Bischöfe und Ordensleute: Cura principalis animarum und via perfectionis in der Ekklesiologie des hl. Thomas von Aquin [Reprint 2014 ed.] 9783050077116, 9783050034164

Der Autor erbringt in der Studie den Nachweis, dass die Lehre des Thomas von Aquin vom‚ status perfectionis’ einen integ

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Table of contents :
Vorwort
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Literatur
Zur Einführung
Erster Teil. Thomas von Aquin und die Anfänge seiner Theologie des Episkopats
I. Kapitel. Die Anfänge
1. Der Sentenzenkommentar
2. Die Summa contra Gentes
3. Papst und Bischöfe
4. Vorläufer und Zeitgenossen
II. Kapitel. Die Polemik gegen den Episkopat
1. Das Quodlibet I, q. 7, a. 2
2. Gerhard von Abbeville
3. De perfectione spiritualis vitae
4. Bischöfe und Priester
5. Quodlibet III, q. 6, a. 3 und Summa Theologiae III
Zweiter Teil. Episkopat und status perfectionis
I. Kapitel. Die Synthese in der Secunda Secundae
1. Die Statustheorie
2. Wer ist im status perfectionis?
II. Kapitel. Der Bischof und seine cura principalis
1. Die Pflichten des Bischofs
2. Darf man den Episkopat erstreben?
Dritter Teil. Das Wesen des Religiosenstandes
I. Kapitel. Die Theologie der evangelischen Räte
1. Die Summa contra Gentes
2. Die Synthese in der Secunda Secundae
3. Die Orden und ihre Funktionen in der Kirche
II. Kapitel. Die Vielfalt des Ordenswesens
1. Die Verschiedenheit der Orden
2. Aktive und kontemplative Orden
3. Orden und evangelische Armut
4. Christus als Urgestalt der Predigerbrüder
5. Der Ordenseintritt
6. Der Ordenswechsel
1. Exkurs: Thomas und der Predigerorden
2. Exkurs: Abraham als Zeuge christlichen Weltverhaltens
Nachwort
Namenverzeichnis
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Bischöfe und Ordensleute: Cura principalis animarum und via perfectionis in der Ekklesiologie des hl. Thomas von Aquin [Reprint 2014 ed.]
 9783050077116, 9783050034164

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Ulrich Horst Bischöfe und Ordensleute

Ulrich Horst

Bischöfe und Ordensleute Cura principalis animarum und via perfectionis in der Ekklesiologie des hl. Thomas von Aquin

Akademie Verlag

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Horst, Ulrich: Bischöfe und Ordensleute : Cura principalis animarum und via perfectionis in der Ekklesiologie des hl. Thomas von Aquin / Ulrich Horst. Berlin : Akad. Verl. 1999 ISBN 3-05-003416-5

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1999 Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Druck: GAM Media, Berlin Bindung: Drackhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt

Vorwort

7

Quellen- und Literaturverzeichnis

9

1. Quellen 2. Literatur

9 12

Zur Einführung

25

Erster Teil Thomas von Aquin und die Anfange seiner Theologie des Episkopats

29

I. Kapitel

Die Anfange

31

1. Der Sentenzenkommentar 2. Die Summa contra Gentes 3. Papst und Bischöfe 4. Vorläufer und Zeitgenossen

31 36 38 44

II. Kapitel

Die Polemik gegen den Episkopat

53

1. Das Quodlibet I, q. 7, a. 2 2. Gerhard von Abbeville 3. De perfectione spiritualis vitae 4. Bischöfe und Priester 5. Quodlibet III, q. 6, a. 3 und Summa Theologiae III

53 56 60 71 75

6

Inhalt

Zweiter Teil Episkopat und status perfectionis

79

I. Kapitel

Die Synthese in der Secunda Secundae

81

1. Die Statustheorie 2. Wer ist im status perfectionis?

81 88

II. Kapitel

Der Bischof und seine cura principalis

93

1. Die Pflichten des Bischofs 2. Darf man den Episkopat erstreben?

93 99

Dritter Teil Das Wesen des Religiosenstandes

111

I. Kapitel

Die Theologie der evangelischen Räte

113

1. Die Summa contra Gentes 2. Die Synthese in der Secunda Secundae 3. Die Orden und ihre Funktionen in der Kirche

113 119 129

II. Kapitel

Die Vielfalt des Ordenswesens

139

1. Die Verschiedenheit der Orden 2. Aktive und kontemplative Orden 3. Orden und evangelische Armut 4. Christus als Urgestalt der Predigerbrüder 5. Der Ordenseintritt 6. Der Ordenswechsel

139 146 154 161 165 178

1. Exkurs: Thomas und der Predigerorden 2. Exkurs: Abraham als Zeuge christlichen Weltverhaltens

182 187

Nachwort

191

Namensverzeichnis

197

Vorwort

Vorliegende Untersuchung ist aus meiner Arbeit „Evangelische Armut und Kirche. Thomas von Aquin und die Armutskontroversen des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts" erwachsen. Es zeigte sich, daß das Opusculum des Aquinaten De perfectione spiritualis vitae in bezug auf Probleme der evangelischen Armut einen Wendepunkt markierte und gleichzeitig eine vertiefte Sicht des Episkopats bot. Diese Neuorientierung resultierte vornehmlich aus den Kontroversen mit Gerhard von Abbeville und seiner Pariser Gefolgschaft. Der historischen Situation und deren Vorgeschichte war deshalb auch jetzt entsprechende Aufmerksamkeit zu schenken. Die in De perfectione entwickelte Parallelisierung von Episkopat und Religiosenstand rechtfertigt den Titel meines Buches und die die Darstellung leitenden Gedanken. Daß Thomas Einmaligkeit und Sonderstellung des bischöflichen Amtes so dezidiert vertritt, ist die eine Seite. Die andere ist, daß sich aus der engen Zuordnung von Episkopat und Religiosenstand das Desiderat einer theologischen Fundierung des Ordenslebens mit den ihm eigenen Aktivitäten ergibt, die angesichts der pastoralen Nöte des Jahrhunderts das Gebot der Stunde war. Als Angelpunkt der in der Folgezeit entworfenen Synthese des status religionis erweist sich das Verständnis der Gelübde als Mittel auf dem Weg zur Vollkommenheit nach den Weisungen des Evangeliums. Welche Rolle hierbei die Reflexion über die Armutsforderung mit ihren ekklesiologischen Konsequenzen spielt, hatte mir meine vorhin genannte Arbeit gezeigt. Daß ihr tatsächlich eine hermeneutische Schlüsselfunktion für die ganze Konzeption zukommt, wird freilich erst in dieser Untersuchung vollends deutlich. Das erklärt den verhältnismäßig breiten Raum, den die Armutsproblematik in beiden Teilen des Buches einnimmt. Der Umstand, daß die Studie gegen Ende meiner Münchner akademischen Tätigkeit erscheinen wird, gibt mir die willkommene Gelegenheit, vielfältigen Dank abzustatten. Er gilt zunächst meinem Kollegen Prof. Dr. Richard Heinzmann, der mir über die Jahre in Freundschaft verbunden ist. In Frau Dr. Marianne Schlosser und Herrn Dr. Thomas Prügl hatte ich gute und wissenschaftlich hochqualifizierte Mitarbeiter, denen ich viel schulde. Herr Dr. Thomas Prügl hat sich wiederum bereitwillig meiner Literaturwünsche angenommen. Auch habe ich mit ihm - jetzt und früher - gemeinsame Probleme der Forschung diskutiert und Anregungen und Hilfe erfahren. Ebenso herzlich sei Frau Elisabeth Rotter, meiner Sekretärin, gedankt. Ihrer Sorge für das Grabmann-Institut und ihrer Verläßlichkeit werde ich mich stets sehr verpflichtet wissen.

8

Vorwort

Ich habe vielfachen Anlaß, auch der Damen und Herren zu gedenken, die an meinen Oberseminaren teilgenommen haben. Ihre Fragen und Diskussionsbeiträge haben Spuren hinterlassen. Mehr noch: Sie haben uns bestätigt, daß die mittelalterliche Theologie kein toter Buchstabe ist. Meinen Dank möchte ich schließlich Herrn Manfred Karras vom Akademie Verlag aussprechen, der auch dieses Buch in zuvorkommender Weise in verlegerische Obhut genommen hat. München im Januar 1999

Ulrich Horst

Quellen- und Literaturverzeichnis

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ZERFAß,

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Zur Einführung

Unsere Absicht, den Begriff des status perfectionis, seine Genesis, sein Wesen und die Bedeutung, die er für den Aquinaten - namentlich in der Summa Theologiae - hat, zu untersuchen, setzt die Kenntnis der Überlegungen und Argumente in bezug auf den Episkopat voraus, wie sie seit dem Sentenzenkommentar bis zu dem einen Wendepunkt markierenden Opusculum De perfectione spiritualis vitae vorgetragen wurden. Der Umstand, daß Eigenart und Funktionen des bischöflichen Amtes mit Beginn des zweiten Pariser Aufenthalts zunächst in einem überwiegend polemischen Kontext verhandelt werden, der zu Antworten mit scharfen Untertönen herausforderte, läßt vermuten, daß die früheren unser Thema betreffenden Äußerungen zwischen den Sentenzen und der Summa contra Gentes, um einen chronologischen Rahmen zu skizzieren, eher in den allgemeinen Kontext scholastischer Theologie passen als die späteren Entwürfe, in denen sich Thomas im Gefolge des zweiten Mendikantenstreits deutlich von seinen Zeitgenossen abhebt. Offenbar hat er bald nach Ausbruch dieser Kontroversen erkannt, daß die argumentative Konzentration auf die Bischöfen und Priestern gemeinsame Konsekrationsgewalt einen umfassenden Blick auf den Episkopat verhinderte. Wie sehr Thomas die in solcher Engführung verborgenen Gefahren ernst genommen hat, zeigen die von ihm unverzüglich gezogenen Schlüsse, indem er den Episkopat als den allen sonstigen kirchlichen Ständen schlechthin übergeordneten status perfectionis bestimmte und ihm so einen einmaligen und unverwechselbaren Platz im Gefüge der Kirche zuwies. Bezeichnenderweise finden sich in diesem Zusammenhang die ersten Argumente, die auf einen sakramentalen bischöflichen ordo hindeuten. Daß jedoch hier wie auch anderswo der Nachdruck nicht auf einem mit ihm verbundenen Charakter, sondern auf dem spezifischen episkopalen Stand liegt, scheint sich am besten dadurch zu erklären, daß Thomas seinerzeit in diesem das geeignetste Mittel erblickte, um die Sonderheit jenes Amtes zu begründen. Gerade weil sich dieser Vorgang ziemlich abrupt vollzog, lohnt es sich, die Vorgeschichte des Problems in den Blick zu nehmen. In einem ersten Schritt soll es deshalb darum gehen, die wichtigsten Aspekte zu erörtern, die mit der Theologie des Episkopats bis zum Beginn der Pariser Konflikte verknüpft sind. Sodann wird der neue Ansatz im Opusculum De perfectione spiritualis vitae zu würdigen sein, der zugleich einen vorläufigen Höhepunkt der Entwicklung darstellt, über den Thomas auch später im Prinzip nicht hinausgelangt ist. Thomas hat aus der Polemik Gerhards von Abbeville einen weiteren bemerkenswerten Schluß gezogen, dem eine bis in unsere Tage währende Nachgeschichte beschieden sein sollte. Aus der Parallelisierung des episkopalen Standes mit den Ordensgelübden, die gleichzeitig über-

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Zur Einführung

boten werden, ergab sich die Konsequenz, daß auch die Religiösen unter die Mitglieder des Standes der Vollkommenheit zu subsumieren sind. So ließen sich die theologischen Ansprüche ihrer Konkurrenten, der Pfarrer und Archidiakone, die dasselbe Recht für sich reklamierten, aber der wesentlichen Merkmale des neu konzipierten Satusbegriffs entbehrten, wie von selbst aus dem Bischöfen und Religiösen gemeinsamen Stand eliminieren. Sie mußten sich darauf beschränken, lediglich Mitarbeiter und Gehilfen ihrer Oberhirten zu sein. Die von ihnen für eigenständig gehaltenen Ämter wurden folglich abgewertet und zu Offizien gemacht, über die der Inhaber der cura principalis animarum frei verfügen konnte, wie es auch ihnen möglich war, auf sie jederzeit zu verzichten. Dauerhaftigkeit und feierliche Übertragung der Hirtensorge, die zentralen Kennzeichen der Zugehörigkeit zu einem Stand, eigneten ihnen nicht. Thomas ließ es allerdings bei dieser formalen Integration der Religiösen in den status perfectionis, in dem sie die perßciendi unter den Bischöfen als den perficientes waren, nicht bewenden. Sie veranlaßte ihn vielmehr, die Eigenart klösterlicher Gemeinschaften im Licht der jüngst den Mendikanten in der Kirche eröffneten Möglichkeiten neu zu bedenken. Der Umstand, daß insbesondere die „Prediger" beides verkörperten - monastische Konstanz und vielen Zeitgenossen revolutionär anmutende pastorale und wissenschaftliche Aktivitäten - gab ihm Grundsätze an die Hand, die zu einer Synthese drängten. Zu ihnen zählt in erster Linie die schon bald in anderen Schulen als Provokation empfundene These, die Gelübde seien nur Weg, Mittel oder Instrumente, um zur vom Evangelium gebotenen Vollkommenheit zu gelangen. Was den einen als gefährliche Relativierung mißfiel, haben andere als Reduktion auf Wesentliches begrüßt, die es ihnen erlaubte, von der buchstäblichen Erfüllung monastischer Observanzen abzurücken und eine vergeistigte Praxis zu pflegen. Daß Thomas diesen „Schlüssel" anläßlich schwerwiegender Kontroversen über die Funktion der Armut in der Kirche gefunden und dann auf zahllose Einzelprobleme angewandt hat, gehört zu den lange von der Forschung nicht recht wahrgenommenen Überraschungen, die gerade die Abhandlungen über den Ordensstand in erstaunlich vielfältiger Weise bieten. Es wird sich erweisen, daß das so einfach anmutende Prinzip vom instrumentalen Charakter der Gelübde geeignet war, eine Konzeption zu entwickeln, die den Traditionen des klassischen Mönchtums ebenso gerecht wurde wie den Herausforderungen des 13. Jahrhunderts. In diese allgemeine Sicht der sequela Christi durch Thomas fügt sich die Behandlung der konkreten historischen Erscheinungsformen der Orden ein, unter denen seine eigene Predigergemeinschaft einen exemplarischen Platz einnimmt. Sie erfreut sich unterdessen - von Nachhutgefechten abgesehen - gesamtkirchlicher Approbation, in der der Papst eine spezielle, aber hier nicht weiter reflektierte Rolle spielt. Die früher notwendige Apologie der Mendikanten ist deshalb in den Hintergrund getreten. Die Probleme haben sich jedoch inzwischen verschoben, denn nun fühlt sich der Aquinate angesichts des erlahmenden Eifers eher verpflichtet, seine Brüder mit dem Beispiel Christi zu konfrontieren, der nicht zuletzt aus diesem Grund in der Tertia Pars der Summa gleichsam als „idealer Predigerbruder" vorgestellt wird, dessen Leben und Wirken, hier in einem kühnen Entwurf beschrieben, an die für einen Predigerorden maßgebenden Fundamente erinnern soll. Das eigentliche Ziel des Traktats der Secunda Secundae ist nun nicht mehr wie in Contra impugnantes Apologie einer bestimmten klösterlichen Lebensform, sondern der Nachweis, daß allen Orden, deren Gesetze das gestatten, die neuen pastoralen und wissenschaftlichen Aktivitäten offenstehen. Thomas hat begreiflicherweise seinen bevorzugten Idealen - Studium und Pre-

Zur Einführung

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digt - besondere Aufmerksamkeit geschenkt, bemüht sich aber, die alltäglichen konventualen Observanzen in ihrer Eigenschaft als Mittel zur Erreichung eines höheren Ziels zu würdigen und sie von einer dem Buchstaben verplichteten Praxis zu lösen. Auch sollte der ekklesiologische Aspekt des Traktats, obschon er nicht eigentlich thematisiert wird, nicht übersehen werden. Abgesehen von der Tatsache, daß der Kirche vom Herrn selbst geboten ist, ein Leben nach den evangelischen Räten zu ermöglichen, verdient hervorgehoben zu werden, daß die Idealform eines Ordens dem episkopalen Stand am nächsten steht, insofern in ihr die den Bischöfen aufgetragene Vollkommenheit in exemplarischer Weise durch ihnen untergeordnete Mitarbeiter realisiert wird. Besondere Aufmerksamkeit verdient - daran sei nochmals erinnert - die Integration der Ordenskonzeption des Aquinaten in seine Christologie, namentlich in seine Lehre vom Erdenwandel Jesu, in dem Kontemplation und Aktion zur vollendeten Harmonie gelangt sind. Hier werden nunmehr in einer von vielen Zeitgenossen als kühn empfundenen Argumentation die Gedanken vorgetragen, die Thomas in den Anfängen eher verhalten geäußert hatte. Die Kritik wird schon bald nach seinem Tod ein weites Betätigungsfeld finden.

ERSTER TEIL

Thomas von Aquin und die Anfänge seiner Theologie des Episkopats

I. Kapitel

Die Anfänge

1. Der Sentenzenkommentar Thomas hat in seinem Sentenzenkommentar, dessen Redaktion sich bis in das Jahr 1256 hinzog, an drei Stellen die uns interessierenden Probleme erörtert: anläßlich der Firmung, der Eucharistie und der Weihe1. Daß unsere Aufmerksamkeit zunächst dem Spender der Firmung gilt, versteht sich auf dem Hintergrund der traditionellen Lehre von selbst2. In -einem ersten Schritt bindet Thomas dieses Sakrament an die Bischöfe mit dem Argument, daß nur sie den Aposteln nachfolgen, die in der Urkirche die Hände aufgelegt, d.h. gefirmt haben. Die These erhält ihre systematische Begründung mit einem Ps. Dionys entlehnten Gedanken, wonach die entscheidende Aufgabe, die Gläubigen zur Vollkommenheit zu fuhren, eben allein ihnen obliegt. Sie sind die perfectores - ein Begriff dem später eine Schlüsselrolle zukommen wird - , die den Firmling mit Chrisam bestärken und ihn, nachdem er in der Taufe erleuchtet wurde, „vollenden"3. Der Aquinate stützt das Argument mit Hilfe einer natürlichen Analogie. Alle Produkte menschlicher Kunstfertigkeit erhalten ihren eigentlichen „Schliff' (ultima perfectiö), wenn die letzte Hand angelegt wird. Die Anwendung auf unser Problem ist nicht schwer. Die Bischöfe haben in der kirchlichen Hierarchie den obersten Platz inne, so daß ihnen der Abschluß aller hierarchischen Handlungen obliegt. Das trifft auch auf das Firmsakrament zu, insofern es den Empfänger in einen Stand versetzt, der den aller Nichtgefirmten überragt. Dieser hat einen neuen Ort in der Kirche erhalten mit der Pflicht, den Glauben öffentlich zu bekennen und in Verfolgungen standhaft zu bleiben4. Das will sagen: Die die hierarchische Ordnung verändernden Akte, wie sie in Firmung und Wei1 Zur Datierung s. J.-P. TORRELL, Magister Thomas 60-66. G. EMERY, La Trinité créatrice 35-38. Dort auch weiterführende Literatur. 2 Vgl. W. WEISWEILER, Das Sakrament der Firmung. B. NEUNHEUSER, Taufe und Firmung 101-109. A. ADAM, Das Sakrament der Firmung, bes. 97-108. B.-M. PERRIN, Le caractère de la confirmation. B. KLEINHEYER, Sakramentliche

Feiern

1 191-202.

3 IV Sent, d. VII, q. 3, a. 1 (nr. 154f). 4 IV Sent, d. VII, q. 3, a. 1, qla 2 (nr. 163f). Unde cum episcopi in ecclesiastica hierarchia teneant supremum locum, illud quod est ultimum in actionibus hierarchicis eis reservandum fuit. Et quia perficere aliquem hoc modo quod sit supra communem statum aliorum, est supremum in actionibus hierarchicis, ideo sacramentum confirmationis et ordinis, quibus hoc efficitur. solis episcopis dispensanda reservantur.

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Die Anfänge

he wirksam werden, sind den Oberhirten kraft ihrer Verantwortung für den mystischen Leib reserviert. Die Taufe als heilsnotwendiges Sakrament hingegen versetzt den Täufling nicht in einen die anderen überragenden Stand. Sie ist, unter diesem Aspekt betrachtet, ein Sakrament der „Gleichheit". Die Eucharistie hat zwar mit Firmung und Weihe gemeinsam, daß sie vervollkommnet, aber doch in einer unterschiedlichen Weise, insofern sie im Empfänger keinen sakramentalen Charakter verursacht, so daß allein die Konfirmierten und Ordinierten etwas „erwerben", das ihnen einen Stand gibt, der sie von den übrigen Getauften abhebt5. Mit einem dieser Überlegung verwandten Gedanken begründet Thomas erneut die Differenz zwischen Bischof und Priester. Sie liegt nicht in den sich auf den wahren Leib des Herrn beziehenden Akten, sondern darin, daß die ordines in verschiedener Weise auf den mystischen Leib hingeordnet sind. Aus diesem Grund darf man mit Ps. Dionys den Episkopat einen ordo nennen. Die „bischöfliche Würde" (dignitas episcopalis) wird in einer Konsekration verliehen. Sie autorisiert ihren Inhaber, die Glieder der Kirche zu „befördern" (in promotione), da er Vollmachten hat, die der einfache Priester nicht besitzt6. Wenn Thomas das der Firmung und Weihe Eigentümliche darin erblickt, daß sie den Empfänger in einen neuen „Ort" in der strikt hierarchisch verfaßten Kirche einfügen, so wird sich - im Blick auf später zu entwickelnde Gedanken - die Frage stellen, welchen „Platz" genau der Episkopat in der Kirche hat, falls man ihm allein den höchsten ekklesiologischen Stand zuspricht, der sich scharf von Priestern und Religiösen unterscheidet. Ist er möglicherweise ein „Ersatz" für den noch ungeklärten spezifischen Charakter der in einer Konsekration gespendeten dignitas episcopalis? Wer darf firmen? Aus den Diskussionen der Schulen weiß Thomas, daß diese einfache Frage eine Reihe von Problemen einschließt, die er selbst nicht immer auf dieselbe Weise gelöst hat. Den Sentenzen des Lombarden hat er entnommen, daß die Kontroversen alt sind und ihren Ursprung in widersprüchlichen Papstzitaten haben. Eines von ihnen besteht auf der apostolischen Tradition, der zufolge nur Bischöfe dieses Sakrament spenden dürfen, während ein anderes, das von Gregor d. Gr. stammt, den Priestern gestattet, die Getauften an der Brust zu berühren, aber nicht mit Chrisam an der Stirn zu salben7. Gewisse, nicht namentlich genannte Autoren sind nun zu dem Schluß gelangt, daß kein Priester kraft eines päpstlichen Mandats firmen kann. Das von Gregor gemachte Zugeständnis, einen Teilritus 5 AaO ad 1 (nr. 165). Ad primum ergo dicendum quod baptismus, cum sit sacramentum necessitatis, communiter omnibus competit. Et ideo per ipsum non ponitur aliquis supra communem statum, sicut fit per confirmationem ... Und ad 2 (nr. 166f): Ad secundum dicendum quod eucharistia, sicut confirmatio et ordo, est sacramentum perficiens. Sed in hoc differt ab aliis, quia in ordine et confirmatione illud quod est ibi res et sacramentum, est aliquid in suscipiente acquisitum; et ideo suscipientem haec sacramenta promovent ad perfectionem quamdam ultra communem statum fidelium; sed eucharistia habet illud quod est res et sacramentum in se, non in suscipiente. Et ideo per sumptionem eucharistiae non acquirit aliquis perfectionem ultra communem statum, cum non imprimatur character; sed peificit unumquemque in statu suo. 6 AaO ad 3 (nr. 168). Ad tertium dicendum quod quamvis episcopus non habeat aliquem ordinem supra sacerdotem, secundum quod ordines distinguuntur per actus relatos ad corpus Domini, verumtamen habet aliquem ordinem supra sacerdotem, secundum quod ordines distinguuntur per actus supra corpus mysticum. Unde Dionysius ponit... episcopatum ordinem. Unde et cum quadam consecratione dignitas episcopalis confertur. Et ideo in promotione membrorum corporis mystici aliquid potest competere episcopo quod non competit simplici sacerdoti. 7 Vgl. den Quellennachweis bei Petrus Lombardus, IV Sent, d. VII, c. II, ed. cit. 277.

Der Sentenzenkommentar

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vollziehen zu dürfen, deuten sie so, daß den Priestern lediglich erlaubt war, ein Sakramentale zu spenden, das gewisse Ähnlichkeit mit der Firmung aufweist8. Das wäre jedoch - so Thomas - eine Täuschung anläßlich der Verwaltung der Sakramente, die mit der in der Lehre zu fordernden Wahrheit unvereinbar ist . und deshalb nicht auf einen Papst zurückgehen kann9. Andere wiederum - wir werden später hören, wer wahrscheinlich gemeint ist - machen sich einer Übertreibung in der entgegengesetzten Richtung schuldig, indem sie behaupten, die Autorität eines Papstes sei so groß, daß auf sein Geheiß hin jeder das spenden kann, was er selbst hat. Ein Gefilmter dürfte dann firmen, und ein Priester könnte das Priestertum weitergeben, doch reiche eine solche Beauftragung nicht aus, daß der Inhaber einer niederen Weihestufe eine höhere verleihe. Man sollte meinen, Thomas würde diese These schlicht verwerfen, aber sein Urteil ist erheblich milder: Sie ist lediglich als „allzu weit" zu beurteilen. Ein Mittelweg empfiehlt sich also. Der Episkopat fügt nichts hinzu, das über das Priestertum in bezug auf den Leib des Herrn hinausgeht, sondern nur in Hinsicht auf die Kirche. Dasselbe gilt für den Papst als obersten Bischof. Auch er hat keine Gewaltenfülle im Blick auf die Eucharistie, wohl aber in seiner Beziehung zum mystischen Leib. Jede sakramental vermittelte Gnade steigt vom Haupt in den mystischen Leib herab, so daß auf die Kirche zielendes sakramtentales Handeln vom sakramentalen Handeln in Hinsicht auf den wahren Leib Christi abhängt. Aus diesem Grund kann allein der Priester in der Beichte absolvieren und amtlich taufen10. Offenbar haben die Sakramente in ihrer Vielgestaltigkeit ein Zentrum, von dem sie ihre Wirkung erhalten. Was Thomas damit meint, wird er wenig später erläutern. Da alle sakramentalen Vollzüge kraft des inkarnierten Wortes geschehen, bedürfen sie, um zu ihrer spezifischen Vollkommenheit zu gelangen, einer dem Haupthandelnden zuzuweisenden actio, eben des menschgewordenen Wortes, das in der Eucharistie enthalten ist11. In präziserer Gestalt findet sich der Gedanke in der Summa Theologiae, wo es heißt, daß alle Sakramente auf die Eucharistie wie zu ihrem Ziel hingeordnet sind, denn in ihr allein ist Christus substantialiter, während in den übrigen nur eine instrumentale Kraft wirkt, die an Christus partizipiert12. Auch geht Thomas an dieser Stelle auf das Amt und die bischöfliche Vollmacht ein. Weihe und Firmung deputieren die Christen zu speziellen Ämtern, die zum Aufgabenbereich eines „Fürsten" gehören. Weil sich das so verhält, obliegt es dem Bischof, der „gleichsam Fürst in

8 9 10

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12

AaO, qla. 3 (nr. 169). AaO. AaO (nr. 171). Et ideo sciendum est quod cum episcopatus non addat aliquid supra sacerdotium per relationem ad corpus Domini verum, sed solum per relationem ad corpus mysticum, papa per hoc quod est episcoporum summus, non dicitur habere plenitudinem potestatis per relationem ad corpus Domini verum, sed per relationem ad corpus mysticum. Et quia gratia sacramentalis descendit in corpus mysticum a capite, ideo omnis operatio in corpus mysticum sacramentalis per quam gratia datur, dependet ab operatione sacramentali super corpus Christi verum. Et ideo solus sacerdos potest absolvere in foro poenitentiali et baptizare ex officio. IV Sent, d. VIII, q. 1, a. 3, qla 1 (nr. 75). Et quia invenimus diversas actiones sacramentales distributas quae in virtute Verbi incarnati agunt, oportet ad perfectionem actionum huius generis esse aliquam sacramentalem actionem quae ipsimet principali agenti attribuatur, quod est Verbum incarnatimi. Et ideo oportuit esse sacramentum eucharistiae quod ipsum Verbum incarnatimi contineret, ceteris sacramentis tantum in virtute ipsius agentibus. 11165,3.

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Die Anfänge

der Kirche" ist, diese beiden Sakramente zu spenden. Die Eucharistie hingegen ordnet den Empfänger nicht zu einem bestimmten Amt ab, sie ist vielmehr Ziel aller Ämter13. Es versteht sich, daß der Papst angesichts der soeben beschriebenen Konzentration auf den wahren Herrenleib, bei der es keinen Unterschied zwischen Bischof und einfachen Priestern gibt, keine spezielle Gewalt über die Eucharistie hat. Daraus leitet sich eine Folgerung ab, die unser Problem klären soll: Alle jene Vollkommenheiten, die nur die Kirche betreffen, kann der Papst kraft der in ihm ruhenden Gewaltenfülle einem Priester übertragen, nicht jedoch einem Diakon, weil dieser der Konsekrationsvollmacht entbehrt. Das schließt ferner ein, daß, wenn eine wie immer geartete direkte Beziehung auf die Eucharistie vorliegt, kein Mandat des Papstes imstande ist, eine etwaige Beauftragung zu legitimieren. So liegt es, um eine eingangs erwähnte Ansicht, deren Vertreter wir später kennenlernen werden, abzulehnen, nicht in seiner Hand, einen einfachen Priester zu autorisieren, die Priesterweihe zu spenden, wohl aber ist es diesem möglich, die niederen Weihen zu erteilen, da der Minorist keinen Akt in bezug auf den Herrenleib setzen kann und auch keinen in Hinsicht auf die Kirche, insofern durch ihn Gnade vermittelt wird. Das heißt schließlich: Der Papst kann einen Priester beauftragen, die Firmung zu spenden, weil diese zwar den Empfänger im Blick auf die Kirche vervollkommnet, aber keine Beziehung zum wahren Leib des Herrn hat14. Thomas will also sagen: Der Umstand, daß die sakramental vermittelte Gnade in der Eucharistie ihr Zentrum hat, in der das menschgewordene Wort als Haupthandelnder präsent ist, sichert dem den Bischöfen und Priestern gleichermaßen gemeinsamen sacerdotium die entscheidende Rolle, an die auch die Firmung gebunden ist, so daß sie von keinem gespendet werden kann, der seiner nicht teilhaftig ist. Zu der sakramentalen Wirkung tritt nun aber auch eine ekklesiologische, insofern der Konfirmierte durch sie eine Stellung im mystischen Leib erhält, die ihn über die bloß Getauften hinaushebt. Eine solche Veränderung des Status auf der untersten Stufe ist zunächst allein Sache dessen, dem die eigentliche Sorge um hierarchische Akte obliegt. Da sich diese jedoch in einem nichtsakramentalen Rechtsbereich bewegen, sind sie ihrer Natur nach grundsätzlich übertragbar. Gleichwohl weiß Thomas, daß diese einem einfachen Priester erteilte Bevollmächtigung mit ihren verhältnismäßig geringfügigen Folgen für die hierarchisch strukturierte Kirche ein Schritt von erheblicher Tragweite ist, denn bemerkenswerterweise hat nur der Papst als Inhaber der Gewaltenfülle das Recht, die sonst den Bischöfen reservierte Kompetenz zu erweitern. Die Lokalkirche kann es nicht. Wichtige Aufschlüsse über das Verhältnis Bischof - Priester dürfen wir anläßlich der Antwort auf die Frage erwarten, ob es eine bischöfliche Gewalt geben müsse, die über die in der Priesterweihe mitgeteilte hinausgeht. In bezug auf die Konsekration ist das, wie wir wis13 14

III 65, 3 ad 2. IV Sent, d. VII, a.l, qla 3 (nr. 172). Et ideo dicendum quod promovere ad illas perfectiones quae non respiciunt corpus Domini verum, sed solum corpus mysticum potest a papa, qui habet plenitudinem pontificalis potestatis, commini sacerdoti qui habet actum summum super corpus Domini verum ... (nr. 172). Non autem potest simplici sacerdoti committere promovere ad perfectionem quae respicit aliquo modo corpus Domini verum. Et ideo simplex sacerdos ex mandato papae non potest conferre ordinem sacerdotii; quia ordines sacri habent actum supra corpus Domini verum vel supra materiam eius (nr. 173). Potest autem concedere simplici sacerdoti quod conferai minores ordines, quia isti nullum actum habent supra corpus Domini verum vel materiam eius, nec etiam supra corpus mysticum actum per quem gratia conferatur ...

Der Sentenzenkommentar

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sen, nicht der Fall, doch übt der Priester weitere Akte aus, die das Volk auf die Eucharistie vorbereiten. Sie setzen beim Binden und Lösen in der Beichte die durch die Prälaten vorher gewährte Jurisdiktion voraus, kraft deren dem Priester die Gläubigen unterstellt werden15. Insofern also der Bischof eine Gewalt in hierarchischen Handlungen im Blick auf die Kirche hat, ist der Episkopat, wie der Aquinate von Ps. Dionys weiß, ein ordo16. Unter dem Aspekt des auf die Eucharistie bezogenen sakramentalen Charakters ist er dies allerdings nicht, auch wenn dem Bischof anläßlich seiner Weihe eine gewisse „geistliche Gewalt" in Hinsicht auf seine Vollmacht, Priesterweihe und Firmung zu spenden, verliehen wird17. Die vorausgegangene Argumentation läßt bereits erkennen, wie Thomas die dem Bischof vorbehaltene Ordinationsvollmacht begründen wird. Auch diesmal basiert sie auf der Funktion, die Empfänger in das hierarchische Gefüge des mystischen Leibes einzugliedern und sie in entsprechende Ämter einzuweisen. Das ist die zentrale Aufgabe dessen, der die cura principalis in der Kirche innehat. Verwiesen wird auf die Firmung und die Segnung der Jungfrauen, die die Christus verlobte Kirche repräsentieren. Zwar kann die dignitas episcopalis, wofern sie keinen unmittelbaren Bezug auf die Eucharistie hat, vom Papst auch einem einfachen Priester übertragen werden, doch zeigt eine von Thomas gemachte Präzisierung, worin der Unterschied zwischen jenem und dem Bischof liegt. Den Anlaß bietet die Frage, warum ein Priester nicht einen Diakon weihen kann, da doch zwischen beiden Weihestufen eine ähnliche „Nähe" besteht wie zwischen Bischof und Priester. Daß man einem anderen gibt, was man selbst hat, hat nicht nur die „Nähe" zur Voraussetzung, sondern auch die „Vollständigkeit der Gewalt" (completio potestatis), die der Priester in bezug auf die hierarchischen Ämtern nicht besitzt, so daß er keine Diakone weihen kann18. Gewiß hat Thomas beim damaligen Stand der Debatte die Funktion des Episkopats hinreichend deutlich beschrieben und konsequent auf die beiden „neuralgischen Sakramente" angewandt, doch bleibt nach wie vor eine Frage nicht recht beantwortet. Ist das für das bischöfliche Amt Charakteristische lediglich eine Rechtsbefugnis zur Ordnung der Kirche? Wenn ja, müßte sie im Falle der Resignation ihres Inhabers oder bei einem Entzug der Jurisdiktion durch den Papst enden, so daß die dignitas episcopalis bloß als Würdetitel weiterlebte. Der Aquinate hat offenbar das hinter einer solchen Annahme verborgene Problem gesehen und eine bemerkenswerte Aussage hinzugefügt. Er erwähnt allerdings Amtsverlust oder -Verzicht nicht ausdrücklich, doch scheint seine These eben diese Situation zu implizieren. In der „Beförderung zum Bischof (in promotione episcopi) wird ihm eine Gewalt verliehen, die für immer bleibt. Zwar kann sie nicht als sakramentaler Charakter angesehen werden, denn sie ordnet den Inhaber nicht direkt auf Gott, sondern auf die Kirche hin. 15 16 17

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IV Sent, d. 24, q. 3, a. 2 a ... et ita patet, quod oportet esse supra sacerdotalem potestatem episcopalem quantum ad actum secundarium sacerdotis (praeparare populum), non autem quantum ad primum. IV Sent, d. 24, q. 3, a. 2b ... cum episcopus habeat potestatem in actionibus hierarchicis respectu corporis mystici supra sacerdotem episcopatus erit ordo ... AaO ad 2 ... et ideo licet detur aliqua potestas spiritualis episcopo in sui promotione respectu aliquorum sacramentorum, non tarnen illa potestas habet rationem characteris; et propter hoc episcopatus non est ordo, secundum quod ordo est quoddam sacramentum. IV Sent, d. 25, q 1, a. 1 ad 3 u. ad 5 ... ad communicandum alteri, quod quis habet, non exigitur solum propinquitas, sed completio potestatis, sed quia sacerdos non habet completam potestatem in hierarchicis officiis sicut episcopus, ideo non sequitur quod possit diáconos facere, quamvis ille ordo sit sibi propinquus ...

Die Anfänge

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Gleichwohl ist sie unzerstörbar wie ein Charakter, da sie durch die Konsekration vermittelt wird 19 . Allem Anschein nach ist die in der Bischofsweihe verliehene Gewalt ein „Zwitter", der teilhat an der Unvergänglichkeit eines Charakters, ohne dessen Eigenart und Wirkung zu haben.

2. Die Summa contra Gentes Ehe wir uns den Vorläufern und Zeitgenossen des Aquinaten zuwenden, sei ein Blick auf Äußerungen zu unserem Thema geworfen, die aus der nächsten Phase seiner theologischen Reflexion stammen. Sie decken sich teilweise mit den im Sentenzenkommentar vorgetragenen Lösungen, bieten aber auch bemerkenswerte Nuancen, die auf Kontroversen schließen lassen. Wie ein zu Ostern 1259 in Paris disputiertes Quodlibet zu erkennen gibt, war das Problem des Firmspenders keineswegs erledigt20. Die Einwände sprechen von pastoralen Gründen, die es wegen der häufigen Abwesenheit der Bischöfe nahelegen, daß dieses Sakrament auch von Priestern verwaltet werden sollte, um so dem Wohl der Gläubigen besser zu dienen. Unter Verweis auf die Praxis der Kirche läßt Thomas solche Überlegungen zunächst nicht gelten. Der eigentliche Spender der Firmung ist, wofür Theologie und hl. Schrift stehen, der Bischof. Das Sakrament ist dazu bestimmt, den Gläubigen in eine Vollkommenheit zu versetzen, insofern ihm die Kraft des hl. Geistes mitgeteilt wird, um ihn vor „Fürsten und Königen" im Bekennen des Glaubens zu stärken. Der entscheidende Aspekt liegt, wie unschwer zu erraten ist, in der perfectio, die über die Taufe hinausgeht. Der Gedanke, daß dem Kandidaten ein neuer Platz in der Kirche zugewiesen wird, fehlt hier. Alle Sakramente, heißt es folgerichtig, die das Ziel haben, jemand zu vervollkommnen, seien dem Bischof vorbehalten. So etwa die Spendung der Weihen, die Weihe der Jungfrauen und der liturgischen Gefäße sowie die Firmung. Gemäß den nach Ps. Dionys dreifachen hierarchischen Handlungen des Reinigens, des Erleuchtens und des Vervollkommnens obliegt den Presbytern das namentlich in der Eucharistie geschehende Erleuchten, während den Bischöfen die letztgenannte Funktion reserviert bleibt, zu der auch das Firmen gehört. Der Schriftbeweis ist nicht weniger eindeutig. Er bezeugt, daß die Firmung die Stelle der Handauflegung eingenommen hat, die nur von den Aposteln gewährt werden konnte. So hat Philippus bei seiner Predigt in Samaria diesen Ritus nicht praktiziert. Als jedoch die Apostel hörten, daß die Bewohner jener Region das Wort Gottes angenommen hatten, riefen sie Petrus und Johannes nach dort, um ihnen durch Handauflegung den hl. Geist mitzuteilen, wozu Philippus nicht autorisiert war (Apg 8, 14-17). Da nun die Bischöfe den Platz der Apostel inneha-

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IV Sent, d. 25, q.l, a. 2 ad 2. Dicendum quod in promotione episcopi datur sibipotestas quaeperpetuo manet in eo; quamvis dici non possit character, quia per eam non ordinatur homo directe ad deum, sed ad corpus Christi mysticum, et tarnen indelebiliter manet sicut character, quia per consecrationem datur. - Zur kanonistischen Diskussion um den character s. F. GILLMANN, Der „sakramentale Charakter" bei den Glossatoren. Quodlibet XI, q. 7, ed. cit. l,162f. Zur Datierung J.-P. TORRELL, Magister Thomas 224.

Die Summa contra Gentes

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ben, ist es allein ihre Sache, das Firmsakrament zu spenden21. Macht Thomas, verglichen mit dem Sentenzenkommentar, einen Rückzieher? Hat er seine These, der Papst könne einen einfachen Priester beauftragen, dies zu tun, aufgegeben? Mit einer pastoralen Notlage läßt sie sich jedenfalls nicht rechtfertigen, da sich die Kandidaten in andere Städte begeben können, in denen Bischöfe anwesend sind22. Gleichwohl verleugnet er seine früher geäußerte Ansicht nicht gänzlich. Er weiß, daß in ähnlichen Fällen die kirchliche Praxis nicht strikt befolgt wird, insofern Handlungen, die jemand in eine „gewisse Vollkommenheit" versetzen, aufgrund einer Dispens einfachen Priestern übertragen werden. So etwa die Erteilung der niederen Weihen. Und eben dies „könnte" auch in Hinsicht auf die Firmung geschehen, falls eine Dispens gewährt würde. Wer sie zu geben hat, bleibt hier allerdings unerörtert23. Es handelt sich also um eine Möglichkeit, die jedoch, so legt es wenigstens der Wortlaut nahe, in der Kirche noch nicht oder kaum realisiert worden ist. Daß die These unseres Quodlibets tatsächlich eine Etappe auf dem Weg zu einer strikten Lösung ist, die mit Ausnahmen nicht rechnet, zeigt das Opusculum De articulis fidei et ecclesiae sacramentis, dessen Datierung nach wie vor Rätsel aufgibt24. Die Natur eines kleinen Sakramententraktats gestattet keine Diskussion im Detail, sie hat jedoch den Vorteil, daß das Werk nicht theologische Meinungen, sondern die allseits approbierte Lehre bieten möchte. So schreibt Thomas dezidiert, daß allein der Bischof Spender des Firmsakraments ist, denn der Priester darf den Kandidaten nicht mit Chrisam an der Stirn salben. Daß sich dessen Status in der Kirche nach Empfang des Sakraments ändert, wird nicht gesagt. Die Praxis einiger Griechen, den einfachen Priester an die Stelle des Bischofs zu setzen, wird unter Verweis auf das apostolische Zeugnis verworfen25. Hatte das Quodlibet von 1259 noch mit der Möglichkeit einer Dispens gerechnet, so findet selbst diese vorsichtig formulierte Offenheit hier keine Erwähnung mehr. Interessant ist die Anspielung auf „einige Griechen", die, wie es scheint, eher als Außenseiter denn als Repräsentanten der orientalischen Kirche 21

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AaO 163, lin. 56-67. Hoc etiam patet auctoritate sacre scripture. Confirmatio enim cedit in locum impositionis manuum; hoc autem non poterat fieri nisi per solos Apostolos ... unde, cum episcopi succédant in locum Apostolorum, solis episcopis debetur collatio sacramenti confirmationis. Ad 1, ed. cit. 163, lin. 76-89 ... non omnia sacramenta in quibus confertur gracia spiritualis potest sacerdos conferre. Unde, licet in sacramento confirmationis conferatur gracia spiritualis, non tamen competit sacerdoti, quia eodem modo et in sacramento ordinis confertur gracia spiritualis, quod reservatur solis episcopis propter perfectionem in qua constituit; et eodem modo confirmatio. AaO, lin. 68-75. Invenimus tamen quod aliqua, que in quadam perfectione constituunt, ex dispensatone committuntur simplicibus sacerdotibus, sicut collatio minorum ordinum et huiusmodi; quod etiam de confirmatione fieri posset cum dispensatone; sine dispensatone vero nullus debet conferre huiusmodi sacramentum nisi solus episcopus. Vgl. H.-F. DONDAINE in der Einleitung zur Edition, Ed. Leon., t. 42, 211. J.-P. TORRELL, Magister Thomas 144. Ed. cit. II, 254f, lin. 188-209. Minister autem huius sacramenti est solus episcopus: non enim licet sacerdoti confirmandos crismate in fronte inungere ... Circa hoc autem sacramentum est error quorundam Grecorum dicentium quod sacerdos simplex hoc sacramentum potest conferre ... episcopi autem sunt in Ecclesia loco Apostolorum, et loco illius manus impositionis datur in Ecclesia confirmatio. Möglicherweise denkt Thomas an einen Brief Innonzenz' IV. an seinen Legaten bei den Griechen vom 6. März 1254: H. DENZINGER, Kompendium nr. 832, 372: Soli autem episcopi consignent chrismate in frontibus baptizatos, quia huius unctio non debet nisi per episcopos exhiberi. Quoniam soli Apostoli, quorum vices gérant episcopi, per manus impositionem, quam confirmatio vel frontis chrismatio repraesentat, Spiritum Sanctum tribuisse leguntur.

Die Anfänge

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gewertet werden. Möchte Thomas andeuten, daß es - bis auf einzelne Theologen - zwischen Ost und West in diesem Punkt keine Differenz gibt? Wußte er nicht, daß es sich tatsächlich anders verhält? Will man nicht annehmen, daß er ein theologisches Problem verharmlost, hätte man auf Unkenntnis der ostkirchlichen Praxis zu schließen. Wie immer es sich verhalten mag, ist dies sicher: Selbst in dem sorgfältig argumentierenden Artikel (S Th III 72, 11 ad 1), in dem Thomas zur Ansicht aus seiner Pariser Frühzeit zurückkehrt, spielen die Traditionen der Griechen keine Rolle. Sie werden nicht einmal erwähnt. Im IV. Buch der Summa contra Gentes, redigiert 1264/65, vertritt der Aquinate ebenfalls die Meinung, daß der Bischof allein der Spender der Firmung ist26. Von der Möglichkeit einer Beauftragung oder Dispens ist keine Rede. In der die bischöfliche Gewalt betreffenden Lehre bedeutet das Werk ebenfalls keinen größeren gedanklichen Fortschritt. Wiederum heißt es, daß sie, was die Konsekration der Eucharistie angeht, mit der des Priesters identisch ist. Sie überragt diese allerdings in den Dingen, die sich auf die Gläubigen erstrecken. Wie der Umstand zeigt, daß alle Weihen cum quodam sacramento „vollendet" werden, muß es so sein, daß diese Vollmacht ein höheres Dienstamt (ministerium) voraussetzt 27 . Die vom Bischof auf den Priester abgeleitete Gewalt vermittelt demnach das Vermögen, den wahren Leib des Herrn zu konsekrieren und die Befugnis, das „überaus Schwierige" (arduum) in der Leitung des christlichen Volkes zu tun. Von ihm heißt es: Dies ist den Bischöfen vorbehalten 28 . Der Akzent liegt auf dem rechtlichen Aspekt, doch reicht die Abhängigkeit von den Oberhirten weiter, sie umfaßt auch das strikt priesterliche Tun, insofern die in der Eucharistie benötigten liturgischen Gerätschaften die bischöfliche Segnung erfordern 29 .

3- Papst und Bischöfe Es mag angebracht sein, an dieser Stelle auf das Verhältnis des Papstes zu den Bischöfen einzugehen, zumal sich Thomas hierzu in unserem Kontext nicht mehr ausdrücklich äußern wird. Im Zusammenhang mit seiner Lehre vom Episkopat als Stand der Vollkommenheit wird das Thema auffälligerweise nicht behandelt, obschon die bekannten Positionen des Aquinaten naturgemäß vorauszusetzen sind. Der Gegenstand ist anerkanntermaßen schwierig, so daß sich die Standpunkte nach wie vor unversöhnlich gegenüberstehen, wofür etwa

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Vgl. R.-A. GAUTHIER, Somme contre les Gentils 101-108. Neuerdings J. HOPING, Weisheit 21-30. ScG IV, c. 60 (nr. 3984). Convenienter etiam hoc sacramentan a solis pontificibus confertur ... ScG IV, c. 76 (nr. 4102). Et haec est episcopalis potestas, quae, etsi quidem quantum ad consecrationem corporis Christi non excedat sacerdotis potestatem; excedit tarnen earn in his quae pertinent ad fideles. AaO. Nam et ipsa sacerdotalis potestas ab episcopali derivatur; et quicquid arduum circa populum fidelem est agendum episcopis reservatur. AaO ... quorum auctoritate etiam sacerdotes possunt hoc quod eis agendum committitur. Unde et in his quae sacerdotes agunt, utuntur rebus per episcopum consecratis: ut in eucharistiae consecratione utuntur consecratis per episcopum cálice, altari et pallis.

Papst und Bischöfe

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die Kritik von Chr. Ryan an Y. Congar steht30. In der Interpretation von Chr. Ryan leitet sich nach Thomas alle gültige Rechtsgewalt in der Kirche und alles Recht, rein sakramentale Gewalt auszuüben, vom Papst auf die Bischöfe ab31. Sind die zugunsten dieser These beigebrachten Aussagen tatsächlich so beweiskräftig und eindeutig? Beginnen wir mit folgendem Text32: Respondeo dicendum quod potestas superior et inferior dupliciter possunt se habere. Aut ita quod inferior potestas ex toto oriatur a superiori, et tune tota virtus inferioris fundatur supra virtutem superioris, et tune simpliciter et in omnibus est magis obediendum potestati superiori quam inferiori; sicut etiam in naturalibus causa prima plus influit supra causatum causae secundae quam etiam ipsa causa secunda, ut in libro De causis, in principio, dicitur, et sic se habet potestas Dei ad omnem potestatem creatam; sie etiam se habet potestas imperatoris ad potestatem proconsulis; sie etiam se habet potestas papae ad omnem spiritualem potestatem in Ecclesia: quia ab ipso papa gradus dignitatum diversi in Ecclesia disponuntur et ordinantur; unde eius potestas est quoddam Ecclesiae fimdamentum, ut patet Matth. XVI.

Die niedere Gewalt entsteht also ganz aus der höheren und ist deshalb von ihr abhängig, sie schuldet ihr strikten Gehorsam. Im Bereich der Natur übt die Erstursache einen größeren Einfluß auf das von der Zweitursache Verursachte aus, als es die Zweitursache selbst tut33. Dies wird an der politischen und kirchlichen Ordnung illustriert, wobei anzumerken ist, daß zwischen beiden keine Gleichheit, sondern Analogie besteht. Ebenso - heißt es weiter verhält es sich mit dem Papst in Hinsicht auf die geistliche Gewalt in der Kirche. Halten wir einen Augenblick inne! Dem metaphysischen Prinzip zufolge erwartet man eine totale Abhängigkeit des Verursachten von seiner Erstursache. In der politischen Ordnung trifft das durchaus zu: Der Prokonsul ist ohne Einsetzung durch den Kaiser nichts. Ist es nun zwischen dem Papst und den Bischöfen ebenso? Man sollte meinen, das sei tatsächlich der Fall, aber der entscheidende Satz quia ab ipso papa gradus dignitatum diversi in Ecclesia disponuntur et ordinantur bringt lediglich eine relative Abhängigkeit zum Ausdruck. Anders als ein Prokonsul ist ein Bischof geweiht und erfreut sich einer nur ihm eigenen Dignität, doch fehlt ihm noch die Zuweisung einer Diözese und einer Herde. Dies geschieht durch den Papst. Für das zwischen Papst und Bischöfen existierende Verhältnis ist folgender Text illustrativ34. Ad tertiam quaestionem dicendum, quod ubicumque sunt multa regimina ordinata in unum, oportet esse aliquod regimen universale supra particularia regimina... et ideo super potestatem regitivam quae conjectat bonum speciale, oportet esse potestatem regitivam universalem respecta boni communis, alias non posset esse colligatio ad unum; et ideo cum tota ecclesia sit unum corpus, oportet, si ista unitas debet conservali, quod sit aliqua potestas regitiva respecta totius Ecclesiae supra potestatem episcopalem, qua unaquaeque specialis Ecclesia regitur; et haec est potestas papae; et ideo qui hanc potestatem negant, schismatici dicuntur, quasi divisores ecclesiasticae unitatis. Et inter episcopum simplicem et papam sunt alii gradus dignitatum correspondentes gradibus unionis; se-

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CHR. RYAN, The Theology of Papal Primacy. Er bezieht sich hauptsächlich auf Y. CONGAR, Aspects. Zur Diskussion s. Referat und Kritik von J.-P. TORRELL, Yves Congar 225-235. AaO 193 f. II Sent, d. 44, expos. textus. Thomas zitiert einen gewichtigen Text aus dem Uber de causis, ed. cit., propos. 1", 4f. IV Sent, d. 24, q. 3, a. 2, qla 3.

Die Anfänge

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cundum quos una congregatio vel communitas includit aliam; sicut communitas unius provinciae includit communitatem civitatis; et communitas regni communitatem unius provinciae; et communitas totius mundi communitatem unius regni.

Wo immer viele regimina existieren, die auf ein Eines bezogen sind, muß über ihnen ein universale regimen sein, wobei es zu beachten gilt, daß die partikulären regimina nicht von einem Übergeordneten verursacht und konstituiert worden sind, sie koexistieren vielmehr mit ihm, doch fehlt ihnen die entscheidende Fähigkeit, jene Einheit, auf die sie angelegt sind, aus sich zu realisieren. Dasselbe trifft für das Gemeinwohl zu: Über einer Lenkungsgewalt, die ein spezielles Wohl ermöglicht, hat eine höhere mit Blick auf das Gemeinwohl zu stehen, denn sonst ließe sich die colligatio ad unum nicht verwirklichen. Thomas wendet nun diesen aus der Vielfalt politischer Gemeinwesen hergeleiteten Gedanken auf die Kirche an. Die ganze Kirche ist ein Leib, so daß es, um dessen Einheit zu wahren, eine potestas regitiva geben muß, die dieses Ziel im Auge hat. Sie steht daher über der bischöflichen Gewalt, die die jeweilige Lokalkirche lenkt. Dies ist die Gewalt des Papstes. Wer deren Existenz leugnet, ist Schismatiker und zerteilt die Kirche. Zwischen einem einfachen Bischof und dem Oberhaupt liegen noch andere „Würdegrade" - gemeint sind Erzbischöfe und Patriarchen die den Stufen der Einigung entsprechen. Eine congregatio schließt die andere ein, so wie eine Provinz die Stadtgemeinde in sich trägt, oder die ganze Welt die Gemeinschaft eines Reichs enthält. Nirgendwo schreibt Thomas, daß solche Distrikte, Herrschaftsbereiche oder Diözesen allererst durch die universale Gewalt begründet werden. Sie koexistieren vielmehr mit ihr, sie sind jedoch aus sich nicht in der Lage, die ihnen innewohnende Hinordnung auf das Ganze herzustellen. Das obliegt dem Universalmonarchen oder - in der Kirche - dem Papst. Da die Einheit der Vielfalt gedanklich vorausliegt, wurde Petrus mit jener einheitsstiftenden Vollmacht ausgestattet. Nach Thomas läßt sich also das Verhältnis zwischen Bischöfen und Papst mit der Dialektik von Einheit und Vielfalt beschreiben, die den Vorrang des Petrusamtes ebenso garantiert wie die Rechte der Apostelnachfolger. Dem soeben Gesagten entspricht die Antwort auf den ersten Einwand, der die Gleichheit der Apostel, die den Primat eines Einzelnen nicht dulde, mit einem Wort des Herrn (Jo 20, 22) begründet, wonach die Gewalt allen Aposteln gegeben wurde35: Ad primum ergo dicendum, quod quamvis omnibus apostolis data sit communiter potestas ligandi et solvendi, tarnen ut in hac potestate ordo aliquis significaretur, primo soli Petro data est, ut ostendatur quod ab eo in alios debeat ista potestas descendere, propter quod etiam ei dixit singulariter (Luc 22, 32) confirma fratres tuos, et pasce oves meas, idest loco mei, ubi Chrysostomus dicit: praepositus et caput esto fratrum, ut ipsi te in loco meo assumentes ubique terrarum te in throno tuo sedentem praedicent et confirment.

Thomas bestreitet auch jetzt nicht, daß die Vollmacht, die Gläubigen zu binden und zu lösen, allen gemeinsam zuteil wurde. Um in ihr allerdings eine gewisse Ordnung zu bezeichnen, erhielt sie Petrus zuerst und allein. Das entscheidende Stichwort ist ordo, d.h. diese Gewalt wurde primo allein dem Apostelfiirsten anvertraut und danach allen zusammen. Im Sinne des vorhin Gesagten dürfen wir den Gedanken so umschreiben: Im Interesse der Einheit der Kirche, die der Vielheit vorausliegt, hat Christus diese sachliche und chronologische 35

IV Sent, d. 24, q. 3, a. 2, qla 3, ad 1.

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Abfolge gewählt, um den Primat des Petrus zu sichern und unbestreitbar zu machen. Daß nicht gemeint sein kann, Petrus habe seine Gewalt zuerst erhalten, um sie dann auf seine Mitapostel abzuleiten, ist durch das omnibus apostolis communiter ausgeschlossen36. Von einer Vermittlung durch Petrus ist keine Rede, Christus selbst hat sie verliehen. Das paßt zu dem vorhin geäußerten Gedanken, wonach die multa regimina ihre Existenz nicht aus dem regimen universale haben, wohl aber bewirkt dieses die Hinordnung auf das Ganze. Von großer Bedeutung ist ein ebenfalls kontrovers interpretierter Text aus der Summa contra Gentes (IV 76). Auf die Lehre, die priesterliche Gewalt leite sich von der bischöflichen ab, die mit der Feststellung endet, die Priester gebrauchten zur Feier der Eucharistie die vom Bischof geweihten Gerätschaften, folgt die Konklusion, daß die summa regiminis über die Gläubigen Sache der „bischöflichen Würde" ist37. Dem schließt sich eine ausfuhrliche Darlegung der hierarchischen Verfassung der Kirche an. Ausgehend von der Tatsache, daß die Völker in Diözesen und Städte unterteilt sind, muß es ein einziges christliches Volk geben, wie nur eine einzige Kirche ist. Diese Universalität realisiert sich auf der unteren Ebene, in der jeweiligen Lokalkirche, der ein Bischof vorsteht, doch verlangt deren Charakter als Teil eines Ganzen, daß einer, der Papst, Haupt der ganzen Kirche ist38. Der zentrale Begriff ist also wiederum die Einheit, die von unten nach oben und von der Spitze zurück nach unten in die Diözese gesichert werden soll. Daß sie sich zutiefst in dem einen Glauben realisiert, versteht sich nach Thomas von selbst. Die Vielfalt der Meinungen müßte die Kirche zerteilen, würde sie nicht durch den Entscheid eines Einzelnen in der Einheit gehalten werden. Wie der Verbindlichkeitsgrad eines solchen Urteils näherhin zu umschreiben ist, wird hier nicht gesagt, doch impliziert die Aussage, daß strenge Verbindlichkeit beansprucht wird, die keinen Widerspruch duldet. Daß ein einheitsstiftendes Amt zu den wesensnotwendigen Eigenschaften der Kirche gehört, bedarf keiner weiteren Begründung, so daß es für Thomas feststeht, daß Christus seine Stiftung mit einer Instanz ausgestattet hat, die für den Erhalt jenes Merkmals verantwortlich ist39. Unterstützt wird diese Argumentation durch eine Überlegung politischen Charakters, in der nach der angemessensten Verfassung eines zivilen Gemeinwesens gefragt wird. Daß die

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Um ein mögliches Mißverständnis mit der omnibus apostolis communiter data potestas auszuschließen, das sich auf IV Sent, d. 19, q. 1, a. 3, qla 1, ad 1 stützt, wo es heißt: ubi Dominus (Jo 20, 22) dedit omnibus apostolis communiterpotestatem remittendi peccata, intelligitur de potestate quae consequitur ordinem. Unde et sacerdotibus quando ordinantur, ilia verba dicuntur. Der Satz ist, wie die Eingangsfrage zu Artikel 3 Videtur quod sacerdos und der Einwand potestas clavium in sacerdotes zeigen, auf die Priesterweihe bezogen und auf die sich anschließende Jurisdiktionsverleihung, nicht aber auf das Verhältnis der Apostel zu Petrus. Die Aussage intelligens tarnen quod usus illius potestatis esse deberet praesupposita potestate Petro collata secundum ordinationem ipsius deckt sich mit dem vorhin Gesagten: Der Gebrauch der Gewalt ist von der ordinatio Petri abhängig, der die allgemeine (indeterminate) Vollmacht (quorum remiseritis peccata) determiniert. ScG IV, 76, nr. 4102 ... quod summa regiminis fidelis populi ad episcopalem pertinet dignitatem. AaO, nr. 4103. Manifestum est autem quod quamvis populi distinguantur per diversas dioeceses et civitates, tarnen, sicut est una Ecclesia, ita oportet esse unum populum Christianum. Sicut igitur in uno speciali populo unius ecclesiae requiritur unus episcopus, qui sit totius populi caput; ita in toto populo Christiano requiritur quod unius sit totius Ecclesiae caput. AaO, nr. 4104. Per diversitatem sententiarum divideretur Ecclesia, nisi in unitate per unius sententiam conservaretur. Exigitur igitur ad unitatem Ecclesiae conservandam quod sit unus qui toti Ecclesiae praesit.

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Kirche aufs beste geordnet ist, kann angesichts ihres Ursprungs in einer göttlichen Disposition nicht zweifelhaft sein. Frieden und Einheit, die Ziele der Herrschaft und des Regenten, sind am besten gewährleistet, wenn an der Spitze vieler ein Monarch steht. Wiederum: Einheit läßt sich eher durch einen einzigen begründen als durch viele. Die Konklusion, basierend auf den Zielen eines Gemeinwesens und den Ursachen, sie zu erreichen, kann nur lauten, daß das Beste in der zivilen Ordnung auch für die Verfassung der Kirche gelten muß 40 . Diese Struktur der streitenden Kirche hat schließlich - nach dem Zeugnis der Apokalypse ihre Entsprechung in der triumphierenden, der ebenfalls einer, Gott, vorsteht41. Auf die Konvenienzargumente folgt die christologische Begründung, die mit der Aussage beginnt, es genüge nicht, in Christus das Haupt und den Hirten zu sehen. Christus und seine Kirche stehen im engsten Verhältnis, insofern er selbst tauft und sich als wahrer Priester auf dem Kreuzesaltar darbringt. Gleichwohl bleibt er hierin von seinen Dienern auf Erden abhängig, um allen Gläubigen auch in Zukunft nahe sein zu können. Seiner körperlichen Präsenz als Leiter der Universalkirche während seines Erdenwandels entspricht die Einsetzung eines Amtes mit allgemeiner Hirtensorge, in das er vor seiner Himmelfahrt Petrus berufen hat, dem nunmehr das Weiden der Herde (Jo 21, 17) und das Stärken der Brüder (Lk 22, 32) obliegt. Ihm allein hat er verheißen „dir will ich die Schlüssel des Himmelreichs geben" (Mt 16, 19). Durch diese Schlüsselübergabe sollte gezeigt werden, daß die „Schlüsselgewalt" durch Petrus „auf andere abgeleitet werden sollte, um so die Einheit der Kirche zu erhalten" 42 . Man möchte meinen, daß ad alios beziehe sich auf die Ableitung an die Apostel, aber das Ziel dieser derivatio, die Bewahrung der kirchlichen Einheit, ist nicht Sache der Apostel, sondern des Inhabers des Petrusamtes 43 . Dann wären nicht die Apostel, sondern die Petrusnachfolger, die Päpste, gemeint. Das bestätigt der unmittelbar folgende Satz: „Es kann aber nicht gesagt werden, daß diese Würde, auch wenn er (Christus) sie dem Petrus gegeben hat, nicht auf andere übergeht" 44 . Diese dem Petrus eigene Würde, die Einheit der Kirche zu sichern, ist dem obersten Amt reserviert und deshalb nicht auf Bischöfe übertragbar. Thomas fährt fort, daß Christus seine Kirche so angelegt hat, daß sie bis ans Ende der Zeiten dauern kann, wofür das Isaiaswort (9,7) steht, das vom Sitzen auf dem Thron Davids und vom Bestärken seines Reiches spricht.

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AaO, nr. 4105. Optimum regimen multitudinis est ut regatur per unum: quod patet ex fine regiminis, qui est pax; pax enim et unitas subditorum est finis regentis; unitatis autem congruentior causa est unus quam multi. Manifestum est igitur regimen Ecclesiae sic esse dispositum ut unus toti Ecclesiae praesit. AaO, nr. 4106. Ecclesia militans a triumphanti Ecclesia per similitudinem derivatur. AaO, nr. 4108. Eadem igitur ratione, quia praesentiam corporalem erat Ecclesiae subtracturus, oportuit ut alicui committeret qui loco sui universalis Ecclesiae gereret curam. Hinc est quod Petro dixit ante ascensionem: Pasee oves meas, Ioannes ult.; et ante passionem: Tu iterum conversus, confirma fratres tuos Lucae 22, 32; et ei soli promisit: Tibi dabo claves regni caelorum; ut ostenderetur potestas clavium per eum ad alios derivanda ad conservandam Ecclesiae unitatem. Etwas früher wurde gesagt (nr. 4104), daß das ad unitatem Ecclesiae conservandam Sache dessen ist qui toti Ecclesiae praeest. AaO, nr. 4109. Non potest autem dici quod, etsi Petro hanc dignitatem dederit, tamen ad alios non derivatur. Daß sich das ad alios derivanda ad conservandam Ecclesiae unitatem auf die Petrusnachfolger bezieht, hat, soweit ich sehe, als erster Y. CONGAR, Aspects 94 gesagt. Ihm pflichtet J.-P. TORRELL, Yves Congar et l'ecclésiologie 229 bei. Ebenso S.-TH. BONINO, La place du pape 419, Anm. 104. Eine Begründung geben aber beide nicht.

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Auf Dauer ist aber nicht nur das Petrusamt bestimmt. Ebenso offenkundig ist, daß Christus jene, die sich „damals" in einem „Dienstamt" (ministerium) befanden, so einsetzte, daß die ihnen seinerzeit eigene Gewalt auf die Nachfolger {adposteros) abgeleitet werden sollte, also auf die Bischöfe. Auch dies diente dem Nutzen und dem Bestand der Kirche45. Daß die Gewalt der Apostel und deren Nachfolger in Abhängigkeit vom obersten Amt ausgeübt wird, sagt Thomas hier nicht ausdrücklich, da er ja schon vorher gezeigt hat: Christus hat dem Petrus die Sorge für die Universalkirche anvertraut, die jedoch die relative Eigenständigkeit der Partikularkirchen nicht ausschließt, deren Vorsteher ihre eigene Gewalt (eorum potestas) weitergeben, wobei die vom Petrusnachfolger jeweils auszuübende Funktion nicht erörtert wird. Sie zu leugnen, hieße in den Irrtum der Griechen fallen, die sich dem Gehorsam und der Unterwerfung unter den päpstlichen Primat entzogen haben46. Auf den spätesten Text in unserem Zusammenhang sei abschließend hingewiesen. Er stammt aus der Zeit des zweiten Pariser Aufenthalts. Es handelt sich um ein Argument aus der Lectura zum Matthäusevangelium, in dem die dem Petrus übertragene Binde- und Lösegewalt mit der Bevollmächtigung Jesu an die Jünger (Jo 20, 23) quorum remiseritis peccata in Beziehung gebracht wird. Während das eine Wort an Petrus allein gerichtet ist, gilt das andere allen Aposteln. Thomas löst die Schwierigkeit so: Christus gab die Vollmacht unmittelbar dem Petrus, die anderen empfangen sie von Petrus. Aber: Eine gewisse Einschränkung ist zu machen. Damit man nicht glaube, „dies" sei nur dem Petrus gesagt, heißt es: Quorum remiseritis. Irgendwie ist demnach die Gewalt allen gegeben. Thomas fährt fort: „Und aus diesem Grund hat der Papst, der die Stelle des Petrus einnimmt, eine volle Gewalt, die anderen jedoch von ihm"47. Diese potestas plenaria wird nicht näher spezifiziert, doch ist die wahrscheinlichste Deutung, daß sie „le gouvernement de l'Église en toute sa généralité" bezeichnet, die Thomas selbstverständlich für das oberste Amt annimmt und die von ihm auf die Bischöfe „herabsteigt", so daß sie sie in jedem Fall in limitierter Gestalt haben48. Die vorausgegangenen Interpretationsversuche wollten nicht den Eindruck erwecken, als gelänge es, sämtlichen Texten einen eindeutigen Sinn zu unterlegen. Die komplexe Auslegungsgeschichte zeigt zur Genüge, daß völlige Klarheit nicht zu erreichen ist, es sei denn man dürfte etwa in den Begriffen derivare, in alios descendere, ab ipso accipere einen Sachverhalt sehen, der „dem sehr nahe kommt, was wir kanonische Einsetzung oder kanonische Sendung nennen"49. Daß dies so sei, wird bestritten, obschon vieles, wie wir zu zeigen 45

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AaO, nr. 4109. Manifestum est enim quod Christus Ecclesiam sic instituit ut esset usque ad finem saeculi duratura ...(Cf. Is 9, 7) ... Manifestum est igitur quod ita illos qui tunc erant in ministerio constituit, ut eorum potestas derivaretur ad posteros, pro utilitate Ecclesiae, usque ad finem saeculi... AaO, nr. 4110. Per hoc autem excluditur quorundam praesumptuosus error, qui se subducere nituntur ab obedientia et subiectione Petri, successorem eius Romanum Pontificem universalis Ecclesiae pastorem non recognoscentes. Super Evangelium S. Matthaei Lectura, ed. cit., nr. 1393, 313. Sed est alia quaestio, quia alibi habetur, Io. XX, 23: Quorum remiseritis peccata, remittuntur eis; hie vero solum dicit Petro. Dicendum quod immediate dedit Petro; alii vero a Petro recipiunt; ideo ne credantur ista solum dici Petro, dicit: Quorum remiseritis etc. Et hac ratione Papa, qui est loco sancti Petri, habet plenariam potestatem, alii vero ab ipso. J.-P. TORRELL, Yves Congar et l'ecclésiologie 229. - Ich halte die von S.-Th. Bonino, La place du pape 416-422 gebotenen Argumente für sehr bedenkenswert, doch sind sie nicht alle in gleicher Weise durch die Texte gedeckt. Vgl. Y. CONGAR, Orientations de Bonaventure 700.

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suchten, zugunsten eines solchen Verständnisses spricht. Angesichts dieser Situation ist es mehr als angebracht, Folgendes in die Überlegungen einzubeziehen. Thomas hat sich in einer Phase, die mit De perfectione beginnt, nicht mehr - sieht man von der kurzen Stelle in der Lectura in Matthaeum ab - zum präzisen Verhältnis von päpstlicher und bischöflicher Gewalt geäußert, wohl aber hat er seit seinem zweiten Pariser Aufenthalt den Episkopat als höchste Stufe des status perfectionis in der Kirche beschrieben. Die mit großem Nachdruck vertretene These, daß der Bischof die cura principalis in seiner Diözese ausübt und daß er seine Herde zur Vollkommenheit führt, weil er allein der perfidem ist, setzt eine episkopale Sonderstellung voraus, die es ausschließt, in ihm lediglich den Legaten eines Höheren zu sehen. Obschon die Relation zum Primat nirgendwo thematisiert wird, hat man den Eindruck, der Bischof übe seine Funktionen eigenständig aus. Jedenfalls muß in diesem Zusammenhang auffallen, daß in der originellen Statustheorie nie davon die Rede ist, daß der Episkopat eine abgeleitete Größe darstellt, auch wenn nach Thomas kein Zweifel daran bestehen kann, daß der Bischof sein Amt unter der päpstlichen plenitudo potestatis ausübt.

4. Vorläufer und Zeitgenossen Um die Positionen des Aquinaten im historischen Kontext besser zu verstehen, sei - wenigstens in summarischer Gestalt - auf Ansichten einiger seiner Vorläufer und Zeitgenossen eingegangen. Petrus Lombardus hat die Frage nach dem Spender der Firmung kurz beantwortet und der Nachwelt eine eindeutige These hinterlassen, die lange in Geltung bleiben sollte: Nur der Bischof ist dazu autorisiert. Von Ausnahmen, wie sie gelegentlich für die frühen Kirche angenommen werden, weiß er nichts50. Das Fehlen oder das Vorhandensein der für dieses Sakrament zu fordernden höheren Vollmacht dienen des weiteren als unterscheidendes Merkmal zwischen Priestern und Bischöfen. Erstere haben nicht den „Gipfel" 50

Sententiae in IV libris distinctae, 1. IV, d. VII, c. 2, ed. cit. 277. Der Lombarde zitiert Papst Eusebius, der immer wieder angeführt werden wird: Ep. 3 ad Episcopos Tusciae et Campaniae, PL 7, 1114AB („manifeste spuria") und Gregor d. Gr., Registrum Epistularum IV, Ep. 9 Ad Januarium, ed. cit. 226. Das Gregorzitat findet sich auch im Decretum Gratiani, De cons., d. 4, c. 120 (FRIEDBERG I 1399). Immer wieder wird ein Text des Rhabanus Maurus zitiert, der den Bischöfen die Handauflegung reserviert. Hrabanus Maurus, De institutione clericorum, ed. cit., c. XXX, 324. - Vgl. ferner Summa Sententiarum IV, 1, PL 176, 137C. Vergleichsweise differenziert äußern sich die Sentenzen Rolands, ed. A. M. GLETL, 213f: A quibus tradi debeat? Tantum ab episcopis, doch war in der frühen Kirche die Spendung durch Priester gestattet. - Vgl. ferner: H. WEISWEILER, Maitre Simon 19. Guidonis de Orchellis Tractatus, c. IV, 54 ... confirmatio, quae non potest conferri nisi ab episcopis: manum enim confirmationis apponere superioris est. A. LANDGRAF, Ecrits théologiques. Darin Sententiae Parisienses, P. II, 40: Et datur hoc sacramentum nisi ab episcopo. Femer: Ysagoge in theologiam, ebda. 1. II 195: Sacramentum confirmationis a solis apostolis eorum temporibus datum est, nunc vero a solis summis sacerdotibus dari debet. Si enim ab aliis tradatur, irritum et vacuum habeatur, ne inter ecclesiastica sacramenta reputetur. Wilhelm v. Auvergne, De sacramentis, c. un., 428b: Nihil enim amplius honoris et reverentiae ei relictum videtur, nisi hoc solum, quod non ab aliis quam a summis sacerdotibus, id est episcopis dari seu ministrali permittitur. - Zum Ganzen vgl. W. KNOCH, Die Einsetzung der Sakramente. Wie K. im einzelnen gezeigt hat, halten die Autoren der Frühscholastik am Bischof als einzigen Firmspender fest. Das ändert sich erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts (so bei Petrus Canor: im Notfall 379f): 47, 94f, 155,172, 187, 195, 209, 268, 304, 323, 348f.

Vorläufer und Zeitgenossen

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(apex) des Pontifikats, weil sie weder die Stirn mit Chrisma bezeichnen noch den hl. Geist verleihen, wie das allein die Bischöfe zu tun vermögen51. Die Priester mit ihrer Befähigung, die Eucharistie zu feiern, stehen in der Nachfolge der 72 Jünger, während die Bischöfe den Platz der Apostel einnehmen, und der Papst als Vikar Petri fungiert52. Das Wesen des ordo liegt in einem signaculum, das als ein „gewisses Heiliges" beschrieben wird, durch das dem Ordinierten eine geistliche Gewalt und ein Amt verliehen wird53. Bischof ist hingegen jemand, der eine Würde und ein zur Hirtensorge bevollmächtigendes Amt hat54. Auch Wilhelm von Auxerre betont, daß zwischen dem Sakrament der Firmung und dem der Weihe ein enger Zusammenhang besteht. Weil das Weihen von Bischöfen, das Firmen und Segnen Werke der Vollkommenheit sind, die der Ordnung der Kirche und ihrer Zierde dienen, sind solche Handlungen Sache der Bischöfe, die allein als die „Vollkommenen" zu gelten haben. Folgerichtig hat die Firmung, insofern sie Handauflegung und Salbung mit Chrisam ist, ihren Anfang von den Aposteln genommen, die diese Vollmacht an die Bischöfe als Vikare Christi weitergegeben haben55. In der Frage nach der Zahl der Weihen stehen sich zwei Ansichten gegenüber. Die an erster Stelle angeführte Meinung, für die Petrus Lombardus der Repräsentant sein mag, hält, daß es nur sieben Weihen gibt, unter denen die Priesterweihe den höchsten Rang einnimmt, insofern sie zur eucharistischen Konsekration bevollmächtigt. Alle anderen Stufen gehen auf sie zurück und über ihr gibt es keine andere mehr. Eine Gruppe von Theologen, die nach Wilhelm die besseren Argumente auf ihrer Seite hat, glaubt indessen, daß die streitende Kirche ebensoviele Weihestufen hat wie die himmlische, d.h. sie rechnet Episkopat und Archiepiskopat zur Siebenzahl hinzu. Unter dem Aspekt der Eucharistie muß man zwar dem Priestertum die höchste Würde zuerkennen, doch hat ihm der Episkopat voraus, daß dieser die Konsekrationsgewalt verursacht. In Hinsicht auf die Kausalität ist er also würdiger. Der Gedanke, es müsse sich um eine aufsteigende Linie handeln, die in der Eigenständigkeit des Episkopats endet und ihm einen sakramentalen Charakter verleiht, scheint sich demnach nahezulegen. Das zeigt sich auch anläßlich der von Wilhelm favorisierten These, der Archiepiskopat sei die „höchste Würde", weil ihm von Amts wegen die Weihe des Bischofs zukommt. Daß es sich freilich nicht so einfach verhält, vermerkt er selbst, wenn es heißt, daß „zuweilen" ein Bischof einen Erzbischof weiht56. Wie kann, muß man sich fragen, in einem niederen ordo der höhere enthalten sein? Das Problem scheint noch größer zu werden, erinnert man an den Brauch, daß der Bischof von Ostia den Papst weiht. Die Antwort Wilhelms verrät, daß das Verhältnis der einzelnen Weihestufen zueinander keineswegs geklärt ist. Unbeschadet einer besseren Ansicht meint er, eine Lösung ließe sich finden, wenn man eine entsprechende Distinktion anwende. Weiht ein Erzbischof einen Bischof, so geschieht das kraft seiner Amtswürde (ex dignitate qfficii), muß indessen die hierarchische Rangfolge umgekehrt werden, dann handelt es sich um eine Notlage, in der von der normalen Ordnung 51 52 53 54 55 56

Sent IV, d. XXIV, c. 11, nr. 2, ed. cit. 403.Qui (presbyteri) licet sint sacerdotes, tarnen pontificatus apicem non habent, sicut episcopi, quia nec chrismate frontem signant, nec Paraclitum dant. AaO, nr. 4, ed. cit. 404. AaO, c. 13, nr. 1, ed. cit 405. AaO, cc. 14 u. 15, ed. cit. 405f. Vgl. A. LANDGRAF, Die Lehre 277-302. Summa aurea, 1. IV, tr. VI, c. HI, ed. cit. 135f. Vgl. F. GILLMANN, Zur Sakramentenlehre des Wilhelm von Auxerre. Tr. XVI, c. II, ed. cit. 372f..

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abgesehen werden darf. Ein Beispiel mag das erläutern: Der Priester ist zwar der ordentliche Taufspender, doch darf dies in einer bestimmten Situation auch ein anderer tun. Daß hier eine wirkliche Analogie nicht vorliegt - schließlich ist der Nichtpriester in der Regel selbst getauft, so daß sich die Handlung gleichsam „von oben nach unten" vollzieht - , hat Wilhelm weder hier noch in einem gleich zu erwähnenden Extremfall bedacht. Weiht der Bischof von Ostia einen Papst, liegt wiederum eine Notwendigkeit vor, da niemand über dem Oberhaupt der Kirche steht, so daß ein niederer Weihegrad einspringen muß. Noch offenkundiger ist das Dilemma im von Wilhelm zuletzt angeführten Beispiel, das den äußersten Rand der Möglichkeiten illustrieren soll. Gäbe es in der Welt nur „drei einfache Priester", so müßte einer von ihnen den zweiten zum Bischof und den dritten zum Erzbischof weihen. Das heißt der unterste Teilhaber am Priestertum enthält prinzipiell in sich die höchste Stufe desselben, auch wenn er sie nur unter extremen Umständen weitergeben kann. Trotz scheinbar eindeutiger Aussagen zu Beginn seiner Überlegungen ist also Wilhelm von Auxerre von einer systematisch solide fundierten Ämtertheologie mit dem Episkopat als Sakrament im Zentrum noch weit entfernt. In die geschlossene Front der vorhochscholastischen Autoren mit ihrer These, nur der Bischofkönne firmen, kam Bewegung, als der Kanonist Huguccio zu lehren begann, der Papst sei autorisiert, einen einfachen Priester damit zu beauftragen, so daß ein Sakrament zustandekomme, das ohne eine solche Beauftragung keines wäre57. Der Papst allein vermag sie zu geben, wofür Huguccio allerdings kein in der Sache gründendes theologisches Argument zu bieten weiß58. Es heißt lediglich: Spendet ein Priester die Firmung ohne ein päpstliches Mandat, wäre sie ungültig, weil die Kirche das verfügt hat. Warum ist das so und warum verhält es sich hier anders als bei der Eucharistiefeier, die trotz einem Zelebrationsverbot ihre Wirkung hat? Daß die Fragen an den Kern des Problems rühren, zeigen die Antworten. Die Kirche hat im Fall der Firmung nicht nur untersagt, daß sie ein Priester spende, sondern auch festgesetzt, daß, sollte es jemand dennoch tun, nichts geschehe59. Was gab ihr das Recht, diese Nichtigkeit - anders als bei der Eucharistie - zu statuieren? Die Konsekration gründet nämlich auf den Worten des Herrn und der mit ihnen notwendigerweise verbundenen Wirkung, die niemand außer Kraft setzen kann. In bezug auf die Taufe gilt dasselbe. Bei 57

Die Texte Huguccios werden zitiert nach der Studie von F. GILLMANN, Zur Lehre der Scholastik 5, Anm. 1: Sed numquid permissio pape potuit facere, ut esset sacramentum, quod alias non esset sacramentum? Utique et potuit et potest et fecit et facit, sicut in matrimonio Anglorum ex permissione pape contracto in tertio gradu, quod alias non esset matrimonium ... Vgl. auch dens., Die Siebenzahl. Die von G. in seinem Werk (Zur Lehre ...) gesammelten Texte, die überwiegend von Kanonisten stammen, sind von außerordentlichem Interesse, sie haben jedoch, wie mir scheint, nie die ihnen gebührende Beachtung gefunden. Anders ist das Erstaunen nicht zu erklären, das spätere päpstliche Dokumente, von denen nachher geredet werden wird, hervorriefen, die Nichtbischöfen die Vollmacht erteilten, die Priesterweihe zu spenden. - Zu Huguccio s. C. LEONARDI, La vita. W. P. MÜLLER, Huguccio. L T h K 3 5, 3 1 4 ( R . WEIGAND).

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AaO, 6, Anm. 2 u. 3. Set nunquid papa posset hodie (wie Gregor d. Gr.) hoc idem permittere? Sic. Nunquid alius episcopus? Credo, quod non, quia hec dispensatio soli pape competit. AaO, 9, Anm. 2 u. 3. Set ecce prohibitum est, ne crisment et si de facto crismarent, nichil facerent et hoc propter prohibitionem ecclesie. Set pone, ecclesia prohibet isti cantare missam, conficere coipus domini; si de facto conficeret et cantaret, nonne conficeret et cantaret? Utique. - Que est ergo ratio diversitatis? Respondetur: Ecclesia non tantum illud prohibuit, set etiam statuit, ut, si aliter presumeretur, nichil ageretur, set hoc simpliciter prohibuit.

