201 56 24MB
German Pages 235 [236] Year 2001
Holden Härtl C A U S E und C H A N G E
studia grammatica Herausgegeben von Manfred Bierwisch unter Mitwirkung von Hubert Haider, Stuttgart Paul Kiparsky, Stanford Angelika Kratzer, Amherst Jürgen Kunze, Berlin David Pesetsky, Cambridge (Massachusetts) Dieter Wunderlich, Düsseldorf
studia grammatica 50
Holden Härtl
CAUSE und CHANGE Thematische Relationen und Ereignisstrukturen in Konzeptualisierung und Grammatikalisierung
Akademie Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Härtl, Holden: Cause und Change : thematische Relationen und Ereignisstrukturen in Konzeptualisierung und Grammatikalisierung / Holden Härtl. Berlin : Akad. Verl., 2001 (Studia grammatica ; 50) Zugl.: Leipzig, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-05-003636-2
ISSN 0081-6469 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2001 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Druck und Bindung: GAM Media GmbH, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany
Inhalt
EINLEITUNG
10
1
SPRACHGENERIERUNG: GRAMMATIK UND KONZEPT
16
1.1 1.2
Modularität Modelltheoretische Voraussetzungen
19 22
1.3 Grammatische Enkodierung 1.3.1 Lexikalische Dekomposition vs. Unanalysierte Atomizität 1.3.2 Ereignisdekomposition 1.3.2.1 Klassifikation der Ereignisstrukturen in Aktionsarten
27 27 33 33
1.3.2.2
41
Aktionsarten
in lexikalisch-semantischen
Dekompositionsstrukturen
1.3.3 1.4
Grammatisch determinierte Bedeutung: Semantische Repräsentation SR Fazit
53 65
2
THEMATISCHE RELATIONEN
67
2.1
Der Status thematischer Relationen im Modell
69
2.1.1 2.1.1.1
Psycholinguistische Überlegungen zum Status thematischer Relationen Thematische Relationen in interaktiven Modellen der Sprachverarbeitung
71
2.1.1.2
Thematische Relationen in seriell-modularen der Sprachverarbeitung
74
2.1.2
Theoretisch-linguistische Überlegungen zum Status thematischer Relationen .. 76
2.1.3
Einpassung thematischer Relationen in das Modell
2.2
Die Konzeptuelle Wissensbasis CKB
2.2.1.1
Wissen ssystem e
2.2.1.2
Wissensbasierte
2.2.2
Modellen
Konzeptuelle Etablierung thematischer Relationen
2.2.1
71
96 97 98 98
Regelwerke: Zeit, Objekt, Ereignis und Verursachung
Prinzipien der Konzeptualisierung thematischer Relationen
103 128
2.3
Abbildung thematischer Relationen auf grammatikalisierte Ereignisstrukturen.... 145
2.4
Fazit
151
3
ANWENDUNG: PSYCHISCHE VERBKOMPLEXE
155
3.1
Das Problem
157
3.2
Konzeptualisierung von Kausalität in psychischen Verbkomplexen: Kovariation und Balanciertheit
3.2.1 3.2.2 3.3 3.3.1
Kovariationsinformation als Determinante für Kausalität Balanciertheit als Determinante extrinsischer Kausalität Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Kausalität, thematische Relationen und Ereignisstruktur Empirische Untersuchungen
159 162 165 167 169
3.3.1.1
Ereigniskorrelierte Hirnpotentiale und Integrationsschwierigkeiten: Die EKP-Studie E(XP)LICIT 3.3.1.2 Die Fragebogenstudie PSYCHO: Belebtheit und Verbgruppe 3.3.2 Ereignisstrukturen: Verursachte Zustände und verursachende Aktivitäten 3.4 Grammatik psychischer Verbkomplexe: Formulierung einer SR 3.4.1 Kanonische Realisierungen 3.4.2 Argument-Diathese und Passivierung 3.5 Fazit
170 176 181 193 193 200 212
4
FAZIT UND AUSBLICK
216
ANHANG
219
SACHVERZEICHNIS
223
LITERATURVERZEICHNIS
228
Abbildungsverzeichnis
1: Gesamtmodell der Sprachproduktion (vgl. Bierwisch & Schreuder (1992); Härtl (2000); Härtl & Witt (1998); Herweg & Maienborn (1992)) 2: Status thematischer Relationen bei der Umsetzung einer präverbalen Botschaft 3: Skizze einer Konzeptuellen Wissensbasis mit den an der Konzeptualisierung beteiligten Wissenssystemen 4: Unabhängige Zeitachse 5: Menschliches 3-D-Modell (vgl. Marr & Nishihara (1978: 278)) 6: Vereinfachte Darstellung einer Bewegung relativ zu einem Achsensystem 7: Darstellung der sich bei der Bewegung verändernden Achsenwinkel in Relation zu ihrem zeitlichen Verlauf 8: Einordnung von Eventualitäten in das System von zeitlicher Fixierbarkeit, Durativität und Telizität 9: System der situativen Eventualitäten mit integriertem Merkmal [CHANGE] für Veränderungen 10: Vereinfachte Darstellung eines Korrespondenznetzes von Ereignissequenzen und resultierenden Objekten (vgl. Habel et al. (2000)) 11: Ereignis und Resultat in einem Korrespondenznetz 12: Kausale Relation der Bewegung zweier Bälle (billiard ball launching effect) 13: Non-kausale Relation der Bewegung zweier Bälle 14: Einheiten des Semantischen Ereignissystems mit zu prüfenden Merkmalen 15: Abbildungsfunktion 7Tvon SE auf EE 16: Abbildung einer präverbalen Botschaft 17: Messung der (anterioren) fronto-zentralen Elektroden auf der Präsentation des kritischen Pronomens über alle vier Bedingungen 18: Zuordnungen der weil-Sätze zu EXP oder STIM für beide Verbgruppen (meari) 19: Zuordnungen der weil-Sätze zu EXP oder STIM bei S-E- und bei E-S-Verben 20: Zuordnungen der weil-Sätze zu belebten und unbelebten STIMULI bei E-Sund bei S-E-Verben 21: Verteilung der Werte für agentivische und zuständliche Nebensätze bei S-E- und bei E-S-Verben (Mittelwert für S-E = 2.8; für E-S = 3.8)
25 96 103 105 107 109 110 114 116 121 122 125 125 132 133 145 174 179 180 181 184
Abkürzungen
BAL
Balanciertheit
CKB
Konzeptuelle Wissensbasis
CS CT
Konzeptuelle Struktur Kontextuelle Struktur
DIR-CAUSE
semantisch-lexikalisches Primitiv für direkte Verursachung
DP
ELAN
Determiniererphrase durativ Ereigniskorreliertes Hirnpotential Early Left Anterior Negativity
E-S-
EXPERIENCER-STIMULUS
EXP
EXPERIENCER
EXT-CAUSE
sem.-lex. Primitiv für Verursachung durch externe Handlung
INST INT
instantiiert (semantisch-lexikalisches Primitiv) Interpretationsfunktion
LE N400
Lexikoneintrag Negativierung 4 0 0 m s
NP
Nominalphrase Positivierung 600ms
DUR
EKP
P600 PLE
potentieller lexikalischer Eintrag
PROTO
prototyp-
S-ESF
STIMULUS-EXPERIENCER-
Semantische Form (des LEs)
SR
Semantische Repräsentation (aktuale)
STIM
STIMULUS
SYN
Syntaktische Struktur
TEL
telisch
TEMP
temporal
TP
Thematischer Prozessor
VBL
Verbalisierungsfunktion
Vorbemerkung
Die vorliegende Arbeit ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich an der Philologischen Fakultät der Universität Leipzig vorgelegt und im Mai 2000 verteidigt habe. Prof. Dr. Susan Olsen hat die Arbeit betreut. An Sue Olsen richtet sich mein ganz spezieller Dank, deren gewinnender Enthusiasmus und Optimismus mir geholfen haben, das konkrete Ziel im Auge zu behalten. Ihr exklusiver Scharfsinn und die inhaltlichen Diskussionen mit ihr haben mir verdeutlicht, was es heißt, konsequente Wissenschaft zu betreiben und dabei nicht den Blick auf die befreundeten Disziplinen zu vergessen. Verschiedene Diskussionen mit Christopher Habel und Manfred Bierwisch haben mich den Weg einschlagen lassen, der mit dieser Arbeit beschritten wurde. Dafür und für ihre Unterstützung danke ich ihnen. Ihre Art, nach den globalen Zusammenhängen zu suchen und die wichtigen interdisziplinären Frage aufzuwerfen, wird mir stets ein Vorbild sein. Aufrichtig danken möchte ich auch Anita Steube, deren konzentrierter und wissender Blick auf die wesentlichen Dinge der Linguistik mich sehr beeindruckt. Dieser Blick erinnert immer wieder an die Überzeugung, dass die Linguistik nicht unter einer möglichen Globalität der Kognitionswissenschaft leiden soll. Für mich wichtige Gespräche habe ich mit Tom Gunter, Jörg Jescheniak, Andrew Mclntyre, Heike Tappe, Martin Trautwein, Kathrin Sponholz, Silke Urban, Kathy van Nice, Jim Witt und Tanja Zybatow geführt. Ihre Anschauungen haben mein Blickfeld erweitert. Wertvolle Denkanstöße habe ich von Nicole Dehé, Rainer Dietrich, Hubert Haider, Ray Jackendoff, Claudia Maienborn, Ingrid Kaufmann, Wolfgang Klein, Willem Levelt, Sigrid Lipka, Sandra Muckel, Thomas Pechmann, Christopher Piñón, Andreas Späth, Christiane von Stutterheim, Ladina Tschander und Carla Umbach erhalten. Auch an sie geht mein herzlicher Dank. Besonders danken möchte ich auch meiner Familie, die mich in vielfacher Hinsicht bei der Fertigstellung dieser Arbeit unterstützt hat. Auch hier steht das Wichtigste (fast) am Ende: Ich winke Silke jubelnd zu - ihrer Zuwendung, enormen Ausdauer und Umsicht ist die letztendliche Existenz dieser Arbeit zu verdanken. Gerne würde ich auch Jimmy, unserem kleinen dünnen Hund aus dem Tierheim danken. Seine kognitiven Kapazitäten jedoch begrenzen sein mentales Lexikon für menschliche Sprache auf sechs Einträge - was durchaus seine guten Seiten hat.
Einleitung „Ein Urteil ist intuitiv, persönlich, umfassend und konkret: Wir ,sehen' die Beziehung der Dinge zueinander und zu uns selbst." Oliver Sacks (1985/98): Der der seine Frau mit einem Hut
Mann,
verwechselte
Das Thema dieser Arbeit sind die Beziehungen zwischen Geschehnissen und Objekten oder einfacher: thematische Relationen. Eher mehr als weniger. Eigentlich scheint dies ein freundliches Thema zu sein. Diesen Eindruck vermittelte zumindest eine erste Annäherung an die Problemstellung. Auch alle nachfolgenden Annäherungen ließen das Thema in weiterhin freundlichem Licht erscheinen - mit der Einschränkung, dass freundlich sich zunehmend weniger mit den Attributen übersichtlich, offenkundig oder kompatibel assoziieren ließ. Allein mit dieser persönlichen Entwicklung ist die Beschaffenheit der vorliegenden Arbeit zu motivieren. Den Leitgedanken bei der Auseinandersetzung mit dem Thema bildete die Erkenntnis, dass sprachliche Strukturierungsvorgänge als Kapazität der menschlichen Spezies nur analysiert werden können, wenn Sprache als eine Instanz der menschlichen Kognition angesehen wird. Die Möglichkeiten zur Verwendung des Begriffs ,Kognition' sind vielfältig. Oft meinte man damit ,die menschliche Erkenntnis' und untersuchte so vor allem die eigene Erkenntnis. Häufig wird .Kognition' auch im Sinne eines zweckmäßigen Verhaltens aufgrund von Wahrnehmungen sensorischer Reize verwendet. Bei dieser Definition besitzen auch Bakterien kognitive Kapazitäten. Hier wird eine engere Bestimmung des Begriffs vertreten: Kognition ist die Kapazität, mit der Wissensrepräsentationen auf einer höheren Abstraktionsebene erstellt werden. Das dazu verwendete Werkzeug ist das Gehirn, genauer: der Cortex. Hier geht es um eine Beschreibung dieser Wissensrepräsentationen. Gleichzeitig impliziert dies, dass die Wissensstrukturen mit einer psychologischen Realität zu verknüpfen sind - und nicht der bloßen Vorstellung, die wir von ihnen haben wollen. Es bleibt dem Leser überlassen zu entscheiden, inwieweit diesem Anspruch hier Rechnung getragen wird. Untersucht wird mit dieser Arbeit der Status thematischer Relationen bei der Konzeptualisierung von Äußerungen und deren Versprachlichung und die Prinzipien, welche die Etablierung thematischer Relationen regeln. Die Untersuchung bewegt sich in einem sprachproduktiv, modular orientierten Rahmen. Ziel ist es, eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie thematische Relationen bei der präverbalen Formulierung einer Äußerung und deren nachgelagerter sprachlicher Realisierung zu modellieren sind und welcher Art die Funktion thematischer Relationen bei der Abbildung von außersprachlichen auf grammatische Strukturen ist.
Einleitung
11
Traditionell werden thematische Relationen mit Etiketten wie AGENT oder PATIENT belegt. Sie kennzeichnen die an einem Geschehnis beteiligten Objekte hinsichtlich der Frage Wer macht was mit wem? Thematische Relationen betten also Objekte in Geschehnisse bzw. Ereignisse ein - sie sind Ausdruck der Beziehungen, die zwischen Ereignissen und Objekten und den Objekten untereinander bestehen. Eine solche Auffassung von thematischen Relationen basiert in erster Linie auf außersprachlichen Aspekten. Genau dies ist ein zentraler Gegenstand der vorliegenden Arbeit: Welche konzeptuellen Bedingungen müssen vorliegen, damit bestimmte Typen von thematischen Relationen instantiiert werden? Welche Typen sind hinsichtlich ihrer konzeptuellen Eigenschaften zu unterscheiden? Und schließlich: Welche Arten von Wissensstrukturen sind an der Etablierung thematischer Relationen beteiligt? Bevor jedoch eine Behandlung dieser Fragen begonnen werden kann, muss einiges geklärt werden. So gilt es zu bestimmen, ob thematische Relationen Einfluss auf die grammatische Strukturbildung nehmen bzw. ob thematische Relationen im Sprachsystem selbst verankert sind. Die Frage ist hier, ob Informationen wie AGENT - also die ,agierende' Entität eines Ereignisses betreffend - selbst einen konkreten grammatischen Niederschlag finden oder ob diese Informationen aus anderen, grundlegenderen Aspekten der grammatischen Strukturierung des Ausdrucks abzuleiten sind. Die in der theoretisch-linguistischen und psycholinguistischen Literatur zu findenden Auffassungen hierzu divergieren in einem aussergewöhnlich starkem Maße. In der vorliegenden Arbeit wird angenommen, dass thematische Relationen im Sprachsystem selbst nicht sichtbar sind - weder als konzeptuell spezifizierte Größen noch als abstrakte Etiketten. Für ein modulares Modell stellt sich nun die Frage, welche grammatischen Mittel es sind, die die thematischen Strukturen des Ausdrucks in einer eindeutigen Weise kodieren und die entsprechenden Inferenzen determinieren. Hierzu wird ein Ansatz entwickelt, bei dem die intrinsischen zeitlichen Eigenschaften von Ereignissen, in welche die Objekte involviert sind, eine zentrale Rolle spielen. Für die Inferenz thematischer Beziehungen bieten sich als Ankerplatz die ereignisstrukturellen Eigenschaften eines Ausdrucks - hier als Aktionsarten bezeichnet - an, da diese sich explizit im System der Grammatik niederschlagen. Getragen ist diese Annahme von der elementaren Überlegung, dass abstrakte Komponenten der Bedeutung eines Ausdrucks dem Sprachsystem zugänglich sind und auch nur dort auf der Basis eines lexikalischen Systems modelliert werden. Abstrakte Bedeutungsanteile sind genau die, die für die rein grammatische Strukturbildung relevant sind, also semantisch-lexikalische Eigenschaften wie die Argumentstruktur oder die Ereignisstruktur eines Ausdrucks. Eine wesentliche Aufgabe besteht nun darin zu zeigen, welche semantisch-lexikalischen Komponenten welche Arten von thematischen Relationen indirekt kodieren. Auf diese Weise wird gleichzeitig die Inbeziehungsetzung von semantisch-lexikalischen Argumentpositionen mit den syntaktischen Positionen - das Linking - definiert. Eine bedeutende Stellung in einer derart gelagerten Diskussion muss der Konzipierung der Abbildungsmechanismen, die zwischen dem außersprachlichen und dem sprachlichen
12
Einleitung
System anzunehmen sind, zukommen. Zu einer Annäherung an diese Thematik wird ein Abbildungsmechanismus formuliert, dem die außersprachlichen Informationen über die aktualen thematischen Relationen einerseits und die grammatischen (semantisch-lexikalischen) Informationen über die Argumentstrukturierung des zu verbalisierenden Ausdrucks andererseits zugänglich sind. Der Abbildungsmechanismus - der Thematische Prozessor arbeitet demnach auf der Basis eines Regelwerks, das der Umsetzung jedoch nicht der eigentlichen Modellierung der zu verbalisierenden Strukturen dient. Das außersprachliche Wissen über thematische Relationen wird hier sogenannten funktionalen Koordinationsprinzipien zugerechnet. Dieses Wissen ist der Komponente, die eine außersprachliche, präverbale Botschaft erzeugt bzw. ,konzeptualisiert', zugänglich. Funktionale Koordinationsprinzipien organisieren die Konzeptualisierungsressourcen, indem sie gleichzeitig verfugbare Informationen verwalten und zueinander in Beziehung setzen. Wissen dieser Art wird dem sog. semantischen Gedächtnissystem zugerechnet. Es speichert im Kontrast zum episodischen Gedächtnissystem - generelles, schematisches Wissen über nicht-konkrete Eigenschaften von Objekten bzw. Vorgängen. Thematische Relationen werden durch die Komponente der Konzeptualisierung auf der Basis zweier grundlegender Merkmale etabliert, mit denen die Objekte, die in die zu konzeptualisierenden Ereignisse involviert sind, assoziiert werden. Es sind dies die Merkmale [CHANGE] für eine Veränderung bzw. Bewegung und [ C A U S E ] für eine Verursachungsrelation zwischen einer Entität und einem Ereignis. Die Zuweisung dieser Merkmale erfolgt mittels der Prüfung spezifischer temporaler Kriterien, sowie Kriterien der Krafteinwirkung bzw. des Kontaktschlusses. Die kognitive Motivation für die Annahme der Kriterien liegt in verschiedenen experimentellen Studien zum Konzepterwerb. Die angenommenen Prinzipien werden als basale Prinzipien angesehen, die dem Konzepterwerb zu Grunde liegen und im Verlauf der Entwicklung erweitert werden können und somit auf abstrakte Domänen übertragbar sind. Spezifische Merkmalskombinationen von [ C H A N G E ] und [ C A U S E ] instantiieren eine prototypische thematische Funktion eines beteiligten Objekts. Angenommen werden lediglich zwei thematische Funktionen bzw. Relationen: P R O T O - A G E N T und P R O T O - T H E M E . Der Konzeptualisierer weist salienten Objekten eine entsprechende thematische Funktion zu, wenn sie den Vorgaben, die an die Zuweisung der Merkmale geknüpft sind, entsprechen. Im Ergebnis kann die Konzeptualisierungskomponente eine präverbale Botschaft erzeugen, die der Sprecherintention genügt und in der die thematischen Abhängigkeiten zwischen den beteiligten Entitäten spezifiziert sind. Im Sinne einer Anwendung des bislang entwickelten Systems werden hier abschließend die konzeptuellen und semantisch-lexikalischen Eigenschaften psychischer Verbkomplexe behandelt. Dies dient einerseits der Prüfung des entworfenen Systems und andererseits seiner Erweiterung auf eine abstrakte Domäne. Bei der Beschreibung psychischer Verben und ihrer zu Grunde liegenden konzeptuellen Strukturen erweist sich als Problem, dass. scheinbar gleichartige thematische Relationen ( , S T I M U L U S ' und , E X P E R I E N C E R ' ) in systematisch unterschiedlichen syntaktischen Konstel-
Einleitung
13
lationen realisiert werden. Dies drückt sich u.a. in dem Unterschied von Hans fürchtet Petra vs. Petra ängstigt Hans aus. Motiviert wurde dieser Unterschied in der Literatur u.a. damit, dass lediglich ängstigen-Verben als kausativ zu charakterisieren sind, weshalb bei ihnen die STIMULUS-Entität (= Petra) in der Subjekt-Position realisiert wird. Dem zu Grunde liegt die Annahme, dass die thematischen Relationen bei beiden Verbgruppen identisch sind. Wie gezeigt werden wird, lässt sich diese Unterscheidung hinsichtlich der außersprachlichen Eigenschaften der Verbkomplexe nicht halten: Für beide Verbgruppen gelten dieselben konzeptuellen kausalen Prinzipien. Sowohl an die STIMULUS-Entität in fürchten- als auch in ¿'«g.vf/getf-Komplexen weist also die Konzeptualisierungskomponente das Merkmal [ C A U S E ] zu. Die Zuweisung erfolgt nicht anhand der temporalen Kriterien der zu Grunde liegenden Ereignisse, sondern vielmehr auf der Basis eines erweiternden Systems an Prinzipien für sogenannte Kovariationsinformationen, anhand welcher kausale Zusammenhänge inferiert werden müssen. Das Wirken über diese Prinzipien kann mit kausalen Nebensätzen mit weil exploriert werden. Sie explizieren die Kausalität, die implizit mit psychischen Verbkomplexen ausgedrückt wird. Kausale Nebensätze der Art weil sie rational ist werden kanonischerweise der STIMULUS-Entität zugeordnet. Die Zuordnung zur EXPERIENCER-Entität (= Hans) ist weniger präferiert. Zum Nachweis dieser Konstellation, die hier als Ausdruck der Prinzipien der impliziten Verbkausalität angesehen wird, wurde eine Studie zur Messung ereigniskorrelierter Hirnpotentiale (EKP) durchgeführt. Entsprechend der Hypothese wird mit ihr gezeigt, dass eine Zuordnung der kausalen Nebensätze zur EXPERIENCER-Entität mit Verarbeitungsschwierigkeiten, die sich auch kognitiv niederschlagen, einhergeht. Hinsichtlich des Unterschieds beider Verbgruppen bzw. ihrer Konzeptualisierungen wird argumentiert, dass die thematischen Relationen beider nicht identisch sind. Ein entsprechender Unterschied wird in indirekter Weise mit einer Fragebogenstudie nachgewiesen, mit welcher gezeigt wird, dass die Zuordnung der kausalen Nebensätze (welche die Eigenschaft des S T I M U L U S explizieren) bei ängstigen-Verben in geringerem Maße als bei fürchten-Verben der STIMULUS-Entität zugeordnet werden, wenn diese belebt ist. Interpretiert wird dieser Unterschied anhand der zu Grunde liegenden ereignisstrukturellen Eigenschaften der Verbkomplexe. Angstigen-Verben sind demnach parallel zu zeitlich andauernden Aktivitätskomplexen mit tanzen oder jagen, denen eine agentive Entität inhäriert, zu charakterisieren. Diese Konstellation wurde in einer Fragebogenstudie überprüft, in der die ereignisstrukturellen Eigenschaften psychischer Verbkomplexe variiert wurden. Im Ergebnis zeigt sich, dass ängstigen-Verben in einem stärkeren Maße als zeitlich durative Aktivitäten realisiert werden, als dies bei fürchten-Verben der Fall ist: Mit ihnen werden präferiert ereignisstrukturelle Zustände realisiert. Für die grammatische bzw. die semantisch-lexikalische Beschreibung psychischer Verbkomplexe ergibt es sich nun, dass ängstigen-Verben aufgrund ihrer Eigenschaften als Aktivität - im Gegensatz zu den fürchten-Verben - die STIMULUS-Entität in der Subjekt-Position realisieren. Erklärt werden muss, weshalb bei psychischen Verben passivische Struk-
14
Einleitung
turen entgegen den Vorhersagen, die mit der hier vertretenen Annahme zu verknüpfen sind, ausgebildet werden: Angstigen-Verben fürchten-Werben
erlauben präferiert nur ein zuständliches Passiv,
hingegen das Vorgangspassiv. Erklärt wird dies anhand der speziellen ar-
gumentstrukturellen Eigenschaften psychischer Verben. Zur Umsetzung dieser Fragestellungen wurde die Arbeit in drei Kapitel unterteilt. Angemerkt sei hier, dass jedes Kapitel eine recht ausfuhrliche Einleitung und ein Fazit begleiten. Die daraus zu ziehenden Konsequenzen sind dem Leser überlassen. Im ersten Kapitel wird das hier vertretene Modell entwickelt. Behandelt wird die Frage, inwieweit Vorstellungen von der Modularität des Sprachsystems linguistische Fragestellungen berühren. Als Grundlage kommt hier ein Modell der Sprachproduktion zur Anwendung, in das eine Ebene der abstrakten Bedeutungsrepräsentation integriert ist. Diese ist dem System der grammatischen Strukturbildung zugeordnet. Letztere erfolgt auf der Basis von präverbalen Eingabestrukturen, die ein sogenannter Konzeptualisierer erzeugt. Er rekrutiert Informationen aus einer konzeptuellen Wissensbasis, die im zweiten Kapitel genauer untersucht wird. Zentraler Untersuchungsgegenstand des ersten Kapitels ist die grammatische Enkodierung einer zu verbalisierenden Botschaft. Die sich stellende Frage ist, welche Teile einer präverbalen Botschaft einen expliziten Niederschlag in der grammatischen - genauer: der semantisch-lexikalischen - Struktur finden. Es wird gezeigt, wie Ereignisstrukturen sich im Sprachsystem niederschlagen und welche Beschreibungsmittel dazu einzusetzen sind. Globales Thema des zweiten Kapitels ist es, den Status thematischer Relationen bei der Bildung einer (vor-) sprachlichen Struktur zu bestimmen. Dazu werden in einem ersten Schritt verschiedene psycholinguistische und theoretisch-linguistische Ansätze hinsichtlich ihrer Erklärungsadäquatheit untersucht. Im Ergebnis dessen erfolgt eine Einpassung der eigenen Annahmen hierzu in das Modell. Aufgabe des zweiten Kapitels ist es zu definieren, wie thematische Relationen auf der Ebene der Konzeptualisierung eines Ausdrucks etabliert werden. Dazu werden die verschiedenen Wissenssysteme exploriert und grundlegende Prinzipien entwickelt, welche die Wissenssysteme organisieren. Die Konzeptualisierung von (prototypischen) thematischen Relationen in einem zu verbalisierenden Sachverhalt werden im Sinne einer Interaktion der Wissenssysteme dargestellt. Diese Interaktion wird durch Merkmale gesteuert, die der Konzeptualisierer von semantischen Ereignisstypen auf saliente Objekte abbildet. Ein wesentlicher Aspekt des zweiten Kapitels ist es zu zeigen, wie die außersprachlichen thematischen Relationen in einen systematischen Bezug zur grammatischen Struktur gesetzt werden. Die Diskussion hierzu bildet den Abschluss des Kapitels. Im dritten Kapitel wird das entwickelte Systems zur Etablierung thematischer Relationen auf den Phänomenbereich der psychischen Verben angewandt. Eine Untersuchung ihrer außersprachlichen Eigenschaften zeigt, in welcher Weise das in Kapitel 2 entworfene System erweitert werden kann. Anhand einiger empirischer Studien wird die Annahme verschiedener konzeptueller Prinzipien motiviert, die für die Konzeptualisierung der Verur-
Einleitung
15
sachung psychischer Zustände anzunehmen sind. Der Unterschied der beiden Gruppen psychischer Verben wird mit einer Divergenz ihrer thematischen Relationen erklärt. Abschließend wird die sprachsystematische Umsetzung der entwickelten außersprachlichen Strukturen auf die grammatische Ebene der semantisch-lexikalischen Repräsentation untersucht.
