Das Gefühl: Eine psychologische Untersuchung [5., neu durchgeseh. Aufl. Reprint 2020]
 9783112334140, 9783112334133

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Das Gefühl Line psychologische Untersuchung von

Theobald Ziegler

Fünfte, neu durchgesehene Auflage

Berlin und Leipzig G. 3« Göschen'sche Verlagshandlung G. m. b. H. 1912

Jul. Drandftätter (G. Neumann), Leipzig.

Inhaltsübersicht. Seite Vorwort.............................................................................. V—vm (Einleitung......................................................................... i—(5 I. Das Bewußtsein................................................................(6—8$ V (Einige historische Bemerkungen zu bet Lehre vom Be­ wußtsein ....................................................................................... 16—26 2. Begriff des Bewußtseins........................................................ 26—29 3. Das physiologische non liquet........................................... 29—33 4. Die (Enge des Bewußffeins........................................... 33—40 5. Apperzeption und Aufmerksamkeit.................................. 40—5( 6. Die Gewohnheit und das Unbewußte.......................... st—60 7. Das Selbstbewußtsein........................................................ 60—84 LL Die körperlichen Gefühle................................. 85—ns t. Das körperliche Gefühl im allgemeinen..................... 85—96 2. Die körperlichen Gefühle im einzelnen.......................... 96—tts t) Der Hantsinn................................................................ 96—tO3 2) Geruch und Geschmack............................................... to3—(04 3) Gehör und Gesicht........................................................ (04—((5 DI, Das Wesen des Gefühls...................................... ((6—135 t. Das Problem und seine verschiedenen Lösungen . . ((6—(25 2. (Einteilung der Gefühle.................................................... (25—135 IV. Das Gefühlsleben im einzelnen................. (36—256 t. Die Gefühle nach ihrer qualitativen Verschiedenheit. (36—23 ( a) Die körperlich-sinnlichen Gefühle.............................. (36—(37 b) Das ästhetische Gefühl............................................... (37—(76 c) Die intellektuellen Gefühle ...................................... (76—(97 d) Die sittlichen Gefühle..................................................... (97—2(9 e) Das religiöse Gefühl................................................... 2(9—23( 2. Der Gefühlsverlauf............................................................ 23 (—256 a) Gefühle im engeren 5hm ...................................... 23 (—23$ b) Affekte.................................................................................234—245 c) Stimmungen................................................................ 245—256

— IV — V. Die Gefühlsäußerungen b Bewegung und Trieb 2. Die unwillkürlichen Ausbrucksbewegungen . . . . 3. Die willkürlichen Ausbrucksbewegungen im Dienste der Mitteilung an andere a) Die Sprache b) Das Spiel c) Die Kunst d) Die Kultur e) Der Kultus VI. Gefühl und Wille b Die verschiedenen Formen und Stufen des Willens 2. Der Inhalt des Willens 3. Willensfreiheit und Freiheilsgefühl b Die Leidenschaft 5. Das Wesen des Willens VH. Abnormitäten im Gefühlsleben. . . . b Geisteskrankheit 2. Hypnotismus Schluß Namenregister

Seite 257—336 257—266 266—2727-—336 276—285 285-2-1 291—309 309—327 327—336 337—376 337—350 350—355 355—366 366—369 369—376 377—388 377-3838-—388 389—399 -01—-03

Aus dem Vorwort zur ersten Auflage. Uber Absicht und Plan des vorliegenden Buches gibt die Einleitung Aufschluß. Nur weniges bleibt mir daher hier noch zu sagen übrig. Einmal über die Form. Die Psychologie hat neben ihrer streng wissenschaftlichen Seite von Haus aus auch einen Zug zum Populären und allgemein Menschlichen. )ch fürchte ihn nicht und meide darum auch nicht den bösen Schein. Und so habe ich für diese Untersuchung eine all­ gemein verständliche Sprache gewählt, es im übrigen den verschiedenen Seiten meines Gegenstandes überlassend, ob sie eine strengere oder laxere Behandlung fordern und ertragen. Die Einheitlichkeit der Darstellung im ganzen sollte darüber, denke ich, doch nicht in die Brüche gegangen sein. Uber mein Verhältnis zu Vorgängern habe ich mich im einzelnen in der Einleitung ausgesprochen, und die Lite­ ratur wird sich je an ihrem Grt, soweit es notwendig ist, verzeichnet finden. Aber ein Allgemeines wäre darüber doch noch zu sagen. Die Psychologie ist eine empirische Wissenschaft; daher handelt es sich in ihr nicht darum, um jeden Preis Neues und immer wieder Neues zu sagen; im Gegenteil würde ich darin den Beweis sehen, daß ich schlecht beobachtet hätte. Und auch beim Hypothesenbil den zur Er­ klärung der Tatsachen kommt es nicht sowohl darauf an, alles wieder einmal anders zu deuten und zu interpretieren

