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German Pages 216 Year 1983
JOSE M A R I A B E N E Y T O
Politische Theologie als politische Theorie
Schriften zur
Rechtstheorie
Heft 105
Politische Theologie als politische Theorie Eine Untersuchung zur Rechts- und Staatstheorie Carl Schmitts und zu ihrer Wirkungsgeschichte in Spanien
Von D r . José M a r i a Beneyto
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Beneyto, José Maria: Politische Theologie als politische Theorie: e. Unters, zur Rechts- u. Staatstheorie C. Schmitts u. zu ihrer Wirkungsgeschichte i n S p a n i e n / v o n José Maria Beneyto. — Berlin: Duncker & Humblot, 1983. (Schriften zur Rechtstheorie; H. 105) I S B N 3 428 05342 7 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1983 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1983 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 05342 7
Vorwort Die vorliegende Schrift könnte i n dieser Stunde als Beitrag zur akut notwendigen Enttheologisierung der Politik verstanden werden. Das ist sie sicherlich auch. Was als Grundlagenforschung zu einem politiktheoretisch wie verfassungsrechtlich trächtigen Thema — die politische Theologie — und ihre nach wie vor zentrale Figur — Carl Schmitt — entstand, gerät nun i n die Gefahr eine Kampfschrift zu werden. Wenn dies aber i m Sog der Ereignisse unausweichlich bliebe, würde sein Rettungsanker eigentlich auch sein ursprüngliches Pedigree bestätigen: Wenn schon ein Plädoyer, dann eines für die Rationalität. Seit die sicherheitspolitische Diskussion um die Nachrüstung sich zur friedensethischen Debatte entwickelte, letztlich zum Glaubenskampf u m den „wahren" Frieden hochstilisiert worden ist, w i r d i n der Bundesrepublik über das Verhältnis von Staat und Kirche, Politik und Theologie, Macht und Glaube neu verhandelt. Neu ist das Medium, i n dem diese Entsäkularisierung sich darstellt, die Moral, und zwar die öffentlich diskutierte und repräsentierte Moral. Ihre Transzendenz ist nicht die des Glaubens, sondern die des sozialen oder politischen Handelns. Sie fragt nicht nach Gott, sondern nach Mitmenschlichkeit. Sie sucht nicht das Heil der Seele, sondern das Glück der Gesellschaft; statt Gemeinde, Sozialisierung. Und keine Vergebung, sondern Handlungsgewißheit. Ein Kreis schließt sich. I m Zuge der Säkularisierung wurde die Religion immer ausschließlicher bloß humanitär. Das Unbedingte, Absolute und Sinnstiftende w i r d nun i n der säkularisierten Gesellschaft i m Diesseits, i m Moralischen und Sozial-Politischen gesucht und erfahren. Arnold Gehlen nennt die neue Lebensform der Religion „Transzendenz i m Diesseits". Religion w i r d auf ein psychologisches Mangel- und Schuldgefühl reduziert und dieses an das Gesellschaftlich-Politische abgeladen. Die Entsäkularisierung geht Hand i n Hand mit einer progressiven Vergesellschaftung des Gewissens, einen tiefenpsychologischen Vorgang des Identitätsverlustes, der i m Öffentlich-rechtlichen mit der Auflösung der Dialektik von Staat und Gesellschaft i m Sinne der Politisierung koinzidiert. Die neue politische Sozialreligion besitzt i n Mangelerlebnissen die Bedingungen ihrer Möglichkeit. Es ist nicht zufällig, daß gerade zwei Bereiche der modernen Welt, i n denen die
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Vorwort
Qualität der Sachrationalität als besonders hoch entwickelt gilt, den Auslöser für religiöse Sozialängste und politische Heilsbewegungen abgeben: industrielle Wirtschafts- und militärische Sicherheitspolitik. A n die Stelle der politischen Vernunft t r i t t nun das Urteil religiöser, rigoroser Moral; die abstimmungsfähige Sachdiskussion w i r d durch Bekenntnisbildung mit Entrüstungsattitüden ersetzt. Kurz: Die Entsäkularisierung der politischen K u l t u r bedeutet wachsende Theologisierung und Moralisierung der Streitprobleme, d. i. eine Ent-Rationalisierung, die eine neue politische Sozialreligion entstehen läßt. Dies hat weittragende verfassungsrechtliche Folgen: Wo politisches Heilswissen die politische K u l t u r imprägniert, w i r d mit dem Sachverstand auch die Funktion der Verfassungsorgane relativ oder sogar überflüssig. Entsäkularisierung und Theologisierung ändern die Herrschaftsverhältnisse: Laienprediger und Prophet ersetzen den Abgeordneten und Mandatsträger. Dies ist unsere Situation und ihre Auswüchse sind das, was Gehlen die „Freisetzung von Agression durch die Radikalisierung der Moral" genannt hat. Das große Thema heißt also „Politische Theologie". Wie unermeßlich jedoch das Thema ist, zeigt sich i n der Ambivalenz, die bereits unserer i n dieser Hinsicht traditionell unbescholtenen freiheitlich-demokratischen Grundordnung anhaftet. Daß sie möglicherweise auch nicht ohne ein gewisses Quantum an politischer Theologie existiert, würde spätestens heute all die Ambiguität einer der Grundsätze liberal-konservativer Staatstheorie offenlegen. Die mit innovationsfreier Regelhaftigkeit wiederholte Formel, der freiheitliche, säkularisierte Staat lebe von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren könne (Böckenförde), war die dialektische Adaptierung jener bereits alten Wahrheit Carl Schmitts, wonach der Staat als Hüter des Allgemeinwohls die politische Macht besitze, nicht zu argumentieren und statt dessen zu entscheiden. Der freiheitliche Staat schien vor der undankbaren Aufgabe zu stehen, die Freiheitlichkeit zu garantieren, ohne zugleich die liberale Homogenität der Gesellschaft regulieren zu können; währenddessen machte er sich an die Schaffung des technisch-industriellen Molochs. Die Fiktion, der Verfassungs- und Rechtsstaat zeichne als bestimmendes Strukturelement die Herrschaft der Gesetze aus, deren Feld nicht die Gesinnung, sondern die Gesittung sei, dauerte solange, bis der allgemeine Glaube an die technisch-industrielle Fortschrittsutopie unbefragt blieb. Der Staat machte sich zum Erfüllungsgaranten der eudämonistischen Lebenserwartungen seiner Bürger und suchte die ihn tragende Kraft daraus zu gewinnen. A m Tag der Bewußtseinskrise und ihrer erneuerten Ausrufe zum Jüngsten Gericht fällt dann der konservativen Staatstheorie nichts mehr ein als hinter der fragwürdigen Höchstleistung einer Zivilreligion her zu laufen.
Vorwort Es ist zwar richtig, daß religiöse und sonstige letztinstanzliche Geltungsansprüche den Effekt einer Neutralisierung und Rationalisierung der Politik i n der Geschichte hervorriefen. Dies erfolgte dadurch, daß sie aus dem Bereich dessen, was als politische entscheidbar galt, herausgehoben wurden. Dadurch erzielten sie eine friedensstiftende Funktion. Nach der pluralistischen Ausdifferenzierung und Autonomisierung der Moderne haben aber Religion und Politik ein Verhältnis zueinander gefunden, das ihrem eigenen Wesen besser entspricht. Das Interesse an einer „nachaufgeklärten politischen Funktion der Religion" (Lübbe) heißt eben nichts anderes als Traditionalismus, und solche Funktionalisierungen der Religion laufen letztlich auf politische Theologie hinaus. A u f diese Weise ist der Absolutheitsanspruch der Religion, der Transzendenz über ihr sozio-kulturelles Medium nicht zu entsprechen. Vielleicht gehört heute die Religion zu den gesellschaftlichen Bedingungen der politischen Erhaltungsfähigkeit der Aufklärung (Kriele); ihre eigentliche Aufgabe erfolgt jedoch unabhängig von politischer Aufklärung und erst recht von politreligiösen Werbesongs. Von der globalzivilisatorischen Seite her wäre es jedenfalls richtiger, die nicht-regenerierbaren Bestände unserer natürlichen Umwelt und die symbolischen Strukturen unserer Lebenswelt für schutzbedürftig zu erklären, und zugleich vor Augen zu führen, daß nur bei der Frage, wodurch die Lebenswelt bedroht ist (Habermas), Verbesserungen — auch radikale — erreicht werden können. Die Spannung zwischen Transformation der dadurch gewonnenen Rationalisierungen i m Symbolträchtigen, Anthropologischen und ihrer erneuerten rationalen Neutralisierung gehört möglicherweise zur permanenten Aufgabe einer post-industriellen, post-modernen K u l t u r . Die vorliegende Arbeit w i l l diesen Fragekomplex an dem bestimmten — und weiterhin bestimmenden — Exempel der Politischen Theologie Carl Schmitts erproben. Es bleibt nun das Angenehmste: die Acknowledgments. Zu danken habe ich vielen. A l l denjenigen, die mich während meiner — unvergeßlichen — Studienjahre i n Deutschland begleiteten und weiterführten, allen voran meinem Doktorvater Professor Dr. Dr. Werner Krawietz, Direktor des Rechtswissenschaftlichen Seminars der Universität Münster, Ordinarius für Rechts- und Sozialphilosophie, der Idee, Planung und Durchführung der Arbeit sofort mit wachem Interesse bis zum Schluß weiterverfolgte und die unbequeme Erstkorrektur einer Dissertation, die nicht nur aufgrund ihres interdisziplinären Charakters „zwischen allen Stühlen lag", übernahm. Auch Professor Norbert Achterberg, sowie den Mitarbeitern des unter seiner Leitung stehenden Instituts für Öffentliches Recht und Politik fühle ich mich sehr verpflichtet. Erlebnisse und Erfahrung einer so inhaltsvollen und faszi-
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Vorwort
nierenden K u l t u r wie die deutsche und ihrer — wie Carl Schmitt sagen würde — „keimhaften" Sprache gehen natürlich tiefer, als es einige Dankworte an einzelne Personen ausdrücken können. Fraglich, daß diese Sprachkultur, wie es i m Zuge des sich ausbreitenden k u l t u r kritischen Pessimismus erscheint, ein „bloßes Relikt der Zersetzung des deutschen Idealismus" oder sogar eine „subversiv überbordende" K u l t u r darstelle. Jedenfalls: ihre Vitalität und Ausstrahlungskraft hat sie für mich erlebnis- und liebenswert gemacht. Für diese Sympathie fühle ich mich i n erster Instanz Professor Fernando Inciarte, Ordinarius für Philosophie ebenfalls an der Westfälischen-Wilhelms-Universität verpflichtet. Ich habe bei i h m nicht nur die Güte des Gesprächs — philosophischer, politiktheoretischer, literarischer A r t —, sondern auch den echten europäischen Geist deutscher Gelehrsamkeit erleben können. Mein Dank gilt ferner den Herren Professoren Alvaro d'Ors und Rafael A l v i r a von der Universität von Navarra, wo ich einen Teil der notwendigen Forschungsarbeiten i n einer fördernden Atmosphäre betreiben konnte. Für die kritische Durchsicht des Manuskripts und weiterführende Hinweise danke ich Herrn Priv.-Doz. Dr. Dieter Wyduckel, Herrn Dr. Wolfgang Meyer-Hessemann und Herrn Burckhard Popping. Herrn Professor Johannes Broermann b i n ich sehr dankbar für die freundliche Übernahme der Arbeit i n die Reihe zur Rechtstheorie; ohne die sorgfältige Betreuung durch Herrn Wolfgang Nitzsche i m Verlag Duncker & Humblot wäre die Publikation nur mit größeren Schwierigkeiten zustande gekommen. Selbstverständlich last, but not least möchte ich dem spiritus movens des Szenarios der Arbeit, Professor Carl Schmitt, herzlich danken. Das Interesse an seinem Thema initiierte einen regen persönlichen und brieflichen Kontakt, der für mich sehr fruchtbar wurde. Meine kritische Haltung gegenüber seinen Sachergebnissen steigerte sich zwar dadurch, doch jene anfängliche Faszination, die i n m i r Schmitts eigene Kombination von präziser Intuition und radikalem Denken hervorgerufen hatte, wurde nun durch die Herzlichkeit und den esprit des Menschen Carl Schmitt vermehrt. Der Eindruck bleibt: auch schwarze Legenden können schwarz sein. Madrid/Münster, i m Februar 1983 José Maria
Beneyto
Inhaltsverzeichnis
§ 1 Einleitung
15
Erster
Abschnitt
Rezeption Carl Schmitts in Spanien § 2 Z u r Wirkungsgeschichte Carl Schmitts i n Spanien
Erstes
20 20
Kapitel
Der Neue Staat der Nationalen Bewegung § 3 P o l i t i k als Mission
25 25
§ 4 Teleologischer Dezisionismus
27
§ 5 Konkrete Ordnung
33
§ 6 Politische Eschatologie
36
§ 7 Integrale Restauration
39
§ 8 Hierarchie absoluter Werte
43
Zweites
Kapitel
Zur Dialektik des Politischen i m Neuen Staat § 9 Politische Obligation u n d Entideologisierung
45 45
§ 10 Totalpolitisierung als historischer Prozeß
49
§11 K r i e g als politisches M i t t e l
52
§ 12 Mythologie der Entpolitisierung
55
§ 13 Entpolitisierung als Sozialisierungsprozeß
59
10
Inhaltsverzeichnis Zweiter
Abschnitt
Politische Theologie Carl Schmitts Erstes
62
Kapitel
Dezisionistische Begründung von Legalität und Legitimität § 14 Der Stellenwert legalen Entscheidens § 15 Die Politische Theologie Carl Schmitts als juristische Theologie
62 62
politische
§ 16 Legitimität durch Identifikation
72 77
§ 17 Die Kirche als politisch-theologische I n s t i t u t i o n
81
§ 18 Gehalt u n d Bedeutung der Politischen Theologie I
88
Zweites
Kapitel
Politisierung und Entpolitisierung
90
§ 19 Begriff des Politischen
90
§ 20 Neutralisierung u n d Politisierung
93
§ 21 Prometheus gegen den Leviathan: Gehalt u n d Bedeutung der Politischen Theologie I I 101 § 22 Über die drei A r t e n der Politischen Theologie Carl Schmitts
Drittes
105
Kapitel
Kritik an der Politischen Theologie Carl Schmitts als politische Theologie
111
§23 K r i t i k der politischen Theologie i m juristischen Positivismus §24 Politische Theologie als Ideologie
111 119
§ 25 Politische Theologie u n d Legitimität der Neuzeit
125
Viertes
Kapitel
Politische Theologie als theologische Politik: Zur heutigen Kritik des Verhältnisses von Theologie, Kirche und Politik § 26 K r i t i k der Möglichkeit u n d Bedingungen politischer Theologie
133 133
§ 27 Z u r politisch-theologischen F u n k t i o n der Königsherrschaft Christi 138 §28 Unableitbarkeit politischer M a x i m e n aus theologischen Sätzen
147
Inhaltsverzeichnis §29 Die gesellschaftskritische Inanspruchnahme der Politischen Theologie durch eine Theologie der Revolution 154 § 30 Demokratie u n d Demokratisierung als politisch-theologische Handlungsziele 160
Dritter
Abschnitt
Politische Theorie des Franco-Regimes als politische Theologie Erstes
165
Kapitel
Siegreicher Bürgerkrieg als Gründungsakt nationaler Ordnung §31 Bürgerkrieg als Kreuzzug
165 165
§ 32 Der innere Feind
168
§ 33 Revolution u n d T r a d i t i o n i n der Nationalen Bewegung
170
Zweites
Kapitel
De* Feind als Widerpart zur Aufrechterhaltung der Nationalen Ordnung
173
§ 34 Civitas Dei u n d civ i t as terrena § 35 P o l i t i k als Fortsetzung des Krieges
173 175
§36 Der äußere Feind
177
Zusammenfassung und Ausbilde
179
§ 37 Perspektiven eines revidierten Begriffs der P o l i t i k : Z u m Verhältnis v o n Politik, Theologie u n d Wissenschaft i n der politischen Theologie 179
Literaturverzeichnis
187
Âbkûrzungeverzeichnis a. a.a.O. abgedr. AfPh AfRS AöR Arbor Art. ARSP ASwSp Aufl.
am am angegebenen Ort abgedruckt Archiv für Philosophie Archiv für Rechtsgeschichte u n d Sozialphilosophie A r c h i v des öffentlichen Rechts A r b o r — Revista general de investigación y cultura Artikel A r c h i v für Rechts- u n d Sozialphilosophie A r c h i v für Sozialwissenschaft u n d Sozialphilosophie Auflage
Bd. BldPh BEvTh BVerfGE
Band Blätter f ü r deutsche Philosophie Blätter für evangelische Theologie Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
ders. Diss. dt. DJZ DVfLG DÖV
derselbe Dissertation deutsch Deutsche Juristen Zeitung Deutsche Vierteljahresschrift Geisteswissenschaft Die öffentliche V e r w a l t u n g
ebd. ed. EvTh
ebenda edited Zeitschrift für evangelische Theologie
Festschrift 1959 Festschrift 1968 Festschrift 1978 fr. i m Ο.
Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt zum 80. Geburtstag Mélanges offerts à Carl Schmitt à l'occasion de son quatrev i n g t - d i x anniversaire französisch i m Original
Η. Hg. (hg.) HistWbPhil
Heft Herausgeber (herausgegeben) Handwörterbuch der Philosophie
Jahrg. Jb.
Jahrgang Jahrbuch
KSt. KritVJSchr.
K a n t Studien Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung u n d Rechtswissenschaft
n. F. NJW
Neue Folge Neue Juristische Wochenschrift
für Literaturgeschichte u n d
Abkürzungsverzeichnis ο. J. ο. Ο. ÖZöR
ohne Jahr ohne Ort österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht
phil. Philos. Rundschau PhJb Pseud. PVS
philosophisch Philosophische Rundschau Philosophisches Jahrbuch Pseudonym Politische Vierteljahresschrift
RdNr. REP RIPH
Randnummer Revista de Estudios Politicos Revue Internationale du Philosophie
s. S. Sp. sp. i m O.
siehe Seite Spalte spanisch i m Original
umgearb.
umgearbeitet
vgl.
vergleiche
ZföR ZfPol
Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift für P o l i t i k
„Leg n u r einmal die Hand an den Leviathan, entschließe dich zum Kampf! — D u kommst nicht w e i t ! " (Buch Hiob 40, 32) „Aber v o l l I n g r i m sprach der w o l k i g e Zeus zu Prometheus: D u Iapetos Sohn, vor allen k l u g u n d verschlagen, Wahrlich, du hast noch nicht deine tückischen Künste vergessen". (Hesiod, Theogonie
558 - 560)
§ 1 Einleitung Ob w i r vor einer Carl Schmitt-Renaissance stehen, ist sicherlich nicht nur eine rezeptionsgeschichtlich interessante Frage. Vielmehr ein Indiz unserer Situation. Feststellbar ist: immer häufiger nimmt der Name Carl Schmitts einen breiten Raum bei internationalen Kongressen, wissenschaftlichen Tagungen, öffentlichen Diskussionen, Veröffentlichungen ein. Auch i n Deutschland, wo das Aussprechen dieses Namens immer noch eine gewisse Beklommenheit auslöst, ist die Stimme seiner zahlreichen Schüler und K r i t i k e r lauter zu hören. Es scheint, als ob jene gewisse mythische Aura, die seine Person und sein wissenschaftliches Werk von Anfang an begleiteten, heute wirksam ausstrahle. Die Anziehungskraft Schmitts beruht sicherlich einerseits auf seiner umfassenden Gelehrsamkeit und seinem intuitivem Auffassungsvermögen. Politik, Geschichte, Recht, Mythos, Philosophie und Theologie bilden den analytischen Hintergrund eines Denkens, das — unabhängig von seinen verhängnisvollen ideologischen Folgen — gewiß eine der großen intellektuellen Herausforderungen unseres Jahrhunderts darstellt. Nicht zuletzt w i r d die Wirkung Schmitts durch die dritte, mit Beiträgen aus mehreren Ländern 1976 i n Frankreich veröffentlichte Festschrift offenkundig. Dies sei — über Freund- und Feindschaften hinweg — als unparteiische Stellungnahme von jemandem gesagt, dem objektive Distanz leichter zu bewahren sein dürfte. Vor allem w i r d aber andererseits i n der politischen Theorie Carl Schmitts eine konsequente Weiterführung des neuzeitlichen politischen Denkens vollzogen. Insofern auch eine mehr als zweifelhafte Wirksam-
16
§ 1 Einleitung
keit. Denn hier artikuliert sich nicht nur Epigonisches einer bestimmten Tradition des neuzeitlichen Denkens, sondern auch ihr — jederzeit aktualisierbarer — potenzieller Totalitarisme. Die historisch-gesellschaftliche Wirklichkeit w i r d dabei dialektisch substantiiert und ins Existentielle hineinprojiziert. I n der Freund/Feind-Formel hat ein solch existentiell-dialektischer Begriff des Politischen seine unhistorische Verabsolutierung gefunden. Hatte Aristoteles Politik i n allem, was sie als Macht und Herrschaft ist, zugleich dadurch bestimmt, daß sie i n ethischen Institutionen die Wirklichkeit des Menschseins und so der Freiheit zum Inhalt hat, t r i t t nun i n einem existentiell-dialektischen Denken die Ethik zugunsten der nackten Macht zurück. Institutionalisierte Herrschaft hat dann nicht mehr die Aufgabe, das Menschsein und seine Entfaltung zu garantieren, sondern sie w i r d zur überindividuellen Verkörperung eines entpolitisierten Untertans bzw. eines durchpolitisierten „gesellschaftlichen Bündels". Hier werden rationale Kriterien von gerechter und beschränkter Herrschaft überflüssig. Politische Subjektivität verwandelt sich i n Ideologie; praktische Vernunft i n irrationale Dezision. Dadurch w i r d nicht nur die Aktualität der Fragestellung deutlich, sondern auch die eigene Motivation des Verfassers. Diese ist primär politik-theoretischer Natur; jene durch den zunehmenden Bedarf an Rationalität i n politischer Theorie und Praxis bestimmt. Denn eins w i r d aus einer Untersuchung der politischen Theorie Carl Schmitts auf jeden Fall klar. Nämlich, daß die Politik auch vor-rationale bzw. irrationale Momente enthält, deren Fortbestehen möglicherweise Bedingung und Möglichkeit politischer Subjektivität bedeuten. Um überhaupt einen vernünftigen Diskurs vollziehen zu können, bedarf es zumindest einer nicht diskursfähigen Voraussetzung: die Bereitschaft, grundsätzlich an dem Diskurs teilzunehmen, d. h. vernünftig zu diskutieren. Was sofort auch andere Vorbedingungen miteinbezieht, wie die Achtung der Menschenwürde, die Bereitschaft, den Diskurs zu beenden, insofern Repräsentanten zu akzeptieren, die den Konsens aller antizipieren usw. Nur, dort scheiden sich die Geister, wo diese Bereitschaft aus einem ethischen, oder aber — wie es bei Carl Schmitt der Fall ist — aus einem „politischen" Entschluß entspringt. Denn eine ethische Entscheidung setzt Freiheit des Willens, d. h. Offenheit zur rationalen Normenbegründung, voraus, während ein dialektisch-existentieller Begriff des Politischen, u m dem Zirkelschluß der bloß i m Handeln sich realisierenden Subjektivität zu entgehen, letztlich auf den Mythos zurückgreifen muß. Praktische Vernunft verschwindet dort, wo sie nur Praxis ist. Genauso wie politische Philosophie dort entfällt, wo sie bloße Anleitung zur politischen Entscheidung gibt.
§ 1 Einleitung Nirgends nach Marx w i r d diese Reduktion einer ethischen — d.h. Willensfreiheit — auf eine rein politische — d. h. nur Handlungsfreiheit — so konsequent vollzogen wie i n der politischen Theologie Carl Schmitts. Die politische Theologie t r i t t gerade mit dem Anspruch auf, eine sich i n der politischen Praxis realisierende Theorie zu sein, durch Politik selbst eine absolute Wahrheit zu verwirklichen. Dann ist es nur logisch, daß sie durch Geschichtseschatologie vermittelt wird. Hier wurde insofern das konservative Pendant zur marxistischen Geschichtsphilosophie geschaffen. Die Ersetzung von Ethik durch Geschichtsphilosophie bzw. -eschatologie ist aber nicht nur die Perversion jeder rationalen Normenbegründung, sie ist zugleich auch die Perversion jeder Politik. Denn hier reduziert sich Politik auf ein radikal existentielles Engagement. Geschichte und Gesellschaft stellen dann nicht mehr die Bedingungen zur Entfaltung der politischen Subjektivität, sondern werden selbst zum politischen Subjekt. Weil die Geschichtseschatologie jederzeit auf eine zugleich absolut vorgegebene und sich i n Geschichte realisierende Wahrheit zurückgreifen kann, verwandelt sich die politische Auseinandersetzung i n einen Kampf u m Leben oder Tod. Ihre Folge ist nicht die Humanisierung des Krieges, sondern dessen Verklärung. Indem die politische Theologie den Anspruch erhebt, die Wahrheit durch politische Praxis zu realisieren, meint sie aber den Inbegriff neuzeitlicher politischer Philosophie. So analysiert der zweite Abschnitt der Arbeit die politische Theorie Carl Schmitts, aber auch einiger seiner K r i t i k e r , als politische Theologie. Ursprünglich als Verabsolutierung der judiziellen Dezision entstanden, greift aus seinem gesteigerten Legitimationsbedarf i n dem Folgestadium der Dezisionismus nach einer politischen Theologie. Dabei führt die unvermeidliche Reduktion der Wirklichkeit auf „das Politische" nur noch zu einem größeren Bedarf an Legitimation. Die Folge der unabdingbaren Politisierung ist das zweite Kapitel politischer Theologie, die „Politische Theologie I I " (§§ 19 - 22). Staatsrechtliche Doktrinen beruhen auf politischen Theorien. Hinter der Frage nach der politischen Theologie steht die große Frage nach der Legitimität politischer Herrschaft. So kann auch ein Rückgriff auf politische Theologie immer dort stattfinden, wo Offenheit zur rationalen Begründung von politischer Herrschaft ausgeschaltet wird. Die politische Theologie kann den Bedarf an Legitimation dort decken, wo der Voluntarismus eines juristischen Positivismus sich historisch legitimieren muß. Dann greift sie auf begrifflich-strukturelle Analogien zwischen Rechtswissenschaft und Theologie zurück, u m die eigene Position als enttheologisiert, „rein" juristisch zu begründen (§ 23: Hans Kelsen). Sie kann aber auch ideologiekritisch verfahren, u m aus der 2 Beneyto
18
§ 1 Einleitung
Enttheologisierung für die Legitimationsbedingungen zu zehren (§ 24: Ernst Topitsch) oder schließlich aus der historisch konstruierten Situation selbst die Legitimität i m Mythos suchen (§ 25: Hans Blumenberg). Insofern berührt die politische Theologie auch zentrale Fragen des Verhältnisses zwischen Religion und Politik. I n der Auseinandersetzung m i t verschiedenen Ausformungen politischer Theologie gewinnt die These einer Unableitbarkeit politischer Maximen aus theologischen Sätzen eine neue argumentative Basis. Solche Ausformungen politischer Theologie betreffen die Frage nach dem Monotheismus als politisches Problem (§ 26: E r i k Peterson), über die Funktionalisierung der Königsherrschaft Christi (§ 27: Alvaro dOrs, Hans-Georg Schütte), die aktuellen Ansätze einer Theologie der Revolution (§ 29: Johannes Baptist Metz), bis h i n zur vermeintlichen politischen Theologie Johannes Pauls I I . (§ 30: Ernst-Wolfgang Böckenförde). Indem solche Ansätze i n die Nähe der politischen Theologie Carl Schmitts rücken, w i r d jedwede Form einer kirchlich-institutionellen politischen Theologie obsolet. Dadurch w i r d ein Desideratum der Forschung zu erfüllen versucht. Denn, während Schmitts „Wendung zum Führerstaat" und Schmitts staatstheoretische und -rechtliche Leistung Gegenstand zahlreicher Forschungen war, leidet seine politische Theologie unter einem eindeutigen Nachholbedarf. Dies t r i f f t insbesondere für die zweite Version, die „Politische Theologie I I " (1970), zu. Sicherlich nicht zuletzt aufgrund ihrer fast esoterischen Aussagen. So bildet den Hauptteil der Arbeit die Auseinandersetzung m i t der politischen Theologie Carl Schmitts und seinen — bei der „Politischen Theologie I I " herangezogenen — Kritikern. Indem die Ansätze der K r i t i k e r sich als politische Theologie erweisen, erfährt die Fragestellung ihre Verallgemeinerung. Doch würde die theoretische Darlegung und K r i t i k einer politischen Theorie, die sich geradezu als i m Politischen realisierende Wahrheit versteht, durch die politische Theologie allemal überholt. Methodisch müßte dazu eine K r i t i k der Praxis politischer Theologie gehören. Dafür bot sich i m Falle Carl Schmitts die politische Wirklichkeit des FrancoRegimes vorzüglich an. Nicht nur aufgrund dessen, daß hier die bedeutendste Rezeption Carl Schmitts stattfand — was ein Indiz für die Untersuchung gab —, sondern weil die politische Praxis des FrancoRegimes sich ausdrücklich als politische Theologie verstand. Womöglich ist auf einer beträchtlich geographischen und kulturellen Entfernung der „christliche Staat" Hegels auf den Nenner gebracht worden. Die Wirkung Schmitts auf das Franco-Spanien erweist sich dabei eigentlich als Wechselwirkung: politische Theorie Carl Schmitts und politische Wirklichkeit von Franco-Spanien bedingen und beeinflussen sich gegenseitig. Dadurch w i r d der heuristisch-normative Wert der politischen
§ 1 Einleitung Theologie nur noch gesteigert. Insofern auch die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit ihr. Der Wechselwirkung von Praxis und Theorie w i r d durch die Analyse der eigentlichen Rezeptionsgeschichte (1. Abschnitt) und der politischen Theorie Francos als politische Theologie (3. Abschnitt) Rechnung getragen.
Erster
A b s c h n i t t
Rezeption Carl Schmitts in Spanien § 2 Z u r Wirkungsgeschichte C a r l Schmitts i n Spanien R e i n q u a n t i t a t i v b e t r a c h t e t , zeugen die B i b l i o g r a p h i e n P i e t T o m m i s sens v o m g r ö ß t e n E i n f l u ß C a r l S c h m i t t s gerade i n Spanien. I n d e r d r i t t e n B i b l i o g r a p h i e (1978) r a n g i e r t dieses L a n d m i t 34 v o n d e n insges a m t 85 Ü b e r s e t z u n g e n d e r W e r k e S c h m i t t s a n erster S t e l l e 1 . D i e Z e u g nisse s e k u n d ä r l i t e r a r i s c h e r A r b e i t e n u n d p e r s ö n l i c h e r B e z i e h u n g e n s i n d h i e r f e r n e r a m h ä u f i g s t e n 2 . D i e A u f n a h m e des D e n k e n s C a r l S c h m i t t s i n S p a n i e n w u r d e entscheidend f ü r die E r n e u e r u n g d e r p o l i t o l o g i s c h e n S t u d i e n seit d e n d r e i ß i g e r J a h r e n u n d d e r e n I n s t i t u t i o n a l i s i e r u n g i m „ I n s t i t u t o de Estudios P o l i t i c o s " ( G r ü n d u n g 1939, k u r z n a c h E n d e des B ü r g e r k r i e g s ) , eine E r n e u e r u n g , die sich i n d e n I n s t i t u t s v e r ö f f e n t l i c h u n g e n niederschlug. A b 1941 gab dieses, v o r a l l e m i n d e n e r s t e n J a h r e n d e m F r a n c o - R e g i m e sehr n a h s t e h e n d e wissenschaftliche I n s t i t u t 1 P. Tommissen, Zweite Fortsetzungsliste der C. S.-Bibliographie v o m Jahre 1959 (abgeschlossen am 1. M a i 1978), i n : J. Freund / P. Tommissen (Hrsg.), M i r o i r de Carl Schmitt. Cahiers Vilfredo Pareto. Revue européenne des Sciences Sociales 16 (1978), S. 220 - 275. Die erste gedruckte Festschrift f ü r Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, hrsg. v o n H. Barion / E. Forsthoff / W . Weber, B e r l i n 1959, enthielt auf S. 273 - 330 die v o n Tommissen angefertigte erste Bibliographie. Die zweite Festschrift: Epirrhosis — Festgabe für Carl Schmitt, hrsg. v o n H. B a r i o n / E.-W. Böckenförde / E. Forsthoff / W. Weber, 2 Bde., B e r l i n 1968, setzte sie durch eine Ergänzungsliste (S. 739 - 778) fort. I m d r i t t e n T e i l des Werkes P. Tommissens, Over en i n zake Carl Schmitt, Brüssel 1975, veröffentlichte er eine Fortsetzungsliste (S. 127 - 166), deren Ergänzung i m H i n b l i c k auf die dritte Festschrift, Mélanges offerts à Carl Schmitt à l'occasion de son quatre-vingt-dixième anniversaire, eben die zweite Fortsetzungsliste ausmacht. A u f diese bewährte Bibliographie T o m missens w i r d n u n grundsätzlich des weiteren durch die dabei benutzte Klassifikation verwiesen. Schon allein die Sequenz der Rezeption ist ein bemerkenswertes Rezeptions-Faktum. Während bei der ersten Bibliographie (1959) 23 spanische Übersetzungen erscheinen, sind 1968 w e i t e r h i n sieben, bei der Bibliographie v o n 1978 n u r noch v i e r zu verzeichnen. So bleiben einige wichtige A r b e i t e n Carl Schmitts w i e die „Politische Theologie I I " (1970) u n d „Die vollendete Reformation" (1965) ohne Übersetzung. 2 E i n wichtiger Beleg für das enge — nicht zuletzt i n persönlicher Hinsicht — Verhältnis Carl Schmitts zu Spanien bietet die Heirat seiner einzigen Tochter, A n i m a , m i t dem Rechtshistoriker Alfonso Otero. A n i m a Schmitt de Otero wurde zur bedeutendsten Übersetzerin der Werke Schmitts ins Spanische.
§ 2 Zur Wirkungsgeschichte Carl Schmitts in Spanien
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die „Revista de Estudio Politicos" heraus, eine Zeitschrift, die heute unter der Trägerschaft des — den neuen politischen Umständen angepaßten — „Centro de Estudios Constitucionales" einen nicht mehr wegzudenkenden Beitrag innerhalb der innerspanischen staats- und politikwissenschaftlichen Diskussion leistet. Das — nicht zuletzt ideologisch gesteuerte — erwachte Interesse an politiktheoretischen Fragen kam schließlich durch die Einrichtung der ersten Fakultät der Politikwissenschaften i m Jahre 1943 i n Madrid 3 zum Tragen. Carl Schmitt stand von Anfang an i n dem Mittelpunkt solcher Bemühungen. So stellte etwa der Verfassungsrechtler Pablo Lucas Verdù 1963 i n der Zeitschrift „Der Staat" das Denken Schmitts neben dem französischen Institutionalismus und dem Kelsenschen Normativismus als die wichtigste unter den drei staatsrechtlichen Richtungen hin, die i n Spanien i m wesentlichen Eingang gefunden hätten. Schon i n diesem Beitrag versuchte Lucas Verdù den entscheidenden Einfluß Schmitts „zum Teil aus politischen Gründen" zu erklären 4 . Das größere Ansehen Schmitts sei auch der Grund für die Verdrängung Hermann Hellers gewesen, „dessen Ansichten zwar wiederholt zitiert werden, dennoch, wenn w i r von dem skizzenhaften Versuche Galan's absehen, nie weiter entfaltet worden sind" 5 . Der bedeutenden Rezeption entspricht andererseits auch das Gegeninteresse Schmitts an Spanien. Dieses entstand ursprünglich aus seiner Bewunderung für den Theoretiker der Diktatur, Juan Donoso Cortés (1804 -1853). Die ersten Nachweise seiner wissenschaftlichen Beschäftigung m i t diesem spanischen Konterrevolutionär stammen aus der Zeit der „Diktatur", der „Politischen Romantik" und der „Politischen Theologie" (1919 - 1922)e. Seitdem bildete die Auseinandersetzung mit dem Denken Donosos eine Konstante i m Werk Carl Schmitts. I n i h m sah Schmitt nach eigenem Bekunden den ersten Vertreter des politischen Dezisionismus auf der Grundlage einer Politischen Theologie, welche die Erkenntnis der historischen Überwindung traditioneller monarchistischer Legitimitätsbegründungen bis h i n zur Theorie der Diktatur radikalisierte 7 . Die Befassung mit Donoso Cortés fruchtete i n mehreren 8
Vgl. hierzu die Festrede v o n M . Fraga Irabarne bei der Ernennung Carl Schmitts zum Honorarmitglied des Instituto de Estudios Politicos (Februar 1962): M . Frage Irïbarne, Carl Schmitt: el hombre y la obra, REP 122 (1962), S. 5 - 36. 4 P. Lucas Verdu, Die E n t w i c k l u n g der Staatstheorie i n Spanien seit 1945, in: Der Staat 2 (1963), S. 227 - 244, 230. Über die E n t w i c k l u n g der Politischen Wissenschaft i n Spanien bis i960 vgl. auch C. Ollero, Die politische Wissenschaft i n Spanien, i n : Politische Forschung, hrsg. v o n Otto Stammer, K ö l n / Opladen 1960, S. 81 - 102. 5 P. Lucas Verdù , Die Entwicklung, S. 230 f. β Vgl. C. Schmitt, Politische Theologie, München / Leipzig 1922, S. 50 - 56. 7 Vgl. ebd., S. 55 f.