1 Sprachgenerierung: Grammatik und Konzept
Im Folgenden wird die modelltheoretische 1 Grundlage für alle weiteren Überlegungen geschaffen. Im Mittelpunkt stehen dabei zwei Problembereiche: Einerseits gilt es, ein adäquates Modell der sprachlichen Generierung 2 auszuarbeiten, die hier interessierenden Komponenten des Modells zu definieren und die Art der Interaktion zwischen den Komponenten zu bestimmen. Andererseits muss geklärt werden, wie sprachliche Informationen in einem solchen Modell repräsentiert werden, welche Wissensstrukturen dabei sinnvollerweise zum Einsatz kommen und wie der Variabilität sprachlicher Strukturen Rechnung getragen werden kann. In einer derart gestalteten Diskussion nimmt die Wechselbeziehung von sprachlichen und nicht-sprachlichen Informationen einen zentralen Platz ein. Diese Wechselbeziehung wird in diesem Kapitel jedoch auf einer eher abstrakten, defmitorischen Ebene erörtert. Erst im darauf folgenden Kapitel kann eine konkrete Ausbuchstabierung insbesondere der Spezifik des außersprachlichen Input-Materials für die grammatische Strukturbildung erfolgen. Die oben skizzierte, sicherlich recht umfassende Zielstellung fußt auf zwei Faktoren: Eine Untersuchung der thematischen Beziehungen von Entitäten in Sachverhaltsstrukturen, die versprachlicht werden, kann ausschließlich vor dem Hintergrund exakter modelltheoretischer Vorstellungen erfolgen. Nur so kann die Spezifik thematischer Relationen hinsichtlich deren Funktion und Status eindeutig bestimmt werden. Zum anderen soll hier nicht schlicht ein Modell vorausgesetzt werden. Gemäß den gesetzten Prämissen wird vielmehr ein verschiedene Ansätze integrierendes Modell entwickelt, anhand dessen sich einerseits explizite, theoretisch-linguistisch anwendbare Aussagen über grammatische Strukturbildung treffen lassen, und das andererseits jedoch strikt den Anforderungen psychologischer - also menschlich-kognitiver - Gegebenheiten unterworfen ist.
2
,Modelltheoretisch' wird hier und im folgenden stets umgangssprachlich verwendet und bezieht sich auf theoretische Aspekte, die zur Entwicklung des hier angenommenen Modells erörtert werden. Ein Bezug auf die modelltheoretische Semantik möglicher Welten in Montague'scher Prägung wird explizit gekennzeichnet. Mit ,Generierung' ist hier die produktive - jedoch von Zeitverläufen unabhängige - Seite der Sprachverarbeitung gemeint. Die Festlegung auf diese Bezeichnung basiert auf der Gegebenheit, hier nur wenig über zeitliche Abläufe der Sprachproduktion aus- bzw. vorhersagen zu können.
Sprachgenerierung: Grammatik und Konzept
17
Dementsprechend beschäftigt sich auch der erste Abschnitt des Kapitels mit einem zentralen Aspekt kognitiv orientierter Modellbildung: Erfolgen die verschiedenartigen kognitiven Prozesse und die für die hier interessierende Fragestellung relevante sprachliche Strukturbildung unabhängig im Sinne von abgeschlossenen und spezialisierten Moduln? Und des weiteren: Müssen diesbezügliche Erkenntnisse Einfluss auf die linguistische Theoriebildung nehmen? Im Sinne einer für das Verstehen sprachlicher Ausdrücke notwendigen Nachvollziehbarkeit der komputationeilen Vorgänge, die an der sprachlichen Strukturbildung beteiligt sind, wird gezeigt, dass letztere Frage positiv zu beantworten ist. Der nächste Abschnitt widmet sich den eigentlichen modelltheoretischen Überlegungen. Auf der Basis des bereits Erörterten werden kurz interaktive und modulare Modelle der Sprachproduktion kontrastiv diskutiert und die zentralen und auch hier vertretenen Annahmen dargelegt, die mit dem strikt-seriell modularen Modell Levelts (1989) und Levelt et al. (1998) getroffen werden. Eine wichtige Erweiterung erfährt das Levelt'sche Modell durch die Integration der Annahmen, die innerhalb des theoretischen Rahmens der Zwei-EbenenSemantik (vgl. hierzu u.a. Bierwisch (1983), (1989)) getroffen werden (s. Bierwisch & Schreuder (1992)). Kerngedanke der Theorie ist, dass der Aufbau einer Bedeutungsrepräsentation zweistufig erfolgt: Demnach werden aus nicht-sprachlichen, extensionalen konzeptuellen Repräsentationen, die durch das episodische Wissen determiniert sind, sprachsystematisch orientierte, abstrakte Bedeutungsstrukturen erstellt, die die grammatisch relevanten Aspekte einer zu versprachlichenden Botschaft - wie deren lexikalische Struktur - kodieren. Im darauf folgenden Abschnitt wird der zentrale Problembereich der Grammatikalisierung einer zu versprachlichenden Struktur behandelt. Eine für die vorliegende Arbeit wesentliche Behauptung in Levelt et al. (1998) ist, dass lexikalische - also versprachlichbare Konzepte nicht-dekompositionaler, d.h. atomarer Natur sind. Hauptsächlich diesem Problembereich widmet sich Abschnitt 1.3.1. Es werden die verschiedenen Annahmen hierzu diskutiert und auf ihre Adäquatheit hin geprüft. Dabei wird dafür plädiert, die Konzeption dekompositionaler Ansätze zwar beizubehalten, sie jedoch dahingehend zu modifizieren, dass die Dekompositionsprimitiva einzig auf der Basis universaler und dem Sprach- und Konzepterwerb zu Grunde liegender Wissensstrukturen definiert werden. Beschäftigt man sich mit den Vorgängen zur Grammatikalisierung von zu versprachlichenden Strukturen, muss zuvorderst geklärt werden, welche Arten von Informationen einer außersprachlichen Struktur überhaupt grammatikalisiert werden bzw. dem Sprachsystem zugänglich sind. In der vorliegenden Arbeit wird diesbezüglich ein Ansatz verfolgt, der sich an den Ereignisstrukturen der Ausdrücke orientiert. Demnach sind es hauptsächlich Informationen über die temporale Einbettung und Strukturierung eines denotierten Sachverhalts, die auf grammatischer Ebene sichtbar sind. Wie in Abschnitt 1.3.2 gezeigt wird, lassen sich anhand ereignisstruktureller Informationen bereits eine Vielzahl von Regelmäßigkeiten bei der sprachsystematischen Realisierung von Verbalphrasen wie deren Argumentstrukturierung oder Modifizierbarkeit ableiten. Sachverhaltsinterne Ereignisstrukturen gruppieren sich auf sprachlicher Ebene in Aktionsarten von Verbalphrasen. Mit dieser Fest-
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Sprachgenerierung: Grammatik und Konzept
Stellung muss auch eine konzeptionelle Abgrenzung der Kategorie Aktionsart von der Kategorie Aspekt erfolgen. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang auch, inwieweit Aktionsarten als dem verbalen Lexikoneintrag inhärente Informationen anzusehen sind. Es wird - in einer eher annähernden Weise - dafür argumentiert, dass den verbalen Lexikoneinträgen spezifische kanonische Ereignisstrukturen zu Grunde liegen, die erst durch kompositionale Operationen verschiebbar sind. Im Folgenden wird erläutert, wie Ereignisstrukturen in dekompositionalen Repräsentationen erfasst werden können. In Abschnitt 1.3.2.1 werden verschiedene Ansätze hierzu diskutiert und es wird ein Basisinventar an anzunehmenden ereignisstrukturellen Dekompositionsprimitiva geschaffen. Von zentralem Interesse ist hier die Unterscheidung von punktuellen vs. zeitlich ausgedehnten Zustandswechseln. Die Problematik hängt wiederum mit der Frage zusammen, ob Ereignisstrukturen bereits in verbalen Lexikoneinträgen fixiert sind und wird hier stellvertretend als Prüfstein für eine Modellierung des Lexikons angesehen. Es wird geschlussfolgert, dass die Art des Zustandswechsels selbst nicht in den Dekompositionsstrukturen der verbalen Lexikoneinträge zu erfassen ist, sondern dass es vielmehr eine abstrakte temporale Relation zwischen den Zeitpunkten des Vor- und des Nachzustands ist, die im Verlauf der Komposition zu fixieren ist. Diesbezüglich lassen sich drei verschiedene Arten von Verben des Zustandswechsels unterscheiden. Bislang nur eher implizit wurde angenommen, dass die behandelten Repräsentationen lexikalischer also grammatischer Natur sind. Im abschließenden Abschnitt wird nun erörtert, wie die grammatischen Repräsentationen abstrakter Bedeutungsanteile zu gestalten sind, um den Anforderungen des Sprachsystems genügen zu können. Nachdem bestimmt wurde, welche Arten von außersprachlichen Informationen von Sachverhalten dem Sprachsystem zugänglich sind, wird in Abschnitt 1.3.3 erörtert, wie diese Informationen im gegebenen theoretischen Rahmen nun tatsächlich explizit und regelhaft sprachsystematisch kodiert werden, um adäquat in syntaktische Strukturen umsetzbar zu sein. Es werden verschiedene Vorstellungen von der Abbildung außersprachlicher auf syntaktische Strukturen diskutiert, wobei bilanzierend und im Sinne der Zwei-Ebenen-Theorie der Semantik für einen indirekten Abbildungsverlauf über eine Ebene der abstrakten Bedeutung plädiert wird. Diese abstrakte semantische Repräsentation kodiert Ereignisstrukturen bzw. grammatisch relevante Informationen in kompositionaler Weise. Es werden die verschiedenen kompositionalen Verfahren, die auf den lexikalischen Repräsentationen operieren, skizziert. Besondere Beachtung findet das im theoretischen Rahmen unterschiedlich angewendete Konzept der freien Parametrisierung. Diese gewährleistet die Festlegung der lexikalischen Konzepte auf eine spezifische interpretative Spannbreite. Konträr behandelt wird hier die Frage, ob freie Parameter bereits im Lexikoneintrag selbst verankert sind, oder ob sie außersprachlich getriggert - erst im Verlauf der Komposition in die Struktur eingeführt und entsprechend belegt werden. Da freie Parameter außersprachlich und nicht durch grammatisches Wissen fixiert werden, hängt eng mit dieser Thematik die Frage nach der Interaktion zwischen Sprachsystem
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und außersprachlichem System zusammen. Diesem wesentlichen modelltheoretischen Aspekt wollen wir uns nun zuwenden.
1.1 Modularität Jede ernsthafte Auseinandersetzung mit sprachlichen Strukturen und Prozessen nimmt mehr oder weniger explizit - Stellung zur Modularitätshypothese. In ihrem Kern besagt sie, dass der Erwerb und die Verarbeitung von Sprache unabhängig von anderen kognitiven Systemen wie bspw. dem haptischen oder dem visuellen System erfolgt (s. Fodor (1983)). Das daraus abgeleitete Modularitätsprinzip definiert den Ablauf einer jeden Komputation: Eine spezialisierte Systemkomponente kann jeweils nur die Daten verarbeiten, die ihr von einem unmittelbar vorgeschalteten Modul 3 eingespeist werden. Die Berechnungsgrundlage bilden dabei jeweils die Inputstrukturen und die Informationsstrukturen einer der Prozesskomponente zugeordneten Wissensbasis. Zwei generelle Prinzipien, die für die kognitiv-basierte linguistische Theoriebildung von besonderer Relevanz sind, konstituieren eine ¡nodulare Architektur (vgl. hierzu Fodor (1983), (1987a)): • •
Die komputationellen Operationen eines Moduls sind minimal beeinflusst durch Operationen anderer Moduln (computational encapsulation). Moduln arbeiten autonom, d.h. die Ressourcen der zugeordneten Wissensbasis werden nicht durch andere kognitive Systeme genutzt (informationell autonomy).
Für die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen ergeben sich aus der Modularitätshypothese unterschiedliche Konsequenzen. Aus Sicht der kognitiven Neurophysiologie stellt sich u.a. die Frage, ob die neuronalen Korrelate von ereigniskorrelierten Hirnpotentialen (EKP), die mit sprachlichem Material evoziert werden, kognitiv einzig auf Sprache spezialisiert arbeiten oder ob sie auch mit anderen kognitiven Aufgaben, die in Hirnaktivitäten resultieren, zu assoziieren sind. Eine bspw. sprachlichen Prozessen zugeordnete EKP-Komponente ist die Early Left Anterior Negativity (ELAN), welche ca. 200 Millisekunden nach der Stimulus-Präsentation in links-anterioren Bereichen des Cortex auftritt und durch gravierende Phrasenstruktur-Verletzungen wie ein fehlendes Präpositionalobjekt evoziert wird (s. Friederici (1997)). Eine ähnlich zeitlich frühe - jedoch der rechten Hemisphäre zugeordnete Komponente (Right Anterior Negativity) - findet sich auch für musikalische Reize, mit denen gegen grundlegende tonale Gruppierungsprinzipien verstoßen wird (s. Patel et al.
,Modul' wird hier und im folgenden stets im Sinne einer engen Begriffsbestimmung verstanden: Hinsichtlich der hier interessierenden Verarbeitungsstufen ist prinzipiell nur das System der sprachbezogenen Grammatik mit ihren Sub-Systemen von nicht-sprachlichen Ebenen modular zu trennen. Die grammatischen Sub-Systeme der Morphologie oder Phonologie bspw. werden demnach nicht als Moduln sondern als Komponenten der Grammatik angesehen. Bei entsprechender Evidenz kann es jedoch notwendig sein, diese wiederum als Moduln - also als komputationell und informationell abgeschlossen - zu charakterisieren.
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(1998)). Hinsichtlich früher Verarbeitungsabläufe von Sprache und Musik scheint es also gerechtfertigt, beide Modalitäten neuronal zu dissoziieren bzw. von einer Modularität der entsprechenden Prozessoren auszugehen. Ein anderes Bild ergibt sich allerdings bei späteren Verarbeitungsprozessen. Die P300/600-Komponente, welche bei sprachlichen Stimuli syntaktische Reanalyse-Prozesse und lexikalische Integrationsvorgänge signalisiert (vgl. Osterhout und Holcomb (1992)), lässt sich u.a. auch durch musikalisches Material wie eine abweichende Note in einem vertrauten Musikstück evozieren (vgl. Paller et al. (1992)). In späteren Zeitfenstern also scheinen Sprache und Musik unter Verwendung paralleler kognitiver Kapazitäten verarbeitet zu werden. Die Diskussion hierzu basiert in einem breiteren Kontext auf dem fachübergreifenden Disput um die Existenz einer sprachspezifischen Hirndomäne (im Sinne eines mental organ), deren genetisch bedingte neuronale Organisation sich aus evolutionärer Sicht ausschließlich in der menschlichen Spezies wiederfindet (s. hierzu bspw. Bates (1994); Chomsky (1988); Müller (1995)). Die innerhalb der Psycholinguistik geführte Debatte dreht sich um die Frage, ob die Sprachverarbeitung von einem singulären integrativen System oder aber von mehreren autonomen Moduln geleistet wird. Darüber hinaus wird untersucht, zu welchem Zeitpunkt die verschiedenen Arten von Informationen zur Sprachverarbeitung eingesetzt werden. Im Mittelpunkt steht dabei einerseits die generelle Diskussion um den Zeitpunkt bzw. die Abfolge der Verarbeitung rein syntaktischen Wissens, andererseits wird untersucht, in welcher Art und Weise (nicht-syntaktische) lexikalische Information wie die Argumentstruktur oder die thematische Strukturierung eines Ausdrucks verarbeitet werden. Zentral ist dabei die Frage, ob eine initiale syntaktische Struktur - im Sinne des Modularitätsprinzips - unter Ausschluss lexikalischer und kontextueller Informationen erzeugt wird (vgl. u.a. Frazier (1987a); Carlson & Tanenhaus (1988); Urban (2000), (2001); Urban & Friederici (1999)). Verneint wird dies bspw. von Taraban & McClelland (1988). Sie zeigen mit Reaktionszeitexperimenten, dass aufgrund pragmatisch bedingter Präferenzen bei strukturellen Ambiguitäten komputationeil kostspieligere Anbindungen von Präpositionalphrasen unmittelbar bevorzugt werden. Taraban & McClelland leiten daraus ab, dass zentrale Steuermechanismen interaktiv in den initialen Strukturaufbau eingreifen und dort mit außersprachlichen Mitteln Entscheidungen treffen, für die ein genuin strukturbasierter Parser blind ist (s. hierzu auch Abschnitt 2.1.1). Für die linguistische Theoriebildung stellt sich die Frage, ob Aspekte der Modularität der Sprachverarbeitung überhaupt eine Rolle spielen. Berücksichtigt man, dass eine Vielzahl linguistischer Modelle eine modulare Architektur aufweist und in irgendeiner Weise Anspruch auf kognitive Adäquatheit erhebt, erscheint diese Frage nahezu widersinnig. Schlüssiger wird sie jedoch, wenn man Komputation und Repräsentation sprachlicher Strukturen einer scharfen Trennung unterzieht. Bei einer Komputation operieren strukturerzeugende Mechanismen über den Daten einer Prozessebene und transformieren diese in jeweils spezifischere Strukturen. Eine Repräsentation hingegen kann als das Resultat bzw. die Berechnungsgrundlage einer Komputation angesehen werden. Prinzipiell ist es möglich, dass mehrere Prozessebenen interagieren, um eine autonome - d.h. ebenenspezifisch auf-
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gebaute - Repräsentation zu erzeugen. In einem solchen Falle läge zwar repräsentationeile Modularität, j e d o c h komputationelle Interaktivität vor. In diesem Sinne vertritt u.a. Ehrich (1992) die Auffassung, dass ein interaktiv konzipiertes Prozessmodell in keiner W e i s e ein interaktives Repräsentationsmodell erfordert. Insofern hätte also die Art, in der sprachliche Prozesse ablaufen, keinen Einfluss auf die linguistische Theoriebildung. Folgendes Beispiel hierzu: (1)
a. D a s sind die Löwen, die|.SL1ijFKT [tj] die Gazellen reißen, b. D a s sind die Löwen, diej.0BJFKT die Gazellen [tj] fürchten.
Obwohl das Relativpronomen die hinsichtlich seiner syntaktischen Funktion im N e b e n s a t z a m b i g ist, kann diese pragmatisch erschlossen werden. In Satz ((1 )a) wird das P r o n o m e n als syntaktisches Subjekt fungieren, in Satz ( ( l ) b ) hingegen als Objekt. 4 Diese D e s a m b i guierung wird anhand von außersprachlichen Mitteln geleistet - unser begriffliches W i s s e n über die Beziehung von Löwen zu Gazellen und deren objektspezifische Eigenschaften verhindert eine Schlussoperation etwa der Art, dass eine Gazelle einen L ö w e n reißt. Die syntaktische Funktion des Relativpronomens muss also - gewissermaßen interaktiv - über nicht-syntaktische Mittel etabliert werden. Die Relativsätzen inhärierende Spur - hier mit t markiert - definiert sich j e d o c h ausschließlich über strukturelle, syntaktisch basierte B e dingungen: Spuren als leere Kategorien unterliegen d e m Empty
Category
Principle
und
müssen daher streng regiert sein (vgl. C h o m s k y (1986); C h o m s k y & Lasnik (1991)). U n t e r der (theoretisch-linguistischen) A n n a h m e repräsentationeller
A u t o n o m i e in einem solchen
interaktiven Szenario bliebe j e d o c h völlig unklar, wie der B e d i n g u n g der strengen Rektion entsprochen w e r d e n könnte: Strukturell gesehen kann die Spur, die strenger Rektion unterliegt, nicht eindeutig identifiziert werden. D a repräsentationeile Autonomie das W i r k e n außersprachlichen Materials auf syntaktischer Ebene ausschließt, würden die Sätze unter (1) gewissermaßen zur ewigen strukturellen Ambiguität verdammt. Eine Lösung für diesen Widerspruch bietet sich, wenn man annimmt, dass auch Operationen
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repräsentiert werden
Stillschweigend wird hier angenommen, dass es sich bei den Beispielsätzen unter (1) nicht um auditiv rezipierte Äußerungen handelt. Hinsichtlich ihrer auditiven Verarbeitung müssen intonatorische Aspekte berücksichtigt werden, welche die Desambiguierung der Strukturen regeln können. Demnach unterscheiden sich ((l)a) und ((l)b) in ihren Intonationsstrukturen, die eine Festlegung der syntaktischen Funktion des Relativpronomens via Informationsstruktur lenken: Das sind die LÖwen, die [t] die GaZELlen reißen vs. Das sind die LÖwen, die die Gazellen [t] FÜRCHten. Diesen Hinweis verdanke ich Anita Steube (s. auch Steube (1999)). Intonatorische Gegebenheiten sind auch im folgenden ausgeblendet. Zum Status prosodischer Informationen in psycholinguistischen Modellen der Sprachverarbeitung sei u.a. auf Speer et al. (1996) verwiesen. Welche Rolle die Prosodie in der automatisierten Verarbeitung sprachlicher Strukturen einnimmt, ist nicht völlig geklärt. Es finden sich jedoch Hinweise, dass die Ebenen der Syntax und der Prosodie kooperieren, wobei auch für eine zeitliche Versetztheit der prosodischen und der syntaktischen Einflussnahme auf die Sprachverarbeitung argumentiert werden kann.
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müssen. Für ein interaktives Prozessmodell, welches ebenenübergreifende Operationen zulässt, muss geklärt werden, wie die Operationen einer Ebene zu repräsentieren sind, um die Daten einer anderen Ebene verarbeiten zu können. Repräsentationelle Autonomie in einem interaktiven Prozessmodell kann auf diese Weise allerdings schwerlich aufrechterhalten werden, da dann die spezifischen Repräsentationen einer Ebene für die Operationen einer anderen Ebene stets unzugänglich wären. Im weiteren soll also grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein interaktives Prozessmodell gleichermaßen interaktiv gestaltete Repräsentationen erfordert. Modulare Modelle der Sprachverarbeitung hingegen erfordern modular konzipierte Repräsentationen. Für die linguistische Theoriebildung ergibt sich aus dieser Prämisse eine wesentliche Konsequenz: Die angenommenen Repräsentationen müssen demnach immer als das Produkt aller an ihrer Erstellung beteiligten Prozesse und Wissensbasen identifizierbar sein. Ein daraus ableitbares Prinzip kann wie folgt dargestellt werden: (2)
Prinzip vom Erhalt ebenenübergreifender
Komputationen:
Sind die Operationen g des Moduls G und Operationen c des Moduls C an der Berechnung der grammatischen Struktur S beteiligt, so umfasst eine Repräsentation für S die Summe aller beteiligten Operationen: [g°(Si) A C C (S ; ) = Sj] [REPRES(Sj) = g(Sj) U c(S[)]
Innerhalb eines strikt-modularen Modells ergibt sich für das Beispiel (1) nun folgendes: Wenn nicht-syntaktische Operationen nicht in den Aufbau einer initialen syntaktischen Struktur eingreifen, dann muss gemäß dem Prinzip in (2) die syntaktische Repräsentation für (1) unterspezifiziert bleiben bzw. reanalyse-fähig sein. Aus parsing-strategischer Sicht ergeben sich zwei Möglichkeiten: Entweder der Parser weist beiden Ausdrücken dieselbe kanonische syntaktische Struktur zu, von denen eine revidiert werden muss, oder er gibt für beide eine ambige syntaktische Struktur aus, die auf einer nachgeschalteten Prozessebene aufgelöst werden muss.
