, daß solche Nachbildungen mißbraucht und i m Rahmen eines Betrugs verwendet worden sind, indem ζ. B. eine aus einer Zeitung ausgeschnittene Abbildung eines Geldscheins zusammengefaltet und als Zahlungsmittel an einer schlecht beleuchteten Stelle oder bei einer sehr eiligen Gelegenheit verwendet wurde. U m solches zu verhindern, w i r d i n 14:10 bestimmt, daß derjenige, der unter der Allgemeinheit irgendetwas verbreitet, das m i t geltenden Geldmitteln oder öffentlichen Wertmarken leicht verwechselt werden kann, wegen ungesetzlicher Verbreitung von Nachbildungen strafbar ist. Die Strafe ist Geldstrafe. Die Delikte, die i m B r B Kap. 14 behandelt werden, sind i n einem so frühen Stadium vollendet, daß ein Schaden oder anderer Rechtsverlust nicht eingetreten zu sein braucht. Wenn der Täter i n diesem frühen Stadium die Tat bereut und die Gefahr des Mißbrauchs eines unechten Beweismittels, die die Fälschung m i t sich geführt hat, freiwillig abwehrt — ζ. B. ein Falschmünzer zerstört die angefertigten Münzen, bevor er sie ausgegeben hat — ist die strenge Fälschungsstrafe nicht immer angemessen. Daher w i r d auch i n 14:11 bestimmt, daß die Strafe in einem Fall herabgesetzt werden kann unter die sonst für Fälschung bestimmte
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Strafe. War die Gefahr gering und ist die Straftat nicht m i t schwerer Strafe als Gefängnis bis zu sechs Monaten bedroht (ζ. B. bei Urkundenentstellung), t r i t t sogar Straffreiheit ein.
Meineid, falsche Aussage oder andere unwahre Erklärung I m BrB Kap. 15 ist eine Anzahl von Straftaten zusammengestellt worden, denen gemeinsam ist, daß sie die Abgabe einer unwahren Erklärung bedeuten. Diese Straftaten haben Ähnlichkeit mit den Fälschungsdelikten, indem sie einen Angriff auf das allgemeine Vertrauen, i n diesem Fall auf das Vertrauen i n die Richtigkeit bestimmter Erklärungen, die schriftlich oder mündlich vor einer Behörde oder auf andere Weise abgegeben werden, darstellen. Meineid, fahrlässig falsche Bekundung und unwahre Parteibekundung (mened, ovarsam utsaga, osann partsutsaga) Von diesen Straftaten ist zuerst der Meineid i n 15:1 zu erwähnen. Diese Straftat besteht darin, daß jemand unter gesetzlichem Eid eine unwahre Angabe macht oder die Wahrheit verschweigt. Es handelt sich hier also u m eine Aussage, die unter besonders feierlichen Verhältnissen abgegeben wird, nämlich nach einer Eidesleistung i n den Fällen, i n denen eine solche i m Gesetz vorgeschrieben ist. Als Beispiel eines solchen Eides kann der Zeugeneid oder der Eid eines Sachverständigen vor einem Gericht angesehen werden, der Eid bei Aufstellung eines Vermögensverzeichnisses nach Eherecht, Erbrecht oder Konkursrecht sowie der Offenbarungseid. M i t dem Eid w i r d eine solche Versicherung auf Ehre und Gewissen gleichgestellt, die unter bestimmten Voraussetzungen anstelle eines Eides geleistet werden kann. Der Meineid besteht darin, daß man entweder eine unwahre Auskunft gibt oder die Wahrheit verschweigt. Unter Verschweigen w i r d nur ein irreführendes Verhalten verstanden, nicht aber, wenn jemand sich offen weigert, i n einer bestimmten Hinsicht Angaben zu machen. Die Straftat dürfte jedoch nicht damit vollendet sein, daß eine unrichtige Auskunft gegeben wird, sondern erst, wenn die Vernehmung völlig abgeschlossen worden ist, ohne daß der Vernommene die unrichtige Erklärung geändert hat. Es ist außerdem zu beachten, daß der, der eidlich vernommen wird, unter bestimmten Umständen unrichtige Angaben machen oder die Wahrheit verschweigen darf, ohne dafür wegen Meineid bestraft zu werden (s. darüber unten).
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Für die Strafbarkeit wegen Meineid w i r d gefordert, daß der Vernommene vorsätzlich eine unwahre Auskunft gegeben oder die Wahrheit verschwiegen hat. Hat er unvorsätzlich, aber m i t grober Fahrlässigkeit gehandelt, w i r d er jedoch gemäß 15:3 wegen fahrlässig falscher Bekundung bestraft. Die Strafe für Meineid ist Gefängnis bis zu vier Jahren. Ist die Tat leicht, so ist die Strafe jedoch Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten, und wenn sie schwer ist, Gefängnis von zwei bis zu acht Jahren. Bei der Beurteilung, ob die Tat schwer ist, soll besonders beachtet werden, ob sie i n der Absicht geschehen ist, daß ein Unschuldiger wegen einer ernsteren Straftat verurteilt werden sollte, oder ob einem anderen auf andere Weise besonders großer Schaden zugefügt werden sollte. Der Versuch des Meineids ist nicht strafbar. Jedoch w i r d die Vorbereitung zum Meineid und die Verabredung bestraft, die bedeutet, daß jemand einen anderen zu einer solchen Tat anzustiften versucht. Die Strafbarkeit wegen Vorbereitung und Verabredung soll jedoch nicht eintreten, wenn die Tat bei Vollendung als leicht anzusehen wäre. — Fahrlässige falsche Bekundung w i r d mit Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Wie i n anderem Zusammenhang dargelegt, kann i n einem Z i v i l prozeß eine Vernehmung einer oder beider Parteien unter Versicherung der Wahrheit durchgeführt werden. Macht eine Partei, die unter einer Wahrheitsversicherung vernommen wird, bei der Aussage vorsätzlich eine unwahre Angabe oder verschweigt sie die Wahrheit, w i r d sie gemäß 15:2 wegen unwahrer Parteibekundung mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder — wenn die Tat als leicht anzusehen ist, mit Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. W i r d die Tat unvorsätzlich, aber fahrlässig begangen, t r i t t wie bei dem entsprechenden Eidesdelikt die Strafe wegen fahrlässig falscher Bekundung ein (s. o.). Gemeinsam sowohl für den Meineid als auch für die unwahre Parteibekundung und die fahrlässig falsche Bekundung ist es, daß unter bestimmten Umständen gemäß 15:4 Straffreiheit eintritt. Das gilt zunächst für eine Aussage, die ohne Bedeutung für die Sache ist, i n der die Vernehmung stattfindet. So soll ζ. B. nicht strafbar sein, wenn ein Zeuge aus Eitelkeit eine falsche Auskunft über sein Alter macht, vorausgesetzt, daß diese keinerlei Bedeutung für die Sache hat. Die Straffreiheit erstreckt sich jedoch weiter. Nach dem Prozeßgesetz haben ein Zeuge und eine Partei, die unter der Versicherung der Wahrheit gehört wird, ein Recht zur Verweigerung der Aussage über einen Umstand, der zeigen würde, daß der Zeuge bzw. die Partei selbst oder eine ihnen nahestehende Person eine Straftat oder eine ehrenrührige Handlung begangen hat. Ebenso kann i n der Regel ein Zeuge oder eine Partei sich weigern, Aussagen zu machen, durch die ein
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Berufsgeheimnis offenbart werden könnte. Es kann jedoch leicht geschehen, daß ein Zeuge oder eine Partei aus Unverstand oder Angst sein Recht, offen die Aussage zu verweigern, nicht ausübt, sondern stattdessen eine unrichtige Aussage macht oder die Wahrheit verschweigt. Dann liegt grundsätzlich eine Straftat vor, aber wenn die Umstände eine angemessene Entschuldigung für den Vernommenen ergeben, entgeht er der Strafe gemäß 15:4. Eine angemessene Entschuldigung gilt als ausgeschlossen, ζ. B. wenn die Tat dazu führt, daß ein Unschuldiger wegen einer Straftat verurteilt wird. I m Zusammenhang mit der Annahme des Gesetzes (1974: 752) über die nordische Zeugenpflicht usw. ist i n den BrB eine neue Strafvorschrift, 15:4 a, eingefügt worden, die eine der Straf bar keit wegen Meineid, fahrlässig falscher Bekundung und unwahrer Parteibekundung entsprechende Strafbarkeit wegen unrichtiger Angaben vor einem Gericht i n Dänemark, Finnland, Island oder Norwegen statuiert. Sind die Angaben vorsätzlich falsch, w i r d die Tat unwahre Aussage vor einem nordischen Gericht genannt, w i r d sie aus grober Fahrlässigkeit begangen, w i r d sie fahrlässige falsche Bekundung vor einem nordischen Gericht genannt. I m BrB Kap. 15 folgt hiernach eine Gruppe von Delikten, die dadurch charakterisiert wird, daß es sich u m Erklärungen handelt, die das Risiko für einen anderen m i t sich führen, ohne Grund Gegenstand einer Anklage zu werden oder unschuldig wegen eines Delikts verurteilt zu werden. Falsche Anklageerhebung und grundlose Anklageerhebung (falskt âtal, obefogat âtal) Die schwerste dieser Straftaten ist die falsche Anklageerhebung gemäß 15:5 Abs. 1, die vorliegt, wenn jemand eine Anklage i n der A b sicht erhebt, daß ein Unschuldiger wegen einer Straftat verurteilt werden soll. Die Strafe hierfür ist Gefängnis bis zu zwei Jahren oder, wenn die Tat leicht ist, Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Ist die Tat leicht ist, Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Ist die Tat schwer, wenn ζ. B. die Anklage wegen einer ernsthaften Straftat erhoben war oder den Mißbrauch einer Anstellung bedeutete, ist die Strafe Gefängnis von sechs Monaten bis zu vier Jahren. Damit wegen einer Tat Anklage erhoben werden darf, ist notwendig, daß der Beschuldigte, sei er Ankläger oder Privatkläger, Gründe für die Wahrscheinlichkeit dafür hatte, daß der Verdächtige die Tat begangen hatte. Wer eine Anklage erhebt, ohne solche Gründe zu haben, w i r d gemäß 15:5 Abs. 3 wegen grundloser Anklageerhebung zu Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten verurteilt.
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Falsche Strafanzeige und grundlose Strafanzeige (falsk angivelse, obefogad angivelse) Wer einen anderen bei einem Ankläger oder einer Polizeibehörde durch eine formelle Anzeige der Strafverfolgung wegen einer Straftat m i t der Absicht, daß dieser unschuldig verurteilt wird, aussetzt, w i r d gemäß 15:6 Abs. 1 wegen falscher Strafanzeige bestraft. Erkannte der Anzeiger nicht, hatte er aber doch einen begründeten Anlaß anzunehmen, daß der Angezeigte unschuldig war, w i r d er wegen grundloser Strafanzeige gemäß 15:6 Abs. 2 bestraft. Die Strafe für falsche Strafanzeige ist Gefängnis bis zu zwei Jahren oder, wenn die Tat leicht ist, Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Für eine grundlose Strafanzeige ist die Strafe Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Falsche Anschuldigung und fahrlässige Falschbeschuldigung (falsk angivelse, obefogad angivelse) Wenn man ohne eine förmliche Strafanzeige bei einem Ankläger, einer Polizeibehörde oder einer sonstigen Behörde, die i n einer solchen Sache eine Meldung entgegenzunehmen hat, zu machen, wahrheitsw i d r i g einen anderen einer strafbaren Handlung beschuldigt, liegt gemäß 15:7 Abs. 1 eine falsche Anschuldigung vor. Die Tat braucht jedoch nicht die Form einer ausdrücklichen Beschuldigung einer Straftat anzunehmen. Sie kann auch darin bestehen, daß man wahrheitswidrig eine Tatsache erwähnt, die darauf deutet, daß jemand eine Straftat begangen hat, oder daß man wahrheitswidrig eine Tatsache verleugnet, die zugunsten eines anderen spricht. Voraussetzung für die Anwendung der Gesetzesstelle ist, daß die Anschuldigung vor einer zur Entgegennahme der Anzeige der Tat zuständigen Behörde geschieht. Außer Ankläger und Polizeibehörden, die i m Gesetz besonders genannt werden, kann man als Beispiel den Chef einer Behörde, der die Anzeige von durch das Personal der Behörde begangenen Amtsdelikten entgegenzunehmen hat, nennen. Für die Annahme einer falschen Anschuldigung w i r d gefordert, daß die Tat vorsätzlich geschehen ist, was hier vor allem bedeutet, daß der Täter die Unrichtigkeit seiner Erklärung kannte. Erkannte er dies nicht, hatte er aber begründeten Anlaß zu der Annahme, daß seine Erklärung wahrheitswidrig war, w i r d er wegen fahrlässiger falscher Anschuldigung gemäß 15:7 Abs. 2 bestraft. Die Strafe für falsche Anschuldigung ist Gefängnis bis zu zwei Jahren oder, wenn die Tat leicht ist, Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten.
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Eine Behauptung, daß eine Person eine Straftat begangen hat, kann — wie schon erwähnt — eine Ehrenkränkung darstellen. Da die Voraussetzungen für das Vorliegen von Ehrenkränkungen i n bestimmter H i n sicht weiter gestreckt sind als die hier besprochenen Straftaten i n 15:5-7 (so braucht ζ. B. eine Beschuldigung nicht unwahr zu sein, um eine Ehrenkränkung darzustellen), könnte man sich denken, daß ein Anzeiger, der vom V o r w u r f einer i n Kap. 15 genannten Tat freigesprochen wird, stattdessen wegen einer Ehrenkränkung verurteilt wird. Nach Auffassung des Gesetzgebers soll jedoch derjenige, der eine Straftat anzeigt oder bei der zuständigen Behörde anmeldet, nicht wegen Ehrenkränkung, sondern nur nach den Bestimmungen i n Kap. 15 strafbar sein. Eine Anzeige bei einem Ankläger oder bei einer anderen zuständigen Behörde, daß jemand eine Straftat begangen habe, stellt also den Anzeiger i n eine günstigere Position, als wenn er von der behaupteten Straftat anderen Personen erzählt. Die Absicht hiermit ist natürlich, daß man nicht aus Angst vor einer Anklage wegen Ehrenkränkung davon abgehalten werden soll, eine Straftat bei einer zuständigen Behörde zur Anzeige zu bringen. Beweismittelentstellung (bevisförvanskning) Das letzte Delikt dieser Gruppe ist die Beweismittelentstellung i n 15:8. Diese Straftat liegt vor, wenn jemand i n der Absicht, daß ein Unschuldiger wegen einer Straftat verurteilt werden soll, Beweismittel entstellt oder beseitigt oder sich auf ein falsches Beweismittel stützt. Die Bestimmung berücksichtigt alle Arten von Gegenständen, die von Bedeutung als Beweismittel sind, außer denen, die gegen Fälschung gemäß B r B Kap. 14 geschützt sind. Sie bleibt ζ. B. auch anwendbar beim Auslöschen von Fußspuren und Fingerabdrücken und Manipulationen mit Fotographien und Abbildungen, die nicht als Urkunden betrachtet werden können. Z u beachten ist, daß die Tat in der Absicht geschehen muß, daß ein Unschuldiger bestraft werden soll. Die Beweismittelentstellung m i t dem Ziel, eine schuldige Person der Strafe zu entziehen, w i r d gemäß 17:11 als Begünstigung eines Straftäters bestraft. Die Strafe für Beweismittelentstellung ist Gefängnis bis zu zwei Jahren oder, wenn die Tat leicht ist, Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Ist die Tat schwer, ist die Strafe Gefängnis von sechs Monaten bis zu vier Jahren. Der Versuch der Beweismittelentstellung ist strafbar, jedoch nicht, wenn die vollendete Tat als leicht zu beurteilen wäre.
