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German Pages 398 [405] Year 1884
Christliche
Dogmatik von
Dr. Aloia Emanuel Biedermann, Professor der Theologie io Zürich.
In z w e i
Binden.
Erster Band:
Der principielle
Theil.
Zweite, erweiterte Auflage.
Berlin. Druck und Verlag von Georg Reimer.
1884.
Christliche
D o g m a t i voll
Dr. Alois Emanuel Biedermann, Professor der Theologie in Zürich.
Erster Band:
Der
principielle
Theil.
/ w e i t e , erweiterte Auflage.
Berlin. D r u c k und V e r l a g von G e o r g
1884.
Reimer.
Alexander Schweizer zum
Jubiläum seiner
fünfzigjährigen akademischen
Lehrthätigkeit
an
der theologischen Facultät der
Hochschule Zürich, 39. October
1884,
in d a n k b a r e r
Verehrung zugeeignet.
Vorwort zur ersten Auflage. Indem ich der theologischen Welt hiemit mein System der christlichen Dogmatik übergebe, erfülle ich eine längst übernommene wissenschaftliche Verpflichtung, an die ich von befreundeter und von gegnerischer Seite oft genug bin gemahnt worden. Ich hoffe, die Verzögerung, die in verschiedenen Umständen, nie aber in zurücktretender Freudigkeit und sinkendem Muthe zur Sache ihren Grund hatte, sei der Arbeit nicht zum Schaden gewesen. Was sich auch im Urtheil der Wissenschaft als ihr objectiver Werth herausstellen mag: ich kann sie nun wenigstens als die subjectiv ausgereifte Frucht meines theologischen Denkens bieten. Gleichwohl trägt sie in ihrer äussern Form eine gewisse Ungleichheit und damit den Schein des Unfertigen an sich. Aber in der That auch nur den Schein. Ich habe, nachdem ich den ganzen Stoff schon vielfältig in meinen akademischen Vorträgen durchgearbeitet hatte, für die Veröffentlichung das Ganze zuerst vollständig in die Paragraphen gefasst. Diese sind nicht etwa bloss erweiterte Titel, Angabe des Thema's für die erst nachfolgende Gedankenentwicklung; sondern sie enthalten diese schon selbst ganz in sich, aber auf den kürzesten, knappesten Ausdruck gebracht. Ich darf wohl sagen: an diesen Paragraphen ist vom ersten bis zum letzten jeder mit der Präcision abgewogen, die man von einer „exacten" Wissenschaft
VI
Vorwort zur ersten Auflage.
verlangt. Am liebsten hätte ich nun, breitspurigen Büchern überhaupt abhold, das Werk einfach in dieser seiner nackten Paragraphenform erscheinen-lassen, namentlich auch, damit die innere Einheitlichheit und Geschlossenheit des Ganzen dem Leser durch keinerlei Beiwerk abgeschwächt entgegentrete. Allein ohne alle weitern Ausführungen konnte ich es doch nicht lassen, und indem ich mich hiebei jeweilen auf das zur Begründung Nothwendige beschränkte, unter allen Umständen aber das Ganze in Einem Bande wollte erscheinen lassen, ist diese äussere Ungleichheit entstanden. Vorab musste ich doch in dem ersten, principiellen Theile die in den Paragraphen auf ihren kürzesten Ausdruck gebrachten leitenden Grundgedanken wenigstens so weit ausführen, dass dem Leser ihr vollständiger Sinn und Zusammenhang klar werden kann. Wo dann später der Gedankengang nur in der knappen Paragraphenform fortschreitet, darf ich auch vom Leser verlangen und erwarten, dass er Schritt für Schritt jedes Wort ganz genau so nehme, wie dessen Sinn sich streng aus dem Vorausgehenden ergiebt. Dieses Buch ist überhaupt zum Studiren und nicht zum blossen Lesen bestimmt und eingerichtet. Für solche, die bei einem theologischen Buche nur nach Stichwörtern fahnden und dann sofort mit ihrem Urtheil über „Glauben" oder „Unglauben" des Autors und damit auch über den Werth des Buches fertig sind, — für solche Leser habe ich nicht geschrieben. Da ich aber nicht verwehren kann, dass auch solche es lesen, oder doch wenigstens hineinblicken, um dann — vielleicht noch gar vom hohen theologischen Richterstuhle herab — darüber abzusprechen: so seien diese zum voraus vor den scharfen Fussangeln gewarnt, in die eine zutäppische Absprecherei gerathen dürfte. Weiter hatte ich im zweiten, geschichtlichen Theile, wo die Paragraphen nur die Resultate exegetischer und historischer Forschung in ihrer systematischen Verwerthung zusammenfassen,
Vorwort zur eisten Auflage.
VII
doch wenigstens die Belege und oft auch eine weitere Begründung hinzuzufügen. beschränkt.
Ich habe mich dabei auf das Wesentlichste
Ich hoffe, auch
entschiedenste
Gegner
meines
eigenen theologischen Standpunktes werden mir wenigstens das Zeugniss historischer Objectivität nicht versagen.
Der „Schrift-
gläubige" soll an diesem Orte die Schriftlehre, der „Symbolgläubige", und zwar jeder Confession, die Kirchenlehre ungeschmälert treu erhalten. Endlich musste ich im dritten, kritisch-speculativen Theile neben den speculativen Cardinalpunkten doch auch die Kritik, deren wesentliche
Momente zwar alle in ihrem
innern
Zu-
sammenhang in den Paragraphen enthalten sind, in Anbetracht der theologischen Harthörigkeit
für die Kritik, wenigstens in
den brennenden Fragen ausführlicher darlegen.
Da es mir aber
hier durchweg nur um den Gegenstand selbst und nicht um die Geschichte der wissenschaftlichen Verhandlungen über denselben zu thun war, so habe ich mich begnügt mich hiefür auf einige classische Zeugen zu berufen, die jedem zur Hand sind, oder doch zur Hand sein sollten.
Wem es auf das hin, wie ich
häufig hieftir nur Stranss citirt habe, dienlich scheinen sollte mich kurzweg für seinen Nachbeter zu erklären, dem will ich dies wohlfeile Vergnügen schon lassen.
Ich weiss, was ich
allerdings Strauss vom Beginn meiner theologischen Studien an verdanke, und werde nie zurückhalten das in seinem vollen Umfang anzuerkennen, gerade um so weniger, j e mehr Andere sich davor hüten.
Wer aber darum mein Buch einfach glaubt
unter Strauss subsumiren und damit
bei
Seite
schieben
zu
dürfen, den ersuche ich — es noch einmal zu lesen und zwar das zweite Mal wo möglich mit Verstand. Umgekehrt Schleiermacher
mag
es mir,
in Vieler
Augen
wenigstens,
gegenüber ergehn: auf den werde ich mich
nicht dürfen berufen wollen.
Nun j a
—
die
bevorstehende
Jubelfeier des grossen Kegenerators der modernen Theologie
VIII
Vorwort zur ersten Auflage.
wird auf's neue Zeugniss davon geben — : die Pharisäer und Schriftgelehrten schmücken der Propheten Gräber, — aber dann sollen diese auch versiegelt bleiben. Wenn man mich endlich als Hegelianer, als schweizerischen Nachzügler einer in der Metropole und andern officiellen Wohnsitzen deutscher Wissenschaft schon längst gerichteten und antiquirten philosophischen Verirrung signalisirt: so bin ich ebenfalls nicht gesonnen j e zu verleugnen, dass ich allerdings einen grossen Theil der Nahrung meines philosophischen Denkens der Hegel'schen
Philosophie
verdanke.
Der
blosse
Autoritäten-,
Gunst- und Modewechsel, der in der öffentlichen Geltung und Anerkennung philosophischer Denkweisen temporär wenigstens eine fast eben so grosse Rolle spielt als die wirkliche innere Fortentwicklung der Philosophie, hat auf mich keinen bestimmenden Einfluss.
Ob ich aber desswegen auf einem wirklich
überwundenen Standpunkte stehn geblieben, oder ob ich, von diesem aus, nicht selbständig in die Weiterentwicklung, wie die begründete Kritik der Hegel'schen Philosophie derselben die Bahn weist, mit eingegangen sei, — darüber werde ich gern von wirklich Denkenden das Urtheil vernehmen. Sonst finde ich mich nicht veranlasst hier - im Vorworte mich über den theologischen Standpunkt meiner Arbeit weiter zu verbreiten.
Sie selbst vertritt ihn frei und offen genug und
— dessen bin ich mir wenigstens gewiss — von Anfang bis zu Ende
consequent,
ohne
theologische
Menschenfurcht
und
Menschengefälligkeit. Schliesslich sage ich auch nichts zur vorläufigen Rechtfertigung des Titels „ D o g m a t i k " , den ich nicht bloss als einen hergebrachten aber eigentlich antiquirten, sondern mit Absicht und Betonung beibehalten
habe.
Die Darlegung der Aufgabe,
die ich mir gestellt habe, wird die Rechtfertigung des Titels enthalten.
In meiner Nähe ist von befreundeter Seite der Ruf
„keine Dogmatik mehr"! zur Devise der freisinnigen Theologie
Vorwort zur ersten Auflage.
erhoben worden. in der mehr!
IX
Der eigentliche Sinn war: kein Dogmatismus
Glaubenslehre
und kein
Dogmenzwang in der Kirche
Ich hoffe den Thatbeweis zu leisten, dass beides nicht
einerlei ist, sondern dass eine Glaubenslehre, j e vollständiger sie ihre Aufgabe gerade als D o g m a t i k , Verarbeitung
des
kirchlichen
als wissenschaftliche Dogma's
erfüllt, um
so
gründlicher dem Dogmatismus in der Wissenschaft an die Wurzel geht und damit auch die praktische, wahrhaft protestantische Freiheit des religiösen Bewusstseins und Lebens von der Wissenschaft aus begründen hilft. Z ü r i c h , den 31. October 1868.
Der Verfasser.
Vorwort zur zweiten Auflage. Die Notwendigkeit
einer neuen Auflage, die unerwartet
an mich herangetreten ist, hat mir die erwünschte Möglichkeit geboten, durch eine Erweiterung des Buches selbst einem Bedürfnisse zu genügen, das seit seinem ersten Erscheinen sich steigend mir aufgedrängt hatte, dem ich aber eine besondere Schrift zu widmen im Begriffe stand.
Ich hatte es unterlassen,
den metaphysischen Standpunkt, von dem aus ich die Aufgabe einer wissenschaftlichen Dogmatik durchzuführen unternahm, im principiellen Theile des Buches selbst erst erkenntniss-theoretisch zu begründen.
Ich hatte dies unterlassen, nicht weil ich mein
Erkenntniss-princip
als ein sonst schon in der Geschichte der
Philosophie bekanntes voraussetzen durfte, sondern weil ich des
Vorwort zur ersten Auflage.
erhoben worden. in der mehr!
IX
Der eigentliche Sinn war: kein Dogmatismus
Glaubenslehre
und kein
Dogmenzwang in der Kirche
Ich hoffe den Thatbeweis zu leisten, dass beides nicht
einerlei ist, sondern dass eine Glaubenslehre, j e vollständiger sie ihre Aufgabe gerade als D o g m a t i k , Verarbeitung
des
kirchlichen
als wissenschaftliche Dogma's
erfüllt, um
so
gründlicher dem Dogmatismus in der Wissenschaft an die Wurzel geht und damit auch die praktische, wahrhaft protestantische Freiheit des religiösen Bewusstseins und Lebens von der Wissenschaft aus begründen hilft. Z ü r i c h , den 31. October 1868.
Der Verfasser.
Vorwort zur zweiten Auflage. Die Notwendigkeit
einer neuen Auflage, die unerwartet
an mich herangetreten ist, hat mir die erwünschte Möglichkeit geboten, durch eine Erweiterung des Buches selbst einem Bedürfnisse zu genügen, das seit seinem ersten Erscheinen sich steigend mir aufgedrängt hatte, dem ich aber eine besondere Schrift zu widmen im Begriffe stand.
Ich hatte es unterlassen,
den metaphysischen Standpunkt, von dem aus ich die Aufgabe einer wissenschaftlichen Dogmatik durchzuführen unternahm, im principiellen Theile des Buches selbst erst erkenntniss-theoretisch zu begründen.
Ich hatte dies unterlassen, nicht weil ich mein
Erkenntniss-princip
als ein sonst schon in der Geschichte der
Philosophie bekanntes voraussetzen durfte, sondern weil ich des
X
Vorwort zur zweiten Auflage.
guten Glaubens lebte, wenn ich es nur in Einem Guss und Wurf consequent an dem ganzen Stoffe durchführe, so werde jeder selbständig denkende Leser dasselbe schon richtig verstehn und daher auch meine Ergebnisse wenigstens richtig in meinem Sinn auffassen, mochte er sich dann auch mit seinem eigenen Urtheil dazu stellen, wie sein Standpunkt es mit sich führte. Allein ich habe die Erfahrung machen müssen, dass man zwar ziemlich allgemein allerdings den Eindruck einer, ernsten und geschlossenen Consequenz erhalten, gleichwohl aber meinen Standpunkt meistens einfach mit der Hegel'schen Speculation identificirt und darum auch meine Sätze kurzweg in die für die Beurtheilung Hegel's schon längst üblich gewordenen und nachgerade traditionell nachgebeteten Schablonen gefasst hat, in die sie nun einmal nicht hineingehörten, so dass man ihren Schwerpunkt da gefunden zu haben meinte, wo er nicht lag, und ihn darum da, wo er in Wirklichkeit lag, nicht weiter suchte.
Und
dies ist mir selbst von Männern begegnet, in deren Fähigkeit zu philosophischem Yerständniss ich doch keinen Zweifel setzen durfte.
Einen Theil der Schuld
muss und will ich schon auf
mich nehmen: ich hatte zu unbesorgt um mögliches Missverständniss den mir allerdings von H e g e l her gewohnten Sprachgebrauch beibehalten, so weit er mir sachgemäss schien.
Ich
habe ihn jedoch gewissenhaft von Anfang bis zu Ende stets nur in dem Sinne gebraucht, der allein in der Consequenz meines erkenntniss-theoretischen Standpunktes lag; eben darum wollte das Buch durchaus aus sich selbst heraus verstanden und nicht in eine von aussen dazu mitgebrachte Schablone gefasst werden. Und hierin mag ich der Mehrzahl der Leser zu viel zugemuthet haben. Nun aber ergreife ich gerne die Gelegenheit, das damals in allzu gutem Vertrauen Unterlassene nachzuholen, mein Werk bei seinem neuen Erscheinen mit einer Darlegung seiner erkenntniss-theoretischen Grundlage zu erweitern, und namentlich der
Vorwort zur zweiten Auflage.
XI
gegenwärtig herrschenden (in der Theologie freilich wieder sehr verschiedenartig in Anwendung gebrachten) n e o - k a n t i s c h e n Richtung gegenüber das Verhältniss meines erkenntniss-theoretischen und metaphysischen Standpunktes zu K a n t einer-und zu H e g e l andererseits, wie ich hoffe, nun unmissverständlich genug darzulegen. Ob ich mit demselben wirklich ein Bisschen „verspätet" gekommen bin, wie ein auch sonst etwas vorschneller Herr spöttisch gemeint hat, darüber erwarte ich nun erst ein begründetes Urtheil. Darauf bin ich freilich schon ganz gefasst, dass mancher, der nun sehn muss, dass mein Standpunkt doch ein wesentlich anderer sei, als wie er ihn bisher genommen, und dass darum meine Lehrfassungen einen wesentlich andern Sinn haben, als er ihnen bisher beigelegt, doch Recht behalten will, indem nicht er selbst sich früher geirrt, sondern eben ich mich seither geändert habe. Der Eine mag mir dies als Fortschritt, ein Anderer als Rückschritt anrechnen. Allein dem ist in That und Wahrheit nicht also: mein Standpunkt, wie er jetzt jedem Urtheilsfähigen unmissverständlich vorliegt, ist kein andrer als früher, und der Sinn meiner Sätze war früher schon genau derselbe und kein andrer, als wie ein gewissenhafter Leser ihn jetzt nicht mehr wird missverstehen können. Ich nehme aber — wie gesagt — einen Theil wenigstens der Schuld an den frühern Missverständnissen, auf die ich selbst bei ehrenwerthesten Männern verschiedenster Richtung gestossen bin, auf mich. Allein wer meine Intention, d i e g e i s t i g e R e a l i t ä t der r e l i g i ö s e n W a h r h e i t , a l s der h ö c h s t e n R e a l i t ä t für d e n M e n s c h e n , bis auf's L e t z t e h i n a u s a u c h s t r e n g g e i s t i g d u r c h z u f ü h r e n , auch jetzt noch so wenig anzuerkennen vermöchte, dass er die landläufigen Anklagen auf einseitigen Intellectualismus, auf Pantheismus und was alles damit zusammenhängt, zu wiederholen im Stande wäre, dem müsste ich nun allerdings rundweg alle Competenz zum Urtheil absprechen. Loyale Gegnerschaft in richtig gestellten Streitfragen anerkenne ich immer.
XII
Vorwort zur zweiten Auflage.
Durch die wesentliche Erweiterung des ersten Theiles, zu der ich mich so veranlasst gesehn habe, zerfällt nun das Ganze in zwei Bände.
Der zweite — der ohne wesentliche inhaltliche
Veränderung, nur sorgfältig revidirt, in Bälde nachfolgen wird — fasst den historischen und den kritisch-speculativen Theil der ersten Anlage zum p o s i t i v e n Theile der Dogmatik zusammen.
Damit
komme ich von selbst bis auf einen gewissen Grad denen entgegen,
welche überhaupt R e l i g i o n s p h i l o s o p h i e
und
Dog-
m a t i k wegen der Verschiedenheit ihrer Aufgaben mehr auseinander gehalten wissen wollen, als in meiner religions-philosophisch durchgeführten Dogmatik geschehen ist. Allein während die Einen durch eine solche Scheidung der Dogmatik nur ihren specifisch theologischen
Charakter
besser gewahrt und ihren
praktisch-kirchlichen Zweck in den Vordergrund gestellt wissen wollen, hat es bei Andern mit dieser Scheidung die Meinung, dass die Dogmatik
überhaupt gar nicht Sache wahrer, d. h.
freier Wissenschaft, sondern Unterrichtes sei. herein nicht.
bloss
des
positiven
kirchlichen
Diese Scheidung aber anerkenne ich von vorn-
Die Dogmatik
kann und soll s t r e n g e Wissen-
schaft sein, und gerade dadurch, dass sie die ihr hiemit gestellte Aufgabe g a n z und r ü c k h a l t s l o s erfüllt, dient sie auch w a h r h a f t und nur s o wahrhaft ihrem praktischen Zweck als theologische Wissenschaft: den Dienern der protestantischen Kirche die Erkenntniss des evangelischen Glaubens so zu vermitteln, dass sie dadurch in den Stand gesetzt werden, mit vollem ungeteiltem wissenschaftlichem Selbstbewusstsein denselben auch praktisch rein und lauter zu pflegen. Gewiss hat die R e l i g i o n s p h i l o s o p h i e als selbständige Wissenschaft neben der Dogmatik ihren Platz.
Auch wenn sie nicht die ganze Religionsgeschichte
anders als im Ueberblick umspannen will, muss sie doch, um ihren Gegenstand, die Religion überhaupt, principiell allseitig und vollständig zu behandeln, vieles mit umfassen, was von der speciellen Aufgabe einer Dogmatik ganz seitab liegt.
Aber mit
Vorwort zur zweiten Auflage.
XIII
einem blossen religions-philoeophischen Ueberblick, welcher dem Christenthum nur so die Quintessenz einer „Religion des Geistes" entnimmt, macht sie eine gründliche Durcharbeitung der Geschichte des christlichen Glaubens — und das ist eben die specielle Aufgabe der Dogmatik — nicht im mindesten überflüssig. Auf der andern Seite kann j a gewiss auch eine D o g m a t i k sich direct auf die Verarbeitung ihres positiven Stoffes werfen, ohne die wissenschaftlichen Principien, mit denen sie diese Arbeit unternimmt, erst selbst ausführlich religions-philosophisch darzulegen, wenn sie dieselben nur sonst woher als bekannt voraussetzen darf. Allein eine bestimmte Metaphysik und eine bestimmte Religionspsychologie — die beiden Hauptbestandteile der Religionsphilosophie — muss jede Dogmatik eben doch zu ihrer speciellen Arbeit mitbringen: eine bestimmte Metaphysik, um nur überhaupt ihr Urtheil über den Grad wissenschaftlicher Erkennbarkeit ihres Gegenstandes anders als pur dogmatistisch einzuführen; eine bestimmte Religionspsychologie aber, um zu wissen, wo sie den religiösen Schwerpunkt der dogmatischen Lehren zu suchen habe. Ohne beides zu ihrer Arbeit mitzubringen ist eine Dogmatik, auch nur von ihrem praktisch religiösen Zweck aus beurtheilt, gar keine Wissenschaft. Da ich nun die Erfahrung gemacht habe, dass ich meine religions-philosophischen Grundsätze nicht einfach als sonst woher bekannte voraussetzen durfte, so habe ich dieselben als eigenen ersten principiellen oder religions-philosophischen Theil vorausgeschickt, und gründe dann erst im zweiten die wissenschaftliche Verarbeitung des geschichtlichen christlichen Glaubens, als p o s i t i v e Dogmatik, auf dieselben. Was mich aber mit dem ungetheilten Sinne beseelt, diese Aufgabe mit rückhaltloser Consequenz durchzuführen, und was mich des Glaubens leben lässt, dass ich gerade dadurch als Theologe dem praktisch religiösen Zwecke meiner Kirche am treusten diene, das ist meine Zuversicht, dass das geflügelte
x-iv
Vorrede zur zweiten Auflage.
Wort, h a l b e führen,
Wissenschaft
könne
ganze Wissenschaft
wohl
von
Gott
ab-
a b e r f ü h r e s i c h e r zu ihm
h i n , in viel tieferem Sinne seine volle Wahrheit hat, als viele von denen es verstehen mögen, die darauf hin für ihre eigene Person doch schon bei halber Wissenschaft sich zufrieden geben. Schliesslich danke ich meinem Herrn Verleger unter anderem auch dafür, dass er mich von der modernen Reichsorthographie dispensirt
hat.
Als guter Schweizer müsste ich ja einer theil-
weise andern folgen. Schulmeistern
Ich bin aber mit der büreaukratischen
in diesen Dingen weder diesseits noch jenseits
des Rheines einverstanden. Z ü r i c h , Herbst 1884.
Inhalt des ersten Bandes. Seite
Einleitung.
§§ 1—6
1—42
Erster, principieller Theil. Einteilung.
§§ 7. 8
43—50 I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage. §§ 9—66 Erstes Capitel. §§ 9—20
Der G r u n d s a t z d e s r e i n e n
51—173 Realismus. 51—103
Z w e i t e s C a p i t e l . Der p s y c h o l o g i s c h e G a n g d e s E r k e n n t n i s s p r o c e s s e s . §§ 21—49 104—149 1. Das Wahrnehmen und die Wahrnehmung. §§ 23—28. 2. Das Vorstellen und die Vorstellung. §§ 29—38. . . . 3. Das Denken und der Gedanke. §§ 39—49 Drittes Capitel.
Die M e t a p h y s i k .
§§ 50—66
106 121 137 150—173
n. Das Wesen der Religion. §§ 67—156 Einleitung.
174—327
§§ 67. 68
Erstes Capitel. §§ 6 9 - 8 0 Zweites Capitel. §§ 81—137
174
Der p s y c h o l o g i s c h e B e g r i f f der Religion. 193-242 Das i n n e r e W e s e n d e r R e l i g i o n . 243-306
1. Der metaphysische Grund. §§ 81—104 2. Das göttliche Moment in der Religion: die Offenbarung. §§ 105—117 3. Der Glaube als das Correlat der Offenbarung. §§ 118—137 Drittes Capitel.
D ie o b j e c t i v e Religion.
243 264 288
§§ 138—156. . . 307—327
Inhalt.
XVI
Das Princip der christlichen Dogmatik. E r s t e s Capitel. Zweites Capitel.
Das R e a l p r i n c i p .
§§ 157—208
§§ 158—166
Das F o r m a l p r i n c i p .
§§ 167—208
1. Das Wesen des Protestantismus. §§ 168—178. . . . 2. Die Kirchenlehre vom Formalprincip. §§ 179—191. . 3. Die consequent protestantische Fassung. §§ 192—208.
328—382 331—336 336—382 337 344 357
Einleitung. § 1.
Die christliche Dogmatik, als die t h e o l o g i s c h e W i s s e n -
schaft vom christlichen Dogma,
hat in erster Linie die Auf-
gabe einer wissenschaftlichen Durcharbeitung des christlichen Dogma's.
Nur in dem Grad, als sie diese t h e o r e t i s c h e Aufgabe als
f r e i e Wissenschaft vollständig erfüllt, kann sie auch allseitig wahr ihre p r a k t i s c h - k i r c h l i c h e
Aufgabe
als
theologische
Wissen-
schaft erfüllen. Worin ihre theoretische Aufgabe bestehe, muss allgemeinen Aufgabe aller Wissenschaft,
sich aus der
in ihrer Anwendung auf
den speciellen Gegenstand dieser Wissenschaft, auf das christliche Dogma, ergeben. 1. Die Namen „ D o g m a t i k " und „ G l a u b e n s l e h r e " wurden früher und werden auch jetzt noch gemeinhin ohne Unterscheidung für die gleiche theologische Disciplin gebraucht. Das war auch ganz natürlich, so lange man den Inhalt des christlichen Glaubens einfach in das kirchliche Dogma setzte. In dem Maass aber der christliche Glaube von der unmittelbaren Autorität des Dogma's sich emancipirte, konnte es geboten erscheinen, von der „Dogmatik", als entweder blos historischer Darstellung oder als unwissenschaftlicher dogmatistischer Vertheidigung des kirchlichen Dogma's, die „Glaubenslehre" als wissenschaftliche Darlegung des eigenen Glaubensbewusstseins ausdrücklich zu unterscheiden. Allein bei näherer Betrachtung fällt unter beiderlei Titel die wissenschaftliche Aufgabe, wenn sie wirklich in die vollständige wissenschaftliche Durcharbeitung des durch den Titel bezeichneten Gegenstandes gesetzt wird, schliesslich doch in eins zusammen und muss sich, ob so oder so bezeichnet, decken. Ich habe aber den Namen D o g m a t i k absichtlich und nachdrücklich gewählt, weil ich durch denselben den Gegenstand genauer flxirt, und damit sowohl die theoretische Aufgabe als auch zugleich den kirchlichen Zweck schärfer vorgezeichnet finde als durch den allgemeineren Namen G l a u b e n s Blederraaun,
Dogmatik 2. Anfl.
1
Einleitung.
2
l e h r e , wie ein näheres Eingehen auf den mit den beiden Namen bezeichneten Gegenstand der wissenschaftlichen Bearbeitung darlegen soll. 2. Es wird die Aufgabe der Einleitung sein, alle in der allgemeinen Definition der Dogmatik angegebenen Momente näher auszuführen: a) was den Begriff des christlichen D o g m a ' s , als des wissenschaftlich durchzuarbeitenden Stoffes, ausmache; b) worin die vollständige w i s s e n s c h a f t l i c h e D u r c h a r b e i t u n g dieses Stoffes zu bestehen habe, und diese mit der Aufgabe einer wissenschaftlichen „Glaubenslehre" sich decke, und c) wie die Wissenschaft der Dogmatik gerade durch die vollständige Erfüllung ihrer t h e o r e t i s c h e n Aufgabe als f r e i e r Wissenschaft auch ihrem p r a k t i s c h - k i r c h l i c h e n Zweck als t h e o l o g i s c h e Wissenschaft allein wahrhaft diene, während durch jede Umkehr des Verhältnisses ihr nicht nur der Werth wahrer Wissenschaft verloren gehe, sondern auch ihr praktischer Zweck, der Kirche zur lauteren Erfüllung ihrer religiösen Aufgabe zu dienen, nicht wahr und ehrlich erfüllt werde. §2. Kirche,
D a s c h r i s t l i c h e D o g m a , als G l a u b e n s s a t z u n g d e r hat
zu
seinem
P r i n c i p der christlichen wie
das Bewusstsein
Inhalte
das constituirende
Gemeinschaft,
und
religiöse
zwar in der F o r m ,
desselben sich geschichtlich
zum officiellen
G l a u b e n s b e k e n n t n i s s der K i r c h e (resp. ihrer c o n f e s s i o n e l l e n Verzweigungen)
entwickelt,
und
dabei zugleich zum
tischen Inbegriff einer Vielheit von e i n z e l n e n D o g m e n
systemasich
ent-
faltet hat. 1. Das Wort d ö y / i i a weist schon in seiner Ableitung auf ein Doppeltes hin: d'oxeT /.toi heisst sowohl, es scheint mir; als, es beliebt mir. Dogma ist so ein M e i n u n g s - und W i l l e n s a u s d r u c k , und zwar beides miteinander; es ist eine Meinung, die gelten soll; ein Satz, der Anerkennung und f ü r den Kreis, dessen Dogma er ist, kurzweg Geltung beansprucht. In diesem Sinn ist das Dogma ein Satz von s o c i a l e r Bedeutung: es sagt, was in einer bestimmten Gemeinschaft gilt und gelten soll. Auch im wechselnden Sprachgebrauche tritt immer beides hervor, nur bald mit Ueberwiegen des theoretischen, bald des praktischen Momentes, und zwar so, dass jedesmal der innere Grund davon nicht schwer zu finden ist. In der B i b e l kommt das Wort in der Bedeutung von Satzung als B e f e h l v o r : Dan. 2 , 1 3 ; 6 , 8 . Esth. 3 , 9 (in der LXX.) und Luc. 2 , 1 bezeichnet es einen Regierungserlass; AG. 1 7 , 7 die kaiserlichen Gesetze überhaupt; AG. 16, 4 die Verordnungen des Apostelconcils betreffend die
Einleitung.
3
Aufnahme von Heiden; Col. 2 , 1 4 und Eph. 2 , 1 5 die in Christo aufgehobenen Satzungen des alttestamentlichen Gesetzes. Im Sprachgebrauch der a n t i k e n P h i l o s o p h i e überwiegt die Bedeutung von L e h r s a t z , aber immer mit der Nebenbedeutung eines Satzes, der von dem Kreise derer, die darauf Anspruch machen, als Weise zu gelten, Anerkennung verlange. Bei den P y t h a g o r ä e r n sind äy/.tuTu = oToiyjta, Principien, Grundwahrheiten. Ebenso bei dem S t o i k e r n ; aber hier mit der betonten praktischen Bedeutung von Grundwahrheiten, die man im Leben als leitende Grundsätze festzuhalten habe'). Sie bedeuten also nicht blos subjective Ansichten, sondern solche, die auf allgemeine Anerkennung objectiver Gültigkeit Anspruch machen. Weil nun aber die S k e p t i k e r gerade eine solche nicht anerkannten, und was den Anspruch darauf machte als willkürliche Satzung verwarfen, so verbanden sie mit dem Worte Dogma die üble Nebenbedeutung von etwas blos autoritätsmässig Geltendem. Wo immer später ein ähnlicher Standpunkt auftritt, da stellt sich auch sofort für das Wort Dogma diese üble Nebenbedeutung ein. Bei den a l t e n K i r c h e n S c h r i f t s t e l l e r n kommt das Wort im Sinn von allgemein anzuerkennenden Grundwahrheiten der christlichen Kirche vor, also von Lehrsätzen mit der Bedeutung von kirchlicher Geltung; meist kurzweg xo döy/,ia, oder r « ddyfiara TOV Y.VQIOV - die apostolische, vom Herrn stammende Lehre. Wenn B a s i l i u s (de Spir. S. 27) ö6yf.iu und y.tjQvy/AU unterscheidet und einander gegenüberstellt, so bedeutet ihm ööy/ita, im Unterschied von der populären Predigt der Heilswahrheit, die zunächst blos den Theologen angehende Lehrfassung derselben. Da nun aber dem kirchlichen Alterthum die Unterscheidung zwischen der göttlichen Heilswahrheit und der jeweiligen menschlichen Lehrform, in welche die Kirche dieselbe fasste, ferne lag; so galt ihm natürlich das Dogma unmittelbar als die göttliche Grundwahrheit der Kirche selbst, ausgesprochen in ihren Lehrsatzungen 8 ). Eben deswegen kam es nun aber in der n e u e r e n Zeit, mit der beginnenden Selbstemancipation des subjectiven Bewusstseins von der unmittelbaren Anerkennung objectiver Autoritäten, von selbst dazu, dass sich mit dem Worte Dogma wieder die altskeptische üble Nebenbedeutung ') Cic. quaest. acad. 4 , 9 : sapiens neque de se ipso dubitare debet, neque de suis decretis, quae philosophi dogmata vocant, quorum nullum sine scelere prodi poterit. — Marc A u r e l nennt rct dg ßiov avayxnia doy/uara und verlangt, dass sie kurz gefasst sein sollen, um im Leben stets präsent zu sein. 2 ) Die weitere Unterscheidung innerhalb dieser Grundbestimmung in t h e o r e t i s c h e und p r a k t i s c h e Lehrsatzung, Soyyia und iSixr\ Jiäaaxalia, berührt uns hier weiter nicht.
1*
4
Einleitung.
einer blos autoritätsmässig aufgestellten Lehrsatzung zu verbinden anfing, von der man, so oder so, die erst noch zu suchende Wahrheit' selbst unterschied. In diesem Sinne wurde von K a n t das Verfahren der W o l f f ' s c h e n Philosophie D o g m a t i s m u s genannt, weil es von unbewiesen angenommenen Lehrsätzen ausging, deren Voraussetzungen erst zu prüfen wären. In diesem Sinne nennt man seither in allen "Wissenschaften Dogmatismus das unkritische Verfahren, von ungeprüft angenommenen Sätzen auszugehen. In diesem Sinn werden auch wir gegenüber dem Dogmatismus in der Wissenschaft der Dogmatik kritisch zu verfahren haben. Seit dem Rückgang der Orthodoxie unterschied man gern (mit Död e r l e i n ) die Dogmen als s e n t e n t i a e d o c t o r u m von der d o c t r i n a c h r i s t i a n a . Wäre damit nur gemeint, jene seien die wissenschaftliche Formulirung, diese die praktisch populäre Predigt der christlichen Wahrheit, so hätten wir damit nur jene alte Unterscheidung von B a s i l i u s . Allein die Meinung war offenbar eine andere: die sententiae doctorum seien die s u b j e c t i v e Lehrfassung der doctores, der gegenüber ein jeder sich das Recht eigener Auffassung vorbehalte; die doctrina christiana dagegen sei die anzustrebende o b j e c t i v e christliche Wahrheit selbst. Es liegt dieser Unterscheidung die Ahnung des richtigen Sachverhaltes zu Grunde, dass allerdings hinter der bestimmten Lehrfassung der Dogmen ihr religiöser Kern zu suchen, und dieser als die christliche Wahrheit zu bezeichnen sei. Allein diese Meinung drückt sich in jener Unterscheidung noch ganz schief aus. Daran nämlich, dass die dogmata sententiae doctorum seien, ist zwar so viel wahr, dass die doctrina christiana nicht ohne die theologische Arbeit der Lehrer der Kirche zu Dogmen ausgeprägt worden ist; allein zu Dogmen sind sie doch erst dadurch geworden, dass die kirchliche Gemeinschaft selbst die Lehrbestimmung ihrer Lehrer als den wahren Ausdruck der doctrina christiana anerkannt und zu ihrer eigenen Lehrsatzung angenommen hat. Kurzweg das Dogma nur als Lehrmeinung der Theologen zu nehmen, ist jedenfalls schief. Vielmehr ist es erst die Gemeinschaft selbst, die eine derartige Lehrbestimmung zum Dogma macht. N u r d i e K i r c h e s e l b s t in o f f i c i e l l e r V e r t r e t u n g i s t d a s D o g m e n b i l d e n d e S u b j e c t . Sie ist es natürtürlich nur durch die Vermittlung der theologischen Thätigkeit ihrer Lehrer; aber erst sie selbst macht theologische Lehrbestimmungen zu Dogmen: d a s D o g m a i s t G l a u b e n s s a t z u n g d e r K i r c h e . Und zwar in der Meinung, dass die Anerkennung desselben das Kriterium der Zugehörigkeit zur Kirche bilde. Dieses giebt der Lehrsatzung des Dogma's seine s o c i a l e Bedeutung. Das Dogma will immer ausdrücke.n, was das Einigende einer Gemeinschaft sei; das, was sie im Unterschiede von einer anderen kennzeichne; es drückt ihr geistiges Band
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aus, wie dieses in ihr selbst als ihr gemeinsamer und einigender Lehrund Lebensgrundsatz zum anerkannten Ausdruck gekommen ist'). Dieses Einigende, dieses Specifische einer Gemeinschaft ist aber, auf den Grund gesehen, nichts anderes als ihr R e a l p r i n c i p . 2. Nach dieser allgemeinen Begriffsbestimmung von Dogma ist als der I n h a l t des c h r i s t l i c h e n D o g m a ' s vorab allgemein das R e a l p r i n c i p d e r c h r i s t l i c h e n G e m e i n s c h a f t zu bezeichnen, das, was sie zur christlichen macht und von anderen Gemeinschaften specifisch unterscheidet. Es ist dieses ein r e l i g i ö s e s Princip, da die christliche Gemeinschaft eine religiöse ist. Darum wird gleich unsere erste Untersuchung die sein müssen, worin überhaupt das Wesen der Religion bestehe, worin daher auch das unterscheidende Princip einer bestimmten Religion im Unterschiede von anderen Religionen zu suchen sei. Ohne dieser Untersuchung vorzugreifen, können wir doch von vornherein so viel sagen: die Religion will ein Lebensverhältniss zwischen dem Menschen und Gott sein, das als Glaube eine bestimmte Erscheinung im menschlichen Geistesleben bildet. Das Princip einer besonderen religiösen Gemeinschaft wird daher in der besonderen Bestimmtheit jenes Lebensverhältnisses zwischen Gott und Mensch zu suchen sein, welches im Glauben dieser Gemeinschaft sich ausdrückt. Das Princip der christlichen Gemeinschaft also wird in dasjenige religiöse Verhältniss zu setzen sein, welches in der religiösen Persönlichkeit J e s u als neue Glaubensmachtin die Menschheit eingetreten ist und die christliche Gemeinschaft begründet hat: — dieses alles natürlich ohne allen weiteren Fragen über das Was? und Wie? in irgend einer Weise schon vorgreifen zu wollen. Dieses Princip der christlichen Gemeinschaft, das in der Persönlichkeit Jesu als des Christus als religiöses Realprincip in die Geschichte eingetreten ist, bildet den e i n h e i t l i c h e n I n h a l t des christlichen Dogma's, seinen Kern, seine Substanz. 3. Hiermit ist aber das Dogma als eine E i n h e i t gefasst, kurzweg als d a s Dogma; denn Princip ist ja nichts anderes als der logische Ausdruck für den einheitlichen inneren Wesensgrund der Vielheit eines Erscheinungscomplexes. Nun tritt uns aber in der christlichen Kirche von dem Moment an, wo überhaupt von Dogma in ihr geredet werden kann, nicht e i n Dogma, d a s Dogma kurzweg, sondern eine V i e l h e i t einzelner Lehrsätze als Dogmen entgegen. Diese erscheinen allerdings zunächst als ein Aggregat, nicht als eine organische Einheit 2 ). Allein auch da treten ') Hierin hat L a n g e , philos. Dogma § 2 Recht; nur dass er hier wie überall seine besten und fruchtbarsten Gedanken durch Ueberschwenglichkeiten selbst wieder verderbt. 2 ) Rothe, zur D o g m a t i k S. 13.
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sie doch nicht als ein blos äusserlich zusammengelesenes Aggregat auf; sondern wo ein einzelner Lehrsatz zum Dogma gestempelt wird, da geschieht es darum, weil er gerade in dieser Form als „nothwendig zum Glauben" gehörend, also in dem Einen Glaubensgrunde nothwendig wurzelnd, als von ihm untrennbar anerkannt w i r d : wer ihn verneint, der verneint auch jenen. Bekanntlich lautet der Ausdruck: „qui vult salvus esse, necesse est ut credat" — und dann folgt der damit zum Dogma gestempelte Satz. Salvus esse heisst a b e r : an dem Heil in Christo Theil haben, und extra ecclesiam nulla salus; also ohne Aneignung dieses Satzes kein Antheil am Heil. Damit ist das Dogma, als sociales Kennzeichen (Symbolum) der Kirche, zugleich der Ausdruck eines nothwendigen Bestandtheiles der Heilswahrheit, d. h. also — logisch ausgedrückt — es ist als nothwendiges Moment des christlichen Princips erklärt: — natürlich nach dem jeweiligen Urtheil der Kirche, über dessen Richtigkeit uns ebenso natürlich das Urtheil offen steht 1 ). Also auch in ihrem scheinbar äusserlichen Nacheinander, in welchem sie in der Geschichte auftreten, stehen die einzelnen Dogmen doch nicht so äusserlich neben eiuander, wie etwa die §§ einer Staatsverfassung, sofern hier dieser oder jener § anders lauten oder auch ganz fehlen könnte, ohne dass die Verfassung deswegen aufhören würde das einigende Band einer politischen Gemeinschaft zu sein. Und doch auch hier: wenn darunter einzelne §§ sind, die im Kern den übrigen widersprechen, weil sie eigentlich auf einem anderen politischen Principe basiren, so muss dieses früher oder später zu einer Revision der Verfassung führen, wenn sich nicht gar der Keim einer Revolution daraus entwickeln soll. Allein wegen der Natur einer politischen Gemeinschaft, die vielerlei zum Theil nur locker zusammenhängende Lebensgebiete in einen Rahmen zusammenfasst, werden die §§ auch einer möglichst einheitlich gegliederten Verfassung doch nicht alle innerlich nothwendig gerade in dieser Form zusammenhängen und auf ein Princip zurückgehen, sondern vielfach durch äusserliche Verhältnisse bedingt sein. Die Dogmen dagegen, die scheinbar blos aggregirten Lehrsätze, in welchen die religiöse Gemeinschaft ihren Glauben ausspricht, müssen alle in innerem
') Wenn dagegen in unserer Zeit ein Kirchenregiment einem Geistlichen gegenüber das historische Dogma als die nun einmal zu R e c h t bestehende Lehrsatzung der Kirche geltend macht, dabei aber doch nicht umhin kann die Unterscheidung von menschlicher Fassung und göttlichem Wahrheitskern an dieser Lehrsatzung wenigstens für die Wissenschaft irgendwie anzuerkennen, so ist diese blos j u r i s t i s c h e Orthodoxie der g l ä u b i g e n Orthodoxie der alten Kirche gegenüber, die noch ächte Dogmen prägte, ein ganz armseliger Standpunkt.
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Zusammenhang zu einander stehen, sich auf den einen Grund, auf dem die Gemeinschaft ruht, zurückführen lassen. Mit einem Worte: die V i e l h e i t der einzelnen Dogmen will und soll nur die Entfaltung des e i n e n Dogma's sein; dieses aber hat zu seinem Inhalte das P r i n c i p der religiösen Gemeinschaft, deren Dogma es ist. 4. Dieses bestätigt sich weiter, wenn wir auch auf die F o r m sehen, in welcher erst ein Inhalt des christlichen Glaubensprincips zum Dogma geworden, und auf den Process, durch welchen dieses geschehen ist. Ein Glaubensatz ist erst in der Form zum Dogma geworden, in welcher er die Anerkennung der officiellen Vertretung der religiösen Gemeinschaft erlangt hat. Diesem geht aber ein Process der Lehrfassung voraus, dessen Product erst das Dogma ist. Dieser Process geht in die L ä n g e und in die B r e i t e . In die L ä n g e : ein Realprincip entwickelt sich zeitlich, geschichtlich; es ruft unter den jeweiligen Bedingungen und aus dem geistigen Material des geschichtlichen Bodens, auf dem es hervortritt, eine Erscheinungsreihe hervor, in der es, was implicite in ihm enthalten ist, allmälig in's Bewusstsein heraussetzt. Bis die christliche Gemeinschaft in ihrer geschichtlichen Entwicklung durch die Triebkraft ihres religiösen Principes dazu kam, sich über das sie Einigende vollständig Rechenschaft zu geben und den consequenten Ausdruck davon als Dogma zu formuliren, ging ein vielgestaltiger Process der Lehrfassung voraus, Austausch, Conflict und Vermittlung individueller Auffassungen. Zwischen diesen entschied dann endlich die officielle Vertretung der Kirche — und zwar „unter Leitung des h. Geistes" — sich für die, welche vor ihr sich als den consequenten Ausdruck der Glaubenswahrheit geltend zu machen wusste. D. h. die einzelnen Dogmen, wie immer entstanden als persönliche Lehrfassung theologischer Lehrer, sind zu Dogmen erst dann gestempelt worden, wenn sie sich vor der Kirche als der consequeute volle Ausdruck ihres Glaubensprincipes auswiesen. Und daraufhin sind sie auch von der "Wissenschaft der Dogmatik zu prüfen. Man darf aber sagen, die Kirche hat darin, wie viel Menschliches auch gelegentlich bei ihren Entscheidungen mit unterlief, im Grossen und Ganzen einen bewunderungswürdigen Instinct der Consequenz bewährt. Während dieses z e i t l i c h e n Entwicklungsprocesses der Dogmen, so zu sagen in die L ä n g e , hat sich zugleich auch ein systematischer in die B r e i t e vollzogen, durch den in der Fassung der einzelnen Lehrpunkte zugleich successiv zum Bewusstsein gebracht wurde, was alles in der einen Glaubensgrundwahrheit als nothwendiges P o s t u l a t und als nothwendige C o n s e q u e n z enthalten sei, und so erst wurde der I n b e g r i f f der einzelnen Dogmen zu einem einheitlichen System des in seine Momente explicirten Einen Dogma's.
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5. Wir haben bis jetzt kurzweg nur von der c h r i s t l i c h e n K i r c h e im A l l g e m e i n e n und ihrem Dogma als allgemein christlichem geredet. Dasselbe gilt nun aber auch von den besonderen Kirchengemeinschaften, in welche dieselbe sich verzweigt, oder die sich von der allgemeinen Kirche abgezweigt haben. Das c o n f e s s i o n e l l e Dogma dieser P a r t i c u l a r k i r c h e n nun will nicht etwas Neues zum allgemein christlichen Dogma hinzu, oder gar an der Stelle desselben sein; sondern es will nichts anderes sein als der andern kirchlichen Gemeinschaften gegenübet richtigere, wahrere, unverfälschtere Ausdruck des Dogma's im Bewusstsein dieser Particularkirche, worin sich also gerade ihr specielles Wesen, ihr P r i n c i p als d i e s e r Kirche andern gegenüber, ausprägt. Die c h r i s t l i c h e D o g m a t i k , deren Gegenstand das christliche Dogma in seinem ganzen geschichtlichen Umfang ist, hat daher weder das Dogma blos in der Gestalt Einer Confession, in dieser aber als das christliche Dogma kurzweg, darzustellen; noch hat sie die Dogmen der verschiedenen Confessionen einfach in ihrem geschichtlichen Unterschiede vorzuführen. Das Erstere wäre statt dogmatische Wissenschaft vielmehr dogmatistische Bornirtheit; das Andere aber bloss geschichtliche Symbolik. Die Dogmatik hat vielmehr die confessionelle Verästung der Dogmen auf ihren gemeinsamen Stamm, und diesen bis auf seine Wurzel, das christliche R e a l p r i n c i p , zurückzuverfolgen, und von diesem aus ihr Urtheil über die confessionellen Gegensätze in der Geschichte zu gewinnen, d. h. ächt d o g m a t i s c h e , nicht dogmatistische, d. h. von vornherein im Sinn einer Confession rechthaberische Kritik zu üben. 6. Ob der Dogmatik aber nicht auch schon aus dem dargelegten allgemeinen Begriff ihres Gegenstandes, des Dogma's, noch eine weitere Aufgabe mit Nothwendigkeit erwachse, das muss sich nun aus dem allgemeinen Begriff einer vollständigen „ w i s s e n s c h a f t l i c h e n D u r c h a r b e i t u n g " , angewendet auf einen Gegenstand von der speciellen Natur des Dogma's, ergeben. § 3 . Die allgemeine Aufgabe aller Wissenschaft ist die methodisch zu unternehmende und vollständig durchzuführende Aneignung eines objectiven Wissensgebietes in's subjective Bewusstsein: nicht blos zur K e n n t n i s s des thatsächlich als E r s c h e i n u n g Gegebenen und zum V e r s t ä n d n i s s desselben in seiner Gesetzmässigkeit; sondern auch zur E r k e n n t n i s s des beiden, der Erscheinung und der Gesetzmässigkeit darin, zu Grunde liegenden W e s e n s ihres Gegenstandes, — soweit dies Letztere im Verhältniss desselben zum Erkenntniss suchenden Geiste überhaupt möglich ist. Ausgang, Weg und Ziel dieser Aufgabe aller Wissen-
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schaft ist daher f ü r die einzelnen Wissenschaften durch die Natur ihres Gegenstandes und dessen inneres Verhältniss zum Geiste bedingt und dadurch verschieden gestaltet. — Voraussetzung für die Möglichkeit von Wissenschaft überhaupt aber ist die objective Realität einer für die Erscheinungswelt allgemein gültigen und damit auch für das subjective Denken normativen Gesetzmässigkeit. — Gehört der Gegenstand einer Wissenschaft dem Lebensgebiete des G e i s t e s selbst an, so bestimmt sich ihre letzte Aufgabe dahin: sie hat durch die Aeusserlichkeit und relative Zufälligkeit, welche derselbe als Phänomen von seiner Naturbedingtheit her der empirischen Kenntnissnahme des betrachtenden Geistes zunächst entgegenbringt, hindurch sein inneres W e s e n als einer Lebensäusserung des Geistes zu suchen, um daraus, wie seine g e s c h i c h t l i c h e E r s c h e i n u n g unter den gegebenen Bedingungen zu v e r s t e h e n , so auch seinen W a h r h e i t s g r u n d zu e r k e n n e n . Indem die Wissenschaft dadurch ihren t h e o r e t i s c h e n S e l b s t z w e c k erfüllt, den Geist zur Selbsterkenntniss dessen, was schon aus ihm hervorgegangen ist, zu erheben, erfüllt sie zugleich auch ihren p r a k t i s c h e n B e r u f : die wahre Freiheit des Geistes, seine Selbstverwirklichung aus seiner Selbsterkenntniss heraus, zu fördern. — 1. Die Voraussetzung von G e s e t z m ä s s i g k e i t in allem Sein und Geschehn, der Ausschluss des Z u f a l l s im Sinn eines grundlosen Geschehens und der W i l l k ü r im Sinn eines grundlosen Thuns, ist so sehr die selbstverständliche Bedingung für alle Natur- und Geisteswissenschaft, dass eigentlich gar nicht nöthig sein sollte, dies am Eingang einer speciellen Wissenschaft noch besonders geltend zu machen, — wenn nicht gerade fiir das Gebiet der theologischen Wissenschaft, für die R e l i g i o n , eine alle Möglichkeit von wissenschaftlicher Erkenntniss ausschliessende Willkür die Grundlage zu bilden schiene: nämlich der, für uns wenigstens, nicht weiter zu ergründende Wille Gottes. Wie es sich nun auch in letzter Instanz damit verhalten mag, — hier ist vorab festzuhalten: die rationelle Voraussetzung einer objectiven, d. h. unabhängig von der Erkenntnissthätigkeit des Subjects vorhandenen Gesetzmässigkeit alles Seins, gilt ausnahmslos als erste Bedingung für die Möglichkeit aller Wissenschaft, auch der Religionswissenschaft. Gesetzt, der letzte Grund der Religion (aber dann auch der Welt überhaupt) liege wirklich in einem für uns grundlosen, absoluluten Willküracte Gottes: so beginnt eben das Gebiet jeder Wissen-
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schaft, und so auch das der Religionswissenschaft, genau von dem Punkt an, wo jener „grundlose" Grund mit seinem Wirken in die wirkliche Welt mit ihrer Gesetzmässigkeit eintritt. I)as Gebiet, das die Wissenschaft für sich ansprechen kann, deckt sich mit dem, wofür objective Gesetzmässigkeit vorausgesetzt wird. Skepsis gegenüber jeder menschlichen Autorität, vorab der des mitgebrachten eigenen Meinens, ist der fruchtbare Ausgangspunkt für alle Wissenschaft; Skepsis aber gegenüber dem Vorhandensein einer Gesetzmässigkeit des Seins und Denkens wäre ihre grundsätzliche Verneinung, die, zum Grundsatz erhoben, sich selbst aufhöbe. 2. Wie wir — unter jener Voraussetzung — die allgemeine Fassung der Aufgabe aller Wissenschaft näher bestimmen, ist erst nachher an seinem Orte zu begründen: hier am Eingang war sie nur so aufzustellen, wie sie auf allgemeines Zugeständniss rechnen darf, so lange jedem die nähere Fassung ihrer einzelnen Momente vorbehalten bleibt. Es kann sich ja hier zunächst nur darum handeln, dem allgemeinen Begriff wissenschaftlicher Arbeit zu entnehmen, was alles dieser Begriff fiir die Wissenschaft der Dogmatik in sich schliesse, wenn sie ihre Aufgabe als Wissenschaft vom Dogma der im Vorigen fixirten allgemeinen Bedeutung ihres Gegenstandes gemäss vollständig erfüllen wolle. 3. Dass die e r s t e Aufgabe aller Wissenschaft in der methodisch zu unternehmenden und durchzuführenden Sammlung der e m p i r i s c h e n K e n n t n i s s des Thatsächlichen auf ihrem Gebiete, und in der i n d u c t i v e n Ermittlung der darin waltenden G e s e t z m ä s s i g k e i t bestehe, ist ausser Frage. Ebenso, dass die E r k e n n t n i s s die Einsicht in den G r u n d einer Sache und das Verständniss dieser aus ihrem Grunde bedeute, die volle Erkenntniss also, das ideale Ziel der Wissenschaft, in die Einsicht in den letzten Grund und damit in das W e s e n einer Sache zu setzen sei. E r k e n n t n i s s i s t W i s s e n des W e s e n s e i n e s B e w u s s t s e i n s O b j e c t e s a l s G r u n d s e i n e s E r s c h e i n u n g s c o m p l e x e s . Wie weit aber eine solche Erkenntniss überhaupt möglich, d. h. das Wesen der Dinge erkennbar sei, darüber waltet Streit, dessen Entscheidung Sache der Erkenntnisstheorie ist. Jedenfalls aber beruht sie in dem objectiven V e r h ä l t n i s s zwischen dem G e g e n s t a n d und dem Erkenntniss suchenden G e i s t e , wird also von vornherein für die verschiedenen Gebiete des Seins verschieden sein. So vorab für das Gebiet der N a t u r und für das Gebiet des G e i s t e s selbst: für die Naturwissenschaften, welche Vorgänge zum Objecte haben, deren Träger das ist, was wir im essentiellen Gegensatz zum Geiste Materie nennen, und für die Geisteswissenschaften, deren Gegenstand eine Lebensäusserung des Geistes selbst ist. 4. In der N a t u r findet die Wissenschaft auf inductivem Weg aus den empirisch einzeln vorliegenden Vorgängen allgemeine Gesetze, in denen
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sie den Grund fiir diese einzelnen Vorgänge erkennt. Allein den Grund dieser Gesetze selbst hat sie damit noch nicht erkannt; sie hat sie zunächst auch nur als ein Gegebenes gefunden. Sie verfolgt dieselben inductiv immer weiter zurück; in letzter Instanz wird sie auf diesem Wege bei einem letzten Grund anlangen, und diesen mit allem, was sie in ihm begründet gefunden, würde sie als „das Wesen" der Natur bezeichnen können. Wie weit es nun freilich dem Geiste möglich sei, in dieses „Innere der Natur" einzudringen, das können wir hier ununtersucht lassen. 5. Auch auf dem Gebiete des G e i s t e s l e b e n s suchen und finden wir inductiv aus den thatsächlichen Lebensäusserungen des Geistes zunächst auch nur Gesetze ihres Verlaufes. Allein diese werden ihren letzten Grund im Wesen des Geistes haben; dieser aber ist zugleich auch das Wesen des erkennenden Geistes. In seiner Selbsterkenntniss fände somit der Geist den Schlüssel der vollen Erkenntniss dessen, was als die empirisch vorliegenden Lebensäusserungen des Geistes den Gegenstand der einzelnen Geisteswissenschaften bildet. Hier ist das Subject und das Object der Wissenschaft in seinem Wesensgrunde Eins, und das Ziel voller Erkenntniss liegt wenigstens nicht ausserhalb sondern innerhalb des Wesens des Erkenntnisssubjectes selbst. Allein ist demselben diese Selbsterkenntniss seines Wesens möglich? Geht es ihm nicht wie dem Auge, das Alles, nur nicht sich selber sieht, anders als im Spiegelbilde? Liegt es dem Geiste nicht nahe, zu sagen: was der Geist ist, sei ein unbekanntes, ja das allerunbekannteste x, dessen reales Vorhandensein sogar, weil es empirisch nicht vorliege, nur mittelbar als höchst wahrscheinlich zu erschliessen sei? Gewiss, sehr natürlich! — solange der Geist darauf aus ist, sich als etwas suchen zu wollen, als was er sich selbst schlechterdings nicht gegeben ist, als ein D i n g ; statt sich als das zu nehmen, als was er allein und zwar am allerunmittelbarsten gegeben ist, als das wirkliche S u b j e c t all' der Lebensäusserungen, die er thatsächlich als die seinen erfährt. Es ist hier noch nicht der Ort, es zu verfolgen, wie weit der Geist es auf diesem Wege in der Selbsterkenntniss seines Wesens bringen könne: genug, das letzte Ziel wissenschaftlicher Erkenntniss für die Geisteswissenschaften liegt im W e s e n d e s G e i s t e s selbst; denn dieses muss der letzte Grund für die Erscheinungen des Geisteslebens sein. 6. Nun ist allerdings der Mensch nicht als r e i n Geist das wirkliche, concrete Subject all' der Lebensgebiete, die das empirische Object der Geisteswissenschaften ausmachen; sondern er ist es als zugleich n a t u r b e d i n g t e r Geist, als welcher er mit unter die Gesetzmässigkeit der Naturwelt befasst ist. Also liegt der Grund für die empirischen Erscheinungen des Geisteslebens nicht rein im Wesen des Geistes, und wären daher jedenfalls auch nicht allein aus diesem zu erkennen, auch in dem Falle nicht, dass wir dieses als erkennbar und erkannt voraussetzen dürften.
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Allein die Abhängigkeit und das Bedingtsein des menschlichen Ich von dem, was Nicht-Geist an ihm ist, fällt ja für ihn als Subject und als Object des Erkennens unter die gleiche Gesetzmässigkeit, die im Wesen der Natur und im Verhältniss derselben zum Wesen des Geistes — wie immer wir dieses Verhältniss in letzter Instanz fassen mögen — muss begründet sein. Dies Gleiche auf beiden Seiten, in den Bedingungen des erkennenden Subjectes und des zu erkennenden Objectes, des realen, concreten Menschengeistes, gleicht sich also gegenseitig aus. Innert der Bedingungen und Schranken des Naturerkennens, wie sie im Verhältniss von Natur und Geist begründet sind, sowohl für die empirische Kenntniss des menschlichen Geisteslebens als für das Verständniss seiner einzelnen Erscheinungen aus der induetiv zu suchenden Gesetzmässigkeit darin, — innert dieser Bedingungen wird für die Geisteswissenschaften die Aufgabe gestellt sein, ein Ziel der Erkenntniss zu suchen, das wesentlich ü b e r das der Naturwissenschaften hinausgeht. W i e ? ist damit noch nicht gesagt; nur das D a s s ist einfach darauf gegründet, dass dem Geiste näher liegen muss, was in ihm selbst, als was nur in der Natur wurzelt. Wie nun aber von dieser einfachen Wahrheit aus die weiterreichende Aufgabe der Geisteswissenschaften gefasst werden müsse, das kann von verschiedenem Standpunkt aus sehr verschieden verstanden und auf verschiedenem Weg angestrebt werden. Was hier vor der Hand allein betont wird, ist nicht das, was noch streitig sein kann, und worüber jeder noch seinen Vorbehalt machen mag: w i e die Geisteswissenschaften ihr weiteres Ziel der Erkenntniss anzustreben haben. Hier war nur das geltend- zu machen, dass für sie die Möglichkeit da und darum auch die Aufgabe gestellt ist, dem idealen Ziel aller Erkenntniss auf ihrem Gebiete n ä h e r zu kommen, als es der Naturwissenschaft auf dem ihrigen möglich ist. Das versteht sich von selbst, dass diess absolut kein Urtheil sein soll über den wissenschaftlichen Werth einer jeden Wissenschaft an ihrem Orte. Mit diesem könnte es ja vielleicht gerade umgekehrt stehen. 7. Erkenntniss der Phänomene des Geisteslebens aus dem Wesen des Geistes als ihrem letzten innersten Grund ist also das Ziel der Geisteswissenschaften; während der letzte Grund für die Phänomene der Natur gerade im Wesen dessen liegt, was sie im Unterschiede vom Wesen des Geistes ist: damit liegt das Erkenntnissziel der Naturwissenschaften hinter dem der Geisteswissenschaften jedenfalls um einen Grad zurück. Nun aber bedingt die schon berührte Thatsache, dass das menschliche Geistesleben zugleich n a t u r b e d i n g t ist, für' die Geisteswissenschaften noch eine andere Aufgabe. Auf demselben Umstände beruht zugleich der Unterschied der g e s c h i c h t l i c h e n und der rein t h e o r e t i s c h e n oder s y s t e m a t i s c h e n Geisteswissenschaften. Die empirischen
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Phänomene und Producte des Geisteslebens, obgleich das Wesen des Geistes ihr innerster Grund ist, tragen von der Naturseite desselben zugleich auch den Charakter der sinnlichen, endlichen Erscheinungswelt, den Charakter der A e u s s e r l i c h k e i t , des N e b e n - u n d Nacheinander, der Zusammenwirkung aussereinanderliegender Factoren, kurz des Z u f ä l l i g e n (natürlich in dem präcisen Sinn, in welchem allein der Begriff des Zufälligen überhaupt zulässig, in Wahrheit aber auch nothwendig ist) an sich. Der empirische Stoff jeder Geisteswissenschaft ist nicht reines, sondern zugleich äusserlich mitbedingtes Product des Geistes. Dieser Factor der Zufälligkeit ist aller Geschichte wesentlich. Darum kann keine Geschichte rein aus dem Wesen des Geistes deducirt oder construirt, er kann nur unter Mitberücksichtigung der Wirkung der anderen Factoren aus demselben verstanden werden. Dieser Grad von Erkenntniss ist der letzte erreichbare aller G e s c h i c h t s w i s s e n s c h a f t ; dies also ist ihre letzte Aufgabe. 8. Die rein t h e o r e t i s c h e n oder s y s t e m a t i s c h e n Geisteswissenschaften dagegen wollen zur Erkenntniss bringen, wie ein Gebiet der Selbstbethätigung des Geistes r e i n e r , w a h r e r Ausdruck des Wesens und der in diesem wurzelnden Bestimmung des Geistes sein soll; sie haben das I d e a l d e r W a h r h e i t auf ihrem Gebiete zum Ziel. Das stellt ihnen eine weitere und zwar eine d o p p e l t e Aufgabe, über die der geschichtlichen Kenntniss hinaus. Wohl dient die Geschichte der Vergangenheit auch als Lehrerin der Wahrheit für die Zukunft; aber doch immer nur mittelbar, indem die Wissenschaft aus der Kritik der Vergangenheit ihre Lehren zieht. Die theoretische Wissenschaft jeder Zeit steht auf den Schultern der Vergangenheit und lernt an dieser, was diese durch ihre Geschichte lehren kann. Sie hat aber von ihrem Standort aus die Möglichkeit und damit auch die Aufgabe, direct an der Vergangenheit zu lernen durch K r i t i k dessen, was diese bis anhin auf dem betreffenden Gebiete hervorgebracht hat. Was der Menschengeist seinem inneren Wesen nach und unter Mitwirkung der jeweiligen endlichen, äusserlichen Factoren der Geschichte hervorgebracht — und darunter fallen alle historischen Erzeugnisse des Geisteslebens —, das kann er auch kritisiren, und wenn er dies auf die richtige Weise thut, so fördert er die Erkenntniss der Wahrheit dadurch, dass er das noch nicht Wahrheitsgemässe an der früheren Erkenntnissform erkennt und abstreift. Die Kritik scheidet; sie scheidet, je vollständiger sie autonom, d. h. nach den dem Geist immanenten Denkgesetzen vollzogen wird, von den bisherigen nicht stichhaltigen L ö s u n g e n der Probleme, die dem menschlichen Geist als seine Bestimmung gestellt sind, die P r o b l e m e selbst als Aufgaben für die Zukunft. Jede theoretische, systematische Wissenschaft soll diese Aufgabe nach Möglichkeit ihrer Lösung näher bringen wollen.
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9. So erwächst aus der Aufgabe der K r i t i k des bisher vom Geist auf einem Gebiete Geleisteten, die nur nach einer Seite, als Ausscheidung des Unstichhaltigen, negativ, nach der anderen aber, durch Blosslegung wenigstens der Probleme, positiv ist, für die systematischen Wissenschaften die weitere p o s i t i v e Aufgabe: positiv und negativ belehrt durch die ganze Vergangenheit, die in dieser noch nicht vollständig gelösten Probleme auf den möglichst adäquaten Ausdruck ihres im Wesen des Geistes wurzelnden Inhaltes zu bringen. Dieses aber ist neben dem k r i t i s c h e n das s p e c u l a t i v e Moment der Aufgabe jeder s y s t e m a t i s c h e n Geisteswissenschaft, über die h i s t o r i s c h e Aufgabe hinaus und auf ihren Schultern. Wir brauchen hier den Ausdruck s p e c u l a t i v nicht im speciellen Sinn eines bestimmten philosophischen Systemes, sondern in dem allgemeinen Sinn der Methodenlehre, in welchem er die p r o d u c t i v e A u s p r ä g u n g d e r i n d u c t i v z u T a g e g e f ö r d e r t e n P r ob 1 e m e einer Wissenschaft bezeichnet. Wer aus horror von einer speciellen Art von Speculation, der vielleicht ganz begründet sein mag, alle „Speculation" perhorresciren und von vornherein nichts davon wissen wollte, der verriethe damit nur eine abergläubische Gespensterfurcht aus Unwissenheit. Jeder schliesst die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Operationen irgendwie speculativ zu einem für ihn positiven Resultate (und wär's auch inhaltlich ein rein negatives) a b ; meint er dabei alle Speculation ferngehalten zu haben, so hat er nur die roheste Art von Speculation angewendet. Worin wir die logisch wahre Speculation sehen, wird an seinem Orte zur Sprache kommen. Hier halten wir nur als allgemein gültig fest: erst das s p e c u l a t i v e Moment der wissenschaftlichen Arbeit, die positive Ausprägung des im Wesen des Geistes begründeten Inhaltes eines Geistesgebietes, auf Grundlage und mit Verwerthung aller Ergebnisse der vorausgehenden historischen Darlegung und kritischen Analyse des empirischen Stoffes, ist, so weit es gelingt, der positiv fördernde Reingewinn der Arbeit. So weit es gelingt; denn wenn auch die Endaufgabe einer Geisteswissenschaft ihrem I d e a l e nach a b s o l u t ausgesprochen werden muss, als speculative Ausprägung ihres vollen Inhaltes in seine adäquate, rein geistige Form, — thatsächlich wird diese Aufgabe immer nur endlich, immer nur r e l a t i v gelöst. Jeder Einzelne hat seinen endlichen Standort, von dem aus er die Aufgabe zu lösen unternimmt, immer auf einem bestimmten Punkt in der Entwicklungsgeschichte des menschlichen Geistes, auf der Basis der vorhergegangenen Geschichte; er vermag sie also nur von diesem aus, und darum immer nur endlich, relativ zu lösen. Ueber seinen Schatten, den eben seine concrete geschichtliche und individuelle Bedingtheit wirft, vermag keiner zu springen. 10.
Jede Wissenschaft hat zunächst ihren t h e o r e t i s c h e n Selbst-
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zweck der Erkenntniss. Indem sie aber diesen erfüllt, dient sie auch den p r a k t i s c h e n Zwecken des Lebens. Der höchste t h e o r e t i s c h e Endzweck der Wissenschaft ist die S e l b s t e r k e n n t n i s s des Geistes; der höchste p r a k t i s c h e Zweck des Lebens ist die S e l b s t v e r w i r k l i c h u n g der Wesensbestimmung des Geistes, die wahre Freiheit. Wo eine Wissenschaft auf irgend einem Gebiete jenen Zweck fördert, dient sie damit auch diesem. In den äusseren Dingen des Lebens lernt die Praxis sehr bald jeden Fortschritt der reinen Wissenschaft sich nutzbar zu machen und ist ihr dafür dankbar. Auf geistigem Gebiet ist das Verhältniss complicirter. Hier kann die Wissenschaft versucht sein, sich direct auf das Dankerndten bei jeweiligen Mächten und Autoritäten des praktischen Lebens einzurichten; aber damit versündigt sie sich gegen ihr erstes Gebot: die Wahrheit über Alles! und leistet damit erst noch dem praktischen Leben nicht den Dienst, den sie ihm zu leisten berufen ist. Am wahrsten und nachhaltigsten dient die Wissenschaft dem Leben, wenn sie, ohne nach rechts oder links auf die Seite zu schielen, geradeaus ihren nächsten Endzweck, die Erkenntniss der Wahrheit, in's Auge fasst. Dieses gilt ausnahmslos auf allen Gebieten. Welche Anwendung dies speciell auf die t h e o l o g i s c h e Wissenschaft findet, für welche die Gefahr der Versuchung zur Untreue gegen sich selbst am nächsten liegt, das wird im Folgenden schon zur Sprache kommen müssen. §4.
Die
Aufgabe
der D o g m a t i k
W i s s e n s c h a f t . — Als W i s s e n s c h a f t Aufgabe
vollständiger
wissenschaftlicher
als
hat
theologischer
sie die
allgemeine
Durcharbeitung
ihres
speciellen Gegenstandes, des christlichen Dogma's, als der historischen Glaubenssatzung der christlichen Gemeinschaft, welche das religiöse Princip derselben
mit seinem wesentlichen Inhalt
aus-
drücken will; als t h e o l o g i s c h e Wissenschaft aber hat sie
den
p r a k t i s c h e n Zweck,
durch ihre wissenschaftliche Leistung die
reine Pflege des christlichen Glaubenslebens in derjenigen Gemeinschaft, für die sie bestimmt ist, theoretisch zu begründen.
Ihre
Gesammtaufgabe besteht daher: 1. in der h i s t o r i s c h - g e n e t i s c h e n
D a r l e g u n g des
christ-
lichen Glaubens von seinem historischen Quellpunkt aus bis zu seiner Ausprägung zum kirchlichen Dogma; 2. in der d o g m a t i s c h e n K r i t i k ,
inwiefern das Dogma in
seiner jeweiligen historischen Form das sei, was es sein will, Ausdruck des christlichen Eealprincipes;
Einleitung.
IG 3. in
der
autonomen
Verstandeskritik
seiner
jeweiligen
geschichtlich ausgeprägten theoretischen Fassung; 4. in der s p e c u l a t i v e n A u s p r ä g u n g
des durch die Kritik
als theoretisches Problem zu Tage geförderten religiösen
Inhaltes
des Dogma's in den eigenen theoretischen Bewusstseinsformen; 5.
in der A n w e n d u n g
dieses wissenschaftlichen
Resultates
auf die reine, der erkannten Wahrheit gemässe Pflege des religiösen Lebens in der Gemeinschaft. — 1. T h e o l o g i s c h heissen Wissenschaften nicht um eines besonderen Charakters ihres wissenschaftlichen Verfahrens, sondern um ihres Gegenstandes und ihres praktischen Zweckes willen: der Kirche, dem Organismus der religiösen Gemeinschaft, zur wahrheitsgemässen, lauteren Erfüllung ihrer Aufgabe zu dienen. Als W i s s e n s c h a f t e n von den betreffenden Gegenständen des allgemeinen Gebietes der Religion sind sie r e i n e , f r e i e Wissenschaft, mit allen Rechten und Pflichten derjenigen Beschäftigung mit einem Wissensgebiete, welche den Charakter wirklicher Wissenschaft ausmacht. Nur eine Kirche, deren officielle Vertretung von ihrer Gemeinschaft als „unfehlbar" anerkannt wird, deren Bestimmungen somit jedenfalls die letztinstanzliche Autorität für sie bilden, kann grundsätzlich nichts wissen wollen vom Dienst einer ihr gegenüber f r e i e n Wissenschaft. Und was sie selbst hat und bietet, ist nicht Wissenschaft, sondern nur Lehre, wenn auch vielleicht mit dem höchsten formal wissenschaftlichen Aufwände betriebene Lehre. Zwar kann sie es, wenn auch temporär innerhalb ihres Machtbereiches, doch nicht bleibend und allgemein verhüten, dass die freie Wissenschaft auch sie selbst mit allem, worüber sie das Souverainetätsrecht behauptet, zum Gegenstand ihrer selbstständigen, freien Forschung macht: allein sie wird eine solche Wissenschaft nicht als T h e o l o g i e , nicht als i h r e Theologie anerkennen, auch wenn ihr diese ihren wissenschaftlichen Dienst für ihren praktisch religiösen Zweck anböte. Doch wir sehen von den Souverainetätsansprüchen einer derartigen Kirche von vornherein ab, wenn wir von t h e o l o g i s c h e r W i s s e n s c h a f t reden. Die Arbeit dieser im D i e n s t e der Kirche hat nicht den Sinn, dass die Kirche ihr vorschriebe, was sie auf ihre Autorität hin lehren solle; sondern den, dass die Kirche ihr den Stoff darbietet, und dass die Theologie durch die wissenschaftliche Verarbeitung dieses Stoffes der Kirche für ihre praktische Aufgabe dienen will. Welchen Gebrauch dann die Kirche, der sie damit dienen will, von diesem freien Dienste machen könne oder wolle, ob und wie weit dieselbe sie als i h r e theologische Wissenschaft anerkenne durch die praktische Stellung, die sie ihrerseits zu dieser Theologie einnimmt, — das muss
Einleitung.