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I. Rezeption Carl Schmitts in Spanien
Aufsätzen, nämlich „Die Staatsphilosophie der Gegenrevolution" (1922), „Donoso Cortés i n Berlin (1849)" (1927), „Der unbekannte Donoso Cortés" (1929) und „Donoso Cortés i n gesamteuropäischer Interpretation" (1949)8. Daß das Interesse für Spanien und seine K u l t u r bei Carl Schmitt jedoch aus früherer Zeit herrührte, zeigt der i m Jahre 1912 i n der Zeitschrift „Die Rheinlande" erschienene Aufsatz über „Don Quijote und das Publikum" 9 . Die Gründe für ein solch überdurchschnittliches Interesse sind verschiedenen Ursprungs. Zum einen lag es möglicherweise i n der sozialpsychologischen Anziehungskraft, welche dieses traditionell katholische Land über die unter ganz anderen historischen und soziokulturellen Umständen lebenden deutschen Katholiken ausgeübt haben könnte. I n diesem Sinne bestätigte Schmitt die Bedeutung der spanischen „Katholizität" gegenüber der „existenziellen Krise" des Abendlandes beim Versuch, i n der Schrift „Donoso Cortés i n gesamteuropäischer Interpretation" die Elemente zur „Inaugurierung eines echten Geschichtsbildes" aufzuzeigen. Unter den ersten Namen, die i n diesem Kontext „genannt werden müssen", stehe Donoso Cortés. Denn ohne i h n wäre — so Schmitt 1944 — das B i l d des „europäischen Ideenkampfes von 1848 nicht nur unvollständig und fragmentarisch, es wäre auch i n seinem strukturellen Ansatz unrichtig, weil ein wesentliches Ingredienz fehlte, das — wie die geistige Lage Europas nun einmal ist — nur aus der Substanz Spaniens erbracht werden k a n n " 1 0 . 8 A l l e v i e r Aufsätze zuletzt i n : C. Schmitt, Donoso Cortés i n gesamteuropäischer Interpretation, K ö l n 1950. Über die Anziehungskraft Donosos, vgl. die Aussage eines engen Schmitt-Schülers, J. Freund: „Deux auteurs Tont tout particulièrement préoccupé, l'anglais Th. Hobbes et l'espagnol Donoso Cortés. I l est pour ainsi dire à l'origine de l'attention nouvelle que l'on porte de nos jours à ces deux grands penseurs", der sVue d'ensemble sur l'oeuvre de Carl Schmitt, i n : J. Freund / P. Tommissen (Hrsg.), M i r o i r de Carl Schmitt* S. 10. Z u Donoso Cortés vgl. J. Fernândez, Spanisches Erbe u n d Revolution, Münster 1957, S. 56 - 69; E. Schramm, Der junge Donoso Cortés (1809 - 1936), in: Spanische Forschungen der Görres-Gesellschaft, Erste Reihe, Bd. I V , S. 248-310, Münster 1933; dersLeben u n d W e r k eines spanischen A n t i liberalen, Hamburg 1935; ders., Z u r Frage: Donoso Cortés u n d Deutschland, i n : Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens, Bd. 2, S. 220 - 230, Münster 1955; D. Westemeyer, Donoso Cortés. Staatsmann u n d Theologe. Eine Untersuchung seines Einsatzes der Theologie i n die P o l i t i k , Münster 1940; A . Dempf, Christliche Staatsphilosophie i n Spanien, Salzburg 1937, S. 128 - 168; zuletzt: M . Greiffenhagen, Das Dilemma des Konservatismus i n Deutschland, München 1971, S. 94 ff., 178 ff.; G.-K. Kaltenbrunner, Rekons t r u k t i o n des Konservatismus, Freiburg 1972, S. 30 ff., 232, 294-308; ders., Der schwierige Konservatismus. Definitionen. Theorien. Porträts, Herford / B e r l i n 1975, S. 161 - 169. K r i t i s c h zur politischen Theologie Donosos: R. Faber, Die Verkündigung Vergils. Z u r K r i t i k der „Politischen Theologie", Hildesh e i m / New Y o r k 1975, S. 142 - 154. 9 C. Schmitt, Don Quijote u n d das Publikum, in: Die Rheinlande 22 (1912), S. 348 - 350. 10 C. Schmitt, Donoso Cortés, S. 102 f. Vgl. n u n zum Themenkomplex „Carl
§ 2 Zur Wirkungsgeschichte Carl Schmitts in Spanien
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Zum anderen, ein damit zusammenhängender, i m Kontext seiner Politischen Theologie gewichtiger Gedanke, welcher unumwunden Schmitt selbst i n der Dankrede anläßlich seiner Ernennung zum Honorarmitglied des Instituto de Estudios Politicos (1962) zum Ausdruck brachte: „Es ist ein signifikanter Zufall, daß der aufrichtige Forschungsdrang mich immer wieder nach Spanien geführt hat. Ich sehe i n diesem fast providentiellen Zufall ein Beweis mehr dafür, daß der nationale Befreiungskrieg Spaniens der Angelpunkt ist. I n dem heutigen Weltkampf war Spanien das erste Land, das sich aus eigener Kraft behauptete, so, daß jetzt alle nicht-kommunistischen Länder sich vor Spanien i n dieser Hinsicht verpflichtet fühlen müssen" 11 . M i t anderen Worten: I n der spezifischen Geistesgeschichte Spaniens sah Schmitt den historischen Nachweis seiner theoretischen Leistung erbracht. Der politisch-theologisch „verortete" Weltbürgerkrieg fand hier seine geschichtsphilosophisch legitimierte Frontenbildung: „Ich spreche über die industrielle Entwicklung m i t derselben geistigen und moralischen Haltung Tocquevilles i n Bezug auf den demokratischen Prozeß. Ich bewundere weiterhin den Satz Unamunos: ,Mögen die anderen erfinden!'", denn i n diesem Ausspruch des großen Tragikers äußere sich eine „geistige Höherwertigkeit". Trotz der objektiven Notwendigkeit der industriellen Entwicklung zeige sich nötiger denn je — so weiterhin Schmitt — eine skeptische Haltung, die uns vor einem blinden Glauben an die Technik — „so wie die Mexikaner an die weißen Götter glaubten" — bewahren solle. Denn letztlich sei die moderne technische und industrielle Welt „nichts anderes als Menschenwerk" 12 . Neben Donoso Cortés wurde auch der Theoretiker einer „neuen Legitimität für die Neuwelt", Francisco de Vitoria, ein von Schmitt oft zitierter und bewunderter A u t o r 1 3 . I m Hinblick auf seine Theorie des Schmitt u n d der Katholizismus": P. Tommissen, Carl Schmitt metajuristisch betrachtet. Seine Sonderstellung i m katholischen Renouveau des Deutschlands der Zwanziger Jahre, in: Criticón 5 (1975), S. 177 - 184. ** REP 122 (1962), S. 19. 12 REP 122 (1962), S. 36: „Hablo del desarrollo industrial con la misma actitud espiritual y m o r a l con la que habló Tocqueville del moderno desarrollo democràtico. Sigo admirando l a frase de Unamuno: ,Que inventen ellos!' Esta exclamación del gran filòsofo tragico es y sigue siendo u n sintoma de superioridad espiritual. No debe cegarnos para las necesidades objetivas del desarrollo industriai, pero nos puede preservar de creer en la tècnica moderna corno los mejicanos creyeron en los dioses blancos. E l mundo entero de la industria y de la tècnica modernas no es mâs que la obra de hombres". 13 Vgl. etwa C. Schmitt, Francisco de V i t o r i a u n d die Geschichte seines Ruhmes, i n : Die neue Ordnung, 3 (1949), S. 289 - 313, sowie ders., Der Nomos der Erde i m Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, K ö l n 1950, S. 143 - 153 und ders., Land u n d Meer, Leipzig 19542. Die gleichzeitig erschienene spanische Übersetzung des ersten Aufsatzes t r u g den bezeichnenden T i t e l „ L a justificación de la ocupación de u n nuevo
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I. Rezeption Carl Schmitts in Spanien
Partisanen hat schließlich der „Partisane" einer Politischen Theologie den entscheidenden praxisbezogenen Beitrag der spanischen Guerrillas i m Vergleich zur theoretischen Leistung Preußens i m Mittelpunkt seiner Darstellung gewürdigt 1 4 . Die erste spanische Reise Schmitts datiert aus dem Jahre 1929. Damals hielt er nach eigener Bekundung seinen ersten Vortrag i n spanischer Sprache i m sogenannten Deutschen Institut (Instituto Alemân) 1 5 . Es handelte sich dabei u m eine Zusammenfassung der beiden Aufsätze, die Schmitt unter den Titeln „Donoso Cortés i n Berlin" und „Der unbekannte Donoso Cortés" jeweils i n den Jahren 1927 und 1929 für K a r l Muth, den Herausgeber der Zeitschrift „Hochland", geschrieben hatte. Diese, „ i n eine Zeit scheinbarer Normalisierung" fallenden Schriften 1®, wurden auch später (1930) i n ihrer Redeversion i n Madrid veröffentlicht 1 7 . Spätere Vortragsreisen führten i h n ebenfalls nach Madrid (1943: „Cambio de estructura del Derecho Internacional" ; 1951: „La unidad del mundo"; 1962: „El orden del mundo después de la segunda Guerra Mundial"), nach Murcia (1951: „La unidad del mundo") sowie nach Pamplona und Zaragoza, wo er i m Frühjahr 1962 den Vortrag „Teorias modernas sobre el partisano", später i n der Abhandlung zur „Theorie des Partisanen" eingearbeitet, hielt 1 8 . Wenn tatsächlich — wie es heißt — i m Grunde alle Geschichte nur Rezeptionsgeschichte ist, so gewinnt dieser Satz i m Falle des Verhältnisses Schmitt — Spanien einen eindeutigen wirklichkeitsnahen Klang. Daß die Affinität zwischen der politischen Theorie Schmitts und der politischen Realität Spaniens bis 1975 nicht nur aufgrund irgendwelcher „literarischen" Weiterwirkungen zu erklären ist, sondern vielmehr auf den heuristisch-normativen Stellenwert der „politischen Theologie" indiziert, soll hier zunächst nur thesenhaft behauptet werden. I m folgenden soll es zuerst darum gehen, anhand der Autorenrezeption nachzuzeichnen, inwiefern die politische Theorie Schmitts durch Theoretiker des Franco-Regimes und/oder K r i t i k e r aufgenommen bzw. aus der Sicht „politischer Theologie" weitergeführt wurde. mundo (Francisco de Vitoria)", in: Revista espanola de Derecho I n t e r nacional, 2 (1949), S. 214 - 281. 14 Vgl. C. Schmitt, Theorie des Partisanen, B e r l i n 1963. 16 Vgl. REP 122 (1962), S. 19. 1β Vgl. C. Schmitt, Donoso Cortés i n gesamteuropäischer Interpretation, S. 8 u n d ders., Interpretación europea de Donoso Cortés, S. 26. 17 M i t dem T i t e l „Donoso Cortés, su posición en la historia de l a filosofia del Estado europeo". 18 Vgl. hierzu C. Schmitt r Theorie des Partisanen, B e r l i n 1963, V o r w o r t .
Erstes
Kapitel
Der Neue Staat der Nationalen Bewegung § 3 Politik als Mission Als eigentlich erstes Rezeptionsstück gelten die Zeitschriftenartikel des Schriftstellers und Essayisten Eugenio dOrs über den DonosoVortrag von 1929 i n Barcelona. Dabei knüpft der berühmte „Xenius" an seine eigenen Überlegungen über Donoso Cortés an, übereinstimmend mit der schmittschen Interpretation der vier Entwicklungsstufen des Neutralisierungsprozesses 19 . I m „Doppelwesen" Donosos als Geschichtseschatologe und politischer Pragmatiker „autor câlidamente barroco" und „escritor friamente lùcido" 2 0 komme deutlich die ebenso „realistische" wie „theoretische" Lösung zutage, welche Donoso gegenüber dem „Opportunismus" des Liberalismus postuliert: nämlich die Diktatur. Denn nur durch die Überwindung des Parteiensystems i n einem Führerregime („régimen de jefatura") — oder auch umgekehrt i n der Radikalisierung des deliberativen Prinzips — bestünde eine mögliche Alternative zum unausweichlichen Kampf zwischen Autorität und Diskussion, die i n der Terminologie seiner Kulturanthropologie m i t jenen zwei „sozialen Konstanten", der „männlichen" — symbolisiert durch das Führerprinzip, sei er Monarch, Präsident, Kanzler oder D i k tator — und der „weiblichen" — politisch repräsentiert durch Parlament oder Versammlung — identifiziert 2 1 . Die Option zugunsten der Autorität begründet sich aus der Notwendigkeit eines kontinuitätschaffenden Vernunftelements, das dOrs — Schmitt paraphrasierend — i n dem begrenzenden und ausbalancierenden System der Gewaltenteilung geradezu verneint sieht. Dieses sei vielmehr ausschließlich i m „pouvoir neutre" des Bundespräsidenten enthalten (vgl. „Der Hüter der Verfassung"). Während die deliberierende Versammlung auf Willensimpulsen
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Vgl. E. d O r s , Glosario Completo. Nuevo Glosario. Novisimo Glosario, 8 Bde., M a d r i d 1947 (Bd. I I , S. 525 - 530). Soweit nichts anderes aus der Überschrift der zitierten Aufsätze u n d Bücher ersichtlich w i r d , sind alle Zitate i n den § § 3 - 1 3 aus dem Spanischen v o m Verfasser übersetzt. 20 Ebd., S. 701: „leidenschaftlicher Barockautor" u n d „einsichtiger Schriftsteller". Vgl. auch ebd., S. 1018. 21 Ebd., S. 947 - 948.
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1 . Kap.: Der Neue Staat der Nationalen Bewegung
beruhe, müsse die „Repräsentation" aus einem Entscheidungsorgan ihre Kraft entnehmen: aus der Autorität des Souveräns 22 . Der Angelpunkt der geistigen Verwandtschaft zwischen Carl Schmitt und Eugenio d'Ors lag i n der Liberalismuskritik. Dem „Relativismus" und „Nationalismus" der liberalen „Anti-Humanität" stellt d'Ors die festen Überzeugungen und den humanen Universalismus der „Katholischen Zivilisation" 2 3 gegenüber. Es ergebe sich eine Verbindungslinie zwischen der liberalen Tradition der Französischen Revolution, dem Sozialismus und dem Faschismus, als jeweilige Folgeprodukte vom „opportunistischen Relativismus" der politischen Romantik, eine Formel Carl Schmitts, die d'Ors als „höchst subversiv" betrachtet 24 . Der Nationalsozialismus bildet jedoch für ihn, sofern es sich u m einen „National-Syndikalismus" i m Sinne einer Kombination der politischen Theorien Maurras' und Sorels handelt, auch ein Glied der politischen Romantik 2 5 . M i t den Worten Mauriacs behauptet demzufolge d'Ors, daß „grob skizziert . . . der ,Nazi' von heute sich i m Jakobiner vorgezeichnet" befindet 2 6 . Die von d'Ors postulierte „Kulturrevolution" w i l l gegenüber dem impliziten Naturalismus jedes Nationalismus — und insoweit potentiellen Relativismus — die politische Einheit auf ein idelles Fundament begründen. Die ideelle Sublimierung der Nation heißt für Eugenio d'Ors das Imperium. Hier befinde sich die authentische Bestimmung des Wesens Spaniens und die Garantie seiner Projektion i n die Zukunft: i n der Zurückführung der nationalen Gemeinschaft auf den Universalismus ihrer katholischen Mission 27 . „Das Bewußtsein eines Missionssinnes" 28 identifiziert die Ideale von Katholizismus, Tradition und Universalität, „befreit" den Nationalismus von seinen „ i r d i schen" Bindungen und schließt ihn i n die Welt der Ideen ein. Dadurch w i r d bei Eugenio d'Ors Liberalismuskritik und Kulturanthropologie zur politischen Theologie. Der zentrale Begriff der Mission impliziert die 22
Ebd., S. 948. Der Ausspruch „civilización católica" geht auf Donoso Cortés (vgl. Obras Complétas, Bd. I I , M a d r i d 1970, S. 250 ff., 324 ff., 407 ff.) zurück, als Gegensatz zur „civilización filosofica", d . h . die aus der aufklärerischen Vernunftphilosophie u n d — nach der konterrevolutionären Interpretation — dem hierauf folgerichtigen revolutionären Prozeß sich formenden Gesellschaftsstrukturen. Der spezifische geschichtstheologische Gehalt dieses Gegensatzes — die abstrakte Zivilisation der Revolution ist das geschichtlich gesellschaftliche Böse — w i r d i m wesentlichen durch d O r s übernommen. Vgl. dazu D. Westemeyer, Donoso Cortés, u n d v o r allem R. Spaemann, Der Ursprung der Soziologie aus dem Geist der Restauration. Studien über L. G. A . de Bonald, München 1959. 24 E. d O r s , Glosario, I I I , S. 535. 25 Ebd., S. 785. 26 Ebd., S. 146. 27 E. dOrs, Glosario, I I , S. 710. 28 „ L a conciencia de u n sentido de misión", ebd., S. 711. 23
§ 4 Teleologischer Dezisionismus
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Wiedererneuerung des eschatologischen Mythos Europas unter den Vorzeichen seiner universell, katholisch-römischen K u l t u r 2 9 . Der axiomatische Ansatz der politischen Theologie Donoso Cortés, die Annahme, daß jede politische Auseinandersetzung i m Grunde auch einen theologischen Kern enthalte, w i r d bezeichnenderweise von dOrs durch das Postulat „theologischer Politik" ergänzt: „jede theologische Frage impliziert eine gewisse politische Auseinandersetzung" 80 . Trotz seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus stellt d'Ors deutliche Bezüge von Donoso über Carl Schmitt bis zum Dritten Reich her. Es handele sich — so d O r s — keinesfalls u m reinen Zufall, daß Schmitt sich auf Donoso eingeschworen hätte. Denn, ungeachtet der Verschiedenheit der Geister, hätte Donoso die wissenschaftliche Konstruktion Schmitts „prophetisch" vorweggenommen. Nämlich das, was später die Deutschen „auf militärische A r t " gelebt hätten 3 1 . Hier zeigt sich jene Zwiespältigkeit, i n die „die Befürworter einer starken Regierung" 3 2 i m Hinblick auf den Nationalsozialismus getrieben wurden. U m so ausdrücklicher zumal Donoso Cortés und Carl Schmitt geradezu als Kronzeugen der „rettenden spanischen ReAktion" beschwört werden 3 3 . Doch spielen bei d O r s eine wesentlichere Rolle ästhetisch-kulturelle Motive, als die spezifisch ideologischen. Weit mehr als die Unterstützung des „starken Mannes" ging es i h m u m eine Politik, welche sich als Instrument einer breiten kulturellen Revolution erweisen müßte. So sah er i m Populismus und i n der Imperialideologie des italienischen Faschismus und Nationalsozialismus den Versuch, Politik unter das Primat des Geistes zu stellen. Das Scheitern dieses Versuchs sollte i h n zur Bekräftigung der These führen, nur eine „ w i r k liche" — d. h. „katholische" — Politik vermöge die Überwindung von Materie und Relativismus zu leisten; von daher sein bedingungsloses Eintreten für das „ewige, imperiale Spanien" des Franco-Regimes. § 4 Teleologischer Dezisionismus Inwieweit unterschwellig die Rezeption Carl Schmitts i n Spanien sich mit einer bestimmten Ausformung der Praxis politischer Theologie deckt, expliziert das Werk eines bedeutenden Theoretikers des Franco29 E. d'Ors, Glosario, I I , S. 707 - 710 u n d ff. Siehe insbesondere den Aufsatz über „ P o l i t i k u n d Mission", was für Eugenio d O r s soviel bedeutet w i e „Mission" durch u n d f ü r die „ P o l i t i k " (vgl. S. 710). Vgl. auch Principios de politica de missión, i n : ders., Nuevo Glosario, I I I , S. 376 - 387. 80 Ebd., S. 701. 81 E. dOrs, Glosario, I I I , S. 535. 82 Nach seiner Selbstdefinition der politischen Rechte. So beispielsweise E. d'Ors, Glosario, I I , S. 250 ff. 38 E. d'Ors, Glosario, I I I , S. 152.
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1 . Kap.: Der Neue Staat der Nationalen Bewegung
Regimes. I n seiner zugleich kritischen und weiterführenden Rezeption Schmitts bezweckt Conde 34 durch die Bindung des Personalismus m i t der aristotelischen „epistéme politiké" eine „metaphysische" Theorie des Politischen zu entwickeln 8 5 . Dabei geht Conde von der K r i t i k an Schmitt aus. Die Bestimmung des Politischen durch den Intensitätsgrad einer vorgegebenen gesellschaftlichen Situation bedeutet für i h n die letzte Stufe einer „psychologischen" Betrachtungsweise der politischen Wirklichkeit. Der I r r t u m Schmitts bestehe einerseits i n der quantitativen, bis h i n zur qualitativen Identifizierung formell nicht identifizierbarer Dimensionen des menschlichen Daseins (d. i. die durch die Intensivierung der Freund/ Feind-Unterscheidung verifizierte Umschaltung der „Natur" i n „Geist"); auf der anderen Seite impliziere die Hinnahme „rein natürlicher" und „rein geistiger" Handlungen die Auflösung des einheitlichen Handelns der Person, welche gerade die politische Grundstruktur konstituiere. Demgegenüber bestehe die politische Wirklichkeit aus der „Konjunktion" objektiv-politischer Handlungen der ganzen Person. Aus diesem Grund seien sie — wie auch die ökonomischen, moralischen, . . . Handlungen — nie „rein" politisch, sondern primär durch ihre „objektiv" politische Qualität bestimmt. Welches ist nun das Fundament des „objektiven Sinnes" der politischen Handlungen? Conde sieht i h n durch drei Kriterien festgelegt, nämlich durch die Synthese i n einer „politischen Organisation" von Recht, Planung und Raum 3 6 . 84 Geboren 1908 i n Burgos, wurde Francisco-Javier Conde nach dem Studium der Rechtswissenschaften i n M a d r i d u n d Sevilla wissenschaftlicher Assistent (1929) u n d Dozent (1930) an der Universität v o n Sevilla.Von 1933 bis 1936 vervollständigte er seine wissenschaftliche Ausbildung an verschiedenen Universitäten, u. a. i n Berlin, w o er i n den Jahren 1933 - 1934 P h i l o sophie, öffentliches Recht u n d Soziologie studierte u n d 1936 als außerordentlicher Professor auch politische Philosophie lehrte. Nach dem Bürgerkrieg w i r d er ordentlicher Professor für „Derecho Politico" i n Santiago de Compostela u n d Madrid, 1949 zum Leiter des Instituto de estudios politicos ernannt, bekleidet wichtige öffentliche Posten des Franco-Regimes (Mitglied des Consejo Nacional, des Centro Superior de Investigaciones Cientificas, des Instituto de Cultura Hispânica, der Junta de Relaciones Culturales, B o t schafter usw.), bis zu seinem Tod i m Jahre 1974. Den Einfluß Carl Schmitts spiegeln unter seinen politiktheoretischen Schriften insbesondere: F. J. Conde, Introducción al Derecho politico actual, M a d r i d 1942, sowie ders., Teoria y sistema de las formas politicas, M a d r i d 1944, wider. Über das Franco-Regime: ders., Representación politica y Régimen espafiol, M a d r i d 1945, ders., Espejo del Caudillaje, M a d r i d 1941. 85 Philosophisch ist Conde v o n X a v i e r Z u b i r i u n d Ortega y Gasset beeinflußt; vgl. hierzu F. J. Conde, Introducción a la Antropologia de X a v i e r Zubiri, M a d r i d 1953. V o n Z u b i r i selbst s. X. Zubiri , Naturaleza, Historia, Dios, M a d r i d 19594 (1. Auflage 1934); ders., Sobre l a esencia, M a d r i d 1962; zuletzt auch ders., Inteligencia sentiente, M a d r i d 1980. 88 F. J. Conde , Teoria y sistema de las formas politicas, M a d r i d 19518, S. 68 - 78.
§ 4 Teleologischer Dezisionismus
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I m Übergang von der „sozialen Ordnung" zur „politischen Organisation" spielt die Planung eine wesentliche Rolle. Nur durch dieses projektive Element sei eine eigentliche „Einheit" der sozialen Handlungen möglich. Die politische Wirklichkeit entsteht insofern durch die Organisation der sozialen Wirklichkeit aufgrund der Planung. Die zweite Bedingung zur Konstituierung des Politischen besteht aber i n der „Verortung" der Organisation und der organischen gesellschaftlichen Macht i n einem konkreten Raum oder Gebiet. Der „objektive Sinn" der politischen Handlungen führt infolgedessen gleichsam zur Reduktion der Pluralität antagonistischer Handlungen innerhalb der Gesellschaft zu einer Einheit 3 7 . Die dadurch konstituierte politische Wirklichkeit ist geschichtliche Wirklichkeit i n doppelter Hinsicht: als Produkt der Projekthandlungen des Menschen und als konkretes Gebilde i n einem gegebenen historischen Augenblick auf der Grundlage der freien Entfaltung der „politiké dynamis". A u f diese Weise expliziert die durch den Menschen i n Freiheit aufgenommene Notwendigkeit des Politischen das Aufkommen der politischen Wirklichkeit selbst. Sie rechtfertige jedoch nicht das Politische. Nach Aristoteles begründe sich jede Gemeinschaft „agathoù tinos éneka", d.h. „nach bestimmten Gütern oder Werten" 3 8 . Die Bedingung einer „gerechten und guten Ordnung" sei letztlich das Recht. M i t Carl Schmitt behauptet Conde, die Entscheidungs- und Handlungseinheit forme die politische Wirklichkeit. Dieser Willensakt schaffe jedoch nicht das Recht. Dieses sei vielmehr höchstes Gerechtigkeitsprinzip und obwalte als „absolute und unbewegliche kosmische Realität". Die politische Wirklichkeit werde ausschließlich „positiv wertvoll", wenn die „virtus omnium" der Organisation i n einen „ethischen Willen" gipfelt. Dadurch erhalte die absolute und allgemeine Idee der Gerechtigkeit jene Präzisierung und Gewißheit, welche die abstrakte Geltung des Rechts i n einer historischen Situation konkretisiere. Demzufolge besteht für Conde der „Wert" des Politischen gerade i n der Entscheidungsfähigkeit zur Bestimmung i n jedem konkreten Fall, was Recht i n dieser Zeit, an diesem Ort und für diese Personen sei und i n der rigorosen Erfüllungsgarantie des absoluten „ius certum" 3 9 . 87 Vgl. hierzu auch F. J. Conde, Concepto de la relación social, M a d r i d 1948; ders., Los supuestos politicos de la sociologia, M a d r i d 1951; sowie J. Beneyto, Los cauces de la convivencia, M a d r i d 1969. 88 Z u r aristotelischen Bestimmung des Politischen vgl. für alle: J. Ritter, Naturrecht bei Aristoteles, Stuttgart 1963, sowie ders., „ P o l i t i k " u n d „ E t h i k " i n der praktischen Philosophie des Aristoteles, PhJb 74 (1967), S. 235 - 253; beide wiederabgedruckt i n : ders., Metaphysik u n d Politik, F r a n k f u r t 19772. Die Betonung des „ethischen Willens" bei Conde gegenüber etwa einer „Rehabilitierung der praktischen V e r n u n f t " i m Sinne Ritters offenbart das Erbe Schmitts. 89 F. J. Conde, Teoria, S. 82 - 84.
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1 . Kap.: Der Neue Staat der Nationalen Bewegung
Conde entwickelt einen metaphysischen Voluntarismus. Dies zeigt sich insbesondere anhand seiner Gewalttheorie. Gegenüber der absolutistischen und konstitutionellen Vertragstheorien versucht Conde die Entstehung der gesellschaftlichen Macht aus der „Koexistenzialität" 4 0 zu begründen. Die gesellschaftliche Macht entspringe aus dem Zusammenleben der Menschen. Sie sei jedoch die Folge weder dieses gemeinsamen Lebens noch der Gesellschaft. Das heißt: die gesellschaftliche Macht verursache nicht die Gesellschaft als solche, entstehe aber auch nicht aus ihr. Sie sei vielmehr ein „Prinzip der Strukturierung", ein System der Strukturmöglichkeiten einer bestimmten Gesellschaft. Und unter diesen möglichen Ordnungsstrukturen befinde sich die politische Ordnung. M i t anderen Worten: die Macht werde „verfügbar". Gerade weil sie m i t der Gesellschaft steht und fällt, stelle die Macht ein „verfüg- und manipulierbares" Element dar, das durch den teleologischen Charakter des menschlichen Zusammenlebens zur politischen Organisation wird. Die „Projekte des Zusammenlebens" modifizieren die flexible Macht der Gesellschaft. Dadurch konstituiert sich die politische W i r k lichkeit. Es handelt sich also bei der politischen Theorie Condes u m die teleologische Dynamik eines politischen Dezisionismus. Der Verabsolutierung des politisch wirksamen Willens entgeht Conde durch den für seine metaphysische Theorie des Politischen zentralen Begriff der Person 41 . Denn letztlich leite sich die Macht aus der Person her. I m Einklang m i t der rechtsphilosophischen Tradition Spaniens 42 w i l l Conde i n 40 Z u m Begriff der Koexistenzialität (coexistencialidad) vgl. S. Cotta, Itinerarios humanos del Derecho, Pamplona 1974. 41 Vgl. hierzu L . Legaz y Lecambra, Filosofia del Derecho, Barcelona 19728. 42 Die Verbindung v o m ontologischen Begriff der Person m i t der Lebensphilosophie i n einer Teleologie des menschlichen Lebens als Schicksal, „ M i s sion", „Aufgabe" usw. entstammt aus dem Ràtiovitalismus v o n Ortega y Gasset; so beispielsweise i n J. Ortega y Gasset, Por qué he escrito „ E l hombre a l a defensiva", i n : ders., Obras Complétas, Bd. I V , S. 7 0 - 7 2 ; ders., E n torno a Galileo, Obras Complétas, Bd. V, S. 154 f.; ders., „Intimidades", i n : E l Espectador, V I I I , Obras Complétas, Bd. I I , S. 650; vgl. insbesondere ders., L a rebelión de las masas, Obras Complétas, Bd. I V , S. 243 ff. Z u Ortega y Gasset: Ch. Cascalès, L'humanisme d O r t e g a y Gasset, Paris 1957; J. Ferrater Mora, L a filosofia de Ortega y Gasset, Buenos Aires 1958; J. Marias, Acerca de Ortega, M a d r i d 1971; ders., Ortega: circunstancia y vocación, 2 Bd., M a d r i d 1973. Die politische Philosophie Ortegas verbleibt praktisch unbehandelt bis i n die siebziger Jahre hinein. Vgl. hierzu insbesondere: J. F. Lalcona, E l idealismo politico de Ortega y Gasset, M a d r i d 1974, sowie J. Uscatescu, E l concepto de politica cultural en el pensamiento de Ortega y Gasset, M a d r i d 1973. Kritisch dazu: G. Robles Morchón, E l raciovitalismo corno ideologia (I), REP 215 (1977), S. 109-204, w o die These verfochten w i r d , durch die I d e n t i f i k a t i o n v o n Person u n d Schicksal, Freiheit u n d Dezision verwandle sich das Leben i n eine philosophische Kategorie. Der „rationalvitalistische Dezisionismus" (decisionismo raciovitalista) Ortegas sei insofern nichts anderes als bürgerliche Ideologie, durch drei Merkmale charakterisiert: Negation der O b j e k t i v i t ä t des Realen, egoistischer Individualismus u n d universelle Ontologisierung des bürgerlichen Wettbewerbs.
§4 Teleologischer Dezisionismus
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der Realität der Person das einzige Subjekt gesellschaftlicher und politischer Handlungen sehen. Diese Begrifflichkeit w i l l — so weiterhin Gonde — viel mehr besagen als das bloße vor-gesellschaftliche Individuum und bedarf auch nicht der theoretischen Konstruktion eines „citoyen". Die ganze Kraft der „Person" als individuell-gesellschaftliches Substrat bildet den dynamisierenden Kern der sozialen W i r k lichkeit. Die Macht befindet sich i n dem Menschen und nicht i n der Gesellschaft, gerade weil der Mensch als Person bereits ein Prinzip des Zusammenlebens darstellt. Aus diesem Grunde bedeutet für Conde die Ablehnung des Absolutismus, aber auch des Konstitutionalismus und der Gewaltenteilung, die strikte Folge der Überwindung der Souveränität als absolute und „ewige" Macht. Diese sei die „formelle" Ursache des absoluten Staates, dessen „Materie" durch die Untertanen bereitgestellt werde, während auf der anderen Seite i n den Gewaltenteilungslehren der Versuch unternommen werde, die K l u f t zwischen Individuum und Gesellschaft durch die künstliche Identifizierung von individueller und allgemeiner Vernunft zu überbrücken. Eine Assimilation, die insbesondere durch die Parallelität zwischen j eiien drei Gewalten und den menschlichen Grundfähigkeiten — Richten, Wollen und Tun — verdeutlicht werde 4 3 . Die letztlich dezisionistische Begründung seiner politischen Theorie kommt deutlich zum Ausdruck, da für Conde dieses Zusammenleben der Gesellschaftsmitglieder i m Grunde nur eine Vervollkommnung und Entfaltung jener durch die ursprüngliche politische Entscheidung formierten Ordnung, darstellt. Innerhalb des dadurch festgelegten Rahmens „dynamisiert" die gestaltende Kraft der Person die demzufolge i n jedem konkreten Augenblick sich aufdrängende politische Wirklichkeit 4 4 . Die Rückführung der Theorie auf einen metaphysischreligiösen Kern liegt dennoch nicht nur i m politisch wirksamen Begriff der Person. Die metaphysisch-religiöse Begründung des Condeschen A n satzes findet sich auch i m sogenannten „Goldgesetz der Macht", das folgendermaßen lautet: jede interindividuelle Ordnung befindet sich i n Gefahr, solange keine Instanz unbestreitbarer Macht besteht. Dies habe sich — so Conde — insbesondere i n der Vergöttlichung der Souveränität i n der modernen Staatstheorie bewahrheitet. Die Erwiderung Condes könnte dann wiederum als „Goldgesetz" politischer Theologien festgehalten werden: „Die Säkularisierung der letzten Realität impliziert die Sakralisierung einer anderen Realität" 4 5 ; i n diesem Fall des Staates. 43 Vgl. hierzu F. J. Conde, Introducción al Derecho politico actual, sowie ders., Sociologia de la sociologia, M a d r i d 1948. Auch i n diesem Sinne etwa J. Beneyto, Historia de las doctrinas politicas, M a d r i d 19644. 44 Vgl. hierzu J. Marias, Antropologia metafisica, M a d r i d 1970. 45 F. J. Conde t E l hombre, animal politico, M a d r i d 1957, S. 26. Vgl. hierzu
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1 . Kap.: Der Neue Staat der Nationalen Bewegung
I n dieser Perspektive bedeute der Totalitarismus die folgerichtige Konsequenz der Endentwicklung des modernen Staates. Der totalitäre Staat sei die spezifische A r t politischer Organisation, welche die Grenzmöglichkeit des totalen Krieges hervorrufe 4 6 . I m Grunde bestehe der Unterschied zwischen liberalem und totalitärem Staat eigentlich i n dieser letzten Möglichkeit zum totalen Krieg des modernen Staates. Aber der totalitäre Staat überwinde auch nicht die fiktiven Neutralisierungen des liberalen Staates. Denn, obwohl i n i h m Religion, K u l t u r , Wirtschaft usw. politisiert werden, verhalte er sich weiterhin neutral gegenüber den Werten. Seine inhaltliche Qualifizierung hänge von unterschiedlichen, variablen Mobilisierungsstrategien ab. Insofern indiziert der totalitäre Staat für Conde nichts anderes als die Krönung des Neutralisierungsprozesses des modernen Staates. Dies werde i n der, dem Totalitarismus eigentümlichen politischen Mythologie, klar zum Ausdruck gebracht: der Mythos erscheine als Mobilisierungsfaktor der Leidenschaften durch die Suggestivkraft ihrer Bilder. Als technisches Instrument verbleibe er insoweit neutral gegenüber Wert- oder Wahrheitsgehalten 47 . Wie muß dann jene Entscheidung beschaffen sein, die eine Begründung des Staates i n der Wahrheit ermöglichen würde? Sie kann für Conde ausschließlich auf einer „metaphysischen Entscheidung" basieren. Und das heißt ausdrücklich für i h n eine „Einsetzung i n den christlichen Horizont", demzufolge „ausschließlich eine politische Struktur heute den modernen Staat — jenseits des liberalen und des totalitären Staates — transzendiert: der spanische Staat" 4 8 . Die schmittschen Kategorien werden also von Conde verwendet, u m eine bestimmte „objektiv-konkrete Ordnung" theoretisch auszuschmücken. Der neuzeitliche Prozeß der Neutralisierungen und Entpolitisierungen vermag nur durch eine „ansprudisvolle", ordnungsschaffende Entscheidung überwunden zu werden. Die Grundkategorie der Entscheidung bezieht ihre Legitimierung aus einem strikt politisch-theologischen Instrumentarium. Sie ist grundsätzlich eine Entscheidung „in" und „für" die christWelzels „ideelle Naturrecht": „Gäbe es keine Transzendenz, d . h . wäre das Verpflichtetsein u n d des Daseins transzendentes Sollen n u r die illusionäre P r o j e k t i o n psychologischer oder soziologischer Fakten, dann wäre der Mensch ohne jeden Rest m i t Leib u n d Seele der überlegenen Macht ausgeliefert. Dann mögen Schranken seines Verfallenseins so lange bestehen, w i e sich mehrere Machtblöcke gegenseitig die Waage halten; w o aber eine Macht grenzenlos w i r d , da fiele er i r restlos, nicht n u r physisch, sondern auch geistig anheim" (H. Welzel, Naturrecht u n d materielle Gerechtigkeit, G ö t t i n gen 19624, S. 238 f.). 46 F. J. Conde, Teoria, S. 194 - 196. 47 Ebd., S. 195 - 197. 48 Ebd., S. 197. Vgl. auch F. J. Conde, L a Utopia de la Insula Barataria, M a d r i d 1941, sowie ders., Representación politica y régimen espanol u n d ders., Escritos y fragmentos politicos, 2 Bde., M a d r i d 1975.
§ 5 Konkrete Ordnung
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liehe Ordnung. A u f diese Weise „judifiziere" sich die politische Macht — jenseits ihrer klassischen Interpretationen als Substanz oder Relation — i n den Institutionen der konkret politischen Ordnung. Die Macht werde „verortet" und menschlich 49 . Der teleologische Dezisionismus Condes vermag aus alledem eine ideologische Stütze des Franco-Regimes zu begründen: „die spanische Haltung beinhaltet eine neue metaphysische Entscheidung, und aus diesem Grund die Möglichkeit einer neuen A r t des politischen Zusammenlebens, einer neuen Theorie des Politischen und eines neuen politischen Rechts" 50 . §5 Konkrete Ordnung Parallelen und Unterschiede zwischen dem theoretischen Substrat des Franco-Regimes und der politischen Theorie Carl Schmitts werden weiterhin deutlich i n einer kurzen Besprechung Gómez-Arboleyas aus dem Jahre 1942 i n der Revista de Estudios Politicos von den vier — bis zu diesem Zeitpunkt — übersetzten Werke Schmitts 51 . Gómez Arboleya stimmt hierbei i n seiner K r i t i k am juristischen Positivismus m i t Schmitt überein. Einmal am „psychologischen" Positivismus, der Recht und Staat unter „den flüchtigen Sensationen" eines individuellen Anerkennungsaktes, d.h. des Stimmrechts, unterordne. A u f der anderen Seite, am „logischen" Positivismus, der einen formelllogischen Normativismus erzeuge. Beide Ausformungen eines wertlosen Relativismus seien durch die charakteristischen Vorstellungen des „bourgeois" beherrscht, nämlich Vertrauenslosigkeit und Sicherheitsdrang. Denn was der „bourgeois" verfolge, sei folgendes: „die Entscheidung unter einer so großen Zahl von Individuen zu teilen, so daß der I r r t u m ausgeschlossen bleibt und damit die Möglichkeiten der Zukunft beschnitten werden, indem aus lebendigen Zielgestaltungen (proyectos de destino) ein kühler Syllogismus w i r d " 5 2 . Die K r i t i k 49 Die Bezüge zum „konkreten Ordnungsdenken" Schmitts sind unübersehbar. Vgl. dazu zuletzt I . Maus, Bürgerliche Rechtstheorie u n d Faschismus, München 1976, S. 81 - 121; auch P. P. Pattloch, Recht als Einheit v o n Ordnung u n d Ortung, Aschaffenburg 1961. 50 F. J. Conde, Teoria, S. 198. Einschlägig zum Thema „neues Recht" u n d „neue A r t des politischen Zusammenlebens", m i t Einbeziehung der letzten verfassungsgesetzlichen Reform v o n 1967 (Ley Organica del Estado): R. Fer nàndez-Carvajal, L a Constitución espanola, M a d r i d 1969, sowie J. Zafra Valverde, Régimen politico de Espana, Pamplona 1974. 51 E. Gómez Arboleya, Cuatro monografias de C. Schmitt, REP 5 (1943), S. 143 - 148. 62 Ebd., S. 144. Die K r i t i k des „bourgeois" (burgués) w a r typisch für den revolutionären Pathos der Falange, die faschistische Partei gegründet v o n José A n t o n i o Primo de Rivera während der I I . Republik. Vgl. hierzu J. M .
3 Beneyto
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1 . Kap.: Der Neue Staat der Nationalen Bewegung
Schmitts an dem „dekadenten Verfassungsstaat" — so weiterhin Arboleya — führe stringent zur Herauskristallisierung von Recht und Staat u m einen einzigen und konkreten Herrschaftswillen. Erst i n der „Verfassungslehre" zeichne sich jedoch deutlich aus, was für eine A r t Herrschaftswillen Schmitt postuliere: „Die rettende Entscheidung muß ex nihilo schaffen, muß aus dem Nichts geschaffen werden" 5 3 . Die „creatio ex nihilo" der absoluten Entscheidung bedeutet nach Arboleya keine Alternative zum Positivismus. Eher i m Gegenteil. Denn erst jetzt unterstehe das Recht dem Primat rein biologisch-naturalistischer Bedingungen. Die Souveränität verlasse die begriffliche Sphäre eines regulierenden Elements der gesellschaftlichen Ordnung, u m sich i n eine punktuelle Entscheidung zum Lebenskampf zu verwandeln. „Diese Entscheidung ist auf einer solchen A r t agonisch, daß sie fast nicht mehr menschlich ist" 5 4 . Auch i n der Freund/Feind-Unterscheidung sieht Arboleya i m Grunde eine existentielle Kategorie, wobei er ebenfalls die K r i t i k ansetzt, daß hierbei der Akzent i n der Feindschaft gesetzt werde. Die Reduzierung des Politischen auf das Freund/Feind-Kriterium und dessen ausschließlichen Einrahmung i n eine staatliche Ordnung stellen förmlich eine „petitio principii" dar. Der fragwürdigste Punkt des Begriffes liege jedoch i n der Unbestimmtheit bei der Festlegung der Freund/FeindRelation. Diese werde nicht ideell inhaltlich ausgestaltet, sondern bleibe rein biologisch-irrational. Werte und ideelle Begrifflichkeiten seien für Schmitt mehrdeutig und insofern immer ausschließlich ideologisch besetzbar. „Die Begriffe sind nur Worte, »flatus vocis 4 ; die Ideen sind L ü gen und Schatten, Ideologien. Das einzig Reale sind die Waffen i n ihrem ursprunghaften Sinn", und das hieße, i n ihrer Fähigkeit zur physischen Vernichtung von Menschen 55 . Der Schmittsche Begriff des Politischen bedeutet somit nach Arboleya „die letzte Konsequenz des modernen Nominalismus" und stelle eine Nin de Car dona, Evocación filosofica y politica del pensamiento de Jose A n t o n i o Primo de Rivera en el X L aniversario de su muerte, REP 212 (1977), S. 281 - 300; ders., José A n t o n i o : la posibilidad politica truncada, M a d r i d 1973; A . Munoz Alonso, U n pensador para u n pueblo, M a d r i d 19693. Jetzt v o r allem J. A . Primo de Rivera, Obras Complétas, 2 Bde., M a d r i d 1977, u n d das V o r w o r t v o n A g u s t i n del Rio Cisneros dazu. Das Denken José Antonios bildete das grundideologische Substrat — neben dem Karlismus — des Franco-Regimes. 88 Ebd., S. 145. 64 Ebd., S. 145 f. 56 Ebd., S. 147. Vgl. hierzu aus der spanischen L i t e r a t u r den differenzierten Beitrag v o n L. Legaz y Lecambra über die Freund-Feind-Problematik, i n : ders., E l Derecho y el amor, Barcelona 1976, insbesondere S. 167 ff., 172 ff. u n d 187 ff., sowie ders., Función del Derecho en la sociedad contemporànea, i n : ders., Humanismo, Estado y Derecho, Barcelona 1960, S. 231 ff. Siehe dazu auch L. Lombardi Vallauri, Amicizia, carità, diritto, M a i l a n d 1969.
§ 5 Konkrete Ordnung
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Verbindungslinie zu der durch Machiavelli initiierten Politischen Wissenschaft der Neuzeit her. Hierin bestehe „ihre Größe, aber auch ihre Begrenztheit" 5 8 . Welche sind nun die Gegenbegriffe, die Arboleya der demzufolge diskriminierten „Politische Moderne" entgegensetzt? Kurz zusammenfassend: das Bestehen einer, die obskure Irrationalität überwindenden „lex aeterna"; die Wirksamkeit geschichtlicher und ethischer Rahmenbedingungen des politischen Handelns; die Notwendigkeit einer inhaltlichen Füllung der Herrschaft durch teleologische Ordnung; die radikale „Sinnkonsistenz" des Daseins, jenseits von jeglicher punktueller Instinkthaftigkeit; letztlich die Annahme einer „objektiven und ewigen Ordnung". Nur i n diesem Kontext konkreter politischer Theologie träten die Möglichkeiten des schmittschen Ansatzes hervor. I n der theoretischen Weiterentwicklung der schöpferischen Kraft der Entscheidung i m Hinblick auf ein System „konkreter Ordnungen" offenbare sich — so weiterhin Arboleya — eine Modulierung jener ursprünglichen radikalen Analyse des Politischen und zugleich deren Transzendenzhaftigkeit. Die Frage nun sei, ob diese „konkrete" Weiterführung des Begriffs des Politischen tatsächlich i n einer objektiven, zeitlosen und werthaften Ordnung wurzele, oder ob es sich weiterhin innerhalb des neuzeitlichen Nominalismus bewege 57 . So kann an der Zustimmung und K r i t i k Arboleyas das Verhältnis der Ideologen des „Neuen Staates" zu Carl Schmitt präzisiert werden. Von Schmitt rezipierten sie i m wesentlichen sowohl seine Liberalismus- und Parlamentarismuskritik, die Theorie der Diktatur, als auch den Dezisionismus und die Politische Theologie. Doch man scheute die Konsequenzen einer existentiellen Interpretation der geschichtstheologischen Frontenbildung i n dem agonischen Konflikt der Freund/Feind-Diskriminierung. Das konterrevolutionäre Engagement sollte nicht n u r die „creatio ex nihilo", sondern auch eine tatsächliche „creatio a Deo" wagen. Nicht die punktuelle Entscheidung aus dem Nichts, sondern die „göttliche" Dezision einer ins Jenseits führenden und aus i h m sich legitimierenden metaphysischen Ordnung. Die Frage, ob nicht „de δβ Ebd., S. 148. Z u m Themenkomplex „Nominalismus" u n d seine Konsequenzen f ü r die moderne politische Theorie: K. Bannach, Die Lehre v o n der doppelten Macht Gottes bei W i l h e l m v o n Ockham, Wiesbaden 1975, insbesondere S. 12 ff., 276 ff.; A. Hollerbach, Das christliche Naturrecht i m Z u sammenhang des allgemeinen Naturrechtsdenkens, in: F. Böckle, E.-W. Böckenförde (Hrsg.), Naturrecht i n der K r i t i k , S. 9 - 38, (19 ff.); L . Pusd, L a nozione della divina onnipotenza i n Giovanni Duns Scoto, Roma 1967, S. 10 ff.; sowie H. Welzel, Naturrecht u n d materiale Gerechtigkeit, S. 66 ff., S. 81 ff. Jetzt v o r allem D. Wyduckel, Princeps Legibus Solutus, B e r l i n 1979, insbesondere §§ 11-13. 67 Ebd., S. 148.