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Unterlassene Abwendung eines Rechtsirrtums (underlâtenhet att avvärja rättsiel) Ein Zeuge kann m i t gutem Gewissen unrichtige Angaben machen, die dazu führen können, daß ein Unschuldiger verurteilt wird, und ebenso kann eine Person mit gutem Gewissen eine Anzeige bei der Polizei erstatten und dadurch einen anderen der Gefahr aussetzen, unschuldig angeklagt und verurteilt zu werden. I n keinem dieser Fälle kann der Betreffende wegen seiner unrichtigen Angaben bestraft werden. M i t dem Gedanken an solche Fälle w i r d i n 15:9 bestimmt, daß derjenige, der ohne strafbar zu sein wegen i n 15:1-8 beschriebener Handlungen für einen anderen die Gefahr hervorgerufen hat, ohne rechtlichen Grund verurteilt zu werden oder auf andere Weise erhebliches Unrecht zu erleiden, verpflichtet ist, seine Erklärung zu berichtigen oder auf andere Weise die Sache i n Ordnung zu bringen, sobald er zu der Erkenntnis gelangt ist, daß er eine Gefahr verursacht hat. Die Unterlassung einer solchen Maßnahme w i r d als Unterlassung der Abwehr eines Rechtsirrtums angesehen und m i t Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Unwahre Versicherung und fahrlässig falsche Versicherung (osann försäkran, vardslös försäkran) Als Fälschung gemäß B r B Kap. 14 w i r d auch die Schaffung unechter Beweismittel oder Veränderung echter Beweismittel bestraft. I m BrB Kap. 15 gibt es einige Bestimmungen, die die Schaffung echter Beweismittel mit unrichtigem Inhalt bestrafen. Dazu gehört zunächst die Strafandrohung i n 15:10 Abs. 1 gegen die unwahre Versicherung. Diese Vorschrift betrifft die unrichtige Angabe oder das Verschweigen der Wahrheit i n einer schriftlichen Erklärung, die aufgrund eines Gesetzes oder einer Verordnung unter eidlicher Verpflichtung oder auf Ehre und Gewissen oder m i t einer anderen solchen Versicherung abgegeben wird. Als Beispiel einer solchen schriftlichen Erklärung kann die Versicherung genannt werden, die unter der eidlichen Verpflichtung von dem abgegeben wird, der i n einer Vermögensaufstellung das Vermögen angibt. Eine Aussage, die an und für sich hierher gehört, ist die auf Ehre und Gewissen abgegebene Versicherung i n einer Einkommens· und Vermögenssteuererklärung. Eine unrichtige Angabe hierin w i r d jedoch gemäß dem Steuerstrafgesetz als Steuerbetrug oder fahrlässig falsche Steuererklärung bestraft. Für die Strafbarkeit ist erforderlich, daß die unrichtige Erklärung eine Gefahr in Beweishinsicht bedeutet. Dieser Ausdruck hat hier dieselbe Bedeutung wie i m B r B Kap. 14 (s. Fälschungsdelikte). Damit w i r d die Strafbarkeit für Erklärungen ausgeschlossen, die für die Aussage 28 Ausländisches Strafrecht V
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nicht wesentlich sind (ζ. B. unrichtige Datierung, wenn diese keine Rolle für den Zweck der Aussage spielt) oder die bloß wissenschaftliches oder historisches Interesse haben. Eine unwahre Versicherung muß m i t Vorsatz abgegeben werden. W i r d die Tat grob fahrlässig begangen, liegt gemäß 15:10 Abs. 2 eine fahrlässig falsche Versicherung vor. Die Strafe für eine falsche Versicherung ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten oder, wenn die Tat schwer ist, Gefängnis bis zu zwei Jahren. Die fahrlässig falsche Versicherung w i r d m i t Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Unwahre Bescheinigung und Gebrauch einer unwahren Urkunde (osant intygande, brukande av osann urkund) A n die Bestimmung über die falsche Versicherung schließt sich die Strafvorschrift i n 15:11 Abs. 1 über die unwahre Bescheinigung an, die Angaben i n anderen Urkunden als i n solchen formgebundenen Schriftstücken behandelt, wie sie i n 15:10 gemeint sind. Das Wort „Urkunde" w i r d hier i n derselben Bedeutung wie i m B r B Kap. 14 angewandt; es berücksichtigt also teils Urkunden, die zu Beweiszwekken errichtet werden oder sonst Beweisbedeutung haben, teils Beweiszeichen (s. Fälschungsdelikte). Es ist jedoch nicht jede i n einer Urkunde enthaltene Erklärung geschützt. Die Strafbarkeit w i r d auf Erklärungen drei bestimmter Arten begrenzt. Als erste w i r d die unwahre Angabe darüber, wer man selbst ist, genannt. Als Beispiel einer solchen Angabe kann die Nennung eines falschen Namens bei der Eintragung i n ein Hotelbuch genannt werden. Zuweilen w i r d jedoch das Unterzeichnen m i t falschem Namen als Fälschung bestraft. Wie oben bemerkt, ist es nicht völlig klar, wo i n dieser Hinsicht die Grenze zwischen Fälschung und unwahrer Bescheinigung verläuft. I m übrigen ist es nicht strafbar, i n einer Urkunde unwahre Angaben über sich selbst zu machen. Dagegen w i r d jedoch als unwahre Bescheinigung betrachtet, eine unwahre Erklärung über anderes als eigene Angelegenheiten abzugeben. Hier sind u. a. ärztliche Atteste und andere Zeugnisse, Protokolle und Sachverständigengutachten gemeint. Hierher gehört auch die unrichtige Beurkundung der Richtigkeit einer Abschrift. Schließlich w i r d bestraft die Errichtung einer Scheinurkunde über eine Rechtshandlung, ζ. B. ein Schein vertrag. Auch für die unwahre Bescheinigung w i r d gefordert, daß die Tat eine Gefahr in Beweishinsicht darstellt. Hinsichtlich der Bedeutung hierüber w i r d darauf hingewiesen, was oben über dieselbe Voraussetzung bei falscher Versicherung und Fälschung gesagt worden ist.
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Gemäß 15:11 Abs. 2 w i r d weiter wegen Gebrauchs einer unwahren Urkunde bestraft, wer sich auf eine solche beruft oder eine unwahre Urkunde von der A r t , deren Errichtung als unwahre Bescheinigung strafbar ist, benützt. Auch hier w i r d für die Strafbarkeit gefordert, daß eine Gefahr i n Beweishinsicht herbeigeführt wird. Die Strafe für eine unwahre Bescheinigung oder den Gebrauch einer unwahren Urkunde ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten oder — wenn die Tat schwer ist (ζ. B. dadurch, daß sie den Mißbrauch einer Amtsstellung bedeutet) — Gefängnis bis zu zwei Jahren. Mißbrauch einer Urkunde (missbruk av urkund) Unter dieser Bezeichnung werden i n 15:12 bestimmte Verhaltensweisen m i t Urkunden aufgeführt hinsichtlich derer man der Ansicht ist, daß sie nicht straflos bleiben dürfen. Hierher gehört, daß man einen Paß, eine Bescheinigung oder eine ähnliche Urkunde mißbraucht, die für eine andere Person bestimmt ist, indem man sich selbst oder einen anderen als die Person ausgibt, für die die Urkunde errichtet worden ist. Ein Beispiel eines solchen Verhaltens ist, daß man sich m i t einem Paß legitimiert, der für einen anderen ausgestellt worden ist, oder daß man sich um eine Anstellung bewirbt unter Berufung auf ein für einen anderen ausgestelltes Arbeitszeugnis. Ebenso w i r d bestraft, daß man eine Urkunde zu einem solchen Mißbrauch einem anderen aushändigt. Als Mißbrauch einer Urkunde gilt, wenn man wahrheitswidrig eine Durchschrift oder Fotokopie als richtige Kopie einer bestimmten Urkunde ausgibt. Für die Strafbarkeit ist erforderlich, daß die Handlung eine Gefahr in Beweishinsicht bedeutet. Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten oder, wenn die Tat schwer ist, Gefängnis bis zu zwei Jahren. Verleugnung einer Unterschrift (förnekande av underskrift) Schließlich w i r d i n 15:13 eine besondere Form des Mißbrauchs eines Beweismittels bestraft, nämlich die Verleugnung einer Unterschrift auf einer Urkunde, indem man ζ. B. wahrheitswidrig leugnet, daß man einen Schuldbrief unterschrieben hat, wenn man auf Bezahlung verklagt wird. Für die Strafbarkeit w i r d gefordert, daß eine Gefahr in Beweishinsicht entsteht; die Strafe t r i f f t somit nicht den, der seine Unterschrift aus Scherz oder i n einem zufälligen Gespräch verleugnet. Die Strafe für diese Tat ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Ist die Tat schwer, ist die Strafe Gefängnis bis zu zwei Jahren. Entsprechend B r B Kap. 14 enthält auch Kap. 15 eine Bestimmung über Strafmilderung und Straffreiheit für den freiwilligen Rücktritt 28*
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von einer der i n dem Kapitel genannten Straftaten. Hat man sich nämlich gemäß einer Vorschrift i n Kap. 15 strafbar gemacht, aber hat man selbst freiwillig den Fehler der Aussage berichtigt oder auf andere Weise die Gefahr für weitere Ungelegenheiten aus der Tat abgewehrt, bevor eine bedeutende Unzuträglichkeit entstanden ist, kann gemäß 15:14 die Strafe herabgesetzt werden. Ist die Gefahr gering oder ist die Tat nicht mit einer strengeren Strafe als Gefängnis bis zu sechs Monaten bedroht (ζ. B. Meineid, der leicht ist, oder fahrlässig falsche Aussage), t r i t t Straffreiheit ein.
V I . Straftaten gegen die öffentliche Ordnung Unter dieser Rubrik sind i m B r B Kap. 16 eine Reihe Delikte zusammengeführt worden, denen es gemeinsam ist, daß sie als eine Störung der Ordnung an bestimmten Plätzen oder bei bestimmten Gelegenheiten, Bedrohung der Ordnung und Sicherheit, die die Rechtsordnung den Mitbürgern geben soll, oder als Kränkung des Gefühls der M i t bürger für die sittliche Ordnung aufgefaßt werden können. Ungehorsam gegen die Ordnungsmacht, Auflauf und gewaltsamer Auflauf (ohörsamhet mot ordningsmakten, upplopp, vâldsamt upplopp) Zunächst werden i n diesem Kapitel drei Delikte behandelt, denen charakteristisch ist, daß eine Volksansammlung die öffentliche Ordnimg stört, nämlich Ungehorsam gegen die Ordnungsmacht, Auflauf und gewaltsamer Auflauf. Ungehorsam gegen die Ordnungsmacht i n 16:3 ist das leichteste dieser drei Delikte. Es liegt vor, wenn die Angehörigen einer Volksansammlung, die die öffentliche Ordnung stört, es unterlassen, sich nach einem zur Aufrechterhaltung der Ordnung gegebenen Befehl zu richten, der von einem Polizeibeamten oder einem anderen zuständigen Beamten erteilt wird, oder wenn sie i n ein Gebiet eindringen, das zum Zweck der Aufrechterhaltung der Ordnung befriedet oder abgesperrt ist. Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Wenn die Volksansammlung die öffentliche Ordnung auf ernsthaftere Weise stört, indem sie nämlich die Absicht an den Tag legt, gemeinsam m i t Gewalt gegen eine Behörde vorzugehen oder sonst bestimmte Handlungen zu erzwingen oder zu verhindern, liegt Auflauf gemäß 16:1 vor. A u f lauf liegt auch vor, wenn die Absicht der Volksansammlung darauf gerichtet ist, eine Maßnahme einer einzelnen Person zu
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erzwingen oder zu verhindern, ζ. B. einen Streikbrecher zur Arbeitsniederlegung zu veranlassen. Ist der Auflauf von einer solchen vergleichsweise leichten A r t , daß ein öffentlicher behördlicher Befehl für die Auflösung der Ansammlung ausreichend ist, werden nur Anstifter und Anführer bestraft, während die übrigen Teilnehmer straffrei ausgehen. Als Anstifter gilt, wer vorsätzlich eine Volksmasse dazu veranlaßt, auf die angegebene Weise zu demonstrieren. Die Anstiftung kann durch die Verbreitung einer Streitschrift oder durch Agitation auf einem Treffen geschehen sein. So muß der Anstifter nicht bei der eigentlichen Unruhe zu gegen sein. Anführer ist, von dem gesagt werden kann, daß er auf die eine oder andere Weise die Leitung der Unruhestiftung übernommen hat. Die Strafe für Anstifter und Anführer ist i n diesem Fall Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Für den Fall dagegen, daß der öffentliche behördliche Befehl an die Volksansammlung sich aufzulösen, nicht befolgt wird, t r i t t eine strengere Strafe ein. Für Anstifter und Anführer ist hier Gefängnis bis zu vier Jahren vorgesehen. Ferner w i r d i n diesem Fall auch ein anderer Teilnehmer am Auflauf bestraft. Für diesen ist die Strafe Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Aus dem Angeführten dürfte hervorgehen, daß die Strafbarkeit gemäß 16:1 voraussetzt, daß eine öffentliche Behörde auf dem Platz vertreten gewesen ist und der Volksansammlung befohlen hat, sich aufzulösen. Dies ist nicht erforderlich, bei dem dritten Delikt, dem gewaltsamen Auflauf gemäß 16:2. Hat nämlich die ordnungsstörende Volksansammlung die oben erwähnte Absicht und geht sie i n vereinter Gewalt gegen eine Person oder Vermögen vor, machen sich die Beteiligten des gewaltsamen Auflaufs schuldig, ohne Rücksicht, ob ein A u f lösungsbefehl gegeben worden ist oder überhaupt eine öffentliche Behörde vertreten ist. Als Beteiligte an dem gewaltsamen Auflauf werden nicht nur die angesehen, die selbst Gewalt verübt haben, sondern auch solche Personen i n der Volksmenge, die sich als Sympathisanten der Gewaltverübung gezeigt haben, indem sie ζ. B. i n einer Volksmenge mitlaufen, die zum Angriff vorgeht. Diejenigen, die Gewalt verübt haben, werden auch für diese bestraft, ζ. B. wegen Körperverletzung oder Sachbeschädigung, und es w i r d eine gemeinsame Strafe gemäß den allgemeinen Regeln des B r B bestimmt. Die Strafe für gewaltsamen Auflauf ist für Anführer und Anstifter Gefängnis bis zu zehn Jahren und für andere Teilnehmer Geldstrafe oder Gefängnis bis zu vier Jahren.