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menschlichen Satzungen jedoch ist das anders, so daß hier ein kirchliches Verbot „mehr" vermag60. Huguccio erinnert also an die aus der Einsetzung dieses Sakraments resultierenden historischen Probleme, wie sie sich etwa in Hinsicht auf die sakramentale Form ergeben haben. Ihnen werden wir bei Bonaventura wiederbegegnen. Und weiter: Während es sich bei der Konsekration durch einen Priester eher um ein Faktum als um eine Rechtsfrage handelt - er konsekriert kraft einer Weihe und nicht kraft einer Bevollmächtigung - , ist das Firmen mehr dem Rechtsbereich zugehörig. Daraus folgt, daß es bei der Firmspendung eher auf Würde und Ehrerbietung ankommt, wie sie die Person des Bischofs repräsentieren oder ihm geschuldet werden. Sie sind gegebenenfalls durch ein päpstliches Mandat zu ersetzen61. Daß Huguccios Thesen Schule zu machen beginnen, bezeugt etwa der Bologneser Kanonist Tancred (f ca. 1236). Er schreibt, alle Lehrer stimmten darin überein, daß ein Bischof nicht autorisiert sei, die Firmvollmacht an einen Priester zu delegieren. Ob es aber der Papst könne, sei umstritten62. Daß von hier direkte Verbindungslinien zu Theologen der nächsten Generation laufen, dürfte nicht zweifelhaft sein. Huguccios Konzeption, daß die Vollgewalt des Papstes die Jurisdiktion der Bischöfe „überspringt", findet ihren bedeutsamsten Ausdruck in seiner Lehre vom Spender des Weihesakraments. Zwar ordiniert normalerweise der Bischof den Priester, doch kann der Papst auch einen einfachen Priester autorisieren, alle Weihen - die des Bischofs ausgenommen zu erteilen. Die Ansicht basiert auf dem Prinzip, daß jeder die Weihe spenden kann, die er selbst hat, wobei hervorgehoben wird, daß der Episkopat ein eigenständiger ordo ist63. Er markiert die Grenze, die auch ein spezielles Mandat nicht überschreiten kann. Daraus folgt ein weiterer Schluß: Zwischen Bischöfen und Priestern hat es von Anfang an einen wesentlichen Unterschied gegeben, so daß zu keiner Zeit eine Gleichheit im Vorrang und im Amt bestanden hat, wie verschiedentlich - so später von Gerhard von Abbeville - angenommen

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AaO, 10, Anm. 1 u. 2. Set nunquid potest hoc sic prohibere sicut illud, sci. ut, si alias fiat, nichil agatur? Credo, quod non, quod ex institutione domini verborum forma, quibus conficitur corpus, fiiit instituta et ei talis efficatia attributa et ordini sacerdotali deputata, et ideo ex quo ilia verba proferuntur a presbitero, ut debent, propter prohibitionem humanam non debent carere effectu. Idem in forma baptismi. Set in aliis, que ab homine statuta sunt, non ita contingit, immo prohibitio ecclesie plus in eis operatur. Item de sola permissione ecclesie presbiter crismat, set confìcit potius ordinis ratione et ideo plus ibi operatur prohibitio ecclesie quam hie. 61 AaO, 10, Anm. 3. Item conficere plus est facti quam iuris in presbitero, crismare vero plus iuris est quam facti. Nam in conficiendo corpore potius exigitur ordo quam aliud, set in conferendo ilio sacramento potius dignitas et reverentia persone. Nam propter excellentiam sacramenti et dignitatem persone attributum est solis episcopis. 62 AaO, 41, Anm. 3. Set nunquid hodie ex delegatione possent sacerdotes in fronte crismare? Et videtur, quod sic, per illud XCV. di. Pervenit, alias oportet dici, quod Gregorius papa decepisset illos. Super hoc tenendum est, quod ex delegatione alicuius episcopi non licet nec unquam licuit hoc presbiteris, et in hoc omnes doctores consentiunt. De domino papa, an hoc possit delegare, diverse sunt opiniones. - Zu Tancred s. J. F. V. SCHULTE, Die Geschichte der Quellen 199-205. LThK2 9,1289 (A.M. STICKLER). 63 AaO, 7, Anm. 1. Item posset papa simpliciter concedere simplicibus presbiteris, ut conferrent omnes ordines? Credo, quod sic, preter episcopalem. Nam ordinem, quem non habet, nullus potest conferre, set quem habet, potest. Cum ergo presbiter non habeat ordinem episcopalem, qualiter posset eum conferre? Qualiter ergo posset ordinare episcopum, nisi velis dicere, quod ultra sacerdotium non sit ordo.

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wurde64. Die Differenzierung zwischen Episkopat und Presbyterat ist also nicht in der frühen Kirche eingeführt worden. Wie es scheint, sind die meisten Kanonisten Huguccios Lehre von der Übertragung der Weihevollmacht nicht gefolgt. Immerhin hat auch ein so bedeutender und einflußreicher Autor wie Johannes Teutonicus die Ansicht vertreten, kraft einer päpstlichen Autorisierung könne jemand die Weihe erteilen, die er selbst hat65. Rang und Nachwirkung der kanonistischen Diskussion, die hier nur unter dem später zu würdigenden Aspekt der hochscholastischen Problematik vorgestellt werden sollte, stehen außer Zweifel. In der Frage des Firmspenders hat Huguccio den Weg fiir eine Lösung gebahnt, der die Zukunft gehören sollte. Anderes war und blieb umstritten - so die Delegation der Ordinationsgewalt - und hinterließ Fragen, die erst sehr viel später eine eindeutige Antwort gefunden haben66. Alexander von Haies äußert sich in seiner Glossa kurz zum Spender des Firmsakraments. Die Meinung, Priester könnten firmen, findet nicht seine Zustimmung. Das den Streitern Christi hier zu gewährende Maß an Gnade muß bei ihnen besonders groß sein (cumulus gratiae), so daß es angemessen ist, sie von jemand austeilen zu lassen, der „höher" steht als die Priester, die in der Taufe die „Erstgnade" vermitteln, deren Empfänger im Vergleich zu den Konfirmierten „schwach" (debiles) sind. Außerdem: Das Firmen, das Weihen, die Segnung der Äbte und die Kirchweihe sind nach der Gewohnheit der Kirche den Bischöfen übertragen 61. Über den Episkopat äußert sich Alexander recht differenziert. Einen neuen Charakter bringt er nicht mit sich, wohl aber wird in der Weihe eine Gnade gewährt im Hinblick auf eine zunächst noch nicht näher bestimmte geistliche Gewalt. Wenig später spricht er von einer „bischöflichen Würde" (dignitas episcopalis), in der die Gewalt Christi „ausgeweitet" {suppletur) wird in bezug auf die Priesterweihe68. Mehrmals schreibt er, daß die Bischöfe eine „vollere Gewalt" haben oder eine „überströmende Gnade"69. In der Bischofsweihe

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AaO, 11, Anm. 1. Ego autem credo, quod ab initio differentia fuit inter episcopos et simplices presbiteros, sicut et modo est, et in administratione et in prelatione et in officio et in sacramentis. Vgl. R.P. STENGER, The Episcopacy as an Order, bes. 70-89. 65 AaO, 40, Anm. 1. Ex demandatane pape quilibet potest conferre, quod habet, unde ordinatus ordinem, quem habet. 66 Gedacht ist an die Bulle Bonifaz' IX. vom 2. November 1400, in der der Abt von St. Osyth/Essex und seine Nachfolger bevollmächtigt werden ... subdiaconatus, diaconatus et presbyteratus ordines ... conferre libere et licite valeant... Diese Bulle wurde zwar am 6. Februar 1403 vom Papst nach Einspruch des Bischofs von London widerrufen, doch erfolgte die Revokation nicht aus theologischen Gründen. Text: H. DENZINGER, Kompendium ... nr. 1145f, 428-431. Zur Diskussion s.:Y. CONGAR, Fails, problèmes. Die Untersuchung von C. BAISI, II ministro straordinario bietet interessantes Material für die spätere Zeit. K.A. FINK, Zur Spendung bringt einen weiteren wichtigen Text. Ferner: M.-J. GERLAUD, Le ministre, wo spätere Erklärungsversuche diskutiert werden. 67 Glossa in quatuor libros sententiarum Petri Lombardi, 1. IV, d. VII, t. IV, ed. cit. 1957, 131. Vgl. A. ADAM, Das Sakrament der Firmung 12-17. F. SCHOLZ, Die Lehre, bes. 49-60. 68 D. XXIV, nr. 2, ed. cit. 401. Dignitas vero episcopalis, quae superadditur, est ratione causarum, et quia ibi suppletur potestas Domini in conferendo Ordinem sacerdotalem. Vgl. A. MCDEVITT, The Episcopate as an Order 102-109. Daß die Bischofsweihe einen sakramentalen Charakter einprägt, lehren in diesem Zeitraum allein Guido de Orchellis (108f) und Hugo von St. Cher (111-113). 69 AaO, nr. 31,406 ... plenior gratiapotestatis; nr. 31, 410 ... in consecratione sacramentum abundantioris gratiae intelligitur.

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werden - anders als in der Priesterweihe - nicht die Hände, sondern das Haupt mit Chrisam gesalbt, um jene „überströmende Gnade zu bezeichnen70. Wilhelm von Melitona lehnt ebenfalls die Ansicht ab, der Priester könne das Firmsakrament spenden. Unter Berufimg auf das bekannte Zitat des Papstes Eusebius möchte er daran festhalten, daß, wie seit der apostolischen Zeit üblich, allein die Bischöfe „Diener" dieses Sakraments sind. In der Begründung folgt er einem Gedanken Hugos von St. Viktor, wonach ein Sakrament, das gegen dessen Einsetzung gefeiert wird, als nichtig erachtet werden muß. Nun steht seit den Tagen der Apostel fest, daß zunächst diese und dann ihre Vikare allein das Recht hatten, die Gläubigen zu firmen. Als theologisches Argument für diese Praxis führt er an, die Vollkommenheit des Standes der Empfänger von Weihe und Firmung fordere das71. Dem Weihesakrament hat Wilhelm keine eigene Quästion gewidmet. Er sagt lediglich, daß in der Bischofsweihe kein Charakter eingedrückt werde72. Albertus Magnus reserviert die Firmspendung ebenfalls dem Bischof, denn es ist angemessen, daß der hl. Geist, zur Stärkung verliehen, aus der Fülle herabsteigt. Ein minister excellentior muß deshalb tätig werden. Warum ist ein einfacher Priester dazu nicht befähigt? Oder ein zum Bischof Gewählter vor seiner Weihe, da er doch bereits im Besitz der Rechtsgewalt ist? Die Firmvollmacht bedarf beider - der Jurisdiktion und der Weihe - , aus denen sich ein dem bischöflichen Amt „Hinzugefügtes" (annexum) ergibt73. Dem entspricht die Tatsache, daß es über das Priestertum hinaus keinen weiteren ordo mehr gibt, denn kein Akt kann hervorragender sein als die eucharistische Konsekration. Die Jurisdiktion weist in konkrete Ämter der Kirche ein, bei deren Verleihung die Kandidaten Gnade zur Ausübung der Rechtsgewalt erhalten, nicht aber in Hinsicht auf die Weihe74. Auch Bonaventura hebt die enge Zuordnung der Firmung zum Episkopat hervor. Dieses Sakrament kann nur von den Bischöfen verwaltet werden; sollten sich das andere herausnehmen, geschieht nichts. Daß es so sein muß, hat einen ekklesiologischen Grund, denn die Vollmacht der Kirche wurde auf die Glieder gemäß der ursprünglich in ihr beobachteten Ordnung abgeleitet. Da anfangs nur die Apostel bevollmächtigt waren, das Sakrament zu spenden, ist es in der Folgezeit allein ihren Sukzessoren anvertraut75. Die These steht in direktem Zusammenhang mit Bonaventuras Ansicht über die Institution der Firmung, die, wie er weiß, von den Theologen auf verschiedene Weise erklärt worden ist. Nach der besser begründeten Meinung hat Christus dieses Sakrament weder gespendet noch eingesetzt. Die 70 AaO, nr. 9u, 426. Si vero quaeratur propter quid sacerdos oleo sancto, episcopus vero chrismate ungitur, respondemus quod in hoc significatur abundantia gratiae ad se et ad alterum. 71 Guillelmi de Militona Quaestiones de sacramente, I, Tractatus I—III, ed. cit., Tr. Ill, Q XIV, 487f. Soli enim Apostoli suo tempore confirmaverunt; et ideo institutum est in Ecclesia ut eorum vicarìi, id est episcopi, solummodo confirmant. - Si quaeratur ratio quare Apostoli soli retinuerunt potestatem confirmandi et ordinandi, potest dici, quod hoc erat propter status perfectionem recipientium haec duo sacramenta. - Vgl. Art.: W. v. Melitona, in: LMAIX 175 (L. HÓDL). 72 Ed. cit. II, Tractatus IV-VI, P. XIV, Q. LXXIV, nr. 10 b, 796 ... quia in Ordine episcopali non imprimitur character, sicut in sacerdotali... 73 In IV Sent, d. 7, a. 4, ed. BORGNET, t. 29, 157-159. - Ad 3 (159): ... nec ex ordine tantum, nec ex jurisdictione tantum id potest episcopus, sed ex ordine simul et jurisdictione. Hoc enim annexum est officio episcopali sicut et consecratio ecclesiarum et ordinatio clericorum et velatio virginum. 74 In IV Sent, d. 24, a. 39f, ed. CIT., 81. Art. 40: ... ordo vocatur hie gradus dignitatis secundum jurisdictionem ... et dicitur ordo, quia actus quosdam sacros jurisdictionis exercet. 75 Liber IV Sent., IV, d. 7, a. 1., q. 3. Edilio minor, t. IV, 155.

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Fülle des hl. Geistes hat er seinen Aposteln erst am Pfingstfest gegeben, an dem sie unmittelbar und ohne Sakrament bestärkt worden sind, wie auch sie selbst „ohne Wort" andere gestärkt haben. Als sie, nachdem sie von Gott und nicht von Menschen zu Bischöfen ordiniert und konfirmiert worden waren, starben, hat der hl. Geist die Form dieses Sakraments eingesetzt. Das heißt: Die Firmung geht weder auf Christus noch die Apostel direkt zurück, sie hat vielmehr ihren Ort in der nachapostolischen Zeit76. Wie ist die auf kirchlicher Autorität beruhende Doktrin, daß die Bischöfe allein firmen und ordinieren, argumentativ zu rechtfertigen? Auf diese Frage haben, wie sich gezeigt hat, die Theologen nicht einhellig geantwortet, obschon sie in der Sache übereinstimmen, ja es scheint, daß Bonaventura die von ihnen im einzelnen gesetzten Akzente akzeptiert und sie seiner Lösung zu integrieren sucht. In bezug auf die Ordinationsvollmacht muß man sagen, daß die Bischöfe die eigentlichen (principales) Prälaten sind und ein doppeltes Amt innehaben: Sie weisen den „Niederen" den ihnen angemessenen Ort zu (in gradu statuere et collocare in ordine) und ergreifen die nötigen Maßnahmen, um ihre Herde zu schützen. Der ordo hat also eine ekklesiologische Funktion, insofern durch ihn jeder seinen Platz im mystischen Leib erhält. Mit ihm sind spezifische Aufgaben verbunden. So obliegt etwa den Konfirmierten die Pflicht, die Kirche zu verteidigen77. Andere Autoren bevorzugen das Argument, daß in den beiden genannten Sakramenten die Fülle der Gnade gewährt wird, so daß sie von denen gespendet werden müssen, die die höchste Autorität innehaben. Aus demselben Grund können allein die Bischöfe die Weihe von Äbten und Kirchen, die als „herausragende Werke" (opera excellentiae) zu werten sind, vornehmen78. Ein weiteres Argument verdient Beachtung. Die Oberhirten haben die allgemeine Hirtensorge über ihre Gläubigen und namentlich über den Klerus. Die den einzelnen Gemeinden geschuldete Aufsicht (custodia) ist zwar Sache der Pfarrer, doch hat der hl. Geist verfugt, daß alle Christen wenigstens ein Sakrament von ihrem Bischof empfangen, eben die Firmung. Ähnliches gilt auch für die Kleriker, die die Weihe aus der Hand ihres Prälaten empfangen. Bezeichnenderweise wird in beiden Fällen ein sakramentales Siegel eingeprägt79. Weitere Gründe für die Prärogativen des Bischofs sind zwar nach Bonaventura möglich, doch reichen die hier gebotenen aus, zumal der Blick auf die Einsetzung des Firmsakraments einen prinzipiell anderen Schluß nicht gestattet. In der These selbst verbirgt sich allerdings eine Schwierigkeit mit weitreichenden Konsequenzen. Basiert die Firmvollmacht auf der Weihe oder auf der Jurisdiktion? Albertus Magnus hatte ebenso gefragt, und auch Bonaventura antwortet zunächst ähnlich: Auf keiner von beiden, sondern auf der bischöflichen Autorität, die einen ordo in eminentia besagt. Diese eminentia wird dem Bischof in seiner Konsekration verliehen und hat als unverlierbar zu gelten, so daß die Firmvollmacht 76

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AaO, q. 1, ad 1, ed. cit. 153. Sed postquam bases Ecclesiae, Apostoli scilicet, qui a Deo, non per homines, erant ordinati praelati et confirmati, defecerunt, instituit Spiritus Sanctus huius sacramenti formam, cui etiam virtutem sanctificandi dedit. Thomas wird diese These ablehnen. Vgl. S Th III 72, 1 ad 1. - Im Breviloquium, p. VI, c. IV, nr. 1, ed. cit. 130 heißt es: ... insinuando et initiando habe er die Firmung und die Krankenölung eingesetzt. Dazu s. J. BlTTREMIEUX, L'institution des sacrements 133— 147 über die Formel des Breviloquiums. Vgl. auch H. BARIL, La doctrine 41^47. AaO, q. 3, ed. cit. 155. AaO, ed. cit. 155f. AaO, ed. cit. 156.

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selbst bei einem Amtsverzicht erhalten bleibt. Was sie ist, wird nicht weiter erläutert. Bonaventura versichert allerdings erneut, daß sie weder aus Weihe noch Jurisdiktion - je für sich genommen - resultiert, doch fügt er nun hinzu, die eminentia ergebe sich aus „etwas, das beide überragt", ohne zu erklären, was dieses „Dritte" ist80. Aus der Annahme eines „Dritten" scheint zu folgen, daß sich die Argumentation auf ein nur dem Bischof Eigenes und ihm auf Dauer Gegebenes zubewegt. Nun weiß jedoch Bonaventura, daß inzwischen Theorie und Praxis des Firmsakraments unter dem Eindruck der kanonistischen Diskussion einen wichtigen Schritt nach vorn gemacht haben. Liegt eine Notwendigkeit vor, kann der Papst einem Priester die Vollmacht zur Spendung übertragen. Diese muß deshalb revokabel und akzidentell sein. Hat ein Priester sie in einem Sonderfall erhalten, handelt er kraft einer Autorität pontifikalen Charakters, die aber nichts Bleibendes in ihm bewirkt81. Das heißt: Anders als beim Bischof gründet die priesterliche Firmvollmacht in einem Akt der päpstlichen Jurisdiktion. Sie kann deshalb nicht jenes „Dritte" sein. Die das Wesen des Episkopats betreffenden Erörterungen nehmen ihren Ausgang von der Tatsache, daß sich die Weihegewalt hauptsächlich auf die Verwaltung der Sakramente, insbesondere auf das der Eucharistie erstreckt, zu der in einer aufsteigenden Linie Stufen und Weihen führen, so daß es über das Priestertum hinaus keine weitere Weihestufe mehr gibt. Innerhalb desselben sind unterschiedliche Würden und Ämter möglich. So etwa Archipresbyter, Bischöfe, Erzbischöfe, Patriarchen und schließlich der Papst, die, so wird erneut versichert, keine eigene Weihe konstituieren, sondern nur Würde und Amt82. Das Spezifische des Episkopats ist folglich die Würde oder das mit ihr verbundene Amt. Er ist deshalb keine Weihe, kein neuer sakramentaler Charakter, ja nicht einmal eine neue Vollmacht, sondern lediglich eine erweiterte Gewalt83. Bonaventura weiß sich bei dieser Antwort eins mit den Theologen seiner Zeit, die - wie er - dem Episkopat keinen eigenen Charakter zuerkennen. Diesem wird allerdings die vorhin genannte eminentia verliehen, die ihm auch dann bleibt, wenn die Jurisdiktion aufhört. Oder: Der Episkopat ist kein ordo, sondern eine „Erhöhung" des ordo oder eine neue Würde84.

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AaO, ad 4, ed. cit. 156. Der Bischof hat dies nec a iurisdictione nec ab Ordine sacerdotali, sed auctoritate et dignitate episcopali; et haec dicit Ordinem in eminentia. Haec autem eminentia confertur episcopo, cum consecratur; et ideo si renuntiet iurisdictioni, adhuc potest confirmare. Quamvis igitur non habeat ex Ordine sacerdotali nec ex iurisdictione temporali, habet tarnen ex aliquo quod superexcellit utrumque. AaO, d. 7, dub. 1, ed. cit. 164f. IV Sent, d. 24, a. 2, q. 3, ed. cit. 622 ... et ita ultra sacerdotium non est gradus Ordinis. Sed tarnen intra hunc gradum et Ordinem contingit esse distinctionem dignitatum et officiorum, quae tarnen novum gradum vel Ordinem non constituunt, ut archipresyter, episcopus, archiepiscopus, patriarcha, pontifex summus, quae ultra sacerdotium non addunt Ordinem nec gradum novum, sed solum dignitatem et officium. AaO. Et ita episcopatus, prout concernit Ordinem sacerdotii, bene potest dici Ordo; sed prout distinguitur contra sacerdotium, dicit dignitatem quamdam vel officium ipsi annexum, et non est proprie nomen Ordinis nec novus character imprimitur nec nova potestas datur, sed potestas data ampliatur. Unde sicut non recipit alias claves, sie nec alium Ordinem. AaO ... hoc etiam tenet communis opinio, quod in episcopatu character novus non imprimitur, sed iIii aliqua eminentia confertur, quae semper manet cum ipso charactere Ordinis, ablata omni iurisdictione. Hanc igitur opinionem sustinendo, dicamus quod episcopatus, praecise loquendo, non est Ordo, sed Ordinis eminentia vel dignitas.

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Die Anfänge

Bonaventura will also sagen: Der Episkopat schließt den „vollkommensten ordo", das Priestertum, ein und in ihm den sakramentalen priesterlichen Charakter, über den hinaus in der bischöflichen Konsekration nichts prinzipiell Neues gewährt wird - ausgenommen die erweiterte Rechtsgewalt, die aber ebenfalls nichts Eigenes konstituiert, wohl aber erfährt der ordo eine „Erhöhung", die als bleibend gedacht wird. Der Bischof ist demnach ein „anderer" geworden, weil er in einen neuen „Stand" versetzt wurde, dem die Würde eines Hirten zusteht, der durch eine herausragende Heiligkeit gekennzeichnet ist85. Das sacerdotium des Bischofs ändert sich somit nicht, doch hat das ihm verliehene Amt eine größere objektive Heiligkeit zur Folge, so wie Könige und Fürsten gesalbt werden und dadurch eine „königliche Würde" erhalten. Bonaventura stand wie die anderen Theologen vor dem Dilemma, daß die Priesterweihe als (ordo) omnium perfectissimus den sakramentalen Charakter verleiht und folglich die siebte und letzte Stufe des Sacerdotiums darstellt, daß er aber zugleich verständlich machen mußte, warum zwei Sakramente allein vom Bischof gespendet werden dürfen86. Das dem Episkopat Eigene kann deshalb nur innerhalb des ordo liegen, der jedoch durch die bischöfliche Konsekration „erhöht" wird und eine Würde erhält, die auf Dauer angelegt ist. Denselben Gedanken drückt Bonaventura im Breviloquium so aus: Die priesterliche potestas simplex wird zu einer durch den Papst vermittelten eminentia potestatis*1. Unser Überblick mag gezeigt haben, daß durch die kanonistische Diskussion in wichtigen Aspekten Bewegung in die Sakramententheologie kam. Sie hat durch einflußreiche Autoren den Priestern die Möglichkeit eröffnet, die Firmung zu spenden. Von großer Tragweite war schließlich die These, zwischen Priestern und Bischöfen bestehe keine wesentliche Differenz, so daß jeder - wenigstens mit Dispens - den ordo spenden kann, den er selbst hat. Gerhard von Abbeville wird solche Gedanken aufgreifen und Thomas die Gelegenheit geben, ihn mit neuen Argumenten zu widerlegen.

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AaO ad 6, ed. cit. 623. Die Salbung eines Bischofs ist feierlicher als die eines Priesters ... pro eo quod ad summum pontificatimi assumitur et datur ibi eminentia status et dignitas pastoralis, in qua debet esse eminentia sanctitatis; unde illa sanctitatis eminentia per superabundantem inunctionem debet significali ... Quia ad officium illud maior requiritur sanctitas quam requiratur ad Ordines ... Zum ordo omnium perfectissimus s. Breviloquium, P. VI, c. 12, nr. 4, ed. cit. 150 ... quod sex sunt ordines ministeriales et septimus omnium perfectissimus, in quo altaris conficitur sacramentum, qui consummatur in ordine uno tanquam in termino ultimo et completo. AaO, nr. 5, ed. cit. 150 ... ordo est signaculum potestativum non tantum respectu aliorum sacramentorum dispensandorum, verum etiam respectu sui; et potestas super potestatem est potestas excellens: ideo sibi non tantum competit potestas simplex, cuiusmodi est in ordine simplici, verum etiam eminentia potestatis, cuiusmodi est in his quorum est ordines ordinarie dispensare. Und : ... Papa merito appellatur, tanquam unus, primus et summus pater spiritualis omnium patrum, immo omnium fidelium et hierarcha praecipuus, sponsus unicus, caput indivisum, Pontifex summus, Christi vicarius, fons, origo et regula cunctorum principatuum ecclesiasticorum; a quo tanquam a summo derivatur ordinata potestas usque ad infima Ecclesiae membra, secundum quod exigit praecellens dignitas in ecclesiastica hierarchia.

II. Kapitel

Die Polemik gegen den Episkopat

1. Das Quodlibet I, q. 7, a. 2 Daß sich Thomas - im Herbst 1268 - nach Paris begeben mußte, hängt auch mit den erneut ausgebrochenen Kontroversen zwischen Vertretern des Weltklerus und den Mendikanten zusammen88. Die Ursachen des Streits sind allerdings nicht mehr mit denen identisch, die ihn 1256 zur Abfassung von Contra impugnantes veranlaßt hatten. Eine für unser Thema wichtige Akzentverschiebung hat unterdessen stattgefunden, die in voller Deutlichkeit im Opusculum De perfectione spirititualis vitae zu Tage tritt, als sich Thomas genötigt sah, die Armutsforderung des Evangeliums mit der Realität des bischöflichen Standes in Einklang zu bringen, wie sie sich seit der konstantinischen Wende in der Kirche manifestierte. Daß das so formulierte Problem seine Wurzeln in radikalen Ordenskreisen und nicht etwa im Säkularklerus hatte, versteht sich von selbst. Der Schluß auf Kontroversen an zwei Fronten legt sich also nahe. Offenbar sind Fragen nach Wesen und Funktion des status perfectionis darin eingeschlossen, dem Bischöfe wie Religiösen gleichermaßen angehörten, so daß von den Antworten, wie immer sie ausfallen mochten, beide Gruppen betroffen waren89. Der Umstand, daß nunmehr auch das Verhältnis der Bischöfe zu Archidiakonen und Pfarrern zur Debatte stand, gibt den Überlegungen des Aquinaten ein eigenes Gewicht. Das erste Indiz, daß sich Thomas der genannten Problematik zuzuwenden beginnt, liefert ein Ostern 1269 disputiertes Quodlibet, in dem diskutiert wird, ob jemand, der der Seelsorge obliegen kann, sündigt, falls er seine Zeit mit Studieren zubringt90. Die darauf gegebene Antwort reicht freilich weiter, als es die harmlos klingende Formulierung vermuten läßt. Thomas leitet sie folgendermaßen ein: Etwas ist zwar schlechthin besser, so das Philosophieren, doch hat es in einer Notlage dem Helfen zu weichen, indem man Hungernden Brot gibt. Das einfache Beispiel bietet Gelegenheit, das Verhältnis zwischen Über- und Unterordnung zu illustrieren und gleichzeitig eine bestimmte Situation mit ihren speziellen Forderungen einzubeziehen. Das mag man an den Aufgaben eines Architekten ablesen, die er in bezug auf ein zu errichtendes Bauwerk hat. Seine Funktion ist wichtiger als die der Bau88 89 90

Zum Hintergrund und zur Chronologie s. R. -A. GAUTHIER im Vorwort zu Sentencia libri De anima, Ed. Leon., t. 45,1, Rom-Paris 1984,286*-288*. J.-P. TORRELL, Magister Thomas 120-123. Zum historischen Kontext s. U. HORST, Evangelische Armut 55-76. Quodlibet I, q. 7, a. 2, ed. cit. 2,194-197. Zur Datierung J.-P. TORRELL, Magister Thomas 224.

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leute, die lediglich den von ihm entworfenen Plan ausfuhren. Verständlicherweise erhält er einen größeren Lohn als sie, obschon er keine manuelle Arbeit leistet. Wohin der Vergleich zielt, ist unschwer zu erraten. Den Handwerkern entsprechen in der Kirche Geistliche mit begrenzten Seelsorgepflichten, die sich im wesentlichen mit der Sakramentenspendung begnügen, während die Bischöfe wie die Architekten die Leitung innehaben und Anweisungen erteilen91. Ähnliches gilt auch für die Theologieprofessoren, die forschen und lehren, wie andere die Seelsorge auszuüben haben. Der Schluß ergibt sich von selbst: Es ist schlechthin besser und verdienstvoller, Theologie zu dozieren als einer partikulären Pastoraltätigkeit nachzugehen. Der Grund ist einfach: Es ist sinnvoller, diejenigen in Glaubensdingen zu unterweisen, die in sich und in Hinsicht auf andere Fortschritte machen, als sich mit „Einfachen" (simplices) zu beschäftigen, die nur für die eigene Person Gewinn von einem solchen Unterricht haben. Diese Sicht der Dinge schließt allerdings nicht aus, daß Bischöfe wie Professoren in einer schwierigen Situation das ihnen eigene Amt zugunsten der Seelsorge aufgeben92. Daß Thomas in die Antwort auf die zunächst enger gefaßte Titelfrage die Bischöfe eingefügt hat, deutet an, daß sein Interesse vorrangig ihnen gilt und nicht so sehr den Professoren. Das bestätigt die Lösung des zweiten Einwands, der sich mit dem doppelten Verständnis des Begriffs der Vollkommenheit befaßt. So ist jemand vollkommen, der die Liebe zu Gott und zum Nächsten hat (Gen 17, 1 und Mt 5, 44 u. 48). Wichtiger in unserem Kontext ist indessen die Frage: Wer gehört zum Stand der Vollkommenheit? Die Antwort ist ebenso einfach wie folgenschwer: In ihm sind jene, die sich feierlich zu etwas verpflichten, das mit der Vollkommenheit verbunden ist. Der aus Liebe entstehenden Vollkommenheit ist nun etwas auf zweifache Weise hinzugefügt {annexum). Einmal wie ein „Vorausgehendes" (praeambulum) und wie ein „Vorbereitendes" (praeparatorium), so Armut und Keuschheit, die ein größeres Freisein für Gott ermöglichen und „eher" als Instrumente der Vollkommenheit fungieren, diese selbst aber nicht sind. Für Thomas wird nun das so verstandene „Instrument" ein Schlüsselbegriff, der seine Rätetheologie wie kein anderer Gedanke charakterisieren sollte. Er sieht ihn in einem Hieronymuswort zu Mt 19, 27 vorgeformt, das bezeichnenderweise den Nachdruck auf das „wir sind dir gefolgt" legt und nicht etwa auf das „wir haben alles verlassen"93. Wer nun so lebt, hat zwar das praeparatorium perfectionis, doch begründet eine solche Existenzweise noch nicht den Stand der Vollkommenheit, denn in diesen gelangt man erst, wenn man sich zu ihm auf Dauer in einem feierlichen Versprechen bekennt94. In einer ähnlichen Argumentation wird der Stand der Bischöfe beschrieben. Etwas kann der Vollkommenheit wie eine „Wirkung" angefügt sei, so wenn jemand die Seelsorge übernimmt, wenn er also „die Süße der Kontemplation" aufgibt, um sich in einem aktiven Leben um das Heil anderer zu kümmern. Wer das tut, hat an der Vollkommenheit Anteil, doch konstituiert das noch nicht einen Stand. In ihn wird er erst versetzt, wenn ihm das Seelsor-

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Ed. cit. 196, lin. 43-50. Ed. cit. 196, lin. 51-70. Ad 2, ed. cit. 197, lin. 89-98. Vgl. U. HORST, Evangelische Armut 61-63. Ed. cit. 197, lin. 98-103. Quicunque ergo vel voluntarism paupertatem vel castitatem servant, habent quidem preparatorium perfectionis, set non dicuntur habere statum perfectionis, nisi qui se ex sollempni professione ad huiusmodi obligant...

Das Quodlibet I, q. 7, a. 2

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geamt in einer „feierlichen Konsekration" übertragen wird. Dies trifft nur bei der Weihe eines Bischofs zu, dem allein jene sollempnis consecratio gespendet wird. Archidiakone und Pfarrer haben demgegenüber nur gewisse ihnen anvertraute Ämter, die ihnen jederzeit entzogen werden können. Die mit einem Stand verbundene Feierlichkeit und Dauer eignen ihnen nicht95. Thomas zieht demnach mit deutlichem Nachdruck, dessen Motive einstweilen noch nicht klar hervortreten, eine scharfe Scheidelinie zwischen Bischöfen und Religiösen einerseits und dem Weltklerus andererseits: Nur Bischöfe und Ordensleute werden aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Stand der Vollkommenheit „Vollkommene" genannt. Dies ist zugleich der innere Grund dafür, daß Religiösen zuweilen Bischöfe werden, nicht aber werden sie Archidiakone und Leutpriester96. Das wäre für sie ein Abstieg. Die Tendenz ist offenkundig, dem Bischof einen solchen Rang in der Kirche kraft einer feierlichen Weihe zu sichern, daß sich der übrige Säkularklerus markant von ihm abhebt. Um ein mit dem Begriff „Vollkommenheit" beinahe zwangsläufig verbundenes Mißverständnis auszuräumen, bemüht sich Thomas, dessen Sinn zu erläutern. Die im Stand der Vollkommenheit befindlichen Bischöfe und Religiösen sind nicht prinzipiell gehalten, das „Bessere" zu tun, also über sich hinaus zu streben. Ihnen obliegt lediglich, die aus ihrem Amt resultierenden Leitungsaufgaben wahrzunehmen bzw. die aus den Gelübden erwachsenden Forderungen zu erfüllen, denn sonst handelte es sich um eine ins Unendliche und darum grenzenlos fortschreitende Verpflichtung97. Unser Quodlibet initiiert eine interessante These, gibt aber, isoliert gelesen, den historischen Hintergrund nur unscharf zu erkennen. Immerhin dürfte deutlich geworden sein, daß Thomas den Episkopat und die Orden als eigenständige Größen hervorgehoben wissen wollte, wozu sich in seinen Augen der Begriff des klar definierten Standes besonders eignete. Das hieße dann einschlußweise, daß es damals Theologen gegeben haben muß, die die Grenzen anders gezogen haben. Argumente schimmern durch, die aus einer radikalen Richtung kommen und die Bischöfe mit Forderungen konfrontieren, die über die bisher mit ihrem Amt verbundenen Pflichten und Erwartungen hinausgehen. Näheren Aufschluß über die hinter dem Quodlibet liegenden Motive wird man im Opusculum De perfectione zu suchen haben, das Thomas in den folgenden Monaten konzipierte.

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Ed. cit. 197, lin. 114-124. Quicunque ergo hoc modo saluti proximorum intendit, habet quidem aliquem perfectionis effectum, sed non habet perfectionis statum, nisi episcopus, qui cum quadam sollempni consecratione suscipit animarum curam; archidiaconi vero et parochiales presbyteri magis habent commissa quedam officia quam quod per hoc in aliquo perfectionis statu ponantur (lin. 113-121). Zu den Auseinandersetzungen des Aquinaten mit den Archidiakonen s. Y. CONGAR, Saint Thomas et les archidiacres. Allgemeiner: P. LANDAU, Die Ursprünge. Ed. cit. 197, lin. 121-124. Soli igitur religiosi et episcopi dicuntur perfecti quasi statum perfectionis habentes. Unde religiosi fiunt episcopi, set non archidiaconi vel plebani. Ed. cit. 197, lin. 133-137 ... non enim tenentur episcopi nisi ad ea ad que se extendit cura suscepti regiminis, et religiosi non tenentur nisi ad ea ad que obligantur ex voto sue professionis; alioquin esset obligatio ad infinitum ...

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2. Gerhard von Abbeville Die in dezidierter Form vorgetragenen Thesen des Quodlibets lassen auf Polemiken an der Pariser Universität schließen. Daß Gerhard von Abbeville in sie involviert war, braucht kaum gesagt zu werden98. Der Umstand, daß Thomas ihn wenig später scharf kritisieren wird, darf allerdings - das sei schon jetzt vermerkt - nicht den Blick für die Tatsache trüben, daß er seinem Gegner einiges verdankt, insofern dieser ihn mit Problemen und Argumenten vertraut gemacht hat, die ihm die Augen für die in einer radikalen Armutsauffassung verborgenen Gefahren öffneten. Im Dezember 1268 disputierte Gerhard ein Quodlibet, in dem er überzogene franziskanische Armutsthesen angriff, wie sie sich namentlich in der Schrift Manus, que contra Omnipotentem tenditur des Thomas von York fanden99. Die für unsere Zwecke wichtigste Aussage dieses Werkes lautet, daß der Stand derer, die auf die Welt verzichten und gar nichts für sich behalten, vollkommener ist als jeder sonstige Stand, der weiterhin Zeitliches besitzt100. Daraus ergibt sich, daß hier das Verhältnis der Orden, die ein solches Ideal realisieren, zu Primat, Episkopat und Weltklerus angesprochen ist, die sich, da sie jenen Verzicht nicht leisten, in einem minderen Stand befinden mußten. Welche Gefahren für die Verfassung der Kirche sich hinter einer derartigen Sicht der Dinge verbergen, hat Gerhard von Abbeville klar erkannt, so daß er sich genötigt sieht, den Nachweis zu führen, daß der der Kirche eigene und von ihren Amtsträgern verwaltete Besitz in keiner Weise die vom Evangelium gebotene Vollkommenheit schmälert. Geschickt fügt er hinzu, daß allein der Papst den Anspruch erheben darf, in apice perfectionis zu sein, den schon aus diesem Grund kein Orden für sich reklamieren kann101. Bemerkenswert ist schließlich, daß zwischen den Bischöfen als Nachfolgern der Apostel und dem übrigen Säkularklerus in dieser Hinsicht kein Unterschied besteht. Noch deutlicher und schärfer formuliert Gerhard von Abbeville seine Position in der am 31. 12. 1268 in der Pariser Minoritenkirche gehaltenen Predigt Postquam consumati sunt dies VIII102. Hier spielen - am Fest des hl. Sylvester - der Papst und die römische Kirche die entscheidende Rolle. Wer seinem eigenen Stand, heißt es gegen die Minoriten, das Privileg der höchsten Vollkommenheit aufgrund des totalen Besitzverzichts zuschreiben möchte, bestreitet der Kirche Roms eine anerkannte Prärogative und setzt sich selbst an deren Stelle. Daß die facultates ecclesie tatsächlich von großem Nutzen für den Klerus, die Seelsorge und 98 99

Literatur zu Gerhard von Abbeville bei U. HORST, Evangelische Armut 55. Der Text von Quodlibet XVI, q. 1 u. 2 wurde von A. TEETAERT ediert 168-178, zur Datierung s. 120f. Den Traktat des Thomas von York bei M. BIERBAUM, Bettelorden und Weltgeistlichkeit 37167. Vgl. L M A VID 727 (J. SCHLAGETER). F. PELSTER, Thomas von York. M.-M. DUFEIL,

Guillaume

de Saint-Amour 242-246. 100 Ed. cit. c. III 48 ... quod status iste, videlicet mundo renuntiantium et nichil omnino retinentium, sit perfectior omni statu, qui aliquod temporale sibi retinuit... 101 Quodlibet XVI, q. 2, ed. cit. 178. Et ita sine diminuitione sue perfectionis summus pontifex, ecclesie princeps, vicarius Xristi et successor Petri, et alii prelati tenentes locum apostolorum, et presbiteri secundi ordinis, tenentes locum discipulorum, et etiam levite hoc modo possunt sine diminuitione sue perfectionis possessiones et predia ecclesiastica optinere, precipue cum summus pontifex sit in apice perfectionis. Zu weiteren Einzelheiten s. U. HORST, Evangelische Armut 55-61. 102 Ed. M. BIERBAUM, Bettelorden und Weltgeistlichkeit 208-219.

Gerhard von Abbeville

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die Armen sind, wird nachdrücklich betont. Sie entsprechen im übrigen dem Beispiel des Herrn, der eine „Börse" (loculos) hatte. Im Blick auf einen bald in den Mittelpunkt der Diskussion rückenden Aspekt ist der Schluß des Sermos bedeutsam. Höhepunkt (culmen) und Spitze (apex) kirchlicher Würde und Vollkommenheit liegen im Amt oder im Stand der durch die Hirten auszuübenden Leitung103. Da an dieser pastoralen Aufgabe Bischöfe, Archidiakone und Pfarrer beteiligt sind, gehören sie dem Stand der Vollkommenheit an. Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, daß Thomas, unterdessen in Paris angelangt, von beiden Schriften Gerhards, dem Quodlibet und dem Sermo, Kenntnis genommen hat, so daß er sich Ostern 1269 verpflichtet sah, in seinem Quodlibet zu den in Paris kursierenden Thesen Stellung zu nehmen. Gerhard von Abbeville hat auf diese Herausforderung nicht sogleich geantwortet, sondern zunächst den gegen die Minoriten gerichteten Angriff in einem Quodlibet (V, qq. 5 u. 6), Ostern 1269 disputiert, weitergeführt und vertieft104. Im Sommer oder Frühherbst desselben Jahres erschien seine Schrift Contra adversarium perfectionis christianae, die Bonaventura zur Abfassung der Apologia pauperum veranlaßte, die noch vor Jahresende publiziert wurde105. Wie sehr Gerhard von Abbeville überzeugt war, daß die Thesen von Manus, que contra Omnipotentem tenditur die Struktur der Kirche zerstören würden, zeigen die 1270 entstandenen 110 Exceptiones106. Von außerordentlichem Interesse für unsere Thematik ist Gerhards Quodlibet XIV, das Weihnachten 1269 disputiert wurde, da es die Antwort auf das Quodlibet des Aquinaten von Ostern darstellt107. Als das Quodlibet (XIV, a. 1) Gerhards von Abbeville bekannt wurde, befand sich Thomas mitten in der Arbeit an De perfectione, so daß er sich entschloß, auf das Werk seines Widersachers unmittelbar zu antworten. Er erhielt somit Gelegenheit, seine eigenen schon weit gediehenen Überlegungen an Hand der Einwände zu vertiefen und zu erweitern108. Gerhard, der das Quodlibet des Aquinaten seiner Entgegnung zugrundelegt, verfolgt zwei eng miteinander verbundene Ziele: Er will nachweisen, daß die Amtsinhaber aus dem Weltklerus, insbesondere die Archidiakone und Pfarrer, theologisch und historisch betrachtet, im Stand der Vollkommenheit sind, in den sie der Herr selbst berufen hat, während sich Gleiches von den Mönchen nicht sagen läßt, da sie erst viel später, in der nachapostolischen Zeit, durch die „Heiligen" in ihn versetzt worden sind109. Archidiakone, Pfarrer und Leutpriester erhalten bezeichnenderweise in der Weihe die Schlüsselgewalt und anläßlich der Einweisung in ihr Amt die Vollmacht, sie zu gebrauchen und zwar im Blick auf ihre pastoralen Funktionen und nicht, insofern sie Priester sind. Schon das unterscheidet sie grund-

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Ed. cit. 219 ... culmen et apicem ecclesiastice dignitatis et perfectionis consistere in officio vel in statu regiminis pastoralis, et quoniam de illa excellentissima perfectione nihil diminuit administratio temporalium, sed magis expedit ad eandem. Ed. cit. 128-163. Zur Datierung 120. Gerhard von Abbeville: Contra adversarium perfectionis christianae, ed. cit. - Zu Bonaventuras Apologia pauperum s. B. DISTELBRINK, Bonaventurae scripta, nr. 26, 3If. J. G. BOUGEROL, Introduction 272-277. Femer: S. CLASEN, Der hl. Bonaventura und das Mendikantentum. Ed. M. BIERBAUM, Bettelorden und Weltgeistlichkeit 169-207. Der Text wurde von H.-F. DONDAINE im Anschluß an die Einleitung zu De perfectione spiritualis vitae B 56 - B 62 ediert. Ed. Leon., Préface, § 4 u. 6, B 8 - B 9. Text des Quodlibets: B 56 - B 62. - Die Edition von PH. GRAND, Le Quodlibet XIV ist überholt. S. femer: L. BONGIANINO, Le Questioni quodlibetali.

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sätzlich von den Religiösen110. Entscheidend aber ist, daß Christus nur zwei „Ordnungen" eingesetzt hat, die Apostel und die 72 Jünger, denen jetzt die Pfarrer und Leutpriester entsprechen, während der ordo religiosorum auf die Heiligen einer späteren Epoche zurückgeht111. Für nicht minder konsequenzenreich hält Gerhard - mit früher von uns zitierten Kanonisten - ein terminologisches Argument, das auf weitreichende sachliche Differenzen zu zeitgenössischen Autoren hinweist. Von der Urkirche bis in die Tage des hl. Hieronymus waren, ehe die Studien kraft „teuflischer Eingebung" in religione begannen, die Begriffe presbyter und episcopus synonym. Diese Gleichheit hatte ihren Grund in der Praxis, daß die Kirchen seinerzeit durch den gemeinsamen Rat der Presbyter geleitet wurden. Als man später auf dem ganzen Erdkreis beschloß, daß einer aus der Gruppe der Presbyter den Vorsitz übernehme, geschah dies, um so den Gefahren eines Schismas zu wehren. Der Umstand, daß sich damals die Kirchenrektoren im Stand der Vollkommenheit befanden, hat nach Gerhard auch Konsequenzen für die gegenwärtigen Pfarrer, da sie über ihre Untergebenen dieselbe Gewalt haben, zumal nicht zu leugnen ist, daß die Jünger des Herrn, ihre Vorgänger also, im Stand einer herausragenden Vollkommenheit waren112. Gerhard hätte, um die Konsequenzen noch deutlicher hervortreten zu lassen, die Fortsetzung des Textes aus dem Decretum zitieren können, wonach die Bischöfe wissen sollten, daß sie mehr aus Gewohnheit denn kraft einer Verfugung des Herrn rangmäßig über den Priestern stehen. Zu bedenken gegeben wird schließlich, daß die liturgischen Worte bei der Bischofs- und bei der Priesterweihe identisch sind. Wenn, so muß man schließen, bei dieser feierlichen Konsekration der Bischof in den Stand der Vollkommenheit versetzt wird, so geschieht das nicht, insofern er Bischof, sondern insofern er Priester ist113. Daß in einer solchen Sicht der Dinge das Wesen des Episkopats höchst unscharf wird und sich praktisch mit dem Presbyterat deckt, bestätigen auch die sich anschließenden Argumente. Wendet man ein, das Haupt des Bischofs werde gesalbt, so verfängt auch dieses liturgische Argument nicht, da der Ritus ebenso an Königen vollzogen wird, die daraus keinen Anspruch auf den Stand der Vollkommenheit herleiten können. Noch gewichtiger scheint die Tatsache zu sein, daß vor dem Entstehen des monarchischen Episkopats das Haupt der Priester nicht gesalbt wurde.

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B 58, lin. 160-180. B 58, lin. 181-192 ... formam XII apostolorum tenent episcopi, tipum vero LXII discipulorum tenent presbyteri secundi ordinis qui dicuntur curati vel plebani. Sed iste tertius ordo religiosorum qui non fuit institutus a domino immediate, nec ante sacerdotes secundi ordinis, sed longe postea a sanctis, tenent statum perfectionis: quare multo magis secundus ordo presbyterorum, qui immediate et primo institutus fuit a domino ... B 58, lin. 230 - B 59, lin. 249. Tunc enim communi presbyterorum Consilio ecclesie gubernabantur; quod autem „in toto orbe postea decretum est ut unus de presbyteris supponeretur et scismatum semina tollerentur", in scismatis remedium constitutum est. Sicut ergo tunc temporis perfectio erat status in presbyteris rectoribus ecclesiarum, ita etiam in curatis moderni temporis, presertim cum habeant eandem auctoritatem in subditis; sed nullus negare audet quin discipuli domini ... fuerunt in statu excellentis perfectionis. Vgl. Decretum Gratiani d. 95, c. 5 Olim (FRIEDBERGI 332f)B 59, lin. 250-261. Item, in consecratione tarn episcopi quam sacerdotis verba sunt communia. (Vgl. Decretum Gratiani C. XVI, q. I, c. 40, Glossa Gratiani § 2, FRIEDBERG I 773). Si propter istam sollempnem consecrationem ponitur episcopus in statu perfectionis, non ponitur in quantum episcopus, sed in quantum sacerdos; si ergo in quantum episcopus maiorem sibi vendicat statum perfectionis quam in quantum sacerdos, pari ratione sacerdos curatus in eo quod curatus maiorem sibi vendicat perfectionem quam in eo quod sacerdos.

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Die so vorgenommene Konsekration bewirkt deshalb nicht den Stand der Vollkommenheit bei den höheren Prälaten, da sie schon in ihm waren, bevor sie, um Schismen zu verhindern, zu Vorstehern einer Gruppe von Priestern wurden114. Die Salbung des Hauptes scheidet nach Gerhard als Argument zugunsten eines durch sie zu begründenden eigenen bischöflichen Standes aus, da ein solcher schon in den Presbyterkollegien existierte. Daß aus ihnen, durch die Neigung zu Schismen bedingt, ein Vorsteher genommen wurde, ändert an dieser Tatsache nichts. Die unctio hat folglich keine Beziehung zu einem status, wohl aber ist sie ein Zeichen, daß das Weihesakrament in sich gestuft ist und zwar in dem Sinn, daß der Episkopat keine neue Weihe ist - es gäbe sonst mehr als sieben ordines - , sondern eine Stufe innerhalb des ordo115. Und dieser Grad, der dem Priestertum eignet, ist dem Episkopat „ganz ähnlich"116. Wie nach den bisherigen Argumenten nicht anders zu erwarten, bindet Gerhard den Stand an das Amt, das in der Regel in feierlicher Form übertragen wird. Das kirchliche Offizium gibt dem mit ihm Betrauten Stand und Grad, wie das etwa bei einem Pfarrer der Fall ist. Gerhard wird nicht müde zu betonen, daß die stets mit einer gewissen Solemnität verbundene Amtseinführung der Pfarrer und Archidiakone in einen Stand versetzt, zumal ein solcher Akt zum Heil der Gläubigen und zur Ehre Gottes geschieht117. Schließlich steht der Pfarrer seiner Gemeinde nicht anders vor als der Patriarch in seinem Patriarchat, der Bischof in seiner Diözese und der Archidiakon in seinem Territorium. Daß dem Episkopat eine ihn allein charakterisierende Hirtensorge eigen ist, wird nicht gesagt, es heißt vielmehr ausdrücklich, daß die „kleinen Prälaten" ihr Amt auf dieselbe Weise ausüben wie die „großen". Solche Aussagen, die die Sonderheiten der Aufgaben und Funktionen des Bischofs nivellieren, münden in die auf einem Rechtstext basierende Frage, die zugleich die Antwort ist: Was tut der Bischof - die Weihe ausgenommen - , was der Pfarrer nicht auch tut? Und unter Verweis auf einen anderen Satz wird gesagt: Alle übrigen Salbungen kann der Pfarrer spenden, wobei die im Rechtsbuch erwähnte Ausnahme der Firmung von Gerhard bemerkenswerterweise übergangen wird118. Die Argumentationen Gerhards sollten beweisen, daß auch Archidiakone und Pfarrer kraft ihres Amtes im Stand der Vollkommenheit sind und daß dies durch die traditionelle feierliche Form bei der Übertragung desselben bestätigt wird. Die Religiösen, die keine Gemeinde und darum keine ordentliche Jurisdiktion über Untergebene haben, können Gleiches nicht für sich in Anspruch nehmen. Wichtiger als die These selbst sind die Gründe, die hin114

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B 59, lin. 290-296. Item, consecratio non facit statum perfectionis in maioribus prelatis, quia antequam unus preferretur pluribus sacerdotibus, in statu erant perfectionis; quod enim postea unus electus est qui ceteris preponeretur, in scismatis remedium factum est, tamen ante illud tempus non legitur quod sacerdotes in capite consecrarentur. B 59, lin. 297-300. Item, consecratio capitis magis pertinet ad signum et gradum sacramenti; episcopatus enim non est novus ordo, sed gradus in ordine, alioquin essent plures ordines quam septem. B 60, lin. 381-384. Gradus ergo simillimus episcopo cur non erit in statu perfectionis, ex quo gradus est secundus, cum gradus remotior (der Diakonat) sit in statu perfectionis? B 60, lin. 424-426. Similiter officium ecclesiasticum sollempne et in quo quis sollempniter est institutus, dat persone statum et gradum in ecclesia. B 61, lin. 465-471. linde sicut maiores prelati in suis locis sua exercent officia, sic minores in suis locis. „Quid enim facit episcopus, excepta ordinatione, quod presbyter curatus non faciat"? (D 93, c. 24 Legimus § 1, FRIEDBERG I 3 2 8 ) . . . ceteras vero unctiones presbyter curatus exhibere potest. Vgl. Decretum Gratiani, 1.1, tit. XV, c. I, § 7 (FRIEDBERG II133).

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ter den Ausführungen stehen. Die durch einige Kanonisten wachgehaltene Meinung, daß einst zwischen Episkopat und Presbyterat weder terminologisch noch sachlich unterschieden wurde, gibt einen ersten Hinweis auf Gerhards Argumentationsweise. Sie läuft darauf hinaus, die sachliche Differenzierung zwischen beiden so gering wie möglich zu veranschlagen, wobei die den Bischöfen reservierte Weihevollmacht akzeptiert, aber bezeichnenderweise nicht weiter reflektiert wird. Zwischen der Leitung einer Diözese und der Administration einer Pfarrei gibt es keinen theologisch bedeutsamen Unterschied, keine dem Bischof anvertraute cura principalis, wie sie Thomas mit großem Nachdruck vertreten wird. Sie ist für die Wesensbestimmung seines Hirtenamtes ohne Belang. Die den Spender der Firmung betreffenden Probleme werden übergangen. Die vom Aquinaten in seinem Quodlibet ins Feld geführten liturgischen Argumente zugunsten eines eigenen bischöflichen Vollkommenheitsstandes sucht Gerhard zu relativieren oder zu bestreiten. Wo sie indes historisch nachweisbar sind, bezieht er sie in gleicher Weise auf den Presbyterat. Der Kampf eines führenden Repräsentanten des Pariser Weltklerus um die Bewahrung presbyteraler Rechte gegenüber Bischöfen und Religiösen hat zu einem höchst bedeutsamen Resultat geführt. Unter der weithin akzeptierten Voraussetzung, daß der Episkopat kein selbständiger ordo ist und sich auch sonst - so die Vertreter des Pariser Säkularklerus - keiner Sonderstellung erfreut, die ihn markant vom Presbyterat abhebt, ließ sich die wesentliche Differenz zwischen den Ämtern des Bischofs und des Pfarrers in der damaligen Kontroverse nicht hinreichend begründen.

3. De perfectione spiritualis vitae Die kurze, aber prägnante Antwort, die Thomas in seinem Quodlibet aus dem Frühjahr 1269 (I, q. 7, a. 2 ad 2) in bezug auf den Vollkommenheitsstand der Bischöfe und Religiösen gegeben hatte, zeigt seine Bereitschaft an, in die durch Gerhard von Abbeville provozierte Kontroverse einzugreifen. In komprimierter Gestalt wurden auch bereits die Lösungen sichtbar, die nunmehr der tieferen Begründung harren. Daß sein Widersacher die vom Quodlibet ausgehenden Signale verstanden hat, haben wir schon gehört. Nachdem Gerhards Contra adversarium im Verlauf des Jahres 1269 erschienen war, hat der Aquinate den ersten Teil von De perfectione (bis c. 23) niedergeschrieben, während die Fortsetzung die Replik auf Gerhards Quodlibet XIV, a. 1 von Weihnachten desselben Jahres darstellt119. Der Umstand, daß, wie wir zu zeigen hoffen, die Argumente des Opusculums verschiedene Gruppen von Gegnern anvisieren, mag als erster Hinweis darauf dienen, daß eine mehrschichtige Problematik zur Diskussion steht, die sich keineswegs in den Fragen nach Wesen und Funktion des Ordenslebens erschöpft, ja es wird sich erweisen, daß das Schwergewicht von De perfectione gar nicht hier, sondern anderswo liegt. Gleichwohl hat, wie bereits die einleitenden Sätze kundtun, das Werk ein Zentrum, den status perfectionis, der seit einiger Zeit Gegen-

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Vgl. H.-F. DONO/UNE, ed. cit., Préface, § 3 u. 4, B 6 - B 9. A. SANCHIS, Escritos espirituales 288293. Zum Hintergrund: P. GLORIEUX, Les polémiques und „ Contra Geraldinos ".

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stand heftiger Auseinandersetzungen ist, in die Personen aus dem Lager der Mendikanten verwickelt sind, so daß man auch von einem internen Streit der Orden reden darf120. Gewöhnlich rechnet man De perfectione zu den Schriften, die das Ziel haben, die neuen Formen des Ordenswesens gegen Einwände seitens der Repräsentanten des Weltklerus zu verteidigen und ihre pastoralen Funktionen zu rechtfertigen, doch verrät schon eine erste Lektüre, daß sich hier die Akzente gegenüber Contra impugnantes merklich verlagert haben. Nicht so sehr bedürfen die Religiösen der Apologie, sondern die Bischöfe, deren einzigartige Stellung in der Kirche durch gewisse Theologen geschwächt oder gar geleugnet wird. Die Fronten haben sich also insofern verkehrt, als jetzt Thomas charakteristische Merkmale des Ordensstandes der Absicht dienstbar machen möchte, den Bischöfen einen herausragenden Platz im hierarchischen Gefüge der Kirche zu reservieren, um sie von konkurrierenden Ämtern abzugrenzen. Anders gesagt: De perfectione will hier in erster Linie eine Theologie des Episkopats bieten und zwar mit Hilfe klassischer Argumente der Gelübdetheorie, wobei Thomas überzeugt ist, daß eine solche Vorgehensweise Eigenart und Verschiedenheit beider Stände zum Ausdruck bringt und außerdem den Vorzug hat, das ihnen Gemeinsame in die Dialektik einzubeziehen, um sie sodann von allen anderen Amtsinhabern scharf abzuheben. Sollte unsere Deutung der generellen Tendenz des Opusculums richtig sein, muß Thomas sehr bald gesehen haben, daß sich hinter dem Angriff Gerhards von Abbeville auf die Mendikanten die folgenschwerere Intention verbarg, die Differenz zwischen Bischöfen auf der einen und Archidiakonen und Pfarrern auf der anderen Seite möglichst gering anzusetzen. Daß sich seit 1269 das Interesse diesem Problem zuzuwenden beginnt, bezeugt das Quodlibet I, in dem es vorrangig darum geht, Bischöfe und Religiösen in eine gemeinsame und deutlich herausgehobene Position gegenüber den Ansprüchen des Weltklerus zu bringen. Der Umstand, daß sich damals alte und weit verbreitete kanonistische Thesen in neuer Gestalt präsentierten, ließ eine entschiedene Antwort noch dringlicher erscheinen. Thomas fragt zunächst nach dem Wesen der für alle verpflichtenden Gottesliebe, in der die Vollkommenheit des geistlichen Lebens besteht. Sie ist durch ein Vierfaches charakterisiert: Daß der Mensch alles auf Gott als sein Ziel bezieht, daß er ihm seinen Intellekt unterwirft, daß er alles von ihm Geliebte in Gott liebt, und daß er alles ihm Äußere, Wort und Tat, aus der göttlichen Liebe ableitet121. Das ist die ausnahmslos allen aufgetragene Verpflichtung, welchem Stand er angehören mag, wobei die Realität menschlichen Verhaltens verschiedene Intensitätsgrade kennt. Das Gottesverhältnis wird deshalb um so inniger sein, je mehr es einem gelingt, vom Vielen Abstand zu nehmen, um sich auf das Eine zu konzentrieren. In dieser Aussage steht das „Zeitliche" in seiner ganzen Breite für das „Viele". In dem Maß, in dem man es begehrt, wächst oder fällt die Vollkommenheit. Die „Räte", die uns zu ihr einladen, haben folglich den Zweck, uns vom Verlangen nach Zeitlichen fernzuhalten122. In der unvermeidbaren Spannung zwischen Gott und dem Geschaffenen gibt es demnach Hilfen, um das Eine besser anzustreben. Das Viele, von dem es sich abzuwenden 120

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Vgl. c. 1, ed. cit. B 69, lin. 2-8. Es handelt sich um Personen, die nicht wissen, was die Vollkommenheit bedeutet (peifectionis ignari) und sich deshalb anmaßen, Nichtiges zu sagen (vana dicere praesumpserunt). Daraus ergibt sich das Ziel der Abhandlung: (1.) quid sit esse perfectum\ (2.) qualiter perfectio acquiratur, (3.) quisperfectionis status; quae competunt assumentibusperfeclionis statum. Cc. 3-6, ed. cit. B 7 0 - B 71. C. 7, ed. cit. B 72, lin. 14-27.

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gilt, erscheint zuerst in Gestalt äußerer Güter {bona extrínseca), im Besitz, im Haben. Das klassische Zitat, das zeigt, worum es geht, ist das Wort des Herrn an den reichen Jüngling (Mt 19, 21), das Thomas auch deshalb gern zitiert, weil es eine spezifische Lösung des Problems enthält, auf die gleich zurückzukommen sein wird. Aus ihm sprechen ebenso die Schwierigkeit, die der Reichtum bereitet, wie der Nutzen, den der Verzicht mit sich bringt123. Die daraus resultierenden Mahnungen und Weisungen bewegen sich in traditionellen Bahnen, die aber unversehens in eine neue Interpretation münden, die auf Kommendes hinweist und dieses vorbereitet. Wie soll man, fragt der Aquinate, die üblichen rigorosen Forderungen mit einer exemplarischen Gestalt in Einklang bringen, die niemals auf Besitz verzichtet hat und dennoch von Gott selbst als vollkommen bezeichnet wurde? Gemeint ist Abraham, der als Reicher lebte und starb. Ohne Zögern konstatiert Thomas, daß die sich daraus ergebende Schwierigkeit keine Lösung fände, bestünde ein vollkommenes christliches Leben in der Preisgabe des Besitzes selbst, denn das hieße, daß kein Wohlhabender je vollkommen sein könnte124. Soll das Wort Jesu seinen Sinn behalten, muß es anders gedeutet werden. Betrachtet man es nämlich näher, erschließt es sich in einer Weise, die das genannte Dilemma vermeidet. Nicht der Verzicht selbst ist schon die Vollkommenheit, er ist vielmehr nur der Weg zu ihr, denn der Akzent liegt nicht auf dem „verkaufe", sondern auf dem „folge mir nach". In der sequela Christi besteht demnach die Vollkommenheit, während alles übrige als „Weg" zu erachten ist oder, wie Thomas auch später mit großem Nachdruck sagen wird, als „Mittel" und „Werkzeug"125. Für diese Sicht der Dinge ist Abraham das biblische Exempel, weil er, obwohl reich, „vor dem Herrn wandelte" (Gen 17, 1), wie insbesondere seine Bereitschaft zeigte, den eigenen Sohn zu opfern126. Gleichwohl gilt weiterhin, daß Besitz ein großes Hindernis ist, will man auf dem Weg zum Herrn voranschreiten, so daß der Rat, ihn preiszugeben, seine Berechtigung behält. Die von Thomas vorgeschlagene Deutung eines rigoros klingenden Schriftworts mag an dieser Stelle vergleichsweise harmlos erscheinen, doch wird bald deutlich werden, daß sie in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur markiert, insofern sie zur Abwehr eines einseitigen Armutsverständnisses dient, dessen Vertreter einstweilen im Dunkel bleiben127. Auf die zwei anderen Räte, Armut und Keuschheit, brauchen wir in unserem Zusammenhang nicht weiter einzugehen, da sich Argumente und Absichten ähneln, vermerkt sei lediglich, daß bezeichnenderweise die Armutsproblematik dazu genötigt hat, neue Gesichtspunkte in die Diskussion einzuführen. Wichtig ist schließlich, daß sich Thomas, um Fasten, Nachwachen, Schriftmeditation und Entäußerung von aller Habe zu relativieren, auf den 123 124

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C. 8, ed. cit. B 72, lin. 3-76. AaO, B 73, lin. 82-86. Quae quidem quaestio solvi non posset, si perfectio christianae vitae in ipsa dimissione divitiarum consisterei; sequeretur enim quod qui divitias possidet, non possit esse perfectus. Thomas sieht sich durch Hieronymus, den er in diesem Zusammenhang oft zitiert, bestätigt. AaO, lin. 87-94. Sed si verba Domini diligenter considerentur, non in ipsa divitiarum dimissione quasi perfectionem posuit; sed hoc ostendit esse quondam perfectionis viam, ut ipse modus loquendi ostendit cum dicitur „Si vis perfectus esse, vade, et vende omnia quae habes et da pauperibus, et sequere me", quasi in sequela Christi consistat perfectio, dimissio vero divitiarum sit perfectionis via. AaO, lin. 104-117. AaO, lin. 121-124. Non enim Dominus ea ratione hoc dedit consilium quasi divites perfecti esse non possint, aut intrare in regnum caelorum; sed quia non de facili possunt. Magna ergo virtus fiiit Abrahae quod etiam divitias possidens a divitiis liberum animum habuit...

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Mönchsvater Moses beruft, dem zufolge solche aszetischen Übungen lediglich als „Instrumente der Vollkommenheit" zu gelten haben, nicht jedoch diese selbst sind128. Das Stichwort instrumenta perfectionis ist erneut gefallen, das Thomas von nun an konsequent in seiner Theorie der Gelübde reflektieren wird, um deren notwendige Funktion im geistlichen Leben zu betonen und sie gleichzeitig zu relativieren, da sie nicht Selbstzweck sind, sondern lediglich der besseren Erreichung des Ziels dienen. Die drei ausführlich erörterten Wege zur Vollkommenheit entsprechen den klösterlichen Gelübden, unter denen dem Gehorsam der erste Platz zukommt und der Armut der letzte, ja in gewisser Weise schließt das Gehorsamsgelöbnis die beiden anderen ein, wie das in der Profeßformel des Predigerordens zum Ausdruck kommt, der allerdings nicht namentlich genannt wird129. Daß hinter dieser sich aus inneren Gründen ergebenden Rangordnung möglicherweise Kritik an einer bestimmten Armutskonzeption steckt, sei schon jetzt angemerkt. In einem Zwischenkapitel setzt sich Thomas mit alten und neuen Gegnern der Gelübde auseinander, da Vigilantius und Jovinianus, die antiken Exempel solcher Kritik, auch im Paris jener Jahre Anhänger gefunden haben. So gibt es Leute, die meinen, es sei lobenswerter, ohne Gelübde tugendhaft zu handeln. Wer sie sind, wird nicht gesagt, doch wird man sie wohl in der Artistenfakultät zu suchen haben130. Die Erörterungen über die Nächstenliebe sind im Blick auf unsere Problematik von besonderem Gewicht. Auch sie ist unter einem zweifachen Aspekt zu betrachten: Einmal, insofern sie allen obliegt und darum heilsnotwendig ist, zum anderen, insofern sie unter einen Rat fällt, also auf einen noch näher zu bestimmenden Personenkreis begrenzt ist. Unter der Rücksicht, daß sie ein keine Ausnahme duldendes Gebot ist, gibt die Schrift (Mt 22, 37-39) das Maß an: Nicht in toto corde, sondern sicut seipsum hat man den anderen zu lieben131. Was das im einzelnen meint, dürfen wir übergehen, da die uns interessierenden Differenzen vor allem die Gestalt der Nächstenliebe betreffen, zu der bestimmten Gläubigen (den Bischöfen, wie wir sehen werden) geraten wird. Ihre Eigenart läßt sich unter einem dreifachen Gesichtspunkt verdeutlichen. Zunächst unter dem der Ausdehnung (secundum extensionem), wobei sie um so vollkommener ist, auf je mehr Personen sie sich erstreckt132. Es versteht sich, daß hier in erster Linie das Problem der Feindesliebe angesprochen wird. Nimmt man sie in den Blick, hat man mit dem Einwand zu rechnen, daß sie mit der Nächstenliebe identisch ist, insofern diese niemand ausschließen darf. Thomas akzeptiert das Argument. Der Liebesgemeinschaft gehören in der Tat ausnahmslos alle an, doch meint er, daß ein wirkli-

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C. 10, ed. cit. B 77, lin. 164-181. Thomas kennt diese von ihm oft zitierte Ansicht aus den Collationes Cassians, I, c. 7, ed. cit. 85. Vgl. Art. : Cassien, in: DSp II 214-276 (M. OLPHE-GALLIARD). Art. : Johannes Cassianus, in: LThK 3 5, 888f (R. NÜRNBERG); Art. : Cassianus, Johannes, in: TRE 7, 6506 5 7 ( 0 . CHADWICK).

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C. 12, ed. cit. B 80f, lin. 3-13 u. 73-92. Vgl. A. H. THOMAS, De oudste constituties, dist. I, c. 16, 326f; ders , La profession. C. 13, ed. cit. B 81, lin. 41-52. - Wie die Verurteilung von 1277 zeigt, gab es unter den Artisten scharfe Gegner des monastischen Ideals. So Art. 40, der dem Philosophen einen status excellentior zuschreibt. Dazu s. K. FLASCH, Aufklärung im Mittelalter? 137f. R. HLSSETTE, Enquête 15-18. S. auchaa. 168,169, 181. Text der Artikel bei H. DENIFLE - A. CHATELAIN, Chartularium I 543-555. C. 14, ed. cit. B 84, lin. 13-29. C. 15, ed. cit. B 86, lin. 8-11. Primo quidem secundum extensionem: quanto enim ad plures dilectio extenditur, tanto videtur dilectio proximi esse magis perfecta.

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eher auf einen Feind gerichteter Liebeserweis, wofern keine Notwendigkeit für einen solchen vorliegt, zur Vollkommenheit des Rates zu zählen ist. Gerät ein Feind in eine Notlage, sind wir strikt verpflichtet, ihm zu helfen, nicht jedoch außerhalb einer derartigen Situation, da wir auch nicht gehalten sind, allen Menschen eine spezielle Wohltat zu erweisen. Nach Thomas leitet sich diese Form der Liebe allein aus der göttlichen Liebe ab, da kein wie immer geartetes menschliches Motiv die Bewegung zu ihr auszulösen vermag. Die Feinde werden geliebt, insofern sie nach dem Bild Gottes geschaffen sind133. Die vollkommene Nächstenliebe bemißt sich ferner nach der Intensität, die sich wiederum an den Folgen ablesen läßt. Je inniger sie ist, desto leichter fällt es einem, anderes um ihretwillen gering zu schätzen. Was das meint, zeigt sich an einer dreifachen Bereitschaft, anderen Wohltaten und Selbstlosigkeit zu erweisen. So etwa wenn man irdische Güter aus Liebe zum Nächsten verachtet oder sie zu dessen Gunsten verwaltet oder sie ganz hergibt, um in einer Notlage zu helfen134. Der zweite Grad der Nächstenliebe äußert sich darin, daß man seinen Körper nicht schont und für andere Verfolgungen und Beschwernisse auf sich nimmt. Gegen sie verstößt, wer nicht willens ist, auf Angenehmes zu verzichten oder Mühsal zu ertragen135. Der Höhepunkt besteht schließlich in der Bereitschaft, seine Seele für die Brüder hinzugeben (1 Joh 3, 16). Nun sind zwar alle Christen gehalten, ihr Leben für das geistliche Heil des anderen einzusetzen, falls eine strikte Notwendigkeit vorliegt, so wenn einer sähe, daß jemand von Ungläubigen verführt wird. Wer jedoch außerhalb solcher Situationen, die ein sofortiges Handeln erfordern, immer bereit ist, sich um des Seelenheils anderer willen in Todesgefahren zu begeben, praktiziert die Gestalt der Nächstenliebe, die unter einen Rat fällt136. Man mag sich fragen, warum Thomas diese subtilen Distinktionen entwickelt und warum er so großen Nachdruck darauf legt, daß die in allen drei Stufen praktizierte Nächstenliebe „Vollkommenheit des Rates" genannt wird. Der Schluß des Kapitels gibt erste deutliche terminologische Hinweise auf die die Argumentation leitende Absicht. Der Umstand, daß jemand zu dieser Gestalt der Liebe nicht durch sich, sondern durch den anderen bewegt

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AaO, B 87, lin. 79-86. Sic igitur et hie dicendum est, quod de necessitate praecepti est ut a communitate dilectionis qua quis proximos tenetur diligere, inimicum non excludat, nec aliquid contrarium huius dilectionis in corde suo reeipiat. Sed quod actu feratur mens hominis in dilectionem inimici etiam cum non adest necessitas, pertinet ad dilectionem proximi ... extra hos autem necessitatis articulos inimicis specialem affectum et effectum impendere ex necessitate praecepti non tenemur, cum nec etiam teneamur ex necessitate praecepti hoc in speciali omnibus exhibere. Und (lin. lOOf): Sed ad diligendum inimicos nihil movere potest nisi solus Deus. - Dazu vgl. II—II 25, 8 ... potest considerali dilectio inimicorum in speciali, ut scilicet aliquis in speciali moveatur motu dilectionis ad inimicum. Et istud non est de necessitate caritatis absolute, quia nec etiam moveri motu dilectionis in speciali ad quoslibet homines singulariter est de necessitate dilectionis, quia hoc esset impossibile. Est tarnen de necessitate caritatis secundum praeparationem animi, ut scilicet homo habeat animum paratum ad hoc quod in singulari inimicum diligeret si necessitas occurreret. C. 16, ed. cit. B 88, lin. 10-14. Sunt enim aliqui qui exteriora bona contemnunt propter proximorum dilectionem, dum vel ea particulariter proximis administrant, vel totaliter omnia necessitatibus erogant proximorum. AaO, lin. 43-45. Secundus gradus dilectionis est ut aliquis corpus suum laboribus exponat propter proximorum amorem. AaO, lin. 98-101. Sed ut aliquis extra hos necessitatis casus pro salute aliorum mortis periculis se exponat, pertinet ad perfectionem iustitiae vel ad perfectionem consilii.

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wird, macht, daß er ein „Diener" wird und sich so selbst in die Seinsweise der Knechtschaft stellt und dem Tod ähnlich wird137. Und genau diese Änderung des status und der conditio hat Thomas im Blick, denn sie vollzieht der, der sich in den Stand der Vollkommenheit begibt, wie er bereits in Hinsicht auf die Religiösen beschrieben wurde, und wie er auch - so wird sich zeigen - auf die Bischöfe angewandt werden soll. Ehe wir uns diesen Konklusionen zu stellen haben, sei das letzte Merkmal vollkommener Nächstenliebe gewürdigt. Es ist das der Wirkung, die durch sie hervorgebracht wird: So etwa Gaben, die dem körperlichen Wohl dienen (Kleidung und Nahrung) und solche, die geistigen Charakter haben (Unterweisung oder Erteilung von Rat). Sie bleiben, wie leicht ersichtlich, im Rahmen unserer natürlichen Möglichkeiten. Von ganz anderer Art sind demgegenüber die geistlichen und göttlichen Gaben (Katechese, Seelenfilhrung, Sakramentenspendung), die den Menschen mit Gott vereinen. Werden sie nicht diesem oder jenem, sondern allen erwiesen, so gereicht das den Spendern zu einer zusätzlichen Vollkommenheit, die der Auferbauung der Kirche zugutekommt138. Es versteht sich, daß letztere Anmerkung einen direkten ekklesiologischen Bezug hat und die aus den bisherigen Erörterungen zu ziehenden Schlüsse vorbereitet. Thomas hält es, ehe er den seit Beginn der komplexen Argumentation anvisierten Schritt macht, für angebracht, an einige wichtige Elemente seiner Rätekonzeption zu erinnern. Wer ein vollkommenes Werk nicht nur tut, sondern auch das Tun desselben gelobt, gelangt zu einer doppelten Vollkommenheit, die unter dem Zeichen des Rates steht. Die daraus resultierende Konsequenz ist einfach: Die eben beschriebene Vollkommenheit bringt eine Statusänderung mit sich, insofern „Freiheit" und „Knechtschaft" jeweils einen Zustand markieren, in dem sich jemand auf Dauer befindet. Was das impliziert, haben wir bereits andeutungsweise gehört. Ein simples Beispiel mag es veranschaulichen: Wer Enthaltsamkeit gelobt, nimmt sich die Freiheit zu heiraten, wer sich jedoch enthält, ohne es zu versprechen, behält sie und ändert folglich seinen Status nicht139. Um von vornherein kein Mißverständnis aufkommen zu lassen, versichert Thomas sogleich, daß die bloße Zugehörigkeit zu diesem Stand nichts über die subjektive Vollkommenheit aussagt, in der sich durchaus jemand befinden kann, der sich nicht schlechthin gebunden hat. Es geht allein um die objektive Gliedschaft und nicht um persönliche Heiligkeit. Und nun die Folgerungen! Daß die drei zu Beginn der Erörterungen genannten Weisen des Verzichts den klassischen Mönchsgelübden entsprechen, bedarf keiner Worte. Sie bilden hier allerdings lediglich den Hintergrund für jene drei Formen, in denen sich die höchste Gestalt der Bruderliebe äußert, zu denen sich nicht die Religiösen, wohl aber die Bischöfe verpflichten140. Es lohnt sich, innezuhalten und über diese auf den ersten Blick überra-

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AaO, B 89, lin. 107-121. C. 17, ed. cit. B 89. C. 18, ed. cit. B 89f, hier: lin. 12-15. Perfectio autem quae est ex voto conditionem mutat et statum, secundum quod libertas et servitus diversae conditiones vel status esse dicuntur ... Das trifft im eigentlichen Sinn naturgemäß nur dann zu, wenn man sein ganzes Leben unter eine solche Verpflichtung stellt. Lin. 41-44 ... si vero totam vitam suam voto Deo obligavit ut in operibus perfections ei deserviat, iam simpliciter conditionem vel statum perfectionis assumpsit. C. 19, ed. cit. B 90, lin. 19-24. Rursus autem ostensum est tria pertinere ad perfectionem dilectionis fraternae: ut scilicet inimici diligantur eisque serviatur; et ut aliquis animarti suam pro fratribus ponat,

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sehende Wende nachzudenken. Was hat Thomas als problematisch empfunden? Und was wollte er mit seinen Überlegungen erreichen? Seine Argumente bieten in bezug auf den Religiosenstand nichts wesentlich Neues, woran auch die Tatsache kaum etwas ändert, daß er gleichsam nebenbei eine Reihe zeitgenössischer irriger Meinungen zurückweist, die sich zudem meist nicht direkt gegen die Mendikanten richten, sondern gegen das Ordensleben im allgemeinen. Man gewinnt vielmehr den Eindruck, daß er seine Theorie der Räte vor allem im Blick auf den Status der Bischöfe entwickelt, um so die Eigenart des episkopalen Amtes schärfer fassen zu können. Sie hat demnach hier eher eine „Hilfsfunktion", um die Bruderliebe, insofern sie die Grenzen des allen Christen Gebotenen überschreitet, als „Rat" zu charakterisieren, zu dem sich die Bischöfe in einer noch zu präzisierenden Weise verpflichten, so wie die traditionellen Gelübde das Ordenswesen kennzeichnen. Beide - Religiösen und Episkopen - haben also eine gemeinsame Basis, das Gelöbnis, das sie gleichzeitig eint und unterscheidet. Sie stehen also unter einem wichtigen Aspekt in einer Parallele zueinander. Mit dieser Sicht der Dinge verfolgt Thomas eine weitere Absicht, die er bald klar formulieren wird, daß sich nämlich alle sonstigen Inhaber kirchlicher Ämter - Pfarrer und Archidiakone zumal - außerhalb der beiden Stände befinden und folglich nicht an deren ausgezeichneter Position partizipieren. Ehe Thomas auf diesen Punkt seiner Lösung zu sprechen kommt, gilt es die Einzelheiten seiner These zu würdigen und auf einen zentralen, uns in Umrissen schon bekannten Einwand zu antworten, der die Konstruktion gefährden könnte. Welche Aufgaben resultieren für die Bischöfe aus dem Rat zur Bruderliebe, der die allen Christen obliegenden Pflichten überschreitet? Zunächst: Sie übernehmen die Hirtensorge für die ganze Kirche, in der es für gewöhnlich Leute gibt, die sie hassen, lästern und verfolgen, für deren Heil sie jedoch zu sorgen haben, wie das schon die Apostel getan haben141. Die Feindesliebe hat also eine zeitlose Gestalt und jede Epoche der Geschichte gibt den höchsten Amtsträgern Gelegenheit, sie zu realisieren. Nicht minder sind der Kirche Verfolgungen gegenwärtig, die es gebieten, die ihnen anvertraute Herde zu schützen - auch um den Preis des eigenen Lebens142. Schließlich ist es ihre Aufgabe, geistliche Güter zu verwalten, da sie gleichsam Mittler zwischen Gott und Mensch sind, weil sie Christi Stelle vertreten143. Die Teilhabe an einem Stand ist an eine unerläßliche Voraussetzung geknüpft: Sie muß in einer feierlichen Form geschehen, die die Übernahme der genannten Verpflichtungen vor der Öffentlichkeit kundtut, wie das auch bei Verträgen unter Menschen üblich ist, um ihnen größere Festigkeit zu verleihen. Wiederum ergibt sich eine Parallele zum Ordensstand. Was für ihn die Profeß ist, ist für den Apostelnachfolger die Bischofsweihe144. Welche Rolle die

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vel exponendo periculis mortis, vel etiam vitam suam totaliter ordinando in utilitatem proximorum; et quod proximis spiritualia impendantur. Ad haec autem tria manifestum est teneri episcopos. C. 19, ed. cit. B 90f. AaO, ed. cit. B 91, lin. 54f und 73-75. Tenentur etiam episcopi ut pro salute eonun subditorum animam suam ponant ... obligatur ergo (episcopus), ex ipso officio sibi commisso ad hanc perfectionem dilectionis, ut pro fratribus animam ponat. AaO, ed. cit. B 91, lin. 76f. Similiter etiam ex officio pontifex obligatur ad hoc quod bona spiritualia proximis administret, quasi quidam mediator inter Deum et hominem constitutus ... AaO, ed. cit. B 91, lin. 98-100. Ad huiusmodi autem perfectionem episcopi in sua ordinatione se obligant, sicut et religiosi in sua professione ... Lin. 107-111. Sicut autem in humanis contractibus aliquae solemnitates secundum iura humana adhibentur ut contractus firmiter habeatur, ita cum

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Feierlichkeit dieses Aktes spielt, werden wir genauer kennenlernen, wenn der Aquinate den Episkopat von den übrigen Kirchenämtern abgrenzt. Der Versuch, Bischöfe und Religiösen in Parallele zu setzen, insofern beide ein „mehr" übernehmen und die Grenzen der allen Christen obliegenden Gebote transzendieren, hatte als erstes Ziel, dem wichtigsten Amt in der Kirche eine hierarchische Sonderstellung zu sichern, die ihm selbst für den Fall zuerkannt werden mußte, daß andere theologische Aspekte nocht nicht zu klären waren. Daß Thomas hierbei die Thesen Gerhards von Abbeville anvisierte, braucht nicht mehr gesagt zu werden. Gleichzeitig bot die Lehre, der Episkopat als Stand gründe im Rat der Bruderliebe, die Möglichkeit, einen aus einer ganz anderen Richtung kommenden Angriff abzuwehren, von dem gleich zu reden sein wird. Umgekehrt heißt das: Thomas sah sich genötigt, in zwei Kontroversen einzugreifen, die aus verschiedenen Lagern kamen, aber dennoch ein mindestens teilweise identisches Ziel hatten. Die ersten zwei Einwände, namentlich jedoch der dritte, geben Hinweise auf die Herkunft einer Gruppe von Gegnern. Es muß sich jetzt um Religiösen handeln, denn sie halten den Ordensstand für „erhabener" (sublimior) als den der Bischöfe, da dieser die Gottesliebe, jener aber (nur) die Nächstenliebe zum Gegenstand des Vollkommenheitsstrebens habe. Auch pflegt der eine das kontemplative Leben, während der andere das aktive übt, wie es für den pontiflcalis status kennzeichend sei145. Wer sich hinter den Vorbehalten versteckt, deutet Thomas lediglich an. Dem Wortlaut nach ist zunächst nur ein Autor gemeint, der als minus circumspectus charakterisiert wird, also als „weniger umsichtig", dann aber spricht er von „mehreren", die eine These vertreten, deren Ursprung leicht zu identifizieren sein dürfte. Sie lautet kurz und dezidiert: Der Prälatenstand ist nicht vollkommen, da es ihm gestattet ist, Besitz zu haben, während das Wort des Herrn an den reichen Jüngling dessen völlige Preisgabe verlangt146. Obschon Thomas behutsam formuliert („es kann einigen scheinen"), besteht kaum ein Zweifel daran, daß er auf den Traktat Marius que contra Omnipotentem des Thomas von York anspielt, der lehrt, daß der Stand derer, die auf die Welt verzichten und überhaupt nichts für sich behalten, vollkommener ist als irgendein Stand, der das so nicht realisiert147. Es handelt sich demnach nicht um einen Einwand, den sich der Aquinate selbst macht, um von sich aus auf eine mögliche Schwachstelle der eigenen Theorie hinzuweisen, sondern um Argumente spiritualistischer Kreise, deren Gefährlichkeit für die Ekklesiologie auf der Hand liegt. Die Tatsache, daß das Problem in unserem Opusculum gründlich und originell behandelt wird, läßt auf die Dringlichkeit einer angemessenen Lösung schließen. Ehe Thomas zu ihr findet, bietet er eine Reihe von Argumenten, die sie vorbereiten sollen. Ein erster, Ps. Dionys entlehnter Gedanke ist, daß der ordo episcoporum die Funktion hat, andere zur Vollkommenheit zu bringen, so daß der, der sie ausführt, eine größere Vollkommenheit haben

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quadam solemnitate et benedictione et pontificalis status assumitur, et etiam religionis professio celebratili-, C. 20, ed. cit. B 91f, lin. 3-18. AaO, lin. 19-21. Potest etiam aliquibus videri quod status praelationis non sit perfectus, quia divitias eis possidere licet... Ed. M. BlERBAUM, Bettelorden und Weltgeistlichkeit, c. Ili 48 ... sed quod status iste, uidelicet mundo renuntiantium et nichil omnino retinentium, sit perfectior omni statu, qui aliquod temporale sibi retinuit... Und c. II45. Patet igitur, quod intenditur, uidelicet apicem perfectionis, quem Christus docuit, esse in contemptu temporalium, non tam mentali, quam corporali.