— VI — Seite

V. Die Gefühlsäußerungen V Bewegung und Trieb 2. Die unwillkürlichen Ausdrucksbewegungen . . . . 3. Die willkürlichen Ausdrucksbewegungen tm Dienste der Mitteilung an andere a) Die Sprache b) Das Spiel c) Die Kunst d) Die Kultur e) Der Kultus VI. Gefühl und wille............................................... 1. Die verschiedenen Formen und Stufen des Willens 2. Der Inhalt des Willens 3. Willensfreiheit und Freiheitsgefühl -. Die Leidenschaft 5. Das Wesen des Willens VH. Abnormitäten iin Gefühlsleben . . . . 1. Geisteskrankheit 2. Hypnotismus Schluß Namenregister

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27-—336 276—285 285—291 291—309 309—327 327—336 337—376 337—350 350—355 355—366 366—369 369—376 377—388 377-38-

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— VII — nicht passen. Und so mußich auch den ljerbartianern die Freude ihrer, wie sie wohl gemeint haben, vernichtenden Kritik an meinem Buche lassen, persönlich würde mich ohnedies die Polemik gegen weniger veraltete Anschauungen mehr interessieren und locken, von der inzwischen hoch aufge­ schwollenen psychologischen Literatur erwähne ich vor allem das, was mir zu Änderungen Anlaß gegeben hat oder worin ich eine willkommene Bestätigung meiner Anschauungen sehen darf.

Straßburg, Ostern 1906.

Vorwort zur fünften Auflage. Erfreulich rasch, schon nach vier fahren, ist diese neue Auflage meines Buches über das Gefühl nötig geworden. Nach einer so kurzen Spanne Zeit ist natürlich dieses Mal weniger zu ändern gewesen, als bei der vorigen vierten Auflage. Immerhin habe ich auch jetzt wieder das Ganze gründlich durchgearbeitet und dabei im einzelnen vieles ge­ feilt und gebessert, ergänzt und nachgetragen. Gerade in der Psychologie fehlt es ja nie an neuen Untersuchungen und Ergebnissen: zu der Lehre vom Gefühl scheinen sie mir neuerdings besonders zahlreich. Auch neue Gegner sind zu den alten hinzugekommen, und so fällt in den Anmerkungen gelegentlich auch ein polemisches Wort: die universalistische Auffassung der Psychologie, wie auch ich sie für richtig halte, muß sich immer wieder gegen allerlei Anfechtungen und Ein­ seitigkeiten zur Wehre setzen. Eine erhebliche Änderung wird

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man zu Anfang des zweiten Abschnitts finden, wo ich — den Bedenken einzelner Kritiker Rechnung tragend — das Ver­ hältnis von Gefühl und Empfindung straffer und entschiedener zu bestimmen mich bemüht habe. Dem letzten Abschnitt über die Abnormitäten im Gefühlsleben sind Winke meines psy­ chiatrischen Kollegen wollenberg in Straßburg zu gute gekommen, für die ich ihm auch an dieser Stelle herzlich danke; das dort Gesagte weiter auszuführen konnte ich mich aber doch nicht entschließen. Ich liebe dieses Buch unter meinen Schriften be­ sonders: daher darf ich ihm für diese neue Ausfahrt auch besonders gute wünsche mit auf den weg geben. Frankfurt a. HL, 22. Februar t9I2.

Theobald Aiegler.

Einleitung. Nachdem die erkenntnistheoretischen Untersuchungen und Erörterungen dreißig Jahre lang fast ausschließlich Gegen­ stand der philosophischen Arbeit gewesen sind, haben sie schon seit etlichen Jahren ihre Zugkraft verloren: sie interessieren nicht mehr. Und das von Rechts wegen; denn nachdem wir so energisch auf Kant zurückverwiesen worden sind, mußten wir mehr und mehr erkennen, daß man in wesentlichen Punkten über Kant auch nicht hinauskommt, man mag sich drehen und wenden und ihn im einzelnen modifizieren, wie man will. Empfindungen der Stoff alles Erkennens, und ihre Ordnung sich vollziehend nach den Gesetzen unseres Intellekts —: so hat der Empirismus recht, und so ist die Welt doch nur eine Effcheinungs- und Bewußffeinswelt, meine Vorstellung, wie es Schopenhauer in stechender Deutlichkeit formuliert hat; und auch darin wird man ihm beistimmen müssen, daß das Kausalgesetz das wichtigste unter jenen Ordnungsprinzipien, die notwendigste unter den Bedingungen unseres Erkennens ist. Endlich das Ding an sich — ein bloßer Grenzbegriff, oder besser kein Begriff, da wir von der verborgenen Welt des Transsubjektiven wirklich nichts wissen können; das Ding an sich somit eine Hypothese des Inhalts, daß die Welt meines Bewußtseins doch nicht bloß ein Produkt von mir ist, sondern daß ich bei diesem produzieren von einer Wirklichkeit außer mir ab­ hängig bin, mein produzieren somit ein Nachschaffen ist. Ziegler, Das Gefühl.