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Störung einer Veranstaltung oder öffentlichen Zusammenkunft (störande av förrättning eller av allmän sammankomst) Diese Straftat besteht gemäß 16:4 i m Stören bestimmter Zusammenkünfte durch Gewalttätigkeit, L ä r m oder auf ähnliche Weise oder i n dem Versuch, auf dieselbe Weise eine solche Zusammenkunft zu hindern. Drei verschiedene Arten von Zusammenkünften werden durch diese Vorschrift geschützt. Zunächst werden bestimmte religiöse Akte und Zusammenkünfte genannt, nämlich der öffentliche Gottesdienst oder eine andere öffentliche Andachtsübung sowie Trauungen, Beerdigungen oder dergleichen Akte. Hiermit sind nicht nur die Gottesdienste und anderen Veranstaltungen der Staatskirche, sondern auch die Zusammenkünfte anderer religiöser Gesellschaften gemeint. Ferner werden staatliche und kommunale Amtshandlungen, ζ. B. eines Gerichts oder einer Behörde sowie schließlich allgemeine Zusammenkünfte für eine Beratung, Unterricht oder das Anhören eines Vortrages aufgeführt. Hierher gehören ζ. B. öffentliche politische Zusammenkünfte, Vorlesungen an Universitäten und Hochschulen, aber nicht privater Unterricht oder der Unterricht i n einer gewöhnlichen Schulklasse und auch nicht eine Theater- und Filmvorstellung. Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Aufwiegelung (uppvigling) B r B 16:5 bestraft als Aufwiegelung andere Verhaltensweisen, die geeignet sind, die öffentliche Ordnung zu stören. Es handelt sich hier vor allem u m die Aufforderung zu Straftaten oder u m den Versuch, auf eine andere Weise zu einer Straftat zu verleiten. Eine solche Handlung kann natürlich zu einer Strafe wegen Anstiftung oder Verabredung führen. Aber auch wenn die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen, kann nach dieser Vorschrift Strafbarkeit gegeben sein, wenn der Aufruf besondere Öffentlichkeit genossen hat, nämlich wenn er mündlich i n der Öffentlichkeit oder vor einer Volksmenge erfolgte, i n Schriften, die verbreitet oder zur Verbreitung ausgehändigt worden sind, oder i n einer anderen Mitteilung an die Öffentlichkeit. Für die Strafbarkeit nach 16:5 ist jedoch nicht notwendig, daß die Maßnahme, zu der man einen anderen auffordert oder zu verleiten versucht, strafbar ist. Die Bestimmung umfaßt auch die Aufforderung oder den Versuch der Verleitung — unter denselben Umständen wie i m zuletzt genannten Fall — zur Verletzung einer staatsbürgerlichen Pflicht (ζ. B. Steuerstreik oder Wehrdienstverweigerung) oder zum Ungehorsam gegen eine Behörde (ζ. B. sich nicht nach einem strafbewehrten Verbot zu richten).
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Dagegen richtet sich diese Bestimmung nicht gegen die Aufforderung, privatrechtliche Verpflichtungen nicht zu erfüllen. Somit ist es nicht als Aufwiegelung strafbar, einen anderen aufzufordern oder zu verleiten zu versuchen, seine Miete nicht zu bezahlen oder an einem t a r i f w i d r i gen Streik teilzunehmen. Gemäß einer Änderung des Gesetzes i m Jahre 1970 sollen leichte Fälle der Aufwiegelung nicht mehr strafbar sein. Bei der Beurteilung, ob ein leichter Fall vorliegt, soll nach dem Gesetz besonders berücksichtigt werden, ob lediglich eine unbedeutende Gefahr dafür gegeben war, daß die Aufforderung oder der Versuch zu ihrer Befolgung geführt hätte. Als leicht kann auch der F a l l betrachtet werden, i n dem hauptsächliches Ziel des Täters nicht die Verleitung zu einer Straftat oder zu einer damit gleichgestellten Handlung war, sondern einer Ansicht Ausdruck zu geben als ein Glied i n der Meinungsbildung. Als Beispiele können bestimmte Fälle der Aufforderung zur Wehrpflichtverweigerung angeführt werden. Die Strafe für Aufwiegelung ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Ist die Tat schwer — ζ. B. wenn der Täter einen anderen zu einem ernsteren Delikt zu verleiten versucht hat — ist die Strafe Gefängnis bis zu vier Jahren. Ist der Täter gemäß den allgemeinen Regeln schuldig der M i t w i r k u n g an der Straftat, zu der er aufgewiegelt hat, ist er auch wegen Beteiligung strafbar, und es w i r d eine gemeinsame Strafe für Aufwiegelung und die Beteiligung verhängt. Ist eine Straftat nach 16:5 mittels einer gedruckten Schrift verübt worden, gelten die Vorschriften der Druckfreiheitsverordnung, was u. a. bedeutet, daß der Verbreiter i n der Regel straflos ist, sowie bei periodischen Schriften, daß der Herausgeber und nicht der Verfasser für den Inhalt der Schrift verantwortlich ist. Staatsgefährdende Gerüchteverbreitung (samhällsf arlig ryktesspridning) Die Ruhe i n der Gemeinschaft kann auch durch andere Äußerungen als solche, die zu einer Straftat, zur Versäumimg einer bürgerlichen Pflicht oder zum Ungehorsam gegen eine Behörde verleiten können, gestört werden. Solche Äußerungen sind i n 16:6 über die staatsgefährdende Gerüchteverbreitung berücksichtigt. Wegen dieses Delikts w i r d bestraft, wer unter der Öffentlichkeit vorsätzlich falsche Gerüchte oder andere unwahre Behauptungen verbreitet, die geeignet sind, eine Gefahr für die Volksversorgung oder für die allgemeine Ordnung und Sicherheit herbeizuführen. I m Gegensatz zu 16:5 w i r d hierfür die Strafbarkeit nicht vorausgesetzt, daß die Tat öffentlich geschieht, sondern es reichen Äußerungen bei privaten Gesprächen oder Zusammen-
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künften aus. Das Gerücht oder die Äußerung muß unwahr gewesen sein, und der Täter muß dieses gewußt haben, aber sich doch nicht der allgemeinen Verbreitung dieses Gerüchts enthalten haben. Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. W i r d die Tat durch eine gedruckte Schrift verübt, gilt dasselbe wie bei A u f wiegelung durch gedruckte Schrift. Hetze gegen eine Volksgruppe (hets mot folkgrupp) Die antisemitische Propaganda, die von den Nationalsozialisten auch hierzulande betrieben wurde, zeigte, daß ein Bedarf bestand, durch Strafbestimmungen Volksgruppen, die i n irgendeiner Hinsicht von der Mehrzahl der Bevölkerung abweichen, vor Kränkungen zu schützen. Deshalb wurde 1948 eine nunmehr i m B r B 16:18 übernommene Bestimmung i n das Strafgesetz eingeführt über die Strafbarkeit der Hetze gegen eine Volksgruppe. I m Zusammenhang damit, daß Schweden eine von den Vereinten Nationen angenommene Konvention über die Abschaffung aller Formen der Rassendiskriminierung ratifiziert hat, wurde die Vorschrift 1970 umgearbeitet, u m dem Bedürfnis des Minderheitenschutzes, der i m heutigen Schweden gegeben ist, besser zu entsprechen. Gemäß dem jetzigen Wortlaut der Vorschrift w i r d bestraft, wer öffentlich oder sonst i n Äußerungen, die unter der Allgemeinheit verbreitet werden, einer Volksgruppe von einer bestimmten Rasse, Hautfarbe, nationaler oder volksmäßiger Herkunft oder mit einem bestimmten Glaubensbekenntnis droht oder seine Mißachtung ausdrückt. Es ist jedoch zu bemerken, daß die Straf Vorschrift nicht gedacht ist, Minderheitsgruppen eine besonders privilegierte Stellung i m Verhältnis zu den Bürgern i m allgemeinen zu geben. Daher ist sie nicht anwendbar auf eine sachliche und glaubwürdige Diskussion über eine Volksgruppe. Die Strafe ist Gefängnis bis zu zwei Jahren oder, wenn die Tat leicht ist, Geldstrafe. W i r d die Hetze gegen eine Volksgruppe mittels einer gedruckten Schrift verübt, erfolgt Bestrafung aufgrund der oben erwähnten besonderen Regeln i n der Druckfreiheitsverordnung. Ungesetzliche Diskriminierung (olaga diskriminering) I m Anschluß an die Ratifizierung der oben erwähnten Konvention der Vereinten Nationen über Rassendiskriminierung wurde die Strafvorschrift über Hetze gegen eine Volksgruppe ergänzt m i t einer neuen Bestimmung i n 16:9 über die ungesetzliche Diskriminierung. Diese Straftat hat zwei Formen.
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Zunächst w i r d gemäß 16:9 Abs. 1 bestraft der Gewerbetreibende, der i n seiner Tätigkeit einen anderen aufgrund seiner Rasse, Hautfarbe, seines nationalen oder volksmäßigen Ursprungs oder seines Glaubensbekenntnisses dadurch diskriminiert, daß er i h m nicht die Bedingungen gewährt, die er bei seiner Tätigkeit gegenüber anderen einhält. Der Begriff Gewerbetreibende ist i n weiter Ausdehnung zu verstehen. Er umfaßt jede natürliche oder juristische Person, die berufsmäßig eine Tätigkeit wirtschaftlicher A r t betreibt. Die Tätigkeit braucht nicht auf Gewinn eingerichtet zu sein. Auch eine ökonomische Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, ein ideelles oder wohltätiges Ziel zu fördern, fällt unter die Bestimmung. Zu den Gewerbetreibenden gehören auch der Handwerker, Landwirt und Vertreter sogenannter freier Berufe, wie Künstler, Schriftsteller, Fotographen, Architekten, Rechtsanwälte oder Ärzte. Die Vorschrift gilt auch für den, der berufsmäßig für die Allgemeinheit Grundstücke bereithält oder berufsmäßig Miet- und Wohnrechte anbietet. Das Verbot der ungesetzlichen Diskriminierung betrifft Bauunternehmungen, die Eigenheime zum Verkauf herstellen und der A l l gemeinheit anbieten, und Grundstückseigentümer, die Wohnungen berufsmäßig vermieten. Die Bestimmung gilt dagegen nicht für den nicht berufsmäßig betriebenen Wohnungsmarkt, ζ. B. die Vermietung möblierter Zimmer durch jemand, der nicht als Gewerbetreibender angesehen werden kann. Das Verbot der ungesetzlichen Diskriminierung gilt nicht auf dem Arbeitsmarkt. Der Gesetzgeber war der Meinung, daß es i n erster Linie den Partnern des Arbeitsmarktes überlassen werden müßte, freiwillig zusammenzuwirken und eine Diskriminierung innerhalb dieses Gebietes zu verhindern. Die strafbare Handlung besteht darin, daß ein Gewerbetreibender einen anderen dadurch diskriminiert, daß er i h m nicht die Bedingungen einräumt, die er i m allgemeinen bei seiner Tätigkeit gewährt. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen, mündlich oder durch Gebärden, durch die Forderung höherer Abgaben als von anderen K u n den oder dadurch, daß ein bestimmter Kunde nicht bedient w i r d oder man i h n unvernünftig lange auf Bedienung warten läßt. Für die Strafbarkeit w i r d Vorsatz beim Täter gefordert. Das Verbot der ungesetzlichen Diskriminierung gilt nicht nur für Gewerbetreibende, sondern gemäß 16:9 Abs. 2 auch für andere Personenkategorien, nämlich teils für die Gehilfen des Gewerbetreibenden, teils für den, der in einem öffentlichen Dienst angestellt ist, indem er die Allgemeinheit zu unterstützen hat.
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Gemäß 16:9 Abs. 3 w i r d schließlich wegen ungesetzlicher Diskriminierung der Veranstalter einer öffentlichen Zusammenkunft oder einer öffentlichen Veranstaltung bestraft, der einen anderen aus den oben angegebenen Gründen (Rasse etc.) dadurch diskriminiert, daß er ihm den Z u t r i t t zu der Zusammenkunft oder der Veranstaltung unter den Bedingungen, die auch für andere gelten, verweigert. Auch der Gehilfe des Veranstalters ist nach dieser Vorschrift strafbar. Selbstverständlich gilt die Bestimmung nicht für Zusammenkünfte, die von einer bestimmten Volksgruppe gehalten werden, u m ihre eigenen Angelegenheiten zu betreiben. Die Strafe für ungesetzliche Diskriminierung ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Verletzung des Glaubensfriedens (brott mot trosfrid) Das Strafgesetz von 1864 enthielt i n seinem ursprünglichen Text relativ ausführliche Regeln über Religionsdelikte wie Lästerung, Verspottung des Gottesdienstes und Vergehen gegen die Sonntagsruhe. Die Bestimmungen über Vergehen gegen die Sonntagsruhe wurde 1948 ganz aufgehoben (ihre Funktionen sind zum Teil von den Arbeitszeitund Ladenschlußgesetzen übernommen worden), und die übrigen Tatbestände über Religionsdelikte sind ersetzt worden teils durch die oben behandelte Vorschrift i n 16:4, die ja auch für die Störung des Gottesdienstes gilt, und teils durch eine Vorschrift i n 16:9 über die Straftat gegen den Glaubensfrieden. Diese Straftat lag vor, wenn jemand öffentlich etwas beschimpfte, was von der schwedischen Kirche oder einer anderen i n Schweden wirksamen Glaubensgemeinschaft heilig gehalten wird. Durch die Gesetzgebung des Jahres 1970 wurde aber diese Vorschrift aufgehoben und die neu entstandene Bestimmung über die ungesetzliche Diskriminierung durfte ihren Platz i n diesem Kapitel einnehmen. Der Anlaß zur Aufhebung der Bestimmung war, daß man einen Schutz dieser A r t für die religiösen Gefühle bestimmter Mitbürger nicht länger als motiviert ansah. Ein Schutz für die religiöse Auffassung von Minderheiten w i r d stattdessen durch die Tatbestände der Hetze gegen eine Volksgruppe und der ungesetzlichen Diskriminierung geschaffen. Ein Angriff auf eine einzelne Person m i t übler Nachrede oder Beleidigung aufgrund ihrer religiösen Auffassung kann i n bestimmten Fällen als Beleidigung gemäß Kap. 5 bestraft werden. Wenn jemand religiöse Werte auf eine Weise angreift, die allgemeines Ärgernis erregt, kann dies als ärgerniserregendes Verhalten nach 16:16 betrachtet werden.
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Störung der Totenruhe (brott mot griftefrid) Gemäß 16:10 liegt diese Straftat vor, wenn jemand unbefugt eine Leiche oder die Asche eines Verstorbenen wegschafft, beschädigt oder schimpflich behandelt, ein Grab öffnet oder auf andere Weise an einem Sarg, einer Urne, einem Grab oder einem sonstigen Ruheraum des Toten oder an der Grabpflege Schaden verursacht hat oder Unfug treibt. Die Strafe Monaten.