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die letztere freilich gewärtigen. Wohl darf sie nicht blos sondern sie soll auch, was sie von dieser Seite erfährt, beherzigen als Warnung, über ihrem eigenen theoretischen Selbstzweck den praktischen Zweck der Kirche nicht zu vergessen und vollends denselben nicht mit diesem zu verwechseln. Aber schlechterdings darf sie sich nicht durch blosse Klugheitsrücksichten auf ihre Aufnahme von Seiten der Kirche zur Untreue gegen ihre e r s t e , die wissenschaftliche Pflicht der W a h r h e i t s f o r s c h u n g verführen lassen. 2. Wie die theologische Wissenschaft überhaupt nicht theologisch heisst, um damit eine besondere Eigenschaft der wissenschaftlichen Arbeit zu bezeichnen, sondern einfach um des Gegenstandes willen, mit dem sie sich beschäftigt, und um des Zweckes willen, dem sie durch ihre wissenschaftliche Arbeit dienen will: so heisst auch die c h r i s t l i c h e D o g m a t i k , als theologische Wissenschaft, c h r i s t l i c h nicht, um damit dem Charakter ihrer A r b e i t von vorneherein ein Zeugniss auszustellen, sondern einfach, weil sie das christliche Dogma zum G e g e n s t a n d e hat, und weil sie allerdings mit der Durchforschung desselben der christlichen Gemeinschaft, deren Dogma es ist, einen praktischen Dienst leisten will. Allein welchen? das hängt erst von ihrem Ergebniss ab, und dieses erlaubt auch erst ein Urtheil darüber, in welchem Grad und Sinn auch die p e r s ö n l i c h e Ueberzeugung bei der Arbeit den Anspruch auf das Prädicat des Christlichen mache. C h r i s t l i c h e Dogmatik ist die w i s s e n s c h a f t l i c h e Durcharbeitung des c h r i s t l i c h e n Dogma's; welches Verhältniss der persönlichen Ueberzeugung zu demselben sich dadurch auch herausstellen mag — , die Aufgabe selbst ist die gleiche: sie ist bedingt durch den allgemeinen Begriff von der Aufgabe der Wissenschaft überhaupt und durch den speciellen Begriff ihres Objectes. 3. Nun ist das christliche Dogma der geschichtlich ausgeprägte Ausdruck des Bewusstseins der (oder einer) christlichen Gemeinschaft von ihrem sie einigenden und tragenden religiösen R e a l p r i n c i p . Die D o g m a t i k , als W i s s e n s c h a f t davon, ist daher vorab weder eine A u f s t e l l u n g von Dogmen, noch eine blos d o g m a t i s t i s c h e A u s f ü h r u n g geschichtlich gegebener Dogmen, noch kann sie in eine blos g e s c h i c h t l i c h e D a r s t e l l u n g derselben aufgehn. Das E r s t e r e ist überhaupt nicht Sache der Wissenschaft, sondern immer nur Sache einer religiösen Gemeinschaft; das Z w e i t e ist noch gar nicht wissenschaftliche Behandlung desselben, und das D r i t t e ist wenigstens noch nicht eine vollständige Durchführung der Aufgabe. Von welchem denkbar möglichen Verhältniss der persönlichen Ueberzeugung zum Dogma aus dessen wissenschaftliche Bearbeitung auch mag unternommen werden, — unumgänglich nothwendig fasst dieselbe, soll sie auf Vollständigkeit Anspruch machen, die im Paragraphen angegebenen Momente in sich. ' Natürlich aber finden diese je von dem verschiedenen persönlichen Verhältniss zum Dogma aus Biedermann,
Dogmatik 2. Aufl.
2
18
Einleitung.
auch eine verschiedene Durchführung; aber fehlen darf in alle "Wege keines. 4. Es sind wesentlich d r e i e r l e i Standpunkte im Verhältniss der persönlichen Ueberzeugung zum christlichen Dogma möglich, von denen aus die wissenschaftliche Bearbeitung desselben als Dogmatik kann unternommen werden, von denen jeder natürlich wieder sehr verschieden nüancirt sich geltend machen kann. Der eine ist der o r t h o d o x e oder auch p o s i t i v e . Der Dogmatiker hat am historischen Dogma, und zwar in der speciellen Bestimmtheit seiner eigenen Confession, den Ausdruck seiner persönlichen Glaubensüberzeugung nach Form und Inhalt. Er stellt zugleich seinen perliclien Glauben dar, indem er das historische Dogma seiner Kirche darstellt. Ob er ganz unmittelbar, um der für ihn vollgültigen Autorität seiner Kirche willen, oder ob und wie er innerlich vermittelt diese Stellung einnimmt: seine Dogmatik muss jedenfalls darlegen, dass und wie das Dogma seiner Kirche der zutreffende Ausdruck auch seines Glaubens sei. Der entgegengesetzte Standpunkt ist der kurzweg n e g a t i v e , der h e t e r o d o x e im absoluten Sinn, der sich selbst f r e i nennen mag in dem Sinn, dass er mit dem Dogma und der Gemeinschaft, deren Dogma es ist, gar nichts gemein habe. Dieser Standpunkt kann aber ja auch sich veranlasst sehn sich durch eine wissenschaftliche Verarbeitung des Dogma's bewahrheiten zu wollen, besonders wenn einer, was ja meistens der Fall sein wird, sich persönlich selbst erst aus einer positiven Stellung zur Gemeinschaft und ihrem Dogma herausgearbeitet hat. Und zwar sind da noch zwei Grade in dieser negativen Stellung zum christlichen Dogma zu unterscheiden. Entweder soll nur das c h r i s t l i c h e Dogma, als Glaube der christlichen Religion, negirt, aber dadurch gerade die w a h r e Religion an den Tag gebracht werden; oder es soll damit a l l e Religion substantiell verneint werden. Will nun der wissenschaftliche Beweis für die eine r e l a t i v e oder für die andere a b s o l u t e Verneinung durch die wissenschaftliche Verarbeitung des christlichen Dogma's geleistet werden: so ist dieses eben auch Dogmatik. Allerdings wird der Autor selbst nicht gerade den Titel Dogmatik wählen, da derselbe ja doch immerhin das Präjudiz einer irgendwie positiven Stellung zum Dogma erweckt. Im ersteren Fall, dass einer damit nur die c h r i s t l i c h e Religion verneinen, hingegen einen religiösen Neubau begründen will, wird er seine Arbeit lieber allgemeiner als Religionsphilosophie, oder specieller „als Religion des Geistes" bezeichnen. Im zweiten Fall wird er auch dieses nicht mehr thun, sondern er wird einem völlig religionsfreien Titel den Vorzug geben. Aber formell wäre doch beides Dogmatik, sofern nämlich das negative Ergebniss in der Form einer wissenschaftlichen Verarbeitung des christlichen Dogma's zu gewinnen unternommen wird.
Einleitung.
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Der dritte der möglichen Standpunkte, der zwischen den beiden genannten steht, ist der k r i t i s c h e ,
der am christlichen Dogma W a h r e s ,
mit dem die persönliche Ueberzeugung sich eint, und U n w a h r e s , diese abstreift, unterscheidet. viele Nuancen
und Grade:
das
Dieser Standpunkt hat vollends unendlich qualitativ,
wie
beides unterschieden
wird;
quantitativ, wie v i e l oder wie w e n i g vom historischen Dogma schliesslich auf Seite des festgehaltenen Wahren, oder des abgestreiften Unwahren fällt.
Wie
immer aber, — stets wird
das Unwahre auf Rechnung
der
endlich-menschlichen Bewusstseinsform geschrieben, das Wahre dagegen als der substantielle religiöse Kern gefasst werden, mit dem es auch seine — ob nun erkennbare oder nicht erkennbare — metaphysische und, was damit doch in letzter Instanz zusammenfällt, seine göttliche Richtigkeit habe. Von allen diesen drei Standpunkten persönlicher Ueberzeugung aus, die
in
allen
möglichen Nüancirungen
in
machen, hat die Aufgabe einer Dogmatik,
der
That
auch sich
geltend
als Wissenschaft vom christ-
lichen Dogma, die g l e i c h e n Momente, deren vollständige Durchführung allein
eine Behandlung
des Dogma's zur Wissenschaft vom Dogma und
zur wissenschaftlichen Begründung der eigenen persönlichen Stellung zu demselben macht.
Von jedem Standpunkt
aus werden
sie
nun freilich
sehr verschieden zur Geltung gebracht werden. 5.
Das e r s t e Moment natürlich ist die h i s t o r i s c h e
Darstellung.
Das versteht sich von selbst; denn das Dogma ist der in bestimmter geschichtlicher Form gegebene positive.Stoff.
Der p o s i t i v e ,
orthodoxe
Standpunkt konnte zur Zeit, wo er noch naiv war, dieser Forderung schon Genüge gethan zu haben glauben, wenn er nur die
Dogmen
in
ihrer
richtigen Form einfach aus den authentischen Quellen der Bekenntnissschriften darlegte und über diese geschichtliche Unmittelbarkeit hinaus nur noch etwa nachzuweisen unternahm, dass sie auch in dem ebenfalls dogmatisch für die alleinige Quelle erklärten „Worte Gottes" geschichtlich gegeben seien. Erst
der
als
Rationalismus
auftauchende
kritische
Standpunkt
hatte das Verdienst, es geltend zu machen,
dass damit der Aufgabe der
historischen Darstellung
Genüge
noch
lange
keine
Dogma habe seine Geschichte in der Kirche; geschichtlichen Genesis dargestellt werden, nur
dies
sei
wirklich
geschichtliche
Forderung h i s t o r i s c h - g e n e t i s c h e r
geschehen sei:
das
es müsse daher in seiner
als Product
Darstellung Darstellung
des
der
Geschichte;
Dogma's.
Diese
der Dogmen für die
Dogmatik geltend gemacht zu haben, war in der That das unbestrittene Verdienst der Aufklärungstheologie, wenn sie selber auch am allerwenigsten wirklich
historischen
Sinn
dazu
mitbrachte
und nur
für
äussere
Pragmatik Geschick hatte, nur die äusseren Hergänge zu erzählen, nichts aber von innerer Entwicklung nachzuweisen verstand. historisch-genetischer
Dieser Forderung
Darstellung des Dogma's brauchte nun aber,
2*
20
Einleitung.
wenn sie einmal gestellt war, auch der o r t h o d o x e Standpunkt sich nicht zu entziehen; er brauchte die Geschichte des Dogma's ja nur als die richtige Entfaltung der Offenbarungswahrheit im „Worte Gottes" zu nehmen. — Allein auch bis in dieses „Wort Gottes" selbst zurück machte der kritische Standpunkt nach und nach immer entschiedener die Forderung historisch-genetischer Auffassung geltend. Auch hier fügte sich endlich, freilich nachdem er sich mit allen Künsten vergeblich widersetzt hatte, auch der orthodoxe Standpunkt. Warum auch nicht? Hat Gott sich in der Geschichte geoffenbart, so wird die Offenbarung in seinem „Worte" ebenfalls geschichtliche Form an sich tragen: nur soll diese in der Bibel documentirte Geschichte des Glaubensbewusstseins im Licht einer g ö t t l i c h e n O f f e n b a r u n g s g e s c h i c h t e und nicht einer m e n s c h l i c h e n E n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t e aufgefasst werden. Dass ein n e g a t i v e r Standpunkt die erste und Hauptaufgabe der Dogmatik in die historisch-genetische Darstellung des Dogma's setzen wird, versteht sich von selbst; geht sie ihm doch leicht ganz darin auf: sei's, dass er auf dem Stadium der alten Aufklärung schon in der Geschichte der „wechselnden Lehrmeinungen" deren Widerspruch mit der „vernunftgemässen Wahrheit" genugsam nachgewiesen zu haben meint; sei's, dass er philosophisch die Geschichte des christlichen Glaubensprocesses im Lichte des jede seiner Entwicklungsphasen hinter sich abstreifenden dialektischen Processes der Weltvernunft darstellt. 6. Mit der historischen Darstellung ist aber die Aufgabe der Dogmatik für keinem Standpunkt schon erfüllt. Das Dogma will in der Geschichte der richtige Ausdruck der christlichen Glaubenswahrheit, der richtige Ausdruck ihres P r i n c i p e s und seiner nothwendigen Consequenzen sein: von jedem Standpunkt aus gehört daher nothwendig z w e i t e n s zu einer wissenschaftlichen Darstellung, dass das Dogma auf diesen seinen geschichtlichen Anspruch hin geprüft, der d o g m a t i s c h e n K r i t i k , in dem von R o t h e fixirten Sinn, unterworfen werde: ob und wie weit es jeweilen an dem Ort in der Geschichte, wo es zum Dogma gestempelt worden, auch wirklich das sei, was es sein will, der richtige Ausdruck des religiösen Principes der christlichen Gemeinschaft. Mag auch der persönlich o r t h o d o x e Dogmatiker diese dogmatische Kritik vom Standpunkt seiner Confession aus ganz dogmatistisch vollziehen: vollziehen muss er sie doch, und zwar als besonderes Moment seiner Aufgabe neben der rein historischen Darstellung. Denn der Grad von autoritativem Positivismus, dem schon die einfache Thatsache, dass die Kirche ein Dogma aufgestellt hat, unmittelbar dafür genügt, dass es auch wirklich zu glauben sei, dieser Grad von Autoritätsglauben, dem das „Roma locuta est" von vornherein Glaubensgrund genug ist, steht so sehr ausser aller Wissenschaft, dass auch auf dem positivsten Standpunkte wenigstens der Schein
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davon vermieden, und das Dogma doch irgendwie aus sich selbst gerechtfertigt werden muss. Eine Dogmatik von persönlich n e g a t i v e m Standpunkt aus wird diese specielle Aufgabe der dogmatischen Kritik nur dann überspringen, wenn sie über ihrem negativen Endziele die einfache historische Pflicht übersieht, der Geschichte auf jedem Stadium gerecht zu werden, also jedes Dogma unter seinen .geschichtlichen Bedingungen zu würdigen. Dadurch würde sie aber nur ihre knabenhafte Unzulänglichkeit, geschichtliche Erscheinungen richtig zu verstehen und zu beurtheilen, blosstellen. Für den k r i t i s c h e n Standpunkt endlich ist die Aufgabe einer geschichtlich unbefangenen, rein objectiven dogmatischen Kritik der Dogmen der verschiedenen Confessionen eine selbstverständliche Forderung wissenschaftlicher Darstellung derselben. 7. Da das Dogma als Lehrsatzung der Kirche ein Product der Geschichte ist, so kommt neben dem Inhalt, den es hat ausdrücken sollen, auch die F o r m , in der dieses geschehen ist, in Betracht. Der menschliche Geist fasst ja allen objectiv ihm gebotenen Inhalt in seine subjectiven Denkformen und hat ihn nur so in seinem Bewusstsein. Was der menschliche Geist so in der Geschichte gethan hat, das hat aber die Wissenschaft auch das Recht und die Pflicht zu prüfen, ob es auch in den denkrichtigen Formen geschehen sei. Jedem Gedankenausdruck in der Geschichte gegenüber kommt der Wissenschaft auch die Aufgabe der V e r s t a n d e s k r i t i k seiner denkmöglichen Form zu. Ohne die Erfüllung dieser Aufgabe ist sie noch nicht Wissenschaft. V e r s t a n d e s k r i t i k der F o r m des Dogma's ist daher für jeden Standpunkt der persönlichen Ueberzeugung eine d r i t t e unerlässliche Aufgabe der Dogmatik; ihre Erfüllung ist ja gerade die Rechtfertigung des Standpunktes selbst. Der o r t h o d o x e Standpunkt vollzieht sie natürlich in der Form, dass er die geschichtliche Form des Dogma's auch als den adäquaten menschlichen Ausdruck seines objectiv göttlichen Wahrheitsinhaltes zu rechtfertigen sucht; sei's, dass er sie der „natürlichen Vernunft" als vernunftgemäss darzustellen unternimmt; sei's, dass er den Widerspruch mit derselben nicht nur von vornherein zugesteht, sondern gerade als Kriterium der Wahrheit geltend macht, indem für die inhaltlich „übernatürliche" Wahrheit auch eine die Logik der natürlichen Vernunft übersteigende Form eine ganz vernünftige Consequenz für den Verstand sei. Auch das Weitere widerspricht dem orthodoxen Standpunkte noch nicht, nöthigenfalls dem kritischen zuzugestehn — denn von sich aus wäre er allerdings schwerlich auf dieses Zugeständniss gekommen —, dass auf diesem oder jenem Punkte die alte Dogmatik mit unzulänglichem Gedankenmaterial operirt habe und darum in eine Sackgasse absoluter Widersprüche gerathen sei, z. B. in der Trinitätslehre mit ihrem Begriff von Person, in
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Einleitung.
der Christologie mit dem Begriff der Naturen. Kurz, wie sie es auch an die Hand nehmen möge, ohne Verstandeskritik der Form des Dogma's — und sollte diese auch auf eine vollständige Rechtfertigung hinauslaufen — wird auch die orthodoxeste Dogmatik ihre Aufgabe am Dogma nicht für erfüllt ausgehen können. Einem n e g a t i v e m Standpunkte geht die Aufgabe einer wissenschaftlichen Verarbeitung des Dogma's schliesslich ganz in dessen Verstandeskritik auf, ob er nun den religiösen Inhalt kurzweg in dessen Vorstellungsfotm setzt und damit unmittelbar mit dieser kritisch abgethan glaubt; oder ob er zwar beides immer noch unterscheidet, aber in der widerspruchsvollen Form, in die sich der religiöse Inhalt consequenter "Weise habe ausprägen müssen, den Beweis für seine inhaltliche Unwahrheit erblickt. Der k r i t i s c h e Standpunkt dagegen, auf jeder Stufe und von jeder Nuance, wird sich gerade darin- geltend machen, dass er von der geschichtlichen Form des Dogma's durch seine Verstandeskritik den Wahrheitsgehalt desselben auszuscheiden und sich selbst damit zu rechtfertigen unternimmt. Kurz: V e r s t a n d e s k r i t i k an der F o r m gehört für jeden Standpunkt zur wesentlichen Aufgabe der Wissenschaft vom Dogma. 8. Unabtrennbar von dieser Aufgabe der Kritik ist endlich v i e r t e n s ihre Kehrseite, die p o s i t i v e A u s p r ä g u n g des durch die Kritik als theoretisches Problem zu Tage geförderten religiösen Inhaltes in den eigenen theoretischen Bewusstseinsformen. Natürlich je nach der Beschaffenheit und dem Ergebniss der Kritik gewinnt von jedem Standpunkt aus auch diese positive Aufgabe eine andere Gestalt und namentlich auch eine andere Stellung zum Ergebniss der Kritik. Auf keinem aber fällt sie ganz zusammen mit dieser; auf jedem bleibt sie ein besonderes und zwar nothwendiges Moment der Gesammtaufgabe; auf jedem endlich fällt sie unter den allgemeinen Begriff einer „ s p e c u l a t i v e n " Verarbeitung. Für den o r t h o d o x e n Standpunkt scheint sie zwar einfach mit dem positiven Ergebniss der Verstandeskritik zusammenfallen zu wollen. Allein wie schon die alte Dogmatik einen Aufwand von bewunderungswürdigem speculativem Tiefsinn und Scharfsinn schon für die Ausprägung des Dogma's gebraucht hat, so kann auch heut zu Tage die rein apologetisch unternommene Prüfung derselben ohne Aehnliches aufzuwenden ihren positiven Zweck nicht erreichen, und unwillkürlich, weil unausweichlich, braucht sie dazu auch Denkmaterial aus der Gesammtbildung der Gegenwart. Darum wäre auch bekanntlich ein ganz orthodoxer Dogmatiker, d. h. einer, dessen Form seiner eigenen Fassung des Dogma's sich vollständig mit der der alten Dogmatik deckte, schwerlich zu finden, kaum in der katholischen, sicher nicht in der protestantischen Theologie. Ja,
Einleitung.
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innern Werth hat eine moderne orthodoxe Dogmatik als Wissenschaft gerade nur dadurch, dass sie „die alte Wahrheit in neuer Form" wiederzugeben bemüht ist. Wie die Aufgabe der speculativen Ausprägung des Inhaltes des Dogma's im eigenen Gedanken für den orthodoxen Standpunkt mit dem positiven Ergebniss seiner Kritik zusammen zu fallen scheint, so für den n e g a t i v e n Standpunkt mit dem negativen Resultat seiner Verstandeskritik. Allein auch hier: geht sie ihm wirklich einfach darin auf, so hat er eben damit seine wissenschaftliche Unzulänglichkeit verrathen, indem damit ja am Tage liegt, dass er ein religiöses Princip, dessen Ausdruck das Dogma doch sein will und als was es behandelt werden soll, von den einzelnen religiösen Vorstellungen nicht zu unterscheiden weiss. Unterscheidet er aber beides nur irgend wie, so bleibt ai^ch dem n e g a t i v e n Standpunkte nach der Kritik immer noch zu sagen übrig, was er denn als den eigentlichen Kern dieser Vorstellungen ansieht, den er dann freilich ebenfalls verwirft, ob nun als noch nicht die volle religiöse Wahrheit, oder als unwahr überhaupt, weil gerade noch religiös. In beiden Fällen kann es ohne etwas speculative Arbeit nicht abgehn. Im erstem Fall wird sie sich im Gegentheil in sehr intensiver Weise geltend machen, wie das Beispiel von H a r t m a n n zeigt; und auch im zweiten Fall könnte nur aufklärerische Unwissenheit sich einbilden kurzen Process machen zu dürfen. Für den k r i t i s c h e n Standpunkt wird gerade die Hauptaufgabe darauf gerichtet sein, mit der kritischen Ausscheidung des Unwahren nun auch das Wahre zum rechten Ausdruck zu bringen. Diese Aufgabe wird aber eine sehr verschiedene Gestalt annehmen, je nach dem, worin dieser Gegensatz gesucht wird: bald in einem Mehr oder Weniger annehmbarer theoretischer Aussagen des Dogma's; bald in einer Unterscheidung von Kern und Schaale daran; bald in einer Unterscheidung von religiöser Substanz und theoretischer Reflexion darüber. Im e r s t e r e n Fall wird die positive Aufgabe immer in dem Stehenlassen des Unangefochtenen bestehn; daran ist denn freilich wenig Speculatives. Doch wenn diess Unangefochtene sich auf das blosse Postulat einer nicht näher zu bestimmenden Voraussetzung reducirt: so stellt sich doch sofort die speculative Aufgabe ein, von dem subjectiven Wissensbesitz aus diess Postulat zu begründen. Im z w e i t e n Fall, der Unterscheidung von K e r n und S c h a a l e am Dogma im Sinn des theoretischen Problemes darin und der jeweiligen Form seiner Lösung, da erwächst aus dem Ergebniss der Verstandeskritik der bisherigen Lösungen die Aufgabe, in welcher der Dogmatiker sein eigenes Ziel der wissenschaftlichen Durcharbeitung des Dogma's erkennen muss, das Problem, das ihm die ganze Geschichte des Dogma's vorlegt, die Geschichte seiner Ausprägung von der positiven, die
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Geschichte seiner Kritik nach der negativen Seite, den Kern nun in seinem eigenen Denkmaterial möglichst adäquat auszuprägen. Das ist nun aber iu alle Wege, was immer das specielle Verfahren dabei sein möge, eine speculative Arbeit im eminenten Sinne des Wortes. Allein demjenigen, der auf diese Arbeit schliesslich sein Hauptgewicht in der Dogmatik legt, daraus den Vorwurf machen, „er sehe die Religion in erster Linie darauf hin an, ob sie metaphysische Probleme enthalte", das ist, zum allergelindesten ausgedrückt, eine höchst unbedachte Rede. Für jede Wissenschaft hat die denkende Lösung der in ihrem Gegenstande liegenden Probleme allerdings das nächste und höchste Interesse; dazu ist sie Wissenschaft. Dem, der sie unternimmt, kann aber ihr Gegenstand im Leben noch ein ganz anderes, noch unmittelbareres Interesse haben. — Im d r i t t e n Falle. vollends, wenn man die Unterscheidung von Kern und Schaale zugleich noch in einem ganz anderen Sinne versteht, in dem von r e l i g i ö s e r Substanz und t h e o r e t i s c h e r Fassung, und der kritische Dogmatiker auch diese Unterscheidung durchzuführen zum positiven Ziel seiner Verarbeitung des Dogma's macht, ist jene Nachrede mehr als nur unbedacht. — Die letztere Unterscheidung von religiöser Substanz und theoretischer Lehrform des Dogma's kann aber auch von einem Religionsbegriff aus unternommen werden, der das religiöse und das theoretische Bewusstsein nicht bloss u n t e r s c h e i d e t , sondern von Grund aus von einander g e s c h i e d e n wissen will. Dieser Standpunkt wird dann die letzte positive Arbeit der Dogmatik darein setzen, einfach den Inhalt des religiösen Bewusstseins im Dogma voll zum Ausdruck kommen zu lassen, mit Beiseiteschiebung aller rein theoretischen Probleme, die in der Form des kirchlichen Dogma's liegen mögen. Diese Form von Auffassung der wissenschaftlich letzten positiven Aufgabe des Dogmatikers erspart sich allerdings viel speculative Arbeit; allein ohne alle Speculation, Gedankenzusammenfassung vom eigenen Innern aus, kann es auch für sie nicht abgehn, soll anders das letzte Resultat nicht absichtlich blos auf vieldeutige Phrasen hinauslaufen. — Kurz in irgendwelcher Form muss die e i g e n e G e d a n k e n a u s p r ä g u n g der im kirchlichen Dogma enthaltenen religiösen Probleme, und zwar, weil das Dogma Ausdruck des P r i n c i p s der kirchlichen Gemeinschaft sein will, der in ihm a u s d r ü c k l i c h gestellten Probleme, ein unerlässliches Moment der wissenschaftlichen Durcharbeitung des Dogma's, also der Dogmatik als Wissenschaft bilden. 9. Die Dogmatik stellt sich mit ihrer wissenschaftlich freien Verarbeitung des Dogma's endlich stets auch noch die p r a k t i s c h e Aufgabe, der kirchlichen Gemeinschaft selbst damit einen Dienst zu erweis,en. Ja selbst eine Dogmatik, welche eine ganz n e g a t i v e Stellung zur Kirche und ihrem Dogma einnimmt, verbindet mit ihrer Verarbeitung des Dog-
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ma's doch ebenfalls einen praktischen Zweck,. freilich den negativen, die eigene negative Stellung zu der religiösen Gemeinschaft wissenschaftlich zu begründen: bestehe diese negative Stellung nun blos in einer innerlichen Loslösung, oder auch in einer äusserlichen Lossagung, wenigstens für sich und sein „ W i r " ; oder habe sie die weitere Tendenz, die Gemeinschaft, f ü r die sie berechnet ist, zur Aufhebung ihrer gegenwärtigen Grundlage und zu einem völligen „Neubau" zu bewegen. Freilich, wenn eine Dogmatik wirklich diesen negativen praktischen Zweck hätte, würde sie sich, wie gesagt, kaum mehr selbst „Dogmatik" nennen wollen, da der Name doch eine nähere positive Beziehung zur Kirche dieses Dogma's erwarten lässt. Wer daher über die „christliche Dogmatik" eines Anderen urtheilt, sie führe essentiell über das Christenthum hinaus, der wird an ihm die Beibehaltung des Namens Dogmatik tadeln und höchstens mit dem Zweck einer glimpflichen Ueberleitung zu einem Neubau ohne revolutionären Umsturz entschuldigen. Der Autor selbst dagegen wird von seiner persönlichen Ueberzeugung aus, dass er durch seine Verarbeitung des Dogma's, wie tief sie auch einschneiden möge, gerade nur dessen religiösen Kern zur Anerkennung bringen wolle, den Namen mit Recht beibehalten und mit Nachdruck geltend machen; denn seine Arbeit will allerdings als t h e o l o g i s c h e dem religiösen Zwecke seiner Kirche dienen, mag nun auch diese in ihrer jeweiligen Repräsentation ihm dafür Dank wissen oder nicht. Hingegen ist es zum mindesten missverständlich und irreleitend, wenn der Zweck der Dogmatik von vornherein als „gemeinsame Verständigung mit den Genossen des Glaubens über den Inhalt desselben und über den diesem Inhalt angemessensten gedankenmässigen Ausdruck" bezeichnet w i r d l ) . Gewiss ist dies der praktische Endzweck des Dogmatikers; allein diese Ausdrucksweise erweckt zu unwillkürlich den Schein, als ob die ganze wissenschaftliche Arbeit auf einer dogmatistischen Voraussetzung des Glaubens, wenn auch in unbestimmter Fassung beruhen müsse, um auf den Namen Dogmatik Anspruch zu haben. Es ist diess immer noch ein Rest von dem verhängnissvollen Vorurtheil, als ob der Name Dogmatik nicht blos den G e g e n s t a n d der so bezeichneten Wissenschaft fixire, sondern auch eine dogmatistische Behandlung desselben ankündige. In erster Linie soll aber der Dogmatik ganz unzweideutig der Charakter g a n z e r , f r e i e r Wissenschaft gewahrt werden. Nur dadurch, dass sie die hiedurch ihr gestellte Aufgabe erfüllt, soll sie der Glaubensgemeinschaft dienen wollen. Und nur in dem Maass, als sie es unbeirrt durch Seitenblicke auf praktische Rücksichten irgendwelcher Art thut, leistet sie ihr auch den wahren Dienst, den die Wissenschaft überall dem ') L i p s i u s , Dogmatik § 1.
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Leben zu leisten berufen ist, Förderung einer der Erkenntniss der Wahrheit gemässen inneren und äusseren Lebensgestaltung. Hingegen als eine „Verständigung unter den Glaubensgenossen", — so leitet sich nicht eine freie Untersuchung, sondern eine Verabredung ein, bei der man den guten Willen kund giebt, um des Friedens willen einander billig vor- und nachzugeben. 10. Nach dieser auf den Begriff des D o g m a ' s und den Begriff der A u f g a b e a l l e r W i s s e n s c h a f t basirten Darlegung der G e s a m m t a u f g ä b e der Dogmatik, als der Wissenschaft vom Dogma, habeich nicht mehr nöthig mich hier noch speciell mit anderen Auffassungen derselben auseinanderzusetzen 1 ). Nur nach zwei Seiten hin habe ich diese e i n h e i t l i c h e Gesammtaufgabe der Dogmatik zu sichern gegenüber gewichtigen Autoritäten, welche nicht der Glaubenswissenschaft überhaupt, wohl aber, innerhalb dieser, speciell der „Dogmatik" eine engere Grenze ziehen. S c h l e i e r m a c h e r 1 ) definirt die Dogmatik als „die Wissenschaft von dem Zusammenhange der in einer christlichen Kirchengemeinschaft zu einer gegebenen Zeit geltenden Lehre", nachdem er einleitend ihre theologische Abgrenzung gegen die Philosophie durch „Lehnsätze" aus der Philosophie und der „philosophischen Theologie" festgestellt hat. Nun aber geht sein eigenes classisches Werk so augenfällig über den nächsten Wortverstand dieser Definition hinaus, dass man sich von vornherein veranlasst sieht nach dem tieferen und darum eine umfassendere Aufgabe in sich schliessenden Sinn, in welchem er dieselbe verstanden wissen wollte, zu fragen. Diesen finden wir in R o t h e ' s „bündiger" Definition: „die Dogmatik ') Wesentlich gleich bestimmt S c h e n k e l (die christliche Dogmatik, Einleitung) die Aufgabe der Dogmatik. Gegenstand dieser „nicht blos historischen, sondern wesentlich systematischen Disciplin" sei „das christliche Heil als göttliche Heilsthatsache": — das religiöse Realprincip. Diese Heilswahrheit solle „als wissenschaftlich zusammenhängendes Ganzes" dargestellt werden: — Darstellung der historischen und systematischen Entfaltung jenes Principes in seinem Inhalt. Es sei diese Heilswahrheit darzustellen, „wie sie geschichtlich entwickelt ist in der Form des christlichen Glaubensbewusstseins": — das Dogma als historischer Ausdruck des Bewusstseins der Gemeinschaft von ihrem religiösen Princip. Endlich solle die Darstellung „in der persönlichen Ueberzeugung des Darstellenden begründet sein: — der Dogmatiker soll jenen Stoff in letzter Instanz zu derjenigen Gedankenform ausprägen, die ihm als der reine Ausdruck der in ihm enthaltenen Wahrheit aus der wissenschaftlichen Verarbeitung der Geschichte resultirt. — So verschieden die Fassung jedes Momentes ist, und so verschieden auch die Durchführung sein mag, die allgemeine Fassung der Aufgabe der Dogmatik ist doch wesentlich die gleiche. *) S c h l e i e r m a c h e r , der christliche Glaube.
§ 19.
Einleitung.
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ist die systematische oder (was damit gleichbedeutend ist) die wissenschaftliche Darstellung der in einer bestimmten Kirchengemeinschaft öffentlich geltenden kirchlichen Lehre, — oder ausführlicher: die wissenschaftliche Darstellung der Lehrsätze, in welchen eine kirchliche Gemeinschaft ihr eigenthümliches frommes Bewusstsein ausdrücklich und authentisch in begrifflicher Weise ausgesprochen hat, nach ihrem inneren Zusammenhang unter einander. Demgemäss ist die Dogmatik wesentlich eine p o s i t i v e und zwar näher eine h i s t o r i s c h - k r i t i s c h e Disciplin. Sie hat ihr gegebenes Object an der positiven, historisch gegebenen Kirchenlehre; sie hat diese zu einem wissenschaftlichen Lehrsysteme zu c o n s t r u i r e n und eben damit kritisch zu ermitteln, ob und wie weit sie ihrem e i g e n e n B e g r i f f e wirklich entspricht 1 )". Diese Darstellung habe — wie R o t h e im Vorhergehenden treffend ausgeführt — den inneren Zusammenhang ausdrücklich herauszustellen, in welchem die Dogmen der betreffenden Kirche gedacht werden. Diess sei aber die alle einzelnen Dogmen innerlich zusammenhaltende, gemeinsame Beziehung auf die specifische Grundbestimmtheit des in ihnen sich gedankenmässig darlegenden, einheitlich bestimmten religiösen Bewusstseins; also müsse die Dogmatik weiter hindurchdringen zur Herstellung des inneren Zusammenhanges, vermöge der Auffindung des alles Einzelne beherrschenden und eben deshalb auch organisirenden Grundprincipes. Diess alles ist genau dasselbe,, was wir unter der Zurückführung der einzelnen Dogmen auf ihr christliches Realprincip und unter der historischgenetischen Ableitung aus demselben verstehen. Diese Darstellung — führt R o t h e weiter aus — wird von selbst auch zu einer Beurtheilung der Dogmen, zu einer K r i t i k derselben, aber nnr zu einer bei aller Freiheit gebundenen, d o g m a t i s c h e n : nämlich nur zu einer Kritik der Dogmen am Maassstab ihrer eigenen Principien. Ganz dasselbe, was auch wir als d o g m a t i s c h e K r i t i k der Dogmatik zur Aufgabe stellen. Nun aber fährt R o t h e fort: das p o s i t i v e und das k r i t i s c h e Element in der Dogmatik seien reinlichst auseinander zu halten. Eine s p e c u l a t i v e Disciplin sei sie durchaus nicht; eine „speculative Dogmatik" sei vielmehr ein hölzernes Eisen. Damit scheint er die autonome Verstandeskritik der Form des Dogma's und die speculative Ausprägung seines religiösen Inhaltes in den adäquaten Gedankenausdruck kurzweg von der Aufgabe der Dogmatik auszuschliessen. Freilich — heisst es jedoch weiter — ohne den Besitz eines speculativen Systems und zwar eines selbständig t h e o l o g i s c h e n , könne sie ihr kritisches Geschäft, wenigstens wenn es wissenschaftliche Haltung ') R o t h e , zur Dogmatik, S. 14£f.
28
Einleitung.
haben solle, nicht vollziehen. Darum müsse sie ein solches als unentbehrliches Instrument voraussetzen, und wer keines habe, der sei als Dogmatiker freilich übel daran. Aber das allerschwächste und ungeniessbarste sei ein mixtum compositum aus positiven und speculativen Elementen unter dem Namen der Dogmatik '). Gewiss, wenn eine Dogmatik wirklich ein derartiges mixtum compositum ist: wenn auf der einen Seite als I n h a l t unverarbeiteter Stoff aus dem historischen Dogma mit ganz heterogenen Ideen aus irgend einer Religionsphilosophie zusammengeschweisst werden, und eben darum andererseits, wo die speculative F o r m für dieses mixtum nicht reichen will, Formeln aus dem alten Dogma phrasenhaft zur Deckung der Blosse zu Hülfe genommen werden. Eine solche Dogmatik ist allerdings ein mixtum compositum, weder Fisch noch Fleisch. Allein was mit vollem Rechte gegen eine V e r m i s c h u n g trifft, das trifft nicht zu gegen die ganz einfache vollständige V e r e i n i g u n g beider Momente, des historischen und des speculativen, in der Dogmatik. Diese ist allerdings eine p o s i t i v e Wissenschaft, sie hat am Dogmencomplex der verschiedenen Kirchen, weiter zurück an dem Einen christlichen Dogma einen ganz bestimmten positiven, geschichtlich gegebenen Stoff; diesen und nichts Anderes, nichts ihm von aussen Beigemischtes oder ihm Untergeschobenes, hat sie wissenschaftlich zu verarbeiten: dadurch hat sie fraglos den Charakter einer h i s t o r i s c h e n , p o s i t i v e n "Wissenschaft. Allein sie ist eben Wissens c h a f t ; sie hat diesen Stoff wissenschaftlieh durchzuarbeiten, durch und durch, soweit als überhaupt die Möglichkeit wissenschaftlicher Verarbeitung eines Gegenstandes von der allgemeinen Natur des hier gegebenen, nämlich eines in d e r G e s c h i c h t e t h a t s ä c h l i c h z u e i n e m L e h r s y s t e m s i c h e x p l i c i r e n d e n g e i s t i g e n P r i n c i p e s , reicht. Dürfen wir nun doch eine mit Reflexion auf das Wesen und die Gesetze des Erkennens unternommene und damit in das innere Wesen eines geistigen Stoffes eindringende Behandlung ausdrücklich eine p h i l o s o p h i s c h e nennen: so wird überhaupt eine wissenschaftliche Dogmatik ganz einfach ihrem S t o f f e nach p o s i t i v c h r i s t l i c h , ihrer F o r m nach p h i l o s o p h i s c h sein müssen — ; deswegen braucht sie aber doch weder in ihrem Stoff noch in ihrer Form ein G e m i s c h von Positivem und Speculativem zu sein. Dass sie Verarbeitung eines speciell dem Gebiete der christlichen Kirche angehörigen Stoffes ist und auch einen praktischen Zweck für dieselbe im Auge hat, das macht ihren Charakter als t h e o l o g i s c h e r Wissenschaft aus. Nur hierin besteht der t h e o l o g i s c h e Charakter einer
') Seltsamer Weise nimmt R o t h e von diesem Vorwurf ausdrücklich W e i s s e ' s „philosophische Dogmatik" aus, — und doch passt sein Vorwurf wenn auf irgend eines, gerade auf dieses Werk.
Einleitung.
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wissenschaftlichen Disciplin, nicht aber in einer besonderen Art wissenschaftlicher Behandlung', etwa im Gegensatz zu einer philosophischen Behandlung. Das liefe einfach auf eine d o g m a t i s t i s c h e , von der Kirche vorgeschriebene, d. h. eben auf eine u n w i s s e n s c h a f t l i c h e Behandlung hinaus. Die wahrhaft wissenschaftliche Behandlung eines Stoffes von der Art, wie das Object der Doginatik ist, muss eine p h i l o s o p h i s c h e sein, in der wissenschaftlichen Vereinigung der beiden M o m e n t e alles wirklichen Philosophirens: des E m p i r i s c h e n und des S p e c u l a t i v e n . Wenn man nicht .unbesonnen p h i l o s o p h i s c h und s p e c u l a t i v kurzweg identificirt, wird man doch mit allem Recht die g a n z e wissenschaftliche Durcharbeitung eines geistigen Stoffes, die mit Reflexion auf das Wesen der Erkenntniss und ihres Verhältnisses zu dem in Frage liegenden Stoffe durchgeführt wird, p h i l o s o p h i s c h nennen, und daran das p o s i t i v e Moment, die e m p i r i s c h e , hier geschichtliche Kenntnissnahme Von dem Stoff nebst der inductiven Kenntnissnahme von dem in diesem sich manifestirenden Realprincip, und das s p e c u l a t i v e Moment, die begriffliche Fassung und Explication dieses Realprincips, unterscheiden. In diesem Sinn und in keinem anderen ist die um ihres S t o f f e s und praktischen Z w e c k e s willen t h e o l o g i s c h e Disciplin der Dogmatik ihrer wissenschaftlichen Form nach p h i l o s o p h i s c h , und hat als diese die beiden Momente des e m p i r i s c h e n und des s p e c u l a t i v e n Verfahrens in sich zu vereinen und ist als diess nichts weniger als ein mixtum compositum. Wenn ferner — wieder nach R o t h e 1 ) — ein selbständiges speculatives System ein unentbehrliches Instrument für die Lösung der wissenschaftlichen Aufgabe der Dogmatik, auch nur schon wie er sie bestimmt, als dogmatische Kritik, sein soll: so wird die Dogmatik die Rechtfertigung des Instrumentes, das sie dazu brauchen will, ja brauchen muss, denn doch nicht als ausser ihrer Gesammtaufgabe liegend betrachten dürfen, auch wenn sie dieselben blos als „Lehnsätze" einführt. Wenn — -nach R o t h e — derjenige Dogmatiker übel daran ist, der keine speculative Theologie besitzt — und R o t h e durfte das schon sagen; denn er selbst besass eine solche und zwar eine sehr gediegene, und er hat sie auch dargelegt, nur nicht in der Dogmatik selbst — : so wird doch noch besser als der, welcher eine solche zu haben behauptet, sie aber im Hintergrunde hält, derjenige sich legitimiren, welcher das wissenschaftliche Instrument, das er zur kritischen Verarbeitung des historischen Stoffes handhabt, auch offen darlegt, dessen Gebrauch f ü r diesen Stoff rechtfertigt und durch die Gesammtarbeit die Probe zu leisten übernimmt, dass dasselbe nicht nur ein taugliches, sondern in Wahrheit das allein ganz ausreichende Instrument dazu sei. Oder es müsste denn sein, dass jemand als p r a k t i s c h ') a. a. 0. S. 16ff.
Einleitung.
30
speculativer Kopf fände, am allerbesten sei doch der daran, der für alle Fälle ein Rückzugsversteck mit zwei Ausgängen habe. Und in der That, es will mich bedünken, mit der sorgfältigen Ausscheidung aller Speculation aus der Dogmatik, mit der Fernehaltung einer bis auf den Grund der Dogmen dringenden autonomen Kritik von der relativen dogmatischen Kritik laufe es meistens ganz instinctiv dahin aus, die Kluft zwischen dem eigenen Denken und der geschichtlichen Form des Dogma's sich selbst weniger fühlbar und Anderen weniger bemerkbar zu machen. Ich glaube mich darum auch kaum zu irren, wenn ich den Eindruck habe, R i t s c h l ' s Religionstheorie und seine mit grosser wissenschaftlicher Energie daraus abgeleitete Abgrenzung der Theologie erfreue sich eines so grossen Beifalls in der gegenwärtigen Theologenwelt nicht blos um des unstreitig Wahren und wirklich Verdienstvollen daran, sondern nicht zum geringen Theil auch um des Vortheils willen, den sie zu bieten scheint, dass man es solle ablehnen können, wenigstens als Theologe, als Dogmatiker, über theoretisch heikle Fragen Rede zu stehen. Ich für meine Person dagegen bin der Ansicht, dass man mit Fug und Recht vom Dogmatiker erfahren wolle, wie er mit seinem eigenen theoretischen Denken sich zum ganzen Dogma, zu dessen religiösem Inhalt und auch zu seiner theoretischen Form, sich verhalte, und dass gerade seine Dogmatik selbst, als vollständige wissenschaftliche Verarbeitung des Dogma's, die Aufgabe habe, diess darzulegen und zu rechtfertigen. Dazu bedarf er allerdings etwas der speciell dogmatischen Arbeit selbständig Vorausgehendes; jedoch nicht ein ganzes System „speculativer Theologie". Diese kann und soll er als Theologe vielmehr erst aus der dogmatischen Arbeit selbst als wissenschaftliches Resultat gewinnen —, sondern einfach eine p h i l o s o p h i s c h e E r k e n n t n i s s t h e o r i e , mit deren Grundsätzen er an die Verarbeitung des positiven Stoffes der Dogmatik herantritt.- In der Durchführung derselben an diesem Stoffe besteht dann aber eben die vollständige Dogmatik selbst. Nach einer anderen Seite hin habe ich im Folgenden die V o l l s t ä n d i g k e i t der Gesammtaufgabe der Dogmatik gegen meinen verehrten Collegen A. S c h w e i z e r zu vertreten. § 5.
Dieselbe wissenschaftliche Aufgabe, wie die D o g m a t i k ,
hat auch eine „ c h r i s t l i c h e G l a u b e n s l e h r e n a c h tischen
Grundsätzen".
protestan-
Denn Gegenstand der so bezeichneten
Wissenschaft ist: erstens der c h r i s t l i c h e
Glaube,
als Inbegriff der Lehren,
in welchen die christliche Gemeinschaft ihrem religiösen Bewusstsein
Ausdruck
gegeben hat.
Die in
der geschichtlichen
Ent-
Einleitung.
31
wicklung jeweilen zur officiellen Anerkennung gelangte Form dieser Lehren ist aber das Dogma; darum wird jederzeit die wissenschaftliche Glaubenslehre einer kirchlichen Gemeinschaft zu diesem Stellung nehmen und ihre Lehrfassung durch die Kritik ihres Dogma's legitimiren müssen. Zweitens hat eine „Glaubenslehre" zu ihrem Object auch d a s G l a u b e n , d. h. die psychologische Form der menschlichen Aneignung religiösen Inhaltes, durch welchen subjectiven Factor die Form der Glaubenslehre von vornherein wesentlich mitbedingt ist. Das Wesen dieses subjectiven Factor's ist aus einer psychologischen Analyse des Erfahrungsphänomen's der Religion zu gewinnen, und erst das Verständniss desselben macht es überhaupt möglich, dem objectiven Wahrheitsgehalte positiver Glaubenslehren beizukommen und ihm den wissenschaftlich gereinigten Ausdruck zu geben. Der Zusatz „ n a c h p r o t e s t a n t i s c h e n G r u n d s ä t z e n " kann, gegenüber dem absolut autoritativen und damit eine wirklich wissenschaftliche Durcharbeitung ausschliessenden Princip der katholischen Glaubenslehre, nur die Aufgabe ausdrücken wollen, in der Darlegung der christlichen Glaubenswahrheit nicht aus blos autoritativen Gründen bei irgend einer von einer Kirchengemeinschaft zu bestimmter Zeit zum Dogma fixirten Form des Glaubens stehen zu bleiben, sondern mit Protest gegen eine derartige Anmaassung irgend einer kirchlichen Autorität hinter ihr Dogma auf dessen Grund zurück zu gehen, um aus diesem den der gegenwärtigen Stufe des theoretischen Bewusstseins adäquaten Ausdruck des christlichen Glaubens zu gewinnen. Diess alles zusammen erst macht die Wissenschaft einer „ christlichen Glaubenslehre nach protestantischen Grundsätzen „ aus. Diese Aufgabe fällt nun aber in allen Theilen mit dem, was wir als die einheitliche Gesammtaufgabe einer wissenschaftlichen „ D o g m a t i k " haben bezeichnen müssen, zusammen: mit der historisch-genetischen Darstellung des geschichtlichen Dogma's, der allseitigen autonomen Kritik desselben und der Ausprägung seines religiösen Kerns in der Form unsers Denkens. Indem aber diese gleiche Aufgabe in den Rahmen und unter den Namen einer „ D o g m a t i k befasst wird, ist
Einleitung.
32
1) der G e g e n s t a n d nicht enger, stimmt:
sondern nur g e n a u e r
be-
als der christliche Glaube, der in der Geschichte durch
den Process der kirchlichen üogmenbildung hindurchgegangen ist; 2 ) das E n d z i e l s c h ä r f e r präcisirt, dass die Aufgabe sei, das religiöse P r i n c i p des christlichen Glaubens zum Ausdruck im Bewusstseinsmaterial
der Gegenwart
zu
bringen und diess als das
ächte Resultat aus der Verarbeitung der kirchlichen Vergangenheit zu legitimiren, und 3 ) wird eben damit auch directer auf den p r a k t i s c h e n Zweck dieser wissenschaftlichen
Arbeit
für die
kirchliche
Gemeinschaft
hingewiesen: sie zu lehren, ihr bleibendes religiöses Erbe aus der Vergangenheit
in
Vergangenheit
als
organischem mit
der
Zusammenhange natürlichen
mit
der
Culturentwickelung
sowohl
der
Gegenwart zu pflegen. •— 1. A. S c h w e i z e r ' ) stellt der D o g m a t i k als „ K i r c h e n s a t z u n g s Wissenschaft ( § 9 ) die „ p r o t e s t a n t i s c h e G l a u b e n s l e h r e " , oder genauer „die christliche Glaubenslehre nach protestantischen Grundsätzen" gegenüber als „Darstellung des Glaubens der jeweiligen Entwickelungsstufe der Kirche, frei von der dogmatischen Fessel" (§ 10). Den Grundsätzen des Protestantismus entspreche nur die letztere. Jene, die „Dogmatik", könne im Protestantismus nur die Bedeutung einer geschichtlichen Wissenschaft haben und nur noch als solche behandelt werden'). Die „Dogmatik" habe ihren wissenschaftlich darzustellenden Stoff an der geschichtlichen Glaubenssatzung, am Dogma; die „Glaubenslehre" dagegen habe ihren Stoff aus dem von christlicher Erfahrung durchgebildeten frommen Selbstbewusstsein (§ 12) zu schöpfen und zwar dieses auf seiner „gegenwärtigen Entwickelungsstufe" darzustellen (§ 11), wie in diesem Glaubensbewusstsein „der Einfluss der heiligen Schrift so wie der christlichen Tradition als darin eingegangen mitenthalten" sei (§ 17), und zwar so, dass die Glaubenslehre ihre Lehrsätze zugleich als „die gesunde Entwickelung aufzuzeigen, d. h. ihren christlichen Charakter an den Schriftzeugnissen und ihren evangelisch-protestantischen an den Symbolen und der weiteren Tradition unserer Kirche zu erweisen" habe (§ 19). ') Die c h r i s t l i c h e G l a u b e n s l e h r e n a c h p r o t e s t a n t i s c h e n G r u n d s ä t z e n . 1. Bd. 2. Aufl. Einleitung. 2 ) Wie S c h w e i z e r selbst in seiner „ G l a u b e n s l e h r e der e v a n g e l i s c h r e f o r m i r t e n K i r c h e " gethan hat, ferner H e p p e in seiner „Dogmatik der evangelisch-reformirten Kirche", und für die l u t h e r i s c h e Theologie H a s e in seinem H u t t e r u s r e d i v i v u s , II. S c h m i d , L u t h a r d t u. A.
33
Einleitung.
2. Mit all' dem bin ich j a nun vollständig einverstanden: sowohl mit dem, was S c h w e i z e r über die heutzutägige Bedeutung der altkirchlichen „Dogmatik" sagt, als mit dem, was er als die Aufgabe einer „protestantischen Glaubenslehre" geltend macht. Gleichwohl ist es durchaus kein pedantischer Wortstreit von mir, wenn ich nicht etwa nur den Fortgebrauch des nun einmal üblichen Titels Dogmatik für eine Glaubenslehre in S c h w e i z e r s Sinn mir erlaube; sondern wenn ich die Aufgabe, die S c h w e i z e r der „Glaubenslehre" in ausdrücklichem Gegensatz zu der „blos historischen Aufgabe der Dogmatik" zuweist, vielmehr ausdrücklich für die „Dogmatik" selbst geltend mache; kurz, wenn ich die Einschränkung der Aufgabe der Dogmatik, als der Wissenschaft vom christlichen Dogma, auf die g e s c h i c h t l i c h e Darstellung des Dogma's als einstmaliger Kirchensatzung grundsätzlich nicht gelten lasse'). Ich bestehe nämlich darauf: bei einem geschichtlichen Stoff wie das Dogma, das der richtige Ausdruck eines P r i n c i p e s sein will und nur darauf seinen Anspruch gründet als Dogma zu gelten, gehört es unabtrennbar zum Begriff seiner wissenschaftlichen Durcharbeitung, also zum Begriff der Dogmatik als der Wissenschaft vom Dogma, dass sie zur geschichtlichen Darstellung auch die Kritik, ob das Dogma auch sei was es sein will, und die Darlegung des Princips, als dessen Ausdruck es sich in der Geschichte giebt, im Gedankenausdruck der gegenwärtigen Entwickelungsstufe mit in ihre Aufgabe aufnehme, also alles das, was S c h w e i z e r als die Aufgabe der G l a u b e n s l e h r e ihr gegenüberstellt. Es scheint mir nicht unwichtig, dieses bestimmt auszusprechen und schon in der Form der Durchführung innezuhalten, gerade wenn man die vollberechtigte Absicht gründlich und nachhaltig erreichen will, die S c h w e i z e r mit seiner Gegenüberstellung von blos historischer „Dogmatik" und einer auf der Entwickelungsstufe der Gegenwart fussenden „Glaubenslehre" im Auge hat. Für den Inhalt des christlichen Glaubens sei die Form des altkirchlichen Dogma's nicht mehr die der gegenwärtigen Entwickelungsstufe des Bewusstseins entsprechende F o r m ; jene Form gehöre einer hinter uns liegenden Vergangenheit an. — Gewiss. — Aber allerdings sei es n o t wendig, sie zu kennen; darum fahre die „Dogmatik" immerhin fort als historische Wissenschaft uns diese Kenntniss zu geben. — Allerdings, und zwar nicht blos die Kenntniss, sondern auch das genetische Verständniss. — Aber die „protestantische Glaubenslehre" stelle, los von ihren dogmatischen Fesseln, den christlichen Glaubensinhalt in derjenigen Form dar, welche der gegenwärtigen Entwickelungsstufe entspricht. — Gewiss
') Auch S c h w e i z e r erklärt es nun (Gl.-Lehre 2. Aufl. I. S. 26) für zulässig, die wissenschaftliche Verarbeitung der Dogmen in meinem Sinn „Dogmatik" zu nennen. Biedermann,
Dogmatik 2. Aufl.
3
84
Einleitung.
soll sie das t h u n ; allein sie wird diese Aufgabe n u r dann mit dem Nachweis ihres inneren und geschichtlichen Rechtes und mit dem Recht, gegen den Vorwurf von Willkür protestiren zu dürfen, lösen, wenn sie die Auflösung der alten dogmatischen Form und die Ausprägung des christlichen Glaubensinhaltes in einer der gegenwärtigen Entwickelung des religiösen und des wissenschaftlichen Bewusstseins adäquaten Gedankenform nachweist als einem Realprocess der Substanz des Dogma's selbst, den die wissenschaftliche Durcharbeitung desselben, also eben die Dogmatik selbst, aufdeckt und durchführt, kurz, wenn die protestantische Glaubenslehre, statt die „Dogmatik", als Wissenschaft von den in der Vergangenheit begrabenen Dogmen, mit einer blos noch historischen Aufgabe zu betrauen, vielmehr sich selbst erst als die wahre und vollständige Dogmatik ausweist durch die vollständige Verarbeitung des Dogma's, wenn sie das Bewusstsein wieder weckt und schärft, dass erst d i e s die wahre lind ganze Wissenschaft vom christlichen Dogma, dass erst dies wahre „Dogmatik" sei. 3. Mit S c h w e i z e r s Gegenüberstellung scheint mir eine mehrfache Gefahr unvermeidlich zu dröhn, die S c h w e i z e r so gut wie ich als eine Gefahr betrachtet, welcher durchaus vorgebeugt werden müsse. Es ist zunächst die Gefahr eines unvermeidlichen Scheines von Willkür. Wer soll entscheiden, was der „gegenwärtigen Entwickelungsstufe" wirklich entspreche, wenn — wie diess doch als einfache Thatsache, als „die Signatur der Zeit" vorliegt — die Formen der verschiedensten Bewusstseinsstufen bunt und trüb durcheinander gehen? Soll da einem modernen Bewusstsein nur schon darum, weil es „modern" ist, d. h. weil es aus modernsten Geistesbewegnngen, vielleicht auch nur aus einer gerade gegenwärtigen Moderichtung geschöpft ist, das entscheidende Wort in Fragen der Glaubenswahrheit zugestanden werden, während es vielleicht ganz äusserlich und verständnisslos an dieselbe herangerathen ist, und während in alle Wege hier nicht entscheiden soll was modern, sonderij was ewig wahr ist? S c h w e i z e r selbst bestimmt zwar sorgfältig genug die gegenwärtige Entwickelungsstufe als die der „Glaubensentwickelung der Kirche" selbst. Allein auch er fühlt die Unbestimmtheit seines Ausdruckes und hebt daher sehr richtig (in § 16) die Schwierigkeit hervor, von vornherein die Quelle genau zu bestimmen, aus welcher der Stoff der Glaubenslehre zu schöpfen sei. Jene Unbestimmtheit und diese Schwierigkeit beruht hauptsächlich darauf, was in S c h w e i z e r s Auseinandersetzungen nicht genugsam unterschieden wird, dass für die moderne Entwickelungsstufe nicht sowohl die „gereiftere Erfahrung des f r o m m e n Selbstbewnsstseins", als vielmehr ganz einfach die Entwickelung des t h e o r e t i s c h e n Bewusstseins, die ja zum Theil ohne directen Zusammenhang mit jenem sich vollzogen hat, in Betracht kommt. Was als gegenwärtige
Einleitung.
35
Entwickelungsstufe des Bewusstseins sich geltend machen will, das muss sich aber als dies bewähren durch sieghafte Kritik der vorigen Stufen. Was also sich als „gegenwärtige Entwickelungsstufe des frommen Sellistbewusstseins" (doch eigentlich des theoretischen Bewusstseins über seine Aussagen, also kurz des d o g m a t i s c h e n Bewusstseins) geltend machen will — und das soll allerdings eine „Glaubenslehre nach protestantischen Grundsätzen" —, das kann sich nur durch eine sieghafte Kritik des alten Dogma's ausweisen. Und zwar geschieht diess allein wirklich sieghaft und so, dass aller Schein von Willkür zerstört wird, wenn der wahre Sachverhalt durchgeführt wird. Dieser Sachverhalt ist aber d e r : die Glaubenslehre hat jederzeit die christliche Glaubenssubstanz zu ihrem Vorwurf; die Kirche hat diese in ihrer geschichtlichen Entwickelung zu ihrem Dogmencomplex ausgeprägt; der protestantische Geist — der, gegen die absolute Fixirung menschlicher Lehrfassung der göttlichen Wahrheit protestirend, diese auf dem Wege freier Forschung in stets reinerer Form zu gewinnen sucht —, der protestantische Geist hat sich mit innerer N o t w e n d i g k e i t dadurch zu derjenigen Stufe entwickelt, welche sich berechtigt als die der Gegenwart geltend machen darf, dass er den christlichen Glaubensinhalt in der alten Form als noch inadäquat ausgedrückt nachweist und mit allen Hülfsmitteln der modernen Geistesentwickelung überhaupt in die vor dieser sich bewährenden Form ausprägt. Diesen ganzen Sachverhalt kann aber nur eine D o g m a t i k , welche die Aufgabe der wissenschaftlichen Verarbeitung des Dogma's in e i n h e i t l i c h e m c o n t i n u i r l i c h e m Zusammenhange durchführt, zur Geltung bringen, ohne den Schein von Willkür zu erwecken, während die Unterscheidung von „Dogmatik", als Wissenschaft von etwas der Vergangenheit Verfallenem, und „Glaubenslehre", als Wissenschaft auf der gegenwärtigen Entwickelungsstufe, unvermeidlich diesem Scheine verfällt, selbst dann, wenn derselbe Mann sich als Meister in beiden getrennten Wissenschaften bewährt hat. 4. Dazu kommt noch ein Anderes. S c h w e i z e r selbst sagt ( § 1 9 ) : „je ausschliesslicher die Glaubenslehre aus dem Glauben der Kirche jetziger Entwickelungsstufe ihren Stoff entnimmt: desto wichtiger wird es, die so gewonnenen Lehrsätze als die gesunde Entwickelung aufzuzeigen, d. h. ihren christlichen Charakter an den Schriftzeugnissen und ihren evangelisch protestantischen an den Symbolen und den weiteren Traditionen unserer Kirche zu erweisen." — Als die g e s u n d e E n t w i c k e l u n g a u f w e i s e n ? J a allerdings, das ist die Forderung. Allein wird dieser wahrhaft genügt, wenn die aus dem gegenwärtigen Bewusstsein entwickelte Glaubensfassung dann nur noch c o n f r o n t i r t wird mit den Schriftzeugnissen und mit den Symbolen? Und läuft es nicht wirklich nur noch auf eine solche Confrontation hinaus, wenn vorher ausdrücklich 3*
86
Einleitung.
gesagt worden ist, dass die Glaubenslehre ihren Stoff oder Inhalt nicht den „Symbolen als solchen" (§ 13), und auch nicht „blos der Bibel" (§ 14) zu entnehmen habe? — Ihren „Stoff oder Inhalt"? Ist denn dies für eine Wissenschaft das Gleiche? Der S t o f f ist doch der Gegenstand vor und abgesehen von seiner Behandlung; der I n h a l t dagegen ist der Stoff in der Form, die er erst durch dieselbe erhält. Ihren S t o f f hat die christliche Glaubenslehre allerdings in erster Linie seiner primären Quelle f ü r uns, der Bibel, und dann weiter den Documenten seiner geschichtlichen Weiterentwickelung, der „Tradition der Kirche", wenn wir den Ausdruck hier passiren lassen wollen, vor allem den historischen Knotenpunkten derselben, den Symbolen zu entnehmen. Ihren I n h a l t dagegen gewinnt sie selbst erst aus der kritischen Verarbeitung dieses Stoffes mit den Hiilfsmitteln der gegenwärtigen Entwickelungsstufe nicht sowohl des r e l i g i ö s e n als des w i s s e n s c h a f t l i c h e n Bewusstseins. Nur so kann eine Glaubenslehre der Gegenwart in Wahrheit ihren christlichen und evangelisch-protestantischen Charakter erweisen; nicht aber, wenn sie an ihren aus dem „gegenwärtigen Glaubensbewusstsein" geschöpften und so zu ihrem Inhalte verarbeiteten Stoff nachträglich dann auch noch den Maassstab der Schriftzeugnisse und der Symbole anlegt, auch wenn sie es in viel wissenschaftlicherer Art thut, als nach der Manier der d i c t a p r o b a n t i a : es ist eben von Grund aus nicht das richtige organische Verfahren. Den S t o f f aus der G e s c h i c h t e , und zwar aus der ganzen, nehmen, den I n h a l t aber durch die volle Verarbeitung dieses Stoffes mit allen Hülfsmitteln der Gegenwart gewinnen, — das allein ist die Legitimirung einer christlichen Glaubenslehre auf der Entwickelungsstufe der Gegenwart. Eine solche ist aber das, als was ich allein eine „Dogmatil?" als wirkliche Wissenschaft vom Dogma anerkennen kann. 5. Mit der Gefahr, unvermeidlich den Schein der Willkür zu erwecken, ist aber bei S c h w e i z e r ' s Gegenüberstellung von blos g e s c h i c h t l i c h e r D o g m a t i k und G l a u b e n s l e h r e der G e g e n w a r t noch eine andere Gefahr verbunden, welcher vorzubeugen S c h w e i z e r selbst eben so sehr, wie ich, als eine der Hauptaufgaben einer wirklichen Glaubensw i s s e n s c h a f t betrachtet. Es ist eine Doppelgefahr: die Gefahr, dass jenfer unvermeidliche Schein auf zwei entgegengesetzte Seiten hinaus auch zweierlei einander entgegengesetzte Wirkungen ausübe. Die eine Gefahr ist, dass solche, welche mehr conservative Pietät als eigene Urtheilskraft besitzen, aus Furcht vor solcher Willkür in Glaubenssachen mit beiden Füssen wieder auf dem festen Boden des alten Dogma's Posto f a s s e n ; die andere, dass solche, welche umgekehrt mehr reformerischen Eifer als Verstand h a b e n , den historischen Boden vollends unter ihren Füssen verlieren. Beides ist zwar gleich unverständig, aber als Wirkung und Gegenwirkung nur zu natürlich, — wie beides in dem theologischen
37
Einleitung.
Parteiwesen der Gegenwart n a c k t genug am Tage liegt. Durch eine wirklich acht p r o t e s t a n t i s c h e
Glaubenswissenschaft soll aber beides, eine blos
positivistische G l a u b e n s s a t z u n g s l e h r e und die W i l l k ü r blos subjectiver Glaubenseinfälle,
gründlich
überwunden
werden.
Dies
geschieht
aber sicher nicht dadurch, dass man die „Dogmatik" zwar für eine solche blosse Satzungswissenschaft uns die Kenntniss
erklärt
und
mit
der
historischen
Aufgabe,
der Vergangenheit zu erhalten, zurückstellt, die wich-
tigere Aufgabe für die Gegenwart aber einer von ihr getrennten "Wissenschaft zuweist,
welche ihren
dann allerdings auch,
Stoff aus der Gegenwart
aber erst
Vergangenheit nachzuweisen habe. dadurch
wirksam
geschehn,
zu
schöpfen und
secundar, ihren Zusammenhang mit der W a s wir wollen,
dass man umgekehrt
kann vielmehr nur
mit allem Nachdruck
b e t o n t : die Dogmatik sei noch gar nicht was sie heisst, was sie sein will und sein soll,
die Wissenschaft
vom Dogma der Kirche,
eine blos geschichtliche Darstellung einer Satzung schränkt
wird,
und
nicht
zugleich
diesen
für
das
wusstsein so knorrigen Stoff ganz und gründlich sie
nicht
das
Dogma
für's erste
genetisch
wenn sie
gegenwärtige
verarbeitet,
habe, was es leisten w o l l t e ; kritik
seiner
jeweiligen
Be-
d. h. wenn
aus seinem religiösen R e a l -
prineip a b l e i t e t ; für's zweite es in seiner jeweiligen geschichtlichen der dogmatischen Kritik unterwirft,
auf
der Vergangenheit be-
Form
ob es an seinem Ort auch geleistet
und für's dritte
geschichtlichen
mit autonomer Verstandes-
Form
seinen
damit von
dieser
unterschiedenen religiösen Kern in die der gegenwärtigen Entwickelungsstufe des menschlichen D e n k e n s entsprechende Form
ausprägt.
Nur da-
durch, dass die Glaubenswissenschaft e i n h e i t l i c h diese g a n z e historische und rationelle Arbeit ausführt — heisse man das
nun
„Dogmatik"
oder
„Glaubenslehre nach protestantischen Grundsätzen" — , kann das Gebahren einerseits lehre
einer Glaubenslehre,
ist,
subjectivistischen Willkür sich
lichen kann
als
das
nur
nicht
eine eine
als von
unprotestantische
innerlich
und äusserlich
in der protestantischen
Die G l a u b e n s l e h r e
nothwendige
Verständnisses aber
lehre,
nur eine
andererseits,
wirklich überwunden werden. soll
die
und einer oberflächlichen,
Resultat
der V e r g a n g e n h e i t Dogmatik der
der
des
haltlosen Theologie
Gegenwart
wissenschaft-
legitimiren.
durchgeführte
Dogmatik
Satzungs-
getrennte
Das
GlaubensGlaubens-
lehre.
§ 6.
Die verschiedenen Theile dieser Gesammtaufgabe bilden
den Gegenstand
speeieller theologischer Disciplinen:
(alsPrincipienlehre"), b i b l i s c h e T h e o l o g i e , Symbolik,
kirchliche
Dogmatik,
Apologetik
Dogmengeschichte,
Glaubenslehre.
Immer
Einleitung.
38
aber besteht die Aufgabe der wissenschaftlichen Dogmatik in der e i n h e i t l i c h e n Z u s a m m e n f a s s u n g aller.
Diese Gesammtaufgabe
hat drei Momente, die — in welcher äusseren Anordnung es auch zweckmässig
befunden werden
mag — vollständig
durchzuführen
sind: 1) das p r i n c i p i e l l e : die Begründung des wissenschaftlichen Principes für die Behandlung des positiven Stoffes; 2 ) das h i s t o rische: und
die objective,
3 ) das
historisch-genetische
systematische,
als
Darlegung
desselben,
rationelle Verarbeitung
dieses
Stoffes nach jenem Princip. — Beim gegenwärtigen Stande der theologischen Wissenschaft ist es
angezeigt,
zwar
so,
dass
diese das
drei Momente erste,
gesondert durchzuführen,
das principielle,
religions-philosophischen,
den
und
allgemeinen,
das historische und das rationelle
dagegen zusammen den p o s i t i v e n Theil der Gesammtdarstellung bilden. 1. Die Gesammtaufgabe der Dogmatik hat verschiedene Theile, sofern sie sich über verschiedene Gebiete erstreckt, welche in ihrer relativen Abgrenzung gegeneinander den Gegenstand besonderer Disciplinen bilden. Die Dogmatik selbst hat das Ergebniss dieser Separatuntersuchungen nicht blos einfach zusammenzustellen, sondern von Einem Gesichtspunkt aus als Momente Einer Arbeit zusammenzufassen. Auf der andern Seite haben aber auch diese Specialdisciplinen nur ihren Beitrag zur Gesammtaufgabe der Dogmatik abzugeben und sich vor der Versuchung zu bewahren, selbst schon irgendwie die ganze christliche Glaubenslehre sein zu wollen. Dadurch greifen sie nicht nur über ihre Grenzen hinaus, sondern trüben auch ihre eigene Aufgabe. a. Die specielle Disciplin, welche das Princip für die wissenschaftliche Verarbeitung des geschichtlichen Stoffes zur systematischen Theologie darzulegen h a t , als theologische Principienlehre, nennt sich gern Apologetik. Sehn wir ab von dem dogmatistischen Beigeschmack des Namens, so hat diese Disciplin, ihrem Namen nach die wissenschaftliche Anleitung zur Vertheidigung des Christenthums , in der Theologie die specielle Aufgabe, die Grundsätze für die wissenschaftliche Würdigung des Christenthums darzulegen; zu ermitteln, worin das Wesen der Religion innerhalb des menschlichen Geisteslebens, des Christenthums innerhalb des allgemeinen Wesens der Religion, und noch specieller der eigenen Confession innerhalb des Christenthums zu suchen sei. Als Ganzes für sich behandelt, hat aber die Apologetik die natürliche Neigung, nicht blos Apologetik sein zu wollen, sondern gleich auch Apologie. Dies kann
Einleitung.
39
sie aber vor der Darstellung und Durcharbeitung des ganzen historischen Stoffes doch nur in vorläufiger, vager Weise leisten, so dass sie gar zu leicht auf eine popularisirende Antecipation der ernstlichen Arbeit der Dogmatik hinausläuft. Oder sie emancipirt sich ganz von ihrem specialen theologischen Zwecke, weitet sich zur Religionsphilosophie überhaupt aus und hält sich in dieser Gestalt dann leicht für die Quintessenz dessen, was die Wissenschaft überhaupt der Religion abzugewinnen vermöge, ohne dass sie sich durch den historischen Stoff der nächsten Religion gründlich durchgearbeitet hat. — Die Dogmatik hat aus der theologischen Principienlehre jedenfalls nur die Darlegung des w i s s e n s c h a f t l i c h e n F o r m a l p r i n c i p s für die richtige Auffassung und Behandlung ihres positiven Stoffes, des christlichen Glaubens, ihrer eigenen Arbeit einzuverleiben. b. Die b i b l i s c h e T h e o l o g i e hat den historischen Stoff der Dogmatik in seiner vordogmatischen Urgestalt, wie er in der primären historischen Quelle, der Bibel, documentirt ist, zu ihrem speciellen Gegenstande. Heut zu Tage erklären sich alle damit einverstanden, dass sie als rein historische Wissenschaft zu behandeln sei, womit freilich noch nicht garantirt ist, dass diess auch wirklich geschehe. Aber der Grundsatz ist doch wenigstens anerkannt. "Will nun aber, über dieses hinaus, vom Standpunkte der Identificirung von Bibel und „Wort Gottes" die Darlegung des in der Bibel documentirten Glaubens, nur in ein System gebracht, als die reine „christliche Lehrwissenschaft" die ganze Aufgabe der Dogmatik in sich resorbiren: so verderbt sie für's erste ausnahmslos die historische Wahrheit an ihrem eigenen Stoff, und setzt sich für's zweite über die historische Thatsache hinweg, dass der christliche Glaube sich nun einmal mit innerer und historischer Nothwendigkeit von seiner biblischen Form aus weiter zum kirchlichen Dogma entwickelt hat. — Die Dogmatik selbst hat von der biblischen Theologie ihren Stoff in seiner historischen Urgestalt — Voraussetzung, Quellpunkt und erste Ausgestaltung des christlichen Glaubens — zu entnehmen, aber nicht in der Breite des empirischen Detai's, wie dasselbe aus den einzelnen Quellenschriften exegetisch und historisch zusammenzusuchen ist, sondern bereits in systematischer Zusammenordnung der Resultate. c. Das gleiche Verhältniss hat sie zur D o g m e n g e s c h i e h t e . Allein, wie nur ein unhistorisch supranaturalistischer Standpunkt darauf gerathen k a n n , die christliche Glaubenslehre kurzweg in „Schriftlehre" aufgehen zu lassen, so könnte umgekehrt auch nur ein bloss äusserlich historischer Rationalismus die Aufgabe der Dogmatik mit der Dogmengeschichte für absolvirt halten. d. Die kirchlichen Knotenpunkte der Dogmengeschichte sind der Gegenstand der speciellen historischen Disciplinen der S y m b o l i k und
40
Einleitung.
der k i r c h l i c h e n D o g m a t i k . Diese liefern der Dogmatik ihren historischen Stoff in seiner vollen historischen Ausprägung. Aber damit ist deren Aufgabe f ü r die Dogmatik noch nicht erfüllt: weder in dem rationalistischen Sinn, dass den Dogmen damit von Seiten der Glaubenswissenschaft ihr Recht geworden und sie nun im Winkel der Vergangenheit zu belassen seien; noch in dem symbol-orthodoxen Sinn, dass die Dogmatik selbst damit an ihrem Ziel angelangt sei. Vielmehr hat diese die Ergebnisse der Symbolik und der kirchlichen Dogmatik nur als den historischen Ausgangspunkt für ihre eigene Arbeit in sich aufzunehmen. e. Auch eine s y s t e m a t i s c h e G l a u b e n s l e h r e kann sich zur speciellen Aufgabe stellen, absehend von den historischen Disciplinen, die christliche Glaubenswahrheit direct ans dem gegenwärtigen Bewusstsein der Gegenwart heraus als ein einheitliches Ganzes von religiöser Weltanschauung darzustellen. Allein wir haben schon gesehn, dass eine solche nur dann das Recht hat, dies ihr Ergebniss wirklich als christliche Glaubenslehre der Gegenwart geltend zu machen, wenn sie sich auch wirklich als Verarbeitung des geschichtlichen Stoffes, also ihren positiven Zusammenbang mit den vorigen Specialdisciplinen' auszuweisen vermag und nicht selbständig für sich denselben gegenüber tritt. 2. Die e i n h e i t l i c h e G e s a m m t a u f g a b e der Dogmatik, deren einzelne T h e i l e auch einzelnen Specialdisciplinen zur selbständigen Bearbeitung zufallen, hat nun aber drei M o m e n t e , deren jedes sich über den ganzen Stoff erstreckt, und die f ü r den ganzen Stoff zur vollständigen Durchführung kommen sollen: die Darlegung der allgemeinen w i s s e n s c h a f t l i c h e n G r u n d s ä t z e für die Verarbeitung des Ganzen; die Darlegung des g e s c h i c h t l i c h e n S t o f f e s in objectiv historischer Weise, und endlich die consequente V e r a r b e i t u n g dieses Stoffes nach jenen Grundsätzen. Nun kann dies alles j a an sich gewiss in verschiedener äusserer Anordnung durchgeführt werden, wenn nur jedes Moment auch wirklich ganz durchgeführt wird. Allein gerade damit sich das Bewnsstsein dafür schärfe, scheint es mir angezeigt, jedes Moment reinlich f ü r sich durchzuführen. a. Es kann j a der ganze Stoff von Einem principiellen Gesichtspunkt aus, nach bestimmten erkenntniss-theoretischen Grundsätzen, von einer bestimmten Theorie über das Wesen der Religion aus, durchgearbeitet werden, ohne dass an besonderm Orte Rechenschaft davon gegeben wird; wenn nur die formalen Principien sich durch die Durchführung selbst rechtfertigen. Andere Dogmatiker dagegen schicken etwas derartiges einleitend voraus; aber damit ist es dann auch abgethan, und von einer consequenten Anwendung bekommen wir im Verlaufe nichts mehr zu spüren. Da ist immerhin das erstere Verfahren noch besser, nach dem
Einleitung.