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muß als der, auf den das Handeln zielt148. Den Bischöfen obliegt ferner eine schwere Verpflichtung, insofern sie gehalten sind, ihr Leben für andere hinzugeben und ihren Besitz in Zeiten der Not den Gläubigen auszuteilen. Sie werden zum Diener aller und sind die eigentlich Verantwortlichen in der Seelsorge. Schließlich spricht für diese These die Gewohnheit der Kirche, Religiösen zu Bischöfen zu ernennen, was nur dann sinnvoll ist, wenn sie dadurch in einen hervorragenderen Stand eintreten149. Die kurz und präzise vorgetragenen Gründe hätten ausgereicht, um die zentrale These zu beweisen, doch gibt sich Thomas mit ihnen nicht zufrieden, sondern erörtert die Armutsproblematik in einem eigenen Kapitel, weil sie offenbar einen neuralgischen Punkt berührt150. Gelänge eine sachgerechte Antwort nicht, wäre alles andere als Konstruktion erwiesen, die einer dezidierten Forderung des Evangeliums nicht entspräche. Wie kann der Prälatenstand vollkommen sein, wenn er - gegen ein explizites Wort Jesu - Besitz haben darf? Der Einwand läßt sich indessen - so Thomas - „leicht" entkräften, da es es sich nicht um privates, sondern um gemeinsames Kirchengut handelt, das die Bischöfe nur verwalten und an Bedürftige austeilen151. Der Aquinate weiß freilich, daß Bischöfe auch ein „väterliches Erbe" haben und Testament machen können, woraus sich zu ergeben scheint, daß sie im Widerspruch zum evangelischen Ideal stehen (Mt 19, 21). Das heißt zunächst: Die kirchliche Wirklichkeit, wie sie damals allenthalben zu konstatieren war, ließ sich nicht leugnen. Die Hierarchie war tatsächlich Teil einer politischen und sozialen Ordnung, die auf Besitz gründete und von ihm nicht einfach zu separieren war, wie es zeitgenössische Eiferer aller Schattierungen forderten. Aber wie soll man die Spannung lösen? Oder ist es nur ein Scheinkonflikt? Thomas jedenfalls ist der Meinung, daß es sich nicht um ein echtes Problem handelt, denn er vermerkt, eine befriedigende Antwort ließe sich leicht finden. Gleichwohl sollte diese Einschätzung nicht zu der Ansicht verführen, sie sei ihm mühelos und wie selbstverständlich in die Feder geflossen. In Wahrheit stehen hinter ihr subtile sachliche und historische Reflexionen, deren leitendes Prinzip wir bereits kennengelernt haben. Daß es weit über die aktuellen Schwierigkeiten hinausweist, unterstreicht den ihm eigenen systematischen Rang. Mit Bedacht hatte Thomas anläßlich seiner Erörterungen über das Gelübde der Armut geschrieben, daß der Verzicht auf irdische Habe nicht die Vollkommenheit selbst ist, sondern nur ein Werkzeug, um zu ihr zu gelangen, woraus der weitere Schluß zu ziehen ist, es bestehe die Möglichkeit, sie ohne tatsächlichen Verzicht zu erwerben152. Daß ein Ideal 148

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AaO, lin. 26 ... ordo episcoporum est perfectivus (Dionysiaca 1335 u. 1383). (Dionysius) dicit ordinem monachorum esse ordinem perfectorum. Manifestum est autem maiorem perfectionem requiri ad hoc quod aliquis perfectionem aliis tribuat, quam ad hoc quod aliquis in se ipso perfectus sit ... Relinquitur ergo episcopalem statum maioris perfectionis esse quam statum cuiuscumque religionis. Vgl. R. ROQUES, L'univers dionisien 176-183 u. 187-199. AaO, lin. 45 - B 93, lin. 97. Vgl. U. HORST, Evangelische Armut 69-75. J. G. J. VAN DEN EIJNDEN, Poverty on the Way to God hat diesem Aspekt in seinem Buch keine Aufmerksamkeit geschenkt. C. 21, ed. cit. B 93, lin. 50-61. AaO, B 94, lin. 82-88. Sed haec quaestio de facili solvitur ... Dictum est enim supra quod abdicatio propriarum divitiarum non est perfectio, sed quoddam perfectionis instrumentum; possibile autem est aliquem perfectionem acquirere sine propriarum divitiarum abiectione actuali. - Zur Testierfähigkeit der Prälaten vgl. A. PARAVICINI BAGLIANI, I testamenti, bes. XLIII-LXVI über die juristischen Aspekte. So hat auch Albertus Magnus 1279 Testament gemacht. Vgl. Albertus Magnus. Ausstellung zum 700. Todestag. Historisches Archiv der Stadt Köln, Köln 1981,1 lOf.

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nicht immer realisiert werden muß, gibt kein Geringerer als der Herr selbst zu verstehen, so daß absolut klingende Schriftstellen mit Hilfe jener Beispiele zu deuten sind, die Christus und Paulus uns gegeben haben (vgl. Mt 5, 39-41 mit Joh 18, 23 sowie Apg 23, 3). Aus ihrem Verhalten ist zu folgern, daß man nicht unbedingt actu erfüllen muß, was sie gelehrt haben, da sie das auch nicht immer getan haben. In gewissen Situationen haben sie sich bezeichnenderweise geweigert, früher geäußerten Worten gemäß zu reagieren. Daraus ist der Schluß zu ziehen, daß es nicht notwendigerweise vollkommen ist, etwas opere auszuführen, vielmehr sind solche Weisungen secundum animi praeparationem zu verstehen und zu befolgen153. Dieser SchlüsselbegrifF, der die stete Bereitschaft zum Handeln über Gebühr ausdrücken soll, hat seine historische Wurzel in Augustins De sermone Domini in monte. Thomas ist ihm und der damit bezeichneten Sache in einer vorläufiger Gestalt in Texten begegnet, die er in der Catena aurea gesammelt hat. Offenbar hat er schon damals erkannt, welche theologischen Möglichkeiten in ihnen eingeschlossen waren154. In seiner definitiven Form tritt der Begriff erstmals in unserem Opusculum auf, wo er ihm sehr gelegen kam, um die Spannung zwischen einem Ideal und der Pflicht zu dessen buchstäblicher Realisierung zu entschärfen. Die Vollkommenheit, die man bei Bischöfen zu fordern und vorauszusetzen hat, besteht demnach darin, daß sie einen „bereiten Geist" haben müssen, um dem Rat der Bruderliebe gemäß zu handeln, sooft es sich - und das ist der springende Punkt - aus der Situation ergibt. Um diesen Gedanken zu konkretisieren, bedient sich der Aquinate eines weiteren im Dekret Gratians überlieferten Augustinuswortes, dem zufolge die Gerechtigkeit weder im Sichenthalten noch im Essen liegt, sondern im Gleichmut beim Ertragen des Mangels. Zu dieser Freiheit gegenüber den Dingen der Welt gelangen die Mitglieder der beiden Stände auf je verschiedene Weise: Die Religiösen, indem sie sich im Nichtshaben üben, die Bischöfe durch ihre Sorge für die Kirche und ihre situationsgemäß praktizierte Bruderliebe155. Thomas hat mit Widerspruch gegen diese vergeistigte Form der Armut gerechnet, zumal bei einer flüchtigen Lektüre der Eindruck entstehen konnte, daß die praeparatio animi gleichsam einen Ersatz für die Mühen tatsächlichen Entsagens darstellt, der das Tun überflüssig macht. Hat der Herr nicht selbst konkrete Weisungen erteilt, die wirklich und nicht bloß der „Bereitschaft des Herzens" nach zu erfüllen sind? Angesprochen ist insbesondere der Geldbesitz, der gerade damals in frommen Kreisen als höchst anrüchig galt und als Symbol kirchlicher Korruption angesehen wurde, die mit einem wahren Hirten unvereinbar war. Diesmal beruft sich Thomas auf ein historisches Argument, das er zu einem öfter verwendeten hermeneutischen Gedanken erweitert. Die Kirchengeschichte ist reich an großen Bischofsgestalten - genannt werden Athanasius, Hilarius und viele andere - , an deren Heiligkeit niemand zweifeln kann, die aber nicht in das rigorose Bild passen, das sich die Eiferer machen, weil jene Glaubenszeugen die evangelischen Forderungen auf eigene Art ver-

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AaO, lin. 104—106. Non est ergo de necessitate perfections quod haec opere compleantur, sed haec intelligenda sunt secundum animi praeparationem ... Vgl. U. HORST, Evangelische Armut 71 und A. SANCHIS, Escritos espirituales 306-308. AaO, lin. 119-122. Ad hanc autem aequanimitatem inopiam tolerandi religiosi perveniunt per exercitium nihil habendi; sed episcopi ad earn perduci possunt per exercitium circa curam Ecclesiae et dilectionem fratemam ... Augustinus: Quaestiones evangeliorum cum appendice Quaestionum XVI in Matthaeum, ed. cit., II, XI, 54f.

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wirklicht haben. Daraus schließt er - mit Augustinus daß man nicht allein die Gebote Gottes berücksichtigen muß, sondern daß man auch Leben und Praxis der Heiligen zu würdigen und in die theologische Reflexion einzubeziehen hat. Da wir zuweilen Schriftworte nicht zu verstehen vermögen, dienen die Taten der Heiligen als Hilfe zur rechten Interpretation dunkler Stellen, denn derselbe Geist spricht aus der Schrift, der auch die klassischen Oberhirten des Altertums in ihrem Handeln und Verhalten bewegt hat. Die Folgerung lautet daher: Was die Heiligen normalerweise tun, kann nicht gegen göttliches Gebot sein156. Schließlich bietet Augustinus eine befriedigende Deutung für die Weisungen des Herrn, die Apostel dürften nichts auf den Weg nehmen (Lk 10, 7). Ihnen war bezeichnenderweise erlaubt, das zum Leben Nötige von anderen anzunehmen. Wer das jedoch nicht wollte, durfte, ohne gegen einen Befehl zu verstoßen, das Seinige mit sich tragen. Möglich ist auch die Auslegung, daß sich das Herrenwort auf die erste Sendung zu den Juden bezog, bei denen es Sitte war, daß die Schüler und Hörer für den Unterhalt ihrer Lehrer sorgten, so daß die Jünger unbeschwert reisen konnten157. Der Umstand, daß Thomas sich so ausführlich mit dem Armutsproblem befaßt hat und daß er überzeugt war, seine Statustheorie bedürfe origineller Argumente, um sie unangreifbar zu machen, bestätigt unsere eingangs geäußerte Ansicht, daß das Opusculum aus einer höchst komplexen Diskussion erwachsen ist. Neben Gerhard von Abbeville und seine Mitstreiter sind Vertreter spiritualistischer Kreise getreten, die dem radikalen Flügel der Mendikanten entstammen, dessen Gefährlichkeit für das kirchliche Amt Thomas in den ersten Monaten seines zweiten Pariser Aufenthalts erkannt haben muß, wobei die aufsehenerregende Sylvesterpredigt Gerhards von Abbeville eine zentrale Rolle gespielt haben dürfte. Daß er ihm in dieser Hinsicht wertvolle Einsichten verdankt, gibt er selbst zu verstehen, indem er ihm wichtige Argumente und Vätertexte entlehnt. Die Auseinandersetzung an zwei Fronten verhinderte demnach eine schroffe und allseitige Ablehung, so daß an einem sensiblen Punkt der Gegner zum Bundesgenossen gegen Spiritualisten wurde. Obschon es vorrangig um die Rechtfertigung bischöflichen Besitzes und um die Legitimierung der kirchlichen Entwicklung seit Konstantin ging, hatte die schließlich gefundene Lösung, die Bischöfe hätten das evangelische Ideal secundum animi praeparationem, also in einer vergeistigten Gestalt, zu verwirklichen, ihre theologische Wurzel in einer originellen Antwort auf die Frage, worin das Wesen der Vollkommenheit eigentlich bestehe. Thomas hat sie bezeichnenderweise in seinen Reflexionen Uber die Gelübde der Religiösen gegeben. Diese sind nicht die Vollkommenheit selbst, sondern Werkzeuge oder Instrumente zur Erreichung eines Ziels, wodurch sie eine Dynamik und zugleich Relativierung erhalten, die ganz vom anzustrebenden finis abhängt. Die These, beide Stände gründeten letztlich auf einem votum mit unterschiedlichem Objekt - Gottes- und Bruderliebe - , verknüpfte Episkopat und Orden aufs engste miteinander und machte es erforderlich, zunächst eine allgemeingültige Gelüb-

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AaO, lin. 148-163 ... et ideo non est credendum id quod a sanctis viris communiter agitur, contra divinum praeceptum esse. Zitiert wird Augustinus, De mendacio, XV. 26 u. 30, ed. cit. 446 u. 449. Daß Thomas in dieser Hinsicht von Gerhard von Abbeville gelernt hat, zeigt A. SANCHIS, Escritos espirituales 304f. AaO, lin. 163 - B 95, lin. 195. Unde ad hoc non tenentur episcopi, qui sunt apostolorum successores, ut nihil possideant neque aliquid secum in via deferant. Wir werden auf diesen Gedanken an anderer Stelle eingehen.

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detheorie zu entwerfen, die dann in jeweils modifizierter Gestalt auf Bischöfe und Religiösen applizierbar war. Der Nachweis, daß Bischöfe und Religiösen im Stand der Vollkommenheit sind, wird durch die Feststellung ergänzt, daß alle sonstigen kirchlichen Amtsträger von ihm ausgeschlossen sind. Seit den Anfängen der Kontroverse, für die Quodlibet I, q. 7, a. 2 steht, hat Thomas diese Ansicht bis zuletzt mit Entschiedenheit vertreten. Auch die Argumente, seinerzeit nur summarisch vorgetragen, haben sich in ihrem Kern nicht verändert. Dort wie hier handelt es sich um dieselben Widersacher, so daß man nicht lange zu rätseln braucht, wen der Aquinate meint, wenn er von Personen spricht, die Dekane, Leutpriester, Archidiakone und sonstige Seelsorger nach den Bischöfen, aber vor den Religiösen dem status perfectionis zurechnen möchten158. Den von ihnen ins Feld geführten Gründen begegnet er mit dem Hinweis auf das Fehlen einer „ewigen Verpflichtung", die allein die Zugehörigkeit zu einem Stand bewirkt, obschon naturgemäß nicht geleugnet werden soll, daß die genannten Geistlichen vollkommene Akte setzen. Die Tatsache jedoch, daß sie ihr Amt zuweilen oder sogar oft aufgeben, zeigt, daß es sich bloß um eine zeitlich begrenzte Bindung handelt159. Ein Engagement auf Dauer geht man nur durch eine „kirchliche Feier" ein, sei es durch die Weihe bei den Bischöfen, sei es bei den Religiösen durch die Profeß, wohingegen anläßlich der Übertragung eines Archidiakonats nichts Vergleichbares geschieht. Eine einfache Investitur oder eine Ringverleihung bilden dafür keinen Ersatz160. Ein Problem bleibt freilich einstweilen ungelöst. Was macht den Bischof zum Bischof? Oder auch: Worin unterscheidet er sich letztlich vom Priester? Genügt die Statustheorie, um das eigentlich Unterscheidende zwischen Episkopat und Presbyterat in den Blick zu bekommen? Die Antwort auf Gerhards von Abbeville Versuch, in Anlehnung an weit verbreitete kanonistische Thesen die Differenz zwischen beiden so gering wie möglich anzusetzen, steht also noch aus.

4. Bischöfe und Priester Daß mit Kapitel 24 von De perfectione ein eigener Teil beginnt, sagt Thomas selbst. Nach der Niederschrift der vorausgehenden Kapitel seien ihm assertiones bekannt geworden, auf die er im Folgenden antworten wolle. Es besteht kein Zweifel daran, daß er sich auf Quodlibet XIV, a. 1 bezieht, das Gerhard von Abbeville Weihnachten 1269 disputiert hat. Mit Nachdruck bestreitet Thomas, daß es vor Augustinus und Hieronymus keinen Unterschied zwischen Presbyter und Bischof gegeben habe und daß die Differenz erst zu Zeiten der ge-

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C. 23, ed. cit. B 97, lin. 3-7. AaO, B 98, lin. 81-85. Nam perfectionis statum non efficit nisi perpetua obligatio ad ea quae ad perfectionem spectant, sine qua obligatione plurimi perfectionis opera exequuntur, puta qui nullo voto facto continentiam servant aut in paupertate vivunt ... Und lin. 89-100. Manifestum est autem quod officium curae suscipientes perpetuam obligationem non habent, cum multotiens curam susceptam dimittant... Patet autem ... quod status perfectionis non habetur nisi cum perpetua obligatione. AaO, lin. 116-122 ... ex hoc quod aliquis archidiaconum vel curam parochiae accipit, non sortitur perpetuae obligationis statum.

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nannten Väter artikuliert worden sei 161 . Als Gewährsmann für die Ansicht, daß sie bereits der frühen Kirche bekannt gewesen ist, dient Ps. Dionys mit seiner Lehre, daß allein die Bischöfe zur Vollkommenheit führen. Sollte jemand, um das Argument außer Kraft zu setzen, behaupten, dieser Zeuge der Tradition habe zwar die seit den Aposteln bestehende Amtsstruktur überliefert, während man sich für die Identität von Presbytern und Bischöfen auf Christi Einsetzung berufen könne, so ist auf ein berühmtes Wort (Lk 10, 1) zu verweisen, das in seiner von Repräsentanten des Weltklerus häufig zitierten Deutung durch die Glosse mit wünschenswerter Klarheit die Verschiedenheit der beiden Ämter hervorhebt162. Aus den Argumenten zieht Thomas den Schluß, daß sich Gerhard von Abbeville für seine These, die frühe Kirche habe keinen Unterschied zwischen Episkopat und Presbyterat gemacht, nicht auf Hieronymus stützen kann. Richtig ist lediglich, daß man zuweilen die Worte vertauscht hat, insofern auch die Presbyter Bischöfe im Sinn von „Aufsehern" genannt wurden und die Bischöfe Presbyter wegen der ihnen gemeinsamen Würde163. Eine wichtige Erläuterung bietet ein dem Dekret Gratians entnommenes Isidorzitat, wonach die presbyteri minores, obschon sie Priester sind, nicht die „Spitze des Pontifikats haben", weil sie nicht autorisiert sind, die Stirn mit Chrisam zu bezeichnen und weil sie nicht den hl. Geist „geben". Wie die Apostelgeschichte belegt, ist dies den Bischöfen vorbehalten164. Zusammenfassend meint Thomas: In der Sache gibt es einen Unterschied, im Namen jedoch gelegentliche Übereinstimmung aufgrund der mit dem Wort „Presbyter" verbundenen Würde. Die terminologi-

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C. 27, ed. cit. B 104, lin. 54-65. Thomas zitiert aus Ep. 82, nr. 33 Augustins an Hieronymus, ed. cit 385. Gerhard konnte sich etwa auf den Bologneser Kanonisten Rufinus (t ca. 1192) berufen, der Folgendes schreibt: Primum quia adeo magni sunt presbiteri, quod secundum primam institutionem presbiteri in nullo ab episopis - nec etiam in nomine - differebant: vocabantur enim et ipsi episcopi. Zu D. XCIII, ed. cit. 188. Differenziert äußert sich hingegen Stephan von Tournai: Nam in primitiva ecclesia episcopi vocabantur presbyteri, sed et omnes episcopi presbyteri sunt ... Immo si bene attendisset Hieronymus, ut sunt, quae episcopus et non alius presbyter facere potest: ordinatio clericorum, consecratio virginum, dedicatio ecclesiarum, confectio chrismatis, confirmatoria manus impositio, quae tarnen omnia large ordinationis nomine cintinentur. Zu D. XCIII, ed. cit. 115. Damit sind die zwei Positionen gekennzeichnet. Weitere Belege bei F. GILLMANN, Zur Lehre der Scholastik (passim). - Zum Ganzen s. den Überblick bei L. OTT, Das Weihesakrament 40-74. AaO, lin. 66-87 u. 88-99. Der Text der Glosse sicut in apostolis forma est episcoporum, sie in septuaginta forma est presbyterorum secundi ordinis spielte in der Mendikantenkontroverse eine besondere Rolle. Vgl. Y. CONGAR, Aspects 60-63. M. PEUCHMAURD, Mission canonique und Leprètre ministre. AaO, lin. 109-116. Ex quo patet quod falsum intellectum concipit ex verbo Ieronymi. Non enim intendit Ieronymus dicere quod in primitiva Ecclesia esset idem ordo vel status episcoporum et presbyterorum. - Auch in seinen Schriftkommentaren hat Thomas der Unterschied zwischen Bischöfen und Presbytern beschäftigt. Warum hat etwa Paulus in seinem Gruß an die Gemeinde in Philippi nur die Bischöfe, nicht aber die Presbyter erwähnt? Die Antwort: Wenn er hier Bischöfe sagt, dann sind die Priester eingeschlossen, da eine Stadt nicht mehrere Bischöfe hat. Es handelt sich trotz terminologischer Gleichheit um einen jeweils verschiedenen ordo, da das Evangelium von der designatio der 12 Apostel spricht, deren Nachfolge die Bischöfe angetreten haben, und von den 72, an deren Stelle die Presbyter getreten sind. Auch Dionysius macht einen sachlichen Unterschied zwischen den beiden ordines. Vgl. Super epistolam ad Philippenses, lectio 1, nr. 6, ed. cit. 91. Vgl. auch Super epistolam ad Titum, lectio 2, nr. 12, ed. cit. 305. Isidor, Etymologiae VII, 12, 21, ed. cit. I 680; Decretum Gratiani, D 21, c. 1, § 12 (FRIEDBERG I 68).

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sehe Gleichheit erwies sich freilich später als Nachteil, sie begünstigte Schismen, so daß fortan nur die maiores presbyteri Bischöfe heißen165. Zu den Wesensmerkmalen des Bischofs gehört, daß er „ursprünglich" (principaliter) die Seelsorge in seiner Diözese ausübt, während Archidiakone und Pfarrer sie lediglich unter seiner Leitung wahrnehmen. Er trägt deshalb die volle Verantwortung für diesen Dienst dergestalt, daß seine Mitarbeiter nur mit ausdrücklicher Erlaubnis handeln können, wobei unter Berufung auf das Kirchenrecht die Feier der Eucharistie und die Taufe erwähnt werden. Daß sie nur Helfer ohne eigenständige Hirtensorge sind, drückt sich in der Priesterweihe aus, bei der es heißt, daß die Bischöfe ihrer Mitwirkung bedürften, weil sie allein den Aufgaben nicht zu genügen vermöchten166. Ein weiteres hängt damit eng zusammen. Es ist zwar richtig, wenn Gerhard von Abbeville sagt, daß bei der Priester- und Bischofsweihe gemeinsame Formeln gebraucht würden - so etwa: „es werden diese Hände konsekriert und geheiligt" doch trifft das Argument nicht den springenden Punkt167. Es geht hier nämlich nicht um den Priester als Priester, sondern um die Beauftragung mit der Hirtensorge. Anläßlich der Weihe wird dem Priester keine feierliche Segnung, wie sie der status perfectionis voraussetzt, zuteil, sondern lediglich eine Einweisung in ein Amt ( o f f i c i i commissio), wohingegen der Bischof unmittelbar zur Hirtensorge geweiht wird und zwar aufgrund einer immerwährenden Verpflichtung zu ihr168. Die Gleichheit der Worte bei der Konsekration darf also nach Thomas nicht über schwerwiegende Differenzen hinwegtäuschen, insofern die Bischofsweihe direkt auf die cura pastoralis zielt, der der Wille des Empfängers vorausgeht, sie lebenslang auf sich zu nehmen, während der Priesterweihe dieses Element fehlt, so daß eine eigene Beauftragung hinzutreten muß, die deshalb nicht die Eingliederung in den status perfectionis zu bewirken vermag. Äußeres Zeichen für die Übernahme der cura principalis bei der Bischofsweihe ist die Salbung des Hauptes, die in der Priesterweihe nicht gespendet wird. Der gleiche Ritus wird bezeichnenderweise auch den Königen appliziert, um deren Verantwortung für das ganze Reich auszudrücken, während sie den Beamten versagt bleibt169. Wiederum wird deutlich, daß nach Thomas ein offenbar für wesentlich erachteter Ritus innerhalb der Weiheliturgie aufs engste mit dem Hirtenamt verknüpft ist. Der Bischof erhält demnach in der Konsekra165 166

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AaO, lin. 124—126. Ubi ostenditur differentia esse in re, sed convenientia in nomine, propter dignitatem quam importat nomen presbyteratus. AaO, B 106f, lin. 305-332. Nam episcopi principaliter curam habent omnium suae dioecesis: presbyteri autem curati, vel etiam arcidiaconi, habent aliquas subministrationes sub episcopis, sie enim se habent ad episcopum sicut ballivi vel praepositi ad regem. AaO, B 107f, lin. 48-52. Gemeint ist die Präfation Honorum dator, ed. M. ANDRIEU, Le pontifical I 135f. AaO, B 108, lin. 60-62. Episcopus autem ad ipsam curam pastoralem consecratur propter perpetuam obligationem qua se ad pastoralem curam obligat... AaO, lin. 64-71. Ita etiam in regno Ecclesiae episcopus ungitur tamquam principaliter habens curam regiminis; archidiaconi vero et presbyteri curati non unguuntur in suseeptione curae ... (Vgl. c. 25, arg. 2, B 101, lin. 19f). Zur Salbung des Hauptes s. M. ANDRIEU, Le pontifical II 360. Zur Salbung s. B. KLEINHEYER, Salbung bei der Bischofsweihe und dens., Ordinationen und Beauftragungen, bes. 40f u. 44f. B. KLEINHEYER, Die Priesterweihe, bes. 114-123, 134-142. - Hochinteressantes kanonistisches Material bietet F. GILLMANN, Spender u. äußeres Zeichen, bes. 7-9. Huguccio schreibt: Sic appellat (Gratianus) sacramentum ordinis episcopalis vel presbiteralis vel confirmationis, quia quilibet eorum confertur per unetionem crismatis vel olei saneti (aaO 7, Anm. 1).

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tion Befähigung und Auftrag, als eigentlicher Seelsorger seiner Diözese zu fungieren. Dies gibt ihm das Recht, Pfarrer und Archidiakone zu bestellen, die ihm als Helfer zur Seite stehen. Die ihnen so gewährte commissio erfolgt nicht in liturgischer oder feierlicher Form. Der Umstand, daß ihnen Ring oder Stab verliehen werden, entspricht weltlichen Formen und hat mit einer kirchlichen Weihe oder Segnung nichts zu tun170. Die These Gerhards von Abbeville, der Episkopat sei kein ordo, gibt Thomas Gelegenheit zu bemerkenswerten Ergänzungen, über die er auch in späteren Werken nicht hinausgekommen ist. Zunächst stellt er fest: Sollte jene Ansicht absolute zu verstehen sein, so enthält sie offenkundig „Falsches", denn Ps. Dionys spricht ausdrücklich von drei ordines innerhalb der kirchlichen Hierarchie. Das heißt: Die bischöfliche Weihestufe wäre nach jener Konzeption, wie die bisherigen Argumente gezeigt haben, im Presbyterat enthalten. Das kann nach dem vorhin Gesagten jedoch nicht sein. Vielmehr muß die Sache sich so verhalten: Der Bischof „hat" einen ordo im Verhältnis zum mystischen Leib, zur Kirche, über die er „ursprüngliche" (hauptsächliche) und gleichsam königliche Sorge" empfängt171. Darin besteht das Charakteristische und Konstituierende seines Amtes, das er allein uneingeschränkt kraft seiner Weihe innehat. Im Hinblick auf den wahren Leib Christi, das Sakrament der Eucharistie, „hat" er jedoch keinen ordo, der über den des Priesters hinausginge. Hierin gibt es zwischen ihm und dem Bischof keinen Unterschied. Es wäre freilich falsch, fährt Thomas fort, die aus der cura principalis resultierende Differenz bloß in die Rechtsgewalt zu verlegen, wie sie etwa der Pfarrer mittels der commissio hat. Sie muß vielmehr ein ordo sein, denn der Bischof „kann" vieles, was nicht delegierbar ist: etwa Weihen spenden oder Kirchen konsekrieren172. Außerdem handelt es sich um eine dauerhafte Qualität, die - anders als im Fall der Jurisdiktion - nicht verloren geht, wofür die Tatsache spricht, daß ein einmal geweihter Bischof nicht erneut geweiht wird, wenn man ihn nach Abdankung oder Absetzung wieder in das Amt einsetzt. Die ihm eigene Weihegewalt bleibt erhalten, wie das auch für die übrigen Weihen gilt173. Die dem Bischof mittels einer Salbung des Hauptes inhärierende Vollmacht, die cura principalis auszuüben und Akte - wie die Spendung der Priesterweihe - zu setzen, die nur ihm zukommen und darum nicht delegierbar sind, nennt Thomas aliquem ordinem, ohne ihn zu präzisieren. Insbesondere fehlt ein Hinweis, daß er als character indelebilis zu verstehen wäre, obschon die Unverlierbarkeit der durch die Salbung gewonnenen Qualifizierung in diese Richtung weist. Bemerkenswerterweise findet sich auch später keine Äußerung des

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A a O , lin. 116-124. Vgl. J. LECUYER, Les ¿tapes,

bes. 4 0 - 4 5 , der allerdings den zeitgenössischen

Hintergrund nicht genügend berücksichtigt. J. TERNUS, Dogmatische Untersuchungen. AaO, lin. 99-103. Habet quidem ordinem episcopus per comparationem ad corpus Christi mysticum quod est Ecclesia, super quam principalem accipit curam et quasi regalem ... Bemerkenswerterweise wird weder hier noch anderswo im Opusculum untersucht, ob und wie der Papst an der Hirtensorge Uber eine Ortskirche beteiligt ist. AaO, lin. 103-110 ... sed quantum ad corpus Christi verum quod in sacramento continetur, non habet ordinem super presbyterum. Quod autem aliquem ordinem habeat, et non iurisdictionem solam sicut archidiaconus vel curatus, patet ex hoc quod episcopus potest multa facere quae non potest committere, sicut conferre ordines, consecrare basilicas, et huiusmodi; quae vero iurisdictionis sunt, potest aliis committere. AaO, lin. 111-115. Idem etiam patet ex hoc quod si episcopus depositus restituatur, non iterum consecratur, tamquam potestate ordinis remanente, sicut etiam in aliis contingit ordinibus.

Quodlibet III, q. 6, a. 3 und Summa Theologiae III

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Aquinaten, der diesen Gedanken von De perfectione erläuterte oder gar fortführte. Sie muß darum als sein letztes Wort in dieser Sache angesehen werden. Immerhin zeigt jene Aussage, daß er auf dem Weg ist, der Bischofsweihe eine sakramentale Qualität zuzuerkennen, um mit einer durch Gerhard von Abbeville verkörperten Tradition und deren Wurzeln in der Kanonistik zu brechen. Erwähnt zu werden verdient erneut das Opusculum De articulis fidei et ecclesiae sacramentis, das mit Sicherheit vor dem zweiten Pariser Aufenthalt abgefaßt worden ist174. Hier heißt es ausdrücklich, daß der Episkopat „eher" eine Würde als eine Weihe ist. Spender der Priesterweihe ist der Bischof475. Thomas erwähnt schließlich, daß es in der Antike einen Irrtum des Aerius gab, der besagte, daß der Presbyter vom Bischof nicht unterschieden werden soll176.

5. Quodlibet III, q. 6, a. 3 und Summa Theologiae III Wie wir bereits wissen, schließt Thomas Pfarrer und Archidiakone vom Stand der Vollkommenheit aus, ohne daß er seine These nach allen Seiten hin behandelt hätte. Ein Quodlibet von Ostern 1270, das die mit De perfectione begonnene Diskussion fortführen soll, gibt ihm Gelegenheit dazu177. Der Aquinate beginnt mit einer Reihe von Chrysostomuszitaten (De sacerdotio), in denen der Kirchenvater zum Ausdruck bringt, daß er den um seine Gläubigen und seine eigene Heiligkeit besorgten Priester höher schätzt als einen Mönch, selbst wenn dieser Elias wäre178. Der fünfte Einwand schließlich gibt zu verstehen, daß es wiederum darum geht, charakteristische Merkmale des Episkopats aufzuzeigen. Das Sed contra, dem Dekret Gratians entnommen, bringt ein interessantes und für Thomas bezeichnendes Argument: Wenn ein Weltpriester unter dem Anhauchen des hl. Geistes sein Heil in einem Kloster suchen möchte, so ist seinem Verlangen stattzugeben, da der hl. Geist niemand von einem vollkommeneren Stand in einen weniger vollkommenen führt, woraus zu schließen ist, daß die Religiösen über den Leutpriestern stehen. Gott beruft immer zum Höheren179. Mit lebhaften Worten wird sodann dargelegt, daß die Liebe das Kriterium eines vollkommenen geistlichen Lebens ausmacht, wobei es gleichgültig ist, ob es sich um einen Religiösen oder um einen Laien handelt, wobei für letzteren wiederum Abraham (Gen 17, 1) als Prototyp derer gelten mag, die verheiratet und wohlhabend sind, aber das Ideal prakti174 175 176

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Ed. H.-F. D O N D A I N E , Ed. Leon. t. 42, 245-257. Zu den historischen Fragen s. Préface § 2,211. Ed. cit. II, 256, lin. 347f: episcopatus autem magis est dignitas quam ordo ... lin. 356f: Minister huius sacramenti est episcopus qui confert ordines. Ed. cit. II, 256, lin. 360f: Contra hoc sacramentum fuit error Aerii, qui dicebat presbyterum ab episcopo non debere discerni. Zu Aerius s. Art.: Aérios, in: LThK 3 1, 185f ( H . C. B R E N N E C K E ) . Daß Thomas keine Anspielung auf Gerhard von Abbeville macht, zeigt, daß er sich noch nicht in Paris befindet. Quodlibet III, q. 6, a. 3, ed. cit. 2,267-273. Ed. cit. 267f. De sacerdotio, 1. VI, cc. 7 u. 8, ed. cit. 324-330. M. LOCHBRUNNER, Über das Priestertum, bes. 77-90,144-195. Ed. cit. 268, lin. 62-73. Zitiert wird C. 19, q. II, c. 2 Due ( F R I E D B E R G 1840). - Set lex privata, que est lex Spiritus sancti, ut ibidem subditur, nunquam ducit hominem de statu magis perfecto ad statum minus perfectum ... Ergo status religiosorum est perfectior quam status plebanorum.

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ziert haben. Gleichwohl konstituiert, wie Thomas hier wie andernorts betont, die subjektive Heiligkeit nicht die Standeszugehörigkeit. Der status bestimmt sich vielmehr durch Freiheit oder Knechtschaft. Der Übergang von einem zum anderen ändert folglich den Stand wesentlich180. Was das in unserem Kontext bedeutet, ist unschwer zu erraten: Das Gelübde, das jemand ablegt, nimmt ihm die Freiheit, nach Belieben zu handeln, so daß er sich selbst in eine Knechtschaft begibt. Wer das - wie die Religiösen - schlechthin und für sein ganzes Leben tut, befindet sich im Stand der Vollkommenheit181. Mindestens ebenso wichtig ist die Feststellung, daß auch die Bischöfe in ihrer Weihe eine lebenslange Bindung eingehen, sich um ihre Herde zu kümmern. Sie bewirkt wie die Ordensprofeß die Eingliederung in den episkopalen Stand182. Archidiakone und Leutpriester hingegen verpflichten sich nicht zu einem vergleichbaren auf Dauer angelegten Dienst an den Gläubigen, auch wird ihnen anläßlich der Einsetzung in ihr Amt keine Segnung gespendet. Sie treten folglich nicht in den Stand der Vollkommenheit ein. Wäre das der Fall, hätten sie nämlich als Apostaten zu gelten, wenn sie ihre Pfarrei aufgeben und eine Präbende an einer Kathedrale übernehmen. Die Folgerung ergibt sich von selbst: Nur Bischöfe und Religiösen sind im status perfectionis, die einen als perfectores, die anderen als quasi perfectim. Der theologische Gewährsmann ist hier wie auch sonst Ps. Dionys. Die Johannes Chrysostomus entnommenen Einwände, die dem Seelsorgspriester einen klaren Vorrang vor dem Mönch einräumen, weist Thomas prinzipiell mit der Behauptung zurück, der Kirchenvater spreche nicht über den Pfarrgeistlichen, sondern über den Bischof, der einer alten Gewohnheit zufolge schlechthin Priester genannt werde. Er ist weiterhin der Meinung, das passe zu der Absicht des Buches, in dem Basilius über seine Wahl zum Bischof getröstet werden solle184. Weitere Details aus den Antworten brauchen uns einstweilen nicht zu interessieren - wir werden ihnen in der Secunda Secundae wiederbegegnen - , doch sei auf ein Argument erneut eingegangen. Die Bischöfe üben die cura principalis in ihrem Sprengel aus, während Archidiakone und Leutpriester nur als deren subministratores und coadiutores fungieren. Das Verhältnis zwischen dem Bischof und ihnen ist dem vergleichbar, das im weltlichen Bereich zwischen dem König und seinen Beamten obwaltet. Und daraus die wichtige Konklusion: Der Episkopat ist ein ordo im Vergleich zum mystischen Leib, während Archidiakonat und Plebanat nur ein Amt sind185. Die Tertia Pars der Summa bietet in Hinsicht auf unser Thema lediglich Details, die bekannte Lösungen bekräftigen oder ergänzen. Die dem Firmsakrament gewidmete Quästio 72 ist zwar in sich hochbedeutsam, enthält aber in bezug auf den Spender kaum etwas Neues. Dem Ziel der Firmung, der Erreichung des „Vollalters des geistlichen Lebens", entspricht

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Ed. cit. 269f, lin. 113-129. Sic igitur accipiendo statum, illi proprie in statu perfectionis esse dicuntur qui se servituti subiciunt ad opera perfectionis implenda ... Vgl. J. A. ROBILLARD, Sur la notion de condition. J. - M. AUBERT, Le droit romain 28-31. S. auch Anm. 196 und 197. Ed. cit. 270, lin. 142-148. Ed. cit. 270, lin. 165-168 ... et ideo tam religiosi quam episcopi sunt in statu perfectionis. Unde et utrisque in assumptione huius status sollempnis benedictio adhibetur ... Ed. cit. 270f, lin. 170-192. Ed. cit. 271, lin. 193-202. Ed. cit. 272, lin. 286-313 (ad 5). Et propter hoc episcopatus est ordo in comparatione ad corpus misticum, non autem plebanatus vel archidiaconatus, set ofîicium tantum.

Quodlibet III, q. 6, a. 3 und Summa Theologiae III

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die dem Sakrament eigene Gabe: die Fülle des hl. Geistes186. Erneut betont Thomas, daß die Firmung durch Christus, der allein die potestas excellentiae hat, eingesetzt wurde, wobei er jetzt freilich die einschränkende Bemerkung macht, dies sei nur promittendo, nicht aber exhibendo geschehen187. Die Größe des Sakraments läßt auf eine besondere Eigenart der Materie schließen. Anders als bei Taufe und Eucharistie, deren Materie Christus selbst gebraucht hat, wodurch sie die entsprechende Eignung für die Zukunft empfing, so daß eine spezielle Segnung nicht mehr erforderlich ist, muß das für die Firmung vorgesehene Chrisam durch den Bischof als den Repräsentanten Christi geweiht werden188. Wie es scheint, kann hiervon keine Ausnahme gemacht werden, wie auch die Weihe der Kirchen, der Altäre und der litugischen Gerätschaften allein vom Bischof vorzunehmen ist. Soweit wir sehen, wird in diesem Zusammenhang nie von einer „Betrauung" (commissio) eines einfachen Priesters durch den Bischof gesprochen. Wer ist der Spender des Sakraments der Geistesfülle? Die Antwort ist bereits im Sed contra enthalten, wo ein Text Papst Eusebius' zitiert wird, der - wie die meisten Autoritäten des Artikels dem Dekret Gratians entnommen ist189. Ihm zufolge kann seit der apostolischen Zeit das Sakrament der Handauflegung nur von den Apostelnachfolgem gespendet werden. Die Begründung ergibt sich aus dem Wesen der Firmung gemäß dem Prinzip, daß die höchste Vollendung der obersten Kraft oder Kunst vorbehalten ist. Nun ist die Firmung die „letzte Vollendung" der Taufe, die den Getauften zu einem „geistlichen Haus" erbaut, worauf die Weihe zu einem „Tempel des hl. Geistes" erfolgt190. Die Spendung dieses Sakraments ist deshalb den Bischöfen reserviert, die die höchste Gewalt in der Kirche innehaben. Sie stehen darin in der direkten Apostelnachfolge191. Die These ist apodiktisch formuliert, so daß man mit Ausnahmen nicht rechnet, doch wissen wir, daß ein anderes Papstwort den Weg zu einer erweiterten Sicht der Dinge geebnet hat. Es handelt sich um eine Konzession Gregors d. Gr. an Priester für den Fall, daß ein Bischof nicht erreichbar ist192. Da dem Papst - man beachte die begriffliche Differenz zu den Bischöfen - die Fülle der kirchlichen Gewalt eignet, kann er gewisse Amtshandlungen, normalerweise den höheren Weihestufen vorbehalten, den darunter stehenden übertragen.

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III 72,1. In confirmatione autem homo accipit quasi quandam perfectam aetatem spiritualis vitae. Ad 1 ... in hoc sacramento datur plenitudo Spiritus Sancti ... Ad 2 ... confirmatio est sacramentum plenitudinis gratiae. III 72, 1 ad 1. und 72, 2 ad 1 ... Christus ex potestate excellentiae ... contulit apostolis rem huius sacramenti, idest plenitudinem Spiritus Sancti... III 72, 3 ad 3 ... materia sacramenti consecratur vel ab ipso Christo vel ab episcopo, qui gerit in Ecclesia personam Christi. III 72,11. Decretum Gratiani, P. HI, De consecr., d. V, c. 4 Manus quoque (FRIEDBERG 1141). III 72,11 ... in quolibet opere ultima consummatio supremae arti aut virtuti reservatur ... Hoc autem confirmationis sacramentum est quasi ultima consummatio sacramenti baptismi ... per baptismum aedificatur homo in domum spriritualem ... sed per sacramentum confirmationis quasi domus aedificata dedicatur in templum Spiritus Sancti. III 72, 11. Et ideo collatio huius sacramenti episcopis reservatur, qui obtinent summam potestatem in Ecclesia; sicut in primitiva Ecclesia per impositionem manus Apostolorum, quorum vicem gerunt episcopi, plenitudo Spiritus Sancti dabatur ... (Apg 8,14). Registrum Epistularum, 1. IV, Ep. 26, ed. cit. 245f. - Decretum Gratiani, I. P . , d. 95, c. I Pervertit quoque ad nos (FRŒDBERG1331).

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So hat der Papst Priestern die Erlaubnis gegeben, die niederen Weihen zu spenden, eine Amtshandlung, die sonst den Bischöfen reserviert ist193.

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III 77, 11 ad 1. Papa in Ecclesia habet plenitudinem potestatis, ex qua potest quaedam quae sunt superioram ordinum committere quibusdam inferioribus; sicut quibusdam presbyteris concedit conferre minores ordines, quod pertinet ad potestatem episcopalem. Et ex hac plenitudine potestatis concessit beatus Gregorius Papa, quod simplices sacerdotes hoc sacramentum conferrent, quandiu scandalum tolleretur.

Zweiter Teil Episkopat und status perfectionis

I. Kapitel

Die Synthese der Secunda Secundae

1. Die Statustheorie Die große theologische Bedeutung, die Thomas in den Kontroversen mit Repräsentanten des Weltklerus dem Begriff des Standes beigemessen hat, läßt erwarten, daß dieser auch in einem strikt systematischen Kontext eine wichtige Rolle spielen wird. Das geschieht in der Secunda Secundae im Anschluß an die für alle Menschen gültigen Tugendlehre gelegentlich der Reflexionen über das, was einige im besonderen betrifft. Der Grund dafür liegt darin, daß es unter den Menschen in bezug auf Gehaben und Handlungen Unterschiede gibt - und zwar auf dreifache Weise: 1. In Hinsicht auf die frei gewährten Charismen (1 Kor 12, 4fi); 2. in bezug auf die verschiedenen Lebensformen (actio und contemplatio) und schließlich 3. unter dem Aspekt der Ämter und Stände (Eph 4, II) 194 . Daraus folgt: Die auf einen umgrenzten Personenkreis bezogene Betrachtung der ihm eigenen Gaben und Aktivitäten tritt nunmehr in eine enge Beziehung zur Ekklesiologie. Dieser Zusammenhang legt nahe, daß der Aquinate Erfahrungen und Resultate aus beiden Phasen des Mendikantenstreits - nun bereits jenseits der leidenschaftlichen Kontroversen - für diesen Teil seines Werkes fruchtbar gemacht hat, so daß sich in ihm wie sonst nirgendwo in der Summa Ereignisse und kirchlich-soziale Verhältnisse des 13. Jahrhunderts spiegeln195. Es versteht sich, daß der für die folgenden theologischen Überlegungen zentrale Begriff des status der Erläuterungen bedarf. Thomas weiß, daß ihm in der zeitgenössischen Gesellschaftsordnung eine Vielzahl von Bedeutungen zukommt, die sich allerdings auf ein einfaches Prinzip reduzieren läßt, das aus dem römischen Recht stammt und für unsere Problematik typische Merkmale aufweist196. Zunächst negative Kennzeichen: Etwas einer Person äußerlich Bleibendes - etwa Reichtum, Armut, eine Würde haben oder Plebejer sein - , das freilich keinen Stand konstituiert, weil einem solchen eine gewisse Unveränderlichkeit eig194 195 196

II-II 171 (Prooemium). - Zu den Charismen s. H. U. V. BALTHASAR, Besondere Gnadengaben. Mit dieser Bedeutung kontrastiert die Tatsache, daß sich die meisten Arbeiten zur Ekklesiologie des Aquinaten eher beiläufig mit diesen Quästionen befassen. Zur Vielfalt des mittelalterlichen Standesbegriffs s. Art.: Stand, in: LMA VIII 44-A9 (R. MLTSCH). O. G. OEXLE, Stand, Klasse. G. CONSTABLE, The Orders of Society. Zum Begriff der conditio, der mit dem des status verwandt ist, s. P. MICHAUD-QUANTIN, Condicio-conditio. S. ferner die Ergänzungen bei D. CHARDONNENS, L'homme sous le regard 120-122.

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nen muß. Dieser Bedingung entspricht hingegen eine fundamentale Scheidung der mittelalterlichen Gesellschaft in Freie und Unfreie, die sich auch in der römischen Rechtssprache ausdrückt, die Thomas hier übernimmt, wobei es um das Rechtsverhältais einer Person geht, sei es, daß sie keiner Gewalt unterworfen ist, sei es, daß sie einer solchen untersteht197. Sind Freiheit und Knechtschaft auf Dauer angelegt, so charakterisieren sie die in einem Stand gegebene Rechtsstellung - und zwar im geistlichen Bereich ebenso wie im gesellschaftlichen198. Thomas bleibt einstweilen bei dieser formalen Beschreibung des status stehen. Ehe er ihm bestimmte Personen zuordnet, fragt er nach der Notwendigkeit verschiedener Ämter und Stände, denn, wie es scheint, möchte er den Eindruck vermeiden, als bedeuteten „Beständigkeit" und „Unbeweglichkeit", wie sie vorhin für notwendig erachtet wurden, Einförmigkeit in Verfassung und Aktivitäten der Kirche. Ganz im Gegenteil! Die Existenz unterschiedlicher Stände und Ämter dient der Vollkommenheit der Kirche, da die in Christus als Haupt versammelte Gnadenfülle in vielfältiger Weise in seine Glieder überströmt, um den Leib der Kirche zur Vollendung zu fuhren, wie es Eph 4, 11 beschrieben wird199. In der Kirche werden die ihr obliegenden und darum notwendigen Handlungen gesetzt, zu denen jeweils bestimmte Personen abgeordnet werden, ohne die ein ungehindertes und eindeutiges Wirken nicht denkbar wäre. Oder anders: Da nicht jeder alles kann, bedarf es geeigneter Personen, die die der Kirche zukommenden Funktionen sachgemäß ausführen200. Und schließlich bezeugt die Mannigfaltigkeit der Stände und Ämter die Würde und Schönheit der Kirche, die sich in der inneren Ordnung der Teile manifestiert201. Man braucht ob solcher Vielgestaltigkeit nicht zu fürchten, daß sie die Einheit gefährdet, denn diese basiert auf der Einheit des Glaubens und der Liebe und des gegenseitigen Dienstes. Nicht minder beachtenswert ist der Gedanke des Aquinaten, daß der Friede im Leib der Kirche durch die Kraft des hl. Geistes bewahrt wird, der die Gläubigen solange in der Einheit hält, wie sie das Gemeinwohl suchen. Umgekehrt dienen die unterschiedlichen Ämter und Stände insofern

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II-II 183, 1. Sed solum id videtur ad statum hominis pertinere quod respicit obligationem personae hominis, prout scilicet aliquis est sui iuris vel alieni, et hoc non ex aliqua causa levi vel de facili mutabili, sed ex aliquo permanente. - Vgl. M. KÄSER, Römisches Privatrecht 68-70. Art.: Unfreiheit, in: LMA VIII 1220f(A. SAHAYDACHNY). J. GILCHRIST, The Medieval Canon Law. P. LANDAU, Frei und Unfrei; ders., Hadrians IV. Dekretale. II-II 183, 1. Unde status pertinet proprie ad libertatem vel servitutem, sive in spiritualibus sive in civilibus. Und ad 3: ... sed ad statum requiritur immobilitas in eo quod pertinet ad conditionem personae. II-II 183, 2 ... ita etiam plenitudo gratiae, quae in Christo sicut in capite adunatur, ad membra eius diversimode redundat, ad hoc quod corpus Ecclesiae sit perfectum. Thomas wird S Th III 8, 1 diesen Gedanken thematisieren. Dazu s. G. SABRA, Thomas Aquinas' Vision 85-88. Immer noch nützlich M. GRABMANN, Die Lehre des heiligen Thomas von Aquin 194-213. II-II 183, 2. Secundo autem pertinet ad necessitatem actionum quae sunt in Ecclesia necessariae. Oportet autem ad diversas actiones diversos homines deputari, ad hoc quod expeditius et sine confusione omnia peragantur (cf. Rom 12, 4). S. auch ad 2. Unde et in Ecclesia, quae est corpus Christi, oportuit membra diversificari secundum diversa officia, status et gradus ... S. ferner Ad Ephesios, lectio IV, nr. 210-214, 52f. II-II 183, 2. Tertio, hoc pertinet ad dignitatem et pulchritudinem Ecclesiae, quae in quodam ordine consistit.

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dem Frieden, als viele Personen durch sie Gelegenheit erhalten, an öffentlichen Akten Anteil zu nehmen202. Der der Kirche eingestifteten Verschiedenheit der Stände und Ämter enspricht eine solche der Glieder, die sie zu realisieren haben. Sie ist wiederum unter einem dreifachen Aspekt zu betrachten. Einmal steht dem Gläubigen die Mitgliedschaft in unterschiedlichen Ständen offen, die sich nach dem jeweiligen Grad der Vollkommenheit differenzieren. Die daraus resultierenden Probleme wird Thomas zum Kern seiner späteren Erörterungen machen. Zum anderen: Es gibt Unterschiede in Hinsicht auf das Handeln, insofern dieses das Amt charakterisiert. Und schließlich gibt es Vielfalt im Blick auf die Schönheit des kirchlichen Ordnungsgefüges, insofern Stände und Ämter jeweils Grade haben, so daß einer über dem anderen steht203. Der Kirche eignet also nach Thomas alles andere als Uniformität. Sie ist vielmehr ein vielgestaltiges, aber wohlgeordnetes Ganzes mit abgestufter Volkommenheit und mit Ämtern, die den sakramentalen und seelsorglichen Bedürfnissen der Gläubigen angemessen sind. Die Ämter unterliegen daher einer doppelten Betrachtungsweise: einer kanonistischen und einer dogmatischen, je nachdem, ob es sich um rechtlich faßbare Tätigkeiten oder um den sakramentalen Aspekt der heiligen Dienste handelt204. Daß das Interesse in diesem Teil der Summa allein dem Stand der Vollkommenheit, auf den alle sonstigen Stände hingeordnet sind, gilt, wissen wir bereits. Zu vermuten ist auch, daß hier das ursprünglich aus einem polemischen Umfeld kommende Problem, wie die Eigenart von Episkopat und Orden zu begründen und zu verteidigen ist, zur theologischen Reife gelangen wird. Zeigen wird sich schließlich, daß, wie bei Thomas nicht anders zu erwarten, viele der in diesem Traktat entwickelten Prinzipien über die direkt Betroffenen hinausgehen und jeden Christen berühren. Die Antwort auf die Frage, weches Verhältnis zwischen der Vollkommenheit christlichen Lebens und der Liebe besteht, setzt die Klärung dessen voraus, was Vollkommenheit in unserem Kontext meint. Sie wird eingeleitet durch die Überlegung: Etwas ist vollkommen, wenn es das ihm eigene Ziel, in dem seine letzte Vollendung liegt, erreicht. Mit dieser Beschreibung verbindet sich die aus der hl. Schrift stammende Aussage, daß die Liebe uns mit Gott, dem Ziel des menschlichen Geistes, eint205. Die perfectio als die Realisierung des einem jeden Ding innewohnenden finis hat nach Thomas, wie wir bald sehen werden, den Vorzug, daß diesem entsprechende Mittel zugeordnet sein müssen, die es ermöglichen, das

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II-II 183, 2 ad 3 ... ita etiam in corpore Ecclesiae conservatur pax diversorum membrorum virtute Spiritus Sancti, qui corpus Ecclesiae vivificai ... Alioquin per officiorum et statuum distinctionem tarn mentis quam in civitate terrena magis pax conservatur, inquantum per haec plures sunt qui communicant actibus publicis. II-II 183, 3 ... dicuntur enim in diversis officiis esse qui sunt ad diversas actiones deputati ... prout ... in eodem statu vel officio unus est alio superior. n-II, 184, 1 (Prooemium). Deinde considerandum est de his quae pertinent ad statum perfectionis, ad quem alii status ordinantur. Nam consideratio ofììciorum, quantum quidem ad alios actus, pertinet ad legisperitos; quantum autem ad sacra ministeria, pertinet ad considerationem ordinum, de quibus in Tertia Parte agetur. II-II 184, 1 und ad 2 Uber das Verhältnis der Caritas zu den übrigen Tugenden: Vita autem Christiana specialiter in cantate consistit per quam anima Deo coniungitur ... Et ideo secundum caritatem attenditur simpliciter perfectio christianae vitae, sed secundum alias virtutes secundum quid.

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Ziel zu erreichen. Der Aquinate hat diesem Gedanken schon in De perfectione erhebliche Bedeutung beigemessen und gemeint, die gegnerischen Einwände ließen sich auf Unkenntnis dessen zurückführen, was Vollkommenheit bedeutet206. In einem weiteren Schritt wird die in der Liebe bestehende Vollkommenheit mit dem Gedanken der Universalität verknüpft, insofern ihr - mit Aristoteles - nichts fehlen darf. Und wenn das so ist, wie ist sie mit der Begrenztheit menschlicher Fähigkeiten vereinbar? Und wie steht es mit der Forderung des Evangeliums (Mt 5,48), jeder solle so vollkommen sein, wie es der himmlische Vater ist? In sich Unmögliches, vorläufig Unmögliches und schon jetzt Mögliches lassen sich bei näherem Zusehen am Begriff der Vollkommenheit aufweisen. So gibt es eine absolute Vollkommenheit, die in einer Totalität auf Seiten des zu Liebenden besteht, insofern Gott genauso geliebt wird, wie er in sich liebenswert ist. Sie ist einem Geschöpf niemals möglich207. Eine andere Vollkommenheitsstufe bestimmt sich nach der absoluten Ganzheit auf Seiten des Liebenden, insofern sein Verlangen gemäß seinem ganzen Können immer im Vollzug auf Gott gelenkt ist. Sie ist uns zwar nicht „auf dem Weg" erreichbar, wohl aber „in der Heimat"208. In Hinsicht auf unsere Problematik ist naturgemäß allein die Vollkommenheit zu erörtern, die sich auf Erden realisieren läßt. Thomas nähert sich ihr so: Zunächst soll alles ausgeschlossen werden, was der Liebesbewegung auf Gott hin widerstreitet. Oder mit den Worten Augustins: „das Gift für die Liebe ist die Begierde - Vollkommenheit kennt keine Begierde"209. Schon die Wahl der Worte bereitet hier und im folgenden Artikel eine Argumentation vor, die eine zentrale Rolle spielen wird. Die uns auf Erden mögliche Vollkommenheit ist zweifacher Art, insofern zum einen das der Liebe Entgegengesetzte - die Todsünde - eliminiert wird, zum anderen, insofern „vom Verlangen des Menschen nicht nur das ausgeschlossen wird, was der Liebe zuwider ist, sondern auch all das, was das Verlangen des Geistes hindern könnte, sich gänzlich auf Gott zu richten"210. Anders gesagt: Es gibt im Menschen Hemmnisse oder Begierden, die einer vollen Entfaltung des Strebens auf Gott hin im Weg stehen, die aber durch hier noch nicht näher beschriebene Mittel oder Maßnahmen weggeräumt werden können. Mit den vorausgegangenen Erörterungen hat Thomas die Antwort auf die Frage vorbereitet, deren Implikationen uns allenthalben begegnen werden: „Besteht die Vollkommmenheit in den Geboten oder in den Räten"? Daß sich die Lösung einfach und folgerichtig zu ergeben scheint, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Weg zu ihr über Etappen verlaufen ist, die durch scharfe Kontroversen geprägt sind. Ehe wir sie uns in den Grundzügen vergegenwärtigen, sei die Lehre unseres Artikels vorgestellt. Daß die Vollkommenheit in 206 207

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Cc. 1 und 2, ed. cit. B 69 - B 70. II-II 184, 2. Una (perfectio) quidem absolute, quae attenditur non solum secundum totalitatem diligentis, sed etiam ex parte diligibilis, prout scilicet Deus tantum diligitur quantum diligibilis est. Et talis perfectio non est possibilis alicui creaturae, sed competit soli Deo. II-II 184, 2 ... perfectio quae attenditur secundum totalitatem absolutam ex parte diligentis, prout scilicet affectus secundum totum suum posse semper actualiter tendit in Deum. Et talis perfectio non est possibilis in via, sed erit in patria. II-II 184, 2 ... sed quantum ad hoc quod excludantur ea quae repugnant motui dilectionis in Deum, sicut Augustinus dicit quod venerium caritatis est cupiditas ... perfectio, nulla cupiditas.(De diversis quaestionibus octoginta tribus, ed. cit., q. 36,1,54). II-II 184, 2 ... sed etiam omne illud quod impedit ne affectus mentis totaliter dirigatur ad Deum. Sine qua perfectione caritas esse potest...

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der Beobachtung der Gottes- und Nächstenliebe liegt, belegen klassische Schrifttexte (Deut 6, 5; Lev 19, 18 und Mt 22,40), die aber nicht präzisieren, ob sie auch anderswo ist und auf welche Weise. Zunächst: Die Vollkommenheit besteht „an sich und wesentlich" in der Liebe - „hauptsächlich" in der Liebe zu Gott und in zweiter Linie in der zum Nächsten. Das Gebot, beide zu beobachten, fällt nicht unter ein Maß, eine Limitierung, so daß alles, was darüber hinausginge, als „Rat" bliebe, es ist vielmehr, wie schon seine Formulierung anzeigt, in seiner Strenge und Ganzheit zu befolgen. Ein „Rat" hat hier also keinen Platz. In diesem Sinn heißt es „das Ziel des Gesetzes ist die Liebe"(l Tim 1, 5), wobei wiederum zu bedenken ist, daß es im Blick auf das „Ziel" kein Maß, kein mehr oder weniger geben kann, sondern lediglich in Hinsicht auf die Mittel, die auf variable Weise zum Ziel führen211. Dreierlei hat Thomas mit diesen einfachen Erwägungen ins Spiel gebracht: Die Vollkommenheit liegt „wesentlich" im doppelten Liebesgebot; dieses ist „ohne Maß" zu erfüllen, so daß Räte hier keine Funktionen haben; die Mittel zum Ziel sind vielgestaltig und empfangen ihr jeweiliges Maß vom Ziel. Die Stichworte, deren Verknüpfung mit der eigentlichen Aussage des Artikels noch aussteht, sind gefallen und die Argumentationsrichtung ist gewiesen. Der Umstand, daß die Vollkommenheit, wie es jetzt bezeichnenderweise heißt, instrumentaliter in den Räten ist, hat erhebliche Konsequenzen für das Verständnis der Gelübde und insbesondere der Armut. Während die Gebote - das der Liebe ausgenommen - die Aufgabe haben, alles der Liebe Entgegengesetzte und mit ihr Unvereinbare wegzuräumen, haben die Räte die Funktion, die Hindernisse zu beseitigen, die die Realisierung des Liebesgebotes beeinträchtigen, ohne ihm - wie Ehe oder weltliche Geschäfte - prinzipiell zuwider zu sein212. Zur Bekräftigung dienen ein Augustinuszitat mit der Unterscheidung von Gebot und Rat sowie der uns bereits bekannte Text aus Cassians Collationes, dem zufolge Fasten, Vigilien und dergleichen nicht die Vollkommenheit selbst sind, sondernperfectionis instrumenta. Die Autorität Cassians in monastischen Kreisen und die griffige Formulierung, die die Instrumentalität klösterlicher Übungen trefflich zum Ausdruck bringt, haben Thomas veranlaßt, seit dem Beginnn des zweiten Mendikantenstreits das Wort des Abbas Moyses in drei Werken an herausragender Stelle zu zitieren214. Nicht minder bedeutsam ist - wie wir bereits gehört haben - ein Text aus dem Matthäuskommentar des hl. Hieronymus geworden: Die Vollkommenheit besteht

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II-II 184, 3. Per se quidem et essentialiter consistit perfectio christianae vitae in caritate ... Non autem dilectio Dei et proximi cadit sub praecepto secundum aliquam mensuram, ita quod id quod est plus sub consilio remaneat, ut patet ex forma praecepti, quae perfectionem demonstrat... Et hoc ideo est, quia „finis praecepti Caritas est" (1 Tim 1,5)... in fine autem non adhibetur aliqua mensura, sed solum in his quae sunt adfinem ... II-II 184, 3. Secundario autem et instrumentaliter perfectio consistit in consiliis. Quae omnia, sicut et praecepta, ordinantur ad caritatem, sed aliter et aliter. Nam praecepta alia a praeceptis caritatis ordinantur ad removendum ea quae sunt caritati contraria, cum quibus scilicet Caritas esse non potest; consilia autem ordinantur ad removendum impedimenta actus caritatis; quae tarnen caritati non contrariantur, sicut est matrimonium, occupatio negotiorum saecularium et alia huiusmodi. Augustinus, Enchiridion, XXXII, 121, ed. cit. 113f. Cassian, Collationes I, VII, ed. cit. 84f. De perfectione, c. 10, ed. cit. B 77, lin. 177-181 (s. auch lin. 165-172); Lectura in Evang. Matthaei zu c. 19, 21, nr. 1592, 244, wo der Text unter dem Namen Augustins erscheint. Ferner: Quodl. IV, q. 12, a. 2, ed. cit. 2, 360, lin. 306-310; S Th II-II 188, 7. - Zur Tradition der Wüstenväter im Dominikanerorden s. A. BOUREAU, Vitae fratrum.

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im „folge mir nach", in der sequela, so daß es nicht genügt, bloß den Besitz preiszugeben. Das „verkaufe" ist dann „gleichsam der Weg zur Vollkommenheit"215. Die systematischen Konsequenzen aus der Lehre von der Instrumentalität der Räte werden wir an etlichen Stellen präsentieren, aber schon jetzt werden wichtige Aspekte sichtbar. Die Räte stehen offensichtlich im Dienst des Liebesgebots und haben sich daher ihm anzupassen. Das verleiht ihnen Variabilität und gibt ihnen, wie Thomas sagt, mensura, wodurch sie der Medizin in der Hand des Arztes vergleichbar werden. Nicht von ungefähr hat Thomas seit der Summa contra Gentes der Funktionalität der Räte große Aufmerksamkeit geschenkt. Hier findet sich wiederum die klare Aussage, daß die Räte gewisse Dispositionen in Hinsicht auf die Vollkommenheit, das Freisein für Gott, sind, wie die hl. Schrift selbst nahelegt, der zufolge es entscheidend auf die sequela Christi ankommt216. Wie sehr ihm dieser Gedanke geeignet schien, die Ordensgelübde systematisch zu begründen, zeigen das Quodlibet I, von dem bereits die Rede war, und De perfectione, wo er beispielhaft dazu dient, Abrahams Reichtum mit seiner Heiligkeit zu verbinden. Verzicht und Preisgabe sind folglich nur via adperfectionem211. Im Streit um den Ordenseintritt Jugendlicher, über den wir andernorts Genaueres hören werden, sieht sich Thomas genötigt, erneut über das Verhältnis von Geboten und Räten nachzudenken. Gerhard von Abbeville hatte in seiner Duplex quaestio behauptet, daß die Werke der Räte so schwer seien, daß sie nur Fortgeschrittene und Starke tun könnten, nicht aber Unmündige218. Auch im Quodlibet IV beschäftigt sich Thomas mit einem Einwand, der voraussetzt, daß die Gebote den Weg für die Räte bereiten. In Wahrheit verhält es sich genau umgekehrt: Durch die Räte wird der Mensch von den Dingen dieser Welt ferngehalten. Aus diesem Grund sind die Jugendlichen, damit sie „die Unschuld in der Beobachtung der Gebote" bewahren können, in die Ausübung der Räte einzuführen und folglich nicht vom Ordenseintritt abzuhalten219. Im zweiten

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II—II 184, 3 ad 1. Dicendum quod in illis verbis Domini aliquid ponitur quasi via ad perfectionem, hoc scilicet quod dicitur: „Vade et vende omnia ..."; aliud autem subditur in quo perfectio consistit, scilicet quod dicit: „et sequere me". Unde Hieronymus dicit: „ ... non sufficit tantum relinquere; ideo Petrus adiungit quod perfectum est, idest: 'Secuti sumus te"'. Commentario in Matheum III, zu 19, 27, ed. cit. 172. Dem fügt Thomas ein Ambrosiuswort hinzu, das das Gemeinte ebenso klar zum Ausdruck bringen soll: Sequi iubet non corporis gressu, sed mentis affectu, quod fit per caritatem. (In Lucam, l.V, super 19, 27, PL 15, 1724). Daraus folgert Thomas: Et ideo ex ipso modo loquendi apparet quod Consilia sunt quaedam instrumenta perveniendi ad perfectionem, dum dicitur: 'Si vis perfectus esse, vade et vende' etc., quasi dicat: Hoc faciendo ad hunc finem pervenies. - Der Hieronymustext wird zitiert: Quodlibet I, q. 7, a. 2, ed. cit. 2, 197, lin. 94-98; Quodlibet IV, q. 12, a. 2, ed. cit. 360, lin. 313-316; Contra retrahentes, c. 6, lin. 30, C 46; c. 15, C 69, lin. 70-72. ScG III 130, nr. 3022 ... non quasi ipsae sint perfectiones, sed quia sunt dispositiones quaedam ad perfectionem, quae consistit in hoc quod Deo vacetur. Et hoc expresse ostendunt verba Domini paupertatem suadentis ... et sequere me, quasi in sua sequela perfectionem vitae constituens. Vgl. U. HORST, Evangelische Armut 46-54. De perfectione, c. 8, B 73, lin. 87-90. Sed si verba Domini diligenter considerentur, non in ipsa divitiarum dimissione perfectionem posuit; sed hoc ostendit esse quandam perfectionis viam ... und lin. 93f ... quasi in sequela Christi consistit perfectio, dimissio vero divitiarum sit perfectionis via. S. CLASEN, Die ,duplex quaestio ' 200. Zur Chronologie der Kontroverse s. R.-A. GAUTHIER, Quodlibet III, ed. cit. 2 , 2 5 4 zu quaestio 5. Femer Preface zu Contra retrahentes, ed. cit. C 5 - C 7. Quodlibet IV, q. 12, a. 1, ed. cit. 2, 350, lin. 356-361. Arbitrantur enim quod precepta parent viam ad Consilia, non est autem sic, immo potius Consilia parant viam ad precepta servanda, quia per Consilia

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Artikel bedient sich Thomas der üblich werdenden Terminologie: Die Vollkommenheit besteht in den Räten instrumentaliter, denn sie sind quasi quedam instrumenta, um „leichter" zur Vollkommenheit zu gelangen220. In Contra retrahentes zieht Thomas das Resümee aus seinen bisherigen Überlegungen, um, wie er sagt, die Wurzel des Irrtums bloßzulegen, den die Gegner des Ordenseintritts Jugendlicher begehen, insofern sie meinen, in den Räten sei „hauptsächlich" die Vollkommenheit, und die Gebote seien auf die Räte hingeordnet. Tatsächlich verhält es sich umgekehrt: Die Räte sind Weg und Werkzeuge, um das Ziel, die Gottes- und Nächstenliebe, „leichter, sicherer und vollkommener" zu erreichen221. Es versteht sich, daß die systematische Bedeutung solcher Aussagen weit über den polemischen Anlaß hinausgeht. Sie sind vielmehr, wie Thomas spätestens seit der Summa contra Gentes weiß, das Kernstück einer Gelübdetheologie, deren weitreichenden Implikationen namentlich im Hinblick auf die Armut - wir mehrfach begegnet sind, obschon eine hochbedeutsame Folgerung aus der Instrumentalität noch nicht ausdrücklich gezogen wurde. Der Aquinate tut diesen Schritt ungefähr zeitgleich zur Secunda Secundae in der Quaestio disputata De caritate. Die Vollkommenheit, so heißt es auch hier, besteht „hauptsächlich" in allem, was zur inneren Disposition des Geistes gehört und „vorzüglich" im Akt der Liebe, die die Wurzel aller Tugenden ist. „Beiläufig" und „in zweiter Linie" ist sie in gewissen äußeren Dingen - etwa in der Jungfräulichkeit oder in der Armut222. Im Blick auf das wesentlich zur Vollkommenheit Gehörige gilt nun dies: Die Vollkommenheit ist dort größer, wo Jenes" „mehr" gefunden wird, wo also die Liebe größer ist. In Dingen allerdings, die sich nur in akzidenteller Weise auf die Vollkommenheit beziehen, trifft das Gesagte nicht zu. Es folgt nicht ein „mehr schlechthin", wo „mehr" gefunden wird. Das Gemeinte ergibt sich mühelos aus einem Beispiel, das für die Motive des Aquinaten bezeichnend ist: Aus dem Umstand, daß jemand ärmer ist, resultiert nicht, daß er vollkommener ist223. Und daraus der weitere Schluß: Die Vollkommenheit im Zweitrangigen ist durch Vergleich mit dem „Erstrangigen" zu messen. Oder an unserem Exempel veranschaulicht: Die Räte als Instrumente der Vollkommenheit haben sich an der Gottes- und Nächstenliebe auszurichten, die sich in

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removetur homo a rebus seculi, circa quas occupatus difficile est quod innocentiam servet ... sunt preparandi et quodam modo premuniendi in exercitium consiliorum (370-372). Quodlibet IV, q. 12, a. 2, ad 2, ed. cit. 2, 360, lin. 301-305. Set in consiliis, que sunt de quibusdam exterioribus actibus, consistit perfectio instrumentaliter, quia scilicet huiusmodi consilia sunt quasi quedam instrumenta per que facilius ad perfectionem pervenitur. Contra retrahentes, c. 6, ed. cit. C 45 - C 48. Sic igitur patet quod consilia ad vitae perfectionem pertinent, non quia in eis principaliter consistât perfectio, sed quia sunt via quaedam vel instrumenta ad perfectionem caritatis habendam (C 47, lin. 168-172). De caritate, q. un., a. 11, ad 5, in: Quaestiones Disputatae II 782f: perfectio vitae aeternae in quibusdam quidem consistit principaliter et per se; in quibusdam autem secundario et quasi per accidens. Principaliter quidem et per se consistit perfectio in his quae pertinent ad interiorem mentis dispositionem et praecipue in actu caritatis, quae est radix omnium virtutum; secundario vero et per accidens consistit etiam in quibusdam exterioribus, ut puta in virginitate, paupertate et huiusmodi ... paupertas ad perfectionem non pertineret, nisi in quantum disponit ad sequendum Christum. Quem quidem sequimur non passibus corporis, sed affectibus mentis (Ambrosius, vgl. Anm. 215). Ed. cit. 783. Sic igitur in his, quae principaliter et per se ad perfectionem pertinent, sequitur quod sit maior perfectio, ubi haec inveniuntur magis, sicut quod perfectior est qui maioris est caritatis. In his autem quae ex consequent et quasi per accidens ad perfectionem pertinent, non sequitur magis simpliciter ubi magis inveniuntur. Unde non sequitur quod magis pauper sit magis perfectus.

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unterschiedlichen Lebens- und Gemeinschaftsformen realisieren läßt. Sie tragen das Maß nicht in sich, sondern passen sich dem jeweiligen Ziel an.

2. Wer ist im status perfectionis? Obschon wir mehrfach gehört haben, daß nur Bischöfe und Religiösen dem status perfectionis angehören, lohnt es sich, auf diesen in der Secunda Secundae in dichter Gestalt vorgetragenen Aspekt erneut einzugehen, zumal manche Themen nur hier erörtert werden. Thomas hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß der Begriff der Vollkommenheit zu einem schweren Mißverständnis Anlaß gibt, nähme man ihn im moralisch-subjektiven Sinn. Er hat sich deshalb bemüht, den „Stand" als eine „Verfaßtheit" (conditio), sei es der Freiheit, sei es der Knechtschaft, zu beschreiben, bei der es nur auf die äußere Rechtsstellung ankommt und nicht auf die innere Disposition des Menschen, die allein dem göttlichen Urteil unterliegt. Das hieße dann, daß nicht Akte vollkommener Liebe die Zugehörigkeit zu einem Stand bewirken, sondern eine mit Feierlichkeit eingegangene dauerhafte Verpflichtung, nach der Vollkommenheit auf eine noch näher zu bestimmende Weise zu streben224. Über die subjektive Heiligkeit ist folglich nichts ausgesagt. Falsche Assoziationen, die es später nahelegten, nach geeigneteren Begriffen zu suchen, werden offenbar als unvermeidlich in Kauf genommen. Den vorhin aufgestellten Bedingungen entsprechen Bischöfe und Ordensleute. Daß es sich in der Sache und in der Terminologie so verhält, bezeugen die Kapitel V und VI der Hierarchia ecclesiastica225. Die Religiösen erfüllen alle Forderungen, insofern sie sich kraft eines Gelübdes verpflichten, auf weltliche Dinge, die sie sonst gebrauchen dürften, zu verzichten, um freier für Gott zu sein, denn hierin besteht die Vollkommenheit des gegenwärtigen Lebens. Und dies geschieht in feierlicher Form vor der kirchlichen Öffentlichkeit226. Interessanter ist das, was Thomas über die Bischöfe zu sagen weiß. Auch sie verpflichten sich zu Werken der Vollkomenheit anläßlich der Übernahme des Hirtenamtes, das sich durch die Bereitschaft der Hirten charakterisiert, „das Leben für die Schafe zu geben" (Jo 10, II) 227 . An die Stelle des Verzichts, den die Religiösen zu üben haben, tritt also die seelsorgliche Verantwortung mit dem festen Willen, die eigene Person bis zum Äußersten für die Herde einzusetzen. Auch sie artikuliert sich gelegentlich des Empfangs der Bischofs-

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II-II 184, 4 ... secundum autem ea quae exterius aguntur, accipitur spiritual» status in homine per comparationem ad Ecclesiam ... Sic ergo et in statu perfectionis proprie dicitur aliquis esse, non ex hoc quod habet actum dilectionis peifectae, sed ex hoc quod obligat se perpetuo cum aliqua solemnitate ad ea quae sunt perfectionis. II-II 184, 5 (Sed contra). De eccles. hierarchia cc. V u. VI (Dionysiaca II 1338, 1345, 1386). Vgl. R. ROQUES, L'univers 187-191; Art.: Denys l'Aréopagite, in: DSpir III 244-286 (R. ROQUES) und 3 4 9 356 (J. TURBESSI ). n - I I 184, 5. Religiosi enim se voto adstringunt ad hoc quod a rebus saecularibus se abstineant, quibus licite uti poterant, ad hoc quod liberius Deo vacent, in quo consistit perfectio praesentis vitae ... Horum etiam obligatio fit cum quadam solemnitate professionis et benedictionis. II-II 184, 5. Similiter etiam episcopi obligant se ad ea quae sunt perfectionis pastorale assumentes officium, ad quod pertinet ut 'animam suam ponat pastor pro ovibus suis'.

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weihe öffentlich, vor Zeugen und in feierlicher Gestalt mit dem Bekenntnis, der „Profeß", „den guten Kampf kämpfen"228. Wie sehr Thomas den Episkopat herausgehoben sehen möchte, zeigen zwei Zitate, die Charakteristisches zum Ausdruck bringen wollen. Zunächst: Der Bischof wird ermahnt, „die Gnade Gottes zu erneuern, die in dir ist durch das Auflegen meiner Hände" (2 Tim 1, 6), was die Glosse de gratia episcopali interpretiert. Das heißt: In der Bischofsweihe wird eine besondere „bischöfliche Gnade" mitgeteilt229. Noch bedeutsamer ist das Dionysiuszitat, wonach dem Bischof bei der Weihe die hl. Schriften auf das Haupt gelegt werden, um dadurch auszudrücken, daß er umfassenden Anteil an der gesamten hierarchischen Kraft hat, und daß er nicht nur selbst erleuchtet wird über alles, was sich auf die heiligen Reden und Taten bezieht, sondern daß er das auch anderen weiterzugeben habe230. Der Umstand, daß sich Thomas diesen gewichtigen Text zu eigen macht, der von der nur dem Bischof zuzuschreibenden Partizipation an der hierarchischen Vollmacht redet und die für sein Amt typische Autorität bei der Weitergabe hervorhebt, spricht für sich selbst. Man wird sogar sagen dürfen, daß sich ein vergleichbar emphatisches Wort über Wesen und Funktion des Episkopats bei ihm sonst nicht findet. Bemerkenswert ist schließlich, daß die Argumentation vom seelsorglichen Amt über das feierliche Bekenntnis bis hin zur Bischofsordination verläuft, deren theologischer Kern jedoch nicht genau definiert wird, sondern hinter dem Dionysiuszitat verborgen bleibt. Auch wenn Thomas das Specificum der Bischofsweihe im Dunkel läßt, besteht doch in seinen Augen kein Zweifel daran, daß in der Sache zwischen Bischof und Priester ein wesentlicher Unterschied besteht. Wie wir wissen, richten sich die diesbezüglichen Argumente gegen Gerhard von Abbeville, der sich seinerseits auf patristische und kanonistische Gewährsleute berief. Es versteht sich daher von selbst, daß er Archidiakone und Pfarrer zusammen mit den Bischöfen zu den Gliedern des Vollkommenheitsstandes rechnet. Ebenso klar ist, daß der Aquinate seine bekannte Gegenposition verteidigen wird. Bezeichnend ftir seine Sicht der Dinge ist wiederum ein gewichtiges Dionysiuszitat, wonach den Bischöfen eine vollendende und zur Vollkommenheit führende Gewalt eignet, wohingegen die Priester lediglich erleuchten, so daß - die Terminologie zeigt es bereits - allein den Bischöfen die Vollkommenheit zugeschrieben wird231. Daß es sich so verhalten muß, ergibt nach Thomas eine einfache Überlegung, die einen eingangs geäußerten Gedanken aufnimmt. Die Priesterweihe ermächtigt zwar zu heiligen Handlungen, doch verpflichten sich die Geweihten nicht zu Werken der Vollkommenheit. Zwar trifft es zu, daß in der Westkirche anläßlich der Weihe das Gelübde der Enthaltsamkeit abgelegt wird, so daß in diesem Punkt Gleichheit mit 228

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II—II 184, 5. Adhibetur etiam quaedam solemnitas consecrationis simul cum professione praedicta. Thomas bezieht sich auf 1 Tim 6, 12. Dazu s. In I ad Timotheum, lectio II, nr. 259, 260: in consecratione bonum certamen professus es, quando ordinatus es in episcopum. II—II 184, 5 ... quod Glossa exponit ,de gratia episcopali'. Vgl. Petri Lombardi Collectanea in epist. D. Pauli, PL 192, 365A. - S. auch In II ad Timotheum, lect. II, nr. 13, 269: In qua manus impositione data est ei gratia Spiritus Sancti. II—II 184, 5. (Vgl. Dionysiaca II 1368) ... ut significetur quod ipse est participativus integre totius hierarchiae virtutis, et quod ipse non solum sit illuminativus omnium, quod pertinet ad sanctas locutiones et actiones, sed quod etiam hoc aliis tradat. Vgl. R. ROQUES, L'univers 280f. 184, 6 s.c. Pontificum quidem ordo consummativus est et perfectivus; sacerdotali autem illuminativus et lucidativus ... Vgl. Dionysiaca II 1338 u. 1345.