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Unerlaubtes Verfahren mit pornographischen Abbildungen (otillâted förfarande med pornografisk bild) I n 16:11 wurde früher die Verletzung von Zucht und Sittlichkeit bestraft. Dieses Delikt umfaßt verschiedene Arten von Handlungen, die das sexuelle Anstandsgefühl verletzten. Dieses konnte i n Schrift oder B i l d oder auf andere Weise ζ. B. durch Entblößung der Geschlechtsteile oder Beischlaf auf öffentlichem Platze geschehen. Durch eine Gesetzesänderung des Jahres 1970 wurde der Tatbestand radikal reformiert. Er erhielt i n diesem Zusammenhang die neue Benennung unerlaubtes Verfahren m i t pornographischem Bild. Ausgangspunkt für die Reform war es, die i n der älteren Vorschrift enthaltenen Einschränkungen der Meinungsfreiheit abzuschaffen, aber gleichzeitig dem vorzubeugen, daß Menschen gegen ihren Willen m i t Unternehmungen konfrontiert wurden, die ihre Gefühle für Anstand stören. Da man eine pornographische Schrift nicht zu lesen braucht, wenn man nicht w i l l , ist konsequenterweise die Herausgabe und Verbreitung solcher Schriften aus der Kriminalisierung durch diese Vorschrift herausgenommen worden (s. jedoch die Straftat der sittenverderbenden Einwirkung auf Jugendliche unten). Ferner hat man andere Handlungen anstößiger A r t wie Entblößung oder ähnliches von der Strafbarkeit gemäß dieser Gesetzesstelle ausgenommen. Solche Handlungen können stattdessen als ärgerniserregendes Verhalten bestraft werden gemäß 16:16 (s. u.). Was als strafbar gemäß 16:11 übrigbleibt, ist das Vorzeigen pornographischer Bilder auf eine Weise, die geeignet ist, allgemeinen A n stoß zu erwecken. Voraussetzung für die Strafbarkeit ist jedoch, daß diese Vorführung auf oder an einem öffentlichen Platz durch Auslegen oder andere ähnliche Handlungen geschieht. Unter öffentlichem Platz versteht man dasselbe wie i n den älteren Bestimmungen i n 16:15 und 16 über Trunkenheit und ärgerniserregendes Verhalten (s. u.). Die Vorführung kann nicht nur auf, sondern auch an einem öffentlichen
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Platz geschehen, ζ. B. i n einem Schaufenster zur Straße. Bloßer Verkauf pornographischer Bilder i n einem Laden ist dagegen nicht strafbar. Als unerlaubtes Verfahren m i t pornographischen Abbildungen w i r d weiter bestraft, daß man m i t der Post oder auf andere Weise einem anderen ohne Bestellung pornographische Bilder zusendet. Die Strafe für diese Tat ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Sittenverderbende Einwirkung auf Jugendliche (förledande av ungdom) U m die Verbreitung von für Kinder und Jugendliche ungeeigneten Druckerzeugnissen zu verhindern, wurde i m B r B 16:12 die Strafe für sittenverderbende Einwirkung auf Jugendliche eingeführt. Dieses Del i k t liegt vor, wenn jemand unter Kindern oder Jugendlichen eine Schrift oder eine Abbildung verbreitet, die durch ihren Inhalt verrohend wirken oder sonst die sittliche Erziehung der Jugendlichen ernsthaft gefährden können. Eine Altersgrenze für diejenigen, die zu K i n dern oder Jugendlichen zu rechnen sind, ist nicht festgesetzt worden. I n erster Hand bezweckt man, die Verteilung schädlicher Schriften unter Schülern zu verhindern. I n keinem Fall sollen Universitätsstudenten und Wehrpflichtige unter diese Bestimmung fallen. Die Strafe für Verleitung Jugendlicher ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Tierquälerei (djurplageri) Zu den Straftaten gegen die öffentliche Ordnung kann auch die Tierquälerei nach 16:13 gerechnet werden, die vorliegt, wenn jemand vorsätzlich oder grob fahrlässig durch Mißhandlung, Überanstrengung oder Verwahrlosung oder auf andere Weise ungebührlich einem Tier Leiden zufügt. Die Strafe t r i t t ein, gleichgültig, ob sich die Tat gegen Haustiere, Tiere i n Gefangenschaft oder wilde Tiere richtet. Aus dem zuvor Gesagten geht hervor, daß das Leiden, das dem Tier zugefügt worden ist, ungebührlich sein muß, damit die Tat strafbar ist. Eine gewisse Anleitung für die Entscheidung der Frage, ob ein Leiden ungebührlich zugefügt worden ist, gibt das Gesetz vom 19. M a i 1944 über den Tierschutz, welches genaue Regeln über die Pflege und Behandlung von Haustieren und anderen i n Gefangenschaft gehaltenen Tieren enthält. Nach diesem Gesetz ist es zum Beispiel nicht erlaubt, ein Tier nicht m i t dem erforderlichen Futter und Wasser zu versehen, es m i t einem Gerät, das das Tier leicht zerfleischen oder i h m auf andere Weise Schaden zufügen kann, anzutreiben oder zu züchtigen, oder das Tier gebunden oder angekettet auf eine das Tier quälende Weise zu halten,
Straftaten gegen ie öffentliche
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so daß es nicht die notwendige Ruhe bekommen kann. Ferner gibt es i m Tierschutzgesetz unter anderem Regeln, wie ein Kettenhund behandelt werden soll, und Bestimmungen, unter welchen Voraussetzungen Tiere vorgeführt, kastriert, kupiert oder zu wissenschaftlichen Zwecken (besonders sogenannte Vivisektion) verwendet werden dürfen. W i r d einem Tier Leiden durch ein Verhalten zugefügt, das eine Übertretung einer Bestimmung des Tierschutzgesetzes darstellt, ist das Verhalten i n der Regel als ungebührlich zu betrachten, womit insoweit die Strafbarkeit gemäß 16:13 eintritt. Die Strafe für Tierquälerei ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Glücksspiel (dobbleri) I n 16:14 werden unter dieser Deliktsbezeichnung zwei Typen von Taten behandelt. Zunächst w i r d i m ersten Abschnitt der Vorschrift die Strafbarkeit für den bestimmt, der ein für die Allgemeinheit m i t Risiko verbundenes Spiel über Geld oder Geldeswert veranstaltet oder ein solches Spiel i n Räumlichkeiten erlaubt, die er der Allgemeinheit überlassen hat. Unter einem mit Risiko verbundenen Spiel versteht man ein Glücksspiel, d. h. ein Spiel, bei dem der Ausgang hauptsächlich auf dem Zufall beruht. Dazu werden Kartenspiele, wie Poker, Bakkarat und „21" sowie gewisse Arten von Roulette und Würfelspielen gezählt. Z u m i t Risiko verbundenen Spielen gehören nicht solche Spiele wie Bridge, Billard und Brettspiele, bei denen der Ausgang hauptsächlich auf der Geschicklichkeit des Spielers beruht. Die Strafe für diese Tat ist gemäß 16:14 Abs. 1 Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Gemäß 16:14 Abs. 2 kann ein Teilnehmer an einem mit Risiko verbundenen Spiel, das für die Allgemeinheit veranstaltet wurde oder i n einem der Öffentlichkeit zugänglichen Raum stattfindet, wegen Glücksspiels mit Geldstrafe bestraft werden. Vom Glücksspiel ist zu unterscheiden die Lotterie und damit gleichgestellte Spiele, die i n der Lotterieverordnimg vom 19. Mai 1939 (mit späteren wesentlichen Änderungen) geregelt sind, ζ. B. bestimmte Roulette-, Automaten- und Bingospiele. Solche Lotterien und Spiele dürfen unter besonderen Voraussetzungen betrieben werden. I n der Regel w i r d die Genehmigung der Regierung oder Polizeibehörde erfordert. Die Strafe für einen Verstoß gegen die Lotterieverordnung ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu einem Jahr, wobei die Einziehung der Einsätze und der Ausrüstung für das Spiel (u. a. der „einarmigen Banditen") erklärt werden kann. Glücksspiel und Straftaten gegen die Lotterieverordnung werden als Ordnungswidrigkeit angesehen, die
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nicht unter das schwedische Strafgesetz fallen, wenn sie i m Ausland von beispielsweise schwedischen Mitbürgern oder auf schwedischen Schiffen begangen werden. Durch die Gesetzgebung des Jahres 1972 wurde ein neuer § 14 a i n das 16. Kapitel betreffend das schwere Glücksspiel eingeführt. Dieser berücksichtigt jedoch bloß die Form des Glücksspiels, die i n 16:14 Abs. 1 behandelt wird, d. h. Veranstaltung und Gestattung von mit Risiko verbundenem Spiel über Geld oder Geldeswert und das Glücksspiel durch Teilnahme an einem solchen Spiel. Bei der Beurteilung, ob ein Glücksspiel schwer ist, sollte besonders berücksichtigt werden, ob es berufsmäßig betrieben worden ist, erhebliche Beträge umfaßt hat oder sonst von besonders gefährlicher A r t war. Anlaß zur Einführung dieser Bestimmung war, daß ein organisiertes Glücksspiel Eingang i n Schweden fand i n einem Umfang und i n Formen, die bis dahin unbekannt waren. Oft steht diese Tätigkeit i m Zusammenhang m i t anderen Straftaten. Schweres Glücksspiel w i r d nicht als bloßer Ordnungsverstoß angesehen, weshalb es auch dann unter schwedisches Strafrecht fallend angesehen wird, wenn es i m Ausland begangen wird. Damit Anklage wegen schweren Glücksspiels i m Ausland erhoben werden kann, müssen jedoch die Voraussetzungen hierfür gemäß Kap. 2 vorliegen (s. darüber oben unter Allgemeine Regeln über Tat und Tatfolgen). Die Strafe für schweres Glücksspiel ist Gefängnis bis zu zwei Jahren. Versuch und Vorbereitung
zum schweren Glücksspiel sind strafbar.
Gemäß 36:1 kann die Einziehung des Gewinns des Glücksspiels erklärt werden, sei es, daß er dem Veranstalter, sei es, daß er demjenigen, der das Spiel erlaubt hat oder den Spielern zugefallen ist. Auch Spielgeräte und sonstige Ausrüstung für das Glücksspiel können gemäß 36:2 eingezogen werden.
Trunkenheit (f ylleri) Hier handelt es sich u m ein gegen die allgemeine Ordnung gerichtetes Delikt eines anderen Typs. Gemäß 16:15 Abs. 1 liegt Trunkenheit vor, wenn jemand an einem öffentlichen Ort durch alkoholhaltige Getränke so berauscht auftritt, daß dies aus seinem Verhalten und seiner Rede hervorgeht. M i t öffentlichem Ort ist ein Gebiet oder ein Lokal gemeint, das für die Öffentlichkeit bestimmt ist oder von ihr aufgesucht wird. Als Beispiel können genannt werden ein für den allgemeinen Verkehr (ζ. B. Weg, Straße oder Platz) bestimmter oder ver-
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wendeter Ort oder ein Platz, an dem ein öffentlicher M a r k t oder eine A u k t i o n abgehalten werden, die für die Allgemeinheit zugänglichen Verkehrsmittel (ζ. B. Zug oder Passagierfahrzeug), ein Lokal für öffentliche Zusammenkünfte oder ein Lokal, i n dem Waren zum Verkauf an die Allgemeinheit feilgehalten werden oder wo Speisen und Getränke an die Allgemeinheit abgegeben werden, wie schließlich jeder andere Ort, der — gegen oder ohne Bezahlung — für die Allgemeinheit bestimmt ist (ζ. B. Eisenbahnstationen, Museen, Parks und Anlagen). Ausgenommen sind also teils private Orte, zu denen die Allgemeinheit keinen Z u t r i t t hat, und teils Wald und Feld, wo es keine Allgemeinheit zu geben pflegt. Die Strafe für Trunkenheit ist Geldstrafe bis 500 Kronen. Wer auf die eben genannte Weise von anderen als alkoholischen Getränken berauscht auftritt (ζ. B. Drogen oder schmerzstillende Mittel) w i r d gemäß 16:15 Abs. 2 ebenso zu Geldstrafe bis 500 Kronen bestraft. Die Tat w i r d jedoch nicht Trunkenheit genannt. Ärgerniserregendes Verhalten (förargelseväckande beteende) Außer den verschiedenen Fällen ärgerniserregenden Auftretens, die oben erwähnt worden sind, gibt das Gesetz i n 16:16 eine oft angewandte allgemeine Bestimmung für die Strafbarkeit ärgerniserregenden Verhaltens, die für die Fälle gedacht ist, i n denen die früher genannten Vorschriften des Kap. 16 nicht anwendbar sind. Die strafbare Handlung besteht i n lärmendem Verhalten an einem öffentlichen Ort oder i n einem sonst öffentlichen Verhalten, das durch seine Weise geeignet ist, Ärger bei der Allgemeinheit zu erwecken. Unter dieser Beschreibung werden offenbar die verschiedensten Verhaltensweisen verstanden. Eine Begrenzung hat man bisweilen darin gesehen, daß das rein äußere Auftreten einer Person das Ärgernis verursachen muß. I n der Praxis ist diese Begrenzung nicht beachtet worden, sondern man hat es auch als strafbar angesehen, wenn das Ärgernis durch den Text auf einem bei einer Demonstration getragenen Plakat oder auf einem i n einem Schaufenster aufgehängten Aushang geweckt worden ist. Es bedarf keines Beweises, daß die Handlung Ärgernis bei einem Menschen erregt hat; es ist ausreichend, daß sie geeignet gewesen ist, Ärgernis zu erwecken. Die Handlung muß jedoch öffentlich vorgenommen werden, was bedeutet, daß sie entweder an einem allgemeinen Platz oder auf einem Privatplatz, aber vor der Öffentlichkeit, ζ. B. i n einem zur Straße gelegenen Fenster, verübt worden ist. Die Strafe 500 Kronen.
für ärgerniserregendes Verhalten ist Geldstrafe bis zu
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V I I . Straftaten gegen eine öffentliche T ä t i g k e i t I m B r B Kap. 17 werden unter dieser Überschrift Straftaten gegen eine öffentliche Tätigkeit behandelt. Man kann hier i n der Hauptsache zwei Gruppen strafbarer Handlungen unterscheiden. Die eine Gruppe umfaßt Handlungen, die sich gegen einen einzelnen Ausübenden einer Tätigkeit einer öffentlichen Behörde und erst i n zweiter Linie gegen die Tätigkeit selbst richten. Es handelt sich hier gewöhnlich u m Handlungen, die an und für sich i n einem anderen Zusammenhang strafbar sind, vor allen Dingen solche wie Körperverletzungs- oder Beleidigungsdelikte gemäß Kap. 3 und 4, die aber nach Kap. 17 zu einer strengeren Bestrafung führen, wenn sie sich gegen eine Person i n ihrer Eigenschaft als Ausübender der Tätigkeit einer Behörde richten. Die andere Gruppe stellen solche Handlungen dar, die sich direkt gegen bestimmte Formen der öffentlichen Tätigkeit richten. Hierher gehört z.B., daß man versucht, unbefugt auf eine allgemeine Wahl einzuwirken, daß man die staatliche Strafverfolgung erschwert, indem man einen Täter verbirgt oder i h m bei der Flucht hilft, daß man über gepfändete Sachen verfügt usw. W i r werden zunächst bei dei erstgenannten Gruppe der Straftaten gegen die öffentliche Tätigkeit verweilen. Die Vorschriften hierüber findet man i n 17:1-5, wo die Strafe für Gewalt oder Drohung gegen einen Amtsträger, für einen Übergriff gegen einen Amtsträger und gewaltsamen Widerstand gegen die Staatsgewalt bestimmt wird. Wie eben angedeutet wurde, werden durch diese Vorschriften Amtsinhaber geschützt, die eine behördliche Tätigkeit ausüben. M i t behördlicher Tätigkeit sind Beschlüsse oder Maßnahmen gemeint, die nach außen ein Ausdruck für die staatlichen Machtbefugnisse i m Verhältnis zu dem einzelnen sind, m i t anderen Worten die Ausübung der Befugnis, über Vorteile, Rechte oder Pflichten des Einzelnen Bestimmungen zu treffen. Hierher gehört ein großer Teil der öffentlichen Verwaltung und die Tätigkeit der Gerichte. Dagegen spricht man nicht von behördlicher Tätigkeit, wenn die öffentliche Hand (Schwed.: allmänna = die Allgemeinheit) einen Vertrag nach p r i vatrechtlichen Bestimmungen schließt, z. B. Gegenstände kauft oder verkauft. Geschützt werden somit durch diese Vorschriften z. B. Richter, A n kläger, Polizisten und Amtsinhaber i n einem Ministerium und Ämtern, die Beschlüsse zu fassen haben, die eine behördliche Tätigkeit bedeuten. Hierher gehören auch Mitglieder einer beschließenden staatlichen oder kommunalen Versammlung sowie Mitglieder und Amtsinhaber bei bestimmten kommunalen Ausschüssen und Verwaltungen.
