Cura animarum: Seelsorge im Deutschordensland Preußen 9783412210274, 3412210277

Die Seelsorge und konkrete Spiritualität im mittelalterlichen Deutschordensland, dem historischen Ost- und Westpreußen,

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German Pages 249 [256] Year 2013

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Cura animarum: Seelsorge im Deutschordensland Preußen
 9783412210274, 3412210277

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FORSCHUNGEN UND QUELLEN Z U R K I R C H E N - U N D K U LT U R G E S C H I C H T E OSTDEUTSCHLANDS IM AUFTRAGE DES INSTITUTES FÜR OSTDEUTSCHE KIRCHEN- UND KULTURGESCHICHTE HERAUSGEGEBEN VON PAUL MAI Band 45

CURA ANIMARUM Seelsorge im Deutschordensland Preußen

Herausgegeben von

Stefan Samerski

2013 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gefördert vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages Die kirchliche Druckerlaubnis wird für die Veröffentlichung erteilt. Coloniae, die 8 martii 2013 Jr. Nr. 106 250 I90 Dr. Stefan Heße vic. Gen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Domkapitelsburg Marienwerder/Kwidzyn [Foto: Christofer Herrmann]

© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978–3–412–21027–4

INHALT Paul Mai Geleitwort ............................................................................................................. 7 Stefan Samerski Vorwort des Herausgebers .................................................................................... 9 Arno Mentzel-Reuters Der Deutsche Orden als geistlicher Orden ........................................................... 15 Roman Czaja Die Identität des Deutschen Ordens in Preußen ................................................... 44 Radosław Biskup Bistümer im Deutschordensstaat in Preußen (bis 1525) ....................................... 58 Rafał Kubicki Die Rolle der Bettelorden im Ordensland Preußen .............................................. 74 Piotr Oliński Die Franziskaner und ihre missionarische und friedensstiftende Aktivität im Deutschordensland des 13. Jahrhunderts .............................................................. 92 Edith Feistner Zur Katechese der Ritterbrüder in den Anfängen des Deutschordensstaates ....... 105 Michael Neecke Identitätsstiftung durch Bibelepik? Die ‚Judith von 1254‘, ihre gewalttätige Neu-Deutung und ein radikaler Redaktor ............................................................. 121 Christofer Herrmann Die Architektur der mittelalterlichen Kirchen in den preußischen Bistümern ..... 132 Anette Löffler Die Liturgie des Deutschen Ordens in Preußen .................................................... 161 Cordelia Heß Himmelskönigin und Geburtshelferin. Marienverehrung im spätmittelalterlichen Preußen . .............................................................................. 185

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Inhalt

Stefan Samerski Dorothea und kein Ende. Bemerkungen zur Prozess- und Kultgeschichte der hl. Dorothea von Montau ................................................................................ 200 Klaus Militzer Die verzögerten Wirkungen der Bruderschaften im Osten im Mittelalter . .......... 217 Edith Feistner Der Deutschordensstaat als literarischer Katecheseschauplatz. Schondochs Erzählung „Der Litauer“ ....................................................................................... 227

Abbildungsnachweis ........................................................................................... 239 Orts- und Personenregister .............................................................................. 240

GELEITWORT Ein Blick in die Annalen unseres Instituts für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte e.V. zeigt: Es war nicht die erste Tagung, die unser Institut dem Deutschen Orden widmete. Bereits 1967 wurde im Rahmen der Nachwuchstagungen des Instituts in Göttingen das global formulierte Thema „Geschichte und Bedeutung des Deutschen Ordens“ behandelt. Allerdings gibt es davon keinen Tagungsband. In den zurückliegenden fünf Jahrzehnten ist die Forschung zum Deutschen Orden sehr intensiviert worden. So ist beispielsweise die 1967 begonnene Reihe der „Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens“ bis 2009 bereits auf 67 Bände angewachsen. Aber auch außerhalb dieser vom Deutschen Orden protegierten Reihe gab es eine rege, zum Teil regional bezogene Forschung. Beispielsweise erschien 2005 als Beiband 14 der Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg die an der Universität der Bundeswehr in München entstandene Dissertation von Axel Schilling „St. Gilgen zu Regensburg. Eine Deutschordenskommende im territorialen Spannungsfeld (1210–1809).“ Das Jubiläumsgedenken an die Gründung der genannten Kommende brachte 2010 einen Ausstellungskatalog hervor: „800 Jahre Deutschordenskommende St. Ägid in Regensburg. 1210–2010“, veröffentlicht als Band 28 der Reihe „Bischöfliches Zentralarchiv und Bischöfliche Zentralbibliothek Regensburg. Kataloge und Schriften“. Als Nachklang zu diesem Jubiläum gab es 2010 zusätzlich die Schrift „Helfen, Heilen, wehren. 800 Jahre Deutschordenskommende St. Ägid in Regensburg. Jahresrückblick 2010“ als Beiband 19 der „Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg“. Unser Institut hat ein bisher weitgehend ausgeklammertes Spezialthema „Die ‚cura animarum‘ (Seelsorge) im mittelalterlichen Deutschordensland“ zum Thema seiner 47. Arbeitstagung im Kloster der hl. Birgitta in Danzig-Oliva vom 6.–9. September 2010 gewählt. Erstmals fand damit eine Jahrestagung des Instituts in Westpreußen, zugleich an einem Originalschauplatz des Deutschordensstaates im Mittelalter statt. Von den zwölf Referenten stammten fünf aus Polen, was auch die inzwischen beachtenswert starke Beschäftigung polnischer Forscher mit der Geschichte des Deutschen Ordens dokumentiert. Allen Referenten sei für die Ablieferung der druckfertigen Manuskripte an dieser Stelle bestens gedankt. Frau Prof. Dr. Edith Feistner (Regensburg) sei für die Überlassung eines zusätzlichen Beitrags über Schondochs Erzählung ‚Der Litauer‘ eigens gedankt. Dank abzustatten habe ich als 1. Vorsitzender des Instituts für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte auch dem Moderator der Tagung Prof. Dr. Stefan Samerski als Herausgeber dieses Bandes, ebenso Dr. Werner Chrobak als redaktionellem Mitarbeiter. Verbindlichen Dank sage ich dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien wie auch den Herren des Bundesverwaltungsamts für die Gewährung

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eines namhaften Druckkostenzuschusses, der die Publikation ermöglichte, ferner dem Böhlau-Verlag in Köln, Weimar, Wien, an der Spitze Herrn Johannes van Ooyen, für die Verlegung des Bandes und Herstellung in bewährter Qualität. Msgr. Dr. Paul Mai 1. Vorsitzender des Instituts für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte e.V.

VORWORT DES HERAUSGEBERS Publikationen über das Mittelalter haben immer noch Konjunktur. Die Aufmerksamkeit für die ferne und häufig recht künstlich definierte Epoche ist im wissenschaftlichen wie populären Bereich nach wie vor rege. Daher stellte sich das Institut für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte e.V. für die Jahrestagung 2010 die Aufgabe, diese Epoche näher in den Blick zu nehmen, und zwar für einen Raum, der von Seiten des Instituts in den letzten Jahren wenig berücksichtigt wurde: das Deutschordensland, im Wesentlichen das spätere Ost- und Westpreußen. In Ergänzung zur florierenden Deutschordensforschung, die sich in den letzten Jahren verstärkt mit kulturellen und liturgischen Fragen beschäftigte,1 widmete sich die internationale 47. Arbeitstagung, die vom 6. bis 9. September 2010 in Danzig-Oliva/Gdańsk-Oliwa stattfand, der cura animarum, der pastoralen Identität im mittelalterlichen Deutschordensland. Die Moderation lag beim Herausgeber. Die dort gehaltenen Vorträge werden durch einen Beitrag ergänzt, in überarbeiteter Form im Folgenden vorgelegt. In den Artikeln wird die Seelsorge in ihren zeitgenössischen Bedingungen, Organisationsformen und typischen Ausprägungen als Ergebnis der Eigenidentität der beteiligten Institutionen thematisiert. Denn immer noch muss diese genuin kirchengeschichtliche Thematik – zumal für Ost- und Westpreußen – als Desiderat gelten, obgleich der zeitgenössische Heiligenkult des Ritterordens seit Jahrzehnten überblicksartig erforscht ist,2 allerdings weniger unter modernen Gesichtspunkten.3 Dagegen wird der Burgen- und Kirchenbau, der immer schon im Fokus der Deutschordensforschung lag und liegt, 1 Exemplarisch hierfür: Deutschsprachige Literatur des Mittelalters im östlichen Europa. Forschungsstand und Forschungsperspektiven. Hg. v. Ralf G. Päsler und Dietrich Schmidtke, Heidelberg 2006. – Mentzel-Reuters, Arno: Arma Spiritualia. Bibliotheken, Bücher und Bildung im Deutschen Orden, Wiesbaden 2003. – Löffler, Anette: Die Liturgie des Deutschen Ordens in Preußen. Ritus und Heiligenverehrung am Beispiel des Festes Visitatio Mariae anhand der Königsberger Fragmentüberlieferung. In: Zeitschrift für Ostforschung 47 (1998), 371–382. 2 Zuletzt zu Maria als Patronin: Arnold, Udo: Maria als Patronin des Deutschen Ordens im Mittelalter. In: Terra sanctae Mariae. Mittelalterliche Bildwerke der Marienverehrung im Deutschordensland Preußen. Hg. v. Gerhard Eimer u.a., Bonn 2009, 29–56. – Zu Elisabeth: Elisabeth, der Deutsche Orden und ihre Kirche. Festschrift zur 700jährigen Wiederkehr der Weihe der Elisabethkirche Marburg 1983. Hg. v. Udo Arnold und Heinz Liebing, Marburg 1983 (hier auch ein Beitrag über den hl. Georg). – Löffler, Anette: Elisabeth und die Liturgie des Deutschen Ordens. In: Elisabeth von Thüringen und die neue Frömmigkeit in Europa. Hg. v. Christa Bertelsmann-Kierst. Frankfurt/M. 2008 (Kulturgeschichtliche Beiträge zum Mittelalter und der Frühen Neuzeit 1), 133–149. – Georg: Arnold, Udo: Georg im Deutschen Orden bis zur Regelreform im 17. Jahrhundert. In: Sankt Georg und sein Bilderzyklus in Neuhaus/ Böhmen (Jindřichův Hradec). Historische, kunsthistorische und theologische Beiträge. Hg. v. Ewald Volgger, Marburg 2002, 161–171. – Zu den mittelalterlichen Kirchenpatrozinien: Tidick, Erika: Beiträge zur Geschichte der Kirchen-Patrozinien im Deutschordenslande Preußen bis 1525. In: Zeitschrift für die Geschichte und Alterthumskunde Ermlands 22 (1926), 343–464. 3 Ausnahme: Dorothea von Montau. Vgl. hierzu den eigenen Artikel im vorliegenden Band 200–216.

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in jüngster Zeit gerade auf theologische Programme und seine „spirituelle“ Aussagekraft untersucht.4 Damit tritt die Theologie selbst in das allgemeine Forschungsinteresse, das bereits seit mehr als zwei Dezennien die Spiritualität als weiterführende Richtung erkannt hat.5 Trotz dieser modernen Wertschätzung fehlen aber weithin Untersuchungen zur konkreten pastoralen Tätigkeit vor Ort. Der hier vorliegende Sammelband kann sicherlich keine Lücken schließen, allenfalls Impulse und Anregungen zu weiteren Arbeiten vermitteln. Denn zu zahlreichen wichtigen Fragen wie beispielsweise die des konkreten Zusammenwirkens von Deutschordenspastoral und monastischer Seelsorge liegen bislang noch wenig befriedigende Antworten vor. Wie entscheidend differenzierte Perspektiven, interdisziplinäres Arbeiten und die seit langem tragfähige internationale Kooperation sind, zeigt sich gerade angesichts solcher Fragehorizonte. Als der Deutsche Orden das Land der Prußen in Besitz nahm, kam er dort nicht in ein christliches Niemandsland. Seit der ersten Jahrtausendwende erlebte das Land an der Ostsee verschiedene Evangelisierungswellen von unterschiedlicher Dauerhaftigkeit und unterschiedlichen Organisationsstrukturen.6 Die Niederlassung vor allem der Zisterzienser in ländlichen Regionen führte nicht nur zu einer Verstetigung der Christianisierungsbemühungen, sondern auch zu einer Förderung des Landesausbaus bereits vor der Inbesitznahme des Ordens. Ähnliches ist von den Dominikanern zu sagen, die in den Städten teilweise vor dem Auftreten der Ritter ein seelsorgliches Profil ausbilden konnten.7 Die im 13. und 14. Jahrhundert einsetzende Herrschaft des Deutschen Ordens bedeutete nicht nur die militärische, politische und wirtschaftliche Kontrolle des Landes, sondern sie dominierte strukturell auch den geistlichen Bereich.8 Dabei erfolgte die kirchliche Organisation meist parallel zur Eroberung des Landes.9 Schon 1243 errichtete der päpstliche Legat Wilhelm von Modena († 1251) vier neue Bistümer für Preußen (Kulmerland, Pomesanien, Ermland, Samland), umschrieb sie geographisch und sorgte für die entsprechende Ausstattung. Die Ritter besaßen nicht nur weitgehend die Kontrolle über die Bistumsstühle, Domkapitel und die anderen Orden,10 sondern sie 4 Beispiel: Die sakrale Backsteinarchitektur des südlichen Ostseeraums – der theologische Aspekt. Hg. v. Gerhard Eimer und Ernst Gierlich, Berlin 2000. 5 Die Spiritualität der Ritterorden im Mittelalter. Hg. v. Zenon Hubert Nowak, Thorn 1993 (Ordo militares 7). – Ständische und religiöse Identitäten im Mittelalter und früher Neuzeit. Hg. v. Stefan Kwiatkowski und Janusz Małłek, Thorn 1998. 6 Boockmann, Hartmut: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Ost- und Westpreußen, Berlin 1992, 76–78, 85–90. 7 Boockmann, Hartmut: Der Deutsche Orden. Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte, München 21982, 111f. 8 Boockmann: Ost- und Westpreußen (wie Anm. 6), 90–115. 9 Militzer, Klaus: Die Geschichte des Deutschen Ordens, Stuttgart 2005, 72f. 10 Sarnowsky, Jürgen: Der Deutsche Orden, Berlin 2007, 52. – Die Domkapitel des Deutschen Ordens in Preußen und Livland. Hg. v. Radosław Biskup und Mario Glauert, Münster 2004. – Boockmann: Ost- und Westpreußen (wie Anm. 6), 116–118.



Vorwort des Herausgebers

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hatten bereits im 13. Jahrhundert auch das Patronatsrecht in den meisten städtischen und ländlichen Pfarrämtern inne: insgesamt 71 von 97 Stadtpfarreien und einen Großteil der ländlichen, so dass die Mehrheit des niederen Klerus in Preußen einem vom Ritterorden bestellten Geistlichen unterstand.11 Damit beherrschte der Deutsche Orden weitgehend das pastorale Leben im Land. Auf der anderen Seite waren die Ritter vor allem in der Anfangszeit auf die missionarische und pastorale Tätigkeit der monastischen und der Bettelorden angewiesen, weshalb diesen von Seiten des Deutschen Ordens nicht selten Förderung und Unterstützung erwiesen wurde. Im Allgemeinen lässt sich aber die kirchenpolitische Haltung des Ordens in solchen Fragen als regulativ und restriktiv beschreiben.12 Das Verhältnis von beiden Seiten war daher sehr selten konfliktfrei, weil die benediktinischen Reformorden und die Bettelorden eigene Strukturen, Besitzstände und einen eigenen Personalbestand mitbrachten, ferner juristische Exemtionen. Die Stadtfreiheiten verkomplizierten diese Situation noch zusätzlich. Andere Niederlassungen wurden dagegen verdrängt oder unterbunden wie etwa die der Augustiner und Johanniter. Frauenklöster dagegen wurden meist geduldet, obgleich der Ritterorden selbst einen Frauenzweig ausgebildet hatte, aus dem sich einige Mitglieder im mittelalterlichen Preußen nachweisen lassen. Sie wurden im Allgemeinen nicht als Konkurrenz oder Bedrohung von Deutschordensfunktionen angesehen, leisteten auf der anderen Seite aber auch keinen nennenswerten Anteil an der Seelsorge.13 Sicherlich ist die generalisierende Beobachtung richtig, dass der Deutsche Orden das religiöse Leben im Preußenland entscheidend prägte, jedoch nicht monopolisierte.14 Allerdings muss auch hier eine differenzierte Sichtweise den unterschiedlichen Lokalitäten und der Chronologie Rechnung tragen. Nach der Entscheidungsschlacht von Tannenberg, die den Niedergang der Ordensherrschaft in Preußen einleitete, sahen die seelsorglichen Rahmenbedingungen selbstredend ganz anders aus als im 13. Jahrhundert. Mit dem offenen Übertritt des Hochmeisters Albrecht von Brandenburg-Ansbach (1511–1525) zum Luthertum 1525 begann für das Preußenland eine 11 Radzimiński, Andrzej: Biskupstwa państwa krzyźackiego w Prusach XIII–XV wieku: z dziejów organizacji kościelnej i duchowieństwa, Toruń 1999, 123–124. 12 Boockmann: Der Deutsche Orden (wie Anm. 7), 111f., 128. 13 Biskup, Marian: Średniowieczna sieć klasztów w państwie Zakonu Krzyźaciego w Prusach (do 1525 roku). In: Zakony i klasztory w Europie Środkowo-Wschodniej X–XX wiek. Materały z mię Środkowo-Wschodniej XÝXX wiek, Lublin 25–27 listopada 1993. Hg. v. Henryk Gapski und Jerzy Kłoczowski, Lublin 1999, 49–69, hier: 52. – Militzer, Klaus: Von Akkon zur Marienburg. Verfassung, Verwaltung und Sozialstruktur des Deutschen Ordens 1190–1309, Marburg 1999, 75–78. – Sarnowsky: Der Deutsche Orden (wie Anm. 10), 52f. 14 Hess, Cordelia: Heilige machen im spätmittelalterlichen Ostseeraum. Die Kanonisationsprozesse von Birgitta von Schweden, Nikolaus Linköping und Dorothea von Montau, Berlin 2008 (Europa im Mittelalter, 11), 83.

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in vielfacher Weise neue Epoche, unabhängig vom Deutschen Orden. Daher bildet dieses historische Datum auch für die Thematik des vorliegenden Sammelbandes den Schlusspunkt. Im diesem Band können nur einzelne Aspekte der vielfältigen und innovativen Begrifflichkeit „Seelsorge“ thematisiert werden, da noch zu zahlreichen Fragestellungen ein verlässliches Forschungsfundament fehlt. Dennoch soll versucht werden, einzelne Grundvoraussetzungen, die Eigenidentität in ihrem historischen Wandel, verschiedene Organisationsstrukturen, Typisierungen und spezifische Breitenwirkungen der cura animarum herauszufiltern. Dabei werden vor allem literatur- und frömmigkeitsgeschichtliche Fragen wie etwa die Marien- und Dorotheendevotion im Deutschen Orden thematisiert. Nach einleitenden Beiträgen zum Selbstverständnis des Ritterordens folgt das Wirken der Bettelorden, die die Hauptlast der zumeist urbanen cura animarum trugen. Architektonische Typisierungen und liturgische Eigenheiten des Ritterordens runden das Bild ab. Auch den in anderen deutschen Regionen des Spätmittelalters üppig entstehenden Bruderschaften ist ein eigener Beitrag gewidmet. Die Publikation einer mittelhochdeutschen Ordenskatechese mit neuhochdeutscher Übersetzung schließt den Sammelband ab. Im Einzelnen suchen ein Dutzend Autoren aus Deutschland und Polen einen je eigenen, durch ihre Forschungen ausgewiesenen Zugang zum Thema: Prof. Dr. Arno Mentzel-Reuters (München) charakterisiert in einem Grundsatzbeitrag den Deutschen Orden als geistlichen Orden, der sich nicht nur als militärischer Orden, sondern auch als seelsorgerische Institution verstand, die europaweit Hospitäler, Schulen und sogar Frauenkonvente betreute. Demgegenüber unterstreicht Prof. Dr. Roman Czaja (Thorn/Toruń) mit seinem Beitrag „Die Identität des deutschen Ordens in Preußen“, dass zum Selbstverständnis des Deutschen Ordens die Idee des Heidenkampfes, der Kreuzzugsgedanke, dazu eine Frömmigkeit mit besonderer Verehrung des hl. Kreuzes, des hl. Georg, der hl. Elisabeth und der Muttergottes sowie das Bewusstsein, Landesherren zu sein, gehörte. Die „Bistümer im Ordensland Preußen“ – Kulm, Pomesanien, Samland und Ermland – beleuchtet Dr. Radosław Biskup (Thorn/Toruń) in ihrer verwaltungsmäßigen Besonderheit: Jede inkorporierte Diözese war in drei Teile geteilt, wobei zwei Drittel unter der Herrschaft des Deutschen Ordens blieben und ein Drittel durch den Bischof und sein Domkapitel verwaltet wurde. Entsprechend konnte der Hochmeister bei den Bischofsbesetzungen auch einen besonderen Einfluss ausüben. Zwei Autoren aus Polen behandeln den Einsatz und die Verbreitung der Bettelorden im Deutschordensland: Dr. Rafał Kubicki (Danzig/Gdańsk) gibt generalisierend einen Einblick in die Funktion der Bettelorden in Preußen vom 13. bis 15. Jahrhundert, während Dr. Piotr Oliński (Thorn/Toruń) die Franziskaner und ihre Aktivitäten im Deutschordensland im 13. Jahrhundert in besonderer Weise herausarbeitet. Der Frage der umstrittenen Existenz einer eigenen Deutschordensliteratur gehen zwei Literaturwissenschaftler nach: Prof. Dr. Edith Feistner (Regensburg) äußert



Vorwort des Herausgebers

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sich zur „Katechese der Ritterbrüder in den Anfängen des Deutschordensstaates: Bibeldichtungen als Fallbeispiele“, wobei drei Bibeldichtungen des 13. Jahrhunderts („Judith“, „Hester“ und die „Apokalypse“ Heinrichs von Hesler) und fünf Bibeldichtungen des 14. Jahrhunderts („Makkabäer“, „Daniel“, „Hiob“, Esra und Nehemia“, „Historien der alden ê“) untersucht werden. In Ergänzung dazu widmet Dr. Michael Neecke (Regensburg) der „Judith von 1254“, dem ältesten Werk der so genannten Deutschordensliteratur, besondere Beachtung. Eine Identitätsstiftung durch diese Bibeldichtung sieht Neecke insofern gegeben, als die „Judith“ in die Deutschordenschroniken des Peter von Dusburg („Chronica terre Prussie“, um 1326) und des Nicolaus von Jeroschin („Krônike von Prûzinlant“, zwischen 1331/1341) Eingang fand. Zusätzlich zur Danziger Tagung skizziert Frau Feistner am Ende des Buches „Schondochs Erzählung ‚Der Litauer‘“ als literarischen Katecheseschauplatz. Ein Beitrag mit zahlreichen Abbildungen über die „Architektur der Kirchen im Deutschordensland Preußen“ von Prof. Dr. Christofer Herrmann (Allenstein/Olsztyn) typisiert die meist aus Backstein gebauten Gotteshäuser als Räume, in denen pastorale Funktionen durchgeführt wurden. Der Tagungsvortrag war zugleich Vorbereitung auf eine ganztägige Busexkursion unter Leitung des Tagungsmoderators, bei der zunächst die Bettelordenskirchen St. Josef (Karmeliten), St. Nicolai (Dominikaner) und St. Trinitatis (Franziskaner) in Danzig/Gdańsk, die Marienburg/Malbork, der Dom in Marienwerder/Kwidzyn und die Pfarrkirche Großmontau/Mątowy Wielkie besichtigt wurden. Der Spiritualität des Deutschen Ordens suchten sich die vor Ort gehaltenen Vorträge zu den im Orden besonders verehrten Heiligen anzunähern. Der Moderator der Tagung deutet die Verehrung der Dorothea von Montau im Mittelalter als deutschordenseigene, projektierte Stilisierung einer preußischen Patronin, die aufgrund einer Vielzahl von Faktoren damals nicht institutionalisiert werden konnte. Die spannungsgeladene Verehrungsgeschichte der Gottesmutter Maria, der Patronin des Deutschen Ordens, zeigt Dr. Cordelia Hess (Stockholm) auf. Maria als Patronin wurde zweifelsohne zur politisch-religiösen Legitimierung der Ordensherrschaft benutzt, andererseits bestimmte die Marienverehrung auch die Spiritualität der Deutschordensmitglieder. Gleichzeitig wurde Maria als beliebte Heilige bei der Bevölkerung des Preußenlandes stark verehrt, wie ihre Wallfahrtsorte in den Bistümern Kulm, Pomesanien, Ermland und Cammin belegen. Den Bogen der Frömmigkeitsgeschichte beschließt Prof. Dr. Klaus Militzer (Köln) mit seinen Ausführungen über „Die verzögerten Wirkungen der Bruderschaften im Osten im Mittelalter“, wobei hier vor allem Parallelen zu den Bruderschaften in Köln gezogen werden. Für die Inhalte der Beiträge sind die Autoren verantwortlich. Auch die Schreibweise der Orts- und Personennamen steht im Ermessen der Autoren.15 Etliche Aufsätze sind mit Abbildungen und Karten versehen, um eine größere Anschaulichkeit zu 15 Im Zweifelsfall ist eine polnisch/deutsche Konkordanz zu Rate zu ziehen: Ortsnamensverzeichnis der Ortschaften jenseits von Oder und Neiße, bearb. v. M. Kaemmer, Leer 31988.

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erreichen. Dank gebührt von Seiten des Herausgebers vor allem Dr. Werner Chrobak (Regensburg), der einen Großteil der redaktionellen Arbeit für das Institut für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte e.V. geleistet hat. Berlin, im Mai 2012

Stefan Samerski

Arno Mentzel-Reuters DER DEUTSCHE ORDEN ALS GEISTLICHER ORDEN* Ein mittelalterlicher Ritterorden ist immer ein geistlicher Orden. Die Forschung trägt dem Rechnung, indem sie heute vom „Deutschen Orden“ spricht und andere Bezeichnungen nur mehr in ihrem historischen Kontext benutzt.1 Der eher säkulare „deutsche Ritterorden“ ist etwas Neuzeitliches, der „deutsche Ritterorden“, wie ihn Heinrich von Treitschke2 darstellt, gar das Produkt einer Geschichtsklitterung.3 Darüber wäre eigens zu handeln: Hier beschränke ich mich auf das Mittelalter. Thematisch geht es nicht nur um das in zahlreichen jüngeren Forschungen behandelte „Selbstverständnis“ des Deutschen Ordens,4 sondern zu einem nicht unerheblichen Teil um ein von außen an den Deutschen Orden herangetragenes Verständnis, das sich nicht zuletzt aus den durch die Errichtung als ‚ordo militaris‘5 vorgegebenen Rollen speist. Hier handelt es sich um von außen vorgegebene Aufträge und Erwartungen, denen die innere normative Selbstsetzung nicht zwangsläufig entsprach – ebenso wie diese in der Innenansicht ganz anders ausgestaltet

* Dieser Beitrag ist Udo Arnold zu seinem 70. Geburtstag am 6.9.2010 gewidmet. Am Abend dieses Tages wurde der ihm zugrunde liegende Vortrag in Danzig-Oliva gehalten. 1 Das moderne Bild des Ordens wurde maßgeblich bestimmt durch die von der Internationalen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens gestaltete Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums 1990 in Nürnberg und ihren Katalog: 800 Jahre Deutscher Orden. Ausstellungskatalog des Germanischen Nationalmuseums. Hg. v. Gerhard Bott und Udo Arnold, Gütersloh 1990. 2 Zu Heinrich von Treitschke (1834–1896), Professor für Geschichte in Berlin und nationalliberaler Reichstagsabgeordneter Frenken, Ansgar: Treitschke, Heinrich von. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL) 12 (1997), 442–444. – Speziell zum Deutschen Orden: Treitschke, Heinrich von: Das deutsche Ordensland Preußen. In: ders., Ausgewählte Schriften Bd. 1, Leipzig 31907, 48–135. 3 Die Rezeption von Treitschkes Deutschordensbild nach 1945 behandelt Boockmann, Hartmut: Der deutsche Orden. Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte, München 1981 (Beck’sche Sonderausgaben), 242f. Vgl. auch Anm. 128. 4 Militzer, Klaus: Von Akkon zur Marienburg. Verfassung, Verwaltung und Sozialstruktur des Deutschen Ordens. Bd. 1. 1190–1309, Marburg 1999 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 56 / Veröffentlichungen der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens 9), 96–109. – Mentzel-Reuters, Arno: Arma Spiritualia. Bibliotheken, Bücher und Bildung im Deutschen Orden. Wiesbaden 2003 (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 47), 17– 42. – Allgemein zusammenfassend Czaja, Roman: Das Selbstverständnis der geistlichen Ritterorden im Mittelalter. Bilanz und Forschungsperspektive. In: Selbstbild und Selbstverständnis der geistlichen Ritterorden. Hg. v. Roman Czaja und Jürgen Sarnowsky, Toruń 2005 (Ordines militares 13), 7–22. 5 Zum Begriff und seiner Abhängigkeit von der Zisterzienserspiritualität Demurger, Alain: Die Templer. Aufstieg und Niedergang 1120–1314, München 1991, 37–46.

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Arno Mentzel-Reuters

gewesen sein konnte als in der nach Außen gerichteten Präsentation.6 Völlig offen bleibt, inwieweit einer solchen aus polyvalenten Rollenerwartungen erwachsenden Organisation eine überindividuelle Willensbildung unterstellt werden kann.7 Man muss sich wohl darauf beschränken, Gemeinsamkeiten in verschiedenen Bereichen des Alltagslebens und seiner Organisation aufzuzeigen. Insofern besteht die hier gestellte Aufgabe darin, einmal die Spiritualität und zum zweiten die Lebenswirklichkeit der dem Deutschen Orden vorgegebenen Statuten zu untersuchen. Nur was sich gleichermaßen in verschiedenen Bereichen des kulturellen Lebens niederschlug, kann als die Gemeinschaft prägendes Moment gelten. Hier wird es um die Rituale gehen, die das Ordensbuch vorschrieb. Welche Ausprägungen erfuhren sie in personeller Organisation, Architektur und Literatur (im weitesten Sinne)? Es gehört zu den Besonderheiten des Ordenslebens, dass es sich weit über die Liturgie hinaus schriftlich fixierter Rituale bedient. Wenn im Verlaufe des Aufnahmerituals der Meister dem um Aufnahme Ersuchenden den weißen Mantel mit schwarzem Kreuz verlieh,8 so bedeutete dies für den neuen „miles christianus“ die lebenslängliche Unterwerfung seiner bislang höfischen Lebensweise unter die „Ordensregel“ im Sinne des hl. Benedikt und erhob gleichzeitig den weltlichen Ritter zum „coenobita“, zum in Gemeinschaft lebenden Mönch.9 Er war für würdig befunden worden, den „habitus“ zu tragen, insbesondere den Ordensmantel.10 Schon die Templer verbanden – und nach ihrem Vorbild später die Ritterbrüder des Deutschen Ordens11 – programmatisch das weiße Gewand der Zisterzienser mit dem Symbol des Kreuzfahrers.12 Unklar ist, wie weit der immer wieder diskutierte Einfluss der Dominikaner reichte bzw.

6 Diesen Unterschied arbeitet heraus Burgtorf, Jochen: Das Selbstverständnis der Templer und Johanniter im Spiegel von Briefen und Urkunden (12. und 13. Jahrhundert). In: Selbstbild (wie Anm. 4), 23–46, hier 24f. 7 Burgtorf (wie Anm. 6), 24: „Im Falle der Ritterorden kommt hinzu, daß idealerweise das Selbstverständnis des Individuums und das des Kollektivs eine Einheit bildeten. In der Praxis traten die beiden jedoch bisweilen auseinander, d.h. neben dem kollektiven Selbstverständnis blieb das individuelle Selbstverständnis manchmal deutlich erkennbar.“ Doch kann auch aus der Unkenntlichkeit individueller Anliegen nicht auf deren Auflösung in einem kollektiven Willen geschlossen werden. 8 Zum Deutschordenshabit und seiner Symbolik Salch, Dieter: Vestis alba et crux nigra – weisser Mantel und schwarzes Kreuz. Die Insignien des Deutschen Ordens. Ein Beitrag zum Recht und zur Rechtsgeschichte des Deutschen Ordens. Marburg 2009 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 62 / Veröffentlichungen der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens 7). 9 Schwaiger, Georg: Mönchtum, Orden, Klöster. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Ein Lexikon, München 42003, 292. 10 Demurger (wie Anm. 5), 67. 11 Salch (wie Anm. 8), 44–46. 12 Salch (wie Anm. 8), 5–7.



Der Deutsche Orden als geistlicher Orden

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(was ich für unwahrscheinlich halte) inwieweit die Statuten des Deutschen Ordens auf den Predigerorden ausstrahlten.13 Solchen Befunden widerspricht nicht, dass die Ritterorden diese historische Ableitung schon bald nicht mehr zur Kenntnis nahmen und im Deutschen Orden sogar die Vorstellung seiner himmlischen Begründung vor aller Zeit vertreten wurde.14 Die Ritterorden mussten mit beständiger spiritueller Konkurrenz der anderen Gemeinschaften leben und waren von Anfang an, insbesondere aber nach dem Verbot der Templer, dem Vorwurf ausgesetzt, keine richtigen Mönche zu sein. Die Reaktionen hierauf verdienten eine eigene Untersuchung; grob gesehen scheint es aber so, dass die „ordines militares“ die Reformorden des Hochmittelalters nicht kopieren, sondern ergänzen wollten – gelegentlich dann wohl auch übertreffen. Ein Bestehen gegen diese Konkurrenz war möglich, solange im Adel ein Bewusstsein für eine spirituelle „Ritterschaft“ existierte. Der Adel war gleichermaßen für das Requirieren neuer Mitglieder wie als Errichter von frommen Stiftungen zugunsten des Ordens von zentraler Bedeutung. Seiner Befriedung galten der Kreuzfahreraufruf und das spirituelle Programm der Ritterorden. Die Schriften Bernhards von Clairvaux, so verbreitet sie unter dem Klerus auch waren, haben ihn kaum erreicht. So war es von hoher Bedeutung, dass der „miles christianus“ in die höfische Literatur eindringen konnte. Im „Parzival“ des Wolfram von Eschenbach klingen Motive der „militia Christi“ nur an; immerhin werden die Gralsritter nach dem altfranzösischen „templiers“ als „Templeisen“ bezeichnet; ihre riesige Burg ist um einen „Tempel“ herum gebaut.15 Deutlicher sind die Bezüge im ersten altfranzösischen Prosaroman, dem sogenannten „Perlesvaus“. 16 Hier erringt der zweitbeste Ritter, Gauvain, den Schild des Judas Makkabäus. Perlesvaus selbst ist ein sehr aggressives und seine Erblande mit dem Schwert christianisierendes Alter Ego von Chretiens und Wolframs Perceval/Parzival. Er trifft am Ende des Romans nach einer westwärts gerichteten Seereise zu einer geheimnisvollen Insel auf eine Schar Ritter in weißen Gewändern mit roten

13 Hierzu – keineswegs abschließend Militzer (wie Anm. 4), 49. – In der Liturgie ist der Einfluss der Dominikaner besser belegt, da Papst Innozenz IV. am 13. Februar 1244 dem Deutschen Orden gestattete, Messe und Stundenliturgie nach dem Ritus der Dominikaner zu feiern. Die Entstehung einer eigenen Deutschordensliturgie liegt aber nach wie vor im Dunkeln. Einzelfragen beleuchten Löffler, Anette: Die Reimoffizien des Deutschen Ordens. Liturgische Aspekte der Heiligenverehrung. In: Mittelalterliche Kultur und Literatur im Deutschordensstaat in Preußen. Leben und Nachleben. Hg. v. Jarosław Wenta, Sieglinde Hartmann und Gisela Vollmann-Profe, Toruń 2008 (Sacra bella septentrionalia 1), 107–123. 14 Vgl. Anm. 61. 15 Mertens, Volker: Der Gral. Mythos und Literatur, Stuttgart 2003, 71. 16 Le Haut Livre du Graal (Perlesvaus). Texte établi, présenté et traduit par Armand Strubel, Paris 2007 (Lettres Gothiques), 1000–1013. – Das Werk wird zwischen 1200 und 1225 datiert. Loomis, Roger Sherman: The Grail. From Celtic Myth to Christian Symbol. Princeton 1963, 99.

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Kreuzen,17 die den aus Europa entschwundenen Gral in einem monumentalen Refektorium verwahren und dereinst auch den Helden aufnehmen wollen. Am radikalsten tritt der „miles christianus“ aber Mitte des 13. Jahrhunderts in der Schlussredaktion des altfranzösischen Lancelot-Gral-Zyklus auf. Der überaus höfische, aber sündige Minneritter Lancelot zeugt unwissend den besten Ritter – Galaad – der der Welt entsagen und in der orientalischen Stadt Sarras in Anbetung des Grals verscheiden wird, während das Artusreich in sinnlosem Morden untergeht. Da den Helden immer wieder „weiße Mönche“ zur Seite stehen, ist die Vermutung geäußert worden, es handele sich bei dieser Redaktion um ein Werk aus dem Umfeld der Zisterzienser.18 Die Verbreitung dieser Literatur im europäischen Adel kann kaum überschätzt werden; ihre Kenntnis brachten nicht nur die neuen Mitglieder in die Schar der Ritterbrüder, auch die Jahr für Jahr in Königsberg eintreffenden adligen Preußenfahrer werden ihre Kunde verbreitet haben. Tilo von Kulm, samländischer Domherr und mithin Priesterbruder des Deutschen Ordens, ließ in seiner allegorischen Ausdeutung der zwölf apokalyptischen Siegel den Gral oberhalb von Noahs Arche schweben.19 Dieses von ihm nicht kommentierte Bild setzt die Kenntnis des altfranzsösischen Prosa-Lancelot voraus. Nichtsdestotrotz waren höfische Romane nicht als geistige Speise für die Ordensbrüder selbst gedacht und wurden dort auch wohl nur, falls überhaupt, privatim gelesen.20 Überhaupt ist die Spiritualiät im Orden von jener der höfischen Romane verschieden. Perlesvaus und Galaad lasen nicht und ließen sich auch nur im Ausnahmefall etwas vorlesen. Der Ritterbruder war (und der Priesterbruder naturgemäß noch mehr) mit der Bücherwelt konfrontiert. Das geschah nicht dadurch, dass man ihm ein Studium auferlegte, wie dies die Bettelorden taten. Die Bildungsanforderungen waren vielmehr gering.21 Die Konfrontation ergab sich aus der Übernahme der klaustralen Lebensform. 17 „Li uns des maistres sona un appel .iii. cols: Il i vinrent .xxx. et .iii. home en la salle, tot d’une compaignie. Il avoient blans dras vestus, et n’i avoit celui qui n’eüst une vermeille croiz en mi son piz“. Le Haut Livre du Graal (Perlesvaus). Texte établi, présenté et traduit par Armand Strubel, Paris 2007 (Lettres Gothiques), 1002,24–26. In deutscher Übersetzung Gietmann, Gerhard: Ein Gralbuch. Freiburg 1889 (Klassische Dichtungen und Dichter 3), 364: „Nun gab aber der eine der Führer [eigentl.: Meister, AMR] drei Zeichen mit einer Glocke, und sieh, dreiunddreißig Männer traten nacheinander in den Saal, alle in weißen Gewändern und mit einem rothen Kreuze auf der Brust.“ – Zur Frage nach der „Militia Christi“ im Roman äußert sich Strubel in Einleitung ebd. 73f. sehr zurückhaltend. 18 Mertens (wie Anm. 15), 119f. 19 Mentzel-Reuters, Arno: „Durch mins herczen gral“. Die „Siben Ingesigel“ Tilos von Kulm als Reformschrift. In: Vom vielfachen Schriftsinn im Mittelalter. Festschrift für Dietrich Schmidtke. Hg. v. Freimut Löser und Ralf Päsler, Hamburg 2005, 283–307, speziell zum Gralsmotiv 305–307. 20 Für Troja-Dichtungen zeigt dies Mentzel-Reuters: Arma spiritualia (wie Anm. 4), 200 und 301f. 21 Mentzel-Reuters: Arma spiritualia (wie Anm. 4), 43–48.



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Im Zentrum dieses Lebens stand das so genannte „Ordensbuch“. Es umfasste im Falle des Deutschen Ordens die um 1250 definierte Ordensregel, die später daran gelagerten „Gesetze“ (d.h. ergänzende Beschlüsse der frühen Generalkapitel bzw. einzelner Hochmeister) und die in ihrer Entstehung nicht mehr zu verifizierenden, gleichwohl mit normativer Kraft besetzten „Gewohnheiten“. Darüber hinaus enthielten die Ordensbücher noch eine Reihe kleinerer Texte, von denen später die Rede sein soll. Rechtssetzungen wurden in diesem System durch spätere Beschlüsse oder Verordnungen nicht aufgehoben, sondern repetiert und meist auch präzisiert. Widersprüche zwischen einzelnen Regeln galt es nach dem von Gratian entwickelten Grundprinzip einer „concordantia disconcordantium“ zu harmonisieren. Damit wurde es möglich, über mehrere hundert Jahre nach einer Regel zu leben, die im Ursprung auf ganz bestimmte Verhältnisse zugeschnitten war. Dies waren im Falle des Deutschen Ordens das Königreich Jerusalem und die Nachbarschaft der älteren Ritterorden vom Tempel des Herrn und vom hl. Johannes. Der Deutsche Orden wurde von seinen Begründern – zu denen maßgeblich auch Personen zählten, die ihm dann nicht angehörten, aber an seiner Existenz interessiert waren und ihn prägten – nicht als eine Kopie, sondern als eine Weiterentwicklung dieser älteren Orden verstanden. Damit verbanden sie jedoch nicht den Gedanken einer Elite oder Supremie.22 In diesem Umfeld war der Deutsche Orden so etwas wie ein jüngerer Bruder, durchaus nicht von den anderen abhängig, aber stets im Schatten der anderen beiden Orden. Mit der Verlegung des Hochmeistersitzes nach Marienburg im Jahr 1309 emanzipierte sich der Deutsche Orden aus dieser Nachordnung.23 Er bestand zu diesem Zeitpunkt seit ungefähr 120 Jahren; die Ordensregel seit ungefähr 60 Jahren. Solche zeitliche Dimensionen muss man beachten, wenn man über die Statuten und ihre Vorbilder spricht. Der Deutsche Orden in Preußen 1309 war eine andere Korporation als der Deutsche Orden 1244 (dem mutmaßlichen Datum der Deutschordensregel24) im Königreich Jerusalem. Hier war er ein Ritterorden unter vielen, dort der Landesherr.25

22 Die umstrittene These von einem projektierten staufischen Hausorden, aufgestellt Boockmann (wie Anm. 3), 55 – vorsichtiger Militzer (wie Anm. 4), 147f. – kann hier vernachlässigt werden, weil dieses Konzept, so es denn bestand, spätestens beim Tode Konrads von Thüringen 1240 obsolet wurde. 23 Zu um 1250 gemachten Versuchen, über Beschlüsse von Generalkapiteln den Hochmeister an das Heilige Land zu binden, und deren Niederschlag in den Statuten Militzer (wie Anm. 4), 148–152. Analog dazu die das neue Haupthaus in Venedig betreffenden Beschlüsse: ebd., 159–162. 24 Militzer (wie Anm. 4), 48. Das genaue Datum der Beschlussfassung über die Regel ist nicht festzustellen, es muss aber vor 1251 gelegen haben: ebd., 49. 25 Die Landesherrschaft wurde als eine Nebenfunktion des Hochmeisteramtes verstanden: „Bittet ouch vor unsern hômeister unde vor alle gebitere unsers ordens, den lant unde lûte bevolen sint“. Die Statuten des Deutschen Ordens. Hg. v. Max Perlbach, Halle, 1890, 131, 38f.

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Noch elementarer war die Emanzipation, die der Templerorden erreichte. Wenn man sich um 1244 für die Deutschordensregel am Vorbild der Templer orientierte, galt dies dem zeitgenössischen Templerorden. Er bestand zu diesem Zeitpunkt seit etwa 100 Jahren und hatte sich in erstaunlicher und nicht vorhersehbarer Weise entwickelt. Hugo von Payns (ca. 1080–1137) und seine ersten Gefährten hatten sich als kleiner ritterlicher Kampfverband unter die Regel der Kanoniker vom Heiligen Grab gestellt26, er und seine Nachfolger mussten sich die Stellung der Gruppe als eigener „Orden“ mit eigener Regel27 erst erkämpfen, und mehr noch die Anerkennung als spirituelle Gemeinschaft sui generis.28 Die benediktinischen Ordenszweige sahen mit Misstrauen auf die ihrer Meinung nach unangemessene Verbindung von Krieger- und Mönchstum.29 Denn anders als die Johanniter, die als klerikale Institution begannen, verfügten die Templer zunächst nicht über eigene Priester und damit auch nicht über Eigenkirchen. Das Recht hierauf wurde ihnen erst nach etwa 20 Jahren in der Erstfassung der Bulle „Omne datum optimum“ durch Innozenz II. im Zuge einer fortschreitenden Emanzipation gegenüber dem Weltklerus zugestanden (1139). Die Deutschordensregel hingegen unterschied von vorne herein zwischen Priesterbrüdern und Laienbrüdern, und unter den Laienbrüdern wiederum zwischen Ritterbrüdern, Graumäntlern30 und weiteren dienenden Gruppen von Laien31, darunter auch – es wird noch die Rede davon sein – Frauen. Die während des gesamten Mittelalters nie wesentlich veränderten Deutschordensstatuten beschrieben einen vornehmlich aus adligen Laien gebildeten, im Heiligen Land angesiedelten Ritter- und Hospital-Orden, wie er in den Köpfen ihrer Urheber um 1244 existierte.32 Aber die Texte waren schon zum Zeitpunkt ihrer Niederschrift nicht frei von Fiktion. Es waren die Wunschvorstellungen, die allerdings nicht aus dem Nichts entstanden33 und die vor allem seitens des Papsttums an den neuen Orden herangetragen wurden – auch wenn vielleicht der päpstliche Legat 26 Demurger (wie Anm. 5), 17–26. 27 Demurger (wie Anm. 5), 59f. 28 Demurger (wie Anm. 5), 59–65. 1139 wurde der Orden exemt, 1147 wurde ihm als Habit der weiße Mantel mit dem roten Kreuz verliehen. 29 Barber, Malcolm: Die Templer. Geschichte und Mythos, Düsseldorf 2005, 52–56. 30 So genannte Halb- oder Serjantbrüder. Militzer (wie Anm. 4), 68–70. Ihnen ist der Großteil der Gesetze Burchards von Schwanden gewidmet. In den Statutenhandschriften sind die vollständigen Gesetze Burchards nur vier Mal vertreten, die daraus gezogenen Gesetze über die Halbbrüder aber in zehn weiteren Codices. 31 Ausführlich zu den einzelnen Gruppen Militzer (wie Anm. 4), 53–78. 32 Zur Entstehung der Statuten Militzer (wie Anm. 4), 47–52. 33 Militzer (wie Anm. 4), 47f. erinnert daran, dass es schon 1198 eine Vorläuferregel nach dem Vorbild der Johanniter gegeben haben muss, über die jedoch nichts bekannt ist. 1199 wurde von Innozenz III. für den Deutschen Orden konfirmiert, dass die Regel im Bereich des Spitals den Johannitern, ansonsten aber den Templern entsprechen solle.



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Wilhelm von Modena († 1251)34 nicht als alleiniger Autor der Statuten angesprochen werden kann.35 In Entsprechung zur Regel des Templerordens waren sämtliche Leitungsämter auch des Deutschen Ordens den Ritterbrüdern vorbehalten,36 auch wenn die Rolle der Priesterbrüder von Anfang an präziser und verbindlicher vorgeschrieben wurde als dort.37 Das war der Kirche keineswegs immer recht. So soll Papst Sixtus IV. im Jahr 1474 wütend ausgerufen haben: „Deleatur pessima illa nigra crux, maledictus enim ordo, ubi laicus regit clerum“, als der Hochmeister den unbotmäßigen samländischen Bischof Dietrich von Cuba in der Burg Tapiau zu Tode hungern ließ..38 Vom legistischen Standpunkt aus war das so. Die Ritterbrüder hatten im Deutschen Orden die höchsten Ämter, den Priesterbrüdern gedachten die Statuten nur dienende, seelsorgerische Aufgaben zu.39 Aber es klafften Satzungsrecht und Satzungswirklichkeit weit auseinander. Was wäre das Hochmeistertum schon des 14. (und mehr noch des 15.) Jahrhunderts ohne den Generalprokurator in Rom, meist ein Priesterbruder,40 was ohne den hochmeisterlichen Kaplan, der die Kanzlei des Ordensstaates leitete und erster Ansprechpartner am Marienburger Hof in klerikalen Angelegenheiten war? Am Ende des Ordensstaates hieß er nur mehr „(Ordens-)Kanzler“41 und mit dieser Titulatur ging das Amt auch in die Verwaltung des Herzogtums Preußen über.

34 Lückerath, Carl August: Wilhelm von Modena. In: Lexikon des Mittelalters. Bd. 9, München 2000, 157f. 35 Militzer (wie Anm. 4), 48f. 36 So betont mit Recht Górksi, Karol: Das Kulmer Domkapitel in den Zeiten des Deutschen Ordens. Zur Bedeutung der Priester im Deutschen Orden. In: Die geistlichen Ritterorden Europas. Hg. v. Josef Fleckenstein und Manfred Hellmann, Sigmaringen 1980 (Vorträge und Forschungen 26), 329–337, hier 329. 37 Militzer (wie Anm. 4), 66–69. – Mentzel-Reuters: Arma spiritualia (wie Anm. 4), 86f. mit Verweis auf die Bulle „Omne datum optimum“ Innozenz‘ II. vom 29.3.1139, mit der die Aufnahme von Weltgeistlichen in den Templerorden ohne Zustimmung des jeweiligen Bischofs gestattet wurde – offenbar um einem eklatanten Priestermangel zu begegnen. Vielleicht noch bedeutender ist die Bulle „Militia Dei“ Eugens III. vom 7.4.1145, die dem Templerorden das Eigenkirchenrecht zusprach und damit den Templerkaplänen eine höhere Stellung verschaffte. 38 Bericht von Paul Pole, gedruckt Scriptores rerum Prussicarum. Bd. 5. Hg. v. Theodor Hirsch, Max Töppen und Ernst Strehlke, Leipzig 1874, 200. 39 Prolog, cp. 5: „Daz sie in der cit des vrides alsô glenstern mitten under in umme loufen unde manen die leigen brûdere, daz si ir regelen vaste halden … Sô man aber striten sal, sô sulen sie die brûdere sterken zu dem strîte“, Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 26. 40 Beuttel, Jan-Erik: Der Generalprokurator des Deutschen Ordens an der Römischen Kurie. Amt, Funktionen, personelles Umfeld und Finanzierung, Marburg 1999 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 55). 41 Mentzel-Reuters: Arma spiritualia (wie Anm. 4), 194–200.

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Es gab Ordenshäuser, die überwiegend mit Priesterbrüdern besetzt waren (das wichtigste war Marburg42) und dementsprechend auch einen Kleriker zum Vorstand hatten, der dann oft nicht als Komtur, sondern als Prior bezeichnet wurde.43 Dieses stillschweigend aus der Johanniterregel entlehnte Amt44 wird in den Deutschordensstatuten nicht beschrieben, sondern nur im Zusammenhang mit den Bußübungen der Priesterbrüder erwähnt – und hier auch nicht in allen Fassungen mit gleicher Zuständigkeit.45 Gleichwohl ist es im 13. Jahrhundert urkundlich nachgewiesen.46 Welche Rolle der Prior tatsächlich spielte, bleibt offen. Die Gewohnheiten des Ordens schreiben die Oberaufsicht über die Priesterbrüder dem Großkomtur zu.47 Ob es nach der Verlegung des Hochmeistersitzes nach Preußen noch bestand, ist fraglich. Ende des 15. Jahrhunderts wurde kurz über die Wiedereinführung des Amtes auf Beschluss des Generalkapitels diskutiert.48 Es blieb jedoch ohne Folgen. Dafür hören wir im „Marienburger Ämterbuch“ über das Institut von Chorherren49 in der Konventskirche; sicher wurden der Kaplan des Meisters und vier Priesterbrüder 42 Braasch-Schwersmann, Ursula: Das Deutschordenshaus Marburg. Wirtschaft und Verwaltung einer spätmittelalterlichen Grundherrschaft. Marburg 1989 (Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte 11), 196: „Demnach lebten im Haupthaus an der Lahn durchschnittlich 22 Brüder, von denen die Hälfte Priester war“, wobei die andere Hälfte neben Rittern auch Schüler und Pfründner umfasste. 1280 war das Verhältnis 10 Priester von insgesamt 27 Personen. In den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts lebten sogar 14 Priester im Ordenshaus. 43 Braasch-Schwersmann (wie Anm. 42), 197. – Militzer (wie Anm. 4), 292. Die Kapelle auf dem Tannenberger Schlachtfeld wurde von einem Probst geleitet, der zu den Marienburger Chorherren gehörte: Ekdahl, Sven: Ein Inventar der Propstei auf dem Schlachtfeld von Tannenberg aus dem Jahre 1442. In: Preußenland 21 (1983), 1–9, hier 6. 44 Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), XLII. 45 Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 87–89: Gesetze 40–44. Gesetz 43 nennt den Prior nur in der lateinischen Fassung: „in arbitrio superioris et prioris et fratrum“, in der deutschen heißt es: „sô stet ez an des obersten unde der brûdere bescheidenheit“, Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 89. 46 Militzer (wie Anm. 4), 67. 47 Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 106: Gewohnheit 28: „Zu des grôzen commendûres ambehte gehôret der schaz unde daz getreide, die schif imde alle die brûder pfaffen unde leigen unde alle der gesinde, di dâheime wonent (…)“. Militzer (wie Anm. 4), 67 schließt daraus, dass der Großkomtur die „Oberaufsicht über den Prior und die Priesterbrüder des Haupthauses führte“. Dies ist ein Schluss ex silentio, vom Prior ist hier nicht die Rede. 48 Im Reformentwurf des Ordenskanzlers Michael Sculteti († 1501) von 1494, gedruckt bei MentzelReuters, Arno: Reformschrifttum und Humanismus. Der Deutsche Orden am Vorabend der Reformation. In: Die Rolle der Schriftlichkeit in den geistlichen Ritterorden des Mittelalters. Hg. v. Roman Czaja und Jürgen Sarnowsky, Toruń 2009 (Ordines militares 15), 53–84, hier 81 Nr. 6: „Item daß man yn vnßrem orden widder wmb macht eynen Prioren der alle geistlicheit zu straffen hette nemlich aber dy priesterbruder nach lawth unsers ordens buch privilegia und gemeyne rechte wen daß kann nicht geßeyn daß eyn Comthur eynem geweyten busße setze und daß man yn eyner itzlichen comthurej eynen Prioren machete“. – Das geplante Generalkapitel fand nicht statt. 49 Zum Begriff Schwaiger (wie Anm. 9), 131–134.



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hierzu gezählt.50 Möglicherweise wurde die Bezeichnung als bloßer Ehrentitel verwendet.51 Streng genommen schließt sie ein, dass die Chorherren ein eigenes Kapitel bildeten.52 Dies war sicher der Fall bei den vier preußischen Domkapiteln, die mit Ausnahme des Ermlands dem Deutschen Orden „inkorporiert“ waren,53 ebenso im kurländischen Bistum und für kurze Zeit sogar im Metropolitanbistum in Riga.54 Die Inkorporation bedeutete aber auch, dass die Domherren und der Bischof selbst Angehörige des Deutschen Ordens sein mussten, dem Hochmeister Gehorsam schuldeten und den Deutschordenshabit trugen. Diesen Orden, wie er uns im 14., 15. und im frühen 16. Jahrhundert mit seiner landesherrlichen Gewalt in Preußen entgegentritt, beschreiben die für das Heilige Land konzipierten Statuten nicht. Manche Ämter, wie das des Tempelmeisters, bestanden schon lange nur mehr auf dem Pergament55, andere, wie jene der Domherren oder des Leiters der hochmeisterlichen Kanzlei, fanden keine Berücksichtigung in den Statuten. Auch wird das vom Hochmeister als Landesherrn beherrschte Preußenland, das 50 Das Marienburger Ämterbuch. Hg. v. Walther Ziesemer, Danzig 1916 (MÄB), 128,40–129,4 nennt die vier Priesterbrüder, darunter Nikolaus von Sintheim. – MÄB 131,10 erwähnt den Titel: „Niclus Sinthyn dem korherren“. – Zu Nikolaus von Sintheim Mentzel-Reuters: Arma spiritualia (wie Anm. 4), 209f. 51 So legt es der Danziger Chronist Simon Grunau nahe. Er führte das Institut der Chorherren auf Statuten Werners von Orseln zurück: „Die Priesterbrüder, gebietet der Meister, solle man forthin mit dem Titel ‚Herr‘ beehren und sie Chorherren nennen, sie möchten schon Priester seyn oder es noch werden wollen.“ Zitiert nach Voigt, Johannes: Geschichte Preußens von den ältesten Zeiten bis zum Untergange der Herrschaft des Deutschen Ordens, Bd. 4, Königsberg 1830, 620. – Zur Fiktionalität dieser Statuten ebd., 619–624. 52 Dazu passt die gesonderte Unterbringung der Priester im so genannten Pfaffenturm, der nördlich von der Apsis der Marienkirche im Parcham stand (der heutige Bauzustand ist irreführend). Hier schließt sich die schwierige Frage nach der Raumaufteilung der Marienkirche selbst an. Die Rekonstruktion des späten 19. Jahrhunderts teilte das Kirchenschiff in ein Presbyterium am Hochaltar und eine Laienkirche in der dem Kapitelsaal zugewandten Hälfte. Alle älteren Darstellungen des Innenraums zeigen einen ungeteilten Raum. Vgl. auch Anm. 123. 53 Radzimiński, Andrzej: Z dziejów kształtowania i organizacji kapituł krzyżackich. Inkorporpoacje pruskich kapituł katedralnych do zakonu krzyżackiego [Ausgestaltung und Organisation der Deutschordenskapitel. Die Inkorporation der preußischen Domkapitel in den Deutschen Orden]. In: Zakon krzyżacki a społeczeństwo państwa w Prusach. Hg. v. Zenon Hubert Nowak, Toruń 1995, 123–137 sowie ders.: Biskupstwa państwa kryżackiego w Prusach XIII–XIV wieku. Z dziejów organizacji kościelnej duchowieństwa [Bischöfliche Staaten des Deutschen Ordens in Preußen, 13.–14. Jahrhundert. Zur kirchengeschichtlichen Organisation des Klerus], Toruń 1999, insbesondere 28–57. 54 Hierzu zuletzt Glauert, Mario: Die Bindungen des Domkapitels von Riga an die Regel des Deutschen Ordens. In: Die Domkapitel des Deutschen Ordens in Preußen und Livland. Hg. v. Radosław Biskup und Mario Glauert, Münster 2004 (Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands, Beiheft 17), 269–316. 55 In der Marienburg ist „Tempel“ ein Vorratshaus in der Vorburg. Belege in: Das Ausgabenbuch des Marienburger Hauskomturs für die Jahre 1410–1420. Hg. v. Walther Ziesemer, Königsberg 1911, 460.

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in den Arengen der hochmeisterlichen Urkunden einen immer bedeutenderen Platz einnahm, mit keinem Wort erwähnt. Dennoch wurden die Statuten nie der neuen Verfassungswirklichkeit angepasst. Als das Generalkapitel von 1442 nochmals über den Text der Statuten befand, geschah dies lediglich, um eine den Deutschmeister begünstigende Fälschung abzulehnen (die sogenannten von-Orseln’schen Statuten).56 In erstaunlicher philologischer Präzision halten die beiden erhaltenen Normhandschriften den Text der Regel und der nach ihr erlassenen Bestimmungen fest und nehmen beinahe das Ergebnis vorweg, das Max Perlbach zwischen 1886 und 1890 mit Hilfe der modernen historisch-kritischen Methode auf der Grundlage von über 30 Handschriften erstellte. Eine Anpassung des Regelwerks an die Faktizität wurde nicht versucht und wäre wohl auch nicht durchsetzbar gewesen. Man behalf sich anders. Es haben sich Reste einer Kommentierung der Deutschordensregel erhalten. Ihre Erforschung steht, obschon die Texte längst bekannt sind, erst am Anfang. 1335 wurde Papst Benedikt XII. (Papst 1335–1342) die lateinische Schrift eines Deutschordenspriesters namens Ulrich überreicht, über den wir weiter nichts wissen.57 Zumindest ihre erste Hälfte wurde im 15. Jahrhundert ins Deutsche übertragen; diese Handschrift befindet sich noch heute in Deutschordensbesitz.58 Das Werk wurde nicht für den Papst verfasst, sondern nur für ihn überarbeitet oder kompiliert. Der Autor spricht mehrfach ein Publikum als „dilectissimi fratres“ bzw. „fratres karissimi“ an.59 Gegenstand des Traktates ist eine allegorische Auslegung der Deutschordensregel. Im ersten Buch wird der Orden unter Heranziehung des Ordensbuches mit dem irdischen Paradies, im zweiten mit dem himmlischen Jerusalem verglichen. Das dritte zeigt ihn als Streiter wider den Satan, der sich auch – und das ist der politische Hintergrund der aktuellen Zusammenstellung60 – in kirchlichen Würdenträgern manifestiere. Die Kühnheit der Auslegung ist groß; der Orden sei eine gegen den Teufel gerichtete Schöpfung vor aller Zeit, die mit Hilfe der Templer und Johanniter ihren irdischen Kampf aufgenommen habe. „Volebat divina providencia cum sua clemencia suam ecclesiam cum spiritualibus novis et quadris lapidibus murare, quando contra 56 Zum gesamten Komplex Seraphim, August: Zur Geschichte und Kritik der angeblichen Statuten des Hochmeisters Werner von Orseln. In: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 28 (1915), 1–82. 57 Zu dieser von der Forschung gänzlich vernachlässigten Schrift Houben, Hubert: Eine Quelle zum Selbstverständnis des Deutschen Ordens im 14. Jahrhundert: der Codex Vat. Ottobon. Lat. 528. In: Selbstbild (wie Anm. 4), 139–153. 58 Überliefert durch die Handschrift Deutschordenszentralarchiv Wien, Cod. 787. Die Provenienz ist unklar, die Makulatur weist auf Württemberg als Region des Buchbinders. Houben (wie Anm. 57), 140f. und 148 Anm. 6 mit einer Kurzbeschreibung. 59 Houben (wie Anm. 57), 145. 60 Der Autor richtet sich nur vage gegen „huius pie domus theutonive impium inimicum“, Houben (wie Anm. 57), 142. Houben bezieht es auf die Anklage des für Preußen zuständigen Metropoliten Friedrich von Riga (ebd., 139, 143).



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infideles eandem religionem cum duplicibus armis spiritualibus et corporalibus studuit plantare.“61 Bemerkenswert ist nicht die Erwähnung des waffenführenden Heidenkampfes: Das ist angesichts eines Ritterordens eine Banalität. Bemerkenswert ist die Überformung dieses Kampfes durch seine Einbettung in die Bemühungen zum Bau der Kirche, die von „spirituales novi“ betrieben werden. Dies kann sich nur auf die benediktinischen Reformorden beziehen, allen voran die Zisterzienser. Das verstand der Adressat der gelehrten Schrift sofort. Benedikt XII., der vor seiner Wahl durch die Ketzerprozesse in Montaillou von sich reden gemacht hatte, gehörte diesem Orden an.62 Es entsprach der Erwartungshaltung des Papstes, wenn Ulrich den Deutschen Orden als Bollwerk gegen Satan und Gefährten der weißen Mönche beschrieb. Es war aber doch wohl auch mehr als eine panegyrische Übung. Noch einmal werden die von Peter von Dusburg beschriebenen „arma spiritualia“ eingefordert, ohne die die „arma corporalia“ nutzlos sind: „Sed quia Judith non in armorum potencia, sed in virtute laudatur, eo quod occidit Holofernem; quis in arcu suo speravit et gladius eius salvavit eum?“ heißt es in der Chronik, die nicht zufällig mit einer das Aufnahmeritual kommentierenden Predigtsequenz „De armis carnalibus et spiritualibus“ beginnt.63 Der Duktus solcher Sätze ist der des Predigers. Das schließt nicht aus, dass sie nach ihrer schriftlichen Fixierung auch in Form von auszugsweiser Tischlesung rezipiert wurden.64 Aber ihren Ursprung haben sie dort nicht. Es sind „Sermones ad fratres karissimos“. Diese haben, gerade in der Form einer Auslegung der Regel, bei allen Orden ihren festen Platz im wöchentlichen Konventskapitel.65 Wir werden davon noch sprechen. Diese Verwandlung der konkreten und lebenspraktischen Anweisungen des Ordensbuches in einen nicht nur literal, sondern vor allem allegorisch zu lesenden spirituellen Text erleichterte das Auseinanderdriften von Satzungstext und Satzungswirklichkeit. Im frühen 16. Jahrhundert schließlich, als sich der Hochmeister Friedrich von Sachsen66 nicht in Preußen aufhielt, um nicht den seit 1466 erforderlichen Le61 Houben (wie Anm. 57), 144, das Zitat aus dem Cod. Vat. Ottobon. Lat. 528, 10r. 62 Zu ihm und seiner Reformpolitik Ballweg, Jan: Konziliare oder päpstliche Ordensreform: Benedikt XII. und die Reformdiskussion im frühen 14. Jahrhundert. Tübingen 2001 (Spätmittelalter und Reformation N.R. 17). 63 Peter von Dusburg: Chronicon Terrae Prussiae. Hg. v. Max Toeppen. In: Scriptores rerum Prussicarum 1, Leipzig 1861, 1–290, hier. 40: Lb. 1,2,8. 64 Houben (wie Anm. 57), 147. Er geht aber zu selbstverständlich von einer einschichtigen Textstruktur aus, als sei jeder Satz nur für einen konkreten Zweck und auf konkrete Veranlassung (durch Luder von Braunschweig, ebd., 146) entstanden. Die Kompilation, wie wir sie heute kennen, ist so entstanden, aber Bruder Ulrich griff redigierend auf ältere Texte zurück. 65 Houben (wie Anm. 57), 146 nähert sich diesem Aspekt, um dann aber auf der Folgeseite zu den Tischlesungen abzuzweigen. 66 Zu ihm und seiner Epoche immer noch grundlegend ist die Monographie von Forstreuter, Kurt: Vom Ordensstaat zum Fürstentum. Geistige und politische Wandlungen im Deutschordensstaate Preußen unter den Hochmeistern Friedrich und Albrecht (1498–1525), Kitzingen 1951, 16–59.

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henseid an den polnischen König leisten zu müssen, leitete der pomesanische Bischof Hiob von Dobeneck (1450–1521)67 das Ordensland – dem Status nach nicht mehr und nicht weniger als ein Priesterbruder des Ordens. Irgendein in den Statuten vorgesehenes Amt bekleidete er nie, aber er war de facto der Landesherr und der Vorstand des preußischen Ordenszweiges. Sein Selbstverständnis wurde im Dom von Marienwerder in einer repräsentativen Neuaustattung verewigt. Von seinem Herrschaftsanspruch kündet zum einen der monumentale spätgotische Bischofsthron am Hauptaltar, zum anderen ein Wandbild auf der Ostempore des Doms, im so genannten Presbyterium. Symbolträchtig wird das hier zum Gebet versammelte Domkapitel erweitert: Es erscheint (wie zuvor im Kapitelsaal der 1457 dem Orden verlorengegangenen Marienburg) die Gottesmutter mit ihrem Kinde, zur ihrer Rechten stehen 17 pomesanische Bischöfe, zu ihrer Linken jedoch (möglicherweise in Fortführung der Hochmeisterreihen der Marienburg) die drei in der Kirche bestatteten Hochmeister.68 Die Vision schuf eine spirituelle Legitimation, wo die legistische fehlte. Nur von der Heiligen Jungfrau und den verstorbenen Hochmeistern, nicht aus den Ordenstatuten, wurde so seine Stellung legitimiert.69 Dennoch passte man die Ordensregel diesen veränderten Verhältnissen nie an, und es wurde auch zu Hiobs Tagen nie die Forderung danach erhoben.70 Auch in der Endphase des preußischen Ordenszweiges blieb die Option auf die Anwendung militärischer Gewalt gegen Heiden und was immer man zu „Heiden“ erklären mochte.71 Hiobs Nachfolger auf dem Riesenburger Bischofssitz, Erhard von Queis († 1529), war maßgeblich an der preußischen Reformation beteiligt. Er wurde 1523 auf Vorschlag des Hochmeisters Albrecht zum Bischof von Pomesanien gewählt

67 Forstreuter, Kurt: Dobeneck, Hiob von. In: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), 4f. – Forstreuter, Ordensstaat (wie Anm. 66), 53–59. 68 Die heute freigelegten Gräber der Hochmeister und Bischöfe unterhalb des Presbyteriums gehörten auch in der frühen Neuzeit zum kultischen Kernbestand der Domkirche, hierzu Leonhardi, Friedrich Gottlob: Erdbeschreibung der preußischen Monarchie Bd. 1. Halle 1791, 739f.: „In den Chor derselben, der die polnische Kirche genannt, und wo auch noch itzt in pohlnischer Sprache Gottesdienst gehalten wird, findet man die Begräbnisse dreyer Hochmeister des teutschen Ordens, Werners von Urseln, Ludolph Königs, und Heinrichs von Plawen und 17 Pomesanischer Bischöfe nebst ihren Bildnissen.“ 69 Mit vergleichbarer Deutlichkeit wurde der Kapitelsaal der Marienburg schon Ende des 14. Jahrhunderts mit einer den Raum umlaufenden Bilderreihe von aufrecht stehenden Hochmeistern versehen, deren Versammlung von der thronenden Gottesmutter geleitet wurde. 70 Der nicht umgesetzte Reformentwurf des Ordenskanzlers Michael Sculteti war alles, wozu sich der Orden aufraffen konnte (vgl. Anm. 48). 71 Brauer, Michael: Die Entdeckung des ‚Heidentums‘ in Preußen. Die Prußen in den Reformdiskursen des Spätmittelalters und der Reformation. Berlin 2011 (Europa im Mittelalter 17) zeigt u.a. an der Synodalgesetzgebung die Komplexität des Heidenbegriffs im 15. und 16. Jahrhundert, die in den Streitschriften der königlich-polnischen Seite aus naheliegenden Motiven vereinfacht wurde.



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und trat dann dem Orden bei.72 1525 machte er sich für die Aufhebung aller Orden stark, mit Ausnahme „solcher Orden, der gegen die Ungläubigen und Heiden streitet, wie der deutsche Orden ist“.73 Hier schien für einen kurzen Augenblick der Triumph über die in ihrer Askese unerreichbaren weißen Mönche möglich. Aber das war zu keinem Zeitpunkt das tragende Konzept des Ordens, sondern eher die letzte Rückzugslinie. Es war fachliche Schwäche und Hilflosigkeit, wenn die vom Hochmeister beauftragten Advokaten versuchten, vor dem Basler Konzil den König Jagiełło als Heiden vom Schlage eines Baibars oder Saladin darzustellen. Der König hatte hier die besseren Advokaten, die den Orden in diese und manche andere Falle lockten. Hauptthema der Statuten ist nicht etwa der Heidenkampf oder sonst wie geartetes höfisch-ritterliches Tun oder Denken. Ganz anders als die Templerregel verzichten die Deutschordensregel und die sie ergänzenden Gewohnheiten und Gesetze auf kriegerische oder militärische Aspekte. Auch die vielen denkbaren Vergehen, deren Buße die Gewohnheiten und Gesetze regeln, betreffen nicht den ritterlichen Ehrencodex, nicht Fragen der Kampfordnung oder der Schonung von Besiegten, von Lösegeldforderungen usw. Das Verhalten während der Kampfeinsätze wird im Abschnitt der Gewohnheiten über das Amt des Obersten Marschalls mit wenigen, die allgemeine Disziplin betreffenden Sätzen geregelt.74 Der Grund hierfür ist einfach. Die Verfasser der Statuten des Deutschen Ordens und die sie fortschreibenden Generalkapitel begriffen den Orden nicht primär als Kampfverband und pflegten auch keine „Ideologie“ des Heidenkrieges. Die Übernahme des weißen Habits und eines großen Teils der Templerregel setzte den Deutschen Orden in die Traditionslinie der „Armen Ritter Christi“ (d.h. der Templer). Nicht der Wunsch nach praktizierter Gewalt hatte diesen Orden begründet, sondern der Wunsch, feudale Selbstherrlichkeit und Gewaltbereitschaft zu regulieren und spirituellen Zwecken dienstbar zu machen. Der Templerorden entwickelte sich in den siebzig Jahren vor der Gründung des Deutschen Ordens von einer frommen Kämpfertruppe, die ihre Kraft religiösen Zwecken unterordnen und u.a. den christlichen Tempelberg und seine Pilger beschützen wollte, zu einer Mönchsgemeinschaft nach dem Vorbild und mit dem Segen der Zisterzienser.75 Das Aufnahmeritual,76 das nicht zu den eigentlichen Statuten gehört, ist der einzige Teil des Ordensbuches, aus dem – in der Schwertweihe und der Ritterweihe – ein militärischer Charakter spürbar wird. 72 Mentzel-Reuters: Arma Spiritualia (wie Anm. 4), 358 mit weiterer Literatur, zu seinen Büchern 365– 368. – Mentzel-Reuters: Reformschrifttum (wie Anm. 48), 77. 73 Zitiert nach Tschackert, Paul: Urkundenbuch zur Reformationsgeschichte Preußens. Bd. 2, Leipzig 1890, 101, Nr. 300. 74 Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 110–114: Gewohnheiten 44–54, sowie 116: Gewohnheit 60. 75 Demurger (wie Anm. 5), 27–46, 75–82. 76 Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 127–131.

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Gerade in diesem markanten Unterschied zur Templerregel wird eine Umprägung des Konzeptes der „militia nova“77 erkennbar, die der Deutsche Orden von den Templern78 nicht nur übernommen79 hat, sondern offenbar auch weiterentwickelte. Schon von ihnen wurde es in das typologische Bild der „neuen Makkabäer“ gefasst.80 Kaum zufällig tituliert Honorius III. 1221 den Deutschen Orden als „novi sub tempore gratiae Machabei“81 – wie zuvor Alexander III. den Templerorden in der Neufassung der Bulle „Omne datum optimum“ vom 17.7.1179.82 Im Prolog der Deutschordensregel werden die Makkabäer als eine „Ritterschaft“83 zitiert, die gegen die Heiden gekämpft habe. Im Kontext der Zeit hieß „neue Makkabäer“ aber nicht, wahllos im Blut von Heiden zu waten. Sonst hätte nicht Alexander II. bereits im Jahr 1070 – also Jahrzehnte vor dem ersten Kreuzzug – die Reichsabtei Lorsch und ihre Schutzherrn als „novi Machabei“ bezeichnet.84 77 Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 24: Prolog, cp. 3: „Diese ritterschaft ist ouch bezeichent bie der himelischen und irdischen ritterschaft unde ist die vorderste, wande sie gelobet hat, das sie Gotes versmênisse unde sînes crûces wollen rechen unde vehten umbe daz heilige lant, daz der cristen sîn sal, daz die heidene under sich hânt betwungen. Sente Johannes sach ouch, daz ein nûwe ritterschaft von dem himele herabe gienc.“ 78 Wie eng der Begriff einer „militia Dei“ mit dem Templerorden verbunden ist, zeigt der Umstand, dass die vor der Gründung des Ordens entstandene Chronik Fulchers von Chartres den Ausdruck nur ein einziges Mal und eher beiläufig verwendet. Hierauf verweist Epp, Verena: Fulcher von Chartres. Studien zur Geschichtsschreibung des ersten Kreuzzuges, Düsseldorf 1990 (Studia humaniora 15), 260. 79 „Wir gedenken ouch des lobelichen strîtes, der wert vor Gote was, der rittere, die dâ heizent Machâbei, wie stercliche die durch ir ê unde umme den gelouben striten mit den heiden, die sie twingen wolden, daz sie Gotes verlougenten, unde mit sîner helfe si sô gar uberwunden unde vertiligeten, daz sie die heiligen stete wider gereinegeten, die sie hêtn geunreint, unde den vride macheten wider in dem lande.“ Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 25. Die lateinische und die altfranzösische Fassung geben die biblischen Ereignisse präziser wider (Abdruck ebd). 80 Beispiele hierfür und weiterführende Literatur bei Feistner, Edith/Neecke, Michael/Vollmann-Profe, Gisela: Krieg im Visier. Bibelepik und Chronistik im Deutschen Orden als Modell korporativer Identitätsbildung. Tübingen 2007 (Hermea 114), 157 Anm. 227. 81 Boor, Helmut de/Newald, Richard: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 3, Zerfall und Neubeginn 1250 – 1350, 5. Aufl. neu bearb. v. Johannes Janota. München 1997 (Handbücher für das germanistische Studium), 422. 82 Rudolf Hiestand: Papsturkunden für Templer und Johanniter. Vorarbeiten zum Oriens Pontificus II, neue Folge. Göttingen 1984 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Phil.hist. Kl. 3. Folge 135), 88–89. 83 Das Wort schwankt zwischen einer bloßen Übersetzung des kirchlichen Begriffs einer „militia“ und dem in der höfischen Dichtung mit einem konkreten Tugendsystem umwobenen volkssprachigen Begriff „rîterschefte“. Zum kirchlichen Sprachgebrauch und dem Gegensatz von „militia Dei“ und „militia saecularis“ ausführlich Herbers, Klaus: Der Jakobuskult des 12. Jahrhunderts und der „Liber Sancti Jacobi“. Studien über das Verhältnis zwischen Religion und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Wiesbaden 1984 (Historische Forschungen 7), 153f. und 194. 84 Monumenta Germaniae Historica, scriptorum tomus 21, ed. Georgius Heinricus Pertz, Hannover 1869, 417, 33.



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Nicht der erst 1120 gegründete Templerorden hatte das Massaker bei Eroberung von Jerusalem 1099 zu verantworten – das übrigens auch bei den abendländischen Chronisten helles Entsetzen auslöste. Judas Makkabäus war auch für die Templer nicht der martialische „conquering hero“, den Händel in seinem Oratorium85 feiert: Ebenso wichtig wie seine militärischen Erfolge war die Neueinweihung des von Heliodor geschändeten Tempels im Jahr 164 vor Christus.86 Was in der jüdischen Tradition durch das nun wahrlich nicht kriegerische Chanukka-Fest87 vergegenwärtigt wird, war auch für Bernhard von Clairvaux und die Templer eine Vorausdeutung auf die Vertreibung der Händler aus dem Tempel und auf das gereinigte Himmlische Jerusalem. So steht es auch ganz klar im Prolog der Deutschordensregel: Mit Gottes Hilfe haben die Makkabäer die Heiden „uberwunden und vertilgeten, daz si die heiligen stete wider gereinigeten, die sie heten geunreint, unde den vride macheten wider in dem lande“.88 Nun, Frieden machten die Ritterorden in Palästina nicht, aber sie waren keineswegs „Kampfmaschinen Gottes“. Und trotz aller aktuellen Polemik: Das von den Templern und Johannitern immer stärker abhängige Königreich Jerusalem war ein nach mittelalterlichen Maßstäben verlässliches und auf wirtschaftliche Kooperation ausgerichtetes Staatswesen, das sich im Zweifelsfall ebenso gut mit islamischen wie mit christlichen Reichen verbündete oder zerstritt; apokalyptisch wirkten im vorderen und mittleren Orient des 13. Jahrhunderts nur die Mongolen. Die Ritterorden waren wegen ihres immensen Landbesitzes und der ihnen zufließenden mildtätigen Stiftungen bedeutende Wirtschaftsmächte. Der „Heidenkampf“ in Palästina war für die Ritterorden nicht nur Selbstzweck, sondern auch ein Aushängeschild, mit dem sie in Europa Mitglieder und vor allem Ablässe und Stiftungen anwarben – auch das fand nie Eingang in die Statuten. Diese offenbaren vielmehr einzig ein inneres Ziel: Die Unterwerfung der impulsgesteuerten Aggressivität unter die Kontrolle durch eine zönobitäre Gemeinschaft. Innereuropäisch waren Kreuzzüge, wie schon Urban II. 1095 auf der Synode von Clermont betonte, dem Konzept des Gottesfriedens89 verpflichtet, der das willkürliche feudale Gewaltmonopol durch eines 85 Diese Chorpartie – in Deutschland als Weihnachtschoral mit dem später unterlegten Text „Tochter Sion“ verbreitet – bezog sich ursprünglich auf Josua (HWV 64) und wurde 1751 von Händel nachträglich in das Makkabäeroratorium (HWV 63) eingeschoben. Es wurde zur Feier von William Augustus Duke of Cumberland (1721–1765) gestiftet, der allerdings als Sieger über die letzten schottischen Freiheitskämpfer (Schlacht von Culloden 1746) eher das Gegenbild zu Judas Makkabäus abgab, vgl.: Das Händel-Handbuch. 5. Händels Instrumentalmusik, hg. v. Hans Joachim Marx, Laaber 2008, 197. – Streatfeild, R. A.: Handel, New York 1909, 314f. 86 Vgl. I Makk 4,36–61. 87 Galley, Susanne: Das jüdische Jahr. Feste, Gedenk- und Feiertage. München 2003 (Beck’sche Reihe 1523), 101–108. 88 Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 25. 89 Kaiser, Reinhold: Gottesfriede. In: Lexikon des Mittelalters. Bd. 4, München 1989, 1587–1592.

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der Kirche zu ersetzen suchte. Die Templerregel griff das auf: „Et donques nos vos amonestons, vos qui avés menée seculiere chevalerie jusques ci, en laquelle Jhesu Crist nen fu mie cause, mais solement por l‘umaine favour vos l’embrassastes, que vos segués ceaus les qués Dieu a eslis de la masse de perdession et a ordenés per sa agréable pitié a la defension de sainte yglise, que vos vos hastés de ajoster a eaus perpetuelment.“90 Der Lohn dafür ist es, „a tenir compaignie entre les martirs qui donerent por Jhesu Crist lor armes“.91 Märtyrer in den eigenen Reihen sicherten einen bedeutenden Anteil am ewigen Schatz der Kirche, aus dem heraus Ablässe gewährt werden konnten; das für den Orden vergossene Blut versetzte diesen in die Lage, Sündern, die nicht gegen Heiden zum Schwert griffen, dennoch Anteil am Heil der Kreuzzüge zu gewähren, wenn sie den Orden durch Seelstiftungen förderten. Das Anliegen der Domestizierung von feudaler Gewalt und Willkür blieb in den Ritterorden präsent. Die Johanniter und der Deutsche Orden waren zudem nicht nur Ritter-, sondern Spitalorden, die für die Betreuung der Pilger und der Kranken von vorne herein stärker als die Templer Logistik und Verwaltungsaufgaben für sich requirierten: Das späte Königreich Jerusalem war im Grunde schon so etwas wie ein Johanniter-Staat. Der Deutsche Orden kehrte sich als erster von diesem unglückseligen Projekt in Outremer ab. Auch dies kann man als Ausdruck seiner Emanzipation vom zunächst übermächtigen Vorbild der beiden älteren Ritterorden sehen. Als 1291 mit Akkon die letzte Bastion der Kreuzfahrer im Heiligen Land fiel, hatte der Deutsche Orden schon lange in Preußen Fuß gefasst, und hier machte er auch für knapp 100 Jahre Frieden – nach mittelalterlichen Maßstäben. Er hatte aber in Palästina noch etwas mitbekommen, das weniger für Preußen als für die Balleien im Reich ungemein wichtig wurde und einmal mehr seine nicht-militärische Seite zeigt. Er konnte beobachten, wie um 1270 die Johanniter von den sich zurückziehenden Prämonstratensern die Seelsorge für Frauenkonvente übernahmen, die zumeist dem aussagekräftigen Patrozinium der hl. Maria Magdalena unterstellt waren – es handelte sich also um sog. ReuerinnenKonvente.92 Es ist dies die Missing Link zwischen dem Selbstverständnis eines Hospitalordens und den inneren Vorgängen im Deutschen Orden an der Schwelle zum

90 In der lateinischen Fassung: „Hortamur itaque qui usque nunc miliciam secularem, in qua Christus non fuit causa, sed solo humano favore amplexati estis, quatinus horum unitati, quos Deus ex massa perdicionis elegit et ad defensionem sancte aecclesiae“, beide Fassungen bei Curzon, Henri de: La règle du Temple. Paris 1886, 11 f.: R 1. 91 Curzon (wie Anm. 90), 12: R. 2. Die lateinische Fassung durchaus abweichend: „pure et perseveranter observetur inter militantes qui pro Christo animas suas dederunt sortem obtinere mereberis.“ 92 Mentzel-Reuters, Arno: Zum so genannten Psalter Friedrichs II. (Florenz, Bibl. Riccardiana Ms. 323). In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 65 (2009), 111–136, hier 126f.



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und im 14. Jahrhundert. Es war wohl auch der Anfang von dem, was wir mehr oder minder glücklich als „Deutschordensliteratur“93 bezeichnen. Die Ordensregel erlaubte aus Sorge um den Seelenfrieden der Brüder keine vollgültige Aufnahme von Frauen: „wende daz ofte geschît, daz manlicher mût von wîplicher heimeliche schedelîche dicke wirt erweichet.“94 Sie befand die Frauen aber für „etteliche dienest der sîchen in den spitâlen unde ouch de vihes“ für nützlich und erkannte ihnen den Dienst als „halpswesteren“ zu.95 In einem 1293 entstandenen Gedicht des Deutschordensritters Hugo von Langenstein aus der Kommende Beuggen am Bodensee lesen wir, dass er von der Priorin eines Dominikanerinnenkonventes ersucht wurde, die lateinische Legende der hl. Martina für sie in deutsche Verse zu bringen.96 Solche Kontakte zu Reuerinnen97 häufen sich im 13. Jahrhundert: Im Umfeld der Kommende Beuggen befand sich ein eigener Frauenkonvent des Deutschen Ordens, der 1311 der Kommende Beuggen selbst angegliedert und irgendwann kurz vor 1393 aufgelöst wurde. Bei der Übertragung des thüringischen Augustinerchorherrenstifts Schiffenberg im Jahr 1323 an den Deutschen Orden wurden diesem Haus zwar die bisherigen Patronatsrechte an dem Frauenkonvent zu Cella aberkannt, doch verblieben seelsorgerische Aufgaben weiterhin beim nunmehr im Deutschordenshabit gekleideten Schiffenberger PriesterKonvent. In Bern unterstellte sich 1341 ein Frauenkonvent im Rüwenthal dem Orden, dessen letzte Schwester 1421 im Berner Ordenshaus nachgewiesen werden kann. Auch für Frankfurt, im Umfeld der „Theologia deutsch“, sind Konventualinnen nach der Deutschordensregel nachgewiesen, die ab 1353 ein Spital versorgten. In Preußen sind Schwestern selten belegt, Einzelfälle aus dem 15. Jahrhundert weisen nach Marienwerder, Danzig und Marienburg. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese

93 Löser, Freimut: Literatur im Deutschen Orden. Vorüberlegungen zu ihrer Geschichte. In: Mittelalterliche Kultur und Literatur im Deutschordensstaat in Preußen (wie Anm. 12), 331–354. 94 Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 52 Regel 31. 95 Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 52,12 in der deutschen Regel 31; in der älteren lateinischen Fassung ebd. Zeile 9 ist allgemein von „consorores“ die Rede, was eigentlich eine Gleichstellung bedeutet; „Halbschwestern“ wären eigentlich „semisorores“. Die schwierige Begrifflichkeit wird erörtert bei Tommassi, Franceso: Men and Women of the Hospitaller, Templar and Teutonic Orders. Twelth to Fourteenth Centuries. In: Hospitaller women in the Middle Ages. Hg. v. Anthony Lutrell und Helen J. Nicolson, Aldershot 2006, 71–88, hier 80f. 96 Hugo von Langenstein: Martina. Hg. v. Adelbert von Keller. Stuttgart 1856 (Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart 38), V. 1,21–30. – Zum Werk allgemein jetzt Mohr, Robert: Präsenz und Macht. eine Untersuchung zur „Martina“ Hugos von Langenstein, Frankfurt am Main 2010 (Kultur, Wissenschaft, Literatur – Beiträge zur Mittelalterforschung 23). – Zum Kontext im Deutschen Orden Mentzel-Reuters: Arma spiritualia (wie Anm. 4), 82–85. 97 Bertau, Karl: Die „Goldene Schmiede“ zwischen Rittern und Reuerinnen. In: Mittelalterliche Literatur und Kunst im Spannungsfeld von Hof und Kloster. Hg. v. Nigel F. Palmer und Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 1999, 113–140.

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Frauen „zu den Semireligiosen“ zählten, „deren Stellung der Orden je nach Bedürfnis gestaltete.“98 Was ging hier vor sich? 1304–1314 vernichteten der französische König und der Papst den Templerorden. Die Johanniter und der Deutsche Orden wurden nicht aufgehoben, waren aber gewarnt. Im 14. Jahrhundert bemühen sie sich einerseits um die Befestigung ihres mit Waffengewalt gewonnenen territorialen Besitzes – in Zypern, Malta oder eben in Preußen –, aber daneben überall im Reichsgebiet um seelsorgerische Aufgaben. Das war nicht nur Taktik oder Liebdienerei gegenüber der Kirchenführung. Es hat im Deutschen Orden stets auch Gruppen gegeben, die nach einer vertieften Spiritualität strebten. Warum sonst sollte sich gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts der „frater Hermannus“ des Ordenshauses zu Giengen99 an der Brenz eine Handschrift zulegen, die lediglich zwei Texte enthielt: das gereimte deutsche Evangelium Nicodemi des Heinrich von Hesler und das Buch von der ewigen Weisheit des Heinrich Seuse?100 Der Gipfel dieser Strömung, die in der Forschung leichtfertig marginalisiert wird, ist die „Theologia deutsch“ des so genannten „Frankfurters“, der im 14. Jahrhundert in der Kommende Sachsenhausen schrieb.101 Bei dieser Vielfalt fällt es schwer, pauschal von „dem“ Deutschen Orden und gar seiner „Ideologie“ zu sprechen. Aber es gab natürlich auch hier den inneren Zusammenhalt in der monastischen Gemeinschaft. Er organisierte sich jedoch nicht (wie die ältere Forschung anscheinend glaubte) über Verwaltungsakte und Bürokratie, sondern über Texte und Rituale. Gerade darum konnte auch eine mystische Strömung in einem der militärischen Aktion verpflichteten Ordo bestehen. Man könnte den Zustand der Ordensgemeinschaft durch ein Drei-Schichten-Modell beschreiben. Die oberste und für alle offenkundige Schicht stellt die reale Ordensleitung dar, deren innere Verfassung sich mit den Jahrhunderten stark wandelte. Durch den Erlass von konkreten Bestimmungen (die sog. „Gesetze“) suchte sie den Anschluss an die nächst tiefere Schicht, die konkret durch die Ordensliturgie und das Ordensbuch bestimmt ist. Darunter aber liegt eine weitere Schicht. Es sind die Grundprinzipien einer Zoenobitengemeinschaft schlechthin, also letztlich das Regelwerk

98 Mentzel-Reuters: Arma spiritualia (wie Anm. 4), 86f. 99 Zum im 15. Jahrhundert aufgehobenen Ordenshaus Militzer (wie Anm. 4), 314. 100 Heute WLB Stuttgart, Cod. theol. Q. 98. Zur Handschrift Das Evangelium Nicodemi von Heinrich von Hesler. Hg. v. Karl Helm, Tübingen 1902 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 224), IX. 101 Hinten, Wolfgang von: Theologia Deutsch. Kritische Textausgabe. „Der Franckforter“. München u. Zürich 1982 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 78). – Peters, Christian: Theologia deutsch. In: Theologische Realenzyklopädie 33 (2002), 258–262.



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des hl. Benedikt. Das Herzstück dieser Gemeinschaft und ihrer Ordensregel ist ein von ihr „geregeltes“ und nach innen gerichtetes Ritual: das Ordenskapitel.102 Schon in den frühmittelalterlichen benediktinischen Abteien befanden sich Kapitelsäle, in deren Mitte meist ein Lesepult stand.103 Es sind oft die größten und schönsten Räume eines Klosters. Doch war es die Zisterzienserregel, die dem Kapitel als Bußübung besondere Bedeutung beimaß – und über die Templerregel auch den Deutschen Orden prägte. Im sogenannten „bernhardinischen Idealplan“104 wird der Kapitelsaal neben die Sakristei in den Ostflügel der Zisterze gelegt, von ihm führt eine Treppe zum Dormitorium im Obergeschoß des Flügels, West- und Südflügel werden für Vorratsräume, getrennte Refektorien für Konversen und Mönche sowie die Küche genutzt. Das Langhaus der Kirche bildet den Nordflügel: sie besteht aus einem durch eine Chorschranke abgeteilten Konversenchor im Westen und einem Mönchschor im Osten, das wiederum vom Hochaltar abgetrennt war, der sich im Sanktuarium befand, das teils als Apsis, teils als rechtwinkliger Raum gestaltet werden kann. Die preußischen Konvente des Deutschen Ordens verfügten nicht über ein so ausgefeiltes Raumprogramm.105 Ihre im Ordensland strenger als im Reichsgebiet beachtete Orthogonität mag man – was bei Sakralbauten ja ohnehin kaum fehlleitend sein kann – mit Kazimierz Pospieszny und anderen als typologische Vorwegnahme des neuen Jerusalems deuten106. Doch geht es zu weit, dies aus dem Apokalypsen102 Allgemein May, Georg: Kapitel (I). In: Lexikon für Theologie und Kirche. Freiburg [u.a.] Bd.  5 (31996), 1214f. – Von unschätzbarer Bedeutung für die Beurteilung und Vergleichung der Praxis des Kapitelhaltens bei den Ritterorden war für mich der Anmerkungsteil im 7. Buch („Vom Capitel“) Münter, Friedrich von: Statutenbuch des Ordens der Tempelherren. Aus einer altfranzösischen Handschrift hg. und erläutert. Erster Theil. Berlin 1794, 221–250. Die lateinische Deutschordensregel wird im Apparat konsequent mit der Templerregel verglichen, wohingegen Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25) sich auf den Nachweis vereinzelter Parallelen beschränkt. Die Benutzbarkeit von Münter ist leider dadurch beeinträchtigt, dass Münter die Bestimmungen neu systematisiert und der zweite Teil, in dem die historische Folge der Satzungen gegeben werden sollte, nie erschien. 103 Zur Formgeschichte Koch, Laurentius: Kapitelsaal. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Freiburg [u.a.] Bd. 5 (31996), 1217f. Dem dort beschriebenen Bautypus entspricht die St. Annenkapelle auf der Marienburg weit mehr als der Saal im oberen Stockwerk (Doppeltürigkeit, annähernd quadratischer Grundriss, Fenster an der Stirnseite und Sepultur). 104 Zum Folgenden: Eberle, Jürgen: Mittelalterliche Zisterzienserklöster in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Petersberg 2011 (im Druck). 105 Zum Folgenden: Torbus, Tomasz: Die Konventsburgen im Deutschordensland Preußen, Oldenburg 1998 (Schriften des Bundesinstituts für Ostdeutsche Kultur und Geschichte 11), 307–314. 106 Pospieszny, Kazimierz: Die Architektur des Deutschordenshauses in Preußen als Ausdruck- und Herstellungsmittel der Ordensmission und Herrscherpolitik. In: Selbstbild (wie Anm. 4), 227–241, hier 229. – Dygdała-Kłosińska, Barbara: Die apokalyptische Gottesmutter als Propagandabild des Deutschen Ordens in Preußen. In: Terra sanctae Mariae. Mittelalterliche Bildwerke der Marienverehrung im Deutschordensland Preußen. Hg. v. Gerhard Eimer, Ernst Gierlich [u.a.], Bonn 2009, 137–154, 148f.