41
evangelischen Gleichniss von den zwei Söhnen. Allein das Wahre ist doch, man gebe von vornherein Rechenschaft von den Grundsätzen seiner Behandlung des Ganzen, und zwar ist es bei dem gegenwärtigen Stande des unausgetragenen Streites in der Erkenntnisstheorie über die Bedeutung und Tragweite der Metaphysik, bei dem unausgetragenen Streit über das psychische Wesen der Religion, eine unabweisliche N o t w e n d i g keit, vorab Rechenschaft zu geben von seiner Stellung in allen diesen Fragen und damit seine leitenden Grundsätze für die ganze Behandlung der Glaubenslehre darzulegen. b. Dass zweitens das h i s t o r i s c h e Moment, die Wiedergabe des Geschichtlichen in treuer Objectivität, am ganzen biblischen und dogmengeschichtlichen Stoffe durchzuführen sei, — diese Forderung sollte sich freilich von selbst verstehen; allein es giebt sich desswegen noch nicht von selbst, auch beim besten Willen, dass sie wirklich erfüllt wird. Sicher geschieht ihr eher ein Genüge, wenn die historisch-genetische Darstellung vollständig für sich gegeben wird, vorausgehend der eigenen rationellen Verarbeitung. Man weiss, welch trübes Gemisch aus biblisch-kirchlichen und ganz heterogenen modernen Elementen fast ausnahmslos uns geboten wird, wo beides, Darstellung und Verarbeitung, nicht auch äusserlich geschieden wird. Nur bei sauberer Unterscheidung kommt das historische Dogma vorerst einmal zu seinem vollen Rechte, und wird zugleich auch für die rationelle Verarbeitung des ganzen historischen Stoffes der richtige Anknüpfungspunkt fixirt, während sonst dieselbe bei jedem einzelnen Dogma fast nur, wie's der Zufall trifft, bald an diesem bald an jenem P u n k t ansetzt, und niemals mit innerer Consequenz gleichzeitig sich am ganzen Stoffe vollzieht. Im geschichtlichen Theile soll aber das christliche Dogma in der inneren Consequenz all seiner einzelnen Momente zur Darstellung kommen, als System der kirchlichen Lehre, wie sich dieses von seinem Quellpunkt aus in continuirlichem Process in dem jeweiligen geschichtlichen Bewusstseinsmaterial ausgebildet hat. Das geschichtliche Dogma soll in seiner o r t h o d o x e n , d. h. in der auf seiner jeweiligen geschichtlichen Basis consequent ausgeprägten Gestalt zu seinem vollen Rechte kommen. Daher gehört auch die d o g m a t i s c h e Kritik im Sinn R o t h e ' s zu dieser geschichtlichen Aufgabe und soll mit historischer Objectivität vollzogen werden. — Warum ich aber innerhalb des historischen Theiles S c h r i f t l e l i r e und K i r c h e n l e h r e auch wieder gesondert zur Darstellung zu bringen im Interesse der geschichtlichen Treue für gerathen erachte, obgleich beides zusammen Einen continuirlichen Process bildet, darüber wird besser am Eingang des historischen Theiles Rechenschaft zu geben sein. c. Erst an die vollständig in ihrer eigenen Consequenz ausgeführte Kirchenlehre knüpft das dritte Moment der wissenschaftlichen Aufgabe
42
Einleitung.
der Dogmatik an, die r a t i o n e l l e , k r i t i s c h - s p e c u l a t i v e Verarbeitung des gesammten Stoffes. Sie wird am allerehesten mit einer durch alle Theile gleichmässig durchgreifenden Consequenz wie nach ihrer negativen, so auch nach ihrer positiven Seite durchgeführt werden können, wenn ihr Gegenstand, das kirchliche Dogma, selbst schon in seiner conseqnenten Gestalt vollständig vorliegt. Wird die eigene rationelle Verarbeitung des Dogma's, die auch der orthodoxeste Dogmatiker nicht umhin k a n n , wenn auch in rein apologetischem Interesse, vorzunehmen, bei jedem einzelnen Dogma gleich mit der geschichtlichen Darstellung verbunden, so kommt eben gar zu leicht entweder die gerechte geschichtliche Würdigung des orthodoxen Dogma's auf seinem eigenen Boden, oder die gründliche Kritik, die nicht blos ein wenig an demselben herummäkelt und a u f s Gerathewohl die augenfälligsten Anstössigkeiten desselben f ü r den Verstand herausgreift, oder endlich die wirklich rationelle Lösung des religiösen Kerns in dem Dogma zu kurz. Das Allergewöhnlichste aber ist, dass von allem etwas unternommen, aber nichts mit vollem u n g e t e i l t e m Wahrheitsmuthe durchgeführt, sondern aus allem ein theologischer Vermittelungsbrei zusammengerührt wird, der den e h r l i c h e n n a i v e n G l a u b e n , den g e s u n d e n M e n s c h e n v e r s t a n d und ein s t r e n g e s D e n k e n gleich wenig befriedigt. Mit einer vollständigen Durchführung der wissenschaftlichen Arbeit der Dogmatik soll aber allen dreien, jedem an seinem Orte, sein volles Recht geschehn.
Erster, principieller Theil.
§7.
Die r e l i g i ö s e E r k e n n t n i s s
kann wie den G e g e n s t a n d ,
des christlichen Glaubens
so auch die N o r m
und
das
Ziel
für die Wissenschaft der Dogmatik bezeichnen, indem der Begriff „religiöse Erkenntniss" einen dreifachen Sinn hat. Zunächst kann er das Erkenntnissmoment im religiösen Glauben selbst bezeichnen, eine Erkenntniss,
die selbst religiöser Vor-
gang ist: — wir nennen dies die r e l i g i ö s e Erkenntniss im engeren Sinn,
die
religiöse Erkenntniss kurzweg.
In diesem Sinn ist sie
der G e g e n s t a n d der Dogmatik. Dann kann m a n unter religiöser Erkenntniss auch die wissenschaftliche Erkenntniss verstehn, haupt,
als Phänomen
nennen
dies
Religion.
In
die
deren Object die Religion über-
im menschlichen Geistesleben,
philosophische
diesem Sinn
Erkenntniss
ist: — wir
des Wesens
der
enthält sie die N o r m für das wissen-
schaftliche Verfahren in der Dogmatik. Endlich kann unter religiöser Erkenntniss die wissenschaftliche Erkenntniss verstanden werden, was an dem positiven Inhalte des religiösen die
Glaubens objective W a h r h e i t
theologische
Erkenntniss
sei: — wir
der W a h r h e i t
im
nennen Glauben.
dies In
diesem Sinne bildet sie das Z i e l der dogmatischen Wissenschaft. 1.
Das Wort G l a u b e n
soll uns immer e i n h e i t l i c h den
ganzen
religiösen Vorgang im Menschen, den Glauben im religiösen Vollsinn bezeichnen
und nicht blos das Moment des vorstellenden Bewusstseins in
demselben, das religiöse Fiirwahrhalten, welches hier mit der religiösen
44
Erster, principieller Theil.
E r k e n n t n i s s im engeren Sinne bezeichnet ist. der Begriff E r k e n n t n i s s
§ 7. Natürlich ist dagegen
in seinem allgemeinsten, umfassendsten
hier Sinne
g e n o m m e n : als Zustandekommen einer subjectiven Gewissheit von irgend einem objectivcu (von dem Bewusstseinssubject unabhängigen und mit seinem Aufgehen
im Bewusstsein
daher
für dasselbe gültigen) S e i n .
Wie
überhaupt E r k e n n t n i s s zu Stande komme und wie weit sie wirklich reiche, das sind natürlich specielle P r o b l e m e der 2.
„Religiöse
Erkenntnisstheorie.
E r k e n n t n i s s " kann nun allgemein j e d e Art von Er-
k e n n t n i s s bedeuten, die sich auf das Gebiet der Religion
bezieht.
Am
nächsten und unmittelbarsten wird so heissen ein Erkenntnissvorgang, der selbst r e l i g i ö s gehn
d.h.
einer objectiven
ein Moment der religiösen
Erhebung ist, das Auf-
(göttlichen) Wahrheit für das Bewusstsein in der
persönlichen E r h e b u n g zu Gott, wie diese
das Wesen
der
Religion
aus-
macht, kurz das theoretische Moment im religiösen Acte selbst. In einem anderen, hiervon wohl zu unterscheidenden Sinne kann man unter
religiöser
Erkenntniss
wissenschaftlich
eine
Erkenntniss
im
engeren
Sinn,
vermitteltes Wissen von religiösen Dingen
ein
verstehn,
eine am Inhalte des religiösen Glaubens das objectiv Wahre und die blos subjective Vorstellung unterscheidende
Erkenntniss.
Drittens endlich kann unter religiöser E r k e n n t n i s s auch die Einsicht in das allgemeine Wesen der Religion verstanden w e r d e n : was ihre psychologische Natur sei, durch welche sie sich von anderen Gebieten des menschlichen Geisteslebens unterscheidet, auf welchem Grund in der menschlichen Natur sie b e r u h e , welche Gesetzmässigkeit
sich
in der Erscheinung der
Religion im einzelnen Menschengeist und in der Geschichte der menschlichen Gesellschaft erkennen
lasse.
W i r nennen die „religiöse E r k e n n t n i s s " im ersteren Sinn die g i ö s e kurzweg, im zweiten die t h e o l o g i s c h e losophische.
Wir
machen
Gesichtspunkt aus, dass
die letztere
die E r k e n n t n i s s
reli-
und im dritten die
Unterscheidung
des W e s e n s der Religion
haupt offenbar nur einen Zweig der a l l g e m e i n e n
phi-
nur von
Aufgabe der
dem über-
Philo-
s o p h i e a u s m a c h t , die Erforschung dagegen, was am Glaubensinhalt einer bestimmten
Religion
objectiv
göttliche Wahrheit sei
und was
dieselbe,
aufgenommen in das subjective Glaubensleben, in diesem wirke, die c i e l l e Aufgabe der t h e o l o g i s c h e n
spe-
Wissenschaft dieser Religion bildet.
Philosophische und theologische E r k e n n t n i s s werden daher hier nach ihrem O b j e c t u n t e r s c h i e d e n : j e n e
hat
lediglich
es mit dem P h ä n o m e n
der
Religion überhaupt, diese mit dem i n der Religion Dargebotenen zu thun. Von einem Unterschied in der A r t und in der N o r m des E r k e n n e n s ist dabei nicht die R e d e : unter beiden ist eine nach den allgemeinen Gesetzen der Wissenschaft zu gewinnende Erkenntniss verstanden. 3.
T a t s ä c h l i c h natürlich ist die r e l i g i ö s e E r k e n n t n i s s im engeren
Die dreifache religiöse Erkenntniss.
45
Sinne das Erste, als ein Moment des Phänomens der Religion überhaupt. Diese bildet einerseits selbst ein Object für die p h i l o s o p h i s c h e Erkenntniss, was denn überhaupt die Religion für ein Phänomen im menschlichen Geistesleben sei; andererseits bietet sie ihren Inhalt, den Glaubensinhalt einer bestimmten Religion, zum Objecte der t h e o l o g i s c h e n Erkenntniss, wie es sich mit dessen Wahrheit verhalte. Und hier geht natürlich das Streben nach theologischer Erkenntniss der in einer Religion sich aufschliessenden Wahrheit der philosophischen, von welcher psychologischen Beschaffenheit denn überhaupt die Religion sei, voran. Für eine methodisch fortschreitende Untersuchung ist es dagegen selbstverständlich geboten, den umgekehrten Weg einzuschlagen: erst mit der p h i l o s o p h i s c h e n Untersuchung zu beginnen, was denn das Wesen der Religion überhaupt als einer psychologischen und historischen Erf a h r u n g s t a t s a c h e ausmache; dann von hier aus das Verständniss des Erkenntnissvorganges in der R e l i g i o n selbst zu gewinnen, und endlich aus beidem erst Gesetz und Norm f ü r das t h e o l o g i s c h e Urtheil über den Wahrheitsgehalt des religiösen Glaubens abzuleiten'). 4. Wo anders vorgegangen wird, vollends wo die Dinge vermengt oder verwechselt werden, da kommt ein falsches, im besten Fall wenigstens ein schiefes Resultat heraus. Ich hebe vorläufig nur ein Paar besonders häufig vorkommender Fälle hervor. Man macht, was von der r e l i g i ö s e n Erkenntniss (ob nun ganz oder wenigstens theilweise) richtig gilt, verkehrter Weise direct auch f ü r die t h e o l o g i s c h e geltend. Das allergewöhnlicliste Beispiel ist, dass man sagt: die religiöse Erkenntniss sei wesentlich ein „Glauben" im erkenntniss-theoretischen Sinne des Wortes, ein Ueberzeugtsein aus blos subjectiv zureichenden Gründen, gegenüber dem Wissen, und zwar setze dieses Glauben die Autorität einer göttlichen Offenbarung voraus. Was hieran ist, werden wir sehen. Nun aber macht man dies unmittelbar auch für die t h e o l o g i s c h e Erkenntniss geltend und verlangt daher für ihre Arbeit ebenfalls die Voraussetzung einer positiven Autorität: wenn daher eine Theologie hinter die positive Glaubensautorität einer bestimmten Religion zurückgehen und deren Glaubensinhalt der autonomen Verstandesuntersuchung unterwerfen will, so heisst e s , das sei keine Theologie m e h r , das gehe die
') Hiermit stimmt, wenn wir auf den Kern sehn, zusammen, was K a f t a n (das W e s e n der Religion. S. 5), einleitend als Grundsatz für die Methode der Theologie ausspricht: „es handelt sich in der Theologie vor allem anderen darum, wahre Sätze über die Religion und das Christenthum zu ermitteln. Dann erst fragt sich weiter, was sich wissenschaftlich über die Wahrheit des Christenthuins ausmachen lässt."
46
Erster, principieller Theil.
§ 7.
Gemeinschaft des Glaubens, die Kirche und ihre Theologie, nichts mehr a n ; dies möge als Philosophie draussen sein Glück versuchen. Das heisst nun aber die Theologie von vornherein in Dogmatismus einbannen, wobei es auf das Gleiche hinaus kommt, ob man f ü r die theologische Erkenntniss die positive oder die negative Consequenz aus dieser Vermengung ziehe, ob man ihr diesen „gläubigen" Positivismus zum Ruhm anrechnet, oder ihr daraufhin von vornherein die Möglichkeit wirklicher Wissenschaft abspricht. Beides hat in derselben Subsumtion der t h e o l o g i s c h e n Erkenntniss unter die r e l i g i ö s e seinen Grund. Eine andere Wendung, durch welche eine mehr oder weniger r liberale" Theologie sich gern sowohl der positiven kirchlichen Autorität als auch den Anforderungen strenger Wissenschaft zu entziehen sucht, ist die: die Religion sei überhaupt nicht Sache des Verstandes sondern des Gefühls, der Ahnung, der Phantasie, und darum habe auch die Theologie sich zu bescheiden nicht strenge Verstandeserkenntniss sein zu wollen. In neuerer Zeit ist namentlich die Wendung beliebt: die Religion bestehe in „Werthurtheilen" des Gefühls, die sich nicht anf theoretische Urtheile reduciren lassen; sie beruhe überhaupt nicht auf einem theoretischen, sondern nur auf einem praktischen Interesse des Geistes: — also habe auch die Theologie sich nicht damit zu befassen, jene Werthurtheile der religiösen Erkenntniss auf theoretische zurückzuführen, und überall sich nicht auf's Metaphysische einzulassen, da diese Fragen nur dem theoretischen, nicht dem religiösen Interesse entspringen; Gott in der Religion und das Absolute in der metaphysischen Speculation haben nichts mit einander zu thun: darum habe auch die Theologie mit dem Begriff des Absoluten sich nichts zu schaffen zu machen. — Nun ja, mit dieser. Anwendung einer sehr richtigen Einsicht in das Wesen der r e l i g i ö s e n Erkenntniss auf die t h e o l o g i s c h e erspart man dieser auf die bequemste Weise manche Frage, die Verlegenheit bereiten könnte. Allein sie beruht auf einer handgreiflichen Vermengung der Religion und der Wissenschaft von der Religion. 5. Der umgekehrte Fall von Vermengung findet statt, wo etwas, das f ü r die t h e o l o g i s c h e Erkenntniss sei's ganz sei's wenigstens theilweise richtig gilt, verkehrter Weise auch für die r e l i g i ö s e geltend gemacht wird. Hierin wurzelt eine ganze Reihe von landläufigen Verwechselungen. Sie reduciren sich wesentlich auf zwei Arten, die, obgleich sie auf der gleichen Vermengung beruhen, doch auf entgegengesetzte Seite hinaus zielen. Die eine hält, was ihr mit Recht als eine Hauptaufgabe der t h e o l o g i s c h e n Erkenntniss gilt, eben damit auch für das Wichtigste in der r e l i g i ö s e n . Die andere erblickt umgekehrt schon darin eine Alteration der Religion, wenn mit der theoretischen Aufgabe der theologischen Erkenntniss Ernst gemacht werden will. Diese letztere Art von Sub-
47
Die dreifache religiöse Erkenntniss. sumtion in dem
der religiösen E r k e n n t n i s s unter die theologische biegt natürlich erstem Fall,
in
die
unter die religiöse zurück scheiden, machen.
Schuld,
umgekehrte
Subsumtion
und giebt nur A n d e r n ,
dass sie die Religion
der
theologischen
die beide wohl unter-
zu etwas bloss Theoretischem
W e n n ein Theolog in der Dogmatik den Realgehalt der Dogmen
auf seinen
reinen Gedankenausdruck
religiösen W e r t h
in
zu bringen
j e d e r Glaubensform
bemüht i s t ,
um
ihren
richtig würdigen zu können, so
b e k o m m t er sofort den Vorwurf zu hören, er wolle nicht blos die Theologie in P h i l o s o p h i e ,
nein
die Religion
selbst in Metaphysik
aufheben.
Das
hat für mich, so oft ich es auch schon aus dem Munde sonst verständiger L e u t e zu hören b e k o m m e n , keinen Verstand.
Man begeht vielmehr selber
eine plumpe Verwechslung, wenn man einem Andern vorwirft, er mache durch seine theoretische Erforschung
des Inhaltes der R e l i g i o n ,
einmal Aufgabe der theologischen E r k e n n t n i s s ist, einem
blos theoretischen Process.
in abgeschwächter Form,
Da
die nun
die Religion selbst zu
aber dieser V o r w u r f ,
als Vorwurf einer einseitig
wenigstens
intellectualistischen
Auffassung der Religion geng und gebe ist, so wird es eine Hauptaufgabe für
mich
sein,
mit
scharf
betonter
und
scharf
durchgeführter
scheidung zwischen dem, was die s p e c i f i s c h r e l i g i ö s e , die w i s s e n s c h a f t l i c h
theologische
Erkenntniss
ausmacht,
V o r w u r f e wenigstens mir gegenüber die Wurzel gründlich Denn
allerdings
die getadelte
Verwechselung
Unter-
und dem, was diesem
abzuschneiden.
k o m m t wirklich
vor
und spielt eine grosse R o l l e ; es ist die, welche ich als die erste Art von Subsumtion
der
Religion unter die Theologie, der r e l i g i ö s e n
niss unter die t h e o l o g i s c h e , vor b e i den
gewöhnlichen
bezeichnet habe.
Sie
Aufklärungstheologen
und
verhängnissvoller F e h l e r der speculativen Theologie. zwar mit allem Vorstellungen
Rechte — geltend, der
Verstandeskritik
kommt war
Erkenntalltäglich
ehedem
Man m a c h t
ein
— und
dass die Wissenschaft die religiösen zu
unterwerfen,
durch
diese
läutern, j a — so formuliren wenigstens die Speculativen die Aufgabe
zu —
schliesslich die Vorstellung ganz in den Begriff aufzuheben habe, um zur Erkenntniss zu kommen, was am Inhalte des religiösen Glaubens objectiv wahr sei.
Gewiss,
kenntniss;
—
dies liegt in der Aufgabe
in welcher W e i s e
vor der Hand noch dahingestellt.
der
Allein
diese Forderung
mittelbar
auch fiir den religiösen Glauben
selbst
verlangt,
das
habe
wenn
religiöse Bewusstsein
rationalistisch
—
theologischen
und in welchem Umfange,
selbst
auf geläuterte
das
wird
nun un-
geltend gemacht, seine
Vorstellungen
Verstandesbegriffe
zu
Er-
bleibe und —
reduciren,
oder — wenn speculativ — zum reinen Gedanken zu erheben, weil man dies für den G r a d m e s s e r a u c h für die r e l i g i ö s e für den Zweck hält.
und das Ziel
aller religiösen
Erkenntniss und darum auch Unterweisung
und Predigt
Das ist nun allerdings eine grundschiefe Verkennung
des Wesens
48
Erster, principieller Theil.
der religiösen
Erkenntniss , dessen,
§ 7.
was dem Menschen
in seiner
re-
ligiösen E r h e b u n g aufgehen kann und soll, eine Verkennung der Form, in welcher
es
ihm als religiöse E r k e n n t n i s s aufgeht, und eine
endlich, worin hiefiir ist
die
der Gradmesser
Verwechselung
der Wahrheit
der E r k e n n t n i s s
k e n n t n i s s i n der Religion.
über
zu
Verkennung
suchen
die Religion
sei.
Es
mit der Er-
Auf dieser Verwechselung beruht die religiöse
Hohlheit und L e e r h e i t und damit dann weiter auch die theologische Unf r u c h t b a r k e i t aller blossen Aufklärungstheologie, Verstiegenheit kritisch
einer unkritisch
speculativen
einer andern
Theologie
Façon).
Der
vollen Verwechselung
ist
classische Repräsentant
und
bleibt S t r a u s s ,
stellungen für die t h e o l o g i s c h e der
religiösen
unfruchtbare
(ob nun von H e g e l ' s c h e r
loser Consequenz die b e r e c h t i g t e sorbtion
sowie die
speculativen, oder umgekehrt einer dieser
verhängniss-
der mit gleich rückhalt-
Verstandeskritik
der religiösen Vor-
Erkenntniss, und die v e r k e h r t e
Erkenntniss
damit von dem Ausgangspunkte,
blos
oder irgend
in
dieselbe
vollzogen
Re-
hat,
und
von dem auch er ausgegangen war, die
Religion vom „ G l a u b e n " zum „ W i s s e n " zu erheben, schliesslich bei dem negativen Endergebniss angelangt ist, das j e d e r m a n n kennt. 6.
Der
statt,
dritte
wenn
phische
die
Fall
von
specifisch
Verwechselung religiöse
von der Religion
heterogener
Erkenntniss
reserbirt, und
in
Dinge die
damit natürlich
einfach an die S t e l l e der t h e o l o g i s c h e n gesetzt wird.
findet
philoso-
die
letztere
Ich verstehe diess
so. Philosophische E r k e n n t n i s s der Religion nenne ich hier speciell die, welche auf dem Wege
der Analyse des P h ä n o m e n s der Religion ihr specifisches
Wesen im Verhältniss zu den übrigen Gebieten des menschlichen Geistesl e b e n s , ihre psychologische Natur als Vorgang im Einzelgeiste, ihre Eigenthümlichkeit als Erscheinung metaphysischen
in
der Geschichte
und
weiter auch
ihren
Grund zu erkennen sucht, — so weit dies überhaupt a u f
philosophischem Wege von
der Erscheinungswelt aus möglich ist.
die Formen
Vorstellung gehören
der religiösen
der philosophischen
Beurtheilung.
Allein
zu diesen
Auch
Gegenständen
diese sind überhaupt
nur
ein
M o m e n t in der religiösen E r h e b u n g ; was für einen religiösen Inhalt a b e r dieselben
für
das religiöse S u b j e c t
g i ö s e r W e r t h und ihre r e l i g i ö s e in
das auf,
Form
repräsentiren,
was die philosophische Erkenntniss
urtheilen
muss.
Ein Philosoph
über
enthalten s i n d ,
er soll
richtig
dieselben im
auch
theoretisch
religiösen Bewusstsein
ihre
reli-
theoretische
kann die theoretischen
die in den religiösen Vorstellungen die Lösung
d. h. was ihr
W a h r h e i t sei, das geht lange nicht
lösen
selbst
Probleme,
richtig herausfinden ; können:
—
sich thatsächlich
aber
wie
vollzieht,
das kann ihm trotz alledem noch ganz fremd, der wirkliche Process der religiösen Erkenntniss er
vielleicht völlig
noch ein schief
und
ganz unbekanntes Ding s e i n ,
über
das
unzutreffend,
von
den
wie
der Blinde
49
Die dreifache religiöse Erkenntniss.
Farben, urtheilt. Die philosophische Erkenntniss des Wesens der Religion kann nur die psychologische F o r m der religiösen Erkenntniss, nicht aber den I n h a l t ermitteln. Erst wenn dieser in der Thatsache der religiösen Wechselbeziehung zwischen Gott und Mensch sich dem menschlichen Ich als r e l i g i ö s e Erkenntniss aufgeschlossen hat, kann das philosophische Denken denselben auf seinen Gedankenausdruck bringen; ihn aber, ehe er im religiösen Bewusstsein des Menschen sich aufgeschlossen hat, kann es a priori nicht erzeugen. Es soll froh und ganz zufrieden sein, wenn es ihm gelingt, denselben wirklich vollständig nachzudenken. Die Erfahrung geht auch hier, wie auf dem Gebiete der Natur, der Erkenntniss nothwendig voran und lässt sich nicht begrifflich construiren. 7. Die theoretische Erkenntniss aber, was an der religiösen Erkenntniss objectiv wahr und was blos subjectiv menschliche Vorstellungsform sei, habe ich speciell als die t h e o l o g i s c h e Erkenntniss bezeichnet. Darum könnte es scheinen, als miisste wenigstens diese mit der p h i l o s o p h i s c h e n zusammenfallen. In einer Hinsicht allerdings ganz gewiss: die theologische Erkennthiss hat und anerkennt keine anderen Gesetze für die Beantwortung der Frage, was objectiver Wahrheitsgehalt in allem religiösem Glauben sei, als die philosophische, wenn sie nicht ein blosser unwissenschaftlicher Dogmatismus sein soll. Allein als theologische verbindet sie mit dem theoretischen auch einen praktischen Zweck: durch die Wissenschaft von der Religion der ächten Pflege der Religion zu dienen. Diesen Zweck hat die philosophische Erkenntniss als solche nicht im Auge. Dieser Unterschied bedingt nun aber, zwar in keinerlei Weise einen anderen Betrieb der wissenschaftlichen Arbeit, wohl aber einen anderen Ausgangs- und Zielpunkt für dieselbe. Den Ausgangspunkt für sie bildet die positive Religion, der sie mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit dienen will, die concrete geschichtlich bestimmte Form religiöser Erkenntniss, welche den Inhalt derselben ausmacht. Und ihr praktischer Zielpunkt ist, durch deren wissenschaftliche Verarbeitung, d. h. eben durch die Gewinnung der theologischen Erkenntniss der objectiven religiösen Wahrheit, die lautere und wahrheitsgemässe Pflege der Religion, der religiösen Erkenntniss und des religiösen Lebens, zu lehren. Dies und dies allein macht das aus, was ich als theologische Erkenntniss von der philosophischen unterscheide und was ich als das specielle Ziel der theologischen Wissenschaft der D o g m a t i k im Unterschiede von der R e l i g i o n s p h i l o s o p h i e bezeichne. So wenig aber jene dieser entrathen kann, da sie vielmehr nur Wissenschaft ist und auch ihren praktischen Zweck lauter und wahr nur erfüllen kann, wenn sie in der Verarbeitung ihres positiven Stoffes religionsphilosophisch verfährt: ebensowenig kann eine Religionsphilosophie, die blos etwa aus der Vogelperspective ihres allgemeinen Religionsbegriffes die geschichtlichen Religionen überblickt, Biedermann,
Dogmatik 2. Aufl.
4
50
Erster, principieller Theil.
§ 8.
die theologische Durcharbeitung der concreten Religion und des in dieser gegebenen Erfahrungsstoffes von religiöser Erkenntniss auch nur theoretisch, geschweige denn praktisch ersetzen, d. h. die Dogmatik der positiven Religion in sich resorbiren wollen. Den augenfälligsten Beweis hiervon möchte wohl E d . v. H a r t m a n n von seiner „Selbstzersetzung des Christenthums" an bis zu seiner „Religion des Geistes" geliefert haben. § 8.
Wir legen im principiellen Theile der Dogmatik
vor-
e r s t den e r k e n n t n i s s - t h e o r e t i s c h e n G r u n d für unser wissenschaftliches Verfahren; suchen
zweitens
auf dieser Grundlage die r e l i g i o n s - p h i -
l o s o p h i s c h e Erkenntniss des W e s e n s d e r R e l i g i o n , und leiten d r i t t e n s aus beidem die Principien für die t h e o l o g i s c h e Erkenntniss der c h r i s t l i c h e n G l a u b e n s w a h r h e i t
ab.
Warum ich die frühere Darstellung des principiellen Theiles dadurch erweitere, dass ich der religionsphilosophischen Erörterung des Wesens der Religion nun erst eine Darlegung meiner e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e n G r u n d s ä t z e sowohl für diese als auch für die nachherige theologische Verarbeitung des geschichtlichen Stoffes voranschicke, darüber spricht sich das V o r w o r t genügend aus.
I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage. Erstes
Kapitel.
Der Grundsatz des reinen Realismiis. § 9. Der menschliche Geist bezieht sich in der R e l i g i o n , als seiner praktischen Erhebung zu „Gott", und in der M e t a p h y s i k , als seinem theoretischen Fragen nach dem letzten Grund aller Dinge, in Wahrheit auf das g l e i c h e , für ihn h ö c h s t e , weil nicht empirisch bedingte sondern selbst die Gesammtheit alles empirisch Gegebenen bedingende, d. h. a b s o l u t e Object seines Bewusstseins, — aber in Religion und Metaphysik in e s s e n t i e l l v e r s c h i e d e n a r t i g e r Weise. Daher hat auch zu allen Zeiten und bei allen Völkern die Wissenschaft der Metaphysik zwar nicht sowohl von der Religion selbst, als von den religiösen Vorstellungen des ihr vorausgegangenen religiösen Bewusstseins ihren thatsächlichen Ausgang genommen, mochte sie sich dann in ein positives oder in ein negatives Verhältniss zu denselben setzen. Die Frage nach der Möglichkeit einer wirklichen Erkenntniss religiöser Wahrheiten ist daher eins mit der erkenntniss-theoretischen Frage nach der Möglichkeit der Metaphysik als Wissenschaft. Die Ablehnung der Metaphysik bei der Frage nach der religiösen Erkenntniss ist eine schiefe Anwendung der richtigen Einsicht in die psychische Verschiedenheit beider Gebiete und öffnet, unter dem Scheine kritischer Besonnenheit, in Wahrheit aber aus dem 4*
52
I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
Halt.losigkeitsgefühl eines philosophischen matistischen,
erkenntniss-theoretisch
§ 9.
Skepticismus,
ungeprüften
nur dog-
Voraussetzungen
in der Religionswissenschaft Thür und Thor. 1. Dass „ G o t t " , das Object der religiösen Beziehung des Menschen, und das „ A b s o l u t e " , das Object der metaphysischen Frage nach dem letzten Grund alles Seins, nicht nur zwei verschiedene Begriffe seien, was sie natürlich sind, sondern dass sie überhaupt nichts mit einander zu thun haben, ist eine arge Spiegelfechterei. Diese stützt sich darauf, dass Religion und Speculation, überhaupt theoretisches Denken, zwei ganz heterogene B e t ä t i g u n g e n des menschlichen Geistes nach ganz verschiedenen Seiten hin seien. Dies ist wahr, und es wird eine unserer Hauptaufgaben sein, diese Verschiedenartigkeit genau zu bestimmen und alle Consequenzen daraus zu ziehen. Natürlich sind darum auch die beiden Begriffe, welche das Object einer jeden bezeichnen, gleichermaassen verschieden. Das religiöse Bewusstsein von Gott und das theoretische Bewusstsein vom Absoluten kommen auf verschiedenem Wege zu Stande und haben eine verschiedene Bedeutung für das Geistesleben des einen und selben Menschen. Darum ist aber das Object, auf das beide in verschiedener subjectiver Beziehung gehen, doch in Wahrheit das g l e i c h e Object: was als „Gott" Object der religiösen Beziehung ist, das und nichts anderes ist auch als das „ A b s o l u t e " das Object des theoretischen Fragens nach dem letzten Grund der Dinge. Wenn wir von einer Gottesvorstellung urtheilen, sie entspreche nicht dem Begriffe der Absolutheit, so sprechen wir eben damit das Urtheil aus, dass es nicht die wahre Gottesvorstellung sei. Und umgekehrt, wenn wir urtheilen, es stelle jemand einen Begriff des Absoluten auf, der die religiöse Gottesvorstellung ausschliesse: so urtheilen wir eben damit, dass derselbe nicht blos zum Gottesbegriff nicht tauge, sondern dass er auch nicht der ächte Begriff des Absoluten sei. Jedem Menschen ist das, was für sein religiöses Bewusstsein Gott ist, für sein theoretisches Bewusstsein, wie weit er überhaupt ein solches hat, das Absolute, wie fern oder nah auch beides dem wahren Gottesbegriff und dem wahren Begriff des Absoluten stehen mag. Auch wer die Behauptung hinwirft, Gott und der Begriff des Absoluten seien ganz unabhängig von einander, ja gehen einander nichts an, der würde sich doch nicht ernstlich dabei behaften lassen, dass seiner Gottesvorstellung allerdings das nicht zukomme, was zum Begriff des Absoluten gehört. Liesse er sich wirklich dabei behaften, so wäre er eben damit geständig, dass sein Gott nur ein hypothetisch angenommenes Einzelwesen neben den anderen Einzelwesen, die zusammen die Welt ausmachen, meinetwegen das erste und oberste unter ihnen, aber kurz ein mythologischer Gott sei. In diesem Fall ist z. B. der h e r b a r t i s e h e Theologe
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen Realismus.
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mit seiner Metaphysik des realistischen Pluralismus. In dieser hat Gott zugestandenermaassen eigentlich nur als ein hypothetisch angenommenes oberstes einzelnes Reales Platz, das von der vorhandenen Ordnung im Zusammensein der Realen aus, welche die Welt ausmachen, mit grosser Wahrscheinlichkeit als Grund für diese Ordnung angenommen werden müsse. Für mehr, für Gott als den absoluten, Einen und einheitlichen Grund des Seins und Ganges der Welt hat diese Metaphysik in ihrem Rahmen keinen Platz. Aber gleichwohl fühlt auch der h e r b a r t i s c h e Theologe, dass er eigentlich von Gott mehr, nämlich ganz einfach das, was unter der Absolutheit zu verstehen ist, prädiciren sollte, damit sein Gottesbegriff wirklich dem entspreche, was Gott dem religiösen Bewusstsein ist. Das will doch eigentlich ein jeder; jeder will seinem Gott alles, was für ihn den Begriff der Absolutheit ausmacht, vindiciren. Nur dabei will man sich nicht behaften lassen: als Theologe Rechenschaft darüber geben zu sollen. Man prädicirt z. B. natürlich hinten und vorn von Gott und der religiösen Bestimmung des Menschen die „Ueberweltlichkeit", — aber den Begriff der Ueberweltlichkeit metaphysich genau zu bestimmen, das überlässt man anderen Leuten: man mag in seinen vagen theologischen Redensarten nicht durch dergleichen genirt sein. 2. Das Theorem, das in unseren Tagen als ein wahres Evangelium für die Theologie verkündet und gepriesen wird, dass der Gottesbegriff des Glaubens und der metaphysische Begriff des Absoluten nichts mit einander zu schaffen haben, dass die Theologie also gar nicht bemüssigt sei sich auf den letzteren Begriff einzulassen, dient allerdings einer Wahrheit zum Ausdruck, die für die Theologie, speciell für die Dogmatik, von grösster Bedeutung und Fruchtbarkeit ist. Ich will auch gerne glauben, dass die, welche in unsern Tagen dies Theorem mit so grosser Zuversicht als das wahre Heil für die Theologie verkünden, und die Jünger, die es mit so dankbarer Freudigkeit aufnehmen, zunächst diese Wahrheit im Auge haben mögen: die Wahrheit, dass die r e l i g i ö s e und die t h e o r e t i s c h e Wahrheit religiöser Vorstellungen, concentrirt in der Gottesvorstellung, nicht am gleichen Orte liegen, und dass darum der subjective Gottesbegriff und der subjective Begriff des Absoluten verschiedene Dinge sind, wenn schon ihr objectiver Inhalt derselbe ist. Diese Unterscheidung geht mit allem Recht gegen alle blos intellectualistische Auffassung der Religion, sei's nun der blossen Aufklärerei, sei's einer Speculation, die meint die Religion in Philosophie aufheben zu sollen. Dem gegenüber mahnt jenes Theorem allerdings verdienstlich die Theologie an ihre eigentliche Aufgabe. Allein dieser Gewinn, den es verspricht,' wird mehr als nur aufgewogen durch den viel grösseren Schaden, den es durch das Fernhaltenwollen der Metaphysik von der Theologie für diese als Wissenschaft herbeiführt, herbeiführen muss. Es bringt
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I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 9.
die Theologie von der Höhe wirklicher "Wissenschaft auf das Niveau einer Kunst herab, bildliche Redensarten zu drechseln, denen man nicht auf den Grund soll gehen können, was eigentlich ihr realer Kern sei. Dass diese theologischen'Aussagen überhaupt einen solchen Kern haben, dafür wagt man sich in letzter Instanz nur auf das Gefühl, auf ein „Glauben" im schlechten Sinne des Wortes, auf „Werthurtheile" zu berufen, auf Werthurtheile, die man der Bewahrheitung durch theoretische Urtheile ausdrücklich entzieht. Dies Modestichwort „ W e r t h u r t h e i l e " ! Gewiss werden wir ja einen Menschen höher taxiren, der im sittlichen Leben gesunden instinctiven Werthurtheilen folgt, auch wenn sein theoretisches Urtheil in diesen Dingen noch ein sehr unvollkommenes ist, als den, der bei geläutertsten Begriffen doch die Werthurtheile seines Gewissens verleugnet. Die Wissenschaft aber kann doch wahrlich Werthurtheilen nur in so weit wirklichen Werth zuerkennen, als sie sich auf theoretische Urtheile gründen lassen. 3. Jenes Fernehaltenwollen der Metaphysik von der Theologie und ihr Herbeiziehen nur zu nachträglichem Handlangerdienst, um anderweitigen dogmatistischen Voraussetzungen des Theologen doch auch eine wissenschaftliche Façon zu geben, könnte sich nur mit einer principiellen Skepsis gegen alle Metaphysik rechtfertigen. Diese Skepsis birgt sich hinter K a n t ' s breitem Rücken. In Wahrheit ist sie aber ein Kind der Gespensterfurcht, eine Frucht des Aberglaubens an die negative Metaphysik, die sich der Naturalismus fälschlich aus K a n t abstrahirt hat, um sich gegen den ebenfalls von K a n t ausgehenden absoluten Idealismus und seine offenkundig gewordenen Uebertreibungen radical zu sichern Für die Naturwissenschaft ist diese Skepsis gegen alle Metaphysik nicht direct schädlich, wenn dieselbe nur als Naturwissenschaft ihr Gebiet stricte auf die sinnliche Erscheinungswelt und deren stehende Formen (die Naturgesetze), abgrenzt, für alles Weitere aber, und zwar von der untersten Stufe der Erscheinung des Bewusstseins aii, mit einem Ignoramus — nicht, wie es physisch vermittelt werde, wohl aber, was es wirklich sei — sich bescheidet. Bleibt die Naturwissenschaft als solche nüchtern und besonnen bei diesem ihrem Ignoramus gegenüber der Welt des Bewusstseins, so anerkennt sie damit nur reinlich die natürlichen Gebietsgrenzen zwischen den verschiedenen Wissenschaften. Allein dies ihr Ignoramus ist etwas ganz Anderes als die principielle Skepsis gegen die Wissenschaft vom „Uebersinnlichen" üherhaupt, die in der Metaphysik gipfelt. Oder wenn auch einer, nicht als Naturforscher sondern als Philosoph, jenes natürliche Ignoramus für die Naturwissenschaft zu einer Skepsis gegen die Metaphysik ausdehnt, — so ist dies zwar nicht vernünftig, aber dem Betrieb der Naturwissenschaft selbst schadet es direct wenig. Wenn hingegen der Theologe sich durch den durchaus berechtigten
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen Realismus.
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und begründeten Respect vor der Naturwissenschaft verleiten lässt darüber hinaus auch noch einen Bückling vor der Skepsis gegen die Metaphysik zu machen, welche Skepsis sich nur unberechtigter Weise unter die Firma der Naturwissenschaft stellt, so steht für ihn die Sache Schlimmer. • Durch diese Thorheit durchschneidet er seiner ganzen Wissenschaft den Nerv; denn das Gebiet dieser, die Religion, reicht gerade wesentlich hinüber in das, dessen wissenschaftliche Erforschung die Sache der Metaphysik ist. Aus einer abergläubischen Furcht vor Metaphysik überhaupt spricht man der Theologie von vornherein die Fähigkeit ab, ihrem Gegenstande, dem menschlichen Glauben, auf seinen objectiven Wahrheitsgrund zu kommen. Dann bleibt allerdings die theologische Wissenschaft (neben geschichtlicher und sprachlicher Gelehrsamkeit in der Beschaffung des empirischen Stoffes) auf die Kunst reducirt, für den subjectiven Glauben bildliche Redensarten und Cautschukformeln zu fabriciren, mit denen man den heikein Fragen, was denn an all' dem ernstlich wahr sei, geschmeidig ausbiegen kann, ohne sich doch irgendwo ertappen zu lassen, dass man als letztes Wort auf all' diese Fragen ein skeptisches „rion liquet" habe, — wenn man nicht etwa sich mit einem salto mortale auf den festen Boden eines „positiven" Glaubens hinüber gerettet hat. Von diesem der Controle einer wissenschaftlichen Metaphysik entzogenen Standort aus kann man dann freilich ganz ungenirt das Gebiet des „Uebersinnlichen" wieder in Beschlag nehmen, das man der Wissenschaft abgesprochen hat. Ich verdenke es keinem Theologen, wenn er in dem bodenlosen Sumpfe des Skepticismus nicht mag stecken bleiben, sondern nach einem festen Grunde sucht. Das aber geht nicht mit rechten Dingen zu, wenn er die principielle Skepsis als Sprungbrett henutzt, um sich auf den unangreifbaren, weil auf fester Brücke unzugänglichen Boden irgend eines positivistischen Glaubens hinüberzuretten und von da aus noch mit seiner festen Position gross zu tliun. Skepsis und nüchterne Kritik, weit entfernt das Gleiche zu sein, stehen vielmehr gerade in umgekehrtem Verhältniss: S k e p s i s a m v e r k e h r t e n O r t n e u t r a l i s i r t d i e K r i t i k a m r e c h t e n O r t , und verträgt sich nicht blos mit dogmatistischem Positivismus, sondern mündet mit N o t w e n d i g k e i t regelmässig in einen solchen aus. Aber eben so sicher bleibt dann auch der Rückschlag nicht aus. Ein Gebiet, das nur mit dogmatistischem Positivismus behauptet wird, giebt sich natürlich dadurch der radicalen Skepsis aller übrigen Welt Preis. Wenn das nun nur das verdiente Schicksal einer s k e p t i s c h - p o s i t i v i s t i s e h e n Theologie wäre! Allein diese verschuldet es dadurch mindestens ebenso viel, wie eine direct religionsfeindliche Afterwissenschaft, wenn die Religion selbst im öffentlichen Urtheile dem skeptischen Misskredit anheimfällt, dass sie wohl überhaupt keinen realen Kern habe, sondern sich auf blosse Illusion und Phantasie reducire, mit
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I-
Die erkenntniss-theöretische Grundlage.
§§ 10. 11.
der es eben darum jeder halten könne, wie ihm beliehe, ohne sich an irgend einer objectiven Wahrheit zu versündigen. Diese Taxation der Religion ist unter allen Formen viel verbreiteter, als man sich gern gestehen mag: ruht doch die Forderung der Glaubensfreiheit und Toleranz als einer für unsere aufgeklärte Zeit ganz selbstverständlichen Sache gemeinhin auf keiner besseren Grundlage. An dieser kernlosen Auffassung der Religion trägt aber nicht zum geringen Theil eine Theologie mit Schuld, welche als Wissenschaft mit grundsätzlicher Skepsis beginnt, um damit ihrem Positivismus Raum zu schaffen, auch wenn sie in ihrem weiteren Aufbau zeigt, dass es ihr, zwar unkritisch, aber doch solid, Ernst damit ist, ein wirklich positives Gebäude zu erstellen. Allein wie oft ist nicht einmal dieses der Fall, und stellt sich die positivistische Redeweise nur als Rhetorik heraus, deren feste Position darin besteht, sich jeder bestimmten Fassung geschickt zu entziehen. 4. Ich schlage — und sollte ich damit auch wider den gegenwärtig herrschenden Strom schwimmen — den einer solchen mit der Skepsis gegen ein wissenschaftliches Erkennen des Kernes der Religion beginnenden Theologie direct entgegengesetzten Weg ein. Ich beginne, ohne dogmatistisch nachgebetete Skepsis, mit der kritischen Untersuchung, was die Metaphysik von wirklicher Erkenntniss gewinnen könne, und stelle darauf hin der Religionswissenschaft die Aufgabe, den realen Kern der Religion zur Erkenntniss zu bringen. Die Religion ist die praktische Erhebung des Menschen zu dem, zu welchem die Metaphysik die Erhebung seines denkenden Geistes ist. Giebt es keinerlei Erkenntniss von diesem Gebiete, dann giebt es allerdings keine Erkenntniss, was der reale Wahrheitskern der Religion sei. Wie weit aber eine metaphysische Erkenntniss überhaupt möglich ist, ist auch eine Erkenntniss der Wahrheit im Glauben möglich, und die Glaubenswissenschaft kann eine wirkliche Wissenschaft von ihrem Gegenstande sein und mehr als ein blosses Systematisiren bildlicher Redensarten.
§ 10. Die Bestimmung der natürlichen Grenzen der Metaphysik als Wissenschaft ist Sache der E r k e n n t n i s s t h e o r i e , und •diese muss sich auf die p s y c h o l o g i s c h e Analyse des Bewusstseinsprocesses gründen. 1. Man hat bei der Frage nach der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit der Metaphysik nicht von einer dogmatistisch mitgebrachten Vorstellung über ihre Beschaffenheit, die nur auf diese oder jene Art, sie zu betreiben, passt, sondern von dem rein Formalen auszugehen, über das kein Streit sein kann: dass sie die auf die Principien oder die subjectiv letzten, objectiv ersten Gründe des als Erfahrung gegebenen Seins
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Der Grundsatz des reinen Realismus.
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und damit auch seines Erkennens gerichtete Wissenschaft bezeichne. Der Anspruch der Metaphysik darauf, als Wissenschaft zu gelten, reicht genau so weit, als eine Erkenntniss in Beziehung auf diesen ihren Gegenstand möglich ist. Ihr von vornherein den wissenschaftlichen Character abzusprechen, ist ein nachgebeteter Dogmatismus, der nur eine specielle Art von Metaphysik im Auge hat. 2. Auch darüber darf das formale Einverständniss vorausgesetzt werden, dass unter s p e c u l a t i v e m Denken die speciell in der Metaphysik, dem Aufsteigen von der Erfahrungswelt zu ihren letzten Gründen in Anwendung kommende Denkoperation zu verstehen sei, in der Unterscheidung von dem auf die Erfahrungswelt als solche gerichteten e m p i r i s c h e n Denken, wie immer man auch dann weiter das Verhältniss von beidem fassen möge. Es sollte eigentlich nicht nöthig sein, dies vorauszuschicken, wenn nicht der Dogmatismus im Schwange ginge und selbst bei sonst verständigen Leuten zu einfältigen Expectorationen führte, über Metaphysik und Spéculation kurzweg so zu urtheilen, als ob es von vornherein nur die eine Façon gäbe, die man eben im Auge hat. 3. Die Metaphysik ist die auf die Erkenntniss der letzten Gründe des Seins und Erkennens gerichtete Wissenschaft. Die Bestimmung ihrer Leistungsfähigkeit als Wissenschaft, die Bestimmung der natürlichen Grenzen des Erkennens, macht speciell die E r k e n n t n i s s t h e o r i e aus. Diese gelbst aber, soll sie mehr als ein willkürlich angenommenes Axiom sein, muss auf die P s y c h o l o g i e , als die Wissenschaft vom tbatsächlichen Bewusstseinsprocess des menschlichen Geistes, durch welchen Erkenntniss zu Stande kommen soll, fussen.
§ 11. Gegenüber allem metaphysischen D o g m a t i s m u s , der das Object der Metaphysik, den absoluten Realgrund der Erfahrungswelt, von vornherein nach vorstellungsmässiger Analogie von Erfahrungsdingen fasst und damit die Metaphysik als c o n c r e t - d u a 1 i s t i s c h e Weltanschauung von einer „übernatürlichen" Welt hinter der natürlichen entweder — s p i r i t u a l i s t i s c h — mit speculativer Phantasie ausbaut, oder — n a t u r a l i s t i s c h — als blosse Phantasie verneint, — hat K a n t ' s kritische Erkenntnisstheorie die Metaphysik zunächst auf die Wissenschaft einer Grenzbestimmung zwischen der erkennbaren Erscheinungswelt und der bewusstseinstranscendenten Welt der Dinge an sich mit blos regulativen Vernunftpostulaten für die wissenschaftliche Verstandeserkenntniss der Erfahrungswelt reducirt, —
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I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§11.
Allein die Erkenntnisstheorie K a n t ' s m i t der auf sie basirten Metaphysik ist noch a b s t r a c t - d u a l i s t i s o h
geblieben, indem sie
die untrennbaren Momente des Bewusstseinsprocesses widernatürlich auseinander Antinomie
reisst zwischen
und
sich
durchweg
vernünftiger
in
der
Vorstellung
Schwebe und
einer
kritischem
Denken hält. 1. Der bekanntlich zufällig entstandene Name „ M e t a p h y s i k " fiir A r i s t o t e l e s 1 „erste Philosophie", als "Wissenschaft von den Principien, ist fiir die Vorstellung von der so bezeichneten Wissenschaft ominös geworden, als bedeute sie die Wissenschaft von einer W e l t h i n t e r u n d ü b e r d e r n a t ü r l i c h e n W e l t , dem Gebiete der „Physik" im umfassenden Sinne des Wortes. Und in diesem Sinn wurde sie dann entweder positiv ausgebaut, oder als blosse Phantasiespeculation verworfen, Diese Vorstellung von ihr ist zwar nicht aus dem Namen entstanden; derselbe hat aber wesentlich mit zur Gewöhnung daran beigetragen. Ihren eigentlichen Ursprung hat sie — um hier kurz vorauszuschicken , was nachher nachgewiesen werden soll — einfach in der psychologisch ersten Form auch des Denkens im engeren Sinn, im v o r s t e l l u n g s m ä s s i g e n D e n k e n , welches das rein Geistige, das ihm vorschwebt, um es vom sinnlich Existirenden zu unterscheiden, in dieser Unterscheidung aber als etwas nicht minder Reales als dieses zu fassen, selbst wieder nach Analogie sinnlicher Existenz in abstract-sinnlicher Form objectivirt und dem „Sinnlichen" als „Ucbersinnliches", dem „Natürtürlichen" als „Uebernatürliches" gegenüberstellt. Bei dieser primären psychologischen Form der Metaphysik liegt es auf der H a n d , dass ihr Gegenstand mit dem der religiösen Vorstellung identisch ist, nur dass er dort den Gegenstand eines theoretischen Interesses und hier einer praktischen Lebensbeziehung bildet. Darum hat auch das metaphysische Bedürfniss des menschlichen Geistes stets sich zunächst in der ihm schon vorausgehenden Vorstellungsform der Religion ein Genüge zu thun gesucht, — in welches Verhältniss es sich dann auch im Verlauf zu der aus einem anderen Bedürfniss entsprungenen religiösen Vorstellungswelt setzen mochte. Man kann daher allerdings ganz richtig sagen, die religiösen Vorstellungen vertreten für das populäre Bewusstsein die Stelle der Metaphysik; wenn man nur nicht mit völliger Verkennung dessen, was die Religion überhaupt ist, umgekehrt daraus folgert: also vertrete auch für den Denkenden die Metaphysik die Religion. Nicht einmal die religiösen Vorstellungen, wie uns im späteren Zusammenhange klar werden wird. Ueberall sind die religiösen Vorstellungen den metaphysischen voraus-
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Der Grundsatz des reinen Realismus.
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gegangen und haben sich diesen als nächste Form dargeboten. Vollends, so lang eine Religion so sehr der Sauerteig der ganzen geistigen Entwickelung einer Zeit gewesen ist, dass die übrigen Zweige des menschlichen Geisteslebens sich erst allmälig von der Autorität derselben zur selbständigen Entwickelung emancipirten, wie dies mit dem Christenthum bis zum Beginne der Neuzeit der Fall gewesen ist, war es auch ganz natürlich, dass die Metaphysik, selbst bei geschärftestem theoretischem Interesse, sich doch vor der Hand nur in der Form der kirchlichen Glaubenslehre ausprägen konnte. Und ich stehe nicht an zu erklären, dass ich unsere alt-orthodoxe Dogmatik auch als Metaphysik sowohl formal f ü r scharfsinniger, consequenter, in sich geschlossener, als auch inhaltlich für tiefer taxiren muss, als alle metaphysischen Systeme einer von ihr emancipirten Philosophie, wenn diese von der Durcharbeitung der metaphysischen Probleme in jener nicht vollständig Kenntniss genommen haben. Das ist auch sehr natürlich. Weil die alte Dogmatik noch ganz naiv in der gegebenen Form religiöser Vorstellung arbeitete, konnte sie auch von den härtesten Verstandeswidersprüchen unbeirrt die in den Dogmen liegenden metaphysischen Probleme so concentrirt bis auf die letzte Consequenz hinaus verfolgen und in jener Form ausprägen, wie das kein Moderner, weder der autoritätsgläubigste noch der freieste, mehr so gut h a t ; denn dieser muss auf jedem Schritte sich mit verschiedenen erkenntnisstheoretischen Standpunkten in's Reine setzen. Dies der formale Vortheil, den die Metaphysik in der Form der alten Dogmatik hatte. Dass sie aber auch inhaltlich gerade die tiefsten Probleme der Metaphysik durchgearbeitet h a t , liegt einfach daran, dass die Metaphysik in dem Grade direct auf ihre tiefsten Probleme stösst, als sie von den höchsten Thatsachen der Erfahrungswelt ausgeht, um nach den letzten Gründen der Erfahrungswelt überhaupt zu fragen. Die höchste E r f a h r u n g s t a t s a c h e ist aber die des religiösen Geistes; diese weist am directesten- auf die letzten metaphysischen Probleme hin. Alle Metaphysik, welche von den Thatsachen des Geisteslebens und speciell des religiösen Lebens keine oder nur äusserliche, oberflächliche Notiz nimmt, welche blos von den Thatsachen, die in der Naturwelt vorliegen, ihren Ausgang nimmt und nur von diesen aus nach den letzten Gründen der gesammten Erfahrungswelt fragt, muss, gerade wenn sie nüchtern bleibt und nicht blos renommirt, dahin ausmünden, dass sie erklärt, ihr Ziel sei ein für sie unerreichbares X. Erst wenn sie von den Thatsachen des Geisteslebens auf Basis des Naturlebens ausgeht, kann die Metaphysik ihrem Ziele näher rücken; allein erst von dem P u n k t in der Erfahrungswelt aus, wo in jenem thatsächlich sein realer Zusammenhang mit seinem Urgründe auftritt, erst von der Thatsache der Religion aus — wohl verstanden von der T h a t s a c h e der Religion, nicht von irgend welcher religiösen V o r -
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I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§11.
S t e l l u n g aus — vermag sie mit ihrer theoretischen Frage nach den letzten Gründen alles Seins an ihr Ziel wirklich hinanzureichen. Diese formal scharf- und inhaltlich tiefsinnige Metaphysik der altkirchlichen Dogmatik hatte nur den einen Grundfehler, der sie nun freilich tale quäle wissenschaftlich unbrauchbar macht: dass sie psychologisch naiv vorstellungsmässig und erkenntnisstheoretisch crass dogmatistisch war. Allein dogmatistisch ist auch jede andere Metaphysik, welche — und sei's auch von allem religiösen Dogma vollständigst emancipirt — von der empirischen Welt aus nach deren letztem Grunde fragt, aber in der Fassung desselben und seines Verhältnisses zur empirischen Welt nicht blos, wie natürlich, von dieser letzteren ausgeht, sondern dabei nach der A n a l o g i e der einzelnen Erfahrungsrealitäten — sei's nun sensualistisch der sinnlichen, sei's nun spiritualistisch der geistigen Welt — und ihres Verhältnisses zu einander verfährt, ohne sich dabei vor allem über die Leistungsfähigkeit der zu dieser Aufgabe verwendeten Denkthätigkeit Rechenschaft gegeben zu haben. 2. Mit diesem Letzteren gründlicher als je zuvor für die Metaphysik begonnen, die Metaphysik auf eine „Kritik der reinen Vernunft" gegründet zu haben, ist K a n t ' s epochemachende That gewesen, durch die er im Grundsatze wenigstens an die Stelle aller d o g m a t i s t i s c h e n Metaphysik die k r i t i s c h e gesetzt hat. Allein mit dem ersten Schritt hat K a n t die Bahn eines solchen erkenntnisstheoretischen und damit auch eines solchen ontologischen D u a l i s m u s zwischen der für die Erkenntniss offenen Erfahrungswelt und der für sie unzugänglichen und doch zu postulirenden metaphysischen Welt betreten, dass für die Metaphysik, sofern sie auf wirkliche wissenschaftliche Erkenntniss Anspruch machen wollte, nur noch die Aufgabe einer für die Erkenntniss regulativen Grenzbereinigung, immerhin wichtig genug, übrig blieb. Dieser erkenntnisstheoretische D u a l i s m u s — das Universum aus einer erkennbaren Erscheinungswelt und aus einer unerkennbaren Welt der Dinge an sich b e s t e h e n d — , aber ein a b s t r a c t e r Dualismus, der zwar bei der Zweiheit bleibt, allein für die Erkenntniss von der einen Hälfte abstrahirt, macht den Grundcharakter von K a n t ' s Philosophie vop Anfang bis zu Ende aus. Mit ihm muss sich auseinandersetzen, wer von Metaphysik reden will: nicht dadurch, dass er ihm einfach wieder dogmatistisch ein anderes metaphysisches Princip entgegenstellt, sondern auf fruchtbare Weise einzig dadurch, dass er K a n t selbst der Kritik unterwirft, und vor allem darauf hin ansieht, ob er nicht ebenfalls dogmatistisch einen unrealen Ausgangspunkt genommen habe. Und hier gestehe ich nun von vornherein, dass ich jenen Dualismus, wie gross ich auch von K a n t denke, von Anfang bis zu Ende nicht theilen k a n n , indem ich in dem Ausgangspunkte desselben nur eine psychologische F i c t i o n zu erkennen vermag, durch
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Der Grundsatz des reinen Realismus.
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welche das als wirklicher Ausgangspunkt uns Gegebene widernatürlich auseinander gerenkt ist, das wieder natürlich einzurenken mir gegenwärtig als die erste Aufgabe einer Erkenntnisstheorie erscheint. 3. Den psychologischen Grund für jenen Dualismus sehe ich in der p e r s ö n l i c h e n G e i s t e s a r t des grossen Weisen von Königsberg, und in der Stellung, die er mit dieser zwischen den erkenntniss-theoretischen Standpunkten einnahm, an welchen sein eigener sich kritisch herausgebildet hat. K r i t i s c h e r S c h a r f s i n n und s p e c u l a t i v e r T i e f s i n n waren beide in ihm im eminentesten Grade vereinigt, aber nur vereinigt n e b e n e i n a n d e r , nicht ineinander, sondern einander g e g e n ü b e r sich das Gleichgewicht haltend. Und zugleich war K a n t , was seinen philosophischen Charakter gerade so ehrwürdig maclit, in beidem gleich rückhaltlos, wahrhaftig und ehrlich. So vermittelte er zwischen den erkenntniss - theoretischen Fundamentalgegensätzen des in metaphysischen Skepticismus ausmündenden sensualistischen Empirismus und des dem Dogmatismus verfallenden spiritualistischen Rationalismus, in welchen beiden er ein "Wahrheitsmoment erkannte, dem er gerecht werden wollte; allein er that es in der Weise, dass er sie h a l b i r t miteinander verknüpfte, aber nicht zu M o m e n t e n einer wirklich e i n h e i t l i c h e n Theorie erhob. Dass K a n t in der Zergliederung des Erkenntnissprocesses einem reinen Realismus gegenüber vom s u b j e c t i v e n Factor ausging, war natürlich; dass ihm aber dabei der Vergleich mit der „copernicanischen" That, nur in umgekehrter Anwendung, vorschwebte, führte ihn unversehens dazu, dies auf die Spitze zu treiben und den subjectiven Factor so zu bestimmen, dass der Leser es zunächst durchaus im Sinn eines blos s u b j e c t i v e n I d e a l i s m u s verstehen musste, wie er selbst es doch nicht verstanden wissen wollte. Aber indem er die Correctur betonte , ohne doch seine erste Fassung aufzuheben, trat der a b s t r á e t e D u a l i s m u s seiner Erkenntnisstheorie und damit auch seiner Metaphysik erst recht zu Tage. 4. Die Wurzel dieses Dualismus liegt in dem p s y c h o l o g i s c h e n Ausgangspunkte. Ist der S t o f f unserer Bewusstseinswelt nur in der der Form derselben schlechthin heterogenen „Empfindung" von ausserhalb unserer selbst, als Subject des Bewusstseins, gegeben, ihre F o r m aber a priori in uns selbst: so liegt der letzte Grund für unser Bewusstsein nicht blos in zwei essentiell verschiedenen M o m e n t e n , sondern auch an zwei existentiell getrennten O r t e n . Dies tritt zunächst in dem Doppelsinn hervor, der in K a n t ' s „ D i n g an s i c h " sich mit Nothwendigkeit aufthut. Der nächste Sinn, in welchem bei der Reflexion auf unseren Wahrnehmungsprocess jener Begriff des „Ding an sich" einem naiven Realismus gegenüber sich einstellt, ist natürlich kein anderer als der: das Ding an sich ist der Gegen-
62
I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 11.
stand unserer Wahrnehmung in seiner objectiven Realität für sich, abgesehn von seiner Relation zu uns, in der wir ihn natürlich allein wahrnehmen. Sollen nun aber — nach K a n t — die Seinsformen, in denen die Dinge uns erscheinen, die Formen des sinnlichen Daseinsprocesses in Raum und Zeit, und die Formen des logischen Seins, die Kategorien, als unsere „Anschauungs"-formen und unsere „Verstandes"-formen, nur der Erscheinung für uns, nicht aber dem „Ding an sich" zukommen, wenigstens ihm nicht beigelegt werden dürfen, weil „das Ding an sich" ja den bewusstseins-transcendenten Gegensatz zur Erscheinung für unser Bewusstsein bezeichne: so ist damit unter der Hand aus dem ursprünglichen unschuldigen physischen „Ding an sich" ein ganz anderes, ein m e t a p h y s i s c h e s X geworden. J e n e s macht objectiv die Welt unseres Bewusstseins aus, indem es existentiell eins ist mit seiner Erscheinung für unser Bewusstsein. D i e s e s aber ist unserer Bewusstseinswelt subsistentiell transcendent, da ihm keine Seinsform unserer Bewusstseinswelt als ihm objectiv zukommend dürfe zugesprochen werden, ausser dass es das X ihres metaphysischen Grundes sei, — also doch wieder wenigstens durch die Eine Kategorie der Causalität mit unserer Erscheinungswelt objectiv in Zusammenhang gebracht ist. Durch diesen Doppelsinn von „Ding an sich", der bei K a n t bei jedem Athemzuge hervorbricht, ist der natürliche Ausgangspunkt für die Erkenntnisstheorie widernatürlich zu einem durchaus abstracten metaphysischen Dualismus auseinandergerenkt, wodurch es — um dies gleich hier schon uns zu merken — für die Folgezeit gleich nahe gelegt war, dies K a n t i s c h e „Ding an sich" in seinem metaphysischen Sinn entweder als inhaltsleeres und darum völlig überflüssiges Postulat einfach zu streichen, oder umgekehrt es zum An-sich der Dinge, als dem immanenten Wesensgrund ihrer objectiven Erscheinung, umzubiegen. Nun kommt es ja oft vor, dass ein und dasselbe Wort allgemein in zweifachem Sinne gebraucht wird; das für uns wichtigste Beispiel ist das Wort G l a u b e n , im erkenntniss - theoretischen und im religiösen Sinn. Allein mit dem „Ding an sich" verhält es sich nicht so, dass K a n t dieses Wort abwechselnd für zweierlei wohl auseinander gehaltene Begriffe gebraucht hätte. Nein, das „Ding an sich" in dem e i n e n Sinn, im Gegensatze zur subjectiven Erscheinung des Dinges für uns, und in dem a n d e r e n Sinn, als das Ansich, das Wesen der Dinge im Gegensatze zu ihrer o b j e c t i v e n Erscheinung, schillert, wie auch sein Gegensatz, „die Erscheinung", bei K a n t nicht blos hie und da, sondern durchgängig und wesentlich in zwei Farben. Um es kurz in meinem Sprachgebrauch auszudrücken, der sich freilich erst im Folgenden wird rechtfertigen müssen: K a n t ' s „Ding an sich" ist der G e d a n k e des An-sich der Dinge, aber selbst wieder
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen Realismus.
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a b s - t r a c t d i n g l i c h und darum d u a l i s t i s c h den wirklichen Dingen gegenübergestellt. 5. Auf den gleichen abstracten Dualismus stossen wir bei K a n t im Verhältniss zwischen den I d e e n der V e r n u n f t und den B e g r i f f e n des V e r s t a n d e s . Diese letzteren fassen den Rohstoff der Erfahrungswelt in die dem Geist innewohnenden logischen Formen des Verstandes und bringen dadurch die wissenschaftliche Erkenntniss zu Stande, deren Gebiet so von vornherein auf die Erfahrung der Erscheinungswelt abgegrenzt ist. Die Ideen der Vernunft gehen dagegen auf das Unendliche als den jenseitigen Grund der subjectiven Erscheinungswelt; sie sind daher eo ipso transcendent für die Erfahrung und deren begriffliche Verstandeserkenntniss, sie sind transcendental, auf Bewusstseins-transcendentes sich beziehend. Dies soll sich darin offenbaren, dass der Verstand, so wie er sie begrifflich fassen will, sich in Antinomien verfange, sie gleichzeitig bejahen und verneinen müsse. Darum bleibe nichts anderes übrig, als jene Vernunftideen zu postuliren, aber als ein blosses X , als nur regulatives Princip, nicht als constitutives Element für die wissenschaftliche Erkenntniss. Und zwar ist es bei K a n t mit beidem gleich ernst gemeint. "Wieder in meinem Sprachgebrauch ausgedrückt: K a n t ' s J a auch des Verstandes zu den Vernunftideen, so dass er nicht umhin kann sie als denknothwendig zu postuliren, geht auf den wirklichen G e d a n k e n darin; sein N e i n dagegen auf die F o r m , in welcher jede vorstellungsmässige Metaphysik das rein Ideelle doch wieder in einer von der sinnlichen, raum-zeitlichen Existenz abstrahirten Form a b s t r a c t - d i n g l i c h , „ ü b e r s i n n l i c h " - s i n n l i c h der real-dinglichen "Welt gegenüberstellt, um es in dieser vorstellungsmässigen Form entweder spiritualistisch (nicht idealistisch) zu bejahen, oder dann materialistisch zu verneinen. K a n t ' s Tiefsinn war eben so unbestechlich darin, dass er jenes J a festhielt, als sein Scharfsinn darin, dass er dieses N e i n durchführte. Da er aber doch noch an der vorstellungsmässigen Form der Ideen festhielt — denn so kommt doch sowohl die Idee Gottes als die Idee der Seele, wie ihr Postulat das positive Ergebniss des moralischen Beweises für K a n t bildet, zum Vorschein — : so blieb ihm schlechterdings nichts anderes übrig, als jene Ideen zwar positiv zu postuliren, aber sie zugleich für ein den Verstand transcendirerides X zu erklären. Sollte aber die Metaphysik, die Beschäftigung mit jenen Ideen, eine Wissenschaft und damit Verstandessache bleiben, so musste sie sich als k r i t i s c h e Metaphysik auf die Aufgabe einer exacten Bestimmung der Grenze zwischen dem wissenschaftlich Erkennbaren und dem nur zu postulirenden Unerkennbaren beschränken. 6. Ein weiterer, für K a n t charakteristischer Dualismus bildet den bedeutungsvollen Ansatz zu einer Ueberwindung seines erkenntniss-
I.
64
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 12.
theoretischen Dualismus: es ist der zwischen t h e o r e t i s c h e r und p r a k t i s c h e r V e r n u n f t . Auf Einem Punkte nämlich der endlichen Erfahrungswelt anerkannte K a n t nicht blos, sondern betonte er a u f s nachdrücklichste, dass darin das Unendliche positiv gegeben sei: im kategorischen Imperativ der praktischen Vernunft. Von diesem Einen Punkt aus war ihm die Idee Gottes, als des absolnten Grundes, und das absolute Moment im menschlichen Ich (als intelligible Freiheit und Unsterblichkeit), die ihm für die theoretische Vernunft ein blosses und zwar durch eine Antinomie gelähmtes Postulat geblieben, positiv garantirt. Aus den übrigen Beweisen für das Dasein Gottes (und fiir die Unsterblichkeit) hatte sich für K a n t ' s theoretische Vernunft und die ihr zukommende Arbeit des Welterkennens nur das Regulativ ergeben, die Welt und die in ihr herrschende Causalität (auch im empirischen Geistesleben) so aufzufassen, wie wenn es einen teleologischen Urgrund (und ein unendliches Ziel) gäbe; ob aber dem realiter so sei, darüber sei der theoretischen Vernunft kein definitiver Entscheid möglich. War nun aber in dem auf die praktische Vernunft basirten moralischen Beweise das Postulat Gottes (und der Freiheit und Unsterblichkeit der Seele) positiv garantirt: so war dadurch mittelbar auch das Postulat der anderen Beweise garantirt; denn alle diese Beweise zielen doch auf das gleiche Object, nur von verschiedenen Gesichtspunkten aus. Dieses ist und bleibt für die theoretische Vernunft zwar transcendent, der praktischen Vernunft dagegen schliesst es sich immanent auf. Für den ächten K a n t ist beides durchaus gleich wesentlich. 7. So macht ein a b s t r a c t e r D n a l i s m u s den Grundcharakter von K a n t ' s Philosophie aus: ein abstracter Dualismus zwischen den Factoren des Bewusstseins, S t o f f und F o r m ; abstracter Dualismus zwischen D i n g a n s i c h und E r s c h e i n u n g s w e l t ; abstracter Dualismus zwischen den V e r n u n f t i d e e n und den V e r s t a n d e s b e g r i f f e n ; abstracter Dualismus zwischen t h e o r e t i s c h e r und p r a k t i s c h e r Vernunft; abstracter Dualismus endlich zwischen J a und N e i n in den doch auf eine letzte Einheit hinweisenden Postulaten der Metaphysik.
§ 12. sequenten
Dieser abstracte Dualismus K a n t ' s musste in der conDurchführung je
des
gerissenen Momente in einen
einen
der
beiden
auseinander-
abstracten Monismus,
einerseits
in einen i d e a l i s t i s c h e n , andererseits in einen m a t e r i a l i s t i s c h e n ausmünden. — Das Scheitern
beider
aber
an ihrem Widerspruche mit der
dem Bewusstsein gegebenen Wirklichkeit, durch den sie in einander
1. Cap.
65
Der Grandsatz des reinen Realismus.
umschlagen, und zugleich einander gegenseitig aufheben, führt auf die Grundlage von K a n t ' s kritischer Aufhebung jeder dogmatistischen, c o n c r e t - d u a l i s t i s c h e n Metaphysik zurück, verweist aber auf das Problem,
nun a u c h ' d e n
abstracten
aus dem beide hervorgewachsen sind, nistische
Erkenntnisstheorie
Dualismus
durch
eine
bei
Kant,
concret-mo-
aufzuheben, welche uns Anweisung
giebt, die Welt unseres Bewusstseins in derjenigen Einheit zu fassen, in welcher sie uns thatsächlich gegeben ist. 1. Aller metaphysischen Speculation wohnt schon unmittelbar damit, dass sie einen letzten Grund alles Seienden sucht, nothwendig der Trieb nach einer einheitlichen Weltauffassung inne. Dieser schlug aus der Doppelwurzel in K a n t ' s abstractem Dualismus nach entgegengesetzter Richtung in m o n i s t i s c h e Weltanschauungen aus, die aber, je vollständiger sie sich ausprägten, auch um so bestimmter sich als a b s t r a c t e r Monismus herausstellten, weil sie doch nur entweder geradezu durch N e g a t i o n , oder doch durch substantielle R e s o r b t i o n je des einen Gliedes in K a n t ' s Dualismus zu Stande kamen, während beide Glieder nun einmal gegebene Thatsächlichkeiten sind, über deren Verhältniss zu einander und zu einer letztinstanzlichen metaphysischen Einheit der nüchterne K a n t in zurückhaltender Schwebe geblieben war. Kommt an unserem gesanimten Bewusstseinsinhalt die F o r m dem I c h selbst zu: so lag es, da Stoff und Form doch nicht subsistentiell getrennte Dinge sind, nach der einen Seite hin nahe, auch den S t o f f , also die ganze Bewusstseinswelt nach Stoff und Form, dem I c h einheitlich zu vindiciren, — bis zur Vollendung dieser Anschauung im a b s o l u t e n I d e a l i s m u s . — Allein eben so nahe lag es auf der anderen Seite: wenn einmal dem Bewusstseins-Icb der S t o f f zu seiner Bewusstseinswelt von a u s s e n gegeben ist, und es die Form dafür a priori mitbekommen hat, — sollte da nicht eben dieses N i c h t - I c h , die M a t e r i e , der substantielle Grund von Allem sein? — der M a t e r i a l i s m u s . 2. Dass Extreme, namentlich wenn sie eigentlich aus e i n e r Wurzel stammen, schliesslich sich auch wieder berühren, ja leicht ineinander umschlagen, hat sich auch hier gezeigt. S t r a u s s hat in seinem berühmt oder berüchtigt gewordenen Ausspruch, der Gegensatz zwischen Idealismus und Materialismus scheine ihm auf einen Wortstreit hinauszulaufen, dieser Thatsache den classischen Ausdruck gegeben. Den classischen Ausdruck; denn kürzer lässt sich in e i n e m Worte, welches etwas sehr Wahres grundschief ausdrückt, nicht sagen, dass gerade abstracte Extreme wieder zusammenführen. S t r a u s s selbst, der sich damit zum Materialismus bekannte, war ja weit entfernt deswegen seinem Idealismus abzusagen. Biedermann,
Dogmatik 2. And.