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Nach 17:5 besteht die Möglichkeit, durch ein besonderes Gesetz Bestimmungen über den Schutz gemäß 17:1, 2 und 4 für andere als die bisher genannten Amtsinhaber zu erlassen, ζ. B. für Zollbeamte eines anderen Staates, wenn sie Zolldienst i n Schweden als Teil der Grenzzollzusammenarbeit zwischen Schweden und seinen Nachbarländern ausüben. Schließlich w i r d gemäß 17:5 geschützt, wer dazu berufen wird, einer Amtsperson bei einer Maßnahme, die Schutz gemäß den zuletzt genannten Vorschriften genießt, zu helfen. Der Schutz besteht hauptsächlich darin, daß die Strafe für einen A n griff mittels Gewalt etc. gegen eine i n diesen Bestimmungen genannte Person strenger ist als für einen Angriff gegen einen gewöhnlichen Bürger. Es muß jedoch beachtet werden, daß die Strafe gemäß den genannten Bestimmungen keinesfalls eintritt, sobald eine Tat gegen einen anderen, der den hier gemeinten Schutz genießt, begangen wird. Wer auf der Straße m i t einer i h m vollständig unbekannten Person i n Streit gerät und diese dabei körperlich verletzt, verdient natürlich keine strengere Strafe, wenn es sich später zeigt, daß der Verletzte ein Amtsinhaber mit der Aufgabe, eine behördliche Tätigkeit auszuüben, war. Darüber hinaus w i r d gefordert, daß die Tätigkeit sich gegen den Betreffenden gerade i n seiner Eigenschaft als öffentlicher Funktionär richtet. Der Zweck dieser Vorschriften ist ja an und für sich nicht, den öffentlichen Funktionären einen stärkeren strafrechtlichen Schutz als anderen Bürgern zu geben, sondern zu verhüten, daß die Effektivität und Objektivität der öffentlichen Behördentätigkeit durch Handlungen gegen Personen, die eine öffentliche Tätigkeit ausüben, gefährdet werden. Gewalt oder Drohung gegen einen Amtsträger (vâld eller hot mot tjänsteman) Ein Angriff mittels Gewalt oder mittels Drohung mit Gewalt gegen den, der eine behördliche Tätigkeit ausüben kann, w i r d gemäß 17:1 als Gewalt oder Drohung gegen einen Amtsträger bestraft. Die Strafe hierfür w i r d jedoch nach dem obengesagten nur verhängt, wenn der Angriff gegen den Funktionär i n bestimmten umschriebenen Situationen geschieht, nämlich 1. wenn er sich gegen ihn in seiner Amtsausübung richtet, oder 2. wenn der Angriff erfolgt, u m auf seine behördliche Tätigkeit einzuwirken, d. h. u m i h n zu einer Maßnahme i n seiner behördlichen Tätigkeit zu zwingen, oder ihn daran zu hindern, eine solche Maßnahme vorzunehmen, oder 3. wenn der Angriff beabsichtigt ist als Rache für eine von dem Funktionär ergriffene Maßnahme. Auch 29 Ausländisches Strafrecht V
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ein früherer Amtsinhaber w i r d hiernach gegen solche Racheaktionen geschützt. Zu merken ist, daß für die gemeinten Funktionäre der Schutz für jede Tätigkeit i m Amt, wie Vollstreckung, Ermittlungsarbeit usw. gilt. Ein Übergriff gegen einen solchen Amtsinhaber ist straffrei nur, wenn er sich gegen eine Arbeitsaufgabe richtet, die überhaupt keinen Zusammenhang m i t seiner behördlichen Tätigkeit hat. Die Strafe ist Gefängnis bis zu vier Jahren oder, wenn die Tat als leicht angesehen werden kann, Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. W i r d der Funktionär getötet oder schwer verletzt, w i r d der Täter außerdem wegen Mords, Raubs oder schwerer Körperverletzung gemäß Kap. 3 bestraft und es w i r d eine gemeinsame Strafe für beide Straftaten bestimmt. Versuch und Vorbereitung zur Gewalt oder Drohung gegen einen Amtsträger w i r d gemäß Kap. 23 bestraft, wenn nicht die Tat, wenn sie vollendet worden wäre, als leicht anzusehen wäre. Ubergriff gegen einen Amtsträger (förgripelse mot tjänsteman) Wer Amtsschutz genießt, ist gemäß 17:2 gegen bestimmte andere A n griffe als solche, die m i t Gewalt oder m i t Drohung mit Gewalt geschehen, ebenfalls geschützt. Als Übergriff gegen einen Amtsträger werden nämlich Handlungen bestraft, die unbefugt gegen einen Funktionär wegen seines Dienstes unternommen werden und ein Leiden, einen Schaden oder eine andere Ungelegenheit für ihn mit sich bringen, ζ. B. Zerstörung seiner Sachen oder Körperverletzung eines seiner A n gehörigen. Auch die Drohung m i t einer solchen Tat ist strafbar. Die Strafe für Übergriff gegen einen Amtsträger ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Ist die Tat schwer, ist die Strafe Gefängnis bis zu vier Jahren. Gewaltsamer Widerstand (vâldsamt motstând) I n 17:4 gibt es eine H i l f s Vorschrift für den Fall, daß jemand mit Gewalt die Ausübung einer öffentlichen Tätigkeit zu hindern versucht, ohne jedoch so hart vorzugehen, daß er sich der Gewalt oder Drohung gegen einen Amtsträger oder eines Übergriffes gegen einen Amtsträger schuldig macht. Eine Tat gegen diese Bestimmung, gewaltsamer Widerstand, liegt ζ. B. vor, wenn jemand, der von der Polizei festgenommen wird, sich dagegen sträubt oder sich an irgendeinem Gegenstand festhält, wenn er fortgeführt werden soll, oder wenn jemand einen beschlagnahmten Gegenstand der Amtsperson zu entreißen versucht. Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten.
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Beleidigung eines Amtsträgers (missfirmelse av tjänsteman) Vor einer Gesetzesänderung i m Jahre 1975 wurde die Verunglimpfung eines öffentlichen Amtsinhabers in seinem Dienst oder wegen seines Dienstes gemäß 17:5 als Beleidigung eines Amtsträgers bestraft. Diese Vorschrift ist nun aufgehoben und die Verunglimpfung öffentlicher Amtsinhaber w i r d nun wie die Verunglimpfung gewöhnlicher Bürger gemäß 5:3 bestraft. Besondere Vorschriften über die Anklageerhebung gelten jedoch für die Verunglimpfung eines anderen i n oder wegen seiner Amtsausübung (s. o. unter Ehrenkränkung). Verleumdung einer Behörde (beljugande av myndighet) Üble Nachrede zum Nachteil einer Behörde ist nicht besonders strafbar. I n 17:6 w i r d jedoch das Verleumden einer Behörde bestraft, das vorliegt, wenn jemand unter der Öffentlichkeit falsche Gerüchte oder andere unwahre Behauptungen verbreitet, die geeignet sind, die Achtung vor der Behörde oder einem anderen Organ, das i n allgemeinen Angelegenheiten beschließen darf, zu untergraben. Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Bestechung (bestickning) Der ordentliche Gang der öffentlichen Verwaltung w i r d nicht bloß durch Gewalt, Zwang oder Beleidigung von Amtsinhabern i m allgemeinen Dienst beeinträchtigt. Er kann eine Beeinträchtigung auch durch die Bestechung öffentlicher Funktionäre erleiden. Dieses Delikt w i r d in 17:7 behandelt und bedeutet die Bestechung von staatlichen oder kommunalen Arbeitnehmern und anderen öffentlichen Funktionären, die i n der Vorschrift 20:2 über passive Bestechung (s. u.) aufgezählt werden. Die aktive Bestechung besteht darin, daß man überläßt, verspricht oder anbietet eine Bestechung oder eine andere ungehörige Belohnung für eine Dienstausübung. Die Belohnung kann als Anerkenntnis für eine bestimmte schon vorgenommene Dienstmaßnahme gedacht sein oder als Anreiz für die Ergreifung einer bestimmten Maßnahme. Für die Strafbarkeit w i r d nicht gefordert, daß der Amtsträger i n seiner Amtsausübung durch die Bestechung beeinflußt worden ist, was ja u. a. daraus hervorgeht, daß bereits das Anbieten einer ungerechtfertigten Belohnung strafbar ist. Nur eine ungerechtfertigte Belohnung w i r d i m Gesetz berücksichtigt. Was ungerechtfertigt ist, beruht auf den Umständen des Einzelfalles, ζ. B. auf der A r t des Dienstes und der A r t und Größe der Gabe. Eine Gedenkgabe, die Konfirmanden ihrem Pfarrer geben, ist somit keine ungerechtfertigte Belohnung, während dies der Fall ist bei Geschenken, die einem Richter von einer 29*
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Partei eines vor diesem Richter verhandelten Prozesses angeboten werden. Der Amtsträger, der sich bestechen läßt, w i r d gemäß Kap. 20 wegen passiver Bestechung bestraft. Die Strafe für aktive Bestechung ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Unlautere Tätigkeit bei einer Abstimmung und Verletzung des Abstimmungsgeheimnisses u. a. (otillbörligt verkande vid röstning, brott mot rösthemlighet) Als Straftaten gegen die öffentliche Tätigkeit werden auch bestimmte unlautere Verhaltensweisen i m Zusammenhang mit der Ausübung des Stimmrechts behandelt. So w i r d nach 17:8 als unlautere Tätigkeit bei einer Abstimmung bestraft, daß jemand bei der Wahl zu öffentlichen Ämtern (ζ. B. bei der Wahl von Reichstagsabgeordneten, Abgeordneten der Gemeinden, eines Bischofs oder Universitätsrektors) oder bei einer anderen Ausübung des Stimmrechts i n einer allgemeinen Angelegenheit (ζ. B. Volksabstimmungen oder Abstimmungen i m Reichstag oder i n den Gemeinderäten) versucht, die Abstimmung zu verhindern, ihren Ausgang zu verfälschen oder auf andere Weise unlauter einzuwirken versucht. Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten oder, wenn die Tat schwer ist, Gefängnis bis zu vier Jahren. Nach derselben Vorschrift — jedoch unter der Voraussetzung, daß es sich nicht u m passive Bestechung handelt — w i r d m i t Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft, wer einen ungerechtfertigten Vorteil annimmt, sich versprechen läßt oder begehrt, um auf eine bestimmte Weise abzustimmen oder nicht abzustimmen. Wegen eines Delikts gegen das Abstimmungsgeheimnis w i r d gemäß 17:9 bestraft, wer unbefugt versucht, sich Kenntnis zu verschaffen, wie das Stimmrecht bei den geheimen politischen oder kommunalen Abstimmungen ausgeübt worden ist. Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Ubergriff in einer Rechtssache (övergrepp i rättssak) Eine wichtige Vorschrift i n Kap. 17 ist die Straf Vorschrift in 17:10 über den Übergriff i n einer Rechtssache, welche gedacht ist, die rechtsprechende Tätigkeit des Staates gegen eine unzulässige Einwirkung von Parteien, Beauftragten oder Zeugen zu schützen. So w i r d nach dieser Vorschrift bestraft, wer gegen einen anderen Gewalt als Rache übt dafür, daß dieser einem Gericht oder bei einer anderen Behörde eine Anzeige erstattet, seine eigene oder eines anderen Klage geführt,
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ein Zeugnis abgelegt oder sonst eine Aussage bei einem Verhör (ζ. B. bei einem Polizeiverhör) gemacht hat. Strafbar ist auch die VerÜbung von Gewalt gegen einen anderen i n der Absicht, i h n zu hindern, eine Anzeige zu erstatten, eine Klage zu erheben, ein Zeugnis abzulegen oder sonst eine Aussage zu machen. Neben der Gewalt ist auch die Drohung mit Gewalt i n solcher Absicht, wie hier angegeben, strafbar als Übergriff i n einer Rechtssache. Dasselbe gilt auch, wenn man ohne Gewalt oder Drohung m i t Gewalt anzuwenden, eine andere Maßnahme ergreift, die ein Leiden, Schaden oder Unannehmlichkeiten für einen anderen m i t sich führt, oder diesen m i t einer solchen Maßnahme bedroht, m i t dem Ziel, sich dafür zu rächen, daß der andere ein Zeugnis abgelegt oder eine Aussage bei einem Verhör vor einer Behörde abgegeben hat, oder um i h n daran zu hindern. Die Strafbarkeit wegen eines Übergriffs i n Rechtssachen ist gegeben, gleichgültig, ob die Handlungen an und für sich strafbar (ζ. B. Schadenszufügung oder Hausfriedensbruch) oder straffrei sind (ζ. B. Kündigung einer Anstellung). Die Strafe für einen Übergriff i n einer Rechtssache ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Begünstigung eines Straftäters und Förderung einer Flucht (skyddande av brottsling, främjande av flykt) I n 17:11 und 12 werden Handlungen bestraft, die die Ausübung der staatlichen Strafverfolgung erschweren. So w i r d i n 17:11 eine Strafe für die Begünstigung eines Rechtsbrechers festgesetzt. Es handelt sich hier u m die Hilfe für den Straftäter selbst und nicht i n erster Linie um die unerlaubte Befassung mit Vermögensgegenständen, die durch Delikt erworben sind, was i n der Regel als Hehlerei bestraft wird. Eine solche Hilfe kann i m Verbergen des Täters oder i n der Hilfe bei der Flucht bestehen, ζ. B. durch Leihen eines Autos oder eines anderen Fortschaffungsmittels oder i m Beiseiteräumen von Tatbeweisen. Aber auch andere Verhaltensweisen, die der Strafverfolgung des Täters entgegenwirken, können hierher gerechnet werden. I n der Regel w i r d ein Wissen darum gefordert, daß der Betreffende ein Rechtsbrecher war. Die Strafbarkeit kann jedoch auch gegeben sein, wenn man dieses nicht erkannt hat, jedoch einen begründeten Anlaß gehabt hat, dies anzunehmen. I m letztgenannten Fall ist jedoch die Strafe nur Geldstrafe, während sonst die Strafe bis zu Gefängnis von zwei Jahren steigen kann. Von den hier angegebenen Regeln w i r d eine Ausnahme zugunsten von Ehegatten, Verlobten, Eltern, Geschwistern und bestimmten anderen dem Täter nahestehenden Personen gemacht, indem diese nicht wegen ihm geleisteter Hilfe bestraft werden können.
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Die i n 17:12 behandelte Handlung, die Förderung der Flucht genannt wird, besteht darin, daß man den befreit, dem zu einem anderen Zweck als dem der Krankenpflege oder Fürsorge nach dem Jugendfürsorgegesetz die Freiheit entzogen ist, ζ. B. einen Festgenommenen, Verhafteten oder zur Freiheitsstrafe Verurteilten, oder auf andere Weise die Flucht einer solchen Person fördert. Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Der Versuch der Förderung der Flucht ist strafbar. Übertretung behördlicher Gebote u. a. (överträdelse av myndighets bud m. m.) I n 17:13 werden verschiedene andere Angriffe auf die Funktionen einer öffentlichen Behörde oder die Bereitung von Hindernissen für deren Tätigkeit mit Strafe bedroht. Das dort behandelte Delikt w i r d Übertretung behördlicher Gebote genannt und liegt u. a. vor, wenn man gegen ein bewegliche Sachen betreffendes behördliches Veräußerungsverbot verstößt, Sachen, die mit einem Arrest belegt, gepfändet oder beschlagnahmt sind, entfernt, einen Anschlag oder ein Siegel einer Behörde entfernt oder unerlaubt etwas öffnet, was behördlich verschlossen ist (ζ. B. einen vom Zoll plombierten Eisenbahnwagen). Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Wer sich unberechtigt dafür ausgibt, eine behördliche Tätigkeit auszuüben, w i r d gemäß 17:15 wegen Vortäuschung einer öffentlichen Stellung verurteilt. Dasselbe gilt, wenn jemand unbefugt eine Uniform oder ein Dienstabzeichen trägt und sich dadurch den Anschein gibt, dem M i l i t ä r oder einer i m Dienst der Allgemeinheit stehenden Organisation oder einer Organisation, deren Tätigkeit den öffentlichen Verkehr oder die Versorgung der Allgemeinheit mit Wasser, Licht, Wärme oder Elektrizität betrifft, anzugehören. Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Ist die Tat schwer (ζ. B. wenn sie einen bedeutenden Nachteil für die Allgemeinheit oder einen einzelnen herbeigeführt hat), ist die Strafe Gefängnis bis zu zwei Jahren. Schließlich w i r d gemäß 17:15 Abs. 2 wegen Vortäuschens der Stellung eines Rechtsanwalts bestraft, wer sich unbefugt für einen Rechtsanwalt ausgibt. Der Anwaltstitel ist für die Mitglieder des schwedischen A n waits Verbandes vorgesehen. Die Strafe ist Geldstrafe. — Sich unerlaubt als Arzt auszugeben, ist dagegen gemäß BrB nur strafbar, wenn man behauptet, ein Arzt i n öffentlicher Stellung zu sein, worauf 17:15 Abs. 1 anwendbar werden kann.