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kommentar des Heinrich von Hesler107 zu begründen,108 der lange vor diesen Bauten und ohnehin nicht im Deutschen Orden entstanden ist.109 Das Himmlische Jerusalem spielt im Bildprogramm der Deutschordenshandschriften dieses Reimkommentars zwar eine Rolle110 – aber es wird hier als ringförmige, zwölftorige Stadt gezeigt und keinesfalls als Viereck.111 Eher wären Bezüge zur allegorischen Regelauslegung des Bruder Ulrich herauszustellen.112 Die in den Konventsburgen realisierte Spiritualität war sowohl einfacher wie auch augenfälliger. Ihr Standardprogramm bildeten Schlafraum, Remter, Kapelle und Kapitelsaal – ein geistliches Konzept, das, wie hier zu zeigen sein wird, viel dem Idealplan aus Clairvaux verdankt. Dabei ist insbesondere der Kapitelsaal hervorzuheben, da er der einzige Raumtypus ist, der in keinem Fall auf einer säkularen Burg zu finden ist. Umgekehrt kommt der spezielle Wehrcharakter der Anlage in der äußeren Gestaltung und dem Bergfried zum Ausdruck, der jedoch beim weiteren Ausbau der Burgen in die anderen Baukörper integriert wurde und in der Marienburg gleichzeitig als Glockenturm fungierte. Auch das vermauerte Ostfenster der Marienkapelle hat einen 107 Heinrich von Hesler: Die Apokalypse. Hg. v. Karl Helm, Berlin 1907 (Deutsche Texte des Mittelalters 8). 108 So ausdrücklich Pospieszny: Architektur (wie Anm. 106), 229. Die Darlegung gewinnt ihre innere Schlüssigkeit durch wenig überzeugende Textarbeit. „Der dutschen hus“ wird ohne Versangabe zitiert (Vers 5827!), falsch mit „das Ordenshaus“ übersetzt und direkt in eine Beschreibung des Himmlischen Jerusalems gezogen, die aus nicht zusammen stehenden Versgruppen montiert ist (Verse 21069–21073, 20800–20804, 20812f., 22334–22336). – Mit der Domus Theutonicorum ist der Orden selbst gemeint, der hier nicht etwa verherrlicht, sondern an dritter Stelle nach den Templern und Johannitern wegen seiner Habgier verurteilt wird. Zu dieser Attacke Mentzel-Reuters: Arma spiritualia (wie Anm. 4), 27f. 109 Mentzel-Reuters, Arno: Bibeldichtung und deutscher Orden: Studien zur Judith und zu Heinrichs von Hesler Apokalypse. In: Daphnis 26 (1997), 209–261, widerlegte als erster die Entstehung im Deutschen Orden, geht aber noch von einer Spätdatierung aus, die durch jüngere Handschriftenfunde obsolet wurde. Hierzu jetzt zusammenfassend Ehrich, Susanne: Die ‚Apokalypse‘ Heinrichs von Hesler in Text und Bild. Traditionen und Themen volkssprachlicher Bibeldichtung und ihre Rezeption im Deutschen Orden, Berlin 2010 (Philologische Studien und Quellen 223), 10–22. 110 Vgl. WLB Stuttgart, HB XIII 11, 153v und Toruń, BUMK Rps. 44/IV, 182v, Abbildungen bei Jagodzinski, Sabine: Die illustrierte Apokalypse Heinrichs von Hesler im Deutschen Orden. Studien zu Bild, Text und Kontext, Stuttgart 2009 (CISA – Cultural and Interdisciplinary Studies in Art 6), LXXIII und LXXIX. Ebd. LXIX und LXXVIII Bildmaterial zur Darstellung der apokalyptischen Frau im Hinblick auf die Ostfassade der Marienkirche. Die zugehörigen Betrachtungen 91–111 sind leider unergiebig, wobei zu berücksichtigen ist, dass es sich um eine Magisterarbeit handelt. 111 Pospieszny: Architektur (wie Anm. 106), 230 und 239, Anm. 39 bemüht Heslers Beschreibung der 12 Tore für eine Interpretation der Verlegung des Zugangs zum Hochschloss der Marienburg aus der Mitte des Nordflügels an die Westecke: „In der axialen Ausgangskonzeption der Burg handelt es sich sicherlich um die Betonung des Tores, das zum Marienburger ‚paradisus monachorum‘ führte“. Ein solcher Bezug wäre allerdings durch die Anlage von 12 Toren sinnfälliger zu gestalten – so wie es die Handschriftenbilder zu Heslers Text tun. 112 Vgl. Anm. 61.



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wehrtechnischen Aspekt, der mit der monumentalen Marienfigur in symbolträchtiger Weise verkleidet wurde.113 Die Lokalisation der Räume in den erhaltenen Baudenkmälern ist jedoch nicht immer einfach. Die vergleichsweise gut erhaltenen Häuser von Mewe und Rehden dienen im Allgemeinen als Vorlagen für einen Idealtypus der Konventsburg. Hier „besaß der Kapitelsaal nach der Kapelle die sorgfältigste architektonische und bauplastische Ausstattung“.114 Das Hochschloss der Marienburg scheint diesem Plan in seiner ersten Bauphase115 weitgehend entsprochen zu haben, wurde aber 1331–1344 unter Luder von Braunschweig (HM 1331–1335) und Dietrich von Altenburg (HM 1335–1341) gravierend verändert.116 So scheint der Raum vor der Marienkirche im Hochschloss, der seit den Wiederherstellungsarbeiten des 19. Jahrhundert117 als „Kapitelsaal“ identifiziert wird, nach neueren Studien in der ersten Bauphase als Refektorium genutzt worden zu sein.118 Ähnliche Gegenüberstellungen finden wir noch heute in den Ruinen der Konventsburgen von Mewe119 und Rehden.120 Dort ist allerdings zwischen Kapelle und Refektorium ein kleinerer Zwischenraum, der direkt über dem Haupttor sitzt. Er wird wegen seiner kleinen Fenster zur Kirche hin nach verschiedenen Verlegenheits113 Die Marienfigur mag zwar „den sinnfälligsten Ausdruck für das Patronat der Gottesmutter über den Deutschen Orden“ geben, so Eimer, Gerhard: Terra sanctae Mariae. Das Deutschordensland als Marienland. In: Terra sanctae Mariae (wie Anm. 106), 7–9, hier 7. Im Innenraum wirkt es aber wenig imposant – nämlich wie das vermauerte Fenster, das es ja auch ist. Für den Verteidigungsfall wurde damit eine gefährliche Maueröffnung verschlossen, durch die andernfalls mühelos Brandgeschosse ins Kircheninnere geschleudert werden konnten, was bei dem hohen Anteil an Holz und Stoffen in der Einrichtung rasch den gesamten Nordflügel des Hochschlosses in Brand gesetzt hätte. Es ist kein Zufall, dass die gesamte Ostseite des Hochschlosses kaum Fenster hatte, und dass die freiliegenden Fenster an der Nordseite der Marienkirche zum offenen Land hin durch den Pfaffenturm verdeckt wurden. 114 Torbus (wie Anm. 105), 309. 115 Torbus (wie Anm. 105), 291–294. 116 Torbus (wie Anm. 105), 496–498, 520 (Grundrisse). – Zur Bautätigkeit unter Luder Helms, Simon: Luther von Braunschweig. Der Deutsche Orden in Preußen zwischen Krise und Stabilisierung und das Wirken eines Fürsten in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, Marburg 2009 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 67), 156–158. 117 Knapp, Heinrich: Das Schloss Marienburg in Preußen. Quellen und Materialien zur Baugeschichte nach 1456, Lüneburg 1990, 95f, 99. 118 Jóżwiak, Sławomir/Trupinda, Janusz: Organizacja życia na zamku krzyżackim w Malborku w czasach wielkich mistrzów (1309–1457) [Organisation des Lebens auf dem Deutschordensschloß Marienburg zur Zeit der Hochmeister], Malbork 2007, 139–145. – Im Ausgabenbuch der Marienburger Hauskomturs wird mehrfach die Lieferung von Trinkgefäßen und einmal sogar von Essen „uffs cappitill“ verzeichnet, offenbar fanden hier die abendlichen Collationes und in Ausnahmefällen weiterhin Mahlzeiten statt. Ausgabenbuch (wie Anm. 55), 420 mit den entsprechenden Belegstellen, z.B. das Essen 155,17 zum 1.12.1415. 119 Torbus (wie Anm. 105), 540–554. 120 Torbus (wie Anm. 105), 595–608.

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lösungen früherer Forschung nunmehr als Firmarie gedeutet. Spuren eines solchen Raumes haben sich auch in der Marienburg finden lassen. 121 Mit seiner Beseitigung und der Erweiterung des Kapitelsaals rückte dieser unmittelbar an die Marienkirche heran. Damit entstand eine ungewöhnliche Raumkonstellation. Die besonders auf der Kirchenseite prächtig ausgebaute Wand trennt und verbindet gleichermaßen zwei ritualisierte Bereiche der Gemeinschaft: den nach außen – d.h. auf Gott – gerichteten liturgischen Raum der Marienkirche und den nach innen – d.h. auf die Lebensform – gerichteten Kapitelsaal.122 Die gab im 19. Jahrhundert Raum für blumige Spekulationen: Es habe eine Zwischentüre gegeben und nach der Wahl eines neuen Hochmeisters „trat der Erwählte aus dem Saal in jene Thür und zeigte sich der in der Kirche harrenden Menge“.123 Wenn dies auch als Phantasie nach dem Vorbild der Papstwahl zurückgewiesen werden muss124 – es gab diesen Durchbruch zwischen Kapitelsaal und Kirchenempore nicht125 –, so versucht es doch, die Bestimmungen des Ordensbuches zu lokalisieren (Gewohnheit Nr. 6126) und lenkt das Augenmerk auf das zu wenig beachtete funktio121 Pospieszny, Kazimierz: Orte der Reliquienpräsentation in den Deutschordensburgen in Preußen. Ein Beitrag zu neueren Forschungen. In: Ecclesiae ornatae. Kirchenausstattungen des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Hg. v. Gerhard Eimer, Ernst Gierlich und Matthias Müller, Bonn 2009 (Kunsthistorische Arbeiten der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen 6), 311–326, hier 314–319. 122 Pospieszny: Orte der Reliquienpräsentation (wie Anm. 121), 322 deutet die Kammern unter der Empore als Aufbewahrungsort für Reliquien. Das Marienburger Ämterbuch (wie Anm. 50) lässt aber keinen Zweifel daran, dass die Reliquien entweder an den Altären oder in den Sakristeien der Kirche aufbewahrt wurden, z.B. „sunte Agathe houpte“ am Hochaltar (MÄB 131,21), „item in dem schaffe vor unser lieben frowen altare in der muer acht stucke mit dem groszen crucze“ (MÄB 131,24f.) usw. 123 Schloss Marienburg in Preußen. In: Illustrirte Zeitung, Berlin, vom 1.6.1850, 345f., hier 346. Eine Ansicht der Westempore im damaligen Zustand (d.h. als aufgegebene Jesuitenkirche vor allen Restaurierungsmaßnahmen durch den preußischen Staat) bringt die Ausgabe Nr. 593 vom 11.11.1854, 316 (1850 wurde die Zeitung noch nicht gezählt). Ähnliches Bild bei Pospieszny: Orte der Reliquienpräsentation (wie Anm. 121), 313. Die vorgefundene Ausstattung der Kirche wird detailfreudig geschildert; hinsichtlich der Empore wird vermutet, sie sei für den Stuhl des Hochmeisters bestimmt. Das ist jedoch unwahrscheinlich, da in der mittelalterlichen Kirche dem Herrscher ein Platz am Hochaltar zustand. 124 So wurde die Wahl des Hochmeisters nach dem Vorbild der Templerregel durch Wahlmänner vorgenommen und nicht durch das Generalkapitel. Ausführlich zum Verfahren Militzer (wie Anm. 4), 137–140. 125 Zumindest zeigt keiner der bei Knapp (wie Anm. 117), 180–183 und bei Pospieszny: Orte der Reliquienpräsentation (wie Anm. 121), 315 abgedruckten historischen Grundrisse einen solchen Durchgang; die auch heute noch in der Mitte der Ostwand des Kapitelsaales zu erkennende Nische war auch vor der Einpassung eines „Hochmeisterstuhles“ und der weiteren hölzernen Sitzreihen (im frühen 20. Jahrhundert) vermauert, wie aus den vor 1900 gedruckten Postkarten des Vereins zur Herstellung und Ausschmückung der Marienburg hervorgeht. 126 Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 95,15–29: „Zu hant sulen die brûder pfaffen hochzitlîchen anheben Te Deum laudamus unde sulen die glocken zusamene lûten unde der brûder, der an des meisteres stat was, der sal den, der dâ ist erwelt, vur den alter vûren unde sal ime dâ vor allen



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nale Nebeneinander der geistlichen Räume im Nordflügel des Hochschlosses, das auf zisterziensische Vorbilder verweisen könnte.127 Hinweise auf den Kapitelsaal des Hochschlosses als Ort der Hochmeisterwahl gehören zur Topik der Fremdenführer;128 aber primär war der Raum für den eigentlichen Konvent bestimmt, der darin wöchentlich seine „gewöhnlichen“ Kapitel abhielt, 129 in denen (wie schon im Templerorden) „nichts anderes verhandelt ward, als was die Geschäfte jedes einzelnen Hauses und die Disciplin desselben betraf“130 – es waren also primär Schuldkapitel.131 Die Schlussformel, die in den Gewohnheiten vorgeschrieben wird, macht das deutlich: „Brûder, ir habt unsre regel, unsere gesetzede unde unsre gewonheit nun unde zu den andern zîten wol gehôrt, daz ir iuch darnauch rihten, daz füget sich wol. (…) Brûder chommend zu iur gezîten, nâch dem als iuch danne dî glock bescheyde. Brûder, chommend zu iur tavelen und nement dô dez ordens almûsen unde gût. Brûder, sy ieman hie, der urloub wolle nehmen zu sprechen, der sprech in Gotes namen, sy dez icht, sô emphelven wir unsere sach unserm hêrn Jêsu, Amen.“132 Die Kapitel fanden sonntäglich statt, die Teilnahme war für alle Brüder verpflichtend.133 Wer nicht dem Konvent angehörte, hatte keinen Zutritt.

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den brûderen daz ambeht der meisterschefte mit dem vingerlîne unde mit dem insigel antwerten unde bevelhen unde sal in des manen, daz er alsô der berihtunge des hûses unde dem ordene vor sî“. Paraphrasiert Militzer (wie Anm. 4), 139 f. Koch (wie Anm. 103), 1217 weist darauf hin, dass dem Kapitelsaal seit dem 11. Jahrhundert und insbesondere bei den Zisterziensern „vielfach östlich eine Marienkapelle angegliedert“ wurde. Einer unter vielen: Wolfrum, Heinrich: Die Marienburg. Das Haupthaus des Deutschen Ritterordens und seine Geschichte, Leer 1972, 21. Das Buch ist im Übrigen ein spätes Zeugnis für die Wirksamkeit von Treitschkes Deutschordensbild. Vor dieser Verwechslung warnt ausdrücklich Münter (wie Anm. 102), 221 Anm. *. Münter (wie Anm. 102), 221 Anm. *. Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 77,35–78,7: „Sint ouch der apostel sprichet: wêre daz wir uns selben urteileten, so enwurden wir niht geurteilet, sô sezzen wir, daz man der verholnen schulde, alleine dunken sî cleine, heimelîche kume zu bîhte unde daz man offenbare schulde in deme capitele rûge unde darumme dâ entphâhe gevelliche bûze, daz alsô die Gotes ê werde ervullet nâch deme daz die schulde sint, sô sal man die slege mâzen, unde swie man daz âne zwîvel âne swêre schulde behalten sule, doch sal man ez an den minnesten niht versûmen, wende sente Gregorius sprichet: swer die minnesten versûmet, der vlûzet algemehelîche zu den grôzen“. Zitiert werden Gregors Moralia in Iob X 11,21. Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 133,16–28. Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 74,12–19 (Gesetze Nr. 27): „In allen hûseren sal man die regelen unde die gesetzede in deme iâre drîstunt lesen in den octaven zu wînahten unde zu ôsteren unde zu der schiffunge zu des heiligen crûces messe unde in den capitelen, unde darzu in allen sunnetagen, ob ez mit vûgen mac sin, sô sal man den brûderen ettelich teil der regelen unde der gesetzede lesen“.

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In diesem Raum war der Konvent ganz bei sich. Auf einem Lesepult sollte – zumindest im Idealfall – das Ordensbuch liegen, aus dem zu Beginn des sonntäglichen134 gewöhnlichen Kapitel im Jahresumlauf jeweils ein Kapitel der Ordensregel verlesen wurde: „Wenne man gêt zu capitel, sô spricht ye der prûder VII pater unde VII âve Maria. Darnâch liset der priester prûder ein capitel in der regelen, ein capitel in den gesetzeden, ein capitel in den gewonheyden unde kundet die heylstage derselben wíchen, darnauch spricht er die enphelhunghe, als hernâch geschrîben stât.“135 Auf den für den Herbst vorgeschriebenen „großen Kapiteln“ war sogar die vollständige Regel zu verlesen.136 Durch das Vorlesen des Ordensbuches trat der Ordensbruder in Kontakt mit den Statuten – er las sie nicht selbst. Doch erschöpfte sich das Kapitel nicht mit dem Verlesen der Satzungen. Im Anschluss hielt der ranghöchste Anwesende als Leiter des Kapitels oder aber der Priesterbruder einen Sermo ad fratres über ein von ihm frei gewähltes moraltheologisches Thema – letztlich also eine Mahn- oder Bußpredigt137 – und forderte abschließend die Anwesenden auf, ihre Verfehlungen gegen die Regel zu bekennen. Es ist Aufgabe der Gemeinschaft, nach Maßgabe der Statuten dafür das Strafmaß zu bestimmen. Der Ritualcharakter wird an den heute noch erhaltenen Ordensbüchern deutlich, in denen neben dem legistischen Kern aus Statuten, Gewohnheiten und Gesetzen der mit den charakteristischen liturgischen Festen ausgezeichnete Kalender und das Aufnahmeritual für neue Brüder enthalten sind. Will man den Charakter dieser Bücher verstehen, muss man ihre Textkompilationen als solche betrachten und nicht auf ein Abstraktum („die Deutschordensregel“) reduzieren. Diesen kann man nur aus der jeweiligen Handschrift ermitteln. Max Perlbach hat für die Edition der Deutschordensstatuten 34 Handschriften herangezogen und in seiner Einleitung bzw. im kritischen Apparat der Edition dokumentiert. Hieraus lassen sich die Umrisse der jeweiligen Codices erahnen, aber nicht immer mit letzter Gewissheit rekonstruieren. Um die Schwankungsbreite erkennbar zu machen, habe ich die Überlieferung der Kleintexte ausgewertet, die in Perlbachs Edition zu einem völlig unhistorischen Block 134 Münter (wie Anm. 102), 157, 224–225 Anm. **. – Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 59–60: Gesetze II a-b. 135 Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 133: Gebet Nr. 14. 136 Am Tag der Kreuzerhöhung (14.9. nach dem julianischen Kalender). Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 102: Gewohnheit 18. Die Gestaltung der Generalkapitel in Preußen wird sich erheblich von dem unterschieden haben, was die noch auf die Landmeister von Armenien und Zypern Rücksicht nehmenden Bestimmungen der Gewohnheit 18 vorgeben. Als unter Hans von Tiefen am Ende des 15. Jahrhunderts ein Generalkapitel geplant wurde, musste der Kanzler Sculteti erst das Ordensbriefarchiv auswerten, um ein sinnvolles Procedere entwerfen zu können. Mentzel-Reuters: Reformschrifttum (wie Anm. 48), 66. 137 An ihre Stelle kann auch eine Lectio treten. Münter (wie Anm. 102), 224–225 Anm. **.



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am Ende der Edition verschmolzen sind – soweit sie überhaupt in die Edition aufgenommen wurden. Für diesen Bereich ist der Abdruck der Neufassung des Ordensbuches von 1442 von unschätzbarem Nutzen, den Ernst Hennig 1806 veranstaltete.138 Der rituelle Charakter des Ordensbuches wird in 17 der 34 von Perlbach herangezogenen Handschriften durch ein Kalendarium unterstrichen, das traditionell Messbüchern, Psalterien oder Gebetbüchern vorangeht. Diese Quote von 50% bleibt vom späten 13. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts konstant. Anders ist es mit dem Aufnahmeritual.139 Seine Zugehörigkeit zum Corpus ist unstrittig, denn die Aufnahme neuer Brüder musste vor dem Kapitel geschehen. Dennoch wird das vollständige Ritual in den Ordensbüchern nur in drei Handschriften verzeichnet, von denen zwei dem 14. Jahrhundert angehören und eine dem 16., wobei anzunehmen ist, dass es in letzterer nur aus historischem Interesse bzw. durch die Verwendung einer Vorlage aus dem 14. Jahrhundert aufgenommen wurde. Meist werden nur die Benediktionen aus dem Aufnahmeritual (die zur Schwert- und Ritterweihe gehören) aufgenommen – dreizehn weitere Handschriften führen sie ohne das vollständige Ritual, wobei auch hier das 14. Jahrhundert überproportional vertreten ist.140 Ganz anders sieht es mit den so genannten Venien141 aus. Banal gesagt, handelt es sich um Anweisungen, wann die Brüder das Knie beugen oder gar kniend beten sollen, sowohl grundsätzlich (etwa beim Betreten und Verlassen der Kirche, während des Gloria oder dem Invitatorium) aber auch bei speziellen Anlässen über den Jahreskreis hinweg. Dabei wird das lateinische „veniam facere“ durch das deutsche Verb „venien“ (z.B. „man sal venien“) übersetzt, eine merkwürdige Wortschöpfung. 76% der Handschriften enthalten diese Vorschriften, darunter praktisch alle Handschriften nach 1300. Diese Demutsgeste hat sich offenbar erst im 14. Jahrhundert durchgesetzt. Als letzte große Beigabe finden wir schließlich die Anweisungen über das Abhalten von Vigilien, also der Nachtwachen vor den großen Heiligenfesten und vor der Beerdigung eines Bruders bzw. an den Gräbern der Hochmeister. Diese Vorschrift ist nur in den deutschen Ordensbüchern zu finden und offenbar vor allem den späten: Während sie noch im 14. Jahrhundert nur in die Hälfte der Codices eingetragen wurde, geschah dies im späten 15. Jahrhundert in allen Abschriften. Einer der letzten Zuwächse zum Corpus der Kapiteltexte war das große Gebet, mit dem das Kapitel eröffnet wurde.142 Im 13. Jahrhundert fehlt es in den Handschriften 138 Hennig, Ernst: Die Statuten des Deutschen Ordens. Nach dem Original-Exemplar, mit sinnerläuternden Anmerkungen, einigen historisch-diplomatischen Baylagen und einem vollständigen historischetymologischen Glossarium, Königsberg 1806. Bei der Vorlage handelt es sich um den Codex Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin, XX. Hauptabteilung, Ordensfoliant 60. 139 Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 127–131. 140 10 von 19 Handschriften, zum Vergleich: von den acht Handschriften nach 1400 nur mehr eine. 141 Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 120–126. 142 Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 131–133. Aus der unübersichtlichen Zusammenstellung der verschiedenen Fassungen, die hier nicht wie sonst parallel sondern sukzessive abgedruckt

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noch völlig. SBPK Berlin, Ms. Boruss. 1 aus dem 14. Jh. ist der älteste Überlieferungsträger.143 In zwei Handschriften des 14. Jahrhunderts wurde es erst im 15. Jahrhundert nachgetragen144, ebenso in einer Handschrift des 15. Jahrhunderts.145 Erst die erneuerten Statuten von 1442 machen es zum festen Bestandteil des Corpus. Der Form nach ist es eine „Oratio pro omni gradu ecclesiae“, wie sie in der Liturgie nach der Allerheiligenlitanei zu sprechen war.146 Aber es ist eben in seiner Ausformung ein besonderer Text. Es besteht aus elf einzelnen Gebetsaufforderungen. Nicht eine zeigt eine aggressive oder nach Vorherrschaft oder auf militärische Absichten zielende Programmatik. Insbesondere möge der Orden an „Gnade, Zucht und geistlichem Leben“ zunehmen. 1. Gott gebe Trost, Frieden und Schutz vor allem Übel der gesamten Christenheit. 2. Bitte für den Papst, „daz rîche“ (das Regnum teutonicum), für die geistlichen und weltlichen Anführer und Richter der Christenheit. 3. Für den Orden; das Spiritualisierungsprogramm wird in klare Worte gefasst: „daz den unser hêrre lâze zunemen an gnâden, an zucht, an geistlichem lebene, unde beneme allen den Personen, die darinne sint unde in anderen orden, alles, daz wider sime lobe unde sime willen sie.“147 4. Für den Hochmeister und alle Würdenträger des Ordens, „daz sie dem orden unde iren ampten alsô bevor sîn, daz sie von Gote nimmer gescheiden werden.“148 5.–6. Für die Brüder, die kein Amt versehen und für alle im Stand der Todsünde. 7. Die Bitte um die Bekehrung der Heidenschaft. Eine gewaltsame Bekehrung wird nicht propagiert. „Bittet ouch vor alle die lant, die vor der heidenschaft legen, daz in Got mit sîme râte unde craft zu hulfe kome, daz Gotes geloube unde minne dâ inne gebreitet werde, alsô daz sie allen iren vîenden mugen widerstên.“ Das Ordensbrevier formuliert es eine Spur aggressiver: „inimi-

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werden, ist der Sitz dieses Gebetes im Ordensleben nicht zu erkennen. Der 1442 auf dem Generalkapitel zu Marienburg definierte Normcodex (vgl. Anm. 138) formuliert es in einer deutlichen Rubrik: „Wie die prister bruder in dem capittil sullin bitten vor den cristenthum.“ Zitiert nach Hennig (wie Anm. 138), 216. Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), XVI Nr. 2. Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), Xf. Nr. 2, XXII Nr. 14. Toruń, Biblioteka UMK Rps 78/II, 175r (ehemals Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg Ms. 1556). Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), XX Nr. 9. – Päsler, Ralf: Katalog der mittelalterlichen Deutschsprachigen Handschriften der ehemaligen Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg. Nebst Beschreibungen der mittelalterlichen deutschsprachigen Fragmente des ehemaligen Staatsarchivs Königsberg. Auf der Grundlage der Vorarbeiten Ludwig Deneckes, München 2000 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 15), 122f. Zum Gebet im Deutschordensbrevier vgl. Mentzel-Reuters: Arma spiritualia (wie Anm. 4), 246 Anm. 1560 (mit Textabdruck). Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 131 Z. 36f. Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 131 Z. 39f.



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cis nostris et nobis veram charitatem largire, incredulos converte, errantes corrige“.149 8.–10. Für die Förderer und Wohltäter des Ordens, insbesondere für die aus der Narratio de primordiis bekannten staufischen Förderer Heinrich VI. und seinen Bruder Herzog Friedrich von Schwaben, sowie Leopold von Österreich und Konrad von Masowien, sowie alle verstorbenen „brûdere unde swestere unsers ordens“.150 11. „Eyn iclicher gedenke ouch sines vater unde muter sêle unde siner geswisteride unde aller siner vrûnde sêle. Gedenke ouch ein iclicher der ellenden sêlen, die niemandes haben, der ir gedenke. Damitte gedenket aller geloubigen sêlen, daz in Got gebe die ewige rû. Requiescant in pace. Amen.“151 Was folgt daraus? Das Kapitel war der Ort, an dem jeder einzelne Deutschordenskonvent sich seiner Identität vergewisserte, aber es war kein Ort des Kampfesgeistes, sondern stand in der Tradition des abendländischen Mönchstums. In der von Kampfhandlungen geprägten Frühzeit war es wohl nicht weiter ausdifferenziert, aber während des weitgehend friedlichen 14. Jahrhunderts erfuhr es eine spirituelle Erweiterung und Bereicherung, die nach 1410 – ich komme an den Anfang meiner Überlegungen zurück – zunächst wohl einbrach, dann aber als gezielte geistliche Demutsübung wieder neu gestaltet wurde. Das deckt sich mit den Aufträgen an die Visitatoren jener Zeit, die streng darauf achten sollten, dass die Regel befolgt und die Kapitel gehalten wurden. Schon 1338 sprach Dietrich von Altenburg in einer Instruktion für die nach Böhmen entsandten Visitatoren von seiner Verpflichtung, das geistliche Leben im Orden zu pflegen und zu überwachen.152 Im Umfeld der Neufassung der Statuten 1442 hat Konrad von Erlichshausen mehrere Visitationen durchführen lassen und Instruktionen für die Visitatoren ausgegeben. Es geht auch um Landbesitz, Vieh und Waffen, aber vor allem um die Lebensform der Brüder.153 149 Breviarium secundum ordinem fratrum Teutonicorum, Nürnberg: Stuchs 1485, 663. Hier zitiert nach Mentzel-Reuters: Arma spiritualia (wie Anm. 4), 246 Anm. 1560. Ebd., 247 Anm. 1562 der Hinweis darauf, dass die Bitte zur Bekehrung der Ungläubigen in das dem Breviergebet zugrunde gelegte frühmittelalterliche Formular eingeschoben wurde. 150 Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 132, 20f. 151 Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 25), 132, 24–26. 152 Visitationen im Deutschen Orden im Mittelalter. Hg. v. Marian Biskup und Irena Janosz-Biskupowa. Teil I: 1236–1449, Marburg 2002 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 50 / Veröffentlichungen der internationalen historischen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens 10), 13: Nr. 12: „Quoniam de presentibus provinciis sacram reiligionum fundatoribus per regulis vita perfeccionem ac pestifere depravacionis more suffocando visitacionis officium debite salubriter est inventum.“ 153 Besonders detailliert eine nicht datierte Instruktion, Visitationen (wie Anm. 152), 193–197, insbesondere 194: Nr. 114.

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Die politische und zunehmend auch wirtschaftliche Bedrängnis des Ordens führte, wie in anderen Orden auch, im zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts zu einer Verstärkung der Aszese und der inneren geistlichen Disziplin, bis hin zur Restaurierung der Ordensstatuten auf dem Generalkapitel von 1442. Die Ordensbücher strebten an, die monastische Seite der Brüder zu stärken, damit sie – wie einstmals Judith – nicht wegen der Macht ihrer Waffen, sondern wegen ihrer Tugend gepriesen würden. Das ist, soweit sie den Orden selbst betraf, auch die Zielrichtung der „Ermahnung des Kartäusers“, die Paul von Rusdorf 1428 übergeben wurde.154 Der Verfasser betonte, er handle aus „gantczer czugenegeter liebe und treue, die ich das Got weys, trage zcu deme erwirdigen orden und dem lande Preussen“, ja sein Gewissen treibe ihn, seine Erkenntnisse in schrifften offenbar zu machen. Ein Ende der Ordensherrschaft konnte sich der Kartäuser vorstellen, falls mangels geistlicher – nicht etwa militärischer – Disziplin das Land durch Gottes Zorn „widder bey dy heyden kome“155 – wobei offen blieb, wer hier mit „Heiden“ gemeint war (Jagiełło?). Auch das warnende Beispiel der Templer wird beschworen, „dy grosse lande hatten, ummb irer hofart willen und boses lebens hot men sy daraus getreben.“ 156 Das drohe auch dem Deutschen Orden, denn seine Brüder entzögen sich dem klösterlichen Leben, regierten willkürlich, ungerecht und prassten; im verarmenden Land herrschten Wucher, Ehebruch und Gier; die Heiden seien frech geworden. Der Kirchenzehnte verschwinde im Ordenstressel, während die Priester sich selbst um ihren Unterhalt kümmern müssten und daher ihre geistlichen Aufgaben vernachlässigten. Die Ordensleitung hatte derartige Ermahnungen durchaus Ernst genommen, auch wenn spätere Danziger Chronisten das Gegenteil behaupteten.157 Es war ein Grund mehr, die Stärkung des monastischen Lebens voranzutreiben. Solche Initiativen waren so erfolgreich und so erfolglos wie andernorts die der Observanten. Auch im Ordensstaat wandten sich etliche Gruppen, die Ende des 15. Jahrhunderts von den Zönobiten eine strengere Askese forderten, schließlich zur lutherischen These von der falschen Keuschheit und der Forderung nach Auflösung aller klaustralen Gemeinschaften im Lande. Der Versuch des Bischofs Erhard von Queis, den Deutschen Orden aus dieser allgemeinen Erosion des Mönchtums herauszuhalten,158 hatte ebenso wenig

154 Die Ermahnung des Carthäusers. In: Scriptores rerum Prussicarum. Bd. 4. Hg. v. Theodor Hirsch, Leipzig 1870, 448–465. – Zur Schrift allgemein Oliński, Piotr: Die Ermahnung des Kartäusers an die Deutschordensritter. In: Mittelalterliche Kultur und Literatur (wie Anm. 12), 473–481. 155 Ermahnung des Carthäusers (wie Anm. 154), 457. 156 Ermahnung des Carthäusers (wie Anm. 154), 457. 157 Theodor Hirsch in der Einleitung zur Ermahnung des Carthäusers (wie Anm. 154), 450 (nach Bernt Stegemann). – Zur Rezeption im Orden Mentzel-Reuters: Reformschrifttum (wie Anm. 48), 65–67. 158 Vgl. Anm. 73.



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eine Chance wie Luthers Entwurf einer besitzlosen, aber weitgehend säkularisierten Deutschherrengemeinschaft für den Türkenkrieg.159 So endete im bisherigen Ordensstaat, dem neuen Herzogtum Preussen, der Deutsche Orden zusammen mit allen anderen geistlichen Körperschaften – nicht früher und nicht später. Insofern ist es müßig, über Erfolg oder Misserfolg der Reformbemühungen des 15. Jahrhunderts zu diskutieren. Eher ist festzustellen, dass die monastische Überformung des Ritterideals nach dem Vorbild der Zisterzienser bis zum Ende des Ordensstaates ohne Alternative blieb. Der Deutsche Orden hat während des gesamten Mittelalters versucht, dem hohen geistlichen Anspruch gerecht zu werden, den schwarzes Kreuz und weißer Mantel symbolisierten.

159 Zu Luthers Schrift an die Herren Deutschen Ordens von 1523 Mentzel-Reuters: Reformschrifttum (wie Anm. 48), 75–77.

Roman Czaja DIE IDENTITÄT DES DEUTSCHEN ORDENS IN PREUSSEN Mit dem Thema „Identität“ betritt ein Historiker des Mittelalters ein schwieriges und gefährliches Forschungsfeld. Die Schwierigkeiten bei der Erforschung dieser Problematik resultieren sowohl aus den methodologischen Grundlagen als auch aus der Quellenbasis. In den Sozialwissenschaften, hauptsächlich in der Psychologie und Soziologie ist die Identität ein vieldeutiger Begriff, der von den Forschern unterschiedlich definiert ist. Das Problem liegt nicht nur in der Definition, sondern auch in der Tatsache, dass die Identität sowohl als objektives als auch als subjektives Phänomen begriffen wird.1 Das objektive Verständnis der Identität legt den Nachdruck auf die Faktoren, die ein Individuum mit der Gruppe verbinden. Dagegen ist die subjektive Bedeutung der Identität mit dem Identitätsgefühl und dem Selbstbewusstsein, also mit den inneren Inhalten des Individuums verbunden und bezieht sich auf die Wahrnehmung der objektiven Merkmale. Die methodischen Voraussetzungen der Erforschung der Identität, die durch die Sozialwissenschaften formuliert wurden, sind nur in einem beschränkten Ausmaβ in den Geschichtswissenschaften realisierbar.2 Diese pessimistische Beobachtung ergibt sich hauptsächlich aus dem Charakter und der begrenzten Aussagekraft der historischen Quellen, die für eine komplexe Beantwortung der Fragestellungen zur Identität, vor allem der subjektiven Identität, häufig relativ gering ist. Entsprechend sind die Anforderungen, die an die Aussagekraft der Quellen gestellt werden, oft überhöht. Die methodischen Schwierigkeiten bei der Erfassung der Identitätsproblematik sollten die Historiker jedoch nicht von der Erforschung dieser Fragestellung abschrecken. Im Lichte der neueren Forschung ist die Erkenntnis von zeitgenössischen Identitäten eine grundlegende Voraussetzung für das Verständnis des sozialen und politischen Handelns sozialer Gruppen. Die Erforschung 1 Eine Übersicht der Konzepte vgl. bei: Schlüsselwerke der Identitätsforschung. Hg. v. Benjamin Jörissen und Jörg Zirfas, Wiesbaden 2010. 2 Vgl. die begrifflichen Überlegungen in Bezug auf die historische Forschung bei Holbach, Rudolf: Die Identitäten von Säkularkanonikern im Mittelalter. In: Ständische und religiöse Identitäten in Mittelalter und früher Neuzeit. Hg. v. Stefan Kwiatkowski und Janusz Małłek, Toruń 1998, 20–24. – Eine Interpretation des Begriffes „Identität“ als ein Selbst-Bild (ein Identitätsprojekt) vgl. bei Neecke, Michael: Strategien der Identitätsstiftung. Zur Rolle der Bibelepik im Deutschen Orden (13./14. Jahrhundert). In: Mittelalterliche Kultur und Literatur im Deutschordensstaat in Preussen: Leben und Nachleben. Hg. v. Jarosław Wenta, Sieglinde Hartmann und Gisela Vollmann-Profe, Toruń 2008, 464f.  – Ders.: Literarische Strategien narrativer Identitätsbildung. Eine Untersuchung der früheren Chroniken des Deutschen Ordens, Frankfurt a. M. 2008 (Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft, Reihe B 94). – Vgl. auch die an das von Manuel Castells „project identities“ anknüpfenden Überlegungen bei Feistner, Edith/Neecke, Michael/Vollmann-Profe, Gisela: Krieg im Visier. Bibelepik und Chronistik im Deutschen Orden als Modell korporativer Identitätsbildung, Tübingen 2007 (Hermaea. Germanistische Forschung NF 114).



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der Identität des Deutschen Ordens ist also eine notwendige Bedingung für ein historisch angemessenes Verständnis ihrer Rolle im mittelalterlichen Preuβen. Dem Thema der Identität des Deutschen Ordens in Preuβen wurde bisher noch keine einschlägige Monographie gewidmet. Die Problematik aus diesem Forschungsbereich war jedoch im Rahmen der synthetischen und vergleichenden Darstellungen3 wie auch im Zusammenhang mit den anderen Fragestellungen Gegenstand des Interesses mehrerer Forscher. Man sollte hier vor allem auf die Arbeiten über Religiosität4, Ideologie5, Literatur6,

3 Sarnowsky, Jürgen: Identität und Selbstgefühl der geistlichen Ritterorden. In: Ständische und religiöse Identitäten (wie Anm. 2), 109–130. – ders.: Das historische Selbstverständnis der geistlichen Ritterorden. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 110 (1999), 315–330. – Militzer, Klaus: Von Akkon zur Marienburg. Verfassung, Verwaltung und Sozialstruktur des Deutschen Ordens 1190–1309, Marburg 1999 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 56), 96–109, Kapitel „Zum Selbstverständnis des Deutschen Ordens“. – Czaja, Roman: Das Selbstverständnis der geistlichen Ritterorden im Mittelalter. Bilanz und Forschungsperspektive. In: Selbstbild und Selbstverständnis der geistlichen Ritterorden. Hg. v . Roman Czaja und Jürgen Sarnowsky, Toruń 2005 (Ordines militares. Colloquia Torunensia Historica 12), 7–22. 4 Kwiatkowski, Stefan: „Devotio antiqua“, ihr Niedergang und die geistigen Ursachen der religiösen Krise des Deutschen Ordens im Spätmittelalter. In: Deutscher Orden 1190–1990. Hg. v. Udo Arnold, Lüneburg 1997 (Tagungsberichte der Historischen Kommission für Ost- und Westpreussische Landesforschung 11), 107–130. – Górski, Karol: O życiu wewnętrznym Zakonu Krzyżackiego [Über das innere Leben des Deutschen Ordens]. In: ders.: Studia i materiały z dziejów duchowości, Warszawa 1980, 137–151. – Ders.: Religijność Krzyżaków a klimat kulturalny [Die Religiosität des Deutschen Orden und kulturelles Klima]. In: Przegląd Historyczny 75,2 (1984), 249–258. 5 Wippermann, Wolfgang: Der Ordensstaat als Ideologie. Das Bild des Deutschen Ordens in der deutschen Geschichtsschreibung und Publizistik, Berlin 1979 (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 24), 28–74, hauptsächlich das Kapitel „Das Bild des Deutschen Ordens in der „ordensinternen“ und „ordensfremden Chronistik des Mittelalters. Selbstverständnis und zeitgenössische Kritik“. – Trupinda, Janusz: Ideologia krucjatowa w kronice Piotra z Dusburga [Kreuzzugsideologie in der Chronik Peter von Dusburg], Gdańsk 1999. – Dygo, Marian: Die heiligen Deutschordensritter. Didaktik und Herrschaftsideologie im Deutschen Orden in Preussen um 1300. In: Die Spiritualität der Ritterorden im Mittelalter. Hg. v. Zenon H. Nowak, Toruń 1993 (Ordines militares. Colloquia Torunensia Historica 12), 165–176. – Kwiatkowski, Stefan: Die augustinische Identität des Deutschen Ordens in Preuβen. In: Ständische und religiöse Identitäten (wie Anm. 2), 63–86. 6 Wenta, Jarosław: Studien über die Ordensgeschichtsschreibung am Beispiel Preußens, Toruń 2000, 139ff. – Mentzel-Reuters, Arno: Arma Spiritualia. Bibliotheken, Bücher und Bildung im Deutschen Orden. Wiesbaden 2003, 17ff. – Feistner, Edith: Selbstbild, Feindbild, Metabild. Spiegelungen von Identitäten in präskriptiven und narrativen Deutschordenstexten des Mittelalters. In: Forschungen zur deutschen Literatur des Spätmittelalters: Festschrift für Johannes Janota. Hg. v. Horst Brunner und Werner Williams-Krap, Tübingen 2003, 141–158. – Dies./Neecke, Michael/Vollmann-Profe, Gisela: Ausbildung korporativer Identität im Deutschen Orden: Zum Verhältnis zwischen Bibelepik und Ordenschronistik. Werkstattbericht. In: Deutschsprachige Literatur des Mittelalters im östlichen Europa. Forschungsstand und Forschungsperspektiven. Hg. v. Ralf G. Päsler und Dietrich Schmidtke, Heidelberg 2006, 57–74. – Diess.: Krieg im Visier (wie Anm. 2). – Löser Freimut: Literatur im Deutschen Orden. Vorüberlegungen zu ihrer Geschichte. In: Mittelalterliche Kultur (wie Anm. 2) 347–351. – Neecke: Literarische Strategien (wie Anm. 2).

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Bauwesen und Kunstgeschichte7 hinweisen. Das Interesse an der Erforschung dieser Problematik wird jedoch nicht von terminologischer Präzision und methodischer Reflexion begleitet. In der Forschungspraxis wurde der Begriff „Identität“ teilweise synonym mit den Begriffen Selbstkonzept, Selbstbewusstsein, Selbstgefühl, Selbstverständnis und Selbstbild verwendet, wobei sich die Inhalte dieser Begriffe jedoch nur partiell deckten. Zweifellos sollte man die methodische Diskussion über den Inhalt der oben erwähnten Begriffe nicht aus den Augen verlieren. Jedoch ist die Bedeutung und der zeitgenössische Kontext der in den Quellen erwähnten Elemente der Identität so vieldeutig, dass eine klare begriffliche Unterscheidung selten möglich ist. Die Aufgabe des vorliegenden Beitrages ist es, auf die relevanten Eigenschaften und Merkmale hinzuweisen, anhand deren eine Gruppe, in unserem Fall der Deutsche Orden, oder ein Individuum (die einzelnen Ordensmitglieder) sich von anderen unterscheiden lassen. Die korporative Identität wird dabei als ein dynamisches und wandelbares historisches Phänomen verstanden, das durch soziokulturelle und politsche Bedingungen der bestimmten Zeit geprägt ist. Die Identität lässt sich in Wort und Schrift, in Kunstwerken, Bauten, Bildern, Siegeln, Münzen und Wappen ablesen. Im vorliegenden Beitrag stützt sie sich auf die schriftlichen Quellen, unter denen die der Geschichtsschreibung und die Korrespondenz von größter Bedeutung sind. Die im Deutschen Orden oder für den Deutschen Orden geschriebenen historiographischen Texte liefern uns Informationen über das Selbstkonzept der Korporation, wobei die Aussagekraft der Chronistik bezüglich der Erforschung der Identität der Gegenstand der Diskussion ist8. Die in der Amtskorrespondenz und auch in anderen Schriften enthaltenen Selbstzeugnisse von Mitgliedern des Deutschen Ordens ermöglichen einen direkten Zugriff auf die individuelle Identität und die individuelle Wahrnehmung der Merkmale, die die Grundlage der Gruppenidentität bilden.9 7 Kutzner, Marian: Propaganda władzy w sztuce Zakonu Niemieckiego w Prusach [Herrschaftspropaganda in der Kunst des Deutschen Ordens]. In: Sztuka w kręgu zakonu krzyżackiego w Prusach i Inflantach. Hg. v. Michał Woźniak, Toruń 1995 (Studia Borussico-Baltica Torunensia Historiae Artium 2), 17–66. – Domasłowski, Jerzy : Die gotische Malerei im Dienste des Deutschen Ordens. In: Die Rolle der Ritterorden in der mittelalterlichen Kultur. Hg. v. Zenon Hubert Nowak, Toruń 1985 (Ordines militares. Colloquia Torunensia Historica 3), 169–184. – Karłowska-Kamzowa, Alicja: Bildideologie des Deutschen Ordens auf dem Hintergrund der mittelosteuropäischen Kunst. In: ebd., 204. – Herrmann, Christofer: Mittelalterliche Architektur im Preussenland, Petersberg 2007, 219f. – Pospieszny, Kazimierz: Der preussisch-livländische „Konventshaustyp“ als eine Kloster- und Herrschaftsidee. In: Castella Maris Baltici 6 (2004), 153–158. 8 Feistner/Neecke /Vollmann-Profe: Ausbildung korporativer Identität (wie Anm. 6), 66. – Kwiatkowski, Krzysztof: Die Selbstdarstellung des Deutschen Ordens in der Chronik Wigands von Marburg. In: Selbstbild und Selbstverständnis (wie Anm. 3), 127–139. – Wippermann: Der Ordensstaat (wie Anm. 5), 29. – Wenta: Studien (wie Anm. 6), 135ff. 9 Charakteristik des erhaltenen Bestandes der Korrespondenz vgl. bei Boockmann, Hartmut: Die Briefe des Deutschen Ordens. In: Kommunikationspraxis und Korrespondenzwesen im Mittelalter und in der Renaissance. Hg. v. Heinz-Dieter Heimann und Ivan Hlavàcek, Padeborn 1998, 103–111. – Czaja,



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Von gröβter Bedeutung für die Ausbildung der korporativen Identität des Deutschen Ordens in Preußen war die Idee des Heidenkampfes und der Kreuzzugsideologie, die in der ersten Phase des Aufbaus des Ordensstaates einerseits sehr stark mit der Verehrung des Heiligen Kreuzes und anderseits mit der Anbindung an das Heilige Land verknüpft war. Im Prolog der aus der Mitte des 13. Jahrhunderts stammenden Regel „fratrum Theutonicorum“, stellt sich der Deutsche Orden als „himmelische unt erdische Ritterschaft“ vor, die den Kampf der Israeliten um die Befreiung der Heiligen Stadt Jerusalem fortsetzt und das Heilige Land und das Christentum gegen die Feinde des Glaubens verteidigt.10 Der Name der ersten durch den Deutschen Orden an der unteren Weichsel errichteten Burg und der ersten Stadt (1231) – Thorun – knüpfte wahrscheinlich an die Baronie Toron in Palästina an, die dem Orden durch den Kaiser 1229 übergeben wurde.11 Er unterstreicht, dass die Ordensbrüder durch Konrad von Masowien zur Verteidigung ihres Landes, wie auch des Glaubens und der Gläubigen aufgefordert wurden. Peter von Dusburg setzt die Bedeutung des Preußenlandes für den Deutschen Orden mit der Bedeutung des Landes Kanaan für die Israeliten gleich. „Die Ordensbrüder seien nach ihrem Verständnis nach Preuβen als das neue Volk Israels gekommen“, um das neue gelobte Land zu beherrschen. Der Ordenschronist stellte die Ritterbrüder als „militia Christi“ dar und hob die Identifikation des Kampfes des Deutschen Ordens gegen das heidnische Pruzzen mit dem Kampf von Abraham, David und den Makkabäern um Palästina hervor.12 Es ist bemerkenswert, dass die Wahrnehmung des Ordenslandes in Preussen als das gelobte Land noch am Ende des 14.  Jahrhunderts im Schrifttum des Deutschen Ordens zu erkennen ist.13 Die Symbolik des Heiligen Kreuzes taucht in Preuβen sehr deutlich schon in der Frühphase der Eroberung des Landes auf. Im Jahre 1233 befand sich eine Reliquie des Heiligen Kreuzes im Besitz des Deutschen Ordens in Preuβen, die Kaiser Friedrich II. dem Hochmeister Hermann von Salza überreicht hatte. In den nächsten Jahren wurde sie in der Residenz des preuβischen

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Roman: Korrespondenz der preußischen Städte und des preußischen Bürgertums als Selbstzeugnis und Kommunikationsmedium im Spätmittelalter. In: Kommunikation mit dem Ich. Signaturen der Selbstzeugnisforschung an europäischen Beispielen des 12. bis 16. Jahrhunderts. Hg. v. Heinz-Dieter Heimann und Pierre Monnet, Bochum 2004, 111–116. Die Statuten des Deutschen Ordens nach den ältesten Handschriften. Hg. v. Max Perlbach, Halle 1890, 22–26. – Militzer: Von Akkon zur Marienburg (wie Anm. 3), 98. – Sarnowsky: Das historische Selbstverständnis (wie Anm. 3), 325. – Elm, Kaspar: Die Spiritualität der geistlichen Ritterorden des Mittelalters. Forschungsstand und Forschungsprobleme. In: Die Spiritualität der Ritterorden (wie Anm. 5), 7–44, hier bes. 14f. Militzer: Von Akkon zur Marienburg (wie Anm. 3), 37. – Lotan, Shlomo: Jerusalem in the Traditions of the Teutonic Military Order – Symbolism and Uniqueness. In: Zapiski Historyczne 75,4 (2010), 11. Kwiatkowski: Augustinische Identität (wie Anm. 5), 79. – Trupinda: Ideologia krujcatowa (wie Anm. 5) 185ff. Mentzel-Reuters: Arma Spiritualia (wie Anm. 6), 40f.

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Landmeisters, auf der Burg in Elbing, aufbewahrt.14 Ein Zeugnis des Kults des Heiligen Kreuzes im 13.  Jahrhundert ist auch das Patrozinium der Kapelle auf den ältesten Burgen im Ordensland Preußen (Thorn, Rehden, Christburg).15 Das Heilige Kreuz wurde auch häufig auf den ältesten Siegeln der Amtsträger des Deutschen Ordens und auf den Münzen dargestellt.16 Die wichtigste Quellenbasis für die Erforschung des Selbstkonzepts des Deutschen Ordens im 14. Jahrhundert bildet die Chronistik. Man sollte hier vor allem auf die um 1326 entstandene „Chronica Terre Prussie“ des Ordenspriesters Peter von Dusburg, auf die „Kronike von Pruzinland“ des Nicolaus von Jeroschin, eine deutschsprachige, in Reimen verfasste und erweiterte Übersetzung des Werkes des Peter von Dusburg aus den 30er Jahren des 14. Jahrhunderts, und die Chronik des Deutschordensherolds Wigand von Marburg aus den 90er Jahren des 14. Jahrhunderts hinweisen.17 In Bezug auf unser Thema scheint die Diskussion über die Frage, inwieweit das Werk des Peter von Dusburg die Identität des Verfassers und seiner sozialen Umgebung widerspiegelt, von großer Bedeutung zu sein. Im Lichte der Forschungen von Stefan Kwiatkowski bezieht sich dieses Prinzip aber eher auf die spätere Geschichtsschreibung. Seiner Meinung nach wurde die Chronik Peters von Dusburg sehr stark durch die biblische Präfiguration geprägt und deswegen lässt sich dieses Werk nur im beschränkten Maße als Zeugnis für 14 Dygo, Marian: Studia nad początkami władztwa zakonu krzyżackiego w Prusach (1226–1259) [Studien über den Beginn der Herrschaft des Deutschen Ordens in Preußen, 1226–1259], Warszawa 1992, 336. – Jähnig, Bernhart: Festkalender und Heiligenverehrung beim Deutschen Orden in Preußen. In: Die Spiritualität der Ritterorden (wie Anm. 5), 181. – Kwiatkowski, Stefan: Klimat religijny diecezji pomezańskiej u schyłku XIV i i pierwszych dziesięcioleciach XV w. [Das religiöse Klima in der Diözese Pomesanien am Ende des 14. und in den ersten Jahrzehnten des 15. Jhs.], Toruń 1990, 85ff. – Im 14. Jahrhundert spielte die Verehrung des Heiligen Kreuzes keine besondere Rolle in der Religiosität des Deutschen Ordens. 15 Torbus, Thomas: Die Konventsburgen im Deutschordensland Preußen, München 1998, 157, 595. – Dygo: Studia 9 (wie Anm. 14), 339f. 16 Oliński, Piotr: Motywy chrystologiczne na pieczęciach urzędników krzyżackich ziemi chełmińskiej [Christologische Motive auf den Siegeln der Amtsträger des Deutschen Ordens im Kulmerland]. In: Rocznik Grudziądzki 13 (1998), 9–20. – Sarnowsky, Jürgen: Ritterorden als Landesherrn: Münzen und Siegel als Selbstzeugnisse. In: Selbstbild und Selbstverständnis (wie Anm. 3), 187, 191f. 17 Über den Forschungstand zu den obenerwähnten Werken vgl. Wenta, Jarosław: Kronika Piotra z Dusburga. Szkic źródłoznawczy [Die Chronik des Peter von Dusburg. Quellenkundliche Skizze], Toruń 2003. – Wolf, Jürgen/Bartels Ulrich: Neues zur Überlieferung der „Kronike von Pruzinland“ des Nikolaus von Jeroschin. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 127 (1998), 299–306. – Vollmann-Profe, Gisela: Ein Glücksfall in der Geschichte der preuβischen Ordenschronistik, Nicolaus von Jeroschin übersetzt Peter von Dusburg. In: Forschungen zur deutschen Literatur (wie Anm. 6), 125–140. – Zonnenberg, Sławomir: Kronika Wiganda z Marburga [Die Chronik Wigand von Marburg], Bydgoszcz 1994. – Boockmann, Hartmut: Die Geschichtsschreibung des Deutschen Ordens in Preußen. Gattungsfragen und „Gebrauchssituationen“. In: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewusstsein im späten Mittelalter. Hg. v. Hans Patze, Sigmaringen 1997 (Vorträge und Forschungen 31), 447–469.



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das Selbstbewusstsein des Geschichtsschreibers betrachten.18 Dieser Forscher hat auch herausgestellt, dass das Werk des Peter von Dusburg eine grundlegende Bedeutung für die Entstehung der augustinischen Identität des Deutschen Ordens hatte. Die augustinische Perspektive des kompromisslosen Kampfes des Guten, verkörpert durch den Deutschen Orden, gegen das Böse und die daraus resultierende Idee des gerechten Krieges (bellum iustum) wurde in einer vereinfachten Form durch die Chronik des Nikolaus von Jeroschin den Ordensbrüdern vermittelt und bildete bis ins 15. Jahrhundert die Grundlage des politischen Handelns des Deutschen Ordens in Preuβen.19 Dagegen vertritt Janusz Trupinda die Ansicht, dass die Kreuzzugsideologie den ideologischen Rahmen der Chronik Peters von Dusburg sehr stark geprägt hat.20 Die Kreuzzugsidee bestimmte auch sehr stark die in der Form einer ritterlichen Dichtung verfasste Chronik Wigands von Marburg. Er schildert den Kampf des Deutschen Ordens gegen die heidnischen litauischen Stämme als heiligen Krieg, „in dem Gott selbst und die heiligen Patrone mit der Jungfrau Maria auf Seiten der Kreuzfahrer waren“21. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Idee des Heidenkampfes auch nach der Christianisierung Litauens im Zuge der polnisch-litauischen Union (1386) als wichtiger Faktor des Selbstkonzepts des Deutschen Ordens nicht an Bedeutung verlor. Der Deutsche Orden präsentierte sich während des Krieges gegen Polen und Litauen 1409–1411 im Westen Europas als Verteidiger des Christentums.22 Die Idee der Berufung zum Kampf gegen die Heiden und die Feinde der Christen lag auch der Argumentation des Deutschen Ordens in der Auseinandersetzung mit Polen und Litauen auf dem Konstanzer Konzil (1414–1418) zugrunde. Der Ordensprokurator Peter von Wormditt nutzte 1415 den Vergleich mit den Makkabäern in der Beschreibung der Rolle des Deutschen Ordens bei der Verteidigung des Glaubens gegen die heidnischen Pruzzen und Litauer in der Polemik gegen die Vorwürfe der polnisch-

18 Kwiatkowski: „Devotio antiqua“ (wie Anm. 4), 118. 19 Kwiatkowski: Augustinische Identität (wie Anm. 5), 84f. 20 Trupinda, Janusz: O kronice Dusburga na marginesie najnowszej pracy Stefana Kwiatkowskiego [Über die Dusburgs-Chronik am Rande der neuesten Arbeit von Stefan Kwiatkowski]. In: Zapiski Historyczne 65,3–4 (2000), 186. – Ders.: Ideologia krucjatowa (wie Anm. 5), 197f. 21 Kwiatkowski, Krzysztof: Prolog und Epilog temporis sanctis. Die Belagerung Kauens 1362 in der Beschreibung Wigands von Marburg. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 57,2 (2008), 238– 254, hier. 251. – Ders.: Christ ist erstanden… i chrześcijanie zwyciężają ! Sakralizacja w porządku liturgicznym zbrojnej walki przeciw poganom jako element określający tożsamość członków korporacji Zakonu Niemieckiego w Prusach [Christ ist erstanden … und die Christen siegen! Sakralisierung in der liturgischen Ordnung des bewaffneten Kampfes gegen die Heiden als ein Identität der Korporationsmitglieder des Deutschen Ordens in Preuβen bestimmendes Element]. In: Komunikaty Mazursko-Warmińskie 4 (2009), 471–489. 22 Jóźwiak, Sławomir/Kwiatkowski, Krzysztof/Szybkowski, Sobiesław/Szweda, Adam: Wojna Polski i Litwy z zakonem krzyżackim w latach 1409–1411 [Der Krieg Polens und Litauens gegen den Deutschen Orden in den Jahren 1498–1411], Malbork 2010, 189f., 570.

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litauischen Seite.23 In der in den 30er Jahren des 15. Jahrhunderts in Preuβen entstandenen „älteren Hochmeisterchronik“ wurde der Kampf gegen die Heiden als die wichtigste Aufgabe des Deutschen Ordens dargestellt. Der Verfasser dieses Werkes bezeichnet die Litauer konsequent als Heiden24. Die Selbstdarstellung der Ordensbrüder als Nachfolger der alttestamentarischen Streiter taucht noch in den historiographischen Texten auf, die um die Wende des 15./16. Jahrhunderts im Reich verfasst wurden.25 Aufgrund der erhaltenen Quellen ist es kaum möglich, die soziale Rezeption und Wirkungskraft der Kreuzzugsidee auf die Identität des Deutschen Ordnes zeitlich zu differenzieren. Die Chroniken, Legenden- und Bibeldichtungen wurden den Ordensbrüdern während des Essens vorgelesen, mit der Aufgabe, die Merkmale der Gruppenidentität zu vermitteln.26 Es ist leider nicht möglich, die Intensität ihrer Wahrnehmung durch die einzelnen Ordensbrüder zu bestimmen. Deshalb muss die Frage ohne Antwort bleiben, in welchem Ausmaβ die Kreuzzugsidee in Preußen eine Ideologie der Ordenskooperation, ein Merkmal der ordensübergreifenden Identität oder der Selbstidentität der Ordensbrüder war. Zweifellos versuchte die Ordensführung im Ordensland noch in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts durch die neuen literarischen Werke (die Makkabäer-Übersetzung, die Chroniken von Dusburg und von Jeroschin) den Heidenkampf als den zentralen Faktor für die Stiftung der korpo-

23 Kwiatkowski, Stefan: Der Deutsche Orden im Streit mit Polen-Litauen. Eine theologische Kontroverse über Krieg und Frieden auf dem Konzil von Konstanz (1414–1418). Stuttgart 2000 (Beiträge zur Friedensethik 32), 14ff. – Sarnowsky: Das historische Selbstverständnis (wie Anm. 3), 322. – Boockmann, Hartmut: Johannes Falkenberg, der Deutsche Orden und die polnische Politik. Untersuchungen zur politischen Theorie des späteren Mittelalters, Göttingen 1975, 242f., 262. 24 Die ältere Hochmeisterchronik. Hg. v. Max Toeppen. In: Scriptores rerum Prussicarum, Bd. 3, Leipzig 1866, 629: „In dem selen jare am Sontage [1410] vor sinte Merten wart Hinrich von Plawen czu dem XXIII homeister irkorn, und hilt das ampt III jar. Her wolde diszen schaden und dy unere, dy gote in dem lande von den heiden irobten wart, an den vinden rechen, und sante in alle lant noch hulce“. – Dygo, Marian: Ideologia panowania Preuβen. In: zakonu niemieckiego w Prusach [Die Ideologie der Herrschaft des Deutschen Ordens in Państwo zakonu krzyżackiego w Prusach. Władza i społeczeństwo]. Hg. Marian Biskup und Roman Czaja, Warszawa 2008, 366. – Wippermann: Der Ordensstaat (wie Anm. 5), 54. 25 Sarnowsky: Identität und Selbstgefühl (wie Anm. 3), 118. 26 Wenta: Studien (wie Anm. 6), 155f. – Militzer: Von Akkon zur Marienburg (wie Anm. 3), 99. – Potkowski, Edward: Spirituality and reading. Book collections of the Teutonic Order in Prussia. In: Die Spiritualität (wie Anm. 5), 217–240. – Vgl die Diskussion über die Rolle der deutschsprachigen Literatur bei der Tischlesung Löser, Freimut: Überlegungen zum Begriff der Deutschordensliteratur und zur Bibelübersetzung. In: Studien zu Forschungsproblemen der deutschen Literatur in Mittel- und Osteuropa. Hg. v. Carola L. Gottzmann und Petra Hörner, Frankfurt/M 1998, 16ff. – Mentzel-Reuters: Arma Spiritualia (wie Anm. 6), 20, 76–82. – Gärtner, Kurt: Marienverehrung und Marienepik im Deutschen Orden. In: Mittelalterliche Kultur (wie Anm. 2), 399. – Feistner/Neecke /VollmannProfe: Krieg im Visier (wie Anm. 2), 152ff.



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rativen Identität unter den Mitgliedern der Korporation zu verbreiten.27 Es lässt sich jedoch vermuten, dass sich im 15. Jahrhundert die Wirkungskraft des kriegerischen Faktors infolge der Veränderungen der Methoden der Kriegsführung (zunehmende Bedeutung der Söldnertruppen) und des Aufhörens der Kreuzzüge gegen Litauen verringerte.28 Auf eine Verschiebung der Schwerpunkte in der „Strategie der Identitätsbehauptung“ vom Bild eines permanentes Kampfes zur Ausübung der Landesherrschaft weisen auch die Forschungen über die Chronistik des Deutschen Ordens aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts hin.29 Für die Erkenntnis des Selbstkonzepts und der Gruppenidentität des Deutschen Ordens liefern die Studien über die Religiosität einen wichtigen Beitrag.30 Die durch die Regel bestimmte gemeinsame Liturgie und die üblichen Gebete im Rahmen des gemeinsamen Konventsleben, wie auch eine besondere Spiritualität und geistige Atmosphäre bildeten den Raum für die Formung des Zusammengehörigkeitsbewuβtseins und für die Selbstzuordnung der Brüder zur der Korporation.31 Die bestimmten Frömmigkeitsformen gehörten zu den wichtigsten Merkmalen, die die gruppenspezifischen Charakterzüge einer religiösen Gemeinschaft gestalteten. Stefan Kwiatkowski weist in seiner Forschung auf die Verwurzelung des Deutschen Ordens im 13. und 14. Jahrhundert in der traditionellen Frömmigkeit (devotia antiqua) hin, die auf den bestimmten Formen des öffentlichen Kultes basierte. Aus dieser Art der Frömmigkeit resultierte das typische Exklusivitätsgefühl der Ordenskorporationen, das auch die Gruppenidentität beinflüssen muβte.32 Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts setzt im Ordensland Preuβen eine allmähliche Abschwächung der „devotio antiqua“ ein, und es lässt sich eine wachsende Rolle jener Elemente der neuen Frömmigkeit beobach27 Feistner/Neecke /Vollmann-Profe: Ausbildung korporativer Identität (wie Anm. 6), 70f. 28 Heckmann, Marie-Luise: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Selbstsicht der Führungsgruppe des Deutschen Ordens beim Ausbruch des Dreizehnjährigen Krieges. In: Der Blick auf sich und die anderen. Selbst- und Fremdbild von Frauen und Männern in Mittelalter und früher Neuzeit. Hg. v. Sünje Prühlen, Lucie Kuhse und Jürgen Sarnowsky, Göttingen 2007, 244. – Kwiatkowski, Stefan: Auf der Suche nach den moralischen Grundlagen des Deutschen Ordens in Preuβen. In: Selbstbild und Selbstverständnis (wie Anm. 3), 172. – Biskup, Marian: Das Problem der Söldner in den Streitkräften des Deutschordenstaates Preuβen vom Ende des 14. Jahrhunderts bis 1525. In: Das Kriegswesen der Ritterorden im Mittelalter. Hg. v. Zenon H. Nowak, Toruń 1991 (Ordines militares. Colloquia Torunensia Historica 6), 49–74. 29 Feistner, Edith/Neecke, Michael: Vom ‚Überlesen‘ der Niederlage : Das Rolandslied und seine Rezeption im Deutschen Orden. In: Kriegsniederlagen: Erfahrungen und Erinnerungen. Hg. v. Carl Horst, Berlin 2004, 26. – Vollmann-Profe, Gisela: Die ältere Hochmeisterchronik. Versuch der ,Rettung‘ eines verkannten Werkes der preussischen Historiographie. In: Mittelalterliche Kultur (wie Anm. 2), 545. – Arnold, Udo: Geschichtsschreibung im Preussenland bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts. In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschland 19 (1970), 86ff. 30 Elm: Die Spiritualität (wie Anm. 10), 7ff. 31 Górski: O życiu wewnętrznym (wie Anm. 4), 137–151. – ders.: Religijność Krzyżaków (wie Anm. 4), 249–258. 32 Kwiatkowski: „Devotio antiqua“ (wie Anm. 4), 114.

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ten, die durch religiösen Individualismus und Privatisierung des Kultes gekennzeichnet sind. Diese Wandlungen führten zu einer Krise des korporativen Bewusstseins der Ordensmitglieder, die sich im Verlust der „geistigen Motivation für die Verwirklichung der Ziele der eigenen Korporation“ ausdrückte.33 Das Selbstkonzept der Ritterorden war auch durch den Kult der spezifischen Heiligen bestimmt.34 In Bezug auf den Deutschen Orden sollte man hier den Georgs- und Elisabethkult erwähnen. Udo Arnold weist auf die zeitliche und regionale Differenzierung der Verehrung dieser Heiligen hin und betrachtet das Phänomen in der ganzen Komplexität der politischen und sozialen Voraussetzungen. Mit der Eroberung Pommerellens (1308–1309) und der Verlegung des Zentrums des Ordens vom Mittelmeerbereich ins Baltikum lässt sich eine Abschwächung der Wertschätzung Elisabeths und Verstärkung des Georgskultes in Preußen feststellen. „Nicht mehr der dienende, entsagende Bruder der Gründungszeit scheint das Ideal gewesen zu sein, sondern der kämpfende, führende Ritter – anders gesagt, nicht mehr die in graues Leinen ärmlich gekleidete Elisabeth, sondern der mit einer prachtvollen Rüstung angetane Georg als strahlender Held gab das Vorbild ab“35. Eine besondere Aufmerksamkeit im Bezug auf die Identität des Deutschen Ordens verdienen auch die Untersuchungen zum Marienkult im Ordensland.36 Die Verehrung der Gottesmutter war auch in den anderen Ritterorden und den geistlichen Orden weit verbreitet.37 Einen besonderen Charakter des Marienkultes im Ordensland Preußen und 33 Ebd., 130. 34 Jähnig: Festkalender (wie Anm. 14), 181ff.. – Rozynkowski, Waldemar: Omnes Sancti et Sanctae Dei. Studium nad kultem świętych w diecezjach pruskich państwa zakonu krzyżackiego [Omnes Sancti et Sanctae Dei. Studie über den Heiligenkult in den preuβischen Bistümern des Ordensstaates], Toruń 2006, 43–77. 35 Arnold, Udo: Elisabeth und Georg als Pfarrpatrone im Deutschordensland Preußen. Zum Selbstverständnis des Deutschen Ordens. In: Elisabeth, der Deutsche Orden und ihre Kirche. Festschrift zur 700jährigen Wiederkehr der Weihe der Elisabethkirche Marburg 1983. Hg. v. Dems. und Heinz Liebing, Marburg 1983 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 18), 184. – Vgl. auch Militzer: Von Akkon zur Marienburg (wie Anm. 3), 101f. 36 Rozynkowski, Waldemar: Der Marienkult in den Kapellen der Deutschordenshäuser in Preußen im Lichte der Inventarbücher. In: Terra Sanctae Mariae : Mittelalterliche Bildwerke der Marienverehrung im Deutschordensland Preußen. Hg. v. Gerhard Eimer, Bonn, 2009, 57–67. – Gärtner: Marienverehrung (wie Anm. 26), 395–410. – Dygo, Marian: The political role of the cult of the Virigin Mary in Teutonic Prussia in the fourteenth and fifteenth centuries. In: Journal of Medieval History 15 (1989), 63–69. – Vgl. auch über den Einfluss des Marienkults auf die Gestaltung der Schlosskirche in Marienburg Pospieszny, Kazimierz: Morofologia kościoła zamkowego w Malborku – studium detalu [Die Morphologie der Schloβkirche in Marienburg – eine Studie des Details]. In: Praeterita posteritati. Studia z historii sztuki i kultury ofiarowane maciejowi Kilarskiemu. Hg. v. Mariusz Mierzwiński, Malbork 2001, 39f. – Vgl. den Beitrag von Cordelia Hess in diesem Band. 37 Nicholson, Helen J.: Saints venerated in the Military Orders. In: Selbstbild und Selbstverständnis (wie Anm. 3), 102. – Diess.: Templers, Hospitallers and Teutonic Knigths. Images of the Military Orders, 1128–1291. Leicester 1993, 116ff.



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seine Rolle in der Formung der Identität des Deutschen Ordens ergab sich aus seiner Verbindung mit dem Heidenkampf und mit dem Aufbau der Landesherrschaft. Die im 14. und 15. Jahrhundert in Preußen entstandenen Chroniken bringen viele Beispiele der Hilfe der Gottesmutter für die mit Pruzzen, Litauen und Polen kämpfenden Ritterbrüder. Die Himmelskönigin war auch Schutzpatronin des preuβischen Ordenslandes, das als ihr Erbe dargestellt wurde.38 Peter von Dusburg und Nikolaus von Jeroschin beschreiben ein Wunder, das während des Einfalles der polnischen und ungarischen Truppen in das Kulmerland geschah. Die Gottesmutter erschien dem Hauptmann der ungarischen Truppen und befahl ihm, sich zurückzuziehen, weil das Land ihre Erbschaft sei: „im sprechende zornlichen zu al sus mit worten herbe: wes wustis du min erbe mit dines volkis lute“39.

Es scheint, dass die Idee der Gottesmutter als Schutzpatronin des Deutschen Ordens in Preußen die Identität der Ritterbrüder bis zum Ende des 15. Jahrhunderts prägte.40 Der Verfasser einer dichterischen Klage auf die Lage des Ordenslandes am Ausgang des 15. Jahrhunderts setzt am Schluss seines Gedichtes ein Gebet an die Gottesmutter als Schutzpatronin des Deutschen Ordens mit einer Bitte um ihre Hilfe ein.41 In der Frühphase der Entwicklung des Deutschen Ordens spielte die Hospitalität eine grundlegende Rolle im Selbstkonzept der Korporation. Die Hospitalstiftungen bildeten im 13. Jahrhundert auch ein wichtiges Element des Aufbaues der landesherrschaftlichen Strukturen in Preuβen.42 Durch die Tischlesung der Statuten war unter den Brüdern der Bericht über die Rolle der Versorgung von Pilgern, Kranken und in der Genese des Ordens weit verbreitet. Noch 1417 stellte der Deutsche Orden auf 38 Dygo, Marian: O kulcie maryjnym w Prusach Krzyżackich w XIV-XV w. [Über den Marienkult im Deutschordensstaat Preuβen im 14.-15. Jh.]. In: Zapiski Historyczne 52,2 (1987), 5–36. – Kwiatkowski, Stefan: Klimat religijny w diecezji pomezańskiej u schyłku XIV i w pierwszych dziesięcioleciach XV w. [Das religiöse Klima in der pomesanischen Diözese Ende des 14. Jh. und in den ersten Jahrzehnten des 15. Jh.], Toruń 1990, 89f. 39 Die Kronike von Pruzinland des Nicolaus von Jeroschin. Hg. v. Ernst Strehlke. In: Srciptores rerum Prussicarum, Bd. 1, Leipzig 1861, 620 SRP. – Petrus de Dusburg, Chronikon Terre Prussiae. Hg. v. Jarosław Wenta und Sławomir Wyszomirski. In: Monumenta Poloniae Historica, nova series, vol. 13. Kraków 2007, 274f. 40 Dygo: The political role (wie Anm. 33), 67f. – Ders.: O kulcie maryjnym (wie Anm. 35), 17f. 41 Thumser, Matthias: Poetycka skarga na grożącą zagładę Prus zakonnych (około 1498 roku) [Dichterische Klage über den drohenden Untergang Ordenspreußens um 1498]. In: Zapiski Historyczne 65, 3/4 (2000), 179. 42 Probst, Christian: Der Deutsche Orden und sein Medizinalwesen in Preussen. Hospital, Firmarie und Arzt bis 1525, Bad Godesberg 1969 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 29), 40ff.

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dem Konzil in Konstanz die Hospitalität als eine seiner wichtigsten Aufgaben dar.43 Aufgrund der erhaltenen Quellen lässt sich jedoch vermuten, dass der Spitalgedanke keinen gröβeren Einfluss auf die Gestaltung der Gruppenidentität des Deutschen Ordens in Preußen im 14. und 15. Jahrhunderts ausübte. Die bisherige Forschung hebt auch die weltlichen Elemente der Identität hervor, unter denen die Ausübung der landesherrschaftlichen Macht und die adlige Herkunft von gröβter Bedeutung waren.44 Mit Recht weist Jürgen Sarnowsky darauf hin, dass der landesherrschaftliche Faktor in einem stärkeren Ausmaβ die Identität der führenden Ordensbrüder bestimmte.45 Nicht nur der Hochmeister als Landesherr, sondern auch die Ritterbrüder des Deutschen Ordens wurden auf den in Preussen geschlagenen Münzen von der Mitte des 14. bis Anfang des 16. Jahrhunderts als „domini Prussie“ dargestellt.46 Auf die groβe Rolle des landesherrschaftlichen Faktors in der Formung der korporativen Identität weisen auch die Privilegien und die Vorrechte der „Herren“ bei der Wirtschaftsführung hin, die seit den 90er Jahren des 14. Jahrhunderts der Gegenstand der Beschwerde der preuβischen Städte geworden waren.47 Diese Identität veranschaulichen sehr gut zwei schon häufig in der Literatur angeführte Zitate. Eine Eigenaussage aus dem Jahre 1453: Komtur Konrad Esel aus Gollub sagte zu dem Ritter Pietrasch von Klein Pulkau: „Petrasch, was sagestu mier davon? Were ich deyn herre nicht, so were is aber eyn ander“48. Ein zweites Zitat stammt aus der Ermahnung des Kartäusers Heinrich Beringer, gibt also eine mittelbar überlieferte Eigenaussage wieder: „etzliche [Ordensgebietiger] sprechen iren undersassen: was ys

43 Sarnowsky: Identität und Selbstgefühl (wie Anm. 3), 121. – Militzer: Von Akkon zur Marienburg (wie Anm. 3), 99. 44 Kwiatkowski, Stefan: Powstanie i rozwój krzyżackiej koncepcji przywództwa religijnego w Prusach [Entstehung und Entwicklung der Ordenskonzeption der religiösen Führerschaft in Preuβen]. In: Zakon krzyżacki a społeczeństwo państwa w Prusach (Roczniki Towarzystwa Naukowego w Toruniu 86,3). Hg. v. Zenon H. Nowak, Toruń 1995, 137–148. 45 Sarnowsky: Identität und Selbstgefühl (wie Anm. 3), 126. – Dazu auch Heckmann: Zwischen Anspruch (wie Anm. 28), 256. 46 Sarnowsky: Ritterorden als Landesherrn (wie Anm. 16), 187. 47 Dazu Czaja, Roman: Miasta pruskie a zakon krzyżcki. Studia nad stosunkami między miastem a władzą terytorialną w późnym średniowieczu [Die preuβischen Städte und der Deutsche Orden. Eine Studie zu den Beziehungen zwischen Stadt und Landesherrschaft im späten Mittelalter], Toruń 1999, 187ff. – Sarnowsky, Jürgen: Die ständische Kritik am Deutschen Orden in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. In: Das Preuβenland als Forschungsaufgabe. Festschrift für Udo Arnold zum 60. Geburtstag. Hg. v. Bernhart Jähnig und Georg Michels, Lüneburg 2000, 403–422. 48 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, XX. HA, Ordensbriefarchiv, Nr. 12211. – Regesta Historico-Diplomatica Ordinis S. Mariae Theutonicorum 1198–1525, T. 1. Hg. v. Ernst Joachim und Walter Hubatsch, Göttingen 1948. – Nowak, Z. Hubert: Die Rolle der Konvente des Deutschen Ordens im sozialen, religiösen und kulturellen Leben Preuβens. In: Die Rolle der Ritterorden in der mittelalterlichen Kultur, Toruń 1985 (Ordines militares. Colloquia Torunensia Historica 3), 33f.



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Culmysch recht, wir synt euer recht“49. Auch kunsthistorische Forschungen zur Bauplastik, Architektur, Malerei weisen sehr deutlich darauf hin, dass die Ausübung der landesherrlichen Macht die Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung des Ordens in bedeutendem Ausmaß geprägt hat.50 Das Konzept der geistlichen Ritterorden enstand aus der Verbindung von adligritterlichen und monastischen Ideen. Deshalb beeinflussten die ritterlichen Merkmale schon in der Frühphase die Identität der Ritterbrüder. Es lässt sich jedoch vermuten, dass die Bedeutung der adlig-ritterlichen Elemente im Selbstkonzept des Ordens und in der Selbstidentität seiner Mitglieder parallel zur Verweltlichung des inneren Lebens der Korporation im Laufe des 14. Jahrhunderts zunehmen.51 Ein gutes Beispiel dieser Tendenz ist die Grabplatte des Vogtes von Brattian, Kuno von Liebenstein (gest. 1391), der als Ordensritter im Ordensmantel, aber in voller Rüstung dargestellt wurde. Diese Darstellungsweise drückt vor allem das adlige Selbstverständnis, die adlige Herkunft (Wappenschilde der Vorfahren), die Verbundenheit mit dem Ritterstand, Prunk und persönlichen Reichtum aus.52 Mit den ritterlichen Elementen ist auch die Frage nach der Rolle der Herkunft der Ritterbrüder in der Formung des Selbstbewußtseins der einzelnen Ordensmitglieder verbunden. Die inneren landsmannschaftlich geprägten Auseinandersetzungen in der Regierungszeit des Hochmeisters Paul von Rusdorf zwischen den Westfalen und Rheinländern (1438–1439) zeigen, wie die durch regionale Identitäten geprägten Streitigkeiten innerhalb Preußens und Livlands das Zusammengehörigkeitsbewußtsein der Ordensbrüder schwächten. Die Identität der Ordensritter wurde viel stärker 49 Die Ermahnung des Carthäusers. Hg. v. Theodor Hirsch. In: Scriptores rerum Prussicarum, Bd. 4, Leipzig 1870, 458. 50 Domasłowski, Jerzy: Die gotische Malerei im Dienste des Deutschen Ordens. In: Die Rolle der Ritterorden (wie Anm. 47), 169–184. – Karłowska-Kamzowa, Alicja: Bildideologie des Deutschen Ordens auf dem Hintergrund der mittelosteuropäischen Kunst. In: ebd., 204. – Pospieszny, Kazimierz: Die Architektur des Deutschordenshauses in Preußen als Ausdruck- und Herstellungsmittel der Ordensmission und Herrscherpolitik. In: Selbstbild und Selbstverständnis (wie Anm. 3), 227–241. – Dygo, Marian: Złota brama kaplicy zamkowej w Malborku a ideologia władzy zakonu niemieckiego w Prusach [Die goldene Pforte der Schlosskapelle in der Marienburg und die Herrschaftsideologie des Deutschen Ordens in Preuβen]. In: Zakon krzyżacki (wie Anm. 44), 149–163. 51 Dygo, Marian: Mnich i rycerz: Ideologiczne modele postaw w zakonie krzyżackim w Prusach w XIV–XV wieku [Der Mönch und der Ritter. Ideologische Verhaltensmodelle im Deutschen Orden in Preußen im 14.-15. Jh.]. In: Zapiski Historyczne 55,4 (1990), 15f. – Militzer, Klaus: Die Einbindung des Deutschen Ordens in die süddeutsche Adelswelt. In: Ritterorden und Region – politische, soziale und wirtschaftliche Verbindungen im Mittelalter. Hg. v. Zenon H. Nowak, Toruń 1995 (Ordines Militares. Colloquia Torunensia Historica 8), 153f. 52 800 Jahre Deutscher Orden. Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg in Zusammenarbeit mit der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens. Hg. v. Udo Arnold, Gütersloh/München 1990, 430. – Wróblewska, Krystyna: Gotycka płyta nagrobna Kunona von Liebenstein w Nowym Mieście nad Drwęcą [Die gotische Grabplatte Kunos von Liebenstein in Neumark]. In: Komunikaty Mazursko-Warmińskie 73,3 (1961), 321–354.

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durch ihre Anbindung an die Herkunfsregion als durch die Bindung an das preußische oder livländische Einsatzgebiet geprägt.53 Die bisherige Forschung widmete dem gruppenspezifischen Selbstverständnis der Deutschordenspriester vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit, die im Gegensatz zu den aus dem Deutschen Reich ankommenden Ritterbrüdern in ihrer übergroβen Mehrzahl aus Preußen kamen.54 Bei der Betrachtung der Identität dieser Gruppe sollte man auch die Tatsache berücksichtigen, dass nur ein Teil der Ordenspriester zusammen mit den Ritterbrüdern in den Konventen lebte. Viele Priesterbrüder waren als Pfarrer, Ordensjuristen- und Diplomaten, wie auch als Domherren in preuβischen Domkapiteln aktiv. Man kann vermuten, dass das Leben auβerhalb der Konvente die Ausbildung eines Zusammengehörigkeitsgefühls nicht begünstigte.55 Ähnlich wie im Falle der Ritterbrüder, kann den nichtritterlichen Mitgliedern des Deutschen Ordens nicht ausschließlich eine einzige Mentalität zugeschrieben werden. Der Thorner Pfarrer Andreas Pfaffendorf, Doktor des kanonischen Rechts, bezeichnete sich selbst als „eyn bruder unseres ordens, eyn prister unwirdik und eyn lerer des rechtes“56. Interessante Hinweise auf das Selbstverständnis der Ordenspriester ergeben sich aus der Analyse der Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Orden und den preußischen Bischöfen.57 Es lässt sich vermuten, dass die Einbindung in den Orden der auf

53 Lückerath, Karl August: Paul von Rusdorf. Hochmeister des Deutschen Ordens 1422–1441. Bad Godesberg 1969 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 15),173ff. – Boockmann, Hartmut: Herkunft und Einsatzgebiet. Beobachtungen am Beispiel des Deutschen Ordens. In: Ritterorden und Region (wie Anm. 50), 7–20. – Arnold, Udo: Europa und die Region – widerstreitende Kräfte in der Entwicklung des Deutschen Ordens im Mittelalter. In: ebd., 164f. 54 Górski, Karol: Das Kulmer Domkapitel in den Zeiten des Deutschen Ordens. Zur Bedeutung der Priester im Deutschen Orden. In: Die geistlichen Ritterorden Europas. Hg. v. Josef Fleckenstein und Manfred Hellmann, Sigmaringen 1980 (Vorträge und Forschungen 26), 329–337. – Kwiatkowski, Stefan: U źródeł niskiej pozycji księży w zakonie krzyżackim [Die Ursachen der untergeordneten Position der Priester im Deutschen Orden]. In: Krajobraz grunwaldzki w dziejach polsko-krzyżackich i polsko-niemieckich na przestrzeni wieków. Wokół mitów i rzeczywistości. Hg. v. Jan Gancewski, Olsztyn 2009, 175–184. 55 Interessante Hinweise auf das soziale Umfeld und soziale Interaktionen eines Ordenspriesters und Ordensdiplomaten liefern die Rechnungen von Johann von Ast, dem Pfarrer an der Pfarrkirche St. Johannes in der Altstadt Thorn, vgl. Radzimiński, Andrzej: Rachunki plebana kościoła parafialnego Świetych Janów w Starym Mieście Toruniu z lat 1445–1446 [Die Rechnungen des Pfarrers an der Pfarrkirche St. Johannes in der Altstadt Thorn aus den Jahren 1445–1446]. In: Roczniki Historyczne 69 (2003), 167–187. 56 Die Berichte der Generalprokuratoren des Deutschen Ordens an die Kurie, Bd. 4, 2. Hg. v. Kurt Forstreuter und Hans Koeppen, Göttingen 1976, Nr. 787. – Jähnig, Bernhart: Andreas Pfaffendorf OT. Pfarrer der Altstadt Thorn (1425–1433). In: Beiträge zur Geschichte Westpreußens 7 (1981), 161–187. 57 Dazu Radzimiński, Andrzej: Kościół w państwie zakonu krzyżackiego w Prusach 1243–1525 [Die Kirche im Staat des Deutschen Ordens in Preuβen], Toruń 2006, 184.



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die Bischofsstühle erhobenen Ordenspriester hinter die Verbundenheit mit der bekleideten Dignität zurücktrat. Zusammenfassend kann gesagt werden: Im Selbstkonzept des Deutschen Ordens sind zwar bis Ende seiner Herrschaft in Preuβen die ritterlich-kriegerischen und geistigen Elemente erhalten geblieben, sie verloren jedoch in den neuen politischen und sozialen Bedingungen des 15. Jahrhunderts ihre Wirkungskraft als Faktoren, die Wir-Identität bildeten und ein Individuum mit der Gruppe verbanden.58 Aufgrund der erhaltenen Quellen (hauptsächlich Visitationsberichte und Korrespondenz) lassen sich in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts deutliche Anzeichen einer Krise des inneren Konventslebens feststellen, das eine Grundlage für die Ausbildung einer Gruppenidentität bildete. Die Verbreitung des Privatvermögens, die Verstöße gegen das Gelübde des Gehorsams, die Verletzung der Regelvorschriften in Bezug auf die Lesung bei Tisch und die Vernachlässigung des gemeinsamen Gebets schwächten das Zusammengehörigkeitsgefühl der Mitglieder der Korporation.59 Die finanzielle Krise des Deutschen Ordens nach der Niederlage im Krieg gegen Polen und Litauen (1409– 1411) verursachte u.a. groβe Probleme bei der Versorgung und Verpflegung der Ordensbrüder in den preuβischen Konventen. Die Verschlechterung der materiellen Bedingungen vertiefte die Konflikte zwischen den Ordensmitgliedern. Im 15. Jahrhundert zeichnete sich auch eine wachsende Entfremdung zwischen dem Orden in Preuβen und den ritterlichen und bürgerlichen Führungsgruppen ab, die unter anderem aus dem Auseinanderklaffen der Herkunftsregion und des Einsatzgebietes resultierte. Der Deutsche Orden besaβ im 15. Jahrhundert in Preußen das Vermögen und die Strukturen der Landesherrschaft, aber in der kollektiven Identität der Ritterbrüder spielte die preußische territoriale Identität keine Rolle. Um die Auseinandersetzung zwischen dem Deutschen Orden und den preuβischen Ständen und den Verfall der Ordensherrschaft in Preuβen zu verstehen, sollte man also neben politischen und wirtschaftlichen Faktoren auch die Landfremdheit des korporativen Landesherrn und den Zerfall seiner Gruppenidentiät berücksichtigen.

58 Auf die Unterschiede im Selbstverständnis der Ritter- und Priesterbrüder des Deutschen Ordens um die Mitte des 15. Jahrhunderts weist Marie-Luise Heckmann hin, vgl. Heckmann: Zwischen Anspruch (wie Anm. 28), 262. 59 Vgl. die Berichte der Visitatoren über die kulmerländischen Konvente: Visitationen im Deutschen Orden im Mittelalter, T. 1: 1236–1449. Hg. v. Marian Biskup und Irena Janosz-Biskupowa, unter der Redaktion von Udo Arnold, Marburg 2002 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 50), 198–205.

Radosław Biskup BISTÜMER IM DEUTSCHORDENSSTAAT IN PREUSSEN (BIS 1525) Die Gründung einer geschlossenen Kirchenverwaltungsstruktur war im 13. und 14. Jahrhundert eine der Prioritäten der Politik des Deutschen Ordens in Preußen. Das Entstehen der kirchlichen Verwaltung war ein Resultat der militärischen, politischen und diplomatischen Maßnahmen, die auf den genannten Gebieten von der Ordensleitung ergriffen wurden. Es ist nicht zu bezweifeln, dass die sich soeben herauskristallisierende kirchliche Verwaltung auch eine staatsbildende Rolle spielte. Die preußischen Bistümer, welche seit dem Jahre 1255 der kirchlichen Gerichtsbarkeit des Erzbischofs von Riga unterstanden, bildeten auch einen gewissen Rahmen für die christianisierten Einheimischen, umgeben durch die auf diesen Gebieten zahlreich ankommenden Kolonisten aus dem Heiligen Römischen Reich.1 Angesichts der in dem vorliegenden Band angesprochenen Thematik ist der letztgenannte Aspekt am bedeutendsten, er inkludiert auch die Frage der weit zu fassenden Seelsorge (cura animarum). Die vor vier Jahren veröffentlichte Arbeit von Andrzej Radzimiński2, welche dem Deutschordensstaat in Preußen gewidmet ist und auch einen Beitrag über die Geschichte der Kirche enthält, zeugt eindeutig von der Intensivierung der Forschungen auf diesem Gebiet. Ein Bezugspunkt sei hier die Veröffentlichung von Marian Biskup und Gerard Labuda aus dem Jahre 19863, in der die Fragen der kirchlichen Organisation, der Religiosität, der Geistigkeit, der Seelsorge etc. kaum angesprochen wurden. Der Stand der Forschungen über die Kirche im Deutschordensstaat wurde innerhalb der letzten Jahre schon mehrmals analysiert, und es reicht an dieser Stelle, die Erkenntnisse zu nennen, welche die Historiografie der mittelalterlichen Kirche in verschiedenen Aspekten zusammenfassen oder welche dieses Schaffen 1 Forstreuter, Kurt: Die Gründung des Erzbistums Preussen 1245/1246. In: Jahrbuch der AlbertusUniversität zu Königsberg/ Preussen 10 (1960), 9–31. – Ders.: Fragen der Mission in Preussen von 1245–1260. In: Zeitschrift für Ostforschung 19 (1970), H. 4, 652–665. – Radzimiński, Andrzej: Kościół w państwie zakonu krzyżackiego w Prusach 1243–1525. Organizacja-Uposażenie-UstawodawstwoDuchowieństwo-Wierni [Die Kirche im Deutschordensstaat in Preußen 1243–1525. OrganisationBesitz-Gesetzgebung-Geistlichkeit-Gläubige], Malbork 2006, 23. 2 Siehe die Abschnitte von Radzimiński, Andrzej: Państwo zakonu krzyżackiego w Prusach. Władza i społeczeństwo [Der Deutschordensstaat in Preußen. Macht und Gesellschaft]. Hg. v. Marian Biskup u. a., Warszawa 2008, 146–176 und 384–404. 3 Biskup, Marian/Labuda, Gerard: Dzieje zakonu krzyżackiego w Prusach. Gospodarka–Społeczeństwo–Państwo–Ideologia [Die Geschichte des Deutschen Ordens in Preußen. Wirtschaft–Gesellschaft–Staat–Ideologie], Gdańsk 1986.



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bewerten.4 Nennenswert sind aber doch einige Forschungsrichtungen, welche seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert bedient werden. Viel wurde bis jetzt den staatsrechtlichen Fragen gewidmet unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zwischen dem Orden und der Kirche in Preußen, insbesondere im 13. Jahrhundert. Die Monographie von Brigitte Poschmann, in der preußische Bischöfe und Domkapitel als territoriale Mächte behandelt werden, gilt heute als Grundlage für weitere Forschungsrichtungen. In den Studien von Paul Reh, Marian Dygo oder Marca Löwenera wurde die Entwicklung sowohl von staatlichen als auch kirchlichen Strukturen dargelegt. Innerhalb der letzten Jahre hat Andrzej Radzimiński neue Erkenntnisse zu der Inkorporation der preußischen Bistümer und zum Einfluss der Ordensleitung auf die preußische Kirche geliefert5. Die oben erwähnten Arbeiten – unter Ausnahme der Monographie von Brigitte Poschmann – konzentrieren sich auf die staatsrechtliche Realität, ohne die späteren wechselseitigen Beziehungen zwischen den preußischen Territorialherren zu erforschen. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden auch einzelne preußische Bistümer und ihre Verwaltung systematisch untersucht. Man muss hier etwa auch die Darstellung von Hermann Cramer über die Diözese Pomesanien nennen6, wie auch die Dissertation von Heinz Schlegelberger über die Verwaltung und Verfassung der Diözese Samland7 oder von Tadeusz Glemma über das Bistum Kulm. Viel besser 4 Unter den wichtigsten Studien seien hier genannt: Radzimiński, Andrzej: Biskupstwa państwa krzyżackiego w Prusach XIII–XIV wieku. Z dziejów organizacji kościelnej i duchowieństwa [Bistümer des Ordensstaates im Preussen des 13.–15. Jahrhunderts. Aus der Geschichte der kirchlichen Organisation und Geistlichkeit], Toruń 1999. – Ders.: Stan i potrzeby badań nad biskupstwami państwa krzyżackiego w Prusach [Stand und Bedürfnisse der Forschung über die Bistümer im Deutschordensstaat in Preußen]. In: Historiograficzna prognoza 2000. Stan i potrzeby badań nad dziejami regionów kujawsko-pomorskiego i sąsiednich [Historiographische Prognose 2000. Stand und Bedürfnisse der Forschung über die Geschichte der Region Kujawien-Pommern und der benachbarten Gebiete]. Hg. v. Maksymilian Grzegorz, Bydgoszcz 2000, 91–108. – Ders.: Kirche und Geistlichkeit im Mittelalter. Polen und der Deutsche Orden in Preussen, Toruń 2011 (Sammelband mit den wichtigsten Beiträgen zu verschiedensten Aspekten der Kirchengeschichte im mittelalterlichen Preußen). – Biskup, Radosław: Das Domkapitel von Samland (1285–1525), Thorn 2007 (Prussia Sacra 2). – Glauert, Mario: Das Domkapitel von Pomesanien (1284–1527), Thorn 2004 (Prussia Sacra 1). 5 Reh, Paul: Das Verhältnis des Deutschen Ordens zu den preußischen Bischöfen im 13. Jahrhundert. In: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 35 (1896), 35–161. – Poschmann, Brigitte: Bistümer und Deutscher Orden in Preußen 1243–1525. Untersuchung zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte des Ordenslandes, Münster 1962. – Dygo, Marian: Studia nad początkami władztwa zakonu niemieckiego w Prusach (1226–1259) [Studien über die Anfänge des Deutschordensstaates in Preußen (1226–1259)], Warszawa 1992. 6 Cramer, Hermann: Geschichte des vormaligen Bisthums Pomesanien. In: Zeitschrift des historischen Vereins für den Regierungsbezirk Marienwerder 11–13 (1884). 7 Schlegelberger, Heinz: Studien über die Verwaltungsorganisation des Bistums Samland im Mittelalter. Hg. v. Radosław Biskup. In: Die Domkapitel des Deutschen Ordens in Preußen und Livland. Hg. v. Radosław Biskup und Mario Glauert, Münster 2004, 85–146.