3*
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1 . Kap.: Der Neue Staat der Nationalen Bewegung
facto" die hierbei prätendierte geschichtstheologische Legitimierung auch bereits auf einer, gleichsam existentiell-agonischen Konfrontation beruht, sie geradezu aus ihr selbst ständig weiterlebt und reproduziert, bleibt i n der Tat eins der Grundprobleme politischer Theologie. Sie sollte hier nur angedeutet werden; ihre programmatische Behandlung gehört i m übrigen zum zweiten und dritten Teil dieser Arbeit. § 6 Politische Eschatologie „Carolo Schmitt — Clasissimo Viro — Gratus solvit amicus". So lautet die Widmung vor „De la guerra y de la paz" (Vom Kriege und vom Frieden), eine Sammlung von Aufsätzen Alvaro dOrs* aus dem Jahre 1954, die von seinem Verfasser ausdrücklich als Frucht der wissenschaftlichen und persönlichen Beziehung zu Carl Schmitt apostrophiert wird58. D O r s ist ein Traditionalist. Für ihn identifiziert sich die Geschichte der Menschheit m i t der Geschichte der Kirche 5 9 . Dies insoweit als jede menschliche Handlung ihre geschichtliche Dimension aus der Eschatologie bezieht. Eine „christliche" Sicht der Geschichte müsse ihren Gang i m Hinblick auf diesen, für das reale Verständnis des Geschehens fundamentalen Augenblick des Endes der Zeiten betrachten 60 . I n der Zweiten A n k u n f t Christi — die „Parusie" — erhalten alle geschichtlichen Ereignisse und menschlichen Handlungen ihren eigentlichen Sinn. Insofern orientieren sich Mensch, Gesellschaft und Politik an der Entfaltung des Reiches Gottes. Aus ihr beziehen sie ihre Legitimität und Sittlichkeit. Aus der Verbindung m i t diesem übersinnlichen Reich — keimhaft hier auf Erden durch die Kirche vertreten —, erhalten sie ihre eigentliche historische Qualität. Demzufolge verfolge ein christliches Geschichtsb i l d die Wiedereingliederung der Nicht-Katholiken i n das „unum ovile". Die historische Funktion des Christentums reduziere sich nicht auf die Konstitution und Erhaltung eines Imperiums, eines christlichen Reiches, sondern bestehe vielmehr i n der glorreichen Vollendung der δ8
A . d'Ors , De l a guerra y de la paz, M a d r i d 1954. Ebd., S. 199. Z u m Standort A . d'Ors s. ders., Nacionalismo en crisis y regionalismo funcional, in: ders., Derecho de Gentes y organización i n t e r nacional, Santiago 1959; ders., Papeles del oficio universitario, Pamplona 1961; ders., Sistema de las ciencias, 4 Bde., Pamplona 1968; vor allem ders., Escritos varios sobre el Derecho en crisis, Rom 1974. Eine K r i t i k der P o l i t i schen Theologie Schmitts befindet sich i m Aufsatz ders., Teologia Politica: una revision del problema, REP 205 (1976), S. 4 1 - 7 9 (vgl. hierzu unten § 27). Z u m spanischen Traditionalismus: J. Fernandez , Spanisches Erbe; zuletzt J. A . G. de Cortâzar y Sagarminaga, Revolución, conservadurismo, tradición, M a d r i d 1974, sowie G. Prieto Escudero, Vigencia sociopolitica del tradicionalista neocatolicismo, REP 205 (1976), S. 203 - 221, w o eine vermeintliche A k t u a l i t ä t des Traditionalismus verfochten w i r d . 60 Ebd., S. 190. 59
§ 6 Politische Eschatologie
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Kirche selbst 61 . Die politische Folge dieses monopolistischen Machtanspruchs der Kirche sei die relative Auflösung der zivilen Mächte, ihre Schwächung innerhalb eines Systems des „politischen Pluralismus", i n welchem die Kirche den Monopolanspruch der Legitimität besitzt 62 . I n dieser Perspektive werden die schmittschen Kategorien transformiert — oder besser, zu ihrem scheinbar „katholischen" Kern zurückgeführt 6 3 . Das Problem Legitimität — Legalität lasse sich auf die A n erkennung des politisch-theologischen Primats der Kirche zurückführen und die Frage nach der Einheit der Welt sei i m Grunde keine, denn sie werde bereits durch die Universalität der „Unam-Sanctam" vorgegeben 6 4 . Der leviathanische Charakter des modernen Staates habe die „vis" und „auctoritas" des „Corpus Mysticum" substituiert und dadurch die Machthegemonie der Kirche ins Diesseits verlagert. D O r s stimmt hierin m i t Conde und Gómez Arboleya überein: die Säkularisierung bedeute die Vergöttlichung der Macht, sowie ihre implizierte Dämonisierung und potenzielle Unkontrollierbarkeit. Denn letztlich „sine fide, n u l l u m ius!" 6 5 , ohne Glaube, kein Recht. Äußerlich erfolgt die Distanzierung der Politischen Theologie dOrs* vom schmittschen Ansatz durch die K r i t i k an der Interpretation des „ius gentium" durch Francisco de Vitoria. Für d'Ors — wie i m übrigen auch etwa für den Schmitt-Schüler Günther Krauss 6 6 — bedeutet die Naturrechtslehre Vitorias den Anfang des rationalistischen Naturrechts. M i t i h m beginne die Erosion der Idee der „Communitas Christiana". Er denke i m Grunde nicht mehr „christlich", sondern bereits i n Neutralisierungskategorien. Demgegenüber postuliert dOrs die Rekonstruktion eines „Ordo Orbis" u m die geistliche Herrschaft des Papstes 67 . Die spezifische politische Theologie eines neuen „Ordo christianus" nach Alvaro dOrs ist insofern von Schmitt ausgegangen, endet nur scheinbar entfernt von ihm. Denn die Sequenz nach dem Dezisionismus und dem 61
Ebd., S. 201. Ebd., S. 202; vgl. dazu auch u n t e n § 27. 63 Dies bezweckt ausdrücklich A . d'Ors. Vgl. ebd., S. 15. ®4 Ebd., S. 202; A . d'Ors bezieht sich auf die Schrift v o n C. Schmitt, Die Einheit der Welt, M e r k u r 6 (1952), S. 1 - 11. 65 Ebd., S. 155. ββ Vgl. G. Krauss, Der Rechtsbegriff des Rechts, Hamburg 1936. 67 Ebd., S. 15. K r i t i s c h dazu v o m traditionalistischen Standpunkt aus äußert sich E. Serrano Villafane, i n der Besprechung zum W e r k d'Ors', Escritos varios sobre el Derecho en crisis, REP 213 (1977), S. 393 - 396, w o d'Ors v o r geworfen w i r d , das Naturrecht durch ein göttliches Naturrecht zu ersetzen, u n d insofern einen „theonomischen Voluntarismus" (voluntarismo teónomo) zu postulieren. I m Sinne einer überkonfessionellen Naturrechtsbegründung auch etwa J. Leclercq, D u Droit naturel à l a Sociologie, Paris 1960; sie reduzierend auf die Communitas Christiana des Corpus Mysticum i m Sinne d'Ors: G. Ambrosetti, I l D i r i t o Naturale Christiano, Rom 1970. 62
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konkreten Ordnungsdenken müßte nach dOrs zur eschatologischen Behandlung des „ius publicum Europaeum" führen. Demzufolge schlägt dOrs Carl Schmitt den Titel seines neuen Buches vor: es sollte heißen „das Universale Judicium" 6 8 . Carl Schmitt w i r d schließlich auch zur theoretischen Befestigung des Franco-Regimes herangezogen. Die Stimme dOrs' n i m m t jetzt (1954) Warntöne an. Der Legitimitätstitel des gegenwärtigen „status rei publicae" sei der Sieg von 1939. I n bezug auf den Intensitätsgrad dieser „diskriminatorischen Entscheidung" zwischen dem „politischen Guten" und dem „politischen Bösen" etwas nachzugeben, würde den Bankrott „unseres Legitimitätstitels und des Fundaments unseres eigenen historischen Daseins" bedeuten. Denn, obwohl die politischen Grundentscheidungen nicht dogmatisch, sondern als Klugheitsmaßnahmen zu bewerten seien 69 , käme die Selbstpreisgabe des Legitimitätstitels politisch dem Selbstmord gleich; wenn aber diese Legitimierung außerdem „ m i t dem Blut anderer gewonnen wurde", dann hieße sie „ V e r r a t " 7 0 . Bei dOrs finden w i r also letztlich die konsequente Weiterführung einer traditionalistischen Politischen Theologie. Es handelt sich i m wesentlichen u m den Versuch, die formellen Legitimitätskriterien Schmitts — die ordnungspolitisch konstituierende Kraft der souveränen Entscheidung — durch eschatologische Inhalte zu füllen. So sei, selbst wenn der Krieg „nach der materiellen Ordnung" legitim sei, und insofern ebenfalls zu einem legitimen Sieg führen könne, die Frage nach der „iusta causa" der Aufständischen i m spanischen Bürgerkrieg nur i m 68 Ebd., S. 204. Uber dieses letzte Gericht als endgültige Instanz eines gerichtlichen Systems unter der obersten Hierarchie des göttlichen Rechts, vgl. A . d O r s , Una introducción al estudio del Derecho, M a d r i d 1963, S. 15 ff., 133 ff. (2. Auflage, Valparaiso 19672, §§ 13, 14). Dieses judizielle System bedeutet insofern eine Weiterführung des schmittschen Dezisionismus u n d m a r k i e r t zugleich durch ihre folgerichtige Argumentation die s t r i k t souveränitätsbegründende I n t e n t i o n der politischen Theologie Schmitts. Vgl. hierzu unten §§ 14, 15 sowie § 27. 69 Ebd., S. 18: Gerade w e i l sie aus der Sicht des universalen letzten Urteils stets provisorischen Charakter besitzen, seien sie A k t e der „prudentia". 70 Ebd., S. 18. F ü r die Politische Theologie des Franco-Regimes ist v o n besonderem Interesse die Verneinung eines zivilen Charakters des Bürgerkrieges: sie sei vielmehr ein religiös-patriotischer K r i e g gewesen, denn der Sieger hätte i h n als Kreuzzug verstanden, u n d zwar m i t der eindeutigen Unterstützung des katholischen Episkopats. Beide Grundideologien des Sieges v o n 1939, Karlismus u n d Falange, rechtfertigten sich aus einer politischen Theologie. F ü r den traditionalistischen Karlismus, die konkrete Ausformung einer volksnahen Monarchie der legitimen Dynastie bedeutete eine Folge des gesellschaftlichen Königtums Christi; für die Falange wäre die Imperialideologie eine Möglichkeit „politischer Erlösung", einer Vorbereitung des definitiven Königreichs Gottes. V o n daher das Motto: „Durch das Imperium, auf Gott h i n " (Por el Imperio, hacia Dios). So A . d O r s , Teologia politica, S. 53.
§ 7 Integrale Restauration
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Hinblick auf das göttliche Gericht beantwortbar. Der legitime Sieg begründe demnach keine Vorwegnahme, sie sei keine „göttliche pronuntiatio" 7 1 . Intendiert w i r d also eine Verlagerung der politisch-theologischen Dezision ins Eschatologische, u m deren Relativierung zugunsten einer konkret-politischen Königsherrschaft Christi zu ermöglichen 72 . So bleibt die Entscheidung i m Bürgerkrieg keine „definitive", wohl aber eine zwischen dem „politischen Guten" und dem „politischen Bösen". Indem aber dadurch die eschatologische Dimension der Kirche politisch i n Anspruch genommen wird, sie auch eine geschichtlich-gesellschaftliche Konkretisierung i n einer „Communitas Christiana" u m die geistliche Herrschaft des Papstes erfährt, bleibt der transpolitische Anspruch dOrs i n höchstem Maße politisch, und ist insofern der Inbegriff politischer Theologie. Dadurch, daß der Sieg i m Bürgerkrieg an der Wiederherstellung der „communitas Christiana" partizipiert, w i r d dessen politisch-theologischer Charakter nur noch bestätigt. § 7 Integrale Restauration Eine wichtige Rolle spielte auch Carl Schmitt i m Kontext der neokonservativen Bewegung, die i n den Jahren zwischen 1945 - 1960 einen zunehmenden Einfluß i n Wissenschaft und Verwaltung ausübte und dessen bedeutendste Vertreter Rafael Calvo Serer, Florentino Pérez Embid, Angel López-Amo, Gonzalo Fernandez de la Mora wurden 7 3 . 71
Ebd., S. 14. S. hierzu unten § 27. 78 Calvo Serer, Professor für Geschichtsphilosophie u n d Geschichte der politischen Ideen, t r a t kurz nach dem Bürgerkrieg durch seine Mitarbeit an der Zeitschrift „ A r b o r " hervor. Diese w i r k t e als Organ einer autonomen wissenschaftlichen Körperschaft, des Consejo Superior de Investigaciones Cientificas y Culturales. Der erste Herausgeber v o n „ A r b o r " w a r ein Historiker, Professor für amerikanische Geschichte, Florentino Pérez Embid, der spätere Direktor der Sektion für k u l t u r e l l e Auslandsbeziehungen i m Informationsministerium. I n dieser Zeit w a r Calvo Serer Anhänger der Monarchie u n d wurde v o n der spanischen Öffentlichkeit als Wortführer der Wiederherstellung der Bourbonen angesehen. E i n i h m nahestehender M i t arbeiter v o n „ A r b o r " , A n g e l López Amo, Professor an der juristischen Fak u l t ä t v o n Navarra, w i r k t e als Erzieher des damaligen Kronprinzen Don Juan Carlos. Viele andere A u t o r e n des „ A r b o r " u n d der v o n Calvo Serer redigierten Bücherserie, die „Biblioteca del Pensamiento actual" waren auch Monarchisten oder Traditionalisten; so beispielsweise Gonzalo Fernândez de la Mora; R. Gambra CiudacL (La Monarquia Social y Representativa en el pensamento tradicional, M a d r i d 1954); F. Elias de Tejada (La Monarquia tradicional, M a d r i d 1954); V. Marrero (La guerra espafiola y el „trust" de cerebros, M a d r i d 1961); F. Suârez Verdaguer (La crisis politica del A n t i g u o Régimen en Espana, M a d r i d 1958; ders., Introducción a Donoso Cortés, M a d r i d 1964); usw. Einige v o n ihnen w u r d e n auch später unter Franco Regierungsmitglieder. Calvo Serer machte eine wesentliche politische Entwicklung durch u n d zählte kurz v o r Francos Tod zu der demokratischen Opposition 72
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1 . Kap.: Der Neue Staat der Nationalen Bewegung
Diese, ursprünglich aus der Mitarbeit i n „Arbor" hervorgegangene Gruppe von Universitätsprofessoren, Staatsbeamten und Schriftstellern versuchte eine unabhängige politische Linie zu folgen. Sie nahm entschieden gegen den zweiten Weltkrieg Stellung und lehnte Nationalsozialismus und Faschismus, aber auch das liberal-demokratische System ab. I n gewissem Sinne könnten diese Autoren als die ersten „Nach-Faschisten" bezeichnet werden 7 4 . Zwei Grundmotive prägen das B i l d der Arbor-Gruppe: Katholizismus und spanische Tradition. Beide Elemente artikulieren sich durch den zentralen Begriff der „integralen Restauration". Gegenüber den Hauptfiguren der „Generación del 98" — Ortega y Gasset, Unamuno, Valle Inclân und Baroja —, welche aus dem durch den Verlust der letzten spanischen Kolonien verursachten Pessimismus die Introvertiertheit und Rückständigkeit des Landes durch die Übernahme fremder politischer und sozialer Modelle zu überwinden trachteten, treten die Arbor-Autoren für eine eigene Rolle Spaniens ein, für eine Betrachtung als spezifischen „Fall" unter den Ländern Europas. Spanien solle seine bestimmte Lebenshaltung, seinen eigenen Geist und Stil entfalten. I n dem 1949 veröffentlichten Buch „Espana, sin problemas" (eine Replik auf die durch die „Generación del 98" popularisierte Losung „Das Problem Spanien") vertritt Calvo Serer die These, der Auslösungsprozeß des christlich-mittelalterlichen Kosmos sei nun zu Ende gegangen. Für den Nachweis dieser Behauptung führt er die Analyse von Carl Schmitt, Berdiaeff, Maritain, Peter Wust, Landsberg, Dawson u. a., als Zeugnisse ausdrücklich an. Es scheinen ausschließlich zwei Alternativen zu bestehen: Sowjetisierung oder Amerikanisierung. Aber „vom christlichen Standpunkt aus", die eine sei so dekadent wie die andere 75 . I n beiden Möglichkeiten lägen nichts anderes als Ausgeburten des revolutionären Prozesses vor. Die Übertünchung des europäischen Geistes durch sie würde das Ende der christlich-europäischen K u l t u r bedeuten. Die Dialektik der modernen Welt sei also zu jenem Punkt gekommen, i n welchem — wie Novalis i n „Die Christenheit oder Europa" vorausgesagt hatte — die Anarchie i n eine Erneuerung des religiösen Lebens umschlage. Hierin liegt für Calvo die authentische Alternative: „Nach Vollendung der revolutionären Epoche bleibt den Menschen unserer Zeit die Aufgabe, die verschiedenen Phasen der Restauration zu vollziehen" 7 6 . (vgl. etwa sein Buch Espana ante la libertad, la democracia y el progreso, M a d r i d 1969). Über diese Gruppe vgl. B. Menczer, Spaniens Geist zwischen Revolution u n d Restauration. E i n Hinweis auf Rafael Calvo Serer. I n W o r t u n d W a h r heit 12 (1957), S. 27 - 38. Auch P. Lucas Verdu, Die Entwicklung, S. 344. 74 So nennt sie B. Menczer, Spaniens Geist, S. 30. 75 Ebd., S. 33.
§ 7 Integrale Restauration
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I n seinen hierauf folgenden Schriften unterscheidet Calvo Serer zwischen „tiefen" und „oberflächlichen" Revolutionen sowie tiefen und oberflächlichen Restaurationen. Der radikale Nihilismus, zu der die letzte Entfaltung des revolutionären Prozesses geführt habe, erfordere die „integrale" Restauration eines verjüngten Konservatismus. Hierbei spielen die spanischen Konterrevolutionäre — Donoso Cortés, Ramiro de Maeztu, Menéndez Pelayo — und insgesamt das „geistliche Reservoir" Spaniens eine wesentliche Rolle 7 7 . „Integrale Restauration" meint demzufolge erstens die Effektivmachung der abendländischen Tradition durch die gezielte K u l t u r p o l i t i k der konservativen Revolution. „Integrale Restauration" bedeutet zweitens politisch die Restauration der autoritären und repräsentativen Monarchie, d.h., die Wiederherstellung einer — wie es Donoso Cortés hundert Jahre früher formuliert hat — „einheitlichen, ungeteilten und endlosen" Macht 7 8 . A u f diese Weise werden die zur Rekonstruktion des „nationalen Bewußtseins" notwendigen und zeitlosen „nationalen Dogmen" festgelegt: 1. die Einheit der religiösen Überzeugung; 2. die politische und soziale Einheit des Vaterlandes, artikuliert durch ein korporatives System; 3. ein monarchisches, autoritäres und repräsentatives System, ausgestattet durch die machtbegrenzenden Merkmale der Legitimität, der Kontinuität und der Hierarchie und ausgerichtet auf V e r w i r k lichung des Gemeinwohls 79 . Bei López-Amo finden diese politischen Grundsäulen einer „katholisch-abendländischen Restauration" i n starker Anlehnung an Lorenz von Stein ihre endgültige Formel unter dem Begriff der „Monarchie der sozialen Reform". Für den Verfassungshistoriker stellt sich das Problem i m Spannungsfeld der Legitimität. Wenn auch nach christlichem Verständnis die Macht „von oben" hergeleitet werde, bestehe sie zugleich auch „von früher". Anders ausgedrückt: „Es gibt keine Legitimität ohne historische Kontinuität" 8 0 . Denn die Macht müsse durch politische Institutionen begrenzt werden, die nicht aus ihr selbst — wie es gerade der Fall bei Diktaturen und liberal-demokratischen Systemen sei — entstehen. Weil eine unabhängige und begrenzte Machtinstanz nur dort möglich werde, wo sie aus der historischen Tradition des Volkes erwachse, d.h. dort, wo sie gleichzeitig Quelle und 78
Ebd., S. 36. Vgl. R. Calvo Serer, Configuración del futuro, M a d r i d 1953, ders., Politica de integración, M a d r i d 1955, u n d ders., La fuerza creadora de la libertad, M a d r i d 1958; ebenfalls F. Pérez Embid, E n la brecha, M a d r i d 1956. 78 Vgl. J. Donoso Cortés , Obras Complétas, Bd. 1, S. 453 ff. 79 F. Pérez Embid, E n la brecha, S. 110 - 112. 80 A . López-Amo, L a Monarquia de la Reforma social, M a d r i d 1952, S. 109. 77
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1 . Kap.: Der Neue Staat der Nationalen Bewegung
Folge des Rechts sei 81 . Diese, über den gesellschaftlichen Kräften stehende und sogleich aus der Gesellschaft selbst aufgrund eines reziproken organisch-korporativen Systems erwachsende politische Integrationskraft identifiziert sich für Lopez-Arno mit der sozialen Monarchie. Nur durch sie sei jene grundsätzliche Überwindung der revolutionären Dialektik von Staat und Gesellschaft aufgrund organischer Interaktion praktikabel. Hier liege — so schließlich Lopez-Arno — die ganze soziale Wirksamkeit des monarchischen Prinzips 8 2 . Letztlich mußte also die neokonservative Restauration, u m sich nicht bloß i n deren — geschichtlich unaufholbaren — konterrevolutionären Prämissen zu stemmen, auf einen revidierten Lorenz von Stein zurückgreifen. Praktisch-politisch schlug sich die integrale Restauration i n der Unterstützung für die Wiederherstellung der Bourbonen nieder; k u l turpolitisch i n einer Vielzahl von Initiativen 8 3 . Wie war nun das Verhältnis der „neokonservativen Bewegung" zum Franco-Regime und wie groß dabei die Rolle Carl Schmitts? Zum ersten: der „Alzamiento Nacional" (die Auflehnung Francos gegen die II. Republik) wurde als legitime Auflehnung gegen ein „de facto" und „de iure" illegitimes Regime unterstützt. Sie bedeutete eine gerechtfertigte Reaktion gegen den äußersten institutionell-staatlichen Machtmißbrauch. Und dies, nachdem alle nicht-gewalttätigen Mittel versucht worden wären 8 4 . Insofern hieß die unausgesprochene Losung: Kooperation mit einem Regime, das explizit als Ausnahmezustand verstanden wurde, d.h. als heilsame Übergangsphase zur Konstituierung einer historisch legitimierten Monarchie der sozialen Reform 8 5 . So lautete auch die A n t w o r t zum zweiten Teil der Frage: Übereinstimmung mit der kritischen Analyse Schmitts der liberalen Demokratie. Und zwar unter ausdrücklicher Bezugnahme sowohl auf die diktatorische Option als auch auf die Freund/Feind-Bestimmung des Politischen, welche als der politischen Wirklichkeit durchaus entsprechend betrachtet wird. Eine solche grundsätzliche Übereinstimmung 81
Ebd., S. 108 - 110. Ebd., S. 110, S. 153 - 163 u n d S. 293 - 314. 83 E t w a beispielsweise die Heftsammlung „O crece, ο muere" (erstes Heft, C. Schmitt, L a unidad del mundo), der Rialp-Verlag, die Zeitschrift „Nuestro Tiempo", usw. 84 So etwa A . Lopez-Arno, a.a.O., S. 105 ff. 85 Insofern konnte López-Amo einerseits behaupten, der Beginn des spanischen Krieges sei keine Subversion, sondern ein geschichtlich legitimer Volksaufstand gewesen, andererseits aber, das aus der Nationalen Bewegung v o n 1936 entstandene diktatorische Regime als nicht „politisch zwingend" erachten, ders., L a Monarquia, S. 107 f. 82
§ 8 Hierarchie absoluter Werte
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unterband andererseits auch nicht die K r i t i k an dem Mangel naturrechtlicher Begründung bei Schmitt. I m wesentlichen handelte es sich also bei den Neokonservativen u m eine politische Romantik, die das Franco-Regime als „gesunde" Übergangsphase zur Wiederherstellung einer korporativ-traditionellen Monarchie, wenn nicht wohlwollend, so doch auch nicht ablehnend, ansah. I h r Verhältnis zur Intention Schmitts zeigt sich am deutlichsten i n der Einleitung López-Amos zur spanischen Version von „Donoso Cortés i n gesamteuropäischer Interpretation" 8 6 . Der Dezisionismus Donosos impliziert nach Lopez-Amo keine absolute, nicht-räsonierende und sich-nicht-rechtfertigende Entscheidung i m Sinne Schmitts, sondern vielmehr die juristische Formel eines zeitlich begrenzten Ausnahmezustands. Doch berge die radikale Formulierung Schmitts — LópezAmo zufolge — eigentlich die Legitimitätsproblematik: i m Grunde gehe es nicht darum, daß entschieden wird, sondern darum, daß der göttlich legitimierte Monarch entscheide und dies sei letztlich Legitimität und nicht Diktatur. Man könnte hinzufügen: inwieweit dann die Legitimität inhaltlich zu begründen sei, gehört i m Kontext einer politischen Romantik spezifisch zur politischen Theologie. § 8 Hierarchie absoluter Werte Eine systematische Abhandlung über das Gesamtwerk Schmitts erschien erst 195087. I n dieser ursprünglichen Doktorarbeit geht Caamano von einer präzisen Analyse der geistesgeschichtlichen Situation Carl Schmitts aus, die er i m eminenten Sinne als „Krise" betrachtet, über die Darstellung seiner Grundthesen, bis h i n zu einer umfassenden K r i t i k an Schmitt. Polemisch initiiert als Reaktion gegen den herrschenden Positivismus und Normativismus versuche Schmitt die soziologischen und historischen Elemente des Rechts i n den Vordergrund zu stellen. Dies befähige ihn, zum tieferen Verständnis von Wesen und Bedeutung der juristischen Institutionen vorzudringen und deren latenten ökonomischen und gesellschaftlichen Unterbau ans Licht zu führen 8 8 . Caamano betont an mehreren Stellen die vermeintliche Affinität Schmitts zum Marxismus, insbesondere bei der Anwendung seiner Ideologiekritik am bürgerlichliberalen Staat, sowie i n der Übernahme der historischen Dialektik und selbst bei der Interpretation der Rolle der Technik 8 9 . 89 A . López-Amo, Pròlogo, i n : C. Schmitt , Interpretación europea de Donoso Cortés, M a d r i d 1952, S. 7 - 19. 87 J. Caamano Martinez , E l pensamiento juridico-politico de Carl Schmitt, Santiago de Compostela 1950, S. 169. 88 Ebd., S. 20 ff. 89 Vgl. hierzu insbesondere ebd., S. 165 - 168.
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I. 1. Kap.: Der Neue Staat der Nationalen Bewegung
Die zentrale Kategorie i m Denken Schmitts stellt jedoch Caamano i m Begriff des Dezisionismus fest. Auch die Theorie konkreter Ordnungen — so betont Caamano zu Recht — setze letztlich die Dezision voraus. Der Begriff der Entscheidung habe die Funktion, die inneren Widersprüche des kelsenschen Normativismus aufzuzeigen, perfekt erfüllt: Kelsen gehe von der geschichtlichen Wirklichkeit aus, u m später die Welt des Juristischen ohne sie, vielmehr durch ihre Reduzierung auf ein System logischer Urteile und Formen a priori, zu konstruieren. Doch auch der Begriff der Entscheidung vermöge i m Grunde keine Lösung des Hauptproblems der Rechtswissenschaft, die Verbindung vom Ideellen und Faktischen, herbeizuführen. Die bedingte Ausschließung einer absoluten Ordnung, einer „Hierarchie absoluter Werte" 9 0 , überwinde nicht der Positivismus, sondern potenziere sie geradezu durch die bloße Anerkennung der brutalsten Faktizität. Die Theorie konkreter Ordnungen w i l l Caamano andererseits nur mittelbar i n Verbindung m i t dem Institutionalismus Haurious sehen. Nicht nur aufgrund deren verschiedenen philosophischen Prämissen — bei Hauriou, i m wesentlichen auf die „objektiven Ideen" Piatos und den „élan vital" Bergsons zurückzuführen —, vielmehr i m Hinblick auf die bei Schmitt primär politischen Zwecke anzusetzen. Die Einheit von Ordnung und Ortung spiele sich bei Schmitt vordergründig als Instrument zur Ausarbeitung von „Reichs- und Großraum" kategorien. A u f der Ebene technisch-juristischer Argumentation bleibend w i l l also schließlich Caamano i n Schmitt nicht so sehr den systematischen Denker, eher den herausfordernden Analytiker großen Formats erblicken.
Ebd., S. 170.
Zweites
Kapitel
Zur Dialektik des Politischen im Neuen Staat § 9 Politische Obligation und Entideologisierung Inwieweit das Problem der Politischen Theologie m i t der Dialektik der Politisierung und Entideologisierung zusammenhängt, zeigt deutlich die kritisch artikulierte Weiterführung vom „Begriff des Politischen" und deren konkrete Anwendung auf die letzte staatsrechtliche Entwicklung des Franco-Staates durch den Rechts- und Staatsphilosophen Legaz y Lecambra. I n seiner ersten ausführlichen Bezugnahme auf Carl Schmitt 1 bedient sich Legaz der schmittschen Machttheorie, u m die Grundlagen einer „Theorie der politischen Verpflichtung" zu formulieren. Seine präzise ideengeschichtliche und rechtstheoretische Analyse mündet i n der Einsicht, das Charakteristische der politischen Verpflichtung bestehe geradezu i n der Ausschließung jeder anderen Alternative und der Vorlage einer einzigen Entscheidungsmöglichkeit. Der Politiker müsse demzufolge wissen, daß eine einzige Alternative dem Aufbau des „politischen Körpers" entsprechen könne, und insofern eine Politik, die der spezifischen A r t und Traditionen einer politischen Einheit sich entgegensetze2, nicht nur reine Chimäre, sondern auch zum Scheitern verurteilt sei. 1 L. Legaz y Lecambra, Teoria de la obligación politica, REP 85 (1956), S. 3 - 57. Vorher hatte sich Legaz bereits m i t Schmitt auseinandergesetzt i n L. Legaz y Lecambra, Direito e Politica, Lissabon 1949 (Sonderdruck einer i m „ B o l e t i m do Ministério da Justiça" veröffentlichten Rede). S. i m Hinblick auf die Theorie „politischer Obligation" auch R. Derathé, L'obligation p o l i tique selon Hume, R I P h 30 (1976), S. 91 - 103, w o der Verfasser bei Hume eine v o n der moralischen Verpflichtung unabhängige, dieser unterstehenden, p o l i tische Obligation herausarbeitet. 2 Ebd., S. 55: „Politische Einheit" als zentrale Kategorie i n der politischen Theorie Schmitts t r i t t insbesondere bei dem Begriff des Politischen u n d der Verfassungslehre zutage. Dazu zuletzt J. Freund, Le nouvel âge-Eléments pour la théorie de la démocratie et de la paix, Paris 1970; H. Rumpf, Carl Schmitt u n d Thomas Hobbes, B e r l i n 1972. s. auch J. Beneyto, Los cauces de la convivencia. Die Rezeption Schmitts durch Legaz deutlich betonend: L. Legaz Lecambra, L a lealtad politica, REP 210 (1976), S. 5 - 2 9 , wo der Verfasser die politische Einheit i n einem System „gesellschaftlichen Pluralismus" aufgrund der Möglichkeit politischer Verantwortung deutlicher ausgebildet sieht, als i n einer ideologisch formierten politischen Einheit, wo die Macht unausweichlich unter den i n d i r e k t e n Gewalten verteilt w i r d u n d insofern p o l i tisch rechtfertigungsunbedürftig bleibe.
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I. 2. Kap.: Zur Dialektik des Politischen im Neuen Staat
Wie es Collingwood formuliert hätte, eine solche „Notwendigkeit der Einzig-Entscheidung" dürfe jedoch keinesfalls mit einer bloßen psychologischen Determination oder mit einer irrationalen Selbstbehauptung identifiziert werden. I m ersten Fall, weil eine, aus der Leidenschaft entspringende deterministische Entscheidung, die menschliche Freiheit ausschließe; i m zweiten, insofern die politische Verpflichtung die A b schaltung jeder leichtfertigen Motivierung der politischen Handlung impliziere 3 . Was Legaz hierbei also letztlich betonen möchte, ist die unausweichliche Realität der Macht. Sie darf für i h n weder i m Gefolge der machiavellischen Tradition verherrlicht, noch auf fiktiv-manichäische Weise dämonisiert werden. Seine Theorie der politischen Verpflichtung ist dementsprechend der Versuch, die Notwendigkeit der Macht und des Staates (oder besser, der „politischen Form") i n all ihrer positiven Dimension zurückzugewinnen, ohne deren moralische I m p l i kationen zu verschleiern. Denn, obwohl die Politik sich nicht i n Moral auflösen lasse, bleibe die politische Handlung weiterhin eine menschliche Handlung und insofern auch moralisch qualifizierbar. Genauso, wie auch das Politische sich nicht mit dem Recht decke, jedoch als W i r k lichkeit des sozialen Lebens einen mehr oder weniger starken Bezug auf die Gerechtigkeit besitze; u m so stärker, als jede große Politik gleichsam zu einer ebenfalls großen juristischen Konstruktion führen müsse4. Hier offenbart sich für Legaz die spezifische Dialektik und radikale Fragilität des Politischen. Denn, trotz der Notwendigkeit eines eigenen Verpflichtungs- und Aktionsfeldes des Politischen könne das Motiv des Ungehorsams gegenüber dem politischen Zwang nur moralisch oder juristisch gerechtfertigt werden. Was jedenfalls „ontologisch" unmöglich erscheint, sei die Nicht-Befolgung der politischen Verpflichtung aus politischen Gründen. Der Bürger könnte — so weiterhin Legaz •— dem allgemein befolgten politischen Zwang systematisch seinen Gehorsam verweigern; dann berufe er sich auf sein Gewissen oder sei jemand, welcher eine der Möglichkeiten — nämlich die negative — der juristischen Verpflichtung wähle. Jener Bürger dagegen, welcher keinen Widerstand einer nun illegitim gewordenen politischen Macht leiste, werde aber zum Komplizen des Tyrannen. Damit vergleichbar: ein Politiker, der nicht i n der Lage sei, aktive Konsensfaktoren zu fördern, „zerstört die Macht und sein Werk bleibt von Grund aus politisch sinnlos" 5 . Genauso wie jener Politiker, der aus 3 Ebd., S. 54 f. Vgl. auch L. Legaz y Lecambra, Filosofia del Derecho, B a r celona 19723, S. 480 ff.; ders., L a lealtad politica, S. 9 - 14. 4 Ebd., S. 56. Vgl. dazu die „schöpferische K r a f t der Entscheidung" bei Carl Schmitt, etwa i m V o r w o r t v o n C. Sdimitt, Die D i k t a t u r . 5 Ebd., S. 53.
§ 9 Politische Obligation und Entideologisierung
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Legalitäts- oder juristischen Skrupeln das Absinken des i h n verpflichtenden Regimes und dessen Wertsystem regungslos betrachtet, ohne den Staat zu retten, sich ebenfalls außerhalb der politischen Dimension — weil i h m i n diesem Fall als Bürger, vor allem aber als Obrigkeit, eine einzige Alternative verpflichte — gestellt habe. Und der Politiker endlich, der i m Extremfall nicht entschlossen sei, die politische W i r k lichkeit zu der er gehört, unter Einbeziehung der Möglichkeit einer Niederlage durch den Krieg i n Frage zu stellen, verneine radikal das Politische: „Weil er nur durch die Selbst-Verneinung seines politischen Daseins verkennen kann, was die politische Verpflichtung i n jener Extremsituation von i h m fordert" 6 . Der dadurch herausgebildete Begriff der politischen Obligation besitzt deutliche Bezüge zur schmittschen Bestimmung des Politischen. So akzeptiert auch zum Teil Legaz die Position Schmitts, die eigentliche Rechtfertigung des Krieges sei letztlich politisch 7 . Dem Prozeß der Politisierung entspräche insofern auch die Intention, durch „subtile Methode" das unterschwellige Freund/Feind-Verhältnis zu verdecken: Auch ein Krieg aus ideologischen Gründen bleibe weiterhin primär eine Konfrontation zwischen „Feindschaften". Legaz erklärt dies mit einem i n dieser Zeit (noch 1956!) durchaus gewagten Beispiel aus der unmittelbaren spanischen Vergangenheit: so werde nach Legaz beispielsweise der Krieg — wenn eine Betonung der ideologischen Antithese intendiert w i r d — nicht unmittelbar als solcher genannt, sondern etwa als „Kreuzzug" bezeichnet 8 . Die Fragilität des Politischen zeige sich auf der anderen Seite i n der Tatsache deutlich, daß sogar die Ablehnung aus moralischen Gründen der konkret-politischen Obligation möglicherweise Anlaß für ein gerechteres und wirksameres politisches System hätte sein können 9 . Die Befolgung oder Nicht-Befolgung der politischen Verpflichtung schließt also nicht die juristische oder moralische Beurteilung ihrer Folgen. Die politische Entscheidung bleibe letztlich unausweichlich. Die Anerkennung eines existentiell-agonalen Wesensmerkmals des Politischen setzt nun Legaz i n die Lage, die Dialektik der Politisierung und Entpolitisierung i m Sinne Schmitts konkret anzuwenden. Dies 6 Ebd. A l s Beleg für den schmittschen Grundtenor dieser These, s. C. Schmitt, Gespräch über die Macht u n d den Zugang zum Machthaber, P f u l l i n gen (Württemberg) 1954. 7 Ebd., S. 53 u n d Z i t a t Nr. 76. Bei Schmitt vgl. insbesondere C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, B e r l i n 19633, S. 45 - 55. 8 Ebd., S. 53, Fn. 76. „Kreuzzug" w a r bis i n die sechziger Jahre h i n e i n die politisch-theologische Formel zur Rechtfertigung der militärischen A u f l e h nung gegen die I I . Republik (1931 - 1936). Vgl. hierzu unten § 31. 9 Ebd., S. 57.
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I. 2. Kap.: Zur Dialektik des Politischen im Neuen Staat
geschieht exemplarisch i n den beiden Aufsätzen für die Carl SchmittFestschriften 10 . Bereits i n der ersten Abhandlung „Völkerrechtsgemeinschaft, Ideologie, Utopie und Wirklichkeit" plädiert Legaz für eine inhaltliche — „werthafte" — Füllung der bisher nur utopisch plakatierten „Völkerrechtsgemeinschaft". U m dieser, sowohl von der Natur des Menschen als auch von der „internationalen Gesellschaft" geforderten „wahren Völkergemeinschaft", Wirksamkeit zu verleihen, bedürfe es einer „personifizierten und institutionalisierten" völkerrechtlichen Autorität. Denn eine internationale völkerrechtliche politische Obligation — d. h. eine bindende trans-nationale Integrationskraft — finde ihre Rechtfertigung ausschließlich i n der Legitimität und Notwendigkeit gewisser Herrschaftsverhältnisse 11 . Eine solche „wertschöpfende und -erhaltende" Funktion der Herrschaft als politische Obligation w i r d nach Legaz u m so deutlicher bei der Betrachtung des Verhältnisses zwischen Ideologie und Staat. I n dem zweiten genannten Aufsatz postuliert er folgende These: Es gibt keine Staaten ohne Ideologie, weil selbst jede Form des Verzichts auf Ideologie bereits wieder eine Form der Ideologisierung darstellt. M i t einem berühmten Paradoxon umschrieben: „Alles, was innerhalb dieses Feldes geschrieben steht, ist falsch". A u f den liberalen Staat angewandt, bedeutet diese Verneinung einer „agnostischen" politischen Form, daß er i n der Tat bestimmte ideologische Postulate übernimmt, da nur innerhalb derselben die Respektierung des Kräftespiels verschiedener ideologischer Positionen Sinn besitze: „der Liberalismus ist nicht allein eine Ideologie, die i m Wettkampf mit anderen Ideologien steht, sondern außerdem jene Ideologie, welche dieses Im-Wettkampf-sich-Befinden erst möglich macht" 1 2 . Die paradoxe Situation des liberalen Staates rühre nun daher, daß er formal ein „agnostischer" Staat sei, welcher der Gesellschaft das Spiel der Ideologien und ihre Beherrschung durch sie überlasse, zugleich aber auch die Rolle des „konfessionellen" Staates übernehme: i m liberalen Staat existiert kein Raum für „eine" Freiheit, 10 L. Legaz y Lacambra, Völkerrechtsgemeinschaft, Ideologie, Utopie u n d W i r k l i c h k e i t , in: H. Barion u. a. (Hrsg.), Festschrift für Carl Schmitt, S. 123 bis 143; ders., Ideologie u n d Staat, in: H. Barion u. a. (Hrsg.), Epirrhosis — Festgabe für Carl Schmitt, S. 275 - 283. 11 L. Legaz y Lacambra, Völkerrechtsgemeinschaft, S. 142 f. s. auch hierzu ders., L a obligación internacional, Santiago 1961. 12 L. Legaz y Lacambra, Ideologie u n d Staat, S. 277. Vgl. für alle i n der aktuellen politiktheoretischen Diskussion Walter Leisner, der „gewisse heutige Aufklärungserscheinungen der parlamentarischen Demokratie" als A u s druck ihres beachtlichen „Ideologiedefizits", den Leisner steuern möchte, da keine Staatlichkeit „ohne eine gewisse Ideologieintensität auf Dauer bestehen kann, w e i l aus dieser eben ganz wesentlich Konsens entsteht . . . " , W. Leisner, Demokratie — Selbstzerstörung einer Staatsform?, B e r l i n 1979, S. 19.
