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German Pages 182 Year 2015
Philosophische Schriften Band 85
Carl Schmitts Idee einer politischen Theologie Von Christian Kierdorf
Duncker & Humblot · Berlin
CHRISTIAN KIERDORF
Carl Schmitts Idee einer politischen Theologie
Philosophische Schriften Band 85
Carl Schmitts Idee einer politischen Theologie
Von
Christian Kierdorf
Duncker & Humblot · Berlin
Die Philosophische Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.
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© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0935-6053 ISBN 978-3-428-14531-7 (Print) ISBN 978-3-428-54531-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84531-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Politische Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Politische Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom Normalfall und der Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der moderne Souveränitätsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Soziologie juristischer Begriffe und das Ende aller „Diskussion“ . . II. Die Kritik durch Erik Peterson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Monotheismus als „politisches Problem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Politische Theologie II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangslage und Anliegen Schmitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Antwort an Peterson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 9 9 12 17 29 29 34 34 35 44
C. Theologische Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Negative Anthropologie und christliche Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Totalität des Politischen oder der Feind als Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Über die Feindbestimmung als Voraussetzung der Selbsterkenntnis . . . 2. Das Politische als ubiquitäres Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Feind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Metaphysisch-theologische Annahmen im Weltbild Schmitts . . . . . . . . III. Politische Theologie und Politische Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Heinrich Meier und Leo Strauss: „Athen oder Jerusalem“? . . . . . . . . . . 2. Die durch Leo Strauss forcierte Zäsur in der Bestimmung des Feindes IV. Die Kritik des politischen Feindes am Beispiel des Liberalismus . . . . . . . . 1. Der Liberalismusbegriff Carl Schmitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Funktionsweise des Marktes und der Preis politischer Freiheit . . . . 3. Positive Anthropologie und die christliche Position . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Naturrecht und Rechtspositivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Liberale als des Politischen unfähiger Entscheidungsverweigerer . . 6. Gewaltlegitimation und die Anordnung von Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Abschließende Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Privatrechtsgesellschaft als Antipode der Schmittschen Staatsapologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70 70 77 77 78 80 89 105 105 107 118 118 123 130 135 140 144 150 153 153 159
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Inhaltsverzeichnis 3. „Heidenchristentum“ oder Schmitts theologische Identität . . . . . . . . . . . 165 4. Bleibt Schmitt als politischer Denker relevant? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Namen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
A. Einleitung Denkt nicht, ich sei gekommen, Frieden auf die Erde zu bringen; ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, einen Menschen zu entzweien mit seinem Vater, die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter, und des Menschen Feinde werden seine Hausgenossen sein. Mt 10:34–361
In vielen Gesellschaften ist die Diskussion politischer wie religiöser Fragen verpönt. Politik wie Religion gelten allgemein als besonders kontroverse Felder, und eignen sich hervorragend, um die harmonische Geselligkeit einer beliebigen Zusammenkunft binnen kürzester Zeit zu korrumpieren. Dies mag nicht zuletzt dadurch begründet sein, dass beide ihre letzten Legitimationsquellen aus dem Reich der Metaphysik beziehen. Eine rein rationale, logisch deduzierte politische Position gibt es nicht, ebenso wenig eine „wissenschaftliche“ Religion. Entsprechend sind beide Bereiche schon immer Hort des Streites gewesen und werden aus eben jenem Grunde gerne gemieden. Der Plettenberger Staatsrechtler Carl Schmitt ist u. a. für seine Schrift „Politische Theologie“ von 1922 bekannt. Dieses Buch, das in seinem Titel nicht zu viel verspricht, erhielt 1970 mit der Veröffentlichung „Politische Theologie II“ eine Fortsetzung. Wie angedeutet sind beide Texte, aber auch weitere Schriften des Autors, Gegenstand zahlreicher Debatten und Auseinandersetzungen geworden, die mitnichten stets wissenschaftlicher Natur gewesen sind. Bis zum heutigen Tage werden die in den beiden Büchern enthaltenen Postulate – die politischen wie die theologischen – diskutiert. Aufgrund der sich häufenden Veröffentlichungen zum Werk des Juristen darf von einem gestiegenen Interesse gesprochen werden. Die „Politischen Theologien“ sind nicht leicht zu interpretieren. Schmitt scheint nicht die Absicht gehabt zu haben, ein breites Publikum mit ihnen zu erreichen. Ein Teil der Aufmerksamkeit, die den Schriften geschenkt wird, ist sicher dem Umstand geschuldet, dass es sich nicht um im strengen Sinne wissenschaftliche Arbeiten handelt. Die passend gewählten Titel verweisen auf das Anliegen Schmitts, sich über die Untersuchung des Zusammenhanges zwischen politischer Theorie und religiösem Bekenntnis seiner eigenen politisch-theologi1 Die Bibel. Übers. n. Kürzinger. Altes und Neues Testament. Hamp/Stenzel/u. a. (Hrsg.), 26. Aufl., Aschaffenburg (1977).
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A. Einleitung
schen Identität vergewissern zu können. Dieses Zu-Sich-Kommen steht im Mittelpunkt der Anstrengungen des Autors, auch wenn große Passagen der „Politischen Theologien“ vordergründig allerlei andere Fragen berühren. Im Folgenden habe ich mir vorgenommen, ausgehend von diesen beiden Schriften eine Deutung der politischen wie theologischen Identität Schmitts zu versuchen. Hierfür ist es zunächst unerlässlich, besagte Texte vorzustellen und ihre wichtigsten Gedankenschritte zu erläutern. Die vom Autor berührten Themen und Probleme sind vielfältig und beschränken sich nicht auf einen einzelnen wissenschaftlichen Fachbereich. Aus diesem Grunde werden meine Ausführungen nicht nur zwischen dem politischen und dem theologischen Aspekt der Schmittschen Thesen alternieren, sondern überdies innerhalb desselben Bereiches unterschiedliche Betrachtungswinkel vorstellen. Insbesondere die dezidiert politischen Stellungnahmen stellen dabei eine Herausforderung dar, da die nötige kritische Distanz in Gefahr gerät, vermindert zu werden. Nach Schmitt wäre es mir gar nicht möglich, über ihn zu schreiben, ohne mich dabei politisch zu äußern. Dennoch sollen die folgenden Kapitel nicht selbst zu einer politischen Theologie werden, wie es mit Blick auf andere Reflexionen über Schmitts Werk – nicht selten bewusst und mit vollster Absicht – der Fall gewesen ist. Um die oftmals kaum in einen Kontext zu setzenden Äußerungen und Andeutungen des Staatsrechtlers begreifbar zu machen, werde ich weitere seiner Schriften zu Rate ziehen. Einige Autoren haben bereits Pionierarbeit zur Erschließung des Denkens Schmitts geleistet, und ein nicht unerheblicher Teil meiner Arbeit konzentriert sich auf die Ergebnisse und Thesen von Rezensenten und Kennern seines Werkes. Im Verlaufe dieses Rundgangs soll außerdem beleuchtet werden, welche der populären Provokationen Schmitts Aktualität und Legitimation behalten. Ich beginne meine Untersuchung mit der optimistischen Erwartung, a) ein weitestgehend kohärentes, in sich schlüssiges politisch-theologisches Weltbild vorzufinden, b) einen primär politischen Denker kennenzulernen, dessen Beobachtungen aktuell und argumentativ belastbar sind, c) ein eindeutig im politischen Koordinatensystem identifizierbares Bekenntnis wiederzufinden.
B. Politische Theologie I. Politische Theologie 1. Vom Normalfall und der Ausnahme Die „Politische Theologie“ von Carl Schmitt erscheint 1922 und beschäftigt sich nach eigener Auskunft mit dem staatsrechtlich relevanten Begriff der Souveränität. Das in vier Kapitel unterteilte Werk beinhaltet nicht nur eine Kritik zeitgenössischer Staatsrechtslehren, sondern – in der zweiten Hälfte – auch eine kaum verhüllte politische Forderung, welche sich auf eine Säkularisationshypothese stützt. Auf diese Weise schlägt der Jurist eine Brücke zwischen Rechtstheorie und Theologie. Auf den folgenden Seiten werde ich die wesentlichen Thesen und Schlussfolgerungen Schmitts in einer möglichst knappen Darstellung im Kontext der in der Schrift ausgetragenen Fragestellungen und Themenkomplexe wiedergeben. Die besondere Bedeutung der „Politischen Theologie“ liegt in ihrem Zulaufen auf eine Reihe politischer Postulate, die ihrer Natur nach religiösen Ursprunges und aufgrund ihres nicht-wissenschaftlichen Charakters Grund für einen fortdauernden (politischen) Dissens zwischen Kritikern ihrer Inhalte und jenen, die sich dazu berufen fühlen, diese zu verteidigen, sind. Dieser Widerstreit ist u. a. auch Anlass zur Niederschrift der „Politischen Theologie II“ gewesen, welche ohne die Kenntnis des hier zu betrachtenden Werkes nur schwer zu verstehen ist. Die sehr bedacht strukturierte Gesamtkomposition und Dramaturgie der „Politischen Theologie“ beginnt mit der Bestimmung des Souveränitätsbegriffes. Schmitt entscheidet sich dafür, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, indem er dem Leser offenbart, dass dieser zentrale Begriff der Rechtstheorie ohne den des Ausnahmezustandes nicht sinnvoll beschrieben werden könne. Denn obgleich Schmitt der weit verbreiteten Auffassung, bei der Souveränität handle es sich um uneingeschränkte Macht, grundsätzlich zustimmt, sei es dennoch unerlässlich, am Beispiel des Problems der Ausnahme ihre Konturen zu schärfen. Die Ausnahme eigne sich deshalb zur Explikation des Souveränitätsbegriffes, weil es sich bei diesem um einen „Grenzbegriff“ handle. Damit ist gemeint, dass eine analytische Durchdringung der Souveränität nicht vor dem Hintergrund des „normalen“ Funktionierens eines beliebigen Gemeinwesens, sondern nur unter Berücksichtigung einer hypothetischen, außerordentlichen Situation im prägnanten Sinne erfolgen kann. Die Souveränität „lebt“ von der Ausnahme, insofern sie ihre Legitimation aus ihr bezieht. Schmitt legt großen Wert darauf herauszustel-
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B. Politische Theologie
len, dass es sich bei dem Ausnahmefall nicht um eine „Notverordnung“ o. ä. handelt. Solche Phänomene seien, im Unterschied zum Ausnahmefall, restlos innerhalb der Grenzen des positiven Rechts beschreibbar.2 Da der Ausnahmefall jedoch niemals als Tatbestand rechtlich erfasst werden kann, entzieht er sich jeder Normierung durch eine positive Rechtsordnung. Unter der Voraussetzung, dass der Ausnahmefall eine existente Größe in einer bestimmten Ordnung ist, erhebe sich damit die Frage nach dem Subjekt der Souveränität. Nach Schmitt offenbare dies, dass der jeweilige Souverän zur Rechtsordnung gehört, obwohl er offensichtlich nicht Teil von ihr ist. Die Rechtsordnung könne angeben, wer im konkreten Ausnahmefall zu handeln berechtigt ist. Der „Inhalt der Kompetenz“ des Souveräns sei jedoch notwendig uneingeschränkt und deshalb rechtlich unbestimmt.3 Die Quintessenz dieses Gedankenganges stellt Schmitt gleich zu Anfang seines Textes, und resultiert in dem berühmt gewordenen Ausspruch: Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.4
An diese Erläuterung schließt der Jurist die These an, nach der alle modernen Staatsrechtslehren die „Tendenz“ besäßen, den Souveränitätsbegriff aus ihren Ideengebäuden zu verbannen. Nach Schmitt handle es sich jedoch bei der Entscheidung, ob die Gedankenfigur des Ausnahmezustandes ihre Berechtigung in der Staatsrechtslehre hat, nicht mehr um ein wissenschaftlich zu treffendes Urteil, dem eine lückenlose, rationale Argumentation vorausgeht. Vielmehr würden „geschichtsphilosophische[n]“ und „metaphysische[n]“ Glaubenssätze im konkreten Falle ausschlaggebend dafür sein, ob die Ausnahme eine konstitutive Bedeutung für eine bestimmte Staatsrechtslehre hat. Die Souveränität, gedacht als „unteilbare Einheit“, zeige sich am klarsten in Situationen eines „EntwederOder“, d.h. in Ausnahmefällen. Auf diese Weise offenbare sich die Kompetenz, bestehendes Recht zu neutralisieren, als Erkennungsmerkmal der Souveränität. Am Beispiel des Ausnahmezustandes zeige sich außerdem, dass eine Rechtsordnung wesentlich auf einer souveränen Entscheidung, nicht aber auf einer Norm basiert.5 Entsprechend folge, dass der Souverän genau dann seine Zuständigkeit erhalte, wenn die in Kraft gesetzte Rechtsordnung keine Zuständigkeit angeben kann. Schmitt erläutert dies am Beispiel des Paragraphen 48 der Weimarer Verfassung: Der Reichspräsident verfüge über das Entscheidungsmonopol, den Ausnahmezustand zu erklären. Dies entspricht dem zentralen Kriterium der Souveränität. Allerdings sei der Reichstag imstande, eine solche Deklaration wieder rückgängig
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Schmitt, Politische Theologie, S. 13. Ebd. S. 14. Ebd. S. 13. Ebd. S. 14 ff.
I. Politische Theologie
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zu machen. Der Jurist führt diesen Fall auch als Veranschaulichung der Zurückdrängung des Souveräns in der modernen Rechtsordnung an. Allerdings würde der Reichspräsident hier nach wie vor über unumschränkte, souveräne Macht verfügen, insofern der Reichstag sie nicht aufzuheben berechtigt wäre. Schmitt räumt ein, dass der Ausnahmezustand rechtlich durchaus umschreibbar sei, jedoch niemals in seiner Vollständigkeit inhaltlich bestimmt werden könne. Das Problem der Souveränität lasse sich keinesfalls beseitigen. Weil der Ausnahmezustand etwas gänzlich anderes sei als „Anarchie“ und „Chaos“, offenbare seine Möglichkeit auch, dass der Staat eine eigenständige Existenz jenseits seiner Rechtsordnung habe: Auch ohne diese bliebe eine „Ordnung“ erhalten, die zwar keine Rechtsordnung mehr sein kann, aber dennoch Ausdruck staatlichen Formwillens ist.6 Im Ausnahmefall suspendiert der Staat das Recht, kraft eines Selbsterhaltungsrechtes, wie man sagt. Die zwei Elemente des Begriffes „Rechts-Ordnung“ treten hier einander gegenüber und beweisen ihre begriffliche Selbständigkeit.7
Die Anwendung einer Norm verlange immer schon das Bestehen einer bestimmten Ordnung. Die „normale“ Situation, deren Diagnose dem Souverän vorbehalten ist, entspricht dieser Ordnung, die wiederum die Bedingung der Inkraftsetzung einer Rechtsordnung ist. Analog hierzu beschreibt Schmitt die Kompetenz des Souveräns wesentlich als ein Entscheidungsmonopol, nicht etwa als Gewaltmonopol. Entsprechend zeige sich am Ausnahmezustand der Kern staatlicher Herrschaft am klarsten: „die Autorität beweist, daß sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht“.8 Nach Schmitt habe das so explizierte Verständnis für die Besonderheiten des Souveränitätsbegriffes und des mit ihm verbundenen Ausnahmezustandes noch im 17. Jh. weite Verbreitung gefunden. Allerdings verschwände dieses „lebhafte Bewußtsein“ im Laufe des 18. Jh., da Rationalismus und, auf politischer Ebene, andauernder Frieden die Ausnahme als eine ideengeschichtliche Verirrung erscheinen lassen. Schmitt nennt John Locke und Immanuel Kant als prominente Vertreter dieser neuen Perspektive. Im Anschluss an Kant möchte er den Neukantianismus als einen Hauptschuldigen für die Verdrängung des Ausnahmezustandes in der Rechtstheorie identifizieren. Nach Schmitt sei es „konsequenter Rationalismus, zu sagen, daß die Ausnahme nichts beweist und nur das Normale Gegenstand wissenschaftlichen Interesses sein kann“. Die logischen Widersprüchlichkeiten und Mängel im Konzept der Ausnahme seien es, die den Rationalisten dazu veranlassten, von ihr Abstand zu nehmen: „wie ist es logisch möglich, daß eine Norm gilt mit Ausnahme eines konkreten Falles, den sie nicht rest-
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Schmitt, Politische Theologie, S. 18 f. Ebd. S. 18 f. Ebd. S. 19.
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los tatbestandsmäßig erfassen kann?“ Aus diesem Grunde bestünde nach Schmitt die (scheinbare) Lösung des Problems in der Erklärung der Nichtzuständigkeit. Er zitiert Anschütz mit den Worten: „Das Staatsrecht hört hier auf“. Der Jurist hält seinen Gegnern entgegen, dass die Ausnahme analytisch wertvoller sei als der Normalfall. Er unterstreicht dies mit einem längeren, nicht kenntlich gemachten Zitat von Søren Kierkegaard (Schmitt nennt ihn nur einen „protestantische[n] Theologe[n]“). Diesem schickt er voraus:9 Die Ausnahme ist interessanter als der Normalfall. Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles; sie bestätigt nicht nur die Regel, die Regel lebt überhaupt nur von der Ausnahme. In der Ausnahme durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens die Kruste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik.10
Mit dieser Ausnahme solle sich insbesondere „eine Philosophie des konkreten Lebens“ beschäftigen. Auf diese Weise macht Schmitt zum Abschluss des ersten Kapitels seine These von der Bedeutung der Ausnahme für den Souveränitätsbegriff stark, bevor seine grundsätzliche Kritik an den Staatsrechtsentwürfen zeitgenössischer Rechtswissenschaftler folgt.11 2. Der moderne Souveränitätsbegriff Der zweite Teil der „Politischen Theologie“ beschäftigt sich mit den jüngsten Veränderungen in der Rezeption des Souveränitätsbegriffes in der Rechtstheorie. Schmitt rezensiert hier beispielhaft verschiedene Exponenten seines Faches in Bezug auf deren Bestimmung der Souveränität sowie dem Verhältnis zwischen Staat und Recht. Vorausgeschickt wird die Bemerkung, dass die Beschreibung des Souveränitätsbegriffes im hohen Maße von den jeweiligen politischen Interessen derjenigen abhängt, die ihn zum Bestandteil ihrer Staatsrechtsentwürfe machen. Seine Genese lässt Schmitt bei Bodin (1529–1596) beginnen. Anhand geschichtlicher Ereignisse versucht der Autor, seine These von der Korrelation zwischen politischen Interessen und der Entwicklung des Souveränitätsbegriffes zu stützen (genannt werden der Konflikt zwischen den Ständen im 16. Jh., Nationalstaatlichkeit und Völkerrecht im 18. Jh. sowie, speziell für Deutschland, das Verhältnis von Bundesstaat und Gliedstaaten ab dem 19. Jh.). Die entscheidende theoretische Herausforderung in der Beschreibung der Souveränität als unbeschränkte Machtfülle bestünde in dem praktischen Problem, dass „in der vom Kausalitätsgesetz beherrschten Wirklichkeit kein einzelner Faktor herausgegriffen und mit einem solchen Superlativ bedacht werden kann“. Die politische Realität kenne keine unbestreitbar höchste Macht. Aus diesem Grunde sei die „Ver-
9 Schmitt, Politische Theologie, S. 20 f. Zur Kierkegaard-Stelle vgl. Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 127. 10 Schmitt, Politische Theologie, S. 21. 11 Ebd. S. 21.
I. Politische Theologie
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bindung von faktisch und rechtlich höchster Macht [ist] das Grundproblem des Souveränitätsbegriffes“.12 Seine Abrechnung mit zeitgenössischen Rechtswissenschaftlern lässt Schmitt mit Kelsen beginnen. Ihn stellt er dem Leser als Vertreter des Liberalismus vor, den er für besonders verächtlich hält. Die liberale Rechtstheorie, für die Kelsen stehen soll, äußere sich im Wesentlichen in der vollständigen Negierung jedes theoretischen Problems in Bezug auf die Frage der Souveränität. Diese Verneinung resultiere aus der – nach Schmitt – naiven Gleichsetzung von Staat und Recht: Kelsens Entwurf basiere auf der „Disjunktion“ von Soziologie und Jurisprudenz. Durch die vermeintlich saubere Scheidung von soziologischen und juristischen Phänomenen werde eine „Reinheit“ konstruiert, die die Zurechnung beliebiger Normen auf eine „einheitliche Grundnorm“ erlaube: „Der Staat ist also weder der Urheber noch die Quelle der Rechtsordnung; alle solche Vorstellungen sind nach Kelsen Personifikationen und Hypostasierungen, Verdoppelungen der einheitlichen und identischen Rechtsordnung zu verschiedenen Subjekten“. Dieses zuletzt auf eine unhintergehbare „Grundnorm“ gestellte Rechtssystem weise die größte Macht entsprechend der rechtlichen Ordnung selbst zu. Schmitt kommentiert diesen Vorgang wie folgt:13 Das entscheidende, immer und immer von neuem wiederholte und gegen jeden wissenschaftlichen Gegner von neuem vorgebrachte Argument bleibt immer dasselbe: der Grund für die Geltung einer Norm kann wiederum nur eine Norm sein; der Staat ist daher für die juristische Betrachtung identisch mit seiner Verfassung, das heißt der einheitlichen Grundnorm.14
Die hierbei von Schmitt intendierte Frage nach der letztbegründenden Legitimationsquelle solcher Normen erinnert an theologisch-spekulative Gedankengänge, in denen Gott zwangsläufig den Status eines Seienden verlieren muss, wenn er selbst die Existenzursache für alles Seiende sein soll. Nach ihm ende Kelsens Entwurf in einer „monistischen Metaphysik“, die auf dem „Dualismus“ aus Soziologie und Jurisprudenz aufbaue. Nicht zufällig wählt der Jurist bereits hier theologische Vokabeln, um den Fortgang seiner Schrift vorzubereiten. Sofern es sich nicht um eine naturrechtliche oder „theoretisch allgemeine“ Rechtslehre handle, sei vollkommen unverständlich, wie ein „Haufe positiver Bestimmungen“ auf eine einheitliche Grundnorm zu reduzieren sei. Die „mathematische Mythologie“ Kelsens verfehle ersichtlich zu machen, mit welcher Gesetzmäßigkeit ein bestimmter Zurechnungspunkt an Legitimation gewinnt, wenn sich diese nicht aus einem „Befehl“ speise. Sein System erzeuge eine unpersönliche Beliebigkeit, innerhalb derer der Jurist mit „relativistischer Überlegenheit“ aus „allem eine Einheit konstruieren“ könne. Dies werde durch die rigorose Aussonderung 12 13 14
Schmitt, Politische Theologie, S. 25 f. Ebd. S. 26 f. Ebd. S. 27.
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B. Politische Theologie
von allem, was nicht in die angestrebte Reinheit der Rechtsordnung passt, erreicht. Da Kelsen auf diese Weise niemals konkret werden oder praxisrelevante Beispiele anführen müsse, bringe er sich selbst in eine scheinbar unangreifbare Position, von der aus zu kritisieren ein Leichtes sei. Schmitt will in dieser Vorgehensweise ein Musterbeispiel liberalen Denkens sehen, welches die Frage nach der „Rechtsverwirklichung“ konsequent ignoriere. Er fasst seine Rezension des Entwurfes von Kelsen folgendermaßen zusammen: „Kelsen löst das Problem des Souveränitätsbegriffes dadurch, daß er es negiert“.15 Schmitt wendet sich jetzt Krabbe zu, der mit Kelsen gemeinsam habe, das Recht anstelle des Staates als souverän zu betrachten. Beide teilten eine „gemeinsame weltanschauungsmäßige Wurzel“, jedoch unterscheide sich Krabbe methodologisch erheblich von dem – so Schmitt – Neukantianer Kelsen. Krabbes Grundüberzeugung bestünde in der Ansicht, dass im modernen Staatswesen die Bürger unter der Herrschaft von Normen, in Opposition zu etwa anderen Personen, stünden. Der Staat nimmt so die Rolle eines reinen „Rechtsproduzenten“ ein, indem er das „Rechtsbewußtsein der Bevölkerung“ erhebt. Schmitt schlägt eine inhaltliche Brücke von Krabbe zur Genossenschaftstheorie, wenn er beiden eine dezidierte Feindschaft zum „zentralistischen Obrigkeitsstaat“ attestiert.16 Mit dem Verweis auf die Genossenschaftstheorie stellt Schmitt den Staatsrechtsentwurf Gierkes vor. Als ihr Begründer formuliere er zuerst den Anspruch, nach dem alle Gewalt im Staat von dem „berufene[n] Organ des Volkes“ ausgehen solle. Obgleich hier Recht und Staat grundsätzlich als gleichberechtigte Größen vorgestellt werden, werde diese Gleichwertigkeit von Gierke dadurch „verdunkelt“, dass er die Gesetzgebung bloß noch als „formelles Siegel“ begreife. Aus Schmitts Sicht höre der Staat dadurch auf, souverän zu sein.17 Wolzendorff, den Schmitt als „jüngere[n] Vertreter“ der Genossenschaftstheorie einführt, ginge von einer Interdependenz zwischen Staat und Recht aus, obgleich dem Recht eindeutig die größere Bedeutung zukäme. Der Staat werde als ursprüngliche „Herrschergewalt“ anerkannt, jedoch solle sich diese nur in „Ausnahmefällen“ zeigen: Als letzte Maßnahme zur Lösung von konkreten Herausforderungen. Das von Wolzendorff angestrebte ideologisch neutrale „Ordnungsgefüge“ habe allen gesellschaftlichen Biotopen, von der Ökonomie bis zur Kultur, vollkommen neutral gegenüberzustehen. Schmitt meldet Zweifel daran an, dass eine so anspruchsvolle zivilisatorische Leistung wie die einer vernunftgelenkten Selbstverwaltung in der politischen Realität praktisch werden kann. Die in ihr notwendig virulente „Diskussion“ resultiere in der Regel in einer „Diktatur“. Der Wolzendorffsche Staat sei im Kern in der Rolle des Rechtsbewahrers zutreffend beschrieben. Eine wesentliche Besonderheit dieses Entwurfes erkennt Schmitt in 15 16 17
Schmitt, Politische Theologie, S. 28 f. Ebd. S. 29 ff. Ebd. S. 31 f.
I. Politische Theologie
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der Funktion des Staates als „ultima ratio“, welche ihrem Wesen nach Ausdruck einer „autoritären Staatstheorie“ sei und damit grundsätzlich den zentralen Ideen der Genossenschaftstheorie widerspreche. In jedem Falle käme Wolzendorff durch diese Wendung der Verdienst zu, auf das Problem der „Form im substanziellen Sinne“ verwiesen zu haben. Schmitt bewertet diese Beobachtung: „Es erhebt sich das Problem, wieweit in jeder Feststellung und Entscheidung mit rechtslogischer Notwendigkeit ein konstitutives Element enthalten ist, ein Eigenwert der Form“. Wolzendorff selbst sei sich dem Austrag des Problems durch seine Theorie nicht bewusst und unterscheide zudem nicht sauber zwischen den verschiedenen Arten von Formen, deren korrekte Unterscheidung im Kontext der Rechtstheorie von großer Bedeutung sei.18 Schmitt postuliert eine allgegenwärtige „Verwirrung“ um den Begriff der Form in der zeitgenössischen Philosophie, welche wiederum Einfluss auf die Bereiche der Soziologie und Jurisprudenz habe. Der Jurist schlägt eine Unterscheidung von ästhetischer, technischer, transzendentalphilosophischer und juristischer Form vor. Er fügt seinem Einwurf kurze Exkurse über die Formbegriffe Max Webers sowie Aristoteles’ hinzu, um die theoretischen Schwierigkeiten aufgrund der potenziellen Mehrdeutigkeit des Formbegriffes transparent zu machen. Diese Überlegungen werden anschließend mit den Verwendungen des Formbegriffes bei den zuvor rezensierten Staatsrechtlern kontrastiert. Zunächst kommt Schmitt auf die erstrebte Objektivität in den Entwürfen von Kelsen, Krabbe und Preuß zu sprechen. Erstgenannter erreiche das Ziel durch die Verbannung aller personalistischen Elemente aus der Staatsrechtslehre sowie der Reduktion des Geltungsgrundes aller Normen auf eine Grundnorm. Krabbe und Preuß betrachteten alle „Persönlichkeitsvorstellungen“ als primitive Rückstände aus der Monarchie absolutistischen Typus.19 Schmitt wendet ein, dass All diese Einwendungen verkennen, daß die Persönlichkeitsvorstellung und ihr Zusammenhang mit der formalen Autorität einem spezifisch juristischen Interesse entsprungen ist, nämlich einem besonders klaren Bewußtsein dessen, was das Wesen der rechtlichen Entscheidung ausmacht.20
Den wissenschaftlichen Gegnern in der Staatsrechtslehre hält er die Einsicht entgegen, nach der weder Rechtsidee noch Rechtsnorm zur vollständigen Durchdringung eines konkreten Rechtsurteils herangezogen werden können: Denn jeder Rechtsgedanke überführt die niemals in ihrer Reinheit Wirklichkeit werdende Rechtsidee in einen anderen Aggregatzustand und fügt ein Moment hinzu, das sich weder aus dem Inhalt der Rechtsidee noch, bei der Anwendung irgendeiner generellen positiven Rechtsnorm, aus deren Inhalt entnehmen läßt. Jede konkrete juristische Entscheidung enthält ein Moment inhaltlicher Indifferenz, weil der juristische
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Schmitt, Politische Theologie, S. 32 ff. Ebd. S. 34 ff. Ebd. S. 36.
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B. Politische Theologie Schluß nicht bis zum letzten Rest aus seinen Prämissen ableitbar ist, und der Umstand, daß eine Entscheidung notwendig ist, ein selbständiges determinierendes Moment bleibt.21
Für das Verständnis der hier zugrunde gelegten Sachverhalte führt Schmitt die Unterscheidung zwischen dem Prinzip der Berechenbarkeit (wissen, dass die Busse in regelmäßigen Abständen fahren) und der aus der Praxis virulent werdenden Notwendigkeit, eine bestimmte allgemeine Norm auf einen Einzelfall anwenden zu müssen (zu welchen Uhrzeiten fahren die Busse ab), an: „Es ist in der Eigenart des Normativen begründet und ergibt sich daraus, daß ein konkretes Faktum konkret beurteilt werden muß, obwohl als Maßstab der Beurteilung nur ein rechtliches Prinzip in seiner generellen Allgemeinheit gegeben ist. So liegt jedesmal eine Transformation vor“. Rechtsideen würden keine Angaben darüber machen, von welchen Personen sie angewandt werden sollen. Entsprechend ergebe sich für die Praxis das Problem, die Frage beantworten zu müssen, wer im konkreten Falle die Autorität über die Anwendung einer Norm besitzt. Diese Frage sei es, „die Krabbe beständig ignoriert“. Es sei gerade die Instanz einer Entscheidungsfindung, die eine Entscheidung „absolut“ mache – nicht ihre Begründung.22 Hierdurch erhalte die Entscheidung einen „selbständigen Wert“. Aus diesem Grunde werde ersichtlich, [. . .] daß es überhaupt keine absolut deklaratorischen Entscheidungen geben kann. Von dem Inhalt der zugrundeliegenden Norm aus betrachtet ist jenes konstitutive, spezifische Entscheidungsmoment etwas Neues und Fremdes. Die Entscheidung ist, normativ betrachtet, aus einem Nichts geboren. Die rechtliche Kraft der Dezision ist etwas anderes als das Resultat der Begründung. Es wird nicht mit Hilfe einer Norm zugerechnet, sondern umgekehrt; erst von einem Zurechnungspunkt aus bestimmt sich, was eine Norm und was normative Richtigkeit ist. Von der Norm aus ergibt sich kein Zurechnungspunkt, sondern nur eine Qualität des Inhaltes.23
Schmitt führt symptomatisch Locke an, wenn er ihm vorwirft, den Gesetzesbegriff naiverweise als Gegenentwurf zum Befehl verstanden zu haben. Da das Gesetz selbst nicht bestimme, wem Autorität zusteht, bleibe die dringliche Frage nach der Kompetenz erhalten: „eine Frage, die sich aus der inhaltlichen Rechtsqualität eines Satzes heraus nicht einmal erheben, viel weniger beantworten läßt“. Die Schlussfolgerung lautet: „Kompetenzfragen damit zu beantworten, daß auf das materielle hingewiesen wird, heißt, einen zum Narren halten“. Schmitt führt die Unterscheidung von „zwei Typen juristischer Wissenschaftlichkeit“ ein, die er „dezisionistisch“ und „normativistisch“ nennt.24 Sie unterschieden sich durch ihr jeweiliges „Bewußtsein“ von der „normativen Eigenheit der rechtlichen Entschei21
Schmitt, Politische Theologie, S. 36. Ebd. S. 37. 23 Ebd. S. 37 f. 24 Im Nachwort zur zweiten Auflage von 1933 fügt Schmitt seiner Typologie einen dritten Typus hinzu, der „institutionell“ heißt. 22
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dung“. Als Musterbeispiel für den dezisionistischen Typ führt Schmitt Hobbes an, der mit der Formel autoritas, non veritas facit legem stellvertretend für die Erkenntnis der „Antithese“ aus autoritas und veritas stehe. Außerdem käme ihm das Verdienst der theoretischen Ausarbeitung des Personalismus in der dezisionistischen Staatsrechtslehre zu: Nur Personen sind Träger von Entscheidungen, keine Normen. Entsprechend sei die Einsicht unumgänglich, dass für die Rechtspraxis die Frage nach dem Subjekt der Entscheidung zentral ist, da diesem Subjekt eine eigenständige Bedeutung zukäme. Vor diesem Hintergrund macht sich Schmitt für einen selbständigen juristischen Formbegriff stark. Dieser sei nicht in einen der zuvor angeführten, fremden Formbegriffe übersetzbar:25 In dem Gegensatz von Subjekt und Inhalt der Entscheidung und in der Eigenbedeutung des Subjekts liegt das Problem der juristischen Form. Sie hat nicht die apriorische Leerheit der transzendentalen Form; denn sie entsteht gerade aus dem juristisch Konkreten. Sie ist auch nicht die Form der technischen Präzision; denn diese hat ein wesentlich sachliches, unpersönliches Zweckinteresse. Sie ist endlich auch nicht die Form der ästhetischen Gestaltung, die eine Dezision nicht kennt.26
3. Die Soziologie juristischer Begriffe und das Ende aller „Diskussion“ Wenn man die „Politische Theologie“ als in zwei Hälften geteilt betrachtet, so fällt auf, dass auch der letzte Teil gleich im ersten Satz die zentrale These für diesen Abschnitt enthält. Dieser Satz lautet: „Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe“. In den ersten beiden Kapiteln wird zunächst die Bedeutung des Ausnahmezustandes für den Souveränitätsbegriff hervorgehoben, und anschließend – ausgehend von dieser Beobachtung – eine ausgiebige Kritik an konkurrierenden Staatsrechtslehren dem hinzugefügt. Die „Politische Theologie“ stellt sich als wissenschaftlichrechtstheoretische Meditation über Fragen der Souveränität vor. Mit dem dritten Kapitel ändert sich dieser Eindruck. Die postulierte Säkularisierung theologischer Begriffe in solche der Staatslehre erfolge, so hebt Schmitt hervor, nicht bloß als Resultat einer „historischen Entwicklung“, sondern gerade auch aufgrund einer „systematischen Struktur“, die beide Begriffsnetze gemein hätten. Der Jurist macht den Leser sogleich mit den weiteren Implikationen seiner Entdeckung vertraut, wenn er den Ausnahmezustand in der Jurisprudenz in diesem Sinne als von dem Wunder in der Theologie „analog“ abhängig vorstellt. Hiermit ist jedoch unter keinen Umständen eine einfache Analogie gemeint, auch wenn Schmitt diesen Begriff im Kontext seiner Säkularisationstheorie hin und wieder verwendet. Die Rechtswissenschaft schulde der Theologie mehr als nur grobe Metaphern. Ohne weitere Erklärung flechtet der Autor seiner Argumentation eine These Auguste Comtes ein, nach der die politischen Verhältnisse stets das 25 26
Schmitt, Politische Theologie, S. 38 ff. Ebd. S. 40.
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Spiegelbild der allgemeinen metaphysischen Überzeugungen ihrer Epoche sind. So habe sich der moderne Rechtsstaat erst „mit dem Deismus“ durchgesetzt, d.h. der Verbannung des Wunders aus der lebensweltlichen Realität. Auf der Ebene des Politischen habe sich, analog hierzu, die Abschaffung der Ausnahme in Form des legitimen Eingriffes des Souveräns in die Rechtsordnung vollzogen: „Der Rationalismus der Aufklärung verwarf den Ausnahmefall in jeder Form“. Schmitt greift den weiteren Verlauf seiner Schrift vorweg, wenn er bereits hier die Denker der „Gegenrevolution“ erwähnt, die sich in ihren alternativen Staatsentwürfen im Gegenteil auf die Idee des Theismus gestützt hätten. Der Zusammenhang zwischen theologischen und staatsrechtlichen Begriffen sei von größter Bedeutung für das, um was sich Schmitt nach eigenen Angaben im Folgenden bemüht: Eine „Soziologie juristischer Begriffe“. Bislang seien es vor allem die „katholischen Staatsphilosophen der Gegenrevolution“ gewesen (genannt werden Bonald, de Maistre und Donoso Cortés), die diesen Zusammenhang theoretisch fruchtbar machten.27 Schmitt wendet sich über ein Zitat Adolf Menzels der verbreiteten Auffassung zu, nach der die Rechtswissenschaften eine objektive, „anti-metaphysische“ Reinheit besäßen. Dieser widerspricht der Jurist mit dem Verweis auf das „große[s] Degen- und Mantelstück“, das den Entwürfen der zeitgenössischen Staatsrechtslehre eigen sei. Ihrer vermeintlich wissenschaftlichen Neutralität und Objektivität sei ein Reflex eigentümlich, der den Staat als „unsichtbare Person“ stets in Erscheinung treten lasse, wenn die vorausgesetzte Allgegenwart der Legislative keine logische Herleitung aus den Prämissen der positiven Rechtslehre zulasse: „Die „Omnipotenz“ des modernen Gesetzgebers, von der man in jedem Lehrbuch des Staatsrechts hört, ist nicht nur sprachlich aus der Theologie hergeholt“. Der Staat als wundersamer „deus ex machina“ weise laut Schmitt – trotz seiner Beteuerung weltanschaulich-metaphysischer Enthaltsamkeit – an allen Ecken und Enden metaphysische Restbestände auf. In diesem Zusammenhang wird angedeutet, dass eine geschichtliche Betrachtung möglicherweise Antworten auf die Frage liefern könnte, warum in einem solchen geistigen Klima „Metaphysik“ zu einem Schimpfwort geworden sei. Schmitt stellt eine allgemeine Blindheit seiner Kollegen gegenüber dem Problem metaphysisch-theologischer Elemente in der modernen Rechtstheorie fest:28 Ich gebe gern zu, daß es Juristen gibt, bei denen aus einer Unfähigkeit, widersprechende Argumente oder Einwendungen gedanklich zu bewältigen, der Staat mit einer Art Kurzschluß des Denkens erscheint, wie bei gewissen Metaphysikern der Name Gottes für solche Zwecke mißbraucht wird.29
27
Schmitt, Politische Theologie, S. 43. Die beständige Aufrechterhaltung der sprachlichen Verknüpfung von rechtstheoretischer und theologischer Semantik ist bemerkenswert. Ebd. S. 44 f. 29 Ebd. S. 45. 28
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Staatsrechtler wie Preuß verteidigten ihr Modell gar vornehmlich durch den Vorwurf an Kritiker, „Metaphysik“ zu betreiben. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichen die kritischen Kommentare Schmitts über konkurrierende Staatsrechtslehren, wenn er unter Hinzunahme einer Bemerkung Bernatziks die Systeme von u. a. Gierke und Preuß als inhaltlich widersprüchlicher als das Trinitätsdogma wiedergibt.30 Allerdings habe auch Bernatzik nicht gesehen, warum der Geltungsgrund der Rechtsordnung keiner Selbstsetzung fähig sei. Schmitt rechnet Kelsen den Verdienst zu, schon früh auf die Verwandtschaft zwischen Jurisprudenz und Theologie hingewiesen zu haben. Seine „Metaphysik“ der Gleichsetzung von Staat und Rechtsordnung fuße auf der Identifikation von „Naturgesetzlichkeit und normative[r] Gesetzlichkeit“, welche als Ergebnis eines streng naturwissenschaftlichen Denkens dazu tendiere, den Ausnahmezustand vollständig aus dem Staatsrecht zu tilgen.31 Um Kelsen weiter zu demontieren, zitiert Schmitt John Stuart Mill, der bereits lange vor ihm gesehen hätte, dass es nicht möglich sei, „daß die freie Tat der juristischen Erkenntnis aus jeder beliebigen positiven Gesetzesmasse den Kosmos ihres Systems“ konstruieren kann – hierdurch werde die angestrebte Objektivität neutralisiert. Einen Grund für diese Verwirrung erkennt der Jurist im naturwissenschaftlich geprägten Gebrauch des Substanzbegriffes bei Kelsen, welcher „Humes und Kants Kritik des Substanzbegriffes“ fälschlicherweise auf „die Staatslehre übertragen“ hätte. Dabei sehe Kelsen nicht, dass diese Transposition unzulässig sei:32 Die Unterscheidung von Substanz und Ausübung eines Rechts, die in der Dogmengeschichte des Souveränitätsbegriffes eine fundamentale Bedeutung hat (ich habe in meinem Buch über die Diktatur, S. 44, 105, 194, darauf hingewiesen), ist mit naturwissenschaftlichen Begriffen überhaupt nicht zu erfassen und doch ein wesentliches Moment der juristischen Argumentation. In der Begründung, die Kelsen seinem Bekenntnis zur Demokratie gibt, spricht sich die konstitutionell mathematisch-naturwissenschaftliche Art seines Denkens offen aus (Arch. f. Soz.-W. 1920, S. 84): die Demokratie ist der Ausdruck eines politischen Relativismus und einer wunder- und dogmenbefreiten, auf den menschlichen Verstand und den Zweifel der Kritik gegründeten Wissenschaftlichkeit.33
Nachdem Schmitt auf diese Weise seine inhaltlich-methodologische Kritik an seinen Gegnern, allen voran Kelsen, vorgetragen hat, wendet er sich erneut den bereits angesprochenen Zusammenhängen zwischen Metaphysik und Politik zu. Als Projektionsfläche dienen die marxistische Ideologie sowie das Problem des 30 „Wenn die Organo der Gesamtpersönlichkeit wiederum Personen sein sollen, dann wäre jede Verwaltungsbehörde, jedes Gericht usw. eine juristische Person und doch der Staat als Ganzes ebenfalls wieder eine einzige solche juristische Person.“ Schmitt, Politische Theologie, S. 46. 31 Ebd. S. 46 f. 32 Ebd. S. 47. 33 Ebd. S. 47.
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Widerstreites materialistischer und spiritualistischer Geschichtsphilosophien. So betont Schmitt unter Berufung auf die Autorität Max Webers die Kontingenz solcher Anschauungen als Verirrungen, hervorgerufen durch den von ihnen vorausgesetzten Dualismus. Beide radikalen Sichtweisen seien als irrational abzulehnen. Am Beispiel des Marxismus zeige sich, wie eine betont rationale Geschichtsbetrachtung auf materialistischer Grundlage ohne Weiteres in einen zerstörerischen Irrationalismus umschlagen könne, der blind für die Erkenntnis nicht-ökonomischer Zusammenhänge ist. Den Modellen, die sich aus entweder spiritualistischen oder materialistischen Anschauungen zusammensetzen, liege „ein Verfahren, das mit methodischer Notwendigkeit zur Karikatur werden muß“ zugrunde. Ausgehend von der marxistischen Soziologie ist Schmitt darum bemüht, seine „Soziologie juristischer Begriffe“ klar von den Soziologien fremder Herkunft abzugrenzen. Die meisten ihrer Art gehörten in der Bereich der „schönen Literatur“ und wiesen erhebliche methodologische Mängel auf. Dies träfe selbstverständlich nicht auf das eigene Unterfangen zu, welches ein „wissenschaftliches Resultat“ erbringen will. Dies geschehe durch die Ermittlung der „systematische[n] Struktur“ von Begriffen. Diese werde sodann in Relation zu der spezifisch zeitlich bedingten Verwendungsweise jener Begriffe gesetzt. Es gehe, so Schmitt, um den Nachweis zweier „geistige[r], aber substantielle[r] Identitäten“. Offenbar ist dem Autor klar, dass diese Vorgehensweise nicht unmittelbar evident ist:34 Es ist also nicht Soziologie des Souveränitätsbegriffes, wenn beispielsweise die Monarchie des 17. Jahrhunderts als das Reale bezeichnet wird, das sich im kartesianischen Gottesbegriff „spiegelte“. Wohl aber gehört es zur Soziologie des Souveränitätsbegriffes jener Epoche, zu zeigen, daß der historisch-politische Bestand der Monarchie der gesamten damaligen Bewußtseinslage der westeuropäischen Menschheit entsprach und die juristische Gestaltung der historisch-politischen Wirklichkeit einen Begriff finden konnte, dessen Struktur mit der Struktur metaphysischer Begriffe übereinstimmte. Dadurch erhielt die Monarchie für das Bewußtsein jener Zeit dieselbe Evidenz, wie für eine spätere Epoche die Demokratie. Voraussetzung dieser Art Soziologie juristischer Begriffe ist also radikale Begrifflichkeit, das heißt eine bis zum Metaphysischen und zum Theologischen weitergetriebene Konsequenz.35
Es gehe also um geschichtliche, ideelle Entsprechungen, die mehr sind als bloße Analogien. An dieser Stelle erwähnt Schmitt zum ersten Mal den Urheber der zugrunde liegenden These, Auguste Comte, nach dem „die Metaphysik der intensivste und klarste Ausdruck einer Epoche“ sei. Mit Blick auf das Problem der Souveränität fasst er zusammen: „Die Feststellung einer solchen Identität ist die Soziologie des Souveränitätsbegriffes“. Die „Politisierung theologischer Begriffe“ sei für das 17. und das 18. Jh. charakteristisch. Als Beispiel wird Rousseau genannt, dessen Souveränitätsbegriff eine Leihgabe aus dem Arsenal theo34 35
Schmitt, Politische Theologie, S. 48 ff. Ebd. S. 50.
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logischer Terminologie sei. Die enge Korrespondenz zwischen Theologie und Staatslehre sei auch der Grund dafür, warum Thomas Hobbes’ Leviathan trotz gegenläufiger Tendenzen personalistisch bleibe. Das epochenspezifische Bewusstsein von der Abhängigkeit staatsrechtlicher Konstrukte von theologischen Gedankenfiguren verschwinde erst durch den Siegeszug des, so Schmitt, naturwissenschaftlichen Denkens, das selbst den bereits durch den Deismus stark abgeschwächten Souverän der Staatslehre weiter zurückdränge und in letzter Konsequenz auf seine Abschaffung ziele. Schmitt kommentiert diese Entwicklung damit, dass die „Maschine“ (d.h. der Staat) jetzt „von selbst“ laufe. In einer neuartigen Wendung des Denkens werde nun, auch durch das Wirken Rousseaus, der Souverän mit dem Willen des Volkes identifiziert. Hierdurch verschwände endgültig jedes personalistische oder dezisionistische Bestandteil im Souveränitätsbegriff der Epoche.36 Im prägnanten Sinne könne jedoch nur im Falle einer Monarchie von einer „Einheit“ gesprochen werden, da die Einheit, die ein Volk begründen soll, als bloß „organische“ Einheit keinem dezisionistischen Prinzip folge. Der Verzicht auf den Dezisionismus kann analog der Entsprechungshypothese Schmitts so als fortschreitendes Verschwinden theistischer wie deistischer Metaphysiken gedeutet werden, die ehemals konstitutiv für die Staatslehre gewesen seien – „Heute dagegen kann ein bedeutender Staatsphilosoph wie Kelsen die Demokratie als den Ausdruck relativistischer, unpersönlicher Wissenschaftlichkeit auffassen. Das entspricht in der Tat der Entwicklung, die sich in der politischen Theologie und Metaphysik des 19. Jahrhunderts durchgesetzt hat“. Schmitt bringt den Unterschied zwischen Vorher (17/18. Jh.) und Nachher (19. Jh.) auf die Dichotomie von Transzendenz und Immanenz. Staatsrechtliche Neuheiten wie die Identifikation von Staat und Souveränität erscheinen so allesamt als Auswüchse der sich durchsetzenden Immanenzvorstellungen. Der von Schmit vorausgesetzte Zusammenhang zwischen Metaphysik und Politik ermöglicht den Schluss, die humanistische Kritik an der Religion sei die logische Konsequenz für die Feinde von „Herrschaft“ und „Einheit“, da diese geschichtlich mit dem Gottesglauben verwoben seien. Um das politische Übel auszumerzen, müsse also dessen Wurzel – in diesem Falle der Monotheismus – beseitigt werden. Als prominente Vertreter dieses neuartigen „Satanismus“ führt der Jurist die Anarchisten Proudhon und Bakunin an. Diese stünden zugleich für die „Masse der Gebildeten“, bei der sich ein „Immanenz-Pantheismus“ und eine „positivistische Gleichgültigkeit gegen jede Metaphysik“ durchsetzten. Indirekt weist Schmitt Hegel eine Teilschuld an dieser Entwicklung zu, wenn er seine „Immanenz-Philosophie“ wie einen weiteren billigen Zaubertrick vorstellt. Endlich seien es die Links-Hegelianer, bei denen diese Immanenzvorstellungen in der radikalen Ansicht mündeten, nach der „die Menschheit an die Stelle Gottes treten“ solle. Mit spürbarem Entsetzen führt 36
Schmitt, Politische Theologie, S. 51 f.
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Schmitt den Namen Engels an, welcher die Existenzberechtigung von Staat und Religion auf ein System der Angst vor sich selbst reduziere.37 Zusammenfassend beendet Schmitt sein drittes Kapitel mit der Feststellung, dass die Staatsrechtslehre des 19. Jh. im Wesentlichen zwei Neuerungen erbracht habe. Zum Einen handle es sich um den endgültigen Verzicht auf alle Transzendenzvorstellungen – an ihre Stelle tritt ein „Immanenz-Pantheismus“. Zum Anderen führe dieses Jahrhundert einen neuen Legitimitätsbegriff ein, der sich aus der geschichtlichen Ablehnung der „monarchistischen“ Legitimität speise. Diese werde nun durch den „demokratische[n] Legitimitätsgedanke[n]“ ersetzt (das Volk wird zum Souverän). Hieran anknüpfend formuliert Schmitt zum ersten Mal eine These, die zum Ende der Schrift in abgewandelter Form wiederholt werden wird: Das unausweichliche Resultat der dargestellten Entwicklung ist die Diktatur. Hierfür werden Cortés und Hobbes in den Zeugenstand gerufen. Während Erstgenannter die Diktatur schon als notwendige Folge des Verschwindens der traditionellen Legitimität betrachte, habe Letzterer im berühmten Ausspruch autoritas, non veritas facit legem die Erkenntnis zu kommunizieren versucht, nach der im konkreten Einzelfalle der politischen Praxis ein personalistisch-dezisionistisches Element unverzichtbar bleibt.38 Im letzten Kapitel der „Politischen Theologie“ vollzieht Schmitt erneut einen thematischen Wechsel. Nachdem im dritten Abschnitt die rein-wissenschaftliche Verhandlung staatsrechtlicher Entwürfe und des Souveränitätsbegriffes einer geschichtsphilosophischen Theorie theologischer Herkunft gewichen war, stehen jetzt aktuelle politisch-gesellschaftliche Fragen im Mittelpunkt der Erörterungen. Die vorangegangenen Argumente und Thesen müssen als Voraussetzung und Fundament der sich ihnen hier anschließenden Schlussfolgerungen betrachtet werden. Zunächst widmet sich Schmitt eingehender dem zeitgenössischen „Liberalismus“ oder dem, was er unter diesem Begriff verstanden wissen möchte. Denn Liberalismus bedeutet in den Augen des Juristen vor allem endlose „Diskussion“ und Entscheidungsunfähigkeit. Interessant ist, dass Schmitt diese Haltung indirekt in einen Zusammenhang mit der Romantik stellt: Das „ewige[n] Gespräch“ bei Novalis und Adam Müller sei als symptomatisch für eine ganze, epochenspezifische Geisteshaltung zu sehen, die den auf das Prinzip des Dezisionismus gegründeten Gegenentwürfen katholischer Denker wie Donoso Cortés nicht unversöhnlicher gegenüberstehen könne. Die Revolutionen von 1789 und 1848 haben, so Schmitt, die katholischen Denker zu der Deutung bewegt, nach der die unmittelbar bevorstehende geschichtliche Entwicklung eine radikale Entweder-Oder Entscheidung zwischen Katholizismus und (atheistischem) Sozialismus erzwingt.
37 38
Schmitt, Politische Theologie, S. 53 f. Ebd. S. 54 f.
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Dieser „Entscheidungskampf“ offenbare in seiner ganzen Reinheit die vollkommene Inkommensurabilität zwischen katholischen und sozialistischen Gesellschaftsmodellen. Schmitt deutet dem Leser erneut an, dass die Notwendigkeit zur Entscheidung eine Lösung verlangt, die „eher nach Diktatur klingt als nach einem ewigen Gespräch“. Er fügt diesem Einstieg in den letzten Teil der „Politischen Theologie“ einen Exkurs an, der sich kritisch mit dem Traditionalismus als eine mögliche Antwort auf den „aktivistischen Geist der Revolution“ beschäftigt. Die Lähmung tätigen Vernunftgebrauchs sowie moralische „Passivität“ seien der Preis, den der radikale Traditionalist zu zahlen habe – hinzu käme die theologische Widerlegung durch Lupus und Chastel. Dennoch findet Schmitt warme Worte für den „Begründer des Traditionalismus“, Bonald, den er mit Hegel, Schelling und Adam Müller kontrastiert. Das wesentliche Moment der Leistung Bonalds bestünde jedoch in der Explikation eines bestimmten Menschenbildes, dessen politische Schlussfolgerungen für Schmitt offenbar großes Gewicht besitzen.39 Ohne zunächst weiter auf das Thema von der Bedeutsamkeit anthropologischer Glaubenssätze einzugehen, richtet er den Blick auf de Maistre und dessen Kernlehre von dem inneren Zusammenhang zwischen Souveränität und (letztbegründender) Entscheidung. Das Wesen der Souveränität lasse sich anhand des modus operandi der Unfehlbarkeit identifizieren: Während jedoch de Maistre aufgrund seines negativen Menschenbildes im bloßen Vorhandensein einer Staatsgewalt bereits etwas intrinsisch Gutes erkennt, offenbare sich in der Schlussfolgerung der Anarchisten bei gleicher Beurteilung des Ist-Zustandes (die staatliche Gewalt agiert im Unfehlbarkeitsmodus) die größtmögliche weltanschauliche Kluft. Aus anarchistischer Sicht sei gerade aufgrund der „willkürlichen“ Unfehlbarkeitsdoktrin staatlicher Souveränitätsausübung der Staat als solcher abzulehnen. Der Grund hierfür liege in der positiven Anthropologie, die gleichermaßen Atheisten, Anarchisten und Sozialisten eigen sei (der Mensch ist von Natur aus gut). De Maistre hingegen optiere für eine letzte Instanz, die mit der nötigen Machtfülle ausgestattet ist, den rohen und schlechten Menschen vor sich selbst zu schützen – unter den Bedingungen einer bösartigen menschlichen Natur sei es „wichtiger [ist], daß entschieden werde, als wie entschieden wird“.40 39 Trotz der betont kritischen Distanz zu Bonald und zum Traditionalismus macht Schmitt transparent, dass er große Sympathien für verschiedene Inhalte der traditionalistischen Anschauung übrig hat. Insbesondere hebt er den Gedanken hervor, nach dem die Tradition die einzige adäquate Antwort auf das menschliche Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit und Orientierung im jeweils eigenen Lebensentwurf sei. Das unumgängliche Verlangen nach metaphysischen Interpretationsmustern sei nur durch das Werk, das die vorangegangenen Generationen geschaffen haben, in seinem ganzen Anspruch zu befriedigen. Diese Perspektive artikuliert ein tiefes Misstrauen gegenüber allen Formen moderner „Weltanschauungen“ und planerisch konstruierter Heilslehren. 40 Diese von Schmitt hier übernommene Sichtweise, nach der die Bestie im Menschen durch ein staatliches Gewaltmonopol gezähmt werden müsse, offenbart die große weltanschauliche Distanz zum von ihm verhassten Liberalismus. Aus liberaler Sicht wäre gerade die Einsetzung von wenigen Menschen in umfangreiche Machtpositionen,
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Schmitt zieht eine Parallele zwischen der ideengeschichtlichen Entwicklung der „Revolution“ zwischen 1789 und 1848 und der ihres politischen Feindes, der Gegenrevolution. Eine Verschärfung der revolutionären Forderungen auf der einen Seite hätte eine ebensolche Radikalisierung auf der anderen Seite zur Folge gehabt. Vor diesem Hintergrund sei die Differenz zwischen de Maistre und Donoso Cortés zu begreifen: Ersteren stellt Schmitt dem Leser als Denker der „Legitimität“ vor, Letzteren als Apologeten der Diktatur. Mit Blick auf den historischen Kontext widerstreitender Gesellschaftsentwürfe wiederholt der Jurist erneut eine Kernthese dieses letzten Kapitels der „Politischen Theologie“:41 Jede politische Idee nimmt irgendwie Stellung zur „Natur“ des Menschen und setzt voraus, daß er entweder „von Natur gut“ oder „von Natur böse“ ist. Mit pädagogischen oder ökonomischen Erklärungen kann man der Frage nur scheinbar ausweichen. Für den Rationalismus der Aufklärung war der Mensch von Natur dumm und roh, aber erziehbar. So rechtfertigte sich sein Ideal eines „legalen Despotismus“ aus pädagogischen Gründen: die ungebildete Menschheit wird erzogen von einem legislateur (der nach dem Contrat social Rousseaus imstande ist, „de changer la nature de l’homme“), oder die widerspenstige Natur wird bezwungen durch Fichtes „Zwingherrn“ und der Staat wird, wie Fichte mit naiver Brutalität sagt, eine „Bildungsfabrik“. Der marxistische Sozialismus hält die Frage nach der Natur des Menschen deshalb für nebensächlich und überflüssig, weil er glaubt, mit den ökonomischen und sozialen Bedingungen auch die Menschen zu ändern. Dagegen ist für die bewußt atheistischen Anarchisten der Mensch entschieden gut und alles Böse die Folge theologischen Denkens und seiner Derivate, zu denen alle Vorstellungen von Autorität, Staat und Obrigkeit gehören.42
Der französische Anarchist Proudhon und Cortés seien es, die den Gegensatz von positiver und negativer Anthropologie am eindrücklichsten verkörpern. Das Besondere an Cortés bestünde in seiner grenzenlosen Verschärfung der Kritik an der menschlichen Natur. Seine Misanthropie steigere sich auf ein Maß, das den Boden dogmatischer Kongruenz verlasse. In wohlwollenden Worten entschuldigt Schmitt die Ausbrüche des Politikers mit den außergewöhnlichen Umständen seiner Zeit: Ein Ausnahmegegner verlange Ausnahmereaktionen. Der Umfang dieser Passage im Text macht deutlich, dass es Schmitt bei der Rezension Cortés um eine wichtige Schlussfolgerung geht. Der Verdacht liegt nahe, dass er das Urteil des Spaniers im Wesentlichen teilt. Er fährt fort, immer wieder die Gedanken des „Staatsphilosophen“ wiedergebend:43 Seine Verachtung des Menschen kennt keine Grenzen mehr; ihr blinder Verstand, ihr schwächlicher Wille, der lächerliche Elan ihrer fleischlichen Begierden scheinen ihm so erbärmlich, daß alle Worte aller menschlichen Sprachen nicht ausreichen, um die für den Fall dass die menschliche Natur als korrupt betrachtet werden muss, ein verheerender Fehler. Schmitt, Politische Theologie, S. 59 ff. 41 Ebd. S. 61. 42 Ebd. S. 61. 43 Ebd. S. 62 f.
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ganze Niedrigkeit dieser Kreatur auszudrücken. Wäre Gott nicht Mensch geworden – das Reptil, das mein Fuß zertritt, wäre weniger verächtlich als ein Mensch; el reptil que piso con mis piés, seria á mis ojos menos despreciable que el hombre. Die Stupidität der Massen ist ihm ebenso erstaunlich wie die dumme Eitelkeit ihrer Führer. Sein Sündenbewußtsein ist universal, furchtbarer als das eines Puritaners. Kein russischer Anarchist hat seine Behauptung, „der Mensch ist gut“, mit solcher elementaren Überzeugung ausgesprochen, wie der spanische Katholik die Antwort: Woher weiß er, daß er gut ist, wenn Gott es ihm nicht gesagt hat?44
Die „blutige Entscheidungsschlacht“ zwischen Katholizismus und Sozialismus, die Schmitt heraufziehen sieht, finde ihren vollendeten Ausdruck in jenem Zeugnis von Cortés. Der Liberalismus stehe als entscheidungsunfähiger Unbeteiligter am Rande des Schauplatzes, der aus diesem Grunde zum Ort eines Duells werde.45 Aufgrund seines konsequenten Gewaltverzichts wird der Liberalismus für Schmitt zum Gegenstand unbegrenzter Verachtung. Sein Urteil kann direkt an Formulierungen von Cortés anknüpfen, der den gesellschaftlichen Träger des Liberalismus mit der „Bourgeoisie“ identifiziere und abwertend als clasa discutidora definiere.46 Anhand des Liberalismus wiederholt Schmitt erneut eine Kernthese seiner Schrift. Die liberale „Metaphysik“ eigne sich zur Veranschaulichung der These vom Zusammenhang zwischen der politischen und metaphysischen Ordnung einer Epoche. Denn die liberale Geisteshaltung korrespondiere im Metaphysischen mit dem Deismus. Beide zeichneten sich durch logische Inkonsistenz und politische Inkonsequenz aus: Gott wird nicht verneint, aber das Wunderwirken wird ihm abgesprochen. Der Monarch soll bleiben, aber darf keine letzte Entscheidungsgewalt haben. Während der Liberalismus die „Aristokratie des Blutes“ abschaffe, führe er zugleich die „Aristokratie des Geldes“ ein, für Schmitt die „dümmste und ordinärste Form der Aristokratie“.47 Schmitt zitiert u. a. Friedrich Julius Stahl, um seiner Kritik des liberalen Geistes eine Pointe zu geben: „der Haß gegen Königtum und Aristokratie treibt den liberalen Bourgeois nach links; die Angst um seinen durch radikale Demokratie und Sozialismus bedrohten Be44
Schmitt, Politische Theologie, S. 63. Die Dreiheit aus Liberalismus, Sozialismus und Katholizismus ist kennzeichnend für die „Politische Theologie“. 46 Schmitt, Politische Theologie, S. 63. 47 Das strikte Denken in traditionellen Legitimitätszusammenhängen macht eine Wertschätzung leistungsorientierter Durchlässigkeit von sozialen Ordnungen unmöglich. Schmitt betrachtet den erfolgreichen Unternehmer so, als gehöre er einer Dynastie an – als habe er ein Geburtsrecht auf materiellen Wohlstand. Dabei wird ausgeblendet, dass ein freier Markt jeden Teilnehmer umgehend straft, der nicht imstande ist, den vorausgegangenen ökonomischen Erfolg aufrecht zu erhalten. Im Feudalismus kann ein Mitglied der Adelsgesellschaft nicht tiefer fallen, als ein Roß hoch ist. Der Markt hingegen macht Gewinner und Verlierer – unabhängig von ihrer Herkunft. Während also Schmitts Bemerkung darauf abzielt, das marktwirtschaftliche Leistungsprinzip als Willkür zu diffamieren, ist genau das Gegenteil wahr. 45
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sitz treibt ihn wieder nach rechts zu einem mächtigen Königtum, dessen Militär ihn schützen kann; so schwankt er zwischen seinen beiden Feinden und möchte beide betrügen“.48 Die konsequente Verweigerung der liberalen Kräfte, sich im Krieg der Weltanschauungen für eine der beiden Parteien (autoritärer Katholizismus, Sozialismus) zu entscheiden, stellt für den Theoretiker der „anspruchsvollen moralischen Entscheidung“ den größten Skandal dar.49 Radikale Entweder-Oder Entscheidungen repräsentieren in Reinform das Wesen des Politischen. Eine Ablehnung dieser Entscheidung kann da nur wie ein Frontalangriff auf das Politische selbst erscheinen. Ähnlich entsetzt hätten auch die Denker der Gegenrevolution auf die liberale Antwort reagiert:50 Am entscheidenden Punkt die Entscheidung suspendieren, indem man leugnet, daß hier überhaupt etwas zu entscheiden sei, mußte ihnen als eine seltsame pantheistische Verwirrung erscheinen. Jener Liberalismus mit seinen Inkonsequenzen und Kompromissen lebt für Cortes nur in dem kurzen Interim, in dem es möglich ist, auf die Frage: Christus oder Barrabas, mit einem Vertagungsantrag oder der Einsetzung einer Untersuchungskommission zu antworten. Eine solche Haltung ist nicht zufällig, sondern in der liberalen Metaphysik begründet. Die Bourgeoisie ist die Klasse der Rede- und Preßfreiheit und kommt gerade zu diesen Freiheiten nicht aus irgendeinem beliebigen psychologischen und ökonomischen Zustand, aus handelsmäßigem Denken oder dergleichen. Man wußte längst, daß die Idee der liberalen Freiheitsrechte aus den nordamerikanischen Staaten stammt.51
Gemessen an der vermeintlichen Bedeutungslosigkeit liberaler Ideen räumt Schmitt dem Liberalismus einen erstaunlich großen Raum in seiner Schrift ein. Dessen politischer Endzweck sei es, dass „die menschliche Gesellschaft sich in einen ungeheuren Klub verwandelt“ – mit Bezug auf Cortés bemerkt Schmitt, dass dieses Vorgehen nur der maskierte Versuch sei, „die Verantwortung zu umgehen“. In letzter Konsequenz führe der Liberalismus durch die Technik der „Diskussion“ gar zu einer Neutralisierung der „metaphysische[n] Wahrheit“. Dis48 In der Darstellung Schmitts ist der Liberalismus handlungsunfähig, weil er sich nicht zwischen „links“ und „rechts“ entscheiden will, d.h. zwischen verschiedenen Angeboten obrigkeitlicher Planung. Aus liberaler Perspektive ist jedoch die Frage des (Privat-)Eigentums (und, damit zusammenhängend, der individuellen Freiheit) zentral. Gemessen an diesem Kriterium erscheinen traditionelle Aristokratie und revolutionärer Sozialismus bloß als zwei Varianten einer Enteignungsmechanik: Hier wird der Einzelne durch die Vorherrschaft einiger weniger Familien geknechtet. Dort ist er als Baustein eines kollektivistischen Zwangsapparates seiner bürgerlichen Freiheiten beraubt. Die Wahl zwischen absoluter Monarchie und (sozialistischer) Massendemokratie ist für den Liberalen die des geringsten Übels. 49 Der Ausdruck taucht zum einzigen Male auf S. 69 („Politische Theologie“) auf, ist aber dennoch ein bedeutsamer Schlüsselbegriff für Schmitts Bestimmung des Politischen. 50 Schmitt, Politische Theologie, S. 64 f. 51 Der verschwörerische Antiamerikanismus, der auch Schriften wie den „Nomos der Erde“ durchzieht, wird hier an prominenter Stelle eingeführt. Ob Schmitt tatsächlich an eine gewollte oder ungeplante, systematische Infiltrierung des europäischen Diskurses durch amerikanische Ideen geglaubt hat, ist unklar. Ebd. S. 66.
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kussion bedeute wesentlich Entscheidungsverweigerung. An dieser entscheidenden Textstelle beginnt Schmitt den folgenden Absatz mit einer neuen Begriffsbestimmung: „Diktatur ist der Gegensatz zu Diskussion“. Zuvor hatte der Jurist deutlich gemacht, wie groß seine Verachtung für die liberale Diskussionskultur ist. Entsprechend liegt es nahe, aus dieser Aussage eine Präferenz für die Diktatur zu lesen. Tatsächlich macht es Schmitt dem Leser aber nicht so einfach. An keiner einzigen Stelle im gesamten Text spricht sich Schmitt eindeutig für die Diktatur aus. Mit dem Verweis auf die Diktatur als Ende aller „Diskussion“ wechselt er die Szenerie und wendet sich dem Sozialismus, dem „Todfeind“ Cortés’ und seiner Positionen, zu. Von besonderer Bedeutung bei der Beschreibung dieses Todfeindes sind die beiden Zusätze „atheistisch“ und „anarchistisch“. Schmitt muss gewusst haben, dass der Sozialismus sowohl mit (staatsferner) religiöser Komponente als auch etatistisch auftreten kann. Die bewusste Verknüpfung dieser drei Elemente – Atheismus, Anarchismus, Sozialismus – repräsentiert für den katholischen Staatsrechtler das reine Böse, das größte denkbare Übel für die Menschheit. Schmitt stellt ebenfalls fest, dass „der Satanismus dieser Zeit [war doch] keine beiläufige Paradoxie, sondern ein starkes, intellektuelles Prinzip“ war.52 Er fügt die Beobachtung hinzu, nach der die Geburt dieses „Prinzips“ von Komplikationen begleitet wurde, die sich u. a. in der „Vertauschung der Rollen“ zwischen JHWE und dem Widersacher äußerten. Schmitt geht gar so weit, in einem beiläufigen Kommentar diesen „Satanismus“ als eigenständige Religion zu bezeichnen.53 Wenn heute Anarchisten in der auf väterlicher Gewalt und Monogamie beruhen den [sic!] Familie den eigentlichen Sündenzustand sehen und die Rückkehr zum Matriarchat, dem angeblichen paradiesischen Urzustande, predigen, so äußert sich darin ein stärkeres Bewußtsein der tiefsten Zusammenhänge als in jenem Lachen von Proudhon. Solche letzten Konsequenzen, wie die Auflösung der auf väterlicher Gewalt beruhenden Familie, hat Donoso immer im Auge, weil er sieht, daß mit dem Theologischen das Moralische, mit dem Moralischen die politische Idee verschwindet und jede moralische und politische Entscheidung paralysiert wird in einem paradiesischen Diesseits unmittelbaren, natürlichen Lebens und problemloser „Leib“haftigkeit.54
Schmitt setzt nun zu inhaltlich immer größeren Sprüngen an. Der dem Leser vorgestellte „Satanismus“, u. a. vertreten durch Bakunin, zeichne sich durch ei52 Die Verwendung der Vergangenheitsform im Original mutet aus heutiger Sicht geradezu hellseherisch an, da auch nach der Niederschrift der „Politischen Theologie“ alles, das mit dem Etikett „Satanismus“ versehen wurde, nicht einmal ansatzweise die theoretische Relevanz erreichte wie die politischen Gegner, derer sich Schmitt hier stellt. Die Gründung der „Church of Satan“ (1966) durch Anton Szandor LaVey wäre ihm wohl wie eine schlechte Parodie erschienen, sofern er sie gekannt hätte. Der Furor Baudelaires hatte sich in ein laues Lüftchen aus bescheidenem Hedonismus, „freier“ Liebe und maßloser Selbstgenügsamkeit verwandelt. Vgl. Metzger, S. 120 f. 53 Schmitt, Politische Theologie, S. 67 f. 54 Ebd. S. 68.