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wurde diese Problematik für die Diözese Ermland erforscht, was die Arbeiten von Viktor Röhrich, Karol Sieniawski, Wojciech Kętrzyński oder Alojzy Szorc zeigen.8 Zu betonen ist, dass alle diese Studien ohne mühsame editorische Arbeit und ohne die Heranziehung der Urkundenbücher für jede der genannten preußischen Diözesen nicht möglich gewesen wären. Neue Arbeiten auf diesem Gebiet, wie z. B. die umfangreiche Monographie über die Geschichte des Bistums Pomesanien von Jan Wiśniewski, liefern wesentliche Ergänzungen hierzu.9 An dieser Stelle ist aber noch die dritte Hauptrichtung in der Historiographie der Kirche im Ordensland Preußen zu erwähnen, und zwar die prosopographischen Untersuchungen, die sich heute auf bestimmte Gruppen dieses Ordenszweiges beziehen. Vor allem müssen hier zwei Dissertationen genannt werden: jene von Martin Armgart10, die wertvolle Ergebnisse über Notare und Kapläne der Hochmeister bis 1410 liefert, und die von Mario Glauert11 über das pomesanische Domkapitel. In beiden Fällen hat man es mit einer neuen Forschungsqualität zu tun. Die erwähnten Historiker verzichten auf die den heutigen Standards nicht mehr entsprechende Katalogisierung der untersuchten Geistlichkeit. Bei der Rekonstruktion der Laufbahn einzelner Personen wurden in beiden Arbeiten gedruckte und ungedruckte Quellen verschiedener Kategorien und Provenienz herangezogen. Als sehr ergiebig erwiesen sich die Quellen, die außerhalb Preußens entstanden, wie z. B. Universitätsmatrikel. Sie ergänzen in hohem Maß das preußische Quellenmaterial, was besonders anhand der Biographien der pomesanischen Domherren deutlich wird. Diese Untersuchungsmethode wurde auch von Radosław Biskup12 bei den Recher8 Röhrich, Viktor: Geschichte des Fürstbisthums Ermland, Braunsberg 1925. – Sieniawski, Karol: Biskupstwo warmińskie, jego założenie i rozwój na ziemi pruskiej z uwzględnieniem dziejów, ludności i stosunków jeograficznych ziem dawniej krzyżackich [Das Bistum Ermland, seine Gründung und Entwicklung in Preußen unter Berücksichtigung der geschichtlichen, bevölkerungsbezogenen und geographischen Verhältnisse in dem ehemaligen Ordensland], Bd. 1–2, Poznań 1878. – Kętrzyński, Wojciech: Biskupstwo warmińskie [Das Bistum Ermland], Warszawa 1906. – Szorc, Alojzy: Dzieje diecezji warmińskiej (1243–1991) [Die Geschichte der Diözese Ermland (1243–1991)], Olsztyn 1991. 9 Wiśniewski, Jan: Dzieje diecezji pomezańskiej (do 1360 r.) [Die Geschichte der Diözese Pomesanien (bis 1360)], Elbląg 1993. – Ders.: Zarys dziejów diecezji pomezańskiej (1243–1525–1821) [Grundriss der Geschichte der Diözese Pomesanien (1243–1525–1821)]. In: Studia Pelplińskie 21–22 (1990–1991), 113–216. – Ders.: Pomezania. Z dziejów kościelnych [Pomesanien. Aus der Geschichte der Kirche], Elbląg 1996. – Ders.: Kościoły i kaplice na terenie byłej diecezji pomezańskiej 1243– 1821 [Kirchen und Kapellen in der ehemaligen Diözese Pomesanien 1243–1821], Bd. 1–2, Olsztyn 1999. 10 Armgart, Martin: Die Handfesten des preußischen Oberlandes bis 1410 und ihre Aussteller, Köln 1995. 11 Glauert (wie Anm. 4). 12 Biskup (wie Anm. 3). – Zu den bisherigen prosopographischen Untersuchungen über die preußischen Domkapitel siehe mehr: Ders: Preußische und livländische Domkapitel im Mittelalter – Forschungsstand und Perspektiven. In: Die Domkapitel des Deutschen Ordens in Preußen und Livland. Hg. v.



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chen über den Personalstand des Domkapitels von Samland verwendet. Paradoxerweise hat sich dieser Methode auch der Berliner Historiker Marc Jarzembowski bei den kunsthistorischen Untersuchungen über die Residenzen der preußischen Bischöfe bedient.13 Die Recherchen bezüglich der Beamten in der Umgebung der preußischen Bischöfe – wie z. B. Kapläne, Hauskomture und Notare – sagen viel über die Verwaltung und auch das Alltagsleben in den bischöflichen Residenzen aus. Analoge Untersuchungen werden heute von Andrzej Kopiczko für die Diözese Ermland durchgeführt. Im Rahmen der Thematik der Konferenz, welche um die Seelsorge (cura animarum) in Preußen kreist, lassen sich sehr gut die Ergebnisse bisheriger Forschungen über die Ordnung und Verfassung der kirchlichen Verwaltung zusammenfassend präsentieren und des Weiteren auch die immer noch zur Diskussion anstehenden Fragen definieren. Außerdem können weitere Möglichkeiten und Perspektiven auf diesem Forschungsfeld erschlossen werden. In der Geschichte der kirchlichen Verwaltung im Deutschordensstaat lassen sich drei Zeitperioden unterscheiden: 1243–1309, 1309–1466 und 1466–1525. Am 28. Juli 1243 hatte der Legat Wilhelm von Modena die Grundlagen für die Bildung von Diözesen geschaffen, indem er vier preußische Diözesen ins Leben gerufen hatte: die Diözese Kulm, Pomesanien, Ermland und Samland. Unter Verwendung des zur damaligen Zeit gut bekannten hydrographischen Netzes hat er die Grenzen dieser Bistümer markiert und die rechtliche Stellung gegenüber dem weltlichen Landesherrn, also dem Deutschen Orden, festgelegt. Kraft des Dokuments des Legaten wurden nicht nur die Bistümer gegründet, sondern auch vier neue Territorialherrscher kreiert. Jeder Bischof konnte auf einem Drittel des Gebiets seiner Diözese die geistliche und weltliche Macht vollkommen ausüben: cum omni iurisdictione et iure. Die ins Leben gerufenen Diözesen wurden im Jahre 1255 der Kirchenprovinz Riga eingegliedert.14 Trotz aller mit den preußischen Aufständen verbundenen Turbulenzen dauerte der Gründungsprozess der Strukturen der kirchlichen Verwaltung bis in die zweite

Radosław Biskup und Mario Glauert, Münster 2004, 5–32. – Ders.: Prozopografia pruskich kapituł katedralnych w średniowieczu (XIII–XVI w.) – stan badań i postulaty [Prosopographie der preußischen Domkapitel im Mittelalter (13.–16. Jh.). Forschungsstand und Perspektiven]. In: Warmińska Kapituła Katedralna. Dzieje i wybitni przedstawiciele [Das Domkapitel von Ermland. Geschichte und eminente Vertreter]. Hg. v Andrzej Kopiczko, Jacek Jezierski und Zdzisław Żywica, Olsztyn 2010, 143–153. 13 Jarzembowski, Marc: Die Residenzen der preußischen Bischöfe bis 1525, Thorn 2007 (Prussia Sacra 3). 14 Radzimiński, Andrzej: Wokół początków diecezji chełmińskiej [Um die Anfänge der Diözese Kulm]. In: Zapiski Historyczne 61 (1996), H. 2/3, 7–19, hier 8–15.

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Hälfte des 13. Jahrhunderts an, wovon die Gründung von vier Domkapiteln in den neuen Bistümern zeugt.15 Zwar war ihre Leitung und die Erfüllung der sich für sie aus den angenommenen Regeln ergebenden Aufgaben enorm schwierig, dass sie aber gegründet wurden, war für die kirchliche Verwaltung von großer Bedeutung. Am 22. Juli 1251 hat der Kulmer Bischof Heidenreich in Kulmsee ein Domkapitel errichtet und ausgestattet – dieses war ursprünglich nach der Augustinerregel organisiert; am 1. Februar 1264, angesichts der mit dem preußischen Aufstand verbundenen Turbulenzen, haben die Kanoniker die Deutschordensregel angenommen, wodurch sie zum Konvent der Ordenskleriker geworden sind, der zum Gehorsam gegenüber dem Hochmeister verpflichtet war. Die Veränderung der Ordnung des Kapitels von Culmsee wurde von Bischof Anselm von Ermland, einem päpstlichen Legaten und den Ordensgeistlichen gebilligt. Interessant ist an dieser Stelle, dass Bischof Anselm im Juni 1260 in der eigenen ermländischen Diözese ebenso ein Domkapitel gründete, das sich aber aus Weltgeistlichen zusammensetzte; dies war das einzige nicht ordensritterliche Domkapitel in Preußen, mit der Hauptstadt in Frauenburg (Frombork), die in den achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts festgelegt wurde. Ein weiteres Domkapitel, das sich von Anfang an aus Ordensgeistlichen zusammensetzte, wurde am 26. August 1284 und 25. Februar 128516 durch Bischof Albert von Pomesanien gegründet. Sein Sitz wurde Marienwerder (Kwidzyn), wo die Kanoniker von Pomesanien zwecks Sicherstellung der Einkommen u.a. das Patronatsrecht an der dortigen Kirche erlangten. Am längsten dauerte der Gründungsprozess des samländischen Domkapitels, angefangen von Bischof Christian von Mühlhausen, der sich zu jener Zeit wegen des preußischen Aufstands in Thüringen aufhielt. In Erfurt war er bemüht, vor dem Jahre 1285 ein Domkapitel zu gründen – höchstwahrscheinlich um sich selbst noch größeren Ruhm zu verschaffen. Das Kapitel sollte sich aus dem dortigen Klerus zusammensetzen, mit Propst 15 Górski, Karol: Kapituła chełmińska w czasach krzyżackich [Das Kulmer Domkapitel in der Deutschordenszeit]. In: Studia i szkice z dziejów państwa krzyżackiego [Studien und Skizzen aus der Geschichte des Deutschordensstaates], Olsztyn 1986, 115–123. – Pottel, Bruno: Das Domkapitel von Ermland im Mittelalter. Ein Beitrag zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der deutschen Domkapitel, insbesondere der des deutschen Ordensstaates in Preußen. Leipzig 1911. – Radzimiński, Andrzej: Z dziejów organizacji i funkcjonowania kapituł krzyżackich. Inkorporacje pruskich kapituł katedralnych do zakonu krzyżackiego [Zur Geschichte der Gründung und des Aufbaus der Deutschordenskapitel. Inkorporationen der preußischen Domkapitel in den Deutschen Orden]. In: Zakon krzyżacki a społeczeństwo państwa w Prusach [Der Deutsche Orden und die Gesellschaft seines preußischen Staates]. Hg. v. Zenon Hubert Nowak, Toruń 1995, 123–135. – Ders.: Fundacja i inkorporacja kapituły katedralnej w Chełmży oraz załamanie misji dominikańskiej w Prusach w połowie XIII w. [Die Stiftung und Inkorporation des Domkapitels in Kulmsee und der Zusammenbruch der Dominikanermission in Preußen um die Mitte des 13. Jahrhunderts.]. In: Zapiski Historyczne 56 (1991), H. 2–3, 7–24. 16 Glauert (wie Anm. 4), 124–134.



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Heinrich von Kirchberg an der Spitze. Der letztgenannte sowie seine Bemühungen um die Gründung eines weit von dem Bistum Samland gelegenen Kapitels wurden zur Grundlage eines satirischen Liedes. Erst im Jahre 1285 ist es Christian gelungen, das Kanonikerkollegium von Samland zu gründen, welches aus fünf Kreuzrittergeistlichen bestand, mit einem Propst und einem Dekan an der Spitze; diese Stiftung wurde im Jahre 1294 bestätigt. Das Kapitel von Samland hatte seinen Sitz zuerst in Fischhausen (Rybaki), am Anfang des 14. Jahrhunderts ist es aber nach Königsberg umgezogen17. Die Mitglieder der Prälats- und Kanonikerkollegien gehörten zu Kreisen, welche sich nicht nur aktiv an der Verwaltung der Diözese beteiligten und das gemeinschaftliche Leben am Dom gestalteten. In der ersten Entwicklungsphase ist dies zwar noch nicht so offensichtlich, aber seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, parallel zur Verbreitung der Universitätsbildung, waren die Kapitel für die weltlichen Ordensbehörden auch ein Reservoir des Beamtenpersonals, das sich vor allem in der Diplomatie aktiv betätigte.18 Die Untersuchungen an den Buchsammlungen des Deutschen Ordens, welche von Ralph Päsler und Arno Mentzel-Reuters durchgeführt wurden, weisen eindeutig auf den elitären Charakter dieser Kreise hin, auf ihren Einfluss auf das religiöse Leben der Bistümer sowie auf ihre kulturbildende Funktion.19 Und zum Schluss der wichtigste Aspekt der Kapitelgründung: Bei der Nennung der Landesgüter und der Übergabe der vollen Gerichtsbarkeit in spiritualibus et temporalibus entstanden auf diesem Gebiet vier weitere Territorialmächte. Auf diese Weise haben sich in Preußen neun Territorialherrschaften herausgebildet: der Deutsche Orden, vier Bistümer und vier Domkapitel.20 Sechs geistliche Mächte wurden bzw. konnten von weltlichen Landesherrn beeinflusst werden, d.h. durch den Deutschen Orden. Gemeint sind hier die Bistümer Kulm, Pomesanien und Samland sowie die dortigen Domkapitel. Dies war mit der Ordnung der Domkapitel verbunden, die nach der Deutschordensregel organisiert waren, und ergab sich aus den dem kanonischen Recht entstammenden Befugnissen, welche das Kapitel als Körperschaft besaß. Zu den Grundrechten der Kanoniker gehörten unter anderem die Verwaltung der Diözese während der Sedisvakanz sowie die Wahl eines neuen 17 Biskup (wie Anm. 4). 18 Szweda, Adam: Organizacja i technika dyplomacji polskiej w stosunkach z zakonem krzyżackim w Prusach w latach 1386–1454 [Organisation und Praxis der polnischen Diplomatie in den Beziehungen mit dem Deutschen Orden in Preußen in den Jahren 1386–1454], Toruń 2010, passim. 19 Päsler, Ralph G.: Deutschsprachige Sachliteratur im Preußenland bis 1500. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung, Köln-Weimar-Wien 2003. – Mentzel-Reuters, Arno: Arma spiritualia. Bibliotheken, Bücher und Bildung im Deutschen Orden, Wiesbaden 2003. 20 Radzimiński, Andrzej: Podziały kościelne [Der Aufbau der Kirche]. In: Państwo krzyżackie w Prusach XIII–XVI w. podziały administracyjne i kościelne [Deutschordensstaat in Preußen 13.–16. Jahrhundert. Kirchlicher und administrativer Aufbau]. Hg. v. Zenon Hubert NOWAK und Roman Czaja, Toruń 2000, 67–79.

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Bischofs nach dem Tod oder Rücktritt des Vorgängers. Da die vorerwähnten drei Kapitel de facto Konvente der Ordensgeistlichen waren, welche der Obrigkeit des Hochmeisters unterstanden, so hat die Ordensleitung zwangsläufig die Besetzung des wichtigsten Amtes im Bistum beeinflusst. Ganz anders entwickelte sich dies in der Diözese Ermland. Um die Unterschiede bezüglich der rechtlichen Stellung der vier preußischen Diözesen erfassen zu können, hat man in der Historiographie Ende des 19. Jahrhunderts den Begriff „inkorporierte Bistümer“ für diese Diözesen eingeführt, in denen kreuzritterliche Kapitel bestanden. Der Prozess der Gründung von den Kapiteln Kulm, Pomesanien und Samland wird in der neuesten Historiographie mit dem Begriff „Inkorporation der Kapitel in den Orden“ bezeichnet. Ohne sich an der Stelle auf eine Polemik über solche historiographische Konstruktionen einzulassen, muss festgestellt werden, dass das theoretische Modell, für das man Analogien in dem durch das damalige kanonische Recht genau definierten Begriff Inkorporation zu finden suchte, keinesfalls die komplizierten Beziehungen zwischen der weltlichen Macht (dem Orden) einerseits und den Bistümern und den nicht einmal mit Ordensgeistlichen besetzten Kapiteln der drei genannten Bistümer andererseits wiedergibt. Der Begriff der Inkorporation, der von Dominikus Lindner gründlich analysiert wurde21, ist im Kirchenrecht erst Anfang des 13. Jahrhunderts aufgetaucht. In dieser Zeit bemühten sich die Klöster um besondere bischöfliche Privilegien, die ihnen die unbegrenzten Nutzungsrechte der Kirchen ermöglichen sollten. Es handelte sich um diejenigen Kirchen, die unter dem Patronat der Klöster gestanden hatten. Diese rechtliche Realität, die man als Inkorporation bezeichnete, wurde unter Innozenz III. definiert und durch Innozenz IV. ergänzt. Man wollte das volle Nutzungsrecht der Kirche von der sogenannten Temporalpertinenz unterscheiden. Der Umfang des Begriffs Inkorporation, wie dieser im Kirchenrecht aus der Zeit von Innozenz III. definiert war, wird in der Wendung ad usus proprios convertere wiedergegeben. Dank dieser Änderung hatte sich das Kloster als Patron den Einfluss auf die Einkünfte gesichert, welche der vom Bischof ernannte Pfarrer für sich behalten konnte. Die in den Stiftungsurkunden der Domkapitel zu findenden Angaben und auch die spätere Praxis weisen darauf hin, dass es sich bei der preußischen Inkorporation um die Besetzung der wichtigsten Diözesanämter mit Priesterbrüdern des Ordens handelte. Die Stiftung der Domkapitel durch den Deutschen Orden bewirkte, dass die Ordensbehörde Einfluss auf die Diözesanverwaltung gewann. Durch die Tatsache, 21 Lindner, Dominikus: Die Lehre von der Inkorporation in ihrer geschichtlichen Entwicklung, München 1951. Auch Biskup, Radosław: Der Deutsche Orden und die Bistümer in Preußen. Bemerkungen über den Einfluss der Ritterbrüder auf die Diözesenverwaltung im Mittelalter (13.–16. Jahrhundert). In: Die Ritterorden als Träger der Herrschaft: Territorien, Grundbesitz und Kirche. Hg. v. Roman Czaja und Jürgen Sarnowsky, Toruń 2007 (Ordines militares. Colloquia Torunensia Historica 13), 225–236.



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dass die Priesterbrüder in den drei oben erwähnten Bistümern die Kanonikerkollegien bildeten, konnte der Hochmeister Einfluss auf die personellen Entscheidungen der Bischöfe und ihrer Domkapitel ausüben. Diese Tendenz bekunden vor allem die Quellen aus dem 15. Jahrhundert. Sie war durch viele Faktoren verursacht. Den Stiftungsurkunden nach hatten die Kanoniker das Recht, den Bischof zu wählen. Normalerweise haben sie dieses Recht genutzt, um den Bischofsstuhl mit einer Person aus den eigenen Reihen zu besetzen. Es gab aber Situationen, in denen das Amt an eine Person außerhalb des Kapitels vergeben wurde. Beispielsweise war im Jahr 1414 der Hochmeister Michael Küchmeister nicht mit der Wahl des samländischen Domkapitels einverstanden und befahl dem Ordensprokurator an der Kurie, alle Bemühungen des Kandidaten um die päpstliche Konfirmation zu verhindern. Schließlich ist der Pfründenjäger aus dem Reich, Heinrich von Schaumberg, Bischof von Samland geworden. Und nach seiner Konfirmation und Anreise nach Preußen wurde er Mitglied des Deutschen Ordens. Man sieht also, dass der Hochmeister seine eigenen Entscheidungen ganz willkürlich durchsetzen konnte. Die von Brigitte Poschmann durchgeführten Untersuchungen zeigen, dass im Verhältnis von Orden und den geistlichen Landesherren ein Gleichgewicht herrschte, was die Ritter durch den Einfluss auf die Besetzung der Diözesanämter mit dem Bischofsamt an der Spitze erreichte. Damit hatten die Ordensritter die Diözesanregierung unter Kontrolle22. Entsprechen aber die rechtlichen Verhältnisse, welche um die Mitte des 13. Jahrhunderts zwischen dem Orden als weltlichem Landesherrn und den drei Bistümern und den Ordenskapiteln herrschten, tatsächlich dem Begriff der Inkorporation im Sinne des damaligen Kirchenrechts? In Anbetracht der Tatsache, dass nur das Kapitel Kulmsee in ein ordenseigenes Kapitel umgewandelt wurde, und zwei sonstige von Anfang an als Kollegien von Ordensgeistlichen nach dem bereits bestehenden Kulmsee-Modell existierten, scheint der Begriff „Ordensbistümer“ hier viel mehr angebracht zu sein. Und hier meine ich nicht nur die Besetzung der Bistumsämter, sondern auch die Aufnahme neuer Mitglieder in das Domkapitel; die Korrespondenz aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zeigt eindeutig, dass eben die Leitung des Deutschen Ordens, manchmal vertreten durch die Beamten auf lokaler Ebene, über die Vergabe der Ordenskutte an einen weltlichen Geistlichen entschied, der später ein Mitglied der Domkapitel werden konnte. Für den Begriff „Ordensbistümer“ spricht ferner die Tatsache, dass schon in den Verfügungen des Legaten Wilhelm von Modena von 1243 die Struktur des kreuzritterlichen Konvents, welche uns aus den Ordensstatuten bekannt ist, wiederzufinden ist. Die Teilung der Diözesen im Verhältnis von zwei Drittel für die Ritterbrüder und einem Drittel für die Bischöfe kann als ein bedeutungsvolles Indiz dafür gelten. Auf diese Parität hat man sich bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts berufen, d.h. bis sich die inneren Grenzen der Güter in den 22 Poschmann (wie Anm. 5).

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einzelnen Bistümern herausgebildet haben. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass das Dokument vom 28. Juli 1243, welches die Grundlagen für die kirchliche Verwaltung in Preußen bildete, eine kreuzritterliche Vision der kirchlichen Verfassung nach dem Konventsmodell enthält, nach dem Modell also, welches seine Wurzeln in der Ordensregel hat. Diese Frage bedarf sicherlich noch einer vertieften Reflexion, welche die alltägliche Praxis in der Beziehung zwischen dem Orden und der kirchlichen Macht der drei sog. inkorporierten Bistümer (Ordensbistümer) auch mitberücksichtigen müsste. Die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert war die Zeit einer intensiven Siedlungsaktivität in den von Ordensrittern eroberten Gebieten23, die von der Einrichtung eines Pfarreinetzes begleitet war. Die Rekonstruktion dieses Netzes im mittelalterlichen Ordensstaat sowie der Versuch, die Intensität von dessen Entwicklung nachzuzeichnen, stößt auf große Schwierigkeiten wegen der bescheidenen Quellenbasis. Erst für das 16. Jahrhundert lassen sich vollständige Pfarreiverzeichnisse für einige Diözesen rekonstruieren, die in den Visitationsprotokollen enthalten sind.24 Diesen Quellen sind aber nicht selten Informationen zu entnehmen, die sich auf frühere Zeiten beziehen – und zwar betreffend die Einkünfte der Pfarrei und den Namen der Kirche. Eine Ausnahme bildet hier das Formelbuch aus Uppsala von der Wende des 14. ins 15. Jahrhundert, das den Dekan des samländischen Domkapitels für die Visitation einzelner Pfarreien dieser Diözese instruierte25. Die Pfarreien erfüllten nicht nur eine seelsorgerische Rolle, sie waren auch die grundlegende kirchliche und staatliche Organisationseinheit. Darüber hinaus spielte sich das gesellschaftliche Leben der Gläubigen im Rahmen der Pfarreien ab. Für die Entwicklung des Pfarreinetzes hat Marian Biskup im Ordensland drei Regionen unterschieden26: das Kulmerland, das Archidiakonat Pommerellen, in denen das Pfarreinetz schon im 13. Jahrhundert recht gut entwickelt war, und sonstige 23 Siehe die Abschnitte von Roman Czaja und Wiesław Długokęcki in Państwo (wie Anm. 2), 177–216 (hier auch ältere Literatur). 24 Visitationes archidiaconatus Pomeraniae Hieronymo Rozrażewski Vladislaviensi et Pomeraniae episcopo factae. Hg. v. Stanisław Kujot, Fontes Towarzystwa Naukowego w Toruniu 1–3 (1897–1899). – Visitationes ecclesiarum Dioecesis Culmensis et Pomesaniae Andrea Leszczyński episcopo A. 1647 facta. Hg. v. Adalbertus Pobłocki, Fontes Towarzystwa Naukowego w Toruniu 4 (1900). – Visitationes episcopatus Culmensis Andrea Olszowski Episcopo A. 1667–72 factae. Hg. v. Bruno Czapla, Fontes Towarzystwa Naukowego w Toruniu 6–10 (1902–1906). – Wizytacja biskupstwa sambijskiego z 1569 roku [Visitation des Bistums Samland aus dem Jahr 1569]. Hg. v. Jacek Wijaczka, Fontes Towarzystwa Naukowego w Toruniu 90 (2001). – Wizytacja biskupstwa sambijskiego z 1570 roku [Visitation des Bistums Samland aus dem Jahr 1570]. Hg. v. Jacek Wijaczka, Fontes Towarzystwa Naukowego w Toruniu 96 (2005). 25 Kolberg, August: Ein preußisches Formelbuch des 15. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands 9 (1891), 296–297. 26 Biskup, Marian: Parafie w państwie zakonu krzyżackiego [Pfarreien in dem Deutschordensstaat]. In: Państwo zakonu (wie Anm. 20), 81.



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Gebiete. Die Entwicklung des Pfarreinetzes im Kulmerland war durch den Klerus der Diözese Plozk (Płock) beeinflusst, entsprechende Maßnahmen wurden schon im 12. Jahrhundert ergriffen.27 Zur gleichen Zeit entwickelte sich auch das Pfarreinetz im Archidiakonat Pommerellen, das die nördlichste Hochburg des Bistums Leslau bildete. Eine intensive Entwicklung des dreistufigen Systems der kirchlichen Verwaltung (Pfarrei – Dekanat – Archidiakonat) in Pommerellen lässt sich auf das 13. Jahrhundert datieren.28 Dagegen hing die Entwicklung des Pfarreinetzes in den Diözesen Pomesanien, Ermland und Samland vom Fortschritt der Christianisierung, der Intensität der Siedlungsaktivität sowie von der Verteilung der Verwaltungsangelegenheiten zwischen den Landesherren (Orden und Bistümer/Kapitel) ab. Eine intensive Gründungsinitiative neuer Pfarreien in diesen Gebieten lässt sich insbesondere zwischen 1309 und 1466 feststellen. Entsprechend der älteren Historiographie gab es Anfang des 15. Jahrhunderts auf dem Hoheitsgebiet des Ordens ca. 940 Pfarreien, wovon 97 Stadtpfarreien waren29.

Tabelle: Die kirchlichen Verwaltungseinheiten im Deutschordensstaat 1309–146630 Verwaltungseinheit Bistum Kulm Bistum Pomesanien Bistum Ermland Bistum Samland Archidiakonat Pommerellen

Fläche in qkm 4 000 8 400 19 800 12 000 15 000

Zahl der Pfarreien 120 267 286 49 143

Die Inkorporation von Pommerellen im Jahre 1309 verursachte, dass dem bisherigen Ordensstaat ein Gebiet einverleibt wurde, welches sich durch ein ganz anderes System kirchlicher Verwaltung auszeichnete und einer ganz anderen Kirchenpro-

27 Vgl. Rozynkowski, Waldemar: Powstanie i rozwój sieci parafialnej w diecezji chełmińskiej w czasach panowania krzyżackiego [Die Entstehung und Entwicklung des Pfarrnetzes in der Diözese Kulm in der Zeit der Herrschaft des Deutschen Ordens], Toruń 2000. 28 Biskup, Radosław: Powstanie, ustrój i organizacja diecezji [Die Entstehung, Verfassung und Verwaltung der Diözese]. In: Dzieje diecezji włocławskiej, Bd. 1: Średniowiecze [Geschichte der Diözese Leslau, Bd. 1: Mittelalter]. Hg. v. Andrzej Radzimiński, Włocławek 2007, 19–28. 29 Radzimiński, Andrzej: Pfarreien und Pfarrgeistlichkeit im Deutschordensstaat Preussen. In: Pfarreien im Mittelalter. Deutschland, Polen, Tschechien und Ungarn im Vergleich. Hg. v. Nathalie Kruppa, Gottingen 2008, 235–260. 30 Nach Radzimiński: Podziały (wie Anm. 20), 67–79. – Biskup, Marian (wie. Anm. 26), 81–94.

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vinz angehörte31. Damit begann eine ganz neue Epoche in der Kirchengeschichte des Ordensstaates. Das Archidiakonat Pommerellen war zuvor ein Teil der Diözese Leslau, die zu der Gnesener Kirchenprovinz gehörte. Wie der Tabelle zu entnehmen ist, überliefern die Quellen Informationen zu 143 Pfarreien auf diesem Gebiet. Das Archidiakonat Pommerellen bestand im 14. Jahrhundert aus drei Dekanaten: Danzig (Gdańsk), Schwetz (Świecie) und Dirschau (Tczew). Im Laufe der weiteren Entwicklung (zu der Zeit des Deutschen Ordens entstanden dort 80 neue Pfarreien) wurden aus den schon bestehenden Dekanaten neue ausgesondert. So entstanden bis Anfang des 16.  Jahrhunderts auf dem Gebiet des Danziger Dekanats die neuen Einheiten Lauenburg (Lębork), Putzig (Puck) und Mirchau (Mirachów). Aus dem Dirschauer Dekanat sonderten sich zwei neue ab: Stüblau (Steblew) und Sabes (Zaborsk); aus dem Dekanat Schwetz das Dekanat Neuenburg (Nowe). Aufgrund weiterer Überlieferungen lässt sich feststellen, dass am Ausgang des Mittelalters ein Dekanat Mewe (Gniew) existierte, welches Gebiete der früheren Dekanate Dirschau und Schwetz in sich aufnahmen.32 In den preußischen Diözesen hatten dann Archidiakonate keinen Bestand, obwohl sich solche Strukturen noch in den Quellen des 13. Jahrhunderts in den Bistümern Kulm und Ermland erkennen lassen. Ein Archidiakon wird einmal in einem Dokument vom 22. Juli 1251, verfasst vom Kulmer Bischof Heidenreich, genannt. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erschienen Archidiakone vorübergehend auch im Bistum Ermland. Die ersten Belege stammen aus dem Jahre 1260, als der bereits erwähnte Bischof Anselm bei der Gründung des Domkapitels für sich und seine Nachfolger das Recht vorbehielt, einen Archidiakon zu ernennen33. Im gleichen Jahr übergab er diesem Geistlichen ein Zehntel aus einem Gebiet von der Fläche von 60 Haken34. Aus dem Jahre 1277 stammte eine Bemerkung über einen Domarchidiakon und einen Archidiakon aus Natangen (Natangia); das zweite Amt bekleidete in den Jahren 1280–1286 ein Kleriker namens Livold, über den nichts Näheres bekannt ist35. Dies sind aber auch die letzten Nachweise über Erzdiakone in der Diözese Ermland; die Organisation der Pfarreien und Dekanate stützte sich 31 Zu dem Archidiakonat Pomerellen zu der Zeit des Deutschordens siehe Freytag, Hermann: Das Archidiakonat Pomerellen der Diözese Włocławek im Mittelalter. In: Altpreußische Monatsschrift 41 (1904), 204–233. – Kriedte, Paul: Die Herrschaft der Bischöfe von Włocławek in Pomerellen von den Anfängen bis zum Jahre 1409. Göttingen 1974. – Über das Pfarrnetz: Kurzawa, Dariusz: Patrocinia kościołów parafialnych w diecezji włocławskiej w średniowieczu [Die Patrozinien der Pfarrkirchen in der Diözese Leslau im Mittelalter], Bydgoszcz 2006 (Manuskript). 32 Biskup (wie Anm. 28), 22f. 33 Codex Diplomaticus Warmiensis oder Regesten und Urkunden zur Geschichte Ermland, Bd. 1. Hg. v. Carl Peter Woelky und Johann Martin Saage, Mainz 1860, Nr. 48. 34 Preussisches Urkundenbuch, Bd. 1/2. Hg. v. Rudolf Philippi, Carl Peter Woelky und August Seraphim, Königsberg 1902, Nr. 107. 35 Radzimiński: Kościół (wie Anm. 1), 44f.



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in dieser Diözese, wie auch in Kulm und Pomesanien, im Folgenden ausschließlich auf Archipresbyterate. Der Erzpriester hatte eine wichtige Funktion im Leben des Pfarrklerus als auch im Alltagsleben der Gläubigen. Zu seinen Aufgaben gehörten unter anderem die Besetzung der niederen Kirchenämter, die Durchführung von Visitationen in den Pfarrkirchen sowie seelsorgliche Funktionen. Seine Aufgaben waren also jenen von Erzdiakonen vergleichbar. Sowohl auf dem Gebiet des Bistums Kulm als auch des Bistums Pomesanien kann das Archipresbyteratsnetz nur im Allgemeinen historisch erfasst werden, oft auch nur aufgrund von neuzeitlichen Quellen. Anzunehmen ist, dass der Sitz der Erzpriester nicht lokal gebunden war und dass, ähnlich wie bei den Dekanen (decani fori), diese Ämter durch Versetzungen an andere Orte überlagert sein konnten. Erwähnenswert ist, dass die Erzpriester an ihren Sitzen auch gleichzeitig das Pfarramt an den dortigen Kirchen bekleideten. In der Diözese Kulm waren folgende Orte Sitz von Erzpriestern: Kulm (Chełmno), Kulmsee (Chełmża), Gollub (Golub), Briesen (Wąbrzeźno), Graudenz (Grudziądz) und Lautenburg (Lidzbark). In der Diözese Pomesanien lassen sich im 15. Jahrhundert 15 Erzpriesterorte nennen: Gilgenburg (Dąbrówno), Neidenburg (Nidzica), Osterode (Ostroda), Liebemühl (Miłomłyn), Mohrungen (Morąg), Hohenstein (Olsztynek ), Soldau (Działdowo), Saalfeld (Zalewo), Posilge (Żuława Sztumska), Jasna (1395), Pestlin (Postolin), Gnojau (Gnojewo), Thierberg (Zwierzewo), höchstwahrscheinlich auch Christburg (Dzierzgoń) und Klein Tromnau (Trumiejki). Die erwähnten Strukturen sind am besten in der Diözese Ermland dokumentiert. Das Bestehen derartiger Einheiten erwähnt schon das Synodalstatut des Bischofs Heinrich II. Sorbom aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Dem auf die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert datierten Verzeichnis Archiprezbyterales sedes dioecesis Warminsis cum suis mansis et lastis decimarum lässt sich entnehmen, dass es im Bischofsdominium Ermland neun Archipresbyterate gab, fünf weitere auf dem sonstigen Gebiet der Diözese. Dies waren: Bischofsburg (Biskupiec), Rössel (Reszel), Braunsberg (Braniewo), Frauenburg (Frombork), Guttstadt (Dobre Miasto), Mehlsack (Pieniężno), Seeburg (Jeziorany), Wormditt (Orneta), Heilsberg (Lidzbark) in dem Bischofsteil und Schippenbeil (Sępopol), Friedland (Frydląd), Preussisch Eylau (Iława Pruska), Kreuzburg (Krzyżpork) und Elbing (Elbląg). Es fällt schwer, sich der seit einigen Jahren mehrmals wiederholten Behauptung anzuschließen, in der Diözese Samland hätte es Archipresbyterate gegeben36. Die einzige Quellengrundlage hierzu ist eine Anmerkung im Formelbuch von Uppsala37. Es gibt keine andere Quelle aus der Zeit der mittelalterlichen Diözese Samland, in der irgendein Erzpriester oder sein Sitz genannt worden wären. Gegen das 36 Radzimiński: Kościół (wie Anm. 1), 43–45. – Ders.: Pfarreien (wie Anm. 29). 37 Universitätsbibliothek Uppsala, Handschriftenabteilung, Abteilung C, Nr. 575, Fol. 103v–104r.

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Bestehen von Archipresbyteraten in der Diözese Samland sprechen vor allem die großen Flächen der dortigen Pfarreien, deren Gesamtzahl (siehe Tabelle) sowie die Struktur des Pfarreinetzes. Ein Großteil der Pfarreien konzentrierte sich im westlichen Teil dieser Diözese, d.i. in Samland, unweit sowohl vom Sitz des Bischofs in Fischhausen sowie vom Domkapitel in Königsberg. Die Gründung einer Zwischenebene der kirchlichen Verwaltung scheint in dieser Situation unnötig gewesen zu sein. Ein weiteres Gegenargument ist der Charakter der historischen Quelle. Sie ist eine Verordnung eines nicht namentlich genannten Bischofs von Samland, die sich an alle Geistlichen der Diözese richtete (Erzpriester, Priester, Priore und Ordensbrüder). Im Zusammenhang mit seiner Reise zu den Friedensverhandlungen mit Polen befahl er allen Geistlichen, bis zu seiner Rückkehr zwei heilige Messen wöchentlich abzuhalten – eine nach Meinung der Trinität, die andere für den Frieden. Nicht zu vergessen ist, dass sich die Abschrift dieser Verordnung im Formelbuch befindet (auf das Buch selbst komme ich noch nachstehend zu sprechen), das für die in den Kanzleien der preußischen Bischöfe arbeitenden Notare gedacht war und Formeln beinhaltete, die sich nicht nur auf die vier preußischen Bischöfe bezogen, sondern auch auf solche, die u.a. in der Kanzlei der Bischöfe zu Leslau oder in Livland galten. Nachvollziehbar ist, dass für die Zwecke des Formelbuches, das in der Kanzlei der Bischöfe von Samland hätte entstehen können, einige Formeln entlehnt wurden, die in anderen preußischen Bistümern angewendet wurden, und zwar in solchen, in denen Archipresbyterate existierten. Und letztendlich ein drittes Gegenargument hierzu: In dem vorgenannten Formelbuch von Uppsala ist eine Anleitung zu der Visitation der Pfarreien der Diözese Samland zu finden, welche von Johannes Knottel, Dekan des Domkapitels, durchzuführen war. Dass zu diesem Zwecke ein Kanoniker und nicht ein Erzpriester entsandt wurde, mag die bereits aufgestellte These, in der Diözese Samland habe es keine Archipresbyterate gegeben, bestätigen. Die kirchliche Verwaltung im Deutschordensstaat blieb in der oben skizzierten Form bis zum Zweiten Thorner Frieden (1466) unverändert, welcher den „Dreizehnjährigen Krieg“ beendete. In Folge der Teilung des Ordensstaates in Königliches Preußen und Deutschordensland haben die Kreuzritter Pommerellen, die Gegend von Marienburg, das Dominium der ermländischen Bischöfe (mit Frauenburg und Heilsberg) sowie das Kulmerland abgeben müssen. Die weitestgehenden Veränderungen sind auf dem Gebiet des Kulmer Bistums aufgetreten – dieses wurde der Gnesener Kirchenprovinz angeschlossen; das Kapitel von Kulmsee wurde von einem kreuzritterlichen Kapitel in eine weltliche Domkörperschaft umgewandelt. Die Diözese Pomesanien wurde geteilt: Über 100 Pfarreien lagen nun außerhalb des Deutschordenslands; dennoch verblieben diese bis zum Jahr 1525 unter der kirchlichen Gerichtsbarkeit der Bischofe von Pomesanien. Ausschließlich die am östlichsten Rand gelegene Diözese Samland behielt auch über das Jahr 1466 hinaus ihre alten Grenzen. Nach der Verlegung des Sitzes des Hochmeisters nach Königs-



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berg – der Hauptstadt der Diözese – gewann sie wesentlich an Bedeutung. Laut den Erhebungen von Andrzej Radzimiński gab es nach dem Jahre 1466 in der Diözese Ermland, Pomesanien und Samland auf dem Gebiet des Deutschordenslandes 369 Pfarrkirchen, darunter 38 Stadtkirchen; die meisten von ihnen bestanden nur bis zum Jahre 1525 oder wurden dann lutherisch.38 Das oben skizzierte Bild der kirchlichen Verwaltung im Deutschordensstaat, welche im großen Maße eine staatsbildende Rolle hatte und den Raum für seelsorgerische Tätigkeit organisierte, ist ein Endergebnis von intensiven Erforschungen der Kirche im Deutschordensstaat, die seit der Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts geleistet wurden. Immer bessere Kenntnisse der Quellen, insbesondere der unveröffentlichten und dieser, die sich auf das 15. und den Anfang des 16. Jahrhunderts beziehen, erlauben, neue Forschungsinitiativen aufzugreifen, die dazu führen, die hier angesprochenen Fragen besser zu untersuchen. Gegenwärtig werden in der Abteilung für Kirchengeschichte am Institut für Geschichte und Archivistik der Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń intensive Untersuchungen über die kirchliche Verwaltung sowie über den höheren und niederen preußischen Klerus geführt. Nennenswert sind an dieser Stelle zwei bereits realisierte Projekte, welche den bisherigen Forschungsstand bedeutend ergänzen sowie ganz neue Informationen zur Gestalt und zu den Mechanismen der Kirche im Deutschordensstaat liefern. Mit dem ersten Projekt – „Pfarreien im Deutschordensstaat in Preußen zwischen 1243–1525“ wird eine optimale Rekonstruktion des Pfarrnetzes auf dem Gebiet der vier preußischen Diözesen und des Archidiakonats Pommerellen anvisiert. Territorial gesehen umfasst das Projekt also Gebiete, die zu der Provinz Gnesen (Leslauer Diözese) und Riga (Diözesen Kulm, Pomesanien, Ermland und Samland) gehörten. Das Ziel ist aber nicht allein, die Form des Pfarrnetzes zu rekonstruieren, sondern auch den eigenen Charakter der Diözesen in diesem Bereich auszuloten und die bisher erhobenen Daten auszuwerten. Als fassbares Ergebnis soll eine online-Datenbank stehen, welche auf der Web-Seite www.zhk.umk.pl (Homepage der Abteilung für Kirchengeschichte), geordnet nach Diözesen, abrufbar sein wird: 1. Ortsname 2. Quellenname 3. Patronat 4. Pfarrkirche a) Stiftung (bzw. erste Überlieferung) b) Patrozinium c) fabrica ecclesiae d) Kapellen e) Reliquien f) Kleinodien und liturgische Gewänder 38 Radzimiński: Państwo (wie Anm. 2), 384–389.

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5. Friedhof 6. Glocken 7. Büchersammlungen 8. Elemente der inneren Ausstattung der Kirche (Orgel, Bilder, usw.) 9. Pfarrbezirk a) Dörfer b) Filialkirchen c) Kapellen d) Vikarien e) Landbesitz 10. Geistlichkeit a) Plebane b) Vikare c) andere Geistliche 11. Laien a) Organist b) „Kirchenvater“ (Kirchenpropst) c) Sakristan (Küster) 12. Bibliographie Außer der Zusammenstellung aller quellenmäßig belegten Pfarreien erlaubt eine derartige Datenbank, u.a. Änderungen in der Form des Pfarreinetzes in den einzelnen Diözesen zu verfolgen, Forschungen über den niederen Klerus zu führen (Herkunft, Ausbildung, Mobilität und Karriere) und Patroziniumforschung durchzuführen. Ein weiteres Projekt ist die Edition des bereits erwähnten sog. preußischen Formelbuches aus Uppsala aus dem 15. Jahrhundert, das bis jetzt ausschließlich aus einer fragmentarischen Edition von August Kolberg39 bekannt ist. Diese Handschrift wurde aus der Bibliothek in Heilsberg durch schwedische Truppen während des „Großen Nordischen Kriegs“ Anfang des 18. Jahrhunderts weggeführt und befindet sich gegenwärtig in der Universitätsbibliothek in Uppsala. Das Formelbuch, zusammengestellt für Schreiber und Notare in preußischen Bistumsarchiven, bildet eine Sammlung von Brief- und Schreibformeln, welche verschiedene Aspekte des Pfarrlebens betreffen, da sie zahlreiche Informationen über Klerus, Gläubige, Kirchweihen, Tätigkeit der Offiziale, kirchlichen Benefizien, Weihen, Gottesdienst usw. enthalten40. Abschlie39 Kolberg (wie Anm. 25). – Biskup, Radosław/Glauert, Mario: Das preußische Formelbuch des 15. Jahrhunderts aus Uppsala. Vorstellung eines Editionsprojektes. In: Quellen kirchlicher Provenienz. Neue Editionsvorhaben und aktuelle EDV-Projekte. Hg. v. Helmut Flachenecker, Janusz Tandecki und Krzysztof Kopiński, Thorn 2011, 369–380. 40 Radzimiński, Andrzej: Piętnastowieczny formularz z Uppsali jako żródło do badania Kościoła w państwie zakonu krzyżackiego w Prusach [Das Formelbuch aus Uppsala aus dem 15. Jahrhundert als



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ßend ist die Bedeutung der Prosopographie zu betonen, welche – außer der Erstellung eines Sammelbiogramms einer bestimmten Gruppe von Geistlichen – uns erlaubt, die in der kirchlichen Verwaltung Preußens herrschenden Mechanismen aufzudecken.

Quelle zur Untersuchung der Kirche im Ordensland Preußen]. In: Aetas media aetas moderna. Księga pamiątkowa Henryka Samsonowicza [Aetas media aetas moderna. Festschrift für Henryk Samsonowicz]. Hg. v. Halina Manikowska u. a., Warszawa 2000, 231–246.

Rafał Kubicki DIE ROLLE DER BETTELORDEN IM ORDENSLAND PREUSSEN Die Forschung über die Bettelorden in der mittelalterlichen Gesellschaft weckte schon vor langer Zeit ein großes Interesse der Historiker. In diesem Beitrag möchte ich die Frage nach der Rolle der Mendikanten im Ordensland Preußen vom 13. bis zum 15. Jahrhundert stellen. In dieser Zeit hatten vier Mendikanten-Orden ihre Klöster im Deutschordensstaat Preußen: die Dominikaner (Danzig, Kulm, Elbing, Thorn und Nordenburg), die Franziskaner (Thorn, Kulm, Neuenburg, Braunsberg, Wehlau, Bartenstein und Danzig), die Augustiner-Eremiten (Rössel, Konitz, Heiligenbeil, Patollen) und Karmeliten (nur ein Kloster in Danzig). In der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden neue Klöster der Franziskaner-Observanten in Wehlau (später verlegt nach Königsberg), Saalfeld und Tilsit.1 Somit gab es im Ordensland insgesamt fünf Dominikanerklöster, sieben Klöster der Franziskaner-Konventualen, vier Klöster der Augustiner-Eremiten und nur ein Karmelitenkloster. Nach dem 2. Thorner Frieden im Jahre 1466 verblieben im Ordensland nur vier Klöster: ein Dominikanerkloster, ein Franziskanerkloster und zwei Klöster der Augustiner-Eremiten. Später entstanden noch drei neue Klöster der Franziskaner-Observanten. Die Bettelorden in Preußen – vor allem die Dominikaner und später auch die Franziskaner – spielten eine wichtige Rolle in der Prussenmission im 13. Jahrhundert. Schon das Generalkapitel der Dominikaner in Bologna (1221) betonte, dass die Missionsarbeit bei den Heiden und den Neugetauften zu den wichtigsten Aufgaben gehöre.2 Das erste Kloster der Dominikaner entstand als herzogliche Stiftung in Danzig (1227)3. Die zweite herzogliche Stiftung der Dominikaner wurde im Jahre 1289 in Dirschau ins Leben gerufen4. Beide Konvente gehörten zur polnischen Dominikanerprovinz. Andere Klöster der Dominikaner wurden in den Städten des Ordenslandes 1 Roth, Werner: Die Dominikaner und Franziskaner im Deutsch-Ordensland Preußen bis zum Jahre 1466, Königsberg 1918. – Biskup, Marian: Das Verhältnis des Deutschen Ordens zu den anderen Orden in Preußen. In: Ritterorden und Kirche im Mittelalter. Hg. v. Zenon Hubert Nowak, Toruń 1997, 61–79. – ders.: Średniowieczna sieć klasztorów w państwie zakonu krzyżackiego w Prusach (do r. 1525) [Das mittelalterliche Netz der Klöster im Deutschordensstaat Preußen (bis 1525)]. In: Zapiski Historyczne 64/1 (1999), 35–61. 2 Hinnebusch, William A.: The history of the dominican order, t. 1, Origins and growth to 1500, New York 1966, 91–96. 3 Dieses Kloster wurde unter dem bedeutenden Einfluss polnischer Ordenshäuser, vor allem des Krakauer Klosters, gegründet. Biskup: Das Verhältnis (wie Anm. 1), 63 – Roth: Die Dominikaner (wie Anm. 1), 48. 4 Roth: Die Dominikaner (wie Anm. 1), 81–82.



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Preußen gegründet. Die erste Stiftung eines Dominikanerklosters wurde vom Deutschen Orden in Kulm (1236–1238) getätigt.5 Die Dominikaner, die wahrscheinlich aus dem Konvent in Danzig stammten, arbeiteten ab 1231 in Pomesanien und Pogesanien. Das wichtigste Ziel der Dominikaner war die Mission bei den Prussen und die Seelsorge in der städtischen Gesellschaft. Auch der Deutsche Orden interessierte sich anfangs für die Teilnahme der Dominikaner an der prussischen Mission.6 Später befürchteten die Ordensritter eine zu große Bedeutung dieses Bettelordens, weil die Dominikaner 1221 das Privileg der päpstlichen Exemtion bekamen und dem Papst selbst unterstellt waren. Die Dominikaner spielten eine Hauptrolle in der ersten Phase der prussischen Mission. Sie wollten natürlich vor allem mit den Bischöfen zusammenarbeiten. In Preußen wurden sie vom päpstlichen Legat Wilhelm, Bischof von Modena, gestützt. Nach den Wünschen der Kurie (1236) sollten die Dominikaner die ersten Bischöfe für die entstehenden preußischen Diözesen stellen.7 Dies war die Ursache erster Streitigkeit mit dem Deutschen Orden. Nach der Stiftung des Klosters in Elbing 1239 war der Deutsche Orden am Entstehen weiterer Dominikanerkonvente in Preußen nicht mehr interessiert. Die Mönche mussten sogar sieben Jahre bis zum Jahre 1246 auf die Bestätigung dieser Niederlassung warten.8 Die dritte Dominikaner-Klosterstiftung wurde im 13. Jahrhundert in Thorn (1263) realisiert.9 Die Klöster der Dominikaner, sowohl in Pommerellen wie in Preußen, gehörten zur polnischen Provinz und bildeten eine preußische Gruppe. Schließlich mussten die Dominikaner lange Zeit auf die nächste Gründung des Klosters in Preußen erwarten, weil der Deutsche Orden seit Mitte der 1240er Jahre den Franziskanerorden bevorzugte. Die letzte Dominikanerniederlassung in Preußen wurde in Nordenburg 1407 gegründet.10 Die älteste Stiftung eines Franziskanerklosters wurde in Thorn realisiert. Das Minoritenkloster in Thorn diente als Sitz der preußischen Kustodie. Die ersten 5 6 7 8

Die Stiftungsurkunde ist uns leider unbekannt. Biskup: Das Verhältnis (wie Anm. 1), 63. Ebd., 64. Die Gründungsidee dieses Klosters stammte vermutlich von Lübecker Bürgern. Schließlich entschied nach Intervention des ersten kulmischen Bischofs, des Dominikaners Heidenreich, Hochmeister Heinrich von Hohenlohe, 1246 die Bestätigung der Stiftungsurkunde für die Elbinger Dominikaner auszustellen. 9 Marian Biskup meinte: „Der lange zeitliche Abstand zwischen der zweiten und dritten, letzten Gründung von Dominikanerklöstern im Kulmer Land und in Preußen war durch die frühe Zurücksetzung der Rolle der ,Schwarzen Mönche‘ im Ordensstaat verursacht“. Biskup: Das Verhältnis (wie Anm. 1), 65. 10 Dieses Kloster entstand in der unruhigen Zeit der Kämpfe mit Litauen. Die Motive dieser Stiftung waren nicht nur religiöse, sondern auch politische, weil der Deutsche Orden die Christianisierung der Litauer negierte. Diese kleine Stadt, die in der Wildnis lag, genügte den Dominikanern nicht. Auf ihre Bitte hat Hochmeister Paul von Rusdorf 1428 die Dominikaner nach Gerdauen transferiert. Dieser Konvent gehörte auch zur polnischen Dominikanerprovinz.

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Mönche stammten aus dem Breslauer Minoritenkonvent. Diese Gründung erfolgte wahrscheinlich auf Initiative des Deutschen Ordens. Die finanziellen Mittel für den Kirchenbau bekamen die Thorner Franziskaner von Hochmeister Poppo von Osterna (1252–1256).11 Das Minoritenkloster wurde auch durch die Thorner Bürger finanziell unterstützt. Die Ansiedlung der Franziskaner erfolgte in den Jahren 1257/58. Bemerkenswert ist, dass anfangs das Thorner Haus zur böhmisch-polnischen Provinz gehörte. In den 60er Jahren des 13. Jahrhunderts ging es zur sächsischen Provinz über. Eine zweite Minoriten-Niederlassung wurde in Kulm gegründet.12 Der Kulmer Konvent gehörte seit 1258 – wie der Thorner – zur böhmisch-polnischen Provinz, doch wechselte er ein paar Jahre später zur sächsischen Provinz. Das dritte Franziskanerkloster entstand 1296 im Ermland in der Hauptstadt Braunsberg als Stiftung des ermländischen Bischofs Heinrich Fleming.13 Ferner hatte Herzog Mestwin II. von Pommerellen noch ein Franziskanerkloster in der Stadt Neuenburg an der Weichsel (1282) gegründet.14 Im Jahre 1243 teilte der päpstliche Legat Wilhelm von Modena das Preußenland in vier Bistümer ein: Kulmerland, Pomesanien, Ermland und Samland, die dem Erzbischof von Riga unterstanden. Die ersten Bischöfe (außer im Ermland) stammten aus dem Dominikaner-Orden.15 Später wurden diese drei Bistümer dem Deutschen Orden inkorporiert. Der Deutsche Orden wollte den Dominikanern kein Monopol in der Mission überlassen, weshalb er 1260 von der Kurie die Genehmigung zu Kreuzzugspredigten auch für Deutschordenspriester erwarb.16 Besser als den Dominikanern ging es später den Franziskanern, welche auch im 14. Jahrhundert neue Stiftungen erhielten. Hochmeister Heinrich Dusemer errichtete 1349 als Dank für den Sieg über die Litauer eine neue Niederlassung in der Stadt Wehlau am Pregel.17 Ein weiteres Kloster wurde vom Bischof von Ermland, Johann Streifrock, in der Stadt Wartenburg (südliches Ermland) 1364 gegründet.18 Alle Franziskaner im Ordensstaat gehörten zur preußischen Kustodie mit Sitz in Thorn (im Rahmen der sächsischen Provinz). Die Franziskaner blieben dauernd in gutem Kontakt mit dem Deutschen Orden und waren an der Prussen- und später der Litauermission beteiligt. Die Bulle des Papstes Clemens V. (1305–1314) aus dem Jahre 1310 11 Beachtenswert ist auch der Einfluss der Bettelorden und deren Architektur auf den Sakralbau im Preußenland. Mehr darüber siehe bei: Herrmann, Christofer: Bettelordenskirchen im Preußenland. In: Klosterlandschaften. Methodisch-exemplarische Annäherungen. Hg. v. Roman Czaja, Heinz-Dieter Heimann und Matthias Wemhoff, München 2008, 177–198. 12 Roth: Die Dominikaner (wie Anm. 1), 132–133. 13 Ebd., 139–140. 14 Ebd., 136. 15 Ebd., 24. 16 Biskup: Das Verhältnis (wie Anm. 1), 65. 17 Roth: Die Dominikaner (wie Anm. 1), 144. 18 Ebd., 145.



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spricht von der missionierenden Tätigkeit preußischer Minoriten in Semgallen um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert.19 Wichtige Änderungen in der Lage der Mendikanten brachte die Übernahme von Pommerellen durch den Deutschen Orden. Die Eroberung von Danzig und von fast ganz Pommerellen (ohne das Stolper Land) 1308 bis 1309 vergrößerte die Zahl der fünf Bettelordensklöster in Preußen um drei weitere (zwei Dominikanerklöster in Danzig und Dirschau und ein Franziskanerkloster in Neuenburg).20 Anfangs, trotz der Zerstörung der Klöster der Dominikaner in Danzig und Dirschau während der Übernahme von Pommerellen, war die Stellung aller preußischen Dominikaner loyal gegenüber der Ordensherrschaft. Die Dominikaner hatten auf dem Kapitel der polnischen Provinz in Elbing im Jahre 1310 ein Schreiben an die Kurie verfasst, in welchem man den Deutschen Orden gegen die Anschuldigungen des Rigaer Erzbischofs Friedrich schützte.21 Später haben jedoch die ehemaligen pommerellischen Dominikaner, welche nach Polen übersiedelten, während des kanonischen Prozesses Polens mit dem Deutschen Orden in Warschau (1339) die gewaltsame Übernahme Pommerellens bestätigt. Jedenfalls kann man nicht von einer Feindschaft der Dominikaner gegenüber dem Deutschen Orden sprechen.22 Auch die Franziskaner hatten Verteidigungsschriften für den Deutschen Orden in den Jahren 1323 und 1335 verfasst.23 Die letzte, siebente Franziskanergründung erfolgte 1419 in der Stadt Danzig. Der dritte Mendikantenorden, die Augustiner-Eremiten, wurde auch von den Hochmeistern und den Bischöfen unterstützt.24 Die erste Stiftung regte der ermländische Bischof Hermann bei Rössel (1347) an.25 Die Mönche hatten das Recht, Landverschreibungen anzunehmen. Sie kamen aus Bayern und wurden der sächsischen Provinz unterstellt, wie auch die späteren Niederlassungen.26 Ein weiteres Kloster der Augustiner-Eremiten siedelte Hochmeister Winrich von Kniprode 1356 in Pommerellen in der Vorstadt von Konitz an.27 Der erwähnte Hochmeister hat noch eine 19 20 21 22 23 24

Ebd., 107. Biskup: Das Verhältnis (wie Anm. 1), 67. Ebd., 68. Ebd. Roth: Die Dominikaner (wie Anm. 1), 113–114. Eysenblätter, Hugo: Die Klöster der Augustiner-Eremiten im Nordosten Deutschlands (Neumark, Pommern, Preußen). In: Altpreußische Monatsschrift 35 (1898), 357–391. 25 Eysenblätter: Die Klöster (wie. Anm. 24), 368–372. – Kunzelmann, Adalbero: Geschichte der Deutschen Augustiner-Eremiten. 3. Teil, Die bayerische Provinz bis zum Ende des Mittelalters, Würzburg 1972, 80–84. 26 Biskup: Das Verhältnis (wie Anm. 1), 70–71. 27 Eysenblätter: Die Klöster (wie Anm. 24), 372–376. – Kunzelmann, Adalbero: Geschichte der Deutschen Augustiner-Eremiten. 5. Teil, Die sächsisch-thüringische Provinz und die sächsische Reformkongregation bis zum Untergang der beiden, Würzburg 1974, 271–272.

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Niederlassung dieses Ordens im Städtchen Heiligenbeil (1372) veranlasst.28 Dieses Kloster wurde als Dank für den Sieg über die Litauer bei Rudau fundiert. Die letzte Augustiner-Eremiten-Stiftung entstand 1400 in Patollen (später Groß Waldeck). Der Stifter Peter Nagel erhielt Hilfe von den Hochmeistern Konrad und Ulrich von Jungingen für den Kloster- und Kirchenbau.29 Der Deutsche Orden, wie auch die ermländischen Bischöfe, halfen dem Kloster auch noch später finanziell. Die Mönche lebten vor allem von Almosen. Die Augustiner-Eremiten waren in erster Linie mit den Städten verbunden.30 Der vierte Mendikantenorden, die Karmeliten, hatte nur eine Niederlassung vor 1400 in der Jungstadt Danzigs. Dies war eine städtische Gründung, doch durch Hochmeister Konrad von Jungingen unterstützt.31 Darüber hinaus entstanden in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts noch ein paar Klöster der Franziskaner-Observanten. Die erste Niederlassung der Observanten wurde in der Nähe von Wehlau (1477) errichtet.32 Dort besaßen Franziskaner-Konventualen schon früher ein Kloster. Das erwähnte Kloster der Observanten wurde 1520 nach Königsberg verlegt. Die zweite Stiftung der Observanten entstand in der kleinen Stadt Saalfeld (1480).33 Ein weiteres Kloster der Observanten wurde von Hochmeister Albrecht in Tilsit errichtet.34 Außerhalb des Ordensstaats hatten die Observanten noch zwei Klöster in Löbau (1502)35 und Lauenburg (1516). Auch die Antoniter hatten eine Niederlassung in Frauenburg (1507).

28 Eysenblätter: Die Klöster (wie Anm. 24), 376–380. – Kunzelmann (wie Anm. 27), 5. Teil, 288–290. 29 Guttzeit, Emil Johannes: Das Kloster Patollen (zur heiligen Dreifaltigkeit) innerhalb der Geschichte des Rittergutes Gross Waldeck, Kreis Pr. Eylau. In: Studien zur Geschichte des Preussenlandes. Festschrift für Erich Keyser zu seinem 70. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern. Hg. v. Ernst Bahr, Marburg 1963, 195–215. 30 Biskup: Das Verhältnis (wie Anm. 1), 71. 31 Donner, G.A.: St. Erich in Danzig. In: Mitteilungen des Westpreußischen Geschichtsvereins 29/3 (1930), 39–47. 32 Urkundenbuch der alten sächsischen Franziskanerprovinzen, Theil 1, Die Observantenkustodie Livland und Preussen, Theil 2, Die Kustodie Preussen. Hg. v. Leonhard Lemmens, Düsseldorf 1913, 9 (zit. UB Franz.). 33 Joachim, Erich: Vom Kulturzustande im Ordenslande Preussen am Vorabende der Reformation. In: Altpreussische Forschungen 1/1 (1924), 16. 34 UB Franz., Theil 2, Nr. 549, 142; Spuren franziskanischer Geschichte. Chronologischer Abriß der Geschichte der Sächsischen Franziskanerprovinzen von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Bearb. v. Bernd Schmies, Kirsten Rakemann. Hg. v. Dieter Berg, Werl 1999 (Saxonia Franciscana, Sonderband), 243, 259. 35 Diecezja chełmińska zarys historyczno-statystyczny [Die historisch-statistische Übersicht der Diözese von Kulm], Pelplin 1928, 443.



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Die Mendikanten und der Deutsche Orden Werner Roth mutmaßte, dass die polnische Abstammung der Dominikanerkonvente und ihre Zugehörigkeit zur polnischen Provinz feindliche Gefühle beim Deutschen Orden geweckt hatten. Marian Biskup meinte, dass eine solche Annahme anachronistisch sei, weil seit der Mitte des 14. Jahrhunderts die deutschen Ordensmitglieder deutlich überwogen, besonders aus dem Deutschordensstaat.36 Die preußischen Franziskaner schilderten ihr Verhältnis zum Deutschen Orden bis ins 14. Jahrhundert hinein als herzlich und freundschaftlich. Auch fernerhin, als sich das Verhältnis zwischen dem Orden und den Dominikanern bereits getrübt hatte, haben sich die Beziehungen der Franziskaner zum Deutschen Orden nicht verschlechtert.37 Am Anfang des 15. Jahrhunderts fanden die Mönche beim Deutschen Orden finanzielle Unterstützung. Die beiden Hochmeister Konrad und Ulrich von Jungingen haben in den Jahren 1400 bis 1409 aus der Tresslerkasse manchen Klöstern jährliche Spenden ausgezahlt. Jedes Kloster bekam jährlich 2 Mark.38 Solche Spenden bekamen alle: die Dominikaner, Franziskaner, Augustiner-Eremiten und die Karmeliten. Insgesamt 15  Bettelordens-Häuser erhielten jährlich 28–30 Mark aus der Kasse des Hochmeisters.39 Darüber hinaus haben die Hochmeister eine Sonderspende für das neue Dominikanerkloster in Nordenburg und das Augustiner-Eremiten-Kloster in Patollen gegeben. Nur das Kloster der Dominikaner in Elbing bekam keine jährliche Spende, aber gelegentlich erhielt dieses Kloster auch einen Geldzuschuss. Auch später bekamen die Mendikanten Unterstützung vom Deutschen Orden. Heinrich von Plauen gab 1413 dem Dirschauer Konvent der Dominikaner reiche Spenden (100 Mark) für das Gebetsgedenken an die Gefallenen von Tannenberg.40 Später verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den Dominikanern und dem Deutschen Orden. Als 1427 Papst Martin V. den Danziger Gerhart Bandsnyder, Dominikanerprior zu Greifswald, zur Kreuzpredigt gegen die Hussiten beauftragte, wurde der Hochmeister „misstrauisch gegenüber dem Auftreten eines Dominikaners“41. Deswegen beauftragte der Papst dann statt des Dominikaners die Deutschordensbrüder zur Kreuzpredigt in den Ländern des Deutschen Ordens.42

36 Biskup: Das Verhältnis (wie Anm. 1), 68. 37 Roth: Die Dominikaner (wie Anm. 1), 102. 38 Das Marienburger Tresslerbuch der Jahre 1399–1409. Hg. v. Erich Joachim, Königsberg 1896, 30, 83, 122, 182, 266, 319, 358, 402, 435, 502, 571 (zit. MT). 39 Biskup: Das Verhältnis (wie Anm. 1), 72 40 Roth: Die Dominikaner (wie Anm. 1), 84. 41 Jähnig, Bernhart: Andreas Pfaffendorf OT. Pfarrer der Altstadt Thorn (1425–1433). In: Beiträge zur Geschichte Westpreußens 7 (1981), 170. 42 Ebd., 171.

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Die Mendikanten und die Bischöfe Die Stiftungen der neuen Klöster wurden auch von den Bischöfen unterstützt.43 Die Bischöfe stellten den Kirchen der Mendikanten als Form der Förderung Indulgenzbriefe aus.44 Auch die Provinziale des Mendikantenordens hatten gute Kontakte zu den Ortsbischöfen, die die Mönche zu Priestern geweiht hatten. Die Bischöfe waren sehr wichtige Faktoren in der Konfliktregelung zwischen dem Deutschen Orden und den Dominikanern im 15. Jahrhundert, vor allem bei Streitigkeiten über das Terminieren (Almosensammeln).45 Die Bischöfe arbeiteten mit den Mendikanten auch sehr eng in der Seelsorge zusammen und spielten eine bedeutende Rolle bei der Regulierung der Beziehungen zwischen den Mendikanten und dem Weltklerus.

Die Rolle im religiösen Leben Die geistliche Arbeit und das klösterliche Leben zählten zu den wichtigsten Aufgaben der Bettelorden. Die Mendikanten hatten enge Beziehungen zur städtischen, aber auch zur ländlichen Bevölkerung. Die Dominikanerklöster leisteten vor allem die seelsorgerische Arbeit bei der Stadtbevölkerung. Am Anfang des 13. Jahrhunderts sollten die fünf Klöster – drei der Dominikaner (Kulm, Elbing, Thorn) und zwei der Franziskaner (Kulm, Thorn), welche vor allem im Kulmer Land vom Deutschen Orden fundiert wurden – die Prussenmission beschleunigen wie auch den Glauben der Prussen vertiefen. Sie erfüllten wichtige Aufgaben, um das Glaubensleben der Bevölkerung, besonders in den großen Städten, im Geiste der Deutschordensherrschaft zu gestalten. Besonders große Bedeutung für das Ordensland hatte die Tätigkeit der Dominikaner und Franziskaner, ebenso wie später auch der Augustiner und Karmeliten als Prediger, Beichtväter, Seelsorger unter den Bewohnern der neuen Siedlungen. Die zwei großen Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner 43 Wie schon gesagt, wurden die Stiftungen der neuen Klöster von den Bischöfen unterstützt. Die herzoglichen Stiftungen der Dominikaner, die in Danzig und in Dirschau realisiert wurden, bestätigten die Bischöfe von Włocławek, die erste Michael und die zweite Wislaw. Die nächsten Klöster des Predigerordens wurden vom Deutschen Orden in Kulm, Elbing, Thorn und in Nordenburg (später nach Gerdauen verlegt) begründet. Die Stiftung des Klosters in Thorn wurde von Bischof Heidenreich, der dem Dominikanerordens entstammte, unterstützt. Auch die Niederlassungen der Klöster der Franziskaner und anderer Mendikanten wurden von Bischöfen gefördert. Die ermländischen Bischöfe haben die Klöster der Franziskaner in Braunsberg und Wartenburg ebenso wie das der Augustiner-Eremiten in Rössel gestiftet. Bemerkenswert ist, dass es im bischöflichen Teil des Ermlandes kein Dominikanerkloster gab. 44 Paulus, Nikolaus: Geschichte des Ablasses am Ausgange des Mittelalters, Bd. 3, Paderborn 1923, 260–269. – Roth: Die Dominikaner (wie Anm. 1), 49, 70, 79, 139. 45 Roth: Die Dominikaner (wie Anm. 1), 54–57.



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ersetzten den am Anfang fehlenden Klerus.46 Ferner konnten sie auch nützlich sein für das Ansehen des Ordens im Ausland, besonders an der römischen Kurie, wie das Beispiel der Intervention der Thorner Franziskaner von 1258 zeigte.47 Es gibt einen Unterschied zwischen dem Prediger-Orden und den Minoriten. Die Dominikaner hatten die Klöster in den großen Städten des Ordenslandes. Die Minoriten-Konvente wirkten nicht nur in den Großstädten, sondern auch in den östlichen kleinen Städten (Wehlau, Wartenburg). Die Lage der Mendikanten war aber doch etwas unklar. Marian Biskup meinte: “Die damalige Doktrin der Bettelorden, die als soziales Modell die Armut proklamierten, konnte den Deutschordensrittern nicht entsprechen“48. Die Franziskaner zeigten sich in der Praxis elastischer als Dominikaner. Sie haben im 14. Jahrhundert neue Niederlassungen in Preußen errichtet, wobei die Stiftung eines Minoritenklosters billiger war als die eines Dominikanerklosters.49 Die Bemühungen der Mönche haben sich auf die Organisation von gemeinsamen religiösen Praktiken konzentriert. In religiös-ökonomischen Strukturen vereinigten sich die Handwerker aus den verschiedenen Zünften. Sie haben spezielle Bruderschaften gebildet, um ihre Mitglieder zu schützen und gemeinsame Frömmigkeitsformen zu praktizieren. Alle Bettelorden verpflichteten sich gegen einmalige oder regelmäßige Zuwendungen der Bruderschaften, bestimmte Gebete und Seelenmessen zu halten. Unter den Kapellenstiftern in den Dominikanerklöstern traten neben den Handwerkern auch organisierte Vertreter der städtischen Elite (reiche Kaufleute, Ratsherren, Schöffen) auf. Ebenso wie bei den Dominikanern gab es auch bei den Franziskanern einen dritten Orden. Die Bettelorden hatten auch Einfluss auf die Bevölkerung der Dorfgesellschaft. Unter den Stiftern der jeweiligen Klöster traten nicht selten Vertreter der ansässigen Ritterschaft auf. Zur Intensität der Verbindungen des Konvents mit dem dörflichen Hinterland liegen zahlreiche Beispiele von Ordensleuten vor, die aus den Dörfern und Städten im Wirkungsradius der Klöster stammten. In den Dominikanerkonventen der preußischen Gruppe im 13. und 14. Jahrhundert sieht man gemischte deutsch-slawische Namen der Prioren wie auch der Brüder. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts überwiegen die deutschen Ordensmitglieder, besonders aus dem Deutschordensstaat.50 Auch in den anderen Klöstern der Bettelorden stammten die Mönche vor allem aus ihrer Umgebung.

46 47 48 49 50

Ebd., 107. Ebd., 111. – Biskup: Das Verhältnis (wie Anm. 1), 67. Biskup: Das Verhältnis (wie Anm. 1), 65. Ebd., 66. Ebd., 68. – Kubicki, Rafał: Środowisko dominikanów kontraty pruskiej od XIII do połowy XVI wieku [Das Milieu der Dominikaner in Preußen (contrata Prussiae) vom 13. bis Mitte des 16. Jahrhunderts], Gdańsk 2007, 128–143.

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Die Beziehungen zu der städtischen Gesellschaft Jedes Kloster stellte auch Urkunden für die Zünfte und einzelne Personen aus, die deren Spenden für ein Kloster oder den ganzen Orden bestätigten. Es war eine besondere Form der Beziehung zwischen den Orden und Zünften, Bruderschaften oder einzelnen Menschen. Äußere Bestätigung, neben der Ausstellung einer Urkunde, war die Eintragung der Namen der Bruderschaft in das Klosterbuch (liber mortuorum). An die Namen der verstorbenen Mitglieder wurde in Gebeten erinnert. Vom 13. Jahrhundert an kann man eine Steigerung dieser Gewohnheit beobachten. Dieser Prozess wurde durch die Verbreitung der Fegefeuerdarstellung unterstützt. Er war auch eng mit dem Glauben an die Wirksamkeit von Gebeten und guten Werken verbunden. Diese Gebete wurden in eigenen Intentionen oder für die Seelen der Verstorbenen im Fegefeuer verrichtet. Die erwähnten Urkunden haben die Priore und Guardiane einzelner Klöster oder die Ordensgenerale ausgestellt. Beispielsweise hatten die Dominikaner in Danzig 1357 enge Kontakte zu den Fleischern. Sie benutzten eine ähnliche Urkunde, die von den Franziskanern ausgestellt wurde. Kustos Martin zu Neunburg nahm die Danziger Fleischer 1381 in die Bruderschaft der Kustodie auf.51 Die Dominikaner in Danzig hatten 1386 auch die Schifferzunft in die Bruderschaft des Klosters aufgenommen.52 Die Elbinger Dominikaner trafen solche Abkommen 1382 mit der Kahnführerzunft und 1444 mit den Weichselfahrern. Die Kahnführerzunft versprach für die Persolvierung einer ewigen Messe jährlich eine Mark an den Konvent zu zahlen. Der Prior des Elbinger Konvents, Nicolaus Goldener, sicherte 1409 der Fischerzunft das Lesen einer ewigen Messe und die Teilhabe an allen guten Werken des Klosters zu.53 Auch die Dominikaner in Thorn hatten einen ähnlichen Vertrag 1401 mit der Fischerzunft und wahrscheinlich mit der Kürschnerzunft (vor 1392) abgeschlossen.54 Die engen Kontakte zu den Fischerzünften könnten auch darauf hinweisen, dass sie von den Klöstern ihre Fischfangprivilegien gepachtet hatten. Eine Urkunde erhielten zum Beispiel auch die Bäcker in Rastenburg 1433 von den Franziskanern aus Wehlau ausgestellt. Der Guardian Johannes von Wehlau versprach ihnen Gebete und Seelenmessen.55 Die Täschner, Beutler und Handschuhmacher wurden 1366 in die Bruderschaft der Thorner Fran-

51 Roth, Die Dominikaner (wie Anm. 1), 99. 52 Ebd., 11. 53 Toeppen, Max: Elbinger Antiquitäten. Ein Beitrag zur Geschichte des städtischen Lebens im Mittelalter, Danzig 1871–1873, 133. 54 1392 wird die Kürschnerkapelle in der Dominikanerkirche in Thorn erwähnt, siehe Roth: Die Dominikaner (wie Anm. 1), 79. 55 Ebd., 99.



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ziskaner aufgenommen.56 Außer den Zünften und Bruderschaften haben die einzelnen Klöster auch solche Verträge mit den Priesterbruderschaften (zum Beispiel 1386 die Dominikaner in Danzig) und den Geistlichen abgeschlossen. Die Korporationen und Bruderschaften errichteten und dotierten Altäre und Kapellen in den Klosterkirchen. Die Zünfte der Maurer, Fischkäufer, Kahnführer, Bäcker, Mälzer und Schumacher hatten ihre Altäre in der Klosterkirche der Dominikaner in Elbing. Die Bruderschaft der Kürschner besaß einen Altar und eine Kapelle in der Thorner Kirche desselben Ordens. Darin gab es ein wundertätiges Marienbild.57 In den Jahren 1438/39 wurde ein Altar zu Ehren der 10 000 Ritter in der Kirche der Franziskaner in Braunsberg geweiht.58 Die Korporationen, einzelne Personen und Bruderschaften gaben den Konventen regelmäßig Geld und Naturalien. Die Mendikanten verpflichteten sich, bestimmte Gebete und Messen für die lebenden und verstorbenen Mitglieder zu lesen. Der Konvent der Dominikaner in Danzig sicherte 1357 eine tägliche Messe für die Fleischerzunft gegen eine jährliche Lieferung von drei Steinen Unschlitt zu.59 Manchmal war eine solche Abgabe auch höher. Zum Beispiel bekam 1386 dasselbe Kloster 30 Mark und zwei Faß Heringe gegen eine tägliche Messe für die Mitglieder der Schifferzunft.60 Die Mitglieder dieser Bruderschaften unterstützten die Klöster und sorgten für ihre Ausstattung. Eine Differenzierung der Spende war abhängig von der Art der Verpflichtung des Klosters. So spendete die Zunft der Fischer in Thorn für eine Messe für die verstorbenen Mitglieder ihrer Bruderschaft nur zwei Mark pro Jahr. Die Spende konnte in Geld und in Naturalien gegeben werden. Von Legaten für die Franziskaner hören wir nicht so viel wie bei den Dominikanern. Trotzdem darf nicht angenommen werden, dass ihnen gegenüber die Mildtätigkeit des Volkes geringer war.61 Solche Verträge unterschrieben die Mendikanten nicht nur mit den Vertretern des Bürgertums, sondern auch mit den im Umland wohnenden Rittern: Dies war 1372 der Fall beim Dominikanerkloster in Thorn mit den Rittern aus dem Kulmer Land und später – 1476 – bei den Franziskanern in Danzig mit den Rittern aus dem Danziger Gebiet.62 56 Oliński, Piotr: Najstarsze źródła toruńskiego bractwa religijnego kaletników, torebkarzy i rękawiczników z przełomu XIV i XV wieku [Die ältesten Quellen über die Thorner religiöse Bruderschaft der Täschner, Beutler und Handschuhmacher aus der Wende 14. zum 15. Jahrhundert]. In: Zapiski Historyczne 62/4 (1997), 123–132. 57 Roth, Die Dominikaner (wie Anm. 1), 79. 58 Ebd., 143. 59 Ebd., 11. 60 Ebd. 61 Ebd., 98. 62 Zbiór formuł Zakonu dominikańskiego prowincji polskiej 1338–1411 (Dictamina litterarum O. P. Provinciae Poloniae). Hg. v. Jacek Woroniecki und Jan Fijałek, Kraków 1938, Nr. 84 (zit.: Zbiór Formuł). – Staatsarchiv Danzig, dokumenty i listy do 1525 r. (Die Urkunden und Briefe bis 1525) 300, D/46, Nr. 23.

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Einzelne Klöster der Dominikaner oder ganze Orden bestätigten auch die Teilnahme von Mitgliedern des Deutschen Ordens und ihrer Hochmeister an „allen guten Werken“ ihres Ordens. Der Dominikanergeneral Elias Raymundi stellte eine solche Urkunde für Hochmeister Winrich von Kniprode aus.63 Die Dominikaner bestätigten auch die Verbrüderung (confraternitas) mit Voigt von Leske64 und mit dem Komtur von Elbing, Ulrich Fricke (1381), der aller guten Werke des Klosters in Thorn teilhaftig wurde.65 Die Mönche verpflichteten sich, eine ewige Messe vor dem Altar Unserer Lieben Frau zu lesen. Die Klöster schlossen derartige Verträge außer mit den Zünften und Bruderschaften auch mit einzelnen Personen ab. So zum Beispiel gaben 1389 Degenhart und seine Ehefrau Gertrude dem Rösseler Konvent der Augustiner-Eremiten 40 Mark gegen das Versprechen, am Augustiner-Altar eine ewige Messe lesen zu lassen.66 Die Dominikaner in Thorn gingen eine solche Verpflichtung 1339 für Petzold Redzey und ihre Verwandten ein. Später stellte der Prior der Dominikaner in Thorn Urkunden für Rimbold de Ramphin 1381, Andreas Carpentari und seine Ehefrau 1386, die Bürgerin Margarethe 1398 und für viele andere Personen aus.67 Auch die Franziskaner in Wehlau verpflichteten sich 1454 zum Gebet für Niklas Schorden und seine Ehefrau. Er ließ sie wegen ihrer Frömmigkeit an allen Messen, Vigilien, Gebeten, Fasten, Geißelungen und guten Werken seines Klosters teilhaben.68 Solche Urkunden stellten auch der Guardian der Franziskaner in Kulm 1418 und der Provinzialminister dieses Ordens aus. Der gesellschaftliche Hintergrund der Klöster bestand überwiegend aus der mittleren und kleineren Bürgerschaft. Darüber hinaus hatten die Bettelorden Einfluss auf die Mitglieder der höheren Schichten des Bürgertums und vermutlich auch auf die Ritterschaft.

Die Provenen in den Klöstern Die Aktivität der Klöster beschränkte sich nicht nur auf die rein religiöse, seelsorgerische Funktion in der nächsten Umgebung. Sie nahmen auch gesellschaftliche oder sogar soziale Aufgaben wahr. Die Bettelorden spielten eine soziale Rolle für 63 64 65 66 67

Zbiór Formuł (wie Anm. 62), Nr. 145. Ebd., Nr.168, 169, 187. Staatsarchiv Thorn, klasztor dominikanów (Kloster der Dominikaner). Die Urkunden, Nr. 10. Eysenblätter: Die Klöster (wie Anm. 24), 370–371. Roth: Die Dominikaner (wie Anm. 1), 79. – Kubicki, Rafał: Participationem omnium bonorum forma i znaczenie przyjęcia do udziału w dobrach duchowych zakonu na przykładzie mendykantów w państwie zakonu krzyżackiego w Prusach [Participationem omnium bonorum die Bedeutung der Teilnahme an allen guten Werken des Bettelordens in dem Staat des Deutschen Ordens in Preußen]. In: Nasza Przeszłość 112 (2009), 61–71. 68 Roth: Die Dominikaner (wie Anm. 1), 144–145.



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die Personen, die eine Leibrente beim Kloster kauften. Für einen Aufenthalt oder Unterhalt mussten sie ihren Besitz, oder zumindest einen großen Teil dessen, den jeweiligen Klöstern als Erbschaft überlassen. Diese Verträge wurden meistens mit kinderlosen Ehepaaren und mit Witwen geschlossen. Die Provenen waren Ewigrenten, für die sich die geistliche Institution zu einer Gegenleistung verpflichtete. Dies konnte Wohnrecht oder aber eine Leibrente sein. Ein Provener kaufte sich durch Zahlung eines Betrages also ein Einkommen, welches das Kloster garantierte. Die Klöster stellten spezielle Urkunden aus, in denen die Verpflichtungen des Klosters gegenüber den Pfründern in allen Einzelheiten geregelt wurden.69 Nikolaus Calow wurde 1410 im Kloster der Dominikaner in Danzig aufgenommen.70 Ein weiterer namentlich bekannter Provener war der Priester Nikolaus Treger 1418 im Karmeliten-Kloster in Danzig. Er kaufte sich eine Leibrente von 100 Mark.71 Dort wohnte auch ein Stadtbürger namens Hans Drewers.72 Weiterhin wurde 1415 das Ehepaar Nikolaus Mewe und seine Ehefrau Gertrude als Provenen im Kloster der Dominikaner in Danzig bezeichnet.73 Auch Elisabeth, die Witwe von David Wittich aus Wartenburg, wurde 1429 im Kloster der Dominikaner in Elbing aufgenommen.74 Aus den erhaltenen Überlieferungen sind die Verträge bekannt, die durch die Bettelordensklöster sowohl mit Laien – Stadtbürgern, Witwen, kinderlosen Ehepaaren – als auch mit einem Priester geschlossen wurden. Eine bedeutende Rolle bei der Übernahme dieser Aufgaben spielte für die einzelnen Konvente die wirtschaftliche Motivation, das heißt die Ergänzung ihrer jährlichen Einkommen.

Die Mendikanten und das geistige Leben in der Stadt Die Mönche nahmen auch an der bischöflichen Inquisition teil. Der Dominikaner Wilhelm Prior in Elbing war 1333 bis 1335 Inquisitor in Preußen (inquisitor heretice pravitatis).75 Auch später waren unter den bischöflichen Inquisitoren Mönche anzutreffen, wie zum Beispiel der Dominikaner Peter Wichmann und der Prior in 69 Kubicki, Rafał: Prebendarze w klasztorach mendykanckich na terenie państwa zakonu krzyżackiego w Prusach [Pfründner in den Bettelordensklöstern auf dem Gebiet des Deutschordensstaates in Preußen]. In: Pielgrzymi, pogrobowcy, prebendarze. Hg. v. Błażej Śliwiński, Malbork 2009, 93–105. 70 Ebd., 99–100. 71 Księgi Młodego Miasta Gdańska 1400–1455 [1458–1459] [Bücher der Jungstadt Danzig 1400–1455 (1458–1459)]. Hg. v. Krzysztof Kopiński und Piotr Oliński, Toruń 2008 (Fontes 100), Nr. 144. 72 Simson, Paul. Geschichte der Stadt Danzig, Bd. 1, Danzig 1913, 170. 73 Kubicki. Prebendarze (wie Anm. 69), 98–99, 103–104. 74 Sie kaufte eine Leibrente von 20 Mark. Sie lebte im Klostergebäude in einem Zimmer bei der Kammer des Koches. Codex Diplomaticus Warmiensis oder Regesten und Urkunden zur Geschichte Ermlands. Hg. v. Carl Peter Woelky, Bd. 3, Braunsberg-Leipzig 1874, Nr. 291. – Kubicki: Prebendarze (wie Anm. 69), 96–98. 75 Roth: Die Dominikaner (wie Anm. 1), 72.

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Thorn, Nikolaus Grünberg 1465. Die Prediger aus den Bettelorden wanderten durch das Ordensland. Sie arbeiteten in der Seelsorge mit den dortigen Bischöfen und dem Weltklerus zusammen. Sie predigten in den Städten auf Deutsch und Polnisch. Die Mönche waren in der Seelsorge auch in der Umgebung in den Dörfern und kleinen Städten tätig. Zum Lebensunterhalt nutzten die Mendikanten auch immer das Recht des Terminierens, des Bettelns. Vom Terminieren hören wir bei vielen Klöstern. Jedes Kloster hatte sein Gebiet, wo es Almosen sammelte.76 Wir wissen leider nicht viel über das geistige Leben in den einzelnen Klöstern. Aus den Reihen der preußischen Franziskaner des 13. Jahrhunderts stammten auch Heilige: Johannes Lobedau trat in den Franziskanerorden ein und lebte im Kloster zu Kulm. Jutta von Sangerhausen, die preußische Landesheilige, nahm ihn zum Beichtvater.77 Ebenso war Bruder Simon, der im Franziskanerkloster in Kulm beerdigt wurde, berühmt für seine ergreifenden Predigten78. Das Kloster der Augustiner-Eremiten in Patollen war ein vielbesuchter Wallfahrtsort, seitdem das kleine Marienbild, das früher in Georgenau (Jergenau) bei Friedland aufgestellt worden war, hierher gebracht wurde.79 Die Dominikaner aus Elbing und Thorn wurden nach Marienburg gerufen, um während der Fastenzeit zu predigen. Auch predigten die Augustiner-Eremiten aus Patollen 1502 nach alter Gewohnheit am Schloss in Königsberg.80

Die Rolle der Bettelorden in der Gesellschaft und im politischen Leben Werner Roth stellte zur Bedeutung der Franziskaner für das Ordensland fest: „ ... im 13.  Jahrhundert erscheinen Angehörige dieses Ordens wie die Dominikaner bis ins 14. Jahrhundert hinein häufig in den Urkunden“81. Leider sind über die Tätigkeit der Bettelorden im weiteren 14. und 15. Jahrhundert nur wenige Nachrichten überliefert. Werner Roth schrieb: „Stille mönchische Arbeit in Kloster und Kirche, Seelsorge in der Gemeinde war ihr Gebiet, auf dem sie Genüge fanden“82. Auch im 15. Jahrhundert nahmen die Mönche an den politischen Angelegenheiten teil. Zum Beispiel wurde der Prior der Dominikaner in Elbing 1410 vom Rat der Stadt zu König Władisław II.

76 Kłoczowski, Jerzy: Die Klosterkreise in der polnischen Dominikanerprovinz im Mittelalter. In: Vita Religiosa im Mittelalter. Festschrift für Kaspar Elm zum 70. Geburtstag. Hg. v. Franz J. Felten und Nikolaus Jaspert, Berlin 1999 (Berliner historische Studien 31), 533–542. 77 Roth: Die Dominikaner (wie Anm. 1), 108. 78 Ebd., 116. 79 Kunzelmann (wie Anm. 27), 5. Theil, 301. 80 Ebd., 304. 81 Roth: Die Dominikaner (wie Anm. 1), 110. 82 Ebd., 115.



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geschickt.83 Die Tätigkeit der Prediger aus dem Bettelorden spielte auch für den Deutschen Orden eine gewisse Rolle. Der Prokurator des Deutschen Orden auf dem Basler Konzil, Johann Karschaw, schrieb 1436 an den Hochmeister über einen Streit zwischen dem Thorner Pfarrer Andreas Pfaffendorf und dem Dominikaner Peter Wichmann. Er betonte, dass beide gute Prediger waren und sehr nützlich sein könnten84. Auch der ehemalige Prior der Dominikaner aus Dirschau hatte enge Kontakte zum Deutschen Orden während des Dreizehnjährigen Krieges.85

Die Rolle der Mendikanten im intellektuellen Leben und Ausbildung Die Tätigkeit der Mendikanten war wichtig auch für das intellektuelle Leben des Ordenslandes.86 Die Dominikaner besaßen ein eigenes Schulsystem in Preußen. Jeder Konvent hatte eine Konventsschule für alle Mönche, die dort lebten und arbeiteten. Die jungen Mönche, die in den Orden eintraten, lernten im Noviziat vor allem die lateinische Sprache, die Liturgie, das Singen und die Konstitutionen des Predigerordens. Weil zu den wichtigsten Aufgaben die Lehre der lateinischen Sprache gehörte, wurden solche Schulen in der Ordensterminologie studium grammaticae genannt. Die ältesten Informationen über die Lektoren des Konventes in Preußen stammen aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts. Beispielsweise wurden als Lektoren 1301 Peter in Thorn, 1327 Wilhelm in Elbing erwähnt.87 Noch früher, nämlich 1287, wurde als Lektor Johannes in Danzig genannt. Anschließend haben die Mön83 Pelech, Markian: Die Teilnahme der Altstadt Elbing am Großen Krieg (1409–1411) und ihre während des Krieges erlittenen Schäden. In: Beiträge zur Geschichte Westpreußens 10 (1987), 65–66. 84 sy sullen vil gutes thun in unser lande so sind sy auch bede gute prediger und mugen das volk machen mit irer predige gancz nach ewer gnade wille in gehorsam zu allen dinge. Die Berichte der Generalprokuratoren des Deutschen Ordens an der Kurie. Hg. v. Kurt Forstreuter und Hans Koeppen, Bd. 4,2, Göttingen 1976, Nr. 789. – Über den Konflikt zwischen Andreas Pfaffendorf und Peter Wichman siehe Czaja, Roman: Die städtische Geistlichkeit in den Auseinandersetzungen der preußischen Städte mit dem Deutschen Orden im 15. Jahrhundert. In: Emotion, Gewalt und Widerstand. Spannungsfelder zwischen geistlichem und weltlichem Leben in Mittelalter und Früher Neuzeit.Hg. v. Ansgar Köb und Peter Riedel, München 2007, 131–132. 85 Regesta historico-diplomatica Ordinis S. Mariae Theutonicorum 1198–1525, Bd. 1/2, bearb. Erich Joachim. Hg. v. Walter Hubatsch, Göttingen 1950, Nr. 15112, 15120. 86 Über das Schulsystem der Mendikanten siehe Hinnebusch, William A.: The history of the dominican order. Intellectual and cultural life to 1500, Vol. 2, New York 1973. – Roest, Bert: A history of franciscan education (c. 1210–1517), Leiden-Boston-Köln 2000. – Smet, Joachim/Dobhan, Ulrich: Die Karmeliten. Eine Geschichte der Brüder U. L. Frau vom Berge Karmel. Von den Anfängen (ca. 1200) bis zum Konzil von Trient, Freiburg, Basel, Wien 1981. – Andrews, Frances: The other friars. The carmelite, augustinian, sack and pied friars in the middle ages, Woodbridge-New York 2006. 87 Roth: Die Dominikaner (wie Anm. 1), 61, 74, 81.

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che die Lehre in dem dreijährigen studium artium oder studium logicae fortgesetzt. Derartige Schulen wurden nicht in allen Klöstern eingerichtet. Gewöhnlich wurden die Mönche aus mehreren Klöstern gemeinsam in einer Konventsschule unterrichtet. Auf dem Provinzkapitel wählten die versammelten Mitbrüder die Mönche, die in Klosterschulen unterrichteten. Zum Beispiel haben sie in den Jahren 1447 bis 1468 19 Mönche zum Studium nach Thorn geschickt.88 Diese Schulen wurden auch als studium particulare theologiae bezeichnet. Das Studium hatte drei Stufen: Die erste Stufe war das studium artium, die zweite das studium philosophiae und die dritte, die höchste Stufe, das studium theologiae. Die älteste Überlieferung über die Existenz einer Klosterschule der Dominikaner erwähnt den Konvent in Thorn. Es war wahrscheinlich das Studium der Philosophie, wohin als Lektor der Sentenzen (Werk des Petrus Lombardus) Johan Kaldeborn und als Lektor artium (lector artium) Nicholaus Carpentarii geschickt wurden. Solche Schulen bestanden im 15. Jahrhundert auch in Elbing (erstmals erwähnt 1447), Danzig (1450), zeitweise auch in Kulm (1450) und Dirschau.89 In den drei großen Städten Danzig, Thorn und Elbing existierte ein studium theologiae, aber in Kulm und Dirschau vermutlich nur ein studium artium. Im Anschluss daran konnten die einzelnen Mönche ihre Ausbildung im so genannten studium generale oder an den Universitäten fortsetzen.90 Die Mönche aus den Dominikanerkonventen der preußischen Gruppe studierten auch an diesen Ausbildungsstätten. Ein solches Studium dauerte zwei Jahre oder länger. Die Mönche aus den preußischen Konventen der Dominikaner studierten in Padua, Köln, Leipzig, Paris, Bologna, Florenz und im eigenen studium generale der polnischen Provinz des Ordens in Krakau.91 In der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden viele Mönche vor allem aus Elbing, Danzig und Thorn zum studium generale ins Ausland geschickt.92 In der Regel konnten kleine Klöster die Reise- und Aufenthaltskosten nicht aufbringen. Die Mehrheit der studierenden Mönche reiste nach Deutschland und Italien. Dort konnten sie auch akademische Grade erwerben.93 Das Bakkalaureat besaßen die Dominikaner Heinrich Capsflors aus Danzig und Peter Wichmann aus Thorn. 88 Acta Capitulorum Provinciae Poloniae Ordinis Praedicatorum, Hg. v. Romanus Fabianus Madura, vol.1 (1225–1600), Roma 1972, 30–31, 40, 49, 61, 70, 81, 93 (zit. ACPP). 89 ACPP (wie Anm. 88), 30, 40. 90 Hinnebusch: The history (wie Anm. 86), Vol. 2, 37–56. 91 Siehe die Tabelle Nr. 4. In: Kubicki: Środowisko (wie Anm. 50), 214–215. 92 Kłoczowski, Jerzy: Ze związków Polski z krajami zachodnimi u schyłku średniowiecza. Studia zagraniczne dominikanów prowincji polskiej [Von den Beziehungen Polens zu den westlichen Ländern am Ausgang des Mittelalters. Auslandsstudien der Dominikaner aus der polnischen Provinz]. In: Polska w Europie. Studia Historyczne. Hg. v. Henryk Zins, Lublin 1968, 109–135. – Nowak, Z.  H.: Die Rolle der Gelehrten in der Gesellschaft des Ordenslandes Preußen. In: Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts. Hg. v. Rainer Christoph Schwinges, Berlin 1996, 219; Kubicki: Środowisko (wie Anm. 50), 94–96. 93 Hinnebusch: The history (wie Anm. 86) Vol. 2, 58–61.