Hochverrat
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V I I I . Hochverrat und Straftaten gegen die Sicherheit des Reiches Unter der Bezeichnung Hochverrat werden i m B r B Kap. 18 Delikte gegen Schwedens innere Sicherheit behandelt, vor allem Straftaten gegen höchste Staatsorgane oder gegen die staatliche Ordnung, die nicht das Verhältnis gegenüber einer fremden Macht berühren. I n Kap. 19 werden danach Straftaten gegen die Sicherheit des Reichs i m Verhältnis zum Ausland, i n erster Linie Verrat und Spionage, behandelt. Hierher gehören auch einige Delikte i n Kap. 22.
Hochverrat (högmalsbrott) Aufruhr (uppror) A n der Spitze der Hochverratsdelikte steht der Aufruhr, wofür i n 18:1 Regeln gegeben werden. Als Aufruhr werden Handlungen bestraft, die eine Gefahr dafür darstellen, daß die staatliche Ordnung m i t Waffengewalt oder anderer Gewalt (z. B. Körperverletzung oder ungesetzliche Freiheitsberaubung) umgestürzt werden soll, oder daß eine Maßnahme oder ein Beschluß eines höchsten schwedischen Staatsorgans erzwungen oder verhindert werden soll. Die entsprechenden Staatsorgane sind der Staatschef (König), die Regierung, der Reichstag sowie die höchsten Gerichte des Landes (der Oberste Gerichtshof und das Oberste Verwaltungsgericht). (Rein persönliche Angriffe gegen den König, Regierungsmitglieder, Reichstagsabgeordnete oder Mitglieder der höchsten Gerichte werden nicht als Aufruhr, sondern nach anderen Bestimmungen bestraft, z.B. nach 18:2 — s. unten — oder 17:1 als Gewalt oder Drohung gegen einen Amtsträger.) Indem gefordert wird, daß der Angriff mit gewaltsamen M i t t e l n unternommen wird, ist ein ungesetzlicher Streik oder eine Aussperrung, die angeordnet werden, u m eine Regierungsentscheidung zu beeinflussen, nicht als Aufruhr zu beurteilen. Für die Strafbarkeit w i r d die Absicht auf Umstürzung der Staatsordnung bzw. die Erzwingung oder Verhinderung einer Maßnahme oder eines Beschlusses gefordert. Die Strafe für Aufruhr ist Gefängnis bis zu zehn Jahren oder auf Lebenszeit. War die Gefahr gering, ist die Strafe jedoch nur Gefängnis von vier bis zu zehn Jahren. Versuch, Vorbereitung und Verabredung zum Aufruhr sowie die Unterlassung der Aufdeckung einer solchen Straftat sind strafbar nach den Vorschriften i m B r B Kap. 23.
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Das schwedische Strafrecht
Die i m älteren Recht vorkommenden Strafbestimmungen gegen ein Majestätsdelikt sind i m B r B ersetzt worden durch eine Vorschrift i n 18:2 betreffend die Strafschärfung bei bestimmten Straftaten gegen königliche Personen. I n dieser Bestimmung w i r d vorgeschrieben, daß für i m B r B Kap. 3 - 5 behandelte Straftaten (Körperverletzungs-, Freiheits-, Friedens-, Ehrenkränkungsdelikte), die einen Übergriff bedeuten gegen den König oder ein anderes Mitglied des Königshauses oder gegen den, der als Reichsverweser die Aufgaben des Staatschefs erfüllt, mit Gefängnis bis zu vier Jahren bestraft werden sollen, wenn sonst auf die Tat Gefängnis bis zu sechs Monaten folgt, und bis zu sechs Jahren, wenn für die Tat sonst eine Gefängnisstrafe von mehr als sechs Monaten, aber höchstens bis zu vier Jahren angeordnet ist. Für eine Anklage wegen der i n 18:2 aufgeführten Straftaten ist eine Anordnung der Regierung erforderlich, es sei denn, daß jemand auf Grund der Tat verstorben ist. Das gleiche gilt bezüglich des Versuchs, der Vorbereitung oder der Verabredung einer solchen Tat sowie bezüglich der Unterlassung der Aufdeckung einer solchen Tat. Bewaffnete Bedrohung der gesetzlichen Ordnung und unerlaubte Gruppentätigkeit (väpnat hot mot laglig ordning, olovlig kârverksamhet) I n 18:3 und 4 werden bestimmte Verhaltensweisen m i t Strafe bedroht, die als Vorstadien zum Aufruhr betrachtet werden können, nämlich die Bedrohung der gesetzlichen Ordnung (18:3) und die unerlaubte Gruppentätigkeit (18:4). Eine bewaffnete Bedrohung der gesetzlichen Ordnung begeht, wer eine bewaffnete Mannschaft sammelt oder anführt, versammelt hält oder eine Mannschaft m i t Waffen oder ähnlicher Ausrüstung versieht oder sie i m Gebrauch von Waffen übt. Für die Strafbarkeit w i r d weiter gefordert, daß die Handlung i n der Absicht geschieht, daß eine Straftat gegen die öffentliche Sicherheit oder die staatsbürgerliche Freiheit verübt werden soll. Die Strafe ist Gefängnis von sechs bis zu zehn Jahren. Versuch, Vorbereitung und Verabredung einer solchen Straftat sowie die Unterlassung ihrer Aufdeckung sind strafbar. Die Strafbestimmung gegen die unerlaubte Gruppentätigkeit richtet sich gegen Verbände, von denen anzunehmen ist, daß sie einer militärischen Truppe oder Polizeieinheit gleichartiges Machtmittel darstellen sollen, ohne eine solche Organisation zu sein, die mit ordnungsgemäßer Erlaubnis die Verteidigung oder die Ordnungsmacht verstärkt. Die
Hochverrat
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Bestimmung richtet sich auch gegen Verbände, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit oder den Zweck ihrer Bildung leicht zu einem solchen Machtmittel entwickelt werden können. Durch diese Gesetzesbestimmung w i l l man die Entwicklung von Schutzverbänden für politische Parteien oder ähnliche Gruppen von Mitgliedern der Gesellschaft verhindern. Die Strafe t r i f f t nicht bloß den, der einen solchen ungesetzlichen Verband bildet oder sich daran beteiligt, sondern auch den, der für Rechnung eines solchen Verbandes sich mit Waffen, Munition oder anderer Ausrüstung dieser A r t befaßt, Räumlichkeiten oder ein Grundstück für die Tätigkeit des Verbandes zur Verfügung stellt oder diesen m i t Geld oder auf eine andere Weise unterstützt. Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Straftaten gegen die staatsbürgerliche Freiheit (brott mot medborgerlig frihet) Die Regeln über den Aufruhr werden weiterhin ergänzt durch die Strafvorschrift i n 18:5 betreffend die Straftaten gegen die staatsbürgerliche Freiheit. Diese Vorschrift ist zum Schutz bestimmter bürgerlicher Freiheiten und Rechte gedacht, nämlich der Meinungsfreiheit (wobei man besonders an die i n der Druckfreiheitsverordnung garantierte Druckfreiheit denkt) sowie der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (darunter eingerechnet auch die Freiheit, außerhalb eines Verbandes zu stehen). Eine Straftat gegen die staatsbürgerliche Freiheit liegt vor, wenn jemand einen ungesetzlichen Zwang oder eine ungesetzliche Drohung ausübt gemäß 4:4 oder 4:5 i n der Absicht, die allgemeine Meinungsbildung zu beeinflussen oder die Handlungsfreiheit innerhalb einer politischen Organisation oder eines Berufs- oder Gewerbeverbandes zu beeinträchtigen und dadurch die Meinungs-, Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit i n Gefahr zu bringen. Die Strafe für eine Straftat gegen die staatsbürgerliche Freiheit ist Gefängnis bis zu sechs Jahren. Auch der Versuch dieser Tat ist strafbar. Nichterfüllung der Wehrpflicht (svikande av försvarsplikt) Diese als letzte unter den Hochverratsdelikten genannte Straftat liegt vor, wenn man durch Verstümmelung oder auf andere Weise sich für längere oder kürzere Zeit für eine militärische Dienstleistung oder für eine andere Dienstleistung zum Zweck der Verteidigung (ζ. B. ziviler Verteidigungsdienst), die man leisten muß, untauglich macht oder wenn man durch Täuschung, ζ. B. durch das Simulieren einer Krankheit, sich einer solchen Dienstpflicht entzieht.
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Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren oder, falls das Delikt verübt wird, wenn Schweden sich i m Krieg befindet, Geldstrafe oder Gefängnis bis zu vier Jahren. Der Versuch zur Nichtleistung der Wehrpflicht ist strafbar.
Straftaten gegen die Sicherheit des Reiches Landesverrat (högförräderi) Kap. 19 w i r d eingeleitet m i t einer Vorschrift i n § 1 über diese Straftat, die i n nahem Anschluß an die Vorschriften über den Aufruhr in 18:1 ausgestaltet ist. Landesverrat kann auf zwei verschiedene Weisen begangen werden. I n einem Fall handelt es sich u m Handlungen, die direkt Schwedens Integrität und Unabhängigkeit betreffen, näher gesagt Handlungen, die eine Gefahr dafür bedeuten, daß das Reich oder ein Teil davon m i t gewaltsamen oder sonst gesetzwidrigen Mitteln oder mit ausländischem Beistand einer fremden Macht unterworfen oder i n die Abhängigkeit von einer solchen Macht gebracht w i r d oder daß auf eine solche Weise ein Teil des Reichs getrennt w i r d und sich selbständig macht. Der Angriff muß somit m i t gewaltsamen Mitteln (vgl. Aufruhr) oder anderen gesetzwidrigen M i t t e l n (ζ. B. Bestechung von Amtsträgern, Amtsdelikte oder strafbare lügenhafte Propaganda) oder m i t ausländischem Beistand, sei es, daß er direkt von einem fremden Staat geleistet w i r d oder von einer Organisation oder privaten Personen als Strohmänner einer fremden Macht, geführt werden. Der andere Fall des Landesverrats bedeutet einen indirekten Angriff auf die Unabhängigkeit Schwedens. Ein solcher Landesverrat liegt vor, wenn jemand eine Handlung unternimmt, die die Gefahr m i t sich bringt, daß m i t ausländischem Beistand eine Maßnahme oder ein Beschluß eines höchsten schwedischen Staatsorgans (Staatsoberhaupt, Regierung, Reichstag, Oberster Gerichtshof oder Oberstes Verwaltungsgericht) erzwungen oder verhindert werden soll. Für beide Formen des Landesverrats w i r d die Absicht gefordert, daß das i m Gesetz angegebene Resultat (Unterwerfung Schwedens unter eine fremde Macht usw.) auf die i m Gesetz angegebene Weise (gesetzwidrige Mittel, ausländischer Beistand) Zustandekommen soll. Aufgrund der großen Gefährlichkeit der i n Frage kommenden Handlung w i r d Landesverrat bereits als vollendet angesehen, wenn der Täter eine Handlung unternimmt, die die Gefahr für die Verwirklichung der Absicht bedeutet.
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Die Strafe für Landesverrat ist Gefängnis bis zu zehn Jahren oder auf Lebenszeit; ist die Gefahr gering, kann jedoch Gefängnis von vier bis zehn Jahren i n Betracht kommen. Versuch, Vorbereitung und Verabredung zum Landesverrat sowie die Unterlassung der Aufdeckung dieser Straftat sind strafbar nach den Vorschriften i n Kap. 23. Darüber hinaus w i r d als Verabredung zum Landesverrat bestraft, daß man i n Verbindung m i t einer fremden Macht tritt, um vorzubereiten, zu ermöglichen oder zu erleichtern, daß eine solche Straftat verübt wird.
Anstiftung zum Kriege (krigsanstiftan) A n die Bestimmung über den Hochverrat schließt sich die Strafvorschrift gegen die Kriegsanstiftung i n 19:2 an. Diese Straftat liegt vor, wenn jemand durch die Benutzung gewaltsamer M i t t e l oder ausländischen Beistands eine Gefahr dafür hervorruft, daß Schweden i n einen Krieg oder andere Feindlichkeiten verwickelt werden soll. Wegen Kriegsanstiftung darf jedoch nicht verurteilt werden, wenn die Tat — ζ. B. weil sie i n der Absicht begangen wurde, Schweden einer fremden Macht zu unterwerfen — als Landesverrat zu beurteilen ist. Die Strafe für Kriegsanstiftung ist Gefängnis von zwei bis zu acht Jahren.
Treulosigkeit und Eigenmächtigkeit bei Verhandlungen mit einer fremden Macht (trolöshet, egenmäktighet vid förhandling med främmande makt) I n Kap. 19 folgen nun zwei Delikte, die die Verhandlungen m i t fremden Mächten betreffen. 19:3 behandelt die Treulosigkeit bei Verhandlungen mit fremden Mächten, die vorliegt, wenn ein Diplomat oder eine andere Person, die den Auftrag bekommen hat, für Schweden Verhandlungen m i t einer fremden Macht zu führen oder sonst die Interessen Schwedens gegenüber einem anderen, der die Interessen einer fremden Macht vertritt, wahrzunehmen, seine Vertrauensstellung mißbraucht und dadurch Schweden einen erheblichen Nachteil verursacht. Hiermit ist sowohl ein wirtschaftlicher Schaden wie eine Verschlechterung der Lage Schwedens i n politischer oder militärischer Hinsicht oder i m Hinblick auf den Volkshaushalt gemeint. Für die Strafbarkeit w i r d Vorsatz beim Täter gefordert. Die Strafe für Treulosigkeit bei Verhandlungen ist Gefängnis auf bestimmte Zeit von zwei bis zehn Jahren oder auf Lebenszeit.
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Versuch, Vorbereitung und Verabredung zur Treulosigkeit bei Verhandlungen sowie die Unterlassung der Aufdeckung dieses Delikts sind strafbar. I n 19:4 w i r d wegen Eigenmächtigkeit bei Verhandlungen mit einer fremden Macht einmal der schwedische Mitbürger bestraft, der ohne gehörige Erlaubnis sich als Vertrauensmann für eine fremde Macht i n einer diplomatischen Angelegenheit, die Schweden betrifft, verwenden läßt, wie auch der, der sich als ständiger Vertrauensmann für Schweden ausgibt und i n dieser Eigenschaft sich i n Unterhandlungen über eine Angelegenheit der oben genannten A r t einläßt mit einem anderen, der die Interessen einer fremden Macht vertritt. Die Strafe ist Gefängnis bis zu zwei Jahren, kann aber unter bestimmten Verhältnissen bis zu lebenslänglich steigen. Spionage u. a. (spioneri m. m.) Gemäß 19:5 liegt Spionage vor, wenn jemand m i t dem Vorsatz, einer fremden Macht zu helfen, sich m i t Angaben beschäftigt, deren Offenbarung gegenüber einer fremden Macht Nachteile für die Verteidigung, die Volksversorgung i m Krieg oder für besondere durch den Krieg veranlaßte Verhältnisse oder sonst für die Sicherheit des Reichs mit sich führen kann. Als Beispiel für Angaben, die Gegenstand der Spionage werden können, nennt das Gesetz Auskünfte über die Verteidigung, Waffen, Vorräte sowie Ein- und Ausfuhren. Es ist nicht notwendig, daß die Offenbarung einer bestimmten Angabe an eine fremde Macht in dem konkreten Fall gefährlich ist. Es reicht, daß die Angabe Verhältnisse einer solchen A r t betrifft, daß ihre Beförderung zur Kenntnis einer fremden Macht gefährlich ist. Hieraus folgt, daß Strafbarkeit wegen Spionage gegeben ist sowohl wenn die Angabe richtig ist als auch wenn sie unrichtig ist. Ein Spion kann also seiner Verhaftung nicht dadurch entgehen, daß er behauptet, er habe unrichtige Angaben an eine fremde Macht geliefert. Es w i r d auch nicht gefordert, daß die Angabe geheim ist. Mitteilung der Angabe über eine Volksabstimmung kann somit als Spionage strafbar sein. Die Spionagehandlungen können i n zwei Hauptgruppen eingeteilt werden. Die eine Gruppe besteht i n der unerlaubten Anschaffung, Beförderung oder Übermittlung solcher Angaben wie der obengenannten. Die Angaben brauchen somit nicht der fremden Macht zu Händen gekommen sein. Die andere Gruppe der Spionagehandlungen besteht in der unerlaubten Herstellung oder Befassung mit einer Schrift, Zeichnung oder einem anderen Gegenstand, die die genannte A r t von Auskünften zum Inhalt haben.