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nen „absoluten Naturalismus“ aus, welcher mit immenser Aggressivität das Politische bekämpfe und damit auf eine vollständige Neutralisierung aller gesellschaftlich tradierten Normen und deren Moral zulaufe. Dieser Satanismus gebe sich in unterschiedlichen Erscheinungsformen zu erkennen und formiere eine breite Allianz aus Helfern und Vollstreckern dieses diabolischen Unternehmens, das in seiner weltgeschichtlichen Relevanz einzigartig sei:55 Heute ist nichts moderner als der Kampf gegen das Politische. Amerikanische Finanzleute, industrielle Techniker, marxistische Sozialisten und anarcho-syndikalistische Revolutionäre vereinigen sich in der Forderung, daß die unsachliche Herrschaft der Politik über die Sachlichkeit des wirtschaftlichen Lebens beseitigt werden müsse. Es soll nur noch organisatorisch-technische und ökonomisch-soziologische Aufgaben, aber keine politischen Probleme mehr geben.56
Sowohl „ewiges Gespräch“ als auch die Auflösung des Politischen im Ökonomischen verhinderten die Notwendigkeit der „anspruchsvolle[n] moralische[n] Entscheidung“ – das Gegenmodell hierzu werde durch die Köpfe der Gegenrevolution artikuliert, für die das dezisionistische Element alles entscheidend sei. Schmitt erkennt eine logische Konsequenz in der Radikalisierung bei Cortés, die als Reaktion auf das Verschwinden aller Könige die Diktatur fordere. Er räumt ein, dass diese Diktatur keinerlei Verhältnis zur Legitimität unterhält. Doch im Kampf mit dem „radikal Bösen gibt es nur eine Diktatur“, und in einem solchen Ausnahmezustand habe das Prinzip der Legitimität seine Legitimität verloren (Schmitt: „leere Rechthaberei“). In Essenz gehe es bei dem Kampf der Weltanschauungen um die Entscheidung zwischen „Autorität und Anarchie“. Die Ursache für den Konflikt liege ultimativ im metaphysisch begründeten Menschenbild der konkurrierenden Parteien, was zur Annahme zu zwingen scheint, dass jede politische Entscheidung ihre Wurzel in theologisch-metaphysischen Überzeugungen findet. Analog zur vorausgeschickten Beobachtung über die logischen Schwächen des frühen „Satanismus“ schließt Schmitt seine Schrift mit einer Spitze gegen Bakunin, welche zugleich sein Verdikt über die durch ihn vertretene Geisteshaltung wiederholt:57 und bei dem größten Anarchisten des 19. Jahrhunderts, Bakunin, ergibt sich die seltsame Paradoxie, daß er theoretisch der Theologe des Anti-Theologischen und in der Praxis der Diktator einer Anti-Diktatur werden mußte.58
Der „Satanismus“ läuft also durch seine radikal ablehnende Haltung gegenüber der Tradition zwangsläufig in unlösbare Selbstwidersprüche, die zur Karikatur werden müssen.
55 56 57 58
Schmitt, Politische Theologie, S. 68. Ebd. S. 68. Ebd. S. 69 f. Ebd. S. 70.
II. Die Kritik durch Erik Peterson
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II. Die Kritik durch Erik Peterson 1. Der Monotheismus als „politisches Problem“ Erik Peterson, ein zum Katholizismus konvertierter Theologe, veröffentlicht 1935 eine Schrift mit dem Titel „Der Monotheismus als politisches Problem. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Theologie im Imperium Romanum“.59 Mit Carl Schmitt verband ihn eine enge Freundschaft. Der Text bildet gewissermaßen das Bindeglied zwischen der „Politischen Theologie“ und der „Politischen Theologie II“, da er sowohl eine Antwort auf die Schrift Schmitts von 1922 beinhaltet, als auch (vordergründiger) Anlass für die Veröffentlichung der „Politischen Theologie II“ viele Jahre später ist. Da ich weder Theologe bin, noch mich mit theologischen Detailfragen auseinandersetzen möchte, soll dieses Kapitel nur insofern den Inhalt der Arbeit Petersons wiedergeben, als es für die Vorbereitung der sich anschließenden Betrachtung der „Politischen Theologie II“ erforderlich ist. Peterson beginnt seine Ausführungen mit dem 12. Buch der Metaphysik des Aristoteles, die er dem Leser als dessen „Theologie“ vorstellt. In Abgrenzung zum „metaphysischen Pluralismus“ Speusipps sowie dem Dualismus Platons entwickle der Philosoph einen monarchistischen Begriff für (göttliche) Herrschaft, welcher allerdings noch nicht mit dem Namen Monarchie versehen werde: Inhalt ist der Zusammenfall von Gewalt (des „Einen Prinzips“, mia arche) und einem alleinigen Besitzer (archon) dieser Gewalt. Peterson wendet sich hierauf der Rezeption dieser Passagen im Werk des Aristoteles zum Beginn der christlichen Zeitrechnung zu. Von besonderem Interesse ist ihm die Ps.-Aristotelische „Schrift von der Welt“. Vor dem Hintergrund des Streites mit konkurrierenden Welterklärungsmodellen, allen voran die Stoa, stelle sie zur Exemplifizierung des göttlichen Wirkens den Vergleich zu den Großkönigen Persiens in den Mittelpunkt der Erläuterungen. Durch diese Analogie werde die Idee kommuniziert, nach der Gott nicht identisch mit der den Kosmos durchwirkenden „Macht“, sondern deren unsichtbare Voraussetzung ist. In diesem Zusammenhang lässt Peterson den Spruch „Le roi règne, mais il ne gouverne pas“ fallen, den Schmitt später aufgreifen wird. Der wesentliche Unterschied zur Aristotelischen Theologie bestünde in der Unsichtbarmachung Gottes, welcher jetzt, so Peterson, „wie der Spieler eines Marionettentheaters“ erscheine. Der Theologe verbindet diese Differenz, ähnlich wie Schmitt, mit den veränderten politischen Bedingungen der 59 Innerhalb der sich mit der politischen Theologie beschäftigenden Literatur sind zwei Schreibweisen im Umlauf: „politische Theologie“ und „Politische Theologie“. Im Falle Schmitts wird damit seit 1970 zwischen einem deskriptiven und einem selbstreferentiellem Gebrauch differenziert, wobei letztere Variante die eigene Position kennzeichnet. Diese Arbeit verzichtet bewusst auf jene Unterscheidung, da sich die Untersuchung auf Schmitt unter den politischen Theologen konzentriert. Wo abweichende Begriffe von politischer Theologie verwendet werden, wird dies im Kontext verdeutlicht. Vgl. Spindler, S. 219 (Fußnote).
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B. Politische Theologie
betreffenden Epoche. Doch während Schmitt die Abhängigkeit der politischen Ordnung von den allgemeinen metaphysischen Überzeugungen postuliert, spricht sich Peterson für das gegenläufige Dependenzverhältnis aus, nämlich dass „die letzte Formulierung der Einheit eines metaphysischen Weltbildes von der Entscheidung für eine der politischen Einheits-Möglichkeiten immer mit- und vorbestimmt ist“. In jedem Falle werde spätestens mit der „Schrift von der Welt“ das Problem der Bestimmung von potestas und auctoritas in der kosmisch-göttlichen Ordnung virulent.60 Den ersten Gebrauch des Wortes „Monarchie“ findet Peterson beim Theologen Philo, der ihn für die Darstellung des jüdischen Monotheismus, auch im Hinblick auf die Bildung von Proselyten, verwende. Diese göttliche Monarchie bezeichne entlang der Parallelisierung zur weltlich-politischen Ordnung die jüdische Vorstellung von dem Wirken Gottes: Ein Volk untersteht der Herrschaft eines Gottes. Da sich jedoch die Gewalt Gottes auf das Ganze des Kosmos erstreckt, resultiere die Amalgamierung von politischem Denken und metaphysischer Spekulation in einem unausweichlichen Schluss: „Die politisch-theologischen Folgen dieser Umbildung des jüdischen Monotheismus in eine kosmische ,Monarchie‘ liegen auf der Hand, machen sie doch notwendigerweise das jüdische Volk zum Priester für ,das gesamte Menschengeschlecht‘“. Philo, der nach Peterson eigentlich ein Demokrat sei, sehe sich durch den jüdischen Monotheismus dazu gezwungen, von einer Monarchie Gottes zu sprechen – im Unterschied zu bspw. einer göttlichen Demokratie. So verschmelzen Monarchiebegriff und jüdischpolitische Losungen im Wettstreit der Weltanschauungen.61 Laut Peterson werde der Begriff der göttlichen Monarchie nach Philo erst wieder bei den „christlichen Apologeten“ auffindbar, zuerst bei Justin. Der Theologe leitet daraus den allgemeinen Gebrauch des Begriffes bei den frühen Christen ab, vornehmlich als Kernbestandteil des Taufunterrichtes, wodurch sich der Schluss auf eine jüdisch-christliche Kontinuität des Konzeptes aufdränge. Mit Hinweis auf verschiedene Quellen kommt Peterson zu dem Ergebnis,62 daß die christliche Propagandaliteratur, ähnlich wie die jüdische, den politisch-theologischen Begriff der göttlichen Monarchie dazu benutzt, um die Überlegenheit des 60 Peterson, S. 13–21. Die Platonische Dichotomie führe zu einer Negation weltlicher Herrschaft: „Wird dagegen die Unterscheidung der Macht [dýnamiò] von der Gewalt [rxÞ] Gottes im Sinne des Platonischen Dualismus durchgeführt, dann wird nicht nur die Kategorie des Königs [basileýò] der des Weltschöpfers [dhmiourgüò] entgegengestellt, wie es uns von Numenius her bekannt ist, sondern dann wird auch aus dem Satz, daß Gott als König herrscht, aber nicht regiert, die gnostische Schlußfolgerung gezogen, daß die Herrschaft Gottes zwar gut, aber die Regierung des Demiurgen, resp. der demiurgischen „Kräfte“ – die dann gewöhnlich unter der Kategorie von Beamten gesehen werden – schlecht ist, daß mit anderen Worten die Regierung immer unrecht hat.“ 61 Ebd. S. 22–30. 62 Ebd. S. 31–37.
II. Die Kritik durch Erik Peterson
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in der Ekklesia Christi zusammentretenden „Volkes Gottes“ gegenüber dem polytheistischen Glauben „der Völker“ [æqnh, Heiden] zu begründen.63
Im Folgenden springt Peterson zum Streit zwischen Tertullian (Christ) und Praxeas (Heide). Praxeas habe als Erster in polemischer Absicht den Begriff der göttlichen Monarchie auf das Vater-Sohn-Verhältnis angewandt. Tertullian beantworte den Angriff mit einer „staatsrechtliche[n] Konstruktion“: Aufgaben und Positionen innerhalb einer hierarchisch-monarchistischen Ordnung würden nicht die Einheit von herrschaftlicher Gewalt und ihrem Inhaber auflösen. Die Neuerung in den Schriften Tertullians bestünde in der Neuinterpretation des VaterSohn-Verhältnisses „vom römischen Doppelprinzipat aus“. Insgesamt erscheint Tertullian bei Peterson in einem negativen Licht – der Theologe deutet das u. a. durch den Hinweis auf das Argumentationsmaterial des Karthagers an, welches auch zur Begründung des Polytheismus verwendet worden sei. Das ihm zugrunde liegende Bild vom höchsten Gott, der viele „kleine Götter“ als Statthalter und Beamte unter sich hat, lässt Peterson ein zweites Mal den französischen Ausspruch hervorholen: Le roi règne, mais il ne gouverne pas. Als Einwand gegen das Heidentum hätten die Christen bereits seit längerer Zeit die Forderung formuliert, nach der es zu unterlassen sei, die Bediensteten Gottes statt Gott selbst zu verehren. Celsus sei die erste geistreiche Antwort auf den christlichen Vorbehalt eingefallen: Die Statthalter Gottes können den Menschen unmittelbar Schaden verursachen, Gott jedoch nicht (weshalb es also ratsam sei, dem Hofstaat Gottes die Ehren zu erweisen).64 Peterson fährt fort mit der Ausbreitung des heidnisch-christlichen Streites über die rechte, politisch-theologische Verknüpfung von religiös ausgedeutetem Kosmos und staatsrechtlicher Verfasstheit. Dem Philosophen Porphyrius rechnet er die Argumentation zu, nach der Gott nur über gleichartige Wesen herrschen könne (laut Peterson ein Argument für die anthropomorphe Göttervielheit der Heiden). Damit sei der Polytheismus „als logische Konsequenz“ legitimiert. Makarius Magnes habe dem entgegnet, dass die Herrschaft seines Gottes von der irdischen Herrschaft von Menschen über Menschen substantiell verschieden sei. Peterson hält fest, dass alle Versuche (stellvertretend stehen Praxeas und Tertullian) der Harmonisierung von Trinitätsdogma und göttlicher Monarchie ins Leere laufen mussten. In der historischen Folgezeit sei es jedoch ohne staatsrechtliche Überführung des christlichen Glaubensbekenntnisses gelungen, eine Verbindung zwischen Trinitätsdogma und Monarchiebegriff herzustellen. Dass die Gedankenfigur der göttlichen Monarchie in jedem Falle einen unmittelbar politischen Charakter hatte, versucht Peterson anhand des Fallbeispieles des Celsus zu belegen. Dieser sehe in der Forderung nach der exklusiven Verehrung eines einzigen Gottes einen Aufruf zur Revolte gegen die bestehende politische Ordnung. Das 63 64
Peterson, S. 37. Ebd. S. 38–51.
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B. Politische Theologie
staatsfeindliche Verhalten der Christen entspreche einer „Abkapselung“ von der übrigen Menschheit: Die Christenheit postuliert eine eigene, höhere (weil göttliche) gesetzliche Ordnung und unterläuft dadurch das geforderte Treuebekenntnis zur bestehenden weltlichen Macht und ihrer Institutionen. Als solcher offenbare sich der neue Glaube nicht nur als radikaler Traditionsbruch im Metaphysischen, sondern auch als Ausdruck einer unversöhnlichen Feindschaft gegenüber dem herrschenden politischen System. Peterson gibt die Sichtweise des Celsus folgendermaßen wieder:65 Wer also die nationalen Kulte zerstört, der zerstört damit letzthin auch die nationalen Besonderheiten, und der greift zugleich das Imperium Romanum an, in dem für die nationalen Kulte wie für die nationalen Besonderheiten Platz ist.66
Celsus kenne zwar auch einen „höchsten Gott“. Dieser walte jedoch nicht in den „Herzen“ der Menschen, in welchen nur Raum für die nationalen Gottheiten sei. In Petersons Darstellung greift Celsus in erster Linie aus politischen Erwägungen heraus das Christentum an: In ihm sehe er eine Art „zweites Judentum“, d.h. den Garanten für den Untergang des Imperiums, sollte es den neuen Glauben institutionalisieren. Entsprechend betrachte Celsus den metaphysischen Pluralismus als Voraussetzung für die Stabilität einer Großordnung wie die des Reiches. Die Vorstellung, alle Völker der Erde unter ein Gesetz zwingen zu können, halte der Heide für utopisch. Ohne dem ein stichhaltiges Gegenargument anzuschließen, marginalisiert Peterson die Skepsis des Celsus als „aller Begründung überhobene, ,heidnische‘ Überzeugung“. Kontrastierend führt Peterson Origenes in seine Darstellung ein, der den Argumenten des Celsus mit einer Ausdeutung der christlichen Eschatologie begegnet sei. Origenes, durch den polemischen Celsus zur politisch-theologischen Betätigung genötigt, habe die Pax Augusta als Teil der Heilslehre propagiert. In einer Nebenbemerkung fügt Peterson dem das Beispiel des Christen Hippolytos hinzu, der in Opposition zu Origenes starke Vorbehalte gegen die Instrumentalisierung des christlichen Glaubens in politischer Absicht (hier: Zusammenfall von Christi Geburt und Augusteischer Friede) äußere.67 Mit diesen Erläuterungen hat Peterson die Vorarbeit geleistet, um das Augenmerk auf den Origenes-Schüler und Bischof Eusebius von Caesarea lenken zu können.68 Die für Peterson verwerfliche Verbindung von historisch-politischen Ereignissen mit Inhalten der christlichen (Heils-)Lehre finde bei Eusebius ihren Höhe65
Peterson, S. 52–60. Ebd. S. 61. 67 Peterson erkennt ausdrücklich das „Mißtrauen gegen einen Weltstaat“ als legitime christliche Position an. In diesem Punkte stimmt er mit Schmitt überein, der im Kommunismus als Projekt der Errichtung eines (gottlosen) „Weltreiches“ ebenfalls ein zu bekämpfendes Übel sieht. Ähnlich wie Schmitt bringt auch der Theologe diesen Vorgang in einen Zusammenhang mit dem Auftauchen des Antichrist. Ebd. S. 70. 68 Ebd. S. 62–70. 66
II. Die Kritik durch Erik Peterson
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punkt, welcher die Ideen des Origenes aufgreife und sie in eine breite Geschichtsdeutung mit politischen Implikationen transformiere. Auch der Bischof stelle das Ende der nationalen Partikularismen durch Augustus in einen Zusammenhang mit dem Auftauchen des Gottessohnes, und mache den Gedanken zum Fixpunkt seiner politisch-theologischen Theorie. Peterson betont die Neuheit der Rede von den „Polis-Abergläubigen“, ein Kampfbegriff, der die Anhänger der traditionellen politisch-religiösen Ordnung treffen soll. Nach Eusebius sei die klassische Polis untrennbar mit dem Polytheismus verknüpft, da ihre politische Gesinnung pluralistisch ist. In der totalitären Einebnung der partikularen Differenzen liege der Weg zur Beendigung aller Kriege.69 Peterson tadelt wortreich den Kirchenvater und postuliert dessen „besonderes Interesse“ an dem Erhalt der römischen Herrschaft. Eusebius wird als „Rhetor“, Propagandist und gewissenloser Opportunist machiavellischer Färbung dargestellt. Zuletzt macht Peterson jedoch das Heidentum (in Gestalt des Celsus) dafür verantwortlich, dass diese „christliche[n] Ideologie“ entstehen konnte. Nach einem Exkurs über die mannigfaltige Rezeption des Gedankengebäudes Eusebs rückt der Theologe den Kirchenvater indirekt, aber unzweideutig in eine Nähe zum häretischen Arianismus: „In diesen Ausführungen, die völlig die Gedankengänge des Euseb wiedergeben, kommt der letzte politische Sinn des Arianismus unverhüllt zum Ausdruck“. Die Idee der göttlichen Monarchie war über die Jahrhunderte hinweg zu einem unverzichtbaren Bestandteil der politisch-theologischen Ordnung bestimmter Interessensgruppen geworden, so dass vom Trinitätsdogma ausgehende Zweifel an der Richtigkeit des Konzeptes Verunsicherungen auslösten: „Die orthodoxe Trinitätslehre bedrohte in der Tat die politische Theologie des Imperium Romanum“.70 Um seine aufgrund der Komplexität des Gegenstandes scheinbar nicht enden wollenden Ausführungen zu einem Abschluss zu bringen, schneidet Peterson die Diskussion mit einem Urteil des Gregor von Nazianz ab. Der Kirchenlehrer habe die letztgültige, einzig wahre Antwort auf das ausgebreitete Problem christlichpolitischer Theologie gegeben: Die Begriffe von Anarchie und Polyarchie seien unangemessen, um das Wirken Gottes zu beschreiben. Nur der Monarchiebegriff sei adäquat, jedoch mit der Einschränkung, dass es sich bei dieser Herrschaft nicht um die einer Person handelt, sondern um die eines trinitarischen Gottes. Diese göttliche Einheit könne unter keinen Umständen eine weltliche Entsprechung finden. Und Peterson fügt hinzu: „Mit diesen Ausführungen ist der Monotheismus als politisches Problem theologisch erledigt“. In der Zusammenfassung des Theologen stellt sich der beschriebene Sachverhalt wie folgt dar:71
69 70 71
Peterson, S. 71–75 Ebd. S. 76–96. Ebd. S. 97.
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B. Politische Theologie Der Monotheismus als politisches Problem war aus der hellenistischen Umbildung des jüdischen Gottesglaubens hervorgegangen. Indem der Gott der Juden mit dem monarchischen Prinzip der griechischen Philosophie verschmolzen wurde, erhielt der Begriff der göttlichen Monarchie zunächst die Funktion einer politisch-theologischen Propagandaformel für die Juden. Dieser politisch-theologische Propagandabegriff wird von der Kirche bei ihrer Ausbreitung im Römischen Reiche übernommen. Er stößt dann auf einen Begriff der politischen Theologie der Heiden, wonach der göttliche Monarch wohl herrschen, aber die nationalen Götter regieren müssen. Um dieser heidnischen, auf das Imperium Romanum zugeschnittenen Theologie entgegentreten zu können, wurde nun von christlicher Seite behauptet, die nationalen Götter könnten gar nicht regieren, da durch das Imperium Romanum der nationale Pluralismus aufgehoben worden sei. In diesem Sinne wurde die Pax Augusta dann als die Erfüllung der alttestamentlichen eschatologischen Weissagungen gedeutet. Doch die Lehre von der göttlichen Monarchie mußte am trinitarischen Dogma und die Interpretation der Pax Augusta an der christlichen Eschatologie scheitern.72
III. Politische Theologie II 1. Ausgangslage und Anliegen Schmitts Unter dem Titel „Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie“ veröffentlicht Schmitt 1970 seine Antwort auf den Text Petersons, welcher nach seinem Bekunden ein großes Echo in der Literatur der Zeit zwischen 1935 und 1969 gefunden habe. Petersons Schlussthese, nach der jede Form politischer Theologie „erledigt“ sei, habe sich in eine „Legende“ verwandelt. Die Allgegenwärtigkeit dieser Legende resultiere darin, dass zahlreiche Autoren es vorzögen, bloß noch jene Schlussthese zu zitieren, ohne das dazugehörige Werk oder die Arbeit Schmitts zu lesen, die nach Peterson ebenfalls unter dessen vernichtendes Urteil falle. So habe die Bemühung Petersons den Status einer „res judicata“ erlangen können, gegen die der Jurist Einspruch erhebt. In einer gesonderten Passage stellt Schmitt die Auswirkungen der Erledigung Petersons auf den Wissenschaftsbetrieb vor. Er unterscheidet hierbei drei Interpretationsmuster, die der Rezeption seiner Abhandlung zugrunde lägen. Als Fallbeispiele werden Hans Maier, Ernst Feil und Ernst Topitsch angeführt.73 Maier habe die Schlussthese Petersons unverändert übernommen. Feil schränke das Urteil Petersons ein und halte es nur im Falle der Theologie der Gegenrevolution für maßgeblich. Topitsch erkenne die mangelnde inhaltliche Stringenz der Arbeit Petersons, verzichte jedoch auf eine Kritik und erweitere das Anliegen des Theologen um eine breitere, religionswissenschaftliche Perspektive. Schmitts Darstellung lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass es sich bei all diesen Wieder72 73
Peterson, S. 98 f. Schmitt, Politische Theologie II, S. 26 ff.
III. Politische Theologie II
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verwertungen um politische Stellungnahmen, nicht aber um neutrale Bestandsaufnahmen handle. Alle genannten Autoren stehen politisch konträr zu den Positionen des Plettenbergers. Offenbar reagiert Schmitt erst nach fünfunddreißig Jahren in verschriftlichter Form dezidiert auf die Angriffe Petersons. Nach eigenem Bekenntnis haben ihn auch die Anmerkungen Hans Barions zu diesem Entschluss bewegt.74 Jener spreche von einem „Parther-Pfeil“, den der Theologe verschossen habe.75 Schmitt sieht sich genötigt, diesen Pfeil „aus der Wunde zu ziehen“.76 Die „kathartische Operation“ sei jedoch nur ein Anfang, gleichwohl die Fortsetzung der Schrift von 1922. Der genaue Anlass für die Niederschrift ist unklar, und der Eindruck drängt sich auf, dass die „Politische Theologie II“ einer zyklischen Selbstvergewisserung näher kommt, als einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einer bestimmten Hypothese. 2. Die Antwort an Peterson „Der Monotheismus als politisches Problem“ verhandelt die ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung im Hinblick auf die frühkirchliche Geschichte und die ihr inhärenten dogmatischen Weichenstellungen, welche u. a. auf Konzilen wie dem Ersten Konzil von Nicäa (325) gesetzt wurden. Hierbei ist insbesondere 74 Die „Politische Theologie II“ war ursprünglich als Beitrag zur „Eunomia“-Freundesgabe für Hans Barion gedacht. Der Theologe, den ein freundschaftliches Verhältnis mit Schmitt verband, ist in seiner eigenen Auseinandersetzung mit den Thesen Schmitts ein möglicher Gegenstand einer selbständigen Arbeit. Barions Positionen unterscheiden sich mitunter erheblich von denen des Staatsrechtlers. Während die Kritik an Petersons Erledigungsschrift beide vereint, scheiden sich ihre Wege bei der Frage nach dem Verhältnis zwischen Profanem und Sakralem. Nach Barion sei die Andeutung Schmitts unzutreffend, die Kirche sei aus sich selbst heraus „politisch“. Politische Theologie sei stets „Nichttheologie“, da sie zwar eine geschichtliche Tatsache, jedoch keine theologische Möglichkeit sei. Barion, der wesentlich von „Römischer Katholizismus und politische Form“ (1923) ausgehe, sehe nach Wolfgang Spindler im Zweiten Vatikanischen Konzil einen geeigneten Anwendungsfall der Thesen Schmitts. So sei die hier auftauchende geschichtsphilosophische Deutung der Rolle der Kirche (als ästhetisch-juridisch-politisch souveräne weltgeschichtliche Erscheinung) durch die Beschlüsse des Vaticanum II „entleert“ worden (Barion verwendet den Ausdruck „Humanistisches Appeasement“). Die Vermengung von Profanem und Sakralem sei abzulehnen. In diesem Sinne steht Barion konträr sowohl zu Schmitt als auch zu den Inhalten des Vaticanum II, indem er die Vollendung der Trennung beider Sphären einfordert. Schmitt hingegen repräsentiere einen anderen Teil der abendländisch-theologischen Ideengeschichte, insofern er der politischen Theologie eine konstitutive Bedeutung für die Kirche zuspreche. Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 253 f. Vgl. auch Spindler, S. 219–242. 75 Die Wendung Schmitts spielt auf die langjährige Feindschaft zwischen dem Römischen Reich und dem Parthischen Reich an. Die Parther sind skythischen Ursprunges, die territorialen Grenzen ihrer Eroberungen umfassten zeitweise Teile der arabischen Halbinsel sowie Mesopotamiens. In der Geschichtsschreibung werden beide Reiche häufig als kulturelle Antithesen wahrgenommen. 76 Schmitt, Politische Theologie II, S. 10.
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B. Politische Theologie
die Rolle des Bischofs und Konzilteilnehmers Eusebius von Caesarea ein thematischer Höhepunkt – der Geistliche erscheint als Prototyp eines politisch-theologischen Byzantinismus in einem schlechten Licht. Die hundertseitige Abhandlung präsentiert dem Leser zunächst eine Fülle sachbezogener Gegenstände und Themen, worauf im Anschluss die Schlussthese als Folgerung aus dem vorangestellten Material formuliert wird. Der erste und wichtigste Kritikpunkt Schmitts bezieht sich auf das logische Verhältnis zwischen Quellmaterial und Schlussthese. So sei die Exposition Petersons, d.h. die frühchristlichen Jahrhunderte und deren theologisch-dogmatische Paradigmenwechsel, in keinster Weise dazu geeignet, die anspruchsvolle Schlussfolgerung, nach der jede Form politischer Theologie erledigt sei, überzeugend zu begründen. In der Darstellung Schmitts macht der Theologe folgende Annahmen, um sich im Ergebnis seiner vorausgehenden Überzeugung, nach der es im Christentum keine politische Theologie gebe, gewiss sein zu können:77 Zunächst wird die dogmatisch begründete Unmöglichkeit der Legitimierung einer politischen Alleinherrschaft behauptet. Der Grund hierfür liege im Trinitätsdogma. Damit ist eine politisch-theologisch-trinitarische Monarchie ausgeschlossen. Dem fügt Peterson die Behauptung hinzu, nach der Juden und Heiden keine Theologie haben.78 Erstere betrieben bloß Exegese, während sich Heiden auf Mythologie und Metaphysik beschränkten. Bereits hier wird erkennbar, warum Petersons pauschale „Erledigung“ aller politischen Theologie nicht überzeugt: Die Herrschaft eines Einzelnen ist im Hinblick auf den politischen Aspekt der politischen Theologie nur eine Variante unter vielen. Schmitt behandelt diesen Mangel inhaltlicher Stringenz besonders wortreich. Neben dem obligatorischen Verweis auf die Möglichkeiten demokratischer und aristokratischer politischer Theologie folgt ein Exkurs über die Mehrdeutigkeit des Begriffes „Monarchie“, welcher nicht nur im numerischen Sinne („Einheit der Zahl“) Gebrauch fände.79 Kernstück der Schrift Petersons sei die unter dem Schlagwort „göttliche Monarchie“ diskutierte „hellenistische Umbildung des jüdischen Gottesglaubens“, die 77 Tatsächlich liegen die Dinge weniger offen dar. Wie Schmitt selbst konkludiert, kann Peterson in seiner Schrift gar nicht alle Formen politischer Theologie ausgeschlossen haben. Zunächst hat es jedoch den Anschein, als ob der Theologe genau dies tue. 78 Allerdings spricht Peterson im Zuammenhang mit Juden und Heiden von politischer Theologie. Wer politische Theologie betreibt, muss also im Auge Petersons noch nicht zur Theologie „fähig“ sein. Der Begriff rangiert bei dem Katholiken zwischen dem Status einer groben Verunglimpfung und der Beschreibung eines religionsgeschichtlich-politischen Phänomens. 79 Schmitt unterscheidet ausgehend vom griechischen Ursprung des Wortes zwischen monÜò („Einheit“) und dem Aristotelischen mia arche¯ („das Eine Prinzip“). Origenes und andere haben, so Schmitt, von der „Göttlichen Monàs“, nicht jedoch von der Göttlichen Monarchie gesprochen. Das mia arche¯ enthalte eine Denkfigur, die Peterson mit seiner Argumentation gar nicht „erledigen“ könne, da sie über die numerische Einheit der Zahl hinausgehe. Allerdings weist auch Peterson in seiner Schrift auf diese Mehrdeutigkeiten hin. Schmitt, Politische Theologie II, S. 47.
III. Politische Theologie II
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von den frühen Christen übernommen worden sei.80 Hierbei handelt es sich um Einheitskonstruktionen theologischer Provenienz in politischer Absicht, etwa durch die Herstellung einer Analogie zwischen dem menschlichen Alleinherrscher auf Erden und dem einen Gott im Himmel, der so als göttlicher „Monarch“ erscheint.81 Solche Beispiele politisch-theologischer Aktivität strafe der Theologe mit dem Ausdruck „Monarchianismus“ und gestehe ihnen weder zu, authentische Theologie zu sein, noch einen christlichen Ursprung zu haben.82 Alle Erscheinungen politischer Theologie im Christentum gehen somit auf den Einfluss jüdischen oder heidnischen Denkens zurück. Schmitt führt diesen Gedankengang Petersons zu seinem Ende, wenn er ironisch bemerkt, dass Origenes folgerichtig zum Opfer des Celsus wurde, wenn dieser ihn zu politisch-theologischen Erwägungen nötigte.83 In einem eigentümlichen Exkurs spricht Schmitt über den „interessantesten Beitrag, den Peterson [. . .] zur Politischen Theologie beigesteuert hat“. Es handle sich dabei um die französische Formel le roi règne, mais il ne gouverne pas. Sie sei „zentral“ für die Argumentation Petersons, auch wenn sie im Text nur beiläufig Erwähnung fände.84 Ihr Inhalt stelle eine Referenz zur Philosophie des Aristoteles sowie dem jüdisch-heidnischen Hellenismus her. Eigentlich sei die Formel ein „Schlager der liberalen Bourgeoisie“ (als Forderung nach einer parlamentarischen Monarchie) im 19. Jahrhundert gewesen. Jedoch gehe sie auf eine lateinische Urform, rex regnat sed non gubernat, zurück, die u. a. gegen König Sigismund III. gerichtet worden sei. Bei Peterson werde sie als „SchlüsselFormel“ der „Aristotelischen Theologie“ (Jaeger) vorgestellt. Offenbar erkennt Schmitt in dieser Vorgehensweise ein gemeinsames Geschichtsbild mit dem Theologen, wenn dieser eine solche „Rück-Übertragung“ als Substanzidentifikation vorschlägt. Jedenfalls sei das le roi règne ein Fall politischer Theologie: Der allmächtige, höchste Gott wird als unsichtbarer Strippenzieher im Hintergrund vorgestellt, während den weltlichen Machthabern („Göttern“) die Rolle der Repräsentanten bzw. Staatenlenker zukommt. Diese Gedankenfigur finde ihre Entsprechung in der staatsrechtlichen Ordnung einer parlamentarisch gelenkten Monarchie. Interessanterweise schränkt Schmitt den Geltungsanspruch dieser Parallelisierung bei Peterson ein, obgleich diese seinen eigenen Thesen nicht fremd ist: Es sei „grotesk“, jemanden wie Louis Philipp mit „persischen Groß-
80
Schmitt, Politische Theologie II, S. 37. Den Begriff der Theologie verwende ich auch im Zusammenhang mit jüdisch-politischen Konstruktionen. Peterson hätte dies aus genannten Gründen sicher nicht getan. Die „göttliche Monarchie“, als Idee dem alexandrinischen Judentum entsprungen, ist für Peterson bloß „Propaganda“. Peterson, S. 36 f. 82 Ebd. S. 43. 83 Schmitt, Politische Theologie II, S. 54. 84 In „Der Monotheismus als politisches Problem“ erscheint diese Formel an zwei Stellen. In der mir vorliegenden Ausgabe sind es die Seiten 19 und 49. 81
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B. Politische Theologie
königen“ in einem Atemzug zu nennen. Schmitt erteilt dem Theologen Lektionen in politischer Theologie: „Einen Roi-Bourgeois wie Louis Philipp in solche Sphären zu versetzen, ist kennzeichnend für Petersons Vorstellungen von Politischer Theologie“.85 Das in der Schlussthese Petersons enthaltene Urteil soll alle denkbaren Formen politischer Theologie betreffen. Zugleich wird in einer Fußnote die Schrift Schmitts von 1922 explizit diesen Formen zugerechnet.86 Der Aussage des Juristen nach handle es sich jedoch bei dem Text nicht um einen Fall von politischer Theologie. Er enthalte stattdessen „Fragen der Begriffs- und Problemgeschichte“ und sei als solcher eine rein wissenschaftlich-rechtstheoretische Anstrengung.87 Entsprechend versuche Peterson, mit theologischen Argumenten eine nicht-theologische Arbeit zu widerlegen, wodurch die Stoßrichtung seiner Kritik vollkommen ihr Ziel verfehle. Worum es Schmitt eigentlich gehe, nennt dieser die „Strukturidentität der Begriffe theologischer und juristischer Argumentationen und Erkenntnisse“.88 Er reduziert die Argumentation Petersons auf drei Thesen, von denen er zwei für wissenschaftlich verhandelbar, eine jedoch für problematisch hält. Dass die göttliche Monarchie (im christlichen Kontext) durch das trinitarische Dogma, und die Pax Augusta als Teil der Heilslehre durch die christliche Eschatologie „erledigt“ sind, wird akzeptiert. Ebenfalls unbedenklich sei die Behauptung Petersons, nach der es politische Theologie nur im Judentum und Heidentum geben könne.89 Als strittig erachtet Schmitt die These, nach der politische Probleme theologisch „erledigt“ werden können. Der zentrale Satz Petersons, um den es dabei geht, lautet: Mit diesen Ausführungen ist der Monotheismus als politisches Problem theologisch erledigt.90
Schmitt spekuliert laut über die mögliche Absicht eines Häresieurteils auf Seiten des Theologen, welches dann in schroffem Kontrast zu der wissenschaftlichen
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Schmitt, Politische Theologie II, S. 42 ff. Es handelt sich um die letzte Fußnote des Textes. Im Wortlaut: „Der Begriff der „politischen Theologie“ ist m. W. von Carl Schmitt, Politische Theologie, München 1922 in die Literatur eingeführt worden. Seine damaligen kurzen Ausführungen waren nicht systematisch gehalten. Wir haben hier den Versuch gemacht, an einem konkreten Beispiel die theologische Unmöglichkeit einer „politischen Theologie“ zu erweisen.“ Peterson, S. 158. 87 Schmitt, Politische Theologie II, S. 15. 88 Ebd. S. 19. 89 Schmitt scheint hier den engeren Begriff von politischer Theologie vorauszusetzen, so wie ihn Peterson gebraucht. Er hebt die Verwendung von Anführungszeichen im Originaltext hervor und betont seine Distanz zu der Sichtweise des Theologen. Ebd. S. 75. 90 Peterson, S. 97. 86
III. Politische Theologie II
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Argumentation stünde.91 Er schlägt dem Leser zwei Deutungen der These Petersons vor, die die einzig möglichen seien. Entweder handle es sich bei dem angeführten Zitat um eine Nichtzuständigkeitserklärung, d.h. dass politische Probleme grundsätzlich kein Gegenstand für Theologen sind. Oder es werde, im Gegenteil, eine Zuständigkeit der Theologie für politische Fragen behauptet. Während Schmitt zu Beginn seines Textes noch Unschlüssigkeit in der Beantwortung dieser Frage suggeriert, scheint er sich gegen Ende der Abhandlung für letztere Deutung zu entscheiden: Nach Peterson könne die Theologie politische Fragen theologisch „erledigen“. Für diesen Fall postuliert Schmitt die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Überprüfung der Thesen Petersons. Eine solche Überprüfung setze jedoch „strukturell-kongruente Grundbegriffe“ bei der Theologie und den übrigen Wissenschaften voraus.92 Für den Fall einer Zuständigkeitserklärung behauptet er einen „Kompetenzstreit“ zwischen Theologie und Rechtswissenschaft, der – ohne Konkordat – nur durch eine Beantwortung des Quis judicabit? (wer entscheidet, was weltlich und was geistlich ist) oder einer endgültigen Trennung der Parteien gelöst werden könne (Cuius regio eius religio).93 Die vorletzte Seite der Schrift Petersons wiederholt in leicht modifizierter Weise die Schlussthese: Damit ist nicht nur theologisch der Monotheismus als politisches Problem erledigt und der christliche Glaube aus der Verkettung mit dem Imperium Romanum befreit worden, sondern auch grundsätzlich der Bruch mit jeder „politischen Theologie“ vollzogen, die die christliche Verkündigung zur Rechtfertigung einer politischen Situation mißbraucht.94
Die wesentliche Neuerung im Vergleich zur vorherigen Formulierung besteht im Gebrauch des Begriffes des Missbrauchs. Schmitt bemerkt, dass dieser ein Hinweis darauf sein könnte, dass Peterson gemerkt habe, dass er mit den vorangegangenen Argumenten nicht jede Form politischer Theologie „erledigen“ kann. Wichtiger jedoch sei die Frage, wer im Einzelfall zu entscheiden habe, wann ein Missbrauch der christlichen Lehre vorliegt. Peterson beantworte diese Frage implizit: „anscheinend soll das hier der Theologe sein“.95 Vor dem Hintergrund der Argumente Petersons erscheint die Festlegung willkürlich, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass Theologen ebenso politisch handeln wie alle anderen Akteure. Nach Schmitt unterstelle die bekannt gewordene Schlussthese eine Dichotomie aus Theologie und Politik. Diese Sichtweise könne nicht überzeugen, da hier zwei grundlegend verschiedene Kategorien so gegenübergestellt werden, als wür91
Schmitt, Politische Theologie II, S. 76. Ebd. S. 76. 93 Ebd. S. 83. 94 Peterson, S. 99. Die Schmitt-Fußnote im Originaltext folgt hier auf die Rede von der „Verkettung“ mit dem Römischen Reich. 95 Schmitt, Politische Theologie II, S. 75. 92
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den sie sich innerhalb derselben Klasse von Gegenständen befinden. Der adäquate Gegenbegriff zur Theologie sei die Rechtswissenschaft. Die Schrift von 1922 habe den Versuch unternommen, die „Leistung von säkularer Bedeutung“ beider Wissenschaften zum Ausdruck zu bringen.96 Der Jurist betont ausgiebig seine Wertschätzung für die Theologie und deren vermeintliche „Struktur-Verwandtschaft“ zu den Rechtswissenschaften: Die wissenschaftliche Begriffsbildung dieser beiden Fakultäten hat vergleichbare und transponierbare Begriffe und gemeinsame systematische Begriffsfelder geschaffen, zwischen denen sogar enharmonische Verwechslungen zulässig und sinnvoll werden. Das ist nur eine Frage der Temperierung der Instrumente. Politisch ist – in diesem Zusammenhang – der Legist, als Stand einer konkreten Ordnung, die zum Staat gehört; theologisch ist hier der Kanonist, der als Kleriker in der konkreten Ordnung Kirche steht.97
Nach Schmitt habe auch Peterson die Bedeutung dieser Beobachtung anerkannt, sich jedoch 1935 nicht mehr dazu geäußert.98 Die Petersonsche Antithese aus Theologie und Politik erscheine als Teil einer Immunisierungsstrategie. Das Postulat eines von aller Weltlichkeit befreiten, reinen Christentums, das niemals in den Verdacht geraten kann, politisch zu werden, erhebt den Theologen in den Stand eines richtenden Dritten, der, da nicht kontaminiert durch die unreinen Einflüsse politischen Denkens, das letzte Wort in Angelegenheiten der Beziehung von Politik und Theologie zu sprechen berechtigt ist. Wie absurd diese Behauptung ist, skizziert Schmitt in verschiedenen Bemerkungen. Unter Bezugnahme auf Carl Eschweiler merkt er in einer Fußnote an, dass das Römische Reich wohl kaum über zweihundert Jahre lang gegen eine abstrakt-apolitische Frömmigkeit angekämpft habe. Schon die frühen Christen hätten um selbstbestimmte politische Räume gerungen.99 Das Postulat, nach dem der politische Monotheismus theologisch erledigt sei, mache nur dann Sinn, wenn man „Politik“ durch „Rechtswissenschaft“ ersetze.100 Eine Reformulierung könnte dann etwa folgendermaßen lauten: Theologisch ist der juridifizierte Monotheismus erledigt. Dieser Vorschlag erscheint sinnvoll. Die absolute Trennung von Theologie und Politik werde hingegen bereits durch den von Peterson selbst angeführten Fall des Ersten Konzils von Nicäa unglaubwürdig, in dem Schmitt ein Musterbeispiel für die untrennbare Vermischung der beiden Sphären erkennt.101 In diesem Zusammenhang 96
Schmitt, Politische Theologie II, S. 79. Ebd. S. 79 f. 98 Ebd. S. 80 f. 99 Ebd. S. 25. 100 Die Bemerkung ist im Text recht unklar und erschließt sich erst aus der Hinzunahme von Schmitts Ausführungen über Tertullian. Die juristische Argumentation zur Legitimierung einer theologisch begründeten Monarchie kann von Seiten der Theologie mit Verweis auf das Trinitätsdogma abgewehrt werden. Ebd. S. 82. 101 Schmitt: „Selbst der Weg in die Wüste [. . .] kann [. . .] zu einer politischen Demonstration werden.“ Ebd. S. 57. 97
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spricht er von der „Ubiquität“ des Politischen und gebraucht damit einen Begriff, der in der Theologie häufig Verwendung findet.102 Das zweite Kapitel des Buches enthält die wahrscheinlich aufschlussreichste Stelle für das Verständnis von Schmitts Verwendung des Begriffes der politischen Theologie.103 Zunächst kommt Schmitt auf Terentius Varro zu sprechen, dessen theologia politica durch die Überlieferungen Augustinus erhalten ist. Varro unterscheidet drei Formen von Theologie, von denen eine, die „politische“ Theologie, der Polis zugeordnet wird. Schmitt identifiziert sie als Bestandteil dessen, was er unter Nomos fasst, d.h. die räumlich wie vor-rechtlich bestimmte Verfasstheit einer Gesellschaftsordnung als Schicksalsgemeinschaft. Sie begründe die [. . .] Öffentlichkeit durch Götterkult, Opferkult und Zeremonien. Sie gehört zur politischen Identität und Kontinuität eines Volkes, dem die Religion der Väter, die gesetzlichen Feiertage und das deum colere kata ta nomina wesentlich ist, um Erbe, legitime Sukzession und sich selbst zu identifizieren.104
Die große theoretische Distanz zu Peterson ist leicht ersichtlich. Während der Theologe einen innerkirchlichen Monolog über die Möglichkeiten eines politischen Christentums führt, beansprucht die „Politische Theologie“ Schmitts Gültigkeit für alle menschlichen Zivilisationen. Aus diesem Grunde ist die Argumentation abstrakter als die theologisch-dogmatischen Erwägungen Petersons. Es gebe so viele politische Theologien, wie verschiedene Politiken mit verschiedenen Religionen kombiniert werden können, weshalb es sich um einen „polymorphe[n] Bereich“ handle.105 Die Nennung des Nomos in dieser Abhandlung schlägt eine Brücke zum „Nomos der Erde“ von 1950. Darin breitet Schmitt ausführlich aus, was er unter diesem Begriff verstanden wissen möchte. Auch hier wird ersichtlich, dass das Anliegen Schmitts weit über bloße theologische Partikularprobleme hinausgeht. In dem besagten Buch, dessen Niederschrift im Dunkeln liegt, bestimmt Schmitt den Nomos als Resultat einer ersten, rechtsbegründenden Landnahme, die alle weiteren Formen politischer Ordnung konstituiert. Hinter den mythischen Gründungsakt der Landnahme kann nicht zurückgegangen werden. Alle weiteren Fragen der Legitimierung rechtlicher Bindungen zerschellen an der initialen Aufteilung einer gegebenen Fläche bewohnbaren Landes durch die Hände derer, die es zuerst als das ihre identifizieren und benennen. Sowohl der eigentümliche Inhalt der Schrift Petersons als auch ihre bemerkenswerte Wirkung auf den Wissenschaftsbetrieb und deren Vertreter geben An102 Die für Schmitt typische Vermischung von Politischem und Theologischem ist zugleich ein Verweis auf die Freund-Feind-Unterscheidung, die als Wille und Werk Gottes gar keine, wie von Peterson unterbreitete, saubere Trennung der beiden Bereiche dulden kann. Schmitt, Politische Theologie II, S. 58. 103 Ebd. S. 40 f. 104 Ebd. S. 40. 105 Ebd. S. 41.
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lass zu Mutmaßungen über die unausgesprochene Intention und weitere Bedeutung der Abhandlung. Wahrscheinlich scheint es, dass Schmitt seine Antwort von 1970 nie verfasst hätte, wenn er nicht in ihr einen Angriff gegen die eigene Person erkennen konnte. So überrascht es nicht, dass die „Politische Theologie II“ in keinem Kapitel auslässt, Hinweise auf die persönlichen Motive Petersons zu streuen, oder die Diffamierungen Eusebs in den Zusammenhang einer Metakritik an christlicher Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Regime zu stellen. Mit dem Bischof Eusebius von Caesarea geht Peterson besonders hart ins Gericht. Er gilt ihm nicht nur als Beispiel eines politischen Theologen, sondern auch als Vertreter eines gewissenlosen, opportunen Byzantinismus, seine Positionen als Inbegriff eines unheilvollen Cäsaropapismus, welcher mehr als diabolischer Gegenspieler des Christentums erscheint, denn als innerkirchliche Verirrung. Das Niederschreiben des Kirchenvaters hat allerdings Geschichte, und Peterson ist nicht der Erste, der Eusebius in dieser Weise angreift. Schmitt führt die Fortsetzung der Eusebius-Destruktion auf den Theologen Overbeck zurück, von dem die unschmeichelhafte Bezeichnung des „Friseurs an der theologischen Perücke des Kaisers“ stamme.106 Der Jurist hingegen hat wohlmeinende Worte für den Bischof übrig, auch wenn er ihm explizit keine Verteidigung angedeihen lassen will.107 So handle es sich bei Eusebius um einen Kämpfer für „Frieden und Ordnung“ in einer Zeit, in der „Tumultuanten“ im Kontext des Ersten Konzils von Nicäa das gesellschaftliche Gefüge instabil werden lassen.108 Verräterisch sei, so Schmitt, dass Petersons Kritik an Eusebius nichts als dessen eschatologisch-heilsgeschichtliche Ausdeutungen historischer Ereignisse anführen könne, d.h. einen Punkt, der im Zusammenhang mit der in der Abhandlung von 1935 verhandelten Themen keinerlei Gewicht hat. Weder das Trinitätsdogma noch die göttliche Monarchie sind für Peterson ausreichend, um die moralische Vernichtung des Bischofs zu legitimieren. Auch die Tatsache politisch-theologischer Aktivität sei bei ihm nicht das entscheidende Moment der Kritik, da Peterson die politische Theologie offenbar grundsätzlich akzeptiert, so lange deren Inhalte dogmatisch „unbedenklich“ sind. Schmitt zieht folgerichtig den Schluss, dass das Urteil Petersons über Eusebius von Caesarea diesem auf den Leib geschrieben ist.109 Die „Politische Theologie II“ macht bereits früh im Text die Einschätzung bekannt, nach der die Schlussthese Petersons in einem größeren Zusammenhang mit den geschichtlich-politisch-gesellschaftlichen Ereignissen der Gegenwart gesehen werden müsse. So popularisiere Peterson seine Entgegensetzung von Poli106
Schmitt, Politische Theologie II, S. 17. Ebd. S. 54 f. 108 Ebd. S. 20. 109 „Man müßte wohl schon Konzilteilnehmer auf der falschen Seite sein, wie der unselige Bischof Eusebius von Caesarea, um dem Modellfall nahezukommen.“ Ebd. S. 63. 107
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tik und Theologie nicht zufällig in einer Phase der Geschichte, in der sich das Christentum durch den Nationalsozialismus vor große Herausforderungen gestellt sieht. Die lange Zeit als gültig erachtete Illusion, nach der eine strikte Trennung von geistlich und weltlich möglich sei, werde endgültig durch die Entwicklungen der dreißiger Jahre zerstört. Auch der Protestantismus leide unter den politischen Umwälzungen, da etwa das Fehlen eines Reichskonkordats die Glaubensgemeinschaft in ein qualitativ schlechteres Verhältnis zum Staat rücke. Petersons Wiederholung der Augustinischen Zwei-Reiche-Lehre könne jedoch nichts an dem Umstand ändern, dass das Politische nicht mehr „vom Staate her“ gedacht werden kann. Für seine These greift Schmitt zwei prägnante Beispiele heraus: Zum Einen den Marxismus, der eine revolutionäre „Klasse“ als politisches Subjekt einführt und in Opposition zum Staat definiert. Zum Anderen den Protestantismus, der als Folge des Verlustes des staatlichen Monopols auf das Politische selbst zu einer politischen Partei wird. So werde die Freund-Feind-Diskriminierung zum einzig legitimen Kriterium für das Politische, d.h. der „Intensitätsgrad einer Assoziation oder einer Dissoziation“.110 Vor diesem Hintergrund müsse die Schrift Petersons als politische Einschaltung und theologische Lösung eines gesellschaftlichen Problems betrachtet werden. Wir haben es hier mit einer politischen Antwort auf eine politische Frage zu tun, die sich in den Jahren 1925–1935 aus der Krise der protestantischen Theologie ergeben hatte. Peterson glaubte, der Krise durch die Rückkehr zu einem problemlosen Dogmatismus entgangen zu sein und die krisenfeste Reinheit des rein Theologischen zurückgefunden zu haben.111
Wenn Peterson Eusebius von Caesarea attackiert, greift er zugleich die Verschmelzung von christlicher und nationalsozialistischer Politik an. Als Exponent eines klischeehaften Cäsaropapismus ist der Bischof genau die richtige Person, um auf eine für den interessierten Leser unmissverständliche Weise die Anbiederung von Christen an das herrschende politische System zu symbolisieren. Die unschwere Ausdeutung der nur halbherzig versteckten Kritik trägt dazu bei, dass die Schrift von 1935 breite Zustimmung findet. Nach Schmitt erkläre sich hieraus der immense Zuspruch zu der ansonsten argumentativ wenig überzeugenden Schlussthese Petersons. Erst die Verfremdung des aktuellen Feindes von 1935 durch die historische Figur des berüchtigten Cäsaropapisten Eusebius war allgemein überzeugend; nicht nur für christliche Gegner jedes staatlichen Absolutismus und jedes nationalen oder völkischen Totalitarismus; mit ihr konnte auch jeder Liberale, Antiklerikale und schließlich jeder klassisch gebildete Humanist ohne weiteres einverstanden sein.112 110 Schmitt, Politische Theologie II, S. 20 ff. Diesen Begriff des Politischen hat Schmitt nach Wolfgang Spindler vom Spanier Álamos de Barrientos übernommen. Spindler, S. 232. 111 Schmitt, Politische Theologie II, S. 67. 112 Ebd. S. 67 f.
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Die Vermutung, dass mit diesem Angriff auf Eusebius neben den „Deutschen Christen“ und ähnlichen Gruppen auch Schmitt persönlich getroffen werden soll, liegt nahe. Dass der Jurist ebenfalls in diese Richtung dachte, unterstützen Anmerkungen wie die folgende. Was für den Menschen vergangener Zeiten undurchdringliche, dunkle Zukunft war, kann der Späterlebende als eine völlig durchsichtige geschichtliche Entwicklung behandeln und sich dabei über die „Zukunftsblindheit“ der früher lebenden Menschen wundern. Die Zukunft von morgen ist, wie Julien Freund treffend sagt, nur die Vergangenheit von übermorgen. Imaginäre Retrospektiven sind kein Boden für theologische Argumente.113
Vordergründig wird hier die Verwendung der Worte Augustinus’ gegen Eusebius durch Peterson thematisiert. Tatsächlich fügt sich die Ausdrucksweise des Autors ebenso widerspruchsfrei in den Kontext eigener biographischer Umbrüche ein. 3. Das Nachwort Während die Auseinandersetzung mit Petersons Schrift eine unerzwungen-ausführliche Widerlegung des Theologen ist, schlägt das Nachwort zur „Politischen Theologie II“ andere Töne an. Nach der gründlichen, vierundachtzigseitigen Dekonstruktion des Textes von 1935 möchte Schmitt hier erstmalig dezidiert auf sein durch Peterson ignoriertes Anliegen der Abhandlung von 1922 zu sprechen kommen. Nachdem sich der Theologe im Verlauf der Schrift als untauglicher Gesprächspartner erwiesen hat, kommt Schmitt unvermittelt auf die „Legitimität der Neuzeit“ von Hans Blumenberg zu sprechen. Dessen Buch verwendet er zur Kontrastierung der eigenen Positionen mit solchen, für die das Werk des Philosophen exemplarisch stehen soll. Wie schon im Falle Petersons spart der Autor nicht mit unverhohlener Geringschätzung: Dieses Buch setzt die Nicht-Absolutheit absolut und unternimmt eine wissenschaftliche Negierung jeder Politischen Theologie im Sinne eines Wissenschaftsbegriffes, der keinerlei Weiterwirkungen oder Umbesetzungen aus der Heilslehre einer sich absolut setzenden Religion gelten läßt.114
Der Widerstreit zwischen den Auffassungen Schmitts und Blumenbergs entzündet sich wesentlich an der Entscheidungsfrage, ob es sich bei bestimmten geschichtlichen Phänomenen um Säkularisationserscheinungen handelt, oder nicht. Blumenberg geht, im Unterschied zu Schmitt, von Analogieverhältnissen aus, die über ihre historische Abkunft hinaus keinerlei weiterreichende Schlüsse zulassen. Schmitt negiert diese These, indem er unter Verwendung des Begriffes einer „Struktur-Identität“ die Auffassung vertritt, nach der die Neuzeit als Ganzes ihre wesentlichen, d.h. rechtstheoretisch-politisch-ideengeschichtlichen Impulse der 113 114
Schmitt, Politische Theologie II, S. 71. Ebd. S. 85.
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christlichen Theologie verdanke. Hierbei geht es nicht um die Vorstellung einer bloßen Kontinuität oder Abfolge von Ereignissen. Nach Schmitt befinde sich die Neuzeit in einer substantiellen, ideellen Abhängigkeit von den ihr vorausgehenden, christlich geprägten Epochen der abendländischen Geschichte.115 Blumenberg hingegen betont die Neuheit und Eigenständigkeit der Neuzeit als Emanzipation und Loslösung von den Mängeln vergangener Jahrhunderte, ohne dabei zu der Karikatur zu werden, die Schmitt sichtlich bemüht ist, aus ihm zu machen. Hinsichtlich der „Struktur-Identität“ äußert sich der Jurist leider nur selten, und dann zumeist ohne die wünschenswerte Klarheit der Argumentation. In mindestens sieben Passagen kommentiert Schmitt jene Gedankenfigur, die scheinbar einen kanonisch-legistischen Dualismus in der europäischen Geschichte voraussetzt.116 Die Gegenüberstellung von Kleriker und Legist steht für das von Schmitt veranschlagte „Stellengefüge des ,occidentalen Rationalismus‘“ aus Kirche und Staat als zweier Größen, die eine historisch bedingte, strukturelle Verwandtschaft zueinander aufwiesen.117 Aus diesem Gegenüber zweier indirekt miteinander konkurrierender, einander ähnelnder Disziplinen folge im Speziellen ein Kompetenzstreit, der das Potenzial einer kriegerischen Auseinandersetzung in sich berge. Ohne eine Konkordatslösung sei der Konflikt nur über gravierende politische Richtungsentscheidungen beizulegen.118 Im bereits genannten „Nomos der Erde“ stellt Schmitt ausführlich seine geschichtliche Deutung der Genese der modernen Rechtswissenschaften vor. Für ihn ist es die Theologie, die die Schwesterdisziplin gebiert. Verkürzend ausgedrückt könnte man mit Schmitt die Behauptung aufstellen, dass es ohne die Kirche keine moderne europäische Rechtswissenschaft gegeben hätte. Vor diesem Hintergrund leitet er die „Struktur-Verwandtschaft“ der beiden Wissenschaften ab, und aus diesem Grunde befinde sich die moderne Rechtstheorie in einer Abhängigkeit von der Theologie. In welcher Art und Weise diese Abhängigkeit gedacht wird oder werden sollte, ist ein zentraler Streitpunkt in der Auseinandersetzung Schmitts mit Blumenberg, zumal sich beide Autoren stillschweigend darüber einig zu sein scheinen, dass von der Stellung und Bedeutung des modernen Rechts wenn nicht alles, so doch vieles in Bezug auf das „Projekt“ der Moderne abhängt. 115 Was sich Schmitt im Einzelnen hierunter vorstellt, wird nur an einer einzigen Stelle im gesamten Text erfahrbar. Sie ist zugleich der einzige Beleg dafür, dass sich Schmitt im Besitz einer „eigenen“ politischen Theologie wähnte. Hier spricht der Jurist explizit von „seiner“ politischen Theologie. Als Beispiel für die ideengeschichtlichen Abhängigkeiten, um die es geht, nennt er die Hegung des europäischen Staatenkrieges im jus publicum Europaeum als Resultat ursprünglich theologisch-kirchenrechtlicher Erwägungen. Schmitt, Politische Theologie II, S. 86. 116 Bei diesen Passagen handelt es sich um die Seiten 19, 77, 78, 79, 79 (Fußnote), 83 und 86. 117 Schmitt, Politische Theologie II, S. 86. 118 Raumhafte Trennung oder Beantwortung des Quis judicabit. Ebd. S. 83.
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Schmitt kritisiert Blumenberg für die Verwendung des Begriffes der Legitimität, der im Zusammenhang mit der Neuzeit inadäquat sei. Von Legitimität könne im prägnanten Sinne nur vor dem Hintergrund einer Abkunft aus der Tradition her gesprochen werden. Die Neuzeit aber, so Schmitt, begründe sich nach Blumenberg aus sich selbst heraus, ohne Rückbezug auf ein Vorheriges. Er unterbreitet Blumenberg daher den Vorschlag, stattdessen von der Legalität der Neuzeit zu sprechen. Dieser Begriff entspreche besser ihrer „betont rationale[n] und ,gesetzmäßige[n]‘ “ Verteidigung. Allerdings sei auch er historisch vorbelastet.119 Der Modus der Gesetzmäßigkeit sei die einzig mögliche Option zur Begründung der Neuzeit, da der Begriff der Legitimität durch den postulierten radikalen Bruch mit dem Vergangenen keinen Sinn mehr ergebe. Dieser „würde eine ganze Konterbande alter Begriffe und Umbesetzungen mit sich führen und könnte Tradition, Erbe, Vaterschaft und die Nekromantik des Alten decken“.120 Blumenberg, als Fürsprecher einer selbständigen Neuzeit, stehe symptomatisch für eine Argumentation, der ein „Autismus“ eigen sei. Sie ziele auf die „Selbstermächtigung des Menschen“, die „rechtfertigungsunbedürftig“ sein müsse, um eine radikale Neuheit behaupten zu können. Ihre „Immanenz“ richte sich polemisch gegen den transzendentalen Charakter der Theologie. Dieser Neuheit sei eine „Aggressivität“ inhärent, die sich aus der Notwendigkeit der Übertönung der ihr eigenen „inneren Aporien des Widerspruchs von Planung und Neuheit“ ergeben. Schmitt denkt laut über den Begriff tolma (tolma: Kühnheit, Mut, Freude) nach, mit dem die Bemühungen um eine eigenmächtige Neuzeit zutreffend beschrieben werden könnten.121 Während Schmitt im Nachwort der „Politischen Theologie II“ über die Betonung der „Struktur-Verwandtschaft“ seine Kritik gegenüber Blumenberg schärft, beginnt dieser seine „Legitimität der Neuzeit“ mit einem verwandten Problem, um in den geführten Diskurs um die Bedeutung der Neuzeit einzusteigen. Dem Philosophen geht es zunächst um das „Säkularisationstheorem“, d.h. die Vorstellung von der „Umbesetzung“ ehemals theologisch-religiöser Inhalte in „säkularisierte“, weltliche Ideen und Konstrukte. Blumenberg hat richtig gesehen, dass das Säkularisationstheorem unausgesprochen eine immense theoretische Bedeu119 Schmitt: „Leider lastet aber gerade auf dem Gesetzesbegriff eine ganz besonders tragische Hypothek uralter theologischer und metaphysischer Antithesen, die infolge eines modern-wissenschaftlichen „Natur-Gesetzes“ nur noch undurchdringlicher zu werden scheint, weil das Recht im Sinne von Freiheit dem Gesetz als Mittel des Zwanges entgegensteht“. Schmitt, Politische Theologie II, S. 87. 120 Ebd. S. 87. 121 Ebd. S. 89. Die hier von Schmitt vorgetragene Kritik verhält sich analog zu seiner Ablehnung der positivistischen Staatsrechtslehre von 1922, für die der Name Kelsen exemplarisch steht. Es geht hier um den Vorgang einer zirkulären Selbstbehauptung, die aufgrund ihres radikalen Bruches mit der Tradition nicht anders kann, als sich in einem gewaltsamen Akt der Selbst-Setzung zu artikulieren. In ihr erkennt Schmitt einen Anwendungsfall politischer Theologie. Vgl. Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 109.
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tung für die Thesen Schmitts besitzt. Entsprechend verlagert er seine Kritik auf den Begriff der Säkularisation. Im Folgenden werde ich die wichtigsten Argumente und Thesen des Philosophen wiedergeben, so wie sie sich im ersten Teil seiner Schrift (S. 11–134) wiederfinden.122 Zunächst gehe der Gedankenfigur der Säkularisation die Disjunktion aus „Weltlichkeit“ und „Unweltlichkeit“ voraus. Das Beklagen eines Verlustes von Unweltlichkeit sei jedoch nur ein Allgemeinplatz, der alles Beliebige als Folge der Säkularisation ausweisen könne. Es handle sich um eine rein deskriptive, nicht um eine „erklärende“ Behauptung.123 Aus Blumenbergs Sicht ist die Rede vom Säkularisationstheorem lediglich das Symptom eines angestrengten Selbsterhaltungsprozesses. Er enthalte einen heilsgeschichtlich relevanten, theoretischen Zusatz, welcher ihn vor der Gefahr einer Integrationsunfähigkeit in das bereits bestehende Weltbild bewahrt (der Verlust der Unweltlichkeit werde dann als „Reinigungsprozeß“ interpretiert). Dass eine verstehende Einsicht in den Vorgang der Verweltlichung unmöglich ist, widerspreche nicht dem Säkularisationstheorem, sondern ist ihm konstitutiver Bestandteil.124 Auf diese Weise wird Nichtwissen zur Tugend erklärt. Entscheidend aber für das Konzept der Verweltlichung ist die Tatsache, dass es sich bei ihm um eine weitaus stärkere Behauptung handelt, als jene, die Historiker aufstellen, wenn sie historische Prozesse als das Ergebnis eines bestimmten Ablaufes von Ereignissen auffassen. Wenn Säkularisation einen Vorgang beschreiben soll, der mehr impliziert als das bloße Ursache-Wirkung-Prinzip geschichtswissenschaftlicher Perspektive, so scheint es nach Blumenberg als unausweichlich, dass sich in die Theorie Aspekte einschleichen müssen, die nicht mehr wissenschaftlich genannt werden können. Diese Erkenntnis wird gleich zu Beginn der „Legitimität der Neuzeit“ bekannt gemacht: Offenkundig genügt die Qualifizierung einer historischen Abhängigkeit mit den Elementen „ursprünglich“ und „entfremdet“ nicht, um die signifikante Verwendung von „Säkularisation“ zu bestimmen. Und hier fragt sich, ob das, was noch zur Integration der Bedeutung hinzukommen muß, nicht unvermeidlich ein theologisches Element ist. Geht also der Begriff der Säkularisation über das hinaus, was im Verstehen geschichtlicher Prozesse und Strukturen geleistet werden kann, indem er nicht nur eine Abhängigkeit, sondern so etwas wie einen Weltenwechsel, eine radikale Diskontinuität der Zugehörigkeiten bei gleichzeitiger Identität impliziert? Wird mit diesem Begriff nicht das Paradox in unser Geschichtsverständnis eingebracht, den neuzeitlichen Grundcharakter der „Weltlichkeit“ nur unter Bedingungen erfassen zu können, die ihm wegen dieser Qualität gerade unzugänglich sein müssen?125 122 Die „Legitimität der Neuzeit“ erscheint zuerst 1966. 1974 wird eine Neuausgabe veröffentlicht, die eine direkte Reaktion auf die Auseinandersetzung mit Schmitt (dessen „Politische Theologie II“ vier Jahre zuvor erschien) ist. Insgesamt existieren drei erweiterte und überarbeitete Ausgaben des Textes. Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 117. 123 Blumenberg, S. 18. 124 Ebd. S. 15. 125 Ebd. S. 18 f.
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Blumenberg betrachtet das substantialistische Geschichtsdenken als Grundlage des Säkularisationstheorems. Nur innerhalb seines Ideengebäudes seien Vorstellungen wie „Wiederholungen“ oder „Maskierungen“ möglich.126 Er unterscheidet innerhalb der Säkularisationstheorien zwischen deskriptiven und erklärenden Verwendungsweisen. Während Erstere zwischen Bedeutungslosigkeit und Allgemeinplatz rangieren, eigne sich Letztere immerhin für eine wissenschaftliche Prüfung: Es ist eben etwas anderes zu sagen, in einem bestimmten Staat sei die „Säkularisierung“ des Landes weit fortgeschritten und dies sei erkennbar an der empirischen Abnahme der Kirchenbindung in den Landgemeinden, als die These zu formulieren, die kapitalistische Bewertung des Erwerbserfolges sei die Säkularisierung der Heilsgewißheit unter der Voraussetzung des reformatorischen Prädestinationsglaubens.127
Blumenberg legt dar, dass die verschiedenen Verwendungsweisen des Begriffes der Säkularisation in der Literatur weder ein geschlossenes Weltbild erkennen lassen, noch in sich logisch konsistent sind. Auch wenn er sich hier nicht direkt an Schmitt richtet, tauchen immer wieder Verweise auf das bekannte Werk von 1922 auf.128 Mit Blick auf das geschichtliche Substanzdenken in der Theorie der „Struktur-Identität“ bei Schmitt stellt Blumenberg die These auf, dass sich mit dem rechten Geschick in jedem beliebigen historischen Phänomen eine solche Substanz auffinden ließe. Als Beispiel wird die Substanztransposition des Jüngsten Gerichts in das „akademische Examenssystem“ genannt: „Jedes Feuilleton belegt, daß es noch weiter geht“.129 Blumenberg deutet an, dass die erklärende Verwendung des Säkularisationsbegriffes bei Schmitt das Jüngere als das Produkt des Älteren erscheinen lasse, so dass eine „Verwandlung der Wertordnung in verschiedene institutionelle ,Ideologien‘“ impliziert sei.130 Um in dieser anspruchsvollen, genauen Weise von einer stabilen Substanzidentität über unterschiedlichste historische Prozesse hinweg sprechen zu können, sei der Beleg einer solchen funktionalen Metamorphose unerlässlich. Ohne diesen Nachweis, so Blumenberg, mache die Rede von der Säkularisation keinen Sinn.131 Das diesen Vorstellungen zugrundeliegende Säkularisationstheorem unterstelle eine Blindheit der Neuzeit in Bezug auf ihre substantielle Abhängigkeit von den Transformationsprozessen, die die Gedankenfigur der Verweltlichung 126
Blumenberg, S. 17. Mit dieser Bemerkung spielt Blumenberg auf die Calvinistische Erwerbsethik an, die den ökonomischen Erfolg eines Individuums als Zeichen der Gunst Gottes begreift. Ebd. S. 18. 128 „Für die politische Theorie ist geltend gemacht und oft nachgesprochen worden, daß alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre . . . säkularisierte theologische Begriffe seien.“ Ebd. S. 21. 129 Ebd. S. 23. 130 Ebd. S. 23. 131 Ebd. S. 24. 127
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voraussetzen. Blumenberg sieht keine Möglichkeit einer Hermeneutik, den behaupteten geschichtlichen Vorgang nachvollziehbar zu machen. Zugleich erkennt der Philosoph die dem Säkularisationsbegriff eigene Inanspruchnahme einer interpretatorischen Unfehlbarkeit: Dass das Neue in einer substantiellen Abhängigkeit zum Alten steht, ist bereits in ihm beschlossen und kann nicht weiter hinterfragt werden. Er stellt zuerst solche Prämissen sicher, die er benötigt, um sich selbst zu bewahrheiten. Aber an solider methodischer Brauchbarkeit gewinnt der Begriff nicht. Er gestattet dem Resultat der Säkularisierung nicht, sich von ihrem Prozeß abzulösen und zu autonomisieren. Die Illegitimität des Resultates der Säkularisierung steckt darin, daß es den Prozeß selbst, aus dem hervorgegangen ist, nicht säkularisieren darf.132
In diesem Zusammenhang kommt Blumenberg auf die unvermeidliche Frage zu sprechen, ob es sich bei der Vorstellung eines Unweltlichkeitsverlustes in der Neuzeit um eine Fremdeinwirkung handelt, oder ob der Zugewinn an Weltlichkeit eine Form von „Selbstentfremdung“ markiert.133 Denn es müsste eine gottgewollte Verweltlichung stattfinden, will man das Abgleiten in einen gnostischen Dualismus vermeiden. Die den Argumenten Schmitts vorausgehende Interpretation geschichtlicher Prozesse als Transformationen theologischer Substanzen enthält, wie Blumenberg treffend bemerkt, eine Asymmetrie in der Betrachtung des Vorher und Nachher: Während der Gedankengang Schmitts, vom Alten her kommend, auf eine Präzisierung der Begrifflichkeiten abzielt, wird im Falle des Neuen nur noch von einem metaphorischen Gebrauch der Begriffe ausgegangen. Der Jurist bemüht sich um eine größtmögliche Klarheit der begrifflichen Substanzen, die er als Abkömmlinge der christlichen Theologie ausmacht. Jedoch seien ihre „Produkte“, d.h. ihre verweltlichten Sukzessoren der Neuzeit, nur noch Metaphern für ihre theologischen Vorgänger. Es erscheint unschlüssig, den allgemeinen Gebrauch des Begriffes der nationalstaatlichen Souveränität als metaphorisch zu kennzeichnen. Eine metaphorische Verwendung sei nach Blumenberg allenfalls in einer geschichtlichen Deutung wie der Schmitts festzustellen: So scheint die begriffsgeschichtliche Forschung zu „Säkularisierung“ ein widerspruchsvolles Resultat zutage gefördert zu haben. Einerseits präpariert sie einen Prozeß heraus, der auf Terminologisierung im Sinne der Eindeutigkeit des Begriffsgehal132 Sofern ich Blumenberg korrekt interpretiere, ist hiermit die nicht weiter erklärte Dissonanz zwischen dem Gebrauch „traditioneller“ Begrifflichkeiten und ihrer jüngeren Säkularisate bei Schmitt gemeint. Der Unterschied besteht im Falle der „unweltlichen“ Termini in einer möglichst großen begrifflichen Präzision, während Schmitt selbst die neuzeitlichen Transpositionen vor allem metaphorisch versteht. Für diese Vorgehensweise gibt es jedoch, so Blumenberg, keinerlei rationalen Grund. Schmitt entscheide sich bewusst für eine metaphorische Auslegung neuzeitlicher Begriffe, doch eben diese Entscheidung sei argumentativ nicht belastbar. Der Staatsrechtler verzichte auf eine überzeugende Herleitung seiner Methode. Blumenberg, S. 25. 133 Ebd. S. 26.