£>
fiß
I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 1"2.
Allein grundschief war doch sein Ausspruch. Ob Alles substantiell Idee, oder Materie, — das ist kein blosser Wertstreit: es sind vielmehr die einander negirenden Endpunkte zweier Gedankenreihen, von zwei in einem abstraften Dualismus nebeneinander liegenden, einander entgegengesetzten Ausgangspunkten aus. Allein wenn der monistische Trieb des metaphysischen Denkens dazu führt, von dem einen Ausgangspunkt aus alles als I d e e , vom andern aus als M a t e r i e zu fassen, so wird allerdings beides dem Umfange nach sich decken, als die beiden essentiell wohl zu unterscheidenden, aber nicht existentiell zu trennenden Momente der substantielleinheitlichen "Wirklichkeit, die man nur mit überstiegenen bildlichen Redewendungen, die in Wahrheit niemand wirklich eigentlich zu nehmen und auszudenken vermag, als darum essentiell eins, sei's nun als Idee, sei's als Materie, bezeichnen kann. Wenn man aber mit dergleichen bildlichen Redewendungen, bei denen zwar immer etwas Richtiges vorschwebt, wörtlichen Ernst macht und darauf ein monistisches System baut, so entsteht ein blosses Phantasiegebäude daraus, — wenn's nicht blos auf eine renommistische Rednerei hinausläuft. 3. Je mehr aber von beiden Seiten, von idealistischer und von materialistischer, die Früchte einer solchen abstract-monistischen Weltanschauung zu Tage traten, desto natürlicher erfolgte eine Rückkehr zum Standpunkte d e r , wenn auch abstract-dualistischen, Selbstb'eseheidung K a n t ' s ; oder wuchs bei denen, die nicht erst dazu zurückzukehren brauchten, die Zuversicht, dass es bei diesem Standpunkt ein für alle Mal sein Bewenden haben müsse. Das Jubiläum von K a n t ' s „Kritik der reinen Vernunft" ist zwar von allen, die seiner überhaupt gedachten, als eine Feier der grundlegenden Bedeutung dieses Werkes, von vielen aber kurzweg als das Restaurationsfest des Kantianismus begangen worden. Hier kann ich nun nicht mithalteil. In den nachgerade in's Alexandrinische ausgearteten Streit der K a n t - B e k e n n e r über die orthodoxe K a n t-Auslegung will ich mich nicht mischen. Ich lasse jedem das Recht, in dem, was er von K a n t festhält, den wahren Kern von K a n t zu erblicken, — wie ich mir an meinem Orte dieses Recht sowohl K a n t als auch H e g e l gegenüber vorbehalte. Aber das stelle keiner in Abrede, dass K a n t selbst, der wirkliche K a n t , Elemente in seiner Philosophie beisammen habe, die dualistisch auseinander klaffen, und dass die ganze Bedeutung von K a n t und seine epochemachende Wirkung auf die Folgezeit gerade hierauf beruht. Allein nicht nur diejenigen, welche nach verschiedener Richtung über K a n t hinausgegangen sind, erklären je das eine Moment in ihm, an das sie selbst anknüpfen, für das Aechte, das Bleibende an K a n t : das Gleiche ist auch bei denen der Fall, welche kurzweg die einfache Rückkehr zu K a n t als das alleinige Heil für die Philosophie gelten lassen. Wer kritisch an K a n t anknüpft, sei's nun
1. Cap.
67
Der Grundsatz des reinen Realismus.
an das rationalistische,
sei's an das empiristische Moment in ihm,
kann ganz sicher sein, dass irgend ein K a n t - B e k e n n e r ,
der
der den ächten
K a n t gerade auf der anderen Seite sucht, ihm vorwirft, dass er K a n t gar nicht verstanden habe.
Denselben Vorwurf
sieht
man aber
täglich
auch die kantischer Orthodoxie Beflissenen einander an den Kopf werfen. Ich bin der Ueberzeugung: auf K a n t
zurückzugehen;
es ist erkenntniss-theoretisch allerdings
aber um — auch ihm gegenüber kritisch
das, was er gleich in seinem Ausgangspunkte dogmatistisch
—
und der Er-
fahrung zuwider dualistisch auseinander gerenkt hat, wieder in das wahre Verhältniss, wie die psychische Erfahrung
es auch allein
an die Hand
giebt, einzurenken. 4.
Eä ist K a u f s
erkenntniss-theoretisches
Grunddogma,
das auch
richtig Unzählige ungeprüft dogmatistisch nachbeten: der S t o f f zu seinem Bewusstseins-inhalte sei dem Subjecte des Bewusstseins, dem Ich, nur als formlose „Empfindung" gegeben; die F o r m dagegen, in welcher derselbe natürlich allein
sein wirklicher Bewusstseins-inhalt
ist, stamme vom Ich
selbst her als seine ihm a priori innewohnende Form der Anschauung und des Verstandes.
Da wir aber natürlich die Welt nur in dieser aus
unserem Ich selbst stammenden Form in unserem Bewusstsein haben und sie nur ss unsere Bewusstseinswelt bildet: so bestehe unsere Welt (welche Finte in dem Doppelsinn: Allein
u n s e r e Welt!)
nur
in unserer Vorstellung.
die objective, die wirkliche Welt, abgesehn und unabhängig von
unserer Vorstellung von ihr?
Natürlich
ist
diese
nun eo ipso ein für
uns bewusstseins-transcendentes, unbekanntes und unbekannt bleibendes x ; denn was wir
mittelbar davon in's Bewusstsein zu bekommen
meinen,
hat dieses ja eben damit wieder in seine subjectiven Formen gefasst, so dass auch dieses wieder nicht das „Ding an sich" ist, sondern wieder nur das Ding in unserer subjectiven Vorstellung. Dieser
erkenntniss-theoretische
(damit
natürlich
noch lange
nicht
metaphysische) s u b j e c t i v e I d e a l i s m u s gilt von K a n t her als erkenntniss-theoretisches Grunddogma, von dem als einer nachgerade „trivial gewordenen
Voraussetzung"
„naiven Realisten" hin
als
auszugehn
unterscheide.
„antediluvianischer"
den
Allein
Philosoph
wirklichen
Philosophen
auch
auf
die
Gefahr,
taxirt
zu
werden,
—
vom
darauf dieses
k a n t i s c h e Dogma lehne ich von vornherein ab: es basirt dogmatistisch auf
einer
falschen,
abstract - dualistischen Voraussetzung
über das Ver-
hältniss von Stoff und Form unseres Bewusstseins, die vom ersten Schritt an die ganze Erkenntnisstheorie auf eine schiefe Bahn bringt und schliesslich in jeder Richtung auch zu einer schief angelegten Metaphysik führt. Was diese Theorie
einem „naiven
Realismus" gegenüber
mit Recht gel-
tend machen kann, das alles weiss auch ich recht wohl, und mache es 5*
68
I.
Die erkenntniss-tlieoretische Grundlage.
§ 12.
ebenfalls vollständig geltend. Allein eine naive Einseitigkeit wird nicht dadurch corrigirt, dass man sie einfach auf den Kopf stellt. 5. „ N a i v e r " R e a l i s m u s ist die nächste Annahme, von der das Bewusstsein naiv, d. h. ohne Reflexion ausgeht, wenn es nicht an die Bedingungen denkt, durch die es zu Stande kommt: wir nehmen eben die Dinge wahr, wie sie objectiv sind; wahrgenommen oder nicht wahrgenommen von uns, — sie sind was sie sind und wie wir sie wahrnehmen können. Dieser Realismus übersieht allerdings naiv, wie viel an der Form unserer Wahrnehmung, in der die Dinge doch erst Inhalt unseres Bewusstseins werden, durch die Beschaffenheit des Snbjectes und seiner Wahrnehmungsorgane bedingt ist, ja wie vollständig sie durch die objective Relation der Dinge zu uns und durch unsere eigene physische und psychische Beschaffenheit bestimmt, also durch und durch r e l a t i v ist. Diese Einsicht im Grossen und Ganzen ist leicht zu gewinnen. Wird sie aber in's Einzelne hinein verfolgt, so droht sie allerdings so unabsehbar weit zu führen, dass man sich leicht dadurch verleitet sehen kann, den als unhaltbar aufgedeckten „naiven Realismus" durch eine „copernicanische That" einfach auf den Kopf zu stellen, und die Form unseres Wahrnehmungs-inhaltes g a n z dem S u b j e c t e zu vindiciren und die Welt unserer Wahrnehmung für bloss u n s e r e Vorstellung zu erklären. Dieser erkenntniss-theoretische s u b j e c t i v e I d e a l i s m u s i s t ' z u n ä c h s t nichts als der auf den Kopf gestellte naive Realismus; oder eine Schlinge, in die einer seinen Hals hineingiebt, um sich demselben zu entziehen. Allein jeder, der, um sich doch als einen Philosophen zu qualificiren, damit anhebt dies zu thun, zieht früher oder später seinen Hals doch wieder so oder so aus dieser Schlinge des subjectiven Idealismus zurück und sucht durch irgend einen Luftsprung wieder auf die Füsse eines objectiven Realismus zu kommen. Und wenn er auch im Princip bei seiner Anschauung bleibt, so verständigt er sich schliesslich doch mit dem naiven Realismus dahin, dieser habe ja schon Recht, seine unwillkürliche und unvermeidliche Illusion, als hätte unser Bewusstsein es mit den realen Dingen ausser uns, so wie sie uns erscheinen, zu thun — welche Illusion nur der Philosoph als eine solche durchschaue — , praktisch für die Erkenutniss unserer Erfahrungswelt geltend zu machen; denn — diese sei ja im Grunde nichts als unsere Vorstellungswelt. Der „naive Realismus" lässt sich am Ende diese Redeweise gefallen, denkt aber sicherlich dabei, die Philosophen seien doch eigentlich wunderliche Leute, die sich mit ihren Reden erst lange unnöthig im Kreise herumdrehen. Der gesunde Menschenverstand versteht den subjectiven Idealismus — „unsere Welt nur unsere Vorstellung" — zunächst immer als I l l u s i o n i s m u s : ich meine Dinge wahrzunehmen, aber dies ist alles nur Illusion; ich komme mit all' meinen Vorstellungen nicht aus mir selbst heraus: ich selbst
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen Realismus.
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allein bin mir meine Welt. Doch selbst der Fanatiker für die Erkenntnisstheorie des subjectiven Idealismus, S c h o p e n h a u e r , erklärt ja diese Theorie zwar für unwiderleglich, aber doch eigentlich in's Tollhaas gehörig. Und da niemand leicht freiwillig im Tollhause bleibt, so entspringt ihm auch S c h o p e n h a u e r mit einem kühnen Luftsprung, der ihn mit e i n e m Satz auf einen materialistischen Boden abstellt, ja bis an den Hals in denselben einsinken lässt, so dass er nur noch mit seinen platonischen Ideen darüber hinausragt. Innerhalb des Tollhauses aber, in das er gehört, hat der I l l u s i o n i s m u s nur als S k e p t i c i s m u s noch einigen Verstand: da ich es überall nur mit meinen eigenen Vorstellungen zu thun habe, so kann ich schlechterdings nicht wissen, ob dieser meiner subjectiven Vorstellungswelt irgend wie eine Realität entspricht und wie diese beschaffen sein mag. 6. So aber hatte K a n t selbst seine f ü r den naiv realistischen gesunden Menschenverstand allerdings s u b j e c t i v - i d e a l i s t i s c h lautende Erkenntnisstheorie nicht verstanden und nicht verstanden wissen wollen. Er hat sie j a auch nicht so, sondern t r a n s c e n d e n t a l e n I d e a l i s m u s g e n a n n t : weil für die „Empfindung", das einzige allerdings, was das Ich von aussen als Stoff f ü r sein Bewusstsein erhält, die Ursache im „Ding an sich" liegt, so ist dieses eine für das Ich nothwendige Idee, die, weil. sie sich auf etwas Bewusstseins-transcendentes bezieht, transcendental heisst. Raum und Zeit, die Anschauungsformen unserer Sinnlichkeit, und die logischen Stammbegriffe unseres Verstandes sind nicht subjective Formen im Sinn eines willkürlichen Erzeugnisses des empirischen Subjectes, denen nichts an sich Reales als ihr Grund entspräche; sie wohnen dem Ich a priori inne, sind ihm mit seinem eigenen Sein gegeben als die Formen, in der die Welt der „Dinge an sich" f ü r das Ich erscheint und damit seine Erfahrungswelt wird. Nur wie die „Dinge an sich", als der Grund für ihre Erscheinung für uns, abgesehen von dieser sind, das bleibt natürlich für das Bewusstsein einfach ein transcendentes x. So hat K a n t selbst den einen Fuss aus der Schlinge des subjectiven Idealismus wieder herausgezogen, und mit diesem stellt er sich auf den Boden der als Erfahrung gegebenen objectiven Erscheinungswelt; mit dem anderen aber tastet er, in dieser Schlinge gefangen, hinaus nach dem als subjectives Postulat wohl nothwendigen, aber nie als Erfahrung erreichbaren Grunde derselben. Weiter führen nicht und wollen auch nicht führen die scharfsinnigen Versuche der N e o - K a n t i a n e r , die es unternehmen, aufzuzeigen, wie das Bewusstseins-subject von dem ihm unmittelbar allein gegebenen Ausgangspunkte der „Empfindung" aus zur allmäligen Bildung seiner Raumund Zeitanschauung und seiner Denkformen komme, ohne dass diese ihm doch als die Formen des An-sich der Dinge gegeben seien. 7.
Die einzig rationelle Art aber, sich aus der subjectiv-idealistischen
70
I-
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§§ 12. 13.
Schlinge wirklich wieder herauszuziehen, wenn man sich doch einmal durch die Annahme des Grunddogma's von K a n t ' s Erkenntnisstheorie darein gegeben hat, ist H a r t m a n n ' s Begründung des „ t r a n s c e n d e n t a l e n R e a l i s m u s " . Dieser ergreift richtig den kleinen Finger, den K a n t schon dazu bietet, um sich aus der Schlinge zu helfen. Ist das „Ding an sich" nur einmal — mit K a n t — wenigstens als die U r s a c h e der Empfindung anerkannt und damit der subjective Idealismus wenigstens vom Banne des Illusionismus befreit, so folgt aus der objectiven Gültigkeit der einen Kategorie der Causalität für das bewusstseins-transcendente „Ding-an-sich" dieselbe Gültigkeit auch der übrigen Anschauungs- und Verstandesformen als seiner objectiven S e i n s - f o r m e n , und die der subjectiven Vorstellung von ihr entsprechende objective Realität der Welt, hinter der kein gespenstisches, der Himmel mag wissen wie aussehendes Dingan-sich mehr zu suchen ist, ist wieder gewonnen, wie der „naive" Realismus die Welt unserer Wahrnehmung unmittelbar genommen hatte. 8. Allein wozu erst den Kopf in die Schlinge des subjectiven Idealismus stecken, wenn jeder ihn schliesslich doch wieder heraus zu ziehen sucht? Ist wirklich eine Nöthigung dazu vorhanden? Einer unserer gewiegtesten Philosophen hat mir erzählt, wie S t r a u s s einst gegen ihn geäussert: er stehe vor jenem subjectiv-idealistischen Dogma K a n t ' s wie das Kameel vor dem Nadelöhr. Er führte mir diese Aeusserung an als Zeichen eines Mangels an speciftsch philosophischem Sinn bei S t r a u s s , dessen kritische Meisterschaft dagegen er so vollständig anerkannte, wie ich. Auch ich muss sie so nehmen, doch nur zur Hälfte. Sie tritt mir in vollständige Parallele zu jenem anderen Ausspruch von S t r a u s s : der Gegensatz von Idealismus und Materialismus komme ihm nur als ein Wortstreit vor. Beides ist bei S t r a u s s der ehrliche Ausdruck einer Reaction des gesunden realistischen Instinctes gegen philosophische Ueberstiegenheiten, die sich aber in der Verlegenheit fühlt, wie sie das Ueberstiegene auf seinen Wahrheitskern zurückführen und so wirklich philosophisch corrigiren solle. Denn eine Ueberstiegenheit, die eigentlich doch kein einziger so. wie er sie ausdrückt, auch wirklich ausdenkt, ist in der That die subjectiv-idealistische, Erkenntnisstheorie, mag dieselbe auch nur den Ausgangspunkt bilden für einen transcendentalen sei's Idealismus, sei's Realismus. Ich weiss nicht, wie S t r a u s s gegen das, was er offenbar als philosophische Ueberstiegenheit empfand, reagirt h a t ; der naive Ausdruck deutet allerdings darauf hin, dass es ihm hier so wenig wie dort gelangen ist, dieselbe auf die Wahrheit in ihr zu reduciren. Ich dagegen sehe mich durchaus nicht genöthigt meinen Hals erst in die Schlinge jenes subjectiven Idealismus zu stecken und ihn dann wieder, so oder so, herauszuziehen, um einerseits allem dem, was gegen
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen Realismus.
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den „naiven" Realismus mit Recht geltend gemacht wird, vollständig gerecht zu werden, und andererseits doch dem richtigen Instincte des Realismus, den offenbar S t r a u s s hatte, ebenfalls sein volles Recht werden zu lassen. —
§ 13. Der r e i n e R e a l i s m u s in der Erkenntnisstheorie besteht in der Durchführung des Grundsatzes, das Bewusstsein und seinen Inhalt rein so zu nehmen, wie es uns thatsächlieh gegeben ist, ohne sich von einer dazu mitgebrachten Hypothese zu einer Umdichtung verleiten zu lassen. — 1. Indem ich meine Erkenntnisstheorie als „ r e i n e n R e a l i s m u s " bezeichne, will ich damit nur den Grundsatz des Verfahrens., keineswegs aber zum voraus schon das Resultat desselben angeben: der Name hat nur methodologische, nicht metaphysische Bedeutung, wie das für die Bezeichnung einer Erkenntnisstheorie auch eigentlich allein angemessen ist. Ich nenne meine Erkenntnisstheorie einfach darum reinen Realismus, weil ich ihre Aufgabe in die Durchführung des einen Grundsatzes setze: für die Frage, was ist Erkennen und was können wir erkennen? das Phaenomen des Bewusstseins als die zum Ausgangsp u n k t für die Antwort gegebene Realität rein so zu nehmen, wie es uns wirklich vorliegt, ohne es zum voraus schon in den Rahmen einer bereits dazu mitgebrachten Theorie über seine B e s t a n d t e i l e und die Art und Weise seines Zustandekommens einzufassen. 2. Dieser Kanon scheint freilich selbstverständlich, und darum die Bezeichnung einer Erkenntnisstheorie nach demselben nichtssagend zu sein. E s scheint ja selbstverständlich der Vorsatz einer jeden Wissenschaft zu sein, die Dinge zu nehmen wie sie sind und sich geben: allein gerade für die Erkenntnisstheorie ist seine Befolgung am wenigstens selbstverständlich. Bevor wir nämlich überhaupt das Bedürfniss nach einer Erkenntnisstheorie empfinden, haben wir uns schon eine mehr oder minder bestimmte psychologische Theorie über das Subject des Bewusstseins und seine Thätigkeit gebildet, und schwebt uns schon bestimmter oder unbestimmter eine Antwort auf die metaphysische Frage nach dem letzten Grunde der Welt unseres Bewusstseins vor. Auf der psychologischen Theorie bauen wir unsere Erkenntnisstheorie auf, aber bereits von der Tendenz geleitet, unsere ebenfalls schon mitgebrachte Metaphysik damit zu begründen. Solcher Voraussetzungen uns aber für einmal zu entschlagen, um die Grundthatsache, das Bewusstsein selbst, vorerst einmal so, wie sie uns real vorliegt, auch rein zu fixiren, ist nicht so leicht, dass man es, sobald man sich's nur vorgenommen, auch einfach schon befolgte. Auch hier ist vielmehr das allerdings Einfachste auch das Schwerste.
I.
72
Die erkenntuiss-theoretische Grundlage.
§ 14.
Erstens erfordert es die Anstrengung stetiger, von allem andern, was erst nachher zu fragen ist, für einmal abstrahlender Concentration auf das, was zunächst allein rein als solches in's Auge zu fassen ist. Dies aber ist hier die Frage: als was ist uns das Bewusstsein thatsächlich gegeben? abgesehn noch von der nächsten Frage nach dem Process, durch den diese Thatsache zu Stande kommt, nnd vollends abgesehn von der weiteren Frage, die erst von der Beantwortung der letzteren ausgehn kann und das Ziel der Erkenntnisstheorie ausmacht, von der Frage nach der Grenze zwischen dem, was bewusstseins-immanent werden könne, und (lern was bewusstseins-transcendent bleiben müsse. Zweitens liegt aber noch eine ganz besondere Schwierigkeit im sprachlichen Ausdruck: wie kann man auch den Leser nöthigen, ebenfalls alle die Voraussetzungen, die ja auch er mitbringt, vorerst bei Seite zu legen und die Sache wirklich nur bei ihrem objectiv gegebenen Anfang anzufangen? In b e s c h r e i b e n d e r Weise vom Bewusstsein zu reden, so dass jeder gleich weiss, wovon die Rede ist, das ist leicht; aber einfach logisch, w a s es ist, so zu fixiren, dass es auch dem Leser klar wird, es könne sich hier in der That vorerst nur um rein formale Bestimmungen handeln, ist viel schwerer, zumal sich erst nach und nach herausstellen kann, dass die am Anfang so inhaltleer aussehenden Ausdrücke gerade eben darum die Form sind, die hier am Anfang allein zu brauchen ist, weil sie noch keinem Inhalte vorgreift, schliesslich aber doch die Form für allen Inhalt bildet. § 14.
Vorab ist die Grundthatsache, von der wir auszugehen
haben, das B e w u s s t s e i n in seinem ganzen Umfange, so zu nehmen und zu fixiren, wie es uns unmittelbar als Erfahrungsthatsache vorliegt: darum noch abgesehen von dem l ' r o c e s s , durch den es zu Stande kommt; denn dieser wild uns erst durch Reflexion bewusst. Zum Bewusstsein
gehören
zusammen
und sind
an ihm
zu
unterscheiden das B e w u s s t s e i n s - s u b j e c t , welches das Bewusstsein hat, und das B e w u s s t s e i n s - o b j e c t , welches den Inhalt des Bewusstseins
bildet (das Bewusstseiende und das Bcwusst-seiende).
Bewusstsein selbst ist nichts anderes als eine B e z i e h u n g beiden,
und zwar
eine r e a l e ,
Das
zwischen
aber eine rein i d e e l l - r e a l e :
ein
S e i n d e s O b j e c t e s f ü r d a s S u b j e c t , in dem Sinn, dass dieses Sein des Objectes wohl I n h a l t seiner selbst,
für
das Subject
real
ist
als
ideeller
aber ohne dass damit dessen Sein für sich
(was dasselbe auch sein mag) realiter in dies sein Sein i m Subjecte überginge.
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen Realismus.
Dadurch unterscheidet Subject und
Object
des Bewusstseins dinglichen)
sich
die i d e e l l e
des Bewusstseins,
Seinsbeziehung
Beziehung zwischen
in welcher
besteht, von der r e a l e n
73
die
Thatsache
(ob nun ideellen oder
zwischen zwei Subjecten oder Ob-
jecten, in welcher j e d e s bestimmendes Subject und zugleich auch bestimmtwerdendes Object einer Wechselbeziehung ist. Wohl aber setzt die B e w u s s t s e i n s - b e z i e h u n g ,
das Bewusst-
sein des Objectes für das Subject, eine g e g e n s e i t i g e r e a l e S e i n s beziehung
zwischen
durch welchen
beiden voraus
das Bewusstwerden
als Bedingung des Processes, des Objectes
für das Subject
erst zu Stande kommt. — 1. Wenn wir, rein realistisch, mit der Frage beginnen wollen: als was für eine Thatsache liegt uns das B e w u s s t s e i n , und zwar das Bewusstsein in seinem ganzen Umfange, alles was wir, welcher Inhalt und in welcher Form es immer sein mag, unter Bewusstsein verstehen, — als was für eine Thatsache liegt uns das Bewusstsein vor? so haben wir, nicht mit der anderen Frage anzufangen, durch was für einen P r o c e s s es zu Stande komme. Diese letztere Frage geht auf die genetische Erklärung des Bewusstseins aus; aber erst wollen wir einfach wissen, als was liegt uns das thatsächlich vor, was wir Bewusstsein nennen? Nach der Erklärung, wie es zu Stande kommt, haben wir natürlich gleich nachher zu fragen. Beginnen wir dagegen mit der Frage nach dem Process, aus dem die Thatsache des Bewusstseins hervorgeht, so gehen wir hinter das Bewusstsein selbst zurück, während wir zunächst einfach zu fixiren haben, als was für eine Thatsache es uns gegeben sei. 2. Vorab ist am Bewusstsein S u b j e c t und O b j e c t , die beiden Ausdrücke rein logisch genommen, zu unterscheiden: das S u b j e c t , welches das Bewusstsein hat, und das Object, welches gewusst wird und so den Inhalt des Bewusstseins ausmacht. Die Unterscheidung beider als B e w u s s t s e i e n d e s und B e w u s s t - s e i e n d e s ' ) , so umfassend sie an sich wäre, ist nur darum nicht wohl brauchbar, weil sie blos dem Auge, aber nicht genug dem Ohre dient. Das Bewusstsein selbst besteht in einer bestimmten B e z i e h u n g zwischen beiden, ist nichts anderes als ein bestimmtes Sein des Objectes für das Subject. Es fragt sich nur, was für eine Beziehung? im Unterschiede von anderen, die nur ein S e i n und nicht B e w u s s t s e i n sind. "Wenn man aber daraus, dass das Subject des Bewusstseins das Bewusstsein h a t , gern sofort folgert, also sei ') Von R e h m k e , D i e W e l t als W a h r n e h m u n g u n d B e g r i f f , eingeführt.
74
I.
Die erkenntuiss-theoretische Grundlage.
§ 14.
das Bewusstsein nur etwas i m Subjecte, so ist man schon auf dem Abweg einer vorgefassten Theorie, welche über die gegebene Thatsache des Bewusstseins hinausgeht. Ohne Subject kein Bewusstsein, — das ist g e w i s s ; aher ohne Object für das Subject auch kein Bewusstsein, — das ist ebenso gewiss. Das Bewusstsein ist frcilich nicht ein Ding, das ein Sein für sich hätte, kein anderes Sein als ein i d e e l l e s i n seinem S u b j e c t e ; aber in diesem ist es ein r e a l e s S e i n , gerade so real als dieses, die Seele, selbst; denn es macht einen Seins-inhalt derselben aus. Aber eben so existirt das Bewusstsein nur als der I n h a l t , der dem Subjecte bewusst ist, als das Object ihm gegenüber. Er besteht in nichts anderem, als in einer B e z i e h u n g zwischen beiden: ist i m Subject, aber das Object ist sein I n h a l t . Dass aber der I n h a l t einfach P r o d u c t des Subjectes selbst sei, das allfällige O b j e c t dagegen nur die hinter und ausser ihm liegende, also bewusstseins-transcendente Veranlassung zum suhjectiven Act der Production des Bowusstseinsinhaltes, ist nur eine Deutung des Processes, durch den es zu Stande kommt, und zwar eine auf einer schiefen Auffassung der Factoren dieses Proccsses beruhende, welche die vorliegende Thatsache des Bewusstsein» zu etwas anderem macht, als was sie vorliegt. Was auch das Object des Bewusstseins für sich sei (und es kann j a in der That selbst schon ein ideelles Product des Subjectes s e i n ) , — erst sein S e i n als O b j e c t für das Bewusstseinssubject, und zwar in seiner Seins-beziehung zu ihm, und die Beziehung des Subjectes auf dasselbe, b e i d e s z u s a m m e n , ihre B e z i e h u n g z u e i n a n d e r , diess ist das Bewusstsein selbst. 3. Man unterschiebt hier oft, um von vorneherein die Theorie des subjectiven Idealismus einzuführen, ziemlich plump dem l o g i s c h e n Verhältnis,«! zwischen S u b j e c t und O b j e c t ein e x i s t e n t i e l l e s Verhältniss. Logisch sind Subject und Object allerdings Correlata, eins nur in Beziehung auf's andere, das Object nur für das Subject und nicht ohne dasselbe. Dies dreht man nun aber für Subject und Object des Bewusstseins in ein E x i s t e n z v e r h ä l t n i s s u m : w a s Inhalt des Bewusstseins ist, und als dies natürlich Object nur f ü r das Bewusstseins-subject, das sei existentiell das, was es ist, nur d u r c h das Subject: unsere Bewusstseinswelt sei existentiell nur durch unser Vorstellen da und in demselben vorhanden. In dem Ausdruck „unsere Bewusstseinswelt" wird beides, was derselbe bezeichnen kann •— die Welt, die das O b j e c t unseres Bewusstseins bildet, und u n s e r Bewusstsein von ihr — einfach in eins und zwar in das letztere verschmolzen, während das eine auf das O b j e c t , das andere auf das S u b j e c t des Bewusstseins geht, das Bewusstsein aber eine B e z i e h u n g zwischen beiden ist. Ist der naive Realist durch dergleichen Redensarten — ein Object gebe es j a nur für ein Subject, also existire die Welt unseres Bewusstseins auch nur für uns in unserem
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen Realismus.
75
Bewusstsein, — gehörig geärgert und confus gemacht, so wird ihm freilich hintendrein lachend erklärt: so sei es j a allerdings nicht gemeint, als ob der B a u m , den er gesehn, aufhöre da zu sein, wenn er die Augen schliesse; der sei und bleibe was er ist, nach wie vor; hingegen der Baum als Inhalt unseres ßewusstseins, der sei blos in uns. Allein gerade dies Letztere ist nicht wahr; es ist aber auch nicht g a n z unwahr; wohl aber s c h i e f . Die Thatsache meines Bewusstseins von dem Baum ist eine r e a l e B e z i e h u n g zwischen mir als Subject und ihm als Obj e c t meinem Ich als Bewusstseins-subject gegenüber. 4. Das Bewusstsein liegt uns thatsächlich, und darum r e a l , vor als eine rein i d e e l l e Beziehung zwischen seinem Subject und seinem Object, dem Subject, welches das Bewusstsein hat, und dem Object, das sein Inhalt ist. E s ist eine rein i d e e l l e R e a l i t ä t , sofern das Object als gewusst (Wissen hier im ganz allgemeinen Sinn von Bewusstsein) nur i d e e l l e r , nicht irgendwie d i n g l i c h e r Inhalt des Seins des Subjectes ist, aber als sein Bewusstsein r e a l e r Inhalt desselben; denn dieses, das S u b j e c t des Bewusstseins, ist j a selbst eine rein i d e e l l e R e a l i t ä t . Die Thatsache des Bewusstseins ist die uns am unmittelbarsten gegebene Thatsache ideeller Realität: das alte c o g i t o , e r g o s u m , das mit Recht als Ueberschrift über dem Eingang der modernen Philosophie steht. Wir nennen das Subject des Bewusstseins S e e l e . Bewusstsein haben und Seele sein deckt sich: wo Bewusstsein, da Seele als sein Subject; wo Seele, da neben dinglicher Beziehung auch Bewusstseins-beziehung zu anderem Seienden. Ueber das Gebiet des Bewusstseienden, von seinem untersten Anfang an, hinaus, hat der Begriff Seele nur bildliche Anwendung, oder wird abusiv angewendet. Die o n t o l o g i s c h e Frage nach dem Wesen der Seele ist damit noch nicht beantwortet, so wenig als die nach ihrem Verhältniss zum Leibe. Es sei selbst dem Materialisten noch erlaubt, die Seele und damit auch das Bewusstsein als eine blosse „Function" des Leibes anzusehen, wenn er sich getraut mit diesem Wort auch einen Begriff zu verbinden. Ist er besonnen und ehrlich, so wird er freilich gestehn, dass für eine Betrachtungsweise, welche nur materielle Existenz als erkennbare Realität anerkennt, gegenüber der Thatsache des Bewusstseins und zwar von seiner elementarsten Form als Empfindung an, die j a auch ihm eine gegebene Thatsache ist, ein „ i g n o r a m u s " die allein mögliche Antwort sei; denn in der Thatsache des Bewusstseins liegt eine essentiell a n d e r e Realität unmittelbar thatsächlich gegeben vor. Darum war es j a auch möglich, dass ein Neo-Kantianer wie A. L a n g e , nachdem er in der Auffassung der Erfahrungswelt dem Materialismus vollständig genug gethan hatte, denselben zum Schluss auf einmal geradezu auf den Kopf stellte durch die Wendung: das alles sei uns aber j a blos als Inhalt unseres Bewusstseins gegeben, habe also ein ideelles und nicht,
76
I-
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§§ 14. 15.
ein materielles Princip, wie der Materialismus gedankenloser Weise meine. 5. Der speeifische Unterschied zwischen derjenigen Beziehung zwischen dem ideellen Bcwusstseins-Subject und irgend welcher Objectivität, auf welcher die Thatsache des Bewusstseins nicht etwa bloss beruht, sondern in welcher sie ganz einfach vollständig besteht, und jeder r e a l e n S e i n s - b e z i e h u n g zwischen zwei (ideellen oder dinglichen) gleichartigen Realen liegt darin: in der B e w u s s t s e i n s - b e z i e h u n g wird zwar das Object derselben realiter zu einer Inhalts-bestimmtheit des Bewusstseins-subjectes, zu einer ideellen, weil dieses überall ein rein ideell Seiendes ist: das Object ist f ü r das Subject; aber das Subject ist nicht auch umgekehrt ebenso f ü r das Object; denn das Sein des Objectes für sich wird dadurch, dass es Bewusstseins-inhalt des Subjectes wird, objectiv gar nicht berührt, ist in diesem nicht mit seinem eigenen Sein enthalten und sein „An-sich" bleibt für sich nach wie vor was es ist, ob es Bewusstseins-inhalt sei oder nicht, in der Beziehung des Gewusstseins zu ihm sich befinde oder nicht. Jede r e a l e Seinsbeziehung zwischen zwei Realen (ob nun idellen oder dinglichen) dagegen ist eine g e g e n s e i t i g e gleichartige Relation oder Seinsbestimmung, eine Correlation, in der jedes bestimmend und bestimmtwerdend, als Subject und als Object zugleich betheiligt ist. 6. Eine solche r e a l e S e i n s - b e z i e h u n g muss nun aber allerdings auch absolut nothwendig zwischen Subject und Object des Bewusstseins stattfinden, damit es zu einer B e w u s s t s e i n s - b e z i e h u n g zwischen ihnen kommen kann. Was in keinerlei S e i n s - z u s a m m e n h a n g mit dem Ich steht, kann auch nicht Bewusstseins-inhalt für dasselbe werden In einer solchen realen Seins-beziehung geht der P r o c e s s vor sich, durch den das Bewusstsein selbs.t zu Stande kommt. Aber das Bewusstsein selbst besteht nicht in diesem Process. Der Process liegt hinter dem Bewusstsein und wird erst durch complicirte Reflexion selbst Inhalt des Bewusstseins. Die Identification des Processes, durch den Bewusstsein entsteht, ein Process realer Seinsrelation, mit dem Bewusstsein selbst, der S e i n s relation mit der B e w u s s t s e i n s - r e l a t i o n zwischen Subject uod Object, ist Schuld an einer Reihe von schiefen Erkenntnisstheorien, während der reine Realismus vorab die reine Thatsache des Bewusstseins, so wie sie uns vorliegt, fixirt. 7. Allein schon hier an der Schwelle drängt sich vorläufig die Frage auf und will eine vorläufige Antwort haben: wie kann das Bewusstseins-subject, die Seele, die doch ein rein i d e e l l e s Subject einer rein i d e e l l e n Beziehung ist, (was auch der Materialist unweigerlich anerkennen muss, er mag's nun erklären oder mit einem „ignoramus" blos anerkennen), — wie kann das r e i n i d e e l l e Bewusstseins-subject, die
1. Cap.
Der Grundsatz (les reinen Realismus.
77
Seele, in Bewusstseins-beziehung zu m a t e r i e l l Existirendem kommen, wenn die Bewusstseins-beziehung eine reale S e i n s - b e z i e h u n g voraussetzt, und doch logisch der Satz absolute Gültigkeit hat, dass G l e i c h e s nur für G l e i c h e s ist, eine r e a l e Seins-beziehung also nur auf der Basis eines beiden Gliedern g e m e i n s a m e n Seins statthaben kann? Die Antwort kann hier auch nur eine vorläufige sein, welche nur vorerst die Thatsache der vorhandenen Brücke fixirt, ohne den ontologischen Fragen, was denn i d e e l l e s und m a t e r i e l l e s Sein und ihr Verhältniss zu einander sei, und wie beides am concreten Bewusstseins-subjecte, dem wirklichen ganzen Menschen, zu einander stehe, schon vorzugreifen. Die Antwort, welche der reine Realismus hier vorläufig allein zu geben hat, die aber auch vorläufig vollständig genügt., ist einfach die: das r e i n i d e e l l e Dewusstseins-subject, die S e e l e , und ihre m a t e r i e l l e Leiblichkeit, deren Seele es ist, und durch die es in demjenigen S e i n s - r a p p o r t mit anderen materiellen Existenzen steht, durch welchen die Bewusstseinsbeziehung zwischen der i d e e l l e n S e e l e und m a t e r i e l l e n D i n g e n vermittelt wird, — die S e e l e und ihre L e i b l i c h k e i t liegen uns ja thatsächlich nicht als z w e i getrennte E x i s t e n z e n vor, sondern nur als E i n e i n d i v i d u e l l e S u b s i s t e n z : damit ist also jedenfalls jene nothwendige Brücke einer realen S e i n s-beziehung für die Möglichkeit der B e w u s s t s e i n s - b e z i e h u n g gegeben, — die Lösung aller darin liegenden ontologischen Probleme noch vollständig vorbehalten. Nur das hält der reine Realismus, der die Dinge nur nehmen will wie sie wirklich gegeben sind, unbedingt fest, dass nie vergessen werde: das i d e e l l e Subject des Bewusstseins ist zugleich l e i b l i c h e s , m a t e r i e l l existirendes Subject, beides in individueller Einheit. Dies bedingt durch und durch den Bewusstseinsprocess, und wird auch F o r m und G r e n z e des menschlichen Bewusstseins bestimmen. Jede Erkenntnisstheorie — spiritualistisch, oder sensüalistisch —, die jene Grundthatsache der concreten Beschaffenheit des Bewusstseins-subjectes vergisst oder verläugnet, nimmt die Dinge nicht wie sie gegeben sind, sondern beginnt mit einer Fiction und macht sich selber ein X für ein U. § 15. sachen
In allem Bewusstseinsinhalt sind
zwei
Grundthat-
enthalten:
t . ist uns darin
zweierlei Sein
gegeben,
welchen
Seins-
g e g e n s a t z wir entweder bloss formal contradictorisch, oder dann auch inhaltlich nach dem, wie
er uns zunächst an uns selbst ge-
geben ist, als m a t e r i e l l e s und i m m a t e r i e l l e s , s i n n l i c h e s und übersinnliches,
oder
dann
als
sinnliches
d i n g l i c h e s und i d e e l l e s Sein bezeichnen;
und
geistiges,
I.
78
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
2. ist uns aber b e i d e r l e i k e i n s von
beiden
Sein
als S u b s i s t e n z
§ 15.
existentiell für
sich
unge'trennt,
gegeben,
immer nur beides zusammen, c o n s u b s i s t e n t i e l l ,
sondern
aber innerhalb
dieser subsistentiellen Einheit in reinem Seins-Gegensatz zu einander. In dieser Doppelgrundthatsache an all' unserem Bewusstseinsinhalt ist die o n t o l o g i s c h e Frage nach dem W e s e n von beiderlei
Seinsweisen,
nach
ihrem
positiven
Wesensverhältniss
einander und nach dem Wesen ihrer thatsächlichen
zu
Coexistenz,
erst als P r o b l e m gestellt, dessen Lösung erst auf dem W e g einer logischen Analyse des gesammten Bewusstseinsinhaltes zu suchen ist. Allein mit der Thatsache ist doch schon der K a n o n für das richtige Suchen und Finden der Lösung gegeben: 1. der Begriff der beiderlei Seinsweisen ist so zu fassen, dass die Realität
ihres
subsistentiellen
Zusammenseins
nicht
zur
Illusion wird, und 2. ihr subsistentielles Zusammensein so, dass die Realität ihres Essenz-gegensatzes
nicht aufgehoben wird,
sondern
sicli
viel-
mehr als nothwendig darin mitenthalten herausstellt. 1. Diese beiden Grundthatsachen des Bewusstseins — G r u n d t h a t s a c h e n , weil sie als die constituirenden Elemente alles Bewusstseinsinhaltes durch alle Stufen desselben hindurchgehen —- wird niemand in Abrede stellen wollen, sobald nur ausdrücklich einem jeden vorbehalten bleibt, sie vor der Hand noch so zu fassen und zu denken, wie er kann und mag. Wer sich versucht fühlen möchte sie in Abrede zu stellen, der hat sicher nur eine specielle Fassung derselben im Auge, gegen die er von vornherein, ob nun mit Recht oder nicht, protestiren will. Allein der Moment, mit Grund zu protestiren, könnte erst dann eintreten, wenn zugemuthet wird, jene allgemeine Grundthatsache schon in einer bestimmten ontologischen Deutung anzuerkennen. Dann aber kann die Protestation nur in der Entgegensetzung einer anderen D e u t u n g , nicht aber in einer V e r n e i n u n g der T h a t s a c h e bestehn. Die Grundthatsache in ihrer ganz allgemeinen Fassung ist: 1) S i n n l i c h e s und G e i s t i g e s bedeuten etwas nicht blos graduell, sondern e s s e n t i e l l — allein wie? — V e r s c h i e d e n e s . 2) Aber b e i d e s findet sich in a l l ' unserem Bewusstseinsinhalt — allein wie? — z u s a m m e n vor. 2. Ich habe mich hier vorerst über meinen S p r a c h g e b r a u c h zu erklären. Man thut in der "Wissenschaft allezeit gut, denselben, so viel als man damit ausreichen k a n n , dem allgemeinen Sprachgebrauche des Lebens zu entnehmen und dabei dem richtigen Instinct, der meist darin
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen Realismus.
79
waltet, nachzugehen. Allein weil dieser im unreflectirten Bewusstsein doch immer mehr oder weniger fluctuirt, so hat die Wissenschaft für ihren Gebrauch die Worte für bestimmte Begriffe zu fixiren. Ein selbstverständliches Gesetz für die wissenschaftliche Debatte sollte nun freilich sein, den Sprachgebrauch eines Anderen zunächst in dem Sinn, den dieser offenbar damit verbindet, und nicht in dem eigenen zu nehmen, wenn man darin offenbar von einander abweicht. Hat man den Anderen in dessen eigenem Sprachgebrauche richtig gefasst, so bleibt dann immer noch frei, den abweichenden Sprachgebrauch selbst zu kritisiren. Allein wie wird gegen dieses Gesetz der einfachen Wahrheitsliebe gesündigt, bald mehr aus naiver Pedanterie, bald mehr aus einfacher Rechthaberei! An diesem Orte habe ich die Begriffe, die in Betracht kommen, nur f o r m a l zu fixiren; die o n t o l o g i s c h e Fassung muss als metaphysisches Problem ausdrücklich noch offen bleiben; es darf ihr nicht vorgegriffen werden, sie soll sich erst als letztes Resultat ergeben. Dabei darf man auch nicht ausser Acht lassen, dass die gleichen rein formal gefassten Begriffe dadurch, dass sie in verschiedener Relation zu anderen gefasst werden, auch einen verschiedenen speciellen Sinn bekommen können, der sich allerdings aus ihrem allgemeinen Sinn soll rechtfertigen lassen. Diese Relativität des Sinnes eines bestimmten Ausdruckes muss nur allzu oft, selbst in wissenschaftlicher Debatte, einer rabulistischen Rechthaberei, dem Gegentheile von ehrlicher Wahrheitsliebe, zur Handhabe dienen. a. „ S e i n " ist der allerallgemeinste Begriff und kann in der Kürze sowohl eine S e i n s w e i s e als auch ein S e i e n d e s bezeichnen, wenn nur der Zusammenhang keinen Zweifel lässt, was speciell gemeint sei, oder wenn gerade beides mit einander gemeint sein soll, und ich werde mich bemühen gerade hierin genau zu sein: die Kategorie „Sein" zu brauchen erstens, wo ausdrücklich S e i n s w e i s e im Unterschied von S e i e n d e m gemeint i s t , zweitens, wo ausdrücklich an b e i d e s mit einander zu denken ist, und drittens, wo ausdrücklich noch offen bleiben soll, an welches von beidem zu denken sei. — b. Die Kategorie „ o b j e c t i v , o b j e c t i v e s S ein"" etc., werde ich im Unterschied von dem stricten Sprachgebrauche des subjectiven Idealismus, stets in diesem Sinne brauchen: ein Sein oder Seiendes a b g e s e h e n von allfälligem Bewusstsein davon, als das was es f ü r s i c h ist, also als m ö g l i c h e s O b j e c t für das Bewusstsein, aber im Unterschiede davon, w i e es I n h a l t des Bewusstseins ist. Der stricte Sprachgebrauch des subjectiven Idealismus kann die Kategorie o b j e c t i v eigentlich immer nur im Sinn von etwas s u b j e c t i v Objectivirtem brauchen. Allein wenn derselbe auch in seinem Anlauf erklärt von keiner andern Objectivität wissen zu können und wissen zu wollen, — im Verlaufe geräth er doch
80
I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 15.
unversehens ebenfalls in den allgemeinen Sprachgebrauch, den ich für mich nur von vornherein fixire. Der auf den subjectiven Idealismus Erpichte mag ja dann immerhin erklären, ein derartiges „Objectives" gebe es für unser Bewusstsein gar nicht anders, denn als ein bewusstseins-transcendent postulirtes x. c. „ S u b j e c t i v , s u b j e c t i v e s Sein" etc., als Gegensatz zum Objectiven, kann nun ein D o p p e l t e s bedeuten: im w e i t e m Sinn: ein Sein als I n h a l t des Bewusstseins-subjectes überhaupt, und dazu gehört z. B. das Denken selbst als Denkact im Gegensatz zum objectiven Sein dessen, worauf es sich bezieht; im e n g e r n Sinn dagegen bezeichnet es ein Sein, das b l o s s subjectiv, b l o s s e r Bewusstseins-inhalt des Subjectes ist. So kann z . B . „ s u h j e c t i v e " Religion das subjective Moment am objectiven Wesen der Religion, ihre m e n s c h l i c h e Seite, was sie als Seelenvorgang des Menschen ist, bedeuten, — und in diesem Sinn werde ich den Ausdruck stets brauchen. Andere aber verbinden mit dem Ausdruck den engern Sinn, dass die Religion überhaupt b l o s s etwas Subjectives, resp. in allem, was über das Subjective hinausgehe, Illusorisches sei. Man wird stets gut tliun, sich gegen Verwechslungen mit diesem Doppelsinn von „subjectiv" vorzusehen. d. Eben darum darf man auch nicht den Gegensatz von „ g e d a c h t e m " und „ w i r k l i c h e m " Sein einfach identificiren weder mit dem von D e n k e n und S e i n , noch mit dem von s u b j e c t i v e m und o b j e c t i v e m Sein. G e d a c h t und w i r k l i c h bilden von vornherein gar keinen Gegensatz, sondern erst in der Combination des f o r m a l e n Gegensatzes von I n h a l t und O b j e c t des Bewusstseins mit dem r e a l e n von b l o s s subjectiv und a u c h objectiv. Ich brauche die Ausdrücke „ w i r k l i c h , W i r k l i c h k e i t , r e a l , R e a l i t ä t " gleichbedeutend, und zwar in dem gewöhnlichen allgemeinen Sinn und nicht in dem prägnanten von H e g e l , wo Wirklichkeit für das seiner Idee entsprechende objective Sein reservirt wird. Es hatte zwar auch das seinen guten Sinn, der H e g e l wahrlich keine Unehre gemacht hat, wenn er nur die w a h r e Wirklichkeit als Wirklichkeit wollte gelten lassen. Allein der Sprachgebrauch des Lebens ist hier übermächtig, und darum ist es nicht wohlgethan, gegen seinen Strom zu schwimmen. Weil H e g e l dies that, hat er sich's zugezogen, dass sein tiefsinniges Wort: „alles Vernünftige ist wirklich und alles Wirkliche vernünftig", ihm so wohlfeil hat verdreht werden können. Gebrannte Kinder fürchten das Feuer; doch nicht bloss desswegen, auch aus sachlichem Grunde brauche ich den Ausdruck w i r k l i c h oder r e a l in einem weitern Sinn: von allem Sein, das sich als s e i e n d (als eine r e s ) dadurch erweist, dass es eine o b j e c t i v e W i r k u n g übt. So kann s u b j e c t i v r e a l sein, was im Bewusstseins-subject eine objective Wirkung übt, im Unterschied von solchem, was demselben selbst als b l o s s subjectiv bewusst
1. Cap.
81
Der Grundsatz des reinen Realismus.
ist; — es kann s u b j e c t i v real sein auch ohne dass ihm o b j e c t i v e Realität zukommt. Und umgekehrt kann o b j e c t i v r e a l sein und seine Wirkung auch auf das Bewusstseins-subject ausüben, was doch keine s u b j e c t i v e Realität in ihm selbst hat. Beides sind R e a l i t ä t e n , und es ist von nicht geringer Tragweite, den Begriff der R e a l i t ä t nicht in absolutem, sondern in diesem relativen, aber dafür umfassenden Sinne festzuhalten. Was für ein W e r t h den verschiedenen „Realitäten" in ihrem Verhältniss zu einander zukomme, das ist dann erst noch eine weitere Frage, die vorerst offen zu halten auch zum erkenntniss-theoretischen reinen Realismus gehört. e. „ R e a l " und „ i d e e l l " dagegen bezeichnen schlechterdings k e i n e n Gegensatz. Es gehört ebensosehr zn den Elementen einer nüchtern gediegenen realistischen und einer nüchtern gediegenen idealistischen Weltanschauung, sich diese Entgegensetzung gar nicht mehr einfallen zu lassen, wie es zum rechten Verständniss gehört, den Grund zu wissen, warum dem Bewusstsein in seiner natürlichen Entwicklung sich gleichwohl gerade d i e s e r Gegensatz zunächst einstellt, dass es r e a l mit s i n n l i c h - m a t e r i e l l identisch nimmt, und desswegen naiv dem „ R e a l e n " das „ I d e l l e " als seinen einfachen Gegensatz gegenüberstellt, im Sinn von etwas „bloss Gedachtem", von b l o s s subjectivem Sein. 1 ) f. Mit „ E s s e n z " , „ e s s e n t i e l l " , im Gegensatze zu a c c i d e n t i e l l , bezeichne ich die Weise des Seins, S e i n s - w e i s ' e ( m o d u s e s s e n d i ) : was die F o r m des Seins ausmacht, in welcher allein ein Seiendes Inhalt des Bewusstseins ist, also worin f ü r das Bewusstsein sein W e s e n besteht. Was dasselbe o n t o l o g i s c h sei, abgesehn von unserem Bewusstsein, das ist dabei wiederum noch als metaphysisches Problem offen gelassen. g. „ E x i s t e n z " oder „ D a s e i n " ist o b j e c t i v r e a l e s S e i n überhaupt. Allerdings schwebt dem Bewusstsein dabei zunächst ein s i n n l i c h reales Sein vor, gerade im Unterschiede von r e i n g e i s t i g e m . ; gleichwohl ist seine eigentliche Meinung doch nur die Betonung r e a l e n Seins. ') R o t h e proponirt (in § 29 seiner t h e o l o g i s c h e i f E t h i k , zweite Auflage) in einer ebenso tief- als scharfsinnigen Erörterung seiner Grundbegriffe, die er aber nach seiner speculativen Methode nicht vorerst bloss formal-logisch gehalten, sondern von vornherein zugleich ontologisch durchgeführt hat, den Sprachgebrauch: r e a l : r e e l l = i d e e l l : zu i d e a l (nicht etwa = i d e a l : i d e e l l , sondern ganz richtig umgekehrt). Er ist damit nicht durchgedrungen, und eine Wiederholung hätte auch keine Aussicht. Der Unterschied von i d e e l l und i d e a l steht auch für das allgemeine Bewusstsein fest; nicht so der von r e a l und r e e l l . Und vollends die nach R o t h e ' s Vorschlag nothig werdenden Substantiva „Reellität", „Ideellität" im Unterschiede von „Realität" und „Idealität" Hessen sich wohl nie einbürgern. Biedermann,
Dogmatik 2. Aufl.
6
82
I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 15.
Das kommt daher, dass das Bewusstsein zunächst nur Vorstellung und auch in seinem Denken vorstellend ist und darum auch das Geistige, das es meint, nur s o f ü r real nimmt, dass es sich dasselbe nach Analogie, wenn auch nach abstractester Analogie von s i n n l i c h e m D a s e i n vorstellt. Mit „Existenz" oder „Dasein" Gottes z. B. meint das Bewusstsein doch wesentlich nur das r e a l e Sein Gottes, aber freilich unwillkürlich in s i n n l i c h e r Seins weise vorgestellt. Im letzteren Sinne premirt, werdeil wir die „Existenz", das „Dasein" Gottes rund verneinen müssen; allein damit hätten wir mehr verneint, als das Bewusstsein darunter versteht, nämlich das r e a l e Sein Gottes überhaupt, während wir mit jener Verneinung gerade dieses rein fassen wollen. Wir werden daher die formalen Begriffe „ E x i s t e n z " oder „ D a s e i n " doch im a l l g e m e i n e n Sinn für alles o b j e c t i v r e a l e Sein brauchen müssen. h. Den Begriff „ S u b s t a n z " brauche ich, gemäss der Nominaldefinition:-„quod subsistit in se", allgemein für ein r e a l S e i e n d e s , das den G r u n d seines realen Seins, seiner Existenzäusserung, in s i c h s e l b s t , in seinem W e s e n hat. Es ist eine unberechtigte, dogmatistische Vorwegnahme der Entscheidung eines metaphysischen Problems, den Begriff der Substanz von vornherein bloss in a b s o l u t e m Sinn zuzulassen, von dem Seienden, dem die absolute a s e i t a s zukomme. Der Sprachgebrauch berechtigt, auch von Substanz in r e l a t i v e m Sinn zu reden und darunter jedes Seiende zu verstehen, das einen ihm immanenten e i n h e i t l i c h e n Grund seines Daseinsprocesses anderem Daseienden gegenüber hat. Wie es mit dieser Immanenz eines einheitlichen Daseinsgrundes in letzter Instanz sich verhalte, bleibt wiederum hier noch offen als Problem für die Metaphysik. Ebenso bleibt noch offen, ob hiernach die Begriffe „ E s s e n z " und „ S u b s t a n z " sich decken oder nicht, in dem Sinn: ob e i n e „ S u b s t a n z " auch nur e i n e „Essenz" involvire, und z w e i „Essenzen" n o t wendig auch z w e i „Substanzen" voraussetzen, oder niclitr Das bleibt noch offen; legt ja selbst S p i n o z a , der doch Substanz nur im absoluten Sinne braucht, ihr zwei A t t r i b u t e bei, was bei ihm sich mit dem deckt, was hier unter S e i n s w e i s e , m o d u s e s s e n d i , E s s e n z verstanden wird, und unterscheidet auch H a r t m a n n an seinem Absoluten, das er ebenfalls als die eine absolute Substanz fasst, Wille und Vorstellung als zwei Momente ihres Seins. Dass sich — hier nur beiläufig bemerkt — mein Sprachgebrauch mit dem von S p i n o z a verschiebt, indem bei mir „modus", „Seinsweise", „Essenz" heisst, was bei ihm Attribut; was dagegen bei ihm „modus", möglicherweise f ü r mich als „Substanz" zum Vorschein kommen kann, das ist weder willkürlich noch zufällig, sondern deutet auf einen metaphysischen Grundunterschied hin. — Unverfänglich ist es ferner da, wo der Zusammenhang zu keiner Zweideutigkeit Veranlassung giebt, das Wort „Substanz" auch in dem metaphysisch vollends
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen Realismus.
noch ganz neutralen Spracligebrauche des täglichen Lebens zur Bezeichnung des Stoffes, aus dem ein Seiendes besteht, zu brauchen. i. „ S u b s i s t e n z " kann consequenter Weise nur die E x i s t e n z als S u b s t a n z bedeuten: eine durch z w e i Substanzen gebildete Existenz wird als „ C o e x i s t e n z " zu bezeichnen sein. Da kann sich also die Frage erheben: wenn unserm Bewusstsein ein Object als e i n e Existenz gegeben ist, aber an ihr miteinander z w e i Seinsweisen oder Essenzen, ob wir dies seinem letzten Grunde nach, also metaphysisch, als blosse C o e x i s t e n z oder doch als e i n e S u b s i s t e n z , d. h. d u a l i s t i s c h oder m o n i s t i s c h zu fassen haben. Gerade auf diese Frage wird sich das metaphysische Problem zuletzt überhaupt zuspitzen; denn unser reine Realismus fixirt als die zwei Grundthatsachen all' unseres Bewusstseins: an a l l e m real Seienden, das uns als Inhalt unseres Bewusstseins gegeben ist, sind uns einerseits die z w e i Seins weisen, die wir vor der Hand als ideelles und materielles Sein bezeichnen, als reiner Seins-gegensatz gegeben, und andererseits stets beides zusammen als Moment e i n e r Existenz, an der wir zwar je das eine vom andern abstrahiren und ihm gegenüber subjectiv fixiren und in seinem Essenzgegensatz für sich fassen können; aber gegeben sind sie uns nur mit einander, objectiv real nie ohne einander. Zuletzt wird sich also immer als das metaphysische Problem die Frage einstellen: ist dies existentielle Zusammen die S u b s i s t e n z E i n e r S u b s t a n z ? oder eine C o e x i s t e n z z w e i e r S u b s t a n z e n ? Der e r k e n n t n i s s - t h e o r e t i s c h concrete ^ Monismus, der nur die Grundthatsachen des Bewusstseins fixirt, dass sinnliches und geistiges Sein uns thatsächlich immer nur mit einander gegeben sind und erst von uns einander entgegengesetzt werden, will damit der m e t a p h y s i s c h e n Frage noch nicht vorgegriffen haben, ob ihr Verhältniss in letzter Instanz m o n i s t i s c h oder d u a l i s t i s c h zu fassen sei. Wohl aber hat er bei der Fixirung der Thatsachen des Bewusstseins, die ihm erst die Probleme für die Metaphysik stellen sollen, im Gebrauch seiner Kategorien sorgfältig zu sein, dass er nur was thatsächlich dem Bewusstsein vorliegt, fixire und der Antwort anf die metaphysische Frage nicht dogmatistisch vorgreife. 3. Nun noch zur Verständigung über den Sprachgebrauch, wie wir die zwei S e i n s w e i s e n an allem als real existirend unserem Bewusstsein Gegebenen von vornherein bezeichnen, ebenfalls ohne damit der ontologischen Fassung vorgreifen zu wollen. Bei allen Bezeichnungen schwebt uns allen dasselbe vor; nur w i e und a l s w a s es uns vorschwebt, das drücken wir vager oder bestimmter mit den verschiedenen Bezeichnungen aus. a. Wir drücken den Gegensatz, den wir alle meinen, zunächst f o r m a l c o n t r a d i c t o r i s c h aus, und gehn natürlich dabei nicht fehl, sagen aber auch nicht viel damit. Wir gehn dabei unwillkürlich immer zu6*
84
I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 15.
nächst von dem einen aus, was wir „ m a t e r i e l l e s " Sein nennen, und verstehn darunter das Sein unsers eigenen L e i b e s und das diesem Gleichartige an unsern übrigen Bewusstseins-objecten. Den e s s e n t i e l l e n Gegensatz dazu, an uns selbst das Sein unserer S e e l e und was wir diesem gleichartig nehmen, bezeichnen wir contradictorisch als „ i m m a t e r i e l l ' ' . Ob wir das, was wir so nur contradictorisch ausdrücken, damit auch vollständig als den essentiellen Gegensatz ausdenken, den wir meinen, oder ob derselbe uns doch nur als ein relativer Gegensatz vorschwebe, das ist damit noch lange nicht gesagt. Das verräth sich besonders, wenn wir das gleiche, das wir damit meinen, mit dem zwischen bloss formal contradictorischer und realer Gegenübersetzung schwebenden Ausdrucke „ s i n n l i c h " und „ ü b e r s i n n l i c h " bezeichnen. Dieses „ ü b e r sinnlich", statt „ u n s i n n l i c h " , schwebt zwischen einer W e r t h b e z e i c h n u n g , die an ihrem Orte dann allerdings mit ihrer vollen Berechtigung und Wahrheit eintritt, und einer E x i s t e n z b e z e i c h n u n g , bei der aber nur ein relativer, nicht ein absoluter Gegensatz vorschwebt: das „ U e b e r s i n n l i c h e " als ein essentiell doch auch noch Sinnliches, nur ü b e r dem n a t ü r l i c h Sinnlichen, dem r e a l Sinnlichen hinausliegend; als derselbe Gegensatz wie „Natürliches" und „Uebernatürliches", wo uns das letztere doch auch als ein Natürliches, nur von höherer Ordnung als das uns empirisch bekannte Natürliche vorschwebt. Wir gehn, wenn wir den in Frage stehenden Gegensatz nur contradictorisch ausdrücken wollen, seltener und ' immer erst auf Reflexion hin vom andern Gliede aus und bezeichnen ihn dann als den Gegensatz von „ g e i s t i g e m " und „ u n g e i s t i g e m " Sein. Thatsächlich hebt eben unser eigenes Sein als Bewusstseins-subject selbst vom sinnlichen Sein a n ; darum bildet dieses f ü r uns auch die nächste Basis, von der wir erst das „geistige" Sein suchen, nicht umgekehrt. Diess ist auch der Grund, warum wir so lange ganz naiv R e a l i t ä t und I d e a l i t ä t , r e a l und i d e e l l einander gegenüber setzen und unter dem Realen das Sinnliche verstehn, als ob das ideell Seiende unserem Bewusstsein nicht noch viel unmittelbarer als etwas Reales gegeben wäre. b. Wenn wir aber den in Frage stehenden, unserm Bewusstsein in allem, was ihm als real existirend gegeben ist, mitgegebenen essentiellen Gegensatz i n h a l t l i c h bezeichnen wollen, so liegt uns am nächsten, von uns selbst aus, die Bezeichnung von „ k ö r p e r l i c h e m " und „ g e i s t i g e m " Sein: das Sein, das die Essenz unsers K ö r p e r s , und das Sein, das die Essenz unsers G e i s t e s ausmacht, und dann weiter, was von der objectiven Welt ausser uns als gleicher Essenzgegensatz und in gleicher Weise zusammen unserm Bewusstsein gegeben ist. Aber eben, worin besteht dieser Essenzgegensatz, die Seinsweise, die wesentlich das k ö r p e r l i c h e Sein, und die Seinsweise, die wesentlich das g e i s t i g e Sein
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen Realismus.
85
ausmacht? Auf diese Frage antworten wir zunächst mit der Bezeichnung „ m a t e r i e l l e s " und i d e e l l e s " Sein, womit wir natürlich wiederum nicht der letzten o n t o l o g i s c h e n Frage, was denn das Wesen der „Materie" und das Wesen der „Idee" sei, vorgreifen, wohl aber rein realistisch fixiren wollen, als was „ m a t e r i e l l e s " und „ i d e e l l e s " S e i n unserm Bewusstsein gegeben und von ihm zu fassen sei. Kommt uns hier der naive Materialist mit S t o f f und K r a f t als dem, was j a ganz einfach allein nur gegeben sei, und zwar der „ S t o f f " als die S u b s t a n z , der die „ K r a f t " als solcher i n h ä r i r e , da nie Stoff ohne Kraft und nie Kraft ohne Stoff unserer Erfahrung gegeben und auch nicht zu denken sei: so beschwichtigen wir ihn hier vor der Hand damit, dass er da gewiss eine grosse Wahrheit gelassen ausspreche. Eine grosse Wahrheit, die wir j a gerade auch als Grundwahrheit unsers Bewusstseins hinstellen, dass immer beides mit einander unserm Bewusstsein gegeben s e i ; aber beides m i t einander, nicht eins a l s das andere, sondern essentiell als Gegensatz zu einander, das Stoff-sein zum Kraft-sein und das Kraft-sein zum Stoff-sein; beides als die zwei von einander untrennbaren Momente der Seinsweise alles unserm Bewusstsein Gegebenen. Gelassen aber spricht der Materialist diese Wahrheit aus, während sie doch unmittelbar die Widerlegung seines metaphysischen Dogma's in sich schliesst, dass der „Stoff" die alleinige, absolute Substanz sei; denn entweder haben wir an Stoff und Kraft zwei Substanzen, nur mit einander verbunden, oder allerdings nur Eine, die dann aber eben, wie der Materialist ja selbst sagt, nicht pur „Stoff" ist. Was er „Stoff" und vom Stoffe doch wenigstens logisch unterschieden „Kraft" nennt, das rangirt hier — er braucht sich gar nicht dagegen zu sträuben — unter den Gegensatz von m a t e r i e l l e m und i d e e l l e m Sein. Wir greifen weder dem Materialisten, noch dem Idealisten, noch dem Dualisten für seine metaphysische Auffassung vor, wenn wir hier von dem Gegensatze des „ m a t e r i e l l e n " und des „ i d e e l l e n " Seins reden, der uns in all' unserem Bewusstseins-inhalt gegeben sei. Ich werde aber im Verlauf oft den fraglichen Gegensatz statt mit „ m a t e r i e l l " und „ideell", mit „ d i n g l i c h " und „ideell" zu bezeichnen veranlasst sein, und zwar nicht willkürlich, bloss zur Abwechslung, sondern um Zweideutigkeiten bis auf den Grund abzuschneiden. Man meint ja oft ein Sein durchaus nicht mehr „materiell" zu nehmen und bezeichnet es contradictorisch als „immateriell", während man es immer noch d i n g l i c h versteht, im Gegensatz zu r e i n ideellem Sein. Man braucht zwar wohl logisch den Ausdruck „Ding" für die allgemeinste Kategorie von „Seiendem" überhaupt und redet in diesem Sinn auch von rein geistigen „Dingen"; allein es schleicht sich dabei leicht die Vorstellung von einem einzeln daseienden Ding mit ein, und damit unabtrennbar die Anschauungsform von r ä u m l i c h - z e i t l i c h e r Existenz; denn darin
86 hat
I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
Schopenhauer
duationis zu nennen. auch
unweigerlich
daher bis auf
den
Recht,
Raum
und
Zeit
das
§ lfi. principium
indivi-
D i e s e s i n n l i c h e Anschauungsform bleibt dann aber an
der d i n g l i c h e n Vorstellung haften.
Grund das „materielle" Sein
dem
Wenn
„ideellen"
ich
gegen-
überstellen will, so bezeichne ich es als „ d i n g l i c h e s " S e i n , d. h. als Sein in einer w e n n auch noch so abstracten Form s i n n l i c h e r 4.
Anschauung.
Ich fixire also die in allem Bewusstseins-inhalt gegebenen Grund-
thatsachen s o : zwei
S e i n s w e i s e n in e s s e n t i e l l e m
G e g e n s a t z , aber nicht als
zweierlei einander ü b e r - oder n e b e n - g e o r d n e t e E x i s t e n z w e i s e n ,
son-
dern nur dem allgemeinsten logischen Begriff Sein coordinirt untergeordnet, beide r e a l seiend an allem, was dem Bewusstsein als existirend gegeben ist, als die beiden c o n s t i t u i r e n d e n
M o m e n t e seines realen Seins. — Eine
offene Frage als Problem für die Metaphysik bleibt sowohl die ontologische Fassung beider S e i n s w e i s e n ,
als
auch
die Frage ihres Verhältnisses zu
einander, um die Einheit, in der sie uns allein g e g e b e n sind,
zu bilden.
§ 16. Wird nun das e r s t e Moment der Doppelgrundthatsache des Bewusstseins, die R e a l i t ä t d e s G e g e n s a t z e s von s i n n l i c h e m u n d g e i s t i g e m S e i n , so genommen, dass das andere, ihr Z u s a m m e n s e i n als die Existenz aller gegebenen Bewusstseinsobjecte, als eine C o e x i s t e n z herauskommt: so ist dies die psychologische Wurzel für eine e o n c r e t - d u a l i s t i s e h e Metaphysik. Wird dagegen das z w e i t e Moment, die e x i s t e n t i e l l e E i n heit,, in der uns aller Bewusstseins-inhalt allein real gegeben ist, so genommen, dass dadurch der r e a l e G e g e n s a t z von sinnlichem und geistigem Sein als ihrer Momente v e r n e i n t wird: so haben wir die psychologische Wurzel einer a b s t r a c t - m o n i s t i s c h e n Metaphysik. Der erkenntniss-theoretische reine Realismus erwehrt sich nüchtern der natürlichen psychologischen Versuchung, a b s t r a c t das eine oder das andere Moment zu seiner dogmatistischen Voraussetzung zu nehmen und von dieser Voraussetzung aus die allein gegebene Wirklichkeit umzudichten. Er geht von der g a n z e n Doppelthatsache, wie sie e i n h e i t l i c h in allem Bewusstseins-inhalt gegeben ist, aus, und diese stellt ihm das Problem einer c o n c r e t monistischen Metaphysik. 1.
Weil der ganze Denkprocess des menschlichen Geistes empirisch
von der s i n n l i c h e n Existenz des Ich, seines Subjectes, ausgeht, bewegt er
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen Realismus.
87
sich zunächst auch in den Formen des äusserlichen Neben- und Naeheinander-denkens auch dessen, was in Wahrheit nur in- und miteinander gegeben ist. Unser discursives Denken muss immer den Umweg machen, dass es erst eins um's andere fixirt und dann erst hinterher sich corrigirt und das zusammen Gegebene zur Einheit zusammenfasst. Darin, dass es dabei auf jeder einzelnen Station seines Weges stehn bleiben kann und schon von da aus das ihm gegebene Ganze sich zurecht legt, haben wir die natürliche psychologische Wurzel für principiell verschiedene Weltauffassungen, wo doch die Welt, die Summe des unserem Bewusstsein Gegebenen, für Alle als die gleiche gegeben ist. A b s t r a c t nennen wir jede subjective Auffassung, die Ein Moment des Gegebenen (hier der Grundthatsaöhe des Bewusstseins) so fixirt, dass seine übrigen Momente darob nicht zu ihrem Rechte kommen können, oder geradezu in dasselbe resorbirt werden. 2. Die psychologisch nächstliegende und darum e r s t e unreflectirt naive Abstraction gegenüber der Doppelgrundthatsache alles Bewusstseins ist: S i n n l i c h e s und N i c h t - s i n n l i c h e s , jedes so real wie das andere, als z w e i e r l e i E x i s t e n z e n nur von verschiedener A r t zu fixiren, um jedes als etwas Realeä zu nehmen. Allein dass doch keines als eine Existenz für sich ohne das andere dem Bewusstsein gegeben ist, und auch nicht von ihm vorgestellt werden kann ohne dass das andere sich sofort mit dabei einstellte (z. B. kein „Stoff" ohne „Kraft", und keine „Kraft" ohne „Stoff", — oder selbst als „imponderabler Stoff" vorgestellt; kein organischer L e i b ohne Seele, die seinen Stoff dazu organisirt —, oder der Leib als sieh selbst dazu organisirender Stoff, also doch mit einem nicht-sinnlichen Moment an ihm selbst vorgestellt; keine S e e l e ohne Leib, — oder selbst als leibliches Ding vorgestellt), — dies ist dem Bewusstsein ja ebenfalls gegeben und kann also von diesem nicht einfach negirt werden. Daher bleibt, wenn erst die Realität des sinnlichen und des nicht-sinnlichen Seins zu zweierlei E x i s t e n z e n fixirt ist, nichts übrig, als diese Thatsache als C o e x i s t e n z z w e i e r für sich existirender S u b s t a n z e n zu fassen. Damit haben wir eine ontologisch c o n c r e t - d u a l i s t i s c h e Auffassung der Welt, und die Frage nach dem letzten Grunde dieser Welt, oder also die metaphysische Frage stellt auch nur eine c o n c r e t - d u a l i s t i s c h e Antwort in Aussicht. 3. Ein nicht weiter reflectirendes Bewusstsein kann ganz ruhig hierbei stehn bleiben; es hat ja doch beide Momente der Grundthatsache, die ihm gegeben ist, so weit anerkannt, dass es sie als Thatsache nicht verneint. Wenn es aber einmal anfängt auf das z w e i t e Moment näher zu reflectiren und dieses für sich zu fixiren, dass ihm sinnliches und nicht-sinnliches Sein nirgends als z w e i E x i s t e n z e n für sich, ihr Zu-
88
I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§§ 17. 18.
sammensein also nirgends als eine wirkliche C o e x i s t e n z gegeben ist, sondern immer nur in subsistentieller Einheit d. h. als Momente Einer Existenz: so bleibt ihm, so lang es „reales Sein" und „Subsistenz für sich" ebenfalls noch für identisch zu nehmen gewohnt ist, nichts anderes übrig, als e i n e s von beiden entweder einfach als etwas Reales zu s t r e i c h e n , oder in das andere zu r e s o r b i r e n , d . h . die Welt m o n i s t i s c h , aber a b s t r a c t - m o n i s t i s c h aufzufassen, und auf die metaphysische Frage nach ihrem letzten Grund auch eine abstract-monistische Antwort zu suchen, die dann entweder i d e a l i s t i s c h oder m a t e r i a l i s t i s c h ausfallen kann. 4. Der r e i n e R e a l i s m u s nimmt die Doppelgrundthatsache des Bewusstseins wie sie gegeben ist, und sucht seine Aufgabe einzig darin, j e d e s ihrer beiden Momente wirklich so zu nehmen, wie es allein gegeben ist, um so beide, ohne subjective Umdichtung, in ihrer gegebenen Einheit unverkürzt fassen zu können. § 17.