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den Religiösen zustandekommt, aber das genügt, wie wir später genauer hören werden, nicht, um jemand in den status perfectionis zu versetzen232. Auch unter dem Aspekt der Seelsorge gelangt man zu demselben Resultat: Der Weltklerus ermangelt der dauerhaften Verpflichtung, eine feste Herde zu weiden. Es steht dem einzelnen Pfarrer frei, sie zu verlassen oder in einen Orden - sogar ohne Erlaubnis des Bischofs - einzutreten. Das wäre ihnen nicht gestattet, befänden sich Pfarrer und Archidiakone im Stand der Vollkommenheit233. Das heißt: Weder die Weihe noch das seelsorgliche Amt bewirken, daß sie mit den Bischöfen und Religiösen auf demselben Niveau stehen. Die Antworten greifen Einwände auf, denen sich Thomas erstmals in De perfectione stellen mußte. Daß in der Alten Kirche presbyter und episcopus synonym gebraucht wurden, ist durchaus zu konzedieren, doch ändert dieser Befund nichts daran, daß in der Sache zwischen ihnen schon zu Zeiten der Apostel ein Unterschied bestand, so daß jemand, der das leugnen wollte, als Häretiker zu erachten wäre. Die Schismen sorgten schließlich auch für terminologische Klarheit234. Einem weiteren vertrauten Gedanken begegnen wir ebenfalls: Die Bischöfe haben „hauptsächlich" die Seelsorge in ihrer Diözese, Priester und Archidiakone aber nur die Ausübung gewisser Hilfsdienste unter der Verantwortung ihrer Oberhirten. Der Grund: Die „bischöfliche Hirtensorge" wird mit der Feierlichkeit der Konsekration übertragen, d. h. die Konsekration bewirkt die cura, wohingegen die cura des Archidiakonats oder des Plebanats in einer einfachen „Einweisung" geschieht - und zwar nach der Konsekration235. Die entscheidende Differenz liegt also darin, daß dem Bischof im Akt der Konsekration die eigentliche Verantwortung für die Diözese anvertraut wird - Weihe und Hirtengewalt fallen gleichsam zusammen und machen hier das Proprium aus während die Priesterweihe zeitlich und sachlich der Beauftragung zur Seelsorge vorausgeht. Das Problem, ob der Religiosenstand vollkommener ist als der der Bischöfe, scheint eher scholastischer Natur zu sein, doch gibt es auch in der Secunda Secundae Hinweise, daß es seinen historischen Ort in den Kontroversen um 1269 gehabt hat, wie wir aus De perfectione wissen236. Sie spielen zwar hier nicht mehr die Rolle von einst, aber die Sache hat für Thomas ihre alte systematische Bedeutung behalten. Daß die Bischöfe Uber den Ordensleuten stehen, entspringt einer uralten Praxis: Der Übergang in den bischöflichen Stand war und ist Religiösen jederzeit möglich, wie das kanonische Recht bezeugt. (Mit welchen Warnungen und Vorbehalten Thomas einen solchen Schritt versieht, werden wir später hören). Die eigentliche systematische Begründung liefern Gedanken Augustins und des Areopagiten. Bemerkenswerterweise zitiert er das Prinzip „das Tätige ist immer vornehmer als das Leidende" in der Version des Kirchenvaters und nicht nach Aristoteles, wohl um dem 232 233 234 235

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11-11 184,6. II-II 184, 6. Bischöfe dürfen ihre Diözese mit Erlaubnis des Papstes verlassen, der auch von den ewigen Gelübden dispensieren kann. II-II 184, 6 ad 1. Sed secundum rem Semper inter eos fuit distinctio, etiam tempore Apostolorum. II-II 184, 6 ad 2. Dicendum quod episcopi principaliter habent curam ovium suae dioecesis; presbyteri autem curati et achidiaconi habent aliquas subministrationes sub episcopis. Es folgt sodann dieser Vergleich: ... wie allein der König einen feierlichen Segen empfängt und die Beamten durch simplex commissio beauftragt werden ... ita etiam in Ecclesia cura episcopalis cum solemnitate consecrationis committitur, cura autem archidiaconatus vel plebanatus cum simplici iniunctione. Consecrantur tarnen in susceptione ordinis scilicet antequam curam habeant. Vgl. U. HORST, Evangelische Armut 69-76.

Wer ist im status perfections?

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theologischen Kontext besser zu entsprechen. Verbindet man es mit einem zentralen dionysianischen Argument, so ergibt sich: Die Bischöfe verhalten sich wie die „Vollender", die Religiösen jedoch wie die, die zur Vollendung geführt werden, also wie Aktives und Passives237. Den Bischöfen fällt demnach eine Rolle zu, die sie prinzipiell über alle sonstigen kirchlichen Stände erhebt mit Konsequenzen, die wir teilweise bereits kennen. Ein schwerer Einwand aber bleibt. Er hat seinen zeitgeschichtlichen Ort in radikalen Minoritenkreisen, die darauf insistierten, daß die Bischöfe nicht dem evangelischen Armutsideal entsprechen, wofür schon das ihnen zugebilligte Recht spricht, über ihren Besitz testamentarisch verfügen zu dürfen. Die Antwort hat Thomas mit langer Hand vorbereitet, so daß uns die zentralen Argumente geläufig sind. Im tatsächlichen Verzicht liegt nicht „wesentlich" die Vollkommenheit, er ist vielmehr nur ein Instrument derselben. Oder allgemeiner: Der Stand der Vollkommenheit ist nicht notwendigerweise mit der Preisgabe des Besitzes verbunden238. Wohl aber gehört zur Vollkommenheit eines Bischofs, daß dieser bereit ist, seine Habe wegzugeben oder zu verteilen, falls es die Situation gebietet. Thomas hat eine solche Haltung mit dem Begriff der praeparatio animi charakterisiert, dessen Vorgeschichte bis hin zu De perfectione wir genau kennen. Diese Bereitschaft ist unerläßlich, will man den einem status perfectionis innewohnenden Forderungen entsprechen. Auch in unserem Kontext verbindet Thomas einen Gedanken Augustins, die Gerechtigkeit bestehe weder im Sichenthalten noch im Essen, sondern im gleichmütigen Ertragen des Mangels, mit einem Wort des hl. Paulus (Phil 4, 12), er wisse ebenso gut, Überfluß zu haben wie Mangel zu leiden239. Und genau zu dieser inneren Einstellung sind die Bischöfe verpflichtet: Sie haben alles zur Ehre Gottes und zum Wohl ihrer Herde gering zu erachten, wofern das konkret geboten ist, sei es, daß sie den Armen austeilen, sei es, daß sie den Raub ihrer Güter mit Freude ertragen240. Thomas hat hier die in De perfectione detailliert entwickelte These von der Funktion der praeparatio animi in einem unpolemischen Kontext wieder aufgenommen, wobei damals wie jetzt die patristische und mittelalterliche Gestalt des Episkopat gegen extreme Vertreter der Armutsbewegung verteidigt werden sollte. Es wäre indes einseitig, die Argumente bloß defensiv zu verstehen. Wir glauben vielmehr, daß es Thomas noch vor der Rechtfertgung historischer Erscheinungsformen des Episkopats um die als notwendig erachtete Vergeistigung der Armutsidee ging, da diese, wie er meinte, beinahe zwangsläufig dazu führt, die evangelische Armutsforderung als eine exakt meßbare Größe zu deuten, die sich bei allen 237

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II—II 184, 7 s. c. und c. a. ... sicut Augustinus dicit... ,semper agens praestantius est patiente'. In genere autem perfectionis, secundum Dionysium, episcopi se habent ut perfectores, religiosi autem ut perfecti, quorum unum pertinet ad actionem, alterum autem ad passionem. Unde manifestum est quod status perfectionis potior est in episcopis quam in religiosis. - Das Augustinuszitat: De genesi ad litteram, 1. XII, c. 16, ed. cit. 402. Dionysius, De ecclesiastica hierarchia, c. 5, PG 3, 505. (Dionysiaca II1318). n-II 184, 7 obj. 1 und ad 1.... abrenuntiatio propriarum facultatum dupliciter considerati potest. Uno modo, secundum quod est in actu. Et sic in ea non consistit essentialiter perfectio, sed est quoddam perfectionis instrumentum. II—II 184, 7 ad 1 ,... non in abstinendo nec in manducando esse iustitiam, sed in aequanimitate tolerandi inopiam'. II—II 184, 7 ad 1. Ad hoc autem maxime tenentur episcopi, quod omnia sua pro honore Dei et salute sui gregis contemnant, cum opus fìierit, vel pauperibus sui gregis largiendo vel rapinam bonorum suorum cum gaudio sustinendo (Hebr 10,34).

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Die Synthese der Secunda Secundae

Personen und zu allen Zeiten auf möglichst identische Weise zu realisieren hat. Demgegenüber liegt Thomas, seit er des Problems inne wurde, der Gedanke am Herzen, daß sich die Armut als Werkzeug der Vollkommenheit dem jeweiligen Ziel anzupassen hat, woraus er die Konklusion ableitet, die Armut sei konkret so zu praktizieren, wie es Aufgaben und Situationen jeweils gebieten. Auch in der Secunda Secundae stellt sich der Aquinate dem seit 1269 virulenten Problem, wie sich der Stand der Religiösen zum Säkularklerus verhält241. Daß er dies mit solchem Nachdruck tut, hat ein doppeltes Ziel: die Abwehr der durch Gerhard von Abbeville lancierten Angriffe und das Bemühen, durch Abgrenzung Klarheit in der Sache selbst zu gewinnen. Die Antwort ist eindeutig: Der Stand der Ordensleute steht über den Ämtern der Archidiakone und Pfarrer, weil sich jene (wie die Bischöfe) für ein ganzes Leben an das Vollkommenheitsstreben binden, diese aber nicht242. Seit altersher hat dem das kanonische Recht entsprochen, welches vorsieht, daß jemand, vom hl. Geist getrieben, in einem Kloster sein Heil suchen darf. Das aber kann nur etwas sein, was vollkommener ist als das, was man hinter sich läßt243. Auch spielt der Umstand eine Rolle, daß der Säkularklerus jeweils nur eine eng umgrenzte seelsorgliche Verpflichtung von den Bischöfen übertragen bekommt. Oder mit einer bündigen Formel: Ordensstand und klerikale Ämter verhalten sich wie Ganzopfer zum Opfer244.

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II-II 184, 8. Thomas hatte sich zuletzt Quodlibet III, q. 6, a. 3, ed. cit. 2, 267-273 mit der Sache befaßt. II-II 184, 8. Si ergo fiat comparatio secundum bonitatem, sic praefertur status religionis officio presbyteri curati vel archidicaconi, quia religiosus totam vitam suam obligat ad perfectionis Studium; presbyter autem curatus vel archidiaconus non obligat totam vitam suam ad curam animarum sicut episcopus, nec etiam ei competit principalem curam subditorum habere sicut episcopo; sed quaedam particularia circa curam animarum eorum officio committuntur ... Et ideo comparatio status religionis ad eorum officium est sicut universalis ad particulare, et sicut holocausti ad sacrificium, quod est minus holocausto. II-II 184, 8. (D 19, q. 2, c. Duae, FRIEDBERG I 840). Dazu s. I. ESCHMANN, Bonum commune, darin: Das Privileg des hl. Geistes" und der thomistische Begriff des Personalen 100-107. M. DUQUESNE, Saint Thomas et le canon. R. WE1GAND, Die Naturrechtslehre 130f. II-II 184, 8. Vgl. auch ad 5: ... presbyteri curati et archidiaconi sunt similiores episcopis ... quantum ad curam animarum, quam secundario habent. Sed quantum ad statum perfectionis, similiores sunt episcopo religiosi... Die Anspielungen auf Gerhard von Abbeville sind offenkundig.

II. Kapitel

Der Bischof und seine cura principalis

1. Die Pflichten des Bischofs An die zentralen Elemente des Bischofsideals braucht nicht mehr erinnert zu werden, doch hält es Thomas für nötig, einige Kernpunkte seiner These zu entfalten. Wie wir gesehen haben, besteht das Wesen des bischöflichen Standes in der aus Liebe zu Gott eingegangenen Verpflichtung, dem Heil der Nächsten zu dienen. In der Natur der Sache liegt, daß dieses Engagement solange währt, wie es dem Amtsinhaber möglich ist, ihm in angemessener Weise nachzukommen. Mindestens der Intention nach muß es sich um eine auf Dauer - in der Regel auf Lebenszeit - angelegte Bindung handeln. Nachlässigkeit in der Erfüllung pastoraler Aufgaben darf sich nicht einmal für den Fall einschleichen, daß jemand die Ruhe der Kontemplation suchen möchte, wofür das Beispiel des Apostels (Phil 1, 22) spricht, der bereitwillig das Leiden unter dem daraus resultierenden Zwiespalt ertragen hat. Wer Schwierigkeiten aus dem Weg geht oder gar auf Gewinn aus ist, hat ebenfalls die Berufung zum guten Hirten verfehlt245. Thomas weiß freilich, daß zuweilen Ausnahmen von der strengen Regel dem Wohl der Kirche besser dienen als kompromißloses Festhalten am Ideal. Tatsächlich gibt es Gründe, die Resignation in Betracht zu ziehen. Zum einen solche, die auf einem persönlichen Mangel beruhen. So etwa wenn jemand einen Menschen getötet, oder wenn er durch Simonie sein Amt erlangt hat246. Offenbar handelt es sich um Sünden, die nur dem Gewissen des Täters bekannt sind, da er sonst wohl der Deposition verfallen müßte. Verständlich ist Resignation aus Alters- oder Gesundheitsgründen. Bemerkenswerterweise rechnet Thomas zu dieser Kategorie auch mangelhaftes Wissen eines Bischofs, das für die Leitung seiner Diözese nicht ausreicht. Zu erwähnen ist ferner eine Irregularität, wenn jemand bigamus ist247. 245 246

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11-11 185,4. II-II 185, 4. Quandoque ... propter defectum proprium vel conscientiae, si sit homicida vel simoniacus. Thomas hat sich ausführlich zur Simonie geäußert S Th II-II 100. Die Sünde der Simonie besteht im wesentlichen darin, daß sich jemand zum Herrn einer geistlichen Gabe macht (100, 1 und ad 1). - S. Art.: Simonie, in: LMA VII 1922-1925 (R. SCHIEFER). Mit bigamus ist keine Doppelehe gemeint, sondern der Versuch, bei einem bestehenden „Eheband", das aus einer höheren Weihe resultiert, eine Ehe zu schließen. Vgl. Art.: Irregularität, in: LThK2 5, 766f (W. ÜLHOF). J. TRÜMMER, Bigamie.

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Der Bischof und seine cura principalis

Nicht immer bilden freilich Mängel und Verfehlungen auf Seiten eines Bischofs ein Hindernis für eine fruchtbare Seelsorge. Denkbar ist nämlich, daß sie durch das Verhalten der Untergebenen beeinträchtigt wird. Zu berücksichtigen ist schließlich, daß der Vorsteher manchmal selbst schweres Ärgernis provoziert, das seiner Arbeit die Voraussetzungen entzieht und einen Amtsverzicht mehr als nahelegt. Welche Defekte auch immer die Sorge um das Heil der Gläubigen erschweren mögen, an einem hält Thomas fest: Wie die Ernennung zum Oberhirten Sache des „höheren Prälaten" ist, so auch das Urteil über die eine Resignation erforderlich machenden Schritte. Er befindet darüber, ob sie in Kraft tritt oder nicht. Letztlich entscheidet allein der Papst, ob die Gründe ausreichen, denn nur er hat die Dispensvollmacht in bezug auf ein „ewiges Gelübde", dem die in der bischöflichen Konsekration eingegangene pastorale Verpflichtung entspricht248. Daß in diesem Zusammenhang nicht über eine Deposition gesprochen wird, die in etlichen der genannten Fälle durchaus angezeigt wäre, erklärt sich aus der Tatsache, daß es dem Aquinaten hier nur um die Frage geht, ob Bischöfe aus eigener Initiative ihr in der Weihe geleistetes Versprechen lösen können. Wie Thomas nicht müde wird zu wiederholen, hat sich der Bischof um das Wohl seiner Diözesanen zu kümmern, und, solange er dazu in der Lage ist, wäre ein Übertritt in einen Orden ein Rückschritt, weil es ihm dann nur um das eigene Heil ginge. Aus demselben Grund bleibt allerdings der umgekehrte Weg sinnvoll, insofern ein zum Prälaten ausersehener Mönch beiden Zielen dienen kann: der Seelsorge und dem persönlichen Streben nach Heiligkeit. Der Ordenseintritt eines Bischofs ist indessen, falls der zeitweilige Aufenthalt in einem Kloster dazu benutzt wird, das die cura animarum beeinträchtigende oder gar unmöglich machende Hindernis zu beseitigen, legitim. So könnte er etwa die Gelegenheit wahrnehmen, sein ungenügendes Wissen zu ergänzen oder sich von einer Krankheit zu kurieren. Ist jemand durch Simonie in den Episkopat gelangt, so kann er, falls er sich zur vita regularis bekehrt, ein neues Bistum erhalten. Ein Leben nach der Regel, über dessen Dauer nichts verlautet, tilgt also eine simonistische Promotion, vorausgesetzt der Betreffende hat keinen aktiven Anteil an der gekauften Würde gehabt. Ist allerdings jemand aufgrund persönlicher Schuld in ein Kloster verbannt worden, hat er dort für immer zu verbleiben249. Daß sich Thomas vergleichsweise detailliert zu diesen praktisch-kanonistischen Einzelheiten äußert, hängt sicher mit seiner eher pessimistischen Einschätzung der pastoralen Qualitäten zeitgenössischer Prälaten zusammen, doch liegt ihm nicht minder am Herzen, einen möglichst exakten und sämtliche Aspekte umfassenden Vergleich der beiden Vollkommenheitsstände vorzunehmen. Zum Kennzeichen des wahren Bischofs rechnet der Aquinate mit großem Nachdruck die Residenzpflicht, die normalerweise allein die Ausübung einer wirkungsvollen Seelsorge garantiert. Wenn es daher um das geistliche Wohl der Gläubigen geht, darf der Hirt seine Herde nicht verlassen, falls ihn weltliche Motive oder drohende Gefahren für sein Leben dazu motivierten. Wo das Heil anderer auf dem Spiel steht, verlangt Thomas den letzten Einsatz, der selbst den Tod nicht scheut. Er weiß freilich, daß solche Strenge nicht immer den konkreten Umständen einer Verfolgung gerecht wird. So ist es durchaus möglich, daß jemand 248 249

II-II 185, 4. Soli enim papae licet dispensare in voto perpetuo quo quis se ad curam subditorum adstrinxit episcopatum suscipiens. II-II 185, 4 ad 1 u. 2.

Die Pflichten des Bischofs

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anderer den Bischof vertritt, so daß der Diözese kein Nachteil aus dessen Abwesenheit erwächst. Sind derartige Garantien gegeben, darf ein Oberhirte seine Herde verlassen, wofern das zum Nutzen der Kirche geschieht oder Gefahren für Leib und Leben abwendet250. Thomas beruft sich für diese differenzierte Stellungnahme zu einem historisch vielfach belegten Problem, das auch die hl. Schrift im Blick zu haben scheint (Mt 10, 23; s.c.), auf einen Brief Augustins, der dem Leser das Verhalten des hl. Athanasius vor Augen stellt251. Ausführlich würdigt er den Standpunkt des Kirchenvaters in seiner Lectura zum Johannesevangelium. Athanasius und andere Bischöfe, die vor ihren Verfolgern geflohen sind, dürfen nicht mit den Wölfen des Evangeliums gleichgesetzt werden, denn nicht die Flucht als solche ist schon tadelnswert, sondern das Imstichlassen der Schafe. Wie man aus der Geschichte der Verfolgungen weiß, stellen die Feinde der Kirche manchmal der Person des Bischofs nach, zuweilen jedoch der ganzen Herde. Geht es nur um den Prälaten, kann man anderen die Leitung der Diözese übertragen, so daß unter solchen Umständen eine Flucht erlaubt wäre. Richtet sich der Angriff allerdings gegen die Gesamtheit der Gläubigen, hätten die Bischöfe die strikte Pflicht, in deren Mitte auszuharren. In jedem Fall müssen wenigstens einige auf ihrem Posten bleiben, andernfalls wären sie tatsächlich als „Wölfe" zu erachten252. Von großem theologischen Wert sind die beiden folgenden Artikel über das Vermögen der Bischöfe und den kirchlichen Besitz, da diese Probleme, wie wir mehrfach gehört haben, den Vollkommenheitsstand und die Aufgaben der Kirche unmittelbar betreffen. Wiederum wird sich zeigen, mit welchen Reserven Thomas gewissen radikalen Tendenzen seines Jahrhunderts gegenübersteht. Schon das Sed contra weist den Weg: Der Bischof darf sein Eigentum den Erben testamentarisch vermachen, d. h. es gehört ihm wirklich253. Die Begründung holt freilich weiter aus und argumentiert mit uns bereits vertrauten Prinzipien. Zunächst: Gelübde und Verpflichtungen müssen strikt nach ihrem Wortlaut interpretiert werden. Sie haben nur ausdrücklich Genanntes zum Inhalt. Und: Zu Werken der Übergebühr ist niemand gehalten, außer er habe sie in seinem Versprechen eigens erwähnt. Nun gehört das „Leben ohne Eigentum" zur Übergebühr, es fällt unter die Räte und nicht unter die Gebote. In diesem Sinn deutet Thomas das Wort des Herrn an den reichen Jüngling, das zwei Imperative aufweist: einen, das serva mandata, die von allen zu befolgenden Gebote, und den anderen, der dem ersten „hinzugefügt" wird, wonach der Weg zur Vollkommenheit in der Preisgabe des Besitzes zugunsten der Armen besteht. Entscheidend ist hier: Die Bischöfe haben sich in ihrer Weihe nicht zu einem Leben ohne Besitz verpflichtet. Auch kann man nicht sagen, daß das pastorale officium notwendigerweise den Akt eines völligen Verzichts auf Eigentum voraussetzt254. Anders als in De perfectione fehlen in der Secunda Secundae polemische Untertöne gegen Versuche, den Rang der Bischöfe unter Hinweis auf deren Be250

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II-II 185, 5. Si vero subditorum saluti possit sufficienter in absentia pastoris per alium provided, tunc licet pastori vel propter aliquod commodum ecclesiae vel personae periculum corporaliter gregem deserere. Epistola ad Honoratum (Ep. 228, nr. 6), ed. cit. 488f. Lectura super Ioannem, c. 10, lect. 3, nr. 1406,262f. S. auch Lectura ad II Cor, c. 11, lect. 6, nr. 439, 537. II-II 185,6 s.c. Vgl. C. XII, q. 1, c. 19 Episcopi (FRIEDBERG 1684). II-II 185, 6. Non autem episcopi in sua ordinatione ad hoc se obligant ut absque proprio vivant, neque etiam vivere absque proprio ex necessitate requiritur ad pastorale officium, ad quod se obligant. Et ideo non tenentur episcopi ad hoc quod sine proprio vivant.

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sitzrecht zu mindern und den der Religiösen zu erhöhen, wohl aber ist auch jetzt mit Nachdruck zu vermerken, daß Thomas keineswegs die religiöse Strenge des Besitzverzichts außer acht läßt. Gleichwohl gilt: Die freiwillige Armut ist - wie erinnerlich - „nur" als Instrument der Vollkommenheit aufzufassen, keinesfalls jedoch als diese selbst. Ihre werkzeugliche Funktion verbietet deshalb von vornherein die Annahme, die Vollkommenheit sei um so größer, je wörtlicher die Armut gedeutet und praktiziert wird. Das wäre ein fatales Mißverständnis, da dann der Wert irdischer Güter und des Eigentums und deren innere Sinnhaftigkeit nicht mehr einsichtig gemacht werden könnten. Das klassische biblische Beispiel ist wiederum Abraham, der als wohlhabender Mann gleichzeitig vollkommen war, weil er nur actu, nicht aber affectu reich war. Auch von modernen Monarchen - Thomas erwähnt im Kommentar zu den Psalmen König Ludwig von Frankreich - läßt sich Ähnliches aussagen 255 . Die Preisgabe aller Habe affectu ist demnach das Kriterium, das allein zählt. Thomas weiß, daß sich seine Sicht der Dinge mit etlichen Texten des Neuen Testaments stößt. Einen greift er heraus (Mt 10, 9), in dem der Herr den Aposteln untersagt, Gold, Silber oder Geld im Gürtel zu haben, woraus auf eben eine solche Pflicht der Bischöfe als deren Nachfolger geschlossen werden muß. Der Einwand wird mit einer dreifachen Exegese des Verses zu entkräften versucht, wobei - wenigstens dem Wortlaut nach - offen bleibt, für welche Deutung am meisten spricht. Zunächst empfiehlt sich - mit Hieronymus - eine mystische Interpretation: Die Prediger sollen sich nicht „hauptsächlich" auf Weisheit und menschliche Eloquenz stützen 256 . Man hat nicht den Eindruck, der Aquinate würde dieser Exegese viel abgewinnen, sie wird wohl nur der Vollständigkeit halber und weil sie dem vielzitierten Hieronymuskommentar zum Matthäusevangelium entnommen ist, aufgeführt. Gewichtiger ist ein Gedanke Augustins, wonach der Herr das Wort nicht als Vorschrift, sondern als Erlaubnis verstanden wissen wollte. Das hieße dann: Er hätte den Jüngern gestattet, ohne Wertsachen und ohne sonstige Subsidien zur Predigt auszuziehen und den Lebensunterhalt von denen zu erhalten, für die sie wirkten. Bezeichnenderweise habe er dem hinzugefügt „der Arbeiter ist seiner Speise wert". Wenn sich daher jemand bei seiner Predigt aus eigenen Mitteln versorgt, wäre das ein Werk der Übergebühr 257 . Die akzeptabelste Interpretation, wohl deshalb an letzter Stelle referiert, beruft sich auf Chrysostomus. Der Herr hat die Weisung anläßlich der Mission zu den Juden gegeben, um sie zum Vertrauen auf die Kraft dessen zu bewegen, der seine Boten mittellos aussandte. Diese Anordnung ist einmaliger Art gewesen, so daß sich aus ihr nicht schließen läßt, die Jünger oder deren Nachfolger seien nun ebenfalls gehalten, Seelsorge ohne materiellen Rückhalt auszuüben.

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II-II 185, 6 ad 1. Unde non oportet quod ubi maior paupertas est, ibi sit maior perfectio. Quinimmo potest esse summa perfectio cum magna opulentia; nam Abraham, cui dictum est (Gen 17,1),ambula coram me et esto perfectus', legitur fuisse dives. - Im Kommentar zu den Psalmen heißt es (zu Ps 48, 3): ... tarnen aliquis est dives actu, sed non affectu, et hie potest esse sanctus sicut Abraham et Ludovicus rex Franciae (S. Thomae Aquinatis Opera Omnia curante R. BUSA 120). Vgl. J. LE GOFF, Saint Louis 328-344 (Mendikantenhagiographie). II-II 185,6 ad 2. Hieronymus, Commentario in Matheum I, zu 10,10, ed. cit. 67. II-II 185, 6 ad 2. Permisit enim eis ut absque auro et aliis sumptibus ad praedicandum irent accepturi sumptus vitae ab his quibus praedicabunt ... Ita tarnen quod si aliquis propriis sumptibus uteretur in praedicatione Evangelii, ad supererogationem pertinet, sicut Paulus de seipso dicit (1 Cor 9, 12.15). Augustinus, De consensu evangelistarum, 1. II, c. 30.73, ed. cit. 177-179.

Die Pflichten des Bischofs

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Schließlich hat auch Paulus Hilfe von anderen Kirchen empfangen, um unter den Korinthern zu wirken 258 . Größte Bedeutung hat nach Thomas ein aus der Tradition der Väter und der Kirche abgeleitete Konklusion: Es wäre ein Zeichen der Torheit, wollte man sagen, daß so viele heilige Bischöfe - genannt werden Athanasius, Ambrosius und Augustinus - gegen Weisungen des Herrn verstoßen hätten, wenn sie überzeugt gewesen wären, an sie strikt gebunden zu sein259. Auch sonst lehrt der Aquinate, daß Kontinuität in der Sache und in der Lehre sowie die pastorale Praxis maßgeblicher Väter und heiliger Kirchenmänner das Verständnis schwieriger oder vieldeutiger Passagen der Schrift erschließen helfen 260 . Die Quästionen über den Episkopat werden mit zwei Artikeln eher administrativen Charakters beschlossen, die aber gerade deshalb anschaulich zu erkennen geben, welchen Rang Thomas einem praktischen Problemkreis beigemessen hat. Der Bischof als Garant der Armenfürsorge ist ein uraltes Thema, das im Mittelalter ein großes Echo fand. Daß sich auch hier ein weites Feld für Rigoristen auftat, legt der Artikel nahe, in dessen Sed contra offenbar solchen Tendenzen sogleich gewehrt werden sollte, wenn es heißt, daß viele Bischöfe nicht alles, was sie übrig haben, den Armen geben, daß sie vielmehr löblich handeln, wenn sie mit den Überschüssen die kirchlichen Einkünfte mehren. Einfach ist das Urteil, so beginnt die Argumentation, über solche Güter, die dem Bischof gehören, über die er also sein persönliches dominium hat. Er kann sie für sich behalten oder anderen nach freiem Ermessen schenken. Möglich ist freilich, daß er bei deren Verteilung sündigt, falls er sich selbst zu großzügig bedient, oder wenn er ihnen zu sehr anhängt, oder wenn er die Bedürftigen nicht dem Liebesgebot gemäß versorgt. Restitutionspflichtig wird er jedoch in keinem Fall, da alles in seinem Ermessen liegt261. In Hinsicht auf die Kirchengüter ist der Bischof naturgemäß lediglich Austeiler und Verwalter, der seinem Amt gewissenhaft nachkommen muß. Sie sind allerdings nicht nur für den Unterhalt der Armen bestimmt, sondern auch für die Unkosten des Gottesdienstes und die Bedürfnisse des Klerus 262 . Wenn gewisse Güter dem Bischof zu seinem Gebrauch überlassen worden sind (in usum episcopi), so darf er mit ihnen ebenso verfahren wie mit seinem persönlichen Eigentum. Er sündigte allerdings schwer, behielte er von den amtlichen Zwekken dienenden Kapitalien etwas für sich selbst. Thomas will also sagen: Der Bischof soll sich auch in finanziellen Dingen einer relativ großen Freiheit und Unabhängigkeit erfreuen, und dazu muß er über eine „Kasse" verfügen 263 . Sollten Besitz und Einkünfte einer Diözese nicht nach einzelnen Ausgabenbereichen geordnet sein, so darf der Bischof nach seinem Gewissen austeilen, wobei er nicht nach Heller und Pfennig abzurechnen braucht. Thomas geht sogar so weit, daß er dem Oberhirten konzediert, aus dem ihm zum Gebrauch überlas258

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n-II 185, 6 ad 2. Ex quo tarnen non obligabantur ipsi vel successores eorum, ut absque propriis sumptibus Evangelium praedicarent. II-II 185, 6 ad 2. Stultum autem videtur dicere quod tot sancti pontifices sicut Athanasius, Ambrosius et Augustinus ilia praecepta transgressi fuissent, si ad ea servanda se crederent obligari. Dazu s. U. HORST, Mendikant und Theologe 18f.

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n-11185,7. n-11185,7.

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II—II185,7. De his autem quae sunt specialiter suo usui deputata, videtur esse eadem ratio quae est de propriis bonis, ut scilicet propter immoderation affectum et usum peccet quidem, si immoderata sibi retineat et aliis non subveniat sicut requirit debitum caritatis.

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senen Vermögen seine bedürftigen Verwandten moderate zu unterstützen264. Schließlich hat der Bischof, der sonst ein offenes Ohr für die Nöte der Kirche und der Seelsorge zu haben hat, in besonders schwierigen Situationen alles Verfügbare den Armen zu geben oder für den Loskauf der Gefangenen einzusetzen265. Wenn freilich in besseren Zeiten die Armenfürsorge nicht alle Mittel aufbraucht, möge man die überschüssigen Kapitalien zum Kauf von Ländereien verwenden oder auf die Seite legen266. Es lohnt sich, auf solche Details einzugehen, denn aus ihnen spricht zum einen ein praktischer Sinn, der dem Aquinaten offenbar auch eigen war, und zum anderen ein „kirchlicher Realismus", der einem Überschwang gewisser Repräsentanten der Armutsbewegung wehren wollte und vor übertriebenen Erwartungen warnen möchte. Diese nüchterne Sicht der Dinge, deren theologischen Kernpunkt, die Haltung eines jeden Christen entscheide sich am affectus gegenüber den irdischen Gütern, man freilich nicht außer acht lassen darf, findet ihre Parallele in der klösterlichen Armutskonzeption, von der wir später hören werden. Daß schon bald viele Mendikanten zu Bischöfen ernannt wurden, sprach zwar für das moralische und intellektuelle Niveau der neuen Orden, brachte ihnen aber auch erhebliche Nachteile durch den Verlust profilierter Religiösen. Thomas äußert sich zu dieser Seite des Problems hier nicht unmittelbar. Er hat anderes konstatiert, das ihn offenbar in wachsendem Maß bekümmert hat. Nicht wenige scheinen die episkopalen Würden erstrebt zu haben, um von den mit dem Ordensleben verbundenen Observanzen erlaubterweise frei zu werden. Der Aquinate begnügt sich freilich nicht mit Tadel oder Klagen, er unternimmt es vielmehr erneut, das Wesen beider Stände zu bestimmen und zu zeigen, wie sie aufeinander bezogen sind und bleiben. Mit einer leicht variierten Terminologie heißt es jetzt, der Episkopat sei im Blick auf die Vollkommenheit ein perfectionis magisterium. Das heißt: Er ist nicht Weg wie der Religiosenstand, sondern ein Lehramt, dessen Inhaber gewissermaßen die Phase der Ausbildung hinter sich gelassen hat und nun mit voller Autorität lehren darf267. Beide stehen zueinander wie der Unterricht zur Lehre mit Autorität oder wie eine Disposition zur Vollkommenheit, wobei die Disposition nicht verschwindet, wenn der endgültige Zustand erreicht wird268. Daraus folgt: Alle monastischen Observanzen, die - wie etwa Enthaltsamkeit und Armut - die Vollkommenheit beschützen, verpflichten den Religiösen auch nach Eintritt in den bischöflichen Stand, wohingegen solche, die - wie etwa Schweigen, Einsamkeit, strenges Fasten - mit einer gewissenhaften Amtsführung schwer zu vereinbaren sind, nicht binden. Im übrigen hat der Bischof die Freiheit, sich selbst von Übungen zu dispensieren, die eher hinderlich denn förderlich sind. Nur in Hinsicht auf die Armut ist Thomas kompromißlos: Ein Religiöse als Bischof kann kein Eigentum haben und hat deshalb auch kein 264 265 266

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n-II 185, 7 ad 2. n-II 185, 7 ad 3. II-II 185, 7 ad 4. Et ideo si quis necessitate non imminente providendi pauperibus, de his quae superfluunt ex proventibus Ecclesiae possessiones emat vel in thesauro reponat in futurum utilitati Ecclesiae et necessitatibus pauperum laudabiliter faciat. II-II 185, 8 ... status autem episcopalis ad perfectionem pertinet tamquam quoddam perfectionis magisterium. n-II 185, 8. Unde status religionis compararur ad statum episcopalem sicut disciplina ad magisterium et dispositio ad perfectionem. Dispositio autem non tollitur perfectione adveniente nisi forte quantum ad id in quo perfectioni repugnat. Vgl. ad 2: Sed vota religionis se habent ad pontificalem dignitatem sicut dispositio ad perfectionem.

Darf man das Bischofsamt erstreben?

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Recht, ein Testament zu machen, da ihm lediglich die Verwaltung der KirchengUter Ubertragen wird269.

2. Darf man das Bischofsamt erstreben? Der Umstand, daß Thomas von Aquin in den Jahren seines zweiten Pariser Aufenthalts mehrmals - und zwar unter verschiedenen Aspekten - der Frage nachgeht, ob jemand das Amt eines Bischofs erstreben dürfe, läßt darauf schließen, daß er ihr einiges Gewicht beigemessen hat. Das Problem selbst ist freilich so alt wie die Notwendigkeit, hohe Ämter mit geeigneten Personen zu besetzen. In der Kirche hat es begreiflicherweise besondere Dringlichkeit erfahren, da sie ihre Kandidaten nach anderen Kriterien zu beurteilen hat, als sie in einer profanen Laufbahn üblich sind. Mahnungen und Warnungen in der patristischen Literatur vor unchristlichen Motiven verraten, daß auch Bischöfen des Altertums weltliches Karrieredenken nicht fremd war. Thomas hat die einschlägigen Vätertexte - namentlich die Regula pastoralis Gregors d. Gr. - gekannt und ausgiebig zitiert, aber sein Bemühen, die tiefsten Wurzeln für die Unvereinbarkeit von Episkopat und persönlichen Ambitionen aufzuzeigen, läßt sich erst auf dem Hintergrund seiner Zeit zureichend verdeutlichen. Ihm wie seinen patristischen Gewährsleuten war klar, daß das vielzitierte Schriftwort „Wenn einer nach dem Episkopat strebt, so bemüht er sich um eine gute Aufgabe" (1 Tim 3,1) mit den sich anschließenden Forderungen eine spannungsgeladene Lösimg fordert270. Zweierlei ist den Texten zu entnehmen: Die Kirche braucht nicht nur geeignete, sondern auch bereite Kandidaten, die vor dem Amt nicht schlechthin zurückschrecken, und sie muß gleichzeitig vor Ehrgeiz und Motiven warnen, die ihm unangemessen sind. Thomas wußte, daß die Verantwortlichen in der nachkonstantinischen Epoche namentlich mit den zuletzt genannten Gefahren zu rechnen hatten und daß auch seine eigene Zeit Anlaß genug bot, die Probleme erneut zu Uberdenken. Wie Thomas die Nachfolge des armen Herrn und die Realität eines Episkopats, der seit der Spätantike Kirchengut verwaltete und, wie er selbst sagt, sogar persönliches Eigentum besitzen und Testament machen konnte, in Einklang zu bringen versucht hat, hat uns andernorts beschäftigt, wiederholt sei hier lediglich, daß ein Bischof dem Ideal genügt, wenn er die „Bereitschaft des Herzens" (secundum animi praeparationem) hat, im Falle der Not seine gesamte Habe herzugeben271. Auch der mit subtilen Argumenten erbrachte Nachweis, daß die Bischöfe zu Recht dem status perfectionis angehören, weil sie sich in der Konsekration zur höchsten Form der Bruderliebe verpflichten, die in dem Willen gipfelt, die Herde

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II—II 185, 8 ad 3. Proprium autem nullo modo habere possunt. Non enim patemam hereditatem vindicant quasi propriam, sed quasi Ecclesiae debitam. Und: Testamentum autem nullo modo facere potest, quia sola ei dispensatio committitur rerum ecclesiasticarum, quae morte finitur. Zur Auslegung der Stelle s. L. OBERLINNER, Die Pastoralbriefe 113-115. J. ROLOFF, Der erste Brief an Timotheus 152-154. - Zum selben Thema habe ich mich bereits andernorts geäußert: U. HORST, „Darf man das Bischofsamt erstreben? " Weitere Einzelheiten bei U. HORST, Evangelische Armut 71-74 und A. SANCHIS, Escritos espirituales, bes. 3 0 5 - 3 0 7 .

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auch unter größter Gefahr nicht zu verlassen und das eigene Leben nicht zu schonen, braucht hier nicht mehr im Detail vorgestellt zu werden272. Man muß sich freilich hüten, aus dem, was Bischöfen und Religiösen gemeinsam ist, falsche Schlüsse zu ziehen. So ist der Wunsch, in einen Orden einzutreten, verdienstvoll, aber hat man daraus zu folgern, man solle auch den status pontificalis erstreben, da uns geraten wird (1 Kor 12, 31), nach dem jeweils Vollkommeneren zu eifern? Oder einfacher: Warum wird das eine als lobenswert, das andere jedoch als verwerflich hingestellt?273 Das Problem und die schließlich gefundene Lösung dienen zunächst der Absicht, auch unter diesem Aspekt die theologische Eigenart beider Stände möglichst präzise zu bestimmen, doch verfolgt Thomas ebenso offenkundig ein aktuelles Ziel: Religiösen - insbesondere Mendikanten - sollen vor der Übernahme hoher kirchlicher Ämter gewarnt werden, da ihr oft genug eine falsche Selbsteinschätzung zugrundeliegt274. Eine gewisse Kritik an der Vergabepraxis scheint gleichfalls mitzuschwingen, denn wohl nicht ohne Grund fragt er, ob man sich „den Prälatenstand verschaffen dürfe". Aus dem systematischen Vergleich der beiden Stände wird so von allein ein „Bischofsspiegel" mit rigorosen Forderungen, die in der Warnung gipfeln, jemand mache sich des Vitium ambitionis schuldig, der glaubt, ihnen gewachsen zu sein. Wer sich für geeignet hält, den Ansprüchen des Ordenslebens zu genügen, darf daraus nicht folgern, er sei deshalb schon fähig, Bischof zu werden. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Wer in einen Orden eintritt, möchte sich selbst verleugnen und unterwirft sich um Christi willen seinem Oberen, verfügt also nicht mehr über sich, wohingegen der Bischof „erhabene Ehre" erlangt, die aus der Teilhabe am Amt Christi resultiert. Ehre und Gewalt solcher Art gebühren allein den „Besseren", so daß jeder, der eigenmächtig nach ihnen greift, anmaßend handelt275.

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De perfectione, ed. cit., c. 19, B 90, lin. 17-24. Rursus autem ostensum est tria pertinere ad perfectionem dilectionis fraternae: ut scilicet inimici diligantur eisque serviatur; et ut aliquis animam suam pro fratribus ponat, vel exponendo periculis mortis, vel etiam vitam suam totaliter ordinando in utilitatem proximorum; et quod proximis spiritualia impendantur. Ad haec autem tria manifestum est teneri episcopos. Und B 91, lin. 54f. Tenentur etiam episcopi ut pro salute suorum subditorum animam suam ponant. Femer B 91, lin. 70-75. Ex quibus verbis apparet quod de necessitate pastoralis officii est ut periculum mortis non refugiat propter gregis sibi commissi salutem; obligatur ergo ex ipso officio sibi commisso ad hanc perfectionem dilectionis, ut pro fratribus animam ponat. De perfectione, ed. cit., c. 22, B 95, lin. 4—7 ... si pontificalis status est perfectior quam status religionis, magis deberet aliquis sibi statum praelationis procurare quam quod ad statum religionis accederet. Thomas hatte gewiß auch den Fall seines Lehrers Albert vor Augen, den Papst Alexander IV. zum Bischof von Regensburg ernannt hatte. Ihm war wahrscheinlich auch das Schreiben des Ordensmeisters Humbert von Romans bekannt, in dem er mit leidenschaftlichen Worten Albert zu überreden versuchte, auf die Ernennung zu verzichten. Dies sei möglich, da die römische Kurie nicht insistiere. Den Text s. bei H.C. SCHEEBEN, Albert der Große 154-156. Die Generalkapitel haben vor der Übernahme bischöflicher Ämter gewarnt, so etwa in Mailand 1255: MOPH III 72. - S. auch einen Brief Hugos von St. Cher, in dem gefordert wird, die Fratres möchten sich von der römischen Kurie fernhalten, in: HUMBERT VON ROMANS, Opera de Vita regulari, ed. cit. II 508f. - Für den Minoritenorden gibt es eine Problemstudie: W.R. THOMSON, Friars in the Cathedral 149-162. De perfectione, ed. cit., c. 22, B 95, lin. 11-17. Thomas kann sich für seinen Standpunkt auf einen oft zitierten Text Augustins berufen (De civitate Dei, 1. 19, c. 19, ed. cit. 687), der auch Eingang ins Kirchenrecht gefunden hat: locus superior ... etsi ita teneatur atque administretur ut decet, tarnen indecenter appetitur (C. 8, q. 1, c. 11, FRIEDBERG 1594).

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Den zentralen Platz nimmt das die Statustheorie begründende Argument ein, wonach das Ordensleben die Vollkommenheit nicht zur Voraussetzung macht, sondern zu ihr hinführt. Umgekehrt verhält es sich mit der bischöflichen Würde: Sie setzt nämlich die Vollkommenheit voraus, die allerdings nicht die subjektive Heiligkeit meint, sondern die stete innere Bereitschaft, die höchste Gestalt der Bruderliebe zu verwirklichen. Wie die sich anschließenden Mahnungen verraten, wäre diese jedoch mißverstanden, wertete man sie bloß als Wunsch und nicht als bereits lang erprobte Eigenschaft eines Kandidaten, die es rechtfertigt, ihm Last und Würde eines Bischofs zu übertragen. So muß man bedenken: Wer die Ehre eines Pontifikats empfängt, übernimmt ein „geistliches Lehramt" (spirituale magisterium) „als Prediger und Apostel, als Lehrer der Heiden im Glauben und in der Wahrheit" (1 Tim 2, 7). Thomas hält es deshalb für lächerlich, daß jemand „Lehrer der Vollkommenheit" werden möchte, der sie nicht aus Erfahrung gekannt hat276. Daß hierin ein entscheidendes Kriterium liegt, zeigen zwei neutestamentliche Texte, an denen sich die die beiden Stände charakterisierenden Bedingungen aufzeigen lassen. Als der Herr dem reichen Jüngling den Rat zu einem armen Leben gab (Mt 19, 21), sagte er zu ihm „wenn du vollkommen sein willst ...", woraus eindeutig hervorgeht, daß die Bereitschaft zur Vollkommenheit diese nicht voraussetzt, sondern zu ihr hinführt. Ganz anders verhielt es sich, als er Petrus das Vorsteheramt übertrug. Damals fragte er den Erstapostel.„liebst du mich mehr als diese?" (Jo 21, 15-17). Und erst als Petrus versicherte „du weißt, daß ich dich liebe", also das Urteil über seine Liebe dem Herrn überließ, erfolgte die Beauftragung. Frage und Antwort zeigen demnach mit hinlänglicher Klarheit, daß die Übernahme des Amtes eine vollkommene Liebe zur Voraussetzung hatte277. Der entscheidende Punkt ist also dieser: Es hat als anmaßend zu gelten, wenn sich jemand selbst als vollkommen einschätzt und die bischöfliche Würde begehrt. Nach der Vollkommenheit hingegen darf er jederzeit streben und den Wunsch haben, in einen Orden einzutreten. Wer indessen nach dem „Gipfel des Vorsteheramtes" lechzt, macht sich der Arroganz schuldig278. Das heißt: Angesichts des außerordentlichen Ranges des Episkopats mit seinen den Rahmen gewöhnlicher Fähigkeiten überschreitenden Pflichten solle es niemand wagen, sich selbst für geeignet zu halten. (Es mag auffallen, daß Thomas hier nicht sagt, wem das Urteil über einen Kandidaten zukommt und wie man zu ihm gelangt). Der Religiosenstand als einfacher Weg zur Vollkommenheit steht indessen jedem offen, der nach ihr strebt. Er bietet überdies Hilfen gegen Versuchungen und Gefahren, denen Bischö-

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De perfection, ed. cit., c. 22, B 95f, lin. 55-57. Ridiculum autem est perfectionis magistrali fieri qui perfectionem per experimentum non novit. Und In 1 ad Titum, Super epistolas S. Pauli lectura, vol. II, c. 3, lectio II, ed. cit., nr. 90, 232. Glossa: Si dicis: status episcoporum est perfectior statu religiosorum, hunc autem licet appetere, igitur. Respondeo. Perfectio aliter se habet in hoc et in ilio, quia status episcoporum praesupponit perfectionem, et ideo nullus appetere debet nisi habeat eam; sed status religiosorum est via, et ideo non requiritur perfectio iam habita, sed quod teneatur acquirere earn, nisi habeat. De perfectione, ed. cit., c. 22, B 96, lin. 61-73 ... Per quod manifeste datur intelligi quod perfectionem caritatis praeexigit assumptio praelationis. De perfectione, ed. cit., c. 22, B 96, lin. 84-86. Et ideo religionis statum assumere, laudabile est; ad praelationis fastigium anhelare, est nimiae praesumptionis. Wiederum zitiert Thomas einen Text aus Gregors Regula pastoralis (I, c. 7, ed. cit. 152), der dies besagt: Quia ergo valde difficile est purgatum se quemlibet posse cognoscere, praedicationis officium tutius declinatur.

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fe, wie es scheint, beinahe zwangsläufig ausgesetzt sind und denen sie häufig erliegen. So erwägen sie „meistens" eher zeitliche als ewige Güter, eine pessimistische Einschätzung der Amtsinhaber, wie sie Thomas mit für ihn typischer Zurückhaltung äußert279. Auch hat nach Gregor d. Gr. - ein hohes Leitungsamt „sehr oft" zur Folge, daß die Übung guter Werke verlorengeht und die potestas culminis zur tempestas mentis wird280. Gewiß haben die Zitate aus Gregors Regula pastoralis hier zunächst den Zweck, Bewerber aus den eigenen Reihen abzuschrecken, indem ihnen Risiken und Lasten, die sie aufgrund einer Fehleinschätzung ihrer Person übersehen, vor Augen geführt werden, doch schwingt auch eine erstaunlich deutliche Klage über den derzeitigen Zustand des Episkopats mit, der unter den Konsequenzen einer schlechten Auswahl leidet. Kein Zweifel besteht indessen daran, daß Thomas seine Leser unter den Mendikanten von falschen Aspirationen abhalten möchte, ein Zeichen, daß es nicht wenige gegeben haben wird, die ihren Status unter dem Vorwand ändern wollten, sie strebten nach „höheren Gnadengaben". Das heißt nun aber auch, daß solche Wünsche von Religiösen an der römischen Kurie offene Ohren gefunden haben müssen und daß die Ordensoberen Ernennungen nicht verhindern konnten. Wie sehr unser Problem an der Pariser Universität Aufmerksamkeit erregte, bezeugt allein der Umstand, daß sich Thomas mit ihm in vier Quodlibeta befaßt hat. Die erste Disputation dieser Serie stammt von Weihnachten 1269, ist also zeitgleich zu De perfectione2*1. Argumente und Antworten sind ähnlich: Es ist ein Zeichen der Anmaßung, sich selbst für würdiger als die zu halten, über die man das Vorsteheramt erhalten möchte. Wer es erstrebt, erweist sich als stolz und ungerecht, weil er für sich eine größere Ehre beansprucht, als sie seiner Person zukommt. Neu ist der Zusatz, daß man dies nur kraft eines göttlichen Urteils tun darf, ohne daß gesagt wird, wie sich dieses artikuliert282. Von großem Interesse ist das Ostern 1270 disputierte Quodlibet, dessen Fragestellung „Darf jemand die Lehrbefugnis in der Theologie für sich selbst erbeten"? bereits anzeigt, daß sich unterdessen der Gegenstand der Kontroverse ausgeweitet hat. Erstreckt sich die negative Antwort in bezug auf die Bischöfe möglicherweise auch auf die, die sich um das Lehramt bewerben283? Daß, wie es hier geschieht, die Doktoren mit den Bischöfen unter einem für ihr Amt wichtigen Aspekt verglichen werden sollen, spricht für das Ansehen, das sich Professoren und Universitäten unterdessen in Kirche und Gesellschaft erworben haben. Beide haben eine herausragende Position inne, die auf dem gemeinsamen Dienst am Wort Gottes gründet, der einen locus superior zur Folge hat284.

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De perfectione, ed. cit., c. 22, B 96, lin. 99-104. Qui ergo religionis statimi assumimi manifeste demonstrant se temporalia bona non quaerere, sed per eorum abiectionem ad bona spiritualia tendunt; qui vero pontificalem dignitatem assumunt, plerumque magis temporalia bona considérant quam aetema. De perfectione, ed. cit. c. 22, B 96, lin. 116-136. Vgl. Regula pastoralis I, c. 9, ed. cit. 160, wo es heißt: Quid namque est potestas culminis, nisi tempestas mentis? - Zu Entstehung und Ziel dieses höchst einflußreichen Werkes s. J. SPEIGL, Die Pastoralregel. Ferner: W. M. GESSEL, Reform am Haupt. Quodlibet II, q. 6, a. 1, in: ed. cit. 1,111 »f. - Text: 2,229f. Ebda. 230, lin. 42—44. Et ideo nulhis suo appetitu debet ad prelationem pervenire, set solum Dei iudicio ... Vgl. Hebr5, 4. Quodlibet III, q. 4, a. 1, ed. cit. 2,251-253. Obj. 1 u. 2, ed. cit. 25 lf.

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Gibt es in Hinsicht auf unser Problem eine Differenz zwischen ihnen? Thomas nähert sich der Antwort, indem er einleitend ein Wort Augustins (hier Gregor zugeschrieben) zitiert, wonach die Stellung der Magistri „gefährlich", die der Schüler hingegen als „sicher" zu gelten habe285. Wenn sich nun jemand - trotz solcher „Aussichten"- Gefahren aussetzt, um Gutes zu erreichen, so dient dies seiner Vollkommenheit. Das wiederum heißt: Wer das Lehramt anstrebt, handelt grundsätzlich lobenswert. Zwischen Professoren und Bischöfen besteht also mindestens in diesem Punkt ein bemerkenswerter Unterschied. Wie ist er zu begründen? Das Problem läßt sich auch so angehen: Was charakterisiert die cathedra magistralis und die cathedra pontificalis286? Die Unterschiede sind von dreifacher Art. Zunächst: Wird jemand ein Lehrstuhl verliehen, so erhält er keinen „Vorrang" (eminentia), den er nicht schon vorher hatte, sondern nur die Gelegenheit, sein bereits früher erworbenes Wissen weiterzugeben. Mit der Erteilung der Lehrerlaubnis, durch den Kanzler der Universität vorgenommen, wird dem neuen Professor nicht das Wissen gegeben, sondern nur die Lehrautorität2'7. Mit der Lehrkanzel des Bischofs hingegen verbindet sich der „Vorrang der Gewalt" (eminencia potestatis), den er naturgemäß vor seiner Ernennung nicht hatte. Er empfängt also Jurisdiktion über andere. An welche Voraussetzungen sie gebunden ist, wird noch nicht gesagt288. Ein zweiter Unterschied liegt im Zweck des jeweiligen „Vorrangs". Das für den magistralen Lehrstuhl geforderte Wissen ist eine Vollkommenheit in bezug auf den Anwärter, er hat es zunächst für sich selbst und erst danach kraft der Lehrbefiignis in Hinsicht auf seine Schüler. Der dem Lehrstuhl des Bischofs zugehörige „Vorrang der Gewalt" eignet indes dem Inhaber desselben in Hinsicht auf andere289. Der entscheidende Differenzpunkt zwischen einem akademischen Lehrer und einem Bischof liegt also darin, daß sie ganz unterschiedlichen Voraussetzungen genügen müssen. Zum Bischof wird man durch „überragende Liebe" geeignet, wie sie sich in der Frage Christi an Petrus (Jo 21, 15) artikuliert290. Der Umstand, daß Petrus die Antwort dem Herrn überläßt, der alles weiß, macht deutlich, daß niemand selbst für dieses Amt kandidieren kann, weil die hierfür geforderte positive Selbsteinschätzung nicht möglich ist. Die Bewerbung um eine Lehrkanzel beruht demgegenüber auf einem Urteil über den Grad des eigenen

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Ed. cit. 252. Set contra. Das Wort periculosum est magisterium, discipulatus securus est stammt tatsächlich von Augustinus: Sermones de Vetere Testamento, Sermo 23, ed. cit. 309. Zum Begriff der cathedra magistralis s. 0 . WEIJERS, Terminologie 119-121. Y. CONGAR, Pour une histoire-, ders., Bref historique. Quodlibet III, q. 4, a. 1, ed. cit 252, lin. 44-50 ... ille qui accipit cathedram magistralem non accipit aliquam eminenciam quam prius non habuerat, sed solum opportunitatem communicandi scienciam quam prius habebat: non enim ille qui licenciât aliquem dat ei scienciam, set auctoritatem docendi... Zur licencia docendi s. 0. WEJERS, Terminologie 46-51. P. GLORIEUX, L'enseignement au Moyen Age 98-100. J. VERGER, Teachers, bes. 144-151. Quodlibet HI, q. 4, a. 1, ed. cit. 252, lin. 50-53 ... ille vero qui accipit cathedram episcopalem, accipit eminenciam potestatis quam prius non habebat, set quantum ad hoc in nullo ab aliis differebat. Quodlibet III, q. 4, a. 1, ed. cit. 252, lin. 53-58. Secunda différencia est quod eminencia sciencie que requiritur ad cathedram magistralem, est perfectio hominis secundum se ipsum; eminencia vero potestatis que pertinet ad cathedram pontificalem, est hominis per comparationem ad alium. Quodlibet m , q. 4, a. 1, ed. cit. 252, lin. 58-62. Tercia différencia est quod ad cathedram pontificalem fit homo ydoneus per caritatem excellentem, unde Dominus, ante quam Petro suarum ovium curam committeret, quesivit ab eo: Simon Johannis diligis me plus his?

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Wissens, über den man sich hinreichende Gewißheit verschaffen kann. Auch ist es unerheblich, welcher Qualifikation sich ein Konkurrent erfreut291. Die daraus zu ziehende Konklusion liegt nunmehr auf der Hand: Das Verlangen nach einer Vervollkommnung der eigenen Person ist lobenswert und somit auch das Streben nach Weisheit, während das Begehren einer Vollmacht über andere als moralisch verwerflich zu gelten hat292. Dem Wortlaut nach formuliert Thomas hier eine These prinzipiellen Charakters, die auch politische oder gesellschaftliche Ambitionen ausschlösse, doch stehen solche in unserem Kontext nicht zur Debatte, da es allein um einen geistlichen pontificatus geht, der besonderen Kriterien zu entsprechen hat. Um dem Gedanken Nachdruck zu verleihen, wiederholt Thomas das zentrale Argument, das am deutlichsten die Differenz zwischen den beiden cathedrae markiert. Wer wie der Magister nur die Gelegenheit erhält, das durch eigene Bemühungen erlangte Wissen an andere weiterzugeben, darf sich um einen Lehrstuhl bewerben, während die bischöfliche cathedra etwas grundsätzlich anderes, eben die Jurisdiktion über Untergebene gewährt, die sich niemand durch persönliche Anstrengungen verschaffen kann. Thomas weiß freilich aus Erfahrung, daß der Universität Ambitionen keineswegs fremd sind, daß es also ungeeignete Kandidaten gibt, die nach einer Professur Ausschau halten. Gleichwohl ist dieser Ehrgeiz von harmloserer Art als der jener Leute, die gern Bischöfe werden möchten, denn niemand kann mit Sicherheit wissen, ob er die Liebe als Voraussetzung des geistlichen Amtes hat, so daß es immer verwerflich ist, ein solches anzustreben. Der Lehrstuhlanwärter hingegen kennt seinen Wissensstand, und wenn er ihn für ausreichend hält, darf er seine Kandidatur anmelden, auch wenn es sich geziemt, daß dies ein anderer für ihn tut293. Selbstüberschätzung ist zwar möglich und hier wie dort schuldhaft, doch sind die Konsequenzen im universitären Bereich vergleichsweise ungefährlich. Thomas behandelt zwar unser Problem in Gestalt einer akademischen Quaestio, doch dürfte wiederum kein Zweifel bestehen, daß er auch die kirchliche Wirklichkeit seiner Tage anvisiert, die genügend Beispiele einer ambitiösen Praxis bot. Der Kampf gegen unlautere Motive ist allerdings nur die eine Seite des Rekrutierungsproblems. Auch damals wird es vorgekommen sein, daß gerade gute Kandidaten vor der Größe des Ideals zurückgeschreckt sind und eine Wahl ablehnten, zumal sich der hagiographische Topos, daß sich der Demütige zunächst der an ihn herangetragenen Bitte, ein hohes Amt zu übernehmen, zu verweigern habe, großer Beliebtheit erfreute. Ist nun nicht die unverzüglich gegebene Zustimmung zu

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Quodlibet III, q. 4, a. 1, ed. cit. 252, lin. 63-65 ... ad cathedram autem magistralem redditur homo ydoneus ex sufficiencia sciencie. Quodlibet III, q. 4, a. 1, ed. cit. 252, lin. 62-72 ... appetere aliquid quod pertinet ad perfectionem sui ipsius, est laudabile ... Appetitus autem potestatis super alios est viciosus ... Quodlibet III, q. 4, a. 1, ed. cit. 253, lin. 75-89 u. lin. 90-104 ... nam scienciam, per quam aliquis est ydoneus ad docendum, potest aliquis scire per certitudinem se habere; caritatem autem, per quam aliquis est ydoneus ad officium pastorale, non potest aliquis per certitudinem scire se habere. Et ideo semper est vitiosum pontificatum petere, non semper autem vitiosum petere licenciam docendi, quamvis honestius sit quod per alium petatur, nisi forte aliquando ex causa aliqua speciali ... Und ad 3, lin. 117-122 ... set pericula magisterii cathedre pastoralis homo vitat scienciam cum caritate, quam homo nescit se per certitudinem habere; pericula autem magisterii cathedre magistralis vitat homo per scienciam, quam potest homo scire se habere.

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Ernennung oder Wahl das sicherste Zeichen des Ehrgeizes und einer anmaßenden Gesinnung? Thomas hat offenbar bald erkannt, daß eine allzu rigorose Sicht der Dinge unerwünschte Konsequenzen haben mußte. Das zeigten etwa die mit Bischofswahlen verbundenen Schwierigkeiten, den schließlich Auserwählten zur Annahme zu bewegen. Um auf dieses Problem eine Antwort zu finden, behandelt der Aquinate Weihnachten 1271 in einem Quodlibet die Frage, ob es besser sei, einer Wahl zuzustimmen als sie abzulehnen294. In ihm schlägt er eine Lösung vor, die der Selbsteinschätzung des Kandidaten ebenso gerecht werden soll wie den Erfordernissen der Kirche. Wie wir vorhin gesehen haben, kennt keiner den Grad der Liebe, die er hat, so daß dieses Kriterium für die nach einer Wahl zu gebende Zustimmung ausscheidet. Wohl aber ist es möglich, daß sich jemand Gewißheit über Absichten und Motive verschafft, die ihn in einer solchen Situation bewegen. Sollte er Zeitliches im Sinn haben - etwa Ehre, Besitz oder das Verlassen seines Ordens - , so hätte er eine verwerfliche Intention. Er täte folglich „besser", wenn er seinen Konsens versagte. Anders verhielte es sich, wenn er das Wohl der Kirche vor Augen hätte295. Aber auch in diesem Fall muß der Kandidat bedenken, daß das Amt eines Bischofs die höchste Stufe der Eignung fordert, der niemand aus eigenen Kräften entsprechen kann, doch darf er die Zuversicht haben, daß ihn Gottes Hilfe befähigen wird, den Ansprüchen des Episkopats zu genügen296. Aus solchen Erwägungen schließt Thomas auf eine doppelte Möglichkeit: Jemand kann „lobenswerterweise" aus Nächstenliebe einer Wahl zum Bischof zustimmen, sie aber ebenso aus Demut ablehnen, zieht er die eigenen Mängel in Betracht, doch darf er dies nicht „hartnäckig" tun, wenn Notwendigkeit vorliegt297. Thomas möchte demnach zwar keinen moralischen Druck auf den Gewählten ausgeübt wissen und ihm die Freiheit lassen, doch soll dieser bedenken, daß es zuweilen Situationen gibt, in denen eine Verweigerung schuldhaft wäre. Falls die Berichte zutreffen, wonach Papst Clemens IV. Thomas zum Erzbischof von Neapel habe machen wollen, was dieser ablehnte, so hätten wir in der vermittelnden Lösung auch den Reflex einer persönlichen Entscheidung, die dann freilich der hartnäckigen Weigerung entbehrt hätte298.

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Quodlibet V, q. 11, a. 2, ed. cit.l, 388-389. Zur Datierung ebda. 1,151*. - Im Liber De sortibus ad dominum Iacobum de Tonengo, ed. cit. c. 5, 237, lin. 127-132 schreibt Thomas: ... sicut ad ecclesiasticas dignitates sunt homines promovendi per concordiam electionis quam Spiritus Sanctus facit; et ideo illicitum esset in huiusmodi electionibus sorte uti, faceret enim iniuriam Spiritui Sancto qui humanum sensum instruit ad recte iudicandum ... Zu Wahl und Ernennung der Bischöfe s. Kl. GANZER, Papsttum und Bistumsbesetzungen. K. PENNINGTON, The Papal Monarchy, bes. 75-114. Quodlibet V, q. 11, a. 2, ed. cit. 388, lin. 20-22. Si autem intendit profectum ecclesie, sic planum est quod est bona intentio. Quodlibet V, q. 11, a. 1, ed. cit. 389, lin. 28-37. Set tarnen sciendum est quod ad hoc opus maxima requiritur ydoneitas ... ad quod humana fragilitas secundum proprias vires sufficiens non est ... set tamen ex auxilio gracie divine ydonei et sufficientes redduntur. Quodlibet V, q. 11, a. 1, ed. cit. 389, lin. 38-44. Potest ergo aliquis laudabiliter, considerans proprium defectum, ex humilitate officium prelationis recusare ... potest etiam laudabiliter consentire ex cantate fraterna, ut salutem proximorum procuret... Ad 2, lin. 6 2 f . . . dummodo non assit nécessitas ex parte imponentis hoc onus. Dazu s. BERNARD GUI, Legenda sancii Thomae Aquinatis, nr. 105, 170 und TOLOMEO DI LUCA, Historia ecclesiastica nova, 1. XXII, c. 39, ed. cit., nr. 175, 360. Ystoria sancii Thome de Aquino, ed. WILHELM V. TECCO, cit. c. X L I I 1 7 3 .

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Daß unser Gegenstand in Paris auf der Tagesordnung blieb, bestätigt ein Stück aus dem in unredigierter Fassung erhaltenen Quodlibet XII, das Ostern 1272, kurz vor der Abreise nach Italien, disputiert wurde299. In einer kurzen Antwort heißt es hier, daß man den Episkopat erstreben darf, wenn ihn ein Oberer - der Papst wird bemerkenswerterweise in unserem Kontext nie genannt - jemand auferlegt, oder wenn sich niemand findet, der bereit ist, die Last zu tragen300. Das will sagen: In diesen Fällen hat sich der Auserwählte der Einsicht und dem Willen einer höheren Autorität oder einer ausweglosen Situation zu beugen. Anläßlich der Exegese von 1 Tim 3, 1 geht Thomas erneut auf das Thema ein. Daß man gelegentlich in dem Text eine Rechtfertigung für Ambitionen auf Episkopat und Prälatenwürde hat sehen wollen, ist ein Mißverständnis: Nicht das Verlangen wird für löblich erachtet, sondern das „gute Werk", das Wohl des Volkes301. Der Umstand, daß ein Kandidat in Lebenswandel und Kontemplation alle anderen übertreffen muß, verbietet eine Selbstempfehlung. Nur wenn einem der Episkopat auferlegt wird, darf man ihn anneh„ 3 0 2

men Zum letzten Mal hat sich Thomas in der Secunda Secundae der Summa Theologiae mit unseren Fragen beschäftigt. Der Kontext - der Episkopat als Stand der Vollkommenheit legt das nahe. Die ausführliche und ausgewogene Behandlung, in die naturgemäß bereits bekannte Argumente und Autoritäten einfließen, zeigt erneut, welches Gewicht er zeitlebens der Gefahr beigemessen hat, das hohe Amt könnte durch irdische Ambitionen Schaden nehmen. Ehe er auf Einzelheiten eingeht, chrakterisiert er den Episkopat als ein in einer feierlichen Konsekration übernommenes pastorale officium, mit dem die wesentliche Verpflichtung einhergeht, „das Leben für die Schafe hinzugeben" (Jo 10,11)303. Die Hauptverantwortung für die Diözese, auf Dauer angelegt, macht den Bischof zum eigentlichen Träger der Seelsorge, dem der übrige Klerus zuarbeitet304. Der Antwort auf die Frage, ob der Stand der Religiösen vollkommener sei als der der Prälaten, merkt man die hinter ihr liegenden Kontroversen kaum noch an. Die Lösung ergibt sich aus der einfachen Tatsache, daß sich die Bischöfe den Ordensleuten gegenüber als die perfectores verhalten, also die aktive Rolle in der Heiligung spielen. Auch das Problem des normalerweise nicht praktizierten Verzichts auf Besitz hat, wie es scheint, unterdessen die Schärfe von ehedem verloren. Eine wirkliche

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Quodlibet XII, q. 10, a. 3, ed. cit. 2,41 lf. Zur Datierung 1,160*. Quodlibet XII, q. 10, a. 3, ed. cit. 41 lf., lin. 6-8 ... vel quando imponitur a superiori, vel quando non invenitur aliquis qui velit onus prelationis subire. Super epistolas S. Pauli lectura, ed. cit., vol. II, c. III, lectio I, nr. 88, 231. Et ideo dicit Apostolus, quid sit episcopus, et quid desideret qui episcopatum desiderai, quia bonum opus. Non dicit bonum desiderium habet, sed bonum opus, scilicet utilitatem plebis. Ebda., nr. 89, 23lf. Ille ergo bene episcopatum desiderare posset, cuius facultas episcopatui esset proportionata. Ad hoc autem nullus est idoneus, quia praelatus secundum gradum et convenientiam debet omnes alios excedere in conversatone et contemplatone, ita ut in respectu sui alii sint grex. Et hanc idoneitatem de se praesumere est maximae superbiae. Aut ergo appetit circumstantias, et tunc nescit quid appetat, quia hic non est episcopatus; vel ipsum opus, et hoc est superbiae. Et ideo non est accipiendum nisi impositum. II—II 184, 5. Similiter etiam episcopi obligant se ad ea quae sunt perfectionis, pastorale assumentes officium, ad quod pertinet ut „animam suam ponat pastor pro ovibus suis" (Jo 10, 11) ... Adhibetur etiam quaedam solemnitas consecrationis simul cum professione praedicta. n-II 184, 6, bes. ad 2 u. 3.

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Preisgabe ist nicht gefordert, wohl aber die Bereitschaft, alles - auch das Leben - herzugeben, wenn es die Situation gebietet305. Daß die zu stellenden Ansprüche und Kriterien gleichzeitig wichtige theologische Aspekte des Episkopats, die sonst nicht erörtert werden, hervortreten lassen, ist ein wertvoller Nebeneffekt. So hören wir, daß der Episkopat durch drei Dinge charakterisiert ist. Die Grundlage bildet das „bischöfliche Handeln" (operatio episcopalis), das dem Wohl des Nächsten dient und sich im Hirtendienst (Jo 21, 17) äußert306. Das zweite Merkmal ist die „hohe Stellung" über andere, die einem Bischof zuteil wird. Aus beiden resultieren Verehrung und Ehren sowie irdische Güter in ausreichender Größe. Daß vor dem Verlangen nach ihnen eigens gewarnt wird, versteht sich von selbst. Ebenso stellt der herausgehobene Platz in Kirche und Gesellschaft eine Versuchung dar, der viele, wie wir andernorts gehört haben, erlegen sind307. Anders verhielte es sich freilich, hätte jemand den Wunsch, dem Nächsten zu dienen. Dieser wäre zwar in sich lobenswert, da aber bischöfliches Wirken immer mit einer hohen Stellung verbunden ist, bliebe es dennoch anmaßend, das Vorsteheramt mit dem Verlangen zu erstreben, den Untergebenen nützlich zu sein. Gleichwohl ist nach Thomas ein solches Begehren nicht schlechthin verwerflich, falls es sich um eine drohende Notlage handelt, in der ein anderer Kandidat nicht zur Verfügung steht308. Auch Uber das Verhältnis zwischen dem Stand der Bischöfe und dem der Religiösen äußert sich Thomas, ohne daß wir grundsätzlich Neues erfahren. Während filr einen Bischofskandidaten ein vollkommenes Leben vorausgesetzt wird, um eine Führungsrolle ausüben zu können, erwartet man vom Religiösen lediglich, daß er sich auf dem Weg zu ihm befindet309. Drei Merkmale sind nach Thomas für den Episkopat charakteristisch: die utilitas proximorum (Jo 21, 17) im Hirtendienst; das alios adperfectionem adducere und die sublimatio ut aliis providea?10. Es handelt sich also stets um Akte der Leitungsgewalt, die ob ihrer Größe und Würde nur ein hierarchisch Höherer einem Kandidaten antragen kann, der von irdischen Ambitionen frei ist. 305

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n-II 184, 7 u. ad 1. Alio modo potest considerali (abrenuntiatio propriarum facilitatimi) secundum praeparationem animi, ut scilicet homo sit paratus, si fuerit opus, omnia dimittere vel distribuere. Et hoc pertinet directe ad perfectionem ... Ad hoc autem maxime tenentur episcopi, quod omnia sua pro honore Dei et salute sui gregis contemnant, cum opus fuerit, vel pauperibus sui gregis largiendo, vel rapinam bonorum suorum cum gaudio sustinendo (Hebr 10,34). II—II 185, 1. Quorum unum est principale et finale, scilicet episcopalis operatio, per quam utilitati proximorum intenditur. Ebda. Aliud autem est altitudo gradus, quia episcopus super alios constituitur (cf. Mt 24, 45) ... Tertium autem est quod consequenter se habet ad ista, scilicet reverentia et honor et sufficienza temporalium ... Ebda. ... praesumptuosum videtur quod aliquis praeesse appetat ad hoc quod subditis prosit nisi manifesta necessitate imminente. So kennt auch Gregors Regula pastoralis Ausnahmen (ed. cit. I, c. VIII, 154f). Etwa für den Fall, daß einem das Martyrium droht: Tunc ergo fuit laudabile episcopatum quaerere, quando per hune quemque dubium non erat ad supplicia graviora pervenire (156). - Vgl. auch ad 1 zu 1 Tim 3,1. Ebda, ad 2 ... perfectio pertinet active ad episcopum, sicut ad perfectorem; ad monachum autem passive sicut ad perfectum. Requiritur autem quod sit perfectus aliquis ad hoc quod possit alios ad perfectionem adducere; quod non praeexigitur ab eo qui debet ad perfectionem adduci. Est autem praesumptuosum quod aliquis perfectum se reputet; non autem quod ad perfectionem tendat. Ebda. Sed ille qui transit ad statum episcopalem sublimatili- ad hoc quod aliis provideat. Et hanc sublimationem nullus debet sibi assumere.

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Thomas ist sich freilich auch jetzt bewußt, daß die so streng gefaßten Bedingungen für den Episkopat auf einen in Aussicht genommenen Kandidaten eher entmutigend wirken mußten. Wer kann eine auf ihn gefallene Wahl guten Gewissens annehmen, ohne sich dem Verdacht auszusetzen, von verwerflichen Motiven inspiriert zu sein? Mehrmals hat der Aquinate durchblicken lassen, daß die, denen die Sorge für die Kirche aufgetragen ist, Gehorsam fordern dürfen, doch bleibt er bei dieser allgemeinen Auskunft nicht stehen. Darf jemand gegen die Anordnung eines Oberen das Leitungsamt bis zuletzt zurückweisen? Täte er das, so verriete er einen ungeordneten Willen, denn ein solches Verhalten widerstreitet der Nächstenliebe, zu der man nach Ort und Zeit verpflichtet ist, und auch der Demut, die gegenüber dem Befehl eines Oberen angebracht ist311. Das heißt: Ein Kandidat, der sich nicht der genannten Sünden schuldig machen möchte, hat lediglich ein begrenztes Recht, sich den Wünschen eines Oberen zu entziehen. Wer allerdings konkret diesen Gehorsam fordern darf, bleibt jedoch ebenso offen wie die kirchenrechtlichen Details der Wahl oder der Ernennung, an deren Erörterung Thomas an keiner Stelle interessiert ist. Welche speziellen Qualitäten muß ein Anwärter auf das Bischofsamt haben? Wäre die Liebe das einzige Kriterium, so müßte naturgemäß der gewählt werden, der sich am meisten in ihr bewährt hat, aber abgesehen davon, daß auch Domkapitel, Erzbischöfe und Päpste deren Grad nicht kennen, haben sich die von einem Amtsinhaber zu erwartenden Eigenschaften auch an den Funktionen seines Officiums zu orientieren. Wie wir vorhin gesehen haben, sind dies vornehmlich Leitungsaufgaben. Die Fähigkeit, ein schwieriges Vorsteheramt zum Wohl der Kirche auszuüben, ist demnach der entscheidende Maßstab. Wer also einen Bischof zu wählen oder zu ernennen hat, muß vorher prüfen, ob der zu Erwählende in der Lage ist, seine Kirche zu regieren, zu verteidigen, die Gläubigen zu unterweisen und Frieden zu wahren312. Gefragt ist demnach ein Mann, der eine große Herde zu führen weiß. Das heißt: Man muß sich nicht auf die Suche nach dem „schlechthin Besseren in Hinsicht auf die Liebe" machen, sondern hat demjenigen den Vorzug zu geben, der der bessere Vorsteher in den alltäglichen Geschäften einer Diözese zu werden verspricht. Mit der Antwort auf die Frage „Darf man den Episkopat erstreben?" verfolgt Thomas mehrere Absichten. Zunächst möchte er zeigen, daß der Episkopat insofern eine Sonderstellung in der Kirche einnimmt, als er den Stand der Vollkommenheit verkörpert, dessen „Eintrittsbedingung" die bereits realisierte Liebe ist. Sie markiert die Differenz zum Religiosenstand, dessen Mitglieder sich lediglich auf dem Weg zu ihr befinden. Zu dieser grundsätzlichen Erwägung tritt ein zeitgeschichtliches Motiv. Die Verantwortlichen der Mendi-

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Ebda., a. 2. Quantum ergo ad propriam voluntatem, convenit homini principaliter insistere propriae saluti; sed quod aliorum saluti intendat, hoc convenit homini ex disposinone alterius potestatem habentis ... Unde sicut ad inordinationem voluntatis pertinet quod aliquis proprio motu feratur in hoc quod aliorum gubernationi praeficiatur; ita etiam ad inordinationem voluntatis pertinet quod aliquis omnino contra superioris iniunctionem praedictum gubemationis officium finaliter recuset ... hoc répugnât cantati proximorum, quorum utilitati se aliquis debet exponere pro loco et tempore ... Secundo ... hoc répugnât humilitati per quam aliquis superiorum mandatis se subicit. Ebda., a. 3. Et ideo ille qui debet aliquem eligere in episcopum vel de eo providere, non tenetur assumere meliorem simpliciter, quod est secundum caritatem; sed meliorem quoad regimen ecclesiae, qui scilicet possit ecclesiam et instruere et defendere et pacifice gubernare. Und ad 3: Unde nihil prohibet aliquem esse magis idoneum ad officium regiminis qui tamen non excellit in gratia sanctitatis.

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kantenorden mußten feststellen, daß nicht wenige Mitglieder an ihnen vorbei bischöfliche Würden erstrebten, um sich auf scheinbar lobenswerte Weise von den Verpflichtungen der Gelübde zu lösen. Ihnen hält Thomas entgegen, daß sie sich ein ganz falsches Bild von den mit dem Episkopat verbundenen Forderungen machen, so daß sie besser bei ihrer alten Berufung bleiben. Obschon der Aquinate nur an grundsätzlichen Erwägungen, nicht aber an der Beschreibung der kirchlichen Realität seiner Tage interessiert ist, schimmert doch ein recht düsteres Bild derselben durch, die sich mit einer eher indirekt geäußerten Kritik an der kurialen Vergabepraxis mischt. Der Umstand, daß die Liebe, deren Grad niemand selbst einzuschätzen vermag, das tiefste Kriterium darstellt, schließt jede Selbstbewerbung aus, doch macht diese Sicht der Dinge die konkrete Auswahl eines Kandidaten nicht leichter, da auch die für sie Verantwortlichen nicht wissen können, wie der schließlich Erwählte vor Gott steht. Die Wahl eines Bischofs durch die entsprechenden Gremien scheint nach Thomas das Mittel zu sein, dessen sich der hl. Geist normalerweise bedient, um die Kontinuität des apostolischen Amtes zu sichern. Dieser Modus gibt auch Gelegenheit, pragmatische Aspekte zu berücksichtigen, die der Aquinate durchaus gelten läßt, da die Leitungsaufgaben entsprechende natürliche Fähigkeiten des Bischofs bedingen.

Dritter Teil Das Wesen des Religiosenstandes

I. Kapitel

Die Theologie der evangelischen Räte

1. Die Summa contra Gentes Die Tatsache, daß Gerhard von Abbeville seinen Angriff an zwei Fronten lancierte, war für Thomas der Anlaß, eine Antwort auf ein doppeltes Problem zu suchen, um die Probleme gleichsam mit einem Schlag in den Griff zu bekommen. Das hieß: Ein Oberbegriff war zu finden, einem Dach vergleichbar, unter dem Episkopat und Ordensstand in Verschiedenheit und Verwiesenheit aufeinander ihre Funktionen in der Kirche wahrnehmen konnten. Das bedeutete weiter, daß diese Gemeinsamkeit Über- und Unterordnung einschloß und gleichzeitig eine klare Trennungslinie zwischen Bischöfen und Religiösen einerseits und den übrigen Ständen andererseits zog. Das hatte, wie wir gesehen haben, zur Folge, daß der Aquinate nunmehr überzeugt war, daß das Eigentümliche des Episkopats nicht so sehr in einem ihm eigenen sakramentalen Charakter zu suchen war, der ihm - trotz bemerkenswerter Ansätze in dieser Richtung - wohl letztlich nicht hinreichend begründbar erschien sondern in der in den höchsten Stand der Vollkommenheit einsetzenden Hirtensorge, die in der Bischofsweihe übertragen wird. Angesichts der Schwere der mit einer solchen Sicht des Episkopats verbundenen Probleme und deren ekklesiologische Tragweite konnte sich Thomas seinerzeit nicht mit der gebotenen Gründlichkeit dem Religiosenstand widmen. Der polemische Hintergrund von Contra retrahentes war ebenfalls ungeeignet, einen allseits befriedigenden Ausgleich zu liefern. Die Secunda Secundae gab ihm schließlich Gelegenheit, diesem Mangel abzuhelfen. Umfang und Detailreichtum der hier entwickelten Theorie des Ordensstandes sind in der mittelalterlichen Theologie einzigartig. Sie zeigen, mit welcher Intensität Thomas das theologische Äquivalent zum Episkopat behandelt hat. Daß er den ihm gewidmeten Traktat mit einem Gebet abschloß, verrät schließlich, daß es für ihn um weit mehr ging als um eine Abhandlung unter anderen. So ist auch eine Reflexion über den persönlichen Lebensweg entstanden, wie sich namentlich in der christologischen Fundierung des Ideals zeigen wird. Die enge Zuordnung des Religiosenstandes zum Episkopat brachte eine gewisse Parallelisierung der Argumente mit sich, wie sie sich insbesondere in De perfectione manifestiert, wo Thomas zwar von den evangelischen Räten ausgeht, dann aber unter dem Druck zeitgenössischer Kontroversen den Akzent deutlich auf das Eigentümliche des bischöflichen Amtes legt. Die enge Verzahnung beider Aspekte setzt sich ebenfalls in der Ständelehre des Se-

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cunda Secundae fort, insofern an deren Beginn die theologisch dichten Quästionen über das Wesen und die Funktionen der Bischöfe stehen, die sich grundsätzlich von allen übrigen Ämtern und Gemeinschaften unterscheiden. Einen sehr viel breiteren Raum nehmen indessen die Erörterungen zur allgemeinen und speziellen Theologie der Räte und deren praktische Konsequenzen ein, wie sie inzwischen allenthalben sichtbar geworden sind. Sie sollen den Orden, den alten wie den neuen, ihren Platz im Gefüge der Christenheit sichern und systematisch so begründen, wie es der Situation entspricht, die im Begriff steht, die Konflikte von einst hinter sich zu lassen und den mühsam erkämpften Platz in der Kirche mit den daraus resultierenden vielfältigen Aufgaben und Diensten zu festigen. Daß polemisch geprägte Opuscula einem solchen Vorhaben nicht die endgültige Gestalt zu geben vermochten, hat Thomas schon vor der Abfassung von De perfectione und Contra impugnantes gesehen, als er es, nach Italien heimgekehrt, unternahm, den Gegenstand seinem neuen theologischen Entwurf zu integrieren. Die erste in sich geschlossene und in systematischer Absicht verfaßte Rätetheologie hat Thomas um 1261 in der Summa contra Gentes vorgelegt, diesmal in einem unpolemischen Kontext, der jedoch deutliche Spuren der voraufgegangenen Pariser Auseinandersetzungen an sich trägt313. Die Gegner von einst bleiben zwar auch jetzt im Visier, aber dem Charakter des Werkes entsprechend geht es nunmehr dem Autor um eine Reflexion der Voraussetzungen, Bedingungen und Ziele eines besonderen religiösen Weges, der zum Wesen der Kirche gehört, obschon auf diese selbst - anders als davor und danach - nicht eingegangen wird. Insbesondere fällt auf, daß der Aquinate zwar vom status perfectionis spricht, doch nie von den Bischöfen als dessen herausragende Repräsentanten. Bemerkenswerterweise wird dieser Gegenstand erst in De perfectione zu einem Thema, dem dann große Aufmerksamkeit geschenkt werden wird. Der Strukturierung der Erörterungen über die Funktion der Räte, die ihren Platz nach den göttlichen Geboten haben, entspricht die Methode der ScG. Nach einem kurzen Exposé, warum und wozu Räte gegeben worden sind, kommen ausführlich die Argumente zu Wort, die gegen deren Sinnhaftigkeit sprechen. Wie zu erwarten, entstammen sie teilweise dem Opusculum Contra impugnantes und der hinter ihm liegenden Situation, doch überwiegen prinzipielle Einwände, deren Präzision und Knappheit darauf schließen lassen, daß sie der Aquinate selbst formuliert hat, um das historische Profil der neuen Orden möglichst eindringlich hervortreten zu lassen. Auch wenn diese - mit einer indirekten Ausnahme - nirgendwo namentlich genannt werden, steht doch außer Frage, daß sich die von ihnen praktizierte Lebensweise im Mittelpunkt der Abhandlung befindet. Aus der Apologie von einst wird eine theologische Grundlegung, die über konkrete Anlässe hinaus künftige Orientierung bieten soll. Daß die Probleme der evangelischen Armut wiederum eine besondere Rolle spielen und fast sämtliche Detailaussagen illustrieren, spricht für den außerordentlichen Rang, den gerade dieser Rat einnimmt. Das die Gelübde rechtfertigende Prinzip sieht Thomas in dem Umstand, daß das Beste für den Menschen darin besteht, daß er Gott und dem Göttlichen anhängt. Dies ist allen ohne

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Vgl. R.-A. GAUTHIER, Somme contre les Gentils, bes. 101-108. Zusammenfassung bei J.-P. TORRELL, Magister Thomas 120-135. H. HOPING, Weisheit als Wissen 17-120. - Zu den folgenden

Problemen s. U. HORST, Evangelische Armut 46-54.