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B. Politische Theologie tes und damit auf methodische Präzisierung tendiert, andererseits beschreibt sie die späte Phase dieses Prozesses als die eines metaphorischen Gebrauchs. Aber nicht der Gebrauch ist metaphorisch, sondern die Orientierung der Begriffsbildung.134
Einen weiteren zentralen Punkt nennt der Philosoph, wenn er die ideengeschichtlichen Implikationen einer Perspektive, wie sie das Säkularisationstheorem eröffnet, als Abwertung der Erfolge neuzeitlicher Neugierde sowie der ihnen zugrundeliegenden menschlichen Vernunft thematisiert. Aus dieser Sicht erschiene der neuzeitliche Vernunftgebrauch bloß noch als Mimesis dessen, was das religiöse Dogma schon immer befohlen habe.135 Letztendlich hinge der Wahrheitsgehalt des Säkularisationstheorems an der Möglichkeit eines Nachweises der vorausgesetzten geschichtlichen Substanz, d.h. der Konstanten, deren Identifikation über verschiedene Zeiträume hinweg die Bedingung für den Beleg der in Rede gestellten „Umbesetzungen“ ist.136 Blumenberg zeigt anhand verschiedener Beispiele aus dem christlichen Glaubensbekenntnis, dass die Idee einer Säkularisation partiell in Konflikt mit ihm gerät. So sei nicht einleuchtend, wie die neuzeitliche Idee des Eigentums am Produkt im Kontext des Säkularisationstheorems plötzlich eine große Bedeutung für die Theologie, d.h. in Form eines Anspruches auf die „Umbesetzungen“, haben sollte. Die beständige Naherwartung als Kernbestandteil christlichen Glaubens sehe ausufernde Geschichtsdeutungen gar nicht vor – das Christentum zeichne sich geradezu durch ein radikales Desinteresse an Geschichte aus. Vor diesem Hintergrund mache auch der Versuch, über die Rede von der Säkularisation eine Art Notrettung christlicher Lebensentwürfe zu betreiben, keinen rechten Sinn: Blumenberg nennt dies den „[. . .] Sinnverlust der Selbstbehauptung durch die absolute Verschärfung der Heilssorge [. . .]“.137 Die neutestamentliche Eschatologie sei in keinen denkbaren Geschichtsbegriff zu übersetzen. „Die Legitimität der Neuzeit“ kommt auf die politischen Anpassungen zu sprechen, deren sich das frühe Christentum unterziehen musste, um aufgrund sei134
Blumenberg, S. 30 f. Ebd. S. 32. 136 Ebd. S. 37. 137 Ebd. S. 52. Hierbei geht es auch um die Frage, ob Eschatologie und Geschichtsbewusstsein miteinander vereinbar sind. Blumenberg verneint dies gegenüber Schmitt, der an der Möglichkeit einer Vereinbarung festhält. Das Bindeglied zwischen beiden erkennt der Staatsrechtler in der Gedankenfigur des Katechon. Blumenberg ist davon überzeugt, dass „jede Eschatologie ihrem Wesen nach gnostisch ist, denn sie setzt einen Dualismus zwischen dem Schöpfer und dem Richter voraus – es kann, wie Marcion gesehen hat, keine Identität zwischen dem Gott des Alten Testaments und dem des Neuen Testaments geben, weil die Schrecken des Endes die Diskriminierung des Anfangs implizieren.“ Der Katechon könne die von Schmitt vorgeschlagene Vereinbarkeit von Geschichtsbewusstsein und Eschatologie nicht leisten, da die durch ihn eingeführten Interpretationsmuster keine „Formen“ der „Gleichzeitigkeit von Geschichte und Eschatologie, sondern der Umkehrung der eschatologischen Verheißung in die Verheißung des Aufschubs der Eschata“ bewirkten. Vgl. Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 132. 135
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ner zukunftsfeindlichen Eschatologie nicht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Aus diesem Grunde sei das Wort einer Verweltlichung durch Eschatologie passender, als die Idee ihrer Verweltlichung.138 In einer bemerkenswerten Wendung greift Blumenberg die Worte Overbecks auf, nach denen die Kirche die Naherwartung so lange ins Licht der Aufmerksamkeit gerückt habe, wie sie noch keine konkrete politisch-weltliche Macht für sich gewonnen hatte. Der Philosoph wendet diese Formulierung, indem er hinzufügt, diese Machtgewinne seien nicht früh genug geschehen, um die Idee der Naherwartung zu neutralisieren. „Es muß umgekehrt gewesen sein: Die freigesetzte Energie des eschatologischen Ausnahmezustandes drängt darauf, sich in der Welt zu institutionalisieren“. 139 In der Frage des durch das Säkularisationstheorem unterstellten Verweltlichungsprozesses entscheidet sich Blumenberg für die Selbstentfremdung anstelle der gnostischen Häresie. Es könnten keine externen Umstände identifiziert werden, die die Verweltlichung vorantreiben. Der Prozess liege in der christlichen Eschatologie selbst begründet: Aber gerade dies ist die Quintessenz des dargestellten Sachverhalts, daß kein fremder oder äußerlicher Faktor im Spiele ist, der die authentische Substanz der eschatologischen Vorstellungen in seinen Dienst nimmt, sondern daß die Eschatologie sich selbst vergeschichtlicht, aber nicht dadurch, daß sie sich transformiert, und dadurch in einem Scheinleib erhält, sondern indem sie die Umbesetzung ihrer Stelle mit heterogenem Material erzwingt.140
Insofern die Idee der Säkularisation ohne das Konzept der Verweltlichung nicht zu denken ist, und die Weltlichkeit erst durch die Vorstellung einer Unweltlichkeit an Evidenz gewinnt, sei jene Verweltlichung weniger das Ergebnis eines geschichtlichen Vorgangs als die aufkeimende Wahrnehmung einer ansonsten fremden „Realität“.141 Weltlichkeit und Unweltlichkeit erscheinen so als Produkte der enttäuschten Naherwartung. Blumenberg spricht sich dagegen aus, die Vernunft vorschnell mit der auftauchenden Weltlichkeit in einen Kausalzusammenhang zu stellen. Diese Sichtweise entspringe dem eigentümlichen Bedürfnis, der Vernunft ein dämonisches, d.h. die als ursprünglich angenommene Einheit 138 Dieses Wortspiel Blumenbergs bezieht sich selbstverständlich nicht auf konkrete theologische Inhalte. Als göttliche Offenbarung drängt die christliche Eschatologie nicht zu dem, was hier „Verweltlichung“ genannt wird. Blumenberg sieht in dem außerordentlichen Sendungsbewusstsein christlicher Naherwartung, nur scheinbar widersprüchlich, einen zentralen Grund für die Institutionalisierung des neuen Glaubens, der ohne seine Aufhebung in der Form „Kirche“ vielleicht nicht Bestand gehabt hätte. 139 Den polemischen Charakter dieser Beobachtung kann auch Blumenberg nicht verstecken. Auf der folgenden Seite wird der Kirche eine okkasionelle Orientierung in Fragen der Machtpolitik unterstellt. So sei die Kirche immer dann am „Fortbestehen der Welt“ interessiert, wenn sie selbst über reiche Besitztümer verfüge. Schwäche sich ihr Einfluss jedoch, werde das Wort vom nahenden Ende aus der Mottenkiste theologischer Rhetorik hervorgeholt. Blumenberg, S. 55 (56). 140 Ebd. S. 57. 141 Ebd. S. 57.
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der unweltlich gedachten Welt zersetzendes Element zuzusprechen. Der Vernunftgebrauch der Neuzeit habe die „Herausforderung“ angenommen, die über das Mittelalter erhaltenen Fragen und Probleme zu beantworten, ohne dabei einer unredlichen Selbsttäuschung zu erliegen, die darin bestanden hätte, nur solche Fragen zu thematisieren, zu denen man die Antworten bereits kennt. In diesem Sinne könne von einer Kontinuität zwischen Mittelalter und Neuzeit gesprochen werden, aber nur als Übernahme lange liegengelassener theoretischer Probleme, nicht als Prozess von Umbesetzungen „ideeller Substanzen“.142 Von der Tradition her gedacht könne sich dann der Vorwurf ergeben, die Neuzeit leide unter einem Mangel an Verbindlichkeit und weltdeutender Absolutheit. So wird die modernwissenschaftliche Methodologie zum Objekt des Spottes dogmatischer Gewissheit: „Jeder Versuch des Verzichtes auf das Unwißbare stößt dann auf den Vorwurf des ,Positivismus‘, welches andere Schlagwort dafür auch gerade greifbar sein mag“.143 Nach Blumenberg habe das anspruchsvolle Projekt, das der neuzeitliche Erkenntnisgewinn ist, partiell notwendig zu Überforderungen geführt. Die „Erklärungsleistung“ der Neuzeit ist nicht unbegrenzt: Die hieraus entstehenden Rückschläge bleiben nicht ohne Konsequenzen. Die Gegner einer „modernen“ Welt schärfen ihre Waffen an den Irrtümern ihrer Verteidiger. Dennoch bliebe unausweichlich festzustellen, dass die Idee einer Umbesetzung nicht erklären kann, „woher das neu eingesetzte Element stammt, nur welche Weihen es empfängt“.144 Laut Blumenberg begreife die neuzeitliche Geschichtsauffassung im Unterschied zum Christentum den Fortschritt nicht als Vermehrung von Gütern, sondern als Reduktion des Schlechten in der Welt.145 Eine solche Reduktion provoziere eine „Störung der Funktion der Theodizee“, die der Tradition als bedrohlich erscheinen muss: Es erscheine so, als sei der Mensch aus eigener Kraft imstande, die ihm vorgesehene göttliche Bestrafung für seine Sündhaftigkeit zu mildern oder ganz zu vermeiden. Charakteristisch für das neuzeitliche Denken sei die Vorstellung, dass es leichter sei, in einer besseren Welt Gutes zu tun. In einem Exkurs kommt Blumenberg auf Odo Marquards Betrachtungen über Theodizee und Geschichtsphilosophie zu sprechen. In diesem Zusammenhang formuliert er erneut die vor dem Hintergrund des Problems der Gnosis zentrale Frage nach dem Verhältnis zwischen göttlicher Allmacht und gottentrückter, „verweltlichter“ Neuzeit: Wenn die Geschichtsphilosophie in ihrer Gestalt als Theodizee die Rettung der göttlichen Güte sein soll, muß sie die Leugnung seiner Allmacht sein – diese von Voltaire gegen Leibniz errungene Einsicht ist wahrscheinlich atheistisch, aber nicht in dem von Marquard vorgetragenen paradoxen Sinne, sondern in einem zerstöreri142 143 144 145
Blumenberg, S. 59. Ebd. S. 59. Ebd. S. 60. Ebd. S. 63.
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schen. Denn die Defekte der göttlichen Allmacht sind die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der menschlichen Selbstermächtigung in der Geschichte. Die Frage, wer da die Schuld zu tragen hat, wird angesichts der Frage der Macht blaß und bedeutungslos.146
Der Philosoph lehnt ausdrücklich nicht nur den Säkularisationsbegriff Marquards ab, sondern auch jede Vorstellung einer anders gearteten Abhängigkeit der Neuzeit von der Theologie. Hierzu zählten neben der Idee eines Abfalls von der Theologie auch Vorstellungen einer sich mit Mitteln der Tradition gegen diese verteidigende Neuzeit. Jede wie auch immer vorgestellte Dependenz sei ein Irrtum.147 Aus der Sicht Blumenbergs habe die alte aufklärerische Kritik in Gestalt der Behauptung des Priesterbetrugs mehr Schaden angerichtet, als sie nützlich sein konnte. Zum Einen greife sie viel zu kurz und treffe den Kern der Angelegenheit nicht. Zum Anderen verdecke sie die eigentlichen Ursachen und Hintergründe für die Wirkmächtigkeit von Kirche und Religion bis in unsere Zeit hinein.148 Im Unterschied zu Schmitt erkennt der Philosoph innerhalb der geschichtlichen Kontinuitäten keine Identitäten der Inhalte, sondern der Funktionen. Solche Funktionsidentitäten seien eine notwendige Folge der Entwicklung, die sich vollzieht, wenn eine alte geschichtliche Epoche in eine neue umschlägt. An jeder „Epochenschwelle“ sei eine „Altlast“ an Fragen zu übernehmen, die im Wesentlichen von der vorausgegangenen Epoche bereits beantwortet wurden. Hierbei könne es vorkommen, dass das Neue Fragen vom Alten erhält, die es gar nicht beantworten will oder kann.149 Blumenberg betont, dass auch die christlichen Jahrhunderte und die ihnen vorausgehenden historischen Epochen am Anfang ihrer Entwicklung den gleichen Problemen gegenüberstanden. Dieser „Fragenüberhang“ gehöre unvermeidlich in den Geburtsprozess einer neuen Epoche.150 Im speziel146
Blumenberg, S. 69. Ebd. S. 71 f. 148 Unter dem Begriff „Priesterbetrug“ wird ein aufklärerisches Ideologem verstanden, welches in einer soziologischen Reduktion des Ursprunges organisierter Religionen versuchte, die Rolle und Bedeutung des christlichen Klerus herabzusetzen. Hier erscheinen die „Hirten“ nicht als vor Gott privilegierte Seelsorger, sondern als von egoistischen Interessen geleitete Betrüger, die die Institution Kirche als Instrument zur Ausübung von Gewalt gegen andere Menschen (zu ihrem eigenen Vorteil) ausnutzen. Ebd. S. 74. 149 Blumenberg glaubt allerdings nicht an einen objektiv feststellbaren „Kanon“ an Fragen von weltgeschichtlicher Bedeutung als anthropologische Konstante. Schmitz/ Lepper (Hrsg.), S. 298 (Fußnote). 150 Dieser Gedankengang Blumenbergs ist, zugegeben, alles andere als selbsterklärend. Der Philosoph deutet vier verschiedene Epochen an: Die Philosophie habe den Mythos abgelöst, das Christentum die Philosophie, und die Neuzeit das Christentum. Als gemeinschaftlich organisierte, politische Lebewesen sei den Menschen die dringendste Frage die nach dem Sinnzusammenhang ihrer Existenzweise. Jede der genannten Epochen habe ihre eigene Art gehabt, diese Frage (und die mit ihr verwobenen, weiteren Fragen) zu beantworten. Eine neue Epoche müsse sich stets gegenüber der 147
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len Falle des Übergangs zur Neuzeit stellt er fest, dass es eine Asymmetrie in Bezug auf die geforderten Wissbarkeiten gegeben hätte: Das Christentum (in Gestalt der Kirche) erhebt Ansprüche gegen die Neuzeit, die diese nicht erfüllen will. Die moderne Wissenschaft begnügt sich mit Hypothesen, vorläufigen Ergebnissen und mit unter Vorbehalt formulierten Beobachtungen. Das Christentum jedoch will die unbedingte, absolute Wahrheit. Aus seiner Sicht muss die Neuzeit die selbe Radikalität der Überzeugung zeigen, um als legitime Ablösung seiner Weltordnung gelten zu dürfen. Das kann und will die neuzeitliche Vernunft nicht leisten.151 Diese Auseinandersetzung provoziere bisweilen allerlei Scharmützel, wie die Darstellung Blumenbergs deutlich macht. Ob es sich nun um frühe christliche Autoren handelt, die ihre heilige Schrift als die endgültige Beantwortung aller Fragen der antiken Philosophie ausgeben. Oder ob unter Verweis auf Augustinus die Erkenntnisse der Philosophie als unrechtmäßiger „Besitz“ betrachtet werden, der dem rechtmäßigen Besitzer – d.h. dem Christentum – zurückgegeben werden müsse. Oder ob, mit Tertullian gesprochen, alles Wissbare außerhalb der heiligen Schrift keinen Wert besitzt und allein dessen Erstrebung bereits der Gotteslästerung nahekommt (Neugierde als Anmaßung): Die aufgeklärte Neuzeit sieht sich einem Kontrahenten gegenüber, der mit jeder Variante der intellektuellen Unredlichkeit aufwartet. Neuzeitliches Denken und religiöser Dogmatismus seien inkommensurabel. Ihr Nebeneinander scheint die radikalste Form der Feindschaft zu begründen, die absolute Disjunktion aus philosophischem Vernunftgebrauch und letztbegründender göttlicher Offenbarung. Muss das Christentum aus diesem Grunde alle Errungenschaften der vorherigen geschichtlichen Epochen, inklusive der philosophischen Erkenntnisse, als die Eigenen erklären? In der Antike werde hierfür die göttliche Offenbarung herangezogen. Auf der Schwelle zur Neuzeit erfüllt diese Funktion das Säkularisationstheorem, wie Blumenberg konkludiert. Dem hiermit einhergehenden Weltbild gemäß denke jeder, der eigenständig schlussfolgert, entweder falsch, oder er missbrauche die Offenbarung für fremde Zwecke. Ob solch radikale Positionen die notwendige Folge christlichen Glaubens seien, oder ob sie bloß Holzwege vereinzelter Interpreten sind – diese Frage lässt Blumenberg unbeantwortet. Hierdurch festigt sich zunächst der Eindruck eines unversöhnlichen Widerstreites zweier grundsätzlich entgegengesetzter Lebensentwürfe.152 Die Theologie nutze indessen die theoretischen Startschwierigkeiten des neuzeitlichen Projektes aus. Da eine absolute Voraussetzungslosigkeit nicht zu haben Tradition ausweisen, um die Prüfung bestehen zu können, das bislang Gültige ablösen zu dürfen. Mit dem Wort „Altlast“ bezeichnet Blumenberg also ein komplexes Netz aus Fragen, welche zu Beginn der Neuzeit bereits – mehr oder weniger – zufriedenstellend durch das Christentum beantwortet worden waren. 151 Blumenberg, S. 75 ff. 152 Ebd. S. 79–86.
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ist, werde das Christentum in die Lage versetzt, im Namen der göttlichen Weisheit deren Unentbehrlichkeit zu behaupten: Weil die Neuzeit in ihrem Erklärungsanspruch niemals die Totalität und Letztbegründung des theologischen Weltbildes erreichen kann, erscheine sie als hilfloser Versuch, der unentrinnbaren theologischen Wahrheit zu entkommen.153 Im vorletzten Abschnitt seines Kapitels zum Säkularisationsbegriff kommt Blumenberg explizit auf die politische Theologie, insbesondere unter Berücksichtigung der Schriften Schmitts, zu sprechen. So sei die Rede von substantialistisch verstandenen Umbesetzungen einer enttäuschten Erwartung geschuldet, die der wissenschaftlich geprägten Neuzeit die Kompetenz eines allumfassenden Heilsbringers zuschreibt. Die Schmittsche Variante des Säkularisationstheorems, nach dem alle „prägnanten“ Termini eines Begriffsfeldes (in diesem Falle der Staatslehre) Säkularisate der theologischen Reflexion seien, sei nicht nur die anspruchsvollste Formulierung des Theorems, sondern auch die in ihren Folgerungen radikalste.154 Offenbar ist Blumenberg verwundert darüber, dass Schmitt eine solche Position vertritt. Das methodisch Merkwürdige an der „Politischen Theologie“ Carl Schmitts ist, daß sie überhaupt Wert auf diesen Säkularisierungsnexus legt; denn es wäre ihrer Intention näherliegend, wie ich meine, den umgekehrten Begründungszusammenhang herzustellen, indem sie die theologische Phänomenalität der politischen Begriffe als Folge der absoluten Qualität politischer Realitäten interpretierte.155
Stattdessen finde bei Schmitt eine deutliche Abwertung des Naturrechts statt, was die Relativierung historisch-rechtstheoretischer Errungenschaften wie die Rechtsgleichheit und den besonderen Status verfassungsrechtlicher Bestimmungen zur Folge habe. Zwar räumt Blumenberg ein, Schmitt habe mit seinen Thesen rund um die Gedankenfigur des Ausnahmezustandes ein Problem gesehen, das real ist und mit der neuzeitlichen Entwicklung des Staatswesens einher geht. Jedoch sei sein Lösungsvorschlag, aufgrund der Unzulänglichkeiten rein positivistischer Rechtsauffassungen einen breit angelegten Rückgriff auf vorneuzeitliche Ideen in ihrer säkularisierten Form zu praktizieren, nicht überzeugend: Mir scheint daher hinter dem Satz, die prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre seien säkularisierte theologische Begriffe, eher eine dualistische Typologie von Situationen zu stehen als eine historische Einsicht, wie sie von Carl Schmitt mit der Erläuterung behauptet wird, diese Begriffe seien aus der Theologie auf die Staatslehre übertragen worden. Beispiel ist, daß der allmächtige Gott zum omnipotenten Gesetzgeber wurde. Wenn diese Behauptung richtig sein sollte, kann nicht auch die andere zutreffen, daß nach dem Scheitern der Aufklärung die konservativen Schriftsteller der Gegenrevolution versucht hätten, mit Analogien aus einer theistischen Theologie 153 Wolfram Hogrebe machte mich darauf aufmerksam, dass eine neuzeitliche Lösung für dieses Problem in der Ästhetik gefunden worden ist. Blumenberg, S. 86. 154 Ebd. S. 99, 102. 155 Ebd. S. 102.
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B. Politische Theologie die persönliche Souveränität des Monarchen ideologisch zu stützen. Analogien sind eben gerade keine Umwandlungen. Wäre jeder metaphorische Rückgriff in den dynamistischen Sprachschatz der Theologie „Säkularisierung“ im Sinne einer Transformation, dann ständen wir alsbald vor einer Masse von Säkularisaten, die den Titel „Romantik“ tragen müßte.156
Blumenberg behauptet, dass Schmitt, wenn er von Umbesetzungen spricht, eigentlich Analogien meint. Einen Beleg dafür findet er in den Äußerungen zur „Politischen Theologie II“, in denen in Bezug auf das dort vertretene Säkularisationstheorem bloß noch von einer „strukturellen Analogie“ gesprochen wird.157 Entsprechend referierten die Andeutungen Schmitts in dem Werk von 1970 „nur noch auf die Zuordnung von Stellen in einem systematischen Zusammenhang“, nicht mehr auf die Abkunft der einen Form aus der anderen bei durchgängiger Substanzidentität – es ginge also um Ähnlichkeiten, um Parallelen zwischen zwei verschiedenen Systemen. Blumenberg schließt dem die Frage an, ob es in diesem Falle überhaupt noch sinnvoll sei, den Begriff der politischen Theologie hierfür zu verwenden.158 Die „Legitimität der Neuzeit“ streut wiederholt Anmerkungen in die Argumentation, die den weiteren Zusammenhang der Auslegungen des Staatsrechtlers unplausibel erscheinen lassen. Hierzu zählt Blumenbergs Urteil über Schmitts Rezeption des Thomas Hobbes. So gewinne beim Juristen die Theologie für den englischen Philosophen im Verlaufe seines Lebens zunehmend an Bedeutung. Blumenberg hält dem entgegen, Hobbes habe in seiner politischen Philosophie mit Blick auf den Staatsentwurf das Gegenteil versucht: Die Macht der Kirche und organisierten Religion auf eine Größe zu reduzieren, in der sie keine Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt mehr darstellt. Die Anklänge an das christliche Glaubensbekenntnis im Leviathan seien seiner Zeit und seinen Umständen geschuldet, nicht aber einer frommen Gottesfurcht des Philosophen. Voltaire habe mit der gleichen Intention versucht zu wirken.159 Ausführlich kommt Blumenberg auf den Vorwurf zu sprechen, sein Buch handle eigentlich von der Legalität, nicht von der Legitimität der Neuzeit. Zwar 156
Blumenberg, S. 102 f. Im Wortlaut bei Schmitt: „Alles, was ich zu dem Thema Politische Theologie geäußert habe, sind Aussagen eines Juristen über eine rechtstheoretisch und rechtspraktisch sich aufdrängende, systematische Struktur-Verwandtschaft von theologischen und juristischen Begriffen. Das bewegt sich in dem Bereich rechtsgeschichtlicher und soziologischer Forschung.“ Schmitt, Politische Theologie II, S. 79 (Fußnote). 158 Es ist offensichtlich, dass Blumenberg Schmitt wortwörtlich nimmt. Unklar bleibt, ob Blumenberg dies mit Berechnung tut, um Schmitts theologisches Fundament freizulegen. Oder ob der Philosoph tatsächlich nicht gesehen hat, in welchem Ausmaß Schmitts religiöses Bekenntnis Einfluss auf viele seiner zentralen Thesen gehabt hat. Blumenberg, S. 105. Aus dem Briefwechsel geht hervor, dass Schmitt die von Blumenberg gestellte Frage ausdrücklich bejaht. Vgl. Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 120. 159 Blumenberg, S. 105. 157
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sei es nicht grundsätzlich falsch, auf die Kontingenz des neuzeitlichen „Geltungscharakter[s]“ hinzuweisen, doch die Forderung, die Neuzeit müsse eine Fortsetzung des Mittelalters darstellen, um Legitimität beanspruchen zu dürfen, sei falsch, denn Der Anlaß, von der Legitimität der Neuzeit zu sprechen, liegt nicht darin, daß sie sich als vernunftgemäß versteht und dies in der Aufklärung realisiert, sondern in dem Syndrom der Behauptungen, diese epochale Vernunftgemäßheit sei nichts anderes als eine sich selbst nicht verstehende Aggression gegen die Theologie, aus der sie doch verborgenerweise all das Ihre genommen habe. Für das, was Vernunft leisten kann, mag es ganz gleichgültig sein, aus welchem Anlaß sie dies tut; für das, was sie tatsächlich leistet, ist die Radikalität der Anforderung und Herausforderung, der Problematisierung und Bestreitung nicht außer acht zu lassen. Die Selbstbehauptung bestimmt die Radikalität der Vernunft, nicht ihre Logik.160
Aus diesem Grunde könne nicht von einer „Selbstermächtigung“ gesprochen werden. An der Epochenschwelle zur Neuzeit sei die Vernunft durch den Widerstand der alten Ordnung dazu gedrängt worden, radikale Ausdrucksweisen zu entwickeln. Die Legitimität der Neuzeit begründe sich nach Blumenberg gerade aus ihrer „Diskontinuität“ zu allem Vorherigen. Für Schmitt hingegen könne nur der Begriff der Säkularisierung Legitimität garantieren, was unweigerlich darauf hinauslaufe, die Theologie zum Urheber aller Politik zu erklären.161 Schmitts Attacke, nach der der Philosoph unzulässigerweise seine Thesen willkürlich mit anderen, heterogenen Inhalten vermischt hätte, begegnet Blumenberg mit der Beteuerung, eine präzisere Antwort sei aufgrund der schwammig-unkonkreten Postulate in der „Politischen Theologie“ von 1922 gar nicht möglich gewesen – erst die „Politische Theologie II“ habe diesbezüglich größere Klarheit geschaffen.162 Schmitt betrachte die Romantik als Auswuchs der Aufklärung, nicht aber als Symptom des initialen Scheiterns ihrer anspruchsvollsten Zielsetzungen. Diese Rückschläge änderten jedoch nichts an der immensen Bedeutung des neuzeitlichen Epochenprojektes, die in der Ablösung der traditionellen Begründungszusammenhänge zugunsten einer unpersönlichen Rationalität gesehen werden 160
Blumenberg, S. 107 f. Ebd. S. 108. Das Buch Blumenbergs erweckt über weite Strecken den Eindruck, der Begriff der „Säkularisation“ impliziere bei Schmitt die Kategorie der Unrechtmäßigkeit. Dies ist jedoch nicht der Fall, da der Staatsrechtler ihn offenbar in seinem geschichtlich verbürgten Sinn gebraucht, der durchaus neutral ist. Vgl. Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 113. 162 „Carl Schmitt hat sich darüber beklagt, ich hätte dadurch Anlaß zu Mißverständnissen gegeben, daß ich eine pauschale Vermischung seiner Thesen zur Säkularisierung mit anderen, mit allen möglichen konfusen Parallelisierungen religiöser, eschatologischer und politischer Vorstellungen, vorgenommen hätte. Dieser Vorwurf ist berechtigt. Erst die Herausarbeitung der begrifflichen Differenz von ,Legitimität‘ in der zweiten ,Politischen Theologie‘ von 1970 macht durchsichtig, was in der ersten ,Politischen Theologie‘ von 1922 die Präferenz für den Begriff der Säkularisierung fundiert hatte.“ Blumenberg, S. 109. Vgl. Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 105. 161
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könne: „Das Konzept der Legitimität der Neuzeit wird nicht aus den Leistungen der Vernunft abgeleitet, sondern aus deren Notwendigkeit“.163 Nach Blumenberg komme dem Rationalismus nicht nur der Verdienst zu, rückständige und widervernünftige Weltbilder zerstört zu haben, sondern ebenso, in der Folgezeit immun gegenüber Vereinnahmungen oder Attacken irrationalistischer Strömungen geblieben zu sein. Im Unterschied zum Rationalismus sei der von Schmitt bevorzugte (theologische) Voluntarismus immer auf ein Entscheidungen treffendes Subjekt angewiesen. Unter den Bedingungen des Dezisionismus ergebe sich der Bedarf an einem Souverän, welcher im Falle des Theoriegebäudes Schmitts nach einer „Metaphorik“ verlange, welche durch das Säkularisationstheorem sichergestellt werde. Aus der Sicht des Philosophen steht hinter all dem der unverhandelbare Glaube an einen allmächtigen, personalen Gott. Er kontrastiert die Positionen Schmitts mit Teilen der Hegelschen Philosophie, indem er zunächst auf die „Notwendigkeit des Willens im Staat“ und deren Deduktionsprodukt, die dazugehörige „Willensperson“, zu sprechen kommt. Hegels Deduktion stünde mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Rationalismus, was u. a. durch die Referenz auf den „Gottesbeweis“ Anselm von Canterburys angedeutet werde. Hegel vertrete explizit keine Form des Säkularisationstheorems, wenn er von der Notwendigkeit der letzten Entscheidung in einem Individuum spricht. Die Legitimität dieses Entwurfes speise sich nicht aus einem „grundlosen Anfang“, sondern aus dem praktischen Bedarf an konkreter Entscheidung („die das Abstrakte mit konkretem Inhalt erfüllt“). Da Hegels Vorgehensweise zwangsläufig einen Grad an Klarheit erlangen muss, der es ermöglicht, den Begriff der Souveränität in eindeutige Bestimmungen über Rechte und Pflichten des Souveräns zu überführen, sei Schmitt gezwungen, sie abzulehnen: Sein Souverän ist mit einer unbeschränkten Machtfülle ausgestattet. Dies erlaube keinerlei belastbare Bestimmungen seiner Kompetenzen. Die Zuständigkeiten im Modell des Juristen müssen unbestimmt bleiben. Nach Blumenberg mache diese „Differenz“ zur Denkfigur Hegels deutlich, in welchem Maße Schmitt auf das Säkularisationstheorem angewiesen sei: „Die ,Politische Theologie‘ ist ihrer Intention nach theologisch im Maße dieser Differenz“. Die durch Voluntarismus und Dezisionismus eingeforderte Person benötige die Säkularisierung, um an Legitimität zu gewinnen.164 Schmitts „Politische Theologie“ sei eine „metaphorische Theologie“, insofern sie in Gestalt des Souveräns bloß von einer metaphorischen Person ausgehen 163
Blumenberg, S. 109. Ebd. S. 109–112. Schmitt, dessen Ausführungen durch Blumenberg auf das Thema des Säkularisationstheorems reduziert werden, hat die vom Philosophen vorgeschlagene Lesung seiner geschichtsphilosophischen Thesen abgelehnt. Wie aus dem Briefwechsel hervorgeht, hat sich Blumenberg in diesem Punkte später korrigiert: Seine Darstellung des Säkularisationsbegriffes für das Werk Schmitts sei inhaltlich nicht scharf genug gewesen. Zudem beinhalte die Rezension der „Politischen Theologie“ und ihrer Nachfolgeschrift unter dem Aspekt des Säkularisationstheorems eine „Verharmlosung“ der Thesen Schmitts. Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 105, 255 (Fußnote). 164
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könne, zugleich aber auf eine reale Person zur Konstituierung der Legitimität der positiven Rechtsordnung angewiesen ist. Diese Denkfigur produziere bloß eine weniger entblößte Variante theologischen Anspruchsdenkens: „Die beneidenswerte Lage, in die sich der ,politische Theologe‘ durch das Instrument der behaupteten Säkularisierung versetzt, besteht darin, daß er den Bestand seiner Figuren vorfindet und sich dadurch den Zynismus einer offen ,theologischen Politik‘ erspart“.165 Blumenberg beschließt sein der politischen Theologie zugewandtes Kapitel mit einem Hinweis auf Campanellas These von der Religion als politische Entdeckung. Die Annahme der Säkularisierung läßt den „politischen Theologen“ vorfinden, was er sonst hätte erfinden müssen, da es sich doch nun einmal nicht deduzieren ließ.166
Durch den Rückgriff auf absolut gesetzte religiöse Dogmen werde eine politische Gestaltung möglich, die sich auf die unbegrenzte Autorität göttlicher Offenbarung berufen darf. Das Nachwort der „Politischen Theologie II“ birgt einen der bemerkenswertesten Gedankengänge im Kontext der politisch-theologischen Thematik. Obwohl auch hier vage Andeutungen das Gesamtbild prägen, betont Schmitt mehrfach die außerordentliche Bedeutsamkeit seiner Beobachtung für den Gesamtzusammenhang seiner Betrachtungen über die politische Theologie: In dem Zitat Gregor von Nazianz’, das Peterson in seiner Abhandlung von 1935 als Argument gegen jede Form politischer Theologie anführt, taucht der griechische Ausdruck stasis auf. Er habe eine ambivalente Bedeutung: Aufruhr und Ruhe. Schmitt erblickt im Begriff der stasis eine „Fundgrube für die Erkenntnis politischer und politisch-theologischer Phänomene“, sodass er von einer „Stasiologie“ in der Trinitätslehre spricht. Er folgert aus seinen etymologischen Erörterungen: „Das Problem der Feindschaft und des Feindes läßt sich also nicht unterschlagen“.167 Auch wenn der Autor dies nicht kenntlich macht, scheint die These über die Unausweichlichkeit der Feindschaft in einem Zusammenhang mit dem hierauf eingeflochtenen Exkurs über ein Goethe Zitat zu stehen, das nach Schmitt zwischen 1939 und 1945 verstärkt „zitiert und interpretiert“ worden sei. Es handelt sich dabei um ein lateinisches Wort aus „Dichtung und Wahrheit“: nemo contra deum nisi deus ipse.168 Es gehe auf die Fragmente der „Catharina von Siena“ (um 1775) von Jakob Michael Lenz zurück.169 Schmitt deutet das Zitat als christologische These, ohne dabei zu verraten, was sie seiner Auffassung nach genau be165
Blumenberg, S. 112. Ebd. S. 113. 167 Schmitt, Politische Theologie II, S. 90 ff. 168 In etwa „Niemand darf Gott in Frage stellen, denn Gott selbst.“ Ebd. S. 94 f. 169 Wahrscheinlich war Goethe die dritte Fassung des Stückes bekannt, wie Blumenberg konkludiert. Allerdings habe Goethe den Spruch selbst erfunden, was er später zu verschweigen suchte. Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 76. 166
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sagt. Allerdings sei er sich sicher, dass das „Rätsel“ des Ausspruchs im Kontext seiner Erörterungen gelöst werde. Er schließt die Bemerkung an: Unsere folgenden Thesen versuchen auch keinerlei Fixierung von Blumenbergs Thesen; sie entwerfen nur ein mir jetzt einleuchtendes Gegenbild, um meine eigene Position deutlicher zu erkennen. Die Kernfrage, die sich vom Politischen her für mich ergibt, betrifft die Wirklichkeit eines Feindes, dessen reale Möglichkeit ich auch in einem restlos enttheologisierten Gegenbild noch erkenne. Seine Umbesetzung aus der alten politischen Theologie in eine der Prätention nach total neue, reine Weltlichkeit und humane Menschlichkeit kritisch genau zu beobachten, bleibt in der Tat ein dauerhaftes Officium jedes wissenschaftlichen Erkenntnisstrebens.170
Schmitt scheint um jeden Preis an der Feindschaft als gottgewollte anthropologische Konstante festhalten zu wollen. Wer oder was ist dieser Feind, von dem er hier spricht? Der Leser erhält nur einen einzigen, wenig hilfreichen Hinweis: Der Feind entstamme der „alten politischen Theologie“. Dies wiederum wirft die Frage auf, um was es sich bei dieser politischen Theologie konkret handelt. Um sich dem Problem einer Deutung der Fingerzeige systematisch zu nähern, ist es ratsam, zunächst das nemo contra genauer in den Blick zu nehmen. In einer langen Fußnote rekapituliert Schmitt einen Teil der Rezeption des Spruches, u. a. Hugo Balls Interpretation, nach der die Religion ein „menschliches Anliegen“ sei, und das „Dämonische“ nicht einem eigenständigen Wirkbereich des Versuchers entspringe. Diese Lesart betrachtet den Menschen der Neuzeit als prometheisches Wesen, das sich als Ebenbild Gottes diesem in bewusster Entscheidung widersetzt. Als von besonderem Interesse markiert Schmitt die Auslegung Mommsens, der das Zitat in einen Zusammenhang mit Napoleon gerückt habe (eine weitere Erläuterung erspart sich der Autor!). Offenbar treibt ihn die Frage um, ob „jeder Einheit eine Zweiheit“ innewohne. Diese Zweiheit sei Voraussetzung einer „Aufruhrmöglichkeit“ (in Gott).171 Thomas Bonhoeffer formuliert eine solche Deutungsoption als mystische Selbstentzweiung Gottes. In seiner „Gotteslehre“ nimmt er explizit zum nemo contra Stellung und formuliert folgendermaßen: Gott, der die Liebe ist, vergibt, daß Gott, der die Liebe ist, – bis in die Gottesverlassenheit des langsamen Erstikkens [sic!] Jesu am Kreuz – gegen Gott kämpft, der die Liebe ist.172
An dieser Stelle erscheint es mir weder möglich noch ratsam, eine Versenkung in theologische Feinheiten zu unternehmen. Es deutet sich jedoch an, dass das nemo contra mehrere grundsätzlich entgegengesetzte Lesungen ermöglicht. Die Formulierung Bonhoeffers steht dabei für die der christlichen Mystik zugewandte
170
Schmitt, Politische Theologie II, S. 96. Ebd. S. 95. 172 Bonhoeffer, Gotteslehre [online] Verfügbar unter: http://homepage.ruhr-uni-bo chum.de/Thomas.Bonhoeffer/Gotteslehre.pdf [29.09.13]. 171
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Option: Gott ist in Aufruhr mit sich selbst, da seiner Einheit eine Zweiheit eigen ist. Hier bekommen wir es mit der von Schmitt thematisierten stasis zu tun. Daneben existiert eine weitere, „häretische“ Lesung, die einen gnostischen Charakter hat: Das klein geschriebene deus steht für einen zweiten Gott, der nicht zur Schöpfung des ersten Gottes gehört. Hier gibt es ebenfalls Aufruhr, aber nicht im Sinne einer Zweiheit in der Einheit. Diese Deutungsmöglichkeit eröffnet den Horizont gnostizistischer Spekulation über den Widerstreit zwischen Schöpfer- und Erlösergott. Der unvollkommene Demiurg als Urheber des Menschengeschlechts und der Welt, der nicht selten in einer antijudaistischen Geste mit JHWE identifiziert worden ist, müsste in diesem Falle gemäß der Andeutungen Schmitts für die „alte“ politische Theologie verantwortlich sein, von der weiter oben gesprochen worden ist. Das prometheische Element der Neuzeit, das Schmitt als zentrales Übel ausmacht, wäre dann der direkte Auswuchs des Demiurgen, der beginnt, sich gegen seinen göttlichen Widersacher zu behaupten. Möglicherweise ist mit deus aber auch der Mensch selbst gemeint. Die Frage kann abschließend an dieser Stelle nicht entschieden werden. Jedenfalls erscheint folgende Schmitt-Stelle in einem anderen Licht, wenn man das Problem der Gnosis im Auge behält: Der Herr einer zu ändernden, d.h. verfehlten Welt (dem die Änderungsbedürftigkeit zugerechnet wird, weil er sich der Änderung nicht fügen will, sondern sich ihr widersetzt) und der Befreier, der Bewirker einer veränderten, neuen Welt können nicht gut Freunde sein. Sie sind sozusagen von selbst Feinde.173
Schmitt wird mit großer Wahrscheinlichkeit weder einem gnostischen Dualismus im oben angeführten Sinne, noch einer christlichen Mystik der Selbstentzweiung zugeneigt gewesen sein. In „Arbeit am Mythos“ beschäftigt sich Blumenberg explizit mit der von Schmitt unterstellten „christologischen“ Bedeutung des Spruches.174 Nach ihm handle es sich bei dem lateinischen Spruch nicht nur um eine versteckte Erfindung Goethes. Er sei zudem, vor dem Hintergrund der Interessen des Dichters, als Ausdruck des Motives des Vater-Sohn-Konfliktes zu verstehen. Dieser Konflikt sei auch das Thema im Stück von Lenz.175 In den Augen Goethes handle es sich um den Widerstreit zweier Götter, Vater und Sohn, wobei die Sohn-Stelle sowohl von Prometheus als auch von Napoleon eingenommen werden könne. In jedem Falle stehen sich die Kontrahenten unversöhnlich 173 Schmitt schließt dieser Formulierung einen Hinweis auf Hegels Anmerkungen zu Reformation und Revolution an (Encyclopädie § 552). Hier geht es um die Notwendigkeit der Einsetzung einer neuen Religion, soll eine Revolution erfolgreich verlaufen. Mit der Religion des alten Regimes sei kein Neuanfang zu machen. Schmitt, Politische Theologie II, S. 94. 174 „Dennoch, wenn Carl Schmitt sagt, der Ausspruch Goethes – den er wohl selbst in lateinischer Sprache formuliert hat – sei ,christologischer Herkunft‘, so schiene mir dies der Konfiguration nach, die Goethe vertraut war, noch eher plausibel zu sein, als im Dunkel von Mystizismen der göttlichen Selbstentzweiung nach der Art Jacob Böhmes zu suchen.“ Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 74 f. 175 Ebd. S. 75 f.
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gegenüber, und es liege eine eindeutig polytheistische Interpretation vor. Die von Schmitt postulierte „christologische“ Deutung gehe nicht auf, da christologisch „nicht sein [kann], was den Sohn zum endgültigen Heiligkeitsbruch mit dem Vater beschwörend aufbietet“. Stattdessen, so Blumenberg, müsse Schmitt von einem nicht-dualistischen (im Sinne von nicht-antagonistischen) Bild ausgehen, in dem zwei Götter (Schöpfer und Sohn) insofern getrennte Wege gehen, als dass die Sohn-Stelle von einer Prometheusfigur besetzt wird, die sich mit dem Menschengeschlecht „solidarisiert“.176 Dies würde immer schon eine Abwertung des Schöpfungsaktes implizieren und Jesus zu einer prometheischen Figur werden lassen. Blumenberg rückt diese Schmitt unterstellte Deutung in eine Nähe zu Schellings „Mythologie des Prometheus“, der die unvermeidbare Feindschaft zwischen Göttern thematisiere: „Daher ist der Geist als das, was im Menschen vom Ursprung her göttlich ist, seiner Autonomie wegen potentiell das, was gegen die Götter aufzustehen treibt“.177 Während jedoch bei Schmitt wie Schelling die Möglichkeit einer Versöhnung bestehe (Prometheus erfüllt zuletzt den Willen des Zeus, die „Sohnschaft ist die Vollendung des geschichtlichen Sinnes zugunsten des Menschen, die Integration des demiurgischen Geschlechts in ein versöhntes Universum“), liefen die Entwürfe Goethes wie Lenz’ auf eine unvermeidbare Konfrontation hinaus.178 Eine weitere zentrale Andeutung im Nachwort der „Politischen Theologie II“ ist die Rede von dem Verhältnis zwischen Augustinus und der Gnosis in Blumenbergs „Legitimität der Neuzeit“. In diesem Falle ist der Jurist konkreter und überlässt es dem Leser, die „Interpretation von Buch 21, 1–8 der Civitas Dei“ zu leisten. Außerdem sei die „tanta novitas-Stelle“ (12. Buch, Kap. 21) von großer Bedeutung. Warum Schmitt eine so schemenhafte, alles Wichtige nur tangierende Kritik in diesem Nachwort unterbringt, ist wohl nur mit persönlichen, nicht aber sachbezogenen Motiven zu erklären. Letztgenannte Passage im zwölften Buch ist eine Polemik auf die „Kreislauflehre“, in der Augustinus versucht, auf der Grundlage des christlichen Glaubensbekenntnisses das zyklische Geschichtsbild zu widerlegen. Die Stelle, auf die sich Schmitt hier im Besonderen bezieht, betrifft die Frage, ob Gott imstande sei, vollkommen neue Dinge zu schaffen. Das zugrundeliegende Problem entspringt offenbar dem Konzept der Vorsehung: Wenn Gottes Weltenlauf im Anfang beschlossen war, stellt sich die Frage, zu welchem Zwecke er an einem beliebigen Punkt im Zeitkontinuum etwas radikal Neues hinzufügen wollte. Nach Augusti176
Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 81 ff. Ebd. S. 84. Auch der Begriff des „Ungrundes“, wie er in der Freiheitsschrift Schellings auftaucht, verweist auf diese Möglichkeit einer Deutung des Zwei-GötterModells. Hierbei geht es um die Bedingung der Freiheit sowohl des Menschen als auch seines Schöpfers (die dem Geschlecht der Sterblichen stets der Erkenntnis entzogen bleibt). 178 Ebd. S. 85. 177
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nus handelt es sich jedoch nur um einen Scheinwiderspruch, da auch das radikal Neue Teil der Vorsehung sei. Dies erläutert der Kirchenvater anhand des Beispieles der zu erlösenden Seelen, die in ihrer Zahl nicht unendlich sein könnten (was eine „Kreislauflehre“ implizieren müsste). Da wir nunmehr mit jenen Kreisläufen aufgeräumt haben, die, wie man meinte, die Seele mit Notwendigkeit stets in dasselbe Elend zurückführen sollten, erübrigt und ziemt sich für die Frömmigkeit nur noch der Glaube, daß es für Gott nicht unmöglich ist, Neues zu schaffen, was er noch niemals schuf, und doch kraft unbeschreiblichen Vorauswissens seinen Willen nie zu ändern.179
Die Abschnitte 1–8 des einundzwanzigsten Buches verhandeln im Wesentlichen die Beantwortung der Frage, warum die Körper der in der Hölle bestraften Seelen nicht von den an ihnen zehrenden Flammen vernichtet werden. Augustinus versucht, diese Frage der Lächerlichkeit preiszugeben, indem er auf allerlei „wundersame“ Dinge in der diesseitigen Welt verweist, die ebenfalls nicht mit der Vernunft zu erklären seien. Die offenkundigen logischen Inkonsistenzen werden mit einem aggressiven Ton überspielt: Kritiker und Zweifler des christlichen Dogmas werden als „Vernunfthelden“ und „Vernunftanbeter“ diffamiert. Ihre „Vernünftelei der Sterblichen“ könne nicht die Erhabenheit der göttlichen Vorsehung schmälern, da doch im bloßen Glauben der größte Beweis liege: „Denn was für eine bessere und stärkere Begründung sollte es wohl geben, als daß wir versichern, der Allmächtige könne es tun [. . .]“. Dass Augustinus die größte Gefahr für den christlichen Glauben in der philosophischen Tradition erkennt, deutet er in verschiedenen herabsetzenden Bemerkungen an. Während etwa das Fleisch eines wundersamen Vogels niemals verderbe, verwese „das Fleisch des Philosophen“ sicher. Als wäre dies nicht deutlich genug, fügt der Kirchenvater hinzu, dass sich die „Dämonen“ bisweilen Menschen zu Schülern nähmen, und teils getarnt in Engelsgestalt deren Vertrauen gewännen. Der einzige Schutz vor diesem Unheil läge in dem bedingungslosen Glauben an die göttliche Offenbarung.180 In welcher Relation stehen diese Erwägungen Augustins zu den Thesen Blumenbergs, wenn er in der „Legitimität der Neuzeit“ von der missglückten Gnosisbannung durch den Kirchenvater spricht? Mehr als diese zwei Textstellen gibt Schmitt dem Leser nicht an die Hand. Zunächst müssen die zentralen Aussagen des Philosophen wiedergegeben werden, um eine mögliche, von Schmitt scheinbar unterstellte, anachronistische Antwort Augustins erkennen zu können. Im zweiten Kapitel seines Buches wendet sich Blumenberg gegen den Vorwurf an die Neuzeit, bei ihr handle es sich um ein gnostisches Zeitalter bzw. einen gnostischen „Rezidiv“. Allerdings sei die „Gnosis-Formel“ der Schlüssel zum Verständnis des Problems, das ihn umtreibe. Der Philosoph beginnt seine Erläuterungen mit der These, nach der die Neuzeit die gelungene Bewältigung der Gno179 180
Augustinus, S. 97 f. Ebd. S. 685–693.
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sis darstelle.181 In Anlehnung an von Harnack betrachtet er das mittelalterliche System als Produkt des Kampfes gegen die gnostische Bedrohung. Ihr sei die antike „Kosmos-Dignität“ entgegengehalten worden, die um jeden Preis Bestand haben sollte. Die Höhe des für diese Rettung erforderlichen Preises interessiere ihn hierbei besonders. Aus Blumenbergs Sicht gewinnt die Gnosis deshalb so viele Opponenten, weil ihr Weltbild eine Interpretation bedinge, deren weitreichende Implikationen allgemein als unerträglich empfunden werden (Aufgabe des nahen Endes, radikale Abwertung der Lebenswelt als sinnloses Trugbild des Demiurgen usw.).182 Um ohne die Figur des Demiurgen das Böse in der Welt begreiflich zu machen, führt Augustinus das Konzept der Erbsünde in seine Ausführungen ein. Nach Blumenberg ist allein die Monstrosität der Erbsünde groß genug, um einen adäquaten Ersatz für den nicht-erlösenden, unvollkommenen Schöpfer der Welt anzubieten. Im Zusammenhang mit der Lehre von der Erbsünde steht die Prädestination, da in einer so gestalteten, endlichen Welt nur eine bestimmte Menge an menschlichen Individuen Anteil am Himmelreich haben kann – der Rest der Menschheit, der nach den Vorstellungen des Kirchenvaters offenbar den größeren Teil stellt, ist nicht nur für die Hölle bestimmt, sondern zuvor bereits für alles Schlechte in der Welt verantwortlich. Das Problem bei dieser „Erledigung“ der Gnosis liege darin, dass der Prädestinationsgedanke in reformulierter Version das ursprüngliche Ärgernis bestehen ließe:183 Diese zur Rechtfertigung Gottes ersonnene Krudität hat ihre verschwiegene Ironie darin, daß auf dem Umweg über die Vorstellung der Prädestination eben doch die Urheberschaft des absoluten Prinzips für die kosmische Verderbnis wieder hereingeholt wird, deren Elimination der ganze Aufwand gegolten hatte.184
Blumenberg schlägt eine Brücke von dieser missglückten Bannung der Gnosis zu den Herausforderungen, denen sich die „Selbstbehauptung der Vernunft“ am Beginn der Epochenwende zur Neuzeit gegenübersieht. Denn die in den Begriffen der Prädestination und Erbsünde übersetzte Gnosisproblematik suggeriere die vollkommene Zwecklosigkeit jeder Form von „Selbstbehauptung“ bzw. aktiver Gestaltung der Welt: Zunächst müsse die Vernunft ihr Vorhaben gegen die Tradition verteidigen, mit Verstandesgebrauch die Welt zu einer besseren zu wenden.185 Blumenberg postuliert vor dem Durchbruch der Neuzeit eine zweite Überwindung der Gnosis am Ausgang des Mittelalters, die dadurch zustande komme, dass die Idee der göttlichen Vorsehung an Glaubwürdigkeit verliert und infolge dessen 181 182 183 184 185
Blumenberg, S. 138. Ebd. S. 143 f. Ebd. S. 148. Ebd. S. 148. Ebd. S. 149.
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die Welt erneut zum Objekt menschlicher Anstrengung wird: Die „Selbstbehauptung“ erscheint jetzt als notwendig. Die Welt in ihrer gegenwärtigen Form werde nicht mehr als Resultat einer historischen Erbschuld betrachtet, sondern als Herausforderung in der Zukunft, sie nach dem eigenen Willen zu verändern. Diese Verobjektivierung der Welt als Gegenstand menschlicher Gestaltungsfähigkeit sei die Voraussetzung für den technischen Fortschritt: „Die Zerstörung des Weltvertrauens hat ihn [den Menschen, Anm. d. Verf.] erst zum schöpferisch handelnden Wesen gemacht, hat ihn von einer verhängnisvollen Beruhigung seiner Aktivität befreit“.186 Dieser radikale Bruch mit der durch die Tradition vermittelten Sinnfülle, welche das christliche Weltbild zur Voraussetzung hatte, benötige entgegen der an ihn herangetragenen Forderungen keine Rechtfertigung: „Vernunft als letzte Instanz bedarf nicht der Legitimation dafür, sich selbst in Kraft zu setzen“.187 Schmitt und verwandte Denker hätten Schwierigkeiten damit, diese Voraussetzungslosigkeit zu erkennen: Der sich aus seiner inneren Evidenz begründende Anfang der Neuzeit schien einen sinnhaltigen historischen Kontext barbarisch zu zerschlagen und einem Akt der puren Selbstermächtigung zu entspringen.188
Zugleich weist Blumenberg die These zurück, nach der die Neuzeit eine Fortsetzung des Hellenismus sei – so dass das Christentum als geschichtliche Unterbrechung eines Prozesses erscheint. Sie sei deshalb nicht überzeugend, weil sie den Moment der „Selbstbehauptung“, der charakteristisch für die Konstituierung der Neuzeit sei, relativiere oder gar völlig ausblende.189 Die Postulate von Schmitt und Blumenberg können auf einige wenige, knappe Formulierungen reduziert werden, ohne dabei in unangemessener Weise an inhaltlicher Substanz zu verlieren: Blumenberg reagiert auf den Vorwurf, die Neuzeit sei ein Rückfall in die Gnosis, mit der radikalen Umkehr der Intention des Satzes, indem er die Neuzeit als die vollendete Überwindung ihrer ausweist. Damit ist wahrscheinlich nicht nur die fortschreitende politische und gesellschaftliche Zurückdrängung der Religion aus dem öffentlichen Raum gemeint (der das Problem zuerst entsprang), sondern auch der für die Neuzeit idiosynkratische, naturwissenschaftlich-empirische Blick auf die Welt, der keine Einteilung von Erscheinungen in Gut und Böse als Eigentumsrechte einer bestimmten Gottheit oder eines Gottesdieners (Ahriman/Ahura Mazda, Gott/Widersacher, Marduk/ Tiamat etc.) mehr zulässt. Zugleich besteht der Philosoph auf die Eigenständigkeit der Neuzeit als einen radikalen Bruch mit der Tradition. Demgegenüber steht die Behauptung Schmitts, die Neuzeit stehe für eine zunehmende Entfernung 186 187 188 189
Blumenberg, S. 150 ff. Ebd. S. 159. Ebd. S. 161. Ebd. S. 161 f.
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von Gott bei gleichzeitiger, ideeller Abhängigkeit von ihren geschichtlich-weltanschaulichen Vorläufern.190 Diese Entfernung wird als Übel betrachtet, jedoch scheint sich Schmitt dem Urteil entziehen zu wollen, ob es sich bei der Neuzeit um eine widergöttliche Selbstbehauptung (was die Gefahr der Gnosis birgt) oder um das Werk Gottes selbst handelt. In jedem Falle ist der Verweis auf Augustinus so zu sehen, dass Schmitt die Neuzeit als Schöpfung Gottes für möglich hält. Das 21. Buch kann dann so interpretiert werden, dass Schmitt den Lobpreisungen Blumenbergs für die Vernunftleistungen der neuzeitlichen Epoche den letzten Rest empirisch-logisch unerklärlicher Phänomene entgegenhält – d.h. die jahrhundertealte Kritik des Kirchenvaters wird wiederholt. Dass die Argumente Schmitts in diesem Kontext nicht überzeugen, ist offensichtlich. Umso unerklärlicher scheint es, wieso der Autor der „Politischen Theologie“ in dieser Form auf Blumenberg antwortet.191 Neben dem besprochenen nemo contra enthält die Polemik Schmitts zwei weitere lateinische Sprüche, die beide nicht weiter ausgewiesen sind. Sie folgen im Text kurz aufeinander und scheinen vom Autor als Schlüssel für die Interpretation seiner Ausführungen dem Leser mitgegeben worden zu sein. Zudem beschließen sie das Nachwort. Der erste Spruch lautet: 7. Eripuit fulmen caelo, nova fulmina mittit Eripuit caelum deo, nova spatia struit. Homo homini res mutanda Nemo contra hominem nisi homo ipse.192
Das Zitat steht in einem Kontext mit Schmitts Vorschlag für eine gelungene „modern-wissenschaftliche Erledigung jeder Politischen Theologie“.193 Anhand von sieben Punkten werden die Voraussetzungen für eine erfolgversprechende Erledigung im Sinne Petersons vorgestellt. Diese lesen sich wie eine sarkastische Zuspitzung der Polemik gegen die Neuzeit. Schmitt spricht von einem „ProzeßProgreß“, der das Funktionieren der säkularen Moderne, insbesondere ihres Wissenschaftsbetriebes, zutreffend beschreibe.194 Dieser „Prozeß-Progreß“ sei eine Art Kreisbewegung: Er produziere sich selbst und darüber hinaus die Vorausset190 Was bei Schmitt „Säkularisate“ als aus der Tradition hergenommene Instrumente der Suggestion sind, bleiben für Blumenberg scheinbar nur „Metaphern“. „Es geht um die wiederholt einmalige, strukturell analoge und dennoch radikal neue Verschränkung der geistlich/weltlichen Ebenen ineinander.“ Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 272. 191 Eine überzeugendere Kritik an der „exakten Wissenschaft“ schreibt Schmitt in sein Exemplar der „Legitimität der Neuzeit“. Ebd. S. 258 (Fußnote). 192 Er entriss dem Himmel den Blitz, er schleuderte neue Blitze / Er entriss dem Gott den Himmel, er errichtete neue Wege. / Der Mensch ist dem Menschen ein verändertes Ding / Niemand darf den Menschen in Frage stellen außer der Mensch selbst. Schmitt, Politische Theologie II, S. 98. 193 Ebd. S. 96 ff. 194 Schmitt greift hier ein Thema auf, dass bereits in den „Buribunken“ (1918) zur Sprache kam. Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 257.
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zungen seiner eigenen „Neuheits-Erneuerungen“. Schmitt stellt eine Verbindung zum christlichen Glaubensbekenntnis her, wenn er diese „Schöpfung des Nichts“ der göttlichen Schöpfung ex nihilo entgegenhält. Die Moderne erkenne in der Freiheit des Menschen den höchsten Wert, was mit der Etablierung dreier weiterer Freiheiten einhergehe: Der „Wertfreiheit“, der „Produktionsfreiheit“ sowie der „Bewertungsfreiheit“. Von der Wertfreiheit spricht Schmitt explizit im Zusammenhang mit den modernen Wissenschaften. Diese Freiheiten seien das „irreversible Syndrom“ der modernen, „freie[n] Gesellschaft“. Als einen wichtigen Aspekt dieser Entwicklung greift Schmitt die Stellung des Menschen in der Neuzeit heraus. Eingeschlossen in den „Prozeß-Progreß“, der die Neuzeit ausmache, werde auch der Mensch einer ständigen Erneuerung unterzogen. Er wird zum Produkt, das ständiger Aktualisierung bedarf. Dabei ist wesentlich, dass der gesamte Vorgang keinerlei Bezug zum Alten unterhält – der neue Mensch ist durch eine tiefe Kluft vollständig von seiner historischen Herkunft getrennt. Die Triebfeder all dieser Prozesse sei die Neugier. Über die curiositas als Motor der Moderne berichtet auch Blumenberg in der „Legitimität der Neuzeit“ ausführlich.195 Der fünfte Punkt in Schmitts Aufzählung gibt möglicherweise einen Hinweis auf seine eigene Deutung des Problems der Gnosis, von dem bereits die Rede gewesen ist. Die Neuzeit negiere jene Sichtweise, nach der der neue Mensch eine „widergöttliche Selbstvergöttlichung“ unternehme. Entsprechend scheint die dritte Person Singular im Siebten seiner Punkte den Menschen zu meinen. Die neu errichteten Wege müssen folglich Alternativen zum gottgefälligen Leben sein. Für Schmitt scheint es allerdings eine definitive Antwort auf die Frage zu geben, wer den Menschen außer dem Menschen in Frage stellen kann bzw. darf. Den Ausführungen zu den Bedingungen einer wissenschaftlich einwandfreien Erledigung aller politischen Theologie schließt Schmitt eine letzte Bemerkung an, bevor der Text endet: Ich schließe mit der Frage: Welcher von jenen drei Freiheiten ist die intensivste Aggressivität immanent: der wissenschaftlichen Wertfreiheit, der technisch-industriellen Produktionsfreiheit oder der Bewertungsfreiheit des freien menschlichen Konsums? Sollte diese Frage wissenschaftlich unerlaubt sein, weil inzwischen auch der Begriff Aggressivität wert-frei geworden ist, so wäre die Situation klar: stat pro ratione Libertas, et Novitas pro Libertate.196 195 Hier kommt Augustinus etwas besser weg, wenn Blumenberg dem Kirchenvater keine generelle Empiriefeindlichkeit unterstellt, sondern die „Verweigerung der Dankesschuld für die Kreatürlichkeit“ als Stein des Antoßes herausstreicht. Blumenberg, S. 358–361. Dabei geht es auch um den Wunsch nach einem eigenmächtig erzeugten „Paradies“. Ebd. S. 266 ff. Entgegen möglicher Implikationen im Nachwort der „Politischen Theologie II“ steht Schmitt der von Augustinus abwertend vorgestellten curiositas nicht eindeutig feindlich gegenüber. Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 111 f. 196 In etwa „Anstelle der Vernunft steht die Freiheit, und (anstelle) der Freiheit die Neuheit.“ Schmitt, Politische Theologie II, S. 98.
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Diese Stelle erweckt den Eindruck, als erkenne Schmitt in der „Wertfreiheit“ der Wissenschaften das Grundübel einer gott- und ziellosen Moderne. Auch dies kann als Angriff auf die konstitutive Bedeutsamkeit der curiositas für den Epochenwechsel verstanden werden. Zugleich scheint es sich um eine Attacke gegen das Ideal einer nicht-ideologischen, vorurteilsfreien Forschung zu handeln. Aber Schmitt äußert keine philosophisch fundierte Kritik an den Möglichkeiten und Bedingungen dieses Ideals. Stattdessen wird der Wert eines solchen Zieles grundsätzlich in Frage gestellt: Die Wertfreiheit moderner Forschung ist ein malum, ein Mangel an sinngebender Evidenz in der Weltwahrnehmung. Möglicherweise stehen die Andeutungen des Juristen über den Wissenschaftsstatus der Theologie im gleichen Kontext: Schmitt spricht sich ausdrücklich dafür aus, die Theologie als Wissenschaft zu sehen.197 Die Fundamentalopposition des Autors gegen die moderne Welt äußert sich also auch und im Speziellen in seinem Verhältnis zu den modernen Wissenschaften und ihrer allgemein anerkannten Methodologie. In jedem Falle geht es um mehr als nur um die Formulierung einer besonders wortgewaltigen Provokation. Der zweite lateinische Spruch, stat pro ratione Libertas, et Novitas pro Libertate, wiederholt in abgewandelter Form die Polemik des vorangegangenen Entwurfes einer Erledigung jeder politischen Theologie. Die Verknappung der Formulierung macht deutlicher sichtbar, worum es Schmitt im Wesentlichen geht. Scheinbar betrachtet er das Treiben der szientistisch geprägten Neuzeit als ein großes Tollhaus, in dem die um sich selbst kreisende Gottvergessenheit immer neue Entfremdungserscheinungen eines missglückten, weil sinnentleerten Lebensentwurfes gebiert. Der den drei abrahamitisch-monotheistischen Religionen eigene, epistemologische Fatalismus wird hier greifbar, welcher sich in einer völligen Ablehnung jedes Optimismus für eine durch die modernen Wissenschaften möglich gemachten, Fortschritt versprechenden Zukunft äußert. Das Fundament einer solchen Sichtweise ist eine negative Anthropologie, zu der sich auch Schmitt ausdrücklich bekennt. Aus seiner Perspektive gehört die ratione zum notwendigen Bestandteil eines gottesfürchtigen Lebens, wie aus dem letzten lateinischen Spruch hervorgeht – ein scheinbarer Widerspruch zur tendenziell negativen Bewertung der Neugier. Es ist sichtbar geworden, dass die Schriften von 1922 und 1970 (z. T. entgegen eigener Behauptungen) in ihrer Gesamtheit weder rein soziologisch-epistemologisch, noch rein rechtswissenschaftlich oder wissenschaftstheoretisch sind.198 Es handelt sich im Kern um eine religiös begründete Ablehnung einer bestimmten Deutung der Neuzeit. Damit stellt sich Schmitt entschieden gegen philosophisch begründete Interpretationen wie die Blumenbergs. 197 „Theologie will eine Wissenschaft sein und bleibt es auch, solange es einem total andern Wissenschaftsbegriff nicht gelingt, die Religion und ihre Theologie in die Untergründe seiner Art von Weltlichkeit zu verdrängen und sie als Anachronismus und Neurose psychoanalytisch zu liquidieren.“ Schmitt, Politische Theologie II, S. 77. 198 Ebd. S. 15.
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Die Autoren Alexander Schmitz und Marcel Lepper deuten im Nachwort des Briefwechsels zwischen Blumenberg und Schmitt die hier zutage tretende Differenz als Streit um die legitime oder illegitime Verwendung theologischer Bilder für politisch-säkulare Unternehmen, die hierdurch auf das Niveau bloßer „Metaphern“ herabgesetzt würden. Hierbei habe Schmitt etwas Wichtiges gesehen, nämlich die für die Neuzeit charakteristischen „Entleerungen des Absoluten“, die sich in der synthetischen Prophetie politischer Massensuggestion und Propaganda zeigten.199 Die Politik verschaffe sich selbst den Anschein der Legitimität, indem sie sich aus dem Sprachschatz der Theologie bediene. Diese gewaltsame SelbstSetzung, die die durch die Tradition verbürgten Bilder und Formeln für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert, sei ein wesentlicher Anschauungsgegenstand in den Polemiken Schmitts: Die Radikalität und Provokation von Politische Theologie wie auch Der Begriff des Politischen bestehen ja darin, die Paradoxien moderner Systemroutinen – die Voraussetzung der Einsetzung also – offenzulegen. Die polemische Energie dieser Schriften richtet sich gegen nichts so sehr wie gegen intransitive Erhaltungssätze und Legitimation durch Verfahren. [Hervorhebungen im Original]200
Damit ist Schmitt nicht nur als Fürsprecher seiner eigenen politischen Theologie erkannt, sondern auch als dezidierter Kritiker neuzeitlich-säkularer Ersatzreligionen in Form von politischen „Weltanschauungen“ und „Revolutionen“, die den Menschen zum Gegenstand einer Planung machen, die für sich in Anspruch nimmt, über ausreichend Wissen zu verfügen, die Ordnung der Dinge des Lebens zum Besseren zu wenden. Die oben erwähnten sieben Punkte zur endgültigen „Erledigung“ jeder politischen Theologie beschreiben dementsprechend den Fall, für den dieser Rückgriff auf traditionelle Bilder vollkommen verschwunden sei.
199 Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 306. Vgl. auch „Der politische Absolutismus entwindet dem theologischen Absolutismus die sprachlichen Mittel [. . .].“ Ebd. S. 294. 200 Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 301.
C. Theologische Politik I. Negative Anthropologie und christliche Tradition In den Schriften Schmitts wird der Begriff der politischen Theologie zumeist nicht in einem wissenschaftlich-beschreibenden Sinne verwendet. Stattdessen betätigt sich der Autor in „Politische Theologie“ und „Politische Theologie II“ selbst politisch-theologisch. Aus diesem Grunde sind weite Strecken der Texte ihrer Natur nach nicht analytisch, sondern polemisch. Eine der größten Stärken des literarischen Stils, den Schmitt pflegt, besteht in der rhetorischen Begrenzung des Blickwinkels des Rezipienten auf die Gegenstände, deren Betrachtung Rückschlüsse im Sinne des Autors nahelegen. Um sich den vorgestellten Werken kritisch zu nähern ist es daher ratsam, den von Schmitt vorgelegten Wahrnehmungshorizont „aufzubrechen“, um seine Thesen in einem größeren Zusammenhang mit der notwendigen Distanz zu beurteilen. Erik Peterson ist ein Beispiel für die dem entgegengesetzte Vorgehensweise: Selbst politisch-theologisch agierend, kreist Peterson bloß um die Gesichtspunkte, die Schmitt seinen Lesern vorgeben will – was bei ihm in einer theologischen Widerlegung des juridifizierten Monotheismus resultiert. Der Ägyptologe und Religionswissenschaftler Jan Assmann hat einen bemerkenswerten Beitrag zur Deutung der Denkbewegung Schmitts geleistet. Assmann ist kein politischer Theologe. Er versucht, ausgehend von einer breit angelegten, anthropologisch-kulturgeschichtlichen Betrachtung aus das Anliegen des Staatsrechtlers verständlicher zu machen. Im Unterschied zu Hans Blumenberg, der die „Politische Theologie“ an ihrer Säkularisationshypothese misst, konzentriert sich Assmann auf die religionsgeschichtlichen Hintergründe der geschichtsphilosophischen Postulate Schmitts.201 Dessen Schriften zeichnen ein Geschichtsbild,
201 Das von Heinrich Meier verfasste Vorwort zu „Politische Theologie zwischen Ägypten und Israel“ beinhaltet eine scharfe Kritik an Blumenbergs Rezeption der Schriften Schmitts, ohne dabei den Namen des Philosophen zu nennen. Meier spricht von einer „verharmlosenden“ Reduktion der „Politischen Theologie“ auf „ein bloßes Säkularisierungs-Theorem“, die zur „Legende“ geworden sei, an deren Bestand Schmitt selbst Interesse gehabt habe. Doch obgleich Blumenberg das Buch unter dem Gesichtspunkt des darin enthaltenen Säkularisationstheorems behandelt, gibt keine Stelle der „Legitimität der Neuzeit“ Anlass zu der Vermutung, der Philosoph habe nicht auch eine religiös begründete Kampfansage an den politischen Feind in ihm erkannt. Der thematische Schwerpunkt Blumenbergs ergibt sich aus dem spezifisch philosophischen Zugriff auf den betrachteten Gegenstand. Dass er kein Interesse an einer politisch-theologisch geführten Diskussion haben kann, versteht sich beinahe von selbst. Assmann, S. 8 f.