§ 10 Totalpolitisierung als historischer Prozeß
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die sich gegen die Freiheit selbst richten würde. So berufe sich sogar etwa das Grundgesetz der Bundesrepublik auf den „Wesens"-Gehalt der i n der Verfassung verbrieften Freiheiten, d. h. auf naturrechtlichen Begründungen der Grundrechte. Nur diese Fundamentalpolitisierung und letztlich „politisch-theologische" Begründung vermöge also den zum Kräftespiel der Parteien notwendigen entideologisierten inneren Raum zu schaffen. Die Dialektik der Politisierung und Entideologisierung sei aber auch i n den autoritären Regimen unausweichlich. So stelle die „Ley Orgànica del Estado" vom 14. Dezember 196613 als letzte Stufe i m verfassungsrechtlichen Prozeß des Neuen Staates, den Versuch dar, eine Entideologisierung durch Aufhebung der Ideologie als Organ oder Instrument i m Dienste des Staates einzuleiten. Insoweit kann es demzufolge für Legaz eine totale oder radikale Entideologisierung nicht geben. Daraus folgert Legaz eine „rationale" Begründung politischer Theologie: es sei also zwar den unausweichlichen Ideologien gegenüber Rationalität geboten, jedoch keine bloß technisch-naturalistische, sondern vielmehr eine Rationalität, „die i m Dienste transzendenter Ideale und unzerstörbarer menschlicher Werte steht" 1 4 . So mündet die Analyse des Politischen durch Legaz letztlich i n eine A r t „Carl Schmitt-Bekenntnis"; auch die unausweichliche Entscheidung für eine Rationalität transzendenter Ideale bleibt schließlich „ideologisch", muß stets neue Freund/FeindGruppierungen schaffen. § 10 Totalpolitisierung als historischer Prozeß Die Dialektik der Politisierung und Entpolitisierung sowie die Notwendigkeit, eine „transzendente" Rationalität des Politischen zu begründen, nehmen auch eine zentrale Stellung i n der „Phänomenologie der Transformation des Politischen" des Politikwissenschaftlers und zeitweiligen Leiters des Instituto de Estudio Politicos, Jesùs Fueyo Alvarez, ein. Sowohl die häufigen Referenzen als auch die behandelten Probleme bezeugen vom unverkennbaren Einfluß der Denkkategorien Carl Schmitts. Wie für Schmitt, muß der Ursprung der Moderne nach Fueyo i n einem eminent politisch-theologischen Element gesucht werden. Die Auflösung jeglicher Bindung der Gemeinschaft mit Gott durch die 13 Uber diese letzte verfassungsrechtliche Reform i m Franco-Regime vgl. den Band Nr. 152 (1967) v o n der Revista de Estudios politicos, die sich monographisch dem neuen Gesetz widmete. Der offene konstitutionelle Prozeß entsprach der stets sich neu formierenden, i m Sinne Legaz' „totalideologisierten", politischen Einheit. Vgl. hierzu L. Legaz y Lecambra, Ideologia y principios fundamentales, REP 175 (1971), S. 5 - 17. 14 L. Legaz y Lacambra, Ideologie u n d Staat, S. 282.
4 Beneyto
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I. 2. Kap.: Zur Dialektik des Politischen im Neuen Staat
majestätische Einschaltung des Souveräns als „imago D e i " 1 5 entfesselte einen historischen Prozeß, i n dem die politische Selbst-Behauptung des Menschen sowohl die Appropriation jenes politisch-theologischen Fundamentalverhältnisses zugunsten der Gemeinschaft als Ganzes, als auch infolgedessen die Befriedigung des menschlichen Bedürfnisses nach Erlösung durch das immanente „Ethos" der Gemeinschaft erfordere. Die „politische K r i t i k " der Moderne zerstöre einerseits die theologischen Fundamente der absoluten Ordnung, zugleich öffne sie aber auch die Wege i n Richtung auf eine diesseitige Sakralisierung der Gemeinschaft und demzufolge auf die zeitgenössische Mystik des Kollektiven 1 6 . Eine solche „ K r i t i k der politischen Vernunft" offenbare auf der anderen Seite die radikale Historizität des Politischen sowie des Wissens u m das Politische. Die neue Perspektive i n der methodischen Konstruktion der politischen Ordnung identifiziert sich nach Fueyo m i t der dialektischen Überwindung der Spannung „homme — citoyen" 1 7 . Die politische Ordnung werde nicht mehr durch die Prinzipien von Sicherheit und Rationalisierung der gesellschaftlichen Kontrolle auf der Grundlage der Souveränitätsstruktur, sondern durch die Utopie totaler A k tualisierung der metaphysischen Möglichkeiten des Menschen innerhalb der Gemeinschaft bestimmt. Die auf solche Weise i n Gang gesetzte „politische Totalität" synthetisiere ihre logischen, politischen und eschatologischen Idealvorstellungen i n dem Mythos der Revolution 1 8 . Säkularisierung, Revolutionierung und Totalpolitisierung bilden also nach Fueyo die drei Dimensionen eines historischen Prozesses, dessen letzte Stufe die Selbstzerstörung der abendländischen Rationalität i m Nihilis15 Vgl. hierzu C. Schmitt, Politische Theologie, 1922, I I I . Teil. Dazu M . Wilks, The Problem of Sovereignty i n the Later Middle Ages. The papal Monarchy w i t h Augustinus Triumphus and the Publicists, Cambridge 1963; H. G. Walther, Imperiales K ö n i g t u m , Konziliarismus u n d Volkssouveränität, München 1976; jetzt auch D. Wyduckel, Princeps Legibus Solutus, B e r l i n 1979. J. Fueyo Alvarez , Estudios de teoria politica, M a d r i d 1968, S. 267 f. s. auch ders., La mentalidad moderna, M a d r i d 1967, insbesondere S. 1 - 82, 219 bis 258 u n d 367 - 398, sowie ders., L a època insegura, M a d r i d 1968 u n d ders., Esquema de la subversion de nuestro tiempo, M a d r i d 1970. 17 I n diesem Sinne auch z . B . F. H. Teribruck, Die Glaubensgeschichte der Modernen, in: ZfPol 23 (1976), S. 1 - 15. K r i t i s c h zu der bei Fueyo implizierten Reduktion v o n der Metaphysik auf das Geschichtlich-Gesellschaftliche, L. V. Aravil, Besprechung v o n Fueyo, La mentalidad moderna, in: REP 156 (1967), S. 219 - 223. 18 Hierzu w e i t e r h i n klassisch E. Voegelin, Order and History, Louissiana 1956; M . Eliade , Mythes, rêves et mystères, Paris 1957. Die mythische Komponente bei M a r x w i r d besonders deutlich i n K. Marx, Der historische Materialismus, Die Frühschriften, Leipzig 1932, Bd. I, S. 272 ff.; s. auch insbesondere L. Trotzky, A u f zum K a m p f gegen den Hunger, 1918, S. 55 (zit. v o n W. Nigg, Das ewige Reich, Zürich 1954, S. 257). Über die politische Wirksamkeit grundmythischer Vorstellungen vgl. M . Garcia-Pelayo, Mitos y simbolos politicos, M a d r i d 1964; zuletzt sehr gut dokumentiert, ders., Los mitos politicos, M a d r i d 1981.
§ 10 Totalpolitisierung als historischer Prozeß
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mus ist. Der „Untergang des Abendlandes" folgt demzufolge für i h n aus der Immanenz-Verlagerung der eschatologischen Heilserwartung, ein Prozeß, der sich m i t der „Politisierung des Theologischen" und m i t der radikalen Neutralisierung identifiziert, dessen letztes Entwicklungsstadium i n einem pantheistischen „status naturalis" liegt. Aus der vollzogenen Entchristlichung Europas, aus dem Verlust jeden Restes von Metaphysik, entstehe die orientalische Mystik der Passivität, das Verschwinden des kreativen Geistes, letztlich die Auslösung der Individualität i n dem sakralen Raum der Gemeinschaft 19 . Hatte Legaz y Lecambra noch vor der Hinwendung zu einer rein technischen Rationalität, zu einer ausschließlich naturalistischen Wissenschaftlichkeit, die auf gewisse Werte und auf eine gewisse „poietische", schöpferische Dimension i n der Politik verzichtet, als „die große Gefahr" der entwickelten Gesellschaft gewarnt, und infolgedessen für eine „ideologische" Rationalität i m Dienste transzendenter Ideale plädiert 2 0 , so ist nun für Fueyo der Prozeß der absoluten Entideologisierung ( = Totalpolitisierung) unaufhaltsam. Selbst die technische Entwicklung stellt hierbei nichts mehr als ein „posthumes Wiederaufblüh e n " 2 1 dar: Die politisch-theologischen Fronten vergehen i m totalen Prozeß der theologischen Politisierung 2 2 . Denn „eine Entwertung der politischen Gemeinschaft vom Gesichtspunkt ihrer Bedeutung für den Menschen" ist unmöglich, seitdem die „transzendentale Bestätigung" des Menschen und der Gemeinschaft i n Gott, d . i . i n der eigentlichen auctoritas der politischen Gesellschaft, ideologisch beim Versuch der Effektivmachung einer christlichen Ordnung v e r w i r k t wurden. Die immanente Verabsolutierung der Macht i m Begriff der Souveränität — das Gesetz ihrer eigenen Relativität — setzte geradezu diese „Tragödie des Heiligen Reiches" voraus 2 8 . Die hierbei implizit vorausgesetzte Historizität des Politischen zwingt Fueyo 19 Glanzvoll stellt Fueyo dieses geschichtsphilosophische B i l d i n seinem „Essay über die letzte Geschichte des Denkens u n d der P o l i t i k " , der den symptomatischen T i t e l trägt „Die Wiederkunft der Buddhas", dar. (J. Fueyo Alvarez , L a vuelta de los budas. Ensayo-ficción sobre la ù l t i m a historia del pensamiento y de la politica, M a d r i d 1973; insbesondere S. 535-583). Uber das Verhältnis v o n Nihilismus u n d Pantheismus als letzte Stufe des revolutionären Prozesses bei Schmitt vgl. v o r allem C. Schmitt, E x captivitave salus. Erfahrungen aus der Zeit 1945/47, K ö l n 1950, S. 47 ff., auch hierin: Gesang des Sechzigjährigen. 20 L. Legaz y Lecambra, Ideologie u n d Staat, S. 282. 21 J. Fueyo Alvarez, La vuelta de los budas, S. 582. 22 Die i m Grunde auch das Eintreten für den Sozialisierungsprozeß i m p l i ziert. Vgl. hierzu J. Fueyo Alvarez, L a explosion de la cultura, i n : Anales de m o r a l social y econòmica, M a d r i d 1977, Nr. 44, S. 188 - 200. 23 J. Fueyo Alvarez, Die Idee der „auctoritas": Genesis u n d Entwicklung, in: Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt, S. 213 - 235. (Spanische Vorlage i n ders., Estudios de teoria politica, S. 413 - 440).
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zur Ausschaltung jeder anderen, nicht prozessualhistorischen Alternative. Gegenüber einer nicht-transzendenten Vergottung der Macht ließe sich nur eine positiv transzendierende Staatsordnung begründen, eine „konkrete politische Theologie", wie jene des „politischen Anglikanismus" (Hooker und Coke) 24 oder die auf der „metaphysischen Entscheidung" des 18. J u l i 1936 beruhende neue Staatlichkeit der Nationalen Bewegung 25 . § 1 1 Krieg als politisches Mittel Auch die Fortsetzung — bzw. „Zwischenbemerkung" — zum „Begriff des Politischen" fand eine breite Wirkung innerhalb der innerspanischen wissenschaftlichen Diskussion. Einerseits lag bei der so bezeichneten „Theorie des Partisanen" eine geographisch enge Verbindung, da nicht nur ihre Genese i n Spanien stattfand 2 6 , sondern auch weil Schmitt hierbei an einem historischen spanischen Beispiel — die Entstehung des „Guerrillero" oder „Partisano" i m Kampf gegen Napoleon — ansetzte. Andererseits konnte sich Schmitt der stets bereiten A u f nahme zweier qualifizierter — und von Schmitt selber häufig zitierter — Völkerrechtler, Luis Garcia Arias und Camilo Barcia Trelles, erfreuen. I n seinem, Carl Schmitt gewidmeten Aufsatz, „Ante la alteración del equilibrio mundial" 2 7 , folgt Garcia-Arias der These Schmitts von der Notwendigkeit eines neuen balance of power i m internationalen Recht. Nachdem er i m Anschluß an H. J. Morgenthaus „The Decline of 24 Vgl. ders., L a teologia politica del Estado-nación y el anglicanismo politico, i n : ders., Estudios de teoria politica, S. 441 - 463. 25 Vgl. hierzu ζ. Β . die Beiträge Fueyos bei den Diskussionen u m das demokratiefördernde „Gesetz zur politischen Reform" v o n 1976 (Ley de l a Reforma politica) i n der Gemeinsamen Kommission Regierung-Nationaler Rat, abgedruckt bei A . Ossorio, Trayectoria politica de u n ministro de la Corona, Barcelona 1978, S. 56 ff. Das Verhältnis Fueyos zur staatsrechtlichen Ordnung des Franco-Regimes befindet sich systematisch dargestellt in: J. Fueyo Alvarez, Desarrollo politico y orden constitutional, M a d r i d 1964. 26 „Die vorliegende A b h a n d l u n g zur »Theorie des Partisanen' ist aus zwei Vorträgen entstanden, die ich i m F r ü h j a h r 1962 gehalten habe, nämlich am 15. März i n Pamplona, auf Einladung des Estudio General de Navarra, u n d am 17. März i n der Universität Saragossa, i m Rahmen der Veranstaltungen der ,Catedra Palafox', auf Einladung ihres Direktors, Professor Luis Garcia Arias. Der Vortrag ist i n den Publikationen der ,Câtedra' Ende 1962 gedruckt erschienen". (Vorwort zu: C. Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbem e r k u n g zum Begriff des Politischen, B e r l i n 1963). Z u m Standort Garcia-Arias, Professor an der Universität Saragossa für Völkerrecht, vgl. auch L. Garcia-Arias, Estudios de Historia y doctrina del Derecho International, M a d r i d 1964; ders., Estudios sobre relaciones i n t e r nationales y Derecho de gentes, M a d r i d 1971. 27 I n dem Band: Ders., L a Guerra Moderna y la Organization International, M a d r i d 1962, S. 487 - 551.
§11 Krieg als politisches Mittel
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America" 2 8 , die Ursache für die Dekadenz Amerikas und des damit verbundenen Ausfalls des „balance of military power" zwischen der Sowjetunion und der USA i n der mangelnden Entscheidungsfähigkeit seiner „konservativ-demokratischen" Regierungsstruktur gegenüber einer revolutionierten Welt festzustellen intendiert 2 9 , verweist GarciaArias auf die Tatsache, daß „heute nur noch lokale Kriege möglich sind" 3 0 . Die Kriegsinitiative werde nun das „furchtbare Privileg" kleiner Staaten. Der „kosmokratische" Kampf beider Supermächte u m die Weltsuprematie bekäme heute zunehmend anstatt eines militärischen einen politischen Charakter. Und i n diesem „psychologischen Krieg" zeige sich Amerika der UdSSR unterlegen 3 1 . I n einer solchen weltpolitischen Situation plädieren dann sowohl Garcia-Arias als auch Barcia Trelles 3 2 , den völkerrechtlichen Ansatz Schmitts weiterführend, für eine neue, polizentrische Weltstruktur, i n der den alten dualistischen oder auch einen möglicherweise tripartiten — Amerika, die Sowjetunion, China — balance of power durch eine „Mehrzahl von Großräumen, die i n sich selbst und untereinander vernünftig ausbalanciert sind" 3 8 , ersetzt werden. Das bedeutete also, wie Barcia Trelles präzisiert, die Einschaltung einer dritten, „pluralen" Kraft, welche demnach kein Dreier-System einführen, sondern vielmehr den Weg zu einer Pluralität von Großräumen und insofern zu einer „Hegung des Krieges" und zu einem künftigen „Ius publicum europaeum" auf der Grundlage eines neuen Gleichgewichts eröffnen würde 3 4 . Nur ein solcher „complex balance of power" vermöge eigentlich — so zuletzt Garcia-Arias — als Alternative zum sowjetischen Weltmachtanspruch überzeugend zu wirken 3 5 . 28 H. J. Morgenthau, The Decline of America. I . The Decline of American Power, in: „The New Republic", Washington, 9. Dezember 1957, S. 10 f., u n d 14. Kritisch zu Morgenthau m i t dem Nachweis seiner mangelnden e m p i r i schen Begründung vgl. jetzt J. Dean / P. Dale / J. A . Vasquez, F r o m Power Politics to Issue Politics: B i p o l a r i t y and M u l t i p o l a r i t y i n the L i g h t of a New Paradigm, in: The Western Political Quarterly X X I X (1976), S. 7 - 28. 29 L. Garcia-Arias, L a guerra Moderna, S. 535. 30 Ebd., S. 538. 31 Ebd., S. 531. Vgl. auch L. Garcia-Arias, La guerra psicologica. I n : ders., L a guerra moderna, V. Band, Zaragoza 1958, S. 121 - 182. 82 Vgl. u. a. C. Barda Trelles, E l problema de la unidad del mundo postbélico, Sao Paulo 1953. 33 C. Schmitt, Theorie des Partisanen, B e r l i n 1963, S. 62; auch i n diesem Sinne i m p l i z i t C. Barcia Trelles, E l problema, S. 80 f. 34 C. Barcia Trelles, E l problema, S. 81. Einschlägig bei Schmitt zu „Hegung des Krieges" u n d „Jus Publicum Europaeum": Ders., Der Begriff des P o l i t i schen u n d ders., Der Nomos der Erde i m Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, K ö l n 1950. 35 L. Garcia-Arias, L a guerra moderna, S. 551.
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Dem „neuen Nomos der Erde" entspricht auch bei Garcia-Arias auf der anderen Seite die begriffliche Schwerpunktverlagerung vom Krieg auf die Politik, d.h. auf die „Unterscheidung von Freund und Feind 3 8 . Die Umakzentuierung des Politischen vom Staat zum Freund/ Feind-Kriterium und die damit zusammenhängende Begründung einer neuen Legitimität und Legalität finden eine konkrete, „fallangewandte" Bestätigung i m Beitrag Garcia-Arias zur zweiten Festschrift, welcher den bezeichnenden Titel trägt „Die politische Funktion der Streitkräfte" 3 7 . Gegenüber dem klassisch-liberalen, aus der Gewaltenteilungslehre Montesquieus herrührenden Grundsatz von der Unterordnung des Militärs unter der zivilen Gewalt weist Garcia-Arias auf die „ I r r tümer" dieser Doktrin hin. Nicht nur, daß sie von einer „von Anfang an falschen Identifikation der Staatsgewalt m i t der zivilen Führung der Regierung" ausgehe — aus der Sicht einer unteilbaren Staatsgewalt stelle die Rede von einer „zivilen Gewalt" gleichsam einen „terminologischen Mißbrauch" dar —, sondern vor allem weil die historische Grundsituation — „Krieg gegen den Feind jenseits der Grenzen" des X I X . Jahrhunderts — nicht mehr den heutigen Verhältnissen entspräche. I n jenem Augenblick nämlich, i n dem die Streitkräfte zur Unterdrückung von Volksaufständen eingesetzt würden, verwandeln sie sich von einem, das ganze Volk i n seinen Reihen integrierenden Organ der Nation zu einem Werkzeug der die Staatsgewalt jeweils kontrollierenden Gruppe 3 8 . Die dadurch eingeleitete Politisierung des Krieges gelange auf ihren Höhepunkt i m Kalten Krieg und i n den revolutionären Kriegen der Gegenwart. I n diesen, „der Sache nach politischen Kriegen", handele es sich für das M i l i t ä r nicht mehr darum, den Feind zu schlagen und das Land zu besetzen, sondern es müsse vielmehr versuchen, „die Zivilbevölkerung des Kampfgebietes zu gewinnen, insbesondere, wenn ein solcher Krieg i m Zusammenhang m i t einem weitergreifenden Weltkonflikt ideologischen Charakters steht" 3 9 . Das heißt, m i t den eigenen Worten Schmitts, „die folgerichtige Weiterführung des Gedankens [Clausewitz'] vom Krieg als einer Fortsetzung der P o l i t i k " 4 0 .
38 Vgl. hierzu C. Schmitt, Theorie des Partisanen, insbesondere S. 91 - 96: „ V o m w i r k l i c h e n zum absoluten Feind". 37 I n : Epirrhosis — Festgabe für Carl Schmitt, H. Barion u . a . (Hrsg.), Bd. I, S. 237 - 244. 38 Ebd., S. 241. Vgl. dazu auch L. Garcia-Arias, Las Fuerzas Armadas en la Ley Organica del Estado, REP 152 (1967), S. 137 - 156. I n diesem Sinne auch die Bibliographie v o n dems., „Über die politischen Konsequenzen der neuen Waffen", in: REP 151 (1967), S. 249 - 255. 39 L. Garcia-Arias, Die politische Funktion, S. 242. 40 C. Schmitt, Theorie des Partisanen, S. 94.
§ 12 Mythologie der Entpolitisierung
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Die Konsequenz dieser begrifflichen Verlagerung der Unterscheidung von Freund und Feind schließt für Garcia-Arias einerseits die oben angesprochene Frage nach einem neuen „Nomos der Erde" und einem „complex balance of power" ein, andererseits aber auch die Umstürzung des traditionellen Verhältnisses von Legalität und Legitimität. So folgert er aus der Tatsache ideologisierter — „auf die Aufrechterhaltung einzelner politischer Strukturen oder auf deren Umstürzung" gerichteter 4 1 — Streitkräfte eine Umkehrung des klassischen Verhältnisses von Befehl und Gehorsam: wenn die Regierung den Staat gegen die Gesellschaft oder die Nation stellt, „also unter außergewöhnlichen und nicht normalen Umständen", vermag der dadurch entstandene Gehorsamskonflikt nicht immer unmittelbar zugunsten der Regierung entschieden werden. M i t anderen Worten: die demokratisch legitimierte Staatsstruktur zwingt die Streitkräfte „ i n außergewöhnlichen Fällen" zur Übernahme einer potenzierten politischen Funktion gegen den Staat, letztlich also zur Formierung neuer — innerstaatlicher — Freund /Feind-Gruppierungen. Eine solche intensiv politische Intervention der Streitkräfte bedeutet für Garcia-Arias nicht eine Aufhebung der rechtlich-politischen Ordnung, sondern geradezu ihre Bestätigung: i n solchen Fällen „hat das Militär das Gesetz nicht aufgehoben, sondern es e r f ü l l t " 4 2 . So verwandelt sich schließlich i n einer politisierten Welt die Legitimität zur Frage nach dem Ausnahmezustand und dessen Herausforderung. § 12 Mythologie der Entpolitisierung Die andere mögliche Inanspruchnahme des Säkularisierungstheorems, das Eintreten für die restlose Rationalisierung und Säkularisierung, für eine konsequente Vollziehung der Prinzipien der Aufklärung, zog Enrique Tierno Galvân 4 3 . Folgerichtig präsentiert sich diese Va41 L . Garcia-Arias, Die politische Funktion, S. 243. Hierzu übereinstimmend E. Serrano Villafane, L a función politica del Ejército en Espana de 1700 a 1931, REP 200/201 (1975), S. 267 - 281, w o die revolutionäre Zäsur deutlich herausgearbeitet w i r d . 42 L. Garcia-Arias, Die politische Funktion, S. 244. 48 Professor für öffentliches Recht u n d Politische Wissenschaft i n Salamanca, gehörte seit M i t t e der fünfziger Jahre zur demokratischen Opposit i o n u n d mußte aufgrund seiner regimekritischen A k t i v i t ä t e n i m Jahre 1962 nach Princeton (USA) emigrieren, w o er bis 1967 als „ V i s i t i n g Professor" lehrte. Bei den ersten demokratischen Wahlen 1976 stand er an der Spitze einer sozialistischen Partei (Partido Socialista Popular: Sozialistische Volkspartei), die sich nach der Wahlniederlage der größeren Sozialistischen A r beiterpartei (PSOE: Partido Socialista Obrero Espanol) anschloß. Später wurde er zum Oberbürgermeister v o n M a d r i d ernannt. Uber die H a l t u n g Tiernos zum Franco-Regime u n d seiner geistigen E n t w i c k l u n g vgl. J. Tusell Gómez, L a oposición democràtica al franquismo 1939 - 1962, Barcelona 1977, S. 312-441.
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riante als die unausweichliche und diesmal endgültige Überwindung jeder Form politischer Theologie. Ob das Engagement Tiernos für einen wissenschaftlich-neutralisierenden, „technokratischen" Marxismus doch nicht letztlich die Bildung neuer politisch-theologischer Fronten zu bestätigen scheint, bleibt geradezu eine Grundfrage politischer Theologie. Die Ausgangsfaktoren seiner späteren Theorie der Moderne finden sich — auch hier i n signifikanter Parallele zu den Befürwortern einer „starken Ordnung" — i n der kulturpolitischen Betrachtung des europäischen Verfalls. Dies verifiziert sich bei Tierno durch die Analyse der „mythosstiftenden Kraft eines authentischen Vertreters des europäischen Geistes" 44 , nämlich des spanischen Schiffskapitäns Benito Cereno i n der gleichnamigen Erzählung Hermann Melvilles. Die konkret „verortete", einmalige Situation des Don Benito i m festgefahrenen, kaum navigierenden Schiff, besitzt für Tierno die unbegrenzte Suggestion eines spezifischen modernen Mythos nicht nur deshalb, weil das A n Bord-Gehen immer als eine besonders typische menschliche Situation (Pascal: „nous sommes embarqués" 45 ) und eine Seereise als „die fortwährende Wiederholung einer extremen Situation" 4 6 erscheinen, sondern vor allem und gerade, weil Melvilles Erzählung der einzige M y thos sei, der es ermöglicht, „die Situation des heutigen Europas richtig zu deuten" 4 7 . Denn es steht für Tierno Galvân fest, daß „ w i r Europäer" nicht verstanden hätten, „das Schiff w i r k l i c h zu navigieren und das bloße Treiben i n eine Fahrt zu verwandeln". So offenbare sich i n der aktuellen Lage die ganze Wirklichkeitsnähe des Mythos, denn nichts sei unglaublicher als das Wirkliche, während erst die unglaubwürdig gewordene mythisierte Wirklichkeit es gerade äußerst nahe und akut mache: „Erst seit dem Mythos fühlt und versteht man, daß das W i r k liche nur vom Unwirklichen her zu erklären ist" 4 8 . Welche ist nun die „unwirkliche Wirklichkeit", diese charakteristische A r t europäischer Irrealität 4 9 , die uns eine erst durch das Mythische 44
C. Schmitt, E x captivitate Salus, S. 21, 75. Vgl. hierzu die bisher vollständigste Behandlung des Seereise-Mythos bei H. Blumenberg, Schiffbruch m i t Zuschauer, Paradigma einer Daseinsmetapher, F r a n k f u r t 1979, dessen Deutung u n d I n t e n t i o n weitgehend m i t denen Tiernos übereinstimmen. Der Satz Pascals w i r d v o n Blumenberg als Motto seiner A r b e i t vorangestellt. 46 E. Tierno Galvân, Benito Cereno oder der Mythos Europas, i n : Epirrhosis — Festgabe für Carl Schmitt, H. Barion u. a. (Hrsg.), S. 345 - 356, 347. 47 Ebd., S. 349. 48 Ebd., S. 351. 49 Vgl. ebd., S. 352. Tierno Galvân zitiert M . Lujàn de Saavedra, Guzmân de Alfarache, 2. Teil, Buch 3, Kap. 3, ein Klassiker des Schelmenromans: „jener, der am meisten denkt u n d sorgt, t r ä u m t auch am meisten", ebd., S. 352. 45
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„real" funktionalisierte Deutung der Geschichte des europäischen Geistes enthüllt? Die Lage werde durch drei, Don Benito fortwährend quälende Dinge, expliziert. Erstens durch die ohnmächtige Situation auf dem treibenden, nicht weiter zu lenkenden oder zu beherrschenden Schiff, d. i. die „Angst vor der absoluten Lüge dessen, was uns noch übrig bleibt"; denn der Schiffskapitän wisse genau, daß auf seinem Schiff alles nur Verwirrung und Anarchie sei, daß die elementarsten Triebe herschen „und selbst die säkulare Unterscheidung der Leute vom Bug und der Leute vom Heck i n Gewaltsamkeit und Zufall untergeht" 5 0 . Die Verwirrung sei aber u m so schmerzlicher, gerade weil sie Ordnung und Ubereinkommen vortäusche. Dieser nach Tierno nunmehr Ballast der europäischen Tradition, der fiktiven Bindung an die europäische Geschichte w i r d durch Babo, den Neger, symbolisiert, der den Versuchen Don Benitos, dem obskuren Zirkel seiner Unterwerfung unter irrationale Kräfte zu entgehen, zu widerstehen trachtet. Die zweite Alternative repräsentiert Mr. Delano, der menschenfreundliche und optimistische Amerikaner. Es handelt sich hierbei u m die Lösung eines einfachen, problemlosen Pragmatismus, u m die Lebensform einer „mechanischen oder mechanisierten Arbeit", eigentlich aber u m die „Heimgastlichkeit des Absurden". Bei Melville gäbe es aber neben dem Neger Babo — das Festhalten an dem europäischen Irrealismus des Absoluten — und dem Amerikaner Delano — der pragmatische Realismus der Zweckrationalität — noch eine dritte Kraft: den Terror, einen radikal nihilistischen Terror, der für seine eigene Vernichtung kämpfe und heute den „Platz der toten Werte" einnehme. Eine A r t modernen „terrorisierenden Terrors", der sein Doppelgesicht dadurch aufzeigt, daß er als Steigerung unserer eigenen Eigenschaften erscheint, gerade weil die übersteigerte Vernunft genauso beim Terror ende wie die übersteigerte Leidenschaft 51 . Wie soll nun die Entscheidung Don Benitos, d.h. der europäischen Elite, ausfallen? Würde sein Bestreben, das Allerschlimmste zu verhüten, und das Übriggebliebene noch zu retten, etwas anderes bedeuten, als eine Farce? Melvilles Antwort: Don Benito sieht und leidet, schwankend zwischen innerer Emigration und Widerstand, schließlich entscheidet er sich für den Sprung i n das Boot des amerikanischen Kapitäns Amara Delano. Doch w i r d m i t diesem Durchbruch seiner umgrenzten Situation kaum etwas erreicht, „denn er kann nicht mehr dem Wahnsinn und dem Tod entweichen" 52 . Mit der Dichte eines Satzes seines 60 51 52
Ebd., S. 353 f. Ebd., S. 356. S. Klickovié, Benito Cereno. E i n moderner Mythos, i n : Epirrhosis —
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Hauptromans „Moby Dick" ausgesprochen: "Yes, the world's a ship on its passage out, and not a voyage complete" 5 3 . Kurz, der Mensch sei unwiderruflich auf einem Schiff eingeschifft, das Erde heißt. A l l e Probleme seiner Existenz seien irdisch und können nur von einer irdischen Ordnung aus und auf der Erde gelöst werden 5 4 . So darf auch die mythogenetische Theorie der Moderne Tierno Galvâns i n diesem Sinne ausgelegt werden. Tierno konstatiert eine sozialpsychologische Tatsache: die Substituierung des „genetischen" durch das „analytisch-kontemplative" Denken, der chronologischen durch die mythische Zeit. Diesen Vorgang sieht er paradigmatisch i n der epochalen Wandlung symbolisiert, die darin zum Ausdruck komme, daß das Vergangene heute nicht weiter die Gegenwart bedinge, sondern i m Gegenteil, diese den kulturellen Sinn der Vergangenheit bestimme. Anders ausgedrückt: die heutzutage entwickelten Kulturformen kennzeichnen sich durch das Bewußtsein der Gleichzeitigkeit und den korrelativen Verlust an historischer Tradition 5 5 . Dies bedeute die Vollendung des Säkularisierungsprozesses, der Neutralisierung der Tradition als politische Kraft und entspreche insofern dem Primat des wissenschaftlich-technischen Denkens. Die neue analytisch-kontemplative Denkstruktur impliziere trotz ihrer passivitätsfördernder Verhaltenshomogenisierung keine „orientalische" Weltangst, sondern entspringe gerade aus ihrem Gegensatz, nämlich die wissenschaftlich-technische Beherrschung der Wirklichkeit 5 6 . Aus einer vergleichenden kultursoziologischen Analyse zieht also Tierno Galvân die prinzipiell entgegengesetzten Folgerungen zu Carl Schmitt 5 7 : die Ursache des „Unheils" läge gerade darin, daß die wissenschaftliche Befreiung noch nicht vollendet sei. Nur jetzt beginne endgültig die wissenschaftlich-naturalistische Aufklärung, die sittlichen, rechtlichen und ökonomischen Institutionen ebenso zu entzaubern und zu beherrschen, wie die Natur. Die Herrschaft der „blindlings pragmaFestgabe für Carl Schmitt, H. Barion u. a. (Hrsg.) Bd. I, S. 265 - 273, 271. Vgl. zum Mythos Benito Cerenos jetzt die Dokumentation v o n M . Kesting, H e r m a n n M e l v i l l e — Benito Cereno, F r a n k f u r t 1971. 63 Z i t . v o n S. Klickoviô, Benito Cereno, S. 272. 54 Ebd., S. 273. 55 Die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" als definitorisches M e r k m a l des historischen Bewußtseins seit der Revolution arbeitet heraus R. Koselleck, Vergangene Z u k u n f t . Z u r Semantik geschichtlicher Zeiten, F r a n k f u r t 1979. 58 E. Tierno Galvân , Tradición y Modernismo, M a d r i d 1962, S. 170. 57 Z u r Analyse des Säkularisierungs- u n d Neutralisierungsprozesses bis zur wissenschaftlich-technischen Zivilisation vgl. C. Schmitt, Das Zeitalter der Neutralisierungen u n d Entpolitisierungen, in: ders., Der Begriff des P o l i t i schen, S. 79 - 95.
§1
tpolitisierung als
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tisierten", der bloß „instrumentelle(n) Vernunft" Horkheimers und Adornos 5 8 w i l l Tierno zur Kenntnis nehmen, ohne jedoch ihre K r i t i k am technologischen Denken zu akzeptieren. Demnach ist die Überwindung des Übels — die Vollendung der Befreiung — von der Ersetzung zweier „Grund-Vorurteile" zu erwarten, nämlich der Sünde und des agonischen Lebenskampfs 59 . Beide Zielsetzungen seien i n der kommunistischen Gesellschaft nur zum Teil und nicht endgültig, i n dem geschichtslosen und konsumistischen Amerika aber dafür u m so wirksamer erreicht worden. „Die K u l t u r der USA ist keine amerikanische K u l t u r , sie ist eine Entwicklungskultur und deutet die Zukunft der Welt aus" 6 0 ; hier würde das religiöse Syndrom durch die Umwertung des Protestantismus i n zivile Moral säkularisiert, der Lebenskampf durch das Ziel, die menschlichen Fähigkeiten der Funktion anzupassen, ersetzt. I n der neu sich auszeichnenden „Gesellschaft ohne Humanität" verlieren Konservatismus und Progressismus jedwede Berechtigung, die Begeisterung der religiösen oder politischen Erlösung verschwindet, die K u l t u r der Gleichzeitigkeit löst sich auf i n den „mechanischen Prozeß der industriellen Entwicklung"; durch die „Rationalisierung des Konsums" vergeht letztlich auch das Politische. So entscheidet sich schließlich Tierno für das Springen i n das Boot Don Benito Cerenos, „eine höchst plausible, restlos entmythologisierte" Alternative 6 1 ; mit seinen eigenen Worten, „eine wahnsinnige, unsagbar traurige Angelegenheit" 6 2 , doch folgerichtig i n der technisch-wissenschaftlichen Welt: Hier ist der Mythos nicht nur die Bedingung zur formellen Überwindung der politischen Theologie, sondern zugleich die der Begründung einer neuen Sinnorientierung. § 13 Entpolitisierung als Sozialisierungsprozeß Noch i n den ersten Jahren der II. Republik (1931 - 1936) erschien die spanische Übersetzung der „Verfassungslehre" Carl Schmitts, eingeleitet von einem damals jungen Dozenten des Öffentlichen Rechts, dem späteren Soziologen und Schriftsteller Francisco Ayala 6 8 . I n der „Ver58 Vgl. M . Horkheimer , Z u r K r i t i k der Instrumentellen Vernunft, New Y o r k 1947 (dt. F r a n k f u r t 1967), auch M . Horkheimer / Th. Adorno, D i a l e k t i k der Aufklärung, Amsterdam 1947 (Neuausgabe F r a n k f u r t 1969). 59 E. Tierno Galvàn, Tradición, S. 173. Ebd. 61 E. Tierno Galvàn , Benito Cereno oder der Mythos Europa, S. 353. • 2 Ebd., S. 356. 63 Geboren 1906 i n Granada, studierte u. a. bei Carl Schmitt 1929 - 1930 i n Berlin, wurde Professor für öffentliches Recht i n M a d r i d u n d lehrte auch Soziologie u n d Literaturwissenschaft i n Argentinien, Puerto Rico u n d i n den USA. Seine breite W i r k u n g ist vorwiegend v o n seiner schriftstellerischen Tätigkeit (Romane, Erzählungen, Essays) ausgegangen. Vgl. hierzu insbeson-
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. 2. Kap.: Zur Dialektik des Politischen im Neuen Staat
fassungslehre" sah Ayala eine scharfe und subtile K r i t i k der Prämissen des Verfassungsstaates. Neben einigen vorschnellen und unbelegten Behauptungen — so etwa, die schmittsche K r i t i k des bürgerlichen Verfassungsstaates sei „ i n ihrem Ausgang sowie i n ihrer Haupteinstellung dem marxistischen Denken verpflichtet" 6 4 — bemerkt Ayala zu Recht Schmitts einseitige Betrachtung des Rechtsstaates i n seinem geschichtlichen Typus „national-liberaler Staat" und die Ausschaltung jeglicher Entwicklung zu einer pluralistischen Staatsform. Schmitt beschränke sich i n seiner durchaus präzisen Analyse der Krise des Nationalstaates auf dessen historische Elemente (Einheit, Souveränität, Entscheidung, Volkshomogenität usw.) und intendiere dabei eine ideologische Bestätigung seines eigenen juristischen Instrumentariums („Entscheidung", „Souverän", „Diktatur", „Pouvoir constituant", „Volk" usw.). Die These Schmitts, i n der Krisenstunde falle der Nationalstaat auf die i h n hervorbringende politische Form — die absolute Monarchie — zurück, sei insofern nur richtig, als Schmitt die geistigen und ideellen Fundamente der Monarchie radikal verkenne. Sicherlich bestünde ohne Volkshomogenität insoweit keine „nationale Demokratie" und letztlich auch keine Nation; die Frage sei demgegenüber vielmehr, ob es eine pluralistische Lösung zum Problem der politischen Macht gäbe, eine Tatsache, die Schmitt nicht i n Rechnung stelle bzw. stellen wolle. Demzufolge stimmt Ayala m i t Carl Schmitt darin überein, daß der Bruch der nationalen Homogenität i m Grunde auch das Ende des bürgerlichen Liberalismus impliziert. Daß eine demokratische Staatsordnung auf die Dauer die Grenzen des einheitlichen und souveränen Staates überspringt, zeige sich besonders deutlich am Beispiel des Minderheitenproblems. Während die Assimilations- oder Diskriminierungsprozesse durch entgegengesetzte Wege die Homogenisierung betreiben würden, führe die gängige Lösung, die ethischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten durch statutarische Regelungen abzusondern, letztlich zu der Auflösung der nationalen Einheit 6 5 . Der I r r t u m Carl Schmitts bestehe hierbei gerade i n der Dogmatisierung der Prinzipien des geschichtlichen Typus des Nationalstaats und i n der diesbezüglichen theoretischen Verabsolutierung „persönlicher politischer Überzeugungen" 66 . Diese, zugunsten einer pluralistischen Demodere F. Ayala, Los usurpadores, Buenos Aires 1944 sowie v o r allem ders., L a cabeza del cordero, Buenos Aires 1949, m i t der T h e m a t i k des spanischen Bürgerkrieges. Über A y a l a vgl. z . B . A . Amorós, Conversación con Francisco Ayala, Revista de Occidente, November 1968, S. 145 - 171. 64 F. Ayala, Einleitung zu C. Schmitt, Teoria de la Constitución, M a d r i d ο. J. (Neudruck), S. V I I - X V , (S. X I V ) . «5 Ebd., S. X I . ββ Ebd., S. X I - X I I .
§1
tpolitisierung als
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kratie, zugleich ideologiekritische Disqualifizierung Schmitts ergänzt Ayala durch die Berufung auf die Notwendigkeit einer neuen Strukturierung des „politischen Zusammenlebens", die durch ihre „Flexibilität" und „Komplexität" der neuen Welt- und Lebensanschauung des Menschen und seiner Stellung i m Kosmos entspräche 67 , eine neue weltpolitische Ordnung, die — wie Ayala i n seinen späteren Werken expliziert h a t 6 8 — aufgrund eines „dynamischen Gleichgewichts" der Völkergemeinschaften zur Beseitigung der Souveränität beitragen, und insbesondere durch die Annahme des Sozialisierungsprozesses auf einer tiefen allgemein-kulturellen Revolution basieren müsse 69 .