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Aber gleichwohl die Wahrscheinlichkeit, daß dieses von mir Nachzeschaffene in Stoff und Form — darin liegt der Unterschied von Kant — jenem 3E so gar unähnlich und ungleichartig doch nicht sein werde; denn ich, der ich cogitans sum, bin doch auch ein Stück Welt und stehe inmitten jener mir ewig verschlossenen Wirklichkeit als ein zu ihr Gehörender. Und dabei bedarf es nicht etwa einer möglicherweise voraus­ zusetzenden prästabilierten Harmonie; auch hier würde der moderne Begriff der Anpassung genügen zur Erklärung der Tatsache, daß das Ich die Welt doch nicht bloß in einem ihr fremden Lichte zu erblicken und zu deuten vermag, daß die Bewußtseinswelt nicht bloß Wirklichkeitswert hat, sondern wenn auch kein Abbild, immerhin ein glücklich gewähltes Symbol der wirklichen Welt ist, die doch wohl selber auch eine geordnete und geformte sein wird. Nun war es gewiß wertvoll, diese Einsicht in den phä­ nomenalen Lharakter unseres Weltbildes herauszuarbeiten, und war es berechtigt, dabei auch ins Einzelne und Subtile zugehen. Allein auf der anderen Seite war es doch notwendig, über diese erkenntnistheoretischen Untersuchungen endlich einmal Hinwegzukommen, wenn wir nicht scholastisch werden und in der erkenntnistheoretischen Bewegung des ty- Jahr­ hunderts ein Seitenstück zum Universalienstreit des Mittel­ alters liefern wollten. Aus prantls Geschichte der Logik gähnt uns die ganze Gde und Leere dieses langen Streites und der darauf gerichteten wissenschaftlichen Arbeit ent­ gegen, in den vielen kleinen und kleinlichen Kräuselungen und Meinungsnuancen derselben sehen wir heute nur noch wertlose Subtilitäten und eitel Zeitvergeudung. Ich denke, wir hätten Grund, dafür zu sorgen, daß von unserer philo­ sophischen Arbeit spätere Jahrhunderte nicht ebenso hart urteilen müssen. Und dazu sind wir auf dem besten Wege, wir haben in der Tat das erkenntnistheoretische Interesse allmählich

s zurücktreten lassen, die Zeit selber hat uns andere, höhere Aufgaben gestellt. Fragen der Ethik und Fragen der Religion bewegen heute die Gemüter; auf sie kann nur die Philo­ sophie prinzipielle Antwort geben, man erwartet sie von ihr; das Gefühl, daß es ohne eine geschlossene lveltanschauung in Welt und Leben nicht geht, ist wieder erwacht; man sucht sie bei uns und fordert sie von uns. Solche sich uns ent­ gegenstreckende Hände müssen wir ergreifen; die Fühlung der Philosophie mit dem Leben ist kein Schaden, sondern ein Gewinn. Und wir sind ja auch schon mitten drin in dieser Arbeit. Eine besondere Zeitschrift ist gegründet, die eine einheitliche, allgemeine, den Fortschritten dermodernenKultur angepaßte lveltanschauung finden möchte; eine Anzahl namhafter Autoren hat sich vereinigt, um in einem großen SammelbandH die Probleme der lveltanschauung von den verschiedensten, philosophischen und religiösen, Gesichts­ punkten aus zu beleuchten. Die Moralphilosophie hat in den letzten Jahrzehnten eine stattliche Anzahl von Bearbeitern gefunden, Sozialismus und Individualismus liegen hier in hartem Streit; der versuch, sie zu versöhnen und zu ver­ einigen, wird im 20. Jahrhundert die Hauptaufgabe der Ethik sein. Und ebenso dürfen religionsphilosophische Untersuchungen wieder auf lebhafte Teilnahme rechnen. Die klägliche Hilflosigkeit, die sich bei den Debatten über das Verhältnis von Sittlichkeit und Religion, Religion und Politik, Religion und Schule immer wieder zeigt, gibt hier direkt aus der Praxis heraus mächtige Impulse. Dazu kommt eine wachsende religiöse Strömung in weiten Kreisen, die sich einer ebenso wachsenden Ablehnung alles Religiösen gegenüber sieht; und in den Kirchen selbst weisen Erschei­ nungen wie die des Modernismus in der katholischen oder *) Weltanschauung. Philosophie und Religion in Dar­ stellungen von . . . Max Frischeisen-tlöhler. (9U.