Die Summa contra Gentes

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Ausnahme aufgetragen, womit sich freilich die Unmöglichkeit verbindet314, daß wir uns „aufmerksam" (interne) Verschiedenem zuwenden können. Damit wir uns „freier" auf Gott ausrichten, hat er in seinem Gesetz Vorsorge getroffen, indem er uns die Räte gab, die uns gestatten, von den Alltagsgeschäften Abstand zu nehmen. Der Aquinate weiß, daß eine solche Begründung leicht zu einem Mißverständnis führt, so als wäre „Gerechtigkeit" nur auf diesem Weg erreichbar, denn sowohl sie als auch die Tugenden lassen sich realisieren, wenn man die Dinge dieser Welt gebraucht. Die uns angebotenen Mittel heißen deshalb „Rat" und nicht „Gebot". Sie möchten uns nahelegen, die höheren Güter den niederen vorzuziehen315. Die vom Wesentlichen ablenkenden Sorgen (sollicitudines) sind die herkömmlichen: In bezug auf die eigene Person - das Tun und Lassen nach eigenem Entscheid; im Blick auf die einem nahestehenden Menschen - Frau und Kinder; in Hinsicht auf die äußeren Dinge - das Lebenswichtige. Ihnen wirken Gehorsam, Ehelosigkeit und Armut entgegen, die jeweils mit knappen neutestamentlichen Texten umschrieben werden. Diese Räte erfüllen eine überaus wichtige Aufgabe, insofern sie dem Menschen dazu verhelfen, seine höchste Vollkommenheit, das Freisein für Gott, zu erlangen. Thomas macht sodann, um wiederum einem anderswo herrschenden Mißverständnis zu wehren, eine folgenschwere Einschränkung, die die Basis für seine Rätetheologie legt: Die Gelübde sind nicht die Vollkommenheit selbst, sondern lediglich Dispositionen, um zu der uns auf Erden zugänglichen Vollkommenheit zu führen. Das hier zitierte Wort des Herrn an den reichen Jüngling enthält bereits den Kerngedanken, der später in alle Richtungen variiert werden wird. Entscheidend ist das „Nachgehen", die sequelcr316. Und daraus die Folgerung: Diejenigen, die nach den Räten zu leben gelobt haben, die sich Gott nach Art eines Opfers weihen, die Religiösen, sind im Stand der Vollkommenheit317. Von dieser Sicht der Dinge bis zur präzisen Formulierung, die Gelübde müßten als Werkzeuge gedeutet werden, ist nur ein kurzer Weg. Auf diese die Bahnen der künftigen Erörterungen lenkende Weichenstellung folgt ein höchst bemerkenswertes Kapitel, das vollends deutlich macht, daß der Armut eine zentrale Rolle in der weiteren Argumentation zufällt. Sorgfältig präsentiert Thomas die gegen die historisch gewordenen Realisierungsweisen der Armut vorgetragenen oder zu erwartenden Einwände, die ihm teilweise aus den Pariser Auseinandersetzungen, wie sie sich in Contra impugnantes niedergeschlagen haben, geläufig waren, die nunmehr jedoch durch neue Bedenken ergänzt werden, die sich aus Erfahrung und Reflexion nähren. Auf drei Gruppen von Schwierigkeiten sei näher eingegangen, weil sie sowohl das alte wie das zeitgenösssiche Mönchtum und nicht zuletzt den eigenen Orden betreffen.

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ScG in 130, nr. 3020. C. 130, nr. 3020. C. 130, nr. 3022. Quia vero sumiría perfectio humanas vitae in hoc consistit cjuod mens hominis Deo vacet; ad hanc autem mentís vacationem tria (consilia) máxime videntur disponere: convenienter ad statum perfectionis pertinere videntur; non quasi ipsae sint perfectiones, sed quia sunt dispositiones quaedam ad perfectionem, quae consistit in hoc quod Deo vacetur. (Vgl. Mt 19, 21): quasi in sua sequela perfectionem vitae constituens. C. 130, nr. 3024-3025 ... qui praedicta tria Deo vovent, in statu perfectionis esse dicuntur ... Unde et praedictorum professores religiosi dicuntur, quasi se Deo et sua in modum cuiusdam sacrificii dicantes: et quantum ad res, per paupertatem; et quantum ad corpus, per continentiam; et quantum ad voluntatem, per obedientiam.

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Die traditionellen Monasterien charakterisiert der gemeinsame Besitz, der dem einzelnen Religiösen den Lebensunterhalt gewährt. Der hier mit Bedacht gewählte Terminus possessiones deutet auf Grund und Boden sowie auf sonstige Kapitalien hin, auf feste Einnahmen also, die die ökonomische Basis solcher Gemeinschaften sichern318. Gegen diese Konzeption spricht, so ließe sich sagen, die Erfahrung, die lehrt, daß eine derartige ökonomische Existenzform viele Sorgen mit sich bringt, da Ländereien oft einen unsicheren Ertrag liefern und zudem vor Gewalt, Betrug und Diebstahl geschützt werden müssen, so daß sich die ursprüngliche Absicht, ungestörte Kontemplation zu ermöglichen, oft genug ins Gegenteil verkehrt. Schließlich finden die mit der Administration der Güter Betrauten alles andere als die von ihnen anzustrebende Muße. Auch die Erfahrung rät von einer solchen Konzeption ab, denn oft ist gemeinschaftlicher Besitz eine Quelle der Zwietracht und des Streites in den Kommunitäten. Für den solche Zwistigkeiten vermeidenden Effekt des Privateigentums sprechen beispielsweise die sozialen Verhältnisse unter den Hispaniern und den Persern, wofür Thomas leider keinen historischen Beleg bringt319. Nicht minder aktuell ist die Lösung des Problems durch Handarbeit, die seit den Tagen der Wüstenväter bis hin zu zeitgenössischen Gemeinschaften gepflegt wird. Auch sie findet in den Augen der Kritiker keine Gnade. Warum, so fragen sie, soll man zuerst seine Habe aufgeben, um sie danach neu zu erwerben mit dem Ziel, sein Leben zu fristen? Warum sie nicht lieber gleich behalten, statt einen Umweg einschlagen? Schließlich sollte man bedenken, daß Handarbeit größere Sorgen mit sich bringt als der Gebrauch des Eigentums, den man vor dem Ordenseintritt hatte, zumal wenn er bescheidenen, aber jederzeit disponiblen Zuschnitts ist? Und wie steht es mit dem Wort des Herrn (Mt 6, 26), die Jünger sollten sich die Vögel des Himmels und die Lilien des Feldes zum Beispiel nehmen? Und endlich ein auch andernorts von Thomas benutzter Einwand: Wie sollen Leute wohlhabender Herkunft und ohne Übung mit den Händen arbeiten? Sind dann nicht Gelehrte oder Hochgestellte vom Ordensleben ausgeschlossen? Arbeit ist ferner zeitaufwendig und läßt wenig Raum für die eigentlichen Aufgaben wie Studium und Lehre320. An letzter Stelle stehen die namentlich gegen die inzwischen institutionell etablierte Konzeption des Predigerordens vorgebrachten Bedenken. Diese wird so charakterisiert: Die freiwillige Armut praktizierenden Religiösen leben von den Dingen, die andere ihnen geben. Sie möchten, daß sie in dieser Realisierungsweise der Vollkommenheit voranschreiten, doch Besitz behalten. Der Nachsatz wird in der sich anschließenden Argumentation eigenartigerweise nicht erläutert, doch dürfte mit ihm dies gemeint sein: Die Prediger haben gemeinsamen konventualen Besitz, der - anders als in den Monasterien - aus den täglichen Einkünften besteht. Das biblische Beispiel, das namentlich in der Tertia Pars zur Illustration und Bekräftigung der vom Herrn selbst geübten Praxis dienen wird, sind die ihm nachfolgenden Frauen (Lk 8, 2f), die ihn mit ihrem Vermögen unterstützten321.

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C. 132, nr. 3039. Est autem alius modus vivendi ut possessiones habeant communes, ex quibus singulis provideatur prout ei opus fuerit, sicut in monasteriis plurimis observatur. C. 132, nr. 3040 und 3041. C. 132, nr. 3042-3048. C. 132, nr. 3050 ... ut scilicet voluntariam paupertatem sectantes vivant de his quae ab aliis inferuntur qui ad hanc perfectionem volmtariae paupertatis proficere volunt divitias retinentes. Et hunc modum videtur Dominus cum suis discipulis observasse (Lk 8, 2s.).

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Auch diese Sicht der Dinge beeindruckt die Gegner, die Thomas methodisch vor Augen hat, nicht. Nehmen und Geben entsprechen sich nicht, so daß ein gerechter Ausgleich nicht zustandekommt. Immerhin konzedieren sie - und das bereitet die Lösung vor - , Prediger und Priester dürften von den Gläubigen unterhalten werden. Gabe und Leistung würden sich also decken. Religiösen allerdings, die keinen Dienst am Volk verrichten, sollte auch nichts gespendet werden. Gleichwohl ist selbst ein Entgelt für Seelsorge nicht frei von Bedenken, da es das Bedürftigen zuzuwendende Almosen schmälern könnte. Vollkommenheit setzt ferner im höchsten Maß Unabhängigkeit auf Seiten des Verkünders voraus, die gefährdet wäre, lebte man vom Wohlwollen anderer, denen man erfahrungsgemäß nach dem Munde reden müßte. Man hätte ihnen lang und breit die Notlage zu erklären, was die Mendikanten - der Terminus erscheint hier bewußt - verächtlich machen würde. Betteln hat schließlich den Geruch des Schlechten, da es viele nur praktizieren, um Gewinn einzuheimsen. Auch jetzt gilt: Leben vom Eigentum bringt letztlich geringere Sorgen mit sich als mögliche Ersatzformen322. Daß die Armutsbewegungen zu allen Zeiten Schwärmer anziehen, hatte Thomas längst erfahren, auch wenn er deren Gefährlichkeit für die Ekklesiologie erst später zum Thema eigenständiger Erwägungen machen wird. Hier erwähnt er summarisch Enthusiasten, die sämtliche bekannten Formen des Erwerbs verwerfen, jegliche Vorsorge, Arbeit und Bettel ablehnen, weil sie meinen, Gott werde das schon für sie tun323. Der Katalog der Einwände, im einzelnen von unterschiedlichem Gewicht, ist eindrucksvoll. Namen oder Anspielungen auf Personen, die sie vorgebracht haben, fehlen offenbar mit Absicht, um ihren gleichsam zeitlosen Charakter schärfer hervortreten zu lassen. Daß sie auf dem bekannten Pariser Hintergrund zu lesen sind, versteht sich, auch wenn Kürze und Prägnanz daraufhinweisen, daß sie der Aquinate erneut bedacht hat, um sie gewissermaßen als Gegenprobe seinem eigenen Enwurf zu integrieren. Die Antworten auf die Einwände leitet Thomas mit wenigen systematischen Überlegungen ein, deren bedeutsamste die ist, daß Armut um so mehr Lob verdient, je geringere Sorge sie verursacht, denn ihr eigentlicher Zweck ist die Befreiung des Menschen von irdischen Zwängen. Das aber heißt: Sie ist nicht in sich gut und erstrebenswert, sondern nur insofern sie für Geistliches bereit macht. Das Maß ihrer Gutheit ist darum, inwieweit es jeweils mit ihrer Hilfe gelingt, sich vom Irdischen zu lösen. Oder auch in späterer Terminologie: Armut hat, soll sie sinnvoll sein, lediglich instrumentalen Charakter324. Diese Konzeption ist für Thomas grundlegend, da sie allein eine differenzierte Sicht der verschiedenen Lebensformen, wie sie in der Kirche in alter und neuer Zeit praktiziert werden, erlaubt. Eine Verabsolutierung der Armut selbst im Namen des Evangeliums, die diesen Zweck aus den Augen verlöre, ist deshalb ausgeschlossen und damit enthusiastischen Ideen jeglicher Provenienz der Boden entzogen.

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C. 132, nr. 3051-3058. C. 132, nr. 3060. C. 133, nr. 3067. Et quanto modus vivendi in paupertate minorem sollicitudinem exigit, tanto paupertas est laudabilior, non autem quanto paupertas fiierit maior. Non enim pauperlas secundum se bona est: sed inquantum liberat ab illis quibus homo impeditur quominus spiritualibus intendat. Unde secundum modum quo homo per eam liberatur ab impedimentis praedictis, est mensura bonitatis ipsius.

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Interessante Aufschlüsse darf man sich von der Würdigung der drei klassischen Realisierungsweisen erwarten. Die Praxis der Monasterien findet - anders als wenig später - uneingeschränkte Anerkennung, denn in ihr geht nichts von der Vollkommenheit verloren, nach der die Mönche streben. Die administrativen Lasten, die mit Grund und Boden einhergehen, können von wenigen dafür Verantwortlichen getragen werden, die den Unterhalt der Kommunität sichern, so daß die anderen frei sind, der Kontemplation zu obliegen. Aber selbst die Amtsinhaber sind prinzipiell unter dem Aspekt des Spirituellen nicht benachteiligt, da die ihnen fehlende Ruhe durch ihre Liebe zu den anderen ausgeglichen wird. Zwietracht braucht ebenfalls nicht notwendigerweise befürchtet zu werden, da sie dem freiwilligen Verzicht widerspricht325. Auch die Kritik an der Handarbeit geht von falschen Prämissen aus. Zwar ist es richtig, daß normaler Besitzerwerb Mühe kostet und vom Wesentlichen ablenkt, doch trifft das nicht auf den Fall zu, daß sich jemand lediglich den „täglichen Unterhalt" verschaffen möchte. Um diesen zu erlangen, bedarf es nur eines geringen Zeitaufwands und keiner besonderen Anstrengung, die sich nicht mit der von normalen Handwerkern aufzuwendenden Energie vergleichen lassen, denen es primär um Wohstand zu tun ist. Sollte dem Religiösen, der in dieser Form leben möchte, etwas am Alltäglichen mangeln, wäre das Defizit durch die Fürsorge der Allgemeinheit auszugleichen. Thomas denkt an Reiche, die aus Liebe und natürlicher Freundschaft gehalten sind, Bedürftige zu unterstützen. Betteln im eigentlichen Sinn des Wortes ist in solchen Fällen offenbar nicht in Erwägung gezogen. Entscheidend ist, daß Religiösen, die diese Lebensweise erwählt haben, genug Zeit bleibt, für geistliche Dinge frei zu sein. Aszetische Absichten bei manueller Arbeit - Abtötung und Vermeidung des Müßiggangs - werden anerkannt, doch wird betont, daß sie auch anders erreichbar sind - und zwar, wie der Aquinate vielsagend hinzufügt, durch „nützlichere Beschäftigungen". Oder allgemeiner: Für Handarbeit gibt es nur dann eine zwingende Rechtfertigung, wenn der Lebensunterhalt auf andere Weise nicht zu beschaffen ist326. Die an letzter Stelle behandelte Ordensform hat als Kennzeichen, daß die Mitglieder solcher Gemeinschaften das Notwendige von anderen empfangen. Sie legitimiert sich durch einen Austausch, insofern zwischen Religiösen und Gläubigen ein Verhältnis des Gebens und Nehmens besteht, das grundsätzlich einen anderen Charakter hat als bloßes Betteln. Nach Thomas hat es seine Analogie in der natürlichen menschlichen Gemeinschaft, die den Dienst einiger für die Allgemeinheit honoriert. Freiwillig arme Ordensleute verzichten nun auf Eigentum, um Verantwortung für das Gemeinwohl zu übernehmen. Wie sie das tun, deutet Thomas knapp, aber vielsagend an: Durch Weisheit, Bildung und Beispiel erleuchten sie das Volk, und durch Gebet und Fürbitte tragen sie zu dessen sustentatio bei327. Auf dieser Gegenseitigkeit ruht die Existenz der neuen Orden. Thomas gibt sich überzeugt, daß dem Angebot einer intensiven Seelsorge die Freigebigkeit der Gläubigen entspricht, zumal sich, wie

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C. 135, nr. 3079-3081. Vgl. zur Kritik an den Monasterien U. HORST, Mendikant und Theologe 21, 24. C. 135, nr. 3082-3088. Sola necessitas victus cogit manibus operari ... (nr. 3088). Zu den Problemen der Handarbeit werden wir uns später äußern. C. 135, nr. 3090. Qui autem voluntariam paupertatem assumunt ut Christum sequantur, ad hoc utique omnia dimittunt ut communi utilitati deserviant, sapientia et eruditione et exemplis populum illustrantes, vel oratione et intercessione sustentantes.

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er durchblicken läßt, die Prediger allgemeiner Wertschäzung erfreuen. Auch die mendicitas im buchstäblichen Sinn darf man als legitim erachten, wenn man sie aus Not und mit gebotener Zurückhaltung übt328. Auf die beiden anderen Gelübde brauchen wir hier nicht einzugehen, da die Argumente im gewohnten Rahmen bleiben, so daß sich auch unter diesem Aspekt die Sonderrolle der Armut bestätigt. Die ScG markiert in unserer Problematik eine Phase des Übergangs. Thomas hat Gedanken und Erfahrungen aus dem Pariser Mendikantenstreit gleichsam der Aktualität entkleidet und sie in eine zeitlose Gestalt transponiert, der allerdings die Spuren einstiger Auseinandersetzungen anzumerken sind. Gleichwohl fallen wichtige in die Zukunft weisende Prinzipien auf, die hier erstmals präzise formuliert werden: Die Räte sind wie Werkzeuge, die sich ihrem jeweiligen Ziel anpassen, so daß die Armut zu einer relativen Größe wird. Ihr Maß gewinnt sie am Zweck, auf den sie hingeordnet ist. Ekklesiologische Themen fehlen, weil der Bezug der Armut auf das Amt und die Bischöfe allem Anschein nach für Thomas damals kein drängendes Problem war. Es geht darum auch nirgendwo um das Wesen des status perfectionis mit der Frage, wer zu ihm gehört und welche Stellung Religiösen in ihm haben.

2. Die Synthese in der Secunda Secundae Daß auf die dem Wesen und den Aufgaben des Episkopats gewidmeten Erörterungen eine ausflihrliche Darlegung über den Ordensstand folgt, ergibt sich aus der Natur des beiden gemeinsamen status perfectionis, wie ihn Thomas konzipiert hat. Die Gliederung in vier Quästionen soll zeigen, worum es gehen wird. Der Antwort auf die grundlegenden Frage , Worin besteht hauptsächlich der Religiosenstand?' schließt sich eine Thematik an, die ihre Herkunft aus den Pariser Kontroversen seit Wilhelm von St. Amour nicht verleugnet. Welche Aufgaben kommen den Ordensleuten zu? Worin unterscheiden sich die Orden untereinander? Und schließlich:Welche Probleme verbinden sich mit einem Ordenseintritt? Unschwer zu erkennen ist, daß Thomas ein historisch-systematisches Resümee vorzulegen beabsichtigt, das er durch zahlreiche Überlegungen vorbereitet hat. Nicht mehr untersucht zu werden braucht, ob die Religiösen einen eigenen Stand bilden, wohl aber soll gezeigt werden, ob er tatsächlich vollkommen ist. Der Aquinate tut das bezeichnenderweise unter einer doppelten Hinsicht. Einmal zitiert er im Sed contra einen von ihm besonders verehrten Gewährsmann, Abt Moyses, mit seiner Aussage, daß Fasten, Vigilien, Lesungen usw von den Mönchen deshalb beobachtet werden, weil sie zur vollkommenen Liebe hinführen. Daß er diesen Text bietet, soll die später ausführlich zu begründende These vom instrumentalen Charakter der Gelübde vorbereiten. In eine etwas andere Richtung weist ein Wort des Areopagiten, wonach die, die Gott in reiner Hingabe dienen - es fällt das Stichwort servitium - , in der „liebenswerten Vollkommenheit" geeint werden. Für den Dienst Gottes und seine Verehrung steht die Tugend der Religion, wie der Aquinate sie andernorts beschrieben hat. Religiösen werden dann zum Typus derer, die sich ganz und ungeteilt dem Dienst für Gott hingeben und sich ihm gleichsam als holocaustum darbringen. 328

C. 135, nr. 3091-3097.

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Kein Zweifel kann daran bestehen, daß ein gelungenes Leben davon abhängt, ob es in jeder Hinsicht Gott anhängt329. Die Totalität der Selbsthingabe und deren zeitliche Unbegrenztheit werden so zu den Merkmalen des Religiösen und seiner Dienstbarkeit. Mit Bedacht hat Thomas im Sed contra von den verschiedenen Werken, denen der Mönch obliegt, gesagt, daß sie Art und Namen von ihrem Ziel erhalten. Das heißt: Im Stand der Vollkommenheit sein meint nicht, daß der Religiöse schon deshalb vollkommen ist, weil er sich in ihm befindet, sondern lediglich, daß er auf ein ihm vor Augen liegendes Ziel tendiert330. Und welchem Zweck dient er? Der Ordensstand ist „hauptsächlich" dazu eingesetzt worden, damit seine Mitglieder mittels geeigneter Übungen Hindernisse aus dem Weg räumen, um zur Vollkommenheit gelangen331. Der durch ihn erhobene Anspruch ist deshalb hoch, doch legt Thomas erneut großen Nachdruck auf eine realistische Sicht, die von vornherein übertriebenen Erwartungen wehren möchte. Der erste Artikel hat also das Fundament für die gleich im einzelnen zu würdigenden Gelübde gelegt, insofern das dem Ordensstand eigene Ziel und die hierfür nötigen Mittel die Präzisierung erfahren haben, die den folgenden Reflexionen vorauszugehen hat. Gewiß ist der Weg des Religiösen durch Werke der Übergebühr gekennzeichnet, aber doch so, daß er vor deren Übernahme eine Auswahl getroffen hat, die seiner religösen Existenz eine persönlich Richtung gibt. Anders gesagt: Er hat die Freiheit, in einen bestimmten Orden mit charakteristischen Forderungen und Aufgaben einzutreten. Also nicht für eine kommune Form des Mönchtums entscheidet sich jemand, sondern für eine konkrete historische Gestalt desselben mit unterschiedlichen Regeln und Observanzen. Er verpflichtet sich folglich nicht in gleicher Weise zu allen Räten und Übungen332. Daß solche Variationen möglich sind, hat seinen tiefsten Grund in einer differenzierten Betrachtung der Vollkommenheit selbst und in der historischen Vielfalt der Orden, wie sie sich in den letzten anderthalb Jahrhunderten entwickelt hat. Zur perfectio kann nun etwas auf dreifache Weise gehören. Zunächst „wesentlich" (essentialiter), wofern die Liebesgebote vollkommen beobachtet werden. Dann als „Folge" (consequenter), wenn aus überströmender Liebe Dinge getan werden, für die keine unmittelbare Notwendigkeit vorliegt, während sonst solche Handlungen zwar der Bereitschaft des Geistes nach (in praeparatione animi) geboten sind, die aber nur für den Fall getan werden müssen, daß die Situation dies zwingend erfordert333. Beide Arten werden durch eine dritte ergänzt, auf die Thomas größten Nachdruck legt und die gewissermaßen den Schlüssel zum 329

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EL—II 186, prol. Zum Ganzen s. B. M. DIETSCHE, Stände und Standespflichten, von dessen Interpretation ich mich allerdings in vielen Punkten unterscheide. Von der älteren Literatur s. O. KLINGLER, Der Stand 59-91, der aber auf die historische Situation nicht eingeht und darum keine wirkliche Interpretation der Texte bieten kann. - Vgl. J. WOLLASCH, Das Mönchsgelübde. II-II 186, 1. Religio autem ... est quaedam virtus per quam aliquis ad Dei servitium et cultum aliquid exhibet. Et ideo antonomastice religiosi dicuntur illi qui se totaliter mancipant divino servitio quasi holocaustum Deo offerentes ... In hoc autem perfectio hominis consistit quod totaliter Deo inhaereat. Vgl. auch ad 1 und ad 2. Ad 3 ... sed quod ad perfectionem tendat. II-II 186, 2 ... non tenetur ad omnia exercitia quibus ad perfectionem pervenitur, sed ad ilia quae determinate sunt ei taxata secundum regulam quam professus est. II-II 186, 2 s.c. Ad ea quae sunt supererogationis non tenetur aliquis nisi ex propria obligatione. Sed non quilibet religiosus obligat se ad omnia, sed ad aliqua determinata, quidam ad hoc, quidam ad illud.

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Verständnis der ganzen Gelübdetheologie liefert. Etwas gehört zur Vollkommenheit instrumentaliter et dispositive. Und dazu sind etwa Armut und Enthaltsamkeit zu rechnen. Die Gelübde und die monastischen Observanzen haben also eine wichtige Funktion in Hinsicht auf die Vollkommenheit, welcher disciplina und exercitium, wie sie in den Orden praktiziert werden, dienen. Die Vielfalt der Mittel und deren variabler Gebrauch entsprechen den höchst unterschiedlichen Aufgaben der Orden und den individuellen Fähigkeiten der Religiösen, so wie auch dem Arzt eine Palette von Medikamenten zu Gebote steht, die er jeweils so einsetzen muß, wie es die Krankheit erfordert. Wenn sie sich dieser Instrumente bedienen, sind sie auf dem von ihrem Orden vorgezeichneten rechten Weg, doch will das nicht sagen, sie hätten den Endpunkt bereits erreicht334. Thomas hat offenbar Anlaß, immer wieder vor dem Mißverständnis zu warnen, der Ordensstand garantiere gleichsam die Heiligkeit, aber auch vor der Versuchung, im Streben nachzulassen. Ordensleute sind nicht gehalten, die höchste Form der Liebe gleichsam permanent zu realisieren, doch bleibt ihnen aufgetragen, das in praeparatione animi Gebotene nach Kräften zu erfüllen. Anders gesagt: Den Religiösen möchte Thomas einen mittleren Weg zwischen Rigorismus und Laxismus empfehlen, der gerade deshalb nicht als Kompromiß zu gelten hätte, weil ihnen die Pflicht auferlegt bleibt, jeweils den Weg zu suchen, der am sichersten zum Ziel des Ordens führt. Unter den in einer konkreten Situation zur Verfügung stehenden Mittel muß eine Auswahl getroffen werden. Es liegt deshalb in der Natur der Sache, daß nicht alle von allen beobachtet werden können. Sündhaft ist allein deren Verachtung335. Die Gelübde selbst - das braucht kaum gesagt zu werden - fallen naturgemäß nicht unter eine solche Auswahl, die sich auf „gewisse bessere partikuläre Akte" zu beschränken hat336. Thomas hat, worauf wir im Verlauf unserer Untersuchung mehrfach hingewiesen haben, dem Problem der Armut ungewöhnliche Aufmerksdamkeit geschenkt und sie gleichsam zum Paradigma seiner Konzeption gemacht. Er war überzeugt, daß gerade diese Forderung des Herrn an seine Jünger erhebliche sachliche und historische Schwierigkeiten bereitete, die nicht wenige Theologen seiner Zeit zu letzten Endes unakzeptablen Lösungen verführt hatten. Hellsichtiger als andere hatte er erkannt, daß scheinbar einfach zu deutende rigorose Worte über die Nachfolge ekklesiologische Probleme implizierten, die nicht leicht mit dem in einer langen Tradition gewachsenen Amt in der Kirche zu vereinbaren waren. Wie wir gesehen haben, hat Thomas namentlich in seinen Reflexionen über den Episkopat, wie wir sie seit De perfectione kennen, zu Antworten gefunden, die ebenso kühn wie theologisch 334

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II-II 186, 2 ... ad perfectionem aliquid pertinet triplicità". Uno modo essentialiter. Et sie ... ad perfectionem pertinet perfecta observantia praeeeptorum caritatis. Alio modo ... consequenter, sicut ilia quae consequuntur ex perfectione caritatis; puta quod aliquis maledicenti benedicat et alia huiusmodi impleat, quae etsi secundum praeparationem animi sint in praeeepto, ut scilicet impleantur quando necessitas requirit, tarnen ex superabundantia caritatis procedit quod etiam praeter necessitatem quandoque talia impleantur. Tertio modo pertinet aliquid ad perfectionem instrumentaliter et dispositive ... n-II 186, 2. Et ideo ille qui statum religionis assumit, non tenetur habere perfectam caritatem, sed tenetur ad hoc tendere et operam dare ut habeat caritatem perfectam. Et eadem ratione non tenetur ad hoc quod illa impleat quae perfectionem caritatis consequuntur; tenetur autem ut ea implenda intendat. Contra quod facit comtemnens. Ad 3. Sunt autem quaedam Consilia de quibusdam melioribus particularibus actibus, quae praetermitti possunt absque hoc quod vita hominis saecularibus actibus implicetur. Unde non oportet quod ad omnia talia religiosi teneantur.

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originell begründet sind. Sie sollten den Bischöfen gleichermaßen ein hohes Ideal vor Augen stellen wie ihnen einen Freiraum sichern, der den sozialen und politischen Gegebenheiten des Mittelalters gerecht werden konnte. Die komplexe Gestalt der biblischen Armutsforderung ließ sich schließlich an der Person Abrahams illustrieren, der trotz seines Reichtums vor Gott vollkommen war. Daß sich mit dem Religiosenstand grundsätzlich andere Erwartungen verbinden als mit dem Episkopat wurde an zahlreichen Stellen erwähnt, um zu zeigen, worin sich die beiden Vollkommenheitsstände unterscheiden und worin ihre jeweilige Eigenart liegt. Mit fortschreitender Präzisierung wird sich freilich ergeben, daß auch das Armutsideal der Orden wichtiger Differenzierungen bedürftig ist, damit es neuen Aufgaben und Situationen entsprechen kann, wofür die Mendikanten die entscheidenden Anregungen bieten. Das Stichwort, auf das es nunmehr ankommt, liefert Gregor d. Gr., wenn er sagt, daß die, die nach dem „Gipfel der Vollkommenheit" verlangen, „nach außen" alles verlassen, um „das Höchste nach innen" zu erstreben337. In der von „außen" nach „innen" verlaufenden Bewegung hat also die Armut ihren Ort an der Außenseite. Hier findet der Religiosenstand als „Übung und Schule" sein erstes Betätigungsfeld, denn zur vollkommenen Liebe gelangt jemand nur, wenn er sein Sinnen und Trachten von den geschaffenen Dingen „gänzlich" löst338. Mit gewichtigen Zitaten aus Augustinus und Chrysostomus wird bekräftigt, daß sich Vollkommenheit und Begehrlichkeit ausschließen, wobei das „Haben" uns mehr gefangen nimmt als das Verlangen nach ihm. Gibt man den Besitz preis, entäußert man sich des Eigenen, während man die Dinge, nach denen man sich ausstreckt, als etwas Fremdes erstrebt339. Das „Haben" affiziert demnach den Menschen mehr als bloßes Wollen. Und daraus der Schluß: Das erste Fundament, um zur höchsten Stufe der Liebe zu gelangen, ist die freiwillige Armut, in der jemand ohne Eigenes lebt340. Über den Zusammenhang von Armut und Nachfolge wird hier noch nicht geredet, da es einstweilen um die innere Befreiung von sämtlichen Formen der Anhänglichkeit an die Außenwelt geht, wohl aber wird gefragt, ob sich der Arme, nachdem er die Loslösung vollzogen hat, nicht neuen Gefahren aussetzt. Thomas spielt auf die Erfahrung an, daß sich der Bedürftige nicht ohne weiteres in seine Situation findet, daß er vielmehr, nun seiner Lage handgreiflich bewußt, erst recht „haben" will. Für den Fall der freiwilligen Armut wird das geleugnet, da sie ja weiß, was Irdisches bedeutet, aber der Umstand, daß der, der gezwungenermaßen besitzlos ist, hinter den Gütern dieser Welt her ist, mag auch als Warnung verstanden werden, die einmal erfolgte innere Loslösung vom Materiellen nicht für endgültig zu nehmen. Eine Gefahr für den Leib wird ebenfalls bestritten, denn wer in der Nachfolge des Herrn auf alles verzichtet, überantwortet sich der göttlichen Vorsehung, die für das Lebensnotwendige sorgen wird341.

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II-II 186, 3 s. c. II-II 186, 3. Ad quod quidem necessarium est quod aliquis affectum suum totaliter abstrahat a rebus mundanis. II-II 186, 3. Ex hoc autem quod aliquis res mundanas possidet, allicitur animus eius ad earum amorem. II-II 186, 3. Et inde est quod ad perfectionem caritatis acquirendam, primurn fiindamentum est voluntaria paupertas, ut aliquis absque proprio vivat. AaO, ad 2.

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Daß Verzicht und Studium der Weisheit in engster Beziehung stehen, wußte schon die Antike, wie Thomas mit Hieronymus an Crates illustriert. Zweifler hätten daher zu bedenken: Wenn das von den Heiden so empfunden wurde, dann gilt um so mehr von den Christen, daß sie alles verlassen, um Christus nachzufolgen, wofür wiederum das historisch so bedeutungsvolle Wort des Hieronymus als Beleg dient: „Nackt sollst du dem Herrn nachfolgen"342. Großes Gewicht wird später der Gedanke haben, daß die aktive Lebensform ein anderes Verhältnis zum Besitz haben darf als die kontemplative, insofern verschiedene Ziele jeweils andere Mittel nötig machen. Diese Differenzierung wird das Kriterium für die einzelnen Realisierungsweisen der evangelischen Armutsforderung liefern, die Thomas bereits hier vorbereitet. Ein aktives Leben mit innerweltlichem Ziel besteht in äußeren Tätigkeiten, zu deren sachgemäßer Ausführung „Reichtum" die Hilfen gewährt, ohne die sie nicht in Bewegung gesetzt werden können. Anders verhält es sich freilich mit jemand, der der Kontemplation obliegen möchte. Hier bewirken materielle Dinge wenig, ja sie sind ein die Ruhe störendes Element343. Prinzipiell anders, doch in Parallele zu dem eben Gesagten verhält es sich im Blick auf die künftige Seligkeit. In Hinordnung auf sie kommt der Armut eine außerordentlich wichtige Funktion zu, sie wird zu einem efficax exercitium, wie das Wort des Herrn an den reichen Jüngling eindrucksvoll belegt, während Besitz seiner Natur nach den Menschen vom Eigentlichen ablenkt und ihn hindert, zur wahren Liebe zu gelangen344. Gleichwohl hütet sich Thomas, Wohlhabenheit schlechthin mit negativen Vorzeichen zu betrachten, denn uns bleibt die Möglichkeit, daß wir sie zwar „haben", ohne daß wir uns ihr notwendigerweise verschreiben. So dürfen auch, um einen bekannten Gedanken aufzunehmen, Bischöfe Besitz verwalten, da sie sich bereits der Vollkommenheit, andere zu regieren, erfreuen345. Es mag auffallen, daß der Aquinate seine Armutstheorie im beständigen Dialog mit neutestamentlichen Texten entwickelt, für die die Gedanken der antiken Philosophen nur die argumentative Folie bereitstellen, aber eine eigentlich christologische Fundierung derselben nicht vorträgt. Daß sie tatsächlich ihr Zentrum in der Person des Herrn findet und von daher ihr letztes Kriterium bezieht, wird Gegenstand entsprechender Überlegungen in der Tertia Pars sein. Die Gedanken zum Keuschheitsgelübde sind weniger originell als die zur Armut - nicht zuletzt wegen des Fehlens ekklesiologischer Implikationen. Im Streben nach Vollkommenheit spielt es allerdings auch bei Thomas eine wichtige Rolle, da es aufgrund der erbsündli-

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AaO, ad 3. Vgl. J. CHÂTILLON, Nudum Christum nudus sequere und Art.: Nudité I, in: DSp XI 509-

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AaO, ad 4. Ad felicitatem autem vitae activae, quae consistit in exterioribus operationibus, instrumentaliter divitiae adiuvant ... Ad felicitatem autem contemplativae vitae non multum operantur; sed magis impediunt, inquantum sua sollicitudine impediunt animi quietem, quae maxime necessaria est contemplanti. AaO, ad 4. Et quia voluntaria paupertas est efficax exercitium perveniendi ad perfectam caritatem, ideo multum valet ad caelestem beatitudinem consequendam ... (cf. Mt 19, 21) ... Divitiae autem habitae per se quidem natae sunt perfectionem caritatis impedire, principaliter alliciendo animum et distrahendo... Ad 5. Dicendum quod status episcopalis non ordinatur ad perfectionem adipiscendam, sed potius ut ex perfectione quam quis habet, alios gubernet, non solum ministrando spiritualia, sed etiam temporalia.

5 1 3 ( R . GRÉGOIRE).

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chen Verfaßtheit des Menschen ohne die castitas nicht möglich ist, Gott ganz (Maliter) dienstbar zu sein. Die geschlechtliche Verbindung hat ein doppeltes Hindernis zur Folge: Einmal insofern sie große Lust hervorruft, die, gibt man sich ihr öfter hin, zur Begierde wird, deren Eigenart es ist, den Menschen vom Wesentlichen „abzuziehen". Zum anderen begünstigt sie die zweite Gefährdung des Christen, die sich durch ängstliches Sorgen um Frau, Kinder und Besitz charakterisiert. Ehe und Jungfräulichkeit dürfen daher nicht, wie die Verurteilung Jovinians zeigt, gleichgestellt werden 346 . Theologische Gründe und kirchliche Tradition legen es deshalb nahe, lebenslange Enthaltsamkeit zu empfehlen. Armut und Keuschheit gehen zudem unmittelbar auf Christus zurück. Um aber keinem die Hoffnung auf Erreichung des eigentlichen Ziels zu nehmen, hat er in diesen Stand auch Verheiratete wie Petrus berufen, Johannes jedoch, der eine Ehe eingehen wollte, davon abgehalten. Abraham ist wiederum der Prototyp eines gläubigen Menschen, der die hierin zum Ausdruck kommende Spannung vorbildlich ertragen hat, denn er lebte in der Ehe keusch, hätte aber auch ohne sie keusch sein können 347 . Um seine und der Patriarchen Sonderstellung nicht zu schmälern, vergißt Thomas die Warnung nicht, niemand möge sich herausnehmen, die Tugenden der Väter für sich zu beanspruchen, so daß der Rat, den sichereren Weg zu gehen, wohlbegründet bleibt. Die Erörterungen über den Gehorsam nehmen ihren Ausgang von einem zentralen Punkt der Christologie. Christus selbst ist in der Inkarnation (Phil 2, 8) an die äußerste Grenze gegangen, insofern er konsequent den ihm vorgezeichneten Weg bis zum Kreuzestod gegangen ist. So muß die höchste Form der Vollkommenheit in der Nachfolge Christi realisiert werden, wie sie im Wort an den reichen Jüngling aufgetragen wird, wo der Akzent auf dem „folge mir" liegt. Wie früher dargelegt, besteht nun der Kern des Ordenslebens im Sichschulen und im Sicheinüben, zwei Weisen, die für das Erstreben des wahren Ziels unerläßlich sind 348 . Das Nachfolgen setzt Leitung voraus, ein Lehrer-Schüler Verhältnis, das sich in dem speziellen Fall der Religiösen nicht auf bloßen Wissenserwerb beschränkt, sondern, weil es ein Tun ist, nach einer strikten Weisung durch einen Meister verlangt, der Forderungen stellen darf. Wer sich in eine solche Schule begibt, muß daher willens sein, Gehorsam zu üben 349 . Dem Recht zum imperium, das dem einstweilen nicht näher charakterisierten Lehrer zukommt, entspricht die Pflicht des Religiösen zur obedientia, so daß eine Beziehung entsteht, die anderer Natur ist als normales Lernen, bei dem sich die Aktivitäten des

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II-II 186, 4. - Art.: Virginité, in: DSp XVI 924-949 (A. SOLIGNAC). Art.: Castità, in: DIP II 652-662 (L.-B. GnxON). - Zu Jovinian s. LThK3 5, 1020f (M. DURST). D. G. HUNTER, Resistance. Zu Vigilantius, den Thomas in unserem Zusammenhang auch nennt, s. A. DE VOG0É, Histoire littéraire, t. S, 101-112. Ad 1 u. ad 2. Thomas beruft sich auf Augustinus De bono coniugali, ed. cit., XXII.27, 222. Ad 2. Nam illi Patres si tempus fuisset continentiae et paupertatis servandae, studiosius hoc implessent. II-II 186, 5 s. c. u. c. a ... status religionis est quaedam disciplina vel exercitium tendendi in perfectionem. II-II 186, 5. Quicumque autem instruuntur vel exercitantur ut perveniant ad aliquem finem, oportet quod directionem alicuius sequantur, secundum cuius arbitrium instruantur vel exercitentur ut perveniant ad aliquem finem quasi discipuli sub magistro. Et ideo oportet quod religiosi in his quae pertinent ad religiosam vitam alicuius instructioni et imperio subdantur ... Imperio autem et alterius instructioni subicitur homo per obedientiam. S. auch zum Gehorsam II-II 104 und 105. Dazu M. LABOURDETTE, La vertu. - Art.: Obbedienza, in: DIP VI 515-527 (A. GAUTHIER).

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Magisters darin erschöpfen, den Schüler „vom bereits Erkannten zum noch Unerkannten zu führen" und seinen Verstand zu stärken350. Obschon - bis auf eine Ausnahme - Anklänge an die monastische Gehorsamstradition fehlen, hat sie Thomas mit Sicherheit vor Augen gestanden, wie schon seine Vertrautheit mit der Regel Benedikts mehr als nahelegt351. Es fällt indessen auf, daß er der Person dessen, der Gehorsam fordern darf, keine Aufmerksamkeit schenkt. Von bestimmten Vorsteherämtern im Orden, Abt oder Prior, ist ebenfalls nicht die Rede, wohl um sich nicht von vornherein auf ein bestimmtes Autoritätsverständnis, das mit solchen Titeln verbunden wäre, festzulegen. Es versteht sich, daß ein den Weg der Nachfolge ebnender Gehorsam die gesamte Lebensführung eines Religiösen formen soll, so daß ihm eine gewisse Universalität eignet, die sich allerdings nicht auf sämtliche Einzelakte erstreckt, wie Thomas mit Bedacht hinzufügt, weil sie mit dem Orden nichts zu tun haben und zur Gottes- und Nächstenliebe nichts beitragen. So etwa das Streicheln des Bartes oder das Aufheben eines Grashalms, die nicht unter das Gelübde fallen. Das will wohl sagen, daß es Verrichtungen gibt, die in sich bedeutungslos sind und die man deshalb weder verlangen noch verbieten soll352. Im Anschluß an einen berühmten Text Cassians, den der Aquinate nicht nach der Benediktregel, sondern nach den Collationes patrum zitiert, lenkt er auf das Entscheidende zurück: Anders als die Sarabaiten, die nur an ihr eigenes Wohlergehen dachten, kommt es hier darauf an, daß jemand um Gottes willen seinen eigenen Willen dem eines anderen unterwirft353. Thomas hatte es vorhin unterlassen, Ämter zu benennen, deren Inhaber Gehorsam erwarten dürfen. Das holt er in einem Responsum mit einer auf den ersten Blick überraschenden These nach. Die Religiösen haben sich in erster Linie den Bischöfen zu unterwerfen, denn sie sind im Vergleich zu ihnen als den „Vollendern" solche, die zur Vollendung geführt worden sind. Die Bischöfe sind demnach der Inbegriff aller Aktivitäten, mit deren Hilfe die ihnen Untergebenen zu dem von ihnen erstrebten Ziel geleitet werden. Im Licht des früher über den Zusammenhang von Episkopat und Religiosenstand Gesagten ist diese Sicht der Dinge konsequent, doch stellt sie in der monastischen Tradition eine Neuerung dar, die allerdings - jedenfalls in bezug auf die Mendikanten - eine erhebliche Einschränkung erfahren wird. Zunächst heißt es freilich, daß weder Eremiten noch Äbte oder höhere Ordensobere der Gehorsamspflicht gegenüber den Bischöfen entzogen sind354. Orden freilich, die ganz oder teilweise das Privileg der Exemption besitzen, schulden dem Papst Gehorsam und zwar

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I 117,1. Ducit autem magister discipulum ex praecognitis in cognitionem ignotorum ... Alio modo, cum confortât intellectual addiscentis. Zur Funktion des Lehrers bei Thomas s. H. PAULI, in: Thomas von Aquin. Über den Lehrer XI-XLVÜ. Vgl. T . K . FISCHEDIEK, Das Gehorsamsverständnis. Ad 4 ... votum obedientiae ad religionem pertinens se extendit ad dispositionem totius humanae vitae. Et secundum hoc votum obedientiae habet quandam universalitatem, licet non se extendat ad omnes particulares actus. Ad 5. Vgl. Regula S. Benedicti, c. 1, ed. cit. 73. Ad 3. Dicendum quod subiectio religiosorum principaliter attenditur ad episcopos, qui comparantur ad eos sicut perfectores ad perfectos ... Unde ab episcoporum obedientia nec eremitae nec etiam praelati religionum excusantur. Et si a dioecesanis episcopis totaliter sunt exempti, obligantur tarnen ad obediendum Summo Pontifici, non solum in his quae sunt communia aliis, sed etiam in his quae specialiter pertinent ad disciplinant religionis. - Ad 1. Haec autem immobilitas sequelae Christi firmatur per votum. Et ideo votum requiritur ad perfectionem religionis.

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auch - im Unterschied zu den Bischöfen? - im Blick auf die Ordensdiziplin355. Dem römischen Bischof steht demnach ein nicht begrenztes Recht zu, in Angelegenheiten der Orden einzugreifen. Thomas wird sich gewiß der Problematik seiner These, der Ordensgehorsam beziehe sich primär auf die Bischöfe, bewußt gewesen sein, da die Exemption der Mendikanten die hier theologisch konsequent begründete Leitungsrolle des Episkopats und mit ihr eine subiectio praktisch zur Fiktion werden ließ - wenigstens in Hinsicht auf die geistliche Führung der Gemeinschaft. Der speziellen Rätetheologie schließen sich einige Erwägungen an, die Gesagtes ergänzen und anderes vorwegnehmen möchten. Daß der Religiosenstand durch die genannten Gelübde konstituiert wird, ergibt sich aus den drei großen Gefahren, die dem Menschen drohen. Wer den Räten gemäß wandelt, kann die mit der Nachfolge des Herrn verbundene Forderung, nicht „zurückzublicken" (Lk 9, 62) und der immobilitas sequelae Christi ein Leben lang treu zu sein, durchhalten356. Schließlich sind die Gelübde die Referenzpunkte für die in den einzelnen Orden zu praktizierenden Observanzen, die ihrer als Kriterium in einer bekanntermaßen schwierigen Praxis bedürfen. So beziehen sich alle dem Lebensunterhalt dienenden Übungen (Arbeit, Bettel) auf die Armut, Vigilien und Fasten auf die Enthaltsamkeit, Lesung und Gebet sowie Werke der Nächstenliebe auf den Gehorsam. Sie sind also innerlich strukturiert, so daß Verabsolutierungen vermeidbar sind. Ein für jeden Orden typisches Gewand dient endlich als Zeichen der Verpflichtung zu den drei Gelübden357. Von beträchtlicher Bedeutung ist die Frage nach der Rangordnung der Gelübde, die hier nicht nur unter einem systematischen, sondern auch unter einem zeitgenössischen Aspekt behandelt wird. Die Antwort ist eindeutig: Der Gehorsam muß den ersten Platz beanspruchen, da der Religiöse durch ihn Gott seinen Willen opfert, der wertvoller ist als der eigene Leib und äußere Dinge. Auch fallen unter ihn die beiden anderen Gelübde, nicht jedoch umgekehrt358. Thomas unterläßt zu erwähnen, daß die dominikanische Profeßformel, in der nur Gehorsam ausdrücklich gelobt wird, dieser Sicht der Dinge Rechnung trägt359. Die durch Gehorsam formierten Handlungen stehen dem Ziel des Ordenslebens näher als alle anderen, woraus folgt, daß er „wesentlicher" ist. Sollte jemand, um den Gedanken noch präziser zu formulieren, Armut und Keuschheit beobachten, ohne sich im Gehorsam gebunden zu haben, gehörte er nicht zum Stand der Religiösen360. Gewiß leiten sich diese Konklusionen aus vorher entwickelten Prinzipien her, aber ein zeitgeschichtliches Motiv scheint ebenfalls 355

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Ad 3. Et si a dioecesanis episcopis totaliter vel ex parte sunt exempti, obligantur tarnen ad obediendum Summo Pontifici ... etiam in his quae specialiter pertinent ad disciplinam religionis. Zur Exemption s. Art.: Esemptione, in: DIP III 1287-1306 (E. FOGLIASSO - J. DUBOIS). II-II 186,6 u. a d i . II-II 186, 7 u. a d i . II-II 186, 8 ... votum obedientiae est praecipuum inter tria vota religionis ... quia per votum obedientiae aliquid maius homo offerì Deo ... Secundo, quia votum obedientiae continet sub se alia vota, sed non convertitur. Constitutiones OP, d. I, c. 16, ed. cit. 326f. Zu den historischen Vorläufern 145-152. Ferner: A. H. THOMAS, La profession. Zu Ergänzungen s. S. TUGWELL, Dominican Profession.^gl. auch Art.: Professione, in: DIP VII 904-921 (A. DE VOG0É, M. AUGÉ) u. 934-947 (J. GRIBOMONT, G. ROCCA). II-II 186, 8 ... votum obedientiae proprie se extendit ad actus propinquos fini religionis ... Et inde etiam est quod votum obedientiae est religioni essentialius. Si enim aliquis absque voto obedientiae voluntariam paupertatem et continentiam etiam voto servet, non propter hoc pertinet ad statum religionis; qui praefertur etiam ipsi virginitati ex voto observatae.

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durch. Wenn die Armut auf den zweiten Platz verwiesen ist, kann sie nicht „hauptsächlich" das Wesen der Nachfolge konstituieren. Oder anders: Der Gehorsam dient dem Streben nach Vollkommenheit mehr als der Besitzverzicht, weil er direkt aus der sequela Christi folgt361. Daß sich eine solche Sicht deutlich von anderen Entwürfen abhebt, wissen wir bereits. Der mehrfach von Thomas konstatierte Umstand, daß klösterliche Observanzen funktionalen Charakter haben und im Dienst eines höheren Ziels stehen, an dem die einzelnen Übungen unter dem Aspekt zu messen sind, inwiefern sie zur Erreichung desselben beitragen, ist als Prinzip bedeutsam genug. Jetzt verschärft er das Problem, indem er fragt, ob nicht die Vielzahl der in einer Regel enthaltenen Observanzen den sichereren Weg eines Ordenslebens beinahe ins Gegenteil verkehrte, falls deren Beobachtung unter Todsünde verpflichtete. Auch diesmal, so wird sich zeigen, braucht er nur auf die Gesetzgebung des Predigerordens zu schauen, aber ebenso versteht sich, daß er sich damit nicht begnügen wird. Die hier zur Diskussion stehende Sache läßt sich unter einem doppelten Aspekt betrachten. Zunächst unter dem des Ziels der Regel, insofern sie das zum tugendhaften Handeln Gehörige enthält. Übertritt jemand, was gemeinhin unter ein Gebot fällt, so begeht er eine schwere Sünde, da der höchste Verpflichtungsgrad vorliegt. Geht etwas jedoch über diese Notwendigkeit hinaus, so verpflichtet es nicht im selben Maße - außer es liege Verachtung vor. Der Grund ist uns längst geläufig, da Thomas ihn immer wieder, um Mißverständnisse gar nicht erst aufkommen zu lassen, erwähnt: Der Religiöse ist nicht gehalten, vollkommen zu sein, sondern nur, danach zu streben362. Wichtiger und von erheblicher praktischer Bedeutung ist der zweite Aspekt. In der Regel sind Weisungen enthalten, die sich auf äußere Übungen erstrecken - so die monastischen Observanzen. Unter ihnen verpflichten den Religiösen drei Observanzen, die Gelübde, kraft seiner Profeß, die folglich die höchste Verpflichtungsstufe haben, so daß ein Zuwiderhandeln als Todsünde zu erachten wäre. Entscheidend ist nun aber, daß alle übrigen klösterlichen Übungen, Bräuche und Verrichtungen auf die drei Räte hingeordnet sind und in deren Dienst stehen, so daß, wer gegen sie verstößt, nicht der schweren Schuld teilhaftig wird, außer er verfehle sich an einem mündlich gegebenen Befehl des Oberen oder an einem in der Regel niedergelegten Befehl, denn in beiden Fällen stünde er im Widerspruch zum Gehorsamsgelübde363. Thomas weiß, daß das Problem der verschiedenen Verpflichtungsgrade seit langem von den Gesetzgebern der Orden erkannt worden ist, so daß bereits Profeßformeln existieren, die zur hier dringend gebotenen Präzision beitragen möchten. Leitendes Prinzip ist dem Gesagten zufolge, daß jemand, der eine Regel „bekennt", nicht alle in ihr enthaltenen Details geloben will, sondern daß es ihm um eine regelgemäßes Leben geht, das wesentlich in den drei Gelübden besteht. Um dies zum Ausdruck zu bringen, verspricht man in manchen Orden

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II—II 186, 8 ad 1 ... consilium obedientiae includitur in ipsa Christi sequela; qui enim obedit, sequitur alterius voluntatem. Et ideo magis pertinet ad perfectionem quam votum paupertatis. So auch Hieronymus, Commentarla in Matheum III, ed. cit. 172 zu 19, 27: Et quia non sufficit tantum relinquere iniungit quod perfectum est: et secuti sumus te. II—II186, 9 s.c. und c. a. II—II 186, 9.Votum autem professionis respicit principaliter ... paupertatem, continentiam et obedientiam; alia vero omnia ad haec ordinantur. Et ideo transgressio horum trium obligat ad mortale. Aliorum autem transgressio non obligat ad mortale, nisi propter contemptum regulae ...

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„vorsichtiger" nicht die Regel, sondern ein Leben gemäß der Regel, d. h. man möchte sich in seinem sittlichen Verhalten nach der Regel wie nach einem Vorbild richten364. Andere Orden sind noch „vorsichtiger". In ihnen gelobt man Gehorsam gemäß der Regel, so daß sich nur das mit der Profeß in Widerspruch befindet, was gegen ein Gebot der Regel steht. Und ferner: Verstöße oder Unterlassungen in allen sonstigen Vorschriften sind nur leichte Sünde365. Im Dominikanerorden - Thomas nennt ihn hier ganz gegen seine Gewohnheit namentlich - ist man auch den letzten Schritt gegangen und hat in den Konstitutionen festgelegt, daß Übertretungen oder Unterlassungen ihrer Art nach überhaupt keine Sünden sind, sondern lediglich durch eine jeweils festzulegende Strafe geahndet werden sollen366. Schon früher hatte er mit Nachdruck festgestellt, daß die Religiösen nur in jenen Dingen zum Gehorsam gehalten sind, „die sich auf die regularis conversatio erstrecken können". Wer ihn über sie hinaus praktizieren möchte, handelt ad cumulum perfectionis361. Auch dieser Aspekt der Rätetheologie des Aquinaten besticht durch ihre Einfacheit und Konzentration auf wenige Prinzipien, hinter denen eine reiche und vielfältige Tradition monastischer Observanzen steht, in die die drei Gelübde eingebettet sind. Daß sie und die klösterlichen Übungen, wie ehrwürdig sie sein mögen, konsequent als instrumenta perfectionis gedeutet werden, macht sie im Rahmen der sequela Christi ebenso notwendig wie relativ, insofern ihr dem Ziel dienender Charakter Variabilität verlangt. Sie ermöglichen den Weg zur Vollkommenheit, sind jedoch nicht diese selbst. Hier liegt auch der innere Grund für die Vielfalt der Ordensformen, die sich im Verlauf der Jahrhunderte herausgebildet haben. Mehr noch: Die Gelübde, konzipiert als Werkzeuge der Vollkommenheit, widersprechen allen Versuchungen, das Ordensleben als Gesetzesübung zu verfälschen, da nicht die einfache Erfüllung von Vorschriften und Normen zählt, sondern deren sinnvoller Einsatz für die sequela Christi.

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II-II 186, 9 ad 1 ... ille qui profitetur regulam, non vovet servare omnia quae sunt in régula; sed servet regulärem vitam, quae essentialiter consistit in tribus praedictis (votis). Unde et in quibusdam religionibus cautius aliqui profitentur non quidem regulam, sed vivere secundum regulam; idest tendere ad hoc quod~aliquis mores suos informet secundum regulam sicut secundum quoddam exemplar. II-II 186, 9 ad 1. In quibusdam autem religionibus adhuc cautius profitentur obedientiam secundum regulam, ita quod professioni non contrariatur nisi id quod est contra praeceptum regulae. Transgressio vero vel omissio aliorum obligat solum ad peccatum veniale. Gemeint sind die Statuten der Prämonstratenser, die allerdings von einem peccatum veniale nicht reden. Vgl. Les statuts de Prémontré reformés 2f. Institutiones vero ... non ad culpam obligare intelligimus transgressores sed ad penam, nisi aliquis eas transgredi presumpserit ex contemptu. II—II 186, 9 ad 1. In aliqua tamen religione, scilicet Ordine Fratrum Praedicatorum, transgressio talis vel omissio ex suo genere non obligat ad culpam neque mortalem neque venialem, sed solum ad poenam taxatam sustinendam; quia per hunc modum ad talia observanda obligantur. Text: Constitutiones, Prol., ed. cit. 31 If u. 135f (Vorgeschichte). Vgl. I.M. TONNEAU, L'obligation. Zur Geschichte s. G. MEERSSEMAN, La loi purement pénale. R. CREYTENS, L'obligation. II—II 104, 5 ad 3. Dicendum quod religiosi obedientiam profitentur quantum ad regulärem conversationem, secundum quam suis praelatis subduntur. Et ideo quantum ad ilia sola obedire tenentur quae possunt ad regulärem conversationem pertinere. Et haec est obedientia sufficiens ad salutem. Si autem etiam in aliis obedire voluerint, hoc pertinebit ad cumulum perfectionis ...

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3. Die Orden und ihre Funktionen in der Kirche Nicht eben häufig wird die Tatsache gewürdigt, daß sich Thomas für die Rechte, Freiheiten und Eigenarten aller Orden und nicht bloß die der Mendikanten verwandt hat. Diese weite Sicht der Existenz- und Wirkmöglichkeiten kirchlicher Gemeinschaften ist grundgelegt in der Lehre von der Instrumentalität der Gelübde und der monastischen Observanzen, die für Aktivitäten verschiedenster Art Raum läßt. Den mit den neuen Orden verbundenen Problemen wird freilich besondere Aufmerksamkeit geschenkt, auch wenn zur Zeit der Abfassung der Secunda Secundae deren Recht auf pastorale Aktivitäten nicht mehr den Attacken von ehedem ausgesetzt war. Die Kontroversen von einst gehören also in vieler Hinsicht bereits der Vergangenheit an, obschon Narben und Spuren der leidenschaftlichen Auseinandersetzungen allenthalben präsent bleiben. Ehe sich der Aquinate den Orden zuwendet, die kraft ihrer Gründung ein festes Ziel mit den ihm zugeordneten Mitteln haben, widmet er eine Quästion einer Reihe von Fragen, von denen einige alle, andere jedoch nur bestimmte Gemeinschaften betreffen. Gleichwohl werden schon hier wichtige Vorentscheidungen sichtbar. Auf zwei Themen kommt es ihm besonders an: Auf die Seelsorge, die prinzipiell sämtlichen Religiösen offen steht, und auf die Sicherung des Lebensunterhalts, die mehrere Formen annehmen kann. Daß den Mönchen das Dozieren, das Predigen und ganz allgemein die Seelsorge untersagt sind, scheint eine konstante Aussage seit der Väterzeit zu sein, für die auch Konzilien in Anspruch genommen werden. Zu ihren Gunsten lassen sich mühelos die Päpste Leo d. Gr., Gregor d. Gr. sowie Hieronymus anführen. Das Arsenal klassischer Einwände sowie deren Widerlegung ist Thomas seit Contra impugnantes geläufig. Er weiß aber auch, daß die Begründung der cura animarum, wie sie ihm vor Augen schwebt, nur überzeugen kann, wenn es gelingt, den schwierigen Traditionsbeweis durch systematische Reflexionen über die im kirchlichen Amt ruhenden Möglichkeiten zu ergänzen. Der erste Schritt knüpft an eine vorhin behandelte Thematik an, wonach die Verbindlichkeit monastischer Regeln strikt zu fassen ist. Unter unserem Aspekt ergibt sich daraus: Die genannten pastoralen und wissenschaftlichen Aktivitäten sind den Religiösen dann gestattet, wenn deren Ordensregel solche nicht ausschließt368. Die These ist mit Bedacht negativ formuliert, da sich in den alten monastischen Dokumenten keine Empfehlungen oder Mahnungen finden, auf die man sich gegebenenfalls stützen könnte. Das wiederum heißt: Thomas ist sich durchaus des Umstands bewußt, daß er hier einer Evolution der Ordensregeln das Wort redet, die so nicht im Blickfeld der Stifter gelegen hat, die aber spätestens im 13. Jahrhundert aktuell geworden war. Und schließlich: Ordensleute sind durch ihr Streben nach Heiligkeit für solche Aufgaben besser geeignet als andere, so daß es töricht wäre, in der Zugehörigkeit zu ihrem Stand ein Hindernis für Wissenschaft und Pastoral zu sehen. In Contra impugnantes hatte Thomas dem Gegenstand eine Reihe von gewichtigen Argumenten gewidmet, die darin gipfelten, daß gerade Religiösen mit dem Dozieren zu betrauen seien, da vorzugsweise sie die notitia Scripturarum hät-

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II—II 187,1. Hoc autem modo non est illicitum religiosis praedicare, docere et huiusmodi facere. Tum quia ex voto et praecepto regulae non obligantur ad hoc ut ab his abstineant. - Vgl. B. RUDMANN, Mönchtum und kirchlicher Dienst. PH. HOFMEISTER, Mönchtum und Seelsorge; ders., Das Beichtrecht 19-151.

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ten369. Um eine unbestrittene Autorität anzuführen, beruft er sich auf das kirchliche Rechtsbuch, das sich seinerseits auf das Vorbild des hl. Benedikt, des monachorum praeceptor almificus stützt, der solche Aktivitäten keineswegs untersagt habe370. Gleichwohl muß konzediert werden, daß der Religiosenstand als solcher seinen Mitgliedern nicht die Vollmacht zu jenen Aktivitäten verleiht, er ist aber in sich fähig, die hierfür nötige ordentliche Jurisdiktion zu empfangen. Das Recht dazu kann Religiösen von den zuständigen Autoritäten verliehen werden371. Berühmte und oft zitierte Einwände - etwa das Wort des hl. Hieronymus „der Mönch hat nicht das Amt des Lehrers, sondern das eines Trauernden" - deutet Thomas so, daß sie lediglich besagten, daß die Mönche nicht kraft ihres Mönchseins solche Vollmacht erhalten, nicht behaupten wollten sie hingegen, Mönchen sei etwas eigen, was der Ausübung derartiger Tätigkeiten entgegensteht. Auch dürfen sie sich nicht jene Gewalt usurpieren372. Daß die mit der ordentlichen Seelsorge beauftragten Bischöfe andere ex commissione zur Predigt heranziehen können, braucht hier nur festgestellt zu werden, zumal es kirchlich längst approbierte Orden gibt, die eigens zu diesem Zwekc gegründet worden sind373. Anders als in Contra impugnantes wird der Papst und die durch ihn gewährte universalkirchliche Sendung hier nicht erwähnt. Außerhalb der Seelsorge im eigentlichen Sinn, aber doch möglicherweise ihr nicht völlig fremd liegen die „weltlichen Geschäfte", die, wie schon das Wort zu besagen scheint, nicht Sache der Ordensleute sein dürfen. Daß sie sich dennoch oft in sie verwickelt hätten, ist ein alter Vorwurf, dem Thomas schon in Contra impugnantes zu begegnen hatte374. Um des Gewinns willen betriebene Geschäfte sind Klerikern wie Religiösen freilich untersagt, aber solche, die aus Liebe zu anderen geschehen, sind, wenn sie mit Umsicht und Erlaubnis der

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II-II 187, 1. Tum etiam quia non redduntur ad hoc minus idonei ex aliquo peccato commisso, sed magis idonei ex exercitio sanctitatis quod assumpserunt. Stultum autem est dicere ut per hoc ut aliquis in sanctitate promovetur efficiatur minus idoneus ad spiritualia exercitia exercenda. Et ideo stulta est quorundam opinio dicentium quod ipse status religionis impedimentum affert talia exequendi. Vgl. Contra impugnantes, c. 2, § 3, ed. cit. A 58, lin. 224-227. II-II 187, 1. Vgl. C XV, q. 1. c. Nonnulli (FRIEDBERG I 767). - Vgl. auch P. RENAUDIN, Saint Thomas d'Aquin und A. LINAGE, Santo Tomás. II-II 187, 1. Ea vero quae sunt iurisdictionis committi possunt eis, qui non habent ordinariam iurisdictionem ... Et hoc modo dicitur non licere monachis et aliis religiosis praedicare, docere et alia huiusmodi facere, quia status religionis non dat eis potestatem huiusmodi faciendi. Possunt tarnen ista facere si ordinem accipiant vel ordinariam iurisdictionem; aut etiam si eis committantur ea quae sunt iurisdictionis. II-II 187, 1 ad 1 und ad 2 ... ex verbis illis habetur quod monachi ex hoc quod sunt monachi, non nanciscuntur potestatem talia faciendi; non autem quod ex hoc quod sunt monachi, habeant aliquid contrarium executioni talium actuum. Das Hieronymuszitat: Uber Contra Vigilantium, c. 15, PL 23, 351B. II-II 187, 1 ad 3. Per hoc tarnen non excluditur quin monachi et alii religiosi possint interdirai circa ecclesiastica officia occupali ex commisssione praelatorum qui ordinariam curam habent; et praecipue illi quorum religiones ad hoc sunt specialiter institutae. - Vgl. Contra impugnantes, c. 4, §§ 6-16, ed. cit. A 7 2 - A 85. II—II 187, 2 und Contra impugnantes, c. 9, ed. cit. A 129 - A 130. - Zur Problematik des negotium saeculare in der Frühzeit des Ordens s. L. CANETTI, L'invenzione della memoria 66-82. - Humbert von Romans, De eruditione praedicatorum, 1. I, p. VII, § XLII (De occupationibus praedicatorum circa negotia saecularia hominum), Opera de vita regulari, ed.cit. II, 470-475, die erlaubten Gründe 474f. G. BARONE, L'ordine dei Predicatori. A. THOMPSON, Revival Preachers.

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Oberen vorgenommen werden, gestattet375. Mit einem kurzen, zeitgeschichtlich hochinteressanten Satz ergänzt Thomas die eben geäußerte Ansicht: Ordensleute dürfen die Paläste der Könige propter pias causas besuchen, aber auch um die Herrscher zurechtzuweisen oder um ihnen Weisungen zu erteilen376. Das Problem der mönchischen Handarbeit stellte sich im 13. Jahrhundert unter mehreren Aspekten. Einmal mußten alle Orden, die der Regel Benedikts folgten, deren 48. Kapitel De opera manuum cotidiana deuten und etwaige Abweichungen oder Anpassungen begründen377. Daß das Mittelalter zu originellen Lösungen eines alten auf die Wüstenväter zurückgehenden Ideals gefunden hat, illustrieren die entsprechenden Vorschriften der Kartäuser, die es im Abschreiben von Handschriften erfüllt sahen378. Sodann hat die Handarbeit im Leben des hl. Franz von Assisi und in den Anfängen des Minoritenordens eine wichtige Rolle gespielt, mit der sich noch Bonaventura zu befassen hatte379. Vom Dominikanerorden ist Ähnliches nicht zu berichten; zu keiner Zeit hat der Gegenstand Diskussionen bei den Predigern ausgelöst. Und schließlich gab es die Vorwürfe der Mendikantengegner, die die neuen Orden an die alte Mönchspraxis und die Aszese der Väter erinnerten und deren Imitation erzwingen wollten. Daß ihre Attacken den Eindruck nicht verfehlten, zeigt zur Genüge der Umstand, daß sich Bonaventura und Thomas genötigt sahen, ausführlich zu den Einwänden Stellung zu nehmen. Thomas brauchte in der Secunda Secundae nur eine Synthese seiner bisherigen Gedanken zur Thematik zu bieten, wobei es darauf ankam, die Lösung so zu formulieren, daß sie auf sämtliche Orden anwendbar war, die sie übernehmen wollten. Das Sed contra läßt auch diesmal die Antwort durchscheinen, die manchen Leser skandalisiert haben wird: Religiösen sind zur Handarbeit nicht mehr verpflichtet als Weltleute. Die These wird in mehreren Schritten vorbereitet. Handarbeit ist „zuerst" und „hauptsächlich" auf den Erwerb des Lebensunterhalts hingeordnet, sodann auf die Überwindung des Müßiggangs, die Zügelung der Begierde und schließlich auf das Almosengeben380. Die aszetischen Motive waren damals jedermann geläufig und wurden weithin für überzeugend gehalten. Was Thomas von ihnen

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n-II 187, 2. Causa vero caritatis se negotiis saecularibus cum débita moderatione ingerere possunt, secundum superioris licentiam in ministrando et dirigendo. S. auch ad 1. II-II 187, 2 ad 3 ... sed ea (palatia) adire propter pias causas eis competit... Similiter etiam convenit religiosis adire regum palatia ad eos arguendos et dirigendos ... Vgl. Contra impugnantes, c. 19, ed. cit. A 1 5 1 - A 153. Regula S. Benedicti, c. 48, ed. cit. 147-150 und Kommentar von GARCÎA M. COLOMBÂS 372-392. Art.: Travail (Väter u. Mittelalter), in: DSp XV 1208-1237 (P. VALLIN). B. VAN DEN HOVEN, Works in Ancient and Médiéval Thought 113-158 (Arbeit und Mönchtum). Art.: Arbeit (Mittelalter), in: TRE 3, 626-635 (J. LE GOFF). S. ferner den Überblick bei J. DUBOIS, Le travail des moines. B. BONNERUE, Opus et labor; ders., Concordance. Die Zisterzienser suchten das Problem der Handarbeit durch das Konverseninstitut zu lösen. Vgl. M. TOEPFER, Die Konversen, bes. 124-139 über die Konversengesetzgebung. K. J. WALLNER, Die spirituelle Dimension. K. HALLINGER, Woher kommen die Laienbrüder? G. VAN DEN BROECK, Les Frères corners. Vgl. GUIGUES IER, Coutumes de Chartreuse, ed. cit., c. XXVm, 222-224. Vgl. B. RIEDER, Deus locum dabit 136-145. Vgl. K. EBER, Die Handarbeit. L. CASUTT, Bettel und Arbeit. II-II 187, 3. Thomas bevorzugt de weiteten Begriff opus manuale, spricht aber auch - etwa im Anschluß an die hl. Schrift - vom labor manualis. Vgl. D. LAU, Der lateinische Begriff, bes. 189-245 (christl. Sprachgebrauch).

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hält, wird er im zweiten Teil unseres Artikels sagen. Einstweilen scheint es ihm wichtiger, auf den ersten Grund einzugehen. Insofern Handarbeit dem Erwerb des Lebensunterhalts dient, fällt sie unter die Notwendigkeit, die einem Gebot eigen ist, weil anders das Ziel nicht zu erreichen ist. Der daraus gezogene Schluß unterstreicht diese Aussage, ermöglicht aber gleichzeitig eine Distinktion, auf der die zentrale These ruht: Wer also nicht von „woanders" hat, was er für seine Existenz braucht, muß mit seinen Händen arbeiten, welchen Standes er sei381. Zur Bestätigung darf man den oft zitierten Text (2 Thess 3, 10) anführen „wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen". Das heißt nun aber umgekehrt: Wer ohne zu essen leben könnte, brauchte nicht zu arbeiten. Und bedeutsamer: Dasselbe gilt dann für jemand, der seine Existenz mit anderen Mitteln erhalten kann. So hat - nach Thomas - schließlich auch Paulus gedacht, denn es findet sich bei ihm keine Stelle, die Handarbeit befiehlt - außer um die Sünde unerlaubt erworbenen Besitzes auszuschließen 382 . Wenn jedoch das, was sie verhindern soll, weder getan noch erstrebt wird, verliert sie ihre den Menschen vor dem Bösen bewahrende Funktion. Auf die Eingrenzung der Pflicht zur Arbeit auf die Gruppe derer, die sonst nichts haben, folgt eine weitgefaßte Definition des opus manuale, die ein neues Verständnis einer traditionellen monastischen Observanz ermöglicht. Handarbeit hat aufgehört, nur wörtlich verstanden zu werden, sie umfaßt vielmehr alle menschlichen Beschäftigungen, mit deren Hilfe man seinen Lebensunterhalt sichern kann, gleichgültig, ob man sie „mit Händen, Füßen oder mit der Zunge" verrichtet, da die Hand „das Organ der Organe" ist. So gilt konsequent als Handarbeit jede Tätigkeit, durch die man „erlaubterweise" die Existenz erhalten kann 383 . Mit dem neuen Verständnis von Arbeit, deren Kennzeichen nun nicht mehr notwendigerweise physische Anstrengung und Ermüdung sind, hängt eine weitere wichtige Konklusion zuasammen: Die Abwertung und Relativierung der körperlichen Arbeit als ein besonders geeignetes Mittel der Aszese. Müßiggang und Abtötung des Fleisches lassen sich auch anders vermeiden oder üben, ja es bieten sich nach Thomas viele Möglichkeiten an, um Ersatz für alte monastische Observanzen zu finden, die sich unterdessen weithin überlebt haben. So die Schriftmeditation oder das Gotteslob. Das heißt: Die Vorstellung von ehedem, außer der Handarbeit gebe es nur Nichtstun als Anfang aller Laster, hat sich als falsch oder doch als einseitig erwiesen, da nunmehr dem Religiösen eine Reihe von geistigen Aktivitäten offen steht, die prinzipiell denselben Effekt haben. Das Studium als Mittel gegen das oti-

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II-II 187, 3. Secundum ergo quod labor manualis ordinatur ad victum quaerendum, cadit sub necessitate praecepti prout est necessarium ad talem finem ...Et ideo qui non habet aliunde unde vivere possit, tenetur manibtis operari, cuiuscumque sit conditionis. II-II 187, 3. Unde si quis absque manducatone posset vitam transigere, non teneretur operari manibus. Et eadem ratio est de illis, qui habent alias unde licite vivere possint... Unde et Apostolus non invenitur opus manuum praecepisse nisi ad excludendum peccatimi eorum qui illicite victum acquirebant. II—II 187, 3. Sciendum tarnen quod sub opere manuali intelliguntur omnia fiumana officia ex quibus homines licite victum lucrantur, sive manibus, sive pedibus, sive lingua flant... Quia enim manus est Organum organorum per opus manuum omnis operatio intelligitur de qua aliquis victum licite potest lucrari. Vgl. Quodlibet VII, 1 q. 1, a. 1, ed. cit. 1, 37, lin. 220-230. Handarbeit ist breviter quodcunque negocium homo agit, de quo licite possit victum acquirere, sub labore manuum comprehenditur. Thomas nennt die magistri artium liberalium und die advocati. Auf die historischen Aspekte der Arbeit geht nicht ein: E. BARZAGHI, Il concetto.

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um wird mit einem markanten Zitat aus der Glosse erwähnt, das gleichzeitig die auf einen Predigerorden passende Wirksamkeit nach außen legitimiert384. Der Schluß drängt sich auf: Religiösen sind zur Handarbeit nicht gehalten, außer sie seien durch die Statuten ihres Ordens dazu verpflichtet385. Und schließlich die Sache mit den Almosen, die die mittelalterliche Welt und auch die Frömmigkeit intensiv beschäftigt hat. In Zeiten außerordentlicher Not, in denen Hilfe für Bedürftige nur durch Handarbeit erreichbar ist, muß sie auch von Religiösen und Weltleuten geübt werden386. Welchen Orden die Pflicht zur Handarbeit kraft ihrer Statuten obliegt, sagt Thomas nicht, doch scheint es, als wolle er nicht bloß die Mendikanten von ihr ausnehmen, sondern auch die Mitglieder der Monasterien, obschon er weiß, daß etwa der Wortlaut der Benediktregel solche Freiheit nicht zuläßt. Wichtiger ist freilich die Frage, wovon die leben sollen, die nicht gehalten sind, manuellen Tätigkeiten nachzugehen, denn von der Antwort hingen die Existenz der neuen Gemeinschaften ebenso ab wie die Rechtfertigung der Praxis in den Monasterien, die sich seit der Klerikalisierung ihrer Mitglieder durchgesetzt hat. Zunächst: Thomas hält an der naturrechtlich begründeten Pflicht aller zur Arbeit fest - der Mensch hat dem Tier voraus, daß er alles Notwendige mit seinen Händen verfertigen kann - , aber solche Vorschriften des Naturgesetzes, die dem Wohl vieler dienen, binden nicht jeden einzelnen. (So muß zwar die Menschheit biologisch erhalten werden, aber nicht jeder muß Nachkommenschaft zeugen). Es genügt, wenn jeder in seinem Amt und in seinem Beruf der Allgemeinheit dient, wenn also Arbeitsteilung - genannt werden Handwerker, Bauern, Richter, Lehrer - praktiziert wird387. Nun beginnt sich auch eine auf die Orden anwendbare Lösung abzuzeichnen. Orden, die in kirchlich-öffentlicher Funktion geistlichen Werken zum Nutzen aller obliegen, brauchen keine Handarbeit zu leisten - und dies aus einem zweifachen Grund: Dienste dieser Art nehmen die Religiösen ganz in Beschlag; und die, denen solche Mühen gelten, haben die Pflicht, für den Unterhalt jener Kleriker zu sorgen. Das heißt: Der Seelsorge wird Entgelt geschuldet388. Thomas limitiert allerdings das Recht auf Befreiung von Handarbeit. Nur solche dürfen von ihm Gebrauch machen, die amtliche seelsorgliche Funktionen ausüben. Auch haben nur sie Anspruch auf Remuneration, so daß pri-

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II—II 187, 3. Secundum autem quod opus manuale ordinatur ad otium tollendum vel ad corporis macerationem non cadit sub necessitate praecepti secundum se consideratimi; quia multis aliis modis potest vel caro macerali vel etiam otium tolli quam per opus manuale. Maceratur enim caro per ieunia et vigilias. Et otium tollitur per meditationes Sacrarum Scripturarum et laudes divinas ... dicit Glossa: Non est oliosus qui verbo Dei tantum studet; nec pluris est qui extra operatur quam qui Studium cognoscendae verìtatis exercet. n-II 187,3. Et ideo propter has causas religiosi non tenentur ad opera manualia - sicut nec saeculares - , nisi forte ad hoc per statuta sui ordinis obligentur. II—II187, 3. II—II 187, 3 ad 1 ... praeceptum illud, quod ab Apostolo (1 Thess 4, 11) proponitur, est de iure naturali... Ex quo patet quod communiter ad hoc praeceptum tenentur et religiosi et saeculares sicut ad omnia alia legis naturalis praecepta. Non tamen peccant quicumque manibus non operantur. Quia ad illa praecepta legis naturalis quae pertinent ad bonum multorum non tenentur singuli, sed sufficit quod unus vacet huic officio et alius alteri... II-II 187, 3 ad 3. Illi ergo qui praedictis operibus spiritualibus publice vacant, excusantur per huiusmodi opera ab opere manuali duplici ratione. Primo quidem, quia oportet eos totaliter esse occupatos circa huiusmodi opera. Secundo, qui huiusmodi opera exercentibus debetur subministratio victus ab his quorum utilitati deserviunt.