I. Negative Anthropologie und christliche Tradition
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das grob von der Konstantinischen Wende bis zum Zweiten Weltkrieg reicht. Peterson erweitert diesen historischen Kontext in seiner Kritik um ein paar Jahrhunderte, indem er den „Monotheismus als politisches Problem“ mit Aristoteles beginnen lässt. In beiden Fällen steht der christliche Glaube im Mittelpunkt. Zu keinem Zeitpunkt lässt etwa Schmitt Zweifel darüber aufkommen, ob die Säkularisierung theologischer Begriffe tatsächlich ein unrechtmäßiger Diebstahl aus dem Ideenschatz des Christentums ist, oder ob, stattdessen, jene theologischen Gedankenfiguren ihrerseits aus dem Fundus eines älteren Systems stammen. Dieser Blick hinter die Kulissen wird dem Leser durch die Beschränkung auf die oben dargestellte Zeitspanne verwehrt. Assmann bricht diese Perspektive, indem er der christozentrischen Geschichtsphilosophie Schmitts mehrere Jahrtausende vorchristlicher Kulturgeschichte entgegenhält – mit dem überraschenden Ergebnis, dass der von Schmitt veranschlagten „Säkularisierung“ (Assmann: „Politisierung“) theologischer Begriffe geschichtlich eine „Theologisierung“ politischer Begriffe vorausgeht. Diese Theologisierung sei eng mit der Geschichte des israelischen Volkes und seines Auszuges aus Ägypten verbunden. Assmann führt die Unterscheidung von „primärer“ und „sekundärer“ Religion ein: Erstere steht für eine geschichtlich frühere Form religiösen Lebens, in dem noch keine Differenzierung zwischen Kult und Polis möglich ist. Die „sekundäre“ Religion repräsentiert demgegenüber eine Innovation, durch die die Kultgemeinschaft dazu befähigt wird, zwischen rechtschaffenden und schlechten irdischen Herrschern zu differenzieren.202 Assmann nennt dies die Trennung von „Herrschaft und Heil“, und schreibt sie als Neuerung dem jüdischen Volk zu. Entsprechend hätten die alten Ägypter diese Trennung noch nicht gekannt – der ägyptische Staat sei fest in der ursprünglichen Form primärer Religion verankert, nach deren Prämissen jede Handlung Pharaos per se „gut“ und damit legitim ist. Das wesentliche Moment der sekundären Religion, wie sie Israel in die Geschichte einführe, besteht laut Assmann in einer „Umbuchung“ der Attribute des Königs (Politik) auf Gott (Religion). Die bedeutsamste aller Umbuchungen sei die der Übertragung der Rolle des Gesetzgebers: Obwohl in Ägypten der König die göttliche Ordnung verkörpere, gelten die Gesetze als von Menschen gemacht. Der jüdische Monotheismus sei es, der Gott zum einzigen Gesetzgeber erklärt. Dem korrespondiere ein tiefes Misstrauen gegen jede Form menschlicher Herrschaft über andere Menschen. Assmann unterscheidet in der Geschichte Israels zwischen einer „sub-staatlichen“, „anti-staatlichen“ und staatlichen bzw. staatstragenden Phase. Erstere entspreche der Situation der zugebilligten Autonomie innerhalb des persischen Reiches. Die jüdische Kultgemeinschaft markiere einen radikalen Bruch mit der staatlichen Ordnung, insofern JHWE keinen zweiten Herrn, d.h. Gesetzgeber neben ihm erlaubt. Die „anti-staatliche“ Phase sei gekennzeichnet durch die Zeit der (gewollten) Nicht202
Assmann, S. 37.
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C. Theologische Politik
staatlichkeit im ägyptischen Exil: Macht komme nur Gott selbst zu, Macht in den Händen von Menschen gelte als schlecht und korrupt. Endlich tauchten staatliche Phasen historisch betrachtet nur vereinzelnd und kurzlebig auf – Assmann nennt etwa das Reich König Salomos.203 Diesen Varianten politisch-theologischer Vergemeinschaftung fügt der Ägyptologe die Unterscheidung dreier Formen staatsrechtlicher Konstrukte hinzu, die nicht auf die Geschichte Israels beschränkt seien, sondern grundsätzlich Geltung für alle politisch-theologischen Staatsentwürfe beanspruchen dürften. Zum Einen handle es sich um den Dualismus, welcher die strikte Scheidung von Religion und Politik vorsieht.204 Eine zweite Form nennt Assmann die Theokratie, in welcher der weltlich-politischen Elite die Macht abgesprochen werde. Stattdessen sollen religiöse Führer die politischen Geschäfte leiten. Dem gesellt sich die dritte Variante hinzu, die Assmann Repräsentation nennt. In ihr erkennt er die vollendete Identifikation von „Herrschaft und Heil“, die für das alte Ägypten charakteristisch sei (Politik und Religion fallen in Gestalt des Staatsoberhauptes zusammen).205 Die „Theologisierung“ politischer Begriffe im Zuge des Exodus ist die zentrale Beobachtung, die Assmann mit Blick auf die „Politische Theologie“ der Bewertung der Thesen Schmitts hinzufügt. Der Aufstieg Gottes zum Gesetzgeber führe zu einer Vielzahl an revolutionären Konsequenzen, deren religionsgeschichtliche Bedeutung nach seiner Darstellung kaum unterschätzt werden könne. Der Ägyptologe exemplifiziert diese These anhand der beiden Begriffe „Zorn“ und „Liebe“. Beide entstammten dem Begriffsrepertoire der in Ägypten säkularen Politik. Sie stehen jeweils für ein bestimmtes Verhältnis des Königs zu seinen Untertanen und folgten aus der Aufgabe des Herrschers, die gottgewollte Ordnung aufrecht zu erhalten und das Gute in der Welt zu mehren. Während sich der Zorn des Königs gegen die Feinde dieser Ordnung richten müsse, damit der Staat nicht in Anarchie und Chaos versinke, werde ihm Liebe in Form des (politischen) Eides zuteil, den seine Untertanen ablegen müssen. Assmann konstruiert aus dieser Relation einen spiegelnden „Dialog“ zwischen Herrscher und Beherrschten: Dem Zorn (König) entspricht die Furcht (Untertanen). Der Liebe (Untertanen) entspricht die Huld (König). Anhand des Tefnut-Mythos macht der Autor verständlich, in welcher Weise in Ägypten die Verbindung zwischen der durch den Herrscher vertretenen göttlichen Ordnung und der Menschenwelt ge-
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Assmann, S. 72 f. Eine Erscheinungsform dieses dualistischen Prinzips sei die christliche Zwei-Reiche-Lehre, die ihren Ursprung in der israelischen Trennung von „Herrschaft und Heil“ habe. Ebd. S. 75. 205 In einer Bemerkung fügt Assmann der Kritik Schmitts an Petersons „Erledigung“ hinzu, dass der Theologe 1935 eigentlich bloß alle Formen repräsentativer politischer Theologie attackiert habe. Ebd. S. 33 f. 204
I. Negative Anthropologie und christliche Tradition
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dacht wurde.206 Die Begriffe von Zorn und Liebe als Bestandteil der politischsäkularen Ordnung (Eidesschwüre, Bestrafung der Ungerechten etc.) seien dann von Israel auf Gott übertragen worden. Indem Gott Anteil an seiner Schöpfung nehme, unterscheide er zwischen gerechten und ungerechten Menschen. Als eingreifender Gott straft und belohnt er seine Geschöpfe und formuliert ewig gültige Gesetze, an die sich sein erwähltes Volk halten muss, will es in seiner Gunst verweilen.207 Jedoch sei es, so Assmann, unmöglich, zwei Herren gleichzeitig zu dienen. Hierin sei der Auszug aus Ägypten angelegt. Gott ist nicht unpolitisch; diese These gehört zu den Grundannahmen jeder politischen Theologie. In diesem Punkt stimmen auch Ägypten und Israel völlig miteinander überein. Der Unterschied liegt nur darin daß in Ägypten Gott – der Singular ist hier durchaus am Platz – die Herrschaft, d.h. die Rolle seiner herrscherlich-richterlichen Weltzuwendung, dem König überträgt, der ihn in dieser Rolle repräsentiert, während in Israel Gott selbst und unmittelbar diese Rolle wahrnimmt.208
Die Trennung Israels von Ägypten bringe zugleich die viel radikalere Ablehnung jeder Form von Staatsnähe mit sich. Auch hier führt Assmann eine hilfreiche Unterscheidung ein: Staatsnähe bedinge im Sinne der „sekundären“ Religion Gottesferne. Gottesnähe wiederum erzwinge Staatsferne.209 Darum könne die weltanschauliche Grundhaltung des jüdischen Offenbarungsglaubens als „antistaatlich“ bezeichnet werden. Es ist dieser historische Zusammenhang, den Assmann expliziert, wenn er mit Blick auf die politisch-theologischen Positionen Schmitts eine Brücke zum frühen Christentum schlägt. Dieses habe nämlich die Staatsferne von Israel geerbt, und erst mit der Konstantinischen Wende sei das Christentum staatstragend geworden. Schmitt sieht jedoch in jener Staatsfeindschaft den Antichrist am Werk, so als sei die herrschaftskritische Lehre Jesu bereits von Anbeginn an vom Widersacher kontaminiert. Der Ägyptologe unterstreicht diese Differenz und macht sie durch den Verweis auf Schmitts Rede von positiver und negativer Anthropologie transparenter: Die positive Anthropologie, die Schmitt den Atheisten, Sozialisten, Liberalen und
206 Das von mir stark vereinfachte Verhältnis zwischen König und Volk (welches noch nicht als eigenständiges Subjekt in Erscheinung tritt) spiegelt sich laut Assmann in Gestalt der Göttin Tefnut, welche eine enge Verbindung mit der altägyptischen Gerechtigkeitsvorstellung, Ma’at, unterhält. Als Göttin sowohl des Zornes (in Löwengestalt, Sachmet) als auch der Milde (in Katzenform, Bastet) repräsentiert sie das ambivalente Rollenbild des irdischen Herrschers, der aufgrund seiner königlichen Aufgaben mit zwei Gesichtern aufzutreten verpflichtet ist. Assmann, S. 87 f. 207 Diesem revolutionären „Bund“, den erstmalig das israelische Volk mit Gott schließt, gehe eine „Sakralisierung der Ethik“ voraus. Gerechtes Handeln ist nicht länger politisch-säkulare Angelegenheit. Gott verlangt Gerechtigkeit und diktiert selbst den objektiven Maßstab gerechten Handelns als Inbegriff der israelischen Gottgefälligkeit. Ebd. S. 69. 208 Ebd. S. 93. 209 Ebd. S. 57–60.
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C. Theologische Politik
Anarchisten (kurz: dem „neuzeitlichen Satanismus“) zuschreibt, stamme geschichtlich aus dem weltanschaulichen Ideenschatz des Judentums bzw. des frühen Christentums. Sie ist positiv in dem Sinne, als dass Israel dem Menschen unter der alleinigen Herrschaft Gottes zutraut, eine allgemein zufriedenstellende politische Gemeinschaft zu bilden und langfristig aufrecht zu erhalten.210 Die negative Anthropologie hingegen, mit der sich Schmitt identifiziert, bestreitet diese Möglichkeit zugunsten der Forderung nach einem starken Staat, der allein die Bestie im Menschen zu zähmen imstande sei.211 Wie Assmann eindrucksvoll zeigt, ist diese Position aber gerade im ursprünglichen Sinne nicht christlich, auch wenn sie immer wieder von Christen wie Schmitt vertreten worden ist.212 Der Ägyptologe zeigt außerdem, wie sich die Legitimation einer solchen Gewaltherrschaft abhängig davon, welcher Kultur ein Individuum angehört, unterscheidet. Der Katholizismus in der Ausprägung, die Schmitt repräsentiert, kann sich auf den Gebrauch der Augustinischen Lehre von der Erbsünde stützen. Ägypten, welches weder das Christentum noch eine Idee vergleichbar der Erbsünde kannte, begründete die absolute Herrschaft des Königs mit dem „Gesetz der Fische“: Nur die staatliche Autorität sei in der Lage, dem „natürlichen“ Recht des Stärkeren Einhalt zu gebieten.213 Neben diesen wichtigen Erkenntnissen beinhaltet die Schrift Assmanns noch eine weitere erhellende Beobachtung, welche sich aus der Untersuchung des altägyptischen Weltbildes ergibt. Grundlage der Thesen Assmanns zur ägyptischen Königsherrschaft ist die kulturell bedingte, klare Trennung von politischer und religiöser „Handlungssphäre“: Recht und Kult, politische und religiöse Führerschaft werden in einer Hand – politische und religiöse Ordnung werden in einem Begriff vereinigt. Deshalb kann man sagen, daß alles, was der König tut, priesterliches wie politisches Handeln, in einem allgemeinen Sinne religiös fundiert ist. Es gehört zur Ma’at, die er verwirklicht, indem er den Schöpfer repräsentiert. Über diesen allgemeinen Nenner hinaus wird allerdings deutlich zwischen den Handlungssphären des Politischen und Religiösen unterschieden. Auf dieser Differenzierung zweier Handlungssphären beruht meine ganze weitere Argumentation. [Hervorhebungen im Original]214 210 Die „alleinige Herrschaft Gottes“ kann, in Ermangelung eines praktischen Anwendungsszenarios, auch die „Herrschaft des Naturgesetzes“ genannt werden. 211 Was gleichbedeutend mit der Bestreitung der Möglichkeit der Auffindung eines Naturgesetzes ist: Wenn die menschliche Vernunft nicht imstande ist, allgemein gültige ethische Normen zu bestimmen, so soll nach dezisionistischem Prinzip der Wille eines Einzelnen (oder einer Gruppe) regieren. Interessanterweise ist es aber gerade die Religion, der zumeist der Vorwurf einer solchen Logosfeindlichkeit gemacht wird (Leo Strauss, Heinrich Meier, Hans Blumenberg). 212 Erst mit der Konstantinischen Wende werde die christliche Anthropologie negativ und vollziehe so eine „Rückkehr nach Ägypten“. Assmann, S. 105. 213 Ebd. S. 90. 214 Laut Assmann fallen also in der „primären“ Religion, wie sie Ägypten vertritt, Politik und Kult zusammen. Allerdings nicht dergestalt, dass nicht noch zwischen reli-
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Das oberflächlich betrachtet stark religiös geprägte ägyptische Gesellschaftsmodell entpuppe sich also auf den zweiten Blick als weitreichend säkulare politische Ordnung. Damit wirkt Ägypten überraschend „modern“. Assmann geht gar so weit, in Bezug auf den oben erwähnten Tefnut-Mythos (der die zwei „Gesichter“ des Königs zum Ausdruck bringe) von der Erfindung der Idee der Gewaltenteilung bzw. des politischen Korrektivs staatlicher Gewalt zu sprechen.215 In direkter Opposition zu den Behauptungen Petersons erkennt er in dem ägyptischen Staat, der dem politisch-theologischen Prinzip der Repräsentation folge, ein trinitarisches System (bestehend aus Ma’at – Pharao – Gott).216 Auch den Schmittschen Begriff des Ausnahmezustandes weiß Assmann aufzugreifen: Ägyptische Festlichkeiten können als Ausnahmezustände betrachtet werden, insofern diese in einer Gesellschaft der Gottesferne Gelegenheiten der Gottesnähe darstellen („Repräsentation schlägt um in Realpräsenz“).217 Über den Zeitpunkt und die Dauer eines solchen Festes entscheidet jedoch – souverän – der ägyptische Staat. Die Definition Schmitts, nach der der Souverän über den Ausnahmezustand entscheide, lasse sich also widerstandslos auf die ägyptische Form von Herrschaft übertragen. Einen anderen Aspekt im Zusammenhang mit den Thesen Schmitts berühre die ägyptische „Weisheitsliteratur“: Der Wille Gottes als Ursache der Geschichte ist eine Vorstellung, die im Werk Schmitts eine bedeutsame Rolle spielt. In ihr drücke sich das Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit und der narrativen Verknüpfung von Ursache und Wirkung aus. Nach Assmann ist auch dieses Konzept das Resultat einer „Theologisierung“: Der „Richtungssinn des Handelns“ stehe ursprünglich, mit Bezug auf Ägypten, nicht in einem religiösen Kontext, sondern in dem der politischen Vorstellung eines gelungenen, d.h. gerechten Lebens. Dieses Ideal finde ihren Ausdruck in jener „Weisheitsliteratur“, die den Menschen die Bedingungen einer Kulturleistung zu vermitteln sucht, die das Schlechte mindert und der Gerechtigkeit zum Siege verhelfen soll. Sie aber sei „ihrem Wesen nach säkular“.218 Welche Schlussfolgerungen lassen sich mit Blick auf die beiden Schriften Schmitts mit Hilfe des Beitrages von Assmann ziehen? Gemessen an der ungeheuren Bedeutung, die Schmitt der Tradition und seiner Archäologie der bis ins Metaphysische radikal zu Ende gedachten Begrifflichkeiten zuschreibt, ist es erstaunlich, die von ihm als genuin christlich ausgegebene Staatsaffinität als vorchristliche, u. a. ägyptische Gesellschaftsnorm zu entdecken. Zwar weist auch Assmann darauf hin, dass die Konstantinische Wende mit der programmatischen giöser und politischer „Handlungssphäre“ (in den Handlungsdomänen des Gottkönigs) unterschieden werden könne. Assmann, S. 53. 215 Ebd. S. 91. 216 Ebd. S. 49. 217 Ebd. S. 62. 218 Ebd. S. 108.
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C. Theologische Politik
Staatsferne des frühen Christentums bricht. Allerdings kann auch diese Feststellung nichts an dem Eindruck ändern, dass es sich bei der Verschmelzung von negativer Anthropologie (welche nach Schmitt jede positive politische Theorie voraussetzen muss!) und christlichem Bekenntnis um eine Verbindung handelt, die Sollbruchstellen aufweist. Es ist ersichtlich geworden, dass die von Schmitt vertretenen Positionen unter dem Aspekt der Legitimation souveräner Herrschaft, welche hier untrennbar mit dezisionistischen und personalistischen Konzepten verwoben ist, nicht ohne Weiteres als reiner Ausdruck christlicher Frömmigkeit ausgegeben werden können. Dem hinzuzufügen ist die damit zusammenhängende Beobachtung, dass die Forderungen der „Politischen Theologie“ nach einer Diktatur zur Bekämpfung des Bösen in einem allgemeinen Sinne strukturelle Parallelen zu der altägyptischen Begründung königlicher Allmacht aufweisen. Sowohl Ägypten als auch die „Politische Theologie“ argumentieren im Sinne eines negativ-anthropologischen Menschenbildes. Hier erscheint Schmitt als Ägypter. Dennoch gibt es große Unterschiede zwischen Ägypten und den staatsrechtlichen Schlussfolgerungen des Juristen: Als eine politische Gemeinschaft, die noch von den Merkmalen „primärer“ Religion bestimmt ist, könne Ägypten nicht als totalitärer Staat moderner Spielart beschrieben werden. Der König besitzt zwar faktisch uneingeschränkte Kompetenzen. Doch seine Aufgabe als Repräsentant der göttlichen Ordnung binde ihn effektiv an Pflichten – jede Entscheidung müsse auf der Grundlage seines göttlichen Auftrages legitimiert werden.219 Anders die Situation in der „Politischen Theologie“: Der personalistisch-dezisionistische Souverän, den Schmitt befürwortet, ist keinerlei Instanz gegenüber Rechenschaft schuldig. Der Staat nach dem Zuschnitt des Hobbesschen Leviathans ist nicht vergleichbar mit der altägyptischen Gesellschaftsordnung. Das mag in der politischen Praxis keinerlei Unterschiede erkennbar werden lassen. Doch die tiefe Kluft zwischen beiden Modellen hinsichtlich ihrer Art der Legitimation solcher Staatsgewalt ist nicht zu übersehen. Durch den Hinweis auf die ägyptische Weisheitsliteratur relativiert sich die von Schmitt suggerierte Entweder-Oder Entscheidung zwischen Offenbarungsglauben und (philosophischer) Ethik als zweier Konkurrenten auf Augenhöhe. Das von ihm unterstellte Bild eines Duells wird unglaubwürdig, wenn man überzeugend darlegen kann, dass selbst das alte Modell des gerechten und richtenden Gottes Israels im Wesentlichen eine Versteinerung partikulärer Errungenschaften einer viel älteren, politisch-säkularen Tradition ist, die in einem sehr allgemeinen Sinne möglicherweise gar als „Vorläufer“ der jüngeren griechischen Ethik betrachtet werden darf.
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Assmann, S. 40.
II. Die Totalität des Politischen oder der Feind als Frage
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II. Die Totalität des Politischen oder der Feind als Frage 1. Über die Feindbestimmung als Voraussetzung der Selbsterkenntnis Im ersten Teil dieser Arbeit ist der Versuch unternommen worden, die beiden „Politischen Theologien“ möglichst knapp vorzustellen, ohne dabei wichtige Gedankengänge Schmitts auszulassen. Zudem ist in einem Exkurs der vordergründige Anlass zur Niederschrift der „Politischen Theologie II“, Erik Petersons „Der Monotheismus als politisches Problem“, vorgestellt und ein Blick in Blumenbergs „Die Legitimität der Neuzeit“ geworfen worden, um den Hintergrund des eigentümlichen Nachworts besagter Schrift von 1970 verständlicher zu machen. Jedoch ergibt sich aus all dem weder ein konsistentes Weltbild des Autors, Carl Schmitt, noch ein logisch abgeleitetes Gedankengebäude, geschweige denn eine bestimmte „Theorie“. Im Unterschied zu Denkern wie Hobbes oder Descartes bemüht sich der Plettenberger Staatsrechtler nicht, dem Leser geschliffene, transparente Argumentationsketten zu präsentieren, die dann – der Diskussion anheim gestellt – zum Gegenstand philosophischer Kritik werden können. Stattdessen ist dem Rezipienten noch vor der Möglichkeit einer solchen Kritik eine Interpretationsleistung aufgegeben, die den Rahmen dessen, was im Allgemeinen trivial als Notwendigkeit des hermeneutischen Verfahrens angesehen wird, sprengt. Diese Aufgabe kann sich überdies nicht einmal auf die vorliegenden Schriften von 1922 und 1970 allein konzentrieren. Sie erfordert aufgrund der weit verstreuten Hypothesen und Explikationen Schmitts zudem einen Blick auf einige weitere seiner Publikationen. Nicht selten werden einzelne Argumente oder Ideen, die prominent in den „Politischen Theologien“ auftauchen, erst durch die Lektüre weiterer Schriften erhellt. Nach meinem Dafürhalten sind die Werke Schmitts, die am meisten zum Verständnis der „Politischen Theologien“ beitragen, die folgenden: „Theodor Däublers ,Nordlicht‘“ (1910), „Politische Romantik“ (1919), „Der Begriff des Politischen“ (1932) sowie die „Theorie des Partisanen“ (1963). Aus diesem Grunde werde ich im weiteren Verlaufe des Textes immer wieder u. a. diese Schriften konsultieren, um zu einer möglichst umsichtigen Deutung der „Politischen Theologien“ zu gelangen. An den Anfang meiner Untersuchung stelle ich eine Betrachtung des „Begriffs des Politischen“, die die Frage klären soll, auf welche Art und Weise Schmitt den Begriff des Feindes versteht, was „Politik“ bei ihm bedeutet und wie die Identifikation des Feindes als erste politische Operation in einem Zusammenhang mit Theologie und Metaphysik steht. Beide „Politischen Theologien“ sind hochpolitische Werke, deren polemische Passagen keinem Leser entgehen dürften. Trotz der unzähligen Angriffe gegen Liberalismus, Sozialismus, Rechtspositivismus und die „Religion“ des technischen Fortschritts lassen beide Schriften viele Fragen unbeantwortet. Eine hiervon ist die nach der politischen Selbstverortung des
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Autors. Doch bevor diese Frage zufriedenstellend beantwortet werden kann, muss zunächst eine Begriffsklärung der zentralen Konzepte und Ideen des Staatsrechtlers vorausgeschickt werden (wozu Feind- und Politikbegriff zählen). Ebenso muss die Frage beantwortet werden, welche theologischen bzw. metaphysischen Voraussetzungen Schmitt in seine politische Position einfließen lässt. Zu diesen beiden Punkten (Kernbegriffe für das Konzept des „Politischen“ und die metaphysischen Prämissen Schmitts) hat der Philosoph Heinrich Meier eine umfängliche Analyse, verteilt auf mehrere Schriften, verfasst. In „Die Lehre Carl Schmitts. Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie“ vertritt Meier die These, nach der das Gedankengebäude des Staatsrechtlers eine fundamentale Unvereinbarkeit mit der philosophischen Lebensweise offenbare. Dies folge aus Schmitts radikaler Negation der Möglichkeit einer Erkenntnis des guten bzw. gerechten Lebens durch die menschliche Vernunft. An dessen Stelle trete ein blinder Gehorsam gegenüber der göttlichen Offenbarung. Dieser Schluss ist bei Meier Anlass zu einer größeren Auseinandersetzung mit einem „Dialog“ zwischen Leo Strauss und Carl Schmitt, den er, anlehnend an eine Formulierung Strauss’, unter das Motto „Athen oder Jerusalem“ stellt. Der Philosoph antwortet dem Staatsrechtler mit derselben Radikalität des Entweder-Oder, die er als ein konstitutives Moment im Werke Schmitts ausmacht – mit dem Unterschied, dass sich Meier auf der Seite der politischen Philosophie (anstelle der politischen Theologie) sieht. Obwohl er eindeutig werden lässt, dass er sich in Opposition zu den Anschauungen Schmitts wähnt, sind seine Ausführungen von großer Sensibilität und unvoreingenommenem Interesse für das Denken des Juristen. Da ich Meier in einigen Punkten zustimme, werde ich im Folgenden nicht nur auf seine Schriften zum Thema verweisen. Die folgenden Kapitel werden auch einige der wichtigsten Gedanken und Einwürfe Meiers vorstellen. Hierbei konzentriere ich mich insbesondere auf die Thesen, die meine eigenen unterstützen. Die hier behandelten Bücher sind „Das theologisch-politische Problem. Zum Thema von Leo Strauss“ (2003), „Carl Schmitt, Leo Strauss und der ,Begriff des Politischen‘“, „Zu einem Dialog unter Abwesenden“ (1988) sowie „Die Lehre Carl Schmitts. Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie“ (1994). 2. Das Politische als ubiquitäres Phänomen Im allgemeinen (deutschen) Sprachgebrauch wird „Politik“ mit dem Handwerk von Berufspolitikern assoziiert, zu denen gelegentlich auch Diktatoren oder geistliche Staatsoberhäupter zählen können. In der Regel handelt es sich um Vertreter demokratisch gewählter Parteien. „Politik“ ist hier das semantisch heterogene, nicht eindeutig abzugrenzende Sammelbecken für alles, was diese Menschen tun oder sagen. Von dieser Art Politik weiß Schmitt nicht viel zu berich-
II. Die Totalität des Politischen oder der Feind als Frage
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ten.220 Um seinen Politikbegriff von dieser Verwendungsweise abzuheben, wird dieser zumeist unter dem Namen des „Politischen“ vorgestellt. Das Politische ist weniger eine Substanz, als ein Vermögen des Menschen. Dieses Vermögen ist in seiner Entfaltung nicht optional. Vielmehr sei jeder Mensch bei Lebzeiten durch das Politische angerufen. Und jede Form einer Reaktion (also auch die Inaktivität) sei als Antwort auf jene Anrufung zu verstehen. Die für diese Idee Schmitts maßgebliche Schrift ist der „Begriff des Politischen“. Wie der Titel bereits nahelegt, wird hier dem Politischen der größte Raum zugesprochen. Eine Schwierigkeit bei der Beurteilung dieser Arbeit liegt darin begründet, dass der Autor sie gleich zweimal mit beträchtlichen theoretischen Abweichungen modifiziert bzw. erweitert hat. Die mir vorliegende Variante ist die erste, als Monographie veröffentlichte Nachbearbeitung von 1932 (die erste Version des Textes erschien als Aufsatz 1927), die 1963 im Duncker & Humblot Verlag neu herausgegeben worden ist – mit einem Vorwort von Schmitt aus dem gleichen Jahr. Die zweite Nachbearbeitung erschien 1933, nach Heinrich Meier u. a. als Antwort auf eine Kritik durch Leo Strauss, die häufig als bereits nationalsozialistisch „kontaminiert“ gelesen wird und in keiner späteren Auflage des Textes von 1932 Erwähnung findet.221 Wo es für mein Anliegen notwendig ist, will ich auf die Differenzen zwischen den beiden Bearbeitungen und dem ursprünglichen Aufsatz hinweisen. Eines der ersten starken Postulate, mit denen der „Begriff des Politischen“ eröffnet, ist die radikale Negation des Politischen als ein Teilgebiet innerhalb dessen, was gemeinhin „Gesellschaft“ oder „Kultur“ genannt wird. Nach dieser Auffassung ist die Politik ein in sich abgeschlossenes, nach Außen hin klar unterscheidbares Betätigungsfeld, und steht als solches nicht auf einer Ebene mit den sog. „Kulturprovinzen“ (Kunst, Ökonomie etc.). Nach Schmitt transzendiert das Politische jene Bereiche. Es könne von jedem beliebigen Punkt aus erreicht werden, weil jedem Ereignis die Potenz zum politischen Konflikt innewohne. Das Politische kann seine Kraft aus den verschiedensten Bereichen menschlichen Lebens ziehen, aus religiösen, ökonomischen, moralischen und andern Gegensätzen; es bezeichnet kein eigenes Sachgebiet, sondern nur den Intensitätsgrad einer Assoziation oder Dissoziation von Menschen, deren Motive religiöser, nationaler (im ethni220 Im „Begriff des Politischen“ rekapituliert Schmitt einleitend dieses Verständnis von Politik: „Die Gleichung: politisch = parteipolitisch ist möglich, wenn der Gedanke einer umfassenden, alle innerpolitischen Parteien und ihre Gegensätzlichkeiten relativierenden politischen Einheit (des ,Staates‘) seine Kraft verliert und infolgedessen die innerstaatlichen Gegensätze eine stärkere Intensität erhalten als der gemeinsame außenpolitische Gegensatz gegen einen anderen Staat.“ Diese Schwundstufe politischen Lebens innerhalb eines Staates berge in letzter Konsequenz die Gefahr eines Bürgerkrieges, da sich die Freund-Feindgruppierung nun nach Innen anstatt nach Außen richte. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 30 f. 221 Mehring (Hrsg.), S. 14 f. Vgl. auch Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 14 f. (Fußnote).
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C. Theologische Politik schen oder kulturellen Sinne), wirtschaftlicher oder anderer Art sein können und zu verschiedenen Zeiten verschiedene Verbindungen und Trennungen bewirken.222
Ähnlich der Ökonomie oder Ästhetik, die ihre grundlegenden Begriffe aus einer absoluten Disjunktion bezögen – hier „schön“ und „hässlich“, dort „nützlich“ und „schädlich“ –, setze auch das Politische eine solche Unterscheidung voraus. Diese Unterscheidung sei die zwischen Freund und Feind. Dass der Gegensatz von Freund und Feind maßgeblich sei, werde u. a. anhand der polemischen Natur politischer Begriffe sichtbar: „Worte wie Staat, Republik, Gesellschaft, Klasse, ferner: Souveränität, Rechtsstaat, Absolutismus, Diktatur, Plan, neutraler oder totaler Staat usw. sind unverständlich, wenn man nicht weiß, wer in concreto durch ein solches Wort getroffen, bekämpft, negiert und widerlegt werden soll“.223 Eine der fundamentalen Überzeugungen Schmitts ist es, dass jede beliebige politische Position in letzter Konsequenz auf einen metaphysischen Ursprung zurückgeführt werden kann. In anderen Worten: Die Sphäre des Politischen steht in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Sphäre des Metaphysischen (d.h. ggf. des Religiösen oder Theologischen). Das bedeutet, dass jeder „echte“ politische Konflikt auf einen metaphysischen Konflikt reduziert werden kann. In der „Politischen Theologie“ ist von den „tiefsten“ Zusammenhängen die Rede, wenn die Erkenntnis kommuniziert wird, dass „mit dem Theologischen das Moralische, mit dem Moralischen die politische Idee“ korrumpiert werde.224 In diesem Zusammenhang geht Schmitt sogar so weit nahezulegen, dass die Verneinung der Erbsünde zum Zusammenbruch funktionierender Gesellschaftsordnungen führe.225 Diese sehr weitläufigen Gedanken machen die Frage nach dem Feind in dem Maße dringlich, in dem sich der Feindbegriff als zentrale Idee im Gedankengebäude Schmitts erweist. 3. Der Feind Schon früh wird im „Begriff des Politischen“ die Unterscheidung zwischen Freund und Feind als erstes Kriterium des Politischen vorgestellt.226 Damit beantwortet Schmitt die Frage nach der bestimmenden Distinktion als Merkmal der Selbständigkeit des Politischen. Doch mit welchem konkreten Inhalt ist der 222
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 36. Ebd. S. 29. Wie ich durch Wolfram Hogrebe erfuhr, birgt diese Annäherung Schmitts an den Begriff des Politischen eine Parallele zum Denken Niklas Luhmanns, welches ebenfalls Gebrauch von disjunktiven Bezugnahmen macht. 224 Schmitt, Politische Theologie, S. 68. 225 Womit, im weitesten Sinne, sicher auch die Aufgabe der negativen Anthropologie als Grundlage politischer Systeme gemeint ist. Diese Aussage ist entsprechend zusammen mit der These, nach der es keine positive politische Ordnung ohne eine ihr vorausgehende negative Anthropologie geben könne, zu betrachten. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 60. 226 Ebd. S. 25. 223
II. Die Totalität des Politischen oder der Feind als Frage
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Feindbegriff zu füllen, den Schmitt einleitend nur als abstrakte Funktion umschreibt? Auch wenn der „Begriff des Politischen“ die bedeutendste Quelle für den Feindbegriff ist: Eine zusammenhängende, systematische Darlegung des „Feindes“ gibt es im Werk Schmitts nicht. Die Anmerkungen und Ideen zum Feindbegriff verteilen sich über mehrere Schriften und scheinen sich gelegentlich sogar zu widersprechen. Um dieser Komplexität gerecht werden zu können, werde ich im Folgenden die relevanten Stellen im „Begriff des Politischen“ sowie der „Theorie des Partisanen“ zu Rate ziehen und den Versuch einer Deutung unternehmen, die von einer grundsätzlichen Vereinbarkeit der Ansätze und Theoreme Schmitts ausgeht. Meine Überlegungen sollen durch die Gegenüberstellung zu den übrigen hier besprochenen Schriften Schmitts einer ersten Prüfung unterzogen werden. Diese Vorgehensweise hat zum Nachteil, dass sie nicht das gesamte Werk des Staatsrechtlers in Betracht ziehen kann. Ein solches Unternehmen würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen und überdies den Anlass meiner Untersuchung, die Deutung der „Politischen Theologien“, in den Hintergrund rücken. Als allumfassendes Phänomen, dem die Unterscheidung zwischen Freund und Feind zugrunde liegt, ist das Politische die Ursache von Konflikten zwischen Menschen. Diese Konflikte sind moralischer Natur und gehen zuletzt auf metaphysische Gegensätze zurück. Eine erste Differenzierung, auf die Schmitt im „Begriff des Politischen“ großen Wert legt, ist die zwischen dem genuin „politischen“ Feind und dem bloß aus ökonomischen, ästhetischen oder anderen Gründen Abzulehnendem: Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch häßlich zu sein; er muß nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft sein, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, daß er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines „unbeteiligten“ und daher „unparteiischen“ Dritten entschieden werden können.227
Der potenzielle Konflikt mit dem politischen Feind ist seiner Art nach immer unvermeidlich, d.h. die Möglichkeit dieses Streites kann nicht durch irgendeine Maßnahme beseitigt werden. Der politische Feind ist etwas gänzlich Verschiedenes von demjenigen, den man persönlich nicht mag, der äußerlich abstoßend oder moralisch verwerflich ist. Gerade letzterer Punkt wird weiter unten im Text einige Probleme aufwerfen. An besagter Stelle äußert sich Schmitt auch zur Frage der Beurteilung bzw. Feststellung einer solchen Feindschaft: Die Möglichkeit richtigen Erkennens und Verstehens und damit auch die Befugnis mitzusprechen und zu urteilen ist hier nämlich nur durch das existentielle Teilhaben 227
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 26.
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C. Theologische Politik und Teilnehmen gegeben. Den extremen Konfliktsfall können nur die Beteiligten selbst unter sich ausmachen; namentlich kann jeder von ihnen nur selbst entscheiden, ob das Anderssein des Fremden im konkret vorliegenden Konfliktsfalle die Negation der eigenen Art Existenz bedeutet und deshalb abgewehrt oder bekämpft wird, um die eigene, seinsmäßige Art von Leben zu bewahren.228
Das „Unter-sich-Ausmachen“ und „Nur-selbst-Entscheiden“ in diesem Zitat klingt nach einer Feindidentifikation auf individueller Ebene nach subjektiven Kriterien, was zunächst, innerhalb der Argumentation Schmitts, keine weiteren Probleme verursacht. Auf diese Weise umgeht der Staatsrechtler auch die wohl kaum überzeugend zu beantwortende Frage, wie nach objektiven Maßstäben die jeweils eigene „Art Existenz“ erhoben werden könne. In jedem Falle scheint es sich um ein Ereignis der Selbstverteidigung aus Notwehr zu handeln, wenn der Einzelne im „extremen Konfliktsfall“ seine „seinsmäßige Art von Leben“ schützt. Dieser auf den ersten Blick individualistisch zu lesenden Passage über den Feind und seine Identifikation folgt auf dem Fuße, in einem neuen Textabschnitt, eine Bemerkung, die den Feindbegriff an eine kollektivistische Sichtweise zu binden scheint. Plötzlich stehen Völker, d.h. größere politische Assoziationen, im Mittelpunkt des Interesses. Schmitt stellt zunächst fest, „daß die Völker sich nach dem Gegensatz von Freund und Feind gruppieren“, und dieses könne man „vernünftigerweise nicht leugnen“.229 Der vorausgegangenen Annäherung an den Begriff des Feindes fügt er hinzu: Feind ist also nicht der Konkurrent oder der Gegner im allgemeinen. Feind ist auch nicht der private Gegner, den man unter Antipathiegefühlen haßt. Feind ist nur eine wenigstens eventuell, d.h. der realen Möglichkeit nach kämpfende Gesamtheit von Menschen, die einer ebensolchen Gesamtheit gegenübersteht. Feind ist nur der öffentliche Feind, weil alles, was auf eine solche Gesamtheit von Menschen, insbesondere auf ein ganzes Volk Bezug hat, dadurch öffentlich wird. Feind ist hostis, nicht inimicus im weiteren Sinne; polÝmioò, nicht xrüò. [Hervorhebungen im Original]230
Bei genauerem Hinsehen stellen sich diese zunächst klaren Worte als äußerst interpretationsbedürftig heraus. Der „Feind“ wird demnach nicht aus individuellen „Antipathiegefühlen“ heraus verachtet, doch zugleich bedroht er potenziell die eigene „Art von Leben“ – und bestimmt wird er, dem Anschein nach, von einem Kollektiv, da er „auf ein ganzes Volk Bezug hat“. Trotzdem soll die Identifikation des Feindes von jedem „nur selbst“ vollzogen werden, d.h. auf individueller Ebene. Offenbar geht es um eine selbstgewählte Zugehörigkeit zu einem Kollektiv, welches aufgrund seiner politischen Natur – gemäß den Annahmen Schmitts – einen Feind haben muss. In diesem Zusammenhang wird auf die be228 229 230
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 26. Ebd. S. 27. Ebd. S. 27.
II. Die Totalität des Politischen oder der Feind als Frage
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kannten Bibelstellen Matth. 5,44 und Luk. 6,27 verwiesen, in denen es um die Feindesliebe geht. Hier sei ausschließlich vom inimicus, dem persönlichen Feind, gesprochen, „vom politischen Feind ist nicht die Rede“. Die Bibel lehre keineswegs, dass man „die Feinde seines Volkes lieben und gegen sein eigenes Volk unterstützen soll“:231 Auch ist in dem tausendjährigen Kampf zwischen Christentum und Islam niemals ein Christ auf den Gedanken gekommen, man müsse aus Liebe zu den Sarazenen oder den Türken Europa, statt es zu verteidigen, dem Islam ausliefern. Den Feind im politischen Sinne braucht man nicht persönlich zu hassen, und erst in der Sphäre des Privaten hat es einen Sinn, seinen „Feind“, d.h. seinen Gegner, zu lieben.232
Es zeige sich, dass es sich bei der politischen Feindschaft um den radikalsten Antagonismus handle. Entsprechend werde am „Ernstfall“ am deutlichsten ersichtlich, was das Wesen des Politischen ausmache, d.h. für den Fall, dass zwei unvereinbare (politische) Interessen aufeinanderprallen. Schmitt ist erkennbar darum bemüht, seinen Feindbegriff von möglichen sophistischen Trivialisierungen fernzuhalten: Ebenso wie das Wort Feind, ist hier das Wort Kampf im Sinne einer seinsmäßigen Ursprünglichkeit zu verstehen. Es bedeutet nicht Konkurrenz, nicht den „rein geistigen“ Kampf der Diskussion, nicht das symbolische „Ringen“, das schließlich jeder Mensch irgendwie immer vollführt, weil nun einmal das ganze menschliche Leben ein „Kampf“ und jeder Mensch ein „Kämpfer“ ist. Die Begriffe Freund, Feind und Kampf erhalten ihren realen Sinn dadurch, daß sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und behalten. Der Krieg folgt aus der Feindschaft, denn diese ist seinsmäßige Negierung eines anderen Seins. Krieg ist nur die äußerste Realisierung der Feindschaft. [Hervorhebungen v. Verf.]233
Der Feind sei erkennbar an der Verneinung unserer je eigenen Lebensweise.234 Die Bedeutung der Begriffe Kampf, Krieg, Feind und Feindschaft gehe nicht auf eine „militaristische“ Interpretation Schmitts zurück.235 Er distanziert sich vom Bellizismus ebenso wie vom Pazifismus. Stattdessen ist der politische Kampf als Ausdruck metaphysischer Gegensätze für Schmitt ein factum brutum, dem der Mensch auch unter größten Anstrengungen nicht entkommen kann. Er pointiert seine These mit der Wiedergabe eines nicht weiter kenntlich gemachten „englische[n] Diplomat[en]“: „der Politiker sei für den Kampf besser geschult als der
231
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 28. Ebd. S. 28. 233 Ebd. S. 31. 234 Vilmos Holczhauser, den ich weiter unten erneut nennen will, verweist in „Konsens und Konflikt“ darauf, dass Schmitt zu einem späteren Zeitpunkt das Modell des Feindes als „seinsmäßige“ Negation der jeweils eigenen „Existenz“ verworfen habe. Der „Begriff des Politischen“ stelle die inhaltlich schwächste Arbeit Schmitts dar. Holczhauser, S. 246 f. 235 Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 32. 232
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Soldat, weil der Politiker sein ganzes Leben kämpfe, der Soldat aber nur ausnahmsweise“.236 Eine bemerkenswerte Einschränkung macht Schmitt mit Blick auf den Begriff des Politischen, wenn er zu verstehen gibt, dass die „Intensitätsgrade“ von Assoziation und Dissoziation (politische Freundschaft und politische Feindschaft) nicht als in Stein gemeißelt zu begreifen sind: Die politischen Einheiten, d.h. die Völker und ihre Staatsgebilde, haben keine festen „Freunde“ und „Feinde“.237 Vielmehr seien alle Relationen, die sich aus der politischen Distinktion zwischen Freund und Feind ergeben, einem stetigen Wandel unterworfen. Eine „ewige“ Feindschaft (oder Freundschaft) sei somit unwahrscheinlich.238 Diese Bemerkung ist auch insofern interessant, als dass aufgrund der nicht zu ignorierenden, omnipräsenten politisch-theologischen Stellungnahmen Schmitts durchaus eine bestimmte Wertung hiermit zusammenhängender Phänomene vorausgesetzt werden muss. Das Politische mag, als Raum der Feindschaft zwischen verschiedenen Gruppen, eine pluralistische Struktur haben. Schmitt selbst jedoch ist weit davon entfernt, einem metaphysischen Pluralismus, geschweige denn einem politischen Liberalismus oder einem moralischen Relativismus das Wort zu reden. Wie diese Spannung möglicherweise aufgelöst werden kann, soll weiter unten besprochen werden. Im Zusammenhang mit der ersten Operation des Politischen, d.h. mit der Freund-Feind-Unterscheidung, erwähnt Schmitt den „Ausnahmefall“ als einen Begriff, der an die „Politische Theologie“ erinnert. Im „Begriff des Politischen“ erscheint er als Prüfstein bzw. Erkennungszeichen der Qualität eines Konfliktes: Der Ausnahmefall sei ein „wirklicher“ Streit, und als solcher habe er eine den „Kern der Dinge enthüllende Bedeutung“. Im „Ausnahmefall“ zeige sich, ob ein spezifischer Konflikt tatsächlich die letzte Konsequenz der physischen Vernichtung des politischen Feindes in sich birgt, welches nach Schmitt das entscheidende Kriterium des Politischen ist. Zugleich gibt der Staatsrechtler einen bemerkenswerten Gedankengang preis, indem er der Feindschaft einen Wert beimisst: Von dieser extremsten Möglichkeit her gewinnt das Leben der Menschen seine spezifisch politische Spannung. Eine Welt, in der die Möglichkeit eines solchen Kampfes restlos beseitigt und verschwunden ist, ein endgültig pazifizierter Erdball, wäre eine 236
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 33. An dieser Stelle ist es notwendig, auf die Nachbearbeitungen der Schrift zu verweisen: Nach Heinrich Meier hatte Schmitt ursprünglich nur Staaten als Kollektive in Form im Auge. Die Kritik durch Leo Strauss resultiere jedoch in einer Modifikation (1933), die nun, abstrakter, von politischen Gruppierungen sprach. Diese Änderung machte jetzt auch die theoretische Integration von Phänomenen wie dem Bürgerkrieg möglich. Es gelte: Schon der Zusammenschluss von zwei Menschen, die sich gegen einen gemeinsamen Feind verbünden, begründet eine politische Assoziation. Ganze Völker bzw. Staaten sind hierfür nicht mehr erforderlich. Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 30 f. 238 Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 33. 237
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Welt ohne die Unterscheidung von Freund und Feind und infolgedessen eine Welt ohne Politik. Es könnte in ihr mancherlei vielleicht sehr interessante Gegensätze und Kontraste geben, Konkurrenzen und Intrigen aller Art, aber sinnvollerweise keinen Gegensatz, auf Grund dessen von Menschen das Opfer ihres Lebens verlangt werden könnte und Menschen ermächtigt werden, Blut zu vergießen und andere Menschen zu töten.239
An dieser Stelle wird deutlich, dass Schmitt im Namen des Politischen Partei ergreift. Als Übel wird im Umkehrschluss der „Kampf“ gegen das Politische empfunden, von dem bereits in der „Politischen Theologie“ die Rede war.240 Hier zeigt sich, wie eingangs angekündigt, dass viele Theoreme und Ideen, die in den „Politischen Theologien“ auftauchen, erst durch die Hinzunahme weiterer Schriften wie dieser ihre eigentliche Bedeutung preisgeben. Wie bereits angedeutet, suggeriert diese Haltung auf den ersten Blick eine moralische wie politische Neutralität gegenüber der Pluralität der Ideologien, die innerhalb der Sphäre des Politischen miteinander „kämpfen“. Man ließe sich gerne zu dem Schluss verleiten, Schmitt gehe es zuletzt bloß um die Verteidigung des Politischen, d.h. um den Kampf für die Feindschaft als solche, und nicht um eine Parteinahme im Sinne irgendeiner bestimmten Ideologie oder Metaphysik. Ich bin davon überzeugt, dass eine solche Interpretation zu kurz greift und das Wesentliche der Denkbewegung Schmitts verfehlt.241 Dennoch ist es sicher nicht falsch zu sagen, dass Schmitt der Tragödie, die aus der Unvermeidbarkeit des politischen Kampfes erwächst, einen beachtlichen Wert zuerkennt.242 Doch ist diese Tragödie kein Selbstzweck. Sie hat keinen intrinsischen Wert. Sie ist endlich auch nicht Gegenstand einer ästhetisierten Weltbetrachtung oder einer „agonalen“ Interpretation 239
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 33 f. Das Zitat wurde bereits weiter oben angeführt: „Heute ist nichts moderner als der Kampf gegen das Politische. Amerikanische Finanzleute, industrielle Techniker, marxistische Sozialisten und anarcho-syndikalistische Revolutionäre vereinigen sich in der Forderung, daß die unsachliche Herrschaft der Politik über die Sachlichkeit des wirtschaftlichen Lebens beseitigt werden müsse“. Schmitt, Politische Theologie, S. 68. 241 In „Carl Schmitt, Leo Strauss und der ,Begriff des Politischen‘“ hat Meier auf eine Anmerkung von Leo Strauss verwiesen, die diese Deutung „liberal“ nennt: Wenn Schmitt eine moralisch-politische Neutralität gegenüber den Erscheinungsformen des Politischen vertreten hätte, sei diese Haltung als Auswuchs der liberalen Ideologie zu sehen. Diese Darstellung ist natürlich eine Täuschung, denn sie unterstellt dem Liberalismus eine moralische Beliebigkeit. Sie diente als Spitze gegen Schmitt, von dem Strauss wusste, dass er dem Liberalismus feindlich gesonnen war. Das Ergebnis dieser Provokation war die zweite Nachbearbeitung des „Begriffs des Politischen“ von 1933. Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 71 f. 242 Diesen Punkt hat Heinrich Meier stark gemacht, und ich stimme dem Autor hierin voll und ganz zu. „Der moralische Mensch verlangt nach der Tragödie, und er begreift die Welt nach ihrem Bilde, als Geschick und Fügung, als unauflösbaren Zusammenhang von Schuld, Gericht und verborgenem Sinn, von Sünde, Strafe und Errettung“. Meier, Die Lehre Carl Schmitts, S. 27. Hinzu kommt die Betonung Schmitts, die Menschheit könne nicht auf einen Krieg der „Sterne“ ausweichen, da sie keinen Feind habe. Vgl. S. 91 (ebd.) sowie Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 51. 240
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von Kampf und Feindschaft wie bei Ernst Jünger.243 Die Tragödie, von der Schmitt glaubt, dass sie eine unverzichtbare Aufgabe in der Welt erfüllt, ist das Werk Gottes und als solches Teil der Vorsehung. Diese Deutung greift jedoch weit über die bislang besprochenen Textstellen hinaus, weshalb ich den Gedanken erst weiter unten erneut aufgreifen will. Wie konsequent die Schmittsche Konstruktion des Politikbegriffes ist, demonstriert der Staatsrechtler im „Begriff des Politischen“ anhand zahlreicher Querverweise in die politische Realität: Nichts kann dieser Konsequenz [die Unterscheidung von Freund und Feind, die die Möglichkeit der physischen Vernichtung des Feindes nicht ausschließt; Anm. v. Verf.] des Politischen entgehen. Würde die pazifistische Gegnerschaft gegen den Krieg so stark, daß sie die Pazifisten gegen die Nicht-Pazifisten in den Krieg treiben könnte, in einen „Krieg gegen den Krieg“, so wäre damit bewiesen, daß sie wirklich politische Kraft hat, weil sie stark genug ist, die Menschen nach Freund und Feind zu gruppieren. Ist der Wille, den Krieg zu verhindern, so stark, daß er den Krieg selbst nicht mehr scheut, so ist er eben ein politisches Motiv geworden, d.h. er bejaht, wenn auch nur als extreme Eventualität, den Krieg und sogar den Sinn des Krieges.244
Das Politische steht und fällt mit der konkreten Option der Tötung des politischen Gegners im „Ausnahmefall“, d.h. „in einem von dieser realen Möglichkeit bestimmten Verhalten“.245 In der ersten Revision des „Begriffs des Politischen“ von 1932 wird die Verwirrung um die Frage nach der kollektivistisch-staatlichen oder individualistisch-subjektiven Auslegung des Feindbegriffes im späteren Verlauf des Textes vorläufig scheinbar beantwortet. Schmitt legt dar, dass für die verbindliche Freund-Feind-Gruppierung ausschließlich die „politische Einheit“ in Frage kommt: „infolge der Orientierung an dem möglichen Ernstfall des effektiven Kampfes gegen einen effektiven Feind ist die politische Einheit notwendig entweder die für die Freund- oder Feindgruppierung maßgebende Einheit und in diesem (nicht in irgendeinem absolutistischen) Sinne souverän, oder sie ist überhaupt nicht vorhanden“. Der Plettenberger erklärt, dass damit noch nicht eindeutig beantwortet ist, wer oder was diese „Einheit“ sei. Die Antwort folgt wenig später: „Daß der Staat eine Einheit ist, und zwar die maßgebende Einheit, beruht auf seinem politischen Charakter“.246 In der zweiten, mir nicht vorliegenden Revision des „Begriffs des Politischen“ (1933), weitet Schmitt den Begriff der politischen „Einheit“ auf jede beliebige Assoziation von Personen aus, deren gemeinsames Feindbild den Horizont der physischen Vernichtung des politischen Geg-
243
Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 74 f. Schmitt fügt dieser Bemerkung gleich im Anschluss hinzu: „Gegenwärtig scheint das eine besonders aussichtsreiche Art der Rechtfertigung von Kriegen zu sein“. Die realpolitischen Parallelen zur jüngeren Geschichte wie zur Gegenwart sind nicht zu übersehen und erstaunen angesichts des Datums der Niederschrift. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 34 f. 245 Ebd. S. 35. 246 Ebd. S. 41. 244
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ners eröffnet – ein Staat ist also nicht mehr notwendig, um von einer politischen Vereinigung zu sprechen.247 Die theoretischen Erwägungen zum Feindbegriff werden immer wieder von politischen Kommentaren unterbrochen. Tatsächlich ist es kaum möglich, im „Begriff des Politischen“ die politisch-theologischen Einschaltungen Schmitts von der Schicht „rein“ begrifflicher Arbeit zu trennen. Aus diesem Grunde wäre es ein Fehler, die Schrift als wissenschaftlich-gelehrte Abhandlung zu betrachten. Ihre polemische Ausrichtung und die damit verbundene, politisch-theologische Geschichtsauslegung sind offensichtlich und bleiben trotz ihres Alters aufgrund der verhandelten Themen aktuell: Solange ein Volk in der Sphäre des Politischen existiert, muß es, wenn auch nur für den extremsten Fall – über dessen Vorliegen es aber selbst entscheidet – die Unterscheidung von Freund und Feind selber bestimmen. Darin liegt das Wesen seiner politischen Existenz. Hat es nicht mehr die Fähigkeit oder den Willen zu dieser Unterscheidung, so hört es auf, politisch zu existieren. Läßt es sich von einem Fremden vorschreiben, wer sein Feind ist und gegen wen es kämpfen darf oder nicht, so ist es kein politisch freies Volk mehr und einem andern politischen System ein- oder untergeordnet.248
Schmitt erteilt allen Hoffnungen auf eine endgültige Verdrängung der FreundFeind-Unterscheidung eine Absage. Auch eine „Freundschaftserklärung an alle Welt“ könne nichts an dem Umstand ändern, dass die Feindschaft als Produkt der politischen Assoziation bestehen bleibt, so lange es politische Einheiten gibt. Keine Maßnahme kann radikal genug sein, um der Sphäre des Politischen zu entkommen: „Wenn ein Volk die Mühen und das Risiko der politischen Existenz fürchtet, so wird sich eben ein anderes Volk finden, das ihm diese Mühen abnimmt, indem es seinen „Schutz gegen äußere Feinde“ und damit die politische Herrschaft übernimmt; der Schutzherr bestimmt dann den Feind, kraft des ewigen Zusammenhangs von Schutz und Gehorsam“. Schmitt gelangt zu dem Schluss: „Die politische Welt ist ein Pluriversum, kein Universum“. Doch die Möglichkeit einer Auflösung dieses politischen Pluriversums wird von Schmitt, zumindest rein hypothetisch, in Betracht gezogen: „Ob und wann dieser Zustand der Erde und der Menschheit eintreten wird, weiß ich nicht. Vorläufig ist er nicht da“.249 Diese setze das Verschwinden der Staaten in einen einzigen, den Globus umspannenden „Weltstaat“ voraus. In diesem sei dann die Unterscheidung von Freund und Feind effektiv aufgehoben, womit Kriege unmöglich würden. Doch könne dieses Gebilde nicht mehr den von Schmitt vorgeschlagenen Staatenbegriff erfüllen, weil die Feindidentifikation abhanden gekommen ist: „Umfaßt ein ,Welt-
247
Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 28, 31 ff. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 47. 249 Der Begriff des „Pluriversums“ impliziert hier die Vorstellung, dass eine Welt ohne das Politische eine Welt ohne Feindschaft wäre. Ebd. S. 49 f. 248
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staat‘ die ganze Erde und die ganze Menschheit, so ist er demnach keine politische Einheit und nur mit einer Redensart ein Staat zu nennen“.250 Im Zusammenhang dieser Überlegungen äußert sich Schmitt zum Gebrauch des Menschheitsbegriffes als politisches Instrument der „imperialen“ Ausweitung nationaler Einflussbereiche: Die Menschheit als solche kann keinen Krieg führen, denn sie hat keinen Feind, wenigstens nicht auf diesem Planeten. Der Begriff der Menschheit schließt den Begriff des Feindes aus, weil auch der Feind nicht aufhört, Mensch zu sein und darin keine spezifische Unterscheidung liegt. Daß Kriege im Namen der Menschheit geführt werden, ist keine Widerlegung dieser einfachen Wahrheit, sondern hat nur einen besonders intensiven politischen Sinn.251
An gleicher Stelle fällt auch das von Proudhon abgewandelte, berühmte Wort: „Wer Menschheit sagt, will betrügen“ (ebd.). Im Kontext der Schrift von 1932 müssen das Vorwort von 1963 sowie die „Theorie des Partisanen“ (1963) beachtet werden. Die beiden Veröffentlichungen erscheinen zeitnah und weisen eine inhaltliche Nähe zueinander auf. Llanque und Münkler sind hierauf ausführlich eingegangen.252 So stellt Schmitt im Vorwort von 1963 seinen Text als streng wissenschaftliche Unternehmung vor, die einen „Rahmen für bestimmte rechtswissenschaftliche Fragen abstecken“ solle. Die einführenden Worte enthalten neben solchen Rechtfertigungen aber auch neue Gedanken: „Die Epoche der Staatlichkeit geht jetzt zu Ende“.253 Es wird deutlich, dass Schmitt in mancherlei Hinsicht einen Neuanfang mit Blick auf seine Arbeit am Begriff des Politischen versuchen will. Die „Theorie des Partisanen“ ist Ausdruck dieses Unterfangens. In den 60er Jahren stehen neue Herausforderungen auf der Tagesordnung. Die Fragen der Weimarer Zeit sind Vergangenheit, und Schmitts neues Buch versucht, die gegenwärtige Lage analytisch zu durchdringen. Diese Lage ist gekennzeichnet durch den Wegfall bisher gültiger Unterscheidungen und bringt neue Probleme hervor, für die stellvertretend der Partisan als irregulärer Kämpfer steht.254 In Bezug auf den Begriff des Feindes enthält die „Theorie des Partisanen“ eine aufschlussreiche neue Distinktion in gleich drei verschiedene Begriffe der Feindschaft: der „konventionellen“, der „wirklichen“ und der „absoluten“ Feindschaft. Alle diese Arten der Feindschaft bewegen sich innerhalb dessen, was das Geschäft der Politiker-Politik betreffen kann. Allerdings erreicht nur die „absolute“ Feindschaft, für die Schmitt die Politik Lenins als Beispiel heranzieht, den äußers250
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 54. Ebd. S. 51. 252 Mehring (Hrsg.), S. 9 ff. 253 Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 10. 254 Zum historischen Hintergrund gehört natürlich vor allem der sog. „Kalte Krieg“ mit all seinen „Stellvertreterkriegen“ und „versteckten“ Konfliktherden. Der Krieg verflüssigt sich und hört auf, ein eindeutig zu umgrenzendes Ding zu sein. 251
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ten Intensitätsgrad der Dissoziation als Beispiel des „Politischen“ in Reinform.255 Die „konventionelle“ Feindschaft bezeichnet den nicht diskriminierenden, klassischen Konflikt zwischen zwei Parteien im Modell des Jus publicum Europaeum, d.h. eine Duell-Situation.256 Der Krieg ist völkerrechtlich „gehegt“ und folgt verbindlichen Regeln. Beginn und Ende des Krieges werden durch eindeutige Ereignisse angezeigt. Die „wirkliche“ Feindschaft ist jene Feindschaft, die Schmitt mit der Rolle des Partisanen als einem irregulären Kriegsteilnehmer verbindet. Der Partisan kämpft auch dann, wenn der Krieg offiziell beendet oder faktisch verloren ist – die Intensität der Feindschaft ist gesteigert. Endlich bezeichnet die „absolute“ Feindschaft eine totale moralische Delegitimierung eines Feindes, der durch die Aberkennung seiner Menschlichkeit zum Verbrecher herabgewürdigt wird. Der Krieg gegen diesen Feind wird total, weil mit der völligen moralischen Vernichtung auch die Rechtfertigung für eine vollständige physische Vernichtung einhergeht. Auch der Partisan wird nach Schmitt im Verlauf seiner militärhistorischen Entwicklung zu dieser Art von Feindschaft „umgerüstet“. Diese ersten Annäherungen an den Feindbegriff Schmitts ergeben noch kein stringentes Gesamtbild, aber sie zeigen, dass der „Feind“ ein zentraler Gegenstand der politisch-theologischen Kontemplation des Staatsrechtlers ist. Sie verweisen auch auf den Befund, dass die hier besprochenen Schriften nur dann zu begreifen sind, wenn das politische wie religiöse Weltbild Schmitts zumindest annähernd korrekt eingeschätzt wird. Weder die „Politischen Theologien“, noch der „Begriff des Politischen“ oder andere Arbeiten können im konventionellen Sinne diskutiert werden, ohne den persönlichen, nicht-wissenschaftlichen Stellungnahmen Schmitts Raum zu geben. Die genannten Texte machen hieraus auch kein Geheimnis. Der „Begriff des Politischen“ beginnt mit vergleichsweise nüchternen Ausführungen zur Feindschaft als politische Größe, fährt jedoch fort mit einer polemischen Kritik am Liberalismus und einer Verknüpfung des Feindbegriffs mit theologischen Kategorien. 4. Metaphysisch-theologische Annahmen im Weltbild Schmitts Der Feindbegriff steht in einem nicht gleich zu erkennenden Zusammenhang mit einer gewichtigen These. Hierbei handelt es sich um das Postulat von der Reduzierbarkeit aller Gesellschaftsentwürfe auf bloß zwei verschiedene Auffassungen von der menschlichen Natur: „Man könnte alle Staatstheorien und politischen Ideen auf ihre Anthropologie prüfen und danach einteilen, ob sie, bewußt 255
Schmitt, Theorie des Partisanen, S. 91. Eine hierfür maßgebliche Schrift ist der „Nomos der Erde“ (1950). Als Jus publicum Europaeum bezeichnet Schmitt hierin das klassische europäische Völkerrecht. Es zeichnet sich durch die „Hegung des Krieges“ aus und verzichtet auf die Diskriminierung des Kriegsgegners als „Verbrecher“ oder „Unmensch“. Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 112–115. 256
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oder unbewußt, einen ,von Natur bösen‘ oder einen ,von Natur guten‘ Menschen voraussetzen“.257 Interpretationen, die den Menschen als nicht „problematisch“, nicht „gefährlich“ usw. voraussetzen, seien nicht in der Lage, einen belastbaren Gesellschaftsentwurf hervorzubringen, da ein solcher zur Prämisse habe, dass der Mensch einer gewissen Lenkung bzw. „Zähmung“ bedarf. Ein rein positives Menschenbild könne niemals erklären, warum der Mensch irgendeiner Form von Steuerung oder Einschränkung seines Handlungsspielraumes unterworfen sein sollte: „Demnach bleibt die merkwürdige und für viele sicher beunruhigende Feststellung, daß alle echten politischen Theorien den Menschen als ,böse‘ voraussetzen, d.h. als keineswegs unproblematisches, sondern als ,gefährliches‘ und dynamisches Wesen betrachten“.258 An dieser Stelle führt Schmitt eine bemerkenswerte, folgenschwere Überlegung in die Argumentation ein. Nachdem auf den vorangegangenen Seiten ausführlich über den Begriff des Politischen und das Wesen der Feindschaft nachgedacht und anschließend die Schlussfolgerung als unumgänglich präsentiert wurde, nach der nur eine negative Anthropologie eine praktikable Gesellschaftsordnung erzeuge, konfrontiert Schmitt den Leser mit dem Begriff der Erbsünde als letzten Zurechnungspunkt eines pessimistischen Menschenbildes: „Weil nun die Sphäre des Politischen letzten Endes von der realen Möglichkeit eines Feindes bestimmt wird, können politische Vorstellungen und Gedankengänge nicht gut einen anthropologischen ,Optimismus‘ zum Ausgangspunkt nehmen. Sonst würden sie mit der Möglichkeit des Feindes auch jede spezifisch politische Konsequenz aufheben“. Schmitt postuliert einen „Zusammenhang politischer Theorien mit theologischen Dogmen von der Sünde“ und führt zur Verteidigung seiner Position de Maistre, Bonald, Cortés u. a. an. Die Idee der „Sündhaftigkeit“ führe zu einer „Einteilung des Menschen“, die die Freund-Feind-Distinktion als Voraussetzung des Politischen erst ermögliche.259 Politik und Theologie hätten diese Unterscheidung gemeinsam und bewiesen damit ihre grundlegende „Verwandtschaft“. Hierauf folgt eine aufschlussreiche Bemerkung über die unerwünschten Folgen der „Leugnung der Erbsünde“, welche anhand von „Sekten“, „Häretikern“, Romantikern und Anarchisten offenbar würden. Nachdem Schmitt also den Leser langsam an den Schluss herangeführt hat, dass nur eine negative Anthropologie eine belastbare soziale Ordnung installieren könne, wird ihm nun das Dogma der Erbsünde als Rettungsanker zugeworfen. Autoren wie Heinrich Meier deuten diese Wendung als aggressiven Versuch, für die eigene katholische Position zu streiten, und tatsächlich liegt dieser Schluss nahe, wenn man nur in Betracht zieht, was faktisch im Text enthalten ist.260 Mei257 258 259 260
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 55. Ebd. S. 57. Ebd. S. 59 f. Meier, Die Lehre Carl Schmitts, S. 29 ff.
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ers Annahme, dass Schmitt von einer einzigen, absoluten Wahrheit in der göttlichen Offenbarung ausgeht, welche das Christentum tradiert, wirkt auf den ersten Blick überzeugend. Dennoch stellt sich die Frage, ob Schmitt wirklich bloß die europäischen Völker im Auge hatte, als er seine äußerst abstrakt gehaltenen Anmerkungen zum Begriff der Feindschaft und der negativen Anthropologie formulierte. Ohne dabei auf konkrete Textstellen verweisen zu können liegt die Vermutung nahe, dass Schmitt auch nicht-christianisierten Zivilisationen die Möglichkeit zusprach, soziale Ordnungen auf der Basis negativer Anthropologien zu errichten. Diese Deutung würde Schmitt unterstellen, Nicht-Christen die Fähigkeit einzuräumen, eine praktische Kongruenz zum christlichen Bekenntnis herzustellen, ohne der Konfession nach Christen zu sein. Sollte die Annahme falsch sein, so scheint sich für mich hieraus der Schluss zu ergeben, dass Schmitt dem nicht-christlichen Rest der Menschheit von vornherein jede Option zum Gutsein infolge eines Fehlens des Erbsündedogmas abspricht. Da dies jedoch nicht nur geschichtlich wie ethnologisch, sondern auch intuitiv unplausibel erscheint, gehe ich von einem Gebrauch des Erbsündebegriffes aus, der auch eine metaphorische Funktion erfüllt: Die „Erbsünde“ steht für alle negativen Anthropologien, nicht nur für das christlich-augustinische Dogma im Speziellen. Dass Schmitt tatsächlich an die Herausforderungen anthropologischer Universalismen gedacht hat, belegt folgende Textstelle: Ich spreche nicht von der Kultur der Menschheit im Ganzen, nicht vom Rhythmus der Weltgeschichte und vermag weder von Chinesen noch von Indern oder Ägyptern etwas zu sagen. Die Stufenfolge der wechselnden Zentralgebiete ist deshalb auch weder als die fortlaufende Linie eines „Fortschrittes“ nach oben, noch als das Gegenteil gedacht, und ob man hier einen Stufengang von oben nach unten oder von unten nach oben, einen Aufstieg oder einen Verfall annehmen will, ist eine Frage für sich.261
Neben der erstaunlich eloquenten Kritik am Liberalismus, auf die ich weiter unten im Text ausführlich zu sprechen kommen will, enthält der „Begriff des Politischen“ in seiner zweiten Hälfte eine geradezu ausufernde Verachtung dessen, was gemeinhin „Zivilisation“ genannt wird. Die von Schmitt angesprochenen Teilbereiche und Aspekte dieses Themenkomplexes sind vielfältig, weshalb ich zunächst rekapitulieren will, was im ersten Teil des „Begriffs des Politischen“ geschieht: Die Schrift beginnt mit der Bestimmung des Staates als formiertes
261 Die Rede von den „Zentralgebieten“ ist ein geschichtsphilosophisches Instrument Schmitts, das im „Begriff des Politischen“ vorgestellt wird. Als „Zentralgebiet“ bezeichnet Schmitt dominante ideengeschichtliche Einflüsse in ihrer jeweiligen Epoche (genannt werden Theologie, Metaphysik, Humanität, Ökonomie). Zugleich ist diese Stelle eine klare Absage an die populären Traditionalismen der Zeit. Der Kommentar Schmitts kann als Kritik an Zeitgenossen wie dem Italiener Julius Evola gelesen werden, dessen „Involutions“-Hypothese (in „Erhebung wider die moderne Welt“ von 1935) genau dem entspricht, von dem sich Schmitt hier distanziert. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 75. Vgl. Evola, S. 217 ff.