1.2 Modelltheoretische Voraussetzungen Gemäß den für die vorliegende Arbeit gesetzten Prämissen dient als Ausgangspunkt für die weiteren Überlegungen ein prozessorientiertes Modell der Sprachgenerierung, dessen grundlegende Konzeption auf der Arbeit von Levelt (1989) beruht und das sowohl aus theoretisch-linguistischem als auch kognitiv-semantischem Blickwinkel in verschiedenen Untersuchungen u.a. von Bierwisch & Schreuder (1992); Härtl (1999); Härtl & Witt (1998) und Herweg & Maienborn (1992) ausgebaut und auf einzelne sprachliche Phänomene angewandt wurde. Bevor auf diese erweiternden Arbeiten eingegangen werden kann, soll zunächst die grundlegende Architektur des Levelt'schen Modells kurz umrissen werden. Levelts Modell ist strikt seriell-modular konzipiert, d.h. die Daten einer Prozessebene können nur nach einer vollständigen Verarbeitung über präzise zu definierende Schnittstel-
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len an eine adjazente Prozessebene übermittelt werden. Ein Hauptmerkmal des Levelt'schen Modells ist die scharfe Trennung konzeptuell bedingter und phonologisch bzw. artikulatorisch bedingter Zugriffe. Rückgriffe auf ebenenfremde Informationen sind nicht möglich (s. Levelt (1998)). Damit unterscheidet sich Levelts Modell von interaktiv-konnektionistischen Modellen, die ein parallel processing annehmen. Der Grundgedanke der letzteren ist, dass Datenstrukturen in verschiedenen Prozessen zur gleichen Zeit verarbeitet werden können. So erklärt bspw. Dell (1986) Überlappungen bei phonologisch und semantisch basierten Versprechern auf der Basis von spreading activation, die ebenenübergreifend die Aktivation verwandter Einheiten anstößt. Demnach ist die Aktivation eines Lemmas vorrangig semantisch bedingt, daneben jedoch auch phonologisch. Gleichermaßen ist während der phonologischen Aktivation semantische Information zugänglich. Damit erklärt sich bspw., weshalb das Lemma für cat das phonologisch und semantisch unrelatierte log mitaktiviert: Eine Verknüpfung zwischen beiden besteht über das Lemma für dog (vgl. Cutting & Ferreira (1996); Dell & O'Seaghdha (1992)). Insgesamt jedoch muss die Annahme eines interaktiven Sprachproduktionsprozesses zumindest zum jetzigen Zeitpunkt - in Frage gestellt werden. Zum einen sprechen methodische Überlegungen gegen eine solche Annahme: Die Mehrzahl der experimentellen Studien zur Interaktivität des Sprachproduktionsprozesses sind oJ^/we-Studien. Dabei werden kontextfreie Stimuli präsentiert - es wird so gewissermaßen in den Bereich des lexikalischen Zugriffs hineingezoomt und nur eine Teilmenge des tatsächlichen Prozesses fokussiert. Inwieweit auf diese Weise tatsächlich der natürliche Prozess der Sprachproduktion modelliert werden kann, bleibt völlig ungeklärt. Zum anderen sprechen die bekannten tip-of-thetowgwe-Phänomene und die Ergebnisse verschiedener experimenteller Studien (s. u.a. den Abriss in Garrett (1988)) in starkem Maße für die Serialität des Sprachproduktionsprozesses. Sie können nur unter der Annahme einer strikten Grenzziehung zwischen konzeptueller und sprachsystematischer Prozessebene erklärt werden. Die spontane Unfähigkeit, bestimmte Lemmata zu artikulieren, zeigt, dass mitunter die Aktivierung eines phonologischen Kodes von einem konzeptuell bereits aktivierten Lemma blockiert sein kann. Die Schlussfolgerung ist, dass in diesen Fällen die Grenze zwischen konzeptuell basierten und sprachsystematisch basierten Prozessebenen unpassierbar ist (vgl. Garrett (1993); Levelt (1998)). Der Gesamtprozess ergibt sich nach Levelt (1989) aus dem Zusammenwirken dreier Prozesskomponenten, welche als „Spezialisten" jeweils für wohldefinierte Prozessphasen zuständig sind. Der Konzeptualisierer nimmt die Inhaltsplanung und -partitionierung einer präverbalen Botschaft (preverbal message) auf der Grundlage der Sprecherintention vor, indem er auf perzeptuelle Reize reagiert und auf die Basis des konzeptuellen Wissens (CKB) zugreift. In diesem Sinne enthält das Arbeitsgedächtnis all die aktivierten Informationen, die dem Sprecher unmittelbar zugänglich sind. Konzepte, die einer Versprachlichung unterzogen werden können, müssen in irgendeiner Weise markiert sein (vgl. Levelt et al. (1998)). Der Formulator aktiviert auf der Basis der präverbalen Botschaft die entsprechenden Lemmata des Lexikons und baut eine aktuale syntaktische Struktur auf. Er ver-
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arbeitet somit ein zu versprachlichendes Införmationsgefiige und grammatikalisiert dieses auf der Grundlage sprachsystematischen Wissens. In welcher Art und Weise der eigentliche Lexikonzugriff erfolgt, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden (vgl. hierzu u.a. Garrett (1988); Roelofs (1997a)). Der Artikulator weist die entsprechenden motorischen Komponenten zur lautsprachlichen Umsetzung der bislang aufgebauten Strukturen an. Dies wird auf der Basis der phonologischen Eigenschaften der lexikalischen Einheiten realisiert. Ein self-monitoring überwacht den Strukturaufbau in seiner Gesamtheit unter Einbindung des Sprachverstehenssystems in den Produktionsprozess. Eine entsprechende Analyse der inneren Rede (internal speech) kann demgemäss Rückkopplungsprozesse zur Revision der aufgebauten Strukturen anregen. Mit dem komputationeilen Modell WEAVER++ wird in Levelt (1998) und Levelt et al. (1998) der Prozess der Wortgenerierung weiter expliziert (zur grundlegenden Konzeption von WEAVER s. Roelofs (1997b)). Es werden drei Strata unterschieden: das konzeptuelle Stratum, das Lemma- und das Form-Stratum. Die Selektion von Einheiten dieser Strata erfolgt über die Aktivierung von stratum-spezifischen Knoten: Der Prozess der lexikalischen Selektion bspw. erfolgt demnach über die Aktivierung eines spezifischen LemmaKnotens, der mit einem zu versprachlichenden Konzept verknüpft ist. Dieser Lemma-Knoten wiederum stellt Informationen bereit über die syntaktische Umgebung, in der die entsprechende lexikalische Einheit auftreten kann. Diese Annahmen sind konform mit Vorschlägen (s. Literaturangaben unter Abbildung 1), die zur Explizierung des Levelt'schen Modells unterbreitet wurden. Ihnen liegt die Einsicht zu Grunde, dass der Aufbau einer Bedeutungsrepräsentation im Sprachproduktionsprozess zweistufig erfolgt im Sinne einer Zwei-Ebenen-Konzeption der Semantik wie sie von Bierwisch (1983), (1989) entwickelt und in fortführenden Arbeiten (u.a. Dölling (1998a); Lang (1994); Maienborn (1996); Olsen (1996a), (1998); Wunderlich (1997)) exploriert wurde. Danach vermittelt zwischen der außersprachlichen konzeptuellen Ebene und dem Sprachsystem eine unterspezifizierte lexikalisch-semantische Strukturebene - die Semantische Repräsentation (SR). Diese Ebene der abstrakten lexikalischen Repräsentation entspricht in WEAVER++ dem Lemma-Stratum. Abbildung 1 skizziert die getroffenen Annahmen schematisch:
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ARTIKULATOR P ro so d ie Abbildung 1: Gesamtmodell der Sprachproduktion (vgl. Bierwisch & Schreuder (1992); Härtl (2000); Härtl &Witt (1998); Herweg & Maienbom (1992))
Auf der konzeptuellen Ebene werden Sachverhalts- und Diskursrepräsentationen (s. hierzu u.a. Habel (1996); Kelter & Habel (1996)) modelliert. Der Konzeptualisierer steuert die Abbildung dieser beiden Wissensstrukturen aufeinander. Er erzeugt eine präverbale Botschaft. Die präverbale Botschaft unterteilt sich in die zwei Substrukturen der konzeptuellen Struktur CS und der kontextuellen Struktur CT. Ein thematischer Prozessor als Schnittstellenmechanismus bildet die Informationsstrukturen der konzeptuellen Ebene auf die Ebene der Formulierung eines Ausdrucks ab (VBL(X,Y) = Verbalisierungsfunktion). Dies erfolgt unter der Bedingung, dass der zu versprachlichende Ausdruck interpretierbar ist (INT(X,Y) = Interpretationsfunktion). Der Formulator erzeugt unter Rückgriff auf die Einträge des Lexikons die abstrakte Semantische Repräsentation (SR), die die Basis für die syntaktische Umsetzung (SYN) des sprachlichen Ausdrucks bildet. In den Abschnitten 1.3, 2.2 und 2.3 werden die einzelnen Komponenten des Modells bzw. die mit ihnen verknüpften anzunehmenden Prinzipien genauer behandelt. An dieser Stelle soll eine allgemeine Definition, die im Folgenden dargelegt wird, genügen. Die Ebene der phonologischen Repräsentation, welche der Artikulator auf der Grundlage der Ausgabestrukturen des Formulators erzeugt, bleibt in der vorliegenden Arbeit weitestgehend unberücksichtigt. Auch nur unsystematisch behandelt werden hier Strukturbildungsprozesse morphologischer Art - sie sind maßgeblich durch die Informationsstrukturen des LEXIKONS determiniert. Die Semantische Repräsentation SR ist als Repräsentation des Wissens über die abstrakten Eigenschaften lexikalischer Einheiten aufzufassen. Sie stellt eine Erweiterung sprachsystematischer Operationen auf die Domäne abstrakter grammatischer Bedeutungsanteile eines Ausdrucks dar und bietet Erklärungspotential zur Sicherung des Modularitätsprinzips:
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Eine exakte Trennung von Sprachsystem und konzeptuellem System kann nun mittels detaillierter Auflagen fixiert werden. In der SR wird die außersprachliche Struktur gewissermaßen um genau das reduziert, was für das Sprachsystem von Relevanz ist und was sich grammatisch widerspiegelt. Bedeutsam ist, dass konzeptuelle Informationen nicht „verloren gehen", sondern in den verschiedenen sprachlichen Konstellationen inferiert werden können, ohne dass sie explizit in einer grammatischen Struktur erscheinen. Eine semantischlexikalische Repräsentation muss genau dies leisten: Einerseits müssen die grammatischen Eigenschaften des sprachlichen Ausdrucks wie etwa die Fügungspotenz oder die grammatische Kategorie sichtbar gemacht werden, andererseits muss der konzeptuelle Gehalt des Ausdrucks aus den sprachlichen Strukturen eindeutig inferierbar sein. Wir werden auf diese Repräsentationsebene in Abschnitt 1.3.3 genauer eingehen. Auch die Konzeptuelle Repräsentation CS wird unten detaillierter erörtert (s. Abschnitt 2.2). An dieser Stelle sei lediglich angemerkt, dass sie als Bestandteil der präverbalen Botschaft den (aktualen) propositionalen Gehalt einer geplanten Äußerung wiedergibt. Sie ist das Produkt der Konzeptualisierung und wird auf der Grundlage der konzeptuellen Wissensbasis (CKB), welche in verschiedene Subsysteme gegliedert ist, erstellt. Die Architektur der konzeptuellen Wissensbasis ist hybrider Natur: Die kognitive Komponente der Gestaltrepräsentation bspw. enkodiert die dreidimensionalen Eigenschaften von Objekten in bildhaften Repräsentationen, die Funktion von Objekten und deren Einbettung in situative Kontexte wird dagegen propositional repräsentiert (vgl. hierzu bspw. Habel et al. (1995); Marr & Nishihara (1978); Simmons (1994); s. auch Abschnitt 2.2.1.1 und 2.2.1.2). Das propositionale Gedächtnissystem wird in zwei Subsysteme - das episodische und das semantische Gedächtnissystem - unterteilt. Das episodische Gedächtnis speichert Informationen zu Ereignissen bzw. Episoden in spezifischen Situationen, welche temporal und räumlich strukturiert sind bzw. unter Bezugnahme auf die eigene Person referieren. Die Einheiten des semantischen Gedächtnisses hingegen werden durch generelle Konzepte bzw. Schemata strukturiert, welche nicht oder lediglich in bezug auf das Universum referieren (vgl. Tulving (1972), (1983)). Diese Schemata repräsentieren das generelle Wissen über die Welt, Beziehungen der Entitäten zueinander und deren Eigenschaften, also bspw. Wissen darüber, dass Hunde vier Beine haben und dass bei einer erschrecken-Situation ein Ereignis-Partizipant in einen bestimmten psychischen Zustand versetzt wird. Die Konzeptualisierung eines Ausdrucks - also die Erzeugung einer CS-Repräsentation - ist als Projektion einer memorisierten situativen Einheit aus dem semantischen Gedächtnissystem auf eine präverbale Botschaft in ihrer Funktion als aktuale Diskursrepräsentation zu verstehen. Diese Projektion wird durch den Konzeptualisierer unter Verwendung von Informationen über einen aktualen und spezifischen Sachverhalt als Einheit des episodischen Gedächtnisses organisiert (s. Härtl (2000)). Ein wesentlicher Unterschied zwischen WEAVER++ und dem in Abbildung 1 skizzierten Modell ist, dass bei ersterem lexikalische Konzepte - also „versprachlichbare" Konzepte - erklärterweise nicht-dekompositionaler Natur sind. Diesem Aspekt, der von grundle-
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gender Bedeutung für jegliche weitere Arbeit an einem repräsentationalen Modell ist, wollen wir uns im folgenden Abschnitt etwas ausführlicher widmen.
1.3 Grammatische Enkodierung Beinahe trivial ist die Aussage, dass sich aus einer grammatischen Struktur die intendierte präverbale Botschaft in eindeutiger Weise ableiten lassen muss. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sämtliche Komponenten einer präverbalen Botschaft in einer grammatischen Struktur des Formulators enkodiert werden müssen. Viele Elemente einer präverbalen Botschaft müssen aus der grammatischen Struktur des entsprechenden Ausdrucks inferiert werden. So ist es bspw. unwahrscheinlich, dass bei einem Satz wie unter (1) während seiner grammatischen Umsetzung die Größe der Zähne von Löwen und Gazellen grammatisch enkodiert bzw. verglichen und auf diese Weise die Rektion der Spur geregelt wird. Es stellt sich also die Frage, welche Komponenten einer außersprachlichen Botschaft auf der grammatischen Ebene der Formulierung sichtbar - d.h. explizit kodiert - sind. Adäquat beantwortet werden kann diese Frage nur, wenn genaue Aussagen über die interne Struktur der lexikalischen Konzepte selbst getroffen werden können. Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden zwei konkurrierende Ansätze zur Beschreibung lexikalischer Konzepte skizziert und auf ihre Adäquatheit hin geprüft werden.
1.3.1
Lexikalische Dekomposition vs. Unanalysierte Atomizität
Grundsätzlich gilt es bei der Beschreibung von Wortbedeutungen bzw. versprachlichbaren Konzepten zu klären, ob diese aus einer finiten Zahl semantischer Komponenten konstruiert und strukturiert sind oder, ob diese vielmehr atomar und unanalysiert gestaltet sind. Dem zu Grunde liegt die generelle Frage nach der Beziehung, in der lexikalische Konzepte - also Wörter - zueinander stehen. Ein augenscheinlicher Vorteil dekompositionaler Ansätze ist, dass mit ihnen die kreative Neubildung lexikalischer Konzepte in systematischer und generativer Weise erklärt und auch motiviert werden kann. Die Thematik ist aus formalsemantischer Sicht seit langem kontrovers diskutiert worden. Jedoch finden sich in der neueren Forschung auch zu prozesshaften Aspekten der sprachlichen Generierung Arbeiten, die zu der Problematik Stellung nehmen. An dieser Stelle kann in keiner Weise ein umfassender Überblick wiedergegeben werden, weshalb die Thematik hier nur grob umrissen werden soll. Prinzipiell können zwei Arten von Dekompositionsansätzen unterschieden werden: die Komponentenanalyse einerseits und die lexikalisch-repräsentationelle Dekomposition andererseits. Erstere arbeitet auf der Grundlage von Merkmalen, die eng mit dem lexikalischen Konzept verknüpft sind und welche das Wissen eines Sprechers organisieren. Die lexikalisch-repräsentationelle Dekomposition trifft stärkere Aussagen dahingehend, als die Merkmale komplexer Konzepte direkt in deren mentalen Repräsentationen als Konstituenten enthalten sind. Da beide Ansätze gleichermaßen motiviert sind, wird dieser Unterschied
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hier keine zentrale Rolle spielen. Es sei jedoch angemerkt, dass im Folgenden zunächst zwei typische Vertreter der Komponentenanalyse besprochen werden. Katz & Postal (1964) entwickeln eine Theorie der lexikalischen Dekomposition, welche in ihrem Kern aussagt, dass sich lexikalische Bedeutungseinheiten aus einem Set von primitiven semantischen Merkmalen - sogenannten semantic markers - komponieren. Diese semantischen Merkmale enkodieren die generellen semantischen Eigenschaften eines lexikalischen Konzepts. Die idiosynkratischen Bedeutungsanteile eines lexikalischen Konzepts hingegen werden mit differenzierenden Elementen - den semantic distinguishers - erfasst. Die semantic distinguishers unterscheiden verwandte, in ihrer Bedeutung nahestehende lexikalische Konzepte voneinander. So ist bspw. sowohl die lexikalische Einheit BACHELOR als auch MAN mit einem semantic marker wie [+MALE] gekennzeichnet; unterschieden werden beide anhand eines distinguishers wie [—i/aMARRIED], Die Bedeutung eines lexikalischen Eintrags wird somit nicht als unanalysierbares Ganzes angesehen, sondern als aus semantischen Basiselementen komponierbar. Semantic markers und semantic distinguishers werden in diesem Sinne als die zur Komposition eingesetzten Primitiva aufgefasst. Ein mit der so skizzierten Annahme verbundenes Problem ist, dass die Dekompositionsmerkmale in hohem Maße stipuliert sein müssen. Für BACHELOR ein semantisches Merkmal wie [—iMARRIED] anzunehmen, ist sicherlich unkontrovers (u.a., weil es sich bei diesem Merkmal um eine notwendige Bedingung für „Junggesellenheit" handelt). Wesentlich weniger präzise definierbar ist ein solches Merkmal bei der Unterscheidung von bspw. [BUCH] und [BROSCHÜRE], Der semantic marker für beide Einträge sollte beinhalten, dass die entsprechenden Denotate Text in gedruckter Form enthalten: [+CONTAINING PRINTED TEXT], Eine Broschüre ist meist von verhältnismäßig geringer Größe, dient der Information bzw. Instruktion und enthält häufig bildhaftes Material. Aus diesen - als hinreichend zu charakterisierenden - Attributen lassen sich jedoch keine semantic distinguishers ableiten: Den lexikalischen Eintrag für [BUCH] mit den semantischen Merkmalen [-,SMALL], [-.INFORMATIVE] und [+CONTAINING PICTURES] auszustatten, würde eine ausgeprägte Untergenerierung bewirken. Das Beispiel macht deutlich, worin das Problem von dieser Art „vergleichender" Dekomposition liegt: Die semantischen Merkmale lexikalischer Konzepte ergeben sich nicht aus einer bloßen Gegenüberstellung der betrachteten Denotate, sondern sind vielmehr in einem Netzwerk taxonomischer und partonomischer Abhängigkeiten zu definieren. Einen Schritt in diese Richtung unternehmen Miller & Johnson-Laird (1976), indem sie lexikalische Konzepte auf der Grundlage der perzeptuellen und funktionalen Qualitäten von Objekten beschreiben bzw. semantisch dekomponieren. Die Objekteigenschaften werden in komplexen Matrizen erfasst, die sich aus verschiedenartigen Prädikaten zusammensetzen. Hierzu folgendes Beispiel für das Label des Objekts [TISCH] (s. Miller & Johnson-Laird (1976: 233)):
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(3)
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TABLE(x): (i)
THING(x).
(ii)
MOVABLE(x) & CONNECTED(x) & RIGID(x).
(iii)
PERCEPTUAL-PREDICATE(X, WORKTOP(y)).
(iv)
PERCEPTUAL-PREDICATE(X, SUPPORT(z) & SUPPORT(z, y ) ) .
Es soll hier nicht im Detail auf die einzelnen Komponenten des Paradigmas unter (3) eingegangen werden. Es ist erkennbar, dass Objektbenennung prinzipiell als Routine aufgefasst wird, bei der perzeptuell und funktionell basierte Prädikate abgearbeitet d.h. auf ihre Wahrheitswerte hin überprüft werden müssen. So muss bspw. ein Objekt, das mit /tisch/ benannt wird, die Bedingung erfüllen, beweglich und kohäsiv zu sein, des weiteren hat es eine Arbeitsplatte, die von Beinen getragen wird. Diese Bedingungen ergeben sich u.a. aus den generellen Wissensstrukturen über Objekte, die im Konzepterwerb gebildet werden und auf grundlegenden naiv physikalischen Prinzipien beruhen. Diese im Grunde triviale Erkenntnis deutet bereits auf eine Schwierigkeit hin, die mit der perzeptuell und funktional basierten Dekomposition verbunden ist: Da die perzeptuellen Bedingungen, die für die Objekte gelten, physikalischer Natur sind, muss unbestimmt bleiben, ob es sich bei den angenommenen Dekompositionsprädikaten wiederum um abgeleitete oder aber atomare Prinzipien handelt. So könnte bspw. die RIGID-Bedingung für [TISCH] als Teilmenge der MOVABLE-Bedingung angesehen werden. Ein Hinweis darauf findet sich in den von Spelke et al. (1995) erörterten Betrachtzeit-Experimenten zur kindlichen Perzeption von Objektbewegungen. Demnach zeigen bereits drei Monate alte Kinder ein gesteigertes Interesse f ü r sich nicht-kohäsiv bewegende Objekte gegenüber Objekten, die sich in ihrer Ganzheit bewegen. Getestet wurde dies mit scheinbar ganzheitlichen Objekten, von denen j e d o c h unvermittelt lediglich ein Teil bewegt wurde. Die Ergebnisse lassen sich mit Hilfe eines Kohäsionsprinzips erklären, welches besagt, dass Objekte Körper mit starren Grenzen sind und diese Grenzen auch bei Bewegung bewahren. Die Autoren argumentieren, dass das Kohäsionsprinzip als eine grundlegende Wissensstruktur, die den Konzepterwerb organisiert, angesehen werden muss. Es wird deutlich, dass sich unter Berücksichtigung des Kohäsionsprinzips ein Merkmal wie RIDIG für ein Objekt wie [TISCH] vielmehr als Unter-Bedingung für eine generelle MOVABLE-Bedingung erweist: W e n n sich etwas bewegt, dann bewegt es sich in seinen starren Grenzen. Das Umgekehrte gilt allerdings nicht: Nicht j e d e s starre Objekt muss auch beweglich sein. Auf den ersten Blick scheinen diese Abhängigkeiten lediglich ein formales Problem für einen Dekompositionsansatz wie oben skizziert zu sein. Unter der Annahme allerdings, dass sich die perzeptuellen Prädikate auf wesentlich grundlegendere, naiv physikalische Prinzipien bzw. Wissensstrukturen zurückführen und reduzieren lassen, besteht die Gefahr, dass sich die perzeptuellen Prädikate als derivationelle Artefakte erweisen. Für die hier vertretene modulare Konzeption der Grammatikalisierung eines Ausdrucks eignet sich der Ansatz von Miller & Johnson-Laird auch deshalb weniger gut, da sich mit ihm - erklärterweise - die sprachsystematischen Eigenschaften lexikalischer Konzepte
30
Sprachgenerierung: Grammatik und Konzept
nicht eindeutig erfassen lassen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der oben umrissene Ansatz nicht zur Beschreibung sprachsystematischer Phänomene herangezogen werden könnte. So lässt sich in seinem Rahmen bspw. gut erklären, weshalb als das Referenzobjekt der Präpositionalrelation ein in Hans graviert Muster in den Tisch ein nicht der Tisch per se sondern vielmehr ein spezifischer Teil eines Tisches - die Arbeitsplatte - identifiziert wird (s. hierzu auch Härtl & Witt (1998); Olsen (1998); Witt (1998)). Nur indirekt erklären lassen sich jedoch genuin sprachsystematische Eigenschaften des lexikalischen Konzepts für [TISCH] - wie etwa, dass Tische nicht-relationale Entitäten sind und daher nicht in TeilGanzes-Kombinationen wie etwa *Zimmertisch im Gegensatz zu Zimmerecke auftreten können. Bevor nun dekompositionale Ansätze behandelt werden, mit denen die sprachsystematisch relevanten Merkmale lexikalischer Konzepte direkt erfasst werden können, sollen an dieser Stelle kurz die gegen Dekompositionsansätze hervorgebrachten Einwände diskutiert werden. Die Einwände gegen dekompositionale Ansätze sind sowohl theoretischer als auch prozedural basierter Natur. Aus theoretischer Sicht argumentiert bspw. Fodor (1970) gegen dekompositionale Ansätze, indem er aufzeigt, dass eine präzise Definition von Wortbedeutungen anhand notwendiger und hinreichender Bedingungen fast unmöglich scheint: Einerseits finden sich keine echten Paraphrasen für komplexe Ausdrücke, andererseits ist nach Fodor völlig unklar, an welchem Punkt eine Dekomposition stoppt und eine Struktur in ihre tatsächlichen Primitiva aufgelöst ist. Fodor plädiert daher für ein System, in dem lexikalische Konzepte als unanalysierbare Atome erfasst werden. Schlussoperationen wie etwa, dass aus einer Tür öffnen-Aktivität ein Zustand wie die Tür ist offen folgt, werden in einem nicht-dekompositionalen System über sogenannte Bedeutungspostulate geregelt (vgl. Chierchia & McConnell-Ginet (1992)): (4)
a. b.
Dekompositionsstruktur: Bedeutungspostulat:
open' = [CAUSE (x, BECOME(OPEN(y))] open'= [OPEN(y)] FORCE(x, y ) FORCE(x, y )
CONTACT(x, y )
Dieses Axiom soll - bei dramatischer Ausblendung hier irrelevanter Aspekte - wiedergeben, dass eine Verursachungsrelation zwischen einer Entität und einem Ereignis immer dann besteht, wenn diese Entität Kraft auf eine andere Entität ausübt und beide in einem wie auch immer gearteten Kontakt zueinander stehen. In Beispiel (99) wird die kraftaus-
50
Konkrete I n s t a l l i e r u n g e n solcher Prinzipien werden in Kapitel 3 mit den Prinzipien der Kovariation behandelt.
124
Thematische Relationen
übende Entität durch die Variable x bezeichnet. Sie ist ihrerseits in ein Ereignis - das verursachende - eingebunden, welches über entsprechende Schlussfolgerungen (mittels der FORCE- und CHANGE-Beziehungen, s. u.) inferiert werden muss. Diese Festlegung erlaubt es uns, die verursachende Größe hinsichtlich ihres Ereignistyps hinreichend unspezifisch zu belassen. Nun kann aber aus einer Krafteinwirkung selbst noch kein daraus resultierendes Ereignis geschlossen werden - tatsächlich könnte bspw. jemand Kraft ausüben, ohne dass sich überhaupt ein Resultat zeigt (die sprachlichen Pendants hierzu sind Verbkomplexe mit drücken oder pressen51). Damit ein Ereignis als durch eine Entität verursacht konzeptualisiert werden kann, muss die affizierte Entität sich in irgendeiner Weise räumlich und zeitlich verändern. Repräsentiert wird dies hier wiederum mit dem oben definierten [CHANGE(y)]. Es ist jedoch nicht nur die affizierte Entität, die sich verändert, sondern auch die verursachende Entität - und zwar zeitlich vorgelagert. Diese beiden Veränderungen repräsentieren die kausal verknüpften Ereignisse, in die die beteiligten, durch x und y bezeichneten Entitäten jeweils eingebunden sind: (100)
CAUSE(X, e )
—> FORCE(X, y )
FORCE(X, y )
- » CONTACT(x, y )
CHANGE(x, T , ) & CHANGE(y, T 2 ) : T , < T 2
[CHANGE] wurde oben in Abhängigkeit von unterschiedlichen Winkelverhältnissen in der Zeit definiert. Für die Konzeptualisierung von kausalen Zusammenhängen müssen die Veränderungen der beiden Objekte hinsichtlich ihrer zeitlichen Einbettung besonders spezifiziert werden. Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass das verursachende Ereignis dem verursachten zeitlich vorgelagert sein muss. Diese Relation ist in (100) mit den Variablen T n wiedergegeben, wobei die Großschreibung eine Zeitspanne (im Gegensatz zu einem Zeitpunkt) symbolisieren soll (s. auch den Unterabschnitt EREIGNISSYSTEM in Abschnitt 2.2.1.2).
Wesentlich ist nun, dass die o.g. Zeitrelation bei Kausation in einem universalen (basalen) Prinzip verankert werden könnte. Generell muss ein solches Prinzip erfassen, dass die Zeitabschnitte, die die kausal verknüpften Ereignisse auf einem Zeitstrahl einnehmen, sich komplementär zueinander verhalten sollen. Zwischen beiden Ereignissen kann also nur ein Zeitpunkt konzeptualisiert werden, jedoch in keinem Falle eine Zeitspanne. Dementsprechend zeigt Leslie (1995) wiederum anhand von Betrachtzeit-Experimenten mit Kindern im Alter von 6 Monaten, dass sie kognitiv für den sogenannten billiard ball launching effect sensitiv sind. Er drückt sich eben darin aus, dass der Kontakt, in welchem zwei kausal verknüpfte Objekte stehen, nur zu einem Zeitpunkt wahr sein darf. Sobald der Kontakt der beiden Objekte in einer Zeitspanne fixierbar ist, kann ein kausaler Zusammenhang zwi-
51
Gemeint sind hier die nicht-telischen Varianten, die allerdings eher selten sind: Ich drücke drücke und nichts
geschieht.
und
125
Thematische Relationen
sehen beiden nicht mehr etabliert werden. Folgende Darstellung verdeutlicht dies (vgl. Leslie (1995: 125)):
Szene 1
Szene 2
Szene 3
Abbildung 12: Kausale Relation der Bewegung zweier Bälle (,billiard ball launching effect')
Die Szene 2 in Abbildung 12 kann nur zu einem Zeitpunkt (t n ) wahr sein und nicht in einer ausgedehnten Zeitspanne. Eine entsprechende Situation, für die letzteres gilt, zeigt die folgende Darstellung:
* #v # • •v • * Szene 1
Szene 2
Szene 3
* Szene 4
Abbildung 13: Non-kausale Relation der Bewegung zweier Bälle
Die Szenen 2 und 3 in Abbildung 13 sollen zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten wahr sein. Die Phase des Kontakts der beiden Bälle ist also in einer Zeitspanne gültig. Dass Szene 4 durch die davorliegenden Situationen verursacht ist, kann deshalb nicht mehr geschlussfolgert werden. Nur in Abbildung 12, wo der Kontakt nur zu einem Zeitpunkt gültig ist, kann ein kausaler Zusammenhang zwischen den Veränderungen der Objekte (Szene 1 und Szene 3) etabliert werden. Entsprechendes muss also in das Regelwerk zur Konzeptualisierung von kausalen Zusammenhängen integriert werden (s. (101) unten). Die letzte Zeile in (101) gibt wieder, dass für eine Krafteinwirkung per se auch eine Kontaktrelation zwischen zwei Entitäten bestehen muss. Diese kann jedoch in einer Zeitspanne wahr sein, wie es etwa bei nicht kausalen drücken- oder zerren-Ereignissen der Fall ist. Zur Etablierung eines kausalen Zusammenhangs jedoch muss spezifiziert sein, dass ein Kontakt zwischen den beteiligten Entitäten nur zu einem Zeitpunkt bestehen darf - diesen Sachverhalt erfasst die vorletzte Zeile. (101)
CAUSE(x, e)
—> FORCE(x, y ) - » CHANGE(X, T ] ) & CHANGE(y, T 2 ) : T , < T 2 C0NTACT(X, y): t n : [ t n = [ [ T , n T 2 ] = 1]]]
FORCE(x, y )
—> CONTACT(x, y)
126
Thematische Relationen
Resümierend lässt sich festhalten, dass für die Konzeptualisierung eines kausalen Zusammenhangs zwischen zwei Ereignissen eine beteiligte Entität Kraft auf eine andere ausüben muss (= erste Zeile). Dazu müssen sich beide Entitäten in irgendeiner Weise räumlich verändern. Die Veränderungen erfolgen in zwei voneinander verschiedenen Zeitabschnitten T n (= zweite Zeile). Zwischen den Objekten muss eine Kontaktrelation bestehen, die ausschließlich zu einem Zeitpunkt tn wahr sein darf. Dieser Zeitpunkt ist hier als Durchschnittsmenge n von den Zeitabschnitten T, und T 2 definiert. 52 Diese Durchschnittsmenge muss 1 betragen, damit abgesichert ist, dass die Kontaktrelation nicht in einem ausgedehnten Zeitabschnitt wahr sein kann. Eine wesentliche Frage, die sich hier stellt, ist die nach dem Unterschied von C A U S E auf der Ebene der außersprachlichen Konzeptualisierung eines Ausdrucks und C A U S E auf der grammatischen Ebene der semantisch-lexikalischen Enkodierung (SR) eines Ausdrucks. In Abschnitt 1.3 wurde SR als Repräsentationsform genau der Bedeutungsanteile eines lexikalischer Konzepts definiert, die grammatisch sichtbar sind, also in irgendeiner Form syntaktisch realisiert werden. Bezüglich C A U S E s r sind dies u.a. die Merkmale der zeitlichen NichtHomogenität und der damit einhergehenden Modifizierbarkeit mit Rahmenadverbialen, der Modifizierbarkeit mit means clauses, bestimmte Ablaut-Merkmale (trinken - tränken) und die Argumentdiathese bei (De-) Kausativierung. Konzeptuelles C A U S E hingegen definiert sich nicht über sprachsystematische Reflexe. Es verkettet Sachverhalte und ordnet somit Bedingungen und entsprechende Resultate in einer zeitlichen Abfolge nach den oben erörterten Prinzipien. CAUSE C S relatiert also Ursache und Wirkung. Wie oben bereits erörtert gibt es unterschiedliche Arten kausaler Beziehungen. Ereignisextrinsische - oder Zweckkausalität - Kausalität ist nicht grammatikalisiert. Ereignisintrinsische Kausalität schlägt sich in den o.g. Merkmalen grammatisch nieder. Die Prinzipien jedoch, nach denen ereignisintrinsische Kausalität konzeptuell instantiiert wird jedoch - also FORCE und C O N T A C T finden wiederum keinen konkreten Niederschlag in der Grammatik. Darüber hinaus liegen Fälle vor, bei denen auch eine ereignisintrinsische Verursachungsrelation nicht grammatisch sichtbar ist, wie bspw. bei den psychischen Verben. Verben wie fürchten oder hassen denotieren Situationen, in denen ein psychischer Zustand und eine (implizite) Ursache direkt kausal verknüpft sind. Betrachtet man jedoch die grammatischen Merkmale dieser Verben, wird deutlich, dass sie nicht als Kausativa im lexikalischen Sinne eingeordnet werden können. Diesem Phänomen wird in Kapitel 3 detailliert erörtert werden. Prinzipiell lässt sich also festhalten, dass bei der Abbildung konzeptueller Strukturen wie den kausalen Relationen auf sprachsystematische Strukturen durch eine Schnittstellenfunktion eine Generalisierung vorgenommen wird. Sie bewirkt, dass nur die Bedeutungsanteile grammatisch direkt kodiert werden, die nicht aus den vorliegenden konzeptuellen Konstellationen inferierbar sind.