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Die Theologie der evangelischen Räte

vate Aktivitäten und Frömmigkeitsformen unter diesem Aspekt nicht zählen. Predigten und „öffentliche Vorlesungen in den Schulen" fallen, wie eigens vermerkt wird, unter die offizielen Tätigkeiten der Kirche389. Thomas hat mit seiner Konzeption der Arbeitsteilung den Weg zu einem neuen, umfassenderen Verständnis einer traditionellen monastischen Verpflichtung geebnet. Sie gestattete, auch seelsorglichen und intellektuellen Aktivitäten ein Heimatrecht in den Monasterien zu geben. Damit ging eine Umorientierung in den klassischen aszetischen Maximen einher, denen zufolge das Streben nach Vollkommenheit ohne körperliche Anstrengung, Entsagung und Züchtigung kaum vorstellbar war. Der Aquinate verwirft solche Übungen nicht einfach, meint jedoch, sie ließen sich durch eine „geistige Aszese" ersetzen, die ihr vornehmstes Betätigungsfeld in Gebet und Lesimg findet sowie - später wird dieser Aspekt ausführlich gewürdigt werden - im Studium. Nicht minder bedeutsam ist die These, Aktivitäten geistlicher und seelsorglicher Art seien denen, die sie verichten, zu entgelten, damit sie so ihren Unterhalt bestreiten können390. Arbeitsteilung und Entgelt für geleistete Seelsorge sind gleichsam die ökonomischen Voraussetzungen für die Befreiung von der Pflicht zu manuellen Tätigkeiten. Ist diese den Religiösen (und dem Klerus) gewährte Remuneration als Almosen im traditionellen Sinn des Wortes zu betrachten? Wäre sie das, erhöben sich sogleich schwerwiegende Einwände, denn Almosen sind ausschließlich für die Armensorge gedacht, der man keine Mittel entziehen darf. Außerdem korrumpieren „milde Gaben" allzu oft den Empfänger, der besser daran täte, für die Befriedigung seiner Bedürfnnisse selbst zu sorgen. Auch hat Paulus, um Vorwürfen die Spitze zu nehmen, nicht von Spenden seiner Gläubigen leben wollen (1 Kor 9, 12). Es versteht sich, daß sich hinter solchen Argumenten ein Problem verbirgt, das eng mit der wirtschaftlichen Existenz der Mendikanten zusammenhängt, die von Spenden lebten, die 389

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II-II 187, 3 ad 3. Illi vero qui praedictis operibus non quasi publicis, sed quasi privatis vacant, non oportet quod per huiusmodi opera a manualibus operibus abstrahantur; nec etiam fit eis debitum ut de stipendiis fidelium vivant... Similiter quod dicit (Augustinus) de lectione et oratione referendum est ad orationes et lectiones privatas ... non autem ad illos qui publicas orationes in ecclesia faciunt vel etiam publicas lectiones in scholis legunt. Vgl. Augustinus, De opere monachorum, ed. cit. XVII.20, 564f. Bonaventura kommt in seinen Quaestiones disputatae de perfectione (De paupertate 1255/56, q. II, a. 3) zu vielen ähnlichen Ergebnissen. Die Pflicht zur Handarbeit besteht nur bei Mönchen, die sie gelobt haben, außer es sei ihnen gestattet, das opus manuale in ein opus spirituale zu verwandeln (ad 12, Opera Omnia, L V, 165a). Letzteres ist vor nicht langer Zeit geschehen, als man wegen des zahlenmäßigen Anwachsens der Kleriker und Mönche größeres Gewicht auf das spirituale exercitium legen mußte: ... et hinc est, quod monachi laborem manualem sive corporalem bene et recte in spiritualem exercitationem et psalmodiam commutaverunt (ebd., 164b). Von einem Ersatz alter aszetischer Übungen durch lectio und Studium ist hier nicht die Rede. Neuerdings gilt dies: Spiritus Sanctus religiones pauperculas suscitavit, quarum sollicitude» et cura tota esset ad „signandos servos Dei in frontibus eorum signo Dei vivi" (Apo 7, 3) vocando ad poenitentiam et ad gratiam Spiritus sancti. Unde utraeque a sua primaria institutione habent officium praedicandi; et ideo, cum tales circa opera spiritualia sint intenti - propter quae alii ab aliis merentur sustentari - nec sunt otiosi nec curiosi sic vivendo ... (ad 12, 164b). Und schließlich: Was sagt die Regel über die Handarbeit? ... dicendum, quod in Regula beati Francisci quaedam dicuntur praeceptorie, quaedam monitorie, quaedam informative ... Hoc autem, quod dictum est de labore, non est dictum praeceptorie ... sed dictum est informative. Informat enim, quorum sit manualiter operari et qualiter ... (ad 16, 165b).- Vgl. CHR. WENIN, Saint Bonaventure et le travail.

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äußerlich wie Almosen aussahen, wie man sie Randgruppen der Gesellschaft gab, und die man ebenfalls als „Almosen" bezeichnete, obwohl sie es - im Prinzip wenigstens - nicht mehr waren. Wie Contra impugnantes zeigt, ist der Streit schon 1256 in Paris mit aller Heftigkeit geführt worden. Thomas hat an ihn in der Secunda Secundae anknüpfen können391. Thomas beginnt im Sed contra mit einer von Papst Gregor d. Gr. erzählten Begebenheit, wonach der Mönch Romanus den drei Jahre in einer Höhle weilenden Benedikt mit Nahrung versorgt habe, obwohl dieser durchaus selbst für seinen Unterhalt hätte sorgen können. Das Beispiel illustriert einen längst wohlvertrauten Tatbestand: Religiösen leben erlaubterweise von Almosen392. Die eigentliche Antwort kann sich freilich nicht mit erbaulichen Beispielen begnügen. Warum darf man licite von „milden Gaben" leben? Dies ist legitim, wenn man „von dem Seinen" lebt oder von dem, was einem geschuldet wird. Wie die beiden Aussagen zu verstehen und wie sie auf unseren Gegenstand anzuwenden sind, ist nicht schwer zu erraten. Eigentum, das suum, entsteht etwa durch die Freigebigkeit eines Wohltäters. So verdanken Monasterien und Kirchen ihre ökonomische Basis der Gebefreudigkeit von Fürsten und Gläubigen. Sie gestattet es den Mitgliedern, allein geistigen Aktivitäten zu obliegen, da andere für den materiellen Unterhalt gesorgt haben. Obschon es sich hier um festen Besitz handelt, um Land und Immobilien, ist er als „Almosen" zu verstehen, von dem Klerus und Religiösen erlaubten Gebrauch machen393. Die nächste Feststellung soll eine andere Weise der Existenzsicherung rechtfertigen. Wenn „große Besitztümer" als „Almosen" gelten, so muß das erst recht für mobilia zutreffen, die Gläubige den Religiösen spenden, denn es wäre töricht, die Annahme von beträchtlichen Reichtümern zu gestatten und „Brot oder eine kleine Gabe Geld" für verwerflich zu halten. Wer zu den Empfängern solcher mobilia zu zählen ist, bedarf keines langen Nachdenkens: Es sind die Mendikanten, denen „kleine Almosen" gespendet werden, unter denen sich - es wird hier ausdrücklich genannt - auch Geld befindet394. Zu beachten ist allerdings, daß bisher nur die „milden Gaben", also „reine Almosen", gewürdigt und legitimiert wurden. Auch sie sind meist nicht gänzlich absichtslos gegeben, sondern mit der Intention, daß durch solche Benefizien die Ordensleute freier werden, ihren religiösen Übungen nachzukommen, an deren Früchten die Spender teilzuhaben wünschen. Entspräche man der Bedingung nicht, würde man an den Wohltätern einen Betrug begehen395. Gibt es nun Almosen, die den Religiösen geschuldet sind? Man wird hier die eigentlich interessante Antwort erwarten dürfen. Etwas ist einem geschuldet aufgrund einer Leistung, sei sie zeitlicher, sei sie geistlicher Natur. So etwa den Predigern, die im Auftrag der Bischöfe das Wort Gottes verkünden, den Altardienern und schließlich denen, die sich dem Schriftstudium zum Wohl der ganzen Kirche widmen. Den drei Diensten entspricht genau 391 392 393

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n-II 187,4. Contra impugnantes, c. 7, ed. cit. A 105 - A 124. n-II 187,4 s.c. Gregor d. Gr„ Dialogi, II, 1,4,5, ed. cit. II132. II-II 187, 4. Dicendum quod unicuique licet vivere de eo quod suum est vel sibi debitum. Fit autem aliquid alicuius ex liberalitate donantis. Et ideo religiosi et clerici quorum monasteriis vel ecclesiis ex munificentia principimi vel quorumque fidelium sunt facultates collatae ex quibus sustententur, possunt de eis vivere licite absque hoc quod manibus laborent. n-II 187, 4. Unde et similiter, si aliqua mobilia religiosi a fidelibus conferantur, possunt de eis licite vivere; stultum est enim dicere quod aliquis in eleemosynam possit accipere magnas possessiones, non autem panem vel parvam pecuniam. 11-11 187,4.

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Die Theologie der evangelischen Räte

das Ideal der Mendikanten, die deshalb ein Recht haben, von den Gläubigen das zum Unterhalt Nötige zu erhalten396. Thomas weiß freilich, daß sich gerade hier Mißbrauch einschleichen kann. Sollten Religiösen, ohne etwas Nützliches zu leisten, als Müßiggänger von den Gaben anderer leben wollen, so wäre das unerlaubt und sie verdienten mit Augustinus schärfsten Tadel397. Daß hinter dem recht harmlos klingenden Titel unseres Artikels in Wahrheit eine ökonomische und in deren Gefolge auch eine monastische Revolution liegt, dürfte deutlich geworden sein. Thomas hat aus ihr die theologischen Konsequenzen gezogen, die sein Orden schon seit den Anfängen in die Praxis übersetzt hatte. Dem neuen seelsorglichen Angebot seitens der Mendikanten, die auf feste Einkünfte und Latifundien verzichtet hatten, entspricht nunmehr die Möglichkeit der Stadtbevölkerung, solche geistliche Arbeit mit Naturalien und mit Geld zu honorieren, das der Aquinate hier erstmals in diesem thematischen Kontext ausdrücklich erwähnt398. Aus den Almosen, die christliche Barmherzigkeit ohne Gegenleistung an gesellschaftliche Außenseiter und anläßlich allgemeiner Nöte und Plagen an Bedürftige verteilte, ist das Honorar geworden, das die fehlende ökonomische Basis, wie sie die Monasterien hatten, ersetzte. Obwohl es nach wie vor „Almosen" hieß, war es inzwischen merces et debitum geworden. Ein weiterer Aspekt war bereits in eher nebenbei gefallenen Bemerkungen sichtbar geworden: Offenbar war es auch gelungen, in den gebildeten Schichten den Sinn für ein akademisches Studium zu wecken und dessen Bedeutung für Kirche und Gesellschaft einsichtig zu machen und dafür Mittel zu mobilisieren. Da sich mit dem Begriff des Almosens das Erbitten derselben verbindet, ist es folgerichtig, daß Thomas seine soeben entwickelten Gedanken durch Erwägungen über das mendicare ergänzt, zu dem er sich schon in Contra impugnantes ausführlich geäußert hatte399. In der Secunda Secundae haben wir die letzte Stellungnahme zu einem Thema vor uns, das ob seiner Konsequenzen für den Alltag damals in den Konventen Gegenstand lebhafter Kontroversen gewesen sein wird. Daß sie sehr umsichtig und zurückhaltend formuliert ist, spricht eine deutliche Sprache und unterstreicht die Rolle, die merces et debitum in den Augen des Aquinaten spielen. Wiederum liefert das Sed contra wichtige Stichworte. Die dem Religiösen obliegende Pflicht, Christus nachzuahmen, umfaßt auch das Betteln, das der Herr selbst geübt hat, wofür Ps 39, 18 als Beleg dient. Wo und wie er das getan hat - Zitate aus dem Neuen Testament fehlen bemerkenserterweise - , wird nicht angedeutet. Gewiß besagt der Wortlaut, 396

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II-II 187, 4. Alio modo, efficitur aliquid alicui debitum ex eo quod ipse exhibet, sive sit aliquid temporale, sive spirituale ... Et secundum hoc quadrupliciter possunt religiosi de eleemosynis vivere quasi sibi debitis. Primo quidem si praedicent auctoritate praelatorum. Secundo, si sint ministri altaris ... Tertio, si instant studio Sacrae Scripturae ad communem utilitatem totius Ecclesiae ... Quarto, si bona temporalia quae habebant monasterio largiuntur, de eleemosynis monasterio factis possunt vivere. II—II 187, 4. Augustinus, De opere monachorum, c. XXV.33, ed. cit. 579f. Augustinus tadelt namentlich die, die in der Welt arbeiten mußten, im Kloster aber ein Leben des Nichtstuns fuhren möchten. Zu diesen sozialen und ökonomischen Veränderungen s. I. ULPTS, Stadt und Bettelorden. J.B. FREED, The Friars and German Society. B. E. J. STÜDELI, Minoritenniederlassungen. H.-J. SCHMIDT, Bettelorden in Trier. TH. BERGER, Die Bettelorden in der Erzdiözese Mainz. A. ROTHER, Bettelorden in Stadt und Land. W. SIMONS, Stad en apostolaat. - Zu den großen ökonomischen Veränderungen s. neuerdings PH. JONES, The Italian City State, bes. 152-332. C. H. LAWRENCE, The Friars. Contra impugnantes, c. 7, §§ 8-13, ed. cit. A 114 - A 124. Vgl. U. HORST, Evangelische Armut 35-46.

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Christus habe wirklich gebettelt, doch der Umstand, daß Exempel nicht geboten werden, legt Vorsicht nahe, zumal wir später hören werden, daß auch er nach dem Vorbild jüdischer Lehrer „Honorar" erhalten (nicht erbettelt) und daß er das Aufbewahren von Geld in einer gemeinsamen Kasse legitimiert hat. Nun zu der Antwort selbst! Das Betteln hat - das ist der erste Gesichtspunkt - etwas Verächtliches an sich, weil der Bettler nicht nur arm, sondern so bedürftig ist, daß er seinen Unterhalt von anderen erbitten muß. Thomas kommt es nun bezeichnenderweise nicht auf diese äußerste Stufe der Armut, für die materielle Hilfe gefunden werden muß, an, sondern auf die Demütigung, die mit dieser abiectio verbunden ist. Es ist also keine Rede von Religiösen, die etwa nichts mehr zu essen haben, sondern von solchen, die betteln, weil sie sich erniedrigen möchten und darin ein besonders wirksames Mittel gegen den Stolz sehen400. Alexius und Arsenius sind die klassischen Exempel dieser Haltung, die sich im Mittelalter großer Wertschätzung erfreuten401. Gewicht hat auch die Tatsache, daß manchen zur Buße für schwere Sünden von der Kirche eine „Bettelpilgerschaft" auferlegt wurde402. Zum prinzipellen Lob der abiectio aus solchen Motiven tritt eine unmißverständliche Warnung: Das Betteln aus Demut darf nicht ohne kluges Ermessen sein, damit sich nicht Begehrlichkeit einschleiche oder Unanständiges (indecens), womit verbreitete Mißbräuche gemeint sind. Eine deutliche Reserve ist also zu konstatieren, die keine allgemeine Empfehlung zuläßt. Der zweite Gesichtspunkt betrachtet das durch das Betteln zu Erwerbende. Läßt man Geldgier oder den Wunsch, ein leichtes Leben zu führen, beiseite, so kann es sich um Not handeln, wenn jemand nichts hat, wovon er leben könnte. Dieser Fall würde sich auch ergeben, wenn Religiösen nicht mehr weiter wüßten. Möglich ist ferner, daß jemand für einen guten Zweck bettelt, der ohne Almosen seitens der Gläubigen unerreichbar wäre. Gedacht wird etwa an den Bau einer Brücke oder an Hilfe für Scholaren403. Daß das Gewicht unseres Artikels auf der Demut liegt, die im mendicare einen besonders klaren Ausdruck findet, zeigt an, daß es Thomas vor allem um das Betteln als aszetische Übung geht, die der Hochschätzung wert ist, die er aber mit Vorbehalten versieht. Die mendicitas ist darum auch kein geistliches Mittel, das von allen zu praktizieren wäre. Sie ist ferner keine normale Quelle für den Unterhalt eines Konvents, wie hier eher nebenbei und andernorts direkt gesagt wird404.

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II-II 187, 5 ... circa mendicationem duo possunt considerali. Unum quidem ex parte ipsius actus mendicationis, qui habet sibi quandam abiectionem coniunctam; illi enim videntur abiectissimi inter homines esse qui non solum sunt pauperes, sed in tantum sunt egentes quo necesse habent ab aliis vietimi accipere. Et secundum hoc causa humilitatis aliqui laudabiliter mendicant, sicut et alia assumunt quae ad abiectionem quandam pertinent, quasi efiicacissimam medicinam contra superbiam quam vel in seipsis vel etiam in aliis extinguere volunt. II—II 187, 5. Thomas erwähnt das Beispiel des hl. Alexius schon Contra impugnantes, c. 7, § 8, ed. cit. A 114. Alexius spielt bei Petrus Waldes eine große Rolle. Vgl. K.V. SELGE, Die ersten Waldenser, Bd. I, 226-235. VerLex 1, 226-235 (H.-F. ROSENFELD). Art. Arsenius, in: LThK3 1, 1041 (A. PUZICHA).

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Vgl. C. VOGEL, Lepèlerinage. Art.: Peregrinano, in: LMA VI 1882f(A. ANGENENDT). II-II 187, 5. Wie nebenbei heißt es ad 5: Dicendum quod praedicantibus ex debito debetur victus ab his quibus praedicant. Si tarnen non quasi sibi debitum, sed quasi gratis dandum mendicando petere velini, ad maiorem humilitatem pertinet.

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Die Theologie der evangelischen Räte

Thomas hat mit Bedacht seinen Erörterungen über die Verschiedenheit der Orden die soeben gewürdigte Quästion als Einleitung vorangestellt. Er wollte in ihr noch vor allen Sonderheiten, wie sie sich im Ordenswesen seit gut anderthalb Jahrhunderten angesichts neuer Mentalitäten, Herausforderungen und ökonomischen Umbrüchen herausgebildet hatten, einen theologisch fundierten Hintergrund präsentieren, der namentlich die Veränderungen berücksichtigen und, soweit das begründbar erschien, legitimieren sollte, die Freunden wie Gegnern des klassischen Mönchtums suspekt vorkamen. Aufbau und Inhalt zeigen mit wünschenswerter Deutlichkeit, um welche Präliminarien es dem Aquinaten ging, worin er die gegenwärtigen Aufgaben der Orden erblickte, wie sich diese realisieren ließen und nach welchen Kriterien die sequela Christi zu praktizieren war.

II. Kapitel

Die Vielfalt des Ordenswesens

1. Die Verschiedenheit der Orden Nachdem Thomas eine Reihe von Grundsätzen entfaltet hat, die auf alle Orden, die sie sich zu eigen machen wollen, anwendbar sind, folgt nun eine Systematisierung historisch gewordener Formen der sequela Christi. Wir dürfen freilich nicht erwarten, der Aquinate beabsichtige, uns mit den Ursprüngen und Zielen der bedeutendsten Orden seines Jahrhunderts vertraut zu machen, es geht ihm vielmehr um hinter der Vielgestaltigkeit liegende Strukturen, obschon kein Zweifel daran besteht, daß er neben den klassischen Gemeinschaften die wichtigsten Neugründungen - Minoriten, Augustinereremiten, Karmeliten, Mercedarier, Trinitarier - aus eigener Anschauung kannte, zumal einige von ihnen Affinitäten zur Gesetzgebung der Dominikaner aufwiesen und in Paris Konvente hatten. Sollten sich Ordnungsprinzipien finden lassen, so diente das nicht bloß einer Klassifizierung, sondern der für die religiöse Praxis sehr viel bedeutsameren Frage, in welchem Verhältnis Regel und Observanzen zum Ziel einer Gemeinschaft stehen und von wem sie Maß und Norm erhalten. Auch wird sich die Lehre von der Instrumentalität der Gelübde hier zu bewähren haben. Daß zur vollkommenen Erscheinungsform der Kirche Mannigfaltigkeit (Ps 44, 10) gehört, ist ein vom Aquinaten oft geäußerter Gedanke, dem ein ungegliedertes Mönchtum nicht entsprechen würde. Und wie begründet man die Tatsache, daß sich die Orden namentlich seit beinahe zwei Jahrhunderten - in so viele Richtungen hin entwickelt haben? Zunächst durch Erinnerung an einen bekannten Grundsatz: „Der Ordensstand ist eine Übung, durch die sich jemand in der vollkommenen Liebe übt"405. Werke der Liebe, denen sich der Mensch widmen kann, gibt es in reicher Zahl ebenso wie die Weisen, sich in die Vollkommenheit einzuüben406. In zweifacher Hinsicht lassen sich somit die Orden differenzieren: Einmal im Blick auf die verschiedenen Aufgaben, die sie sich selbst gestellt haben und für die sie gegründet wurden. So gibt es etwa Gemeinschaften, die sich der Pilger

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II-II 188,1. Vgl. II-II 186,7 u. 187,2. II-II 188, 1 ... Sunt autem diversa caritatis opera quibus homo vacare potest, sunt etiam diversi modi exercitiorum ...

Die Vielfalt des Ordenswesens

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annehmen, und solche, die sich um Gefangene und deren Loskauf kümmern407. Zum anderen unterscheiden sie sich in bezug auf die für sie charakteristischen Übungen. Als Beispiele werden genannt: Züchtigung des Körpers durch Enthaltsamkeit von Speisen, durch Handarbeit, Entblößung des Leibes408. Eine im Blick auf die klösterlichen exercitia klassifizierte Vielgestaltigkeit wird gewiß den Erscheinungsformen gerecht, sie trifft aber nicht den Kern der zwischen ihnen obwaltenden Verschiedenheiten. Diese bestehen „hauptsächlich" in Hinsicht auf die von den Orden zu verfolgenden Ziele. Zwar ist das letzte Ziel, die Ganzhingabe an Gott, ihnen allen gemeinsam, auch kommen sie in den Gelübden überein, nicht aber in den „Zweitzielen", die jeweils die Eigenart der Orden bestimmen409. Obschon sämtliche Observanzen auf die Gelübde zurückgeführt werden können und in ihnen ihren Richtpunkt finden, gibt es dennoch mehrere Möglichkeiten, um sich auf deren Beobachtung zu disponieren. So ließe sich die Enthaltsamkeit befolgen durch die Einsamkeit des Ortes, durch Abstinenz oder durch brüderlichen wechselseitigen Beistand. Das Ergebnis: Die Übereinkunft in den drei Gelübden läßt durchaus eine Vielzahl von Orden zu, da das distinctivum jeweils woanders liegt410. Wie es scheint, hat auch Thomas Bedenken gehabt, daß es inzwischen zu viele Orden mit identischer Zielsetzung gebe und so „Verwirrung" an die Stelle von Ordnung trete. Ihm war, wie wir hören, der Entscheid des IV. Laterankonzils bekannt, das ebenfalls von einer auf nimia religionum diversitas zurückgehenden confusio gesprochen und als Lösung vorgeschlagen hatte, eine etwaige Neugründung solle eine der bereits gebilligten Regeln übernehmen. Der Aquinate schränkt diese konziliare Vorschrift weiter ein, insofern er „Notwendigkeit und Nutzen" einer zu bestätigenden Gemeinschaft zur Bedingung erhebt. Außerdem verlangt er eine ausdrückliche Approbation kraft päpstlicher Autorität. Daß die Sache wenig später auf dem II. Konzil zu Lyon erneut verhandelt wurde, zeigt, daß die Probleme auch gegen Ende des Jahrhunderts als gravierend eingeschätzt wurden411. 407

II-II 188, 1. Uno modo, secundum diversitatem eorum ad quae ordinantur ... Thomas hat mit Sicherheit die Trinitarier (Mathurins) in Paris gekannt. Zu diesem Orden s. Art.: Trinitari, in: DIP IX 1330-1371 (G. CIPOLLONE). - Die Konstitutionen der Mercedarier wurden mit Hilfe Raymunds von Peflafort verfaßt. Vgl. DIP V 1219-1228 (A. RUBINO); Art.: Mercedarier, in: LMA VI 533f (J.W. BRODMAN); Art.: Mercedarier, in: LThK3 7, 140-142 (K.S. FRANK). J.W. BRODMAN, Ransoming Captives. - Zur hospitalitas s. Art.: Ospitalità, in: DIP VI 1016-1021 (R. GAZEAU). Zu Hospitalitern s. LThK3 5, 286f (K.S. FRANK); Art.: Ospedalieri, in: DIP VI 975-981 (B. BRAZZAROLA - G.

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n-II 188, 1. Alio modo, potest esse diversitas religionum secundum diversitatem exercitiorum ... Vgl. Art. Nudità, in: DIP VI 469-477 (J. GRIBOMOND- P. PÉANO- R. GUARNIERI) sowie DSp XI, II 513-517 (A. SOLIGNAC). II-II 188, 1. Sed quia finis est potissimum in unoquoque maior est religionum diversitas quae attenditur secundum diversos fines ad quos religiones ordinantur quam quae attenditur secundum diversa exercitia. II-II 188, 1 ad 2. Et secundum hoc patet quod communitas essentialium votorum compatitur diversitatem religionis, tum propter diversas dispositiones; tum etiam propter diversos fines ... II—II 188, 1 ad 4. Sic ergo ex multitudine religionum induceretur confusio, si ad idem et eodem modo diversae religiones essent absque necessitate et utilitate. Unde ut hoc non fìat, salubriter institutum est ne nova religio nisi auctoritate Summi Pontificis instituatur. - Der Beschluß des IV. Laterankonzils: Conciliorum Oecumenicorum Decreta, ed. cit., Constitutiones 13,242.Vgl. M. MACCARONE, Studi su Innozenzo III 307-327. M.-H. VLCAIRE, Histoire de saint Dominique II 9-62. - Zur Nachgeschichte B. ROBERG, Das Zweite Konzil von Lyon 330-347.

ROCCA).

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Die Absicht des Aquinaten ist klar: Orden, die ein Ziel haben, das von anderen so nicht wahrgenommen wird, haben in der Kirche ein unbestreitbares Existenzrecht. Das scheint aber auch für den Fall zu gelten, wenn Gemeinschaften bloß charakteristische Observanzen und Übungen pflegen, die wesentlich zur Beobachtung der Gelübde beitragen. Bemerkenswerterweise sieht sich Thomas genötigt, die Gründung aktiver Orden eigens zu rechtfertigen. Die dem Existenzrecht solcher Gemeinschaften entgegenstehenden Autoritäten reichen vom Areopagiten, Hieronymus, Gregor bis zum Kirchenrecht, das die Kanoniker den Mönchen zuzuzählen scheint, wohl um ihnen charakteristische Elemente absprechen zu können, die teilweise von den Dominikanern übernommen worden waren. Daß diese sich als Zweig aus „dem Stamme der Regular-Canoniker" empfanden, bezeugen die Konstitutionen412. Der Vorwurf, nichtmonastische Orden stünden im Widerspruch zur Tradition, wird von Thomas in unserem Artikel zunächst nur im Blick auf jene Gemeinschaften aufgenommen, die sich Werken der Nächstenliebe widmen. Aussagen der hl. Schrift zugunsten der Sorge um das leibliche Wohl sowie der Umstand, daß sich die im Religiosenstand angestrebte vollkommene Liebe auf das Doppelgebot der Liebe erstreckt, machen indessen eine Zweigliedrigkeit des Ordenswesens erforderlich. Während die vita contemplativa direkt der Gottesliebe zugeordnet ist, ist die vita activa ebenso direkt auf die Nächstenliebe bezogen, in der der Nächste um Gottes willen geliebt wird, so daß der ihm erwiesene Dienst „auf Gott zurückfällt"413. Solche auf Gott bezogenen Dienste sind „Opfer" zu nennen und stellen deshalb, wie bereits früher vermerkt, ein wesentliches Merkmal des Ordenslebens dar, so daß Orden, die ihre Aktivitäten in dem genannten Sinn verrichten, ein unbestreitbares Existenzrecht in der Kirche haben414. Den Dionysius entnommenen Einwand, Tätigkeiten solcher Art wären mit servitium und famulatus, wie sie der Mönch gelobt, unvereinbar, akzeptiert Thomas nicht, da sie ja um Gottes willen getan werden. Er läßt auch nicht den Vorwurf gelten, man würde in der vita activa die „Ungeteiltheit des Lebens" (singularitas vitae) preisgeben, da sich die Mitglieder derartiger Orden in einzigartiger Weise den Dingen widmen, die zur Hingabe an Gott gehören. Wenn daher Religiösen Werken aktiven Lebens mit Eifer nachgehen, so hat das zur Folge, daß sich ihr Handeln aus der Beschauung des Göttlichen herleitet415. Die Meinung, daß allein das traditionelle Mönchtum ein Existenzrecht in der Kirche habe, basiert auf der Voraussetzung, daß alle Orden in dem für den Religiosenstand Essentiellen übereinzustimmen haben und daß deshalb Sonderheiten ausgeschlossen werden müssen. In der Tat besteht, wie mehrfach gesagt, eine fundamentale Einheit im Ordenswe412 413 414 415

Immer noch lesenswert: H. DENIFLE, Die Constitutionen, hier: 169. n-II 188, 2. Ad dilectionem Dei directe pertinet contemplativa vita ... ad dilectionem autem proximi directe pertinet vita activa, quae deservit necessitatibus proximorum ... Et sicut ex caritate diligitur proximus propter Deum, ita etiam obsequium delatum in proximos redundat in Deum ... II-II 188, 2. Et quia ad religionem pertinet sacrificium Deo offerre, ... consequens est quod convenienter religiones quaedam ad opera vitae activae ordinentur. II-II 188, 2 ad 1 ... Dei servitium et famulatus salvatur etiam in operibus vitae activae ... In quibus etiam salvatur singularitas vitae, non quantum ad hoc quod homo cum hominibus non conversetur, sed quantum ad hoc quod homo singulariter his intendat quae ad divinum obsequium spectant. Et dum religiosi operibus vitae activae insistunt intuitu Dei, consequens est quod in eis actio ex contemplatione divinorum derivetur. - Zur Übersetzung von singularitas mit „Ungeteiltheit": PseudoDionysius Areopagita Über die himmlische Hierarchie 142. - Dionysiaca II 1386.

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sen, die namentlich auf den Gelübden gründet, aber daraus folgt nicht, daß das kontemplative Mönchtum herkömmlicher Art die einzige Norm darstellt. Es bleibt die Möglichkeit, daß neue Orden entstehen mit bisher noch nicht realisierten Merkmalen und Aufgaben. Thomas exemplifiziert den Gedanken, daß die Einheit die Vielfalt im Hinblick auf Ziele und Observanzen nicht ausschließt, am Unterschied zwischen Mönchen und Kanonikern, die nach dem Kirchenrecht eine regula laxior haben und darum nicht denselben Pflichten obliegen wie die Mönche416. Es ist gewissermaßen so, daß sich Orden aus dem Mönchtum ausgegliedert haben und deshalb in den Gelübden eine grundlegende Einheit aufweisen, aber eine Reihe von Zielen verfolgen, die sich nur partiell mit den alten Idealen decken. Der Artikel schließt mit einer bemerkenswerten Reflexion über das Sein in der Welt, die - so eine falsche Aszese - die Religiösen zu fliehen hätten. Sachlich angemessener ist die klassische johanneische Unterscheidung: Es gibt ein „in der Welt sein" gemäß körperlicher Gegenwart und eines nach dem „Verlangen des Geistes". Diese Differenzierung erlaubt es dem Religiösen eines aktiven Ordens, „körperlich" auf Erden zu wirken, während seines Herzens Neigung über sie hinausweist417. Thomas geht auf konkret existierende Orden mit karitativer Zielsetzung nur summarisch ein, Stichworte, die Tätigkeiten andeuten, genügen. Um so auffälliger erscheint es, daß er der Frage, welche Berechtigung es für die Ritterorden gebe, einen eigenen Artikel reserviert. Die vorsichtige Wendung im Sed contra „es hindert nichts, daß ein Orden für den Kriegsdienst gegründet wird" mag einen gewissen Vorbehalt zum Ausdruck bringen, doch spricht er wenig später - wie in den anderen Fällen - von einer Angemessenheit. Ein Vergleich mit Bernhards De laude novae militiae legt sich nicht ohne weiteres nahe, da Thomas keinen Anlaß mehr sieht, für diesen neuen Ordenstyp Propaganda zu machen und auch der Kreuzzugsgedanke nur am Rande auftaucht, so daß entsprechende Appelle nicht formuliert zu werden brauchen418. Frage und Antwort sind weithin formal, weil wahrscheinlich seinerzeit keine Legitimierungsprobleme existierten. In der Sache werden die Militärorden den karitativen Gemeinschaften zugeordnet, insofern sie den Menschen Unterstützung gewähren und sich dem Dienst Gottes widmen. Im Widerspruch dazu stünde der Versuch, „etwas Weltliches" für sich gewinnen zu wollen419. Der durch sie gewährte Beistand kann Privatpersonen gelten, doch ist auch an eine Verteidigung des ganzen Gemeinwesens zu denken. Oder allgemein formuliert: Militärdienst in einem Orden muß vom Wesen des Religiosenstandes her ein selbstloser Dienst sein, der keine irdischen Ziele verfolgt, der also 416

II-II 188,2 ad 2. Zu den Kanonikern, die Thomas hier gewiß auch im Blick auf seinen eigenen Orden erwähnt, s. insbesondere Art.: Chanoines, in: DHGE XII 353-405 (CH. DEREINE); DIP II 46-63 (C. EGGER); Art.: Kanoniker (M. HEIM).

417 418

II-II 188,2 ad 3. Vgl. J.-P. TORRELL, Saint Thomas d'Aquin, maître spirituel 325-333. M.-V. LEROY, Théologie. II-II 188, 3 ad 3 heißt es Büßenden iniungitur ut militent in subsidium Terrae Sanctae. - Ad milites Tempil De laude novae militiae, in: Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke, Bd. I, 258-326. - Zu den Ritterorden s. LMA VII 878f (R. HIESTAND). A. FOREY, The Military Orders; ders, Military Orders and Crusades. J. FLECKENSTEIN, Die Rechtfertigung.

P. DLNZELBACHER, Bernhard

von

Clairvaux 116-124. H. BOOCKMANN, Der Deutsche Orden. Art.: Ritterorden und Rittertum, in: TRE 419

29,238-253 (H. BOOCKMANN U. J. RECKENSTEIN). II-II 188, 3 ... religio institui potest ... etiam ad opéra vitae activae, inquantum pertinent ad Subventionen! proximorum et obsequium Dei; non autem inquantum pertinent ad aliquid mundanum tenendum.

Die Verschiedenheit der Orden

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weder um Beute noch um Ehren kämpft, sondern allein für das Wohl des Nächsten oder des Landes, das Schutz braucht. Die Aufgabe solcher Orden erstreckt sich schließlich auf die „Bewahrung des göttlichen Kultes" und des „öffentlichen Wohls". Denkbar ist jedoch auch, daß sie sich der Armen und Bedrängten annehmen, die sonst der Willkür nicht näher bezeichneter Personen ausgesetzt wären420. Bemerkenswert ist, daß Thomas die Gründung der Ritterorden als Notlösung und Ersatz in einer historischen Situation wertet, da die weltlichen Fürsten ihren Pflichten nicht nachgekommen sind, den Ungläubigen „in gewissen Ländern" zu widerstehen421. Da sie nun einmal unentbehrlich geworden sind - an den inneren „Fronten" (Arme und Bedrängte) ebenso wie an den Rändern des christlichen Erdkreises - haben sie die Aufgabe, Kriege zu führen - nicht auf eigene Verantwortung und Initiative, sondern kraft der Autorität der Fürsten und der Kirche, weil es andernfalls kein bellum iustum gäbe422. Wichtig, obschon hier nicht gesagt, ist, daß die Ritterorden Laienorden sein müssen, da Bischöfen und Klerikern der Waffengebrauch untersagt ist, wohl aber dürfen sie als Militärgeistliche fungieren423. Die Frage nach der Existenzberechtigung von Seelsorgeorden mit Predigt und Beichthören als wichtigste Aktivitäten führt erneut ins Zentrum des Mendikantenstreits von einst, der allerdings zur Abfassungszeit der Secunda Secundae viel von der früheren Heftigkeit verloren hat, wie der entsprechende Artikel mit seiner Kürze und Prägnanz zu erkennen gibt. Um ihm einen detaillierteren Hintergrund zu geben, sei es gestattet, auf einige zentrale Aussagen von Contra impugnantes zu verweisen. Daß es neben Bischöfen und Pfarrern außerordentliche Seelsorger geben sollte, geht nach Thomas schon auf die Praxis der Apostel zurück. So hat etwa Paulus Timotheus, Titus und Barnabas gleichsam zur überpfarrlichen Predigt ausgesandt. Um so mehr sollte das in der Gegenwart geboten sein, da allein die demographischen Veränderungen, das mehrmals erwähnte Anwachsen der Städte, den Einsatz neuer, nicht mehr lokal gebundener Kräfte fordern. Diesen Bedürfhissen vermag der Parochialklerus zahlenmäßig nicht gerecht zu werden, auch ist er ob seiner Unbildung nicht in der Lage, auf die modernen Probleme in Beichte und Predigt zu antworten424. Die

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n-II 188, 3. Ordinari etiam potest ad conservationem divini cultus ... Unde convenienter potest institui aliqua religio ad militandum, non quidem propter aliquid mundanum, sed propter defensionem divini cultus et publicae salutis; vel etiam pauperum et oppressomm ... n-II 188, 4 ad 5. Sicut etiam et religiones ad militandum necesse fuit institui propter defectum principimi ad resistendum infidelibus in aliquibus terris. II-II 188, 3 ad 4. Zur Kriegsproblematik s. G. BeestermOLLER, Thomas von Aquin. Zu unserem Artikel 199-202. II-II 40, 2. Bellica autem exercitia maxime repugnant illis officiis quibus episcopi et clerici deputantur... Contra impugnantes, c. 4, § 8, ed. cit A 76, lin. 637-642 und 648-651. Item, constat quod apostoli, quorum episcopi sunt successores, per civitates et castella presbyteros ordinabant qui continue cum populis sibi subiectis commorabantur, et tamen alios mittebant ad praedicandum et alia exequendum quae ad salutem pertinent animarum ... Ergo et aliqui alii quam presbyteri parochiales possunt praedicare et confessiones audire ex commissione episcoporum. C. 4, § 10, ed. cit. A 78, lin. 8408S2. Hanc etiam necessitatem maxime ostendit imperitia multorum sacerdotum qui in aliquibus partibus adeo ignorantes inveniuntur ut nec etiam latinum sciant; paucissimi etiam inveniuntur qui Sacram Scripturam didicerint ... In confessionibus etiam audiendis non minor necessitas apparet propter ignorantiam multorum sacerdotum, quae periculosissima est in confessionibus audiendis ...

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obersten Autoritäten der Kirche würden deshalb verantwortungslos handeln, sorgten sie in dieser Notsituation nicht ftir Abhilfe, die sich in Gestalt der neuen Orden geradezu anbietet. Aufgrund der Tatsache, daß deren Mitglieder als Religiösen perfecti sind und sich außerdem der unerläßlichen theologischen Bildung erfreuen, steht einer Beauftragung derselben zur Seelsorge durch die Bischöfe und letztlich durch den universalen Hirten der Kirche, den Papst, nichts im Weg425. Thomas darf die hier nur grob skizzierten Argumente aus Contra impugnantes zugunsten der Mendikantenseelsorge in der Summa voraussetzen, zumal sie unterdessen in den offiziellen lehramtlichen Dokumenten entsprechenden juristischen Ausdruck gefunden haben. Hinweise auf eine neue pastorale Situation, der der Säkularklerus weder numerisch noch intellektuell gewachsen ist, werden zwar gemacht, doch fehlt ihnen die früher zu konstatierende polemische Spitze. Man hat den Eindruck, daß nunmehr weder die Fakten noch die Lösungsvorschläge wirklich umstritten sind. Wiederum beginnt Thomas mit einem Zitat des Abtes Nestorius aus Cassians Collationes, wo von Werken der Nächstenliebe gesprochen wird, denen sich „ausgezeichnete Männer" gewidmet haben. Der Schluß drängt sich auf: Was für die Sorge um leibliche Nöte gilt, muß in noch größerem Maß auf solche zutreffen, die das Seelenheil berühren. Oder: „Geistliche Almosen sind gewichtiger als leibliche". Man kann es auch im Anschluß an einen früher geäußerten Gedanken sagen: Nach einem Wort Gregors d. Gr. ist Gott „kein Opfer angenehmer als der Eifer für das Heil der Seelen"426. Wenn schon Militärorden zum Kampf mit Waffen sinnvollerweise gegründet werden, so ist es erst recht „höchst konveniert", die Christen gegen Häresie und dämonische Versuchungen zu verteidigen427. Gewiß will Thomas mit diesem Vergleich nicht unbedingt sagen, daß die antihäretische Predigt und Unterweisung die eigentliche Aufgabe solcher Orden darstellen, er möchte vielmehr von der unbestrittenen Existenz karitativer Orden auf die noch größere Berechtigung von Predigerkommunitäten schließen. Oder anders: In einer sich schrittweise entwickelnden Argumentation, die sich auf die Tatsache stützt, daß karitative Gemeinschaften anläßlich ihrer Gründung auf keine Opposition gestoßen sind, möchte er theologisch begründen, was sich in der Praxis längst durchgesetzt und in seinem Orden schon seit Jahrzehnten Gesetzeskraft erlangt hat428. Argumente aus früheren Kontroversen lernen wir in den Einwänden kennen. So etwa den Gedanken, das Leben der Mönche bestehe in „Unterwerfung und im Schülersein", nicht aber im Lehren oder im Amt des Vorstehens. Auch wenn die oft aus einem aszetischen Kontext stammenden Warnungen variieren, ist ihnen fast immer gemeinsam, daß Lehre und pastorale Verantwortung mit der Gefahr verbunden gesehen werden, die Grenzen der Demut zu überschreiten und eine Vorstufe des Stolzes zu sein. Daß Thomas sich nicht mit solchen 425 426 427 428

Contra impugnantes, c. 4, §§ 8-16, ed. cit. A 75 - A 85. II-II 188, 4. Vgl. II-II 32, 2. - Gregor d. Gr., Homiliae in Hiezechielem prophetam, I, hom. XII, 30, ed. cit. 200. Nulluni quippe (onnipotenti Deo tale est sacrificium, quale est zelus animarum. II—II 188, 4. Maius est spiritualibus armis contra errores haereticorum et tentationes daemonum fideles defendere quam corporalibus armis populum fidelem tuen. So heißt es im Prolog zu den Konstitutionen, ed. cit. 311 ... cum ordo noster specialiter ob predicationem et animarum salutem ab initio noscatur institutus fuisse, et Studium nostrum ad hoc prìncipaliter ardenterque summo opere debeat intendere, ut proximorum animabus possimus utiles esse.

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Gedanken anfreundet, weil sich klösterliche Aszese auch anders verwirklichen läßt, haben wir öfter gesehen. Hier bevorzugt er erneut einen für ihn typischen Vergleich: Wer in der Kraft eines anderen wirkt, handelt nach Art eines Instruments, er steht also ganz im Dienst dessen, der ihn bewegt und autorisiert. Das trifft nun genau auf unser Problem zu: Wer vermittels der Autorität der Bischöfe predigt oder pastoralen Aufgaben nachgeht, bleibt innerhalb der durch seinen Mönchsstand gezogenen Grenzen, da er über keine eigenen Rechte verfügt429. Die Antwort ist freilich nicht nur auf dem Hintergrund monastischer Ideale wichtig, sie bringt ebenfalls zum Ausdruck, daß sich die neuen Orden als subsidiäre Predigergemeinschaften verstehen, die ihre inzwischen rechtlich garantierte Existenz einer Notsituation verdanken, wie sie der Aquinate in Contra impugnantes beschrieben hat. Mit Nachdruck wird deshalb versichert, daß das Predigtamt wesensgemäß an die Bischöfe gebunden bleibt430. Es ist nun allerdings nicht so, daß die Prälaten unterschiedslos allen Religiösen das Predigt- und Beichtrecht gewähren, sie tun es vielmehr auf Vorschlag der Ordensoberen, denen die theologische und sittliche Prüfung der Kandidaten obliegt431. Auch das mit den Mendikanten entstandene Problem der Honorierung der Seelsorgearbeit wird erörtert. Müßte nicht die Existenz „freischaffender" Orden die Gläubigen ungebührlich belasten, da sie dann gehalten wären, „unbegrenzt vielen Personen" den Unterhalt zu ermöglichen? Tatsächlich hat - so Thomas - das Kirchenvolk finanzielle Verpflichtungen nur gegenüber den ordentlichen Prälaten. Wenn es nun Religiösen gibt, die mit ihrer Arbeit den Gläubigen gratis dienen wollen und deshalb auf eine Vergütung mit Rechtsanspruch verzichten, so bedeutet das in der Praxis eine recht geringe Inanspruchnahme der Pfarrgemeinde, wenn sie aufgrund einer „Liebesschuld" spendet. Sollte diese Überlegung nicht überzeugen und ließen sich freiwillige Geber nicht finden, so müßten eben die Bischöfe geeigneten Ersatz suchen und für deren Unterhalt selbst aufkommen. Die Warnung an zögernde Prälaten ist also unüberhörbar432. Auf alte Diskussionen um die einzigartige Rechtsstellung der Pfarrer als Nachfolger der 72 Jünger geht das letzte Responsum ein. Nach Thomas umfaßt dieser Personenkreis nicht nur die Pfarrer, sondern alle anderen Geistlichen, die den Bischöfen zur Seite stehen. Nirgendwo steht nämlich geschrieben, daß den 72 Jüngern feste Seelsorgsbezirke zugewiesen wurden. Als die Zahl der Gläubigen wuchs und es sich als schwierig erwies, genügend Personal für die einzelnen Pfarreien zu finden, war es angebracht, außer dem ordentlichen Pfarrklerus noch andere zur Erfüllung der Aufgaben beizuziehen, eben die Religiösen der neuen Orden, worauf bezeichnenderweise der Hinweis folgt, man habe die Militärorden

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II-II 188, 4 ad 1 ... ille qui operatur ex virtute alterius agit per modum instrumenti ... Unde quod aliquis auctoritate praelatorum praedicet vel alia huiusmodi faciat, non supergreditur 'discipulatus' vel 'subiectionis' gradum, qui competit religiosis. II-II 188, 4 ad 2. Zum Vergleich werden wieder die Militärorden angeführt, die nicht aus eigener Vollmacht kämpfen dürfen ... ita etiam religiones instituuntur ad praedicandum et confessiones audiendum, non quidem auctoritate propria, sed auctoritate praelatorum superiorum et inferiorum, ad quos ex officio pertinet. Et ita subservire praelatis in tali ministerio est huiusmodi religionis proprium. - Vgl. den prägnanten Überblick bei I.W. FRANK, Art.: Predigt VI, in: TRE 27, 248-262 (mit reicher Literatur), hier: 249-251. R. ZERFAß, Der Streit 275-300. M. MENZEL, Predigt und Geschichte, bes. 90-112. II-II 188,4 ad 3. Vgl. die Konstitutionen Dist. II, c. 31, ed. cit. 363f. J.-P. RENARD, Laformation. II-II 188,4 ad 4.

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wegen des Versagens der Fürsten gründen müssen433. Wie die Mendikanten ihre Predigtmission realisiert haben, brauchte Thomas, dem es allein um die theologische Rechtfertigung einer höchst erfolgreichen Praxis zu tun war, in der Summa nicht mehr zu erörtern434.

2. Aktive und kontemplative Orden Anläßlich der Frage nach der Berechtigung eines Predigtordens hatte Thomas nicht diskutiert, welchen Voraussetzungen eine solche Gründung genügen muß, um diesen verantwortungsvollen Auftrag der Kirche ausführen zu können. Schon in Contra impugnantes hatte er mit Nachdruck nachzuweisen versucht, daß insbesondere den Predigern das Studium der Theologie zukommt, denn wer „mahnen und lehren" soll, hat vorher der „Lesung" zu obliegen435. Hieronymus und Gregor, zwei gewichtige Zeugen, betonen ebenfalls die Notwendigkeit des Studiums, ja es läßt sich sogar aus den Vätern zeigen, daß die Beschäftigung mit weltlichem Wissen von Nutzen ist, sieht man es im Licht der hl. Schrift436. Schließlich hatten die Konstitutionen der Dominikaner seit langem die Zuordnung von Predigt und Studium geregelt und erstere von einer gewissenhaften theologischen Ausbildung abhängig gemacht437. Auch war der Aquinate - kurz vor seiner Abreise von Paris nach Italien - als einer von fünf Magistri am Entwurf einer Studienordnung beteiligt, die das Generalkapitel von Valenciennes (1259) in Auftrag gegeben hatte. Verfügt wurde u.a., daß Studenten, die nicht genügend in den Artes gebildet waren, in geeignete Studienhäuser geschickt werden sollten, da man von der wichtigen Rolle der Philosophie Uberzeugt war. Professoren sollten sich ausschließlich ihrer Lehrtätigkeit widmen dürfen, ohne durch andere Ämter gehindert zu werden. Lektoren, Prediger und Beichtväter müssen ausreichend gebildet sein, damit sie ihr Amt ohne Gefahr ausüben können438.

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II-II 188, 4 ad 5 ... formam septuagintaduorum discipulorum non solum tenent presbyteri curati, sed quicumque alii minoris ordinis qui episcopis subserviunt. (Vgl. Beda, In Lucae evangelium expositio, III, 10, 1, ed. cit. 213f). Non autem legitur quod septuagintaduobus discipulis Dominus aliquas determinatas parochias assignaret ... Opportunum autem fuit, ut praeter ordinarios praelatos alii assumerentur ad huiusmodi officia propter multitudinem fidelis populi et difficultatem inveniendi sufficientes personas distribuendas singulis plebibus. Zu den 72 Jüngern s. Y. CONGAR, Aspects 5463. Auch: K. SCHLEYER, Disputes scolastiques, bes. 288f und M. PEUCHMAURD, Mission canonique. Dazu s. etwa die informative Studie von D.L. D'AVRAY, The Preaching of the Friars. Zu Thomas als Prediger s. J.-P. TORRELL, Magister Thomas 89-93; ders., La pratique pastorale. Contra impugnantes, c. 11, § 3, ed. cit. A 132f, lin. 90-96 ... illis qui ad praedicationis officium deputantur praecipue Studium Scripturarum conveniat... (1 Tim 4 , 1 3 ) . . . ex quo patet quod exhortari et docere volentibus necessarium est Studium lectionis. AaO, ed. cit. A 133, lin. 97-150. Ex quibus omnibus patet quod Studium in religiosis est commendandum et praecipue sanctarum Scripturarum, et maxime in illis qui ad praedicandum deputantur (lin. 151-154. Ed. cit. Dist. II, c. 20, 356 und c. 31, 363f. - S. neuerdings I.W. Frank, Die Grundlegung; ders., Hausstudium und Universitätsstudium, bes. 27-35. Ferner: D. BERG, Armut und Wissenschaft. M.M. MULCHAHEY, The Dominican 'Studium System'. Zum Studium im Orden gegen Ende des Jahrhunderts s. W. SENNER, Johannes von Sterngassen, Teil 1,75-144. Text: MOPH i n 99f. Vgl. J. WEISHEIPL, Thomas von Aquin 133f.

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Aktive und kontemplative Orden

Zu dieser eher pragmatischen Konzeption tritt in der Secunda Secundae eine systematische Begründung, die gleichsam vom Innersten des Ordenslebens ihren Ausgang nimmt und in die Praxis einmündet. Die Einwände sind für diese Sicht der Dinge bezeichnend: Sie richten sich nicht gegen universitäre oder pastorale Aktivitäten der neuen Gemeinschaften, um sie als mit dem Mönchtum unvereinbar zurückzuweisen, sie greifen vielmehr wissenschaftsfeindliche Texte und Gedanken auf, aus denen hervorgehen soll, daß intellektuelle Beschäftigung die wahre Gotteserkenntnis behindert oder Anlaß zu den Frieden des Klosters störenden Meinungsverschiedenheiten ist. Und schließlich im Blick auf die Rezeption der antiken Philosophie: Christlicher Glaube und paganes Wissen müssen sich eindeutig unterscheiden, und diese Differenz dürfen die Religiösen nicht verwischen439. Die Alternative leitet wiederum ein Hieronymuswort an den Presbyter Paulinus ein, in dem dieser aufgefordert wird, auf Erden das zu lernen, was auch im Himmel bleibt, d.h. jedwedes Wissen440. Die Antwort auf die Titelfrage „Muß ein Orden zum Studium gegründet werden?" ist bemerkenswerterweise viel weiter, als die Formulierung zu fordern scheint, insofern es sich nicht nur um die theologische Rechtfertigung eines Ordens mit jenem speziellen Ziel geht, sondern auch um eine allen Gemeinschaften zukommende Aufgabe. Die folgenden Argumente gelten also prinzipiell allen Orden, in einem besonders hohen Maß jedoch den Predigerkommunitäten. Diese Gemeinsamkeit hat ihren tiefsten Grund in der engen Verbindung von vita contemplativa und vita activa, insofern letztere zur Kontemplation disponiert, indem sie die im Beschauenden vorhandenen sittlichen Hindernisse, die Leidenschaften, beseitigt441. In diesem Sinn hat das Studium eine unerläßliche Funktion auch für kontemplative Religiösen, denen es auf zweifache Weise Hilfe und Unterstützung gewährt. Zunächst erleuchtet es den Verstand. Was das meint, wird erläutert durch das Ziel, das die contemplatio hat: die prüfende Betrachtung des Göttlichen442. Das will sagen: Das Studium der Theologie gibt dem Intellekt den Inhalt, dem sich das Betrachten zuwenden soll, und sie tut dies in einem erleuchtenden Akt, ohne den der Mönch „blind" bliebe. Als Vorbild eines solchen Menschen, der weiß, welche Inhalte er sich vorzustellen hat, erscheinen der „gerechte Mann" aus Ps 1,2, „der Tag und Nacht im Gesetz des Herrn betrachtet" und der Weise aus Sir 39, 1, der die „Weisheit der Alten" erforscht und sich mit den Propheten beschäftigt. Die Absicht ist klar: Eine vita contemplativa bedarf, um nicht gleichsam in eine Leere zu fallen, einer intensiven intellektuellen Beschäftigung. Es gibt allerdings noch einen weiteren Grund für die eben vorgetragene These. Das Theologiestudium ist dem kontemplativen Leben behilflich, indem es indirekt die ihm drohenden Gefahren wegräumt, nämlich die mit der Betrachtung häufig verbundenen 439 440 441

n-II 188,5 arg. 1-3.

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II-II 188, 5. Competit ergo Studium litterarum religioni tripliciter. Primo quidem quantum ad id quod est proprium contemplativae vitae. Ad quam Studium litterarum dupliciter adiuvat.Uno modo directe coadiuvando ad contemplandum illuminando scilicet intellectum. Vita enim contemplativa de qua nunc loquimur principaliter ordinatur ad considerationem dMnorum (cf. D-D 180, 4) ... in qua dirigitur homo per Studium ad considerandum divina. Daß Thomas hier vom Studium litterarum spricht, hat seinen Grund darin, daß nicht nur die Theologie, sondern auch die saeculares doctrinae mitgemeint sind (ad 3).

II-II 188,5. Sed contra. Vgl. Hieronymus, Epist. 53 AdPaulinum presbyterum, ed. cit., nr. 10,464 II-II182,1 ad 2 ... disponendo ad vitam contemplativam ... und 182,4, bes. ad 2 und ad 3. Vgl. H.U. V. BALTHASAR, Besondere

Gnadengaben

456-458 und 462-464.

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Die Vielfalt des Ordenswesens

Irrtümer, denen namentlich die verfallen, die der Theologie unkundig sind443. Thomas ist also Uberzeugt, daß auch die Religiösen der Monasterien in hohem Maße der Möglichkeit des Irrtums ausgesetzt sind, wenn sie nicht ein systematisches Studium der Glaubenswahrheiten betreiben. Wiederum beruft er sich auf die Collationes, die zu berichten wissen, daß Abt Serapion aufgrund seiner Einfalt in die Häresie der Anthropomorphiten gefallen ist. Dazu paßt schließlich auch ein Wort Gregors d. Gr., wonach manche „bei der Betrachtung mehr wissen wollen, als sie verstehen können". Und: „Wer nicht demütiger Schüler der Wahrheit sein will, wird Lehrer des Irrtums"444. Wie ein monastisches Studium konkret aussehen soll, sagt Thomas hier nicht, streng verpflichtend jedoch ist in seinen Augen aus inhaltlichen und methodischen Gründen ein der jeweiligen Lebensform angepaßtes Studium. An anderer Stelle äußert er sich hierzu genauer. Zur Erkenntnis der Wahrheit gelangt der Mensch einmal, indem er sie mittels des Gebets von Gott empfängt, zum anderen indem er sie von einem anderen erhält. Das geschieht durch das Hören auf einen Redenden, durch die Lesung, die ihn mit der durch die hl. Schrift geformten Überlieferung vertraut macht. Und schließlich durch persönliches Studium, wozu die Meditation erforderlich ist445. Daß hier die disputatio unerwähnt bleibt, ist kein Zufall, da sie ihren Platz an der Universität oder im Predigerkonvent, nicht aber im Monasterium hat446. Hieß es bisher, daß das Studium einem kontemplativen Orden zukommt, so wird jetzt - im Blick auf Predigtgemeinschaften - von einer Notwendigkeit gesprochen, die kaum noch begründet zu werden braucht. Es genügt der Hinweis auf Tit 1, 9. Die mögliche Einrede, die Apostel seien auch ohne Studium vom Herrn ausgesandt worden, wird mit einem Hieronymuswort zurückgewiesen, wonach ihnen der hl. Geist eingegeben habe, was alle anderen durch tägliche Meditation erwerben müssen447. Und schließlich, an dritter Stelle, bringt der Aquinate ein Argument, das gleichermaßen auf alle Orden anwendbar ist. Das Studium ist ein geeignetes Mittel, um den Mutwillen des Fleisches zu vermeiden und die Besitzgier auszuschalten. Das Argument spielt, wie wir öfter gesehen haben, eine Nebenrolle, doch möchte der Aquinate hier wohl zu verstehen geben, daß intellektuelle Aktivitäten zu den jederzeit sinnvollen aszetischen Übungen gehören. Hat weltliches Wissen einen Platz im Kloster? Thomas betont zwar, daß den Religiösen hauptsächlich das Studium der Theologie obliegt, doch will er „andere Lehren" nicht ausschließen, wofern sie einen Bezug zur sancta doctrina haben. Das gilt namentlich für den Fall, daß sie einen Beitrag zur Widerlegung des Irrtums leisten448.

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II-II 188, 5. Alio modo, Studium litterarum iuvat ad contemplativam vitam indirecte removendo contemplationis pericula, scilicet errores, qui in contemplatione divinorum frequenter accidunt his qui Scripturas ignorant. Collationes, coll. X, c. 3, ed. cit. II, 76. Gregor d. Gr., Moralia in lob, VI, XXXVII, 57, ed. cit. 327. Hinc namque est quod nonnulli inquieti spiritus, dum plus exquirunt contemplando, quam capiunt, usque ad perversa dogmata erumpunt, et dum veritatis discipuli esse humiliter neglegunt, magistri errores fiunt. II-II 180, 3 ad 4. Oratio - auditus - lectio - proprium Studium (et sie requiritur meditatio). Zum Gebet s. L. MAIDL, Desiderii interpres 278-281. Vgl. J. LECLERCQ, L'amour des lettres Höf. - Die Konstitutionen der Dominikaner sehen einen eigenen Raum für die Disputationen vor: Dist. II, c. 29, ed. cit. 362. II-II 188, 5. Hieronymus, Ep. 53, Ad Paulinum presbyterum , ed. cit. nr. 3,449. II-II 188, 5 ad 3.

Aktive und kontemplative Orden

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Seine Überlegungen faßt Thomas in dem lapidaren Satz zusammen: Es ist offenkundig und angemessen, daß ein Orden zum Zwecke des Studium gegründet wird449. Die darin enthaltene Argumentation mag so ausgedrückt werden: Wenn die beiden großen Ordenstypen zur Erreichung ihrer Ziele des Studiums bedürfen, so ist es mehr als berechtigt, einen Orden, der die Predigt zur wesentlichen Aufgabe hat, unter einer wissenschaftlichen Rücksicht ins Leben zu rufen, da Pastoral und Theologie in einem unlösbaren Zusammenhang stehen. Wie das Studium konkret aussehen soll und welchen institutionellen Rahmen es benötigt, sagt Thomas hier verständlicherweise nicht, da seine Konzeption Religiösen aller Ordenstypen berücksichtigen möchte. Die Reihenfolge der behandelten Probleme - Predigt und Studium - läßt bereits vermuten, daß Thomas ein bestimmtes Ordensideal, welches zugleich das der Predigerbrüder ist, einer theologischen Reflexion unterziehen wird. Die Titelfrage Jst ein Orden, der sich dem beschaulichen Leben widmet, vorzüglicher als einer, der sich dem tätigen Leben widmet'?" könnte leicht mißverstanden werden, so als ginge es um eine aus einem Wettbewerb resultierende Rangliste. Solche Gedanken haben in unserem Artikel indes kein Fundament, sie widersprächen auch dem strikt formalen Denken des Aquinaten. Wohl aber ist es ihm um eine das Wesen treffende Beschreibung der Eigenart eines Ordens, um die Bestimmung seines Ziels, zu tun, das, wie wir oft gehört haben, die Mittel zu seiner Erreichung auswählt und formt. Die Einwände sprechen zugunsten des aktiven Lebens, insofern sich die ihm zugewiesenen Aufgaben - Lehre, Arbeit, Sorge für Bedürftige, Kriegsdienst - dem Gemeinwohl verpflichtet wissen, während die Kontemplation eher dem Einzelnen zum Heil zu gereichen scheint. Auch ist denkbar, daß tätige Orden sehr viel strengere Observanzen zu befolgen haben als manche Monasterien. Das Sed contra charakterisiert die Alternative unter Verweis auf Martha und Maria, die „den besten Teil" erwählt hat. Das biblische Beispiel hatte Thomas schon früher zum Kern seiner Theorie über das Verhältnis der beiden Lebensformen zueinander gemacht450. In der Natur der Sache liegt, daß die dort vorgeschlagene Lösung mit ihren Distinktionen auch jetzt im Hintergrund steht, doch ist zu vermuten, daß sie nunmehr eine bemerkenswerte Abwandlung erfahren wird. Die Frage, ob dieses vorzüglicher ist als jenes, läßt sich nur beantworten, wenn man über ein entsprechendes Kriterium verfügt. Worin es in unserem Zusammenhang besteht, haben wir bereits unter der Rücksicht der Gelübde und deren Zweck gehört. Hier wird der springende Punkt so umschrieben: Ein Orden unterscheidet sich hauptsächlich von einem anderen durch das jeweils verfolgte Ziel und, in zweiter Linie, durch die „Übungen", mit deren Hilfe es erreicht werden soll451. Die Superiorität des einen über den anderen kann deshalb nur im höheren Ziel liegen oder - zweitrangig - in den „Übungen". Unter dem Aspekt des Ziels ist der Vergleich absolut, da dieses - anders als die Mittel - um seiner selbst willen erstrebt wird. Das heißt: Der Orden ist vorzüglicher, der auf ein absolut höheres Ziel bezogen ist, sei es, daß dieses ein maius bonum darstellt, sei es, daß es sich um

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II-II 188, 5. Et ideo manifestum est quod congrue potest instituí religio ad Studium litterarum. n-II 182,1 und 4. n - I I 188, 6 ... differentia unius religionis ad aliam principaliter quidem attenditur ex parte finis, secundario autem ex parte exercitii...

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plura bona handelt432. Sollte indessen unter dem genannten Gesichtspunkt Identität im Ziel bestehen, so bestünde das Kriterium in der Angepaßtheit der zu diesem Ziel führenden Mittel, nicht aber in deren Quantität, wofür sich Thomas wiederum auf einen Väterspruch aus den Collationes stützt, wo Antonius der das Handeln regelnden discretio den Vorzug vor Fasten und Vigilien gibt453. Wie man sieht, erreicht hier die Lehre von der Instrumentalität der Gelübde und Observanzen einen gewissen Höhepunkt, insofern sie die wichtige Frage nach den Kriterien der evangelischen Nachfolge klären hilft. Soweit die Vorüberlegungen. Daß im Zentrum der sich anschließenden Reflexionen die vita activa - mit einer bemerkenswerten Abwandlung freilich - stehen wird, deutet der erste Satz an. Das Werk des aktiven Lebens ist zweifach: Eines leitet sich her von der Fülle der Beschauung, es hat Lehre und Predigt zum Gegenstand. Thomas entwickelt interessanterweise den Gedanken nicht systematisch, sondern bedient sich eines treffenden Zitats aus Gregor d. Gr. Es spricht - ganz im Sinne des Kontextes - von „vollkommenen Männern", die sich ungezwungen dem status perfectionis zuordnen lassen. Diese Qualifikation kommt ihnen zu, weil sie von der Beschauung „zurückkehren" und „Erinnerung an Deine Lieblichkeit hervorbrechen" (Ps 144, 7). Das Wort ist geschickt gewählt, weil es den Akt ruhiger Kontemplation und den Weg zu den Menschen sowie das Erinnern und Verkünden in gleicher Weise zum Ausdruck bringt454. Diese Verbindung beider ist der einfachen Beschauung vorzuziehen, „denn, wie es besser ist, zu erleuchten als nur zu leuchten, so ist es auch größer, das, was man betrachtet hat, an andere weiterzugeben, als bloß zu beschauen". Das heißt - vorläufig gesagt - dies: Es gibt eine ganz spezielle Gestalt des aktiven Lebens, die sich grundsätzlich von allen übrigen Formen unterscheidet - so auch von einem gänzlich den äußeren Aktivitäten verpflichteten Orden, der sich um Almosen, Herbergen und dergleichen müht455. 452

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II-II 188, 6 ... excellentia unius religionis super aliam principaliter quidem attenditur secundum religionis finem, secundario autem secundum exercitium. Diversimode tarnen utraque comparatio attenditur, nam comparatio quae est secundum finem est absoluta, eo quod finis propter se quaeritur; comparatio autem quae est secundum exercitium est respectiva, quia exercitium non quaeritur propter se, sed propter finem. Et ideo ilia religio alteri praefertur quae ordinatur ad finem absolute potiorem vel quia est maiits bonum, vel quia ad plura bona ordinatur. II-II 188, 6. Si vero sit finis idem, secundario attenditur praeeminentia religionis non secundum quantitatem exercitii, sed secundum proportionem eius ad finem intentimi. Die Antoniustexte: Collationes, II, cc. 2 u. 3, ed. cit.l 15f. Zur discretio bei Antonius s. A. DE VOG0É, Histoire littéraire, t. 1, 58-65. S. auch J. LECLERCQ, Saint Antoine. II-II 188, 6 ... opus vitae activae est duplex. Unum quidem quod ex plenitudine contemplationis derivatur, sicut doctrina et praedicatio. Die Stelle in ihrem Kontext lautet bei Gregor d. Gr.: Sicque fit ut ipsis suis bonis actibus adiuta ad superiora rursus in contemplationem surgat et amoris pastum de pabulo contemplatae veritatis accipiat. In qua quia diu se tenere ipsa corruptionis infirmitas non potest, ad bona rursum opera rediens, suavitatis Dei memoria pascitur, et foris piis actibus, intus vero sanctis desideriis nutritur. Hinc etenim de perfectis viris post contemplationem suam redeuntibus dicitur: Memoriam suavitatis tuae eructabunt . In Hiezech. I, Homil. V, 12, ed. cit. 63. Die zahlreichen Gregorzitate, die Thomas im Zusammenhang mit der contemplatio bringt - namentlich im jeweiligen Sed contra - zeigt den überragenden Einfluß dieses Kirchenlehrers. Dazu s. B. MCGINN, Die Mystik im Abendland, Bd. 2, Entfaltung 88-130. ST. CH. KESSLER, Gregor der Große als Exeget, bes. 234-240. Allgemeiner: E. PORTALUPI, Studi sulla presenza di Gregorio Magno. II-II 188, 6. Et hoc praefertur simplici contemplationi. Sicut enim maius est illuminare quam lucere solum, ita maius est contemplata aliis tradere quam solum contemplari. Aliud autem est opus activae

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Thomas hat also die bisher übliche Zweiteilung der Ordenstypen zu einer Dreiteilung fortgebildet, die freilich eine spezifische Differenz aufweisen muß, um sich zu rechtfertigen. Zu den aktiven Orden mit bekannten Zielsetzungen tritt nun einer, der einer bestimmten Tätigkeit - Predigt und Lehre - obliegt, die - anders als alle sonstigen Aktivitäten - an eine strikt zu verstehende Voraussetzung gebunden ist: Sie muß aus der Fülle der Kontemplation fließen. Es genügt daher nicht, daß gepredigt oder gelehrt wird, beide Akte sind erst dann das, was sie sein sollen, wenn sie sich aus der Beschauung herleiten. Studium, Meditation und Gebet sind deshalb strikte Bedingungen, damit die plenitudo contemplationis allererst zustandekommt, aus der Lehre und Predigt ihre Besonderheit empfangen. Die Kontemplation qualifiziert deshalb Predigt und Lehre innerlich, weil deren Gegenstand, die doctrina christiana, sich nur so und nicht auch anders gewinnen und mitteilen läßt. Das hieße ferner: Eine so geartete Verkündigung unterscheidet sich prinzipiell von allen sonstigen Formen des Erwerbs von Wissen und dessen Weitergabe. Die notwendige Verbindung von Kontemplation und Aktion bewirkt, daß es nicht zwei Ziele gibt, sondern nur eines. Also nicht: Erst Kontemplation - dann Predigt, sondern aus dem einen Ziel folgt ein einziger Akt, das Fließen des einen aus dem anderen. Die traditionelle Bezeichnung vita mixta (Thomas verwendet den Begriff nicht) darf demnach nicht in dem Sinn mißverstanden werden, als handele es sich hier um eine „Mixtur" zu mehr oder minder gleichen Anteilen, beide bilden vielmehr eine Einheit, die man nicht in Elemente zerlegen darf. Thomas hat die Frage schon in den Jahren seines ersten Pariser Aufenthalts behandelt. Im Blick auf die Eigenart seines Ordens mußte er das klassische Problem des Verhältnisses zwischen actio und contemplatio auf neue Weise bedenken. Er wurde mit ihm spätestens anläßlich der Auseinandersetzungen mit den Mendikantengegnern konfrontiert, als er die Predigergemeinschaft, die sich nicht mehr unter die herkömmlichen Monasterien subsumieren ließ, die aber auch nicht das kontemplative Ideal einfach preisgeben wollte, zu rechtfertigen hatte. Ihr Lebensrecht war erst dann zureichend begründet, wenn es gelang, ihr einen Platz zu sichern, der ihr die Teilhabe an einem bewährten und allgemein anerkannten „Weg" garantierte. Wie aber waren docere und praedicare als nach außen gerichtete Aktivitäten in die Kontemplation zu integrieren? Den ersten Versuch, eine Lösung zu finden, haben wir in De veritate (q. 11, a. 4) vor uns, den er allerdings in der Secunda Secundae in einem entscheidenden Punkt modifizierte. Beschauliches und tätiges Leben unterscheiden sich, so führt er in seiner Disputation aus, nach Ziel und Gegenstand. Während sich ersteres auf die rationes rerum bezieht, auf die der Betrachter seinen Blick richtet, hat es das andere mit zeitlichen Dingen zu tun. Aus solcher Differenz ergibt sich die Verschiedenheit des Ziels, insofern das beschauliche Leben das „Einsehen" (inspectio) der ungeschaffenen Wahrheit ist, soweit das auf Erden möglich ist. Ziel des Tätigseins hingegen ist das Tun zum Wohl der Nächsten. Daraus resultiert bestätigt durch ein Wort Gregors d. Gr. - , daß das Lehren Sache des tätigen Lebens ist456. Im Akt des Lehrens findet man nun einen zweifachen inhaltlichen Bezugspunkt: Der eine ist die Sache selbst, die gelehrt wird, der andere ist deijenige, dem die Lehre vermittelt wird.

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vitae quod totaliter consistit in occupatione exteriori, sicut eleemosynas dare, hospites recipere ... Quae sunt minora operibus contemplativis, nisi forte in casu necessitatis ... De veritate, q. 11, a. 4. Ed. Leon., t. 22, Quaestiones disputatile de veritate, vol. II, 362. Zu diesem Artikel vgl. G. JOSSEN, Über den Lehrer. De magistro 161-165.

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Unter der ersten Rücksicht bezieht sich das Lehren nur auf das kontemplative Leben, unter der zweiten jedoch auf das tätige. Vom Ziel her gesehen, erstreckt sich das Lehren allein auf die aktive Lebensweise, weil der letzte Gegenstand, in dem es zu seinem Ziel gelangt, das aktive Leben ist. Das Lehren gehört deshalb „mehr" zur Aktion als zur Kontemplation457. Die Konklusion zeigt, daß Thomas mit seinen Überlegungen, sieht man sie unter dem Aspekt einer Wesensbestimmung seines Ordens, noch nicht zu einer wirklich befriedigenden Antwort gekommen ist, da dann das Dozieren als Proprium des Ordens eher auf der Seite der Aktion als der Kontemplation läge, wodurch er aufhörte, zu den Chrakteristika kontemplativer Gemeinschaften gezählt zu werden. Daß er dieser Einordnung nicht zustimmen konnte, steht außer Zweifel. Thomas beseitigte diesen Mangel in der Secunda Secundae anläßlich der Antwort auf die Frage, ob das Dozieren ein Akt des aktiven oder des kontemplativen Lebens sei458. Das Gregorzitat, wonach das Belehren des Unwissenden in den Bereich des Tätigen fällt, wird auch hier beibehalten, aber schon der erste Satz weist in eine neue gedankliche Richtung. Das Lehren erfolgt in der Rede, die als „hörbares Zeichen" des inneren Begriffs zu verstehen ist. Der Inhalt der Rede gehört mitunter zum aktiven Leben, bisweilen jedoch zum kontemplativen. Im ersten Fall erfaßt man „innerlich" (interius) eine Wahrheit, „um durch sie in einer äußeren Tätigkeit (in exteriori actione) geleitet zu werden". Das geschieht immer dann, wenn es um Wissen geht, das Handlungen bestimmt. Im zweiten Fall gehört das Lehren zum beschaulichen Leben, wofern man „innerlich" (interius) eine intelligible Wahrheit erfaßt, in deren Betrachtung (in consideratione) und Liebe man Wonne erfährt. Bleibt der erste Gegenstand auch unter dem Aspekt des Aktiven im Beschauenden selbst, so kommt der zweite Gegenstand von seiten der hörbaren Rede, so daß der Hörer der Bezugspunkt der Lehre ist. Im Hinblick auf ihn gehört jedwede Doktrin zur aktiven Lebensform459. Durch solche Überlegungen vorbereitet, konnte Thomas den letzten Schritt tun und das Wesen seines Ordens endgültig beschreiben. Er brauchte nur dessen zweite Eigentümlichkeit, die praedicatio, dem docere zuzufügen. Das Schwergewicht ruht nunmehr auf der kontemplativen Seite des Lehrens, so daß eine beide „Wege" umgreifende Synthese gefunden war, die den klassischen Antagonismus - wenigstens unter dem Aspekt der Wahrheitsvermittlung und der biblischen Verkündigung - in einem konkreten Fall aufhob. Die Antwort auf die Titelfrage (188, 6) ergibt sich nunmehr fast von selbst, doch wird sie durch einen Gedanken erweitert, der frühere Reflexionen über den status perfectionis aufnimmt. Ein Orden, der auf Predigt und Lehre hingeordnet ist, nimmt den höchsten Rang ein. Und dies auch deshalb, weil er der „Vollkommenheit der Bischöfe" ganz nahe steht, ja 457

AaO. Sed ex parte finis dottrina solummodo ad vitam activam pertinere invenitur quia ultima materia eius, in qua finem intentum consequitur, est activae vitae materia; unde magis ad activam vitam pertinet quam adcontemplativam, quamvis etiam alio modo ad contemplativam pertineat ...

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H—II 181, 3 ... ad activam (pertinet) quidem, quando homo interius concipit aliquam veritatem, ut per eam in exteriori actione dirigatur; ad contemplativam autem, quando homo interius concipit aliquam veritatem intelligibilem in cuius consideratione et amore delectatur ... Aliud vero obiectum doctrinae est ex parte sermonis audibilis. Et sie obiectum doctrinae est ipse audiens. Et quantum ad hoc obiectum omnis doctrina pertinet ad vitam activam, ad quam pertinent exteriores actiones.Vgl. H . U . v . BALTHASAR, Besondere

Gnadengaben

4 5 1 f.

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sie „berührt", insofern hier ebenfalls das dionysianische Prinzip gilt, wonach die „untere Grenze des Höheren sich berührt mit der oberen des niederen Bereichs"460. Die vita mixta ist nun, wie wir mehrmals gehört haben, dem Episkopat wesentlich, in ihm findet sie gleichsam ihre Urgestalt, die sich - wenngleich in verminderter Form - historisch erneut in einem Orden mit dieser Zielsetzung realisiert hat, indem er sich das apostolische Ideal zu eigen machte. Er hat folglich Anteil an der einmaligen Funktion der Bischöfe, insofern die Religiösen aktiv - unter den Bischöfen und in deren Auftrag - die Gläubigen zur Vollkommenheit führen. Man sieht wiederum, wie sich die theologische Konzipierung des Episkopats mit einer neuen Sicht des Ordensstandes verbindet, in der die Mendikantengemeinschaften einen eigenen Platz zugewiesen erhalten. Es bedarf nicht mehr vieler Worte, daß die kontemplativen Orden - gegen eine alte Tradition - die zweite Stufe in der Rangordnung einnehmen, während die dritte den Orden zukommt, die sich „äußeren Tätigkeiten" widmen. Jede dieser beiden Stufen läßt wiederum Variationen zu, je nachdem ob der einzelne Orden auf eine höhere Aktivität bezogen ist oder nicht. Thomas wählt zur Illustrierung des Gedankens zwei zeitgenössische Beispiele: Der Loskauf von Gefangenen Uberragt die Betreuung von Pilgerherbergen. Auch gibt es kontemplative Gemeinschaften, die mehr dem Gebet als der Lesung obliegen461. (Man beachte, daß Thomas bezeichnenderweise bei den den ersten Rang einnehmenden Orden solche Stufungen nicht annimmt, sie müssen ganz und ungeteilt ihr Ziel vor Augen haben). In einem Responsum äußert sich der Aquinate auf sehr zurückhaltende Weise zur Funktion klösterlicher Observanzen, die andernorts wohl mit Verwunderung registriert worden sein dürfte. Nicht die Strenge der Übungen, heißt es wiederum unter Berufung auf Antonius, befindet über den Rang eines Ordens, sondern nur eine mit Unterscheidungsvermögen ausgestattete aszetische Praxis, die sich dem Ziel des Ordens anzupassen vermag462. Weder hier noch sonst sagt Thomas, welcher historische Orden dem Programm einer vita mixta entspricht, obwohl kein Zweifel daran besteht, daß er an seinen eigenen Orden denkt wenigstens an die ideale Gestalt desselben. Schließlich erfüllt die Verfassung des Predigerordens mit ihrer originellen Zuordnung von Theologie und Pastoral alle direkt und 460

II-II 188, 6. Sic ergo summum gradum in religionibus tenent quae ordinantur ad docendum et praedicandum. Quae et propinquissimae sunt perfectioni episcoporum, sicut et in aliis rebus; fines primorum coniunguntur principiis secundorum' (Dionysiaca I 407). Vgl. auch Thomas, In librum Beati Diortysii De divinis nominibus expositio, ed. cit., c. YD, lectio IV, Expositio S. Thomae, nr. 733, 275: infima supremorum coniungit principiis secundorum, idest supremis inferiorum. Zur Hauptaufgabe hat sich Thomas später mit einem eindrücklichen Text geäußert. S Th III 67, 2 ad 1 ... utrumque officium, scilicet docendi et baptizandi, Dominus apostolis iniunxit, quorum vicem gerunt episcopi, aliter tarnen et aliter. Nam officium docendi commisit eis Christus, ut ipsi per se illud exercerent tanquam principalissimum (cf. Act 6, 2). Officium autem baptizandi commisit apostolis, ut per alios exercendum ... (cf. 1 Cor 1, 17). Zur engen Verbindung von Bischöfen und Predigern hat sich Thomas bereits in De caritate (q. un., a. 11 ad 6, ed. cit. 783) geäußert: Et haec perfectio (ut Deo serviant in salutem proximorum) est proprie praelatorum et praedicatorum et quorumcumque, qui procurandae saluti aliorum insistunt; unde significantur per angelos in scala Iacob ascendentes quidem per contemplationem, descendentes vero per sollicitudinem quam de salute proximorum gerunt. Zum Bild der Himmelsleiter bei Bonaventura s. B. F A E S de M O T T O N I , San Bonaventura e la scala di Giacobbe.

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H-II188,6. II—II188, 6 ad 3. Et ideo non est potior religio ex hoc quod habet arctiores observantias; sed ex hoc quod ex maiori discretione sunt eius observantiae ordinarne adfinem religionis.

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indirekt geforderten Bedingungen, um jenes Ziel auch tatsächlich zu realisieren. Daß er keinen Namen nennt, hat allerdings nichts mit Bescheidenheit zu tun. Die Zurückhaltung hat vielmehr ihren Grund in dem Wunsch des Aquinaten, eine Lebensform zu entwerfen und theologisch zu begründen, die allen Gemeinschaften offensteht, die sich doctrina et praedicatio zum Ordensziel erwählen wollen.

3. Orden und evangelische Armut Wir haben mehrfach konstatiert, daß für Thomas die evangelische Armut spätestens seit der Summa contra Gentes eine außerordentlich wichtige und paradigmatische Rolle zu spielen beginnt, weil sich an ihr der instrumentale Charakter der Gelübde besonders gut entwickeln und begründen läßt. Daß sich in diesem Kontext auch das allgemeinere Problem des gläubigen Verhaltens gegenüber der Welt und dem Besitz in neuer Schärfe stellte und eine dialektische Lösung fand, für die die Gestalt Abrahams stehen mag, zeigt, daß jene Forderung des Evangeliums eine Reihe von zunächst so nicht erwarteten Implikationen enthält. So ergab sich ein folgenschwerer Zusammenhang zwischen Armut und Ekklesiologie, der den Aquinaten namentlich in De perfectione, Contra retrahentes und auch in der Lectura zum Mathäusevangelium beschäftigte. Später - in der Tertia Pars - wird er sich der Frage zu stellen haben, wie Christus selbst die Armut verstanden und gelebt, und wie er deren Beobachtung zur Bedingung einer authentischen Nachfolge auf seinem Weg erhoben hat. In der Secunda Secundae dürfen wir eine Synthese erhoffen, in der die aus einer polemischen Situation erwachsenen Reflexionen, wie sie in den eben genannten Werken ihren Niederschlag gefunden haben, benutzt werden, um der Armut ihren Platz in der Lehre vom status perfectionis zu geben. Die Überschrift unseres Artikels Mindert gemeinsamer Besitz die Vollkommenheit eines Ordens? " verrät bereits, wo das Schwergewicht der zu behandelnden Themen liegt und von welchem Diskussionspunkt ausgegangen wird. Das Sed contra enthält unter dem Namen Prospers von Aquitanien einen Text aus Johannes Pomerius, der hier bezeichnenderweise nach dem kirchlichen Rechtsbuch zitiert wird, wonach Eigenbesitz unerlaubt ist, während „man andererseits ohne Hindernis für die Vollkommenheit die Kirchengüter, die doch sicher Gemeinbesitz sind, besitzen kann"463. Der Zusammenhang legt es nahe, daß diese Aussage grundsätzlich auf alle Orden anwendbar ist, obschon wir mit beträchtlichen Distinktionen rechnen dürfen, die sich an den jeweiligen Ordenszielen zu orientieren haben. Die Reflexion selbst beginnt mit einem uns wohlvertrauten Prinzip: Die Vollkommenheit besteht nicht „wesentlich" in der Armut, sondern - wiederum unter Berufung auf Hieronymus - in Christi sequela. Wohl aber ist sie, wie Abt Moses bezeugt, Instrument und Übung, um zur Vollendung zu gelangen464. Die Armut oder die freiwillige Preisgabe des Besitzes hat die

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Der Text des Pomerius: De vita contemplativa, 1. II, c. 9, PL 59, 453. K. RUH, Geschichte der abendländischen Mystiks, Bd. 1, 139-144. II-II 188, 7 ... perfectio non consistit essentialiter in paupertate, sed in Christi sequela (Hieronymus, Commentario in Matheum III zu 19, 27, ed. cit.172). Paupertas autem est sicut instrumentum vel exercitium perveniendi ad perfectionem.