Der erste und psychologisch nächstliegende Selbstbetrug,
den die einseitige Fixirung des e r s t e n Momentes herbeiführt, besteht
darin,
dass
um
sinnliches
und
geistiges,
ideelles Sein beides gleich sehr als R e a l i ä t im
Verhältniss
von
zwei
Arten
materielles
festzuhalten,
subsistentiellen
und
beides
Seins
mit
dem doppelsinnig schillernden Ausdruck S i n n l i c h e s und U e b e r s i n n l i c h e s einander ihre
subsistentielle
gegenübergesetzt, Einheit
zu
und
damit
einer blossen
dualistisch Composition
zweier Substanzen, oder zur blossen C o e x i s t e n z herabgesetzt und darin illusorisch gemacht wird. Worin das doppelsinnige Schillern der eben darum so beliebten, weil bequemen Kategorie „ ü b e r s i n n l i c h " besteht, ist schon bemerkt worden. Das „ l i e b e r " gestattet der Vorstellung nicht blos, sondern ladet sie geradezu ein, das mit dem Uebersinnlich gemeinte essentiell Unsinnliche doch als ein in der Form d i n g l i c h e n Seins s i n n l i c h Existirendes, nur von höherer, den empirischen Sinnen unzugänglicher Art zu nehmen. Das „ l i e b e r " kann aber auch ein ideelles W e r t h verhältniss ausdrücken, und im instinctiven Bewusstsein, dass es nun allerdings damit seine Richtigkeit haben werde, hält man sich gern an diese Kategorie „übersinnlich": man kann j a damit in keinem Fall irre gehn und hat den Vortheil, in jedem Fall gegen etwaige Angriffe in die ideelle oder in die dingliche Fassung ausbiegen zu können, was für ein ungeschlagenes Durchkommen j a immer bequem ist.
1. Cap. § 18. die Welt
Der Grundsatz des reinen Realismus.
89
Der entgegengesetzte, erst aus dem rationellen Triebe, wirklich
einheitlieh
aufzufassen, entspringende
psycho-
logische Selbstbetrug, der das z w e i t e Moment der Grundthatsache des Bewusstseins, dass aller
Inhalt
ihm
in existentieller Einheit
der beiden Seinsweisen gegeben ist, abstract für sich fixirt, besteht darin, durch u n e i g e n t l i c h e ,
bildlich etwas Wahres ausdrückende
und darum die Fiction maskirende Ausdrücke
entweder —
l i s t i s c h — das m a t e r i e l l e Sein für eine blosse oder E r s c h e i n u n g s w e i s e erklären;
oder —
des allein realen
materialistisch
—
das
idea-
Aeusserungs-
ideellen ideelle
Seins zu Sein
zum
blossen inhärirenden A t t r i b u t (als „Kraft") und weiter (als „Seele" und „Geist")
zur
blossen F u n c t i o n
des allein realen m a t e r i e l l e n abstracter
und zum blossen
Product
Seins herabzusetzen: — beides ein
Monismus.
Den Uebergang zum m a t e r i a l i s t i s c h e n
Monismus erleichtert
und leitet ein die populäre Gewöhnung, auch bei scher Anschauung R e a l i t ä t
und
Idealität
concret-dualisti-
einander als w i r k -
l i c h e s und b l o s s g e d a c h t e s Sein gegenüberzustellen,
also doch
die Realität in das s i n n l i c h d i n g l i c h e Sein zu setzen. 1. Der z w e i t e psychologische Selbstbetrug, ob der gegebenen existentiellen Einheit alles Bewusstseins-inhaltes den darin unmittelbar mitgegebenen realen Gegensatz der Seinsweise sich als etwas Nicht-reales aus dem Sinn zu reden, wird einmal provocirt durch den rationellen Trieb, die Welt des objectiven Seins als eine wirkliche Einheit zu fassen, wie sie dem Bewusstsein subjectiv als eine solche gegeben ist. Weiter wird die Befriedigung dieses Triebes begünstigt durch den erkenntnisstheoretischen subjcctiven Idealismus, der das ganze Bewusstsein sammt all' seinem Inhalt als etwas zunächst ja blos subjectiv im Ich selbst Vorhandenes auffasst und nicht als eine objective Beziehung zwischen dem Ich und dem Object für sein Bewusstsein. Aus beiden zusammenwirkenden Ursachen ergiebt es sich sehr natürlich, dass der abstractmonistische Selbstbetrug sich zuerst in i d e a l i s t i s c h e r Form vollzieht und das materielle Sein irgendwie in das ideelle als alleinige reale Substanz zu resorbiren sucht. „Die Materie, der Stoff — was ist denn das eigentlich? Wir wissen es schlechterdings nicht zu sagen. Was wir sagen können, das sind ja Gedanken, nicht Stoff; wie wir irgend die Materie als solche mögen definiren wollen, immer meinen wir damit etwas Ideelles; wir lösen sie also in
90
1.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 18.
Gedanken auf: wir wissen von ihr nichts Anderes und können von ihr nichts Anderes wissen. Reduciren wir z. B. die Materie, die pure Materie; in Gedanken auf ihr einfachstes Element, das Atom, das nichts als das pure Sein der Materie ohne jede weitere Bestimmtheit sein soll, — woher bekommen wir denn überhaupt vom Atom und der Vielheit der Atome etwas zu wisseil? Schlechterdings nur dadurch, dass sie „ K r a f t c e n t r a " sind; denn nur durch Kraftäusserung kann etwas Inhalt unseres Bewusstseins werden. Also ist das Atom nichts als Kraftcentrum; dieses aber ist etwas Ideelles." So sagt der Idealismus. Gewiss, das ist sehr w a h r : ohne Kraftcentrum zu sein, wäre das Atom fiir unser Bewusstsein schlechterdings nicht da. Das anerkennt ja auch der Materialist mit dem grossen Wort, das er so gelassen ausspricht: Stoff — natürlich nicht ohne Kraft. Und doch ist der Schluss, also sei das Atom (und mit ihm die Materie überhaupt) objectiv, substantiell nichts als Kraftcentrum und darum etwas rein Ideelles, doch nur eine iiberstiegene Redensart. Denn dass das Kraftcentrum etwas Reales und f ü r das Bewusstsein sich real Erweisendes sei, das besteht eben doch in seinein realen R ä u m l i c h - s e i n . Dieses aber ist sein Sein als d a s , was wir Materie nennen, und das eben nicht ein rein ideelles Sein sondern der Gegensatz dazu ist. „Allein gerade Raum und Zeit sind j a etwas rein Ideelles, sind unsere Anschauungsformen, nicht ein dingliches Gefäss, in dem die Dinge wären, und ein dinglicher Faden, an dem sie sich aneinander reihen; so nimmt sie doch nur die naive Vorstellung." Gewiss auch daran ist wieder fraglos so viel sicher, dass Raum und Zeit nicht selbst etwas Dingliches, sondern die reine Seinsweise des Dinglichen sind, also von uns f ü r s i c h gefasst etwas N i c h t - d a s e i e n d e s , etwas A b s t r a h i r t e s , etwas r e i n I d e e l l e s . Aber eben die Seinsweise des D i n g l i c h e n sind sie, und darin besteht gerade das Ueberstiegene der Redeweise, welche wegen dieser Idealität des Raumes das Atom und die Materie selbst substantiell in ein Ideelles resorbiren will: es bleibt daran immer als Rest, der nicht darin aufgeht, die S e i n s w e i s e des Räumlich-seins. Was die Essenz der Materie sei, das können wir schlechterdings nicht sagen, d. h. in einen Gedanken fassen, das hiesse sie eben in einen Gedanken verwandeln. Dem widersteht ihr reales Räumlich-sein. In dieser S e i n s w e i s e besteht fiir unser Bewusstsein real das Wesen der Materie; anders als in Formen der Raumbestimmtheit können wir das, als was sie unserem Bewusstsein gegeben ist, gar nicht ausdificken; aber diese Raumbestimmtheit ist dem Bewusstseins-subject objectiv gegeben, und ist nicht die Form, in die erst das Ich selbst das fasse, was ihm objectiv als blosser Stoff dazu gegeben sei. So ist die Redeweise, das Atom sei substantiell nichts als Kraftcentrum (und was
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen Realismus.
91
weiter daraus folgen würde, die Materie sei doch blos etwas Ideelles), nur eine iiberstiegene Redeweise, wie viel Wahres sie auch enthält und eigentlich meint. 2. Ganz gleich verhält es sich auch mit all' den Redeweisen, durch die ein a b s t r a c t - m o n i s t i s c h e r Idealismus sich als c o n c r e t e n dasstellcn will, und die — in den verschiedensten Wendungen und auch Anwendungen — darauf hinausgehn, das materielle Sein als S e l b s t o b j e c t i v i r u n g des ideell Seienden zu bezeichnen: „die Natur als das Anderssein der I d e e " ; oder als die „Selbstobjectivirung der absoluten, roin ideellen Persönlichkeit" ; oder auch „die Materie sei nichts als der W i l l e " ; oder — da dies zu sichtlich im Begriffe steht in's pure Gegentheil umzukippen — „die Materie sei die Objectivation des Willens"; oder „Wille und Intellect seien die beiden Momente des absoluten Geistes, dieser aber die Substanz der Welt." Allen diesen Redeweisen eines so oder so niiancirten i d e a l i s t i s c h e n P a n t h e i s m u s , ehe er in sein Gegentheil umschlägt, oder eines p a n t h e i s t i s c h e n T h e i s m u s (wie wir L o t z e ' s Weltanschauung kaum anders bezeichnen können), schwebt etwas vor, das sich uns zuletzt wohl als die wahre metaphysische Antwort auf die letzten Fragen herausstellen dürfte, und was schon die Metaphysik der Kirchenlehre mit ihrer Lehre von der Schöpfung der Welt durch Gott aus Nichts hatte ausdrücken wollen: dass der absolute Grund der Welt ein ideeller, dass er absoluter Geist sei, Wille und Intelligenz, der die Welt aus sich ausser sich objectivirt habe zum realen Daseinsprocess ausser ihm als materielles Raum - dasein und dessen Zeitprocess. Aber überstiegen ist diese Idee ausgedruckt als das „Anderssein der Idee selbst", als die „Selbstobjectivation des absoluten Geistes", kurz in all den Redeweisen, welche das absolute S u b j e c t des ideellen Weltgrundes nicht blos als S u b j e c t des O b j e c t i v - s e t z e n s der Welt, sondern als die S u b s t a n z dieser selbst, und als das Subject i h r e s Daseinsprocesses selbst bezeichnen. Die Natur sei die Idee selbst in ihrem Anders-sein, — ist eine iiberstiegene Redeweise für den Gedanken: die Natur ist real ein anderes Sein als das ideelle Sein, aber ein ideell Seiendes ist ihr als Grund und Zweck immanent. Ueberstiegen ist die Redeweise darum, weil sie, was sie kann denken wollen, nur uneigentlich ausdrückt: das „Anders-sein der Idee" ist ein anderes Sein als das ideelle Sein, in dem aber Idee ist. Wird der Ausdruck aber eigentlich genommen, so ist er ein sich selbst aufhebendes Wort. Und so verhält es sich auch mit all den anderen Redewendungen eines idealistischen Pantheismus. 3. Gegen diese übersteigenden Redeweisen eines i d e a l i s t i s c h e n Monismus reagirt der naiv realistische gesunde Menschenverstand. Allein wenn er sie nun ganz verneint und kein Wahrheitsmoment darin anerkennt, so sitzt er auf einer Sandbank in seichter Untiefe fest, von
92
I-
Die erkerintniss-theoretische Grunrllage.
§§ 18. 10.
der er in dem Fall, dass er doch ebenfalls den rationellen
Trieb einer
einheitlichen
eine
Weltanschauung
empfindet,
sich
nur
durch
Floth
entgegengesetzter iiberstiegener Redeweisen materialistischen Sinns wieder flott zu m a c h e n versucht. „Der S t o f f ist real, j a er ist das allein substantiell R e a l e , und als das ist er
ewig.
Der Stoff —
natürlich
nicht ohne K r a f t ; allein diese
ist ein ihm eo ipso als Stoff z u k o m m e n d e s Attribut. seiner K r a f t , e l e m e n t a r
aus den
kommenden
und
Repulsions-
r a u m e r f ü l l e n d e materielle
Atomen
und
Attractionskraft
Aus dem Stoff und
ihrer
eo ipso
besteht
das
D a s e i n , und d a r a u s e n t s t e h t
ihnen zu-
allein
reale
durch die Coin-
binationen, die d a m i t gegeben sind, alles W e i t e r e . " Gewiss qua ist
ist
solchem einfach
auch
daran
etwas
Wahres;
nur
dass dem
die Kraft k u r z w e g als sein Attribut angehängt eine
iiberstiegene
Redeweise.
Was
sie
meint,
Stoff-sein wird,
das
ist:
kein
Stoff ohne Kraft, und keine K r a f t ohne Stoff. Sehr w o h l ; damit ist aber j a in W a h r h e i t g e s a g t : Stoff f ü r sich und K r a f t f ü r sich abstrahiren nur w i r v o n e i n a n d e r ; real als Existenz f ü r sich ist uns keines von beiden g e g e b e n ; aber etwas Reales ist beides, und j e d e s bezeichnet einen reinen Seins-gegensatz zum andern, und d a r u m sind beide uns nur m i t e i n a n d e r als reale Existenz gegeben. N u r dies ist mit dem materialistischen Stichworte wirklich g e s a g t ; aber gerade das, was der Materialismus selbst zum Stichwort
seines Monismus
m a c h t , ist ein leeres W o r t , das sich
selbst
in's Gesicht s c h l ä g t : nur der Stoff, das Stoff-sein p u r als solches, sei das allein Reale, die Substanz der Welt. Aber
nun
w e i t e r : das O r g a n i s c h e ,
an dem
eine Vielheit
wech-
selnder Stofftheile doch eine constante Einheit bildet, vollends das A n i male,
an dem
es d a m i t ?
diese Einheit wirklich ein Individuum b i l d e t , wie steht
Wir nennen
z w a r als den
dies Moment der wirklichen Einheit d a r a n ,
im Stoffwechselprocess continuirlich effectuirt w i r d , der also das w i r k e n d e Subject in diesem Proeess ist, S e e l e . Monist
und
w i r k e n d e n Grund des Processes, durch den diese Einheit
lässt sich
den
Namen
und
den
reale,
Der materialistische
rein formalen Begriff gefallen;
denn das P h ä n o m e n h a t j a natürlich auch f ü r ihn irgendwelche Realität. .,Allein w a s S e e l e g e n a n n t wird, ist doch nur eine Function des stofflichen Centralorganes,
und
dieses allein ist das eigentliche Subject aller
Vorgänge, die m a n Seelenvorgänge n e n n t . " N u n j a , gewiss ist etwas W a h r e s daran, was dem Materialisten auch seine Zuversicht g i e b t : dass ohne Centraiorgan und dessen normalen Bestand
und Proeess auch kein
geht.
Allein: C e n t r a l - o r g a n ? Organ welches Centrums? der Vielheit der
Stofftheile, die j a
Seelenleben im animalen
erst d a d u r c h
ein Centrum,
eine
Leibe vor sich
innere Einheit
be-
kommen ? Die Seele, womit wir diese Einheit als ein Seiendes, als reales
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen Realismus.
93
Subject bezeichnen, vielmehr für eine blosse „Function" des Organes erklären, ist ein pures Hysteron Proteron, eine iiberstiegene Redensart, bei der etwas Richtiges vorschwebt, die aber als Stichwort eines materialistischen Monismus gebraucht, zum leeren sinnlosen Worte wird. Ganz gleich steht es mit dem G e i s t e , unter dem wir das einheitliche Subject der Vielheit ideeller Vorgänge verstehn, in denen unser Ich sich selbst von seiner Leiblichkeit unterscheidet. Das Phänomen natürlich — es ist ja das unserm Bewusstsein am allerunmittelbarsten gegebene — stellt der materialistische Monist nicht in Abrede; er lässt auch den Namen Geist und Geistesleben für dies Phänomen gelten. Allein — real ist ihm der Geist nur als „Product" materiell vor sich gehender Functionen, wenn man auch nicht mit dem geistreichen Possenreisser C a r l V o g t , bloss um die Idealisten zu ärgern, den Vergleich mit dem Urin als dem Producte der Nierenfunction anstellen will. Was denn aber? wenn die ganze Redeweise, der in vager, überstiegener Bildlichkeit etwas ganz Richtiges vorschwebt, dass ohne das unzerstörte Functionireu des leiblichen Organismus auch das Geistesleben im Leibe nicht vor sich gehe, nicht ein leeres Wort sein soll? Allein gerade nur in dieser Entleertheit von Sinn kann es als Stichwort des materialistischen Monisinus figuriren. — So kann sich der rationelle Trieb, die Welt einheitlich aufzufassen, nur durch überstiegene Redewendungen genug thun, wenn er es auf dem Wege versucht, dass er das erste Moment der Grundthatsache des Bewusstseins, den r e a l e n G e g e n s a t z der m a t e r i e l l e n und der i d e e l l e n Seinsweise, a b s t r a c t m o n i s t i s c h durch Reduction der einen auf die andere zur I l l u s i o n macht. § 19. der
Der r e i n e R e a l i s m u s
Grundthatsache
des
fixirt
Bewusstsein*
dagegen jedes Moment
so,
wie es ihm in dieser
allein gegeben ist. So
bleiben
ihm
als Ausdruck für das,
als was alles
ma-
t e r i e l l e S e i n f ü r s i c h , abstrahirt von seinem allein thatsächlich gegebenen Zusammensein mit dem ihm immanenten ideellen Sein, also abstrahirt von allem concreten Bewusstseinsinhalt, allein dem Bewusstsein lichen
gegeben
ist,
die
S e i n s ; d. h. die E s s e n z
solchen
ist dem B e w u s s t s e i n
nur als die S e i n s w e i s e darum
nur
auch
zeitlichen
nur
in
Daseins
Form
des
räumlich
des materiellen
Seins
nicht als S u b s t a n z ,
zeitals
sondern
räumlich-zeitlichen Daseins gegeben und
Formbestimmungen auszudrücken.
räumlichen
Ebendamit
ist
aber
und auch
94
J.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 19.
umgekehrt alles in Bestimmungen von räumlichem und zeitlichem Sein Gefasste in Wahrheit als ein im Kern materiell und dinglich Seiendes vorgestellt, wenn auch etwas „Immaterielles", „Uebersinnliches", „Geistiges" damit gemeint ist. — Alles i d e e l l Seiende dagegen — von der „Kraft" im Stoff an bis hinauf zum Geiste — kann in seiner E s s e n z a l s i d e e l l e s S e i n , in seinem realen Gegensatz zu materiellem Dasein, nur in D e n k b e s t i m m u n g e n , in l o g i s c h e n K a t e g o r i e n ausgedrückt werden: nur als o b j e c t i v e S e i n s - r e a l i t ä t solcher D e n k f o r m e n ist a l l e s I d e e l l e unserm B e w u s s t s e i n gegeben, und ist darum auch von uns nur in solcher Form wiederzugeben, wenn wir nicht mehr und nicht weniger von ihm aussagen wollen, als uns von ihm zu wissen gegeben ist. — So anerkennt der reine Realismus sowohl das dem ab.st.ractmonistischen M a t e r i a l i s m u s vorschwebende Wahrheitsmoment: was r ä u m l i c h - z e i t l i c h e s D a s e i n hat, e x i s t i r t als etwas M a t e r i e l l e s ; als auch das dem abstract-monistischen I d e a l i s m u s vorschwebende Wahrheitsmoment: w a s G r u n d a l l e s D a s e i n s p r o c e s s e s und S u b j e c t des Lebens ist, das e x i s t i r t i d e e l l , i s t r e a l a l s e i n i d e e l l S e i e n d e s . Er anerkennt beides und damit die Realität des Gegensatzes von materiellem und ideellem Sein an allem dem Bewusstsein als objective Realität Gegebenen. Es stellt sich daher für ihn das Problem heraus, auch d a s Z u s a m m e n s e i n b e i d e r S e i n s w e i s e n an a l l e m E x i s t i r e n d e n so, und nicht anders, als wie es in der Grundthatsache des Bewusstseins gegeben ist, auszudrücken. 1. Der Kanon des reinen Realismus für die Beantwortung der Frage, was wir von der Essenz des sinnlichen und des geistigen Seins erkennen können, lautet einfach: s i c h k e i n X f ü r e i n U v o r m a c h e n , weder das i d e a l i s t i s c h e , welches das Materielle für eine blosse Erscheinungsweise des Ideellen als allein realer Substanz erklärt, noch das m a t e r i a l i s t i s c h e , welches das Ideelle als blosse Inliärenz oder als Product der Materie als allein realer Substanz gelten lässt. Jedes real so und nur genommen, wie es an allem substantiell dem Bewusstsein Gegebenen allein sich giebt! 2. Im Vorigen wurde die Essenz des materiellen Seins in's R a u m d a s e i n gesetzt. Es gehört aber auch das Z e i t - d a s e i n dazu. Man ist
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen Realismus.
95
zwar von K a n t her daran gewöhnt, zwar das R a u m - d a s e i n für die specifische Form (bei K a n t natürlich für die Anschauungsform) des S i n n l i c h e n zu nehmen, das Z e i t - d a s e i n dagegen als die dem Sinnlichen und Geistigen gemeinsame. Allein dies ist, genauer besehn, nicht richtig. R a u m - u n d Z e i t - d a s e i n machen beide z u s a m m e n die Essenz des sinnlichen Seins im realen Gegensatze zur Essenz des ideellen Seins aus. Nur ist das R ä u m l i c h - s e i n das p o s i t i v e , das Z e i t l i c h - s e i n das n e g a t i v e Moment daran. Da aber im letzteren, als der am räumlich Daseienden sich realiter vollziehenden Endlichkeit seines Seins ein ideell Seiendes sich als den Grund seines Daseinsprocesses erweist, so giebt allerdings das Zeit-dasein unmittelbarer die innere substantielle Beziehung zwischen sinnlichem und geistigem Sein zu erfahren. Insofern hatte K a n t schon Recht, wie er denn überhaupt wohl sehr selten ganz Unrecht hat, sondern immer nur halb. Die Erörterung, dass das Zeitlich-sein so gut wie das Räumlich-sein, beides einheitlich zusammen die Essenz des sinnlichen Seins im realen Gegensatze zur Unräumlichkeit und Unzeitlichkeit als der Essenz des geistigen Seins ausmacht, — diese Erörterung gehört wenigstens soweit schon hierher, um ein Beispiel zu geben, wie der K a n o n , sich kein X f ü r ein U zumachen, exact durchzuführen sei. Man ist geneigt zu sagen: unser Geist existire zwar allerdings nicht als etwas selbst Räumliches, wenn er auch mittelbar durch den Leib räumlich bestimmt und bedingt sei; hingegen gehen j a alle Vorgänge in unserem Geistesleben unmittelbar zeitlich vor sich, also gehöre das Zeitlichsein unmittelbar mit zur Essenz des geistigen Seins. Die Psycho-physik geht darum sogar darauf aus, das Zeitmaass nicht blos für die physische Vermittlung der psychischen Vorgänge, sondern auch f ü r diese selbst zu ermitteln. — J a wohl gehen die Vorgänge unseres Seelen- und Geisteslebens zeitlich vor; allein ihr Subject, unser Ich, ist eben zugleich eine real sinnliche Existenz, und seine Seelenacte gehen existentiell nicht getrennt von seinem sinnlichen Daseinsprocesse vor: von daher und nur von daher kommt das Zeitliche in unser Geistesleben, weil es ein endliches, zugleich sinnlich bestimmtes Subject hat. Ich denke Eins nach dem Andern, z. B. die Prämissen vor dem Schluss; allein rein ideell ist Eins zeitlos im Andern. Im rein ideellen Sein all' meines subjectiven Geisteslebens findet nur ein l o g i s c h e s Verhältniss statt; alles Zeitliche daran stammt von meiner sinnlichen Existenzweise her. Ein i d e e l l e s P r i n c i p ist schlechterdings kein z e i t l i c h e s , sondern nur ein l o g i s c h e s P r i u s , aber desswegen um nichts weniger ein r e a l e s Prius. Eine U r s a c h e , als S a c h e , existirt zeitlich vor ihrer Wirkung; der G r u n d dagegen, als l o g i s c h e s S e i n , ist als logisches Prius dem Existentiellen, dessen Grund es ist, nur als für sich zeitlos immanent. Die weiteren Consequenzen des Kanons, sich über das Moment des Zeitlich-seins in seinem
96
I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 19.
Verhältniss zur Essenz des sinnlichen und des geistigen Seins kein X für ein U vorzumachen, werden an einem späteren Orte schneidig genug zur Durchführung kommen müssen. Hier genügt e s , Raum- und Zeit-dasein ausdrücklich z u s a m m e n als die Essenz des Sinnlich-seins zu bezeichnen. 3. Der reine Realismus ergiebt also auf die Frage, was wir wissen können vom Wesen des Sinnlichen und des Geistigen als solchem, das in allen unseren Bewusstseins-objecten existentiell miteinander und doch als realer Essenzgegensatz gegeben ist, den wir nur mit Redensarten aufheben können, die runde Antwort: das sinnliche, materielle, dingliche Sein f ü r sich, also in seiner Essenz als solches, können wir schlechterdings n u r in Raum- und Zeitbestimmungen fassen und ausdrücken. Mehr wissen wir von der „Materie" als solcher nichts. Was wir weiter von ihr wissen, d. h. an ihr erfahren, das sind lauter ideelle Bestimmungen, z. B. von den Atomen, dass sie „Kraftcentra" sind; aber qua Realitäten sind sie räumlich Seiendes. Die Wissenschaft, welche die Sinnenwelt zum Objecte hat, sucht einmal als M a t h e m a t i k das Wissen von den reinen F o r m e n des sinnlichen Seins in Raum und Zeit, und diese kann sie ganz wissen, ohne Rest; dann aber sucht sie als e m p i r i s c h e N a t u r w i s s e n s c h a f t das Wissen von den realen Naturdingen und Naturprocessen. Darüber kann sie aber nur wissen, was sie aus der empirischen Erfahrung als G e s e t z e , d . h . ' a l s F o r m b e s t i m m u n g derselben abstrahirt; über das Wesen der „Materie" aber kann sie nichts anderes sagen, als dass sie Raum-daseiendes im Zeitprocess sei. Allem g e i s t i g e n Sein dagegen können wir nur in D e n k f o r m e n , in l o g i s c h e n K a t e g o r i e n den adäquaten Ausdruck geben, so, wie es uns als solches allein gegeben ist. Dies können wir von ihm w i s s e n , so gut wir Naturgesetze wissen können. Alles weitere aber, was wir von ihm sagen, ist sinnliches Bild, wenn wir uns des inadäquat Sinnlichen daran bewusst sind; oder sinnliche Fassung, wenn nicht. „Was der Geist sei, das wissen wir so wenig, als wir wissen, was die Materie sei", — so hören wir alltäglich. Wenn wir den Geist wirklich existentiell h i n t e r seinem G e i s t - s e i n suchen, dann allerdings wissen wir nichts von ihm. Soll aber wissen, was der Geist sei, heissen, als was das Geistsein unseres Ich uns gegeben sei, so ist die Behauptung des Nichtwissens eine Gedankenleerheit. Nichts ist unserem Bewusstsein unmittelbarer gegeben und darum so fassbar, als gerade dies. Wer anders als der Geist selbst ist es, der fragt: was mag wohl der Geist sein? oder gar: giebt's überhaupt einen Geist? Wissen wir nicht was Geist, und nicht was Materie s e i , und ist unserem Bewusstsein nichts anderes als beides zusammen gegeben, — was bleibt uns dann von unserem Bewusstseins-inhalt anderes übrig als ein Messer ohne Heft, dem die Klinge fehlt?
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen Realismus.
97
"Warum das? Wir wollen durchaus als z w e i e r l e i E x i s t e n z e n , was uns doch nur existentiell z u s a m m e n gegeben ist, als die Momente einer existentiellen Einheit: natürlich daher, dass wir s o , wie wir es wollen, wie es uns aber nicht gegeben ist, eben auch von beidem nichts wissen können. 4. Aber — so wendet man ein — soll denn, was der Geist und alles geistige Leben sei, bloss in logischen Kategorien ausgedrückt werden dürfen, — wie leer, wie formal, wie abstract kommt das heraus! Aber bekenne man sich doch: um kein Haar mehr oder weniger, als wenn wir das, was Materie sei und was alle materiellen Vorgänge in der Natur seien, auch nur in abstracten, formalen Raum- und Zeitbestimmungen ausdrücken. Und doch hält die Naturwissenschaft mit Recht fest darauf, dass wir allerdings n u r dies, dies aber s i c h e r von der Materie wissen und f ü r die Wissenschaft auch daran genug haben. Freilich, wie arm und abstract klingt beides gegenüber der farbensatten Beschreibung der Natnrvorgänge und alles dessen, was den Reichthum des geistigen Lebens ausmacht! Natürlich, da haben wir eben beidemal, hier wie dort, sinnliches und ideelles Sein in der existentiellen Einheit, in der es uns allein in der Wirklichkeit gegeben ist, in den Farben des wirklichen Lebens. Wollen wir aber jedes f ü r s i c h fassen, in seinem Seins-gegensatze zum andern, a b s t r a h i r t von ihrem Zusammensein in der Wirklichkeit, dann kann beides, gerade wenn es wahr gefasst werden soll, eben nur a b s t r a c t gefasst werden. Wird es dagegen c o n c r e t , anschaulich beschrieben, so wird es eben nur im Bilde geschildert, nicht eigentlich wiedergegeben, wie es uns allein gegeben ist. Dass aber diese abstracten Bestimmungen nicht l e e r e sind, wie der naive Hunger nach sinnlicher Anschaulichkeit gerne den Vorwurf erhebt, dem ist von vornherein dadurch vorgebeugt, dass j a das materielle und das ideelle Sein, für sich isolirt und als Existenz vor unser Bewusstsein gebracht, allerdings abstract, abgezogen von der Wirklichkeit, in Wahrheit aber in ihrer existentiellen Einheit b e i d e s R e a l i t ä t e n sind, das ideelle so gut wie das materielle, — gegenüber der materialistischen Naivetät des populären Bewusstseins, welches m a t e r i e l l und i d e e l l einander als r e a l und „ b l o s g e d a c h t " , d, h. eingebildet, gegenüber zu stellen liebt; aber auch gegenüber der idealistischen Ueberstiegenheit, welche nur ideelles Sein und nicht auch das materielle Sein als r e a l seiend anerkennen mag, — freilich meist nur im ersten philosophischen Anlauf; nachher kommt sie doch unversehens auch zur Ebenfüssigkeit gewöhnlicher Menschenkinder zurück und nimmt auch das materielle Sein als irgendwie real. I r g e n d w i e r e a l : — in welchem V e r h ä l t n i s s e die Realität beider Momente alles uns existentiell in und mit einander Gegebenen zu einander zu fassen, d. h. wie ihr Zusammensein zu nehmen sei, — f ü r dies Problem Biedermann,
Dogmatik 2. Aufl.
7
98
I- Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 20.
bleibt noch übrig, den Kanon des reinen Realismus geltend zu machen: nur nicht durch ein X für ein U eins in's andere resorbiren wollen! § 20.
Die
andere
Seite
der
Grundthatsache, das e x i s t e n t i e l l e
dem
Bewusstsein
gegebenen
Zusammensein
materiellen
und ideellen Seins in allem empirischen Bewusstseins-inhalte, lässt der reine Realismus sich nicht beigehn aus einer nur auf die Wesensbestimmung
eines
ihrer Momente
gestützten Hypothese
tistisch zu deduciren als materialistisch oder idealistisch s c h e Weltconstruction. fahrungsmateriales
dogma-
monisti-
Er sucht vielmehr aus der Analyse des Er-
der gesammten unserm Bewusstsein
gegebenen
AVeit das reale V e r h ä l t n i s s , in welchem die beiden dasselbe von unten an bis oben hinauf constituirenden Momente für das Bewusstsein gegeben sind, zu abstrahiren; und erst aus diesem gefundenen Resultate gestattet
er s p e c u l a t i v
digen Schluss auf den letzten absoluten Grund gebenen
Seins
zu
ziehn.
Nur
diesen Schluss
inductiv
den denknothweualles
objectiv ge-
anerkennt
er als
metaphysische Erkenntniss; diesen aber, mit allem, was- denknothwendig in ihm enthalten ist, macht er als w i r k l i c h e
Erkenntniss
geltend. 1. Wenn der reine Realismus den psychologisch nächstliegenden Fehler, die beiden Seinsformen des materiellen und des ideellen Seins, welche dem Bewusstsein nicht allein sondern nur existentiell zusammen gegeben sind, nicht so zu nehmen, wie sie allein gegeben sind, sondern entweder als z w e i E x i s t e n z e n , oder als in Wahrheit nur e i n e E s s e n z , — wenn der reine Realismus diesen nächsten Fehler corrigirt hat, so bleibt ihm die Aufgabe, nun auch den andern zu corrigiren und ihr existentielles Zusammensein so zu nehmen, wie es gegeben ist. Dies hat nun beiden Formen des ersten Fehlers gegenüber zu geschehn: der d u a l i s t i s c h e n Fassung des materiellen und ideellen Seins als zweier Substanzen und darum Subsistenzen einander gegenüber, und der ab • s t r a c t - m o n i s t i s c h e n der Resorbtion des einen in das andere. Jeder geht für seine Fassung der Thatsache des existentiellen Zusammenseins von beidem in all' unserm Bewusstseinsinhalt Gegebenen dogmatistiscli von seiner Hypothese über die E s s e n z des materiellen und des ideellen Seins aus, und baut darauf seine entsprechende Theorie über das gegebene Problem ihres Z u s a m m e n s e i n s . Als blosse Hypothese müssen wir aber jene Annahmen bezeichnen, weil sie die Dinge nicht nehmen, wie sie einzig gegeben sind. Die auf solche Hypothesen gebauten Theorieu über das
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen Realismus.
99
existentielle Zusammensein müssen dann natürlich dem entsprechend ebenfalls dualistisch oder abstract-monistisch ausfallen. 2. Die d u a l i s t i s c h e Fassung des materiellen und des ideellen Seins als zweier verschiedener S u b s t a n z e n , die als solche eigentlich f ü r sich existiren, kann ihr existentielles Zusammensein nur als C o e x i s t e n z , als Zusammengesetztsein aus zwei Existenzen fassen, alles als wirklich seiend dem Bewusstsein Gegebene als Composition zweier Substanzen: — um von unten nach oben zu gehn — jeden K ö r p e r aus „ S t o f f " und aus „ K r a f t " ; den M e n s c h e n aus L e i b und aus S e e l e ; das U n i v e r s u m (die Totalität alles unserm Bewusstsein Gegebenen) aus W e l t und aus G o t t als zweierlei a u s s e r einander und f ü r s i c h existirender und nur mit einander irgendwie v e r b u n d e n e r Substanzen bestehend. So aber sind alle diese Bewusstseins-objecte uns schlechterdings nicht gegeben: an keinem K ö r p e r der Stoff und daneben die Kraft als eine andere Existenz, da — ganz wahr — kein Stoff ohne Kraft, keine Kraft ohne Stoff; am M e n s c h e n nicht der Leib und daneben die Seele als eine andere Existenz, da — ganz wahr — der Leib nur beseelt uns als Leib, die Seele nur als beleibt uns als Seele gegeben ist; und endlich am U n i v e r s u m nicht die Welt und daneben existirend Gott, da — wieder ganz wahr — die Welt so wenig ohne Gott (hier zunächst nur concentrirt auf die Kategorie „absoluter Grund"), als Gott ohne die Welt uns gegeben ist; sondern alle diese Bewusstseins-objecte nur in existentieller Einheit. 3. Nun aber folgert die a b s t r a c t - m o n i s t i s c h e Auffassung, welche, wie ihre Gegnerin, E s s e n z , Seiusweise, kurzweg als f i i r s i c h Existirendes, also als S u b s t a n z nimmt und somit die beiden Begriffe E s s e n z und S u b s t a n z , S e i n s w e i s e und E x i s t i r e n d e s , identificirt, daraus, dass materielles und ideelles Sein uns nicht gesondert existirend, sondern an Allem subsistentiell einheitlich gegeben sind, es bilde auch nur e i n e E s s e n z : jeder K ö r p e r , der M e n s c h , das U n i v e r s u m habe nur e i n e s u b s t a n t i e l l e E s s e n z , sei's nun m a t e r i a l i s t i s c h S t o f f , sei's i d e a l i s t i s c h I d e e . — Dies ist nun wieder einfach nicht w a h r : s o ist gar nichts uns gegeben, sondern an Allem beides, eins so real als Essenz wie das andre. 4. Darum macht der reine Realismus, wie allem Dualismus so auch allem a b s t r a c t e n Monismus ( a b s t r a c t , weil er eine Essenz in die andre resorbirt, also von ihrer Realität unwahr abstrahirt) gegenüber geltend: die Begriffe E s s e n z und S u b s t a n z , S e i n s w e i s e und S u b s i s t e n z , sind zu unterscheiden. Alles unserm Bewusstsein Gegebene ist uns weder als C o e x i s t e n z von materieller und ideeller Substanz, noch als e i n e abstract materielle oder abstract ideelle E s s e n z gegeben, sondern als subsistentielle Einheit von beidem, also als S u b s t a n z , 7*
100 die
I. beides
menten hat:
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
zu
ihren nothwendigen,
alle
sinnlichen
Substanz
und
ist
ideellen
jeder wirkliche Mensch,
also zu ihren e s s e n t i e l l e n Mo-
uns
Seins
§ 20.
essentiell
gegeben:
nur als
Einheit
jeder wirkliche
das wirkliche Universum.
Damit
Körper,
ist nun
aber
dem reinen Realismus das Problem gestellt, das materielle und das ideelle Sein
nun
auch in ihrem S e i n s - V e r h ä l t n i s s
zu einander so zu fassen,
dass wir sie als das, als was sie uns allein gegeben sind, wirklich denken können, als die existentiell von einander untrennbaren und doch essentiell unterschiedenen Momente an allem, was uns als S u b s t a n z gegeben ist, und zwar an jeder Substanz, die uns als solche gegeben ist, auch wenn diese
im
Weitem
sich
als
endliche
Substanz
erweist,
die
zwar
ihren Subsistenz-grund immanent in sich trägt, aber die U r s a c h e für ihr Dasein und jeweiliges So-sein ausser sich in der Coexistenz mit andern Substanzen hat.
Dies ist die allgemeine Aufgabe, die der reine Realis-
mus der Metaphysik gestellt sieht. 5. Die nähere Aufgabe aber, die er stellt, oder die er einem Denken, welches die Dinge nicht machen, sondern nehmen will wie sie sind, gestellt sieht, muss darin Destehn, inductiv durch die Analyse der gesammten Erfahrungswelt
unsers
Bewusstseins
das V e r h ä l t n i s s
zu
suchen,
in
welchem das materielle und das ideelle Moment alles Realen dessen reales einheitliches Dasein zusammen ausmacht. kenntniss
hervor,
die
Denn nur daraus geht die Er-
mehr als blosse Behauptung ist, w i e materielles
und ideelles Sein wirklich die nothwendigen M o m e n t e aller substantiell einheitlichen Wirklichkeit
bilden.
Es ist dies das Problem einer c o n -
c r e t - m o n i s t i s c h e n Auffassung aller Dinge, vom einfachsten Daseienden an bis hinauf zum Universum, als der einheitlichen Gesammtheit unserer Bewusstseinswelt. einsetzen mag,
Den A u s g a n g
vom P h ä n o m e n
Je höher sie einsetzt,
muss diese Induction, wo sie immer unsers Bewusstseins-inhaltes
nehmen.
desto näher, klarer und reicher wird ihr das ge-
stellte Problem entgegentreten:
in welchem Verhältnisse stehn hier
ma-
terielles und ideelles Sein als die beiden Momente der substantiellen Einheit dieses gegebenen
Erfahrungsphänomens
zu
einander?
Das höchste
Phänomen, wo sie einsetzen kann, ist das menschliche Ich selbst in der Totalität
seiner Existenz.
Vom c o n c r e t e n
menschlichen
Selbst-
b e w u s s t s e i n aus, aber vom ganzen, mit allem was in ihm gegeben ist, hat die
Induction,
die
den
Stoff
für die
Lösung
des
metaphysischen
Problems zu liefern hat, die breiteste Basis, die g a n z e Basis, die es für unser menschliches Bewusstsein giebt.
Denn der ganze Weltprocess, der
empirisch die Existenz-voraussetzung für das menschliche Selbstbewusstsein bildet, ist, eben als seine reale Voraussetzung, mit darin eingeschlossen. Von unten bis oben wird logisch das Verhältniss des materiellen und des ideellen Seins essentiell das gleiche sein; allein erst oben, im Geistesleben
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen Realismus.
101
des e n d l i c h e n G e i s t e s , tritt das Verhältniss zwischen der Realität m a t e r i e l l e n und der Realität i d e e l l e n Seins in der substantiellen Einheit unsrer selbst uns zugleich am u n m i t t e l b a r s t e n und am u m f a s s e n d s t e n als das Problem der Metaphysik entgegen. 6. Die Lösung aber dieses Problem's ist Sache der S p e c u l a t i o n , auf Grund der von der Gesammtbasis unsrer Erfahrungswelt aus untern o m m e n e n I n d u c t i o n . Man entschlage sich doch n u r der abergläubischen Gespensterfurcht vor dem blossen Worte Speculation, weil m a n bloss eine Art von v e r r u f e n e r Speculation kennt, — vielleicht auch bloss a u s der Ferne davon h a t reden hören. Speculation im Unterschiede von d e r Induction ist schlechterdings nichts anderes als im Denkprocess das Eine s p o n t a n e Moment der S e l b s t b e z i e h u n g des Bewusstseinssubjects auf das Bewusstseins-object, das n u r mit dem anderen, r e c e p t i v e n Momente zusammen die Beziehung, in welcher das Bewusstsein besteht, herstellt. Und zwar bildet die Induction, als das receptive Mom e n t im Denkprocess, ebenso nothwendig die V o r a u s s e t z u n g f ü r das Zustandekommen wirklich denkenden Bewusstseins, als f ü r das Bewusstsein überhaupt das Vorhandensein einer objectiven Seins-beziehung des Bewusstseins-objectes zum Bewusstseins-subject. Aber so wenig diese o b j e c t i v e Seins-beziehung f ü r sich schon Bewusstsein erzeugt ohne eine S e l b s t - b e z i e h u n g des Ich auf dieselbe, so wenig entsteht ein denkendes Bewusstsein im engern Sinn schon durch die Induction allein. Erst w e n n das Ich mit den Gedanken, die es (wie immer gewonnen) subjectiv schon hat, das durch die Induction beigeschaffte objective Material anfasst. kommt das Gedankenabbild der objectiven Welt im subjectiven Bewusstsein zu Stande. Dies letztere Moment aber, das subjective Richten seiner Gedanken auf die Bewusstseins-objectivität, wie immer es geschehn mag, m a c h t den allgemeinen Begriff der S p . e c u l a t i o n aus. Darum treibt unwillkürlich ein jeder in seiner Weise Speculation, wenn er wirklich sein induetiv gewonnenes Material nicht einfach blos aufstappeln und gedankenlos angaffen will. Die V e r w e r f u n g aller Speculation überhaupt also ist nichts als eine abergläubische Gespensterfurcht, weil man nur von einer unheimlichen, allen Boden der Wirklichkeit unter den Füssen verlierenden Speculation gehört hat. Statt in dieser Gespensterfurcht blindlings vor dem vermeintlichen Gespenste davon zu laufen, wobei m a n gerade das wirkliche Gespenst im eigenen Kopf mit sich nimmt, gehe m a n ihm doch nüchtern auf den L e i b ; dann findet m a n , was der reale Kern daran ist. D a r u m analysirt der erkenntniss-theoretisch reine Realismus den empirisch vorliegenden psychologischen Entwicklungsprocess des Bewusstseins, um den Grund und die Form der rechten Speculation zu finden. Ohne Speculation aber giebt es keine Antwort auf alle metaphysischen Fragen und zwar sowenig eine positive, als eine negative, die irgend einen Werth hätte.
102
I.
Die e r k e n n t m s s - t h e o r e t i s c h e Grundlage.
§ 20.
7. Hier schon, am Schlüsse der Exposition des Grundsatzes, in dessen Durchführung der reine Realismus in der Erkenntnisstheorie besteht, mag schon das allgemeine Urtheil über andere erkenntniss-theoretische Standpunkte und die darauf basirte Fassung der wissenschaftlichen Tragweite der auf das Metaphysische gerichteten Speculation ausgesprochen werden, zur vorläufigen Orientirung über das Verhältniss, das denselben gegenüber einzunehmen jener Grundsatz des reinen Realismus mir gebietet. Die Begründung kann dieses Urtheil erst in der psychologischen Durchführung des Bewusstseinsprocesses von meinem Standpunkt aus erhalten. Als den Wahrheitskern in K a n t ' s Erkenntnisstheorie anerkenne i c h : der U m f a n g der Erscheinungswelt für uns bezeichnet auch die Umfangsgrenze möglicher Erkenntniss; denn das speculative Denken kann nur die auf induetivem "Wege in jenem gefundenen rationellen Probleme auch rationell lösen; andere sind ihm nicht gestellt, kann es sich nur willkürlich selbst stellen, und darum kann es auch nur mit subjectiver Willkür damit spielen, ohne den Anspruch auf objective Anerkennung stellen zu dürfen. Als F o r m gültiger Erkenntniss sind uns für das s i n n l i c h e Moment all' unsrer Erfahrungswelt nur die „ A n s c h a u u n g s f o r m e n " von Raum und Zeit, für das g e i s t i g e Moment derselben nur die Kategorien des Verstandes, die reinen „ D e n k f o r m e n " , gegeben; was aber in diese gefasst werden kann, ist wirkliche Erkenntniss. Dass aber K a n t das Object der metaphysischen Frage, den objectiven Grund der subjectiven Erscheinungswelt für ein bewusstseins-transcendentes, jedoch positiv zu postulirendes reines X für unser Bewusstsein erklärt, ist nur die Folge davon, dass K a n t denselben, dem Grundsatze des reinen Realismus zuwider, einerseits zwar als i d e e l l in der Erscheinungswelt-mit gegeben anerkennt, andererseits aber doch zugleich d i n g l i c h jenseits der Erscheinungswelt sich vorstellt. Den S t a n d o r t des B e w u s s t s e i n s - s u b j e c t e s hat K a n t richtig fixirt; aber den seines B e w n s s t s e i n s - o b j e c t e s von vornherein dogmatistisch verrückt. Als den Wahrheitskern von H e g e l ' s Erkenntnisstheorie heisst mein reiner Realismus mich anerkennen: das Sein des I d e e l l e n und damit die E s s e n z d e s G e i s t e s , des Ideellen in seinem „An- und für sich-sein", ist nur in l o g i s c h e n K a t e g o r i e n zu fassen; in diesen wird es aber auch ganz, ohne einen dunkeln E x i s t e n z - r e s t dahinter, gefasst; — dies gegen alle Vorstellung, welche den Geist als ein Daseiendes hinter seinem rein ideellen Sein anschaut, um ihn als ein Reales zu haben. Also durch reines Denken wird das Wesen und Sein des Geistes rein gefasst; denn er ist uns real gegeben nur als o b j e c t i v e R e a l i t ä t von Denk-bestimmungen, d. h. von Sein, das wir nur in Gedanken ausdrücken können. Hingegen hat H e g e l das S u b j e c t des Denkens für die Verrichtung seines reinen Denkens von seinem realen
1. Cap.
Der Grundsatz des reinen
Realismus.
103
Standort in der sinnlichen Bestimmtheit seiner Existenz und daher aus den Bedingungen seines Denkens hinweggerückt in den „Aether der Idee", wo nicht blos der Vorstellung sondern auch ihm selbst aus Mangel an den natürlichen Lebensbedingungen der Athem ausgeht Ich werde am Ende der psychologischen Erörterung des Denkprocesses den Unterschied des Denkens, das ich allein r e i n e s Denken nenne, und dem, welches man von H e g e l her kurzweg und allein unter reinem Denken zu verstehn gewohnt i s t , und von welchem die abergläubische Gespensterfurcht vor aller Speculation als Wolkentreterei und eigenmächtiger Weltconstruction her datirt, noch bestimmter darzulegen haben. Allein der Grundgedanke H e g e l ' s ist doch wahr: was alles ideelle Sein, und was dessen reales Sein als G e i s t , als Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung ist, das ist uns nur in Denkbestimmungen gegeben und nicht als ein transcendentes, irgendwie dingliches X dahinter zu suchen. K a n t hat erkenntniss-theoretisch wohl das Bewusstseins-subject richtig auf seinen realen Boden gestellt, aber ihm das Bewusstseins-object von vornherein abstract dualistisch verrückt. H e g e l hat umgekehrt das Bewusstseins-object richtig fixirt, aber das Bewusstseins-subject von seinem realen Boden entrückt. J e n e r schickt uns in's Wasser, aber will uns wehren schwimmen zu lernen; dieser will uns in der Luft schwimmen lehren. In's Wasser; aber hier schwimmen gelernt! E. v. H a r t m a n n endlich, der zwar mit seinem transcendentalen Realismus den einen Fuss aus der Schlinge des subjectiven Idealismus glücklich wieder herausgezogen hat, mit dem andern aber darin geblieben ist, will — was wesentlich damit zusammenhängt — „auf induetivem Wege speculative Resultate" gewinnen, auf K a n t ' s Wege das Bewusstseins-subject an H e g e l ' s Bewusstssins-object heran bringen. Ja — heran an dasselbe lässt es sich induetiv wohl bringen; aber es wirklich zu fassen, dazu gehört noch ein' andres Verfahren als das induetive. Auf induetivem Wege kommen wir nur zu den speculativen P r o b l e m e n , nicht zu den speculativen R e s u l t a t e n . Wollen aber diese auf jenem Wege gleich mit gewonnen werden, so kann der Schein davon nur durch Speculation der Phantasie, d. h. durch gnostische Speculation, erzeugt werden, wie eine solche auch in der That bei H a r t m a n n uns vorliegt. Nüchtern betrachtet, sind die auf induetivem Wege gefundenen metaphysischen Probleme nur durch, die Handhabung rein logischen Denkens zu Resultaten wirklicher Erkenntniss zu führen.
Zweites
Kapitel.
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses. § 21. Der Weg des reinen Realismus in der Erkenntnisstheorie ist durch den psychologischen Gang des Bewusstseinsprocesses vorgezeichnet. Zur Beantwortung der Frage, was uns zu erkennen möglich sei, unterscheiden wir die empirischen S t u f e n des Bewusstseinsprocesses mit specieller Rücksicht auf den Beitrag einer jeden zur E r k e n n t n i s s , d. h. zum Wissen des objectiv Seienden mit seinem Grunde. Auf jeder Stufe unterscheiden wir: 1) das O b j e c t f ü r mögliches Bewusstsein auf dieser Stufe, 2) den P r o c e s s , d u r c h den dasselbe Inhalt des Bewusstseins wird, und 3) die F o r m , in der es durch diesen Process Bewusstseinsi n h a l t wird. Die Frage nach dem O b j e c t für das Bewusstsein hat den Sinn: was für ein Sein steht überhaupt in derjenigen objectiven Seins-beziehung zum Bewusstseins-subject, dem concreten menschlichen Ich, durch welche es auf der betreffenden Stufe dessen subjectiver Bewusstseins-inhalt werden kann? Die Frage nach dem P r o c e s s des Bewusstseins hat den Sinn: durch welche g e g e n s e i t i g e r e a l e S e i n s - b e z i e h u n g wird auf dieser Stufe die ideelle Subjectivirung des Objectes zum Bewusstseins-inhalte verwirklicht? Die Frage endlich nach der F o r m des Bewusstseins-inhaltes hat den Sinn: wie ist durch diesen Process das Object wirklicher Bewusstseins-inhalt des Ich?
2. Cap.
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses.
105
Wem R e a l i t ä t einer S e i n s f o r m nicht genügt, weil ihm dies j a ganz leer und abstract vorkommt, während er etwas substantiell Reales haben möchte, der hat insoweit ganz Recht zu sagen: damit wissen wir j a noch nicht im geringsten,' was denn die „Substanz" der Materie und die „Substanz" des Geistes sei. Und wenn dies seinen Nichtwissenstrieb befriedigt, so mag er immerhin dabei bleiben: was die Materie und was der Geist sei, das wissen wir nicht und werden es nie wissen! Allein er bedenke dabei nur das E i n e : unserm Bewusstsein ist eben beides nur in subsistentieller Einheit als die beiden constituirenden Momente aller Wirklichkeit gegeben. Wollen wir dagegen wissen, was jedes als etwas substantiell f ü r s i c h Seiendes sei, so wollen wir es eben nehmen, wie es uns schlechterdings nicht gegeben ist, und darum können wir das ganz natürlich nicht wissen. Als concrete Realität ist uns nur die existentielle Einheit von beiden gegeben; aber an dieser beides als realer essentieller Gegensatz materieller und ideeller, raum-zeitlicher und logischer Seinsform. Was Materie und Geist als d i e s sind, und in welchem Verhältniss zu einander sie als d i e s alle uns gegebene Wirklichkeit ausmachen, das ist uns zu wissen gegeben: mehr nifcht; allein dies kann und soll uns genügen. Wenn wir mehr wissen möchten, und meinen, das wäre dann eigentlich erst wirkliches Wissen, dieses aber sei uns eben versagt: so suchen wir nur — beim Lichte besehn — die Wirklichkeit erst hinter der Wirklichkeit: wir möchten den Geist dinglich aufgezeigt und beschrieben haben, die Materie aber in Gedanken ausgedrückt; d. h. beides als das Gegentheil dessen, als was beides uns in aller Wirklichkeit gegeben ist. Der reine Realismus besteht aber darin, sich dergleichen zu entschlagen und die Wirklichkeit der unserm Bewusstsein gegebenen Welt n u r so, aber auch g a n z so nehmen, wie sie uns gegeben ist. Am wenigsten aber kann man das, dass damit die Realität des Geistes in die Realität logischer Seinsformen gesetzt wird, ein „Hypostasiren" logischer Abstracta nennen'); denn eben das soll gerade nicht geschehn, dass wir das, was erst wir abstrahirt haben von seinem realen Zusammensein mit seinem Gegentheil, in dieser Abstraction zu etwas dinglich für sich Seiendem hypostasiren, um es als etwas Reales vor der Seele zu haben.
§ 22.
Der Process
des Bewusstseins (§ 14) hat,
ausgehend
vom sinnlichen Daseinsprocess seines Subjectes, des menschlichen Ich,
d r e i wesentlich zu unterscheidende Stufen,
deren jede con-
tinuirlich der folgenden den ihr specifisch zukommenden Bewusst') Wie vielleicht L i p s i u s t i s c h e n B e i t r ä g e , S. 146.
geneigt sein möchte, vergl. seine d o g m a -
106
1.
seins-inhalt
Die erkenntniss-theorefische Grundlage.
zum
Bewusstseins-objcot
säehlich vorliegenden
§ 23.
abgiebt.
Iii dieser
(hat-
Stufenfolge ist das B e s t i m m u n g s z i e l
des
menschlichen Ich als t h e o r e t i s c h e n Geistes nicht blos speculativ zu erkennen, sondern schon thatsächlich vorgezeichnet. Diese
Stufen
sind:
1) das
Wahrnehmen,
2) das
Vor-
s t e l l e n und 3) das D e n k e n , mit der W a h r n e h m u n g , der V o r s t e l l u n g und dem G e d a n k e n als der einer jeden
zukommenden
Form des Bewusstseins-inhaltes. Wahrnehmen
ist
der Bewusstseins-process als Innewerden
von objectiv Seiendem i m Vorgang der realen gegenseitigen Seinsbeziehung zwischen demselben und dem Subjecte; V o r s t e l l e n als ideelle Objectivirung von subjectivirtem
Wahr-
nehmungs-inhalt in die Form abstract-sinnlicher Objectivität; D e n k e n als Bewusstsein des Ideellen als solchen in subjectiver Unterscheidung desselben von der sinnlichen Realität. Es wäre wohlgethan, Momente,
die
bei
zur bessern Unterscheidung der verschiedenen
der A n a l y s e
der Thatsache
des
Bewusstseins
noth-
w e n d i g m ü s s e n unterschieden werden, den fluetuirenden Sprachgebrauch möglichst zu
flxiren,
und D e n k e n ,
für den B e w u s s t s e i n s - v o r g a n g selbst und zwar
vorab einmal
die V e r b a Wahrnehmen,
w i e er Act des Bewusstseins-subjectes ist, zu
brauchen, die
Vorstellen speciell
Substan-
t i v a Wahrnehmung, Vorstellung und Gedanke dagegen für das
Product,
d e n B e w u s s t s e i n s - i n h a l t , zu reserviren. A m allerwichtigsten Vorstellung, chologisch
freilich
ist es,
den
Begriff V o r s t e l l e n
w o m i t man im weitern Sinn (und zwar aus
natürlichen
Grund) a parte potiori den
ganzen
und
einem psy-
Bewusstseins-
process und allen Bewusstseins-inhalt zu bezeichnen gewohnt ist, im engern speciellern Sinn sowohl vom W a h r n e h m e n unterscheiden.
der Vorstellung v e r s t e c k t
sich der ganze Irrthum der
schen A u f f a s s u n g des Bewusstseinsprocesses
1. § 23.
als vom D e n k e n
genau zu
In der Subsumtion der Wahrnehmung unter den Begriff
Das W a h r n e h m e n
und die
subjectiv-idealisti-
überhaupt.
Wahrnehmung.
a, O b j e c t für mögliches W a h r n e h m e n ist alles ideell
und materiell Seiende, das in r e a l e r S e i n s - b e z i e h u n g zum entsprechenden Seins-moment am Subjecte selbst steht und d a m i t die überhaupt
für dasselbe
vorhandene WTelt ausmacht.
Das W a h r -
nehmen besteht daher, unterschieden aber ungetrennt, in ä u s s e r e m
2. Gap.
Der psychologische Gang des Erkeuntnissprocesses.
107
und in i n n e r e m W a h r n e h m e n , der m a t e r i e l l e n und d e r i d e e l l e n in S e i n s - b e z i e h u n g z u m M e n s e h e n s t e h e n d e n real vorhandenen
und
dadurch für ihn
Welt.
1. Eine gegenseitige o b j e c t i v e S e i n s - b e z i e h u n g ist die absolut nothwendige Voraussetzung und Bedingung f ü r das B e w u s s t - w e r d e n eines Objectes für das Subject, als Wahrgenommen-werden-können von ihm. Eine bloss vorgestellte Welt, die durch keinen Faden von objectiver Seins-beziehung mit "uns verbunden wäre, ginge uns schlechterdings nichts an, wäre f ü r uns objectiv nicht da. Da wäre eine solche allerdings f ü r uns, aber nur als unser eigenes subjectives Product, und dieses tritt, einmal von uns objectivirt, dann allerdings auch in realen Seinsrapport zu unserm Ich. Auch unsere Einbildungen werden zu realen Grössen, mit denen unsere Seele in Seinsrapport tritt, und zwar in gegenseitigen: sie wirken auf die Seele zurück, und diese reagirt ihrerseits wieder auf sie. Und eben damit werden sie auch wahrgenommen von uns, objectiv als das, was sie sind, als unser eigenes Product, auch wenn sie subjectiv nicht dafür erkannt, sondern von uns für Realitäten gehalten werden. Hierauf gerade nun stützt sich der Skepticisnius des subjectiven Illusionismus : all unser Bewusstsein könne möglicher Weise ja blosse subjective Illusion sein; wir haben gar kein Kriterium, ob sein Inhalt nicht ein bloss subjectiver, oder aber auch ein irgendwie objectiv vorhandener sei. Und auch die Bewusstseinstheorie des subjectiven Idealismus, dass unser Bewusstseins-inhalt nur eine Protection unseres bewusstseins-transcendenten Empfindungsstoffes in unseren subjectiven Anschauungsformen sei, kann direct nicht aus diesem unheimlichen Cirkel heraus. Und doch ist dies in Wahrheit so einfach, wenn wir nur nicht damit a n f a n g e n , ihn zuerst durch eine Fiction um uns zu ziehn, als ob alles, was innerhalb des Inhaltes unseres Bewusstseins liegt, eo ipso u n s e r Product, und die allfällige ihm correspondirende objective Wirklichkeit jenseits desselben, also natürlich bewusstseins-transcendent sein müsse. Diese Vorstellung von unserem Bewusstseins-inhalt ist eine reine Fiction, die erst wir selbst uns vormachen. Gegeben ist uns das Bewusstsein als eine r e a l e B e z i e h u n g zwischen seinem Inhalt als Object und uns als Subject, und die erste Form unseres Bewusstseins ist, dass wir dieses Object wahrnehmen. Ohne Subject und ohne Object keine Wahrnehmung. Dies Object mag für sich sein was es will; es kann ja auch ein Product unserer selbst sein: aber als Inhalt unseres Bewusstseins ist es ein O b j e c t für unser Bewusstseins-Ich, in irgend einer realen Seins-beziehung zu ihm, und nur in dieser ist es auch Inhalt unseres Bewusstseins; weder in seinem S e i n f ü r s i c h , noch als bloss u n s e r e i g e n e s P r o d u c t . So bildet die Gesammtheit dessen, was wir in unser Bewusstsein be-
108
I-
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§§ 23. 24.
kommen, allerdings u n s e r e Welt; aber eben eine o b j e c t i v e Welt f ü r uns als Bewusstseins-subject, die in realer Seins-beziehung zu uns stellt, was immer von ihr erst von uns selbst als Vorstellung mag erzeugt und von uns selbst uns gegenüber objectivirt worden sein. Auch ein solches an sich nichtiges, erst von uns objectivirtes Product unserer selbst kann sich als eine sehr reale Macht in sehr realer Seinsbeziehung an unserem Gemüth erweisen, und unter Umständen auch an unserem leiblichen Dasein. 2. Allein wie? sind wir denn damit über jenen unheimlichen Cirkel hinaus und nicht vollends erst recht drin? Nun doch: über den Cirkel nämlich, der den Umkreis unsers ganzen B e w u s s t s e i n s - i n h a l t e s als etwas blos S u b j e c t i v e s abschliessen will und unserm Bewusstsein eine Brücke auf einen objectiven Boden hinüber zu schlagen verwehrt. Unser ganzer Bewusstseins-inhalt ist dies nur, weil er als Object eine Realität unserm Ich gegenüber hat, und als die, welche er hat, in realer Seins-beziehung zu uns steht, mag nun diese Realität existentiell in oder ausser unserer eigenen Existenz sein. — „Aber eben, wie dies unterscheiden? das ist die Frage. Das ist der Cirkel, aus dem wir nicht herauskommen!" — Gewiss nicht bei jener Fiction, dass a l l . unser Bewusstseins-inhalt als solcher unser P r o d u c t sei; wohl aber, wenn Bewusstsein nichts anderes als eine B e z i e h u n g ist zwischen Subject und Object. Da haben wir ein Mittel dahinter zu kommen, ob das Bewusstseins-object existentiell nur in oder wirklich ausser uns sei: durch eine Triangulation, die wir fortlaufend in unserem Bewusstseinsleben von Wahrnehmung zu Wahrnehmung von selbst vornehmen. Sehe ich nur mit Einem Auge auf einen Gegenstand, dessen absolute Grösse mir ganz unbekannt ist, so vermag ich die Distanz nicht zu schätzen. Schon durch die Triangulation mit beiden Augen werde ich darüber belehrt; noch sicherer, wenn ich dieselbe von grösserer Basis aus vornehmen k a n n ; vollends, wenn noch ein anderer Sinn mich dabei unterstützt. So kann eine isolirte Wahrnehmung mich noch unsicher lassen, ob das Object, das in die Beziehung des Bewusst-seins zu mir kommt, existentiell wirklich ausser oder nur in mir selbst sei; allein die durch die fortlaufend sich aneinander anreihenden Wahrnehmungen von selbst sich vollziehende Triangulation belehrt uns schon darüber, bis auf die einzelnen Fälle der S i n n e s t ä u s c h u n g , oder die des wirklichen I r r s i n n s . Wer aber, um das Recht zur absoluten Skepsis nicht aufzugeben, sich darauf versteifen wollte, „und ich bin doch nicht sicher, ob nicht alles, was ich wahrzunehmen meine, am Ende doch bloss in mir sei", — der wäre in der That vollständig reif für das Tollhaus, in welches selbst S c h o p e n h a u e r den principieilen Illusionismus verweist, nachdem er erst lange genug vollständig seine Sprache geredet hatte; denn der subjective Idealismus ist in der That insofern ein prin-
2. Cap.
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses.
109
cipieller Illusionismus, als er erklärt: was wir unmittelbar als ein ausser uns Seiendes wahrzunehmen meinen, das haben wir als formlose Wirkung eines bewusstseins-transcendenten X von Ursache ausser uns doch erst selbst in unserer Anschauungsform aus uns zu unserm Bewusstseinsinhalt projicirt. Da sind wir in der That in unsern subjectiven Cirkel gebannt, den wir nur durch einen Sprung aus der ganzen Fiction heraus wirklich durchbrechen können. Diesen Sprung macht freilich denn auch früher oder später mit mehr oder weniger Umständen ein jeder, der nicht wirklich in's Irrenhaus gehört. Der wesentliche Unterschied zwischen dem subjectiven Idealismus und dem reinen Realismus besteht nicht darin, dass jener den Wahrnehmungs-inhalt i n das Ich, dieser aber a u s s e r das Ich verlege; sondern darin, dass jener allen W a h r n e h m u n g s - i n h a l t als etwas blos S u b j e c t i v e s durch eine Fiction vom allfälligen objectiven W a h r n e h m u n g s - o b j e c t e abtrennt, dieser aber beides, Object und Inhalt, als existentiell e i n s anerkennt, weil das Bewusstsein nichts als eine ideelle Seins-beziehung zwischen Subject und Object ist. 3. Also O b j e c t für mögliche Wahrnehmung ist alles Seiende, das in irgend welcher realen S e i n s - b e z i e h u n g zum Subjecte steht und damit dessen objective Welt ausmacht, — objectiv, wie viel davon auch seine Existenz nur im Subjecte selbst haben mag. Aber Gleiches steht nur mit Gleichem in Seinsbeziehung: sinnliche Objectivität nur mit dem sinnlichen, ideelle Objectivität nur mit dem geistigen Moment am Subjecte, dem Ich. Allein weil sinnliches und geistiges Sein nicht zweierlei, in ihrem Zusammensein nur co-existirende Existenzen sind, sondern uns nur als die beiden constituirenden Momente alles subsistentiellen Seins, sowohl am Subject als an allem Object, uns gegeben sind, darum kann s i n n l i c h Existirendes doch . Object des Bewusstseins für das doch i d e e l l e Bewusstseins-subject sein, und umgekehrt ein rein i d e e l l e s Sein Bewusstseins-object für das Subject, das doch selbst eine s i n n l i c h e Existenz hat. Die Objecte für die ä u s s e r e und für die i n n e r e Wahrnehmung sind eben nicht existentiell getrenntes, sondern nur essentiell unterschiedenes Sein, und das Subject, zu dem sie im Wahrnehmen in die Bewusstsein-beziehung treten, ist ebenfalls substantiell das eine und selbe sinnlich daseiende und ideell seiende Ich. § 24.
b) Der P r o c e s s , durch den die ä u s s e r e oder S i n n -
w a h r n e h m u n g zu Stande kommt, ist die real sich vollziehende Seins-beziehung
zwischen
einer materiellen Objectivität
i d e e l l e n Bewusstseins-subjecte. als
doppelseitiger,
als
und
dem
Er findet daher thatsächlich nur
psycho-physischer
Process
statt
und
effectuirt die Wahrnehmung selbst nur in seiner Doppelseitigkeit.
110
T. Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 24.
Sein p h y s i s c h e s Moment ist die in materiellen Vorgängen (Molecular-bewegungen) bestehende s i n n l i c h r e a l e Seins-beziehung einer materiell existirenden Objectivität zum materiellen Daseinsmoment des Bewusstseins-subjectes, welche ihren Endpunkt im Subject in einem R e i z e seines Centralorganes, als der physischen Seite der realen innern Einheit des subsistentiell einheitlichen psycho-physischen Bewusstseins-Ich, hat: — die „ E m p f i n d u n g " im p h y s i o l o g i s c h e n Sinne des Wortes, die als dies ein materieller Vorgang ist. Sein p s y c h i s c h e s , i d e e l l r e a l e s Moment ist die dadurch in dem subsistentiell e i n h e i t l i c h e n I c h veranlasste Selbstbeziehung seiner selbst als i d e e l l e n Subjectes, als S e e l e , auf die in die physiologische Empfindung ausmündende Seins-beziehung einer materiellen Objectivität zu seinem eigenen leiblichen Dasein. Diese i d e e l l e Selbstbeziehung der S e e l e auf das Object besteht: t ) in der durch die physiologische Empfindung nicht verursachten sondern nur veranlassten, aber in ihrem Modus durch die individuelle Beschaffenheit des Organs bestimmten Richtung des Organs auf die objective physische Ursache der subjectiven physischen Empfindung; 2) im Wahrnehmen selbst, als der ideellen Subjectivirung des in diesem Seins-rapport zu ihm stehenden Objectivität zum Bewusstseins-inhalt, und 3) in einem unwillkürlichen Schluss auf deren objective Beschaffenheit, welcher Schluss für jede neue Wahrnehmung jederzeit das Resultat der vorausgegangenen Wahrnehmungen zu seinen Prämissen hat. Nur durch die reale g e g e n s e i t i g e Seins-beziehung zwischen Object und Subject des Bewusstseins kommt die wirkliche Sinnwahrnehmung zu Stande, als i d e e l l - r e a l e s Sein des Objectes f ü r das Subject in seiner s i n n l i c h - r e a l e n Seins-beziehung zu ihm. 1. Ich habe die Theorie der Sinnwahrnehmung nach dem Grundsatz des reinen Realismus hier nicht um ihrer selbst willen und darum nicht in ihrer psycho-physischen Vollständigkeit auszuführen, sondern nur in ihren Grundzügen so weit darzulegen, um sowohl das psychologische Grundversehn des naiven Realismus als die psychologische Grundfiction des subjectiven Idealismus in der Erkenntnisstheorie um der Consequenzen willen für die Metaphysik aufzudecken. Wahrnehmungs-object und Wahrnehmungs-in h a l t sind essentiell
2. Cap.
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses.
H l
zu unterscheiden, aber existentiell nicht zu trennen. Denn das Object wird Inhalt nur durch einen Process gegenseitiger realer Beziehung zwischen Object und Subject und n u r in dieser Relation, — dies gegen den n a i v e n R e a l i s m u s . Aber eben deshalb sind O b j e c t f ü r s i c h und I n h a l t des Bewusstseins nicht existentiell zu trennen, als wäre jenes ein objectives bewusstseins-transcendentes X und dieses ein nur im Subjecte Seiendes, — dies gegen den s u b j e c t i v e n I d e a l i s m u s . Ich habe daher hier die beiden Momente des gegenseitigen psychophysischen Processes zwischen Object und Subject, des physischen der Seins-beziehung des sinnlichen Objectes auf das Subject, und des psychischen des Ich auf die Objectivität, nicht auszuführen. Ich sage n u r : wenn jemand meinen möchte, irgend eine physicalische oder physiologische Thatsache als empirische Instanz für die blos subjective Existenz des Wahrnehmungs-inhaltes geltend machen zu sollen, so hätte er alles bisher Gesagte nicht verstanden. Ich habe unbedingten Respect vor allen durch die Naturwissenschaft wirklich eruirten empirischen Thatsachen; allein alle, die schon zu Tage gebracht sind und die der Scharfsinn der.Wissenschaft noch irgend hoffen darf an den Tag fördern zu können, haben von vornherein ihren freien Platz auf der physischen oder auf der psychischen Seite der gegenseitigen Seins-beziehung zwischen Object und Subject, durch welche die Wahrnehmung erst zu Stande kommt, und durch die ihr Inhalt durch und durch bedingt wird. 2. Die psychologische Grundfiction K a n t ' s für die (transcendental) idealistische Erkenntnisstheorie wurzelt in dem Doppelsinn des Wortes „Empfindung". Was dem ideellen Bewusstseins-subjecte von der fraglichen Objectivität her gegeben ist, wird nach dem E n d p u n k t e der m a t e r i e l l - r e a l e n Beziehung derselben zum materiellen Momente seiner selbst, dem Leibe, bezeichnet als „ E m p f i n d u n g " . Dies ist die „Empfindung" im p h y s i o l o g i s c h e n Sinne des Wortes, ein materieller Vorgang im Central-organ. Da nun aber dasselbe Wort „ E m p f i n d u n g " im allgemeinen p s y c h o l o g i s c h e n Sprachgebrauch auch das primäre p s y c h i s c h e Phänomen, das zuständliche Selbstbewusstsein des concreten Bewusstseins-subjectes bezeichnet: so wird beides u n m i t t e l b a r i d e n t i f i c i r t , und so die Empfindung im l e t z t e r n Sinn als der dem Ich allein o b j e c t i v gegebene S t o f f genommen. Als Empfindung im p s y c h o l o g i s c h e n Sinn wäre nun aber dieser Stoff zu Bewusstsein ein rein i d e e l l e s Sein im Bewusstseins-Ich; als Empfindung im p h y s i o l o g i s c h e n Sinne dagegen ist er eine m a t e r i e l l e Bestimmtheit im Centraiorgan, also real-räumlich i m concreten Bewusstseins-subject. Diesem erscheint aber sein Bewusstseins-inhalt als Wahrnehmung doch als etwas raum-zeitlich a u s s e r ihm selbst Seiendes. Also bleibt nichts anderes übrig als die Fiction, es selbst, das Ich, habe den ihm nur i n n e r -
112
T.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 24.
l i e h g e g e b e n e n Stoff selbst in den (allerdings nicht willkürlich von ihm e r s o n n e n e n , sondern in ihm liegenden) F o r m e n der A n s c h a u u n g zum Ans c h a u u n g s b i l d oder zur Vorstellung aus sich p r o j i c i r t . Die Fiction w u r z e l t in d e r Identification d e r zwei ganz h e t e r o g e n e n , aber m i t demselben W o r t „ E m p f i n d u n g " bezeichneten P h ä n o m e n e : des m a t e r i e l l e n E n d v o r g a n g s der Relation einer materiellen Objectivität mit d e r materiellen Seite des Subjectes, eines Vorgangs im Centraiorgan, der „ E m p f i n d u n g " im p h y s i o l o g i s c h e n Sinn, mit dem i d e e l l e n A u s g a n g s p h ä n o m e n des zuständlichen Selbstbewusstseins d e r Seele, der „ E m p f i n d u n g " im p s y c h o l o g i s c h e n Sinn. Der M a t e r i a l i s t , der das Ich, die innere Einheit des Individuums, n u r als P r o d u c t materieller Processe fasst, m e r k t , dass hier eine / . u r d ßuaig fig ä\Xo ytvoq s t a t t f i n d e t ; er e r k l ä r t d a r u m alles Weitere von d e r E n t s t e h u n g der ( p s y c h i s c h e n ) E m p f i n d u n g an f ü r ein „ i g n o r a m u s " . D e r S p i r i t u a l i s t , dem das ganze Bewusstseins-subject ein f ü r sich subsistirendes, d a r u m im Leibe n u r w o h n e n d e s , übersinnliches E n s ist, h a t d u r c h j e n e Identification von „ E m p f i n d u n g " im physiologischen u n d im psychologischen Sinn n u n sein Bewusstseins-subject, die Seele, a m Sitze d e r p h y s i o l o g i s c h e n E m p f i n d u n g , im Centraiorgan m i t s a m m t seinem Bewusstseins-stoffe festgenagelt. Da i h m a b e r sein W a h r n e h m u n g s - i n h a l t als ausser i h m seiend erscheint, bleibt i h m nichts anderes übrig als die Fiction, es selbst h a b e denselben als A n s c h a u u n g in diese B e w u s s t seinsform aus sich projicirt. 3. In dieser Fiction b e s t ä r k t d a n n weiter ein zweiter doppelter S p r a c h g e b r a u c h , der des Wortes „ A n s c h a u u n g " . D a m i t bezeichnen w i r einerseits allerdings das Moment der S e 1 b s t-beziehung des Bewusstseinssubjectes auf die in reale Seins-beziehung zu ihm t r e t e n d e äussere Objectivität, d u r c h welche erst die wirkliche Bewusstseins-beziehung z w i s c h e n beiden, die W a h r n e h m u n g , entsteht. W a s soll n u n aber diese „ A n s c h a u u n g " , in B e z i e h u n g gesetzt zu dem blos als „ E m p f i n d u n g " i m Ich gegebenen Stoffe fraglicher Objectivität? D e n A u s d r u c k „ A n s c h a u u n g " b e a n s t a n d e n w j r z w a r n i c h t : er ist a p a r t e potiori vom Gesichtssinn, dem wichtigsten und zugleich k l a r s t e n f ü r das Verständniss des W a h r nehmungsprocesses, gewählt. Allein w a s soll denn eigentlich a n g e s c h a u t w e r d e n ? Der n a c h der Voraussetzung allein objectiv gegebene S t o f f , die p h y s i o l o g i s c h e „ E m p f i n d u n g " , die Molecularbewegung, die von d e r Affection der Sinnesnerven aus im Gehirn s t a t t f i n d e t ? Doch n i c h t ; diese ist j a e t w a s B e w u s s t s e i n s - t r a n s c e n d e n t e s . Und doch passte das W o r t eigentlich n u r h i e r a u f . Oder die O b j e c t i v i t ä t selbst, von der als e t w a s B e w u s s t s e i n s - t r a n s c e n d e n t e m die physiologische E m p f i n d u n g der E n d p u n k t i s t ? Dies noch w e n i g e r ; denn m a n geht j a gerade davon aus, dass diese dem Ich zum A n s c h a u e n gar nicht gegeben sei. Oder tritt e t w a d a b e i
2. Cap.
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses.