52
Genauer gesagt, handelt es sich dabei um die Durchschnittsmenge der Zeitpunkte t, welche die Zeitabschnitte T konstituieren.
Thematische Relationen
127
Ziel des gesamten Abschnitts 2.2.1.2 war es, ein Minimum an generellen Prinzipien zu formulieren, die dem Konzeptualisierer zur Konzeptualisierung von Ereignissen sinnvollerweise zugänglich sein müssen. Diese Prinzipien werden als Teil des semantischen Gedächtnissystems angesehen. Zentrale Zielstellung war es, wenigstens teilweise die zur Konzeptualisierung notwendige Interaktion der Subsysteme der CKB aufzudecken. Voraussetzung dafür bildete die Annahme, dass die Prinzipien - idealerweise - auf der Grundlage universaler Wissensstrukturen zu formulieren sind, für die sich auch entsprechende Evidenzen finden lassen. Abstrahieren lassen sich nun zwei grundlegende Kriterien, die entsprechend den hier entwickelten Gedanken zur Konzeptualisierung unterschiedlicher Arten von Ereignissen herangezogen werden. Es sind dies die Merkmale [ a C H A N G E ] und [ a C A U S E ] bzw. deren spezifische Ausprägung entsprechend den oben formulierten Regeln. Idealerweise ist es der Fall, dass der Konzeptualisierer durch eine Verarbeitung dieser beiden Kriterien sämtliche Arten von in der Welt vorkommenden Ereignissen bzw. in der Welt vorliegenden Sachverhalten intern strukturieren und ihnen eine entsprechende konzeptuelle Struktur zuweisen kann. Dies soll im Folgenden angenommen werden. Mit Sicherheit bedingt eine solche Annahme einen äußerst hohen Grad an Abstraktion. So basiert sie bspw. in einem starken Maße auf lokalen Aspekten wie u.a. die Definition des Merkmals [CHANGE] zeigt. Ob dies für eine lokalistische Herangehensweise spricht, soll hier offen bleiben. Wesentlich ist, dass generelle, universale Prinzipien formulierbar sind, die auf andere Domänen übertragbar sein müssen. Diese Prinzipien bilden also gewissermaßen den Ausgangspunkt für den kindlichen Konzepterwerb und stellen das Basisinventar der Konzeptualisierungsprozesse. Erst im weiteren Verlauf des Konzepterwerbs kann ein solches System an Prinzipien durch deren Anwendung auf andere Domänen erweitert werden. So sollten prinzipiell im Falle der Verursachung mentaler Zustände bspw. dieselben Prinzipien gelten wie etwa für die Verursachung einer Bewegung wie sie in Abbildung 12 dargestellt ist. Allerdings kommen hier weitere Prinzipien hinzu, die regeln, dass eine Verursachung nicht nur über einen räumlichen Kontaktschluss geschlossen werden kann, sondern auch über einen Kontaktschluss abstrakterer Art, der sich über perzeptuelle Aspekte definiert. Eine konkrete Ausbuchstabierung solcher - als posteriori zu bezeichnenden 53 - Prinzipien wird im nächsten Kapitel behandelt. Im folgenden Abschnitt soll nun die eigentlich zentrale Frage des Abschnitts 2.2.1 erörtert werden: Auf welche Weise ist das formulierte Regelwerk in einen systematischen Zusammenhang zur thematischen Strukturierung eines präverbalen Ausdrucks zu bringen? Es wird schließlich dafür argumentiert werden, dass der Konzeptualisierer die Etablierung einer thematischen Relation schlicht über die Anwendung der hier erörterten basalen Prinzipien organisiert.
53
vgl. Fußnote 5
128
Thematische Relationen
2.2.2 Prinzipien der Konzeptualisierung thematischer Relationen Es wird davon ausgegangen, dass die Komponente der Konzeptualisierung Zugang hat zu den wissensbasierten, domänenspezifischen Regelwerken, wie sie im vorangegangenen Abschnitt definiert wurden. Das wissensbasierte Regelwerk ist Teil des semantischen Gedächtnissystems. Der Konzeptualisierer nutzt die entsprechenden Prinzipien zur Erzeugung und Strukturierung einer präverbalen Botschaft. Die dem Konzeptualisierer zugänglichen Regeln werden hier als Instantiierung sog. funktionaler Koordinationsprinzipien verstanden, wie sie für die Organisation des Arbeitsgedächtnisses 54 formuliert wurden. Der Konzeptualisierer projiziert entsprechend den funktionalen Koordinationsprinzipien Einheiten der verschiedenen Sub-Komponenten der CKB auf eine präverbale Botschaft CS/CT. Funktionale Koordinationsprinzipien werden als Teil eines Prinzipiensystems angesehen, auf dessen Basis das Arbeitsgedächtnis operiert. Oberauer (1993) untergliedert die Binnenstruktur des Arbeitsgedächtnisses in eine inhaltliche und eine funktionale Domäne, wobei eine weitere Strukturierung der Ressourcen des Arbeitsgedächtnisses analog zu den verschiedenen kognitiven Fähigkeiten vorgenommen wird. So wird bspw. die Fähigkeit, gleichzeitig verfügbare Informationen (visuelle und verbale) in eine verknüpfte Struktur zu integrieren, der funktionalen Sub-Domäne genereller Koordinationsprinzipien zugerechnet. In analoger Weise kann die Etablierung thematischer Relationen als hierachische Anordnung gleichzeitig zugänglicher Objekte in einer Ereignisstruktur verstanden werden (s. hierzu auch Härtl (2000)). Es wird hier - nach Dowty (1991) - davon ausgegangen, dass für die thematische Einbettung parallel salienter Objekte in eine Ereignisstruktur prinzipiell nur zwei globale Kategorien von thematischen Relationen unterschieden werden müssen: Es sind dies die beiden Relationen PROTO-AGENT und PROTO-THEME.55 Diese Annahme basiert auf zwei Faktoren. Einerseits scheint es auch intuitiv sinnvoll anzunehmen, dass der Konzeptualisierung universales Wissen darüber zu Grunde liegt, wann ein Objekt als agierend eingeordnet werden muss, und wann nicht. In diesem Sinne wird hier also angenommen, dass thematische Relationen auf der Ebene der Konzeptualisierung primitiver Natur sind und durch entsprechende konzeptuelle Primitiva wie bei Parsons (1995) zu enkodieren sind. Die Primitiva bilden als Funktionen thematische Eigenschaften auf Objekte ab, was diese zu Ereignis-Partizipanten macht. Eine gegenteilige Annahme würde implizieren, dass es genau so viele thematische Relationen gibt, wie es Ereignisse (ausgedrückt in Verbkomplexen) gibt. Statt solcher individual roles (s. Dowty (1991) 54
55
Die Konzeptualisierungskomponente wurde in Abschnitt 2.2 als Instanz des Arbeitsgedächtnisses definiert. Ich ersetze Dowtys ,PROTO-PATIENT, durch ,PROTO-THEME, um deutlich zu machen, dass die entsprechende Entität genau das ist, was ein PROTO-AGENT nicht ist. In der Literatur wird PATIENT meist mit einem Konzept wie , thing or person undergoing the action expressed by the verb' verbunden (s. bspw. Haegemann (1991)). Dies ist für unsere Zwecke zu spezifisch, da es u.a. Objekte, über deren natürliche Eigenschaften (etwa blaue Augen haben) etwas ausgesagt wird, nicht erfasst.
Thematische Relationen
129
und Abschnitt 2.1.2 oben) werden hier also für die Ebene der außersprachlichen Konzeptualisierung thematische Typen angenommen, die anhand der hier zu definierenden Prinzipien instantiiert werden. Die thematischen Typen repräsentieren das kleinste gemeinsame Vielfache des konzeptuellen Wissens über Eigenschaften sämtlicher möglicher EreignisPartizipanten. Für solches generelles, typenhaftes Wissen über primitive thematische Relationen sprechen u.a. die spezfischen Defizite bei Broca-Aphasikern, die syntaktischen Größen thematische Funktionen anhand autarker kognitiver Prinzipien wie dem AGENT-firstPrinzip zuweisen (vgl. F r i e d e n d (1984); Kelter (1990)). Es regelt, dass die im Satz als erste vorkommende NP generell als der Handelnde des Ereignisses interpretiert wird. Das Wechselspiel zwischen konkreter Bezeichnung thematischer Relationen auf der Ebene der Konzeptualisierung anhand primitiver Funktionen und der nur indirekten Kodierung thematischer Relationen auf der Ebene der Grammatikalisierung ist Ausdruck einer Generalisierung, die die Sprache vornimmt. Während also thematische Abhängigkeiten von involvierten Entitäten konzeptuell direkt erfasst sind, wird auf der Ebene der Grammatik über diese Informationen abstrahiert der Art, dass nur noch grundlegendere, grammatisch relevante Daten - genauer: die ereignisstrukturellen Daten - sprachsystematisch kodiert werden, aus welchen die thematischen Konstellationen inferiert werden müssen. Zur konkreten Erfassung dieser Generalisierung gilt es, eine Schnittstellenfunktion zu definieren, welche in Abschnitt 2.3 unten behandelt wird. Ein weiterer Faktor ist, dass unter der Annahme lediglich zweier proto-typischer Relationen eine unerwünschte - und auch nicht notwendige - Belastung der Konzeptualisierungskomponente mit Entscheidungen, die nicht zur globalen Strukturierung eines zu konzeptualisierenden Ereignisses beitragen, ausgeschlossen werden kann. So ist es bspw. für die Ereignisstrukturierung von sewJert-Ereignissen irrelevant, ob es sich bei dem entsprechenden Zielzustand um ein GOAL (wie in Hans sandte den Brief an die Bank) handelt oder aber um einen RECIPIENT {Hans sandte der Bank den Brief)?6 In beiden Fällen agiert dieselbe Entität über eine andere Entität. Alle ereignisspezifischen - also senden-spezifischen - Eigenschaften müssen über die speziellen Schlussfolgerungen, die mit dem entsprechenden Konzept verknüpft sind, etabliert werden. 57 Im Unterschied zu Dowty (1991) wird hier allerdings nicht angenommen, dass zur Etablierung einer thematischen Relation eine Routine abgearbeitet werden muss, die sich über
56
Hingewiesen sei aber auf den Unterschied in den hier zu ziehenden Schlussfolgerungen: Während fiir einen Satz wie Ich sandte den Brief an die Bank nicht inferiert werden muss, dass der Brief die Bank tatsächlich erreicht hat, ist dies bei Ich sandte der Bank den Brief der Fall. Dieser Unterschied liegt jedoch u.a. in der Semantik von Pfaden (an die Bank) und der Semantik von Possession implizierenden Ausdrücken (der Bank) begründet: Während Pfade ausgedehnte Größen sind, deren Beschreitung unterbrochen werden kann, ist Possession ,zweiphasisch', d.h. es gibt keine g ü l t i g e S i t u a t i o n z w i s c h e n ETWAS BESITZEN u n d NICHT ETWAS BESITZEN.
57
Die ereignisspezifischen Informationen können mit der Konzeption der individual roles, wie sie von Dowty (1989), (1991) definiert wurden, assoziiert werden (s. Abschnitt 2.1.2 und Fußnote 26).
130
Thematische Relationen
ein Set an autarken verbal entailments
definiert. N a c h Dowty ( 1 9 9 1 ) sind es die folgenden
Merkmale, die die Etablierung einer thematischen Relation, organisieren: 5 8 (102)
PROTO-AGENT-Entailments: •
Willentlichkeit
•
Empfindungsfähigkeit
•
Bewegung
•
Verursachung
•
unabhängige Existenz
PROTO-PATIENT-Entailments:
•
Unterziehung einer Veränderung
•
stationär
•
Inkrementalität
•
verursacht
•
v o m Ereignis abhängig
Zur Etablierung einer thematischen Relation kommt nach D o w t y ein statistisches V e r f a h r e n zu Anwendung, das über den o. g. Merkmalen operiert: G e n a u die Entität wird als PROTOAGENT (und damit als Subjekt; s. Fußnote 58) ausgezeichnet, die die M e h r z a h l der PROTOAGENT-Entailments unter sich vereinigen kann; für eine A u s z e i c h n u n g als PROTO-PATIENT gilt das Umgekehrte. Es sind insbesondere zwei Gründe, weshalb diese Konzeption j e d o c h nicht ohne weiteres kompatibel mit den hier vertretenen A n n a h m e n ist. Einerseits handelt es sich bei den Entailment-Merkmalen u m Schlussfolgerungen, die sich erklärterweise aus der Semantik von Verben ergeben. Die M e n g e an verbalen Schlussfolgerungen kann j e d o c h nur eine Teilmenge der k o m p l e x e n Strukturen bilden, die bei der Konzeptualisierung von Ereignissen in der Welt etabliert werden müssen. Dies m a g lediglich ein Problem sein, das sich aus der hier unterschiedlich definierten Ebenenzugehörigkeit thematischer Relationen ergibt. Ein weiterer Konflikt ergibt sich j e d o c h aus d e m Gehalt der Entailments selbst. Ihr Status als atomare G r ö ß e n ist nicht klar definierbar. So bedingen sich b s p w . die M e r k m a l e WILLENTLICHKEIT und EMPFINDUNGSFÄHIGKEIT. In einer ähnlichen A b h ä n g i g k e i t stehen die M e r k m a l e BEWEGUNG - wenn sie selbstgetrieben (s.o.) ist - und WILLENTLICHKEIT: Jede Entität, die sich von selbst bewegt, tut dies in irgendeiner W e i s e willentlich. In
58
Genaugenommen organisieren bei Dowty (1991) diese Merkmale die Qualifizierung von Entitäten als syntaktisches Objekt bzw. Subjekt. Die PROTO-AGENT-Entailments werden als subject loading, die PROTO-PATiENT-Entailments hingegen als object loading aufgefasst. Dies wird hier nicht angenommen, da der Konzeptualisierer selbst keinen Zugriff auf konkretes sprachliches Wissen hat. Die thematische Strukturierung einer präverbalen Botschaft wird hier als genuin außersprachliche Routine aufgefasst (s. Abschnitt 2.1.2 und 2.1.3 oben).
Thematische Relationen
131
Entität, die sich von selbst bewegt, tut dies in irgendeiner Weise willentlich. In gleicher Weise scheinen UNABHÄNGIGE EXISTENZ und WILLENTLICHK.EIT subsumierbar. Dowtys (1998) Konzeption von der thematischen Strukturierung eines Ausdrucks basiert auf wesentlich generelleren Prinzipien. Demnach kann Argumentselektion anhand zweier Faktoren determiniert werden: Es ist dies zum einen die Richtung der kausalen Relation zwischen zwei Argumenten und zum anderen die relative Ordnung der Objekte hinsichtlich ihrer Domänenzugehörigkeit, wobei für letzteres die beiden Domänen der zielsuchenden, selbstgetriebenen und der mechanisch-physikalischen Objektdomäne unterschieden werden. Hier wird in ähnlicher Weise verfahren werden: Der Faktor der kausalen Richtung kann mit dem in Abschnitt 2.2.1.2 etablierten Merkmal [CAUSE(x, e)] erfasst werden. Das von Dowty angenommene „ranking of different domains" lässt sich mit der Art der Bewegung von Objekten assoziieren. Bewegungen können selbstgetrieben sein oder aber wie bei mechanisch-physikalischen Objekten - aus einer Fremdeinwirkung resultieren. Als Ankerpunkt hierfür soll das oben definierte Merkmal [CHANGE(x)] dienen. Die Annahme eines solchen Merkmals hat den Vorteil, dass dieses ereignisabhängig ist und nicht - wie Dowtys Ranking - auf einer autarken Hierarchie von Objekten basiert. Es wird im Folgenden also dafür argumentiert werden, dass der Konzeptualisierer die Etablierung der thematischen PROTO-Relationen anhand der beiden Merkmale [CHANGE] und [CAUSE] bzw. deren spezifischer Ausprägung regeln kann. Die Idee ist, dass mit jeder nicht-referentiellen Ereigniseinheit des semantischen Gedächtnissystems 39 eine Anweisung verbunden ist, welches der beiden Merkmale zur Konzeptualisierung der Ereigniseinheit spezifiziert werden muss. So muss bspw. zur Konzeptualisierung eines ROLLEN-Ereignisses spezifiziert werden, welche der salienten, in Frage kommenden Entitäten mit dem Merkmal [+CHANGE] und welche mit dem Merkmal [ + C A U S E ] ausgestattet sind. Zur Vereinfachung der darzustellenden Operationen wollen wir uns eine Situation vorstellen, bei welcher der Konzeptualisierung eine quaestio wie Wer bzw. was VERB-t (wen oder was)? zu Grunde liegt. Im Folgenden ist eine Auswahl an Ereigniseinheiten des semantischen Gedächtnissystems dargestellt. Ereigniseinheiten des semantischen Gedächtnissystem sind dadurch charakterisiert, dass sie selbst nicht referieren, sondern lediglich abstrakte Informationen darüber liefern, welche Situation in der Welt vorliegen muss, damit ein entsprechendes Ereignis konzeptualisiert werden kann - also etwa, dass sich TANZEN u.a. durch Bewegung definiert, oder aber, dass LIEGEN keine sichtbare Bewegung auszeichnet. 60 Die folgende Darstellung kann nur die für die thematische Strukturierung einer präverbalen Botschaft notwendigen Informationen umfassen - integriert werden müssen selbstredend Informationen darüber, welche speziellen, bspw. räumlichen Konstellationen
59
60
Mit der etwas umständlichen Bezeichnung ,nicht-referentielle Ereigniseinheit des semantischen Gedächtnissystems' ist die Schnittmenge der beiden Mengen des semantischen Gedächtnissystems und des Ereignissystems (s. Abbildung 3) gemeint. s. hierzu die in Abschnitt 2.2.1.1 erörterte Konzeption des semantischen Gedächtnissystems
132
Thematische Relationen
vorliegen müssen, damit bspw. LIEGEN gegenüber STEHEN konkret konzeptualisiert werden kann.
CKB 1 TANZEN ( X t )
—>
ROLLEN ( X i ( X 2 )
—>
LIEGEN(j,)
-»
? CHANGE ( X ,) & ? CHANGE (X„)
WISSEN ( Xi)
—>
? CHANGE (X n )
? CHANGE ( X n) ? CAUSE ( x n , e )
TÖTEN ( X], , X 2 ) - »
? CHANGE ( X n) &
? CADSE ( x„ , e )
NÄHEN(*!,!;)
? CHANGE ( X„) &
? CAUSE ( x a , e )
Semantisches
—>
•
Ereignissystem
G.-System
Abbildung 14: Einheiten des Semantischen Ereignissystems mit zu prüfenden Merkmalen
Diese Informationen sind als Anweisungen an die Konzeptualisierungskomponente zu verstehen. So muss bspw. für die Konzeptualisierung eines TANZEN-Ereignisses geprüft werden, welche der salienten Entitäten sich (in entsprechender Weise) bewegt, d.h. mit dem Merkmal [CHANGE] markiert ist. Die Markierung mit dem Merkmal [CHANGE] erfolgt im Verlauf der Konzeptualisierung mittels der im vorangegangen Abschnitt erörterten Prinzipien, die für [CHANGE] gelten. Die mit den Ereigniseinheiten (SE) des semantischen Gedächtnissystems assoziierten Informationen müssen gegen aktuale, referentielle Ereignisse (EE) geprüft werden. Diese sind konkret und damit Teil des episodischen Gedächtnissystems. Die Aufgabe des Konzeptualisierers ist es nun entsprechend der hier vertretenen Konzeption, aus einer Menge an salienten Objekten aus EE genau das bzw. die auszusuchen, die mit den abstrakten Merkmalen M der Ereigniseinheiten SE kompatibel sind. Angenommen wird hierfür eine Funktion 7t:
133
Thematische Relationen
NÄHEN [X], X 2) ? CHANGE (X n ) Sc ? CAUSE ( x „ , e ) Sem.
G.-System
HANS(z)&+CHANQE(z) P ETER ( y ) & . KLEID [v) & . . ZEITUNG (w) & . Epis.
G.-System
— 7i-Funktion — Konzeptualisierer CKB Abbildung 15: Abbildungsfunktion K von SE auf EE
Die Abbildungsfunktion 71 operiert über Elemente der Menge SE und Elemente der Menge EE. Bedingungen, die an ein spezifiziertes [+CHANGE] bzw. [+CAUSE] geknüpft sind, wurden in dem Unterabschnitt OBJEKTSYSTEM des vorangegangenen Abschnitts erörtert. Auf der Grundlage dieser Bedingungen kann der Konzeptualisierer die Merkmale M [CHANGE] bzw. [CAUSE] spezifizieren. Dies wird hier nicht noch einmal expliziert. Wesentlich ist, dass immer dann, wenn ein Element der Menge SE aufgrund des Merkmalsabgleichs sich als kompatibel mit einem Element der Menge EE erweist, eine entsprechende thematische Relation (PROTO-Z) zwischen beiden etabliert werden kann. (103) MSE = {se|se ist semantisches Merkmal aCHANGE v OCCAUSE} MEE = {ee|ee ist episodisches Merkmal aCHANGE v aCAUSE} Jt(se, ee) 3 e 3 x PROTO-Z(X, e ) [ M S E n M E E > 1 ]
Unterschieden werden also die beiden Mengen MSE und MEE, die dadurch charakterisiert sind, dass sie Elemente enthalten, die sich durch [aCAUSE] und/oder durch [aCHANGE] auszeichnen. Eine - hier noch beliebige - PROTO-Relation Z zwischen dem Ereignis und der Entität kann immer dann etabliert werden, wenn die Schnittmenge der beiden Mengen MSE und M e e mindestens ein Element enthält. Die Frage ist nun, welche der beiden möglichen thematischen Relationen etabliert wird. Aus der Kombination der spezifizierten Merkmale M ergeben sich 2x2 Möglichkeiten. Es liegt somit eine mehreindeutige Abbildung der vier Merkmalskombinationen auf die zwei thematischen PROTO-Relationen vor. Bevor entsprechende Regeln (mit denen z in (103) spezifiziert wird) formuliert werden können, wollen wir einmal mögliche Merkmalskombinationen im Zusammenhang mit den in Abbildung 14 aufgeführten semantischen Ereigniseinheiten durchspielen. Dazu die folgende Übersicht. Die Angabe der PROTO-Relation ist an
134
Thematische Relationen
dieser Stelle stipuliert - sie spiegelt gewissermaßen das wider, was die zu formulierende Regel zur Spezifikation von Z ergeben muss: (104)
TANZEN(x) + C H A N G E ( x ) & —iCAUSE(x, e ) X = PROTO-AGENT ROLLEN(X], X2) [+CHANGE(X|) & + C H A N G E ( X 2 ) ] & [ + C A U S E ( x , , e ) & - > C A U S E ( X 2 , e ) ] X] = PROTO-AGENT X2 = P R O T O - T H E M E LIEGEN(X) —iCHANGE(x) & - i C A U S E ( x , e ) X, = P R O T O - T H E M E WISSEN(x) - > 0 C H A N G E ( X ) & 0 C A U S E ( X , e) X = PROTO-THEME TÖTEN(X I , x 2 ) [+CHANGE(X|) & + C H A N G E ( x 2 ) ] & [ + C A U S E ( x , , e ) & - I C A U S E ( X 2 , e ) ] X, = PROTO-AGENT X2 = P R O T O - T H E M E NÄHEN(X], X 2 ) [+CHANGE(X|) & + C H A N G E ( x 2 ) ] & [ + C A U S E ( x , , e ) & - . C A U S E ( x 2 , e ) ] X] = PROTO-AGENT X2 = P R O T O - T H E M E
Die Spezifikation in „+" und „—" erfolgt, wie bereits oben erwähnt, auf der Basis des Regelwerks, welches die Merkmale konstituiert. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass Eigenschaften, wie sie sich in etwas wissen oder blaue Augen haben ausdrücken, sich nicht zeitlich fixieren lassen und daher auch eine sinnvolle Aussage weder über eine räumliche Veränderung noch über eine Verursachung gemacht werden kann (s. auch die Strukturen unter (89)). Diesen Umstand reflektiert das Symbol 0 für die Spezifikation der Merkmale für WISSEN in (104). Einer weiteren Spezifikation hinsichtlich der Merkmalskombinationen in (104) bedarf auch die Variable e. Dazu seien hier beispielhaft die mit NÄHEN verknüpften Merkmale noch einmal einzeln aufgelistet:
135
Thematische Relationen
(105) Hans näht ein Kleid. NÄHEN(XI,X2)
- > [+CHANGE(X])] = e ;
( = , N a d e l n fuhren')
- » [+CHANGE(X 2 )] = e k
(= ,Kleid entstehen')
- > [+CAUSE(XI, e k ) ] [-,CAUSE(X 2 , e k ) ]
Wenn also in einer Ereigniskonzeptualisierung +CHANGE(x) mehrfach vorkommt, so muss es sich dabei um jeweils unterschiedliche Ereignisse handeln. Unter Berücksichtigung der in (104) aufgelisteten Merkmalsausprägungen ergeben sich vorerst die folgenden Regelmäßigkeiten: (106)
PROTO-AGENT:
+CHANGE(xn) & -,CAUSE(xn, e) +CHANGE(xn) & +CAUSE(xn, e)
PROTO-THEME:
+CHANGE(xn) & -,CAUSE(xn, e) - i C H A N G E ( x n ) & —iCAUSE(x n , e ) 0CHANGE(xn) & 0CAUSE(xn, e)
Es wird sich allerdings zeigen, dass sich die Annahme einer fixen Liste möglicher Kombinationen zur thematischen Auszeichnung der Entitäten nicht halten lässt. Es wird im Sinne eines statistischen Verfahrens dafür argumentiert werden, dass genau die Entität als PROTOAGENT ausgezeichnet wird, die die Mehrzahl der positiven Merkmale unter sich vereinigt. Ein erster Hinweis darauf findet sich bereits in der Liste selbst. In (106) zeigt sich nämlich eine Ambiguität dahingehend, dass die erste Regel für proto-agent der ersten Regel für proto-theme entspricht. Eine Lösung für dieses Problem ließe sich wie folgt formulieren: Wann immer der Konzeptualisierer mit einer solchen ambigen Konstellation konfrontiert ist, muss die Ambiguität über eine Spezifizierung der [change]-Merkmale erfolgen. Was das bedeutet, soll das folgende Beispiel verdeutlichen. Ein sprachliches Korrelat für eine solche ambige Konstellation ist u.a. mit (den verhältnismäßig seltenen) transitiven ActivityAusdrücken wie Hans jagt ein Schwein gegeben. Hier bewegen sich sowohl ein Schwein und Hans und beide verursachen nicht das Einsetzen irgendeines Nachzustands: (107) Hans jagt ein Schwein. HANS
= + C H A N G E ( x i ) & —ICAUSE(X|, e )
EIN SCHWEIN
= + C H A N G E ( x 2 ) & ->CAUSE(X 2 , e )
Entsprechend den Regeln in (106) wären also beide Entitäten mit entweder PROTO-AGENT oder aber PROTO-THEME auszuzeichnen. Trivialerweise entspricht jedoch die Bewegung von Hans nicht der Bewegung der Entität Schwein.
