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German Pages 274 [288] Year 1978
HERMANN KEES
Das alte Ägypten Eine Ideine Landeskunde
HERMANN KEES
Das alte Ägypten Eine kleine Landeskunde Mit 56 Abbildungen auf 34 Tafeln und einer Karte als Beilage
Dritte, durchgesehene Auflage Mit einem Namen-, Orts- und Sachregister von Adelheid Burkhardt
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1977
Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 1956 J. C. Hinrichs Verlag Leipzig, Bearbeitung 1977 © Lizenz-Nr.: 202 100/315/77 Schutzumschlag- und Einbandgestaltung: Jürgen Kurzhahn Offsetherstellung: VEB Druckerei .Thomas Müntzer", 582 Bad Langensalza Bestell-Nr.: 7519168 (5163) • LSV 0705 Printed in GDR DDR 25,— M
Allen, mit denen ich in Ägypten reiste, und die mir dort Gastfreundschaft gewährten, in dankbarer Erinnerung zugeeignet 1909-1956
Inhaltsverzeichnis ERSTES KAPITEL
Das Niltal und seine Besiedlung
1
ZWEITES KAPITEL
Landschaftliche Grundlagen der Kultur
19
1. 2. 3. 4. 5. 6.
19 22 28 36 44 50 51 52 56 63 63 69 73
Der Nil und die Jahreszeiten Wasserwirtschaft und Boden Eigentum und Nutzung Bewirtschaftung, Gartenbau Haustiere Der Nil als Verkehrsweg Die Fähre Fahrwasser und Verkehrswesen 7. Schiffbau und Häfen 8. Wüstenstraßen, Rohstoffe und Handelswege Ostseite Karawanenstraßen im Westen. Die libyschen Oasen 9. Ägyptens Rohstofflage und seine Auslandsbeziehungen
DRITTES KAPITEL
Städte und Landschaften . . 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Memphis und Heliopolis Das Delta. Festungen und Häfen (Sile, Tanis, Naukratis) Herakleopolis und das Seeland (Fajüm) Abydos — eine heilige Stadt Theben — Hauptstadt des Weltreiches El Amarna — der Horizont des Aton Grenzland: Assuan—Elephantine—Philae Napata — die südlichste Stadt des Weltreiches
80 80 101 119 129 142 163 175 189
Zeittafel
197
Druckfehlerberichtigung
200
VII
Register
201
1. Namen (Götter, Könige, Personennamen einschließlich Forscherpersönlichkeiten) 203 2. Ortsnamen und geographische Bezeichnungen 209 3. Sachregister 216 Tafelteil
225
Abbildungsverzeichnis Abbildungsnachweis Abbildungen 1 bis 56
227 229 231
Karte von Altägypten
Beilage
VIII
ERSTliS
KAPITEL
Das Niltal und seine Besiedlung
W e r das heutige Ägypten bereist, kann sich nur schwer an die Vorstellung gewöhnen, daß dieses fruchtbare Niltal, das auf einem kulturfähigen Boden von etwa 3 5 0 0 0 q k m d a v o n 2 4 9 8 2 qkm ( — 5 9 4 8 1 3 4 Feddan) landwirtschaftlich genutzt 1 ) - eine Bevölkerung von rund 20 Millionen Menschen (1947) ernähren muß, und damit zu den am dichtesten besiedelten Agrarländern der W e l t gehört (durchschnittliche Bevölkerungsdichte 545 Personen auf 1 qkm!) - daß diese Kulturoase zwischen Wüstenzonen nicht die Wiege des ägyptischen Menschen war. Es mag sein, daß sie den geschichtlichen Typ des ägyptischen Menschen im engeren Sinn geschaffen hat, aber seine Anfänge liegen außerhalb. In der älteren Steinzeit war das T a l des aus Nubien kommenden Niles eine unbewohnbare Sumpflandschaft, wobei sein Bett, wenigstens im südlichen Ägypten, auf einer weit höheren Sohle lag als heute (bei Luxor etwa + 4,50 m!) und außerdem durch die Sandsteinbarre des Gebel Silsile südlich Theben bis an die Katarakte zu einem See aufgestaut war. Das Delta, d. h. das Land von Kairo nordwärts, das heute mit diesem ungefähr zwei Drittel der Gesamtbevölkerung aufnimmt, war dagegen größtenteils vom mittelländischen Meer bedeckt und füllte sich erst allmählich aus den Ablagerungen des Nils auf, als dieser in Oberägypten sein Bett tief ausgrub (sogenannte Sebil-Ausräumung). Auch damit wird das bekannte Wort der Antike, daß Ägypten „ein Geschenk des Nils" sei, buchstäblich wahr. Geologisch betrachtet ist das Niltal bis an den schon genannten Gebel Silsile südlich Luxor, wo der nubische Sandstein beginnt, wesentlich eine in eine Kalksteintafel eingeschnittene Oase. D e r altsteinzeitliche Mensch hauste nach den geringen Überresten seiner Kultur, Werkzeugen und Waffen aus Feuerstein, auf dem heutigen Wüstenplateau beiderseits des Niltals, das von dort gesehen mancherorts wie in Steilwänden aufstrebende Felsgebirge erscheint (Abb. 1). D i e Voraussetzung dafür war, daß die Wüste, vor allem also die heute bis auf wenige Oasen westlich des Niltals völlig sterile Libysche Wüste (Sahara), infolge ausreichender Regenfälle den Charakter einer Savannensteppe hatte mit einer etwa den heutigen sudanesischen oder ostafrikanischen Steppen entsprechenden Tierwelt, die der vorzeitliche Jäger erlegte (Abb. 29). Wenn jungpaläolithische Schichten sogenanntes „Sebilicn", nach einem Fundort bei Kom Ombo in der oberen Theba'is, entsprechend europäischem Capsien - durch Knochenreste das Vorhandensein von Nilpferd, Wasserbüffel, Urstier, Wildesel, Gazelle und Strauß ') Nadi dem statistischen Taschenbudi der ägyptischen Regierung 1949/1950.
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erweisen, kommt die charakteristische Mischung von Großtieren der Sümpfe und der Steppe zum Ausdruck. An der Schwelle der älteren Steinzeit erfolgten dann die entscheidenden klimatischen Veränderungen, die das Bild des geschichtlichen Ägyptens formten: Die Steppen begannen auszutrocknen. In den Depressionen, die durch tiefliegende Wasseradern aus den Sumpfgebieten am oberen Nil Brunnenwasser, teilweise auch Quellwasser erhalten, versiegten viele Brunnen, so daß ihre Bevölkerung in bestimmte Rückzugsgebiete abgedrängt wurde. Das waren die heutigen libyschen Restoasen, dazu Urgesteinsmassive mit Quellen in ihren Talschluchten - wie im Süden das Hochland Tibesti oder der Gebel Uwenat (1907 m) am bisherigen Schnittpunkt der ägyptisch-sudanesisch-libyschen Grenze - , vor allem das Niltal, das sich der Strom aus der breiten Kalksteinzone von der Thebais bis zu den Abbrüchen des Mokattamgebirges nordöstlich von Kairo und gegenüber der Höhe von Abu Roasch im Westen tief ausgegraben hatte, bzw. zunächst seine Randterrassen. Über diese und die Wadis, die Regenwasser in Jahrhunderten oft als wilde Steilschluchten in die Abhänge eingefressen hatten (Abb. 42), ist der Mensch allmählich zum Nil hinabgestiegen. Das urzeitliche unwirtliche Niltal, vergleichbar etwa den heutigen Sumpfgebieten am oberen Weißen Nil und am Bahr el Ghazal im Sudan, bildete natürlich eine ungleich schärfere Völkerscheide als später, wo mit der Eröffnung der Schiffahrt die verbindenden Funktionen eines Flußlaufes zu überwiegen begannen. Zeiträume dieser Entwicklung anzugeben ist unmöglich, auch für unsere Zwecke unwesentlich, da der Zwischenraum zwischen dem paläolithischen Sebilien und dem Neolithikum von den Geographen allgemein als so lang angenommen wird - man schätzt auf 8000-9000 Jahre 2 ) - , daß das Paläolithikum völlig aus dem Rahmen geschichtlicher oder kulturgeschichtlicher Betrachtungen rückt. Einen guten Anhaltspunkt für den kulturellen Schlußstand des Neolithikums vor Übergang in die geschichtliche Zeit Ägyptens vermitteln die Grabbeigaben der ältesten Kulturschichten des Niltales und sie* ergänzend Felszeichnungen besonders in den Wadis der Ostwüste (Abb. 5)3). Das Wild, das der Jäger damals noch in den Randgebieten Ägyptens erlegen konnte, wird uns in den gern in Flußpferdbein kunstvoll geschnitzten Griffschalen der Feuersteinmesser bis hin zu den Schminkpaletten aus oberägyptischem Grünschiefer (Schist) der Reichseinigungszeit (um 3000 v. Chr.) übereinstimmend mit jenen Felszeichnungen vorgeführt 4 ): Da ist der afrikanische Elefant, den auch neolithische Schichten am Nordrand des Fajumsees bezeugen, die K»ci»antilope und Gerenukgazeile, der Wildesel, das rätselhafte Setbtiei, der felsbewohnende Pavian, den altoberägyptische Kulte als den „großen Weißen" noch heilig halten; gelegentlich sogar das Nashorn, dessen Erlegung in den sudanesischen Weiten sich Thutmosis III. am Tempel in Hermopthis rühmt und von dem in phantasievollen Jagdbildern im Alten Reich vage Vorstellungen nachklingen5) - da sind auch die seltsamsten Riesenvögel der Sümpfe, der Jabirustordi, der gewaltige Marabu, und der Schuhschnabel, Bengt Bergs Abu Markub. 2
) S. Passarge, Die Urlandsdiafl Ägyptens (Nova Acta Leopoldina NF. Bd. 9 Nr. 58) S. 105. *) H. A. Winkler, Rock-drawings of Southern Upper Egypt I (1938). II (1939). *) Vgl. Rees, Kulturgeschichte S. 53 f. s ) Winkler, a. a. O. 1 Taf. 20/21, Keimer, Annal. du Serv. 48 S. 47 f. zum Wasserelefanten im Delta s. u. S. 10.
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Wildesel und Wildstier, vor allem auch Strauß und Löwe als Steppentiere, begegneten dem ägyptischen Jäger bis ins NR hinein regelmäßig - so rühmt sich Amenophis III. auf Gedächtnisskarabäen, daß er vom 1. bis 10. Regierungsjahr (also 1413 bis 1403 v. Chr.) 102 Löwen eigenhändig erlegt hätte, wobei ein Teil allerdings auf Jagdgebiete außerhalb des eigentlichen Ägyptens (Obernubien) entfallen mag, und am Pylon des Tempels von Medinet Habu stellt Ramses III. eine Hofjagd auf Wildesel und Wildstiere dar 6 ). Die übrigen genannten Großtiere verschwinden an der Schwelle der ägyptischen Geschichte, also um 3000 v. Chr., aus dem Gesichtskreis des Jägers im Niltal wesentlich in die innerafrikanischen Rückzugsgebiete, anfänglich vielleicht noch in die von der Nilflut angeschwemmten Deltasümpfe. Aber auch für die in der geschichtlichen Zeit verbliebene Fauna in den Wadis ist die Fortdauer von ansehnlichen Resten der einstigen Savanne mit einem den heutigen Verhältnissen gegenüber ungleich reicheren Baumbestand, der Tieren wie Giraffe und Strauß, Antilopen und Gazellen, dem Steinbock und Löwen Lebensmöglichkeiten sicherte, Voraussetzung. Spuren davon sind selbst westlich des Niltales nachweisbar. So boten kleine Regenoasen im Gebel Uwenat und am benachbarten Gebel Arkenu und im Gilf kebir mit absterbendem Baumbestand bis in neueste Zeit Nomaden aus dem Tibestihochland zeitweise Weidegelegenheit7); vor allem gilt dies für die Wadis der Südostwüste, wo reicherer Baumbestand, namentlich an Akazien, noch von Reisenden aus dem Anfang des 19. Jh. bezeugt wird 8 ), und Rinderfriedhöfe in Gegenden gefunden wurden, wo heute Viehzucht völlig unmöglich ist9). Es kann daher als erwiesen gelten, daß die heutige Raublandschaft in der Ostwüste wesentlich der Abholzung für die Holzkohlengewinnung durch den Menschen und den rücksichtslos alle Schößlinge der Sträucher und Bäume abfressenden Kamelen der Nomaden, die in den Randgebieten Ägyptens erst seit der hellenistischen Zeit häufiger auftreten, zuzuschreiben ist. Selbst an heute trotz eines Grundwasserspiegels, der sich infolge Aufschwemmung des Nilbettes seit der neolithischen Zeit erhöht hat, völlig sterilen Rändern des ägyptischen Fruchtlandes, die in spätvorgeschichtlicher Zeit als Nekropolen benutzt wurden, mithin außerhalb des normal bewässerungsfähigen Kulturlandes lagen, sind bei Ausgrabungen Baumreste, namentlich von Akazien und Sykomoren, den Hauptarten der Wüstenränder (s.Abb. 17), nachgewiesen worden 10 ). Die Ostwüste erhält übrigens dank ihrer bis über 2000 m ansteigenden (Gebel Schaijib 2184 m), meist nordsüdlich streichenden Urgesteinsketten, an denen sich die Wolken sammeln (Gebel Duchan [Rauchberg], 1662 m = Porphyrites Möns der Römer, s. Abb. 26), besonders im Frühjahr gelegentliche gewittrige Regengüsse. Nach solchen sprießt überraschend schnell in den überfluteten Wadis eine Wüstenflora voll buntfarbiger Blüten (Abb 24) auf. Die Vegetation dort ist also eine Wasser-, keine Bodenfrage. Ausläufer tropischer Regenfälle, die sich als schwere Gewitter über den isolierten Gebirgsstöcken des Uwenat (1907 m), des Arkenu (1416 m) und des Gilf kebir (1085 m) entladen, können auch in der •) Rees, a. a. O. Abb. 14. ') Almasy, Unbekannte Sahara (1939) S. 119f. ") Burckhardt, Travels in Nubia (London 1819). ") Murray, JEA 12 S. 248, vgl. Säve-Söderbergh, Ägypten und Nubien S. 25. 10 ) Mond-Myers, Cemeteries of Armant I, S. 7.
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Libyschen Wüste in Regenjahren (etwa aller 5 Jahre) bis über den Wendekreis des Krebses nach Norden dringen, so daß Quellen jahrelang von ihnen zehren. Andererseits kommen mediterrane Regenwirbel, allerdings noch weit seltener, bis an das Südcndc der großen Sandsee (Rohlfs „Regenfcld" westlich der Oase Dachlc auf 25° 10' n. Br.) heran 11 ). Nach alledem ist es kein Wunder, daß in den ältesten Kulturschichten Ägyptens, vor allem denen des oberen Niltals, die Kennzeichen des Jägers oder in einzelnen Gebieten, z. B. um den großen Fajümsee, die des Fischers dominieren. Daneben muß man freilich schon früh mit der Anwesenheit von viehzüchtenden Nomadenstämmen nach Art der heutigen Bakkara (im nördlichen Sudan) rechnen: Solche haben sich z. B. in den Felszeichnungen in den Schluchten und Höhlen am Gebel Uwenat und Gilf kebir als Vorläufer der schwarzen Tibbu und Gurän und arabischer Viehzüchter verewigt 12 ). Der viehzüchtende Nomade ist ein spezifischer Typ des afrikanischen Hamiten; und wie die Sudanstämme neuerer Zeit bewiesen haben, eignet er sich durch seine im Lebenskampf anerzogene Härte zur staatenbildenden Herrenschicht über ackerbauenden Volksgruppen. Im übrigen sind die libyschen Oasen immer Durchzugsgebiet oder Sammelpunkte von Stämmen aus allen Richtungen gewesen: Die Amonoase Siwa an der Grenze der libyschen Cyrenaika und die Senussenoase Kufra im innersten Libyen sind dafür gute Beispiele, zugleich für ihren Charakter als rassische Mischkessel infolge des Frauenhandels aus dem negroiden Süden. In Hütten lebende Nomaden, die Haustiere hielten und mindestens für die Dauer ihrer vorübergehenden Ansässigkeit Getreide anbauten, stellten offenbar die Bewohner der altvorgeschichtlichen Siedlung von Merimde am Westrand des Deltas. Kulturgeschichtlich stehen sie noch zu isoliert, um einigermaßen zuverlässig eingestuft werden zu können, doch hat man sie mit gewisser Wahrscheinlichkeit neben die ältesten bekannten oberägyptischen Kulturen, die vonTasa und Badari, gerückt13). Ähnliche Übergangsformen von halbsässigen Nomaden sind übrigens sowohl auf der libyschen wie der arabischen Seite durch alle Zeiten zu beobachten, besonders auch im Fajüm, das ja im Grunde eine libysche Oase ist. Es zeigt sich darin eine unzweifelhafte Kraft der ägyptischen Erde, ihre Bewohner zum Fellachentum zu wandeln. Allein schon der Brauch der Hausbestattung, der sich bei den Merimdeleuten im Gegensatz zu allen vorgeschichtlichen Kulturen Oberägyptens findet und der sich jüngst auch auf einem Friedhof bei el Omari-Heluan nachweisen ließ, ist echtem Nomadensinn fremd. Demgegenüber wird, wie gesagt, das Gesicht der ältesten Schichten jungsteinzeitlicher Kulturen in Oberägypten von der Umwelt des Jägers bestimmt. Das ist besonders deutlich bei der älteren Stufe der vorgeschichtlichen Nekadakultur („Amratian" genannt, nach einem typischen Fundort el Amra südlich Abydos), deren Fundbereich zwischen Theben und Assiüt im Norden liegt, also auf die Thebais im geographischen Sinn beschränkt ist. Ein deutliches Dichtigkeitszentrum befindet sich bei Ballas und " ) Vgl. Almdsy, a. a. O. S. 175 f. '-) H. A. Winkler, Rock-drawings I I vgl. die farbigen Tafeln bei Almdsy S. 136. ") H. Junker und O. Menghin, Vorberichte im Anz. Wien. Akad. phil.-hist. K l . 1929. 193C. 1932. 1933. 1940. E. Baumgärtel, Culturcs of Prehistoric Egypt (1947) rückt sie erst neben Nckada II. 4
Nekada (einschließlich el Chozam gegenüber auf dem Ostufer) und in der Gegend um Kau el kebir, dem alten Antaiupolis. Dort ließen die Schichten von Tasa und Badari noch primitivere Vorstufen erkennen, die in Bestattungssitte, im Hausrat, vor allem in der Keramik, den Zusammenhang mit der altnubisch-hamitischen Kultur besonders deutlich machen14). Worin die Begrenzung der älteren Nekadakultur auf die Thebai's ihren Grund hat, wissen wir nicht Gewiß ist die Behauptung bei Herodot (II 4), die er von ägyptischen Gewährsmännern gehört hat, daß vor Menes mit Ausnahme des thebanischen Gaues (d. h. des Gebietes des späten thebanischen Gottesstaates bis Mittelägypten hinab) das ganze übrige Ägypten Sumpf gewesen sei, unzutreffend und wesentlich zum Ruhm des Reichsgründers erfunden, aber ein entfernter Nachklang einer Volksüberlieferung, daß der entscheidende Fortschritt, die Regelung der Überschwemmungswasser des Nils, von Oberägypten ausging, könnte darin stecken. Denn, wie Herodots späterer Bericht (II 99) über die Eindeichungen südlich Memphis bei Anlage dieser Stadt zeigt, war dabei diese Lebensfrage Ägyptens gemeint. In der älteren Nekadakultur ergibt die Tierwelt des Jägers, die auf den elfenbeinernen Griffschalen der Jagdmesser aus Feuerstein und in der Verzierung der Einsteckkämmc ihr Wesen treibt, auch die Form der Schminkpaletten (meist aus Schist); dasselbe gilt für die Keramik, die plastischen Tierschmuck liebt oder Tierformen für ihre Gefäße wählte. Hunde und Waffen begleiteten den Mann ins Grab1*). Diese Welt und ihre Mächte haben deutliche Spuren in der ägyptischen Religion hinterlassen. In den Kulten überwiegt das starke Raubtier, und das ägyptische Königtum als Zusammenfassung der göttlichen Mächtigkeit wählte dort seine Verkörperungen und Schutzkräfte. Das ägyptische Königstier, das seit Geschichtsbeginn die Königssymbolik beherrscht, ist der schnelle Falke, der Wüstenjäger, der das Wild schlägt, der König will aber auch der starke Wildstier sein, den der Jäger als gefährlichsten Gegner auf afrikanischem Boden achten lernte. Der König nennt sich bei Geschichtsbeginn noch „Skorpion", „Wels" oder „Uräusschlange". Er hat die Kraft des „zauberreichen" Seth, jenes geheimnisvollen Wüstentieres, das an der Schwelle der Geschichte unter die Fabelwesen hinüberwechselt, weil es dem Gesichtskreis des Ägypters entschwand, also in die gleiche Reihe, wie der Flügelgreif der Jägerphantasie oder jenes furchtbare Wesen mit Pantherkopf, Schlangenhals und Nilpferdleib, das Denkmäler der Reichseinigungszeit so gern zeigen1*). Der afrikanische Elefant, die Spitzenfigur der Nekadakunst, fehlt allerdings schon der Königssymbolik der Frühzeit - seine Gestalt spukt nur noch im „Wasserelefanten" gewisser Jagdbilder des AR, und in Grabbildern feudaler Jagdherrn des MR (Beni Hassan) ist sie unter ihrem alten Namen neben Fabeltiere gerückt. Erster Begleiter des altägyptischen Königs war der schnelle Windhund, der „oberägyptische Schakal", den sich die Leute von Assiüt zu ihrem Ortsgott wählten. Ihm, dem „Schakal mit raschem Lauf, der das Land umkreist in der Art eines Augenblicks", M
) G. Brunton und Caton-Thompson, Badarian Civilisation. Brunton, Mostagedda and the Tasian Culture. ' •) Gute Obersichten von A. Scharff, Grundzüge der ägyptischen Vorgesdiichtc (Morgenland H . 12) und von demselben im Hb. der Archaeologic (1938); zuletzt J. Vandier, Manuel d'archiol. ¿gypt. I (1952). '") Z. B. Schäfer-Andrae, Kunst des alten Orients 3 (Propyl. Kunstgesch.) S. 187. 189.
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vergleicht sich der König noch in den Inschriften des NR gern. Im Königsmythus wurden ihm, den der Jäger zum Spüren des Wildes, zum Stellen und Abwürgen benutzte, als „dem mit scharfen Pfeilen, mächtiger als die Götter", die sieghaften Pfeile zugeordnet, die den „Weg öffnen" (daher sein Beiname Upuaut „Wegeöffner"), und die ihn als „Leiter der Götter", besonders der sogenannten „Horusgeleitsgötter" des Gottkönigs, zum Protagonisten der Reichseinigung, „der die beiden Länder (Ägypten) im Sieg erobert hat", machten. Und weiter: Das Geierweibchen Nechbet, „die von el Kab", die „Weiße von Nechen", neben der vielleicht in der Urzeit ein später überdeckter Kult der Wildkuh im heimischen el Kab stand, wurde zur oberägyptischen Kronengottheit und Mutter des Königs, die ihn säugt und behütet. Auch in den alten Göttergeschichten lebt der Geist einer kampferfüllten Herrenzeit fort. Jägersagen berichten vom göttlichen Jäger Onuris, der aus der Ferne der südöstlichen Wüsten die wilde Löwin einbringt und befriedet ins Niltal führt, ganz so, wie der löwenbändigende Held in fremdartigem Gewand mit dem Backenbart des asiatischen Beduinen auf dem spätvorgeschichtlichen Messergriff vom Gebel el Arak (südlich Abydos), oder naturalistischer der Jäger in der ausgemalten Felskammer etwa gleicher Zeit (Nekadall) bei Hierakonpolis dargestellt ist 17 ). In alten Mythen zerfleischen sich Königstiere, Stier und Falke, im Kampf um die Herrschaft, so daß der Stier seine Hoden, der Falke sein scharfes Auge verliert18). Auch das Schlachtritual bewahrt in der Bevorzugung des Wildes der Wüste naturhafte Züge 19 ): Das Opferrind muß wie in der Freiheit mit dem Lasso eingefangen werden. Dazu tritt die weiße Antilope (Oryx), „das weiße Wild", das der königliche Falke jagt und als „Götterfeind" (des Horus) schlägt, der Steinbock, die Gazelle (Dorkas), also Tiere, die die Herren der Wüste, voran der Löwe, als Nahrung reißen und deren Blut sie schlürfen. Wenn man diese Schlachtopfer in geschichtlicher Zeit durch domestizierte Tiere, die im Stall gemästet wurden, ersetzte, so war das im Grunde ein Notbehelf des ackerbauenden Volkes, umsomehr, wenn man Kleintiere, wie Ziege und Schaf, als Gabe des kleinen Mannes zuließ80). Die Ritualtexte halten durchaus die Fiktion der Ausgangsvorstellung fest Ungezähmte und gefährliche Mächte stehen also überall am Anfang. Die urzeitliche Wildheit atmet noch die Kunst der Reichseinigungszeit. In ihr hat die geschichtliche Tatsache, daß ein Volk, das aus der Zeit des Jägers und nomadisierenden Viehzüchters die Instinkte staatenbildender Kraft in sich trug, zum Herrn ganz Ägyptens wurde, beredten Ausdruck gefunden21). Der König ist darauf der Wildstier, der die feindlichen Städte zerstört und ihre Häuptlinge zertrampelt - aber noch Staatsinschriften der 18. Dynastie lassen etwa den Gott Amun zu ThutmosisIII. sagen: „Ich lasse sie ) Beide Darstellungen bei Sdiàfer-Andrae S. 184/185 und bei Schar ff im Hb. der Ardiaeologie Taf. 56. Zur Onurissage Junker, Die Onurislegende. Abh. Wien. Akad. 59, 1—2. 18 ) Pyr. 418 a, dazu Schott, Mythe und Mythenbildung im alten Ägypten (Unters. 15) S. 70. ") Kees, Bemerkungen zum Tieropfer der Ägypter u. seiner Symbolik. Gött. Nachr. phil.hist. Kl. 1942. 20 ) S.u. S. 13. S1 ) Die Abbildungen bei Schäfer-Andrae a. a. O. 17
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(die Feinde) deine Majestät sehen als einen jungen Stier festen Herzens, mit spitzen Hörnern, den man nicht angehen k a n n " a l s o nur geringfügig gemildert - der König ist der Löwe, der auf der sogenannten Schlachtfeldpalette die Leiber der Feinde zerfleischt, er ist der Falke, der ihre Städte zerhackt und ihre Bewohner gefesselt einbringt, während Geier die Leiber der Gefallenen ausweiden, wie ein Aas nach der Jagd. Dieselbe Zeit schuf in Ägypten einen Sondertyp des Löwenbildes mit aufgesperrtem Radien und fletschenden Zähnen. Man gab ihn schon in der ersten Königszeit (Thinitenzeit) mit anderen Erinnerungen an den Unfrieden der Urzeit auf und „befriedete" das wilde Tier, wie es in der Mythe der Wüstenjäger Onuris tat*'). Die Entwicklung verläuft also beim ägyptischen Löwenbild gerade umgekehrt wie in der mesopotamischen Kunst, wo der Typ des ergrimmten Tieres zur Regel wurde. Leider hat die Anthropologie bisher keine Sicherheit darüber geschaffen, welche Stämme oder Volksgruppen die Träger dieser ältesten Kultur des Nillandes waren. In der sogenannten Nekadazeit herrschte im Niltal von Nubien bis an die Grenze von Unterägypten (südlich Kairo) ein ziemlich kleinwüchsiger, feingliedriger Menschenschlag mit kurzen Schädeln, den man als „braune Mittelmeerrasse" bezeichnet. Aber schon in den altoberägyptischen Schichten vonTasa, einer Vorstufe der älteren Nekadazeit, wurde daneben ein grobknochiger Typ mit breiten viereckigen Schädeln festgestellt, der somatisch der sogenannten „Gizarasse" ähnelt. Letztere ist nach den Grabfunden und den Bildnissen unzweifelhaft die Trägerin des memphitischen Alten Reiches (Abb. 49/50); ihr Vorhandensein wurde neuerdings bereits in Bestattungen der 1. Dynastie bei Sakkara und Heluan, also mitten im memphitischen Bereich, nachgewiesen24). Hatte man für die Herkunft der Gizarasse des AR auf mögliche nördliche Abkunft, etwa vom afrikanischen Nordrand, hinweisen können - der erfahrenste Kenner Derry macht z. B. darauf aufmerksam, daß ihre entscheidenden Kennzeichen sich in Bestattungen der Herrenschicht der 22. Dynastie, also Leuten unzweifelhaft libyscher Herkunft, wiederfinden25) - so hängt diese Vermutung bei dem Auftreten in den ältesten Kulturschichten der Thebais (etwa 5./4. Jts. v. Chr.) vorläufig in der Luft. Offenbar waren rassisch verschiedene Volksteile bei der Besiedlung des Niltals beteiligt, so daß die nicht zu übersehende Verknüpfung der Kulturschichten vonTasa und Badari mit nubischen Fundgruppen, z. B. in der Keramik und den Bestattungsbräuchen (Einhüllen der Leiche in Tierfelle), nur eine Dominante darstellt. Auch die Beschränkung des Amratian auf die Thebais und das vorläufige Vakuum in Mittelägypten vor Einsetzen der Friedhöfe des Gerzean (Nekadall) gibt zu denken I Würden wir mehr über Unterägypten wissen, ergäben sich gewiß noch weitgreifendere Unterschiede, auch in der Art der Besiedlung. Die Randgebiete des Deltas müssen im Gegensatz zum Niltal, aber ähnlich den libyschen Oasen, ausgesprochenes Durchzugs- und Weidegebiet für Grenznachbarn gewesen sein, also für die Libyer im Nordwesten von der Mareotis her, die asiatischen Beduinen im Osten über die Völkerbrücke nördlich Suez. Der Nordwesten des Deltas bis über den kanobischen Nilarm, den die Ägypter den M
) Urk. IV 616. ) Kees, Die Befriedung des Raubtieres. ÄZ 67 S. 56f. M ) Derry bei Zaki Saad, Royal Excavations at Saqqara and Helwan (1941—1945) S. 249f. 55 ) Annal. du Serv. 39 S. 549 f. M
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„westlichen Strom" nennen, und zwar bis über Sai's nach Osten hinaus, also im wesentlichen in den Gebieten der altägyptischen Dcltagaue Nr. 3 (Westen), 5 (Sais), 7 (Einzackharpune), vielleicht sogar einschließlich des 6.(Wüstenstier) und 4.(obererPfeilgau) unterägyptischen Gaues, war bei Geschichtsbeginn von einer vorherrschend libyschen Bevölkerung besetzt - übrigens Urverwandten der braunen Mittelmeerrasse im Niltal. Jedenfalls heißt der Falkengott im Westgau (Nr. 3) „Horas von Libyen, mit schlagendem Arm" und die Ägypter des A R kennzeichneten die Pfeilgöttin Neith, „die Furchtbare" von Sai's, als „Neith von Libyen (Tbnw)", als sei sie das Oberhaupt dieses Nachbarvolkes, mit dem die Niltalbewohner zu allen Zeiten in Streit lebten 2 0 ): D i e Fortsetzung urzeitlicher Kämpfe um Rückzugsgebietc aus verödeten oder übervölkerten 7ionen, die am Anfang des 1. Jahrtausends schließlich zur Überflutung und Beherrschung Ägyptens durch libysche Horden ( 2 2 . - 2 3 . Dyn.) führten. Am Ostrand des Deltas saßen wohl ständig Volkssplitter aus Asien. Über solche Eindringlinge berichtet die ägyptische Geschichte wiederholt, so am Ende der 6. Dynastie (um 2250 v. Chr.), von den Hyksos (um 1700 v. Chr.), dann in der Sage über die Israeliten im Lande Goschen - und man kann noch heute beispielsweise in der Gegend nordöstlich Fakus und im Wadi Tumilät arabische Beduinen mit ihren Zelten und Herden sehen. D a ß der Ägypter die Grenze gegen das „Ausland" zu Beginn seiner geschichtlichen Zeit recht weit im Landinnern fühlte, erweist der altertümliche in einigen Pyramidentexten des A R anzutreffende Beiname des Gaugottes von Busiris (9. unterägvpt. Gau) Anedjti als „Oberhaupt seiner Gaue" und „der an der Spitze der östlichen Gaue" 5 7 ). E r verlegt den Schwerpunkt der Ostgaue bemerkenswert weit nach Westen, jedenfalls über den Nilarm von Damiette hinaus. Im Einklang damit stehen Mythen vom König Osiris von Busiris, der im „Gazellenlande", also auf Wüstenboden, getötet wurde, wobei Lokalsagen auf den östlich des Damiettearmes liegenden Gau des „zerlegten Stieres" (11. unterägypt. Gau) hindeuten 28 ), alles Zeichen einer Abwehrstellung gegen östliche Randzonen des Deltas. Vielleicht hängt das Zurückbleiben in clcr kulturellen Aufschließung des Ostdeltas, das sich bis über die Hyksoszeit in einer auffallend geringen Anzahl von Gaueinheiten kundgibt und später zu starken Veränderungen in den Verwaltungsgrenzen zwang, damit zusammen. Volkswirtschaftlich wäre zu beachten, daß nach den Beobachtungen erfahrener Geographen wie S. PASSARGE, Z. B . bei den Niloten im oberen Sudan, Randgebiete großer Sümpfe günstige Lebensgrundlagen für Viehzucht, besonders Rinderzucht, bieten. Nun ist aus der geschichtlichen Zeit gerade das Delta nach Zahl und Bedeutung seiner Rinderkulte (Gauzeichen des 6., 10., 11., 12. unterägypt.Gaues, d.h. der antiken Gaue von Xoi's, Athribis, Leontopolis und Sebennytos), als auch nach Darstellungen und Inschriften seit dem AR als Kerngebiet der Rinderzucht bezeugt 29 ). Man muß dabei berücksichtigen, daß in Ägypten der Weideplatz der Herden nicht Wiesen sind, die es im europäischen Sinn nicht gibt, sondern das unkultivierte „Feld", Steppe mit Binsen, einzelnen Schilf- und Papyruslachen und Gesträuch, das der Ägypter mit der -*) Zum =7) Pyr. SH) Kecs, 2") Kees,
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Libyerproblem s. W. Hölscher, Libyer und Ägypter (Ägyptol. Forsdi. 4). 183a. 220c. 1833 d. Götterglaube S. 25S. 404. Kulturgeschichte S. 18 f.
Hieroglyphe . 4 . 4 k e n n z e i c h n e t . Großvieh war natürlich auf armseliger Salzsteppe an den Wüstenrändern, mit der Schafe und Ziegen vorliebnehmen (Abb. 11), nicht zu halten. Und wenn auch die Biographie eines Gaufürsten aus der Herakleopolidenzeit in den Worten „Ich füllte aber seine (des 12. oberägypt. Gaues) Uferländer mit Rindern, seine Niederungen mit Kleinvieh" 3 ") auf gewisse Ausweichmöglichkeiten hinweist, so war das ein Notbehelf gegenüber den günstigen Bedingungen, die das „Papyrusland" Unterägypten mit seinen Randgebieten um die großen Sümpfe und Lagunen, vor allem mit den Überschwemmungsböden, die während der kurzen Zeit des Niederwassers trocken lagen, bot. So schildern es die Reliefs in den Gräbern von Sakkara aus der Blütezeit des AR. Ein typisches Marschland, die Elearchia der Spätantike, nahe den Lagunenseen östlich der Nilmündung von Rosette (Borollossee), hat die Erinnerung an die „Rinderhirten" (Bukoloi) als ihr Kennzeichen bis in Zeiten festgehalten, als sich das wirtschaftliche Bild Ägyptens, gerade auch in Unterägypten, tiefgreifend geändert hatte 31 ). Ob diese Rinderhirten von den alten Libyern abstammten, also ein Rudiment jener hamitischen Nomaden waren, ist aus der Verteilung der genannten Gauzeichen nicht zu ersehen: Deren Masse (10.-12. Gau), das „Bullkingdom" P. NEWBERRYS 3 2 ), weist vielmehr in ein mittelöstliches Gebiet des Deltas um den Damiettearm des Nils 33 ), aber es fragt sich auch, ob diese Gauzeichen nicht erst einer frühgeschichtlichen Periode angehören. Bezeugt sind sie erst seit dem A R ! Auf eine nomadische Herkunft vom Wüstenrand weist allerdings die in einem ausgesprochenen Sumpfgebiet, dem 6. Gau (Xoi's), dem Mittelpunkt der erwähnten Elearchia, auffällige Bezeichnung des Gautieres als „Wüstenstier" 34 ). In dem libyschen Westgau (3. unterägypt.) scheint eine Mythe lokalisiert von der göttlichen Kuh, „die sich des Horus erinnert" (Sechat-Hor) 35 ) und das Königskind säugt und aufzieht; eine Variante der Mythe vom Urgott, der im Papyrusbusch des Deltas versteckt vor den Verfolgungen der Feinde aufwächst. Nach seiner Ausmalung (Horusmythe) muß das eine Bildung der geschichtlichen Zeit sein, der Kult selbst wird aber älter sein, so daß sich die Kuhgottheit ihrem Nachbarn, dem Horus von Libyen, als mythische Mutter ebenso anbot wie im Ostdelta (Sebennytos) die Isis. Jedenfalls ist die Gestalt der Sechat-Hor im AR eine Art gemeinägyptische Schutzpatronin des Viehs geworden: Unter ihrem Zeichen erfolgten die Viehzählungen des Königs, eine der Grundlagen der Besitzsteuern. Kuhkulte, sei es unter dem Namen der Hathor (als Mutter des Himmelsgottes Horus) oder später der Isis, herrschten durch alle Zeiten in den westägyptischen Randgebieten bis in die libysche Cyrenaika hinein. Aber auch Apis in Memphis, Mnevis in Heliopolis, in geschichtlicher Zeit die beiden bekanntesten Stierkulte Ägyptens, verdienen eine Erwähnung. :i0 )
Urk. I 77. Zur Lebensweise Diod. I 43. Aufstände der Bukoloi 172 n. Chr. und noch unter arabischer Herrschaft vgl. Wiedemann, Herodots 2. Buch S. 371 f . P. E. Newberry, Ägypten als Feld f ü r anthropologisdie Forschung (Der alte Orient 27, 1). :,s ) Dessen Mündung wurde in der Antike statt seinem gebräuchlichen Namen „phatnitische Mündung" audi als „bukolische" bezeichnet Herod. II 17. **) Sethe, Urgeschichte und älteste Religion § 186. Kees, Götterglaube S. 75 f. 210.