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Das wesentliche Kennzeichen der Spionage ist, daß sie mit dem Vorsatz geschieht, einer fremden Macht zu helfen. Die Begünstigung der fremden Macht muß jedoch nicht das unmittelbare Ziel sein; damit ein solcher Vorsatz vorliegt, ist es ausreichend, daß der Täter erkennt, daß sein Verhalten einen Vorteil für die fremde Macht bedeutet. Aus Anlaß der sogenannten IB-Affäre hat man i n den Jahren 1974 und 1975 eine Untersuchung durchgeführt, um die Vorschriften über Spionage und bestimmte andere Straftaten i n Kapitel 19 zu re vidieren. Die Spionage w i r d mit Rücksicht auf die Schwere des Delikts i n zwei Grade eingeteilt: Spionage (19:5) und schwere Spionage (19:6). Bei der Beurteilung, ob die Tat schwer ist, soll nach dem Gesetz beachtet werden, ob die Handlung von einer besonders gefährlichen Beschaffenheit mit Rücksicht auf einen stattfindenden Krieg (womit auch ein Krieg gemeint ist, an dem Schweden nicht teilnimmt) ist oder Verhältnisse von großer Bedeutung betraf oder ob der Täter i h m aufgrund eines öffentlichen oder privaten Dienstverhältnisses Anvertrautes verraten hat (z. B. wenn ein Offizier oder Angestellter der Kriegsindustrie Auskünfte über Verteidigungsgeheimnisse gibt, von denen er durch seine Arbeit Kenntnis erlangt hat). Die Strafe für Spionage ist Gefängnis bis zu sechs Jahren und für schwere Spionage Gefängnis von vier bis zu zehn Jahren oder auf Lebenszeit. Versuch, Vorbereitung und Verabredung zur Spionage sowie die Unterlassung der Aufdeckung dieses Delikts sind strafbar. W i r d eine solche Tat, wie sie i n den Spionagebestimmungen beschrieben ist, ohne den Vorsatz der Unterstützung einer fremden Macht begangen und betrifft außerdem die Auskunft Verhältnisse geheimer Natur, so ist gemäß 19:7 Abs. 1 dies strafbar als unbefugtes Befassen mit geheimen Auskünften. Die Strafe hierfür ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren oder, wenn die Tat verübt worden ist, während Schweden sich i m Kriege befand, Geldstrafe oder Gefängnis bis zu vier Jahren. Versuch und Vorbereitung zu diesem Delikt sind strafbar. Nach 19:7 Abs. 2 w i r d als fahrlässige Behandlung geheimer Angaben bestraft, wenn man aus grober Fahrlässigkeit Angaben weiterbefördert, überläßt oder sonst verrät, die i n den Spionagebestimmungen genannt sind und die zugleich Verhältnisse geheimer Natur betreffen. Die Strafe ist Geldstrafe bis zu sechs Monaten oder — wenn sich Schweden bei der Begehung der Tat i m Krieg befand — Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren.
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I n 19:8 ist m i t Strafe bedroht die die Staatssicherheit gefährdende Gerüchteverbreitung. Diese Straftat liegt vor, wenn jemand i n der Öffentlichkeit ein falsches Gerücht oder eine andere unwahre Behauptung, die geeignet ist, eine Gefahr für Schwedens Sicherheit herbeizuführen, verbreitet oder an eine fremde Macht weiterleitet oder übermitteln läßt. Die Strafe ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Unerlaubte Nachrichtentätigkeit (olovlig underrättelseverksamhet) Die Vorschriften über die Strafe für Spionage berücksichtigten eine strafbare Tätigkeit, die gegen Schweden gerichtet ist. Aus rein schwedischem Gesichtspunkt ist es jedoch von Bedeutung, daß überhaupt keine Spionage für ausländische Rechnung i n Schweden betrieben wird, sei es, daß sie sich gegen Schweden richtet oder gegen eine ausländische Macht. Deshalb werden die Spionagevorschriften m i t einer Bestimmung i n 19:9 Abs. 1 vervollständigt, die als unerlaubte Nachrichtentätigkeit bestraft die Beschäftigung mit der Beschaffung von Angaben über militärische oder andere Verhältnisse, deren Bekanntgabe an eine fremde Macht einen Nachteil für die Sicherheit einer anderen Macht m i t sich führen kann. Für die Strafbarkeit w i r d gefordert, daß die Tätigkeit i n der Absicht betrieben wird, der fremden Macht zu helfen. Nach 19:9 Abs. 2 ist dann weiterhin strafbar als unerlaubte Nachrichtentätigkeit ein Verhalten, das sich nicht gegen Schweden oder eine fremde Macht zu richten braucht, nämlich daß jemand i n der Absicht, eine fremde Macht zu unterstützen, heimlich oder unter Anwendung unredlicher M i t t e l für die Anschaffung von Angaben über die persönlichen Verhältnisse eines anderen tätig w i r d oder nicht bloß zufällig bei einer solchen Tätigkeit m i t w i r k t . Das Ziel dieser Vorschrift ist vor allen Dingen der Schutz von Privatpersonen, ζ. B. politischer Flüchtlinge und deren Angehöriger gegen die Gefahr einer Verfolgung oder eines anderen Leidens. Die Strafe für unerlaubte Nachrichtentätigkeit ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Versuch, Vorbereitung und Verabredung zu einer unerlaubten Nachrichtentätigkeit sind strafbar. Der Tatbestand der unerlaubten Nachrichtentätigkeit hat jedoch eine so weite Ausformung erhalten, daß er nicht bloß strafwürdiges Verhalten decken kann, sondern auch Handlungen, die die allgemeine Meinung als erlaubt oder sogar als lobenswert beurteilt (ζ. B. eine solche Tätigkeit, wie sie norwegische oder dänische Flüchtlinge während des Zweiten Weltkriegs i n Schweden betrieben zugunsten ihrer
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gesetzlichen Regierungen). M i t dem Ziel, eine Bestrafung i n den letztgenannten Fällen zu verhindern, w i r d bestimmt, daß der öffentliche Ankläger wegen unerlaubter Nachrichtentätigkeit oder wegen Versuchs, Vorbereitung oder Verabredung keine Anklage erheben darf, ohne daß eine Erlaubnis der Regierung vorliegt. Kränkung einer fremden Macht (kränkning av främmande makt) Kränkt jemand eine fremde Macht dadurch, daß er sich an ihrem Staatsoberhaupt oder an ihrem Repräsentanten i n Schweden mittels eines Körperverletzungs-, Freiheits- oder Friedensdeliktes gemäß B r B Kap. 3 und 4 vergreift, kann er gemäß 19:11 zu Gefängnis bis zu zwei Jahren verurteilt werden, wenn sonst Gefängnis bis zu sechs Monaten auf die Tat folgen kann, und bis zu vier Jahren, wenn sonst Gefängnis von mehr als sechs Monaten, aber höchstens zwei Jahren auf die Tat folgen kann. Entsprechendes gilt auch, wenn jemand i n eine Räumlichkeit eindringt oder eine Räumlichkeit beschädigt, die von der Vertretung einer fremden Macht innegehabt wird. Die Taten, an die hier gedacht wird, sowie der Versuch, die Vorbereitung, die Verabredung dazu sowie die Unterlassung ihrer Aufdeckung darf vom Ankläger nicht angeklagt werden ohne Anordnung der Regierung. Unerlaubte Militärwerbung (olovlig värvning) Die Anwerbung von Personen zu fremdem Kriegsdienst oder zu einem damit vergleichbaren Dienst darf gemäß 19:12 nicht ohne Erlaubnis der Regierung geschehen. Übertritt jemand dieses Verbot oder veranlaßt er einen anderen, unerlaubt Schweden zu verlassen, u m einen solchen Dienst, der eben genannt ist, anzunehmen, w i r d er wegen unerlaubter Militärwerbung m i t Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten oder — wenn das Delikt verübt wurde, während Schweden sich i m Kriege befand — m i t Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Auch die unerlaubte Militärwerbung darf vom öffentlichen Ankläger nicht angeklagt werden ohne eine Anordnung der Regierung. Annahme einer ausländischen Unterstützung (tagande av utländskt understöd) Dieses Delikt ist gemäß 19:13 strafbar. Das Gesetz meint damit den Fall, daß jemand von einer fremden Macht Geld oder andere Sachen entgegennimmt, u m politische Propaganda zu betreiben oder — wie das Gesetz es ausdrückt — durch die Herausgabe und Verbreitung von Schriften oder auf andere Weise die öffentliche Meinung über die
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Staatsordnung oder Maßnahmen i n der inneren und äußeren Leitung des Reiches zu beeinflussen. Die Strafe ist Gefängnis bis zu zwei Jahren. Da es besonders wichtig ist, daß die für Schwedens Sicherheit sehr gefährlichen Delikte des Landesverrats, der Treulosigkeit bei Verhandlung m i t einer fremden Macht und der Spionage nicht verübt werden, hat man schließlich i n 19:15 unter Ausweitung der allgemeinen Regeln des B r B Kap. 23 (darüber siehe oben die allgemeinen Regeln über Tat und Tatfolgen, Kapitel M i t w i r k u n g zur Tat) eine Strafe für Mithilfe, jedoch höchstens Gefängnis von zwei Jahren, für den festgesetzt, der fahrlässig bei einem solchen Delikt mitwirkt. Zu den Bestimmungen über die Delikte gegen die Sicherheit des Reichs können auch gerechnet werden die Bestimmungen i n Kap. 22 über Landesverrat i m Krieg und Treuebruch gegen das Land, landesschädliche Fahrlässigkeit sowie Straftaten gegen das Völkerrecht. Landesverrat, Treubruch gegen das Land und landesschädliche Fahrlässigkeit (landsförräderi, landssvek, lansskadlig värdslöshet) Als Landesverrat im Krieg werden i n 22:1 Abs. 1 bestimmte Taten zugunsten des Feindes bezeichnet, die verübt werden, wenn Schweden sich i m Krieg befindet. M i t Kriegszustand ist auch ein Verhältnis gemeint, das herrscht, wenn das ganze Land von einer fremden Macht besetzt ist. Es gibt mehrere Formen dieser Straftat. Eine Form des Landesverrats i m Krieg sind Handlungen, die direkt dazu dienen, Schwedens Verteidigung oder eine Widerstandstätigkeit i m Lande während einer Besetzung zu schwächen, ζ. B. die Verhinderung von Truppenbewegungen, die Verleitung zur Meuterei, Treulosigkeit oder Mutlosigkeit sowie der Verrat oder die Zerstörung von Befestigungen, Fabriken, Vorräten, Verkehrswegen oder anderem, das von Bedeutung für die Verteidigung oder Volksversorgung ist. Eine andere Form ist die Verbreitung von Mutlosigkeit unter der Allgemeinheit durch unwahre Darstellungen, ζ. B. durch die Teilnahme an der Radiopropaganda des Feindes. Eine dritte Form schließlich sind Handlungen, die geeignet sind, die Kriegsmacht des Feindes zu stärken, ohne direkt die schwedische Verteidigung zu schwächen, ζ. B. die Werbung von Soldaten, Beschaffung von Bedarfsgütern und anderem für den Feind. Damit Handlungen der genannten A r t als Landesverrat i m Krieg bestraft werden können, w i r d gefordert, daß sie geeignet sind, einen
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erheblichen Nachteil für die schwedische Verteidigung oder die Volksversorgung herbeizuführen, oder daß sie eine bedeutende Hilfe für den Feind darstellen. Die Strafe für Landesverrat i m Krieg ist Gefängnis von vier bis zu zehn Jahren oder auf Lebenszeit. Ist die Tat, die unter 22:1 Abs. 1 fällt, nur i n geringerer Weise geeignet, einen Nachteil für die Verteidigung oder für die Volksversorgung herbeizuführen oder bedeutet sie keine allzu bedeutende Hilfe für den Feind, w i r d sie als Treubruch gegen das Land gemäß 22:1 Abs. 2 angesehen; die Strafe ist Gefängnis bis zu sechs Jahren. Unter der Einwirkung dänischer und norwegischer Erfahrungen aus den Besatzungsjähren während des Zweiten Weltkriegs ist i n 22:1 Abs. 2 vorgeschrieben worden, daß Lieferungen und andere Dienste für den Feind innerhalb des von diesem okkupierten Gebietes nicht strafbar sein sollen, wenn diese Handlungen m i t Rücksicht auf die Bedürfnisse der Bevölkerung, die Versorgung des Täters und andere besondere Verhältnisse nicht als unbillig angesehen werden. W i r d die i n 22:1 genannte Tat nicht m i t Vorsatz, sondern aus Fahrlässigkeit begangen, liegt gemäß 22:2 landesschädliche Fahrlässigkeit vor. Die Strafe hierfür ist Gefängnis bis zu vier Jahren. Versuch, Vorbereitung und Verabredung zum Landesverrat i m Krieg und zum Treubruch gegen das Land sowie die Unterlassung der Aufdeckung eines solchen Delikts sind strafbar gemäß den allgemeinen Bestimmungen i m B r B Kap. 23. Wegen Verabredung w i r d auch bestraft, wer mit dem Feind i n Verbindung t r i t t , u m vorzubereiten, zu ermöglichen oder zu erleichtern, daß Landesverrat i m Krieg oder Treubruch gegen das Land begangen werden. Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch strafbar, wer es unterläßt aufzudecken, was er weiß, wenn er hätte erkennen müssen, daß eine solche Tat bevorstand. Völkerrechtsbruch (folkrättsbrott) Durch die Bestimmung i n 22:11 über dieses Delikt ist die Möglichkeit geschaffen worden, strafrechtlich Verhaltensweisen zu treffen, die gegen die Regeln des Völkerrechts über Krieg und Kriegsführung streiten, u. a. sogenannte Kriegsverbrechen. Eine Verletzung des Völkerrechts liegt vor, wenn jemand bei der Kriegsführung auf eine Weise verfährt, die i n Widerspruch m i t geltenden Verträgen m i t fremden Mächten steht oder den allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen widerspricht. Als Beispiel können die Anwendung von Kampfmitteln, die geeignet sind, ein unnötiges Leiden zu verursachen, 30 Ausländisches Strafrccht V
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oder der Mißbrauch des Roten Kreuzes genannt werden. Völkerrechtsbruch liegt weiter vor, wenn jemand i n einem anderen Fall als bei der Kriegsführung das beiseite läßt, was nach internationalen Absprachen oder allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen hinsichtlich des Schutzes für Verwundete, Kranke und Schiffsbrüchige der Streitkräfte zu Lande oder zur See, Kriegsgefangene oder Zivilpersonen während der Kriegszeit oder bei einer Besetzung berücksichtigt werden muß, und dadurch einer Person schaden, körperliche oder seelische Leiden oder auch andere Schäden oder Ungelegenheiten zufügt, die nicht gering sind. Die Strafe für Völkerrechtsbruch ist Gefängnis bis zu vier Jahren. Ist die Tat schwer, ist die Strafe jedoch Gefängnis von zwei bis zu zehn Jahren oder auf Lebenszeit. Sowohl für Kap. 19 als auch für Kap. 22 gilt schließlich, daß die dort für den Fall, daß Schweden i m Krieg ist, gegebenen Regeln auch zu einer anderen Zeit anwendbar sein können, nämlich wenn die Regierung es für nötig hält, aus Rücksicht darauf, daß das Land sich i n Kriegsgefahr befindet oder aufgrund anderer durch Krieg veranlaßte außerordentliche Umstände.