136
Thematische Relationen (108) Hans jagt ein Schwein. +CHANGE(XI) = EI +CHANGE(X 2 ) = e k
ej*ek Genau dieser Umstand bietet den Lösungsansatz. Zur Desambiguierung ist es notwendig zu prüfen, welches +CHANGE(xn) der beiden Entitäten mit dem letztendlich zu formulierenden Ereignis e (= JAGEN) übereinstimmt. 61 Dies ist möglich, da sowohl +CHANGE(xn) und e Ereignisse repräsentieren. Für das Beispiel in (107) lässt sich hierzu festhalten, dass es Hans' Bewegung
(+CHANGE(x,))
ist, die
mit JAGEN ( = e )
übereinstimmt.
Die
Bewegung
(+CHANGE(x2)) der Entität ein Schwein hingegen stimmt nicht mit JAGEN überein. Zur Prüfung dessen könnten bspw. die zusätzlichen ereignisspezifischen Schlussfolgerungen S, die mit JAGEN einhergehen, zum Einsatz kommen. S kann als eine Menge von JAGEN-spezifischen Merkmalen aufgefasst werden: (109)
HANS:
e j = +CHANGE(XI)
EIN SCHWEIN:
e k = +CHANGE(X 2 ) - » S k JAGEN(x)
Sj
Sj
[ [ S j N Sj] > [ S k N Sj]] - > PROTO-AGENT(X,)
Mit beiden Merkmalen [CHANGE] der Entitäten sind spezifische Schlussfolgerungen S verknüpft, die sich u.a. aus den in Abschnitt 2.2.1.2 erörterten Bedingungen für CHANGE ergeben. Auch mit JAGEN sind entsprechende (semantische) Schlussfolgerungen verknüpft. Es können
Schnittmengen der JAGEN-Schlussfolgerungen
und der jeweiligen
[CHANGE]-
Schlussfolgerungen gebildet werden. Mit PROTO-AGENT wird genau die Entität ausgezeichnet, mit welcher mehr Schlussfolgerungen verknüpft sind, die mit den JAGEN-Schlussfolgerungen übereinstimmen. Ein umgekehrter Fall läge bspw. bei Ereignissen vor, die FLIEHEN in Das Schwein
flieht
vor Hans ähnlich sind: Hier ist es ein Schwein, dessen Bewegung mit dem betreffenden Ereignis e übereinstimmt, und nicht die - bei FLIEHEN allerdings nicht notwendige - Bewegung von Hans, die sich in seiner Verfolgung der Schwein-Entität
zeigt.
Eine Regel wie in (109) impliziert allerdings nur, dass die Entität ein Schwein
nicht
PROTO-AGENT von e, sein kann. Die betreffende Entität muss allerdings sehr wohl PROTOAGENT eines anderen Ereignisses wie etwa eines des WEGLAUFENs oder FLIEHENS (= e k ) sein. Mit dieser Überlegung bietet sich auch eine Annäherung an die oft diskutierte BiAgentivität, die sich u.a. in Verbkomplexen mit verkaufen bzw. kaufen ausdrückt: (110) a. b.
61
Peter verkauft Maria ein Buch, Maria kauft ein Buch von Peter.
s. hierfür auch die Konzeptionen von
CHANGE
und CAUSE in Abschnitt 2.2.1.2.
137
Thematische Relationen
Sowohl Peter als auch Maria sind hier als PROTO-AGENTs ausgezeichnet: Peter gibt etwas und kommt dafür in den Besitz einer bestimmten Summe Geldes; Maria gibt Geld und kommt dafür in den Besitz von etwas. Beide sind also mit einer Merkmalskombination +CHANGE(x) und +CAUSE(x, e) ausgezeichnet. Abermals sind es jedoch zwei unterschiedliche Ereignisse auf die sich die Merkmale beziehen. Hier die entsprechenden Merkmalskombinationen mit Angabe der dazugehörigen Entitäten: ( 1 1 1 ) a. b.
+CHANGE(peter) &+CAUSE(peter, BECOME POSS(maria, ein b u c h ) ) +CHANGE(maria) & +CAUSE(maria, BECOME POSS(peter, geld))
Beide sind nicht PROTO-AGENTs desselben Ereignisses, sondern zweier unterschiedlicher Ereignisse, die sich jedoch unmittelbar bedingen. Diesen Zusammenhang soll die folgende Regel in (112) umschreiben. Sie besagt, dass, wann immer in einer Ereigniskonzeptualisierung zwei Entitäten das Merkmal [+CHANGE] tragen, diese in reziproker Weise AGENT bzw. THEME zweier unterschiedlicher Ereignisse sind: (112)
[[+CHANGE(x,) = e,] & [+CHANGE(X 2 ) = e k ] & [ej * e k ] ]
[PROTO-AGENT(x, ei) = PROTO-THEME(x, e k )] & [PROTO-THEME(x, ei) = PROTO-AGENT(x, e k )]
(113)
Bi-Agentivitätsprinzip: [M(xi) = M(x2) & e, ^ e k ] ->
[PROTO-AGENT(X,
ej) =
PROTO-THEME(X,
e k )]
(113) gibt Gleiches in abstrakterer Weise wieder: Wenn also die Merkmale M zweier salienter Entitäten übereinstimmen, sich jedoch auf zwei unterschiedliche Ereignisse beziehen, dann muss die AGENT-Entität des einen Ereignisses zugleich die THEME-Entität des anderen Ereignisses sein. Das Bi-Agentivitätsprinzip regelt sämtliche Fälle von Ereigniskonzeptualisierungen, bei denen eine Entität mit impliziten agentiven Eigenschaften versehen ist: In einem Beispiel wie Peter verkauft Maria ein Buch ist dies die „geldgebende" Maria; in einem Beispiel wie Hans jagt ein Schwein ist dies das fliehende Schwein. Die Hauptfrage ist damit jedoch nicht geklärt: Welche Entität gewinnt nun im Rennen um die eigentliche - auch an der sprachlichen Oberfläche realisierte - AGENT-Position? Eine adäquate Antwort auf diese Frage zu versuchen, käme wohl einer Anmaßung gleich. Da hier informationsstrukturelle Fragen eine ebenso gewichtige Rolle spielen wie die nach der Perspektivierung bzw. der makrostrukturellen Planung eines Ausdrucks, und der Komplexität dessen hier nicht angemessen Rechnung getragen werden kann, soll an dieser Stelle eine einfache Stipulation aushelfen: Es kann nur die Entität in die PROTO-AGENT-Relation eingebunden werden, die sich auf das in der quaestio fixierte Ereignis bezieht. Wir wollen es an dieser Stelle dabei bewenden lassen: Der Aspekt konkurrierender Anwärter' auf eine Auszeichnung als PROTO-AGENT wird im Zusammenhang mit psychischen Verbkomplexen noch einmal zur Sprache gebracht werden.
Thematische Relationen
138
Es stellt sich die Frage, wie mit der vorgeschlagenen Konzeption Ereigniskonzeptualisierungen organisiert werden, die auf sprachlicher Ebene in einem unakkusativen (dekausativierten) Verbkomplex mit Verben wie rollen oder zerbrechen resultieren. Zur Beantwortung dieser Frage muss geklärt werden, ob es einsichtig ist, für unakkusative Ausdrücke implizite Kausalität anzunehmen. Für Komplexe wie Die Vase zerbricht ist dies sicher nicht problematisch, da ZERBRECHEN-Ereignisse stets eine externe Verursachung implizieren. Anders verhält sich dies jedoch mit ROLLEN-Ereignissen. Zur Aufklärung der Problematik soll hier das Konzept der ,Mikro-Phasenwechsel', wie es in Abschnitt 1.3.2.2 bereits einmal zur Sprache kam, wieder aufgegriffen werden. Es kann festgestellt werden, dass zwei Arten von Kausalität unterschieden werden können. Einerseits sind dies Ereignisse, die mit ausgedehnten Zustandswechseln einhergehen, für deren einzelne Mikro-Phasenwechsel stets die verursachende Entität verantwortlich zeichnet: (114) a.
Hans baut ein Haus. = jeder noch so kleine, inkrementelle Fortschritt (= Mikro-Phasenwechsel) in der Entstehung des Hauses ist durch Hans verursacht
b.
Maria näht ein Kleid. = jeder noch so kleine, inkrementelle Fortschritt in der Entstehung des Kleides ist durch Maria verursacht
Anders verhält sich dies bei ROLLEN-Ereignissen. Hier zeichnet die verursachende Entität nur für den Beginn des Ereignisses verantwortlich. In ähnlicher Weise verhält sich dies bei VERBRENNEN:
(115) a.
Hans rollt den Felsen den Berg hinunter. Der Felsen rollt den Berg hinunter. = es gilt nicht: jeder Mikro-Phasenwechsel des Ball-Rollens ist durch Hans verursacht
b.
Peter verbrennt den Lappen. Der Lappen verbrennt. = es gilt nicht: jeder Mikro-Phasenwechsel des Lappen-Verbrennens ist durch Peter verursacht
Die mit den unakkusativen Ausdrücken in (115) bezeichneten Mikro-Phasenwechsel bzw. einzelnen Zustandswechsel sind nicht durch die Entitäten Hans bzw. Peter verursacht, sondern vielmehr durch eine abstrakte Größe wie Gravitationskraft bzw. Oxidation. Genau hierin unterscheiden sich Komplexe wie VERBRENNEN bzw. ROLLEN von ZERBRECHEN. Bei letzteren ist es eine konkrete Größe, die den Zustandswechsel herbeigeführt haben muss:
139
Thematische Relationen
(116) a.
Hans zerbricht die Vase. Die Vase zerbricht. =
der Zustandswechsel der Vase ist durch Hans verursacht
Auf sprachlicher Ebene drückt sich der Unterschied von konkreter vs. abstrakter Verursachung bei unakkusativen Komplexen darin aus, dass bei letzteren eine mögliche Verursachung nur schlecht expliziert werden kann: (117) a. (118) a. b.
Die Vase zerbricht durch Herunterschmeißen. Der Lappen verbrennt durch Anzünden. Der Felsen rollt den Berg durch Anstoßen hinunter.
Für ZERBRECHEN mit impliziter, aber konkreter Verursachung wird nun die folgende Repräsentation angesetzt. Die implizit bleibende, verursachende Entität wird hier mit Existenzquantifizierung gebunden. Konzeptuell gesehen heißt das, dass der SE-Anweisung an den Konzeptualisierer für ZERBRECHEN(XI, x 2 ) nur insofern entsprochen werden kann, als dass eine verursachende Entität zwar rekonstruierbar, aber nicht explizierbar ist - in EE also keine saliente, verursachende Entität auffindbar ist:62 (119) Die Vase zerbricht. 3 x , [+CHANGE(X,) & +CAUSE(X], e¡)] & [+CHANGE(X 2 ) & -.CAUSE(X 2 , e¡)] —» PROTO-AGENT(XI, e¡)
(= .impliziter Verursacher')
->• PROTO-THEME(X 2 , e¡)
(= ,Vase')
Die Frage ist nun, ob auch für ROLLEN- bzw. VERBRENNEN-Ereignisse mit abstrakter Verursachung Gleiches angenommen werden kann. Die implizite Verursachung wäre dann an die physikalischen Größen der Oxidation bzw. Gravitation geknüpft. Im Unterschied zu ZERBRECHEN jedoch wird diese Art der Verursachung sprachlich nie realisiert. Es ist daneben fraglich, ob den entsprechenden Ereigniskonzeptualisierungen stets naiv-physikalisches Wissen dieser Art zugänglich sein kann. Diese Aspekte sprechen m.E. dafür, hier keine verursachende Entität - auch keine implizit gelassene - anzusetzen. Die entsprechende Repräsentation umfasst dann also nur eine singulare Entität (vgl. Härtl (2000a)):
62
S i e h e hierzu d i e S k i z z i e r u n g v o n S E - A n w e i s u n g e n , w i e sie i m Z u s a m m e n h a n g mit A b b i l d u n g 14 erörtert w u r d e n .
140
Thematische Relationen (120) Der Ball rollt (den Berg hinunter). [+CHANGE(X I ) & —iCAUSE(x), e0] PROTO-AGENT(X,, e,)
(= , B a l l ' )
Aufgrund der Merkmalsspezifikation [+CHANGE] ist die einzig involvierte Entität als PROTO-AGENT ausgezeichnet. Dies scheint zumindest in Fällen wie Der Lappen verbrennt fragwürdig. Dies mag darin begründet sein, dass hier eine dekrementelle Veränderung, die im vollständigen Verschwinden der Entität mündet, vorliegt. Allerdings sieht die hier vertretene Konzeption eine weite Definition des Konzepts PROTO-AGENTivität vor: Das Merkmal [+CHANGE] in einer Ereigniskonzeptualisierung, die nur eine singulare Entität umfasst, qualifiziert dieses als PROTO-AGENTiv. Diese Konzeption erscheint weniger problematisch, berücksichtigt man Fälle wie ROTIEREN, bei denen eine abstrakte Verursachung noch weniger denkbar ist (was sich u.a. darin ausdrückt, dass hierfür keine verbalen transitiven Varianten existieren), eine Bewegung jedoch zwingend angenommen werden muss. Eine Alternative ergibt sich, wenn man nicht-spezifische Naturkräfte (im Sinne von natural forces, wie sie in Levin & Rappaport-Hovav (1995) in diesem Zusammenhang beschrieben sind) wie die o.g. Oxidation als verursachende Größe annehmen will. Es könnte argumentiert werden, dass es eine definierende Eigenschaft solcher Größen ist, nie referenzfähig zu sein, da sie sich auf allgemeines physikalisches Wissen beziehen und nicht auf konkrete Entitäten in einer Diskursmenge. Da auf diese Weise das entsprechende Ereignis als verursacht zu markieren ist, würde die Entität, die einer Veränderung unterzogen wird, als proto-typisches THEME ausgezeichnet. Damit verbunden ist, dass die verursachende Entität bzw. die entsprechende Variable in keiner Weise gebunden sein darf, da für sie keine Existenzbedingung gelten kann: (121)
DerLappenverbrennt. [+CHANGE(x,) & +CAUSE(x,, ej)] & [+CHANGE(x2) & ->CAUSE(x2, e^] —> PROTO-AGENT(X I, EJ)
x =
-> PROTO-THEME(x2, ej)
x = Lappen
0
Andere Beispiele, bei denen der referentielle Ausschluss einer kausalen Entität auch lexikalisch festgelegt ist, sind durch Verben wie zerfallen oder verfaulen gegeben. Sie erlauben nie eine tranisitiv-kausative Variante. Bei einer Analyse der fraglichen Konstruktionen wie unter (121) bleibt allerdings eine genaue Definition von natural forces ungeklärt. So ist bspw. nicht klar, ob es ein prinzipielles Charakteristikum von natural forces ist, unterdrückbar zu sein. Nicht-akzeptable Paare wie Die Flut zerstörte das Dorf vs. *Das Dorf zerstörte sprechen gegen eine solche Annahme. Bevor eine Entscheidung für eine der mit (121) und (123) erörterten Varianten gefallt werden kann, muss weitere empirische Arbeit geleistet
Thematische Relationen
141
werden, die untersucht, ob externe kausale Größen hier tatsächlich anzusetzen sind. 63 In Betracht gezogen werden muss hier auch, dass Entitäten generell in unterschiedlichen Graden konzeptuell identifizierbar sind. Dies schlägt sich bspw. im Unterschied von medialen Konstruktionen (s. (122)a) und Medium-Verbkomplexen ((s. (122)b) nieder, die sich hinsichtlich der Spezifizität eines möglichen AGENTs unterscheiden (vgl. Fagan (1983); Härtl (2001)): (122) a. b. c.
Weißbrot schneidet sich leicht. Die Tür öffnet sich. Die Tür wird (durch Hans) geöffnet.
Während die medialen Strukturen dadurch charakterisiert sind, dass sie implizit einen wenn auch generisch determinierten - AGENT bezeichnen, ist in Medium-Komplexe kein solcher AGENT involviert. Mit Passiva wie in ((122)c) jedoch kann es auch ein konkreter AGENT konzeptualisiert sein, der mit einer durch-Phra.se wieder aufgegriffen wird. Mit einem entsprechenden Merkmal, das die Grade der Identifizierbarkeit von Entitäten erfasst, könnte die fehlende Referenzfähigkeit von natural forces in den obigen Beispielen geregelt werden. Falls tatsächlich eine implizite kausale Relation angenommen werden soll, dann muss weiterhin überlegt werden, was die konzeptuelle Grundlage für ihre Etablierung bildet, da die oben erarbeiteten Prinzipien zur Konzeptualisierung kausaler Relationen für Ausdrücke mit nicht-spezifischer Kausalität wie Der Lappen verbrennt nur eingeschränkt gelten können. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass das Merkmal +CHANGE(xn) bi-funktional ist: Es kann sowohl eine PROTO-THEME- als auch eine PROTO-AGENT-Relation bedingen. Hierzu die folgende vereinfachte Darstellung (a-Beispiele = THEME; b-Beispiele = AGENT):
63
Eine erste empirische Erhebung zur Thematik weißt daraufhin, dass sowohl Medium-Verben (sich öffnen) als auch Dekausativa (verbrennen) als extern verursacht angesehen werden. 20 Probanden wurden gebeten, auf einer 5-stufigen Skala anzugeben, ob die Ursache für die entsprechenden Ereignisse in der Entität selbst [= 1] oder aber in einer anderen, nicht-spezifizierten Größe [= 5] zu suchen sind. Der Mittelwert für Dekausativa beträgt 3.6, der für Medium-Verben 3.8. Der Unterschied ist nicht-signifikant (t=1.43, p=0.16).
Thematische Relationen
142 (123)
a.
M a r i a näht ein K l e i d . KLEID(X 2 )
+CHANGE(X 2 ) PROTO-THEME(X 2 , e )
H a n s j a g t ein S c h w e i n . SCHWEIN(X 2 )
- > +CHANGE(X 2 ) - > PROTO-THEME(X 2 , e )
Die V a s e zerbricht. VASE(X 2 )
- > +CHANGE(X 2 ) PROTO-THEME(X 2 , e )
b.
D e r M a n n tanzt. MANN(Xi)
- > +CHANGE(X|) - > PROTO-AGENT(X], e )
D e r B a l l rollt. B ALL(x i)
- > + C HANGE(x,) PROTO-AGENT(x i, e )
D i e T u r b i n e rotiert. TURBINE(X])
+CHANGE(x,) - > PROTO-AGENT(Xi, e )
U n t e r B e r ü c k s i c h t i g u n g d i e s e r Ü b e r s i c h t w i r d F o l g e n d e s d e u t l i c h : [+CHANGE] b e d i n g t i m m e r nur in den F ä l l e n e i n e PROTO-AGENT-Relation, bei d e n e n in die E r e i g n i s k o n z e p t u a l i sierung keine
w e i t e r e Entität i n v o l v i e r t ist. 6 4 D i e s e n U m s t a n d e r f a s s t das f o l g e n d e P r i n z i p ,
w e l c h e s als L ö s u n g s a n s a t z für d a s P r o b l e m d e r B i - F u n k t i o n a l i t ä t d i e n e n k a n n : (124)
X = {x|x ist E r e i g n i s - P a r t i z i p a n t } [+CHANGE(x) & X = 1] - > PROTO-AGENT(x, e )
W e n n a l s o die M e n g e der in das E r e i g n i s i n v o l v i e r t e n E n t i t ä t e n nur ein E l e m e n t u m f a s s t , und d i e s e s E l e m e n t mit d e m M e r k m a l [+CHANGE] a u s g e z e i c h n e t ist, dann gilt in j e d e m F a l l , dass d i e s e Entität als PROTO-AGENT a u s g e z e i c h n e t w e r d e n m u s s . F a l l s m e h r e r e E n t i t ä ten v o r l i e g e n und m e h r e r e mit d e m s e l b e n M e r k m a l a u s g e z e i c h n e t sind, greift das P r i n z i p in ( 1 1 3 ) . U n g e k l ä r t ist b i s l a n g auch der S t a t u s e i n i g e r n o c h n i c h t e r f a s s t e r M e r k m a l s k o m b i n a t i o nen. S o ist e t w a die K o m b i n a t i o n [-iCHANGE(x) & + C A U S E ( x ) ] intuitiv d e n k b a r in S i t u a t i o n e n , in denen s i c h e i n e Entität n i c h t o v e r t r ä u m l i c h v e r ä n d e r t , j e d o c h t r o t z d e m das E i n -
64
Für Ereignisse, wie sich in Sätzen der Art Die Vase zerbricht
ausdrücken, wurde festgestellt, dass
diese immer mit einer - wenn auch impliziten - konkreten Verursachung bzw. einer entsprechenden verursachenden Entität einhergehen (s. Beispiel ( 1 1 9 ) ) .
Thematische Relationen
143
setzen eines Nachzustands verursacht. Diese Möglichkeit ist bspw. mit der Verursachung mentaler Zustände gegeben, welcher wir uns im nächsten Kapitel widmen wollen. Grundsätzlich soll allerdings davon ausgegangen werden, dass eine solche Kombination sich nicht in primitiver Weise aus den o.g. - idealerweise universalen - Prinzipien unter (106) und denen unter (113) bzw. (124) ergibt, sondern erst durch Ableitungen auf der Grundlage einer Interaktion mit abstrakteren Domänen. Der Vorteil einer solchen Annahme besteht darin, dass es nun denkbar ist, unmögliche Konzeptualisierungen anhand ausgeschlossener Merkmalskombinationen zu formulieren. So sollte sich einer Kombination wie der Folgenden keine sinnvolle Konzeptualisierung zuweisen lassen: (125)
*[+CHANGE(x n ) & +CAUSE(x n , e¡)] & [+CHANGE(x k ) & +CAUSE(x k , e,)]
In einer Situation, der eine solche Konzeptualisierung zu Grunde läge, müssten zwei unterschiedliche Entitäten durch ihre Veränderung ein- und dasselbe Ereignis e, verursachen. Dies scheint intuitiv gesehen nicht möglich. Allerdings bieten sich im hier etablierten theoretischen Rahmen keine Möglichkeiten, hierzu sichere Aussagen zu treffen. Aus diesem Grund soll angenommen werden, dass das Regelwerk in (106) mit seinen Erweiterungen in (113) und (124) eine kanonische Systematik regelhafter thematischer Konstellationen wiedergibt, die erweiterbar ist - allerdings im Rahmen entsprechend noch zu formulierender Restriktionen. Für die Etablierung einer thematischen Relation zwischen Objekten und Ereignis zur Konzeptualisierung einer präverbalen Botschaft soll - ähnlich der Konzeption in Dowty (1991) - ein statistisches Verfahren gelten, bei dem die Entitäten nach der Quantität ihrer Merkmale thematisch ausgezeichnet werden. Demnach wird immer die Entität als PROTO-AGENT des entsprechenden Ereignisses ausgezeichnet, die die Mehrzahl der als positiv spezifizierten Merkmale [CHANGE] und [CAUSE] unter sich vereinigt. Resümierend ergibt sich nun das folgende Regelwerk: (126)
Prinzipien der Etablierung thematischer a.
Relation".
Eine thematische Relation PROTO-Z zwischen einem Ereignis e und einer Entität x wird immer dann etabliert, wenn die Schnittmenge X der Merkmale M aus dem semantischen System und der Merkmale M aus dem episodischen System größer bzw. gleich Eins ist: MSE = {se|se ist semantisches Merkmal aCHANGE v aCAUSE einer Entität} MEE = {ee|ee ist episodisches Merkmal aCHANGE v aCAUSE einer Entität} E = {e|e ist ein Ereignis} MSF n M EE = X = {x|x ist eine Entität mit Merkmal M} 3e 3x PROTO-z(x, e)
[MSF n MEE > 1]
Thematische Relationen
144
b.
Mit PROTO-AGENT wird genau die Entität x ausgezeichnet, die die Mehrzahl der positiven Merkmale unter sich vereinigen kann. Umgekehrtes gilt f ü r PROTO-THEME: PROTO-AGENT(x n , e ) + M ( x k ) PROTO-THEME(x n , e )
+M(xn) < +M(xk)
Wenn die Merkmale beider Entitäten gleich sind, beide jedoch in unterschiedliche Ereignisse eingebunden sind, ist die PROTO-AGENT -Entität des einen Ereignisses auch PROTO-THEME des anderen Ereignisses und umgekehrt: [M(x n ) = M(x k ) & c.
ej * ek]
[PROTO-AGENT(X, C,) = PROTO-THEME(X, e k ) ]
ist bi-funktional. Es qualifiziert Entitäten sowohl für PROTOAGENT als auch PROTO-THEME. In jedem Fall mit PROTO-AGENT ausgezeichnet wird eine mit +CHANGE markierte Entität jedoch, wenn neben ihr keine weiteren in die Ereigniskonzeptualisierung involviert sind:
+CHANGE
X = {x|x ist Ereignis-Partizipant mit Merkmal M} [+CHANGE(x) & X = 1]
d.
PROTO-AGENT(x, e )
Merkmalskombinationen aM„(x) & aM k (x) können kanonischerweise sein: F ü r PROTO-AGENT: +CHANGE(xn) & -,CAUSE(xn, e) +CHANGE(xn) & +CAUSE(xn, e) F ü r PROTO-THEME: + C H A N G E ( x n ) & —ICAUSE(x n , e ) —iCHANGE(x n ) & -NCAUSE(x n , e ) 0CHANGE(xn) & 0CAUSE(xn, e)
Die Etablierung einer thematischen Relation gemäß dem oben entwickelten Regelwerk resultiert in der Konzeptualisierung einer präverbalen Botschaft, die als Eingabestruktur für den Formulator dient. Gleichzeitig muss das zu Grunde liegende konzeptualisierte Ereignis ein Teil des episodischen Gedächtnissystems werden, da es sich nun um eine konkrete, referentielle Gedächtniseinheit handelt, die zeitlich und räumlich fixierbar ist.
145
T h e m a t i s c h e Relationen
I
NÄHEN ( X ]. , X2) —> ? CHANGE (xn) & ? CAUSE (xn/ e )
u 1
NÄH ( e )&
AGENT(e,hans)
&
THEHE (e, ein k 1 ed) i
EE
Sem.
G . - S y s t e m
E p i s .
K o n z e p t u a l i s i e r u n g :
P r ä v e r b a l e
G . - S y s t e m
B o t s c h a f t
CS I KAH ( e )
+ CHANGE
Sc AC8BT ( e , h a n s )
(hans)
+ CHANGE ( e i n
k l e i d )
+ C A U S E ( h a n s, e ) —ICMSE (ein
&
THSME ( e , e i n
«
+?EL(e)
Sc
==
+TEL(e)
Sc
+ FORcE(hans,
k l e i d )
+DUR(e) + DUR
( e )
ein
k l e i d )
. ..
k l e i d , e )
CKB A b b i l d u n g 16: A b b i l d u n g einer p r ä v e r b a l e n B o t s c h a f t
Der eigentliche propositionale Gehalt der präverbalen Botschaft ist hier als CS wiedergegeben. Sämtliche Hintergrundinformationen - darunter die Merkmale, die [CHANGE] und [CAUSE] spezifizieren 6 3 - sind im CT-Komplex kodiert. Daneben müssen im CT-Komplex weitere aus dem Ausdruck zu inferierende Informationen bspw. darüber enthalten sein, dass NÄHEN im Gegensatz zu STRICKEN kanonischerweise mit Nadeln erfolgt. Ebenso muss die informationsstrukturelle Gewichtung der Ereignis-Partizipanten, die auf sprachlicher Ebene mit prosodischen Merkmalen oder Wortstellungsvariationen einhergeht, im CT-Komplex erfasst werden. Beide Informationsstrukturen sind dem Thematischen Prozessor zugänglich, der diese auf eine grammatische Struktur - eine Semantische Repräsentation - des Formulators abbildet. Einem möglichen, dem zu Grunde liegenden Mechanismus, wollen wir uns im abschließenden Abschnitt dieses Kapitels widmen.