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Bei dem heutigen Stand der Kenntnisse bliebe es eine reine Hypothese, wenn man Rinderzüchtern libyscher Herkunft ein Ostdeltagebiet mit Schafhirten semitisch-asiatischen Typs gegenüberstellen wollte. Kultisch ließe sich dafür etwa der alte Widderkult von Mendes (16. unterägypt. Gau) anführen; als geschichtliches Argument für eine volksmäßige Teilung die Tatsache, daß allein das Nordwestdelta den oberägyptischen Horuskönigen der Reichseinigungszeit nach Aussage ihrer Siegesdenkmale harten Widerstand entgegengesetzt hat, dort also kraftvollere Volksteile saßen, so daß ihre Unterwerfung in geschichtlicher Vereinfachung als der Sieg über die unterägyptische Landeshälfte (die rote Krone von Buto oder Sai's) hingestellt wurde. Im übrigen wird man besonders in den Lagunengebieten des nördlichen Deltas eine sehr dünne Bevölkerung anzunehmen haben, die kulturell der neolithischen Schicht am Nordrand des Karunsees im Fajüm naheblieb: Diese lebte vom Fischfang, von der Wasserjagd, von Haustierzucht mit Schaf, Ziege und Schwein und trieb in bescheidenem Umfang den Anbau von Gerste und Emmer 36 ). Auch im Kult finden sich Hinweise auf derartige Verhältnisse, gerade im Gegensatz zu den „nützlichen" Rinderkulten: Unter den alten Gauzeichen treffen wir beim 15. unterägyptischen Gau im Nordostdelta den Ibis, seinen Nachbargau (Mendes) vertritt eine Fiscbgöttia, „die erste der Fische", einen anderen im AR noch bestehenden, später anscheinend umbenannten Gau im Ostdelta das Krokodil31), ein heiliges Tier, das auch eins der Jahreszeitenbilder im Sonnenheiligtum des Neuserre, in einem hüttenartigen Schrein auf einer Nilinsel ruhend - hier allerdings auf die „Westhälfte" des Deltas bezogen (vielleicht auf den 7. unterägyptischen Gau) - , darstellt 38 ). Auch das Krokodil ist ein königliches Tier, mit dessen Erscheinen aus der Wasserflut sich der tote König in den Pyramidentexten vergleicht und von dem noch eine Königsinschrift der 18. Dynastie sagt: „Ich bin das wütende (Krokodil), das kraftvoll zufaßt, und wenn es zufaßt, dann gibts keinen, der von ihm befreit werden könnte" (Hatschepsut in Karnak). Ein Rether beherrscht die mythische Göttergeburtsstätte von Buto und bildet in der Königssymbolik des geeinten Ägyptens das Gegenstück zum Horusfalken von Nechen (Hierakonpolis) in Oberägypten. Der Einzack des Nilpferdjägers und Fischers stellt das Zeichen des Nordwestgaus (7. unterägypt.), die Pfeile der furchtbaren Neith von Sai's das des großen Gebietes des 4. und 5. unterägyptischen Gaues in der Deltamitte. Dort vermutete das Jägerlatein des Ägypters anscheinend noch im AR letzte Schlupfwinkel des rötlichen „Wasserelefanten", auf dessen Ausmalung mit kräftigem aus dem Unterkiefer aufragenden Stoßzahn offenbar die Vorstellung vom afrikanischen Elefant trotz des fehlenden Rüssels stärker eingewirkt hat, als die vom Nashorn. Im Delta, besonders seinen nordwestlichen Teilen, sind die Sagen vom göttlichen Harpunierer heimisch, der in Gestalt des Horus das gewaltige Nilpferd erlegt, wobei ihm die waffenkundige Neith oder die zauberkräftige Isis, die die Spieße lenkt, hilft. Die Beute wird unter dem Jubel der Untertanen, der von Buto oder Busiris, an alle Götter als Festschmaus verteilt, unverkennbare Erinnerungen an die Herrlichkeit alter Hofjagden des Gottkönigs! Verständlich, daß der König Usaphais der 1. Dynastie s
') Caton Thompson und E. W. Gardner, The Desert Fayum (London 1934) s. u. S. 36. ) Urk. I 2,6. M ) Kees, Götterglaube T a f . VI, c. 37
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in goldenen Bildern sich als Nilpferdüberwinder darstellen ließ 3 9 ), und daß nochThutmosis III. für sich als erfolgreichen Harpunierer von Nilpferden Gedächtnisskarabäen schneiden ließ 4 0 ). Die Mythe erzählt vom Krokodil, daß es als Helfer bei unseligem Geschehen der Götterwelt die abgeschlagenen Hände des Horns (Tb. Kap. 113), aber ebenso die Leiche des ertränkten Osiris aus dem Strom fischte und an Land schleppte, oder vom Sumpfversteck des Urgottes, der in unbekannter Einsamkeit, „man weiß nicht wo", von hilfreichen Mächten behütet aufwuchs, jenem Papyrussumpf, den die Leute von Buto in der schwimmenden Insel Chembis, von der Herodot (II 156) erzählt, zu besitzen behaupteten, während andere auf das entlegene Sumpfgebiet nördlich der Isisstadt (Behbet el Hagar) verweisen, wo die „nördlichste Stadt" Ägyptens auf dem Teil Balamün lag, dieselbe, die jüngere Zeiten als die „Insel des Amun" kannten 41 ). Wirtschaftlich war das Delta die große Landreserve für die Innenkolonisation, die erst jahrhundertelange Arbeit an Kanälen und Deichen erschließen konnte, es unterhielt bis ins späteste N R die großen Rinderherden für die Gutsbesitzer im Niltal, da dort Sommerweide fehlt 4 2 ), und die Sümpfe, Lagunen und Flußarme mit ihren Papyrusdickichten bildeten das bevorzugte Gebiet der Hofjagd, wie es in ähnlichem Ausmaß das Oberland höchstens am Karunsee im Fajüm besaß 4 5 ). Nach Plinius ( X X V I I I 1 2 1 ) war in der Kaiserzeit der sa'itische Gau, ein typisches Rückzugsgebiet, der Hauptfangplatz der Nilpferde für die Spiele in Rom, und nach arabischen Nachrichten hielten sich im Damiettearm die letzten Nilpferde unterhalb der Katarakte. Aber staatsbildende Kraft besaß ein solches völkisch geteiltes Gebiet nicht. Immer hat der Ägypter von den „beiden Hälften" des Deltas gesprochen und sie in der Verwaltungspraxis beachtet, und das war mehr als eine geographische Unterteilung, wenn auch gelegentlich die „mittleren Inseln", das Gebiet zwischen den beiden Hauptarmen des Nils, davon unterschieden werden. Unterägypten in politischem und verwaltungsrechtlichem Sinn des geschichtlichen Ägyptens ist jedoch nicht ohne weiteres mit dem Delta identisch. Zu Unterägypten rechneten nicht allein weite Randgebiete der Wüste, sondern jene Übergangszone um die Deltaspitze, wo nicht zufällig mit Kairo der heutige politische und wirtschaftliche Schwerpunkt des Landes liegt, jene Zone, zu der auch die alten Städte Memphis und Heliopolis gehörten. Sie schloß auf ihrer Westhälfte die Gaue von Memphis (Nr. 1) und Letopolis (Nr. 2), auf ihrer Osthälfte die von Heliopolis (Nr. 13) und Bubastis (Nr. 18) ein, wobei zu beachten ist, daß der Gau von Bubastis, der sogenannte „obere Königskindgau" der klassischen Listen, in der Aufzählung auf dem Peripteros Sesostris' I. in Karnak noch fehlte, ebenso wie der 17. unterägyptische Gau im Norddelta und der 19. und 20. Gau im Osten. Vielleicht rechnete also Bubastis einst zum Gau von Petrie, Royal tombs II Taf. 7, 5—6. Winlock, The treasure of three princesses S. 35. Taf. 19, G (die Zahl 30 bezieht sidi nidit auf die Strecke, sondern gehört zur Sdireibung des Harpunennamens!). 41) Gardiner, JEA 30 S. 35 f. Der Teil Balamün liegt im Gebiet des 17. unterägyptischen Gaues, der erst seit NR als eigener Gau bezeugt ist, vorher wohl zum 12. Gau (Sebennyros) gehörte. « ) S. u. S. 45. " ) S. u. S. 127. 38)
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Heliopolis. Zu der Übergangszone mag auch der Gau von Athribis, dem heutigen Benha (10. unterägypt.), trotz seiner inselartigen Lage in der Deltaspitze zählen. Über dieses Kraftfeld öffnete sich das Land nach allen Seiten zum eigentlichen Niltal, das bei Kairo, unfern vom alten Memphis, beginnt und wo bis heute der Umschlagshafen für die oberägyptischen Güter liegt 44 ). Bei Saft el Henne, dessen Ortsgott Sopdu „der scharfe" in Gestalt und Beinamen die Rolle des Grenzlandwächters über Asien spielt 45 ), mündet aus dem Wadi Tumilät der natürlichste Verkehrsweg von der asiatischen Seite. Hier, bei Erreichen der Nilebene, schieden sich die Weiterwege westwärts nach Bubastis (Zagazig) und südlich sich wendend nach Heliopolis (beim heutigen Matarije nordöstlich Kairo). Dies ist die gegebene Zone für Austausch und Übergänge. Seine Grenzen wird man politisch bestimmen können, kulturell und volksmäßig werden sie fließend sein. Die vorgeschichtliche Kultur weist in Oberägypten zwischen der 1. und 2. Nekadaschicht einen scharfen Brudi auf. Die jüngere Nekadastufe (heute meist als Gerzean bezeichnet) ist am reinsten in mittelägyptischen Nekropolen nördlich des Fajümeingangs vertreten, also in einem Gebiet, das vom älteren Amratian nicht besetzt war. Die Kulturzeichen des Jägers treten darin zurück, Hunde und Waffen werden als Beigaben seltener, in der Dekoration der Keramik fallen Schiffsdarstellungen auf, wie solche sich auch in stilverwandten Felszeichnungen in den Wadis der Ostwüste finden (Abb. 5), besonders um das Wadi Hammamat und in seinen Nebentälern. Diese Nilschiffer waren nicht etwa erst damals eingewandert, von Osten her über die sterile Küste des Roten Meeres, wie man früher gern annahm 46 ), sondern sie suchten die Wüstentäler noch wie die Leute der älteren Zeit zur Jagd auf und auch wegen der schönen Hartsteine, die dort anstehen. Die jüngere Nekadazeit leitet die bis auf Djoser (3. Dynastie) währende Blütezeit der vielfältigen buntfarbigen Steingefäße ein, die man in ungemein mühevoller Arbeit mit dem Steinbohrer zu bearbeiten verstand. Auch die Keramik ahmte in Formen und Dekorationsmotiven gern Steingefäße nach, würde also billiger Ersatz. In der Betonung der Schiffahrt bekennt sich die Zeit zur Ausdehnung, zu Verkehr und Handel, Elemente, die fortan untrennbar zum Wirtschaftsleben der Niltalbewohner gehörten. Sie sicherte ihnen wohl auch die kulturelle und politische Überlegenheit über den Norden, die die Reichseinigung um 2980 v. Chr. durch die oberägyptischen Könige von Hierakonpolis gelingen ließ. Schiffe, Jagd- und Stammeskämpfe sind auch die beherrschenden Themen einer ausgemalten Felskammer dieser Zeit bei Hierakonpolis, und auf ihrem feinsten Kunstwerk vor den Siegesdenkmälern der Reichseinigungszeit, dem reliefgeschmückten Messergriff vom Gebel el Arak 4 7 ). Diese jüngere Nekadakultur überdeckt in der Thebai's das Amratian, damit entsteht zum ersten Mal so etwas wie eine gesamtägyptische Kultur von der nubischen Grenze bis nach Tura südlich Kairo, also bis an die Schwelle von Unterägypten. Die Menschen, die sie njaßgeblich trugen, ") S. u. S. 94. *•") Sopdu „Herr der Fremdländer" als asiatischer Beduine Borchardt, Grabdenkmal des Sahuri II Bl. 5 vgl. Ä Z 75 T a f . 4, a. , a ) Dazu Kees, Gött. gel. Anz. 1939 S . 4 9 2 f . ") Schäfer-Andrae, a. a. O. S. 184. 185.
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auch die siegreichen oberägyptischen Könige, gehörten nach den Kleinplastiken aus Hierakonpolis, den Reliefs und Felsbildern noch immer jenem merkwürdig zierlichen Typ mit kurzen Schädeln, wie ihn das Amratian entwickelte, an 48 ). Der Unterschied ihm gegenüber war wohl mehr durch wirtschaftliche Wandlungen bedingt, als durch Völkerschübe aus dem Osten. Mit der festeren Sässigkeit der Bevölkerung war im Niltal aus „Feld" Acker geworden, das Getreide baute man nicht mehr in den Wadis, wie es anfänglich geschah - vielleicht noch bei den Badarileuten - , sondern auf den Überschwemmungsböden am Nil. Schiffer und Ackerbauer werden die Leitfiguren des Niltales. Und diese sässigen Menschen begannen die Wüste, aus der ihre Vorfahren kamen, als Fremdland zu hassen und als das „rote" vom „schwarzen" Fruchtland, das Ägypten seinen Namen Kernet gab, abzusetzen; wie auf der anderen Seite der freie Nomade den an der Scholle klebenden Fellachen zu tiefst verachtet. Alles, was aus der Wüste kommt und in ihr umgeht, ist dem Bauern unheimlich, und wenn es selbst ein so friedliches und harmloses Getier ist wie die zierliche Gazelle oder der flüchtige Hase! Aus der Wüste, besonders dem Südwesten, kommt Sandsturm und Unwetter, das wohl Seth, der Herr der Libyschen Wüste, sendet, auch Pachet, die „reißende" Löwin oder ihre Artgenossin Sachmet, „die Mächtige", die „oben im Wüstental" bei Memphis haust. Mit dem heißen Süd- und Westwind bringen sie die sommerliche „Seuche des Jahres", die die Menschen schlägt 49 ). Sachmet hatte ja einst nach der Sage auf Geheiß des Götterkönigs Re das erste Menschengeschlecht, als es anfing aufsässig zu werden, vernichtet, bis der Gott durch eine List seine Reste rettete. Aber blutroter Trank muß ihr noch in den Tempeln Ägyptens zu den Feiertagen dargebracht werden als Opfer, Musik und Tanz sollen sie berauschen und ihre Wut stillen. Nach dem alten Herrenstandpunkt diente als Opfertier für den Gott nur das Tier der Freiheit, nicht eins, das dem Menschen dienstbar war 50 ). In derNekadazeit war aus dem Süden der Esel, das Hauptarbeitstier des geschichtlichen Ägypten, eingeführt worden, aber er ist ein Abscheu der Götter und taugte so wenig zum Speiseopfer wie etwa ein zahmer Hund oder Schwein, Ziege und Schaf. Als die oberägyptischen Horuskönigc bei der Eroberung Unterägyptens fanden, daß dort hinsichtlich des Schweines andere Sitten herrschten, verboten sie Opferung und Genuß, weil das Schwein „dem Horus ein Abscheu ist 51 ). Aber solche Anschauungen einer nichtbäuerlichen Schicht, die das Ritual typisch ägyptisch weitertrug, überkreuzen sich mit bäuerlichen Wertungen. Ihnen zufolge wurden die wilden Tiere bis hin zu den Wasservögeln, die der Vogeljäger im Sumpfdickicht fängt, zu „Götterfeinden", die geschlachtet und vernichtet werden, so wie man in der Hochkultur auch die Fische des Stromes als „Abscheu" empfand, übrigens durchaus gegen die Auffassung des einfachen Mannes 52 ). Der Gottheit aber führte man fortan bevorzugt fette Rinder des Stalles zu, der kleine Mann Ziege und Schaf, immer die männlichen Stücke. Im Gegensatz zum Kult- und Mythenbestand des Deltas lassen die 48
) Gute Beispiele a. a. O. S. 180/181. ") Kees, Götterglaube S. 8. S. o. S. 6. 51 ) S. u. S. 47. Die Bewohner der Merimdesiedlung waren starke Schweineesser. O. Menghin bei Junker, Vorberidit Merimde 1933 (Anz. Wien. Akad.) S. 88. 52 ) Kees, Kulturgeschichte S. 58 f. s. u. S. 48. 4
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Überreste oberägyptischer Rinderkulte noch den Charakter des Wildtia&s durchschimmern: Selbst dem bekannten Hathorfetisch des „Sistrums", den die Ägypter „die weibliche Seele mit ihren zwei Gesichtern" nannten, scheint in seiner Mischung tierischer und menschlicher Züge - so krönt sie vielleicht als Himmelsherrin aufgefaßt den Oberrand der Narmerpalette53) - mehr tierisch ungebändigte Kraft anzuhaften, als etwa dem gütigen Muttertier in Gestalt der Sechat-Hor oder der Kuh, die das göttliche Kalb (als Sonnengott) von Sebennytos gebar 54 ), in den Deltagauen. In Oberägypten vertritt die rationale Welt des Viehzüchters, abgesehen von Gestalten wie dem Fruchtbarkeitsgott Min von Koptos als „Herr der Herden", mit Vorrang der Widderkult des Schafhirten. Solche Kulte ziehen sich, in geschichtlicher Zeit meist unter dem Namen des Chnum, von Elephantine im Süden über Esne, Hur bei Hermopolis in Mittelägypten, Herakleopolis (Harsaphes) und den 21. oberägyptischen Gau, dann über Memphis und Letopolis (Widdergott Cherti) bis an den Deltawestrand der libyschen Grenzzone hinab. Hier haben wir die Verehrung eines fruchtbaren Haustieres, des „besamenden Widders", die an sich der alten Herrenforderung an Ebenbürtigkeit in Opfer und Kult nicht entspricht. Nur wenige der geschichtlichen Chnumkulte, so z. B. sicher der des Chnum auf der „Krautinsel" bei Minie in Mittelägypten, scheinen sich aus Wildkulten, hier dem eines Steinbocks, domestiziert zu haben55). Aber unverkennbar wächst ihre Bedeutung in der geschichtlichen Zeit. Mehrfach schoben sie sich an die Stelle eines anderen Orts- oder Gaugottes, so im 11. oberägyptischen Gau der Chnum von Schashotep (Hypsele) anstelle des Sethtiers, im Gau von Herakleopolis der Widder Harsaphes anstelle eines Baumnumens (Gauzeichen), ebenso übrigens im Delta der Widder von Mendes anstelle der Fischgöttin Hatmehit56). Auf der Höhe des AR hob sich Chnum gar in die Sphäre eines Königsgottes; der König wird in den Pyramidentexten „Sohn des Chnum" genannt57), ihm diente, wie zugleich mit dem starken Stier, die Königin als „Geliebte des Widders", des Abbildes jenes Schöpfergottes, der nach der Art eines Töpfers Götter und Menschen geformt hatte. Verständlich, daß der große Cheops mit seinem vollständigen Namen „Chnum, er schützt mich", hieß! Allerdings hat diese Wertschätzung nicht verhindert, daß einige lokale Widderkulte, so der des Widders Cherti bei Letopolis oder „des vor seiner Mauer" in Memphis, später fast in Vergessenheit gerieten. Gegen Ende der Nekadazeit hatte, wie Ägyptens älteste Götterbilder, archaische Figuren des ithyphallischen, eine Hirtengeißel schwingenden Fruchtbarkeitsgottes Min aus Koptos beweisen58), bereits die Vermenschlichung der Götter eingesetzt. Sie war, wie Schott gezeigt hat, die Voraussetzung für alle Mythenbildungen der geschichtlichen Zeit 59 ). Die Kultur der Jäger, Fischer und Nomaden begann in Rückzugsgebiete gedrängt zu werden; oder ihr Lebensstil wird Vorrecht einer Hofklasse - und auch das 53)
51 ) 66) M)
67)
M) 5»)
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Schäfer-Andrae a. a. O. S. 189 u. o. Das Gauzeidien des 12. unterägyptisdien Gaues zeigt Kuh und Kalb. Der Name von Sebennytos (Zabnuti) bedeutet „das göttliche Kalb". Kees, Götterglaube S. 80 nach Jéquier, Mon. funéraire de Pepi II. T. II. Taf. 33. S. o. S. 10. Pyr. 12%. Schäfer-Andrae, a. a. O. S. 179. Mythe und Mythenbildung (Unters. 15) S. 93 f.
ist eine Beschränkung seiner Geltung. Zwischen den nunmehrigen Niltalbewohnern und der Masse jener Volksteile, die auf der früheren Stufe verharrten, weil ihr die Möglichkeiten zur Umstellung durch die Natur verwehrt waren, den Nubiern, Libyern und Nomaden der Ostwüsten, begann sich eine Kluft aufzutun, die nicht rassenmäßig bedingt war. Denn alte Stammesabzeichen dieser Volksgruppen wurden im Ägypten der Hochkultur zur Berufstracht der Krieger und Jäger 6 0 ) oder hielten sich im Kult. D i e Phallustasche der Vorzeit bleibt bei den Libyern in Gebrauch, in Ägypten wurde sie Zeremonialtracht des Königs neben dem Tierschwanz am Gürtel 8 1 ) oder Abzeichen von Urgottheiten. Ähnlich zeigen die alten Minstatuen aus Koptos noch den weichen Backenbart des Beduinen. D e r Ägypter hat übrigens nie etwas dabei gefunden, wenn seine Grenzlandgötter als Herren des Auslandes, so z. B. Sopdu von Saft el Henne im Ostdelta im A R 6 2 ) , später Seth von Tanis, selbst asiatisch-beduinische Züge annahmen, wie schon der alte Jägerheros auf dem Messergriff vom Gebel el Arak. Aber vom Ordnungsstaat her gesehen war der unruhige Beduine der Feind, dessen Schlagen erste Königspflicht war: Darstellungen solcher Art beherrschen die Kunst der Thinitenzeit. Zur selben Zeit, als in Oberägypten das vereinheitlichende Gerzean herrschte, bestand bei Meadi, nahe der historischen Grenze Unterägyptens, eine menschenreiche Siedlung bäuerlichen Charakters 0 3 ). Damals muß ein starker Strom östlicher Einflüsse über die Völkerbrücke von Suez und die Ostgebiete des Deltas nach Ägypten gelangt sein. Dieser brachte nicht allein begehrte Rohstoffe, wie Obsidian, ägäischen Inselmarmor, asiatischen Lapislazuli, mit, sondern auf den Handelswegen von Syrien und Palästina her allerlei technische und ornamentale Anregungen. Dazu gehörten Motive der um 3000 v. Chr. nach Syrien ausstrahlenden mesopotamischen Djemdet-Nasrkultur, die gerade die hochentwickelte oberägyptische Kunst der Schminkpaletten aus Hartstein (Schist) und der Elfenbeinschnitzerei bereitwilligst aufnahm: Heraldisch-gegenständige Bildungen, darunter das Motiv des Tierbändigers, das die ägyptische Jägersage illustrieren konnte, sind dazu zu -rechnen, ebenso die dekorative Verwendung der Fabeltiere unabhängig von Jagdszenen 6 4 ). Wenn man die alten Steinfiguren des Min von Koptos als Herrn der Ostwüste und Vorläufer jenes „Pan Euodos" der hellenistischen Zeit mit Getier der Wüste und Muscheln des Roten Meeres schmückte, bekannte man sich zum Verkehr mit dem Ausland. Aber für die unzweifelhaften asiatischen Einflüsse, die ihren Höhepunkt gegen Ende der jüngeren Nekadazeit, der Zeit von Meadi und der Vorbereitung der Reichseinigung, erreichten, genügt die Annahme regelmäßiger Handelsbeziehungen und einer am Ostrand Ägyptens niemals ganz abreißenden Infiltration asiatischer Stämme. D a gegen ist eine völlige Umschichtung der Bevölkerung durch östliche Völkerschübe, *) Kees, Kulturgeschichte S. 58. W. Hölscher, Libyer und Ägypter S. 27. 61 ) So z. B. nodi unter Djoser beim sog. Opfertanz Firth-Quibell, The Step Pyramid II Taf. 15.42. 62 ) S. o. S. 12. (i3) Vorberidite von Mustapha Amer und Menghin, Excavations of the Egyptian University in the Neolithic Site of Maadi 1932. 1933 vgl. Scharf} in OLZ 1939 S. 730 f. Die zugehörige Nekropole hat sidi kürzlich gefunden. M) Scharff, Die Frühkulturen Ägyptens und Mesopotamiens (Alter Orient H. 41). 15
gleichgültig, ob man sie mit S C H W E I N F U R T H und P E T R I E von Arabien her Oberägypten treffen oder über die Enge von Suez zuerst ins Delta einrücken lassen will, nach dem Befund unwahrscheinlich. Auch die ägyptische Götterwelt der geschichtlichen Zeit braucht eine solche Stütze im Ausland nicht, so oft man solche Vermutungen ausgesprochen hat 65 ), weder der Sonnenkult von Heliopolis noch der Osirisglaube von Busiris oder die Throngöttin Isis. Man muß sich eben an die Engräumigkeit der Welt des primitiven Menschen gewöhnen. Überdies können wir erkennen, daß gerade die pseudohistorischen Züge, die am meisten zu solchen Hypothesen Anlaß gaben, etwa bei der großen Mythe vom Horus von. Edfu, der den Seth über die Nordostgrenze Ägyptens nach Asien verjagt, vielfach sehr junge Bildungen sind, bei dieser z. B. erst im NR nach dem Hyksoskrieg oder noch später bis zur Perserzeit hinab geformt wurden60). Freilich wird man stärker noch als bei den Anregungen in Kunst und Technik bei dem ägyptischen Sprachproblem auf die Frage der asiatischen Einflüsse gestoßen. Unzweifelhaft enthält die Sprache des geschichtlichen Ägyptens eine semitische Komponente auf afrikanischem Unterbau, und diese Komponente wirkte tiefgreifend. Die Frage ist aber, wieviel davon einer ägyptisch-semitischen Urverwandtschaft, wieviel etwa einer sekundären Beeinflussung am Rande der Geschichte zuzuschreiben ist? Verwandtschaft mit dem Semitischen zeigt der künstliche Triliteralismus der Wortstämme, ihre Bedeutungsabwandlungen durch Praefixe oder durch innere Umbildungen, z. B. durch Reduplikation oder Gemination (sogenannte Konjugationen im Semitischen). Verwandtschaft zeigt das ägyptische Personalpronomen und die Bildung der meisten Tempera mit Hilfe enttonter Suffixpronomina. Am auffälligsten aber ist die Ähnlichkeit des sogenannten Pseudoparticips, wie es E R M A N bei seiner Entdeckung nannte, mit dem semitischen Perfektum, besonders in der durch das akkadische Stativ (oder Permansiv) vertretenen Altersstufe. In der klassischen von Erman und Sethe begründeten Lehre gilt das Pseudoparticip als besonders altertümlich, als „the sole surviving relic in Egyptian of the Semitic finite verb" (GARDINER) u7). Aber gerade das Bemühen, bei ihm die Aussprache der pronominalen Endungen einschließlich der Stellung der Vokale deutlich zu machen, und zwar nach Art der späteren „syllabischen" Schreibungen von Fremdworten seit dem MR, deutet darauf hin, daß diese Bildungen als Fremdkörper empfunden wurden und daher schon im Altägyptischen eine orthographische Sonderbehandlung erfuhren, die sie von der reinen Konsonantenschreibung der pronominalen Endungen bei der gewöhnlichen Suffixkonjugation scharf abhebt 68 ). Wir hätten es also hier nicht mit einer UrÜbereinstimmung mit dem Semitischen, sondern mit einer Anreicherung verhältnismäßig jungen Datums zu tun, die dem Altägyptischen nicht allzulange vorausging. Damit gewinnen wir die Möglichkeit, auf sprachlichem Gebiet am Rande der Geschichte nach einer Periode starken semitischen *5) Ich nenne als neuere Beispiele: S. A. Mtrcer, Etudcs sur les origines de la religion de l'Egypte (London 1929) und den Aufsatz von H. Stock über das Ostdelta in "Welt des Orients I, 3 (1948) S. 135 f. •6) Kecs, Kultlegende und Urgesdiidite. Gött. Nachr. phil.-hist. Kl. 1930. " ) Egyptian Grammar »(1950) § 309. "'*) Der Ausweg von Erman, Äg. Grammatik4 § 325 „daß die Endungen im Ägyptischen erweitert sind" ist sprathgesdiidnlidi unmöglich.
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Einflusses zu suchen. Ob dies die Djemdet-Nasrzeit, die Zeit von Meadi und des Gerzean war, bleibt eine vorläufig unbeweisbare Möglichkeit Man hat auch in Weiterführung einer früheren Scharffschen Hypothese, daß die Kultur des Gerzean in Mittelägypten einem fortgeschrittenen „Nordvolk" zu verdanken sei, vermutet, daß die Erfindung der Hieroglyphenschrift durch Kenntnis der babylonischen Schrift angeregt sei. Hier versagen aber die Analogien68). Die ersten ägyptischen Schriftzeichen erscheinen auf Schminkpaletten aus oberägyptischer Grauwacke (Schist) als Beischriften zu Darstellungen, sie gehören in die energiegeladene Vorbereitungszeit der Reichseinigung, die keine lange Streckung erlaubt. Damals erwachte am großen Geschehen der geschichtliche Sinn und mit ihm das Streben nach Verewigung der Taten mit Namen, Ort und Tatbestand ergänzend zum Bild. Die ältesten Schriftbilder zeigen daher die Umwelt, Handwerkszeug, Waffen und ähnliches dieser und der ihr folgenden Zeit der Staatsbildung70). Daß hierbei ein „Nordvolk", das an der Staatsbildung höchstens passiv beteiligt war, die entscheidenden kulturellen Anregungen gegeben habe, scheint unwahrscheinlich. Es war übrigens noch ein langer Weg, bis man über einzelne Beischriften, Vermerke, Namen und Titel zusammenhängende Sätze monumental verewigen lernte. Das glückte erst zu Beginn des AR. Im Ganzen muß die letzte vorgeschichtliche Periode eine Zeit großer Vitalität und voll schneller Entwicklungen gewesen sein. Aber man darf ihr auch nicht mehr zumuten, als in ihren Möglichkeiten lag. Dahin gehören die Versuche, ein vorgeschichtliches Einheitsreich mit Heliopolis als Hauptstadt aus dogmatischen Ansprüchen in den königlichen Totentexten des AR herauszulesen (SETHE), oder dieses gar mit der Einführung des sogenannten Sothiskalenders im Jahre 4236 v. Chr., dem „ältesten sicheren Datum der Weltgeschichte", wie es Ed. 71 M E Y E R nannte ), ZU verkoppeln (L.BORCHARDT). DerSothiskalender setzte eine Jahresberechnung auf Grund astronomischer Beobachtung des Frühaufgangs der Sothis voraus, die mit allen Konsequenzen für den Kalender erst die vergebliche Reform von 237 v. Chr. (Dekret von Kanobos) und dann der Julianische Kalender benutzte, während sich der alte Ägypter mit einem typischen Kompromiß zwischen seinem bürgerlichen Wandeljahr von 365 Tagen - das immerhin weitaus die beste kalendarische Leistung der alten Welt bis auf die Römer darstellte! - und den für den Festkalender maßgebenden Mondmonaten begnügte72). Trotz aller Autorität, mit der jene Hypothesen vorgetragen wurden, konnten sie auf die Dauer nicht darüber hinwegtäuschen, daß den ältesten Ägyptern Kenntnisse und theoretische Überlegungen zugetraut wurden, die außerhalb des Bereiches frühzeitlicher, im magischen Denken verhafteter Menschen liegen73). Der in jüngster Zeit von der " ) Über die Sdiriftgesdiidite orientieren K. Sethe, Die Entstehung der Schrift (Unters. 12) und S. Schott, Hieroglyphen. Abh. Akad. Mainz 1950. Nr. 24. 70 ) A. Scharf}, Ardiaeol. Beiträge zur Frage der Entstehung der Hieroglyphenschrift. Sb. bayr. Akad. phil.-hist. Kl. 1942, 3. 71 ) Gesch. des Altertums I, 2 § 197. 72 ) Rees, Kulturgeschichte S. 300 f. vgl. u. S. 20. 73 ) O. Neugebauer in Acta orientalia 17 (1938) S. 175 f. Eine Reaktion hinsichtlich der Möglichkeit frühzeitlidier Sothisbeobaditungen bedeutet R. Parker, The Calendars of Anc. Egypt (Orient. Institute Studies 26. 1950).
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Umrechnung der mesopotamischen Chronologie ausgehende Druck auf Herabsetzung aller traditionellen Daten der altorientalischen Hochkulturen hat dem grandiosen Gebäude von E D . M E Y E R , L . B O R C H A R D T und SETHE vollends den Boden entzogen. Das nationale Schicksal Ägyptens ist vorwiegend von Süden her bestimmt worden: So war es bei der Reichseinigung am Anfang der Geschichte, bei der Wiederherstellung der Einheit durch die thebanischen Menthuhoteps um 2040 v. Chr., bei der Befreiung Ägyptens von der Hyksosherrschaft, wo Matoi und Nubier auf Seiten der thebanischen Könige fochten (um 1580 v. Chr), schließlich auch beim Erscheinen derÄthiöpenkönige in Ägypten im 8. Jh. Wohl gab es Ausnahmen: Die großen Herrscher des memphitischen AR vor allem, im NR die Soldatendynastie der Ramessiden aus Unterägypten, an die der abtrünnige Amenophis IV. das thebanische Erbe verspielt hatte. Dagegen bilden die Sai'tenkönige der Spätzeit und ihre Nachfolger aus Deltastädten nur eine scheinbare Ausnahme: Ihr Geschlecht und ihre Gefolgsleute waren libyschen Ursprungs; sie stammten aus dem westlichen Rückzugsgebiet jener ältesten faßbaren Herrenschicht im Niltal, die wir zu erkennen glauben.
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ZWEITES KAPITEL
Landschaftliche Grundlagen der Kultur
1. Der Nil und, die
Jahreszeiten
Der Nil, der Ägypten von seinem Durchbruch durch die Granitbarre des Assuankatarakts bis an seine Mündungen in einer Länge von rund 1200 km durchzieht, ist für das Land Lebensspender und Verkehrsader. Seine gesamte Wirtschaft hängt von ihm ab. Der ägyptische Landmann konnte auf Niederschläge nicht rechnen. Nur das Delta, vor allem seine nördlichen Teile, liegen im Bereich der mediterranen Winterregen. Alexandria hat heute im Jahr etwa 25-30 Regentage mit 187 mm Niederschlag, die Gegend von Kairo erhält durchschnittlich 28-30 mm Regen, meist im Januar. Im oberen Niltal ist dagegen Regen, soweit wir zurückblicken können, eine Ausnahmeerscheinung gelegentlicher Unwetter, weniger eine Wohltat als eine Katastrophe, die man mit gefährlichen Mächten der Wüste zusammenbrachte. Allerdings mochte Regenfall in der Wüste, der die Brunnen auf Jahre versorgte, als ein wohltätiges Wunder erscheinen, wie es etwa Min, der Herr der Ostwüste, den die Hymnen als „der die Regenwolke teilt" rühmen, bei einer Expedition ins Steinbruchgebiet des Wadi Hammamät unter KönigNebtauire-Menthuhotep der 11.Dynastie (um 2010 v.Chr.) gewährte1). Er bleibt aber jahrelang wieder aus. Der Wasserhaushalt Ägyptens wird durch ein einzigartiges Zusammenwirken der beiden Nilarme, des Blauen Nils, der in steil eingetieftem Flußbett aus dem abessinischen Hochland (Tanasee) kommt, mit dem Atbara, dem einzigen Nebenfluß des Nils nördlich Chartüm, auf der einen, des Weißen Nils, der im afrikanischen Seengebiet entspringt, auf der andern Seite geregelt. Der Blaue Nil und in geringerem Maße der Atbara wälzen die gewaltigen sommerlichen Regenmassen vom Juni bis September herab und tragen damit die Nilüberschwemmung nach Ägypten; der Weiße Nil, dessen Wasser beim Zusammenfluß zeitweise durch die Flutwelle des Blauen Nils oberhalb Chartüm zurückgestaut werden, bewirkt ein langsames Absinken der Flut und verhindert ein Austrocknen des Nils - das z. B. dem Atbara im Unterlauf nicht erspart bleibt - in der wasserarmen Zeit. Die Nilüberschwemmung bestimmt die Jahreszeiten des Ackerbauers. Ihr Anfang leitet das Jahr ein und läßt es in „Überschwemmung", „Herausgehen" (Bestellung) und „Trockenheit" (Ernte) einteilen. Ihre wechselnde Höhe bedeutet reiche Ernte oder Hunger. Es ist daher lebenswichtig, dies Naturphönomen zu beobachten und wenn ') Couyat-Montet,
Inscriptions du O u ä d i H a m m a m ä t N r . 110.