67
Ebd., S. X I V . Vgl. hierzu insbesondere: ders., Tratado de Sociologia, 3 Bände, Buenos Aires 1947; ders., Introducción a las ciencias sociales, M a d r i d 19532; ders., E l problema del liberalismo, México 1941; ders., Ensayo sobre la libertad, México 1945. 69 Ders., Introducción a las ciencias sociales, S. 342. 68
Zweiter
Abschnitt
Politische Theologie Carl Schmitts Erstes
Kapitel
Dezisionißtische Begründung von Legalität und Legitimität § 14 Der Stellenwert legalen Entscfaeidens Carl Schmitts wissenschaftliches Werk entsteht aus der Einsicht, das Recht bestehe primär i n der Dezision. Durch die Annahme eines autonomen Charakters der richterlichen Entscheidung intendiert Schmitt die Ablehnung eines abstrakten, entjudifizierten Normativismus, der sich der konkret-geschichtlichen Situation durch ihre Abstraktheit entfremdet. I n „Gesetz und U r t e i l " 1 , seiner ersten umfangreicheren, rechtstheoretischen Studie bestreitet Schmitt die vom Rechtspositivismus aufgestellte These der „reinen" Geschlossenheit des Rechtssystems und damit die Möglichkeit, i m gerichtlichen Verfahren einen Streitfall durch Subsumtion unter bestimmte Normen zu lösen. Die Begründung einer Gerichtsentscheidung durch die Feststellung des Willens des Gesetzgebers bezeichnet er als Fiktion, denn zwei außergesetzliche Interpretationselemente werden auch vom Richter herangezogen: das argumentum a contrario und die Analogie 2 . Die Richtigkeit richterlicher Entscheidungen lasse sich also nicht aus Normen mittels der verschiedenen Auslegungsregeln herleiten, sondern werde vielmehr dadurch bestimmt, daß ein anderer Richter „als Typus des modernen Juristen" den Fall ebenso entschieden hätte 3 . Diese soziologische Kategorie w i l l 1
Hier zitiert nach der 2. Auflage, München 1969 (1. Auflage 1912). Ebd., S. 26: „Die Widersprüche u n d Inkonsequenzen der Lehre v o m W i l len des Gesetzgebers hatten ihren G r u n d darin, daß m a n sich nicht darüber k l a r werden wollte, m i t einer bloßen F i k t i o n zu operieren. Wäre m a n sich bewußt gewesen, eine Reihe v o n »transpositiven' Momenten u n d Inhalten so zu behandeln, als ob sie der W i l l e des Gesetzgebers wären, u n d hätte man, dieser F i k t i o n sich stets bewußt bleibend u n d v o n i h r ausgehend, eine Auslegungslehre auszubauen versucht, so wäre m a n zu theoretisch u n d praktisch wertvollen Resultaten gelangt". 3 Ebd., S. 97 f.: „Der Richter w i l l m i t den Entscheidungsgründen erst eine allgemeine Entscheidung für den konkreten F a l l schaffen; seine Entscheidungsgründe sollen zu einer allgemeinen Überzeugung erst hinführen. Er 2
§ 14 Der Stellenwert legalen Entscheidens
63
besagen, daß sich die r i c h t e r l i c h e E n t s c h e i d u n g aus e i n e r R e i h e v o n F a k t o r e n zusammensetzt, i n d e r Rechtsnormen, V e r k e h r s a u f f a s s u n g , B i l l i g k e i t s e r w ä g u n g e n u n d G e r e c h t i g k e i t s g e f ü h l so gegeneinander a b g e w o g e n w e r d e n , daß e i n Höchstmaß a n V o r a u s b e r e c h e n b a r k e i t gesichert w i r d . Was k o n s t i t u i e r t d a n n die r i c h t e r l i c h e E n t s c h e i d u n g als Rechtsakt? D i e L e g i t i m a t i o n w i l l S c h m i t t i n d e r d u r c h Staatsakte erst zu bewirkenden inhaltlichen Berechenbarkeit der Rechtsverwirklichung e r k e n n e n , z u d e r die Rechtspraxis als z u r ü c k w i r k e n d e s M o m e n t a u f das a l l g e m e i n e R e c h t s b e w u ß t s e i n „ e n t s c h e i d e n d " f u n g i e r t 4 . H i e r w i r d die Arbeitsmethode Schmitts m i t der A u f s t e l l u n g einer zweckhaften L e g i t i m i t ä t s t h e o r i e identisch. Das K r i t e r i u m f ü r die gerechte Entscheid u n g m u ß e i n d e r j u r i s t i s c h e n P r a x i s i n t e r n e s sein: „ l a p r a t i q u e j u r i d i q u e d o i t d é c i d e r " — w i e J u l i e n F r e u n d schreibt — „ d ' e l l e - m ê m e ce q u i est j u s t e , ce q u i v e u t d i r e q u ' e l l e est sa p r o p r e mesure. L a p r a t i q u e et p a r conséquent l e c r i t è r e de sa r e c t i t u d e " 5 . D i e Rechtspraxis r e c h t f e r t i g t sich d e m z u f o l g e selbst; d i e a u f diese Weise e r r e i c h t e G e r e c h t i g k e i t s s t u f e sei i n s o f e r n keineswegs die der absoluten, w o h l aber die d e r j u r i s t i s c h e n M e t h o d e angemessene G e r e c h t i g k e i t 6 . L e t z t l i c h r e d u z i e r t subsumiert nicht unter Normen i n dem Sinne, als ob die Subsumtion Endzweck seiner Tätigkeit wäre. Die Subsumtion unter eine (gleichgültig welche) Norm, ist nicht mehr Schluß u n d Z i e l der Entscheidungsgründe, sondern das M i t t e l zur Rechtsbestimmtheit. Das, w o r a n sich die Entscheidung legitimiert, liegt nicht v o r i h r (als positives Gesetz, als K u l t u r n o r m , oder N o r m des freien Rechts), sondern ist (mit H i l f e des positiven Gesetzes, der K u l t u r n o r m oder der N o r m des freien Rechts) erst zu bewirken". 4 Ebd., S. 98: „Nicht davon ist auszugehen, daß der Richter rückwärts auf einen W i l l e n oder einen Befehl schaut; sondern er benutzt eine N o r m (d.h. ihre Wirksamkeit) als M i t t e l , u m zu berechnen, was heute, bei diesen posit i v e n Gesetzen, bei diesem Einfluß der außerpositiven Normen, bei diesen Präjudizien, v o n der Praxis des Rechts allgemein als richtig betrachtet würde". Der Richter „schafft k e i n Recht, sondern er beruft sich aufs Recht: Er bleibt dem Satze v o n der Rechtsbestimmtheit unterworfen" (S. 103). 5 J. Freund, Vue d'ensemble, S. 13. C. Schmitt , Gesetz u n d Urteil, S. 86: „Die Entscheidungsgründe w o l l e n also richtigerweise davon überzeugen, daß die Entscheidung, v o m Standpunkt vor der Entscheidung aus betrachtet, voraussetzbar u n d berechenbar, v o n dem nach der Entscheidung aber »erklärlich*, u n d zwar nicht psychologisch, sondern i m Sinne der juristischen Praxis erklärlich ist, d . h . daß ein anderer Richter ebenso entschieden haben würde. Nicht aber davon, daß die Entscheidung n u r ein Einzelfall des gesetzgeberischen Willens ist oder daß sie einem Gerechtigkeitsideal entspricht". 6 C. Schmitt, Gesetz u n d Urteil, S. 111: „Eine richterliche Entscheidung ist dann richtig, w e n n sie voraussehbar u n d berechenbar ist. Das ergab sich aus dem Postulat der Rechtsbestimmtheit u n d der Betrachtung der Rechtspraxis". Insofern dürfte der Beitrag Schmitts als Wegbereiter eine, die Einspurigkeit des Rechtspositivismus überwindende, soziologisch-funktionelle Betrachtungsweise mehr als bis jetzt berücksichtigt werden. Vgl. zum Thema W. Krawietz, Das positive Recht u n d seine Funktion, B e r l i n 1967; ders., Juristische Entscheidung u n d wissenschaftliche Erkenntnis, W i e n / New Y o r k 1978; R. Lautmann / W. Maihof er / H. Schelsky (Hrsg.), Die F u n k t i o n des Rechts i n der modernen Gesellschaft, Jahrbuch für Rechtssoziologie u n d Rechtstheorie, Bd. I , Bielefeld 1970.
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II. 1. Kap.: Dezisionistische Begründung von Legalität und Legitimität
aber Schmitt bereits hier den rechtspolitischen Vorgang auf das Moment der Dezision. Denn wichtig sei gerade nicht, was der Einzelrichter als richtig erkenne, noch dessen Argumente psychologischer, soziologischer oder normativer A r t , sondern die Entscheidung als solche7. Som i t mündet die K r i t i k Schmitts an dem herrschenden Positivismus Dies wurde jedoch trotz der Masse sekundärliterarischer Bibliographie allzuoft nicht herausgearbeitet. So z . B . nicht bei P. Schneider, Ausnahmezustand u n d Norm, Stuttgart 1957, S. 107 - 110; J. Fijalkowski, Die Wendimg z u m Führerstaat, K ö l n / Opladen 1958, S. 15 ff.; H . Rumpf, Carl Schmitt u n d Thomas Hobbes, B e r l i n 1972, S. 11 ff. Die meisten der frühen Rezensenten sahen i n der Schrift eine Spielart der Freirechtslehre, so etwa W. Jellinek, Bespr. v o n C. Schmitt, „Gesetz u n d U r t e i l " , A Ö R 32 (1912), S. 296-299, oder auch P. Oertmann, Bespr. v o n C. Schmitt, „Gesetz u n d U r t e i l " , DJZ 28 (1913), Sp. 817 - 818. A l l e i n F. Holldack erkannte schon 1912, daß Carl Schmitt über die v o n den Freirechtslehrern geübte K r i t i k an der traditionellen Hermeneut i k sich deutlich distanzierte, ders., Bespr. v o n C. Schmitt, „Gesetz u n d U r t e i l " , K S t 17 (1912), S. 464-467. Die Bedeutung dieser Frühschrift Schmitts f ü r den „Paradigmenwechsel i m juristischen Methodenstreit" (vgl. W. Kr awietz, Z u m Paradigmenwechsel i m Juristischen Methodenstreit, i n : A r g u mentation u n d Hermeneutik i n der Jurisprudenz, hrsg. v o n W. K r a w i e t z / K . O p a l e k / A . P e c z e n i k / A . Schramm, RECHTSTHEORIE Beiheft 1 (1979), S. 113 - 152) w i r d dagegen bei H. Hof mann, L e g i t i m i t ä t gegen Legalität, Neuwied / B e r l i n 1964, S. 3 2 - 3 9 , und J. Freund, Vue d'ensemble, lediglich angedeutet, deutlich nach ihrer Neuauflage v o n 1969 v o n U. Huber, Bespr. v o n C. Schmitt, „Gesetz u n d U r t e i l " , 19692, N J W (22) 1969, Sp. 2188/9, herausgestellt worden, i m K o n t e x t der Rechtstheorie Schmitts v. a. aber konsequent m i t einbezogen bei( 'J. Maus, Bürgerliche Rechtstheorie u n d Faschismus. 7 Vgl. hierzu C. Schmitt, Gesetz u n d Urteil, S. 48 ff., 99 ff. Dadurch, daß Schmitt dem Ausnahmefall, nämlich der Indétermination v o n speziellen Staatsakten prinzipielle Bedeutimg zumißt, u m den Stellenwert der Entscheidimg als solche zu betonen u n d v o n daher die Rechtspraxis v o n der Rechtstheorie zu emanzipieren trachtet (vgl. S. 56-70), verbaut er sich den Weg zu einer Theorie der Gewinnung material-rechtlicher Gerechtigkeitskriterien, w i e z. B. M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, B e r l i n 19762, ders., Recht u n d praktische Vernunft, Göttingen 1979, postuliert. Daß damit der Schwerp u n k t v o n der Gerechtigkeitsverwirklichung durch juristische Rationalität auf das Problem der Rechtsgeltung v o n Staatsakten, der Legitimität der ihrerseits legitimierenden A u t o r i t ä t , verlagert w i r d , hat H . Hofmann, L e g i t i mität, S. 37 ff. bereits festgestellt sowie die implizite Parallelität zur kelsenschen Kategorie der Rechtserzeugung (vgl. C. Schmitt, Gesetz u n d Urteil, S. 32 ff.; ders., Der W e r t des Staates u n d die Bedeutung des Einzelnen, T ü bingen 1914, S. 55 ff.; H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre entwickelt aus der Lehre v o m Rechtssatze, Tübingen 1911, S. 189 ff.; ders., A l l gemeine Staatslehre, B e r l i n 1925, S. 54) H. Hofmann, Legitimität, S. 4 4 - 5 6 . Insofern ist die I n t e n t i o n v o n I. Maus, Bürgerliche Rechtstheorie u n d Faschismus, S. 16, „gerade i n antipositivistischen Ansätzen materialer Rechtstheorie seit der Weimarer Republik die Rückbildung demokratischer Gesellschaftsgestaltung vermittels demokratisch kontrollierter Rechtsentscheidungen" am Beispiel Carl Schmitts zu demonstrieren, durchaus m i t Vorsicht zu genießen. Die Argumentation v o n Maus w i r d dort brüchig, w o sie eine solch vermeintliche „antipositivistische, materiale Rechtstheorie" zutreffend als „soziologischen Positivismus" qualifiziert, sie aber v o n dem Weimarer Gesetzpositivismus n u r aufgrund der v o n Maus hierbei prätendierten „progressiven Momente" (S. 17) unterscheidet. I n diesem, wie i n vielen anderen P u n k ten w i r d dennoch die auf das Ideologische fixierte Besprechimg v o n H. Rumpf, Carl Schmitt u n d der Faschismus, Der Staat 17 (1978), S. 233 - 243, Maus nicht gerecht.
§ 14 Der Stellenwert legalen Entscheidens
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seiner Zeit i n eine radikale Trennung zwischen Recht und Staat: „Recht" ist das, was die Richter i n der Entscheidung „verwirklichen", deren Legitimität erst durch die inhaltliche Berechenbarkeit aller Staatsakte zu bewirken ist 8 . So steht i m Mittelpunkt der nachfolgenden und ersten „strictu senso" politiktheoretischen Schrift „Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen" (1914) die Frage nach den Beziehungen zwischen Recht und Macht. Bereits i m Titel und i n der Hauptfrage der Abhandlung werden deutlich die Einflüsse des Neukantianismus sowie der katholischen Rechtsphilosophie. Nach dem Verfasser ist es nicht möglich, Recht und Macht miteinander i n Einklang zu bringen: es handele sich u m zwei unermeßliche Begriffe. Die Autonomie des Rechts gegenüber dem Faktischen, zu dem die Macht gehöre, verhindere das Herleiten des Rechts aus der Macht, wie es charakteristisch für den Rechtspositivismus sei, der dazu neige, beide Sphären des Lebens zu vermischen. Das Recht gehöre zur Sphäre der Normen, die Macht zum Willen. So unterstellt Schmitt das Recht und die judizielle Dezision der Macht des Staates: der Staat trete als Vermittler zwischen Recht und Individuum, denn seine Funktion bestehe i n der Aktualisierung des Rechts zugunsten der Individuen. Diese Funktion könne der Staat erfolgreich erfüllen, weil er die Macht besitze, die ohne einziges Fundament der Autorität zu sein, dem Staat dennoch als Mittel diene, das Recht zu realisieren 9 . Die „Politische Romantik" (1918) bedeutet — beim Versuch, die rechtsschöpfende Kraft der nun staatlich-individualisierten Dezision theoretisch weiterzuführen — eine A r t geistesgeschichtliche Abrechnung mit dem juristisch-politischen Denken der Neuzeit. I n ihr befinden sich die hermeneutischen Voraussetzungen der „Politischen Theologie". M i t dieser K r i t i k an der politischen Romantik Schmitt „a trouvé — m i t den Worten Julien Freunds — son style, car i l est désormais 8 So besitzt der Begriff der „Berechenbarkeit" deutliche Bezüge — trotz ihrer divergierenden Intentionalität — zur „ E r w a r t u n g " der empirischsoziologischen Methode Mac Dougals u. Laswells, deren theoretischer H i n tergrund jedoch auf der empiristischen T r a d i t i o n des common sens beruht. Dazu vgl. H. D. Laswell, The Analysis of Political Behaviour. A n empirical Approach, London 19492; M . S. Mac Dougal u.a., Studies i n W o r l d Public Order, New Haven 1960, S. 42 ff. 9 Z u Recht betont H. Hofmann , Legitimität, S. 56, den Zusammenhang m i t der Staatsmetaphysik Hegels bei der — äußerlich w i e bei Kelsen — v o l l zogenen Funktionalisierung des Individuums durch die Anerkennung des Staates als einer über-, nicht interindividuellen sittlichen Größe u n d die Folge bei Schmitt, daß n u n der Staat höchst individualistisch gedacht w i r d , als das personifizierte überindividuelle Bewußtsein eines überindividuellen Wertes erscheint. Vgl. dazu auch L. Waldecker, Bespr. v o n C. Schmitt, Der W e r t des Staates, K r i t V J Sehr. 17 (1916), S. 326 - 345.
5 Beneyto
66
I I . 1. Kap.: Dezisionistische Begründung v o n Legalität u n d L e g i t i m i t ä t
m a î t r e de sa p r o p r e p e n s é e " 1 0 . D i e h i e r z u m e r s t e n M a l
angewandte
K o m b i n a t i o n v o n philosophiegeschichtlichen, sozialhistorischen u n d p o l i t i k t h e o r e t i s c h e n A n a l y s e n — i n der „ P o l i t i s c h e n T h e o l o g i e " als „ r a d i k a l e B e g r i f f l i c h k e i t " a p o s t r o p h i e r t 1 1 — f ü h r t i h n dazu, a n h a n d d e r p o l i tischen T h e o r i e A d a m M ü l l e r s 1 2 die v e r m e i n t l i c h e Z e r s t ö r u n g m e t a p h y sischer L e g i t i m i t ä t s b e g r ü n d u n g d u r c h die „ P o l i t i s c h e R o m a n t i k "
her-
auszustellen13. M i t Descartes b e g a n n f ü r S c h m i t t die E r s c h ü t t e r u n g des o n t o l o g i schen D e n k e n s u n d die d a r a u f f o l g e n d e V e r w e i s u n g d e r R e a l i t ä t a n e i n e n s u b j e k t i v e n u n d i n t e r n e n V o r g a n g , a n das D e n k e n . Dies h ä t t e d i e E n t z w e i u n g d e r W i r k l i c h k e i t i n der O p p o s i t a d e r n e u z e i t l i c h e n P h i l o sophie b e d i n g t , w e l c h e auch d u r c h die t r a n s z e n d e n t e L ö s u n g K a n t s n i c h t ü b e r w u n d e n w ä r e . K a n t h ä t t e d e m d e n k e n d e n Geist die R e a l i t ä t der A u ß e n w e l t nicht wiedergegeben, w e i l durch die Reduzierung der O b j e k t i v i t ä t des D e n k e n s a u f „ o b j e k t i v - g e i s t i g e F o r m e n " das W e s e n der empirischen W i r k l i c h k e i t nicht erfaßt würde. Das Irrationale, M y thische, das G e h e i m n i s des Daseins w ü r d e d a n n , d u r c h die i m m a n e n t e T r a n s f o r m a t i o n des Theologischen, i m s u b j e k t i v e n D e n k e n o d e r i n d e r e m p i r i s c h e n W i r k l i c h k e i t gesucht. So h ä t t e sich i n u n g e a h n t e m M a ß e das z e n t r a l e P r o b l e m d e r L e g i t i m i t ä t gestellt, die aus a l l e d e m b e i 10
J. Freund, Vue d'ensemble, S. 23. C. Schmitt , Politische Theologie, 1922, S. 42. 12 A u f die „entscheidende Unterschätzung Müllers" i n der Darstellung C. S. wies bereits F. Meinecke, Weltbürgertum u n d Nationalstaat, S t u t t g a r t / München / Darmstadt 19622, S. 114, Fn. 5 h i n . Vgl. auch Meineckes Rezension v o n C. Schmitt, „Politische Romantik", H Z 121 (1920), S. 292 - 296. 13 H. Rumpf, Carl Schmitt u n d Thomas Hobbes, S. 23, Fn. 12 a, hat auf die Parallelität Schmitt — M ü l l e r hingewiesen: „so i n der Auffassung v o m K r i e g als Wesenselement des Politischen, v o m wesensmäßigen Pluralismus der Staatenwelt, i n der Ablehnung des Naturrechts, i n der hohen Bewertung des Staates, i n der K r i t i k der Gewaltenteilungslehre, i n der Entgegensetzimg v o n Idee u n d Begriff (konkretes Ordnungsdenken contra Gesetzesdenken), j a sogar i n der Betonung des Raumgedankens (Staatsbürger als ,Raumgenossen' bei Müller)". Auch die Bezeichnung Schmitts als „okkasioneller Dezisionist", i n U m k e h r u n g seiner eigenen Bestimmung der politischen Romantik als „Pointiiiismus des Augenblicks", d . h . als „Okkasionalismus" ist zu einem beliebten Topos geworden; so zunächst H. Wohlgemuth , Das Wesen des Politischen i n der heutigen neoromantischen Staatslehre, Emmendingen 1933; vor allem H. Fiala , Politischer Dezisionismus, in: Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts 9 (1935), S. 101 - 123, zuletzt A . Doremus, Théologie, politique et science dans la problématique de l a théologie politique, i n : M i r o i r de Carl Schmitt, J. F r e u n d / P . Tommissen (Hrsg.), S. 54-64, S. 5: „Tout se passe . . . comme si Schmitt avait constanment l u t t é contre ime conception, disons »romantique 4 pour faire bref, du politique, afin d'assurer à se dernier ses droits théologiquement fondés, et comme s'il s'y était pus pour cela de telle manière q u ' i l n'ait fait que systématiser à l'ensemble du monde même, le m a l dont i l cherchait précisément à echapper lui-même". Sicherlich, doch m a n fragt sich, ob auch nicht jede dialektische u n d Existenzphilosophie, letztlich jede Subjektivitätsphilosophie „okkasionell" u n d „ r o mantisch" sei. Der Begriff bleibt zu allgemein. 11
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Schmitt einen offenen politisch-theologischen Charakter annimmt: „Die höchste und sicherste Realität der alten Methaphysik, der transzendente Gott, war beseitigt. Wichtiger als der Streit der Philosophen war die Frage, wer seine Funktionen als höchste und sicherste Realität und damit als letzter Legitimationspunkt i n der historischen Wirklichkeit übernahm" 1 4 . Die Aufhebung der Entfremdung der modernen Welt hätte Fichte durch das absolute Ich, die Romantik durch die künstlich fabrizierte und bewußte Heteronomie des Genies, durch die Affirmation der Rolle des Welt- und Sich-Selbst produzierenden Ichs versucht. Schmitt übernimmt die hegelsche These: an die Stelle der alten Ontologie treten nun zwei neue „demiurgische" Realitäten. Diese werden durch eine immanente Metaphysik ersetzt, i n der die Gemeinschaft — i n ihren verschiedenen Gestalten als Volk, Gesellschaft, Menschheit usw. — als „revolutionäre" Kraft, die Geschichte auf der anderen Seite als „konservativer" Gegenzug wirksam würden. Das, was Schmitt als Zweck der Reflexion ansieht, nämlich „das Irrationale philosophisch zu erreichen" 15 , werde trotzdem weder i m deutschen Idealismus noch i n seiner romantischen Re-Aktion erreicht. Denn, obwohl die politische Romant i k m i t den unbegrenzten Versprechungen einer neuen Schöpfung auftrete, gerate jedoch der „Romantiker" i n die Widersprüche, „die aus dem Vorhandensein zweier von seinem Willen unabhängigen und seinem Subjekt überlegenen Realitäten entstehen" — so Hugo Ball 1 6 . 14 C. Schmitt, Politische Romantik, 19252, S. 86. Die als Folge der Orientierung am Ausnahmezustand realisierte Transformation der „wertrationalen" i n eine „zweckhafte" Legitimität, d . h . des Staates als einzig möglicher Adressat des i m Recht liegenden sittlichen Anspruchs zu einer punktuellen Gewährleistung faktischer Normalität, „d. h. tatsächlicher relativer Berechenbarkeit der Verhältnisse, als notwendige Voraussetzung der Geltung genereller Normen", ist v o n H . Hof mann, Legitimität, S. 7 2 - 7 9 , treffend dargestellt worden. Eigentlich enthielt bereits die Kategorie einer bloß f u n k t i o nellen „Berechenbarkeit" i m Gesetz u n d U r t e i l eine solche Reduzierimg v o n Staat u n d Recht auf die „ewige Relation v o n Schutz u n d Gehorsam" i m Sinne Hobbes. 15 Ebd., S. 99. 18 H. Ball, Carl Schmitts politische Theologie, in: Hochland 21 (1924), S. 263 - 286. Z u diesem Aufsatz vgl. C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 28, Fn. 5. Die Bedeutung der politischen Romantik für die politische Theorie Schmitts u n d i n concreto für seine politische Theologie hat allgemein wenig Beachtung gefunden. Neben B a l l berücksichtigte den politisch-theologischen Hintergrund A . von Martin, Das Wesen der romantischen Religiosität, D V f L G 2 (1924), S. 367-417. Auch i n der Monographie über die politische Theologie Schmitts v o n K . - M . Kodalle, P o l i t i k als Macht u n d Mythos — Carl Schmitts »Politische Theologie 4 , Stuttgart / B e r l i n / K ö l n / Mainz 1973, w i r d sie k a u m herangezogen. Doch schon hier t r i t t — w i e Hoffmann zu Recht bemerkt, H. Hofmann, Legitimität, S. 86, — das existentielle Prinzip der „radikalen Begrifflichkeit" einer „Begriffssoziologie" (C. Schmitt, Politische Theologie, S. 38 ff.) auf: m a n müsse „jede geistige Bewegung metaphysisch
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II. 1. Kap.: Dezisionistische Begründung von Legalität und Legitimität
Beim Versuch, die Rationalität zu überwinden, beginne Adam Müller nach Schmitt die nichtobjektivierte Möglichkeit, die bloß intuitive Possibilität als über-rationale Kategorie auszuspielen. Und so transformiere sich die irrationale Kraft der „reinen Dezision" i n eine „antithetische Synthese 17 . Die „Irrationalität der Person" verwandle sich i n Occasionalismus, i n eine auswechselbare Indifferenziertheit; die „Irrationalität der Zeit", i n das „paradiesische I d y l l der Natur". Erst i n der Kirche finde der Romantiker was er suche: „eine große irrationale Gemeinschaft, eine weltgeschichtliche Tradition und den persönlichen Gott der alten Metaphysik". I n der dadurch vollzogenen Selbstaufgabe der Subjektivität höre aber die Politische Romantik auf, „romantisch" zu sein 18 . Aus dem Scheitern der Theoretiker der politischen Romantik zieht Schmitt ein eindeutiges Fazit. War ihr Versuch, die rationale Mechanik des revolutionären Prozesses zu sprengen, aus zwei Gründen mißglückt, einerseits aufgrund des Verzichts auf die entscheidende Stellungnahme i m Meinungskampf, andererseits aus der Illusion einer creatio ex nihilo innerhalb des Gesellschaftlichen —, so plädiert Schmitt infolgedessen für eine radikale Entscheidung, fähig dazu, die Zwänge der Geschichtlichkeit und des Gesellschaftlichen zu durchbrechen 19 . Denn kein Argument könne darüber hinweg trügen, daß einer, der argumentiert, sich eines rationalen und nicht eines irrationalen Vermögens bediene. Weil „solange ein philosophisches System prätendiert wurde, war der Widerspruch innerhalb des Systems nicht zu überwinden . . . ; i n einer besonderen Form hatte die neue Realität, die societas, den Romantiker überwunden und gezwungen, an sie zu appellieren" 2 0 . A u f dem Weg zum Dezisionismus w i r d insofern aus dem Scheitern des Experimentierfeldes „Politische Romantik" ein zweites Moment vollzogen: die Identifikation zwischen Wirklichkeit und Entscheidung. Der Rechtswert der Entscheidung als solche, „unabhängig von ihrem materiellen Gerechtigkeitsinhalt", der i n „Gesetz und Urteil" zur Grundlage einer Untersuchung der Rechtspraxis gemacht worden war, und ihre thematische Weiterführung durch die Analyse des Gegensatzes von „Rechtsnorm" und „Rechtsverwirklichungsnorm" i n der
u n d moralisch ernst nehmen, aber nicht als Exempel für einen abstrakten Satz, sondern als konkrete geschichtliche W i r k l i c h k e i t i m Zusammenhang eines geschichtlichen Prozesses" (ebd., S. 7). 17 C. Schmitt, Politische Romantik, S. 131 ff. 18 Ebd., S. 96 f. 10 Vgl. ebd., Schluß. Vgl. Chr. von Krockow, Die Entscheidung — Eine U n tersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, M a r t i n Heidegger, Stuttgart 1958. 20 Ebd., S. 97.
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Abhandlung über den Wert des Staates 21 , führt weiter zur verfassungsrechtlichen Behandlung des „kritischen Begriffs der Rechtsverwirklichung" 2 2 , d. h. der Diktatur. Deren inhaltliche Bedeutung liege darin, daß sie das Recht zwar ignoriere, aber nur, u m es zu verwirklichen 2 3 . Einmal die Dezision i m Staat aufgehoben, offenbart sie jenen Absolutheitsanspruch, der mit der Dialektik der Trennung von Recht und Macht durch Schmitt intendiert wird. Die Identität von Staat, Macht, Dezision und Wirklichkeit — aus einer typisch dialektischen Spannung zu ihrem Gegenpart: Individuum, Recht, Chaos und Irrealität heraufbeschwört — erfordert ihre kategoriale Radikalisierung, führt zum abstrakten Null-Punkt der überrationalen Entscheidung, zur diktatorischen Dezision. Als Instanz der Rechtsverwirklichung handelt der Diktator innerhalb der Legalität. Die Sublimierung des Rechts i n der Macht ermöglicht insofern Schmitt, Recht aus der nackten Macht zu begründen und dabei kontinuierlich „rechtlich" zu handeln: Legitimität schafft Legalität, ohne aufzuhören, „legal" zu sein 24 . Dafür muß aber Schmitt vorläufig den hohen Preis bezahlen, an eine sich selbst legitimierende, unbeschränkte und unbeschränkbare Autorität zu appellieren, letztlich das Spiel der absoluten Instanzen durchzuspielen. So liege die formale Rechtfertigung der Diktatur i n der Ermächtigung einer höchsten Autorität, die rechtlich imstande sei, das Recht aufzuheben und eine Diktatur zu autorisieren, d.h. eine konkrete Ausnahme zu gestatten 25 . Das Spezifische bei Schmitt liegt gerade darin, daß er die „revolutionäre Lage" miteinbezieht. Die legitimitäts- und legalitätsschaffende, „irrationale" Dezision des Diktators darf sich nicht der demokratischen Legitimität entgegensetzen: Demokratie sei der Gegensatz zu Liberalismus, nicht zu Diktatur 2 6 . Sie muß sie vielmehr dialektisch i n sich aufnehmen. So ist nicht von ungefähr, daß das Gegenmodell von Schmitt i m Vorwort der „Diktatur" die — geschichtsphilosophisch sich selbst legitimierende — Diktatur des Proletariats ist 2 7 . Hierbei bildet 21
C. Schmitt, Die D i k t a t u r , München / Leipzig 19282, S. X I . Ebd., S. X I I . 23 Ebd., S. I X . 24 Vgl. hierzu H. Hofmann , Legitimität, S. 77; L. Wittmayer, Bespr. von C. Schmitt, „Die D i k t a t u r " , ZföR 5 (1926), S. 492 - 495. 25 Ebd., S. X V I I ; H. Hofmann, Legitimität, S. 62. 26 C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, B e r l i n 19613, vgl. S. 35 ff., 41. 27 A u f die methodische u n d normative Verwandtschaft m i t M a r x haben insbesondere J. Caamano Martinez, E l pensamiento juridico-politico, u n d F. Ayala, Einleitung zur spanischen Ausgabe der „Verfassungslehre", h i n gewiesen. Die Bewunderung Schmitts für die Steigerung des dialektischen Prozesses bis h i n zur Grundkonfrontation v o n Bürgertum u n d Proletariat ist bekannt (vgl. C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S. 66) u n d 22
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II. 1. Kap.: Dezisionistische Begründung von Legalität und Legitimität
die juristisch-politische Konstruktion nur eine Fassade für deren historische Dimension: die reine Kraft der Entscheidung soll die neue, suprarevolutionäre Schöpfung bewirken. Aber dies nur aus der dialektisch konsequenten Annahme des revolutionären Prozesses. Die spezifische Struktur dieses Schöpfungsmoments entspricht folgerichtig der begrifflich-juristisch aufgearbeiteten Kategorie der Diktatur: „Die innere Dialektik des Begriffes liegt darin, daß gerade die Norm negiert wird, deren Herrschaft durch die Diktatur i n der geschichtlich-politischen W i r k lichkeit gesichert werden soll" 2 8 . So besteht auch demzufolge das Ergebnis der Arbeit i n der Unterscheidung von „kommissarischer" und „souveräner" Diktatur, d.h. i n der erst i m Horizont konstituierender Gewalt des Volkes auftretenden „unmittelbaren Volkskommissar", ein Diktator, der auch seinem „Auftraggeber" — dem „demokratischen" Volk — diktiert, ohne aufzuhören, sich an i h m zu legitimieren 2 9 . Eine Diktatur schließlich, die i n der Lage ist, nach Inaugurierung der neuen creatio sich selbst „überflüssig" zu machen 30 : i m dialektischen Prozeß der Neuschöpfung aufgehoben zu werden 3 1 . Die Theorie der Dezision als die juristisch-spezifische A r t der Rationalität löst sich demgemäß i n die Zuständigkeitsfrage auf, i n die Suche nach der höchsten Instanz, der höchsten Autorität, und das bedeutet, nach dem Souverän. Denn die irrationale, sich nicht i n die romantische hat i n der Freund-Feind-Theorie stark nachgewirkt. Aus der impliziten gemeinsamen Intentionalität u n d Instrumentarium e r k l ä r t sich die Faszinat i o n des Denkens Schmitts gerade für „progressive K r ä f t e " . Vgl. hierzu K . - M . Kodalle, P o l i t i k als Macht u n d Mythos, S. 9 - 2 4 , wo Forsthoff i n u n mittelbarer Nähe zu Habermas gerückt w i r d ; M . Rhonheimer, Politisierung u n d Legitimitätsentzug, Freiburg 1979, der die Parallelität Schmitts zur Frankfurter Schule kritisch allgemein analysiert; R. Altmann, Staatsdenker m i t l i n k e n Epigonen, Dt. Zeitung, 6.7.63. Kritisch dazu I. Maus, Bürgerliche Rechtstheorie u n d Faschismus, S. 20: die „dynamische Konzeption" rechtlicher Gründungstheorie Schmitts ziele n u r auf die „permanente Revolutionierung der Produktion", „während sie zugleich gesellschaftliche Umverteil u n g stillzulegen" suche u n d dadurch „eine Demokratisierung des Rechtssetzungsprozesses inhaltliche P r o g r e s s i v s t formalrationalen Rechts" v e r hindere. Doch ist gerade der K e r n der Argumentation Maus', der soziologische Positivismus Schmitts bleibe eigentlich zu kurz, er laufe gut, aber leider i n die falsche Richtung; der Hinweis auf die „Revolutionierung" der Produktion ist hierfür äußerst i n s t r u k t i v . 28 C. Schmitt, Die D i k t a t u r , 19643, S. X V I . 29 Ebd., S. X V I I I . Vgl. hierzu J. Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat, S. 181 - 186. 30 Ebd., S. X I I . 31 H. Hofmann, Legitimität, S. 78, fragt sich nach dem Unterschied einer solchen, „auf der bloßen Existenz des (Macht-)staates beruhende, realistische Legitimitätsvorstellung" v o n der „üblichen positivistischen Rechtgeltungslehre" u n d antwortet selbst i m Sinne einer D i a l e k t i k der Negation, welche zur B i n d u n g an die negierte Position — Kelsen — zwinge. Z u r I r r a t i o n a l i tät als höchste Stufe der Rationalität bei Schmitt vgl. H. Ball, Carl Schmitts politische Theologie, S. 270 ff.
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Indifferenz und Äquivozität des Argumentierens auflösende Entscheidung kann nur von der Person aus möglich sein, und die richtige, zunächst selbstlegitimierte Dezision vermag ausschließlich von der letzten Instanz, dem Souverän, getroffen werden. Der Dezisionismus Schmitts mündet folgerichtig vor Übernahme der politisch-theologischen Legitimierungsthese i n die hobbesche Frage des quis judicabit? ein. Der Versuch einer Lösung dieser, an dem großen Muster Hobbes abgelesenen Frage w i r d vorläufig i n der „Politischen Theologie" (1922) erreicht. Wer ist eigentlich der Souverän, quis judicabit? Und die alles dominierende Antwort: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet" 32 ; denn, i n Übereinstimmung mit dem Hauptergebnis der „Diktatur", die Ausnahme offenbart die Dezision i n absoluter Reinheit: die „absolute Gestalt" des Ausnahmefalls ist dann eingetreten, wenn erst die Situation geschaffen werden müsse, i n der Rechtssätze gelten können 3 8 . Der Schöpfungsakt der i m über- und transgeschichtlichen Nullpunkt fallenden Entscheidung kreiert die Situation, das vorrechtliche Medium i n dem die Rechtssätze gelten können 3 4 . Die Ordnung müsse hergestellt sein, damit die Rechtsordnung einen Sinn hat 3 5 . Die von selbst legitimierte Macht des Souveräns schafft den vorrechtlichen Raum und legitimiert sich selbst dadurch: „der Souverän schafft und garantiert die Situation als Ganzes i n ihrer Totalität" 3 6 . Der Souverän als Legitimi82
C. Schmitt, Politische Theologie, S. 9. Ebd., S. 13. 84 Insofern bildet der Rekurs auf die politische Theologie die konsequente Folge der existentiellen Verdichtung eines soziologischen Positivismus. N u r dadurch, daß die Entscheidung s t r i k t politisch-theologisch vorgefallen ist, w e i t e r h i n vorfallen w i r d , hebt sie das Gesellschaftliche i n sich auf, ohne aufzuhören, es i n i h r e m Bestand zu halten. Eigentlich braucht Schmitt n u r ein Instrument, u m das Existentielle der sich neukonstituierenden Dezision i m Gesellschaftlichen zu perpetuieren, nämlich das des quasi-göttlichen Souveräns. Dies w i r d bei H. Hofmann , Legitimität, S. 79, durch die Verabsolutierung seines Ansatzes „ L e g i t i m i t ä t gegen Legalität" total verkannt. Die politisch-theologische L e g i t i m i t ä t Schmitts reduziert sich nicht auf soziologisch-positivistische Legalität, w e i l sie stets Überschüsse an Supra- Legalität „schöpft" (vgl. hierzu sehr aufschlußreich den letzten v o n C. Schmitt veröffentlichten Aufsatz: Die legale Weltrevolution. Politischer M e h r w e r t als Prämie auf juristische Legalität u n d Superlegalität, i n : Der Staat 17 (1978), S. 321 - 339, insbesondere die polemische Bestimmung v o n Superlegalität i. S. Schmitts: „Nicht-Funktionalisierung der L e g i t i m i t ä t als Gehorsamserzwingungschance" (vgl. S. 325). Begriff u n d Bezeichnung v o n „Superlegalität" als verstärkte Geltungskraft bestimmter Normen gegenüber „einfachen" N o r men stammen v o n M . Hawriou, Précis de droit constitutione!, Paris 1923,, S. 379. I h n benutzt Schmitt, u m gegen eine Verfassungsgerichtsbarkeit als „normativische Oberinstanz i n einer Hierarchie der Normen u n d der ,Werte'" zu polemisieren. 35 C. Schmitt, Politische Theologie, S. 13. 36 Ebd. 88
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II. 1. Kap.: Dezisionistische Begründung von Legalität und Legitimität
tätsinstanz konstituiert und sichert die Legalität ab. Zwei Merkmale charakterisieren somit die durch die Dezision aus dem Chaos geschaffene „normale Situation": Homogenität und Totalität. Gerade dieser, i m wesentlichen dialektische Neuschöpfung —«• die Legalität ausschaltend, u m sie auf der Grundlage der strikt autonomen Legitimität neu zu begründen — entspricht analogisch jede juristische Entscheidung. Zum Beispiel w i r d ganz offensichtlich die Übertragung des dialektischen Schemas i m zweiten Kapitel der „Politischen Theologie" („Das Problem der Souveränität als Problem der Rechtsform und der Entscheidung"), wenn Schmitt „das Problem der juristischen Form", „ i n dem Gegensatz von Subjekt und Inhalt der Entscheidung und i n der Eigenbedeutung des Subjekts" bestehend sieht 3 7 . Die Intention Schmitts, der absoluten Dezision metaphysische Qualitäten zuzuschreiben, findet, ebenfalls an dem Modell Hobbes' abgelesen, ihre Vollendung: die staatliche Gewalt müsse der geistlichen Gewalt unterworfen sein, gerade weil sie eine höhere Ordnung sei 38 . A u f diese Weise werden die Koordinaten zur Formulierung der politisch-theologischen These umrissen: 1. Die Rechtsnorm setzt ein homogenes Medium voraus. 2. Souverän ist, wer über das vorrechtliche Medium entscheidet. 3. Über das vorrechtliche Medium entscheidet die geistige Gewalt, denn sie ist letztlich der Souverän. § 15 Die Politische Theologie Carl Schmitts als juristische politische Theologie A m Anfang des dritten Kapitels der „Politischen Theologie" 3 9 w i r d die These formuliert. Sie setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Der erste Teil stellt nach Blumenberg die stärkste Form des Säkularisierungstheorems 40 dar und lautet: „Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe". Der zweite Teil zielt auf deren historischen und strukturellen Unterbau: „Nicht nur ihrer historischen Entwicklung nach, weil sie aus der Theologie auf die Staatslehre übertragen wurden, indem zum Beispiel der allmächtige Gott zum omnipotenten Gesetzgeber wurde, sondern auch i n ihrer systematischen Struktur, deren Erkenntnis notwendig ist für eine sozio37
Ebd., S. 33 (Hervorhebung v. J. B.). Ebd., S. 32. 39 Hier zitiert nach der 1. Auflage, München / Leipzig 1922. 40 H. Blumenberg, Säkularisierung u n d Selbstbehauptung, F r a n k f u r t 1974, S. 106. 38
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§ 15 Politische Theologie als juristische politische Theologie
logische B e t r a c h t u n g dieser B e g r i f f e 4 1 . D e r p a r a d i g m a t i s c h e F a l l des s t r u k t u r e l l e n Z u s a m m e n h a n g s b i l d e t die aus d e r P o l i t i s c h e n T h e o l o g i e Donoso Cortés' e n t n o m m e n e analogische I m p l i k a t i o n z w i s c h e n A u s n a h m e z u s t a n d u n d W u n d e r 4 2 . Das W u n d e r als S u s p e n d i e r u n g d e r w i s s e n schaftlichen R a t i o n a l i t ä t v o n N a t u r g e s e t z l i c h k e i t e n d i e n t S c h m i t t d u r c h die I n a n s p r u c h n a h m e des i n der m e t a p h y s i s c h - t h o m i s t i s c h e n T r a d i t i o n klassischen B e g r i f f s
d e r A n a l o g i e 4 3 einerseits z u r R e c h t f e r t i g u n g
d e m Dezisionismus i n h ä r e n t e n n o r m a t i v e n A u s n a h m e z u s t a n d s ;
des
ande-
rerseits b e d e u t e t die A n a l o g i e d e r A u s g a n g s p u n k t i n R i c h t u n g a u f die K o n s t r u k t i o n e i n e r „Soziologie j u r i s t i s c h e r B e g r i f f e " . M i t dieser F o r m e l v e r f o l g t S c h m i t t eine „ r a d i k a l e B e g r i f f l i c h k e i t " , d . h . „ e i n e bis z u m M e t a p h y s i s c h e n u n d z u m Theologischen w e i t e r g e t r i e b e n e K o n s e q u e n z " , die b i s z u r H e r a u s f i n d u n g d e r „ r a d i k a l system a t i s c h e n S t r u k t u r " e i n e r Epoche g e l a n g e n u n d d e n V e r g l e i c h z w i s c h e n der S t r u k t u r dieser B e g r i f f e u n d d e r „ b e g r i f f l i c h e n V e r a r b e i t u n g d e r sozialen S t r u k t u r " e i n e r b e s t i m m t e n Epoche e r m ö g l i c h e n s o l l 4 4 . D u r c h 41
C. Schmitt, Politische Theologie, S. 37. A r b e i t e n zum Beleg der These, sowohl i n ihrer historischen als auch i n ihrer strukturellen Variante sind bereits „unübersehbar". Vgl. dazu die Auseinandersetzung i m ersten T e i l v o n H. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, F r a n k f u r t 1966, jetzt: ders., Säkularisierung u n d Selbstbehauptung, F r a n k f u r t 1974. I m Sinne Schmitts vgl. K . Th. Buddeberg, Descartes u n d der politische Absolutismus, A R S P 30 (1936/37), S. 541 - 560; ders., Gott u n d Souverän, A ö R 67 (1937), S. 257 - 325; polemisch i n A n l e h n u n g an Schmitt gegen die „ r e i n formale Gegenüberstellung" v o n Theologie u n d Jurisprudenz durch „den Juden Kelsen" (S. 264): H. Gerber, Recht — Staat — Bekenntnis, Zeitschr. für Theologie u n d Kirche, (1935), S. 110 - 1 2 1 („Es gibt w i e f ü r die religiöse Bewegung eine Gottesfrage, so für die politische Bewegung eine Volksfrage": S. 120); J. Poppitz, Religion u n d Recht, AöR 67 (1937), S. 129 - 154, m i t aufschlußreichen Äußerungen über die „dialektische Jurisprudenz" u n d deren Beziehung zum „völkischen Recht" (zum Verhältnis Schmitt — Poppitz, vgl. jetzt L . - A . Bentin, Johannes Poppitz u n d Carl Schmitt — Z u r wirtschaftlichen Theorie des totalen Staates i n Deutschland, München 1972). Bezogen auf die staatsrechtliche Entwicklung: R. Schnur, Die französischen Juristen i m konfessionellen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts, i n : Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, H. Barion u. a. (Hrsg.), S. 179 - 219; E.-W. Böckenförde, Die Entstehimg des Staates als Vorgang der Säkularisierung, jetzt in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, F r a n k f u r t 1976, S. 42 - 64. Vgl. zur Problematik zuletzt Q. Skinner, The foundations of modern political Thought, 2 Bde., London 1978 u n d R. Tuck, Natural Right Theories, London 1979, w o u. a. auf die Bedeutung der spanischen Spätscholastiker für die Herausbildung der kalvinistischen Staatstheorie neuer Akzent gelegt w i r d (hierzu schon früher: J. Giers, Die Gerechtigkeitslehre des jungen Suârez', Freiburg 1958); insbesondere die strukturelle Relation Kanonistik — Legistik herausarbeitend vgl. D. Wyduckel, Princeps Legibus Solutus, B e r l i n / München 1979. 42
J. Donoso Cortés, Obras Complétas, I I , S. 305 - 323 (Rede über die D i k tatur). s. dazu vor allem D. Westemeyer, Donoso Cortés, 1. Teil. 43 Z u m Verhältnis v o n D i a l e k t i k u n d A n a l e k t i k vgl. B. Lakebrink, Hegels dialektische Ontologie u n d die Thomistische A n a l e k t i k , Ratingen 19682. Z u m Begriff der „analogia", E. Przywara, Analogia entis, München 1932. 44 C. Schmitt, Politische Theologie, S. 42.