113
die Naivetät der Vorstellung zu Tage: das Bewusstseins-subject sitze als ganzer Miniatur-mensch im Gehirn und schaue mit den Wahrnehmungsorganen desselben von da zum Fenster der sinnlichen Wahrnehmungsorgane, zum Leibe hinaus und schaue so die Dinge an? Natürlich nichts von all dem. Wo bleibt also das, was man überhaupt „Anschauung" nennen könnte ? Da stellt sich nun ein anderes psychisches Phänomen ein, das wir ebenfalls '„Anschauung" nennen: das productive oder reproductive Moment im V o r s t e l l e n . Hier geschieht allerdings genau das, was man bei jener Fiction für den Wahrnehmungsprocess braucht: hier wird allerdings etwas, das nur ideell im Ich ist, von diesem selbst in subjectiver Form sinnlicher Anschauung sich selbst gegenüber objectivirt, und dieses ist nun etwas Transcendentales im allereigentlichsten Sinn: als Bewusstseins-inhalt bezieht es sich auf etwas, das sein Sein für sieb vollständig ausser dem Ich hat, oder auch gar keines hat, wie in der Production der Einbildungskraft. 4. Durch diese zweite Identification zweier heterogener Dinge in Einem Worte wird die Fiction des subjectiven Idealismus vollständig. Erst wird mit dem Einen Worte „ E m p f i n d u n g " die m a t e r i e l l e Seinsbeziehung einer sinnlichen Objectivität zur Sinnenseite des Ich in ein nur im Ich gegebenes I d e e l l e s verwandelt. Und dann wird mit dem Einen Worte „ A n s c h a u u n g " die reale ideelle G e g e n b e z i e h u n g des Ich auf die-Objectivität in eine innere P r o d u c t i o n und P r o j e c t i o n von jenem verwandelt. Damit ist die Aufhebung des specifischen Unterschiedes zwischen W a h r n e h m e n und V o r s t e l l e n , die Subsumtion der Wahrnehmung unter die Vorstellung als nur eine besondere Art derselben, vollendet. D i e s e w e s e n t l i c h e I d e n t i f i c a t i o n der W a h r n e h m u n g mit der Vors t e l l u n g ist der Kern der ganzen F i c t i o n des s u b j e c t i v e n I d e a l i s m u s . Wir werden sie dann auch noch von der Vorstellung aus, wie hier von der Wahrnehmung aus, in's Auge zu fassen haben. 5. Da es eine blosse psychologische Fiction ist, das Ich projicire den ihm nur als „Empfindung" gegebenen Bewusstseins-stoff in seinen subjectiven Anschauungsformen zu dem Vorstellungsbilde, das wir Wahrnehmung nennen, so kann ich auch die scharfsinnig unternommenen und durchgeführten Erklärungen, wie das Ich es denn anstelle, dies zu Wege zu bringen, damit wirklich das zu Stande kommt, was uns als das psychische^ Phänomen der Wahrnehmung gegeben ist, doch nur als brotlose Kunst taxiren. Ich thue das mit allem Respect vor K a n t und L a n g e und wer sonst noch dies in irgend einer Weise unternommen hat. Ich muss ja auch auf der andern Seite mit allem Respect vor H e g e l dessen Unternehmen, in der Logik uns vorzumachen, wie unser denkendes Ich rein denkend vom reinen, noch ganz leeren Begriff des Biedermann,
Dogmatik 2. Aufl.
S
114
!•
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§§ 25. 2G.
Seins aus die logische Form der gesammten Wirklichkeit dialektisch heraus zu spinnen vermöge, ebenfalls als brotlose Kunst taxiren; und dies wahrhaftig nicht erst heute: ich habe es von jeher als dies taxirt. Ich thue beides mit allem Respect vor K a n t und vor H e g e l ; denn etwas, und zwar etwas sehr Tiefes, das nur ein ächter Philosoph finden konnte, liegt der brotlosen Kunst des Unternehmens Beider zu Grunde. Brotlos muss ich aber doch Beider Unternehmen nennen, weil es in "Wahrheit k e r n l o s ist, d. h. weil es so, wie jeder das seine unternommen hat, auf dem Grund einer F i c t i o n ruht: das k a n t i s c h e auf der Fiction, dass dem Ich die Welt nur als s e i n e Vorstellung gegeben sei, das l f e g e l sche auf der entgegengesetzten, dass das Ich sich aus sieh heraus in die weltschöpferische Vernunft hineinbegeben könne.
§ 25. c) Der Bewusstseins-inhalt, der durch den psychophysischen Process des Sinnwahrnehmens entsteht, oder die Sinnw a h r n e h m u n g selbst, ist daher weder die O b j e c t i v i t ä t f ü r s i c h , — wie der naive Realismus ohne die Reflexion auf das s u b j e c t i v e Moment des Processes, durch den sie erst zu Stande kommt, sie nimmt; noch ist er ein b l o s s u b j e c t i v e s V o r s t e l l u n g s b i l d (oder auch ganz heterogenes Z e i c h e n ) einer bewusstseins-transcendenten Objectivität, — wie der subjective und der transcendentale Idealismus, der abstract n u r die subjective Seite des Processes fixirt, sie nimmt. Wahrgenommen wird vielmehr, oder W a h r n e h m u n g s - i n h a l t ist o b j e c t i v s i n n l i c h d. h. r ä u m l i c h - z e i t l i c h D a s e i e n d e s in seiner sinnlich realen R e l a t i o n zum Sinnendasein des Bewusstseins subjectes, also stets das Product. eines s i n n l i c h - o b j e c t i v e n und eines i d e e l l - s u b j e c t i v e n Factors. Der o b j e c t i v e Factor f ü r s i c h , das „Ding an s i c h " , ist daher im Sinnwahrnehmungsvorgang selbst eine bewusstseinstranscendente s i n n l i c h e Realität; was er aber als dies ist, kann mittelbar durch Confrontation einer Vielheit von Wahrnehmungen von verschiedenartigen Seinsbeziehungen zum Subjecte durch die verschiedenen Sinne vom Denken inductiv gefunden werden. Nach dem über das Bewusstsein überhaupt und dann speciell über den Process des Zustande-kommens der Wahrnehmung Ausgeführten ist darüber, was als W a h r n e h m u n g I n h a l t des Bewusstseins sei, nicht nothwendig, noch einmal den Gegensatz des r e i n e n R e a l i s m u s zum
2. Cap.
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses.
115
n a i v e n R e a l i s m u s und zum s u b j e c t i v e n I d e a l i s m u s zu wiederholen. Nur eine specielle Bemerkung zur Beleuchtung des Letzteren dürfte noch am Platze sein. Er bezeichnet die Wahrnehmung zunächst als ein „ V o r s t e l l u n g s b i l d " von der fraglichen bewusstseins-transcendenten Objectivität. Nun bezeichnet aber ein B i l d den Ausdruck einer Sache in gleicher Form nur in einem andern Material. Allein das ist nun durchaus nicht das Verhältniss der Wahrnehmung zur fraglichen Objectivität, die ihr correspondirt. Ist diese wirklich bewusstseins-transcendent und zwar in dem Grade, dass gar nicht solle gesagt werden dürfen, ob ihr überhaupt die Form von Raum und Zeit objectiv zukomme oder nicht, — wie kann denn da von einem B i l d e derselben geredet werden? Darum ist es im Sinn des subjectiven Idealismus allerdings viel correcter, vom Wahrnehmungs-inhalt als von einem blossen Z e i c h e n , und zwar als einem völlig heterogenen Zeichen der bewusstseins-transcendenten Objectivität zu reden. Wie verhalten sich die Aetherschwingungen und das, was diese verursacht, zu dem, was als Farbe in der subjectiven Wahrnehmung damit correspondirt? was die Luftschwingungen mit den Tönen? Diese sind für das Bewusstsein nur die Zeichen, natürlich nicht die subjectiv willkürlichen, sondern die objectiv — nur wissen wir den Grund nicht warum? und wie gerade so? — bedingten Zeichen der bewusstseins-transcendenten Objectivität. Diese an sich richtigere Bezeichnung macht aber das gradezu gespenstisch Unheimliche der fingirten unausfüllbaren Kluft zwischen dem subjectiven Wahrnehmungs-inhalt und den „Dingen an sich" erst recht fühlbar. Sie verräth eben, dass man mit der Fiction, mit der man von vornherein an die Sache ging, schliesslich vollständig in eine Sackgasse gerathen ist. Dem Wahrnehmungsinhalt Farbe, Ton sind ihre physicalischen Ursachen allerdings völlig heterogen und bleiben in der Wahrnehmung selbst bewusstseins-transcendent. Und ebenso ist uns der Causal-zusammenhang zwischen jener Ursache und dieser Wirkung völlig bewusstseins-transcendent; wir e r f a h r e n ihn einfach thatsächlich. Allein darum theilt sich's nicht dualistisch so: die objective U r s a c h e ein jenseits der Grenze möglichen Wissens liegendes X, — die W i r k u n g dagegen, der Wahrnehmungs-inhalt, ein erst im Subject Erzeugtes. Der Wahrnehmungs-inhalt ist vielmehr das Product beider Factoren, einer Objectivität und des Bewusstseins-subjectes; die Wahrnehmung selbst ist nichts anderes als das reale Sein jener Objectivität in ihrer R e l a t i o n zum Ich. Und auf dem Wege der Triangulation von einer Vielheit von Wahrnehmungen aus ist es ja auch möglich, auf den objectiven Factor zu kommen. § 26. Wichtiger noch als für die Sinn-wahrnehmung ist der erkenntniss-theoretische Grundsatz des reinen Realismus für die 8*
116
I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
i n n e r e Wahrnehmung,
§ 26.
dass der B e w u s s t s e i n s - i n h a l t
der Wahr-
nehmung o b j e c t i v e Realität hat, dass er das B e w u s s t s e i n s - o b j e c t selbst ist, aber nur in seiner objectiv-realen S e i n s - r e l a t i o n
zum
Subjecte. Bei
der
Sinn-Wahrnehmung
stellung
des
naiven Realismus, als
corrigirt als
sich sowohl die Vor-
nähmen wir unmittelbar die
Objectivität
für sich wahr,
Idealismus,
als ob unser Wahrnehmungs-inhalt nur
auch
die
abstracte Theorie des ein vom
Ich
aus erzeugtes Bild oder Zeichen wäre, im Verlauf durch die mögliche sinnliche Controle leicht von selbst. Bei der i n n e r e n Wahrnehmung dagegen fällt diese sinnliche Controle weg, und deswegen kann sowohl ein Realismus,
der
den Inhalt
der
mythologisirender
innern Wahrnehmung als eine
„übersinnliche" für sich existirende Realitat nimmt, sich eher zu einer concret-dualistischen Vorstellung verhärten, als auch umgekehrt ein a b s t r a c t - s u b j e c t i v e r I d e a l i s m u s sich in die Verflüchtigung der ganzen ideellen W e l t in eine blos subjective Dichtung verlieren. 1. Bei der Sinnwahrnehmung lässt sich der n a i v e R e a l i s m u s leicht belehren, dass er nur die Vermittlung, durch die sie zu Stande kommt, übersehn habe, dass sie allerdings wesentlich durch die Beschaffenheit unsrer Sinne mit bedingt sei und uns die Objectivität nicht für sich sondern nur in ihrer physicalischen Relation zu uns gebe. J a auch der s u b j e c t i v e I d e a l i s m u s corrigirt sich im Verlaufe von selbst. Auch wer, um ja sich als Philosophen einzuführen, am Anfang so laut als möglich erklärt hat, die Welt, die wir wahrnehmen, sei durchaus nur unsere subjective Verstellung, der giebt doch gar bald klein bei: da diese Vorstellung nicht eine willkürliche sei, sondern mit Nothwendigkeit nach objectiven Gesetzen in uns entstehe, so komme es ja doch für die Betrachtung der Erscheinungswelt, die freilich nur in solchen Vorstellungen bestehe, auf das Gleiche hinaus, wenn man sie mit dem Realismus (natürlich mit dem corrigirten) wie eine gegebene objective Realität behandle. J a mancher springt, nachdem er sich anfangs mit seiner Erkenntnisstheorie idealistisch auf den Kopf gestellt, sobald er an's Erkennen selbst geht, ohne auch nur den Umweg dieser Rechtfertigung zu nehmen, von selbst einfach wieder auf die Füsse des Realismus. 2. Für die i n n e r e "Wahrnehmung dagegen wird die Sache gefährlicher. Hier liegt die i d e a l i s t i s c h e Fiction nicht so handgreiflich vor, die dualistische Auseinanderrenkung von objectivem Stoff und subjectiver Form des Bewusstseins-inhaltes, mit Hülfe welcher der ganze Bewusst-
2. Cap.
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses.
117
seins-inhalt blos dem Subjecte zugetheilt wird. Denn hier ist schon das O b j e c t fiir das Bewusstsein selbst ein i d e e l l e s Sein, wie der I n h a l t des Bewusstseins, kann also leichter, ohne des Irrthums so direct überführt zu werden, für ein b l o s s e s Product des Bewusstseins-subjectes gehalten werden. Und auch die r e a l i s t i s c h e Naivetät, den Bewusstseins-inhalt kurzweg für die Objectivität selbst zu nehmen, ist bei der innern Wahrnehmung nicht so handgreiflich, wie bei der sinnlichen, ihres Fehlers zu überführen, dass sie die Vermittlung durch den subjectiven Factor, also die Relativität der Wahrnehmung, übersehn habe. Darum corrigirt sich hier eine falsche Theorie in beiden Richtungen nicht so leicht im Verlaufe von selbst, wie bei der Sinnwahrnehmung. Ein n a i v e r R e a l i s m u s nimmt das, was das Ich überzeugt ist als innere Erfahrung wahrzunehmen und nicht blos sich einzubilden, eben damit kurzweg als die objective Realität, ohne Abzug der subjectiven Form, in welcher das Ich vermöge seiner ganzen subjectiven Geistesbeschaffenheit jene in sein Bewusstsein aufgenommen hat. Er nimmt seine eigenen Vorstellungen, in denen allerdings wahrgenommene Realität enthalten ist, in dieser Form der Vorstellung kurzweg für die objective Realität selbst. Umgekehrt nimmt der erkenntniss-theoretisch s u b j e c t i v e I d e a l i s t , der schon die Welt der sinnlichen Wahrnehmung nur für s e i n e Vorstellungswelt erklärt hat, vollends die Welt der i n n e r n Wahrnehmung — die wir im Folgenden erst in's Auge zu fassen haben — ganz selbstverständlich als etwas, dem nur s u b j e c t i v e , nicht auch objective Realität dem Ich gegenüber zukomme. Vom Objecte des religiösen Bewusstseins hier noch gar nicht zu reden —, auch das Object des s i t t l i c h e n Bewusstseins, das als ein Sollen, als Gebot und Bestimmung für das subjective Wollen, als ein dem Ich gegenüber real Seiendes I n h a l t des Bewusstseins ist, wird nicht als Wahrnehmung einer r e a l e n O b j e c t i v i t ä t in ihrer realen Seins-relation zum Ich, sondern als blosses Product des I c h s e l b s t behandelt. Daher diese armseligen Deductionen der ethischen Principien von blos subjectivem Ausgangspunkt aus, die wir heut zu Tage in allen Variationen in der Ethik erleben! die gerade uni so gezwungener und unzulänglicher herauskommen, j e ehrenwerther die persönliche ethische Gesinnung ist, die damit über den Bann des subjectiven Idealismus vergeblich hinaus zu kommen sich abmüht, mit ihrem doch nur subjectiven „Altruismus" und „Omnismus" etc. etc. 3. Wie aber die wirkliche Naturwissenschaft erst von dem Moment an beginnt, wo die Fiction des subjectiven Idealismus bei Seite gelegt, und die Welt der Sinnwahrnehmung als reale Objectivität, aber nur in der realen Relation zum sinnlichen Sein des Bewusstseins-subjectes, genommen wird: so beginnt auch eine wirkliche ethische Wissenschaft erst von dem
118
I-
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§§ 27. 28.
Moment an, wo im „kategorischen Imperativ" die objective Manifestation eines o b j e c t i v r e a l e n ideellen Seins für das Subject, und im subjectiven Bewusstsein desselben das W a h r n e h m e n einer realen Objectivität in ihrer Relation zum sittlichen Seinsbestand des eigenen subjectiven Ich, und nicht blos die subjective V o r s t e l l u n g von einer solchen anerkannt wird: — die grosse Ausnahme, die von seinem erkenntniss-theoretischen subjectiven, blos auf ein bewusstseins-transcendentes X gehenden Idealismus gemacht zu haben, K a n t ' s grössten Ruhm ausmacht. Bei der Naturwissenschaft vollzieht sich die nöthige Correctur des subjectiven Idealismus von selbst; bei der ethischen brauchte es'einen K a n t dazu. Darum musste die psychologische Grundfiction des subjectiven Idealismus bei der S i n n Wahrnehmung aufgedeckt werden, obgleich unser Gegenstand nicht im Gebiete dieser liegt. Allein was für die sinnliche, das gilt auch für die innere Wahrnehmung.
O b j e c t f ü r die i n n e r e Wahrnehmung ist a l l e s § 27 i d e e l l e Sein, das in r e a l e m objectivem Seins-rapport mit dem ideellen Sein des concreten Bewusstseins-subjectes, mit der S e e l e als solcher, steht. Es sind dies einerseits die thatsächlichen Vorgänge des eigenen Seelenlebens; andererseits aber alles ideelle Sein in der Welt, das als „objective Vernunft" in ideell-realer, d. h. logischer Beziehung zum ideell-realen Sein des menschlichen Ich, als „subjectiver Vernunft", steht. Der P r o c e s s , wodurch diese ideelle Objectivität als Wahrnehmung Inhalt des Bewusstseins wird, ist, wie bei der Sinnwahrnehmung, ein doppelseitiger: einerseits dasthatsächlicheln-beziehungkommen einer ideellen Realität (die als solche ist, was sie ist, abgesehn vom Bewusstsein des Ich von ihr) zum Ich in einem bestimmten Moment, und andererseits die dadurch provocirte Selbstbeziehung des Ich auf dieselbe. Der Bewusstseins-inhalt, der dadurch als innere Wahrnehmung zu Stande kommt, ist eine i d e e l l e , aber r e a l e Objectivität in dieser ihrer realen R e l a t i o n zum Bewusstseins-subject in dessen jeweiliger individuellen Bestimmtheit. Er ist weder das ideell Seiende f ü r s i c h , abgesehn von seinem Sein für das Ich, noch ein blos s u b j e c t i v e s Product des Ich selbst. Was dieses ideelle Bewusstseins-object f ü r s i c h ist, abgesehn von seiner subjectiven Wahrnehmung, das ist in der Wahrnehmung selbst natürlich noch
2. Cap.
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses.
bewusstseins-transcendent,
und
kann
nur
mittelbar
119
aus der Ge-
sammtheit der verschiedenartigen allseitigen Einzelwahrnehmungen auf dem Gebiete des geistigen Lebens denkend abstrahirt werden. Die innere Wahrnehmung kann nur darin nicht mit der sinnlichen parallelisirt werden, dass es für ihr Zustande-kommen natürlich kein vom Bewusstseins-subject unterschiedenes Organ, keinen „Sinn" braucht, da hier beide, Object und Subject, ein Ideelles sind. Abgesehn hievon sind alle Momente gleich. Erstens ist O b j e c t f ü r das mögliche innere Wahrnehmen alles ideelle Sein, das in irgend welcher Seins-beziehung zum Ich steht, ob als Vorgang in ihm selbst, oder als objective Vernunft zu ihm als subjectiv vernünftigen Subject. Wenn wir unser Ich in seiner auf Geistiges gerichteten Thätigkeit „Vernunft" nennen, so wird es wohl erlaubt sein müssen, das Geistige als Object seines Bewusstseins mit „objectiver Vernunft" zu bezeichnen, wenn wir nur mit diesem Ausdrucke vor der Hand nicht mehr sagen wollen. Zweitens kommt auch die innere Wahrnehmung nur durch einen P r o c e s s gegenseitiger thatsächlicher Relation von Object und Subject im Momente des Wahrnehmens zu Stande. Und drittens besteht die Wahrnehmung selbst als Bewusstseins-inh a l t in dieser objectiven Seins-beziehung für das Subject, ist weder ein „ A n - s i c h " , noch etwas b l o s S u b j e c t i v e s . Wohl aber lässt sich die ihr immanente objective Wahrheit um so vollständiger und sicherer logisch gewinnen, je breiter die Inductions-basis dafür genommen wird. § 28.
Der B e i t r a g , den das Wahrnehmen für die Erkennt-
niss, d. h. für das Bewusstsein der Realität eines objectiven Seins mit seinem Grunde,
leistet,
ist
der continuirlich
durch "dasselbe
dem Bewusstseins-subjecte
zufliessende
objective
s t o f f für die Erkenntniss;
und zwar nicht blos u n m i t t e l b a r der
jederzeitig wirklich wahrgenommene E i n z e l s t o f f der inner» W e l t ; Mitenthaltene
und
Erfahrungs-
der äussern und
sondern m i t t e l b a r auch alles ideell in diesem damit,
ohne
als
solches
wahrgenommen
zu
werden, doch Mitgegebene. 1. Das Wahrnehmen, das continuirlich nach allen Seiten hin vor sich geht, so lang und so weit die sinnlichen Organe für den Rapport zwischen der Aussenwelt und dem Bewusstseins-Ich offen stehn, und das Ich selbst auf die Welt, in der es lebt, als Subject- reagirt, liefert in ebenso continuirlicher Abwechslung für die Erkenntniss den R o h s t o f f , die Realität vom Seienden; aber für's erste nur p u n k t u e l l e i n z e l n , und f ü r s zweite nur in seiner jeweiligen R e l a t i o n zum Subjecte: in
120
I-
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§§ 28. 29. 30.
der That so a l l e n Stoff und zwar als eine R e a l i t ä t für das Subject, aber nur als den R o h s t o f f im Einzelnen. 2. M i t t e l b a r aber liefert schon das Wahrnehmen weit mehr als nur diesen jeweilen wirklich wahrgenommenen Rohstoff. Es liefert auch das in diesem i m p l i c i t e E n t h a l t e n e als eine mit der Wahrnehselbst gleich werthige o b j e c t i v e R e a l i t ä t , die ihm damit für die nachfolgende weitere Erkenntniss durch die Wahrnehmung garantirt ist. Ich nehme in der Einzelwahinehmung thatsächlich auch nur Einzelnes wahr, die Gesetzmässigkeit erst in einer Succession gleichartiger Wahrnehmungen. Ob in dieser Gleichartigkeit wirklich eine Gesetzmässigkeit walte, oder ob sie ein Werk zufälligen Zusammenwirkens verschiedenartiger Factoren und Umstände sei, das sagt mir die Wahrnehmung selbst zwar nicht; findet aber eine solche objectiv wirklich statt, so ist sie mir implicite in deren Wahrnehmung bereits thatsächlich mitgegeben. Wenn es aber eine wirkliche Gesetzmässigkeit ist, so ist mir in ihr auch das G e s e t z , ja auch der G r u n d des Gesetzes thatsächlich mitgegeben, — natürlich erst objectiv implicite, noch nicht explicite für mein Bewusstsein. Komme ich dann nachher im weiteren Verlaufe der psychologischen Verarbeitung meiner Wahrnehmung inductiv darauf, dass hier thatsächlich eine Gesetzmässigkeit vorliegt, so bringe ich diese logisch auf den Ausdruck eines Gesetzes, und denke diesem, wenn auch nur als denknothwendiges Postulat, auch seinen Grund immanent. Nur der A u s g a n g s p u n k t ist meinem Bewusstsein als Wahrnehmung o b j e c t i v e r T h a t s ä e h l i c h k e i t gegeben; was ich von dieser aus mir weiter denkend zum Bewusstsein bringe, das ist allerdings zunächst blos mein subjectiver Gedanke, "und ich habe nicht blos das Recht, sondern die Pflicht, die Skepsis gegen mein subjectives Denken wach zu halten: allein was ich von der Wahrnehmung aus als s u b j e c t i v d e n k n o t h w e n d i g erkannt habe, das hat für mich dieselbe o b j e c t i v e R e a l i t ä t wie jene. Ich thue gut, meinen subjectiven Denkoperationen gegenüber die Skepsis wach zu haiton, ob ich sie auch richtig vollzogen habe; hingegen dem, was ich aus dem als o b j e c t i v anerkannten Wahrnehmungsstoff als l o g i s c h gü l t i g geschlossenanerkenne, skeptisch doch nur subjective Bedeutung, nicht objective Realität zu zuerkennen, — das ist eine grund- und bodenlose Skepsis. 3. So liefert uns die Wahrnehmung für die Erkenntniss allerdings viel mehr als blos den thatsächlichen Einzelrohstoff, in welchem sie selbst als Bewusstseins-inhalt besteht; sie liefert uns damit zugleich die Garantie g l e i c h e r o b j e c t i v e r Realität f ü r alles, was f ü r sie noch bewusstseinstranscendent implicite in demselben enthalten ist. Wer die Skepsis als solche für das Princip des philosophischen Denkens e r k l ä r t , der soll sie auch gegen die Objectivität alles Wahrnehmungsstoffes kehren und damit seine Wohnung im „Tollhaus" des absoluten Illusionismus nehmen.
2. Cap.
2.
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses.
121
Das Vorstellen und die V o r s t e l l u n g .
§ 29. Als Bewusstseins-vorgang ist vom Wahrnehmen das Vorstellen, und damit auch als Bewusstseins-inhalt von der Wahrnehmung die Vorstellung w e s e n t l i c h und nicht blos a c c i d e n t i e l l verschieden. Das Wesen dieser Bewusstseins-stufe besteht darin, dass das Bewusstseins-subject seinen Wahrnehmungs-inhalt von der r e a l e n S e i n s - b e z i e h u n g zwischen dem Object und ihm selbst, in welcher er allein Wahrnehmung ist, a b s t r a h i r t , nun rein ideell i n s i c h hat und so erst durch i d e e l l e Projection in den von dessen S e i n s - f o r m e n abstrahirten A n s c h a u u n g s - f o r m e n zu einem blossen innern B i l d e (und weiter, im W o r t e , zu einem heterogenen Z e i c h e n ) desselben sich als Subject gegenüber objectivirt, sich vor-stellt. § 30. Der psychologische Grundverstoss des subjectiven Idealismus liegt in der Identification des psychischen Wesens der W a h r n e h m u n g mit dem der V o r s t e l l u n g durch Subsumtion der erstem unter den allgemeinen Begriff der letztern. Was für die W a h r n e h m u n g eine blosse F i c t i o n ist — als ob erst die Seele die ihr objectiverseits allein gegebene formlose „Empfindung" nun in den in ihr selbst liegenden „Anschauungs"-formen aus sich projicire zu einem blossen „Bilde" (oder genauer, zu einem ganz heterogenen „Zeichen") der bewusstseins-transcendenten Ursache der subjectiven „Empfindung" —, das macht thatsächlich erst das W e s e n der V o r s t e l l u n g aus: hier objectivirt das Bewusstseinssubject etwas von ihm objectiverseits Recipirtes selbst erst in subjectiver Anschauungs-form aus sich. Allein dies objectiverseits Recipirte ist nicht der formlose Empfindungs-stoff, sondern die Wahrnehmung, und die subjective Anschauungsform ist die von der Wahrnehmung abstrahirte Seinsform des Objectes. Durch die Fiction, welche die Wahrnehmung unter die Vorstellung subsumirt, wird dieser w e s e n t l i c h e psychologische Unterschied beider auf den a c c i d e n t i e l l e n reducirt, dass beide ein in unserm Bewusstsein erzeugtes Bild eines Gegenstandes sein sollen, nur die Wahrnehmung ein auf einen wirklichen, die Vorstellung aber auf einen blos gedachten Gegenstand bezogenes Bild.
122
I- Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 30.
Die Berufung auf die aus Wahrnehmung und Vorstellung gemischten Phänomene der sog. S i n n e s t ä u s c h u n g e n
(sowohl der
physiologischen als der psychologischen) zur Begründung der Subsumtion der Wahrnehmung unter die Vorstellung die Widerlegung
der
ganzen Theorie dadurch
gleichwohl S i n n e s - w a h r n e h m u n g
und
schliesst"gerade
in sich, dass
Sinnes-täuschung
man unter-
scheiden will und auch kann. 1. Ich greife aus tausenden Ein classisches Beispiel heraus für die falsche Subsumtion der Wahrnehmung unter die Vorstellung, die seit K a n t so geng und gebe ist. W u n d t , der in allem Physiologischen so exaet ist, definirt in seiner „ p h y s i o l o g i s c h e n P s y c h o l o g i e " , wo er vom Capitel der (physiologischen) „ E m p f i n d u n g " zur V o r s t e l l u n g übergeht, diese zuerst allgemein als „das in unserem Bewusstsein erzeugte Bild eines Gegenstandes", und unterscheidet dann innerhalb dieses allgemeinen Begriffes die „ A n s c h a u u n g s V o r s t e l l u n g oder W a h r n e h m u n g " und die „ E i n b i l d u n g s v o r s t e l l u n g " (die ich speeifiseb und ausschliesslich Vorstellung nenne): jene als „Bild, das sich auf einen wirklichen Gegenstand, mag dieser nun ausser uns existiren, oder zu unserem eigenen Wesen gehören, bezieht", diese als „Bild nicht eines wirklichen, sondern eines blos gedachten! Gegenstandes". Dies ist nun natürlich nicht ganz falsch, nicht ganz aus dem Leeren gegriffen; sondern etwas Richtiges ist auf diese Weise nur inexaet, schief ausgedrückt. Man kann ja wohl die Wahrnehmung ein Bild nennen, und zwar von einem ausser dem ideellen Bewusstseins-subject existirenden Gegenstande, ein Bild mit subjectiver Zuthat. Allein — und dies ist die Hauptsache — es ist nicht ein vom Subjecte selbst (willkürlich oder nicht, darauf kommt es da nicht an) entworfenes und nur i n ihm selbst vorhandenes Bild von einem existentiell von diesem Bilde unterschiedenen Gegenstande, wie dies allerdings vom V o r s t e l l u n g s bilde gilt. In der Wahrnehmung ist das Bild der Gegenstand selbst in seiner realen Existenzbeziehung zum Subjecte. Dies ist nun aber mit dem Vorstellungsbilde nicht der Fall, und das gerade macht das Wesentliche der Vorstellung aus. Der richtige Unterschied zwischen Wahrnehmung und Vorstellung— dass im Wahrnehmungsbilde das O b j e c t selbst in seiner Existenzbeziehung zum Ich objectiver Bewusstseins-inhalt ist, im Vorstellungsbilde dagegen in der That nur ein s u b j e c t i v e s Bild, abstrahirt von einer solchen — wird daher ganz schief so ausgedrückt, dass dort das Bild sich auf einen wirklichen, hier auf einen gedachten Gegenstand „beziehe", wobei das Bild beidemal als ein nur subjectiv im Ich seiendes genommen wird. Da ist der wesentliche Unterschied als ein
2. Cap.
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses.
123
blos accidentieller gefasst, das Wesentliche aber als gleich genommen, dass es beidemal ein subjectives Bild sei, — was nur von der Vorstellung nicht aber von der "Wahrnehmung gilt. So lässt sich vielmehr nur der relative Unterschied zwischen E r i n n e r u n g s - b i l d und P h a n t a s i e - b i l d innerhalb der Vorstellung bezeichnen. Nur die Grundfiction, als habe das Ich objectiverseits blos die „Empfindung" zum Stoff für sein Bild, müsse also jawohl selbst sein Wahrnehmungsbild aus sich projicirt haben, lässt den e s s e n t i e l l e n Unterschied des Bewusstseins-inhaltes, welcher Wahrnehmung ist und dessen, welcher Vorstellung ist, so schief auf das A c c i d e n t i e l l e reduciren, dass dort ein wirklicher Gegenstand, hier nur ein gedachter dem subjectiven Bilde „entspreche". 2. Ein resoluter M a t e r i a l i s t kann nun aber die Sache umkehren und alle Vorstellungen auf W a h r n e h m u n g s - v o r g ä n g e zurückführen, wenn er geneigt ist alle Vorstellungen eigentlich für „Nachbilder" zu nehmen, welche nur durch eine Wiederholung der physiologischen Factoren, die das Wahrnehmungsbild erzeugt haben, zu Stande kämen. Damit hätte aber der Materialist, der nur vor der sinnlich nachweisbaren Wirklichkeit Respect zu haben behauptet, sich vielmehr auf den Ast einer rein von ihm ersonnenen dogmatistischen Voraussetzung, dass alles Wirkliche nur in materiellen Vorgängen bestehe, gesetzt. Die psychische Realität unserer Vorstellungen ist seine unmittelbarste Widerlegung. 3. Nun wird aber an die S i n n e s t ä u s c h u u n g e n erinnert, zum Beweise dafür, dass zwischen Wahrnehmung und Vorstellung doch nicht der essentielle Unterschied im Verhältniss zwischen Bewusstseins-gegens t a n d und B e w u s s t s e i n s - i n h a l t bestehe, dass dort der Gegenstand selbst in seiner existentiellen Relation zum Subjecte der Bewusstseins-inhalt sei, hier aber blos ein subjectiv gedachter Gegenstand. Denn die Sinnestäuschungen im engeren und eigentlichen Sinne, wo wirklich die Sinne es sind, die uns die Täuschung bereiten und nicht etwa nur die Seele durch das, was sie selber hinzubringt, gehören allerdings einerseits in's Gebiet der Sinneswahrnehmung, andererseits aber wird darin etwas als Wahrnehmungsbild Bewusstseins-inhal t , was nicht der wirkliche Gegenstand ist, der in seinem physikalischen Rapporte zum Subject es hervorruft, sondern etwas vom Subject aus Erzeugtes, das also eigentlich in's Gebiet der Vorstellung gehört. Allein ohne uns näher auf das Wesen der verschiedenen Arten von Sinnestäuschungen einzulassen, genügt hier nur, das zu betonen: was dieselben als S i n n e s - t ä u s c h u n g e n charakterisirt im Unterschiede von dem, was wir S i n n e s - w a h r n e h m u n g nennen, in dies darf doch nicht gerade das W e s e n der S i n n e s - w a h r n e h m u n g selbst gesetzt werden. J a , wenn wir die Sinneswahrnehmung überhaupt als Sinnestäuschung bezeichnen müssten. Allein dies wäre eine den subjectiven Factor zum Ganzen steigernde Redensart, mit der es doch keiner ernst-
124
I-
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§§ 30. 31.
lieh meint, da wir nicht blos begrifflich, sondern auch thatsächlich beides unterscheiden. Desswegen wäre es verkehrt, das Wesen der Sinneswahrnehmung gerade in das zu setzen, was wir von ihr nicht blos unterscheiden, sondern auch ausscheiden. 4. Allein die i n n e r e W a h r n e h m u n g wird doch wohl mit der V o r s t e l l u n g zusammenfallen, da hier ja beidemal der Bewusstseinsinhalt ein ideeller, also „nur gedachter" Gegenstand ist? Keineswegs; es ist vielmehr wiederum fiir die innere Wahrnehmung noch wichtiger als für die äussere, Wahrnehmung und Vorstellung wesentlich so zu unterscheiden, dass jene ein w i r k l i c h e s , diese allerdings ein n u r g e d a c h t e s Object zum Bewusstseins-inhalte hat. Bei der äussern Wahrnehmung corrigirt sich die Fiction, dass sie nur einen subjectiven Inhalt habe, bald von selbst; bei der in'nern dagegen bleibt man leicht in der Fiction hängen: ihr Gegenstand sei als ein „ i d e e l l e r " auch nur ein „ g e d a c h t e r " . Hier schleicht sich eben eine landläufige Verwechslung ein, welche man nicht so leicht bemerkt, und welche die Fiction versteckt. Wohl ist der Gegenstand der innern Wahrnehmung ein i d e e l l e r , aber ein ideell s e i e n d e r , der zwar auch nur ideell g e d a c h t werden kann, aber darum nicht blos ein s u b j e c t i v gedachtes Sein hat. I d e e l l sein und b l o s g e d a c h t sein, ist sehr zweierlei! Von der „allerrealsten Idee", G o t t , werden wir an seinem Orte hinlänglich zu reden haben. Wählen wir zur Erläuterung die hier ohnehin nächste Idee, die S e e l e . Der unmittelbarste Gegenstand der innern Wahrnehmung sind unsere Seelenvorgänge: diese sind ideelle Realitäten. Implicite nehmen wir in ihnen ihr S u b j e c t , unsre Seele mit walir, und zwar so, wie sie wirklich ist. Mag unsere V o r s t e l l u n g von der Seele richtig oder verkehrt sein, mögen wir sie uns — s p i r i t u a l i s t i s c h — als ein ü b e r s i n n l i c h - s i n n l i c h e s , immerhin aber d i n g l i c h e s R e a l e s , dem die Seelenvorgänge, die wir wahrnehmen, als seine „Functionen" zukommen; oder mögen wir sie — i d e a l i s t i s c h — als das r e a l - i d e e l l e S u b j e c t derselben; oder -— m a t e r i a l i s t i s c h — als den blos s u b j e c t i v e n G o l l e c t i v b e g r i f f für die sogenannten psychischen Functionen des Leibes vorstellen — : unbekümmert um unsere wahren oder falschen Vorstellungen ist sie in dem, wie wir sie implicite in den Seelenvorgängen w a h r n e h m e n , genau das, was sie wirklich ist. Wir nehmen sie darin wahr, wie sie ist, und sie ist, wie wir sie darin wahrnehmen. Von hier aus können wir erst darauf kommen, ob die Vorstellungen, die wir selbst uns subjectiv von ihr bilden, dem, wie wir sie objectiv wahrnehmen, wirklich entsprechen oder nicht. So nehmen wir auch in der Sinnwahrnehmung die äusseren Gegenstände in ihrer objectiv wirklichen Beziehung zu uns wahr, mag unsere Vorstellung von dieser Beziehung wahr sein oder verkehrt.
2. Cap.
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses.
125
5. Wir haben es in der Wahrnehmung, der äussern und der innern, mit o b j e c t i v e n R e a l i t ä t e n unserm Bewusstseins-subjecte gegenüber zu thun, mit Realitäten, die uns gegeben s i n d ; in der Vorstellung dagegen zunächst und unmittelbar nur mit einem s u b j e c t i v e n P r o d u c t unsrer selbst. All unserm V o r s t e l l e n gegenüber ist daher die K r i t i k am Platze, nicht aber unsrer W a h r n e h m u n g gegenüber die S k e p s i s . Die zum Princip der Erkenntnisstheorie erhobene Skepsis, der Skepticismus, hat einen Sinn nur, wenn durch die subjectiv-idealistische Fiction die Wahrnehmung selbst zur blossen Vorstellung gemacht wird. Wer aber damit anfängt, am verkehrten Ende sich skeptisch zu gebehrden, um sich doch als Philosophen auszuweisen, der wird es sicher am rechten Ende dann an der nöthigen Kritik seinen Vorstellungen gegenüber fehlen lassen.
§ 31. a) O b j e c t für mögliches Vorstellen, oder Stoff zu Bewusstseins-inhalt als Vorstellung, ist nur W a h r n e h m u n g s - i n h a l t . Was von solchem das Ich vom Wahrnehmungs-object und - a c t abgelöst, sich zum rein ideellen Bewusstseins-inhalt subjectivirt und damit als Gedächtniss potentiell zu seiner Disposition habe, das wird erst im Productions-processe des Vorstellens selbst offenbar. 1. Der Satz „ n i h i l i n i n t e l l e c t u q u o d n o n f u e r i t i n s e n s u " ist einfach der wahre erkenntnisstheoretische Grundsatz des reinen Realismus, sobald unter s e n s u s die g a n z e Wahrnehmung, die innere wie die äussere, verstanden wird. Wird dagegen dabei nur an die S i n n - W a h r nehmung gedacht, so ist er ebenso einfach eine Gedankenlosigkeit, die über das nächste Bewusstseins-object stolpert und daran zu Fall k o m m t : an unserem eigenen Seelenleben, das wir am unmittelbarsten erfahrend wahrnehmen, weil wir es selbst sind. . Alles Vorstellen nimmt seinen Stoff aus der Wahrnehmung. Auch die Vorstellung von Raum und Zeit, welche das Ich in sich selbst als seine „Anschauungsformen" f ü r eine objective Welt ausser ihm mitbringen soll, hat es doch erst von der Wahrnehmung dieser Seinsformen i n all seinen dinglichen Wahrnehmungen her. 2. Nicht direct gehört hieher die rein psychologische Erörterung, unter was f ü r psycho-physischen Bedingungen und darum innerhalb welcher Grenzen Bewusstseins-inhalt, der als Wahrnehmung am O b j e c t und dessen objectivem S e i n s - r a p p o r t zum Ich haftet, von diesem Rapport abgelöst als rein ideelles Eigenthum des Bewusstseins-subjectes geblieben sei, und von diesem, wenn es dasselbe auch über andern Bewusstseinsacten aller Art aus dem actuellen Bewusstsein verloren h a t t e , doch unter bestimmten Bedingungen wieder aus seiner blossen Potentialität zu actuellem Bewusstseins-inhalt, nun als wirkliche Vorstellung, erhoben werden
126
I-
I>ie erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 32.
könne. Was h i e r . allein in Betracht kommt, ist dies, dass Object für das Vorstellen nur ist und damit Bewusstseins-inhalt als Vorstellung nur werden kann, was als W a h r n e h m u n g s - i n h a l t , vom Object und Process des Wahrnehmens a b g e l ö s t , r e i n subjectiver Inhalt des Ich geworden ist, so dass sich als der wesentliche Unterschied zwischen Wahrnehmung und Vorstellung wieder herausstellt: dort ist Inhalt des Bewusstseins ein in objectiver Seins-beziehung zum Ich stehender, hier dagegen ein nur ideell im Ich selbst vorhandener, von ihm blos „gedachter" Gegenstand. 3. Allein auch zwischen diesem „blos gedachten" Bewusstseinso b j e c t und dem B e w u s s t s e i n s - s u b j e c t ist ein Process der g e g e n s e i t i g e n Beziehung die Bedingung, dass jenes diesem als Vorstellung b e w u s s t , sein B e w u s s t s e i n s - i n h a l t wird; denn alles Bewusstsein ist nichts als eine Beziehung zwischen Object und Subject, Sein des Objectes für das Subject als ideeller Inhalt von diesem, abgesehn davon, was das Object für sich selbst ist.
§ 32. b) Der P r o c e s s des Vorstellens. — Auch das Bewusst-werden von potentiellem Vorstellungs-stoff zu wirklichem Bewusstseins-inhalt als Vorstellung geschieht durch einen g e g e n s e i t i g e n , hier aber rein psychischen, ideell-realen Process, an dem die ganze psycho-physische Beschaffenheit des concreten Be'wusstseins-Ich nur mittelbar, mittelbar aber immer mitbetheiligt ist. Eine Vorstellung entsteht nur, indem einerseits ihr O b j e c t in eine objective, hier aber rein ideelle, nur in einem logischen Verhältniss bestehende Seins-beziehung zum actuellen Bewusstseins-stand des Subjectes kommt, und andrerseits dieses die Beziehung aufnimmt und auch von seiner Seite vollzieht. In dem erstem o b j e c t i v e n Momente dieses ideellen Vorgangs einer Seins-beziehung zwischen Bewusstseins-object und -subject, durch die das O b j e c t erst Bewusstseins-inhalt wird, liegt die Wahrheit in dem zusammengezogenen Ausdruck „unbewusste Vorstellungen", und in der bildlichen, abstract-sinnlichen Ausdrucksweise von „Vorstellungen unter und über der Schwelle des Bewusstseins". In dem andern, s u b j e c t i v e n Momente dagegen liegt die Wahrheit des Ausdruckes, dass das Ich selbst seine Vorstellung (sei's als einfache Reproduction, sei's als freie Production) erzeuge. Im U e b e r w i e g e n des einen oder des andern dieser beiden Momente beruht der immer nur relative Unterschied zwischen sich
2. Cap. aufdrängenden,
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses. uns
nach Vorstellungen
einfallenden Vorstellungen und in
dem
dem
127 Suchen
potentiellen Gedächtniss-vorrathe der
Seele. Nur die N e g a t i o n des einen oder des andern Momentes, des Bestimmt-werdens stellen,
ist
sprechender
ein
des Ich, oder
abstracter,
psychologischer
der (und
seines eigenen A c t e s psychischen weiter
Wirklichkeit
zurück
im Vorwider-
metaphysischer)
Dogmatismus. 1. Auch hier ist von allem, was auf diesem Punkte sonst noch Gegenstand der psychologischen Erörterung sein kann, nur das Eine zu fixiren: auch die Vorstellung ist eine B e z i e h u n g zwischen Bewussts e i n s - o b j e c t und - s u b j e c t , ein einseitiges Sein des Objectes für das Subject als ideeller Inhalt desselben, ohne dass das Sein des Objectes für sich darin eingegangen ist; allein diese B e w u s s t s e i n s - b e z i e h u n g beruht auf einem gegenseitigen S e i n s - r a p p o r t , hier natürlich einem rein ideellen, innerhalb des Bewusstseins-standes des Subjectes. Während in der Wahrnehmung dieser Rapport zwischen dem Bewusstseins-subject und einem ihm gegenüber o b j e c t i v gegebenen Sein stattfindet, ist es in der Vorstellung ein dem Subjecte selbst s u b j e c t i v angehöriges, von ihm selber bereits von der Objectivität abstrahirtes, „blos gedachtes" Sein, das aber als solches in der Vorstellung wieder O b j e c t für das Ich wird. Im W a h r n e h m e n hat es das Ich mit etwas ihm o b j e c t i v G e g e b e n e m , im Vorstellen mit S e l b s t - o b j e c t i v i r t e m zu thun. Für den Erkenntnissprocess liefert die Wahrnehmung den o b j e c t i v e n Rohstoff, die Vorstellung bereits eine s u b j e c t i v e Verarbeitung von solchem. 2. Der S e i n s - r a p p o r t zwischen dem Ich und dem Objecte möglichen Vorstellens, wodurch die Bewusstseins-beziehung zwischen beiden realisirt und das Object zum wirklichen Inhalt, zur Vorstellung wird, also der Seins-rapport zwischen dem Ich und seinem vom Object und Act des Wahrnehmens abgelösten, rein ideell subjectivirten W a h r n e h m u n g s i n h a l t ist auch hier, wie beim Wahrnehmen, ein g e g e n s e i t i g e r ; denn das macht das Wesen des Bewusstseins auf allen Stufen aus. Im Vorstellen aber geht dieser gegenseitige Seins-rapport nicht nur überhaupt im Innern des Ich selbst vor sich, — dies ist ja auch bei der innern Wahrnehmung der Fall —, sondern innerhalb des vom Bewusstsein des Ich selbst schon Subjectivirten. Die o b j e c t i v e Seite dieses gegenseitigen Seins-rapportes im Innern des Ich ist die Beziehung subjectivirten Wahrnehmungs-inhaltes zum gegenwärtigen factischen Bewusstseins-stand des Subjectes. Diese ist natürlich eine rein ideelle, ein Verhältniss logischer Beziehung, das, was
128
f-
T)ie erkenntniss-theoretische Grundlage.
§§ 32. 33. 34.
man im gewöhnlichen Sprachgebrauch „Ideenassociation" n e n n t , eine Association — um iin h e r b a r t i s c h e n Bilde zu reden — zwischen einer Vorstellung unter und einer über der Schwelle des Bewusstseins". Kein Materialist wolle uns hiebei weiss machen, dass es etwas anderes als ein pures Dogma seiner materialistischen Grundvoraussetzung sei, wenn er eine im Ich entstehende Vorstellung einfach f ü r das Product einer Wiederholung desselben Empfindungsreizes im Centraiorgan erklärt, durch den schon die ursprüngliche (Wahrnehmungs-) Vorstellung erzeugt worden sei. Wie sehr immer die jeweilige Beschaffenheit und die Function des leiblichen Organismus, vor allem natürlich des Centraiorgans, mit-bedingend und mit-bestimmend auf den Seins-rapport zwischen dem Bewusstseinssubject u n d seinem subjectivirten Wahrnehmungs-inhalt einwirkt, da j a das Ich und sein Leib substantiell das eine und selbe concrete Subject b i l d e n : so ist uns doch die Beziehung zwischen potentiellem und actuellem Bewusstseins-inhalt des Ich nur a l s e i n e rein i d e e l l e gegeben, und zwar als d o p e l s e i t i g e , von j e n e m auf diesen, und von diesem auf j e n e n , d. h. von subjectivirtem Wahrnehmungs-inhalt zum Bewusstseins-subject, der Seele selbst, und u m g e k e h r t ; beides unterschieden und wohl zu unterscheiden, aber actuell ungetrennt. Auf das erstere Moment, die o b j e c t i v e Beziehung von potentiellem zu actuellem Bewusstseins-inhalt des Ich, bezieht sich der zusammengezogene Ausdruck „ u n b e w u s s t e Vors t e l l u n g e n " , und die bildliche Redeweise von „ V o r s t e l l u n g e n u n t e r der Schwelle des Bewusstseins". Sie haben guten Sinn, w e n n sie das objective logische Verhältniss zwischen subjectivirtem W a h r n e h m u n g s inhalt, als dem potentiellen, rein ideellen Vorstellungs-object und w i r k lichen Vorstellungsacten ausdrücken sollen. W i r k l i c h e „unbewusste Vorstellungen" dagegen, oder wirkliche „Vorstellungen unter der Schwelle des Bewusstseins" wären ein hölzernes Eisen, als dingliche Hypostasirung des rein ideellen, blos potentiellen Bewusstseins-stoffes zu eigenen Existenzen. Zwischen diesen Vorstellungen „unter der Schwelle des Bewusstseins" und den actuellen „über der Schwelle" würde dann ihr wirkliches S u b j e c t , die vorstellende Seele, zum blossen neutralen S u b s t r a t , auf dem ihr logisches Verhältniss zu einander, wie das Spiel der Billardkugeln auf der Billardfläche, vorginge. Das mag j a als Bild angehn, um den objectiven logischen Z u s a m m e n h a n g in der „Ideenassociation" anschaulich zu machen. Soll es aber mehr sein als dies, soll es die Theorie des wirklichen psychischen Herganges sein, so ist eine solche Statik der Vorstellungen die geistloseste aller Theorien, die in der Betrachtung dessen, was als Seelenleben vorliegt, einfach die kleine Hauptsache, — die Seele selbst als das reale S u b j e c t dieser Vorgänge, aus dem Spiele lässt. 3. Die andere, s u b j e c t i v e Seite des Seins-rapportes zwischen möglicher Vorstellung, nämlich subjectivirtem Wahrnehmungs-inhalt und d e m
'2. Cap.
Der psychologische Gang des Erkenutnissprocesses.
129
ßewusstseins-subjecte, durch den erst die Rewusstseins-beziehung zwischen beiden, das Werden des Objectes zum Inhalt des Bewusstseins, zur wirklichen Vorstellung hergestellt wird, ist die S e l b s t b e z i e h u n g des Subjectes auf den von ihm vorher selbst schon subjectivirten, dann aber nur noch potentiell in seinem Gedächtnisse vorhandenen Wahrnehmungs-inhalt. Ohne einen solchen A c t des Ich selbst kommt keine wirkliche Vorstellung in ihm zu Stande, und nur darum, weil es ein r e c e p t i v e r Act ist gegenüber solchem, was das Ich selbst schon vorher sich subjectivirt hatte, kann der Schein entstehn, als ob dieser Act des Ich vielmehr nur ein Auftauchen des Inhaltes in ihm wäre, wobei es selbst sich nur passiv verhalte. Allein diese active Beziehung des Subjectes auf seinen potentiellen Bewusstseins-inhalt fehlt beim Entstehn der wirklichen Vorstellung ebensowenig, als diese einseitig nur durch einen willkürlichen Act des Ich, ohne vorhandene Seins-beziehung des möglichen Vorstellungsobjectes auf das Subject, entsteht. Das Ich kann nicht nach Willkür unter die Schwelle seines Bewusstseins hinuntergreifen, um beliebig unter derselben hervorzuholen, was es gerade will: ohne einen objectiven Faden von Ideenassociation findet es nichts darin. Aber ebenso wenig taucht ohne eine Selbstbethätigung des Ich eine Vorstellung unter der Schwelle des Bewusstseins zur wirklichen Vorstellung empor: die Seele ist das S u b j e c t , nicht blos das S u b s t r a t ihrer Vorstellungen. § 33.
c) B e w u s s t s e i n s - i n h a l t des Vorstellens, oder die V o r -
s t e l l u n g selbst, ist deshalb ein von der Seele aus Wahrnehmungsstoff erzeugtes, von ihr sich selbst als Bewusstseins-subject gegenüber ideell projicirtes B i l d in einer von der Wahrnehmungs-form hergenommenen, ideell reproducirten Anschauungs-form, dessen Inhalt sie sich dann weiter, im Verlaufe der damit zusammenhängenden
psycho-physischen Sprachbildung, auch durch das heterogene
Z e i c h e n des W o r t e s
repräsentirt.
Den innern Zusammenhang der S p r a c h b i l d u n g mit der Entstehung der Vorstellung zu verfolgen, gehört natürlich nicht hieher. Es musste nur hier schon der Eintritt auch des W o r t e s , als heterogenen Z e i c h e n s für das B i l d , welches die Vorstellung zunächst ist, erwähnt werden, da es gerade in dieser Eigenschaft später fiir das, was wir hier allein verfolgen, eine wichtige Rolle spielt. § 34.
Nur ihrem G e g e n s t a n d e nach unterscheiden sich die
Vorstellungen in s i n n l i c h e aus
der
üussern
oder
und g e i s t i g e ,
je nachdem ihr Stoff
aus der i n n e r n Wahrnehmung
B ie d c r in n n n , Dogmatil* 2. Aull.
9
stammt.
130
I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
In dieser Beziehung
§ 34.
bilden die „allgemeinen Vorstellungen" oder
„Gemeinbilder" den Uebergang, indem diese das Gemeinsame einer Vielheit von Einzelwahrnehmungen, das Wesen
in den
sinnlich
das seine ideelle Realität als
existirenden Individuen hat, in
die
iiiessende Form eines Einzelbildes und dann weiter in die Repräsentation desselben durch das Wortzeichen gefasst, zum Objecte haben. Dagegen
ihrer
psychologischen
Form
nach
sind a l l e
Vor-
stellungen s i n n l i c h - g e i s t i g oder a b s t r a c t - s i n n l i c h , indem auch die ihrem Gegenstande nach rein g e i s t i g e n Vorstellungen vom Ich in einer von der S i n n - w a h r n e h m u n g hergenommenen Anschauungsform
räumlich-zeitlichen,
dinglichen Seins
sich selbst
gegenüber
als abstract-sinnliches Bild projicirt werden. Eben Denk-arbeit
deswegen
fasst
gewonnenen
die Seele auch ihren durch discursive einheitlichen
Gedanken-inhalt
immer
wieder in ein einheitliches G e d a n k e n - b i l d , d. h. in eine Vorstellung und in das diese repräsentirende W o r t zusammen,
um denselben
als eine in sich einheitliche Realität präsent zu haben. 1. Dass ihrem Gegenstande nach s i n n l i c h e Vorstellungen ihrer psychologischen Form nach s i n j n l i c h - g e i s t i g oder a b s t r a c t - s i n n l i c h sind, liegt auf der Hand. Das Object des Vorstellens selbst ist etwas sinnlich Wahrgenommenes, aber als Vorstellung abstrahirt von seiner sinnlichen Existenz, in deren realer Seins-beziehung zum Subject es dessen Wahrnehmungs-inhalt geworden war, — a b s t r a h i r t in dem bekannten doppelten Sinne des Wortes: a b g e l ö s t vom Object und Act der Wahrnehmung selbst und im Bewusstseins-subject ideell reproducirt, aber in einer von der Wahrnehmung h e r g e n o m m e n e n Form, als innere Anschauung, oder als ideelles Bild von sinnlich Existirendem. So ist die Vorstellung ein s i n n l i c h e r I n h a l t in g e i s t i g e r F o r m , sofern unter dem Inhalte das Object, unter der Form aber die Seins-weise dieses Inhaltes im Bewusstsein verstanden wird. Man kann aber auch umgekehrt sagen, sie sei g e i s t i g e r I n h a l t in s i n n l i c h e r F o r m , sofern unter dem Inhalte verstanden wird, w a s das Ich wirklich in sich hat, unter der Form aber, w i e es dies anschaut. 2. Dies gilt schon von der aus der Verinnerlichung einer Einzelwahrnehmung reproducirten E i n z e l v o r s t e l l u n g . Die letztere unterscheidet sich aber von der Wahrnehmung selbst nicht blos dadurch, dass sie, vom Object und Act des Wahrnehmens abgelöst, nur innerlich im Subject ist; sondern im Zusammenhang damit auch dadurch, dass sie
2. Cap.
Der psychologische Gang des Krkenntnissprocesses.
131
ihrem Inhalte nach, wie lebhaft und treu sie auch sein mag, doch immer unbestimmter, verwischter in Beziehung auf alle einzelnen Bestandtheile ist, als die Wahrnehmung selbst es war. In demselben Grad ist sie aber auch schon allgemeiner und darum bereits auf dem natürlichen Uebergange zum Gemeinbild oder zur a l l g e m e i n e n Vorstellung. Die Bildung der a l l g e m e i n e n Vorstellung vollends entsteht durch subjectiv unreflectirte, objectiv aber doch gesetzmässig geübte Acte der Abstraction des Gleichen und der Abstraction vom Ungleichen an einer Vielheit von Einzelwahrnehmungen, so dass nun diese allgemeine Vorstellung zum Inhalte das Gemeinsame dieser Einzelwahrnehmungen hat, aber in der Form eines fliessenden Einzelbildes. So ist ihr Inhalt nicht blos in dem Sinn ein geistiger, dass er nur i m Subject ist; sondern auch in dem Sinn, dass ihm als Object ausser dem Ich nicht ein sinnlich Existirendes, sondern nur das Allgemeine in einer Vielheit einzelner sinnlicher Objecte, also nur ein ideell Seiendes, ihr Begriff, entspricht. Allein auch diesen ideellen Inhalt hat die Vorstellung noch in der von den sinnlichen Existenzen her entlehnten Form des äusserlichen Nebeneinander ihrer einzelnen Bestandtheile, — im Unterschied von dem durch das Denken im specifischen Sinn gebildeten Begriffe. 3. Aber auch die ihrem Gegenstande nach g e i s t i g e n Vorstellungen, deren Stoff aus der i n n e r n Wahrnehmung stammt, sind s i n n l i c h geistig oder a b s t r a c t - s i n n l i c h : ein geistiger, ideeller Inhalt in sinnlicher Form, wie das Ich sie von der Sinn-wahrnehmung dafür hergenommen hat. Das D a s s dieser Thatsache liegt ebenfalls auf der Hand. Ich brauche einem Menschen von seiner Vorstellung eines rein geistig Seienden, das auch er als rein geistig sich vorstellen will, nur alle sinnlichen Momente wirklich abzustreifen, so nimmt er das als eine substantielle Verneinung seiner Vorstellung auf. Die Hauptbeispiele werden sich im Verlaufe von selbst zur Geniige einstellen. Das W a r u m aber dieser Thatsache einzusehen, ist das punctum saliens für alles Weitere. 4. Alles Vorstellen hat ein Wahrnehmen zu seiner Voraussetzung, und die Wahrnehmung, die äussere und die innere, zu seinem gegebenen Objecte. Die Vorstellung selbst ist Bewusstsein von Seiendem, wie die Wahrnehmung es dem Ich als seiend zu erfahren gegeben hat, nur abstrahirt vom Wahrnehmungs-vorgange selbst. Nun aber giebt die reale Wahrnehmung dem Bewusstsein sinnliches und geistiges, materielles und ideelles Sein nicht existentiell getrennt neben- und ausseinander, sondern nur subsistentiell zusammen. Nur in solcher subsistentiellen Einheit wird wirkliches Sein Gegenstand des Wahrnehmens für das Ich, das ja selbst ebenfalls nur als sinnlich und geistig zugleich das wirkliche Bewusstseinssubject ist. Nicht S t o f f für sich und K r a f t für sich, sondern nur beides subsistentiell zusammen nimmt das Subject an jedem K ö r p e r , der Object 9*
132
I-
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§§ 34. 35.
seines Wahrnehmens wird, wahr; es nimmt nicht L e i b für sich und S e e l e für sich an jedem lebendigen Wesen und an sich selbst wahr, wenn sich ihm schon dabei die Thatsache ebenso unmittelbar aufdrängt, dass es an all' diesen wirklichen Objecten seines Wahrnehmens beiderlei Sein als schlechterdings von einander verschieden zu unterscheiden habe. Realität hat daher f ü r das vorstellende Bewusstseiu, das von der Wahrnehmung herkommt, nur was es sich nach der Analogie wirklicher Wahrnehmung in der Einheit sinnlichen und geistigen Seins als d i n g l i c h e Existenz vorstellt. Daher sind ihm auch d i n g l i c h e x i s t i r e n und etwas R e a l e s sein von vornherein gleichbedeutende Begriffe. Wenn nun aber das menschliche Bewussstseins-Ich als G e i s t von seiner i n n e r n Wahrnehmung aus die Realität des geistigen Seins im Gegensatz zum sinnlichen in's Bewusstsein erhält, und darum das G e i s t i g e als etwas auch R e a l e s sich vorstellen will, so kann es dasselbe sich doch noch gar nicht anders als selbst wieder d i n g l i c h vorstellen, als eine eigene dingliche Existenz hinter oder in den unmittelbar sinnlich wahrgenommenen Dingen, als etwas „Uebersinnliches", das zwar für die realen Sinne nicht da sei, aber doch in den abstracten Formen dinglichen Daseins gefasst wird. Ein anderes Sein, dem keine andere Seinsweise zukäme als die rein ideelle seiner eigenen Seelen-vorgänge, die es eben darum als „Functionen" einem besonders f ü r sich existirenden Subjecte zuschreibt, — ein solches rein ideelles Sein kommt ihm als ein nicht real Seiendes sondern nur als ein subjectiv Gedachtes, als eine „blosse Idee" vor. Darum stellt es sich, weil es sein eigenes geistiges Sein als Subject unmittelbar ebenso gut als eine Realität wahrnehmend erfährt wie sein sinnliches Dasein, dieses Subject, die Seele, eben selbst wieder als eine dinglich, d. h. als selbständig für sich in Raum und Zeit existirende Substanz vor, nicht blos essentiell unterschieden, sondern auch existentiell geschieden von der körperlichen Substanz des Leibes und unterschieden von dem rein ideellen Sein der .Seelenvorgänge, in denen das Ich doch allein eine Wahrnehmung seiner eigenen Realität hat. Die Seele selbst als „ n u r " i d e e l l e s Subject der Seelenvorgänge zu fassen, kommt der Vorstellung einfach als eine Läugnung der Realität der Seele vor, und wer dabei doch gar noch von Freiheit der Seele rede, der scheint ihr vollends Spiel mit leeren Worten zu treiben. Muss ich nicht gewärtigen, dass ein — ich weiss nicht, wie grosser? — Theil meiner Leser den unmittelbarsten Thatbeweis dafür leiste, indem sie sagen, das sei aber auch in der That so und nicht anders? Und unter den Philosophen, die also vor Andern des eigentlichen Denkens sich befleissen, werden z. B. die H e r b a r t i a n e r diese Thatsache a u f s allerbestimmteste bestätigen. Sie nehmen ja die Seele als ein Reales für sich, neben den übrigen Realen existirend, und zwar als die räumlich vorgestellte Negation des Raum-daseins, als ein
2. Cup. Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses.
133
punktuell Existireniles, nnd als die zeitlich vorgestellte Negation des Zeitdaseins, als ein sich selbst schlechthin gleich, anfangs- und endlos Existirendes: der allerexacteste Ausdruck für die a b s t r a c t - s i n n l i c h e Fassung des n i c h t - s i n n l i c h e n I d e e l l e n , worin die Form'aller Vorstellung als solcher besteht. Was brauche ich also hiefür weiteres Zeugniss? § 35.
So entspricht keine objective Realität unmittelbar der
subjectiven Bewusstseins-form der Vorstellung: weder eine sinnliche Objectivität der sinnlichen Vorstellung, — denn diese ist von der Sinnlichkeit abgezogen;
noch eine geistige Objectivität der geistigen
Vorstellung, — denn diese schaut sie in einer von der Sinnlichkeit hergenommenen Anschauungs-form als ein „übersinnlich" Existirendes,
d. h. abstract-sinnlich an.
Darum ist all' unsern
Vorstel-
l u n g e n gegenüber K r i t i k , was daran objectiv wahr sei und was nicht, ebenso unumgänglich nöthig, als der W a h r n e h m u n g gegenüber die S k e p s i s , ob ihr überhaupt etwas Objectives
entspreche,
bodenlos ist. Jede Vorstellung schliesst einen W i d e r s p r u c h in sich zwischen dem objectiven Sein, auf das sie geht, und ihrer subjectiven Bewusstseins-form;
zwischen dem, w a s
dem Subject in ihr präsent
ist, und dem, w i e es ihm präsent ist. Die für uns wichtigsten Consequenzen dieser ganz allgemeinen psychologischen Natur aller Vorstellung sind folgende. 1. Die Vorstellung nimmt es als eine Verneinung der Realität des Geistigen, wenn ihr zugemuthet wird, jede und wäre es auch noch so abstracte Analogie sinnlicher Anschauung für ihren ideellen Bewusstseinsinhalt aufzugeben: gleichviel, ob sie vom unmittelbaren Selbstbewusstsein der Realität des Geistes aus dagegen reagirt; oder ob sie dieser Zumuthung dadurch Folge zu geben glaubt, dass sie damit alle Realität des Geistigen preisgiebt. 2. Die M o m e n t e einer subsistentiell in sich einheitlichen geistigen Realität fasst die Vorstellung als aussereinander liegende, für sich existirende und nur in Beziehung zu einander tretende F a c t o r e n . 3. Die verschiedenen S e i t e n im Verhältniss der Momente einer geistigen Einheit schaut die Vorstellung als zeitlich auseinander tretende, aufeinander folgende V o r g ä n g e und Z u s t ä n d e a n : ihr Verhältniss a n s i c h oder ihrem Begriffe nach, das i d e e l l e P r i u s , als z e i t l i c h e s Prius, als einen thatsächlichen A n f a n g s z u s t a n d ; ihr Verhältniss in der ä u s s e r n Wirklichkeit des natürlichen Daseins-processes als einen auf
1.
134
Die crkenntniss-theoretische ('¡rundlage.
§§ 36. o7.
jenen folgenden Zustand; ihr Verhältniss zu der g e i s t i g e n Wirklichkeit, dem der empirische Process zur Vermittlung dient, als einen nachfolgen" den E n d z u s t a n d .
§ 3 6 . Die g e i s t i g e Vorstellung bildet den thatsächlichen Uebergang des Bewusstseins-processes von der Stufe des Vorstellens zu der des Denkens im speciellen Sinn: sie ist i n h a l t l i c h D e n k e n und kommt daher als Vernunft-äusserung nur der menschlichen Seele als G e i s t zu; ihrer F o r m nach ist sie noch sinnliches V o r stellen. § 37. Der B e i t r a g der Vorstellung zur wissenschaftlichen Erkenntniss ist ein doppelter: ein unmittelbarer, p o s i t i v e r , und ein mittelbarer, n e g a t i v e r . Der p o s i t i v e besteht darin, dass 1) der als eine blosse Masse von Einzel-wahrnehmungen dem Bewusstsein zufliessende Erfahrungsstoff erst durch die im Vorstellungs-processe sich vollziehende Synthesis des im Flusse der Einzel-wahrnehmungen sich seiner einheitlichen Continuität selbstbewusst werdenden Subjectes zum innerlich zusammenhängenden und für die weitere Denkverarbeitung als E r f a h r u n g zur Disposition stehenden Eigenthum des Geistes wird; dass 2) durch die Abstraction der Vorstelluug von der Unmittelbarkeit der Wahrnehmung die sämmtlichen Operationen der bewussten logischen Verarbeitung des Erfahrungsstoffes bereits unreflectirt eingeleitet werden, und dass 3) durch die Entstehung der geistigen Vorstellungen aus der Synthesis der einzelnen innern Erfahrungen die P r o b l e m e für das Denken fixirt, und endlich auch die R e s u l t a t e der denkenden Verarbeitung wieder einheitlich in ein Bild und dessen Wortzeichen zusammengefasst dem Geiste p r ä s e n t erhalten werden. 1.
Das Wahrnehmen, inneres und äusseres, giebt dem Ich das Be-
wusstsein objectiven Seins nur in dessen realem Rapporte zum Ich selbst im Momente der gegenseitigen Beziehung, also immer nur im zeitlichen Einzelmoment,
in welchem diese stattfindet.
Die Wahrnehmung ist
Bewusstseinsinhalt nur im Vorgang des Wahrnehmens selbst. unsrer Wahrnehmungen, eine V i e l h e i t
unsre Wahrnehmungswelt,
discreter
Einzelheiten
bilden, in äusserlicher Auf-
einanderfolge und Durchkreuzung
der verschiedenartigsten
gen
ihrer innern Einheit
ohne
snbjectes Bewusstsein
Die Summe
würde für sich nur Wahrnehmun-
und
ihres
saeh-
•2. Cap.
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses.
135
liehen Z u s a m m e n h a n g e s ; denn dieser liegt nicht in der zufälligen Aufeinanderfolge unserer subjectiven Wahrnehmungsacte, sondern nur in den Objecten selbst. Das erste Moment des Vorstellungsprocesses besteht n u n aber d a r i n , dass das Ich seinen "Wahrnehmungs-inhalt vom W a h r nehmungs-object und -act abgelöst rein ideell sich selbst subjectivirt: damit vollzieht sich in der Einheit seines Selbstbewusstseins eine Synthesis seiner E i n z e l w a h r n e h m u n g e n , und dadurch erst wird auch ihr objectives Verhältniss zu einander mögliches Object des Bewusstseins, setzt sich aus den Einzelwahrnehmungen erst eine E r f a h r u n g zusammen, wird der Rohstoff der E r f a h r u n g erst zur wirklichen Erfahrung. Die W a h r n e h m u n g nimmt einzelnes Sein und Geschehen wahr, das objectiv gesetzmässig sein m a g ; erst die Vorstellung erhält durch ihre Synthesis das Gesetzmässige desselben in's ßewusstsein ; und bereitet so dem Denken die Erkenntniss des Gesetzes in der gegebenen Gesetzmässigkeit vor. 2. Diesen wichtigen Beitrag liefert das Vorstellen besonders in der Bildung der a l l g e m e i n e n Vorstellungen aus einer Vielheit von Einzelvorstellungen durch unreflectirte, ohne Denken im engem Sinn sich vollziehende Anwendung des dem -ideellen, logischen Sein des Ich immanenten „ V e r s t a n d e s f o r m e n " in der unbewussten Ausübung der logischen Operationen des Urtheils, der Begriffsbildung u n d des Schlusses, in der V e r k n ü p f u n g subjectiv successiv gemachter Wahrnehmungen zur Anschauung einer sachlichen Aufeinanderfolge aus innerm Causalzusammenhang. In dieser Form übermittelt das Vorstellen seinen subjectivirten Wahrnehmungsstoff dem D e n k e n , wobei jedoch dieses, stets kritisch gegenüber dem subjectiven Character der Vorstellung, zur Verification stets zugleich auf die W a h r n e h m u n g selbst zurückgreifen muss. 3. E b e n d a m i t gewinnt das Ich in der Synthesis seiner Einzelwahrn e h m u n g e n zur Vorstellung das Bewusstsein des ideellen, r ä u m - u n d z e i t l o s e n S e i n s als des Constanten, sich selbst Gleichen in der Vielheit der dinglichen Einzel Wahrnehmungen, der S u b s t a n z d a r i n , des S u b j e c t e s von Einzel Vorgängen, kurz die g e i s t i g e n Vorstellungen, deren Inhalt das Vorstellen selbst freilich wieder wie Einzeldingliches dem wahrgenommenen Einzelnen gegenüberstellt. Aber d a m i t , dass es die geistigen Vorstellungen ü b e r h a u p t e r z e u g t , liefert es diese dem eigentlichen D e n k e n als seine P r o b l e m e . 4. Wesentlich erleichtert wird endlich die Uebermittelung des Erfahrungsstoffes durch das Vorstellen an das D e n k e n durch die Fixirung der Vorstellung auf das Werthzeichen ihres Inhaltes in der S p r a c h e . Dies freilich setzt dann auch das Denken selbst der Gefahr aus, gelegentlich bloss mit diesen Zeichen, den Worten ohne den vollen Vorstellungsinhalt, den sie repräsentiren, abstract logisch, inhaltsleer zu operiren. Dies n u r vorläufig im Vorbeigehen.
136
1- I>ie erkenntniss-theuretische Grundlage.
§§ 38. ">9.
Welche Rolle die Vorstellung als Mittelglied zwischen Wahrnehmung auf der einen und Denken auf der andern Seite im ganzen Geistesleben des Menschen spielt, werden wir speciell an der religiösen Vorstellung darzulegen haben. § 38.