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Konventschulen gab es auch in den Klöstern der Franziskaner und AugustinerEremiten.94 Sieben Klöster der Augustiner-Eremiten haben 1415 einen Vertrag über das studium continuum abgeschlossen. Jedes Haus sollte im vierten Jahr das Wanderstudium aufnehmen. Nach dem Vertrag war jedes der beteiligten Klöster verpflichtet, eine Vorbereitungsschule zu führen.95 Der Unterricht und das Studium waren wichtig auch in Klöstern der Franziskaner. In Kulm, Thorn und Danzig existierten Schulen für die Ausbildung der Ordensmitglieder. Die Lektoren aus diesen Städten erhielten ihre Ausbildung im Generalstudium der Provinz zu Erfurt.96 Es ist anzunehmen, dass die Mönche in der Danziger Novizenschule auch mit dem Jugendunterricht beschäftigt waren. Zur religiösen Erziehung in ihren eigenen Klosterschulen war es notwendig, eine gut organisierte und ausgestattete Bibliothek zu errichten.97 Es ist jedoch zu betonen, dass die Konventsbibliotheken keinen öffentlichen Charakter hatten. Die Bibliothek der Dominikaner in Danzig zählte am Ende des 15. Jahrhunderts ungefähr 700 Bände. Im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts gab es in den Franziskanerklöstern 523 Bände in Wehlau, 768 Bände in Thorn, zirka 300 Bände in Braunsberg und über 1000 Bände in Danzig.98 Das Kloster in Elbing hatte Anfang des 16. Jahrhunderts nur 35 Bände, da viele durch einen Brand vernichtet wurden. In der Franziskanerbibliothek in Thorn befanden sich 768 Bücher. In dieser Büchersammlung befanden sich auch die Manuskripte, die mit dem städtischen Leben verbunden waren, zum Beispiel das Magdeburger Recht und das Altkulmische Recht.99 Die Dominikaner in Thorn besaßen auch eine große Bibliothek in Mittelalter (ungefähr 265 Bände). Die Verzeichnisse, die im 18. Jahrhundert angelegt wurden, informieren ausführlich über den Inhalt der Klosterbibliothek in Thorn. Dort gab es 65 Bände über die Predigt, 42 Bände über Theologie, 35 Bibeln und Bibelkommentare, Werke von Thomas von Aquin, Sentenzen von Petrus Lombardus, Kommentare von Bonaventura, die Werke von Johannes Duns Scotus und die Legenda aurea von Jacobus de Voragine. Eine Bibliothek gab es auch in den anderen Bettelordensklöstern. Die Franziskaner in Braunsberg bekamen 1498 20 Mark als Spende und 30 Bücher vom

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Kunzelmann (wie Anm. 27), 5. Th., 280. Ebd., 289. Roth, Die Dominikaner (wie Anm. 1), 123. Päsler, Ralf G.: Deutschsprachige Sachliteratur im Preußenland bis 1500. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung, Köln 2003, 70–72. 98 Roth, Die Dominikaner (wie Anm. 1), 122. – Päsler: Deutsprachige (wie Anm. 97), 70. 99 Kwiatkowska, Wiesława: Średniowieczna biblioteka klasztoru franciszkanów w Toruniu [Die mittelalterliche Bibliothek des Franziskanerklosters in Thorn]. In: Folia Toruniensia 1 (2000), 9. – Czaja, Roman: Klöster in der Kulturlandschaft der preußischen Städte im Mittelalter. In: Klosterlandschaften. Methodisch-exemplarische Annäherungen. Hg. v. Roman Czaja, Hainz-Dieter Heimann und Matthias Wemhoff, München 2008, 205.

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ermländischen Kustos Thomas Werner. Der Wert dieser Bücher wurde auf 160 Gulden taxiert.100 Viele Bücher und Handschriften wurden in den Klöstern von den Mönchen kopiert. Leider haben sich nur einzelne, die aus Klosterbibliotheken stammten, in heutigen Bibliotheken erhalten. Beispielsweise gibt es in der Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Danzig einige Bücher aus dem dortigen Franziskanerkloster. Auch die schönen Künste, Malerei und Bildhauerei hatten in den Klöstern eine Pflegestätte gefunden. Im Kloster der Minoriten in Thorn hatte man auch die erste Orgel in Preußen aufgestellt.101 Aus preußischen Klöstern der Bettelorden stammten auch literarische Werke. Leider sind nur wenige Handschriften und Werke auf uns gekommen. Der Kustos Nikolaus Cranc übersetzte die großen und kleinen Propheten ins Deutsche.102 Im Kloster der Franziskaner in Thorn führte man Jahrbücher.103 Der Dominikaner Peter Wichmann, der damalige Prior in Thorn, verfasste theologische Traktate. In den Klöstern in Danzig und Elbing lebte Simon Grunau, der Verfasser der Preußischen Chronik.104 Die Mendikanten nutzten solche chronikalischen und annalistischen Texte zum Studium und für Predigten. Die Verfasser aus den Klöstern beeinflussten später auch die Entwicklung der städtischen Historiographie.105 Zusammenfassend kann man feststellen: Die Bettelorden spielten eine wichtige Rolle im Ordensland Preußen. Die Dominikaner und Franziskaner nahmen an der Prussischen Mission im 13. Jahrhundert teil. Anfangs hatten die Dominikaner eine besondere Bedeutung, später aber unterstützte der Deutsche Orden vor allem die Franziskaner und die Augustiner-Eremiten. Die Bettelorden knüpften enge Kontakte zum Bürgertum. In den Klosterkirchen befanden sich Kapellen und Altäre, die den Zünften gehörten. Die Prediger, die aus den Bettelorden stammten, wanderten durch das ganze Land und arbeiteten in der Seelsorge mit den Bischöfen und dem Weltklerus zusammen. Die Mendikanten besaßen auch eigene Klosterschulen, studierten an den Universitäten oder absolvierten das studium generale in Westeuropa. Die gebildeten Mönche gehörten zu den intellektuellen Eliten des Ordensstaates. 100 Oliński, Piotr: Fundacje mieszczańskie w miastach pruskich w okresie średniowiecza i na progu czasów nowożytnych (Chełmno, Toruń, Elbląg, Gdańsk, Królewiec, Braniewo) [Bürgerliche Stiftungen in preußischen Städten im Mittelalter und am Beginn der Neuzeit (Kulm, Thorn, Elbing, Danzig, Königsberg, Braunsberg)], Toruń 2008, 545. 101 Roth: Die Dominikaner (wie Anm. 1), 123. 102 Ebd., 119. 103 Franciscani Thorunensis Annales Prussici (941–1410). In: Scriptores Rerum Prussicarum. Hg. v. Ernst Strehlke, Bd. 3, Leipzig 1866, S. 227 (zit.: SRP). – Annales Minorum Prussicorum. In: SRP, Bd. 5. Hg. v. Ernst Strehlke, Leipzig 1874, 647–648. – Czaja: Klöster (wie Anm. 99), 205. 104 Simon Grunau’s preußische Chronik. Hg. v. Max Perlbach, Bd. 1–3, Leipzig 1876–1896. – Czaja: Klöster (wie Anm. 99), 206. 105 Czaja: Klöster (wie Anm. 99), 206.



Die Rolle der Bettelorden im Ordensland Preußen

Klöster im Ordensland Preußen im 15. Jahrhundert

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Piotr Oliński DIE FRANZISKANER UND IHRE MISSIONARISCHE UND FRIEDENSSTIFTENDE AKTIVITÄT IM DEUTSCHORDENSLAND DES 13. JAHRHUNDERTS In den 20er Jahren des 13. Jahrhunderts erlebten die Franziskaner eine Zeit der raschen Entwicklung ihres Ordens. Damals wurden auch zahlreiche Klöster in deutschsprachigen Gebieten gegründet. Eine große Rolle spielte dabei unter anderem Johannes de Piano Carpini, ein Schüler von Franz von Assisi. Seit 1228 war er Provinzial der deutschen und der sächsischen Provinz. In den darauffolgenden zehn Jahren sind in Böhmen und etwas später auch in Polen erste franziskanische Klöster entstanden. Im Jahre 1232 entsandte Johannes de Piano Carpini seine Mönche nach Böhmen; dank der Unterstützung von König Ladislaus wurde das Kloster der Franziskaner in der Prager Altstadt gestiftet. Bald traten die Franziskaner auch in den polnischen Fürstentümern – in Krakau (Kleinpolen) und in Breslau (Schlesien) – in Erscheinung. Im Norden grenzten die polnischen Fürstentümer an die heidnischen Territorien. Auf diese Weise fanden sich die Franziskaner an der Grenze der christlichen Welt. Von dort aus konnten sie den christlichen Glauben verbreiten. Es passte dies gut zu den Zielen, die sich der Orden in friedlicher Weise angesichts der vorherrschenden Kreuzzugsideologie des 13. Jahrhunderts steckte.1

Franziskanische Gründungen im Kulmerland Die Franziskaner ließen sich in den beiden ältesten Städten des Deutschen Ordens nieder – in Thorn und in Kulm.2 Beide Städte, die im Jahre 1233 gegründet wurden, 1 Elm, Kaspar: Franz von Assisi: Bußpredigt oder Heidenmission? In: Espansione del francescanesimo tra occidente e oriente nel secolo XIII. Atti del VI convegno internazionale (Assisi, 12–14 ottobre 1978), Assisi 1979, 69–103. – Berg, Dieter: Kreuzzugsbewegung und propagatio fidei. Das Problem der Franziskanermission im 13. Jahrhundert und das Bild von der islamischen Welt in der zeitgenössischen Ordenshistoriographie. In: Orientalische Kultur und Europäisches Mittelalter. Hg. v. Albert Zimmermann und Ingrid Craemer-Ruegenberg, Berlin – New York 1985 (Miscellanea Mediaevalia 17), 59–76. – Einhorn, Jürgen Werinhard: Franziskus und der ‹edle Heide›. In: Text und Bild. Aspekte des Zusammenwirkens zweier Künste in Mittelalter und früher Neuzeit. Hg. v. Christel Meier und Uwe Ruberg, Wiesbaden 1980, 630–650. – Rotzetter, Anton: Kreuzzugskritik und Ablehnung der Feudalordnung in der Gefolgschaft des Franziskus von Assisi. In: Wissenschaft und Weisheit 35 (1972), 121–137. 2 Roth, Werner: Die Dominikaner und Franziskaner im Deutsch-Ordensland Preußen bis zum Jahre 1466, Königsberg 1918, 126–136. – Tandecki, Janusz: Założenie i początki klasztoru franciszkanów toruńskich w XIII – XIV w. [Gründung und Anfänge des Franziskanerklosters in Thorn im 13. und 14.



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hatten zentrale Funktionen. In den später gegründeten Städten mit zentraler Bedeutung, wie für kurze Zeit in Marienwerder (gegründet im Jahr 1234) und besonders in Elbing (gegründet 1237) konnten die Franziskaner nicht Fuß fassen. Zuerst traten die Franziskaner in Thorn in Erscheinung, etwa um das Jahr 1239, vielleicht etwas früher. Es ist nicht ganz sicher, woher die ersten Mönche stammten. Wie bereits erwähnt wurde, lassen sich die Franziskaner in den 30er Jahren in einigen polnischen Städten – 1237 in Krakau, vor 1239 in Breslau, 1238/9 in Inowrocław3 – nachweisen. Es wurde in den bisherigen Forschungen bemerkt, dass Fürst Heinrich der Bärtige (gest. 1238), der in Krakau und Breslau regierte (dann sein Sohn Heinrich der Fromme), und Kazimirus aus Kujawien, wo Inowrocław lag, in enger Verbindung standen. Im Jahre 1239 heiratete Kazimirus Konstanze, die Tochter Heinrichs des Frommen. Diese Verbindungen reichen noch weiter zurück.4 Man vermutet, dass die ersten Franziskaner nach Inowrocław aus Breslau oder Krakau kamen. Das Auftreten der Franziskaner in Inowrocław ist für uns insoweit wichtig, da Inowrocław nur 36 km von Thorn entfernt liegt. Einige Historiker mutmaßten, dass die Thorner Franziskaner aus Inowrocław gekommen sind, was auch in der spätmittelalterlichen Chronik von Johannes Komorowski erwähnt wurde.5 Darüber hinaus berichten sie auch über die Zerstörung und die Brandstiftung Inowrocławs im Jahre 1239 durch die Truppen des pommerschen Herzogs Świętopełk. Dieses Ereignis könnte ein Motiv für die Übersiedlung der dortigen Franziskaner nach Thorn gewesen sein.6 Man kann jedoch auch nicht ausschließen, dass Franziskaner aus Breslau nach Thorn kamen. Mehrmals wurden die engen Beziehungen zwischen dem Deutschen Orden und Heinrich dem Bärtigen in den Forschungen betont. Dieser Herrscher trug, wie von Tomasz Jasiński bewiesen wurde, wesentlich zu den Ansiedlungen der Deutschordensritter im Kulmerland bei. Er organisierte auch die Kreuzzüge ins Prussenland.7 Diese Kontakte setzte sein Sohn Heinrich der Fromme fort. Wenn wir von seiner Beteiligung am Wirken der Franziskaner im Kulmerland ausgehen,

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Jahrhundert]. In: Zapiski Historyczne 54 (1989), 7–22, hier 7–8. – Radzimiński, Andrzej: Kościół w państwie zakonu krzyżackiego w Prusach 1243–1525 [Die Kirche im Deutschordensstaat in Preußen 1243–1525], Malbork 2006, 102–105. Kłoczowski, Jerzy: Bracia Mniejsi w Polsce średniowiecznej [Minoritenmönche in Polen im Mittelalter]. In: Zakony franciszkańskie w Polsce, Bd. 1, Franciszkanie na ziemiach polskich [Franziskaner in den polnischen Territorien], Lublin 1983, 15–16. – Tandecki (wie Anm. 2), 7–8. Im Fall von Breslau wird manchmal das Datum 1234 angegeben. Jasiński, Kazimierz: Rodowód Piastów małopolskich i kujawskich [Genealogie der Piasten von Kleinpolen und Kujawien], Poznań-Wrocław 2001, 62. Die verschiedenen Meinungen sammelte Tandecki (wie Anm. 2), 8. Ebd., 8. Jasiński, Tomasz: Stosunki śląsko-pruskie i śląsko-krzyżackie w pierwszej połowie XIII w. [Beziehungen zwischen Schlesien und Preußen sowie Schlesien und dem Deutschen Orden in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts]. In: Ars historica, Poznań 1976, 393–403.

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sollten diese sich gemäß seiner Absicht seit dem Beginn seines Aufenthaltes aktiv für die Missionierung einsetzen. Es gibt auch die Ansicht, dass die Franziskaner aus Sachsen kamen. Diese These wurde dadurch unterstützt, dass in späterer Zeit die Franziskaner im Deutschordensland zur sächsischen Provinz gehörten. Das Eintreffen der Franziskaner in Thorn aus der sächsischen Provinz wurde in der neuzeitlichen Quelle „Vita beati Joannis Lobedaw auctore F. Schembeck, interprete A. Ustrzycki“, die sich möglicherweise auf frühere mittelalterliche Quellen stützte, registriert.8 Vielleicht ist das eine Spur von der Entstehung und der späteren Umstrukturierung der franziskanischen Provinzen in diesem Teil Europas. Auch ist das Datum 1239 als terminus ad quem vom Eintreffen der Franziskaner nach Thorn nicht unumstritten. In den franziskanischen Annalen aus dem 15. Jahrhundert ist die Notiz „Anno Domini 1239 domus fratrum minorum in Thorun recepta fuit Brinne [Brno – PO] in capitulo provinciali per ministrum Ptholomirum; quibus aream dedit inclitus dominus et frater Poppo tunc existens magister generalis fratrum ordinis domus Teutonice“.9 Dasselbe Datum wurde auch in der Chronik des Christophorus Hartknoch aus dem 17. Jahrhundert registriert. Sie stützte sich auf den Inhalt der Inschrift, die auf einer Tafel bei der Klosterpforte hing. Das Datum 1239 hatte schon in der historiographischen Tradition des 15. Jahrhunderts („Annales“ von Johannes Długosz10) und in der neuzeitlichen Tradition seine Gültigkeit. Man sollte auch den Hochmeister Poppo von Osterna, der nach dieser Tradition ein Betreuer der ersten Franziskaner in Thorn war, berücksichtigen. Es könnte verwundern, dass in diesen Quellen der schlesische Herzog und der Landmeister Hermann Balk nicht genannt wurden. Hermann Balk war in den 30er Jahren des 13. Jahrhunderts sehr aktiv. Zum letzten Mal wurde er in seinem Amt am 5. März 1239 erwähnt. Nach ihm wird Poppo von Osterna am 21. Februar 1241 als Landmeister genannt.11 Vielleicht bewirkte Poppo von Osterna als Landmeister, dass die Franziskaner in das 8 „…ordinem sancti Francisci, qui Thorunium prius, anno MCCXXXIX, postea et Culmam ex Saxonia venerat ...“; Vita beati Joannis Lobedaw auctore F. Schembeck, interprete A. Ustrzycki. Hg. v. Max Töppen, Leipzig 1863 (Scriptores Rerum Prussicarum 2), hier 392–393. – Kritisch zu dieser Nachricht Roth (wie Anm. 2), 392. – Tandecki (wie Anm. 2), 8, Anm. 8. 9 Annales minorum prussicorum, Hg. v. Ernst Strehlke, Leipzig 1874 (Scriptores Rerum Prussicarum 5), hier 648. – Tandecki (wie Anm. 2), 9. 10 „Sub eo quoque tempore idem Pompinus alias Pompo Prussie magister conventum et monasterium fratrum Minorum in Thorun sub titulo Sancte Marie Virginis erigit et fratribus Minoribus aream ad inhabitandum assignat“; Ioannis Dlugossii Annales seu Cronicae incliti Regni Poloniae, liber sextus. Hg. v. Zofia Budkowa u. a., Warszawa 1973, 288. 11 Jähnig, Bernhart: Wykaz urzędników. Dostojnicy zakonu krzyżackiego w Prusach [Beamtenverzeichnis. Die Würdenträger des Deutschen Ordens in Preußen]. In: Państwo zakonu krzyżackiego w Prusach. Podziały administracyjne i kościelne od XIII do XVI wieku [Der Deutschordensstaat in Preußen. Administrative und kirchliche Organisationen vom 13. bis 16. Jahrhundert], Toruń 2000, 95–127, hier 101.



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Kulmerland zogen. Das Amt des Hochmeisters hatte er in den Jahren 1252–1256 inne, was nicht zu dem Jahre 1239 passt. Öfter jedoch wird die Vermutung geäußert, dass Poppo von Osterna dem Orden in den Jahren 1252–1256 ein Privileg und eine Parzelle schenkte, was die franziskanischen schriftlichen Quellen fixierten.12 Das konnte er nach der Ausstellung der zweiten Kulmer Handfeste aus dem Jahre 1251 machen. Poppo von Osterna passt auch gut zu dem schlesischen Kontext von der Abstammung der Franziskaner und der schlesischen Beziehungen des Deutschen Ordens. Man kann jedoch noch eine andere Lösung zugunsten von 1239 vorschlagen. Die erwähnte Notiz aus den franziskanischen Annalen scheint im Wesentlichen aus zwei Teilen gebildet worden zu sein. Der erste Teil informierte über die Aufnahme des Thorner Klosters in die böhmisch-polnische Provinz während des Kapitels in Bern im Jahre 1239 durch Tworzymir. Der zweite Teil – ohne Datum – betraf die Verleihung der Parzelle durch den Hochmeister Poppo von Osterna; es konnte sich also nur um die Jahre zwischen 1252–1256 handeln. Die stilistische Bearbeitung der annalistischen Notiz konnte zwar auf die Abhängigkeit der Aufnahme des Klosters in die böhmisch-polnische Provinz nach der Verleihung der Parzelle hinweisen, was die Stabilisierung des Klosters in der Stadt ermöglichte. Andererseits musste aber auch die zweite Kulmer Handfeste 1251 auf die rechtliche Lage des Klosters sowie seinen Besitz in der Stadt Einfluss haben. Poppo von Osterna regulierte also in den 50er Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit das Besitztum der Minoriten in Thorn, was nicht ausschließt, dass sie auch früher ihren festen Ort in der Stadt hatten. Als wichtigsten Machtfaktor, der den Orden im Kulmerland unterstützte, könnte man vielleicht noch den Hochmeister Hermann von Salza nennen. Dies jedenfalls vermuteten die Thorner Chronisten im 17. Jahrhundert. Die Quelle ihres Wissens ist unbekannt. Es könnte reine Hypothese sein.13 Andererseits ist auch bezeugt, dass die Mehrheit der Stiftungsurkunden in solchen Fällen die Hochmeister des Deutschen Ordens ausstellten, also auch die Entscheidung dazu fällten. Man kann jedoch die Mitwirkung des Landmeisters nicht ausschließen, was im Rahmen der Praxis des 13. Jahrhunderts auch möglich war. In Kulm sind die Franziskaner später in Erscheinung getreten. Die erste Erwähnung betrifft die Parzelle, die sie im städtischen Gebiet für eine Bebauung erhielten.14 In den franziskanischen Annalen wurde zum Jahre 1258 notiert: „Anno 12 Tandecki (wie Anm. 2), 13–14. – Dygo, Marian: Studia nad początkami władztwa zakonu niemieckiego w Prusach (1226–1259) [Studien zu den Anfängen der territorialen Herrschaft des Deutschen Ordens in Preußen 1226–1259], Warszawa 1992, 271–274. 13 Auf diese Chroniken, die die Rolle von Herman von Salza bei der Gründung des Klosters betonen, hat Tandecki hingewiesen: Tandecki (wie Anm. 2), 11. 14 M. Biskup nennt das Jahr 1257; Biskup, Marian: Średniowieczna sieć klasztorów w państwie Zakonu Krzyżackiego w Prusach [Mittelalterliche Klöster im Deutschordensstaat in Preußen]. In: Zakony i klasztory w Europie Środkowo-Wschodniej X–XX wiek [Orden und Klöster in Mittel- und Osteuropa. 10.–20. Jahrhundert]. Hg. v. Henryk Gapski und Jerzy Kłoczowski, Lublin 1999, 60.

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Domini 1258 in festiuitate s. Anthonii confessoris domus fratrum minorum in Culmine recepta est per fratrem Danielem ministrum prouincie Bohemie et Polonie in prouinciali capitulo Czwiccauie celebrato. Huius domus aream honorabilis vir dominus ac frater, frater Gerhardus dictus de Hirszbergh, ordinis fratrum domus Teutonice hospitalis s. Marie Jerosolimitani tunc in Prusia preceptor existens, eisdem fratribus minoribus contulit ob Dei reuerenciam et sui memoriam in fratrum oracionibus faciendam“.15 In diesem Fall wurde die grundsätzliche Rolle des Landkomturs in Preussen, Gerhard von Hirzberg, betont. Er verschenkte die Parzelle in Kulm im Rahmen der Sorge um das eigene Seelenheil. Aus politischer Perspektive war der Konflikt des Deutschen Ordens mit dem Bischof von Kulmerland, Bischof Heidenreich, einem Dominikaner, von grundsätzlicher Bedeutung: Die Franziskaner wurden als Gegengewicht zu den Dominikanern angesiedelt und unterstützt.16

Franziskaner und prussische Kreuzzüge Die Wanderung und die Verkündigung des Wortes Gottes gehörten zu den typischen, grundsätzlichen Aufgaben der Franziskaner. Die Wendungen wie „fratres, ubicumque sunt“ oder „fratres [qui] vadunt per mundum“ treten sehr oft in den franziskanischen Schriften auf.17 Gleichzeitig stellte es etwas Neues im Verhältnis zur stabilitas des klösterlichen Lebens dar. Die Bettelmönche wollten sich nicht aus der Welt zurückziehen, sondern den Menschen das Evangelium verkündigen und Zeugnis geben.18 Ihr Wirken sollte „totus orbis“ umfassen. Bereits im Jahre 1209 entsandte Franz von Assisi seine Mitbrüder in mehrere Richtungen. Er selbst reiste zu den Sarazenen. Bereits im Jahre 1219 beschloss das Generalkapitel des Ordens auch formell, heidnische Länder zu besuchen. Es fiel in die Zeit, als Franz von Assisi eigentlich die Missionen innerhalb der Christenheit propagierte, was vielleicht auch die Folge der erfolglosen Missionen unter den Sarazenen war. Die erste Phase der Missionen nach dem Jahre 1209 wurde übrigens im Allgemeinen schlecht geleitet. Den Franziskanern

15 Annales fratrum minorum (wie Anm. 9), 648. 16 Dygo (wie Anm. 12), 274. 17 Wie z. B. in der unbestätigten Regel; Pisma św. Franciszka z Asyżu [Schriften von Franz von Assisi]. Hg. v. Aristide Cabassi, Kraków 2009, 358–359. 18 Kehnel, Annette/Müller, Anne: Dauer durch Wandeln. Von Mönchen und Mauern – von Wandelgängen im Kloster und von Wanderungen durch die Welt. In: Dauer durch Wandel. Institutionelle Ordnungen zwischen Verstetigung und Transformation. Hg. v. Stephan Müller, Gary S. Schaal und Claudia Tiersch, Köln-Weimar-Wien 2002, 107–119, hier 108–109. – Richardt, Franz OFM: Die Predigt in der Frühzeit der franziskanischen Bewegung und ihre Bedeutung für die Entwicklung des Franziskanerordens in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. In: Wissenschaft und Weisheit 64 (2001), 179–213, hier 179.



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fehlte es damals noch an gebildeten und sprachlich versierten Brüdern.19 Seit 1219 waren die Franziskaner missionarisch in den heidnischen Gebieten sehr aktiv, da die Missionen viel besser vorbereitet waren. Ein besonders bekanntes Zeichen dieser Aktivität in dieser Zeit war die Predigt vor dem Sultan von Damiette, Malik al-Kāmil, im Jahre 1219.20 Diesen Versuch unternahm der Orden übrigens in dem Gebiet, wo die Kreuzritter sehr intensive Kämpfe führten. Unter anderem schlossen sich die Minoriten auch den seit mehreren Jahrhunderten geführten Missionen im nördlichen und östlichen Europa an. Aufmerksamkeit erregt die Offensive der Franziskaner in den Jahren 1238–39, die von Schlesien in nordöstliche Richtung ausging (vor 1239 Breslau, 1239 Inowrocław, 1239 Thorn). Es scheint dies eine gut vorbereitete und trotz allgemein kriegerischer Situation ziemlich umsichtig geplante Aktion gewesen zu sein, wobei die bisherigen Erfahrungen hilfreich waren. Im Jahre 1239 kämpfte Otto von Braunschweig mit 700 Rittern im Ermland, ein Jahr später begannen die Kreuzfahrer die Kämpfe um Samland, also im nördlichen Teil des Prussenlandes. Das bedeutete, dass die Franziskaner nicht auf rein heidnische Gebiete trafen. Die Franziskaner wollten in den neu christianisierten Gebieten ihren festen Platz finden und realisierten diese Absichten sehr langfristig und gut vorbereitet. Ihre Popularität verdankten sie der Tatsache, dass sie von den größten politischen Mächten voll unterstützt wurden. Die Gestaltung der neuen christlichen Welt bedurfte auch der Franziskaner. Die Bestimmung und die Koordinierung der Missionsaufgaben für alle Orden übernahm das Papsttum, das die Minoriten stark unterstützte. Die Päpste Gregor IX., Innozenz IV. und Alexander IV. setzten die Franziskaner in mehrere hohe Ämter ein und übertrugen ihnen verantwortliche kirchliche Aufgaben und Missionen, auch die im Prussenland21. In den päpstlichen Urkunden und Schriften, die an 19 Berg (wie Anm. 1), 61. 20 Thomas Von Celan, Erste Lebensbeschreibung [des heiligen Franziskus]. In: Thomas von Celano, Leben und Wunder des heiligen Franziskus von Assisi. Einführung, Übersetzung, Anmerkungen von Engelbert Grau, Werl 1994 (Franziskanische Quellenschriften 5), 73–216, hier 130–131. – Lemmens, Leonhard: Geschichte der Franziskanermissionen, Münster 1929 (Veröffentlichungen des Internationalen Instituts für missionswissenschaftliche Forschungen 12), 10. – Berg (wie Anm. 1), 59–76; diese Predigt hatte weitere Reisen der Franziskaner in islamische Länder zur Folge. – Müller, Anne: Bettelmönche in islamischer Fremde. Zu institutionellen Rahmenbedingungen franziskanischer und dominikanischer Mission in muslimischen Räumen des 13. Jahrhunderts, Münster 2002 (Vita regularis 15), passim. 21 Berg Dieter: Gesellschaftliche Implikationen der Vita Minorum, insbesondere des franziskanischen Friedensgedankens, im 13. Jahrhundert. In: ders. Armut und Geschichte. Studien zur Geschichte der Bettelorden im Hohen und Späten Mittelalter, Kevelaer 2001 (Saxonia Franciscana 11) 25–34. – Fonnesberg-Schmidt, Iben: Papieże i krucjaty bałtyckie 1147–1254 [Die Päpste und die baltischen Kreuzfahrer 1147–1254], Warszawa 2009, 213–216. – Richardt (wie Anm. 18), 200–201. – Es muss festgestellt werden, dass unter jenen Völkern, die in allgemeinen päpstlichen Bullen aus den 30er und 40er Jahren des 13. Jahrhunderts missioniert werden sollten, die Prussen selten genannt werden.

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die Orden, darunter auch manchmal speziell an Franziskaner, gerichtet waren, wurden vor allem die Motivation und der Aufruf an die Kreuzprediger zur religiösen Hilfe für Kreuzritter und ihre Anhänger formuliert. Wie der verdiente franziskanische Historiker Leonhard Lemmens anmerkte, war die Funktion der Franziskaner, ähnlich wie die Rolle der Dominikaner, eine zweifache: Die Mönche hielten Predigten für die Kreuzritter und ihre Truppen und beeinflussten auf diese Weise ihre Frömmigkeit sowie ihre Verhaltensweise und hielten auch in den unterworfenen Ortschaften und Gebieten Predigten, um die heidnische Bevölkerung zu christianisieren.22 In den 30er Jahren des 13. Jahrhunderts dominierten im Orden bereits die Priesterbrüder, die Laienbrüder nahmen ab, was auch mit der Abwertung der manuellen Arbeit im Zusammenhang stand. Die Priesterbrüder waren meistens gut ausgebildet und für den Predigtdienst vorbereitet, auch unter den Heiden.23 Schon wurde in Kapitel 12 der „Regula bullata“ eindeutig bestimmt, wer von den Brüdern solche Predigten halten konnte: „Quicumque fratrum divina inspiratione voluerint ire inter saracenos et alios infideles petant inde licentiam a suis ministris provincialibus. Ministri vero nullis eundi licentiam tribuant, nisi eis quos viderint esse idoneos ad mittendum“24. In den 40er Jahren des 13. Jahrhunderts unternahmen Franziskaner auch Reisen zu weit entfernten nichtchristlichen Regionen. Als Beispiel sei die bekannte Reise von Johannes de Piano Carpini genannt. Im Jahre 1245 wurde er vom Papst mit einer Mission in die russischen Gebiete (heute: ukrainisch) und danach mit einer Gesandtschaft zum mongolischen Großkhan beauftragt. Die Predigt zur Bekehrung der Heiden gehörte zu den typischen Aufgaben, mit der die Päpste die Franziskaner beauftragten25. Man kann also annehmen, dass sie in größerem Umfang die neu bekehrte Bevölkerung sowie die neuen Siedler im Kulmerland und im eroberten Prussenland im Glauben unterrichteten. In der Zeit von 1239 bis zu den 50er Jahren ist die Aktivität der Thorner Franziskaner mehrmals bezeugt. Sicherlich konzentrierten sie sich auf seelsorgerische, d.h. auf missionarische Aufgaben.26 Die erhaltenen Zeugnisse weisen jedoch sehr oft auf die enge Verbindung zum Deutschen Orden hin. Dieses Wirken betraf nicht nur die Chris-

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Altaner, Berthold: Die Dominikanermissionen des 13. Jahrhunderts. Forschungen zur Geschichte der kirchlichen Unionen und der Mohammedaner- und Heidenmission des Mittelalters, Halberschwerdt 1924, 49–50. Lemmens (wie Anm. 20), 50. – Allgemein dazu: Maier C.T.: Preaching the crusades. Mendicant friars and the cross in the thirteenth century, Cambridge 1994, passim. Richardt (wie Anm. 18), 199–204. Regula Bullata. In: Pisma św. Franciszka z Asyżu (wie Anm. 17), 408–409. Lemmens (wie Anm. 20), 48. – Vat Van Der, Odulphus: Die Anfänge der Franziskanermissionen und ihre Weiterentwicklung im nahen Orient und in den mohammedanischen Ländern während des 13. Jahrhunderts, Werl 1934 (Missionswissenschaftliche Studien. Neue Reihe 6), passim. Über die Begriffsgleichheit „Seelsorge“ und „Mission“ im Fall der Franziskaner im 13. Jahrhundert siehe: Elm (wie Anm. 1), 72–73.



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tianisierung, sondern auch verschiedene Gespräche mit anderen Mächten, die Interesse an diesem Teil Europas hatten. Wenig kann man zur franziskanischen Aktivität in den städtischen Milieus schlussfolgern. Das resultiert aus dem Fehlen schriftlicher Quellen und kann nicht als Zeugnis der Passivität der Franziskaner gelten. Allgemein lässt sich auch feststellen, dass ihr Handeln eine wesentliche Komponente bei der Herausbildung der sozialen und institutionellen Strukturen in den ältesten Städten des Deutschen Ordens in Preussen bildete.27 Die Aktivität der Franziskaner in den heidnischen Gebieten der Prussen in den 1240er Jahren unterliegt keinem Zweifel. Dies belegen die päpstlichen Urkunden. Es sind jedoch in diesem Fall weder die Mitglieder des Thorner Konvents noch andere Franziskaner unmittelbar bezeugt. Ein weiteres Problem betrifft die Frage, welche franziskanischen Gruppen im Prussenland aktiv waren. Die grundsätzliche Frage, die nicht nur für die Franziskaner diskutiert wurde, war die Einstellung zu Armut und Eigentum.28 Es lässt sich vermuten, dass im Kulmerland jene Mönche, die eine gemäßigte Ansicht vertraten, aktiv waren. Sie akzeptierten, dass der Orden über Eigentum verfügte (mit Billigung des Papstes). Aus der Perspektive des Deutschen Ordens waren die Minoriten mit ihrem vorsichtigen Verhältnis zum Besitz akzeptabler als andere Orden. Aber im Prussenland traten auch andere Gruppen der Franziskaner auf. Hier war Bartholomäus aus Prag besonders aktiv, der mit keinem franziskanischen Kloster im Kulmerland verbunden war. Er setzte sich in den 1250er Jahren für die Missionierung der Jatwiner ein. Seine Aktivität verdient eine genauere Bearbeitung.29 Auch im Kulmerland erfüllten sie solche Funktionen. Das bezeugen die zahlreichen päpstlichen Bullen, die besonders oft in den 50er und 60er Jahren des 13. Jahrhunderts ausgestellt wurden. Im Jahre 1252 wurde der Minoritenpater Johannes von Diest zum Bischof von Samland ernannt. In dieser Zeit stabilisierten sich auch die Konvente der Franziskaner im Kulmerland. Die institutionelle und materielle Unterstützung der Franziskaner in den 50er Jahren des 13. Jahrhunderts durch den Deutschen Orden war nicht nur wegen dessen Spannungen mit den Dominikanern, wie oben erwähnt, besonders mit dem aus dem Dominikanerorden stammenden Kulmer Bischof Heidenreich, bedingt. Im Jahr 1255 wurde vom Deutschen Orden, dem böhmischen König Przemysl Ottokar und dem brandenburgsichen Markgraf Otto ein großer Kreuzzug unternommen. Sehr schnell haben die Kreuzritter Samland erobert. Die Bevölkerung verpflichtete sich, die Taufe zu empfangen. Der Deutsche Orden beherrschte damit 27 Vgl. Dygo (wie Anm. 12), 259–279. 28 Balthasar, Karl: Geschichte des Armutsstreites im Franziskanerorden bis zum Konzil von Vienne, Münster 1911, passim. 29 Wenta, Jarosław: Do Goga z Magog. Głos w sprawie autorstwa Descriptiones terrarum [Von Magog zu Gog. Bemerkung zum Verfassen der Descriptiones terrarum]. In: Drogą historii: Studia ofiarowane Profesorowi Józefowi Szymańskiemu w siedemdziesiątą rocznicę urodzin [Weg der Geschichte. Studien für Professor Jozef Szymanski zum 70. Geburtstag]. Hg. v. Piotr Dymmel, Krzysztof Skupieński und Barbara Trelińska, Lublin 2001, 31–39, hier 33–34.

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eine weitere Region, die sehr viele Mühen bei der Christianisierung erforderte. Vielleicht beabsichtigte der Deutsche Orden mit den stabilen Konventen in Thorn und in Kulm „Kaderschmieden“ für die Missionierung dieser Region zu schaffen. Man sollte auch nicht ausschließen, dass noch weitere Gruppen von Franziskanern in den sonstigen prussischen Gebieten anwesend waren. Ihre Aktivität, vor allem wohl ihre Predigttätigkeit, hinterließ vermutlich keine schriftlichen Spuren. Ein Zeugnis vom Wirken dieser Mönche, die zu jener Zeit im Prussenland waren, bilden vielleicht die „Descriptiones Prussiae“, wenn diese Quelle von einem Franziskaner angefertigt wurde.30 Die spirituell eingestellten Mönche, die der Lehre von Franz von Assisi sehr streng folgten, konnten auch unter Prussen tätig sein. Heimatlosigkeit und das Martyrium für den Glauben waren tief in den franziskanischen Wertvorstellungen im Rahmen der Christusnachfolge verwurzelt.31 Im Prussenland konnten sie diese Ideen verwirklichen. Dazu sind jedoch keine konkreten Zeugnisse erhalten. Die Teilnahme an den Kreuzzügen veranlasst zum Nachdenken, wie die Verbindung der Kreuzritter zur franziskanischen Religiosität und zu ihrem Ordensbild passten. Allgemein lässt sich feststellen, dass die Minoriten zu militärischen Handlungen, darunter auch zu den Kreuzzügen, kritisch eingestellt waren.32 Andererseits war den Franziskanern die Welt der Ritter und deren Ethos sicherlich nicht völlig fremd. Franz von Assisi beabsichtigte, wie Thomas von Celano in dessen Vita beschrieb, nach seiner Befreiung an einer ritterlichen Expedition nach Apulien teilzunehmen. Im Schlaf sah er das Haus seines Vaters, in dem überall Leinenballen lagen, das sich in eine Waffenkammer verwandelte. Das bestärkte ihn in seiner Entscheidung. Als er sich jedoch auf den Weg machte, hatte er in Spoleto eine neue Vision. Franz hörte eine Stimme: „Warum dienst du dem Bauern statt dem Herrn?“ Damals verstand er, dass er nicht mit dem Schwert, sondern mit der geistigen Waffe Christus dienen sollte. Karl Balthasar stellte im Buch „Geschichte des Armutsstreites im Franziskanerorden bis zum Konzil von Vienne“ fest: „Franziskus verlässt den nach Apulien ziehenden Ritter, um seinem himmlischen Herrn Jesus Christus zu dienen, ganz im Sinne des mittelalterlichen Ritterwesens“.33 Die Franziskaner lebten, trotz ihres Widerwillens gegen militärische Handlungen, in der Welt der ritterlichen Kultur, die auch ein Ethos des Dienstes an Christus und seiner Kirche hervorbrachte. In der Forschung wird die Christianisierung durch die Ritter und die Militarisierung der Kirche im 12. und 13. Jahrhundert betont. Eine sehr wichtige Rolle spielten dabei die Ritterorden, wie der Deutsche Orden, die sich selbst in Anknüpfung an die bekannte Schrift von Bernard von Clairvaux als „milites Christi“ wahrnahmen. Eine solche schlüssige Ideologie findet man in der 30 Wenta (wie Anm. 29), 33–34. 31 Elm (wie Anm. 1), 96. – Daniel, E. Randolph.: The Franciscan Concept of Mission in the High Middle Ages, New York 21992, 39–54. Es sind dort auch einige skeptische Akzente gesetzt. 32 Rotzetter (wie Anm. 1), 121–137. 33 Balthasar (wie Anm. 28), 5.



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Chronik des Peter von Dusburg, in der die Kämpfe des Deutschen Ordens gegen die Heiden beschrieben wurden.34 Die Führung des Deutschen Ordens sah die Franziskaner als Verbündete und Helfer in ihrer umfassenden missionarischen Aktivität. Die friedfertige Handlungsweise der Franziskaner vervollständigte die Christianisierung der prussischen Gebiete. Die Franziskaner hatten ebenfalls Einfluss auf die Wahrnehmung der Heiden als Kinder Gottes.35 Die Gespräche des Franz von Assisi mit dem muslimischen Sultan sind das signifikanteste und bekannteste Zeugnis dieser neuen Einstellung. Dies passte aber nicht zur augustinischen Formation der Deutschordensritter. Ohne Zweifel kam es auch aus diesem Grund zu Spannungen zwischen dem Deutschen Orden und den Franziskanern. Nach etlichen Nachrichten seien die Heiden bereit gewesen, friedlich und ohne Gewalt den neuen Glauben anzunehmen.36 Die Franziskaner waren in der Lage, solche Erwartungen zu erfüllen. Wie schon gesagt, äußerte sich ein bedeutender Teil dieser Mönche kritisch zu Kreuzzugsidee und Kreuzzügen.37 Sie folgten einem anderen Weg der Verbreitung des Glaubens als die Deutschordensritter. Das blieb auch in Rom nicht unbemerkt. Die missionarische Aktivität unter den Prussen konnten auch tragische Folgen haben. Das bezeugen zwei Franziskaner, die in den Katalog der Heiligen aufgenommen wurden. Konrad und Woysclaus wurden im Prussenland wegen ihrer Predigttätigkeit ermordet. Nach Meinung von Lemmens ist dies vermutlich um das Jahr 1284 passiert.38 Der Katalog wurde vor dem Jahre 1335 verfasst, er entstand in der sächsischen Provinz. Über die Verhaltensweise der Franziskaner nach der Eroberung des Prussenlandes durch den Deutschen Orden spricht anschaulich ein Fragment der Bulle von Clemens V. vom 19. Juni 1310. Der Papst lobte einen franziskanischen Mönch aus dem Kloster Braunsberg: „Die Minderbrüder von Braunsberg verbreiten fortwährend das Wort Gottes. Einer von ihnen, der durch die Kraft der Worte und Taten hervorragt, weilt stets unter den Heiden und erleuchtet täglich viele mit den Wahrheiten des Glaubens und erneuert sie im Bade der Wiedergeburt“.39 34 Trupinda, Janusz: Ideologia krucjatowa w kronice Piotra z Dusburga [Kreuzzugsideologie in der Chronik von Peter von Dusburg], Gdańsk 1999, 65ff. 35 Schröder, Walter Johannes: Der Toleranzgedanke und der Begriff der ‚Gotteskindschaft‘ in Wolfram’s ‚Willehalm‘. In: Festschrift für Karl Bischoff zum 70. Geburtstag, Hg. v. Günther Bellmann, Günther Eifler und Wolfgang Kleiber, Köln-Wien 1975, 400–415. 36 Solche Nachrichten, die nach Rom geschickt wurden, betrafen das Poleksenvolk: „Non obstante, quod fratribus dom. Theuton. Tota terra Pruscie, quam gladio sibi subiugare poterint, dicitur esse ab apost. Sede concessa, cum sponte, non coacti gladio, velint ipsi pagani, ut dictum est, ad fidem christiani nominis convocare“; Preußisches Urkundenbuch. Hg. v. Rudolf Philippi und Paul Wölky, Bd. 1/1, Königsberg 1882, Nr. 267. 37 Rotzeitter (wie Anm. 1), 121–137 38 Lemmens (wie Anm. 20), 49. 39 Bullarium Franciscanum. Hg. v. Konrad Eubel, Bd. 5, Roma 1898, Nr. 166. – Lemmens (wie Anm. 20), 51.

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Die Franziskaner und die zerstrittenen Parteien Die Religiosität der Franziskaner legte auf den Willen größeren Wert als auf den Intellekt. Diese Behauptung wurde in den Forschungen sehr oft im Vergleich mit der Religiosität der Dominikaner formuliert. Die Franziskaner betonten auch die Notwendigkeit der friedlichen Beziehungen zwischen Mensch und Gesellschaft. Franz von Assisi bemühte sich zu zeigen, dass der Frieden unter den einzelnen Menschen Frieden in der Gesamtheit der menschlichen Gemeinschaft nach sich ziehe.40 Pax war in den Kanon des franziskanischen geistigen Lebens eingeschrieben. So war es kein Zufall, dass der Frieden nach dem Dreizehnjährigen Krieg in Preußen in der Franziskanerkirche in Thorn bestätigt wurde, um nur ein Beispiel aus den späteren Zeiten zu nennen. Während der Friedensfeier vom 19. Oktober 1466 wurde das Te Deum in dieser Kirche gesungen.41 Die Franziskaner waren Fürsprecher des Friedens. Im 13. Jahrhundert unternahmen die Franziskaner oft Versöhnungsversuche unter den zerstrittenen Parteien. Der Frieden unter den Christen war für den Erfolg in den heidnischen prussischen Gebieten wesentlich. Sehr oft traten die Franziskaner im Interesse des Deutschen Ordens auf. Im Deutschen Orden sahen sie die wichtigste Stütze für die Christianisierung der neuen Gebiete in diesem Teil Europas. Im Jahre 1258 war ein Vertreter der Franziskaner beim Übereinkommen zwischen dem Hochmeister Poppo von Osterna und dem Fürsten Kasimir aus Kujawien anwesend. Der Hochmeister versprach die Übergabe der Hälfte des Löbauer Landes. Dafür erwartete er den Verzicht auf die Gebiete, wo die Poleksen und die Galinden lebten. Die Verhandlungen führten der kujawische und Leubuser Bischof. Das Einvernehmen bestätigte der Kustos der böhmisch-polnischen franziskanischen Provinz, Erbord.42 Eine ähnliche Funktion erfüllte der Guardian aus dem Franziskanerkloster in Inowrocław im Jahre 1263. Der Dirschauer Fürst Sambor, der Leslauer Bischof Wolimir und die Deutschordensbrüder Friedrich und Johannes vermittelten das Einvernehmen zwischen Fürst Kasimir und dem Deutschen Orden. Die Urkunde wurde mit dem Siegel des franziskanischen Guardians versehen, was als Bestätigung des Einverständnisses betrachtet werden kann. Die Franziskaner spielten auch im Vergleich vom 4. August 1257 zwischen Fürst Semovitus aus Masowien und dem Deutschen Orden in Leslau eine wesentliche Rolle. Beide Seiten beteiligten sich am Streit um das Jatwinger Land. Dazu kamen noch die Interessen der litauischen und russischen Fürsten. Die masowischen Fürsten, darunter 40 Oexle, Otto Gerard: Formen des Friedens in den religiösen Bewegungen des Hochmittelalters (1000– 1300). In: Mittelalter. Annäherungen an eine fremde Zeit. Hg. v. Wilfried Hartmann, Regensburg 1993 (Schriftenreihe der Universität Regensburg N.F. 19), 87–109, hier 87–89. 41 Biskup, Marian: Polityka zewnętrzna zakonu krzyżackiego [Außenpolitik des Deutschen Ordens], In: Państwo zakonu krzyżackiego w Prusach. Władza i społeczeństwo [Der Deutschenordensstaat in Preußen. Macht und Gesellschaft], Hg. v. Marian Biskup, Roman Czaja, Warszawa 2008, 273. 42 Preußisches Urkundenbuch 1/1 (wie Anm. 36), Nr. 303.



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Semovitus, wurden zu dieser Zeit vom päpstlichen Legaten Opiso von Messano unterstützt. Der Deutsche Orden erlangte jedoch den Verzicht der masowischen Fürsten auf ihre Ansprüche auf das Jatwinger Land. Diesen Erfolg verdankten sie teilweise der Unterstützung der Franziskaner. In der Urkunde traten die Franziskaner-Guardiane aus Inowrocław und aus Thorn in Erscheinung. Ihre vermittelnde Funktionen wurden mit den Worten „Acta sund hec mediantibus religiosis viris gardyanis“ zum Ausdruck gebracht.43 Die Franziskaner unterstützten auch den Deutschen Orden im Streit mit Lübeck im Jahre 1246 um einige prussische Gebiete.44 Der Guardian Berthog fertigte gemeinsam mit dem Dominikanerprior die sehr umstrittene Urkunde des Bischofs von Płock, Gunther, und des Płocker Kapitels von 1230 (eher unwahrscheinlich) in der Angelegenheit der Abtretung der Besitztümer im Kulmerland aus.45 Eine wichtige Vermittlerrolle spielte auch der Guardian der Franziskaner in Thorn, C., gemeinsam mit dem Kulmer Bischof Friedrich im Streit zwischen dem Leslauer Bischof Wolimir (und seinem Vorgänger Michael) und dem Landmeister Gerhard von Hirzberg um die Besitztümer der Leslauer Bischöfe im Kulmerland. Eine Lösung erreichte man mit dem Vergleich vom 30. März 1268.46 In der Zeit des Ordenskonfliktes mit dem pommerellischen Fürsten Swantopolk versuchten die Franziskaner, die Befreiung Ratibors, des Bruders von Swantopolk, zu erwirken. Der päpstliche Legat erwähnte dies in seiner Urkunde aus dem Jahre 1248, in der er den Fürsten Swantopolk mit dem Bann belegte.47 Die politische Bedeutung der Franziskaner bezeugt auch die Schrift aus dem Jahre 1252, in welcher der Thorner Guardian Berthog über die feindselige und böswillige Vorgehensweise von Swantopolk gegen den Deutschen Orden informierte.48 Er griff Pomesanien an, wo die Ordensritter herrschten. In der Urkunde wurde auch der Minoritenpater Stephan erwähnt. Auf diese Weise unterstützten die Franziskaner eindeutig die Ritter und billigten deren Herrschaft. Das Vorgehen des pommerellischen Fürsten störte die bisherigen Leistungen der Christianisierung. Swantopolk „associata 43 Preußisches Urkundenbuch. Hg. v. August Seraphim, Bd. 1/2, Königsberg 1909, Nr. 19. – Siehe: Powierski, Jan: Sprawa Prus i Jaćwięży w polityce Zakonu Krzyżackiego i książąt polskich po ugodzie włocławskiej z 4 sierpnia 1257 roku [Die Frage von Prussenland und Jatwingerland in der Politik des Deutschen Ordens und der polnischen Fürsten nach dem Leslauer Vertrag von 4. August 1257]. In: Komunikaty Mazursko-Warmińskie (1979) 3, 225–278; die Urkunde vom Jahre 1263, Preußisches Urkundenbuch 1/2, Nr. 188. 44 Preußisches Urkundenbuch 1/1 (wie Anm. 36), Nr. 177. 45 Preußisches Urkundenbuch 1/1 (wie Anm. 36), Nr. 77, s. 57–58. 46 Preußisches Urkundenbuch 1/2 (wie Anm. 43), Nr. 283: „... tandem hinc inde altercationibus habitis in viros venerabiles, videlicet dominum [Fridericum] episcopum Culmensem et fratrem C. gardianum domus fratrum minorum in Torun amicalibes compositores compromisimus promittentes bona fide, quod, quidquid inter nos ordinaret et finiret …“. 47 Preußisches Urkundenbuch 1/1 (wie Anm. 36), Nr. 216. 48 Preußisches Urkundenbuch 1/1 (wie Anm. 36), Nr. 259.

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sibi multitudine paganorum, terram fratrum manu armata invadens, contra formam compositionis firmate parcium sacramento, neophitos sub ipsorum fratrum dominio constitutos abducens et plures captivans, magnam partem terre Pomezanie ignibus concremavit, insuper in predis animalium et in aliis rebus dampna plurima irrogavit“. Die Franziskaner wurden auch in zahlreichen Verträgen, Vergleichen und ähnlichen Schriftstücken des 13. Jahrhunderts als Zeugen genannt. Als Beispiel hierfür kann die Urkunde der Prinzessin Salomea und ihrer Söhne aus Kujawien erwähnt werden, die die Konflikte mit dem Deutschen Orden betraf. Hier wurden der Guardian aus Inowrocław Martin und Bruder Johannes von Köln genannt.49 Aufmerksamkeit erregt auch die Tatsache, dass die Franziskaner (und die Dominikaner) in den Urkunden des litauischen Fürsten Mendog auftreten, in welchen dieser wesentliche Zugeständnisse und Versprechungen zugunsten des Deutschen Ordens machte50. Die Repräsentanten der Bettlerorden hatten am Hof des Fürsten Mendog großen Einfluss, was zu jener Zeit für den Deutschen Orden durchaus vorteilhaft war.

Schlusswort Die wichtigste Aufgabe der Franziskaner – sowohl aus ihrer eigenen Perspektive als auch aus der Perspektive des Papsttums – war die Christianisierung der heidnischen Territorien im Prussenland. Diese Aufgabe erfüllten sie unmittelbar und direkt durch ihre Predigten. Außerdem unterstützten sie den Deutschen Orden in seinen Funktionen. Die Minoriten spielten zudem bei der Beilegung von Konflikten zwischen den Protagonisten, die die Christianisierung vorantrieben, eine wichtige Rolle. Auf diesem Gebiet schienen sie aktiver als die Dominikaner zu sein. Vor allem aber zeigten die Minoriten religiöse Aktivität in jenen Gebieten, die zunächst von den Kreuzrittern erobert und später vom Deutschen Orden beherrscht wurden. Zwei Klöster in Thorn und in Kulm waren für längere Zeit ausreichend. Hierzu kamen vermutlich auch Minoriten aus den anderen Konventen. Erst Ende des 13. Jahrhunderts wurde vom ermländischen Bischof in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Orden das dritte Kloster in Braunsberg gegründet.

49 Preußisches Urkundenbuch 1/2 (wie Anm. 43), Nr. 592. 50 Preußisches Urkundenbuch 1/2 (wie Anm. 43), Nr. 39, Nr. 106.

Edith Feistner ZUR KATECHESE DER RITTERBRÜDER IN DEN ANFÄNGEN DES DEUTSCHORDENSSTAATES Bibeldichtungen als Fallbeispiele Zum Thema dieser Tagung, die nach der „cura animarum“ im mittelalterlichen Deutschordensstaat Preußen fragt, gehört ebenfalls die Frage nach der Katechese der Ritterbrüder selbst. Angesichts des spezifischen Status des Deutschen Ordens als Ritterorden stellt sich diese Frage in besonderer Weise, war hier doch der Anteil der Laienbrüder nicht nur quantitativ eindeutig gegenüber den Ordensklerikern priorisiert. Für die Katechese im Orden dürfte dies nicht folgenlos geblieben sein. Die Führungsrolle der Laienbrüder in der Ordenshierarchie wirft hier eine Reihe von Fragen auf, die von der Zuständigkeit über die Modalitäten bis hin zu den Gegenständen und Themen der Katechese reichen. Der Fokus auf die Anfänge des Deutschen Ordens bzw. des Deutschen Ordens im Ordensstaat, auf die sich mein Vortrag bezieht, kann das Problemfeld insofern noch konturieren, als sich damit auch die Möglichkeit verbindet, Prozesse einer Modellbildung zu beobachten. Der Untersuchungsbereich, auf den ich mich aus Sicht der Literaturwissenschaft in diesem Sinn beziehe, geht aus von den Statuten, dem ersten eigenen kodifizierten Regelwerk des Deutschen Ordens. Im Zentrum steht dann das Textfeld der im Deutschen Orden überlieferten Bibeldichtung aus der 2. Hälfte des 13. und der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts. Angesichts von Zahl und Umfang dieser Werke und angesichts des nach wie vor lückenhaften Forschungsstandes muss ich mich auf drei Frageaspekte beschränken, die ich zumindest an die Rahmenteile (Prologe, Epiloge) und an erzähltheoretische bzw. dispositionslogische Äußerungen in den Texten herantrage, um eine systematische Vergleichsgrundlage zu gewinnen. Die Fragen lauten: 1. Wird bzw. wie wird in den Texten ein Bezug zum Deutschen Orden hergestellt? 2. Welche Kommunikationssituation wird jeweils evoziert, das heißt, welches Verfasser- bzw. Publikumsprofil rufen die Texte auf und wie werden Verfasser- und Publikumsinstanz zueinander ins Verhältnis gesetzt? 3. Wie werden nach Maßgabe der jeweiligen Kommunikationssituation die (biblischen) Vorlagen jeweils diskursiv aufbereitet, das heißt, wo sind die einzelnen Werke im Spannungsfeld von „historia“ (Literalsinn des Erzählten) und Exegese, Erzählung und Kommentierung angesiedelt? Diese an sich basalen Fragen zum Bezug, den die im Deutschen Orden überlieferten Texte zu diesem Orden und zu dessen geistlich-literarischer Kommunikation haben, schienen sich lange Zeit gar nicht zu stellen bzw. schon ‚von außen‘ geklärt zu

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sein. Erst in den 1990er Jahren ist das Bild des Deutschen Ordens als einer religiöskultursinnigen Gemeinschaft, deren Literaturpflege eine „tiefe innere Harmonie“ bei gleichzeitiger „strenge[r] Einheit“ bezeuge,1 in die Kritik geraten und, zusammen damit, auch der Begriff von einer generalstabsmäßig-planvoll angelegten „Deutschordensdichtung“. Zuerst hat Jelko Peters diese Kritik geäußert.2 Selbst dort, wo eine affirmativ-bewundernde Haltung gegenüber dem Deutschen Orden keineswegs in die deutsch-nationale Ecke zu stellen ist, hat sie dazu verführt, Texte, bloß weil sie im Deutschordenskontext überliefert sind, automatisch mit einer Entstehung im Deutschen Orden zu verbinden. Peters hat mit seinem kritischen Rundumschlag keine Antworten gegeben; aber er hat, so sehr dieser Rundumschlag in seiner Plakativität über das Ziel hinausschießen mag, den Blick auf Fragen geöffnet.3 Vor allem Fragen stellt denn auch mein Beitrag – nicht mit dem Anspruch, diese Fragen nacheinander zu beantworten, sondern mit dem Ziel, aus den Fraglichkeiten selbst Schlussfolgerungen zu ziehen. Im Fall der Ritterorden ist es zunächst keineswegs selbstverständlich, dass man literarisch gestützte Katechese überhaupt voraussetzen kann. Einen Eindruck von der spezifischen Ausgangssituation im Deutschen Orden geben die Statuten. Der Blick in die Statuten lässt erkennen, dass einerseits zwar das Institut der Tischlesung von den geistlichen Orden übernommen worden ist. Die entsprechende Stelle lautet: „Daruber sal man daz behalten in allen hûseren, dâ convent von brûderen ist, daz sint zwelf brûdere unde ein commendûr zu der gezal der jungeren unseres hêrren Jhêsu Christi, daz man dâ pflegelîche dî lectien zu tische habe, die alle, die dâ ezzent, mit swîgene sulen hôren, daz in alleine die gûmen iht werden gespîset, sunder ouch ir ôren hungere nâch Gotes worte.“4

Anderseits war aber, wie eine Fülle von Passagen zeigt, davon auszugehen, dass die Mehrheit der Ordensmitglieder weder lesen und schreiben konnte noch auch derartige Kompetenzen erwerben sollte. Zu den ersten Bestimmungen im Gesetz-Teil der Statuten gehört daher, dass Gelehrsamkeit zwar betrieben werden darf, aber nur von 1 Maschke, Erich: Die inneren Wandlungen des Deutschen Ritterordens. In: Geschichte und Gegenwartsbewusstsein. Festschrift für Hans Rothfels. Hg. v. Waldemar Besson, Göttingen 1963, 249–277. Zitiert wird hier nach dem Wiederabdruck dieses Beitrags in: Domus Hospitalis Theutonicorum, Bad Godesberg 1967 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 56), 44f. 2 Peters, Jelko: Zum Begriff ‚Deutschordensdichtung‘. Geschichte und Kritik. In: Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 3 (1995). 7–38. 3 Zur Forschungsdiskussion vgl. den Überblick (mit weiterer Literatur) bei Feistner, Edith/Neecke, Michael/Vollmann-Profe, Gisela: Krieg im Visier. Bibelepik und Chronistik im Deutschen Orden als Modell korporativer Identitätsbildung, Tübingen 2007 (Hermaea 114), 3–13 sowie 21–25. 4 Die Statuten des Deutschen Ordens nach den ältesten Handschriften. Hg. v. Max Perlbach, Halle a.S. 1890 (Nachdruck Hildesheim/New York 1975), 41. Zur Provenienz der Formulierung aus der Augustinerregel vgl. Kolb, Herbert: Rolandslied-Lesung im Deutschen Orden. In: IASL 15 (1990), 1.



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denen, die eine entsprechende Bildung zum Zeitpunkt ihres Ordenseintritts schon mitbrachten.5 Die meisten Ritterbrüder hatten nach Ausweis der Statuten jedoch genug damit zu tun, die wahrhaft minimalen Voraussetzungen zu erfüllen, die ihnen in Sachen religiöser Bildung auferlegt waren: Sie mussten über das „Credo“, das „Pater Noster“ und das „Ave Maria“ im Zeitraum eines halben Jahres (mit möglicher Fristverlängerung um ein weiteres halbes Jahr) auswendig verfügen können, um endgültig in den Orden aufgenommen zu werden.6 Die Erweiterung um das „Salve Regina“ hat sich, wie mehrere nachträgliche Bestimmungen unter Hochmeister Werner von Orseln (1324–1330) zeigen,7 nicht durchsetzen lassen. Für alle möglichen Arten von (Vor-)Lesesituationen und Repräsentationsanlässen kamen daher – ähnlich wie im Fall höfischer Literatur – nur volkssprachliche Texte in Frage. Wie für die Statuten selbst8 gilt auch für die Katechese: Religiöse Bildung und Unterweisung erfolgten durch Zuhören beim Vortrag volkssprachlicher Texte, also nach der Maxime „hôren unde lernen“. Auf die im Adel angestammte höfische Literatur konnte man wegen des Ordensprofils freilich nur zu einem geringen Teil zurückgreifen,9 und die anderen Ritterorden, Templer und Johanniter, hatten wenig an entsprechender Literatur hervorgebracht.10 Doch auch der in den geistlichen Orden etablierte Literaturbetrieb eignete sich nicht unbedingt zum Vorbild. Berührungspunkte gab es am ehesten mit den neuen Laienorden.11 Durch die Laienfrömmigkeitsbewegung hatte die Bedeutung von Laien im Orden bzw., wenn man an die 5 6 7 8

Perlbach: Die Statuten des Deutschen Ordens (wie Anm. 4), 64. Ebd., 61f. Ebd., 147. Zur Rolle der Volkssprache in der Überlieferung der Statuten vgl. Šterns, Indrikis: The Statutes of the Teutonic Knights. A Study of Religious Chivalry. Diss. (masch.) University of Pennsylvania 1969, 50–57. 9 Vgl. Masser, Achim: Bibel- und Legendenepik des deutschen Mittelalters, Berlin 1976 (Grundlagen der Germanistik 19), 71, sowie die von Grunewald, Eckhard: Das Register der Ordensliberei Tapiau aus den Jahren 1541–1543. Eine Quelle zur Frühgeschichte der ehemaligen Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg. In: Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 1 (1993), 56–91. – Kolb: Rolandslied-Lesung (wie Anm. 4), 1–12, und Holznagel, Franz-Josef: Barlaam unde der Stricker in eyme buche. Kleinere Reimpaardichtungen des 13. Jahrhunderts in den inventarisierten Handschriften des Deutschen Ordens. In: ZfdPh 121 (2002), 121–127, zusammengestellten bzw. diskutierten Beispiele; am umfassendsten dokumentiert zuletzt bei Mentzel-Reuters, Arno: Arma spiritualia. Bibliotheken, Bücher und Bildung im Deutschen Orden, Wiesbaden 2003 (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 47), 89, 153, 233, 236, 261, 267, 269 (u.ö.). – Vgl. ferner Feistner, Edith/Neecke, Michael: Vom ‚Überlesen‘ der Niederlage. Das Rolandslied und seine Rezeption im Deutschen Orden. In: Kriegsniederlagen. Erfahrungen und Erinnerungen. Hg. v. Horst Carl (u.a.), Berlin 2004, 15–26. 10 Vgl. Nicholson, Helen: Templars, Hospitallers and Teutonic Knights. Images of the Military Orders, 1128–1291, Leicester/London/New York 1993, 110f. 11 Die Deutschordensstatuten selbst erwähnen an einer Stelle „andere ordene, dâ ouch leigen sint“ (Perlbach: Die Statuten des Deutschen Ordens [wie Anm. 4], 36 [Regel 9]).

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Frauenzweige der neuen Orden denkt, die Bedeutung von Laienorden überhaupt wesentlich zugenommen. Ähnlich wie für die Ritterbrüder im Deutschen Orden musste für die im 13. Jahrhundert neu gegründeten Frauenorden, deren Mitglieder allesamt qua Geschlecht dem Laienstatus zugewiesen waren, ein Fundus volkssprachlicher Texte unter anderem für die „lectio ad mensam“ bereitgestellt werden. Hier griff man auf die Kleriker der korrespondierenden männlichen Orden zurück.12 Diese konnten sich bei der Aufgabe, lateinisches Textmaterial auszuwählen und zu übersetzen, aber durchaus innerhalb eines gewohnten Terrains bewegen bzw. von einem auf spirituelle wie funktionale Äquivalenz gerichteten Erwartungshorizont ausgehen. Ein Zeichen dafür war nicht zuletzt der mit der Übersetzung unmittelbar einhergehende Transfer der (lateinischen) Prosa in die Volkssprache.13 Im Deutschen Orden hingegen hielt man noch bis Mitte des 14. Jahrhunderts am Vers als ästhetisch-höfischer und mündlichkeitsorientierter Grundform fest.14 Hier standen Aufbau und Etablierung einer geistlichen ‚Bibliothek‘ unter einem anderen Vorzeichen. Schon der Status der Priesterbrüder in der ordensinternen Hierarchie ist ja ein anderer als der, der den in der „cura monialium“ der neuen Orden tätigen Klerikern zukam: Die Priesterbrüder unterstanden der Kontrolle eines Laien, des Hochmeisters, der aufgrund seiner Machtbefugnisse faktisch auch über das religiöse Leben im Orden bestimmte, obwohl er selbst keine liturgischen Handlungen vornehmen konnte.15 Aufgrund der höheren Weihen sollte man die Priesterbrüder aber ehren,16 und für die Durchführung von Liturgie17 und Stundengebet, für alle Arten von Seelsorgstätigkeiten, die im Orden anfielen, waren sie genau so unentbehrlich wie als Vorleser; man konnte ihnen Verwaltungsaufgaben übertragen und natürlich dem einen oder anderen auch den Auftrag geben, einen 12 Zur auch literarhistorisch höchst bedeutsamen Regelung der „cura monialium“ vgl. Grundmann, Herbert: Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der Mystik, Darmstadt 41977 (mit einem Anhang: Neue Beiträge zur Geschichte der religiösen Bewegungen im Mittelalter), 284–312. 13 Vgl. Feistner, Edith: Bausteine zu einer Übersetzungstypologie im Bezugssystem von Funktionsund Rezeptionsgeschichte der mittelalterlichen Heiligenlegende. In: Übersetzen im Mittelalter. Cambridger Kolloquium 1994. Hg. v. Joachim Heinzle, L. Peter Johnson und Gisela Vollmann-Profe, Berlin 1996 (Wolfram-Studien 14), 171–184 (besonders 181–183). 14 Zur Vereinbarkeit von Versform und Tischlektüre vgl. zuletzt Fasbender, Christoph: Einübung in Literatur. Textuale Strategien der Vermittlung literarischer Kompetenz in Dichtungen des Deutschen Ordens. In: Deutschsprachige Literatur des Mittelalters im östlichen Europa. Forschungsstand und Forschungsperspektiven. Hg. v. Ralf Päsler und Dietrich Schmidtke, Heidelberg 2006, 107–123, hier 122. 15 In das 13-köpfige Gremium zur Wahl des Hochmeisters aber durften die Ordenspriester nach Regelung der „Consuetudines“ gerade einen einzigen Vertreter schicken (vgl. Perlbach: Die Statuten des Deutschen Ordens [wie Anm. 4], 92f.). 16 Vgl. ebd., 64. 17 Das galt nicht zuletzt, kriegsbedingt, für Sterbeliturgie (vgl. ebd., 37).



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Text für die Ritterbrüder zu verfassen. Dass dies für die Ordenschroniken ausnahmslos galt, aber zumindest nicht mit gleicher Selbstverständlichkeit für das Gebiet der geistlichen Literatur, sei als auffälliger Befund bereits an dieser Stelle signalisiert. Ich komme nun zum Textfeld der Bibeldichtung, und beginne mit den drei ältesten Werken, die, ab der Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden, im Deutschen Orden überliefert sind. Ein typischer Überlieferungsträger ist dabei, wie auch für die Bibeldichtungen aus der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts, die Form der Sammelhandschrift,18 d.h. einer nachträglichen Zusammenstellung von (Bibel-)Dichtungen mit mehr oder weniger großem Zeitabstand zur Abfassung der jeweiligen Werke selbst. Das älteste (im Text) datierte Werk ist die Versdichtung „Judith“ von 1254,19 zu der die der „Hester“20 kommt und (evtl. auch in umgekehrter Abfolge) die ebenfalls in Versform verfasste „Apokalypse“ des Heinrich von Hesler;21 letztere kann durch Fragmentfunde aus dem 13. Jahrhundert inzwischen auf eine Entstehung bis „um 1260“ zurückdatiert werden.22 Für die erste meiner Fragen, die nach einem Texthinweis auf den Deutschen Orden als Produzenten oder Adressaten, ist in allen drei Fällen Fehlanzeige zu konstatieren. Heslers „Apokalypse“, das einzige unserer Werke, dessen Autor sich namentlich nennt, enthält sogar einen kurzen kritischen Bezug, schließt es doch in seine Kritik an der Welt-„girikeit“ der Priester und Ordensleute ausdrücklich „der dutschen hus“ mit ein (vv. 5827–5832). Bei der zweiten Frage, der nach der im Text evozierten Kommunikationssituation, ergibt sich hingegen ein sehr unterschiedliches Bild. Die „Judith“ inszeniert eine fast persönlich wirkende Kommunikation zwischen dem Verfasser und einem ungenannten, aber bestimmten „vrunt“ und „bruder“. Derartige Adressatenbezeichnungen be-

18 Von den ältesten im Deutschen Orden überlieferten Bibeldichtungen ist nur Heinrichs von Hesler Versapokalypse auch außerhalb der Sammelhandschrift (Württembergische Landesbibliothek, Cod. HB XIII 11) tradiert, in der das Werk u.a. zusammen mit den Dichtungen „Judith“ und „Hester“ enthalten ist: vgl. Heinrich von Hesler: Die Apokalypse. Hg. v. Volker Honemann, München 2000 (Codices illuminati medii aevi 27), 12–17 sowie Klein, Klaus: Zur Überlieferung der ‚Apokalypse‘ Heinrichs von Hesler. In: ZfdA 128 (1999), 66–72. 19 Judith. Aus der Stuttgarter Handschrift HB XIII 11 hg. v. Hans-Georg Richert, Tübingen 1969 (Altdeutsche Textbibliothek 18). 20 Hester – eine poetische Paraphrase des Buches Esther aus dem Ordensland Preußen. Edition und Kommentar. Hg. v. Manfred Caliebe, Marburg 1985 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 21). 21 Heinrich von Hesler: Apokalypse. Aus der Danziger Handschrift hg. v. Karl Helm, Berlin 1907 (DTM 8. Nachdruck Hildesheim 2005). – Vgl. auch Honemann (Hg.): Die Apokalypse (wie Anm. 18). 22 Vgl. zusammenfassend zuletzt Ehrich, Susanne: Die ‚Apokalypse‘ Heinrichs von Hesler in Text und Bild. Traditionen und Themen volkssprachlicher Bibeldichtung und ihre Rezeption im Deutschen Orden, Berlin 2010 (Philologische Studien und Quellen 223), 11f.

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gegnen in der Bibeldichtung häufiger (u.a. auch bei Hesler23), allerdings im Plural. Im Fall der „Judith“ wird stattdessen der Eindruck eines religiösen Zwiegesprächs hervorgerufen, bei dem der Dichter zwar im Gestus des Lehrers zum Freund und Bruder spricht, aber ohne dabei eine Schranke zwischen Kleriker- und Laienstatus bzw. Schriftgelehrtheit und Ungelehrtheit einzuziehen. Metaphernreich und mit theologischem Anspruch wird ein eigenständig reflektierender und lesender – nicht nur zuhörender – Adressat thematisiert, der durch Buchstudium und Kontemplation in der Abkehr von der Welt bestärkt werden soll. Die „Hester“-Dichtung präsentiert dagegen einen Verfasser, der in typischer Manier hierarchischer Kommunikation sich selbst als Schriftgelehrter im ‚Wir‘ der Kleriker von ‚den‘ Lateinunkundigen abhebt und im Prolog auch nicht zu den Laien spricht, sondern über die Laien zu seinen (Kleriker-)Kollegen. Diesen gegenüber tritt er dafür ein, dass Bibelwissen „in allen zungen“ (v. 55), also auch auf Deutsch, verbreitet werden soll, und er begründet das damit, dass Bibelwissen nicht nur für a l l e nützlich sei, sondern dass auch theologische Gelehrsamkeit weder vor ‚verkehrtem‘ Schriftverständnis schütze noch vor ‚verkehrtem‘ Leben. Heinrich von Hesler wiederum bezeichnet sich in seiner „Apokalypse“ als „nothaften“ Ritter (v. 16480) und erwähnt Nebra (v. 16486ff.) westlich von Naumburg als Vortragsschauplatz seines Werkes. Bei Nebra liegt ein Ort namens Burgheßler; ein Schultheiß von Naumburg namens „Heinricus de Heseler“ urkundet in den 70er und 80er Jahren des 13. Jahrhunderts.24 Deutschordensritter ist der „Apokalypse“Dichter nach dem oben Gesagten schwerlich gewesen. Als Laie inszeniert er sich aber konsequent, unterscheidet er über Prolog und Epilog hinaus immer wieder zwischen „uns“ Laien und „den“ Priestern/Ordensleuten, insbesondere im Zusammenhang mit seiner Kritik an einer undifferenzierten Buß- und Predigtpraxis sowie an einer den Katecheseinhalten widersprechenden Lebensweise des Welt- und Ordensklerus. So wendet er sich, nach eigener Aussage auf Bitten von Freunden und Verwandten hin (vv. 17879–17908), im Vertrauen auf göttliche Inspiration (vv. 147–153, 761–773) als selbstbewusster Laie an Laien, um mit seinem Apokalypsenkommentar gleichsam zu zeigen, wie man es besser machen könnte. Bei der dritten Frage, der nach der Technik diskursiver Vermittlung im Spannungsfeld von Literalsinn und mehrfachem Schriftsinn, setzt sich das heterogene Bild fort. Der „Judith“-Dichter verbietet seinem Freund und Bruder geradezu, sich bloß auf die erzählte Geschichte zu konzentrieren, fordert auch außerhalb des Prologs (vgl. die Rückverweise in v. 623, 684) eine exegeseorientierte Lektüre und führt sie am konkreten Beispiel in einem Exkurs (vv. 621ff.) vor. Dieser wirkt so detailliert und voraussetzungsreich, dass Lähnemann in ihrer Monographie über die deutschen Judithdichtungen dieses Werk als das theologisch anspruchsvollste von ihnen bezeich23 Vgl. Helm (Hg.): Apokalypse (wie Anm. 21): „Mine vrunt und mine mage“ (v. 17879). 24 Vgl. Ehrich: Die ‚Apokalypse‘ (wie Anm. 22), 12–14.



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net und dabei sogar die Vermutung geäußert hat, der Exkurs sei nur der Rest einer ursprünglich durchgängigen, in der Deutschordensüberlieferung aber herausgeschnittenen Exegese-Ebene.25 Der „Hester“-Dichter plädiert zwar bei seinen Klerikerkollegen für die volkssprachliche Laienkatechese unter Einschluss auch der Bibel, bleibt aber im Vergleich zur „Judith“ und zur „Apokalypse“ auf einer deutlich einfacheren Ebene. Das gilt nicht für den erzählerischen Anspruch des „Hester“-Dichters, sondern für das theologische Niveau. So erklärt er denn auch am Schluss, um sich als Schriftgelehrter von den Laien abzugrenzen, dass er zwar in Bezug auf das Schriftverständnis viel hätte schreiben können, darauf aber verzichtet habe und nun nur noch ein einziges ‚exegetisches‘ Beispiel kurz erwähnen wolle: den typologischen Bezug zwischen Hester und Maria (vv. 1945ff.). Ganz im Gegenteil wiederum setzt der Laie Heinrich von Hesler, in der Kommentartradition zur Apokalypse bewandert, bei seinem Laienpublikum, so konsequent er es als „horcher“ und nicht als Leser anspricht,26 ein erstaunliches Maß an theologischem Interesse voraus, wenngleich er einen Teil der biblischen Vorlage und die zugehörige Kommentierung durch die narrativ angelegte Antichrist-Vita ersetzt.27 Insgesamt sind die drei ältesten im Deutschen Orden überlieferten Bibeldichtungen mithin so unterschiedlich konzipiert, wie es nicht unterschiedlicher sein könnte: Einmal ruft ein regelrecht monastisch wirkender Erzähler seinen ‚Novizen‘ zu Weltabkehr und Bibelstudium auf; ein andermal tritt in hierarchischem Gestus ein Kleriker auf, der zwar für Laienkatechese aufgeschlossen ist, dabei aber stets eine große Kluft zwischen Laien als theologischen ‚ABC-Schützen‘ und den lateinisch Gebildeten vor Augen hat; ein drittes Mal schließlich wird ebendiese hierarchische Attitüde durch einen Laien, der sich als Katechet mit theologischem Anspruch inszeniert, geradezu Lügen gestraft. Lässt all das tatsächlich an den Deutschen Orden als Produzenten denken oder nicht eher daran, dass wir der nachträglichen Sammeltätigkeit des Deutschen Ordens nur – und das wäre nicht wenig – die Überlieferung eines vielfältigen Spektrums deutscher Bibeldichtung verdanken? Die ordnende Hand eines katechetischen Programmlenkers oder eine gleichsam selbsttätig Einheit stiftende Spiritualität wird in den Texten jedenfalls nicht erkennbar. Doch vollkommen zufällig scheint es nicht zu sein, welche Texte im Deutschen Orden überliefert sind. Anhaltspunkte für eine interessengeleitete Auswahl zeigen sich noch deutlicher, wenn im Folgenden die Reihe der Bibeldichtungen auch ins 14. Jahrhundert hinein fortgesetzt wird. Aber bereits der zu den Deutschordensstatuten parallele Bezug auf die Apokalypse und das Alte Tes25 Lähnemann, Henrike: Hystoria Judith. Deutsche Judithdichtungen vom 12. bis zum 16. Jahrhundert, Berlin/New York 2006 (Scrinium Friburgense 20), 192f., 199f., 204–206. 26 Vgl. Helm (Hg.): Apokalypse (wie Anm. 21), vv. 724, 726, 732, 737f., 744 u.ö. 27 Eingehend dazu Ehrich: Die ‚Apokalypse‘ (wie Anm. 22), 63–115.

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tament weisen darauf hin, wobei die Apokalypse im Statuten-Prolog zur Legitimation des Ritterordens als Stoßtruppe einer „ecclesia militans“ herangezogen wird und das Alte Testament als Belegstellenlieferant, um das „vertiligen“ der Feinde Gottes zu legitimieren.28 Hier liegt, wenn man das auf die Bibeldichtung übertragen darf, ein Auswahlprinzip zugrunde, das sich an den für den Ritterorden anschlussfähigen Büchern von der Kriegsgeschichte des Volkes Israel bzw. dessen Kampf um das eigene Land orientiert – und sei es wie im Fall von Judith und Hester ein Kampf mit den Waffen einer Frau. Dieses Auswahlprinzip schiene dann doch in erster Linie ein „historisches“, auf den Literalsinn bezogenes, gewesen zu sein und weniger ein exegetisches, auf hermeneutische Perspektivenöffnung im Sinn des mehrfachen Schriftsinns angelegtes. Autoren, die wie der „Judith“-Dichter und Heinrich von Hesler auf Letzteres besonderen Wert legen, äußern ihre Sorge, der Text könne im Zuge der Überlieferung verstümmelt werden.29 Hatte der „Judith“-Dichter also recht mit seiner Sorge? Oder war der Deutsche Orden, was die Bewahrung der Bibeldichtungen in der Unterschiedlichkeit ihrer Textgestalt angeht, nicht andererseits womöglich sogar ein sichererer Überlieferungsträger als andere potenzielle Rezipienten, gerade weil sein Interesse gar nicht am Exegesedetail des geschriebenen Wortes hing? Während Heslers Invektive gegen den Deutschen Orden in der Deutschordensüberlieferung unangetastet geblieben ist, ist hier auf anderer Ebene, nämlich im Medium der Handschriftenillustration, eine Brücke für die Ordensritter eingebaut, wenn Reichsstandarte und Deutschordensfahnen in das Bild vom endzeitlichen Kampf zwischen den Völkern Gog und Magog hineingezeichnet oder Deutschordensbrüder in einer Taufszene abgebildet werden, ohne dass Heslers Text selbst einen Hinweis darauf enthielte.30 Ich komme nun zur zweiten Gruppe, insgesamt fünf im Deutschen Orden überlieferten Bibeldichtungen, die in der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts, und hier konzentriert auf die 30er/40er Jahre, entstanden sein dürften: Es handelt sich dabei um die Versdichtungen über die „Makkabäer“, das Buch „Daniel“, den (im Text) auf 1338 datierten „Hiob“, über „Esra und Nehemia“ und über die „Historien der alden ê“.31

28 Feistner/Neecke/Vollmann-Profe: Krieg im Visier (wie Anm. 3), 32–36. 29 Vgl. Richert (Hg.): Judith (wie Anm. 19), vv. 2753–2760 bzw. Helm (Hg.): Apokalypse (wie Anm. 21), vv. 1283–86, 1319–27. 30 Vgl. Ehrich: Die ‚Apokalypse‘ (wie Anm. 22), 206–219. 31 Das Buch der Maccabäer in mitteldeutscher Bearbeitung. Hg. v. Karl Helm, Tübingen 1904 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 233). – Die poetische Bearbeitung des Buches Daniel. Aus der Stuttgarter Handschrift hg v. Arthur Hübner, Berlin 1911 (DTM 19). – Die mitteldeutsche poetische Paraphrase des Buches Hiob. Aus der Handschrift des Königlichen Staatsarchivs zu Königsberg hg. v. Torsten E. Karsten, Berlin 1910 (Dichtungen des Deutschen Ordens 4). – Esdras und Neemyas: eine Deutschordensdichtung aus dem 14. Jahrhundert. Hg. v. Samuel D. Stirk, Breslau 1938 (Sprache und Kultur der germanischen und romanischen Völker: Deutsche Texte 4). – Historien von der alden E. Hg. v. Willhelm Gerhard, Leipzig 1927 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 271).



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Der Autor nennt sich in keinem der Werke. Für die erste meiner Fragen, die nach dem Deutschordensbezug im Text, ist von dieser Seite aus also auch hier nichts zu gewinnen. Anders als in der ersten Werkgruppe wird jetzt aber zumindest in zwei Fällen der Deutsche Orden bzw. der Name eines Hochmeisters genannt: der Luders von Braunschweig in der „nachrede“ des „Daniel“ und der seines Nachfolgers Dietrich von Altenburg im Epilog des „Hiob“, hier allerdings ohne ausdrücklichen Hinweis darauf, dass dieser Hochmeister das Werk in Auftrag gegeben hätte. Seine lobende Erwähnung als zur Abfassungszeit des Werkes amtierender Hochmeister (vv. 15525– 15531) wird vielmehr, im Kontext einer „Hiob“-Dichtung erstaunlich, mit den militärischen Erfolgen gegen die Litauer begründet, über die der Autor durchaus gut informiert zu sein scheint; das zeigen die Hinweise auf das samländische „Pelen“ (Piljany) und die 1337 am linken Memelufer errichtete „Beigersburck“ (vv. 15532–15555). Der Heidenkampf ist ebenfalls Gegenstand der Ehrenerklärung für den Orden im Prolog des „Daniel“ (vv. 33–43), während in der „nachrede“ epitaphhaft32 auf das Leben Luders von Braunschweig geblickt (vv. 8295–8348), dessen Verwandtschaft mit Elisabeth von Thüringen gerühmt und angedeutet wird, dass der Autor das Werk tatsächlich im Auftrag von „Bruder Luder“ (v. 8321) begonnen hat. Nicht im Text, sondern ähnlich wie bei Heslers „Apokalypse“ als Bildzutat, nämlich in Gestalt des Braunschweigischen Wappens, findet sich ein Hinweis auf Luder auch in der „Makkabäer“Dichtung. Von der Interpretation des Wappens als versteckte Verfassersignatur ist die neuere Forschung aber einhellig abgerückt, zumal gar nicht feststeht, auf welcher Überlieferungsstufe das Bild hinzukam.33 Was den Deutschordensbezug im Text der genannten fünf Bibeldichtungen insgesamt angeht, lässt sich also eine gewisse Verdichtungstendenz beobachten. Allerdings wird in keinem Fall die unmissverständliche Deutlichkeit erreicht, mit der dieser Bezug auf dem Gebiet der Chronistik markiert wird, wie das Beispiel Jeroschins zeigt: „Nicolaus von Jeroschin“ (v. 218), der Verfasser der „Kronike von Pruzinlant“, gibt sich als „capellân“ und „dinstis […] leistir“ des Hochmeisters (vv. 213–217) zu erkennen, nennt als Auftraggeber „brûdir“ Dietrich von Altenburg bzw. schon dessen Vorgänger, „brûdir“ Luder von Braunschweig (vv. 169–195), und den Verfasser der lateinischen Vorlage, seinen Ordens-„brûdir“ Peter von Dusburg (v. 155). Es widersprach im Deutschen Orden also durchaus nicht den Usancen, Zuständigkeiten beim 32 Vgl. Fasbender, Christoph: Zur Datierung des ‚Buchs der Makkabäer‘. Zugleich eine Vorstudie zur Rezeption der ‚Postilla litteralis‘ des Nikolaus von Lyra im Deutschen Orden. In: Mittelalterliche Kultur und Literatur im Deutschordensstaat in Preußen. Leben und Nachleben. Hg. v. Jarosław Wenta, Sieglinde Hartmann und Gisela Vollmann-Profe, Toruń 2008 (Sacra Bella Septentrionalia 1), 436. 33 Vgl. Feistner/Neecke/Vollmann-Profe: Krieg im Visier (wie Anm. 3), 159–162. – Fasbender: Zur Datierung des ‚Buchs der Makkabäer‘ (wie Anm. 32), 423–427. (Vgl. auch Vogelgsang, Klaus: Klaus Kranc als Verfasser der ,Makkabäer‘? In: Mittelalterliche Kultur und Literatur im Deutschordensstaat in Preußen [wie Anm. 32], 441–447).

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Namen zu nennen, ging es doch hier nicht um eine Frage der Demut, sondern – Jeroschin sagt es selbst – darum, klarzumachen, wer für ein Werk geradezustehen habe (vv. 196–205). Wie verhält es sich, um auf die Bibeldichtungen zurückzukommen, mit der zweiten Frage? Kann zumindest die in den Texten evozierte Kommunikationssituation auf den Deutschen Orden hinweisen bzw. auf eine bestimmte, vermittlungstechnisch gelenkte spirituelle Ausrichtung im Umgang mit der Heiligen Schrift? Aus den „Makkabäern“ ergibt sich, was die Kommunikationssituation angeht, ein unklar, ja widersprüchlich wirkendes Bild.34 Das gilt zumal, wenn man die Vorrede des deutschen „auctoris“ mit dem Epilog vergleicht: In der Vorrede betont der Verfasser neben demutstopischen Äußerungen über seine Person (daher auch keine Namensnennung: vv. 325–334) den Nutzen seines Werkes für jedermann (vv. 301–303) und wendet sich dabei ausdrücklich an nicht-lesefähige Zuhörer (v. 284); auch in auslegungsbezogenen Passagen, die sich an weitverbreiteten Standardtexten wie der „Historia scholastica“ und der „Glossa ordinaria“ orientieren, „spricht“ die Quelle und das Publikum soll hören (vgl. v. 7347, 7414). Im Epilog hingegen werden nun doch Adressaten avisiert, die zum eigenen Buchstudium fähig sind und auch „gerne lesen“ sollen (vv. 14339–14342); zudem scheint der Verfasser innerhalb seiner eigenen Gegenüberstellung von „leien“ und „pfafheit“ selbst die Seiten zu wechseln, wenn er einmal in der 3. Person von „den“ Laien spricht und sie ermutigt, angesichts ihrer Ungelehrtheit und geistlich-religiösen Unsicherheit Rat bei der „pfafheit“ zu suchen, ein andermal sich aber auch im „Uns“ der Laien wiederfinden lässt (vgl. 14367, 14382). Oder ist das „Uns“ im liturgisch verallgemeinerten Sinn zu verstehen? Oder sollte es womöglich um einen Ausgleich der kirchenrechtlichen Kluft zwischen „leien“ und „pfafheit“ gehen (was nicht schlecht in den Deutschen Orden passen könnte)? Handelt es sich stattdessen evtl. um Redaktionsfehler im Zuge der Tradierung? Vielleicht lösen sich die Widersprüche, wenn man als Verfasser einen schreib- und lesefähigen Laien annimmt, der sich als solcher aber noch in einer Ausnahmestellung empfindet. Im Blick auf die Verhältnisse des 14. Jahrhunderts mag das freilich schon etwas anachronistisch anmuten. Das theologische Niveau des „Makkabäer“-Dichters ist in der Tat nicht eben hoch. Doch scheint es gewagt – man denke nur an das Beispiel vom gebildeten „rittere“ Hesler –, allein deswegen in ihm einen Laien bzw. wie Udo Arnold einen Deutschordensritter zu vermuten.35 Fest steht lediglich, dass mit den „Makkabäern“ eine Dichtung vorliegt, in der jeglicher Hinweis auf den Deutschen Orden 34 Das zeigt sich auch in den verschiedenen Beiträgen der neueren Forschung, die das Werk zwar übereinstimmend nicht mehr Luder von Braunschweig zuschreiben, aber unterschiedliche Festlegungen auf den Laien- oder Geistlichenstatus des unbekannten Verfassers treffen: Vgl. Feistner/Neecke/ Vollmann-Profe: Krieg im Visier (wie Anm. 3), 163. – Fasbender: Zur Datierung des ‚Buchs der Makkabäer‘ (wie Anm. 32), 437. – Vogelgsang: Klaus Kranc als Verfasser der ,Makkabäer‘? (wie Anm. 33), 442. 35 Arnold, Udo: Artikel „Luder (Luther) von Braunschweig“. In: VL Bd. 5 (21985), 953.



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fehlt, obwohl dieser sich doch mit dem Ehrentitel der „novi Maccabaei“ schmückte. Den Deutschordensrittern wurde diese Ehre erstmals 1221 durch Honorius III. zuteil, und die Makkabäer werden nicht nur im Prolog der Statuten, sondern ebenfalls in den Ordenschroniken von Dusburg und Jeroschin wiederholt als Korrespondenzfiguren, ja Präfigurationen in Anspruch genommen. Schließt man an die „Makkabäer“ die „Daniel“-Dichtung und den „Hiob“ an, jene beiden Werke also, wo im Text selbst eine explizite Anregung durch oder zumindest Widmung an den Deutschen Orden enthalten ist, so ergibt sich im Hinblick auf die avisierte Kommunikationssituation folgendes Bild: Das Zielpublikum ist ein dezidiert allgemeines. „Der werlde wol zu lere“ lautet die Funktionsbezeichnung im „Daniel“Prolog, im Epilog ist von „allen luten“ (v. 8300) die Rede, und auch der „Hiob“ wendet sich, abgesehen von der Widmung an Dietrich von Altenburg im Epilog, nicht speziell an Deutschordensbrüder. Beide Texte setzen als Adressaten Hörer voraus, und zwar konsequent solche, die nicht ggf. selbst (nach-)lesen könnten: Im „Daniel“ wird das „Hören“ oder „Horchen“ zusätzlich noch in den paarreimig ausformulierten Rubriken unterstrichen. Erst am Schluss des Werkes werden im Rahmen des Fürbittengebets für Luder von Braunschweig neben den Hörern eigens auch (Vor-)Leser erwähnt. Im „Hiob“ stehen sich nicht nur von Anfang an ein als illiterat gekennzeichnetes Hörerpublikum und der seine eigene Schriftgelehrtheit betonende Verfasser (vgl. v. 443) gegenüber. Hier findet sich mit dem Verweis auf die „pfafheit“ als Adressaten der lateinischen Vulgata (v. 145) auch ein Indiz, dass für den deutschen Bearbeiter die bildungsgeschichtliche Gegenüberstellung von „litterati“ und „illiterati“ noch mit der kirchenrechtlichen Gegenüberstellung von Klerikern (zu denen er sich selbst zählt) und von Laien (zu denen er spricht) korreliert. Sein sichtlich bemühter, langer Anlauf (vgl. vv. 435–440), den er nimmt, um im Prolog das Publikum auf das Thema von Duldung und göttlicher Prüfung einzustimmen und mit Hilfe von Gregors des Großen „Moralia in Iob“ dessen Relevanz zu legitimieren (vgl. vv. 297–313), legt ebenfalls die Vermutung nahe, dass hier ein Kleriker zu theologisch ungeübten, schon gar nicht mit der Theodizeefrage vertrauten Laien spricht. Dafür, dass auch der „Daniel“ „gewiß“ von einem Kleriker stammt,36 gibt es zwar auf der Ebene der Selbstaussagen des Verfassers keine direkten Anhaltspunkte; man wird aber bei aller gebotenen Vorsicht wohl daran festhalten. Nicht zuletzt die regelrechte Bußpredigt in der Pflanzenallegorese zu Dn 3 – eine Bußpredigt gegen alle, die in Kirche und Welt Macht und Reichtum besitzen (vv. 2556–3331) – könnte an einen Minoriten denken lassen. Im Blick auf die dritte Frage, die nach der Vermittlung von „historia“ und Auslegung, treffen sich „Daniel“ und „Hiob“ mit der „Makkabäer“-Dichtung wenigstens insofern, als bei allen dreien eine über den Literalsinn hinausgehende Exegeseebene existiert, wiewohl diese in keinem Fall so nachdrücklich eingefordert wird wie in der „Judith“ und in keinem Fall so anspruchsvoll sein dürfte, auch was die benutzten 36 Jungbluth, Günther: Artikel „Daniel“. In: VL Bd. 2 (21980), 42.

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Vorlagen angeht, wie in Heslers „Apokalypse“. (In der „Hester“ spielte die Auslegungsebene ja kaum eine Rolle.) Jenseits des gemeinsamen Nenners, den die Existenz einer Auslegungsebene in der „Makkabäer“-, der „Daniel“- und der „Hiob“-Dichtung darstellt, zeigen sich vermittlungstechnisch, d.h. im Bereich von Intensität und Modalität, mit der „historia“ und „uzlegung“ aufeinander bezogen werden, aber eher Unterschiede als Übereinstimmungen: Die Spanne reicht von einem bloß kursorischen, der „historia“ untergeordneten Einsatz der Auslegung in den „Makkabäern“ über eine (unterschiedlich) dichte Vernetzung zwischen Bibeltext und Auslegung im „Hiob“ bis hin zu einem strikt systematischen Wechsel zwischen beiden gleichgewichtig austarierten Ebenen im „Daniel“, wo zudem die deutsche Bearbeitung des Vulgatatextes einerseits und die Auslegungskapitel anderseits durch entsprechende Rubrikentexte durchgängig auch sichtbar voneinander unterschieden (und so ggf. ebenenspezifisch auswählbar) sind. Völlig anders wiederum stellt sich das Konzept in den zwei übrigen Werken meines Textfelds dar, in „Esra und Nehemia“ sowie den „Historien der alden ê“. Bei letzteren wird im Prolog konstatiert, dass die Lektüre der biblischen Bücher „gar swer und alzu lanc“ sei (v. 39f.). Der Autor verheißt deshalb – abgesehen davon, dass er erklärt, das Neue Testament ganz ausklammern zu wollen –, dem Publikum überschlägige Kürze und Knappheit (v. 41f.), d.h. nicht nur eine exegesefreie, sondern eine schon auf der Ebene der „historia“ selbst stark geraffte Darstellung von Adam bis zu den Makkabäern. Wie die „Historien der alden ê“ verzichtet die Dichtung von „Esra und Nehemia“ ebenfalls auf exegetische Glossierung.37 Sie gebe zwar immerhin, so heißt es im kurzen Epilog des Werkes, die im biblischen Buch enthaltene „historia“ komplett wieder (v. 3194f.), bekennt sich jedoch im Einzelnen – bei der Auflistung ‚seltsamer‘ Namen (v. 3196) – ihrerseits zur Kürzung. Der Verfasser argumentiert, er habe weggelassen, wovon er „keiner vruchte samen / Gewerfen mochte daz er truge“ (vv. 3197–3199). Er markiert damit ein Bildungsgefälle zwischen sich und einem Zielpublikum, dem er nicht allzu viel Lernfähigkeit zuzutrauen scheint, während in den „Historien der alden ê“ die Hinweise auf Länge und Schwierigkeit der Heiligen Schrift so entwaffnend naiv formuliert sind, dass man gar nicht den Eindruck gewinnt, der Verfasser müsse sich weit nach unten neigen, um ein Bildungsgefälle auszugleichen. Wer für diese zu Recht als stümperhaft geltende „Skelettierung“ des Alten Testaments38 verantwortlich war, ob ein Kleriker oder ein Laie innerhalb oder außerhalb des Deutschen Ordens, muss mangels weiterer Anhaltspunkte offen bleiben. In „Esra und Nehemia“ hingegen könnte neben dem hierarchischen Gestus, mit dem sich am Ende des Werkes der Verfasser zu Wort meldet, bereits die Art, wie dieser den Prolog des Hieronymus 37 Die Feststellung, hier werde auf „die in der Ordensdichtung sonst übliche Glossierung“ verzichtet (Günther Junglbuth: Artikel „Esra und Nehemia“. In: VL Bd. 2 [21980], 633), ist allerdings im Gesamtblick auf die im Deutschen Orden überlieferten Bibeldichtungen schwer nachvollziehbar. 38 Boor, Helmut de: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. 1. Teil: 1250–1350. 5. Aufl.. Neu bearb. v. Johannes Janota. München 1997 (Boor/Newald: Geschichte der deutschen Literatur 3/1), 426.