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politisches Kollektiv, das als solches die Freund-Feind-Unterscheidung vollzieht („Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus“).262 Im Zuge der Ausformulierung dieser Hypothese stellt sich heraus, dass das Politische nicht nur von der Realisation der Feindschaft abhängig ist, sondern überdies als ubiquitäres Phänomen – im Unterschied zu einem Sachgebiet unter vielen – begriffen werden kann. Jeder Lebensbereich kann Ausgangspunkt eines politischen Konfliktes werden. Im Anschluss an diese noch recht allgemein gehaltenen Überlegungen offenbart der Staatsrechtler dem Leser, dass nur eine negative Anthropologie, die den Menschen als von Natur aus „problematisch“ betrachtet, der Freund-Feind-Unterscheidung als Bedingung des Politischen fähig ist und eine stabile soziale Ordnung zu errichten vermag. Diese negative Anthropologie wiederum basiere jedoch auf dem Dogma der Erbsünde, dessen Begriff ich hier als metaphorisch interpretiere, um – konträr zu den erklärten Absichten Schmitts – eine universalanthropologische Perspektive der bloßen Möglichkeit nach offen zu halten. Im Kontext der zusammenhängenden Erörterungen bin ich auf zwei Detailfragen gestoßen, deren Diskussion noch aussteht. Zum Einen betrifft dies die Frage, wie Schmitts Feststellung im Einzelnen zu verstehen ist, nach der der „Feind“ nicht zwingend moralisch schlecht sein muss. Zum Anderen bleibt vorerst unbeantwortet, wie sich die politische Qualität eines „Freundes“ oder „Feindes“ ändern kann – schließlich stellt Schmitt die praktische Möglichkeit einer „ewigen“ Feindschaft in Frage. Beide Probleme ergeben sich aus meiner Annahme, dass Schmitt an eine absolute Wahrheit glaubt, die eine klare Unterscheidung zwischen „Gut“ und „Böse“ erlaubt. In beiden Fällen ist eine schlüssige Antwort möglich. So lässt sich die erste Frage mit der Unterscheidung zwischen dem konkreten moralischen Wert einer Handlung und der heilsgeschichtlichen Bedeutung dieser Handlung beantworten: Ein Individuum, das moralisch schlecht handelt, kann dennoch als Agent des göttlichen Willens in Erscheinung treten (dies würde vermutlich die Möglichkeit des umgekehrten Falles einschließen, was schwer zu denken ist!).263 Die Beantwortung der zweiten Frage baut auf dieser Überlegung auf: Absolut ist die Distinktion zwischen „Gut“ und „Böse“, doch als Zuschreibungen haben sie keine festen Referenzobjekte in der sich ständig verändernden, dynamischen Realität. So könnte eine politische Gruppe, die in den Augen des christlichen Interpreten zuvor als Gegenspieler Gottes aufgetreten ist, zu einem anderen Zeitpunkt die Rolle des „Aufhalters“ annehmen und damit ihre heilsgeschichtliche Rolle „umkehren“. 262
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 19. Erneut ergibt sich die obligatorische Frage, wie denn innerhalb der Schöpfung Gottes überhaupt irgendwer oder irgendwas nicht im Sinne der göttlichen Vorsehung handeln kann. Diese Frage müssen Theologen oder dazu Berufene beantworten. Meine Arbeit hat zum Ziel, das Gedankengebäude Schmitts, wie es sich in den „Politischen Theologien“ darstellt, verständlich zu machen. Die Beantwortung theologischer Spezialprobleme liegt weit außerhalb meines Kompetenzbereiches. 263
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Nun ist dies alles hoch spekulativ. Schmitt äußert sich zu diesen Fragen nicht, obwohl sie untrennbar mit seinen Thesen verbunden sind. Doch der Schluss scheint nicht allzu abwegig zu sein, dass er in dieser oder einer ähnlichen Art und Weise gedacht haben muss. Anders ließen sich auch nicht die Ausführungen zum Katechon, dem Antichrist oder zum „christlichen Epimetheus“ in einem einigermaßen stringenten Gesamtbild auflösen. Es ist erkennbar, dass Schmitt sich dazu verpflichtet sah, das Weltgeschehen um ihn herum heilsgeschichtlich zu deuten, ohne dafür auf eine verlässliche Anleitung zurückgreifen zu können. Darin scheint das Scheitern des „danach Denkenden“ angelegt zu sein. Die Begriffe „Katechon“, „christlicher Epimetheus“ und „Antichrist“ sind von mir bislang nicht ausführlich diskutiert worden, obwohl sie zuvor genannt worden sind und keine unbedeutende Rolle im Gesamtwerk Schmitts spielen. An dieser Stelle erscheint es mir sinnvoll, dies in einem knappen Exkurs nachzuholen. Das Wort „Katechon“ (Kat-echon, ü KatÝxwn, tü KatÝxon) taucht im zweiten Brief des Paulus an die Thessalonicher auf (2 Thess 2,6 u. 2 Thess 2,7). In der mir vorliegenden deutschen Übersetzung von Josef Kürzinger wird es sowohl im Neutrum („was im Wege steht“) als auch im Maskulinum („der im Wege Stehende“) gebraucht. Hinweise auf diese Gedankenfigur streut Schmitt in mehreren seiner Schriften, jedoch dürfte die populärste Quelle für seine Katechon-Rezeption der „Nomos der Erde“ (1950) sein.264 Die Idee des „Aufhalters“ taucht in den Gedanken des Staatsrechtlers im Sinne einer heilsgeschichtlichen Instanz auf, die dem christlichen Geschichtsverständnis Sinn verleihe. Schmitt scheint den „Aufhalter“ mit dem (christlichen) „Reich“ zu identifizieren: „,Reich‘ bedeutet hier die geschichtliche Macht, die das Erscheinen des Antichrist und das Ende des gegenwärtigen Äon aufzuhalten vermag, eine Kraft, qui tenet, gemäß den Worten des Apostels Paulus im 2. Thessalonicherbrief, Kapitel 2“. Der „im Wege Stehende“ sei gar die notwendige Voraussetzung für ein christliches Verhältnis zur Geschichte: „Ich glaube nicht, daß für einen ursprünglich christlichen Glauben ein anderes Geschichtsbild als das des Kat-echon überhaupt möglich ist“.265 An genannter Stelle wird im weiteren Verlaufe des Textes klar, dass der „Aufhalter“ eine prominente Rolle in der christlichen Geschichtsphilosophie Schmitts einnimmt. Mit dem schrittweise erfolgenden „Abstieg“ vom Theologischen zum bloß Juristischen (d.h. vom Theismus zum Atheismus) verschwinde auch die europäische Konstruktion des „Reiches“ als „Aufhalter“ (der Ankunft des Antichrist). Der entscheidende Punkt hierbei ist, dass Schmitt mit dem Bewusstseinsverlust nicht auch zugleich eine Termination der Existenz des „Aufhalters“ annimmt. Er bestehe in einer anderen Form weiter (da das Ende der Welt noch nicht eingetroffen ist, muss Schmitt von seiner fortdauernden Präsenz ausgehen). An dieser
264 Wie aus dem Briefwechsel zwischen Blumenberg und Schmitt hervorgeht, bezeichnete Schmitt den Katechon als die „Kernfrage“ seiner politischen Theologie. Laut Schmitz und Lepper ist der Begriff seit 1942 im Werk des Staatsrechtlers nachweisbar. Als Idee ist der „Aufhalter“ jedoch noch älter, etwa als Bestandteil der Auseinandersetzungen mit Peterson in den 20er Jahren. Wie der Briefwechsel außerdem zu verraten scheint, deutet Schmitt den Katechon personal. In einem der Briefe an Blumenberg gibt Schmitt an, seit 1936 am Begriff des Aufhalters zu arbeiten. Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 120, 122, 135, 138. 265 Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 28 ff.
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Stelle wird es unübersichtlich: Die Formulierungen Schmitts können den Eindruck erwecken, dass er die Möglichkeit mehrerer Katechonten nicht ausschloss (Heinrich Meier thematisiert diesen Punkt ausführlich).266 Zugleich wird dem Leser im „Nomos der Erde“ suggeriert, Schmitt sei sich bzgl. der Identifikation des „Aufhalters“ in seiner Zeit sicher, ohne jedoch mit einer konkreten Antwort auf diese Frage zu schließen (nicht wenige Lesarten sehen hier das NS-Regime als „Aufhalter“ angedeutet). Durch die von Schmitt vorgeschlagene Übertragung heilsgeschichtlicher Prophetie auf konkrete politisch-geschichtliche Verhältnisse des 20. Jh. stellt sich mit der Spekulation über die Identität des „Aufhalters“ zugleich die Frage nach dessen Gegenstück, dem Antichrist. Auch der Antichrist taucht als Begriff über verschiedene Schriften Schmitts verteilt auf. So spekuliert der noch junge Schmitt in „Theodor Däublers ,Nordlicht‘“ über die vorhergesagte Ankunft des Antichrist, und zwar bereits hier mit einem direkten Bezug zur politischen Gegenwart.267 Im „Begriff des Politischen“ wird die Idee des Antichrist durch seine Attribute angedeutet und mit der „Polizei“ verbunden („Ruhe, Sicherheit und Ordnung“).268 Dass die Prophezeiung vom Widerchrist Schmitt sehr beschäftigt haben muss, geht auch aus den Reaktionen seiner Freunde und Diskussionspartner hervor. So geht etwa der bereits erwähnte Erik Peterson ebenfalls auf die Gedankenfigur ein, wenn er über den römischen „Weltkaiser“ spricht.269 Analog zu Heinrich Meiers Spekulationen über die Möglichkeit mehrerer Katechonten im Denken Schmitts gehe ich überdies auch von mehreren möglichen Inkarnationen des Antichrist aus. Eine im Kontext der Polemiken Schmitts naheliegende Identifikation wäre es, in der Sowjetunion die materialisierte Ankündigung des Jüngsten Tages zu sehen. Tatsächlich ist die Feindlage des Juristen so vielschichtig und komplex, dass andere Objekte der Empörung (allen voran der Liberalismus) von seiner heilsgeschichtlichen Auslegung der politischen Verhältnisse nicht per se ausgeschlossen werden können. Womöglich ist ein zusammenfassender Oberbegriff wie der des von Schmitt selbst vorgeschlagenen „neuzeitlichen Satanismus“ die treffendste Bezeichnung. Die Selbstreferenz im Begriff des „christlichen Epimetheus“ ist nach Heinrich Meier eine Reaktion auf die Arbeiten von Konrad Weiss.270 Die hierfür markanteste Stelle sei in „Ex Captivitate Salus“ enthalten.271 Das von Schmitt gewählte Bild enthält jedoch mehr als nur die selbstkritische Anmerkung, nach der vergangene politische Einschaltungen in der Nachbetrachtung als Verfehlungen gedeutet werden müssen. Denn Epimetheus ist der Bruder des Prometheus, welcher sinnbildlich für jenen „neuzeitlichen Satanismus“ steht, gegen den der Staatsrechtler wortgewaltig anschreibt. Die Heirat der Pandora durch Epimetheus besiegelt das weitere Schicksal der Menschheit, da die Strafe des Prometheus in ihrer verderblichen Mitgift von Zeus, der Büchse der Pandora, enthalten war (d. h. die „Plagen“). Es ist das Verlangen des Epimetheus, ein Geschenk der
266 „Gibt es etwa zwei, drei, viele Katechonten gleichzeitig? Schmitt scheint dieser Auffassung zuzuneigen“. Meier, Die Lehre Carl Schmitts, S. 244 f. 267 Schmitt, Theodor Däublers „Nordlicht“, S. 61 ff. 268 Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 10. 269 Peterson, S. 70. 270 Meier, Die Lehre Carl Schmitts, S. 38 f. 271 Ebd. S. 204.
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Götter anzunehmen, das die Freisetzung der Plagen über die Menschheit erst ermöglicht. Das Bild des „danach Denkenden“ könnte also auch als Selbstkritik am religiösen Eifer in der „Anrufung“ zum konkreten Handeln gedeutet werden. Details wie dieses lassen die weit verbreitete Deutung Schmitts als christlich-dogmatisch bzw. religiös vollkommen eingenommen nicht zu. Zu jedem Zeitpunkt scheint er eine außerordentliche, der Kritik fähige Distanz zu seinem Glauben sowie seiner Person gehabt zu haben.
Während also zum Einen dem Politischen ein Wert zugesprochen wird, der sich dem Anschein nach durch seine Zugehörigkeit zur Providenz legitimiert, erwecken die Ausführungen Schmitts zum Anderen den Eindruck einer moralischpolitischen Gleichgültigkeit gegenüber dem Pluriversum aus politischen Ideologien. Dass dies nicht der Fall sein kann, belegen sowohl die Polemiken der beiden „Politischen Theologien“, als auch die ausführliche Kritik am Liberalismus im „Begriff des Politischen“. Schmitt präsentiert zunächst eine Theorie der Feindschaft als quasi-politologische Kategorie, füllt ihren Begriff jedoch sogleich mit den eigenen politisch-theologischen Positionen. Im „Begriff des Politischen“ wird der „Feind“ des Autors durch eine Auseinandersetzung mit der liberalen Ideologie approximativ beschrieben. In den „Politischen Theologien“ sind es vor allem Rechtspositivismus, Anarchismus und Sozialismus, anhand derer der Staatsrechtler seinem „Feind“ konkrete Form geben will. Ein Ausdruck wie die „Verteidigung des Eigenen“ greift hier zu kurz, da es für Schmitt um noch grundsätzlichere Dinge geht, als nur um den Streit für irgendeine politische Sache.272 Der Verweis auf das Dogma der Erbsünde im „Begriff des Politischen“ ist ein starkes Indiz dafür, aber auch die eigentümliche Rede vom „Satanismus“ in der „Politischen Theologie“. In der Schrift von 1922 hatte Schmitt bereits die These vertreten, dass die Geschichte des Staatsrechts das Abbild der Geschichte der abendländischen Metaphysik bzw. Theologie ist. Die hierin enthaltene Bewegung zeichnet einen „Abfall“ von einem ursprünglichen, theistischen Dezisionismus zu einer „satanischen“ Religion des „Diesseits-Aktivismus“, die den Menschen in das Zentrum des Kosmos stellt und dem Götzen des technischen Fortschritts dient. Viele Arbeiten Schmitts erwecken den Eindruck, eine geheime Botschaft zu transportieren, die eine theistisch-traditionalistische Geschichtsphilosophie enthält, und die nur von denen entschlüsselt werden kann, die bereits eine Synchronizität im Rhythmus des Denkens mitbringen. Fast alle hier besprochenen Texte enthalten Stellen, die den Autor als Eingeweihten in ein Geheimwissen empfehlen können. Das ist einer der Gründe für Schmitts Popularität bis in die heutige Zeit. Der bereits angesprochene politische wie theologische Charakter vieler Schriften ist unbestreitbar. Für das Verständnis der „Politischen Theologien“ ist die Beantwortung der Frage nach Schmitts persönlicher Feindbestimmung die erste und wichtigste Operation. Doch wie aus ihrer Betrachtung sowie der Hinzunahme des 272
Meier, Die Lehre Carl Schmitts, S. 226.
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„Begriffs des Politischen“ hervorgeht, kämpft Schmitt zugleich an mehreren Fronten gegen unterschiedliche politische Feinde. Während der Liberalismus als radikale Negation des Politischen den Zorn des Staatsrechtlers auf sich zieht, erntet der marxistische Sozialismus als genuin „politische“ Größe ebenso die Feindschaft Schmitts. Der Feind ist also nicht nur dort zu suchen, wo jede Feindschaft geleugnet wird. Er befindet sich auch auf dem Schlachtfeld politischer Parteien. Trotz dieses Gegensatzes hat der Jurist Liberalismus und Sozialismus in einer erstaunlichen Art und Weise miteinander verknüpft: Das Bindeglied zwischen Beiden sei ihre positive Anthropologie, die die Erbsünde verneint und den Menschen als unproblematisch betrachtet. Zudem sei der Marxismus bloß ein „Anwendungsfall“ der liberalen Ideologie. Während die meisten Beobachter Liberalismus und Sozialismus als zwei völlig unvereinbare weltanschauliche Gegensätze deuten, führt Schmitt sie zu einem gemeinsamen, überparteilichen Feindbild zusammen, dessen zentrales Charakteristikum der Kampf gegen Gottes Weltordnung ist. Dieses rhetorische Kunststück ist keine Erfindung Schmitts. Es entspringt dem kontinentaleuropäischen Affekt des frühen 20. Jh., der „Bedrohung“ aus „Ost“ (Sozialismus) wie von „West“ („Kapitalismus“) eine dritte, eigenständig-europäische Position entgegen zu halten. Die bekanntesten Ausläufer dieser Denkbewegung sind der italienische Faschismus und der deutsche Nationalsozialismus. Bis zum heutigen Tage, d. h. selbst nach dem Ende des sog. „Kalten Krieges“, ist dieses Ideologem in Europa wirksam. Die Besonderheit im Denken Schmitts besteht darin, diese idiosynkratische Bestimmung politischer Hauptkampflinien für die eigene politisch-theologische Position zu instrumentalisieren, welche sich inhaltlich erheblich von den oben genannten politischen Strömungen absetzt. Das wesentliche Unterscheidungskriterium besteht hierbei in dem religiösen Bekenntnis des Plettenbergers. Die theologischen Motive in den verschiedenen Schriften werden vorwiegend durch die Urteile deutlich, die Schmitt fällt. Hierzu zählt etwa die Analyse des modernen Menschen, dem Schmitt eine „Ich-Verpanzerung“ attestiert, welche als Verschließung vor der Anrufung Gottes zum moralischen Gutsein unfähig mache.273 Hinter diesem und anderen Phänomenen, die Schmitt in seiner Zeit ausmacht, steht die große Erhebung gegen die Natur als Schöpfung Gottes, die in letzter Konsequenz ein Aufbegehren gegen Gott selbst ist. Der prometheische Wunsch nach der Beherrschung der Natur zum Zwecke der Errichtung eines Paradieses auf Erden, das ganz ohne die Gnade des Schöpfers auskommt, ist der Kern der widergöttlichen Verschwörung, von der Schmitt wortreich und in mannigfacher Weise über viele Schriften hinweg verstreut immer wieder spricht. Sie ist ein Hauptthema, wenn nicht das wichtigste Thema im Gedankengebäude des Staatsrechtlers. Die Abscheu vor der Absolutsetzung des Menschen als einzige 273 Nach Heinrich Meier ist dies auch ein wesentliches Moment im Glossarium. Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 150 f.
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Quelle der Erkenntnis und des mit ihr verbundenen Rationalismus wird kaum verborgen: „jedes Wort in der Wortverbindung ,Kritik der reinen Vernunft‘ – Kritik, rein und Vernunft – richtet sich polemisch gegen Dogma, Metaphysik und Ontologismus“.274 Von der russischen Politik des 20. Jh. sagt Schmitt, sie hätte „mit der Antireligion der Technizität Ernst gemacht“. In dieser Bemerkung ist alles Entscheidende bereits enthalten: Die Hybris der Erhebung über die Natur als Werk Gottes, die sich u. a. in einer naiven Fortschrittsgläubigkeit äußert, aber auch in dem ideologisch bedingten Glauben, einen „neuen Menschen“ kreieren zu können, der für den Erfolg des sozialistischen Modells benötigt wird. Das prometheisch-widergöttliche Element in der „Ersatzreligion“ des naturwissenschaftlich geprägten Szientismus, der die „Machbarkeit“ in den Fokus des eigenen Weltverhältnisses rückt und keine ethisch begründeten Einschränkungen der menschlichen Neugier akzeptieren kann. Die zu beklagenden humanitären Folgen der sozial-architektonischen Selbstüberschätzung, welche die bestehenden Mängel moderner Zivilisation noch verschärft und um weitere Mängel erweitert. Schmitt stellt fest, daß „hier ein Staat entsteht, der mehr und intensiver staatlich ist als jemals ein Staat des absoluten Fürsten, Philipps II., Ludwigs XIV. oder Friedrichs des Großen“.275 Diese Bemerkung ist insofern erstaunlich, als dass Schmitt selbst eine etatistische Position vertritt, hier jedoch scheinbar unumwunden eingesteht, dass die Intensivierung des Gewaltmonopols des Staates auf russischem Boden verheerende Folgen für die Bevölkerung gehabt habe. Der Eindruck drängt sich auf, als werde die Menschenverachtung, die von einem Staat ausgehen kann, von dem Juristen nur oder vorwiegend im Anwendungsfalle der marxistischen Ideologie wahrgenommen, nicht aber in anderen, ebenso realen Zusammenhängen. Die „Religion der technischen Wunder, menschlicher Leistungen und Naturbeherrschung“ ist jedoch „nur das Ergebnis einer bestimmten Richtung, in welcher sich die Verlagerung der Zentralgebiete bewegt“: Schmitt spricht von vier „Schritten“, denen vier Jahrhunderte entsprechen, in denen sich der zentrale Gedanke der europäischen Geistesgeschichte vom Theologischen über das Metaphysische und „Humanitär-Moralische“ bis hin zum „Ökonomischen“ gewandelt habe.276 Der russische Sozialismus ist für Schmitt also nicht der Anfang, sondern das vorläufige Ende einer Entwicklung, die über mehrere Jahrhunderte verfolgt werden kann. Ein gewichtiger Wegbereiter dieser Entwicklung sei der Liberalismus, der als entscheidendes Merkmal die Negation des Politischen bzw. der Feindschaft vorantreibe. Er erscheint als Virus, der, sobald er die Gedanken der Menschen befallen hat, die Völker dem Sozialismus schutzlos ausliefert. Auch
274 275 276
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 76. Ebd. S. 74. Ebd. S. 74, 77.
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diese Idee scheint mir in der Rede vom Marxismus als „Anwendungsfall“ des Liberalismus enthalten zu sein: Zuerst müssen die europäischen politischen Einheiten ihre natürlichen Resistenzen gegen den neuartigen „Satanismus“ der marxistischen Ideologie einbüßen, bevor sie von diesem infiziert werden können. Das trojanische Pferd für diese Ansteckung ist der Liberalismus, der wiederum auf älteren ideengeschichtlichen Entwicklungen aufbaut, die Schmitt scheinbar mit Hobbes’ „Leviathan“ beginnen lässt. Ein Charakteristikum dieser vierhundertjährigen, fortdauernden Rebellion gegen Gottes Werk sei der pathologische Wunsch nach andauerndem Frieden in einer vollends „neutralisierten“ Wirklichkeit: Immer wandert die europäische Menschheit aus einem Kampfgebiet in neutrales Gebiet, immer wird das neu gewonnene neutrale Gebiet sofort wieder Kampfgebiet und wird es notwendig, neue neutrale Sphären zu suchen. Auch die Naturwissenschaftlichkeit konnte den Frieden nicht herbeiführen. Aus den Religionskriegen wurden die halb noch kulturell, halb bereits ökonomisch determinierten Nationalkriege des 19. Jahrhunderts und schließlich einfach Wirtschaftskriege.277
Die Fortschrittsgläubigkeit, die im Zentrum von Schmitts Feind-Zeichnung steht, sei der selbstinduzierten Illusion geschuldet, „in der Technik den absolut und endgültig neutralen Boden gefunden zu haben“. Der Staatsrechtler betont gegen Ende seiner Ausführungen nachdrücklich, dass sich seine Kritik nicht gegen die Technik selbst, sondern gegen die „Religion der Technizität“ richte. Diese mache „kulturell blind“, weil sie außerhalb der technischen Sphäre keinerlei Bezugsgrößen habe.278 Entgegen der Verheißungen der Technik führe sie jedoch niemals zu einem Ende der Geschichte als Zustand des ewigen Friedens. Da sie gegenüber menschlichen Motiven indifferent ist, trage sie auch zur Intensivierung und Radikalisierung des Krieges und den mit ihm zusammenhängenden Instrumenten der Kriegführung bei. Schmitt belässt es jedoch nicht bei diesen vermutlich konsensfähigen Beobachtungen. Hinter all den Verwerfungen moderner Zivilisation stecke eine geheimnisvolle Macht, deren „Nebel der Namen und der Worte“ „durchschaut“ werden müsse, um ihre „psychotechnische Maschinerie der Massensuggestion“ zu bekämpfen: Wir kennen sogar das geheime Gesetz dieses Vokabulariums und wissen, daß heute der schrecklichste Krieg nur im Namen des Friedens, die furchtbarste Unterdrückung nur im Namen der Freiheit und die schrecklichste Unmenschlichkeit nur im Namen der Menschheit vollzogen wird.279
Der neuzeitliche „Satanismus“ wirke destruktiv auf das Leben der Menschen. Die Verdrängung des Politischen und der hiermit zusammenhängenden, „an277
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 82. Ebd. S. 82–85. 279 Auch diese Bemerkung ist vermutlich, inmitten der befremdlichen Andeutungen auf eine Verschwörung, grundsätzlich konsensfähig. Ebd. S. 86. 278
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spruchsvollen moralischen Entscheidung“ bringe einen Typ Bürger hervor, der in einer selbstzerstörerischen Passivität verharrt und keiner „lebendigen“ Regung mehr fähig ist: Ein Leben, das gegenüber sich selbst nichts mehr hat als den Tod, ist kein Leben mehr, sondern Ohnmacht und Hilflosigkeit. Wer keinen anderen Feind mehr kennt als den Tod und in seinem Feinde nichts erblickt als leere Mechanik, ist dem Tode näher als dem Leben, und die bequeme Antithese vom Organischen und Mechanischen ist in sich selbst etwas Roh-Mechanisches. Eine Gruppierung, die auf der eigenen Seite nur Geist und Leben, auf der anderen nur Tod und Mechanik sieht, bedeutet nichts als einen Verzicht auf den Kampf und hat nur den Wert einer romantischen Klage. Denn das Leben kämpft nicht mit dem Tod und der Geist nicht mit der Geistlosigkeit. Geist kämpft gegen Geist, Leben gegen Leben, und aus der Kraft eines integren Wissens entsteht die Ordnung der menschlichen Dinge. Ab integro nascitur ordo. [Hervorhebungen im Original]280
Neben der Vorliebe des Autors für lateinische Worte (es handelt sich hierbei um den Schluss des Textes) fällt die Referenz zur Romantik auf, die hier nicht unbedingt zu erwarten ist. Tatsächlich kann in der Romantik ein Ausgangspunkt der Schmittschen Zivilisations- und Zeitkritik gesehen werden. So finden sich in der „Politischen Romantik“ bereits erste Vorzeichen dessen, was Schmitt in seinen späteren Schriften ausführlich in Form von politischer Polemik zur Sprache bringt und beständig ausbaut. Noch aufschlussreicher für das Verständnis der hier zu ergründenden Feindbestimmung ist „Theodor Däublers ,Nordlicht‘“ aus dem Jahre 1916: Die letzten beiden der insgesamt drei Kapitel („Das geistige Problem Europas“ und „Die Aktualität“) enthalten bereits eine sehr präzise, pointierte Annäherung an die komplexeren Kritiken der späten Schriften. In „Theodor Däublers ,Nordlicht‘“ konzentriert sich Schmitt auf die Ausarbeitung eines Psychogramms des modernen europäischen Staatsbürgers. Die wesentlichen Motive aller späteren Empörungen sind hier enthalten. In einem noch etwas milderem Tonfall beklagt der Autor die gotteslästerliche Erhebung über die Natur: „Das
280 Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 87. „Von Neuem beginnt die gewachsene Ordnung“. Die Formel erinnert an die Rückseite des Siegels der Vereinigten Staaten, aber auch an die hier zitierte Stelle bei Vergil, die den Anbruch eines neuen Zeitalters prophezeit. Sie ist sowohl als Vorhersage der Ankunft Christi, als auch als Ankündigung einer neuen Weltordnung gedeutet worden. Beide Lesungen entsprechen den Interessen Schmitts, was eine Deutung umso schwieriger macht. Da die Formel im Zusammenhang mit der „Religion der Technizität“ fällt, gehe ich von einem Hinweis auf eine neue Weltordnung aus – was Schmitts Gedanken unbequemerweise in die Nähe von verschwörungstheoretischen Entwürfen rückt. Doch dieser Verdacht drängte sich bereits im Kontext anderer Textstellen im Werk des Staatsrechtlers auf. Das Feindbild des „Weltstaates“ bzw. der „neuen Weltordnung“ ist bis heute populär und wird von den unterschiedlichsten politischen Gruppen gepflegt. Das Besondere im Hinblick auf Schmitt ist die Verknüpfung dieses Gegners mit der aus dem christlichen Glaubensbekenntnis stammenden Furcht vor der Ankunft des Antichrist. Ein sehr ähnliches Bedrohungsszenario zeichnet etwa der amerikanische Radiomoderator und Mormone Glenn Beck.
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Letzte und Entscheidende kann nicht ,gemacht‘ werden. Die Menschen mögen versuchen, der Natur ein Reich der Kultur entgegenzustellen, in dem eine umsichtige Planmäßigkeit Gott und seine Vorsehung ersetzen möchte. Die Natur läßt sich nichts ablisten oder rauben und Gott läßt nicht mit sich handeln“.281 Sogar das späte Bild des „nachher Denkenden“ ist im Begriff der Gnade schon hier eingeschlossen. Das Kernmotiv der Verankerung politischer Positionen im religiösen Bekenntnis kommt bereits 1916 zum Vorschein: „Hier erhebt sich das unlösbare und unumgänglichste aller Probleme: der Mensch soll tätig sein, aber das Wichtigste erreicht er nur durch die Gnade“. Das „Zeitalter des Verkehrs, der Technik, der Organisation“ habe den „Betrieb“ zum Selbstzweck verabsolutiert.282 Im Unterschied zu den späteren Schriften hat diese Kritik noch nicht den Ton der Verbitterung: Die Menschen sind arme Teufel geworden; „sie wissen alles und glauben nichts“. Sie interessieren sich für alles und begeistern sich für nichts. Sie verstehen alles, ihre Gelehrten registrieren in der Geschichte, in der Natur, in der eigenen Seele. Sie sind Menschenkenner, Psychologen und Soziologen und schreiben schließlich eine Soziologie der Soziologie.283
Schmitt beklagt den „Götzendienst“ an Rationalität und Berechenbarkeit in einer Weise, die vereinzelt an die Romantik erinnert, was angesichts seiner scharfen Kritik an eben dieser in der „Politischen Romantik“ erstaunt: „[. . .] Millionen, die sich nach der Freiheit sehnen, erweisen sich als Kinder dieses Geistes, der alles auf die Formel des Bewußtseins bringt und keine Geheimnisse und keinen Überschwang der Seele gelten läßt“.284 In der „Politischen Romantik“ (1919) hatte Schmitt den Versuch einer Destruktion der Romantik aus politischen Gründen unternommen. Die Schrift kann grob in zwei Abschnitte geteilt werden: Der erste Teil zeichnet ein Bild der Romantik als kulturgeschichtliche Erscheinung. Schlegel und Adam Müller verkörpern hier das romantische Lebensgefühl in Reinform. Der zweite Teil stellt eine Verbindung zur sog. „politischen Romantik“ her, die von der „romantischen Politik“ unterschieden werden müsse. Die Kernthese der Schrift besagt, dass die Romantik grundsätzlich unfähig zur Politik sei, da sie eine völlige moralische, d.h. – nach Schmitt – politische Beliebigkeit kultiviere. Sie könne prinzipiell als Vorlage oder Vehikel jeder beliebigen politischen Idee oder Strömung dienen.285 Die Unfähigkeit zur Entscheidung, die Schmitt später im Liberalis-
281
Schmitt, Theodor Däublers „Nordlicht“, S. 56. Ebd. S. 57 ff. 283 Ebd. S. 60. Auch hier taucht in der Wendung von der „Soziologie der Soziologie“ eine Parallele zur Sprache Luhmanns auf. 284 Ebd. S. 60. 285 „Diese Wandelbarkeit des politischen Inhalts ist nicht zufällig, sondern eine Folge der occasionellen Haltung und tief im Wesen des Romantischen begründet, dessen Kern Passivität ist.“ Schmitt, Politische Romantik, S. 119. An gleicher Stelle findet sich auch eine der vielen verstreuten Kritiken am Traditionalismus, dem Schmitt hier in Anlehnung an Lupus einen immanenten „Passivismus“ unterstellt. 282
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mus wiederzufinden meint, sei charakteristisch für Persönlichkeiten wie Adam Müller, der keinen „eignen Schwerpunkt“ besessen habe: „In Göttingen wurde er Anglomane, in dem feudalen Milieu Berlins extrem feudal, im klerikalen Kreise Wiens extrem klerikal“.286 Im Unterschied zu politischen Romantikern seien romantische Politiker in der Lage, moralische Urteile zu fällen. Als Beispiel führt Schmitt Don Quixote an. Als Konsequenz des Verzichts auf „jede aktive Änderung der wirklichen Welt“ werde die Romantik so zum Spielball fremder Interessen.287 Diese Darstellung der Romantik ist vermutlich nicht belastbar, doch die Empörung des Staatsrechtlers tritt in aller Deutlichkeit hervor: Der Furor des Autors richtet sich im Wesentlichen gegen die bewusste Ablehnung politischer Aktivität zum Zwecke der Änderung konkreter lebensweltlicher Verhältnisse. Dieses Motiv begegnet dem Leser in jüngeren Schriften vielfach wieder. In der „Politischen Theologie“ sind es die „liberalen“ und genossenschaftstheoretischen Staatsrechtsentwürfe, die sich dem Vorwurf der Beliebigkeit und Inkonsequenz aussetzen lassen müssen. Im „Begriff des Politischen“ ist es vor allem der Liberalismus, dem Schmitt eine strukturelle Entscheidungsunfähigkeit attestiert. Diese Kritik entfaltet sich vor dem Hintergrund der Versuche des Autors, dem missliebigen „Occasionalismus“ eine dezisionistische, unzweideutige und theoretisch konsistente Staats- und Gesellschaftstheorie entgegen zu stellen. Wie bereits angedeutet müssen diese Beobachtungen im weiteren Kontext beurteilt werden. Denn Schmitt beginnt seine schriftstellerische Tätigkeit u. a. mit der Rezension von Lyrik („Theodor Däublers ,Nordlicht‘“), nicht zuletzt aber mit der Produktion eigener literarischer Versuche wie den „Buribunken“ (1918).288 Schriften wie diese lassen die sprachlichen wie kreativen Fähigkeiten des Juristen erkennen, der ursprünglich eine philologische Karriere anstrebte.289 Insbesondere die Freundschaft zu dem Dadaisten Hugo Ball zeugt von dem künstlerischen Interesse Schmitts. In den „Buribunken“ taucht eine satirische Kritik des wissenschaftlichen Betriebs auf, die als frühe Ankündigung des Verzichts auf formale wie inhaltliche Orthodoxie in Bezug auf die Abfertigung vordergründig akademisch motivierter Arbeiten gedeutet werden kann. Die Lektüre solcher Frühschriften verhärtet den Eindruck, dass Schmitt selbst romantischen Ideen anhing, bevor er in einem radikalen Akt der Selbstzensur und Mäßigung in Richtung des dezisionistischen Antipoden ausschlug.290
Theodor Däublers „Nordlicht“ erzählt von einem „Himmel mit Badeeinrichtungen, Automobilen und Klubsesseln, dessen heiliges Buch der Fahrplan“ ist.291 Die prometheische Hybris habe bereits wichtige Etappensiege errungen, wodurch der ehemals tragende Boden der Tradition ins Wanken geraten sei: Das Recht war zur Macht geworden, Treue zur Berechenbarkeit, Wahrheit zur allgemein anerkannten Richtigkeit, Schönheit zum guten Geschmack, das Christentum zu 286
Schmitt, Politische Romantik, S. 130. Ebd. S. 153, 167. 288 Hüsmert/Giesler (Hrsg.), S. 453–471. 289 Mehring, Aufstieg und Fall, S. 22 f. 290 Eine abschließende Einordnung von Schmitts möglicherweise künstlerisch motivierten Neigungen bzw. seiner situationsgebundenen politischen Werturteile wird weiter unten erfolgen. Vgl. C. V. 3. 291 Schmitt, Theodor Däublers „Nordlicht“, S. 60. 287
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einer pazifistischen Organisation. Eine allgemeine Vertauschung und Fälschung der Werte beherrschte die Seelen. An die Stelle der Unterscheidung von gut und böse trat eine sublim differenzierte Nützlichkeit und Schädlichkeit.292
Die „Vertauschungen“, die Schmitt seiner Zeit diagnostiziert und die in einem Zusammenhang mit dem allgemeinen „Verfall“ der Werte stehen, haben keine geringere Ursache als die in der Offenbarung prophezeite Ankunft des Antichrist. In diesem Bild scheint der Ursprung von Schmitts späteren, unzähligen Andeutungen in Richtung einer Verschwörung zu liegen, die eine neue Weltordnung zum Ziel habe, innerhalb derer das Politische und damit sowohl das Moralische als auch das Metaphysische und Theologische ausgeschaltet sei. Ein Bild, das in anderen Zeiten aus der unbeschreiblichen Angst vor der unentrinnbaren Macht des Bösen geboren ist, taucht auf wie eine Prophezeiung, die sich nunmehr erfüllt: der Antichrist. Was ist das Grausige an ihm? Warum ist er mehr zu fürchten als ein mächtiger Tyrann, als Timur Lenk oder Napoleon? Weil er Christus nachzuahmen weiß und sich ihm so ähnlich macht, daß er allen die Seele ablistet. Er wird sich freundlich, korrekt, unbestechlich und vernünftig zeigen, alles wird ihn als Glück der Menschheit preisen und sagen: ein großartiger und gerechter Mensch!293
Die „Nachahmung Gottes“ ist das zentrale Merkmal des Antichrist.294 Aber auch die Natur mache er sich „untertan“: „Sie dient ihm; wofür ist gleichgültig, für irgendeine Befriedigung künstlicher Bedürfnisse, für Behagen und Komfort. Die Menschen, die sich von ihm täuschen lassen, sehen nur den fabelhaften Effekt; die Natur scheint überwunden, das Zeitalter der Sekurität bricht an; für alles ist gesorgt, eine kluge Voraussicht und Planmäßigkeit ersetzt die Vorsehung“. Die „Conférenciers“ dieser neuen Ordnung „zermürben einem die Sprache im Munde, weil sie den Logos nicht sehen wollen; sie fühlen sich überlegen, weil sie Skeptiker sind. Die Menschen glauben ihnen, daß alles in der Welt eine durchaus menschliche Sache ist und man sich vor Großartigkeit und Feierlichkeit nicht bange machen dürfe. Die Verwirrung wird unsäglich: der Affe beweist, daß er vom Menschen abstammt und beruft sich darauf, daß die Affenähnlichkeit des Menschen größer ist als die Menschenähnlichkeit des Affen“. Jeder Glaube zerbreche an der gnadenlosen Impertinenz dieser militanten Säkularität. Die Versprechungen einer von allen Erschwernissen des Lebens befreiten, hedonistischen Selbstgenügsamkeit in einer vollkommen neutralen, apolitischen Gesellschaft lassen den „Kerker der Seele“ wie einen „behagliche[n] Sommersitz“ erscheinen.295 Im Fahrwasser dieser Kritik erscheint eine Bemerkung, die besonders im Zusammenhang mit der „Politischen Theologie II“ und ihrer Referenz auf das Prob292 293 294 295
Schmitt, Theodor Däublers „Nordlicht“, S. 61. Ebd. S. 61. Ebd. S. 61. Ebd. S. 62 f.
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lem der Gnosis von großer Bedeutung ist. Schmitt schreibt: „Wer die moralische Bedeutung der Zeit ahnte und gleichzeitig sich als Kind der Zeit wußte, konnte nur Dualist werden“.296 Was ist hiermit gemeint? Schmitt spricht von dem Unbehagen angesichts der Erkenntnis der Unvollkommenheit der Welt, d.h. dem Ursprung des Theodizee-Problems. Allmacht und Güte als Attribute des personalen christlichen Gottes lassen sich nicht in Einklang mit einem solchen Befund bringen. Unkommentiert fügt Schmitt seiner Zeitkritik folgende Erwägung hinzu: So hätte nur eins bleiben können: mit dem Gnostiker Marcion die Welt restlos als Werk des Teufels zu erklären, in der ewig die Geistlosigkeit über den Geist triumphieren wird. Hier liegt die Wurzel der Angst, es könnte „das Weltall für ewig mißraten“ sein und keinen Sinn und Zweck haben, etwas Gutes und Rechtes zu wollen; Gott wäre hilflos, machtlos; die ganze Weltgeschichte ein Gassenhauer, den irgendein alberner Schlingel auf einem verstimmten Instrument spielt, die Welt wäre unrettbar verpfuscht; die elende Nachäffung eines erhabenen Bildes, die Kreatur eines frechen Plagiators, der den Plan des großen Werkes gestohlen und eine Fratze daraus gemacht hat; eine Schöpfung des Affen Gottes. Uns wäre dann nicht zu helfen, wir müßten sehn, aus dem Gefängnis zu entrinnen, um wenigstens die Seele zu retten. Ein eschatologisches Entsetzen hatte viele ergriffen, bevor die Entsetzlichkeiten des Weltkrieges Realität geworden waren. Die Skeptiker aber, deren Verstand jeder Apokalyptik fremd, deren Geist aber nicht klein genug war, um das Treiben mitzumachen, klagten, daß der Zeit die Seele fehlte.297
In der darauf folgenden Passage ordnet Schmitt das „Nordlicht“ Däublers dem „Geist“ zu, welches in einer Zeit der „Geistlosigkeit“ erschienen sei.298 Vereinzelt kann hier der Eindruck entstehen, Schmitt sei 1916 einem gnostischen Dualismus gefolgt. Die wiederkehrende Rede von einem „Kampf“ zweier Kräfte (Gott und Wider-Gott) in mannigfachen Varianten scheint diese Deutung nahezulegen. In der „Politischen Theologie II“ (1970) hingegen antwortet Schmitt mit Verweis auf Augustinus auf die Angriffe Hans Blumenbergs, der in seiner „Legitimität der Neuzeit“ das Scheitern des Kirchenvaters bei der endgültigen Beseitigung der gnostischen Bedrohung durch das Dogma von der Erbsünde darlegt. Andeutungen wie diese nähren den Verdacht, der Staatsrechtler habe zumindest zeitweise, möglicherweise wiederkehrend, gnostischen Vorstellungen angehangen.299 Die Schrift Blumenbergs bietet einen umfassenden Einblick in die hier-
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Schmitt, Theodor Däublers „Nordlicht“, S. 63. Ebd. S. 63 f. 298 Ebd. S. 63 ff. 299 In diesem Sinne ist Schmitt vielleicht vollumfänglich „buribunkisch“ geblieben: „Der Buribunke braucht kein Christentum, noch sonst eine Ideologie. Darüber ist er ohne Affekt, ohne Entrüstung lächelnd erhaben. Er ist, neben vielem andern, auch Christ, aber er weiß vom Christentum mehr als tausend Theologen. Denn er ist nicht nur Christ; er ist Christ, wie er auch Buddhist, Mohammedaner, Gnostiker ist, er ist alles, denn er erkennt alle Dinge in ihrer Realität, das heißt in der Relativität ihrer historischen Bedingtheit.“ [Hervorhebungen d. Verf.] Hüsmert/Giesler (Hrsg.), S. 470 f. 297
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mit verbundene Problematik: Das aus logischen Gründen erzwungene Eingeständnis in die Existenz eines kosmischen Dualismus treibt den weltbejahenden, moralischen Menschen in die Verzweiflung, da ein konsequenter Gnostizismus stets in einer Verachtung der Welt mündet. Der von mir angenommene, innere Konflikt Schmitts spiegelt sich auch in Andeutungen wie der folgenden: Der Orient hat in seiner abstrakten Konsequenz die Erde verflucht, als er ihre Bosheit erkannte; er vermag nicht die Erde zu lieben, er fürchtet oder verachtet sie und möchte sie unterjochen, wenn er nicht aus ihr flieht. Die großen Europäer aber lieben sie und finden sie trotz aller Schrecken gut; sie wollen weder die untätige Verneinung noch den pelagianischen Irrwahn mit seinem rationalistischen Vertrauen auf die eigene Kraft und das eigene gute Werk, sie fassen darum das Schuldproblem nicht moralisch, sondern religiös, ihr Optimismus ist nicht flach im Vergleich zu dem Welt- und Naturpessimismus des Orientalen, sondern – freilich nur bei den Größten – eine höhere Stufe, die Negation jener tiefen, orientalischen Weltverneinung.300
Der Gottesferne des „Zeitalters der Geistlosigkeit“ hält Schmitt ihre „Kompensation“, das „Nordlicht“ Theodor Däublers, entgegen: „Es trägt in sich das ganze Gewicht des geistigen Ausgleichs einer Welt, die der Geist verließ“. Zuletzt siege der „Geist“, indem er den bedrohlichen Dualismus überwinde. Transzendenz sei die „Überwindung aller Relativität“, und hierin liege der „Fall, auf den es allein ankommt“ verborgen.301 Die Klage Schmitts, die in „Theodor Däublers ,Nordlicht‘“ enthalten ist, lässt viel von den Anfängen seines Denkens erkennen. Nicht nur ist hier noch etwas von den romantischen Versuchen zu finden, auch die zentralen Motive der späteren Kritiken keimen hier bereits in einer frühen, literaturkritischen Form auf. Als Anlass dient das Werk eines Dichters, dem Schmitt bis zu seinem Tode die Treue halten sollte. Wie aus den vorausgegangenen Erläuterungen erkennbar wird, spielt der Bezug zur Transzendenz eine bedeutende Rolle im Gedankengebäude Schmitts. Dies trifft sowohl auf das Selbstverständnis des Autors zu, als auch auf die konkreten Argumentationsketten seiner Schriften. Dass jene aus diesem Grunde nicht im strengen Sinne wissenschaftlich sind, versteht sich von selbst. Dass eine Vielzahl an Positionen und Beobachtungen hierdurch jedoch keineswegs per se entkräftet sind ebenso. Auch wenn manche Passagen, insbesondere aus der „Politischen Romantik“ sowie „Theodor Däublers ,Nordlicht‘“, dazu geeignet sind, Schmitt in einem ungünstigen Licht erscheinen zu lassen: Es ist nicht die Absicht dieses Textes, unter dem Verweis auf die religiösen Überzeugungen des Staatsrechtlers dessen Werk herabzusetzen. Dennoch halte ich es für erforderlich, diesen Gesichtspunkt zu diskutieren. Nicht zuletzt stützen sich nicht wenige Kritiker Schmitts auf die bequeme Verfahrensweise der Delegitimierung eines Den-
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Schmitt, Theodor Däublers „Nordlicht“, S. 57. Ebd. S. 64 f., 70 ff.
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kers durch Referenzen auf dessen religiöse Überzeugungen. Was lässt sich also im Hinblick auf die Bedeutung von Schmitts metaphysischen Bekenntnissen für seine Thesen sagen? Heinrich Meier hat unter Rückgriff auf die Auseinandersetzung Leo Strauss’ mit Carl Schmitt eine Antwort formuliert, die zwar radikal ist, jedoch einen nicht unerheblichen Teil der Sekundärliteratur zum Thema adäquat repräsentieren dürfte.
III. Politische Theologie und Politische Philosophie 1. Heinrich Meier und Leo Strauss: „Athen oder Jerusalem“? Ein wiederkehrendes Thema in den Arbeiten Heinrich Meiers ist das von Leo Strauss formulierte „theologisch-politische Problem“. Es verweist auf Schmitt, insofern die Schriften des Staatsrechtlers Strauss dabei dienlich sind, den Kern seiner Fragestellung in größtmöglicher Präzision darzulegen. Ihr Gegenstand ist nichts Geringeres als die, nach Strauss, größte Herausforderung für die Philosophie als Lebensweise. Diese Herausforderung sei ihre Negation durch den Glauben an eine göttliche Offenbarung. Strauss ist an einer philosophischen Verschärfung interessiert, durchaus vergleichbar mit der „katholischen Verschärfung“ Schmitts. Doch im Unterschied zu dem Juristen ergreift der Philosoph nicht Partei im Namen des Glaubens. Strauss ist darum bemüht, die besten theologischen Argumente gegen die Philosophie zu sammeln, um eine philosophische Antwort auf den Offenbarungsglauben zu finden. Diese Antwort sei nur dann überzeugend, wenn sie zur Überbrückung der „Kluft zwischen dem Mythos und der Offenbarung“ gelange.302 Nur eine solche Deduktion ermögliche es, die radikale Infragestellung durch den Glauben letztbegründend zurückzuweisen. Ziel dieses Unternehmens sei die Widerlegung der göttlichen Offenbarung. Warum aber stellt nach Strauss der Glaube an die Offenbarung die Philosophie in Frage? Warum ist er die radikale Negation der philosophischen Existenzweise? Mit Schmitt gesprochen: Warum ist er der „wahre“ oder „absolute“ Feind der Philosophie? Nach Meier kommt Strauss im Zuge seiner Ausführungen über die Natur des Offenbarungsglaubens zu dem Ergebnis, das jeder derart verfasste Glaube zwangsläufig Forderungen aufstellen muss, die sich aus seinen metaphysischen Prämissen ergeben, und zugleich konkrete Auswirkungen auf die politisch-gesellschaftliche Lebenswirklichkeit der Menschen haben müssen.303 Genau hier eröffne sich die Möglichkeit eines Benchmarks zwischen Philosophie und Offenbarungsglaube: Das gemeinsame Schlachtfeld, auf dem beide Lebensweisen ihre Kräfte messen, ist die Polis als politisch begründete Sozialordnung.
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Meier, Das theologisch-politische Problem, S. 54 f. Ebd. S. 43 f.
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Denn beide Kontrahenten beanspruchen für sich, die Frage „Wie soll ich leben?“ bestmöglich beantworten zu können. Die Sehschärfe für das Gute und das Wahre lasse sich anhand der konkreten Implikationen der Forderungen religiöser wie philosophischer Provenienz „messen“ und, als Resultat, einem Vergleich zugänglich machen. Nach Meier und Strauss stehe hierbei viel auf dem Spiel: Die Wahrheit der Offenbarung bedeute nicht weniger als die völlige Nutz- und Sinnlosigkeit der Philosophie als Ganzes!304 Dies ergebe sich aus der Behauptung des Glaubens, der Mensch sei kraft seines eigenen Verstandes nicht dazu in der Lage, das Gute zu erkennen. Hierfür bedürfe es der Gebote eines personalen, richtenden Gottes. Wenn also der Philosophie die Möglichkeit zur Wahrheit von vornherein verwehrt bleibt, sei ihre Anwendung eine Zeitverschwendung ohne praktische Relevanz. Strauss will eine zufriedenstellende Beantwortung dieser Provokation. Laut Meier habe er die These vertreten, nach der die moderne Philosophie die konstante Infragestellung durch die Offenbarung ignoriert oder in ihrer Bedeutung heruntergespielt habe. Das Problem aber bleibe bestehen, und die beharrliche Verweigerung einer Auseinandersetzung mit dem Wahrheitsanspruch des Glaubens seitens der Philosophie hält er für einen Skandal.305 Um diesen Missstand zu beseitigen schlägt Strauss die genannten zwei Schritte vor, die er für den Erfolg seines Projektes als unverzichtbar betrachtet: Zum Einen soll die geschichtliche Ableitung des Offenbarungsglaubens aus dem Mythos gefunden werden. Zum Anderen soll der Offenbarungsglaube, wie auch die Philosophie, an seinen praxisrelevanten Resultaten für das Leben im Gemeinwesen gemessen werden. Vor diesem Hintergrund entwirft Strauss eine „Genealogie“ des offenbarten Monotheismus. Sie beginnt beim Theios Nomos als dem angestammten Gesetz der Tradition und geht im Zuge ihrer Entwicklung von seiner Transformation durch die Betonung der Bedeutung von Moral aus, wodurch sie beim absoluten Gehorsam gegen einen gesetzgebenden Gott ende.306 Meier betont, dass die „Skizze“ unvollständig und recht unpräzise ist. Strauss habe diesen Teil seiner Arbeit nie vollendet, wodurch das von ihm gesteckte Ziel nach wie vor nicht erreicht sei. Seine hinterlassenen Schriften zum „theologisch-politischen Problem“ konzentrieren sich hauptsächlich auf die Scharfzeichnung des – so Strauss – größten denkbaren Gegensatzes (Philosophie und Offenbarunsglaube). Sie soll gleichsam die Philosophie dazu auffordern, die gesuchte Antwort auf den Glauben zu finden. Im Kontext dieser Unternehmung wird Strauss auf Schmitt aufmerksam. Beide verbindet eine starke Reserviertheit gegenüber dem als gescheitert betrachteten 304 305 306
Meier, Das theologisch-politische Problem, S. 17, 27, 31. Ebd. S. 22, 28. Ebd. S. 19. Zur genealogischen „Skizze“ in elf Schritten vgl. S. 55 ff.
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Liberalismus, aber auch die Betonung des Primats der Politik, d.h. die Feindschaft gegen das „liberale“ Modell der „Kulturprovinzen“. Strauss ist nicht nur ein prominenter Kritiker Schmitts. Er gehört nach Meier auch zu den wenigen Autoren, auf die Schmitt dezidiert reagiert – u. a. durch die zweite Nachbearbeitung des „Begriffs des Politischen“ von 1933. Bei allen Gemeinsamkeiten scheiden sich die beiden Denker doch im vielleicht wichtigsten aller Punkte, nämlich bei der als alternativlos von Beiden vorausgesetzten, anspruchsvollen Wahl zwischen politischer Theologie und politischer Philosophie. Aus dieser Gegensätzlichkeit bricht die ganze Dynamik ihres direkten und indirekten Dialogs hervor. 2. Die durch Leo Strauss forcierte Zäsur in der Bestimmung des Feindes Nach Meier habe kein Autor Schmitt so gut verstanden wie Strauss. Dieser stelle die Thesen des Staatsrechtlers auf die Probe, indem er dessen Ideen radikal zu Ende denkt und philosophisch befragt. Dass diese Methode Schmitt beeindruckt hat, lege die Tatsache nahe, dass der „Begriff des Politischen“ die einzige Schrift geblieben ist, in der er unvermittelt und fokussiert auf eine Kritik reagiert.307 Eine der bemerkenswertesten Spitzen gegen Schmitt liegt in dem Urteil verborgen, seine Kritik des Liberalismus könne nicht zu ihrem Ende gelangen, weil Schmitt selbst in der „Systematik liberalen Denkens“ verbleibe. Nach Meier sei es vor allem die Verflüssigung („Ubiquität“) des Politischen gewesen, durch die sich Schmitt in seinen Nachbearbeitungen des „Begriffs des Politischen“ in die Lage versetzen wollte, „den Liberalismus auf dessen ureigenstem Felde, in der Innenpolitik, schlagen zu können“. Strauss habe früh den polemischen Charakter der Schrift bemängelt und unterstrichen, dass es dem Autor in erster Linie um die (politische) Selbstverortung durch eine individuelle Feindbestimmung gehe.308 In diesem Zusammenhang richte sich der Angriff Schmitts über die Herabsetzung des Liberalismus gegen die zeitgenössische Kulturphilosophie. Nach Meier habe Strauss das Politische bei Schmitt mit dem „Naturzustand“ identifiziert, wie er etwa bei Thomas Hobbes auftaucht. Dieser gerate, so Meier über die Deutung Strauss’ weiter, „in Vergessenheit“, als das Politische auf einen bloßen Teilbereich innerhalb des gesellschaftstheoretischen Pluriversums liberaler Auslegung reduziert wird.309 Nach Schmitt und Strauss gleichermaßen seien Religion und Politik auf einer tiefer gelegenen Ebene zu verorten als die „Provinzen“ moderner Zivilisation wie Ökonomie und Kunst. Sie verwiesen auf die menschliche Natur und gingen entsprechend allen Kulturleistungen voraus. Strauss habe sich 307 308 309
Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 15 ff. Ebd. S. 19, 32, 35. Ebd. S. 39.
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des „Leviathans“ bedient, um Schmitt herauszufordern: Obgleich Hobbes von dem Staatsrechtler anfänglich mit Lob überhäuft wird, betont Strauss die ideelle Gegensätzlichkeit zwischen Schmitt und dem englischen Philosophen. Er will zeigen, dass der „Leviathan“ den Interessen Schmitts widerspricht, und nicht etwa ihnen entgegenkommt. Während Hobbes auf eine Überwindung des Naturzustandes abziele, gebrauche ihn Schmitt als positives Argument für seine eigene Staatstheorie. Dies äußere sich u. a. in der Tatsache, dass Hobbes aufgrund seiner „natürlichen Gesetze“ selbst innerhalb des Leviathans jedem Individuum das „natürliche“ Recht zugesteht, sein eigenes Leben schützen bzw. verteidigen zu dürfen. Schmitt hingegen sieht die legitime Forderung des Lebens jedes einzelnen Staatsbürgers vor, z. B. in Kriegszeiten. Strauss bezeichne diesen Unterschied als den Gegensatz von „Zivilisation“ und dem „Politischen“. Konträr zu den Vermutungen Schmitts habe Hobbes einen dem Juristen nahezu entgegengesetzten Kurs eingeschlagen.310 Die „Neutralisierungen“, die der Staatsrechtler wiederholt beklagt, seien das Ergebnis Hobbesschen Denkens: „In Wahrheit ist er der antipolitische Denker (,politisch‘ in Schmitts Sinn verstanden) [Hervorhebungen im Original]“. Analog hierzu charakterisiere Strauss Hobbes als den „Urheber des Liberalismus“ (im Sinne der Verdrängung des „Politischen“, welches Strauss mit dem „Naturzustand“ übersetzt). Der Philosoph habe Schmitt ein Scheitern bei der Identifikation des eigenen Feindes bescheinigt, und Schmitt sei dem Urteil Strauss’ in allen Punkten gefolgt.311 Von nun an ändere sich die Beurteilung des Engländers durch Schmitt. Die Verteidigung des Politischen deute Strauss als Verachtung des als „bourgeois“ empfundenen Verlangens nach Sicherheit und Schutz. Die tödliche Auseinandersetzung mit dem „Feind“ werde nicht an sich befürwortet, sondern sei die hinzunehmende Konsequenz aus der Ablehnung „liberaler“ Neutralisierungen. Als radikaler Verneinungsgestus enthalte er den Willen zu einer „natürlichen“ Ursprünglichkeit, den Meier auch die „Verneinung des ,Ideals der Zivilisation‘“ nennt. Die antizivilisatorische Gebärde Schmitts richte sich gegen das drohende Unheil einer vollständig befriedeten, neutralisierten Welt der Zerstreuung und der „Unterhaltung“.312 Auch hier tauchen nach Meier große Gemeinsamkei310 Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 39 ff. Eine weiterführende Bewertung der für Schmitt idiosynkratischen staatsrechtlichen Positionen erfolgt weiter unten. Vgl. C. IV. 4. sowie C. IV. 6. 311 Ebd. S. 42 f. 312 Mit „antizivilisatorisch“ ist hier die erklärte Feindschaft gegen die technokratische Sicherheit des Status quo im modernen Bürgerstaat angesprochen. Der Zivilisationsbegriff wird in dem Maße negativ assoziiert, in dem er für bürgerliche Sicherheitsbedürfnisse, Frieden, weltanschauliche Neutralität, demographische wie kulturelle Heterogenität etc. steht. Sein Gegenmodell ist der das Politische (im Schmittschen Sinne) zum exklusiv legitimen Zurechnungspunkt erhebende Staat, der die Bestimmung des hostis vollzieht und so innerhalb der Geschichte verbleibt (während eine Gesellschaft der „Unterhaltung“ ihre providentielle Aufgabe nicht erfüllen kann). Vor diesem Hinter-
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ten zwischen Schmitt und Strauss auf. So lehnten beide den „Weltstaat“ grundsätzlich ab. Eine apolitische Realität des unbeschränkten „Verstehens“ sei kein wünschenswerter Zustand. Meier zitiert Strauss: „Die Verständigung um jeden Preis ist nur möglich als Verständigung auf Kosten des Sinns des menschlichen Lebens; denn sie ist nur möglich, wenn der Mensch darauf verzichtet, die Frage nach dem Richtigen zu stellen; und verzichtet der Mensch auf diese Frage, so verzichtet er darauf, ein Mensch zu sein“.313 Diese „Frage nach dem Richtigen“ sei es jedoch, so Meier, die Strauss und Schmitt fundamental voneinander trenne. Denn der Philosoph antworte auf die Schreckensvision einer neutralen, „einen“ Welt mit den Mitteln der politischen Philosophie. Die Kritikpunkte, die beide teilen, begründe Strauss im Unterschied zu Schmitt philosophisch, nicht religiös. Auch in der Behauptung, zwischen religiösem Gehorsam und Philosophie könne es keine Vermittlung geben, stimmten beide überein: „Die Kluft zwischen Politischer Theologie und Politischer Philosophie ist unaufhebbar, sie trennt Carl Schmitt und Leo Strauss auch dort, wo beide in ihren politischen Positionen übereinzustimmen scheinen oder in der politischen Kritik eines gemeinsamen Gegners in der Tat übereinstimmen“.314 Während für Schmitt die Rückbesinnung auf das Politische die Betonung der Bedeutung von Moral bedeute, begründe Strauss die Verteidigung der Feindschaft (im Schmittschen Sinne) mit einer anthropologischen Erwägung: Die „Welt bloßer Unterhaltung“ verhindere effektiv, dass die Menschen die „Möglichkeiten ihrer Natur“ voll ausschöpfen können „und weder ihre vornehmsten noch ihre vorzüglichsten Fähigkeiten zu verwirklichen vermögen“.315 Eine Lebensweise, die sich so niemals der „Anstrengung der Selbsterforschung“ stelle, sei nach Strauss – so Meier – „nicht lebenswert“. Während Strauss mit der Vision des einen Weltstaates das „Ende der Philosophie“ befürchte, erblicke Schmitt in ihm einen neuen Turmbau zu Babel, einen Vorboten der nahen Ankunft des Antichrist. Nach Meier sei jedoch Schmitt (in Kontrast zu Strauss) darauf angewiesen, den „Naturzustand“ (jetzt im engeren, Hobbesschen Sinne) zu leugnen, da sein Glaubensbekenntnis dies nicht zuließe: Das „Gesetz“ der sozialen Ordnung müsse den Menschen schon immer von Gott gegeben gewesen sein.316
grund erklärt sich auch die zeitweilige Sympathie Schmitts für das Mussolini-Regime, welches eben jenes Festhalten am „Eigenen“ durch eine besonders intensive Bestimmung des Feindes nach Außen praktizierte. 313 Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 47 ff. 314 Inter auctoritatem et philosophiam nihil est medium. Ebd. S. 50 f. 315 Ebd. S. 55. 316 Ich vermute jedoch, dass dieses Argument nicht belastbar ist. Das lineare Geschichtsdenken des Christentums kennt durchaus eine Zeit vor der Selbstoffenbarung Gottes, für die seine Gebote noch keine moralische Verbindlichkeit beanspruchen dürfen. Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 51 ff.
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Laut Meier fordere Strauss Schmitt dadurch heraus, dass er seinen „Begriff des Politischen“ als wissenschaftliche Arbeit aufgreife und rezensiere. Hierdurch „zwinge“ der Philosoph den Staatsrechtler dazu, Farbe zu bekennen, indem dieser auf Fragen so antworten muss, dass das religiös bestimmte Fundament seiner Thesen deutlicher zum Vorschein komme. Dieses Fundament werde etwa dort erkennbar, wo der letzte Zurechnungspunkt des Politischen im Postulat von der Boshaftigkeit des Menschen gefunden wird. Meier schließt dem die Frage an, ob diese Behauptung auf reinem Glauben oder einem Wissen beruhe: Sollte das Kernelement der Lehre von der Erbsünde, die Schlechtigkeit der menschlichen Natur, bloß auf einem Glaubensbekenntnis fußen, sei nach Strauss wie Meier das Politische im Ganzen gefährdet. Nach Meier überzeugen die Argumente, die Schmitt zur Begründung der Ubiquität des Politischen sowie der Verderbnis des Menschen anführe, nicht. Dies mache Strauss in der Forderung an Schmitt deutlich, nach der der Glaube allein nicht ausreiche, um das von Schmitt verfolgte Projekt theoretisch belastbar zu machen. Die Kritik erfolgt jedoch nicht aus der Absicht heraus, Schmitts Anliegen grundsätzlich zu verwerfen. Vielmehr verfolgt Strauss die Möglichkeit einer philosophischen Begründung einzelner Gedankengänge des Staatsrechtlers (Meier spricht etwa von der „Verankerung des Politischen im Theologischen“).317 Auch Meier erkennt das dualistische Moment in der Voraussetzung des Politischen, nach der eine verbindliche, wirksame Unterscheidung zwischen zwei Typen von Menschen unbedingt gegeben sein muss. Die Scheidung zwischen denen, die die Gnade Gottes erfahren, und jenen, die für die ewige Verdammnis bestimmt sind, ruft erneut Augustinus in Erinnerung, auf den Schmitt etwa in der „Politischen Theologie II“ an prominenter Stelle verwiesen hatte. Schmitt scheint in der Ausarbeitung seines politisch-theologischen Werkes manichäistische Züge aufzuweisen, die ihn in die Nähe des Kirchenvaters rücken. Als Quelle der „Einteilung“ der Menschen sei das Theologische für das Politische unverzichtbar: „Die Politik bedarf der Theologie am Ende nicht zur Verwirklichung eines Zweckes, sondern zur Begründung ihrer Notwendigkeit“.318 In diesem Zusammenhang kommt Meier auf die von Schmitt behauptete „Verwandtschaft“ zwischen Politik und Theologie zu sprechen. Nicht nur seien die vom Staatsrechtler selbst genannte „Glaubensgemeinschaft“ sowie die Zweiteilung der Menschheit Eigenschaften ihrer Wesensgleichheit. Politik und Theologie seien sich auch dort einig, wo es um den „Fall“ gehe, „auf den es allein ankommt“. Bei Schmitt taucht diese Wendung nur als vage Andeutung auf. Meier macht sie konkret: Es gehe in Wahrheit um den „Kampf mit dem providentiellen Feind, mit dem Feind, der in den Augenblicken großer Politik ,historisch-konkret‘ bestimmt wird und gegen
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Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 59 f. Ebd. S. 63 f.
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den schließlich, am Ende der Zeiten, die ,Entscheidungsschlacht‘ geschlagen werden muß“.319 Ich stimme Meier in dieser Auslegung zu. Allerdings impliziert dies einen Gesichtspunkt, der als Zumutung bzw. Provokation empfunden werden mag: Wenn der alles entscheidende „Fall“ der aktive Kampf gegen den providentiellen Feind ist, so muss davon ausgegangen werden, dass Schmitt den Kampf nicht nur als von Gott gewollt, sondern auch als von ihm als „Aufgabe“ bzw. „Prüfung“ den Menschen mitgegeben betrachtete, um sich innerhalb der Geschichte zu beweisen – was angesichts einer angenommenen Vorsehung noch weitere Probleme aufwirft. Es würde sich dann ein Gottesbild abzeichnen, das keinerlei gängigen Vorstellungen im christlichen Kontext entspricht. Der Gott Schmitts scheint vor allem ein Gott der Gewalt zu sein. Die Gewalt bzw. ihr Ursprung in der Feindschaft als „Geschenk“ Gottes spielt eine zentrale Rolle im Weltbild des Staatsrechtlers. Meier betont, dass Schmitt die Möglichkeit einer „unschuldigen“ Bosheit des Menschen ausgeschlossen habe. Diese sei das Resultat einer Negierung der „Sünde“, und so bei Hobbes zu finden.320 Der Philosoph ist außerdem der Auffassung, nach der die Referenz auf die Erbsündenlehre im „Begriff des Politischen“ keine dogmatische Exklusivität beanspruche – die These von der Notwendigkeit negativer Anthropologien für positive politische Theorien bestünde „unbeschadet der Frage, ob die jeweiligen Theoretiker das Dogma selbst anerkennen“.321 Diese Lesart ist mit meiner Annahme eines auch metaphorischen Gebrauches des Erbsündebegriffes kompatibel und versteht die Absichten Schmitts prinzipiell ähnlich. Der Vorwurf von Strauss, das Denken Schmitts bewege sich innerhalb der Grenzen „liberaler“ Logik, entspringt nach Meier der Indifferenz gegenüber der Vielfalt politisch bedingter Freund-Feind-Distinktionen. Das Politische an sich zu bejahen hieße, eine unbeschränkte Toleranz gegenüber allen kämpfenden Parteien zu praktizieren. Der Unterschied zur liberalen Haltung hingegen liege darin begründet, dass Schmitt keine ideologische Neutralität gegenüber allen Positionen vertritt, sondern nur gegenüber solchen, die ihrem Wesen nach kriegerisch sind, d.h. politisch im Schmittschen Sinne. Strauss habe diese Haltung, wie weiter oben bereits angedeutet, einen „Liberalismus mit umgekehrtem Vorzeichen“ genannt.322 Die Annahme Meiers, nach der die von Schmitt angenommene Unbedingtheit der Feindschaft auf metaphysische Dissonanzen zurückgeht, die nicht beseitigt werden können, ist vermutlich korrekt: Hier schwingt die Erbsündenlehre des Augustinus sowie die Vorstellung von den zwei „Staaten“ (Civitas dei und Civitas diaboli) mit, die die Menschheit in zwei Gruppen teilt, von denen nur
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Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 65. Ebd. S. 65. Ebd. S. 66. Ebd. S. 71 f.
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eine für das Himmelreich bestimmt ist. Dieser Dualismus wiederum lässt Reste eines gnostisch beeinflussten Weltbildes erkennen. Ein weiterer, wichtiger Punkt in der Auseinandersetzung mit den „Politischen Theologien“ sowie dem „Begriff des Politischen“ ist Schmitts Haltung gegenüber dem Kampf. Meier berichtet von einer entscheidenden Modifikation in der zweiten Nachbearbeitung des „Begriffs des Politischen“ von 1933. Hier führe Schmitt die Unterscheidung zwischen „agonalem“ und „politischem“ Begriff vom Kriege ein. Die „agonale“ Interpretation erkenne im Krieg einen bloßen Wettstreit, ein geradezu natürlich-unproblematisches Ereignis, bei dem zwei Kontrahenten ihre Kräfte messen. Die Namen Heraklit und Ernst Jünger werden häufig mit dieser Position in Verbindung gebracht. Dagegen hält Schmitt nun seine „politische“ Fassung eines Begriffs vom Kriege: Der Kampf diene stets dem Zwecke der Errichtung einer bestimmten Ordnung, deren Grundlage metaphysische Überzeugungen sind. So wie der bewaffnete Kampf dem Politischen entspringt, so entspringt das Politische dem Theologischen (über dem Umweg der Moral). Von einer ästhetisierten Kriegserfahrung, wie sie Jünger bekannt gemacht hat, hält Schmitt wenig. Auch hier wird erneut deutlich, dass Schmitt dem Kampf eine providentielle Bedeutung zuschreibt, welche zu dem oben erwähnten, unbequemen Gottesbild führt.323 Nach Meier ist die Notwendigkeit des Politischen unhaltbar. Schmitt wolle an sie glauben, könne jedoch keine überzeugende Argumentation anführen, um sie zu begründen. Die philosophisch argumentierende Provokation Strauss’, die Schmitt aus der Reserve locken soll, verfehle ihr Ziel nicht und zwinge den Staatsrechtler, das theologisch-moralische Fundament seiner Thesen freizulegen. Der verlorene „Ernst“ einer neutralisierten Welt der „Unterhaltung“ werde aus religiösen Gründen abgelehnt. Strauss teile die Abneigung Schmitts, wolle sie jedoch philosophisch fundieren und dadurch argumentativ belastbarer machen. Der „Begriff des Politischen“ erweckt den Eindruck, der Liberalismus sei der „eigentliche“ Schuldige an der drohenden Trivialisierung des gesellschaftlichen Lebens. Es scheint als habe Schmitt im Liberalismus seinen Hauptfeind gesehen – nicht im Sozialismus oder Atheismus. Diese Feindschaft basiert auf metaphysischen Prämissen, allen voran der Glaube an die Verdorbenheit der menschlichen Natur. Doch bei Schmitt tauchen diese Zusammenhänge nie in aller Klarheit auf. Stattdessen sind viele Gedankenstränge bloß als Vagheiten und mehrdeutige Hinweise sichtbar. Meier liefert hierfür eine Erklärung: „Carl Schmitt hüllt das Zentrum seines Denkens in Dunkelheit, weil das Zentrum seines Denkens der Glaube ist“. Schmitt sei sich der Unmöglichkeit der Thematisierung solcher Zusammenhänge bewusst: „Die Dinge der Offenbarung aber eignen sich nicht für eine Erörterung mit Ungläubigen“.324 323 324
Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 72 ff. Ebd. S. 76 f.