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II. 1. Kap.: Dezisionistische Begründung von Legalität und Legitimität
Wiedergabe des Satzes, die Metaphysik sei „der intensivste und klarste Ausdruck" einer Epoche, w i r d deutlicher, was Schmitt intendiert; das metaphysische Bild, das sich ein bestimmtes Zeitalter von der Welt macht, habe dieselbe Struktur wie das, was ihr als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres einleuchte: „Die Feststellung einer solchen Identität ist die Soziologie des Souveränitätsbegriffs" 45 . Reduziert sich infolgedessen die Soziologie juristischer Begriffe letztlich auf eine bewußtseinssoziologische Komparativmethode zwecks Identifizierung argumentativer und institutioneller Gemeinsamkeiten zwischen Theologie und Jurisprudenz? Schmitt geht es primär darum, sein methodisches Vorgehen gegenüber den personensoziologischen und -psychologischen Analysen — etwa der Beamtenschaft — Max Webers eindeutig zu distanzieren, aber ebenfalls auch von der Analyse derjenigen, die eine solche Begriffssoziologie bisher verwendet hätten, nämlich die Theoretiker der Restauration. Trotz der unverkennbaren Züge der Politischen Theologie de Bonaids und Donoso Cortés' und deren Zurückführung politischer Systeme auf ihre vermeintlich systematisch entsprechenden Gottesvorstellungen bei der „soziologischen" Analyse des Souveränitätsbegriffs, lehnt Schmitt diese Politische Theologie m i t dem Hinweis auf den hierbei implizierten Reduktionsvorgang ab. Die Pseudo-Methode sowohl der spiritualistischen Erklärung materieller Vorgänge (Restauration), wie der materialistischen Erklärung geistiger Phänomene (Marxismus) koinzidiere — so Schmitt — durch die „Ermittlung ursächlicher Zusammenhänge" darin, daß sie erst einen Gegensatz zweier Sphären aufstellen, u m später ihn durch die Reduzierung des einen auf das andere wieder i n ein Nichts aufzulösen 46 . Die Soziologie des Souveränitätsbegriffs als Paradebeispiel juristischer Begriffe verfolgt keine bloße Zurückführung der politischen Formen auf den Verlust metaphysischer Substanzialität oder auf die womöglich noch bestehende metaphysisch-politische, strukturelle Verwandtschaft gerade weil Schmitt den politischen Sprung aus der vorgegebenen historisch^-gesellschaftlichen Situation selbst, d . i . eine creatio i m Nullpunkt der dialektischen Aufhebung, wagen w i l l . I n enger rungsstufen schichte der tischen und 45
Anlehnung an das Schema der historischen SäkularisieDonoso Cortés' 47 stellt Schmitt i m Abriß eine A r t GeZerstörung wirksamer Transzendenzvorstellungen i m polistaatsrechtlichen Denken seit dem historischen Augenblick
Ebd. Ebd., S. 41. Auch i n diesem Sinne i n bezug auf L. V. de Bonald, R. Spaemann, Der Ursprung der Soziologie. 47 J. DOTIOSO Cortés , Obras Complétas, I I , S. 499 - 700 (Essai über den K a t h o lizismus, den Liberalismus u n d den Sozialismus), S. 450 - 466 (Rede über die allgemeine Lage Europas). 46
§ 15 Politische Theologie als juristische politische T h e o l o g i e 7 5 immanenter Vergottung der Souveränität i m Absolutismus dar. Die letzte Stufe bildet die Identifikation von der volonté générale mit dem Willen des Souveräns bei Rousseau: Denn dadurch gehe „das dezisionistische und personalistische Element des bisherigen Souveränitätsbegriffs" verloren 4 8 . So werde der mittelalterlich-theistische wie der absolutistisch-deistische Gottesbegriff für die politische Metaphysik unverständlich. Die Definition Kelsens des demokratischen Systems als Ausdruck relativistischer und unpersönlicher Wissenschaftlichkeit entspreche somit nach Schmitt i n der Tat der Entwicklung, die sich bei der politischen Theologie und Metaphysik des 19. Jahrhunderts durchgesetzt habe. Der Prozeß paralleler Diesseitigkeitsvorstellungen und substanziellen Souveränitätsverlustes sei jedoch damit nicht abgeschlossen. Gerade weil der Gottesglaube als äußerster fundamentaler Ausdruck des Glaubens an eine Herrschaft und eine Einheit auftrete, ende folgerichtig das letzte Stadium i n der atheistischen Anarchie Bakunins, i m gemeinsamen Kampf gegen Gott und Autorität. Die Konsequenz der Immanenz-Philosophien, die hegelsche Einbeziehung Gottes i n die Welt, m i t ihren Folgen — das Hervorgehen von Staat und Recht aus der Immanenz des Objektiven, und der entsprechende Atheismus der Linkshegelianer — öffne somit die Pforte zur Verneinung Gottes schlechthin: das Ideal einer sich ihrer selbst bewußt werdenden Menschheit der anarchistischen Freiheit 4 9 . Diesem, aus dem ImmanenzProzeß hervorgehenden, mit der „Beseitigung aller theistischen und transzendenten Vorstellungen" identifizierbaren demokratischen Legitimitätsbegriff — letztlich i n der Anarchie gipfelnd — w i r d Schmitt den Legitimitätsbegriff seines politisch-theologischen Credos opponieren, jene Konsequenz zu der bereits Donoso Cortés aus der Einsicht gekommen war, daß die Epoche des Royalismus zu Ende ging, weil es keine Könige mehr gab: Gegenüber der Diktatur „von unten", die dezisionistische Legitimität der Diktatur „von oben" 5 0 . Wie das Wunder aus der vorgegebenen Naturgesetzlichkeit die Naturgesetze selbst durchbricht, so vermag die Dezision auch nur die Norm zu suspendieren, weil sie aus ihr lebt, sie gleichsam potenziell i n sich birgt. Die Soziologie des Souveränitätsbegriffs stellt — ungeachtet seiner historiographischen Verwendbarkeit i m Sinne begriffs- und so48
C. Schmitt, Politische Theologie, S. 44. Ebd., S. 45. Schmitt zitiert (ders., Politische Theologie, S. 45) Engels i m p l i z i t zustimmend: „Das Wesen des Staates w i e der Religion ist die Angst der Menschheit v o r sich selber". Insofern t r i f f t die E r k l ä r u n g „panische Angst" als internes M o t i v der Hinwendung Schmitts zum „totalen Staat" zum T e i l zu; vgl. hierzu Chr. von Krockow, Herrschaft u n d Freiheit, S t u t t gart 1977, S. 150 ff.; I . Maus, Bürgerliche Rechtstheorie, S. 19 ff. 60 Vgl. J. Donoso Cortés , Obras Complétas, I I , S. 305 - 323 (Rede über die D i k t a t u r , 1849). 49
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II. 1. Kap.: Dezisionistische Begründung von Legalität und Legitimität
zialgeschichtlicher strukturdyachronischer Analysen 5 1 — das Instrumentarium dar, aus der Schmitt die Elemente seiner Politischen Theologie exzerpiert. U m die Übertragung theologischer auf juristische Begriffe — eigentlich nur der unantastbaren und nicht-hinterfragbaren höchsten Autorität Gottes auf die quasi-göttliche Figur des Souveräns — durch die Analogie zwischen Metaphysik und Staatsrecht zu rechtfertigen, bedient sich Schmitt zweier Postulate, der These der historischen Säkularisierung und der strukturellen Parallelität. Aus dem daraus herauspräparierten vorrechtlichen, „soziologischen" Raum hebt sich aber die insoweit metaphysisch gerechtfertigte, durch die Intensität des Entscheidungsakts sich selbst absolut legitimierende und legalitätschaffende reine Dezision des Souveräns. Das durch den Filter der Säkularisierungs- und strukturellen Analogiethese formierte „homogene Medium" w i r d durch den diktatorischen Einbruch aufgehoben und zu einer neuen, politisch-theologischen Legalität heraufgeführt. Die Transformation des soziologischen Raumes ins Politische w i r d bereits hier 5 2 gemessen an dem Intensitätsgrad der Entscheidung. So w i l l auch der politische Schöpfungsakt jeden Rekurs auf „Legitimität" abschaffen, u m die Illusion der creatio ex nihilo erreichbar zu machen: Schmitt bezweckt, das „Moment der Dezision" so „intensiv" zu „steigern", daß es schließlich den „Gedanken der Legitimität", von dem die konterrevolutionäre Staatsphilosophie ausgegangen war, aufhebe 53 . Bereits bei de Maistre läge eine Reduzierung des Staates auf das Moment der Entscheidung vor, d. h. für Schmitt „konsequent auf eine reine, nicht räsonnierende und nicht diskutierende, sich nicht rechtfertigende, also aus dem Nichts geschaffene absolute Entscheidung". Und folgerichtig fügt er hinzu: „Das ist aber wesentlich Diktatur, nicht Legitimität" 5 4 . Die Neu-Schöpfung von Rechtsordnung kann nur aus der radikalen Nega^ tion der nun geschichtstheologisch legitimierten Antithese, des revolutionären Prozesses, hervorgehen. Der politische Theologe muß infolgedessen permanent den „Feind" geschichtstheologisch legitimieren, u m die Legitimität als solche bis zu ihrem äußersten Umschlagspunkt zu steigern und dadurch die neue Supra-Legitimität zu ermöglichen 55 . 51 Vgl. R. Koselleck, „Begriffsgeschichte u n d Sozialgeschichte", i n : ders., Vergangene Z u k u n f t , S. 107 - 130, wo die Funktionalität bestimmter p o l i tischer Begriffe als Indikatoren u n d Faktoren v o n historischen Strukturen i n impliziter A n l e h n u n g an Schmitt thëoretisch u n d exemplarisch dargestellt wird. 52 Nicht w i e etwa K . - M . Kodalle, P o l i t i k als Macht u n d Mythos, 1. A b schnitt („Der Begriff der Feindschaft") postuliert erst i m K o n t e x t des „Begriffs des Politischen". 53 Vgl. C. Schmitt, Politische Theologie, S. 56. 54 Ebd. 55 Vgl. hierzu C. Schmitt, Die legale Weltrevolution, S. 325 ff.
§16 Legitimität durch Identifikation
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Die Begründung geschichtstheologischer Frontstellungen i m für die dialektische Dynamik notwendigen, politisch-theologisch revolutionären Prozeß erfährt i m IV. Kapitel der „Politischen Theologie" ihre existentielle Ausweitung. Nun ist „das typische Bild" „die blutige Entscheidungsschlacht, die heute zwischen dem Katholizismus und dem atheistischen Sozialismus entbrannt ist" 5 6 . Hatte Donoso die Politische Theologie des Sozialismus — insbesondere Proudhons, den er aufgrund dessen offener Abhängigmachung der Politik von der Theologie als seinen „natürlichen Feind" ansah — letztlich aus dem Grundsatz über die natürliche Güte des Menschen deduziert 57 , so erfüllt jetzt bei Schmitt die Politische Anthropologie Donosos die Funktion, die Intensität der Entscheidung geschichtstheologisch zu vollziehen: „angesichts des radikal Bösen gibt es nur eine D i k t a t u r " 5 8 . Die Gegensätze von Autorität und Anarchie, radikal Bösem und radikaler Güte des Menschen, treten nun „ i n absoluter Entschiedenheit" einander gegenüber und bilden die intensivste synthetische Antithese, nämlich, daß jede Regierung absolut sei; nur ziehe hierbei der Anarchist gegenüber dem Gegenrevolutionär den entgegengesetzten praktisch-politischen Schluß: daß jede Regierung bekämpft werden müsse, weil sie letztlich Diktatur sei. Diese „radikale Antithese" 5 9 zwingt den Anarchisten trotz der formellen Ablehnung der Entscheidung zur Übernahme der i h m i n der dialektisch sich selbst reproduzierenden Frontstellung zugedachten Rolle absoluter Instanzen: theoretisch werde er zum „Theologen des Anti-Theologischen", i n der Praxis zum „Diktator einer A n t i - D i k t a t u r " . So entpuppt sich schließlich der radikalste Feind eigentlich als der nächste Freund, denn wie Schmitt geradezu klassisch ausrollt, das Ernstmachen bei der Dialektik absoluter Instanzen bewirkt deren Austauschbarkeit: Politik und Theologie verbleiben „zwei geistige, aber substanzielle Identitäten" 6 0 . § 16 Legitimität durch Identifikation Es gehört wohl zur Logik des Durchspielens absoluter Instanzen, daß solche Phänomene, die den politisch-theologischen Utensilien prinzipiell indifferent gegenüberstehen, letztlich als bereits überwundene „Übergangsphasen" deklassiert werden. Dafür bietet ein gutes Exempel die K r i t i k Schmitts an Liberalismus und Parlamentarismus, unbeschadet δβ 57 58 59 60
C. Schmitt, Politische Theologie, S. 52. J. Donoso Cortés , Obras Complétas I I , S. 510 ff. C. Schmitt, S. 52. Ebd., S. 56. Ebd., S. 42. Vgl. auch S. 41: „die Politisierung theologischer Begriffe".
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I I . 1. Kap.: Dezisionistische Begründung von Legalität und Legitimität
der Tatsache, daß der Rekurs auf die Rolle der absoluten Instanzen gerade als H e i l m i t t e l gegen die postulierte liberale G e f ü h l l o s i g k e i t für das Politische apostrophiert w i r d . So stellt die nach der „Politischen Theologie" erschienene Schrift „Die geschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus" einerseits die institutionelle Ausarbeitung der theoretischen Leistung der früheren Schriften dar, andererseits aber auch den Versuch, den bisherigen Feind durch dessen Obsoleszenz-Erklärung i m K a m p f gegen den absoluten Feind — die D i k t a t u r „ v o n unten" — bei der Inanspruchnahme des neuen Legitimitätsmehrwerts antithetisch auszunutzen. Denn der Begriff der D i k t a t u r werde „wieder aktuell", „nicht gegenüber der Demokratie", sondern gegenüber dem parlamentarischen Konstitutionalismus gerade dank der durch die D i k t a t u r b e w i r k t e n Aufhebung des Parlamentarismus 6 1 . Hierbei dient wiederum das historische Beispiel — das Umschlagen i n D i k t a t u r aus der Intensität des Gegensatzes Parlamentarismus-Massendemokratie — als dyachronische S t r u k t u r für den Begriff des Politischen. Auch hier ist der Begriff des Politischen zugleich I n d i k a t o r u n d Faktor des historischen Prozesses 62 : durch die Übertragung des geschichtstheologischen Fronten-Modells auf die innere S t r u k t u r des Politischen, indiziert u n d realisiert dieses die W i r k lichkeit des geschichtlich-gesellschaftlichen Substrats. Der Umschlag des „Daseins" i n „Existenz", der „Abstraktion" i n die „Substanz", des „abstrakten Menschen" i n „politisch interessierte u n d politisch determinierte Menschen" 6 3 , letztlich des status naturalis i n den staatsbürgerlichen Zustand, erfolgt aufgrund der die politische Einheit formierenden, dadurch den Gegensatz i n sich aufhebenden, souveränen Entscheidung. Was aber auch bedeutet, daß der Fortbestand u n d die Konsistenz der politischen Einheit v o m Intensitätsgrad des sie konstituierenden u n d reproduzierenden Gegensatzes abhängig werden. So ist die „nationale Homogenität", als die spezifische Form der „Substanz der Gleichheit" seit dem 19. Jahrhundert, „ n u r solange politisch interessant u n d wertvoll, als sie eine Substanz hat u n d deshalb wenigstens die Möglichkeit u n d das Risiko einer Ungleichheit besteht" 6 4 . Der frühere geschichtstheologische Feind w i r d n u n „politischer" Feind. Als Charakteristisches v o n Liberalismus u n d Parlamentarismus reproduziert Schmitt die Negation der „demokratischen Gleichheit". Die — Schmitt zufolge — t y p i schen Institutionen von Liberalismus u n d Parlamentarismus — das allgemeine und gleiche W a h l - u n d Stimmrecht, Diskussion u n d Öffent61
C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, Berlin 19613, S. 63. 62 R. Koselleck, Vergangene Zukunft, S. 107 ff. 63 C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S. 14 - 17. • 4 Ebd., S. 14.
§ 16 Legitimität durch Identifikation
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lichkeit — seien i m Grunde nur „die Folge der substanziellen Gleichheit innerhalb des Kreises der Gleichen" und statuierten insofern eine tautologische Gleichheit 65 . Eine solche statische Gleichartigkeit sei antidemokratisch gerade weil es bisher noch keine Demokratie gegeben habe, die den Begriff des Fremden nicht gekannt und die Gleichheit aller Menschen verwirklicht hätte 6 6 . Die Dialektik des Aufhebungsprozesses führt Schmitt zur Parallelität zwischen cäsaristischer acclamatio, absolutistischer Diktatur einerseits und „unmittelbarer", diktatorischer Massendemokratie andererseits, zuweilen auch ohne Rücksicht auf historische Saltos, so ζ. B., wenn er behauptet, die liberale Idee der politischen Gleichberechtigung aller — nicht nur der „politisch Gleichen" — setze eine Menschheitsdemokratie an die Stelle der „bisher bestehenden, auf der Vorstellung substanzieller Gleichheit und Homogenität beruhenden Demokratie" voraus 67 . Dementsprechend stelle sich die — i m Anschluß an die volonté générale Rousseaus — durch die Identifikation von Regierenden und Regierten definierte demokratische Homogenität nicht den bolschewistischen oder faschistischen Diktaturen entgegen, sondern vielmehr dem „liberalen Einzelmensch-Bewußtsein" 6 8 . Eine nicht nur i m technisch-parlamentarischen, sondern durch Zuruf, durch acclamatio, durch „selbstverständliches, unwidersprochenes Dasein", d.h. „ i m vitalen Sinne" unmittelbare Demokratie könne der Wille des Volkes „ebensogut und noch besser" demokratisch äußern als die einstimmige Meinung von 100 Millionen „Privatleuten" 6 9 . Das i n der Legitimation durch Identifikation implizierte Potential existentieller Totalpolitisierung bleibt Schmitt bewußt. Die Menschen i m Bereich des Politischen stehen sich als „politisch determinierte Menschen" gegenüber, gerade weil hier die nationale Homogenität u m so stärker betont und die „relativ allgemeine Menschengleichheit innerhalb des Staates" durch den entschiedenen Ausschluß aller nicht zum Staate gehörigen, außerhalb des Staates verbleibenden Menschen wieder aufgehoben w i r d 7 0 . Das Durchspielen der absoluten Instanzen erfordert auch Absolutheit i m Innern, keine Lücke, die sich des Politischen entziehen könnte. Um eine relative Freiheit i m Innern der politischen Einheit zu sichern, muß die dezisionistische Herrschaft lückenlos, „rein" bleiben, dem absoluten Ausschließlichkeitsanspruch der Entscheidung entsprechen. Nur auf diese Weise kann nach Schmitt die Homogenität 65
Ebd., S. 16. Ebd. 67 Ebd. 68 Ebd., S. 22 - 23. Z u m „rechts-rousseauismus" H. Hofmann, Legitimität, S. 85 ff. « Ebd., S. 22. 70 Ebd., S. 17. M
bei Schmitt v g l . bereits
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II. 1. Kap.: Dezisionistische Begründung von Legalität und Legitimität
permanent b e w a h r t bleiben, w ä h r e n d der Einbruch heterogener Elem e n t e i n die p o l i t i s c h e E i n h e i t gleichsam z u d e n P a r o x i s m e n d e r U n g l e i c h h e i t f ü h r t : „ W o eine g l e i c h g ü l t i g e , ohne das K o r r e l a t e i n e r U n g l e i c h h e i t gedachte G l e i c h h e i t e i n G e b i e t m e n s c h l i c h e n Lebens tatsächl i c h erfaßt, v e r l i e r t auch dieses G e b i e t selbst seine Substanz u n d t r i t t i n d e n Schatten eines a n d e r e n Gebietes, a u f w e l c h e m d a n n die U n g l e i c h h e i t e n m i t rücksichtsloser K r a f t z u r G e l t u n g k o m m e n " 7 1 . D o r t , w o d e r Gegensatz n i c h t „ p o l i t i s c h " b l e i b e , d . h . , i m H o r i z o n t d e r K o r r e l a t e G l e i c h h e i t - U n g l e i c h h e i t , H o m o g e n i t ä t - H e t e r o g e n i t ä t , w e r d e die d u r c h d i e D e z i s i o n f o r m i e r t e u n d i n G a n g gesetzte O r d n u n g d e r p o l i t i s c h e n E i n h e i t w i e d e r i n das Chaos des N a t u r - , „ u n p o l i t i s c h e n " Zustandes z u r ü c k g e w o r f e n 7 2 u n d w e r d e n die a b s o l u t e n I n s t a n z e n v o n n e u e m i h r e n T o t a l i t ä t s a n s p r u c h m e l d e n : „ B e i p o l i t i s c h e r Scheingleichheit m u ß e i n anderes Gebiet, a u f w e l c h e m die s u b s t a n z i e l l e n U n g l e i c h h e i t e n sich d a n n durchsetzen, h e u t e also ζ. B . das Ökonomische, die P o l i t i k b e h e r r s c h e n " 7 3 . N u r d u r c h das F o r t b e s t e h e n d e r n u n i n P e r m a n e n z gesetzten, i n d e r v o n i h r selbst r e p r o d u z i e r t e n D i a l e k t i k sich aufhebende Dezision, k a n n das E i n t r e t e n der r a d i k a l e n N e g a t i o n des P o l i t i s c h e n v e r m i e d e n w e r d e n . D i e D i a l e k t i k des P o l i t i s c h e n w i r d a m B e i s p i e l d e r Menschh e i t s u t o p i e e x e m p l a r i s c h d a r g e s t e l l t : ausschließlich d i e r e l a t i v e V e r w i r k l i c h u n g d e r m e n s c h l i c h e n E x i s t e n z i m p o l i t i s c h gesicherten R a u m v e r m a g d e n T e r r o r d e r a b s t r a k t e n H u m a n i t ä t des L i b e r a l i s m u s a b z u wenden. D i e A n e r k e n n u n g der p o t e n t i e l l e n T o t a l i t ä t des P o l i t i s c h e n b r i n g t aber eine R e i h e w e i t e r e r F r a g e n m i t sich: w e n n d i e E n t s c h e i d u n g b e r e i t s g e f a l l e n ist, w e l c h e F u n k t i o n r e a l i s i e r t n u n die z u r P e r m a n e n z e r k l ä r u n g der D i k t a t u r n o t w e n d i g e geschichtstheologische B e g r ü n d u n g d e r Gegensätzlichkeit? H e b t die „ E i g e n g e s e t z l i c h k e i t des V o l l z u g s " i n i h r e r F o r m a l i t ä t gegenüberstehender p o l i t i s c h e r E i n h e i t e n a u c h j e d e U n t e r s c h e i d u n g v o n G u t u n d Böse auf? B e d e u t e t diese F o r m a l i s i e r u n g des F r e u n d / F e i n d - G e g e n s a t z e s n i c h t ebenfalls eine synthetische A n t i these w i e die Hegels u n d d e r R e s t a u r a t i o n s t h e o r e t i k e r , l e t z t l i c h also eine A u f h e b u n g d e r D i k t a t u r i n d e r d i a l e k t i s c h e n E n t w i c k l u n g , d e r I r r a t i o n a l i t ä t i n d e r R a t i o n a l i t ä t ? 7 4 U n d w e i t e r : w e n n t a t s ä c h l i c h die L e g i t i m a t i o n d u r c h I d e n t i f i k a t i o n v o l l z o g e n w i r d , w o r a u s die Rechtf e r t i g u n g z u r G e w a l t a n w e n d u n g ? U n d schließlich auf der, d e m P o l i tischen i n h ä r e n t p r a k t i s c h e n Ebene: W i e dieses F e u e r w e r k g e d a n k l i c h e n E x p e r i m e n t i e r e n s v e r w i r k l i c h e n , a u f die Masse ü b e r t r a g e n ? 71
Ebd., S. 18. Vgl. hierzu K . - M . Kodalle, P o l i t i k als Macht, S. 34 ff. 73 C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S. 18. 74 Vgl. i n diesem Sinne auch A . Doremus, Théologie, politique et science, S. 57 f. 72
§ 17 Die Kirche als politisch-theologische Institution
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I m vierten und letzten Kapitel der Schrift über den Parlamentarismus antwortet Schmitt mit dem Element, das all diese Funktionen übernehmen soll, nämlich dem Mythos: die Theorie vom Mythos sei der stärkste Ausdruck dafür, daß der relative Rationalismus des parlamentarischen Denkens seine Evidenz verloren habe 75 . Anders ausgedrückt, daß die naturgesetzlich-normativistische Rationalität der Aufklärung und die der Demokratie innewohnenden Immanenzvorstellungen durch das zur Glaubenseuphorie der Massen notwendigen „religiösen" Substrat i m Mythos überwunden werden. Und das selbst, wenn Gott „durch irdische und diesseitige Faktoren ersetzt" werden müßte 7 6 . Die Transformation der Politischen Theologie i n Politische Mythologie aus der Anerkennung der Totalität des Politischen schafft nun neue Freunde: einmal die Diktatur des Proletariats, i n deren Interpretation sich eine sehr weitgehende Widerspiegelung — auch hier wiederum i m echt dialektischen Freund/Feind-Verhältnis — der schmittschen Kategorien wiederfindet 7 7 , und vor allem das nunmehr große Modell Georges Sorels und Mussolinis. Schmitt übernimmt die politische M y thologie Sorels: „Was das menschliche Leben an Wert hat, kommt nicht aus einem Räsonnement; es entsteht i m Kriegszustande bei Menschen, die, von großen mythischen Bildern beseelt, am Kampfe teilnehmen; . . . Aber der Schwung muß aus den Massen selbst kommen, . . ," 7 8 . Schmitt zitiert Mussolinis „ W i r haben einen Mythos geschaffen, der Mythos ist ein Glaube", und hierzu bestätigt er, Mussolinis Formulierung habe das Prinzip seiner Theorie des Politischen auf den Begriff gebracht. Wie damals i m 16. Jahrhundert, habe wieder ein Italiener das Prinzip der politischen Wirklichkeit ausgesprochen 79. Dadurch w i r d Religion ganz i n den Dienst des Politischen gestellt, die Politische Theologie offen zur theologischen Politik. § 17 Die Kirche als politisch-theologische Institution Daß die politische Mythologie eigentlich auch keine Lösung des durch die Etablierung des Politischen herbeigeführten Zustandes erreicht, vielmehr einen dialektischen Prozeß ausschließt, bleibt Schmitt nicht verborgen. Die Folge der Zweckheterogonie und Fungibilität der M y then kann letztlich keine andere sein, als die Überwindung der politischen Konfrontation und d. h. eben auch der Homogenität der politischen 75
C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S. 89. Ders., Politische Romantik, 19252, S. 23. 77 Vgl. ebd. I I . Abschnitt: Die D i k t a t u r i m marxistischen Denken (S. 63 bis 77). 78 Ebd., S. 89. 79 Ebd. 76
6 Beneyto
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I I . 1. Kap.: Dezisionistische Begründung von Legalität u n d L e g i t i m i t ä t
E i n h e i t e n . D i e G e f a h r der M y t h e n liege — w i e S c h m i t t 1923 i n
„Die
geistesgeschichtliche L a g e des h e u t i g e n P a r l a m e n t a r i s m u s " schreibt — d a r i n , daß die „ l e t z t e , w e n i g s t e n s i n e i n i g e n Resten n o c h bestehende Zusammengehörigkeit . . . i n dem Pluralismus einer unabsehbaren Z a h l v o n M y t h e n " a u f g e h o b e n w e r d e . D e n n d a n n v e r w a n d l e sich d i e p o l i tische T h e o l o g i e i n P o l y t h e i s m u s 8 0 ; das I r r a t i o n a l e löse sich w i e d e r u m i n e i n e n d i f f u s e n O k k a s i o n a l i s m u s auf. D e r R ü c k z u g i n die Politische R o m a n t i k erscheint aus d e r Sicht p o l i t i s c h e r M y t h o l o g i e u n v e r m e i d l i c h . So s i e h t sich C a r l S c h m i t t 1923 v o r d i e L a g e gestellt, die d u r c h d i e Ausarbeitung der politischen M y t h o l o g i e gewonnenen Elemente, n ä m l i c h eine B i l d e r - , das I r r a t i o n a l e i n t u i t i v a u s s t r a h l e n d e Sprache, d e n G e d a n k e n des Schicksals, das seinerseits a l l e menschliche K r a f t u n d d a m i t den D r a n g nach V e r f ü g b a r k e i t u n d Homogenität unermeßlich ü b e r s t e i g e n soll, schließlich dies alles z u g l e i c h geschichtlich eigenmächt i g 8 1 , i n E i n k l a n g m i t e i n e m sich selbst stets n e u r e p r o d u z i e r e n d e n geschichtstheologischen K a m p f z u b r i n g e n . A n d e r s g e w e n d e t , S c h m i t t 80
C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S. 89. Die Bedeutimg der Schrift: ders., Römischer Katholizismus u n d politische Form, München / Leipzig 19252 für die politische Theologie Schmitts w i r d allgemein i n der einschlägigen L i t e r a t u r k a u m erkannt. So bleibt sie bei J. Fijalkowski, Die Wendimg zum Führerstaat; H. Laufer, Das K r i t e r i u m politischen Handelns, F r a n k f u r t 1961; M . Schmitz, Die Freund-Feind-Theorie Carl Schmitts, K ö l n / Opladen 1965, unberücksichtigt. P. Schneider, Ausnahmezustand u n d Norm, verkennt durch seine Ausgangsposition, i n dem Essay sei die Kirche „schlechthin das Ganze", daß hier das Politische bei Schmitt durch die eben noch vorhandene Institutionalisierung (Kirche, Staat) gezähmt w i r d . Erst i m K o n t e x t des „Leviathans" (1938) w i r d die Position v o n 1922 zugunsten einer K r i t i k an der politischen F o r m der Kirche aufgegeben, da eine geschichtliche Verbindung zwischen Theologie u n d P o l i t i k m i t dem Totalitätsanspruch des Politischen kollidieren mußte. Erst durch die „thetische Zerschneidung der geschichtlichen Nabelschnur zwischen Theologie u n d P o l i t i k " wurde i h m — w i e H. Barion, Weltgeschichtliche Machtform?, Epirrhosis — Festgabe für Carl Schmitt, H. Barion u . a . (Hrsg.), Bd. 1, S. 20, A n m . 22, betont — „die lückenlose Begründung eines eigenständigen Begriffs des Politischen möglich". Doch auch Barion übersieht (u.a. aufgrund seiner eigenen, politisch-theologischen Position: vgl. hierzu unten § 28), daß eine solche „lückenlose Begründung" bereits durch die Anerkennung einer „substantiellen Identität" zwischen Theologie u n d P o l i t i k i n der „Politischen Theologie" v o n 1922 potenziell vorgegeben war. Die restlose Reduzierung auf das Politische erfolgt durch die Zersprengung des institutionellen Rahmens Kirche—Staat i m „Begriff des Politischen" u n d die Einbeziehung der Rolle der Technik („Das Zeitalter der Neutralisierungen u n d Entpolitisierungen", 1929) (vgl. unten §§ 19, 20). Auch H. Hofmann verfehlt den K e r n des Essays v o n 1923 durch die Überbetonung seiner Bedeutung für die Methodik der Rechtswissenschaft (ders., Legitimität, S. 58), während K.-M. Kodalle, P o l i t i k als Macht u n d Mythos, S. 109 - 122, den politisch-mythologischen Gehalt v o n Kirche u n d „römischem Katholizismus" richtig herausstellt, unter der A k zentuierung seiner eigenen Fragestellung — „politisch-theologischer Begründung demokratischer Praxis" (S. 132) — jedoch deutlich leidet. 81 Vgl. C. Schmitt, Der Leviathan i n der Staatslehre des Thomas Hobbes — Sinn u n d Fehlschlag eines politischen Symbols, Hamburg 1938, S. 35, 44 f.
§ 17 Die Kirche als politisch-theologische Institution
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w i r d m i t der Frage konfrontiert: wo findet sich eine bereits etablierte politische Einheit, die ständig von ihrer geschichtstheologischen Begründung zehrt? Und weiterhin: wie artikuliert sich die durch die Permanenz-Erklärung autoregulierende Dynamik des Politischen m i t dessen geschichtstheologischem Hintergrund? Die Antwort liefert der Rekurs auf die Kirche als politisch-theologische Institution: i m Wandel der geschichtlichen Formen politischer Einheitsbildung bestehe die Katholische Kirche geradezu als letztes Residuum und Symbol von jener „Ordnung an sich", die es politisch stets neu zu etablieren gelte. Anhand der fragwürdigen Assimilation von „Kirche" und der soziologischen Kategorie „römischer Katholizismus" scheint Schmitt enthusiastisch die Bestätigung seiner Theorie des Politischen i n der Wirklichkeit zu begegnen. So entsteht ein „Elogium" der Kirche 8 2 als politisch-theologische Gemeinschaft, i n welchem die Elemente der schmittschen Begrifflichkeit sich unschwer wiederfinden lassen. Die Kirche t r i t t demzufolge als die Rationalität und Irrationalität i n sich übervernünftig vereinigende Institution auf 8 3 , als die legitimierende Kraft schlechthin 84 : „Die Kirche hat ihre besondere Rationalität . . . Dieser Rationalismus liegt i m Institutionellen und ist wesentlich juristisch . . ," 8 5 . Die Kraft der Institution als politische Einheit, die jegliche Subjektivismen i n der Homogenität der Dezision überwindet, erweise sich beispielsweise i n der Schaffung des Priesteramtes, wodurch die Kirche letztlich unabhängig vom persönlichen Charisma geworden sei und somit „alle fanatische Wildheit eines zügellosen Prophetentums" ferngehalten habe 86 . Auch die dialektische Struktur des Politischen realisiert sich gleichsam paradigmatisch i n der Kirche. Erstens erblickt Schmitt i m ökono82
Vgl. hierzu H. Barion, Weltgeschichtliche Machtform, S. 18 ff.; C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 28. 83 Vgl. hierzu H. Ball, Carl Schmitts politische Theologie, S. 270 ff. 84 I n diesem Sinne vgl. besonders A . Dor emus, Théologie, politique et science, S. 54: „Ce q u i est clair, et surtout »décisif, dans la perspective de cette opposition, c'est que l'Eglise et l'Etat, comme le pouvoir spirituel et le pouvoir temporel, s'y trouvent ensemble, côte à côte, devant l'a-spiritualité et l'a-politicité de l a rationalité des sciences positives, des techniques et de l'économie. L'objet de la théologie et l'objet du politique sont ensemble, d u côté de la rationalité inhérente à l'Idée et, comme telle, détenant l'autorité (potestas et auctoritas): ce qui importe ici, c'est que la transcendence de la décision ne se laisse pas réduire n i absorber par l'immanence des besoins privés." 85 C. Schmitt, Römischer Katholizismus, S. 19. 86 Dieselbe S t r u k t u r bei der „Behandlung des Irrationalen" zeigt sich i n der Interpretation Schmitts der priesterlichen Aufgabe, die eben darin bestünde, „ohne das irrationale D u n k e l der menschlichen Seele ans Licht zu zerren", i h r eine Richtung zu geben (ebd., S. 20). β*
84
II. 1. Kap.: Dezisionistische Begründung von Legalität und Legitimität
mischen Denken, i n der absoluten Sachlichkeit der ökonomischen Werte einen „wesentliche(n) Gegensatz der heutigen Zeit gegen die politische Idee des Katholizismus" 8 7 . Die Konfrontation zwischen Kapitalismus und Katholizismus bereitet das homogene Medium vor, wendet eine romantisch-ästhetische Flucht des Katholizismus aus der „Wirklichkeit" ab. Das Elogium Schmitts an die Kirche als institutionelles Instrumentarium seiner Theorie des Politischen entspringt aus der Tatsache, daß i n der Kirche die zur Dialektik des Politischen notwendigen geschichtstheologischen Elemente i n Permanenz bestehen. Mehr noch: die Geschichtstheologie versetzt die Kirche als solche i n die Zeit. Als Gemeinschaft der Gläubigen versteht sich die Kirche als „Regnus Christi" auf Erden, als sichtbares Zeichen des Interims zweier eigentlich gleichzeitiger Ungleichzeitigkeiten: der A n k u n f t Christi auf Erden und seines Wiederkommens am Ende der Zeiten 8 8 . Das für Schmitt Faszinierende liegt eben darin, daß dieses, der Kirche inhärente, sie geradezu i n die Zeit entbindende eschatologische Element Schmitts Suche nach einer dynamischen Dialektik, die aus der einmal bereits gefallenen Entscheidung sich neu reproduziert, der inneren Struktur Schmitts Bestimmung des Politischen nicht nur entspricht, sondern sie geradezu als Muster dienen kann. Durch den eschatologischen Vorbehalt perpetuiert sich i n der Kirche jene Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen durch die der dezisionistisch-polemische Begriff Schmitts sich zugleich geschichtlich und eschatologisch realisiert. Hier ist nun das, wovon jeder Begriffsrealist träumen konnte, die Entsprechung zwischen Begriff und Wirklichkeit, tatsächlich real geworden 89 . Was sich daraus für die Politische Theologie Schmitts ergibt, kann unschwer hergeleitet werden: die Kirche inkarniert das Politische schlechthin. Sie verkörpert die „complexio oppositorum" 9 0 . Worin besteht aber die „politische Idee" des Katholizismus, wie w i r d i m Gang der Argumentation der Katholizismus „ i m eminenten Sinne 87
Ebd., S. 22. I n diesem Sinne vgl. C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 75 ff. 89 Die Parallelität zwischen methodisch-begriffsstruktureller u n d normativ-theoretischer D i a l e k t i k w i r d deutlich v o n A . Doremus, Théologie, p o l i tique et science, S. 55, herausgestellt: „Ce conflit entre l'avatar du monde (l'avatar de l',agere': Théol. pol., I. chap. 3, p. 29), et l'inconditionalité de la décision qui le régit (le »deliberare*, id.), est poussé si l o i n dans son i n t e n sité q u ' i l retentit de manière »decisive' sur la conception des rapports entre pouvoir spirituel et pouvoir temporel, et donc entre théologie et politique. Toute la dynamique de la recherche q u i vise à formuler ces rapports dans la rigueur simultanée de la sauvegarde d'une raison du salut, et de la responsab i l i t é et conviction de devoir assumer le conflit politique, débouche sur u n rapprochement m a x i m u m et, pour u n temps de son parcours, sur une confusion pratique, des deux problématiques théologique et politique". 90 C. Schmitt , Römischer Katholizismus, S. 10. 88
§ 17 Die Kirche als politisch-theologische Institution
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politisch"? 91 Nach Schmitt ist die Katholische Kirche i n der modernen Welt die einzige Größe, die „die Kraft zur Repräsentation" bewahrt habe. „Sie repräsentiert die civitas humana, sie stellt i n jedem Augenblick den geschichtlichen Zusammenhang m i t der Menschwerdung und dem Kreuzesopfer Christi dar, sie repräsentiert Christus selbst, persönlich, den i n geschichtlicher Wirklichkeit Mensch gewordenen Gott" 9 2 . Die wirkliche „Überlegenheit über ein Zeitalter ökonomischen Denkens" liegt für Schmitt primär nicht i m Glauben an Christus, sondern gerade i n dessen geschichts-eschatologisch-politischer Dimension, i m Repräsentativen. Die Kirche erscheint als Grundlage einer besonders dauerhaften „Fähigkeit zur juristischen Form": sie bewahrt als Institution sozusagen das Muster der civitas humana als des geordneten Gemeinwesens. Und so w i r d auch Schmitt i n einer besonders einprägsamen Formulierung, welche sowohl das Politische der Kirche als auch deren politischen Funktionalisierung zum Ausdruck bringt, behaupten können, sie repräsentiere überhaupt nur noch die Repräsentation 93 . Inwiefern die Kirche das Politische selbst inkarniert, kann eben daran gemessen werden, daß für Schmitt die Repräsentation an persönliche Autorität gebunden sein muß. Gott kann ebenso Inhalt einer Repräsentation sein wie abstrakte Ideen, „aber nicht Produktion und Konsum" 9 4 . Sollte es dem ökonomischen Denken gelingen, einen „absolut unpolitischen Zustand" der menschlichen Gesellschaft herbeizuführen, dann hätte die Kirche „ein ungeheuerliches Monopol . . . und ihre Hierarchie wäre der politischen Weltherrschaft näher als jemals i m Mittelalter" 9 5 . I m Falle des Ausfallens der Freund/Feind-Spannung schlägt die dadurch entstandene Entpolitisierung i n Totalpolitisierung um. Das Durchspielen der absoluten Instanzen, längst nicht mehr theologischpolitisch, sondern offen politisch, verkörpert sich i m kirchlich-institutionellen Monopol der politisch-theologischen Vermittlung: die Kirche wäre dann — so Schmitt — eine planetarische Weltmacht. Doch dieser „abstrakte" Gedanke eines total entpolitisierten Zustands entspricht nicht der Realität, wo historisch deutliche Freund/Feind-Gruppierungen und — auf dieser Basis — neue Stabilisierungen und Formierungen hervortreten. Der Kirche als Repräsentant der bereits gefallenen, i m Hintergrund dialektisch weiter wirkenden Dezision, fällt die Aufgabe zu, den Prozeß der Formierung einer neuen politischen Ordnung i n Gang zu setzen. Die konkrete Gestalt dieser Ordnung entläßt wiederum eine dialektische Spannung: die Kirche braucht eine staatliche Form, 91 92 93 94 95
Ebd., Ebd., Ebd. Ebd., Ebd.,
S. 22. S. 26. S. 29. S. 34 f.
86
II. 1. Kap.: Dezisionistische Begründung von Legalität und Legitimität
weil sonst nichts vorhanden sei, was ihrer wesentlichen Haltung korrespondieren würde 9 6 . Dadurch schließt sich die erste Phase i m Zyklus des Politischen. Technik und ökonomisches Denken als radikale Negation des Politischen, und d. h. des Katholizismus, bilden das geschichtstheologische, zugleich auch historisch-gesellschaftliche Präparat, das „homogene Medium", worüber die ins Reich des Politischen überführende reine Dezision des Souveräns fällt und dadurch human-stabilisierende Freund/FeindGruppierungen sich formieren 9 7 . Um der Freund/Feind-Stabilisierung Dauer zu verleihen — da sie ja aus der Dezision lebt — w i r d die Dezision perpetuiert. Sie lag i m Kontext der „Politischen Theologie" als Schöpfer der politischen Einheit bereits vor — weil geschichtstheologisch —, aber garantierte keinesfalls die Kontinuität der schwer errungenen Stabilität der politischen Einheiten. Durch den Rekurs auf die Eschatologie findet Schmitt das Mittel, die Entscheidung zu fällen, sie beizubehalten und zugleich sie verschwinden zu lassen. Nur die A u f hebung und simultan-kontinuierliche Beibehaltung der Dezision vermag die labile Stabilität der Freund- und Feindschaftslinien zu sichern. I n dem „schon" und „noch nicht"-Charakter der christlichen Eschatologie traf Schmitt das entsprechende Muster; i n der Repräsentation, die Verkörperung der eschatologischen Wirklichkeit, und insofern ihrer Transponierbarkeit ins konkrete Geschichtlich-Gesellschaftliche. So liegt i n der Repräsentation der „Pathos der Autorität" und die Gestaltungskraft der Kirche zur dreifach großen Form, „zur ästhetischen Form des Künstlerischen, zur juridischen Rechtsform und endlich zu dem ruhmvollen Glanz einer weltgeschichtlichen Machtform" 9 8 , d.h., zum Mythos, zur Rechtswissenschaft und zur Politik 9 9 .