2.3 Abbildung thematischer Relationen auf grammatikalisierte Ereignisstrukturen Die außersprachlichen thematischen Relationen werden auf der Ebene der grammatischen Realisierung eines Ausdrucks in den Ereignisstrukturen bzw. den semantisch-lexikalischen 65
s. hierzu Abschnitt 2.2.1.2
146
Thematische Relationen
Aktionsarten des Ausdrucks kodiert. In Aktionsarten wird der Teil einer außersprachlichen Ereignisstruktur realisiert, der für die grammatische Umsetzung einer präverbalen Botschaft relevant ist. Die anzunehmenden Regelmäßigkeiten hierfür, die sich in den semantisch-lexikalischen Dekompositionsprimtiva der Semantischen Repräsentation SR ausdrücken, wurden in den Abschnitten 1.3 bzw. 1.3.2 diskutiert. Die Abbildung der Ausgabestrukturen der Konzeptualisierung auf die grammatischen Strukturen der Formulierung leistet entsprechend der hier vorgeschlagenen Modellkonzeption ein Thematischer Prozessor (TP). Seine Konzeption lehnt sich an Erkenntnisse an, die aus der Sprachverstehensforschung stammen. Nach Rayner et al. (1983) und Frazier (1987b) wird die Phase des secondpass parse der zweiten Stufe der Verarbeitung - durch einen Mechanismus reguliert, der Zugang zu Informationen über die Argumentstrukturierung und die thematische Strukturierung des Ausdrucks hat. Der TP ist nach Frazier (1988) als unabhängig vom first pass parse, bei welchem einem zu verarbeitenden Ausdruck eine Konstituentenstruktur zugewiesen wird. Frazier begründet dies damit, dass „it exhibits none of the same properties (task, information sources,..., preference strategies)" (Auslassung d. A.). Der entsprechend formulierte Thematische Prozessor, überprüft also auf der Basis von Diskurs- und Weltwissen den initialen syntaktischen Input auf seine pragmatische Plausibilität hin und kann gegebenenfalls eine Revision der Struktur einleiten. Ein solcher Mechanismus muss somit im Sinne einer Schnittstellenfunktion Zugriff auf sprachsystematisches und auf extra-linguistisches Wissen haben. Dem Modularitätsprinzip kann entsprochen werden, indem informationelle Autonomie der Subsysteme angenommen wird, welche nicht die Operationen einer unter- oder übergeordneten Komponente beeinflussen können. Der Thematische Prozessor kann demnach keine eigenen Entscheidungen über die Prägung der Ein- bzw. Ausgabestrukturen treffen; er prüft diese lediglich in automatisierter Weise auf ihre Kompatibilität mit der nachgelagerten Ebene bzw. setzt diese bei gegebener Kompatibilität in Strukturen der nachgelagerten Ebene um. Einem entsprechenden, zu Grunde zulegenden Regelsystem wollen wir uns in diesem Abschnitt widmen. Es wird hier davon ausgegangen, dass der Thematische Prozessor als Instantiierung der von Bierwisch & Schreuder (1992) formulierten Verbalisierungsfunktion VBL angesehen werden kann. Die VBL-Funktion kann als Regelwerk aufgefasst werden, welches determiniert, wie welche außersprachlichen Informationen grammatisch umzusetzen sind. Die Informationsstrukturen CT und CS verarbeitet der Thematische Prozessor unter Rückgriff auf lexikalisches Wissen des LEXIKONs zu integrierten Semantischen Repräsentationen SR und parallel zu syntaktischen Strukturen SYN als Ausgabestrukturen des Formulators.66
66
s. hierzu auch die Erläuterungen im Zusammenhang mit Abbildung 1
Thematische Relationen
(127)
147
Verbalisierungsfunktion: VBL(CS,CT) = SR, w e n n : i.)
SR = SF und
ii.)
INT(SR,CT) = CS
vgl. Bierwisch & Schreuder (1992) Demnach wird eine integrierte bzw. aktuale Semantische Repräsentation aus einer konzeptuellen propositionalen Struktur bei Berücksichtigung kontextueller Konditionen unter zwei Bedingungen erzeugt: i.) die Semantische Repräsentation muss der semantischen Form SF eines zu aktivierenden Lemmas entsprechen und ii.) als Ausdruck des self-monitorings der internen Rede muss die Interpretation der Semantischen Repräsentation wiederum unter Berücksichtigung des Kontexts bei Beibehaltung des intendierten Informationsgehalts auf eine propositionale CS abbildbar sein (s. auch Härtl & Witt (1998)). Welche Arten von Wissensstrukturen bzw. Repräsentationen können nun durch den Thematischen Prozessor gelesen werden? Entsprechend seiner Konzeption können TP nicht sämtliche außersprachliche Informationen zur Verfugung stehen, d.h. TP kann nicht auf das gesamte konzeptuelle Modell, in das die präverbale Struktur eingebettet ist, zugreifen. Im vorangegangen Abschnitt wurde argumentiert, dass die thematische Strukturierung einer präverbalen Botschaft mit den spezifischen ereignisstrukturellen Merkmalen [CHANGE] und [CAUSE] des zu benennenden Sachverhalts organisiert werden kann. Ereignisstrukturen werden auf grammatischer Ebene in Aktionsarten wiedergegeben. Sie gewährleisten, dass die thematische Struktur in eindeutiger Weise aus dem Ausdruck inferiert werden kann. Eine solche Konzeption legt also nahe, dass sinnvollerweise nur die thematische Struktur in CS selbst und die ereignisstrukturellen Merkmale, die die thematische Struktur determinieren, durch TP gelesen und in die grammatische Struktur einer SR transferiert werden kann. Die CS erfasst den propositionalen Gehalt einer präverbalen Botschaft. Für die Versprachlichung notwendige Informationen, die jedoch nicht den eigentlichen Wert der Proposition bestimmen, werden im CT-Komplex des kontextuellen Hintergrundwissens kodiert. Für die mit der thematischen Struktur zusammenhängenden Informationen bedeutet dies, dass die thematische Struktur selbst als CS-Bestandteil fungiert, die sie determinierenden Merkmale hingegen als CT-Komponenten. Dazu die folgende beispielhafte Repräsentation, die als Explikation der Übersicht in Abbildung 16 zu verstehen ist:
148
Thematische Relationen
(128) Maria näht ein Kleid. CS: NÄHEN(e) & AGENT(e, m a r i a ) & THEME(e, ein k l e i d ) CT:
CT a k t 1 0 N :
CT0IiJFKT:
+CAUSE(maria, e)
[—> FORCE(maria, ein k l e i d ) ] . . .
-,CAUSE(ein k l e i d , e)
[—> -iFORCE(ein k l e i d , m a r i a ) ] ...
+CHANGE(maria) +CHANGE(ein k l e i d )
CT FRFIGN1S :
+CHANGE(maria)
= +TEMP(e) & +DUR(e) & +TEL(e)
+CHANGE(ein k l e i d )
= +TEMP(e) & +DUR(e) & +TEL(e)
Es ist dieses Mindestmaß an Informationen, das TP zur Abbildung einer SR, die die thematischen Verhältnisse des Ausdrucks in adäquater Weise wiedergibt, zugänglich sein muss. Die einzelnen Komponenten ergeben sich aus dem oben ausgearbeiteten Regelwerk. Vergleichen wir den CS-/CT-Komplex in (128) einmal mit einem entsprechenden CS-/CTKomplex, wie er hier für einen Activity-Ausdruck wie Jimmy jagt eine Fliege angesetzt wird. (129) Jimmy jagt eine Fliege. CS: JAGEN(e) & AGENT(e, j i m m y ) & THEME(e, e i n e CT: CTaktion:
CT0[iJEKT:
fliege)
- i C A U S E ( j i m m y , e)
[—> - i F O R C E ( j i m m y , e i n e
-iCAUSE(eine f l i e g e , e)
[ - > -.FORCE(eine fliege, j i m m y ) ] . . .
fliege)]...
+CHANGE(jimmy) +CHANGE(eine f l i e g e )
CTfrf,gnis:
CHANGE(jimmy)
= +TEMP(e) & +DUR(e) & —iTEL(e)
CHANGE(eine f l i e g e )
= +TEMP(e) & +DUR(e) & —iTEL(e)
Es wird ersichtlich, dass mit den CS-Informationen allein keine adäquate SR erzeugt werden kann: Sowohl in (128) als auch (129) zeichnet die CS gleichermaßen eine Entität als Instantiierung eines prototypischen AGENTs und eine andere als die eines THEMEs aus. Erst die CT-lnformationen der Subsysteme des semantischen und des episodischen Gedächtnissystems geben in eindeutiger Weise wieder, mit welchen konkreten ereignisstrukturellen Eigenschaften die entsprechenden Entitäten versehen sind. Wie müssen nun die Ubersetzungsregeln gestaltet sein, damit TP eine der präverbalen Botschaft angemessene SR erzeugen kann? Entsprechend den Ausfuhrungen in Abschnitt 1.3.2.2 dazu die folgende Zielrepräsentation, in die eine Abbildung münden muss:
149
Thematische Relationen (130) SR: Maria näht ein
Kleid.
Xy Xx XeT [e r INST [DIR-CAUSE [x, BECOME [—iSTATE(y, t,), STATE(y, t n + i)]]]]: ti ... t2 (ein kleid) (maria) Die Auswahl eines kausativen Ausdrucks für SR könnte trivialerweise durch das C T - M e r k mal [+CAUSE] getriggert sein. Die CS-Information [AGENT(e, maria)] allein reicht dazu nicht aus, da dies gleichermaßen für Activtiy-Ausdrücke gilt. Die folgende VBL-Regel deutet dies an (vgl. (127)): (131) VBL([AGENT(e, maria)] c s , [+CAUSE(maria, e)] CT ) = [DlR-CAUSE(maria, Q)]SR Die Variable Q für das verursachte Ereignis muss anhand der ereignisrelevanten CT-Informationen weiter spezifiziert werden. Dies kann mittels d e r konstituierenden Merkmale, die mit d e m entsprechenden Ereignis - nämlich [CHANGE(ein kleid)] - verknüpft sind, erfolgen. Das Telizitätsmerkmal [TEL(e)] verweist auf einen zweiphasischen Zustandswechsel (der Entstehung des Kleides). Dies bedingt, dass über die lexikalische Repräsentation des Ereignisses des Zustandswechsels, der in C S mit [+CHANGE(ein kleid)] wiedergegeben ist, ein BECOME-Operator fungieren muss: (132) VBL...[(THEME(e, ein kleid))] c s , [+CHANGE(ein kleid) & +TEL(e)] CT = [DiR-CAUSE(maria, BECOME[-,STATE(ein kleid, t,), STATE(ein kleid, t„ +1 )])] SR : Rft.U) N a c h der Integration des Zustandswechsels in die SR mittels des BECOME-Operators, muss die zeitliche Relation R, 67 die den Zustandswechsel hinsichtlich seiner zeitlichen Eigenschaften determiniert, bestimmt werden. Dies kann anhand des M e r k m a l s der Durativität [+DUR(e)], welches mit d e m KLEID-ENTSTEHEN-Ereignis [+CHANGE(ein kleid)] verknüpft ist, erfolgen: (133)
VBL...[TEL(e)] CT = ... BECOME[—iSTATE(ein kleid, t,), STATE(ein kleid, t n+1 )])] SR : ti ... V i )
Insgesamt resultiert aus den Operationen die Zielrepräsentation wie sie unter (130) angegeben ist. Es handelt sich hierbei um eine aktuale Semantische Repräsentation, die sich aus den Schnittstellenoperationen, die zwischen C S / C T - S t r u k t u r und semantisch-lexikalischer Struktur vermitteln, ergibt. Die Frage ist nun, welche Rolle d e m L E X I K O N in e i n e m solchen Szenario z u k o m m t . Unter Berücksichtigung der VBL-Funktion in (127) kann festgestellt werden, dass eine durch T P erzeugte aktuale
SR, wie sie oben skizziert ist, gegen vorhandene lexikalische
Wissensstrukturen des L E X I K O N s geprüft werden muss. Dies ist in der VBL-Teilbedingung
67
s. hierzu Abbildung 11
150
Thematische Relationen
i.) SR = SF für die Formulierung einer gültigen SR festgehalten. Es muss also die aktuale SR, die als grammatische Grundlage für die Versprachlichung des konzeptualisierten NÄHEN-Ereignisses dient, mit den Wissensstrukturen (SF) des LEXIKONs, die dem Formulator zugänglich sind, abgeglichen werden. Eine syntaktische Struktur kann demnach erst aufgebaut werden, wenn sichergestellt ist, dass für die aktuale SR auch entsprechendes lexikalisches Material bereitsteht. Es ist genau dies der Punkt, an dem die lexikalische Umsetzung einer präverbalen Botschaft anhalten kann, und nach naheliegenden lexikalischen Entsprechungen gesucht werden muss - dies ist immer dann der Fall, wenn keine eindeutige Übereinstimmung der SR mit Strukturen des LEXIKONs vorliegt. Dieser Aspekt ist damit lediglich angesprochen und soll auch nicht weiterverfolgt werden. Wesentlich ist die Prüfung auf Kompatibilität zwischen aktualer SR und einer SF des LEXIKONs: (134) SR = SF —> SYN(SR) Diese Bedingung veranlaßt, dass die syntaktisch motivierten Linking-Mechanismen zum Tragen kommen können, die in Abschnitt 1.3.3 erörtert wurden. Insgesamt gilt es nun, ein umfassendes Regelwerk an VBL-Funktionen zu entwerfen, das in der oben illustrierten Weise die Umsetzung der CS/CT-Komponenten in adäquate semantisch-lexikalische Strukturen organsiert. Die folgende Übersicht skizziert die Kernpunkte eines solchen Regelwerks - im nächsten Kapitel werden verschiedene Ergänzungen angestrebt: (135) TP-Abbildungsregeln [AGENT(x, e ) &
(provisorisch):
ICAUSE(X, e ) ] c s / C T
[AGENT(X, e ) & +CAUSE(X, e ) ] [THEME(X, e ) ]
[DO(X, P)] SR [CAUSE(X, Q)] S R ->• [STATE(X)] SR
CS/CT
[THEME(X, e ) & TEL(e)]
CS/CT
CS/CT
[BECOME(STATE(X))] S R
Anhand von derartigen - hier nur tentativ formulierten 68 - Wissensstrukturen zu den Abbildungsregelmäßigkeiten sollte der Thematische Prozessor befähigt sein, sämtliche semantisch-lexikalischen Konstellationen und die entsprechenden grammatischen Strukturen zu erzeugen. In den Abschnitten 2.2.1 und 2.2.2 wurde wiederholt über den hohen Abstraktionsgrad, der der vorgeschlagenen Konzeption innewohnt, gesprochen. Es wurde in diesem Zusammenhang festgelegt, dass die formulierten Prinzipien zur konzeptuellen Etablierung einer thematischen Relation als basale und universale Prinzipien anzusehen sind, welche die globale Strukturierung einer zu konzeptualisierenden Ereigniseinheit mit den darin involvierten Entitäten erlauben. Darüber hinaus wurde angedeutet, dass das System erweiterbar ist jedoch im Rahmen spezifischer Restriktionen. Solche Erweiterungen können als posteriori68
U.a. muss ein solches Regelsystem durch die ereignisstrukturellen Merkmalskombinationen in der oben dargestellten Weise spezifiziert werden.
Thematische Relationen
151
Prinzipien 69 aufgefasst werden, die im späteren Verlauf des Konzepterwerbs zusätzlich zu den basalen Regeln erworben werden. Sie beziehen sich vor allem auf Domänen abstrakterer Natur wie die der mentalen Zustände. Einer solchen Erweiterung des bislang formulierten Regelwerks wollen wir uns im nächsten Kapitel widmen. Es wird hier davon ausgegangen werden, dass posterori-Prinzipien bereits bestehende Prinzipien nicht ausschalten, sondern nur in additiver Weise modifizieren können. Betrachtet wird dabei die besondere Spezifik psychischer Verbkomplexe und deren zu Grunde liegenden konzeptuellen Strukturen. Im Mittelpunkt der Diskussion wird dabei das Problem stehen, dass unterschiedliche grammatische Strukturen für scheinbar analoge Konzeptualisierungen vorliegen, denen parallele thematische Konstellationen inhärieren. Bevor wir uns jedoch dieser Thematik widmen können, möchte ich in einem Fazit die wichtigsten Punkte des Kapitels 2 resümierend zusammenfassen.
2.4 Fazit Ziel dieses Kapitels war es, aufbauend auf den in Kapitel 1 erörterten Modellannahmen, den lokalen und funktionalen Status thematischer Relationen im Verlauf der sprachlichen Generierung zu bestimmen. Zwei Hauptaussagen sind aus den Überlegungen extrahierbar. Einerseits ist argumentiert worden, dass die thematischen Relationen ausschließlich auf der extra-linguistischen Ebene der sprachlichen Strukturbildung anzusiedeln sind. Thematische Informationen spielen demnach keine grammatisch strukturbildende Rolle im Prozess der Umsetzung einer präverbalen Botschaft. Die zweite Hauptaussage bezieht sich auf die konzeptuelle Etablierung thematischer Relationen selbst. Der Konzeptualisierer weist den in ein zu konzeptualisierendes Ereignis involvierten Entitäten zwei prototypische thematische Funktionen zu mittels zweier elementarer Prinzipien, die sich aus Merkmalen konstituieren, welche ihrerseits auf Wissensstrukturen des semantischen Gedächtnissystems basieren. Die oben erstgenannte Aussage fußt auf Überlegungen sowohl zu psycholinguistischen als auch theoretisch-linguistischen Aspekten der thematischen Strukturierung einer Aussage. Psycholinguistische Arbeiten thematisieren vor allem den Beitrag, den thematische Informationen zum Aufbau einer grammatischen - bzw. syntaktischen - Struktur leisten. Es geht dabei vor allem um die Frage, ob thematische Informationen in interaktiver Weise den automatisierten Prozessen der Sprachverarbeitung zugänglich sind. Die experimentellen Ergebnisse jedoch, die scheinbar für die Intervention thematischer Information in den grammatischen Strukturaufbau sprechen, können aber auch im Sinne eines strikt-modularen Modells als Reflex von Reanalyseprozessen interpretiert werden, die den initialen ParsingOperationen nachgeschaltet sind. Mit theoretisch-linguistischen Arbeiten wird neben der Sichtbarkeit thematischer Informationen im System der Grammatik auch diskutiert, ob thematische Relationen in einer
69
vgl. Fußnote 5
152
Thematische Relationen
thematischen Hierarchie geordnet sind, die die syntaktische Umsetzung der Argumente regelhaft organisiert. Daneben stellt sich die Frage, ob thematische Relationen bzw. Rollen als Primitiva der Grammatik anzusehen sind, und wie viel an Information über deren konzeptuellen Gehalt grammatisch kodiert ist. Eine Möglichkeit ist, thematische Rollen in der Grammatik als bloße Etiketten anzusehen, die eine thematische Hierarchie konstituieren. Mit einer solchen Annahme sind einige Probleme verbunden: Einerseits ist die Annahme thematischer Etiketten in der Grammatik nicht wünschenswert, da sich zu deren Unterscheidung ein Rückgriff auf außersprachliche Informationen notwendig macht - mit der hier vertretenen Modellkonzeption ist dies jedoch nicht kompatibel. Darüber hinaus erweist sich die Annahme einer thematischen Hierarchie nicht nur als überflüssig, sondern in vielerlei Hinsicht auch als bedenklich. So lassen sich mit einer solchen Hierarchie nur ungenügend prädiktable oder aber falsche Vorhersagen über die thematische Strukturierung verschiedener Kompositaformen machen. Die empirischen Befunde legen nahe, dass - wenn überhaupt anzunehmen - eine thematische Hierarchie nicht aus syntaktisch-strukturellen Gegebenheiten abzuleiten ist. Anhand semantisch-struktureller Regelmäßigkeiten lassen sich hier bessere Vorhersagen treffen. Eine thematische Hierarchie erweist sich so aber als Artefakt, welches auf grundlegendere Prinzipien der semantischen Komposition zurückzuführen ist. In diesem letztgenannten Sinne können konzeptuelle Schlussfolgerungen über regelhafte thematische Konstellationen an die semantischen Dekompositionsprimitiva auf grammatischer Ebene geknüpft werden. Es wird dafür argumentiert, dass genau die schema-bildenden Dekompositionsprimitiva, die die ereignisstrukturellen Eigenschaften eines Ausdrucks kodieren, als Ankerpunkte für die Inferenz thematischer Relationen dienen. Ereignisstrukturell nicht relevante Dekompositionsprimitiva spezifizieren in diesem Sinne eine thematische Relation lediglich idiosynkratisch, sie umfassen jedoch nicht genügend spezifische Informationen, um thematische Relationen selbst eindeutig kodieren zu können. Linking erfolgt demnach über die Positionierung bzw. Einbettung der ereignisstrukturell relevanten Argumente relativ zu den entsprechenden Prädikaten in der lexikalisch-semantischen Dekompositionsstruktur. Die zentrale Frage, die sich nun stellte, war, wie thematische Relationen auf der Ebene der Konzeptualisierung eines Ausdrucks etabliert werden, und wie die entsprechenden Informationen systematisch auf die Ebene der Formulierung des Ausdrucks transferiert werden. Dazu machte sich eine Systematisierung der verschiedenen Wissenssysteme der Konzeptuellen Wissensbasis notwendig. Unterschieden wurden die beiden Systeme des semantischen und episodischen Gedächtnisses, deren Sub-Systeme sich als Domänen im ontologischen Sinne darstellen lassen. Aus den verschiedenen anzunehmenden, elementaren Wissensstrukturen der Sub-Systeme ließen sich zwei grundlegende Prinzipien extrahieren, die die Konzeptualisierungskomponente zur globalen Strukturierung eines Ereignisses sinnvollerweise heranzieht. Damit einher geht die Zuweisung von thematischen Funktionen an die involvierten Entitäten.
Thematische Relationen
153
Die beiden Prinzipien bestimmen die thematische Funktion von Entitäten in einer Ereigniskonzeptualisierung, die schließlich in eine präverbale Botschaft mündet. Geprüft werden müssen dazu die objektspezifischen Eigenschaften der Entitäten und die zeitlichen Eigenschaften des betreffenden Ereignisses. Es wurde vorgeschlagen, dass zur globalen thematischen Strukturierung lediglich zwei Merkmale geprüft werden müssen: Einerseits das Merkmal einer Bewegung bzw. Veränderung einer Entität, die räumlich und zeitlich fixierbar ist (= [CHANGE]), und andererseits das Merkmal der Verursachung eines Ereignisses (= [CAUSE]). Die Idee ist, dass mit den Ereigniseinheiten des semantischen Gedächtnissystems Anweisungen verknüpft sind, welches der Merkmale [CHANGE] bzw. [CAUSE] für wie viele Entitäten eines zu konzeptualisierenden Ereignisses zutreffen muss. Auf ihre entsprechenden Eigenschaften hin werden Entitäten geprüft, die salient - d.h. zugänglich - und damit Einheiten des episodischen Gedächtnissystems sind. Die Zuweisung einer thematischen Funktion erfolgt nach einem statistischen Prinzip: Genau die Entität, bei welcher die Mehrzahl der Merkmale positiv spezifiziert ist, wird als prototypischer AGENT des Ereignisses ausgezeichnet - für ein prototypisches THEME gilt das Umgekehrte. Die Prinzipien, die durch die Merkmale [CHANGE] und [CAUSE] konstituiert werden, können als Instantiierung sogenannter funktionaler Koordinationsprinzipien angesehen werden, wie sie zur Organisation der Ressourcen des Arbeitsgedächtnisses - das hier in einer Teilmenge durch die Konzeptualisierungskomponente repräsentiert ist - formuliert wurden. In der hier vorgeschlagenen Konzeption konstituiert sich eine präverbale Botschaft aus dem eigentlichen propositionalen Gehalt CS und kontextuellen Hintergrundinformationen CT. Es wurde vorgeschlagen, die thematische Strukturierung der präverbalen Botschaft in der CS zu verankern. Die Informationen über die geprüften Merkmale, die mit dieser thematischen Strukturierung einhergehen, werden in CT kodiert. Der Thematische Prozessor arbeitet auf der Grundlage einer Schnittstellenfunktion VBL, mittels welcher die thematischen Informationen aus CS unter Berücksichtigung der dazugehörigen Informationen in CT in systematischer Weise und unter Nutzung eines entsprechenden Regelwerks auf eine grammatische SR der Formuliererebene abgebildet werden. Diese aktuale Semantische Repräsentation muss auf ihre Kompatibilität mit einer SF-Einheit des LEXIKONs hin geprüft werden. Dies bildet die Voraussetzung dafür, dass Linking-Operationen einsetzen können, die die aktuale SR mit syntaktischen Strukturen verknüpfen. Die bislang angestellten Überlegungen zum Status thematischer Relationen im entwickelten Modell erfolgten aus einer eher programmatischen Sicht. Zwar wurden einzelne sprachliche und außersprachliche Phänomene hinsichtlich der Erklärungsadäquatheit der erörterten Prinzipien beleuchtet - was jedoch fehlt, ist die umfassende Darstellung einer Derivation einer bestimmten Art von Struktur. In diesem Sinne ist das abschließende Kapitel der vorliegenden Arbeit dem sprachlichen Phänomen der psychischen Verben gewidmet und deren zu Grunde liegenden konzeptuellen Strukturen. Bereits angesprochen wurde auch, dass die bislang aufgestellten Prinzipien zur Etablierung thematischer Relationen, Ereignisse hinsichtlich ihrer globalen Partizipanten-Strukturen konzeptuell organisieren. Im Idealfall darf angenommen werden, dass diese Prinzi-
154
Thematische Relationen
pien primitiver und universaler Natur sind, die den Konzepterwerb regelhaft organisieren und für jede Ereignisinstanz als Grundlage seiner Konzeptualisierung dienen. Dies impliziert jedoch auch, dass Erweiterungen des Regelsystems nicht nur notwendig, sondern auch wünschenswert sind, um die Feinstrukturierung von Ereigniskonzeptualisierung und die Übertragung der Prinzipien auf abstraktere Domänen adäquat beschreiben zu können. Hierin liegt die zweite Motivation für die Anwendung der bislang erörterten Prinzipien auf einen einzelnen Phänomenbereich: Welche Erweiterungen des Regelsystems sind notwendig, in welchem Rahmen erfolgen sie, und welche konzeptuellen Gegebenheiten bilden die Grundlage dafür?
3 Anwendung: Psychische Verbkomplexe
In diesem Kapitel wird erörtert, wie das in Kapitel 2 entwickelte Regelwerk zur Konzeptualisierung thematischer Relationen bei Übertragung auf abstrakte Domänen - wie die der Verursachung psychischer Zustände - angepasst werden muss. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Frage nach der Systematik solcher Erweiterungen. Daneben stellt das Phänomen der psychischen Verben generell und für fast jede theoretische Beschreibung ein Problem dar. Psychische Verben teilen sich in zwei Gruppen auf, die sich anhand der unterschiedlichen syntaktischen Positionen der thematischen Argumente charakterisieren lassen. Es stellt sich die Frage nach der Motivation für den Unterschied: Sind es ausschließlich sprachliche oder auch außersprachliche Aspekte, die ihn bedingen? Nimmt man an, dass die thematischen Relationen beider Verbgruppen identisch sind, reduziert sich der Unterschied auf einen, der ausschließlich grammatischer Natur ist. Damit ist jedoch gleichzeitig die Frage verbunden, weshalb sich das Sprachsystem den Luxus leistet, für scheinbar identische konzeptuelle Strukturen systematisch divergierende grammatische Realisierungen anzusetzen. Der sich somit aufspannende Fragenkomplex bildet den Inhalt des Kapitels. Im ersten Abschnitt wird kritisch diskutiert, ob die Annahme gerechtfertigt ist, lediglich die Klasse der sogenannten STIMULUS-EXPERIENCER-Verben (= S-E-Verben) 1 als kausativ zu charakterisieren. Wie sich anhand verschiedener empirischer Befunde zeigt, ist dies zu verneinen: Hinsichtlich ihrer außersprachlichen Strukturierung sind sowohl S-E- als E-S-Komplexe als implizit kausal zu charakterisieren. Zwei außersprachliche Prinzipien, die den Wissensstrukturen des semantischen Gedächtnissystems zuzuordnen sind, determinieren dies: Es sind dies die Prinzipien der Kovariation und Balanciertheit. Sie regeln, dass bspw. kausale Nebensätze, die die implizite Verbkausalität explizieren, kanonischerweise der STIMULUSEntität zugeordnet werden. Entsprechen die situativen Verhältnisse nicht den kanonischen Informationsmustern der impliziten Verbkausalität, wird mit dem kausalen Nebensatz eine ereignisextrinsische Verursachung ausgedrückt, was sich sprachlich in einer Zuordnung des Nebensatzes an die EXPERIENCER-Entität ausdrückt.
EXPERJENCER-STIMULUS-Verben sind mit ,E-S' abgekürzt. An dieser Stelle macht sich ein Vorwärtsverweis notwendig: Für die Oberflächeneigenschaften der S-E- und E-S-Verben s. die Diskussion zu den Strukturen in (136).