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möglich zu regulieren. Wer dies Problem meistert, beherrscht den ägyptischen Staat und seine Menschen. Nach ägyptischem Glauben hängt alles Wasser mit dem unter der Erde ruhenden Urwasser Nun zusammen. Der Urhügel, „das älteste Land", hob sich bei der Weltwerdung aus dem Nun, und wenn man von ihm spricht, sagt man etwa „Nicht wurde es gehört seit der Zeit, wo dies Land abgegrenzt wurde, aufgestiegen aus dem Nun" 2 ). Auf 'diesem Urhügel nahm der Urgott, auch der Sonnengott, Platz - das ist eins der beliebtesten Mythenmotive. Nach dieser Lehre soll auch das Überschwemmungswasser aus Quellöchern emporsteigen, die man im Katarakt von Assuan bei der Insel Bige 3 ), vielleicht auch bei Strudeln im Stromlauf, z. B. am Gebel Sisile südlich Theben, vermutete, denn selbst für den „unterägyptischen Nil" suchte man in typisch ägyptischer Denkweise einen eigenen Ursprungsort beim heutigen Alt-Kairo, wo der wichtige Kanal nach Heliopolis abzweigte und wo bis in die Neuzeit der Durchstich der Dämme am Höhepunkt der Überschwemmung festlich begangen wurde 4 ). Nilmesser erlaubten eine Kontrolle der Fluthöhe, die bekanntesten waren der beim „Nilhaus" nahe Alt-Kairo (in der neueren Zeit auf der Südspitze der Insel Roda), der die amtlichen Ablesungen für die Regierung in Memphis ergab, und der von Elephantine am Kataraktenausgang. Nach der Eroberung Nubiens im MR hat man die Beobachtungen bis an die Enge von Kumme-Semne im 2. Katarakt vorgeschoben, um das Anlaufen der Flut zeitiger beobachten zu können. Aber selbst, als die Ägypter im NR bis Napata und an die Schwelle des 4. Kataraktes vordrangen, gab man das alte Dogma nicht auf: So wurden noch in der Ramessidenzeit die wohl uralten Nilopfer am Gebel Silsile südlich Theben im 3. Monat des Sommers (am 15. Epiphi) vor Beginn der Überschwemmung und zwei Monate später bei ihrem Eintritt (am 15. Thot) erneuert, „damit es nicht an Wasser mangle" (Abb. 21). Nun hatten die ägyptischen Astronomen des AR beobachtet, daß das erste Früherscheinen des Sothissterns (nach 70tägigem Verschwinden) vor der Sonne die Überschwemmungszeit einleitete. Sie verbanden daher „das Herausgehen der Sothis" mit dem Neujahrstag, und hätten, genaue Beobachtungen vorausgesetzt, die Möglichkeit gehabt, ein Sternenjahr zu gewinnen, das mit 365V4 Tagen genauer war als das bürgerliche Jahr zu 360 Tagen ( = 3 6 Dekaden in 12 Monaten) + 5 Epagomenen, nach dem die Ägypter, nachweisbar seit der 5.Dynastie, amtlich rechneten5). Um 3000 v.Chr., der Zeit der Reichseinigung, fiel „das Herausgehen der Sothis" auf den 23. Juni greg., wo ein Ansteigen des Wassers selbst auf der Breite von Memphis schon merkbar sein konnte. Ob aber dieses Sothisjahr, das in den Untersuchungen über ägyptische Chronologie eine solche Rolle gespielt hat, über eine Verwendung zur Vorausberechnung und Ansage der jahreszeitlich gebundenen Festtage hinaus eine praktische Bedeutung erlangt hat 6 ), ist recht zweifelhaft geworden; immerhin erkennt man letzthin der Sothisbeobachtung als Regulator des Beginns des ersten der Mondmonate im Jahr (mit Neumond ') 3) 4) 5)
Hatsdiepsutkapelle in Karnak. S . u . S. 175f. S. u. S. 23. Zur mythischen Begründung der Epagomenen als Geburtstage der Götter s. Kees, Götterglaube S. 259f. ") Sethe, Die Zeitrechnung der alten Ägypter. Gött. Nadir, phil.-hist. Kl. 1919 S. 311 f.
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nach dem „Herausgehen der Sothis") eine entscheidende Bedeutung zu 7 ). Wichtiger waren für den Ägypter jedenfalls die Beobachtungen des Steigens der Flut und die Aufzeichnung der Höchststände an den Nilmessern. Seit der Reichseinigung überlieferten sie die Königsannalen. Hier lag der Schlüssel der staatlichen Organisation. Freilich sind diese Messungen, vor allem die am Staatspegel bei Alt-Kairo, zu verschiedenen Zeiten nach abweichenden Skalen erfolgt. Offenbar konnten auch regulierende Maßnahmen auf sie einwirken. In den Annalen der Thinitenzeit bis in die 5. Dynastie, also zwischen 2950 und 2500 v. Chr., liegt der Durchschnitt der Nilschwelle bei 4 Ellen (wohl in der Nähe von AltKairo gemessen), ein hoher Nil von 8 Ellen, 3 Fingern verursachte daher im folgenden Jahre „Überflutung aller Westgaue und Ostgaue (?)" im Delta 8 ). Listen Sesostris'I. (um 1950 v. Chr.) geben daher als erwünschte Höhe der Flut für Elephantine 21 Ellen, 3Vs Handbreiten, 3 Finger, für das „Nilhaus" (bei Alt-Kairo) 12 Ellen, 3 Handbreiten, 3 Finger, für die nördlichste Stadt im Delta (Diospolis, Teil Balamün) 6 Ellen, 3 Handbreiten, 3 Finger an 9 ), also viel höhere Werte. Die zahlreichen literarischen Angaben zeigen bis zur Römerzeit ein weiteres Ansteigen um 2 0 - 3 0 % , so daß man für Elephantine auf 24 Ellen, 4 Handbreiten 10 ) und idealisiert gar auf 28 Ellen ( = 4 X 7 ) n ) , für das „Nilhaus" nahe Memphis auf 1 4 - 1 6 Ellen kommt 12 ), während das Norddelta bei 6 - 7 Ellen bleibt1®). Mit der Aufhöhung des Strombettes,die nach Lyons im Jahrhundert rund 10 cm beträgt, also von Sesostris I. bis 150 v. Chr. etwa 1,80 m = 34/io Ellen ausmachen würde, kann dies nur teilweise erklärt werden. Besonders bei den antiken Schriftstellern spielen aber theoretische Idealzahlen hinein, denn eine recht unverdächtige Nachricht bei Strabon ( X V I I 7 8 8 ) besagt, daß Petronius als Präfekt bei 12 Ellen Nilschwelle Ägypten reiche Ernten sicherte, und bei 8 Ellen keine Not entstand, während vor ihm angeblich 14 Ellen zur größten Fruchtbarkeit nötig gewesen wären. Diese 12 Ellen entsprechen fast genau dem memphitischen Standard unter Sesostris I. ungefähr 2000 Jahre früher! Zur Kontrolle mag dienen, daß für Deichbauten bei Memphis im 3. Jh. v.Chr. rund 12 Ellen als Höchststand des Wassers angenommen wurden, wobei die tatsächlich gemessenen Fluthöhen für 259 und 258 v. Chr. mit 10 Ellen, 3 Handbreiten, I V « Finger bzw. 10 Ellen, 6 Handbreiten, 22/s Finger vermerkt werden 1 4 ). Eine Überschwemmung von 14 Ellen müßte also die Deiche bei Memphis überflutet haben. Rieh. Parker, The Calendars of Anc. Egypt (Orient. Institute Chicago Studies Nr. 26. 1950). 8 ) Palermostein Vs. Z. 3 Nr. 4 nach der Erklärung von Sethe. ') JEA 30 S. 34 fig. 1. 10 ) Inschrift aus Edfu: 24 Ellen, 3 Handbreiten, 1 Finger. Messungen am Elephantinepegel aus der Kaiserzeit 25—26 Ellen (Ausnahmen!) Borchardt, Nilmesser. Abh. Berl. Akad. 1906 S. 54. 16 f. " ) Sog. Hungersnotstele des Djoser aus ptol. Zeit Z. 6, ebenso Plutardi de Iside 43. Aristid. Rhetor Aigypt. II 485 (Dind). " ) 14 Ellen (2X7) Plutardi, Aristid. a. a. O. Strabo XVII 788. Plin. n. h. V 58 als Nil der „hilaritas". 15-16 Ellen: Herod. II 13. 16 Ellen: Plin. als Nil der „deliciae". Nilgruppe (des Vespasian) mit 16 Kindern. " ) 6 Ellen: Plutardi de Iside 44 (Mendes und Xois). 7 Ellen: Hungersnotstele Z. 6. Aristid. Rhetor. ") Wilcken, Ardiiv f. Pap. 6 S. 398/9 zu Pap. SI V 488. 7)
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Bei diesen Angaben ist anscheinend die Ellenzahl nicht über Niederwasser gerechnet; nach BORCHARDT zählen vielmehr alle Nilmesser im Lande nach einem theoretisch angenommenen Gefälle von Elephantine bis Memphis. Daß das Hochwasser bei Elephantine durch Einzwängung in den Katarakt höher über Niederwasser steigt als bei Roda-Memphis — nach Lyons durchschnittlich + 7,00 m gegenüber + 4,90 m — oder gar im Delta, wo es sich ungleich breiter verteilte, kann das starke Heraufsetzen der Ellenzahl vor allem für Elephantine nicht erklären: Es muß am jeweiligen Nullpunkt der Skalen liegen. Andererseits verraten Angaben auf der Kapelle Sesostris' I. in Karnak, daß man den normalen Überschwemmungsstand „auf den Äckern" mit 4 Ellen 3 Handbreiten 31/» Finger (Oberägypten) bis 4 Ellen 3 Finger (Unterägypten) ansetzte, während das Idealbild wiederum unrealistisch die heilige Zahl von 7 Ellen wünschte! 15 ) 2. Wasserwirtschaft
und
Boden
Die Lenkung der Nilflut bestand in der Eindeichung der vor Überflutung zu schützenden Landteile (Dörfer, Gärten), ferner in der Schaffung von „Bassins" zur Aufnahme des Uberschwemmungswassers, die im richtigen Augenblick mittels Durchstechung der Dämme geöffnet werden mußten, und in der Anlage von Kanälen zur Verteilung des Wassers und zur Aufnahme von Wasserreserven für künstliche Bewässerung, schließlich in der Anlage von Brunnen und Wasserschöpfern (Schadüf) für die Gärten. Da solche Kunstbauten in Oberägypten leichter anzulegen waren als im Delta, verlegte SCHWEINFURTH auch die Wiege der ägyptischen Kultur nach Oberägypten. Er dachte dabei weniger an jene allerprimitivsten Anfänge künstlicher Bewässerung von Uferland, wie sie später S. PASSARGE im Auge hatte 1 ). Die Bassins der neuzeitlichen, allerdings seit Anlage der großen Stauwerke im Niltal immer mehr zurückgehenden Bewässerungssysteme hatten eine Größe von 2000 bis 40000 Feddan (zu 0,42 ha), umfaßten also mindestens 840 ha, offenbar weit mehr als ihre Vorgänger in der hellenistischen Zeit 2 ), die zum Teil schon, mindestens im Fajüm, auf Zweierntenwirtschaft abgestellt waren. In den Bassins lagerte sich der fruchtbare Nilschlamm ab, der allerdings stickstoffarm ist. Einer der ältesten Verwaltungstitel aus den unterägyptischen Gauen, der auch später noch als geschichtliches Rudiment hohes Ansehen genoß, war der des „Kanalgräbers", der wohl kraft dieses Auftrags Hilfskräfte für solche Arbeiten ausheben konnte. Er ist der Vorläufer des geschichtlichen Nomarchen. Und noch dessen Nachfahre in der griechisch-römischen Zeit, der Strateg, hatte mehr mit Bewässerungsarbeiten zu tun als mit militärischen Aufgaben 3 ). Möglichst viel Land der Überschwemmung erreichbar zu machen, galt stets als Prüfstein guter Verwaltung. Die Gaufürsten der Feudalzeit rühmten sich dessen besonders in Jahren mit geringen Nilen, wenn die Nachbarn Not litten 4 ). Coffintexts V 10. Petrie, Harageh T a f . 78, 3. Anast. I 3, 7; I V lb, 8. ') Die Urlandsdiaft Ägyptens S. 132 f. ") Schnebel, Landwirtschaft im hellenistischen Ä g y p t e n S. 52. 3 ) Vgl. etwa die Inschrift auf der Statue eines ptol. Strategen aus Tanis K a i r o 687. Tanis. Gött. Nachr. phil.-hist. K l . 1944 S. 174. *) Vandier, La famine dans l'Egypte ancienne. Le Caire 1936.
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Kees,
Bei diesen Angaben ist anscheinend die Ellenzahl nicht über Niederwasser gerechnet; nach BORCHARDT zählen vielmehr alle Nilmesser im Lande nach einem theoretisch angenommenen Gefälle von Elephantine bis Memphis. Daß das Hochwasser bei Elephantine durch Einzwängung in den Katarakt höher über Niederwasser steigt als bei Roda-Memphis — nach Lyons durchschnittlich + 7,00 m gegenüber + 4,90 m — oder gar im Delta, wo es sich ungleich breiter verteilte, kann das starke Heraufsetzen der Ellenzahl vor allem für Elephantine nicht erklären: Es muß am jeweiligen Nullpunkt der Skalen liegen. Andererseits verraten Angaben auf der Kapelle Sesostris' I. in Karnak, daß man den normalen Überschwemmungsstand „auf den Äckern" mit 4 Ellen 3 Handbreiten 31/» Finger (Oberägypten) bis 4 Ellen 3 Finger (Unterägypten) ansetzte, während das Idealbild wiederum unrealistisch die heilige Zahl von 7 Ellen wünschte! 15 ) 2. Wasserwirtschaft
und
Boden
Die Lenkung der Nilflut bestand in der Eindeichung der vor Überflutung zu schützenden Landteile (Dörfer, Gärten), ferner in der Schaffung von „Bassins" zur Aufnahme des Uberschwemmungswassers, die im richtigen Augenblick mittels Durchstechung der Dämme geöffnet werden mußten, und in der Anlage von Kanälen zur Verteilung des Wassers und zur Aufnahme von Wasserreserven für künstliche Bewässerung, schließlich in der Anlage von Brunnen und Wasserschöpfern (Schadüf) für die Gärten. Da solche Kunstbauten in Oberägypten leichter anzulegen waren als im Delta, verlegte SCHWEINFURTH auch die Wiege der ägyptischen Kultur nach Oberägypten. Er dachte dabei weniger an jene allerprimitivsten Anfänge künstlicher Bewässerung von Uferland, wie sie später S. PASSARGE im Auge hatte 1 ). Die Bassins der neuzeitlichen, allerdings seit Anlage der großen Stauwerke im Niltal immer mehr zurückgehenden Bewässerungssysteme hatten eine Größe von 2000 bis 40000 Feddan (zu 0,42 ha), umfaßten also mindestens 840 ha, offenbar weit mehr als ihre Vorgänger in der hellenistischen Zeit 2 ), die zum Teil schon, mindestens im Fajüm, auf Zweierntenwirtschaft abgestellt waren. In den Bassins lagerte sich der fruchtbare Nilschlamm ab, der allerdings stickstoffarm ist. Einer der ältesten Verwaltungstitel aus den unterägyptischen Gauen, der auch später noch als geschichtliches Rudiment hohes Ansehen genoß, war der des „Kanalgräbers", der wohl kraft dieses Auftrags Hilfskräfte für solche Arbeiten ausheben konnte. Er ist der Vorläufer des geschichtlichen Nomarchen. Und noch dessen Nachfahre in der griechisch-römischen Zeit, der Strateg, hatte mehr mit Bewässerungsarbeiten zu tun als mit militärischen Aufgaben 3 ). Möglichst viel Land der Überschwemmung erreichbar zu machen, galt stets als Prüfstein guter Verwaltung. Die Gaufürsten der Feudalzeit rühmten sich dessen besonders in Jahren mit geringen Nilen, wenn die Nachbarn Not litten 4 ). Coffintexts V 10. Petrie, Harageh T a f . 78, 3. Anast. I 3, 7; I V lb, 8. ') Die Urlandsdiaft Ägyptens S. 132 f. ") Schnebel, Landwirtschaft im hellenistischen Ä g y p t e n S. 52. 3 ) Vgl. etwa die Inschrift auf der Statue eines ptol. Strategen aus Tanis K a i r o 687. Tanis. Gött. Nachr. phil.-hist. K l . 1944 S. 174. *) Vandier, La famine dans l'Egypte ancienne. Le Caire 1936.
15)
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Kees,
D a ß dies Gespenst der Hungerjahre gerade in Zeiten der Zersplitterung berufen wurde, zeigt, wie stark die gemeinsame Abhängigkeit von der Regelung der Überschwemmung den Drang zum Einheitsstaat förderte, genau wie noch heute die Nilzuflüsse in fremder Hand die größte Sorge Ägyptens bilden. D e r Wert des Bodens hing davon ab, ob ihn eine normale Nilschwelle erreichte, und ob er künstlich bewässert werden kann, also ob er Brunnen enthielt oder an einem Kanal lag. Auch der Staat veranlagte die jährliche Steuer nach den wechselnden Anbauflächen, also dem voraussichtlichen Ernteertrag. D i e verschiedene Bodenwertigkeit bedingte ein kompliziertes Veranlagungssystem und wirkte sogar auf das Grundrecht ein. D i e Einzelheiten bedürfen hier noch weitgehend der Klärung. Das Überschwemmungswasser mußte das „Uferland" und Dorflagen aussparen, konnte sich aber zwischen diesen Siedlungsgrenzen und dem Wüstensaum ausbreiten (Abb. 37). Dort hielten sich am längsten in Tümpeln Überschwemmungsreste. D e r Fellache aus der Zeit der Bassinbewässerung unterschied Rei-Felder, die von der Überschwemmung erreicht wurden, von Scharaki-Land, das künstliche Bewässerung erforderte. D i e altägyptische Einteilung in sogenanntes „Niederland" 5 ) und „Hochland" - abgesehen von den mitunter besonders aufgeführten „Inseln" 6 ) - entspricht diesen beiden Kategorien nicht genau. Offenbar gehörte nach Zeugnissen des N R zur Klasse des Hochlandes der Großteil des Ackerbodens, so daß es die Griechen einfach mit „Festland" oder „Getreideland" (sitophoros) wiedergaben 7 ). E s war also nicht durchwegs Scharakiland, wenn auch nach Inschriften der Feudalzeit als vorbildlich galt, den Nil auf die „Hochländer" geleitet zu haben: „Ich machte Hochland zur Marsch, ich ließ den Nil auf das Ödland fluten", oder „ich brachte den Nil auf das Hochland eurer Äcker, so daß Parzellen von euch bewässert wurden, von denen ihr es nicht kanntet" 8 ). „Hochland" war also anscheinend solcher Boden, der im Gegensatz zum Niederland bei schlechten Nilen ausfallen konnte, normal aber ertragsfähig (und steuerbar) war. Auf echten Scharakiböden legte man Obst- und Gemüsegärten an. Strabon ( X V I I 7 8 9 ) sagt, die Flut des Nils stiege 40 Tage, dann stände das Land 60 Tage unter Wasser, und laufe dann schnell ab, so daß die Bestellung rasch erfolgen müsse. Diese Fristen entsprechen dem normalen Verlauf nicht ganz. D i e Nilschwelle beginnt in Assuan normal bereits Ende Mai oder Anfang Juni und erreicht in der ersten Septemberhälfte ihren höchsten Stand, weiter nördlich fallen die Termine etwas später, in Memphis etwa 8 - 1 4 Tage. D e r koptische Kalender setzt „die Nacht des Tropfens" (Lelet en-nukta), in der nach alter Mythe eine Träne der Isis die Nilschwelle hervorrief, auf den 18. Juni ( = 11. Baüna kopt.), also ganz in die Nähe jenes 23. Juni (greg.), an dem um 3000 v. Chr. das theoretische Neujahr des Sothiskalenders lag. In der zweiten Augusthälfte folgt in Kairo noch heute an der Stelle, wo der ehemalige Kanal nach Heliopolis vom Nil abzweigte (Fumm el Chalig), der Freudentag des Durchstichs des Dammes, wobei man einen Wasserstand von 16 Ellen am Pegel von Roda zu haben ) brw Äg. Wb. III 322, seit Amarnazeit nhb ebda. II 308. ) Das Dekret Sethos' I. für den Osiristempel in Abydos unterscheidet Niederland (nbb), Inseln und Hochland und „jeden sonstigen ertragsfähigen Acker" Z. 24/25. 7) Gardiner, Pap. Wilbour Comment. S. 26/29. 8) Griffith, Siüt Grab V Z.7 und Rife Grab VII Z. 22/23,
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wünscht. In Wirklichkeit erreicht die Schwelle hier meist erst Mitte bis Ende September oder Anfang Oktober ihren Höchststand. Kunstbauten konnten die Überschwemmung in ähnlicher Weise wie die heutigen Staudämme es tun, regulieren, vor allem das Ablaufen verlangsamen. Der sogenannte Moirissee im Fajüm, der Vorläufer des Birket Karun, wird als das älteste Werk dieser Art von den Klassikern gerühmt9). Das Naturphänomen der Nilüberschwemmung hat die Einrichtung eines staatlichen Arbeitsdienstes der Fellachen, der unter der Bezeichnung „corvée" noch in den Zeiten des Suezkanals berüchtigt war, schon in altägyptischer Zeit nahegelegt, um die brachliegende Arbeitskraft in der landwirtschaftlichen Ruhezeit auszunutzen. Wenn Herodot (II 124) sich etwas von einer dreimonatlichen Schicht der Arbeiter bei der Erbauung der Cheopspyramide hat erzählen lassen und wir sehen, daß in den Pyramidenstädten des AR die Dienste der Totenpriester in „Wachen" (Phylen) mit alten Schiffernamen, also aus dem Transportwesen übernommen, eingeteilt waren, daß ferner der Tempeldienst in „Stunden" und „Monatsdiensten" so abgeleistet wurde, daß 4 Schichten sich monatlich ablösten, also jede Gruppe drei Monate im Jahre dienstverpflichtet war, liegt unverkennbar der gemeinsame Schlüssel in der dreimonatlichen Überschwemmungszeit 10 ). Diese wirkungsvolle Organisation wird auf jene großen Könige der Pyramidenzeit zurückgehen, die dafür in der späten Tradition als Menschenschinder verrufen wurden - wahrscheinlich mehr bei den Griechen als bei den Ägyptern, die solches Verfahren als natürlich und gegeben anerkannten : Sie bildete die arbeitstechnische Voraussetzung für die Vollendung der Riesenbauten des AR (Abb. 24). Die Zeit, wo die Überschwemmung ihre Höhe erreichte, und die folgende des Aussaatbeginns, wo der Bauer feststellt „Das Feld ist herausgegangen und es ist gut zu pflügen" - die ganze Jahreszeit hieß danach „Herausgehen" - , war die kritische Phase für den Landmann. „Je schneller die Abtrocknung, desto schneller das Pflügen und Säen" sagt Strabon. Dort lagen auch die großen Feste des ägyptischen Naturjahres, die meist landwirtschaftlichen Hintergrund hatten. Diese konnten natürlich nicht mit dem bürgerlichen Jahr von 365 Tagen allmählich durch die Jahreszeiten wandern, sondern mußten nach einem festen Jahr mit Hilfe der Sothisbeobachtungen berechnet oder mindestens in Abständen nach diesem revidiert werden. Der Gottkönig als die gesammelte Macht des Landes sollte sie eröffnen - Ortsgott und König feierten ihre Feste stets gemeinsam. Am 26. Tag des 4. Monats der Überschwemmungsjahreszeit (Choiak) beging man in Memphis das Fest des in einer Erdhöhle am Wüstenrand hausenden Sokar 11 ), bei dem man Herden um die Stadtmauer trieb, wie beim Dreschen auf der Tenne - und Zwiebelgebinde um den Hals trug und die Erde dem Gotte, den man selbst den „Hacker" nannte, aufhackte. Die Mythe deutete das als Vorbereitung zum Begräbnis des Osiris, das am 30. Tag desselben Monats stattfinden sollte. Da richtete man den gebündelten Djedpfeiler auf als Symbol der Erneuerung und der Dauer; denn der folgende Tag, der die neue Winterjahreszeit einleitete (1. Tybi im thebanischen Kalender), galt als anderer Neujahrstag im Jahr und *) S. u. S. 123 f.
) Kees, Die Phylen... im Dienst der Tempel. Orientalia 17 (1948) S. 71 f.
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" ) S. u. S. 81. 24
als kanonischer Thronbesteigungstag des Horus-Königs. Dieser erneuerte sich also mit dem Bestellungsbeginn, wie Horus, der Gottessohn, nach dem Begräbnis seines Vaters Osiris, des alten Königs, die Herrschaft ergriff. Auch das Ansehen des Erdgottes Geb, dem man durch Aufhacken der Erde Ehre erwies, und den die Mythe des AR als Sprecher der Götter und Thronfolger des Urgottes Atum von Heliopolis an die erste Stelle der diesseitigen Welt rückt12), zeigt die Erdverbundenheit des Ägypters. Ihn und den unpersönlichen Nil feiern die Hymnen als Erhalter des Lebens. Der Staat, d. h. die Beauftragten des Königs, widmete dem Ackerbau als Kern der ägyptischen Wirtschaft besondere Aufmerksamkeit, die der Bauer seinerseits als harte Last über die Jahrhunderte getragen hat. Wasserrechte, Veränderungen durch den Strom, besonders an den Inseln und am Uferland, mußten kontrolliert werden, ebenso die Grenzsteine. Das war Sache des „Ackervorstehers" und seiner Gehilfen, der Feldmesser. Das Vermessen des bestellten Bodens geht der Ernte voraus - nach einem Papyrus des MR aus Harage am Fajümeingang scheint es dort am 15. Tage des 2. Monats der Überschwemmungsjahreszeit = etwal9. Januar stattgefunden zu haben13). Seine Ergebnisse bildeten die Grundlage der Ernteabgabe - außer der Staat zog es aus Bequemlichkeit vor, seine Pächter mit einer festen Ertragsabgabe zu belasten, ihnen also das Risiko schlechter Jahre allein aufzubürden. Wir wissen, daß Ptolemaios Philadelphos nach diesem Prinzip verfahren ist, aber es scheint nach ramessidischen Wirtschaftsakten schon damals angewandt worden zu sein14). Nicht zufällig erscheinen unter den Vergehen, von denen der Jenseitsrichter den Toten im NR zur Seligkeit lossprechen mußte, Verminderung des Ackermaßes, Fälschen der Grenzen des Ackerlandes, „Wehren des Wassers zu seiner Zeit" und unrechtmäßiges Abdämmen (der Bassins), also eigensüchtige Verletzungen des Wasser- und Bodenrechtes zum Schaden des Nächsten (Tb. Kap. 125). Vorausberechnen - Erfassen - Verteilen sind die Hauptaufgaben der staatlich gelenkten Naturalwirtschaft. Da in altägyptischer Zeit die Ernte weit mehr als heute Winterfrucht war, die in den Frühjahrsmonaten (März-April) eingebracht wird, hieß es Vorräte für zwei Jahreszeiten im Speicher einlagern. Sie mußten alle bei staatlichen Arbeiten Tätigen, vom Kanal- und Deichbau angefangen bis zu den Steinmetzen im Bruch, den Bauarbeitern an Pyramiden, Gräbern und Tempeln, natürlich auch die Beamten, die im Prinzip, und in älterer Zeit buchstäblich, „von der Tafel des Herrschers" lebten15), versorgen. In den Zeiten entwickelter Privatwirtschaft, gleichgültig auf welchen Rechten ihr Besitz beruhte, mußte jeder Grundbesitzer, jede Behörde, jeder Tempel und jede fromme Stiftung die Vorräte berechnen und einteilen. Ob ihr dies gelang, wie es Gaufürsten regelmäßig in ihren Idealbiographien für die Nachwelt behaupten: „Ich war ein Berechner beim Verbrauch des unterägyptischen Korns (Gerste), einer, der Bewässerung mitten am Tage spendete..." 16 ) oder ob es trotz genauester ") ") ") 1S) ")
Rees, Götterglaube S. 227. Smither, JEA 27 S. 76. Gardiner JEA 27 S. 62 zu Pap. Turin 1887. Rees, Kulturgeschichte S. 196. a. a. O. S. 40 nach Griffith, Siüt Gr. V.
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Erfassungsvorschriften und harter Bedrückung der Pächter zu leeren Speichern und Hungerdemonstrationen der Arbeiter kommt 17 ), das ist die Bewährungsprobe der jeweiligen Staatsführung. Der dezentralisierte Feudalstaat nach Zusammenbruch des AR verrät oft trotz des tönenden Optimismus seiner Herren, daß örtlicher Egoismus das einzige Abwehrmittel im Daseinskampf war: „als Oberägypten in schlechtem Zustand war" ich schloß die Grenzen", damit Vorrat und Ernte für das eigene Gaugebiet langte, denn in solcher Zeit fuhren die Getreideschiffe weithin ins Land und versuchten den Ausfall zu beschaffen. Natürlich galt die Vorsorge auch der Bereitstellung und Verteilung des Saatgutes. Wir erfahren wieder aus der Feudalzeit, daß es Saatgutdarlehen gab, die bei der Ernte zurückerstattet wurden, die aber ein musterhafter Gaufürst in Notjahren erlassen zu haben sich rühmt; ebenso wurden Rindergespanne zum Ackern und Dreschen ausgeliehen 18 ). Erntemonate waren die beiden ersten Monate der Sommers(Ernte)-Jahreszeit, Pachons und Payni des thebanischen Kalenders, in unseren Breiten Frühjahrsmonate. Im Monat Pachons, anscheinend am Tag vor dem Neumond, feierte man dem Amun-Min in Theben das große Fest, bei dem der König dem Gott die erste Garbe Emmer abschnitt, und ein weißer Stier in Prozession mitgeführt wurde. Vielleicht ist es aus dem alten Fest des „Herausgehens des Min" hervorgegangen, das schon die Grabtexte des AR in Memphis nennen. Zur selben Zeit trat der Horus von Edfu, ebenfalls am Neumondstag (Monatsbeginn), seine jährliche Fahrt zur Hathor vonDendera an, wobei wieder Ernteriten vollzogen wurden (Austreten des Korns = Dreschen). In diese Zeit fällt auch das Fest der im Felde hausenden „Nährschlange" Thermuthis, der Schutzherrin der Speicher. Ihr brachte man im Theben des NR am 1. Pachons, dem „Geburtstag des Korns (Napre)", als Mutter des Korngottes die Erstlinge der Ernte dar 1 9 ), genau wie dies alter Landbrauch dem Grundherrn, dem Gaufürsten, und noch heute dem Omde des Dorfes, zubilligte. Im Fajüm feierte man in hellenistischer Zeit das Fest der Isis-Thermuthis, an dem die ganze Landschaft teilnahm und bei dem ihr die Zehnten der Ernte überreicht wurden, erst am 20. Pachons 20 ), also um Mitte März. Wahrscheinlich ist die aus dem NR bezeugte Erntesteuer an den Staat eine Ableitung aus alten Königsrechten; von ihr waren anscheinend auch die Tempel nicht befreit. Wie elend es dem Bauern erging, wenn die Ernte mager ausfiel und der königliche Schreiber mit seinen nubischen Polizisten am Uferdamm landete, um die Ernte aufzuschreiben, malten besonders die Musterbriefe der Beamtenschüler aus dem NR drastisch aus. Schon ein alter Spruch meint sarkastisch vom Bauern „Seine Rechnung dauert in Ewigkeit" 21 ). Natürlich umspannte auch die Mythe das landwirtschaftliche Leben: Das Korn, das auf der Tenne gedroschen wurde - im alten Ägypten besorgten dies die Hufe von Tieren, die auf der runden Tenne im Kreis getrieben wurden - , ist Osiris, der „geschlagen" wird, oder es ist der Schlangenfeind, der mit der Gabel aufgespießt wird. 17
)"s7u. sVl57.
) a. a. O . S. 41. ") Wreszinski, Atlas I T a f . 188 (Grab des Speichervorstehers Chacmhet unter Amenophis I I I . ) . 20) Vogli.ino, Primo rapporto degli s e a v i . . . di Medinct Madi (1936) S. 44 s. u. S. 126. sl) Erman, Literatur der Ägypter S. 103. 2 4 6 f . 1H 1
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Und wenn die dreschenden Tiere mit Schlägen angetrieben werden, bedeutet dies, daß sie gestraft werden, weil sie im Korn den Gott Osiris zertreten! Aber der Gott lebt im Korn, er ernährt damit Menschen und Tiere, er sprießt wieder aus der Erde, in die man ihn als Toten bettete, und ihm die „Erde hackte" für seine Bestattung. Denn, so sagten andere, im „neuen Wasser" der Überschwemmung, das nach der Ernte über das Land kommt, ertrank der Gott und manifestiert sich danach in seiner befruchtenden Kraft Trotz aller Plagen hing der altägyptische Landmann wie der heutige Fellache am Boden. Sein Realismus und seine Hoffnungen spiegeln sich in zwei Ewigkeitsgedanken: Er erwartete im Jenseits gleiche Frondienste bei den dortigen Göttern, und er versuchte sich auf seine Weise davor zu schützen. Da findet man unter den volkstümlichen Sargtexten, die vom Beginn der sogenannten Herakleopolitenzeit auftauchen, Sprüche, die einem Manne die Vereinigung mit seiner Familie einschließlich seiner Hörigen im Jenseits gewährleisten sollten 22 ), durch Götterbefehl „befreit von der Fron des Seth, von der Zählung der großen Isis, von Seiten des Osiris, Herrn des Westens", kurz, „befreit von jedem Gott, jeder Göttin, jedem Toten, jeder Toten"! Andere trugen Zwecktitel, wie „nicht zuzulassen, daß ein Verklärter im Totenreich zur Arbeit angefordert wird" oder „keine Arbeit im Jenseits zu tun". Aus diesem Grunde ließ sich der Tote vorsichtshalber Ersatzarbeiter, die berühmten Uschebtis, mit ins Grab geben, damit sie sich bei Aufruf des Toten zur Arbeit meldeten, daher ihr Name „Antworter". Auf den Deichen aber, wo in Ägypten das Aufgebot der Dienstpflichtigen „Stundendienst" tat, mochten die „Verurteilten" stehen, „denen etwas zur Last gelegt war in der Feuerinsel", vor allem die Gotteslästerer 23 ). Trotz alledem blieb das Paradies des Totenglaubens überwiegend bäuerlich bestimmt. Im „Binsengefilde" unter den „östlichen Seelen" ackert und erntet der Selige allerdings nach überirdischen Maßen (Tb. Kap. 108); also ganz von seiner irdischen Plage konnte sich der Ägypter nicht lösen! Aus der Verpflichtung zu öffentlichen Arbeiten oder Dienstbarkeiten bei „Aushebung" durch königliche Beauftragte ergaben sich in der Zeit, wo der Staatsaufbau vielseitiger geworden war, Komplikationen. Seit der 5. Dynastie kennen wir königliche Befreiungsdekrete für Stiftungen, zuerst für Pyramidenstädte beim königlichen Grabtempel, dann für Tempelland, am Ende des AR auch für fromme Stiftungen bevorrechteter Privatleute (Königsverwandte), die sie als „geschützt und befreit" erklärten. Das bedeutete nicht, daß ihre Bewohner wegen ihrer priesterlichen „Stundendienste" von allen weltlichen Arbeiten befreit sein sollten - dazu dachte der Ägypter zu praktisch - , aber frei von bestimmten, meist einzeln aufgezählten öffentlichen Auflagen und Dienstbarkeiten. Dadurch sollten jene Leute ihrem Bereich „vorbehalten" sein, mußten dort aber, z. B. die Bewirtschafter von Scharakiland der Pyramidenstädte oder die Nutznießer frommer Stiftungen, alleArbeiten erledigen 24 ). Solche Befreiungen gewährten also eine Art Selbstverwaltungsstatut gegenüber allmächtigen Provinzialbehörden. Allerdings ging es innerhalb der Stiftungen zu, wie es wieder ein Schülerbrief aus der Ramessidenzeit ironisch ausmalt-' 5 ): „Der Priester steht als Ackerer da und der Novize (,Reine') arbeitet am -2) Kees, Totenglauben S. 308 f. '-'•'') de Buck, Coffintexts IV spell 317 (Verwandlung in den Nil). -') S. u. S. 86f. M ) Pap. Sallier I 7, 6.
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K a n a l . . . er wird im Fluß durchnäßt, es macht ihm keinen Unterschied, ob es Winter ist oder Sommer, ob der Himmel windig ist oder es regnet", und es mutet fast wie eine Illustration dazu an, wenn im G r a b eines thebanischen Amonspriesters Pinehas derselben Zeit dargestellt ist 2 6 ), wie ein Webpriester mit dem Ochsengespann ackert und seine Frau die Saat ausstreut, und sogar ein Prophet des Amifn, also ein Priester höheren Ranges, pflügen m u ß - und das nicht etwa im Binsengefilde des Jenseits, sondern wohl auf Tempelland, das der Priester mit seiner Familie bewirtschaftete, ähnlich den Insassen der alten Pyramidenstädte.