Der
mittelbare,
zunächst
negative
Beitrag
der
Vorstellung zur Erkenntniss besteht darin, dass der aller Vorstellung wesentliche innere W i d e r s p r u c h das Denken den Sporn
bildet,
zwischen Inhalt und Form für
den Widerspruch
durch
allmälige
Reinigung und schliesslich durch Aufhebung der Vorstellung in die rein denkende Fassung ihres Wahrheitskernes zu lösen. 1. Das Bewusstsein des einzelnen Individuums ist unendlich elastisch im Ertragen von Widersprächen. Ks erträgt sie aber nur, weil es sie subjectiv nicht merkt. Das Denken selbst schliesst den Widerspruch, das E i n e r l e i - s e i n von A und Non-A aus. Gedankenlos ist es nur, deswegen das Z u s a m m e n - s e i n von A und Non-A in der Wirklichkeit zu verneinen, während gerade darin die Triebkraft im gesammten Daseinsprocess des endlichen Seins in Raum, und Zeit beruht, diesen Widerspruch aufzuheben. Und eben darin beruht auch im subjectiven Bewusstsein der Vernunfttrieb des Denkens. Das war der grosse Grundgedanke von H e g e l ' s dialektischer Methode, den Process der objectiven Vernunft in der Welt durch die immanente Dialektik des subjectiven Denkens nachzuerzeugen. Er verdarb nur das AValire an diesem Gedanken durch die Grundfiction, unser denkendes Ich aus sich selbst und aus allen Bedingungen seines wirklichen Seins und Denkens hinaus und als „reines Denken" in das absolute Subject des vernünftigen VVeltgrundes hinein zu versetzen; denn damit stellte er das Denken mit seiner dialektischen Methode von seinem realen Boden weg in s Leere hinaus. Die Reaction des Empirismus gegen diese Speculation war vollberechtigt; allein darum das Kind mit dem Bad auszuschütten, entschuldigte nur der erste Schrecken, dasselbe möchte im Bad ertrinken. Es wäre nun aber in der That bald an der Zeit, sich von diesem Schrecken wieder vernünftig zu erholen und ganz nüchtern zu erkennen, was doch das Wahre in H e g e l ' s Grundgedanken gewesen sei. 2. Der aller Vorstellung immanente Widerspruch zwischen geistigem Inhalt und sinnlicher Form, der den Sporn des Fortschrittes zur denkenden Auflösung desselben ausmacht, kommt innerhalb des Vorstellungslebens nur als ä s t h e t i s c h e Befriedigung des Geistes in der Anschauung des S c h ö n e n zur Ruhe, da dieses gerade im Ausdruck eines ideellen Inhaltes in sinnlicher Erscheinungsform besteht. Daher kommt es auch sehr natürlich, dass gerade heutigen Tages so viele, welche den Wider-
"2. Oap.
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses.
1I-J7
Spruch in allen religiösen Vorstellungen zu sehn gelernt haben, und die Augen wieder gewaltsam dagegen verschliessen weder wollen noch können, welche aber auf der andern Seite auch in dem Vorurtheile des jetzt herrschenden philosophischen Dogma's befangen sind, als sei auf diesem Gebiete nicht darüber hinauszukommen. — dass viele von diesen die Versöhnung der Religion, die freilich ganz wo anders liegt, wenigstens in einer ästhetischen Befriedigung durch die religiösen Vorstellungen suchen. Es muss weit gekommen sein mit der Energielosigkeit des Glaubens an r e a l e religiöse Wahrheit, wenn man sich hiemit wirklich zufrieden giebt, und selbst Theologen sich an diese Ehrenrettung der Religion als ihren letzten Trost anklammern! B. § 39.
Das D e n k e n und der
Gedanke.
Das D e n k e n im specifischen Sinn ist das Bewusstsein
von ideellem Sein (sowohl ideeller S e i n s w e i s e als ideell
Seien-
d e m ) in der subjectiven Unterscheidung von materiell Seiendem. Die Voraussetzung dazu im Subjecte selbst ist die i n n e r e
Wahr-
nehmung von ideell Seiendem und die innere Objectivirung dieser Wahrnehmung zur geistigen Vorstellung.
Den specifischen
Unter-
schied des Denkens von der Vorstellung als solcher aber bildet die s u b j e c t i v e Unterscheidung des i d e e l l e n Inhaltes der Vorstellung von der Vorstellung s i n n l i c h e n Daseins.
Darum kommt das Denken
dem Ich auch nur in seiner Potenz dieser Unterscheidung an sich selbst, d. h. der Seele als G e i s t in der Selbstunterscheidung der eigenen Leiblichkeit, zu.
von
Mit Recht wird daher der specifische
Unterschied des Menschen vom Thier in das Denken gesetzt. 1. Das Specifische des Denkens im engern Sinn, dessen Subject das Ich als G e i s t und nicht bloss als Seele ist, in das wir daher auch den durchgreifenden Unterschied des menschlichen Seelenlebens vom thierischen setzen, besteht darin, dass das Bewusstseins-subject selbst das ideell Seiende den materiellen Dingen als etwas davon wesentlich Unterschiedenes gegenüberstellt. Es liegt aber noch nicht eo ipso in der F o r m , in welcher es diese Gegen Übersetzung vollzieht; diese kann vielmehr selbst wieder in sinnlicher Form geschehn, in der Form von „übersinnlich -1 -sinn lieh Vorgestelltem. Das Denken reicht in die Form des Vorstellens hinunter und unterscheidet hier schon die menschliche von der thierischen Vorstellung. Alles was — abgeselin von dem gedankenlosen Dogmatismus materialistischer Selbstbornirung — mit Schein gegen den specifischen Unterschied von thierischer und menschlicher
1?)8
I.
Die e r k e n n t n i s s - t l i e o r e t i s c h e G r u n d l a g e .
§40.
Vorstellung vorgebracht werden kann, dass doch auch in jener Vernunft liege — und damit wollen wir doch das specifiscli Menschliche bezeichnen —, kann nur darauf gehn, dass im Inhalte der Vorstellung des Thieres allerdings objectiv Vernunft enthalten ist, die wir denkend herausfinden können, die aber dem Thiere seihst subjectiv unbewusst, d. h. f ü r dasselbe unmittelbar eins ist mit seinem sinnlichen Vorstellungsinhalt. Das Wesentliche und Unterscheidende alles Denkens, des Denkens auch in der Vorstellungsform, ist die subjectiv b e w u s s t e und g e w o l l t e Unterscheidung von Sinnlichem und Geistigem. 2. Wenn gegen den allgemeinen Satz, dass der wesentliche Unterschied des Menschen vom Thier im Denken bestehe, der Vorwurf des einseitigen Intellectualismus erhoben wird, mit Berufung auf Gefühl und Wille, wo dieser Unterschied j a ebenfalls und zwar praktisch noch wichtiger zu suchen sei, so ist das mal-ä-propos. Das denkende Wesen des in sich einheitlichen menschlichen Ich manifestirt sich allerdings eben so gut in seinem Gefühlsleben und in seiner Willensbethätigung, wie in seinem gegenständlichen Bewusstsein, in seinem Denken, nämlich in jeder Selbstunterscheidung des Ich als einer geistigen Realität von seiner sinnlichen Bestimmtheit. Das alles aber miteinander ist es, was wir hier unter dem Specifischen des Denkens der menschlichen Seele zusammenfassen. § 40.
a)
O b j e c t für das Denken, also möglicher B e w u s s t -
seins-inhalt als G e d a n k e ,
ist alles
ideelle Sein (Seins-form und
Seiendes), das in realem ideellem Rapporte zum Bewusstseins-subjecte steht.
Indern wir
die Denkpotenz
des Ich,
sich
seinerseits
subjectiv mit ideellem Sein in Rapport zu setzen, seine subjective V e r n u n f t nennen, bezeichnen wir auch alles objective ideelle Sein, das als Gedanke Bewusstseins-inhalt des Ich werden kann, mit d e m Ausdruck o b j e c t i v e Vernunft im umfassendsten Sinne des Wortes. Wenn der N e o - K a n t i a n e r von seiner abstract-dualistischen Erkenntnisstheorie aus hartnäckig darauf besteht, die Begriffe „objective V e r n u n f t " , das „Gesetz", das W e s e n " , das „Uebersinnliche", „Unendliche", „Ewige", oder auch der „Geist", das „rein geistige Sein" (fügen wir also hier gleich noch hinzu das „ideelle Sein") nehme nur eine alte metaphysische Tradition als selbstverständliche, durch sich selbst klare Begriffe, die substantiell so ungefähr dasselbe bedeuten sollen, während bei schärferm Zusehn mit all' dem im Grunde nichts anderes gemeint sei als „die allem Denken und Dasein innewohnende Gesetzmässigkeit"'): so brauche ich hier sachlich nicht gross dagegen zu re') L i p s i u s , D o g m a t i s c h e Beiträge S. 141.
'2. C a p .
D e r p s y c h o l o g i s c h e G a n g ries E r k e n n l n i s s p r o c e s s e s .
139
monstriren, wenn ich schon die sorgfältig zurückhaltende Wahl des Ausdruckes für dies alles, „Gesetzmässigkeit", zwar sehr wohl verstehe, aber doch etwas seltsam finde. Einerseits nämlich wird ja wohl auch der vorsichtige Neo-Kantianer zugeben können, dass, was mit all' jenen Ausdrücken gemeint ist, allerdings seinem Wesen nach dasselbe bezeichnen werde, nämlich den Gegensatz zum sinnlichen Dasein als solchem, freilich nicht „promiscue", sondern mit jedem der Ausdrücke unter einem besonderen Gesichtspunkte aufgefasst. Dies gemeinsame Wesen bezeichne ich in seinem allgemeinsten Gegensatze zum sinnlichen Dasein als das „ideelle S e i n " ; der Neo-Kantianer mag es in demselben Gegensatz als das bewusstseins-transcendente X von „Ding an sich" bezeichnen. Andrerseits nennt er nun dieses X so, wie es sich für das Bewusstsein in seiner Erfahrungswelt manifestirt und damit bewusstseins-immanent wird, „Gesetzmässigkeit" , „allem Denken und Dasein immanente Gesetzmässigkeit". Meinetwegen vor der H a n d ; denn das wird offenbar nicht weit davon ab liegen, dass ich sage, wir können es so, wie es unserem Bewusstsein gegeben ist, nur in logischer Form ausdrücken und nicht als etwas Dingliches beschreiben. Nur klingt mir der Ausdruck „Gesetzmässigkeit" ein wenig seltsam reservirt für das, was denn doch alles darunter befasst sein muss. Gesetzmässigkeit bezeichnet eigentlich doch nur die Thatsache, dass Vorgänge auf einem Gesetze beruhen. Entweder kommen wir nun wirklich zu einem Bewusstsein von Gesetzmässigkeit in den Vorgängen des Denkens und Daseins; dann eben damit auch zu einem Bewusstsein des Gesetzes selbst; wenn aber nicht zu diesem, dann auch nicht zu dem von Gesetzmässigkeit. Gesetzmässigkeit ist j a etwas rein von Thatsachen Abstrahirtes. Wo bekommen wir aber dieses h e r , als eben von dem, was in den Thatsachen ist, und das ist f ü r gesetzmässig verlaufende Vorgänge das ihnen immanente Gesetz selbst. Wie seltsam lautet nun, weil wir erst aus den gesetzmässigen Thatsachen zu einem Bewusstsein von Gesetz, als ihrem innern Grunde, kommen, der ausschliessliche Ausdruck „Gesetzmässigkeit" für alles, was wir denkend von sinnlichem Dasein unterscheiden und als geistiges Sein in's Bewusstsein bekommen! Ich nehme mein eignes Geistesleben wahr und denke meine Seele als einheitliches Subject desselben im Unterschiede vom Leibe: — soll ich das nun nicht „Geist" nennen dürfen, sondern nur „Gesetzmässigkeit" jener Vorgänge? Ich abstrahire mir von einer Vielheit von Einzelwahrnehmungen das Gemeinsame: soll ich das nicht „Begriff", „Gattung" etc. nennen, sondern nur „Gesetzmässigkeit"? Ich unterscheide denkend von der Erscheinungswelt der unendlich vielen Einzeldinge einen einheitlichen Grund: — aber ich darf dies nicht „Gott" oder das „Absolute" nennen, sondern nur „Gesetzmässigkeit" ? Gewiss ist das alles nur so, weil wir selbst gesetzmässig denken und in dem, was wir so denken.
140
L
I->ie e r k e i m t n i s s - t h e o r e t i s c h e G r u n d l a g e .
§ § 4 1 . 42.
objective Gesetzmässigkeit da ist; aber in dem, was wir als gesetzmässig in's Bewusstsein bekommen, ist es doch nicht das subjectlose Prädicat, sondern das Subject des Prädicates, dessen wir bewusst werden. Oder ist das Subject dazu wirklich ein bewnsstseins-transcendentes X, der Inhalt des Bewusstseins dagegen nur das von ihm abgelöste, für das Bewusstsein in der Luft schwebende Prädicat „Gesetzmässigkeit"? In der That, nur die abstract-dualistische Erkenntnisstheorie, welche O b j e c t und I n h a l t unseres Bewusstseins nicht nur unterscheidet sondern einander entgegensetzt, kann dazu kommen, alles Object unsers Denkens, welches Inhalt unsers Bewusstseins als Gedanke werden kann, in das Abstractum „Gesetzmässigkeit" zusammenzupressen. Und doch kann ich vom Gebrauche dieses Ausdruckes dankbar die Zustimmung abnehmen, dass wir allen Inhalt unseres Denkens nur in logischer Form ausdrücken können, wenn wir genau sagen wollen, worin er besteht. Nur ist der grosse Unterschied der: nenne ich's „Gesetzmässigkeit", so habe ich ein blosses Prädicat, getrennt von seinem Subj e c t , ein Prädicat im Leeren; denn das Subject, dem es angehört, soll ein X f ü r mein Bewusstsein sein. Nenne ich's dagegen „ideelles Sein", und j e unter verschiedenen Gesichtspunkten „objective Vernunft", „Wesen", „Geist", so habe ich das Subject selbst in dem, was ich von ihm prädicire. § 41.
b) Der P r o c e s s
des
Denkens
besteht
1) im
Fixiren
d e r R e a l i t ä t d e s in d e r W a h r n e h m u n g m i t e n t h a l t e n e n , in d e r Vors t e l l u n g s u b j e c t i v i r t e n i d e e l l e n M o m e n t e s an a l l e m realen B e w u s s t s e i n s - i n h a l t e , u n d 2 ) in d e r A b s t r a c t i o n Momente
des
Vorstellungs-inhaltes:
vom
sinnlichen
jenes' d a s r e a l e ,
desselben
dieses d a s
f o r m a l e M o m e n t des D e n k p r o c e s s e s . Diese beiden M o m e n t e sind a b e r n i c h t bloss logisch zu u n t e r scheiden,
sondern
sie vollziehn sich a u c h in d e m zugleich
unter
d e n B e d i n g u n g e n des sinnlichen D a s e i n s d e n k e n d e n Ich als w i r k l i c h verschiedene
Denkprocesse; —
fahrungs-thatsache nunft
so sehr,
dass
hin zwei v e r s c h i e d e n e
und V e r s t a n d ,
funetionirend, thatsächlich
unterscheidet, mit einander
aufhebenden Widerspruch gerathen
man
auf
diese
„Denkvermögen",
die,
von
einander
ErVer-
isolirt
in einen sich g e g e n s e i t i g
können.
1. Ist das Denken Bewusstsein des Ideellen in der subjectiven Unterscheidung vom sinnlich Gegebenen, ist aber in allem wirklichen Bewusstseins-inhalt immer beiderlei Sein miteinander gegeben: so muss der Act des Denkens, das subjectivc Unterscheiden, zwei Momente haben;
2. Oap.
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses.
141
1) das F a s s e n des Ideellen in seinem objectiven Unterschiedensein vom Sinnlichen, 2) das subjective A b l ö s e n von demselben. Und zwar könnte es scheinen, als müsste das letztere, das A b l ö s e n , das erste Moment sein, welches erst das erstere, das G e g e n ü b e r s e t z e n , möglich machte. Allein das Ich nimmt j a an sich selbst unmittelbar, ein ideelles Reales in der Unterscheidung vom Sinnlichen wahr und setzt es diesem gegenüber, bevor es noch dessen ideelle Seinsform für sein eigenes Bewusstsein abgelöst hat von der Seinsform des Sinnlichen. Der unmittelbare Naturmensch wird seine Seele als etwas Reales in ihm selbst im Unterschiede von seinem sinnlichen Leibe inne, bevor er irgend dazu kommt, die geistige Seinsform derselben von der sinnlichen des Leibes zu unterscheiden. Er abstrahirt sich von seinem Gesammtbestand die Vorstellung von der Seele im Unterschiede vom Leibe als ein doch wieder irgendwie sinnlich in demselben Existirendes: er stellt sich das wahrgenommene I d e e l l e selbst noch naiv s i n n l i c h vor. Jenes kann man das r e a l e Moment des Denkprocesses nennen, das Innewerden des O b j e c t e s des eigentlichen Denkens; dieses dagegen, das Abstrah l e n vom Sinnlichen, das f o r m a l e , den P r o c e s s des eigentlichen Denkens. Nur zusammen sind beide g a n z e s D e n k e n , Denken im specifischen Sinn, Denken als Bewusstsein des Ideellen in der v o l l s t ä n d i g e n subjectiven Unterscheidung vom Sinnlichen, r e i n e s Denken. Allein da das Denken des sinnlich-geistigen Ich sich zeitlich erst aus seinem sinnlichen Sein herauszuarbeiten hat, beginnt es inhaltlich schon im Vorstellen und unterscheidet sich erst nach und nach anch formal von ihm und wird Denken im engeren Sinn, reines Denken. 2. Die Unterscheidung von V e r n u n f t und V e r s t a n d wurzelt nun in der That in letzter Instanz nur in diesem Unterschiede des r e a l e n und des f o r m a l e n Momentes im Denkprocess, wenn wir dem richtigen Instinct in dem allerdings fluctuirenden Sprachgebrauche bei der Unterscheidung dieser beiden psychologischen Begriffe nachgehen. Die natürlich anfechtbare Ausdrucksweise der populären Psychologie, von Vernunft und Verstand als zweierlei „Vermögen" oder „Kräften" in der menschlichen Seele zu reden, können wir hier, als f ü r unsern Zweck neutral und irrelevant, ganz unerörtert lassen, so wie auch das ganze, bekanntlich reiche Kapitel der Psychologie von der möglichen und oft genug schreiend eintretenden Divergenz zwischen dem „Tiefsinn" der Vernunft und dem „Scharfsinn" des Verstandes. § 42.
Im
menschlichen
Ich,
das thatsächlich
erst aus der
seelischen Einheit m i t dem Leibe zur Selbstunterscheidung als reales ideelles Subject, als G e i s t gegenüber seiner Leiblichkeit, gelangt,
142
].
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§§ 43—46.
tritt das Denken, das Bewusstsein von ideellem Sein als etwas Realem, zunächst in der Form v o r s t e l l e n d e r V e r n u n f t - t h ä t i g k e i t , als v o r s t e l l e n d e s D e n k e n auf, indem es die in der innern Wahrnehmung ihm an sich selbst zu erfahren gegebene Realität ideellen Seins nur in d e r Form als eine Realität zu erfassen vermag, wie es von der s i n n l i c h e n Erfahrung aus überhaupt von Realität weiss, nämlich als d i n g l i c h Seiendes in räumlich-zeitlicher Seins-form. Darum unterscheidet es das Object des Denken«, I d e e l l e s als eine Realität im Gegensatz zu sinnlicher Realität, nur so von dieser letztern, dass es' dasselbe dieser in ebenfalls a b s t r a c t - s i n n l i c h e r Seins-form, als etwas „ U e b e r - s i n n l i c h e s " gegenüber sich vorstellt. Das Product dieser vorstellenden Vernunftthätigkeit ist seiner Bewusstseins-form nach zwar noch V o r s t e l l u n g , seinem Bewusstseins-in h a l t e nach aber bereits Gedanke: sinnlich angeschaute Idee. § 43. Das andere Moment des Denk-processes ist die V e r s t andes-thätigkeit der logischen A b s t r a c t i o n der blossen F o r m des ideellen Seins von dem gegebenen sinnlich-geistigen Erfahrungsinhalte des Bewusstseins. Das Bewusstseins-product dieser V e r s t a n d e s - t h ä t i g k e i t , der Gedanken-inhalt des Verstandes, sind die von ihm selbst abstrah l t e n ideellen F o r m e n seiner Erfahrungswelt, als eine blosse Seinsf o r m des real Seienden, nicht als ein selbst wieder für sich real Seiendes. Das Ideelle, welches das V e r n u n f t m o m e n t im Denken in der subjectiven Unterscheidung von sinnlich Daseiendem zum Inhalte des Bewusstseins sich aneignet, ist ideell S e i e n d e s ; das Ideelle, welches das V e r s t a n d e s moment des Denkens vom Erfahrungsinhalt abstrahirt, ist die S e i n s f o r m des Materiellen wie des Ideellen; denn die abstrahirte Seinsform auch des materiell Seienden ist ebenso sehr ein rein Ideelles, nichts Dingliches für sich, so gut wie die logischen Formen des Denkens. Das wird wenigstens von Seite K a n t ' s und L o t z e n s keinen Widerspruch zu gewärtigen haben; denn in alle Wege ist dies das Wahre daian, wenn man sich von K a n t her gewöhnt hat Raum und Zeit a priorische Anschauungsformen des Ich zu nennen; oder wenn man mit L o t z e die Idealität von Raum und Zeit zum Eckpfeiler seiner ganzen Weltanschauung macht.
2. Cap.
Der psychologische Gang des Krkenntnissprocesses.
143
§ 44. Da ja aber dem Ich sein eigenes Sein als ideelles Subject mit all' seinem geistigen I n h a l t , und zwar als das allernächste Erfahrungs-object, gegeben ist: so bildet es selbst mit dem ganzen Inhalte seines Selbstbewusstseins, also auch mit seinen v o r s t e l l u n g s m ä s s i g e n V e r n u n f t - i d e e n , für den V e r s t a n d ebenfalls ein Object seiner analysirenden, Form und Inhalt unterscheidenden Thätigkeit. Und indem nun der Verstand auch diese Vorstellungen nach Analogie der aus der Sinnenwelt gewonnenen analysirt, bringt er den ihnen wesentlich anhaftenden Widerspruch zwischen ideellem Vernunft-inhalt und ihrer abstract-sinnlichen, d. h. übersinnlich-sinnlichen Anschauungs-form zum Bewusstsein. § 45. Schliesst das Ich sein Denken nun mit diesem n e g a t i v e n Ergebniss der V e r s t a n d e s k r i t i k seiner vorstellungsmässigen Vernunft-ideen ab, so geräth es nach dem Gesetze des ausgeschlossenen Widerspruchs darauf, das Sein des Ideellen als einer realen Objectivität überhaupt in Abrede zu stellen. Damit zieht es nun freilich sich selbst, dem ideellen Subject eben dieser Verstandes-operationen, den Boden unter den Füssen weg. § 46. Bleibt dagegen das Ich seinem vorstellungsmässigen V e r n u n f t - d e n k e n und seinem kritischen V e r s t a n d e s - d e n k e n in ihrem Gegensatze gleich t r e u : so bleibt ihm nichts anders übrig, als einerseits die objective Realität seiner „übersinnlichen" Vernunftideen fest zu halten, andererseits aber bei den Verstandeswiderspriichen, welche der Versuch, sie in der gegebenen vorstellungsmässigen Form begrifflich zu fassen, auf jedem Punkte herausstellt, diese Vernunft-ideen bloss als Postulat eines für das Bewusstsein unfass baren X gelten zu lassen. 1.
Unsere ganze Untersuchung hat ihren
der Darlegung des Dualismus,
in
Ausgang genommen
den das Gleichgewicht
von
von Vernunft
und Verstand in der Form, wie sie K a n t für alle Zeiten classisch durchgeführt hat, hinausläuft. Seit die Aufhebung dieses Dualismus durch die Vernunft-speculation des absoluten
Idealismus sich als eine
grossartige
Täuschung herausgestellt hat, ist es für alle Gebildeten, die nicht geradezu auf alle Ideen verzichtet haben, zum Fundamentaldogma ihres philosophischen
Katechismus
geworden:
übersinnliche
aber sie sind uns u n e r k e n n b a r :
dies Gebiet
Dinge
sind;
muss man
—
daher
144
I.
Hie erkenntniss-theoretische Grundlage.
§§ 46. 47.
dem Glauben überlassen. Bei dem verliängnissvollen Doppelsinn des Wortes G l a u b e n gilt es nun aber sofort als selbstverständlich, dies dem Glauben zugesprochene Gebiet als das der R e l i g i o n zu bezeichnen, und die Theologen bedanken sich bei der Philosophie für den Freibrief, der ihnen dies Gebiet zu ihrer selbstherrlichen Domäne überlässt. Sobald sie aber diese in wirklich fruchtbarer Weise bebauen wollen, kommt auf jedem Punkte zu Tage, dass die vermeintlich sauber geschiedenen Gebiete in Wahrheit nirgends ausser einander liegen, dass sie nicht blos hie und da in einander übergreifen, sondern dass sie sich vielmehr auf ihrem ganzen Gebiete decken. Der Friede zwischen den exacten Wissenschaften des Verstandes und der Wissenschaft des „Glaubens" ist faul und falsch, wenn er sich mit dem Motto „friedlich-schiedlich" auf eine Theilung des G e b i e t e s basirt und nicht vielmehr in einer Theilung der A u f g a b e auf einem und demselben Gebiete gesucht wird, auf dem Gebiete der Einen W e l t , die für unser Bewusstsein vorhanden ist und der wir mit unserem ganzen Sein angehören, der aber eben deswegen das „Sinnliche" und das „Uebersinnliche" nicht als zwei Etagen über einander, sondern als die auf allen Punkten sich entgegengesetzt deckenden Seiten angehören. 2. Darum ist es von entscheidender Wichtigkeit, einsehen zu lernen, woran es denn liege, 1) dass die Doppelrichtung unsers Denkens, der Vernunft auf die übersinnliche und des Verstandes auf die sinnliche S e i t e der Welt, vielmehr die Eine Welt in zwei Welten, in eine übersinnliche und in eine sinnliche scheidet, und dass 2) beide, Vernunft und Verstand, gerade wenn sie mit unbestechlicher Energie einander das Gleichgewicht halten, überall, wo sie in der gleichen Idee zusammentreffen, zunächst in eine Antinomie auslaufen. Es liegt einzig und allein daran, dass die Vernunft ihre denknothwendigen Ideen doch immer noch in v o r s t e l l u n g s m ä s s i g e r , a b s t r a c t - s i n n l i c h e r , von der dinglichen, raum-zeitlichen Existenzweise hergenommener Seinsweise f h i r t und in dieser Gestalt dem Verstände zur begrifflichen Fassung übermittelt. Da muss der Verstand, wenn er unbestechlich seine logische Aufgabe erfüllt, auf ein J a und ein N e i n zugleich ausmünden: auf ein J a für die S u b s t a n z , den Kern der Ideen, das Denknothwendige d a r a n ; auf ein N e i n gegenüber ihrer übersinnlich-sinnlichen F o r m . Muss denn bei K a n t die Idee G o t t e s nicht einzig und allein nur darum vom Verstände für ein sein Gebiet transcendirendes blosses Postulat erklärt werden, weil sie mit ihrem ganzen denknothwendigen Inhalte nicht als ein rein i d e e l l e s Sein gefasst, sondern zugleich als ein e x i s t e n t i e l l e s E i n z e l w e s e n v o r , ü b e r , a u s s e r und n a c h der Welt vorgestellt wird? Muss die Idee der S e e l e bei K a n t nicht einzig und allein nur darum vom Verstände, nachdem die Vernunft sie als denknothwendig aufgewiesen
2. Cap.
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses.
145
hat, doch wieder eigentlich verneint und schliesslich um ihrer Denknothwendigkeit willen nur als ein ihn transcendirendes Postulat festgehalten werden, weil sie mit ihrem ganzen denknothwendigen Inhalte nicht als ein rein i d e e l l e s Sein gefasst, sondern zugleich als eine abstract-sinnlich, räum-zeitlich für sich, getrennt von der Existenz des Leibes existirende „Substanz" vorgestellt wird? Auf was anderes führt sich das abstract dualistische Ergebniss von K a n t ' s Kritik der Beweise füs das Dasein Gottes und für die Unsterblichkeit der Seele zurück? Auf was anderes läuft die Erklärung, dass man vom „Ding an sich" überhaupt nicht sagen könne, weder dass es sinnlich, noch dass es geistig sei, weil es eben unser Bewusstsein transcendire, — auf was anderes läuft diese Erklärung in That und Wahrheit hinaus, als dass diese Idee des Ideellen in der Verstandsabstraction vom Sinnlichen, in seinem E s s e n zgegensatz zu dem mit ihm nur in subsistentieller Einheit gegebenen sinnlichen Sein, eben selbst noch als beides zugleich, als ü b e r s i n n l i c h - s i n n l i c h , das A n - s i c h der Dinge selbst wieder als ein Ding-an-sich vorgestellt wird? Kurz der ganze durchgängige Dualismus bei K a n t wurzelt einzig und allein darin, dass er mit gleicher Mustergültigkeit an den Vernunftideen festgehalten und die Verstandeskritik durchgeführt, dieser aber seine Vernunftideen noch in v o r s t e l l u n g s m ä s s i g e r Form unterstellt hat. Daher kommt es denn auch, dass man K a n t selbst gegenüber auf allen Punkten sich zu einem J a und N e i n zugleich genöthigt sieht. § 47.
So
Bewusstsein
können
die
des Ideellen
beiden Momente
des
Denkprocesses,
als einer Realität und Abstraction des-
selben von seiner in aller Wirklichkeit subsistentiellen Einheit mit sinnlichem Dasein, V e r n u n f t - t h ä t i g k e i t und V e r s t a n d e s - t h ä t i g k e i t , g e t r e n n t vollzogen, stellungsmässiges Denken seitig
aneinander vorbeigehn und als Denken
und
auf Bewusstseins-resultate aufheben.
So
wahr
aber
als
bloss
gerathen, das
bloss
vor-
abstrahirendes
die einander
denkende
Ich
eine
gegenreale
i d e e l l e E i n h e i t in s i c h ist und gerade in seiner Selbstbethätigung als Denken sich als solche erweist, sind auch jene beiden Momente seines Denkprocesses, die in ihm, als zugleich sinnlich existirendem Individuum, auch in der sinnlich bedingten Form des äusserlichen N e b e n - und N a c h e i n a n d e r s vorgehn können, erst in ihrer r e a l e n Einheit,
in
ihrem
In-
und
Miteinander
vollzogen,
reines
D e n k e n , d. h. ein seinem Begriffe — Bewusstsein des Ideellen in der Unterscheidung vom Biedermann,
Dogmatik
Sinnlichen — a l l s e i t i g
2. A u f l .
entsprechendes 1 0
14G
I-
Die erkeimtniss-theoretische Grundlage.
§ 48.
Denken; ein Denken, aus welchem die noch sinnlichen Elemente in der Form der geistigen Vorstellung
ausgeschieden,
und
deren
ideeller I n h a l t auch in seiner ideellen, d. h. logischen F o r m Bewusstseins-inhalt ist. § 48.
Unter r e i n e m D e n k e n ist also schlechterdings nicht
ein Denken zu verstehn, das rein aus sich die Formen des objectiven Daseins-processes der Wirklichkeit zum subjectiven Bewusstsein brächte.
Ein solches kommt dem menschlichen Ich, das als
Geist in sinnlicher Einzelexistenz ein materielles Dasein zur Voraussetzung seiner Seins-bestimmtheit und damit zurlnhaltsbegränzung und
zur Formbestimmung
seines
subjectiven Denkprocesses hat,
absolut nicht zu. R e i n e s D e n k e n ist einfach dasjenige Denken, welches vom empirischen Standort
des Subjeotes
aus die ihm hier -als äussere
und innere Wahrnehmung objectiv gegebene und in der Vorstellung subjectiv angeeignete Erfahrung logisch so nimmt, wie sie ihm gegeben ist; welches also 1) das s i n n l i c h
Daseiende nur in. den objectiven F o r m e n
der S i n n l i c h k e i t , die ihm eben damit als seine subjectiven.Ans oh a u n g s - f o r m e n gegeben sind,
und das i d e e l l Seiende nur in
den objectiven F o r m e n des i d e e l l e n Seins, die ihm eben damit als seine subjectiven V e r s t ä n d e s - f o r m e n gegeben sind, fasst und wieder giebt; 2) durch Verstandesanalyse der Wirklichkeit das Ideelle vom sinnlich Daseienden,
an
dem es ihm gegeben ist, logisch
richtig
als i d e e l l e R e a l i t ä t abstrahirt und als solche durchführt, und 3) das I n - u n d M i t e i n a n d e r von ideellem und materiellem Sein an aller Bewusstseins-objectivität in demjenigen Verhältnisse
logischen
fasst, in welchem beides die constituirenden Mo-
mente der subsistentiell einheitlichen Wirklichkeit sind, wie diese allein unserm Bewusstsein gegeben ist. 1.
Nach dem bisher Ausgeführten darf ich nun doch wohl erwarten,
dass, wenn ich von „ r e i n e m
D e n k e n " rede, und es für die Aufgabe
unsrer wie jeder "Wissenschaft erkläre, den empirischen Stoff, der ihr gegeben i s t , durch „reines Denken" zu verarbeiten, niemand
mehr schon
um des gleichen Wortes willen dies Unternehmen mit dem Unterfangen
2. Cap.
des H e g e l ' s c h e n in
„reinen Denkens", die Welt aus sich heranszuspinnen,
Eine Schablone zusammen
nehme.
Ich
hatte
schon
bei der ersten
Durchführung, da ich die gegenwärtige Auseinandersetzung niss-theoretischen derartige
Standpunktes
kritiklose,
nicht erwartet. sophie
durch
147
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses.
auf
noch
blosse Stichwörter
Ich hatte
des erkennt-
nicht vorausgeschickt
hatte,
geglaubt, jeder in der Geschichte
eigenes Studium
eine
hin urtheilende Auffassung
einigermassen
der Philo-
selbstständig
bewanderte
Leser werde den durchgängigen Unterschied ja schon auf den ersten Blick erkennen. gebracht.
Ich
hatte
die Macht der Schablone zu wenig in
Anschlag
Nun aber hoffe ich doch, der gedankenlosen Subsumtion meines
„reinen Denkens" unter das von der Wissenschaft als principiell unmöglich
verurtheilte H e g e l ' s c h e
haben,
„reine Denken"
und vollends im weitern
genugsam vorgebeugt zu
durch die kurze Begründung von Auf-
gabe, Gang und Ziel der Metaphysik dieses „reinen Denkens" ihr den Riegel zu schieben.
Ich verwahre mich nicht blos gegen die H e g e l ' s c h e Logik
in der gnostischen
Auffassung, als wolle sie eine a prioristische
deduction sein, wozu die Redeweise von Gegnern sie gemacht hat.
von Nachbetern,
aber
Ich verwerfe sie auch in
lichen Sinn, den ich in dem § angegeben,
Welt-
noch
mehr
ihrem eigent-
als ob das denkende Subject,
unser Ich, mit seinem subjectiven Denken sich so aus sich selbst in das Wesen des logischen Seins versetzen könne, dass die logische Natur des ideellen weltschöpferischen Principes in ihm die Wiederholung dieses Weltprocesses als Denkprocess zu Wege zu bringen vermöchte. 2.
Warum ich aber gleichwohl denselben Ausdruck „reines Denken"
brauche, wodurch ich doch zu der abgelehnten Identification Anlass gebe ? Für's erste einfach darum, weil, einmal von H e g e l der Ausdruck
„reines"
Denken doch die
für dasjenige Denken ist, welches
ganz
abgesehn,
ganz zutreffende Bezeichnung
dem Begriffe des Denkens, von dem
hier überall allein die Rede ist, des Denkens als menschlichen Bewusstseinsactes in der Unterscheidung vom Wahrnehmen und Vorstellen, nach allen seinen Momenten entspricht, und nichts mehr in sich enthält,
was
seinem Begriff im Unterschiede vom Vorstellen widerspricht, ein Denken, welches nicht blos das ideell Seiende s.innlich
Seienden,
schauungsform
sondern
es
auch
als ein Reales unterscheidet vom in
der
von
aller
sinnlichen
An-
abstrahirten rein logischen Form, in der dasselbe unserm
Bewusstsein allein gegeben ist, fasst, — noch ganz vorbehalten, wie weit dies reiche.
Ist dies nicht der einfache Begriff von „reinem" Denken:
ein Denken, welches den ganzen Process, der den Begriff ausmacht, vollzieht? druck,
der nun einmal
stimmten
Werth
des
Denkens
Nun ist es aber freilich immer riskirt, einen Ausin
der Geschichte
den Stempel
für
einen
be-
erhalten hat, für einen andern Werth in Anspruch zu
nehmen, auch wenn
man
damit im
vollen
Recht
ist;- doppelt
10*
riskirt,
148
I-
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§§ 48. 49.
wenn der andere "Werth noch seinen Schatten in die Gegenwart wirft. Da heisst es denn eben nur allzu leicht: mitgefangen, mitgehangen! 3. Gleichwohl habe ich mich nicht nur für berechtigt sondern auch für verpflichtet gehalten, den gleichen Ausdruck für das Princip meines theoretischen Verfahrens zu brauchen, wie H e g e l für das seine, weil ich allerdings auch den wesentlichen innern Zusammenhang mit demselben nicht habe verläugnen, sondern umgekehrt gerade betonen wollen. Ich habe nie verläugnet, dass ich den Ausgang meines Denkens von H e g e l aus genommen h a b e , aber auch n i e , dass ich vom gleichen Ausgangspunkt aus — die S u b s t a n z d e s G e i s t e s i s t l o g i s c h e s S e i n — einen andern Weg gegangen bin. Ich habe mich darum auch nie als orthodoxen H e g e l - a u s l e g e r geltend machen wollen. Wenn auf entscheidenden Punkten der Religionsphilosophie und der Dogmatik competente Beurtheiler erklärt haben, dass ich Andern gegenüber die richtige Consequenz des l l e g e l ' s c h e n Begriffes der Sache vollzogen: so hätte ich selbst zwar dies nie geltend machen m ö g e n ; allein dergleichen Urtheile haben mich doch in meiner Privatüberzeugung bestärkt, dass bei aller Verwerfung von H e g e l ' s M e t h o d e und allem was direct damit zusammenhängt, doch der eigentliche Grundgedanke seiner ganzen Philosophie auch das leitende Princip meines Denkens sei. Wodurch anders hat H e g e l auf sein „reines Denken" kommen können, als dadurch, dass er sowohl K a n t ' s abstractem Dualismus als S c h e l l i n g ' s intellectueller Anschauung gegenüber das W e s e n d e s I d e e l l e n , die S u b s t a n z d e s G e i s t e s ' ) , als reinen Gegensatz zum sinnlichen Dasein und zugleich als zwecksetzendes Princip aller Wirklichkeit, in das l o g i s c h e , nur in logische Kategorien zu fassende Sein setzte? Damit wollte H e g e l ja nicht das ganze Geistesleben des Menschen abstract intellectualistisch in subjective D e n k - processe resorbiren. Er wollte damit nur festgehalten wissen, dass der geistige Inhalt all unsers concreten Geisteslebens auf seinen logischen Ausdruck zu bringen sei, wenn wir seinen Wahrheitskern finden wollen, — ganz unbeschadet der unmittelbaren Form, in welcher alle psychischen Vorgänge unsers innern Lebens sich vollziehn. Fühlen ist etwas anderes als Denken; allein was wahr ist an unsern Gefühlen, das ist auch in Gedanken auszudrücken und jedenfalls in der Wissenschaft nur in dieser. Gestalt geltend zu machen. ') W o ich etwa der Kürze wegen den logisch zulässigen Ausdruck „ S u b s t a n z d e s G e i s t e s " brauche zur Bezeichnung dessen, was das W e s e n des tieist-«eins ausmache, hinter dem dann nicht noch etwas Anderes als die eigentliche Substanz zu suchen sei, aus der der Geist bestehe, so verbitte ich mir für ein und alle Mal die weitere pantheistische Auslegung, als wollte ich damit den Geist als die allgemeine Substanz bezeichnen, von welcher der einzelne Geist nur eine Erscheiuungs-forui, ein modus wäre.
2. Cap.
Der psychologische Gang des Erkenntnissprocesses.
149
Dies nahm ich als den eigentlichen Kern von H e g e l ' s „reinem Denken" in mich auf. Allein unser snbjective Denkprocess, der geht nun von unten auf: unser Ich, das c o n c r e t e Denksubject, kann und soll j a nicht aus seiner natürlichen Bestimmtheit hinaus und sich als r e i n e s Denksubject gebehrden wollen. Sein Bewusstseinsprocess geht in der vorbeschriebenen Weise vor sich. Die höchste Stufe desselben ist das reine Denken nur in dem Sinn, dass darin alles, was zum Begriff des Denkens gehört — Bewusstsein des Ideellen in der subjectiven Unterscheidung vom Sinnlichen, mit seinen beiden Momenten, Vernunftthätigkeit und Verstandesthätigkeit — vollständig und einheitlich vollzogen, das Idee'lle von der Erfahrungswelt richtig abstrahirt und als solches auch logisch richtig gefasst wird. Dies, nicht mehr und nicht minder, bedeutet mir der Begriff „reines Denken". Aber so verschieden derselbe von dem des reinen Denkens bei H e g e l ist, so hat er doch mit diesem die gleiche Wurzel.
§ 49. Was durch den Process des reinen Denkens Erkenntniss werden kann, ist 1) die von allem realen Inhalt abstrahirte r e i n e F o r m des sinnlichen und des geistigen Seins selbst — das Object der Mat h e m a t i k und der L o g i k ; 2) die aus den zur Erfahrung gesammelten Einzel-wahrnehmungen der äussern und innern Welt logisch zu abstrahirenden a l l g e m e i n e n B e g r i f f e und G e s e t z e , aus welchen das Verständniss des in seiner Einzelerscheinung Wahrgenommenen sich ergiebt, — das Object aller e m p i r i s c h e n Wissenschaften, in successiver Erweiterung nach dem Maasse der Erweiterung des Erfahrungskreises, und 3) der aus dem V e r h ä l t n i s s der beiden constituirenden Momente ideellen und materiellen Seins in allem Erfahrungs-inhalt logisch zu erschliessende G r u n d der gesammten Erfahrungswelt — das Object der M e t a p h y s i k .
Drittes Capitel.
Die
Metaphysik.
§ 5 0 . Die Frage nach dem letzten einheitlichen Grunde für die Gesammtheit der Erfahrungswelt ist auch die letzte Frage des Denkens auf allen seinen Stufen, und daher die Metaphysik, die Wissenschaft, welche diese Frage methodisch an die Hand nimmt, auf jeder Stufe der zusammenfassende Abschluss seiner Weltanschauung. Der Charakter jeder Stufe des Denkens prägt sich darum auch am reinsten im Charakter ihrer Metaphysik aus. § 51. Das Hauptproblem, auf dessen Lösung alle Metaphysik hinzielt, liegt in der Frage: wie ist der einheitliche Grund der Welt zu denken auf Grund der aus der Erfahrung geschöpften Erkenntniss des V e r h ä l t n i s s e s , in welchem ideelles und materielles Sein in allem, was unserm Bewusstsein gegeben ist, in allem also was fiir uns die Welt ausmacht, zu einander stehn? Denn den letzten, alles unter sich begreifenden Grund des Welt-daseins können wir nur als ein Sein denken, in welchem dieses durch das gesammte Welt-dasein durchgehende und den Welt-process constituirende Verhältniss seine Begründung findet. § 52. Es ist natürlich,, dass das Denken bei dieser Frage entweder von der u n t e r n , oder von der o b e r n Grenze seiner jeweiligen Erfahrungswelt ausgeht: entweder von dem Verhältniss, in welchem sich ihm ideelles und materielles Sein in der N a t u r g r u n d l a g e seiner Erfahrungswelt darstellt; oder vom S e l b s t b e w u s s t s e i n d e s G e i s t e s aus, der sich selbst als ein ideelles Reales von der sinnlichen Realität unterscheidet. Von jedem dieser
3. Cap.
Die Metaphysik.
151
beiden Ausgangspunkte aus liegt, sobald derselbe isolirt genommen wird, die Gefahr nahe, die Frage nach dem durch das G a n z e der W e l t durchgehenden Verhältniss, wie
es
doch in der Frage nach
dem Grunde des Weltganzen gesucht werden muss, in einer Weise zu beantworten, welche der vom andern Ausgangspunkt den Antwort widerspricht.
ausgehen-
Beim Ausgang von der u n t e r n Grenze
liegt dem Denken die Gefahr näher, das Moment der s u b s i s t e n t i e l l e n E i n h e i t des Ideellen und Materiellen an a l l ' u n s e r m Bewusstseinsinhalt einseitig seiner Metaphysik zu Grunde zu legen und daher diese
abstract-monistisch
durchzuführen;
beim Ausgang
der o b e r n Grenze dagegen das Moment des e s s e n t i e l l e n s a t z e s einseitig zur Durchführung einer
von
Gegen-
concret-dualistischen
M e t a p h y s i k zu verwenden. 1 ) J e umfassender aber die Metaphysik ihre Aufgabe nimmt und je
consequenter
sucht,
sie dieselbe in ihrem ganzen Umfange zu lösen
desto mehr wird
eine durchgängig h o m o g e n e Auffassung
des Verhältnisses beider Momente im substantiellen Seins-bestand aller einzelnen Welt-existenzen ihren einheitlich zusammenfassenden Ausdruck finden in der Fassung des absoluten Grundes der Welt und seines Verhältnisses zur Gesammtheit des Welt-daseins:
Gott
und Welt. I m m e r aber wird die metaphysische Auffassung des Wesens des Welt-grundes und seines Verhältnisses zur Welt-existenz ihren Gesammt-character
am unmittelbarsten zum Ausdruck bringen in
ihrer Auffassung des Mikroskomus, des Verhältnisses von Leib und Seele, als des Wesensbestandes des Menschen. § 53.
Das v o r s t e l l e n d e D e n k e n
fasst, als D e n k e n ,
das
ideelle Moment in allem Bewusstseins-inhalt als etwas R e a l e s in der
subjectiven
vorstellendes,
Unterscheidung vom
materiellen Sein;
aber, als
fasst es dasselbe, um es als real zu haben, in
einer von der Erfahrungswelt abstrahirten sinnlichen Form, als ein „ ü b e r s i n n l i c h e s " Reales.
Darum fasst es auch in seiner Meta-
physik den Grund der Erfahrungswelt in seinem Unterschiede von dieser selbst als eine ü b e r n a t ü r l i c h e W e l t jenseits der Erfahrungswelt. ') Vgl. L i p s i u s , Dogm. Beiträge S. 164.
152
I- Biß erkenntniss-theoretische Grundlage. §§ 53—56.
Geht es dabei von der u n t e r n Grenze, d e r N a t u r w e l t , aus, von den m a t e r i e l l e n Existenzen mit den in deren Zusammensein sich manifestirenden K r ä f t e n : so fasst es den Grund der Erscheinungswelt in der Form m y t h o l o g i s i r e n d e r P e r s o n i f i c a t i o n der unsichtbaren Naturkräfte. Geht es dabei von der o b e r n Grenze, dem eigenen Ich aus, das sich selbst als ein geistiges Reales von der Sinnenwelt unterscheidet und selbstbewusst sie als Mittel und Organ für seinen Selbstzweck behandelt: so fasst es den absoluten Grund der Erscheinungswelt als g e i s t i g e P e r s ö n l i c h k e i t und deren Grundsein für dieselbe nach Analogie menschlicher Geistesthätigkeit. Die a l t - k i r c h l i c h e G l a u b e n s l e h r e , die dabei von den reichsten Erfahrungen des religiösen Lebens ausgegangen ist, hat die Metaphysik des vorstellenden Denkens zum tief- und scharfsinnigstem System ausgeprägt.
§ 54. Das v e r s t ä n d i g e D e n k e n , als Thätigkeit des V e r s t a n d e s , von seinem concreten Bewusstseins-inhalte das Ideelle durch logische Operationen als seine subjective Gedankenform desselben zu abstrahiren, beschränkt sich eben damit für sein Erkennen auf das Gebiet seines concreten Stoffes, auf die E r f a h r u n g s w e l t . Als D e n k e n aber anerkennt es das Object der Metaphysik, das Postulat eines Realgrundes für die gesammte Erfahrungswelt. Allein so wie der Verstand dieses nach Analogie der ihm bekannten Realitäten der Erfahrungswelt fassen will, stösst er auf eine Antinomie zwischen dem rein ideellen Inhalte desselben als Vernunftpostulat und seiner dinglichen Auffassung. Er prägt daher diesen Zwiespalt zur k r i t i s c h e n Metaphysik einer a b s t r a c t - d u a l i s t i s c h e n Weltanschauung aus, welche die allein der Verstandeserkenntniss zugängliche Erfahrungswelt und das positive, aber, weil bewusstseins-transcendent, a b s t r a c t e Postulat eines Grundes derselben kritisch auseinander hält. Diese Grundform von Metaphysik hat ihren classischen Ausdruck in K a n t ' s Kriticismus.
§ 55. So wie aber in diesem abstracten Dualismus von Vernunft und Verstand im Denken die V e r n u n f t - i d e e dadurch, dass sie in der Erfahrungswelt selbst einen positiven Anhalt findet, die
3. Cap.
Die Metaphysik.
158
vom Verstände gezogene Schranke durchbricht, fängt der abstracto Dualismus der kritischen Metaphysik wieder an ein c o n c r e t e r zu werden; d, h. das reine X des postulirten Weltgrundes und seiner Weltbegründung gewinnt wieder die Gestalt und Farbe einer übersinnlich-sinnlichen Vorstellung. Besteht dagegen der V e r s t a n d darauf, dass nur das Ich selbst jenes Postulat subjectiv von der Erfahrungswelt abstrahirt habe: so mündet er mit Negation eines r e a l e n Gegensatzes von sinnlicher Erfahrungswelt und übersinnlichem Grunde derselben und mit Resorbtion des einen Gliedes dieses Gegensatzes in das andere in eine a b s t r a c t - m o n i s t i s c h e Metaphysik aus, welche beide in dem Sinn als substantiell Eins nimmt, dass sie das eine oder das andere, das im Ich gegebene ideelle Sein oder das in der sinnlichen Erfahrungswelt gegebene materielle Sein, als I d e e oder als M a t e r i e , zur S u b s t a n z der Welt, und das andere, und damit die Gesammtheit der Welt, nur zu einer A e u s s e r u n g s w e i s e derselben macht, — als i d e a l i s t i s c h e r oder als m a t e r i a l i s t i s c h e r M o n i s m u s . Das E r s t e r e findet statt in jeder Art von S u p r a n a t u r a l i s m u s , der das von K a n t der Erkenntniss entrückte Gebiet des Jenseits für die positive Speculation des „Glaubens" in Beschlag nimmt; das A n d r e dagegen einerseits in der Speculation des a b s o l u t e n I d e a l i s m u s , die in H e g e l ihren vollendeten Ausdruck gefunden hat, andererseits im M a t e r i a l i s m u s , der bei all' seiner Verachtung der Speculation selbst doch nichts anderes als Speculation und zwar absolut dogmatistische Speculation ist.
§ 56. Der i d e a l i s t i s c h e M o n i s m u s ist v e r n ü n f t i g e Metaphysik, indem er vom ideellen Momente der Erfahrungswelt aus den Gedanken eines ideellen Grundes derselben logisch durchführt; allein ohne die nüchterne Verstandes-unterscheidung des ideellen und des materiellen Momentes in ihrem realen Essenzgegensatze steigert er den Gedanken eines ideellen G r u n d e s der Welt dichtend zu dem einer ideellen S u b s t a n z derselben und erhält dadurch einen p a n t h e i s t i s c h e n Grundcharakter. Die Vorstellung nennt kurzweg jede Weltanschauung P a n t h e i s m u s , welche den Grund der Welt nicht in übersinnlich-sinnlicher Anschauungsform fasst Wenn sie sich auch in ihrer wissenschaftlichen Läuterung
154
I-
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§§ 5 7 . 5 8 . 5 9 .
der geistigen Fassung, die ihr doch vorschwebt, annähert, — vor dem letzten Schritt einer consequent durchgeführten Abstreifung jeder mythologisirenden Anschauung schrickt sie zurück; das kommt ihr als Pantheismus vor. Dass sie aber von Pantheismus nichts wissen will, daran hat sie instinetiv ganz Recht. Allein das exaete Kriterium des wirklichen Pantheismus ist einzig und allein dies, dass G r u n d der Welt und S u b s t a n z der Welt e s s e n t i e l l i d e n t i f i c i r t werden. Und zwar kommt nur einem idealistischen Monismus der Name Pantheismus mit Recht z u ; ein materialistischer ist schon nicht mehr Pantheismus, sondern nur noch Atheismus zu nennen.
§ 57. Der m a t e r i a l i s t i s c h e M o n i s m u s dagegen ist eine v e r n u n f t l o s e V e r s t ä n d e s - m e t a p h y s i k , welche von der subsistentiellen Einheit des ideellen und des materiellen Momentes im Natur-daseio aus die Frage nach dem Grunde der Welt einfach mit der Thatsache ihrer sinnlichen Existenz, also gar nicht beantwortet, und zwar so, dass er damit der Thatsache von Zweck-realisirung schon in der N a t u r weit ihren innern Grund abspricht, und vollends die Frage nach dem Grunde der g e i s t i g e n Welt, des Geistes als eines realen ideellen Subjectes, und seines Lebens als der Realisirung eines ideellen Zweckes mit der dogmatistischen Läugnung der Thatsache selbst beantwortet. Gleichwohl ist auch der materialistische Monismus Metaphysik, indem er mit der Frage nach dem Grunde der Erfahrungswelt hinter diese auf die der Erfahrung nicht gegebene Materie an sich als blos vorausgesetzte Substanz des Universum's zurückgeht. § 58. Der r e i n e R e a l i s m u s in der Erkenntniss-theorie sieht sich durch seine Anerkennung der Doppel-grundthatsache all' unsers Bewusstseins-inhaltes — alles, was uns als unsere wirkliche Welt gegeben ist, ist uns als subsistentielle Einheit der beiden essentiell entgegengesetzten Seins-weisen ideellen und materiellen Seins gegeben — vor das Problem einer c o n c r e t - m o n i s t i s c h e n Metaphysik gestellt, welche auch den G r u n d der Welt iu demjenigen Verhältnisse zum W e s e n s - b e s t a n d und G a n g der Welt fasst, welches denknothwendig sich aus diesem Grundbestande der Welt ergiebt. Einer m o n i s t i s c h e n :
wie in allen einzelnen Welt-existenzeq
3. Cap.
Die Metaphysik.
155
ideelles und materielles Sein zusammen das e i n h e i t l i c h e substantielle Sein derselben bilden: so muss auch der Grund der Weltexistenz überhaupt mit ihr nur E i n e S u b s i s t e n z bilden. . Aber einer c o n c r e t - , nicht abstract-monistischen: in dieser S u b s i s t e n z - e i n h e i t des Grundes der Welt mit der Welt selbst darf der reale E s s e n z - g e g e n s a t z des ideellen und materiellen Momentes in allem Welt-dasein nicht aufgehoben gedacht werden, weder durch einfache Negation der Realität des einen oder des andern, noch durch eine Resorbtion der einen Seins-weise in die andere; sondern er muss im Verhältniss des absoluten G r u n d e s der Welt zur Welt s e l b s t , als Summe alles Existirenden, also zur S u b s t a n z der Welt als Welt, so real vorhanden gefasst weiden, wie in der Subsistenz jeder Welt-existenz. Dass dieser c o n c r e t e M o n i s m u s nicht doch nur wieder in D u a l i s m u s umbiege, davor kann ihn nur bewahren, dass ideelles und materielles Sein nicht wieder als zweierlei f ü r s i c h S u b s i s t i r e n d e s vorgetellt werden; und davor, dass er sich nicht doch in a b s t r a c t e n Monismus aufhebe, kann ihn nur das bewahren, dass beides nicht blos als zweierlei Seins- oder Betrachtungsf o r m e n des G l e i c h e n angeschaut, sondern als die zwei einander essentiell entgegengesetzten constituirenden M o m e n t e Einer substantiellen Einheit gedacht werden; deren Verhältniss als der constituirenden Momente ihrer Einheit ebenfalls von der Erfahrung ihres thatsächlichen Verhältnisses in der unserm Bewusstsein gegebenen Welt-wirklichkeit zu abstrahiren ist. Wir fixiren hier nur das P r o b l e m des c o n c r e t e n M o n i s m u s , vor das sich der reine Realismus in der Erkenntnisstheorie gestellt sieht: die Lösung des Problems wird die Aufgabe der ganzen Durchführung sein.
§ 59. Dies beides durchzuführen, vom Inhalte der Erfahrungswelt die denknothwendige Idee des Verhältnisses seiner beiden essentiellen Momente zu abstrahiren, und diese auf ihren logischen Ausdruck zu bringen — das macht das r e i n e Denken aus. Nur dieses hat die Aussicht, das metaphysische Problem des concreten Monismus wissenschaftlich zu lösen, unter der Voraussetzung, dasa in den empirischen Wissenschaften durch die logische Analyse der Erfahrungswelt das Material dazu, das thatsächliche Verhältniss
156
I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§§ 6 0 — 6 3 .
des ideellen und des materiellen Momentes in derselben auf ihren verschiedenen Stufen, Von der unorganischen Körperwelt bis hinauf zum Leben des Geistes, inductiv gesammelt sei.
Auf dieser e m -
p i r i s c h e n Grundlage vollzieht das reine Denken s p e c u l a t i v denk-nothwendigen Schluss auf
die
den
Idee des Grundes dieser Er-
fahrungswelt, und fasst dessen Verhältniss zu dieser in rein logischer Form und nicht wieder in einer vom Verhältniss von Existenzen der Erfahrungswelt zueinander hergenommenen, also doch wieder sinnlichen Anschauungsform. § 60.
Alle metaphysische Erkenntniss hat aber ihre n a t ü r -
l i c h e G r e n z e daran, dass der Grund der W e l t in seinem Sein für sich und in seinem Grund-sein der Welt nur in a b s t r a e t - l o g i scher
Form
concreten
Inhalt
unsers Denkens sein kann, in jeder von der
Erfahrungswelt
darauf
übertragenen
Rewusstseins-form
aber nur entweder eine b e w u s s t b i l d l i c h e V o r s t e l l u n g ist, oder, wenn eigentlich geuommen, M y t h o l o g i e wird. Uns
ist weder
das
ideelle noch das materielle Sein als ein
Seiendes für sich, sondern beides nur als die beiden Momente der Seins-weise alles Seinden gegeben; auch nicht als ein S e i e n d e s
ihr Wesen lur sich kann also
beschrieben, sondern nur als Seins-
f o r m so bestimmt werden, wie das reine Denken sie von allem concreten Bewusstseins-inhalt abstrahirt. Allein diese S c i n s - f o r m e n des G e i s t - s e i n s und des M a t e r i e seins
sind nicht blos unsere s u b j e c t i v e n
Anschauungs-formen
eines bewusstseins-transcendenten X, sondern die unserm Bewusstsein gegebenen r e a l e n Formen des objectiven Seins der Wirklichkeit
und
als diese denkend von der letztern zu abstrahiren.
dieser Form aus:
das
machen
Erkennen
Mathematik;
das
In
sie all' unser Erkennen der Erfahrungswelt ihrer
abstracten
Erkennen
F o r m — in L o g i k
und
der G e s e t z m ä s s i g k e i t des Welt-
daseins und Welt-verlaufes in allen e m p i r i s c h e n Wissenschaften; das Erkennen des W e l t g r u n d e s
durch Schluss von der Wesens-
bestimmtheit der W e l t a u s — in der M e t a p h y s i k . nothwendige, gewissen
logisch
e x a e t gefasste Schluss von
Prämissen des Weltbestandes
Der
denk-
empirisch
aus auf den Grund der
3. Cap.
157
Die Metaphysik.
W e l t ist metaphysisches W i s s e n vom Grunde der W e l t , wie es nur
überhaupt
ein Wissen
giebt;
es ist aber
auch das
allein
m ö g l i c h e Wissen von i h m ; denn so und n u r so wird er von uns gefasst, wie er in W a h r h e i t für uns ist. Unser Denken hat nicht den Grund der W e l t und den Daseinsprocess der W e i t aus diesem Grunde g o n i s c h zu e r d e n k e n ,
sondern
t h e o g o n i s c h und
kosmo-
aus der thatsächlich gegebenen
Welt, in der es selbst, m i t ihr, seinen Grund hat, als ihre absolute Voraussetzung zu e r g r ü n d e n . Das auf diesem Wege denkend Gefundene ist die
constitu-
t i v e Erkenntniss der Metaphysik, für alle Erfahrungs-wissenschaften aber r e g u l a t i v e § 61.
Jedes
Erkenntniss. Ueberschreiten-wollen
dieser
natürlichen
Grenze des metaphysischen Wissens, als eines rein logischen, wird wieder vorstellungs-mässige metaphysische M y t h o l o g i e
einer in-
tellectuellen Anschauung. § 62.
Jede willkürliche S e l b s t b e s c h r ä n k u n g
dagegen
ein Nicht-wissen-können von dem doch als denknothwendig
auf aner-
kannten absoluten Grunde der Erfahrungswelt ist nur die natürliche Folge des Selbstbetruges, sich
im
gleichen Athemzuge den
abso-
luten Widerspruch zuzumuthen, den immanenten Grund der Dinge zu d e n k e n und ihn zugleich doch als Ding, aber seins-transcendent den Dingen gegenüber, v o r z u s t e l l e n . möglichkeit verzichtet
man
natürlich
Vor dieser absoluten
Un-
lieber auf die Möglichkeit,
irgend etwas vom Grunde der W e l t zu wissen:
man
erklärt
ihn
daher für bewusstseins-transcendent, während doch die Denknothwo.ndigkeit
seines
Postulates
als
bewussteins-immanent
festge-
halten wird. Behauptung der Bewusstseins-transcendenz
des
der Erfahrungswelt immanent wirkenden Weltgrundes — und
§ 63.
Diese
nur
als dies ist er überhaupt Object für die Metaphysik — hat aber nur dann einen Grund, wenn schon die Seins-formen wusstsein
gegebenen Erfahrungswelt als
wusstsein
liegende
anerkannt werden,
bloss deren
der
unserm Be-
s u b j e c t i v im Beobjective
Gültigkeit
bewusstseins-transcendent sei, d. h. bei p r i n c i p i e l l e r S k e p s i s an
158
I-
erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 64.65.66.
aller Erkennbarkeit objectiver Wahrheit. Entweder ist daher vom absoluten Grunde der Welt s a m m t der Welt nichts objectiv Gültiges zu wissen möglich; oder aber von der Welt s a m m t ihrem absoluten Grund ist von jedem seine Seins-form, von der Welt die concrete Existenz-form und von ihrem Grunde seine logische Form, zu erkennen möglich. Die Scheidung des Universums (der Welt und ihres Grandes) in eine erkennbare Sinnenwelt und in eine bewusstseins-transcendente „übersinnliche" Welt ist. das Erzeugniss der Schwebe in dem abstracten Dualismus zwischen consequenter Verstandes-kritik aller Vorstellungen und der Vernunft-forderung in vorstellungsmässiger Form. § 64. So anerkennt die rein denkend verfahrende Metaphysik K a n t ' s extensive Grenzbestimmung des menschlichen Erkenntnissvermögens auf die Erfahrungswelt, für deren concreten Wissensinhalt die Metaphysik nur r e g u l a t i v e Ideen, d. h. rein ideelle Formbestimmungen aufzustellen hat; allein mit dem essentiellen Unterschiede, dass sie die Seins-formen des ideellen und des materiellen Seins unsrer Erfahrungswelt nicht blos als subjectiv gültige Formen ihrer Erscheinung für uns, sondern auch als die objectiven Seinsformen der „Dinge an sich" geltend macht, und damit vom Realprincipe der Welt nicht zu sagen braucht, was für ein Sein ihm eigne, das können wir von unsern blos subjectiv gültigen Denkformen aus nicht sagen, weil es etwas für dieselben Transcendentes, also uns überhaupt Bewusstseins-transcendentes sei. Vielmehr schliesst das reine Denken von der Erkenntniss der Erfahrungswelt aus mit logischer Gewissheit auf das, was denknothwendig vom Grunde der Welt auszusagen sei. Die für die Erkenntniss der Erfahrungswelt nur regulativen Ideen der Vernunft bilden für die Metaphysik die c o n s t i t u t i v e n Begriffe, sobald sie in exact logischer Form gefasst und nicht blos in Vorstellungen ausgedrückt sind. § 65. Das Nicht-wissen-können der Kantischen Erkenntnisstheorie vom objectiven Was? und Wie? des Objectes der Metaphysik hat zur unausweichlichen Folge, dass auf dieses N o n - l i q u e t des Wie? hin einerseits das reale Sein desselben erst der Skepsis
3. Cap.
Die Metaphysik.
159
eines Non-liquet, ob o d e r n i c h t ? und schliesslich der Reduction auf eine bloss s u b j e c t i v e Vorstellung verfällt, andererseits aber ein der nüchternen Zucht des Verstandes sich entziehendes Phantasmen zuerst das für bewusstseins-transcendent erklärte metaphysische Gebiet wieder mit seinen Gebilden besetzt, nachgerade dann aber mit denselben doch wieder auch in das von K a n t der autonomen Verstandes-erkenntniss zugetheilte Gebiet der Erfahrungswelt, wenn auch nur stellenweise, eindringt. So wenig beides — jene S k e p s i s und N e g a t i o n und diese M y t h o l o g i e — im Sinne K a n t ' s und in der Consequenz seines Standpunktes liegt, so ist diesem durch jenes Non-liquet doch der Nerv der Opposition gegen diese falsche Ausdeutung und Ausbeutung jenes Nicht-wissen-könnens durchschnitten. Das reine Denken dagegen scheidet jenes Kantische Non-liquet in ein entschiedenes J a für die l o g i s c h e , und in ein ebenso entschiedenes N e i n für die s i n n l i c h e Fassung des metaphysischen Grundes der Erscheinungswelt. Es ist daher auf der einen Seite s c h n e i d i g e r n e g a t i v , indem es jede nach Analogie des raumzeitlichen Momentes au der Existenzweise geistiger Realitäten der Erfahrungswelt gebildete Aussage als solche für die Seins-form des absoluten Grundes der Welt negirt und nur als Bild gelten lässt; auf der andern Seite aber ist es auch p o s i t i v f r u c h t b a r e r , indem es in allen Vorstellungen den .Kern metaphysischer Wahrheit in logischer Form fixirt. § 66. Die Bestreitung der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit des reinen Denkens in der Metaphysik geht — abgesehn von der völlig blinden Verwechslung des reinen Denkens, von dem hier ¡iberall allein die Rede ist, mit dem reinen Denken H e g e l ' s — zunächst darauf, dass auch dieses Denken nicht möglich sei, dass es nicht leisten könne was es leisten wolle; dann aber weiter darauf, dass auch das, was es etwa zu leisten vermöge, an das Object der Metaphysik doch nicht hinanreiche und daher keinen Anspruch auf den Werth einer wissenschaftlichen Erkenntniss in Beziehung auf das Gebiet derselben habe. Der erstere Einwurf geht doch darauf zurück, dass zwar ein
160
I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
aecidentieller Unterschied von gangspunkt
und
Hegel's
reinem
§ 66. Denken
im Aus-
in der Methode zugestanden, das Princip dieses
„reinen Denkens" aber doch für identisch mit jenem und ihm darum unterstellt wird,
es wolle
genommen,
etwas leisten,
was es
gar nicht leisten will. Der zweite
Einwurf,
dass
es jedenfalls fiir die
Metaphysik
keine wissenschaftliche Erkenntniss zu liefern vermöge, geht zurück auf
den
Gegensatz
einer a b s t r a c t - d u a l i s t i s c h e n
theorie, für die überhaupt transcendentes
ist,
alles Metaphysische ein
gegen die des
reinen
ErkenntnissBewusstseins-
Realismus,
der
die
metaphysische Erkenntniss nicht h i n t e r dem sucht, was dem Bew u ß t s e i n gegeben ist. 1. L i p s i u s hat von meiner Confrontation seiner D o g m a t i k mit der meinigen 1 ) Veranlassung genommen, in seinen „ d o g m a t i s c h e n B e i t r ä g e n " *) den erkenntniss-theoretiscben und metaphysischen Standpunkt meines „reinen Denkens" von seinem n e o - k a n t i s c h e n Standpunkt aus einer eingehenden Kritik unterworfen. Ich war in der Beurtheilung seines Werkes auf diesen Gegensatz nicht direct eingegangen, sondern hatte vor allem unsere fast durchgängige theologische Uebereinstimmung im Positiver, wie im Negativen constatirt, und nur den Rest von Differenz auf den Gegensatz unseres erkenn tniss-theoretisclien Standpunktes zurückgeführt. Den meinigen, den ich in der ersten Gestalt dieses "Werkes nicht weiter begründet, sondern einfach eingeführt, aber in der Verarbeitung des ganzen Stoffes durchgeführt und zwar — wie mir die Anerkennung ziemlich allgemein zu Theil geworden ist — consequent durchgeführt hatte, gedachte ich in einer besonderen erkenntniss-theoretiscben Arbeit zu begründen. Dies ist nun aber im Vorigen gescheht!, und ich nehme unsere Confrontation nun auch in diesem Punkte auf, um das Verhältniss zwischen meinem Standpunkt in der Metaphysik und dem kantischen, resp. neo-kantischen, vollends klar zu legen, und den meinigen gegen schiefe Auffassung von Seite des letztern, namentlich gegen eine unrichtige Subsumtion unter das Princip des H e g e l ' s c h e n Denkens ein für alle Mal sicher zu stellen. L i p s i u s bietet mir hiefür den besten Anhalt. Er hat seinen erkenntniss-theoretischen Standpunkt in der Verarbeitung des gleichen Stoffes, wie ich, durchgeführt; im Resultat ist er. wie gesagt, auf allen wesentlichen Punkten mit mir zusammengetroffen; ') In der P r o t e s t a n t . K i r c h e n z e i t u n g ') D o g m a t i s c h e B e i t r ä g e für protestantische Theologie.
1878.
1878. Nr. 2 — 6 .
Separatabdruck aus den Jahrbüchern
3. Cap.
161
Die Metaphysik.
er hat das K a n t i s c h e Non-liquet nicht, wie das sonst unter den Theologen so oft vorkommt, als Schlupfwinkel für unverzollte Waare benutzt, sondern nur aus erkenntniss-theoretischen Gründen als letzte Spalte offen gelassen. Kurz, er hat nicht dogmatistisch aus theologischen Gründen mein Verfahren beanstandet. Wenn es mir daher gelingen sollte, mich mit ihm auseinander zu setzen, so sollte nach dieser Seite hin wenigstens meine Aufgabe erfüllt sein. 2. L i p s i u s hat mein Princip des „reinen Denkens" natürlich genommen, wie es ihm noch allein vorlag: nicht in seiner Begründung, sondern nur in seiner Anwendung. Wie er (S. 134 ff.) dessen Grundzüge zusammengestellt und schliesslich „etwas von unwillkürlicher Sympathie für die Grossartigkeit eines solchen Systemes" bekannt hat, bin ich selbst über diese Grossartigkeit ordentlich erschrocken: ich hatte etwas so viel B e s c h e i d e n e r e s damit gemeint und in Ausführung gebracht! Auch L i p s i u s , wie weit er auch davon entfernt ist, mit grobem Geistern mich einfach unter H e g e l zu subsumiren und damit, ohne dass .es dann uocli ein weiteres Zeugniss bedurfte, mit diesem in die gleiche Verdammniss zu werfen, — auch L i p s i u s hat eben doch mein „reines Denken" zu sehr als wenigstens im Princip eins mit dem H e g e l ' s genommen, und den Unterschied in der Methode, dass ich nicht aprioristisch vom Gedanken ausgehe, sondern umgekehrt immer erst durch Läuterung der Vorstellung zum Gedanken aufsteige, statt darin einen e s s e n t i e l l e n G e g e n s a t z zu erkennen, doch nur als einen a c c i d e n t i e l l e n U n t e r s c h i e d taxiren zu sollen geglaubt. So oder so methodisch gewonnen, — der „Gedanke" soll bei mir sein und leisten, was bei H e g e l . Allein gerade hierin irrt sich L i p s i u s , und ich kann'wirklich nur den geringeren Theil von Schuld, ihn zu diesem Irrthum verleitet zu haben, auf mich selbst nehmen. Ich könnte — sagt er (S. 139) — „dem Zugeständnisse nicht entrinnen, dass die Unmöglichkeit eines reinen Denkens im He gel'sehen Sinne nicht im Wesen des Denkens an sich, sondern lediglich in unsrer endlichen Beschränktheit, oder in der Naturbestimmtheit unsers Geisteslebens gefunden werden könne". — Nun, ich rede aber j a nur von einem reinen Denken, das unserm Ich, als endlichem Geiste, als Geist auf Basis der Natur zukommt, und von keinem andern. Diese Bedingtheit gehört nicht blos accidentiell sondern essentiell zu meinem reinen Denken, und ein Denken an sich, abgesehn von dieser Bedingtheit, ist vor der Hand etwas wesentlich Anderes, von dem sich jedenfalls erst in zweiter Linie fragen lässt, wie sich denn unser reines Denken, von dem ich allein rede, etwa dazu verhalte. „Dächte man sich einen reinen Geist, so würde derselbe folgerichtig auch ohne sinnliche Wahrnehmung die ganze empirische Wirklichkeit Biedermann,
Do^matik ü. Aufl.