156
Anwendung: Psychische Verbkomplexe
Für die im nachfolgenden beschriebenen, im Rahmen der vorliegenden Arbeit durchgeführten Tests bilden die kausalen N e b e n s ä t z e den zentralen Untersuchungsgegenstand, da diese die Prinzipien der impliziten Verbkausalität im o.g. Sinne realisieren. Mit einer E K P Studie zur Erfassung elektrophysiologischer Aktivitäten wird gezeigt, dass diese Prinzipien kognitiv reflektiert sind. Eine Z u o r d n u n g der kausalen Nebensätze zur HXPERIENCER-Entität zeigt signifikante Effekte im Unterschied zu Z u o r d n u n g e n an die STIMULUS-Entität. Die Effekte unterscheiden sich bei beiden V e r b g r u p p e n : Bei S-E-Verben wird eine Negativierung nach 4 0 0 ms elizitiert, bei E - S - K o m p l e x e n mit EXPERIENCER-Zuordnung hingegen eine Positivierung nach 600 ms. Dies kann lediglich als erster Hinweis auf einen grundlegenden Unterschied beider V e r b g r u p p e n gewertet werden. Dieser bestätigt sich in den durchgeführten Fragebogenstudien, bei denen ein weiterer Faktor - der des außersprachlichen Belebtheitskriteriums - zusätzliche Hinweise auf einen grundlegenden Unterschied in thematischer Strukturierung und Ereignisstruktur der zu Grunde liegenden Konzeptualisierungen beider V e r b g r u p p e n liefert. Die nun zu formulierenden konzeptuellen Strukturen müssen den ermittelten Unterschied systematisch erfassen. Die entsprechenden C S / C T - K o m p l e x e k ö n n e n als Eingabestrukturen durch den T h e m a t i s c h e n Prozessor regelhaft in Semantische Repräsentationen umgesetzt werden. Eine lexikalische Stipulation erweist sich unter Berücksichtigung der unterschiedlichen konzeptuellen (thematischen) Strukturen bzw. der entsprechenden Ereignisstrukturen als nicht notwendig. Es zeigt sich, dass S - E - K o m p l e x e prinzipiell als Aktivitäten zu charakterisieren sind, denen eine agentive Entität inhäriert. E-S-Verben hingegen können - fast - ausschließlich zuständliche K o m p l e x e realisieren. Im abschließenden Abschnitt wird schließlich diskutiert, wie mit den formulierten Repräsentationen den speziellen Gegebenheiten bei Reflexivierung und Passivierung psychischer V e r b k o m p l e x e entsprochen werden kann. Hier zeigt sich u.a., dass prinzipiell sowohl bei E-S- als auch bei S - E - V e r b e n ein Reflexivum koreferentiell mit seinem Antezedenten ist, und nicht als P s e u d o - R e f l e x i v u m zu charakterisieren ist. Hinsichtlich der Passiv-Form bei E-S-Verben wird festgestellt, dass das mit ihnen mögliche Vorgangspassiv als verstecktes Zustandspassiv zu beschreiben ist, dessen exzeptionelle Bildung mit werden
darauf ba-
siert, dass Verben aus der G r u p p e der zuständlichen E-S-Verben nur schlecht intransitiviert werden können. Insgesamt zeigt sich auf diese Weise, dass sich die divergierende syntaktische Realisierung der thematischen A r g u m e n t e psychischer V e r b k o m p l e x e prädiktabel erklären lässt, wenn den unterschiedlichen außersprachlichen Eingabebedingungen im System der G r a m matik in einer regelhaften W e i s e entsprochen wird. Dies hat zwei Vorteile: Einerseits kann auf Stipulationen verzichtet w e r d e n und a u ß e r d e m lassen sich auf diese W e i s e für sprachliche Unterschiede außersprachliche Motivationen - die sicherlich vorliegen sollten - formulieren.
Anwendung: Psychische Verbkomplexe
157
3.1 Das Problem Das bekannte Problem, das mit der Beschreibung der thematischen Eigenschaften psychischer Verbkomplexe verbunden ist, stellt auch für die hier vertretene Konzeption der grammatischen Umsetzung einer präverbalen Botschaft eine Herausforderung dar. Psychische Verben lassen sich prinzipiell in die zwei Gruppen der E-S- und S-E-Verben unterteilen, deren syntaktische Realisierung hinsichtlich der Platzierung ihrer thematisch ausgezeichneten Argumente systematisch divergiert: 2 (136) a. b.
E-S: S-E:
Hans fürchtet Ines. Ines ängstigt Hans.
(Hans = EXPERIENCER; Ines = STIMULUS) (Ines = STIMULUS; Hans = EXPERIENCER)
Häufig wird die Ansicht vertreten, dass Verben wie fürchten und ängstigen mit einer einheitlichen thematischen Struktur verknüpft sind (s. bspw. Grimshaw (1990)). Falls dem so ist, stellt sich hier die Frage, wie die Verbalisierungsfunktion VBL zu gestalten ist, damit scheinbar identische thematische Strukturen in systematisch divergente syntaktische Strukturen SYN bzw. Semantische Repräsentationen SR münden. Falls keine identischen thematischen Strukturen vorliegen, muss der Unterschied aus konzeptueller Sicht motiviert werden und in einen regelhaften Zusammenhang mit der sprachlichen Strukturierung gebracht werden. Die ,Identitätshypothese' leitet sich aus einer anderen Annahme ab: Sätze wie unter (136) scheinen annähernd synonym zu sein. Levin (1985) spricht davon, dass hier Minimalpaare vorliegen, welche identische Argumentstrukturen aufweisen, die lediglich syntaktisch unterschiedlich realisiert werden. Auch Belletti & Rizzi (1988) gehen davon aus, dass die beiden Verbgruppen identische thematische Relationen aufweisen und dass am verbalen Lexikoneintrag die mit ihm assoziierten thematischen (bzw. Theta-) Relationen als ungeordnete Liste vermerkt sind. Die Autoren argumentieren, dass ein externes Argument im Theta-Raster des Lexikoneintrags als solches ausgezeichnet sein muss. Daraus ergibt sich, dass das externe Argument bspw. von fernere (,fürchten') als EXPERIENCER in der Subjekt-Position realisiert wird. Preoccupare (,erschrecken') hingegen weist nach Belletti & Rizzi kein Argument als extern aus, weshalb hier dem EXPERIENCER die Funktion des direkten Objekts in der Verbphrase zugewiesen wird. Worin aber unterscheiden sich nun beide Verbgruppen? Verschiedentlich wurde in der Literatur darauf hingewiesen, dass Verben wie ängstigen bzw. erschrecken im Gegensatz zu Verben wie fürchten kausativ sind (s. u.a. Croft (1993); Grimshaw (1990); Haider (1992); Pustejovsky (1991)). Die generelle Aussage ist, dass das Subjekt von Sätzen wie in ((136)b) die Ursache für den mentalen Zustand des EXPERIENCERS denotiert, das Objekt von Sätzen wie in ((136)a) hingegen das Ziel der Emotion. 2
Die Bezeichnungen ,STIMULUS' und ,experiencer' sind hier noch als mnemotechnische Labels zu verstehen und vorerst nicht als das Produkt der Zuweisung thematischer Funktionen, wie sie hier verstanden werden.
158
Anwendung: Psychische Verbkomplexe Erörtern wir die beiden A u f f a s s u n g e n etwas detaillierter. Im Sinne der , Identitätshypo-
these' argumentiert Grimshaw (1990), dass beiden G r u p p e n zwar identische thematische Relationen inhärieren, j e d o c h nur die G r u p p e der S-E-Verben als kausativ zu charakterisieren ist. Aus diesem Grund wird nach G r i m s h a w die STIMULUS-Entität bei S - E - V e r b e n entsprechend einer aspektuellen
Hierarchie höher platziert als bei E - S - V e r b e n , obwohl die
STIMULUS-Entität3 in einer thematischen
Hierarchie 4 niedriger platziert ist. Für E - S - V e r b e n
gilt nach Grimshaw, dass das EXPERIENCER-Argument sowohl in der aspektuellen Hierarchie als auch der thematischen Hierarchie als hierarchiehöher als die STIMULUS-Entität ausgezeichnet ist. Obwohl G r i m s h a w s Kausativ-Analyse, die auch in anderen Arbeiten (s. u.a. C r o f t (1993) und auch Pesetsky (1995)) vertreten wird, auf den ersten Blick attraktiv scheint, und für die sich auch verschiedene empirische Evidenzen finden lassen, sind mit ihr j e d o c h einige P r o b l e m e verbunden. Einerseits müssen zwei unterschiedliche Hierarchien a n g e n o m men werden, die sich j e d o c h in allen anderen (,nicht-psychischen') Fällen gegenseitig bedingen sollten. So ist die verursachende Entität in einem herkömmlichen K a u s a t i v k o m p l e x mit töten in beiden Hierarchien als prominent - als AGENT und als A r g u m e n t von CAUSE ausgezeichnet. Auch die affizierte Entität ist hier in beiden Hierarchien als weniger prominent eingestuft. W e s h a l b eine solche Koinzidenz für S - E - V e r b e n wie frighten
nicht vor-
liegt, kann nur stipuliert werden. Daneben lässt auch Grimshaws ereignisstrukturelle Analyse einige Fragen o f f e n . Grimshaw argumentiert, dass die S - E - V e r b e n mit Accomplishments vergleichbar sind, die die Aktivität einer Entität und ein daraus resultierender Zustand einer anderen Entität bezeichnen. Die STIMULUS-Entität bei S - E - K o m p l e x e n ist nach G r i m s h a w mit d e m ersten , subevent ' assoziiert, und wird deshalb in einer höheren Position in der aspektuellen Hierarchie platziert. Allerdings stellt sich hier die Frage, ob S - E - K o m p l e x e tatsächlich als A c c o m plishments zu charakterisieren sind, da sie nicht mit den für A c c o m p l i s h m e n t s typischen Rahmenadverbialen modifizierbar sind: (137) a. b.
*Peter ängstigte Ines innerhalb von nur 5 Minuten, *Der Bildband begeisterte Petra in einer Stunde.
Selbst die Annahme, dass diese S - E - V e r b e n als kausative Achievements zu beschreiben sind, die einen punktuellen Zustandswechsel bezeichnen und daher nicht mit einem Rahmenadverbial modfiziert werden können, ist nicht überzeugend: Die S - E - K o m p l e x e unter (137) sind verhältnismäßig unproblematisch mit Spannenadverbialen modifizierbar, w a s bei den Achievements ihrerseits j e d o c h prinzipiell nicht möglich ist:
3 4
Grimshaw selbst verwendet die Bezeichnung ,THEME'. Zu den Problemen, die mit der Annahme einer thematischen Hierarchie verbunden sind, s. Abschnitt 2.1.2 unten.
Anwendung: Psychische Verbkomplexe
(138) a. b.
159
Peter ängstigte Ines nur eine gewisse Zeit. Der Bildband begeisterte Petra ganze zwei Stunden lang.
Die Ursache hierfür ist darin zu suchen, dass die S-E-Komplexe unter (138) mit homogenen Teilintervalleigenschaften 5 ausgestattet sind, d.h. jedes der Teilereignisse des bezeichneten Gesamtereignisses entspricht in seinen Wahrheitsbedingungen dem Gesamtereignis. Dies ist bei kausativen Ausdrücken, denen ein Zustandswechsel inhäriert, nie der Fall - sie sind immer nicht-homogen. Ein weiteres Argument dafür, dass S-E-Komplexe sich hinsichtlich Kausativität nicht in der von Grimshaw gewünschten Weise von E-S-Komplexen unterscheiden, findet sich in den Kausativitätsparaphrasen. Grimshaw argumentiert, dass S-E-Komplexe mit entsprechend äquivalenten syntaktischen Konstruktionen paraphrasierbar sind und daher kausativ sein müssen (vgl. Grimshaw (1990: 22f)): (139) a. a.'
Der Sturm ängstigte uns. —» Der Sturm verursachte, dass wir Furcht fühlten.
Jedoch ist es nicht einleuchtend, weshalb eine solche Paraphrasierung nicht auch für die entsprechenden E-S-Komplexe gelten kann: (140) a. a.'
Wir fürchteten den Sturm. —» Der Sturm verursachte, dass wir Furcht fühlten.
Dass eine solche Explizierung der Verursachungsrelation bei den E-S- und den S-E-Verben gleichermaßen möglich ist, liegt darin begründet, dass ein zentrales Merkmal beider Verbgruppen das der impliziten Verbkausalität ist. Dieser Eigenschaft psychischer Verben werden wir uns im nächsten Abschnitt widmen. Im nächsten Abschnitt werden Überlegungen zu den hier angesprochenen Aspekten aus Sicht der außersprachlichen Strukturierung psychischer Verbkomplexe im Mittelpunkt stehen. Es wird diskutiert, auf welche Weise die an den entsprechenden Sachverhalten beteiligten Entitäten, systematisch in einen kausalen Zusammenhang zu setzen sind. Ziel dabei ist zu bestimmen, ob auf der Ebene der Konzeptualisierung die STIMULUS-Entitäten beider Verbgruppen gleichermaßen mit einem Merkmal [+CAUSE] im Sinne der thematischen Prinzipien, wie sie in Abschnitt 2.2 besprochen wurden, auszuzeichnen sind.
3.2 Konzeptualisierung von Kausalität in psychischen Verbkomplexen: Kovariation und Balanciertheit Die Klasse der interpersonalen Verben konstituiert sich u.a. aus psychischen Verben. Andere Verben dieser Klasse sind bspw. sogenannte AGENT-EVOKATOR-Verben wie bedauern, 5
s. hierzu Abschnitt 1.3.2.1
160
A n w e n d u n g : Psychische Verbkomplexe
trösten oder ehren. Sie bezeichnen interpersonale Handlungen und Zustände, wobei sie systematisch implizit Auskunft darüber abgeben, welcher der Interaktionspartner das fragliche Ereignis verursacht hat (vgl. bspw. Brown & Fish (1983)). Dies drückt sich bei psychischen Verben darin aus, dass es überwiegend der Verursacher des evozierten psychischen Zustands ist, dem implizit bestimmte Attribute zugeschrieben werden. Auf sprachlicher Ebene zeigt sich dies darin, dass ein kausaler Nebensatz, der die dem psychischen Verbkomplex inhärierende Kausalität expliziert, in den meisten Fällen, der STIMULUS-Entität zugeordnet wird. Dies gilt für S-E- wie auch E-S-Komplexe gleichermaßen: (141) a. b.
Maria begeistert Hans, weil sie/ ?? er klug ist. Hans bewundert Maria, weil sie/ er klug ist.
Es wird hier davon ausgegangen, dass die Verursachungsrelation, die sich im Nebensatz ausdrückt, sowohl bei S-E- als auch in E-S-Komplexen, als ,ereignisintrinsisch' - wie in Abschnitt 2.2.1.2 (KAUSALITÄT) definiert - zu charakterisieren ist. Die Zuordnung ereignisextrinsischer Verursachung zeigt sich in den Fällen, bei denen der kausale Nebensatz auch der EXPERIENCER-Entität zuordenbar ist: (142) a. b.
Maria begeistert Hans, weil er naiv ist. Hans bewundert Maria, weil er naiv ist.
Es ist anzumerken, dass die verschobene kausalattributive Konstellation unter (142) nicht impliziert, dass die thematische Konstellation im psychischen Verbkomplex selbst verschoben ist: Maria bleibt die STIMULUS-Entität, Hans die EXPERIENCER-Entität des Komplexes des psychischen Zustands - aber eben in Hinblick auf die ereignisintrinsische Verursachung. Es sind genau die Prinzipien, die die Zuordnung der ereignisintrinsischen Verursachung an die STIMULUS-Entität in (141) determinieren, die in (142) nicht eingehalten sind und daher die Zuordnung einer ereignisextrinsischen Verursachung an die EXPERIENCEREntität bedingen. Was das genau bedeutet, wird im Folgenden erläutert. Oben wurde in einer eher intuitiven Weise festgehalten, dass die STIMULUS-Entitäten in den Konzeptualisierungen, die E-S- und S-E-Verbkomplexen zu Grunde liegen, als Verursacher des psychischen Zustands des EXPERIENCERS anzusehen sind. Unter Berücksichtigung der in Abschnitt 2.2.2 erläuterten funktionalen Koordinationsprinzipien sollten also im CS/CT-Komplex der entsprechenden präverbalen Botschaft die STIMULUS-Entitäten beider Verbkomplexe mit einem Merkmal [+CAUSE] ausgezeichnet sein. Ein entsprechender CS/CT-Komplex wäre hier demnach wie folgt zu formulieren: (143)
Maria begeistert Hans. CS: BEGEiSTERN(e) & AGENT(e, maria) & THEME(e, hans)
(= S-E-Komplex)
161
Anwendung: Psychische Verbkomplexe
CT: C T AAKTION-
+CAUSE(maria, e ) ,CAUSE(hans, e )
(144)
Hans bewundert
Maria.
( = E-S-Komplex)
CS: BEWUNDERN(e) & AGENT(e, maria) & THEME(e, hans) CT: C T AAKTION-
+CAUSE(maria, e ) iCAUSE(hans, e )
D i e Auszeichnung mit d e m Merkmal [+CAUSE] qualifiziert die entsprechenden Entitäten für die Realisierung der prototypischen thematischen Funktion eines AGENTs. Genau dies ist j e doch fraglich, wenn man die Merkmale, die mit den j e w e i l i g e n Entitäten zur Erfüllung der Anforderungen an einen prototypischen AGENT gegeben sein müssen, berücksichtigt. Damit nämlich einer +CAUSE-Anforderung entsprochen werden kann, muss eine entsprechende Entität mit den Merkmalen [FORCE], [CHANGE] und [CONTACT] identifiziert werden. D i e [CONTACT]-Bedingung kann als erfüllt angesehen werden, wenn man anerkennt, dass z w i schen EXPERIENCER- und STIMULUS-Entität ein abstrakter Kontakt, der sich über die Sinneswahrnehmung definiert, besteht. Anders verhält sich dies j e d o c h mit den
Merkmalen
[FORCE] und [CHANGE]: A l s notwendige Bedingung für die Verursachung eines psychischen Zustands kann weder zählen, dass die STIMULUS-Entität in irgendeiner - auch in keiner abstrakten - W e i s e Kraft auf die EXPERIENCER-Entität ausüben muss, noch, dass die STIMULUS-Entität sich in irgendeiner W e i s e verändern muss. Den Bedingungen, die die Auszeichnung der STIMULUS-Entität mit d e m M e r k m a l [+CAUSE] zur Identifizierung einer entsprechenden Entität regeln, kann also auf diese W e i s e nicht entsprochen werden - die M o t i v a t i o n für die Zuweisung des Merkmals +CAUSE an eine STIMULUS-Entität ist demnach in anderen Kriterien zu suchen. Solche Kriterien sind als Erweiterung der in Abschnitt 2.2.2 erörterten, basalen Prinzipien zur Organisation thematischer Konstellationen durch den Konzeptualisierer zu verstehen. Sie berühren abstrakte Domänen, w i e die der Verursachung mentaler Zustände. W e n d e n wir uns nun solchen erweiternden Kriterien zu, die die Verursachung mentaler Zustände in Hinblick auf ihre Konzeptualisierung organisieren. Eine M ö g l i c h k e i t einer A n näherung an die Frage, weshalb es die STIMULUS-Entität ist, die als Verursacher des psychischen Zustands im Verlauf der Konzeptualisierung eines entsprechenden Ereignisses identifiziert wird, findet sich in den Annahmen, die mit der klassischen Attributionstheorie formuliert wurden. D i e T h e o r i e besagt prinzipiell, dass kausale Attributionen auf der Grundlage eines Kovariationskalküls erfolgen, mittels w e l c h e m die Eigenschaften von Entitäten auf ihre Generalisierbarkeit hin geprüft werden. D i e grundlegenden Überlegungen hierzu finden sich in den Arbeiten v o n K e l l e y ( 1 9 6 7 ) , ( 1 9 7 3 ) ; weiterführende Analysen auch auf experimentell-empirischer Basis werden u.a. in B r o w n & Fish (1983); Fiedler ( 1 9 7 8 ) und
162
Anwendung: Psychische Verbkomplexe
Rudolph (1997) vorgestellt. Kritische Überlegungen, mit denen hauptsächlich die Normativität des Kovariationskalküls hinterfragt wird, sind u.a. in v. Collani (1994) artikuliert.
3.2.1
Kovariationsinformation als Determinante für Kausalität
Hauptgedanke der Kovariationstheorie ist, dass Kausalattributionen auf der Grundlage einer common-sense-Berechnung erfolgen. So muss bspw. die Aussage, dass ein Seminar langweilig ist, dahingehend durch den Rezipienten geprüft werden, dass es entweder eine spezielle Eigenschaft des Seminars ist, oder aber, dass es eine spezielle Eigenschaft des Produzenten ist, die ihn zu der Aussage veranlaßt. Um dies zu prüfen, müssen der Theorie zufolge insbesondere zwei Faktoren geprüft werden: (145)
Kovariationsfaktoren: [für: Jens findet das Seminar
langweilig]
Consensus: > Trifft der Effekt (= ,Jens findet das Seminar langweilig') nur für die eine Person (= Jens) zu? ( = LOW C O N S E N S U S ) ?
Oder trifft der Effekt auch für andere Personen zu? ( = HIGH C O N S E N S U S )
Distinctiveness: > Trifft der Effekt (= ,Jens findet das Seminar langweilig') nur für diese eine Entität (= Seminar) zu? ( = HIGH DISTINCTVENESS)
Oder trifft der Effekt für mehrere andere Entitäten zu? ( = LOW DISTINCTIVENESS)
Durch eine Kalkulation der Kovariationsvariablen von CONSENSUS und DISTINCTIVENESS kann der Rezipient der o.g. Aussage kausale Inferenzen darüber ziehen, welche Eigenschaft welcher Entität für den Effekt verantwortlich ist. Wenn bspw. eine Werte-Kombination [LOW CONCENSUS : LOW DISTINCTIVENESS] identifiziert werden kann, dann führt dies zu der Schlussfolgerung, dass es eine spezifische Eigenschaft des Produzenten der Aussage ist, die ihn zu dieser veranlaßt: Wenn nur Jens das Seminar langweilig findet (LOW CONCENSUS), und er auch andere Seminare ebenso langweilig findet (LOW DISTINCTIVENESS), dann ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Ursache für die Aussage der Person ,Jens' und nicht der Entität,Seminar' zugeschrieben werden muss. In welchen Zusammenhang lassen sich nun entsprechende Schemata, die aus den Kovariationsinformationen gebildet werden können, zu den hier interessierenden psychischen Verbkomplexen setzen? Brown & Fish (1983) stellen auf der Basis verschiedener Fragebogenstudien u.a. fest, dass psychische Verben wie like oder admire mit dem kanonischen
Anwendung: Psychische Verbkomplexe
163
I n f o r m a t i o n s m u s t e r [HIGH DISTINCTIVENESS : HIGH CONCENSUS] z u c h a r a k t e r i s i e r e n
sind.
Im Falle von admire bspw. heißt das, dass d e m Konzeptualisierer abstrakte Wissensstrukturen zugänglich sein müssen der Art, dass j e m a n d nur verhältnismäßig wenige Personen bewundert (HIGH DISTINCTIVENESS), aber verhältnismäßig viele Personen j e m a n d e n b e w u n d e m (HIGH CONCENSUS). Für Instantiierungen von S - E - K o m p l e x e n mit bewundern oder faszinieren
gilt Analoges in seiner U m k e h r u n g .
Solche kanonischen Schemata w e r d e n hier als Wissensstrukturen des semantischen Gedächtnissystems angesehen. Sie sind mit den entsprechenden Ereigniseinheiten SE verk n ü p f t (s. Abschnitt 2.2.2). Die kanonischen Schemata können als prinzipienhafte Anweisungen an die Konzeptualisierungskomponente verstanden werden, saliente Entitäten auf entsprechende Eigenschaften hin zu prüfen u n d eine entsprechende kausale Konstellation zu etablieren: (146)
SE: M Ö G E N ( x , y ) —> HIGH CONSENSUS(X) & HIGH DISTINCTIVENESS(y)
Da, wie bereits angedeutet, keines der oben formulierten Prinzipien zur Zuweisung der prototypischen thematischen Funktionen bei psychischen K o m p l e x e n zu eindeutigen Resultaten fuhrt, soll hier a n g e n o m m e n werden, dass d e m Konzeptualisierer zur thematischen Strukturierung mentaler Zustände und ihrer Verursachung erweiterte Regeln zugänglich sind, die auf die Kovariationsschemata zugreifen können. Die Wertbelegung HIGH in der folgenden Darstellung muss als Abbreviatur für das Resultat aus einer zu leistenden Abbild u n g von Merkmalen der salienten Entität a u f die andere in der Diskursmenge befindlicher Entitäten verstanden werden: (147)
e P = PSYCHISCHER ZUSTAND(y) [CONSENSUS(x) = HIGH] & [DISTINCTIVENESS(y) = HIGH]
+CAUSE(x, eP)
+ C A U S E ( x , e P ) - > STIMULUS(x, e )
Als Resultat des Abgleichs von M e r k m a l e n aus SE mit salienten Einheiten aus EE kann der Konzeptualisierer somit einen entsprechenden C S / C T - K o m p l e x aufbauen, in welchem die thematischen Konstellationen eindeutig kodiert sind:
(148) Maria mag Hans. CS: M ö G E N ( e ) & STiMULUS(e P , h a n s ) & EXPERlENCER(e P , m a r i a )
CT: CTakt10N:
+CAUSE(hans, eP) [[coNSENSUs(maria) = HIGH] & [DiSTiNCTivENESS(hans) = HIGH]]
-.CAUSE(maria, e P )
164
Anwendung: Psychische Verbkomplexe
Die Prüfung der Eigenschaften entsprechend der mit SE mögen formulierten Anweisungen resultiert in der Zuweisung der thematischen Funktionen an saliente Entitäten. Kanonischerweise erfolgt die Zuordnung kausaler Nebensätze wie in (141) und (142) an genau die Entität, die im psychischen Komplex als STIMULUS ausgezeichnet ist. Der kausale Nebensatz ist expliziter Ausdruck des Informationsschemas der Kovariation und kann in diesem Sinne als Explizierung der impliziten ereignisintrinsischen Verbkausalität angesehen werden. Die Auszeichnung der Entitäten mit den thematischen Funktionen STIMULUS und EXPEhat nun eine konkrete Motivation. Da die fraglichen Sachverhalte der abstrakten Domäne mentaler Zustände zuzurechnen sind, greifen - wie oben bereits erörtert - die kanonischen Prinzipien zur Etablierung thematischer Relationen hier nicht; es können in diesem Sinne auch keine PROTO-AGENT- bzw. P R O T O - T H E M E - F u n k t i o n e n durch den Konzeptualisierer instantiiert werden. Stattdessen greifen die Prinzipien der Kovariation, welche das Spektrum an Regeln erweitern, die dem Konzeptualisierer zu Zuweisung thematischer Funktionen zugänglich sein müssen. Daher erfolgt also eine explizite Auszeichnung der Entitäten mit den ebenso erweiterten thematischen Funktionen STIMULUS und EXPERIENRIENCER
CER.
Die Basis der Kovariationsprinzipien bildet abstraktes Wissen zu Generalisierungen über die Entitäten der Art, dass bestimmte Eigenschaften verallgemeinerbar sind - also auf andere Entitäten übertragbar sind, wie etwa im Falle des ,langweiligen Seminars'. 6 Wenn solche Generalisierungen, die sich auch mengentheoretisch ausdrücken lassen müssen, tatsächlich vorliegen, dann sollten sich diese auf sprachlicher Ebene niederschlagen. Dies bestätigt sich im folgenden Beispiel: (149) a. b.
Alle Kinder verehren den Lehrer, weil er fortschrittlich ist. Nur dieses Kind verehrt den Lehrer, weil es fortschrittlich ist.
Die quantifikatorischen Verhältnisse im Satz ((149)a) entsprechen den kanonischen Kovariationsverhältnissen, die mit psychischen Komplexen wie verehren verknüpft sind. Die Allquantifizierung über Kinder entspricht der Kovariationsinformation [HIGH CONCENSUS]; die Definitheit von Lehrer setzt den Wert [DISTINCTIVENESS] auf HIGH. Folgende Darstellung veranschaulicht dies:
6
Vgl. hierzu a u c h F i e d l e r ( 1 9 7 8 ) , d e r d a v o n spricht, d a s s p s y c h i s c h e V e r b e n implizite
Quantoren
sind, die sich d a d u r c h a u s z e i c h n e n , dass sie intuitive G e n e r a l i s i e r u n g e n z u l a s s e n d e r Art, d a s s b s p w . ein v e r a l l g e m e i n e r n d e r I n f e r e n z s c h l u s s bei S ä t z e n w i e Das Kindfiirchtet Entität , K i n d ' (= Kinder fürchten
Hunde)
m ö g l i c h ist (s. a u c h Härtl ( 2 0 0 0 ) ) .
den Hund ü b e r d i e
165
Anwendung: Psychische Verbkomplexe
(150) Alle Kinder verehren den Lehrer, weil er fortschrittlich ist. Vx[KIND(x)]
= HIGH CONCENSUS(x)
ty[LEHRER(y)]
= HIGH DISTINCTIVENESS(y)
- K a u s a l a t t r . a n STiM(y, e )
Widersprechen nun aber die quantifikatorischen Verhältnisse den kanonischen Kovariationsverhältnissen wie in ((149)b), erfolgt eine Attribution des kausalen Nebensatzes genau nicht an die Entität, die qua Kovariation als verursachende Entität vorgesehen ist. Im kausalen Nebensatz wird nun eine ereignisextrinsische Verursachungsrelation ausgedrückt: (151) Nur dieses Kind verehrt den Lehrer, weil es fortschrittlich ist. lx[KIND(x)]
* HIGH CONCENSUS(x)
ty[LEHRER(y)]
= HIGH DISTINCTIVENESS(y)
- K a u s a l a t t r . a n EXP(x, e )
Wiederum erhalten bleibt natürlich die ereignisintrinsische Verursachungsrelation: Der Konzeptualisierer muss hier also zwei Verursachungsrelationen organisieren - einerseits die der ereignisextrinsischen Verursachung und andererseits die der ereignisintrinsischen. Verschiebungen in der kanonischen Bedeutung kausaler Nebensätze können nicht nur durch unterschiedliche quantifikatorische Verhältnisse bedingt sein. Eine zusätzlich zu formulierende Regelmäßigkeit drückt sich im Prinzip der Balanciertheit aus.