3. Eigentum und
Nutzung
Im ägyptischen Gottkönigtum ist der König theoretisch einziger Herr des Bodens, er besitzt als E r b e des Götterkönigs die Vergabungsurkunde, „das Geheime der beiden Leute (Horus und Seth), das Meks, das mir mein Vater (Osiris) vor Geb gab" 1 ) - zugleich ein Zeichen f ü r die Schriftgläubigkeit des Orientalen, die die Vorlage der Besitzurkunde verlangt, wenn aus ihr Rechte verfügt wurden. So trägt sie der König in dem Meks genannten Futteral sichtbar in der H a n d , wenn er beispielsweise beim Regierungsjubiläum (sogenanntes Sedfest) den zeremoniellen viermaligen Umlauf des Feldes vollzieht, „die E r d e durchmessend", wie es die Ritualtexte ins Götterhafte steigernd nennen, um die erneute Besitzergreifung des Landes anzuzeigen. D a b e i begleiteten ihn als Vertreter Oberägyptens der streitbare Canide Upuaut von Assiüt, auf der unterägyptischen Hälfte der memphitische Apisstier „in eilendem Laufe", so wie er es beim periodischen „Auslauf des Apis" zur Befruchtung der Herden zu tun pflegte 2 ). Wieder fällt uns dabei der Gegensatz eines oberägyptischen wilden Tieres und des nützlichen Zuchttieres des Ackerbauers auf der unterägyptischen Seite auf. Offenbar sprechen hier zwei verschiedene Bildungselemente der „beiden Länder" noch unbewußt aus ihren Vertretern: Aus dem Besitz des Gottes kann der König Teile als „Zuwendung" abgeben, so wie ein großer Herr seine Gäste beschenkt, an Götter, denen er z. B. das durch besondere Zählung erfaßte Vieh zuweist, oder auch Güter samt ihren Erträgnissen und ihrem Inventar. Dasselbe gilt für Angehörige seiner Familie oder Leute, die er ihnen kraft ihrer Stellung als gleichwertig erachtete, und die er mit Grundbesitz, Vieh und Hörigen ausstattete. Alle solche „Zuwendungen" sind also grundsätzlich an eine bestimmte Person zedierte Königsrechte, und keine Zeit hat ein letztliches Rücknahmerecht des Königs bestritten, so schwer dies eine Klasse jeweils treffen mochte. W i e meist in Ägypten suchte dann die Praxis veränderten Verhältnissen auf ihre Weise Rechnung zu tragen, indem man dieser für Sicherung des Privateigentums hinderlichen Lehre ihre Schärfe nahm. D i e alte Zeit, vielleicht bis in die 4. Dynastie hinein, wo sich der Staat patriarchalisch wesentlich auf die Führung durch Mitglieder des Königshauses, die als Teile der göttlichen Mächtigkeit zu Handlungen in Königsnamen befähigt waren, beschränkte, konnte die Versorgung derselben durch Naturalien aufrechterhalten. Über sie verfügte 2B
) Foucart, Tombeau de Panehesy (M^m. inst. fr. or. 57,2) fig. 23. ») ÄZ 52 S. 68 (aus Edfu).
-) v. Bissing-Kees, Re-Heiligtum III S. 7 f.
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K a n a l . . . er wird im Fluß durchnäßt, es macht ihm keinen Unterschied, ob es Winter ist oder Sommer, ob der Himmel windig ist oder es regnet", und es mutet fast wie eine Illustration dazu an, wenn im G r a b eines thebanischen Amonspriesters Pinehas derselben Zeit dargestellt ist 2 6 ), wie ein Webpriester mit dem Ochsengespann ackert und seine Frau die Saat ausstreut, und sogar ein Prophet des Amifn, also ein Priester höheren Ranges, pflügen m u ß - und das nicht etwa im Binsengefilde des Jenseits, sondern wohl auf Tempelland, das der Priester mit seiner Familie bewirtschaftete, ähnlich den Insassen der alten Pyramidenstädte.
3. Eigentum und
Nutzung
Im ägyptischen Gottkönigtum ist der König theoretisch einziger Herr des Bodens, er besitzt als E r b e des Götterkönigs die Vergabungsurkunde, „das Geheime der beiden Leute (Horus und Seth), das Meks, das mir mein Vater (Osiris) vor Geb gab" 1 ) - zugleich ein Zeichen f ü r die Schriftgläubigkeit des Orientalen, die die Vorlage der Besitzurkunde verlangt, wenn aus ihr Rechte verfügt wurden. So trägt sie der König in dem Meks genannten Futteral sichtbar in der H a n d , wenn er beispielsweise beim Regierungsjubiläum (sogenanntes Sedfest) den zeremoniellen viermaligen Umlauf des Feldes vollzieht, „die E r d e durchmessend", wie es die Ritualtexte ins Götterhafte steigernd nennen, um die erneute Besitzergreifung des Landes anzuzeigen. D a b e i begleiteten ihn als Vertreter Oberägyptens der streitbare Canide Upuaut von Assiüt, auf der unterägyptischen Hälfte der memphitische Apisstier „in eilendem Laufe", so wie er es beim periodischen „Auslauf des Apis" zur Befruchtung der Herden zu tun pflegte 2 ). Wieder fällt uns dabei der Gegensatz eines oberägyptischen wilden Tieres und des nützlichen Zuchttieres des Ackerbauers auf der unterägyptischen Seite auf. Offenbar sprechen hier zwei verschiedene Bildungselemente der „beiden Länder" noch unbewußt aus ihren Vertretern: Aus dem Besitz des Gottes kann der König Teile als „Zuwendung" abgeben, so wie ein großer Herr seine Gäste beschenkt, an Götter, denen er z. B. das durch besondere Zählung erfaßte Vieh zuweist, oder auch Güter samt ihren Erträgnissen und ihrem Inventar. Dasselbe gilt für Angehörige seiner Familie oder Leute, die er ihnen kraft ihrer Stellung als gleichwertig erachtete, und die er mit Grundbesitz, Vieh und Hörigen ausstattete. Alle solche „Zuwendungen" sind also grundsätzlich an eine bestimmte Person zedierte Königsrechte, und keine Zeit hat ein letztliches Rücknahmerecht des Königs bestritten, so schwer dies eine Klasse jeweils treffen mochte. W i e meist in Ägypten suchte dann die Praxis veränderten Verhältnissen auf ihre Weise Rechnung zu tragen, indem man dieser für Sicherung des Privateigentums hinderlichen Lehre ihre Schärfe nahm. D i e alte Zeit, vielleicht bis in die 4. Dynastie hinein, wo sich der Staat patriarchalisch wesentlich auf die Führung durch Mitglieder des Königshauses, die als Teile der göttlichen Mächtigkeit zu Handlungen in Königsnamen befähigt waren, beschränkte, konnte die Versorgung derselben durch Naturalien aufrechterhalten. Über sie verfügte 2B
) Foucart, Tombeau de Panehesy (M^m. inst. fr. or. 57,2) fig. 23. ») ÄZ 52 S. 68 (aus Edfu).
-) v. Bissing-Kees, Re-Heiligtum III S. 7 f.
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der königliche Speisemeister als „Oberster der Zuwendungen". Sobald sich aber auf der Höhe des AR die Heranziehung weiterer Kräfte zu Beauftragungen mit Königsbotschaften als nötig erwies, genügte das familiäre System nicht mehr. Überdies drängte die wachsende Zahl der „Geehrten vor dem großen Gott" auf größere Sicherheit und persönliche Verfügungsrechte zwecks Versorgung ihrer Familien. So entstanden zwei typisch ägyptische Druckpunkte. Das Streben nach Erblichkeit des Amtes, mindestens einer Anwartschaft darauf, samt allem erworbenen Vermögen auf den Sohn und nach Errichtung einer ewigen Stiftung für den Totenkult am Grab. Beides hing eng zusammen. Das Beispiel lebte der König selbst vor, und die Mythe von Osiris und Horus idealisierte die Gestalt des Erben. Die Versorgung der Totenstiftung aber war als Auflage mit dem Recht des ältesten Sohnes als „Herr aller meiner Sachen" verbunden. Als Erbe und neues Familienoberhaupt durfte er auf Grund der Stiftungsbestimmungen seine Geschwister zu Verpflichtungen des Totenkultes heranziehen, natürlich gegen Anteil an den Naturaleinkünften der Stiftung. In dem Dilemma zwischen Erblichkeit und Königsrecht hat der Ägypter Übergangsstufen verschiedener Art, die die scheinbar unvereinbaren Grundrechte überbrücken sollten, erfunden. Mit Genehmigung des Königs konnte z. B. ein Begnadeter Zuwendungen für Totenopfer, die etwa ein König für seine verstorbene Mutter ausgesetzt hatte, „im Umlauf", d. h. in zweiter Hand, an sich bringen 2 ). Die neubestellten Totenpriester traten damit zugleich in den Dienst der alten Stiftung oder umgekehrt. So sparte man Ausgaben und sicherte formal den Fortbestand der alten Stiftung. Sonst mußte der Augenblick kommen, wo der König nichts mehr an Zuwendungen zu vergeben hatte, und dann würden zweifellos die Forderungen der Lebenden stärker sein als die Pietät gegen die Vorfahren. Es besteht auch so kein Zweifel, daß bei einschneidenden Veränderungen im Staatsgefüge, z. B. nach Antritt einer neuen Dynastie, alte Stiftungen eingingen und ihre Erträge neuen Pfründnern zufielen. In der Zeit des NR, besonders der Ramessidenzeit, für die uns reiches Aktenmaterial zur Verfügung steht, kann man an Steuerlisten und an Priestertiteln recht gut verfolgen, wieweit die Kulte an älteren Totentempeln aufrechterhalten oder praktisch ignoriert wurden, indem keine eigenen Totenpriester mehr dafür bestellt wurden. Fromme Herrscher, wie die Sai'tenkönige in der Spätzeit, machten dann wohl den Versuch,Totenstiftungen für alte Könige mit bekannten Namen zu „erneuern", d. h. dafür zu sorgen, daß irgendwelche Pfründner sie mit bedienten - aber an neue Zuwendungen wird man dabei kaum je zu denken haben! Rücknahme zedierter Rechte konnte also jederzeit erfolgen, soweit nicht das Gebot der Sitte, das dem Herrscher Belohnung der Verdienste zur Pflicht machte, oder der Wortlaut verbriefter Satzung hinderlich wirkte. Tatsächlich erfolgten weitgehende Umschichtungen des Privatbesitzes nach inneren Umwälzungen, so z. B. die Liquidierung des in der Feudalzeit seit der 5. Dynastie entstandenen und bei Zusammenbruch des AR praktisch unabhängig gewordenen Gaufürstentums in Oberägypten im MR und letzter Reste noch im NR. Einheitsstaat mit zentraler Lenkung und Feudalismus stehen sich gegenüber. Ob dabei die Gaufürsten, wie sie behaupteten, wirklich urzeitliche Ansprüche als Grundherren erneuerten, ist fraglich - leider kennen wir dazu die Struktur 3
) So schon Urk. I 4 (frühe 4. Dyn.) vgl. Kees, Kulturgesdiichte S. 246 f. Junker, Giza III S. 5 f.
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der ägyptischen Frühzeit zu wenig - , jedenfalls wirkt ihr Anspruch eines Gaukönigtums mit göttlicher Abkunft, also an göttlichen Rechten dem KönigÄgyptens gleichstehend, verdächtig zweckbedingt. Denn soweit wir sehen können, ist das geschichtliche Gaufürstentum der Feudalzeit aus sässig gewordenen Beauftragten des Königs herausgewachsen 4 ). Neben ihnen sind als Grundbesitzer noch zwei Gruppen wichtig: Die Tempel und frommen Stiftungen für die Götter, und Privatbesitz aus Belohnungen für Veteranen mit der Untergruppe der Kriegersiedlungen. Tempelbesitz entstand auf Grund desselben Rechtes wie die Stiftungen für die Pyramidenstädte oder königlichen Totentempel. Auch ihr Anteil war geschichtlichen Wandlungen unterworfen und hängt mit der Haltung des Königtums engstens zusammen. Die allerdings noch sehr dürftigen Quellen deuten darauf hin, daß bis in die 4. Dynastie, also die Zeit der großen Pyramidenerbauer, die Vorsorge für die Pyramidenstadt und den königlichen Totenkult die Aufwendungen für die Göttertempel überstieg: Der König als „großer Gott" ist durchaus Mittelpunkt der Welt, keine eitle Phrase. Darin liegt aber keine Mißachtung der Götter, keine Hybris, wie sie vielleicht die Griechen beim Anblick der Gizapyramiden unterstellten. Es entsprach, vielmehr der Richtigkeit der Weltordnung, wie sie die damalige Zeit anerkannte. Schenkungen an Tempel nahmen erst nach Antritt der 5. Dynastie unter der Herrschaft des heliopolitanischen Sonnenkultes erheblich zu, wobei zunächst die Schutzgottheiten der Reichsheiligtümer, dann die Götter der neugegründeten Sonnenheiligtümer des betreffenden Königs (Re-Harachte und Hathor) bevorzugt wurden 5 ). Die Landreserven dazu stellten vorwiegend Deltagaue. Wie die übliche Schenkungsformel, „König NN., er machte es als sein Denkmal für seinen Vater Re", zeigt, trugen Neubauten und Stiftungen des „Sohnes des Re" fast familienrechtliche Züge. Im NR war es dann der Reichstempel des Amun-Re von Karnak, der mit so reichen Schenkungen bedacht wurde, daß sie ihm für alle Zeiten einen Vorsprung sicherten. Dagegen erweisen Steuerakten, daß noch unter der 20. Dynastie (um 1150 v. Chr.) die Gotteshäuser Unterägyptens, mit Ausnahme einzelner in Memphis und Heliopolis, keinen Grundbesitz in dem mittelägyptischen Gebiet zwischen Minie und dem Fajüm hatten, die oberägyptischen Tempel bis Hermonthis hinauf dagegen reichlich 0 )! Im eigentlichen Oberägypten werden also die Besitzverhältnisse noch viel einseitiger gewesen sein. Dagegen hatte zur gleichen Zeit sogar der Chnumtempel von Elephantine, also im äußersten Süden Ägyptens, Besitz im Delta 7 ). In dieser Hinsicht wirkt das Delta noch immer als Kolonialboden. Erst zu Beginn der Sai'tenzeit, im 7. Jh. v. Chr., änderte sich dieses Bild zugunsten der angesehensten Tempel des aufblühenden Unterlandes. A. Erman hatte unter dem Eindruck der riesigen Zahlen im Papyrus Harris angenommen, daß darin der Gesamtbesitz der Tempel aus der Zeit Ramses' III. (um 1160 v. Chr.) verzeichnet sei 8 ). Schädel zeigte aber 9 ), daß es sich nur um Neustiftungen dieses Königs *) Kees. Kulturgeschichte S. 201 f. 6) Palermostein Urk. 1 240/249.
°) Pap. Wilbour ed. Gardiner (Zeit Ramses' V.). 7) Gardiner, JEA 27 S. 61 zu Pap. Turin 1887. u) Zur Erklärung des Pap. Harris Sb. Berl. Akad. 1903. ") Die Listen des großen Pap. Harris (Leipz. ägyptol. Stud. 6).
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handele. Das ergibt sich aus dem Fehlen der alten Vermögen der Amonstempel von Karnak und Luxor, auch berühmter Provinztempel, des Chnumtempels von Elephantine, des Horustempels von Edfu, des Hathortempels von Dendera, um nur einige bekannte Namen zu nennen. Dagegen enthält die thebanische Abteilung des Papyrus die Schenkungen und Zuwendungen an den Totentempel Ramses' III. (Medinet Habu), daneben für das von Ramses III. errichtete Stationsheiligtum am Vorhof des Tempels von Karnak. Ähnliche Neugründungen füllen die Listen bei Memphis, Heliopolis, Piramessu und den Provinztempeln. Für seine Neugründungen in Theben hat Ramses III. 2393 qkm Land mit einem Zubehör von 86486 Menschen aufgewendet, dem schließen sich die heliopolitanischen mit 441 qkm und 12364 Menschen, die memphitischen mit 28 qkm und 5686 Köpfen an. Unter der Annahme, daß das anbaufähige Kulturland damals nicht kleiner war als heute, würde das bedeuten, daß Ramses III. bis zu seinem Tode in einer Zeit, die schon von äußeren und inneren Krisen geschüttelt wurde, noch fast 10% des ägyptischen Kulturbodens seinen eigenen Stiftungen im Lande zuweisen konnte. Das kann unmöglich ohne Beeinträchtigung der älteren Stiftungen, vor allem für Totentempel seiner Vorgänger geschehen sein! SCHÄDEL formuliert das so 1 0 ): „Die rechtlichen Verhältnisse werden so gelegen haben, daß der Besitz eines Totentempels beim Tode seines Erbauers an die Krone zurückfiel, der dann die Sorge um die Aufrechterhaltung des Kultes oblag, verbunden mit dem Brauch, daß der Besitz dieser Bauten dem Amun durch Stiftung eines neuen Totentempels für den regierenden König erhalten und wohl in den meisten Fällen vergrößert wurde". Das göttliche Königtum betrachtete sich also in der Frage der königlichen Stiftungen als autonom und hatte nur auf die Wahrung der Heiligkeit für die Ewigkeit errichteter Satzungen Rücksicht zu nehmen. Ihr Schutz hing damit weitgehend vom Nachruhm des Stifters ab. Verfehmte Herrscher, wie Hatschepsut oder die Könige der Amarnazeit, ebenso halb vergessene Herrscher, erst recht die in Ungnade geendeten Beamten und Hofleute konnten auf keine Rücksicht rechnen, und ihre Pfründen verfielen. Anders stand es mit Kulten, die an Heiligkeit gewannen, wie z. B. dem in der Ramessidenzeit aufblühenden Amenophis' I. und seiner Mutter AhmesNofretere in der thebanischen Weststadt. Aber der junge Ramses II. macht uns - zum eigenen Ruhme natürlich - eine sehr offenherzige Schilderung, wie traurig es nach dem Tode seines Vaters Sethos mit dessen großen Stiftungen in Abydos aussah 11 )! Die Verzeichnisse des Papyrus Harris I erlauben also keinen Vergleich mit der Angabe bei Diodor (121.73), daß ein Drittel des Landes Eigentum der Tempel gewesen sei. Für den Gesamtbesitz eines Tempels bleiben uns ausschließlich die späten Besitzstandsverzeichnisse des Horustempels von Edfu, also eines Provinztempels in der landarmen oberen Thebais 1 2 ). Danach besaß dieser unter dem letzten ägyptischen König Nechharehbet (Nektanebos II.) in den vier Gauen der oberen Thebais 13209 Aruren = 36 Va qkm Land, wovon 5660 Aruren auf sogenanntes „Neuland" (in Insellage), 7548 Aruren auf bewässerte Böden, wesentlich „Hochland", entfallen. Die Masse des Besitzes lag im Gau von Edfu, der hohe Anteil der Inseln ist für das schon schmale ) a. a. O. S. 48. " ) S. u. S. 140. L-) W. Otto, Priester und Tempel I S. 263f. Die Listen bei Brugsch, Thesaurus S. 538 f.
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Niltal bezeichnend. Allerdings rechneten dazu auch die von Kanälen umchlossenen Grundstücke im Überschwemmungsgebiet. Ein ähnliches Bild gewinnen wir aus den Taxlisten im Papyrus Wilbour, der 10 Jahre nach dem Tode Ramses' III. niedergeschrieben ist, für die Besitzverhältnisse im Gebiet nördlich Hermopolis. Selbst der Besitz der örtlichen Haupttempel war in Parzellen von meist 5,10 oder 20 Aruren (zu 2756 qm) vergeben, solche von 40 Aruren (110 ha) sind schon sehr selten13). Dazwischen liegt noch Besitz der oberägyptischen Tempel, namentlich der Atnonsdomäne und des königlichen Totentempels eingesprengt. Selbst wenn man berücksichtigt, daß die klimatischen Verhältnisse im Niltal den Kleinbetrieb begünstigen, mußte eine zentrale Verwaltung oder einheitliche Beaufsichtigung eines so verzettelten Besitzes unmöglich, mindestens unwirtschaftlich werden. Wir sehen demgemäß ein ganzes Heer von Amtmännern, Rindervorstehern, Schreibern, ausgedienten Militärbeamten dabei tätig, zahlreiche „Stallobersten" (allein 193 Namen!), die mit Recht bei den Bauern wegen ihrer rigorosen Requisitionen gefürchtet waren 14 ) - und wieviele Nutznießer ohne Eignung mögen darunter gewesen sein! Beim sogenannten Chato-Land, das für die Krone bewirtschaftet wurde, lagen die Verhältnisse insofern etwas günstiger, als dort Betriebe von 10-20 Aruren, also zwischen 27 und 55 ha Einzelgröße, am häufigsten waren, aber auch Wirtschaften über 100 Aruren, einige sogar von 200-340 Aruren vorkamen 15 ). Allerdings befanden sich damals teilweise recht erhebliche Mengen solcher Parzellen in Bewirtschaftung für dieselben Personen. An der Spitze dieser stand Usimarenacht, ein Sohn des mächtigen Hohenpriesters des Amun Ramsesnacht, der Oberamtmann des Amun und gleichzeitig anscheinend oberster Veranlagungsbeamter war (!), an zweiter Stelle folgte ein „Standartenträger der Residenz" - beides Männer, auf die der damalige schwache Staat Rücksicht nehmen mußte, und das wird den Wirtschaftsertrag nicht gefördert haben. Der Befund für den Tempelbesitz verrät seine Entstehung aus vielseitigen Schenkungen, und zwar nicht nur von Seiten des Königs. Je mehr durch königliche Gnadenakte der Privatbesitz am Boden gewachsen war, umso stärker wirkte auch die Verpflichtung des königlichen Vorbildes, sich durch Schenkungen an Land, Vieh und Hörigen erkenntlich zu zeigen. Solche kamen sowohl den Göttertempeln wie königlichen Totentempeln zugute. Als Beispiel des NR seien genannt: Die Stiftung eiftes selbst vom König reich beschenkten Amtmannes Amenophis' III. in Memphis für die dortige wirtschaftlich dem benachbarten Ptahtempel angeschlossene Statuenkapelle seines Königs16), dann die Gründung einer Amonsdomäne aus dem Besitz eines Oberamtmanns am westlichen Strom, der königlicher Sekretär und Baumeister am Totentempel Ramses* III. gewesen war 17 ). Im letzteren Falle handelte es sich bezeichnender Weise um neuerschlossenes Land im Nordwestdelta, das vorher Sumpf („Birket") gewesen war. Die Schenkungs") ") ") ")
Gardiner, Pap. Wilbour Comment. S. 72. S. u. S. 36. a. a. O. S. 181. Petrie, Memphis V Taf. 79/80 mit Obersetzung von Gardiner, vgl. Kees, Kulturgeschichte S. 247. ") Gardiner, JEA 34 S. 19 f zu Annal, du Serv. 47 S. 15 f.
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Stelen mit dem herkömmlichen Bild des „Schenkens des Feldes" an eine Gottheit, häufen sich nicht zufällig in der Zeit des Gottesstaates, besonders in der 22.-23. Dynastie. Ihnen folgten auffallend große Stiftungen, und zwar erstmalig auf oberägyptischem Boden auch an Deltatempel, von Beamten und Befehlshabern der Saitenkönige, die in diesem Umfange wohl nicht ohne eine vorausgehende Enteignungswelle gegen die oberägyptische Führungsschicht denkbar scheinen18). So schenkte der königliche Oberamtmann und Schatzhausvorsteher Peftjaudineit unter Amasis (26. Dyn.) das Gut Kerkeusiris in Größe vonlOOO Aruren (275,6 ha) dem Osiristempel von Abydos 19 ), und im 4. Jahre des Apries (584 v. Chr.) überwies der General Neshor 1600 Aruren (etwa 440,96 ha) im Gebiet des 10. oberägyptischen Gaues (Antaiupolites) dem berühmten Tempel des Widders von Mendes 20 ). Solche Stiftungen erfolgten, das beweist das herkömmliche Stelenbild, im Namen des Königs, und wahrscheinlich haben die Könige, man denke an die Aufstellungen Ramses' HI. im Papyrus Harris, solche „freiwillige" Schenkungen ihrer Untertanen sich selbst zugerechnet! Letzten Endes stammten ja die Mittel dazu „aus Gunst des Königs". Wohl zogen die Tempel ihren Vorteil daraus, aber sie mußten dafür bewährte Staatsdiener und Soldaten in priesterliche Pfründen oder Verwaltungsstellen aufnehmen - dies Versorgungsprinzip hatte sich seit dem NR immer mehr eingebürgert. Was also direkt oder indirekt aus Königshand dem Tempelgut zufloß, wurde auf diese Weise wieder Staatsinteressen dienstbar gemacht. Offenbar stand bei allen diesen Umschichtungen nicht alles Land unter gleichem Recht, mindestens nach Gebrauchsrecht. Im AR fällt auf, daß Scharakiland, das künstliche Bewässerung verlangte und daher gesteigerte Arbeitsleistungen nötig machte, andererseits neubesiedeltes Land - sogenannte „Gründungen" oder „neue Dörfer" bei Schenkungen bevorzugt mit Privilegien ausgestattet wurde. Das sollte offenbar die innere Kolonisation fördern. Stiftungsgüter für den Totenkult Beamter tragen daher häufig als „Gründungen des N N " den Namen des Grabinhabers und liegen im Gebiet ihrer Amtstätigkeit, so schon bei dem Jägermeister Meten im Anfang der 4. Dynastie 21 ). Als Neugründungen oder Geschenke des Königs gehörten daher die Stiftungsgüter der Vornehmen des AR, soweit sie nicht landsässig waren, beispielsweise die des in der Residenz begrabenen Ptahhotep und seines Vaters Achtihotep, Vezirs unter Asosi, vorzugsweise in Deltagaue 22 ). Ihr Besitz zeigt dieselbe wirtschaftliche Schwäche der Zersplitterung, wie der ähnlich zusammengewachsene Tempelbesitz im NR. Eine besondere Klasse von Inwohnern der Pyramidenstädte des AR, die Land derselben als königliche Totenstiftung bewirtschafteten, leitet ihre Bezeichnung von einem Wort für „Garten, Terrasse, Hochland" her 28 ). Die königlichen Schutzdekrete waren gerade auf ihre Auffüllung durch „Aushebung" besonders bedacht. So sagt ein Dekret Phiops' I. für die beiden Pyramidenstädte des Snofru 24 ): „Meine Majestät hat befohlen, alle ) ") ") ") ") ") M) ie
Keei, Zur Innenpolitik der Saitendynastie. Gött. Nadir, phil.-hist. Kl. 1935. Louvre A 93. ÄZ 72 S. 40f (Stele in Kopenhagen). Urk. 1 4 : 1 2 „Meten-Siedlungen" in drei Deltagauen. Davies, Ptahhetep II S. 25/27 zu Taf. 4. 15. vgl. u. S. 103. hntjw-s meist mit „Pächter" übersetzt, was Junker, Giza VI S. 15f beanstandet. Ürk. I 212; dazu Kulturgeschichte S.43.
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Bewirtschaftet dieser beiden Pyramidenstädte vollzählig zu machen und auszuheben alle Kinder der Ansässigen, so daß sie unterstellt sind diesen beiden Pyramidenstädten." Auch hierbei handelte es sich in der Hauptmasse um Scharakiböden. Die Ausgehobenen, meist Besitzlose, erlangten bei Neugründungen vielfach eine bessere soziale Stellung. Der Gaufürst Henku aus dem Gau Schlangenberg gegenüber Assiüt veranschaulicht das Gebrauchsrecht für neugewonnenes Land mit den Worten 2 5 ): „Ich besiedelte Dörfer, die in diesem Gau wüst lagen, mit Vieh und Leuten anderer Gaue, und die in diesen Hörige gewesen waren, deren Stellung machte ich als Notabein (mit Grundbesitz)". Erstreckten sich solche Meliorationen in Oberägypten vorzugsweise auf Scharakiböden und „Hochland", so im Delta auf Überschwemmungsland und Sümpfe. Das normale „Ackerland" scheint von solchen Sondermaßnahmen ausgenommen; dort haben wir die Masse des Königslandes zu vermuten. Scheinbar wirkten Reste dieses Herkommens in der Abgrenzung zwischen Königsland und Tempelland noch in einer Zeit nach, als die Tempel längst über riesige Güter und Herden verfügten. So erfahren wir zufällig aus einem Streitfall um eine'Priesterpfründe in Teuzoi (el Hibe) zur Sai'tenzeit, daß ein Ackervorsteher als Vertreter des Fiskus Ackerland auf der Insel von Hibe, das die Priester des Amonstempels von Hibe bewirtschafteten, mit der Begründung einzog, daß ein Tempel nur Besitz im Bereich des „Feldes" haben dürfe, also außerhalb des normalen Überschwemmungsgebietes 20 ). Aus der gleichen Zeit (unter Amasis) haben wir die schon erwähnte Stiftung von 1000 Aruren als Neugründung mit „Feld"-Boden im thinitischen Gau für den Osiristempel von Abydos, bei der es sich hauptsächlich um Gemüse- und Weingärten handelte, also wieder um Scharakiböden. Allerdings wurden derartige Beschränkungen in der Praxis nicht immer eingehalten. So gut wie im AR den Bewirtschaftern in den königlichen Pyramidenstädten (hntjw-s) auch „Ackerland" zur Verfügung stand, besaßen Tempel solches, gleichviel unter welchem Rechtstitel. Demgemäß ließ sich am Ende der ägyptischen Feudalzeit der Gaufürst von el Kab als Kurator des dortigen Nechbettempels vom König an „Gottesacker" im Bereich von Agni (Ostufer nördlich el Kab) bestätigen: 200 Aruren „Niederland" und 1200 Aruren „Hochland" 27 ). Hier gehörte also bester Ackerboden zum Tempelgut. Auch Thutmosis III. spricht bei seinen großen Schenkungen für den Amonstempel in Ober- und Unterägypten von „Äckern", „Gärten" und „Hackfeldern", „um Ackersteuer zu ergeben und den gehörigen Ertrag zu bringen [für das tägliche Gottesopfer.. .]" 28 ). Es mag allerdings sein, daß es sich dabei nur um Überlassung der Nutznießung bzw. der auf dem Boden lastenden Naturalabgaben zugunsten des Tempels handelte. Urkunden der Ramessidenzeit und aus der folgenden Übergangszeit zeigen, daß man damals zwischen sogenanntem Chato-Land, das für den Fiskus bewirtschaftet wurde, und den „Äckern der Freien (\nmhj)" unterschied, vornehmlich bei Böden, die der Klasse des „Hochlandes" angehörten. Als „Chato-Land des Pharao" wird dabei wiederholt Land, das Tempel besaßen, genannt, das auf diese Weise der Krone dienstbar
") ") ") S8 )
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Urk. I 78 (Anfang der Herakleopolitenzeit). Griffith, Catal, demot. Ryl. Pap. III S. 101. Zum Begriff „Feld" s. o. S. 8. Tylor, Tomb of Sebeknakht. LD III 13b. Urk. IV 746 (Karnak).
gemacht wurde 29 ). Ob es sich dabei um Land handelte, das ursprünglich aus königlichen Stiftungen stammte und mit bestimmten Grunddienstbarkeiten belastet blieb, oder ob der König sich hier auf Grund seines Obereigentums aus besonderen Gründen Eingriffe in das Tempelgut erlaubt hatte, können wir vorläufig nicht sehen. Jedenfalls waren die Eigentumsverhältnisse zwischen Krongut und Tempelgut so flüssig, daß Konfiskationen in Notzeiten sicherlich vor Tempelbesitz nicht Halt machten. Dazu bedurfte es nicht erst eines Kambyses! Schon die Regierungsanweisung für den Herakleopoliten Merikare empfahl dem Thronfolger als bewährte Erfahrung, das Aufgebot zu beschenken und insbesondere das persönliche Gefolge mit Einkünften, Feldern und Herden zu belohnen. So forderte es das alte Herkommen und das Gebot der Klugheit. Kleinwirtschaften verdankten ihre Entstehung auch seit dem NR häufig der Belohnung von Veteranen mit Land und Hörigen, als Dank für dem König geleistete Dienste. So erhielt in elKab ein bekannter Veteran des Hyksosbefreiers Ahmose als Lohn für wiederholte Tapferkeit 2X5 Aruren Land 30 ), und auch das Landgut eines Mose, über das in der Ramessidenzeit ein langwieriger Prozeß unter den Anerben geführt wurde, stammte aus einer Belohnung seitens desselben Herrschers an einen Ahnherrn 31 ). Ein ähnliches Vergütungssystem kann man schon im AR für die in den Schutzdekreten vorkommenden „friedlichen Nubier" 32 ), nubischen Hilfsvölkern im Königsdienst, vermuten. Wirtschaftlich verschob sich besonders seit der Ramessidenzeit das Gewicht der königlichen Stiftungen von den Göttertempeln auf die königlichen Totentempel, namentlich das Ramesseum und Medinet Habu 33 ); im Grunde näherte man sich damit wieder dem Brauch der Pyramidenzeit. Aber nun wurde eine andere wirtschaftliche Frage brennend, die der Landarbeiter. Wir wissen aus Akten, daß im NR selbst die freien Pächter zur Wirtschaft mit Lohnarbeitern und Hörigen übergehen mußten34). Die großen Krondomänen und Tempelgüter halfen sich mit Kriegsgefangenen, die in geschlossenen Trupps darauf angesiedelt wurden, ja, aus der Zeit Ramses' III. ist sogar eine Siedlung Verurteilter bekannt 35 ). Woher solche Strafgefangenen kamen, läßt z. B. das Dekret Sethos' I. (Z. 73) für den Osiristempel von Abydos erkennen, das Diebstahl an Tempelvieh mit Abschneiden der Nase und Versetzung zur Strafarbeit auf dem Land des Tempels ahndet. Alles das zeigt, wie schwer der Arbeiterbedarf auf dem Land zu befriedigen war. Bei unzuverlässigen Hilfskräften und steigender Bedrückung durch Abgaben und Requisitionen namentlich in Kriegszeiten, lag ein Versagen der landwirtschaftlichen Kräfte nahe: tatsächlich hat es in der späten Ramessidenzeit zu stärksten Krisen geführt. Wenn ein Beamtenbrief aus der Zeit des Merenptah (19. Dyn.) meldet: „Die Ackersleute von dem Landgute des Pharao, welches meinem Herrn unterstellt ist, von denen sind drei -,e) Gardiner, Pap. Wilbour Comment. S. 167 f. Gardiner übersetzt 3bt-nmbj Und". 0Ü ) Urk. IV 6. 31 ) Gardiner, Inscription of Mes (Unters. 4, 3) S. 8. 3i ) Urk. I 211 (6. Dyn.). '• '•} 5. u. S. 155. M ) Kontrakte der 18. Dyn. Gardiner, ÄZ 43 S.27{. "') Pap. Amiens 5,3 = Gardiner, Ramessidc administration documcnts 7.
mit „tenanted
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Mann entlaufen vor dem Stallobersten Neferhotep, als er sie geprügelt hatte (vermutlich bei Requisitionen!). Nun sieh, die F e l d e r . . . liegen nun verlassen da, und es ist keiner da, um sie zu bestellen" 36 ), so beleuchtet das die Schädlichkeit des uneingeschränkten Requisitionssystems, gegen dessen Mißbrauch schon der Reichsverweser Haremheb einzuschreiten versuchte 37 ). Hier zeigen sich Verfallserscheinungen, die der Pächterflucht im spätrömischen Ägypten ähneln. Der Staat der Ramessidenzeit versuchte sich dagegen zu schützen, indem er die Landgüter an Unternehmer aus allen Ständen, Priester, ehemalige Militärbeamte, Soldaten, darunter Ausländer, oder Handwerker, die auf eigene Rechnung wirtschaften mußten, vergab. Gerade dieses System hat aber anscheinend restlos versagt, wahrscheinlich weil überwiegend Angehörige von Familien dabei berücksichtigt wurden, auf die das damalige schwache Königtum Rücksicht nehmen mußte, um ihnen gegenüber Verpflichtungen abzutragen. Trotz ausgeklügelter Steuersysteme und Erhebungen war das Ergebnis leere Speicher in der Hauptstadt Theben, Hungermärsche und Sitzstreiks der Arbeiter der Totenstadt. Sie begannen bereits unter Ramses III., jenem Herrscher, der nach seinen Stiftungen der größte Wohltäter der ägyptischen Götter gewesen sein wollte 33 ).