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Aufgabe, die der Liebe entgegenstehenden Hindernisse zu beseitigen. Sie äußern sich in dreifacher Gestalt: Reichtum bringt ängstliche Sorge mit sich; Besitz weckt das Verlangen nach mehr; eitler Ruhm und Überheblichkeit sind die Folge. Das für ein geistliches Leben wichtigste Hindernis betrifft den ersten Punkt: Sorge als Inbegriff biblischer Mahnworte läßt sich nicht gänzlich vom Besitz, mag er groß oder klein sein, trennen, denn der Mensch muß sich „irgendwie" (aliqualiter) um Erwerb oder Erhalt äußerer Dinge kümmern. Erstrebt oder hat man sie in geringer Menge, wie sie zum einfachen Lebensunterhalt nötig sind, so behindert die damit verbundene Sorge nicht wirklich, so daß sie einem vollkommenen christlichen Leben nicht widerstreitet. Christus selbst hat nicht schlechthin jegliche sollicitudo verworfen, sondern nur die überflüssige und schädliche. Unleugbar ist hingegen, daß übermäßiger Besitz eine noch übermäßigere Besorgtheit hervorruft, die den Menschen so ablenkt und absorbiert, daß er sich nicht mehr ganz Gott hinzugeben vermag465. Wie schon früher, so hat Thomas auch jetzt seine Gedanken maßvoll und umsichtig formuliert. Bescheidenen Besitz - ein einfacher, aber nicht näher beschriebener Lebensunterhalt stellt das Kriterium dar - darf man haben und erstreben, weil dieser keine Gefahr für den Christen und sein Verlangen nach Gott bedeutet. Wir dürfen vermuten, daß die speziellen Erwägungen des Aquinaten über den Ordensstand ebenfalls auf dieser Linie bleiben werden. Für unsere Problematik ist nun nicht nur die Unterscheidung zwischen großem und kleinem Besitz wichtig, sondern die Antwort auf die Frage, ob es sich jeweils um persönliches oder gemeinsames Eigentum handelt. (Man beachte, daß es eine dritte Form des Habens offenbar nicht gibt). Die Sorge um Eigenbesitz gehört zur Eigenliebe, mit der sich jemand auf irdische Weise liebt, wohingegen das Sichkümmern um Gemeinbesitz auf der Ebene der Nächstenliebe liegt, die an das allen Gliedern einer Kommunität Gemeinsame denkt. Während das eine, das Etwas-zu-eigen-haben, dem Ordensleben widerspricht, kann das andere zur Nächstenliebe gereichen, auch wenn das „gemeinsam haben" einem höheren Akt der Liebe hinderlich sein kann, wobei an die Kontemplation und die Unterweisung der Gläubigen gedacht wird466. Mit der soeben gemachten Aussage ist eine bedeutsame Entscheidung gefallen: Die traditionelle Existenzweise der Monasterien, die auf Gemeinbesitz beruht, ist legitimiert und evangeliumsgemäß. Daraus läßt sich nun eine detaillierte Konklusion herleiten. Das Haben „überreichen Gemeinbesitzes" in Gestalt von Mobilien oder Immobilien ist ein Hindernis

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II-II 188, 7. Die drei impedimenta: sollicitudo, quam secum divitiae afferunt ... divitiarum amor, qui ex divitiis possessis augetur ... inanis gloria vel elatio, quae ex divitiis nascitur ... Horum ergo trium primum a divitiis separali non potest totaliter, sive sint magnae vel parvae; necesse est enim hominem aliqualiter sollicitari de acquirendis vel conservandis exterioribus rebus. Sed si res exteriores non quaerantur vel habeantur nisi in modica quantitate, quantum sufficiunt ad simplicem victum, talis sollicitudo non multum impedii hominem. Unde nec perfectioni repugnat christianae vitae ... Sed abundans divitiarum possessio abundantiorem sollicitudinem ingerit, per quam animus hominis multum distrahitur et impeditur, ne totaliter feratur in Dei obsequium. II-II 188, 7. Nam sollicitudo quae circa proprias divitias adhibetur, pertinet ad amorem privatum, quo quis se temporaliter amat; sed sollicitudo quae adhibetur circa res communes pertinet ad amorem caritatis, quae non quaerit quae sua sunt (1 Cor 13, S), sed communibus intendit ... habere aliquid proprium perfectioni repugnat religionis. Sed sollicitudo quae adhibetur circa bona communia, pertinere potest ad caritatem, licet per hoc impediri possit aliquis altior caritatis actus, puta contemplationis divinae aut instructio proximorum.

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für die Vollkommenheit, ohne sie indessen gänzlich auszuschließen467. Ob mit der Konzession einzelne Religiösen gemeint sind, die inmitten des Überflusses ein moderates Leben führen, oder ob man den „Rest von Vollkommenheit" der Kommunität als ganzer zuschreiben darf, ist nicht klar. Wohl aber macht die Fortsetzung deutlich, daß Thomas strenge Kriterien anlegt, wenn er schreibt, daß ein dem einfachen Unterhalt dienendes Vermögen an Land, Häusern oder beweglicher Habe einen Orden nicht an der Erreichung seines Ziels behindert468. Reiche Klöster stehen also in der Gefahr, eine Grenze zu überschreiten, die, falls das eintritt, das Ende eines an den Forderungen des Evangeliums zu orientierenden Weges bedeutet. Oder anders gesagt: Der simplex victus, der wohl mit Bedacht nirgendwo näher beschrieben wird, aber die alltäglichen menschlichen Bedürfnisse sichert und von der klösterlichen Gemeinschaft gewährt wird, ermöglicht das Streben nach Vollkommenheit. Unter ihm ist schließlich die Gestalt der Armut zu verstehen, die dem allen Orden gemeinsamen Ziel, dem Freisein für Gott, dient. Thomas bleibt freilich bei solchen Erwägungen nicht stehen. Das sämtlichen Orden Verbindliche bedarf wichtiger Präzisierungen in Hinsicht auf die speziellen Ziele der einzelnen Ordenstypen. Die von ihnen jeweils zu realisierenden Aufgaben bedingen eine gestufte Armut, die dem werkzeuglichen Charakter derselben entspricht. Oder auch: Unter dem Aspekt der Armut wird ein Orden um so vollkommener sein, je besser er sich seinem Ziel anzupassen weiß469. Sie ist also, wie wir in variierter Form öfter gehört haben, eine relative Größe, die sich, wie sich ebenfalls ergeben hat, einer kasuistischen Betrachtung entzieht, die aber gleichwohl nicht der Beliebigkeit unterliegt. Als Leitlinie dient eine Feststellung des Aristoteles, daß der Mensch für die äußeren, körperlichen Werke des aktiven Lebens viele Dinge braucht, während zur Kontemplation nur weniges nötig ist. Alles andere würde ablenken und hinderlich sein. Die Applikation auf aktive Orden ist nicht schwer. Kriegsdient oder Gastfreundschaft für Pilger etwa sind ohne größeren Aufwand nicht denkbar. Beschauliche Orden hingegen sind um so vollkommener, je weniger deren Armut Sorge um das Zeitliche einträgt. Und: Sorge um Irdisches behindert ein Ordensleben um so mehr, je größer die Sorge um Geistliches sein soll470. Gewiß geht Thomas weder hier noch anderswo auf Einzelheiten ein, die das Prinzip zu illustrieren hätten, aber soviel dürfte doch feststehen: Selbst ein einfach lebendes kontemplatives Kloster müßte, um existieren zu können, Immobilien mit den aus ihnen resultierenden Einkünften haben, die juristische und administrative Mühen verursachen. Das gilt in vielleicht noch höherem Maß von den städtischen Frauenkonventen, die aus Mitgift, Schenkungen und Erbschaften ihren Unterhalt

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II-II 188, 7. Ex quo patet quod habere superabundantes divitias in communi, sive in rebus mobilibus sive in immobilibus, est impedimentum perfectionis, licet non totaliter excludat earn. II-II 188, 7. Habere autem de rebus exterioribus in communi sive mobilibus sive immobilibus, quantum sufficit ad simplicem victum, perfectionem religionis non impedit; si consideretur paupertas ad communem finem religionum, qui est vacare divinis obsequiis. n - I I 188, 7. Si autem consideretur per comparationem ad speciales fines religionum, sie praesupposito tali fine, paupertas maior vel minor acommoda; et tanto erit unaquaeque religio secundum paupertatem perfectior, quanto habet paupertatem magis proportionatam suo fini. II-II 188, 7. Religiones autem quae ad contemplativam vitam ordinantur, tanto perfectiores sunt, quanto eorum paupertas minorem eis sollicitudinem temporalium ingerit. Tanto autem sollicitudo temporalium rerum magis impedit religionem, quanto sollicitudo spiritualium maior ad religionem requiritur.

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bestritten. Zu solchen Details äußert sich Thomas nicht, er hatte jedoch schon früher - in der Summa contra Gentes - vermerkt, daß den mit der Verwaltung betrauten Religiösen die Früchte der Kontemplation nicht vorenthalten werden. Von der monastischen Armutsform hebt sich markant die der neuen Orden ab, die die intensivste Loslösung vom Materiellen zu erstreben haben. Sie pflegen nicht nur die Kontemplation, sondern sind auch dazu gegründet worden, das Geschaute in Lehre und Predigt weiterzugeben. Der höchsten Verantwortung für das Geistige korrespondiert eine möglichst geringe Inanspruchnahme durch weltliche Sorgen. Die Armut muß also dort am strengsten sein, wo sich die Beschlagnahme durch Besitz am nachteiligsten auswirkt471. Nach Thomas sind die Predigerkonvente mit kleinem Immobilienbesitz und ohne regelmäßig fließende Einkünfte größeren Umfangs weithin frei von administrativen Lasten. Das ist offenbar von ihm und vielen Zeitgenossen als die Neuerung angesehen worden, die ein bisher so nicht bekanntes Freisein von weltlichen Geschäften garantierte. Dazu gibt es einige wichtige Erläuterungen, die auf einen damals für zentral gehaltenen Punkt hinweisen. Die geringste Sorge um Materielles ist dann gegeben, wenn man von den zum Lebensunterhalt nötigen Dingen lediglich einen Vorrat hat, der „zu passender Zeit" (den Früchten der Jahreszeiten gemäß) angelegt wurde. Wendet man diesen Maßstab auf die drei genannten ökonomischen Existenzweisen der Klöster an, ergibt sich wiederum eine gestufte Armutspraxis. Aktive Orden müssen einen beträchtlichen Gemeinbesitz haben, um ihren Dienst an Bedürftigen leisten zu können. Kontemplativen Kommunitäten entspricht „mehr" ein bescheidener Besitz, weil sie ja nur den eigenen Bedarf zu befriedigen haben, außer sie hätten gleichzeitig - in eigener oder fremder Regie - ein Hospiz oder Armenfürsorge472. Der Gemeinbesitz hat also dem jeweiligen Umfang gemäß unterschiedliche Funktionen zu erfüllen, die selbst in den Monasterien desselben Typs nicht immer uniform sind. Die Orden schließlich, die der idealen Armutskonzeption am nächsten kommen, müssen ein von äußeren Sorgen möglichst freies Leben führen. Die ökonomische Basis, auf der sich das realisieren läßt, besteht in einer bescheidenen Vorratshaltung, die nicht auf langfristig angelegten Ressourcen beruht, sondern auf Naturalien, die der Jahreszeit gemäß aufbewahrt werden und keine besonderen administrativen Lasten mit sich bringen473. Da solche Früchte des Feldes ohnehin verderblich sind, lassen sich keine Schätze ansammeln. Immobilien Konvent, Kirche, Garten, Weinberge - haben schon bei den frühen Gründungen eine wichtige Rolle gespielt, werden hier jedoch nicht erwähnt, wohl weil sie keinen Gewinn

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II-II 188, 7. Manifestum est autem quod maiorem sollicitudinem spiritualium requirit religio quae est instituta ad contemplandum et contemplata aliis tradendum per doctrinam et praedicationem, quam ilia quae est instituta ad contemplandum tantum. Unde talem religionem decet pauperlas talis quae minorem sollicitudinem ingerii. II-II 188, 7. Manifestum est autem quod minimam sollicitudinem ingerit servare res usui hominum necessarias tempore congruo procuratas ... Nam Ulis religionibus quae ordinantur ad corporales actiones activae vitae competit habere abundantiam divitiarum communium. Illis autem religionibus quae sunt ordinatae ad contemplandum magis competit habere possessiones moderatas; nisi simul oporteat tales religiosos per se vel per alios hospitalitatem tenere et pauperibus subvenire. II-II 188, 7. Illis autem quae ordinantur ad contemplata aliis tradendum competit vitam habere maxime ab exterioribus sollicitudinibus expeditam. Quod quidem fit dum modica quae sunt necessaria vitae congruo tempore procurata conservantur.

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Die Vielfalt des Ordenswesens

abwerfen. Sonstiger Besitz - etwa Bücher - wird ebenfalls nicht genannt474. Offenbar mit Absicht wird Thomas nirgendwo konkret, wohl weil er wußte, wie gefährlich eine Kasuistik mit ihrer Neigung zu endlosen Debatten war. Prinzipien müssen und können genügen, zumal die Einzelheiten regelnde Autorität den Generalkapiteln zukommt, denen die Theologie lediglich zuzuarbeiten hat. Wir hatten bereits Gelegenheit, auf die Problematik des Geldbesitzes einzugehen. In verklausulierten, aber doch deutlichen Worten hatte Thomas schon in Contra Gentes davon gesprochen. Hier läßt er nun alle begreifliche Vorsicht fallen. Daß Mendikantenkonvente die soeben beschriebene Vorratshaltung praktizieren dürfen, hat Christus, der institutor paupertatis, durch sein Beispiel sanktioniert, indem er einen „Beutel" hatte, der Judas anvertraut worden war. Das im „Beutel" verwahrte Geld gehörte zwar den Armen, doch sind zu diesen „vor allem" die Jünger zu zählen, für deren Bedürfnisse das Geld bestimmt war. Oder schärfer: Die „Armenkasse" ist in erster Linie „Jüngerkasse", wie der Auftrag des Herrn (Jo 4, 8) zum Kauf der Lebensmittel zeigt475. Oder anders: Das Beispiel Christi lehrt, daß das Aufbewahren von Geld oder anderen nicht näher bezeichneten Dingen zum Zwecke des Unterhalts der Religiösen oder sonstiger Armen mit dem Vollkommenheitsideal durchaus vereinbar ist. Kein Geringerer als der Herr selbst hat diese Praxis durch sein Beispiel gerechtfertigt476. Die Sätze klingen für den heutigen Leser harmlos, allein der Umstand, daß Thomas die These zunächst in verschlüsselter Form vorgetragen hatte, legt nahe, daß es sich um fromme Ohren skandalisierende Aussagen gehandelt haben muß. Ziemlich sicher dürfte sein, daß wir es auch mit einer antiminoritischen Stellungnahme zu tun haben, denn wenig später vernehmen wir, daß sie in diesen Kreisen als Provokation empfunden worden ist477. Vielsagend sind auch die Anspielungen auf zeitgenössische Probleme, wie sie in den Antworten auf Einwände erscheinen. Die Armut hat als das geringste unter den drei Gelübden zu gelten, denn die Enthaltsamkeit steht höher als sie, und der Gehorsam rangiert an der Spitze. Selbst wenn man annehmen wollte, daß ein excessus paupertatis einen Orden vollkommener macht, insofern er ärmer ist, bewirkte das nicht, daß er schlechthin vollkommener wäre, denn es bliebe möglich, daß ihn ein anderer in bezug auf Keuschheit und

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Vgl. S. AXTERS, Boekenbezit. A. WALZ, Vom Buchwesen. II-II 188, 7. Et hoc Dominus, paupertatis institutor, docuit suo exemplo; habebat enim loculos Judae commissos, in quibus recondebantur ei oblata (Jo 12, 6) ... quia inter illospauperespraecipue erant eius discipuli, in quorum necessitates pecunia loculorum Christi expendebatur. - Vgl. Super Evangelium S. Ioannis Lectura zu c. 13, lectio V, ed. cit., nr. 1819 u.1821, 340. Nihil tuleritis in via referendum est ad singulos praedicatores et apostolos, qui nihil portare debent quando ad praedicandum vadunt. Non autem referendum est ad totum collegium, quod oportet aliquid habere et pro seipsis et pro egenis. II-II 188, 7. Ex quo patet quod conservare pecuniam aut quascumque alias res communes ad sustentationem religiosorum congregationis eiusdem vel quorumcumque aliorum paupemm est perfectioni conforme, quam Christus docuit suo exemplo. Zur Beurteilung des Geldes in Mendikantenkreisen vgl. die exemplarische Studie von L. HARDICK, „Pecunia et denarii". - Daß die Thesen des Aquinaten tatsächlich eine frühe und heftige Kritik provoziert haben, zeigt die Reaktion des Johannes Pecham und des Ioannis.Petrus Olivi. Dazu s. neuerdings K. MADIGAN, Aquinas and Olivi. Ferner: U. HORST, Evangelische Armut 168—176.

Orden und evangelische Armut

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Gehorsam überragt478. Gewiß handelt es sich hier um einfache Folgerungen aus Prinzipien, doch liegt offen zu Tage, daß sie mit Absicht vorgetragen werden, um auf andernorts angemeldete Ansprüche zu reagieren. Oder einfacher: Aus einer rigorosen Armutspraxis ergibt sich noch längst nicht der Vorrang eines Ordens. In den damaligen Kontroversen hat die Frage der klösterlichen Vorratshaltung allem Anschein nach eine wichtige und wohl auch polemische Rolle gespielt. Darf man für den morgigen Tag in Sorge sein? Thomas gibt die Antwort mittels einer Kette von Vätertexten, die durch ein Antoniuszitat aus den Collationes eingeleitet werden, das von der Enttäuschung derer spricht, die jene Weisung (Mt 6, 34) wörtlich praktizieren wollten, bei der Realisierung des Vorhabens jedoch scheiterten. Auch Augustinus weiß von der Unmöglichkeit, ohne Vorräte zu sein, ja er zeiht die Rigoristen der Inkonsequenz, denn wenn man ihnen unter Verweis auf das Evangelium sagt, sie dürften nichts für morgen zurücklegen, entgegnen sie ganz zu recht, der Herr selbst habe doch einen „Beutel" gehabt. Auch verweisen sie auf ein Beispiel, wonach den Vätern schon vor Eintreten einer Hungersnot Getreide geschickt worden sei479. Das heißt: Sowohl der Vater des Mönchtums wie ein Kirchenlehrer bekräftigen die These, daß eine maßvolle Vorsorge gestattet, ja geboten ist. Und schließlich: Die in manchen Kreisen gemachte Unterscheidung zwischen (erlaubten) Naturalien und (unerlaubtem) Geldbesitz ist nicht akzeptabel. Münzen und Lebensmittel dienen in gleicher Weise dem Unterhalt, und bezeichnenderweise hat der Herr nicht verboten, sie aufzubewahren480. Gedenken wir abschließend eines Aspekts, der bei einer Würdigung unseres Artikels nicht außer acht gelassen werden darf. Die in ihm gebotenen Lösungen eines in Mendikantenkreisen als brennend angesehenen Problems, das Ende des Jahrhunderts nichts von seiner Schärfe eingebüßt hatte, tragen die Spuren zeitgenössischer Kontroversen an sich. Pointierte Äußerungen - man denke an den durch das Beispiel Christi sanktionierten und durch die Börse symbolisierten Gemeinbesitz, den konventualen Vorrat, an die Rangordnung der Gelübde - haben ihren adäquaten historischen Ort in dem Bemühen, eine in sich geschlossene Konzeption vorzulegen, die der Realität des Ordens in der mittelalterlichen Stadt gerecht werden konnte. Daß sie sich in fast jeder Hinsicht von der der Minoriten unterschied, war damals jedem Leser klar481. Eine indirekte Überlegung wiegt noch schwerer und 478

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n-II 188,7 ad 1. (Votum paupertatis) minimum est inter tría principaba instrumenta perfections; nam votum continentiae praeeminet voto paupertatis, et votum obedientiae praefertur utrique. Et si daretur quod excessus paupertatis faceret religionem perfectiorem secundum hoc quod est pauperior, non tarnen faceret earn perfectiorem simpliciter. Posset enim esse quod alia religio excederet in his quae pertinent ad continentiam et obedientiam et sic esset simpliciter perfection quia quod in melioribus excedit, est simpliciter melius. II—II188,7 ad 2. Vgl. Collationes II, c. 2, ed. cit. 113. n-II 188, 7 ad 5. S. besonders M.D. LAMBERT, Franciscan Poverty. U. HORST, Evangelische Armut 135ff (dort auch weitere Literatur). Ich stimme der Charakterisierung der Lehre des Aquinaten von der Armut zu, wie sie J.G.J. VAN DEN EUNDEN, Poverty on the Way gibt, zu, doch habe habe ich keinen Zweifel daran, daß ihr Bonaventura und die zeitgenössischen Minoriten heftig widersprochen hätten. Daß der Konflikt noch nicht im ersten Pariser Mendikantenstreit ausbrach, hat eine Reihe von Gründen. Die Frontstellung gegen den gemeinsamen Feind ließ die internen Differenzen zurücktreten, zumal sich die Minoriten auf päpstliche Approbationen ihres Sonderweges beriefen und die Gefahr spiritualistischer Fehldeutungen offenbar noch gering war. Thomas konnte in dieser Phase sehr wohl „a companion of

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Die Vielfalt des Ordenswesens

bestätigt, wen und was der Aquinate vor Augen gehabt hat. Es muß auffallen, daß er anläßlich seiner These von der Vereinbarkeit des Gemeinbesitzes mit der evangelischen Vollkommenheit sagt, sie gelte so für alle Ordenstypen, wobei er den Sonderweg der Minoriten mit der Transferierung jeglichen Eigentums und sämtlicher Rechte auf den Apostolischen Stuhl einfach übergeht. In seiner Synthese ist für die franziskanische Konzeption kein Platz. Hält er sie theologisch für unbegründbar? Immerhin wußte der Aquinate, daß die Ordensdoktrin der Minoriten mit ihren ekklesiologischen Implikationen päpstlicherseits anerkannt worden war, ein Argument, das für ihn normalerweise großes Gewicht hat. Wie immer man es drehen und wenden mag, das Schweigen ist höchst auffällig und für sich genommen weit mehr als die bloße Ignorierung eines längst etablierten Ordens mit seiner speziellen Armutskonzeption. Wenn nicht alles täuscht, wird sich in der Tertia Pars eine - wie es scheint, die einzige - Anspielung auf die minoritische altissima paupertas finden, die durch ein signifikantes Argument widerlegt wird. Thomas beendigt seinen Kurztraktat über die verschiedenen Ordenstypen mit der Frage, ob ein zönobitisches Ordensleben vollkommener ist als ein eremitisches. Daß diese Thematik am Schluß aufgegriffen wird, entspricht der inneren Struktur der Quaestio, die bisher zwar wiederholt von den kontemplativen Orden gesprochen, sie aber noch nicht eigens gewürdigt hat. Für sie mag hier der Höhepunkt des Kontemplativen, das Eremitentum, stehen, dessen eindrucksvolle Rolle seit der eremitischen Renaissance des 11. Jahrhunderts Thomas wenigstens in den Umrissen bekannt gewesen ist482. Die Überschrift des Artikel könnte nahelegen, daß noch einmal Orden miteinander verglichen werden sollen, zumal es heißt, ein authentisches Einsiedlerleben überrage das der Zönobiten. Daß es freilich nicht mehr um eine Rangordnung geht, zeigt der den Ausführungen vorangestellte und betonte Satz, daß die Einsamkeit nicht das Wesen der Vollkommenheit ist, sondern bloß deren Instrument, das einem Wort des Abtes Moses zufolge um der Herzensreinheit willen zu erwählen ist483. Einsamkeit als Mittel paßt nun nicht zu aktiven Orden, seien deren Werke leiblicher oder geistlicher Natur, sondern nur zu den auf Kontemplation ausgerichteten Gemeinschaften, außer man denke an einen zeitweiligen Rückzug aus der Welt, wie ihn auch der Herr geliebt hat484. Das heißt weiter, daß Merkmale und Vorzüge einer eremitischen Existenz im Rahmen des kontemplativen Lebens verbleiben, dessen Spitze sie darstellt. Was macht ihre Sonderheit aus? Das solitarium „muß sich selbst durch sich selbst

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the Friars Minor" (217, Anm. 54) sein. Als freilich ab 1269 die ekklesiologischen Implikationen der minoritischen Konzeption schärfer hervortraten und sich Spiritualen ihrer mit antiepiskopaler Tendenz zu bemächtigen begannen, gewannen die von Anfang an vorhandenen Gegensätze schärfere Konturen, so daß sich Thomas genötigt sah, die Unterschiede stärker zu akzentuieren. John Pecham hat bezeichnenderweise schon in den ersten Monaten des Jahres 1270 heftig auf die Thesen des Aquinaten reagiert, was er wohl nicht getan hätte, wäre dieser ein „companion of the Friars Minor" gewesen. Richtig ist, daß die evangelische „Armut als solche" (66) nicht den Konflikt zwischen den beiden Konzeptionen ausgelöst hat, aber eine Armut der Orden „als solche" war und ist eine Fiktion, wie Thomas spätestens gesehen hat, als er seine Theorie von der paupertas als instrumentum perfectionis entwickelte. Vgl. den Überblick bei B. RIEDER, Dens locum dabit 11-46 (dort auch weitere Literatur). Ferner: H. LEYSER, Hermits. Art.: Einsiedler, Eremit, in: LhK3 3, 557-559 (K.S. FRANK). II-II 188,2. Collationes I, c. 7, ed. cit. 84f. n-II 188, 8. Manifestum est autem quod solitudo non est instrumentum congruum actioni, sed contemplationi... Competit autem religionibus quae sunt ad contemplationem ordinatae.

Christus als Urgestalt der Predigerbrüder

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genügen", d.h. es darf ihm nichts fehlen. Es gehört also zum Begriff des Vollkommenen. Die Anwendung auf unseren Sachverhalt ergibt sich fast von selbst: Einsamkeit ist allein Sache eines beschaulichen Menschen, der bereits zum Vollkommenen gelangt ist485. Thomas läßt keinen Zweifel daran, daß man diesen Gipfel nur mit größter Anstrengung erreicht, außer es sei einem - wie Johannes d. Täufer - göttliche Hilfe gewährt worden. In der Regel bedarf der Anwärter auf einen Rückzug aus der Welt einer sorgfältigen Schulung seines Intellekts, um im Gegenstand der Kontemplation unterwiesen zu werden, und seiner Affekte, um schädliche Anwandlungen im Blick auf das Beispiel und die Korrektur durch andere unterdrücken zu lernen. Der künftige Einsiedler muß also zuvor in einem Monasterium durch erfahrene Mönche auf ein überaus schweres Leben vorbereitet werden. Mit dieser Umsicht weiß sich der Aquinate im Einklang mit der Regel Benedikts486. Die abschließende Konklusion lautet: Wie das, was schon vollkommen ist, das überragt, was sich hierin noch übt, so steht auch die eremitische Lebensform höher als die zönobitische. Sollte man sie allerdings ohne gebührende Vorbereitung wählen, ist sie äußerst gefährlich, es sei denn, die Gnade Gottes ersetze den Mangel, wie das einst bei Antonius und Benedikt der Fall gewesen ist. Für Thomas versteht es sich von selbst, daß die Eremiten durch Beispiel, Gebet und Zurückgezogenheit der Menschheit von großem Nutzen sind487.

4. Christus als Urgestalt der Predigerbrüder Thomas hat sich zu Fragen des Ordensstandes ein letztes Mal in der Tertia Pars geäußert, geschrieben wohl im Frühjahr 1273 in Neapel jenseits der universitären Kontroversen, aber durchaus im Blick auf aktuelle Probleme, ja man wird sogar sagen dürfen, daß er erst jetzt die christologischen Wurzeln seiner kühnen Thesen freilegt. Innerhalb der systematischen Christologie und vor der Sakramentenlehre befindet sich der Traktat „Über die Geheimnisse des Lebens Christi mit der Quaestio De modo conversationis Christj488. Sie bietet eine tiefe 485

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II-II 188, 8. Et ideo solitudo competit contemplanti, qui iam ad perfectum pervenit. - Fr. Wulf schreibt unter Berufung auf H.U. v. Balthasar (Verbum Coro, Einsiedeln 1961, 257): So kommt es, daß „Thomas, obwohl er die religio mixta der rein kontemplativen übergeordnet hatte, schließlich doch die vita eremitica der vita socialis Uberordnet, weil der 'Vollkommene' sich genügt". Zitiert im Kommentar von W. zum Decretum de accommodata renovatione vitae religiosae 258. Dieser „Widerspruch" ergibt sich aus einer Fehldeutung des Artikels. 1. Vita socialis scheint als „soziales Leben" im modernen Sinn des Wortes verstanden zu werden. Tatsächlich ist die vita coenobitica gemeint. 2. Die vita eremitica steht nicht an sich höher, womit in der Tat ein Gegensatz zur kurz vorher vertretenen These entstünde, sondern nur innerhalb der kontemplativen Orden, deren Spitze sie darstellt. Schließlich sollte man das leitende Prinzip nicht außer acht lassen, wonach die solitudo nur Instrument ist und deshalb kein letztes Kriterium sein kann. II-II 188, 8. Ad exercitium autem huiusmodi iuvatur homo ex aliorum societate dupliciter. Uno modo, quantum ad intellectum, ut instruatur in his quae sunt contemplanda ... Secundo, quantum ad affectum, ut scilicet noxiae affectiones hominis reprimantur exemplo et correctione aliorum ...Et ideo vita socialis necessaria est ad exercitium perfectionis; solitudo autem competit iam perfectis. Vgl. Regula, c. 1,3-5, ed. cit. 72 und Kommentar 216-220. n-II 188, 8. Sicut ergo id quod iam perfectum est, praeeminet ei quod ad perfectionem exercetur; ita vita solitariomm, si debite assumatur, praeeminet vitae sociali. Vgl. zum Nutzen der Eremiten ad 4. Vgl. L. Scheffczyk, Die Stellung des Thomas von Aquin. I. BlFFI, I Misteri di Christo.

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und zugleich einfache Grundlegung des Ordenslebens. Hier soll sich zeigen, wie Christus gelebt und wie er sich verhalten hat, um uns das Beispiel der wahren sequela Christi zu hinterlassen. Auch wird sich ergeben, daß an mehreren Stellen die ideale Gestalt eines Predigerordens aufscheint. Die Überlegungen nehmen ihren Ausgang von einem Prinzip, das die wichtigsten Konklusionen enthält. Das Leben Christi, sein öffentliches Auftreten, Predigt und Lehre, haben den dreifachen Intentionen der Inkarnation zu entsprechen: Dem Offenbarmachen des Weges zur Wahrheit, der Befreiung von der Sünde und dem Eröffnen des Zugangs zu Gott489. Die Menschwerdung hat nun bestimmte Konsequenzen für das irdische Wirken des Inkarnierten und für jene, die sich unter seiner Führung auf den Weg der Wahrheit begeben. Das heißt im Einzelnen: Christus durfte kein verborgenes Erdenleben führen, sondern mußte öffentlich und vor aller Augen predigen. Da es weiter seine Mission war, von Sünden zu befreien, legte es sich nahe, unter Sündern zu leben und als Wanderprediger zu wirken. Zwar hätte er an einem Ort bleiben und dort Menschen an sich ziehen können, „tat es aber nicht, um uns ein Beispiel zu geben, damit wir umhergehen und den suchen, der sonst dem Untergang geweiht wäre"490. Das Zitat aus Chrysostomus ist mit Bedacht in bezug auf die Argumentationsabsicht gewählt. Die Anspielung auf Wanderprediger ist offenkundig. Die drei Ziele der Inkarnation lassen es ferner als angemessen erscheinen, daß Christus vertrauten Umgang (familiariter) mit dem Volk, den Sündern und Zöllnern hatte, um sie durch seine menschliche Art an sich zu binden, Vertrauen zu wecken und Gelegenheit zur Buße zu geben491. Wir haben bereits angedeutet, daß solche christologischen Aussagen auch auf die zielen, die sich der Nachfolge des Herrn in besonderer Weise verpflichtet wissen, ja Thomas läßt keinen Zweifel daran, daß sie an künftige Prediger adressiert sind. Mehr noch! Er schreibt, daß ein tätiges Leben, in dem jemand die Fülle der Kontemplation an andere weitergibt, wie Christus das getan hat, vollkommener ist als jenes, das sich Aktivitäten allein widmet492. Der Gedanke deckt sich interessanterweise genau mit der idealen Zielsetzung, die er, wie wir gesehen haben, in der Secunda Secundae seinem eigenen Orden zuweist. Daß die Synthese von actio und contemplatio hier auf das Beispiel Christi zurückgeführt wird, spricht für sich selbst. Oder auch: Ein Orden, der dieses Programm realisiert, befindet sich in der sequela Christi. Und weiter: Aus dem Prinzip, daß das konkrete Handeln des Herrn unserer Unterweisung (instructio) diente, lassen sich wichtige praktische Konklusionen herleiten493. Die Prediger sollen sich - nach dem Vorbild ihres 489

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III 40,1 ... conversatio Christi talis debuit esse ut conveniret fini incarnationis, secundum quam venit in mundum. Venit autem in mundum, primo quidem ad manifestandum veritatem ... Secundo, venit ad hoc ut homines a peccato liberaret ... Tertio, venit ut per ipsum habeamus accessum ad Deum (Rom 5,1 ) ... Et ideo familiariter cum hominibus conversando, conveniens fitti ut hominibus fìduciam darei ad se accedendi. III 40, 1. Et ideo, ut Chrysostomus dicit, ,in eodem loco manendo posset Christus ad se omnes attrahere, ut eius praedicationem audirent ... , non tamen hoc fecit praebens nobis exemplum, ut perambulemus et requiramus pereuntem ... ' III 40,1 ... familiariter cum hominibus conversando ... HI 40, 1 ad 2 ... sed vita activa secundum quam aliquis praedicando et docendo contemplata aliis tradii, est perfectior quam vita quae solum contemplatur, quia talis vita praesupponit abundantiam contemplationis. Vgl. U. HORST, Christ, Exemplar Ordinis. III 40,1 ad 3. Dicendum quod actio Christi fuit nostra instructio. Vgl. dazu R. SCHENK, Omnis Christi actio nostra est instructio.

Christus als Urgestalt der Predigerbrüder

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Herrn - zeitweilig aus der Öffentlichkeit zurückziehen, um auszuruhen, um zu beten und um dem Beifall der Menge zu entfliehen, damit ihre Verkündigung nicht in Gefahr gerate, in „Theater" auszuarten. Solche Weisungen, die ohne Mühe auf einen Predigerkonvent applizierbar sind, schließen mit der einem Chrysostomuszitat entlehnten Mahnung, dies gelte in höchstem Maße dann, wenn man de necessariis zu disputieren habe, wie es, so muß man wohl die Bemerkung verstehen, der Magister in der Schule tut494. Das will sagen: Prediger wie Professor haben Christus gleichermaßen zum Vorbild. Auch die Antwort auf die Frage „Mußte Christus ein strenges Leben führen?" hat den Zweck, uns im rechten Verhalten zu unterweisen. Ein gänzlich zurückgezogenes Leben die vita eremitica - wäre der Inkarnation und ihren Zielen gänzlich unangemessen, insofern diese einschließt, daß Christus sich den Menschen gleichförmig machen mußte495. Thomas leitet daraus bemerkenswerte Konsequenzen für den Alltag des Herrn - und für die, die ihm nachfolgen - ab. In bezug auf Essen und Trinken verhielt er sich so, wie das unter gewöhnlichen Menschen üblich ist. Daß der Satz sein eigenes Gewicht hat, versteht sich von selbst, da er offenbar einen aszetischen Rigorismus relativieren möchte, indem er ihn vergeistigt. Christus gab uns nämlich nur in solchen Handlungen ein Beispiel, die in sich heilsnotwendig sind. Oder mit einem von Thomas öfter zitierten Augustinuswort, das einen paulinischen Gedanken (Röm 14, 17) aufnimmt: Das Reich Gottes ist nicht im Essen und Trinken, sondern im Gleichmut (in aequanimitate), mit dem jemand Mangel ebenso erträgt wie Überfluß. Auf diesen Gleichmut kommt es an, denn wer ihn hat, den macht das „haben" nicht übermütig, und bittere Armut drückt ihn nicht zu Boden496. Daß Christus gefastet und sich zeitweilig in die Wüste zurückgezogen hat, stellt zu dem Gesagten keinen Widerspruch dar. Im Gegenteil! Fasten und Wüste sowie Teilhabe am Leben gewöhnlicher Menschen stehen in einer zirkulären Bewegung, wie sie das Prinzip des contemplari et contemplata aliis tradere zum Ausdruck bringen will497. Der ideale Prediger hat deshalb der Kontemplation zu obliegen, um dann in das öffentliche Wirken „hinabzusteigen", mit anderen zusammenzuleben, um sich danach wieder in die Einsamkeit zurückzuziehen. Christi

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III 40,1 ad 3. Chrysostomus, In Matth., hom. XV, c. 51, PG 57, 223: Per hoc quod non in civitate et foro, sed in monte et solitudine sedit, erudivit nos nihil ad ostentationem facere et a tumultibus abscedere, et maxime cum de necessariis disputare oporteat. HI 40, 2 ... congruum erat incarnationis fini ut Christus non ageret solitariam vitam, sed cum hominibus conversaretur. Qui autem cum aliquibus conversata - , convenientissimum est ut se eis in conversatione conformet... J.G.J. VAN DEN EIJNDEN, Poverty on the Way geht seltsamerweise auf die q. 40 nur summarisch ein und verkennt so deren Bedeutung für die sequela Christi. III 40, 2 ad 1. Dicendum quod Dominus in sua conversatione exemplum perfections dedit in omnibus quae per se pertinent ad salutem. Ipsa autem abstinentia cibi et potus non per se pertinet ad salutem ... (vgl. Röm 14, 17). Et Augustinus dicit in libro De quaestionibus evangeliorum ... Quia scilicet sancti Apostoli 'intellexerunt regnum Dei non esse in esca et potu, sed in aequanimitate tolerandi', quos nec copia sublevat nec deprimit egestas. Augustinus: Quaestiones evangeliorum cum appendice Quaestionum XVI in Matthaeum, ed. cit. II, q. XI, 54. Vgl. De perfectione, c. 21, ed. cit. B 94, lin. 111-116. HI 40,2 ad 3. Nec tamen incongruum fùit ut Christus post ieiunium et desertum ad communem vitam rediret. Hoc enim convenit vitae secundum quam aliquis contemplata aliis tradit, quam Christus dicitur assumpsisse, ut primo contemplationi vacet, et postea ad publicum actionis descendat aliis convivendo.

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conversatio weist also auf künftige Predigerkonvente, die diese Bewegung ermöglichen sollen. Und nun eine letzte Frage, die uns seit langem begleitet und deren Gewicht beträchtlich ist. In ihr nimmt Thomas - nunmehr terminologisch direkt - zur Armutsauffassung der Minoriten Stellung, obschon er sie auch jetzt namentlich nicht nennt. „Mußte Christus ein armes Leben führen? " Oder wie sich das Problem präzise formulieren läßt: Hat der Herr die höchste Armutsstufe, die maxima paupertas, den Verzicht auf sämtliche Formen des Besitzes, geübt? Spricht das Neue Testament nicht eindeutig für sie? Wie lassen sich die Modifizierungen oder gar Milderungen ausschließenden Forderungen des Evangeliums mit der Ansicht in Einklang bringen, Christus habe „ein gewöhnliches Leben" gelebt? Die These des Aquinaten ist ebenso einfach wie folgenschwer: Der communis vitae modus, den Christus - den Intentionen der Menschwerdung gemäß - gepflegt hat, schließt die maxima paupertas im vorhin beschriebene Sinn, also als totalen Verzicht auf jeglichen Anspruch und jedwedes Besitzrecht, aus. Die spezielle Begründung liefert ein hochinteressantes Argument. Betrachtet man es näher, will es nicht nur eine Episode aus dem Erdenwandel des Herrn illustrieren, sondern auch eine Parallele zur Praxis der Predigerbrüder in Konvent und Universität sein, die so ihre christologische Rechtfertigung erfährt. Ein gewöhnliches, bescheidenes Leben läßt sich führen, wenn Unterhalt und Kleidung (victus et tegumentum) aus eigenem Besitz bestritten werden498. So ist es bei den meisten Menschen. Daneben gibt es allerdings noch eine Möglichkeit, wenn man von anderen - genannt werden Frauen und Wohlhabende - das Notwenige erhält. (Offenbar mit Bedacht heißt es „erhält" und nicht etwa „erbettelt"). Angespielt wird auf die Frauen, die Jesus nachfolgten (Mt 27, 55; Lk 8, 3) und ihm mit dem dienten, was sie besaßen. Die Applikation auf unser Problem erscheint sich von selbst zu ergeben, doch zieht es Thomas auch diesmal vor, sie mit einer Hieronymus entlehnten Nuance zu verdeutlichen. Das Zitat ist - wie erstaunlich oft in unserem Kontext - geschickt gewählt, nicht zuletzt aus einem taktischen Grund, weil es den springenden Punkt mit der Autorität eines Kirchenvaters deckt und gegen zu erwartende Einsprüche sichert. Ein untrügliches Zeichen, daß Thomas mit Protesten gerechnet hat. Warum dienten Frauen dem Herrn mit ihren Vermögen? Dazu schreibt Hieronymus: „Dies war bei den Juden Brauch und es erregte keinen Argwohn, wenn Frauen nach alter Sitte des Volkes aus ihrem Vermögen ihren Lehrern Lebensunterhalt und Kleidung boten. Den Heiden konnte das Anstoß erregen, und dazu sagt Paulus, er habe dies abglehnt"499. Das heißt: Es handelte sich bei den Gaben der Frauen nicht um ein Almosen, wie man es einem Bettler zu geben pflegte, auch nicht einfach um ein Geschenk für den verehrten Meister, sondern um ein Honorar, das auf einer traditionellen Pflicht seitens der Schüler beruhte. Der Lehrer konnte folglich mit ihm rechnen, so daß ein gewisses Recht entstand, von dem auch Christus Gebrauch machte. Es gibt keinen Zweifel: Das Wort des Hieronymus kam Thomas sehr gelegen, denn es ließ sich mühelos auf eine Professoren- und Predigerkommunität

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III 40, 3 ad 2. Dicendum quod communi vita uti quantum ad victum et vestitum potest aliquis non solum divitias possidendo, sed etiam a mulieribus et divitibus necessaria accipiendo. III 40, 3 ad 2. Vgl. Hieronymus, Commentario in Matheum IV, ed. cit. 277.

Der Ordenseintritt

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anwenden, die wie der Herr über keine festen Einkünfte (possessiones et redditus) verfügte, aber genauso wie der Meister von Predigt und Lehre leben darf500.

5. Der Ordenseintritt In der letzten Quaestio der Secunda Secundae erörtert Thomas Voraussetzungen und Bedingungen des Ordenseintritts, um zum einen erneut das Wesen des Religiosenstandes zu klären und zum anderen Fragen zu beantworten, die sich damals Kandidaten stellten, die sich auf den Weg der Vollkommenheit begeben wollten. Andere Probleme wiederum sind eher praktisch-kanonistischen Inhalts. Soweit sie grundsätzlicher Natur sind, haben sie meist ihren historischen Ort in den Kontroversen mit Gerhard von Abbeville und den Säkularklerikern, an die, soweit das für unsere Zwecke erforderlich ist, zunächst erinnert sei501. Nach R.-A. Gauthier ergibt sich folgende Chronologie der Ereignisse. Im Februar 1270 disputierte Gerhard die Duplex quaestio mit der Frage, ob es Ordensbeichtvätern gestattet sei, Knaben zum Ordenseintritt zu veranlassen und sie mit Gelübde und Eid zu binden502. Daß hier etwas für die beiden Mendikantenorden Wichtiges auf dem Spiel stand, zeigt die sofort einsetzende Diskussion. Thomas von Aquin hat in seinem Sermo Exiit qui seminat vom Sonntag Sexagesima (16. Februar 1270) gegen Gerhards negative Stellungnahme gepredigt503. Wenig später, Ende Mai, hat Johannes Pecham die Quaestio De pueris oblatis in Ordine Minorum gegen Gerhard disputiert504. In der Fastenzeit 1270 - Ostern fiel in jenem Jahr auf den 13. April - hielt Thomas sein Quodlibet III. Da der Eintritt von Knaben in der damaligen Kontroverse mit dem Problem des Verhältnisses zwischen Geboten und Räten verbunden war, lohnt es sich, auf Einzelheiten einzugehen, zumal er ihnen erhebliches Gewicht beigemessen hat. Thomas antwortet in ungewöhnlich scharfem Ton. Die Ansicht, Heranwachsende (adolescentes) dürften nicht in einen Orden aufgenommen, ist „diabolisch", weil gegen eine Weisung Christi gerichtet, die ausdrücklich von parvuli oblati (Mt 19, 13f) spricht505. Die Zulassung von Kindern muß allerdings den Konsens der Eltern finden. Diese Einschränkung will, wie sogleich versichert wird, nicht besagen, daß unmündige Knaben vor der Pubertät nicht für einen Orden gewonnen werden könnten, sondern lediglich, daß sie, solange sie des 500

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In der Catena aurea wird ausdrücklich - mit Hieronymus - auf die Professoren Bezug genommen: Ministrabant autem Domino de substantia sua, ut meteret ¡Harum carnalia, cuius illae metebant spiritualia: non quia indigebat cibis Dominus creaturarum, sed ut typum ostenderet magistrorum, quia victu atque vestitu ex discipulis deberent esse contenti. Ed. cit. 1415, zu Mt 27,55. Vgl. P. GLORIEUX, Les polémiques, bes. 13-17 u. 33f. Ferner den Überblick in der Préface zu Contra retrahentes, ed. cit. §2, C 5 - C 7 . S . CLASEN, Der hl. Bonaventura und das Mendikantentum 18-20. Vgl. S. CLASEN, Die „duplex quaestio" 194. Primo quaeritur, utrum licitum sit confessoribus religiosis pueros inducere et astrìngere fide et iuramento ad ingressum religionis. Secundo, utrum post votum emissum statim sint compellendi ad intrandum. - Zur Datierung der Ereignisse s. R.-A. GAUTHIER, Quodlibet III, g. 5, a. 1,2,254, Anm. zu Q 5. Den Text s. bei T. KÄPPELI, Una raccolta 75-88, bes. 80-83. L. ÖLIGER, De pueris oblatis.Text Pechams: 414-439. Quodlibet III, ed. cit. g. 5.a. 1, 256. In der Lectura zum Mathäusevangelium (nr. 1574, 241) wird dieser Text nicht mit den klösterlichen oblati in Verbindung gebracht.

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Vernunftgebrauchs ermangeln, nach natürlichem Recht unter der Gewalt ihrer Eltern stehen506. Thomas zieht ausdrücklich eine Parallele zum Problem jüdischer Kinder, deren Zwangstaufe von einigen Autoren verteidigt wurde: Sofern die Eltern Einspruch erheben, darf man ihnen nicht die unmündige Nachkommenschaft rauben, um sie zu taufen. In bezug auf die klösterliche Oblation verhält es sich genauso507. Stimmen hingegen die Eltern einer solchen zu, so dürfen diese Kinder den Monasterien dargebracht werden508. Der Aquinate hält also das Oblateninstitut grundsätzlich für gerechtfertigt, obschon es für seinen eigenen Orden ohne praktische Bedeutung war, da es Prediger und Minoriten nicht kannten und die Gesetzgebung der Dominikaner seit dem Generalkapitel von 1265 ein Mindestalter von 15 Jahren für die Aufnahme vorschrieb, auch wenn diese Vorschrift nicht immer eingehalten wurde509. Welcher Freiheit sich die Oblaten in Hinsicht auf ihre lebenslange Bindung an das Monasterium nach Thomas zu erfreuen haben, werden wir später hören. Eine weitere Frage, der in dem Streit mit Gerhard von Abbeville wohl das eigentliche Gewicht zukam, bleibt zu beantworten. Knaben, so lautet der Vorwurf, dürfen nicht von ihren Beichtvätern durch Gelübde oder Eid verpflichtet werden, in einen Orden einzutreten. Was ist genau gemeint? Offenbar nicht das Oblateninstitut. Eine erste Beobachtung drängt sich auf: Thomas spricht jetzt nicht mehr von pueri, sondern von iuvenes. Auch wenn er diese sprachliche Scheidung nicht immer durchhält, müssen hier älterer Jugendliche gemeint sein, wie sich auch aus deren Charakterisierung ergibt510. Ehe jemand einen dieser iuvenes veranlaßt, eine so schwerwiegende Bindung einzugehen, hat man die Anlagen der Kandidaten zu prüfen. Sollten sie so gefestigt sein, daß man nicht zu fürchten braucht, sie könnten von dem Vorsatz, in den Orden einzutreten, Abstand nehmen, wäre es nicht nötig, sie durch ein Gelübde zu binden. Für den umgekehrten Fall, daß sie als so wankelmütig erfunden werden, daß auch dieses Mittel sie nicht festigt, wäre ein Gelöbnis ebenfalls zwecklos. Nun geschieht es aber „meist" (ut plurimum), daß iuvenes leicht ihren Vorsatz ändern, während sie ein Gelübde durchaus beobachten. Kein Zweifel besteht nun daran, daß man durch ein

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Q. S, a. 1, ed. cit. 256f, lin 120-130. Si tarnen pueri in tantum essent ut nondum usum rationis haberent, illicitum esset eos ad religionem attrahere absque consensu parentum. Non quia etiam infra annos pubertatis pueri in religione recipi non possint de consensu parentum, quia ... etiam pueri in infancie annis a parentibus monasterio tradi possunt. Set hoc ideo dictum est, quia pueri, quandiu ad annos discretionis pervenerint, sunt secundum ius naturale in potestate parentum. Das kanonische Recht hält das für erlaubt und mißbilligt ein späteres Verlassen des Klosters. Vgl. cc. Äddisti, Monachum, Quicvmque cc. 2, 3 u. 4 (FRIEDBERG I 843-844). Vgl. Art: Oblate, in: LMA VI 1336f (A. RÜTHER); Art.: Oblato, in: DIP VI 654-666 (J. DUBOIS); A. LENTINI, Note sull'oblazione deifanciulli. R. RIEPENHOFF, Zur Frage des Ursprungs. M. DE JONG, Kind en klooster. P. A. QuiNN, Better Than The Sons ofKings.

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Q. 5, a. 1, ed. cit. 257, lin. 130-137. Vgl. U. HORST - B. FAES DE MOTTONI, Die

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Q. 5, a. 1, ed. cit. 257, lin. 142-144. Et eadem ratione (de voluntate parentum) infancie annis monasteriis pueri a parentibus offeruntur ... Vgl. M. LAHAYE-GEUSEN, Das Opfer der Kinder, bes. 43-94. Vgl. W. SENNER, Johannes von Sterngassen, Teil I, 106. W. A. HLNNEBUSCH, The History, vol. 1, 282-288, 317-326. Zur Schwierigkeit, die Lebensalter aufgrund der vagen Terminologie zu bestimmen s. A. HOFMEISTER, Puer, iuvenis, senex. E. SEARS, The Ages of Man.

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Zwangstaufe.

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Gelübde „zur Frucht eines besseren Lebens" verpflichtet wird, so daß solchen jungen Menschen eine Wohltat erwiesen wird, wenn man sie in die religöse Pflicht nimmt511. Hinter den Argumenten scheint sich folgende Praxis zu verbergen: Beichtväter (und Religiösen allgemein), die Jünglinge und deren fromme Neigungen kannten, haben diese durch Gelübde oder Schwur an ihren Orden zu binden versucht, um sie nicht bis zur Einkleidung sich selbst zu Uberlassen. Nicht erörtert wird einstweilen, welche Freiheit den Kandidaten blieb, klar dürfte jedoch sein, daß sie nicht gezwungen wurden, doch ist Zureden gewiß nicht auszuschließen, weil jene Religiösen sicher waren, daß ein solcher Schritt in der Richtung lag, die die Entwicklung der jungen Leute nehmen würde. Daß Thomas bald gesehen hat, daß jene Gewohnheit das Erkenntnis- und Freiheitsproblem nur unzureichend berücksichtigt, wird sich zeigen512. Es versteht sich, daß Gerhard von Abbeville und die hinter ihm stehenden Kreise der Meinung waren, daß ein unter solchen Umständen abgelegtes Gelübde nicht verpflichtet, so daß sich jene invenes gegen einen Ordenseintritt entscheiden konnten. Thomas antwortet darauf in einem Quodlibet, dessen erster Einwand wiederum die terminologische und sachliche Präzisierung aufnimmt, da er seine Gegner vom reichen Jüngling (iuvenis) des Mathäusevangeliums (19, 17) her argumentieren läßt, der sicher einer freien Entscheidung mächtig war. Die These selbst ist eindeutig: Wer sagt, ein durch jenes Gelübde Gebundener sei nicht gehalten, in einen Orden einzutreten, lehrt eine Häresie, da dies gegen die Gottesverehrung des ersten Gebotes wäre513. Sodann folgt eine wichtige Ergänzung. Die Notwendigkeit, ein Gelübde oder einen Eid zu erfüllen, schließt den Willen nicht aus. So „müssen" wir zwar die Gebote Gottes beobachten, aber wir tun das voluntarie. In unserem Fall bindet sich der Jüngling kraft einer „privaten Verpflichtung", er kommt ihr jedoch voluntarie nach, insofern es ihm vor Eingehen derselben frei stand, sie zu übernehmen oder zu lassen. Thomas verweist auf den jungen Mann des Evangeliums („wenn du vollkommen sein willst) sowie auf den paulinischen Rat, jungfräulich zu bleiben514. Das heißt: Thomas hat im Fortgang der Disputation eine wesentliche Ergänzung geboten. Eine Beeinflussung mit dem Ziel eines Gelöbnisses wird nach wie vor gerechtfertigt, doch muß der Kandidat vorher so frei bleiben, wie es jener Jüngling war, der traurig fortging. Daß mit solchen Gedanken die Diskussion noch nicht beendigt ist, wird das Opusculum Contra retrahentes mit seinen detaillierten Erörterungen zeigen. Unterdessen schiebt sich ein weiteres Problem in den Vordergrund des Interesses, das eng mit der soeben verhandelten Thematik verbunden ist. Wie verhalten sich Räte und Gebote zueinander? Und - je nach Antwort - darf man jemand in den Religiosenstand aufnehmen, der nicht in den Geboten geübt ist, wie das für jugendliche Bewerber zutrifft? 511

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Q. 5, a. 1, 257, lin. 153-158. Set ut plurimum contingit quod simplex proposition de facili mutant, obligationem autem voti vel iuramenti omnino observant; unde, cum voto vel iuramento ad frugem mêlions vite obligantur, magnum beneficium eis prestatur. Q. 5, a. 2, ed. cit. 259. Q. 5, a. 2, ed. cit. 260f, lin. 59-94. Unde quicunque dicit quod ille qui est obligatus voto vel iuramento ad intrandum religionem, potest absque peccato in seculo remanere, est manifeste hereticus, si tamen in hoc pertinaciter perseveret (90-94). Q. 5, a. 2, ad 1, 261, lin. 100-108 ... sic ille qui emisit iuramentum vel votum obligatur ex quadam privata obligatione et tamen voluntarie implet iuramentum et votum, ita tamen quod ante iuramentum vel votum licitum est eifacere vel non facere ...

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Die Frage zielt also wiederum auf das Wesen des Ordensstandes. Hier sei lediglich die Lösung mitgeteilt, deren Begründung uns später zu beschäftigen hat. Insofern die Räte auf die inneren Tugendakte bezogen sind, sind sie auf die Gebote als ihr Ziel hingeordnet, insofern sie sich jedoch auf die äußeren Akte richten, bewirken sie, daß diese Akte „sicherer und fester" beibehalten werden. Dies geschieht so, daß die ihnen entgegengesetzten Hindernisse aus dem Weg geräumt werden515. Die Räte haben also, um es in einer uns längst geläufigen Terminologie zu sagen, eine instrumentale Funktion, in die man sich möglichst früh einüben sollte516. Die in den Quodlibeten vergleichsweise unpolemisch behandelte Thematik hat Thomas in Contra retrahentes, zwischen Ostern 1271 und den Sommerferien verfaßt, erneut aufgegriffen und die Vorhaltungen der in Gallia als novi Vigilantii aufgetretenen Widersacher in scharfer Form zurückgewiesen517. Sie behaupteten, niemand dürfe in einen Orden aufgenommen werden, der nicht zuvor in der Beobachtung der Gebote erfahren sei. Knaben, Neubekehrte und Sünder wären somit von einem Eintritt ausgeschlossen. Sie sagten weiterhin, keiner dürfe sich „auf den Weg der Räte begeben", der nicht vorher die Konsultation „mit vielen" gesucht habe. Dieser These fugt der Aquinate bezeichnenderweise eine gewiß autobiographisch zu deutende Bemerkung an: Jeder weiß, daß eine solche Bedingung für Eintrittswillige ein großes Hindernis darstellt, da die Zahl der fleischlich gesinnten Menschen groß ist. Sie würden also eher ab- als zuraten. Und schließlich: Sie scheuen sich nicht, der Armut die Vollkommenheit abzusprechen518. Es sind also auch persönliche Erinnerungen an den eigenen Weg in jungen Jahren im Spiel, die den heftigen Ton des Opusculums verständlich machen. Sollte es sich tatsächlich so verhalten, daß den Räten eine lange Praxis in der Erfüllung der Gebote vorauszugehen hat, dann hätte die Kirche die Gewohnheit mißbilligen müssen, daß Eltern ihre minderjährigen Kinder Gott in einem Kloster darbringen, damit sie dort „unter der Beobachtung der Räte genährt werden". Sie hat jedoch im Blick auf die hl. Schrift anders entschieden und damit die Oblation legitimiert519. Der gegnerische Irrtum basiert letztlich auf der Meinung, die Vollkommenheit liege „hauptsächlich" in den Räten, und die Gebote seien auf die Räte hingeordnet wie Unvollkommenes zum Vollkommenen. Unter dieser Voraussetzung wäre es in der Tat konsequent, von den Geboten auf die Räte überzugehen. Der Nachweis, daß es sich genau umgekehrt verhält, wird deshalb den Irrtum an der Wurzel ausrottten520. Das entscheidende Argument lautet: Wie der Mensch mit Hilfe 515

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Quodlibet IV (Ostern 1271), q. 12, a. 2, ed. cit. 359, lin. 246-254 ... Consilia ordinantur sicut in finem ad precepta, prout sunt de interioribus acribus virtutum, set ad precepta, secundum quod sunt de exterioribus actibus, ordinantur Consilia ad hoc quod tutius et firmius conserventur, per modum removentis prohibens. Et primum horum est causa secundi; firma enim exteriorum actuum observatio causatur ex interiori affectione mentis bene disposite. Q. 12, a. 2, ad 2, ed. cit. 360, lin. 301—305. Set in consiliis, que sunt de quibusdam exterioribus actibus, consistit perfectio instrumentaliter, quia scilicet huiusmodi Consilia sunt quasi quedam instrumenta per que facilius ad perfectionem pervenitur. - S. auch Quodlibet V, q. 10. a.l, ed. cit. 2, 384-386 (Weihnachten 1271). Contra retrahentes, c. 1, ed. cit. C 40, lin. 74 ... insurgunt enim iterato in Gallia novi Vigilantii, a consiliorum observantia multipliciter et astute homines retrahentes. Contra retrahentes, c. 1, ed. cit. C 40, lin. 82-94 u. C 39, lin. 61-65. Contra retrahentes, c. 3, ed. cit. C 42, lin. 21-31 und C 42- C 44. Contra retrahentes, c. 6, C 45f, lin. 2-11.

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der Räte zur vollkommeneren Gottes- und Nächstenliebe gelangt, so schreitet er auch in der vollkommeneren Beobachtung der Gebote voran, die einen notwendigen Bezug zur Liebe als Wurzel aller Tugenden und Gebote haben. Wer etwa Keuschheit oder Armut gelobt, hat sich longius von Ehebruch und Diebstahl entfernt, als wenn er das nicht getan hätte. Der Ordensstand hat zu diesem Zweck viele Observanzen entwickelt - Vigilien etwa und Fasten - , die geeignet sind, den Religiösen auf den Weg der Tugend zu führen521. Aus der Tatsache, daß die Räte eine außerordentlich wichtige Funktion haben, ergibt sich ein doppelter Aspekt in der Erfüllung der Gebote, ein vollkommener und ein unvollkommener, woraus wiederum folgt, daß es ein zweifaches Einüben in die Gebote gibt. Einmal eines, das mittels der Räte geschieht, und zum anderen eines, das sich auf unvollkomene Weise realisiert - in vita saeculari absque consiliis522. Und die Konklusion: Wer möchte jemand, der Gott aus ganzem Herzen lieben will, von diesem Vorsatz abhalten und ihn veranlassen, zuerst den unvollkommenen Weg zu beschreiten? Von nicht geringerem Interesse - auch unter autobiographischen Gesichtspunkten - sind die Antworten auf die gegnerischen Forderungen, Eintrittswillige hätten sich angesichts des folgenschweren Schritts des Rates „vieler" zu versichern und ihn über lange Zeit zu bedenken523. Die Argumente klingen in unseren Ohren vernünftig, aber Thomas wird ihnen Erwägungen gegenüberstellen, die nicht nur für ihn und seine Umwelt Gewicht haben. Er beginnt mit neutestamentlichen Berufungsgeschichten (Mt 9, 9; 8, 21f; und Lk 9, 59), in denen die von Jesus Angeredeten unverzüglich aufbrechen und sich in die Nachfolge des Meisters begeben, ohne andere konsultiert zu haben. Dies leugnen auch die Gegner nicht, ja sie konzedieren, daß, wenn jemand durch die Stimme des Herrn selbst gerufen würde, er ihr sogleich zu entsprechen hätte. Das gibt Thomas Anlaß zu einer wichtigen hermeneutischen Aussage: Die Worte der hl. Schrift müssen wir so annehmen, als hörten wir sie jetzt aus dem Mund Jesu524. Nicht minder bedeutsam ist der Umstand, daß Gott „innerlich" (interius) zu jemand spricht. Eine solche Anrede hat den Vorrang vor allen äußeren Worten. Man hat also einen Ruf in Betracht zu ziehen, der an einen spontan ergeht, in dem der hl. Geist den so Gerufenen zuinnerst umwandelt. Wer widersteht oder auch nur zögert, entzieht sich dem Walten des hl. Geistes. Umgekehrt ist es für die Söhne Gottes kennzeichnend, daß sie unter dem „Drängen der Gnade" zum „Besseren" getrieben werden, ohne auf den Rat anderer zu warten525. Daß Thomas im Begriff steht, einen nicht nur für seine aktuellen Probleme belangvollen Gedanken zu entwickeln, zeigt sich darin, daß er ihn nach mehreren Seiten variiert. So offenbart der hl. Geist nicht nur durch Lehren, was man zu reden hat, sondern auch durch Eingebung, was man zu tun hat. In theologisches Neuland weist die Aussage, daß der Mensch zuweilen mittels des instinctus Spiritus Sancti bewegt wird, der als 521

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Contra retrahentes, c. 6, ed. cit. C 47, lin. 147-167. Sic igitur patet quod consilia ad vitae perfectionem pertinent, non quia in eis principaliter consistit perfectio, sed quia sunt via quaedam vel instrumenta ad perfectionem caritatis habendam (168-172). Contra retrahentes, c. 6, C 48, lin. 190-198. Contra retrahentes, c. 8, ed. cit. C 54f ... locutio qua nobis Dominus loquitur in Scripturis, idem habet auctoritatis pondus ac si verba ab ipso Salvatoris ore proferrentur (154-156). Contra retrahentes, c. 9, ed. cit. C 55, lin. 103-150. Contra retrahentes, c. 9, ed. cit. C 56, lin. 181-184. Non autem agitur impetu Spiritus Sancti, qui resistit vel tardat; est ergo proprium filiorum Dei, ut impetu gratiae agantur ad meliora, non expectato consilio.

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„Drängen" oder „Ungestüm"(/m/jei«j) beschrieben wird. Wo dieser instinctus waltet und zum Ordenseintritt „treibt", hat eine Verzögerung, die durch Konsultation eintreten würde, keinen Platz526. Es versteht sich, daß Thomas hier die Frage nach den Motiven einer religiösen Berufung mit seiner in Entfaltung befindlichen Theologie der Gaben des hl. Geistes verbindet, um mit ihrer Hilfe die rational so einleuchtenden Argumente seiner Gegner in ihrer Vordergründigkeit zu entlarven. Die Sicherheit, vom hl. Geist bewegt zu sein, macht eine „Unterscheidung der Geister" nicht mehr erforderlich. Dieser Umstand mag erklären, daß Thomas - anders als frühneuzeitliche Autoren - keine eigene Theorie der discretio spirituum entwickelt hat527. Die Frage, ob der Aquinate mit solchen Erwägungen auf persönliche Erfahrungen vor dem Eintritt in den Predigerorden anspielt, ist naturgemäß nicht leicht zu beantworten. Daß sie mindestens mitschwingen, ist allerdings, wie schon die leidenschaftliche Sprache verrät, recht wahrscheinlich. Für sie sprechen nicht zuletzt die heftigen Worte gegen die angebliche Notwendigkeit, den Rat von Verwandten und Freunden zu suchen. Wir wissen, wie er den Widerstand gegen den Einspruch der Eltern mit einem für unsere Ohren schroffen Hieronymuszitat begründet. Hier heißt es nicht weniger hart: Die einem „fleischlich" am nächsten stehen, sind in dieser Sache keine Freunde, sondern Feinde, deren Rat man gar nicht erst einzuholen braucht528. Ein gewisser Vorbehalt gegenüber dieser auf locutio, motio und instinctus Spirtitus Sancti basierenden, theologisch tief konzipierten Berufungstheologie bleibt freilich. Sie setzt einen Kandidaten voraus, der sich der Tragweite einer solchen Anrede und der dadurch ausgelösten inneren Bewegung voll bewußt ist und über ein entsprechendes Unterscheidungsvermögen verfügt. Man darf deshalb gespannt sein, wie Thomas jetzt, da er zum Kern der zeitgenössischen Kontroverse vorgestoßen ist, die letzte Frage nach Möglichkeit und Verbindlichkeit des Gelübdes, in einen Orden einzutreten, im weiteren Verlauf der Argumentation beantworten wird. Ausführlich untersucht Thomas in Contra retrahentes das Problem, ob sich „einige" durch ein Gelübde zum Ordenseintritt verpflichten dürfen. Terminologisch fällt auf, daß er hier vom „sich selbst binden" (sc obligare) spricht und nicht mehr von einem durch andere „gebunden werden", um keinen Zweifel an der gleich noch zu präzisierenden Freiheit der Jugendlichen zu lassen. Genau dies bestreiten die Einwände mit ihrer Kritik an der 526

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Contra retrahentes, c. 9, ed. cit. C 56, lin. 197-204. Spiritus autem Sanctus revelat non solum docendo quid homo debeat loqui, sed etiam suggerendo quid homo debeat facere. (Vgl. dazu Lectura zum Johannesevangelim (14,26), ed. cit., nr. 1960, 367. Spiritus Sanctus suggerere dicitur, non quod nobis scientiam ab imo inferat; sed ab occulto subminstrat vires ad cognoscendum. Vel docet, inquantum nos facit participare sapientiam Filii. Suggerit, inquantum nos impellit prout est amor.) Thomas fährt fort (lin. 200-204): cum igitur homo instinctu Spiritus Sancti movetur ad religionis ingressum, non est ei differendum ut humanuni requirat consilium, sed statim homo impetum Spiritus Sancti debet sequi. Zum instinctus grundlegend M. SECKLER, Instinkt und Glaubenswille. J.-P. TORRELL, Saint Thomas d'Aquin, maitre spirituel 277-280. Zu den Gaben des hl. Geistes sei hier auf den Überblick von M.-M. LABOURDETTE, Art.: Dons du Saint-Esprit, in: DSp HI 1610-1635 verwiesen. - Zur Geschichte der Unterscheidung der Geister s. G. SWITEK, „ Discretio spirituum ". Contra retrahentes, c. 9, ed. cit. C 57, lin. 329-335. Propinqui autem carais in hoc proposito amici non sunt, sed potius inimici ... In hoc igitur casu sunt praecipue vitanda camalium propinquorum Consilia.

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Mendikantenpraxis.Während das von Thomas grundsätzlich gerechtfertigte monastische Oblateninstitut im Predigerorden unbekannt war und sogar juristisch durch eine vergleichsweise strenge Altersgrenze ausgeschlossen blieb, dürfte der nunmehr zu diskutierende Sachverhalt historisch aufweisbar sein. Wenn es, so lautet die These des Aquinaten, tugendhaft ist, sich für den Ordensstand zu entscheiden, dann handeln auch die lobenswert, die zwar nicht „sogleich" eintreten können, sich aber im Gewissen binden möchten, das zu einem späteren Zeitpunkt zu tun529. Verhält es sich nun so und werden Kandidaten eines noch zu beschreibenden Alters vom hl. Geist bewegt, so daß sie jenes Gelübde ablegen, dann verdienen auch die Religiösen, die sie zu diesem Schritt hinführen, Lob. Sie erweisen sich als „Mitarbeiter des hl. Geistes", insofern sie sich ministerio exteriori bemühen, dem inneren Walten des hl. Geistes zu entsprechen530. Die Situation ist also recht klar beschrieben. Mendikanten, die mit der Jugend zu tun haben, dürfen Heranwachsenden, die eine deutliche Neigung zum Ordensleben zu erkennen geben, zureden und sie veranlassen, ein entsprechendes Gelübde abzulegen. Bei Jugendlichen, die die Pubertät hinter sich haben, ist, so fährt Thomas fort, eine solche Einflußnahme unproblematisch. Fraglich ist sie allerdings dann, wenn die Reife gerade bevorsteht. Um zu einer Antwort zu gelangen, gilt es, zwischen einem „einfachen" und einem „feierlichen" Gelübde zu unterscheiden. Ersteres ist ein reines „Versprechen" (promissio), das zweite ist zwar ebenfalls ein „Versprechen", aber eines, das eine äußerliche Gestalt aufweist, insofern sich jemand Gott im Empfang einer Weihe oder durch ein Gelübde in einem bestimmten Orden opfert, das in die Hände des Oberen (praelatus) abgelegt wird. Es geschieht also öffentlich in präziser rechtlicher Form, wodurch es einen feierlichen Charakter erhält531. Daß zwischen beiden strikt zu scheiden ist, bestätigen die jeweils eintretenden Rechtsfolgen. Das feierliche Gelübde stellt ein Ehehindernis dar, das einen Ehekontrakt aufhebt, wohingegen das einfache zwar die Eheschließung verbietet, sie aber, falls sie dennoch erfolgte, nicht ungültig macht. Dem entsprechen die jeweiligen Beziehungen auf den Ordensstand. Das feierliche Gelübde, in einer amtlichen Profeß abgelegt, bewirkt, daß der Professe Mönch oder Religiöse eines nichtmonastischen Ordens wird. Das einfache Gelübde zeitigt diese Wirkung nicht, wofür der Umstand steht, daß jene Person Herr ihres Besitzes bleibt532. Diese Betrachtung der beiden Gelübdearten läßt sich nun auf unsere Frage anwenden. Das einfache Gelübde, das in einem Gott gemachten und aus Überlegung (deliberatio) hervorgegangenen Versprechen besteht, hat seine Wirkung kraft göttlichen Rechts, die kein menschliches Recht aufzuheben vermag. Umgekehrt heißt das: Fehlt die aus Nachdenken resultierende Wahlfreiheit, wie das etwa bei Geisteskranken der Fall ist, so hätte ein solches Gelübde keine Verbindlichkeit. Das trifft nun auch auf die pueri zu, „die noch nicht der Arglist fähig sind" und noch nicht den hier zu fordernden Vernunftgebrauch erlangt haben. Wie die Erfahrung zeigt, tritt dieser nicht bei allen zur selben Zeit ein, so daß sich auch kein

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Contra retrahentes, c. 12, ed. cit. C 62, lin. 84-89. Contra retrahentes, c. 12, ed. cit. C 63, lin. 98-107. Contra retrahentes, c. 12, ed. cit C 63, lin. 108-123. Contra retrahentes, c. 12, ed. cit. C 63, lin. 124-136. Vgl. G. POTTHOF, Habitus non facit monachum. Art.: Profession religieuse, in: DDC VII 346-355 (E. JOMBART). DIP VII 884-971, 904-916 (A. DE VOG0i-M. AuGfi); 947-956 (A. BONI). Zu Profeß und Taufe DIP VII892 (Literatur).

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für alle gültiges Alter angeben läßt. Schließlich hat man zu bedenken, daß ein Gelübde unmündiger Knaben und Mädchen kraft der väterlichen Gewalt über sie unwirksam gemacht werden kann533. Angesichts dieser Rechtslage hat nach Thomas dies zu gelten: Knaben und Mädchen können sich, soweit es an ihnen liegt, auch vor der Pubertät durch ein Gelübde binden, wofern kein defectus rationis vorliegt und der Vater keinen Widerspruch einlegt. Das positive Recht vermag zwar nicht zu determinieren, wann der Vernunftgebrauch exakt einsetzt, wohl aber kann es festlegen, bis wann die Verpflichtung einer Person gegenüber einer anderen dauert. Das heißt: Mädchen unterstehen der väterlichen Gewalt bis zum 12., Knaben bis zum 14. Lebensjahr534. Die Antwort auf die gegnerischen Vorhaltungen lautet nun in präziser Gestalt: Vor der Pubertät können sich Heranwachsende, soweit es an ihnen liegt, durch ein einfaches Gelübde zu einem Ordenseintritt verpflichten, wenn sie zur „Arglist fähig sind" und einen ausreichenden Vernunftgebrauch haben, um zu wissen, was sie tun. Der Vater oder der Vormund bleiben allerdings legitimiert, das Versprechen zu widerrufen. Das feierliche Gelübde, dessen Kennzeichen Feierlichkeit, Öffentlichkeit und kirchliche Approbation sind, verlangt hingegen die abgeschlossene Pubertät, d.h. je nach Geschlecht das vollendete 12. oder 14. Lebensjahr. Eine vorher abgelegte Profeß macht den Jugendlichen nicht zum Mönch oder zum Bruder eines anderen Ordens, welcher Arglist er auch immer fähig sein „,535

mag . Daß sich Thomas so gründlich mit den Problemen minderjähriger Kandidaten befaßt hat, läßt - abgesehen von Reminiszenzen an ein möglicherweise von ihm in Monte Cassino gemachtes Gelübde - darauf schließen, daß Mendikanten Knaben ermuntert haben, jene Bindung einzugehen, um sich geeigneter Postulanten zu versichern, die damals in der Regel bis zum 16. Lebensjahr auf die Einkleidung warten mußten. Um sie in der Zwischenzeit nicht zu verlieren, empfahl es sich, sie durch ein votum simplex mit genauen Bedingungen zu verpflichten. In der Secunda Secundae hat Thomas nochmals den Gegenstand behandelt. Seine Lösung ist - bis auf eine Ausnahme - mit der in Contra retrahentes vorgetragenen identisch. Jetzt heißt es allerdings mit einer gewichtigen Präzisierung, daß es nur wenige Knaben geben 533

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Contra retrahentes, c. 12, ed. cit C 63, lin. 147f. Et eadetn ratio est de pueris qui non sunt doli capaces, nec habent debitum rationis usum. - Der Begriff des doli capax zitieren die Gegner nach Huguccio: c. 10, arg. 11, ed. cit. C 61, lin. 124-126, der ihn aus dem römischen Recht hat. Vgl. Dig. 47.2, ed. TH. MOMMSEN, Corpus Iuris Civilis I 766, wo es heißt: Inpuberem furtum facere posse, si iam doli capax sit. Weitere Stellen sind nachgewiesen in: Vocabularium lurisprudentiae Romanae iussu Instituti Savigniani compositum, t. I, Berlin 1903, Sp. 616. - Lin. 163-168: Et quia puer vel puella infra pueriles annos etiam ex naturali iure in potestate patris constituitur, potent pater votum ab eis emissum si voluerit revocare, vel si vohierit acceptare, secundum ordinationem iuris divini. Einen weiteren Beleg aus späterer Zeit bietet Albericus de Rosate (t 1360) in seinem Dictionarium 197: Doli capax de iure canonico dicitur maior VII annis, unde punitur ... sed de iure civili dicitur masculus in X anno cum dimidio, sed foemina in IX cum dimidio ... Contra retrahentes, c. 12, ed. cit. C 63f, lin. 179-195. Et licet ius positivum determinare non possit tempus quo homo habere incipiat rationis usum, per quem Deo se valeat obligare, potest tarnen determinare tempus obligationis vel subiectionis unius personae ad aliam. Contra retrahentes, c. 12, ed. cit. C 64, lin. 196-215 ... ita quod professio ante hoc tempus facta, quantumcumque aliquis sit doli capax, non facit profitentem esse monachum vel cuiusque ordinis fratrem.

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dürfte, bei denen sich der Vernunftgebrauch schneller entwickelt, so daß „sie der Arglist fähig sind". Diese nicht sehr zahlreichen Frühreifen können folglich das zur Diskussion stehende Gelübde schon früher ablegen536. Eine Altersangabe Wird freilich nicht gemacht. In der Secunda Secundae greift Thomas erneut die aus den vergangenen Pariser Kontroversen stammenden Probleme auf und fügt sie mit bisher noch nicht eigens behandelten Fragen zu einer den ganzen Traktat beschließenden Quästion. Obschon auch jetzt persönliche Reminiszenzen mit einiger Sicherheit zu konstatieren sind, ist das leidenschaftliche Plädoyer von einst einer Betrachtung gewichen, die weithin von konkreten Umständen absieht, obschon sie im Hintergrund stehen. Der alte Vorwurf, die Mendikanten würden unerfahrene Jünglinge in ihre Orden aufnehmen, gibt den Anlaß, noch einmal den zentralen Punkt des Religiosenstandes, das Verhältais von Vollkommenheit zu den evangelischen Räten zu erörtern, das der Aquinate in allen Variationen reflektiert. Dem status religionis, definiert als geistliche Übung, ist es eigen, mit Hilfe der klösterlichen Observanzen die der vollkommenen Liebe entgegenstehenden Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Oft genug wird nämlich der Mensch so in das Irdische verwickelt, daß er sich vom höchsten Gut abwendet, die Liebe verliert und sogar der Todsünde verfällt. Die Ordenszucht erfüllt dann eine doppelte Funktion: Sie macht den Weg auf Gott hin frei und nimmt die Gelegenheit zur Sünde. Daraus folgt: Der Eintritt in einen Orden ist nicht nur jenen zu empfehlen, die bereits in den Geboten geübt sind, daß sie größere Fortschritte in der Vollkommenheit machen, sondern auch Anfängern, damit sie leichter Sünden meiden und auf dem Pfad der Liebe voranschreiten. Wie das Evangelium zeigt, beruft der Herr den „unschuldigen Jüngling" ebenso wie den „Sünder Matthäus", der unverzüglich und ohne Einübung dem Herrn nachfolgte537. Thomas hat den aus der Berufungsgeschichte des Zöllners Matthäus abzuleitenden Schlüssen im Quodlibet V, disputiert Weihnachten 1271, einen eigenen Artikel gewidmet. Wenn nach Gregor d. Gr. „niemand plötzlich der Höchste wird", so heißt das nach der Meinung der Gegner in unserem Fall: Matthäus wurde nicht „augenblicklich" in den Stand der Vollkommenheit und des Apostolats versetzt, sondern nach einer entsprechenden Zeit der Vorbereitung. In Wahrheit - so Thomas - bietet das Evangelium eine andere Lösung: Matthäus wurde „sofort" in den discipulatus berufen, in den Apostolat jedoch erst, als der Herr die Zwölf erwählte. Das heißt weiter: Er gehörte von Anfang an zum Stand der Vollkommenheit, weil er alles hinter sich ließ und unverzüglich dem Herrn nachfolgte und somit alle Zwischenstufen übersprang538.

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II-II 88, 9. Contingit tarnen propter naturae dispositionem, quae legibus humanis non subditur, in aliquibus licetpaucis, accelerali rationis usum, qui ob hoc dicuntur doli capaces. Die feierliche Profeß ist freilich auch ihnen nicht möglich. - Wie Thomas lehrt auch Johannes Pecham, ed. cit. 422 ... quod pueros habentes legitimam etatem, utpote X3III annos, licet inducere ad obligandum se religioni cuicumque voto vel iuramento; licet, inquam, decet et expedit. II—II 189, 1 und ad 1: Ut ergo Dominus ostenderet perfectionem consiliorum utilem esse et innocentibus et peccatoribus, non solum vocavit adolescentem innocentem, sed etiam Mathaeum peccatorem. Quodlibet V, q. 11, a. 1, ed. cit. 2, 387f. Das Gregorzitat: Homiliae in Hiezechielem prophetam, 1. II, hom. Ill, nr. 3, ed. cit. 238. Si autem loquamur de perfectione evangelica, sic manifestum est quod statim a principio vocatus est ad statum perfectionis: dicitur enim (Le 5, 28) quod surgens, relictis omnibus, secutus est eum, quod etiam ad discipulatum pertinebat... (lin. 49-52).

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Die Vielfalt des Ordenswesens

Die innere Zuordnung von Gebot und Rat ist freilich noch der spekulativen Begründung bedürftig. Der Einwand, die Gebote seien früher als die Räte und man habe vom Früheren zum Späteren überzugehen, scheint Gewicht zu haben, insofern sich eine philosophische Einsicht mit einer pädagogischen Maxime verbindet, so daß sich der Schluß aufdrängt, daß jemand erst in einen Orden eintreten darf, der sich bereits in den Geboten geübt hat. Jünglinge wären dann zurückzuweisen. Oder anders: Wie sind „früher" und „später" in unserem Fall zu verstehen und aufeinander zu beziehen? Richtig ist - so die Antwort - , daß die vollkommene Beobachtung des Doppelgebots der Liebe den Räten der Intention nach vorausgeht, nicht aber der Zeit nach, denn die Erreichung des Ziels mit Hilfe der entsprechenden Mittel geschieht in einem mehr oder minder lang dauernden Prozeß. Die normale Befolgung der Liebesgebote wie auch der übrigen Gebote läßt sich mit den Räten vergleichen wie das Allgemeine mit dem Besonderen, insofern man die Gebote ohne die Räte tun kann, nicht jedoch umgekehrt. Unter diesem Aspekt gilt ebenfalls, daß gemäß der Ordnung der Natur die Befolgung der Gebote den Räten vorausgeht, nicht aber notwendigerweise der Zeit nach. Das will sagen: Thomas betrachtet hier das gewöhnliche Leben eines Christen, der die Gebote nach Kräften ernst nimmt. Nun folgt der entscheidende Punkt: Die Beobachtung der Gebote ohne Räte - also die normale christliche Lebensweise - ist hingeordnet auf das Halten der Gebote mit Hilfe der Räte - und zwar „wie die unvollkomene Art auf die vollkommene, wie das nicht-vernünftige Lebewesen auf das Vernünftige". Worauf das Argument hinausläuft, wird gleich deutlich: Das Vollkommene ist der Natur nach früher als das Unvollkommene, das nicht aus sich selbst die höhere Stufe erreichen kann. In Hinsicht auf unser Problem heißt das: Man muß nicht erst die Gebote ohne die Räte befolgen, so wie es - der Vergleich spricht für sich selbst - nicht nötig ist, zuerst ein Esel zu sein, ehe man Mensch wird. Oder auch: Man muß nicht erst in der Welt gelebt haben, um dann in einen Orden einzutreten539. Thomas ist nun überzeugt, daß er sowohl den Aussagen des Evangeliums in bezug auf einen sofortigen Übergang in die höhere Stufe der Nachfolge, wofllr der Zöllner Matthäus steht, wie den Erfordernissen einer systematischen Begründung eines solchen Schrittes gerecht geworden ist, so daß den Einwänden Gerhards von Abbeville und seines Kreises, die Mendikanten dürften erst in der Welt erprobte Kandidaten aufnehmen, die Basis entzogen ist. Noch nicht beantwortet ist allerdings die Frage, ob jemand durch ein Gelübde verpflichtet werden kann, in einen Orden einzutreten. Es versteht sich, daß im Sinne des bereits Gesagten, nur (wenige) Jugendliche gemeint sein können, die zum Zeitpunkt des Versprechens „der Arglist fähig sind"540. Die hier anvisierten Gegner verneinen das mit dem Argument, daß nach der Regel Benedikts und der päpstlichen Gesetzgebung dies allein erlaubt ist, wenn einem solchen Akt ein Probejahr vorausgegangen ist541. Wer aber noch in 539

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II-II 189, 1 ad 5. Observantia vero praeceptorum sine consiliis ordinatur ad observantiam praeceptorum cum consiliis sicut species imperfecta ad perfectam, sicut animal irrationale ad rationale. Perfectum autem naturaliter prius est imperfecto ... Nec tarnen oportet quod prius observentur praecepta sine consiliis et postea cum consiliis; sicut non oportet quod aliquis prius sit asinus quam homo ... Vgl. II-II 88,9. II-II 189, 2, arg. 1. Regula S. Benedicti c. 58 und Kommentar 456-460. - Zur Geschichte s. Art.: Noviziato, in: DIP VI 448-459 (A. BONI).