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bearbeitet und zu seinem eigenen Werkprolog umfunktioniert, darauf hindeuten, dass ein Kleriker zu Laien spricht. Auch hier gestaltet sich der Vermittlungsgestus nämlich weniger pädagogisch-gewinnend als hierarchisch-distanzierend, wenn der Verfasser – über das bei Hieronymus Formulierte hinaus39 – darauf abstellt, dass er sich weder von den Anregern seines Werkes etwas vorschreiben (vv. 24–28) noch von einer Kritik derer tangieren lassen wolle (vv. 89–96), „die der schrift nicht kvnnen lenken“ (v. 93). Die Formulierung „die der schrift nicht kvnnen lenken“ begegnet auch in den „Makkabäern“ (v. 14360): Sie definiert dort den Laienstand, zu dem sich der Verfasser aber anders als bei „Esra und Nehemia“ in ein wechselndes, einmal solidarisches, ein andermal distanziertes Verhältnis setzt. Überhaupt zeigt sich im Blick auf die fünf gereimten Bibeldichtungen aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein ähnlich heterogenes Bild wie in den Beispielen aus dem 13. Jahrhundert, was die jeweils evozierte Kommunikationssituation und den damit zusammenhängenden Vermittlungsgestus angeht, selbst wenn im Einzelfall zumindest im Rahmentext von Prolog und Epilog eine Beziehung zum Deutschen Orden hergestellt wird. Das Interesse des Deutschen Ordens scheint weiterhin von der durch den Literalsinn vorgegebenen „historia“ ausgegangen zu sein, denn was „Makkabäer“- und „Daniel“-Dichtung sowie „Esra und Nehemia“ bis hin zu den „Historien der alden ê“ eint – und im Sinne eines möglichen Auswahlprinzips mit den im Deutschen Orden überlieferten Bibeldichtungen des 13. Jahrhunderts verbindet – ist der Bezug auf die Kriegsthematik, wie sie die Heilige Schrift vor allem in Gestalt der äußeren und inneren Kämpfe liefert, den das Volk Israel, vom Exil bedroht bzw. aus dem Exil heraus, bis zur Rückkehr in das Gelobte Land und zum Wiederaufbau Jerusalems führt. Das biblische Buch Daniel liefert mit seiner eschatologischen Dimensionierung zugleich den alttestamentlichen Typus zum neutestamentlichen Antitypus der Johannes-Apokalypse. Das Buch Hiob erhielte innerhalb dieses Auswahlprinzips eine Sonderstellung; und wenn man Prolog und Epilog der „Hiob“-Dichtung betrachtet, scheint es, als habe deren Verfasser eine derartige Sonderstellung tatsächlich wahrgenommen: daher die einleitende Legitimation der Theodizeethematik und nicht nur die Legitimation der volkssprachlichen Bearbeitung eines biblisches Buches als solche, daher vielleicht auch der abschließende Versuch, wenigstens im Zusammenhang mit der Widmung an Dietrich von Altenburg über dessen Kampfeserfolge gegen die Litauer doch noch die militärisch-politische Thematik mit ins Spiel zu bringen. Wie sind nach diesem Durchgang durch die im Deutschordenskontext überlieferten gereimten Bibeldichtungen die Ergebnisse im Hinblick auf die eingangs gestellte Frage nach der Katechese der Deutschordensbrüder in Preußen einzuordnen? Welchen Stellenwert hatten die Dichtungen bzw. inwiefern hat sich dieser ggf. von der Phase des Anfangs literarischer Interessenbildung im Deutschen Orden zur Phase ihrer Konsolidierung hin verändert? Die Fragen stellen sich erst – und sind umso 39 Vgl. Junglbuth: Artikel „Esra und Nehemia“ (wie Anm. 37), 632.

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schwerer zu beantworten –, wenn man nicht von vornherein das Ergebnis des Überlieferungsprozesses mit dessen Beginn kurzschließt. Meist liegt uns heute nur das Ergebnis des Überlieferungsprozesses in Form „abschließender“ Sammelhandschriften vor: „abschließend“ nicht nur wegen der jeweiligen Distanz zum rekonstruierbaren Überlieferungsbeginn der einzelnen Werke, sondern auch deshalb, weil die Anfertigung der Sammelhandschriften zeitlich mit einem neuen Beginn, dem des geistlichen Prosaschrifttums im Deutschen Orden, parallel läuft und sich mit diesem Neubeginn das Interesse an den Versdichtungen schon in ein archivalisches wandelt. Doch noch die „abschließenden“ Ergebnisse bezeugen eher ein Spektrum fast aller im 13. und 14.  Jahrhundert denkbarer Gestaltungsmöglichkeiten volkssprachlicher Bibeldichtung als die Summe einer programmatisch zum Zweck repräsentativer Selbstpastoration hervorgebrachten „Deutschordensdichtung“. Zweifellos müssen die Ergebnisse meines Fragenkatalogs durch Detailanalysen zu den einzelnen Werken ergänzt und weiter differenziert werden. Abgesehen von dem mehrheitlich fehlenden Textbezug zum Deutschen Orden fordert jedoch schon die Unterschiedlichkeit, ja Gegensätzlichkeit der je evozierten Kommunikationssituation, der Vermittlungstechnik bzw. des vermittelten theologisch-katechetischen Anspruchs zur Suche nach Erklärungen heraus. Auch die Fragen, aus welchem Kontext die Werke jeweils hervorgegangen sind, wer ihre Verfasser waren, welches Publikum und welche Gebrauchsfunktion diese vor Augen hatten, können keineswegs pauschal beantwortet werden. Gerade was die Verfasser angeht, scheint es oft mehr als zweifelhaft, dass sie selbst dem Deutschen Orden angehörten. Für die Frage nach den Wegen, auf denen solch „fremdproduzierte“ Bibeldichtungen in den Deutschen Orden hineingelangt sein könnten, ist neben dem Import auch an eine Schirmherrschaft oder Patronatsfunktion zu denken (wobei die Übergänge zwischen beidem fließend sind). Im Fall des Imports käme die Beziehung eines Werkes zum Deutschen Orden erst nachträglich zustande, und es müsste für jedes einzelne Werk in Erwägung gezogen werden, dass der Import sowohl von ordensritterlicher wie von ordenspriesterlicher Seite ausgegangen sein könnte. Im Fall einer Schirmherrschaft oder Patronatsfunktion könnte diese dem Deutschen Orden zugeschrieben oder auch von ihm selbst betrieben worden sein. Hier wäre der Deutsche Orden über seine Rolle als Überlieferungsinstitution hinaus, wenn nicht ohnehin direkt als Auftraggeber, so doch zumindest indirekt, als potenziell ‚interessierter‘ Adressat, schon an der Entstehung eines Werkes mit beteiligt gewesen. An eine solche Rolle des Deutschen Ordens wäre weniger für die Anfangsphase als für die Phase der Etablierung und Absicherung des Ordensstaates Preußen zu denken, d.h. für die Bibeldichtungen aus dem 14. Jahrhundert. Dennoch kann auch für diese Werke ein Import in den Deutschen Orden keineswegs ausgeschlossen werden, wobei hier Preußen selbst ebenfalls als Importraum zu betrachten ist, wenn man bedenkt, dass die praktische Katechesearbeit im Deutschordensland wesentlich an andere Träger, nicht zuletzt die Mendikanten, delegiert war und daher sowohl auf deren Seite als auch auf Seiten des Deutschen



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Ordens ein Interesse am Nachweis „ansehnlicher“ Katechese bestanden haben dürfte. Bibeldichtung ließe sich in diesem Sinn als eine Art Katechese-Report verstehen, den der Deutsche Orden entgegennahm und zugleich, wo es ihm geeignet schien, für eigene Zwecke – sei es nach innen zum katechetischen Eigengebrauch oder nach außen zur Festigung seines Identitätsprofils im Reich – nutzbar machte. Anders liegen die überlieferungsgeschichtlichen Verhältnisse bei Repräsentanten geistlicher Dichtung, die sich wie das „Passional“ und das „Marienleben“ des Kartäusers Philipp40 einer kontext- und regionenübergreifenden, quasi „alltäglichen“ Beliebtheit in Frömmigkeits- und Katechesepraxis erfreuten. Beide Werke sind im Deutschen Orden überliefert und stellen neben der Bibeldichtung die wichtigsten Werke dar, die für die Katechese der Deutschordensbrüder in Frage kommen, sind jedoch durchaus auch sonst verbreitet. Philipps „Marienleben“ ist, wie man seit längerem weiß, ein Beispiel für eine derartige „fremdproduzierte“ geistliche Dichtung;41 für das „Passional“ besteht noch Klärungsbedarf im Hinblick auf eine ordensexterne oder doch -interne Entstehung.42 Dass solche Fragen sich aber überhaupt stellen, und zwar, wie ich zu zeigen versuchte, auch und gerade für die Bibeldichtungen, erscheint allerdings bemerkenswert. Im Vergleich zu den geistlichen Orden monastischer und neuer, aus der Laienfrömmigkeitsbewegung hervorgegangener Prägung dürfte dies ein Licht auf das Identitätsprofil und das Selbstverständnis des Deutschen Ordens werfen, unabhängig davon, wie man diese Fragen im Einzelnen beantwortet. Es scheint, als habe man

40 Das alte Passional. Hg. v. Karl August Hahn, Frankfurt a.M. 1845. – Das Passional, eine LegendenSammlung des dreizehnten Jahrhunderts. Hg. v. Friedrich Karl Köpke, Leipzig 1852 (Bibliothek der Deutsche National-Literatur 32)/Nachdruck Amsterdam 1966. – Bruder Philipps des Cartäusers Marienleben. Hg. v. Heinrich Rückert, Quedlinburg 1853 (Bibliothek der Deutschen National-Literatur 34)/Nachdruck Amsterdam 1966. 41 Vgl. Gärtner, Kurt: Philipp von Seitz, ‚Marienleben‘. In: Die Kartäuser in Österreich. Hg. v. James Hogg. Bd. 2, Salzburg 1981 (Analecta Cartusiana 83,2), 121; zusammenfassend auch MentzelReuters: Arma spiritualia. (wie Anm. 9), 63f. 42 Vgl. (mit unterschiedlichen Tendenzen in Richtung Pro oder Contra) die Überlegungen etwa bei Feistner, Edith: Historische Typologie der deutschen Heiligenlegende des Mittelalters von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zur Reformation. Wiesbaden 1995 (Wissensliteratur im Mittelalter. Schriften des SFB 226 Würzburg/Eichstätt 20), 220–236. – Schubert, Martin J.: Das ‚Passional‘ und der Deutsche Orden. Verbreitungs- und Tradierungsanalyse anlässlich der DTM-Neuedition. In: Deutschsprachige Literatur des Mittelalters im östlichen Europa. Forschungsstand und Forschungsperspektiven. Hg. v. Ralf G. Päsler und Dietrich Schmitdtke, Heidelberg 2006, 151–155 (mit weiterer Literatur zur Frage). – Mentzel-Reuters, Arno: Deutschordensliteratur im literarischen Kontext. In: Mittelalterliche Kultur und Literatur im Deutschordensstaat in Preußen (wie Anm. 32), 358–363.

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im Deutschen Orden nicht nur Rechtstexte und sonstige Fachliteratur von anderen übernommen,43 sondern den gleichen ‚Pragmatismus‘ auf geistlich-katechetischem Gebiet an den Tag gelegt. Damit ließe sich erklären, warum das Resultat alles andere als aus einen Guss ist – mit Verfassern, die ein ebenso unterschiedliches Publikum vor Augen hatten, wie ihr eigenes Profil unterschiedlich war.

43 Vgl. Päsler, Ralf G.: Gutalag und Gutasaga deutsch. Literarische Interessenbildung und Literaturbeschaffung im Deutschen Orden um 1400. In: Deutschsprachige Literatur des Mittelalters im östlichen Europa (wie Anm. 42), 2006, 194–198.

Michael Neecke IDENTITÄTSSTIFTUNG DURCH BIBELEPIK? Die ‚Judith von 1254‘, ihre gewalttätige Neu-Deutung und ein radikaler Redaktor Ich beginne mit einem Zitat aus der ‚Judith‘-Dichtung, dem ältesten, nach eigenem Zeugnis im Jahre 1254 entstandenen Werk der sogenannten Deutschordensliteratur.1 Der als Verfasser des Werks figurierte Erzähler wendet sich darin an einen als „vrunt unde bruder“ (v. 73) apostrophierten exemplarischen Rezipienten: Sich, vrunt, nu soltu merken in welcher wisheit sterken mit gotes helfe sullest dich, daz du lebest sicherlich. du bist in disem buche – ob du sin hast ruche – bewiset wol der strazen, wie du die werlt solt lazen und ir valsche suzekeit (vv. 2377–2385).

Dem Freund und Bruder wird hier das Buch ‚Judith‘ als Wegweiser zum Seelenheil empfohlen. Das sorgfältige Studium des Buches biete Hilfe, um die trügerischen Verlockungen der Welt hinter sich zu lassen. Durch diese Stärkung könne der Freund Erlösung erlangen. Ich werde im Folgenden zunächst meine eigene Position zum Verhältnis der ‚Judith von 1254‘ zum Deutschen Orden vorstellen. Im Anschluss daran komme ich auf die jüngste Deutung dieser Dichtung zu sprechen, die in einigen Punkten durchaus von meiner zuvor vorgestellten Position abweicht. Schließlich möchte ich die Gemeinsamkeiten der beiden Interpretationen beleuchten – ohne dabei freilich Differenzen und Unterschiede zu leugnen oder zu verwischen. Meine eigene Position werde ich jetzt ausgehend vom Vortragstitel „Identitätsstiftung durch Bibelepik“ erläutern:2 In den Kulturwissenschaften der Gegenwart 1 Judith. Aus der Stuttgarter Handschrift HB XIII 11. 2. Aufl. besorgt v. Hans-Georg Richert nach der Ausgabe v. Rudolf Palgen, Tübingen 1969 (ATB 18). – Zum Begriff der „Deutschordensliteratur“ vgl. etwa Neecke, Michael: The end of history? Johannes Renner Bremensis and the Livonian Rhymed Chronicle. Verfügbar über: http://textfeld.ac.at/text/1395/ (24.08.2010), 4. 2 In Grundzügen findet sich diese Position bereits in Feistner, Edith/Neecke, Michael/VollmannProfe, Gisela: Ausbildung korporativer Identität im Deutschen Orden. Zum Verhältnis zwischen Bibel-

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stellt „Identität“ ein ebenso schillerndes wie weiches Konzept dar. Im Rahmen unterschiedlicher Ansätze kann „Identität“ durchaus Verschiedenes bedeuten. Anknüpfend an Überlegungen des Soziologen Uwe Schimank soll „Identität“ im Folgenden auf das Bild verweisen, das ein sozialer Akteur von sich selbst entwirft. Die so verstandene Identität erschöpft sich keineswegs in der Beschreibung eines momentanen IstZustands, vielmehr ist sie um die Konstruktion einer Vergangenheit und um einen Ausblick in die erwartete Zukunft erweitert zu denken. Das Selbstbild der Identität ist stets selektiv organisiert, oftmals handelt es sich sogar um eine extreme Selbst-Simplifikation. Dieses Selbstbild entspricht nicht immer der Fremdwahrnehmung, also der Wahrnehmung, die andere von dem angesprochenen Akteur haben. Schimanks Konzept von „Identität“ meint keine materielle Gegebenheit, sondern einen Entwurf, ein Projekt. Indem freilich die Identität eines Akteurs von diesem selbst behauptet wird, wenn dieser sie in seinen Taten als ‚Wirklichkeit‘ ausweist, sie fordert oder anstrebt, wird das Selbstbild in konkretes Handeln umgesetzt. Das Selbst-Bild der Identität ist damit weit mehr als ein Bild, das man mit ‚interesselosem Wohlgefallen‘ betrachtet. Die Identität ist vielmehr von vornherein in die Welt menschlicher Handlungen verstrickt. Dass sich diese Begriffsbestimmung gleichermaßen auf Personen und ihre ‚personale Identität‘ wie auf kollektive oder korporative Akteure und ihre ‚kollektive‘ bzw. ‚korporative Identität‘ beziehen lässt, hat bereits Schimank gezeigt.3 Wenn jetzt vom Selbst-Bild des Deutschen Ordens die Rede ist, so zeigt sich dieses an erster Stelle in den Ordensstatuten: In den Statuten wird ein Projekt als Text festgeschrieben und normativ vorgeschrieben.4 Freilich kann man darüber streiten, ob oder inwiefern die Regelungen der Statuten zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort überhaupt umgesetzt wurden. Dies spielt in unserem Zusammenhang aber keine Rolle: Dass die Statuten als solche Gültigkeit fordern und das dort explizierte Selbstbild nach Wirklichkeit verlangt, reicht aus, um hier eine Identität behauptet zu sehen. Beim Identitätsprojekt der Statuten handelt es sich um ein deutlich kriegerisches Selbstbild: Die Korporation erscheint als eine „ritterschaft“ (S. 24/Zeile 1), die sich mit konkreter Gewalt gegen ihre „vîende“ wendet (S. 25/Zeile 31). Dieser kriegerische Konflikt erstreckt sich in der Darstellung des Statutenprologs epik und Ordenschronistik. Werkstattbericht. In: Deutschsprachige Literatur des Mittelalters im östlichen Europa. Forschungsstand und Forschungsperspektiven. Hg. v. Ralf G. Päsler und Dietrich Schmidtke, Heidelberg 2006, 57–74, hier 61–66. 3 Schimank, Uwe: Handeln und Strukturen. Einführung in die akteurtheoretische Soziologie, Weinheim/München 22002 (Grundlagentexte Soziologie 2002), 123–126. 4 Die Statuten des Deutschen Ordens nach den ältesten Handschriften. Hg. v. Max Perlbach, Halle an der Saale 1890 (Nachdruck Hildesheim/New York 1975). Einen Zusammenhang von Statuten und „corporate identity“ sieht auch Löser, Freimut: Überlegungen zum Begriff der Deutschordensliteratur und zur Bibelübersetzung. In: Studien zu Forschungsproblemen der deutschen Literatur in Mittel- und Osteuropa. Hg. v. Carola L. Gottzmann und Petra Hörner, Frankfurt am Main u.a. 1998 (Deutsche Literatur in Mittel- und Osteuropa 1), 7–37, hier 19.



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von der Genesis bis zur Apokalypse, von Abrahams Kampf um die Befreiung Loths (Gn 14, 14–20) bis zur Vision vom Neuen Jerusalem, das aus dem Himmel hinabsteigt (Apc 3,12) und wie selbstverständlich mit der ecclesia militans gleichgesetzt wird. Stets dient der Krieg als Organisationsprinzip von Identität: Die Statuten ordnen alle Handlungsfelder des Ordens seiner militärischen Ausrichtung unter.5 Damit zur ‚Judith von 1254‘: Die Diskrepanz zwischen der Identitätsbehauptung dieses Texts und dem in den Statuten entworfenen korporativen Selbstbild ist nicht schwer zu entdecken. Während die Statuten, was die Rezeption geistlicher Texte angeht, zum passiven Hören und Lernen auffordern (S. 71/Zeile 16f.), verlangt die ‚Judith‘ einen tätigen Rezipienten, der nicht nur zuhören, sondern auch mitdenken und eifrig fragen soll (v. 2300f.). Während die Statuten eine rigide Lenkung der intellektuellen Tätigkeit der Ordensbrüder organisatorisch festschreiben und Gelehrsamkeit nur denjenigen Ordensbrüdern erlauben, die bereits zum Zeitpunkt ihres Ordenseintritts über entsprechende Bildung verfügten (S. 64/Zeile 4–8), stiftet die ‚Judith‘ ihren exemplarischen Leser oder Hörer zu selbständiger Interpretation an (vv. 2324– 2329). Und ganz fundamental: Während die Statuten dem Orden das „vertiligen“ der „viende“ als historische Erinnerung in die Zukunft hinein vor- und fortschreiben (S. 24/Zeile 11 und 18), verspricht die ‚Judith‘ ihrem Leser oder Hörer, dass er das Quellwasser der göttlichen Weisheit ungeachtet von hierarchischen Barrieren selbstbewusst aus dem Brunnen der Heiligen Schrift schöpfen könne (vv. 90–100). Durch diese charakteristische Form der Hinwendung zum Leser/Hörer wird die handlungsorientierende Deutung des deuterokanonischen Buchs ‚Judith‘, dem man traditionell – angefangen bei der Vorrede, die Hieronymus der lateinischen Übersetzung der Bücher Salomos voranstellt, bis hin zu Martin Luther – eine gleichsam exoterische Verwendung ad aedificationem plebis zuspricht, strukturell modifiziert. Da sich der Text in propädeutischer Absicht auf Bruchstücke einer Exegese des biblischen Buches ‚Judith‘ beschränkt und die Selbständigkeit des Lesers/Hörers hervorhebt, wird das lebenspraktische Beispiel, das zur konkreten Nachahmung auffordert, nur mittelbar und indirekt umrissen. Voraussetzung einer praktischen Vorbild-Konturierung ist die ‚Nachfolge‘ auf dem exemplarisch gewiesenen Lektüre-Weg. Diese Aufforderung zum selbstbewussten Umgang mit der sacra scriptura bildet das Herzstück der ‚Judith von 1254‘. Vom ‚Judith‘-Text und den Statuten werden also ganz unterschiedliche kollektive Identitäten konturiert. Im Anschluss an die Terminologie des Soziologen Manuel Castells, könnte man sagen:6 Der ‚Projektidentität‘ oder ‚legitimierenden Identität‘ 5 Die kriegerisch-militärische Ausrichtung des hier präsentierten Identitätsprogrammes macht es schwer, von einer besonderen ‚Spiritualität‘ des Deutschen Ordens zu sprechen; vgl. Krahl, HansDietrich: Die Spiritualität der Ritterorden als Problem. Ein methodologischer Essay. In: Die Spiritualität der Ritterorden im Mittelalter. Hg. v. Zenon Hubert Nowak, Toruń 1993 (Ordines militares. Colloquia Torunensia Historica 7), 271–295. 6 Castells, Manuel: Das Informationszeitalter, Bd. 2: Die Macht der Identität, Opladen 2002, 10–12.

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der Ordensstatuten, nämlich der Behauptung und Legitimation einer kriegerischen Daseinsform, steht im ‚Judith‘-Text eine ‚religiöse Widerstandsidentität‘ gegenüber, d.h. die Behauptung laikaler Religiosität als Opposition gegen klerikale Strukturen und Barrieren. Trotz dieser Diskrepanz hat man die ‚Judith‘-Dichtung stets zur sogenannten Deutschordensliteratur gezählt. Wenn man die Überlieferung der ‚Judith‘ betrachtet, ist diese Assoziation mit dem Deutschen Orden auch gar nicht erstaunlich. Die ‚Judith‘-Dichtung ist in einer Sammelhandschrift tradiert, die einstmals in der Hochmeisterlichen Bibliothek der Korporation in Mergentheim lag und sich heute in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart befindet7. In der MergentheimStuttgarter Handschrift steht die ‚Judith‘-Dichtung neben der Bearbeitung des Buches ‚Daniel‘, sie steht neben ‚Esra und Nehemia‘, neben der ‚Hester‘, neben dem Buch der ‚Makkabäer‘ und neben der ‚Apokalypse‘ des Heinrich von Hesler8. Das sind alles Texte, die irgendwie mit dem Orden zusammenhängen, oder zutreffender formuliert: Das sind alles Texte, die man mit dem Orden in Verbindung gebracht hat. Trotz der gewiss vielsagenden Situation der Überlieferung sollte man jedoch beachten: Die Überlieferung eines Texts ist nicht dasselbe wie seine Produktion. Den Ort der Überlieferung darf man nicht ohne weiteres mit dem Ort der Entstehung gleichsetzen. Und deshalb ist die Ordenszugehörigkeit der ‚Judith‘ immer noch fraglich, jedenfalls in einem bestimmten Sinne: Die Annahme, dass die ‚Judith‘-Dichtung im Orden oder vom Orden oder im Auftrag des Ordens produziert wurde – diese Form der Ordenszugehörigkeit ist heute ebenso unbewiesen wie zu den Zeiten von Helmut de Boor. Damit sind wir auch schon bei dem wichtigsten Ansatzpunkt für meine Deutung des Verhältnisses von sogenannter Deutschordensliteratur und domus Theutonica, nämlich bei den Ausführungen Helmut de Boors im dritten Band seiner Literaturgeschichte aus dem Jahr 1962.9 De Boor bestreitet dort für die ‚Judith‘ eine primäre Produktion innerhalb des Ordens und behauptet stattdessen ein Verhältnis sekundärer 7 Die Handschrift HB XIII 11 wird beschrieben von Kurras, Lotte: Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart, Bd. 4,2, Wiesbaden 1969 (Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 2), 90f. 8 Die poetische Bearbeitung des Buches Daniel aus der Stuttgarter Handschrift. Hg. v. Artur Hübner, Berlin 1911 (Deutsche Texte des Mittelalters 19 / Dichtungen des Deutschen Ordens 3). – Esdras und Neemyas, eine Deutschordensdichtung aus dem 14. Jahrhundert. Aus der Stuttgarter Handschrift zum ersten Mal hg. v. Samuel D. Stirk, Breslau 1938 (Sprache und Kultur der germanischen und romanischen Völker, Texte 4). – Hester. Eine poetische Paraphrase des Buches Esther aus dem Ordensland Preußen. Edition und Kommentar von Manfred Caliebe, Marburg 1985 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 21). – Das Buch der Maccabäer in mitteldeutscher Bearbeitung. Hg. v. Karl Helm, Tübingen 1904 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 233). – Heinrich von Hesler: Apokalypse. Aus der Danziger Handschrift. Hg. v. Karl Helm, Berlin 1907 (Deutsche Texte des Mittelalters 8, Nachdruck Hildesheim 2005). 9 Boor, Helmut de: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. Zerfall und Neubeginn. Geschichte der deutschen Literatur, Bd. 3/1, München 1962, 486–490.



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Aneignung. Die ‚Judith‘ sei nicht im Orden gemacht, sondern in den Orden hineingebracht worden. Obwohl die meisten neueren Arbeiten dem Ansatz de Boors so gut wie überhaupt nicht folgen, legt ein Vergleich der in ‚Judith‘ und Statuten konturierten kollektiven Identitäten, wie ich ihn eben skizziert habe, einen solchen Anschluss sehr wohl nahe. Statt die Korporation als Produzenten oder Gönner der ‚Judith‘-Dichtung zu sehen10, sollte man den Deutschen Orden als Rezipienten und Nutznießer der ‚Judith von 1254‘ betrachten. Dass sich nämlich die vom bibelepischen Text behauptete Identität von derjenigen der Ordensstatuten unterscheidet, spricht gegen eine Entstehung der ‚Judith‘ im Orden. Diese Diskrepanz schließt freilich eine sekundäre Verwendung der ‚Judith‘ innerhalb der Korporation keineswegs aus. Es kann als ein Ergebnis der empirischen Rezeptionsforschung gelten, dass nicht nur literarische Texte Einfluss auf ihre Leser haben, sondern auch Leser auf die von ihnen rezipierten Texte einwirken, dass also nicht nur die Texte ihre Leser irgendwie ‚verändern‘, sondern auch die Leser ihre Texte: Die von Literaturliebhabern aller Couleur gerne und oft gelobte ‚innovative‘ Wirkung des Lesens, die alte Weltbilder zerbrechen lässt und neue erzeugt, erscheint aus der Perspektive der empirischen Rezeptionsforschung eher als Ausnahme11. So verweisen die Untersuchungen von Hartmut Heuermann, Peter Hühn und Brigitte Röttger auf eine viel weiter verbreitete ‚affirmative‘ Lesehaltung, die das eigene Selbstbild durch die Lektüre jeweils voll und ganz bestätigt sieht – was dann auf „Umdeutungen“ hinausläuft, „die im Extremfall sogar Umkehrungen der [in einem Text artikulierten] Wertmaßstäbe zur Folge haben können“.12 In der Literatursoziologie kennt man – was auf ähnliche Ergebnisse hindeutet – das Konzept einer „sekundären Konkulturalität“: Jürgen Link und Ursula Link-Heer bezeichnen damit den Fall, dass es Differenzen gibt zwischen einem Text und der ideologischen Beschaffenheit seiner Lektüresituation. Nach Link/Link-Heer wird der Text in diesem Fall den Ideologemen seiner Rezeption assimiliert: „Die von den Rahmenideologemen des Publikums abweichenden des Textes werden im Sinne

10 Vgl. etwa Helm, Karl/Ziesemer, Walther: Die Literatur des Deutschen Ritterordens, Gießen 1951, 73: „Bibelübersetzung war in den Jahren des Mittelalters, in denen die Judith entstand, noch nichts gewöhnliches. Der Bibeltext blieb der Kirche vorbehalten. Verdacht der Ketzerei fiel auf jeden Laien, der sich mit der Bibel selbständig beschäftigte. Es war also ein Wagnis. Aber der Deutsche Orden stand zu hoch, als daß er Anfeindungen hätte fürchten müssen. Unter seinem Schutze konnte auch ein wenig bedeutender Mann wie der Dichter der Judith getrost die Arbeit unternehmen.“ 11 Vgl. Andringa, Els: Leservoraussetzungen und die Rezeption literarischer Figuren. In: Diskussion Deutsch 19 (1988), 622–644. 12 Heuermann, Hartmut/Hühn, Peter/Röttger, Brigitte: Werkstruktur und Rezeptionsverhalten. Empirische Untersuchungen über den Zusammenhang von Text-, Leser- und Kontextmerkmalen, Göttingen 1982 (Literatur und Didaktik 2), 252. – Vgl. dazu Schram, Dick H.: Norm und Normbrechung. Die Rezeption literarischer Texte als Gegenstand empirischer Forschung, Braunschweig 1991 (Konzeption Empirische Literaturwissenschaft 13), 50f.

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der Rahmenideologie des Publikums uminterpretiert, ‚umfunktioniert‘.“13 Die Relevanz von Situation und gesellschaftlichem Rahmen betont, was die Konstitution/Konstruktion von Bedeutung bei der Literaturrezeption betrifft, auch der amerikanische Literaturtheoretiker Stanley Fish.14 Und der niederländische Literaturwissenschaftler Els Andringa betont hier die Relevanz von „Leservoraussetzungen“.15 Nun geht es mir freilich nicht darum, im Fall der sogenannten Deutschordensliteratur einen Determinismus des Texts, der Schrift, durch einen Determinismus des außerliterarischen Kontexts, der Umstände, zu ersetzen. Die Aneignung der ‚Judith‘ im Orden hat man sich allerdings durchaus als etwas Radikales, als eine – in Form und Inhalt – ‚gewalttätige‘ Neu-Ausrichtung vorzustellen: Wenngleich die ‚Judith‘ nicht als „Kriegsmäre“ verstanden sein will, sich im Gegenteil sogar gehörig anstrengt, nicht in solcher Weise gelesen zu werden16, war hier – wie es scheint – alle Mühe vergebens und man hat das Buch ‚Judith‘ innerhalb der Korporation dann doch als Aufforderung zum Kampf rezipiert. Als ein interpretatorisches Ereignis lässt sich die auf das Ordensprojekt bezogene Neu-Ausrichtung der ‚Judith‘-Dichtung freilich nur schwer greifen. Zwar behauptete Wolfgang Iser in seiner Konzeption von Wirkungsästhetik: „Jede einzelne Interpretation ist die Aktualisierung einer in der Werkstruktur fundierten Sinnmöglichkeit“,17 doch wollte ihm die Forschung bei dieser Reduktion der Leser/Hörer-Aktivität auf

13 Link, Jürgen/Link-Heer, Ursula: Literatursoziologisches Propädeutikum. Mit den Ergebnissen einer Bochumer Lehr- und Forschungsgruppe Literatursoziologie 1974–1976, München 1980, 174. – Vgl. dazu Dörner, Andreas/Vogt, Ludgera: Literatursoziologie. Literatur, Gesellschaft, Politische Kultur, Opladen 1994, 118f. 14 „[M]eanings are the property neither of fixed and stable texts nor of free and independent readers but of interpretive communities that are responsible both for the shape of reader’s activities and for the texts those activities produce“. Fish, Stanley: How To Recognize a Poem When You See One. In: ders.: Is There a Text in This Class, Cambridge/London 122003, 322–337, hier 322. – Vgl. dazu Czarniawska, Barbara: Narrating the Organization. Dramas of Institutional Identity, Chicago/London 1997 (New Practices of Inquiry), 201. 15 „Für einen Rezipienten bleibt die Erzählung [hier: ‚Eine großmütige Handlung, aus der neusten Geschichte‘ von Friedrich Schiller] sogar bis zum Schluß ironisch, ein modernes (!) parodistisches Spiel mit Konventionen.“ Andringa (wie Anm. 11), 628. Andringa verweist in diesem Zusammenhang auch auf Schülerrezeptionen, die Kaspar H. Spinner durch Anwendung produktiver Verfahren zu dieser Schiller-Erzählung erhoben hat und die vor allem parodistische Züge tragen. – Vgl. Spinner, Kaspar H.: Wider den produktionsorientierten Literaturunterricht – für produktive Verfahren. In: Diskussion Deutsch 18 (1987), 601–611. 16 Mentzel-Reuters, Arno: Bibeldichtung und Deutscher Orden. Studien zur ‚Judith‘ und zu Heinrichs von Hesler ‚Apokalypse‘. In: Daphnis 26 (1997), 209–261, hier 225. 17 Iser, Wolfgang: Im Lichte der Kritik. In: Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis. Hg. v. Rainer Warning, München 1975, 325–342, hier 330.



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eine Funktion der Textstruktur18 nicht folgen.19 Was die auf das Ordensprojekt bezogene Neu-Ausrichtung der ‚Judith‘ betrifft, vermag die Lektüre des bibelepischen Texts selbst jedenfalls nur wenige Anregungen und mögliche Ansatzpunkte zur gewalttätigen Um-Deutung liefern. Als ein solcher Ansatzpunkt kann etwa das interpretatorische Herzstück der ‚Judith‘-Dichtung genannt werden, die Aufforderung zu einem selbstständigen Umgang mit der Schrift, das sich im aktuellen Deutungsrahmen der Korporation (‚an der Front‘ in Preußen) radikal wenden oder umkehren und kriegerisch zuspitzen ließ. Dass sich der Text in propädeutischer Absicht auf wenige Bruchstücke der Exegese des biblischen Buches ‚Judith‘ beschränkt, „deren zufällige Auswahl“, wie Hans-Georg Richert in der zweiten Auflage des Verfasserlexikons bemerkt, „selbst dann befremdet, wenn man sie als Anregung zur selbständigen Fortführung des Verfahrens akzeptiert (vgl. v. 2687ff.)“,20 ließ sich nämlich als fundamentale Abkehr von kontemplativer ruminatio und Hinwendung zum Kampf im Sinne einer konkreten Praxis deuten.21 Freilich meint das Konzept des spirituellen Kampfs gegen den Teufel im Kern etwas anderes als den militärischen Kampf gegen irdische Gegner. Im Rahmen des Ordens konnte der Aufruf jedoch sehr wohl auf solch konkret-gewalttätige Weise verstanden werden. Die propädeutische Exegese benennt zwar nur den assyrischen König Nabuchodonosor ausdrücklich als „de[n] tuvel“ (v. 2550), eine Übertragung auf Feinde des Ordens wird aber möglich, wenn die Dichtung verrät, dass es „in allen landen“ vielerlei „tuvele“ gibt (v. 2556).22 Eine radikale Lektüre vermag also – anstelle der Aufforderung, sich weiter um den Sinn der Schrift zu bemühen – eine

18 Vgl. auch Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung. München 1976 (UTB Wissenschaft 636), 60. 19 Vgl. etwa Groeben, Norbert: Rezeptionsforschung als empirische Literaturwissenschaft. Paradigma durch Methodendiskussion an Untersuchungsbeispielen, Kronberg im Taunus 1977 (Empirische Literaturwissenschaft 1), 50–52. 20 Richert, Hans-Georg: Judith (ostmitteldeutsch). In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2., völlig neu bearb. Aufl. Hg. v. Kurt RUH u.a., Bd. 4 , Berlin/New York 1983, 899f., hier 899. 21 Zur kontemplativen Schriftaneignung der ruminatio vgl. Ruppert, Fidelis: Meditatio – Ruminatio. Zu einem Grundbegriff christlicher Meditation. In: Erbe und Auftrag 53 (1977), 83–93. 22 Auch dies ist freilich kein Argument für eine primäre Ordenszugehörigkeit. Die Stelle machte lediglich die Verwendung im Orden ‚leichter‘. Die für eine ordenskonform ‚gewalttätige‘ Interpretation des Textes aufzuwendende interpretatorische ‚Gewalt‘ verringert sich so. Die durchaus nicht eo ipso ‚missverstehende‘ Lesart, die den König Nabuchodonosor mit dem Leibhaftigen identifiziert, findet sich übrigens auch bei Hugo a St. Caro und später, nach Entstehung der ‚Judith‘, bei Nikolaus von Lyra. Vgl. Judith. Ein mitteldeutsches Gedicht aus dem 13. Jahrhundert. Aus der Stuttgarter Hs. zum ersten Male hg. v. Rudolf Palgen, Halle an der Saale 1924, 81, Anm. zu v. 2550. Palgen vermutet eine Postille als Quelle für diese Deutung in der ‚Judith‘-Dichtung, was freilich eine Spekulation bleibt (III).

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Aufforderung zu ‚Taten‘ zu liefern – und im Kontext des Ordens hieß das eben, zu kriegerischen Taten. Die jüngste Untersuchung zur ‚Judith‘-Dichtung,23 die sich in Henrike Lähnemanns 2006 gedruckter Tübinger Habilitationsschrift findet, sagt nun nichts über eine Textentstehung außerhalb des Deutschen Ordens. Trotzdem verweist die Arbeit auf eine Aneignung durch die Korporation, die – wie Lähnemann feststellt: „den Text tradierte und bearbeitete“.24 Dass sich im ‚Judith‘-Text nur wenige „Exegesebausteine[]“25 finden, wird dabei nicht – oder besser gesagt, nicht nur – (wie oben vorgeschlagen) als Anregung zu selbständiger Schriftauslegung gedeutet. Der in der MergentheimStuttgarter Handschrift zu findende Text gilt ihr darüber hinaus auch noch als „corpus truncum“, als verstümmelte Fassung. Exegetische Partien, die angesichts der Ausführungen des Prologs durch ihr Fehlen oder ihre Unsichtbarkeit auffallen, seien von einem „radikalen Redaktor bzw. kürzenden Schreiber“ gestrichen worden.26 Nun deutet Lähnemann den ‚Judith‘-Text keineswegs in vollkommen anderer Weise als ich: So entdeckt sie in der ‚Judith von 1254‘ ebenfalls eine „Betonung der Eigenverantwortung des Rezipienten für die Lektüre, die ihm der Hermeneut nicht abnehmen, sondern lediglich erleichtern kann“.27 Und jene scheinbar zufälligen Bruchstücke von Exegese am Werkende, hinter denen ich propädeutische Absicht vermutete, deutet Lähnemann – was in ähnliche Richtung weist – als in sich geschlossene „Modellanalyse“, die auf den gesamten bibelepischen Text „übertragbar“ sei.28 Bestimmte Unterschiede zwischen den beiden Deutungen sind freilich nicht zu übersehen. Auffällig ist dabei aber, wie eng Ähnlichkeit und Differenz in diesen Fällen miteinander verwoben sind. Dies zeigt etwa ein Blick auf die von Lähnemann und mir angenommenen Rezeptionsgeschichten der ‚Judith‘-Dichtung – also die jeweiligen Überlegungen dazu, was man aus dem bibelepischen Text gemacht hat: Wie ich sieht Lähnemann eine deutliche Diskrepanz zwischen dem bibelepischen Text und dem Orden. Auch sie spricht der ‚Judith‘-Dichtung den Anspruch zu, „nicht einfach gele23 Die Zählung ist, zugegeben, nicht ganz korrekt, stellt doch eigentlich Christian Kienings äußerst knapper Artikel in der Neuauflage des „Killys“ den jüngsten Beitrag zur Debatte dar: (Ostmitteldeutsche) Judith. In: Killy Literaturlexikon, Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes, 2., vollständig überarb. Aufl. Hg. v. Wilhelm Kühlmann u.a., Bd. 6, Berlin/New York 2009, 198f. – Die im Folgenden vorgestellte Arbeit von Lähnemann wird dort allerdings nur kurz angesprochen, die an de Boor anschließende Annahme eines Transfers gar nicht erwähnt. Anders Ott, Norbert H./Klein, Dorothea: Hester. In: Killy Literaturlexikon, Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes, 2., vollständig überarb. Aufl. Hg. v. Wilhelm Kühlmann u.a., Bd. 5, Berlin/New York 2009, 379f. 24 Lähnemann, Henrike: Hystoria Judith. Deutsche Judithdichtungen vom 12. bis zum 16. Jahrhundert, Berlin/New York 2006 (Scrinium Friburgensis 20), 219. 25 Ebd., 218. 26 Ebd., 192; lateinisches Zitat im Original kursiv. 27 Ebd., 218. 28 Ebd., 210.



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sen (bzw. gehört), sondern studiert zu werden“.29 Dieser Anspruch sei – dies ebenfalls eine Übereinstimmung – im Orden keineswegs eingelöst worden: „modellbildend“ habe dort nicht die ‚Judith von 1254‘ gewirkt, „sondern ihre Lektüre.“30 Den Orden und seinen Umgang mit der Bibeldichtung sieht Lähnemann geradezu als „Modellfall für die Strategie der identifikatorischen Lektüre der Literalebene“:31 Gerne hätte man dort alttestamentliche Heldengeschichten in affirmierender Absicht auf die eigene Gegenwart bezogen. Die ‚Judith von 1254‘ jedoch verweigere sich einer solchen „heroischen Lektüre“:32 Um diese Form der „angewandten Lektüre“ gehe es der Dichtung „eben nicht“.33 Wie eine solche Anwendung aussehen konnte, zeigen die um 1326 vom Ordenspriester Peter von Dusburg verfasste ‚Cronica terre Prussie‘ und ihre zwischen 1331 und 1341 entstandene volkssprachliche Übertragung, die ‚Krônike von Prûzinlant‘ des Nikolaus von Jeroschin. Beide Chroniken bemühen sich, indem sie biblische Erzählungen auf das Kolonisationsprojekt des Deutschen Ordens applizieren, um eine Stärkung von dessen korporativer Identität. Wenn etwa ‚Cronica‘ und ‚Krônike‘ davon berichten, wie der Litauerfürst Witen (lat. Vithenus; lit. Vytenis) plündernd in das Gebiet der Christen eindringt, dort die Männer tötet, die Frauen als Geiseln nimmt und Gott lästert, spielt der Bericht der Chroniken erkennbar auf das biblische Buch ‚Judith‘ an (III, 310). Nicht nur besitzt die blasphemische Frage des Litauers, wo denn der Gott der Christen geblieben sei: „ubi est deus vester?“, ein biblisches Vorbild (Idt 7,21) – in der Vulgata wird gefragt: „ubi est Deus eorum?“ (Idt 7,21) und bei Jeroschin heißt es dann: „wa ist nu ir got?“ (v. 1182) –, auch dass die Frauen bei Dusburg ihre ‚heidnischen‘ Angreifer schließlich eigenhändig erschlagen, verweist auf das alttestamentarische Buch ‚Judith‘ als narratives Vorbild, Bezugspunkt und Richtschnur der Chronikepisode: Wie einst Judith den Assyrer Holofernes erschlug, so ist jetzt eben mit den litauischen ‚Heiden‘ zu verfahren. – Die Wirkungsabsicht von Dusburgs ‚Cronica‘ ist dabei durchaus nicht dieselbe wie die von Jeroschins ‚Krônike‘. So übernimmt Jeroschin etwa Dusburgs Schilderung der aggressiven „new Judiths“ nicht,34 stattdessen berichtet er an dieser Stelle von ‚edlen und reinen‘ Christenfrauen, die vor ihren männlich-ritterlichen Rettern dankbar auf die Knie sinken (vv. 23818–23824). Während die enge Bindung von Dusburgs lateinischer ‚Cronica‘ an das narrative VorBild der Vulgata eine wunderbare Legitimation der kriegerisch-geistlichen Korpora29 30 31 32 33 34

Ebd., 231. Ebd., 277. Ebd., 219. Ebd., 219. Ebd., 220, Anm. 52. Mazeika; Rasa: ‚Nowhere was the Fragility of their Sex Apparent‘. Women Warriors in the Baltic Crusade Chronicles. In: From Clermont to Jerusalem. The Crusades and Crusader Societies 1095– 1500. Selected Proceedings of the International Medieval Congress, University of Leeds, 10.–13. July 1995. Hg. v. Alan V. Murray, Turnhout/Brepols 1998, 228–248, hier 233f.

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tion lieferte, erschien es Jeroschin offenbar sinnvoller, der durch seine volkssprachliche ‚Krônike‘ angesprochenen Hörergemeinschaft mitzuteilen, dass hilflose Frauen nicht ohne echte Männer auszukommen vermögen. Das Bemühen um Gemeinschaftsbildung hat sich hier weit von der Erzählung des Buchs ‚Judith‘ entfernt. Diese Entfernung zeigt allgemein: Die von Lähnemann und mir festgestellte Diskrepanz zwischen dem bibelepischem ‚Judith‘-Text und dem Deutschen Orden wird durch die Chroniken von Dusburg und Jeroschin nur ein Stück weit überbrückt. Das ist auch methodisch zu berücksichtigen: Vor dem Hintergrund der je verschiedenen Applikationsstrategien in ‚Cronica‘ und ‚Krônike‘ lassen sich Grundzüge einer auf das Ordensprojekt bezogenen Re-Interpretation der bibelepischen ‚Judith von 1254‘ konturieren, gleichsetzen oder identifizieren mit der hypothetisch anzunehmenden ‚gewalttätigen‘ Neu-Ausrichtung der bibelepischen ‚Judith‘ darf man die in den Ordenschroniken festgeschriebenen Strategien der Anwendung nicht. Auch spricht nichts für eine lineare Entwicklung, die von Dusburgs Legitimationsstreben über Jeroschins Bemühen um Gemeinschaftsbildung direkt zur oben skizzierten Re-Interpretation der volkssprachlichen Bibeldichtung geführt hat. Statt eine direkte Entwicklung der Anwendungen zu hypostasieren, erscheint es sinnvoller, die chronikalischen Applikationsstrategien der Texte Dusburgs und Jeroschins ebenso wie die ‚gewalttätige‘ NeuAusrichtung der ‚Judith‘-Dichtung als je verschiedenartige Aktualisierungen eines bereits von und in den Ordensstatuten vorgegebenen Musters zu betrachten. Bereits der Statutenprolog demonstriert ja, wie sich die strikt antagonistische Identitätskonstruktion des Ordens durch die Anwendung von biblischen Erzählungen begründen und affirmieren lässt. Auch dabei braucht man freilich keinen linearen Wirkungszusammenhang zu unterstellen: Um den bibelepischen ‚Judith‘-Text zu einem ‚Behältnis‘ des Kolonialismus zu machen, dürften die Umstände einer Aufführung ‚an der Front‘ in Preußen bereits ausgereicht haben. Die verschiedenartigen Anwendungen der biblischen ‚Judith‘ in den Chroniken Dusburgs und Jeroschins kamen zu dieser Neu-Ausrichtung wohl nur noch verstärkend hinzu. Sie verfestigten die kriegerische Lesart der ‚Judith‘ – ermöglicht oder erzeugt haben sie diese nicht. Mit dieser Einschätzung gebe ich freilich wiederum nur meine eigene Position wieder. Was nämlich die Überbrückung der Diskrepanz zwischen der ‚Judith von 1254‘ und dem Deutschen Orden bzw. den Ordenschroniken betrifft, weichen die Deutungen von Henrike Lähnemann und mir deutlich voneinander ab. Bei Lähnemann findet sich kein Wort von der Überwindung einer Distanz zwischen bibelepischem Text und Ritterorden, auch kein Wort von irgendeinem Erfordernis, hier eine Distanz zu überwinden. Dabei sah die Entfernung zwischen ‚Judith‘-Dichtung und Orden im Rahmen von Lähnemanns Interpretation doch keineswegs kleiner aus als in meiner Deutung: Auf dem Weg zur Deutschordens-‚Judith‘ wurde der bibelepische Text nach Lähnemann schließlich verstümmelt und also in einem recht konkreten Sinn gewalttätig zurechtgeschnitten. Wenn aber Lähnemann, anstatt auf irgendeine Distanz, deren Überbindung oder das Erfordernis, diese zu überwinden, plötzlich von



Identitätsstiftung durch Bibelepik?

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einer substanziellen Verwandtschaft zwischen der ‚Judith von 1254‘ und den Chroniken Dusburgs und Jeroschins spricht, ist das mehr als überraschend. So heißt es bei ihr, die Ordenschroniken würden neben der „angewandten“, „heroischen“ Lesart der alttestamentarischen Bücher – und „[o]hne die literale Lektüre außer Kraft zu setzen“ – noch eine Auseinandersetzung mit den biblischen Büchern enthalten, „wie sie der ‚Judith‘-Autor für sein Werk forderte“.35 Der hinter dieser Einschätzung stehende Gedankengang scheint freilich nicht ganz stimmig: Wenn man nämlich annimmt, dass es die Komplexität der Werke von Dusburg und Jeroschin war, die es möglich machte, einen so komplexen Text wie die ‚Judith von 1254‘ im Orden zu rezipieren, dann ist keineswegs klar, wieso die ‚Judith‘ dort ausgerechnet in einer redaktionell verstümmelten Fassung überliefert worden ist, also einer Fassung, der die ursprüngliche Komplexität abgeht. Freilich gilt es hier vielfältige Kontingenzen und Zufälle zu berücksichtigen, durch die sich die historische Entwicklung von einer logischen Deduktion unterscheidet. Aber auch dann erscheint das Argument streckenweise unmotiviert. So handelt es sich bei der hohen literarischen Komplexität, die dem Gedankengang zufolge die Werke Dusburgs und Jeroschins mit der ‚Judith von 1254‘ verbindet (wie bei der daraus abgeleiteten Komplexität des theologischen Zugriffs, den diese Werke ermöglicht haben oder haben sollen), um rein formale resp. abstrakte Größen. Dass es darüber hinaus noch inhaltlich-materiale Entsprechungen zwischen dem Exegeseprogramm der ‚Judith von 1254‘ und den Chroniken von Dusburg und Jeroschin gibt, oder besser gesagt: gegeben hat, bleibt äußerst zweifelhaft. Dies gilt auch für die große Waffenallegorese in ‚Cronica‘ und ‚Krônike‘, auf die sich Lähnemann hier größtenteils bezieht. – Die in der ‚Judith von 1254‘ behauptete ‚religiöse Widerstandsidentität‘ unterscheidet sich vom Programm der Chroniken Dusburgs und Jeroschins ebenso deutlich, wie sie sich von dem in den Statuten entworfenen korporativen Selbstbild unterscheidet. Wenn man nach der Bedeutung der ‚Judith‘-Dichtung für die Identitätsbehauptung des Deutschen Ordens fragt, kommt man – wie ich meine – um die Annahme einer Re-Interpretation nicht herum.

35 Lähnemann (wie Anm. 24), 285.

Christofer Herrmann DIE ARCHITEKTUR DER MITTELALTERLICHEN KIRCHEN IN DEN PREUSSISCHEN BISTÜMERN1 Im Zusammenhang mit der Eroberung des Prußenlandes durch den Deutschen Orden erfolgte 1243 die Einteilung des Gebietes in vier neue Bistümer: Kulm, Pomesanien, Ermland und Samland. Bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts entstand auf diesem Territorium ein dichtes Netz an Pfarrkirchen, von denen sich eine große Zahl bis heute erhalten hat. Die wesentlichen Merkmale der Sakralarchitektur des Preußenlands sollen im Folgenden charakterisiert und an ausgewählten Beispielen vorgestellt werden. Dabei erfolgt zunächst eine Besprechung der architektonischen Eigenheiten der vier preußischen Dome und anschließend die Analyse der Pfarrkirchenarchitektur sowohl in den Städten als auch auf dem Land. In den vier preußischen Bistümern gab es außerdem insgesamt 17 Klöster, eine für mittelalterliche Verhältnisse sehr geringe Zahl. Es handelte sich fast ausschließlich um Niederlassungen der Bettelorden in den großen und einigen kleineren Städten. Auf die stilistische und formale Entwicklung des übrigen Kirchenbaus haben die Kirchen der Dominikaner und Franziskaner in mancherlei Beziehung aber vorbildprägend gewirkt2.

1. Die Architektur der vier preußischen Dome Bistum Kulm

Der Dom zu Kulmsee/Chełmżą wurde als frühester monumentaler Sakralbau im Preußenland vielleicht schon Ende der 1250er Jahre begonnen. Die erste Bauphase bildete der äußerst schlicht gehaltene, vermutlich der Dominikanerarchitektur verpflichtete Chor. In einer zweiten Bauphase fügte man im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts das einzige jemals in Preußen ausgeführte Querhaus an. Dieser Bauteil zeigt noch letzte Reminiszenzen an die Romanik, etwa die Rahmung der oberen Abschnitte der Treppentürmchen durch Lisenen, die mit einem Bogenfries enden (allerdings schon spitzbogig ausgeführt). Auch für die Türmchen selbst, die den Querhausarmen nach Osten vorgestellt sind, könnte noch eine aus der Romanik herrührende Tradition in Anspruch genommen werden. Das Querhaus zeigt schon eine deutlich reichere Wand1 Die in diesem Beitrag vorgestellte Charakterisierung der Sakralarchitektur im Preußenland ist Ergebnis der Habilitationsarbeit des Verfassers: Herrmann, Christofer: Mittelalterliche Architektur im Preußenland, Petersberg 2007. Alle Quellen- und Literaturnachweise sind dort aufgeführt. 2 Vgl. Herrmann (wie Anm. 1), 264–171.



Die Architektur der Kirchen im Deutschordensland Preußen

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behandlung, wobei insbesondere die Verwendung von Terrakottaplatten mit verschiedenen Maßwerkmotiven ins Auge fällt. Das Innere und der wohl erst während der Querhausbauphase errichtete Chorgiebel sind allerdings schon ganz an der Hochgotik orientiert. Gleichzeitig oder nur wenig später wurde der untere, mit Blenden versehene Abschnitt der Doppelturmfassade begonnen, dessen Kanten kräftige Strebepfeiler einnehmen. Eine Kulmseer Eigenart sind die in die Rückseite der Streben eingestellten Wendeltreppen. Der mittlere Abschnitt der Westfassade besitzt eine der in Preußen ganz seltenen Fensterrosen (allerdings ohne Maßwerk), gerahmt von einem Rechteck aus doppelt gesetzten Terrakottaplatten. Während der Errichtung des ersten Obergeschosses kam es zu einem Planwechsel. Man verzichtete auf die Weiterführung der Strebepfeiler, die nun abrupt abbrechen und verwendete im oberen Bereich auch keine Terrakottaplatten mehr. Als jüngster Teil des Doms entstand in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts das Langhaus in Hallenform. Die in fünf Wandabschnitte geteilte Nordseite gehört einer älteren Bauphase an, während die Südseite (mit sechs Abschnitten) und die Pfeiler jünger sind. Der Dom in Kulmsee war ein Pionierbau der Backsteingotik im Preußenland. Er entstand über einen längeren Zeitraum, wovon mehrere Planwechsel und Unregelmäßigkeiten zeugen. Man spürt deutlich, dass sich noch keine festen Bautraditionen mit routinierten, eingesessenen Werkstätten gebildet hatten. Bistum Samland

Der 1327 begonnene Königsberger Dom war der erste sakrale Monumentalbau im nördlichen Preußenland. Wie in Kulmsee sind auch hier mehrere Planwechsel feststellbar, die den Bau im Äußeren als wenig homogen erscheinen lassen. Ursprünglich hatte man den Dom als wehrhaften Bau nach Vorbild der Deutschordensburgen konzipiert. Nach diesem Plan wurde jedoch nur die mit Wehrgang und Eckwarten versehene Ostmauer des Chors errichtet. Der Dom musste dann nach einem Einspruch des Hochmeisters 1333 ohne Wehrelemente weitergeführt werden. In dem damals zwischen Hochmeister, Bischof und Domkapitel geschlossenen Vertrag wurde auch festgelegt, dass der Königsberger Dom nach dem Vorbild von Kulm zwei Türme im Westen erhalten sollte. Am Chor bildete man nach Norden (zur Altstadt und Burg hin) eine reich durchgliederte Schauseite aus, während die Architektur der Südseite auffallend unspektakulär blieb. Typologisch bemerkenswert war das zunächst als flach gedeckte Basilika konzipierte Langhaus. Der Verzicht auf die Wölbung passt eigentlich nicht zum Status einer Kathedrale und widersprach auch den Bestimmungen im Vertrag von 1333. Das außergewöhnliche erste Langhauskonzept wurde vermutlich schon vor der Vollendung des Basilikaplans zugunsten einer gewölbten Stufenhalle aufgegeben. Für diesen Bautypus findet sich eine Parallele im Dom von Marienwerder, wenn auch nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, ob man sich zuerst in Marienwerder oder

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Königsberg für das Konzept der Stufenhalle entschieden hatte. Das Hauptmotiv der äußeren Gestaltung sind in Königsberg die mit zahlreichen Maßwerkmalereien versehenen Spitzbogenblenden. Diese gehörten schon zur Konzeption des wehrhaften Domchors und setzten sich später am Langhaus sowie bei der Westturmgruppe fort. Trotz dieses verbindenden Elements wirkt die Architektur insgesamt nicht immer homogen. Es fehlt die klare Linie in der Konzeption und besonders der Außenbau zeigt im Detail viele Unregelmäßigkeiten und Inkonsequenzen. In Königsberg mangelte es offenbar an einer Baumeisterpersönlichkeit, die in der Lage gewesen wäre, die divergierenden Wünsche und Vorstellungen von Seiten der Bauherren in ein schlüssiges Ganzes zu integrieren. Bistum Ermland

Der Dom in Frauenburg/Frombork, dessen Baubeginn 1329 erfolgte, gehört zu den großartigsten und eigenwilligsten architektonischen Schöpfungen im gesamten mittelalterlichen Preußen. Dies resultiert nicht nur aus der Komposition und Gestaltung des Bauwerks an sich, sondern auch durch die Einbindung in eine stadtmauerartige Dombefestigung. Hinzu kommt die landschaftlich dominierende Lage auf einer Erhebung über dem Ufer des Frischen Haffs. Typologisch bemerkenswert ist in Frauenburg der Verzicht auf einen großen Turm zugunsten von vier zierlichen Ecktürmchen, die dem Bau eine von vielen Spitzen geprägte Silhouette verleihen. Der 1342 geweihte Rechteckchor orientierte sich in den Grundzügen (gerader Schluss, Strebepfeilerstellung, Giebeldekor) am Vorbild der Elbinger Dominikanerkirche. Das bis um 1380 fertiggestellte Frauenburger Langhaus wurde Vorbild für die Hallenkirchen der ermländischen Städte. Es zeigt mit seinen schlichten Achteckpfeilern und der durchgehenden Wölbung mit Sechszacksternen eine klassische Ausgewogenheit, die ein wesentliches Merkmal der entwickelten Sakralbaukunst im Zentrum im Preußenland wurde. Die turmlose Westseite erhielt den Charakter einer feingliedrigen Schaufassade, deren Höhepunkt der aufwändig gestaltete, aus zwei Dreiecken zusammengesetzte Giebel bildet. Dieser zeigt einerseits traditionell-rückbezogene Elemente, denn das Kerndreieck kann vom gut 50 Jahre älteren Chorgiebel abgeleitet werden, weist aber zusätzlich eine äußerst reich gestaltete Rahmung des äußeren Dreiecks auf, die einzigartig im Preußenland geblieben ist. Gleiches gilt für die mit enormem dekorativem Aufwand versehene Westvorhalle. Die kombinierte Verwendung von Terrakotten, Buchstabensteinen, Stuck und Werkstein liest sich wie eine Zusammenfassung aller im Preußenland gängigen plastischen Dekorformen auf engstem Raum. Trotz verschiedener Bauphasen zeigt der Frauenburger Dom insgesamt eine konzeptionelle Geschlossenheit, die man in Kulmsee und Königsberg vermisst.



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Bistum Pomesanien

Der Dom in Marienwerder/Kwidzyn erhielt als letzter der vier preußischen Bistumssitze eine seinem Status angemessene architektonische Form. Die Bauzeit des nach einem einheitlichen Plan errichteten Doms war die kürzeste unter den preußischen Bischofskirchen (1343 bis 1380). Einzigartig ist die Verschmelzung von Kirche und Kapitelsburg zu einem mächtigen langgestreckten Baukomplex. Der Dom wurde dabei an das Verteidigungssystem der Burg angeschlossen und gehört zu den ganz wenigen tatsächlich wehrhaften Sakralbauten im Ordensland. Den Außenbau charakterisieren eine gleichmäßige und strenge Gliederung durch Strebepfeiler und lanzettartig schmale Fenster. Die zweigeschossige Choranlage erhielt entscheidende Anregungen von der 1344 fertiggestellten neuen Kirche im Hochschloss der Marienburg. Als ein Unikum im Preußenland erscheint die ganz aus gotländischem Kalkstein errichtete Vorhalle im romanisch-frühgotischen Übergangsstil, die vielleicht noch vom Vorgängerbau stammte. Das Innere des pseudobasilikalen Langhauses zeigt eigenartige Proportionen mit recht niedrigen und stämmig wirkenden Strebepfeilern, hohen Arkaden sowie einer unbeleuchteten Obergadenzone mit Blendfenstern. Im Gesamteindruck stehen die mächtigen Pfeiler und kräftigen Arkaden in einem merkwürdigen Gegensatz zu dem dünnen Linienwerk der Gewölbe. Die Wirkung der preußischen Dome auf die Pfarrkirchenarchitektur

Die preußischen Dome wirkten in unterschiedlicher Weise auf den Sakralbau ihrer Bistümer. Beim Pionierbau in Kulmsee hätte man eigentlich erwarten können, dass von ihm zahlreiche Impulse für die Entwicklung der Architektur im Preußenland ausgegangen wären. Tatsächlich lassen sich aber nur recht wenige Anregungen nachweisen. So wurde das Querhaus nirgends übernommen und auch die Doppelturmfassade blieb im Preußenland eine Seltenheit. Lediglich die Westturmanlagen in Kulm/ St. Marien, Königsberg und Strasburg lassen sich direkt auf Kulmsee zurückführen, und die schlichte Choranlage wurde an der Thorner Pfarrkirche St. Johann rezipiert. Die Ausgestaltung der Traufgesimse mit Sägefriesen und Terrakottaplatten wirkte vor allem auf die Kulmer Architektur des späten 13. und frühen 14. Jahrhunderts sowie auf einige kleinstädtische und ländliche Kirchen der näheren Umgebung (Königlich Neudorf/Nowa Wieś Królewska). Vom Königsberger Dom ging dagegen ein starker Einfluss auf die Kirchen des samländischen Bistums aus. Die dortigen zentralen Landpfarrkirchen wiederholen in vereinfachter Weise die typologischen Grundelemente ihrer Bischofskirche. Übernommen wurden dort insbesondere die Grundrissgestalt (Turm, Langhaus und eingezogener Rechteckchor). Bei den Landkirchen reduzierte man jedoch die einzelnen Baukörper. Im Westen stand jeweils nur ein Turm, und das Langhaus wurde als Saal

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angelegt. Vorbildlich wirkte auch die mit Maßwerkmalereien versehene Blendengliederung des Doms, die in verschiedenen Varianten bei etlichen Landkirchen eine fruchtbare Nachfolge fanden. Beim Frauenburger Dom fand das als dreischiffige Halle ausgebildete Langhaus mit einfachen achteckigen Pfeilern eine reiche Nachfolge bei den meisten städtischen Pfarrkirchen des Ermlands. Der gleichmäßige Wandaufriss (Abfolge von Strebepfeilern und spitzbogigen Fenstern in der Vertikalen sowie vortretendem Sockel und Kaffgesims in der Horizontalen) wurde ebenfalls vorbildlich. Die erste direkte Übernahme dieses Vorbilds lässt sich bei der Pfarrkirche St. Nikolaus in Frauenburg feststellen. Dort waren vielleicht auch am Dom tätige Maurer unmittelbar tätig. Viele Elemente des Domes wirkten jedoch nicht oder kaum vorbildlich für die Pfarrkirchen des Bistums, so etwa der Rechteckchor, die Giebelgestaltung, der Verzicht auf einen Hauptturm, der Einbau von Ecktürmchen oder die rechtwinklig stehenden Strebepfeiler an den Kanten. Eine Vorbildwirkung des Doms von Marienwerder lässt sich nur vereinzelt nachweisen. So kann man die äußere Wandgliederung in Riesenburg/Prabuty, Pestlin/Postolin und Groß Lichtenau/Lichnowy wiederfinden. Groß Lichtenau übernimmt auch die Höhenstaffelung von Chor und Langhaus. In Graudenz/Grudziądz orientierte man sich bei der Gestaltung des Innenraums (Stufenhalle in Verbindung mit den kurzen, stämmigen Achteckpfeilern) an Marienwerder.

2. Die Architektur der Pfarrkirchen Mit den Pfarrkirchen verbreitete sich die gotische Baukunst flächendeckend über das gesamte besiedelte Land. Die Entstehung der preußischen Sakrallandschaft muss dabei vor dem Hintergrund einer allgemeinen “Kommunalisierung“ des Kirchenwesens gesehen werden. In den neugegründeten Städten und Dörfern lag die Verantwortung für Bau und Ausstattung der Kirchen von Anfang an in den Händen der Bürger und Bauern. Eine landesherrliche Bauinitiative gab es nur in den weitgehend prußisch bewohnten Gegenden (Samland, Natangen), wo eine gemeindliche Eigeninitiative nicht zu erwarten war. Auch die Zahl der von Gutsherren errichteten Kirchen blieb gering. 2.1. Städtische Pfarrkirchen

Eine der frühesten aus Stein errichteten massiven Pfarrkirchen war St. Johann in Thorn/Toruń. Dort wurden im Bereich des heutigen Chors die Fundamente eines kürzeren Vorgängerbaus mit Polygonalschluss ergraben, der vielleicht schon aus der Mitte des 13. Jahrhunderts stammte. Der heute bestehende Chor wurde um 1290/1300 errichtet. Seine Architektur folgt in ihrer demonstrativen Einfachheit dem Vorbild des



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Doms in Kulmsee. Der dreijochige Bau mit geradem Chorschluss ist im Äußeren nur durch vollkommen schmucklose Strebepfeiler gegliedert. Die zwischen ihnen sitzenden Fenster haben nicht einmal Kantenprofile. Den Horizontalabschluss bildet ein einfacher Sägefries. Das Innere zeichnet sich durch einfache, klare Strukturen und ausgewogene Proportionen aus. Die Form der Wandvorlagen (drei Seiten eines Achtecks) entspricht ebenfalls genau der Situation von Kulmsee. Eine große Besonderheit stellt dagegen das vierzackige Sterngewölbe im Mitteljoch des Chors dar. Es handelt sich wahrscheinlich um das früheste erhaltene Gewölbe seiner Art auf dem europäischen Kontinent. Bei Langhaus und Turm verließ man im 15. Jahrhundert den Weg der gestalterischen Bescheidenheit und gab der Kirche eine an Kathedralformat heranreichende Dimension. So begann nach einem Turmeinsturz 1406 nur ein Jahr später das wohl ambitionierteste Turmprojekt des Landes. Am reich dekorierten Erdgeschoss kamen zahlreiche Werksteinelemente zum Einsatz, sogar der Sockel von Turm und Langhaus besteht aus gotländischem Kalkstein. Für das Preußenland war dies ein demonstrativ zur Schau gestellter Luxus. Der mit einer tiefen Mittelnische versehene Turm kam nach dem zweiten Obergeschoss 1437 jedoch zum Stillstand, die provisorische Abdeckung besteht bis heute. Vollendet wurde 1468 bis 1473 dagegen eine andere, das Prestige erhöhende Maßnahme, die Aufstockung des Langhauses um die doppelte Höhe. Eine im späten 15. Jahrhundert angedachte Vergrößerung des Chors kam jedoch nicht zur Ausführung. Daher besteht bis heute das Ungleichgewicht zwischen dem bescheidenen Chor und dem überdimensioniert erscheinenden mächtigen Langhausblock. Schon bald nach den bemerkenswert einfachen Anfängen der monumentalen Sakralarchitektur in Kulmsee und Thorn lässt sich schon im frühen 14. Jahrhundert bei den Pfarrkirchen der großen Städte eine deutliche Tendenz zur Bereicherung und Vielfalt der Bauformen feststellen. Es entstanden qualitätsvolle Bauten von beachtlicher Dimension und Güte. Man achtete nun auch mehr auf die Einheitlichkeit der Gesamterscheinung, gerade dann, wenn die Bauten in mehreren Abschnitten errichtet wurden. Zu diesen frühen Bauten gehört die Kulmer Pfarrkirche St. Marien. Sie knüpft in mancherlei Beziehung noch unmittelbar an den Dom in Kulmsee an. Insbesondere der untere Abschnitt der Doppelturmfassade mit den in die Strebepfeilerwinkel eingestellten Wendeltreppen ist direkt von Kulmsee übernommen, ebenso die Verwendung von Terrakottaplatten mit verschiedenen Maßwerkfigurationen. Es lassen sich in Kulm (im Vergleich zu Kulmsee) jedoch schon eine Reihe von zukunftsweisenden Neuerungen finden. So verzichtete man auf ein Querhaus und schloss die quergestellten Seitenschiffsdächer mit einfachen aber wirkungsvoll gestalteten Dreiecksgiebeln mit variierendem Blendenbesatz. Der aufsehenerregendste Sakralbau des Preußenlands ist zweifellos die neustädtische Pfarrkirche St. Jakob in Thorn. Der Chor (1309 bis um 1320), umringt von dicht gestellten, hoch aufragenden und mit grün glasierten Backsteinen in Wechsellagen

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sowie Maßwerkmalereien versehenen Strebepfeilern, ist ein Gebilde ungewöhnlicher Plastizität und Farbigkeit. Einzigartig erscheinen auch die auf die Linienführung der Sterngewölbe verweisende fächerartige Aufstellung der Streben und das Ineinandergreifen von Strebepfeilerbekrönungen und Giebelzone. Obwohl St. Jakob zahlreiche Einzelelemente verarbeitete, die charakteristisch für das Preußenland waren (so die Buchstabensteine und Maßwerkmalereien) ist die ‚Grammatik‘ der Architektur nicht landesspezifisch und sollte keine große Nachwirkung haben. Der Chor von St. Jakob blieb ein extraordinärer Bau, das ambitionierte Werk einer jungen Stadtgemeinde, die das Glück hatte, über einen hervorragenden Baumeister verfügen zu können, der es virtuos verstand, die sich im Preußenland entwickelnden neuen Bau- und Dekorformen effektiv in Szene zu setzen. Trotz – oder vielleicht gerade wegen – dieser Großartigkeit fand St. Jakob fast keine Nachfolge im Preußenland. Schon das Langhaus zeigt sich um vieles konventioneller und angepasster. Der schlanke Westturm mit den ehemals wohl zinnenbekrönten Eckwarten setzte dagegen wieder einen besonderen Akzent. Die Eckwarten nahmen vielleicht auf den Belfried des Altstädter Rathauses Bezug, denn das Rathaus der Neustadt besaß keinen Turm. Auch die Architektur von St. Katharina in Strasburg/Brodnica verfügt über einige bemerkenswerte Besonderheiten. Am bekanntesten ist der filigrane Chorgiebel, der in seiner verspielten Kleinteiligkeit seinesgleichen im Preußenland sucht. Er entstand möglicherweise schon um 1320, war aber seiner Zeit so weit voraus, dass manche ihn sogar für ein Werk Hinrich Brunsbergs hielten. Die Westseite der Strasburger Pfarrkirche sollte mit einer imposanten Doppelturmanlage abgeschlossen werden, von der jedoch nur der zinnengeschmückte Südwestturm ausgeführt wurde. In das Erdgeschoss ist dort eine kleine Kapelle integriert, die mit einem zierlichen Polygonalchor nach Süden vortritt. Diese Kapelle steht offensichtlich im Zusammenhang mit der 1343 erfolgten Stiftung eines wundertätigen Kreuzes, sowie von Monstranzen und Bildern durch den ehemaligen Strasburger Pfarrer Nikolaus. Die Elbinger/Elbląg Pfarrkirche St. Nikolaus, heute nur noch ein Torso des ursprünglichen Baus, gehörte zu den mächtigsten Sakralbauten des Preußenlands. Die Rekonstruktion der komplizierten Baugeschichte ist aufgrund des großen Substanzverlustes kaum noch möglich. In seinem mittelalterlichen Endzustand aus dem frühen 16. Jahrhundert handelte es sich um eine dreischiffige Hallenkirche mit Kapellenkranz, an die sich ein ebenfalls dreischiffiger und von Kapellen flankierter Chor anschloss. Nach Osten präsentierte sich St. Nikolaus mit einer reichen Silhouette unterschiedlicher Giebelformen. Im Westen ragte eine für Preußen einzigartige (nur durch Zeichnungen überlieferte) gewaltige Dreiturmgruppe in den Himmel. Die heute noch erhaltenen Seitenportale mit ihren kunstvollen Details aus Werkstein und Terrakottaplatten lassen erahnen, von welcher Güte der ursprüngliche Bau gewesen sein muss. Anregend hat St. Nikolaus offenbar auf die Altstädtische Pfarrkirche von Königsberg gewirkt, bei der Chor und Langhaus ebenfalls dreischiffig ausgebildet und von einem Kapellenkranz flankiert waren.



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Die bisher besprochenen großstädtischen Pfarrkirchen sind in jeder Beziehung variantenreicher und vielgestaltiger als die Masse der mittel- und kleinstädtischen Kirchen. Dies zeigt sich etwa an der Pfeilerbehandlung. Bei den Pfeilern der frühen Kirchen in Thorn und Kulm laufen Dienste von den mehrfach profilierten und gestuften Sockeln bis zur Kämpferzone. St. Marien in Kulm hat zum Mittelschiff gewendete Apostelfiguren an den Pfeilern, ähnliches findet sich nur noch in der Strasburger Pfarrkirche. Bei der altstädtischen Pfarrkirche St. Johann in Thorn zeigen die Langhauspfeiler einen Wechsel von Lagen roter und grün glasierter Backsteine. In der Hauptbauepoche kommt es seit etwa der Mitte des 14. Jahrhunderts dagegen zu einer absoluten Dominanz ungegliederter Achteckpfeiler, häufig sogar ohne Andeutung eines Kämpferbereichs. Als ab dem mittleren 14. Jahrhundert der Großteil der Pfarrkirchen in den Kleinund Mittelstädten errichtet wurde, hatte die Backsteingotik des Preußenlands ihre Innovationsphase gerade durchlaufen. Einige in der Frühzeit importierte Formen waren inzwischen wieder ausgesondert worden, andere hatten sich dafür durchgesetzt und weiterentwickelt. In der Folgezeit kam es nicht mehr zur Bildung von neuen Elementen, vielmehr wurde das nun entstandene System verfeinert und in sich ständig variiert. Daraus erklärt sich unter anderem die größere Homogenität in der Gruppe der kleinstädtischen Pfarrkirchen. Gewisse regionale Gruppenbildungen und Differenzen können aber weiterhin beobachtet werden. Eine typologisch sehr geschlossene Gruppe bildeten die ermländischen Pfarrkirchen in der Form von chorlosen Hallen (Allenstein/Olsztyn, Friedland/Pravdinsk, Guttstadt/Dobre Miasto, Heilsberg/Lidzbark Warmiński, Rößel/Reszel, Wartenburg/ Barczewo). Sie dominieren als mächtige Kuben das städtische Weichbild und beeindrucken vor allem durch ihre hohen und streng gegliederten Ostgiebel. Im Inneren sorgen die gleichmäßig gereihten, ungegliederten Achteckpfeiler für ein eher nüchternes Ambiente, das von einem Himmel aus Sterngewölben überfangen wird. Das Schulbeispiel dieses Typs ist die Pfarr- und Stiftskirche in Guttstadt. Weniger einheitlich zeigt sich die Pfarrkirchenarchitektur der Städte im Bistum Pomesanien. Im Gegensatz zum Ermland kommen Chöre fast überall vor. Bemerkenswert ist die nur in diesem Gebiet zu beobachtende seitliche Turmstellung bei einigen Bauten. Besonders imposant wirken dabei die Chorflankentürme von Riesenburg, Mohrungen/Morąg und Rehden/Radzyń Chełmiński. Neben den herausragenden Stadtpfarrkirchen im Preußenland gab es eine nicht unerhebliche Gruppe von Bauten, die sich nur unwesentlich von größeren Dorfkirchen unterschieden. Als Beispiele für derart bescheidene Stadtkirchen seien Briesen/ Wąbrzeźno, Kauernik/Kurzętnik und Drengfurth/Srokowo genannt. Ein Grund für diese Erscheinung dürfte im Städtewesen des Untersuchungsgebiets zu finden sein. Über 90 Prozent der Städte zählten zu den Zwerg- oder Kleinstädten, die ihren starken ländlichen Charakter kaum verbergen konnten.

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2.2. Ländliche Pfarrkirchen

Zu der flächendeckenden Verbreitung von Pfarrkirchen und Kapellen trugen die freien Zinsdörfer in entscheidender Weise bei. Die gotische Architektur wurde erst durch die zahlreichen ländlichen Pfarrkirche im gesamten Preußenland flächendeckend präsent. Von den ursprünglich vorhandenen 719 Pfarrkirchen befanden sich fast 90 Prozent auf dem Land. Der Wunsch nach einer eigenen Kirche ging von den Einwohnern und nicht vom Landesherrn oder der kirchlichen Obrigkeit aus. Dabei spielte auch das Streben nach Bewahrung einer möglichst großen Eigenständigkeit der Dörfer eine wesentliche Rolle. So entstand, mit der Ausnahme des Samlands, eine auch von anderen Kolonisationsgebieten her bekannte Struktur kleiner Kirchspiele, die jeweils nur wenige Orte, manchmal sogar nur ein Dorf umfassten. Die Dorfkirche ist ein wesentlicher Bestandteil der bäuerlichen Kultur. Die Architektur steht zwar in engem Zusammenhang mit dem städtischen Sakralbau und wurde auch von in den Städten ansässigen Maurern errichtet, zeigt aber dennoch zahlreiche eigenständige Merkmale, die nicht als lediglich vereinfachtes Abbild der Stadtkirche gedeutet werden dürfen. Man kann daher den ländlichen Pfarrkirchenbau nicht einfach als „abgesunkenes Kulturgut“ disqualifizieren. Die enorme Bautätigkeit wuchs auf der wirtschaftlichen Grundlage eines freien und (in Friedenszeiten) wohlhabenden Bauerntums. Die Bauern der Hufenzinsdörfer waren ‚frei‘ in dem Sinne, dass sie ihre Höfe auf vertraglicher Basis bei festgesetzten Zinsen, Abgaben und relativ geringen Diensten in vererblichem und veräußerbarem Besitz hatten und über den Mehrertrag ihrer Arbeit frei verfügen konnten. Sie bildeten, neben den Stadtbürgern, eine neue Mittelschicht, die in Folge eines europäischen Intensivierungsprozesses in Landwirtschaft und Siedlungswesen entstanden war. Im Preußenland kam es zu einem letzten, voll ausgereiften Höhepunkt dieser Entwicklung der mittelalterlichen Bauernbefreiung. Aus typologischer Sicht gibt es für den Bereich des Sakralbaus keine homogenere Gruppe als die der Dorfkirche. Es lassen sich zwar gewisse räumliche und zeitliche Differenzierungen herausfiltern, doch ist die Übereinstimmung bei den grundlegenden Merkmalen erstaunlich groß. Das Langhaus war in fast 100 Prozent der Fälle ein ungewölbter Saalbau, der meistens ohne separaten Chor auskam. Nur bei den frühen Beispielen (bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts) gab es ein leichtes Übergewicht gewölbter Rechteck- oder Polygonalchöre. Seit dieser Zeit war der chorlose und ungewölbte Saalbau der absolut vorherrschende Typus. Nicht alle ländlichen Kirchen brachten es zu einem steinernen Glockenturm. Wenn es aber einen solchen gab, war er fast immer schmaler als das Langhaus und stand in 97 Prozent der Fälle im Westen. Typologisch dominierte bei den frühen Landkirchen (im Kulmer Land und dem nördlichen Ermland) der Saalbau mit angefügtem Rechteck- oder Polygonalchor. Der Saal blieb immer ohne Wölbung, während die Chöre häufig ein Gewölbe besaßen. Nur ein Teil der Kirchen wurde mit einem massiven Turm ausgestattet. Selten, aber



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auch von Anfang an vorhanden, waren chorlose Säle. Der Romanik entstammende Elemente, wie halbrunde Apsiden, Chortürme oder Türme in Form von Westriegeln sind nicht mehr in das Preußenland vorgedrungen. Der ein- bis dreiteilige Grundriss mit dem Saalbau als Zentrum gehört zu den Grundmodellen des ländlichen Pfarrkirchenbaus überhaupt. Es fällt deshalb schwer, unmittelbare Vorbilder, etwa aus den Herkunftsgebieten der Siedler, ausfindig zu machen. Auffällig ist immerhin, dass auch die frühe Gruppe der Landkirchen schon recht einheitlich wirkt. Dies spricht eher gegen die Annahme, dass die Einwanderer jeweils die Bautraditionen ihrer Heimat nach Preußen mitbrachten. Stattdessen bildete sich rasch ein eigenes regionales Architekturmilieu heraus. Bei der frühen Entstehung einer landesspezifischen Bauart könnten zwei Faktoren eine Rolle gespielt haben. Man muss davon ausgehen, dass in den Dörfern zunächst nur Holzkirchen errichtet wurden und die Steinbauten frühestens nach einer Generation entstanden. Dieser zeitliche Abstand genügte offenbar schon, um die Erinnerung der Kolonisten an die Bautradition in der Heimat ihrer Vorväter verblassen zu lassen. Offenbar orientierte man sich im Moment der Bauentscheidung an dem, was im näheren Umkreis schon an Architekturtypen vorhanden war. Dabei wirkten oft die unmittelbar benachbarten Kirchen als Vorbild, gelegentlich lassen sich aber auch direkte Verbindungen zwischen Kirchen nachweisen, die dreißig oder fünfzig Kilometer voneinander entfernt lagen, wie dies etwa bei der Verbreitung der frühen Dreiecksgiebel der Fall war. Im Laufe der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts setzten sich bestimmte typologische Merkmale immer stärker durch, andere hingegen verschwanden. Als nach der Jahrhundertmitte der eigentliche Kirchenbauboom einsetzte, stand ein neuer Typus zur Verfügung, der die Architektur in vielen Landesteilen für die kommenden gut einhundert Jahre dominieren sollte. Der ungewölbte Saalbau bildete dabei nach wie vor die Kernzelle der Landkirchen und trat nun sogar noch stärker in Erscheinung, da separate Chöre fast nicht mehr vorkamen. Über den Schmalseiten der gerade geschlossenen Säle errichtete man mächtige, streng gegliederte Staffelgiebel, die oft höher waren als die Umfassungsmauern der Kirche und zum Erkennungszeichen der Architektur des Preußenlandes avancierten. Massive Türme wurden in größerer Zahl begonnen als in der frühen Epoche (allerdings nicht immer vollendet). Der Anteil von Kirchen aus Backstein, meist in hervorragender handwerklicher Qualität ausgeführt, stieg gewaltig. Die in Preußen entwickelten Elemente des äußeren Dekors (Maßwerkmalereien, Putzbänder, Muster aus schwarzen Backsteinen) fanden auch bei den ländlichen Kirchen weite Verbreitung. Das aufgrund der fehlenden Gewölbe und Wandgliederung heute oft kahl und nüchtern wirkende Innere war ursprünglich oft vollständig und szenenreich ausgemalt. Aufgrund der schwachen Beleuchtung (häufig gab es an der Nord- und Westseite keine Fenster) entstand somit ein dämmriger, bildreicher Innenraum. Der eigenartige Gegensatz zwischen architektonisch gegliederter Außenarchitektur und architekturlosem Bildraum im Inneren ist kennzeichnend für viele der Landkirchen und findet keine Entsprechung in der städtischen Sakralarchitektur.

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Der Sonderfall Samland

Das bisher Gesagte gilt nur für die Bistümer Kulm, Pomesanien und Ermland. Einen von diesen Bistümern stark abweichenden Charakter zeigte hingegen die Sakrallandschaft des Samlands. Die meisten Kirchen hatten einen langgestreckten Saal mit eingezogenem Chor und waren vollständig gewölbt. Auch ein massiver Westturm war bei den samländischen Kirchen obligatorisch. Die durchschnittliche Gesamtlänge lag weit über dem für Landkirchen üblichen Maß und entsprach eher städtischen Verhältnissen. Die schlauchartig langen Innenräume gaben dieser Kirchengruppe einen fast uniformen Charakter (Medenau). Nur bei der Gestaltung der Außenwände zeigten die samländischen Bauten eine größere Bandbreite an Varianten von vollkommen schmucklosen (Juditten) bis reich durchgliederten (Arnau) Kirchen. Die besonderen Bedingungen der Bevölkerungszusammensetzung waren offenbar eine Ursache für die Sonderrolle der samländischen Sakralarchitektur, denn in weiten Teilen der Region lebten fast ausschließlich Prußen. Hier wurde das Christentum nicht wirklich angenommen, weshalb in den prußischen Siedlungen auch kein Bedürfnis zur Errichtung einer eigenen Pfarrkirche vorhanden war. Diese Aufgabe übernahm der jeweilige Landesherr (Deutscher Orden, Bischof, Domkapitel) durch die Anlage großer Zentralkirchen in der Nähe des jeweiligen Verwaltungssitzes (meist ein Kammeramt). Von hier aus wurde die geistliche Versorgung zahlreicher Siedlungen vorgenommen. Aufgrund nationaler und sprachlicher Unterschiede bestand im Samland bis zum Ausgang der Ordensherrschaft eine deutliche Kluft zwischen der christlichen Geistlichkeit und der einheimischen Bevölkerung. Dies lässt sich auch an der Architektursprache ablesen. Die Dominanz der Hierarchie betonenden Elemente, etwa der eingezogene, gewölbte Chor oder die starke Längsorientierung des Gesamtraumes sollten die prußischen Gottesdienstbesucher beeindrucken und die Autorität der christlichen Kirche und deren Priester unterstreichen. Diese architektonischen Mittel schufen aber gleichzeitig auch eine deutliche Distanz zwischen dem ‚Laientunnel‘ und dem Priesterraum. Man mag darüber streiten, ob die chorlosen, in den Proportionen eher zentrierten Saalkirchen der Kolonistendörfer bewusster Ausdruck eines christlichen Gemeinschaftssinns gewesen sind. Die Zentralkirchen im Samland waren es auf keinen Fall. In wenigen Fällen lässt sich der Typus der großen Zentralkirche auch noch außerhalb des Samlands finden, so in Leunenburg/Sątoczno, Seehesten/Szestno, Locken/Łukta oder Preußisch Mark/Przezmark. Auch in diesen Fällen handelte es sich wohl um landesherrliche Einrichtungen in Gebieten mit lokal verdichteter prußischer Besiedlung. Diese Bauten wirken aus typologischer Sicht wie Fremdkörper im Kreis der sie umgebenden Kirchen der deutschen Kolonistendörfer.



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Städtische Vorbilder

Es finden sich einige Beispiele ländlicher Pfarrkirchen, bei denen sich die direkte Übernahme städtischer Vorbilder formal nachweisen lässt. Im Vergleich zur Masse der ländlichen Kirchen sind dies jedoch eher seltene Fälle. Lediglich im Samland scheinen fast sämtliche zentrale Landpfarrkirchen in einem formalen Abhängigkeitsverhältnis zum Königsberger Dom zu stehen, was in der landesherrlichen Bauherrschaft begründet sein dürfte. Im Allgemeinen kann man jedoch feststellen, dass die Dorfkirchen sich selbst Vorbild waren und auch eine Reihe von Innovationen oder originellen Ideen ausschließlich im Bereich des außerstädtischen Sakralbaus vorkamen. Die Unterscheidung zwischen städtischer und ländlicher Architektur sollte daher nicht zu grundsätzlich gesehen werden. Es existiert eine zahlenmäßig sehr umfangreiche mittlere Architekturebene, bei der die Grenzen zwischen Stadt und Land fließend waren. Betrachtet man sich etwa die äußere Erscheinung der aus Backstein errichteten chorlosen Saalbauten oder Hallen des ermländischen Bistums, so stehen die Pfarrkirchen vieler Dörfer mit der einer ganzen Reihe von Kleinstädten auf einer Ebene. In den Städten mögen die Kirchen einige Meter länger oder breiter sein und ein Gurtgesims mehr besitzen, dabei handelt es sich aber nur noch um Nuancen und nicht um grundlegende Unterschiede.



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Abb. 1:  Orientierungskarte der preußischen Bistümer. [C. Herrmann]

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Abb. 2:  Kulmsee/Chełmża, Dom von Osten (um 1940/44). [Foto: Herder-Institut Marburg, Bildarchiv]

Abb. 3:  Kulmsee, Dom von Westen (2003). [Foto: C. Herrmann]



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Abb. 4:  Königsberg/Kaliningrad, Dom von Südosten (2001). [Foto: C. Herrmann]

Abb. 5:  Königsberg, Dom von Westen (1907). [Foto: ISPAN, Warszawa]

148 Abb. 6:  Königsberg, Dom, Innenansicht nach Westen (1907). [Foto: ISPAN, Warszawa]

Abb. 7:  Frauenburg/Frombork, Domburg von Norden (2007). [Foto: C. Herrmann]

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Abb. 8:  Frauenburg, Dom von Südwesten (2007). [Foto: C. Herrmann]

Abb. 9:  Frauenburg. Dom, Innenansicht nach Westen (2006). [Foto: C. Herrmann]

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Abb. 10:  Marienwerder/Kwidzyn, Dom von Südosten (1999). [Foto: C. Herrmann]

Abb. 11:  Marienwerder, Dom, Innenansicht nach Westen (2008). [Foto: C. Herrmann]



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Abb. 12:  Thorn/Toruń, St. Johann von Südosten. [Inventar der Bau- und Kunstdenkmäler]

Abb. 13:  Thorn, St. Johann von Südwesten (2009). [Foto: A. Konieczny]

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Abb. 14:  Thorn, St. Johann, Innenansicht nach Westen (1988). [Foto: C. Herrmann]



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Abb. 15:  Kulm, St. Marien von Südosten (2003). [Foto: C. Herrmann]

Abb. 16:  Kulm/Chełmno, St. Marien, Innenansicht nach Westen (1940/44). [Foto: Herder-Institut Marburg, Bildarchiv]

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Abb. 17:  Thorn, St. Jakobi, Chor von Süden (2008). [Foto: C. Herrmann]

Abb. 18:  Strasburg/Brodnica, St. Katharina von Osten (1940/44). [Foto: Herder-Institut Marburg, Bildarchiv]



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Abb. 19:  Elbing/Elbląg, St. Nikolai, Nordansicht (1737).

Abb. 20:  Guttstadt/Dobre Miasto, Kollegiatskirche von Osten (2006). [Foto: C. Herrmann]

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Abb. 21:  Guttstadt, Kollegiatskirche, Innenansicht nach Osten (2006). [Foto: C. Herrmann]

Abb. 22:  Riesenburg/Prabuty, Pfarrkirche von Südosten (1999). [Foto: C. Herrmann]



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Abb. 23:  Kauernik/Kurzętnik, Pfarrkirche von Osten (2002). Einfache kleinstädtische Kirche des Kulmer Landes. [Foto: C. Herrmann]

Abb. 24:  Grzywno, Pfarrkirche von Südosten. Früher Feldsteinbau des Kulmer Landes, Ende 13. Jh. [Foto: C. Herrmann]

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Abb. 25:  Groß Schwansfeld/Łabędnik, Pfarrkirche von Süden (2000). Große Landpfarrkirche des späten 14. Jh. im Bistum Ermland. [Foto: C. Herrmann]

Abb. 26:  Löwenstein/ Lwowiec, Pfarrkirche von Nordosten (2001). Pfarrkirche des 15. Jh. im Bistum Ermland. [Foto: A. Konieczny]



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Abb. 27:  Groß Lichtenau/Lichnowy, Pfarrkirche von Südosten (2001). Große Landpfarrkirche im Bistum Pomesanien. [Foto: C. Herrmann]

Abb. 28:  Gudnick/Gudnuki, Pfarrkirche von Südwesten (2005). Einfache Feldsteinkirche des 15. Jh. im Bistum Ermland. [Foto: C. Herrmann]

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Abb. 29:  Wargen von Süden (Zeichnung 1902). Große zentrale Landpfarrkirche im Bistum Samland. [Foto: Archiwum Państwowe w Olsztynie]

Abb. 30:  Medenau, Innenansicht nach Osten (1913). Charakteristisch tunnelartiger Innenraum einer samländischen Pfarrkirche. [Foto: Messbildarchiv im Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege]

Anette Löffler DIE LITURGIE DES DEUTSCHEN ORDENS IN PREUSSEN 1. Die Entstehung der Deutschordens-Liturgie ,Die Liturgie‘ des Deutschen Ordens taucht sehr unvermittelt mit einer päpstlichen Bulle aus dem Jahr 1244 auf. Vor diesem Zeitpunkt gibt es keinen einzigen Hinweis auf eine im Orden praktizierte Liturgie, weder durch Hinweise in historischen Quellen noch durch Handschriften. Am 9. Februar 1244 approbierte Papst Innozenz IV. für den Deutschen Orden den Wechsel zur Liturgie der Dominikaner.1 Bisher folgte der Orden dem Ritus der Kanoniker vom Heiligen Grab, besaß somit also keine „eigene“ Liturgie in dem Sinne, dass eine spezifische Ordens-Ausprägung vorhanden gewesen wäre. Ein Grund für diesen Liturgiewechsel ist nicht dezidiert bekannt. In der Literatur findet sich gelegentlich der Hinweis, eine Intensivierung der Kontakte zu den Dominikanern bei gleichzeitiger Entfremdung von den Kanonikern hätte diesen Schritt bewirkt.2 Inwiefern die dominikanische Liturgie, also die Liturgie eines Bettelordens, dem Deutschen Orden, einem Ritterorden, entgegenkam, lässt sich nicht wirklich stichhaltig klären. Zumal es sich bei der 1244 angenommenen dominikanischen Liturgie um eine Vorform handelte, denn im noch jungen Dominikanerorden war die endgültige Ritusausgestaltung noch keineswegs abgeschlossen. Erst nach 1250 war unter Humbertus a Romanis eine endgültige Dominikanerliturgie entstanden.3 Diese liturgische Vorform der Dominikaner wurde den Verhältnissen des Deutschen Ordens angepasst. Allerdings ist über die liturgischen Bedürfnisse und Verhältnisse des Deutschen Ordens aus dieser Zeit nichts bekannt. Es existieren auch keine liturgischen Handschriften, die hier Klarheit schaffen könnten. In den Jahren nach 1244 muss jedoch eine intensive liturgische Arbeit innerhalb des Ordens eingesetzt haben, denn am 27. Februar 1257 bestätigt Papst Alexander IV. in Rom die Liturgie des Deutschen Ordens.4 Möglicherweise geht auf den Zeitraum zwischen 1244 und 1257 die Erarbeitung der so genannten Notula dominorum Teu1 Tabulae Ordinis Theutonici. Hg. v. Ernst Strehlke, Berlin 1869, neu hg. v. Hans Eberhard Mayer, Toronto 1975, Nr. 470, 357. 2 Volgger, Ewald: Die ordenseigene Liturgie – Die Vorschriften. In: 800 Jahre Deutscher Orden. Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg in Zusammenarbeit mit der Internationalen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens. Hg. v. Gerhard Bott und Udo Arnold, Gütersloh/München 1990, VI.5.1., 409. 3 Sölch, Gustav Gisbert: Die Eigenliturgie der Dominikaner, Düsseldorf 1957. 4 Tabulae (wie Anm. 1), Nr. 536, 378–379.