4. Bewirtschaftung.
Gartenbau
Uber Bestellungspläne sind wir erst aus den Papyris der hellenistischen Zeit eingehender unterrichtet 1 ). Von' den drei Hauptgetreidearten, der Gerste (jot), dem Emmer oder Spelz (böti) und dem Kulturweizen überwog der Anbau der sechszeiligen Gerste, die man sortenmäßig in oberägyptische und unterägyptische Gerste schied, im A R und MR. In den Kornabrechnungen des N R , z. B. dem Papyrus Wilbour aus der 20. Dynastie, nimmt bereits der Emmer oder Spelz (boti, griech. olvoa) die erste Stelle ein. Dies gilt bis in die Spätzeit, wo Herodot (II 36) berichtet, d a ß dieser die Hauptfrucht Ägyptens für das sogenannte KvW.fjoTir-Brot sei. Erst die hellenistische Wirtschaft scheint den Kulturweizen auf 6 5 - 9 9 % der Winterbestellung gesteigert zu haben, so d a ß dieser der Hauptexportartikel Ägyptens wurde und dieselbe Stellung einnahm wie heute die Baumwolle. Von diesen Getreidearten hat sich Emmerweizen (triticum dicoccum) und Gerste (hordeum vulgare vel hexastichum) bereits in den neolithischen Siedlungen am Nordrand des Fajüms nachweisen lassen 2 ). Neuerdings wird nach italienischen Untersuchungen in Oasen der Sahara der dort wachsende wilde Spelz (triticum spelta var. saharae) als Urform der ägyptischen Sorten angesehen 3 ). Inwieweit die alten Ägypter die verwandten Arten des Spelzes und Emmers unterschieden, ist noch ungeklärt. Daneben sind viele andere feldmäßig angebaute Körnerfrüchte, die uns Opferlisten oder Speichermodelle für Gräber nennen, bisher nicht identifiziert; z. B. ist es fraglich, M
) Bologna 1094, 2,7f. ") Beispiele u. S. 38. 46. 55. ") S. S. 31.156. J ) Schriebet, Landwirtschaft im hellenistisdien Ägypten S. 218 f. 2 ) Caton Thompson und Gardner, The Desert Fayum S. 46 f. s. o. S. 10. s ) R. Ciferri, I frumenti etiopici nelle oasi del Sahara. Quartaer 4 (1942) S. 187f. 36
Mann entlaufen vor dem Stallobersten Neferhotep, als er sie geprügelt hatte (vermutlich bei Requisitionen!). Nun sieh, die F e l d e r . . . liegen nun verlassen da, und es ist keiner da, um sie zu bestellen" 36 ), so beleuchtet das die Schädlichkeit des uneingeschränkten Requisitionssystems, gegen dessen Mißbrauch schon der Reichsverweser Haremheb einzuschreiten versuchte 37 ). Hier zeigen sich Verfallserscheinungen, die der Pächterflucht im spätrömischen Ägypten ähneln. Der Staat der Ramessidenzeit versuchte sich dagegen zu schützen, indem er die Landgüter an Unternehmer aus allen Ständen, Priester, ehemalige Militärbeamte, Soldaten, darunter Ausländer, oder Handwerker, die auf eigene Rechnung wirtschaften mußten, vergab. Gerade dieses System hat aber anscheinend restlos versagt, wahrscheinlich weil überwiegend Angehörige von Familien dabei berücksichtigt wurden, auf die das damalige schwache Königtum Rücksicht nehmen mußte, um ihnen gegenüber Verpflichtungen abzutragen. Trotz ausgeklügelter Steuersysteme und Erhebungen war das Ergebnis leere Speicher in der Hauptstadt Theben, Hungermärsche und Sitzstreiks der Arbeiter der Totenstadt. Sie begannen bereits unter Ramses III., jenem Herrscher, der nach seinen Stiftungen der größte Wohltäter der ägyptischen Götter gewesen sein wollte 33 ).
4. Bewirtschaftung.
Gartenbau
Uber Bestellungspläne sind wir erst aus den Papyris der hellenistischen Zeit eingehender unterrichtet 1 ). Von' den drei Hauptgetreidearten, der Gerste (jot), dem Emmer oder Spelz (böti) und dem Kulturweizen überwog der Anbau der sechszeiligen Gerste, die man sortenmäßig in oberägyptische und unterägyptische Gerste schied, im A R und MR. In den Kornabrechnungen des N R , z. B. dem Papyrus Wilbour aus der 20. Dynastie, nimmt bereits der Emmer oder Spelz (boti, griech. olvoa) die erste Stelle ein. Dies gilt bis in die Spätzeit, wo Herodot (II 36) berichtet, d a ß dieser die Hauptfrucht Ägyptens für das sogenannte KvW.fjoTir-Brot sei. Erst die hellenistische Wirtschaft scheint den Kulturweizen auf 6 5 - 9 9 % der Winterbestellung gesteigert zu haben, so d a ß dieser der Hauptexportartikel Ägyptens wurde und dieselbe Stellung einnahm wie heute die Baumwolle. Von diesen Getreidearten hat sich Emmerweizen (triticum dicoccum) und Gerste (hordeum vulgare vel hexastichum) bereits in den neolithischen Siedlungen am Nordrand des Fajüms nachweisen lassen 2 ). Neuerdings wird nach italienischen Untersuchungen in Oasen der Sahara der dort wachsende wilde Spelz (triticum spelta var. saharae) als Urform der ägyptischen Sorten angesehen 3 ). Inwieweit die alten Ägypter die verwandten Arten des Spelzes und Emmers unterschieden, ist noch ungeklärt. Daneben sind viele andere feldmäßig angebaute Körnerfrüchte, die uns Opferlisten oder Speichermodelle für Gräber nennen, bisher nicht identifiziert; z. B. ist es fraglich, M
) Bologna 1094, 2,7f. ") Beispiele u. S. 38. 46. 55. ") S. S. 31.156. J ) Schriebet, Landwirtschaft im hellenistisdien Ägypten S. 218 f. 2 ) Caton Thompson und Gardner, The Desert Fayum S. 46 f. s. o. S. 10. s ) R. Ciferri, I frumenti etiopici nelle oasi del Sahara. Quartaer 4 (1942) S. 187f. 36
ob in alter Zeit bereits Durra (sorghum vulgare), die Mohrhirse, die heute als Sommerund Herbstkultur beliebt ist, in nennenswertem Umfang angebaut wurde. Wirtschaftsakten des N R rechnen leider, da für Sachkenner bestimmt, zusehr mit uns unbekannten Voraussetzungen, so daß Schlüsse auf die Erträgnisse der einzelnen Kulturen erschwert werden. Die Listen des Papyrus Wilbour (um 1150 v. Chr.) scheinen in Mittelägypten beim Chato-Land des Pharao 5 Maß Korn pro Arure (2756 qm) Durchschnittsland der „Hochland"-Qualität zu veranschlagen, was sich bei einer beschränkten Anzahl hochwertiger Böden auf 10 Maß pro Arure steigert 4 ). Andere Landgruppen, die infolge komplizierter Besitzverhältnisse „anteilig" veranlagt wurden, meist kleine Parzellen von wenigen Aruren, werden noch niedriger mit l s /4 Sack(?) geschätzt. D a aber weder die Maßeinheit genau bekannt ist, noch die grundlegende Frage, ob Ernteschätzungen oder Steuertaxen aufgezeichnet sind, beantwortet werden kann, darf man nur mit größter Vorsicht darauf verweisen, daß die Standardschätzung von 5 Maß auf 1 Arure Land überraschend genau mit modernen Ert/Ägidurchschnitten für Weizen und Gerste ( 5 - 6 Artaben = 9 9 0 - 1 2 2 7 Liter auf 1 Feddan = 0,42 ha) übereinstimmt 5 ). Die Getreidepreise haben in Ägypten trotz der staatlich gelenkten Wirtschaft zeitweise stark geschwankt. Vor allem ist aus dem Ende der 20. Dynastie, also derselben Zeit, aus der der Papyrus Wilbour stammt, infolge Mißwirtschaft ein sprunghaftes Ansteigen der Getreidepreise auf dem Markt in Theben festgestellt 0 ). Das ist um so bemerkenswerter, als noch etwa 75 Jahre früher unter Merenptah Ägypten das Hettiterland bei einer Hungersnot mit Getreidelieferungen unterstützen konnte. D e r wirtschaftliche Zusammenbruch muß also im 12.Jh.v.Chr. sehr rasch eingesetzt haben, wobei die Regierung Ramses' III. den Wendepunkt bezeichnet. Nicht viel besser sind wir mit den Bodenpreisen daran. Die Zahlen stammen überwiegend aus Kaufkontrakten der 21. Dynastie oder später, also keineswegs wirtschaftlichen Blütezeiten 7 ). Die Preise bewegten sich zwischen 5 - 6 Kiten Silbers ( = 45,5 g bis 54,6 g) für 1 Arure (2756 qm) Acker an einem Kanal bei Memphis, abfallend über 1 Kite (9,1 g) im „Hochland" bei Abydos, '/* und 2/s Kite für die Arure „sauberer Bürgeracker" (nicht verunkrautetes Pachtland) bis zu Vs und Ve Kite für eine Arure „verunkrautete Brache" 8 ) im „Hochland" zur Zeit der 22. Dynastie. Auch wenn ein Mann zur Zeit Amenophis' I V . in Mittelägypten von einem Hirten eine Kuh im angenommenen Wert von Va Deben (Silbers) gegen 3 Aruren Acker eintauscht 9 ), bestehen Bedenken gegen die Verwertbarkeit zur Emittlung des Bodenpreises, da die Begleitumstände des Tausches unbekannt sind. Jedenfalls erscheinen alle Angaben im Vergleich mit heutigen Verhältnissen, wo in Ägypten allerdings ') Gardiner, Pap. Wilbour Comment. S. 29. 178f. 199f. Gardiner a. a. O. S. 71 Weizen: Unterägypten Durchschnitt 5 Artaben auf 1 Feddan mit einem Maximum von 8 Artaben auf ehemaligen Bassinböden. Für Gerste beträgt nadi dem amtlichen Almanach (1937) der Durchschnitt der mittelägyptischen Provinzen 6, 2 Artaben pro Feddan = 1227, 6 Liter auf 0,42 ha. ") Cerny, Archiv Orientilni 6 (1933) S. 173 f. 7) Munier in Ree. Champollion (1922) S. 361 f. (21.Dyn.). Blackman, JEA 27 Taf. 10/12 Z. 12 (22. Dyn.). ÄZ 35 S. 13/16 (22. Dyn.) vgl. Malinine-Pirenne, Documents juridiques II. série (Arch. d'Hist. du Droit or. V 1950) S. 18. 24 f. 8) 3i>t st3 tnj „fields with scrub and tired land" (Gardiner, Pap. Wilbour. Comment. S. 29). ") Pap. Berlin 9784 Z. 16/17 (aus Kahun) Gardiner, ÄZ 43 S. 31. 5)
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in der guten Zeit um 1927 ein Feddan (0,42 ha) guten Bodens in Oberägypten etwa 300/' wert war und 12-15 £ Pacht einbrachte (4-6°/odesWertes!) äußerst niedrig. Man gewinnt den Eindruck, als ob in den Niedergangszeiten seit der 21. Dynastie die Nachfrage nach Pachtland recht gering war, und die Sorge einen Bewirtschaftet zu finden, größer als der notorische Landhunger der bäuerlichen Bevölkerung. Neben den Körnerfrüchten spielte die Kultur von Ölfrüchten, die Ägypten für die Speisen, für Salben und Medikamente, Schönheitsmittel und die Lampen in großen Mengen benötigte - ö l gehörte zu den üblichen Lieferungen an die staatlichen Arbeiter - , eine Rolle 10 ). Zu dem Rizinus, der das gewöhnlichste Öl (kiki) abgab, tritt mindestens seit NR die Sesampflanze, deren ö l im hellenistischen Ölmonopol am höchsten bewertet wurde, und der Saflor, der roten Farbstoff und das bekannte nvfjxoz-Ö 1 lieferte. Die Ernte des Flachses - im alten Ägypten wie heute wesentlich Winterfrucht - wird in Reliefs des AR gern dargestellt11). E r bildete die Grundlage für die berühmte ägyptische Leweweberei und trug auch zur Ölversorgung bei. In Darstellungen von Gärten erkennen wir Salate - im ägyptischen Kult ein bekanntes Aphrodisiacum des Fruchtbarkeitsgottes Min. Man baute ihn in den typischen Beeten in Form kleinster Bassins, die man aus Tonkrügen mühsam bewässern mußte 12 ), solange man keine Schöpfanlagen nach Art des Schadüfs oder der Säkije (Schöpfrad) kannte. Schadüfs treten in Gartenbildern des NR auf, die ungleich leistungsfähigere Säkije (Abb. 2) ist erst im hellenistischen Ägypten gesichert. Wie heute spielte unter den Gemüsen Zwiebel und Lauch eine Rolle als Volksnahrungsmittel. Den Lauch nannte man „verehrlich" = heilig, und beim Sokarfest (genauer am Vorabend, dem 25. Choiak, der im Festkalender „Tag der Göttlichkeit" heißt) knüpfte man Zwiebelgebinde zur Prozession um den Hals 13 ). Ein anderes heilsames Kraut, der Dill (Amiset), ist sogar unter die vier Kanopengottheiten, die Magen und Eingeweide des Toten bargen, um vor Hunger und Not zu bewahren, aufgerückt, verkörperte also bestimmte Lebenskräfte des Menschen in göttlicher Gestalt. Daneben ist mit den auch in der hellenistischen Wirtschaft und heute beliebten Hülsenfrüchte, also Bohnen (arab. Fül, ein blühendes Bohnenfeld im Fajüm, Abb. 16), Linsen, ebenso Kürbis und Melonenarten (Cucumis Melo, Citrullus vulgaris) zu rechnen. Auch die Gartenerzeugnisse waren wie aller Besitz von Erpressungen und willkürlichen Requisitionen bedroht, so daß sich die Erlasse des Militärdiktators Haremheb (etwa 1345 v. Chr.) sehr eingehend z. B. mit Beschlagnahme von Saflor-Öl, an dem die „Diener des Schlafkabinetts des Pharao" maßgeblich beteiligt scheinen, und sogar mit Beschlagnahme von Gemüsen für die Küchen bei Kleinbürgern und Pächtern befassen mußten11). Die frühe ägyptische Keramik, namentlich des Amratian, wählte Formen und Schnitte des Flaschenkürbis weitgehend als Vorbilder ihrer Gefäßformen. Aber später interessierten sich die ägyptischen Künstler für diese alltäglichen Arbeiten weniger. Was sie ,0)
Keimer,
Die Gartenpflanzen im alten Ägypten I (1924).
") L.Klebs, Die Reliefs AR S. 53 f. Griffith, El Bersheh II Taf. 8/9 ist die Leinerntc in
Mittelägypten auf den 23. Choiak (des Wandeljahres) datiert, das entsprach um 1940 v. Chr. etwa dem 26. März (greg.). ") Wreszinski, Atlas I I I T a f . 59 (6. Dyn.) vgl. Beni Hasan I T a f . 29 (12.Dvr,.). '•'') Kalender im Neferhotepgrab Mem. inst. fr. or. 5, 3 - 4 T a f . 3 Z. 4 0 f ; vgl. die Darstellung Oiiental Inst. Chicago C'ommun. 18 S. 81 fig. 35. : 1 ) Haremhebdekrete Karnak Z. 22 f. 32 f.
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reizte und was ihnen wertvoll für den Grabinhaber erschien, waren beim Garten die Bäume, vor allem die fruchttragenden, und der Weinbau. Die Achtung der Bäume ist allgemein. In dem stets baumarmen Lande bedeuteten einzelne alte Bäume Schatten und Schutz. Man vermutete in ihnen den Sitz eines Numens. Gaulisten der späten Tempel schreiben jedem Gau einen oder mehrere heilige Bäume zu 15 ) - meist sind es Sykomoren, wie sie noch heute oft am Wüstenrand vorkommen, Akazien oder Fruchtbäume, darunter der Ischedbaum, Christusdornbaum (Zizyphus spina Christi, ägypt. nbs) und die Dattelpalme. Sie sollten gerade bei den Nekropolen stehen, so daß dasBaumnumen, das meist in Gestalt der Himmelsgöttin erscheint, den armen Toten kühlenden Trank spenden konnte. Oft überschatteten solche Bäume Brunnen (Abb. 17), und wo man heute in der ägyptischen Feldmark eine Akaziengruppe sieht, befindet sich in ihrem Schatten meist eine Säkije, das von Tieren getriebene Wasserschöpfrad. Mit bewundernswerter Mühe hat der alte Ägypter versucht, in der Nähe des Grabes, etwa am Fuß des Aufweges, einen Garten mit Wasserbecken anzulegen, damit die Seele des Toten dort trinken könne16). Zum Totentempel des Menthuhotep und dem der Hatschcpsut im heißen Felskessel von Der el Bahri leiteten Baumalleen, für die man tiefausgeschachtete Pflanzlöcher mit Erde füllte 17 ), Papyrusbeete und gärtnerische Anlagen, die mit Statuenschmuck belebt waren. Aus den Gsabinschriften des Gaufürsten Hapdjefa von Assiüt (12. Dyn.) erfahren wir ebenfalls, daß sich unterhalb seines Felsgrabes ein Garten befand und darin eine Statue des Toten aufgestellt war. Auch Gottheiten suchen gern den Schutz von Bäumen auf 18 ), z. B. wird merkwürdigerweise das Suchoskrokodil oft unter Bäumen dargestellt, als liebe es Haine statt der sonnigen Sandbänke im Nil 19 )! Am Himmelsrand sollten Bäume stehen, unter denen die himmlischen Götter sitzen, wie die Hirten am Feldrand. Am Urbeginn der Welt spaltete sich bei Erscheinen des Sonnengottes der heilige Ischedbaum in Heliopolis (Tb. Kap. 17), und am Ostrand der Welt, wo der Sonnenglaube das Binsengefilde der Seligen suchte, stehen „jene beiden Sykomoren aus Türkis, zwischen denen Re hervorgeht, die aufgegangen sind aus der Aussaat des Schu, an jenem östlichen Tor, aus dem Re hervorgeht (Tb. Kap. 109)". Lokalgötter mit Namen wie „der unter seinem Ölbaum" in Memphis, wo auch die Hathor als „Herrin der südlichen Sykomore" hohes Ansehen genoß, sind nicht selten; bei Heliopolis zeigte man den schon genannten Ischedbaum als Lebensbaum, auf dessen Blätter die Gottheit Namen und Jahre der Könige als Annalen einzeichnete. Eine besonders feine seit dem NR bekannte Sitte ließ „Lebenssträuße", meist als Stabbuketts gebunden, als Glückwunschzeichen darreichen, verbunden mit dem Segen des Gottes, aus dessen Bereich sie stammten. Man brachte sie dem aus dem Felde siegreich zurückkehrenden König20), auch noch ptolemäischen Herrschern, am Krönungstag und anderen hohen Festen durch Priesterhand. Auch hohe Beamte wurden so geehrt. Besonderen Ruf hatten die aus dem Amonstempel von Kamak, aber auch 3ie aus dem ,;l)
Brugsch, Dict. géographique S. 1358 f. (Edfu). Kees, Götterglaube Taf. 3, a. , 7 ) Vgl. u. S. 60. ,H) Zu den Gartenkapellcn in Arnarna s. u. S. 170. ") Z. B. Kees, Kulturgeschichte Abb. 40. S. u. S. 105. l6)
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Totentempel der Ahmes-Nofretere in der Weststadt, oder ein „Lebensstrauß der Herren des Ischedbaumes" in Heliopolis, der aus Zweigen des heiligen Annalenbaumes gebunden war und vom Hohenpriester an besonderen Festtagen, z. B. am letzten Tag des Monats Mechir, am Tempeleingang dargereicht wurde 21 ). Abgesandte sämtlicher Landestempel mit solchcn Lebenssträußen begleiteten sogar König Psametich II. auf seinem Feldzug nach Syrien22). Bis auf die Dattelpalmenwälder, die sich heute um die ägyptischen Dörfer legen (Abb. 34), am ausgedehntesten in der Gegend von Memphis, ist der Baumbestand Ägyptens wesentlich Gartenkultur. Auch die Dattelpalme ist aber Nutzpflanze und erhöht den Wert eines Grundstücks erheblich. Das nutzte der Staat aus und belegte Bewässerungsanlagen und Fruchtbäume schon im AR mit Sondersteuer, genau wie heute die Dattelpalmen der Dorffluren und in*den Oasen. Ein Schutzdekret der 6. Dynastie für Pyramidenstädte verfügte daher 23 ): „Meine Majestät hat befohlen, nicht zu veranlagen Kanäle, Teiche, Brunnen, Schläuche (d. h. Schöpf an lagen?), Sykomoren in diesen beiden Pyramidenstädten (des Snofru)". Von den Brunnenanlagen hing ebenso wie von den Kanälen Nutzung und Ausdehnung des Gartenlandes ab. Wir erfahren daher gelegentlich eines Rechtsstreites unter der 22. Dynastie aus der Oase Dachle, daß dort rechtliche Unterschiede zwischen „Wasser des Pharao", also Kronrechten, und „Bürgerwasser" gemacht wurden 24 ). Ein Nutzgarten, den unter der 18. Dynastie der Oberbaumeister Enene auf dem thebanischen Westufer anlegte25), enthielt hauptsächlich Dattelpalmen, daneben die heute erst von der Thebai's an südwärts anzutreffende Dumpalme und Sykomoren, außerdem Perseabäume (Mimusops Schimperi, arab. Lebach), „Süßfruchtbäume" (Balanites aegyptiaca?), Tamarisken, Christusdornbäume, Granatäpfel, Weiden und einige nicht identifizierte Arten, dazu Feigen und Weinstöcke. Für die Verwaltung der Erträgnisse aus den Baumgärten bestand im AR ein besonderes „Ischedhaus". aus dem beispielsweise Zuweisungen an die Totenopfer erfolgten26). Als Erntebild der Baumfrüchte wird in Grabdarstellungen gelegentlich die Feigenernte, nicht aber die Dattelernte gewählt! Es mag überraschen, daß die für die Mittelmeerländer so typische Olive fehlt. Obwohl ihr Anbau im NR z. B. von Ramses III. in den Gärten wiederholt versucht worden war, meldet noch Strabon (XVII809), daß die Olive nur im arsinoitischen Gau (Fajüm) und in den Gärten von Alexandreia anzutreffen sei. Offenbar eignete sie sich am besten für die libysche Küstenzone, und daher mag die alte Berühmtheit des „libyschen Oles" in den Opferlisten herrühren. Olivenöl hat man aber seit alters reichlich aus Palästina importiert. Als Ölbaum erscheint stattdessen in Ägypten ein anderer Baum, in dem die Botaniker Moringa aptera vermuteten 27 ). -M) lirit. Mus. Stele Nr. 155 (Egypt. Stelae VIII 39). --) Demot. Pap. Ryl. IX. S!l ) Urk. I 212. -4) Gardiner, JEA 19 S. 19 f.' Urk. IV 73; Abbildung Wreszinski, Atlas I Taf. 60 a. -'") Urk. I 175/178. " ) Äg. b3k; zur Bestimmung Keimer, Gartenpflanzen im alten Ägypten I S. 30.
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Weingärten. In den Obstgärten wurde der Weinstock besonders gepflegt; ganz anders als heute, wo ihn der Islam auf Gegenden mit griechischer oder koptischer Bevölkerung beschränkt hat. Die hieroglyphischen Schriftbilder für „Fruchtgarten" und „Gärtner" zeigen, daß man Anlage und Pflege der Weinlauben als ihre wesentlichste Aufgabe ansah. Weinbau ist eine Kultur für Randgebiete. Seine bekanntesten Pflegestätten waren die dem thinitischen Gau benachbarten libyschen Oasen Charge und Dachle, andererseits küstennahe Gegenden z.B. umPelusion undTanis im Nordostdelta 28 ), und die heutige Mareotis im äußersten Nordwesten, wo nach antiker Meinung der beste Wein Ägyptens gedeihen sollte 2 '). Übrigens war bereits in den Palastkellereien Amenophis' III. in Theben und dann in Amarna Wein aus Gütern „am westlichen Strom", dem kanobischen Nilarm, sehr geschätzt 30 ). Opferlisten von Wein, der als Festgetränk gegenüber dem vulgären Gerstenbier im Kult eine große Rolle spielte, nennen in der 19. Dynastie als erlesene Sorten: „Unterägyptischen Wein", „Wein von Imt" (13 km südöstlich Tanis), „Wein von Hamet" (in der Mareotis?), „Wein von Pelusion", „Wein (vom Gut) Stern des Horus an der Spitze des Himmels", eine Sorte, die nach alten Siegeln auf Verschlüssen von Weinkrügen aus einem Staatsgut des Djoser (vielleicht in Charge?) herkam, und „Wein aus Asien" 3 1 ). Anfangs war der Weinbau vielleicht auf königliche Güter beschränkt, die auch die Königsgräber beliefern mußten; wir kennen daher aus den Siegeln der Weinkrüge manches Staatsgut der Thinitenzeit nebst Obergärtner oder Verwalter. Der kultivierte Ägypter pflegte seine Weine sehr sorgfältig. Die Krugverschlüsse des NR, z. B. aus den großen Kellereien beim thebanischen Ramesseum oder aus der Königsstadt Amarna, enthalten nicht nur Lage-, sondern oft Jahresbezeichnungen und den Namen des Obergärtners! E s ist daher kein Wunder, daß die Weinkultur als das erlesenste im Garten, besonders in den Gräbern des N R häufig und ausführlich dargestellt wird. Dabei handelt es sich stets um gemischte Obstgärten der Art, wie es Enene beschreibt. Dasselbe können wir den Schilderungen von dem berühmtesten Weingarten des N R auf dem Staatsgut Ramses' II., „Erhalter Ägyptens" (Kaenkemet), der in der Nähe der Deltaresidenz Piramessu gelegen haben muß, entnehmen 32 ). Als Stiftungen Ramses'III. für die Tempel werden 514 Wein- und Obstgärten aufgeführt 33 ). „Ich machte dir Weingärten in der südlichen Oase(Charge/Dachle) und desgleichen in der nördlichen Oase (Bahrije) ohne Zahl, zahllose andere in Oberägypten, ich vervielfältigte sie in Unterägypten zu Hunderttausenden (!), ich versah sie mit Gärtnern aus fremdländischen Gefangenen", so rühmte sich dieser König vor Amun. Die Naturliebe des Ägypters zeigt sich auch in seinem Verhältnis zu den Blumen und Schmuckpflanzen. Mehr als anderswo treten darunter Pflanzen des Wassers und der Sümpfe hervor. D e r Papyrussumpf und das „Feld" am Rande des Kulturbodens nimmt im Gemütsleben der Ägypter etwa die Stelle ein, wie bei uns der Wald. Dort 2H)
S. u. S. 108 f. Kees, Art Marea, Mareotis in Pauly-Wissowa RE. !0) Hayes, Journ. Near Eastern Studies 10 (1951) Nr. 10/11. 20. 46/7. 57 u. a. City of Akhenaton I Taf. 63/64; III Taf. 81/82. 85/90. 31) Kees, Kulturgeschichte Abb. 49 (Abydostempel Sethos' I.). S. u.S. 112. Pap. Harris I 67, 15 und 7, 10 (thebanischer Teil).
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lag seine Freude, die Jagd auf Fisch und Vogel, das „Vergnügen" schlechthin, dessen Stimmung er in seinen Hausgarten überträgt. Pflanzen bildeten die Wappenbilder der beiden Landeshälften, der „grüne" Papyrus für Unterägypten, für Oberägypten ein Gewächs, das man als Lilie, als ein Nachtschattengewächs oder als Binsenart angesprochen hat. Göttliche Kräfte stecken also in den Pflanzen. Eine feinsinnige Mythe erzählte, daß der Urgott bei Entstehung der Welt als eine Lotosblume., die ja ihre Blüten bei Tage öffnet und über die Wasserfläche hebt, aus dem Urgewässer aufgetaucht sei. Die Memphiten grüßten diesen Urgott mit den Worten 3 4 ): „Großer, der du bist, der aus der Erde hervorging, der sich aus der Urflut löste und aus der Nut (Himmel) hervorging, große Macht, dem Geb (Erde) geboren . . . erwachsen aus dem Leib jenes heiligen Feldes, das der Leib des Ostlandes i s t . . . " ; sie nannten ihn den „völlig Schönen (Nefertem)" und machten ihn zum Sohn ihres Götterkönigs Ptah. Als die Mythe sich mehr in menschliche Bilder kleidete, erklärte man, daß der Urgott, der der jugendliche Sonnengott sei, auf der Blüte sitzend aus dem Urgewässer aufgetaucht sei - eine Variante zum Motiv des Urhügels, der aus der Flut sich hob, oder vom Nest im Sumpf, wo der Urgott aus einem E i schlüpfte. D e r Kult des Nefertem kam in Memphis vielleicht deshalb zu so hohem Ansehen, weil er als Lotos zugleich Herr des Wohlgeruchs und der Krönungssalbe war. D i e Ägypter verstanden seit alters durch Auspressen von Blüten Parfüms zu gewinnen. Aus der Spätzeit ist bezeugt, daß „Lilienöl" zur zeremoniellen Salbung bei Amtseinsetzungen vor dem König benutzt wurde 3 5 ), wobei zu berücksichtigen ist, daß es der Ägypter sowohl auf botanischem wie auf zoologischem Gebiet nicht sehr genau nimmt, so daß für Lotos und die weiße Lilie dasselbe Wort (griech. oovaov) gebraucht wird. Die Verarbeitung geschah ähnlich wie bei der Weinkelter mittels der Sackpresse, deren Gott Schesmu bereits den Pyramidentexten wohlbekannt ist. In den Mythen betätigte er sich freilich weniger in seiner nützlichen Rolle als „Herr der Salbenküche", denn als blutgieriger Folterknecht im Jenseits, in dessen Hände zu fallen verhängnisvoll ist! Zu jeder ägyptischen Feier gehörten Blumen. D e r freundlichen Hathor, der die Damen vom Hof des A R als Priester dienten, rupfte man Papyrusblüten im Sumpf, und nach Vorbild der Hathor trugen die ägyptischen Göttinnen als Szepter Papyrusstengel, gerade auch die befriedete Löwin Sachmet und ihre Artgenossinnen I Man kränzte die Weinkrüge beim Fest, auch die Mumie beim Begräbnis als Zeichen des Fortlebens. Die Stützen der Festlauben umkleidete man mit Blumengebinden, und diese freundliche Sitte hat die ägyptische Kunst des A R zu einer ihrer eigenartigsten Schöpfungen angeregt, zur Pflanzensäule. In der klassischen Zeit steht dabei die Papyrusbündelsäule mit geschlossenem Blütenkapitell, die Papyrusblütensäule, ein Einstamm mit offenem Kapitell, und die Palmstammsäule voran (Abb. 35). Wir wissen aber aus den Djoserbauten in Sakkara, daß ihnen Versuchsbildungen mit anderen pflanzlichen Motiven, kannelierte und gerippte Bündelsäulen, vorausgingen. Vorbild war bei allen die Holz- und Rohrarchitektur alter mattenbespannter Festhütten. Aber es ist für ägyptische Wesensart bezeichnend, daß wir das botanische Vorbild, ob es eine Zyperusart •*) Kees, AZ 57 S. 92 f. = Religionsgesdiiditlidies Lesebuch H. 10 Ägypten S. 13. M ) Im demot. Pap. Ryl. I X vgl. Kees, Kulturgeschichte S. 52. ssn als Aufschrift eines ö l gefäßes aus Meroe (Zeit des Aspalta) Reisner, ÄZ 70 S. 37.
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war, ein Schachtelhalmgewächs oder Heracleum giganteum, nicht nennen können, genauso wie es Jahrhunderte später bei den impressionistischen Malereien auf Fußböden der Amarnazeit ging: Sip wirken überraschend naturnah, sind aber keineswegs naturgetreu 36 ). Papyrus und Lotos, letzterer in den Arten Nymphaea caerulea mit spitzen, Nymphaea lotus mit abgerundeten Blütenblättern, beherrschen auch die reiche Pflanzenornamentik der Ägypter. Neben der minoischen verstand sie am tiefsten aus der Natur zu schöpfen und hat die Ornamentik der Welt mit Motiven bereichert, die über die syrische, assyrische und persische Kunst zu den Ioniern und auf das griechische Festland gelangten. Aber wieder ist es so, daß die Vorbilder häufig verwendeter pflanzlicher Motive sehr ungewiß bleiben: Aus Vergleich mit ägyptischen Kränzen und Girlanden meint man in Rosetten und Gehängen die ägyptische Kornblume (Centaurea depressa), in anderen Granatapfelblüten zu erkennen, aber Form und Farbe ist dem Ägypter alles, Naturtreue nebensächlich. So geht es uns auch bei den Exoten. Schon die Pharaonen führten nämlich wie dann die Ptolemäer, vielerlei fremde Pflanzen und Blumen namentlich aus Asien ein. Thutmosis III. hat neben ausländischem Getier eine ganze Reihe solcher im Festtempel zu Karnak abbilden lassen. Aber diese angebliche Beute des Jahres 25 aus Syrien findet geringe Zufriedenheit bei den Botanikern 37 )! Der Garten war der Erholungsplatz des Ägypters. Dort konnte er im Kiosk am Teich den süßen Hauch des Nordwindes genießen - und das erhoffte er auch vom Jenseits. Der Garten ist der Schauplatz der Liebeslieder; das Gärtnermädchen, die zierliche Sklavin, die ihm den Weinkrug reicht, ist nach Rokokoärt ständiges Motiv der Poesie des N R : „Das Schönste ist, zum Felde zu gehen mit der Geliebten". Das war wohl weniger lasziv gemeint, als es uns klingen mag. Aber an die Hausherrin wagte sich selbst die Erotik des NR aus gesellschaftlichen Rücksichten nicht heran. So wählte man den Umweg: Der Liebende nimmt die unverbindliche Maske des Vogelfängers vor, das Mädchen entsprechend. Aber Bäume, Blumen, Musik und Liebe gehörten zusammen. Die „heiteren Lieder" sangen Tänzerinnen in der Festlaube zur Laute - Gesänge und Tanzspiele aus dem Hathorkult bildeten vielfach die Vorstufe. Hathor, die man als Himmelsgöttin „die Goldene" nannte, die Gemahlin des „goldenen" Horus, war die Schutzgöttin der Liebe geworden und hat ihre urtümlich wilden Züge ganz abgelegt. Daher der Dank an Hathor, die die Geliebte sandte, im Liebeslied 38 ). „Die kleine Sykomore, die sie mit eigener Hand gepflanzt hat" aber schickt die Gärtnerstochter zum Geliebten mit einem Brief, der ihn zum Stelldichein im Garten und zum Gelage lädt. „Komm und verbringe den Tag heute schön und morgen und übermorgen, drei Tage lang, und sitze in meinem Schatten!". „Ich aber bin verschwiegen und sage nicht, was ich sehe" 39 ). :;6
) S. u. S. 169. Urk. IV 775/777; Wreszinski, Atlas II Taf. 26/33. So Pap. ehester Beatty I Rs. col. 5f ed. Gardiner. ®9) Erman, Literatur der Ägypter S. 312/313 aus einem Turiner Pap.
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5. Haustiere Über die Anfänge der ägyptischen Viehzucht ist bereits im einleitenden Kapitel gesprochen worden, es bedarf hier noch einiger Worte über die Haustiere in der entwickelten ägyptischen Wirtschaft, denn das Herdenvieh ist alle Zeit der Stolz des ägyptischen Grundbesitzers gewesen. Das Rind steht dabei voran, und gerade da haben sich die Verhältnisse seit dem Altertum grundlegend geändert, denn heute sieht man im Lande meist den züchterisch minderwertigen Wasserbüffel - man glaubt vor einem Rückfall ins Afrikanisch-Primitive zu stehen. Schuld daran trägt die Mißwirtschaft der Türkenzeit, vor allem Seuchen, die alleVeredclungsversuchezunichtemachten. Auch das Altertum hatte sich mit solchen abgegeben: Aus der Zeit desPtolemaiosPhiladelphos berichten es die Papyri, für die altägyptische Zeit beweisen Darstellungen den Import von Rindern, im NR aus Asien, darunter Buckelrinder1), wie man sie heute am oberen Nil bei den Schilluks antrifft, anscheinend selbst aus Zypern und dem hettitischen Kleinasien. Dabei kann es sich nicht um die üblichen Tribute handeln, wie sie die Südvölker ebenfalls heranschafften, sondern um ausgesuchtes Zuchtvieh2). Schon das AR kannte eine langhornige Rasse, bei der man sich an das Watussirind der Massaisteppe in Ostafrika erinnert fühlt, eine kurzhornige und eine hornlose, die im NR zu verschwinden scheint. Übrigens wurde auch das altägyptische Hausschaf, mit seinen charakteristischen gedrehten Hörnern im Anblick den Ziegen ähnlich, schon im MR durch ein hochwertigeres Fettschwanzschaf (Amonswidder) ersetzt3). Um das wirtschaftliche Gewicht der Viehhaltung richtig zu würdigen, würden wir gerne Bestandszahlen sehen. Aber wo solche vorliegen, erheischen sie als Idealgrößen des Reichtums ebensolche Vorsicht, wie die Beutezahlen von Feldzügen, die die große Zahl als Symbol großen Erfolgs frei einsetzen. Wenn ein wohlhabender Totenpriester an der Chephrenpyramide sich des Besitzes von 1055 verschiedenen Rindern, 2235 Ziegen und 974 Schafen rühmt4), klingt das gegenüber anderen Angaben fast bescheiden, ist aber viel, wenn man etwa die Summe der libyschen Beute aus dem 11. Jahre Ramses'III., eine der wenigen glaubwürdigen Angaben dieser Art, mit 3609 Rindern, 184 Pferden, 864 Eseln, 9136 Ziegen und 23120 + 5800 Schafen danebenstellt5). Annehmbar klingt es, wenn zu Beginn der 18. Dynastie der Gaufürst Renni von elKab, also in einer Gegend mit knappem Kulturboden (Abb. 44), berichtet, daß er für die Rinderabgabe 122 Rinder, 100 Schafe, 1200 Ziegen, 1500 Schweine aufgebracht habe, was ihm bei der Meldung des Ertrags ein Lob des Königs eintrug8). Wahrscheinlich handelte es sich dabei um Abgaben vom Zuwachs. Leider kennen wir keinen Anlageschlüssel. Wir wissen nur, daß die terminmäßige Zählung des Besitzes, die in der Thinitenzeit als „Zählung des Goldes und des Feldes" bezeichnet wurde und in der Regel alle zwei *) Gefleckte Buckelrinder aus Syrien importiert Davies, JEA 33 Taf. 8 (Theben Grab Nr.162). Buckelrind mit Asiatenfigur als Kopfputz im Opferzug Kees, Ägypt. Kunst Abb. 42 (Luxor). 2 ) Milchkühe aus Kusch und Phönikien für den Amonstempel Urk. IV 743 (Thutmosis III.). 3) Kees, Kulturgeschichte S. 20. 4 ) LD II 9. 5) H. H. Nelson, Medinet Habu II Taf. 75. e ) Urk. IV 75.