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der Welt lebt, erfüllt diese Bedingung naturgemäß nicht. Thomas geht zunächst nicht auf Alter und rechtliche Voraussetzungen ein, sondern stellt fest, daß ein Entschluß aufgrund eines Votums lobenswerter ist als einer, der ohne ein solches gefaßt wird, da dadurch der Wille zum Guten bestärkt wird. Sodann verweist er auf die zwei verschiedenen Formen eines Gelübdes, die einfache und die feierliche. Allein letztere bewirkt, daß jemand Mönch oder Bruder eines nichtmonastischen Ordens wird, wofür in der Tat das Noviziat als Probejahr zu fordern ist. Im einfachen Gelübde hingegen verpflichtet sich jemand nur zu einem Eintritt, wofür es keine gesetzliche Bedingung gibt. Wenn man ferner meint, schlechte Erfahrungen mit solchen Leuten sprächen gegen das Versprechen, so ist zu sagen, daß ein Versagen nicht dem Gelübde zuzuschreiben ist, wie auch nach der Taufe begangene Sünden nicht aus dem Sakrament folgen542. Der Grund, warum Thomas so auf der Praxis der Mendikanten besteht, wird nicht direkt genannt, doch wird er in folgenden Überlegungen zu suchen sein. Während sich die monastischen Orden aus dem Oblateninstitut rekrutierten, das Prediger und Minoriten nicht kannten, mußten sie angesichts des vergleichsweise hohen Eintrittsalters auf einen Ersatz sinnen, um nicht Kandidaten zu verlieren, die auch nach der Pubertät zwei bis drei Jahre auf die Zulassung zum Noviziat zu warten hatten. Hat jemand den Ordenseintritt gelobt, so ist er strikt gehalten, seinem Versprechen nachzukommen, sobald das Hindernis - das Alter etwa - zu existieren aufgehört hat. Hat er sich uneingeschränkt (absolute) verpflichtet, muß er so rasch wie möglich um Aufnahme nachsuchen. War das Gelöbnis mit einer zeitlichen Klausel versehen, so hat er diesen Schritt zu tun, wenn sie erfüllt ist. Ferner ist denkbar, daß sich jemand verpflichtet hat, in einen bestimmten Orden einzutreten. Ihm obliegt dann, genau dies in die Tat umzusetzen, falls man ihn aufnimmt. Hat er das Gelübde schlechthin abgelegt, ohne eine konkreten Gemeinschaft ins Auge zu fassen, hat er solange vorzusprechen, bis ihn ein Orden akzeptiert543. Der Umstand, daß Thomas der Aufnahme von Knaben erneut einen eigenen Artikel widmet, zeigt, wie sehr ihn und die Mendikanten die Frage beschäftigt hat - und dies gewiß auch in einem autobiographischen Rückblick. Die Distinktionen und Lösungen sind uns zwar vertraut, doch mag es angebracht sein, einige Punkte dieser chronologisch letzten Äußerung zum Gegenstand Aufmerksamkeit zu schenken. Sollte ein Knabe oder ein Mädchen vor den Jahren der Pubertät („ungefähr" 14 bzw. 12 Jahre) den Vernunftgebrauch haben, so gäbe es für ihn oder es, soweit es auf ihn oder es ankommt, die Verpflichtung aufgrund eines Gelübdes, wobei nicht direkt gesagt wird, worin sie genau besteht. Ist die Gelübdetrias gemeint? Das ist auszuschließen, da es in den unmittelbar vorausgehenden Erörterungen heißt, ein Unfreier könne aus sich keinen Ordenseintritt geloben. Auch steht es, wie der Aquinate ferner schreibt, in der Macht des Vaters, das Gelübde zu widerrufen, ohne daß der Orden an einem solchen Akt beteiligt wäre. Was soll schließlich die Ver-

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II-II 189,2 und ad 3. Vgl. auch II-II 88,6 und 88,7. II—II 189, 3 und ad 2. - Anzumerken ist, daß es Thomas für begründet hält, daß auch durch den Ordenseintritt die Vergebung aller Sünden geschieht. Ad 3: Rationabiliter autem dici potest quod etiam per ingressum religionis aliquis consequatur remissionem omni um peccatorum. Wie der folgende Satz (in satisfactionem pro omnibus peccatis) anzeigt, ist aber wohl die absolutio ab omni reatu poenae gemeint. - Zum Problem s. H. BACHT, Die Mörtchsprofeß. B. LOHSE, Mönchtum und Reformation 150-160.

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pflichtung eines Knaben oder Mädchens „sofern es an ihm (ihr) liegt", wenn deren Weiterbestehen kein Gegenüber, die Gemeinschaft, hat, für den es gemacht wird? Es muß also wiederum so sein, daß pueri, falls sie schon der Entscheidung fähig sind, lediglich geloben können, später in einen Orden eintreten zu wollen. Das votum sollemne, im Sinne der Gelübdetrias nach dem Willen der Kirche abgelegt, setzt die Geschlechtsreife und das kanonische Alter strikt voraus. Wird es vorher ausgesprochen, so hätte es nicht die Wirkung, den Jüngling zum Religiösen zu machen, „soviel auch der Gelobende den vollen Vernunftgebrauch haben mag, so daß er der Arglist fähig wäre"544. Trotz solcher Einschränkungen behält das Oblateninstitut seine Berechtigung. Mit Zustimmung der Eltern können Kinder in einen Orden aufgenommen werden, „um dort erzogen zu werden" und um in Pflichten und Aufgaben eingeübt zu werden, die ihrem späteren Leben dienlich sind. Eigens wird vermerkt, daß römische Adlige ihre Söhne zum hl. Benedikt brachten545. Hat unser Artikel einen autobiographischen Hintergrund? In allgemeiner Form wird das niemand bestreiten wollen, da der fünf- oder sechsjährige Thomas zwischen dem Sommer 1230 und dem 3. Mai 1231 als Oblate in die Obhut der Abtei Monte Cassino gegeben wurde. Ebenso sicher ist, daß er mit 14 oder 15 Jahren das Kloster verließ und nach Neapel ging, wo er möglicherweise in in der klösterlichen Niederlassung San Demetrio, die den cassinesischen Benediktinern gehörte, eine Zeitlang gelebt hat546. Was dazwischen liegt, läßt sich nur vermuten. Manche Autoren sind allenfalls bereit, ein einfaches Gelübde anzunehmen, das er vor der Pubertät abgelegt habe547. T. Leccisotti meint, die Oblation habe den Wert und die Wirkung einer wahren Profeß gehabt, auch wenn sie bedingt, zeitlich und nicht persönlich gewesen sei, vergleichbar der heutigen zeitlichen Profeß, die einer späteren Erneuerung bedürftig gewesen sei548. Thomas selbt weiß, wie wir gesehen haben, von einer solchen Konstruktion nichts. Ergeben hat sich ferner: Das votum simplex eines des Vernunftgebrauchs fähigen Knaben, vor der Pubertät abgelegt, meint nicht das heutige einfache Gelübde mit zeitlicher Begrenzung, sondern das Versprechen, in einen Orden einzutreten. Dieses Gelöbnis kann durchaus, falls es der Oblate will, zeitlich unbeschränkt sein, möglich ist aber auch, daß es gemacht wird, um sich zu prüfen und erst dann die endgültige Entscheidung zu fällen549. Ob sich Thomas zu den Frühreifen gezählt hat, die eine solche Verpflichtung eingehen konnten, oder ob der Abt ihn für einen solchen gehalten hat, wissen wir nicht und folglich auch nicht, ob er vor der Pubertät gelobt hat, in den Orden einzutreten. Daß vieles zugunsten eines solchen Aktes spricht, braucht angesichts der frühen Indizien seiner hohen Begabung nicht eigens betont zu werden. Sollte es so gewesen sein, so

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II—II 189, S. Et quia Ecclesia respicit id quod in plurìbus est, professio ante tempus pubertatis facta, quantumcumque aliquis habeat usum rationis plenum vel sit doli capax, non habet suum effectum, ut faciat profitentem iam esse religiosum. II-II 189, 5 ... possunt tarnen cum voluntate parentum in religione recipi ut nutriantur ibidem ... Unde et communi consuetudine pueri applicantur iIiis officiis vel artibus in quibus sunt vitam acturi. Vgl. Gregor d. Gr., Dialogi II, c. 3, 14, ed. cit. 150. Vgl. J.-P. TORRELL, Magister Thomas 26f. So ist wohl J. A. WEISHEIPL, Thomas von Aquin 19 zu verstehen. T. LECCISOTTI, S. Tommaso 42. II-II 189, 4. Si igitur vovens intendit se obligare non solum ad ingressum religionis, sed etiam ad perpetuo remanendum, tenetur perpetuo remanere.

Der Ordenseintritt

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hat er sich in seiner Abtei und nirgendwo sonst binden wollen, da eine Alternative, die Prediger, für ihn seinerzeit nicht existierten. Und wie verhält es sich mit dem nächsten Schritt, dem votum sollemnel Daß Thomas ihn in Monte Cassino getan hat, ist nicht beweisbar, aber auch filr die Annahme des Gegenteils fehlen stichhaltige Argumente. Gleichwohl gibt es Gründe für seine benediktinische Profeß. Den voraufgegangenen Erörterungen zufolge geschah der Übergang vom oblatus zum professus damals bruchlos, sobald das 14. Lebensjahr vollendet war. Die Rückkehr in die Welt war eher die Ausnahme, zumal in unserem Fall nicht mit einem Widerruf seitens des Vaters zu rechnen war. Die Nachricht Toccos, Abt Landulf habe den Vater des Aquinaten gebeten, er möge seinen begabten Sohn nach Neapel zum Studium schicken, sollte nicht so verstanden werden, als habe der Abt zu jener Zeit keine Jurisdiktion über ihn gehabt, denn niemand kann sich für die Exaktheit der Ystoria im Detail verbürgen, zumal Tocco - und die Dominikaner - kaum ein Interesse gehabt haben dürfte, Thomas als ehemaligen Benediktinerprofessen vorzustellen550. Schließlich sei erwähnt, daß der Nekrolog der Abtei Monte Cassino aus der Zeit der Heiligsprechung eine Notiz enthält: (Thomas) primo Casinensis monachus factuss$l. Im übrigen weiß Thomas, wie wir hören werden, entscheidende Gründe anzugeben, um selbst einen auffälligen Ordenswechsel zu rechtfertigen, die sich nahtlos in seine Sicht des Religiosenstandes einfügen. Dem Aquinaten ist bekannt, daß gelegentlich der Ordenseintritt eines Jugendlichen zu familiären Konflikten führt. So ist er etwa problematisch, wenn sich die Eltern in einer materiellen Notlage befmden und auf die Hilfe der Kinder angewiesen sind. Obschon er früher schroff und unerbittlich für das Recht des Sohnes plädiert hat, sein Elternhaus zu verlassen, um dem Ruf Gottes zu folgen, sagt er hier, daß Kinder der Fürsorge den Vorzug geben müssen, falls sich ein anderer Weg nicht finden läßt552. Auch in unserem Kontext sieht sich Thomas veranlaßt, auf Pfarrer und Archidiakone einzugehen. Dürfen sie erlaubterweise in einen Orden eintreten? Das Problem gibt ihm erneut Gelegenheit, die Sonderheiten von Bischöfen und Religiösen herauszustellen. Nur sie sind im eigentlichen Sinn kraft eines ewigen und feierlichen Gelübdes gehalten, dem Dienst für Gott zu obliegen. Pfarrer und Archidiakone hingegen stehen nicht unter der Verpflichtung, Seelsorge auszuüben, wie das den Bischöfen aufgetragen ist. Die Oberhirten können deshalb ihr Vorsteheramt (praesulatus) unter „keinen Umständen" aufgeben, es sei denn mit Zustimmung des Papstes, wohl aber, so wird präzisiert, dürfen die Säkularkleriker das ihnen anvertraute Amt ihren Bischöfen „frei" zurückgeben, ohne die Erlaubnis des römischen Stuhls eingeholt zu haben. Diese wird nur für die Dispens von einem ewigen Gelübde verlangt. Das heißt: Die Scheidung der Stände hat ihren eigentlichen Grund in der auf Dauer oder auf Zeit angelegten Verpflichtung553.

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Ystoria, c. VI, ed. cit. 102f.

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Vgl. T. LECCISOTTI, S. Tommaso 43, Tav. Vili.

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II-II 189, 6. Et ideo dicendum est quod parentibus in necessitate existentibus ita quod eis commode aliter quam per obsequium filiorum subveniri non possit, non licet filiis, praetermisso parentum obsequio, religionem intrare. II-II 189, 7. Presbyteri autem curati et archidiaconi non obligantur voto perpetuo et solemni ad curam animarum retinendam, sicut ad hoc obligantur episcopi. Unde episcopi praesulatum non possunt deserere quacumque occasione absque auctoritate Romani Pontificis ... Archidiaconi autem et

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6. Der Ordens Wechsel Darf man von einem Orden in einen anderen überwechseln? Die Frage hatte seit der kanonikalen Bewegung und dem sensationellen Erfolg der zisterziensischen Reform erhebliche Bedeutung erlangt. Sie wurde deshalb seit dem 12. Jahrhundert eifrig diskutiert, da sich in den Antworten Probleme der Regeltreue, des Ranges und des Ansehens klösterlicher Gemeinschaften artikulierten554. Der Gegenstand hat in unserem Rahmen wohl auch einen autobiographischen Hintergrund, falls der Aquinate tatsächlich Benediktinerprofesse gewesen sein sollte. Thomas leitet seine Überlegungen mit einem kanonistischen Argument ein, wonach der Wunsch nach einer districtior vita den Übergang in ein anderes Monasterium ermöglicht. Wenn die Strenge der Observanzen das Kriterium für den Grad der Vollkommenheit eines Weges darstellt, wäre der transitus innerlich legitimiert. Wir wissen freilich, daß Thomas diesen Maßstab so nicht akzeptieren wird. Die strenge Zuordnung von Ziel und Mitteln wird ihn nach einer anderen Lösung Ausschau halten lassen. Der Vergleich der Mittel untereinander ist sekundärer Natur, entscheidend ist allein das einer Gemeinschaft eigene Ziel. Generell gilt, daß ein Übertritt nur dann begründbar ist, wenn er dem Wohl dient und aus Notwendigkeit hervorgeht555. Und wann ist das der Fall? Lobenswert und nicht nur möglich wird der transitus aus einer Reihe von Motiven. (Man beachte, daß er nicht etwa nur toleriert, sondern empfohlen wird!). An erster steht der Eifer für einen vollkommneren Orden. Der diesen charakterisierende Vorrang (excellentia) läßt sich nun nicht „hauptsächlich" nach der Strenge der in ihm praktizierten Übungen beurteilen, er muß vielmehr von dem Ziel her in den Blick genommen werden, auf das er hingeordnet ist. In zweiter Linie hat man die Observanzen in die Wertung einzubeziehen, die der Erreichung des Ziel dienen556. Wer und was gemeint ist, haben wir bereits anläßlich der Ausführungen De comparatione religionum gesehen. An der Spitze der Skala steht ein Orden von Predigern, die aus der Fülle der Kontemplation predigen und lehren. (Das muß nicht der historische Predigerorden sein, sondern jede Gemeinschaft, die solche Charakteristika aufweist). Unter ihm stehen kontemplative Orden, hinter denen wiederum die rangieren, die sich „äußeren Handlungen"

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presbyteri curati possunt libere abrenuntiare episcopo curam eis commissam absque speciali licentia papae, qui solus potest in votis perpetuis dispensare. Vgl. auch ad 1. Vgl. den Überblick: Art.: Passagio da una religione all'altra, in: DIP VI 1214-1230 (F. CUBELLI). PH. HOFMEISTER, Der Übertritt, bes. 420-432, wo gezeigt wird, daß Thomas, wie es scheint, als erster und einziger nicht die arctior vita, sondern den finis religionis zum Kriterium eines legitimen Übertritts gemacht hat. C. LEONARDI, La dottrina decretista war mir nicht zugänglich. A. DIMIER, Saint Bernard. Art.: Passage d'un ordre religieux dans un autre, in: DDC VI 1248-1251 (R. NAZ). D. ROBY, Philip of Harvengt's Contribution. G. PICASSO, San Bernardo. J. WOLLASCH, Cluny - „Licht der Welt" 265-282. - Der berühmte Text Bernhards: Liber de praecepto et dispensatane XVI, 4450: Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke, Bd.I, 406-415. II-II 189, 8. Dicendum quod transire de religione ad religionem, nisi propter magnam utilitatem vel necessitatene non est laudabile. Zu utilitas als „Wohl" und nicht als „Nutzen" s. B. RIEDER, Deus locumdabit 105-111. II-II 189, 8. Potest tarnen aliquis laudabiliter de una religione transire ad aliam triplici ex causa. Primo quidem zelo perfectioris religionis. Quae quidem excellentia ... non attenditur secundum solam arctitudinem, sed principaliter secundum id ad quod religio ordinatur, secundario vero secundum discretionem observantiarum debito fini proportionatarum.

Der Ordenswechsel

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widmen. Letztere sind ebenfalls gestaffelt, so daß sich der zelus perfectioris religionis auf verschiedene Ordensformen richten kann. Das hieße etwa: Ein monachus würde schon dann einen transitus laudabilis realisieren, wenn er sich einem Monasterium oder einem monastischen Verband anschlösse, der ihm eine reinere Gestalt der Kontemplation böte - er hätte sich in diesem Fall für die geeigneteren Mittel seines Weges entschieden. (Zu denken wäre an den Übergang von den Benediktinern zu den Zisterziensern). Am höchsten stünde freilich der Entschluß, einem Orden der vita mixta beizutreten, weil dann der flnis einer anderen Kategorie angehört. Oder konkreter: Ein Mönch, der zu den Predigern überwechselt, tut diesen Schritt laudabiliter, wofern diese tatsächlich das mit ihrem Orden zu verbindende Ideal realisieren. Sollte Thomas monachus gewesen sein, so hätten wir in solchen Überlegungen gewiß auch eine theologische Rechtfertigung dafür zu erblicken, daß er in Neapel bei den Predigern eintrat. Als ein weiteres Motiv wird der Verfall der Zucht in einem Kloster akzeptiert. Sollten Religiösen eines an sich strengen Ordens einen laxen Lebenswandel zu führen beginnen, so könnte sich jemand, der sich davon abgestoßen fühlt, sogar einer Gemeinschaft anschließen, die ein weniger hohes Ideal hat, aber die Regel treuer befolgt. Schließlich sind gesundheitliche Gründe anzuerkennen, die ein strenges Leben unmöglich machen, ein leichteres jedoch zulassen557. Thomas fügt seinen Erwägungen einige Erläuterungen praktischer Art an, die den Rang seines zentralen Arguments unterstreichen. Sollte ein Religiöse den Übertritt mit dem Wunsch motivieren, einem höheren finis dienen zu wollen, so brauchte er nur um der Demut willen um die Erlaubnis zum Wechsel zu bitten, der ihm jedoch nicht verweigert werden darf. Thomas hätte also bei seinem transitus zu den Predigern die Zustimmung seines Abtes nicht im rechtlichen Sinn haben müssen. Lediglich im Falle eines Zweifels wäre das Urteil des Oberen zu erfragen. Im zweiten Fall, wenn es um die besseren Mittel geht, wird allerdings eben dieses Urteil gefordert, während bei Schwäche oder Krankheit eine Dispens nötig ist558. Die die konkreten Schritte eines zum transitus entschlossenen Religiösen erläuternden Bemerkungen sind erstaunlich weitherzig. Es genügt die Sicherheit, „aus Eifer für einen vollkommeneren Orden" den Wechsel ins Auge zu fassen, dessen Realisierung dann kein Superior mehr verhindern kann, falls es um einen höheren finis geht. Der Übertritt in den Predigerorden stünde somit allen Religiösen ohne irgendwelche juristischen Hindernissen offen. Gewissenssache wäre lediglich die quaestio facti, d.h. die Prüfung, ob die Prediger tatsächlich die religio altior repräsentieren. Auch die Antwort auf die damals ebenfalls aktuelle Kontroverse, ob dem Übertritt eines Mönchs zu den Regularkanonikern etwas im Weg steht, verdient gewürdigt zu werden. Beide Orden - so Thomas - widmen sich den der Kontemplation dienenden Werken, unter denen die Feier der göttlichen Geheimnisse den ersten Platz einnehmen. Die Regularkanoniker, ihrer Natur nach Klerikerreligiosen, haben dazu eine unmittelbare Hinordnung, 557

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II-II 189, 8. Secundo, propter declinationem religionis a debita perfezione. Puta si in aliqua religione arctiori incipiant religiosi remissius vivere, laudabiliter transit aliquis ad religionem etiam minorem, si melius observetur ... Tertio, propter infirmitatem vel debilitatem. n-II 189, 8. Nam in primo casu debet quidem propter humilitatem licentiam petere; quae tarnen ei negarì non potest, dummodo constet illam religionem esse arctiorem.

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Die Vielfalt des Ordenswesens

während Mönche an sich keine Kleriker sind. Monastische Orden sind nun zwar von strengerer Observanz, sofern aber Laienmönche (keine Konversen) in den klerikalen Stand übergehen möchten, ist ihnen der Wechsel zu den Regularkanonikem zu gestatten. Umgekehrt gilt: Ein Regularkanoniker darf einer klerikalen Mönchsgemeinde beitreten, da er dann geistliche Funktionen mit größerer Strenge verbinden könnte559. Die Observanzen, das zweite Kriterium, spielen wiederum nicht die entscheidende Rolle, sondern das Ziel, das ebenfalls Stufen kennt und in das sich auch - wie hier - die Eucharistie und sakramentale Funktionen einfügen. Die sachliche und ausgewogene Erörterung eines Themas, das immer wieder - man denke an Bernhard und die Cluniazenser - die Gemüter bewegt hat, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die hier gegebenen Lösungen von außerordentlicher Kühnheit sind, weil sie - jedenfalls in Hinsicht auf das zentrale Kriterium - einen Ordenswechsel in die Urteilsfähigkeit und Verantwortung des einzelnen Religiösen legen, dem, handelt es sich um ein andernorts realisierbares höheres Ziel, der transitus nicht verweigert werden kann. Das Beschreiten des Rechtswegs ist nicht vorgesehen. Die Grenzen zwischen den Orden sind also in einem erstaunlichen Maß durchlässig geworden. Daß man andere veranlassen darf, in einen Orden einzutreten, bedarf kaum noch einer Begründung, wenn dies ohne Gewalt und Täuschung geschieht560. Von großem Gewicht für den Kandidaten ist die Frage, ob der zum Eintritt Entschlossene seinen Schritt „lange" zu überlegen hat und ob er den Rat „vieler" suchen muß. Thomas hatte in Contra retrahentes in einem leidenschaftliche Plädoyer zu zeigen versucht, daß einem durch das Walten des hl. Geistes entstandenen Ruf, den Weg der Nachfolge des Herrn zu beschreiten, unverzüglich zu entsprechen ist, da niemand einen besseren Rat zu geben vermag. Die zu diesem Zweck so eindrucksvoll entwickelte Lehre vom instinctus des hl. Geistes findet hier keine Fortsetzung. Die Argumente sind in einem sachlichen und kühlen Ton gehalten. Daß der Eintritt in einen Orden das Bessere ist, unterliegt keinem Zweifel. Christus selbst hat ihn empfohlen. Auch die Bedenken, ob die eigenen Kräfte ausreichen, um einen solchen Schritt zu tun, sind unangebracht, da wir nicht auf sie, sondern auf Gottes Hilfe zu vertrauen haben. Etwas anders verhält es sich, wenn etwa Krankheit oder Schuldenlast den Kandidaten drücken. In diesem Fall sollte man sich mit Personen beraten, von denen man weiß, daß sie grundsätzlich Verständnis für das Ordensleben haben. Lange Überlegungen sind freilich nicht angezeigt. Geht es um die Weise des Eintritts oder um die Wahl eines bestimmten Ordens, ist ebenfalls eine Konsultation mit positiv eingestellten Leuten zu empfehlen561.

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II—II 189, 8 ad 2. Sed ad religionem monachorum non per se competit ut sint clerici ... Et ideo quamvis ordo monachorum sit arctioris observantiae, si monachi essent laici, liceret transire ab ordine monachorum ad ordinem canonicorum regularium ... Sed si monachi sint clerici sacris mysteriis obsequentes habent id quod est canonicorum regularium cum maiorì arctitudine. Et ideo transire licitum erit de ordine canonicorum ad ordinem monachorum petita tarnen superioris licentia ... - Zu Eucharistie und Mönch s. O. NUßBAUM, Kloster, Priestermönch, bes. 132-152. - Zur Konkurrenz zwischen Kanonie und Monasterium s. K. FINA, „Ovem suam requirere ". G. MELVILLE, Zur Abgrenzung. P. LANDAU, Die 'Duae leges'. 11-11 189,9. II-II 189,10.

Der Ordenswechsel

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Ruft nun nicht die Schrift (1 Jo 4, 1) selbst auf, „die Geister zu prüfen, ob sie aus Gott sind"? Hat man nicht mit Selbsttäuschung oder mit falschen Eingebungen zu rechnen? Solcher Mahnungen haben sich in der Tat die Religiösen zu erinnern, die über die Aufnahme zu befinden haben, nicht jedoch der angehende Novize. Den Verantwortlichen obliegt die Pflicht, den Bewerber auf die Authentizität seiner Berufung zu prüfen. Dem Kandidaten selbst kann es jedoch nicht fraglich sein, ob sein Vorsatz dem Geist Gottes entspringt, „dessen Sache es ist, den Menschen auf die rechte Bahn zu führen"562. Das heißt: Thomas verwirft eine Selbstprüfung, wenn der Kandidat einmal das propositum ingrediendi gefaßt hat. Die Unterscheidung der Geister obliegt dann nicht mehr ihm, sondern den Oberen oder, wie hier angedeutet wird, dem Konvent. Darin ist freilich eingeschlossen, daß ein solches Examen auch zu einem negativen Resultat führen kann. Das will sagen: Ein Bewerber, der ehrlich und nicht simulate um Aufnahme nachsucht, darf sicher sein, von Gott an die Schwelle des Klosters geführt worden zu sein, da der Wunsch, den Weg zur evangelischen Vollkommenheit zu gehen, nur von Gottes Geist stammen kann und nicht etwa von dämonischen Einflüsterungen, die ihn nicht zu einem solchen Schritt anregen und ihm niemals das melius suggerieren würden. Daß einige, wie die Erfahrung lehrt, von diesem Vorhaben Abstand nehmen und vor dem Angebot zurückweichen, spricht nicht gegen die göttliche Herkunft dieses Verlangens, da man die Gnade verlieren kann, wohl aber ist „der Rat Gottes unaufhebbar", den er dem Berufenen ins Herz gelegt hat. Und daraus die Konklusion: „Der Entschluß, in einen Orden einzutreten, hat keine Prüfung nötig, ob er aus Gott sei, weil Gewisses keiner Erörterung bedarf' 563 . Thomas will sicher nicht das allmähliche Reifen einer Berufung mit seinen Etappen, Bedenken und Zweifeln leugnen, doch ist hier wie in Contra retrahentes deutlich, daß ihn dieser Prozeß theologisch nicht sonderlich interessiert. Er hat vielmehr den Endpunkt eines solchen Weges vor Augen, an dem jenes propositum steht, das, weil es zum wesentlich Besseren führen möchte, nicht mehr Zweifeln über dessen göttlichen Ursprung unterliegt. Wiederum: Es wird nicht von der Hand zu weisen sein, daß das plötzliche Innewerden des Rufes und seiner göttlichen Herkunft Erfahrungen widerspiegelt, die der junge Thomas gemacht hat. Daß der Traktat Uber den Ordensstand nicht einfach eine theologische Abhandlung unter anderen sein möchte, gibt der Schluß zu erkennen, der - eher ungewöhnlich - das Ganze mit einem Gebet ausklingen läßt564.

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II—II 189, 10 ad 1. Sed illi qui ad religionem accedit, non potest esse dubium an propositum de ingressu religionis in corde eius exortum sit a Spiritu Dei, cuius est „ducere hominem in terram rectam"(Ps 142,10). II—II 189, 10 ad 1. Nec propter hoc ostenditur non esse a Deo, quod aliqui recedunt. Non enim omne quod a Deo est, est incorruptibile ... Sed consilium Dei est indissolubile, quo etiam corruptibilia et mutabilia facit... Et ideo propositum de ingressu religionis non indiget probatione utrum sit a Deo, quia „certa discussione non eget", ut dicit Glossa (zu 1 Thess 4,21). n-II 189, 10, wo es im Anschluß an ad 3 heißt: Quod quidem suave iugum super se tollentibus refectionem divinae fhiitionis repromittit et sempiternam requiem animarum. Ad quam nos perducat ipse qui promisit, Iesus Christus Dominus noster, qui est super omnia Deus benedictus in saecula. Amen.

1. Exkurs

Thomas und der Predigerorden

Nirgendwo nennt Thomas in seinem wissenschaftlichen Werk den Namen des Gründers seines Ordens. Nur einmal erwähnt er Dominikus zusammen mit Franziskus in einer Predigt, in der er beide Männer wegen ihrer Mühe um das Heil der Menschen rühmt565. Die Ursache für diese auffällige Zurückhaltung ist nicht schwer zu erraten. Es ist keineswegs mangelnde Devotion gegenüber dem Ordensvater, es ist vielmehr der Wunsch, eine Konzeption vorzule565

Die einzige Ausnahme macht ein Satz aus der Predigt Homo quidam erat dives qui habebat villicum, ed. J.-B. RAULX, Divi Thomae Aquinatis doctoris angelici Sermones et opuscula concionatoria II 354-364. Item suscitavit gloriosos ministros, scilicet beatos Dominicum et Franciscum, qui administrarunt salutem hominum, et ad hoc fuit ipsorum spirituale Studium, ut homines inducerent ad salutem (364). - In dem noch unedierten Sermo Inveni David servum meum, oleo sancto unxi eum spricht Thomas am Fest des hl. Nikolaus von den Stigmen des hl. Franz: Considerare debetis quod in futuro secundum merita gratiarum resultabunt in corporibus sanctorum indicia premiorum, et in presenti indicia affectus demonstrant, sicut patet quod in beato Francisco fuerunt indicia passionis Christi quia vehementer afficiebatur circa passionem Christi. Zitiert nach L.-B. BATAILLON, Les stigmates 342. - Zum Exkurs s. U. HORST, Thomas von Aquin und der Predigerorden. - Daß Thomas in seinen systematischen Werken weder Dominikus noch Franziskus erwähnt, hat - neben den hier genannten Gründen - noch ein anderes ordensgeschichtliches Motiv. In der hagiographischen Literatur gab es auf beiden Seiten Versuche, aus der Größe des einen Stifters auf die Unterordnung des anderen zu schließen. Auch die Freundschaft zwischen Franz und Dominikus wird gelegentlich so gedeutet, daß die Prediger eigentlich Minoriten sein sollten. Dazu s. S. TUGWELL in der Einleitung zu seiner Edition Miracula Sancti Dominici 74—76. Noch bemerkenserter ist ein Text aus Olivis Lukaskommentar, der sich direkt auf eine von uns öfter behandelte Problematik bezieht. Als er Novize war, will er von einem Frater Raymundus gehört haben: audivit a beato Dominico ... quod ipse et eius ordo abrenuntiationem omnium possessionum acceperat a beati Francisci et suorum exemplo, cum scilicet pro sui ordinis approbatione Ytaliam et Romanam curiam adiens vidit Assisii Franciscum cum multis fratrum millenariis in generali capitulo congregatos. Ubi admirans quod absque ulla provisione de crastino eis quolibet die per devotionem fidelium necessaria sufficienter providebantur a deo, rediens ad fratres suos dixit eis quod absque possessionibus secure poterant esse, quia sie et sie viderat et comprobaverat in fratre Francisco et ordine eius. Zitiert bei S. TUGWELL, Notes on the Life 80f. Die Tendenz, die zeitgenössischen Prediger des Abfalls von der Strenge des Stifters zu zeihen, zu der dieser sich durch das Beispiel des hl. Franz und der Minoriten entschlossen hatte, springt in die Augen. Die weitere Analyse der Legenden durch T. wird ähnliche Exempel zu Tage fördern. In diesem Kontext wechselseitiger Versuche, Abhängigkeiten und Überbietungen zu konstruieren, muß man die distanzierten und nüchternen Argumente des Aquinaten lesen. Ihm schien es auch aus solchen Erwägungen angebracht, die beiden Heiligen in der systematischen Darstellung aus dem Spiel zu lassen.

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gen, die sich, nachdem sie einmal eine historische Person realisiert hatte, vom Stifter lösen konnte und sollte, um so zu einer Idee zu werden, die sich auch anderswo und durch andere verwirklichen ließ. Dem korrespondiert, daß Thomas über den Predigerorden mit direkten Worten nur an wenigen Stellen spricht, so daß die von ihm entwickelten Prinzipien auch auf Gemeinschaften applizierbar sind, die sich dieses Programm zu eigen machen wollen, wobei freilich zuzugeben ist, daß er überzeugt gewesen sein wird, daß sein eigener Orden dem von ihm entworfenen Idealbild weithin entspricht. Auch wird er gewußt haben, daß eine ständige Berufung auf den Stifter, dessen Leben und Intentionen den Blick auf nötige Anpassungen der Mittel an das Ziel behindern kann. Den jeweils maßgebenden Autoritäten, den Generalkapiteln, die freilich nicht erwähnt werden, soll vielmehr die Aufgabe zufallen, neue Wege zu suchen und diese an der Stiftergeneration zu messen. Der hl. Dominikus braucht deshalb, nachdem seine Sendung erfüllt war, nicht mehr zur Begründung und Rechtfertigung herangezogen zu werden. Seine Gestalt, wie einmalig und originell sie am Beginn gewesen sein mag, soll zwar Gegenstand persönlicher Devotion sein, aber sie geht mit seiner Stiftung keine Symbiose ein. Der Predigerorden, einmal gegründet, muß deshalb seine Eigenart und seine Mission aus eigener Kraft beweisen und gegebenfalls erneuern. Gewiß darf man die auf den eigenen Orden zu beziehenden programmatischen Äußerungen des Aquinaten auch als Ausdruck seines persönlichen Verhältnisses zur Gemeinschaft der Predigerbrüder werten, aber man mag doch bedauern, daß wir nichts Genaues etwa über die Motive erfahren, die ihn von Monte Cassino in den neuen Orden führten. Möglicherweise gibt es jedoch Andeutungen in einem Werk, die es uns erlauben, die Entscheidung des jungen Benediktiners Thomas besser zu verstehen. Gemeint ist die Streitschrift Contra doctrinam retrahentium a religione (Contra retrahentes), verfaßt 1271, die der Secunda Secundae chronologisch nur wenig vorausgeht. Sie richtet sich an Gegner der Mendikanten, die die Aufnahme Jugendlicher in einen Orden nur nach reiflicher Prüfung und nach gründlicher Konsultation mit anderen gestatten wollten566. Das erregte den heftigen Widerspruch des Aquinaten, der sich, so hat man zu recht angenommen, seines eigenen in jugendlicher Begeisterung - gegen den Willen der Familie - gefaßten Entschlusses, Predigerbruder zu werden, erinnert haben muß. Zwei Fragen interessieren uns vor allem. Was meint in diesem Opusculum die sequela Christi genau, denn sie stellt offenbar das Kriterium für den besonderen Weg jener Orden dar? Und: Wie hängt die „Nacktheit Christi", die gänzliche Entäußerung irdischer Habe, mit ihr zusammen? Daß hier das Beispiel des reichen Jünglings (Mt 19, 21) im Hintergrund steht, versteht sich. Aber wo liegt der springende Punkt in der Antwort des Meisters? Im „verkaufe" oder im „folge mir nach"? Wir wissen freilich längst, daß es darauf ankommt, dem Herrn „nachzugehen". Und diese sequela äußert sich, wie es ungefähr zeitgleich in der Lectura zum Mathäusevangelium heißt, im Eifer für Predigt, Lehre und Seelsorge567. Der Verzicht bleibt - in einem noch näher zu bezeichnenden Sinn - das Kennzeichen des wah566

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Zum Hintergrund s. H.-F. ÜONDAINE in der Einleitung zu Contra retrahentes, ed. cit. §§ 1-3, C 5-8. Ferner J.-P.TORRELL, Magister Thomas 102-114. Zu unseren Problemen s. U. HORST, Mendikant und Theologe 13-31. Super evangelium S. Matthaei Lectura, ed. cit., nr. 1598, 244: Et veni sequere me. Hic est finis perfectionis. Unde illi sunt perfecti, qui toto corde sequuntur Deum ... lmitatio enim est in sollicitudine praedicandi, docendi, curam habendi.

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ren Jüngerseins. Höchste Vollkommenheit erlangen „einige Menschen", wenn sie sich ihrer Besizungen (possessiones) entledigen und „einiges" zum Unterhalt der Armen behalten. Und genau dies trifft - unter einem anderen Aspekt - ebenfalls auf Christus zu, der „einiges" aus den ihm von den Gläubigen gespendeten Gaben seinen Jüngern reservierte568. Der verklausulierte Satz - es war allgemein fromme Meinung, daß Christus kein Geld hatte will sagen: Christus hatte eine „Armenkasse", aber die in ihr befindlichen Mittel waren nicht in erster Linie für sozial Arme gedacht, sondern vorzugsweise für die eigenen Jünger, die ohne Mittel waren, nachdem sie alles verlassen hatten. Hinter der komplizierten Argumentation verbirgt sich die damals kontrovers beantwortete Frage nach Wesen und Funktion der loculi, des Beutels, dem schon der Umstand einen negativen Akzent zu verleihen schien, daß ihn Judas in seiner Obhut hatte (Jo 12, 6; 13, 29). Oder einfacher: Daß in der Börse für Christus und die Apostel bestimmtes Bargeld war, wagte damals Thomas noch nicht offen zu sagen. Christi Entblößung manifestiert sich am sichtbarsten in der „Nacktheit des Kreuzes". Ihr folgen nun jene nach, die in freiwilliger Armut leben, namentlich jedoch solche, die sich der Einkünfte aus ihren Besitzungen (possessiones) begeben. Um der Aussage auch sprachlich Nachdruck zu verleihen, zitiert Thomas das berühmte Hieronymuswort, das einst den Wanderpredigern als Motto gedient hatte: nudam crucem nudus sequi569. Wer sind nun die, die ohne possessiones und redditus „in besonderer Weise" (praecipue) dem Herrn nachgehen? Offenbar differenziert Thomas zwischen zwei Gruppen von Religiösen und zwischen zwei Orden: Zwischen solchen, die possessiones et redditus zu ihrem Unterhalt haben, und anderen, die selbst diese (legitimen) Titel preisgeben. Das heißt nun: Gemeint sind zuerst Mönche herkömmlicher Monasterien, die von Landbesitz und festen Erträgen leben, und dann „vornehmlich" Mendikanten, die eine strengere Form der „Nacktheit des Kreuzes" praktizieren, da sie über keine ökonomischen Ressourcen üblicher Art verfügen. Sie bestreiten ihre wirtschaftliche Existenz aus der täglichen seelsorglichen und wissenschaftlichen Arbeit und nicht aus Latifundien und Kapitalien. Das Lebensnotwendige haben sie - wie der Jüngerkreis um den Herrn mit den loculi - gemeinsam. Der Konvent ist also der Inhaber der „Kasse", die, wie wir bereits (in der Secunda Secundae) gehört haben, der Herr selbst legitimiert hat. Aus solchen Erwägungen, die begreiflicherweise eine direkte Sprache zu vermeiden trachten, ergibt sich - und darauf kam es uns hier an - das historische und sachliche Profil des Predigerordens. Die Konzeption wird - für den Aquinaten kennzeichnend - nicht als eine exklusiv dominikanische Existenz- und Arbeitsweise präsentiert, sie hat vielmehr prinzipiellen Charakter und läßt sich auf Orden mit identischer Zielsetzung anwenden. Gleichwohl war sich Thomas bewußt, ein sehr spezifisches Programm vorgelegt zu haben, mit dem

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Contra retrahentes, c. 15, ed. cit. C 69, lin. 73-79. Haec est igitur summa paupertatis perfectio, ut ad exemplum Christi aliqui homines possessionibus careant, et si aliqua reservent ad pauperum usum, praesertim quorum eis cura incumbit; sicut Dominus praecipue suos discipulos propter ipsum pauperes effectos, de his quae sibi dabantur reservans, sustentabat. Contra retrahentes, c. 15, ed. cit. C 69, lin. 94-104. Hieronymus, Epistola 58 (Ad Paulinum presbyterum), nr. 2, ed. cit. 529. J. CHÄTILLON, Nudum Christum nudus sequere ... Anregend, aber mit Vorbehalt: E. WERNER, Pauperes Christi.

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sich damals wahrscheinlich kein Orden identifzieren wollte570. Die Monasterien nicht, weil sie aufpossessiones et redditus angewiesen waren; noch viel weniger die Minoriten, weil sie Uberzeugt waren, die imitatio Christi sei mit gemeinsamen Besitz, wie er hier angenommen wird, unvereinbar. An dieser Stelle sei die theologische Argumentation, die uns den Hintergrund für das Folgende liefern sollte, verlassen, um einige die Biographie des Aquinaten erhellende Konklusionen zu ziehen. Die Vehemenz, mit der er die Attacken derer zurückweist, die sich gegen einen spontanen Eintritt junger Männer mit dem Argument wenden, ein solcher Schritt sei angesichts mangelnder Reife und ohne Konsultation „mit vielen" verwerflich, macht hellhörig. Thomas reagiert ungewöhnlich schroff und in einem Punkt, wie uns heute scheinen will, rücksichtslos. Es genügt, schreibt er, daß der hl. Geist jemand bewegt oder daß ihn ein Schriftwort eindeutig und unwiderstehlich anredet571. Eine Rates bedarf er dann nicht mehr, da ihm niemand einen besseren geben könnte, als ihn Gott schon gegeben hat. Diesem Ruf muß man unverzüglich folgen. Wer zaudert, weil er Familie und Freunde nicht betrüben möchte, bezeugt „fleischliche Gesinnung". Um dem Gedanken Nachdruck zu verleihen, zitiert Thomas wiederum ein Wort des hl. Hieronymus, das den sofortigen Bruch mit der eigenen Abkunft und Vergangenheit zum Merkmal des wahren Jüngers Christi macht:" ... selbst wenn die Mutter mit gelöstem Haar und zerrissenem Kleid dir die Brüste zeigt, die dich genährt haben, selbst wenn der Vater sich an der Türschwelle niederwirft, so stürme über den zu Boden getretenen Vater (per calcatum patrem) nach vorn und eile trockenen Auges unter das Banner des Kreuzes, denn es ist ein Beweis der Frömmigkeit, in dieser Sache hart zu sein"572. Interessanterweise bringt Thomas wenig später in der Secunda Secundae dasselbe Zitat, erweitert es aber nun um die Bemerkung, auch die Mutter müsse zu Boden getreten werden (per calcatam matrem). Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß beide Versionen die Reminiszenz eines Konflikts sind, der sich zwischen Sohn und Mutter um 1244 abgespielt hat, als Thomas um Aufnahme in der Predigerorden nachsuchte. Daß die Mutter die dunkle Gestalt in der Familie war und den Sohn gewaltsam von seinem Vorhaben abbringen wollte, kann die dürftige literarische Kunst Wilhelms von Tocco in seiner Ystoria nicht wirklich verschleiern573. Über die Motive des jungen Mannes, sich gerade einer Mendikantengemeinschaft anzuschließen, da doch in Monte Cassino höhere Würden winkten, erfahren wir freilich nichts Genaues, doch mögen Gedanken aus Contra retrahentes einen Schlüssel zu deren Verständnis liefern. Sehr wahrscheinlich war es die neue Frömmigkeit, das nudum Christum nudus sequi, die den Benediktinerprofessen Thomas anzog und nicht so sehr, wie man für gewöhnlich annimmt, die Wissenschaft. Das Ideal, dem armen und predigenden Herrn unverzüglich nachzufolgen, als er den Ruf vernahm, hat ihn begeistert und dem Predigerorden zugeführt. Eine Bestätigung mag man in dem Umstand 570 571 572 573

In der Armutsfrage stimmten wohl nur die Augustineremiten weithin mit Thomas überein. Vgl. F.A. MATHES, The Poverty Movement. - Für die spätere Zeit s. U. HORST, Die Armut Christi und der Apostel. Contra retrahentes, c. 9, ed. cit. C 54 - C 56, lin. 103-207. Vgl. U. HORST, Mendikant und Theologe 24-27. Contra retrahentes, c. 9, ed. cit. C 57, lin. 279-298. Hieronymus, Epistola ad Heliodorum (Ep. 14), nr. 2, ed. cit. 46f. Der erweiterte Text II-II 101, 4. - Wilhelm von Tocco berichtet vom Widerstand der Familie in seiner Ystoria sancti Thome, ed. cit., cc. VIII-XII, 105-115.

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1. Exkurs: Thomas und der Predigerorden

erblicken, daß gerade in Contra retrahentes vergleichsweise kritische Worte über den Besitz der Monasterien fallen, denen deshalb der cumulus perfectionis versagt bleibt. Das persönliche Verhältnis des Aquinaten zur Abtei Monte Cassino blieb freilich ungetrübt, wie sein bewegender Brief an Abt Bernhard aus den letzten Lebenstagen zeigt, aus dem Freundschaft und tiefe Verehrung spricht574.

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Zu den biographischen und literarhistorischen Umständen des Briefs s. A. DONDAINE: Ed. Leon. t. 42, Préface §§ 1-7, 39ÇM07, Text: 413-415. S. femer D.T. LECCISOTTI, S. Tommaso 57-59 und U. HORST, Thomas von Aquin, Professor und Consulter 216-218.

2. Exkurs

Abraham als Zeuge christlichen Weltverhaltens

Die Gestalt Abrahams mit ihren theologischen Implikationen für die Lehre von Glaube, Rechtfertigung und Kontinuität zwischen beiden Testamenten hat den Aquinaten außerordentlich fasziniert, wie der schier endlose Stellennachweis im Index Thomisticus verrät. Merkwürdigerweise harrt das Thema „Abraham in der Theologie des Thomas" trotz seiner offensichtlichen Bedeutung noch der Bearbeitung. Auch hier soll nur ein Aspekt - freilich ein sehr wichtiger - kurz gewürdigt werden. Schon im I. Sentenzenbuch findet sich ein auf unseren Gegenstand bezogener Hinweis an Hand eines später öfter zitierten Augustinuswortes, das eine gewisse Schlüsselfunktion erlangen sollte. In De bono coniugali heißt es, der Zölibat Johannes' des Täufers sei der Ehe Abrahams gleichzusetzen575. Daraus könnte man - so der Einwand, den sich Thomas macht - den weitreichenden Schluß ziehen, daß die Heiligen des Neuen Testaments keines größeren Verdienstes teilhaftig werden als die Gerechten des Alten Bundes576. Daß das Argument mit der Antwort des Aquinaten mehrmals und zu verschiedenen Etappen gebracht wird, zeigt die Bedeutung, die er dem Gedanken beigemessen hat. In unserem Text wird, um die Neuartigkeit der Erlösung zu sichern, konzediert, daß die Sendung des Sohnes und des hl. Geistes nach der Inkarnation „voller" geschehen ist, weil wir alle aus der Fülle empfangen. In Hinsicht auf einige bevorzugte Gestalten des Alten Bundes gab es freilich schon damals eine plenissima missio. So ist es möglich, daß einige Auserwählte kraft ihres Glaubens an den Mittler eine „gleich volle Gnade" erhalten haben wie die neutestamentlichen Heiligen577. Der in unserem Kontext einschlägige Vergleich caelibatus - matrimonium wird allerdings hier nicht weiter vertieft. Das geschieht in einer knappen Erwiderung im IV. Sentenzenbuch, wo es heißt, daß die Gleichwertigkeit von Zölibat und Ehe in bezug auf das Verdienst der beiden genannten Personen zu sehen ist, insofern sich Abraham in seiner Ehe ebensoviele Verdienste erworben hat wie der jungfräuliche Johannes, weil Abraham Gott in gleicher Bereitschaft diente - und zwar secundum statum sui temporis. Was der Zusatz meint, wird nicht näher expliziert, doch soll er gewiß eine heilsgeschichtliche Differenzie-

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De bono coniugali, XXI.26, ed. cit 220f. Zu Augustinus und Abraham s. Art.: Abraham, in: AugL I

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I Sent, d. 15, q. 5, a. 2, arg. 2. Ad 2 ... et sie per fidem Mediatoris consecuti sunt gratiam aeque plenam his qui sunt in Novo Testamento, et multis plus et multis minus.

1 0 - 3 3 (C. MAYER).

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2. Exkurs: Abraham als Zeuge christlichen Weltverhaltens

rang zum Ausdruck bringen, die Verschiedenheit in der Gemeinsamkeit wahrt. Der vorhin angestellte Vergleich der Verdienste ist aber, wie weiter gesagt wird, nicht wesentlicher Natur, sondern per accidentalia virtutum578. Mit diesen Distinktionen hat Thomas bereits alle wichtigen Elemente in Händen, deren Applikation auf andere Probleme ihm damals allerdings noch nicht in den Blick gekommen ist. Thomas mußte sich der Gestalt Abrahams erinnern, als er sich in De perfectione anschickte, den Herausforderungen der Armutskontroversen mit ihrer rigorosen Verurteilung kirchlichen Besitzes zu begegnen. War nicht gerade das Leben des Patriarchen geeignet, den radikalen Versuchen, Besitz und Ruf zur Nachfolge des armen Herrn in einen unauflösbaren Widerspruch zu bringen, das Bild eines Mannes gegenüberzustellen, der „Haben" und „Verzicht" in einer fruchtbaren Spannung zu halten verstanden hatte? Seine Vollkommenheit, von Gott selbst gefordert und bezeugt, konnte so Christen und insbesondere Amtsinhabern als Beispiel für rechtes Verhalten in der Welt dienen. Niemand bezweifelte, daß der Rat des Evangeliums, die sichtbaren Dinge zu lassen, sinnvoll ist, aber hatten nicht auch Matthäus und Zachäus Vermögen gehabt, ohne daß ihnen der Eintritt in das Himmelreich verwehrt worden wäre? In ihrem Fall ließe sich freilich mit Hieronymus einwenden, daß sie vor diesem Zeitpunkt längst aufgehört hatten, reich zu sein579. Das Argument, in sich wenig belangvoll, gibt indessen Thomas Gelegenheit, nun die Gestalt Abrahams einzuführen, der anders als die beiden - „immer" reich war und sogar inmitten seines den Söhnen vermachten Besitzes starb. Aufgrund dieser Tatsache und der unbestrittenen Heiligkeit des alttestamentlichen Gerechten hat sie großes theologisches Gewicht. Wären Wohlstand und Vollkommenheit tatsächlich unvereinbar, wie das damals gewisse zelotische Kreise wollten, wäre die Weisung Gottes an Abraham „sei vollkommen" (Gen 17, 1) vergebens gewesen. Oder anders: Bestünde die Vollkommenheit in der Preisgabe des Besitzes selbst, befände man sich vor einem unlösbaren Dilemma, das nicht mehr Abraham allein beträfe, sondern alle Christen, die Vermögen haben. Für Thomas ist solcher Radikalismus mit seiner Weltverneinung nicht akzeptabel, nicht zuletzt deshalb, weil er die Fundamente der mittelalterlichen Kirchenverfassung zerstört hätte. In Wahrheit ist, wie wir an allen neuralgischen Punkten gesehen haben, die dimissio divitiarum nur ein Weg zur Vollkommenheit, aber nicht diese selbst. Abraham hat ihn konsequent beschritten, indem er trotz seines Wohlstands Gott „gänzlich" anhing. Er hat das „vor Gott wandeln" (Gen 17, 1) in Liebe und Selbstverleugnung realisiert, die sich namentlich in der Bereitschaft zeigten, seinen Sohn zu opfern. Da allerdings vergleichsweise wenige Menschen den animus liber haben, den er hatte, behält der Rat, sich der Dinge dieser Welt zu entäußern, seinen guten Sinn580. Und schließlich: Abraham wie andere Gerechte des Alten Bundes haben sich zwar

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IV Sent, d. 33, q. 3, a. 3, ad 5 ... matrimonium Abrahae aequiparatur caelibatui Joannis quantum ad meritum personarum: quia tantum merebatur Abraham in coniugio sicut Johannes in virginitate; quia ex aequali promptitudine serviebat Deo secundum statum sui temporis; et haec comparatio est per accidentalia virtutum. De perfectione, c. 8, ed. cit. B 73, lin. 71-82. De perfectione, c. 8, ed. cit. B 73, lin. 118-136. Magna ergo virtus fait Abrahae quod etiam divitias possidens a divitiis liberum animum habuit.

2. Exkurs: Abraham als Zeuge christlichen Weltverhaltens

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nicht der Ehe enthalten, aber auf sie ist das Augustinuswort anwendbar: Es geht „nicht um die Enthaltsamkeit des Leibes, sondern um die des Geistes"581. Nicht minder aufschlußreich sind die Erwägungen anläßlich der Frage, ob die Jungfräulichkeit hervorragender sei als die Ehe. Auch diesmal gibt das Augustinuswort die entscheidenden Anregungen. Abraham und Johannes d. T. sind wiederum die Vergleichspersonen. Das Verdienst ist „mehr" nach der Gesinnung dessen zu bemessen, der etwas tut, als nach dem Tun selbst. Oder konkret: Abraham war so disponiert, daß er bereit war, die Jungfräulichkeit zu beobachten, wenn das der Zeit angemessen gewesen wäre582. (Man erinnere sich, daß Thomas in De perfectione eine ähnliche Formulierung in bezug auf die Armut der Bischöfe gebraucht hatte). Das Verdienst aus der ehelichen Enthaltsamkeit bei Abraham gleicht dem Verdienst aus der Jungfräulichkeit des Johannes in bezug auf den wesentlichen Lohn, nicht aber in bezug auf den akzidentellen583. Oder wiederum mit Augustinus: „Der Zölibat des Johannes und die Ehe Abrahams haben nach der Ordnung der Zeiten für Christus gekämpft, doch Johannes hatte die Enthaltsamkeit tatsächlich (in opere), Abraham jedoch die innere Bereitschaft dazu" (in solo habitufM. Thomas wird sogar noch grundsätzlicher: „Ein Verheirateter kann besser sein als ein jungfräulich Lebender; denn der Verheiratete kann eine stärkere innere Bereitschaft haben (animum magis paratum), die Jungfräulichkeit zu bewahren, falls das gefordert würde, als jener, der sie tatsächlich lebt"585. Wiederum sei der Lösung gedacht, die der Aquinate in De perfectione mit identischen Argumenten und Begriffen in bezug auf die von den Bischöfen zu fordernde Armut geboten hat. Schließlich ist denkbar, daß jemand, der nicht jungfräulich ist, eine andere höherstehende Tugend übt, die ihn etwa reif für das Martyrium macht586. Aus solchen Erwägungen zieht Thomas wenig später den Schluß, der an Deutlichkeit und wohl auch an Anstößigkeit in gewissen Kreisen nichts zu wünschen übrig läßt: Es kann die summa perfectio durchaus mit magna opulentia koexistieren, wie das Abraham beispielhaft vorgelebt hat587. 581 582

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De perfectione, c. 9, ed. cit. B 75, lin. 108-110 ... patet responsio per hoc quod Augustinus dicit in libro De bono coniugali „Continentia non corporis, sed animi virtus est". II—II 152, 4 ad 1 ... meritum non solum pensatur ex genere actus, sed magis ex animo operantis. Habuit autem animum Abraham sic dispositum ut paratus esset virginitatem servare si esset tempori congruum. II—II 152, 4 ad 1. Ex quo meritum continentiae coniugalis in ipso aequatur merito continentiae virginitatis in Ioanne respectu praemii substantialis, non autem respectu praemii accidentalis. Die Tatsache, daß manche Ausgaben das substantialis und das accidentalis vertauscht haben, zeigt, daß die These des Aquinaten als anstößig empfunden wurde. II-II 152, 4 ad 1. Unde Augustinus dicit ... quod „Ioannis caelibatus et Abrahae connubium pro temporum distribution Christo militaverunt: sed continentiam Ioannes in opere, Abraham vero in solo habitu habebat". II-II 152, 4 ad 2. Dicendum quod licet virginitas sit melior quam continentia coniugalis, potest tarnen coniugatus esse melior quam virgo ... Primo quidem ex parte castitatis: si scilicet ille qui est coniugatus habeat animum magis paratum ad virginitatem servandam, si oporteret, quam ille qui est actu virgo. II-II 152, 4 ad 2. Quia forte ille qui non est virgo, habet aliquam excellentiorem virtutem. Vgl. auch II-II 186, 4 ad 2: Abraham hatte castitas caelibum und castitas nuptiarum: habebat unam in usu, ambas in habitu. Vgl. ferner Super evangelium S. Ioannis lectura, c. VIII, lectio V, nr. 1225,228. II-II 185, 6 ad 1. Quinimmo potest esse summa perfectio cum magna opulentia; nam Abraham, cui dictum est (Gen 17,1) „ambula coram me et esto perfectus", legitur fuisse dives.

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2. Exkurs: Abraham als Zeuge christlichen Weltverhaltens

Abraham mit seinem Verhalten zu Ehe und Besitz, wie es Augustinus gedeutet hatte, wurde - das liegt nun auf der Hand - für Thomas in den schweren Kontroversen um das rechte Armutsverständnis mit seinen gewichtigen Implikationen in Hinsicht auf das kirchliche Amt eine Schlüsselfigur, die ihm entscheidend half, eine den Weisungen des Evangeliums innewohnende Spannung so zu interpretieren, daß sie deren Strenge wahrte, ohne einem Rigorismus das Wort zu reden, der weder von den Christen in der Welt noch von den Jüngern in der Nachfolge des Herrn zu realisieren war. Zugleich ist das Leben Abrahams ein beredtes Zeugnis für die enge Verbindung der beiden heilsgeschichtlichen Epochen, wie sie der Aquinate auch sonst konzipiert hat.

Nachwort

Unsere Studie wollte den Nachweis erbringen, daß die Lehre des Aquinaten vom status perfectionis einen integralen Bestandteil seiner Ekklesiologie darstellt, den man nicht schon deshalb ignorieren sollte, weil uns der Begriff des „Standes" fremd geworden ist. In Wahrheit artikuliert sich in ihr ein wesentlicher Aspekt der Ekklesiologie, insofern Bischöfe und Religiösen einen herausragenden Platz in der Kirche einnehmen und mit unverzichtbaren Funktionen betraut sind. Daß Thomas seit De perfectione durchgängig den Standesbegriff verwendet, um den genannten Personenkreis zu bezeichnen, liefert uns bereits den entscheidenden Fingerzeig, warum er überzeugt war, mit dessen Hilfe ließe sich der ekklesiologische Ort von Episkopat und Orden am besten beschreiben. Gerhard von Abbevilles Versuch, Archidiakone und Pfarrer so weit wie möglich den Bischöfen anzugleichen und den Stand der Religiösen konsequent dem Säkularklerus unterzuordnen, mußte nach Thomas Episkopat und Orden gleichermaßen abträglich sein. Er sah sich deshalb auch hier vor die Notwendigkeit gestellt, einem Angriff an zwei Fronten zu begegnen. Ihm war am ehesten zu widerstehen, wenn es gelang, die Initiative an sich zu reißen und gleichsam den Spieß umzudrehen. Das geschah, indem Thomas überlieferte Elemente, für die namentlich Ps. Dionys stand, zu einer Episkopat und Orden umfassenden Synthese fügte. Offenkundige Merkmale beider, Feierlichkeit und Dauerhaftigkeit, schienen dazu besonders geeignet zu sein, da sie die Vertreter des Weltklerus nicht für sich reklamieren konnten. Sie wurden lediglich in ein jederzeit kündbares Amt eingewiesen. Um Bischöfe und Religiösen als alleinige Teilhaber des status perfectionis klar voneinander und vom Weltklerus abzuheben, wurde ersteren die Aufgabe des perflcere zugewiesen, der gegenüber sich letztere passiv verhalten, insofern sie die Adressaten der die Vollkommenheit bewirkenden episkopalen Handlungen sind. Die in der Bischofsweihe für immer übernommene cura principalis animarum wird nun das entscheidende Charakteristikum der Nachfolger im Amt der Apostel, während sich die Ordensleute kraft ihrer ewigen Profeß verpflichten, nach der Vollkommenheit zu streben, ohne daß sie - anders als die Bischöfe - behaupten, selbst vollkommen zu sein. Das schließt ein, daß die Bischöfe als die perficientes die ihnen Untergebenen zur perfectio führen. Die verschiedenen Grade des Säkularklerus partizipieren an diesem so gearteten Stand der Vollkommenheit nicht, weil ihre Ämter zeitlich und sachlich von begrenzter Natur sind. Eine solche Sicht der Dinge, in der Bischöfen und Religiösen ein theologisch derart hoch zu qualifizierender Platz im hierarchischen Geftige der Kirche zugewiesen wird, besagt, daß Pfarrer und Archidiakone gleichsam nur den

Nachwort

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„dritten Stand" repräsentieren. Das ist zweifellos eine weitreichende These, die ihren negativen Akzent nicht verbergen kann, so daß der scharfe Widerspruch der so Zurückgestuften nicht verwundert. Daß sie Thomas kompromißlos vorträgt, hängt gewiß auch mit der von ihm oft konstatierten fehlenden theologischen Bildung jener Personen zusammen, die in seinen Augen viele Geistliche für eine Seelsoge, in der Predigt und Unterweisung eine herausragende Rolle zu spielen haben, ungeeignet machte. Das klingt - von heute aus gesehen - hart und unverständlich. Es mag sogar als Hochmut eines der intellektuellen Elite angehörenden Professors und Religiösen gedeutet werden, der für die soziale und geistige Situation des niederen Klerus wenig Gespür gehabt zu haben scheint und sich kaum Gedanken über die Besserung der Verhältnisse dieses für die Mehrzahl der Christen so bedeutsamen Standes machte, weil sein eigentliches Interesse eher der evoluierten Stadt und den Universitäten galt als dem flachen Land. Das ist gewiß ein Mangel, der sich teilweise aus dem Umstand erklärt, daß der einfache Säkularklerus - anders als das in der Kanonikerbewegung geschah - kaum Gegenstand ernsthafter Reformen (Einrichtung von Seminaren) seitens der Hierarchie gewesen war und deshalb tatsächlich auf einem beklagenswerten Niveau lebte und wirkte. Man sollte freilich mit Tadel vorsichtig umgehen, wie etwa das auf Ersuchen des Erzbischofs von Neapel verfaßte Opusculum De articulis fidei et sacramentis ad Archiepiscopum Panormitanum zeigen mag, das als Handbüchlein für den Klerus bis ins 15. Jahrhundert - namentlich in Deutschland - eine erstaunlich weite Verbreitung fand. Zu gedenken wäre ferner der Catena aurea, die dem populus christianus, d.h. vornehmlich seinen Hirten, bei der Predigt behilflich sein wollte588. Aus dem absoluten Vorrang des Episkopats leitet Thomas eine Summe von Pflichten ab, die man als den großen theologisch-systematischen Bischofsspiegel des Mittelalters bezeichnen darf. Er enthält eine Fülle von pastoralen Forderungen, die von der alltäglichen Hirtensorge bis zur Bereitschaft reichen, das eigene Leben für die Herde hinzugeben, falls es die Umstände verlangen. In ihr realisiert sich die höchste Gestalt der Bruderliebe. Daß in diesem Katalog die evangelische Armut eine besondere paradigmatische Rolle spielt, ist ein weiteres Indiz dafür, daß sich auch hier Thomas genötigt sieht, zeitgenössischen Einwänden und Vorhaltungen die Spitze zu nehmen. Wir haben Grund zu der Annahme, daß sie aus Kreisen extremer Minoriten stammen, doch sind ebenfalls häretische und kirchenkritische Gruppierungen anvisiert. Die auf sie gegebene Antwort ist theologisch wie praktisch von erheblicher Bedeutung, insofern sie das Armutsideal vergeistigt und aus der buchstabengetreuen Erfüllung ein situationsgerechtes Verhalten macht, das jenseits von „Zahl, Maß und Gewicht" liegt. Der Aquinate weiß in dieser Hinsicht Abraham und große Bischöfe der Kirchengeschichte hinter sich. Daß ihn die Gestalt Abrahams zu weitreichenden Schlüssen namentlich in bezug auf die in der Welt Lebenden, wofür König Ludwig von Frankreich steht - inspiriert hat, sei eigens hervorgehoben. Man mag sich fragen, warum Thomas im status perfectionis die geeignetste Lösung eines alten Problems sieht. Ließen sich die Grenze zwischen Bischöfen und Religiösen einerseits sowie dem Säkularklerus andererseits nicht mittels eines unverfänglicheren Begriffs ziehen? Wäre es nicht sachlich besser gewesen, die seit längerer Zeit diskutierte These von der Sakramentalität der Bischofsweihe theologisch fortzuentwickeln? Daß Thomas diesem

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Vgl. U. HORST, Thomas von Aquin. Professor und Consultor 211 und 207-210.

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Gedanken in De perfectione recht nahe gekommen war, haben wir gesehen, doch zeigte sich, daß er ihn später nicht mehr verfolgt hat. Die Gründe sind wohl in dem Umstand zu suchen, daß er die zugunsten eines bischöflichen sakramentalen Charakters angeführten Argumente nicht für zwingend und nicht für hinreichend in der Tradition bezeugt hielt. Gewiß ist richtig, daß er keine Gelegenheit mehr hatte, das Sakrament des Ordo zu behandeln, aber die Tatsache, daß die letzten Ausführungen zum Episkopat in der Secunda Secundae die Statustheorie zur Grundlage haben, macht nachdenklich und legt es mehr als nahe, daß er in ihr auch später das geeignetste Mittel gesehen hätte, Wesen und Funktion des bischöflichen Amtes zu beschreiben. Zu erinnern ist freilich daran, daß die durch die Konsekration bewirkte Eingliederung in den status episcopalis keineswegs nur eine Jurisdiktionsverleihung meint, wie die unverlierbare Firmvollmacht belegen mag. Die in der Weihe übertragene cura animarum mit ihren außerordentlichen Pflichten und mit ihrer einzigartigen Autorität in bezug auf doctrina et praedicatio läßt, da Handeln und Sein sich zu entsprechen haben, an eine Sonderstellung des Bischofs denken, die vom theologischen Rang eines sakramentalen Charakters nicht weit entfernt ist. Wie immer man die bischöfliche Vollmacht beschreiben mag, so ist eines unbestreitbar: Thomas geht es - wie sonst selten - nicht allein um theoretische Überlegungen. Mit einer Fülle von Details, die von der Auswahl des Kandidaten bis zu den alltäglichen Aufgaben eines Oberhirten reichen, sucht er die heraussragende Stellung des Bischofs zu untermauern, wobei Hinweise auf altchristliche Ideale, wie sie etwa die Regula pastoralis Gregors d. Gr. bietet, keine geringe Rolle spielen. Gedacht sei schließlich eines Umstands, der auf den ersten Blick erstaunen mag. In den Quästionen über den Episkopat als Idealform evangelischer Vollkommenheit findet das Oberhaupt der Kirche nur am Rande Erwähnung. Das ist höchst erstaunlich und wäre kaum erklärbar, sollte man der Meinung sein, Thomas habe bis zuletzt die These favorisiert, daß sich die Gewalt des Episkopats gänzlich vom Primat herleite. Hier hat man vielmehr, obschon das Verhältnis beider zueinander nicht thematisiert wird, den Eindruck, daß sich die Bischöfe - freilich im Rahmen des Primats - durchaus als Apostelnachfolger sehen dürfen, denen in der Kirche ein nicht auswechselbarer Platz zukommt, der sui generis ist. Die mit der Integration der Religiösen in den status perfectionis verbundenen Probleme waren für Thomas leichter lösbar. Er wußte eine lange monastische Tradition mit ihren literarischen Zeugnissen und der Autorität der Väter hinter sich, denen sich auch ein Mendikant dankbar verpflichtet wußte, wofür der Befund stehen mag, daß er an beinahe allen neuralgischen Punkten Repräsentanten der Wüstenväter und des klassischen Mönchtums zugunsten seiner Thesen sprechen läßt. Gleichwohl weist sein Traktat über das Ordensleben viele originelle Züge auf, die ihm schon bald nach seinem Tod ob ihrer Neuheit heftige Kritik eintrugen. Ohne Übertreibung darf man sagen: Weder die auf wenige Prinzipien reduzierte Typologie des Ordensstandes noch die Begründung der ihm damals möglich gewordenen Aktivitäten haben zeitgenössische Parallelen von vergleichbarem theologischen Gewicht. Der seit Contra impugnantes ansatzweise zu konstatierende und seit Contra Gentes dominierende Grundsatz, die Gelübde seien lediglich Instrumente der Vollkommenheit, nicht aber diese selbst, sollte, konsequent angewandt, eine außerordentliche Fruchtbarkeit entfalten und seine Spuren in zahllosen Details hinterlassen. Er ist gleichsam das Schlüsselprinzip im Entwurf des Aquinaten geworden, der den Gelübden und monasti-

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sehen Observanzen eine bis dahin nicht gekannte Funktionalität und Beweglichkeit verlieh, die sie in vielen Punkten erheblich relativierten. Mit seiner Hilfe gelang es, die seit den Anfängen nie ernsthaft bestrittene Sinnhaftigkeit der Gelübde in einem veränderten historischen Kontext neu zu begründen. Sie erhielten dadurch eine Variabilität, die die Religiösen in die Lage versetzte, den historischen Umständen gerecht zu werden. Daß es hauptsächlich die evangelische Armutsforderung war, die jene Reflexionen einleitete und schließlich deren konsequente Fortentwicklung erzwang, verrät, daß Thomas die sozialen und ökonomischen Tendenzen seines Jahrhunderts erkannt und für seine Konzeption fruchtbar gemacht hat. Daß sich mit seiner ungewohnten Sicht der Dinge unterschwellig polemische Akzente verbanden, ist mehr als wahrscheinlich, denn sonst bliebe schon früh artikulierter Widerstand historisch unerklärbar. Nicht minder bedeutsam war die mit der Instrumentalität der Gelübde einhergehende Hinordnung der monastischen Observanzen auf das von den Orden jeweils intendierte Ziel. Ihm hatten sie primär zu dienen und nicht einer Aszese, die sich oft genug verselbständigt hatte. Daß so ihr meist unreflektiert vertretene Verbindlichkeitsgrad relativiert wurde, mußte - wenigstens da, wo man sich solchen Argumenten stellte - als Befreiung empfunden werden. Der Aquinate hat zwar seit Contra impugnantes zuerst für das Recht der Mendikanten auf Seelsorge und Lehre gestritten, aber stets so argumentiert, daß allen Orden, deren Gesetzgebung das zuließ, jene Aktivitäten zu gestatten waren, womit er wiederum der veränderten Situation seines Jahrhunderts mit ihren immensen pastoralen Nöten gerecht zu werden trachtete. Man hat gelegentlich den Eindruck, Thomas wolle alle Kräfte des Mönchtums mobilisieren, um in einer überaus schwierigen Situation die sonst nirgendwo zu erhoffende Abhilfe zu schaffen. Das unermüdliche Plädoyer zugunsten des Studiums fand seine tiefste Begründung im unlösbaren Zusammenhang von Kontemplation und Theologie, wie er sich in der These artikulierte, das docere stehe auf der Seite des contemplari, ehe es zur auf den Hörer gerichteten Aktion werde. Die uralte Spannung zwischen Aktion und Kontemplation hat, so glaubt Thomas gezeigt zu haben, ihren Ausgleich in einem Orden gefunden, dessen Ziel es ist, Lehre und Predigt aus der Fülle der Beschauung herzuleiten. Der Intention des Aquinaten würde es allerdings nicht entsprechen, sähe man darin allein das Lob seiner eigenen Gemeinschaft oder eine Apologie derselben. Der Umstand, daß er weder den Namen eines Stifters noch den einer historischen Ordensform nennt, besagt vielmehr, daß es ihm um einen Appell an Religiösen mit identischen Zielen geht und nicht etwa um die Glorifizierung einer bestimmten Institution. Auch wäre darauf zu verweisen, daß er den Rang einer Prediger- und Lehrerkommunität durch deren Nähe zum idealen Episkopat bemessen möchte. Auch wo es nicht eigens gesagt wird, ist der Bezug auf eine Ekklesiologie, die dem Episkopat einen nicht austauschbaren Platz im hierarchischen Gefüge der Kirche zuerkennt, allgegenwärtig. Die im Blick auf die universale Kirche prinzipiell konzipierte Theorie des Religiosenstandes schließt freilich nicht aus, daß dem Orden, dem Thomas angehörte, im Entstehungsprozeß derselben eine die Argumentation leitende und inspirierende Funktion zukam. Das von ihm verfolgte Ziel, salus animarum, und die ihm zugeordneten Mittel, doctrina und praedicatio, schienen in geradezu exemplarischer Weise auf die Erfordernisse des Jahrhun-

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derts zu antworten. Die juristisch nüchternen Formulierungen der Konstitutionen von 1228, die knappen Beschlüsse der Generalkapitel sowie die der hagiographischen Literatur innewohnenden Mehrdeutigkeiten und Unklarheiten Uber den Stifter und seine Absichten ließen es jedoch dringend geraten erscheinen, eine theologische Interpretation zu wagen, die ob ihres rationalen und christologischen Charakters geeignet war, gegenwärtigen und künftigen Kontroversen, mochten sie von innen oder draußen kommen, Wegmarken zu setzen. Thomas hat dieses Gebot der Stunde erkannt und realisiert. Daß die aus solchen Wünschen entstandene Synthese keine bloße Apologie des Predigerordens wurde, verdankt sich nicht zuletzt der Reduktion traditioneller monastischer Observanzen auf wenige variabel anwendbare Prinzipien, die auch von anderen akzeptiert werden konnten. Daß diese theologische Konsolidierung auf sicheren Fundamenten ruhte, bezeugt die Nachgeschichte. Mit Thomas ist sein Orden durch die Jahrhunderte gut gefahren. Selbst Außenseiter und thomistische Dissidenten haben die wesentlichen Elemente seiner Konzeption nicht in Frage gestellt. Es blieb Leichtfertigkeit und Ignoranz unserer Tage vorbehalten, sich von ihr zu verabschieden. Und schließlich: Religiöse Ergriffenheit und Begeisterung für die imitatio in sollicitudine praedicandi, docendi, curam habendi mischen sich mit Augenmaß, Nüchternheit und Rationalität, die mit vielen unreflektiert praktizierten aszetischen Übungen brechen. Unter diesem Aspekt war sein Ordenstraktat auch Befreiung vom Buchstaben und Ermöglichung zielgerichteten Handelns im Geist des Evangeliums. Thomas wußte, daß seine Ordenskonzeption, insbesondere seine Interpretation der Gelübde mit ihren Implikationen in Hinsicht auf das brisante Armutsproblem ebenso originell wie konfliktträchtig war. Daß sie jedoch zu Beginn des folgenden Jahrhunderts zu den bekannten scharfen, das kirchliche Amt erschütternden Kontroversen führen sollte verdankt sich einer neuen Konstellation der davon betroffenen Personen, und Institutio-

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Dazu s. U. HORST, Evangelische Armut und päpstliches Lehramt.

Namensverzeichnis

Adam, A. 31,48 Aerius 75 Albericus de Rosate 172 Albertus Magnus 49f.,68,100 Alexander IV. 100 Alexander v. Haies 48f Alexius 137 Ambrosius 86,97 Andrieu, M. 73 Angenendt, A. 137 Antonius (Abbas) 150,153,159,161 Arsenius 137 Athanasius 69,95, 97 Aubert, J.-M. 76 Augé, M. 126,171 Augustinus 69-72,84f, 91,95-97,103,122,124, 134,136,158f., 163,189 Axters, S., 158 Bacht, H. 175 Baisi, C. 48 Balthasar, H. U. v. 81,147,152,161 Baril, H. 50 Barone, G. 130 Barzaghi, E. 132 Basilius 76 Bataillon, L.-B. 182 Beestermöller, G. 143 Benedikt 125,130f., 135,161,174,176 Berg, D. 146 Berger, Th. 136 Bernard Gui 105 Bernhard (Abt) 186 Bernhard v. Cl. 142,178 Bierbaum, M. 56f., 67

Biffi, I. 161 Bittremieux, J. 50 Bonaventura 47,49-52,57, 131, 134, 153,159 Bongianino, L. 57 Bonifaz IX. 48 Bonino, S.-Th. 42 Bonnerue, B. 131 Boockmann, H. 142 Bougerol, J. G. 57 Boureau, A. 85 Brazzarola, B. 140 Brennecke, H. C. 75 Brodmann, J. W. 140 Broeck, G. van den 131 Canetti, L. 130 Cassian 63,85,125,144 Casutt, L. 131 Chadwick, O. 63 Chardonnens, D. 81 Chatelain, A. 63 Chàtillon, J. 123,184 Cipollone, G. 140 Clasen, S. 57,86,165 Clemens IV. 105 Colombäs GarQia M. 131 Congar, Y. 39,42f., 48, 72, 146 Constable, G. 81 Creytens, R. 128 Cubelli, F. 178 d'Avray, D. L. 146 deJong, M. 166 Denifle, H. 63,141 Denzinger, H. 37, 48

Namensverzeichnis

198 Dereine, Ch. 142 de Vogüé, A. 124,126,150,171 Dietsche, B. M. 120 Dimier, A. 178 Dinzelbacher, P. 142 Dionys (Ps.) 31f., 35f., 67f, 72, 74, 76, 91, 141, 191 Distelbrink, B. 57 Dominikus 182 Dondaine, A. 186 Dondaine, H.-F. 37, 57, 75,183 Dubois, J. 126,131,166 Dufeil, M.-M. 56 Duquesne, M. 92 Durst, M. 124 Egger, C. 142 Eijnden, J. G. J. van den Emery, G. 31 Eschmann, I. 92 Eßer, K. 131 Eusebius 44,49

68,159,163

Faes de Mottoni, B. 153,166 Fina, K. 180 Fink, K. A. 48 Flasch, K. 63 Fischediek, T. K. 125 Fleckenstein, J. 142 Fogliasso, E. 126 Forey, A. 142 Frank, I. W. 145f Frank, K. S. 140,160 Freed, J. B. 136 Franziskus 182 Ganzer, Kl. 105 Gauthier, A. 124 Gauthier, R.-A. 38, 53, 86, 114 Gazeau, R. 140 Gerhard v. Abbeville 25, 56-61, 67, 70-72, 74f., 86, 89,92,113,165f„ 174,191 Gerlaud, M.-J. 48 Gessel, W. M. 102 Gietl, A. M. 44 Gilchrist, J. 82

Gillmann, F. 36,45f.,72f Gillon, L.-B. 124 Glorieux, P. 60,103,165 Grabmann, M. 82 Grand, Ph. 57 Gratian 69,72,75,77 Grégoire, R. 123 Gregor d. Gr. 32,44,46,77,99,101f., 107,122, 135,141,144,146,148,150f., 173,176,193 Gribomond, J. 140 Guamieri, R. 140 Guido de Orchellis 44,48 Guigol. 131 Hallinger, K. 131 Hardick, L. 158 Heim, M. 142 Hieronymus 58, 62, 71f„ 85f., 123, 127, 129f„ 141,146f., 148,154,164,170,184f Hiestand, R. 142 Hilarius 69 Hinnebusch, W. A. 166 Hissette, R. 63 Hödl, L. 49 Hofineister, A. 166 Hofmeister, Ph. 129,178 Hoping, J. 38,114 Horst, U. 53f., 56, 68, 86,90, 97, 99,114,118, 136,159,166,182f„ 185f„ 195 Hoven, B. van den 131 Hugo v. St. Cher 48,100 Hugo v. St. Victor 49 Huguccio 46-48,73 Humbert von Romans 100,130 Hunter, D. G. 124 Innozenz IV. 37 Ioannis Petrus Olivi 158,182 Isidor v. Sevilla 72 Johannes Chrysostomus 75f., 122,162f Johannes Pecham 158,165,173 Johannes Pomerius 154 Johannes Teutonicus 48 Jombart, E. 171 Jones, Ph. 136

Namensverzeichnis Mulchahey, M. M.

Jovinianus 63,124 JüssenG. 151

Naz, R. 178 Nestorius (Abt) 144 Neunheuser, B. 31 Nürnberg, R. 63 Nußbaum, O. 180

Käppeli, T. 165 Käser, M. 82 Kessler, St. Ch. 150 Kleinheyer, B. 31,73 Klingler, 0. 120 Knoch, W. 44 Labourdette, M.-M. 124,170 Lahaye-Geusen, M. 166 Lambert, M. D. 159 Landau, P. 55,82,180 Landgraf, A. 44f Lau, D. 131 Lawrence, C. H. 136 Leccisotti, T. 176f., 186 Leclerq, J. 148,150 Löcuyer, J. 74 Le Goff, J. 96,131 Lentini, A. 166 Leo d. Gr. 129 Leonardi, C. 46, 178 Leroy, M-V. 142 Leyser, H. 160 Linage, A. 130 Lochbrunner, M. 75 Lohse, B. 175 Ludwig v. Frankreich

146

96,192

Maccarone, M. 140 Madigan, K. 158 Maidl, L. 148 Mathes, F. A. 185 Mayer, C. 187 McDevitt, A. 48 McGinn, B. 150 Meersseman, G. 128 Melville, G. 180 Menzel, M. 145 Michaud-Quantin, P. 81 Mitsch, R. 81 Mommsen, Th. 172 Moses (Abbas) 63, 85,119,154,160 Müller, P.W. 46

Oberlinner, L. 99 Oexle, O. G. 81 Olphe Galliard, M. 63 Ott, L. 72 Paravicini Bagliani, A. 68 Paulinus 147 P6ano, P. 140 Pelster, F. 56 Pennington, K. 105 Perrin, B.-M. 31 Petrus Cantor 44 Petrus Lombardus 32,44f Petrus Waldes 137 Peuchmaurd, M. 72,146 Picasso, G. 178 Portalupi, E. 150 Potthoff, G. 171 Prosper v. Aquitanien 154 Puzicha, A. 137 Quinn, P. A.

166

Raulx, J.-B. 182 Raymundus 182 Rhabanus Maurus 44 Renard, J.-P. 145 Renaudin, P. 130 Rieder, B. 160,178 Riepenhoff, R. 166 Roberg, B. 140 Rocca, G. 126,140 Robillard, J. A. 76 Roby, D. 178 Roland Bandinelli 44 Roloff, J. 99 Romanus 135 Roques, R. 68, 88f

200 Rosenfeld, H-F. 137 Rubino, A. 140 Rudmann, B. 129 Rüther, A. 136,166 Rufinus 72 Ruh, K. 154 Ryan, Chr. 39 Sabra, G. 82 Sahaydachny, A. 82 Sanchis, A. 60,69f„ 99 Scheeben, H. C. 100 Scheffczyk, L. 161 Schenk, R. 162 Schiefer, R. 93 Schlageter, J. 56 Schleyer, K. 146 Schmidt, H.-J. 136 Scholz, F. 48 Schulte, J. F. v. 47 Sears, E. 166 Seckler, M. 170 Selge, K. V. 137 Senner, W. 146,166 Simons, W. 136 Solignac, A. 124, 140 Speigl, J. 102 Stenger, R. P. 48 Stickler, A. M. 47 Stüdeli, B. E. J. 136 Switek, G. 170 Tancred 47 Teetaert, A. 56 Temus, J. 74 Thomas, A. H. 63,126

Namensverzeichnis Thomas v. York 56,67 Thomson, A. 130 Thomson, W. R. 100 Toepfer, M. 131 Tolomeo di Luca 105 Tonneau, I. M. 128 Torreil, J.-P. 31, 36f., 42f., 53,142, 146,176 Trümmer, J. 93 Tugwell, S. 126,182 Ülhof, W. 93 Ulpts, I. 136 Valiin, P. 131 Verger, J. 103 Vicaire, M.-H. 140 Vigilantius 63 Vogel, C. 137 Wallner, K.J. 131 Walz, A. 158 Weigand, R. 46,92 Weijers, O. 103 Weisheipl, J. A. 146,176 Weisweiler, H. 31, 44 Wenin, Chr. 134 Werner, E. 184 Wilhelm v. Auvergne 44 Wilhelm v. Auxerre 45f Wilhelm v. Melitona 49 Wilhelm v. St. Amour 119 Wilhelm v. Tocco 105, 177, 185 Wollasch, J. 120,178 Wulf, Fr. 161 Zerfaß, R.

145