11
162
I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 20.
auf rein begrifflichem Wege erkennen können. E s genügt rein hypothetisch zu behaupten, gäbe es einen reinen Geist als denkendes Subject, so wäre die aprioristische Weltconstruction durch das reine Denken die einem solchen Geiste e i g e n t ü m l i c h e F u n c t i o n . " — N a t ü r l i c h ; j a ich habe die Ueberzeugung, d a s s es einen solchen wirklich giebt, freilich nicht e i n e n (also neben andern), sondern d e n einen, den a b s o l u t e n Geist, mit Einem Worte G o t t , und d a s s wir Gottes Allwissenheit und Allweisheit allenfalls in dieser Form ausdrücken können. — L i p s i u s jedoch s a g t : „ a l s einen solchen reinen Geist stellt sich bekanntlich die vorhegelsche Metaphysik G o t t v o r , — "wogegen B . mit H e g e l darauf d r i n g t , das Absolute nicht als e i n e n Geist, sondern als die Substanz des Geistseins, oder als das, w a s an e i n e m Geiste sein Geist-sein ausmacht, zu d e n k e n . " — H a l t ! hier kann ich L i p s i u s in flagranti der Verwechslung, die ich ihm Schuld geben m u s s , überführen. J a , allerdings dringe ich d a r a u f , Gott nicht als e i n e n Geist zu d e n k e n , d. h. als einen einzelnen neben andern, also, da R a u m und Zeit das Principiurn individuationis sind, als e i n e n , wie übernatürlich immer, raum-zeitlich d. h. sinnlich endlich bestimmten Geist, sondern als den e i n e n , r e i n e n , d. h. a b s o l u t e n Geist, dessen „ E s s e n z " , das Geist-sein, zugleich seine „ S u b s t a n z " ist, d. h. der r e i n G e i s t i s t , während jeder e n d l i c h e Geist eben nicht r e i n - G e i s t , s u b s t a n t i e l l Geist, sondern substantiell eine Einheit geistigen und sinnlichen Seins ist. Aber dass ich Gott darum als „ d i e S u b s t a n z d e s G e i s t - s e i n s " i n den e n d l i c h e n Geistern f a s s t e , als d a s , w a s i n ihnen ihr Geist-sein ausmacht, keine R e d e davon! Davon hätte L i p s i u s sich schon durch die ganze Ausführung meines Gottesbegriffes können überzeugen lassen, die j a nichts anderes als den Gottesbegriff nicht zwar der „vorhegelschen Metaphysik" überhaupt, wohl aber den der consequent durchgeführten altkirchlichen Glaubenslehre rein denkend, d. h. mit kritischer Ausscheidung der ihm dort anhängenden Kehrseite einer sinnlich mythologisirenden Vorstellungsform, durchführen will. Wie ich durch mein reines Denken dazu komme, das Problem des Gottesbegriffes so zu fassen und so durchzuführen, dem habe ich hier nicht vorzugreifen. Genug, das lag L i p s i u s schon bestimmt geuug vor. D a s s er trotzdem meinen Sinn des Geist-seins, des reinen Geist-seins Gottes pantheistisch aufgenommen h a t , das beweist mir nur, d a s s auch er durch die vorgefasste Meinung, mein Priucip unter das H e g e l ' s subsumiren zu m ü s s e n , sich auch zu einer ganz schiefen Idee, was eigentlich der Grund und Sinn meines „reines D e n k e n s " sei, hat verführen lassen. Die hypothetische Annahme „ e i n e s r e i n e n (nicht d e s einen reinen) G e i s t e s " , dem aber doch wesentlich dasselbe reine Denken z u k ä m e , das ich als Forderung an den m e n s c h l i c h e n , endlichen, nicht reinen Geist stelle, diese Annahme ist in meinen Augen
3. Cap.
Die Metaphysik.
ganz dasselbe, wie wenn einer sagen wollte: setzen wir einmal den Fall, ein unendliches Vieleck, d. h. ein Kreis, hätte die Eigenschaften eines Dreiecks, so bliebe die auf die Eigenschaften des Dreiecks gebaute Trigonometrie im wesentlichen sich doch gleich. 3. Dass L i p s i u s mit dem, was er vom Principe des Hegel'schen reinen Denkens einfach auch auf das meinige überträgt, diesem etwas Fremdes a u f b ü r d e t , tritt ferner auch da deutlich hervor, wo er erörtert (S. 138), was nöthig wäre, wenn es eine wissenschaftliche Erkenntniss des Uebersinnlichen geben sollte. „ E r s t e n s muss ein Identitätsverhältniss bestehn zwischen dem Uebersinnlichen, welches dem objectiven Dasein zu Grunde liegt, und dem Uebersinnlichen im denkenden Subjecte u . — Nun ja, das denke ich; und ich glaube kaum, dass auch L i p s i u s dies im Ernste werde in Abrede stellen wollen; er wird höchstens das allgemeine Nichtwissenkönnen vom Uebersinnlichen auch hier vorschieben; aber glauben wird er's vernünftiger Weise doch auch. „ Z w e i t e n s muss dieses Uebersinnliche im Subject eben sein Denken selbst sein, mit welchem es das Uebersinnliche in den Dingen erfasst; dieses letztere muss also, wenn es vom Denken rein und ohne Rest erkannt werden soll, selbst Gedanke sein." — Das Uebersinnliche im Subject ist dessen g a n z e s G e i s t e s l e b e n überhaupt; an diesem haben wir das unbekanntsein-sollende Uebersinnliche in allernächster und bekanntester Nähe, und das Denken speciell soll es nur so, wie es uns selbst gegeben ist, als Realität eines rein ideellen Seins, in der logischen Form des Ideellen fassen und nicht zu einer sinnlichen Realität in dinglicher Form hinter ihm selbst verdichten, um dieses dann allerdings ganz unbekannte Ding sich als die „übersinnliche" Realität des Geistes vorzustellen. Das reine Denken fasst also allerdings das „Uebersinnliche i n den Dingen", indem es dieselben Verstandesformen, in welches es sein eigenes ideelles Sein fasst, auf dieselben anwendet. — „Dies Uebersinnliche in den Dingen muss selbst Gedanke sein, wenn es vom Denken r e i n soll erkannt werben." — Allerdings ist dies meine Meinung, wenn es nur so viel heissen soll: was das Uebersinnliche sei, kann nur in Verstandeskategorien ausgedrückt werden; anders als so kann nur bildlich von ihm geredet werden. — Aber „ohne Rest"? Nun, L i p s i u s weiss gar wohl, was ich mit dem „ R e s t " im Auge hatte, den das Denken nicht übrig lassen solle, während das Nicht-wissenkönnen gern als Vorwand benutzt werde, für einen solchen Rest ein freies Plätzchen offen zu erhalten. Ich meinte damit nichts anderes als den Vorbehalt, sich hinter der geistigen Fassung religiöser Ideen möglicher Weise doch auch noch etwas Sinnliches vorstellen zu dürfen. „ D r i t t e n s muss dieser „Gedanke" in den Dingen -auch wirklich ihr inneres Wesen, ihre eigentliche Substanz sein: das Realprincip alles 11*
104
I.
Daseins
muss
Wieder Halt! doch
sehr
Die erkenntniss-theoretische Grundlage. schlechthin
identisch sein
mit
§ 66.
seinem Idealprincip."
—
Da wird auf meine Rechnung vielerlei identificirt, was ich
auseinander halte.
Daseins identisch
Zwar
dass das
„Realprincip"
sein müsse mit seinem „ I d e a l p r i n c i p " ,
alles
d. h. dass
der absolute Grund alles Daseins ein ideelles Sein haben, absoluter Geist sein müsse, damit hat es allerdings nach meiner Ueberzeugung seine Richtigkeit. Und L i p s i u s selbst glaubt dies ja auch; giebt er doch selber den Weg
an,
auf
dem
„eine solche
ideale Weltanschauung sich legitimirt"
(S. 165), — ' i m Grunde denselben W e g ,
der auch mein reines Denken
darauf führen wird: den W e g der Analyse des Verhältnisses, in welchem ideelles und
materielles
Sein dem
i h m s e l b s t gegeben ist.
menschlichen Ich
zu allernächst an
Allein: „dieses Realprincip alles Daseins, eins
mit seinem Idealprincip", kurz also das i d e e l l e R e a l p r i n c i p , der absolute Grund der Dinge, das L i p s i u s auf meine Rechnung kurzweg den „Gedanken" nennt, — dieser „Gedanke" also soll für mich „das innerste W e s e n , die S u b s t a n z tisch?!
W o setze i c h dieses i d e n -
der Dinge" sein?
Die „Substanz" der Dinge selbst bildet mir ihr ideelles und ihr
materielles Sein in der s u b s i s t e j i t i e l l e n E i n h e i t , in der sie uns gegeben sind.
Und da ist es ja der erste Grundsatz meines reinen Realis-
mus, uns kein X für ein U zu machen, weder das eine in das andere zu resorbiren,
noch in überstiegenen Redensarten eins in's andere zu ver-
wandeln und ihren essentiellen Gegensatz in Eine Essenz, als wäre dies ihre
Substanz, aufzulösen.
absoluten G r u n d e s
Diese
der Dinge
pantheistische
mit
der
Identificirung
Substanz
der
Dinge
des
selbst
liegt meinem reinen Denken völlig fern; das wird ihm auf fremde Rechnung angeschrieben. „Man
sieht leicht
—
schliesst L i p s i u s
—,
dass dies der Stand-
punkt des absoluten Idealismus ist, wie wir denselben kennen."
Ja wohl,
von H e g e l
her
von H e g e l her kennen — und darum einfach von
ihm auf Andere übertragen.
Dass dies der Standpunkt meines Denkens
nicht ist, wird aber nun unzweideutig genug vorliegen, wenn auch früher noch ein Zweifel walten mochte, so dass L i p s i u s sagen konnte (S. 140), er vermöge
sich wenigstens
meine Philosophie nicht anders zu deuten,
als producire der „Gedanke", als die „innerste S u b s t a n z rein durch seine Selbstbetätigung Dinge,
der „Materie",
Raum und Zeit."
auch
Er will
die
reine
Form
Dinge",
ihres Daseinsprocesses in
es dabei unterlassen,
die alte Frage
werfen, wie aus Gedanken Dinge zu entstehen vermögen. der speculative Idealismus diese Frage noch Es ist gut, dass L i p s i u s
der
zugleich mit dem realen Dasein der
diese Frage
niemals
aufzu-
Genug, dass
beantwortet hat."
unterlässt; sonst würde ich
zunächst mit der Gegenfrage antworten, wo ich ihm denn zu dieser Frage Veranlassung gegeben habe?
Doch nicht da, wo ich einfach den
Ge-
3. Cap.
Die Metaphysik.
165
danken der Kirchenlehre von der S c h ö p f u n g aus Nichts durch den "Willen Gottes, ohne mythologisirende Z u t h a t auf seinen rein logischen Ausdruck zu bringen gesucht habe. Ich w ü r d e ihm a b e r auch mit einer zweiten Gegenfrage a n t w o r t e n : wie er selbst denn eigentlich die Idee der S c h ö p f u n g auffasse? Doch auch n i c h t , dass Gott aus Gedanken Dinge m a c h e ? Wenn er sich auch schon als Philosoph hinter das Kantische Nicht-wissenköunen zurückziehen m a g , — mit d e m , was er als Theologe „ g l a u b t " , muss er doch einen b e s t i m m t e n G e d a n k e n verbinden. Dieser aber sollte gar nicht so weit von meinem G e d a n k e n a b l i e g e n ; denn dass ich nicht an „ein E n t s t e h e n der Dinge aus G e d a n k e n " d e n k e , so dass die „ S u b s t a n z " der Dinge Gedanke w ä r e , das wird nun doch wohl unzweideutig g e n u g sein. Gehe ich doch mit meinem Grundsatz — nur nüchtern sich nicht ein X f ü r ein U v o r g e m a c h t ! — noch weiter in der A b l e h n u n g aller metaphysischen V e r w a n d l u n g e n als L i p s i u s selbst, wenn er gegen mich b e m e r k e n zu sollen g l a u b t (S. 1 4 1 ) : „ d a s s man wohl den Begriff des materiellen Stoffes auf den der K r a f t z u r ü c k f ü h r e n k a n n , dass es aber eben so wenig gelingen wird, die „ K r ä f t e " in „ G e d a n k e n " a u f z u lösen, als man die Formen der räumlich-zeitlichen Anschauung auf Formen des Denkens oder auf logische Kategorien als auf das w a h r h a f t Substantielle in ihnen reduciren k a n n " . — Da d e n k e ich nun in der T h a t weder an die erstere „ Z u r f i c k f ü h r u n g " , noch an die zweite „ A u f l ö s u n g " . Wenn auch u n s e r D e n k e n z. B vom Atom schlechterdings nichts a n d e r e s wissen und sagen k a n n , als dass es K r a f t c e n t r u m sei, so ist es als r e a l e s K r a f t c e n t r u m eben doch r ä u m l i c h da, und dies sein Räumlich-sein m a c h t den Begriff der M a t e r i e f ü r uns a u s ; allerdings mehr n i c h t ; allein damit haben wir doch nicht „ d e n Begriff des materiellen Stoffes auf den der K r a f t z u r ü c k g e f ü h r t " . Wir hätten uns damit eben doch n u r ein X f ü r ein U vorgemacht. Wir haben eben auch an den hypothetisch a n g e n o m m e n e n einfachsten E l e m e n t e n des W e l t d a s e i n s , an den Atomen als K r a f t c e n t r e n , weder „Stoff" noch „ K r a f t " als deren S u b s t a n z ; sondern als ihre Substanz haben wir n u r die subsistentielle Einheit eines materiellen und eines ideellen Momentes. Die „ E s s e n z " von beiden können wir n u r in den Anschauungsformen von R a u m und Zeit und in den logischen D e n k f o r m e n ausdrücken ; aber die objectiven Seinsforraen fällt mir nicht ein auf einander reduciren zu wollen. Dass ich hingegen den absoluten G r u n d des W e l t d a s e i n s gerade vom Verhältniss des ideellen und materiellen Seins aus, deren subsistentielle Einheit mir die „ S u b s t a n z " d e r Welt ausmacht, als r e i n geistiges Sein, sein G e i s t - s e i n als seine „ S u b s t a n z " a u f f a s s e , das ist doch e t w a s ganz anderes, als die K r ä f t e in „ G e d a n k e n " auflösen. Dies Letztere t r ä f e n u r auf einen idealistisch pantheistischen Gottesbegriff zu. Einem u n b e f a n g e n e n Denker, wie L i p s i u s , h ä t t e es a b e r schon aus den A u s f ü h r u n g e n , die
166
I-
Die erkenntniss-theoretiscbe Grundlage.
§ 66.
ihm vorlagen, unverkennbar entgegentreten können, dass der Gottesbegriff meiner Metaphysik wesentlich auf Seite des alten kirchlichen Gottesbegriffes steht, mit Ausscheidung natürlich aller mythologisirenden Vorstellung bis auf den letzten „Rest", und nicht auf der Seite einer pantheistischen „Weltsubstanz". Darin hätte er auch sehr einfach den Grund entdecken können, warum wir schliesslich theologisch so zusammenstimmen, bis auf den „Rest", für den er in letzter Instanz noch einen Raum offen lassen will. 4. Eben dieser R e s t ! Dieser weist auf den Punkt, wo nun allerdings die von L i p s i u s aufgestellte Differenz zwischen uns besteht, auch nachdem ich meine Subsumtion unter H e g e l ' s absolut idealistische Metaphysik habe ablehnen müssen , von der er diese Differenz ebenfalls ableitet. Es ist die erkenntniss-theoretische Differenz zwischen seinem K a n t i s c h e n Standpunkte des a b s t r a c t - d u a l i s t i s c h e n transcendentalen Idealismus und dem meines c o n c r e t - m o n i s t i s c h e n reinen Realismus. Zwar gilt diese Differenz nicht in dem Umfange, wie L i p s i u s unter Voraussetzung meiner Subsumtion unter H e g e l sie annimmt; allein immerhin stehe ich hier K a n t - L i p s i u s gegenüber mehr auf der Seite von H e g e l . Wie hätte sonst auch nur der Schein entstehen können, als wäre ich ganz unter ihn zu subsumiren? L i p s i u s grenzt mit K a n t alle uns mögliche Erkenntniss auf die einer „Gesetzmässigkeit" der Erfahrungswelt für uns ein; diese Gesetzmässigkeit fassen wir in unsere Anschauungs- und Denkformen; diese sind in unsrer Organisation begründet, der Grund aber dieser unserer Organisation ist uns „verborgen"; wir können nur „vermuthen" , j a wir werden wohl „genöthigt" sein anzunehmen, das werde mit dem Realprincip der Dinge „in Correspondenz" stehn. Allein dieser Grund ist und bleibt uns ein bewusstseins-transcendenter. Wir können nicht einmal wissen, ob dieser „postulirte transcendentale Einheitsgrund der Welt räumlich oder unräumlich ist, ob er mit dem Inbegriff alles Seins überhaupt, dem Universum, oder der Totalität der lebendigen Kräfte zusammenfällt; oder ob er vielmehr zur objectiven Welt sich ähnlich verhält, wie das transcendentale Ich zu unserer Erscheinungswelt" (S. 164). 5. Dieser H i a t u s nun zwischen der uns bekannten Erscheinungswelt und ihrem absolut unbekannten Grunde, in welchen L i p s i u s alle Metaphysik versenkt, der existirt nun allerdings fiir meinen erkenntnisstheoretischen Realismus nicht. Mir sind unsere Anschauungs- und Denkformen, sammt unserer Organisation, auf der unsere Anwendung derselben beruht, eben die sich uns manifestirenden Formen des objectiven Seins selbst. Was wir daher mit richtiger Anwendung unserer Denkformen auf das in der Erscheinungswelt richtig Aufgefasste weiter schliessen,
3. Cap.
Die Metaphysik.
167
das gilt mir als E r k e n n t n i s s , und z w a r nicht blos meiner E r f a h r u n g s w e l t mit einem u n b e k a n n t e n X von Grund dahinter, sondern als E r k e n n t n i s s a u c h dieses G r u n d e s von der E r s c h e i n u n g s w e l t aus. Dass wir nicht sollen wissen k ö n n e n , ob der Grund der Welt räumlich sei oder nicht, das h a t f ü r mich keinen Sinn m e h r . Es lautet f ü r mich gleichbedeutend mit d e r Erlaubniss, sich über Gott und göttliche Dinge alles Mögliche u n d Unmögliche vorzuphantasiren. Gerade diese A u s d e u t u n g und A u s n u t z u n g der K a n t ' s e h e n B e w u s s t seins-transcendenz des „Uebersinnlichen" ist allerdings d a s , w a s K a n t in so weiten Kreisen zum populärsten u n d beliebtesten Philosophen — aus d e r F e r n e freilich — gemacht hat. „Der Weise von Königsberg h a t uns ein f ü r alle Mal gelehrt, dass wir von der übersinnlichen Welt nichts wissen k ö n n e n : d a r u m mag's ein j e d e r damit halten, von derselben g l a u b e n oder nicht glauben, wie es ihm persönliches B e d ü r f n i s s i s t ; f ü r die Wissenschaft a b e r ist das Nichts-wissen d a r ü b e r das einzige sichere Wissen." So tönt es unisono aus dem Munde von Leuten, die dann die allerentgegengesetzteste N u t z a n w e n d u n g davon machen. L i p s i u s hat, wenigstens f ü r mich, nicht nöthig auf die kritischen S c h r a n k e n a u f m e r k sam zu machen, die K a n t sehr b e s t i m m t dem M i s s b r a u c h dieses Nicht-wissens gesetzt h a b e : ich k e n n e sie gar wohl und a n e r k e n n e sie auch in seinem Sinn. Aber das P r i n c i p dieses N i c h t - w i s s e n s vom ü b e r s i n n l i c h e n G r u n d e der uns allein b e k a n n t e n E r s c h e i n u n g s w e l t a n e r k e n n e ich n i c h t ; und zwar gerade d a r u m nicht, weil ich auf d e r a n d e r n Seite den Anspruch d e r Metaphysik, die B e h a u p t u n g einer wissenschaftlichen E r k e n n t n i s s j e n e s übersinnlichen Grundes, n i c h t s o w e i t a u s d e h n e , wie L i p s i u s mir damit unterlegt, dass er mich einfach u n t e r H e g e l subsumirt. Mein Anspruch auf E r k e n n t n i s s , d e n ich f ü r die Metaphysik geltend m a c h e , ist ein viel b e s c h e i d n e r e r ; a n diesem aber halte ich j e n e m verhängnissvollen Non-liquet g e g e n ü b e r fest. Ich mache unser D e n k e n nicht zur „ S u b s t a n z " der D i n g e ; ich b e g e h e nicht „das npwzov rpivdog j e n e r Bcgriffsdichtungen, welche eine exaete m e t a physische E r k e n n t n i s s des objcctiven Daseins zu bieten verheissen, indem sie die logischen Gesetze unseres D e n k e n s mit den m e t a p h y s i s c h e n Principien der objectiven Welt identificiren" (S. 167). Ich sage e i n f a c h ; in unseren Anschauungs- und D e n k f o r m e n sind uns eben die Seinsformen der objectiven W e l t g e g e b e n ; vom W e s e n dieser sind u n s e r m Bewusstsein n u r diese F o r m e n g e g e b e n ; w a s wir von ihm wissen k ö n n e n , k ö n n e n wir daher auch nur in diesen F o r m e n w i s s e n ; vom W e s e n , d e r Essenz der Materie n u r ihre Seinsform in Raum und Zeit, vom W e s e n des Geistes n u r die logischen F o r m e n des ideellen Seins. Von einer „ S u b s t a n z " der Materie f ü r sich, des Geistes f ü r sich aber wissen w i r nichts; denn sie sind u n s n u n einmal nicht als Substanz f ü r s i c h , sondern in
168
I.
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ 66.
all' unserm Bewusstseinsinhalt nur als die M o m e n t e aller Wirklichkeit gegeben. Wer daher sich bemüssigt sieht darüber hinaus nach deren Wesen an sich" als ihrer innersten „Substanz", so zu sagen nach dem Rohstoff, aus dem Geist und Materie bestehen, zu fragen, der findet keine Antwort darauf; das wissen wir allerdings nicht. Aber dies Nichtwissen giebt nicht die Erlaubniss, nun von ihm zu glauben, was einer m a g , etwa auch das Gegentheil von dem, was wir davon wissen, z. B. vom Geiste, dass er seiner „Substanz" nach doch etwas Dingliches, d. h. seiner Seinsweise nach Räumliches, und von der „Materie", dass sie ihrer „Substanz" nach doch bloss etwas Ideelles sei. Wir wissen von Geist und Materie n u r , was unserm Bewusstsein als ihre Seins weise, als ihre „Essenz", gegeben ist. Wenn wir dann aber von dem aus, in welchem V e r h ä l t n i s s uns beiderlei Seinsweise in unserm gesammten Bewusstseinsinhalte gegeben ist, einen Schljiss ziehen auf den letzten G r u n d unserer in einer subsistentiellen Einheit beider uns gegebenen Welt, so giebt uns dieser Schluss, wenn richtig aus sichern Erfahrungsprämissen gezogen, so sicher eine Erkenntniss, als irgend ein gleicher Schluss innerhalb unserer Erfahrungswelt. Mir besteht die Metaphysik in nichts anderem als gerade in solchen Schlüssen. Ich habe sie in diesem Sinn „ L o g i k d e r P r i n c i p i e n " genannt, d. h. e i n l o g i s c h e s S c h l i e s s e n v o n d e r W e l t a u s a u f i h r e Principien. L i p s i u s wendet dagegen ein, dann müsste ihr Wissen so sicher und allgemein überzeugend sein, wie das der formalen Logik, und doch sei nichts so sehr bestritten und erfreue sich so wenig irgend einer allgemeinen Zustimmung, als gerade die Metaphysik. Er kommt oft auf dieses Argument zurück, und scheint ihm also wohl ein besonderes Gewicht beizulegen. Allein die Metaphysik ist eben nicht einfache, sondern angewandte Logik. Schlüsse sind aber überall nur zwingend, wenn die Prämissen feststehen. Nun sind aber die Prämissen der Metaphysik nichts anderes, als die richtig gefassten Resultate der Einzelwissenschaften. Die Metaphysik ist daher von allen Wissenschaften diejenige, deren Prämissen am allerwenigsten zum voraus allgemein anerkannt sind und daher in gleicher Form für sie verwendet werden. Daraus erklärt sich hinlänglich ihr Mangel an allgemeiner Uebereinstimmung, selbst den Fall gesetzt, dass sie ihre logischen Operationen auch wirklich rein denkend und nicht halbwegs phantasirend vollziehe. Die Mathematik ist j a auch die allersicherste Wissenschaft: und doch können arithmetisch ganz richtig calculirte kaufmännische Speculationen sehr schief ausfallen, wenn eben ihre Prämissen falsch gewesen sind» 6. Meine Metaphysik des reinen Realismus, auch wenn sie auf der Forderung des reinen Denkens besteht, ist unendlich viel bescheidener, als L i p s i u s sie dafür ansieht. Sie anerkennt ihre natürlichen Grenzen:
3. Cap.
Die Metaphysik.
169
es sind in der That dieselben, die K a n t als die Grenzen misrer möglichen Erkenntniss aufgewiesen h a t , die Grenzen unsrer Erfahrungswelt. Der Unterschied ist nur der, dass diese Metaphysik dann nicht doch immer wieder über diese Grenze hinüberschieit, als liege ihr Object eigentlich doch erst dort, aber freilich eben als ein für sie transcendentes, so dass sie sich zu bescheiden habe transcendentale Grenzbestimmung zu sein mit ihrem eigentlichen Objecte jenseits dieser Grenze. Meine Metaphysik gesteht von vornherein zu, „ d a s s wir nicht wissen, weder was das transcendentale Subject, noch was das transcendentale Object des Erkennens in seinem alle Erfahrung selbst erst bedingenden Wesen i s t " (S. 163). Gewiss, es ist nicht zu sagen, was dieses sei. E s ist sogar schwer, wo nicht unmöglich, zu sagen was es bedeuten solle. Denn so wie wir diesen Grenzbegriff fixiren wollen, weicht er hinter die Grenze zurück, — wie der Horizont, wo Himmel und Erde sich zu berühren scheinen, auch wenn wir ihm um die ganze Erde herum nachjagten. Das „transcendentale Subject unserer E r k e n n t n i s s " , d a s «,transcendentale Ich" ? Abgesehn von dem berechtigten Zweifel, ob das Wort „transcendental" für das Bewusstseins-transcendente ganz correct sei — kann das „transcendentale I c h " nichts anderes bedeuten wollen, als das „ D i n g an s i c h " , das meinem phaenomenalen Ich zu Grunde liegt. Des letztern bin ich mir nun selbstbewusst als des Subjectes aller meiner Seelenvorgänge. Wenn aber dieses Selbstbewusstsein nur die subjective Bewusstseinsform sein s o l l , in die wir „unsrer Organisation g e m ä s s " die vom „Ding an s i c h " des transcendentalen Ich aus allein objectiv gegebene Empfindung einfassen, so kann ich von diesem meinem „transcendentalen" Ich allerdings rein nichts wissen, — so wenig als von einem liölzernen Eisen. Denn in der That, ein hölzernes Eisen bleibt mir immer in der' Hand, wenn ich sagen will, was dieses transcendentale Ich eigentlich sein soll. E s ist mein I c h , aber doch wieder n i c h t mein Ich, als das ich mir selbst bewusst b i n : also für dieses ist es ein N i c h t - I c h , ein S u b s t r a t meiner gesammten psychischen Thätigkeiten, aber hinter diesen, als deren S u b j e c t mein phaenomenales Ich sich weiss. Ich bin daher vollständig damit einverstanden, dass wir von jenem „ t r a n s c e n d e n t a l e n " Ich als „transcendentalem" Grund unseres E r f a h r u n g s - I c h nichts wissen, wenn wir uns überhaupt einfallen lassen, nach einem solchen zu fragen. Allein mir fällt eben die F l a g e darnach weg, die doch nur ein Rest der Vorstellung ist, das rein ideelle Sein unseres Geistes, wie er sich als das Subject unseres Geisteslebens unmittelbar selbstbewusst i s t , müsse noch ein anderes Sein als Substrat hinter sich haben, um als reales Subject gelten zu können. Nun j a , dieses andere Sein 'als Substrat hat mein Ich, als e n d l i c h e r Geist, an meinem materiellen Leibe, der als organischer selbst schon ein Individuum ist und als dies eine innere Einheit zum ideellen
I.
170
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ fi6.
Principe hat, mit welchem das phänomenale Ich, als Snbject meines Geisteslebens, substantiell ein und dasselbe Subjcct ist. Hinter meinem Ich, wie es mein ideelles Bewusstseins-lch ist, ein nicht nur natürlich von seinem Leibe, sondern auch von ihm selbst unterschiedenes „transcendentalcs" Ich zu supponiren, das erscheint mir vielmehr als das „Hypostasiren eines feineren Anthropomorphismus", das L i p s i u s mir Schuld giebt, wenn ich uns zumuthe, „die reine Form der Denkthätigkeit ohne denkendes Subject vorzustellen". Ich halte mich an das in dem concreten Subjecte Mensch mir als reales, für mich allerrealstes und allernächstes Bewusstseins-object gegebene Ich, welches das ideelle Subject meines Seelenlebens ist. Daran habe ich allerdings etwas r e i n I d e e l l e s , nicht etwas Dingliches; aber an diesem habe ich die fiir mich höchste R e a l i t ä t , da in ihr sich mir der Z w e c k meines ganzen sinnlich-geistigen Daseins anfschliesst. Was sich daraus fiir ein Schluss auf den letzten Grund alles Daseins ergieht, liegt nicht fern; dies gehört aber noch nicht hierher. Also von unserm „transcendentalen" Ich gestehe ich L i p s i u s gern zu, dass wir nichts wissen; allein mein reiner Realismus veranlasst mich eben gar nicht nach einem solchen zu fragen: er lässt sich genügen an dem, was unserm Bewusstsein gegeben ist, und da habe ich an meinem wirklichen Ich, als einem einerseits r e i n I d e e l l e n , dessen Sein ich darum nur in „reiner Denkform" ausdrücken k a n n , das aber andererseits doch die allerrealste R e a l i t ä t f ü r mich hat, vollständig genug. 7. So bescheidet sich meine Metaphysik allerdings mit den K a n t i s c h e n Grenzen möglicher Erkenntniss: e x t e n s i v nämlich gegenüber der Erkenntniss, welche ein absoluter Idealismus in Anspruch nimmt, wenn er alles Dasein ohne „Rest" in sein Denken einfassen will. Aber int e n s i v allerdings bescheidet sie sich nicht mit dem Maasse von Erkenntniss des „Uebersinnlichen", worauf die blos kritische Metaphysik mit einem wahren Fanatismus für das Nicht-wissen sie einschränken will. Die alte Metaphysik griff in die Luft hinaus nach den Sperlingen auf dem Dach; die Metaphysik des Kriticismus begnügt sich nicht damit, zu sagen: die sind uns transcendent! sie lässt damit auch den Sperling, den sie in der Hand hat, fliegen. „Alles, was wir wissen können, ist die allem Dasein und Denken innewohnende Gesetzmässigkeit." Gewiss ein respectables Ziel; ja das beste Ziel aller empirischen Wissenschaften. Allein giebt es wirklich sonst nichts, das sich als metaphysische Erkenntniss aufschliessen könnte — allerdings nicht h i n t e r , aber doch in jener „Gesetzmässigkeit"? Ist denn „Gesetzmässigkeit ' hüben und das Gesetz selbst und der Grund des Gesetzes "drüben? und sind nicht von jener aus auf dieses sichere Schlüsse zu ziehen? Mehr als dies aber prätendire ich nicht. 8.
So anerkenne ich wohl die
erkenntniss-theoretische
Differenz
3. Cap.
Die Metaphysik.
171
zwischen dem transcendentalen Idealismus von L i p s i n s und meinem Realismus; allein nicht in dem Sinn und Grad, wie L i p s i n s dieselbe geglaubt hat auffassen zu sollen, indem er meine Metaphysik durch eine Brille mit hegelisch gefärbten Gläsern angesehen hat. Nach allem Ausgeführten erwarte ich nun aber nicht, dass er etwa sage, er habe mich eben genommen, wie ich mich gegeben; wenn ich jetzt in meinen Ansprüchen für die Metaphysik bescheidener geworden, so gelte ein Theil wenigstens des dort Gesagten allerdings nicht mehr. Ich habe in dem Bisherigen nichts anderes gethan, als dass ich dasjenige reine Denken, und k e i n a n d e r e s , das ich früher nur einfach zur Verarbeitung der Glaubenslehre angewendet hatte, nun auch erkenntniss-tlieoretisch und psychologisch zu begründen gesucht habe. Mein ganzer Gottesbegriff und alles, was damit zusammenhängt, geht nicht über diesen Rahmen hinaus. Es brauchte in der That das Vorurtheil dazu, als falle das alles im Grossen und Ganzen doch mit der Hegel'schen Metaphysik zusammen, um das, was wirklich ausgeführt vorlag, kurzweg in die von dorther bekannte Schablone zu fassen. Was ich selbst durch den Sprachgebrauch mag mit verschuldet haben, das soll, so weit es nicht schon mit dem Bisherigen geschehn ist, auch durch die folgende Ausführung noch sorgfältiger vermieden werden. Nur darf ich auch vom Leser nun um so entschiedener verlangen, dass er den Sinn meiner Worte nur nach meinen eigenen Voraussetzungen verstehen und nicht nach fremden auslegen möge. 9. Was der mit reinem Denken auszuführenden Metaphysik des reinen Realismus vom Standpunkt eines concreten oder eines abstracten Dualismus aus zum voraus noch könnte entgegen gehalten werden, reducirt sich auf zweierlei: erstens darauf, sie führe in Wahrheit nicht über die Welt hinaus; und zweitens darauf, sie liefere überall nur abstracte Formen, nicht concrete Erkenntniss. Auf beides mliss ich antworten: j a und n e i n , wie man's nimmt. S i e f ü h r e n i c h t ü b e r d i e W e l t h i n a u s ? Allerdings nicht, und sie will's auch nicht: nämlich nicht aus dem E x i s t e n z r a h m e n der Welt in Raum und Zeit in eine andere übersinnlich-sinnliche Welt jenseits dieser unserer Welt. Wohl aber über die E s s e n z der Welt, über das, was die Substanz des Weltdaseins als solchen ausmacht; über das geht sie allerdings hinaus auf den absoluten G r u n d der Welt, der nicht ihre „Substanz" ist. Das letztere ist ihr T r a n s c e n d e n z - , das erstere ihr I m m a n e n z - b e g r i f f . Beide Momente aber in ihrer Wahrheit zur Geltung zu bringen, wird alle Metaphysik sich zur Aufgabe stellen. Es ist — um vorläufig nur Ein Beispiel anzuführen, wie es sich mit diesem ersten Einwurfe verhält — unbedacht im allerhöchsten Grad und Maass, wie es bei solchen, die sich als Philosophen nicht abstract kritisch genug gebehrden können, um dann als Theologen um so unbehelligter phantasireq
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I-
Die erkenntniss-theoretische Grundlage.
§ fiß.
zu d ü r f e n , Mode geworden ist, abschätzig über die Beweise fiir das Dasein Gottes zu urtheilen. Der kosmologische und der teleologische Beweis f ü h r e gar nicht über die Welt h i n a u s : j e n e r n u r auf eine absolute S u b s t a n z der Welt, und dieser n u r auf ein ihr i m m a n e n t e s Princip. Und dies soll wirklich nicht über die Welt, nicht über die E s s e n z d e r Welt, nicht ü b e r das, was die Substanz der Welt als solcher a u s m a c h t , hinaus f ü h r e n ? ! Dann allerdings fällt Gott w e g : denn e n t w e d e r fällt er mit der S u b s t a n z der Welt einfach z u s a m m e n ; oder, w e n n man dies nicht will, so bleibt n u r noch Raum f ü r ein hypothetisch a n g e n o m m e n e s innerweltliches Einzelwesen, f ü r einen mythologischen Gott. Man will als Theologe natürlich keins von b e i d e n : d a n n n e h m e man sich a b e r doch ein wenig in Acht mit solchen geringschätzigen Reden von j e n e n Bew e i s e n , von welchen man doch nur d a r u m so geringschätzig r e d e t , weil es die legalen Wege der Metaphysik sind, von welcher man möglichst unbehelligt bleiben möchte. 10. Der zweite Einwurf gegen das reine D e n k e n l a u t e t : e s l i e f e r e doch nur abstracte F o r m e l n , nicht wirkliche Erkenntniss. Auch h i e r : j a u n d n e i n . W a s meint man denn eigentlich m|t der „ w i r k lichen E r k e n n t n i s s " , die das reine D e n k e n nicht liefern soll? Eine a n s c h a u liche Aufzeigung thatsächlicher Dinge, eine Beschreibung m e t a p h y s i s c h e r Verhältnisse nach Analogie sinnlicher V o r g ä n g e ? Dergleichen liefert das reine D e n k e n allerdings n i c h t ; es e r k l ä r t vielmehr alles derartige f ü r mythologische P h a n t a s i e . Wohl aber liefert es den logischen A u s d r u c k f ü r das d e n k n o t h w e n d i g e V e r h ä l t n i s s zwischen dem G r u n d der Dinge und ihrer E r s c h e i n u n g , u n d dies ist die einzige E r k e n n t n i s s , die ohne Mythologie in d e r Metaphysik zu suchen ist. Diese „abstracten F o r m e l n " sind aber k r i t i s c h s c h n e i d i g genug, um j e d e n „ R e s t " mythologisir e n d e r P h a n t a s i e abzuschneiden, wie die K a n t ' s c h e T r a n s c e n d e n z - e r k l ä r u n g f ü r alles Metaphysische es nicht k a n n ; und zugleich erweisen sie sich auch p o s i t i v f r u c h t b a r e r als diese, i n d e m sie u n s bei allen geistigen Vorstellungen sofort auf das weisen, w a s ihr Kern ist. Die H a n d h a b u n g dieser „abstracten F o r m e l n " sind f ü r die E r k e n n t n i s s der „ ü b e r s i n n l i c h e n " W e l t dasselbe, w a s die Algebra f ü r die Mathematik. Mit algebraischen Formeln bezahlt m a n freilich auch weder Zeche noch M i e t h e ; auch k a n n man sie f ü r den H a u s g e b r a u c h wohl e n t b e h r e n : allein w i e weit k ä m e die Mathematik ohne d i e s e l b e n ? 10. Als letzten Einwurf gegen das reine D e n k e n f ü h r t man endlich die S p r a c h e an. Diese sei mit der Vorstellung der sinnlichen Ans c h a u u n g entsprungen und bewege sich d a h e r d u r c h w e g in den sinnlichen F o r m e n d e r s e l b e n ; auch die logischen Kategorien seien j a d u r c h w e g R a u m - und Zeitverhältnissen e n t l e h n t . Nun j a : aber gerade dies b e w e i s t am u n m i t t e l b a r s t e n , dass wir bei ihrem Gebrauche gar wohl von i h r e r
3. Cap.
Die Metaphysik.
u r s p r ü n g l i c h sinnlichen B e d e u t u n g abstrahiren u n d rein logische nisse damit a u s d r ü c k e n k ö n n e n . Wer wird beim Inhalt eines an ein r ä u m l i c h e s Gefäss d e n k e n ? und den G e d a n k e n eines P r i u s nicht von einem zeitlichen Vorher u n t e r s c h e i d e n k ö n n e n ? er n u r will.
173 VerhältBegriffes logischen — wenn
Allein diese durchgängige Beschaffenheit der Sprache e r k l ä r t allerdings einerseits die n a t ü r l i c h e Neigung unseres Vorstellens, geistige Dinge und Verhältnisse, die es meint, doch zugleich als räumliche u n d zeitliche zu nehmeil u n d gelegentlich auch in dieser F o r m geltend zu m a c h e n . Da w i r es im Folgenden von A n f a n g bis zu E n d e gerade mit solchen Vorstellungen werden zu t h u n h a b e n , k a n n ich es fiiglich u n t e r l a s s e n , einzelne Beispiele vorweg zu n e h m e n . Andrerseits macht es diese Beschaffenheit d e r Sprache freilich auch der R e c h t h a b e r e i i m m e r möglich, wenn sie nichts m e h r zu sagen weiss und doch noch e t w a s sagen will, sich hinter den sinnlichen W o r t l a u t zu verstecken und mit d e m Schein formalen Scharfsinns absolut g e d a n k e n l e e r e W o r t k l a u b e r e i zu t r e i b e n .
II.
Das Wesen der Religion. § 67. Stationen.
Die
Frage
Zuerst
nach
muss
dem Wesen
der Religion hat
zwei
nach ihrem specifischen Wesen als E r -
f a h r u n g s t h a t s a c h e im menschlichen Geistesleben gefragt werden durch
eine
inductive Analyse
und
begriffliche Zusammenfassung
dessen, was das dem allgemeinen Phänomen der Religion Gemeinsame, sie von
andern Erscheinungen
scheidende ist.
Dies m a c h t den
im Menschheitsleben Unter-
psychologischen
Begriff
der
Religion aus. Dann
aber
fragen, und
ist auch nach ihrem metaphysischen Grunde zu
erst
der Massstab
hieraus
ergiebt sich ihr
des Urtheils
inneres Wesen
und
über die objective W a h r h e i t ihres In-
haltes im Einzelnen. Obgleich
von
vornherein
klar vorliegt,
dass das specifische
Wesen der Religion in einer Beziehung des Menschen auf das besteht, was zugleich das letzte Object der Metaphysik ist: so darf die Frage
nach
dem
philosophischem
Wesen
der
Dogmatismus
Religion vom
doch eben so wenig mit
metaphysischen
Begriffe
des
Absoluten aus, als mit religiösem Dogmatismus vom Inhalt irgend eines positiven religiösen Glaubens aus beantwortet werden. 1.
Auf
die Etymologie des Wortes R e l i g i o n — ob mit
von r e l e g e r e ,
oder
mit
Lactantius
von
religare1)
Cicero
— brauchen
') C i c e r o , de natura Deorum II. 28: qui auteru omnia quae ad cultum Deorum pertinerent, diligenter retractarent et tainquam relegerent, sunt dicti
Der rechte Weg.
175
wir uns hier nicht weiter einzulassen. Sprachlich hat ohne Frage C i c e r o Recht. Inhaltlich sind beide Ableitungen charakteristisch, die C i c e r o ' s für die römische, die von L a c t a n z f ü r die christliche Religion. Die Deutungen des Wortes können uns nur bestätigen, was wir sonst schon von der Sache wissen. Hingegen ist ausdrücklich der Beibehaltung des Wortes R e l i g i o n f ü r den dogmatischen Sprachgebrauch das Wort zu reden. Alle andern Ausdrücke, womit man es etwa schon hat ersetzen wollen, wie Frömmigkeit, Gottesbewusstsein etc., bezeichnen nun einmal nur einzelne Momente des Ganzen, das mit dem Worte Religion einheitlich zusammengefasst ist, wie es auch sachlich eine innere Einheit bildet. Seien wir froh, dass wir ein so zu sagen neutrales Wort haben, das der Sprachgebrauch zur einheitlichen Bezeichnung gestempelt hat. Für die Holländische Theologie z. B. ist es offenbar sehr unbequem, dass sie nach dem sonst so löblichen Purismus ihrer Sprache Religion fast durchgängig mit „Godsdienst" wiedergeben muss. 2. Es bedarf keiner weitern Begründung mehr, dass der allein richtige Weg, um schliesslich zur wahren Erkenntniss des Wesens der Religion zu gelangen, nur der sein k a n n : vom t h a t s ä c h l i c h e n P h ä n o m e n der Religion im Menschheitsleben auszugehn, durch logische Analyse aller empirischen Erscheinungen, welche unter ihren Namen befasst werden, das ihnen allen-Gemeinsame, das ihnen den Charakter des Religiösen giebt und ohne das sie aus dem Umkreis religiöser Phänomene hinausfallen, zu fixiren, also aus der mit dem Namen bezeichneten allgemeinen Vorstellung ihren l o g i s c h e n B e g r i f f zu gewinnen, der ihr Wesen als P h ä n o m e n nach Inhalt und Umfang bestimmt. Dies bildet dann den Ausgang für das weitere Problem, den i n n e r n und in letzter Instanz den l e t z t e n m e t a p h y s i s c h e n G r u n d für dies allgemeine Phänomen zu suchen. Zu diesem Wege stehn in principiellem Gegensatze zwei andere, welche, obgleich einander diametral entgegengesetzt, docli beide den Charakter des D o g m a t i s m u s a n s i c h t r a g e n . Der eine ist r e l i g i ö s e r (oder genauer k i r c h l i c h e r ) , der andere p h i l o s o p h i s c h e r Dogmatismus. 3. R e l i g i ö s p o s i t i v i s t i s c h e r , d. h. k i r c h l i c h e r Dogmatismus ist es, auf die Frage nach dem Wesen der Religion einfach mit dein religiosi, a r e l i g e n d o . — L a c t a n t i u s instit. div.IV. 28: hac conditione gignimur, ut generanti nos Deo justa et debita obsequia praebeamus; hune solum noverimus, hunc sequamur. Hoc vinculo pietatis obst.ricti Deo et r e l i g a t i sumus, unde ipsa religio riomeii accepit, non, ut Cicero interpretatus est, a velegendo. — Vgl. N i t z s c h , über den Religionsbegriff der Alten. Stud. und Krit. 1828. J. G. M ü l l e r , über Bildung nnd Begriff des Wortes religio. Stud. und Krit. 1835. — J. P. L a n g e , phil. Dogm. § 9.
176
II.
D a s W e s e n ilei' R e l i g i o n .
§ 67.
Glauben oder wenigstens mit Hanptglauhensätzen einer bestimmten Religion zu antworten: dies zu glauben mache die Religion aus. Man meint: die wahre Religion. Allein darum handelt es sich noch gar nicht, was die wahre Religion, sondern nur was Religion überhaupt sei. Jene Antwort nennt einen speciellen Gegenstand der religiösen Beziehung; wir aber wollen erst wissen, was die Religion selbst überhaupt für eine Beziehung sei. Wenn man daher auf die Frage nach ihrem Wesen kurzweg mit der Angabe des von ihr anzueignenden Gegenstandes der Ueberzeugung antwortet, so ist dies dasselbe, wie wenn ein naiver Realismus auf die Frage nach dem Wesen der Wahrnehmung einfach mit der Verweisung auf die Gegenstände der Wahrnehmung antworten wollte, abgesehn von dem Process, durch den dieselben Wahrnehmungs-inhalt werden. Dieser naive Dogmatismus sieht einfach über das w e g , wonach wir doch zu allernächst zu fragen haben, über die psychologische Natur der Religion, wie sie sammt ihrem Inhalt uns als Phänomen vorliegt. Dieser Weg, die Frage nach dem Wesen der Religion mit der Angabe eines bestimmten Glaubens-inhaltes zu beantworten, kann eben so gut in positiver wie in negativer Tendenz betreten werden. Wenn wir von gewissen Dogmatikern ') gegen das Verfahren, in der Dogmatik erst den allgemeinen Begriff der Religion zu erörtern, die Einwendung hören, da das Christenthum die wahre, die absolute, die Religion schlechthin sei, so lasse sich nur nach seinem Maassstabe bestimmen, wiefern die andern sogenannten Religionen dieses Namens werth oder unwerth seien; denn das Wesen der Religion lasse sich nicht wie sonst ein abstracter Gattungsbegriff durch Aufsuchen des allen Religionen Gemeinsamen finden: so liegt es — bei allem Richtigen, was in dem Gesagten enthalten ist — doch zu sehr auf der Hand, warum derartige Dogmatiker so mit Siebenmeilenstiefeln aus dem Bereiche solcher allgemeinen Erörterungen in ihre bestimmten dogmatischen Positionen eilen, als dass wir, die wir eben Dogmatik nicht mit Dogmatismus verwechselt wissen wollen, uns hier lange bei der Berichtigung des Missverständnisses aufzuhalten nöthig hätten. Auf der andern Seite aber ist es das alleralltäglichste Vorkommniss in der gewöhnlichen Aufklärerei, die Religion in das Glauben dieser und jener „vernunftwidrigen" Lehren zu setzen und damit für abgethan zu halten. Dieser — ob nun positiv oder negativ verwerthete — Dogmatismus wird nicht corrigirt, sondern nur auf eine lendenlahme.Halbheit reducirt, wenn man im Anlauf zu einer freieren Untersuchung doch wenigstens einige ') Z . B . P h i l i p p i , auf B e c k .
kirclil. Glaubenslehre (2. Aufl.) I. S. 2, mit Berufung
177
Der rechte Weg.
H a u p t v o r s t e l 1 u n g e n z . B . Persönlichkeit Gottes und Unsterblichkeit, als constitutive Grundbedingungen der Religion glaubt aufstellen zu sollen, Vorstellungen, die in allen Religionen, welche noch irgend den Namen verdienen, vorkommen müssen. Allein keine einzige nur irgendwie formulirte Vorstellung zieht sich als der eine und selbe rothe Faden durch alle Religionen hindurch, so dass ihre Anwesenheit eo ipso das Vorhandensein, ihr Fehlen das Nichtvorhandensein von Religion documentirte. Wenn auch die Analyse des gesammten Phänomen's der Religion als die wesentliche Grundbestimmung derselben eine Beziehung auf „Gott" aufweisen wird, so kann darunter doch keinerlei einzelne Gottesvorstellung, sondern nur etwas logisch allen Gottesvorstellungen Gemeinsames verstanden werden. Jede Form von religiösem Dogmatismus, der das Wesentliche der Religion überhaupt in die Aneignung einer von vornherein zum Kennzeichen derselben gestempelten Vorstellung setzt, von dem positivsten bis zum verdiinntesten, bringt die Frage nach dem Wesen der Religion mit dem ersten Schritt auf eine schiefe Bahn. 4. Allein ebenso schief ist es, mit p h i l o s o p h i s c h e m Dogmatismus seinen Ausgangspunkt in dieser Frage vom Begriffe des A b s o l u t e n aus zu nehmen. Gewiss fällt — wie schon ausgeführt — was für die Religion „ G o t t " ist, für die Philosophie unter den Begriff des „ A b s o l u t e n " . Und erst einer modernen Façon von Vermittlungs-theologie war es vorbehalten, den philosophischen Begriff des Absoluten und den religiösen Gottesbegriff als nach Entstehung und Inhalt einander ganz fremd auseinander zu reissen. Für die Philosophie selbst hing jedenfalls beides immer eng zusammen, ihr Begriff des Absoluten und die Stellung, die sie zur Religion einnahm. Eine Philosophie, welche von einem Absoluten nichts wissen und nichts mit demselben zu schaffen haben will, die wird auch die Religion ihrem innersten Kerne nach als Illusion taxiren und darnach behandeln, ob nun mit schnöder Verhöhnung, oder mit Schonung aus ästhetischen und ethischen Rücksichten. Eine Philosophie, der das Absolute ein zu postulirender Grenzbegriff ist, wird der Religion neben sich Raum gestatten, und zwar genau in dem Sinn, in welchem sie den Begriff „Grenzbegriff" fasst. Eine Philosophie endlich, welche den Begriff des Absoluten irgendwie in den Bereich ihres Denkens hineinzieht, wird auch in entsprechender Weise der Religion innerhalb ihrer Weltanschauung eine Stelle anweisen. Eine jede wird das, was ihr den eigentlichen Begriff des Absoluten ausmacht, auch als den eigentlichen Wahrheitskern der religiösen Gottesvorstellung geltend machen. Das alles ist ganz natürlich und in der Ordnung. Allein wenn nun ein Philosoph für die Beantwortung der Frage nach dem Wesen der Religion von seinem Begriffe des Absoluten ausgeht und sie direct aus diesem ableitet, so ist dies philosophischer Dogmatismus. Das Ergebniss U i c d e r il) a il i l ,
Dogmatik
2. A n H.
12
II.
178
Das Wesen der Religion.
§ 68.
einer derartigen Ableitung wird nicht das allgemeine Wesen der Religion, sondern ein aprioristisch deducirtes Ideal von Religion, die der Person des Philosophen auf den Leib gepasste Religion sein. Etwas anderes natürlich ist es, wenn der Philosoph nicht damit anfängt sondern abschliesst, das Gesammtphänomen der Religion im Lichte seines Begriffes vom Absoluten zu betrachten, d. h. nachdem er ihr Wesen als psychische Erscheinung schon festgestellt hat, ihr nun auch in seiner Weltanschauung die seinem Begriff des Absoluten entsprechende Stellung anzuweisen.
§ 68.
Der
r e c h t e W e g . — Die
Frage
nach
dem Wesen
der Religion rnuss von ihrem Begriff als E r f a h r u n g s t a t s a c h e , oder als Phänomen, ausgehn.
Als dies ist sie in doppelter Gestalt gegeben :
als s u b j e c t i v e Religion, d . h . als psychischer Vorgang im Seelenleben des Einzelnen,
und
als o b j e c t i v e
Religion,
d. h. als
geschichtliche Erscheinung der Religion einer Gemeinschaft. nun schon
die
die
Wenn
objective Religion einer Gemeinschaft der indivi-
duellen Bestimmtheit
der subjectiven
Religion
ihrer Glieder
be-
stimmend vorausgeht, so ist doch die Erkenntniss des Wesens der Religion zuerst aus der s u b j e c t i v e n Religion als p s y c h o l o g i s c h e r B e g r i f f derselben zu gewinnen, und zwar dadurch, dass — allerdings auf breitester Basis der Kenntnissnahme von allen geschichtlichen Erscheinungsformen derselben in den verschiedenen objectiven Religionen
—
specifischen
das
allen
Charakter
Gemeinsame,
das
des Religiösen giebt,
erst
den
abstrahirt, und
denselben
von
allem Verschiedenen, das nur Modification desselben ist, abstrahirt wird. des
Denn
erst
psychischen
aus
dem hieraus zu gewinnenden Verständniss
Wesens
der
Religion
ist
ein
sicheres
Urtheil
darüber zu gewinnen, worin am ganzen Erschcinungs-complex einer geschichtlichen Religion das eigentlich Religiöse bestehe. Ebendarum kann auch gleich vom psychologischen Begriff der Religion aus nach ihrem m e t a p h y s i s c h e n G r u n d und d a m i t nach ihrem i n n e r n W e s e n
gefragt werden, indem sich
bereits der Maassstab für die volle W ü r d i g u n g
der
dann
hieraus
objectiven
Religion ergiebt. 1.
Ich war bisher immer der Ansicht g e w e s e n ,
wenn man einmal
nach inductiver Methode die Thatsache der Religion zum Ausgangspunkt für die
Untersuchung
des Wesens
der Religion
nehmen wolle,
so
sei
Der rechte Weg.
179
zweifellos die s u b j e c t i v e Religion damit gemeint. Allein gerade dem tritt L a s s o n ' ) entgegen. Kr bestreitet, dass die Religion empirisch uns zunächst als eine psychologische Erscheinung entgegentrete. Diese möchte er lieber als eine mindestens secundare, wo nicht gar als eine völlig problematische Bestimmung des Objectes ansehn; denn dafür gebe es kein Gesetz und keine Regel. „Die Religion tritt uns auf Schritt und Tritt als Kirche (objective Religion) entgegen, und es kann eigentlich gar kein Zweifel sein, dass wir in der Kirche das Fundamentalphänomen haben, an das wir uns halten müssen, wenn wir die Religion selbst und ihre Functionen am menschlichen Geschlechte verstehen wollen." Diese Worte sehen darnach a u s , als sollte uns von vornherein ein Netz, und zwar ein sehr positivistisches, acht katholisches, von kirchlichem Dogmatismus über den Kopf geworfen werden: nur die Kirche lehre uns, was Religion sei. Doch wir dürfen diesen Argwohn ja wohl nicht aufkommen lassen: die Meinung ist ja nicht die, dass die Kirche die Autorität sei, die uns lehre was Religion sei; sondern, die Thatsache der Kirche sei das uns zunächst gegebene und objectiv fixirte Phänomen von Religion, aus dessen Analyse wir dann selbst die Belehrung über das Wesen der Religion zu schöpfen haben. Nun, über diese Differenz sollte man sich leicht verständigen können. Gewiss dem Einzelnen und der persönlichen Form seiner subjectiven Religion g e h t , dieselbe wesentlich bestimmend, die Gemeinschaft, in welcher er seine religiöse Erziehung gefunden hat, voraus; und worin die Religion dieser Gemeinschaft bestehe, in was für religiösen Lehren, Handlungen und Einrichtungen, das ist eine gegebene Thatsache, während die Religion des Einzelnen etwas unendlich variables ist. Wenn wir nach dem Wesen einer geschichtlichen Religion fragen, sind wir natürlich an ihre „Kirche" gewiesen. Ferner gilt auch hier der allgemeine Kanon, dass eine Analyse um so sicherer ausfällt, j e vollständiger sie das ganze Gebiet zur Basis nimmt; auch die Analyse der Thatsache der Religion ergiebt um so sicherer den allgemein gültigen und erschöpfenden Begriff der Religion, je umfassender sie von der Erscheinung der Religion in allen geschichtlich bekannten Religionen ausgeht. Es ist daher kein Einwurf, wie es vielleicht gemeint ist, sondern vielmehr ein Lob, wenn man einer allgemeinen religionsphilosophischen Erörterung des Religionsbegriffes nachsagt, man merke ihr eben doch an, dass das Beste daran nur aus der christlichen Religion geschöpft sei. Nun ja natürlich; woher anders sollte man es empirisch hergenommen haben? Wenn nur die Grundbestimmung auf alle Stufen von Religion passt, wie sie auch aus der Vergleichung aller soll abstrahirt werden. ') L a s s o n , über Gegenstand und Behandlungsart der Religionsphilo sophie. 1872. S. 16.
12*
180
II.
Das Wesen der Religion.
§ 68.
Alles das ist j a sehr wahr, und in diesem Sinn wird schon die o b j e c t i v e Religion den empirischen Ausgangspunkt bilden müssen. Allein „ d a s Fundamentalphänomen der Religion" ist doch ganz gewiss die „ K i r c h e " nicht, wie L a s s o n sich befremdlich genug ausdrückt. „Fundamentalphänomen" ist doch die Religion in der Seele des Menschen, und nur weil sie da wurzelt, kommt es auch in jeder Gemeinschaft zu irgend einer Religion dieser Gemeinschaft. Sonst käme man doch darauf hinaus, diese habe sie willkürlich aus sich ersonnen und aufgestellt, oder sie von aussen, ohne entsprechende Anlage im Wesen des Menschen, erh a l t e n : Vorstellungen von der Entstehung der geschichtlichen Religionen, die j a vorkommen, die aber L a s s o n am wenigsten wird vertreten wollen. Dazu kommt noch ein Weiteres Was. an den historischen Religionen, ihren Lehren, ihren Cultushandlungen, ihren Institutionen denn eigentlich das Religiöse sei, das können wir doch erst herausfinden und auch nur einigermassen richtig beurtheilen, wenn wir die Einsicht in das Wesen der Religion im Innern des Menschen und in ihrer Aeusserungsweise aus diesem heraus gewonnen haben. Man spürt es j a vielen von den gegenwärtig beliebten Darstellungen der allgemeinen Religionsgeschichte deutlich genug an, mit welch' geringem Verständniss für das innere Wesen der Religion sie oft verfahren, und bei aller Reichhaltigkeit und Richtigkeit des empirischen Details doch nur eine ganz, oberflächliche und im Grund völlig verfehlte Darstellung einer Religion geben können; wie sie hier als charakteristisch hervorheben, was höchstens mittelbar mit der Religion zusammenhängt, dort aber etwas Wesentliches nicht beachten, und was wirklich eine Religion charakterisirt, in ein völlig schiefes Licht stellen und seine Bedeutung gar nicht zu würdigen wissen. Wenn wir also auch schon für's erste mit unsern eigenen religiösen Anschauungen auch die Kenntniss der verschiedenartigen Erscheinungsformen des religiösen Lebens zunächst von der „ K i r c h e " herbekommen, und wir für's zweite das allgemeine Wesen der Religion um so vollständiger umfassend kennen lernen, j e allgemeiner wir dabei das gesammte Phänomen der Religion in der Geschichte in's Auge fassen, — für die Frage, was das Wesen der Religion sei, werden wir doch auf ihr „ F u n damentalphänomen" in der menschlichen S e e l e zurückgehn müssen. Dem Anfang der methodischen Behandlung des Stoffes irgend einer Wissenschaft geht freilich immer eine rein empirische Kenntnissnahme von demselben, j e vollständiger desto besser, v o r a u s ; aber ein Lehrbuch der Botanik wird doch nicht mit den botanischen Excursionen des Verfassers, auf denen er seine Pflanzen gesammelt hat, beginnen müssen. 2. S e i t K a n t ' s erkenntniss-theoretischer Begründung und S c h l e i e r m a e h e r ' s classischem Vorgang ist man, so weit Beider Einfluss reichte,
Der rechte Weg.
181
in der wissenschaftlichen Behandlung der Glaubenslehre nicht, mehr, wie ehedem, direct von den Gegenständen des Glaubens, sondern von der psychologischen Natur des Glaubens ausgegangen; hat aber von diesem richtigen Gesichtspunkt aus nicht immer den richtigen Weg eingeschlagen. Dieser richtige Weg wird der sein: 1) aus der Thatsache der Religion, wie sie in der allgemeinen Religionsgeschichte in unendlicher Nüancirung vorliegt, erst ihr a l l g e m e i n e s p s y c h i s c h e s W e s e n zu abstrahiren, 2) dieses in seinem innern Zusammenhang mit dem Wesen des Menschen überhaupt als ein einzelnes Moment desselben, oder also ihren U r s p r u n g i m W e s e n d e s M e n s c h e n aufzuweisen; zuletzt aber auch, aber erst zuletzt 3) die Frage nach ihrem m e t a p h y s i s c h e n G r u n d e , d. h. nach dem letzten Grund f ü r ihren empirischen Ursprung im Wesen des Menschen aufzuwerfen. Was für eine Antwort wir immer auf die allgemeine erkenntniss-theoretische Vorfrage mitbringen mögen, über die Tragweite einer solchen Frage und über die Möglichkeit ihrer Beantwortung, — aufwerfen müssen wir in alle Wege doch zuletzt diese Frage nach dem metaphysischen Grunde der Religion, da diese selbst mit dem Object ihrer Beziehung unmittelbar auf dieselbe hinweist. Erst dies alles zusammen macht die philosophische Erkenntniss der Religion aus. Jede wesentliche Abweichung von diesem Wege, jede Umstellung ihrer Stadien lässt wesentliche Irrthümsr einschleichen, die, ob sie auch oft nachträglich wieder ausgeglichen werden, eben doch Irrthümer sind, die, je energischer sie mit formaler Consequenz weiter verfolgt werden, in den Consequenzen nur um so weiter seitab führen. Die Geschichte des Religionsbegriffs in der modernen Wissenschaft liefert die Belege dazu. Ich hebe blos einige hervor, die epochemachend geworden sind. 3. K a n t hat es durch seine kritische Erkenntnisstheorie principiell begründet, dass man in der Frage nach dem Wesen der Religion von ihr als Phänomen im menschlichen Geiste auszugehn und die Frage nach ihrem Object und damit auch nach ihrem metaphysischen Grunde zunächst zurückzustellen habe. Er selbst geht in der That für seinen Religionsbegriff von einem fundamentalen Phänomen der subjectiven Religion aus: von der Unbedingtheit des Sittengebotes im Gewissen. In diesem bildet das Religiöse und das Sittliche die constituirenden Momente Eines psychischen Vorgangs, und tritt der Wesenszusammenhang beider Gebiete zu Tage. Darauf beruht das Epochemachende, ein heilsames Correctiv für jede einseitig intellectualistiscbe oder mystische Fassung der Religion Bildende von K a n t ' s Religionsbegriff. Allein sofort mischt sich bei ihm, bevor er von da aus dem ganzen psychischen Phänomen der Religion gerecht w i r d , seine metaphysische Theorie alterirend ein. Das „Unbedingte" (das wahre Object der religiösen Beziehung), das K a n t im Gewissen der praktischen Vernunft immanent anerkennt, soll f ü r die Er-
182
II.
Das Wesen der Religion.
§ 68.
kenntniss der theoretischen Vernunft transcendent sein; darum giebt allein das sittliche Bewusstsein der Religion ihren positiven Inhalt und ihren weitern Postulaten ihren Halt: d i e R e l i g i o n i s t B e w u s s t s e i n d e r P f l i c h t a l s g ö t t l i c h e n G e b o t e s . Alles Andere an ihr ist für einmal blos menschliche Vorstellung. Dadurch ist K a n t ' s Religionsbegriff, wie sehr er auch das praktisch wichtigste Moment desselben richtig herausgreift, doch für das Gesammtphänomen der Religion so ungenügend, ja ledern herausgekommen. Man darf dies wohl sagen; denn dieser sachliche Tadel ist zugleich ein persönliches Lob: ist es doch nichts als die unbestechliche Ehrlichkeit, die dem nüchternen Philosophen nicht nur verbot mehr zu sagen, als seine Metaphysik ihm zuliess, sondern auch das, was er sagen konnte, irgendwie in wohlgefällige Redensarten mildernd einzukleiden Nur solche Nachfolger K a n t ' s auf seinem metaphysischen Standpunkte haben seinen magern Religionsbegriff wirklich ergänzt, welche allseitiger von der psychischen Erscheinung der Religion ausgingen, wie schon der ä s t h e t i s c h e R a t i o n a l i s m u s gethan hat. In dem Maass, als sie dabei ihren metaphysischen Standpunkt nicht schon auf die Auffassung der psychischen Thatsachen influenziren Hessen, wurde ihr Religionsbegriff auch umfassender und thatsächlich richtiger als d£r ursprüngliche Kant's. 4. Noch directer epochemachend und zwar reformatorisch epochemachend ist S c h l e i e r m a c h e r ' s Religionsbegriff geworden. Er ist direct vom Herzpunkt des subjectiven Phänomens der Religion ausgegangen, und hat scheinbar direct durch empirische Analyse desselben ihr psychisches Wesen auf das G e f ü h l fixirt, indem er sie kurzweg als s c h l e c h t h i n i g e s A b h ä n g i g k e i t s g e f ü h l definirt h a t , mit dem Nachweis, dass sie weder ein „Wissen" noch ein „ T h u n " sein könne. In Wahrheit hat S c h l e i e r m a c h e r aber dies Resultat doch nicht einfach aus einer solchen Analyse gewonnen; diese würde ein „Wissen" und ein „Thun" nicht vom Wesen der Religion ausgeschlossen haben. Vielmehr hat ein von vornherein mitgebrachter metaphysischer Begriff vom Objecte der religiösen Beziehung, hat sein Gottesbegriff ihm von vornherein auch das Ergebniss seiner psychologischen Analyse bedingt: wie S c h l e i e r m a c h e r ' s in der Dialektik dargelegte Metaphysik den Gottesbegriff fasste, konnte die subjective Beziehung des menschlichen Ich zu Gott nur ein Gefühl sein. Gewiss weiden der G o t t e s b e g r i f f und der R e l i g i o n s b e g r i f f zusammenstimmen müssen; allein wir sollen von der psychologischen Thatsache ausgehen und erst von dieser aus den ihr entsprechenden Gottesbegriff suchen, nicht aber umgekehrt. S c h l e i e r m a c h e r aber hat das Letztere gethan: nur seine metaphysische Voraussetzung ist es, die ihn darauf geführt hat, die Religion iirs Gefühl zu
Der rechte Weg.
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interniren, und all« weitern Momente, die einheitlich mit dem Gefühle zusammen das psychische Wesen der Religion ausmachen, gewaltsam davon auszuscheiden. So hat die vorzeitige Einmischung einer metaphysischen Voraussetzung in die Auffassung des subjectiven Phänomens der Religion auch S c h l e i e r m a c h e r ' s Religionsbegriff, trotz seines feinsten und schärfsten Sinnes gerade f ü r dieses Problem, alterirt, den andern ebenso wesentlichen Momenten der thatsächlichen Religion eine schiefe Stellung gegeben, und zugleich die Frage nach dem objectiven Inhalte der Religion schon von vornherein im Sinn einer bloss subjectiven Fassung präjudicirt. Warum gleichwohl der Religionsbegriff S c h l e i e r m a c h e r ' s reformatorisch befruchtend auf die ganze Theologie eingewirkt hat, lag darin, dass er mit demselben die in der Theologie herrschenden äusserlichen, von der Aufklärung her ausgehöhlten Auffassungen der Religion vom Centrum des religiösen Lebens aus überwunden h a t , — bis dieselben sich durch die von ihm gelassene Lücke doch wieder einzudrängen gewusst haben. Die ächten Nachfolger S c h l e i e r m a c h e r ' s haben sich bemüht von seinem Ausgangspunkt aus den offenkundigen Mangel in seinem Religionsbegriff zu ergänzen. Es ist ihnen in dem Maasse gelungen, als sie dies nicht blos durcji nachträgliches Zustopfen der Lücken (z. Th. mit ganz andersartigem, übel dazu passendem Material) versuchten, sondern S c h l e i e r m a c h e r ' s Grundfehler, die Einmischung der metaphysischen Voraussetzungen in die Analyse der psychischen Thatsache, .vermieden. Die richtige Correctur von S c h l e i e r m a c h e r ' s Ausgangspunkt aus ist die, welche A. S c h w e i z e r seiner christlichen Glaubenslehre zu Grunde gelegt hat. Auch S c h e n k e l ' s Versuch, den Schleiermacher'schen Religionsbegriff durch seine Gewissenstheorie zu corrigiren, war wenigstens insoweit auf dem richtigen Wege, als er von der Einsicht ausging, dass durch S c h l e i e r m a c h e r ' s Internirung der Religion in das Gefühl ihr Inhalt um die Bedeutung einer realen Objectivität gegenüber dem Ich des Menschen komme, und dass Vorstellen und Wollen nicht in einem wesentlich andern Verhältniss zur Religion stehn als das Gefühl. S c h e n k e l ' s Methode war richtig, vom Phänomen der Religion auszugehn. Dass er hiebei das bekannteste religiöse Phänomen, das G e w i s s e n , statt es auf seine natürlichen psychischen Elemente hin zu analysiren, vielmehr unmittelbar selbst als specifisches Organ, oder, wie er sich später corrigirt hat, als specifische Function der Religion bezeichnete, das war nicht ein methodischer, sondern ein materieller Fehler, auf den wir an seinem Orte werden zu reden kommen. 5. Auf einem S c h l e i e r m a c h e r diametral entgegengesetzten Wege kam H e g e l zu seinem Religionsbegriff. Auch das Resultat war ein diametral entgegengesetztes, so dass P f l e i d e r e r dasselbe — immerhin
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II.
Das Wesen der Religion.
§ 68.
cum grano salis verstanden — dahin präcisiren konnte, dass es bei S c h l e i e r m a c h e r auf Religion ohne Offenbarung, bei H e g e l dagegen auf Offenbarung ohne Religion hinauskomme. Auf dem Gange seiner als reines Denken sich vollziehenden dialektischen subjectiven Nacherzeugung des objectiven Weltprocesses der Selbstentäusserung der absoluten Idee durch den Naturprocess ihres Anders-seins hindurch zur Selbstverwirklichung als absoluter Geist langt H e g e l bei dem Stadium an, auf welchem dieser Selbstverwirklichungs-process des Absoluten das Phänomen der Religion bildet, wo das Wissen des endlichen Geistes von seinem absoluten Wesen eintritt: von der m e t a p h y s i s c h e n Seite angesehen, als Wissen des absoluten Geistes von sich im endlichen Geiste, von der p h ä n o m e n a l e n , als Erhebung des endlichen Geistes zum Bewusstsein des Absoluten als seines wahren Wesens. Und zwar soll innerhalb dieses allgemeinen Stadiums der Religion im weitern Sinne das Wesen der Religion im engern Sinn, im Unterschiede speciell von der Philosophie, im B e w u s s t s e i n d e s A b s o l u t e n i n F o r m d e r V o r s t e l l u n g b e s t e h n , wobei jedoch der von der Vorstellung fixirte Gegensatz von Subject und Object des religiösen Bewusstseins im C u l t u s , dem praktischen Zusammenschluss in Gefühl und religiösem Act, aufgehoben wird. Dieser Weg H e g e l ' s , vom Absoluten aus zum Begriff der Religion zu kommen, ist zwar etwas ganz Anderes, als was ich oben als „philosophischen Dogmatismus" abgewiesen habe. Dort hatte ich im Auge den Ausgang von einem Begriff des Absoluten als O b j e c t der'religiösen Beziehung. H e g e l ' s Verfahren will das Gegentheil von solchem Dogmatismus sein: erst im Phänomen der Religion selbst geht ja nach ihm das Bewusstsein vom Absoluten auf, indem dieses, an sich das Subject des ganzen phänomenalen Processes, in ihr zum Selbstbewusstsein kommt. F ü r die Betrachtung der Religion ist dies nicht Dogmatismus im gewöhnlichen Sinne des Wortes; wohl aber absoluter Dogmatismus, als Voraussetzung des absoluten Idealismus nicht blos für dieses specielle Problem, sondern für den Weltprocess überhaupt. Gewiss meinte H e g e l „in seiner begrifflichen Darlegung die Religion als reales Object zu treffen, das er auf erfahrungsmässigem Wege kennen gelernt hatte". 1 ) Ja, er trifft es so tief und umfassend, wie kein Philosoph vor ihm, wie jedenfalls K a n t nicht, — und ich wüsste nicht, welcher nach ihm. Allein er geht eben in seiner begrifflichen Darlegung nicht von der Erfahrung aus, und dieser Fehler der Methode ist es, von dem wir hier zunächst allein reden, um vorläufig an den Hauptbeispielen nachzuweisen, wie nur schon der unrichtige Weg auch ein unrichtiges Resultat zur Folge habe, eine ') L a s s on, a. a. 0. S. 12.
Der rechte Weg. der Tliatsache der Religion nicht entsprechende Wescus-bestimmung selben.
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Den e r k e n n t n i s s - t h e o r e t i s c h e n Fundamentalfehler von H e g e l ' s dialektischer Methode des reinen Denkens noch speciell widerlegen zu wollen, hiesse heutigen T a g e s Wasser in das Meer tragen, in das sie nun wohl für ein und allemal versenkt ist. Aber eben deswegen dürfte es heutigen T a g e s auch bald wieder an der Zeit sein, nicht blos immer und immer wieder diesen Urtheilsspruch zu wiederholen (und wie Viele thun dies auf reines Hörensagen h i n ! ) , sondern doch zugleich auch in den realen Kern von H e g e l ' s Gedanken einzugehn und denselben auf einem von allem Verdacht aprioristischer Construction befreiten Wege gerecht werden zu lernen. Mir will scheinen, der N e o - k a n t i a n i s m u s repräsentire auch zur Stunde noch allzusehr das Stadium des Sclaven, der eben erst die Ketten gebrochen hat. Der m a t e r i e l l e Fehler aber, den H e g e l ' s Methode nach sich zog, war der S c h e i n , als ob der ganze subjective Process der Religion ein blosser D e n k p r o c e s s s e i ; daher denn auch der allgemeine Vorwurf einer einseitig i n t e l l e c t u a l i s t i s c h e n Auffassung der Religion. Im Kern freilich beruht dieser Vorwurf nur auf Schein. Allerdings führt uns H e g e l alles, was in der Religion psychisch vorgeht, als D e n k p r o c e s s vor; dies heisst aber eben bei i h m : als einen Process, dem Vernunft objectiv immanent, dessen Inhalt daher denkend darzulegen sei, ob derselbe nun speciell in einem Denkprocess im gewöhnlichen, psychologischen Sinn, in einem Vorstellungsprocess, oder aber in einem Gefühlsvorgang, oder in einem Willensacte bestehn mag. Die Philosophie hat alle diese psychischen Vorgänge nicht nur formal, sondern auch auf ihren geistigen Inhalt hin anzusehn. Dies aber erhält bei H e g e l , die schiefe Form, dass er sie als Gedankenprocesse nacherzeugt, und dies erweckt den Schein, als ob damit der vom Philosophen denkend analysirte psychische Process selbst nur als ein subjectiver Denkprocess aufgefasst werde. Dies jedoch ist purer S c h e i n . Wer irgend ein Object theoretisch betrachtet, der will doch nicht dessen objectives Sein in einen blossen Gedanken resorbiren. Auch die Einsprache, welche R i t s e h l 1 ) gegen „die den philosophischen Idealismus beherrschende Voraussetzung" erhebt, „ d a s s das Gesetz der theoretischen Erkennbarkeit das Gesetz des menschlichen Geistes in allen Functionen s e i " , hätte in dieser Allgemeinheit, dass der denkende Nachweis des ideellen Inhaltes doch blos für wirkliche Denkprocesse und nicht auch für die übrigen Functionen des Geistes möglich sei, nur dann Sinn und Halt, wenn man damit wirklich Gefühl und Willen dem. Bereiche der Vernunft und damit auch dem Urtheile 6 71, 12 135, 135, 18 17 1G0, r 6 172, 18 211, 7) 16 235, V. 8 378, r.
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