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J a h r e stattfand, im A R „Zählung der Rinder und alles Kleinviehs" heißt. D i e Bedeutung des Viehbestandes scheint also mit der kulturellen Erschließung des Landes zu steigen, so d a ß die Viehsteuer, wohl eine Art Kopfsteuer wie die djtoygayr) xirjvüv der hellenistischen Zeit, der wichtigste Steuerposten wurde. D i e Aufbringung geschah in der Feudalzeit durch die Gaufürsten und ihre Amtmänner in Anwesenheit eines „Vorstehers der Herden des K ö n i g s " 7 ) . D e n n unter den Herden befand sich Besitz des Königs, der wohl auflagemäßig gehalten werden mußte, sowie Eigenbesitz. Im zentralgeleiteten Staat des N R machte dann der „Rindervorsteher des P h a r a o " die Rinderabgabe im ganzen Land. D a n e b e n hatten allerdings die einzelnen Besitzer, vor allem die Tempel, ihre eigenen Rindervorsteher. Gegen allzuhohe Zahlen der älteren Zeit sprechen auch die etwas persönlicher gehaltenen Inschriften der Herakleopolitenzeit. W a s wir da hören, klingt wesentlich bescheidener, selbst wenn man berücksichtigt, d a ß es Notzeiten waren und vielfach der Mittelstand zu W o r t e kommt. „Ich erwarb 2 8 E s e l " , erzählt ein Amtmann aus Oberägypten a ), dazu ein Schiff, 3 D i e n e r und 7 Dienerinnen aus Gunst seines Vaters. „Ich erwarb 3 K ö p f e (Hörige), 33 Stiere, 13 E s e l , 1 0 0 Ziegen", dazu 4 Boote und 5 Kähne, rühmt ein Priester aus D e n d e r a um 2 0 6 0 v. Chr. 9 ). E i n anderer Mann gibt 4 0 Diener, 5 4 Rinder, 36 E s e l , 2 6 0 Ziegen an, außerdem 3 B o o t e und 7 K ä h n e 1 0 ) . Wahrheitsgetreu wird gerade der Besitz an Eseln, dem Hauptarbeitstier, hervorgehoben. F ü r die Großgrundbesitzer des N R fehlen leider zahlenmäßige Angaben. D a ß begnadete Leute, wie der Oberbaumeister E n e n e unter Thutmosis I., der allerdings Speichervorsteher des Amun gewesen war, Rinderherden im D e l t a stehen" hatte, ist bekannt 1 ' ) . D a s entsprach altem Herkommen, das nicht einmal die Herrschaft der asiatischen Hyksos in Unterägypten zu beeinträchtigen wagte: „ D i e feinsten von ihren Feldern werden für uns bestellt, unsere Rinder sind im D e l t a . E m m e r wird für unsere Schweine geschickt, unsere Rinder werden nicht fortgenommen", so beruhigen die Ratgeber den thebanischen König K a m o s e über die Zustände 1 2 ). Ähnlich blieb es bis in die Ramessidenzeit. Noch Ramses I I I . rühmt sich, dem Amun von K a r n a k im D e l t a 5 Rinderherden, wohl aus Beutevieh aus den libyschen Kriegen, geschenkt zu haben, von denen eine am „großen Strom", am kanobischen Nilarm, eine am „Wasser des R e " , am bubastitischen Nilarm im Ostdelta, gehalten wurde. Dazu gehörten 3 2 6 4 K ö p f e Dienstpersonal, wohl ebenfalls wesentlich libysche Kriegsgefangene 1 3 ). Rindervorsteher des Amun zu sein, war deshalb ein sehr begehrtes und einflußreiches Amt. Viehpreise erfahren wir erst aus Akten der Ramessidenzeit. Danach galt ein Stier, je nach Güte, 3 0 - 1 2 0 D e b e n (zu 91 g) Kupfer, gegenüber 4 0 D e b e n für einen E s e l und nur 2 D e b e n für eine Ziege 1 4 ). 7) 8)
*) 10 )
") lä) ") ")
Newbcrry, El Bcrsheh I Taf. 18 (12. Dyn.). Annal. du Serv. 15 S. 207. Pctrie, Dendereh Taf. 11 (Nacht). Kairo J. 45600. Ein thebanisdier Gaufürst dieser Zeit spricht dagegen schon von Herden, die er erwarb! s. Kulturgeschichte S. 41. Urk. IV 72. Sog. Tablet Carnarvon s. Erman, Literatur der Ägypter S. 82. Pap. Harris I 10, 7 - 1 1 . Kees, Kulturgeschichte S. 24.
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Bei der Viehwirtschaft muß man auch den großen Bedarf der Tempel an Opfertieren, unter denen der Stier als auserlesenes Schlachtstück galt, bedenken. Schon im Stiftungsverzeichnis für das Sonnenheiligtum des Neuserre (5. Dyn.) kommen bei einzelnen Festtagen beispielsweise 10 Mastrinder, 1 (gewöhnliches) Rind, 1 Oryxantilope oder gar 2 Mastrinder, 100 Rinder, 2 Oryxantilopen, also eine wahrhafte Hekatombe, vor 15 ). Das waren Aufwendungen, die förmliche Volksfeste voraussetzten mit Speiserationen, die 100000 übersteigen. Aber wenn man später aus einer Urkunde Scheschonks I. erfährt, daß zur Aufbringung einer so bescheiden klingenden Stiftung von 1 Rind für das tägliche Opfer im Harsaphestempel von Herakleopolis der Hohepriester und Gaufürst 2 Monate = 60 Rinder jährlich, und alle Stände bis hinab zu den Hirten, Gärtnern, Steinmetzen je nach Leistungsfähigkeit kollektiv beitragen mußten 18 ), dann mag man ermessen was die angeführten Riesenstiftungen wirtschaftlich bedeuteten. Ramses III. hat als dauernden Besitz allein den thebanischen Tempeln 421362 Stück Rinder und Kleinvieh geschenkt, dazu als besondere Zuwendung, vielleicht für Zuchtzwecke, 297 Stiere; weitere 45544 Stück Vieh verschiedener Art an die heliopolitanischen, 10047 an die memphitischen, 13433 an sonstige Tempel 17 ). Allerdings dienten die Schlachtopfer letzten Endes zur Versorgung der Priester und der zahlreichen Festgäste; trotzdem belastete die Aufbringung die Landwirtschaft zugunsten gewisser privilegierter Schichten schwer. Hier sei noch an ein Nebenprodukt der Viehzucht gedacht, das ein gutes Beispiel gibt, wie weitgehend der ägyptische Staat Abgaben von jedem Rohstoff und allen handwerklichen Erzeugnissen forderte - und damit der Lehrmeister der Ptolemäer geworden ist - , das Leder. Offenbar waren von den anfallenden Häuten, ähnlich wie bei den Erträgnissen der Leineweberei, bestimmte Anteile abgabepflichtig; selbst der Gaufürst als Oberpriester hatte Ansprüche auf Einkünfte aus den anfallenden Häuten der Opfertiere 18 ). Deshalb erklärten bereits Schutzerlasse des AR eigene Stiftungen oder Besitz von Göttertempeln von der Häuteabgabe befreit 16 ). Wie diese Abgabe geregelt war, wissen wir nicht. Praktisch bedeutete sie im Orient, daß der jeweilige Bedarf maßgebend war, und ein starker Bedarfsträger war schon für die unentbehrlichen Ledersandalen das Heer und die staatlichen Arbeitstrupps. Wieder gewähren die Erlasse des Diktators Haremheb Einblick in die Praktiken im Lande 20 ). Da befanden sich zwei Truppenabteilungen, eine in Oberägypten, eine in Unterägypten, im Felde der Hirten, offenbar Erfassungskommandos, und diese beschlagnahmten im Lande unter Gewalt und Bedrohung, sie fälschten dabei sogar die eingebrannten Besitzstempel der Häute. Wenn dann die planmäßige Erfassung kam, für die der Rindervorsteher des Pharao bei der Rinderabgabe zuständig war, dann hieß es überall: „Sie (die Soldaten) haben es uns fortgenommen!". „Das ist ein übles Verfahren", rügt der Regent, darum soll, wer künftig dabei betroffen wird, 100 Hiebe und 5 blutige Wunden beziehen, überdies das 15 16
) a. a. O. S. 250 vgl. u. S. 85. ) Ree. de trav. 31 S. 33 f.
") Erman, Zur Erklärung des Pap. Harris S. 14.
) Sethe, Lesestücke MR S. 74 (München Glypt. Nr. 3). ) Urk. 1 286, 12. 289, 10. 2 0 ) Z. 25/28. 18
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Leder, das er requiriert hatte, als Diebesgut eingezogen werden. So hoffte man die staatliche Autorität, die von Emporkömmlingen aller Art, seit I'hutmosis IV. vor allem aus dem Soldatenstand, verwirtschaftet war, zu festigen. Wir bemerkten schon bei den Grundlagen, daß Oberägypten für das Kleinvieh, Schafe und Ziegen, ausreichende Weidegelegenheit auf Trockenböden am Wüstenrand bot ( A b b . 1 1 ) , für U n t c r a g y p t c n g a l t das b e s o n d e r s in den libyschen R a n d g e b i e t e n ,
der
Mareotis und westlich davon. Schon Denkmäler der Reichseinigungszeit geben riesige Viehbeuten aus diesen Gegenden an. Im allgemeinen ist die Ziege das Haustier des kleinen Mannes, und es ist ein Zeichen provinzieller Armseligkeit in der Herakleopolitenzeit, wenn ein thebanischer Gauschreiber als gute Tat bekannte 21 ): „Ich gab eine Ziege dem, der keine hatte". Trotzdem das nach dem Herrenstandpunkt ausgerichtete Ritual es leugnete, diente auch die Ziege, d.h. der Bock, als Opfertier des Bürgers--'). Wir können dies gelegentlichen Andeutungen in Texten entnehmen, z. B. der Aussage des Gaufürsten Hapdjefa von Assiüt (unter Sesostris I.), daß ihm von jeder Ziege, die im Tempel geopfert wurde, als Abgabe ein Korb Holzkohle zustände-3). Offiziell war dagegen der Ziegenbock als Abbild der Genossen des Horusfeindes Seth in der Opfersymbolik verfemt, wie das Schwein. Schweine wurden seit alters besonders im Delta gehalten, denn sie brauchten feuchte Böden. Dort aß man sie in der Vorzeit 24 ) und opferte sie wohl auch den Göttern. Als aber die Oberägypter das Land eroberten, empfanden die Sieger dies als Abscheu; ihnen galt das Schwein als unrein. Man begründete das Verbot mit einer Göttergeschichte, die noch deutlich den Zweck einer Abstellung volkstümlichen Brauchs durchscheinen läßt, daß nämlich Seth in Gestalt eines schwarzen Ebers das Auge des Horus geblendet habe. „Verabscheut das Schwein um des Horus willen!" gebot darum der Götterkönig Re. „Und so entstand das Verabscheuen des Schweines um des Horus willen . . . Aber als Horus ein Kind war, bestand sein Schlachtopfer (noch) aus Schweinen . . . " . Die Kenntnis dieser Mythe soll dazu dienen, zu wissen „weshalb Buto (die alte vorgeschichtliche Hauptstadt Unterägyptens) dem Horus gegeben worden ist" (Tb. Kap. 112). In geschichtlicher Zeit kommt daher im Festkalender ein Schweineopfer zusammen mit dem eines Ziegenböckchens (!) nur noch bei den vorbereitenden Feiern des altmemphitischen Sokarfestes (am 24. Choiak) vor, und Plutarch berichtet ähnlich, daß ausnahmsweise bei Vollmond ein Schwein geopfert wurde 35 ). Das Dogma erklärte das als Bestrafung für die Beschädigung des Himmelsauges am Götterfeind, aber es könnte sich um zeitgemäß umgedeutete Volksbräuche handeln. Der Schafhirt durfte sogar im thinitischen Festritual beim Sedfest des Königs als traditionelle Figur auftreten 26 ), der Schweinehirt dagegen war, wie Herodot bemerkte, von allem Heiligen ausgeschlossen. ) Urk. 1 1 5 1 . -'2) Junker, Miscell. Gregoriana (1941) S. 117. Kees, Bemerkungen zum Tieropfer der Ägypter und seiner Symbolik. Gött. Nadir, phil.-hist. Kl. 1942 S. 71 f. -3) Griffith, Siüt Gr. I Z. 292. - 1 ) Für Merimde s. o. S. 13. -5) H. Ii. Nelson, Medinet Habu I I I T a f . 158. Plutarch de Iside 8 vgl. Herod. II 47 (Opfer an Selene und Dionysos). Je) v. Bissing-Kees, Re-Heiligtum II Bl. 11, 27.
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In Wirklichkeit aber hätte man nicht auch in Oberägypten Schweineherden gehalten und sogar der Osiristempel in Abydos besaß nachweislich solche wenn man nicht Schweinefleisch aß! Das ist auch für die staatliche Arbeitersiedlung in der thebanischen Totenstadt für die Ramessidenzeit nach Funden anzunehmen27). Die Enthaltungsvorschriften galten also wesentlich für die Oberschicht, das Gottkönigtum voran, seine Beamten und die Priesterschaft. Ähnlich liegt der Fall bei den Nilfiscben. Wir haben alte Volkskulte, die solche heilig hielten, auch gerade im oberägyptischen Landteil: Die antiken Bezeichnungen Latonpolis (Esne) „Stadt des Latusfischcs", Lepidotonpolis (Meschech) im thinitischen Gau oder Oxyrhynchos in Mittelägypten zeugen davon; für das Delta die „Erste der Fische" als Gaugottheit von Mendes. Aber offiziell war der Fisch „Abscheu", trotzdem sich die Königskraft in der Reichseinigungszeit noch im starken Wels verkörpert sah 28 )! Das Wort für Abscheu wird schon im AR mit dem Wortzeichen des Fisches geschrieben. Wer Fisch gegessen hat, ist unrein und soll nicht in eine Grabkapelle eintreten. Aber die anfängliche Zwiespältigkeit wurde nie überwunden. Es gibt Mythen, die den Fisch heiligen und rechtfertigen. Der „Abydosfisch" erscheint als Helfer des Sonnengottes auf seiner Himmelsfahrt, sogar als Abbild des als Osiris verklärten Toten (denn Osiris ertrank ja) 29 ). Dem stand aber das Gebot des Horuskönigs entgegen. Beim großen Stadtfest in Edfu zertrampelte man Fische zu Ehren des Horns als Symbol seiner Feinde. Die Äthiopenkönige haben sich besonders streng an die orthodoxen Vorschriften gehalten. Daher lehnte Pianchi (um 730 v. Chr.) es ab, die unterworfenen Kleinkönige Ägyptens, die alle libyscher Abkunft waren, zu empfangen mit Ausnahme eines einzigen, „weil sie unbeschnitten waren und Fische aßen, das ist ein Abscheu des Königshauses"30). Ob aus diesem starren Dogmatismus die uralte Ablehnung der Nomadenstämme gegen die Sitten einer Fischer-und Bauernbevölkerung herausklingt? Historisch wäre das umso eigenartiger, weil die äthiopische Dynastie möglicher Weise selbst von südlibyschen Volksteilen abstammte. Geflügel. Ägypten ist das Land der Wasservögel. Um die Zeit des Vogelzuges bevölkern sich die Lagunen des Deltas, die Röhrichte im Fajüm, alle Kanäle, Teiche und überschwemmten Fluren mit Tausenden von Wasservögeln, Ibissen, Pelikanen, Kranichen, Kormoranen, Reihern aller Art, Flamingos, Enten und Gänsen, Vögel, von denen manche bekannte Hieroglyphenzeichen bilden. So schildern es vielfache Darstellungen, und dem Ägypter lag der Vergleich einer Menschenmenge „wie ein Vogelteich zur Zeit der Überschwemmung" nahe. Es ist bezeichnend, daß eine späte Stele vom Teil Faraün südöstlich Tanis, also aus der Umgebung des Menzalesees, beim Anruf von Grabbesuchern und Festgästen ausdrücklich die nennt, „die in der Überschwemmungszeit kommen, um den Vogelnestern nachzuspüren" sl ). Denn außerhalb dieser Zeit war das alte Ägypten, mit Ausnahme der Raubvögel und der geselligen weißen Kuhreiher (Abu Gurdani), die in Ägypten unsere Saatkrähe vertreten (Abb. 10), gewiß ein ebenso vogelarmes Land, wie es uns heute B E N G T B E R G schildert: Von 14 Arten ") Keimer, Bullet, inst, egypt. 19 (1936/37) S. 149. -,(1) Schäfer, Von ägypt. Kunst 3 S. 149 Abb. 112 vgl. Emery, Tomb of Hemaka Taf. 17/18. ) Kees, Götterglaube S. 65 f. 30 ) Urk. III 54. M ) Kairo J. 85932 Drioton, Bullet, inst. d'Egypte 25 (1942/43). 29
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Wildenten, die man im Herbst dort antrifft und die auch die am häufigsten dargestellten Vogelarten des alten Ägypten waren, nistet dort nur eine einzige! D i e Nester vieler Vogelarten, die dem Ägypter zum Bild der Papyrusdickichte gehören, z.B. in den Jahreszeitendarstellungen im Sonnenheiligtum des Neuserre und im Äufweg des Unastotentempels, entsprangen weitgehend der künstlerischen Phantasie 3 2 ). Der ägyptische Geflügelhof (Abb. 12) war mit einer Menge von Vögeln angefüllt, die man im Herbst und Winter im Röhricht mit dem Schlagnetz fing und zur Mast einsperrte. W i r sehen sie bei den Vorführungen der Landgüter vor den Besitzern aufmarschieren, auch wie sie als Opfergaben in die Tempel geschleppt werden: Gänse- und Entenarten voran, Nilgans (Graugans), Bläßgans, Spießente, Ibisse, Kraniche und Reiher, gelegentlich Wachteln aus den Feldern. Die gebratene Gans steht als Leckerbissen voran, aber im A R müssen auch genudelte Kraniche besonders geschätzt worden sein. In den Stiftungslisten für das Sonnenheiligtum des Neuserre steigen die Zahlen schon bis 1 0 0 0 Gänse für einen einzigen Festtag! Auch in den Opferlisten Ramses' III. in seinem Totentempel von Medinet Habu gehen die Beigaben an Geflügel aller A r t in die Tausende: Die Sonderzuschüsse dieses Herrschers sollen sich in 31 Jahren auf 4 2 6 3 9 5 Stüde Wasservögel, die meistens seinen Stiftungen für die thebanichen Tempel, aber auch denen in Heliopolis und anderen zugutekamen, belaufen haben, das macht durchschnittlich 9 3 5 0 (Theben) bzw. 1 2 0 0 Stück (Heliopolis) auf das Jahr. Allein die Opferspende für den Amun und das Königsbild in seinem Totentempel erforderte täglich 2 Nilgänse und 3 0 gewöhnliche Vögel 3 3 ), ungeachtet der besonderen Anforderungen an zahllosen Feiertagen. Alle diese Tiere verfielen der uns bei den harmlosen Vögeln so grotesk anmutenden Symbolik des Schlachtopfers 3 4 ): „Die Vögel aber, das sind die Seelen (Abbilder) der Feinde". Natürlich haben die Tempelpfründner sie trotzdem gern gegessen, „nachdem der Gott sich daran befriedigt hatte". U m solchen Anforderungen gerecht zu werden, unterhielten auch die Tempel Geflügelhöfe. Sethos I. schildert es anschaulich in der Stiftungsurkunde für seinen,Osiristcmpel in Abydos: „ E r lieferte ihm Wasservögel in seinen Fluren, ihre Zahl w a r wieder Sand des Ufers, so daß sein Haus anzusehen war wie die Fluren von Chembis (bei Buto) wegen des Geschnatters der Zug- und Brutvögel und aller A r t Wasservögel" 3 4 ). Die Anlage von Nisthäusern für Tempel wird mehrfach erwähnt 3 0 ). Auch ausländisches Geflügel brachte man als Beute oder Tribute mit, wie Thutmosis III. ausdrücklich angibt, „sie legen alle T a g e E i e r " 3 7 ) . D i e Versorgung des Hofes mit Geflügel unterstand im A R Männern wie dem durch sein schönes Grab bei Sakkara berühmten Ti, der sich „Vorsteher der Vogelteiche" und „Vorsteher der Sumpfgegenden" nennt. Als „Vorsteher des Schlachtviehs" und 3i) Schäfer im Text zu Wreszinski, Atlas III Taf. 106 vgl. Bengt Berg, Mit den Zugvögeln nach Afrika S. 64. ss) H. H. Nelson, Medinet Habu III Taf. 146 Liste 6. S. o. S. 6. • . Nauridekret Z. 18f. Griffith, JEA 13 S. 193f. 36 ) Urk. IV 745 (Karnak). Ricke, ÄZ 73 S. 124f. (Karnak). Louvre A. 90 (Elephantine). " ) Urk. IV 700, 14.
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„Vorsteher der Zuwendungen im Lebenshaus" war er Speisemeister der königlichen Tafel mit dem Ehrentitel „Palastleiter". Da die Vogeljagd mit dem Wurfholz Sport der Vornehmen war, bedeutete das einen Ehrenposten. In Wirklichkeit war der Vogelfang im Sumpf eine denkbar schmutzige Beschäftigung, die man berufsmäßigen Vogelstellern aus den niedersten Schichten überließ 38 ). Der naturliebende AmenophisIV. hatte sich in seinem Nordpalast in Amarna eine mit Wandmalereien reichgeschmückte Voliere mit Nestnischen und Wasserbecken angelegt 39 ). Auch die Mythe benutzte das Vogelparadies für Schöpfungsgeschichten: Im Papyrussumpf sollte der Urgott aus dem Ei eines Wasservogels geschlüpft sein. Und selbst in der aufgeklärtesten Periode Ägyptens im NR griff die Amonsreligion wieder zu dem volkstümlichen Bild des Amun in Gestalt einer Nilgansl Am heiligen See eines Tempels zu fischen oder Vögel zu fangen, war verpönt; für das Abaton, die Grabstätte des Osiris, wird dieses Verbot ausdrücklich wiederholt 40 ). Dementsprechend versichert Ramses IV. vor Osiris in Abydos 41 ): „Ich aß nicht, wessen ich mich enthalten muß, ich fischte nicht im heiligen See, ich jagte nicht mit dem Vogelnetz, ich schoß keine Löwen am Feste der Bastet." Zum Hausgeflügel zählt noch die Taube, deren Nutzen für die Felder wahrscheinlich im alten Ägypten ebenso überschätzt wurde, wie es das heutige Ägypten tut, wo man überall in den Dörfern turmartig a u f g e m a u e r t e T a u b e n h ä u s e r sieht ( A b b . 13). D e m e n t s p r e c h e n d d i e n t e d i e T a u b e nach
der Wildente, dem typischen Vertreter der Wasservögel, als beliebtes Motiv für Deckenornamente des NR. 6. Der Nil als Verkehrsweg Wie kaum ein anderes Land ist Ägypten auf die Wasserstraßen angewiesen, in alter wie in neuer Zeit. Zu Land, an beiden Seiten des Stromes, geht nur der lokale Verkehr zwischen den Dörfern, vom Ufer und zum Ufer. Eigentliche Landstraßen gibt es kaum, meist benutzt man die Deiche an den Kanälen als gegebene Verkehrswege für Mensch und Tier. Aber man reiste zu Schiff, und die Waren wandern stromauf und stromab. Das ist so selbstverständlich, daß im Ägyptischen alle Worte dieser Art mit dem Schiff determiniert wurden; Reisen ist „Stromauffahren" südwärts oder „Stromabfahren" nordwärts, selbst im Ausland. Da aber die Waren so leicht wandern konnten, die Töpfe ebensogut wie das Korn oder die Steine aus dem Bruch, ergab sich ein günstiger Kulturausgleich, den Länder mit natürlichen Binnengrenzen, man denke an Griechenland, nicht finden konnten. Genau wie der Zwang zu einer gemeinsamen Wasserbewirtschaftung das Landvolk zusammenführte, wirkte diese einzigartige Verkehrsstraße ausgleichend, b e i d e s m u ß t e nur richtig o r g a n i s i e r t w e r d e n ( A b b . 7).
Dazu bedurfte es keiner kostspieligen Vorkehrungen. Am Strom brauchte man keine Häfen, das verbot schon die wechselnde Wasserhöhe des Nils. Man landete, wie heute, am sandigen Uferdamm (Abb. 2), schlug den Landepflock ein und vertaute das Boot 38
) Kees, Kulturgeschidite S. 25 mit Abb. S. u. S. 170. w ) S . u . S. 188. 41 ) Religionsgescuichtl. Lesebuch H. 10 Ägypten S. 42 (Stele in Kairo).
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„Vorsteher der Zuwendungen im Lebenshaus" war er Speisemeister der königlichen Tafel mit dem Ehrentitel „Palastleiter". Da die Vogeljagd mit dem Wurfholz Sport der Vornehmen war, bedeutete das einen Ehrenposten. In Wirklichkeit war der Vogelfang im Sumpf eine denkbar schmutzige Beschäftigung, die man berufsmäßigen Vogelstellern aus den niedersten Schichten überließ 38 ). Der naturliebende AmenophisIV. hatte sich in seinem Nordpalast in Amarna eine mit Wandmalereien reichgeschmückte Voliere mit Nestnischen und Wasserbecken angelegt 39 ). Auch die Mythe benutzte das Vogelparadies für Schöpfungsgeschichten: Im Papyrussumpf sollte der Urgott aus dem Ei eines Wasservogels geschlüpft sein. Und selbst in der aufgeklärtesten Periode Ägyptens im NR griff die Amonsreligion wieder zu dem volkstümlichen Bild des Amun in Gestalt einer Nilgansl Am heiligen See eines Tempels zu fischen oder Vögel zu fangen, war verpönt; für das Abaton, die Grabstätte des Osiris, wird dieses Verbot ausdrücklich wiederholt 40 ). Dementsprechend versichert Ramses IV. vor Osiris in Abydos 41 ): „Ich aß nicht, wessen ich mich enthalten muß, ich fischte nicht im heiligen See, ich jagte nicht mit dem Vogelnetz, ich schoß keine Löwen am Feste der Bastet." Zum Hausgeflügel zählt noch die Taube, deren Nutzen für die Felder wahrscheinlich im alten Ägypten ebenso überschätzt wurde, wie es das heutige Ägypten tut, wo man überall in den Dörfern turmartig a u f g e m a u e r t e T a u b e n h ä u s e r sieht ( A b b . 13). D e m e n t s p r e c h e n d d i e n t e d i e T a u b e nach
der Wildente, dem typischen Vertreter der Wasservögel, als beliebtes Motiv für Deckenornamente des NR. 6. Der Nil als Verkehrsweg Wie kaum ein anderes Land ist Ägypten auf die Wasserstraßen angewiesen, in alter wie in neuer Zeit. Zu Land, an beiden Seiten des Stromes, geht nur der lokale Verkehr zwischen den Dörfern, vom Ufer und zum Ufer. Eigentliche Landstraßen gibt es kaum, meist benutzt man die Deiche an den Kanälen als gegebene Verkehrswege für Mensch und Tier. Aber man reiste zu Schiff, und die Waren wandern stromauf und stromab. Das ist so selbstverständlich, daß im Ägyptischen alle Worte dieser Art mit dem Schiff determiniert wurden; Reisen ist „Stromauffahren" südwärts oder „Stromabfahren" nordwärts, selbst im Ausland. Da aber die Waren so leicht wandern konnten, die Töpfe ebensogut wie das Korn oder die Steine aus dem Bruch, ergab sich ein günstiger Kulturausgleich, den Länder mit natürlichen Binnengrenzen, man denke an Griechenland, nicht finden konnten. Genau wie der Zwang zu einer gemeinsamen Wasserbewirtschaftung das Landvolk zusammenführte, wirkte diese einzigartige Verkehrsstraße ausgleichend, b e i d e s m u ß t e nur richtig o r g a n i s i e r t w e r d e n ( A b b . 7).
Dazu bedurfte es keiner kostspieligen Vorkehrungen. Am Strom brauchte man keine Häfen, das verbot schon die wechselnde Wasserhöhe des Nils. Man landete, wie heute, am sandigen Uferdamm (Abb. 2), schlug den Landepflock ein und vertaute das Boot 38
) Kees, Kulturgeschidite S. 25 mit Abb. S. u. S. 170. w ) S . u . S. 188. 41 ) Religionsgescuichtl. Lesebuch H. 10 Ägypten S. 42 (Stele in Kairo).
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vorn und hinten. Das „Empfangen des Vordertaus" war bei feierlichen Gelegenheiten, etwa bei Landung einer Götterbarke oder bei Ankunft des großen Schleppzuges mit den beiden Riesenobelisken der Hatschepsut für den Amonstempel in Karnak, eine zeremonielle Handlung, die dem König persönlich vorbehalten war 1 ). Denn auch die Schiffahrt stand in Ägypten wie alle wesentlichen Lebensgebiete unter Königsrecht, der Privatmann wurde nur durch Konzessionen daran beteiligt. Die Fähre. Das wirkte sich bis in die beschränkteste örtliche Sphäre, die allerdings lebensnotwendig wie keine andere war, aus, dem Fährdienst. Der Fährmann war für Mensch und Vieh eine wichtige Persönlichkeit. Seine Beschäftigung galt als einträglich, wenn auch der zu entrichtende Obolus wohl nur in wenigen Naturalien bestand. Aber ohne Fährmann wäre es selbst dem königlichen Toten im Jenseits übel ergangen; zahllose Sprüche sollten ihm daher die Überfahrt über die himmlischen Gewässer gewährleisten, falls der Fährmann des Binsengefildes oder des „gebogenen Kanals" versagte 2 ). Der unwillige Fährmann stellte offenbar eine landläufige Type dar - so oft behandeln ihn die Totensprüche seit den königlichen Pyramidentexten. Man muß ihn aus dem Schlaf wecken, dann gebraucht er Ausreden 3 ): Sein Schiff sei leck, er habe keine Binsen, keine Bretter, keine Strippen, es neu zusammenzubinden - und selbst das allerprimitivste Fahrzeug, das man noch heute in Oberägypten auf Kanälen antrifft, zusammengebundene Töpfe, über die man Bretter legte, also eine Art Floß oder wie die Alten es nannten, ein „Gebilde des Chnum" (des Töpfergottes!), kann er nicht zustandebringen. Immer wieder muß der Überfahrt heischende Sprecher sein Wissen beweisen und magische Hilfe ersinnen. Ein solcher „Hintersichschauer" - so nannte man den Fährmann gern, wohl weil er das Fährfloß stakend fortbewegte - konnte also ebenso nützlich wie hinderlich sein. Auch der Tote mußte mit dem ganzen Leichenkondukt zur Nekropole über den Strom setzen, mindestens Kanäle überschreiten oder entlangfahren - und zur Überschwemmungszeit fuhr man weithin mit Kähnen und Lastschiffen über Land bis an die Ränder des Gebeis. Deshalb gebot die Lehre als Pflicht des Begüterten schon im AR, daß er den Schifflosen übersetze, also vor allem dem mittellosen Toten diesen Dienst nicht versage, ebenso wie er den beerdigen soll, der keinen Sohn hat. „Mache dir nicht eine Fähre auf dem Fluß oder bemühe dich nicht, mit ihm Fährlohn zu erwerben. Nimm Fährlohn nur von dem, der etwas besitzt, und weise ihn ab für den, der nichts hat!", sagt ein Weisheitsspruch 4 ). Dementsprechend rühmt die Idealbiographie eines Amtmannes aus dem MR 5 ): „Nicht hielt ich einen Mann zurück an der Fähre" - auch da ist der Mittellose gemeint; und entsprechend führt der beredte Bauer in der Fabel „den Fährmann, der nur den Fährgeldbesitzer übersetzt", als schlechten und selbstischen ') Naville,
Deir el Bahari VI Taf. 154 vgl. u. S. 138.
-) Kaes, Totenglauben2 S. 73 f. s
) Tb. Kap. 99 Einleitung, vgl. Kees, in Miscellanea Académica Berolinensia (1950) II, 2 S. 77 f. ') Amenemope 27, 2—5. •"') Sethe, Lesestücke MR S. 79 (Stele in N e w York).
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Menschentyp an. Die Wirklichkeit sah anders aus, und der Staat legte als erster seine Hand auf diese lockende Einnahmequelle. In der Ptolemäerzeit bestand eine Abgabe von Fährbooten „in das Königshaus", eine Art Kopfsteuer. Ptolemaios Philadelphos, der sonst alle Steuerobjekte auszunutzen verstand, hat die Fährgeldabgabe im Gau von Mendes erlassen, als man ihm vorhielt, daß es dort niemals eine solche gegeben habe6). Trotzdem wird man diese Abgabe ähnlich der Transitsteuer7) zu den alten Grundrechten rechnen dürfen, die gewiß die Gaufürsten in Ableitung von Königsrechten ausübten. Übrigens gab es noch in jüngster Zeit in Ägypten eine Art örtliches Fährmonopol, über das die Dorfbewohner streng wachten. Fahrwasser und Verkehrswesen. Die Natur hat der Flußschiffahrt in Ägypten Schranken gezogen. Das breite Strombett ist außerhalb der Überschwcmmungszcit flach und voller Sandbänke (Abb. 44), deren Lage sich ständig ändert. Die Fahrt muß daher auf die Tagesstunden beschränkt werden, bei Nacht segelt noch heute kein Reis ohne Not. Das erleichterte die Überwachung des Stromverkehrs. Der vorherrschende Nordwind - der kühlende Lieblingswind des Ägypters - ist der Segelwind, mit dem man unter den riesigen lateinischen Segeln stromauf fährt, stromab ließ man sich treiben oder ruderte, wenn es eilte. Aber nicht überall verlief der Strom nordsüdlich, in dem großen Bogen zwischen Naga Hammadi und Kene, wo die alten Orte Hü-Diospolis parva und Chenoboskion lagen, mußte der Schiffer lange Strecken westöstlich oder umgekehrt fahren, das verlangte zeitraubendes Kreuzen oder mühsames Rudern. An manchen Stellen tritt der Steilabfall der arabischen Wüste bis an den Nil (Abb. 1), so der Gebel Abu Feda, der das Ostufer nördlich Assiüt bis an die Ebene von el Amarna auf 35 km völlig sperrt. Nicht zufällig liegt dort eine innerägyptische Grenze, an der die eigentliche Thebais beginnt: „ubi montes finiunt Thebaidem", sagt richtig Plinius (n. h. V 6 1 ) ; noch heute wird südlich Assiüt ein gewisser Unterschied in der Bevölkerung und in der Flora (Dumpalme) merkbar. Der Name Assiüt bedeutete „Wache", sein Ortsgott war der streitbare Canide, der „die Wege öffnet" (Upuaut). Wer diese Schlüsselstellung beherrschte, hielt die Entscheidung über Mittelägypten in der Hand. Die Gaufürsten der Feudalzeit waren sich dessen bewußt. Schon unter der 6. Dynastie melden sich Gaufürsten, die Assiüt gegenüber bei Der el Gebrawi begraben liegen, mit dem Titel „Geheimrat des alleinigen Hörens an der Türöffnung von Oberägypten"8); und ähnlicher Wichtigkeit für die „Türöffnung von Oberägypten", den Zugang nach Theben, rühmte sich ein gleichzeitiger Kollege, der am Nilknie bei Chenoboskion gebot, wo der Gebel el Tarif seine breite Felsstirn vorschiebt. Sie alle ahmten dabei den Herren vom wirklichen „Südtor" Ägyptens am Assuankatarakt nach (vgl. Abb. 20).") Die Vorbeifahrt unter Steilwänden betrachtete der Schiffer mit Sorge, dort herrschen Windwirbel und erschweren das Segeln, Gegenströmungen im Wasser kamen hinzu. Daß man an solchen Stellen, ebenso wo Inseln im Strom lagen oder Wasserstrudel durchfahren werden mußten, wie am Gebel Silsile in Oberägypten, sich gerne der •) Urk. II 42/43.
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) S. u. S. 56.117.183.
) Zum Titel Kees, KZ 70 S. 83 f.