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tonicorum zurück, in der entsprechende liturgische Vorschriften gemacht wurden.5 Zehn Jahre später als die Liturgie des Deutschen Ordens wurde dann übrigens die der Dominikaner approbiert. Weitere Bestimmungen in der Papstbulle von 1257 gestatteten dem Deutschen Orden ferner, Ritus-Änderungen in Zukunft auch ohne spezielle Zustimmung der Kurie durchzuführen. Den Dominikanern blieb dieses Zugeständnis zunächst verwehrt. Erst Papst Honorius IV. gestattete den Predigern 1285 dieses Privileg. Die Liturgie des Deutschen Ordens muss spätestens 1257 als funktionierendes Gerüst in Form von Handschriften vorgelegen haben, anhand derer die Ordenspriester diese Liturgie durchführen konnten. Erhalten haben sich aber keine Schriftzeugnisse aus dieser frühen Periode. Die Entstehung der Ordensliturgie fügt sich ein in einen Prozess, der als Konsolidierung und Kodifizierung der Ordensstrukturen bezeichnet werden kann. In diesem Zeitraum wurde nicht nur die Liturgie des Ordens festgelegt, sondern auch die Statuten erhielten ihr endgültiges Gesicht. In der bereits erwähnten Bulle von 1244 erlaubte Papst Innozenz IV. zudem, die Ordensregeln den jeweiligen Gegebenheiten anzupassen.6 Daraus resultierte die älteste Fassung der Statuten aus dem Jahr 1264.7

2. Die Liturgie in den Ordensstatuten Am 1. Oktober 1264 wurde die älteste Fassung der Statuten fertiggestellt. Sie war für die Ballei Koblenz vorgesehen und in deutscher Sprache geschrieben. Die Statuten bestehen im Wesentlichen aus den Regeln, den Gesetzen und den Gewohnheiten. Weiterhin finden sich Bemerkungen zu den Vigilien und Venien. In den jüngeren Handschriften befinden sich ferner die Gesetze der späteren Hochmeister mit einigen liturgischen Zusätzen. In allen Teilen der Statuten existieren mehr oder weniger ausführliche Angaben zur Liturgie.8 In Regel 8 werden Bestimmungen gemacht, wann und wie die Brüder 5 Zum Inhalt der Notula bzw. des Liber Ordinarius s. Kapitel 4. Zur Bedeutung s. DE WAL, Guillaume Eugène Josephe: Recherches sur l’ancienne constitution de L’Ordre Theutonique, Mergentheim 1807, Teil 2, 65–95. – Krüger, Michael: Der kirchliche Ritus in Preußen während der Herrschaft des Deutschen Ordens. In: Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde Ermlands 3 (1866), 699ff. 6 Die Regeln des Deutschen Ordens in Geschichte und Gegenwart. Hg. v. Ewald Volgger, Lana 1985, hier 68. 7 SB Berlin PK, Ms. bor. oct. 79. Dazu speziell: Die Statuten des Deutschen Ordens. Hg. v. Max Perlbach, Halle 1890, XV–XVI. – Arnold, Udo: Deutschordensregeln und –statuten. In: Die Deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon Bd. 2, Berlin 1980, 71–74. 8 Löffler, Anette: Die liturgischen Fragmente aus den Beständen des Historischen Staatsarchivs Königsberg in Berlin. Neue Erkenntnisse zur Liturgiegeschichte des Deutschen Ordens. In: Kirchengeschichtliche Probleme des Preußenlandes aus Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. v. Bernhart Jähnig,



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und die Laien während des Gottesdienstes aufstehen müssen.9 So sollen sich die Teilnehmer am Gottesdienst beispielsweise in der Matutin, während des Invitatoriums sowie bei den Hymnen gemeinsam hinsetzen. Während der Evangelienlesungen oder den Horen Mariens müssen hingegen alle aufstehen. Außerdem legt Regel 8 die Anzahl der Pater noster fest. Vor der Messe sollen 13 Pater noster gesprochen werden, vor der Vesper und zu den Marienhoren neun, zu allen anderen Zeiten sieben. In Regel 9 folgen Festlegungen zum Abendmahl.10 Für alle Brüder wird der Empfang des Abendmahls mindestens siebenmal während eines Jahres vorgeschrieben. Die sieben verbindlichen Termine sind Gründonnerstag, Ostersonntag, Pfingsten, Maria Himmelfahrt, Allerheiligen, Christi Geburt und Maria Lichtmess. Weniger als diese sieben Termine seien nicht statthaft, da in anderen Orden der Empfang des Abendmahls viel häufiger üblich sei. Gebete für Lebende und Tote werden in Regel 10 behandelt.11 Für die Seele eines toten Bruders sollen die Laien 100 Pater noster sprechen. Angaben über das Fasten während der vorgegebenen Zeiten sind in Regel 15 vermerkt.12 Gesetz 23 bemerkt zur Einförmigkeit des Gottesdienstes, dass dieser in allen Häusern Tag und Nacht gleichartig abzulaufen habe.13 Die Benutzung liturgischer Schriften, die nicht der Notula und damit der Liturgie des Ordens folgen, werden untersagt. Allerdings sind die Festlegungen von Gesetz 23 nur in der lateinischen Fassung der aus dem Jahr 1539 stammenden Stuttgarter Statutenhandschrift vorhanden.14 In den Gesetzen 29 und 30 werden Bemerkungen zum Kenntnisstand der Ordensritter auf liturgischem Gebiet gemacht.15 Danach sollten eintretende Brüder das Pater noster, das Glaubensbekenntnis und das Ave Maria beherrschen. Falls dies nicht der Fall ist, sollen sie es binnen sechs Monaten lernen. Die Hochfeste des Ordens werden in Gesetz 32 aufgelistet, hierzu an späterer Stelle. In den Gewohnheiten 2 und 3 steht die Wahl des Hochmeisters im Vordergrund, die ebenfalls von liturgischen Handlungen umgeben ist.16 Bei dem folgenden Teil über die Vigilien und Venien werden u.a. diejenigen Feste aufgezählt, an denen ein Toten-

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Marburg 2001, (Tagungsberichte der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung 16), 131–162, bes. 136–139. Perlbach (wie Anm. 7), XVI–XVII. Perlbach (wie Anm. 7), 36. Perlbach (wie Anm. 7), 36–38. Perlbach (wie Anm. 7), 42–43. Perlbach (wie Anm. 7), 72. WLB Stuttgart, HB V 77c. – Vgl. Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Reihe 2, Bd. 2.2, beschrieben v. Ulrich Sieber, Wolfgang Irtenkauf und Ingeborg Krekler, Wiesbaden 1975 (Codices historici HB V 1–105). Perlbach (wie Anm. 7), 61. Perlbach (wie Anm. 7), 90–92.

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amt zu halten ist.17 Der Teil des Altbestandes der Statuten schließt mit dem Aufnahmeritual und dem Wortlaut der Benediktionen.18 Als Nachträge können die Gesetze der späteren Hochmeister gelten. Je nach Entstehungszeit der jeweiligen Handschriften sind diese angefügt oder von jüngerer Hand nachgetragen. Die Hochmeister des 13. Jahrhunderts nahmen nur wenige Änderungen in der Liturgie vor.19 Hochmeister Burchard von Schwanden (1282–1290) ließ 1289 die Anzahl der Pater noster beim Totenamt nochmals festlegen.20 Im Jahr 1292 bestimmte Hochmeister Konrad von Feuchtwangen, dass Geistliche und Laien beim Agnus dei aufstehen sollen.21 In Ordenshäusern, die einen Priester und einen Schüler haben, sollen die Zeiten gesungen werden. Ferner setzte er fest, dass beim Tod des Hochmeisters eine Messe mit Vigilien und neun Lesungen gehalten werden soll. Bei dieser Totenmesse sprechen die Laien 100 Pater noster und 100 Ave Maria. Auf dem Kapitel von Venedig 1297 wurden durch Hochmeister Gottfried von Hohenlohe einige Neuerungen durchgesetzt.22 Erstmals finden sich jetzt konkrete Änderungen im Festgrad diverser Feste. Die Feste Kreuzauffindung und Kreuzerhöhung erhielten den Rang eines totum duplex.23 Bisher waren die beiden Feste mit den Festgraden duplex oder semiduplex in den Kalendarien und frühen Handschriften des Ordens vermerkt, beispielsweise im Ordensmissale Msc. Lit. 41 oder dem Brevier der Deutschordensschwestern Huseby 25.24 Das Fest der hl. Katharina wurde gleichfalls zum totum duplex-Fest erhoben.25 Als letzte Erhöhung wurde das Fest des hl. Wenzel zum semiduplex-Fest.26 Hochmeister Werner von Orseln (1324–1330) setzte die Änderungen in den Festgraden fort.27 Zunächst ließ er die Rangerhöhung der beiden Kreuzfeste wiederholen. Möglicherweise hatte sich diese Erhöhung in den liturgischen Handschriften und in den Konventen noch nicht umfassend durchgesetzt. Inwiefern der Umzug der Ordensleitung 1309 auf die Marienburg hier eine verzögernde Rolle spielte, sei dahingestellt. 17 18 19 20 21 22 23

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Perlbach (wie Anm. 7), 119–125. Perlbach (wie Anm. 7), 126–131. Löffler (wie Anm. 8), 140–144. Perlbach (wie Anm. 7), 138–139. Perlbach (wie Anm. 7), 141. Perlbach (wie Anm. 7), 144. Volgger, Ewald: Die Feier von Kreuzauffindung und Kreuzerhöhung. Ursprung, Verbreitung und Bedeutung unter besonderer Berücksichtigung als Hochfeste des Deutschen Ordens. In: Beiträge zur Geschichte des Deutschen Ordens 2. Hg. v. Udo Arnold, Marburg 1993 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 49), 1–50. SB Bamberg, Msc. Lit 41, 3 recto; KB Stockholm, Codex Huseby 25, 3 recto. Zu letzterem Löffler, Anette: Swester und Oberste – ein Brevier für einen Schwesternkonvent des Deutschen Ordens, geplant in: Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens. Zur Umsetzung dieser Festlegung siehe unter Kapitel 3.3. Zur Umsetzung dieser Festlegung siehe unter Kapitel 3.5. Perlbach (wie Anm. 7), 147–148.



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Auf alle Fälle zeigt sich in den liturgischen Codices und bei einigen Regelhandschriften, dass zu diesem Zeitpunkt die Umsetzung der Kreuzfeste als totum duplex noch nicht durchgeführt worden war. So führt das im 2. Viertel des 14. Jahrhunderts in Süddeutschland entstandene Ordensbrevier Hs 995 beide Kreuzfeste im Kalendarium weiterhin als duplex-Fest auf.28 Das gleichfalls um 1325 geschriebene Ordensmissale Hs. 362 bezeichnet diese Feste als semiduplex.29 Weiterhin legte Hochmeister Werner von Orseln den Festgrad semiduplex für den Festtag der hl. Anna fest.30 Im Folgenden machte er noch Zusätze zu den Venien. Außerdem bestimmte er, dass nach der Hochmesse und vor dem Pater noster der Beginn des Johannes-Evangeliums gelesen werden solle. Das Pater noster und das Ave Maria dürfe von ungelehrten („nit gelêret“) Brüdern auch auf deutsch gesagt werden. Weiterhin findet sich die hochmeisterliche Mahnung an die Priesterbrüder, die Tagzeiten fleißiger zu begehen. Unter Hochmeister Luther von Braunschweig (1331–1335) wurde abermals die Erhöhung der Kreuzfeste wiederholt.31 Wenn der Markustag in die Fastenwoche fallen sollte, solle er mit Amt und nach Gewohnheit des Landes begangen werden. Luther von Braunschweig ließ den Festgrad semiduplex für Anna wiederholen und legt für dieses Fest das Reimoffizium „Quasi stella matutina“ fest.32 Ähnliches wird bei dem Festtag der hl. Barbara eingeführt.33 Der Festgrad wird mit semiduplex festgelegt, als Reimoffizium soll „Gratulemur regi digna“ Verwendung finden. Lediglich zwei Bemerkungen zu Liturgie und Ritus nahm Hochmeister Dietrich von Altenburg (1335–1341) vor.34 Beide bezogen sich auf die Durchführung des Gottesdienstes und zwar sollte in Häusern mit zwei Schülern und zwei Priestern jeden Tag Gottesdienst gehalten werden. Außerdem sollten die Tagzeiten mit Noten gesungen werden. Hochmeister Ludolf König (1342–1345) spezifizierte die Venien. Der nachfolgende Hochmeister Winrich von Kniprode (1352–1382) ließ 1377 die Festerhöhung von Maria Empängnis zum totum duplex festschreiben.35 In einigen alten Liturgica 28 ULB Darmstadt, Hs 995, 4 recto und 6 recto. Zur Beschreibung des Codex: Die liturgischen Handschriften der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt, beschrieben v. Leo Eizenhöfer und Hermann Knaus, Wiesbaden 1968 (Die Handschriften der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt / Hessische Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt 2), 259–261, Nr. 104. 29 DOZA Wien, Hs. 362, 11verso und 13 verso. 30 Zur Umsetzung dieser Festlegung siehe unter Kapitel 3.5. 31 Perlbach (wie Anm. 7), 148–149. 32 Zur Umsetzung dieser Festlegung siehe unter Kapitel 3.5. 33 Zur Umsetzung dieser Festlegung siehe unter Kapitel 3.5. 34 Perlbach (wie Anm. 7), 149–151. 35 Perlbach (wie Anm. 7), hier 155. – Wigand von Marburg, Chronik. Hg. v: Theodor Hirsch. In: Scriptores rerum Prussicarum 2, Leipzig 1863, ND Frankfurt 1965, 498, Kap. 27 und Anm. 303. – Jähnig, Bernhart: Festkalender und Heiligenverehrung beim Deutschen Orden in Preußen. In: Die Spiritua-

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wie dem Ordensmissale Msc. Lit 41 oder dem Ordensbrevier HB I 165 war Maria Empfängnis im Kalendarium von vorneherein als totum duplex verzeichnet.36 In anderen alten Codices etwa dem Ordensbrevier HB I 166 wurde es im Kalendarium nachgetragen, wie dies in den Statuten für dieses Fest auch ausdrücklich gefordert wurde.37 Als letztes ließ Hochmeister Paul von Rusdorf (1422–1441) im Jahr 1422 festlegen, dass die Fastenvorschriften des Ordens im Advent gemäß den Vorschriften der Heiligen Römischen Kirche zu halten seien.38 Ferner seien die Kirchweihfeste mit Oktav zu begehen. Alle liturgischen Änderungen sollen in den liturgischen Handschriften des Ordens nachgetragen werden.

3. Die Hochfeste des Deutschen Ordens In Gesetz 32 der Statuten werden die Hochfeste des Ordens in der Reihenfolge des Kirchenjahres aufgelistet.39 Diese Hochfeste waren für alle Balleien des Ordenslandes bindend. Gleichwohl gab es eine ganze Reihe von Unterschieden zwischen der Ballei Preußen sowie den Balleien im Reich. Im Folgenden sollen diese Unterschiede benannt werden. Nach Gesetz 32 in den Statuten gab es folgende Hochfeste: Circumcisio domini, Epiphanias domini, Conversio sancti Pauli, Purificatio BMV, Mathias apl., Annuntiatio BMV, Georgius mar., Philippus et Iacobus mar., Inventio sanctae crucis, Iohannis bap., Petrus et Paulus apl., Maria Magdalena, Iacobus apl., Vincula Petri apl., Laurentius mar., Assumptio BMV, Bartholomaeus apl., Decollatio Iohannis bap., Nativitas BMV, Exaltatio sanctae crucis, Mathaeus apl., Michael arch., Simon et Iuda, Omnes sancti, Martinus eps., Elisabeth, Katharina mar., Andreas apl., Nicolaus eps., Thomas apl., Nativitas domini, Stephanus protomar., Iohannes ev. und Innocentes infantes. 3.1. Die totum duplex-Feste

Gesetz 32 unterschied die Hochfeste nicht in ihren Festgraden. Unter Zugrundelegung der zeitgenössischen Liturgica des 13. Jahrhunderts besaßen den Rang eines totum duplex die Feste Epiphanias domini, Purificatio BMV, Annuntiatio BMV, Inventio

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lität der Ritterorden im Mittelalter. Hg. v. Zenon Hubert Nowak, Toruń 1993 (Ordines Militares 79), 177–187, hier 181–182. Zur Umsetzung dieser Festlegung siehe unter Kapitel 3.9. SB Bamberg, Msc. Lit. 41, 6 verso. – WLB Stuttgart, HB I 165, 21 recto. WLB Stuttgart, HB I 166, 9 verso. Perlbach (wie Anm. 7), 157–158. Perlbach (wie Anm. 7), 76–77.



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sanctae crucis, Assumptio BMV, Nativitas BMV, Exaltatio sanctae crucis, Omnes sancti, Elisabeth, Nativitas domini, Stephanus protomar. und Iohannes ev.40 Als Patronin des Deutschen Ordens hatte Elisabeth von Anfang an eine herausgehobene Stellung unter den Ordensheiligen inne.41 Auch in den frühen Ordensliturgica wird der Festgrad immer mit totum duplex angegeben. Dieser Stellung entsprach die gleichfalls außerordentlich große Einheitlichkeit in den Formularen des Mess- und Chordienstes. Die Texte der Formulare sind mit sehr wenigen Ausnahmen sowohl in Preußen als auch in den Balleien im Reich dieselben. Auch herausgehobene Gesänge wie Sequenzen („Gaude Sion“) oder Reimoffizien („Laetare Germania“) sind identisch.42 Die erwähnte Ausnahme ist das Vorkommen einer weiteren Sequenz „Florem mundus protulit“, die sich neben dem Liber Ordinarius nur in den beiden Handschriften in Wissembourg und dem Stuttgarter Missale speziale findet.43 Ein weiterer Aspekt der hohen Wertschöpfung von Elisabeth innerhalb des Ordens zeigte sich besonders in Preußen, wo viele Pfarrkirchen ein Elisabeth-Patrozinium aufwiesen.44 3.2. Die duplex-Feste

Als duplex-Feste sind ausgewiesen Circumcisio domini, Mathias apl., Philippus et Iacobus mar., Iohannis bap., Petrus et Paulus apl., Iacobus apl., Bartholomaeus apl., Mathaeus apl., Michael arch., Simon et Iuda, Andreas apl. und Thomas apl. Bei den Aposteln Petrus und Paulus sowie dem Erzengel Michael wird der Festgrad duplex in allen liturgischen Handschriften angegeben. Anders verhält es sich bei den übrigen Heiligentagen. Vor allem in den alten Codices werden die Festtage von Matthias, Philippus und Jacobus, Bartholomäus, Matthäus, Simon und Judas sowie Andreas als semiduplex aufgezeichnet. Dies ist etwa im Kalendarium der ältesten 40 Jähnig (wie Anm. 35), 181. 41 Löffler, Anette: Elisabeth und die Liturgie des Deutschen Ordens, in: Elisabeth von Thüringen und die neue Frömmigkeit in Europa. Hg. v. Christa Bertelsmeier-Kierst, Frankfurt 2008 (Kulturgeschichtliche Beiträge zum Mittelalter und der frühen Neuzeit 1), 133–149. 42 Analecta Hymnica (künftig: AH) 55. Hg. v. Clemens Blume, Leipzig 1922, 140–142, Nr. 120. – AH 25. Hg. v. Clemens Blume, Leipzig 1897, 253–259, Nr. 90. – Hierzu auch Morent, Stefan: Letare Germania. Zur musikalisch-poetischen Elisabeth-Verehrung im Mittelalter. In: Elisabeth von Thüringen (wie Anm. 41), 105–132. 43 AH 55 (wie Anm. 42), 142–143, Nr. 121. – WLB Stuttgart, HB XVII 15, 102 versoa – 103 rectoa. – Pfarrarchiv Wissembourg, Hs. 1, 268 versoa. Zu dieser Handschrift Löffler, Anette: Das älteste bekannte Missale des Deutschen Ordens. Eine neu entdeckte Handschrift im Pfarrarchiv Weißenburg i.E.. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 151 (2003), 67–92, hier 83. 44 Arnold, Udo: Georg und Elisabeth. Deutschordensheilige als Pfarrpatrone in Preußen. In: Die Rolle der Ritterorden in der Christianisierung und Kolonisierung des Ostseegebietes. Hg. v. Zenon Hubert Nowak, Toruń 1983 (Ordines Militares 1), 69–78.

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Regelhandschrift Ms. bor. oct. 79 der Fall. Dies gilt ferner auch für den Codex Huseby 25 sowie das Ordensmissale Hs 362.45 Zwei preußische Codices, die heute in Danzig aufbewahrten Ordensmissalia Ms. Mar. F 401 und F 402, benennen gleichfalls fast alle diese Feste als semiduplex.46 Ms. Mar. F 401 führt die Feste von Bartholomäus, Matthäus sowie Simon und Judas als semiduplex auf, Ms. Mar F 402 diejenigen von Mathias, Philippus und Jacobus, Matthäus sowie Simon und Judas. Offensichtlich wurden beide preußischen Liturgica von alten Handschriften abgeschrieben, die den duplex-Festgrad (noch) nicht berücksichtigten. Trotz des vergleichsweise hohen Festgrades weisen weder die Messformulare noch die Sequentiare zu Mathias sowie Petrus und Paulus Sequenzen auf. Die Sequenzen zu Philippus und Jacobus sowie Matthäus („Caeli enarrant“), Johannes bap. („Sancti baptistae“), Jacobus, Bartholomäus, Simon und Judas sowie Thomas („Clare sanctorum“) und Andreas („Deus in tua virtute“) entstammen dem Commune sanctorum und sind gleichmäßig auf die Balleien verteilt.47 Das Fest des Erzengels Michael weist drei Sequenzen auf. Die Sequenz „In conspectu angelorum“ verteilt sich auf Handschriften in den Balleien, während die Sequenz „Summi regis archangele“ in den preußischen Codices zu finden ist.48 Die dritte Sequenz „Iocundare plebs fidelis“ ist eine Einzelüberlieferung aus dem Utrechter Missale des Landmeisters Johann van de Zande.49 Noch einmal anders zeigt sich die Überlieferung der Sequenzen beim Apostel Jacobus. Neben der Nennung einer Commune-Sequenz (siehe oben) verwenden die beiden gedruckten Missalia des Ordens die Sequenz „Gaude sponsa Christi“.50 Von den Festtagen der duplex-Feste weisen Mathias, Philippus et Jacobus, Petrus und Paulus, Bartholomäus, Matthäus, Michael, Simon und Judas und Andreas keine Reimoffizien auf. Zu Johannes bap. erscheint lediglich im Wiener Nokturnale das Reimoffizium „Herodis adulterium“.51 Der Apostel Jacob wird in der preußischen 45 In Huseby 25 sind lediglich Simon und Judas sowie Andreas als duplex bezeichnet. Im Ordensmissale Hs 362 im DOZA Wien ist nur das Fest von Mathias als duplex aufgeführt. 46 BGPAN Danzig, Ms. Mar F 401 und F 402. – Vgl. die Beschreibung bei Günther, Otto: Die Handschriften der Kirchenbibliothek von St. Marien in Danzig, Danzig 1921 (Katalog der Danziger Stadtbibliothek 5), 452–454. 47 AH 50. Hg. v. Guido Maria Dreves, Leipzig 1907, 344–346, Nr. 267. – AH 53. Hg. v. Clemens Blume und Henry Bannister, Leipzig 1911, 267–270, Nr. 163. – AH 53, 367–369, Nr. 228. – AH 53, 210–212, Nr. 122. 48 AH 9. Hg. v. Guido Maria Dreves, Leipzig 1890, 227, Nr. 306. – AH 53 (wie Anm. 47), 312–314, Nr. 192. 49 Balleiarchiv Utrecht, 243 versob. AH 55 (wie Anm. 42), 11–13, Nr. 7. – Dazu demnächst Löffler, Anette: Das Missale des Johannes van de Zande und das Fuldaer Brevier. Forschungen zur Liturgie des Deutschen Ordens in der Ballei Utrecht (in Druckvorbereitung). 50 AH 54. Hg. v. Clemens Blume und Henry Bannister, Leipzig 1915, 68–70, Nr. 47. 51 DOZA Wien, Hs 427f, 200 recto. AH 13. Hg. v. Guido Maria Dreves, Leipzig 1892, 203–203, Nr. 78.



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Handschrift Ms. Mar. F 396 mit dem Reimoffizium „Gloriosa splendet“ geehrt.52 Diese preußische Überlieferung findet sich ebenfalls in dem Brevier des Ordenspriesters Johannes de Ketgh, das aber sehr starke preußische Verbindungen aufweist. Überwiegend in Preußen Verwendung findet das Reimoffizium „O Thoma dydime“ zum Fest des Apostels Thomas.53 3.3. Die semiduplex-Feste

Es verbleiben von den Hochfesten diejenigen mit dem Festgrad semiduplex: Conversio sancti Pauli, Maria Magdalena, Laurentius mar., Martinus eps., Katharina mar. und Nicolaus eps. In den Kalendarien der liturgischen Handschriften wird bei Conversio sancti Pauli, Laurentius und Katharina der Festgrad vorschriftsmäßig mit semiduplex angegeben. In Preußen wird der Festgrad des Festes von Maria Magdalena oft mit duplex angegeben.54 Bei Martin und Nikolaus wird zwar überwiegend der Festgrad semiduplex aufgeführt, aber in jeweils zwei preußischen Codices auch der höhere Festgrad duplex.55 Entsprechend wird zu Conversio sancti Pauli („Dixit dominus es Basan“) eine Sequenz aus dem Commune sanctorum genannt.56 Eine gleichmäßige Verteilung in allen Balleien taucht bei Maria Magdalena („Laus tibi Christe“), Laurentius („Laurenti David“) und Martin („Sacerdotem Christi“).57 Ganz ohne Reimoffizium sind die Feste von Maria Magdalena, Laurentius und Martin. Zu Conversio sancti Pauli wird nur im Utrechter Brevier das Reimoffizium „O gloriosum lumen“ vermerkt.58 Laut den Statuten und dem Kapitel von Venedig 1297 besaß der Tag der hl. Katharina den Festgrad eines totum duplex. Diese Festlegungen wurden zumindest nur sehr begrenzt in den Alltag umgesetzt. In den liturgischen Kalendarien erscheint das Fest ausschließlich als semiduplex. Einzige Ausnahme bildet das Brevier des Johan52 BGPAN Danzig, Ms. Mar. F 396, 281 rectoa. – KB Brüssel, Hs 19004, 231 recto. – Siehe dazu Löffler, Anette: Das Brevier des Johannes de Ketgh. Die verschlungenen Wege der Handschrift Hs. 19004 der KBR Brüssel, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 210 (2007), 45–60, hier 58. AH 26. Hg. von Guido Maria Dreves, Leipzig 1897, 124–126, Nr. 42. 53 BGPAN Danzig, Ms. Mar. O 17, 242 rectoa. – Ms. Mar. F 166, 203 versob. – Ms. Mar. F 218, 207 rectoa. AH 28. Hg. v. Guido Maria Dreves, Leipzig 1898, 220–221, Nr. 81. 54 So beispielsweise bei BGPAN Danzig, Ms. Mar. F 61, Ms. Mar. F 80, Ms. Mar. F 166, Ms. Mar. F 218, Ms. Mar. F 396, Ms. Mar. O 10 und Ms. Mar. O 18. 55 Für Martin s. BGPAN Danzig, Ms. Mar. F 396 und Ms. Mar. O 18, für Nikolaus s. BGPAN Danzig, Ms. Mar. F 61 und Ms. Mar. F 91. 56 AH 50. Hg. v. Guido Maria Dreves, Leipzig 1907, 348–349, Nr. 269. 57 AH 50 (wie Anm. 56), 346–347, Nr. 268; AH 53 (wie Anm. 47), 283–285, Nr. 173 und 294–297, Nr. 181. 58 LHB Fulda, Aa 122, 407 versoa. AH 28 (wie Anm. 53), 118–121, Nr. 43.

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nes de Ketgh, dessen Pfarrei Elsen allerdings zur Kommende St. Katharina in Köln gehörte. Die Sequenz „Sanctissima virginis“ kommt gleichmäßig in allen Balleien vor, während für diesen Festtag zwei Reimoffizien regional unterschiedlich verwendet werden.59 Das Reimoffizium „Ave gemma claritatis“ kommt ausschließlich in den Balleien im Reich vor, „Inclitae sanctae virginis“ hauptsächlich in Preußen.60 Zu Nikolaus ist in Preußen eine breite Palette an Sequenzen vorhanden, nämlich insgesamt drei verschiedene: „Laude Christo debita“, „Congaudentes“ oder „Ad laudes salvatoris“.61 Diese werden teilweise auch in den Balleien im Reich verwendet, aber bei weitem nicht in dieser Dichte wie in Preußen. Ganz anders das Bild bei den Reimoffizien zu diesem Festtag. Lediglich eine einzige Handschrift, das Darmstädter Brevier Hs 995 erwähnt das Reimoffizium „Summe sacerdos inclitae“ und auch dies nur als Nachtrag.62 3.4. Die Hochfeste nach Gewohnheit des Landes

Vier weitere Hochfeste sind in den Statuten mit dem Zusatz „secundum consuetudinem terrae“, nach Gewohnheit des Landes, versehen. Es sind dies Georg, Vincula Petri, Decollatio Johannis und Innocentes infantes. Neben Elisabeth und Maria wird Georg als Patron des Deutschen Ordens verehrt. Im Liber Ordinarius taucht das Fest nur als solches mit drei Lesungen und somit nicht als Hochfest auf.63 In der Stuttgarter Correctio Notulae hingegen wird der Festtag unter den duplex-Festen aufgeführt, in der Danziger und Brüsseler Variante als semiduplex-Fest.64 Die hier erwähnten Änderungen nach Gewohnheit des Landes beziehen sich allerdings auf ein anderes Faktum. In den Balleien im Reich wird Georg am 23. April gefeiert, in Preußen am 24. April, da am 23. April der preußische Landesheilige Adalbert den Vorrang erhält. Die landestypischen Unterschiede bei den Festen Vincula Petri und Decollatio Johannes beziehen sich auf die Angabe, dass in der Correctio Notulae beide als Fest mit neun Lesungen bezeichnet werden.65 Im Ermland hingegen, das offiziell zwar kein preußisches Bistum war, aber der Ordensliturgie eng verbunden, wurde dieses Fest als totum duplex begangen. 59 60 61 62 63 64

AH 55 (wie Anm. 42), 229–231, Nr. 203. AH 26 (wie Anm. 52), 212–215, Nr. 73 und 197–204, Nr. 69. AH 55 (wie Anm. 42), 296–298, Nr. 265; AH 54 (wie Anm. 50), 95–98, Nr. 66 und 126–128, Nr. 88. ULB Darmstadt, Hs 995, 417 rectob und 470 rectoa. WLB Stuttgart, HB I 158, 73 versob; BGPAN Danzig, Ms. Mar. Q 72, 84 verso. WLB Stuttgart, HB I 158, 119 versoa; BGPAN Danzig, Ms. Mar. Q 10, 5 recto; KB Brüssel, Hs. 19004, 287 verso. 65 WLB Stuttgart, HB I 158, 118 rectob.



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Unterschiedliche Festgrade finden sich auch bei dem Fest der Unschuldigen Kinder. Während die Correctio Notulae den Tag als semiduplex-Fest angibt, wird der Tag in Preußen und hier vor allem in Pomesanien als duplex- oder sogar totum-duplexFest gefeiert. 3.5. Die Hochfeste nach den Gesetzen der späteren Hochmeister

Unter Hochmeister Werner von Orseln (1324–1330) wurde der Festgrad semiduplex zum Festtag der hl. Anna festgelegt. Die besondere Stellung zeigt sich auch an der hochmeisterlichen Festlegung eines eigenen Reimoffiziums „Quasi stella matutina“.66 In den Balleien im Reich werden darüberhinaus noch die Reimoffizien „Anna de qua sancta“ sowie „Gaudete Sion filiae“ verwendet.67 Abweichungen im Festgrad finden sich vor allem in Preußen. Dort wird das Fest im 15. Jahrhundert als duplex-Fest aufgeführt. Hochmeister Luther von Braunschweig (1331–1335) ließ den Festgrad von Barbara als semiduplex festlegen. Auch sie erhält mit „Gratulemur regi digna“ ein eigenes Reimoffizium.68 Es findet in allen Balleien gleichartig Verwendung. Dorothea wird im allgemeinen als Fest mit neun Lesungen bezeichnet. Hochmeister Winrich von Kniprode soll es Mitte des 14. Jahrhunderts eingeführt haben. Ihr Reimoffizium „Ave gemma virtuosa“ verteilt sich sowohl in den Balleien im Reich als auch in Preußen.69 Eine Spezifizierung auf Preußen findet sich bei diesem Fest in den Sequenzen. Die Sequenzen „Psallat chorus“ und „Gens fidelis“ werden nur in preußischen Handschriften verwendet.70 Der Festtag des hl. Wenzel schließlich wird 1297 als semiduplex-Fest unter Hochmeister Gottfried von Hohenlohe auf dem Kapitel von Venedig eingeführt. 3.6. Die Hochfeste in Preußen

Das Translationsfest von Elisabeth findet sich in der Correctio Notulae als semiduplex-Fest. Gemäß der Vorgabe wird der Text vom Elisabeth-Fest selber übernommen, 66 67 68 69 70

Zum Text des Reimoffiziums s. AH 25 (wie Anm. 43), 72–75, Nr. 24. AH 25 (wie Anm. 42), 52–57, Nr. 18 und 58–61, Nr. 19. AH 25 (wie Anm. 42), 116–121, Nr. 42. AH 5. Hg. v. Guido Maria Dreves, Leipzig 1889, 163–165, Nr. 56. AH 55 (wie Anm. 42), 135–137, Nr. 116 sowie Chevalier, Ulysses: Repertorium Hymnologicum, 6 Bde., Löwen 1892–1921, Nr. 7217. – Für die erste Sequenz s. BGPAN Danzig, Ms. Mar. F 91, 173 verso sowie Ms. Mar. F 400, 226 verso; für die zweite Sequenz BGPAN Danzig, Ms. Mar. F. 80, 234 recto sowie Ms. Mar. F 402, 206 verso. Missale 1499 (wie Anm. 159), 224 recto

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was auch für das Reimoffizium „Laetare Germania“ gilt.71 Im 15. Jahrhundert taucht der Festgrad duplex jedoch nur in Preußen auf. Der Festgrad semiduplex ist gleichfalls nur in preußischen Handschriften aus dem 15. Jahrhundert tradiert. So erscheint auch die Sequenz „Insistentes cantilenae“ ausschließlich in preußischen Missalia.72 Zum Fest des hl. Stanislaus werden in den preußischen Codices des 15. Jahrhunderts alle drei Festgrade aufgeführt. Das Reimoffizium „Dies adest celebris“ findet sich in einer preußischen Handschrift sowie in einem rheinischen Brevier, dem vermutlich ein preußischer Codex als Vorlage gedient hatte.73 Preußenspezifische Unterschiede gibt es noch bei Barnabas. In der Correctio Notulae wird das Fest als semiduplex bezeichnet, während es in Preußen als duplex-Fest begangen wird. Weitere Spezifika besitzt das Fest nicht. So wird beispielsweise die Sequenz aus dem Commune Sanctorum genommen. 3.7. Änderungen der Hochfeste in der Correctio Notulae

Weitere Feste des Deutschen Ordens werden in ihrem Festgrad laut der Überlieferung in der Correctio Notulae geändert. Das Fronleichnamsfest wird dort in der Stuttgarter Version mit vollem Wortlaut des Formulars genannt, was auf eine zeitlich nicht lange zurückliegende Änderung hinweist.74 Der Festgrad lautet auf totum duplex. In diesem Abschnitt wird die zu verwendende Sequenz mit „Lauda Sion“ benannt, alle Balleien folgen dieser Vorgabe.75 Das Fest Christi Dornenkrone wird in seinem Festgrad als duplex-Fest bezeichnet. In Preußen erscheint ausschließlich die Sequenz „O beata gaude grata“.76 Ähnliches gilt für das Fest Transfiguratio domini mit dem Festgrad duplex. 3.8. Gruppenfeste: Apostel, Doktoren und Kirchenväter

In der Liste mit den Festgraden in der Correctio Notulae werden die Apostelfeste mit dem Festgrad duplex belegt. Vorherige Nennungen weisen sie meist als semiduplex71 72 73 74

AH 25 (wie Anm. 42), 253–258, Nr. 90 AH 42. Hg. v. Clemens Blume, Leipzig 1903, 179–180, Nr. 191. BR Brüssel, Hs. 19004, 215 verso; BGPAN Danzig, Ms. Mar. F 396, 280 versoa. WLB Stuttgart, HB I 158, 115 versoa – 116 versob. Der Festgrad wird auch in der Danziger und Brüsseler Correctio Notulae erwähnt. 75 AH 50 (wie Anm. 56), 584–585, Nr. 385. 76 Piwonski, Henryk: Indeks sekwencij w zabytkach liturgicznych Krzyzakow w Polsce (Index sequentiarum in monumentis liturgicis Cruciferorum in Polonia). In: Archiwa, Biblioteki i Muzea Koscielne 49 (1984), 221–244, hier 236, Nr. 73.



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Feste aus. Der nicht ganz so herausgehobene Charakter dieser Festgruppe zeigt sich auch daran, dass die jeweiligen Sequenzen keine individuellen Züge tragen, sondern aus dem Commune sanctorum entnommen sind. Ebenso wie die Apostelfeste wird die Gruppe der Doktoren und Kirchenväter (Gregor, Ambrosius, Augustinus, Hieronymus) in der Correctio Notulae pauschal als duplex-Fest bezeichnet. Wenn Sequenzen vorhanden sind, stammen diese aus dem Commune sanctorum. Lediglich bei Papst Gregor wird in allen Balleien gleichmäßig verteilt das Reimoffizium „Gregorius ut creditur“ angegeben.77 3.9. Die Marienfeste

Neben der Schicht der alten Marienfeste Purificatio BMV, Assumptio BMV und Nativitas BMV sind im Laufe des 14. Jahrhunderts weitere Marienfeste in den Festkalender des Ordens eingeführt und mit dem Rang eines totum duplex versehen worden. Das Fest Visitatio BMV wurde 1380 durch Erzbischof Johannes von Jenstein in Böhmen eingeführt.78 1389 erfolgte die Aufnahme in den römischen Festkalender. In dieser Zeit fand es auch in den Deutschen Orden Eingang, denn in allen Codices des 15. Jahrhunderts firmiert es im Rang eines totum duplex. Diese Stellung ist sowohl bei Sequenzen als auch Reimoffizien erkennbar. Die besondere Stellung des Festes in Preußen zeigt sich an Bestimmungen von 1411 auf der Synode in Pomesanien, wo drei Sequenzen für Visitatio BMV aufgeführt werden. Es sind dies „Illibata mente sana“, „Decet huius cunctis horis“ sowie „Ave verbi die“.79 Im Reich wird hingegen die Sequenz „Veni praecelsa domina“ verwendet.80 Insgesamt fünf Reimoffizien werden bei Visitatio BMV aufgeführt. Eine regionale Schwerpunktbildung der Reimoffizien ist nicht erkennbar. Praesentatio BMV wird in der Danziger Correctio Notulae noch als duplex-Fest aufgeführt.81 Dort wird auch berichtet, dass Hochmeister Winrich von Kniprode dieses Fest eingeführt habe. Eigentümlicherweise wird das Reimoffizium „Fons hortorum“ nur in den Balleien im Reich aufgeführt, Preußen weist zu diesem Fest kein Reimoffizium auf.82 Bei den Sequenzen gibt es wieder eine regionale Trennung der verwendeten Texte. Im Reich wird „Stirpe Maria“ benutzt, in Preußen „Altissima providente“.83 77 AH 5 (wie Anm. 69), 184–186, Nr. 64. 78 Dazu ausführlich Löffler, Anette: Die Liturgie des Deutschen Ordens in Preußen. Ritus und Heiligenverehrung am Beispiel des Festes Visitatio Mariae anhand der Königsberger Fragmentüberlieferung. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 47.3 (1998), 371–382. 79 AH 48. Hg. v. Guido Maria Dreves, Leipzig 1905, 422–424, Nr. 390–392. 80 AH 54 (wie Anm. 50), 301–303, Nr. 193. 81 BGPAN Danzig, Ms. Mar. Q 10, 6 recto. 82 AH 24. Hg. v. Guido Maria Dreves, Leipzig 1896, 76–80, Nr. 25. 83 AH 53 (wie Anm. 47), 162–164, Nr. 95; AH 54 (wie Anm. 50), 291–294, Nr. 189.

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Für Conceptio BMV weist die Correctio Notulae den Festgrad totum duplex auf. Laut der Chronik des Wigand von Marburg geht die Einführung dieses Festes auf Hochmeister Dietrich von Altenburg zurück.84 Hochmeister Winrich von Kniprode setzte dann 1377 den Festgrad totum duplex fest.85 Die entsprechende Sequenz „Hodiernae lux diei“ findet sich nur im Reich, Preußen bleibt sequenzenlos.86 An Reimoffizien sind drei verschiedene bekannt. „Gaude mater ecclesiae“ und „Deus ante luciferum“ sind die in den Balleien im Reich verwendeten.87 Als alleiniges Reimoffizium in Preußen taucht dort „Alma promat“ auf.88 3.10. Weitere Hochfeste

Neben den bereits genannten Änderungen gibt es weiterhin einige Hochfeste, deren Festgrad in einzelnen Handschriften gegenüber der Norm geändert ist bzw. entsprechend hervorgehoben wurde. Das Fest Lancea domini am 15. April wird ausschließlich im Kalendarium der Danziger Handschrift Ms. Mar. F 80 als duplex-Fest bezeichnet. Folgerichtig wird die Sequenz „Hodiernae festum lucis“ nur in preußischen Handschriften sowie das auf einen preußischen Codex zurückgehende Missale des Johann van de Zande erwähnt.89 Das Reimoffizium „In splendore fulgurantis“ hingegen wird nicht reflektiert, es findet sich nur als Nachtrag in einem süddeutschen Brevier.90 Der Festtag von Johannes ante portam latinam erscheint gemeinhin als Fest mit neun Lesungen. Lediglich in dem Danziger Missale Ms. Mar. F 401 ist es als duplexFest eingetragen. Dieser Codex weist auch die Sequenz „Verbum dei“ auf, der sich in allen preußischen Codices findet.91 In den Balleien im Reich wird sie nicht verzeichnet. Mit nur drei Lesungen taucht das Fest von Papst Urban auf. Lediglich in dem Danziger Missale Ms. Mar. F 402 ist der Festgrad mit duplex angegeben. Dies dürfte aber eine Sonderüberlieferung sein, denn in keiner weiteren Handschrift sind Hervorhebungen dieses Festes gegeben. 84 Wigand von Marburg, Chronik. Hg. v. Theodor Hirsch. In: Scriptores rerum Prussicarum 2, Leipzig 1863 (ND Frankfurt 1965), 498, cap. 27 und Anm. 303. – Jähnig (wie Anm. 35), 177–187. – Löffler: Erkenntnisse (wie Anm. 8), bes. 142. 85 WLB Stuttgart, HB I 158, 119 recto. 86 AH 54 (wie Anm. 50), 346–349, Nr. 219. 87 AH 5 (wie Anm. 69), 47–53, Nr. 12–13. 88 AH 5 (wie Anm. 69), 53–56, Nr. 14. 89 AH 54 (wie Anm. 50), 211–212, Nr. 140. 90 AH 28. Hg. v. Guido Maria Dreves, Leipzig 1898, 306, Nr. 144. Nachgetragen in WLB Stuttgart, HB I 165, 497 versob. 91 AH 55 (wie Anm. 42), 211–214, Nr. 188.



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Bei Margarete wird in den Kalendarien sowie in der Correctio Notulae das Fest mit neun Lesungen vermerkt. In Preußen ist der Festgrad semiduplex, in den Inkunabeln sogar duplex. Entsprechend der Verehrung in Preußen findet sich nur dort die Sequenz „Margaritam pretiosam“.92 Gleichfalls nur in Preußenland taucht das Reimoffizium „O Margarita“ auf.93 Lediglich in zwei Codices im Reich ist das Reimoffizium nachgetragen.94 Insgesamt eher selten begangen wird im Deutschen Orden das Fest des Antoninus am 9. Februar. Entsprechend führen nur wenige süd- bzw. westdeutsche Handschriften dieses Fest auf. In diesen allesamt jungen Handschriften des 15. Jahrhundert erscheint der Festgrad meist mit semiduplex. In Preußen wird dieses Fest nicht als Hochfest begangen. Selten begangen und spät eingeführt scheint auch das Fest von Hedwig am 15. Oktober zu sein. Als Fest mit neun Lesungen finden sich weiterhin die Festgrade duplex und semiduplex in den preußischen Handschriften und den Inkunabeln. Nennungen in den Balleien im Reich sind nicht überliefert. Dementsprechend taucht die Sequenz „Consurge iubilans“ nur in preußischen Missalia sowie den Inkunabeln auf.95 Auch das Reimoffizium „Laetare Germania“ ist auf Preußen beschränkt und findet sich hier nur in dem Danziger Brevier Ms. Mar. F 166.96 3.11. Herausgehobene Feste im Status eines Hochfestes

Unter den Festen, deren Festgrad lediglich mit neun Lesungen und keinem weiteren Festgrad eines Hochfestes angegeben wird, befinden sich einige, die aber dennoch aus dem restlichen Festkanon herausragen. Diese weisen eigene Sequenzen oder eigene Reimoffizien auf. 3.11.1. Feste mit eigener Sequenz

Der Ordensgründer Dominikus firmiert als Fest mit neun Lesungen. Ein Reimoffizium im Deutschen Orden ist nicht bekannt, wohl aber die Verwendung der Sequenz

92 AH 55 (wie Anm. 42), 262–263, Nr. 233. 93 AH 28 (wie Anm. 90), 17–20, Nr. 3. 94 WLB Stuttgart, HB I 125, 385 recto; ULB Darmstadt, Hs 995, 424 versoa. In HB I 165, 13 versoa ist es zeitgenössisch vorhanden. 95 AH 37. Hg. v. Clemens Blume, Leipzig 1901, 178–179, Nr. 201. 96 AH 26 (wie Anm. 52), 79–83, Nr. 28. BGPAN Danzig, Ms. Mar. F 166, 300 versoa.

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„In caelesti hierarchia“ in den Missalia von Utrecht und Wissembourg.97 In diesen beiden Codices kommt allerdings eine lokale Sonderüberlieferung zum Tragen.98 Eine weitere Gruppe von Heiligen gehört ebenfalls hierher. Es handelt sich um Agnes, Vincentius, Hubertus, Kaiserin Kunigunde, Gertrud, König Sigismund, Bischof Otto und Kaiser Heinrich. Allen diesen Festtagen ist gemeinsam, dass sie nur in den Inkunabeln des Deutschen Ordens mit einer Sequenz versehen sind. Dies heißt, dass hier teilweise zumindest bereits eine Angleichung an die römischen Vorgaben stattgefunden hat. Doch auch hier gibt es natürlich eine Ausnahme. Zum Festformular des Lütticher Bischofs Hupertus am 3. November wird in einem Nachtrag in der Danziger Correctio Notulae vermerkt, dass Hochmeister Winrich von Kniprode (1351–1382) dieses Fest einführen ließ.99 Eine weitere Hervorhebung innerhalb des Ordens hatte jedoch offensichtlich nicht stattgefunden. 3.11.2. Feste mit eigenem Reimoffizium

Lediglich drei Feste aus diesem Festfundus weisen ein eigenes Reimoffizium auf. Zum Fest von Apollonia tauchen in den Kalendarien die Kategorien drei Lesungen, Commemoratio und Einträge ohne Festgradangaben auf. Drei Lesungen weisen die gedruckten Ordensbreviere aus, Commemoratio ein Teil der preußischen Handschiften, in denen das Fest aber nicht weiter spezifiziert wird. So kommt das Reimoffizium „Fulget dies laetitiae“ nur in dem jungen süddeutschen Diurnale HB I 190 vor.100 Häufiger in den Kalendarien überliefert wird Paulinus in den bereits genannten Kategorien, deren Verteilung bei diesem Fest allerdings uneinheitlich ist. Das Reimoffizium „Pangens chorus“ ist wiederum nur im Diurnale HB I 190 überliefert.101 Eine Sonderstellung nimmt das Fest von Ursula ein. Es gibt hier in den Inkunabeln und in dem preußischen Brevier Ms. Mar. F 396 eine Nennung als duplex-Fest sowie in dem gleichfalls preußischen Brevier Ms. Mar. F 218 die Nennung als semiduplexFest. In den Festformularen findet sich aber kein Hinweis auf eine besondere Stellung des Festes in Preußen. In den Balleien im Reich wird in einigen Handschriften aber die Sequenz „Virginalis turma sexus“ verwendet.102 Dennoch tauchen zwei verschiedene Reimoffizien auf. In zwei süddeutschen Brevieren wird das Offizium „Gaudeat 97 AH 55 (wie Anm. 42), 176, Nr. 155. Balleiarchiv Utrecht, 309 versob. – Pfarrarchiv Wissembourg, Hs 1, 265 rectoa. 98 Löffler: Missale (wie Anm. 43), 67–92. Dazu auch dies.: Johannes van de Zande (wie Anm. 49). 99 BGPAN Danzig, Ms. Mar. Q 10, 6 recto. 100 AH 25 (wie Anm. 42), 107–108, Nr. 37. WLB Stuttgart, HB I 190, 199 recto. 101 AH 5 (wie Anm. 69), 256–257, Nr. 93. WLB Stuttgart, HB I 190, 216 verso. 102 AH 55 (wie Anm. 42), 368–370, Nr. 333.



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ecclesiae“ als jüngerer Nachtrag aufgeführt.103 Ein weiteres Reimoffizium „Laetis canamus vocibus“ findet sich nur als Nachtrag im süddeutschen Brevier Hs 995.104

4. Der Liber Ordinarius OT und die Correctio Notulae Bereits des Öfteren war vom Liber Ordinarius und der Correctio Notulae die Rede. Dabei handelt es sich um den Normcodex des Ordens, der den Wortlaut der Liturgie verbindlich festlegte.105 In anderen Ordenshandschriften wird der Liber Ordinarius meist als Notula bezeichnet. Dieser Begriff und somit das Vorhandensein dieser Handschrift wird bereits in den Statuten erwähnt. Die Correctio Notulae enthält Zusätze zum Liber Ordinarius und regelt liturgische Eigenmächtigkeiten, die sich im Lauf der Jahrzehnte eingeschlichen hatten. Ein ähnliches Instrument findet sich im Übrigen in der Correctura der Dominikaner. Über das Vorhandensein des Liber Ordinarius gibt u.s. das Große Ämterbuch des Deutschen Ordens Auskunft. Bei der Auflistung des Buchbesitzes kommen in fast allen Ordenskirchen und –konventen Libri Ordinarii vor. So wurde beispielsweise im Jahr 1400 auf der Marienburg ein Liber Ordinarius abgeschrieben, wofür der Schreiber einen Lohn von 4 Mark erhielt.106 Heute haben sich nur wenige Exemplare des Liber Ordinarius und der Correctio Notulae überliefert. Wir kennen zwei Handschriften sowie ein Fragment des Liber Ordinarius, ferner drei Handschriften der Correctio Notulae und einige stark gekürzte Druckversionen. Der Aufbau des Liber Ordinarius ist in allen Handschriften derselbe. Neben einem Kalendarium umfasst er einen Ordinarius officii, einen Ordinarius missae, die jeweils in Temporale, Sanktorale sowie Commune Sanctorum unterteilt sind. Weiterhin finden sich Nachträge. Der heute in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart aufbewahrte Liber Ordinarius umfasst ebenfalls eine Correctio Notulae.107 Dennoch ist auch dieser 103 AH 5 (wie Anm. 69), 238–241, Nr. 87. WLB Stuttgart, HB I 165, 491 versob; WLB Stuttgart, HB I 125, 358 recto. 104 AH 25 (wie Anm. 42), 264–268, Nr. 93. ULB Darmstadt, Hs 995, 431 versoa. 105 Grundlegend zum Liber Ordinarius Löffler, Anette: Neue Erkenntnisse zur Entwicklung des Liber Ordinarius (Notula) OT. Handschriften und Fragmente des Normcodex in Stuttgart, Danzig und Berlin. In: Preußische Landesgeschichte. Festschrift für Bernhart Jähnig zum 60. Geburtstag. Hg. v. Udo Arnold, Mario Glauert und Jürgen Sarnowsky, Marburg 2001, 137–150. – Die Edition des Liber Ordinarius durch Verfin ist abgeschlossen und soll demnächst im Druck erscheinen. 106 Das Marienburger Tresslerbuch der Jahre 1399–1409. Hg. v. Ernst Joachim, Königsberg 1896, 57, Zeile 7. 107 Diese Handschrift zusammenfassend beschrieben in: Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Reihe II, Bd. 1.2: Codices ascetici: HB I 151–249, beschrieben v. Virgil Ernst Fiala und Hermann Hauke, Wiesbaden 1970, 9–11.

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Band zusammengebunden, denn die drei Teile weisen unterschiedliche Schreiber und unterschiedliche Datierungen auf. Das Ordinarium missae ist der älteste Teil und datiert in das 4. Viertel des 13. Jahrhunderts. Das Ordinarium officii wurde im 3. Viertel des 14. Jahrhunderts im westlichen Teil der Diözese Mainz geschrieben.108 Die Correctio Notulae ist am Ende des 14. Jahrhunderts entstanden. Der Codex stammt aus der Seminarbibliothek in Mergentheim. Die Danziger Handschrift Ms. Mar. Q 72 umfasst die beiden Ordinarii.109 Diese wurden von zwei verschiedenen, annähernd zeitgleichen Händen im Beginn des 14. Jahrhunderts geschrieben. Dieser Codex ist in Preußen entstanden. Weiterhin existieren noch zwei Doppelblätter im GStA Berlin.110 Diese enthalten Ausschnitte aus dem Ordinarium missae mit Sanktorale-Teilen der Monate Oktober und November sowie einen Teil des Commune Sanctorum. Diese Fragmente datieren in das 4. Viertel des 14. Jahrhunderts. Die Danziger Correctio Notulae wurde im 1. Viertel des 15. Jahrhunderts geschrieben. Sie ist mit einem Vokabular zusammengebunden. Die Brüsseler Correctio Notulae befindet sich Im Brevier des Ordenspriesters Johannes de Ketgh. Es stammt aus dem Jahr 1509. Johannes de Ketgh war Priester in Elsen, das zur Kommende Köln gehörte, die wiederum ein Teil der Ballei Koblenz war. Bei der Correctio handelt es sich um eine gekürzte Version. Die Festlegungen im Liber Ordinarius sind gleichartig, was auch im gleichen Alter der Handschriften begründet ist. In der Stuttgarter Version ist das Fest Conceptio BMV nachgetragen, da es sich um ein jüngeres Fest handelt. Das Fest Spinea corona ist vorhanden, dieses fehlt in Danzig. Bei der Correctio Notulae kommt der Entstehungszeitraum stärker zum Tragen. In der ältesten Stuttgarter Version wird ausführlich auf die neu eingeführten oder im Festgrad veränderten Feste eingegangen. In den jüngeren Danziger und Brüsseler Versionen sind diese Änderungen nur noch pauschal aufgeführt, denn sie sind ja bereits bekannt. Vor allem in der Brüsseler Correctio gibt es so gut wie kein Eingehen mehr auf die Zusätze, sondern lediglich eine Berücksichtigung der Verfeinerungen, etwa zur Memoria im Advent. Da es sich beim Liber Ordinarius um einen Normcodex handelt, müssten theoretisch auch alle bekannten 51 Handschriften, 8 Inkunabeln und 253 Fragmente den Vorgaben folgen. In der Praxis weisen diese Codices jedoch sehr wohl Unterschiede auf. Am besten untersucht ist das Ordensland Preußen, das mit mindestens 20 Handschriften und 250 Fragmenten die größte Belegungsdichte an liturgischen Handschriften und Fragmenten aufweist. 108 Burkhart, Peter: Katalog der illuminierten Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Teil 3.2: Die gotischen Handschriften, Teil 2, Nr. 55. 109 Der Codex sehr kurz beschrieben bei Günther, Otto: Katalog der Handschriften der Danziger Stadtbibliothek. Bd. 5: Die Handschriften der Kirchenbibliothek von St. Marien in Danzig, Danzig 1921, 568–570. 110 Löffler: Liber Ordinarius (wie Anm. 105), 148–150.



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5. Die Seelsorge in den Kirchen 5.1. Die Aufgaben der Priesterbrüder

Die Liturgie spiegelt sich nicht nur in den entsprechenden Handschriften und Drucken, sondern auch im Ablauf der Seelsorge in den Ordenskapellen und Kirchen. Über die ordnungsgemäße Durchführung wird allerdings so gut wie nie berichtet. Kenntnisse über die Seelsorge erhalten wir eigentlich nur dann, wenn Missstände eingetreten waren. Liturgie und Seelsorge waren die traditionellen Aufgaben der Priesterbrüder des Deutschen Ordens.111 Die Anzahl der Priesterbrüder stand normalerweise hinter denen der Ritterbrüder weit zurück.112 Gelegentlich kam es sogar vor, dass in einem Ordenshaus gar keine Priesterbrüder vorhanden waren. Allerdings existierten auch Konvente, die überwiegend aus Priesterbrüdern bestanden, wie etwa Ramersdorf, Reeß oder Schoten.113 Selbst in den Statuten finden sich ab und zu Bemerkungen über die Mindestanzahl von Priesterbrüdern und -schülern und die Konsequenzen für die Durchführung des Gottesdienstes. Erst bei einem Personenstand von zwei Priesterbrüdern und zwei Schülern soll jeden Tag Gottesdienst mit Gesang gehalten werden.114 In größeren Ordenshäusern waren etwa sechs Priesterbrüder tätig, lediglich in einigen wenigen Konventen wie Marburg waren es mehr.115 Die Aufgaben der Priesterbrüder waren vielfältig.116 Sie sollten die Laienbrüder an die Einhaltung der Ordensregel ermahnen. Ein wichtiger Punkt war die Spendung der Sakramente innerhalb des Konventes. Die Priesterbrüder sollten die Beichte abnehmen und die letzte Ölung erteilen, ebenso wie die Absolution. Ohne ausdrückliche Erlaubnis war es Laienbrüdern und Priesterbrüdern untersagt, außerhalb des Ordens zu beichten. Allerdings existierten weitgehende Sondervollmachten für den Orden. So wurden Raubzüge oder Plünderungen, die neu aufzunehmende Ordensmitglieder vor ihrer Einkleidung in den Orden unternahmen, absolviert. Allerdings waren dieser Praxis auch Grenzen gesetzt. Als im 111 Glauert, Mario: Vorbemerkungen zu einer Prosopographie der Priesterbrüder des Deutschen Ordens in Preußen. In: Kirchengeschichtliche Probleme des Preußenlandes aus Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. v Bernhart Jähnig, Marburg 2001 (Tagungsberichte der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung 16), 103–130. 112 Benninghoven, Friedrich: Zur Zahl und Standortverteilung der Brüder des Deutschen Ordens in den Balleien um 1400. In: Preußenland 26 (1988), 1–20. – Weiterhin Jähnig, Bernhart: Der Deutsche Orden und seine Ballei Thüringen im Mittelalter. In: Deutscher Orden 1190–1990. Hg. v. Udo Arnold), Lüneburg 1997 (Tagungsberichte der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung 11), 303–358. 113 Voigt, Johannes: Geschichte des Deutschen Ritter-Ordens, Bd. 1. Berlin 1857, 280–288, hier 285. 114 Perlbach (wie Anm. 7), XXV–XXVI. 115 Voigt (wie Anm. 113), 284. 116 Glauert, Mario: Das Domkapitel von Pomesanien (1284–1527), Thorn 2003 (Prussia sacra 1).

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Jahr 1423 in den Ordenskonvent in Brandenburg der Mörder eines Priesters eintreten wollte, wurde dieser abgewiesen. Eine der Hauptaufgaben lag in der Durchführung des Gottesdienstes in den Konventen, Kapellen und (Dorf)Kirchen. Vor allem in Preußen war es gewünscht, dass die Priesterbrüder zugleich die Pfarreien im Land übernahmen. Oftmals konnte diesem Wunsch allerdings wegen einem akuten Mangel an Priesterbrüdern nicht entsprochen werden. Eine weitere besondere Situation war in Preußen durch die Tatsache gegeben, dass drei der vier preußischen Bistümer sich in der Hand des Deutschen Ordens befanden. Die Domkapitel am jeweiligen Bistum waren mit Mitgliedern des Ordens besetzt, wenngleich auch oftmals nicht unbedingt mit Priesterbrüdern.117 Auf das Problem des Bildungsstandes der Priesterbrüder ist unlängst Glauert in seiner Dissertation eingegangen. Demnach war zumindest am Anfang für die Mitglieder der Domkapitel die Priesterweihe nicht zwingend notwendig.118 5.2. Die Übernahme von Pfarreien

Die Übernahme von Pfarreien in den Balleien im Reich und in Preußen gestaltete sich sehr unterschiedlich. Bei der Übernahme einer Kirche durch einen Priesterbruder des Deutschen Ordens in den Balleien im Reich oder der Besetzung einer Pfarrstelle gab es häufig Streit. Die Gründe hierfür sind in der päpstlichen Exemtion des Deutschen Ordens von der bischöflichen Gerichtsbarkeit sowie in der Befreiung vom Zehnt zu suchen. Die Bischöfe konnten somit keinen Einfluss auf die geistliche Leitung der Gemeinde nehmen. Außerdem mussten sie auf eine probate Einnahmequelle verzichten. Immer wieder gab es deshalb Streitigkeiten. Im Jahr 1399 drohte Papst Bonifaz IX. allen denjenigen mit Exkommunikation, die gegen eine dem Deutschen Orden einverleibte Kirche, Kapelle oder Altar vorgingen.119 Bereits ein Jahr später bestätigte Bonifaz  IX. die Privilegien des Ordens, welche die Einrichtung von Kirchen oder Ablässe betrafen.120 Knapp 20 Jahre später, 1420, erließ Papst Martin V. ein Verbot, die Einsetzung von Geistlichen zu verweigern, die vom Deutschen Orden präsentiert worden waren. 117 Gorski, Karol: Das Kulmer Domkapitel in den Zeiten des Deutschen Ordens. Zur Bedeutung der Priester im Deutschen Orden. In: Die geistlichen Ritterorden Europas. Hg. v. Josef Fleckenstein und Manfred Hellmann, Sigmaringen 1980 (Vorträge und Forschungen. Hg. vom Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte 26), 329–337. 118 Glauert: Pomesanien (wie Anm. 116), 182–183. 119 Glauert, Mario: Die Priesterbrüder des Deutschen Ordens in Preußen (Manuskript), 6. 120 Die Berichte der Generalprokuratoren des Deutschen Ordens an der Kurie, Bd. 1: Die Geschichte der Generalprokuratoren von den Anfängen bis 1403. Bearb. v. Kurt Forstreuter, Göttingen 1961 (Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivverwaltung 12), 367, Nr. 257.



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In Preußen bestanden die Domkapitel der Bistümer Kulm, Pomesanien und Samland aus Ordensmitgliedern. Das Bistum Ermland war dem Orden zwar nicht inkorporiert, war aber liturgisch dennoch sehr eng an den Orden angelehnt. Damit verfügte der Bischof über landesherrliche Rechte ebenso wie über das Patronatsrecht. Infolgedessen blieben Streitigkeiten aus. Dennoch wurden die preußischen Pfarrkirchen eher selten mit Priesterbrüdern versehen. Ausnahmen waren St. Johann in Thorn sowie St. Marien in Danzig, die immer mit Ordenspriestern besetzt wurden. Der Grund für diese Zurückhaltung war naheliegend. Der Orden besaß in Preußen nicht genügend Priesterbrüder. Die Mehrzahl der Priesterbrüder wurde in Preußen zur geistlichen Versorgung der Ordenskonvente benötigt. Deshalb wurden auf die Pfarreien oft Juristen oder Diplomaten des Ordens gesetzt, die so in den Genuss der durchaus lukrativen Pfründen gelangten. Auch ausscheidende Kapläne oder Schreiber finden sich als Pfarrer, letztere wurden ebenfalls als Lohn für ihre Dienste auf diese Stellen gesetzt. Inwiefern diese die Pfarrstellen liturgisch und seelsorgerisch ausfüllen konnten, erscheint problematisch. 5.3. Die Seelsorge in den Kirchen

Eine Reihe von Quellen gibt Auskunft über die Seelsorge in den Kirchen. Zu diesen Quellen gehören Urkunden, Visitationen sowie Diözesansynodenberichte und -bestimmungen. In den Urkunden finden sich eher wenige Bemerkungen zur Abhaltung des Gottesdienstes. Im Jahr 1261 erteilte Papst Urban IV. denjenigen, die die Hochämter in Pfarrkirchen des Deutschen Ordens besuchen, eine Indulgenz von 40 Tagen.121 In dieser Urkunde werden auch die Feste genannt, für die diese Regelung gilt. Es sind im einzelnen Maria Geburt, Ostern, Pfingsten, Maria Himmelfahrt, Maria Lichtmess, Allerheiligen und Gründonnerstag. Im Dezember 1389 erteilte Bischof Johannes von Pomesanien verschiedene Anordnungen, die der Aufrechterhaltung der kirchlichen Ordnung dienen sollten.122 Dazu gehörte u.a. die Besoldung von zwei Kaplänen, welche die Messe am Marienaltar am Dom zu Marienwerder versehen sollten. Derselbe Bischof Johannes verlieh 1395 allen, die beim Besuch der Ordenskapellen bei den genannten Gebeten und Gesängen die Knie beugen, einen Ablass von 40 Tagen.123 An Gebeten und Gesängen werden Glo121 Codex diplomaticus prussicus. Urkundensammlung zur ältesten Geschichte Preußens aus dem Königlichen Geheimen Archiv zu Königsberg. Hg. v. Johannes Voigt, Bd. 1, Königsberg 1836, 138, Nr. 136. 122 Codex diplomaticus prussicus. Urkundensammlung zur ältesten Geschichte Preußens aus dem Königlichen Geheimen Archiv zu Königsberg. Hg. v. Johannes Voigt, Bd. 4, Königsberg 1836, 91–94, Nr. 67. – Dazu auch Glauert: Pomesanien (wie Anm. 116), 92–93. 123 Codex diplomaticus prussicus. Urkundensammlung zur ältesten Geschichte Preußens aus dem Königlichen Geheimen Archiv zu Königsberg. Hg. v. Johannes Voigt, Bd. 5, Königsberg 1836, 87–88, Nr. 5.

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ria patri, Gloria in excelsis, das Symbolum Athanasium, Gratias agamus, das Sanctus, das Agnus dei, die Antiphon „Media vita“ aus der Fastenzeit, der Kreuz-Hymnus „O crux ave spes“, die Fronleichnams-Antiphon „Ave rex noster“, der Marien-Hymnus „Ave maris stella“, die Oster-Antiphon „Haec dies“ sowie der Introitus zu Maria Himmelfahrt „Salve sancta parens“ genannt. Sowohl das pomesanische Synodalkapitel 1411 als auch die samländischen Synodalstatuten 1427 enthalten Feiertagslisten, aus denen die oben bereits genannten liturgischen Unterschiede sowie auch weitere hervorgehen.124 Letztere beziehen sich beispielsweise darauf, dass im Deutschen Orden Ostern und Pfingsten vier Tage gefeiert wurden. Dies gilt ebenso für das Bistum Pomesanien, nicht aber für das Bistum Samland.125 Rechtsstreitigkeiten mit den Gemeinden wurden gelegentlich schriftlich fixiert. So wissen wir von einem Streit der Gemeinde Schlanders mit dem Deutschen Orden aus dem Jahr 1380.126 Nach diesen Festlegungen muss der Deutsche Orden mit seinen Einkünften einen frommen Schüler halten, der den Mesnerdienst versieht. Weiterhin muss der Orden die Glocken zur Messe läuten sowie die Tücher, Messbücher und Kerzen für den Gottesdienst in Ordnung halten. Verrichtet der Orden diese Aufgaben schlecht, muss der Komtur im Lauf eines Monats einen anderen Kirchendiener anstellen. Ferner ist der Orden für die pflichteifrige Erledigung der Krankenölung zuständig. Allerdings sollen seine Priester niemand dazu zwingen, die Sakramente zu empfangen. In der Frauenkirche in Schlanders muss ein Ewiges Licht brennen, in der Gervasien- und Prothasienkapelle sowie der Michaeliskapelle nur eins während der Nacht. Die Frühmesse soll der Pfarrer gemäß den Abmachungen lesen. Bei der Einstellung dieser Lesung verliert der Deutsche Orden die dazu bestimmten Güter. Die Gemeinde muss im Gegenzug dem Pfarrer ein Pferd zur Verfügung stellen, was angesichts der umfangreichen Angaben zu den Pflichten des Deutschen Ordens recht gering anmutet. Ähnliche Vereinbarungen gibt es übrigens auch 1432 mit der Gemeinde Göflan.127 Auch in den Visitationen und den entsprechenden Anweisungen finden sich Bemerkungen zum Gottesdienst und seiner Durchführung. Um 1420 gibt es eine Instruktion des Hochmeisters Michael Küchmeister für die Visitation der Konvente in Preußen.128 Diese Anweisungen gelten auch für die anderen Balleien. In den Instruktionen wird 124 Krüger (wie Anm. 5), 700–701. 125 Krüger (wie Anm. 5), 701. 126 Gufler, Christoph: Die Pfarreien. In: Der Deutsche Orden in Tirol – Die Ballei An der Etsch und im Gebirge. Hg. v. Heinz Noflatscher, Bozen 1991 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 43), 425–464, hier 444–445. 127 Gufler (wie Anm. 126), 445. 128 Biskup, Marian/Janusz-Biskupowa, Irena: Visitationen im Deutschen Orden im Mittelalter, Teil 1: 1236–1449. Marburg 2002 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 50), Nr. 70, 82–83.



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vermerkt, dass darauf geachtet werden soll, dass die Priesterbrüder die Gezeiten Tag und Nacht nach dem Liber Ordinarius des Ordens halten. Auch die Messe sollen die Priesterbrüdern nach dem Liber Ordinarius halten. Ferner soll auf die Spendung der Sakramente geachtet werden. Ein weiterer Punkt umfasst die Durchführung des MarienOffiziums. Ähnliche Instruktionen existieren auch für die Jahre 1442, 1446 und 1502.129 Anordnungen des Hochmeisters Konrad von Erlichshausen von 1448 für die Amtsträger in Preußen beinhalten die Behebung von Missständen im Konventsleben, besonders im Gottesdienst.130 Der Hochmeister führt folgendes aus: „Uff das irste, als von dem dinste Gots, das wir alle jar jerlichen zweer stundt uff die huwser umbesenden wellen, eynen pristerbruder und eynen ritterbrudern, das die sollen beseen, das der dinst Gots mit singen und lesen der metten, primen, frumessen, tercien, sexten, nonen, vesper und complet mit soveel capplan, schulern etc., als das furmals noch euwer und ander unser gebietiger rath ußgesatczt ist und gewonlich gehalden in den coventen. Sunder uff den huwsern, do eyn pristerbruder alleyne ist, das man alle obengeschreben geczeite in der kirchen lese, ußgenomen die festa semiduplex und totumduplex, in den sal man ouch alle geczeiten obengedacht singen und lesen, als man das von alders hat gepflogen, mit dem gelewte und andern gebrungen, itczlichs zcu rechter zceit nach loute unsers Ordens nottel und Orden buch erbarlichen und zirlichen nach underscheit der zceit tag und nacht gehalden werde. Und wo sie denne dorane gebrechen finden werden, denselben sollen sie den gebietigern, huwskompthurn und pristerbrudern der huwser sagen und en van unsern wegen ernstlich und bey gehorsam bevelen, das sie bestellen, das semliche gebrechen gewandelt werden und nicht mehr hescheen. [...] Und sie sollen ouch die andern bruder dorczu halden, das sie zcu allen geczeiten zcur kirchen gehen, [...] das der dinst Gots sal werden gehalten. Gescheg es aber, das sich die pristerbruder mit den capplanen und schuleren entscholdigen meyneten, sprechende, das die capplane und und schuler nicht mit en in die metten unde geczeiten gehen welden, so sollen die gebietiger adir amptslewte dieselben capplan [...] weisen [...].“

Entsprechende Anordnungen gab es selbstverständlich auch für die Balleien im Reich. 5.4. Die Domkapitel in Preußen

Bereits im 13. Jahrhundert werden in den vier Bistümern Kulm, Pomesanien, Samland und Ermland Domkapitel gegründet.131 Diese etablieren sich in Kulmsee, Mari129 Biskup (wie Anm. 128), Nr. 114, 193–197. 130 Biskup (wie Anm. 128), Nr. 135, 324–327. 131 Siehe Glauert: Pomesanien (wie Anm. 116). – Dazu ebenfalls: Die Domkapitel des Deutschen Ordens in Preußen und Livland. Hg. v. Radoslaw Biskup und Mario Glauert, Münster 2004 (Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands, Beiheft 1).

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enwerder, Königsberg und Frauenburg. Als Wahlgremium der Bischöfe von Kulm, Pomesanien und Samland sind uns die preußischen Domkapitel bereits begegnet. Auch innerhalb der Domkapitel gab es einige Ämter, die eine Relevanz für den Gottesdienst aufwiesen.132 Zunächst sei natürlich der Dompfarrer selber genannt. Weiterhin gab es den Scholaster, dem die Aufsicht über die Domschule oblag. Der Kantor war zuständig für die Leitung des Kirchengesanges. Der Kustos war verantwortlich für die Verwaltung und die Instandhaltung des Kircheninventars und der zum Gottesdienst notwendigen Geräte.

6. Zusammenfassung Nach der Konsolidierung der Liturgie des Deutschen Ordens in der Mitte des 13. Jahrhunderts setzt eine Auseinandersetzung mit den liturgischen Festen im Rahmen des für einen geistlichen Ritterorden Machbaren ein. Die vorhandenen Handschriften bis um 1500 zeigen ein Bild, das den Rahmen der Ordensliturgie zwar nicht verlässt, aber doch mannigfache Änderungen in der Festausgestaltung in den verschiedenen Balleien zulässt. Im Ordensland Preußen ist dieses Bild durch eine für den Deutschen Orden große Überlieferungsdichte an liturgischen Handschriften und Fragmenten besonders intensiv sichtbar.

132 Glauert: Pomesanien (wie Anm. 116), 251–258.

Cordelia Heß HIMMELSKÖNIGIN UND GEBURTSHELFERIN Marienverehrung im spätmittelalterlichen Preußen Dass sich der Deutsche Orden der Mutter Gottes in besonderer Weise verbunden fühlte, ist offensichtlich und ein gerne diskutiertes Thema in der Forschung.1 Die Bezeichnung Marienritter, die Hochmeistersiegel, die besondere Betonung der Marienfeste im liturgischen Kalender und schließlich die Marienburg mit ihrer riesigen Madonnenfigur an der Fassade – alle diese Faktoren machen deutlich, dass der Deutsche Orden seine Schutzheilige im Rahmen eines umfassenden Konzeptes zur politisch-religiösen Legitimierung benutzte, die in hagiographischer, ikonographischer und architektonischer Weise an die Bevölkerung und die eigenen Brüder vermittelt wurde. Abgesehen von Maria als politischer Heiliger für den Deutschen Orden ist jedoch eine weitere Funktion in den Quellen sichtbar, die keinesfalls spezifisch für Preußen ist: Maria als die beliebteste Heilige des Mittelalters überhaupt war nicht nur für den Deutschen Orden, sondern auch für die preußische Bevölkerung ein wichtiger Anlaufpunkt. In Liturgie und Dichtung innerhalb des Deutschen Ordens sind zwei Bezeichnungen für die Muttergottes hervorstechend: regina coeli und mater misericordiae.2 Sie repräsentieren zwei Bereiche marianischer Spiritualität, wovon sich erstere etwa in Darstellungen der Krönung Mariens manifestiert und sich als politisches Rechtfertigungsnarrativ eignet, letztere die Funktion Mariens als Fürbitterin und persönliche Schutzheilige in den Vordergrund stellt. Diese beiden Bereiche sind nicht nur im Deutschen Orden, sondern auch in der religiös-politischen Ikonographie der Städte, in anderen Orden in Preußen und innerhalb der preußischen Bevölkerung weit verbreitet 1 Gärtner, Kurt: Marienverehrung und Marienepik im Deutschen Orden. In: Mittelalterliche Kultur und Literatur im Deutschordensstaat in Preußen: Leben und Nachleben [interdisziplinäres Symposion über die Kultur und Literatur im Deutschordensstaat in Preußen, 22. bis 26. September 2004, Kwidzyń]. Hg. v. Jarosław Wenta, Sieglinde Hartmann und Gisela Vollmann-Profe, Toruń 2008 (Sacra bella septentrionalia 1), 395–410. – Rozynkowski, Waldemar: Święci na pograniczu – o świętych w państwie Zakonu Krzyżackiego w Prusach [Heilige an der Grenze: Heiligenverehrung im Deutschordensland Preußen]. In: Komunikaty Mazursko-Warmińskie 2 (2006), 187–193. – Schreiner, Klaus: Nobilitas Mariae. Die edelgeborene Gottesmutter und ihre adeligen Verehrer: Soziale Prägungen und politische Funktionen mittelalterlicher Marienfrömmigkeit. In: Maria in der Welt: Marienverehrung im Kontext der Sozialgeschichte 10.–18. Jahrhundert. Hg. v. Claudia Opitz u. a., Zürich 1993 (Clio Lucernensis: Veröffentlichungen des Lehrstuhls für Allgemeine und Schweizer Geschichte Luzern 2), 213–242. 2 Kolb, Herbert: Artikel „Deutscher Orden“. In: Marienlexikon Bd. 2, 176–180, hier 180.

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und belegt – die Spezifität der Deutschordensspiritualität in Bezug auf die Marienverehrung ist also fraglich. Die Jungfrau Maria in ihrer Eigenschaft als Patronin des Deutschen Ordens wird in der Forschung vor allem als Anzeichen der Militarisierung des Ordens gesehen3, ebenso der Feudalisierung4 und der Legitimierung der Landesherrschaft in Form von herrschaftlicher Ikonographie etwa auf Münzen und Siegeln.5 Diese Formen der Marienverehrung werden als Bestandteile der spezifischen „Deutschordensspiritualität“ interpretiert. Ich möchte den Begriff der „Deutschordensspiritualität“ ähnlich problematisieren, wie es Edith Feistner für die „Deutschordensdichtung“ getan hat:6 Die literarische Produktion des Deutschen Ordens war meist zunächst auf eine breitere Rezeption unter Laien ausgerichtet, etwa im Fall der Bibelepik. Erst, wenn in einer historisch spezifischen Situation eine Notwendigkeit zur ideologischen Inanspruchnahme der Werke entstand, wurden sie enger an den Orden angebunden. Eine ähnliche „Kolonisierung“, wie sie hier für die Literatur des Deutschen Ordens analysiert wurde, kann auch für die Marienverehrung angenommen werden: Unterschiedliche Frömmigkeitsströmungen, architektonische Stile und ikonographische Darstellungsformen entstanden außerhalb des Ordens und wurden von diesem benutzt, um Aspekte seiner Identität zu festigen oder nach außen darzustellen. Ist die weitere Benutzung der literarischen Werke außerhalb des Ordens schwer nachzuweisen, so ist der Fall für die Marienverehrung einfacher: Auch außerhalb der unmittelbaren Einflusssphäre des Ordens wurde die Gottesmutter verehrt, und zwar in Formen, die denen innerhalb des Ordens weiterhin ähnelten. Ich möchte im Folgenden nur einige Aspekte der Marienverehrung herausgreifen, die traditionell als spezifisch für den Deutschen Orden angesehen wurden, und sie an anderen Orten innerhalb Preußens nach verfolgen. Damit möchte ich zeigen, dass es weniger eine Trennlinie zwischen einer Marienverehrung des Deutschen Ordens und einer außerhalb des Ordens gab, sondern vielmehr eine Form der Devotion, die eher privaten Andachtscharakter hatte und die sowohl die Bedürfnisse von Brüdern des Ordens als auch der Bevölkerung befriedigte, und eine andere Form der Marienverehrung, die ein politisches Rechtfertigungsnarrativ darstellte – und die wiederum nicht alleine vom Deutschen Orden benutzt wurde. 3 Christiansen, Eric: The Northern Crusades. The Baltic and the catholic frontier 1100–1525, Minneapolis 1980 (New Studies in medieval history), 214. 4 Dygo, Marian: The Political role of the Cult of the Virgin Mary in Teutonic Prussia in the fourteenth and fifteenth centuries. In: Journal of Medieval history 15 (1989), 63–80, hier 67. 5 Sarnowsky, Jürgen: Ritterorden als Landesherren. Münzen und Siegel als Selbstzeugnisse. In: Selbstbild und Selbstverständnis der geistlichen Ritterorden. Hg. v. ders. und Roman Czaja, Toruń 2005 (Ordines Militares – Colloquia Torunensia Historica 13), 181–197. 6 Feistner, Edith: Grundlegung. In: Krieg im Visier. Bibelepik und Chronistik im Deutschen Orden als Modell korporativer Identitätsbildung. Hg. v. ders., Michael Neecke und Gisela Vollmann-Proofe, Tübingen 2007 (Hermaea, N.F., 114), 1–46, hier 22–25.



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Regina coeli: Ein Rechtfertigungsnarrativ?

Die Darstellung der Krönung Mariens, entweder in Form einer dynamischen Szene, in der Christus seine Mutter krönt, oder als statische Synthronoi-Gruppe, wird immer wieder als eine der bedeutendsten Manifestationen des politischen Rechtfertigungsnarrativs des Deutschen Ordens hervorgehoben, „a suitable instrument to publicize the concept of Mary as the suzerain in Prussia“.7 Maria als die regina coeli, die triumphierende Königin des Himmels, wurde mit dem Deutschen Orden gleichgesetzt und damit dessen Herrschaftsanspruch als Lehensmänner der Muttergottes inszeniert. Prominente Beispiele für die gekrönte Maria im Umkreis des Deutschen Ordens sind etwa die Illustrationen zur Heslerschen Apokalypse, ein Gemälde im Großen Remter der Marienburg und ein Altargemälde in der Burgkapelle in Graudenz.8 Die gekrönte Maria ist ein Motiv, das seit dem 12. Jahrhundert in unterschiedlichen Deutungen benutzt und weiterentwickelt wurde, wobei die Deutung der sponsus-sponsa-Gruppe als Christus und Maria dem ersten, dem historischen Schriftsinn entspricht und neben den Deutungen der weiblichen Figur als ecclesia, anima, sapientia oder iustitia steht. Die Interpretation Marias und in ihrer Nachfolge der Deutschordensritter als göttlich legitimierter Herrscher in den Synthronoi-Darstellungen wurde außer vom Deutschen Orden etwa noch von den italienischen Kommunen Venedig, Siena und Padua in ganz ähnlich herrschaftsapologetischer Absicht benutzt.9 Die sponsus-sponsa-Thematik und ihre Interpretation auf königliche Herrschaft hin stammen aus der mittelalterlichen Auslegung des Hohenliedes, während die Mitregentschaft der Gerechten und damit Mariens mit dem König Christus aus dem Neuen Testament belegt ist.10 Auch andere Deutungen des Motivs sind möglich und haben spätmittelalterliche Traditionen. So ist die Krönung Mariens nicht nur als Manifestation politischer Ansprüche, sondern auch als Bild privater Devotion bekannt: Die Interpretation der weiblichen Figur als der Seele wurde im Zusammenhang mit Begräbnissen und Ars moriendi-Texten als Trost spendende Aussicht auf das Leben nach dem Tod in Vereinigung mit Christus benutzt.11 7 Dygo: Role (wie Anm. 4), 65–66, mit Angaben der Erwähnungen des Krönungsmotivs in der polnischen Forschung und einer Aufzählung bedeutender Darstellungen. 8 Vgl. auch die Zusammenstellung bei Chrzanowski, Tadeusz/Kornecki, Marian: Madonna Tronująca. Uwagi do ikonografii maryjnej w średniowiecznej sztuce Prus. In: Sztuka w kręgu zakonu krzyżackiego w Prusach i Inflantach [Die Kunst um den Deutschen Orden in Preußen und Livland]. Hg. v. Agnieszka Bojarska, Toruń 1995 (Studia borussico-baltica Torunensia Historiae Artium 2), 217–239. 9 Flor, Ingrid: Glaube und Macht. Die mittelalterliche Bildsymbolik der trinitarischen Marienkrönung, Graz 2007 (Schriftenreihe des Instituts für Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz 16), 63, 86. 10 Liebl, Ulrike: Artikel „Krönung Mariens“. In: Marienlexikon Bd. 3, 680–683. 11 Flor: Glaube (wie Anm. 9), 354.

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Das bedeutet in Bezug auf diejenigen Bilder der Krönung Mariens, die in den nur den Brüdern zugänglichen Räumen zu finden sind – etwa das Gemälde im Refektorium der Marienburg –, dass sie außer dem politischen Machtanspruch auch ein Hinweis auf private Devotion der Brüder sein konnten, eine Versicherung, dass sie nach dem Tod ebenso wie ihre Ordenspatronin mit Christus vereint sein würden. Auch der Aspekt der Ermahnung der Brüder zur spirituellen Einkehr und Fortbildung spielt hier eine Rolle. Synthronoi-Darstellungen waren zudem bei Weitem nicht dem Deutschen Orden vorbehalten, sondern spielten auch in der Ikonographie der städtischen Pfarrkirchen eine Rolle, etwa in der St. Johanneskirche in Thorn.12 Hier ist es unwahrscheinlich, dass die Darstellung als politische Repräsentation des Deutschen Ordens verstanden wurde, sondern sie bildete einfach einen der bekannten und beliebten Aspekte der Marienverehrung – genauso wie etwa die Schutzmantelmadonna, die zwar, sofern sie Deutschordensritter unter ihrem Mantel beherbergte, auch als politische Manifestation genutzt werden konnte, insgesamt aber typologisch und von ihrer Funktion im öffentlichen Raum her ein Andachtsbild war, das die Barmherzigkeit und Hilfe Marias versinnbildlichte.13 Die gekrönte, triumphierende Maria war also in Preußen bekannt und allgemein beliebt und wurde sowohl innerhalb als auch außerhalb des Deutschen Ordens benutzt. Nicht die Beliebtheit des Motivs allein im Umfeld des Deutschen Ordens, sondern die jeweilige Platzierung des Bildes lässt es entweder als politisches Rechtfertigungsnarrativ oder als privates Andachtsbild im Zusammenhang mit Tod und ewigem Leben erscheinen. Die Marienburg

Eine ähnliche Doppelfunktion von politischer Repräsentation und privater Devotion umfasste die Marienburg, das wichtigste spirituelle und militärische Zentrum des Deutschen Ordens. Gemäß historiographischer Nachrichten aus der Frühen Neuzeit wurde die Burg bereits an der Stelle eines älteren Marienwallfahrtsortes errichtet und so eine ältere spirituelle Tradition vom Deutschen Orden aufgenommen.14 Unabhängig davon, ob diese Nachrichten mit modernen quellenkritischen oder archäologischen Methoden bestätigt werden können, weisen sie doch auf eine vermutlich vom 12 Domasłowski, Jerzy: Mittelalterliche Wandmalereien in weltlichen Bauten zu Thorn. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 53 (1990), 50–159, hier 151. 13 Fastenrath, Elmar: Artikel „Königtum Marias“. In: Marienlexikon, Bd. 3, 589–596, hier 596. – Über Schutzmantelmadonnen in Preußen speziell siehe Radler, Gudrun: Der Beitrag des Deutschordenslandes zur Entwicklung der Schreinmadonnen. In: Bojarska (Hg.): Sztuka (wie Anm. 8), 241–275. 14 Zacharias, Rainer: Marienburg. Wallfahrtsort zwischen Spiritualität und Herrschaft. In: Bojarska (Hg.): Sztuka (wie Anm. 8), 67–91, hier 68–69.



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Deutschen Orden bewusst geförderte und gepflegte Tradition hin: eine Kontinuität in der Marienverehrung bereits aus den Frühzeiten des Ordenslandes in geographischer Einheit mit dem Machtzentrum des Ordens. Erwartungsgemäß ist die Konzentration von solchen ikonographischen Motiven, die die Landesherrschaft des Ordens legitimieren, hier besonders groß. Von der riesigen Madonnenstatue an der Südostwand der Schlosskirche bis zum Bild der Krönung Mariens im Großen Remter der Burg mangelte es nicht an Darstellungen der Ordenspatronin. Dabei sollte jedoch erneut unterschieden werden zwischen solchen Darstellungen, die offenbar nur für die Ordensbrüder selbst bestimmt waren und sich in abgeschlossenen Räumen der Burg befanden, und solchen, die Repräsentationszwecken dienten. So war die gekrönte und ein Zepter tragende Maria mit dem Kind an der Außenwand etwa eine Repräsentation nach außen für die Bevölkerung, während die Malereien innerhalb der Burg, sowohl in den Essensräumen als auch im Kapitelsaal und im Inneren der Kapelle selbst nur für die Brüder und eventuelle hohe politische Gäste vorbehalten waren. Die Statue entsprach einem Typus von Maria als Himmelskönigin, der auch beispielsweise in den bürgerlichen Kirchen des spätmittelalterlichen Lübeck beliebt war und bei dem die gekrönte Madonna nicht das Kind anschaut, das einen Apfel in der Hand hält.15 Die Marienburg wurde nicht ausschließlich, aber unter anderem mit Hilfe der Repräsentation der Ordenspatronin symbolisch aufgeladen und zum Zentrum politischer Macht gemacht. In der Kapelle der Burg befand sich eine große und stetig wachsende Sammlung verschiedenster Reliquien, die jedoch nur die Ordensmitglieder selbst sowie wichtige Gäste, die zur Burg Zutritt erhielten, zu Gesicht bekamen. Das Reliquienverzeichnis der Marienburg nennt ein Marienbild aus Gold und Silber, jedoch nur als eines von vielen Objekten, die die spirituelle Bedeutung der Kapelle ausmachten. Die anderen Reliquien stammten vom Heiligen Kreuz, der hl. Elisabeth, Eufemia und Veronica und repräsentierten damit – gemeinsam mit den Bildern von Katharina und Barbara – eine Zusammenfassung der für den Orden bedeutsamen Heiligenkulte.16 Gerade der Ankauf von Reliquien wird in der Forschung als ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung eines Heiligenkultes innerhalb der Ritterorden angesehen – meist entwickelte sich ein Kult erst, nachdem eine Reliquie erworben oder erhalten wor15 Thiesen, Tamara: Benedikt Dreyer. Das Werk des spätgotischen Lübecker Bildschnitzers. Kiel 2007 (Bau und Kunst 14), 95. – Ein Vergleich der Ikonographie in der Marienburg und in Lübeck auch bei Becker-Hounslow, Steffani: Malbork chapter house and Grand Master’s „Remter“ versus the „Briefkapelle“ at St. Mary in Lübeck: Dependent or independent solutions? In: Biuletyn Historii Sztuki 60 (1998), 381–398. 16 Das Ämterbuch zählt im Jahr 1437 als Inventar der Burgkapelle auf: ein Marienbild in Silber und Gold mit zugehörigem Votivverzeichnis, eine Tafel, die man umb treyth czu heilgen geczeiten, ein goldenes Kreuzreliquiar mit einer Reliquie darin, Bilder der Heiligen Katharina und Barbara sowie Reliquien der Heiligen Elisabeth, Eufemia und Veronica. Das Marienburger Ämterbuch. Hg. v. Walther Ziesemer, Danzig 1916, 129.

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den war, und nicht umgekehrt.17 Der Auswahl der verehrten Heiligen innerhalb des Deutschen Ordens wohnt also ein gewisses Moment des Ermessensspielraums inne, eine Interpretation der Kulte im Hinblick auf die vom Orden verkörperte Spiritualität und die Tugenden ist allenfalls als sekundäre Konstruktion zu beobachten. Die Marienverehrung, die im Spätmittelalter bereits eine große Bandbreite unterschiedlicher Ausprägungen und Schwerpunkte kannte, bot sich für diesen Prozess der sekundären Vereinnahmung besonders an. Die Burgkapelle mit dem Marienpatrozinium ist in der Forschung unterschiedlich beurteilt worden. Während Marian Kutzner die Kapellen der Deutschordensburgen als „Tempel der Staatsmacht“18 bezeichnet, betont etwa Rainer Zacharias den Charakter der Begegnung mit der Bevölkerung in der Kapelle der Marienburg.19 Offensichtlich ist, dass an dieser Stelle Repräsentationsbedürfnis und persönliche Devotion von Ritterbrüdern und Bevölkerung zusammenfließen. Die zunehmende Hierarchisierung der Bewohner der Marienburg, die etwa Sczęsny Skibiński aus dem Bau zusätzlicher Kapellen für Begräbnisse, für den Hochmeister, im Vorschloss und im Mittelschloss Mitte des 14. Jahrhunderts analysiert,20 deutet darauf hin, dass es eher eine Tendenz zur Exklusion denn zur Inklusion gab, was die Zurschaustellung der spirituellen Schätze der Marienburg betrifft. Sie war zudem auf eine kurze historische Phase beschränkt: 1380, 1386 und 1394 sind Zurschaustellungen der Reliquien belegt, 1397 wurde ein Ablass dafür ausgestellt, 1404 wieder eingezogen – diese Entscheidung wurde jedoch vermutlich vom Deutschen Orden ignoriert –, und nach 1410 wurden die marianischen Heiligtümer endgültig in einen ordensinternen und einen öffentlichen Bereich geteilt.21

17 Nicholson, Helen J.: Saints venerated in the Military Orders. In: Selbstbild und Selbstverständnis (wie Anm. 5), 91–114, hier 92. 18 Kutzner, Marian: Die Herrschaftspropaganda in der Kunst des Deutschen Ordens in Preußen. In: Echte Wehrhaftigkeit oder martialische Wirkung. Zur praktischen Funktion und zum Symbolcharakter von Wehrelementen profaner und sakraler Bauten im Deutschordensland Preußen und im Ostseeraum. Hg. v. Gerhard Eimer und Ernst Gierlich, Köln 2000 (Kunsthistorische Arbeiten der Kulturstiftung der Deutschen Vertriebenen 3), 253–302, hier 291. 19 Zacharias: Marienburg (wie Anm. 14), 79–80. 20 Skibiński, Szczęsny: Kaplica na Zamku Wysokim w Malborku [Die Kapelle im Hochschloss der Marienburg], Poznań 1982 (Seria Historia sztuki / Uniwersytet imienia Adama Mickiewicza w Poznaniu 14), 211. 21 Es handelte sich um einen ad instar-Ablass, der ursprünglich der Kirche San Pietro in Vincoli in Rom ausgestellt worden war. Auch nach dem formellen Einzug aller dieser Ablässe, die von einer Kirche auf die andere übertragen worden waren, fuhr der Deutsche Orden mit der Heiltumsweisung zum Ablasstag fort. Ehlers, Axel: Die Ablasspraxis des Deutschen Ordens im Mittelalter, Marburg 2007 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 64), 155.