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Meier kritisiert Strauss dafür, den wahren Grund für Schmitts Ansatz nicht gesehen zu haben. Der Versuch des Philosophen, die Argumente des politischen Theologen zu schärfen, sei zum Scheitern verurteilt, da Schmitt bewusst die Möglichkeit einer philosophischen Grundlegung seiner Überzeugungen leugne. Dies ergebe sich aus der fideistisch-dogmatischen Position, nach der das Gute und Wahre dem Menschen verschlossen bleibe, wenn dieser sich nicht der göttlichen Offenbarung unterwerfe. Die religiös bedingte Gewissheit mache jede rationale Erwägung von vornherein obsolet: „Auf die ,Frage nach den natürlichen Eigenschaften des Menschen‘ braucht sich Schmitt daher im Ernst nicht einzulassen“. Die zentralen Thesen des Staatsrechtlers entsprängen direkt dem vorausgesetzten Glaubensbekenntnis: „Das Politische ist das Schicksal, weil es die Menschen, ob sie wollen oder nicht, im Stand der Geschichtlichkeit und des Gerichts hält“. Es sei, so Meier, die „Macht des Feindes, die die Weltgeschichte in Bewegung hält; die Frage, die zu stellen nicht im Belieben des Einzelnen steht, sondern die der Feind ist. Im Feind glaubt Schmitt das Werkzeug der Providenz zu erkennen“. Als solches sichert die Feindschaft sowohl den Bestand einer Probe bzw. eines Gerichtes, als auch die Möglichkeit zur Selbsterkenntnis des Gläubigen in der Feindidentifikation: „Der Feind verlangt gebieterisch nach einer Antwort“.325 Hieraus erkläre sich die kompromisslose Bejahung der Feindschaft. Ihr Verschwinden würde das nahe Ende der Geschichte ankündigen. Der Feind ist für Schmitt der Garant des Lebensernstes. Er ist es so sehr, daß Schmitt eher noch der Feind dessen sein will, der keinen Feind hat, als daß er keinen Feind haben will. „Weh dem, der keinen Feind hat, denn ich werde sein Feind sein am jüngsten Tage.“ [Hervorhebungen im Original]326
Wie bereits angedeutet wurde, beschäftigt sich auch Meier intensiver mit Schmitts Position gegenüber dem Liberalismus als politischer Ideologie. Laut ihm habe Strauss in seiner Rezeption des Staatsrechtlers die Auseinandersetzung mit dem Liberalismus bloß als Nebenschauplatz des eigentlichen Kampfes gegen die „Religion der Technizität“ interpretiert. Meier hingegen ist, wie der Autor dieser Zeilen, davon überzeugt, dass der Liberalismus eine deutlich prominentere Rolle in der Denkbewegung Schmitts spielt: Er taucht als Wegbereiter und Initiator der Phänomene auf, die Schmitt am deutlichsten mit Abscheu erfüllen. Meier drückt sich anders, aber mit der gleichen Intention aus. Er führt in einer Fußnote eine Stelle aus „Römischer Katholizismus und politische Form“ an, die auf eine stärkere Ablehnung bzgl. des Liberalismus im Vergleich zu Sozialismus und Atheismus deutet (hier scheint sich Schmitt mit dem Katholizismus zu identifizieren).327
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Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 78 f. Ebd. S. 80. 327 Die Stelle lautet: „Ich weiß, daß in dem russischen Haß gegen die westeuropäische Bildung mehr Christentum liegen kann als im Liberalismus und im deutschen Mar326
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Meier stellt heraus, dass die Angriffe Schmitts nicht als reine Polemik zu begreifen seien. Die oftmals kriegerische Rhetorik sei die Konsequenz einer politisch-theologischen Haltung, die alle Menschen in Freund oder Feind unterteilt. Aus der Sicht des politischen Theologen gebe es somit eindeutig zu erkennende Erb- oder Todfeinde, die aufgrund ihrer Existenzweise bekämpft werden müssen. Meier gebraucht hierfür die treffende Unterscheidung von Rechtgläubigkeit und Häresie. Die Feindschaft, die der politische Theologe kennt, geht weit über das Maß tages- und parteipolitischer Differenzen hinaus. Sie hat eine existentielle Dimension.328 In diesem Kontext kommt Meier auf die Frage der Wahrheit bzw. Gewissheit des Glaubens zu sprechen. Als politischer Theologe sei Schmitt davon überzeugt, keine Einsicht in das Walten Gottes haben zu können. Dennoch fühle er sich dazu angerufen, im Sinne der Providenz zu handeln, um sich der Gnade Gottes würdig zu erweisen. Der unbedingte Handlungsaufruf bei gleichzeitiger Unmöglichkeit eines Wissens von dem göttlichen „Plan“ werfe den politischen Theologen auf die prekäre Situation zurück, interpretierend, d.h. grundsätzlich fehlbar, zu agieren. Hierzu zählt aber auch die konkrete Feindidentifikation sowie die damit verbundenen, moralischen Urteile. Meier deutet an, dass es ein eigentümliches Verständnis von Mut und Wagnis voraussetze, im Glauben an den providentiell bestimmten „Sieg“ der eigenen Religion und dem hieraus resultierenden Handeln eine Form von „Tapferkeit“ zu sehen. Der Rechtgläubige könne sich seiner Rechtgläubigkeit nie sicher sein. Seine „Gewissheiten“ sind, wenn es um konkrete politisch-soziale Einschaltungen geht, auf Sand gebaut. Meier postuliert zusammenfassend: „Die wichtigste Entscheidung bleibt in jeder Hinsicht Sache des Glaubens“.329 Der politische Philosoph kommt zu dem Schluss, dass nicht nur die – oberflächlich betrachtet – argumentative Stringenz und Überzeugungskraft der politischen Theologie, wie sie Schmitt vertreten will, in Wirklichkeit auf wackeligen Beinen steht. Auch die „Feindlage“ Schmitts sei völlig unklar, weil sie einer eindeutigen Zielrichtung ermangele.330 Als Feindbilder des Staatsrechtlers kämen, nach den Schriften zu urteilen, unzählige Gruppen, Bewegungen und Individuen in Frage. Mit Blick auf die von Schmitt eingestreute Idee eines „Aufhalters“ würde sich hieraus der Eindruck ergeben, Schmitt selbst habe nicht dazu in der Lage sein können, „Aufhalter“ und „Beschleuniger“ voneinander zu unterscheiden. Eine Stärke der Arbeiten Heinrich Meiers zum Thema ist, dass der Philo-
xismus, daß große Katholiken den Liberalismus für einen schlimmeren Feind hielten als den offenen sozialistischen Atheismus [. . .].“ Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, S. 64. Vgl. Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 82 f., 85. 328 Ebd. S. 87. 329 Ebd. S. 88 f. 330 Ebd. S. 90.
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soph ganz konkret im Einzelnen nachfragt, wie verschiedene Thesen Schmitts zu verstehen seien: Wenn die vielen Postulate des Staatsrechtlers, die sich mit theologischen Dingen beschäftigen, irgendeine analytische Relevanz haben, müssen sie prüfbar sein. Ich teile die Auffassung Meiers, dass die Deutung von Schmitts problematischeren Thesen nicht an ihr Ende gelangt, wenn man sich nicht den unbequemeren Fragen stellt, die auf eine konkrete Anwendung theologischer Thesen und Spekulationen verweisen. Die uneindeutige Feindbestimmung Schmitts veranlasst den Philosophen zu einer Rückfrage, die den Feindbegriff betrifft: „Wenn der Feind unsere eigene Frage als Gestalt ist, ist Schmitts Gestalt nicht ,eindeutig‘ bestimmt? Oder sollte die Identität des politischen Theologen derjenigen seines wirklichen Feindes zum Verwechseln ähnlich sein?“.331 In „Carl Schmitt, Leo Strauss und ,Der Begriff des Politischen‘“ widmet sich Meier dem „Glossarium“ in einem eigenen Kapitel. Nach ihm handle es sich hierbei um die aufschlussreichste Schrift Schmitts, da sie sein Denken in Gänze enthalte. Die Frage nach dem Leitmotiv in Schmitts Werk beantwortet Meier ebenfalls mit einem Verweis ins „Glossarium“: Dieses sei nichts Geringeres als die „katholische Verschärfung“, die nur hier als Wendung auftaucht. Meier gelangt zu dem Schluss, dass Schmitts Denken aufgrund seiner Verankerung im religiösen Bekenntnis jenseits aller „bloß“ partei-ideologischen Verpflichtungen steht. Die Gewissheit des Glaubens unterscheide den Staatsrechtler weltanschaulich fundamental von seinen Zeitgenossen. Aus diesem Grunde sei es nicht richtig, Personen wie Martin Heidegger oder Ernst Jünger unterschiedslos mit seinen Positionen und Begriffen zu vermengen, so als ob alle am Ende doch irgendwie etwas Ähnliches gemeint oder gesagt hätten. Die Kritik, die Schmitt an Heidegger wie Jünger richtet, ergebe sich aus den Prämissen seines Glaubens. Beide fielen für Schmitt unter das Verdikt der „Ich-Verpanzerung“.332 Meier formuliert ausgehend hiervon eine Schlussfolgerung, die mir als Grundlage der Deutung Schmitts in dieser Arbeit dient: Das Zentrum von Schmitts Denken wird durch das erhellt, was ihm am Gegner auffällt, wogegen er sich wendet. Schmitt gewinnt seine konkrete Gestalt in der Auseinandersetzung mit dem Feind. Die Haltung gegenüber einem Leben, das sich dezidiert auf den „Boden menschlicher Weisheit“ stellt, ist deshalb ein Testfall für die Position des politischen Theologen.333
Die Herausforderungen, die von Schmitts Attacke gegen die Philosophie als Lebensweise sowie den Liberalismus ausgehen, werden nach Meier in ihrer Relevanz keineswegs dadurch herabgesetzt, dass das religiöse Fundament seiner zentralen Überzeugungen freigelegt wird.334 Das Aufzeigen dieser Zusammenhänge 331 332 333 334
Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 90 f. Ebd. S. 147, 148, 149 f. Ebd. S. 150. Ebd. S. 151.
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macht Schmitt nicht zu einer Karikatur. Ihm wird hiermit auch nicht Unrecht getan, da lediglich offengelegt wird, welche weltanschaulichen Voraussetzungen in die wichtigsten Thesen des Staatsrechtlers einfließen. Ihre Sezierung schmälert in keinster Weise die Qualität anderer Fragen und Begriffe, die in Schmitts Werk auftauchen, und die – unbeschadet hiervon – diskussionsfähig und -würdig bleiben. Die Schriften Schmitts disqualifizieren sich nicht automatisch dadurch, dass ein Teil ihrer Argumentationsketten auf religiöse Überzeugungen zurückgeführt werden kann. Darüber hinaus wäre es sicher ebenso verfehlt, Schmitt als einen in erster Linie religiösen Denker darzustellen. Diese Reduktion würde ihm in der Tat nicht gerecht werden können.335 Im Kern ginge es Schmitt um die „Begründung und Behauptung einer existentiellen Position“, welche alle konfessionellen, dogmatischen und ideologischen Reduktionen ausschließe. Das Besondere an Schmitts Denken liege in der Verknüpfung der eigenen Existenzweise mit den politisch-theologischen Thesen. In den Schriften des Staatsrechtlers gehe es nie bloß um die konkreten Inhalte seiner Gedankenführung. Der Autor selbst steht als Person auf dem Spiel. In diesem Sinne sind viele Texte Selbstsuche, -findung und -rechtfertigung. Schmitt sei sich nach Meier im Klaren darüber gewesen, seine Fragen nicht „mit den Mitteln der Vernunft“ beantworten zu können.336 Aus diesem Grunde sei es wichtig, auf die Differenz zwischen politischer Theologie und politischer Philosophie hinzuweisen, wenn es um eine bewertende Einschätzung des Gesamtwerkes geht: Es spricht für die Kohärenz von Schmitts Position, daß er, wenn nicht über einen deutlichen Begriff, so jedenfalls ein sicheres Gespür für die Scheidelinie verfügt, die ihn von den Philosophen trennt. Nur ein Kritiker, dem das, was Schmitt am wichtigsten war, Hekuba ist oder der nicht zu erkennen vermag, daß die Unterscheidung zwischen Politischer Theologie und Politischer Philosophie weder wissenschaftliche Disziplinen noch relativ selbständige Sachgebiete menschlichen Denkens und Handelns, sondern eine existentielle Alternative betrifft, kann die Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie als „scholastisch“ vernachlässigen. Was wäre weniger nebensächlich als die Opposition zwischen einem Leben, das sich in der Gewißheit der göttlichen Offenbarung verankert glaubt, und einem, das sich ganz auf den Boden menschlicher Weisheit stellt? Was wäre weniger gleichgültig als die Differenz zwischen einem Denken, das sich im Gehorsam des Glaubens bewegen und begreifen will, und einem, das sich durch keine Autorität gebunden weiß und nichts von seinem Fragen ausnimmt?337 335 Die hier besprochenen Schriften Heinrich Meiers können diesen Eindruck über weite Strecken erwecken. Dies resultiert vermutlich aus dem Umstand, dass Meier seine Rezeption Schmitts an die Kritik durch Leo Strauss koppelt, der wiederum den theologischen Aspekt des Gedankengebäudes Schmitts in den Mittelpunkt rückt und für sein eigenes theoretisches Unternehmen instrumentalisiert, die Philosophie gegen den Offenbarungsglauben auszuspielen. Meier geht auf diese Problematik in der erweiterten Neuauflage von „Carl Schmitt, Leo Strauss und der ,Begriff des Politischen‘ “ explizit ein. Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 159 f. 336 Ebd. S. 161 f.
III. Politische Theologie und Politische Philosophie
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Meier wendet sich wortreich gegen konkurrierende Deutungen, die den theologischen Hintergrund der Arbeiten Schmitts ausblenden oder als trivial einstufen: „Solange wir Schmitt nicht als politischen Theologen ernst nehmen, bleibt er für uns unter seinen Möglichkeiten, und wir bleiben unter den unseren“. Die Integration religiöser Motive in die Erläuterung seiner wichtigsten Thesen sei unvermeidlich, wolle man Schmitt nachvollziehbar darstellen. „Carl Schmitt ist nicht angemessen zu begreifen, wenn man das Zentrum und den Zusammenhang seines Denkens nicht als Politische Theologie begreift. Einzig eine Deutung, die bei Schmitts Offenbarungsglaube ansetzt, vermag verständlich zu machen, was andernfalls in hohem Maße als disparat, rätselhaft, dunkel, wenn nicht gänzlich inkonsistent erscheinen muß“. Aus diesem Grunde sei der nicht-abwertende Gebrauch des Begriffes „politische Theologie“ als Selbstbezeichnung zu begrüßen, da er in größtmöglicher Klarheit den Unterschied zur (politischen) Philosophie anzeige.338 Die oben dargestellte Denkbewegung Schmitts mag zugleich als Vorbote jüngerer Ereignisse gedeutet werden, da die Positionen des Juristen nicht an politischer Bedeutsamkeit verloren, sondern, im Gegenteil, hinzugewonnen haben. Dies streicht auch Meier heraus: Die Offenbarungsreligionen versprechen nicht nur eine Sicherheit, an die keine der verblaßten Ideologien heranreicht. Sie scheinen außerdem einen wirksamen Gegenhalt zu der im globalen Maßstab siegreichen Verbindung von Liberalismus und Kapitalismus zu bieten, ja eine Alternative zum Säkularismus der Moderne insgesamt zu eröffnen. Das Gewicht, das beiden Momenten im politisch-religiösen Radikalismus antiwestlicher Prägung zukommt, ist offenkundig. Es handelt sich bei ihm freilich nur um eine, wenn auch um die gegenwärtig spektakulärste Spielart des Wiedererstarkens der islamischen, jüdischen und christlichen Orthodoxien. Sowohl die Entzauberung der politisch-antireligiösen Utopien als auch die Heilserwartungen, die an die Errichtung eines Gottesstaates geknüpft sind, haben der Frage nach dem Verhältnis von Politik und Religion eine Dringlichkeit zurückgegeben, die ihr lange Zeit nur wenige zuerkannten.339
Aufbauend auf diesen Überlegungen wiederholt Meier die für ihn dringlichste Frage nach der philosophischen Antwort auf die Herausforderung, die der Offenbarungsglaube sei. Die Amalgamierung von Politik und Religion führt er indessen auf Platon zurück, in dessen geistiger Nachfolge die drei größten abrahamitischen Religionen die Notwendigkeit göttlicher Gesetze für die politische Ordnung der Polis postuliert hätten. Die Philosophie aber, die in der Grundlegung
337
Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 163. Ebd. S. 166 ff. 339 Ebd. S. 169. Dieser Text wird drei Jahre vor dem 11. September 2001 herausgegeben. In der Retrospektive des Jahres 2013 scheinen sich alle hier enthaltenen Andeutungen bewahrheitet zu haben. Allerdings scheint sich auch Meier nicht der Überzeugungskraft des Common Sense entziehen zu können, nach der „Liberalismus und Kapitalismus“ auf ganzer Linie gesiegt und ihre politischen Forderungen dem gesamten Planeten aufgebunden hätten. Nichts ist weiter von der Realität entfernt. 338
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des Rechts nach den Maßstäben der Vernunft eine Alternative offeriere, werde aus der Sicht Strauss’ vom politisch-theologischen Komplex existentiell bedroht. Aus diesem Grunde habe der Philosoph versucht, den Gegensatz von politischer Theologie und politischer Philosophie so stark wie möglich zu machen. Meier stimmt mit Strauss überein, wenn er der Auseinandersetzung mit der Frage nach der Notwendigkeit von Philosophie die größte Bedeutung beimisst. Ihr „Umgehen“ in der Vergangenheit sei ursächlich für „phantastische politische Hoffnungen“ und „religiöse Sehnsüchte“, die inmitten des philosophischen Betriebes hätten Platz finden können.340
IV. Die Kritik des politischen Feindes am Beispiel des Liberalismus 1. Der Liberalismusbegriff Carl Schmitts Zielsetzung dieser Arbeit ist es, die beiden Politischen Theologien Carl Schmitts verständlich zu machen. Da es sich bei beiden Texten vorwiegend um politische Einschaltungen handelt, ist es unumgänglich, die politische Selbstverortung des Plettenbergers herauszuarbeiten. Wie der Titel „Politische Theologie“ bereits andeutet, strukturiert sich die weltanschauliche Identität ihres Autors entlang zweier Achsen: Hier das Politische, dort das Theologische. Mit Blick auf das Theologische stehen die beiden Schriften für eine bewahrende, theistisch-fideistische Haltung, die dem Traditionalismus nahe steht, auch wenn Schmitt sich ausdrücklich von diesem distanziert. Doch wie ist er politisch zu beschreiben? Mit politischen Begriffen im engeren Sinne arbeitet nur die „Politische Theologie“, während sich die „Politische Theologie II“ im Nachwort auf einige vage Andeutungen in Richtung einer „Selbstermächtigung des Menschen“ beschränkt, die nicht mehr mit einer konkreten politischen Bewegung identifiziert werden kann und soll (der „Feind“ wird an mehreren Fronten ausgemacht).341 Aus der Schrift von 1922 geht hervor, dass Schmitt im Wesentlichen drei politische Größen im Auge hatte: Den (atheistischen) Sozialismus, den Liberalismus und den (autoritären) Katholizismus (für den die Gegenrevolution stehen soll). Letzterer ist begrifflich chronisch unterbestimmt. Doch seine Konturen lassen sich möglicherweise freilegen, indem ausgehend von den negativen Bezugnahmen auf Sozialismus und Liberalismus eine positive Selbstbezüglichkeit rekonstruiert wird.
340 Meier, Dialog unter Abwesenden, S. 182–188. Meier spielt hier auf die zuvor rezensierte „Politik der Freundschaft“ von Derrida an, die eine eigentümliche Verknüpfung von jüdischem Messianismus mit politischer Philosophie vornehme. Ähnliche Tendenzen sind auch bei anderen Philosophen des späten 20. Jh. zu finden, etwa in Alain Badious Begriff des „Wahrheitsereignisses“. Der Marxismus als philosophisch begründete, politische Ideologie kann sicher ebenfalls als frühes Beispiel angeführt werden. 341 Schmitt, Politische Theologie II, S. 88.
IV. Die Kritik des politischen Feindes am Beispiel des Liberalismus
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Ich habe mich im Folgenden für eine Diskussion der Liberalismuskritik durch Schmitt entschieden. Meine Motive hierfür (etwa in Opposition zur Zurückweisung des Sozialismus, der im Übrigen selten so genannt wird, sondern mal als „Bolschewismus“, mal als „Marxismus“ etc. auftaucht) werden im Verlauf des Kapitels erhellt. Aus Gründen der Lesbarkeit werde ich in diesem Kapitel nicht für jeden Einzelfall gesondert angeben, wenn meine Darstellung im Sinne einer möglichen liberalen Antwort argumentiert. Ich möchte daher darauf hinweisen, dass diese Stellungnahmen nicht zwangsläufig meine eigenen Überzeugungen wiedergeben. Meine Absicht ist es, einen möglichst starken Kontrast zu den Positionen Schmitts zu zeichnen. Zunächst sei mein Verständnis des Begriffes „Liberalismus“ vorausgeschickt, um Missverständnissen vorzubeugen. Obgleich die so bezeichnete politische Strömung dem Namen nach erst im frühen 19. Jahrhundert in Erscheinung getreten ist, ist die Meinung weit verbreitet, nach der sie der Sache nach schon deutlich früher als Idee existiert habe. Im Zentrum der liberalen Weltanschauung steht das menschliche Individuum als Maßstab politischer Werte. So dient es (in staatstragenden Entwürfen) zugleich als Korrektiv obrigkeitlicher Machtausübung, da das Recht auf Selbstbestimmung der „kleinsten Partei der Welt“ grundsätzlich als unveräußerlich betrachtet wird. Dem zugrunde liegt die Vorstellung, dass jeder Mensch qua Geburt ein Eigentumsrecht an sich selbst besitzt.342 Dieses Recht wird vorwiegend naturrechtlich begründet, wodurch der Liberalismus zugleich in einer langen Traditionslinie europäischer Geistesgeschichte steht. Im Kern beruht jede liberale Äußerung auf dieser grundlegenden Überzeugung, dass die Freiheit bzw. das Selbsteigentum des Individuums nicht verhandelbar ist, d.h. im Zweifelsfalle auch über positivem oder sonstigem Recht steht.343 Die jüngsten Jahrhunderte europäischer Geschichte haben zwei verschiedene liberale „Lager“ hervorgebracht, die sich in einigen wesentlichen Punkten fundamental voneinander unterscheiden. Zum einen gibt es einen Liberalismus, den
342 In „Die Ethik der Freiheit“ bezieht sich Murray N. Rothbard dabei auf John Locke, dessen „Zweite Abhandlung über Regierungen“ zitiert wird: „Jeder Mensch hat ein Eigentum an seiner eigenen Person“. Rothbard, S. 38. 343 An dieser Stelle erscheint es mir notwendig, eine Bemerkung bzgl. des Begriffes der Freiheit anzuführen. Auf den folgenden Seiten werde ich immer wieder das Wort „Freiheit“ gebrauchen, ohne seinen Begriff gesondert zu untersuchen. Mir ist bewusst, dass es eine umfangreiche philosophische Beschäftigung mit unterschiedlichen Freiheitsbegriffen gibt. Eine dezidierte Auseinandersetzung mit diesem Forschungsbereich würde den Rahmen meines Unternehmens bei weitem sprengen und ist aus diesem Grunde hier leider nicht zu leisten. Wenn ich in diesem Kapitel von „Freiheit“ spreche, ist in erster Linie die weitläufige Auffassung angesprochen, nach der einem menschlichen Subjekt verschiedene Handlungsoptionen zur Wahl stehen. Dies betrifft auch die liberale Forderung nach einer maximal selbständigen Lebensführung. Negativ bezeichnet „Freiheit“ im liberalen Kontext bisweilen die Abwesenheit von obrigkeitlichen Einschränkungen der eigenen Handlungs- und Entscheidungsfreiheit.
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ich „staatstragend“ nennen will, weil er den Staat grundsätzlich bejaht und aktiv am parteipolitischen Geschäft teilnimmt. Dieser Liberalismus ist dominant und in fast allen europäischen Ländern auf Parteiebene vertreten. Sein politisches Programm besteht im Wesentlichen aus der Zurückdrängung staatlicher Bevormundung und Planung in Gesellschaft und Wirtschaft. Zum anderen gibt es einen Liberalismus, den ich „staatsfeindlich“ nenne. In Abgrenzung zum staatstragenden Liberalismus nennen sich seine Verfechter häufig „Libertäre“. Der Libertarismus gilt ihnen als konsequente Fortführung liberaler Tradition, während der staatstragende (Partei-)Liberalismus als von den liberalen Grundsätzen entfremdet betrachtet wird. Der Libertarismus ist insofern staatsfeindlich, als dass er den Staat als Instrument der Gewaltausübung gegen Menschen aus ethischen Gründen für illegitim hält. Bereits die aktive Beteiligung am politischen Prozess, etwa der Urnengang zur Wahl oder eine Parteimitgliedschaft, wird hier nicht selten moralisch verurteilt und abgelehnt. Zu beachten ist, dass meine Darstellung aus Gründen der Verständlichkeit eine Vereinfachung beinhaltet. So gibt es etwa Libertäre, die nicht staatsfeindlich (= anarchistisch, manchmal auch „voluntaristisch“) sind, sondern stattdessen minarchistische Positionen (wie etwa Milton Friedman) vertreten. Der „Minimalstaat“ ist, wie der Name nahelegt, ein Staat, der sich – aus libertärer Sicht – auf seine Kernaufgaben konzentriert, während er sich aus allen anderen Angelegenheiten der Gesellschaft fernhält. Für die Analyse der durch Schmitt formulierten Liberalismuskritik ist es wichtig, diese beiden grundverschiedenen Stränge liberaler Tradition im Auge zu behalten. Gerade auch deshalb, weil der Jurist niemals zwischen beiden Schulen differenziert. Viele Liberale betrachten die Mehrzahl ihrer Forderungen als direkte oder indirekte Ableitungen aus den naturrechtlich legitimierten Grundprinzipien ihres Welt- und Menschenbildes.344 Weil diese Prinzipien zwangsläufig in eine staatsferne, wenn nicht gar staatskritische Position zwingen, wird der Liberalismus von seinen Gegnern „links“ wie „rechts“ oft als radikal wahrgenommen. In der historischen Wirklichkeit sind die wenigsten sich liberal nennenden Parteien konsequent staatskritisch gewesen.345 Im Unterschied zum Marxismus kann im Falle
344 Nicht unüblich ist eine Scheidung zwischen verschiedenen „Formen“ des Liberalismus, wie etwa „Wirtschafts-“ oder „Sozialliberalismus“. Solche Begriffsakrobatik ist jedoch nicht sinnstiftend, da z. B. letztgenannter „Sozialliberalismus“ nur eine als freiheitlich getarnte Form des Sozialismus ist. Die liberalen Prämissen können kein Gegenstand der Verhandlung sein (weshalb Schmitt sie auch, wenig schmeichelhaft, „Dogmen“ nennt). So behaupten etwa „Sozialliberale“, dem Staat komme die Aufgabe zu, planerisch für „Chancengleichheit“ zu sorgen. Planwirtschaftliche Maßnahmen als „liberal“ zu verkaufen ist in Deutschland (als nationale Idiosynkrasie) üblich. Mit Liberalismus im eigentlichen Sinne haben diese Positionen jedoch nichts zu tun. 345 Weshalb viele amerikanische Libertarians gerne behaupten, die Teilnahme am parteipolitischen Prozess würde mit Notwendigkeit jeden Liberalen korrumpieren. Es versteht sich von selbst, dass nicht alle Liberalen Naturrechtler oder Staatskritiker sind. Jedoch sind alle „radikalen“ Liberalen staatskritisch und beziehen ihre Grundsätze aus
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des Liberalismus keine einzelne Person oder eine bestimmte Gruppe von Personen als Begründer der politischen Schule angegeben werden. Je nach thematischer Ausrichtung erscheint mal Adam Smith, Lord Acton, John Locke, John Stuart Mill oder Ludwig von Mises neben vielen Weiteren als Leuchtturm der liberalen Idee. Die politische Praxis bringt zwei wesentliche Betätigungsfelder liberaler Einschaltungen hervor: Zum einen Wirtschaftspolitik, zum anderen verschiedene Posten der Innenpolitik. Beide Bereiche werden zumeist negativ als überreguliert betrachtet, d.h. für das Wirtschaftliche steht eine möglichst vollständige Beseitigung staatlicher Einmischung in ökonomische Prozesse (da diese nach liberaler Auffassung schlechtere Resultate erzielt als eine Laissez-fairePolitik), für das Innere eine Befreiung des Bürgers von staatlicher Bevormundung (in Form von Für- und Vorsorge, Subventionierung, volkspädagogischen Maßnahmen, Zwangsabgaben usw.). Diese unvollständigen, aber grundsätzlichen Gedanken zum Liberalismusbegriff sollen der Hintergrund für die folgenden Betrachtungen über Schmitts Kritik am Liberalismus sein. Eine Lektüre der hier verhandelten Schriften macht schnell deutlich, dass Schmitt keinen einheitlichen, logisch stringenten Liberalismusbegriff verwendet. Nach meiner Lesart gebraucht Schmitt mindestens drei verschiedene Liberalismusbegriffe: Zum einen wird „liberal“ oder „Liberalismus“ im Sinne einer reinen Polemik eingesetzt, vergleichbar mit der US-amerikanischen Verwendungsweise des Prädikats „liberal“. Hier bezeichnet das Wort eine bestimmte gesellschaftspolitische Position, die mit dem Liberalismus als politischer Strömung beinahe nichts gemein hat. Sie ist anti-autoritär, pazifistisch, werterelativistisch und anti-national. Entsprechend meinen amerikanische Konservative, wenn sie eine Person als „liberal“ schmähen, einen „Linken“ bzw. Sozialisten. Nun gebraucht Schmitt bisweilen das Wort „liberal“ in einer ähnlichen Bedeutung – mit dem Unterschied, dass sich der Plettenberger trotzdem an die liberale Fraktion wendet. Mit anderen Worten: Schmitt unterstellt den Liberalen politische Eigenschaften, die ihnen gar nicht gehören, sondern Bestandteil des Arsenals sozialistischer Politik sind. Jener Liberalismus mit seinen Inkonsequenzen und Kompromissen lebt für Cortes nur in dem kurzen Interim, in dem es möglich ist, auf die Frage: Christus oder Barrabas, mit einem Vertagungsantrag oder der Einsetzung einer Untersuchungskommission zu antworten.346
Zuletzt mache sich der liberale Bürger gar der größten Verfehlung schuldig, der Relativierung absoluter Wahrheiten: „Wie der Liberalismus in jeder politi-
naturrechtlichen Annahmen (wie etwa Murray N. Rothbard). Weiter unten werde ich mit Hans-Hermann Hoppe einen bekannten Libertären vorstellen, dessen Modell einer nicht-staatlichen Gesellschaftsordnung in vielerlei Hinsicht einen starken Kontrast zu Schmitts Positionen erzeugt. Vgl. C. V. 2. 346 Schmitt, Politische Theologie, S. 66.
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schen Einzelheit diskutiert und transigiert, so möchte er auch die metaphysische Wahrheit in eine Diskussion auflösen“.347 Ein zweiter Liberalismusbegriff tritt zutage, wenn der Jurist von der Bourgeoisie spricht. Diese Verwendungsweise hängt natürlich eng mit der Erstgenannten zusammen. Doch hier bezeichnet sie explizit eine soziologische Kategorie. Zunächst identifiziert Schmitt den liberalen Staatsbürger mit dem Bourgeois schlechthin (was möglicherweise ein Symptom seines substantialistischen Geschichtsdenkens ist, das Blumenberg herausstellt). Bourgeoisie und liberale Bewegung sind identisch.348 Sodann werden dem Bourgeois eine Reihe von Eigenschaften angeheftet, die als repräsentativ für den Liberalismus im Ganzen gelten sollen. Dass sich die geschichtliche, soziologische Wirklichkeit einer Gruppe – unabhängig von der bereits unzulässigen, marxistisch anmutenden Identifikation von Gesellschaftsschicht und politischer Identität – wohl selten mit „ihrer“ Theorie im Einklang befindet, sollte auch Schmitt bekannt gewesen sein. Dennoch greift er in der „Politischen Theologie“ auf dieses rhetorische Mittel zurück, um den Liberalismus in Misskredit zu bringen. Es liegt, nach Donoso, im Wesen des bürgerlichen Liberalismus, sich in diesem Kampf nicht zu entscheiden, sondern zu versuchen, statt dessen eine Diskussion anzuknüpfen. Die Bourgeoisie definiert er geradezu als eine „diskutierende Klasse“, una clasa discutidora. [Hervorhebung im Original]349
Angeblich sei der Liberalismus als politische Idee nicht imstande, die nach Schmitt überlebensnotwendige Entscheidung für die providentielle Feindschaft zu treffen. Die Bourgeoisie wird zum Spielball der gesellschaftlichen Umwälzungen: „der Haß gegen Königtum und Aristokratie treibt den liberalen Bourgeois nach links; die Angst um seinen durch radikale Demokratie und Sozialismus bedrohten Besitz treibt ihn wieder nach rechts [. . .]“.350 Der dritte Liberalismusbegriff, wie er sich in den Schriften Schmitts findet, ist endlich politologischer Natur und recht präzise. Es ist erstaunlich, mit welcher Klarheit der Liberalismus an anderen Stellen vorgestellt wird. Neben der oben erwähnten, polemisch-verzerrenden Darstellung sind diese Passagen im Hinblick auf eine Analyse liberaler Ideen von großer Genauigkeit und Sorgfalt. Sie lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass Schmitt sehr genau wusste, was liberale Politik in der Hauptsache ist. Umso bemerkenswerter sind die genannten Schmähparagraphen, die offenbar einem bestimmten Kalkül folgen. Auffällig ist, dass
347
Schmitt, Politische Theologie, S. 67. In der „Politischen Theologie II“ stellt Schmitt diesen Zusammenhang ebenfalls (implizit) her, wenn er über die Formel rex regnat sed non gubernat referiert: Sie sei ein „Schlager der liberalen Bourgeoisie“ gewesen. Schmitt, Politische Theologie II, S. 43. 349 Schmitt, Politische Theologie, S. 63. 350 Ebd. S. 65. 348
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die Polemik in den beiden „Politischen Theologien“ überwiegt, während etwa der „Begriff des Politischen“ ein deutlich höheres Maß an begrifflicher Schärfe beweist. Die inhaltlich aussagekräftigen Kommentare zum Liberalismus will ich im Folgenden genauer betrachten und in einen Zusammenhang mit den Thesen liberaler Gallionsfiguren stellen. Hierbei handelt es sich vorwiegend um Stellen, die ich diesem dritten, diskussionsfähigen Liberalismusbegriff zuordne. Dies geschieht in der Absicht, die politische Identität Schmitts durch eine Kontrastierung zum Liberalismus freizulegen. 2. Die Funktionsweise des Marktes und der Preis politischer Freiheit Ein zentraler Pfeiler liberaler Politik ist die Ökonomie. Sie gilt nicht selten als primäres Betätigungsfeld, scheint der freie Markt doch vielen Liberalen als unverzichtbare Bedingung einer freiheitlichen Gesellschaft. Schmitt äußert sich nur sehr selten zu ökonomischen Fragen. Doch wenn dies geschieht, konfrontiert er den Leser mit einer zivilisationskritischen Reserviertheit gegenüber dem Spiel der Märkte, die bisweilen in eine unverhohlene Feindschaft gegen das freie Unternehmertum umschlagen kann. Tatsächlich finden sich grobe Polemiken gegen die Marktwirtschaft in mehreren seiner Schriften. Das größte Ärgernis scheint für den Juristen darin zu bestehen, dass kein Kollektiv, kein Monarch und keine staatliche Ordnung den Markt nach eigenem Belieben gestalten kann. Diese grundlegende volkswirtschaftliche Einsicht wird dem Leser dennoch als „Dogma“ vorgestellt: „Daß Produktion und Konsum, Preisbildung und Markt ihre eigene Sphäre haben und weder von der Ethik noch von der Ästhetik, noch von der Religion und am allerwenigsten von der Politik dirigiert werden können, galt als eines der wenigen wirklich undiskutierbaren, unbezweifelbaren Dogmen dieses liberalen Zeitalters“.351 Eine intakte Marktwirtschaft erzeugt eine spontane Ordnung, die an keinem Schreibtisch entstanden ist, von keinem Kopf erdacht und von keiner Behörde geplant wurde. Diese Nichtbeherrschbarkeit des Marktes ist es, von der sich Schmitt – wie seine sozialistischen Verbündeten in Kampf gegen den „Kapitalismus“ – bedroht fühlt. Jene gefühlte Bedrohung resultiert in allerlei Schimpfreden auf marktwirtschaftliche Vorgänge. Dies wird u. a. anhand eines Zitates sichtbar, das weiter oben bereits angeführt worden ist und hier noch einmal betrachtet werden soll: [„die liberale Bourgeoisie“, Anm. v. Verf.] schafft die Aristokratie des Blutes und der Familie ab und läßt doch die unverschämte Herrschaft der Geldaristokratie zu, die dümmste und ordinärste Form einer Aristokratie [. . .]352
351 352
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 66 f. Schmitt, Politische Theologie, S. 64.
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Dass es sich bei dieser von Schmitt behaupteten, neuen Form der „Aristokratie“ gar nicht um eine Aristokratie handelt, versteht sich von selbst. Doch damit enden noch nicht die Implikationen der enthaltenen Metapher. Die Angriffe Schmitts unterstellen ein Herr-Knecht-Verhältnis, das nicht existiert. Ganz offen zieht die „Politische Theologie“ die Privilegierung durch Abstammung der (vermeintlichen) Privilegierung durch wirtschaftlichen Erfolg vor. In seiner Schrift „Vom Wert der besseren Ideen“ hat der Ökonom Ludwig von Mises zum Ausdruck gebracht, welche Art der Täuschung solche Analogien bergen. Nicht selten sind Begriffe, die die Leute allgemein verwenden, geradezu irreführend. Ist z. B. von den modernen Industriekapitänen oder Großindustriellen die Rede, wird der eine „Automobilkönig“, ein anderer „Baumwollkönig“ oder vielleicht sogar „Schokoladenkönig“ genannt. Der Gebrauch solcher Begriffe zeigt, daß die Menschen zwischen den modernen Industriechefs und den Königen, Herzögen oder Lords der Feudalzeit keinen Unterschied machen. Tatsächlich ist aber der Unterschied sehr bedeutend, denn ein „Schokoladenkönig“ herrscht nicht, sondern er dient.353
Der „Schokoladenkönig“ aus dem Beispiel von Mises „dient“ deshalb, weil seine ganze Aufgabe darin besteht, die Bedürfnisse seiner Kunden zu befriedigen. Er ist existentiell davon abhängig, dass die Menschen seine Waren kaufen. Diese Menschen sind natürlich nicht verschieden von denjenigen, die in seiner Schokoladenfabrik arbeiten. In einem freien Markt haben die Verbraucher das Entscheidungsrecht darüber, welche Waren in welcher Menge und zu welchem Preis angeboten werden. Sie bestimmen diese Dinge auf „demokratischem“ Wege, nämlich über ihr Konsumverhalten. Für Schmitt jedoch sitzen „oben“, an der „Spitze“ der Gesellschaft, einige Wenige, die sich auf Kosten der anderen bereichern.354 Solche Zustände kennt man jedoch nur aus planwirtschaftlichen Staaten ohne freie Märkte, die hierfür Monopolisten erschaffen oder einfluss-
353 Mises, Vom Wert der besseren Ideen, S. 25. Mit Blick auf die jüngere Entwicklung in den sog. „westlichen“ Industrieländern muss hinzugefügt werden, dass „Schokoladenkönige“ inzwischen auch, mitunter nebenberuflich, „herrschen“ können: Der „Drehtüreffekt“ als Resultat des Amalgams aus Großindustrie und Politik war sicher nicht von Mises’ Hauptaugenmerk an zitierter Stelle. Er hätte solche Zustände sicher verurteilt und den Vorwurf zurückgewiesen, sie seien das notwendige Ergebnis der Liberalisierung einer Marktwirtschaft. Die Vermischung von Ökonomie und Politik widerspricht tatsächlich fundamental liberalen Prinzipien und ist in der Vergangenheit häufig das Merkmal von totalitären bzw. planwirtschaftlichen politischen Systemen gewesen. 354 Eine ähnliche Vorstellung von der gesellschaftlichen Realität scheint Vilmos Holczhauser zu implizieren, wenn er in „Konsens und Konflikt“ wohlwollende Worte für den sog. dritten rechtsstaatlichen „Typus“ findet, der explizit nicht liberal sei. Dieser erzeuge den Staat als neutralen „Dritten“ dadurch, dass die Gesellschaft als in zwei Lager geteilt fingiert wird: Hier stehen sich die „souveränen“ Individuen und die (scheinbar von Natur aus!) „Bedürftigen“ gegenüber. Ihre Differenzen begründeten so die „Pflicht“ des Staates, eine Vermittlerrolle wahrzunehmen. Holczhauser hat sogar den Mut, dieses Modell „sozial-liberal“ zu nennen (weiter oben hatte ich bereits auf die deutschen Sonderwege bei der begrifflichen Füllung des Wortes „liberal“ hingewiesen). Holczhauser, S. 202 f.
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reiche Lobbyisten begünstigen. Vor der Zeit moderner Nationalstaaten, aus der Schmitt seine Metaphorik bezieht, war die Lage teils noch dramatischer. [. . .] bevor der Kapitalismus aufkam, war der soziale Status eines Menschen vom Anfang bis zum Ende seines Lebens festgelegt. [. . .] Wenn er arm geboren wurde, blieb er arm;355
Für einen Ökonomen wie von Mises ist es vollkommen unverständlich, warum der Markt für Verwerfungen verantwortlich gemacht wird, die er nachweislich nicht zu verantworten hat. Korruption, Monopol- und Vetternwirtschaft sowie andere Arten entwicklungshemmender Aktivität sind die Auswüchse gesellschaftlicher Prozesse und nicht selten die Begleiterscheinung von kurzsichtigen politischen Entscheidungen. Schmitt hingegen unterstellt der Marktwirtschaft, ohne Regulierung und staatliche Planung solche Missstände von selbst hervorzubringen. Den Feinden des Marktes stellt von Mises eine Frage, die geschichtlich argumentiert und auch an ihn hätte ergehen können: Sie wissen, daß die Bevölkerung auf diesem Planeten heute zehnmal so groß ist wie in den Zeiten vor dem Kapitalismus. Sie wissen auch, daß alle Menschen heute einen höheren Lebensstandard haben als ihre Vorfahren vor dem Zeitalter des Kapitalismus. Aber woher wissen Sie, daß gerade Sie der eine Mensch unter zehn anderen sind, der ohne den Kapitalismus am Leben geblieben wäre? Die einfache Tatsache, daß Sie heute leben, ist der Beweis, daß der Kapitalismus erfolgreich war, ganz abgesehen davon, ob Sie Ihr eigenes Leben für wertvoll halten oder nicht.356
Eine wichtige Frage, die hinter den oben genannten Erwägungen steht, ist die nach dem Zusammenhang von individueller (oder politischer) und wirtschaftlicher Freiheit. Schmitt scheint der Auffassung zu sein, dass wirtschaftliche Freiheit ein effektives Hindernis für das darstellt, was er unter politischer Freiheit (besser: Selbstbestimmung) versteht.357 Aus seiner Sicht sind Unternehmer vor
355 Mises, Vom Wert der besseren Ideen. S. 25. Und von Mises fügt wenig später hinzu: „Wenn es Leute gibt, die annehmen oder geltend machen, zwischen den Produzenten und den Konsumenten der Erzeugnise [sic!] der Großindustrie bestehe ein wesentlicher Unterschied, so unterliegen sie einem schwerwiegenden Irrtum.“ (S. 28) 356 Ebd. S. 30. 357 Holczhauser, der eine bemerkenswerte Arbeit über die staatsrechtlich-juristischpolitologischen Hintergründe vieler wichtiger Thesen Schmitts verfasst hat, scheint dem Staatsrechtler auch in diesem Punkte nah zu sein: Der bereits genannten Teilung der Gesellschaft in „souveräne“ Individuen und Hilfsbedürftige liegt die (nach Holczhauser mit der aktuellen deutschen Verfassungsrealität weitgehend kompatible) Idee zugrunde, nach der zur „wahren“ Freiheit des Individuums auch eine – von Holczhauser selbstverständlich nicht weiter explizierte – materielle Grundausstattung gehöre, die der Staat zu gewährleisten habe. Die klassisch-liberalen „Abwehrrechte“ gegen den Staat seien allein nicht ausreichend, um von „Freiheit“ im prägnanten Sinne zu sprechen. Mit anderen Worten gehört Holczhauser zu jenen, die eine sozialistische Politik mit liberaler Terminologie auskleiden, um den Umstand zu verschleiern, dass keine wie auch immer geartete staatliche Versorgungsleistung ohne die aus liberaler Sicht ethisch problematische, gewaltsame Umverteilung von Privatbesitz möglich ist. Holczhauser, S. 208. Voll-
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allem Ausbeuter, staatsfeindlich und anti-national gesinnt. Ihre bloße Existenzweise widerspricht der Aufgabe, die das Prinzip des Politischen stellt, das ein Volk, einen Staat und einen öffentlichen Feind vorsieht, und zwar deshalb, weil die vom parteipolitischen Geschäft gelöste Marktaktivität keiner vom Politischen her bestimmten Agenda folgt, der der Rest der Gesellschaft im schlimmsten Falle unterworfen ist. Doch die dezidiert „antikapitalistische“ Haltung Schmitts übersieht die Bedeutung des Unternehmertums für das Funktionieren einer Volkswirtschaft.358 Der konstruierte „Klassenkampf“ zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, der auch in den Schriften des Plettenbergers vereinzelt spürbar wird, ist eine Chimäre, die ausschließlich propagandistischen Zwecken dient. Schmitt bedient sich dieses Bildes, allerdings ohne dessen sozialistischen Urheber zu nennen. Die bedeutendsten Vertreter des Liberalismus im 20. Jahrhundert haben die wirtschaftliche Freiheit – gegen die Auffassung Schmitts – als eine notwendige (aber nicht hinreichende) Bedingung für die politische Freiheit des Individuums betrachtet. Dies gilt z. B. als eine der Kernthesen von Milton Friedmans Schrift „Kapitalismus und Freiheit“ aus dem Jahre 1962: Ich kenne kein Beispiel, wo es eine Gesellschaft gegeben hat, in der es ein hohes Maß an politischer Freiheit gab und wo nicht zugleich etwas existierte, das mit freien Märkten vergleichbar gewesen wäre, auf denen sich die gesamte wirtschaftliche Freiheit voll entfalten konnte.359
Schon vor Friedman hatte sich Friedrich August von Hayek in seinem Hauptwerk „Der Weg zur Knechtschaft“ (das die Widmung „Den Sozialisten in allen Parteien“ trägt) in ähnlicher Weise geäußert. Allerdings fällt sein nur beiläufig formuliertes Postulat weniger markant ins Auge als die populär gewordene Hypothese des Chicagoer Ökonomen: „Schritt für Schritt haben wir jene Freiheit der Wirtschaft aufgegeben, ohne die es persönliche und politische Freiheit in der Vergangenheit nie gegeben hat“.360
kommen nüchtern gesteht Holczhauser die Notwendigkeit planwirtschaftlicher Maßnahmen für ein solches Staatsmodell ein (S. 205). 358 Der Begriff „Kapitalismus“ ist, auch wenn er selbst von vielen Liberalen gebraucht wird, abzulehnen. Wie alle Ismen unterstellt er das Vorhandensein irgendeiner ideologischen Schule (wie in „Nationalsozialismus“, „Marxismus“, „Faschismus“, „Ökologismus“ usw.). Der Markt jedoch ist keine Ideologie. Der Liberalismus hat den Markt auch nicht „gepachtet“. Er ist einfach da, und zwar seitdem Menschen in sozialen Zusammenschlüssen leben. Aus diesem Grunde lässt er sich auch nicht abschaffen, unabhängig davon, ob das Zahlungsmittel Geld vorhanden ist oder nicht (zur Not wird auch mit Zigaretten, Steinen usw. gezahlt – oder man wechselt in den Tauschhandel über). Das Wort „Kapitalismus“ bezeichnet die Funktionsweise des Marktes (Vertragsabschlüsse in beiderseitigem Einverständnis), die niemandes Erfindung ist und keiner politischen Doktrin folgt. Der Liberalismus hingegen ist eine politische Ideologie. Aus diesen Gründen ist das Wort „Marktwirtschaft“ angemessener. 359 Friedman, S. 32. 360 Hayek, S. 31.
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Der liberalen Interpretation der politisch-ökonomischen Realität ist es unverständlich, wie der Markt als invasiv, gewalttätig oder politisch agierend erscheinen kann. Dabei wird die Möglichkeit einer politischen Instrumentalisierung marktwirtschaftlicher Vorgänge nicht bestritten. Doch eine solche Instrumentalisierung geschieht (offensichtlich) auf Anweisung politischer Eliten, und nicht, weil der Markt an sich politisch ist. Zudem kann ein Markt, der durch die Planung von Behörden reguliert wird, nicht mehr frei genannt werden – wie Schmitt suggeriert. Weil er von sich aus nicht politisch ist und entsprechend keiner wie auch immer definierten Parteilinie folgt, kann er auch nicht invasiv oder gewalttätig sein: Der Markt ist ein universal-anthropologisches Phänomen und immer schon da, wo Zivilisation ist. Wo Menschen bereit sind, auf freiwilliger Basis Güter zu tauschen. Für Schmitt hingegen ist er identisch mit einer bestimmten politischen Kraft (oder eines „Kulturkreises“), die sich negativ auf das Leben der Menschen (im Inland wie im Ausland) auswirkt und der Tradition unversöhnlich gegenüber steht. Einschübe wie der folgende legen eindrücklich Zeugnis davon ab: Früher unterwarfen die kriegerischen Völker die handeltreibenden Völker, heute ist es umgekehrt.361
Das zugrunde gelegte geschichtswissenschaftliche Postulat – oder der Dualismus aus „kriegerisch“ und „handeltreibend“ – mag korrekt sein, oder nicht. Entscheidend ist der Abschnitt nach dem Wort „heute“: Schmitt deutet wiederholt an, dass die moderne Technik mitsamt des mit ihr verbundenen, globalen Handels, eine natürliche Ordnung aus dem Gleichgewicht gebracht habe und in letzter Konsequenz der Menschheit Schaden zufüge. Dabei erscheine der Markt als aggressiver Eindringling in die traditionelle Gesellschaftsordnung. Diese Sichtweise ist, auch wenn Schmitt das weit von sich gewiesen hätte, gar nicht so weit von der Rhetorik sozialistischer Politiker entfernt. Wie schwer es Schmitt fällt, dem Liberalismus durchschlagende Argumente entgegenzuhalten, wird auch an der Auseinandersetzung mit Franz Oppenheimer im „Begriff des Politischen“ deutlich.362 Der Liberale fordere, zum Entsetzen des Staatsrechtlers, die „Ausrottung des Staates“. Nachdem Schmitt an anderer Stelle dem Liberalismus die Fähigkeit zur Radikalität abgesprochen hatte, spricht er hier von einem radikalen Liberalismus im Entwurf Oppenheimers.363 Dieser sei durch und durch „polemisch“ und arbeite mit unzulässigen „Antithesen“, welche
361
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 69. Ebd. S. 70 f. 363 Warum der Liberalismus nicht radikal sein könne, erläutert der Autor der „Politischen Theologie“ nicht. Da Radikalität jedoch das Zeichen einer starken „Assoziation oder Dissoziation“ ist und somit die Sphäre des Politischen anzeigt (von der Schmitt behauptet, dass sie dem Liberalen grundsätzlich nicht zugänglich sei), liegt hierin vermutlich der Grund für diese Behauptung. 362
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die „Wert-Ordnung“ in satanischer Art und Weise verdrehten. Oppenheimer sei gar der Anti-Hegel, da er dessen Primat des Staates vor der Gesellschaft umdrehe und eine Disjunktion aus gewaltlosem Tausch (Gesellschaft) und gewalttätiger Politik (Staat) einführe. Während der staatliche Souverän für alles Schlechte stehe (Erpressung und Raub), sehe der Liberale in der apolitischen Gesellschaft ausschließlich Positives (freiwillige Kooperation). Schmitt ist empört über die Interpretation Oppenheimers. Seine Abscheu entlädt sich in einem Rundumschlag, der aufgrund seiner Wucht an Präzision verliert: Aber es ist eigentlich doch nicht zulässig und weder moralisch noch psychologisch, und am wenigsten wissenschaftlich in Ordnung, einfach mit moralischen Disqualifikationen zu definieren, indem man den guten, gerechten, friedlichen, mit einem Wort sympathischen Tausch der wüsten, räuberischen und verbrecherischen Politik gegenüberstellt. Mit solchen Methoden könnte man ebensogut umgekehrt die Politik als die Sphäre des ehrlichen Kampfes, die Wirtschaft aber als eine Welt des Betruges definieren, denn schließlich ist der Zusammenhang des Politischen mit Raub und Gewalt nicht mehr spezifisch als der des Ökonomischen mit List und Betrug. Tauschen und Täuschen sind oft nahe zusammen. Eine auf ökonomischer Grundlage beruhende Herrschaft über Menschen muß gerade dann, wenn sie unpolitisch bleibt, indem sie sich jeder politischen Verantwortlichkeit und Sichtbarkeit entzieht, als ein furchtbarer Betrug erscheinen. Der Begriff des Tausches schließt keineswegs begrifflich aus, daß einer der Kontrahenten einen Nachteil erleidet und daß ein System von gegenseitigen Verträgen sich schließlich in ein System der schlimmsten Ausbeutung und Unterdrückung verwandelt.364
Wie die Marktwirtschaft eine „Welt des Betruges“ hervorbringen kann, erklärt Schmitt nicht. Das liegt daran, dass sie es nicht kann. Trotzdem beharrt der Jurist darauf, dass „Tausch“ auf magische Weise in „Betrug“ umschlagen könne, aus dem sich „Nachteile“ für eine der beiden Vertragsparteien ergeben. Doch das Prinzip des Vertrages macht es unmöglich, ein „System der schlimmsten Ausbeutung und Unterdrückung“ zu installieren. Ein Vertrag kommt zwischen zwei Parteien zustande, die aus freien Stücken in die Bedingungen des Vertrages einwilligen. Ein Vertrag, der nicht auf freiwilliger Basis geschlossen wird, ist per definitionem kein Vertrag. Der Zusammenhang zwischen Politik und „Raub und Gewalt“ ist jedoch, entgegen den Behauptungen Schmitts, aus libertärer Sicht unmittelbar evident. Da Politik nur dort stattfindet, wo Institutionen vorhanden sind, die ein gewisses Maß an Kontrolle über gesellschaftliche Vorgänge erlauben, ist die initiierende Gewalt der Politik schon immer inhärent. Ein einfaches Beispiel sind Steuerabgaben. In den meisten politischen Systemen, die Steuern als Einkommensgrundlage für den Staat erheben, ist die Zahlung dieser Abgaben auf Seiten der Steuerzahler nicht freiwillig. Erfolgt die Zwangsabgabe an den Staat nicht, droht dieser dem Individuum mit Gewalt (z. B. in Form von strafrechtlichen Konsequenzen). Dieb364
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 70 f.
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stahl liegt aber dann vor, wenn einer Person gegen ihren Willen rechtmäßiges Eigentum genommen wird. Da der größere Teil der Menschen seine Steuern nicht freiwillig zahlt, liegt also von libertärer Warte aus betrachtet Raub auf Seiten des Staates vor. Aber auch für diejenigen, die ihre Steuern freiwillig zahlen, gilt: Sie haben keine andere Wahl, wollen sie der durch den Staat angedrohten Gewalt entgehen. Steuern sind selbstverständlich nicht der einzige Anwendungsfall liberaler Fundamentalkritik an der Funktionsweise moderner Staaten. Drastischere Konsequenzen für den Einzelnen haben u. a. die Einberufung ins Militär, das Verbot bestimmter Produkte (z. B. Lebensmittel, Kraftfahrzeuge, Waffen, Glühbirnen), andere Zwangsabgaben (z. B. Pflichtversicherungen), Bauvorschriften, Schulpflicht usw. Oppenheimer denkt das Gemeinwesen vom Individuum her und gesteht dem Staat nur die Rechte zu, die eine Privatperson auch hat, um letztere zu schützen (was ein Merkmal des konsequenten Rechtsstaates ist). Schmitt vertritt dagegen eine Asymmetrie zwischen Staat und Gesellschaft, indem er dem Staat mehr Rechte zugesteht als dem Bürger.365 Aus den genannten Gründen ist Schmitts Rede von der „auf ökonomischer Grundlage beruhende[n] Herrschaft über Menschen“ argumentativ nicht belastbar. In der Marktwirtschaft gibt es keine Herrschaft im politischen Sinne, sondern ein System aus freiwillig geschlossenen Verträgen, die im Allgemeinen mit „Win-Win“-Situationen synonym sind (denn eine Partei willigt i. d. R. nicht freiwillig in einen Vertrag ein, aus dem sie einen Nachteil erhält). Entscheidungsgewalt besitzen im prägnanten Sinne nur die Verbraucher, die mit ihrer Geldbörse darüber abstimmen, welche Produkte angeboten werden. Ein vertikales Machtgefälle zwischen „Oben“ und „Unten“ gibt es hier nicht, so wie man es aus der feudalen oder staatlichen Ordnung kennt. Solche Analogien zwischen der Funktionsweise des Marktes und den Machtverhältnissen in politischen Systemen haben in der jüngeren Geschichte stets der Rhetorik sozialistischer Parteien gedient. Eine adäquate Beschreibung der Realität sind sie sicher nicht. Auch das von Schmitt anbei gestellte Argument, auch „Wucherer und Erpresser“ (gleiche Stelle) könnten sich auf die Einhaltung von Verträgen berufen, wertet die löchrige Beweisführung nicht auf. Eine Sportart ist schließlich nicht deshalb zu verbieten, weil es einige Spieler gibt, die unfair spielen (oder Sportrecht verletzen). Das markanteste Element der Schmittschen Liberalismuskritik ist die stete Vermischung von voluntaristischem, minarchistischem und parteipolitischem Liberalismus mit (pseudo-)liberaler Gesetzgebung, US-amerikanischer Außenpolitik, historischen Ereignissen und allerlei weiteren Dingen und Gesichtspunkten. Schmitt erschafft einen Liberalismus, der zwar stellenweise durch überprüfbare 365 Wie bereits angedeutet wurde, ist eine Scheidung in verschiedene Typen von Rechtsstaaten möglich. Hierzu sind die Ausführungen von Holczhauser sehr erhellend. Wenn ich von Rechtsstaatlichkeit spreche, meine ich stets das, was bei Holczhauser „liberaler Rechtsstaat“ genannt wird. Holczhauser, S. 202 ff.
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Querreferenzen eine Verbindung zur Wirklichkeit unterhält, in seinem Gesamteindruck jedoch das Zerrbild einer politischen Bewegung ist. Immer wieder tauchen Liberalismus und amerikanische Politik als synonym auf: Ein ökonomisch fundierter Imperialismus wird natürlich einen Zustand der Erde herbeizuführen suchen, in welchem er seine wirtschaftlichen Machtmittel, wie Kreditsperre, Rohstoffsperre, Zerstörung fremder Währung usw., ungehindert anwenden kann und mit ihnen auskommt.366
Dem Leser suggeriert Schmitt, dass dieser „Imperialismus“ ein unmittelbarer Auswuchs liberaler Ideologie sei. „Ökonomisch fundiert“ kann aber nur die Haushaltskasse eines Staates sein, da die Marktwirtschaft – wie oben dargelegt – weder gewalttätig noch invasiv ist. Die Maßnahmen, die genannt werden, sind allesamt politische Maßnahmen von politischen Entscheidungsträgern. Die Amalgamierung von liberalem Zerrbild und amerikanischer Außenpolitik betrifft mehrere Schriften Schmitts (z. B. den „Nomos der Erde“ und den „Begriff des Politischen“). Währungskriege und Handelsboykotte sind offensichtlich keine Mittel, die eine Marktwirtschaft einsetzt. Aus liberaler Perspektive hat es noch nie eine liberale US-amerikanische Außenpolitik gegeben. 3. Positive Anthropologie und die christliche Position Eine der Kernthesen Schmitts zum Liberalismus ist die, dass der Liberale in einer völligen Apolitizität verharre, unfähig, seinen Feind zu identifizieren und zu bekämpfen. Aus dieser Verweigerung der Feindidentifikation leitet er das allgemeine Unvermögen des Liberalismus ab, die Ebene des Politischen erreichen zu können. Eine wesentliche Ursache für die unterstellte Apolitizität liege in der positiven Anthropologie, die nach Schmitt Liberale angeblich vertreten.367 Um diese These zu untermauern, führt der Jurist einige wenige Zitate von Autoren wie Rousseau oder Kelsen an. Es ist auffällig, dass Schmitt an keiner Stelle die liberale Prominenz zitiert. Dies würde hier nahe liegen, doch nirgends findet sich ein Wort von namhaften Liberalen zum anthropologischen Fundament liberaler Politik. Tatsächlich sind sowohl Rousseau als auch Kelsen schlechte Beispiele, um allgemeine Aussagen über den Liberalismus treffen zu können. Seine wichtigsten Vertreter haben sich konträr zu den Behauptungen Schmitts geäußert. So taucht in dem bereits genannten „Kapitalismus und Freiheit“ folgende Stellungnahme auf: Der Liberale stellt sich den Menschen als ein unvollkommenes Wesen vor. Das Problem der sozialen Organisation betrachtet er ebenso sehr als ein negatives Problem, also „schlechte“ Menschen daran zu hindern, Schlimmes zu tun, wie „gute“ Men366
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 71. Etwa ebd. S. 56. „Ein Teil der Theorien und Konstruktionen, die den Menschen in solcher Weise als ,gut‘ voraussetzen, ist liberal und in polemischer Weise gegen die Einmischung des Staates gerichtet, ohne eigentlich anarchistisch zu sein“. 367
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schen in den Stand zu setzen, Gutes zu tun; dabei können natürlich die „schlechten“ und die „guten“ Menschen dieselben sein, wobei alles davon abhängt, wer sie beurteilt.368
An gleicher Stelle führt Friedman aus, dass der Liberalismus „keine allumfassende Ethik [ist]. Tatsächlich ist es eines der Hauptziele des Liberalismus, die ethischen Probleme dem Individuum zu überlassen, damit es mit diesen Problemen allein fertig werden kann“ und fügt hinzu: „Als Liberale sehen wir in der Freiheit des Individuums und vielleicht noch in der Freiheit der Familie das höchste Ziel aller sozialen Einrichtungen“. Im direkten Vergleich zu Schmitt fällt die Formulierung auf, nach der „guten“ Menschen die Möglichkeit gegeben werden solle, gute Dinge zu tun. Dies ist ein Gedanke, der bei dem Juristen so nicht auftaucht. Nach liberaler Auffassung müssen „gute“ Menschen, damit sie Gutes tun können, bestimmte Freiheiten haben. Dem voraus geht die Annahme, dass eine Handlung moralisch nur dann „gut“ ist, wenn sie freiwillig ausgeführt wird. „Gutes“ unter Zwang zu tun ist für Liberale ein Widerspruch in sich. Denker wie Schmitt hingegen sehen den Staat als letzten Verantwortlichen für die „guten“ Taten von menschlichen Individuen: Die politische Elite gibt vor, wie zu handeln ist, und die daraus folgenden Handlungen sind als verordnete Handlungen per se „gut“. Der Staat ist Urheber und Garant moralisch guter Entscheidungen. Dem Einzelnen wird nicht zugetraut, aus sich heraus wahrhaft Gutes zu tun, da nur die planerisch tätige Verwaltungszentrale, der „Kopf “ des Systems, kraft ihrer vermeintlichen Einsicht in den Gesamtzusammenhang sozialer Strukturen, die zweckmäßigen Richtungsgebungen bestimmen kann. Hinter dieser Sichtweise steht zum Einen der Glaube an die Notwendigkeit von Planung, zum Anderen die Überzeugung, dass jedes Mittel durch seinen Zweck geheiligt wird. Alleiniger Zurechnungspunkt ist das „Gemeinwohl“. Doch die Interpretation Friedmans ist etwas völlig anderes, als das, was Schmitt behauptet, wenn er von der rebellisch-prometheischen, positiven Anthropologie spricht, die angeblich gleichermaßen sozialistische Anarchisten wie Etatisten mit den Liberalen teilen. Die „Politischen Theologien“ setzen voraus, dass jedes Verhältnis zur menschlichen Natur entweder eindeutig „positiv“ oder „negativ“ ist. Liberale wie Milton Friedman sind ein Beispiel dafür, dass es Positionen jenseits dieser Disjunktion gibt, die Schmitt als einzige Option gelten lässt. Erstaunlich ist dies auch deshalb, weil es Schmitt selbst ist, der in der „Politischen Theologie“ darauf hinweist, dass die offizielle Linie der katholischen Kirche eine Anthropologie vorsieht, die bloß von einer „Verwundung“ des Menschen spricht und folglich nicht die reine Negativität aufweist, die der Jurist am spanischen Politiker Donoso Cortés so bewundert.369 368
Friedman, S. 35. „Denn das tridentinische Dogma von der Erbsünde ist nicht einfach radikal. Es spricht, im Gegensatz zur lutherischen Auffassung, nicht von Nichtswürdigkeit, sondern 369
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Der Liberalismus vertritt, gemessen an den Schmittschen Begriffen von positiver und negativer Anthropologie, weder die eine noch die andere. Er ist in dieser Hinsicht durchaus vergleichbar mit der katholischen Haltung, die dem Menschen ambivalent gegenübersteht. Als weitere Gemeinsamkeit tendieren beide – Katholizismus wie Liberalismus – stärker zur negativen Beurteilung der menschlichen Natur. In jedem Falle setzt der Liberalismus keinen „guten“ Menschen voraus. Infolge dessen gilt dies auch für die von Liberalen favorisierte „freie“ Gesellschaft: Ihre Funktionsweise basiert auf der Annahme, dass Menschen von Natur aus nicht „gut“ sind, sondern stattdessen ggf. defektieren, egoistisch handeln oder geltendes Recht verletzen. Das charakteristische Merkmal liberaler Gesellschaftsentwürfe besteht in dem Versuch, eine soziale Ordnung dergestalt zu ermöglichen, dass sie bei konstanten, „schlechten“ Eigenschaften der Menschen ein Maximum an individueller Freiheit gewährt. Das bedeutet, dass die negativ beurteilten menschlichen Handlungsweisen durch eine entsprechende Gesetzgebung auf ein Minimum an unerwünschten Folgen reduziert werden. Was Schmitt im Punkte der anthropologischen Annahmen vom Liberalismus fundamental trennt, ist die Überzeugung, dass nur ein mit unumschränkter Machtfülle zugerüsteter Staat imstande ist, die Unzulänglichkeiten der Menschen in Schach zu halten und Gerechtigkeit herzustellen.370 In einem Sonderheft der „Sezession“ zum Thema Carl Schmitt verweist Siegfried Gerlich auf die Ähnlichkeiten zwischen Schmitts Position und der des „Großinquisitors“ in Dostojewskis gleichnamigen Buch.371 In diesem taucht Christus zur Zeit der Inquisition in Sevilla auf. Der Großinquisitor lässt den Störenfried einsperren, worauf sich im Verlies ein Monolog des Kardinals vor dem Gottessohn entfaltet. In diesem rechtfertigt sich der Geistliche für seine Politik und klagt Gott an, den Menschen mit seinem Geschenk der Freiheit überfordert zu haben. Aus diesem Grunde müsse er geknechtet werden, denn seine Natur ist böse, und gezähmt werde sie nur durch eine harte Hand („Der Mensch ist zum Aufrührer geschaffen; können Aufrührer etwa glücklich sein?“).372 Die Niedrigkeit des menschlichen Wesens verlange nach einer starken Führung: „Keine Sorge quält den Menschen, wenn er frei geblieben ist, so unablässig und so schlimm, wie die, schnell denjenigen zu finden, den er anbeten kann“.373 Dostojewski lässt den Leser erkennen, dass der Großinquisitor einen Pakt mit dem Widersacher eingegangen ist (welcher hier als „großer“ und „kluger“ Geist vorgestellt wird).374 Die nur von einer Entstellung, Trübung, Verwundung, und läßt die Möglichkeit zum natürlich Guten durchaus bestehen.“ Schmitt, Politische Theologie, S. 62. 370 Freilich erst nach der Abschaffung der „traditionellen“ Legitimität, wie im Kapitel zur „Politischen Theologie“ ausgeführt worden ist. 371 Gerlich, S. 28–31. 372 Dostojewski, S. 25. 373 Ebd. S. 32. 374 Ebd. S. 25 f.
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„katholische Verschärfung“ Schmitts sieht Gerlich im Ausspruch des Großinquisitors ausgedrückt: „Warum bist Du nur gekommen, uns zu stören?“ 375 Mit „Verschärfung“ sei der zutage tretende Widerspruch zwischen einem positiv-anthropologischen, anarchistischen (Ur-)Christentum und einem von der Erbsündenlehre bestimmten, autoritären Katholizismus gemeint.376 Der Großinquisitor Dostojewskis sieht sich als Wohltäter, wissend, dass er im Bunde mit dem „Ankläger“ Gottes steht und gegen dessen Werk opponiert. Die Diskussion dieser innerkirchlichen Spannung sei, so Gerlich, das Hauptanliegen des Staatsrechtlers.377 Für den Liberalismus ist es jedoch unmöglich, aus der Schlechtigkeit des Menschen die Gewaltherrschaft einiger weniger abzuleiten. Wenn die menschliche Natur korrumpiert ist, wie kann dann ein Einzelner oder eine privilegierte Gruppe Gewalt initiieren, um diese Schlechtigkeit zu beseitigen (oder zu bannen)? Die liberale Antwort auf die Unvollkommenheit des Menschen ist mehr Freiheit und weniger Angst. Schmitt, als Vertreter des Kollektivismus, zieht hingegen die zweifelhafte „Sicherheit“ staatlicher Allmacht jener Freiheit vor.378 Das Bedürfnis nach Sicherheit aber entspringt zumeist der Angst, die selten ein guter Ratgeber ist. Wozu sie rät, ist eine Obrigkeit, so mächtig, dass sie effektiv das Leben der Menschen kontrollieren kann. Die Gesellschaft verwandelt sich in ein großes Gefängnis Orwellscher Prägung, doch ihre Legitimation nach außen bezieht sie aus dem Versprechen von „Sicherheit“ und „Frieden“.379 Dieses Ver375
Dostojewski, S. 25. Wie ich in meinem Kapitel zu Jan Assmanns Schrift zu zeigen versucht habe, kann das Urchristentum als positiv-anthropologisch im Schmittschen Sinne bezeichnet werden. Im Vergleich sowohl mit katholisch-kirchlicher Ordnung als auch den Neuerungen des Protestantismus eröffnet sich der Blick auf eine tiefe Kluft zwischen ursprünglicher Christenheit und institutionalisierter Kirchenpolitik im Hinblick auf die Beurteilung der Natur des Menschen. 377 Gerlich, S. 31. 378 Holczhauser gibt der Diskussion um den Souveränitätsbegriff Schmitts, wie er in der „Politischen Theologie“ auftaucht, eine neue Wendung, wenn er etwa die „Allmacht“ des Staates als Problem negiert: Bodin habe eine Lösung gefunden, die allgemein zufriedenstellend sei. So werde der Staat als grundsätzlich allmächtig betrachtet, jedoch unter dem Vorbehalt von Ausnahmeregelungen. Diese liefen in letzter Konsequenz auf die Duldung des Souveräns durch die Gesellschaft hinaus, welche wiederum in der Praxis von ihrem Ausnahmerecht (auf die Einschränkung des Staates) nicht Gebrauch mache. Holczhauser, S. 247 f. 379 Überzeugend kann Holczhauser darlegen, dass diese Töne in den Werken Schmitts nicht den Rückschluss zulassen, bei ihm handle es sich um einen totalitären Denker. Im Gegenteil lege die Schmittsche Betonung von Konkurrenz und Kampf im Begriff des Politischen eine „liberale“ Deutung des Staates (als „Konfliktpartner“) nahe. Allerdings betone Schmitt, etwa im Unterschied zum Liberalismus, die Notwendigkeit der „Einheit“ eines Staatsgebildes. Homogenität und Pluralität als widerstrebende, aber auch als komplementär gedachte Prinzipien in der Staatsrechtslehre sind ein wesentlicher Bestandteil der Ausführungen Holczhausers. Holczhauser, S. 174 ff. Zur Diskussion von Pluralismustheorien vgl. ebd. S. 212 ff. 376
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sprechen ist für Heinrich Meier ein Schlüsselmoment im Werk des Staatsrechtlers: „Für Schmitts eigene Erwartungen und für sein konzeptionelles Handeln im Hinblick auf den ,Fall, auf den allein ankommt‘, ist das Kennwort des Antichrist pax et securitas bestimmend, das auf den 1. Thessalonicher Brief zurückgeht“.380 Erstaunlicherweise taucht die Losung bei Schmitt auch in einem anderen Zusammenhang auf: „Die Formel ,Ruhe, Sicherheit und Ordnung‘ diente bekanntlich als Definition der Polizei“.381 Sie ist hier positiv konnotiert und wird in einen Zusammenhang mit der für Schmitt beispiellosen Leistung des Jus publicum Europaeum, die Abschaffung der Konfessionskriege sowie die völkerrechtliche „Hegung“ militärischer Konflikte, gestellt. Der „Begriff des Politischen“ verbindet die Werbung des Antichrist mit dem Frieden stiftenden Staat der Moderne: Die Leistung eines normalen Staates besteht aber vor allem darin, innerhalb des Staates und seines Territoriums eine vollständige Befriedung herbeizuführen, „Ruhe, Sicherheit und Ordnung“ herzustellen und dadurch, die normale Situation zu schaffen, welche die Voraussetzung dafür ist, daß Rechtsnormen überhaupt gelten können, weil jede Norm eine normale Situation voraussetzt und keine Norm für eine ihr gegenüber völlig abnorme Situation Geltung haben kann.382
Da Schmitt nicht unterstellt werden kann, die gleiche Formel unbewusst in sehr verschiedenartigen Kontexten gebraucht zu haben, muss angenommen werden, dass er sich mit sich selbst nicht darüber einig war, wie der „Leviathan“, d.h. der moderne europäische Rechtsstaat mitsamt all seiner Errungenschaften, zu beurteilen ist. Hier erscheint er als diabolischer Beschleuniger und Instrument des Antichrist – dort als segensreiche Befreiung der Menschheit. Aus diesem Zwiespalt erklärt sich womöglich Schmitts ambivalentes Verhältnis zu Thomas Hobbes, der ihm als Begründer eben dieses Staates gilt. In der Darstellung des „christlichen Epimetheus“ steht der Liberalismus auf der Seite des Reiches des Bösen, während die eigene dezisionistisch-personalistische Position theologische Legitimität beanspruchen kann. Da bei Schmitt genuin liberales Denken nicht zu Wort kommen darf, ist es notwendig, auf die freiheitliche Gegendarstellung zu Schmitts Geschichtsphilosophie hinzuweisen. So vertritt Friedrich August von Hayek die Auffassung, nach der der liberale Individualismus in der Tradition abendländisch-christlicher Kultur stehe, d.h. explizit keinen Bruch mit dem „vor-prometheischen“ Europa darstellt: Dieser Individualismus, der auf der Grundlage des Christentums und der Philosophie des klassischen Altertums sich zuerst während der Renaissance voll entwickelte und sich seitdem immer mehr als abendländische Kultur entfaltet hat, ist in der Hauptsache durch die Achtung vor dem Individuum als Menschen gekennzeichnet. Das ist gleichbedeutend mit der Anerkennung seiner Ansichten und seines Geschmackes als der letzten Instanz in seiner eigenen, wenn auch noch so begrenzten Sphäre und mit 380 381 382
Meier, Die Lehre Carl Schmitts, S. 249. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 10. Ebd. S. 43.