") S. u. S. 176 f. 52
Gnade des Suchoskrokodils, des mächtigen Herrn des Stromes, empfahl, ist naheliegend. Wir treffen daher Suchoskulte in Kom Ombo, am Gebel Silsile, auf der „Insel im Strom" beim heutigen Gebelen südlich Luxor, bei Dendera (Gauzeichen des 6. oberägyptischen Gaues!), wo jene erwähnte Nilschleife beginnt - und so reihen sich die Kultstätten durchs Land bis in die Sümpfe des Deltas hinab. Der Bootsmann, dessen Schiff auf eine Sandbank aufgelaufen war, und der nun im Wasser stand, um mit Ziehen und Heben das Boot flottzumachen10), wußte, warum er dem gefährlichen Herrn des Nils opferte! Die Steilwände am Nil waren nur für die Steinbrüche günstig, da man dort den Kalkstein gleich in die Lastkähne verladen konnte (vgl. Abb. 1). Natürliche Hindernisse beschränkten die Schiffahrt auf das ägyptische Niltal: Im Süden legte sich das Kataraktengebiet nicht nur als Völkerscheide, sondern als Sperre vor den Durchgangsverkehr. Der Assuankatarakt, eine über 10 km tiefe Granitbarre zwischen der Insel Elephantine im Norden und el Hesse im Süden (Abb. 3), konnte von geübten Schiffern bei günstigem Wasserstand befahren werden. Eine Inschrift aus dem 8. Jahre Sesostris'III. (1870 v. Chr.), also aus der Zeit der Unterwerfung Unternubiens, auf einem Granitfelsen der Katarakteninsel Sehel rühmt sogar11), daß eine Fahrrinne von 150 Ellen Länge, 20 Ellen Breite und 15 Ellen Tiefe angelegt wurde, und eine andere Inschrift auf Sehel berichtet, daß man im 50. Jahre Thutmosis'III. (etwa 1454 v. Chr.) diese Fahrrinne mit Steinen verstopft fand und man sie neu ausschachten ließ 12 ). Die Durchfahrt erfolgte von dem südlich der Insel Sehel gelegenen Hauptkatarakt aus westlich dieser Insel vorbei. War der 1. Katarakt überwindbar, so setzte der 2. bei Wadi Haifa dem Verkehr absolute Schranken. Dort -wird das Flußbett durch Grauwacken und Granitbarren auf eine Länge von über 100 km in unzählige Schnellen und Rinnsale aufgespalten (Abb. 4). Nur unter größter Gefahr und mit vielen Verlusten ließen sich dort Schiffe durchschleppen, und dieses Risiko konnte man höchstens in Kriegszeiten übernehmen. Derselbe Sesostris III. hat bei der Rückkehr von seinem nubischen Feldzug im 19. Jahre in einer Inschrift auf der Insel Urona'rti (Malikarti) nördlich Semne vermerkt, daß er Schiffe durch die Schnellen habe ziehen lassen13), „es war alles andere als leicht durchzufahren mittels Darüberziehens der Schiffe angesichts der Jahreszeit". Das glaubt man gern, denn die Inschrift ist auf den 2. Tag des 4. Monats der Überschwemmungsjahreszeit datiert - also Mitte März (1859 v. Chr.) nach unserem Kalender umgerechnet; da begann schon die Zeit des Niederwassers. Mit dem Durchschleusen von Fahrzeugen hat man noch bei der Niederwerfung des Mahdireiches im Sudan kaum bessere Erfolge gehabt. Hier blieb also dem Handel keine Wahl: Er mußte in die Wüste ausweichen, zumal stromaufwärts weitere Hindernisse drohten. Diese Naturschranken erleichterten auf der anderen Seite das feinmaschige Netz der Überwachung des Handels. Innerhalb des Landes aber bewegte sich alles auf dem Strom, die Waren und die Menschen. Der König und seine Beamten hatten das Reiseschiff ebenso notwendig wie der Gutsbesitzer, der Getreide verläd, der Tempelverwalter, der Werkmeister im ) ") ,2) ") 10
Kees, Studien zur ägyptischen Provinzialkunst Taf. 1 (Hierakonpolis). de Morgan, Catal. des Mon. I 86/87 Sethe, Lesestücke MR S. 85. a. a. O. I S. 85 Nr. 18. Bullet. Metropol. Mus. of Art New York 29 (1931) Nr. 174 S. 66.
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Steinbruch oder der Soldat, der Truppen bewegen mußte. Die naiv sachlichen Inschriften des Mittelstandes aus der ägyptischen Feudalzeit zählten mit Stolz den Besitz an Vieh, Menschen undÄckern auf neben dem Erwerb von Schiffen14). Ihr Besitz konnte in Notzeiten das Leben bedeuten, wenn man Korn weither holen mußte. Aber auch die fetten Zeiten vorher bekunden in ihren Darstellungen die Wichtigkeit des Bootbaus und vollbeladener Lastschiffe, die den Unterhalt aus den Gütern der Totenstiftung heranführen sollten. In den Zeiten des Weltreiches konnten sich dann der König und die Tempel die Schätze der Welt in Fülle zu Schiff bringen lassen. So werden die Grabbilder jeder Epoche der Spiegel ihres Besitzes. Es ist kein Wunder, daß bei dem Totalitätsanspruch des Gottkönigtums der Staat auch bei der Schiffahrt seine Vorrechte geltend machte und daß diese Ansprüche mitunter sehr drückende Formen für die Untertanen annahmen. Zu den Grundrechten der Könige gehörte die Vorsorge für alle Reisen des Königs, die natürlich wesentlich zu Schiff erfolgten, die örtlichen Behörden hatten dazu alles Nötige bereitzustellen - diese Auflage übertrug sich auf die Königsboten und sonstige Beamte. „Horusdienst(geleit)" nannte man diese Dienstbarkeit in alter Zeit 15 ), und da sie regelmäßig bei der „Zählung" zu den Realsteuern eintrat, datierte man in der Thinitenzeit, scheinbar bis einschließlich Djoser, die Jahre nach diesem Horusdienst. Daß die zeitliche Anwesenheit des Hofes, ja schon eines Königsboten, für alle Versorgungspflichtigen eine recht drückende Auflage war, zeigen die Befreiungsdekrete des AR. Z. B. verordnete Phiops I. für die beiden Pyramidenstädte des Snofru bei Daschur 16 ): „Meine Majestät hat befohlen, ihm freizustellen alle Bewirtschafter dieser beiden Pyramiden Städte davon, irgendwelche Boten zu Wasser oder zu Lande, bei der Stromauffahrt und Stromabfahrt zu versorgen". Derselbe König befreite die Stiftung für eine Statue der Königsmutter Iput in Koptos vom Geleitdienst „irgendeines Boten, der in irgendeinem Auftrag stromauffährt" und ausdrücklich davon, „daß das Horusgeleit sie treffe" 17 ). Wenn dann in den größeren Verhältnissen des Weltreiches Thutmosis III. die phoinikischen Hafenstädte zur Aufmarschbasis seines Heeres machte, wurde die" „Vorschrift für die Ausrüstung der Häfen" eine Bewährungsprobe der ägyptischen Militärbeamten18). Von ihrer Ausführung hing der Erfolg der Operationen im syrischen Hinterland wesentlich ab. Es ist allerdings kein Wunder, wenn die an solchen Aufgaben geschulten Befehlshaber und Heeresschreiber dieMethode der Requisition des Bedarfes, diein Königs Namen mit Hilfe örtlicher Bürgermeister ausgeübt wurde, mit aller Rücksichtslosigkeit im eigenen Lande anwandten, so daß die Soldateska samt ihren Vorgesetzten, allen den Heeresschreibern, Stallobersten und ähnlichen wieder „der schlimme Schrecken des Königshauses" wurde - so hatte in der Kampfzeit zwischen Thebanern und Herakleopoliten ein Gaufürstensohn des Hermopolites die plündernden Milizen genannt19). Es ist ungemein bezeichnend, daß gerade der Militärdiktator Haremheb jene Übergriffe " ) S. o. S. 45. 15)
Kees, Kulturgeschichte S. 46.
" ) Urk. I 210 vgl. I 286 für den Mintempel in Koptos. " ) Urk. I 214. 18) Erman, Literatur der Ägypter S. 264/266 nach Anast. I V 13, 8f.
") Anthes, Hatnub Gr. 23 und 24.
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gegenüber Pächtern, Bauern, Schiffern mit schärfsten Strafandrohungen abzustellen versucht hat 20 ). Hatte er doch selbst die Verlotterung des seit zwei Generationen ohne ernsthaften Kriegseinsatz im Lande gehaltenen Heeres, das sich in seinen Vorrechten auf die Zeit des großen Thutmosis III. berief, dazu die Verdrängung der alten Führungsschicht auf allen Gebieten des Staates, selbst im Dienste der Götter, durch Generäle, königliche Adjutanten, Heeresschreiber a. D. miterlebt. Eine alte, noch in den Vezirgräbern der 18. Dynastie aufgezeichnete Dienstordnung, machte den Vezir als obersten Beamten auch für das gesamte Transportwesen verantwortlich: „Er ists, der Schiffe bestimmt für jeden, dem sie bestimmt werden müssen"21). Nun rügte Haremheb gleich an erster Stelle der „Fälle von Gewalt in diesem Lande" übermäßiges Beschlagnahmen gegenüber dem Schiffsverkehr, so daß der Schiffer „bloß von seinem Eigentum und notleidend an seinem Arbeitsertrag" würde, besonders wenn er sich zu öffentlichen Leistungen oder für die königlichen Küchen und Büros verdungen, oder sich ein Boot geborgt hatte, um damit Lohnfuhren auszuführen. Wer solches tut, solle künftig zu Abschneiden der Nase und Verschickung nach Sile an die Nordostgrenze zur Zwangsarbeit verurteilt werden22). Aber da es sich um alte Rechte handelte, war es anscheinend unmöglich, hier vernünftige Grenzen zu ziehen. Jedenfalls hören wir weit später die gleichen Klagen. Ptolemaios Euergetes II. mußte z. B. in dem großen Amnestieerlaß, der die Parteikämpfe in Oberägypten 118 v.Chr. enden sollte, wieder den Beamten verbieten, Schiffe zu ihrem persönlichen Gebrauch zu beschlagnahmen23); und der römische Statthalter Petronius Mamertinus unter Hadrian beanstandet in einem Erlaß denselben Krebsschaden: „Ich habe bemerkt, daß viele Soldaten auf Reisen durchs Land ohne Berechtigungsschein Boote, Zugtiere und Menschen anfordern, was ihnen nicht zusteht... Daher leiden die Untertanen unter Gewalttaten und Übergriffen". Überforderungen an Reisegebühren sind eine verbreitete Korruptionserscheinung. Wieder äußert sich dazu Haremheb24). In der Amarnazeit scheinen sich besonders die Verwalter und „Speisetischschreiber" des königlichen Harems hervorgetan zu haben, bei den Bürgermeistern unter Berufung auf Anordnungen aus der Zeit Thutmosis' III. Gebühren für Reisen zu erpressen, die angeblich rückständig waren, augenscheinlich aber niemals ausgeführt wurden. „Aber sieh, Pharao macht die Reise zum Opetfest (nach Theben) jedes Jahr ohne Verzögerung, und man rüstet es vor dem Pharao aus"! Realistisch betont der Diktator, daß das beanstandete Verfahren den Kleinbürger schädige, an dessen Habe sich die Bürgermeister schadlos hielten. Der königliche Harem samt den zahllosen Insassen aus asiatischen Fürstenhäusern muß gerade in den Tagen Amenophis' III. und der „bürgerlichen" Königin Teje einen raffinierten Luxus entfaltet haben; seine Anforderungen waren dementsprechend. Schiffahrt und Handel wurden als Regale betrachtet, an denen der König Konzessionen gewährte, teils zur Ausübung im unmittelbaren Staatsdienst, teils zur Eigennutzung, ) Haremhebdekrete (Karnak) Z. 14/20. ) Urk. IV 1116. 5S ) S. u. S. 107. 2 J ) Pap. Tebt. I 5. - 4 ) a . a . O Z. 28 f. so
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ähnlich wie der Deutsche Kaiser das Postregal verlieh. Wer also auf dem Strom fuhr und Güter beförderte, mußte Abgaben, wohl an Waren, entrichten. Mit ihrer Einziehung waren zunächst die örtlichen Gaufürsten in den Gaustädten beauftragt, die sich dabei nach orientalischem Brauch nicht vergaßen. In der Feudalzeit aber werden diese Erbherren sich als Territorialherren gefühlt und gleich dem König Transitabgaben auf dem Strom in ihrem Machtbereich gefordert haben. Dafür sprechen alte Namen, wie „Wache" für Assiüt, die in der thebanischen und hermopolitanischen Wache - „eine Zollstelle für die aus der Theba'is herabkommenden Waren" (Strabon XVII813) - an der Grenze der Theba'is ihre Nachfolger haben, ebenso wie dies für Schedia als Nilhafen von Alexandreia gilt. Auf diese Übung weisen auch die Worte in einer Inschrift des Gaufürsten von Hermopolis, Thothotep, aus der Mitte der 12. Dynastie, über die „Grafen (Nomarchen), die früher waren, die Richter-Kanalmeister, die da waren zum [Richten] in dieser Stadt, eingesetzt für die Wägung auf dem Strom"25). In der gewohnten Art des Feudaladels führte man diese Rechte auf die Urzeit Ägyptens zurück. In einer Zeit schwacher Staatsgewalt und innerer Spannungen konnte dies System zum Handelskrieg mit Erpressungen fast in der Art des Raubrittertums ausarten. Manche Festungsanlage, darunter die der thebanischen Gaufürsten der 11. Dynastie auf dem östlichen Felsen von Gebelen, die mit der „Insel im Strom" zu ihren Füßen den südlichen Zugang nach Theben beherrschte, bezweckte die Stromkontrolle und diente als Schlagbaum für Durchfahrtsabgaben. Zu Beginn der Spätzeit besaß eine mächtige Familie in Herakleopolis in Mittelägypten das Generalprivileg als „Schiffmeister" über das gesamte Stromgebiet von Elephantine bis an die Wache südlich Memphis26), also ohne den unternubischen Dodekaschoinos, für den Sonderbestimmungen bestanden, und ohne Unterägypten, über das die Saitenkönige ihre Rechte mit eigenen Kräften ausübten. Diese Schiffmeister erhoben in Königs Namen die Abgaben im Lande und lieferten sie dem König ab, wobei sie selbst nicht ärmer wurden, da Maß und Art der Erhebung ihnen nach orientalischem Herkommen anheimgestellt blieb. An den Grenzen Ägyptens übten königliche Beamte in den Sperrfestungen die Königsrechte über Schiffahrt und Handel aus27). Privilegien, Konzessionen und Sonderrechte aller Art durchlöcherten mit der Zeit die anfangs eindeutigen Grundrechte immer mehr und führten zu ständigen Reibungen und Willkürlichkeiten. 7. Schiffbau und Häfen Schiffbau war weitgehend eine Frage der Rohstoffe, der gegebenen Bauplätze und der Art des Einsatzes. Abgesehen von Konstruktionen primitivster Art, wie sie die alten Totensprüche für die Sonnenbarke voraussetzten und in den mitunter fast abenteuerlich anmutenden Formen von Götterbarken fortlebten, war das Papyrusboot ein Stück Urzeit 1 ). Man verwendete dazu ein Material, das sich überall in den Lachen und 25
) Newberry, El Bersheh I Taf. 14 = Sethe, Lesestücke MR S. 77. ) Griffith, Catal. demot. Pap. Ryl. III S. 71 f. s. u. S. 122. " ) S. u. S. 182. *) Zu den SchifFstypen s. Kees, Kulturgeschichte S. llQf. 2e
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ähnlich wie der Deutsche Kaiser das Postregal verlieh. Wer also auf dem Strom fuhr und Güter beförderte, mußte Abgaben, wohl an Waren, entrichten. Mit ihrer Einziehung waren zunächst die örtlichen Gaufürsten in den Gaustädten beauftragt, die sich dabei nach orientalischem Brauch nicht vergaßen. In der Feudalzeit aber werden diese Erbherren sich als Territorialherren gefühlt und gleich dem König Transitabgaben auf dem Strom in ihrem Machtbereich gefordert haben. Dafür sprechen alte Namen, wie „Wache" für Assiüt, die in der thebanischen und hermopolitanischen Wache - „eine Zollstelle für die aus der Theba'is herabkommenden Waren" (Strabon XVII813) - an der Grenze der Theba'is ihre Nachfolger haben, ebenso wie dies für Schedia als Nilhafen von Alexandreia gilt. Auf diese Übung weisen auch die Worte in einer Inschrift des Gaufürsten von Hermopolis, Thothotep, aus der Mitte der 12. Dynastie, über die „Grafen (Nomarchen), die früher waren, die Richter-Kanalmeister, die da waren zum [Richten] in dieser Stadt, eingesetzt für die Wägung auf dem Strom"25). In der gewohnten Art des Feudaladels führte man diese Rechte auf die Urzeit Ägyptens zurück. In einer Zeit schwacher Staatsgewalt und innerer Spannungen konnte dies System zum Handelskrieg mit Erpressungen fast in der Art des Raubrittertums ausarten. Manche Festungsanlage, darunter die der thebanischen Gaufürsten der 11. Dynastie auf dem östlichen Felsen von Gebelen, die mit der „Insel im Strom" zu ihren Füßen den südlichen Zugang nach Theben beherrschte, bezweckte die Stromkontrolle und diente als Schlagbaum für Durchfahrtsabgaben. Zu Beginn der Spätzeit besaß eine mächtige Familie in Herakleopolis in Mittelägypten das Generalprivileg als „Schiffmeister" über das gesamte Stromgebiet von Elephantine bis an die Wache südlich Memphis26), also ohne den unternubischen Dodekaschoinos, für den Sonderbestimmungen bestanden, und ohne Unterägypten, über das die Saitenkönige ihre Rechte mit eigenen Kräften ausübten. Diese Schiffmeister erhoben in Königs Namen die Abgaben im Lande und lieferten sie dem König ab, wobei sie selbst nicht ärmer wurden, da Maß und Art der Erhebung ihnen nach orientalischem Herkommen anheimgestellt blieb. An den Grenzen Ägyptens übten königliche Beamte in den Sperrfestungen die Königsrechte über Schiffahrt und Handel aus27). Privilegien, Konzessionen und Sonderrechte aller Art durchlöcherten mit der Zeit die anfangs eindeutigen Grundrechte immer mehr und führten zu ständigen Reibungen und Willkürlichkeiten. 7. Schiffbau und Häfen Schiffbau war weitgehend eine Frage der Rohstoffe, der gegebenen Bauplätze und der Art des Einsatzes. Abgesehen von Konstruktionen primitivster Art, wie sie die alten Totensprüche für die Sonnenbarke voraussetzten und in den mitunter fast abenteuerlich anmutenden Formen von Götterbarken fortlebten, war das Papyrusboot ein Stück Urzeit 1 ). Man verwendete dazu ein Material, das sich überall in den Lachen und 25
) Newberry, El Bersheh I Taf. 14 = Sethe, Lesestücke MR S. 77. ) Griffith, Catal. demot. Pap. Ryl. III S. 71 f. s. u. S. 122. " ) S. u. S. 182. *) Zu den SchifFstypen s. Kees, Kulturgeschichte S. llQf. 2e
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Kanälen fand, besonders im „Papyrusland" des Deltas. Außerdem bedurfte es der Stricke, teils wohl ebenfalls aus Papyrus, vielleicht auch aus Hanf oder ähnlichem, um die einzelnen Bündel zusammenzubinden und festzuschnüren. So entstand ein leichtes Boot, das geeignet war, in seichten Teichen und Papyrussümpfen entlangzugleiten, wie es der Fischer, Jäger und Vogelsteller brauchte. Deshalb hat sich dieser Typ auch für die Sport- und Lustfahrten auf dem Gartenteich oder den Kanälen des Gutes alle Zeiten gehalten (Abb. 54). Ähnliche Schilfboote werden heute noch im Sudan und in Abessinien benutzt. t Die uralte Technik des „Zusammenbindens" hat der Ägypter auch auf seine Holzschiffe übertragen. Ihre Fertigung hing weitgehend vom Material ab, und in Ägypten fehlte das gute Bauholz für Kiel, Spanten und Mast. Von den einheimischen Bäumen lieferte höchstens die Sykomore solches, aber das war ein Fruchtbaum, der nicht beliebig geschlagen werden durfte, und die Schiffbauer konnten es nicht auf dem beliebten Wege der Beschlagnahme beschaffen. Die Erlaubnis „Sykomoren", d.h. wohl allgemein Fruchtbäume, schlagen zu lassen, war durch alte Ordnung dem Vezir vorbehalten 2 ). Hatschepsut hatte einmal für den Bau des riesigen Schleppkahns, der ihre beiden Obelisken, eine Last von 3 2 3 0 0 0 kg, nach Karnak bringen mußte - er war mindestens 82 m lang! - , das Schlagen von Sykomorenholz „im ganzen Land" angeordnet'), weil das Material im Kataraktengebiet allein nicht aufzubringen war. Aber das war eine Ausnahme. Sonst mußte man aus der Not eine Tugend machen und das Zusammensetzen von kurzen Balken und Planken, wie sie die knorrigen und krummen Nilakazien hergaben, mittels Dübeln und Nähten lernen. Trotzdem haben solche zusammengehefteten und zusammengenähten Schiffe selbst auf hoher See ihre Dienste getan. Schweinfurth hat ähnliche Konstruktionen aus Akazienholz im Sudan gesehen, ebenso an der Küste des Roten Meeres, wo die arabischen Dau's sie aus der gleichen Notlage noch heute aufweisen 4 ). Allerdings wird es Reparaturen daran genug gegeben haben, und das trostlose Bild vom lecken Boot auf der Werft, das gewisse Fährmannssprüche der Totentexte (Tb. Kap. 99) ausmalen, mag alltäglicher Anblick gewesen sein. D i e örtlichen Holzbestände, namentlich nahe der Residenz, versuchte man dadurch zu schonen, daß man beispielsweise für die großen Lastkähne, die Steine aus den Brüchen bei Assuan heranschafften, das Holz am Ort und Stelle schlagen ließ, um so den etwas reicheren Baumbestand der nubischenWadis auszunutzen. So berichtete Uni, daß ihn König Merenre aussandte, um 5 Kanäle in Oberägypten zu graben, um 3 Breitschiffe und 4 Schleppkähne aus nubischem Akazienholz zu machen, das die Häuptlinge von drei nubischen Distrikten und die der Bedja (Matoi) fällen ließen 5 ). Diese Schiffe und ihre Ladung dienten für die Bauarbeiten am königlichen Grabmal bei Sakkara. Aber ähnlich verfuhr man allgemein; denn als derselbe Uni eine Opfertafel aus dem Alabasterbruch Hatnub in Mittelägypten holen sollte, ließ er das notwendige Lastschiff von 60 Ellen Länge und 30 Ellen Breite in 17 Tagen bauen, und wieder mußte man das anstehende Akazienholz verwenden. ) ) 4) 5)
2 s
Urk. IV 1113. Naville, Deir el Bahari VI Taf. 153/156 vgl. Kces, Kulturgeschichte S. 115. Im Herzen von Afrika S. 24 vgl. Newberry, JEA 28 S. 64 f. Urk. I 108/109.
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In den Zeiten des Weltreiches, als die ägyptische Herrschaft bis an den 4. Katarakt reichte, mußten allerdings die nubischen Holzbestände weitgehend der ägyptischen Wirtschaft aushelfen. Thutmosis III. sagt ausdrücklich, daß er Nubien die Lieferung von Schiffen und Bauholz als Tribut auferlegte'). Aber was man aus den Gebieten südlich des 2. Kataraktes heranschleppte, war wesentlich hochwertiges Holz für künstlerische und gewerbliche Arbeiten, Ebenholz und ähnliches, schaffte aber keineswegs die Massen, die für die ägyptische Hochseeschiffahrt benötigt wurden. Deshalb suchte man sdy>n sehr früh seinen Holzbedarf dort zu decken, wo das beste Bauholz im nahen Orient wuchs, auf den Höhen des Libanon im Hinterland der phoinikischen Küste. Man kann geradezu sagen, daß der Holzmangel die Ägypter an diese Küste geführt hat, mindestens, daß das Koniferenholz vom Libanon, abies cilicica und verwandte Arten 7 ), für die Entwicklung der ägyptischen Seefahrt entscheidend war. Die Kenntnis vom Holzreichtum des Libanon wird den Ägyptern bereits durch die Handelsbeziehungen der jüngeren Nekadazeit zugekommen sein. Jedenfalls haben die ersten Thinitenkönige sie ausgenutzt; anders ist die Abbildung von Schiffen mit der Beischrift „Meru-Holz", einem der bekanntesten Nadelhölzer, auf Jahrestäfelchen des Horuskönigs Aha 8 ) kaum zu verstehen. Haupthafen wurde Gubli-Byblos, wo unter den ägyptischen Funden der Name des Königs Chasechemui (Ende der 2. Dyn.) als ältester auftritt. Vielleicht hatte man die ersten Schiffe an Ort und Stelle gebaut, ehe man größere Holztransporte über See wagte. Aber der Verkehr kam so schnell in Gang, daß Snofru am Anfang der 4. Dynastie einen Transport von 40 Schiffen mit sogenanntem „Zedern"-Holz vom Libanon verzeichnen konnte 9 ). Die Natur kam dem zu Hilfe, da die im östlichen Mittelmeer vorherrschenden Westwinde und Meeresströmungen die Ausfahrt aus den Nilihündungen begünstigten, so daß man bis zum Karmel in etwa viermal 24 Stunden segeln konnte; für den Rückweg mußte man allerdings 8-10 Tage rechnen. So hing es zusammen, daß die Ägypter ihre Überseeschiffe auch auf anderen Meeren „Byblos(fahrer)" nannten. Die konservativen Ägypter haben diese Bezeichnung bis in die Spätzeit beibehalten, wo sogar die ionischen Trieren des Apries so hießen 10 )! Bessere Schiffe, auch für die Flußschiffahrt, voran die Flußbarken der Götter oder die Totenschiffe für den Leichenkondukt, baute man nunmehr überwiegend aus syrischem Nadelholz. Nicht nur nennt beispielsweise das Tagebuch einer königlichen Werft bei Memphis aus der Zeit Amenophis'II. Meru-Holz als hauptsächliches Baumaterial11), bereits im MR verheißt ein Sargtext dem Toten für das Jenseits12): „Man läßt dich mit einer Stange von 40 Ellen staken, gewachsen aus Zedernholz von Byblos, indem du stehst im Schiffe des Re". Zu Zeiten, wo dieses Byblos unter ägyptischer Oberhoheit stand, wäre es •) Barkaistele Ä Z 69 S. 33/34. 7 ) Ä g y p t . ' s , das seit alters, aber anscheinend unriditig, mit „Zeder" übersetzt wird, s. Äg. W b . I S. 228. 8 ) Petrie, Royal tombs II T a f . 10/fU. ") Palermostein, Vs. Z. 6 N r . 2. 10 ) Stele des Amasis in Kairo Ree. de trav. 22 S. 2 f . ") Glanville, Ä Z 66 S. 105 f. s. S. 109. 12 ) Kees, Totenglauben 2 S.285 (Coffintexts I spell 62).
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unwürdig gewesen, eine Götterbarke etwa aus heimischem Akazienholz zusammenzuflicken! Seit jenen Zeiten aber hing die ägyptische Seeschiffahrt und mit ihr große Teile der Wirtschaft vom ägyptischen Einfluß auf Byblos ab. Einen Vorteil hatte die merkwürdige Bautechnik des „Zusammenbindens" der Schiffe, daß nämlich Boote in Teilen über weite Strecken transportiert werden konnten. So berichtet Thutmosis III., daß er für seinen Euphratübergang „viele Lastschiffe aus Zedernholz von den Bergen des Gotteslandes im Gebiet der Hathor von Gubli" bauen ließ 1 3 ). „Sie wurden verladen auf Wagen und Rinder zogen sie". Hier sprach alte Erfahrung. Auf ähnliche Weise hatte sich der ägyptische Staat ein anderes Seegebiet vor Zeiten erschließen müssen: Das Rote Meer. Die Schiffahrt im Roten Meer ist anscheinend jünger als die Byblosfahrten, die Schwierigkeiten waren hier ungleich größer. Die afrikanische Küste hat bis weit nach Süden keinerlei Baumbestand, keine Nahrungsmittel, kaum irgendwo brauchbares Trinkwasser. Dieselben Umstände, die jene Küsten als Stützpunkte für Eroberer, die etwa in vorgeschichtlicher Zeit von Osten kamen, unbrauchbar gemacht hätten, obgleich damals die klimatischen Verhältnisse noch günstiger lagen, erschwerten dem Ägypter in verstärktem Maße die Anlage einer Station für Fahrten nach dem „Gottesland" Punt. So nannte man die Länder, die die begehrten Wohlgerüche liefern konnten. Die ältesten bezeugten Puntfahrten im A R nahmen anscheinend in der Gegend von Suez, die man bei den Expeditionen zum Sinai erkundet hatte, ihren Ausgangspunkt. Ihre Führung vertraute man jenen kühnsten und erfolgreichsten Prospektoren der alten Zeit an, den „Dragomanen" von Elephantine, obwohl sie am entgegengesetzten Ende des Landes saßen 1 4 )! Sie galten als zuständig für alle Länder im Süden und Südosten. Aber die Gegend um Suez war im A R noch von Beduinenstämmen, den alten Feinden Ägyptens, bedroht. Und so mußte denn einer jener Gaufürsten von Elephantine berichten 15 ): „Die Majestät meines Herrn (Phiops II.) schickte mich nach dem Asiatenland, um ihm den einzigen Freund, Schiffmeister (?) und Karawanenführer (.Dragomanvorsteher') N N zu holen, der dort einen Byblosfahrer nach Punt zusammengesetzt hatte. Ihn hatten nämlich die asiatischen Beduinen erschlagen zusammen mit der Heeresabteilung, die mit ihm war". Vielleicht kündigten sich damals schon die Unruhen an, die am Ende der Regierung Phiops' II. zu gefährlichen Einbrüchen von Nomaden ins Ostdelta führten. Byblosfahrer nannte man auch die Schiffe der berühmtesten Expeditionen ins Weihrauchland, die Hatschepsut in ihrem Tempel von Der el Bahri als eine der Großtaten ihres Lebens darstellen l i e ß " ) . Puntleute werden zuerst im Totentempel des Sahure (5. Dyn.) unter den Typen der untertänigen Nachbarvölker dargestellt, wobei sie somatisch den Ägyptern am ähnlichsten sind. Dementsprechend verzeichnen die Annalen des Sahure Gold und Weihrauch als Ausbeute einer Puntfahrt anscheinend im 13. Regierungsjahr 17 ). Unter Asosi am Ende der 5. Dynastie hatte der Gottessiegler Bawerdede Punt erreicht und einen ) ) 16) ") 15 14
Barkaistele Z. 17. S. u. S. 176 f. Urk. 1134. Urk. I V 323.
" ) Urk. I 246 (Palermostein). 59
Tanzzwerg mitgebracht, ein Ereignis, von dem man noch nach 100 Jahren achtungsvoll sprach. Im allgemeinen wurden aber die Fahrten „zu den Weihrauchterrassen" bis ans Ende der 6. Dynastie etwas so normales, daß der Diener eines jener unternehmungslustigen Gaufürsten von Elephantine und Gottessiegler behauptete, er sei mit seinen beiden Herren elfmal nach Byblos und nach Punt gefahren und heil heimgekehrt18). Bei Beginn des MR, das dieThebaner schufen, war man bestrebt, den Ausgangshafen südwärts zu verlegen, und zwar an eine Stelle etwa 60 km nördlich von Alt-Koseir (=Leukos limen 26° 06'). Dort liegt bei der Mündung des Wadi Gasüs el fokani eine heute Mirsa Guwesis genannte Reede (26° 33'), scheinbar ganz in der Nähe, wo die Ptolemäer den Hafenplatz Philoteras anlegten19). Dort haben sich etwa 7 km im Innern des Wadis die Reste einer alten Station mit Wasserstelle gefunden20). Letztere war wohl für die Platzwahl entscheidend. Den Hafen nannte man Sawu, und seine Benutzung ist für die Zeit von der 12. Dynastie bis in die Saitenzeit durch Inschriften gesichert. Aber seine Unterhaltung und Ausnutzung für Puntfahrten erforderte die Verbesserung der östlichen Wüstenwege. Zu solchem Auftrag bekennt sich in einer Inschrift im Hammamät der Schatzhausbeamte Henu aus der Zeit des Sanchkare-Menthuhotep (11. Dyn.) 21 ). Er war mit einem Aufgebot von 3000 Mann aus dem thebanischen Kerngebiet von Gebelen bis Kene ausgezogen, um Byblosfahrer nach Punt zu bauen, die „frischen Weihrauch" holen sollten. Zur Sicherung der umfänglichen Materialtransporte legte er Wasserstellen an; ein wenig späterer Nachfolger, der sich Heerführer des ganzen Landes in dieser Wüste nennt, behauptet überschwänglich, daß er „die Wadis zu Grünflächen, ihre Höhen zu Wasserteichen, versehen mit Kindern", gemacht habe 22 ). Es wird sich um Stationen handeln, wie das heute von einem Kamelreiterposten besetzte Lakeita am Beginn der eigentlichen Hammamätroute. Immerhin läßt die Angabc noch auf günstigere klimatische Verhältnisse in der Ostwüste schließen, als sie heute bestehen (Abb. 22). Nach längerer Pause lebten die Puntfahrten in der 18. Dynastie mit der Expedition im 9. Jahre der Hatschepsut (etwa 1495 v. Chr„) wieder auf. Aus den Darstellungen im Tempel von Der el Bahri erfahren wir, was man damals im Lande Punt sah und was man von dort mitbrachte. Da Angaben über die Fahrtdauer fehlen, muß das zur ungefähren Lokalisierung genügen. An erster Stelle stehen die begehrten Wohlgerüche, vor allem der wertvollste, den der Ägypter als Frucht von einer „Weihrauchsykomore" herleitete und den wir als „Myrrhe" vom gewöhnlichen Weihrauch, in dem die Fachleute jetzt Terebinthenharz vermuten23), zu unterscheiden pflegten. Es ist seit alters neben kostbaren Hölzern das Hauptprodukt des Gotteslandes Punt. Die Expedition schleppte sogar 31 Bäume dieser Weihrauchsykomore mit, um sie im Garten vor dem ) Urk.I 140/141. ) Vgl. meinen Aft. Philoteras in Pauly-Wissowa RE. ->0) Schweinfurth, Abh. Berl. Akad. 1885. Erman, ÄZ 20 S. 203. 21) Couyat-Montet, Inscript. hiirogl. du Ouädi Hammamät Nr. 114. -"-) a. a. O. Nr. 1 s. u. S. 64. 2S ) So zuletzt V. Loret in Recherches Inst. fr. or. 19 (1949). IS
,B
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Tempel von Der el Bahn zu Ehren des Gottes Amun einzupflanzen24). Es dürfte sich dabei um den echten Weihrauchbaum (Boswellia) handeln, neben dem noch Haufen von rohem Weihrauchharz eingeladen wurden. Ob sich darunter Harz der Somalimyrrhe (Commiphora abessinica) befand, ist nicht zu entscheiden. Unter der Fauna des Landes fällt das Vorkommen des felsbewohnenden Mantelpavians und der Giraffe auf, die das Gebirge meidet. Ihr Zusammentreffen soll am besten auf das Gebiet landeinwärts der Häfen Dschibuti und Berbera passen-5); die Ägypter müßten also die Straße von Bab el Mandeb passiert haben und mindestens bis zum Golf von Tadjura vorgedrungen sein. Aus nautischen Gründen werden sie kaum über das Kap Guardafui hinausgekommen sein26). Jedenfalls ist Punt an der afrikanischen Küste zu suchen. Auch daß die Ägypter dort neben hamitischer Kernbevölkerung Sdiwarze, wahrscheinlich als Sklaven, vorfanden, würde für die Küstengebiete Abessiniens und des Somalilandes passen. Was man sonst mitbrachte, bunte Pantherfelle, Elfenbein, Ebenholz, Geparden, Windhunde, Gold, Augenschminke und Schlagstöcke der Puntier, unterscheidet sich nicht von dem, was der normale Südhandel damals nach Ägypten brachte und was der Ägypter als Abgaben der „südlichen Länder" registrierte, auch nicht von dem, was das Märchen vom Seefahrer als Produkte seiner Schlangeninsel aufzählt. Dieses Märchen, das wohl aus dem MR stammt, wählt als Rahmen, daß ein vornehmer Ägypter vom König ausgesandt war und auf der Heimkehr von einem wenig erfolgreichen Zug zu Schiff das Ende von Nubien und die Sperre von Bige erreichte. Zum Trost erzählt ihm ein Begleiter seine eigenen Abenteuer, als er auf der Fahrt nach einem Bergwerk des Königs auf eine Insel verschlagen wurde. Es hat wenig Zweck, die Schlangeninsel nach dieser Beschreibung mit der Topasinsel der Antike (Plinius), die Strabon auch Ophiades nannte, und die der Insel Zeberged (St. Johns Island) vor der Foul-Bai zu entsprechen scheint, gleichzusetzen27). Es sollte doch eine Märcheninsel sein, die demgemäß am Schluß in den Fluten versinkt. In den Tempelreliefs der Hatschepsut sieht man die 5 Seeschiffe, die unter Führung des Oberschatzmeisters Nehsi standen, bei ihrer Rückkehr in Theben landen. Darauf stützte sich die Annahme, daß damals eine schiffbare Verbindung zwischen Nil und Rotem Meer bestand. Doch meldet keine Inschrift, kein sonstiges Zeugnis etwas von einer solchen widitigen Anlage; ausgenommen eine sehr verdächtige Nachricht bei Plinius, daß der Sagenkönig „Sesostris" vor Necho jenen Kanal begonnen habe. Geschichtlich fest steht lediglich, daß Necho um 600 v. Chr. den Kanal in Angriff nahm und ihn Dareios I. und Xerxes vollendeten28); ferner, daß ihn Ptolemaios Philadelphos wiederherstellte und im Jahre 280/279 v. Chr. eröffnen ließ. Nach Herodots Beschreibung (II 158) führte der Kanal vom bubastitischen Nilarm, etwas oberhalb Bubastis (Zagazig) abzweigend, ostwärts am Ort Patumos (Pithom) vorbei, durch das Wadi Tumilat; er erreichte dessen Ostausgang in der Nähe des Timsahsees und der Naville, Deir el Bahari III 78/79. Urk. IV 329. 334/5. Hilzheimer, Ä Z 68 S. 112f. Pavian: Naville III 74/76. Giratie: III 70. - a ) So Köster, ÄZ 58 S. 128. " ) So Wainwright, J E A 32 S. 31 f. -8) Posener, Chronique d'Egypte 26 (Juli 1938) S . 2 5 9 f . 25)
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Bitterseen, die er nach Strabon durchströmte, folgte also ungefähr dem Lauf des heutigen Süßwasserkanals nach Suez. Wenn man früher die Nachricht der Sinuhegeschichte, daß man von Sile an der Ostgrenze bis Memphis im M R zu Schilf fahren konnte 2 9 ), für das Bestehen des Kanals zum Roten Meer anführen mochte, so hat dies seine Beweiskraft verloren, seit es feststeht, daß Sile nicht bei Ismailije, sondern bei el Kantara lag 3 0 ). Von Sile aus lief allerdings ein alter Kanal zum bubastitischen (pelusischen) Nilarm in Gegend Defenne. Und wenn Diodor (133) meint, daß der vonNecho begonnene Kanal an der pelusischen Nilmündung angefangen hätte, dann rechnete er den als Hauptschiffahrtsweg ausgebauten bubastitischen Nilarm in den Kanalweg ein. Für das Bestehen eines Schiffahrtsweges durch das Wadi Tumilat vor der Saitenzeit besagt das alles nichts. Man müßte also nach den Bildern in D e r el Bahri entweder das stillschweigende Bestehen des Kanals annehmen oder die Ankunft der Seeschiffe in Theben als fingiert betrachten, was bei dem stark symbolhaften Charakter ägyptischer Geschichtsbilder durchaus denkbar erscheint. Die Folgezeit läßt keine Einzelheiten über Puntexpeditionen verlauten, entweder waren sie in einer Zeit, wo man das ganze Heer auf dem Seeweg nach Syrien beförderte, etwas Alltägliches geworden, oder der Handelsverkehr verlagerte sich auf die neugewonnenen Provinzen in Obernubien 3 1 ). Erst Ramses III. berichtet, daß er Schiffe über die See des „verkehrten Wassers", das Rote Meer, nach Punt entsandte, und daß bei der Rückkehr alle Waren, sogar die Häuptlingskinder, die man herkömmlich als Beute mitschleppte, an der Küste auf Esel geladen und nach Koptos geschafft wurden 3 2 ). Von dort wanderten sie stromab zum Königshof nach Memphis oder Tanis (Piramessu). Um 1160 v. Chr. gab es demnach keine Verbindung zum Roten Meer. Man mußte wohl wie im M R die Ausgangsbasis am Wadi Gasüs benutzen und von dort die alte Hammamätroute ziehen. Dasselbe darf man bei den Hinweisen auf Tribudeistungen der „großen Häuptlinge von Punt" zur Zeit des Haremheb unterstellen 33 ). Im übrigen hatten solche Huldigungsdarstellungen, genau wie dies bei ihrem geographischen Gegenpol, den Großen der Keftiu der Fall war, nur noch symbolischen Wert. Wir wissen, daß die Erschließungstätigkeit zur See als Folge des Alexanderzugs in der Ptolemäerzeit, vor allem unter Philadelphos, erneut einsetzte 34 ). Die vielfachen Neugründungen von Stützpunkten an der Küste des Roten Meeres und der häufige Wechsel der bevorzugten Anlegeplätze, von Myos Hormos (Abu Schar 27° 23' n. Br.) im Norden angefangen über Philoteras (bei Mirsa Guwesis? 26° 33'), Leukos limen (Alt-Koseir 26° 6'), Nechesia (Mirsa Mubärek nahe den Goldgruben von Umm Rüs 25" 30') bis Berenike (23° 54') an der Foul-Bai im Süden, verraten noch einmal die Tücke der Korallenbänke an den gefährlich schmalen Einfahrten in schlecht geschützte Buchten (Abb. 23). ) Z. B. Breasted, Gesdiichtc Ägyptens (1910) S. 172. S. u.S. 105. 31 ) S.u. S. 191 f. 32 ) Pap. Harris I 77, 8f. 33) Wreszinski, Atlas II Taf. 60. 34) Wilcken, ÄZ 60 S. 86. Kortenbeutel, Der ägyptische Süd- und Osthandel in der Politik der Ptolemäer und röm. Kaiser (Diss. Berlin 1931). 2t
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8. Wüstenstraßen, Rohstoffe und Handelswege Ostseite. Trotz der Abschirmung des Niltals durch beiderseitige Wüsten hat der Mensch diese Sperre alle Zeiten durchbrochen, um zu Lande zu erreichen, was ihm zu Wasser nicht zugänglich war. Ja, der Gang durch die Wadis und den Sand ist offenbar älter als die Schiffahrt, und Handelsinteressen, die Suche nach Rohstoffen vor allem, haben den Ägypter der geschichtlichen Zeit immer weiter hinausgeführt in jene gefahrvollen Zonen des Durstes. Als militärische Ausfallstraße hat wesentlich der „Horusweg", die Königsstraße von Sile (el Kantara) über el Arisch nach Gaza in Südpalästina, eine Rolle gespielt1). Wohl aber drückten Völkerschübe, seit Urzeiten den Karawanenstraßen folgend, auf die ägyptischen Grenzen, so daß der Staat zu Abwehrmaßnahmen schreiten mußte. Die Verhältnisse waren auf der libyschen und arabischen Seite verschieden, sie änderten sich auch in den einzelnen Perioden der Geschichte. Auch der Drang in die Wüste wechselte seine Wege und Ziele. Rohstoff- und sogar Geschmacksfragen wirkten dabei mit. Die arabische Seite zeigt zwei Knotenpunkte des Ostverkehrs: Die Ostflanke des Deltas, von der wir bei der Urgeschichte Ägyptens sprachen, und die Gegend nördlich von Theben. Der Isthmus von Suez wird seinerseits von zwei Einfallswegen ins Delta durchschnitten: Der nördliche schon erwähnte, den wohl alle ägyptischen Heere nach Asien zogen und den alle asiatischen Eroberer benutzten, überschreitet bei Sile (Teil Abu Sefe bei el Kantara) die Seenenge und hält sich dann über Salzsteppe südlich des pelusischen Nilarmes, um in Richtung Faküs die nordöstlichen Deltagaue zu erreichen. Von der Grenze bei Sile an stand das ägyptische Kanalsystem zur Weiterfahrt zur Verfügung. Wie die Geschichte namentlich bei den Angriffen der Assyrer und Perser zeigt, war die Überwindung der Wüstenzone zwischen el Arisch (Rhinokorura) und Pelusion entlang den Lagunen des Sirbonischen Sees nicht einfach. Dahinter konnte die Seensperre von der pelusischen Mündung bis zum Ballahsee südlich el Kantara leicht verteidigt werden. Auf der südlichen Linie bot sich von der Gegend von Ismailije am Timsahsee aus das dünn besiedelte Wadi Tumilät als gegebener Weg zur Benutzung an. Freilich war die Gegend des Timsahsees mitten auf dem Isthmus von Osten her wieder nur auf beschwerlichen Wüstenpfaden vom Sinai her oder aus der Negebwüste Palästinas erreichbar, die wenigen Brunnenstellen leicht zu beobachten. Wie es am Anfang des MR hier aussah, erfahren wir aus der Erzählung von der Flucht des Sinuhe2). Es war der Tummelplatz asiatischer Nomaden, dte mit ihrem unruhigen Leben den Erbfeind Ägyptens im Osten bildeten. Diese im Zaum zu halten, gebot allein schon die Rücksicht auf Sicherung des Verkehrs mit dem Sinai. Dort finden wir schon die ersten Könige der Thinitenzeit tätig, Semempses hat ein monumentales Siegesrelief eingehauen, und Snofru, der die 4. Dynastie einleitete, kann als endgültiger Eroberer und Schutzgott der ägyptischen Herrschaft dort gelten3). Wieder lockten Rohstoffe in die unwirtlichen Gebirgstäler der Halbinsel. Vor allem handelte es sich um reiche T«>&*vorkommen4), *) S. u. S. 105. '-) S. u. S. 106. 3
) Gardiner-Peet, Inscriptions of the Sinai I. ) Rees, Kulturgeschichte S. 126f.