98 Ebd., S. 34. Die Opposition zwischen Kirche u n d Staat ist das Muster einer Freund/Feind-Gruppierung (vgl. S. 35), i n der die Dezision — i n der Kirche als I n s t i t u t i o n aufgehoben — stets w e i t e r w i r k t . Vgl. hierzu A . Dore mus, Théologie, politique et science, S. 55: „Dans la même mesure où est soulignée la distance entre .deliberare 1 et ,agere', se trouve renforcée, quasiment jusqu'à l'identité, l'affinité entre décision humaine et décision divine." 97 I n diesem Sinne auch A . Doremus, Théologie, politique et science, S. 56: „ . . . le conflit inhérent, . . . , à la nature même de cette autorité du pouvoir suprême, la contradiction propre à toute forme d'impérialisme (C. Schmitt, Rom. Katholizismus u n d politische Form, S. 9, Ausg. 1925 — fr. i m O. —) et qui la doit contenir précisément pour pouvoir régir l'autre type de conflit". 98 C. Schmitt, Römischer Katholizismus, S. 45. 99 Vgl. hierzu Α . Doremus, Théologie, politique et science, S. 58: „ . . . on part du dualisme de type ami-ennemi, pris dans sa plus grande (et secrète) dimension, et on le pratique, sans le supprimer, par une forme d'unité du type de celle de l'Eglise, pour q u i nature et ratio sont un, une JEglise qui assume toutes les contradictions que renferme tout .impérialisme', en étant elle-même l'unité des trois formes politiques possibles".
§ 17 Die Kirche als politisch-theologische Institution
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Die große Funktionalität der eschatologischen Repräsentation, die neue Legitimitäten aus der Person Christi schaffen kann, ohne sich dabei aufzuheben, zugleich das notwendige „Ethos der Überzeugung" 1 0 0 mit verabsolutierender Wirkung und prinzipieller Wertung zu versehen vermag, bringt insofern zwei folgerichtige Konsequenzen für die Politische Theologie Carl Schmitts mit sich: die Entprivatisierung der Religion und die konkrete politische Option der Kirche. Eine Option, die durch den eigenen polemischen Charakter der Dezision bestimmt wird, welche die Kirche zur „opportunistischen Toleranz" beim Umgang m i t den politischen Formen befähigt, und zwar i n Dingen, die keine „zentrale" Bedeutung haben 1 0 1 . Denn als die große Politische Mythogene ist sie über jede politische Form erhaben; zugleich muß sie aber auch — u m ihrer eigenen Dynamik, und d.h. der des Politischen, zu entsprechen — die Formierung konkreter Freund/Feind-Gruppierungen fördern. Und i n der aktuellen Situation soll sich die Kirche nach Schmitt auf die „Seite von Idee und westeuropäischer Zivilisation" schlagen, gegen den russischen Sozialismus anarchistischen Ursprungs. Die Entprivatisierung der Religion folgt schließlich aus der Totalität der politischen Substanz. Hier zeigt sich besonders deutlich die Transformation einer vermeintlichen politischen Theologie i n theologische Politik, die Reduktion der absoluten Instanzen — Theologie und Politik — auf die Inkarnierung des Politischen i n der Kirche. Die Transformation w i r d wiederum polemisch anhand des Liberalismus exemplifiziert. So hätten nach Schmitt geschichtlich betrachtet die für die bürgerliche Gesellschaft typischen Privatisierungen bei der Religion ihren Anfang gesetzt: das erste Individualrecht sei die Religionsfreiheit gewesen. Aber wohin man immer das Religiöse stelle, es zeige überall seine „absorbierende, verabsolutierende Wirkung", und wenn das Religiöse das Private ist, „so ist infolgedessen auch umgekehrt das Private religiös geheiligt" 1 0 2 . Die Reduzierung auf das Politische läßt diesem die ganze verabsolutierende Energie der Religion übernehmen. Das Religiöse politisiert und strukturiert das gesellschaftlich-geschichtlich gegebene Allgemeine und fördert wiederum dadurch die entsprechenden Freund- und Feindschaften. Der Religion fällt insbesondere die Aufgabe zu, das zum Mythos gehörende Element der „natürlichen Lebenseinheit" zu garantieren 1 0 3 .
100
C. Schmitt, Römischer Katholizismus, S. 23. Ebd., S. 6 ff. 102 Ebd., S. 38 f. los v g l hierzu die Gegenüberstellung v o n „protestantischer" u n d „ k a t h o l i scher" Lebensart, ebd., S. 15 ff. 101
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I I . 1. Kap.: Dezisionistische Begründung von Legalität u n d Legitimität
§ 18 Gehalt und Bedeutung der Politischen Theologie I Zusammenfassend kann das Resultat der Politischen Theologie I, der sozusagen ersten Stufe i n der Politischen Theologie Carl Schmitts folgendermaßen charakterisiert werden: 1. Politische Theologie bezeichnet einmal den Vorgang der Übertragung theologischer Begriffe auf den staatlich-juristischen Bereich. Dabei handelt es sich eigentlich nicht u m theologische Aussagen, sondern u m eine Begriffssoziologie, die auf zwei Grundthesen beruht: a) Prozeß der Säkularisierung und b) strukturelle Analogie rechtswissenschaftlicher und theologischer Begriffe. Sie betrifft also eine Soziologie j u ristischer, genauer: staatsrechtlicher Begriffe. Diese werden, m i t den Worten Böckenfördes, „ihrer beanspruchten autonomen Eigenständigkeit entkleidet und auf ihre soziologische Basis, die sich als Umbesetzung theologischer Positionen erweist, zurückgeführt" 1 0 4 . I n Übereinstimmung mit der Analyse Böckenfördes spricht man bei dieser Form p o l i t i s c h e r T h e o l o g i e v o n juristischer
politischer
Theologie.
2. Politische Theologie beschreibt zweitens die Reduktion von Theologie und Religion auf politische Substanz und die damit verbundene Politisierung/Entprivatisierung der Religion. Sie entspricht unter dieser Form der dezisionistischen politischen Theorie Carl Schmitts und ist die Konsequenz seiner Inanspruchnahme des eschatologischen Vorbehalts der Kirche für politik-theoretische Zwecke. Sie besitzt insofern Anhaltspunkte zu einer strikten theologischen Politik, kann jedoch nicht eigentlich m i t ihr identifiziert werden, insoweit sie unmittelbar keine konkrete politische Option theologisch zu begründen verfolgt. Hier t r i t t vielmehr die Kirche durch die Inkarnierung des Politischen als die große Politische Mythogene auf, welche aufgrund ihres eschatologisch-repräsentativen Charakters das Muster der politischen W i r k lichkeit garantiert. Demzufolge handelt es sich bei dieser Form politischer Theologie u m eine mythogenetische politische Theologie. 3. Der dritte Bedeutungsgehalt i m Kontext der Politischen Theologie I meint die konkrete politische Option der Institution Kirche als solche und ist insofern nur ein kleiner Teil des viel verzwickteren (bei 104 E.-W. Böckenförde, Politische Theorie u n d politische Theologie. Bemerkungen zu ihrem gegenseitigen Verhältnis, i n : Revue européenne des sciences sociales (Cahiers Vilfredo Pareto), 16 (1981), S. 233 - 243, 237. Böckenförde unterscheidet hierbei aufgrund der Diskussion u m die politische Theologie neben juristischer u n d institutioneller eine weitere Grundform politischer Theologie, die appellative. Sie t r i t t i m K o n t e x t der politischen Theologie Carl Schmitts erst i n der „Politischen Theologie I I " (1968) auf. Dagegen findet auch bei Böckenförde die Funktionalisierung der I n s t i t u t i o n Kirche als p o l i tisch-theologisches Reservoir i m Sinne einer perpetuierenden Gründung des Politischen keine Beachtung.
§ 18 Gehalt und Bedeutung der Politischen Theologie I
89
der Politischen Theologie I I i n verschiedenen Ausformungen hinzutretenden) Problems des Verhältnisses zwischen Glaubensgemeinschaft und/bzw. Kirche und der politischen Ordnung. Er betrifft also einen A s p e k t der institutionellen
politischen
Theologie.
Zweites Kapitel
Politisierung und Entpolitisierung § 19 Begriff des Politischen Die „Verfassungslehre" (1928) und „Legalität und Legitimität" (1932) leisten die staatsrechtliche Anwendung der theoretisch herausgearbeiteten Grundstrukturen des Politischen. Die erste Veröffentlichung realisiert u. a. die Übertragung des Dezisionismus auf einen „positiven" Verfassungsbegriff (d. h. „die Verfassung als Gesamtentscheidung über A r t und Form der politischen Einheit"), die Definition der Demokratie als Identität zwischen Regierenden und Regierten, Beherrschenden und Beherrschten 1 , als homogene Gleichheit, die Bestimmung der Weimarer Verfassung als Kompromiß zwischen den vier Untersystemen des parlamentarischen Systems, nämlich das Parlamentssystem i. e. S., Kanzlersystem, Kabinettsystem und präsidentielles System 2 . Das Eintreten für das dem Legalismus eines Gesetzgebungsstaates entgegengesetzte System einer plebiszitär-demokratischen Legitimität 3 als „einzige A r t staatlicher Rechtfertigung, die heute allgemein als gültig anerkannt sein dürfte" 4 , ist demzufolge — i n „Legalität und Legitimität" — die dezisionistische Antwort auf die konkrete verfassungsrechtliche A l t e r native i m Jahre 1932: „Anerkennung substanzhafter Inhalte und Kräfte des deutschen Volkes oder Beibehaltung und Weiterführung der funktionalistischen Wertneutralität m i t der Fiktion gleicher Chance für unterschiedslos alle Inhalte, Ziele und Strömungen" 5 . Wie es Schmitt selbst fünfundzwanzig Jahre später kommentierte, war die Schrift der Versuch, das Präsidialsystem als letzte Chance der Weimarer Verfassung „vor einer Jurisprudenz zu retten, die es ablehnte, nach Freund oder Feind der Verfassung zu fragen" 6 . Die Übertragung der universellen Struktur des Politischen auf das Innerstaatliche vermag an die bisherige konkrete Ordnung der politischen Einheit, an den Staat, 1 C. Schmitt, Verfassungslehre, B e r l i n 19573, S. 234. Vgl. hierzu die einschlägigen Darstellungen bei H. Hofmann, Legitimität, S. 124-141; K. Larenz, Besprechung der „Verfassungslehre", B l d P h 5 (1931), S. 159- 162; E.-R. Huber, Verfassung u n d Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, B l d P h 5 (1931), S. 302 - 315. 2 Ebd., S. 342. Auch hierzu insbesondere ders., „Der Hüter der Verfassung". 3 4 5 Ebd., S. 339. Ebd., S. 340. Ebd., S. 344. • Ebd., S. 345.
§ 19 Begriff des Politischen
91
nicht mehr anzuknüpfen. Gegenüber der unausweichlichen Zerstörung der parlamentarisch-liberalen Identifizierung von Legitimität und Legalität bedarf es jetzt einer stabilen Autorität, „um die notwendigen Entpolitisierungen vorzunehmen und, aus dem totalen Staat heraus, wieder freie Sphären und Lebensgebiete zu gewinnen" 7 . Das Appellieren an die starke auctoritas entspringt so aus der Situation selbst, aus dem Faktum, daß die plebiszitäre Legitimität als „einziges, anerkanntes Rechtfertigungssystem" Übriggeblieben sei 8 . Die Anwendung der Struktur des Politischen auf das Äußere, inter-staatliche, und die dadurch intendierte Gewinnung historischen Belegmaterials für die Theorie erfolgt auch i n den Jahren bis 1932 durch eine Reihe völkerrechtlicher Schriften, u. a. „Die Rheinlande als Objekt internationaler Polit i k " (1925), „Die Kernfrage des Völkerbundes" (1926), „Der Völkerbund und das politische Problem der Friedenssicherung" (1930). Demzufolge stellt „Der Begriff des Politischen" (in dem endgültigen Text 1932 erschienen) die begriffliche Ausformulierung der schmittschen Theorie des Politischen dar. Schmitt findet das historische Exempel der Dialektik des Politischen i n der geschichtlichen Wirklichkeit „Staat" wieder. Warum w i r d nun dieses Beispiel geradezu „klassisch"? Schmitts Antwort: Das Klassische sei die Möglichkeit eindeutiger, klarer Unterscheidungen. Innen und Außen, Krieg und Frieden, Neutralität oder Nicht-Neutralität, alles das sei erkennbar getrennt und werde nicht absichtlich verwischt, denn die Hegung und klare Begrenzung des Krieges enthalte eine Relativierung der Feindschaft 9 . M i t anderen Worten: das Klassische ist die Möglichkeit einer Institutionalisierung der politischen Substanz. Der klassische Fall der Struktur des Politischen besteht i n der Situation einer historisch „verorteten" Institution, i m neuzeitlichen Staat. Dem kommt das Monopol der absoluten Instanzen zu. Durch die klare Unterscheidung von Innen und Außen, Krieg und Frieden exempliziert der moderne Staat das theologisch-politische Modell. Die Rückübertragung der Grundstruktur des Politischen auf den Staat 1 0 verfolgt durch die Einbeziehung des vermeintlichen histo7
6 Ebd., S. 340. Ebd. • C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, B e r l i n 19638, S. 11 (Vorwort v o n 1963). Vgl. zum schmittschen Begriff des Politischen als i m K e r n polemisch, n u r aus der konkreten politischen Existenz heraus zu verstehen, v o r allem L. Strauss , Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, ASwSp 67 (1932), S. 732 - 749; H . Kuhn, Bespr. i n : KSt. 38 (1933), S. 190 - 196, später i n : ders., Der Staat, München 1968, S. 447 - 460; M . Buber, Die Frage an den Einzelnen (1936), i n : ders., Dialogisches Leben, Zürich 1947; H. Wohlgemuth Das Wesen des Politischen i n der heutigen deutschen neoromantischen Staatslehre, H. Läufer, Das K r i t e r i u m politischen Handelns; H. Hofmann, Legitimität, S. 101 - 124. 10 Vgl. hierzu B. Willms, Die politischen Ideen v o n Hobbes bis Ho Tschi M i h n , Stuttgart / B e r l i n / K ö l n / Mainz 1971, S. 22: „Der politisch so i r r i t i e r t e n
92
I I . 2. Kap.: Politisierung u n d Entpolitisierung
rischen Identifikationsprozesses v o n Staat u n d Gesellschaft die These d e r T o t a l i t ä t des P o l i t i s c h e n e m p i r i s c h z u d e m o n s t r i e r e n . D i e F i x i e r u n g a u f die G r u n d f i g u r „ S t a a t " v e r m a g die e x i s t e n t i e l l e T o t a l i t ä t des P o l i tischen, d u r c h d e n I n t e n s i t ä t s g r a d d e r F r e u n d / F e i n d - U n t e r s c h e i d u n g i n d i z i e r t , a n die M ö g l i c h k e i t d e r „ p h y s i s c h e n T ö t u n g " — d. h. des K r i e ges — , a m E x t r e m f a l l z u o r i e n t i e r e n . Was die D e k l a r i e r u n g des K r i e g e s als letztes U n t e r s c h e i d u n g s m e r k m a l v o m F r e u n d u n d F e i n d f ü r die Politische T h e o l o g i e b e d e u t e t , l i e g t a u f d e r H a n d : die T r a n s f o r m a t i o n des geschichtstheologischen, l e t z t l i c h i n d e r Eschatologie g r ü n d e n d e n M o d e l l s i n eine staatlich-polemische F i g u r . A n d e r s g e w e n d e t : die A u t o n o m i e des aus i h r e m p o l i t i s c h - t h e o l o g i s c h e n U r s p r u n g e n t b u n d e n e n F r e u n d / F e i n d - K r i t e r i u m s . Das bloße hegelsche U m s c h l a g e n d e r Q u a n t i t ä t ins Q u a l i t a t i v e r e i c h t n u n , u m d e n K r i e g als L e g i t i m i t ä t z u r e c h t f e r t i g e n 1 1 . V o n d e m p o l i t i s c h - t h e o l o g i s c h e n S u b s t r a t b l e i b t n u r m e h r die Gesellschaft der Weimarer Republik w u r d e ein retrospektives politisches Modell gegenübergestellt, das über Bürgerkrieg u n d ideologische Zersplitter u n g hinwegtreten sollte: totaler Staat". 11 Vgl. C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 38. Vgl. auch S. 54: „Die politische Einheit k a n n i h r e m Wesen nach nicht universal i n dem Sinne einer die ganze Menschheit u n d die ganze Erde umfassenden Einheit sein". Spätestens hier w i r d also der i n der Carl Schmitt-Schule so beliebte Topos der Unterscheidung zwischen Staat u n d Gesellschaft als Scheinkontroverse aufgedeckt. Die Option Carl Schmitts gegen den lediglich quantitativ totalen Staat, d. h. den aus „Schwäche" expandierenden pluralistischen Parteienstaat u n d für einen totalen Staat i m qualitativen Sinn, der aus eigener Stärke die innerpolitischen Gruppierungen bestimmen k a n n (vgl. ders., Der Hüter der Verfassung, Tübingen 1931, S. 79; vor allem aber ders., Weiterentwicklung des totalen Staates i n Deutschland, in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, B e r l i n 1958, S. 361 f.) entspricht seinem methodisch-normativen Begriff des Politischen: die Gesellschaft als innerer Feind schafft i n i h r e r Konfrontation m i t dem Herrschaftsapparat „Staat" den auf diese Weise das Politische i n karnierenden übergesellschaftlichen Staat, der sich wiederum i n dem K o n f l i k t m i t anderen Staaten als politische Einheiten stets behauptet. Das geschichtstheologische Modell w i r d auf die historische Figur „Staat" transponiert u n d dadurch „neutralisiert", das Politische seines politisch-theologischen Ursprungs entkleidet. Verfechter des Theorems einer Unterscheidung zwischen Staat u n d Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit sind E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, München 1971, jetzt v o r allem E.-W. Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung v o n Staat u n d Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, 1973; ders., Die Bedeutung der Unterscheidung v o n Staat u n d Gesellschaft i m demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, 1972; ders., Lorenz v o n Stein als Theoretiker der Bewegung v o n Staat u n d Gesellschaft zum Sozialstaat, 1963; ders., Entstehung u n d Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, 1969; ders., G r u n d rechtstheorie u n d Grundrechtsinterpretation, 1974: ders., Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht, 1975; jetzt allesamt i n : E.-W. Böckenförde, Staat. Gesellschaft. Freiheit, F r a n k f u r t 1976; vgl. auch ders., Der Staat als sittlicher Staat, B e r l i n 1978. Hierzu kritisch W. Schmidt, Die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen zwischen staatlicher Herrschaft u n d gesellschaftlicher Macht, AöR 101 (1976), S. 24 f., der zu Recht die abstrakte Unterscheidung v o n Staat u n d Gesellschaft, die hierbei implizierte übergeschichtliche Kategorisierung solcher Ordnungsschemata, ihre Abhängigkeit v o n Hegel sowie die geringe „Problembearbeitungskapazität" des Theorems heraus-
§ 20 Neutralisierung und Politisierung
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anthropologische These. Schmitt übernimmt das Dogma von der Sündhaftigkeit des Menschen i n ihrer radikalen Variante. Das Dogma von der Sündhaftigkeit der Welt und der Menschen führe ebenso wie die Unterscheidung von Freund und Feind zu einer Einteilung der Menschen, zu einer „Abstandsnahme", und mache den unterschiedslosen Optimismus eines durchgängigen Menschenbegriffs unmöglich. Die individual- und sozialpsychologischen Folgen der Leugnung der Erbsünde seien insbesondere durch Troeltsch und Seillière am Beispiel zahlreicher Sekten, Häretiker, Romantiker und Anarchisten gezeigt worden. Was also bleibt, ist ein bloßer methodischer Zusammenhang theologischer und politischer Denkvoraussetzungen, d.h. strukturelle Gemeinsamkeiten. Wie diffus jedoch gerade eine politische Applikation des Dogmas i n der Praxis ausfällt, zeigt, i n welchem Maße die politischtheologische These reduziert worden ist: „Aber die theologische Unterstützung v e r w i r r t öfters die politischen Begriffe, weil sie die Unterscheidung gewöhnlich ins Moraltheologische verschiebt oder wenigstens damit vermengt und dann meistens ein normatistischer Fiktionalismus oder gar ein pädagogisch-praktischer Opportunismus die Erkenntnis existentieller Gegensätzlichkeiten t r ü b t " 1 2 . § 20 Neutralisierung und Politisierung Warum eigentlich eine solche Reduktion des politisch-theologischen Legitimierungssubstrats? Wo bleibt das eschatologische Potential der Kirche als Inkarnierung des Politischen? Vermag tatsächlich die Possibilität des Krieges als Extremfall das Legitimitätsvakuum des Politischen zu füllen? Die A n t w o r t Schmitts weist auf die Initiierung einer neuen Form der geschichtstheologischen Freund/Feind-Grundunterstellt. Auch Luhmanns systemtheoretische Konzeption würde nach Schmidt (ebd., 61) eine U m k e h r u n g des Theorems als Dualismus v o n „ P o l i t i k " u n d (unpolitischer staatlicher) „Verwaltung" (einschließlich Gesetzgebimg u n d Rechtsprechung) bedeuten. Vgl. hierzu N. Luhmann, Politische Verfassungen i m K o n t e x t des Gesellschaftssystems, Der Staat 12 (1973), S. I f f . , 165 ff.; dazu kritisch W. Schmidt, A u f k l ä r u n g durch Soziologie, Neue Politische L i t e r a t u r 16 (1971), S. 340 ff.; ders., Die Programmierung v o n Verwaltungsentscheidungen, AöR 16 (1971), S. 321 ff. Z u r früheren Diskussion allgemein vgl. H. Ehmke, „Staat" u n d „Gesellschaft" als verfassungstheoretisches Problem, in: Staatsverfassimg u n d Kirchenordnung, Festgabe für R. Smend zum 80. Geburtstag am 15.1.1962, Hrsg. v. K . Hesse / S. Reicke / U. Scheuner, Tübingen 1962, S. 2 3 - 4 9 ; K. Hesse, Bemerkungen zur heutigen Problematik u n d Tragweite der Unterscheidung v o n Staat u n d Gesellschaft, DÖV 1975, S. 437 ff.; ders., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 198012. Vgl. zu Hegel M. Riedel, Der Begriff der „Bürgerlichen Gesellschaft" u n d das Problem seines geschichtlichen Ursprungs, ARSP 48 (1962), S. 539-566; ders., Bürgerliche Gesellschaft u n d Staat bei Hegel, Neuwied / B e r l i n 1970. Z u m Problem zuletzt P. Koslowski, Gesellschaft u n d Staat. E i n unvermeidlicher Dualismus, Stuttgart 1981. 12 C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 19633, S. 64.
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II. 2. Kap.: Politisierung und Entpolitisierung 13
Scheidung h i n . Die Transformation des Konflikts schlechthin w i r d durch die Verwandlung des politisch-theologischen Absolut-Feindes und des mythischen Substrats selber erzwungen. Die große Mythogene kann nun nicht weiter die Kirche bleiben, auch nicht deren eschatologische, unwiderstehliche Gleichzeitigkeit, die j a nur für mythogenetische Zwecke funktionalisiert worden war, sondern die neue große Mythogene soll die Technik sein: „Heute sind die technischen Erfindungen Mittel einer ungeheueren Massenbeherrschung . . . Der Geist der Technizität, der zu dem Massenglauben eines antireligiösen Diesseits»Aktivismus geführt hat, ist Geist, vielleicht böser und teuflischer Geist, aber nicht als mechanistisch abzutun und nicht der Technik zuzurechnen" 14 . Wiederum setzt sich die Dialektik des Politischen i n Gang, die i n das neue Reich der politisch-substanzhaften Ordnung führen soll. Erstens der absolute Feind: die ganz Andere, ebenfalls immanente geschichts-eschatologische Dialektik der Diktatur des Proletariats: die Russen hätten das europäische 19. Jahrhundert beim Wort genommen, i n seinem K e r n erkannt und aus seinen kulturellen Prämissen die letzten Konsequenzen gezogen 15 . Die Ausgangslage entsteht i n der Dialektik Freund/Feind: „Man lebt immer unter dem Blick des radikaleren Bruders, der einen zwingt, die praktische Konklusion zu Ende zu führen" 1 6 . Nur, die politische Funktionalität der Religion muß jetzt gleichsam i n der Anti-Religion gesucht werden, denn gerade dadurch, „daß auf russischem Boden m i t der Antireligion der Technizität Ernst ge13 Die methodologisch notwendige Konsequenz der Formalisierung der einheitlich-dualistischen S t r u k t u r des Politischen i n der historischen Figur „Staat", nämlich die Suche nach einer neuen politisch-theologischen „Hegung" des Politischen ist n u r v o n A . Doremus, Théologie, politique et science, S. 56, erkannt worden: „Mais dans ces conditions, comment avoir encore une raison de prendre p a r t i dans le conflit politique concret? et pour quoi requérir en même temps qu'on s'y engage chaque fois comme en l ' u l t i m e conflit? Et ne d i r a i t - o n pas aussi justement à l'inverse que c'est précisément l'aspect faux ou illusoire du conflit politique concret q u i nous fait mesurer toute la distance entre ce q u i relève de la théologie et ce qui relève du politique dans la décision?" 14 C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 91 (Das Zeitalter der Neutralisierungen u n d Entpolitisierungen, i n : ebd., S. 79 - 95). 15 Ebd., S. 80. 16 Ebd. Vgl. hierzu E. Niekisch, Das Reich der niederen Dämonen, H a m b u r g 1953, S. 199: „ H i e r (sc. i m Begriff des Politischen) traf er (sc. Carl Schmitt) sich v o n seinem bürgerlich-katholischen Ausgangspunkt aus m i t K a r l M a r x i n der gleichen Einsicht. Einen Augenblick schwankte er, zu w e l cher Front er sich praktisch schlagen sollte. Er las M a r x u n d auch L e n i n u n d verbat sich das verbohrte deutschnationale Geschwätz gegen den Marxismus; man sollte es sich überlegen, sagte er damals gelegentlich, ob m a n nicht selbst M a r x i s t werden müsse". Vgl. ferner H. Kelsen, Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, B e r l i n 1931, S. 33 f.; H. Kuhn, Der Begriff des Politischen, S. 191; Chr. v. Krockow, Die Entscheidung, S. 42 ff.; H. Hofmann, Legitimität, S. 124; A . Kolnai, Der I n h a l t der P o l i t i k , ZgStW 94 (1933), S. 1 - 38; A . Doremus, Théologie, politique et science, S. 59.
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macht wurde", entstehe hier ein Staat, „der mehr und intensiver staatlich ist als jemals ein Staat der absolutesten Fürsten" 1 7 . Das zweite Moment i n der Struktur des Politischen betrifft die über das so herauspräparierte „homogene Medium" dezidierende Entscheidungsinstanz. Vermochte die Dezision total über den politisch-theologischen Fronten zu stehen und über sie definitiv entscheiden, gerade weil sie sie transzendierte, bereits vorgefallen war und Kontinuität aus sich heraus schaffen konnte, so bildet jetzt aus der „magische[n] Religiosität" einer Wunder- und Jenseitsreligion die „ebenso magische Technizität" einer Religion der „technischen Wunder, menschlichen Leistungen und Naturbeherrschung" das neue Theologische Substrat 18 . Doch das Paradoxe dieser neuen Religion besteht eben gerade darin, daß sie sich mit den Paroxismen der absoluten Feindschaft identifiziert und insofern zur radikalen Politisierung zwingt. Die Technik vermag sogar den geschichtseschatologischen Fundus zu sprengen, gerade weil w i r m i t ihr „zum geistigen Nichts" angelangt seien. U m dies zu demonstrieren, bedient sich Schmitt wiederum jener zwei Grundthesen Politischer Theologie: Säkularisierungsprozeß und strukturelle bzw. begriffliche Analogie. Ist einmal die Ebene des Politischen erreicht, artikuliert sich jetzt der Säkularisierungsprozeß als Entpolitisierungsprozeß. Der Vorgang der Verweltlichungen ist nun der, fortwährenden Neutralisierungen. Die Anwendung der Soziologie juristischer Begriffe entfaltet i m Horizont der Antireligion der Technizität ihre volle Wirksamkeit. Die ganze Entwicklung stellt sich wie ein geschichtsphilosophisches Fresko dar, anhand dessen die Stufenfolge der Neutralisierungen durch wechselnde „Zentralgebiete der geistigen Sphäre" schematisiert werden kann. Die Stufen der Neutralisierung reichen vom Theologischen über das Metaphysische und das Moralische zum Ökonomischen hin 1 9 . Jede der hier entsprechenden Epochen europäischer Geschichte konstituiert eine bestimmte begriffliche Grundstruktur. Diese sei aus der jeweiligen Valenz der Termini zu entnehmen. So seien „Gott, Freiheit, Fortschritt, die anthropologischen Vorstellungen von der menschlichen Natur, was Öffentlichkeit ist, rational und Rationalisierung, schließlich sowohl der Begriff der Natur wie der Begriff der K u l t u r selbst" durch die jeweilige Grundstruktur bestimmt. Alles erhalte seinen konkreten geschichtlichen Inhalt von der Lage des Zentralgebietes her und sei nur von dort aus zu begreifen 20 . Aus der strukturellen Analogie bezieht die Dialektik des Politischen ihre historische Plurivalenz. Die maßgebenden Streitthemen der inneren Freund17 18 19 20
C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 80. Ebd., S. 84. Ebd., S. 88. Ebd., S. 86.
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Feindgruppierungen, d.h. der „konventionellen" Freund- und Feindschaften, bestimmen sich nach dem maßgebenden geistigen Sachgebiet. A n einem Beispiel führt Schmitt dies aus: der Satz „cujus regio ejus religio" verlor seinen politischen Sinn, als das Religiös-Theologische aufhörte, Zentralgebiet zu sein 21 . So w i r d das Substrat der absoluten Feindschaft durch die Stufenfolge der Entpolitisierung formiert: Die Dialektik des Neutralisierungsprozesses schaffe durch die Verlagerung des Zentralgebietes stets ein neues Kampfgebiet 2 2 . Das Ur-geschichtliche Muster der Struktur des Politischen, die „Neutralisierung" von Monarch und Staat i n der liberalen Lehre vom „pouvoir neutre" und von dem „stato neutrale" — das erste Kapitel politischer Theologie, i n welchem der Prozeß der Neutralisierung seine klassischen Formeln findet 2 3 — w i r d nun von Schmitt auf die historische Entwicklung transponiert und dadurch axiomatisiert. A x i o m w i r d insofern vor allem der Kern der Struktur des Politischen, die Freund/Feind-Unterscheidung; sie erhält geradezu universelle Dimension: „alle Begriffe der geistigen Sphäre, einschließlich des Begriffes Geist, sind i n sich pluralistisch und nur aus der konkreten politischen Existenz heraus zu verstehen" 2 4 . Die einmal aus der rekonstruierten Situation der konterrevolutionären geschichtstheologischen Konfrontation kondensierte Freund-Feind-Formel erhält jetzt nach ihrem empirischen Beweis am „Staat" 2 5 transhistorische Plurivalenz. Die dialektische Struktur des Politischen w i r d nun offen existentiell. Alle wesentlichen Vorstellungen der geistigen Sphäre des Menschen seien existentiell und nicht normativ 2 6 . Das hegelsche Umschlagen der Quantität i n die Qualität vermag das Präparat des Konflikts als solchen ins Existentielle überzuführen. Was über alle historischen Situationen verbleibt, ist die Tatsache, daß Feindschaft zwischen den Menschen bestehe 27 und sie nur unter dem Schutz eines Höheren gehegt, „humanisiert" werden könne. Metahistorisch verbürgt, verharrt die Unterscheidung zwischen absolutem und konventionellem Feind — jeweils aus der totalen oder aber aus der „gehegten" Dialek21
Ebd., S. 87. Ebd., S. 89. 23 U n d zwar gerade w e i l der Neutralisierungsprozeß auch das Politische ergreift, vgl. ebd. 24 Ebd., S. 84. 25 Vgl. hierzu B. Willms, Die politischen Ideen, S. 122: „ I n unhistorischer Verabsolutierung u n d i n Aufnahme jener konservativ-agonalen Traditionen wurde der Staat zu einer welthistorischen Figur, gegen den eine liberale Verschwörung anrannte". 26 C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 84. 27 Ebd., S. 15. Der existentielle Charakter des Politischen k o m m t besonders deutlich zum Ausdruck i n dem nach dem K r i e g herausgegebenen Selbstbekenntnis C. Schmitts, „ E x captivitate Salus", vgl. S. 89. Vgl. hierzu ferner K . - M . Kodalle, P o l i t i k als Macht u n d Mythos, S. 25 ff. 22
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t i k von Freund und Feind hervorgegangen — als Struktur des Politischen. So lag auch die Herausforderung des Technischen für Schmitt darin, daß sie dem Neutralisierungsprozeß zufolge als endgültig neutraler Boden auftrat, geradezu als das Anti-Politische schlechthin. Hier schien eine politisch-theologische Superlegalität von vornherein ausgeschlossen. Doch dieser Schein sei i n Wirklichkeit Trug, denn die Technik sei immer nur Instrument und Waffe, und eben weil sie jedem dient, sei sie nicht neutral 2 8 . Ist aber die mögliche neue Inkarnation des Politischen fähig zur Erfüllung der ihr zugesprochenen Aufgabe? Aus der Immanenz des Technischen heraus ergebe sich keine Entscheidung, am wenigsten aber die zur Neutralität 2 9 , letztlich also weder eine politische Fragestellung noch eine politische A n t w o r t 3 0 , gerade w e i l sie als das geistige Nichts die für Schmitt zentrale hegelsche Maxime „Aller Geist ist gegenwärtiger Geist" 3 1 doch nunmehr zu annihilieren scheint. Vermag also die Technik als neue Große Mythogene keine neue Legitimität zu begründen? Erlischt tatsächlich durch die Technik das zur politischen-theologischen Superlegalität notwendige M i n i m u m an „metaphysischer" Substanz? Schmitt rekurriert auf das Legitimitätssubstrat der Politischen Theologie I: die massendemokratische Kraft zum Mythos und die konterrevolutionäre geschichtstheologische These. Der Geist der Technizität sei doch letztlich fähig zum „Massenglauben eines antireligiösen Diesseitsaktivismus", d. h. zum Mythos. Dann müsse er aber als antireligiöser Glaube auch Geist, m i t anderen Worten, auch einsetzbar zur geschichtstheologischen Begründung sein, was nicht ausschließt, sondern geradezu bestätigt, daß die Relativierung der Feindschaft, die human-eingrenzende Wirkung des Politischen letztlich nur aus dem personellen Charakter der Dezision herleitbar ist. So sei der Geist der Technik „die Überzeugung einer aktivistischen Metyphysik", „der Glaube" an eine grenzenlose Macht und Herrschaft des Menschen über die Natur und sogar über die menschliche Physis, an das grenzenlose Zurückweichen der Naturschranke, an grenzenlose Veränderungsund Glücksmöglichkeiten des natürlichen diesseitigen Daseins des Menschen 32 . Das Anti-Theologische steigert die mythische und politischtheologische Feindbegründung. Das könne man phantastisch und „satanisch" nennen, aber nicht einfach tot, geistlos oder mechanisierte Seelenlosigkeit 33 . Darin, daß hinter der Technik eigentlich nur der Mensch, die konkrete Person stehen könne, offenbart sie ihr Doppelantlitz. Als mythogenetische Kraft besitzt sie einerseits das ganze In28 29 32
C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 90. 80 Ebd. Ebd., S. 92. Ebd., S. 93.
7 Beneyto
33
Ebd.
31
Ebd., S. 79.
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II. 2. Kap.: Politisierung und Entpolitisierung
strumentarium zur Massensuggestion und leistet insofern i n radikalstem Maße die Begründung des absoluten Feindes; andererseits ist sie jedoch unfähig zur Dezision, sie vermag nicht die letzte Machtinstanz zu sein, ausschließlich i n einer personellen Struktur inkarnierbar. Das heißt, der „Geist der Technizität" leistet den absoluten, aber nicht den relativen Feind. Aus der Technik kann noch keine Hegung und Relativierung der absoluten Feindschaft erwachsen. Erst dadurch erreicht bei Carl Schmitt das Politische das Stadium der Totalpolitisierung. Der Prozeß der Enttheologisierung und Entpolitisierung, zugleich der ökonomisch-technischen Entwicklung, spielt eine zweifache Rolle. Denn auf der einen Seite ruft er die Maximalpolitisierung hervor; auf der anderen aber ist erst dadurch das Politische i n der Lage, den klassischen Begriff des Politischen zu überspielen. So w i r d die Enttheologisierung/ Entpolitisierung, der Prozeß gegen den es zu kämpfen gilt, der positive Vermittler der Überhöhung des Politischen, d.h. der höchsten A n näherung der Entscheidung an die göttliche Dezision. Erst dadurch w i r d die Austauschbarkeit der absoluten Instanzen vollzogen. Nicht mehr bestimmt sich das Politische anhand des Theologischen, sondern der Kampf gegen das Anti-Theologische vermag den Kampf als solchen (d. i. das K r i t e r i u m des Politischen) ins Theologische überzuführen. Das Politische bestimmt nun das Theologische 34 . Die Folge der Maximalpolitisierung, der „Vergöttlichung" der Dialektik des Politischen w i r d i n einem kurzen Satz der Politischen Theologie I I (1970) indiziert: „Von der Politischen Theologie zur Politischen Christologie" 3 5 . Demzufolge erscheint das ganze 20. Jahrhundert nur als ein Provisorium, ein Z w i schenzustand, dessen endgültiger Sinn sich erst ergebe, „wenn sich zeigt, welche A r t von Politik stark genug ist, sich der neuen Technik zu bemächtigen und welches die eigentlichen Freund- und Feindgruppierungen sind, die auf dem neuen Boden erwachsen" 36 . I m Sinne einer 34 Vgl. hierzu A . Dor emus, Théologie, politique et science, S. 55 f.: „L'opposition des deux types de rationalité correspond au couple de deux dynamiques: celle de la civilisation, considérée dans son avatar techno-économique, et donc dans son processus de dé-théologisation; et celle d'ime volonté de réponse au défi representé par cet avatar, et donc d'une recherche en direction d'une nouvelle théologie politique . . . Mais le processus de dethéologisation, q u i se confond en u n sens avec l'avatar techno-économique et avec le processus de dépolitisation, joue en même temps le rôle inverse de provoquer a tergo ime politisation maximale et de contraindre le p o l i tique à passer par-dessus son concept traditionnel (C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 1927 et 1932). A i n s i la déthéologisation, contre laquelle i l s'agit de lutter, devient l a médiation positive permettont somme toute au politique d'être davantage conforme à soi-même, c'est-à-dire plus conforme à la décision divine qui, à jamais, en est le modèle, et qui, à jamais, est impossible à l'homme". 35 C. Schmitt, Politische Theologie I I , B e r l i n 1970, S. 11. 36 Ders., Der Begriff des Politischen, S. 94.