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dem Glauben, daß die Entwicklung der individuellen Begabungen und Neigungen des Menschen wünschenswert ist.383
Es zeigt sich in aller Klarheit, dass die von Schmitt gemachten Behauptungen bzgl. der positiven Anthropologie von Liberalen keiner kritischen Prüfung standhalten. Des Weiteren ist der unterstellte Zusammenhang von personalistischem Dezisionismus und Christentum fragwürdig. In jedem Falle ist er nicht mit frühchristlichen Vorstellungen in Einklang zu bringen. 4. Naturrecht und Rechtspositivismus Die oben dargestellten Prämissen Schmitts schlagen sich in einem Rechtsverständnis nieder, das sich grundlegend von dem der meisten Liberalen unterscheidet. Insbesondere das Verhältnis zwischen Staat und Recht, über das u. a. in der „Politischen Theologie“ gesprochen wird, ist ein aufschlussreicher Indikator für die politische Verortung eines Individuums. In der Schrift von 1922 hatte Schmitt den als „liberal“ eingestuften Staatsrechtler Kelsen wegen seines Rechtspositivismus angegriffen. Idiosynkratisch für die „Politische Theologie“ ist die Verbindung von Liberalismus und Rechtspositivismus sowie (staatsrechtlichem und politischem) „Pluralismus“. Doch auch diese Zusammenhänge sind nicht so eindeutig, wie Schmitt seinen Lesern nahelegt. Murray N. Rothbard gilt als einer der bekanntesten Vertreter des Liberalismus (bzw. Libertarismus) sowie der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Als Naturrechtler vertritt Rothbard eine Position, die unter keinen Umständen mit den Auffassungen Kelsens – den Schmitt als John Doe des Liberalismus präsentiert – in Übereinstimmung gebracht werden kann. In der „Ethik der Freiheit“ führt Rothbard den Leser folgendermaßen in seinen Entwurf ein: Wie bereits angedeutet wurde, besteht der große Fehler der Naturgesetztheorie – von Platon und Aristoteles bis zu den Thomisten und bis zu Leo Strauss und seinen Nachfolgern in der Gegenwart – darin, zutiefst staatsorientiert statt individualistisch gewesen zu sein. Diese „klassische“ Naturgesetzlehre erblickte im Staat den Ort guter und tugendhafter Handlungen, wobei die Individuen den staatlichen Handlungen strikt untergeordnet waren. Von Aristoteles’ richtigem Wort, daß der Mensch ein „geselliges Tier“ sei, daß seine Natur zur gesellschaftlichen Zusammenarbeit bestens geeignet sei, sprangen die Klassiker daher voreilig und unberechtigterweise zu einer praktischen Gleichsetzung von „Gesellschaft“ und „Staat“ und mithin zum Staat als dem Hauptort tugendhafter Handlungen. Es waren hingegen die Leveller und vor allem John Locke im England des siebzehnten Jahrhunderts, die das klassische Naturgesetz in eine Theorie umwandelten, die sich auf einen methodologischen und folglich politischen Individualismus gründete. Aus Lockes Betonung des Individuums als der Handlungseinheit, als der denkenden, fühlenden, wählenden und handelnden Einheit, entsprang seine Auffassung, daß das Naturgesetz in der Politik die natürlichen Rech383
Hayek, S. 33.
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te jedes Individuums begründet. Die Locke’sche individualistische Tradition beeinflußte zutiefst die späteren amerikanischen Revolutionäre und die vorherrschende Tradition liberalen politischen Denkens in der revolutionären neuen Nation. Auf dieser Tradition des Naturrechtsliberalismus versucht das vorliegende Werk aufzubauen.384
Der „Naturrechtsliberalismus“ Rothbards kann den Rechtspositivismus Kelsens nicht akzeptieren, doch die Gründe hierfür unterscheiden sich von denen, die Schmitt anführt. In den Augen des Staatsrechtlers ist die Absenz eines letzten „Zurechnungspunktes“ der gravierendste Mangel an dem System, das Kelsen favorisiert (eine Norm kann bloß eine weitere Norm zur Grundlage haben), das Fehlen eines verbindlichen Entscheidungsmonopols. Rothbard jedoch steht dem Rechtspositivismus Kelsens ablehnend gegenüber, weil er – zum Schutze des Individuums vor dem Staatsapparat – eine Instanz fordert, die jenseits und über der staatlichen Rechtsordnung steht. Diese Instanz ist das Naturrecht. Bei Schmitt ist sie der staatliche Souverän.385 Beide Elemente – Naturrecht und Souverän – transzendieren das materielle Recht der „normalen“ Situation einer staatlichen Ordnung. Doch Schmitt benötigt eine konkrete Person, die politische Gewalt besitzt und ausüben kann. Der Staat wird so total. Das Naturgesetz im Entwurf Rothbards hingegen ist transpersonal und nicht okkupierbar. Es kann im Notfall auch gegen den Gesetzgeber oder das herrschende Regime angeführt werden. Das personalistisch-dezisionistische Entscheidungsmonopol Schmitts versteht sich selbst als über allem Recht stehend, einschließlich der „natürlichen“ Gesetze (anders wäre auch gar nicht begründbar, warum Menschen sich und andere im „Ausnahmezustand“ auf Befehl töten sollten). Tatsächlich kann sich der Liberalismus, nimmt er sich selbst ernst, niemals auf einen Rechtspositivismus der Färbung Kelsens stützen. Dies liegt darin begründet, dass der Liberalismus bestimmte Werte (Vertragsfreiheit, Recht an der eige384
Rothbard, S. 38. Auch Holczhauser übt scharfe Kritik an der Idee eines übergeordneten Naturgesetzes bzw. „vorstaatlicher“ Gesetze: „Die Berufung auf die Vernunft verschleiert tendenziell die Tatsache, daß konkrete Inhalte nur durch das Unterschieben von Zusatzannahmen partikularen Inhaltes, d.h. von politischen Forderungen, herleitbar sind“. Aus der Forderung nach dem pursuit of happiness folgert er eine Unvereinbarkeit mit der „Sozialpolitik“, weil das Auffinden der happiness „selbständig“ erfolgen solle. Diese Herleitung ist jedoch irreführend, da nicht irgendein Ideal von „Selbständigkeit“ die liberale Ablehnung von sozialstaatlichen Maßnahmen begründet. Die Zurückweisung der Planwirtschaft ergibt sich vielmehr aus der Zurückweisung jeder Form von gewaltsamem Eingriff in das Privateigentum der Individuen. Auch die von Holczhauser unterbreitete Auslegung, nach der der Begriff der Menschenwürde eine Art von staatlicher „Versorgung“ implizieren könne, ist fragwürdig. Holczhauser, S. 197 ff. Nachdem Holczhauser nahelegt, der Staat verkörpere die Vernunft anstelle der „Willkür“, erreicht die Argumentation einen vorläufigen Höhepunkt: „Über Staat und Gesellschaft gibt es kein Drittes, und die Staatsgewalt wird nicht durch die Vernunft, sondern durch die Gesellschaft begrenzt“ (ebd. S. 199). Wenn also der Staat die Vernunft repräsentiert, wird diese von der „Gesellschaft“ in Schach gehalten. 385
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nen Person und den Erträgen eigener Arbeit usw.) voraussetzt, die er unabhängig von der geltenden Rechtsordnung für verbindlich erklären muss (außerhalb deren es im System Kelsens nichts gibt). Daher stammt die Präferenz für das Naturrecht bei den meisten Liberalen (die auch bei vielen Christen gefunden werden kann). Schmitts Haltung gegenüber dem Naturrecht ist schwer einzuschätzen. Als Apologet des Entscheidungsmonopols über den Ausnahmefall (1922) erscheint er als Gegner eines höheren, unverbrüchlichen Naturrechts (der allmächtige Souverän ist als letzter Bezugspunkt keiner Kontrolle unterworfen, da die Entscheidung zuletzt wichtiger sei als die Frage, wie entschieden werde).386 An dieser Stelle erscheint es mir notwendig, darauf hinzuweisen, dass auch Thomas Hobbes im „Leviathan“ die Existenz eines „natürlichen“ Gesetzes annimmt (der Begriff „Naturrecht“ bedeutet im „Leviathan“ etwas völlig anderes, nämlich den nicht erstrebenswerten Status menschlicher Interaktion im sogenannten „Naturzustand“). Die „natürlichen“ Gesetze hingegen seien aus der Vernunft ableitbar und selbst unter den Bedingungen des „Leviathan“ unantastbar: „Aus diesem Grunde werden von den bürgerlichen Gesetzen niemals die natürlichen Gesetze geändert oder eingeschränkt, sondern nur allein das Naturrecht“ („Von den bürgerlichen Gesetzen“, 26. Kapitel).387 Zum „Naturrecht“ sagt Hobbes: „Das Naturrecht ist die Freiheit, nach welcher ein jeder zur Erhaltung seiner selbst seine Kräfte beliebig gebrauchen und folglich alles, was dazu etwas beizutragen scheint, tun kann“ („Von den beiden ersten natürlichen Gesetzen und den Verträgen“, 14. Kapitel).388 Die Aufzählung der „natürlichen“ Gesetze erfolgt im folgenden, 15. Kapitel des Buches, „Von den anderen natürlichen Gesetzen“.389 Diese wesentliche, bedeutsame Einschränkung der Verfügungsgewalt des Staates taucht in den mir vorliegenden Werken Schmitts an keiner Stelle explizit auf. Der gedankliche Schwerpunkt liegt hier eindeutig auf der letztbegründenden Entscheidung und auf der aus ihr resultierenden, praktischen Handlungsfähigkeit des staatlichen Souveräns (nicht umsonst betont Schmitt den konfessionell geprägten Bürgerkrieg als Hintergrund und Anlass der Niederschrift des „Leviathans“). Die katholische Identität des Plettenbergers steht partiell im Widerspruch zu einer solchen Position, da auch das Christentum eine Affinität zur Naturgesetzlehre hat. So tauchen an verschiedenen Stellen in den hier besprochenen Werken Hinweise auf das Vorhandensein naturrechtlicher Vorbehalte auf (nicht zuletzt in der Kritik am „Leviathan“, seine Sollbruchstelle befände sich bei dem Unvermö386 Heinrich Meier deutet zu dieser Frage an, dass er nicht an einen Ort für das Naturgesetz in Schmitts Denken glaubt. Meier, Die Lehre Carl Schmitts, S. 41. Allerdings enthält das 1933 verfasste Vorwort zur „Politischen Theologie“ eine Kritik am Weimarer Normativismus, die das Naturrecht in ein positives Licht rückt. Schmitt, Politische Theologie, S. 8. 387 Hobbes, S. 230. 388 Ebd. S. 118. 389 Ebd. S. 129 ff.
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gen, die „Innerlichkeit“ des Menschen zu erreichen). Das Selbstverteidigungsrecht auf völkerrechtlicher Ebene (im „Nomos der Erde“) sowie das grundsätzliche Tötungsverbot (mit Ausnahme des Kampfes gegen eine existentielle Bedrohung durch den wirklichen „Feind“ im „Begriff des Politischen“) leitet Schmitt nicht aus dem Vorhandensein des Souveräns ab, sondern stehen davon abgesondert als Postulate neben den Argumenten für ein dezisionistisch-personalistisches Entscheidungsmonopol. Mir scheint es aufgrund dessen nicht möglich, die angeführten Widersprüche aufzulösen. Da der Rechtspositivismus Kelsens seinen Gegnern eine breite Angriffsfläche bietet, ist er Schmitt ein willkommener Anlass, ihn als staatsrechtliche Position eines Liberalen der Lächerlichkeit preiszugeben, um damit zuletzt den Liberalismus in seiner Gesamtheit zu treffen. Doch ist der unumschränkte Souverän der „Politischen Theologie“ die bestmögliche Antwort auf die Probleme, die rechtspositivistische Systeme aufwerfen? Am 22. September 2011 hat das Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Benedikt XVI., eine Rede vor dem deutschen Bundestag gehalten.390 Darin enthalten war eine scharfe Kritik rechtspositivistischer Auffassungen. Der Name Kelsens musste, den Regeln der Diplomatie entsprechend, als Referenz für den päpstlichen Tadel dienen, der sich ganz offensichtlich nicht auf Ereignisse vor dem letzten Weltkrieg bezog. Die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen Gut und Böse stellte der Papst an den Anfang seiner Rede. Sie sei als Regulator rechtlicher Bestimmungen unverzichtbar, um Unrecht zu vermeiden. Noch vor der notwendigen Begriffsklärung dessen, was hier mit „Recht“, dort mit „Gesetz“ gemeint ist, schickt der Papst ein Augustinus-Zitat voraus: „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande“. Das bloße Vorhandensein einer Rechtsordnung garantiere nicht, dass es gerecht oder menschenwürdig zuginge. Um gerechte Gesetze zu erlassen, bedürfe es eines Urteilsvermögens, das seine Unterscheidungen aus einer anderen Quelle denn der positiv-rechtlichen Verfasstheit eines Staates bezieht. Diese Quelle sei das Naturrecht. Der Geschichte des Christentums komme die Besonderheit zu, schon früh „auf Natur und Vernunft als wahre Rechtsquellen verwiesen“ zu haben. Dieser Vorbehalt gegen irdisch-staatliches Recht mache einen Widerstand gegen Unrechtsregime erst möglich. Benedikt zitiert Origenes, der sich in diesem Sinne über die ungerechten Gesetze der Skythen äußert (Widerstand werde zur moralischen Verpflichtung). In einer bemerkenswerten Wendung lobt der Papst die philosophische Tradition als Voraussetzung des christlichen Selbstverständnisses: Für die Entwicklung des Rechts und für die Entwicklung der Humanität war es entscheidend, daß sich die christlichen Theologen gegen das vom Götterglauben gefor390 Ratzinger, Ansprache von Papst Benedikt XVI. [online] Verfügbar unter: http:// www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/speeches/2011/september/documents/hf_benxvi_spe_20110922_reichstagberlin_ge.html [10.10.13].
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derte religiöse Recht auf die Seite der Philosophie gestellt, Vernunft und Natur in ihrem Zueinander als die für alle gültige Rechtsquelle anerkannt haben. Diesen Entscheid hatte schon Paulus im Brief an die Römer vollzogen, wenn er sagt: „Wenn Heiden, die das Gesetz (die Tora Israels) nicht haben, von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist, so sind sie . . . sich selbst Gesetz. Sie zeigen damit, daß ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist; ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab . . .“ (Röm 2,14 f).391
Der „Gedanke des Naturrechts“ sei in den vergangenen Jahrzehnten durch positivistische Positionen zurückgedrängt worden. Kelsen muss als Beispiel für das neuartige „positivistische Verständnis von Natur und Vernunft“ dienen, das nicht mehr in der Lage sei, eine „Brücke zu Ethos und Recht“ zu schlagen. Mit der modernen Verbannung von „Ethos und Religion“ in den Bereich des „Subjektiven“ versiege die oben genannte Quelle der Erkenntnis von Gut und Böse bzw. dem Gerechten und dem Unrecht. Was übrig bleibe, sei eine Weltsicht, die zwar allerlei technische Errungenschaften nach den Maßstäben des Machbaren hervorzubringen imstande sei, jedoch vollkommen unfähig zur Scheidung von Recht und Unrecht bleibe: „Die sich exklusiv gebende positivistische Vernunft, die über das Funktionieren hinaus nichts wahrnehmen kann, gleicht den Betonbauten ohne Fenster, in denen wir uns Klima und Licht selber geben, beides nicht mehr aus der weiten Welt Gottes beziehen wollen“. Zuletzt habe jedoch selbst Kelsen den „Dualismus von Sein und Sollen“ verworfen: „Er hatte gesagt, daß Normen nur aus dem Willen kommen können. Die Natur könnte folglich Normen nur enthalten, wenn ein Wille diese Normen in sie hineingelegt hat“. Die kulturelle Identität Europas sei der verlässliche Weg zur Erkenntnis jener aus der Vernunft abgeleiteten, „natürlichen“ Gesetze (der Papst nennt die Menschenrechte, die Gleichheit vor dem Recht, die Menschenwürde u. a.). Sie sei das Produkt der historisch gewordenen Dreiheit aus „Jerusalem, Athen und Rom“ (Glaube, Philosophie, Recht). Der päpstlichen Mahnung hätten sicher Rothbard wie Schmitt gleichermaßen zugestimmt. Doch während Rothbard unter Bezugnahme auf die Idee des Naturrechts davon ausgeht, dass allgemein verbindliche ethische Normen vom Menschen aufgefunden werden können, betont Schmitt den Willen als letzten Grund der spezifischen Normierung einer (Rechts-)Ordnung. An dieser Stelle tritt erneut die große Distanz des Staatsrechtlers zur Philosophie hervor, die Leo Strauss mit dem Schlagwort „Athen oder Jerusalem“ bezeichnet. Der Naturrechtsliberalismus Rothbards verdankt seine wichtigsten Impulse der philosophischen Tradition. Schmitt hingegen hält den menschlichen Verstand für nicht ausreichend, Gewissheit in Fragen der moralischen Orientierung zu erlangen. Nur der Wille des Schöpfergottes garantiere ein solches Maß an Sicherheit. Diese fol391 Ratzinger, Ansprache von Papst Benedikt XVI. [online] Verfügbar unter: http:// www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/speeches/2011/september/documents/hf_benxvi_spe_20110922_reichstagberlin_ge.html [10.10.13].
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genreiche Differenz resultiert u. a. in Schmitts ablehnender Haltung gegenüber dem liberalen Rechtsstaat. Radikale oder konsequente Demokratie bedeute, dass die (politische) Mehrheit der Bevölkerung über alle Dinge der Gesetzgebung befindet. Aus diesem Grunde sei der an unverbrüchliche, „natürliche“ Normen gebundene (liberale) Rechtsstaat mit der Demokratie nicht vereinbar. Er untergräbt das demokratische Mehrheitsprinzip, indem er der politischen Gewalt des Volkes Grenzen setzt. Das ist für Schmitt völlig inakzeptabel. Im „Begriff des Politischen“ fordert er nicht nur indirekt die Auflösung der Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft als Bedingung der Errichtung einer echten Demokratie.392 In der Rezeption des Liberalen Jacob Burckhardt stimmt Schmitt der These zu, nach der der Demokratie „die Macht des Staates über den Einzelnen nie groß genug sein kann“. Ausdrücklich wiederholt er bejahend das Postulat Burckhardts, nachdem es einen „inneren Widerspruch von Demokratie und liberalem Verfassungsstaat“ gibt. Damit ist der Wille des Souveräns (hier: des „Volkes“) zum letzten Zurechnungspunkt deklariert und der liberale Vorbehalt gegen „radikale“ Demokratie abgelehnt. Unter Hinzunahme der oben genannten, dem widersprechenden Beobachtungen lässt sich keine eindeutige Position in Fragen des Naturrechts rekonstruieren. Wahrscheinlich ist, dass Schmitt seine Haltung mehrfach geändert hat und seine Schriften entsprechend als Momentaufnahmen mit Vorsicht zu bewerten sind. Eindeutig ist, dass der Staatsrechtler an prominenter Stelle gegen den (liberalen) Verfassungs- und Rechtsstaat polemisiert. Zugleich verhindern naturrechtlich argumentierende Passagen (etwa im „Nomos der Erde“) eine eindeutige Zuordnung, welche für die politische Verortung des Juristen wichtig wäre. 5. Der Liberale als des Politischen unfähiger Entscheidungsverweigerer Die bereits zuvor genannte, von Schmitt dem Liberalen unterstellte Entscheidungsunfähigkeit ist vielleicht das wichtigste Charakteristikum des Liberalismus in den hier besprochenen Schriften. Die vermeintlich positive Anthropologie der Liberalen sei zugleich der Grund für eine Präferenz „ewiger“ Diskussionen, als auch für das Unvermögen, eine „positive“ politische Theorie zu bilden (welche laut Schmitt eine negative Anthropologie voraussetzt).393 Die Verweigerung der Entscheidung jedoch bedeutet hier in erster Linie die Verweigerung der Identifikation des Feindes (die Entscheidung für die „Feindschaft“). Doch warum ist der 392
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 23. Die „Diskussionskultur“ mag etwa der Auffassung entspringen, dass der Mensch grundsätzlich zur vernünftigen Verständigung im Ausgleich divergierender Partikularinteressen imstande ist. Zugleich kann die „ewige“ Diskussion – aus der Sicht Schmitts – auch als Resultat der verweigerten Feindidentifikation gedeutet werden: Der Liberale ist nicht willens oder fähig, denjenigen zu erkennen, gegenüber dem ausschließlich das Mittel des Kampfes (und nicht des Interessenausgleiches) eine Möglichkeit ist. 393
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Liberale nach Auffassung des Staatsrechtlers dieser Feindbestimmung nicht fähig? Der „Begriff des Politischen“ versucht mehrfach, diese Frage zu beantworten, gelangt dabei aber nicht zu einer befriedigenden Erklärung. Ein von Schmitt immer wieder gegen den Liberalismus eingesetztes Mittel besteht darin, die politische Ideologie mit den privaten Befindlichkeiten fiktiver Individuen zu vermengen bzw. gleichzusetzen. Dabei ist eine saubere Unterscheidung zwischen beiden Sphären wichtig, um begreifen zu können, was den Liberalismus von einem moralisch beliebigen, asozialen Egoismus trennt. Für den Einzelnen als solchen gibt es keinen Feind, mit dem er auf Leben und Tod kämpfen müßte, wenn er persönlich nicht will; ihn gegen seinen Willen zum Kampf zu zwingen ist auf jeden Fall, vom privaten Individuum aus gesehen, Unfreiheit und Gewalt.394
Der allgemeine „Einzelne“ in diesem Zitat ist, der Absicht Schmitts entsprechend, ein apolitischer Opportunist, der angeblich stellvertretend für den Liberalismus als Geisteshaltung steht. Korrekt wiedergegeben ist die liberale Auffassung, nach der Menschen nicht gezwungen werden dürfen, gegen ihren Willen zu sterben oder andere Menschen zu töten. Falsch ist die nur andeutungsweise unterstellte Behauptung, der Liberale würde unter keinen denkbaren Umständen aus freien Stücken dazu bereit sein, das eigene Leben für eine politische Sache zu opfern (z. B. für die Verteidigung errungener Freiheiten). Aus der liberalen Ächtung von Gewalt und Zwang konstruiert der Jurist eine absolute Verweigerung jeder politischen Einschaltung, d.h. des politischen Kampfes. Ein nur flüchtiger Blick in die jüngere politische Geschichte Europas und der Vereinigten Staaten scheint die These zu widerlegen. Liberale Bewegungen haben immer wieder die Merkmale erfüllt, die Schmitt an den Begriff des Politischen stellt. Das eindrücklichste Beispiel sind vielleicht die Ereignisse rund um den liberty tree in Boston, der zum Symbol des Widerstandes gegen die britische Bevormundung wurde und heute Teil der amerikanischen Revolutionsmythologie ist.395 Die radikale Ablehnung des Liberalismus als einer politischen Ideologie, die das Politische negiere und die in ihm vorausgesetzte Feindidentifikation nicht vollziehe, wird im „Begriff des Politischen“ in größter Klarheit zur Sprache gebracht. Sie ist auch in den „Politischen Theologien“, besonders in der Schrift von
394
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 65. Weit verbreitet ist die Vorstellung, der „Freiheitsbaum“ müsse stets aufs Neue mit dem Blut von Patrioten getränkt werden, um die einmal erkämpfte Freiheit gegenüber den Angriffen von „Tyrannen“ zu verteidigen. Dieser recht militante, wachsame Liberalismus ist in etwa das Gegenteil von dem Zerrbild, das Schmitt von der politischen Bewegung zeichnet. Seine konkreten Auswirkungen auf gesellschaftliche Prozesse in den Vereinigten Staaten werden auch heute noch in Europa mit großem Unverständnis wahrgenommen. 395
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1922, bemerkbar, doch hier zeigt sich die Feindschaft Schmitts von einer anderen Seite, nämlich 1) einer staatsrechtlich-theoretischen sowie 2) einer metaphysischtheologischen Perspektive. Der „Begriff des Politischen“ dagegen stellt die Verbindung zwischen liberaler Weltanschauung und Schmitts Modell von der „Totalität“ des Politischen her. Dies schließt die Begriffe des „Feindes“ und des „Politischen“ mit ein. Der Liberalismus hat in einem für ihn typischen (unter 8 näher zu behandelnden) Dilemma von Geist und Ökonomik den Feind von der Geschäftsseite her in einen Konkurrenten, von der Geistseite her in einen Diskussionsgegner aufzulösen versucht. Im Bereich des Ökonomischen gibt es allerdings keine Feinde, sondern nur Konkurrenten, in einer restlos moralisierten und ethisierten Welt vielleicht nur noch Diskussionsgegner.396
Schmitt unterstellt eine Transformation des politischen Feindes in einen ökonomischen Mitbewerber, was kaum der Realität entspricht. In Wahrheit kennt auch der Liberalismus einen „Feind“, dessen Bekämpfung in der gleichen Intensität erfolgen kann wie im Falle von Sozialismus oder Konservatismus (was auch dem Postulat entgegen kommt, die schicksalhafte Feindschaft sei unausweichlich). Der „äußerste Grad“ von „Assoziation oder Dissoziation“ ist dem Liberalismus genau so wenig fremd wie allen anderen politischen Schulen. Der „Diskussionsgegner“ ist aus diesem Grunde kritisch zu betrachten: Eine Diskussion, wie sie Schmitt hier darstellt, ist auch unter Liberalen nicht mit jedem beliebigen Gegenüber zu haben. Weil auch der Liberalismus einen Feind kennt, zu dem ein Verhalten nur in Form des Kampfes möglich ist, kann nicht jeder Konflikt in einem Interessenausgleich aufgelöst werden. Schmitts Kritik am Liberalismus trifft insofern einen aufschlussreichen Punkt, als dass die liberale Rhetorik diesen Umstand gerne verschweigt. Es ist also keineswegs so, als könne sich der Liberalismus der von Schmitt postulierten, potentiellen Notwendigkeit des existentiellen Kampfes mit dem politischen Feind entziehen. Der Staatsrechtler empfindet die liberale Sprachkonvention angesichts der Herausforderung des Politischen als unaufrichtig: „Durch den Liberalismus des letzten Jahrhunderts sind alle politischen Vorstellungen in einer eigenartigen und systematischen Weise verändert und denaturiert worden“.397 Den wahrscheinlich bemerkenswertesten Schluss zieht Schmitt gleich im Anschluss an diese Stelle: Die Liberalen aller Länder haben Politik getrieben wie andere Menschen auch und sich in verschiedenster Weise mit nicht-liberalen Elementen und Ideen koaliert, als National-Liberale, Sozial-Liberale, Freikonservative, liberale Katholiken usw.. Insbesondere haben sie sich mit den ganzen unliberalen, weil wesentlich politischen und sogar zum totalen Staat führenden Kräften der Demokratie verbunden. Die Frage ist aber, ob aus dem reinen und konsequenten Begriff des individualistischen Liberalis-
396 397
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 27. Ebd. S. 63.
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mus eine spezifisch politische Idee gewonnen werden kann. Das ist zu verneinen. Denn die Negation des Politischen, die in jedem konsequenten Individualismus enthalten ist, führt wohl zu einer politischen Praxis des Mißtrauens gegen alle denkbaren politischen Mächte und Staatsformen, niemals aber zu einer eigenen positiven Theorie von Staat und Politik. Es gibt infolgedessen eine liberale Politik als polemischen Gegensatz gegen staatliche, kirchliche oder andere Beschränkungen der individuellen Freiheit, als Handelspolitik, Kirchen- und Schulpolitik, Kulturpolitik, aber keine liberale Politik schlechthin, sondern immer nur eine liberale Kritik der Politik. [Hervorhebungen d. Verf.]398
Sowohl der Autor dieser Zeilen, auch als einige der prominentesten Vertreter des Liberalismus wie von Hayek oder Rothbard widersprechen dieser Analyse nicht. Im Unterschied zu den eingangs erwähnten „Parteiliberalen“ zieht Schmitt die letzte Konsequenz aus den Prämissen liberaler Positionen und gelangt zu der Erkenntnis, dass sich der Liberalismus nur negativ zum Politikbetrieb verhalten kann. Aus radikal-liberaler Sicht wäre ein anderes Verfahren tatsächlich unplausibel, da die Beteiligung am politischen Geschäft eine Legitimation und Unterstützung der Einrichtung bedeutete, die als gewaltinitiierendes Instrument der Knechtschaft von Menschen abgelehnt wird. Doch bedeutet der Abschied von der „Politik“ (im Sinne der Beteiligung an Staatsangelegenheiten, einschließlich der Arbeit von Berufspolitikern) auch ein generelles Unvermögen, den Schmittschen Begriff des „Politischen“ erreichen zu können? Für die in der Gesamtkonzeption der „Politischen Theologie“ zentrale These von dem Zusammenprall zweier providentieller Feinde, sozialistisch-atheistische Hybris und fideistisch-konservativer Traditionalismus, ist es notwendig, den liberalen „Bourgeois“ als unbeteiligten Dritten unbedingt aus dem Raum des Politischen auszuschließen. Andernfalls könnte die bildgewaltige Szene des finalen Duells zwischen Gut (gottesnah) und Böse (aufrührerisch) nicht stattfinden. Dieser Ausschluss soll durch den Begriff des Politischen sichergestellt werden, der wiederum an die Feindidentifikation gekoppelt ist. Warum kann, in der Auslegung Schmitts, der Liberalismus seinen Feind (der im Modell des Juristen, auch bei der Verweigerung der Feindschaft, immer real ist) nicht erkennen bzw. aktiv bekämpfen? Der „Begriff des Politischen“ schlägt folgende Herleitung vor: Der Staat sei die einzige politische Einheit.399 Nur er, als Repräsentant eines Kollektivs, ist imstande, den hostis (d.h. den „öffentlichen“ oder politischen Feind) ver-
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Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 63 f. Schmitt lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er den demokratischen Kollektivismus für alternativlos hält: „Staat ist seinem Wortsinn und seiner geschichtlichen Erscheinung nach ein besonders gearteter Zustand eines Volkes, und zwar der im entscheidenden Fall maßgebende Zustand und deshalb, gegenüber den vielen denkbaren individuellen und kollektiven Status, der Status schlechthin.“ Dieser Zug des Juristen lässt eine ideologische Nähe zu der sog. „68er-Bewegung“ erkennen, welche in nicht unerheblicher Weise im Schmittschen Denken verwurzelt war. Ebd. S. 19. 399
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bindlich zu bestimmen.400 Das bedeutet, dass staatsferne Liberale per definitionem keine Möglichkeit haben, die Sphäre des Politischen zu erreichen, weil ihnen das staatlich organisierte (und aus ideologischen Gründen abgelehnte) Kollektiv fehlt, das ihnen den Feind vorgibt. Diese Begründung ist nicht nur wenig überzeugend, sie scheint auch im Widerspruch zu anderen Aussagen des Staatsrechtlers zu stehen. Wenn der „wirkliche“ Feind stets ein Feind eines Kollektivs ist, wie kann Schmitt dann an anderen Stellen in seinem Werk den Feind als die jeweils „eigene Frage als Gestalt“ beschreiben?401 Wenn diese Frage also auch an ein Individuum ergehen kann, wieso ist dann nicht auch das liberale Individuum zur Feindidentifikation und folglich zum Politischen fähig? Aus Schmitts Äußerungen geht nicht klar hervor, ob die Feindbestimmung rein kollektiv (staatlich), individuell oder beides zugleich ist. Nur wenn sie rein staatlich-kollektiv ist, kann der liberale „Bourgeois“ wirklich aus der Sphäre des Politischen ausgeschlossen werden. Doch dies scheint angesichts der existentiellen Dimension, die Schmitt seinem Feindbegriff in anderen Zusammenhängen angedeihen lässt, unwahrscheinlich. 6. Gewaltlegitimation und die Anordnung von Zwang Die große politische Distanz zwischen Schmitt und dem Liberalismus tritt am deutlichsten durch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Individuum und Staat hervor. Der bedeutendste hierin enthaltene Gesichtspunkt ist das Problem der Legitimation von Zwang und Gewalt auf Seiten des Staates. Als Kollektivist ist Schmitt der Auffassung, dass die Anwendung von Gewalt gegen Menschen moralisch legitim ist, wenn sie vom Staate ausgeht. Der Liberalismus vertritt die radikale Negation dieser Haltung, was in letzter Konsequenz in einer ethisch anspruchsvollen, theoretisch nicht widerspruchsfreien Staatsfeindlichkeit resultiert. Tatsächlich entzündet sich am Beispiel der Verfügungsgewalt des Staates über das physische Leben von Individuen eine Diskussion mit dem imaginären Gegenüber liberaler Provenienz im „Begriff des Politischen“. Sie ist außerordentlich aufschlussreich für die Verortung Schmitts im politischen Koordinatensystem: In einer ökonomisch bestimmten Gesellschaft, deren Ordnung, d.h. berechenbares Funktionieren im Bereich wirtschaftlicher Kategorien vor sich geht, kann unter keinem denkbaren Gesichtspunkt verlangt werden, daß irgendein Mitglied der Gesellschaft im Interesse des ungestörten Funktionierens sein Leben opfere. Mit ökonomischen Zweckmäßigkeiten eine solche Forderung zu begründen, wäre namentlich ein Widerspruch gegen die individualistischen Prinzipien einer liberalen Wirtschaftsord400 Dies wird besonders an einer weiteren Stelle im „Begriff des Politischen“ deutlich: Die „maßgebende Gruppierung nach Freund und Feind“ könne nur der Staat bestimmen. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 40. 401 Meier, Die Lehre Carl Schmitts, S. 81. Vgl. auch Schmitt, Theorie des Partisanen, S. 87.
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nung und aus den Normen oder Idealen einer autonom gedachten Wirtschaft niemals zu rechtfertigen. Der einzelne Mensch mag freiwillig sterben, wofür er will; das ist, wie alles Wesentliche in einer individualistisch-liberalen Gesellschaft, durchaus „Privatsache“, d.h. Sache seiner freien, nichtkontrollierten, keinen andern als den Frei-sich-Entschließenden selbst angehenden Entschließung.402
Schmitt wirft dem Liberalismus vor, dem Individuum die Freiheit belassen zu wollen, nicht durch staatliche Willkür in den Tod geschickt werden zu können. Aus Sicht des Staatsrechtlers ist diese Einschränkung staatlicher Macht ein Angriff auf die unverzichtbare Kontrollierbarkeit einer Gesellschaft als homogene Einheit, als ein Volk (im politischen, nicht biologistischen Sinne), das mit einer Stimme zu sprechen befähigt sein muss. Eine solche politische Assoziation bewährt sich für Kollektivisten u. a. im Falle des Krieges gegen ein anderes Kollektiv. Dieser Einheit ist eine „Ordnung“ eigen, die den Einzelnen auf das Wohl der Gemeinschaft hin ausrichtet und ihr unterstellt. Obrigkeitliche Maßnahmen zielen dann häufig auf eine Synchronizität aller Glieder des Gebildes Staat, der so als eine Person erscheint (das Titelbild von Hobbes’ „Leviathan“ beinhaltet eine solche große Person, die aus vielen kleineren Personen zusammengesetzt ist). Die spontane Ordnung liberaler Prägung, die aus der nicht verordneten, d.h. freiwilligen Kooperation beliebig vieler Individuen aus jeweils egoistischen Interessen hervorgeht, stellt gewissermaßen das politische Gegenmodell zu dieser Vorstellung dar. In einer überaus systematischen Weise umgeht oder ignoriert das liberale Denken den Staat und die Politik und bewegt sich statt dessen in einer typischen, immer wiederkehrenden Polarität von zwei heterogenen Sphären, nämlich von Ethik und Wirtschaft, Geist und Geschäft, Bildung und Besitz. [. . .] Die politische Einheit muß gegebenenfalls das Opfer des Lebens verlangen. Für den Individualismus des liberalen Denkens ist dieser Anspruch auf keine Weise zu erreichen und zu begründen. Ein Individualismus, der einem andern als dem Individuum selbst die Verfügung über das physische Leben dieses Individuums gibt, wäre ebenso eine leere Phrase wie eine liberale Freiheit, bei der ein Anderer als der Freie selbst über ihren Inhalt und ihr Maß entscheidet. Für den Einzelnen als solchen gibt es keinen Feind, mit dem er auf Leben und Tod kämpfen müßte, wenn er persönlich nicht will; ihn gegen seinen Willen zum Kampf zu zwingen ist auf jeden Fall, vom privaten Individuum aus gesehen, Unfreiheit und Gewalt. Alles liberale Pathos wendet sich gegen Gewalt und Unfreiheit. Jede Beeinträchtigung, jede Gefährdung der individuellen, prinzipiell unbegrenzten Freiheit, des Privateigentums und der freien Konkurrenz heißt „Gewalt“ und ist eo ipso etwas Böses. Was dieser Liberalismus von Staat und Politik noch gelten läßt, beschränkt sich darauf, die Bedingungen der Freiheit zu sichern und Störungen der Freiheit zu beseitigen.403
Schmitt gibt indirekt zu verstehen, dass nach seinem Erachten ein Staat ohne das Recht auf die Verfügungsgewalt über das Leben der Staatsbürger gar kein 402 403
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 45 f. Ebd. S. 65.
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Staat mehr sein kann. In diesem Punkte stimmen er und die liberale Theorie überein. Doch Schmitt hält dieses Maß politischer Macht für ein akzeptables Erfordernis, während Liberale aufgrund dessen den Staat ablehnen. Die Rede von der „prinzipiell unbegrenzten Freiheit“ stellt erneut einen Versuch dar, den Liberalismus ohne treffendes Argument herabzusetzen. Schmitt identifiziert ein zentrales liberales Prinzip mit einem amoralischen (d.h. übersteigerten) Egoismus: Jeder solle tun, wonach es ihm beliebt, auch wenn er dabei anderen Schaden zufügt. Das ist keine liberale Position. Nach liberaler Auffassung wird die Handlungsfreiheit des Individuums durch die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte des jeweils Anderen beschränkt. Auf den ersten Blick hat diese Vorstellung einige Parallelen zu den verschiedenen Varianten der sog. „Goldenen Regel“, die als moralischer Kompass in vielen Weltreligionen enthalten ist. Im Detail können sie sich jedoch erheblich voneinander unterscheiden. Der liberale Amoralist, den Schmitt seinen Lesern präsentieren möchte, steht in dieser Eigenschaft erneut für die eigentümliche politische Dreiteilung der „Politischen Theologie“, die bloß zwei Kriegsparteien hervorbringt: Wenn der katholische Traditionalismus auf der Seite des Guten steht, und der atheistische Sozialismus das Böse will („Satanismus“), dann befindet sich der Liberalismus als orientierungsloser Okkasionalismus mit einem Bein im Fegefeuer, ohne jedoch die bewusste Bejahung des Bösen zu sein, die Sozialismus und Anarchismus (Bakunin, Proudhon) vorbehalten bleibt. An der Oberfläche klingen die Ausfälle gegen liberale Bedenken bzgl. des Umfanges staatlicher Macht wie jede andere etatistische Rhetorik. Doch bei genauerem Hinsehen zeichnet sich Schmitts Plädoyer für den „starken“ Staat durch einige Besonderheiten aus. Der „Begriff des Politischen“ beinhaltet etwa eine Verurteilung von Gewalt, aus der ihre grundsätzliche Ablehnung bei bloß einer Ausnahme folgt: Aber kein Programm, kein Ideal, keine Norm und keine Zweckhaftigkeit verleiht ein Verfügungsrecht über das physische Leben anderer Menschen. Von den Menschen im Ernst zu fordern, daß sie Menschen töten und bereit sind, zu sterben, damit Handel und Industrie der Überlebenden blühe oder die Konsumkraft der Enkel gedeihe, ist grauenhaft und verrückt.404
Das klingt zunächst wie ein glatter Widerspruch zu der Gewaltlegitimation im Kontext staatlicher Eingriffe in das Leben der Menschen. Doch Schmitt schränkt diesen Grundsatz entscheidend ein: Die „physische Tötung“ eines Menschen habe nur einen „existenziellen Sinn“, und zwar dann, wenn sie gegen einen „wirklichen Feind“ ausgeführt werde. Krieg könne niemals gerecht sein, Gewalt
404 Natürlich beinhaltet auch diese Stelle die bereits vorgestellte Polemik gegen alles Liberale, insbesondere die unzulässige Vermischung von liberalen Ideologemen und den Handlungen irgendwelcher politischen Regime wie dem der Vereinigten Staaten. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 46.
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sei verabscheuungswürdig. Es sei denn, es handelt sich um einen Fall der „wirklichen“ Feindschaft. Schmitt drückt sich hier eindeutig aus: „Es gibt keinen rationalen Zweck [. . .] [der] es rechtfertigen könnte, daß Menschen sich gegenseitig dafür töten. Wenn eine solche physische Vernichtung menschlichen Lebens nicht aus der seinsmäßigen Behauptung der eigenen Existenzform gegenüber einer ebenso seinsmäßigen Verneinung dieser Form geschieht, so läßt sie sich eben nicht rechtfertigen“.405 In anderen Worten ist Schmitts „starker“ Staat mitnichten ethisch ungebunden, so wie es auf den ersten Blick scheint. Denn der Staatsrechtler behält sich durchaus vor, alle Gewaltanwendungen des Staates zu verurteilen, die sich nicht eindeutig gegen den „wirklichen“ Feind richten. Dieser „wirkliche“ Feind aber ist stets die „seinsmäßige“ Verneinung der eigenen Existenz, und damit muss in diesem Kontext die „eigene“ Existenz eines staatlichen Kollektivs gemeint sein. Hinzugefügt werden muss, dass die unter den Begriff der „Gewalt“ fallenden Phänomene im Vergleich zwischen Schmitt und dem Liberalismus deutlich voneinander abweichen (die liberale Verurteilung von Gewalt geht weit über das hinaus, was Schmitt als unzulässige Gewaltanwendung gelten lässt). Abgesehen von diesen Besonderheiten hat die Apologie des Primats der Politik vor der Ökonomie (= der „starke“ Staat) durchaus marxistisch-sozialistische Züge. Eine Kuriosität der politischen Identität Schmitts besteht darin, den Sozialismus in Gestalt des Marxismus (auch „Bolschewismus“) vehement abzulehnen, jedoch zugleich eindeutig sozialistische Forderungen zu formulieren. Heinrich Meier verweist hierauf im Zusammenhang mit Schmitts Rezeption des italienischen Faschismus: Da Schmitt sich schon so weit auf die „soziologische Wirklichkeit“ eingelassen hat, stellt er auch noch die Frage, wem der „von Mussolini aufgebaute Apparat“, der seinem Anspruch nach einzig dem Ganzen verpflichtet ist, wohl „seinem Wesen nach auf die Dauer dienen muß, den kapitalistischen Interessen der Arbeitgeber oder den sozialistischen Interessen der Arbeitnehmer?“ Schmitts Prognose lautet, „daß er, und zwar in demselben Maße, in dem er echter Staat ist, auf die Dauer den Arbeitnehmern zugute kommt, und zwar deshalb, weil diese heute das Volk sind und der Staat nun einmal die politische Einheit des Volkes ist. Nur ein schwacher Staat ist kapitalistischer Diener des Privateigentums. Jeder starke Staat – wenn er wirklich höherer Dritter ist und nicht einfach identisch mit den wirtschaftlich Starken – zeigt seine eigentliche Stärke nicht gegenüber den Schwachen, sondern gegenüber den sozial und wirtschaftlich Starken. Caesars Feinde waren die Optimaten, nicht das Volk; der Staat des absoluten Fürsten mußte sich gegen die Stände durchsetzen, nicht gegen die Bauern usw. Daher können die Arbeitgeber und insbesondere die Industriellen einem fascistischen Staat niemals ganz trauen, und müssen sie vermuten, daß er sich eines Tages im Ergebnis zu einem Arbeiterstaat mit Planwirtschaft entwickeln werde.“ [Hervorhebungen v. Verf.]406
405 406
Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 46. Meier, Die Lehre Carl Schmitts, S. 212.
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Ein in diesem Sinne „starker“ Staat (liberale Variante: big government) ist der Alptraum jedes Liberalen, weil er hier für ein Minimum an individueller Freiheit steht. Ein Staatswesen, das dem radikaldemokratischen Prinzip des „Gemeinwohls“ (im sozialistischen Sinne) unterstellt ist, ist mit Notwendigkeit ein System der Kontrolle und des Zwangs. Die bürgerlichen Rechte werden zugunsten des „Plans“ einer privilegierten Minderheit (der „Partei“) aufgegeben. Alles, was der Bestrebung der politischen Führung im Wege steht, darf ohne Rücksichten beseitigt werden: Der Zweck heiligt die Mittel. Dass Schmitt tatsächlich eine große Affinität zu solchen Gesellschaftsentwürfen hatte, belegen Stellen wie die folgende: Eine Friedloslegung kann auch in der Weise vorgenommen werden, daß für die Angehörige bestimmter Religionen oder Parteien der Mangel friedlicher oder legaler Gesinnung vermutet wird. [. . .] Den Ketzer darf man auch dann nicht im Staate dulden, wenn er friedlich (pacifique) ist, denn Menschen wie Ketzer können gar nicht friedlich sein [. . .]407
Das „Gemeinwohl“, das in Demokratien zur Legitimation von Gewalt und Zwang angeführt wird, hat Schmitt in dieser Bedeutung vielleicht deutlicher gesehen als andere.408 An dieser Stelle erscheint es mir sinnvoll, einige Gedanken zum Begriff der „Planung“ einzuwerfen, um Missverständnissen vorzubeugen. Weiter oben ist von „Planung“ im Sinne eines obrigkeitlich-staatlichen Eingreifens in gesellschaftliche oder ökonomische Prozesse gesprochen worden. Als Kollektivist ist Schmitt ein Befürworter solcher Verfahrensweisen. Daneben existiert ein zweiter Begriff von „Planung“, der sich jedoch nicht auf technokratisch-legislative Vorgänge bezieht, sondern die spezifisch moderne Erscheinung der politischen Erzeugung säkularer Ersatzreligionen als „Weltanschauungen“ o. ä. anspricht. Dieser Begriff ist ebenfalls von großer Bedeutung für die Interpretation der Arbeiten Schmitts. Diese Art von „Planung“, die auf synthetische, nicht „gewachsene“ Art und Weise eine völlig neue Form von Gesellschaft erzeugen möchte, und dafür unter Rückgriff auf das Begriffsrepertoire der (theologisch geprägten) Tradition Bilder der Einheit erzeugt, sieht Schmitt äußerst kritisch. Sie ist außerdem Ausdruck dessen, was für ihn „politische Theologie“ bedeutet, und worum sich
407 Selbstverständlich gibt Schmitt selten explizit zu verstehen, dass er diese oder jene politischen Instrumente für legitim o. ä. hält. Aus dem Kontext solcher Stellen ist jedoch eindeutig zu entnehmen, dass sich der Staatsrechtler in einer affirmativen Weise über besagte Mittel der politischen Gewaltausübung äußert. Die Instrumente des Staates (Gesinnungs- und Sippenhaft, Überwachung, Eingriffe in die private Lebensgestaltung der Familien etc.) erscheinen fast ausschließlich in einem positiven Licht, während jede nennenswerte Kritik an staatlicher Gewalt fehlt. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 44. 408 Unter Liberalen ist das Bild der zwei Wölfe, die gemeinsam mit einem Schaf darüber abstimmen, was es zum Abendbrot gibt, populär geworden, um das Wesen der Demokratie zu charakterisieren. Aus dieser Perspektive heraus ist es die willkürliche Gewalt der als tyrannisch empfundenen Mehrheit, der eine unbestimmte Zahl an wehrlosen Minderheiten ausgeliefert ist.
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u. a. der weiter oben diskutierte Streit mit Blumenberg dreht. Unter diesen Begriff der Planung fallen etwa der Marxismus, aber auch der Nationalsozialismus oder der italienische Faschismus. Während also Schmitt im staatspolitischen Sinne ein Anhänger der Planungsidee ist, ist er zugleich ein vehementer Gegner neuzeitlicher Planung als politische Selbstlegitimation in Gestalt neuer Glaubenssubstitute im Gewand geschichtsphilosophischer Welterklärungen.409
Meier spricht in seinem bereits angeführten Buch über die Anmerkungen Schmitts, die sich mit der Unvereinbarkeit von liberalem Rechtsstaat und demokratischen Prinzipien beschäftigen. Aus ihnen geht hervor, dass der Staatsrechtler die Demokratie als Staatsform in letzter Konsequenz als Feind der liberalen Forderung nach dem Schutz des Individuums verstand. Ist die Hinwendung zur Demokratie mehr als ein Euphemismus für eine unbestimmte Flucht nach vorn? Zeigt sie Konkreteres an als die Abwendung vom Liberalismus oder den Wunsch nach einer solchen Abwendung? Fest steht, daß Schmitt einer rasanten Beschleunigung mit ungewissem Ausgang das Wort redet. In einem historischen Augenblick, in dem in der „deutschen Demokratie überall vermieden wird, die Konsequenzen des Demokratischen zu ziehen“, tritt Schmitt als Fürsprecher einer Demokratie auf, in der mit ebendiesen Konsequenzen Ernst gemacht werden soll. „Das demokratische Prinzip verlangt, daß das Volk in seiner Gesamtheit verantwortlich entscheidet und regiert.“ In der „heutigen Demokratie“ wird dem demokratischen Prinzip nicht Genüge getan, da sie sich liberaler statt demokratischer Methoden bedient, um die Souveränität des Volkes ins Werk zu setzen. Die Entscheidung des Souveräns kommt nämlich „durch geheime Einzelabstimmung zustande. Das bedeutet: die einzelnen sind in dem einzigen Momente, in dem sie öffentliche Verantwortung tragen, isoliert.“ Sie entscheiden als Individuen und im Geheimen, nicht als Volk und in der Öffentlichkeit. Die liberale Demokratie bleibt deshalb eine „Demokratie ohne Demos, ohne Volk“. In seinem Kampf gegen den Liberalismus macht sich Schmitt zum Anwalt des Volkes. Volk ist für ihn dabei „nur versammeltes Volk“, sichtbar und real präsent.410
Für Verwirrung kann der Gebrauch des Begriffes „Demokratie“ in diesen Zusammenhängen sorgen. An den hier in Rede gestellten Stellen bezeichnet das Wort in erster Linie eine Möglichkeit der Legitimierung staatlicher Herrschaft. Schmitt selbst verwendet diesen Begriff häufig, etwa in der „Politischen Theologie“ (hier als Gegensatz zur traditionellen, „dynastischen“ Legitimität). Er ist unter keinen Umständen zu verwechseln mit einem weiteren Demokratiebegriff, der in der Alltagssprache gemein ist und in einem sehr viel enger gefassten Sinne eine Sammlung staatsrechtlicher Konstrukte bezeichnet, die das parlamentarische System teilen und prinzipiell die (freie) Wahl von Regierungsvertretern durch das Volk vorsehen, die auf jeweils begrenzte Zeit ihre Ämter ausüben. Auch sie fal409 Dieser Punkt wird besonders in „Drei Möglichkeiten eines christlichen Geschichtsbildes“ deutlich, in dem Schmitt u. a. Löwith rezensiert. Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 161 ff. 410 Meier, Die Lehre Carl Schmitts, S. 217.
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len unter den erstgenannten Demokratiebegriff, jedoch können hier auch Gesellschaften „demokratisch“ genannt werden, die in der Alltagssprache u. a. „Diktaturen“ heißen. Es entspringt nicht dem reinen Zufall, dass nicht gewählte Staatsoberhäupter aller Art ihre Regime „demokratisch“ genannt haben: Sie sind in dem Maße „demokratisch“, in dem ihre Herrschaft nach Außen durch die Zustimmung des Demos legitimiert wird.411 Mit seiner Parteinahme für die Demokratie vertritt Schmitt keine Minderheitenposition. Doch auch hier gilt die Feststellung, dass Schmitt in einer außergewöhnlichen Konsequenz und Klarheit alle Implikationen radikaldemokratischer Prinzipien bejaht, die für viele andere Beobachter möglicherweise inakzeptabel wären. Schmitt will mit unbedingter Entschlossenheit die Mehrheitsentscheidung, die Wahl des Volkes. Zu ihrer Durchsetzung scheint ihm jedes Mittel recht. Diese „Hinwendung zur Demokratie“ (Meier) mag nur eine Momentaufnahme im Gesamtwerk Schmitts darstellen. Seine Sorge um das „Proletariat“ sowie die Ablehnung liberaler Ideologeme können dennoch als bedeutsame Stellungnahmen verstanden werden, insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Staatsrechtler scheinbar keine nennenswerte Relativierung oder Negierung dieser Positionen in der Zeit danach veröffentlicht hat.412 7. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Ganz den Annahmen Schmitts entsprechend gibt die negative Bezugnahme auf fremde politische Positionen den größen Aufschluss darüber, wo er selbst im politischen Koordinatensystem steht (zeige mir deinen Feind, und ich sage dir, wer du bist). In der Schrift von 1922 hatte Schmitt zunächst zwei politische Gegner bestimmt, den Liberalismus und den Sozialismus. Vom Liberalismus trennen ihn vor allem die negative Anthropologie sowie die hieraus resultierende, grundsätzliche Befürwortung obrigkeitlicher Gewalt gegen Individuen und Minderheiten, der die Forderung nach einem „starken“ Staat voraus geht, der als solcher planerisch in das Privatleben der Menschen eingreift und über seinem souveränen Entscheidungsmonopol keine ethisch begründeten Einschränkungen seiner Macht zulässt. Vom Sozialismus trennen ihn auf den ersten Blick die internationalistische Perspektive der „einen“ Menschheit sowie die radikale, kultur- und religionsfeindliche Haltung. Die größere Distanz jedoch besteht zwischen Schmitt und dem Liberalismus, da es hier bedeutend weniger inhaltliche Überschneidungen gibt als im direkten Vergleich mit sozialistischen Ideologemen. Der Staatsrechtler deutet diesen Um-
411 Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit wäre Libyen unter Muammar alGaddafi. 412 Meier, Die Lehre Carl Schmitts, S. 216 f.
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stand an, wenn er etwa den Marxismus als „Anwendungsfall“ der liberalen Ideologie ihr subsumiert.413 Aus diesem Grunde habe ich mich in dieser Arbeit für eine Beschäftigung mit der Liberalismuskritik und gegen eine Analyse der Sozialismuskritik entschieden. Es gehört zu den besonderen Thesen Schmitts, dass Liberalismus und Sozialismus in einer bestimmten Art und Weise im selben politischen „Lager“ sind und letztendlich das gleiche „Ziel“ verfolgen. Beide Strömungen erscheinen als Auswüchse einer prometheischen Hybris, einer widergöttlichen Allianz, die ihren Ursprung in der „Verweltlichung“ des theologisch geprägten, traditionellen Europas hat. Wie sehr Schmitt bemüht ist, die Konturen dieses Monstrums zu schärfen, ist an der Verwendung des Ausdrucks „Satanismus“ erkennbar. Als ideeller Wegbereiter des modernen Staates, der Aufklärung und der „Technisierung“ der Welt muss es letztendlich dieser Liberalismus sein, der die gottgefällige Welt aus den Angeln hebt und die Ankunft des Antichrist vorbereitet. Die tiefe Abscheu vor der liberalen Ideologie wird, wie Heinrich Meier herausarbeitet, besonders in Schmitts Verteidigung des italienischen Faschismus sichtbar: Der Erfolg des Faschismus in der Auseinandersetzung mit dem Hauptfeind, dem Liberalismus, liegt dagegen nicht in einer ungewissen Zukunft. Zwar möchte Schmitt nicht ausschließen, „daß möglicherweise auch einmal einige liberale Rückschläge eintreten können, wenn die Führung durch Mussolini aufhört“, doch schon jetzt hat der italienische Faschismus für Schmitt die „Atmosphäre ideologischen Betruges“ durchbrochen, die den Liberalismus umgibt, und die Position des Politischen, die Schmitt durch den Liberalismus am stärksten gefährdet glaubt, geschichtliche Gestalt annehmen lassen. Was Schmitt am Faschismus Mussolinis mit Bewunderung erfüllt, ist die entschiedene Antithese zum Liberalismus, die er in ihm sieht oder die er in ihn hineinsieht, die Antithese zur Herrschaft des Geldes, des Unsichtbaren, der indirekten Gewalten: „Der fascistische Staat will mit antiker Ehrlichkeit wieder Staat sein, mit sichtbaren Machtträgern und Repräsentanten, nicht aber Fassade und Antichambre unsichtbarer und unverantwortlicher Machthaber und Geldgeber.“ [Hervorhebungen v. Verf.]414
Als Wurzel allen Übels wird der Liberalismus, für den Schmitt über die Jahre hinweg noch viele weitere Begriffe und Umschreibungen findet (z. B. „antireligiöser Diesseitsaktivismus“ oder „Religion der Technizität“, hier im Zusammenhang mit Hobbes’ „Leviathan“ und der Entstehung des modernen Staates), zum Antagonisten seiner politisch-theologischen Position.415 Zugleich aber ist der parteipolitische, gesellschaftskonforme Liberalismus als kampfunfähiger Unbeteiligter vom Schauplatz des Geschehens ausgeschlossen, auf dem sich Sozialismus und katholischer Traditionalismus bekriegen. Sein soziologischer Wirt, der gemeine „Bourgeois“, wird zum Musterbeispiel der „verlorenen Seele“, für die
413 414 415
Meier, Die Lehre Carl Schmitts, S. 102. Ebd. S. 212 f. Ebd. S. 196.
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zwar jede Rettung zu spät kommt, die jedoch keine Gefahr für den Bestand einer „Ordnung“ ist, wie sie Schmitt vorschwebt: „Der Bourgeois ist für Schmitt der Inbegriff des Menschen, für den der Vers gilt: ,Er schließt sich ein und schließt Gott aus‘“.416 Trotz aller Polemik gegen marxistische Ideen liegen bemerkenswerte Gemeinsamkeiten zwischen Schmitt und dem sozialistischen Lager offen dar. Dies wird im direkten Vergleich zwischen Schmitt und dem Liberalismus umso deutlicher: Indem Schmitt liberale Positionen kritisiert, wird sichtbar, dass viele seiner Auffassungen konform mit denen sozialistischer Parteien gehen. Was am Sozialismus stört, ist die internationalistische Ausrichtung (ironischerweise in Anlehnung an Proudhon: „Wer Menschheit sagt, will betrügen“).417 Der Eindruck drängt sich auf, dass Schmitt gegen einen Staat mit nationaler Politik und sozialistischen Zügen grundsätzlich keine Einwände gehabt hätte. Deren politische Antithese wäre eine freiheitliche Wirtschaftspolitik, die Schmitt bei zahlreichen Gelegenheiten mit zweifelhaften Argumenten kritisiert. Tatsächlich ist gerade die ausgeprägte Marktfeindlichkeit des Staatsrechtlers das entscheidende Bindeglied zwischen ihm und dem Sozialismus. Von liberaler Warte aus betrachtet ist die geheime Allianz aus Liberalismus und Sozialismus nicht nachvollziehbar. Für Liberale läge es näher, Schmitts Bild vom Kopf auf die Füße zu stellen, indem autoritärer Traditionalismus und Sozialismus auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgeführt werden. Die Betonung liegt dann auf dem gemeinsamen Staatsfetischismus beider Ideologien sowie der damit zusammenhängenden Marktfeindlichkeit (sozialistischer Euphemismus: „Kapitalismuskritik“): Nur der „starke“ Staat kann dem als unrechtmäßig empfundenen Einfluss der Märkte Einhalt gebieten. Diese Perspektivenverschiebung lässt sich (vereinfachend) grafisch darstellen:
416 417
Meier, Die Lehre Carl Schmitts, S. 25. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 51.
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Abhängig von der thematischen Schwerpunktsetzung ergeben sich somit äußerst unterschiedliche Sinnzusammenhänge und (Haupt-)Kampflinien im politischen Gefecht. Wie ich in meiner Darstellung versuche zu unterstreichen, ist die Frage der Rechtgläubigkeit bzw. des Ketzertums für Schmitt von großer Bedeutung. Sie markiert zugleich die Schnittstelle, auf der sich das Theologische und das Politische im Weltbild Schmitts verbinden. Seine politischen Thesen verbergen einen theologischen Hintergrund, und die theologischen Äußerungen müssen in einem Zusammenhang mit politischen Intentionen gesehen werden.
V. Abschließende Betrachtungen 1. Rückblick Die beiden „Politischen Theologien“ werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten können. Diese Fragen sind nicht etwa weiterführend im Sinne einer gelungenen, wissenschaftlichen Diskussion eines bestimmten Gegenstandes. Sie betreffen die Prämissen und Schlussfolgerungen des Autors, Carl Schmitt. Betrachtet man die Schriften von 1922 und 1970 gesondert von den übrigen Veröffentlichungen des Staatsrechtlers, so bleibt der beunruhigende Eindruck einer der Argumentation zugrundeliegenden Dunkelheit zurück, obgleich in aller Klarheit erkennbar ist, dass die „Politischen Theologien“ ein genuin politisches Interesse verfolgen. Die ersten Fragen, die sich aus meiner Sicht im Anschluss an die Lektüre stellen, sind: „Worauf möchte der Autor hinaus?“ und, vielleicht noch wichtiger, „Welche Voraussetzungen müssen als wahr angenommen werden, damit die Schlussfolgerungen Schmitts aufgehen?“ Die „Politische Theologie“ empfiehlt sich als Abhandlung über das Staatsrecht, obgleich bereits ihr Titel verrät, was sie im Kern eigentlich ist: Eine politische Polemik, eingehüllt in den Mantel wissenschaftlicher Gelehrsamkeit. Im ersten Teil wird mit Hilfe des Begriffes vom „Ausnahmezustand“, der das Wesen staatlicher Souveränität am deutlichsten anzeige, die Notwendigkeit eines personalen Entscheidungsmonopols begründet. Die hier eingeschlossene Argumentation wendet sich gegen genossenschaftstheoretische Staatsrechtsentwürfe, allen voran jedoch gegen vermeintlich liberale Modelle in der Staatsrechtstheorie. Die von Schmitt als liberal bezeichneten Positionen dienen dem zweiten Teil des Buches als Grundlage einer nun offener vorgetragenen politischen Rhetorik, die in der Befürwortung verschiedener Maßnahmen (oder Reaktionen) endet. Hierzu gehört die indirekte Aussprache für eine „Diktatur“, die – was aus der Schrift selbst nicht unmittelbar hervorgeht – von Schmitt scheinbar z. T. mit der demokratischen Legitimität des Mehrheitswillens begründet wird. Dies alles diene der Beendigung der angeblich nicht enden wollenden „Diskussion“, die Schmitt dem Liberalismus zuschreibt, und die offenbar in einem Begriff das Feindbild Schmitts wiedergibt: „angesichts des radikal Bösen gibt es nur eine Diktatur
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[. . .]“.418 Die theologische Komponente des Schmittschen Weltbildes taucht 1922 vor allem in Gestalt Donoso Cortés’ auf. Der gedankliche Schwerpunkt liegt eindeutig auf der theologisch begründeten Ablehnung der Nicht-Ordnung, für die die vorausgesetzte Entscheidungsunfähigkeit einer parlamentarischen Diskussionskultur stehe. Schmitt verbindet die katholische Dogmatik mit der Notwendigkeit eines personalistisch-dezisionistischen Leviathans. Die „Politische Theologie II“, die in ihrem Namen eine Brücke zur „Politischen Theologie“ schlägt, erscheint mit fast fünfzig Jahren Abstand zu ihrem Vorläufer als Überraschung. Die Verwirrung ist perfekt, da sich der konkrete Inhalt der Schrift nur entfernt an die Themen von 1922 anlehnt. Das Erstaunen, das diese Schrift hervorrufen kann, wird nur noch durch die Tatsache gesteigert, dass ausgerechnet ihr Nachwort den interessantesten Beitrag des Buches enthält. Der eigentliche Text ist die Antwort auf eine Kritik durch Erik Peterson von 1935. Obgleich die Auseinandersetzung mit Peterson in der Sache wenig aufsehenerregend ist, geben zahlreiche Bemerkungen Schmitts Aufschluss über dessen politisches wie theologisches Weltbild. Der Angriff gegen Hans Blumenberg im Nachwort der „Politischen Theologie II“ fällt hingegen anders aus. Offenbar stellt ein Buch des Philosophen, „Die Legitimität der Neuzeit“, für Schmitt eine so große Provokation dar, dass er sich dazu veranlasst sieht, eine scharfe Kritik an seinen Thesen zu verfassen. Der Staatsrechtler gibt sich keine Mühe, zu verstecken, dass er sich von den Postulaten Blumenbergs persönlich angegriffen fühlt. Im Nachwort der „Politischen Theologie II“ geht es auch um Schmitt als Person. Ausgangspunkt des Streites ist das von Blumenberg herausgestellte Säkularisationstheorem, das Schmitt in der „Politischen Theologie“ durch die Gedankenfigur der Transposition theologischer Konstrukte in juristisch-staatsrechtliche eingeführt hatte. Sowohl die Antwort Schmitts, als auch die Schrift Blumenbergs vermitteln den Eindruck, nach der der Philosoph möglicherweise die Bedeutung der theologischen Prämissen des Juristen unterschätzte. Dies zeigt sich insbesondere in Schmitts Behandlung der Gnosis- und Augustinus-Rezeption Blumenbergs. Das Nachwort der „Politischen Theologie II“ ist voller (vermutlich absichtlicher) Vagheiten, doch die abschließende, an Radikalität kaum zu übertreffende Polemik gegen die modernen Wissenschaften mitsamt ihrer aufklärerisch-rationalistischen Tradition lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass der Name „Politische Theologie“ von ihrem Autor treffend gewählt ist. Die von Schmitt in den „Politischen Theologien“ suggerierte Verbindung zwischen christlichem Glaubensbekenntnis und der staatsrechtlichen Forderung nach 418 Eine Feinheit dieser Formulierung liegt darin, dass sie zunächst den Eindruck erwecken kann, das „Böse“ habe gar nichts mit der „Diskussion“ zu tun, sondern sei bloß nur noch durch eine „Diktatur“ zu beseitigen. Tatsächlich aber steht die Diskussionskultur selbst am Pranger, der liberale Interessenausgleich wird als Instrument und Bestandteil der „satanistischen“ Verschwörung wahrgenommen. Schmitt, Politische Theologie, S. 69.
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einem personalistischen Entscheidungsmonopol, das sich auf die Gedankenfigur des „Ausnahmezustandes“ stützt, hat Jan Assmann zu Recht als kritikwürdig herausgestellt. Wie aus der Darstellung des Ägyptologen hervorgeht, beinhaltet die von Schmitt vorgelegte, christozentrische Geschichtsphilosophie eine unzulässige geschichtswissenschaftliche wie ethnologische Verkürzung. Darüber hinaus kann Assmann mit Beobachtungen aufwarten, die geradezu konträre Schlussfolgerungen im Vergleich zu denen Schmitts nahelegen. Dies betrifft vor allem die These, nach der das Christentum immer schon eine negative Anthropologie voraussetze, die dann u. a. als Begründung für das Entscheidungsmonopol über den Ausnahmezustand dient. Assmann kann anhand der ägyptischen wie israelischen Vorgeschichte zur Entstehung des Christentums zeigen, dass der christliche Glaube in seinen israelnahen Ursprüngen im Gegenteil eine geradezu anarchistisch-positive Anthropologie zur Grundlage hatte. Die „Staatsferne“ (Assmann) Israels war so radikal, dass, Jahrhunderte später, das Christentum eines gewaltigen Umbruches bedurfte (Konstantinische Wende), um staatstragend werden zu können. Die eigentliche Spitze gegen die Postulate des Staatsrechtlers liegt jedoch in der Feststellung Assmanns, nach der der von Schmitt unterstellten Transformation theologisch begründeter Herrschaftsverhältnisse in solche säkularer Natur eine Transformation säkularer Begründungszusammenhänge für den staatlichen Souverän in theologische vorausgeht. Der geschichtlich verbürgte Ursprung der Legitimation herrschaftlicher Souveränität (die Entscheidung über den Ausnahmezustand, aber auch ihre Begründung mit einer negativen Anthropologie) ist also seinem Wesen nach säkular, und nicht, wie von Schmitt unterstellt, einer theozentrisch geprägten Kultur erwachsen. Ägypten ist, nach Assmann, der Nachweis hierfür. Um die zahlreichen Unklarheiten der beiden „Politischen Theologien“ zu beseitigen, ist es unerlässlich, einen Blick in weitere der Schriften Schmitts zu werfen. Bereits die „Politische Theologie“ legt nahe, dass der wesentliche Pfeiler des Schmittschen Denkens die Orientierung am eigenen Feind, d.h. auch am spezifischen Feindbegriff des Juristen ist. Die Feindidentifikation ist die Quelle von Schmitts politischer wie theologischer Selbstverortung. Hinweise hierauf streut der Autor selbst, etwa im Nachwort der „Politischen Theologie II“.419 Die bedeutendste Referenz für den Feindbegriff Schmitts ist jedoch der „Begriff des Politischen“. Die in mehrfachen Iterationen bekannt gewordene Schrift (1927, 1932, 1933) ist seit den sechziger Jahren durch Duncker & Humblot in der ersten Nachbearbeitung von 1932 nachgedruckt worden. Hier taucht sowohl eine der ausführlichsten Kritiken des Liberalismus auf, als auch die berühmte Stelle, an der Schmitt das Dogma der Erbsünde mit der für jede „positive“ politische Theorie zwingenden, negativen Anthropologie verbindet. Ausgehend von einer Kritik des
419 „Die Kernfrage, die sich vom Politischen her für mich ergibt, betrifft die Wirklichkeit eines Feindes, dessen reale Möglichkeit ich auch in einem restlos enttheologisierten Gegenbild noch erkenne.“ Schmitt, Politische Theologie II, S. 96.