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nach denen man die Sinaiberge die „Türkisterrassen" nannte. Unter „Türkis" schloß der Ägypter wohl allerlei Arten grüner Steine, Malachit, Amazonit und grünen Feldspat mit ein. Vielleicht kam Kupferabbau, von dem allerdings heute keine Spur mehr zeugt, dazu 5 ). Die Türkisminen sind dagegen durch zahlreiche ägyptische Inschriften im Wadi Maghara, vom MR an vor allem weiter landeinwärts bei Sarbüt el chadim mit einem Heiligtum der Hathor, Herrin des Türkislandes, gesichert. Zum Sinai schlugen die alten Expeditionen von Memphis-Heliopolis aus wohl den direkten Weg über- das Wüstenplateau zwischen Kairo und Suez ein, wo später die Mekkapilger aus Nordafrika (Darb el hagg) zogen, um den Umweg durch das Wadi Tumilät zu vermeiden. Um die altägyptischen Leistungen auf den Wüstenstraßen voll zu würdigen, muß man berücksichtigen, daß nur Esel (oder Rinder) als Lasttiere zur Verfügung standen. Wohl scheint das Kamel, wie ein Steingefäß in Kamelform aus Abusir el Melek zeigt6), in der späten Nekadazeit durch asiatische Beduinen vorübergehend in den Gesichtskreis der Ägypter getreten zu sein, aber wirtschaftliche Umwälzungen brachte erst seine Einführung in der hellenistischen Zeit. Man darf also ägyptische Wüstenzüge nicht mit dem Maßstab arabischer Kamelkarawanen messen. Außerdem mußten die Expeditionen zum Sinai durch das gaii^e AR hindurch mit einer feindseligen Haltung der Beduinen rechnen7), so daß man die Arbeitskräfte selbst mitführen mußte. Diese Verhältnisse besserten sich erst im MR S ). Aber Beduinen sind für regelmäßige Werkarbeit immer ungeeignet. Die Wüstenwege der arabischen Seite von Suez südwärts kamen für Völkerschübe nur beschränkt in Frage. Es konnte sich dabei nur um kleine Trupps von Nomaden handeln, wie sie noch heute dort schweifen, die versuchten, eins der in das Kalksteinplateau eingeschnittenen zum Nil sich öffnenden Wadis zu erreichen. So verewigte der Gaufürst Chnumhotep aus der Zeit Sesostris' II. in seinem Grab bei Beni Hassan die Einwanderung eines Klans von 37 asiatischen Beduinen, die ihm ein „Vorstehe^ der Jäger" als Chef der Wüstenpolizei vorführte 9 ). Dieser mittelägyptische Dynast behauptet als „Vorsteher der östlichen Wüste" für ihre Sicherheit verantwortlich zu sein. In seinem Gaugebiet lag jene königliche Domäne „Amme des Cheops" (Menat-Chufu), die eine Inschrift des thebanischen Generals Sanch aus dem Ende der 11. Dynastie als nördlichsten Punkt des Grenzschutzes, den er mit Hilfe von bewachten Brunnenstellen aufbaute, nennt 10 ). Der Südpunkt, ein sonst unbekannter Name, ist beim heutigen Lakeita an der Hammamätroute zu vermuten. Andererseits wird Hebenu, die Hauptstadt des 16. oberägyptischen Gaues, die man mit gutem Grund beim heutigen Sauiet elMeitin südöstlich Minie auf dem Ostufer suqht (Abb. 17), in der Regierungsanweisung des Herakleopolitenkönigs Achtoi an seinen Sohn Merikare als südlicher Endpunkt der Sicherung der Nordostgrenze gegen Asien genannt 11 ). „Die Grenze von Hebenu an bis 6
) Lucas, Ancient Egyptian Materials8 S. 156f; ebendort S. 348 zum Malachit (äg. ssm. £?) und S. 352 zum Türkis. 6 ) Scharf}, Abusir el Meleq (DO Ges. 49) Taf. 24 Nr. 209. 7 ) S. o. S. 59. e ) J.Ccrny.Semites in Egyptian Mining Expeditions to Sinai. Archiv Orientalm 7 (1935) S.384f. ") Newberry, Beni Hasan I Taf. 30/31 = Wreszinski, Atlas II 6. lü ) S. o. S. 60 zu Couyat-Montet, Inscript. hierogl. du Ouädi Hammamat Nr. 1. ") Pap. Petersburg 1116 A ed. Goknische ff Z. 88/89. s. u. S. 106.
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zum Horusweg ist mit Orten besiedelt und mit Menschen gefüllt von der Auslese des ganzen Landes". Das klingt reichlich hochfahrend, es verrät aber dasselbe Prinzip der Sicherung der Wüste durch Besetzung von Brunnenstellen mit kleinen Abteilungen der genannten Jäger. Trotzdem die Verhältnisse noch ungünstiger geworden sind, findet man heute ziemlich regelmäßig an den Brunnen im Hammamatgebiet, z. B. bei Lakeita und am Bir Fauächir, zeltende Beduinen. Die Gegend von Minie bzw. Hebenu muß also im MR eine Art Abschnittsgrenze des östlichen Sicherungsgürtels gebildet haben, obwohl hier keine bedeutende Karawanenstraße ins Niltal führte. Mit Ausnahme des etwa 35 km nördlich mündenden weitausfächernden Wadi Tarfe zogen nur Nebenwege, die den letzten Ausläufern des großen von Süden heraufziehenden Wadi Kene zustrebten, ostwärts 12 ). Die erwähnten Jägerabteilungen, die man als Polizei verwendete, rekrutierten sich wohl selbst aus Wüstensöhnen. Ähnliche Kommandos treffen wir in den westlichen Oasen und an ihren Zugangswegen. Die meistbenutzten Verbindungswege zum Roten Meer verlassen das Niltal im Raum zwischen Kene und Theben (Luxor), da dort infolge der großen Nilschleife der Strom der Küste am nächsten rückt. Dort öffneten sich mehrere Wadis in die Ostwüste; andererseits erfordern die bis über 2 0 0 0 m ansteigenden Urgesteinszüge ( A b b . 2 2 ) nach
Durchschreiten der Kalksteintafel ein mühsames Durchwinden den Wadis folgend, wobei der Weg beispielsweise auf der meistbenutzten Hammamätroute bis auf 800 m Meereshöhe emporsteigt, um die Wasserscheide zwischen Nil und Rotem Meer zu gewinnen. Dafür bargen diese Urgesteinklötze mehr Wasserstellen und Weideplätze als die nördlichere Zone. Die Hauptanziehungskraft dieser Berge aber, die den Niltalbewohner seit der Zeit der vorgeschichtlichen Jäger und Viehzüchter angelockt hatte, lag in den wundervollen bunten Hartsteinen für Handwerk und Kunst 13 ), im Gold und den Halbedelsteinen, die die Urgesteinszüge in ihren Adern bargen. Im Hammamatgebiet stand jene Grauwacke (Schist) an, eine grünliche Schieferart, die schon die Schminkpaletten vor- und frühgeschichtlicher Zeit als Material schätzten, die aber auch die Plastik der Spätzeit wegen ihrer spiegelblank zu bearbeitenden Glätte liebte. Der Ägypter nannte den Stein „den schönen Bechenstein" 14 ). Daneben traf man jüngere Eruptionsgesteine, dunkle Granite (am Gebel Fatire, dem Möns Claudianus der Antike) oder Diorit (bei Fauächir im Hammamatgebiet), und auch dies waren für Architektur und Plastik seit alters begehrte Arten. Der gegebene Ausgangspunkt für das Wadi Hammamät und die Route nach dem 173 km entfernten Koseir (Leukos limen) (Abb. 23) war Koptos. Mit ihrer Benutzung konnte man dann entweder an der Küste entlang nordwärts odei; bereits an der Brunnenstelle Bir Seyala (132 km von Koptos), nordwärts von der Koseirroute abbiegend, zur Hafenstelle Sawu am Wadi Gasüs (und dem ptolemäischen Philoteras) gelangen 15 ). Oder man verfolgte von Kene aus das '•) Hadrian ließ von Antinoupolis (Sdiech Abade) im 15. Gau aus die Via Hadriana zum Roten Meer anlegen, ein Zeidien, daß die Ostwüste in dieser Gegend keine besonderen Schwierigkeiten bot. 1 ') S. o. S. 12. u ) Der Name kommt im Hammämat seit Sesostris III. vor: Conyat-Montet, a. a. O. Nr. 47. Zum Stein s. Lucas u. Rowe, Annal. du Serv. 38 S. 127f. 1S) Zu den Stationen und Straßen s. G. W. Murray, JEA 11 S. 138 f. mit Abb. und Kartenskizze; D. Meredith, JEA 38 S.94f.; 39 S.95f.
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breite Wadi Kene nordwärts bis zum Bir Aras (21 km), bog dort nordöstlich ins Wadi Atrasch ab in Richtung auf den Gebel Duchan (1662 m), den Möns Porphyrites der Kaiserzeit (Abb. 26), wo der Weg sich zwischen diesem und dem südlich gelegenen Gebel Kattar (1963 m) hindurchwindet, um schließlich das Wadi Abu Schar mit dem Hafen Myos Hormos zu erreichen (181 km). Auch das innerste Wadi Gasus und der Ausweg zum Hafen Sawu ließ sich von Kene aus quer durch das Gebirge gewinnen. Aber bei diesen Routen waren unzweifelhaft die Zugänge zu Abbausteilen von Gold, Eisen, wertvollen Steinen entscheidend, wobei bemerkt sei, daß der prächtige Porphyr des Gebel Duchan erst zur Römerzeit ausgebeutet wurde, bei den Ägyptern aber keine Beachtung fand. Als Ptolemaios Philadelphos den Hauptverkehr am Roten Meer südwärts nach Berenike (Sikket Bender) an der Foulbai, das auf der Breite von Assuan liegt (23° 54'), leitete, ließ er die Straße zum Nil wiederum nach Koptos laufen. Die neue Route trennte sich bei Phoinikon, dem heutigen Lakeita, von der Koseirstraße, um südostwärts über 10 weitere Stationen, die das spätrömische Itinerarium Antonini aufzählt, Berenike zu erreichen (259 mp = 380 km, davon 24 mp bis Lakeita). Die Ägypter machen keine Angaben über die Reisedauer der einzelnen Routen; nach den antiken Brunnenstellen oder den von diesen abhängigen Reisen der Neuzeit, wo man für den Weg nach Koseir 4 - 5 Tage, von Kene nach Abu Schar (Myos Hormos) 5 - 6 Tage, von Koptos nach Berenike etwa 12 Tage rechnete, kann nur sehr bedingt auf die Dauer altägyptischer Reisen geschlossen werden, da man seit der hellenistischen Zeit über Kamelkarawanen verfügte, die Pharaonen und ihre Diener noch nicht. Umso erstaunlicher ist es, wie beharrlich und erfolgreich sich die alten Prospektoren in die entlegensten Winkel der Ostwüste hineingefressen haben. Unzählige Inschriften verewigen im Hammamätgebiet, vielfach an Rastplätzen, wo schon die vorzeitlichen Jäger ihre Felsbilder hinterlassen hatten, die Expeditionen und ihre Leiter. Die datierten beginnen unter Asosi am Ende der 5. Dynastie und erreichen in der 6. Dynastie ihren ersten Höhepunkt. Außer der Menschenkraft, die rücksichtslos eingesetzt wurde, dienten Esel für Materialtransporte und Rinder als Zugtiere beim Steineschleppen. Auch die Versorgung war sehr schwierig. So berichtet z. B. ein Expeditionsleiter, der am Ende des AR von der Residenz Memphis aus zum Steinebrechen ins Hammamät geschickt worden war, daß ihm der König für seine 100 Steinmetzen und 2200 Mann Arbeitskommandos täglich 50 Rinder und 200 Ziegen zur Verfügung gestellt hatte 16 ). In den Ausgangsorten im Niltal aber rühmten sich die großen Herrn ihrer Rolle als Aufsichtsorgane, und die alten Götter nutzten es zu ihrem Ruhme aus. Man versteht, daß sich ein Gaufürst von Koptos in der Feudalzeit als „Vorsteher von Oberägypten" mit größerem Recht „Vorsteher der westlichen und östlichen Wüste" nennen konnte 17 ), als jener mittelägyptische Kollege in Beni Hassan, von dem wir schon sprachen. Gerade Koptos, an dessen Stelle sich erst spät das benachbarte Küs und dann Kene schob, dankte seine Bedeutung in alter Zeit wesentlich den Oststraßen. Aber auch der Name von Ombos (bei Ballas) auf dem koptitischen Westufer, „die Goldene", reflektiert den Reichtum aus den Schätzen der Ostwüste an einer Stelle, die Zentrum der altoberägyp16
) Couyät-Montet, a. a. O. Nr. 206=Urk. I 149; vgl. Kees, Kulturgeschichte S. 140f. " ) Kairo Cat. g£n. 1442.
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tischen Nekadakultur war! Offenbar stammte das Gold „aus der Wüste von Koptos", wie es der Ägypter zur Unterscheidung von dem nubischen aus Kusch nannte 16 ), wesentlich aus der Fauächirmine im Hammamät. Man nimmt an, daß sich auf die Umgebung der Fauächirmine und ihre Zugänge durch das Wadi Hammamät und den Weiterweg zum Roten Meer die einzigartige ramessidische Landkarte auf Papyrus in Turin bezieht. Sie verzeichnete nicht nur einen „Brunnen Sethos' I.", „die Berge, in denen man Gold bricht" und zwei Routen, die zum Meer führten sowie einen Amonstempel als Mittelpunkt der Arbeitersiedlung, sondern auch in einiger Entfernung von der Siedlung der Goldarbeiter den „Berg des Bechensteins", der begehrten Grauwacke (Schist) des Hammamätgebietes18). Die Wege, die aus der südlichen Thebais ostwärts in die Wüste laufen, aus der Gegend gegenüber Edfu (Redesije) und von el Kab und Kom Ombo aus, besaßen niemals Bedeutung als Verkehrswege, sie waren wesentlich Zugänge zu Goldbergwerken. Als vorgeschobener Stützpunkt 45 km östlich des Niltals wird hier der Felsentempel von Kanais im Wadi Mia (Wadi Abbäd), den Sethos I. um 1305 v. Chr. anlegte, erkennbar, und seine Inschriften verweisen auf die Ausbeutung der damals wohl ergiebigsten Mine auf ägyptischem Boden, der weitere 50 km ostwärts gelegenen von Barramija 20 ). Von Barramija aus konnte man unter Benutzung des Wadi Bezah, am Bir Bezah (der antiken Wasserstelle Jovis im Itin. Anton.) die Straße Koptos-Berenike schneidend, zu den Minen von Umm Rüs nahe der Küste des Roten Meeres und dem Ankerplatz Nechesia (Mirsa Mubarak, 25°30'n. Br.) gelangen, aber das erforderte einen beschwerlichen Wüstenweg von nochmals über 100 km. Vom Bir ßezah ließ sich ein anderes bekanntes Goldvorkommen, das von Sukari nördlich des Smaragdberges (Gebel Zabara, 1361 m), erreichen. Vom Felstempel Sethos' I. aus konnte man ferner einer alten Goldstraße weiter südwärts folgend über Abu Kreyah zur Goldmine von Samut (114 km) vordringen 21 ) und von dort ostwärts bei der Station Dweg (Phalacro der Antike) die Berenikestraße gewinnen22). Sethos I. hatte den Ertrag des zu seiner Zeit wohl ertragreichsten Bergwerkes dem von ihm erbauten Osiristempel von Abydos geschenkt Uber die Abbaumethoden, die Arbeitskräfte und ihre sicher sehr hohen Verluste schweigen die ägyptischen Nachrichten mit Ausnahme eines Sonderfalls unter Ramses II. in Nubien 23 ). Zur Römerzeit arbeiteten in den Bergwerken und Steinbrüchen der Ostwüste „damnati in metallum", deren fürchterliches Los uns Agatharchides von Knidos (130 v. Chr.) in seiner Schilderung des mühseligen Herauswaschens des Goldes aus dem Quarzbruch der Berge zur Ptolemäerzeit ahnen läßt 24 ). Auch für die ägyptischen Bergwerksbetriebe können wir seit dem NR in hohem Maße mit der Beschäftigung von Kriegsgefangenen rechnen. Vorher mußte man sich mit Arbeitskommandos und der 18 ) So Urk. IV 931 (unter Thutmosis III.). ") Erman-Ranke, Ägypten Abb. 234; vollständiger jetzt bei G. Goyoti, Annal. du Serv. 49 (1949) S. 337f. mit 2 Taf. und zahlreichen Abb. Gardiner und Gunn in JEA 4 S. 244 f. " ) Etwas nordöstlich von Samut liegt in Richtung Barramija die Dunkasch-Goldmine. Baedeker, Ägypten S. 390/391 nadi Goleniicheff, Ree. de trav. 13 S. 75 f. " ) S. u. S. 183. 5i ) Diod. III 12/14.
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Werbung wenig geeigneter Nomaden behelfen. Dem steht die Versicherung Sethos' I., daß die Arbeiter für die Goldgruben ausschließlich vom Personal des Osiristempels in Abydos selbst gestellt würden, nicht entgegen, denn unter den Tempelhörigen befanden sich zahlreiche Kriegsgefangene. Dazu kamen Strafgefangene aller Art. Ägyptische Erlasse dieser Zeit, besonders auch die mehrfach erwähnten Dekrete des Haremheb, drohen ja oft Versetzung zur Zwangsarbeit unter Verbannung in Grenzgebiete, Sile, Kusch oder die libyschen Oasen an 23 ). Manches alte Lager mit den Stallungen für Vieh, den Kasernen der Wachmannschaften, den Hunderten armseligster steinerner Arbeiterhütten an den Berghängen, ist in entlegenen Wüstenwinkeln erhalten geblieben. Als Beispiel kann die in grandioser Einsamkeit am Gebel Duchan gelegene römische Station für die Porphyrbriiche dienen (Abb. 26). Die Bergwerke in der Ostwüste der südlichen Thebais, dem sogenannten „Kopf Oberägyptens", unterstanden im NR dem „Königssohn von Kusch". Aber ihre Auffindung und Ausbeutung ist keineswegs erst ein Erfolg des NR oder gar der Ramessidenzeit. Vielmehr beruhte schon Reichtum und Ansehen der ältesten oberägyptischen Hauptstadt Hierakonpolis (Kom el Ahmar) und ihres Gegenübers auf dem Ostufer, el Kab, der Stadt der Kronengöttin Nechbet, auf dem Gold der Wüste. Die örtlichen Verhältnisse sind ähnlich wie bei Koptos und Ombos. Bei el Kab zieht ein Wadi nach Osten, in dessen Eingang ein Heiligtum der „Hathor, Herrin des Wüstentals", liegt; weiter landeinwärts folgt ein Höhlentempel, ähnlich dem Heiligtum der Löwin Pachet bei Beni Hassan. Er eignete neben Nechbet einer Hathor-Tefnut als „Herrin des Wadieingangs"26), hinter der sich sicherlich ein alter Tierkult, entweder ebenfalls einer Löwin oder der aus den Pyramidentexten bekannten „großen Wildkuh, die in el Kab zu Gast ist", verbirgt. Die Nechbet aber reicht im Totentempel des Sahure dem König Gold und das damals noch seltenere, aus denselben Quarzgängen gewonnene Silber87). Wenn sich die Gaufürsten von el Kab im MR „Hüter von Silber und Gold nennen28), stecken zweifellos alte Pflichten dahinter. So erklärt sich vielleicht die auffallende Tatsache, daß die ägyptischen Reichseiniger scheinbar aus dem äußersten Süden des Landes kamen, der über wenig Land verfügte und bereits an den „nubischen Gau" (Elephantine) grenzte: War ihre Machtquelle neben dem Kupfer aus der Südostwüste schon das edle Metall? Noch ein weiteres bot die Ostwüste ihren Besuchern, jene Halbedelsteine, die die ägyptischen Schmucksachen von der Thinitenzeit an, und teilweise schon in den vorgeschichtlichen Kulturen, so anziehend machen: Granate, Feldspat, Onyx, Chalkedon, Achat, Jaspis, Bergkristall, Amethyst, Türkis, Karneol. Manche, wie Steatit und Türkis, wurden schon in der altägyptischen Badarikultur verwendet 29 ). Das setzt immerhin die Anfänge eines weiträumigen Tauschhandels voraus. Von seinen Lieblingssteinen, dem grünen Türkis und ähnlichgefärbten Steinen, dem mattroten Karneol und dem blauen Lapislazuli, mußte der Ägypter den letzteren, sollte er echt sein, alle Zeit aus der Fremde holen oder eintauschen, wahrscheinlich sogar sehr weit her aus Asien. Grün" ) S. o. S. 55 u. S. 71. M ) LD Text IV S. 39; die erhaltene Anlage ist ptolemäisch. ") Sethe bei Borchardt, Grabdenkmal des Sahure II S. 93 zu Bl. 18. S8 ) LD III 13b (13. Dyn.). 2 ") Brunton, Badarian Civilisation S. 41.
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Stein und Türkise lieferte die Ostwüste und der Sinai, Karneol und andere rote Steine, z. B. Granate, fand man im Kataraktengebiet um Assuan, dort in der nubischen Wüste auch den violetten Amethyst 30 ). Zahllose Namen, die die ägyptischen Texte nennen, sind noch nicht identifiziert. Bei ihrer Verwendung spielten nicht bloß Zufälle, sondern zweifellos bestimmte zeitliche Liebhabereien, also die Mode, eine Rolle. Wir werden auf diese Frage bei den nubischen Schilderungen zurückkommen. Übrigens hat das pharaonische Ägypten gerade einige der heute am höchsten bewerteten Steine, die im ägyptischen Bereich vorkamen, nicht verwendet: Den hochedlen Smaragd, der sich am Gebel Zabara (1361 m, Smaragdus Möns der Antike) findet, und den durchsichtigen vielfarbigen Beryll, der ebenfalls in den Bergen am Roten Meer angetroffen wurde' 1 ). Beide hat erst die ptolemäisch-römische Zeit gewürdigt.
Ktrawanenstraßen im Westen. Die libyschen Oasen Auf den Karawanenstraßen des Westens herrschten wesentlich andere Bedingungen. Wer von Ägypten her dorthin auszog, suchte nicht nach Rohstoffen in Randgebieten seiner Kultur, kaum als Jäger nach Wild. Die Ziele waren hier fernergerückt, und zwischen ihnen und dem Niltal herrscht die steinige Wüstentenne mit Sanddünen und wenigen markanten Erhebungen über Hunderte von Kilometern. Stützpunkte bilden die libyschen Oasen. Es sind Depressionen in der Wüstentafel, die zum Teil erheblich unter dem Spiegel des Mitttelmeeres liegen; ihre Ränder sinken vielfach in recht steilen Abbrächen so unvermittelt ab, daß sie erst aus nächster Nähe erkennbar werden. Die ägyptische Bezeichnung Wahe (woraus das griechische „Oasis" entstand), nach einem Wort für „Kessel", ist daher recht passend gewählt. Wasser erhalten die Oasen aus natürlichen Quellen oder Brunnen, deren Grundwasser durch unterirdische Zuflüsse aus den Sudansümpfen gespeist wird. Daß die Oasen in der Linie eines urzeitlichen Nilarmes, des sogenannten Bahr bilamä, lägen, hat sich als unzutreffend erwiesen. Die größte und wichtigste Oase, die sich bei einer Breite von 20-50 km auf etwa 200 km nordsüdlich erstreckt, ist die „südliche Oase" der Ägypter el Charge („die innere") mit der 70 km westwärts vorgeschobenen Oase el Dachle („die äußere"). Charge liegt etwa 170 km vom Niltal entfernt, die natürlichen Zugangswege kommen aus der Gegend von Abydos oder Hü (Diospolis parva), demzufolge wurde die Oase in ägyptischer Zeit verwaltungsmäßig meist dem thinitischen (8.) oder dem 7. Gau, zeitweise auch dem panopolitischen (9.), unterstellt 32 ). Wir nannten el Charge schon als Platz von königlichen Weingütern der Thinitenzeit. Wenn wir dann im NR, so im Grab des 2. Amonspropheten Ipuemre aus der Zeit Thutmosis' III. abgebildet sehen, daß „Große der südlichen und nördlichen Oase" Tribute, darunter Wein, darbringen 33 ), so deutet das darauf hin, daß in den Oasen Stiftungsgüter des Amun vielfach Nachfolger der alten königlichen Domänen geworden S. u. S. 184. Lucas, Anc. Egyptian Materials 2 S. 339. -') S. meinen Artikel Oasis in Pauly-Wissowa :l 1 ' ) Davies, Tomb of Puyemre T T a f . 31. :l
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waten. Auf diese Weise ist Amun selbst Herr der Oasen geworden. An sich standen in alter Zeit die Wüstenwege samt den Oasen unter dem Schutz des Seth oder eines ihm wesensähnlichen Gottes Asch, den wir auf den Krugsiegeln aus den thinitischen Königsgräbern in Abydos in Sethgestalt sehen und der im A R „Herr von Libyen" heißt. Von Assiüt aus läuft über Charge die berühmte „Straße der 40 Tage" (Darb el arbain), die weiter über die Wüstenbrunnen Bir Murr, Bir Kasaba, dann die kleine nur vorübergehend von Beduinen aus Stämmen der schwarzen Goran oder Tibbu besetzte Oase Selime, Lakiza und Bir Natrun nach Darfur (el Fascher) führte. Sie umging das ganze Kataraktengebiet und strebte unmittelbar ins Land der Schwarzen. Ihre große Zeit hat diese Straße unter den arabischen Sklavenhändlern gehabt, und das Kamel als Lastund Reittier scheint von solchen Wegen nicht wegzudenken. Trotzdem muß man berücksichtigen, daß noch heute viehzüchtende Nomaden, wie jene Tibbu, die weiten wasserlosen Strecken vom Tibestihochland oder der Kufraoase bis zu den Weideplätzen am Gebel Uwenat und im Gilf kebir mit ihrem Vieh zurücklegen 84 ), genau wie ihre Vorfahren, die unter klimatisch günstigeren Verhältnissen dort ihre Rinderherden hüteten und Felszeichnungen davon hinterließen. D e r Kampf um die spärlichen Weideplätze wurde aber nicht allein mit der Natur geführt, gerade das Rassengemisch in den Oasen weist deutlich in einer Herren- und Hörigenschicht auf den fortwährenden Kampf verschiedener Volksgruppen. In altägvp tischer Zeit müssen libysche Stämme vom Nordrand Afrikas sich bis in die südlichen Oasen ausgebreitet haben, und das führte zu Zusammenstößen mit den nubischen Stämmen des oberen Niltals. Von einem solchen berichtet der Gaufürst Harchuf aus der Zeit des Merenre (6. Dyn.)' 5 ). Als er selbst vom Niltal her, etwa aus der Gegend von Hfi, jedenfalls von einem Orte nördlich von Assuan, „auf dem Oasenweg" auszog und vielleicht über Charge und dann in Richtung auf die kleine Dunguloase ins nubische Land Jam (Gegend südlich des 2. Katarakts) ziehen wollte, traf er den Häuptling von Jam, der auf einem Raubzug gegen das „Libyerland" begriffen war „bis an die westliche Ecke des Himmels". D e r kluge Ägypter zog ihm hinterher, also offenbar nicht in seiner ursprünglichen Marschrichtung südwärts, und stiftete Ruhe, das heißt wohl: er jagte ihm seine Beute ab! Hierbei wird es sich vor allem um Vieh- und Menschenraub, höchstens um Auseinandersetzungen um den Besitz einzelner Oasen handeln. Offenbar haben es die Alten verstanden, um die weiten wasserlosen Wüstenstrecken mit Kriegerabteilungen überwinden zu können, außerhalb der wenigen natürlichen Brunnenstellen sich Wasserdepots bereitzulegen. D i e moderne Wüstenforschung hat z. B. 1917 ein antikes Depot von Hunderten von Tonkrügen weit südwestlich von Dachte entdeckt (Abu Bailas), das offenbar zu einem alten Karawanenweg, der die große Sandsee südlich umging und nördlich am Gilf kebir vorbei auf Kufra zielte, gehörte. In der Dachleoase gingen dazu Überlieferungen um, daß die Oase früher wiederholt von Banden Schwarzer überfallen worden sei, denen das Wasserdepot als Stützpunkt gedient hatte 8 6 ). Man darf daran erinnern, daß die mehrfache Plünderung libyscher Oasen, vor allem von Charge, durch nubische Räuberhorden in spätantiker ) S. o. S. 4. ) Urk. I 125/126. ") Almasy, Unbekannte Sahara S.72f. 179.
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Zeit (um 440 n. Chr.) geschichtlich bezeugt ist' 7 ). Allerdings blieben bei solchen wagehalsigen Expeditionen Katastrophen nicht aus, namentlich wenn nicht wüstengewohnte ^Massen bewegt werden sollten. Die größte geschichtlich beglaubigte ist der Untergang des Kambysesheeres auf dem Weg zur Amonsoase Siwa, das wohl in den Dünen der Sandsee südöstlich Siwa zugrundeging 88 ). Die Verbindungen zu den libyschen Oasen erschienen immerhin den Alten so wichtig, daß die Aufsicht über die Oasen im MR dem höchsten Reichsbeamten, dem Vezir, 'aufgetragen war, sei dies nun ein mittelägyptischer Dynast wie der Gaufürst Ahanacht von Hermopolis oder ein Mann vom Hofe, wie der Vezir Sesostris' I., Menthuhotep"). Bei beiden finden wir den Titel „Vorsteher der westlichen Wüste". Wir erinnern uns dabei ähnlicher Einrichtungen für die östliche Wüste. Natürlich sammelte sich in den Oasen allerlei unsicheres Volk an, das der staatlichen Aufsicht aus dem Wege ging. Ein „Vorsteher der Jäger", der sich auch als „Vorsteher der westlichen Wüsten" bezeichnet, hat im MR eine Polizeistreife nach einem Flüchtling auf einer Stele verewigt 40 ): „Ich bin zur westlichen Oase (wohl Dachle) gelangt, habe alle ihre Wege durchsucht und den Flüchtling zurückgebracht, den ich dort fand. Die Truppe blieb wohlbehalten, und es gab bei ihr keinen Verlust". Es handelte sich also um eine Jägerabteilung, wie wir sie als östlichen Grenzschutz im Dienste eines Gaufürsten von Beni Hassan antrafen. Im NR waren solche Kommandos, die sich nach ihren fremdartigen Namen („Tekten der Oase" und „Nau") aus Wüstenstämmen, wahrscheinlich libyscher Abkunft, rekrutierten, in den Oasen selbst stationiert. Es sind die Vorläufer der ptolemäischenWüstenpolizei (fOT/ioH O i H J