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In den Jahren zwischen 1397 und 1410 wurden jedoch die Reliquien jeweils am 7. April ausgestellt und einzelne Devotionalien in Prozessionen herumgetragen.22 Für die Jahre 1380, 1386 und 1394 sind Heiltumsweisungen für den Tag Philippi und Jacobi (1. Mai) belegt.23 Vor dem westlichen Tor der Burg, auf der stadtabgewandten Seite, wurde ein Altar aufgebaut, vor dem die Schätze aus der Kirche gezeigt wurden. Reliquien und Heiligenbilder wurden uff dem anger gezeigt, und das Marienburger Tresslerbuch erwähnt, dass eine große Anzahl an administrativen Würdenträgern des Ordens an solchen Tagen zum Einsatz kam, um die Versorgung mit Essen zu gewährleisten – und die Versorgung mit Reliquien, denn nicht weniger als sechs Vögte und Pfleger halfen, die Heiligtümer herumzutragen. In der Burg selbst wurden dabei vermutlich im Wesentlichen die zugereisten Ritterbrüder versorgt,24 während die preußische Bevölkerung draußen blieb.25 Die Kapelle wurde vom spirituellen Zentrum immer mehr zum Zentrum der politischen Repräsentation, während die spirituellen Aspekte entweder außerhalb der Kapelle, außerhalb der Burg oder in anderen Kirchen befriedigt wurden. Die explizite Trennung zwischen den Heiligtümern, die primär für politische Zwecke genutzt wurden, und denjenigen für die religiösen Bedürfnisse der Bevölkerung 22 Diesen Vorgang schilderte ausführlich Zacharias: Marienburg (wie Anm. 14), 74–76; er wies auch auf den im Ausgabenbuch veröffentlichten Zusatz zum Tresslerbuch hin. Seine Interpretation der Ereignisse, vor allem in Bezug auf den Zugang zur Burgkapelle, beruhen jedoch teilweise darauf, dass er die Quelle nicht im Zusammenhang interpretiert und zudem uff dem anger als die Vorburg innerhalb der Burgmauern interpretiert. Das Glossar ebenjenes Ausgabenbuches macht jedoch deutlich, dass uff dem anger außerhalb der Mauern lag, an der Stelle, an der nach 1420 der Karpfenteich des Hochmeisters angelegt wurde. Das Ausgabebuch des Marienburger Hauskomturs für die Jahre 1410–1420. Hg. v. Walther Ziesemer, Königsberg i. Pr. 1911, 448. Der Zusatz zum Tresslerbuch ediert ebd., 462–464. 23 Johann von Posilge, Chronik des Preussenlandes. In: Scriptores rerum prussicarum, Bd. 3. Hg. v. Theodor Hirsch und Max Toeppen, Leipzig 1866, 113; 146; 191; jedoch gibt es hier keinerlei Angaben über Ausmaß und Verlauf der Wallfahrten. 24 Darin sehe ich die wesentliche Schwäche der Argumentation Zacharias’, der die von ihm zitierte Stelle aus dem Ämterbuch einseitig in Richtung eines großen Pilgerereignisses interpretiert und nicht berücksichtigt, dass bereits der Zugang zur Burg selbst für die Bevölkerung begrenzt sein konnte. Die Tatsache, dass Brot und andere Verpflegung in dem remthir serviert wurden, lässt eher darauf schließen, dass hier Brüder anreisten – ebenso wie die Textstellen vor und nach der von ihm zitierten, die schildern, wie die Brüder untergebracht sind, wenn in der Marienburg ein Generalkapitel abgehalten wird, etwa „item der voyth von Sameland und des herren bisschoffs vogt von Sameland legen in der 5ten kamer uff dem gange“. Derlei Angaben zur Räumeverteilung bei den Kapiteln 1399 und 1404 stehen vor und nach der Stelle „Alzo pfleget man is czu bestellen czum grossen aplate“. Ausgabebuch (wie Anm. 22), 462–464. 25 Dass überhaupt Nicht-Ordensbrüder zur Ablassgewinnung zur Marienburg reisten, ist aus einer Zeugenaussage im Kanonisationsprozess Dorotheas von Montau ersichtlich: Versus opidum Marienburgk propter indulgentiam. Die Akten des Kanonisationsprozesses Dorotheas von Montau von 1394 bis 1521. Hg. v. Richard Stachnik in Zusammenarbeit mit Anneliese Triller, Köln 1978 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 15), 70.

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wurde beim Umbau der Marienburg Anfang des 15. Jahrhunderts noch deutlicher. Eine Marienkapelle wurde nach 1410 in die Burgmauer über einem Tor eingebaut, in dieser wurde ein Marienbild aufbewahrt, das zuvor in Mewe gestanden hatte,26 und so der Zugang der Bevölkerung zum Inneren der Burg unnötig gemacht – bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der spirituellen Funktionen der Burg. Unabhängig davon, ob die Bevölkerung Zutritt zum Marienheiligtum der Burg hatte oder nicht, wurde dessen Bedeutung als Bestandteil des Herrschaftsnarrativs bewusst vom Deutschen Orden gefördert und propagiert: Durch den Ankauf von Reliquien sollte hier ein Ort der besonderen Heilskonzentration geschaffen werden, der in einen elitären und einen populären Bereich geteilt war. Die räumliche Nähe dieser beiden Kultsphären und die gemeinsame Verehrung Mariens in beiden weist darauf hin, dass sowohl gegenüber der Bevölkerung als auch den eigenen Mitbrüdern die Marienburg mit einem religiösen und politischen Machtanspruch verknüpft werden sollte. Die Steigerung des spirituellen Wertes der Marienburg ging mit der Steigerung der Bedeutung der Burg selbst als Herrschaftszentrum sowie deren Burgherren einher, der mit der öffentlichen Zurschaustellung der Reliquien verbundene Ablass diente zusätzlich zur Propagierung der Kultstätte. Ihre Funktion jedoch bildete weniger die enge persönliche Bindung einzelner Menschen an eine heilige Person oder ein wundertätiges Bild, sondern Ablass und Kultgegenstände hatten hier die Aufgabe, die Machtkonzentration beim Deutschen Orden zu visualisieren und zu befestigen.27 Gleichzeitig zeigt der Besuch von Brüdern und Laien zu den Ablasstagen, die Aufbewahrung eines Marienbildes auch nach den politischen Umwälzungen nach der Schlacht von Tannenberg und insgesamt die Präsenz Mariens in der Marienburg und -kapelle, dass die Jungfrau Maria von vielen auch als ihre persönliche Schutzheilige angesehen wurde. Für die Brüder wurde ein starkes Angebot zur spirituellen Identifikation mit Maria geschaffen, das sie unabhängig von der Herrschaftslegitimation als Nothelferin und Intercessor anbot, und das offenbar oft und gerne angenommen wurde. Die mater misericordiae, die beim Jüngsten Gericht für Sünder bittet, war als persönliche Schutzheilige beliebt, und da diese Funktion unabhängig von der politischen Inanspruchnahme durch den Deutschen Orden bestand, war sie auch an vielen ordensunabhängigen Wallfahrtsorten zu finden.

26 „Item 4 sc. dem fisscher, der unser frauwen Bilde von der Mewe furte, des do vorne am thore steet.“ Eintrag von 1413, Ausgabebuch (wie Anm. 22), 112. 27 Dygo, Marian: O kulcie maryjnym w Prusach Krzyżackich w XIV–XV wieku [Über die Marienverehrung im Preußen des Deutschen Ordens im 14. und 15. Jahrhundert]. In: Zapiski Historyczne 52 (1987), 5–36, hier 15, betont, die Gottesmutter sei vom Orden geradezu selbst als Souverän des Landes Preußen besetzt worden, so dass politische Differenzen mit dem Orden als Landesherren als direkte Beleidigung Marias interpretiert und sanktioniert werden konnten.



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Marienwallfahrtsorte in Dom- und Pfarrkirchen

Die Breite und Beliebtheit der Marienverehrung in Preußen und den angrenzenden Bistümern zeigte sich zunächst in der Liturgie, wo die Feste Nativitatis Mariae, Conceptionis Mariae, Ascensionis Mariae, Praesentationis Mariae in templum und Annunciationis Mariae als hochrangige Feiertage begangen wurden.28 Die Ordensstatuten legten die fünf Marienfeste gemeinsam mit Epiphanias, Allerheiligen, Weihnachten und den Festen der Heiligen Elisabeth, Stephan und Johannes Evangelista als festum totum duplex fest, 1377 wurde noch die Empfängnis Mariae (8. Dezember) in diesen Rang erhoben.29 Während die Kalender der preußischen Bistümer in Bezug auf die Heiligenfeste einige Abweichungen vom Kalender des Deutschen Ordens aufwiesen, behielten sie den Rang der Marienfeste bei, auch das nicht in den Orden inkorporierte Bistum Ermland.30 Auch die übrigen im Ordensland vertretenen Orden feierten die Marienfeste als totum duplex, etwa die Dominikaner und Franziskaner. Die Verehrung Marias war also fest im Bewusstsein der preußischen Bevölkerung verankert, mit einem zwar herausgehobenen Status, aber doch als eine Heiligenverehrung unter anderen. Als solche wurde sie auch, abseits von jeglicher politischer Instrumentalisierung, als eine Möglichkeit begriffen, um wunderbare Hilfe bei Krankheiten zu bekommen. In den Kanonisationsakten der Dorothea von Montau werden öfters alternative Wallfahrtsorte zu deren Grab im Dom in Marienwerder genannt, unter anderem eine Reihe Marienwallfahrtsorte. Die Akten bilden damit eine wertvolle Quelle über die Kultlandschaft in Preußen um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert.31 In den Akten werdenWallfahrten zum Heiligen Blut in Wilsnack, zum Heiligen Kreuz und zur heiligen Barbara genannt, vor allem aber scheint es eine Vielzahl kleinerer wundertätiger Marienbilder gegeben zu haben: Pehsken/Piaseczno32, die Pfarrkirche St. Marien in Kulm/Chełmno33, Löbau/Lubawa,34 die Stadt Marienburg/Malbork35 und Strasburg/Brodnica36 werden genannt. Sie besaßen allesamt Marienstatuen, die verehrt wurden. In Pehsken war es vermutlich die Pfarrkirche St. Marien, die besucht 28 Jähnig, Bernhart: Festkalender und Heiligenverehrung beim Deutschen Orden in Preußen. In: Die Spiritualität der Ritterorden im Mittelalter. Hg. v. Zenon Hubert Nowak, Toruń 1993 (Ordines militares. Colloquia Torunensia historica 7), 177–187, hier 182. Jähnig lässt allerdings aus ungenannten Gründen das Fest Praesentatio Marie in templum (21. November) aus, das nach dem Heiligenkalender des DO bei Grotefend als totum duplex aufgeführt ist. 29 Jähnig: Festkalender (wie Anm. 28), 181. 30 Dieser Status ist jedoch keineswegs spezifisch für Preußen, auch das angrenzende Bistum Krakau etwa führt alle genannten Marienfeste als duplex, während es keine totum duplex kennt. 31 Akten (wie Anm. 25). 32 Ebd., 342. 33 Ad Beatam Virginem in parrochiali ecclesia Culmensi, ebd., 60. 34 Ad Beatam Virginem in Lubovum/Lubenitz, ebd., 454; 458. 35 Versus opidum Marienburgk propter indulgentiam, ebd., 70. 36 Ebd., 454.

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wurde, in Löbau die Pfarrkirche St. Annen. In der St. Katharinenkirche in Brodnica ist bis heute eine stehende Madonna aus dem 14. Jahrhundert erhalten.37 Ob bei einer Wallfahrt nach Kulm der dortige Altar zu Ehren der Verkündigung Mariens, gestiftet Ende des 14. Jahrhunderts38, gemeint war, ist nicht eindeutig zu ermitteln, jedoch auch nicht unwahrscheinlich. Außerhalb des Ordenslandes ist das Zisterzienserinnenkloster Köslin/Koszalin in Pommern als Anlaufpunkt für Pilger belegt. Hier stand in einer Kapelle auf dem Gollenberg, die zum Kösliner Zisterzienserinnenkloster gehörte, ein wundertätiges Marienbild. Einige Ablassbriefe wurden ausgestellt, jedoch musste bereits zu Beginn des 15. Jahrhunderts die Zahl der Nonnen eingeschränkt werden, da die Einkünfte aus der Kapelle zurückgingen39, woraus abgeleitet werden kann, dass dieser Wallfahrtsort Ende des 14. Jahrhunderts eine kurze Blütezeit erlebte, dann aber von anderen abgelöst wurde. In den Kanonisationsakten Dorotheas von Montau wird dieses Bild zweimal als vergebliche Alternativwallfahrt zu Marienwerder/Kwidzyń genannt.40 Auch Ablässe für Kirchen mit Marienpatrozinium und Klöster lassen darauf schließen, dass es hier eine gewisse Wallfahrtsaktivität gegeben hat. Der Deutsche Orden war bei Weitem nicht der einzige Orden, der Maria als Ordenspatronin für sich beanspruchte, und schon gar nicht die einzige Institution, die Maria als Patronatsheilige nutzte. Ein Beispiel ist das Augustiner-Eremitenkloster Patollen „Zur Heiligen Dreifaltigkeit“, das sich unter Verwendung eines bereits bekannten Marienbildes aus Georgenau bei Friedland/Prawdinsk zum Wallfahrtsort entwickelte.41 Patollen wurde 37 Antoni, Michael: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. West- und Ostpreußen: die ehemaligen Provinzen West- und Ostpreußen (Deutschordensland Preußen) mit Bütower und Lauenburger Land, München 1993, 600. 38 Urkundenbuch des Bistums Culm, Theil 1: Das Bisthum Culm unter dem deutschen Orden 1243– 1466. Hg. v. C. P. Woelky, Danzig 1885 (Neues Preußisches Urkundenbuch, Westpreußischer Theil 2, 1), 1363 November 1. 39 Hoogeweg, Hermann: Die Stifter und Klöster der Provinz Pommern 1, Stettin 1924, 411–413, hier auch eine Auflistung der urkundlichen Erwähnungen und päpstlichen Bullen für Köslin, aus denen der zeitliche Rahmen der Wallfahrten erschlossen werden kann. 40 Ad Beatam Virginem in Coslin. Die Zeugin stammt allerdings selbst aus Stolp/Słupsk im Bistum Kamin, Pommern. Akten (wie Anm. 25), 456. Ebenfalls wird die Beata Virgo in Coslin in Frageartikeln Nr. 121 über die Heilung des Peter Sopkow genannt. Ebd., 42. 41 Guttzeit, Emil Johannes: Das Kloster Patollen (Zur Heiligen Dreifaltigkeit) innerhalb der Geschichte des Rittergutes Gross Waldeck, Kreis Pr. Erlau. In: Studien zur Geschichte des Preußenlandes. Festschrift für Erich Keyser zu seinem 70. Geburtstag, dargebracht von Freunden und Schülern. Hg. v. Ernst Bahr, Marburg 1963, 195–215, hier 199. Der Autor stellt sich kritisch zu den Nachrichten der Chronisten seit Simon Grunau über eine immergrüne Eiche, in der die drei prußischen Hauptgötter verehrt worden seien. Da das Kloster Patollen erst 50 Jahre nach seiner Gründung die Bezeichnung „Zur Heiligen Dreieinigkeit“ erlangte, sei seine Gründung zur direkten Bekämpfung der heidnischen Göttertrias unwahrscheinlich. Dennoch geht auch er von der Existenz einer prußischen Kultstätte am Ort der Klostergründung aus. – Zusätzlich ist anzumerken, dass die genannte Festschrift für Erich Keyser, in dem der Aufsatz über das Kloster Patollen erschienen ist, sich durch eine besonders unkri-



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erst um 1400 gegründet und gehörte zum Bistum Ermland. Auch die Augustiner in Czerwińsk im Bistum Płock bekamen einen umfangreichen Ablass vom Bischof von Kulm ausgestellt, der ihr Kloster St. Marien zum Besuchsziel von Pilgern machen sollte.42 Diese Aufzählung lässt darauf schließen, dass es noch weitaus mehr Marienwallfahrtsorte in den preußischen und angrenzenden Bistümern gegeben hat – oder aber, dass es gar nicht immer eines besonderen Wallfahrtsortes bedurfte, um in einer Kirche wunderbare Hilfe zu erwarten. Die Notlagen, bei denen Maria angerufen wird oder eine Wallfahrt zu einer Madonna gelobt oder durchgeführt wird, sind unterschiedlich: Fallsucht,43 ein toter Fötus, der dann doch noch lebend geboren wurde,44 Augenkrankheiten,45 ausschweifendes Leben46 – und damit eine Auswahl der üblichsten Notlagen in spätmittelalterlichen Mirakelsammlungen.47 Die Marienverehrung ist hier Teil eines universalen Hilfsangebots, im Rahmen dessen im Spätmittelalter bestimmte Formen der Heiligenverehrung den Wirkungsbereich des Heiligen immer weiter ausdehnen. Die Zunahme von Distanzmirakeln in spätmittelalterlichen Wundersammlungen ist ein Anzeichen dafür, dass die Verbindung von Kultort, Reliquien- oder Kultbild-Aufbewahrung und Wunderwirken immer lockerer und damit die Hilfe der Heiligen nahezu omnipräsent wurde. Die Lage der Wallfahrtsorte mit wundertätigen Marienbildern zeigt eine gleichmäßige Verteilung über die Bistümer Kulm, Pomesanien, Ermland und das Archidiakonat Pommerellen sowie das angrenzende Kammin. Dass es über alle preußischen Bistümer verteilt kleinere Marienwallfahrtsorte gab, oft in Verbindung mit den der Jungfrau geweihten Altären in Pfarrkirchen, belegt, dass der Orden kein Interesse an einer Monopolisierung der politischen Repräsentationsfunktionen hatte und dass um-

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tische Würdigung des Werkes des Jubilars auszeichnet. Dessen ideologische und wissenschaftliche Unterstützung des Nationalsozialismus ist mittlerweile recht gut aufgearbeitet, siehe etwa Pinwinkler, Alexander: Volk, Bevölkerung, Rasse and Raum. Erich Keyser’s ambiguous Concept of a German History of Population, ca. 1918–1955. In: German scholars and ethnic cleansing, 1919–1945. Hg. v. Ingo Haar und Michael Fahlbusch, New York 2006, 86–99. Urkundenbuch Kulm (wie Anm. 38), 1279 September 19. Akten (wie Anm. 25), 342. Ebd., 60. Ebd., 457–458; 454. Ebd., 70. Untersuchungen über die Wundertypen an Marienwallfahrtsorten bei Signori, Gabriela: Marienbilder im Vergleich. Marianische Wunderbücher zwischen Weltklerus, städtischer Ständevielfalt und ländlichen Subsistenzproblemen. In: Maria, Abbild oder Vorbild? Zur Sozialgeschichte mittelalterlicher Marienverehrung. Hg. v. Hedwig Röckelein, Claudia Opitz und Dieter R. Bauer, Tübingen 1990, 58–90. – Allgemein zu den Wundern des Neuen Testaments als literarische Vorbilder der spätmittelalterlichen Sammlungen Heß, Cordelia: Heilige machen im spätmittelalterlichen Ostseeraum. Die Kanonisationsprozesse von Birgitta von Schweden, Nikolaus von Linköping und Dorothea von Montau, Berlin 2008 (Europa im Mittelalter 11), 61–65.

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gekehrt etwa der Bischof von Ermland ebenfalls nichts gegen die Verehrung der „Ordensheiligen“ in seinem Gebiet hatte. Marienverehrung konnte und sollte eine allen zugängliche Form der Heiligenverehrung sein. Gleichzeitig konnten sich andere Orden und Institutionen der vom Deutschen Orden etablierten Ikonographie bedienen, um ähnliche Herrschaftsansprüche zu bekunden oder ähnliche spirituelle Aussagen zu treffen. Besonders der Dom in Frauenburg/ Frombork stellte eine direkte Konkurrenz zur Marienverehrung des Deutschen Ordens dar, die durchaus erfolgreich verlief, wie zahlreiche Ablassbriefe für die Kirche zum Fest Assumptionis Mariae (15. August) belegen.48 Hier befand sich der Sitz des ermländischen Bischofs, des einzigen preußischen Bischofs, dessen Domkapitel nicht in den Orden inkorporiert war, und die Madonnenfigur an der Außenwand des Domes wurde bewusst in Anlehnung an die Madonna an der Marienburg gestaltet, um den politischen Anspruch des Bischofs gegen den Deutschen Orden zum Ausdruck zu bringen.49 Während das Patrozinium einen auch im Orden beliebten Aspekt der Marienverehrung aufgriff, die Himmelfahrt, zeigte die Außenstatue Maria als die Frau aus der Apokalypse mit der Mondsichel unter ihren Füßen, ebenfalls eine Darstellung der regina coeli und damit ein Motiv der Herrschaftslegitimierung.50 Der gesamte Bau strebte nach einer Form der Herrschaftsarchitektur, wie sie von den Residenzen des europäischen Hochadels bekannt war und verband profane und sakrale Baumuster51 – ebenso, wie die Mariendarstellung sakrale und politische Narrative verband. Neben der starken Besetzung der Marienverehrung mit politischen Legitimierungsansprüchen im Deutschen Orden und im Bistum Ermland gab es also auch eine populäre Form der Marienverehrung, die nicht mit einem Herrschaftsnarrativ verbunden war, sondern Maria als eine unter mehreren möglichen heiligen Nothelfern sah und nutzte. Auch diese Funktion Marias ist aus unzähligen Wundersammlungen und Kanonisationsprozessen aus ganz Europa belegt und nicht spezifisch für Preußen. 48 Monumenta historiae Warmiensis oder Quellensammlung zur Geschichte Ermlands, 1. Abth: Codex diplomaticus Warmiensis oder Regesten und Urkunden zur Geschichte Ermlands, Bd. 3 = Bd. 5: Urkunden der Jahre 1376–1424 nebst Nachträgen. Hg. v. Carl Peter Woelky und Johann Martin Saage, Braunsberg 1847, Nr. 263 und die Bestätigung ebd., Nr. 293; sowie Nr. 279 vom 13. November 1393 mit dem Ablass für das Ave-Maria-Läuten im Frauenburger Dom. Der erste Ablass für die Domkirche vom 17. Dezember 1393 verleiht ihr „denselben Ablass, den Pilger bekommen, die zum Fest St. Petri ad Vincola nach Vadstena kommen“ – diesen Ablass hatte erstmals Gregor XI. dem Kloster Vadstena am 1. Februar 1378 verliehen. Ehlers erwähnt einen weiteren ad instar-Ablass für den Dom in Frauenburg, den Laien bekommen sollten, die wie die Deutschordensbrüder siebenmal im Jahr die Kommunion empfingen. Dieser Ablass zum 7. April hatte jedoch keinen marianischen Bezug. Ehlers: Ablasspraxis (wie Anm. 19), 77. 49 Dygo: O kulcie (wie Anm. 25), 21. 50 Fastenrath, Elmar: Artikel „Königtum Marias“. In: Marienlexikon, Bd. 3, 589–596, hier 595. 51 Moscicki, Waldemar: Der Frauenburger Dom – eine fürstliche Halle für den Bischof und das Domkapitel von Ermland. In: Eimer/Gierlich (Hg.), Echte Wehrhaftigkeit (wie Anm. 18), 215–236, hier 229–230.



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Marienverehrung in den Städten

Ende des 14. Jahrhunderts strebten die preußischen Städte zunehmend nach Unabhängigkeit vom Deutschen Orden. Es würde naheliegen, dass sich diese politischen Konflikte auch auf der Ebene der Heiligenverehrung als einer Form der Herrschaftssicherung manifestierten. Charakteristisch für das religiöse und soziale Leben der spätmittelalterlichen Städte sind die Bruderschaften, deren Altarstiftungen, Begräbnisriten und Patrozinien Aufschluss über die Heiligenverehrung in den städtischen Oberschichten geben.52 In Preußen bildeten sich offenbar Bruderschaften, deren Schutzheilige denen des Deutschen Ordens nachempfunden waren und die, je nach Verhältnis des Ordens zu den städtischen Eliten, mit diesem freundschaftlich kooperierten. In der Stadt Marienburg etwa bildeten die vornehmsten Ratsherren die bruederschaft Unser Lieben Vrauwen, die man nennet der diener bruederschaft, sie wurde vom Hochmeister Konrad von Jungingen bestätigt. Sie unterhielt ein Vikariat in der Kirche St. Laurentius, was auf den hohen sozialen Status ihrer Mitglieder schließen lässt.53 Gerade der Rat in Marienburg, im Zentrum der Macht des Deutschen Ordens, unterhielt – zumindest bis zum Dreizehnjährigen Krieg – gute Beziehungen zum Deutschen Orden und hinterfragte dessen Macht auf der ideologischen Ebene nicht. Entsprechend ist die Bildung einer Marienbruderschaft nicht als Konkurrenz, sondern als gemeinsame und geteilte spirituelle Anbindung an die Gottesmutter zu verstehen – die für alle da war. Nicht nur die Patronin, auch die zugehörige Ikonographie teilte sich die Marienbruderschaft in Thorn mit dem Deutschen Orden.54 Im ehemaligen Sitzungssaal der Bruderschaft in der dortigen ulica Zeglarska sind bis heute die Reste eines Marienzyklus enthalten, unter anderem Bilder der Verkündigung, Heimsuchung und Krönung. Interessanterweise befindet sich hier auch eine Darstellung des hl. Georg mit dem Drachen – ein weiteres Motiv, das als politisches Rechtfertigungsnarrativ des Ordens, vor allem im Bezug auf den Heidenkampf, gedeutet wurde.55 Die Marienbruderschaft, die im 13. Jahrhundert gegründet wurde und die Getreidehändler organisierte, verei52 Haverkamp, Alfred: Bruderschaften und Gemeinden im 12. und 13. Jahrhundert. In: Ordnungskonfigurationen im hohen Mittelalter. Hg. v. Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter, Ostfildern 2006 (Vorträge und Forschungen des Konstanzer Arbeitskreises für Mittelalterliche Geschichte 64), 153–192. – Mittelalterliche Bruderschaften in europäischen Städten. Hg. v. Monika Escher-Apsner, Frankfurt/Main 2009 (Inklusion, Exklusion 12). – Ehlers: Ablasspraxis (wie Anm. 21), 167–171, über Ablässe für Bruderschaften an Deutschordenskirchen im Reich. 53 Długokęcki, Wiesław: Elita władzy miasta Malborka w średniowieczu [Städtische Machteliten in Malbork im Mittelalter], Malbork 2004, 94. 54 Zielińska-Melkowska, Krystyna: Z dziejów kultu maryjnego w średniowiecznym Toruniu [Geschichte der Marienverehrung im mittelalterlichen Toruń]. In: Scriptura custos memoriae: Prace historyczne. Hg. v. Danuta Zydorek, Poznań 2001 (Publikacje Instytutu Historii UAM 44), 67–90. 55 Domasłowski: Wandmalereien (wie Anm. 12), 151–152.

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nigte sich 1385 mit der St. Georgsbruderschaft, womit die beiden einflussreichsten Bruderschaften der Stadt und die beiden Schutzheiligen des Deutschen Ordens eine Kooperation eingingen.

Zusammenfassung Die Marienverehrung des Deutschen Ordens war „frei ebenso von Gefühlsüberschwang wie von exegetischer Subtilität“56 – eine deutlich laikal geprägte und auf praktische Anwendung ausgerichtete Form der Marienverehrung, wodurch die innerhalb des Deutschen Ordens gepflegten Formen anschlussfähig für weite Teile der preußischen Bevölkerung waren. Marienverehrung hatte in Preußen, wie auch im übrigen Europa, mindestens zwei Funktionen: Sie diente erstens als politisches Rechtfertigungsnarrativ, indem sie Herrschaftsansprüche des Deutschen Ordens (und des Bischofs von Ermland in Konkurrenz zu diesem) ausdrückte. Ob auch Vertreter der Städte etwa die Ikonographie der Krönung Mariens als Ausdruck ihrer politischen Ansprüche benutzten, kann nicht bewiesen, aber auch nicht ausgeschlossen werden. Zweitens hatte Maria, wie ebenfalls auch andernorts in Europa, die Funktion einer populären und universell einsetzbaren Nothelferin, was sich in einem Netz kleinerer Wallfahrtsorte inner- und außerhalb der preußischen Bistümer zeigte, wo Maria als wunderbare Helferin angerufen und verehrt wurde. Die unterschiedlichen Funktionen, die die heilige Maria einerseits als politische Patronin und andererseits als volksnahe Wunderheilerin erfüllte, können nicht unter dem Gegensatz von „Volksund Elitenfrömmigkeit“ gefasst werden.57 Vielmehr kann am Auftauchen Mariens in Quellen über die Marienburg selbst, in den Urkundenbüchern der preußischen Bistümer und in den Kanonisationsakten der Dorothea von Montau die Flexibilität und Vielseitigkeit der mittelalterlichen Marienverehrung abgelesen werden, die je nach Anlass sowohl für individuelle persönliche Bedürfnisse von Ritterbrüdern, Priestern und der Laienbevölkerung als auch für die politischen Bedürfnisse des Ordens als Institution in Anspruch genommen werden konnte. Die Problematik, die dieser Unterschied in den spirituellen Formen mit sich brachte, hat Stefan Kwiatkowski mit dem Begriff der ‚geistigen Krise‘ des Deutschen Ordens im Spätmittelalter belegt. Er benennt damit den Unterschied zwischen einer traditionell-monastisch geprägten Spiritualität und den mehr auf die Bedürfnisse von Laien ausgerichteten spirituellen 56 Kolb: Artikel Deutscher Orden (wie Anm. 2), 180. 57 Die Problematik dieser Dichotomie aufgrund der unterschiedlichen Faktoren für Elitenbildung (Ökonomie, Bildung, Geschlecht, Standeszugehörigkeit etc.) und damit die Unmöglichkeit der klaren Trennung von „Volk“ und Elite diskutiert etwa Schreiner, Klaus: Laienfrömmigkeit – Frömmigkeit von Eliten oder Frömmigkeit des Volkes? Zur sozialen Verfasstheit laikaler Frömmigkeitspraxis im späten Mittelalter. In: Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter: Formen, Funktionen, politisch-soziale Zusammenhänge. Hg. v. Klaus Schreiner u.a., München 1992, 1–78.



Marienverehrung im spätmittelalterlichen Preußen

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Strömungen des Hoch- und Spätmittelalters, die etwa unter dem Begriff der devotio moderna gefasst werden.58 Hierbei wird jedoch der Tatsache zu wenig Rechnung getragen, dass es neben der offiziell propagierten Religiosität des Deutschen Ordens auch Akte privater Devotion von Hochmeistern, Ritter- und Priesterbrüdern gab, die flexibler auf die Veränderung der Glaubensformen im Spätmittelalter reagierten und die die Kluft zwischen der als elitär wahrgenommenen Ordensspiritualität und der „moderneren“ der Bevölkerung in Preußen und im Reich verkleinerten. Zudem waren die Ritterbrüder des Ordens zumindest von ihrem Bildungsstand her Laien, die im Hinblick auf Heiligenverehrung und Bibellektüre dieselben Bedürfnisse und Möglichkeiten hatten wie der Rest der Bevölkerung. Abschließend ist festzuhalten, dass die Marienverehrung zwar ein integraler Bestandteil der Spiritualität und der politischen Rechtfertigung des Deutschen Ordens war. Die Kontextualisierung der Formen und Funktionen der Marienverehrung im Orden mit denjenigen außerhalb des Ordens und auch außerhalb Preußens zeigt jedoch, dass keiner dieser Ausdrücke spezifisch für den Deutschen Orden war oder gar der Orden bestimmte Motive oder Deutungen für sich monopolisieren konnte oder wollte. Die unterschiedlichen Ausdrucksformen der Marienverehrung in Preußen sind vielmehr ein Beispiel dafür, dass der Deutschordensstaat, seine Administratoren und seine Bevölkerung Teil einer gesamteuropäischen kulturellen Landschaft waren, Strömungen adaptierten, verarbeiteten und verbreiteten. Die heilige Maria konnte eben als die Patronin nicht nur des Ordensstaates als politischer Institution, sondern auch anderer Orden und der Bevölkerung dienen – und das bei weitem nicht nur in Preußen.

58 Kwiatkowski, Stefan: ‚Devotio antiqua‘, ihr Niedergang und die geistigen Ursachen der religiösen Krise des Deutschen Ordens im Spätmittelalter. In: Deutscher Orden 1190–1990. Hg. v. Martin Armgart und Udo Arnold, Lüneburg 1997 (Tagungsberichte der Historischen Kommission für Ost- und Westpreußische Landesforschung 11), 107–130.

Stefan Samerski DOROTHEA UND KEIN ENDE Bemerkungen zur Prozess- und Kultgeschichte der hl. Dorothea von Montau Dorothea von Montau1 ist für das mittelalterliche Preußenland geradezu ein Glücksfall – nicht nur, weil sie die erste autochthone Heilige des Deutschordenslands war und unzweifelhaft wenige Jahre nach ihrem Tod offiziell als preußische Patronin tituliert wurde,2 sondern weil ihr Leben eine ganze Fülle von authentischen zeitgenössischen Quellen hervorgebracht hat, die in ihrer historischen Aussagekraft vor allem in den letzten Jahrzehnten erkannt und von verschiedensten Disziplinen ausgewertet wurden.3 Die 1 Die ältere Biographik gipfelt in der immer noch sehr lesenswerten Monographie: Westphal, Hans: Dorothea von Montau, Meitingen 1949 (Lebensschule der Gottesfreunde 59). – Eine moderne, zuverlässige und ausführlich kritische Lebensbeschreibung bietet: Hörner, Petra: Dorothea von Montau. Überlieferung – Interpretation. Dorothea und die osteuropäische Mystik, Frankfurt/M. u.a. 1993 (Information und Interpretation. Arbeiten zu älteren germanischen, deutschen und nordischen Sprachen und Literaturen 7). – Für die Forschung ohne großes Gewicht: Epoka i życie bł. Doroty z Mątów. Materiały I Sympozjum Dorotańskiego w Kwidzynie. Hg. v. Jan Wiśniewski, Elbing 1996. 2 So erstmals durch den Hochmeister Konrad von Jungingen in seiner Petition an den Patriarchen von Grado, 11.9.1395: Die Akten des Kanonisationsprozesses Dorotheas von Montau von 1394 bis 1521. Hg. v. Richard Stachnik, Köln-Wien 1978 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 15), 532 (Nr. 14). – Zu Dorotheas Patronat jüngst: Hofmann, Winfried: Unsere Heiligen als Schutzpatrone. Legenden und Biographien, Regensburg 1987, 61. – Richard Stachnik bezeichnete sie 1976 noch als „die populärste Frau des Weichsel-Ostsee-Kulturkreises, die Patronin des Preußenlandes“: Stachnik, Richard: Zum Schrifttum über die heilige Dorothea von Montau. In: Dorothea von Montau. Eine preußische Heilige des 14. Jahrhunderts. Hg. v. dems. und Anneliese Triller, Münster 1976, 59–105, hier 59. 3 Darauf weist bereits Hipler hin, der „von großer Wichtigkeit für die Kulturgeschichte jener Zeit“ sprach, da die Akten „das anschaulichste und getreuste Bild von dem religiösen und sozialen Leben des damaligen preußischen Volkes“ entwerfen: Hipler, Franz: Meister Johannes Marienwerder, Professor der Theologie in Prag und die Klausnerin Dorothea von Montau. Ein Lebensbild aus der Kirchengeschichte des XIV. Jahrhunderts, Braunsberg 1865, 122. – Exemplarisch für Genderstudies: Schraut, Elisabeth: Dorothea von Montau. Wahrnehmungsweise von Kindheit und Eheleben einer spätmittelalterlichen Heiligen. In: Religiöse Frauenbewegung und mystische Frömmigkeit im Mittelalter. Hg. v. Peter Dinzelbacher, Köln-Wien 1988, 373–394 (mehrfach wiederabgedruckt). – Psychologische Deutungen: Rentschler, Michael: „Die Innere Arbeit ist gar selten“. Psycho-historische Rekonstruktionen zur Heiligen Dorothea von Montau (1347–1394), Reutlingen 2002. – Frenken, Ralph: Kindheit und Mystik im Mittelalter, Frankfurt/M. u.a. 2002 (Beihefte zur Mediävistik 2), 231–248. – Literaturwissenschaftliche Auswertung: Hörner: Dorothea von Montau (wie Anm. 1). – Bildungshistorisch: Westphal, Hans: Die Geistesbildung der heiligen Dorothea von Montau. In: Dorothea von Montau. Eine preußische Heilige des 14. Jahrhunderts. Hg. v. Richard Stachnik und Anneliese Triller, Münster 1976, 38–58.



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Akten ihres Heiligsprechungsprozesses4 bilden authentische Momentaufnahmen der damaligen konkret-lokalen Lebenswelt ab. Unter der Vielzahl von Fragestellungen soll an dieser Stelle nur die Prozess- und Kultgeschichte in ihrer Aussagekraft für die Funktionalität der Kandidatin in den Blick genommen werden. Die allermeisten Lebensdaten der Dorothea sind mittlerweile bekannt und unstrittig. Dorothea wurde Ende Januar 1347 in dem kleinen Dorf Groß-Montau in der Südspitze des Weichsel-Nogat-Deltas geboren und am 6. Februar in der dortigen Dorfkirche getauft.5 Ihre Eltern waren wohlhabende Bauern. Das anmutige Mädchen fiel früh durch ein intensives Gebetsleben, Nachtwachen und strenge Askese auf. Im Alter von 16 ½ Jahren wurde sie mit dem wesentlich älteren Danziger Schwertfeger Adalbert Swarze vermählt, mit dem sie lange Jahre einem großen Haushalt in der Danziger Langgasse vorstand. Bis 1381 schenkte sie neun Kindern das Leben, von denen allerdings nur eines die Pest und andere Krankheiten überlebte. Trotz vielfältiger häuslicher Pflichten zog es sie häufig in die Marienkirche, wo sie sich im Gebet ganz versenken konnte. Das Leben und die Offenbarungen der im Juli 1373 in Rom verstorbenen hl. Birgitta von Schweden (1302–1373),6 die elf Monate später in St. Marien/Danzig aufgebahrt und dort sogar vom Hochmeister des Deutschen Ordens hochverehrt wurde, machten einen tiefen Eindruck auf die Hausfrau und Mutter.7 Sie, die ebenso verheiratet gewesen war wie die schwedische Heilige, wählte diese zu ihrem Vorbild in der Betrachtung der Passion Christi und im Wallfahren. Dorothea überzeugte ihren betagten Mann allmählich von dem Gedanken des Freiseins für Gott, so dass sie 1384 ihren ganzen Besitz in Danzig verkauften und damals beliebte Wallfahrtsorte wie etwa Aachen aufsuchten und dabei nicht selten in Lebensgefahr und unter Räuber gerieten. Mehr denn je pflegte sie nun Betrachtungen und Gebet, das von ekstatischen Zuständen begleitet war. Darüber hinaus besuchte und half sie Armen, Kranken und Notleidenden. Als ihr Mann 1390 starb, während sie selbst auf einer Wallfahrt in Rom war, war für sie der Weg frei für das damalige Ideal des Abgeschie4 Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2). – Eine komparative Untersuchung der Kanonisationsakten bietet: Heß, Cordelia: Heilige machen im spätmittelalterlichen Ostseeraum. Die Kanonisationsprozesse von Birgitta von Schweden, Nikolaus von Linköping und Dorothea von Montau, Berlin 2008 (Europa im Mittelalter 11), 264–284. – Zum Schrifttum der Dorothea bzw. über sie bietet eine gute Zusammenfassung: Stachnik, Zum Schrifttum über die hl. Dorothea (wie Anm. 2). 5 Zuletzt dazu noch die Richtigstellung Hörner: Dorothea von Montau ( wie Anm 1), 12–13. Neuester Stand des Dorotheenschrifttums: ebd., 33–55. 6 Biographisch: Nyberg, Tore: Birgitta von Schweden. Die aktive Gottesschau. In: Frauenmystik im Mittelalter. Hg. v. Peter Dinzelbacher und Dieter R. Bauer, Ostfildern 1985, 275–289. – Schiwy, Günther: Brigitta von Schweden. Mystikerin und Visionärin des späten Mittelalters. München 2003. – Zuletzt zu ihrer Kanonisation: Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 103–204. 7 Der Einfluss der hl. Birgitta von Schweden wird auch in der neuen Literatur noch sehr hoch veranschlagt: Hörner: Dorothea von Montau (wie Anm. 1), 103f., 134, 138f., 235. – Westphal: Die Geistesbildung der hl. Dorothea (wie Anm. 3), 46: „Dorothea wählte sie zu ihrem Vorbild“. – Kritisch zur Analogie mit der Frauenmystik: Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), bes. 319–321, 391.

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denseins von der Welt, um sich ganz dem Dienst an Gott hinzugeben.8 Nach längerem Suchen fand sie in dem wohl damals berühmtesten Theologen des Deutschen Ordens, im Domdekan Johannes Marienwerder (1343–1417),9 einen adäquaten Seelenführer. Dieser prüfte im Auftrag des Domkapitels von Pomesanien ihren Entschluss, sich als Reklusin ganz zurückzuziehen und einmauern zu lassen. Dies geschah am 2. Mai 1393 in eine Klause, die an den Dom von Marienwerder angelehnt war. Sie beichtete täglich und empfing jeden Tag die Kommunion – im Deutschordensland waren sonst nur sieben Kommuniontage vorgesehen.10 Ihre Visionen wurden von ihrem Beichtvater Johannes aufgezeichnet. Nachdem sie kurz nach Mitternacht des 25. Juni 1394 die Kommunion von Johannes erhalten hatte, wurde sie am nächsten Morgen tot in ihrer Klause aufgefunden. Ihr Begräbnis in der Krypta der Domkirche von Marienwerder wurde zu einem großen und feierlichen Ereignis, das von der Verehrung durch die Bevölkerung und dem Deutschordenskapitel Zeugnis ablegte. Wie zur damaligen Zeit üblich,11 verzeichnete man vor Ort auftretende Wunder: In fortlaufenden Journalen sind in Marienwerder auf diese Weise mindestens sechs Wunderbücher gefüllt worden, die heute allerdings verloren sind.12 Auch hat der Bischof von Pomesanien um 8 Die Klausnerexistenz war ein damals bekanntes religiöses Ideal; in Preußen gab es allerdings damals keine Klause: Hörner: Dorothea von Montau (wie Anm. 1), 20–23. 9 Johannes studierte in Prag, erhielt dort 1373 die Priesterweihe und wurde 1377 Domherr der Prager Allerheiligenkirche. Er erhielt dort 1384 eine Professur für Theologie, bis er wegen der hussitischen Wirren das Land verlassen musste und in seine Heimat Preußen zurückkehrte. Dort trat er 1387 in den Deutschen Orden ein und erhielt wenige Monate später ein Kanonikat im Dom zu Marienwerder. Zwischen 1388 und 1417 ist er dort als Domdekan nachgewiesen. Vgl. immer noch die eingehende biographische Studie: Hipler: Meister Johannes Marienwerder (wie Anm. 3). – Westphal, Hans: Marienwerder, Johannes. In: Altpreußische Biographie, Bd. 1, Königsberg 1941, 305–309. – WolfDahm, Barbara: Johannes Marienwerder. In: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 3, Hamm 1992, 475–479 (Lit.). – Westphälinger, Ariane: Der Mann hinter der Heiligen. Die Beichtväter der Elisabeth von Schönau, der Elisabeth von Thüringen und der Dorothea von Montau, Krems 2007 (Medium Aevum Quotidianum 20), 39–45, 57–62, 75–80. – Kurz tabellarisch: Glauert, Mario: Das Domkapitel von Pomesanien (1284–1527), Thorn 2003 (Prussia Sacra 1), 486–494. 10 Ihre starke eucharistische Frömmigkeit geht vermutlich auf die Heimat des Vaters, den niederländischen Einfluss zurück: Westphal: Die Geistesbildung der hl. Dorothea (wie Anm. 3), 41 – Triller, Anneliese: Die heilige Dorothea vor dem Hintergrund ihrer Zeit. In: Dorothea von Montau. Eine preußische Heilige des 14. Jahrhunderts. Hg. v. Richard Stachnik und Annelise Triller, Münster 1976, 21–37, hier 30. – Der Prager Reformwille im Deutschen Orden, der diese eucharistische Frömmigkeit willig herausstrich, wurde von Dorotheas Hagiographen Johannes Marienwerder und Johannes Rymann repräsentiert: Mentzel-Reuters, Arno: Das pomesanische Domkapitel als literarisches Zentrum. Der Fall des Prager Magisters Johannes Marienwerder. In: Päsler, Ralf G./Schmidtke, Dietrich: Deutschsprachige Literatur des Mittelalters im östlichen Europa. Forschungsstand und Forschungsperspektiven, Heidelberg 2006, 157–175, hier 161. 11 Angenendt, Arnold: Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 21997, 141. 12 Johannes Mönch hatte die Kanoniker aufgefordert, auftretende Wunder zu protokollieren: Hipler: Johannes Marienwerder (wie Anm. 3), 84. – Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 252, 265.



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1400 bereits einen Reliquienschrank angelegt, der die Verehrung der Klausnerin ganz offensichtlich fördern sollte. Der Schrank war bis zum Zweiten Weltkrieg noch in der Kirche zu sehen.13 Schon am 30. Oktober 1394, also nur etliche Wochen nach dem Tod Dorotheas, fanden die Erhebung der Gebeine und die Beisetzung in einem ausgemauerten Grab in der Krypta des Domes statt.14 Weniger als ein Jahr später stellten die preußischen Bischöfe, der Hochmeister und die übrige Ordensspitze, der Beichtvater, die drei Domkapitel des Deutschen Ordens, Doktoren und Pfarrer den Antrag in Rom auf Kanonisation.15 Hochmeister Konrad von Jungingen (1393–1407)16 sprach in seinem Schreiben an den Patriarchen von Grado von 1395 von Dorothea als von einer „fidelissima adiutrix et patrona“17. Diese Bezeichnung ist bislang von der Forschung auch allgemein herausgearbeitet und bestätigt worden, so dass man bei Dorothea von Montau mit Fug und Recht vom Beginn ihrer Kultgeschichte an von einer preußischen Patronin mit entsprechender Volksverehrung sprechen kann.18 Strittig ist ihre Verortung im Deutschen Orden.19 Wie die Verehrungsgeschichte jedes Seligen bzw. Heiligen, ja selbst jedes Kandidaten, bedingt durch gruppen- und zeitabhängige Funktionalisierungen einen Wandel durchmachte,20 so ist auch die Wirkungsgeschichte der Dorothea von Montau Brüchen und Neubewertungen unterworfen. Dorothea selbst hat sich, das überliefern alle Viten, aus den politischen Kontroversen ihrer Zeit meist herausgehalten.21 Das bedeutete jedoch nicht, dass sie nicht Anteil und teilweise sogar Stellung genommen hätte gegenüber den damals virulenten Problemen. Viele ihrer Prophezeiungen tragen

13 Dehio, Georg/Gall, Ernst: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Bd. 6: Deutschordensland Preußen, München/Berlin 1952, 106. 14 Westphal: Dorothea von Montau (wie Anm. 1), 67. 15 Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 265. Ausführlicher: Stachnik: Zum Schrifttum (wie Anm. 2), 79–80. 16 Biographisch: Jähnig, Bernhart: Konrad von Jungingen. In: Die Hochmeister des Deutschen Ordens 1190–1994. Hg. v. Udo Arnold, Marburg 1998, 97–104. 17 Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), 532. 18 So auch zuletzt in der umfassenden Studie: Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 329. 19 Kritischste Stimme: Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 247f., 280–284. – Deutlichste Befürwortung: Triller, Anneliese: Die Hl. Dorothea von Montau in ihrem Verhältnis zum Deutschen Orden und die Deutschordensmitglieder im Kanonisationsprozess Dorotheas 1404–1406. In: Von Akkon bis Wien. Studien zur Deutschordensgeschichte vom 13. bis zum 20. Jahrhundert. Festschrift zum 90. Geburtstag von Althochmeister P. Dr. Marian Tumler O.T. am 21. Oktober 1977. Hg. v. Udo Arnold, Marburg 1978, 76–83. 20 Exemplarisch und anhand von Primärquellen für die Neuzeit aufgezeigt: Samerski, Stefan: „Wie im Himmel, so auf Erden“? Selig- und Heiligsprechung zwischen 1740 und 1870. Stuttgart 2002, 85– 396. 21 Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 246.

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politisch-militärische Züge wie auch etliche Anlässe ihres Fürbittgebetes.22 Ja, sie bewertete sogar moralisch das Lebenswerk des priesterfeindlichen und häresieverdächtigen Hochmeisters Konrad von Wallenrode (1391–1393),23 den sie in der Hölle sah – nach Zeugenaussage ihres zweiten Beichtvaters.24 Wenngleich ohne jede politische Aktivität – politisch desinteressiert und dem Deutschen Orden fern stehend war Dorothea gewiss nicht! Jeder, der sich mit historischen Selig- und Heiligsprechungen wissenschaftlich beschäftigt, weiß, dass das Entscheidende für die Devotion oder Kanonisation vielfach nicht der wissenschaftlich fassbare Kern einer historischen Gestalt ist, sondern häufig genug die Intentionen der Protagonisten.25 Entscheidend ist also bei den Kanonisationen, was aus dem biographischen Material einer verehrten Gestalt gemacht wird. Dieses Material stammt im Falle der Dorothea von Montau nahezu ausschließlich aus den Händen oder dem Umkreis des Deutschen Ordens. In der ersten, lateinischen, recht knappen Vita von 1396, die Johannes Marienwerder zur ersten Information für die Römische Kurie schrieb, ist Dorothea als reine Asketin und Mystikerin dargestellt.26 Ihre Ehe spielt kaum eine Rolle; ihre Visionen und Wunder haben keine Außenwirkung. Überhaupt ist die Öffentlichkeit kein Thema in der ersten Vita. Hier ist keine Botschaft der Heiligen verzeichnet oder auch nur ein Sprechen zum Volk. Stattdessen berichtete Johannes vom Erreichen der unio mystica und Dorotheas speziellem Zugang zu Gott über die 37 Liebesgrade. Die deutsche Vita von 1400/1404 hatte dagegen eine klare und reiche Verbreitung erfahren.27 Dieses eigenständige literarische Werk wandte sich – schon durch seine sprachliche Gestalt – an die deutsche Bevölkerung des Ordenslandes und die Mitglieder des Deutschen Ordens im Speziellen, die sie wahrscheinlich als Tischlesung hörten.28 Wir haben immerhin drei Nachweise dieser Vita in den Konventsbibliotheken,

22 Noch Triller macht darauf aufmerksam, dass Dorothea sehr wohl um Fürsprache bei politischen und militärischen Fragen gebeten wurde, so bei der Hochmeisterwahl von 1393 und bei Kriegszügen gegen die Litauer: Triller: Die heilige Dorothea vor dem Hintergrund ihrer Zeit (wie Anm. 10), hier: 22f. – Sie hatte den Hochmeister Konrad von Jungingen nach dessen eigenen Aussagen vor militärischen Gefahren gewarnt: Zeugenaussage: Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), 63–65. 23 Zur Biographie: Jähnig, Bernhart: Konrad von Wallenrode. In: Arnold, Die Hochmeister (wie Anm. 16), 93–96. 24 Aussage des Domkapitulars Dr. Johannes Ryman, 22.10.1404: Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), 194–221, hier 212. – Vgl. auch: Westphälinger: Der Mann hinter der Heiligen (wie Anm. 9), 42f. 25 Zuletzt nochmals speziell zu Dorothea: Westphälinger: Der Mann hinter der Heiligen (wie Anm. 9), 33f. 26 Hörner: Dorothea (wie Anm. 1), 33–36. – Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 252–256. 27 Hörner: Dorothea (wie Anm. 1), 44–48, 141–223. – Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 256–264. 28 Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 256.



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nämlich in der Marienburg und in den Häusern in Schlochau und Tapiau.29 Meines Erachtens lässt das nicht darauf schließen, dass sich Dorothea im DeutschordensAmbiente keiner großen Beliebtheit erfreute,30 zumal sie noch nicht kanonisiert war und der Orden nach 1410 weitaus gravierendere Probleme hatte, als den Kult einer Klausnerin zu fördern. Die deutsche Vita ist im Gegensatz zu ihrer lateinischen Vorgängerin sehr viel biographischer und detailreicher. Sie liefert eine Vielzahl von asketischen und spirituellen Begebenheiten aus der Kindheit, stellt dann eine Art Tugendkompendium anhand der Jugend der Reklusin auf und stilisiert Dorothea als Braut Christi. Im Gegensatz zur lateinischen Vita wird hier das Eingehen der Ehe in Kapitel 21 und 22 deutlich dargestellt, und zwar in Demut und Gehorsam gegenüber den göttlichen Befehlen – also nicht etwa der Wunsch, Nonne oder Begine zu werden. Ja, der Vitenschreiber führte sogar die Möglichkeit aus, als verheiratete Frau, und nicht als Ordensfrau, die himmlische Seligkeit zu erlangen. Wir haben es also hier mit einem ganz anderen, positiven Eheverständnis zu tun! Es gibt allerdings auch negative Äußerungen des Vitenschreibers über Dorotheas Ehe. Ihr Mann hatte wenig Verständnis für ihre Visionen und asketischen Übungen; es wird berichtet, dass sie die Aufzucht der Kinder betrübte, da sie sie vom Kirchgang abhalte. Sie geißelte sich sogar in der Schwangerschaft und fastete im Kindbett. Selbstverständlich vernachlässigte Dorothea über den familiären Alltag hinaus nicht ihre Frömmigkeitsübungen. Sie besuchte täglich die sieben Kirchen Danzigs – ein wertvoller Hinweis, der die Handelsstadt an der Weichselmündung zu einem zweiten Rom mit seinen sieben Hauptkirchen stilisiert.31 Vor allem in der Barockzeit wurde die Sieben-Kirchen-Wallfahrt in der Ewigen Stadt zu einem großen spirituellen Thema. Unmittelbares Vorbild für die dorotheische Wallfahrt war die hl. Birgitta von Schweden, die ebenfalls in Rom derartige Wanderungen unternahm.32 Die deutsche Vita kennt auch eine Entwicklung in Dorotheas Leben. 1385 wurde ihr in der Danziger Marienkirche das Herz durch ein göttliches ersetzt. Nun begann die rein spirituelle Phase ihres Lebens mit Pilgerfahrten und Frömmigkeitsübungen. Da auch die allermeisten ihrer Kinder gestorben waren, war sie weitgehend frei von häuslichen Pflichten. Ihr innerer Rückzug und ihre Frömmigkeit ließen ihr Leben nun allerdings konfliktreicher werden. Das endete erst, als ihr Mann starb. Der Hagio29 Mentzel-Reuters, Arnold: Arma spiritualia. Bibliotheken, Bücher und Bildung im Deutschen Orden, Wiesbaden 2003, 232–233. 30 Dagegen: Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 256. 31 Die Siebenkirchenwallfahrt in Rom ist seit der Spätantike, näherhin seit dem Toleranzedikt und dem Bau der Hauptkirchen der Stadt, belegt. Diese Tradition geriet mit Beginn der Neuzeit fast vollständig in Vergessenheit und ist durch den hl. Filippo Neri reaktiviert worden: Die Römische Sieben-KirchenWallfahrt. Gebete zu den Stationen und Prozessionen im Ordo Novus, Köln 32010, 5. 32 Holböck, Ferdinand: Gottes Nordlicht. Die hl. Birgitta von Schweden und ihre Offenbarungen, Stein am Rhein 1983, 89, 93, 100. – Der Einfluss Birgittas wird zu Unrecht marginalisiert: Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 248.

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graph stellte diese Lebensphase so dar, als eröffne ihr die Witwenschaft den Weg zur Heiligkeit in einer Klause. Jetzt kam auch der Seelenführer ins Spiel. Nach einigem Suchen überantwortete sie sich Johannes Marienwerder, der die vollständige Kontrolle über sie besaß, sogar über ihre Außenkommunikation. Johannes reichte ihr täglich die Kommunion, nahm ihr die Beichte ab und verzeichnete ihre Visionen. Insgesamt betrachtet, schildert die Vita germanica Dorothea als Vorbild, nicht als Ratgeberin oder gar Patronin. Sie war hier eine Heilige zum Anfassen und damit eine Identifikationsfigur für das ostdeutsche Bürgertum.33 Unzweifelhaft begann ihre Kultgeschichte bereits vor ihrem Tod, und zwar mit dem Zeitpunkt der Einmauerung in ihre Klause am Dom zu Marienwerder.34 Dies zeigen die Kanonisationsakten, die von Predigten und Anweisungen des preußischen Klerus sprechen, die auf die Reklusin hinwiesen. Dorotheas Leben in der Klause war zwar isoliert, aber nicht vollständig von der Welt abgeschirmt: Ihre Klause besaß kanonisch ein Fenster zum Außenbereich des Domes, über das Kommunikation möglich war.35 Das Interesse an einer Kanonisation war sofort nach ihrem Tod da, wie bereits an den Wunderjournalen, die von den Marienwerder’schen Kanonikern geführt wurden, deutlich wurde. Die erste Initiative zur Eröffnung des Heiligsprechungsprozesses ergriff bereits in Dorotheas Todesjahr 1394 ihr letzter Beichtvater: Johannes Marienwerder wandte sich bezeichnenderweise an den Prokurator36 des Deutschen Ordens in Rom, um ein Verfahren zu eröffnen.37 Die Bitte, der Papst möge eine Kommission einsetzen, die – wie üblich38 – das Leben, die Tugenden und die Gebetserhörungen der Kandidatin prüfen möge,39 wiederholte der Domdekan in der ersten Jahreshälfte 1395 und legte entsprechendes biographisches Material bei.40 Damit war der kenntnisreichste Akteur der Dorotheendevotion wohl auch von Anfang an der Motor des 33 Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 264. – Auch Mentzel-Reuters, der von einem „Laienpublikum“ spricht: Mentzel-Reuters: Das pomesanische Domkapitel (wie Anm. 10), 170. 34 Das berichtete bereits Dorotheas erster historisch-kritischer Biograph: Hipler: Meister Johannes Marienwerder (wie Anm. 3), 68. – Bestätigt auch Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 264f. 35 Der Bau der Klause folgte der Regel des Bischofs Aelred von Rievaulx von 1165, das ein Fenster zur Kirche, eines nach außen zur Reichung von Speisen und eines nach oben für die Luft- und Lichtzufuhr vorsah. Bereits Hipler berichtete vom Verkehr mit der Außenwelt: Hipler: Meister Johannes Marienwerder (wie Anm. 3), 68–69. – Die älteste deutsche Vita berichtet von Außenkontakten: Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 304. 36 Zum Ordensprokurator in Rom: Forstreuter, Kurt: Die Geschichte der Generalprokuratoren von den Anfängen bis 1403, Göttingen 1961. 37 Stachnik: Zum Schrifttum über Dorothea (wie Anm. 2), 63. 38 Sieger, Marcus: Die Heiligsprechung. Geschichte und heutige Rechtslage, Würzburg 1995, 64–68. – Samerski: Wie im Himmel (wie Anm. 20 ), 67–68. 39 Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), 498–501. 40 Stachnik: Zum Schrifttum über Dorothea (wie Anm. 2), 63.



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Verfahrens, der dann bald auch das meiste biographische Material lieferte.41 Vor allem aber auch der Bischof von Pomesanien, Johannes Mönch (1378–1409),42 war neben dem Beichtvater und Domdekan Johannes eine der treibenden Kräfte für den Heiligsprechungsprozess. Zu ihnen gesellten sich rasch die preußischen Bischöfe und Domkapitel – Deutschordenspriester zumeist –, ferner andere Geistliche und Gelehrte aus dem Ordensland sowie die höchsten Vertreter des Ritterordens.43 Mentzel-Reuters deutet diese Initiative als einen Vorstoß der reformwilligen Kräfte des Deutschen Ordens, die durch die moderne Prager Theologie beeinflusst waren.44 Vermutlich im September 1395 fand dann auf Initiative der Kurie von Marienwerder eine Besprechung der preußischen Bischöfe mit dem Hochmeister in der Marienburg statt, die als Ergebnis ganz augenscheinlich eine hochrangige Kanonisationsinitiative der Reklusin hervorbrachte.45 Denn schon am 25. September wurden vom Hauptsitz des Deutschen Ordens elf Petitionsschreiben an den Papst abgesandt, darunter von den dem Deutschen Orden inkorporierten preußischen Bischöfen und Domkapiteln, dem Domdekan von Marienwerder, den fünf Großgebietigern und dem Hochmeister des Ritterordens. Dadurch wurde der Kanonisationsprozess offiziell in die Wege geleitet und von der römischen Vertretung des Deutschen Ordens, dem Generalprokurator, begleitet. Diesem hatte wenige Monate später der Bischof von Pomesanien eine Unterstützung wegen der anfallenden Arbeit in Rom beigegeben: den Magister Bartholomäus de Novaria († 1405), Konsistorialadvokat der Römischen Kurie, der von 1391 bis 1405 als Anwalt des Deutschen Ordens in Rom tätig war.46 Selbstredend wurden auch die anstehenden Prozesskosten vom Ritterorden beglichen.47 Offiziell war der prozessrechtliche Actor der Causa damit auch der Deutsche Orden.48 Damit steht zweifelsfrei fest, dass die Causa Dorothea von Montau nichts anderes als eine Deutschordenscausa war und sie als Heilige des Ordens wie des Ordenslandes fungieren sollte. In einem Schreiben des Hochmeisters an seinen römischen Generalprokurator von 1404 wird dieser eigens gemahnt, sich eifrig für die Kanoni41 Stachnik: Zum Schrifttum über Dorothea (wie Anm. 2) , 60. – Neueste Studie ausführlich: Westphälinger: Der Mann hinter der Heiligen (wie Anm. 9), 57–62. 42 Geb. um 1340, am 16.2.1378 zum Bischof von Pomesanien ernannt, gest. am 7.2.1409: Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), 8 Anm. 70. 43 Vgl. dazu die Liste der Antragsteller für das Kanonisationsverfahren: Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), 509–539. 44 Mentzel-Reuters: Das pomesanische Domkapitel (wie Anm. 10), 157–175. 45 Druck: Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), 509–531. – Vgl. auch: Stachnik: Zum Schrifttum über Dorothea (wie Anm. 2), 79. 46 Ernennungsschreiben und zu seiner Identität: Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), 537. 47 Ebd., 543. 48 Der Actor der Causa ist derjenige, der den Prozess anstrengt, begleitet und bezahlt: Sieger: Die Heiligsprechung (wie Anm. 38), 77f.

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sation der Dorothea ins Zeug zu legen, da es dem Ordensoberen ein Herzensanliegen sei.49 Die anfallenden Kosten seien sofort auszulegen. Zu ergänzen ist, dass in den ersten Jahren des Verfahrens viel Geld aus dem Domkapitel von Marienwerder an die Marienburg zurückfloss, aber sicherlich nicht alles; außerdem waren die Domherren bekanntlich Deutschordensmitglieder!50 Neben diesen technischen Fragen gibt es aber auch eine inhaltliche Nähe zum Deutschen Orden, die bislang viel zu wenig berücksichtigt wurde: die Heiligen- und Reliquienverehrung der Dorothea – soweit wir darüber Bescheid wissen. Der von Anneliese Triller edierte Liber de festis,51 eine authentische Abhandlung über die Heiligenfeste und Frömmigkeitsübungen der Heiligen, zeigt ein deutliches Deutschordensprofil: Nicht nur, dass die Marienfeste breiten Raum einnehmen und in nahezu jedem Kapitel von marianischer Verehrung die Rede ist, auch für den Ritterorden so wichtige Heiligenfeste wie Katharina und Bartholomäus, vor allem aber Elisabeth von Thüringen, sind breit erwähnt. Ferner sind Passions- und Kreuzesfrömmigkeit dort zu finden – bei letzterer sogar mit dem Hinweis auf das Kreuzreliquiar in der Marienburg, das am Apostelfest der hll. Philippus und Jakobus (1. Mai) mit bedeutenden Ablässen dem Volk gewiesen wurde.52 So kann es nicht verwundern, dass Hochmeister Konrad von Jungingen in seinem Brief an den Patriarchen von Grado vom September 1395, in dem er ihn um Unterstützung der Causa bat, Dorothea als eine Frau der Vorsehung bezeichnete, die in schwierigen Zeiten „gegen die Verleumdung eine ganz treue Helferin und Patronin, gegen den Niedergang der Frömmigkeit eine Pflegetochter [alumna], gegen die Häresie eine unerschütterliche Säule, gegen die Hinterlist eine Mutter der Versöhnung gewesen sei“53. Dieser Hochmeister, der sich gern „als Schirmherr des ganzen Preußenlandes anreden“54 ließ, verfolgte mit der beabsichtigten Kanonisation eine vergleichbare Funktionszuordnung für Dorothea von Montau, selbstverständlich auf spiritueller Ebene. In einem gleichzeitigen Bittschreiben an den Kardinal und Erzbi49 Konrad von Jungingen an Peter von Wormditt, 16.1.1404: Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), 540: „Und was Ir gutis by der Canonizacio thun moget do by seit fleissig und tut euwir vermogen; do by do tut Ir uns libe“. 50 So gab es verschiedene testamentarische Nachlässe aus Pomesanien zugunsten des Prozesses: Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), 543. – Besonders unter Hochmeister Konrad von Jungingen flossen erhebliche Mittel aus der Zentrale: Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 327– 328. 51 Liber de Festis magistri Johannis Marienwerder. Offenbarungen der Dorothea von Montau. Bearb. v. Anneliese Triller unter Mitwirkung v. Ernst Borchert nach Vorarbeiten v. Hans Westphal, Köln u.a. 1992 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 25). 52 Triller: Liber de Festis (wie Anm. 51), 101. – Vgl. auch: Westphal: Die Geistesbildung der hl. Dorothea (wie Anm. 3), 41f. 53 Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), 532 (Jungingen an Patriach Grado, 11.9.1395). 54 Mentzel-Reuters: Das pomesanische Domkapitel (wie Anm. 10), 172.



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schof von Neapel bat der Hochmeister, sich für die Kanonisation der Dorothea einzusetzen aufgrund ihrer besonderen Frömmigkeit und Bußübungen sowie aufgrund der „maxima devocio populi“55. Das mag auf den ersten Blick einen prozessimmanenten Topos widerspiegeln,56 ebenso wie die Bemerkung des Hochmeisters, dass Dorothea bereits ein Jahr nach ihrem Tod in verschiedenen Teilen des Abendlandes Verehrung genoss.57 Solche Bemerkungen bilden aber nicht nur die besondere Fachkenntnis des Schreibers in kirchenrechtlichen Fragen und das tatsächlich vitale Interesse des Ritterordens ab, sondern ebenso die greifbare Realität: Der Orden, näherhin das ihm inkorporierte Domkapitel in Marienwerder und der zuständige Bischof von Pomesanien, ließ in den ersten Jahren nach Dorotheas Tod 243 Gebetserhörungen erfassen – sogenannte miracula –, die in die Kanonisationsakten einflossen. Unter ihnen waren auffallend viele Bekehrungen, Krankenheilungen und Hilfen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten.58 Wie bereits erwähnt, spricht schon die stattliche Anzahl solcher Begebenheiten – wie immer man sie auch bewerten mag – für einen hohen Bekanntheits- und Verehrungsgrad der Dorothea von Montau. Der gerade von Frau Hess besonders herausgestrichenen Bezeichnung preußische Patronin ist damit unzweifelhaft zuzustimmen, allerdings mit der Einschränkung, dass der gesamte Deutschordensstaat gar nicht involviert war, wie wir gleich sehen werden.59 In jedem Fall sind wir nicht nur über die regionale Verbreitung des Dorotheenkultes kurz vor und kurz nach 1400 durch die Prozessakten recht gut informiert, sondern auch über den sozialen Status der aussagenden Personen. Zeugen und Wunder kamen vor allem aus dem Bistum Pomesanien, näherhin aus seinem Zentrum.60 Für das Archidiakonat Pommerellen entfallen relativ wenige Zeugnisse, nämlich zwölf, die meist am Weichselstrom zu verorten sind (Danzig selbst weist relativ spärliche Belege auf, nämlich sechs). Aus dem Bistum Ermland stammen zwei Belege, aus Breslau und Paderborn je einer; aus dem gesamten preußischen Bistum Samland liegt kein einziger einschlägiger Vorgang vor. Ähnlich verhält sich der Proporz bei der geographischen Verteilung der Zeugenaussagen des Kanonisationsprozesses.61 Wir sehen also mit Deutlichkeit, dass die Dorotheendevotion in den ersten Jahrzehnten vom 55 Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), 534 (Jungingen an Erzbischof von Neapel, 11.9.1395). 56 Zur Heiligsprechung und deren Akteure im Hochmittelalter: Sieger: Die Heiligsprechung (wie Anm. 38), 70–82. 57 Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), 534. 58 Stachnik: Zum Schrifttum über Dorothea (wie Anm. 2), 82–83. – Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 252, 284–299. 59 Ziel ihrer Analyse ist die Herausarbeitung dieses Phänomens; deutlich: Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 329–331. 60 Vgl. hierzu die Karte über die Zeugenverteilung: Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), Karte 4 (nach 498). 61 Hierzu die entsprechende Karte: Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), Karte 2 (nach XXXII).

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Deutschen Orden und sehr überwiegend vom Bistum Pomesanien getragen wurde. Von einer Patronin Preußens bzw. der preußischen Bevölkerung zu sprechen, geht sicherlich über den greifbaren Tatbestand hinaus! Die soziale Dimension der Zeugenvernehmung, die zwischen 1404 und 1406 in Marienwerder durchgeführt wurde, zeigt eine große Mischung.62 Es sagten sehr viele Frauen aus, die der Oberschicht oder dem geistlichen Ambiente angehörten. Ähnliches ist von den Männern zu sagen, die als Zeugen fungierten; hier waren es naturgemäß zahlreiche Kleriker aus dem Deutschen Orden aber auch aus dem Weltklerus. Misst man die Zahl der Deutschordensbrüder an der preußischen Gesamtbevölkerung, so erhalten wir auch beim Proporz innerhalb der Zeugen einen relativ hohen Prozentsatz an Ordensmitgliedern. Neben sechs Kanonikern aus Marienwerder sagte auch der Hochmeister Konrad von Jungingen aus, der dies aus freiem Antrieb tat.63 Ferner lässt sich ein deutlicher Gegensatz zwischen Stadt und Land nicht ausmachen: Aus Marienwerder, anderen preußischen Städten und größeren Orten kam eine Vielzahl von Zeugen, ansonsten waren die ländlichen Regionen stark vertreten.64 Nach diesem fulminanten und konstruktiven Prozessauftakt, der von einer tatsächlich vitalen Verehrung zeugt, geriet dann der Prozess durch die politisch-militärischen Auseinandersetzungen ins Stocken, die sowohl den Kirchenstaat als auch Preußen schwer in Mitleidenschaft zogen.65 Es gilt auch zu bedenken, dass das in jenen Jahren bis 1417 andauernde Große Abendländische Schisma jede Prozessführung belastete. Im Kirchenstaat herrschte vielfach Krieg; der Papst und die Kardinäle weilten außerhalb der Ewigen Stadt, und auch der Ordensprokurator sah sich gezwungen, Rom zu verlassen und die Prozessakten in eine italienische Kleinstadt auszulagern.66 Eine zusätzliche Hypothek bedeutete das Konzil von Konstanz (1414–1418), auf dem große Vorsicht gegenüber verschiedenen Erscheinungsformen speziell der weiblichen Mystik geäußert wurde.67 Außerdem stieg gerade in jenen Jahrzehnten die Prozessdauer im Allgemeinen an, so dass sich eine Causa damit erheblich verteuerte und das mögliche Risiko des Misserfolges eines Verfahrens vergrößerte.68 Außerdem 62 Dazu: Liste der Zeugenvernehmungen: Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), XXXI–XLIII. – Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 287–295. 63 Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), 63–65. – Zur Aussage Jungingens detailliert: Mentzel-Reuters: Das pomesanische Domkapitel (wie Anm. 10), 171–172. 64 Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 276. 65 Vor allem die ältere Literatur hebt darauf immer wieder ab, während die jüngste von einem nachlassenden Interesse des Ordens spricht; zuletzt deutlich: Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 327f. 66 Der Dorotheenbote, Nr. 2, Herne 1952, 4. – Zum Schisma vgl. kurz: Frank, Isnard Wilhelm: Kirchengeschichte des Mittelalters, Düsseldorf 41997, 178–182. 67 Darauf macht aufmerksam: Westphälinger: Der Mann hinter der Heiligen (wie Anm. 9), 62. – Zum Konzil: Brandmüller, Walther: Das Konzil von Konstanz (1414–1418), Paderborn 21999 (Konziliengeschichte A 1). 68 Sieger: Die Heiligsprechung (wie Anm. 38), 78f.



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stellte der Tod der beiden tatkräftigen kooperierenden Promotoren69 und Beichtväter Johannes Ryman70 und Johannes Marienwerder im Jahr 1417 einen erheblichen Rückschlag für Devotion und Verfahren dar.71 Und schließlich wurde es der Ordensleitung bereits wenige Jahre nach der Zeugenvernahme geradezu unmöglich, den Prozess fortzusetzen: Die Schlacht von Tannenberg 1410 brachte die Herrschaft des Deutschen Ordens in Preußen an den Rand des Abgrunds und verursachte erhebliche politische wie wirtschaftliche Schwierigkeiten.72 Ende September 1410 besuchte der polnisch-litauische König Marienwerder und ließ sich dort die ehemalige Klause der Dorothea zeigen.73 Durch das ganze 15. Jahrhundert hindurch brachen in Preußen immer wieder Kriege aus. Dabei zeitigten vor allem die Folgen der militärischen Auseinandersetzungen von 1414/16 für das pomesanische Stiftsgebiet katastrophale wirtschaftliche Folgen,74 so dass es auch an einer finanziellen Basis für den teuren Kanonisationsprozess fehlte.75 Unter solchen gravierenden Voraussetzungen kamen sporadisch auftretende Initiativen des Ordens nicht mehr zur Wirkung. Es kann also keineswegs ein vermeintlich mangelndes Interesse des Ritterordens isoliert und für die nun folgende Prozessruhe verantwortlich gemacht werden, wie es in jüngster Zeit verschiedentlich getan wird. Das vorläufige Ende des Verfahrens ist grundsätzlich nicht monokausal zu erklären; im Fall der Dorothea von Montau sprach alles und von allen Seiten gegen einen Erfolg in jenen Jahren. Über die konkrete Verehrung haben wir dann wenig Nachrichten, allenfalls Kunstwerke und Drucke.76 Kultbilder von Dorothea hatte es in und um Marienwerder unzweifelhaft eine Menge gegeben, sogar kurz nach ihrem Tod in der Domkirche.77 69 Deutlich zuletzt: Mentzel-Reuters: Das pomesanische Domkapitel (wie Anm. 10), 162. 70 Domherr (1378 nachgewiesen), dann 1409 Bischof von Pomesanien. Zuletzt: Glauert: Domkapitel Pomesanien (wie Anm. 9), 479–486. 71 Westphälinger: Der Mann hinter der Heiligen (wie Anm. 9), 44f., 62. Zwar wurde Dorotheas Beichtvater Johannes Ryman 1409 Bischof von Pomesanien, doch die Kriegswirren ließen diesen Vorteil für den Prozess nicht zur Wirkung kommen. 72 Dazu kurz: Militzer, Klaus: Die Geschichte des Deutschen Ordens, Stuttgart 2005, 143–152. – Sarnowsky, Jürgen: Der Deutsche Orden, München 2007, 92–102. – Boockmann, Hartmut: Der Deutsche Orden. Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte, München 21982, 170–180. – Populär: Tumler, Marian/ Arnold, Udo: Der Deutsche Orden. Von seinem Ursprung bis zur Gegenwart, Bad Münstereifel 4 1986, 49–55. 73 Glauert: Domkapitel Pomesanien (wie Anm. 9), 143. 74 Glauert spricht hier von einem schweren wirtschaftlichen Rückschlag, der den ökonomischen Niedergang des Stifts einleitete: Glauert: Domkapitel Pomesanien (wie Anm. 9), 144–147. 75 Wirtschaftliche Folgen für den Orden: Sarnowsky: Der Deutsche Orden (wie Anm. 72), 73–76. 76 Über die Verbreitung des Kultes mittels Druckwerke informiert: Hörner: Dorothea von Montau (wie Anm. 1), 101–107. Dabei macht sie zwei verschiedene Richtungen aus: die nördliche (schlesischpreußischer Raum) mit hagiographischer Natur und die südliche (bayerisch-österreichischer Raum) mit stärkerer intellektuell-mystischer Ausrichtung. 77 Hipler: Johannes Marienwerder (wie Anm. 3), 88f.

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Wir wissen auch, dass der Domdekan Johannes Marienwerder sich um diese Art der Kultverbreitung verdient gemacht hatte. So gab er beispielsweise in Prag Gemälde in Auftrag, die die Herzauswechslung der Dorothea zeigten.78 Durch persönliche, freundschaftliche Kontakte des Domdekans wurde außerdem Nürnberg ganz früh mit Dorotheenschriftgut beliefert (Prager Magister Nikolaus).79 Vergleichbares gilt für die großen Städte Köln, Straßburg, Ulm und Lübeck. Um 1400 entwickelte sich dann im Deutschordensland ein besonderer Typ der Schreinmadonnen (Madonna, Gnadenstuhl, Schutzmantel), der mit der Spiritualität Dorotheas kompatibel war.80 Aus jener Zeit haben wir dann eine Anzahl von Schreinmadonnen (sieben sind bekannt), auf denen auch Dorothea abgebildet ist. Meist erscheint sie auf der Innenseite eines Flügels im Gefolge von Deutschordensvertretern. Mindestens eines dieser Kunstwerke stammt aus einem Deutschordenskonvent, nämlich aus Elbing.81 Außerdem wird Dorotheas Leben und Wirken im 15. Jahrhundert in zahlreichen chronikalen Aufzeichnungen des Ritterordens erwähnt.82 Die Breitenwirkung des Dorotheenkultes, die relativ rasch Raum griff, ist sicherlich auch ein Produkt des ersten großen neuzeitlichen Massenmediums, des Buches. Die vom Beichtvater Johannes Marienwerder verfasste Vita über das Leben, die Tugenden und die Gnadengaben der Dorothea kam in deutscher Sprache 1492 in Marienburg als erstes in Preußen gedrucktes Buch mit einem Holzschnitt heraus.83 Anzunehmen ist, dass es in den größeren städtischen Pfarreien und im wohlhabenden Bürgertum zu finden war. Der Kanonisationsprozess stockte indes unwiderruflich. Bis 1521 gab es vereinzelte Initiativen84 der Hochmeister und der pomesanischen Bischöfe, bis dann die Reformation und die Umwandlung des Ordensstaates in ein weltliches Territorium im Jahre 1525 jedem weiteren Bemühen um kultische Anerkennung ein Ende bereiteten.85 1485 versuchte Bischof Johannes IV. von Pomesanien (1485–1486) persönlich in Rom, den Prozess wieder in Gang zu bringen und erreichte immerhin, dass die Originalakten für den Papst transsumiert wurden. Im folgenden Jahr setzte sich der 78 Der Dorotheenbote, Nr. 16, Coesfeld 1962, 10. 79 Hörner weist nach, dass die älteste deutsche Vita die des Nikolaus Humilis von 1395 ist: Hörner: Dorothea von Montau (wie Anm. 1), 56–70. – Heß: Heilige machen (wie Anm. 4), 301–304. – MentzelReuters: Das pomesanische Domkapitel (wie Anm. 10), 167. 80 Zu diesem Kunsttyp jüngst: Radler, Gudrun: Die Schreinmadonnen des Deutschordenslandes Preußen. In: Terra sanctae Mariae. Mittelalterliche Bildwerke der Marienverehrung im Deutschordensland Preußen. Hg. v. Gerhard Eimer u.a., Bonn 2009, 199–212. 81 Ebd., 204. 82 Hörner: Dorothea von Montau (wie Anm. 1), 101–103. 83 Stachnik: Zum Schrifttum über Dorothea (wie Anm. 2), 76. 84 Auch zum folgenden: Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), 544–550. 85 Zur Umwandlung des Ordensstaates vgl. kurz: Militzer: Die Geschichte (wie Anm. 72 ), 156, 184. – Sarnowsky: Der Deutsche Orden (wie Anm. 72), 102–109. – Boockmann: Der Deutsche Orden (wie Anm. 72), 214–228. – Tumler/Arnold: Der Deutsche Orden (wie Anm. 72), 56–58.



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Hochmeister gegenüber seinem Prokurator und dem Papst dafür ein, den Heiligsprechungsprozess fortzusetzen. Auch für die anfallenden Kosten wollte die Ordensleitung einspringen.86 Auffallend an diesen Briefen ist, dass die Charakterisierung Dorotheas aus den Hochmeisterschreiben von 1395 wörtlich übernommen wurde. Ebenfalls skeptisch macht die zur Verfügung gestellte Summe, die keine zügigen Fortschritte im Kanonisationsprozess gewährleistete – angesichts knapper Kassen der Ordensleitung wenig verwunderlich!87 Der vorläufige Schlusspunkt der Reaktivierungsversuche bildete ein Schreiben vom Hochmeister Albrecht von Brandenburg-Ansbach (1511–1525) an seinen römischen Prokurator von 1521, den Dorotheenprozess nicht zu vergessen.88 Dann ruhten die Akten und das Interesse, und sogar die Verehrung kam nahezu zum Erliegen. Die Reformatoren löschten den Dorotheenkult aus, beseitigten 1544 ihr Grabmal im Dom zu Marienwerder und machten ihre Grabstätte unkenntlich, so dass bis heute weder Gruft noch Reliquien existieren.89 Mit der Ordensherrschaft im Preußenland ging auch das bislang zuständige Domkapitel von Pomesanien 1527 unter, so dass nun keine traditionelle Institution für die Weiterführung des Kanonisationsprozesses vorhanden war.90 Ein Reflex der politischen Bedeutung Dorotheas als preußische Patronin bietet die Chronik des westpreußischen Dominikaners Simon Grunau (um 1470–1531), der die als Heilige titulierte Klausnerin als Ziel einer litauischen Wallfahrt verzeichnete.91 Eine ähnliche Wertschätzung brachte ihr auch der erste historisch-kritische Geschichtsschreiber Preußens, Christoph Hartknoch (1644–1687), 1684 entgegen.92

Ausblick: Die neuzeitliche Dorotheendevotion Da die beiden dominierenden Protagonisten des Dorotheenkultes spätestens 1527 institutionell ausgefallen waren, blieb die nun eher regional bezogene Verehrung der Reklusin auf die katholischen Landeskinder beschränkt. Im katholisch gebliebenen

86 Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), 549f. Der Hochmeister stellte 500 bis 600 Gulden zur Verfügung. 87 Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), XXIII. – Prekäre Finanzsituation des Ordens: Boockmann: Der Deutsche Orden (wie Anm. 72), 210–211. 88 Stachnik: Akten des Kanonisationsprozesses (wie Anm. 2), 550. 89 Samerski, Stefan: Gibt es eine Patronin Ost- und Westpreußens? Das Leben und die Verehrung der Dorothea von Montau. In: Weichselland. Mitteilungen der Copernicus-Vereinigung für Geschichte und Landeskunde Westpreussens e.V., Münster 2/2010, 13–14, hier 13. 90 Ebd. Zum Untergang Pomesaniens: Glauert: Das Domkapitel (wie Anm. 9), 173–181. 91 Dazu ausführlich: Hörner: Dorothea von Montau (wie Anm. 1), 108–109. 92 Hörner: Dorothea von Montau (wie Anm. 1), 109–110.

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Bistumsgebiet Ermland wurde sie als Mutter verehrt und als Schutzpatronin in der Sterbestunde sowie als Helferin werdender Mütter angerufen.93 Aufgrund der Neuregelung94 der Heiligenverehrung unter Urban VIII. (1623– 1644) erklärte 1637 Bischof Johannes Lipski von Kulm (1635–1638), dass Dorothea so wie die anderen preußischen Heiligen sowohl privat wie auch kirchlich verehrt werde dürften.95 Er selbst hatte großes Interesse daran, sowohl Jutta von Sangerhausen (um 1210–1260)96 – einer Eremitin bei Kulmsee – als auch Dorothea formal zu kanonisieren, und zwar als Patrone Preußens. Außerdem ließ der Oberhirte große Feierlichkeiten zu Ehren der Marienwerderer Reklusin in Thorn und Kulmsee abhalten. Damit hatte Dorothea für die Katholische Kirche in etwa den Status einer modernen Seligen, der im reduzierten Maß kultische Ehren zuteil werden durfte. Von einer großen und sich ausweitenden Verehrung kann man jedoch auch für die nächsten Jahrhunderte nicht sprechen.97 Lipski ließ den Kult der beiden preußischen Frauen auch literarisch fördern. Er beauftragte die Gesellschaft Jesu, näherhin Pater Friedrich Szembek (Schembek) SJ (1575–1644), hagiographisches Material über Dorothea zu popularisieren. Pater Szembek veröffentlichte drei einschlägige Schriften über Dorothea (meist in polnischer Sprache) und empfahl mehrere Andachten zur Buße sowie zur Vorbereitung auf die hl. Kommunion und die Sterbestunde. Erst jedoch um die Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt der Dorotheenkult deutlichen Aufschwung und Ausweitung, die bis nach Schlesien und Böhmen spürbar waren – ausgelöst durch die Veröffentlichungen des ermländischen Kirchenhistorikers Franz Hipler: Seine Werke98 über Dorothea und Johannes Marienwerder weckten ein ungewöhnlich breites Interesse, das sich sogar in Gebetserhörungen niederschlug.99 Der zuständige Bischof Andreas Thiel von Ermland (1886–1908), in dessen Diözese die Pfarrei Groß-Montau und Marienwerder seit 1821 lagen, unterstützte den neuen Aufschwung nachhaltig, der nach dem Ersten Weltkrieg in jeder Hinsicht stark expandierte: Als wiederentdecktes Novum aus dem Mittelalter regte Dorothea in allen Regionen, vor allem aber in den östlichen Gebieten Deutschlands – allen voran in Schlesien und im ehemaligen Deutschordensland – Veröffentlichungen an. Die neue Bewegung erfasste nun auch Nichtkatholiken, Gelehrte und Volkskundler. Nach dem 93 94 95 96

Samerski: Gibt es eine Patronin (wie Anm. 89), 13–14. Dazu ausführlich: Sieger: Die Heiligsprechung (wie Anm. 38), 97–105. Samerski: Gibt es eine Patronin (wie Anm. 89), 14. Zuletzt: Röckelein, Hedwig: Jutta von Sangerhausen (um 1210–1260) – der gescheiterte Versuch einer Kanonisation? In: Global Player der Kirche? Heilige und Heiligsprechung im universalen Verkündigungsauftrag. Hg. v. Ludwig Mödl und Stefan Samerski, Würzburg 2006, 126–156. 97 Samerski: Gibt es eine Patronin (wie Anm. 89), 14. 98 Neben seinen Quelleneditionen vor allem seine Monographie über Johannes Marienwerder und Dorothea. 99 Auch zum Folgenden: Samerski: Gibt es eine Patronin (wie Anm. 89), 14. – Vgl. auch: Westphal: Dorothea von Montau (wie Anm. 1), 5.



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Vertrag von Versailles von 1919 waren ja vom Deutschen Reich gerade im Osten erhebliche Gebiete (Polnischer Korridor, Teile Ostpreußens, Ost-Oberschlesien) abgetrennt worden, so dass Dorothea nun wieder in der Gefährdungssituation als „preußische Heilige“ und „Patronin Preußens“ angerufen werden konnte. Bezeichnenderweise waren schlesische Katholiken, die rein zahlenmäßig den Gläubigen in Ostpreußen überlegen waren, diejenigen, die einen neuen Vorstoß in Rom zwecks Heiligsprechung unternahmen. Nun nahmen sich auch die zuständigen Bischöfe von Ermland und der neuen Diözese Danzig, zu der Groß-Montau seit 1922 gehörte,100 der Sache an und sandten ein Bittgesuch an den Hl. Stuhl. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es vor allem die heimatvertriebenen Ermländer und die Danziger, die 1950 den Dorotheenbund ins Leben riefen, um die religiösen und karitativen Kräfte der Gläubigen zu stimulieren und eine Identifikationsfigur nach Flucht und Vertreibung zu formen. Den Geistlichen des Dorotheenbundes ging es vor allem darum, Verweltlichung und Glaubenskälte entgegenzuwirken, aber auch die eucharistische Verehrung und den Sühnegedanken nach dem verheerenden Kriegsgeschehen durch die Heiligsprechung Dorotheas herauszustellen.101 Die Kultanerkennung der Dorothea von Montau als Heilige gelang dann am 9. Januar 1976 durch ein Schreiben von Papst Paul VI. (1963–1978).102 In den ursprünglichen Stätten ihrer Verehrung war zu jener Zeit der Dorotheenkult fast vollständig erloschen. Inzwischen sind neue Verehrungsspuren vor allem in Marienwerder und Groß-Montau sichtbar, gefördert durch den ersten Bischof der 1992 neuerrichteten Diözese Elbing (Elbląg): Bischof Andrzej Śliwiński. Er erhob Dorothea zur Mitpatronin des neuen Bistums und förderte dort den Kult tatkräftig. In der Elbinger Diözese sind bis heute einige Altäre und Kirchen der hl. Dorothea geweiht. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Über Dorothea von Montau sind wir fast ausschließlich durch Deutschordensquellen informiert. Ihre beiden Beichtväter waren als Mitglieder des Deutschen Ordens von Anfang an die wichtigsten Initiatoren, Promotoren und Hagiographen des Dorotheenkults und des einsetzenden Kanonisationsprozesses. Durch ihre persönlichen und ordenstechnischen Vernetzungen konnten sie für ein Ausstrahlen der Devotion bis Schlesien, Franken und Böhmen sorgen und die Spitze des Ritterordens für die Kanonisierung gewinnen. Hochmeister Konrad von Jungingen verfolgte sie mit persönlichem Interesse. Nach der Schlacht von Tannenberg kamen solche Bemühungen zum Erliegen – nicht aus mangelndem Interesse, sondern wegen der Ungunst aller beteiligten Faktoren. Die historische Dorothea ist ebenso schwer zu finden wie der historische Jesus. Nach den uns vorliegenden Dokumenten über ihr Leben und ihren Kanonisationspro100 Zur Danziger Bistumsgründung 1922/25: Samerski, Stefan: Die Katholische Kirche in der Freien Stadt Danzig 1920–1933. Katholizismus zwischen Libertas und Irredenta, Köln u.a. 1991. 101 Westphal: Dorothea von Montau (wie Anm. 1), 68. 102 Dekret in deutscher Übersetzung: Stachnik/Triller: Dorothea von Montau (wie Anm. 3), 145–148.

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Stefan Samerski

zess muß sie für das Mittelalter eindeutig als gewollte Heilige des Deutschen Ordens gelten und preußische Patronin nach der Intention der Actoren. Die Intensität ihrer Verehrung, die dokumentarisch belegbar ist, verweist allerdings nur auf das pomesanische Bistumsgebiet.

Klaus Militzer DIE VERZÖGERTEN WIRKUNGEN DER BRUDERSCHAFTEN IM OSTEN IM MITTELALTER Es mag einige Verwunderung erwecken, wenn ich zum Thema der verzögerten Wirkungen der Bruderschaften im Osten während des Mittelalters sprechen werde. Aber je mehr ich mich mit Bruderschaften beschäftigt habe, umso mehr bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass im Westen und Süden mit den Bruderschaften zusammenhängende Erscheinungen eher als in den angrenzenden Landschaften zu beobachten sind, dass man also von einer West-Ost-Richtung der Ausbreitung sprechen kann. Man könnte diese Richtung auch durch eine Süd-Nord-Verbindung ergänzen, da Italien früher als etwa das eigentliche Deutsche Reich Bruderschaftsformen entwickelt hat. Vorausschicken möchte ich ferner, dass ich mich in meinen Ausführungen auf Laienbruderschaften beschränke. Priesterbruderschaften schließe ich ebenso aus wie Zünfte, also vorwiegend handwerkliche oder sonstige gewerbliche Zusammenschlüsse. Eine scharfe Trennlinie ist allerdings, wie ich zugebe, nicht zu ziehen, weil Priesterbruderschaften vielfach Laien in ihre Organisationen aufgenommen und Zünfte oft oder fast immer religiöse Komponenten hatten, sich um den Tod und die Memorie ihrer Mitglieder kümmerten, oft auch Gottesdienste oder Grabstätten stifteten und anderes mehr. Ferner möchte ich eine weitere Bemerkung an den Anfang stellen, weil gerade in jüngster Zeit der polnische Priester Jan Wiśniewski in seinem Buch über die Bruderschaften in Pomesanien darüber geklagt hat, dass die Quellenlage für die Beschäftigung mit seinem Thema schlecht sei, jedenfalls was die mittelalterliche Überlieferung betreffe1. Das ist sicher so gewesen, aber keineswegs nur der Reformation zuzuschreiben, auch wenn die Reformatoren, an erster Stelle Luther selbst, Bruderschaften abgelehnt oder geradezu verteufelt haben2. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die alten Bruderschaftsbücher und -akten überflüssig, verkauft, vernichtet wurden oder sonst wie verschwunden sind. Aber auch in katholisch gebliebenen Gegenden ist die Überlieferung nicht immer so, dass wir als spät geborene Historiker darüber glücklich sein könnten. Man muss sich vielmehr vor Augen halten, dass die Bücher, die Urkunden und Akten einzelner Bruderschaften in den Händen der jeweils verantwortlichen 1 Wiśniewski, Jan: Pomezańskie bractwa religijne (do 1821 r.) [Religiöse Bruderschaften Pomesaniens (bis zum Jahr 1821)], Olsztyn 2007 (Biblioteka Wydziału Teologii Uniwersytetu WarmińskoMazurskiego 26), 9–13; vgl. auch die deutsche Zusammenfassung 209. 2 Luther, Martin: Werke, Bd. 2, Weimar 1884, 756. – Quellen zur Geschichte der Kölner Laienbruderschaften vom 12. Jahrhundert bis 1562/63, 4 Bde. Hg. v. Klaus Militzer, Düsseldorf 1997–2000 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 71), hier Bd. 1, XXXIVf.

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Meister blieben und allenfalls von ihnen auf deren Nachfolger übergegangen sind. Wurden sie nicht mehr benutzt, verschwanden sie auf den Dachböden, verrotteten, verbrannten oder gingen auf eine andere Weise verlustig. Denn diese handschriftlichen Dokumente waren Privatbesitz und gelangten nicht ohne weiteres in ein öffentliches Archiv3. Nach diesen eher einleitenden Bemerkungen komme ich zum eigentlichen Thema. Gewiss hat es Bruderschaften im früheren Mittelalter gegeben, aber sie haben sich mehr auf Gebetsgemeinschaften der Klöster und Stifte als auf Zusammenschlüsse von Laien bezogen4. Die Zeit zahlreicher Gründungen solcher Bruderschaften beginnt auch im Westen des Deutschen Reichs erst seit etwa 1300, wie ich beispielsweise für Köln ausführlicher dargelegt habe5. Das bedeutet nun aber keineswegs, dass sich in allen Städten in gleicher Weise das Bruderschaftswesen ausgebreitet habe. Es bedurfte vielmehr einer besonderen sozialen Disposition, der Bereitschaft der Bevölkerung, sich in Bruderschaften oder vergleichbaren Organisationen zu engagieren. Denn die uns interessierenden Bruderschaften entsprangen in den meisten Fällen, von Ausnahmen abgesehen, der Initiative von Laien und werden daher wohl mit einem gewissen Recht als Laienbruderschaften bezeichnet. Man hat die Pest, die in der Mitte des 14. Jahrhunderts Europa verheerte, für die Verbreitung der Laienbruderschaften verantwortlich gemacht. Dem kann ich nur unter Vorbehalt zustimmen. Diese grausame Krankheit traf die Menschen erst, nachdem Laienbruderschaften schon gestiftet worden waren. Die Pest und deren Auswirkungen haben jedoch zweifellos die Ausbreitung dieser Bruderschaften beschleunigt und der Verbreitung auch in den Osten Vorschub geleistet6. Die eigentliche Ursache für das Aufblühen des Bruderschaftswesens ist dagegen woanders zu suchen. Einer der wesentlichen Gründe für die Ausbreitung der Laienbruderschaften war die Entstehung einer bürgerlichen Lebensweise. In den Städten, nicht auf dem Land, entwickelte sich eine Schicht meist wohlhabender Menschen, die lesen und 3 Quellen (wie Anm. 2), Bd. 1, XVIIIf. 4 Hergemöller, Bernd-Ulrich: Bruderschaft. In: Lexikon des Mittelalters, Bd. 2, München und Zürich 1983, 738–740. – Remling, Ludwig: Bruderschaften in Franken, Würzburg 1986 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 35), 16–18. – Auch: Escher-Apsner, Monika: Mittelalterliche Bruderschaften in europäischen Städten. Funktionen, Formen, Akteure. In: Mittelalterliche Bruderschaften in europäischen Städten. Hg. v. Monika Escher-Apsner, Frankfurt am Main 2009 (Inklusion/Exklusion 12), 9–27. 5 Quellen (wie Anm. 2), Bd. 1, XXV–XXIX. Dazu: Herrmann, Hans-Walter, Spätmittelalterliche religiöse Bruderschaften im Westreich. In: Ein Eifler für Rheinland-Pfalz. Festschrift für Franz-Josef Heyen zum 75. Geburtstag am 2. Mai 2003, 997–1018. – Rubin, Miri: Corpus Christi, Cambridge 1991, 232–243. 6 Quellen (wie Anm. 2), Bd. 1, CXII–CXIV. – Militzer, Klaus: Genossenschaftliche und bruderschaftliche Organisationsformen im mittelalterlichen Köln. In: Mittelalterliche Bruderschaften in europäischen Städten. Hg. v. Monika Escher-Apsner, Frankfurt am Main 2009 (Inklusion/Exklusion 12), 143–157.