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Modells der „Kulturprovinzen“ postuliert Schmitt das Primat des Politischen, welches nicht mit dem allgemeinsprachlichen Gebrauch des Wortes „Politik“ verwechselt werden dürfe. Als alle Lebensbereiche durchdringende Erscheinung gehe das Politische allen partikulären Zivilisationserzeugnissen voraus. Die Unterscheidung von Freund und Feind, für die der Begriff des Politischen steht, sei die Grundlage jeder politischen Assoziation und damit jeder Staatengründung, die Schmitt scheinbar als eben solche begreift. Die Argumentation zeigt einige Schwächen, wenn es um die Annäherung an den Begriff des Feindes geht. Der „Begriff des Politischen“ lässt im Unklaren, auf welche Weise die Feindbestimmung geschieht. Insbesondere die Unterscheidung von individuell-subjektiver Zuschreibung und der verbindlichen Fremdbestimmung durch das Urteil eines Kollektivs bereiten Verständnisschwierigkeiten. Der „Feind“ als Begriff Schmitts lässt stellenweise existentialistische Züge vermuten, kann sich offenbar auf keinen objektivierbaren Maßstab stützen (er sei die potentielle Bedrohung der je eigenen „Existenzweise“) und sei am Ende doch von dem Urteil einer Gruppe bzw. politischen Assoziation abhängig (er ist bloß der „öffentliche Feind“) – und das, obgleich er in einer äußerst intensiven Weise eine Bindung zum Individuum aufweist (der Feind ist „in“ uns, er hat etwas mit unserer Persönlichkeit zu tun, die Identitäten von Feind und Selbst ergeben sich aus der wechselseitigen, negativen Bezugnahme). Man könnte vermuten, dass die „Politischen Theologien“ eine Ausnahme im Hinblick auf ihre theologische Fundierung darstellen. Schriften wie der „Begriff des Politischen“ zeigen jedoch, das dies nicht der Fall ist. Das politisch-theologische Weltbild Schmitts durchzieht auffällig viele seiner Arbeiten. Dennoch scheint es unmöglich, ihn auf eine bestimmte konfessionelle oder religiöse Zugehörigkeit zu reduzieren („Christ“, „Katholik“). Zwar gibt Schmitt dem Leser wiederholt zu verstehen, dass er sich selbst als Christ wahrgenommen wissen will. Allerdings reicht diese einfache Zuschreibung bei weitem nicht aus, um auch nur annähernd begreifbar zu machen, in welchen Bahnen sich das Denken des Staatsrechtlers bewegt. Hat er die omnipräsente Selbstzuschreibung als Christ als Mittel zum Zweck benutzt, um den eigenen politischen Positionen Gehör zu verschaffen? Eine reine Maskerade ist sie jedenfalls auch nicht. Schmitt ist es sehr ernst um seine politische Theologie. Ihr Zentrum ist der oben besprochene Feindbegriff. Abseits der noch recht unverfänglichen Spekulationen über Freund und Feind tauchen jedoch auch andere Gedanken bei Schmitt auf, die einen eindeutig theologisch-metaphysischen Charakter haben. Die eindrücklichsten Beispiele hierfür können in den Begriffen vom Katechon und dem Antichrist gefunden werden. Sie sind zugleich Zeugen der von Schmitt vorausgesetzten, christlich bestimmten Geschichtsphilosophie, die stellenweise den Verdacht nährt, dualistisch-gnostizistischer Natur zu sein. Fest steht, dass die Schmittsche Orientierung am Feind bei gleichzeitiger Forderung nach einer konkret-politischen Hermeneutik der
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christlichen Prophetie eine eindeutige Feindidentifikation zur Folge hat, die an Schärfe nicht mehr überboten werden kann, da sie mit dem Wahrheitsanspruch einer göttlichen Offenbarung auftritt. Zugleich steckt der „christliche Epimetheus“ in der Krise, da er sich niemals völlig gewiss darüber sein kann, die göttliche Vorsehung korrekt gedeutet zu haben. Analog zu dieser Ungewissheit scheint sich Schmitt tatsächlich nicht auf einen politischen Feind beschränken zu können. Die Feindlage Schmitts ist unübersichtlich, was gemessen an der theoretischen Absolutheit des theologisch begründeten Urteils über den Feind paradox erscheint. Schriften wie die „Politische Theologie II“ oder der „Begriff des Politischen“ legen jedoch nahe, dass Schmitt im Liberalismus die größte aller Gefahren sah. Ausgehend von diesem illiberalen Gestus antwortet Leo Strauss auf den „Begriff des Politischen“. In der Darstellung Heinrich Meiers erkennt Strauss in den Arbeiten Schmitts eine Gelegenheit, die von dem Philosophen selbst bevorzugten Positionen philosophisch zu begründen. Worin sich Strauss und Schmitt jedoch fundamental voneinander unterscheiden, ist die vordergründige Differenz zwischen politischer Theologie und politischer Philosophie. Obgleich Schmitt ausführlich auf die Kritik durch Strauss reagiert, scheitert das Anliegen des Philosophen, der scheinbar die theologischen Grundlagen des Denkens Schmitts unterschätzte. Zuletzt scheint Schmitt gegenüber dem Philosophen Recht zu behalten, wenn er von der Unmöglichkeit der Begründung einiger seiner Positionen auf philosophisch-rationalistischem Wege ausgeht. Viele der Fragen, die den Staatsrechtler beschäftigen, sind Gegenstände des Glaubens. Meier und Strauss argumentieren konträr, indem sie von einer philosophischen Legitimationsmöglichkeit der Thesen Schmitts ausgehen. Allerdings können ihre Argumente kaum überzeugen, und so bleibt zu vermuten, dass der Plettenberger Jurist auch hier das treffsicherere Gespür für die epistemologischen Grenzen seiner Postulate hat. Der vermeintliche Gegensatz von „Athen“ und „Jerusalem“, den sowohl Strauss als auch Meier versuchen stark zu machen, hinterlässt mit Blick auf Schmitt ebenfalls keinen überzeugenden Eindruck. Zwar sind die angeführten Gesichtspunkte und Argumente Meiers in sich schlüssig. Doch die angestrengte Scharfzeichnung des Offenbarungsglaubens, die ihn in eine philosophisch zugängliche Theorie verwandeln soll, lässt ein Zerrbild entstehen, das der Komplexität des Gegenstandes nicht gerecht wird. Von einer säkular-aufgeklärten Tradition her kommend ist nachvollziehbar, warum der Wunsch, das Phänomen des Glaubens im wortwörtlichen Sinne „begreifbar“ zu machen, groß sein kann. Die aggressivfeindliche Intention dahinter scheint jedoch keine ratsame Voraussetzung für eine adäquate Beurteilung des in Frage gestellten Objektes zu sein. Das radikale Entweder-Oder-Szenario muss zwangsläufig den Großteil der zugehörigen Aspekte und Perspektiven ignorieren, um die ihm eigene Absolutheit, Simplizität und Dualität zu bewahren. Aus diesem Grunde überzeugt das Unternehmen Strauss’, den Offenbarungsglauben philosophisch zu widerlegen, nicht.
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Der bedeutendste Anhaltspunkt für die politische Selbstverortung Schmitts liegt in seiner Kritik am Liberalismus, die sich über mehrere Schriften hinweg verteilt. Abgesehen von einigen rein polemischen Darstellungen, die nicht diskussionsfähig sind, enthalten sie eine Reihe von äußerst aufschlussreichen Kommentaren und Bewertungen in Bezug auf das, was Schmitt dem Leser unter dem Begriff „Liberalismus“ vorstellt. Tatsächlich muss bei einer Bestandsaufnahme des Schmittschen Verdikts über den Liberalismus zunächst getrennt werden, was sich – politologisch wie ideengeschichtlich korrekt – auf den Liberalismus als politische Strömung bezieht, und das, was vom Staatsrechtler – bewusst oder unabsichtlich – fälschlicherweise der liberalen Schule zugerechnet wird. Eine weitere Schwierigkeit bei der Beurteilung der Kritik Schmitts entsteht dadurch, dass die politische Zuschreibung „liberal“ nach Ort und Zeit variiert. Was im Weimar der zwanziger Jahre als „liberal“ galt, muss nicht zwangsläufig mit dem Liberalismus des ausgehenden 19. Jh. in Großbritannien identisch sein. Eine klare begriffliche Umgrenzung der besprochenen politischen Ideologie ist also zwingend erforderlich, will man nicht in die (intentionale?) semantische Undurchsichtigkeit abgleiten, die Schmitt mit Blick auf den Liberalismusbegriff praktiziert. Der wichtigste Grund, warum gerade der Liberalismus unter allen in Frage kommenden Feindbildern Schmitts die entscheidenden Hinweise auf seine politische Identität verrät, ist der Umstand, dass der Liberalismus als einzige „westliche“ Ideologie der Moderne die Absetzung bzw. Schwächung des staatlichen Gewaltmonopols zum Programm erhoben hat. Eines der zentralen Merkmale im Denken Carl Schmitts ist die unbedingte Befürwortung der staatlichen Souveränität. Diese wird in einem ernstzunehmenden Sinne nur vom Liberalismus in Frage gestellt. In der „Politischen Theologie“ erwähnt Schmitt beiläufig zwar auch, in einem Zusammenhang mit den Namen Bakunin und Proudhon, den marxistisch geprägten Anarchismus. Doch dieser ist unter den Bedingungen sozialistischer Ideale eine reine Utopie, d.h. kein Modell, das auch nur die theoretische Möglichkeit einer Umsetzung in der politischen Praxis offerieren kann. Anders ist es mit den sog. „anarchokapitalistischen“ Entwürfen liberaler Herkunft bestellt, die zudem eine ethisch-moralische Komponente aufweisen, die den politischen Theologen besonders empört.420 Aus diesem Grunde richtet sich der Furor Schmitts in erster Linie gegen den Liberalismus.
420 Schmitt versteht sich selbst, in der Rolle des politischen Theologen, als moralischen Denker. Während der Sozialismus im Vergleich mit keinem so stark hervortretenden moralischen Leitmotiv auftritt, stellt der Liberalismus, insbesondere in seiner radikaleren, libertären Variante, aufgrund seines Bekenntnisses zum Naturrecht eine viel größere Provokation für den Staatsrechtler dar: Aus der Sicht Schmitts können nicht beide Positionen, seine politische Theologie und der moralisierende, staatsfeindliche Liberalismus, zugleich Recht haben.
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2. Die Privatrechtsgesellschaft als Antipode der Schmittschen Staatsapologie Die ideologischen Grundpfeiler des Liberalismus stellen den größtmöglichen Gegensatz zu den Positionen Schmitts dar. Allerdings lässt diese Feststellung noch keinerlei Rückschlüsse darüber zu, welche Überzeugungskraft die wichtigsten politischen Stellungnahmen des Staatsrechtlers mit Blick auf ihr liberales Gegenmodell haben. Denn es gibt keinen unmittelbaren Grund zu der Annahme, die liberalen Gegner Schmitts hätten per se die besseren Argumente. Glücklicherweise lässt sich die Frage nach der Beurteilung des Schmittschen Entscheidungsmonopols beantworten, stellt man es neben widerstrebende Entwürfe liberaler Herkunft. Nach meinem Dafürhalten ist die sog. „Privatrechtsgesellschaft“ nach Hans-Hermann Hoppe ein geeigneter Kandidat, um zentrale Thesen Schmitts in ihrer ganzen Tragweite zum Vorschein kommen zu lassen. Der Habermas-Schüler und Ökonom, der von Rothbard stark beeinflusst wurde, gilt als Fürsprecher einer nicht-staatlichen, libertären Gesellschaftsordnung. Im Folgenden will ich die Rede „Staat oder Privatrechtsgesellschaft?“ von Hoppe diskutieren, die am 24. September 2010 in Lech gehalten wurde.421 Außerdem sollen die Argumente des Ökonomen an denen Schmitts gemessen werden, die die Notwendigkeit eines staatlichen Entscheidungsmonopols – konträr zu Hoppe – postulieren. Hoppe geht bei seinen Überlegungen von dem Gedanken aus, dass sich eine gelungene soziale Ordnung durch eine effiziente Konfliktvermeidung auszeichnet. Eine weitgehend konfliktfreie Gesellschaft sei prinzipiell friedlich und sicher, und daher allgemein wünschenswert. Der wichtigste Baustein zur erfolgreichen Konfliktvermeidung ist nach Hoppe das Privateigentum. In der politischen Realität könnten vier einfache Grundsätze realisiert werden, um ein Maximum an Konfliktvermeidung sicherzustellen. Erstens sei auf dem Selbsteigentum zu bestehen, d.h. das Recht am eigenen Körper. Zweitens müsse das Prinzip der Erstaneignung durchgesetzt werden. Drittens sei das Eigentumsrecht an den Produkten der eigenen Arbeit unverzichtbar (vorausgesetzt, die Quellmaterialien dieser Produkte sind im eigenen Besitz). Viertens solle sichergestellt sein, dass Eigentumsrechte nur auf der Basis freiwillig geschlossener Verträge ihren Besitzer wechseln können. Die Idee der Erstaneignung ist für Hoppe zentral: „Denn nur eine erste Aneignung eines zuvor unangeeigneten Gutes kann konfliktfrei erfolgen, einfach deshalb, weil (per definitionem) niemand zuvor irgendetwas mit dem Gut zu tun gehabt haben kann“. Allerdings sei das Prinzip des Privateigentums allein nicht ausreichend, um eine stabile soziale Ordnung zu erzeugen. Der Grund hierfür liege in einer menschlichen Natur, die das „Böse“ von sich aus hervorbringe 421 Hoppe, Staat oder Privatrechtsgesellschaft? [online] Verfügbar unter: http://www. hanshoppe.com/translations/staat-oder-privatrechtsgesellschaft-german [16.09.13].
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(Raub, Mord, Diebstahl usw.). Hier zeigt sich anhand des Fallbeispieles von Hoppe erneut, dass die Behauptung Schmitts, nach der Liberale zwangsläufig eine positive Anthropologie vertreten, einem kritischen Blick in die politische Realität nicht stand hält.422 Um dem von Hoppe angestrebten Privatrecht Geltung zu verschaffen, sei das Vorhandensein einer „Recht und Ordnung“ erhaltenden Instanz unverzichtbar. Doch diese Instanz, und das ist der augenscheinlichste Unterschied zu Schmitt, soll nicht der Staat sein. Hoppe begründet die Ablehnung des Staates mit seiner Funktion als Monopolist: Dieses Monopol käme insbesondere in Fragen von „Konfliktfällen“ zum Vorschein, bei denen der Staat das Recht auf eine Letztentscheidung hält. Zudem verfüge er über ein exklusives Recht auf die territorial beschränkte Besteuerung seiner Bürger. Ein Problem bestehe nach Hoppe darin, dass der Staat unter den genannten Bedingungen in die Lage versetzt ist, eine willkürlich festgelegte Summe an Steuerabgaben von den auf seinem Territorium lebenden Individuen für Leistungen erheben zu können, die eine unbeschränkte Machtfülle zur Grundlage haben und entsprechend keiner weiteren Kontrolle unterliegen. Unter der Voraussetzung, dass Monopole aus Sicht des Einzelnen nicht vorteilhaft sein können, ergebe sich der Schluss, nach dem das staatliche Monopol auf die Produktion von „Recht und Ordnung“ abzulehnen ist. Mehr noch: Aufgrund der Monopolstellung der Staates müsse von seiner Tätigkeit als letzter Konfliktentscheider erwartet werden, dass er Konflikte erzeugt, im eigenen Interesse für sich entscheidet und so der „Gerechtigkeit“ in der Gesellschaft Schaden zufügt: „Es ist daher voraussehbar, dass die Definition von Privateigentum und Eigentumsschutz kontinuierlich zugunsten der legislativen Gewalt des Staates veraendert und ausgehoehlt wird. An die Stelle eines ewigen, unverrueckbaren – erkenn- und einsehbaren – Rechts tritt willkuerliche Gesetzgebung [sic!]“. Als Einrichtung, die über derart exklusive Vorrechte verfügt, ergibt sich in der Gesamtbetrachtung nach Hoppe das Bild eines „enteignende[n] Eigentumsschuetzer[s] [sic!]“ (aufgrund der Besteuerung, die im Monopol auf die Erhebung von Zwangsabgaben enthalten ist sowie dem staatlichen Versprechen, Leben und Eigentum seiner Bürger zu schützen). Die „Privatrechtsordnung“ nach Hoppe kenne im Unterschied zur staatlichen Lösung weder ein „Rechtsmonopol“ noch ein obrigkeitliches Privileg auf die Erhebung von Zwangsabgaben. Dennoch unterlägen alle Mitglieder dieser Gesellschaft einem gemeinsamen, minimalistischen „Privatrecht“. Die Gewährleistung von sowohl Rechtsdurchsetzung als auch Rechtsproduktion werde durch Dienstleister sichergestellt – Rechtsangelegenheiten werden zu einem weiteren Produkt, das frei gehandelt werden darf. Hoppe verzichtet bewusst auf eine Skizze des zu 422 Dass jedoch die Begriffe „positive“ und „negative“ Anthropologie äußerst schwammig sind, zu Missverständnissen führen und sogar wichtige Entdeckungen verhindern können, wird weiter unten erkennbar.
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erwartenden, realpolitischen Szenarios: „Es waere vermessen, die genaue Struktur der sich in einer Privatrechtsgesellschaft herausbildenden und entwickelnden ,Sicherheitsindustrie‘ voraussagen zu wollen [sic!]“. Obgleich der Hinweis auf die Unvorhersehbarkeit makroökonomischer Entwicklungen vor dem Hintergrund einer liberalen Perspektive nachvollziehbar ist, bleibt doch ein Rest Zweifel, ob der Verzicht auf eine genauere Erläuterung nicht einer gewissen Unsicherheit in Bezug auf das postulierte Endresultat der Privatisierung von „Recht und Ordnung“ entspringt. Hoppe erklärt auch an keiner Stelle in besagter Rede, wie bei völliger Vertragsfreiheit bzgl. der Anbieter von Recht und Sicherheit noch das eingangs behauptete, minimale „Privatrecht“ universelle Geltung beanspruchen könne. So könnte man sich etwa ein marxistisches oder islamisches Privatrecht vorstellen, das mit den von Hoppe für notwendig gehaltenen rechtlichen Grundprinzipien einer Privatrechtsordnung nicht mehr vereinbar ist. Möglicherweise betrachtet der Philosoph solche Entwicklungen als Abweichungen oder Anomalien, die im hypothetischen Falle ihres Auftauchens notfalls mit Waffengewalt vom Rest der privatrechtlich strukturierten Gesellschaftsordnung in Schach gehalten werden müssen (freilich nur für den Fall, dass das Recht eines anderen verletzt wird). Da sich Hoppe hierzu nicht äußert, kann ich nur über mögliche Szenarien spekulieren. Auch die Entstehung neuer Staaten innerhalb einer solchen „Privatrechtsordnung“ wäre eine denkbare Herausforderung, auf die Hoppe nicht explizit eingeht. Der Eindruck drängt sich auf, als bestünde die ultima ratio für derartige Probleme stets in der Beantwortung konkreter Bedrohungen des Status quo mit roher Gewalt (die Privatrechtsgesellschaft ist, bis auf die Ebene der Familie hinunter, schwer bewaffnet und jederzeit – in einem andauernden Ausnahmezustand – kriegsbereit). Auf einige der durchaus überzeugenden Argumente Hoppes möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen, weil sie nicht direkt das von Schmitt herausgearbeitete Problem des staatlichen Gewaltmonopols betreffen. Hierzu zählen etwa die sinkenden Kosten für Sicherheit durch freien Wettbewerb unter den Dienstleistern, die vertraglich bedingte Transparenz zwischen Kunden und Anbietern, die zu erwartende Qualitätssteigerung in der Produktion von Sicherheit im Vergleich zum Staat, die effizientere Allokation von Sicherheitsressourcen durch das Prinzip von Angebot und Nachfrage etc. Hoppe verweist zu Recht und in aller Breite auf die vielen Unzulänglichkeiten und Schwächen des staatlichen Modells („Der Staat ist hier notorisch ineffizient [. . .]“).423
423 Ein denkwürdiger Beitrag von Hoppe besteht darin, auf das (von ihm ökonomisch begründete) Aggressionspotential von Staaten hinzuweisen. Aggression sei grundsätzlich kostenintensiv und daher nicht wünschenswert. Der staatliche Monopolist müsse jedoch für seine Aggression (z. B. gegenüber anderen Staaten) nie selbst aufkommen, da er dafür – per Erlass – die Bürger, d.h. den Steuerzahler heranziehen kann. Hierdurch verringere sich bei Staaten die Hemmschwelle, aggressiv aufzutreten und Konflikte zu erzeugen.
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Ein weiteres, besonderes Problem der „Privatrechtsordnung“ nach Hoppe kann in der uneingeschränkt freien Wahl des Sicherheits- bzw. Rechtsdienstleisters gesehen werden. Hierauf geht der Philosoph jedoch gesondert ein: Unter der Bedingung, dass jeder Bürger seine Rechtsordnung frei wählt, stellt sich die Frage, wie in Konfliktfällen entschieden wird, bei denen zwei unterschiedliche private Rechtsordnungen aufeinandertreffen (und kein gemeinsames Urteil gefunden werden kann). Hoppes Lösung besteht in der Einsetzung von „Schlichtern“, die von den beteiligten Parteien zusammen gewählt werden sollen. Sollte ein Schlichter ein schlechtes Urteil fällen, wird er für den nächsten Fall nicht mehr beauftragt. Dieses Modell wirft weitere Fragen auf, auf die Hoppe allerdings nicht zu sprechen kommt. Weder ist beantwortet, was in Fällen geschieht, in denen das Urteil des Schlichters nicht akzeptiert wird, noch, wie die vorausgesetzte Unabhängigkeit der Schlichter sichergestellt werden kann.424 Trotz dieser Kritik an dem Modell Hoppes erscheint seine „Privatrechtsordnung“ als ein diskussionswürdiger Beitrag. Die Probleme und Fragen, die viele Kernelemente dieser libertären, post-staatlichen Gesellschaft aufwerfen, sind ein Hinweis auf die Bedeutung von Schmitts kontroversen Thesen, u. a. in der „Politischen Theologie“: Den ein oder anderen Rezipienten mag die fast brutale Kälte abschrecken, mit der Schmitt das dezisionistische Gewaltmonopol des Staates verteidigt. Insbesondere das personalistische Moment in der Schmittschen Herleitung der Notwendigkeit des Souveräns wirkt auf viele Beobachter abstoßend, da es – nicht unberechtigt – mit totalitären oder absolutistischen Staaten in Verbindung gebracht wird. Doch reicht es aus, mit dem Gestus der Abscheu aufgrund besagter geschichtlicher Querreferenzen den von Schmitt begründeten Souverän abzulehnen? Ist er vielleicht doch, wie Schmitt behauptet, unverzichtbar? Sowohl der radikale Liberalismus als auch Schmitt beharren auf dem Umstand, dass der Staat seinem Wesen nach mit Notwendigkeit ein unbeschränkt agierender, absoluter Monopolist über Körper und Leben seiner Bürger ist (etwa im Unterschied zu Thomas Hobbes oder den von Schmitt 1922 geschmähten „Genossenschaftlern“ und „Liberalen“ wie Kelsen). Die bequeme, unreflektierte Mittelmäßigkeit einer Position, die sowohl Souverän als auch uneingeschränkte individuelle Freiheit, sowohl obrigkeitlich garantierte Sicherheit als auch grenzenlose Vertragsfreiheit und Privateigentum will, erfüllt beide mit Ekel. Denn diese Forderungen sind offensichtlich unvereinbar. Möglicherweise besteht aber auch – konträr zu den Positionen Schmitts sowie diverser libertärer Autoren – die größere Herausforderung darin, den genannten, unlösbaren Widerspruch in der politischen Praxis durch sich ständig neu formende Kompromisse und Zwischen-
424 Allerdings gebe ich gerne zu, dass das Problem der Unabhängigkeit in jedem staatlichen Modell höchstwahrscheinlich nicht besser gelöst werden kann als hier (Angebot und Nachfrage in Kombination mit freier Vertragsschließung vs. intransparenthierarchische Strukturen ohne Alternativen).
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wege erträglicher zu gestalten. In dieser Hinsicht sind der Libertarismus und Schmitt radikal: Solche Ausgleichsbemühungen werden grundsätzlich abgelehnt. Da der dezisionistisch-personalistische Souverän Schmitts weit über den gegenwärtigen politischen Kompromiss moderner demokratischer Rechtsstaaten hinausgeht, bleibt festzustellen, dass die Betonung der Allmacht des Staates alles andere als ein trivialer Einwurf ist. Die meisten der mir vorliegenden Antworten auf Schmitt scheinen diesen Umstand nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Die Kritik an dem politisch blinden Sich-Einrichten in einer ideologisch-staatsrechtlichen Collage aus unterschiedlichsten ideengeschichtlichen Elementen und Strömungen bleibt daher aktuell. Der Souverän Schmitts ist in sich schlüssig, aber politisch (aus vielleicht guten Gründen) unerwünscht. Sein ebenso schlüssiges, libertäres Gegenmodell, aus anderen Motiven heraus, auch. Krisenfeste staatliche Handlungsfähigkeit und liberale, bürgerliche Freiheiten sind unvereinbar. Eine der größten Leistungen des Staatsrechtlers besteht darin, diesen Widerspruch aus der Vergessenheit hervorgeholt und seine Bedeutsamkeit für politische Richtungsentscheidungen aufgezeigt zu haben. Auf diesem Wege hat Schmitt, paradoxerweise ohne den Verzicht auf seine oftmals gescholtenen Verdunkelungen und Mehrdeutigkeiten, zur Aufklärung und begrifflichen Erhellung des politischen Diskurses beigetragen. Wie zuvor an anderer Stelle ersichtlich geworden ist, weist das Werk Schmitts verschiedene Passagen auf, in denen der Jurist polemisch im Sinne eindeutig sozialistischer Denkmuster argumentiert. Am deutlichsten wird dieser Zusammenhang im Kontext seiner Kritik an der freien Marktwirtschaft. Zugleich vertritt Schmitt als politischer Theologe und bekennender Christ eine kultur- oder wertkonservative Haltung in nicht-ökonomischen Fragen. Der bereits erwähnte Philosoph und Ökonom Hoppe geht in seinem Beitrag „Über Konservatismus und Libertarismus“ auf diese eigentümliche Verbindung anhand des Beispieles von Patrick Buchanan ein (hierbei handelt es sich um einen Auszug aus Hoppes Buch „Demokratie – Der Gott, der keiner ist“).425 Die politische Strömung, für die der Name Buchanan in den Vereinigten Staaten steht, fordert ein Amalgam aus sozialstaatlichen Prinzipien (Hoppe nennt Sozialversicherung, Gesundheitsfürsorge und Arbeitslosengeld als Beispiele) und kulturkonservativem Nationalismus (der nach Hoppe auf die Wiederherstellung von „Normalität“ ziele). Die Anhänger Buchanans seien eindeutig als Befürworter umfassender staatlicher Zuständigkeiten zu identifizieren: „Sie verachten und verhöhnen den Kapitalismus, laissezfaire, freie Märkte und Handel, Wohlstand, Eliten und Adel; und sie werben für einen neuen populistischen – tatsächlich proletarischen – Konservatismus, der 425 Buchanan gilt als prominenter Vertreter des sog. „paläo-konservativen“ politischen Lagers in den Vereinigten Staaten. Der ehemalige Republikaner vertritt konservative Positionen „rechts“ des republikanischen Mainstreams. Hoppe, Über Konservatismus und Libertarismus [online] Verfügbar unter: http://www.misesde.org/?p=4649 [16.09.13].
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sozialen und kulturellen Konservatismus mit einer sozialen oder sozialistischen Ökonomie verknüpft“. Nach Hoppe handelt es sich jedoch bei diesem Programm weder um „echten“ Konservatismus, noch um eine gänzlich neue politische Schule: „Aus offensichtlichen Gründen wird diese Doktrin nicht so benannt, aber es gibt einen Begriff für diese Art von Konservatismus: Er nennt sich sozialer Nationalismus oder National-Sozialismus“. Es darf in Frage gestellt werden, ob die von Hoppe vorgeschlagene Verwendungsweise des Begriffes „Nationalsozialismus“ angemessen ist, oder nicht.426 Wenn allerdings die Annahme des Philosophen zutrifft, dass Nationalsozialismus eine Kombination aus Sozialstaat und Nationalismus – ohne irgendwelche weiteren Voraussetzungen – ist, dann wird man auch denjenigen Kritikern Schmitts zustimmen müssen, die in ihm einen überzeugten Nationalsozialisten sehen wollen. Denn beide Elemente, d.h. sozialistische Kritik am Markt als polemische Apologie für sozialstaatliche Maßnahmen als auch nationalistische Töne finden sich ohne Zweifel im Werk des Staatsrechtlers, verteilt über mehrere Jahrzehnte. Ich bin nicht davon überzeugt, dass die von Hoppe eingeführte Begriffsbestimmung ausreichend ist. So wäre etwa das biologistische Weltbild der Nationalsozialisten ein Kernelement, das nicht einfach aus der Semantik des Wortes „Nationalsozialismus“ heraus subtrahiert werden kann.427 Nach Hoppe ist das von Buchanan angestrebte Gesellschaftsmodell eine Utopie, da Sozialstaat und „traditionelle“ Familien unvereinbar seien. Der Philosoph begründet dies mit einem ökonomischen Kalkül. Die Wirkungsweise des Wohlfahrtstaates äußere sich in einem „Angriff auf die Institution der Familie und der persönlichen Verantwortung“, und zwar durch Umverteilung, die eine Änderung sozialer Verhaltensweisen hervorbringe: „Unverantwortlichkeit, Kurzsichtigkeit, Nachlässigkeit, Krankheit und sogar Zerstörungswut (Ungüter) werden gefördert und Verantwortung, Weitblick, Fleiß, Gesundheit und Konservatismus (Güter) werden bestraft“. Aus diesem Grunde sei der moderne Sozialstaat die „Ursache der kulturellen und sozialen Anomalitäten“. Laut Hoppe bestehe also der Irrtum von Buchanan wie Schmitt darin, mit den ursächlichen Auslösern der identifizierten Probleme (kultureller „Verfall“) besagte Probleme lösen zu wollen. Der kulturelle Verfall und die Entzivilisierung sind die zwangsläufigen und unvermeidbaren Ergebnisse des Wohlfahrtsstaates und seiner zentralen Institutionen. Klassische Konservative der alten Schule wussten dies und bekämpften die öffentliche 426 Die von Hoppe in Betracht gezogene Verbindung von sozialstaatlichen Maßnahmen und konservativen Positionen wäre etwa widerspruchsfrei auf den Staat Israel anwendbar. Israel als nationalsozialistisches Land zu bezeichnen erscheint wenig geschmackvoll und sachlich verfehlt. Es ist allerdings davon auszugehen, dass sich Hoppe dieser Implikationen bewusst ist. 427 Ich erspare mir an dieser Stelle eine Diskussion des Begriffes „Nationalsozialismus“. Die hiermit zusammenhängenden Fragen und Probleme stellen einen eigenen Themenkomplex dar und übersteigen den Umfang dieser Arbeit bei Weitem.
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Bildung und die Sozialversicherung mit aller Kraft. Ihnen war klar, dass Staaten überall darauf abzielen, Familien und Institutionen, Schichten und Hierarchien sozialer Autorität zu zerstören, um ihre eigene Macht zu vergrößern und zu stärken.428
Entsprechend sieht Hoppe in einer „fast vollständige[n] Auflösung und Dekonstruktion des gegenwärtigen Staatsapparates und der Regierungsmacht“ die einzige Möglichkeit, kulturkonservativen Werten Geltung zu verschaffen. Seine zentrale These lautet: „Echte Konservative müssen [. . .] libertäre Hardliner (AntiEtatisten) sein“. Konservatismus und Libertarismus seien keine gegensätzlichen politischen Modelle, sondern im Gegenteil grundsätzlich vereinbar und ergänzten sich. Viele der namhaften Vertreter des Libertarismus seien Konservative gewesen (Hoppe nennt von Mises und Rothbard).429 3. „Heidenchristentum“ oder Schmitts theologische Identität In seinem Beitrag „Carl Schmitts Begriff vom Feind“ für das „Marburger Forum“ erwähnt Michael Rumpf unter Bezugnahme auf den Theologen Wolfgang Palaver die Deutung von Schmitts theologisch-metaphysischen Positionen als „heidenchristlich“. 430 Nach Palaver verbinde Schmitt, so Rumpf, das christliche Glaubensbekenntnis mit einem „mythischen Denken“. Die Einordnung von Palaver erscheint keineswegs abwegig. Autoren wie Strauss, Meier, Quaritsch und Blumenberg stellen Schmitt vorwiegend als christlichen oder, spezifischer, katholischen Denker vor. Verborgen bleibt bei dieser konfessionell festgelegten Perspektive jedoch, wie viele zentrale Elemente seines Denkens nicht-christlichen Ursprunges sind. Zum einen handelt es sich hierbei um säkulare Konzepte, wie etwa Jan Assmann bei der Untersuchung der These von dem Zusammenhang zwischen negativer Anthropologie und positiver Staatstheorie herausgearbeitet hat. Zum anderen, und das ist in diesem Kontext bedeutsamer, werden metaphysisch bedingte Motive erkennbar, die das allzu simple (und auch selbstgezeichnete) Bild vom „rechtgläubigen“ Christen Schmitt unmöglich machen. Er ist nicht auf eine bloße „christliche“ Identität reduzierbar, und Wolfgang Palaver trägt dieser Beobachtung mit der Bezeichnung „heidenchristlich“ Rechnung. „Heidenchristliche“ oder andere nicht-christliche Gedankenfiguren tauchen beim Staatsrechtler gehäuft auf und scheinen auf keine bestimmte Periode seines 428 Hoppe, Über Konservatismus und Libertarismus [online] Verfügbar unter: http:// www.misesde.org/?p=4649 [16.09.13]. 429 In diesem Zusammenhang weist Hoppe auf einen Umstand hin, den ich bereits zuvor nannte: Die Schule Rothbards bezieht ihre wesentlichen Momente aus der abendländischen philosophischen Tradition. Hoppe nennt „Hobbes, Grotius, Pufendorf, Locke und Spencer“ als maßgebliche Ideengeber für Rothbard. Die Gemeinsamkeiten mit Schmitt sind augenfällig, da der Jurist ebenfalls mit Hobbes, Grotius und Pufendorf wohlvertraut gewesen ist, wie man etwa dem „Nomos der Erde“ entnehmen kann. 430 Rumpf, Carl Schmitts Begriff vom Feind [online] Verfügbar unter: http://www. philosophia-online.de/mafo/heft2008-2/Rum_CarlS.htm [16.09.13].
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Schaffens beschränkt zu sein. Ein Anhaltspunkt ist der „Nomos der Erde“, in dem Schmitt entlang seiner Arbeit am Begriff des Nomos ein Konzept der Entstehung von Recht und „Ordnung“ entwickelt, das quasi-mythische Bilder zeichnet: Die ur-anfängliche Aufteilung von Landesflächen, in einer Erstaneignung nutzbar gemacht, werden zum Eigentum eines „Volkes“. Schmitt verwendet den Nomos als Gegenbegriff zur neuzeitlichen „Legalität“. Er sei „das fundamentale Recht, als konkrete Ordnung und Ortung [. . .]“. Der Wunsch nach vor-rationaler, unvermittelter Evidenz ist greifbar: „Der Nomos ist demnach die unmittelbare Gestalt, in der die politische und soziale Ordnung eines Volkes raumhaft sichtbar wird, [. . .]“.431 Der Akt der Landnahme wird so aus seinem modernen völkerrechtlichen Kontext extrahiert und auf ein nicht-normatives, nicht-juristisches Fundament gestellt, das hier scheinbar das brutum factum der (Neu-)Aufteilung von Land sein soll. Schmitt will dem zeitgenössischen Normativismus etwas entgegenstellen, das selbst nicht auf dem Boden der neuzeitlich-säkularen Rechtstheorie steht. Der Nomos ist identitätsstiftend und jeder positiv-rechtlichen Normierung übergeordnet.432 Im Ergebnis klingt die das moderne Recht verachtende Bewegung wie ein „Rückfall“ in archaische Begründungszusammenhänge. Die Orientierung an der „Erde“ als Voraussetzung aller menschlich-sozialen Ordnung lässt einen Zug im Denken Schmitts erkennen, der gänzlich unchristlich erscheint und mehr an die Geisteswelt der klassischen Philosophen und vorsokratischen Lyriker erinnert, deren Namen Schmitt selbst nennt (Platon, Aristoteles, Solon, Pindar). So ist die Erde in dreifacher Weise mit dem Recht verbunden. Sie birgt es in sich, als Lohn der Arbeit; sie zeigt es an sich, als feste Grenze; und sie trägt es auf sich, als öffentliches Mal der Ordnung. Das Recht ist erdhaft und auf die Erde bezogen. Das meint der Dichter, wenn er von der allgerechten Erde spricht und sagt: justissima tellus. [Hervorhebungen im Original]433
Die primär mit Schmitt assoziierte Verteidigung des „Politischen“ eröffnet den Blick auf ein Gottesbild, das im Zusammenhang mit der Beurteilung von Kampf und Feindschaft ebenfalls nicht an allgemein akzeptierte Auslegungen des christlichen Glaubensbekenntnisses erinnert. Zwar ist Schmitt, im Unterschied zu Jünger oder Heraklit, kein Anhänger einer „agonalen“ („heidnischen“) Deutung des Krieges.434 Seine moralisch begründete Zurückweisung der Gewalt ist eindeutig. 431
Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 39 Wolfram Hogrebe ist genauer auf die „riskante Lebensnähe“ Schmitts eingegangen. Hogrebe, S. 106 ff. 433 Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 13. 434 „Ebenso wie das Wort Feind, ist hier das Wort Kampf im Sinne einer seinsmäßigen Ursprünglichkeit zu verstehen. Es bedeutet nicht Konkurrenz, nicht den ,rein geistigen‘ Kampf der Diskussion, nicht das symbolische ,Ringen‘, das schließlich jeder Mensch irgendwie immer vollführt, weil nun einmal das ganze menschliche Leben ein ,Kampf‘ und jeder Mensch ein ,Kämpfer‘ ist.“ Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 31. 432
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Doch diese Zurückweisung ist nicht universell, sie macht Halt bei der providentiellen Feindschaft, die Gottes Werk ist. In Kombination mit der im Nachwort der „Politischen Theologie II“ angedeuteten, post-manichäistischen Division der Menschheit in zwei Lager und den gnostizistisch erscheinenden Bemerkungen in Schriften wie „Theodor Däublers ,Nordlicht‘“ ergibt sich das Bild eines Schmittschen Personalchristentums, das unzählige nicht-christliche („heidnische“) Elemente enthält. Insbesondere der bereits weiter oben besprochene Aspekt des politisch begründeten Kampfes auf Leben und Tod als „Prüfung“ Gottes mag irritierend wirken.435 Eine weitere Idiosynkrasie kann in dem gedanklichen Fokus auf das Handeln von Individuenverbänden als „Völker“ gesehen werden. Die Betonung der Volkszugehörigkeit als Schicksal und geschichtliche Aufgabe ist sicher kein christliches Motiv. Es taucht jedoch bei Schmitt immer wieder auf. Im „Begriff des Politischen“ steht es in einem direkten Zusammenhang mit der Bestimmung des Politischen selbst: Nur Kollektive als Völker, d.h. Versammlungen von Menschen, die einen gemeinsamen, „öffentlichen“ Feind identifizieren, sind des Politischen fähig. Die für Schmitt besondere Bedeutung des Kampfes als Ausdruck des Politischen zeigt sich auch in der auffälligen Bemühung, zentrale christliche Glaubenssätze unbedingt mit den eigenen politischen Positionen vereinbar machen zu können. Im geschichtlichen Zusammenhang mit den Türkenkriegen bemerkt er über den Satz der Feindesliebe: „Jene Bibelstelle [. . .] besagt vor allem nicht, daß man die Feinde seines Volkes lieben und gegen sein eigenes Volk unterstützen soll“.436 Das „Ringen“ der „Völker“, das in mehreren Passagen des Schmittschen Gesamtwerkes als Gedankenfigur auftaucht, scheint einen wesentlichen Anteil an der Begriffsbestimmung des „Politischen“ sowie an der der „Feindschaft“ (d.h. Negierung der Existenzweise eines anderen Volkes als Assoziation einer kollektiven Feindidentifikation) zu haben. Die bereits angesprochenen Kommentare Schmitts zum Problem der Gnosis sind der vielleicht interessanteste Beitrag zur Frage nach nicht-christlich-metaphysischen Einflüssen in den theologischen Positionen des Staatsrechtlers. Wichtige Quellen hierfür sind etwa das frühe „Theodor Däublers ,Nordlicht‘“ sowie die (sehr späte) „Politische Theologie II“. Letztere Schrift enthält eine Auseinandersetzung mit dem Philosophen Hans Blumenberg über die Bedrohung der Theologie durch die Gnosis, die Schmitt mit einem Verweis in das Werk des Kirchenvaters Augustinus versucht, aus dem Weg zu räumen. Blumenberg kann je435 Dieser gänzlich unchristliche Baustein des Schmittschen Weltbildes erinnert an die Plastiken von Arno Breker, dessen Referenzen ebenfalls ein buntes Gemisch aus christlichen und „heidnischen“ Motiven darstellen. Werke wie „Der Wächter“ (1940) oder „Fackelträger“ (1940) erscheinen mir jedenfalls größere weltanschauliche Affinitäten zu den Positionen Schmitts aufzuweisen, als ihre „heidnisch“-agonale Alternative in den Ansichten Jüngers. 436 Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 28.
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doch zeigen, dass die Bewältigung der Gnosis durch Augustinus auf einen Selbstbetrug zurückgeht, der das ihr zugrundeliegende Problem des Bösen in der Welt bloß verschiebt, nicht aber beseitigt.437 Es ist davon auszugehen, dass Schmitt diese Kritik nicht nur begriffen, sondern auch ganz bewusst mit dem Rückverweis auf Augustinus und den sich ihm anschließenden, mehrdeutigen Hinweisen auf den bereits 1922 präsenten neuzeitlichen „Satanismus“ beantwortet. Dualistisch-gnostizistische Restbestände sind in einigen der Gedankenfiguren Schmitts erkennbar. Möglicherweise sind sie bis in eine frühe Phase seiner intellektuellen Entwicklung zurückverfolgbar, in der er noch kein recht festgelegtes politischtheologisches Weltbild vertrat. Die besondere Betonung des Gegenspielers Gottes als geradezu eigenständige Macht sowie der nachdrückliche Verweis auf dualistische Gegenmodelle zur christlichen Theologie können vielleicht als Indizien hierfür herangezogen werden.438 Nicht zuletzt ist das ebenfalls von Blumenberg explizit gemachte Säkularisationstheorem, das in den „Politischen Theologien“ enthalten ist, ein weiteres Beispiel für die spekulative Freizügigkeit, die dem Schmittschen Personalchristentum eigen ist. Es steht in einem direkten Zusammenhang mit den dualistischen Zügen im Denken Schmitts, da die veranschlagte Verweltlichung, widerspruchsfrei zu dem vorausgesetzten christlichen Gottesbild, nur eine zweite, quasi-göttliche Macht zur Grundlage haben kann. Im Falle anderer Autoren könnte man es sich leicht machen, indem man von einer „künsterlisch-unsteten Natur“ o. ä. spricht. Mit Blick auf den strengen, juristisch-analytisch denkenden Plettenberger, der in seiner Polemik zur Romantik kein Geheimnis daraus macht, dass er eine tiefe Verachtung gegenüber aller Feingeisterei, Unentschiedenheit und „Occasionalität“ hegt, fällt dieses Verdikt schwer. Allerdings enthalten gerade die bereits angesprochenen, frühen Veröffentlichungen Schmitts Hinweise auf eine ideologisch instabile Haltung, die sogar anarchistische Züge trägt.439 Ein prägnanter Beleg für diese Deutung ist die bereits weiter oben zitierte Stelle in den „Buribunken“: Der Buribunke braucht kein Christentum, noch sonst eine Ideologie. Darüber ist er ohne Affekt, ohne Entrüstung lächelnd erhaben. Er ist, neben vielem andern, auch Christ, aber er weiß vom Christentum mehr als tausend Theologen. Denn er ist nicht nur Christ; er ist Christ, wie er auch Buddhist, Mohammedaner, Gnostiker ist, er ist 437 „Der gnostische Dualismus war für das metaphysische Weltprinzip beseitigt, aber er lebte im Schoße der Menschheit und ihrer Geschichte als absolute Sonderung von Berufenen und Verworfenen fort. Diese zur Rechtfertigung Gottes ersonnene Krudität hat ihre verschwiegene Ironie darin, daß auf dem Umweg über die Vorstellung der Prädestination eben doch die Urheberschaft des absoluten Prinzips für die kosmische Verderbnis wieder hereingeholt wird, deren Elimination der ganze Aufwand gegolten hatte.“ Blumenberg, S. 148 f. 438 Schmitt, Theodor Däublers „Nordlicht“, S. 61 (Antichrist), S. 63 (Marcion und die Notwendigkeit, „Dualist“ zu werden). 439 Natürlich ist damit nicht ausgeschlossen, dass Schmitt zu einem späteren Zeitpunkt diese Instabilität ablegt. Doch scheinen die oben angeführten Inhalte später Schriften dem zu widersprechen.
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alles, denn er erkennt alle Dinge in ihrer Realität, das heißt in der Relativität ihrer historischen Bedingtheit.440
Wie „buribunkisch“ Schmitt zuletzt war, ist nicht eindeutig zu bestimmen. Ausgehend von der zuvor vorgeschlagenen Deutung ist dieses Zitat jedoch von besonderem Interesse, da sich seine wesentlichen Motive in vielen späteren Schriften wiederfinden. Die entschiedene Unentschiedenheit in der politischtheologischen Selbstverortung ist typisch für Schmitt, d.h. für einen Denker, dem allgemein die „Entscheidung für die Entscheidung“, eine durchgehend-stabile politische Linie u. ä. unterstellt wird. Dies trifft auf einen Autor zu, der gerade selbst an vielerlei Stellen, etwa in der „Politischen Romantik“ oder im „Begriff des Politischen“, gegen solch verhasste Unstetigkeit polemisiert. In diesem Sinne kann die Denkbewegung Schmitts auch als Kampf mit sich selbst, als Versuch der Bezwingung eigener Unzulänglichkeiten, gesehen werden. Möglicherweise ist der politische Feldzug des Staatsrechtlers Ausdruck dieses Ringens mit einer anarchistisch-okkasionellen, emotionalen Prädisposition. 4. Bleibt Schmitt als politischer Denker relevant? Anlass dieser Arbeit war die Eruierung der politischen wie theologischen Selbstverortung Schmitts. Beide Aspekte, der theologische wie der politische, erforderten mehrere Anläufe aus unterschiedlichen Blickwinkeln kommend, um das Denken Schmitts begreifbarer zu machen. Früh wird erkennbar, dass die „Politischen Theologien“ allein bei Weitem nicht ausreichend sind, um ihren Autor in einer angemessenen Weise hinsichtlich seiner politisch-theologischen Identität beurteilen zu können. Die anfänglich vermutete systemische Stringenz in der Begründung eigener politischer Positionen stellt sich als Irrtum heraus: Auf den zweiten Blick kommen die rhetorischen Fähigkeiten des Staatsrechtlers zum Vorschein, die geschickt logische wie inhaltliche Schwächen kaschieren. Vom Theologischen her besehen ergibt sich dabei, überraschenderweise, ein klareres Gesamtbild als beim Politischen. Dies liegt nicht zuletzt auch daran, dass einige der wichtigsten Thesen Schmitts ein metaphysisch-theologisches Fundament besitzen. Das primäre Selbstverständnis als Katholik und Christ ist offenkundig, doch bleiben unzählige abweichende Stellungnahmen nicht verborgen. Die weitläufige, klassisch-„heidnische“ Bildung des Juristen tritt hervor, und vieles hiervon scheint Einfluss auf die metaphysischen Annahmen Schmitts gehabt zu haben. Ideenbausteine wie die Wiederkehr des Antichrist und die providentielle „Anrufung“, den Katechon zu unterstützen, erinnern im Kontext der politischen Äußerungen an moderne Verschwörungstheorien. Mit Blick auf das Politische ist die Feindbestimmung deutlich unübersichtlicher. Die Feinde Schmitts tauchen in politischen Strömungen auf, die fast nichts 440
Hüsmert/Giesler (Hrsg.), S. 470 f.
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miteinander gemein haben (Liberalismus und Sozialismus). Obgleich Schmitt es vollbringt, den Marxismus dem Liberalismus unterzuordnen und so, unter Hinzunahme seiner Kritik am Rationalismus der Aufklärung, in einer Bewegung den „Satanismus“ der Zeit als eine kohärente Bedrohung zu identifizieren, stellen andere Äußerungen diese radikale Negation wieder in Frage: So verrät sich Schmitt etwa im „Begriff des Politischen“ als Sozialist. Leo Strauss möchte in besagter Schrift gar Restbestände liberalen Denkens finden, die allerdings nur schwer zu erkennen sind. Die wechselnde Konzentration auf einzelne politische Gegner lässt die Vermutung entstehen, Schmitt habe ausgehend von seinen religiösen Überzeugungen versucht, „seinen“ Feind zu finden. Tatsächlich bewegt sich die Feindidentifikation Schmitts stets entlang der Wegmarken, die ihm die selbst auferlegte Aufgabe, als gottesfürchtiger Interpret der Providenz in ihrem Sinne politisch handeln zu müssen, gesetzt hat. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die auf den ersten Blick wechselhafte Natur der Schmittschen Feindbestimmung im konkret Politischen: Die Situationsgebundenheit und geschichtliche Einmaligkeit aller Ereignisse macht es notwendig, immer wieder neu die Suche nach dem providentiellen Feind aufzunehmen – mit alternierenden Resultaten. Und da sich Schmitt niemals über seine Auslegung der Vorsehung ganz gewiss sein kann, haben die gefällten politischen Urteile die Tendenz, innerhalb kürzester Zeit revidiert werden zu müssen. Gerade aufgrund dieser vordergründig unsteten Positionierungen Schmitts ist es umso wichtiger, auf diejenigen Urteile und Vorurteile zu verweisen, die keine Inventionen des Staatsrechtlers sind, sondern ihrer Zeit entspringen und das gesellschaftlich-politische Klima seines Umfeldes widerspiegeln. Von besonderem Interesse war mir die Darstellung des Liberalismus, wie sie in der „Politischen Theologie“ sowie dem „Begriff des Politischen“ auftaucht. Die Schmittsche Polemik bildet hier ab, was zu den Zeitpunkten der Niederschrift durchaus als Allgemeinplatz gelten darf: Die politische Karikatur des Liberalen als logisch inkonsistenter, „okkasionell“-inkonsequenter Alleswoller und Nichtsmüsser kann sicher als weit verbreitete Wahrnehmung in der deutschen Bevölkerung angenommen werden, und vermutlich hatte auch dieses Stereotyp seine vereinzelten personellen Entsprechungen in der Realität. Auf der unpersönlichen Ebene der politischen Theorie sind solche Zuschreibungen hingegen nicht zulässig. Auch die von Schmitt mehrfach nahegelegte Verbindung zwischen Bolschewismus und widergöttlichem „Satanismus“ geht sicher nicht auf eine Idee des Juristen zurück.441 Der Quell der Schmittschen Denkbewegung hin zum personalistisch-dezisionistischen Souverän von 1922, aber auch zur Großraumargumentation von 1950 441 Selbst die ebenfalls mehrheitlich atheistischen Nationalsozialisten nutzten die z. T. christlich-apokalyptisch begründeten Ängste in der deutschen Bevölkerung für eigene propagandistische Zwecke: Als Inkarnation des Antichrist war der Bolschewismus ein „besserer“ Feind denn als bloße politische Bedrohung.
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und zur Zivilisationskritik der „Technizitätsreligion“ 1970 kann allem Anschein nach in seiner anfänglichen Negation liberaler Prinzipien als „romantische“ Verirrung gefunden werden. Die ablehnende Haltung gegenüber dem Liberalismus bestimmt alle weiteren politischen Schlussfolgerungen. Sie fordert das (personalistische) Entscheidungsmonopol über den Ausnahmezustand (im Unterschied zur „liberalen“ Diskussionskultur). Sie begünstigt das Denken in Völkerkollektiven als handelnde Subjekte der internationalen Politik (das Individuum hat über seine Volkszugehörigkeit hinaus fast keine politische Bedeutung). Zudem fordert sie die Unterordnung aller Gesellschaftsbereiche, inklusive der modernen Wissenschaften, unter die ideologische Gesamtausrichtung, die den Staatsapparat definieren und tragen soll (weil der handlungsfähige Staat von abweichenden Positionen, starken Minderheiten etc. in seiner Einheit bedroht wird). Dennoch muss betont werden, dass Schmitt nicht einem politischen Totalitarismus das Wort redet. Schmitt denkt zu Ende, was sich die meisten seiner Zeitgenossen und Nachfolger nicht zumuten wollen: Dass die moderne Fiktion des kompromisslos-liberalen Bürgerstaates keiner Prüfung durch die politische Realität standhält. Der Staatsrechtler macht damit – unfreiwillig – auch deutlich, dass die oftmals als obskur oder sektiererisch ignorierten Thesen von liberalen Staatsgegnern wohlbegründet sind und einem konsequenten politischen Denken entspringen. Der von Schmitt in der „Politischen Theologie“ vollzogene Schluss, nach der der Ausnahmezustand zum Prüfstein der Integrität eines staatlichen Souveräns wird, ist daher korrekt – vorausgesetzt, man geht von der Existenz solcher Zustände aus.442 Als ebenfalls folgerichtig stellt sich die These heraus, nach der jede politische Differenz von der „Feindschaft“ lebt, die selbst Teil der conditio humana zu sein scheint. Eine Welt der reinen „Unterhaltung“, wie sie der Jurist als Szenario vorstellt, ist wahrscheinlich keine reale Möglichkeit. Im Hinblick auf die spezifisch christlich-geschichtsphilosophische Hermeneutik, für die Schmitt wirbt, ergibt sich das Bild einer wahrhaft erlösungsbedürftigen Menschheit, die aufgrund ihrer natürlichen Anlage nicht imstande ist, eine langanhaltend-stabile politische Ordnung zu errichten, weil der Keim des „Bösen“ von Anbeginn an in jeder Sozialarchitektur enthalten ist. Dieser soziologisch-anthropologische Befund, der nicht zwangsläufig eine christliche Terminologie benötigt, behält eine hohe Überzeugungskraft: Auch und gerade wegen der bekannten Menschheitsgeschichte, die die Vermutungen Schmitts zu unterstützen scheint. Kontroverser mögen die Angriffe Schmitts gegen Philosophie und Wissenschaft sein. Die Kritik an Blumenbergs Einwürfen im Nachwort der „Politischen 442 Blumenberg kommentiert die Orientierung am Ausnahmezustand mit einem Verweis in den geschichtlichen Kontext der Jahre nach der Veröffentlichung der „Politischen Theologie“ (handschriftlich): „Ausnahme“ / „Aussonderung“ / „Wer das erste sich anmaßt, wird bald das zweite wollen.“ Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 195. Vgl. auch „Extremist wird man oder prätendiert man zu sein, indem man den Ernstfall vorzieht [. . .].“ Ebd. S. 212.
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Theologie II“ zeigt, dass er nicht an einer ernsten wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzung interessiert war. Zentrale Positionen sind rational nicht begründbar, und Schmitt stellt sich bewusst gegen den Wissenschaftsbetrieb, indem er Augustinus zitiert und den Rationalismus als Erscheinung aus der christlichen Prophetie darstellt. Trotz dieser Züge des Autors kann der Reduktionismus von Meier und Strauss nicht überzeugen, der den Gesamtwert von (Offenbarungs-) Religionen anhand eines politischen Benchmarks erheben will. So sehr die Argumentation auch nachvollziehbar ist: Die geradezu gewalttätige Aneignung des Gegenstandes erweist dem Versuch, das Phänomen besser verstehen zu können, einen Bärendienst. Die Verkürzung auf einen einzelnen Gesichtspunkt (gesetzgeberische Nützlichkeit) ist wohl kaum imstande, den Offenbarungsglauben (philosophisch!) zu widerlegen. In ihrer Vorgehensweise erinnern die Autoren daher an ebenso missglückte Versuche anderer Wissenschaftler, wie etwa der von Richard Dawkins.443 Der Schmittsche Freund-Feind-Dualismus behält seine Aktualität, nicht zuletzt auch durch seinen Verweis in die Sphäre des Theologischen. Die Beobachtung, dass sich politische Assoziationen und Glaubensgemeinschaften in ihren wichtigsten sozialen Eigenschaften stark ähneln, ist zutreffend. Der Umstand, dass diese einfache Wahrheit zumeist keinerlei Beachtung in der Öffentlichkeit findet, ändert hieran nichts. Möglicherweise ist sogar die Warnung Schmitts berechtigt, dass Staaten, die aufhören, einen „öffentlichen Feind“ zu identifizieren, aus dem Reich des Politischen ausscheiden und zum bloßen Objekt der Politik fremder Staaten (mit ggf. anderen Interessen) werden. Gemessen an solchen Urteilen erscheinen die Vereinigten Staaten als reinster Ausdruck des Schmittschen Politikverständnisses. Hierzu ließe sich vermutlich eine eigene, geschichtswissenschaftliche oder politologische Untersuchung anfertigen. Im 20. Jh. vollziehen die Vereinigten Staaten den Wechsel hin zu einer interventionistischen Außenpolitik, die in einer Reihe von Kriegen resultiert. Spätestens mit dem Einsetzen des sog. „Kalten Krieges“ finden sich die Amerikaner in einer Situation wieder, die den Freund-Feind-Dualismus Schmitts perfekt abbildet. Der Ernst der Lage ist auch an der politischen Rhetorik ablesbar, die noch in jedem „neutralen“ Drittstaat einen Feind erkennen will: Wer nicht explizit auf Seiten der eigenen Allianz steht, wird ihren Feinden zugerechnet. Eine ähnliche Sprache belebt George W. Bush in Folge der Ereignisse vom 11. September 2001. Und auch hier ist Schmitt, dem man eine gewisse Popularität innerhalb der Bush-Administration nachsagte, hochaktuell: Die vermeintliche Bedrohung durch einen radikalisierten Islam mündet in einem Vokabularium des Heiligen Krieges, der der amerikanischen Regierung in der Bevölkerung eine größere Unterstützung verspricht. Die Schmittsche These von der „Verwandtschaft“ religiöser wie politischer Assozia443 Anstelle einer philosophisch-ethischen Reduktion des Glaubens unternimmt der Evolutionsbiologe eine naturwissenschaftlich-anthropologische Reduktion des Glaubens (in „Der Gotteswahn“, 2010).
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tionen ist greifbar. Viele Beobachtungen des Staatsrechtlers sind mit Blick auf das Politische überzeugend, doch nirgendwo werden die von ihm ausformulierten „Gesetze“ der Politik so konsequent beachtet wie im Falle der Vereinigten Staaten.444 Zugleich können sie als eine scharfe Kritik an der deutschen Nachkriegspolitik gedeutet werden, die sich fundamental von der amerikanischen politischen Kultur unterscheidet. Indessen vermag das Postulat von der Ubiquität des Politischen nicht zu überzeugen, da es letztendlich – wie Meier feststellt – auf metaphysischen Prämissen aufbaut, deren Überzeugungskraft eine Frage des Glaubens bleibt. Die jüngsten Ereignisse der internationalen Politik unterstreichen das Gewicht, das einige der Thesen Schmitts bis heute behalten. Zwar mag sein Versuch der theologisch bestimmten Feindidentifikation im Politischen misslungen sein, die Suche nach dem Katechon vergebens, das Dogma der Erbsünde keine überzeugende Begründung der eigenen anthropologischen Position, und die Diktatur als Antwort auf die Unvereinbarkeit von bürgerlicher Freiheit und staatlicher Souveränität keine annehmbare Lösung darstellen. Doch der Sinn für das Politische ist bei Schmitt herausragend und im deutschsprachigen 20. Jh. vermutlich ohne Vergleich. Wenn man bereit ist, über vereinzelte Schwächen und temporäre Irrungen hinwegzusehen, bleibt trotz allem ein Werk über, das nicht nur in seiner Exposition außergewöhnlich ist, sondern auch eine kaum erreichte theoretische Präzision für das Politische beweist. Unter diesen Einschränkungen wird Schmitt zu Recht mit Namen wie Hobbes oder Machiavelli in Verbindung gebracht.445 In diesem Sinne können die „Politischen Theologien“ täuschen: Ihre vordergründig präsenten, theologischen Inhalte versperren den Blick auf das durchaus bestechende und diskussionsfähige politische Denken Schmitts. Das Rätsel, das diese beiden Schriften darstellen, wird erst durch eine gründlichere Lektüre übriger Arbeiten des Staatsrechtlers gelöst. Im direkten Vergleich mit Schriften wie „Die Theorie des Partisanen“ oder „Politische Romantik“ erwecken sie den Eindruck, abseitige Produkte zu sein, die auf einen Nebenschauplatz im Schaffen Schmitts (der Zusammenhang zwischen den eigenen politischen Positionen und den metaphysisch-theologischen Überzeugungen) verweisen.446 Obgleich die Arbeit an 444 Diese späte Anerkennung blieb Schmitt natürlich unbekannt. Stattdessen scheint das „Glossarium“ einige Selbstversicherungen zu beinhalten, wie etwa die Bemerkung, seine ganze Mühe hätte stets der „Warnung“ seines Umfeldes gegolten, doch diese sei bloß mit Undank und „Verfolgung“ entlohnt worden. Vgl. Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 186 f. (Fußnote) 445 Vilmos Holczhauser geht gar so weit, Schriften wie den „Begriff des Politischen“ als Vorlage für die jüngere deutsche Staatsrechtsordnung zu deuten: „Hiermit schlage ich Carl Schmitts ,Begriff des Politischen‘ als ein hermeneutisches Begründungsparadigma des demokratischen Rechtsstaates bzw. seiner wehrhaften Verfassung, vor.“ Holczhauser, S. 255. 446 Dieser Einschätzung neigen auch Schmitz und Lepper zu, die darin die Auffassung Heinrich Meiers kritisieren, der im Thema der politischen Theologie das „Zentrum“ des Schmittschen Denkens sehe. Schmitz/Lepper (Hrsg.), S. 304.
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der individuellen Feindbestimmung das wesentliche Moment der Schmittschen Denkbewegung ausmacht, muss das Hauptaugenmerk der Betrachtung auf der politischen Theorie liegen, nicht auf den theologischen Spekulationen. Eine überbordende Betonung der christlich geprägten Glaubensinhalte des Autors kann seiner Leistung als politischer Denker nicht gerecht werden. Zu Beginn dieser Untersuchung war formuliert worden, mit welchen Vorannahmen der Deutungsversuch der hier besprochenen Schriften, allen voran der beiden „Politischen Theologien“, arbeitet: Zunächst wurde ein in sich geschlossenes politisch-theologisches Weltbild angenommen. Ein solches Weltbild ist ohne Zweifel vorhanden und erstreckt sich weit über die beiden „Politischen Theologien“ hinaus auf weitere Arbeiten Schmitts. Jedoch stellte sich heraus, dass das vermutete Moment der Kohärenz ein Irrtum war: Dies wird insbesondere am Beispiel verstreuter Gedankenspiele wie der Figur des Antichrist deutlich, die zwar zu verschiedenen Zeiten an unterschiedlichen Stellen im Werk des Staatsrechtlers auftaucht, jedoch nirgends (und auch nicht summarisch!) zu einer logisch konsistenten, philosophisch verwertbaren „Hypothese“ reift. Sie ist eines der vielen Zeugnisse für Schmitts flüchtige wie schemenhafte Äußerungen, die mitunter politischen oder theologischen Charakter haben können. Die wechselhafte Natur solcher Einwürfe ist Teil der Identität des Autors als Autor. Eine weitere Vorannahme war die Beurteilung Schmitts als vornehmlich politischen Denker, welche sich im Verlauf der Untersuchung bestätigt hat. Der theoretische Wert der hier vorgestellten Schriften ergibt sich hauptsächlich aus den genuin politischen Thesen („politisch“ im Sinne einer Reflexion über das Wesen des Politischen, nicht als ideologisch-polemische Einschaltung) ihres Verfassers. Die größte Stärke des Staatsrechtlers liegt ohne Zweifel in der Freilegung ansonsten „verschütteter“ Zusammenhänge und Interdependenzen im staatsrechtlichen Kontext sowie im Reich des Politischen. Sie weist ihn als außerordentlich genauen Beobachter dieses Umfeldes aus. Eine dritte Präsumtion bestand in der Erwartung einer durchgehenden, eindeutigen politischen Identität. Auch diese Annahme stellte sich als Täuschung heraus, und die Gründe hierfür überschneiden sich mit der Unmöglichkeit der Identifikation eines geschlossenen politisch-theologischen Weltbildes: Die stabile Unberechenbarkeit der Stellungnahmen Schmitts lässt eine zweifelsfreie Zuordnung in allgemein gebräuchliche politologische Kategorien („liberal“, „sozialistisch“, „konservativ“ etc.) nicht zu.
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Namen- und Sachregister Anarchismus 27, 95, 146, 158 Anselm von Canterbury 58 Antichrist 73, 93, 94, 102, 109, 134, 151, 156, 169, 174 Arianismus 33 Aristoteles 15, 29, 37, 71, 135, 166 Assmann, J. 70, 71, 72, 73, 74, 75, 155, 165 Augustinus 41, 44, 54, 62, 63, 64, 66, 103, 110, 111, 138, 154, 167, 168, 172 Ausnahmezustand 9, 10, 11, 17, 19, 28, 51, 55, 75, 136, 153, 155, 161, 171 Autoritas, non veritas facit legem 17, 22 Bakunin 21, 27, 28, 146, 158 Ball, H. 60, 101 Barion, H. 35 Bellizismus 83 Benedikt XVI. 138 Bernatzik, E. 19 Blumenberg 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 77, 103, 122, 149, 154, 165, 167, 168, 171 Bodin 12 Bonald 18, 23, 90 Bonhoeffer, Th. 60 Bourgeoisie 25, 26, 37, 38, 108, 122, 123, 143, 144, 151, 152 Buchanan, P. 163, 164 Burckhardt, J. 140 Byzantinismus 36, 42 Campanella, T. 59 Cäsaropapismus 42, 43 Celsus 31, 32, 33, 37
Chastel, E. 23 Clasa discutidora 25, 122 Comte, A. 17 Cortés, D. 18, 22, 24, 25, 26, 27, 28, 90, 131, 154 Cuius regio eius religio 39 Curiositas 67, 68 Dalberg-Acton, J. 121 Deismus 18, 21, 25 Demiurg 61, 64 Descartes 77 Deutsche Christen 44 Dezisionismus 21, 22, 28, 58, 76, 95, 101, 135, 136, 162 Diktatur 14, 19, 22, 23, 24, 27, 28, 76, 80, 153, 173 Dostojewski, F. 132, 133 Engels 22 Epimetheus, christlicher 93, 94, 134, 157 Erbsünde 64, 74, 80, 90, 91, 92, 95, 96, 103, 110, 111, 133, 155, 173 Eschatologie 32, 34, 38, 50, 51 Eschweiler, C. 40 Eusebius von Caesarea 32, 33, 36, 42, 43, 44 Faschismus 96, 147, 149, 151 Feil, E. 34 Feindidentifikation 77, 82, 87, 95, 99, 107, 113, 114, 115, 130, 141, 143, 144, 155, 156, 157, 167, 169, 170, 173, 174 Friedman, M. 120, 126, 131 Friedrich II. (Preußen) 97
Namen- und Sachregister Gegenrevolution 18, 24, 26, 28, 34, 55, 118 Gerlich, S. 132, 133 Gierke, O. 14, 19 Gnosis 49, 51, 52, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 103, 154, 167, 168 Goethe 59, 61, 62 Gregor von Nazianz 33, 59 Habermas 159 Harnack, A. 64 Hayek, Fr. 126, 134, 143 Hegel 21, 23, 58, 128 Heidegger 115 Heidentum 31, 33, 38 Hellenismus 37, 65 Heraklit 112, 166 Hippolytos (Hippolyt von Rom) 32 Hobbes 17, 21, 22, 56, 76, 77, 98, 107, 108, 109, 111, 134, 137, 145, 151, 162, 173 Hoppe, H.-H. 159, 160, 161, 162, 163, 164, 165 Hume 19 Ich-Verpanzerung 96, 115 Imperialismus 130 Imperium Romanum 29, 32, 33, 34, 39 Jaeger, P. 37 Jünger, E. 86, 112, 115, 166 Jus publicum Europaeum 89, 134 Justin der Märtyrer 30 Kant 11, 19 Kapitalismus 96, 117, 123, 125, 126, 130, 163 Katechon 93, 156, 169, 173 Katholizismus 22, 25, 26, 29, 74, 113, 118, 132, 133 Kelsen 13, 14, 15, 19, 21, 130, 135, 136, 137, 138, 139, 162 Konservatismus 142, 163, 164, 165
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Konstantinische Wende 71, 73, 75, 155 Krabbe, H. 14, 15, 16 Kulturprovinz 79, 107, 156 Kürzinger, J. 93 Le roi règne, mais il ne gouverne pas 29, 31, 37 Lenin 88 Lenz, J. 59, 61, 62 Lepper, M. 69 Libertarismus 120, 128, 129, 135, 159, 162, 163, 165 Llanque, M. 88 Locke 11, 16, 121, 135, 136 Ludwig XIV. 97 Lupus Servatus 23 Machiavelli 173 Maier, H. 34 Maistre, J. 18, 23, 24, 90 Makarius Magnes 31 Manichäismus 110 Marquard 52 Marquard, O. 53 Marxismus 20, 43, 96, 97, 98, 119, 120, 147, 149, 151, 170 Meier, H. 78, 79, 90, 94, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 134, 147, 149, 150, 151, 157, 165, 172, 173 Menzel, A. 18 Mia arche 29 Militarismus 83 Mill, J. 19, 121 Minarchismus 120, 129 Mises, L. 121, 124, 125, 165 Mommsen, Th. 60 Monarchianismus 37 Müller, A. 22, 23, 100, 101 Münkler, H. 88 Napoleon Bonaparte 60, 61, 102 Nationalismus 163, 164
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Namen- und Sachregister
Nationalsozialismus 43, 96, 149, 164 Naturrecht 55, 135, 136, 137, 138, 139, 140 Negative Anthropologie 68, 70, 74, 90, 91, 92, 111, 140, 150, 155 Nemo contra deum nisi deus ipse 59, 60, 66 Nomos 41, 45, 93, 94, 130, 138, 140, 166 Normativismus 166 Novalis 22 Occidentaler Rationalismus 45 Oppenheimer, F. 127, 128, 129 Origenes 32, 33, 37, 138 Orwell, G. 133 Overbeck, Fr. 42, 51 Palaver, W. 165 Parther-Pfeil 35 Partisan 88, 89 Paulus 93 Pax Augusta 32, 34, 38 Pax et securitas 134 Pazifismus 83 Personalismus 21, 134, 162, 163, 171 Peterson 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 59, 66, 70, 71, 75, 77, 94, 154 Philipp I. 37, 38 Philipp II. (Frankreich) 97 Philo 30 Pindar 166 Platon 29, 117, 135, 166 Polyarchie 33 Polytheismus 31, 33 Porphyrius 31 Praxeas 31 Preuß, H. 15, 19 Priesterbetrug 53 Privatrechtsgesellschaft 159, 161 Prometheus 61, 62, 94 Protestantismus 43 Proudhon 21, 24, 27, 88, 146, 152, 158
Quaritsch, H. 165 Quis judicabit 39 Rationalismus 11, 18, 24, 45, 58, 97, 170, 172 Rechtspositivismus 77, 95, 135, 136, 138 Romantik 22, 56, 57, 77, 99, 100, 101, 104, 168, 169, 173 Rothbard 135, 136, 139, 143, 159, 165 Rousseau, J.-J. 20, 21, 24, 130 Rumpf, M. 165 Säkularisationstheorem 46, 47, 48, 50, 51, 54, 55, 56, 58, 154, 168 Salomo 72 Satanismus 21, 27, 28, 74, 94, 95, 98, 146, 151, 168, 170 Schelling 23, 62 Schlegel 100 Schmitz, A. 69 Selbstermächtigung 46, 53, 57, 65, 118 Sigismund III. Wasa 37 Smith, A. 121 Solon 166 Sowjetunion 94 Sozialismus 22, 24, 25, 26, 27, 77, 95, 96, 97, 112, 113, 118, 119, 122, 142, 146, 147, 150, 151, 152, 164, 170 Speusipp 29 Stahl, Fr. 25 Stasis 59, 61 Stat pro ratione Libertas 67, 68 Stoa 29 Strauss, L. 78, 79, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 115, 118, 135, 139, 157, 165, 170, 172 Szientismus 97 Tertullian 31, 54 Theismus 18, 93 Theodizee 52, 103 Theologia politica 41
Namen- und Sachregister Topitsch, E. 34 Traditionalismus 23, 118, 143, 146, 151, 152 Trinitätsdogma 19, 31, 33, 36, 42 Umbesetzung 44, 46, 50, 52, 55, 56 Varro 41 Verschärfung, katholische 105, 115, 133 Voltaire 52, 56
Voluntarismus 58 Weber, M. 15, 20 Weiss, K. 94 Weltkaiser 94 Weltstaat 87, 109 Wolzendorff, K. 14, 15 Zwei-Reiche-Lehre 43
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