3.2.2
Balanciertheit als Determinante extrinsischer Kausalität
Eine andere Möglichkeit zur Verschiebung der Bedeutung kausaler Nebensätze von ereignisintrinsischer zu ereignisextrinsischer Verursachung artikuliert sich im Prinzip der Balanciertheit (s. Rudolph & von Hecker (1997)). Der evozierte psychische Zustand und der kausale Ausdruck im Nebensatz sind balanciert, wenn beide einen annähernd gleichen Wert auf einer (abstrakten) Skala annehmen, die Auskunft darüber gibt, ob der psychische Zustand als positiv oder negativ zu bewerten ist ((152)a & b)). Unbalanciert sind Zustand und Ursache folglich, wenn beide bezüglich dieses konzeptuellen Wertes divergieren ((152)c & d)); V = value, BAL = balance): (152) a.
Die Popstarsj faszinieren die Mädchen, weil siej geistreich sind. [BAL V(CAUSEp 0 s ) = V(PSYCH-STATE P 0 s )]
b.
Die Popstarsj frustrieren die Mädchen, weil siej geistlos sind. [BAL V ( C A U S E n e g ) = V(PSYCH-STATE N F G )]
c.
Die Popstars faszinieren die Mädchen i; weil sie, geistlos sind. [—iBAL
V(CAUSE N F G ) * V(PSYCH-STATEpos)]
166
Anwendung: Psychische Verbkomplexe
d.
Die Popstars frustrieren die Mädchen;, weil sie; geistreich sind. [-.BAL
V(CAUSEpos)
V(PSYCH-STATE N E C )]
Im Falle einer balancierten Interaktion von Ursache und evoziertem Zustand wie in ((152)a & b) erfolgt die Anbindung eines kausalen Ausdrucks standardmäßig an die durch die Kovariationsinformation für psychische Verben vorgegebene STIMULUS-Entität. Auch eine negative Balanciertheit bewirkt gemäß der oben beschriebenen Kovariationsinformation, dass die Ursache für den evozierten Zustand dem STIMULUS zugeschrieben wird (s. (152)b)). Verschoben wird dieses Verhältnis, wenn die Interaktion von Ursache und Zustand wie in ((152)c & d)) unbalanciert ist. Hier wird die Ursache für den evozierten Zustand dem Interaktionspartner zugeschrieben, der qua Kovariationsinformation nicht als Verursacher des psychischen Zustands vorgegeben ist (vgl. hierzu Rudolph & von Hecker (1997)). Unter Berücksichtigung dieses Balanciertheitsprinzips kann für Sätze wie ((152)c & d)) vorhergesagt werden, dass der kausale Nebensatz in höherem Maße als in den Sätzen (s. (152)a & b)) der EXPERIENCER-Entität die Mädchen zugeordnet wird. Fassen wir die hier besprochenen Prinzipien zur Etablierung kausaler Relationen in psychischen Komplexen noch einmal zusammen. Wie bereits angemerkt, handelt es sich dabei um Prinzipien, die als Erweiterung der basalen Prinzipien zur thematischen Organisation auf die abstrakte Domäne der mentalen Zustände zu verstehen sind. Als Wissensstrukturen des semantischen Gedächtnissystems sind sie dem Konzeptualisierer im Sinne funktionaler Koordinationsprinzipien, wie sie oben besprochen wurden, zugänglich: (153) Thematische Organisation >
der Verursachung psychischer
Zustände
EREIGNISINTRINSISCHE VERURSACHUNG: KO VARIATION: e P = PSYCHISCHER ZUSTAND(y) [CONSENSUS(x) = HIGH] & [DISTINCTIVE(y) = HIGH] - > + C A U S E ( x , e P ) +CAUSE(x, eP) STIMULUS(x, e P ) & —iCAUSE(y, e P ) - > EXPERIENCER(y, e P )
>
EREIGNISEXTRINSISCHE VERURSACHUNG: - , K O VARIATION: e P = PSYCHISCHER ZUSTAND(y) [CONSENSUS(x) = —iHIGH] V [DISTINCTIVE(y) = HIGH]
EXT-CAUSE(y, e P )
-.BALANCIERTHEIT: - . B A L V(CAUSEi) # V(PSYCH-STATEj) - . B A L - > EXT-CAUSE(y, e P )
Ziel dieses Abschnitts war es einerseits zu zeigen, auf welche Wissensstrukturen die Konzeptualisierungskomponente zur Organisation kausaler Relationen bei psychischen Zustän-
Anwendung: Psychische Verbkomplexe
167
den zugreift. Resümierend kann andererseits auch festgestellt werden, dass auf der Ebene der Konzeptualisierung eine kausale Relation bei beiden psychischen Verbgruppen bzw. deren CS/CT-Komplexen etabliert werden muss. Eine konzeptuelle Unterscheidung dahingehend, Kausalität nur bei S-E-Verben anzusetzen, erweist sich auch weiterhin als nicht gerechtfertigt. Vielmehr wird hier argumentiert, dass sowohl S-E- als auch E-S-Verben kausale Relationen denotieren. Im Folgenden wird eine Studie zur Erhebung ereigniskorrelierter Hirnpotentiale (EKP) vorgestellt, die nahe legt, dass die in diesem Abschnitt erörterten Prinzipien der Kovariation sich auch kognitiv niederschlagen. Dies zeigt sich an Verarbeitungsschwierigkeiten, die durch kausale Nebensätze ausgelöst werden, die in nicht-kanonischer Weise der EXPERIENCER-Entität zugeordnet sind. Entsprechende Effekte zeigen sich sowohl bei S-E- als auch bei E-S-Verben, wobei die evozierten Komponenten jedoch in ihrer spezifischen Ausprägung divergieren. Es stellt sich also nun die Frage, worin sich die beiden Verbkomplexe unterscheiden. Bevor dieser Frage nachgegangen werden kann, wird im Folgenden auch aus empirischer Sicht untersucht, ob die Annahme einer konzeptuellen Unterscheidung überhaupt gerechtfertigt ist. Wie sich zeigen wird, sprechen die empirischen Befunde dafür, dass die beiden Verbgruppen hinsichtlich der Zuordnungen kausaler Nebensätze an entweder die STIMULUS- oder die EXPERIENCER-Entität divergieren. Da dies mit der Belebtheit der STIMULUSEntität interagiert, kann davon ausgegangen werden, dass der ermittelte Unterschied als Reflex unterschiedlicher thematischer Relationen, die sich grammatisch in entsprechend divergierenden Ereignisstrukturen niederschlagen, zu bewerten ist.
3.3 Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Kausalität, thematische Relationen und Ereignisstruktur In diesem Abschnitt werden in einem ersten Schritt die durchgeführten empirischen Arbeiten zur Thematik vorgestellt. Die erste Studie (EKP) ist dem Merkmal der Kausalität gewidmet, dass sowohl S-E- als auch E-S-Verben auszeichnet. Im zweiten Abschnitt wird untersucht, ob und wie sich S-E- und E-S-Verben in ihren thematischen Relationen unterscheiden. Im abschließenden Abschnitt erfolgt eine Interpretation des ermittelten Unterschieds aus einem theoretischen Blickwinkel, wobei die divergierenden Ereignisstrukturen der Verbkomplexe mit dem ermittelten thematischen Unterschied assoziiert werden. Wie schon im Abschnitt zuvor werden auch hier die bereits verwendeten kausalen Nebensätze mit weil eine zentrale Rolle spielen, da ihre Spezifik einen Einblick in die kausalen Verhältnisse in den Matrix-Sätzen erlaubt. Insbesondere den empirischen Studien muss die Annahme zu Grunde liegen, dass sowohl bei S-E- als auch bei E-S-Verben die kausalen Nebensätze gleicher Natur sind. 7 Falls dem nicht so ist, können die ive/7-Sätze nicht als einheitliches Test-Kriterium herangezogen werden, da eventuelle Unterschiede nun nicht in den psychischen Verben zu verankern sind, sondern vielmehr auf distinkten Merkmalen der
7
D i e s e n kritischen H i n w e i s verdanke ich Anita Steube.
168
Anwendung: Psychische Verbkomplexe
Nebensätze beruhen. Betrachtet m a n die Semantik des we/7-Konnektivs im Generellen wird deutlich, dass mindestens zwei unterschiedliche Varianten vorliegen können (vgl. Pasch (1983)): (154) a. b.
[Die Straßen sind voller W a s s e r ] s l , weil [es geregnet hat] s 2 . [Es hat geregnet] s ) , weil [die Straßen voller W a s s e r sind] s 2 .
Die beiden Lesarten 8 von weil unterscheiden sich dahingehend, dass nur im Falle von ((154)a) zwei gültige Fakten (S1 und S2) miteinander kausal verknüpft sind. D a s Beispiel in ((154)b) hingegen gibt eine kausale B e z i e h u n g wieder, bei der v o m Vorliegen eines Faktes S2 auf die Gültigkeit einer A n n a h m e S1 geschlossen wird. Pasch (1983) definiert eine Kausalbeziehung wie in ((154)a) im Sinne eines deduktiven salbeziehung wie in ((154)b) im Sinne eines reduktiven
Schlussverfahrens,
Schlussverfahrens.
eine KauDiese Unter-
scheidung lässt sich anhand verschiedener Tests untermauern. So sind bspw. nur we/7-Sätze in einem deduktiven Schlussverfahren in Anteposition möglich. Vergleiche hierzu die folg e n d e n Beispiele (vgl. auch Lang (2000); Pittner (1999)): (155) a. b.
Weil es geregnet hat, sind die Straßen voller Wasser, *Weil die Straßen voller W a s s e r sind, hat es geregnet.
Eine adverbiale Partikel des Typs wohl als A u s d r u c k einer epistemischen Verwendungsweise ist nun nur bei weil mit der Lesart eines reduktiven Schlusses möglich: (156) a. b.
äi
D i e Straßen sind wohl voller Wasser, weil es geregnet hat. Es hat wohl geregnet, weil die Straßen voller W a s s e r sind.
Unterstützungspartikeln wie nämlich
sind bei beiden Lesarten von weil möglich. Sie er-
zwingen eine Kommentar-Lesart, d.h. sie wandeln die ursprüngliche Begründung des propositonalen Gehalts im Matrix-Satz in einen K o m m e n t a r um: (157) a. b.
Die Straßen sind voller Wasser, weil es nämlich geregnet hat. Es hat geregnet, weil die Straßen nämlich voller Wasser sind.
W e n d e t man diese Tests auf die beiden G r u p p e n psychischer V e r b k o m p l e x e mit einem kausalen Nebensatz an, zeigen sich keinen Unterschiede zwischen S - E - und E-S-Verben:
8
Eine dritte mögliche Lesart des we/7-Konnektivs, mit der die Begründung eines speech act eingeleitet wird (Was machst Du heute Abend, weil es kommt ein schöner Film) wird hier ausgeklammert (vgl. Lang (2000)).
Anwendung: Psychische Verbkomplexe
169
Anteposition: Weil sie schön tanzen kann, bewundert E -s Peter Maria. Weil sie so böse ist, fürchtet E . s Peter Maria. Weil sie schön tanzen kann, fasziniert s . E Maria Peter, Weil sie so böse ist, ängstigts_E Maria Peter.
(158) a. a.' b. b.'
,
(159) a. a1 b. b.'
(160) a. a.' b. b.'
wohl'-Einschub: Peter b e w u n d e r t ^ wohl Maria, weil sie schön tanzen kann, P e t e r fürchtet,. s wohl Maria, weil sie so böse ist. 55 Maria fasziniert^ wohl Peter, weil sie schön tanzen kann, ^Maria ängstigts_E wohl Peter, weil sie so böse ist. 5s
, 5
,nämlich '-Einschub'. Peter bewundert E . s Maria, weil sie nämlich schön tanzen kann. Peter furchtet F . s Maria, weil sie nämlich böse ist. Maria fasziniert^ Peter, weil sie nämlich so schön tanzen kann, Maria ängstigt^ Peter, weil sie nämlich böse ist.
Die Tests - insbesondere der Test der Antepositionierung - lassen den Schluss zu, dass sowohl das we*Y-K.onnektiv bei S-E- als auch das bei E-S-Komplexen Reflex eines deduktiven Schlussverfahren ist. Es kann also davon ausgegangen werden, dass die kausalen Nebensätze bei beiden Verbtypen gleich geartet sind. Vorstellbar wäre jedoch noch ein intonatorischer Unterschied der we//-Nebensätze bei S-E- und E-S-Komplexen. Er könnte bspw. darin bestehen, dass bei nur einer Gruppe von psychischen Sätzen mit ive/7-Konnektiven eine , Komma-Lesart' vorkommt bzw. mehrere Phrasierungseinheiten auftreten. Zumindest bei einer ersten (auch introspektiven) Betrachtung der Strukturen allerdings ergibt sich ein solcher Unterschied nicht. Die ,Komma-Lesart' geht mit einer Interpretation des vve/7-Satzes als Kommentar einher. Wie die Beispiele unter (160) zeigen, ist die Kommentar-Lesart jedoch bei beiden Typen von psychischen Verben erzwingbar. Um einen intonatorischen Unterschied feststellen zu können, sind detaillierte empirische Studien zur Prosodie der fraglichen Sätze notwendig. Allerdings ergibt sich hier das methodologische Problem, dass aus theoretischer Sicht die Annahme eines Unterschieds nicht plausibel ist (wie die Argumentation oben nahe legt) und somit keine spezifische Hypothese formulierbar ist. Wir wollen also im Folgenden davon ausgehen, dass die we/7-Konnektive bei beiden Verbtypen in ihrer Semantik tatsächlich gleich geartet sind.
3.3.1
Empirische Untersuchungen
Mit den empirischen Studien werden zwei Ziele verfolgt. Einerseits soll gezeigt werden, dass die Prinzipien der impliziten Verbkausalität mit einer kognitiven Realität assoziiert werden können. Hierfür einen sicheren Nachweis zu erbringen, gestaltet sich nicht unproblematisch, da es sich bei den Prinzipien um außersprachliche Bedingungen handelt, die
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Anwendung: Psychische Verbkomplexe
sich jedoch sprachlich - bspw. lexikalisch - niederschlagen sollten. Somit ist unter der Annahme eines modularen Modells der Sprachverarbeitung abzusehen, dass nicht mit Effekten gerechnet werden kann, die in ihrer Stabilität und Stärke denen, die sich bspw. bei groben Phrasenstrukturverletzungen zeigen, ebenbürtig sind. Daneben wird mit den Studien das Ziel verfolgt, Hinweise darauf zu erhalten, dass sich die beiden Verbgruppen bezüglich ihrer konzeptuellen Eigenschaften bzw. ihrer thematischen Eigenschaften voneinander unterscheiden. Hierfür muss eine Methode gewählt werden, die die Exploration solcher Faktoren erlaubt, mit denen sich die Wirkung der relevanten inhaltlichen Aspekte zeigen lässt, und weniger solche, die Hinweise auf verarbeitungsstrategische Gegebenheiten erbringen könnten. Zur Umsetzung der ersten Zielstellung wurde ein Verfahren zur Messung ereigniskorrelierter Hirnpotentiale (EKP) eingesetzt. 9 Mit Hilfe dieser Methode können gewöhnlich nur Verstehensprozesse interpretiert werden. Die Ergebnisse können jedoch aufgrund der on//«e-Spezifik des EKP-Verfahrens wichtige Hinweise auf eine mögliche kognitive Verankerung spezieller Gegebenheiten liefern, was wiederum deren Generalisierung über Generierungsprozesse im Allgemeinen erlaubt.
3.3.1.1 Ereigniskorrelierte Hirnpotentiale und Integrationsschwierigkeiten: Die EKP-Studie E(XP)LICIT Ereigniskorrelierte Hirnpotentiale repräsentieren elektrophysiologische Aktivität des Gehirns in einer zeitlichen Relation zur Präsentation von Stimulusmaterialien. Ermittelt werden muss dabei ein Durchschnitt von Aktivitätswerten möglichst vieler Instantiierungen ein- und desselben Ereignisses, um so den Einfluss nicht relatierter Gehirnaktivitäten niedrig zu halten (s. Friederici (1997) und auch Abschnitt 1.1). Anhand der erhobenen Daten sollen Aussagen hinsichtlich zeitlicher Aspekte bei der Verarbeitung von Stimulus-Materialien getroffen werden: Das Auftreten verschiedener Hirnpotentiale in unterschiedlichen Zeitfenstern deutet auf das Einsetzen entsprechend unterschiedlich gearteter Verarbeitungsprozesse hin. Es bleibt festzuhalten, dass ermittelte Himpotentiale generell mit Integrationsschwierigkeiten des aktual präsentierten Stimulusmaterials in bereits berechnetes Material zu assoziieren sind. Gegenwärtig sind es hauptsächlich vier Komponenten, die identifiziert werden konnten, und die als Reflex jeweils unterschiedlicher Hirnfunktionen in Hinblick auf sprachliche Verarbeitungsprozesse angesehen werden können: Zum einen ist die Komponente der initialen syntaktischen Verarbeitung (ELAN) zu nennen. Diese Negativierung tritt in frühen Zeitfenstern auf (ca. 200 ms nach Stimulus-Onset) und reflektiert nach Friederici (1997) den inkrementellen Aufbau einer ersten Phrasenstruktur. Die Komponente der lexikalischsemantischen Integration (N400) hat ihr Potential-Maximum ca. 400-500 ms nach Stimulus-Präsentation. Sie spiegelt lexikalische Integrationsvorgänge wider, die in einem engen 9
Die Durchfuhrung der Studie wurde durch die konzeptionelle und technische Unterstützung von Silke Urban (MIT, Cambridge) möglich.
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Anwendung: Psychische Verbkomplexe
Zusammenhang zur Semantik des einzelnen Wortes zu sehen sind. Die P600-Komponente hingegen reflektiert generelle Integrations- und Reanalyseprozesse, die eher mit Vorgängen, die sich auf die Satzebene beziehen, zu assoziieren sind. Diese Positivierung tritt in verarbeitungsterminalen Zeitfenstern u m ca. 600 ms nach Stimulus-Onset auf. Die hier interessierende Fragestellung berührt die bei psychischen Verben geltenden Prinzipien der impliziten Verbkausalität. A u f sprachlicher Ebene schlagen sich diese darin nieder, dass ein kausaler Nebensatz kanonischerweise der STIMULUS-Entität im Matrix-Satz zugeordnet wird. Wie oben erörtert wurde, gilt dieses Prinzip aus theoretischer Sicht sowohl für S-E-Verben als auch für E-S-Verben: (161) a. b.
S-E: E-S:
Karl; enttäuscht Heike, weil erj unromantisch ist. Werner fürchtet Hilde;, weil sie{ rational ist.
W e n n nun die Zuordnung des weil-Satzes
zur EXPERIENCER-Entität erfolgt, kann dies als
Verstoß gegen das Prinzip der impliziten Verbkausalität angesehen werden, was gleichzeitig entsprechende Verarbeitungsschwierigkeiten semantischer Art hervorrufen sollte. In diesem Sinne wird erwartet, dass bei der Präsentation von Sätzen mit einer Zuordnung eines kausalen Nebensatzes zur EXPERIENCER-Entität bei beiden Verbgruppen die Messung der Hirnpotentiale entweder eine N400- oder aber eine P 6 0 0 - K o m p o n e n t e aufzeigt. Ermittelt werden kann dies mit einer Messung der Gehirnaktivitäten z u m Zeitpunkt der Präsentation des Pronomens. Zeigt sich an dieser Stelle ein Unterschied für beide Verbgruppen, ist davon auszugehen, dass unterschiedliche Verarbeitungsmechanismen reflektiert sind, die bei Berücksichtigung ihrer Funktion jeweils durch unterschiedlich geartetes Input-Material ausgelöst werden. Demgemäss lautet also die Hypothese, dass die Zuordnung eines kausalen Nebensatzes bei psychischen Verben zur STIMULUS-Entität - in Entsprechung zu den Prinzipien der impliziten Verbkausalität - keine signifikanten Effekte zeigen sollte. Die Zuordnung eines kausalen Nebensatzes zur EXPERIENCER-Entität hingegen sollte für beide Verbgruppen signifikante Effekte semantisch-integrativer Natur zeigen, da eine solche Zuordnung gegen die oben formulierten Prinzipien der impliziten Verbkausalität verstößt, die unmittelbar mit der Semantik des jeweiligen Verbs zusammenhängen. Ein Unterschied zwischen beiden Verbgruppen wiederum, der mit divergierenden Verarbeitungsmechanismen zu assoziieren ist, wird aus Sicht verstehensprozeduraler Aspekte hinsichtlich der entsprechenden Komplexe nicht erwartet. Wird jedoch ein entsprechender Unterschied ermittelt, bleibt zu klären, inwieweit dies als Hinweis auf verschiedenartige zu Grunde liegende semantische Eigenschaften von E-S- vs. S-E-Komplexen gewertet werden kann. METHODE
Ermittelt wurden die ereigniskorrelierten Hirnpotentiale anhand eines elektroenzephalographischen Verfahrens ( E E G ) zur A b n a h m e der Himaktivitäten mittels 26 auf der Schädeldecke fixierten Elektroden. Das Stimulus-Material wurde den Probanden wortweise prä-
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sentiert, wobei jedes Wort 300 Millisekunden auf dem Bildschirm sichtbar war. Die Aufgabe der Probanden bestand darin, die Grammatikalität des präsentierten Stimulus-Materials zu bewerten. Dies diente der Aufmerksamkeitssteigerung in bezug auf die Rezeption des präsentierten Materials. An der Studie nahmen 25 Probanden teil in einem Alter von 20-30 Jahren. Das Geschlecht der Probanden war ausbalanciert. Die Auswertung der experimentellen Ergebnisse erfolgte mittels einer MANOVA-Statistik. MATERIAL
Entsprechend der Fragestellung wurden zwei Versionen mit jeweils 4 Blöcken ä 12 Stimulus-Sätzen entwickelt.10 Variiert wurden darin der Faktor , Verbgruppe' - also entweder SE- oder E-S-Verben - und die Zuordnung des kausalen Nebensatzes zu entweder EXPERIENCER oder STIMULUS des Matrix-Satzes, was mittels variierender Pronomen erreicht wurde. Der Sexus der Entitäten im Matrix-Satz war ausbalanciert. Um assoziative Effekte möglichst niedrig zu halten, wurden Eigennamen verwendet. Wiederholungen von Verbformen in einer Version kamen nicht vor, weshalb unerwünschte Wiederholungseffekte ausgeschlossen werden können. Die we/7-Sätze bzw. die darin enthaltenen attributiven Ausdrücke waren über die Versionen hin gleich verteilt, obwohl dies hier von geringerer Relevanz ist, da die Messung ausschließlich auf dem Pronomen - und damit vor den attributiven Ausdrücken - erfolgte. Folgende Übersicht gibt das Material exemplarisch wieder: (162)
PROBAND 1 ( = VERSION 1):
S-E- Verb mit Zuordnung zu S: Karl enttäuscht Heike, weil er unromantisch ist. S-E-Verb mit Zuordnug zu E: Tobias beschämt Ulrike, weil sie lebensfremd ist. E-S-Verb mit Zuordnung zu E: Werner furchtet Hilde, weil er rational ist. E-S-Verb mit Zuordnung zu S: Ilse mag Norbert, weil er aus Frankreich kommt.
10
s. hierzu das im Anhang wiedergegebene Material
Anwendung: Psychische Verbkomplexe (163)
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PROBAND 2 ( = VERSION 2 ) :
S-E- Verb mit Zuordnung zu E: Karl enttäuscht Heike, weil sie unromantisch ist. S-E- Verb mit Zuordnug zu S: Tobias beschämt Ulrike, weil er lebensfremd ist. E-S- Verb mit Zuordnung zu S: Werner fürchtet Hilde, weil sie rational ist. E-S- Verb mit Zuordnung zu E: Ilse mag Norbert, weil sie aus Frankreich kommt. Entsprechend der Aufgabenstellung wurde eine gleiche Anzahl (n=48) ungrammatischer Sätze mit transitiven, nicht-psychischen Verben integriert. Diese Sätze beinhalteten ebenfalls zwei belebte Entitäten. Ungrammatikalitäten drückten sich in inkorrekter Kongruenz an den verschiedenen möglichen Stellen im Satz aus. Außerdem beinhaltete das präsentierte Material eine gleiche Anzahl (n=96) an weder inhaltlich noch strukturell relatierten Distraktor-Sätzen. Die Funktion sowohl der ungrammatischen Sätze als auch der Distraktor-Sätze war es abzusichern, dass eventuelle Effekte nicht auf Artefakte zurückgeführt werden können, die mit strategischen Vorgehensweisen der Probanden und nicht mit dem eigentlichen sprachlichen Material in Verbindung gebracht werden müssen. RESULTAT UND DISKUSSION
Das kritische Item ist das Pronomen (s. (162) und (163)). Die bei seiner Präsentation auftretende Hirnaktivität wird im Folgenden wiedergegeben. Ausgeschlossen wurde darüber hinaus, dass etwa bereits mit der Präsentation des Konnektivs weil bestimmte unerwünschte Effekte auftraten, und so etwaige Effekte für die Präsentation des Pronomens nicht autonom, sondern in Abhängigkeit von artifiziellen Aspekten - wie bspw. von heterogenen Materialsätzen - erklärt werden müssen. Für beide kritischen Strukturen (,S-E mit E' und ,E-S mit E') wurden in Übereinstimmung mit der Hypothese signifikante Effekte für die Präsentation des Pronomens, das den kausalen Nebensatz an die EXPERIENCER-Entität anbindet, ermittelt. Wie erwartet zeigten sich keine signifikanten Effekte für die Präsentation eines Pronomens, welches entsprechend den Prinzipien der impliziten Verbkausalität den kausalen Nebensatz an die STIMULUS-Entität anbindet. Die folgende Darstellung zeigt das durchschnittliche Maß an Aktivität, die mit der anterioren fronto-zentralen und der fronto-zentralen Elektrode ermittelt wurde. Die Darstellung spiegelt die Aktivität wider, die mit der Präsentation des Pronomens für alle vier Bedingungen zu verknüpfen ist. Durch Pfeilmarkierung hervorgehoben sind die Abweichungen, die mit den kritischen Strukturen einhergehen, also den psychischen Komplexen mit einem weil-Satz, der kausale Attribute der EXPERIENCER-Entität zuordnet.
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A n w e n d u n g : Psychische Verbkomplexe
Abbildung 17: M e s s u n g der (anterioren) fronto-zentralen Elektroden auf der Präsentation des kritischen Pronomens über alle vier Bedingungen
Die Plots zeigen, dass die (anteriore) fronto-zentrale Elektrode einen elektrophysiologischen Unterschied für die Bedingungen ,S-E mit E' und ,E-S mit E' im Vergleich zu den beiden anderen Bedingungen lieferte. Für die Bedingung ,S-E mit E' drückt sich dies in einer Negativierung im Zeitfenster von 4 0 0 - 4 5 0 m s (N400) nach Stimulus-Onset in einem signifikanten Maße aus. Im Gegensatz dazu elizitiert die Bedingung ,E-S mit E' einen Amplitudenunterschied, der sich in einer Positivierung nach ca. 600ms (P600) niederschlägt." Grundsätzlich kann also von einer kognitiven Verankerung dessen ausgegangen werden, dass ein kausaler Nebensatz bei psychischen Verbkomplexen kanonischerweise der STIMULUS-Entität zugeordnet wird. Dies zeigen die Verarbeitungsschwierigkeiten, die mit der
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Die statistische Analyse ( M A N O V A ) identifiziert beide Effekte als Haupteffekte, die nicht mit spezifischen Regionen interagieren: Signifikante A b w e i c h u n g einer Kondition im Zeitfenster 4 0 0 - 4 5 0 m s : F(3,25) = 2.87, p