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auch schreiben konnten. Die Sozialstruktur in den Städten war vielfältiger als auf dem Land. Ferner predigten in diesen Städten nicht nur schlecht ausgebildete Priester, sondern durchaus gelehrte Personen, die an Universitäten teilweise sogar Theologie studiert hatten, wenngleich solches selten vorgekommen sein wird. Wichtiger war aber, dass in den Städten Bettelordenspatres in deutscher Sprache die Schrift auszulegen begannen, in erster Linie Franziskaner- und Dominikanerpatres. Mit ihren Predigten in der Volkssprache und teilweise in dem allen verständlichen Dialekt weckten und förderten sie das Interesse an theologischen und religiösen Fragen oder die sogenannte „Volksfrömmigkeit“. Ohne das städtische Leben und die Predigten der Bettelordensmönche, insbesondere der Dominikaner, ist der Aufschwung der Laienbruderschaften seit dem 14. Jahrhundert gar nicht zu erklären. Das gilt nicht nur für Köln und die Städte oder Städtchen am Niederrhein und im übrigen Deutschen Reich, sondern auch darüber hinaus im Westen und Süden Europas7. Nun ist zu betonen, dass die Stadtwerdung im westlichen Sinne mit einer Selbstverwaltung im Westen eher als im Osten aufgekommen ist. Deutschrechtliche Städte, wie man zu sagen pflegte, entwickelten sich im Osten erst im 13. Jahrhundert und konnten danach zu großen Städten aufblühen8. Danzig beispielsweise erreichte erst am Ende des 14. Jahrhunderts die Größe Lübecks. Allerdings ist das auch nur die halbe Wahrheit. Denn im Westen gab es ebenso wie im Osten Regionen mit zwar älteren, aber in der Entwicklung zurückgebliebenen Städten, Klein- oder Minderstädten. In ihnen haben Bruderschaften einen schweren Stand gehabt, wie beispielsweise Ludwig Remling für Franken dargelegt hat9 oder wie sich auch für das Rheinland, abgesehen von Köln, belegen lässt10. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Deutsche Orden im eigentlichen Preußenland östlich der Weichsel kaum Bettelordensniederlassungen oder solche anderer Orden zugelassen hat, wohl auch weil er Konkurrenz fürchtete und ihm Spenden verloren gehen könnten, die ihm im 14. und 15. Jahrhundert tatsächlich abhanden gekommen waren, weil die Gläubigen in dem Deutschen Orden nicht mehr den Heilsvermittler wie in der vorhergehenden Zeit sehen mochten. Auf die Hinweise von Herrn Oliński werde ich nicht mehr eingehen11. In dem 1309 hinzugekommenen Herrschaftsgebiet des Ordens westlich der Weichsel hat es ältere Ordensniederlassungen gegeben unter anderem die Zisterzienserklöster Oliva und Pelplin, aber auch das Dominikanerkloster in Danzig12. 7 8 9 10 11

Quellen (wie Anm. 2), Bd. 1, CXIV–CXVI Vgl. Pitz, Ernst: Europäisches Städtewesen und Bürgertum, Darmstadt 1991, 385f. Remling (wie Anm. 4), 213–347. Quellen (wie Anm. 2), Bd. 1, XXVf. Oliński, Piotr: Die Stiftungen in den großen preußischen Städten des ausgehenden 13. und des 14. Jahrhunderts. Eine erste Bilanz. In: Hansische Geschichtsblätter 121 (2003), 75–92. 12 Jasiński, Kazimierz: Stosunki kościelne. In: Historia Gdańska, Bd. 1, redigiert v. Edmund Cieślak. Gdańsk 1985, 281. – Lingenberg, Heinz: Die Anfänge des Klosters Oliva und die Entstehung der deutschen Stadt Danzig, Stuttgart 1982 (Kieler Historische Studien 30), 33–39.

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Gleichwohl hat der Deutsche Orden in diesem Gebiet neue Niederlassungen anderer Gemeinschaften zu verhindern gesucht. Diese Ordenspolitik mag die Ausbreitung von Laienbruderschaften im Herrschaftsgebiet des Deutschen Ordens verzögert haben, ganz unterbunden hat er es, wenn er es gewollt haben sollte, nicht. Aber diese Ordenspolitik hat wahrscheinlich die Entstehung von Laienbruderschaften zusätzlich verzögert oder zumindest dazu beigetragen. Ein anderer Punkt ist in die Diskussion einzubeziehen. In den größeren Städten des Preußenlandes, vor allem in Thorn13, Elbing14, dann auch Danzig15 und einigen anderen kleineren Städten16, auch in der Altstadt, Kneiphof und Löbenicht von Königsberg17 lebten Zuwanderer mit starken Banden in den Westen, nach Westfalen, dem Rheinland und anderen Gegenden18. Sie alle konnten auf diesem Wege von der religiösen Aufbruchstimmung in ihren Herkunftsstädten gehört und erfahren haben. Man wird diesen Aspekt nicht außer Betracht lassen dürfen, auch wenn er bislang wenig erforscht worden ist. Ich muss es bei diesem Hinweis belassen, weil ich in der mir zur Verfügung gestellten Zeit keine eigenen Forschungen habe anstellen können. Wahrscheinlich übersteigt ein derartiges Unternehmen auch die Kraft eines einzelnen Forschers. Inhaltlich ging es den mittelalterlichen Menschen in erster Linie um ihre Memorie, um die Fürbitten ihrer Angehörigen, der Mitmenschen und der Priester um ihr Seelenheil auch nach ihrem Tod. Gewiss hatten vor allem edle Herren und Frauen ihre Memorie in Klöstern und Stiften gesichert. Das war an sich nicht neu. Aber die Vermehrung des Totengedächtnisses führte zu Problemen innerhalb der geistlichen Institutionen, die an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, allein auch schon aus zeitlichen Gründen, stießen. Ferner lagen diese Institutionen meist weit außerhalb des Wirkungskreises der Bürger, die daher ihre eigenen Memorien fundierten, indem sie 13 Tandecki, Janusz: Probleme der Migration und der Integration der Neubürger in Thorn im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. In: Probleme der Migration und Integration im Preußenland vom Mittelalter bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Klaus Militzer, Marburg 2005 (Tagungsberichte der historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung 21), 54–62. 14 Czaja, Roman: Migration und Integration in die Stadt Elbing im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. In: Probleme (wie Anm. 13), 42–46. 15 Keyser, Erich: Die Bevölkerung Danzigs und ihre Herkunft im 13. und 14. Jahrhundert, Lübeck 1924, (Pfingstblätter des Hansischen Geschichtsvereins 15), 20–46. – Biskup, Marian: Migracje ludnościowe. In: Historia Gdańska (wie Anm. 12), 383–387. – Schwinges, Reiner Christoph: Die Herkunft der Neubürger. In: Neubürger im späten Mittelalter, Berlin 2002 (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 30), 306–398. 16 Długokęcki , Wiesław: Elita władzy miasta Malborka średniowieczu, Malbork 2004, 49–59. 17 Heckmann, Dieter: Zuwanderung und Integrationsprobleme in Königsberg in Mittelalter und früher Neuzeit. In: Probleme (wie Anm. 13), 73–78. 18 Insgesamt zu den Einwohnern der preußischen Städte: Penners, Theodor: Untersuchungen über die Herkunft der Stadtbewohner im Deutsch-Ordensland Preußen bis in die Zeit um 1400, Leipzig 1940, (Deutschland und der Osten 16), passim.



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beispielsweise Bruderschaften gründeten, in denen ihrer und ihrer Angehörigen, aber eben auch anderer Brüder und Schwestern nach deren Tod gedacht wurde. In Danzig mag die Dorotheenkapelle der Notare an der Marienkirche19 oder in der Thorner Neustadt die Marienbruderschaft als Beispiel dienen20. Reiche Leute konnten auch ihre eigenen Kapellen oder Altäre fundieren, in denen oder an denen nur ihrer und ihrer Familienangehörigen gedacht wurde. In Köln sind mehrere solcher Kapellen und Altäre nachzuweisen21, aber auch in Danzig gab es derartige Stiftungen. Man denke nur an die Ferberkapelle in der Marienkirche oder die Messstiftungen der Familie Lowenburg 1373 und 137922. Wie das Totengedächtnis im Einzelnen ausgestaltet war, ist mangels Quellen nicht immer klar zu erkennen. Man wird aber wie in Köln und im Westen davon ausgehen können, dass auch die Bruderschaften in preußischen Städten keine Einheit bildeten, sondern unterschiedlich vorgegangen sind23. Hin und wieder ist bezeugt, dass alle Namen verstorbener Brüder und Schwestern am Bruderschaftstag verlesen wurden, andere begnügten sich damit, ein Totenbuch auf den Altar zu legen und so das Gedenken zu gestalten. Möglicherweise wurden auch nur die Namen der zuletzt Verstorbenen laut vorgetragen. Das alles sollte im Einzelfall geprüft werden, weil eine generelle Aussage schlicht unmöglich ist. Allerdings haben sich im Gegensatz zu Köln und anderen katholisch gebliebenen Gegenden die Verhältnisse in Preußen insofern geändert, als die Reformation Bruderschaften in unserem Sinn überflüssig und damit ihr Schriftgut wertlos machten. In Preußen ist infolgedessen mehr als in Köln oder anderen katholischen Regionen verloren gegangen. Auf die Klage besonders des Priesters Wiśniewski ist schon hingewiesen worden24. Bruderschaften haben in größerem Umfang als Privatpersonen für die Vermehrung der Messen in den Pfarr-, Stifts- oder Klosterkirchen gesorgt25. Da die Pfarrkir19 Simson, Paul: Geschichte der Stadt Danzig, Bd. 1, Danzig 1913, 87; Bd. 4, Danzig 1918, 63f. Nr. 194. 20 Czacharowski, Antoni: Die Bruderschaften der mittelalterlichen Städte in der gegenwärtigen polnischen Forschung. In: Bürgerschaft und Kirche. Hg. v. Jürgen Sydow, Sigmaringen 1980 (Stadt in der Geschichte 7), 35f. 21 Vgl. beispielsweise Schmid, Wolfgang: Stifter und Auftraggeber im spätmittelalterlichen Köln, Köln 1990 (Veröffentlichungen des Kölnischen Stadtmuseums 11), mehrfach. 22 Simson: Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 19), 88, Bd. 4, 58f., Nr. 100. 23 Czacharowski (wie Anm. 20), 34–36 (für Thorn). – Zaremska, Hanna: Bractwa w średniowiecznym Krakowie studium form społecznych życia religijnego [Bruderschaften im mittelalterlichen Krakau. Eine Studie über die Formen des religiösen Lebens], passim (für Krakau), vgl. dazu das ausführliche Referat von Czacharowski (wie Anm. 20), 30–32. 24 Oben Anm. 1; vgl. dagegen die doch recht gute Überlieferung der Marienbruderschaft in der Thorner Neustadt: Czacharowski (wie Anm. 20), 35. 25 Militzer, Organisationsformen (wie Anm. 6), 149f. – Militzer, Klaus: Laienbruderschaften in Köln in Spätmittelalter und früher Neuzeit. In: Kölnische Liturgie und ihre Geschichte. Hg. v. Albert Gerhards und Andreas Odenthal, Münster 2000 (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen / Veröffentlichungen des Abt-Herwegen-Instituts der Abtei Maria Laach 87), 232–237.

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che für die Gläubigen eine besondere Rolle als Mittelpunkt des Lebens, der Taufe, der Firmung, der übrigen Sakramente und der Aussegnung spielte, ist sie in besonderem Maß Sitz einer oder auch mehrerer Bruderschaften gewesen, die dafür sorgten, dass neue Messen oder wenigstens eine neue Bruderschaftsmesse gelesen wurde26. Es ist wiederum nicht so gewesen, dass eine Bruderschaft stets einen eigenen Altar fundiert hatte, sondern es kam durchaus vor, dass ein schon bestehender Altar für eine Bruderschaft ausgesucht wurde, an dem dann neben anderen Messen auch die der Bruderschaft gelesen wurde. Reiche Bruderschaften konnten auch eine eigene Kapelle mit einem darin eingerichteten Altar stiften und unterhalten. Die Variationsbreite war also kaum eingeschränkt. Gewiss müssen wegen der Einrichtung einer Bruderschaftsmesse Gespräche und Verhandlungen mit dem Pfarrer geführt worden sein. In der Regel wissen wir darüber wenig, weil sie wohl meist nur mündlich getätigt worden sind. Wenn ein Vertrag einmal schriftlich festgehalten wurde, handelte es sich meist um rechtliche oder finanzielle Regelungen, beispielsweise um Stolgebühren, um Tauf- oder Beerdigungsrechte, Teilnahme der Altaristen an den Aufgaben des Pfarrers und anderes27. Zum Totengedächtnis gehörte auch, dass viele Bruderschaften über eigene Bahren oder Bahrtücher verfügten, die sie während der Aussegnung über den Leichnam ausbreiteten. Solche Bahren oder Bahrtücher waren für die Bruderschaftsmitglieder in der Regel umsonst, konnten gelegentlich auch an Nichtmitglieder gegen eine bestimmte Gebühr verliehen werden. In der Regel hatten Bruderschaftsmitglieder oder die Bruderschaft selbst Kerzen gestiftet, die um die Bahre oder den Leichnam gestellt und angezündet wurden. In vielen Bruderschaftsstatuten wurde auch geregelt, dass und wie die Brüder und Schwestern den Leichnam von dessen Hause zur Kirche zu begleiten hatten28. Jedoch ist ein derartiges Brauchtum nicht unbedingt spezifisch für Laienbruderschaften, sondern findet sich in den meisten Handwerksorganisationen. Bruderschaften haben früher oder später in den Kirchen der reicheren oder ärmeren Pfarreien, Klöster und Stifte den Gottesdienst vermehrt oder feierlicher gestaltet. Das geschah nicht nur in der Stiftung von Messen, Altären und Kapellen, sondern auch durch die Anschaffung von Altarretabeln, -bildern, -decken, den Kelchen und Patenen, die für die Ausgestaltung des Gottesdienstes erforderlich waren. Bruderschaften gaben Aufträge an Maler, Bildschnitzer, Goldschmiede und andere Handwerker, die teilweise kleine Kunstwerke geschaffen haben, die uns heute noch entzücken. Im Westen vor allem im Rheinland wurden im 15. Jahrhundert Altarretabeln angeschafft, 26 In Polen spielten die Pfarrkirchen für die Bruderschaftsstiftungen eine besonders große Rolle, was man im Westen so nicht bestätigen kann. 27 Vgl. beispielsweise die Marienbruderschaft in Goslar am Harz: Militzer, Klaus: Bruderschaften als Ausdruck der Volksfrömmigkeit. Das Beispiel Goslar. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 77 (2005), 136–139. 28 Quellen (wie Anm. 2), Bd. 1, LXXX–LXXXII.



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die meist in Antwerpen hergestellt worden sind29. Im Osten wird man derartige Kunstprodukte seltener finden. Ob man das allein mit Kosten erklären kann oder ob andere Gründe ausschlagend gewesen sein mögen, ist eine Frage, die ich bislang nicht beantworten kann. Immerhin findet man in den Bruderschaftsbüchern und den Rechnungen entsprechende Hinweise auf Ausgaben, die nicht nur im Rheinland, sondern auch in anderen Gegenden weiterführende Antworten geben können. Nicht zu vergessen sind die für die Liturgie notwendigen Messgewänder, die Bruderschaften ihren Priestern zur Verfügung stellen mussten. Je nachdem wie reich eine Bruderschaft war, umso edlere Stickereien zierten die Gewänder. Auch dergleichen findet sich in den Rechnungen der Bruderschaft, weil die Kosten dafür abgerechnet werden mussten. Bruderschaften hatten zum Teil ihre eigenen Prozessionen und sei es auch nur in der betreffenden Kirche selbst. Meist findet man darüber Angaben am Bruderschaftstag, also an dem Tag, an dem auch des Patrons der Bruderschaft gedacht wurde. Aber Bruderschaftsmitglieder reihten sich auch ein, wenn eine die gesamte Bevölkerung einer Stadt umfassende Prozession begangen wurde30. Nicht nur im Westen, sondern auch im Osten waren die Bruderschaften dann ein Teil der städtischen Bewohner31. Die Stelle in der Prozession bildete sozusagen den Wert in der Stadt ab. Der Platz blieb oft umkämpft. Jedoch hielten die meisten Bruderschaften an ihrer Einordnung zäh fest, um zumindest einer Schlechterstellung zu entgehen. Einzelne Bruderschaften hatten eigene Begräbnisstätten in der Kirche ihrer Wahl oder unterhielten den Totengräber, ein Beinhaus oder anderes. Bruderschaften haben sich vielfach der Armenfürsorge gewidmet. Entweder gaben sie Reste ihrer Bruderschaftsmähler Armen, unterstützten Arme in ihrer Nachbarschaft oder halfen beim Unterhalt von den zahlreichen Hospitälern, vor allem der größeren Städte. Solche Tätigkeiten sind schon vor dem Verdikt Luthers zu beobachten, der die Mähler und die Zusammenkünfte der Brüder als Geldverschwendung hinstellte und forderte, dass die Mittel den Armen oder Hospitälern zur Verfügung gestellt werden sollten32. Alle diese Aufgaben der Laienbruderschaften finden sich im Westen wie zum großen Teil auch im Osten33. In den großen Städten des Westens, also Köln, Lübeck, aber 29 Militzer, Klaus: Bruderschaften als Auftraggeber für Kunsthandwerker. In: Der Niederrhein und die Alten Niederlande. Hg. v. Barbara Rommé, Kalkar 1999 (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar 9), 35–51. 30 Militzer, Klaus: Bürgerliche Repräsentation in Köln während des 12. bis 15. Jahrhunderts. In: Europäische Städte im Mittelalter. Hg. v. Ferdinand Opll und Christoph Sonnlechner, Wien 2010 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 52), 256–260. – Isenmann, Eberhard: Die deutsche Stadt im Spätmittelalter. Stuttgart 1988, 224f. – Schmieder, Felicitas: Die mittelalterliche Stadt, Darmstadt 2005, 122f. 31 Für Krakau vgl. den Bericht von Czacharowski (wie Anm. 20), 31. 32 Luther (wie Anm. 2), Bd. 2, 756. 33 Vgl. Czacharowski (wie Anm. 20), 27.

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auch Hamburg oder in Gent und Brügge, um von anderen westlichen oder südlichen Städten abzusehen, sind solche Organisationsformen der Laien früher als im Osten festzustellen. Das ist den schon angeführten Gründen, der früheren Verstädterung, den Dominikanern und anderen Bettelorden, die eher im Westen als im Osten tätig geworden sind, zu verdanken. Berücksichtigt man die Verspätung im Osten auf Grund dieser Entwicklungen, finden sich im Osten wie Westen kaum Unterschiede. Im 15. Jahrhundert spätestens hat der Osten, abgesehen von früheren Entwicklungen in den größeren Städten dieser Region, aufgeholt. Allerdings haben die Städte im Osten nie die Zahl der im Westen tätigen Bruderschaften erreicht. Im Osten scheint auch die Pfarrkirche eine größere Rolle als im Westen gespielt zu haben. Es ist aber nochmals zu betonen, dass es auch im Westen Regionen gegeben hat, die Entwicklungshemmnisse aufgewiesen haben. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf etwas anderes verweisen. Bruderschaftsbücher wurden meist von hauptamtlichen Schreibern hergestellt. Sie hielten sich an die Schreibgewohnheiten der Region, in der sie gelernt hatten und ausgebildet worden waren. Sie übten einen gewissen Kanzleistil und nahmen vielfach auch Dialekteigentümlichkeiten ihrer Ausbildungsregion oder der Gegend an, in der sie tätig waren. Die Rechnungsbücher dagegen wurden von den jeweiligen Bruderschaftsmeistern, sofern sie lesen und schreiben konnten, selbst geführt. In solchen Fällen findet man oft schwer leserliche Texte, weil die Meister in der Regel des Schreibens ungeübt waren und in keiner Kanzlei im Schönschreiben ausgebildet worden sind. Ferner haben solche Meister vielfach Dialekteigentümlichkeiten ihrer jeweiligen Herkunftsregion beibehalten. Solche Beobachtungen sind für Stadthistoriker von ungeahnter Bedeutung, weil sie sozusagen am Objekt die Möglichkeit eröffnen, die Integrationsleistung einer städtischen Gesellschaft zu beleuchten34. Die Bruderschaftsmeister führen mich zur Zusammensetzung der Bruderschaften selbst, die keineswegs ein Spiegelbild der damaligen bürgerlichen Gesellschaft gewesen sind. In den größeren Städten gab es vielmehr sehr vornehme Bruderschaften, die vielfach einen numerus clausus hatten und nur Angehörige der führenden Schichten zuließen. Gelegentlich wurde die Zulassung auch über Beiträge und Eintrittsgelder geregelt, die sich nur reiche Personen leisten konnten. Die Möglichkeiten zum Ausschluss unliebsamer Männer und Frauen waren vielfältig und sind nicht ohne weiteres auf einen Nenner zu bringen. In Köln beispielsweise gab es eine Jakobsbruderschaft der Jakobspilger, die nur solche Personen aufnahm, die nach Santiago de Compostela gepilgert waren35. In anderen Orten existierte eine solche Pilgerbruderschaft nicht, auch wenn gelegentlich das Gegenteil behauptet wird. Im Osten scheint es eine ana34 Diese Beobachtung stützt sich auf meine Bearbeitung der Bruderschaftshinterlassenschaften in Köln: Quellen (wie Anm. 2), Bd. 1–4. 35 Quellen (wie Anm. 2), Bd. 1, 478–492. – Militzer, Klaus: Jakobsbruderschaften in Köln. In: Rheinische Vierteljahrsblätter 55 (1991), 103–110.



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loge Zusammensetzung der Bruderschaften wie im Westen gegeben zu haben. Die Bruderschaften blieben auch dort exklusiv36. Bruderschaften unterschiedlicher Exklusivität nahmen auch Frauen auf, meist Ehefrauen der Männer, die der jeweiligen Bruderschaft bereits beigetreten waren. Diese Schwestern kamen in den Genuss der memoria, des Totengeleits, und des Begräbnisses wie die Männer auch. Jedoch lassen sich nach meinen Recherchen relativ wenige Frauen in den Bruderschaften nachweisen. Derartige Organisationen blieben die Domäne der Männer, was sich auch schon darin zeigt, dass die Leitung der Genossenschaften Männern vorbehalten blieb. Männer stellten die Meister, schrieben die Rechnungen und bekleideten eventuell weitere Ämter. Wirkliche Zusammenschlüsse von Frauen hat es wohl erst im 16. Jahrhundert in Italien gegeben, um die Mitte des genannten Jahrhunderts in Bologna und später in Neapel37. Jedenfalls lassen sich derartige Zusammenschlüsse weder in Krakau noch in Danzig belegen. Ein weiterer Punkt, der den Westen oder zumindest die großen westlichen Städte, insbesondere Köln, von denen im Osten trennt, ist die allerdings nicht oft zu beobachtende Tatsache, dass die Brüder in Köln und vereinzelt in anderen Städten die von ihnen angestellten Priester kontrollierten, vor allem deren Lebenswandel beobachteten und beurteilten. Denn wenn der Lebenswandel eines Priesters zu wünschen übrig ließ, war er als Mittler zwischen Gott und den Menschen oder den Brüdern untauglich. Das konnte auch für die kirchlichen Institutionen gelten, an denen die Brüder ihre Organisation angeschlossen hatten. Wenn die Brüder der Meinung waren, dass ihr Priester oder ein Stift oder Kloster nicht mehr den Ansprüchen genügte, entließen sie den Priester als ihren Altaristen oder verlagerten das Zentrum ihrer Bruderschaft in die Kirche einer anderen Institution. Dabei ging es nicht um Ketzerei. Vielmehr verzichteten die Brüder auf die Austeilung der Sakramente und anderes und hielten sich dafür den geweihten Priester, den sie aber gleichwohl kontrollierten. Eine Sonderentwicklung wie die Rosenkranzbruderschaft findet sich im Osten zunächst nicht38. 1475 wurde diese Bruderschaft vom Dominikanerprior Jakob Sprenger ins Leben gerufen und fand sehr schnell eine weite Verbreitung im Westen. Die dahinter stehende Idee war, dass nicht Beiträge, sondern Gebete ausschlaggebend sein sollten. Wer sich an den Gebeten beteiligte, durfte hoffen, dass er auch der Gebete der übrigen Bruderschaftsmitglieder teilhaftig werde. Freilich war Jakob Sprenger einer typisch mittelalterlichen Auffassung verhaftet, die seinem Modell Schwung verlieh. Er und seine Propagandisten meinten nämlich, dass Gott eine große Zahl an Gebeten nicht überhören könne. Dennoch war die Bruderschaft, die ohne eine große Organisation auskam, etwas Neues. Noch etwas war neu. Dadurch, dass die Mitglieder keine Beiträge zu entrichten hatten, wurden vor allem Frauen angesprochen, die nicht mehr 36 Czacharowski (wie Anm. 20), 31f. 37 Militzer, Organisationsformen (wie Anm. 6), 153. 38 Zum folgenden: Quellen (wie Anm. 2), Bd. 1, 507–529 und CXIX–CXXII.

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die Erlaubnis ihrer Männer des Geldes wegen einholen mussten. So zeigen denn auch die einzig erhaltenen mittelalterlichen Listen aus Colmar im Elsass, dass eine große Zahl an Frauen und Armen beigetreten ist. Jakob Sprenger hat seine Stellung als Prior der Provinz Teutonia, also West- und Süddeutschlands, ausgenutzt. In diesem Bereich hat sich die Bruderschaft, unterstützt von den dortigen Dominikanern, ausbreiten können. Dagegen finden sich in der Provinz Saxonia nur wenige mittelalterliche Rosenkranzbruderschaften und in der Provinz Polonia, zu der schließlich auch die Niederlassungen im Preußenland zählten, gar keine. Eine analoge Entwicklung nahm eine Ursulabruderschaft, die die Kartäuser 1476 in Straßburg ins Leben riefen und „Ursula-Schiffchen“ nannten39. Diesen mehr oder weniger offenen Bruderschaften gesellten sich in Köln zwei weitere Bruderschaften mit einem vergleichbaren Anliegen an, und zwar eine um 1500 von Antonius Swolgen, dem Pfarrer von St. Paul in Köln, gestiftete Paulsbruderschaft und eine 1538 gegründete Marienbruderschaft am Kölner Kartäuserkloster zu. Beiden war ebenso wenig wie der Ursula-Schiffchen-Bruderschaft eine weite Verbreitung vergönnt. Jan Wiśniewski hat mit seiner Behauptung sicher recht, dass das Bruderschaftswesen in fast allen Städten im Westen wie im Osten im 16. Jahrhundert einen Einbruch erlitten hat. Die meisten Reformatoren mit Luther an der Spitze verdammten die Bruderschaften, die folglich vor allem in den Territorien, in denen die Reformation siegreich war, früher oder später abgeschafft wurden. An ihre Stelle traten andere Organisationsformen. Aber auch in den katholisch gebliebenen Gegenden änderten sich die Bruderschaften. Manche starben aus, andere blieben allerdings bestehen und behielten ihre Feiern bei, als sei wenig geschehen. Aber spätestens seit dem Tridentinum 1545–1563 änderte sich auch im katholischen Bereich das Bruderschaftswesen vor allem unter dem Einfluss der Jesuiten und ihrer Sodalitäten. Es muss wohl nicht betont werden, dass dieser Einfluss, der aus dem Westen kam, den Rhein beispielsweise eher als die Weichsel erreichte. Aber das ist ein neues Thema, zu dem auch wieder mehr Material aus dem Preußenland selbst vorliegt.

39 Schnyder, André: Die Ursulabruderschaften des Spätmittelalters, Bern und Stuttgart 1986 (Sprache und Dichtung 34), 42–44. – Militzer, Klaus, Ursulabruderschaften in Köln. In: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 66 (1995), 43–45.

Edith Feistner DER DEUTSCHORDENSSTAAT ALS LITERARISCHER KATECHESESCHAUPLATZ Schondochs Erzählung „Der Litauer“ (mittelhochdeutscher Text mit neuhochdeutscher Übersetzung) Neben literarischen Zeugnissen religiöser Laienbildung wie der mit dem Deutschen Orden verbundenen bzw. im Deutschordensstaat Preußen überlieferten volkssprachlichen Bibeldichtung und Hagiografie oder einer laienkatechetischen Dichtung von der Art der „Siben ingesigel“ Tilos von Kulm verdient auch eine Verserzählung erwähnt zu werden, in der das Deutschordensland, insbesondere die Stadt Thorn/Toruń, selbst zum Schauplatz einer spektakulären Katechese gemacht wird, sich das Thema dieser Tagung also gleichsam im literarischen Gewand wiederfindet: Es handelt sich dabei um die Verserzählung „Der Litauer“ des ansonsten nur noch durch eine zweite Verserzählung, „Die Königin von Frankreich“, bekannten alemannischen Autors Schondoch aus dem 14. Jahrhundert. Schondoch projiziert die erzählte Geschichte an die preußisch-litauische Front und greift so die Heidenkampf-Konstellation auf, wie sie für die Geschichtsschreibung des Deutschen Ordens, aber auch für die wenigen außerliterarischen Referenzdaten der im Deutschen Orden überlieferten Bibeldichtung prägend ist. Trotz seiner elaborierten literarischen Inszenierung ist der Text lange eher in der geschichtswissenschaftlichen als in der germanistischen Forschung auf ein gewisses Interesse gestoßen. Schon die Tatsache, dass er 1968 unter den „Geschichtsquellen der Preußischen Vorzeit“ in der Reihe der „Scriptores Rerum Prussicarum“ herausgegeben worden ist, illustriert das.1 Udo Arnolds aus diesem Jahr datierender Appell an die Germanistik, sich mit Schondochs „Litauer“ näher zu befassen,2 fand mit Ausnahme von Manfred Caliebes Beitrag von 1973, der seinerseits jedoch Ar1 Zitiergrundlage: Der Litauer von Schondoch. In: Scriptores Rerum Prussicarum. Die Geschichtsquellen der Preußischen Vorzeit. Bd. 6. Hg. v. Walther Hubatsch, bearb. v. Udo Arnold, mit einer Einleitung v. Erich Maschke, Frankfurt a. M. 1968, 50–60. Diese Ausgabe basiert ihrerseits auf der Edition von Heinrich Heintz: Schondochs Gedichte. Breslau 1908 (Germanistische Abhandlungen 30), 42–55, die die eher ‚literarische’, philologisch aber bis hin zur Autorzuschreibung fehlerhafte Ausgabe durch Josef Freiherr von Lassberg zu ersetzen suchte („Ein schoen und anmuetig Gedicht, wie ein heidescher Küng, genannt der Littower, wunderbarlich bekert und in Prüssenland getoufft ward. Vor mer den fünfhundert Jaren durch Bruoder Hugen von Langenstein, tütsch Ordens Komturen uf der Maygen Owe im Bodensee, also in Reimen gepracht, und jetzt zum erstenmal, gueten Fründen zu Lust und Lieb, ans Liecht gestellt durch Maister Seppen von Eppishusen, einen farenden Schueler“, Konstanz 1826). 2 Vgl. Udo Arnold: Einleitung zu: Der Litauer von Schondoch (wie Anm. 1), 52.

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nolds kommentierte Ausgabe des „Litauers“ von 1968 nicht zur Kenntnis genommen hatte,3 erst in jüngerer Zeit ein Echo.4 Der Appell des Historikers an die Philologen war – wiewohl er nicht zu einer Bestätigung des von Arnold vermuteten „historischen Gehalts“5 geführt hat – in Anbetracht des literatur- und geschichtswissenschaftlich relevanten Erkenntnispotenzials, das dieser kleine, aber feine Text hat, durchaus berechtigt. In diesem Sinn möge die unten folgende Synopse von mittelhochdeutschem Text und neuhochdeutscher Übersetzung6 nicht nur als literarisches Rahmenprogramm verstanden sein, sondern auch als Beitrag zum interdisziplinären Dialog dieser Tagung. „Der Litauer“ ist heute unikal in der Handschrift cod. B VIII 27 (304va–307rb) der Universitätsbibliothek Basel erhalten und dort mit der voluminösen Versdichtung über die hl. Martina (1ra–292vb), die der Deutschordensbruder Hugo von Langenstein verfasst hat, und mit der sog. „Mainauer Naturlehre“ (293ra–204rb) vergesellschaftet. Hugos von Langenstein „Martina“ und die „Mainauer Naturlehre“ sind nach aktuellem Stand kodikologischer Forschung am Anfang des 14. Jahrhunderts von der Hand des Schreibers Konrad von St. Gallen kopiert worden, während den „Litauer“ eine spätere Hand um 1400 eingetragen hat.7 Dass die Handschrift zwar nicht aus einer Deutschordenskommende hervorgegangen, aber doch für eine Deutschordenskommende (eventuell Beuggen) angefertigt worden ist, gilt, wenngleich „nicht restlos gesichert“, zumindest als „sehr wahrscheinlich“8. Ob bzw. inwiefern Schondoch selbst mit dem Deutschen Orden in Beziehung stand, ist unbekannt. Arnolds Vermutung, der Verfasser des „Litauers“ sei ein Deutschordenspriester der Ballei Elsass-Burgund 3 Schondochs rede von der Bekehrung des Litauers. In: Festschrift für Gerhard Cordes zum 65. Geburtstag. Hg. v. Friedhelm Debus und Joachim Hartig. Bd. 1, Neumünster 1973, 23–52. 4 Vgl. Palmer, Nigel F./Schiewer, Hans-Jochen: Literarische Topographie des deutschsprachigen Südwestens im 14. Jahrhundert. In: Regionale Literaturgeschichtsschreibung. Hg. v. Helmut Tervooren und Jens Haustein, Berlin 2003 (ZfdPh, Sonderheft zum Bd. 122), 178–202, insbes. 192–195. – Feistner, Edith: Selbstbild, Feindbild, Metabild: Spiegelungen von Identität in präskriptiven und narrativen Deutschordenstexten des Mittelalters. In: Forschungen zur deutschen Literatur des Spätmittelalters. Festschrift für Johannes Janota. Hg. v. Horst Brunner und Werner Williams-Krapp, Tübingen 2003, 141–158, insbes. 154–158. – Stolz, Michael: Kommunion und Kommunikation. Eucharistische Verhandlungen in der Literatur des Mittelalters. In: Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit. DFG-Symposion 2006. Hg. v. Peter Strohschneider, Berlin/New York 2009. 5 Einleitung zu: Der Litauer von Schondoch. In: Scriptores Rerum Prussicarum (wie Anm. 1), 51. 6 Der Übersetzungstext folgt – mit leichten, dem synoptischen Abdruck geschuldeten Anpassungen an den mittelhochdeutschen Wortlaut – meiner „einsprachigen“ modernen Übersetzung, die als Bestandteil der Jubiläumsfeier „Musik und Literatur des 13. und 14. Jahrhunderts im Umkreis des Deutschen Ordens“ abgedruckt ist in: Helfen, Heilen, Wehren. 800 Jahre Deutschordenskommende St. Ägid in Regensburg. Jahresrückblick 2010. Hg. v. Paul Mai und Karl Hausberger, Regensburg 2010 (Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg, Beiband 19), 77–81. 7 Palmer/Schiewer: Literarische Topographie (wie Anm. 4), 192f. (mit Präzisierung bzw. Korrektur der Angaben von Arnold). 8 Palmer/Schiewer: Literarische Topographie (wie Anm. 4), 195.



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gewesen,9 bleibt Spekulation. Umso mehr gilt dies für die Ansicht, die Erzählung nehme auf die Taufe des litauischen Großfürsten Butawt vom Jahr 1365 Bezug.10 Daraus wurde dann – trotz fehlender Hinweise im Text – nicht nur ein terminus post quem für die Entstehung des Werkes abgeleitet, sondern bald auch ein Beurteilungskriterium für die Frage, was an der erzählten Geschichte historisch ‚falsch‘ oder ‚richtig‘ sei.11 Dass damit das Erkenntnispotenzial des Textes unangemessen eingeengt wird, noch dazu mit nicht überprüfbaren Argumenten, steht außer Frage. Weiter führt statt dessen eher Arnolds Überlegung, Schondochs Werk könnte im Zusammenhang mit dem „Nachweis der Existenzberechtigung des Ordens in Preußen als Missionsorden gegenüber Litauen“ stehen, wenngleich dabei die Möglichkeit offen bleiben muss, dass es sich erst nachträglich (auch) in diesem Sinn hat instrumentalisieren lassen, und der Quellenwert des „Litauers“ ohnehin nicht auf eine derartige Funktion allein beschränkt ist. Auf jeden Fall kann der Text zumindest unter der Hand Bruchstellen zwischen Missionierungsanspruch, Kriegsrhetorik und landesherrschaftlicher Politik enthüllen, die für den Deutschen Orden in Preußen seit dem späten 14. Jahrhundert charakteristisch sind. Die Mirakelerzählung vom „Litauer“ nimmt im Zuge ihrer katechetischen Stoßrichtung die schwertmissionarische Kriegsrhetorik wörtlich, die der Deutsche Orden zusammen mit seinem Image als Ritterorden auch als Landesherr nach wie vor pflegte, und arbeitet gerade aus der Konfrontation zwischen Preußen und Litauen die ‚didaktische‘ Pointe heraus: Das christliche Laienpublikum sieht das wohl am schwierigsten ‚begreifbar‘ zu machende ‚Geheimnis des Glaubens‘ bei der Eucharistiefeier mit den Augen von Nicht-Christen auf neue Weise und lernt, es jenseits alltäglicher Glaubensroutine neu zu begreifen. Die narrative Verbindung eines Konsekrationswunders mit dem außenperspektivischen Blick einer nicht-christlichen Beobachterfigur hat in der katechetischen Literatur eine lange lateinische und volkssprachliche Tradition. Doch ob als Bekehrungsanstoß für Sachsenherzog Widukind12 oder, seit Gregor von Tours über die Jahrhunderte hin in verschiedenen Varianten verbreitet, für einen Judenkna9 Arnold, Udo: Deutschordenshistoriographie im Deutschen Reich. In: Die Rolle der Ritterorden in der mittelalterlichen Kultur. Hg. v. Zenon Nowak, Toruń 1985 (Ordines militares. Colloquia Torunensia Historica 3), 69. 10 Vgl. Udo Arnold: Einleitung zu: Der Litauer von Schondoch (wie Anm. 1), 51f.; ders.: Deutschordenshistoriographie (wie Anm. 9), 70. 11 Vgl. Paravicini Werner: Die Preußenreisen des europäischen Adels. Teil 1, Sigmaringen 1989 (Beihefte der Francia 17/1), 290: „Der alemannische Dichter Schondoch, der diese Bekehrung Ende des 14. Jahrhunderts zu seinem Gedicht ‚Der Litauer‘ verarbeitete, dürfte kaum übertrieben haben, wenn er das (irrtümlich nach Thorn verlegte) Fest, das der Taufe folgte, […] beschreibt“. Vgl. auch ebd., Fußnote 241: Caliebe ordne in Unkenntnis der Ergebnisse von Arnold die von Schondoch erzählte Geschichte fälschlicherweise „der Bekehrung des Königs Mindaugas 1251 zu“. 12 Vgl. Heintz: Schondochs Gedichte (wie Anm. 1), 19. – Arnold: Einleitung zu: Der Litauer von Schondoch (wie Anm. 1), 50f. – Caliebe: Schondochs rede (wie Anm. 3), 33

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ben13 – stets ist es das Jesuskind, das dem heidnischen bzw. jüdischen Beobachter im eucharistischen Brot erscheint. Dass das Jesuskind stattdessen zur ‚trinitarischen‘ Erscheinung dreier hünenhafter Kämpfer mutiert, ist einzig aus dem „Litauer“ bekannt. Trotz dieser „ins Groteske gehenden Verzerrung des Konsekrationswunders,“14 die ganz auf die missionarische Überzeugungskraft militärischer Stärke setzt, entfaltet Schondoch beachtlich treffsicher und in mehrfach gespiegelter Differenzierung15 die theologische Problematik des zeichenhaften Verständnisses von Liturgie und Eucharistie: aus der Perspektive des Erzählers (vv. 64–86), aus der heidnisch-defizienten Perspektive des litauischen Spions, der ohne Unterscheidung zwischen Zeichen und Bezeichnetem seinem König über das Gesehene berichtet (vv. 90–129), aus der Perspektive des Königs selbst (vv. 166–182) und schließlich aus der Perspektive des Deutschordenspriesters, der im Stil der Laienkatechese (vv. 235–255) beim Gespräch mit dem litauischen König das theologisch korrekte Verständnis der Zeichen und Wunder expliziert. Am Ende erweist sich der namenlose Litauerkönig nicht nur als wünschenswert gelehriger Schüler, sondern liefert den Deutschordensbrüdern, allen voran dem Hochmeister, einen Anlass, sich daran zu erinnern, welches Wunder auch ihnen im Zeichen der Hostie beim Empfang der Heiligen Kommunion als Christen jedes Mal zuteil wird (vv. 284–288). So wunderbar die katechetische Mission in Schondochs literarischer Inszenierung aufgeht und so gut sein „Litauer“ damit die Funktion eines religiösen Exempels erfüllt: Als in der außerliterarischen Wirklichkeit die Taufe des litauischen Großfürsten Jagiełło und die aus seiner Verheiratung mit Jadwiga/Hedwig von Polen hervorgehende polnisch-litauische Union tatsächlich die Existenzberechtigung des Deutschen Ordens als Missionsorden gegenüber Litauen in Frage stellte und denn auch das Ende des Deutschordensstaates herbeiführen sollte, sah die Reaktion des Deutschen Ordens in Preußen völlig anders aus als im „Litauer“, wo der Hochmeister mit lauter Stimme Gott dafür dankt, dass die Heiden bekehrt sind (vv. 288–291), und sich die Ordensritter in höfischer Festesfreude mit ihren neuen Freunden versammeln (vv. 303–307).

13 Vgl. Stolz: Kommunion und Kommunikation (wie Anm. 4), 482–497 (491–493 mit Hinweis auf die Erzählung vom „Judenknaben“, den das auch im Deutschen Orden überlieferte „Passional“ enthält). 14 Stolz: Kommunion und Kommunikation (wie Anm. 4), 499. 15 Vgl. dazu Caliebe: Schondochs rede (wie Anm. 3), 34f. – Stolz: Kommunion und Kommunikation (wie Anm. 4), 498–500. – Feistner: Selbstbild, Feindbild, Metabild (wie Anm. 4), 155f.



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Man sagt uns mære sunder quit, wie hie vor bî langer zît sô gar grôziu dinc geschâhen, daz mir die liute verjâhen, den wol dar umb kundic was. ich hôrt, daz manz an buochen las, wie da in Priuzen landen die herren mit iren handen erfâhten mangen grôzen strît. diz seit man noch in landen wît, wie von in lîden muoste swær der ungetoufte Littowær. den tâten sie sîner hilfe blôz. er jach: „diz ist ein wunder grôz: mîn sî wênic older vil verloren hân ich daz spil, wem ich kum zuhenden. wer mir ez kund volenden, er wær ritter oder kneht, der mir die wârheit seite reht, waz die brüeder anevânt, sô sie strîtes mich bestânt, dem gæbe ich bürge und wîtiu lant.“ diz hôrte ein ritter sâ zehant, der dâ mit ihm ein heiden hiez und in in nAten nie geliez. er jach: „vil lieber herre mîn, mîn dienst der sol dîn eigen sîn. wilt dû râtes volgen mir, sô solt du in zorneclîcher gir dem dînen volke gebieten und fremde heiden mieten, daz sie komen mit dir in den walt, reht als din kraft gar manicvalt in grim wol ûf sie sî gezogen. so sol ich âne brogen gar heimelîche loufen dar und nemen kuntlîchen war ir tuon und ir gebærde. wes man zu râte werde, als sie gein strîten rüsten sich, daz lân ich balde wizzen dich.“ der künic tet, daz er im riet,

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Man erzählt uns ohne Umschweife, dass sich einst, lange vor unserer Zeit, eine ganz großartige Geschichte zugetragen habe: So berichteten mir Leute, die es in der Tat wissen mussten. Ich hörte, dass man in Büchern davon lesen konnte, wie im Ordensland Preußen die Herren mit ihrer eigenen Hände Kraft so viele große Kämpfe bestritten haben! Landauf und landab spricht man noch heute davon, wie heftig sie den ungetauften Litauern zusetzten, bis ihr König schließlich hilflos dastand und sich sagte: „Das ist ein großes Wunder! Ob ich mit vielen oder wenigen Gefährten unterwegs bin – ich bin stets auf verlorenem Posten, gleichgültig, wem von ihnen ich begegne. Wer immer mir, sei er nun Ritter oder Knecht, die ganze Wahrheit darüber sagen könnte, wie die Deutschordensbrüder das bewerkstelligen, wenn sie einen Kampf mit mir führen, der erhielte von mir Burgen und weite Ländereien. Dies hörte sogleich ein Ritter, der – wie er – Heide war und ihn in der Not nicht alleine lassen wollte. Er sprach: „Mein hochgeschätzter Herr, ich stelle mich ganz in deine Dienste. Willst du meinem Rat folgen, so sollst du dich kriegszornig geben, deinem Volk befehlen, mit dir in den Wald zu ziehen, und auch noch fremde Heiden als Söldner dazu gewinnen, damit du den Eindruck erwecken kannst, dass deine Kampfesstärke ebenso groß ist wie dein Zorn auf die Deutschordensbrüder. Ich hingegen werde dann ganz heimlich, still und leise dorthin laufen [wo sie sind] und genau beobachten, was sie tun und wie sie sich verhalten. Was sie alles unternehmen, wenn sie sich zum Kampf rüsten, das werde ich dir dann alsbald kund tun.“ Der König tat, wie ihm geraten,

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232 und brogt mit heidenischer diet 45 sô griulîch in dem walde. der ritter der lief balde heimlîch gein Toran in die stat, dô er Priusch wol gelêret hat dâ vor in sîner kintheit. 50 als ez dem meister wart geseit, daz Riuzen, Tarter, Littowær durch die wiltnisse kâmen her, dô sant er balde boten ûz, wâ sie in Priuzen iendert hûs 55 hatten, dâ die herren wân. den tet man allen daz verstân, daz sie vil balde kæmen, sô sie die mær vernæmen. diz vuogte sich eins morgens fruo, 60 daz vil der brüeder kam dâ zuo und loseten in gar hôher art ein messe dâ gesprochen wart von mangem priester lobesan. dô stuont der ungetoufte man 65 in einem winkel unde sach, waz grôzer zeichen dô geschach. die messe man singen anevienc. dem selben heiden ez dô gienc in sîne ôren nâch freuden lust, 70 wand er der wârheit niht enwust, daz manz durch gotes willen tet. sus hôrt der heiden daz gebet, des dâ gar lützel in verdrôz. doch sach er, wie der priester nôz 75 den Got, der himel und erd geschuof. diz sach der ungetoufte luof, wie der priester wandels frî einn starken man dâ brach in drî. uz iedem teil ein rise wart, 80 er het ein mûre wol zerzart. die schoup er alle in sînen munt. dar nâch sach er in kurzer stunt: die brüeder hin zuo giengen, gemeinlîch sie emphiengen 85 den schepher von der priesters hant. diz was dem heiden unerkant.

Edith Feistner und machte sich, einen Furcht erregenden Eindruck erweckend, mit heidnischem Gefolge auf in den Wald. Sein Ritter aber begab sich schleunigst nach Thorn, in jene Stadt, wo er als Kind das Deutsch der preußischen Herren gut zu sprechen gelernt hatte. Als der Hochmeister darüber im Bilde war, dass Russen, Tartaren und Litauer durch die Wildnis herannahten, sandte er eilig überallhin Boten aus, wo es in Preußen Niederlassungen gab, in denen sich die Deutschordensherren aufhielten. Diesen allen tat man kund, dass sie, nachdem sie die Botschaft erfahren hätten, unverzüglich herbeieilen sollten. Da trug es sich eines Morgens zu, dass viele Ordensbrüder zusammenkamen und mit edler Sinnesart eine Messe hörten, die da von so manchem ehrwürdigem Priester gelesen wurde. Der Ungetaufte stand in einer Ecke und sah, welch große Zeichen da geschahen: Man eröffnete die Messe mit Gesang. Dem Heiden machte das Singen Lust und Laune, wusste er doch nicht, dass dies zur Ehre Gottes geschah. So lauschte der Heide dem Gebet und hatte dagegen kaum etwas einzuwenden. Doch dann sah er, wie Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, vom Priester verspeist wurde. Der im Höllenschlund steckende Ungetaufte wurde Zeuge, wie der von Sünden reine Priester einen starken Mann zu dreien verwandelte, indem er ihn in drei Stücke zerbrach. Und aus jedem Stück ging ein riesenhafter Hüne hervor, der eine Mauer mühelos hätte zertrümmern können. Alle dreie zusammen schob sich der Priester in den Mund. Gleich danach sah der Heide aber auch noch dies: Die Deutschordensbrüder gingen nach vorn und empfingen gemeinschaftlich aus der Hand des Priesters den Schöpfer. So etwas kannte der Heide nicht.



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heimlîchen er dô dannen schiet und suocht die ungetouften diet bî sînem herren in dem tan. dô jach der künic: „nû sag an, waz hâstû dort gesehen?“ „jâ, herre, ich muoz verjehen daz dû mir niht geloubest. liuge ich dir, daz dû beroubest mich lîbes unde guotes beide lebens unde muotes. dô die wartliute kâmen, und die herren daz vernâmen, daz dû in zornes freise kæmest mit grôzer reise, dô freuten sie sich überal, ir süezer dôn in lüften schal. sie nâmen einn starken bruoder frisch, den staltens über einen tisch, und leiten im an sô rîlîch wât, diu was mit golde wol durnât. der sanc in under wîlen vor. dô stuont ich hinder eime tor verborgen bî der wende und luogte ûf ein ende, wie ez dem bruoder dô gelanc. der eine under wîlen sanc. er nam einn jungen starken man, ich mohte in nie erhaben han, in drîen stücken er in brach: ûz iedem teil ich wahsen sach einn unverzagten fromen helt, er mohte vil wol ûz erwelt in aller welt ein kemphe sîn. die schoup er mit ein ander în. dar nâch die brüeder alle sant, iegelîcher von des einen hant einn man in sînen munt empfie. alsus erfulleten sie sich ie mit lebendigen liuten. waz ich dir hie bediuten, liug ich dir des als umb ein spriu sô heiz mich houwen bald in driu.“ dô jach der künic besunder:

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Heimlich machte er sich davon und suchte die Ungetauften auf, die sich bei seinem Herrn im Tannenwald aufhielten. Da sprach der König: „Nun sag’ an, was hast du dort gesehen?“ „Mit Verlaub, Herr, ich muss gestehen, dass meine Erzählung in der Tat unglaublich klingt; aber sollte ich dich anlügen, könntest du mir mein Leben und meinen Besitz nehmen, mich meines ganzen Daseins berauben. Als die Deutschordensherren von ihren Kundschaftern erfahren hatten, dass du in zorniger Feindschaft mit einer großen Kriegerschar anrücktest, freuten sie sich alle, wo immer sie sich aufhielten, und ihr Freudengesang schallte durch die Lüfte. Sie nahmen einen frisch gestärkten Bruder, stellten ihn an einen Tisch und legten ihm überaus kostbare, ganz und gar mit Gold durchsetzte Kleidung an. Der sang ihnen immer wieder etwas vor. Ich selbst hielt mich unterdessen, gegen die Wand gedrückt, hinter einem Tor versteckt und wartete gespannt darauf, was der Bruder da schließlich vollführen sollte. Einer von ihnen trug ab und zu einen Gesang vor. Er nahm einen jungen, starken Mann – ich für meinen Teil hätte ihn nie hochheben können – und brach ihn in drei Stücke: Aus jedem Stück sah ich einen tapferen, tüchtigen Helden herauswachsen, der so stark war, dass man ihn bestimmt zu den auserwähltesten Kämpfern auf der ganzen Welt zählen konnte. Diese drei schob sich der Bruder allesamt [in den Mund]. Aus der Hand des einen Bruders empfing dann jeder Bruder einen Mann [und steckte ihn] in seinen Mund. Derart stopften sie alle nacheinander lebende Männer in sich hinein. Wenn ich dich bei dem, was ich dir hier sage, auch nur den kleinsten Deut angelogen habe, kannst du gleich mich selbst in drei Stücke brechen lassen.“ Da sprach der König zu sich:

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234 130 sô ist es niht ein wunder, daz sie mir obe ligent und strîtes an gesigent. wirt under in einr ûf engenzet, mit swerten vîentlich zerschrenzet, 135 sô sliuft ein ander ûzer im, des ich vil grôzen schaden nim. sus kan sie nieman vertüemen, mac iegelîcher sich des rüemen, ob under in einr erslagen wirt, 140 daz denn ein ander niht verbirt, der ûz im sliufet und viht. ich mac sîn doch gelouben niht, ich muoz ez selber sehen an.“ sus hiez er rasten in dem tan 145 die Riuze, Littowe, Tarten die muosten sîn dâ warten, unz er her wider kæme, die wâren mær vernæme, daz im der ritter niht enlüge 150 noch in den sachen niht betrüge. sust lief der ungetoufte furst durch wilde brâmen und durch hurst, den ritter einic er zuo im nam, unz daz er hin gein Toran kam. 155 dô giengen die zwên Riuzen gelîch als ander Priuzen. die sprâche sie wol kunden. dar nâch in kurzen stunden wart ez sich füegent ûf die zît, 160 daz man ioch lenger niht entbit, die messe man singen anevienc. der künic und der ritter gienc dâ einhalp in der kilchen ort und hôrten dâ diu guoten wort. 165 waz im der ritter seit vor ê, dô sach er selber zeichen mê: die ungetouften figûre die sâhen menschlîche natûre, als Got sich dâ erougete 170 und lîplich in erzougete gelîch alsam ein rise stark. vor inen er sich niht enbark,

Edith Feistner „So ist es wirklich kein Wunder, dass sie mir überlegen sind und im Kampf siegen! Wird einer von ihnen aufgeschlitzt und von Feindeshand mit Schwertern zerstückelt, dann schlüpft einfach ein anderer aus ihm heraus und ich trage den größten Schaden davon. So aber kann niemand ihnen verwehren, stolz darauf zu sein, dass jedes Mal, wenn einer von ihnen getötet wird, gleich wieder ein anderer aus ihm herausschlüpft und weiterkämpft. Ich kann das gar nicht glauben, ich muss es selber sehen!“ Er ließ also im Tannenwald Rast machen. Die Russen, Litauer und Tartaren hatten dort auf ihn zu warten, bis er wieder zurückkäme, und sie hören könnten, ob es wahr sei, dass ihn der Ritter in dieser Angelegenheit weder angelogen noch betrogen habe. So suchte der ungetaufte Fürst eilends und nur in Begleitung seines Ritters durch Wildnis und Dickicht hindurch seinen Weg, bis er nach Thorn kam. Die beiden gingen [in die Stadt] hinein und taten, als ob sie Preußen wären wie alle anderen auch. Die Sprache beherrschten sie ausgezeichnet. Wenig später traf es sich auch schon, dass man begann, die Messe zu singen. Der König und sein Ritter gingen von der Seite in die Kirche hinein und hörten dort fromme Worte. Davon, was ihm der Ritter vorher erzählt hatte, konnte sich der König nun selbst überzeugen und noch größere Zeichen Die ungetauften Gestalten [erleben: sahen, wie sich Gott ihnen da in menschlicher Natur offenbarte, leibhaftig und stark wie ein Riese. Vor ihnen verbarg er sich nicht,



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als er sich birgt mir armem man, wan ich es wol verschuldet han. des nâmen die ungetouften aht, wie Got zu menschen wart gemaht, die priester er sich niezen lie. vil manic hin zuom bruoder gie, dâ ieglîcher in hôher art emphienc den himelfürsten zart. diz nam in sîne schouwe der künic von Littouwe. vil bliuclîch gienc er ouch hin zuo. er jach: „geselle mîn, nû tuo hie mir, als dû den anderen tet, dô du ieglîchem einn knappen get, der dû alleine drî verslunt. schiup mir ouch drî in mînen munt, durch daz ich müge werden stark. dar umb gibe ich dir tûsent mark.“ der priester dâ den heiden sach, heimlîch er [dô] zuo zim jach: „ganc hinder in die kilchen stân, unz daz ich muoze müge hân, sô wil ich wol besachen dich. daz solt dû wizzen sicherlich.“ der künic dâ bî niht enliez, er tet daz in der priester hiez. als dâ diu messe ein ende nam, und menglîch ûz der kilchen kam, der priester dâ den heiden suocht, der Gotes von sînen henden ruocht. er jach: „sag an, mîn lieber frunt, mich dunket, wie sich habe gekunt hie Got vor dînen ougen. nû sag mir âne lougen, wie ez in den sachen iezunt lige.“ der heiden jach: „ob dûz verswige, daz mich niht ruogte hie dîn munt, so seit ich dir an dirre stunt, wie ich dâ har bekomen bin.“ dô jach der priester wider in: „des sê dir hie die triuwe mîn, daz es sol gar verswigen sîn.“ „ich bin ein houbt der heidenschaft“,

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wie er sich vor mir, elendem Mann, verbirgt, woran ich allerdings tatsächlich selbst schuld bin. Die Ungetauften aber verfolgten so, wie Gott zum Menschen wurde und sich von den Priestern verspeisen ließ. Viele gingen zu einem der Priesterbrüder hin, aus dessen Hand ein jeder von ihnen in feierlicher Hochstimmung den Himmelsfürsten als fein mundende Speise empfing. Dies zu schauen, wurde dem König von Litauen zuteil. Ganz scheu trat auch er hinzu und sagte [zum Priester]: „Mein Freund, lass mir das Gleiche widerfahren, was du den anderen widerfahren ließest, als du jedem von ihnen einen Jüngling zu essen gabst, nachdem du alleine gleich drei Jünglinge auf einmal verschlungen hast. Schieb auch mir drei Jünglinge in den Mund, damit ich dadurch gestärkt werde. Dafür gebe ich dir tausend Mark.“ Als der Priester den Heiden sah, sagte er leise zu ihm: „Geh ganz nach hinten in die Kirche und bleib dort stehen, bis ich Zeit für dich habe. Dann will ich mich gut um dich kümmern. Dessen kannst du sicher sein.“ Der König ließ sich das nicht zweimal sagen und tat, wie ihm der Priester aufgetragen hatte. Als die Messe zu Ende war und die Leute die Kirche verlassen hatten, suchte der Priester den Heiden auf, der aus seinen Händen Gott zu empfangen begehrte. Er sprach: „Sag an, mein lieber Freund, mir scheint, dass sich Gott hier vor deinen Augen gezeigt hat. Nun erzähl’ mir ohne zu lügen, wie du jetzt zu diesen Dingen stehst.“ Der Heide entgegnete: „Wenn du nichts verrätst und mich auch nicht rügst, so werde ich dir auf der Stelle erzählen, wie ich hierher gekommen bin.“ Darauf sagte der Priester zu ihm: „Ich versichere dir bei meiner Treue, dass ich nichts weitersagen werde.“ „Ich bin ein Oberhaupt der Heiden“,

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jach er, „und hân mit grôzer kraft mich in die wiltnisse geleit, durch daz man iu die mære seit, daz ich sæhe iuwer samenunge. umbillîch ez mich niht endunket, daz ir mir dicke liget ob, wan dû in ieden bruoder schob einn, der sterker ist denn er und vihtet nâch sîns herzen ger. niut gar verre ich von dir stuont. ich weiz nû wol, waz ir tuont. ich sach, daz dû des niht enliez, wie dû gar frevenlîche stiez einn man in ieden bruoder, er hette wol ein fuoder gezogen als ein freidic tier. schiup in mich ouch der manne vier, und bis noch hiut gein mir sô milt: ich gibe dir allez, daz dû wilt.“ dô sprach der priester hôchgewîht: „dû solt mir sprechen dîne bîht.“ dô jach der heiden: „ich entuon. ich kan sîn minner den ein huon, wan ich ez nie getriben han.“ dô jach der priester; „nû sage an und sprich mir dîne schulde, so erwirbestû des hulde, den dû hiut in mînen henden sæh, dô dû bî mir in der kilchen wær. daz ist vater, sun, heiliger geist. dem solt dû dienen aller meist, dem fursten von dem himel. wasch ab dîner sünden schimel und traht der sêle ûf daz best, sît daz dû angesehen hest alsô grôziu zeichen hie, und toufe dich und ouch die, der dû haben maht gewalt, sô wirt dîn fröude manicvalt, sô dû von hinnen scheidest.“ der heiden jach; „dû leidest mir mînen glouben, des ich phlac. waz ich mich sünden ie verwac,

Edith Feistner bekannte der König, „und habe mich mit großer Streitmacht in die Wildnis begeben, damit man Euch erzähle, dass ich auf der Lauer liege, wenn Ihr Euch sammelt. Mir scheint es jetzt auch völlig erklärlich, dass ihr mich so oft besiegt, hast du doch in jeden Bruder einen anderen hineingestopft, der noch stärker ist als er und seinerseits nach Herzenslust kämpfen kann. Ich habe dich dabei ganz aus der Nähe beobachtet und weiß nun genau, was ihr tut. Ich sah, wie du dich erdreistet hast, unablässig in jeden Bruder einen zweiten Mann zu stopfen, auf dass er eine ganze Wagenlast wie ein munteres Tier hätte ziehen können. Sei so gut und schieb’ noch heute auch in mich Männer hinein – am besten gleich vier davon! Dann gebe ich dir alles, was du begehrst.“ Da sagte der hochgeweihte Priester: „Du musst erst bei mir deine Beichte ablegen.“ Da sagte der Heide: „Nichts dergleichen werde ich tun. Selbst ein Huhn könnte das besser als ich, denn ich habe so etwas noch nie gemacht.“ Darauf antwortete der Priester: „Nun besinne dich doch und erzähle mir deine Sünden! Denn nur so kannst du die Gnade desjenigen erlangen, den du heute in meinen Händen gesehen hast, da du bei mir in der Kirche warst: Das ist der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Ihm, dem Himmelsfürsten, sollst du vor allem dienen. Wasch’ ab von dir den Schimmel deiner Sünden und verschaffe dir Seelenheil, nachdem du hier so große Zeichen geschaut hast; und lass’ dich wie auch diejenigen taufen, über die du herrschst, und deine Freude wird mannigfaltig sein, wenn du von dannen ziehst.“ Der Heide antwortete ihm: „Du lässt mich von dem leidigen Glauben abkehren, dem ich bisher anhing. Was ich an Sünden je begangen habe,



Der Deutschordensstaat als literarischer Katecheseschauplatz

die wil ich all nû lâzen abe und trahten ûf ein solich habe, diu mich dort behalten müge, sint ich mit grôzer sünden brüge nû bin bedecket mîne zît. ob solich maht nû an dir lît, daz dû mich cristen machen kanst, ob dû mir des glückes ganst, des wil ich iemer danken dir, daz soltû wol gelouben mir.“ der priester lief hin in den sal, dâ die herren über al rihten allen iren flîz ûf einen snellen imbîz, wand Riuzen, Tarter, Littowaer durch die wiltnis kômen her. den wolten sie engegen ziehen. „nu hœret, waz ich iu vergihen,“ jach der priester in der frist, „der künic von Littowe kumen ist und hât gehœret hie daz amt, und ist sîn herz alsô gezamt, daz er jô cristen werden wil. der zeichen ich niht von im hil, diu er hât gesehen hiut. werder meister, lâzent niut, hebent in ûz der toufe, füegent in zuo dem koufe als uns ouch kouft zu Jerusalên der Got den ir hiut hânt gesên.“ der meister von dem tische spranc, er jach: „nû hab der schepher danc der im die sinne sterket, sît daz der heiden merket, daz sîn geloub ist unreht.“ waz dâ was ritter unde kneht die liefen alle mit im ûz gar frœlich in daz bethûs. dô sâhen sie, wâ der künic stuont, als noch die guoten liute tuont, die dô wahten ûf der sêle heil. die brüeder wâren alle geil und wurden im von herzen holt,

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will ich nun hinter mir lassen. Ich will hier nach dem trachten, was mich dort erretten möge, wo doch die Sündenlast so schwer wiegt, die ich mein Leben lang auf mich geladen habe. Wenn solche Macht von dir ausgeht, dass du mich zum Christen machen kannst und wenn du mir dieses Glück gönnst, so werde ich dir für immer danken; dessen kannst du sicher sein.“ Da rannte der Priester weg in das Refektorium hinein. Überall im Saal nahmen die Herren gerade mit höchster Eile noch einen schnellen Imbiss zu sich, da sie ja den Russen, Tartaren und Litauern entgegen ziehen wollten, die durch die Wildnis heranrückten. „Hört zu, was ich euch sage!“, rief der Priester da hinein. „Der König von Litauen ist gekommen und hat hier unser Hochamt gehört. Davon ist nun sein Herz so sehr berührt, dass auch er Christ werden möchte. Die zeichenhafte Bedeutung dessen, was er heute gesehen hat, will ich nicht vor ihm verbergen. Edler Meister, Ihr müsst ihn unbedingt aus der Taufe heben und so auch ihn teilhaben lassen an jenem Kauf [der Erlösung], den Gott, der Herr, uns zu Jerusalem hat erwerben lassen – Er, den Ihr auch heute gesehen habt!“ Der Meister sprang auf vom Tisch und sprach: „Dank sei dem Schöpfer, der ihm die Sinne so gestärkt hat, dass er sogar als Heide merken kann, wie unrecht sein Glaube ist!“ Alle, die dort versammelt waren, ob Ritter oder Diener, die liefen mit ihm frohen Herzens in die Kirche. Dort schauten sie nach dem König und sahen ihn dastehen, wie es gute, um ihr Seelenheil bemühte Menschen noch immer tun. Die Brüder waren alle glücklich und öffneten ihr Herz für ihn,

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dar umb daz er sich toufen wolt. die zwêne heidenische man mit reht den touf an sich genan. dô fuorte mans in den palas. mit freuden man zu tische saz. beide rotte, gîgen, phîfen, waz fröude kan begrîfen, des wart dâ vil getriben. die zwêne staete bliben und hullen guoter lêre und dienten Got vil sêre und ouch der vil reinen maget, diu mangem sünder hât behaget. der himelischen firme behuoben sie in ir schirme, die ûzerwelten trinitât, die der himel fürste hât zuo einer muoter ûzerkorn. Maria, muoter hôchgeborn nû bit für uns den werden Christ, daz er hie ûf ersten frist, uns bewar vor pînlich wê [Caliebe, 52] daz ez der sêle wol ergê! amen. Schondoch maht dise rede.

Edith Feistner weil er sich taufen lassen wollte. Die beiden Heiden empfingen, wie es sich gehörte, das Sakrament der Taufe. Danach führte man sie in den Palas. Gut gelaunt saß man zu Tisch. Harfen-, Geigen- und Pfeifenspiel, alles, womit man Freude zum Ausdruck bringen kann, wurde da aufwändig betrieben. Die beiden Heiden blieben standhaft, befolgten die rechte Lehre und dienten Gott auf vielfältige Weise, aber auch der makellos reinen Jungfrau Maria, die schon so vielen Sündern geholfen hat. Von den Hütern des Himmels, der auserwählten Dreieinigkeit, sind sie unter den Schutzschirm der Jungfrau gestellt worden, die der Himmelsfürst zu einer Mutter auserkoren hat. Maria, hochgeborene Mutter, nun bitte den edlen Christus für uns, dass er uns hier auf Erden vor Schmerz und Pein bewahre und unsere Seele künftiges Heil erwerbe! Amen. Das ist die Erzählung von Schondoch.

ABBILDUNGSNACHWEIS Allenstein/Olsztyn, Archiwum Państwowe w Olsztynie 160 (Abb. 29) Allenstein/Olsztyn, Christofer Herrmann Umschlag-Abb., 145, 146 (Abb. 3), 147 (Abb. 4–5), 148 (Abb. 7), 148–149 (Abb. 6–9), 150 (Abb. 11), 151 (Abb. 12), 152 (Abb. 14), 153 (Abb. 15), 154 (Abb. 17), 155–158 (Abb. 19–25), 159 (Abb. 27–28). Danzig/Gdańsk, Rafał Kubicki 91 Marburg, Herder-Institut, Bildarchiv 146 (Abb. 2), 153 (Abb. 16), 154 (Abb. 18) Thorn/Toruń, Alexander Konieczny 151 (Abb. 13), 158 (Abb. 26) Warschau/Warzawa, ISPAN 147 (Abb. 5), 148 (Abb. 6) Zossen, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege, Messbildarchiv 160 (Abb. 30)

ORTS- UND PERSONENREGISTER A Aachen 201 Aelred von Rievaulx 206 Akkon 30 Albert 62 Albrecht von Brandenburg-Ansbach 11, 26, 78, 213 Alexander II. 28 Alexander III. 28 Alexander IV. 97 Alexander VI. 161 Allenstein / Olsztyn 13, 139 Altenburg, Dietrich von siehe Dietrich von Altenburg Andringa, Els 126 Anselm 62, 68 Antwerpen 223 Armgart, Martin 60 Arnau 142 Arnold, Udo 15, 52, 114, 227–229 Ast, Johann von 56 B Balk, Hermann 94 Balthasar, Karl 100 Bandsnyder, Gerhart 79 Barbara 189 Barczewo siehe Wartenberg Bartenstein 74 Bartholomäus 99 Bartholomäus de Novaria 207 Basel Konzil 87 Universitätsbibliothek 228 Beigersburck 113 Benedikt 16, 33 Benedikt XII. 24f. Beringer, Heinrich 54

Berlin Geheimes Staatsarchiv 178 Bern 31, 95 Bernhard von Clairvaux 17, 29, 100 Berthog 103 Beuggen am Bodensee Kommende 31, 228 Birgitta von Schweden 201, 205 Bischofsburg / Biskupiec 69 Biskup, Marian 58, 66, 79, 81 Biskup, Radosław 12, 60 Biskupiec siehe Bischofsburg Bologna 74, 88, 225 Bonaventura 89 Bonifaz IX. 180 Boor, Helmut de 124f. Brandenburg 180 Braniewo siehe Braunsberg Brattian 55 Braunsberg / Braniewo 69, 74f., 80, 83, 89, 101, 104 Braunschweig 113 Breslau / Wrocław 76, 92f., 97, 209 Briesen / Wąbrzeźno 69, 139 Brigitta von Schweden siehe Birgitta von Schweden Brno siehe Brünn Brodnica siehe Strasburg Brügge 224 Brünn / Brno 94 Brüssel 170, 178 Brunsberg, Hinrich 138 Burchard von Schwanden 20, 164 Burgheßler 110 Butawt 229



Orts- und Personenregister

C Caliebes, Manfred 227 Calow, Nikolaus 85 Cammin 195 Diözese 13 Capsflors, Heinrich 88 Carpentari, Andreas 84 Carpentarii, Nicholaus 88 Castells, Manuel 123 Cella 31 Chełmno siehe Kulm Chełmża siehe Kulmsee Chrétien de Troyes 17 Christburg / Dzierzgoń 48, 69 Christian von Mühlhausen 62f. Chrobak, Werner 7, 14 Clairvaux 34 Clemens V. siehe Klemens V.

Clermont Synode 29 Colmar im Elsaß 226 Cramer, Hermann 59 Cranc, Nikolaus 90 Cuba, Dietrich von siehe Dietrich von Cuba Culloden (Schlacht) 29 Culm siehe Kulm Culmsee siehe Kulmsee Czaja, Roman 12 Czerwińsk 195 D Dąbrówno siehe Gilgenburg Danzig / Gdańsk 12f., 31, 74f., 77f., 80, 82f., 85, 87–90, 168, 170, 178, 181, 201, 205, 209, 219–221, 225 Dekanat 68 Diözese 215 Dominikanerkloster 219 St. Josef 13 St. Nicolai 13

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St. Trinitatis 13 Danzig-Oliva / Gdańsk-Oliva 7, 9, 15 Diest, Johannes von siehe Johannes von Diest Dietrich von Altenburg 35, 41, 113, 115, 117, 165, 174 Dietrich von Cuba 21 Dirschau / Tczew 77, 79f., 87f., 102 Dekanat 68, 74 Długosz, Johannes 94 Dobeneck, Hiob von 26 Dobre Miasto siehe Guttstadt Dorothea von Montau 13, 191, 193f., 198, 200f., 203–209, 211–215 Drengfurth / Srokowo 139 Drewers, Hans 85 Duns Scotus, Johannes 89 Dusburg, Peter von siehe Peter von Dusburg Dusemer, Heinrich 76 Dygo, Marian 59 Działdowo siehe Soldau Dzierzgoń siehe Christburg E Elbing / Elbląg 48, 69, 74f., 77, 79f., 82–90, 93, 138, 155 (Abb.), 212, 220 Diözese 215 Elbląg siehe Elbing Elisabeth 12, 52, 113, 167, 189 Elsass-Burgund Ballei 228 Elsen 170, 178 Erbord 102 Erfurt 62, 89 Erlichshausen, Konrad von siehe Konrad von Erlichshausen Ermland Diözese 10, 12f., 59, 61, 64, 67–69, 71, 76, 132, 134, 142, 181, 183, 193, 195f., 198, 209, 214f. Esel, Konrad 54

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Orts- und Personenregister

Eufemia 189 Eugen III. 21 F Feistner, Edith 7, 12f., 186 Fish, Stanley 126 Fischhausen / Rybaki 63, 70 Fleming, Heinrich 76 Florenz 88 Frankfurt am Main 31 Franz von Assisi 92, 96, 100–102 Frauenburg / Frombork 62, 69f., 78, 134, 136, 148 (Abb.), 149 (Abb.), 184, 196 Fricke, Ulrich 84 Friedland / Frydląd 69, 139 Friedrich 103 Friedrich 102 Friedrich 24, 77 Friedrich 41 Friedrich II. 47 Friedrich von Sachsen 25 Frombork siehe Frauenburg Frydląd siehe Friedland Fulcher von Chartres 28 G Galaad 18 Gauvain 17 Gdańsk siehe Danzig Gdańsk-Oliva siehe Danzig-Oliva Gent 224 Georg 12, 52, 197 Georgenau / Jergenau bei Friedland 86, 194 Gerdauen 75, 80 Gerhard von Hirzberg (Hirschberg) 96, 103 Giengen an der Brenz 32 Gilgenburg / Dąbrówno 69 Glauert, Mario 60, 180 Glemma, Tadeusz 59 Gnesen Kirchenprovinz 68, 70f.

Gniew siehe Mewe Gnojau / Gnojewo 69 Göflan 182 Göttingen 7 Goldener, Nicolaus 82 Gollub / Golub 54, 69 Goslar 222 Gottfried von Hohenlohe 164, 171 Grado 200, 203, 208 Gratian 19 Graudenz / Grudziądz 69, 136, 187 Gregor I. 115, 173 Gregor IX. 97 Gregor XI. 196 Gregor von Tours 229 Greifswald 79 Groß Lichtenau / Lichnowy 136, 159 (Abb.) Groß Schwansfeld / Łabędnik 158 (Abb.) Groß Waldeck 78 Großmontau / Mątowy Wielkie 13, 201, 214f. Grudziądz siehe Graudenz Grünberg, Nikolaus 86 Grunau, Simon 23, 90, 194, 213 Grzywno 157 (Abb.) Gudnick / Gudnuki 159 (Abb.) Gunther 103 Guttstadt / Dobre Miasto 69, 139, 155 (Abb.), 156 (Abb.) H Händel, Georg Friedrich 29 Hamburg 224 Hartknoch, Christoph(orus) 94, 213 Hedwig von Polen 230 Heidenreich 62, 68, 75, 80, 96, 99 Heiligenbeil 74, 78 Heilsberg / Lidzbark Warmiński 69f., 72, 139 Heinrich II. Sorbom siehe Sorbom, Heinrich II. Heinrich VI. 41



Orts- und Personenregister

Heinrich der Bärtige 93 Heinrich der Fromme 93 Heinrich von Hesler 13, 32, 34, 109–114, 116, 124 Heinrich von Hohenlohe 75 Heinrich von Kirchberg 63 Heinrich von Plauen 26, 79 Heinrich von Schaumberg 65 Heliodor 29 Hennig, Ernst 39 Hermann 77 Hermann von Salza 47, 95 Hermannus 32 Herrmann, Christofer 13 Hesler, Heinrich von siehe Heinrich von Hesler Heß, Cordelia 13, 209 Heuermann, Hartmut 125 Hieronymus 117, 123 Hipler, Franz 200, 214 Hohenlohe, Heinrich von siehe Heinrich von Hohenlohe Hohenstein / Olsztynek 69 Holofernes 129 Honorius III. 28, 115 Honorius IV. 162 Hühn, Peter 125 Hugo a St. Caro 127 Hugo von Langenstein 31, 228 Hugo von Payens 20 Humbertus a Romanis 161 Humilis, Nikolaus 212 Huseby 164 I Iława Pruska siehe Preussisch Eylau Innozenz II. 20 Innozenz III. 20, 64 Innozenz IV. 17, 64, 97, 161f.

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Inowrocław 93, 97, 102–104 Iser, Wolfgang 126 J Jacobus de Voragine 89 Jadwiga von Polen siehe Hedwig von Polen Jagiełło 27, 42, 230 Jarzembowski, Marc 61 Jasiński, Tomasz 93 Jasna 69 Jenstein, Johannes von siehe Johannes von Jenstein Jergenau siehe Georgenau Jeroschin, Nikolaus von siehe Nikolaus von Jeroschin Jerusalem 29, 47, 117 Königreich 19, 29f. Jeziorany siehe Seeburg Johannes 102, 104 Johannes 87 Johannes I. 181 Johannes IV. 212 Johannes Duns Scotus siehe Duns Scotus, Johannes Johannes Marienwerder siehe Marienwerder, Johannes Johannes von Diest 99 Johannes von Jenstein 173 Johannes von Wehlau 82 Judas Makkabäus 17, 29 Judith 129 Juditten 142 Jungingen, Konrad von siehe Konrad von Jungingen Jungingen, Ulrich von siehe Ulrich von Jungingen Jutta von Sangerhausen 86, 214

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Orts- und Personenregister

K Kaldeborn, Johan 88 Kammin siehe Cammin Karschaw, Johann 87 Kasimir (Kazimirus) von Kujawien 93, 102 Katharina 189 Kauernik / Kurzętnik 139, 157 (Abb.) Ketgh, Johannes de 169f., 178 Kętrzyński, Wojciech 60 Keyser, Erich 194 Kiening, Christian 128 Klein Pulkau 54 Klein Tromnau / Trumiejki 69 Klemens V. 76, 101 Kniprode, Winrich von siehe Winrich von Kniprode Knottel, Johannes 70 Koblenz Ballei 162, 178 Köln 13, 88, 212, 218f., 221, 223–226 Kommende St. Katharina 170, 178 König, Ludolph 26, 165 Königlich Neudorf / Nowa Wieś Królewska 135 Königsberg 18, 63, 70f., 74, 78, 86, 133–135, 138, 143, 147 (Abb.), 148 (Abb.), 184, 220 Köslin / Koszalin 194 Kolberg, August 72 Komorowski, Johannes 93 Konitz 74, 77 Konrad 101 Konrad von Erlichshausen 41, 183 Konrad von Feuchtwangen 164 Konrad von Jungingen 78f., 197, 200, 203f., 208, 210, 215 Konrad von Masowien 41, 47 Konrad von St. Gallen 228 Konrad von Thüringen 19 Konrad von Wallenrode 204 Konstanz

Konzil 49, 54, 210 Konstanze 93 Kopiczko, Andrzej 61 Koszalin siehe Köslin Krakau 74, 88, 92f., 225 Diözese 193 Kreuzburg / Krzyżpork 69 Krzyżpork siehe Kreuzburg Kubicki, Rafał 12 Küchmeister, Michael 65, 182 Kulm / Chełmno 69, 74–76, 80, 84, 86, 88f., 92, 95f., 99f., 104, 133, 135, 137, 139, 152 (Abb.), 193f., 214 Kulm (Kulmerland) Diözese 10, 12f., 59, 61, 63, 67–71, 76,103, 132, 142, 181, 183f., 195 Domkapitel 62, 64f., 70 Kulmerland 66f., 83 Kulmsee / Chełmża 62, 69, 132–135, 137, 146 (Abb.), 183, 214 Kuno von Liebenstein 55 Kurzętnik siehe Kauernik Kutzner, Marian 190 Kwiatkowski, Stefan 48, 51, 198 Kwidzyn siehe Marienwerder L Łabędnik siehe Groß Schwansfeld Labuda, Gerard 58 Ladislaus 92 Lähnemann, Henrike 110, 128–131 Lancelot 18 Langenstein, Hugo von siehe Hugo von Langenstein Lauenburg / Lębork 78 Dekanat 68 Lautenburg / Lidzbark 69 Lębork siehe Lauenburg Leipzig 88 Lemmens, Leonhard 98, 101



Orts- und Personenregister

Leopold V. 41 Leslau / Włocławek 70, 80, 102 Diözese 67f., 71, 103 Leubus 102 Leunenburg / Sątoczno 142 Lichnowy siehe Groß Lichtenau Lidzbark siehe Lautenburg Lidzbark Warmiński siehe Heilsberg Liebemühl / Miłomłyn 69 Liebenstein, Kuno von siehe Kuno von Liebenstein Lindner, Dominikus 64 Link, Jürgen 125 Link-Heer, Ursula 125 Lipski, Johannes 214 Livland 70 Livold 68 Lobedau, Johannes 86, 94 Locken / Łukta 142 Löbau 78, 193f. Löwenera, Marca 59 Löwenstein / Lwowiec 158 (Abb.) Lombardus, Petrus 88f. Lorsch 28 Lowenburg 221 Luder von Braunschweig 25, 35, 113–115, 165, 171 Lübeck 75, 103, 189, 212, 219, 223 Łukta siehe Locken Luther von Braunschweig siehe Luder von Braunschweig Luther, Martin 43, 123, 223, 226 Lwowiec siehe Löwenstein M Magdeburg 89 Mainz Diözese 178 Malbork siehe Marienburg Malik al-Kāmil 97 Marburg 22, 179

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Marburg, Wigand von siehe Wigand von Marburg Maria Magdalena 30 Marienburg / Malbork 13, 19, 21–23, 26, 31, 33–36, 40, 70, 86, 135, 164, 177, 185, 187–193, 196–198, 205, 207f., 212 Marienwerder / Kwidzyn 13, 31, 62, 93, 136, 183f., 193f., 207–211, 214f. Dom 26, 133, 135, 150 (Abb.), 181, 202, 206, 213 Marienwerder, Johannes 202, 204, 206f., 211f., 214 Martin 104 Martin V. 79, 180 Martin zu Neunburg 82 Martina 31, 228 Mątowy Wielkie siehe Großmontau Medenau 142, 160 (Abb.) Mehlsack / Pieniężno 69 Mendog 104 Mentzel-Reuters, Arno 12, 63, 207 Mergentheim 124, 178 Messano, Opiso von siehe Opiso von Messano Mestwin II. 76 Mewe / Gniew 35, 192 Dekanat 68 Mewe, Gertrude 85 Mewe, Nikolaus 85 Michael 80, 103 Militzer, Klaus 13 Miłomłyn siehe Liebemühl Mirachów siehe Mirchau Mirchau / Mirachów Dekanat 68 Mönch, Johannes 202, 207 Mohrungen / Morąg 69, 139 Montaillou 25 Morąg siehe Mohrungen

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Orts- und Personenregister

Mühlhausen, Christian von siehe Christian von Mühlhausen München 12 N Nabuchodonosor 127 Nagel, Peter 78 Natangen / Natangia 68 Naumburg 110 Neapel 209, 225 Nebra 110 Neecke, Michael 13 Neidenburg / Nidzica 69 Neri, Filippo 205 Neuenburg / Nowe 76f. Dekanat 68, 74 Nidzica siehe Neidenburg Nikolaus 138 Nikolaus 212 Nikolaus von Jeroschin 13, 48–50, 53, 113–115, 129–131 Nikolaus von Lyra 113, 127 Nikolaus von Sintheim 23 Nordenburg 74f., 79f. Novaria, Bartholomäus de siehe Bartholomäus de Novaria Nowa Wieś Królewska siehe Königlich Neudorf Nowe siehe Neuenburg Nürnberg 212 Germanisches Nationalmuseum 15 O Oliński, Piotr 12, 219 Oliva Zisterzienserkloster 219 Olsztyn siehe Allenstein Olsztynek siehe Hohenstein Ooyen, Johannes van 8 Opiso von Messano 103 Orneta siehe Wormditt

Osterna, Poppo von siehe Poppo von Osterna Osterode / Ostroda 69 Otto 99 Otto von Braunschweig 97 Ottokar II. Přemysl 99 Outremer 30 P Paderborn 209 Padua 88, 187 Päsler, Ralph 63 Patollen 74, 78f., 86, 194 Paul VI. 215 Paul von Rusdorf siehe Rusdorf, Paul von Pehsken / Piaseczno 193 Pelen / Piljany 113 Pelplin Zisterzienserkloster 219 Perlbach, Max 24, 38f. Perlesvaus 17f. Pestlin / Postolin 69, 136 Peter 87 Peter von Dusburg 13, 25, 47–50, 53, 101, 113, 115, 129–131 Peter von Wormditt 49, 208 Peters, Jelko 106 Pfaffendorf, Andreas 56, 87 Piaseczno siehe Pehsken Philipp 119 Piano Carpini, Johannes de 92, 98 Pieniężno siehe Mehlsack Pietrasch 54 Piljany siehe Pelen Plauen, Heinrich von siehe Heinrich von Plauen Plozk / Płock Diözese 67, 103, 195 Pogesanien 75 Pomesanien Diözese 10, 12f., 59–63, 67, 69–71, 75f.,



Orts- und Personenregister

132, 135, 139, 142, 181–184, 195, 207, 209f., 217 Domkapitel 64 Pommerellen 70 Archidiakonat 66–68, 71, 195, 209 Poppo von Osterna 76, 94f., 102 Poschmann, Brigitte 59, 65 Posilge / Żuława Sztumska 69 Pospieszny, Kazimierz 33 Postolin siehe Pestlin Prabuty siehe Riesenburg Prag 92, 202, 212 Preussisch Eylau / Iława Pruska 69 Preußisch Mark / Przezmark 142 Prior, Wilhelm 85 Przemysl Ottokar siehe Ottokar II. Přemysl

Przezmark siehe Preußisch Mark Puck siehe Putzig Putzig / Puck Dekanat 68 Q Queis, Erhard von 26, 42 R Radzimiński, Andrzej 58f., 71 Radzyń Chełmiński siehe Rehden Ramersdorf 179 Rastenburg 82 Ratibor 103 Raymundi, Elias 84 Redzey, Petzold 84 Reeß 179 Regensburg 7, 12f. Reh, Paul 59 Rehden / Radzyń Chełmiński 35, 48, 139 Remling, Ludwig 219 Reszel siehe Rössel Richert, Hans-Georg 127

247

Riesenburg / Prabuty 26, 136, 139, 156 (Abb.) Riga 23, 58, 76f. Kirchenprovinz 61, 71 Rimbold de Ramphin 84 Röhrich, Viktor 60 Rössel / Reszel 69, 74, 77, 80, 84, 139 Röttger, Brigitte 125 Rom 101, 161, 190, 201, 205–207, 210, 212, 215 Roth, Werner 79, 86 Rudau 78 Rüwenthal 31 Rusdorf, Paul von 42, 55, 75, 166 Rybaki siehe Fischhausen Ryman(n), Johannes 202, 211 S Saalfeld / Zalewo 69, 74, 78 Sabes / Zaborsk Dekanat 68 Sachsenhausen Kommende 32 Salomea 104 Salza, Hermann von siehe Hermann von Salza Sambor 102 Samerski, Stefan 7 Samland Diözese 10, 12, 59, 61, 63, 67, 69–71, 76, 132f., 142, 181–184, 209 Domkapitel 61, 64f. Santiago de Compostela 224 Sarnowsky, Jürgen 54 Sarras 18 Sątoczno siehe Leunenburg Schaumberg, Heinrich von siehe Heinrich von Schaumberg Schembek, Friedrich 94, 214 Schiffenberg Augustinerchorherrenstift 31 Schilling, Axel 7

248

Orts- und Personenregister

Schimank, Uwe 122 Schippenbeil / Sępopol 69 Schlanders 182 Schlegelberger, Heinz 59 Schlochau 205 Schondoch 7, 13, 227–230, 238 Schorden, Niklas 84 Schoten 179 Schwanden, Burchard von siehe Burchard von Schwanden Schwetz / Świecie Dekanat 68 Sculteti, Michael 22, 26, 38 Seeburg / Jeziorany 69 Seehesten / Szestno 142 Semgallen 77 Semovitus 102f. Sępopol siehe Schippenbeil Seuse, Heinrich 32 Siena 187 Sieniawski, Karol 60 Simon 86 Sixtus IV. 21 Skibiński, Sczęsny 190 Śliwiński, Andrzej 215 Słupsk siehe Stolp Soldau / Działdowo 69 Sopkow, Peter 194 Sorbom, Heinrich II. 69 Spoleto 100 Sprenger, Jakob 225f. Srkowo siehe Drengfurth Steblew siehe Stüblau Stephan 103 Stockholm 13 Stolp / Słupsk 194 Strasburg / Brodnica 135, 138f., 154 (Abb.), 193f. Straßburg 212 Streifrock, Johann 76

Stüblau / Steblew Dekanat 68 Stuttgart 178 Württembergische Landesbibliothek 124, 177 Swantopolk 103 Swarze, Adalbert 201 Świecie siehe Schwetz Świętopełk 93 Swolgen, Antonius 226 Szembek, Friedrich siehe Schembek, Friedrich Szestno siehe Seehesten Szorc, Alojcy 60 T Tannenberg (Schlacht) 11, 22, 79, 192, 211, 215 Tapiau 21, 205 Tczew siehe Dirschau Thiel, Andreas 214 Thierberg / Zwierzewo 69 Thomas von Aquin 89 Thomas von Celano 100 Thorn / Torún (Thorun) 12, 47f., 56, 74–76, 80–84, 86–90, 92–95, 97–100, 102–104, 135–137, 139, 151 (Abb.), 152 (Abb.), 154 (Abb.), 181, 188, 197, 214, 220f., 227, 229, 232, 234 Universität 71 Tiefen, Hans von 38 Tilo von Kulm 18, 227 Tilsit 74, 78 Toron 47 Torún siehe Thorn Treger, Nikolaus 85 Treitschke, Heinrich von 15 Triller, Anneliese 208 Troyes, Chrétien de siehe Chrétien de Troyes Trumiejki siehe Klein Tromnau



Orts- und Personenregister

Trupinda, Janusz 49 Tworzymir 95 U Ulm 212 Ulrich 24f., 34 Ulrich von Jungingen 78f. Uppsala 66, 69–72 Urban II. 29 Urban IV. 181 Urban VIII. 214 Ustrzycki, A. 94 Utrecht 168f., 176 V Vadstena 196 Venedig 19, 164, 169, 171, 187 Veronika 189 Versailles 215 Voigt von Leske 84 W Wąbrzeźno siehe Briesen Wallenrode, Konrad von siehe Konrad von Wallenrode Wargen 160 (Abb.) Warschau 77 Wartenburg / Barczewo 76, 80f., 85, 139 Wehlau 74, 76, 78, 81f., 84, 89 Wehlau, Johannes von siehe Johannes von Wehlau Werner, Thomas 90 Werner von Orseln (Urseln) 23, 26, 107, 164f., 171

249

Wichmann, Peter 85, 87f., 90 Widukind 229 Wien 168 Wigand von Marburg 48f., 174 Wilhelm 87 Wilhelm von Modena 10, 21, 61, 65, 75f. William Augustus 29 Wilsnack 193 Winrich von Kniprode 77, 84, 165, 171, 173f., 176 Wislaw 80 Wiśniewski, Jan 60, 217, 221, 226 Wissembourg 176 Witen 129 Wittich, David 85 Wittich, Elisabeth 85 Władisław II. 86 Włocławek siehe Leslau Wolfram von Eschenbach 17 Wolimir 102f. Wormditt / Orneta 69 Wormditt, Peter von siehe Peter von Wormditt Woysclaus 101 Wrocław siehe Breslau Z Zaborsk siehe Sabes Zacharias, Rainer 190f. Zalewo siehe Saalfeld Zande, Johann van de 168, 174 Żuława Sztumska siehe Posilge Zwierzewo siehe Thierberg

Sven ekdahl (BearB.)

daS SoldBuch deS deutSchen ordenS 1410/1411 teil ii: indiceS mit perSonen­ geSchichtlichen kommentaren ( veröffentlichungen auS den archiven preuSSiScher kulturBeSitz, Band 23/ii)

Das Soldbuch des Deutschen Ordens in Preußen 1410/1411 enthält Abrechnungen für die Truppen und gibt Auskunft über die Kriegs- und Söldnergeschichte jener Jahre sowie über die Finanz- und Verwaltungsgeschichte des Ordens. Die Edition dieses Soldbuchs wurde bereits 1988 vorgelegt. Der jetzt publizierte zweite Teil enthält neben einer Einleitung über die Söldnerwerbungen des Deutschen Ordens vor der Schlacht bei Tannenberg (15. Juli 1410) umfangreiche Indices zum Soldbuch sowie ausführliche personengeschichtliche Kommentare zu mehr als 800 »Söldnern und Gästen«. Auch viele deutsche Adelsgeschlechter passieren dabei Revue. Um Hinweise zu erleichtern, sind alle Namen mit Nummern versehen. Teil I (ISBN 978-3-412-05285-0) ist weiterhin lieferbar. 2010. V, 408 S. Gb. 160 x 235 mm. ISbN 978-3-412-20583-6

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Har ald Zimmermann

der deutscHe Orden in siebenbürgen eine diplOmatiscHe untersucHung (studia tr ansylvanica , band 26)

Die siebenbürgische Periode des Deutschen Ordens (1211–1225) gilt als »Generalprobe« für seine kurz danach begonnenen Aktivitäten in Preußen. Vom ungarischen König Andreas II. zum Zwecke der Grenzverteidigung und -ausweitung an den Karpaten sowie zur christlich-katholischen Mission in den Südosten seines Reiches gerufen, wurde er wegen seiner eigenstaatlichen Bestrebungen bald wieder vertrieben. Mit dem Deutschen Orden im siebenbürgischen Burzenland hat sich die deutsche, die siebenbürgisch-sächsische, die ungarische und die rumänische Geschichtsschreibung seit Jahrzehnten beschäftigt. Eine eingehende diplomatische Untersuchung der überlieferten Quellen unter Berücksichtigung der sonstigen Papst- und Königsurkunden der Zeit, der Ordensgeschichte, der Persönlichkeit Andreas’ II. sowie der Rolle des Papsttums in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts blieb jedoch bislang aus. Diese liegt nun in zweiter Auflage vor. Die sorgfältige Edition aller einschlägigen Urkunden der Jahre 1211–1427 verleiht diesem Buch den Charakter eines Grundlagenwerkes. 2., durchgesehene AuflAge 2011. XII, 249 s. MIt 10 Abb. Auf 8 tAf. u. 1 KArte. gb. 150 X 230 MM. Isbn 978-3-412-20653-6

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Ulrich A . Wien (hg.)

reformAtion, PietismUs, sPiritUAlität Beitr äge zUr sieBenBürgischsächsischen Kirchengeschichte Unter mitArBeit von BernhArd heigl Und thomAs sindil AriU (sieBenBürgisches Archiv, BAnd 41)

Die Beiträge dieses Bandes erhellen Aspekte der Kirchengeschichte der Siebenbürger Sachsen von der Zeit des katholischen Spätmittelalters über die Reformation und den Pietismus bis hin zur Erweckungsfrömmigkeit an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Dabei werden Forschungsdesiderate an entscheidenden Wegmarken der sächsischen Kirchengeschichte aufgegriffen. Die Beiträge wurden ursprünglich anlässlich des 70. und 80. Geburtstags von Bischof Friedrich Müller-Langenthal (1884–1969) verfasst, konnten seinerzeit aber umständebedingt nicht publiziert werden. Sie sind vom wissenschaftlichen Stand jedoch in keiner Weise überholt und werden nun der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. 2011. VIII, 316 S. Br. 150 x 230 mm. ISBN 978-3-412-20697-0

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MACIEJ DORNA

DIE BRÜDER DES DEUTSCHEN ORDENS IN PREUSSEN 1228–1309 EINE PROSOPOGRAPHISCHE STUDIE AUS DEM POLNISCHEN ÜBERSETZT VON MARTIN FABER

Der vorliegende Band erfasst die Brüder des Deutschen Ordens, die in Preußen in der Gründungs- und Konsolidierungsphase des preußischen Ordenstaats (1228–1309) tätig waren. Seinen Kern bildet ein prosopographischer Katalog von 591 Brüdern, die sich im Untersuchungszeitraum in Preußen auf hielten und Spuren in den Quellen hinterlassen haben. Das Buch rekonstruiert die Karrieren der Ordensbrüder detailliert und beantwortet wenn möglich die Frage ihrer territorialen und sozialen Herkunft. Die im Katalog gesammelten Daten bilden die Grundlage für generalisierende Schlussfolgerungen zur territorialen und sozialen Basis des preußischen Zweigs des Deutschen Ordens, zu seiner Rekrutierungs- bzw. Personalpolitik sowie zu den Karrieremodellen im Orden. 2012. 473 S . GB. 170 X 240 MM. | ISBN 978-3-412-20958-2

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bd. 31 | brIgItte lOb

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grüssau und WimpFen

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bd. 32 | hAns-Jürgen KArP,

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JOAchIm Köhler (hg.)

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bd. 34 | rAIner bendel

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RB047

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