wie der Lall Jatho in der protestantischen Airche auf Pro­ bleme, Schwierigkeiten und Risse hin, die nur durch ein Eindringen in das Wesen der Religion verstanden und gelöst, beseitigt oder ertragen werden können. wie aber Ethik und Religionsphilosophie in unserem sich immer zuerst historisch orientierenden Jahrhundert Stoff und Stütze suchen müssen bei der Geschichte und ihren Ergebnissen, so bedürfen sie auf der anderen Seite noch einer zweiten Anlehnung — bei der Psychologie. Und auch dabei kommt ihnen ein Zeitinteresse zustatten, das natur­ wissenschaftliche. Da, wo das Psychologische mit dem physiologischen zusammenhängt, auf dem Grenzgebiet der „Psychophysik", ist man lange schon in gedeihlichster Arbeit begriffen: mit naturwissenschaftlichen Methoden so weit als möglich vor und so tief als möglich einzudringen in das menschliche Seelenleben, ist hier Aufgabe und Bemühen; und angesichts der Schwierigkeiten der Sache ist jedes kleinste Ergebnis ein Gewinn und ein Triumph. Allein so hoch ich den wert jener Experimentalpsychologie anschlage, wie sie von lvundt und seinen zahlreichen jüngeren Mitarbeitern und Nachfahren betrieben wird, und so sympathisch mir Lechners versuch ist, selbst in dem Gebiet der Ästhetik mit Experiment und empirischer Beobachtung festen Luß zu fassen, so kann ich doch nicht verkennen, daß bis jetzt weder die Ästhetik noch die Ethik und Religions­ philosophie durch diesen naturwissenschaftlichen Betrieb der Psychologie erhebliche Lörderung erfahren haben oder sich für absehbare Zeit solche von ihm versprechen dürfen, vor allem deshalb nicht, weil der wichtigste Laktor des Seelen­ lebens auf allen diesen Gebieten einer solchen Art der Lorschung gegenüber sich am sprödesten und am wenigsten zugänglich erweist — das Gefühl. woher das kommt, werden wir sehen. Hier gilt es nur die Tatsache festzustellen und zugleich ein weiteres hinzu-

5 zufügen. Lange Zeit hat es an psychologischen Unter­ suchungen über das Gefühl ganz gefehlt, und allzu zahlreich und mannigfaltig sind sie noch immer nicht. Und ebenso spärlich sind rein psychologische Beschreibungen, an eine Analyse, Interpretation und Theorie des Gefühlslebens im ganzen haben sich nur wenige gewagt. Das hat seine guten Gründe. Das Gefühl ist das dunkelste und unklarste, das verborgenste und tiefste Element des Seelenlebens. Daher dauerte es lange, bis es überhaupt in seiner relativen Selb­ ständigkeit und Bedeutung erkannt, bis es auch nur benannt wurde. Rousseau mußte erst die Sprache des Gefühls geredet haben, ehe detens1) es wagen konnte, das Gefühl dem Denken und dem wollen zu koordinieren. Und dann kam Kant, dessen einseitiges Vernunftinteresse alsbald wieder für das Gefühl und für das Recht desselben verhäng­ nisvoll wurde: in den Adern des erkennenden Subjekts, so wie er es konstruiert hat, rinnt, wie Dilthey?) hübsch sagt, nicht wirkliches Blut, sondern der verdünnte Saft von Vernunft als bloßer Denktätigkeit. Und auf praktischem Gebiet schlug sein antieudämonistischer Pflichtbegriff auch die berechtigtsten Ansprüche des Gefühls erbarmungslos danieder und verwies es als unebenbürtig aus der an­ ständigen Gesellschaft der Vernunft hinweg in die niedere Region der Sinnlichkeit^). Wohl kamen nach Kant bessere Zeiten für das Gefühlsleben, die Poesie wurde eine Macht *) Tetens, Philosophische versuche über die menschliche Natur und ihre Entwicklung