I X . Behördenmißbrauch u. a. und militärische Delikte Unter den strafbaren Angriffen gegen den Staat nehmen die i n Kap. 20 behandelten Straftaten, die vor allem eine fehlerhafte Behördenausübung bedeuten, eine besondere Stellung ein. Sie bekommen nämlich einen besonderen Charakter dadurch, daß sie nicht von Mitbürgern i m allgemeinen, sondern von öffentlichen Funktionären begangen werden. I n diesem Zusammenhang muß jedoch beachtet werden, daß Dienstfehler seitens öffentlicher Funktionäre nicht bloß nach dem B r B geahndet werden. Neben dessen Bestimmung stehen die Vorschriften über die disziplinarische Verantwortung und Entlassung, die i m Staatsdienergesetz (1965: 274) und i n dem Gesetz (1965: 602) über bestimmte Amtsinhaber bei Gemeinden usw. sowie i n Kollektivverträgen enthalten sind. U m einer Doppelbestrafung vorzubeugen, ist, wie oben erwähnt, i n 33:9 vorgeschrieben, daß bei der Bestimmung von Strafen für Taten von Arbeitnehmern Rücksicht auf die disziplinaren Folgen genommen werden soll, die nach dem Arbeitsvertrag oder dem für das Vertragsverhältnis geltenden Gesetz gegeben sind (s. o. unter Strafschärf ungs- und Strafmilderungsgründe). Eine nahestehende Deliktsgruppe stellen die sogenannten militärischen Straftaten dar, d. h. solche i m B r B Kap. 21 und 22 aufgenommene
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Delikte, die nur von militärischem Personal begangen werden können und i n leichteren Fällen zu militärischen Disziplinstrafen (Freiheitsstrafe und Disziplinbuße) führen können.
Behördenmißbrauch und anderes Die hierher gehörenden Vorschriften wurden 1975 einer durchgreifenden Reform unterzogen. Die disziplinarische Verantwortlichkeit ist nunmehr bedeutend ausgedehnt worden, und die strafrechtlichen Sanktionen sind i n entsprechender Weise eingeschränkt worden, die ernsthaftesten Angriffe gegen das Interesse der Allgemeinheit daran, daß die öffentlichen Funktionen ohne unbefugte Rücksicht auf richtige Weise erfüllt werden, abzuwehren. Die Strafbarkeit für das geringste und allgemeinste Amtsdelikt des älteren Rechts, die Amtsverfehlung, ist somit weggefallen und die älteren Vorschriften über Amtsmißbrauch, Annahme von Bestechung und Verletzung der Schweigepflicht sind teilweise umgearbeitet worden, wobei die beiden erstgenannten umgetauft wurden i n Behördenmißbrauch und fahrlässige Behördenausübung sowie i n passive Bestechung. Behördenmißbrauch und fahrlässige Behördenausübung (myndighetsmissbruk, värdslös myndighetsutövning) Behördenmißbrauch w i r d gemäß 20:1 Abs. 1 und fahrlässige Behördenausübung w i r d gemäß 20:1 Abs. 2 bestraft. Gemeinsam für diese Delikte ist, daß beide innerhalb der Ausübung der behördlichen Tätigkeit ein Beiseitesetzen dessen bedeuten, was aufgrund eines Gesetzes oder einer anderen Verordnung für diese Behördenausübung gilt, und daß die Tat Nachteile oder unerlaubte Vorteile, die nicht gering sind, für die Allgemeinheit oder einen Einzelnen zur Folge hat. Was m i t Behördenausübung gemeint ist, ist oben i m Zusammenhang mit dem Bericht über Straftaten gegen die öffentliche Tätigkeit erörtert worden (s. dort). Kurz gesagt, handelt es sich u m die Befugnis, Macht gegenüber dem Einzelnen auszuüben. Erlaubte Behördenausübung beruht i n erster Linie auf Gesetz oder einer anderen Verordnung. Ein Beiseitesetzen dessen, was für die Behördenausübung gilt, ist gegeben, wenn geltende Regeln übertreten werden. Das kann sowohl durch fehlerhafte Beschlußfassung wie durch faktische Maßnahmen oder durch das Unterlassen einer Handlung geschehen. Für eine Strafbarkeit gemäß 20:1 w i r d jedoch weiter gefordert, daß das Beiseitesetzen der für die Behördenausübung geltenden Regeln zu einem Nachteil für die Allgemeinheit oder einen Einzelnen oder zu einem unerlaubtem Vorteil, der nicht gering ist, geführt hat. Ein Nachteil kann sowohl i n 30-
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einem Schaden wie i n einer anderen Ungelegenheit bestehen. Als Beispiel des strafbaren Beiseitesetzens von für die Behördenausübung geltenden Hegeln kann genannt werden, daß ein Ankläger es unterläßt, einen guten Freund wegen einer von diesem begangenen Straftat anzuklagen, daß ein Richter ein unrichtiges Urteil fällt oder daß ein Amtsinhaber m i t dem Ziel, einen Verwandten oder Parteifreund zu begünstigen, für eine Stellung einen anderen als den meist qualifizierten Kandidaten ernennt oder empfiehlt. Behördenmißbrauch unterscheidet sich von der fahrlässigen Behördenausübung durch das Erfordernis des Vorsatzes, die fahrlässige Behördenausübung ist strafbar schon bei grober Fahrlässigkeit. Wenn eine Straftat, die i m Prinzip unter die Tatbestandsbeschreibung i n 20:1 fällt, auch gemäß einer anderen Vorschrift strafbar ist, w i r d diese Vorschrift angewendet und nicht 20:1. Als Beispiel kann genannt werden, daß ein Ankläger eine Anklage ohne wahrscheinliche Gründe erhebt. Dies soll als grundlose Anklageerhebung (s. dort) und nicht nach 20:1 bestraft werden. Die Haftung für Straftaten gegen 20:1 soll i n erster Linie die Personen treffen, die den Beschluß fassen oder die Maßnahme ergreifen, die die unrichtige Behördenausübung ausmachen. Wer i n untergeordneter Stellung eine Angelegenheit bearbeitet, ohne selbst zu beschließen oder auf andere Weise dem zu helfen, der ein Beschlußrecht hat, kann i m Prinzip nicht von der Haftung als Täter nach dieser Bestimmung getroffen werden. Doch ist es möglich, daß ein derart untergeordneter Amtsinhaber nach 23:4 wegen Beihilfe zum Behördenmißbrauch oder zur fahrlässigen Behördenausübung strafbar sein würde. Wer Mitglied einer staatlichen oder kommunalen beschließenden Versammlung ist, ζ. B. Reichstagsmitglied oder Gemeindebevollmächtigter, ist der Haftung nach 20:1 nicht unterworfen. Man ist der Meinung, daß die Verantwortlichkeit für eine unrichtige Behördenausübung dieser Personen i n das U r t e i l der Wähler i m Fall der Frage einer Wiederwahl gestellt werden kann. Die Strafe für Behördenmißbrauch ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Ist die Tat schwer, kann auf Gefängnis bis zu sechs Jahren erkannt werden. Für fahrlässige Behördenausübung ist die Strafe Geldstrafe oder Gefängnis bis zu einem Jahr. Passive Bestechung (mutbrott) Die Strafvorschrift über passive Bestechung i n 20:2 ist i m Anschluß an die Vorschrift i n 17:7 über die aktive Bestechung gebildet worden. Während die letztgenannte Vorschrift sich gegen den richtet, der auf
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einen Funktionär einzuwirken versucht, hat die hier behandelte Gesetzesstelle den Funktionär i m Auge, der eine Bestechung oder eine andere unangemessene Belohnung für seine Diensthandlung annimmt, sich versprechen läßt oder fordert. Die Strafvorschrift richtet sich gegen alle Arbeitnehmer beim Staat oder einer Gemeinde, gegen M i t glieder staatlicher und kommunaler Organe sowie gegen Personen, die sonst aufgrund einer Wahl oder Verpflichtung einen Auftrag für die Allgemeinheit ausführen oder deren Auftrag i n einem Gesetz geregelt ist. Sie gilt auch für Soldaten und andere Personen, die eine gesetzliche Dienstpflicht erfüllen, sowie für alle Personen, die eine behhördliche Tätigkeit ausüben, ohne angestellt zu sein oder einen solchen Auftrag, wie eben genannt, zu haben. Die Strafbarkeit wegen passiver Bestechung ist auch gegeben, wenn der Funktionär die Tat begangen hat, bevor er seine Anstellung oder sein A m t erhalten hat oder nachdem er es aufgegeben hat. Die Strafe für passive Bestechung ist die gleiche wie für Behördenmißbrauch. Verletzung der Schweigepflicht (brott mot tystnadsplikt) Eine Verletzung der Schweigepflicht liegt vor, wenn jemand etwas offenbart, das er von Gesetzes oder einer anderen Verordnung wegen geheimzuhalten verpflichtet ist, oder wenn er unbefugt ein solches Geheimnis ausnützt. Die Vorschrift richtet sich somit gegen jeden, der einer gesetzlich verankerten Schweigepflicht unterworfen ist, sei es als öffentlicher Funktionär, sei es i n privater Tätigkeit. Ist die Tat nach einer anderen Vorschrift strafbar, soll diese anstelle von 20:3 angewendet werden. Die Strafe für eine Verletzung der Schweigepflicht ist Geldstrafe oder Gefängnis bis zu einem Jahr. W i r d die Tat aus Fahrlässigkeit begangen, ist die Strafe Geldstrafe.
Militärische Straftaten I m Jahre 1948 wurde die besondere militärische Strafgesetzgebung i n die allgemeine Strafgesetzgebung übernommen. Die militärischen Straftaten sind nun i m B r B Kap. 21 und 22 enthalten. Die Mehrzahl der dort behandelten Delikte sind dadurch charakterisiert, daß sie von bestimmten Personen i m staatlichen Dienst begangen werden, näher bestimmt durch die, die das Gesetz als Soldaten bezeichnet. Als Soldaten werden i n Friedenszeit gemäß 21:20 der größte Teil des fest bei der Militärmacht angestellten Personals (Regimentsoffiziere,
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Das schwedische Strafrecht
Kompanieoffiziere, Plutonoffiziere, Verbandschefs, Reserveoffiziere und Mannschaften u. a.) sowie bestimmte andere Personalkategorien, Wehrpflichtige, Heimwehrmänner und Heimwehrrekruten (nicht Heimwehrjugend) sowie anderes freiwilliges Personal gerechnet. Die Betreffenden werden jedoch als Soldaten bloß betrachtet, solange sie dienstpflichtig bei der Kriegsmacht sind. Hiervon gibt es jedoch bestimmte Ausnahmen. So werden z.B. die genannten Personen immer als Soldaten angesehen, wenn es die Erfüllung der Meldepflicht oder eine andere besondere Dienstpflicht gilt. Das bedeutet u. a., daß die Strafbarkeit als Soldat einen Wehrpflichtigen trifft, der nicht die gehörigen Angaben über seine Anschrift den militärischen Behörden gegenüber macht, oder einen Heimwehrmann, der ein dem Staat gehöriges Gewehr, das er zu Hause verwahrt, nicht pflegt. Während des Bereitschaftszustandes oder wenn Schweden i m Krieg ist, w i r d gemäß 22:14 der Soldatenbegriff erweitert, u m u. a. alle Personen zu erfassen, die sich bei einem militärischen Verband, der sich i m Feld befindet, aufhalten, ζ. B. Kriegskorrespondenten sowie Kriegsgefangene und internierte Ausländer. I m B r B Kap. 21 sind Tatbestände von Delikten von Soldaten sowohl i m Frieden wie während der Mobilmachung und während des Krieges enthalten. Diese Bestimmungen sollen hier nicht näher kommentiert werden, weil sie einen speziellen militärischen Charakter haben. Zu den wichtigsten Verstößen gegen Kapitel 21 gehören folgende: Gehorsamsbruch (21:1) bedeutet die Verweigerung oder die Unterlassung eines Soldaten, den Befehl eines Vorgesetzten zu befolgen oder die unzulässige Verzögerung der Ausführung eines Befehls. Der Mißbrauch der Vorgesetzteneigenschajt (21:5) liegt vor, wenn der Vorgesetzte seine Dienststellung mißbraucht ζ. B. dadurch, daß er einen Untergebenen zu verleiten sucht, etwas zu tun, zu dulden oder zu unterlassen, was nicht zu seinem Dienst gehört oder dadurch, daß er ohne Grund einen Untergebenen einer Gefahr für Leben oder Gesundheit aussetzt. Wegen unerlaubter Abwesenheit (21:11) w i r d ein Soldat bestraft, der unerlaubt sich entfernt oder ausbleibt von einer i h m obliegenden Dienstleistung. Führt die Entfernung zu einem erheblichen Abbruch i n der Ausbildung oder zu einem anderen bedeutenden dienstlichen Nachteil oder zu einem Risiko dafür, ζ. B. bei längerer Dauer, liegt Fahnenflucht vor (21:12). Schließlich werden generelle Regeln über die Dienstverfehlung (21:18) gegeben, die vorliegt, wenn ein Soldat aus Säumnis, Unverstand oder Ungeschicklichkeit Obliegenheiten, die für ihn nach Dienstanwei-
Militärische Straftaten
sungen oder anderen Bestimmungen, besonderen Vorschriften aufgrund der A r t des Dienstes bestehen, verletzt.
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Wer nicht Soldat ist, kann wegen Mitwirkung zur Straftat des Soldaten (mit Ausnahme der Dienstverfehlung) bestraft werden. I m B r B Kap. 22 werden bestimmte Straftaten von Soldaten behandelt, die während der Mobilmachung oder eines Krieges begangen werden, z.B. das Überlaufen zum Feind (22:3), Zusammenarbeit mit dem Feind (22:4), Verabsäumung der Kriegsvorbereitung (22:8) sowie Pflichtvergessenheit im Kampf (22:10). Früher wurde die Todesstrafe alternativ zum lebenslänglichen Gefängnis für bestimmte Straftaten gemäß Kap. 18, 19, 21 und 22 angedroht, wenn diese begangen wurden, während Schweden i m Krieg oder (in bestimmten Fällen) i n Kriegsgefahr war. A l l e diese Bestimmungen sind jedoch aufgehoben worden.
Literatur E i n eingehender Kommentar zum Brottsbalk m i t vollständigen Hinweisen zu den Vorarbeiten f ü r das Gesetz zur Rechtspraxis u n d strafrechtlichen L i t e r a t u r ist der Kommentar v o n Beckman, Holmberg, Huit u n d Strahl, Brottsbalken jämte förklaringar, Bd. I (4. A u f l . 1974), Bd. I I (3. Aufl. 1973) u n d Bd. I I I (2. A u f l . 1971). Eine systematische Darstellung dessen, was i n dem ersten T e i l über die Allgemeinen Regeln über die Tat u n d die Tatfolgen behandelt worden ist, gibt Ivar Agge, Straffrättens allmänna del. Föreläsningar, häfte 1 (1959), häfte 2 (1961) u n d häfte 3 (1964). Die moderne K r i m i n a l p o l i t i k w i r d i n folgenden Arbeiten behandelt: Elwin, Heckscher och Nelson, Den första stenen (2. A u f l . 1972). Inkeri Anttila och Patri} c Törnudd, K r i m i n o l o g i i K r i m i n a l p o l i t i s k t perspektiv (1973).