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„ n e g a t i v e n " N e u t r a l i t ä t 3 7 schlägt d e m n a c h d i e T e c h n i k , w i e der L e v i a t h a n Hobbes' a n seiner f u n g i b l e n T e c h n i z i t ä t 3 8 fehl. I m Sinne j e d o c h e i n e r „ p o s i t i v e n " N e u t r a l i t ä t , die aus sich h e r a u s d e n B o d e n f ü r die neuen absoluten Freund/Feind-Grundunterscheidungen bereitstellt u n d ihre mythische Glaubenssuggestion u n d Massenstimulation entfaltet, r a g t sie als politisch-theologische N e g a t i o n e m p o r . S c h m i t t d e u t e t i h r e n d i a l e k t i s c h e n G e g e n p a r t an: die R ü c k k e h r z u r u n v e r s e h r t e n , n i c h t k o r r u p t e n N a t u r , „ z u d e m einfachen P r i n z i p d e r eigenen A r t " 3 9 , z u m N o mos d e r E r d e , z u m U r g r u n d alles Seins u n d b o d e n h a f t e n U r g r u n d 4 0 . D i e h i e r b e i w e i t e r h i n f u n d i e r e n d e K a t e g o r i e ist d i e d e r R e p r ä s e n t a t i o n : die creatio aus d e m M y t h o s . D i e R ü c k k e h r z u r N a t u r wachse „ s c h w e i gend u n d i m D u n k e l " , denn „der A u g e n b l i c k glanzvoller Repräsentat i o n ist auch schon d e r A u g e n b l i c k , i n w e l c h e m j e n e r Z u s a m m e n h a n g m i t d e m g e h e i m e n u n s c h e i n b a r e n A n f a n g g e f ä h r d e t i s t " 4 1 . So schließt e i n T e i l des Z y k l u s v o n S c h ö p f u n g u n d Z e r s t ö r u n g des P o l i t i s c h e n i n der p o l i t i s c h e n T h e o l o g i e / M y t h o l o g i e C a r l S c h m i t t s ab. D i e T e c h n i k 37 Z u r „negativen" u n d „positiven" Neutralität bei Schmitt vgl. „Corollarium 1: Ubersicht über die verschiedenen Bedeutungen u n d Funktionen des Begriffs der innerpolitischen Neutralität des Staates (1931)", m i t zwei A b schnitten: „ I . Negative, das heißt v o n der politischen Entscheidung wegführende Bedeutungen des Wortes .Neutralität'"; „ I I . Positive, das heißt zu einer Entscheidung hinführende Bedeutungen des Wortes »Neutralität"', i n : C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 97 - 101. , 3 8 C. Schmitt, Der Leviathan i n der Staatslehre des Thomas Hobbes" Hamburg 1938, ist der Versuch Schmitts, die politisch-theologische Rolle der Technik i m Hinblick auf die Staatslehre zu deuten. Der „sterbliche Gott" ist zugleich eine große Maschine, die sich i n einem „technisch-neutralen", „ u n widerstehlich funktionierenden Befehlsmechanismus" vollendet, u n d eine souverän-repräsentative Person, die „an der Trennung v o n I n n e n u n d Außen" stirbt. I m p l i z i t w i r d das Technische dem gesellschaftlichen Bereich zugeschrieben: „Die gesetzesstaatliche Macht zerbricht am Pluralismus der i n d i r e k t e n Gewalten" (vgl. S. 7). V o m untrennbaren Zusammenhang z w i schen seiner Politischen Theologie u n d seinem Staatsdenken, auch i m H i n blick auf die Diskussion u m die Unterscheidung zwischen Staat u n d Gesellschaft, vgl. S. 124 f.: „Ich glaube nicht, daß der Leviathan zum Symbol eines neuen, rein u n d offen nichts als technischen Zeitalters werden könnte, v i e l leicht i m Sinne der Totalität, die Ernst Jünger der Technik u n d der durch sie b e w i r k t e n planetarischen Veränderung zuschreibt. Die Einheit v o n Gott, Mensch, Tier u n d Maschine, die der Leviathan des Hobbes darstellt, wäre allerdings w o h l die totalste aller menschlich faßbaren Totalitäten. A b e r für eine v o n der Maschine u n d der Technik hergestellte Totalität würde ein dem alten Testament entnommenes, ungefährlich gewordenes T i e r b i l d k e i n einleuchtendes Symbol oder Zeichen abgeben". Schmitt würde diesen Zusammenhang wahrscheinlich auch für das persönliche Schicksal behaupten. Vgl. hierzu ebd., S. 125 i n bezug auf die dem Leviathan entsprechende „ T r a g i k i m Leben u n d W i r k e n " Hobbes', sowie die Selbstäußerungen Schmitts als „christlicher Epimetheus" u n d „letzter Vertreter des Jus Publicum Europaeum". 39
Vgl. C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 93. Ders., Der Nomos der Erde i m Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, S. 13 ff. 41 Ders., Der Begriff des Politischen, S. 94. 40
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I I . 2. Kap.: Politisierung u n d Entpolitisierung
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schafft v i e l l e i c h t n e u e F r e u n d / F e i n d - w e l t g e s c h i c h t l i c h e G r u p p i e r u n g e n , w i e die des Gegensatzes v o n L a n d u n d M e e r 4 2 , Ost u n d W e s t 4 3 ; doch d i e das Politische k o n s t i t u i e r e n d e r e i n e D e z i s i o n des Souveräns
entfällt.
D i e d u r c h die l e t z t e S t u f e d e r E n t p o l i t i s i e r u n g e n b e w i r k t e T o t a l p o l i t i s i e r u n g — die D u r c h b r e c h u n g j e d e r
„humanen"
H e g u n g des u n a u s -
w e i c h l i c h e n K o n f l i k t s — b e w i r k t schließlich das E n d e des P r i m a t s d e r P o l i t i k 4 4 . D e r „ N o m o s d e r E r d e i m V ö l k e r r e c h t des Jus P u b l i c u m E u r o p a e u m " e n t s p r i c h t f o l g e r i c h t i g d e r Suche n a c h e i n e r n e u e n — als d i a l e k tischer Gegensatz z u r T o t a l p o l i t i s i e r u n g / E n t p o l i t i s i e r u n g d e r T e c h n i z i tät
gedachten — ,
bleibt
also die
„lebensnatürlichen"
Befürchtung,
nur
Begründung
neue
des R e c h t s 4 5 .
Freundschaftslinien
Es
würden
42 Schmitt bezieht sich i n den Nachkriegs-Schriften oft auf den Gegensatz v o n L a n d u n d Meer als eine „weltgeschichtliche" Konstante, i n der die D i a l e k t i k v o n Erde u n d Technik (Das Meer als nicht-juristisch, vielmehr förderndes Element des technischen Neu-Zeitalters: England als Muster) ausgetragen w i r d . Vgl. hierzu ders., L a n d u n d Meer — Eine weltgeschichtliche Betrachtung, Leipzig 1942; auch ders., Der Nomos der Erde. 43 Ders., Die geschichtliche S t r u k t u r des heutigen Weltgegensatzes v o n Ost u n d West, i n : Freundschaftliche Begegnungen. Festschrift für Ernst Jünger zum 60. Geburtstag, F r a n k f u r t 1955, S. 135 - 167. Doch dieser horizontale K o n f l i k t verbleibt innerhalb des n u n weltumfassenden Technischen, identifiziert sich insofern m i t dem ökonomisch-technischen, enttheologisierenden u n d entpolitisierenden Prozeß u n d steigert das Bedürfnis nach einer dezidierenden A u t o r i t ä t , die den entfesselten absoluten K o n f l i k t humanisieren soll. Die i n der Einheit der Entscheidung sich aufhebende D i a l e k t i k des Politischen w i r d besonders i n ders., Die Einheit der Welt, M e r k u r 6 (1952), S. 1 - 1 1 , deutlich. Auch hier wiederum präpariert den unausweichlichen Dualismus das M e d i u m für die erlösende politisch-theologische Entscheidung heraus (vgl. S. 6 ff.). Vgl. hierzu A . Doremus, Théologie, politique et science, S. 56: „ E n soulignant l'absurdité d u conflit horizontal (in: Die Einheit der Welt, Januar 1952), Carl Schmitt fait le même t r a v a i l qu'en cherchant à surmonter la dualité des pouvoirs spirituel et temporel dans une forme d'imité: i l a besoin de l'unité dans l a conception de la décision pour décider valablement, et n o n plus contradictoirement, de la dualité conflictuelle entre idéologies comme entre politiques: celles-ci ne peuvent pas être l'expression directe du conflit entre réalité spirituelle et réalité matérielle, ,1a contradict i o n du matérialisme et de l'idealisme dévient inessentielle dès que toute matière se transforme an radiation et toute radiation en matière 4 (C. Schmitt, Die Einheit der Welt, S. 7)." 44
Vgl. hierzu H. Blumenberg, Säkularisierung u n d Selbstbehauptung, S. 105 ff. 45 Vgl. Ç. Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 13: „Die Erde w i r d i n m y t h i scher Sprache die M u t t e r des Rechts genannt . . . Erstens b i r g t die fruchtbare Erde i n sich selbst, i m Schöße i h r e r Fruchtbarkeit, ein inneres Maß . . . Z w e i tens zeigt der v o m Menschen gerodete u n d bearbeitete Boden feste Linien, i n denen bestimmte Einteilungen sinnfällig werden . . . Drittens endlich trägt die Erde auf i h r e m sicheren Grunde Umzäunungen u n d Einhegungen, Grenzsteine, Mauern, Häuser u n d andere Bauwerke. Hier werden die Ordnungen u n d Ortungen menschlichen Zusammenlebens offenkundig . . . So ist die Erde i n dreifacher Weise m i t dem Recht verbunden. Sie b i r g t es i n sich, als L o h n der A r b e i t ; sie zeigt es an sich, als feste Grenze; u n d sie trägt es auf sich, als öffentliches M a l der Ordnung. Das Recht ist erdhaft u n d auf die Erde bezogen. Das meint der Dichter, w e n n er v o n der allgerechten Erde spricht u n d sagt: ,justissima tellus'".
§21 Prometheus gegen den Leviathan
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heute gezogen, „jenseits deren dann die Atom- und Wasserstoffbomben fallen", aber auch die Hoffnung: „Trotzdem hegen w i r noch die Hoffnung, daß es gelingt, das Sinnreich der Erde zu finden, und daß es die Friedfertigen sein werden, die das Erdreich besitzen" 46 . Es bleibt nur noch die „göttlich" dezidierende Person abzuwarten; und i n diesen hoffnungsvollen Raum t r i t t die Politische Theologie I I herein. § 21 Prometheus gegen den Leviathan: Gehalt und Bedeutung der Politischen Theologie Π „Eripuit caelum deo, nova spatia struit". Dieser Vers vom 7. A b schnitt i m Nachwort der „Politischen Theologie I I " (1970) resümiert i n einem Satz den mythogenetischen Gehalt der Politischen Theologie II. Die Struktur des Politischen w i r d nun i n die göttliche Trinität selbst hineinprojiziert und dadurch die Eingrenzung und Hegung des absoluten Konflikts i m letztmöglichen Kern politischer Theologie begründet. Die zur Schaffung von raumhafter Ordnung (Recht als Ordnung und Ortung 4 7 ) notwendige höchste Dezision soll nurmehr nicht von einer, m i t den absoluten Attributen der Göttlichkeit metaphorisch dotierten Person gefällt werden, sondern vom souveränen Gott selber. Nur auf diese Weise vermag nach Schmitt letztlich das Politische den apolitischen Zustand der Totalpolitisierung/Entpolitisierung zu transzendieren. Situiert die ganze Erde vor der Bedrohung einer Steigerung des absoluten Konflikts, muß diese gleichsam durch eine überirdische Machtinstanz, die ihrerseits eine neue Fundamental-Freund/Feind-Unterscheidung zu statuieren vermag, gehegt werden. So verwandelt sich die Politische Theologie Carl Schmitts i n eine „Politische Christologie": die Einheit-Zweiheit-Struktur des Politischen moduliert die intratrinitarische „Stasiologie", d . i . die Feindschaft zwischen Schöpfer- und Erlösergott, zwischen Gott dem Vater und dem Mensch gewordenen Gottes Sohn. Wenn jede Einheit eine Zweiheit und infolgedessen eine Aufruhrmöglichkeit, eine „stasis" immanent sei, dann scheine die 46
Ebd., V o r w o r t . Vgl. hierzu jetzt C. Schmitt, Die legale Weltrevolution, S. 328: „Denn der industrielle Fortschritt b r i n g t seinen eigenen Raumbegriff m i t sich. Die vorhergehende A g r a r k u l t u r hatte ihre Kategorien v o m Boden hergeleitet; ihre Eroberungen w a r e n Landnahmen, w e i l das Land i h r eigentliches Ziel war. I m 17. u n d 18. Jahrhundert ist England, das Ursprungsland der modernen Industrialisierung, zu einer m a r i t i m e n Existenz übergegangen u n d hat das »freie 1 Meer (frei, w e i l frei v o n den Begrenzungen des Bodens) beherrscht; es vollbrachte damit eine Seenahme. Dieser Etappe folgt heute die der I n dustrienahme. Einzig u n d allein der Besitz eines großen Industrieraumes erlaubt heutzutage die Weltraumnahme". Nirgends w i r d so deutlich die Über- u n d U n t e r b a u - S t r u k t u r des Denkens Schmitts, die Abhängigmachung des Rechts v o n den Produktivkräften. Vgl. ferner ders., Der Nomos der Erde u n d ders., Nehmen / Teilen / Weiden, in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, B e r l i n 19742, S. 488 - 504. 47
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I I . 2. Kap.: Politisierung u n d Entpolitisierung
Theologie „Stasiologie" zu w e r d e n 4 8 . A l s effektives M y t h o l o g e m w i r k t h i e r b e i e i n literarisches Z i t a t , das b e r ü h m t e lateinische M o t t o v o r d e m 4. B u c h v o n Goethes „ D i c h t u n g u n d W a h r h e i t " : „ n e m o c o n t r a d e u m n i s i deus ipse". S c h m i t t ü b e r n i m m t diesen Satz u n d m a c h t sich die These H u g o B a l l s z u eigen, w o n a c h die R e l i g i o n f ü r Goethe e i n „menschliches" A n l i e g e n darstelle, n i c h t e i n A n l i e g e n Gottes, u n d das „ D ä m o n i s c h e " i h m n i c h t als v e r n e i n e n d e , s o n d e r n als d u r c h k r e u z e n d e M a c h t gelte. N a c h S c h m i t t w ä r e also das Dämonische n i c h t m i t d e m T e u f e l gleichgesetzt, v i e l m e h r h ä t t e das W o r t i n a n t i k e r B e d e u t u n g e i n e n d e n H e r o i s m u s u n d die S e l b s t v e r g ö t t e r u n g n i c h t ausschließenden S i n n 4 9 . Dieses ist gerade das I n s t r u m e n t a r i u m , dessen S c h m i t t b e d a r f , u m die neue t r a n s z e n d e n t e L e g i t i m i t ä t des P o l i t i s c h e n m i t d e m dieser z u g e h ö r i g e m geschichtlich-gesellschaftlichen S u b s t r a t z u s a n k t i o n i e r e n . D e r a l l m ä c h tige, a l l w i s s e n d e u n d a l l g ü t i g e Schöpfergott k ö n n e k e i n g u t e r F r e u n d v o n einem Erlösergott, dem Befreier u n d B e w i r k e r einer veränderten, n e u e n W e l t sein. „ S i e s i n d sozusagen , ν ο η selbst 4 F e i n d e " 5 0 . D i e R e f o r m a t i o n d e r c h r i s t l i c h e n K i r c h e sei aus e i n e m christologisch-politischen K o n f l i k t ü b e r das „ j u s r e f o r m a n d i " z u e i n e r p o l i t i s c h - t h e o l o g i s c h e n R e v o l u t i o n g e w o r d e n 5 1 . P l ö t z l i c h scheint d i e Politische T h e o l o g i e d u r c h 48
Ders., Politische Theologie I I , S. 123. Die immanente Relation zwischen der neuen Politischen Theologie Schmitts u n d seiner Staatslehre w i r d jetzt durch den Aufsatz „die legale Weltrevolution" erhellt. Durch die neue Politische Theologie erhält die klassische Figur „Staat" eine ungeahnte weitaus wirksamere Dimension als Inkarnierung der Freund/Feind-Dialektik, denn „Legalität erweist sich als ein unentrinnbarer Modus revolutionärer V e r änderung" (S. 329): „ungeachtet des w e l t w e i t e n Ausgriffs moderner F o r t schritts-Ideologien führen alle Wege des Versuchs einer legalen Weltrevolut i o n heute zum Staat" (ebd.). So verbleibt der Staat als formalisierte S t r u k t u r der F r e u n d / F e i n d - D i a l e k t i k w e i t e r h i n als Träger der juristischen Superlegalität u n d i h r e m „politischen M e h r w e r t " . Die feindliche Auseinandersetzung findet n u r noch innerhalb des sozialen, industriellen u n d politischen Fortschritts statt. Es handelt sich u m miteinander konkurrierende „feindliche Auffassungen" v o n technischem Fortschritt (S. 330), denn die Technik diene nicht n u r der Zentralisierung, „sondern auch dem Widerstand gegen sie" (S. 338). 49
C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 122, Fn. 5. Ebd., S. 121. 61 Schmitt beruft sich hierbei auf den Satz Hegels über Reformation u n d Revolution (Encyclopädie § 552), welcher „ v o n der Politischen Theologie her seine problemgerechte Fragestellung" erhalte (ders., Politische Theologie I I , 5. 121). Hegel weist an dieser Stelle darauf hin, daß es „ f ü r eine Torheit neuerer Zeit zu achten" sei, eine Revolution ohne Reformation gemacht zu haben u n d zu meinen, m i t der alten Religion u n d ihren Heiligkeiten könne eine entgegengesetzte Staatsverfassung Ruhe u n d Harmonie i n sich haben. Günther Rohrmoser k n ü p f t an diesen Ausspruch Hegels i n seinem Beitrag zur Festschrift Epirrhosis an u n d fügt hinzu: „Hegel hat das Christentum, d . h . das Erscheinen Gottes i n der Geschichte, u n d die Reformation als die Aneignung dieses Ereignisses durch die glaubende Subjektivität als zwei für die Weltgeschichte der Freiheit fundamentale revolutionäre Ereignisse begriffen (G. Rohrmoser, A n m e r k u n g e n zu einer Theologie der Revolution, i n : Epirrhosis — Festgabe für Carl Schmitt, H. Barion u. a. (Hrsg.), Bd. 2, S. 628. 60
§ 21 Prometheus gegen den Leviathan
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ein definitives Licht aufgehellt zu werden. A u f einer Seite der Freund und Schöpfergott, der Entscheidungsmonopol der Kirche, das Primat des Theologischen und der Katholischen Kirche, die Unterordnung der weltlichen unter die religiöse Macht, das „silete juristi i n munere alieno!"; auf der anderen Seite der dialektische Gegensatz: der Feind und Erlösergott, das Entscheidungsmonopol des Staates, der Primat des Politischen und der Reformation-Revolution, die Unterordnung der religiösen unter die weltliche Macht als Epochenschwelle zur Totalhominisierung, das „silete theologi i n munere alieno!". Zur „Epochenschwelle" zwischen Reformation und Revolution gehöre der „Staat" als klare Alternative zum römisch-kirchlichen Entscheidungsmonopol. Denn dadurch, daß Hobbes den „Staat" begrifflich-systematisch erreiche, habe er die Reformation vollendet 5 2 . Es handelt sich also u m die Schwelle zum politisch-christologischen Zeitalter und insofern sei der „Leviathan" die Frucht eines „ i n spezifischer Weise theologisch-politischen Zeitalters", das Zeitalter des sich herauskristallisierenden Substrats eines christologisch-politischen Konflikts (die Frage nach "who is the Christ?" als politisch-theologische Legitimität) über den reformatorischen Legitimitätsfundus zu einer strikt politisch-theologischen Revolution. Die Entwicklung dieses neuen Zeitalters zeichne sich i m ProzeßProgress der Absolutsetzung seiner wissenschaftlich-technisch-industriellen Wert-Freiheit ab. „Das irreversible Syndrom von Wert-Verwertungs- und Bewertungsfreiheit ist die fortschrittliche, wissenschaftlich-technisch-industrielle, freie Gesellschaft" 53 . Schmitt ü b e r n i m m t beide Zitate f ü r „politisch-christologische" Zwecke u n d resümiert sie m i t einem weiteren Z i t a t Hegels: „ M a n k a n n sagen, nirgends sei so revolutionär gesprochen worden als i n den Evangelien" (C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 92, Fn. 10). Vgl. hierzu: T. Rendtorff / K. G. Steck (Hrsg.), Protestantismus u n d Revolution, München 1969. M Ebd., S. 92. Vgl. hierzu C. Schmitt, Die vollendete Reformation — Bemerkungen u n d Hinweise zu neuen Leviathan-Interpretationen, Der Staat 4 (1965), S. 51 - 69. Die staatsrechtlichen Konsequenzen der neuen Politischen Theologie hat Schmitt m i t ausdrücklichen Hinweisen auf die demokratische Lehre Siéyès' v o n pouvoir constituant als „Voraussetzung u n d Legitimierung aller pouvoirs constitués" u n d das dem „klassischen" kontinental-europäischen Staat zugehörende „Verhältnis v o n Staat u n d Gesellschaft", in: ders., Die legale Weltrevolution, S. 337, betont. Vgl. hierzu: „Siéyès hat Spinozas theologisch-politische Relation Natura-naturans i n i h r e m Verhältnis zur Natura-naturata i n die juristisch-legalistische Relation des pouvoir constituant zu den v o n i h m geschaffenen pouvoirs constitués transponiert u n d dadurch die begriffliche S t r u k t u r geschriebener Verfassungen bestimmt. A u f diese Weise hat er ein Beispiel politischer Theologie geschaffen, das erst durch M a x Webers Lehre v o n der charismatischen L e g i t i m i t ä t an W i r k u n g übertroffen worden ist" (ebd.). 53 Ebd., S. 125. Z u m Problem der „ D i k t a t u r der Werte" vgl. C. Schmitt, Die Tyrannei der Werte, i n : Säkularisation u n d Utopie. Ebracher Studien, E. Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1967, S. 37 - 62, w o Schmitt nicht einen Ansatz zur Distanzierung v o m Mythos liefert (wie K.-M. Kodalle, P o l i t i k als Macht u n d Mythos, S. 101 -107, interpretiert), sondern umgekehrt
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II. 2. Kap.: Politisierung und Entpolitisierung
Vermag nun aber die insoweit „humane" Eingrenzung des absoluten Konflikts auch die relative Hegung zu gewährleisten, d.h. konkrete Freund/Feind-Gruppierungen zu formieren? Ergibt sich aus der Politischen Christologie das notwendige homogene Medium des Feindes? Für einen Moment scheint hier wiederum die Möglichkeit eines „ w i r k lichen Feindes" ausgeschlossen, denn eine scientistisch-exakt-wissenschaftliche Erkenntnis erlaube keine Theologie, auch keine Neue Politische Theologie „ i m Sinne von Um-Besetzungen früherer theologischer Positionen, keine demokratische (statt früher antidemokratische) und keine revolutionäre (statt früher gegenrevolutionäre) Politische Theologie" . . . „alle Enttheologisierungen, Entpolitisierungen, Entjudifizierungen, Entideologisierungen, Enthistorisierungen und weitere Serien von Ent-Entungen i n Richtung auf eine ,tabula rasa' entfallen, es ,ent'tabularisiert sich die tabula rasa selbst, die mitsamt der tabula entfällt, . . ." 5 4 . Das verwertbare Gegenbild Schmitts ist hierbei Blumenbergs These der Legitimität der Neuzeit: die aus der autonomen theoretischen Neugierde geleistete neuzeitliche Selbstbegründung und Selbstbehauptung des Menschen 55 . Das Ganze ist letztlich i m Grunde — genauso wie die Frage, woher die „intensivste Aggressivität" komme, aus Wissenschaft, Technik oder Konsum (S. 126-Ende) 5 6 — nur eine Fassade. Denn das Spezifische der Konstruktion einer Politischen Christologie liegt gerade darin — ebenso wie die Dezision des Souveräns i n der Politischen Theologie I —, daß deren politisch-theologisches Substrat nicht nur die Person, sondern ebenfalls die relative Dialektik von den Versuch u n t e r n i m m t , aus dem Mythos wieder eine dezisionsfähige — u n d d . h . eben „personelle" — Politische Theologie zu konstruieren. Dabei stellt Schmitt die These auf, die Wertphilosophie als Reaktion auf die N i h i lismuskrise des 19. Jahrhunderts, d. i. der Rekurs auf die Grundwerte zwecks Überwindung der positivistischen Wertfreiheit, verkenne die D i a l e k t i k der Werte: jede Behauptung eines Wertes, die sich ihrer bedienen muß, pervertiert sich selbst letztlich notgedrungen u n d insofern verursache deren V e r w i r k l i c h u n g „Wertzerstörung" (S. 59). Die „wertfreie Wissenschaft" stehe eigentlich i m Dienste v o n Technik u n d Industrie u n d werde für die Produkt i o n der grauenhaftesten Vernichtungsmittel „ausgewertet" (S. 54). Denn „die Idee bedarf der V e r m i t t l u n g , aber der W e r t bedarf ihrer noch w e i t mehr". Es sei n u n „Sache des Gesetzgebers" u n d der v o n i h m gegebenen Gesetze, die V e r m i t t l u n g durch berechenbare u n d vollziehbare Regeln zu bestimmen u n d den Terror des unmittelbaren u n d automatischen W e r t v o l l zugs zu verhindern (S. 62). Der Ausweg aus der D i k t a t u r der Werte geht also letzten Endes über die Person des Gesetzgebers („Wer sagt, daß sie [ = die Werte] gelten, ohne daß ein Mensch sie geltend macht, w i l l betrügen", S. 55), f ü h r t auf die Frage nach dem Souverän u n d der L e g i t i m i t ä t schließlich zurück. I n diesem Sinne handelt es sich i m K o n t e x t der schmittschen Denkkategorien u m ein s t r i k t politisch-theologisches Thema. 54
Ebd., S. 124. Vgl. H. Blumenberg, Säkularisierimg u n d Selbstbehauptung. 58 Vgl. hierzu den A r t i k e l C. Schmitts, i n : Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt v o m 28. J u n i 1970, S. 8 (23. Jahrg., Nr. 26). V o n der TV-Demokratie. — Die Aggressivität des Fortschritts. 56
ri
der Politischen Theologie Carl Schmitts
Freund- und Feindschaften aus sich selbst zu leisten vermag 5 7 . So w i l l es auch schließlich Schmitt selbst bestätigen, indem er, sogar für den Fall einer Wert-Freiheit des Begriffes „Aggressivität", die Situation — nämlich „statt pro ratione Liberias, et Novitas pro Libertate" — „klar" sieht. Die Freund/Feind-Dialektik des Politischen als Politische Mythologie bleibt das Unentrinnbare. Nun kann das Reich des Sohnes beginnen 5 8 . § 22 Uber die drei Arten der Politischen Theologie Carl Schmitts Das zweite Kapitel der Politischen Theologie steht ganz unter dem Vorzeichen „Politische Christologie". Dieser Ausformung i m Hinblick auf die Bedeutungsgehalte des Begriffs und des Inhalts politischer Theologie soll i n Anlehnung an die bereits i m Kontext der Politischen Theologie I festgestellten Signifikate i m folgenden nachgegangen werden: 1. Der Vorgang der Übertragung theologischer Begriffe staatlich-juristischen Bereich als juristische
politische
auf den
Theologie
wird
beibehalten und insbesondere unter dem Aspekt „Souveränität als politische Einheit", d.h. der Umbesetzung i n plebiszitär-demokratische Kategorien („Ein Gott — ein Volk") bestätigt 59 . Versucht w i r d außerdem, die göttliche Struktur der Einheit-Zweiheit i n ihren politischen Reflexen hervorzuheben, wie beispielsweise die römische einheitliche Dualität von auctoritas und potestas i m Prinzipat Augustus"', deren Kontinuität i n der Römischen Kirche durch die päpstliche auctoritas, gegenüber imperium und potestas des Kaisers, bis h i n zur einheitlichen plebiszitär-charismatischen Legitimität i m Dual Führertum und Akklamation 87 Vgl. hierzu A . Doremus, Théologie, politique et science, S. 57: „ A i n s i la question de l'unité du théologique et d u politique se résoudrait en retrouvant dans le théologique le critère même du politique. Pourtant nous ne pouvons à l'inverse déduire directement de l ' U n en révolte le critère d u politique, mais seulement en passant par le moyen terme qu'est la déthéologisation. Et i l appairait qu'au total l'ennemi est la déthéologisation elle-même: l'ennemi est l'homme comme ennemi de l'homme par le j e u de l a science: l'ennemi est le cercle absurde du Leviathan q u i ne se produit que pour se dévorer; c'est le cercle proposé comme contre-image à Blumenberg dans l'epilogue du Théol. pol., I I . " Leider konnte Doremus den Aufsatz v o n 1978, m i t den staatsrechtlichen Konsequenzen der F i x i e r u n g auf die Freund/Feind-Dialekt i k , nämlich die Begründung der Legitimität aus dem rein formalisierten K o n f l i k t , nicht i m voraus berücksichtigen. 58 Schmitt bestätigt, daß die Geschichtstheologie v o n Joachim v o n F i o r i eine politisch-theologische Interpretation des Dogmas v o n der T r i n i t ä t sei, u n d zwar genauso w i e der Leviathan Hobbes' die Frucht eines i n spezifischer Weise theologisch-politischen Zeitalters oder der oben (Fn. 51) zitierte Satz Hegels aus Encyclopädie § 522 ebenfalls als politisch-theologische Aussagen verstanden werden müssen (C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 92 f.; vgl. ferner ders., Donoso Cortés i n gesamteuropäischer Interpretation, S. 10 f.). 59 C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 58 ff.
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II. 2. Kap.: Politisierung und Entpolitisierung
(S. 61 - 62) darstellen. Solche Widerspiegelungen oder Analogien des neuen Grundmythos Polemos-Logos, der einheitlichen Dualität entsprechend, werden ebenfalls auf der theologischen Seite untersucht, und zwar i n der Lehre Eusebius' von Cäsarea über die betonte NichtIdentität von Vater und Sohn und die Unterordnung des Sohnes unter den Vater festgestellt (S. 71). Doch ist das Kern-Argument für die intendierte Annahme einer Dualität i n der trinitarischen Einheit des christlichen Gottes, die geschichtliche Erscheinung des Menschgewordenen Gottes-Sohn, welche die ganze geschichtlich-gesellschaftliche W i r k lichkeit bis zu seiner Wiederkunft am Ende der Zeiten zu einer M i schung von Geistlich und Weltlich, Jenseits und Diesseits, Theologie und Politik, mache. Der eschatologische Vorbehalt der Kirche erscheint insofern als das eigentliche Hauptargument für die These der Totalpolitisierung und der durch Dezision, Eigengesetzlichkeit des Vollzugs und Institutionalisierung notwendig vorzunehmenden Entpolitisierungen. Auch hier, wie i n der Politischen Theologie I, bleibt also letztlich die Frage nach dem eschatologischen Vorbehalt des Christentums die entscheidende Begründung sowohl für die mythogenetische (nun politisch-christologische), wie für die institutionelle Politische Theologie. Andererseits enthält die Auszehrung des eschatologischen intratrinitarischen Potentials eine bedeutende Folgerung für den ersten Teil der Fundamentalthese Politischer Theologie Carl Schmitts, nämlich das Säkularisierungstheorem. „Alles, was ich zu dem Thema Politische Theologie geäußert habe, sind Aussagen eines Juristen über eine rechtstheoretisch und rechtspraktisch sich aufdrängende, systematische Struktur-Verwandtschaft von theologischen und juristischen Begriffen" — so lautet jetzt die inhaltlich verkürzte Formulierung der politisch-theologischen These 60 . Die Verkürzung impliziert jedoch keine Verneinung, sondern eine Integrierung und artikuliert sich als Bedingung für die Möglichkeit einer Begründung des Politischen i n der t r i n i tarischen Stasiologie. Die Zentralkategorie hierbei ist die des Vollzugs des Logos. Die Transposition des Politischen i n der Dialektik GottVater — Gott-Sohn konditioniert und ermöglicht zugleich die Reduzierung der These auf die strukturelle Analogie, gerade weil sie als Bedingung und Möglichkeit des Vollzugs des inkarnierten Wort Gottes durch Dezisionismus und Präzisionismus fungiert. Schmitt übernimmt emphatisch die Aussage Petersons, die „begriffliche Eindeutigkeit" des Dogmas bringe auch den „eindeutig endgültigen Charakter der LogosOffenbarung zum Ausdruck". Die Grundintention politischer Theologie bei Schmitt, eine absolute juristische Legitimität zu finden, w i r d durch die eindeutige Dezision des Dogmas garantiert. Dogma und Sakrament 60
V g l . ebd., S. 101, Fn. 1.
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der Politischen Theologie Carl Schmitts
erscheinen i n diesem Licht gleichsam als Paradigma des Begriffsrealismus und insofern auch der Theorie des Politischen Carl Schmitts. Das geschichtseschatologische Schema spielt sich von der Theologie zur Rechtswissenschaft, vom Theologischen zum Politischen als dezisionistischer Vollzug des Logos ab 6 1 . Historisch w i r d die politische Mythologie folgendermaßen entwickelt: eine Zeit „theologischer Wissenschaftlichkeit" und „heiligen" Recht; Beginn des christlichen Zeitalters durch die auf den Vollzug gerichtete, „juristische Exaktheit" der dogmatischen Dezision und damit die Anerkennung eines eigenständigen und -gesetzlichen Mediums m i t dessen entsprechender Institutionalisierung und politisch-theologischem Gewaltmonopol, erstens i n der Kirche, später i m Staat; zuletzt das Zwischenstadium der Totalpolitisierung/Entpolitisierung, und nun das Neue Reich des Sohnes, das politisch-christologische Zeitalter 6 2 . Es handelt sich also u m ein geschichts-eschatologisches und -christologisches Bild, i n dem die Integrierung des Säkularisierungstheorems geradezu als Bedingung der trinitarisch-eschatologischen Kontinuität auftritt. I n der „Epochenschwelle" löse der Legist den Kanonisten ab, darin bilden sich vergleichbare und transponierbare Begriffe und „gemeinsame systematische Begriffsfelder, zwischen denen sogar enharmonische Verwechslungen zulässig und sinnvoll werden" 6 3 . Die Politische Theologie bleibt also letztlich weiterhin eine Soziologie juristischer, „verfassungsrechtlicher Begriffe. Aber einer umgekehrw
Vgl. ebd., S. 40,102. Schmitt kommentiert zustimmend die Dissertation R. Hepps, Politische Theologie u n d Theologische P o l i t i k . Studien zur Säkularisierung des Protestantismus i m W e l t k r i e g u n d i n der Weimarer Republik, Erlangen / N ü r n berg, 1967: „Die Krisis entstand daraus, daß die (aus M i t t e l a l t e r u n d Reform a t i o n überkommenen) institutionellen Sicherungen, die bisher die zwei Reiche u n d Bereiche der Augustinischen Lehre getragen hatten u n d deren Kooperation u n d gegenseitige Anerkennung die Unterscheidung v o n Civitas Dei u n d Civitas Terrena — Religion u n d Politik, Jenseits u n d Diesseits — bisher überhaupt erst k o n k r e t ermöglicht hatte, 1918 f ü r den deutschen Protestantismus entfielen, während die Katholische Kirche die ganze Weimarer Zeit (1919 - 1933) hindurch noch absolut krisenfest zu sein schien u n d an ihrer bisherigen offiziellen Lehre v o n den beiden „societates perfectae" — Kirche u n d Staat — u n b e i r r t festhielt. Sowohl die alte lutherische w i e die moderne liberale Trennung v o n Geistlich u n d Weltlich, v o n Religion u n d P o l i t i k wurde durch die Erschütterung der Entscheidimgsinstanzen — Kirche u n d Staat — aufgehoben, w e i l es sich bei der Trennung v o n Staat u n d Kirche u m die Zuständigkeiten v o n juristisch institutionalisierten Subjekten, nicht u m eine sachlich verifizierbare Unterscheidbarkeit v o n Substanzen handelte. I n W i r k l i c h k e i t gab es, w i e Robert Hepp (S. 148) sagt, keinen Staat mehr, der ,rein politisch', u n d keine Theologie mehr, die ,rein theologisch' war. Der Bereich der Gesellschaft u n d des Sozialen ergriff beides u n d löste die U n t e r scheidung auf. . . . Bei Robert Hepp heißt es (S. 161 f.): ,Ohne die Mauern des Dogmas w a r das Geistliche v o m Weltlichen nicht mehr eindeutig zu t r e n nen' . . . " (C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 18 f.). 62
63
C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 101.
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II. 2. Kap.: Politisierung und Entpolitisierung
ten. Denn nun werden sie nicht auf ihre soziologische Basis, die sich als Umbesetzung theologischer Positionen erweisen soll, zurückgeführt, sondern sie sollen jetzt aus der soziologischen Situation restloser Enttheologisierung den Sprung i n die theologische creatio wagen; so entsteht aus dem Begriff des Politischen die Politische Christologie 64 . 2. Insofern bezeichnet die Politische Christologie nichts als eine Fortsetzung des Mythologems, der mythogenetischen politischen Theologie, mit neuen Metaphern. Die neue Form kann als Phase Zeus statt Cronos 65 oder aber als Dynamik Zeus-Prometheus 66 oder Zeus-Polemos/ Logos 67 usw. i. S. der Fungibilität des Mythos auch etwa als LeviathanPrometheus beschrieben werden. Entscheidend dabei ist vielmehr, daß es sich weiterhin u m den Versuch einer „Sakralisierung" der Politik, sie m i t theologischen Instrumentarium zu rechtfertigen, handelt. Und zwar als folgerichtige Konsequenz der Grundannahme einer Reduktion von Theologie und Religion auf politische Substanz. Mythogenetische politische Theologie in ihrer Variante Politische Christologie bedeutet also die Substituierung der Inkarnation des Politischen i n der Kirche durch seine Inkarnation i n Christus selbst, d.h. die Subsumtion der eschatologischen Repräsentation unter die Eschatologie als solche: die Identifizierung der Inkarnation mit dem Inkarnierten selbst. 3. Insbesondere zum Bereich institutioneller politischer Theologie bietet die Politische Theologie I I neue und zahlreiche Exempel. Angefangen bei den häufigen Berufungen auf Augustinus' Reich-GottesIdee m i t der Unterscheidung von Civitas Dei und Civitas terrena 6 8 , auf die gelasianische Zwei-Schwerter-Lehre 6 9 , das hierokratische System Johannes' von Salisbury und die geschichtseschatologische Trinitätslehre Joachim von Fioris 7 0 , die Zwei-Reiche-Lehre Martin Luthers 7 1 , 64 Dies erkennt auch n u r wiederum A . Dor emus, Théologie, politique et science, S. 58: „ E n opposant ainsi ces deux formes d'unité et de dualité (en principe respectivement protestante et catholique), mais en les opposant dans u n face à face t e l que le second doive implicitement résorber en l u i le premier, on présuppose nécessairement une réelle continuité de l ' u n à l'autre; bien plus, en supposant à cette continuité, Carl Schmitt l'entérine comme point d'appui pour une nouvelle théologie* et qui depasse le sens d'un oecuménisme". Vgl. ferner S. 57. Die E n t w i c k l u n g v o n der Politischen Theologie I zur Politischen Theologie I I w i r d sonst v o n keinem der SchmittExegeten herausgearbeitet, weder K . - M . Kodalle, P o l i t i k als Macht u n d Mythos, noch G. Kafka / U. Matz (Hrsg.), Z u r K r i t i k der politischen Theologie, B o n n 1970. 66 Vgl. A . Doremus, Théologie, politique et science, S. 58 ff. M Vgl. hierzu Η . Blumenberg, A r b e i t am Mythos, S. 567 - 604. 67 Vgl. hierzu F. d'Agostino , Per u n archeologia del diritto. M i t i giuridici greci, Mailand 1979, insbesondere S. 10 ff. 68 Vgl. C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 18 ff., 27, 88 ff. • 9 Vgl. ders., Politische Theologie I I , S. 60. 70 Vgl. ders., Politische Theologie I I , S. 93.
ri
der Politischen Theologie Carl Schmitts
Thomas Hobbes' „vollendete Reformation" 7 2 , Hegels politische Christologie 7 3 , über die „arrianische politische Theologie" von Eusebius von Nikomedia 7 4 , Eusebius von Cäsarea, Gregor von Nazianz, Gregor von Elvira usw., die Diagnose der Krisis des Protestantismus Bruno Bauers oder die des Zusammenhangs von politischer und religiöser Krisis Rudolf Smends sowie Robert Hepps 75 , die wilhelminisch-preußische „Hoftheologie" Adolf Harnacks und seine theologische Diskriminierung durch Overbeck 76 , Ernst-Wolfgang Böckenfördes Aussage über die potentielle Totalität des Politischen i n bezug auf die Verkündigung der Heilsbotschaft 77 , die K r i t i k Hans Barions an der „progressistischen" Staatslehre des II. Vatikanums 7 8 , den vom Prälat Kaas i m Deutschen Reichstag gegen Ludendorff zitierten schmittschen Satz „Es gibt einen anti-römischen A f f e k t " 7 9 , Max Webers Ausspruch über das säkularisierte Charisma als „revolutionäre Macht der Geschichte" schlechthin 80 , die Lobpreisung des späteren Papstes Johannes X X I I I . am 24. Februar 1929 nach der Unterschreibung der Lateran-Verträge m i t dem faschistischen Italien 8 1 , bis h i n zur Theologie der Befreiung und der Revolution Johannes Baptist Metz' und die Äußerungen seiner K r i t i k e r bzw. Schüler (Hans Maier, Böckenförde, Ernst Feil) 8 2 usw. Die Reihe ließe sich fortsetzen. A l l diese Beispiele und viele andere (vielleicht signifikantere, wie in neuester Zeit die Staatslehre Papst Leos X I I I . , die Lehre des II. Vatikanums über das Verhältnis von Kirche, Staat und Gesellschaft, insbesondere aber auch i n jüngster Zeit das Eintreten Johannes Paul II. für Menschenrechte und Demokratie) fallen unter den Inbegriff der Aussagen eines Gottesglaubens über den Status, die Legitimation, Aufgabe und evtl. Struktur der politischen Ordnung, einschließlich des Verhältnisses der politischen Ordnung zur Religion, genauso wie die Aussagen über das Verhältnis Kirche-Staat i m Falle einer Institutionalisierung der Glaubensgemeinschaft. Wie Böckenförde bemerkt, ist die Politische Theologie i n dieser Bedeutung nicht allein, aber sehr nachhaltig i m Bereich der christlichen Religion bzw. ihrer Bekenntnisse verbreitet, denn „die christliche Religion ist nicht nur 71
Vgl. ders., Politische Theologie I I , S. 18 ff. Vgl. ders., Politische Theologie I I , S. 92 u n d Fn. 9. 73 Vgl. ders., Politische Theologie I I , S. 92 u n d Fn. 10. 74 Vgl. ders., Politische Theologie I I , S. 17, Fn. 1. 75 Vgl. ders., Politische Theologie I I , S. 19. 76 Vgl. ders., Politische Theologie I I , S. 19 - 20. 77 Vgl. ders., Politische Theologie I I , S. 26. 78 Vgl. ders., Politische Theologie I I , S. 26 ff. 79 Vgl. ders., Politische Theologie I I , S. 27, Z i t a t 4. 80 Vgl. ders., Politische Theologie I I , S. 78, bei M. Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, K ö l n 1964, S. 666. 81 Vgl. ders., Politische Theologie I I , S. 79. 82 Vgl. ders., Politische Theologie I I , S. 31 - 43. 72
110
II. 2. Kap.: Politisierung und Entpolitisierung
Gottes-Verehrung i n Form eines Kults, sie hat darüber hinaus zu ihrem Inhalt eine i n nahezu alle Lebensbereiche ausgreifende Lebenslehre m i t normativem Akzent sowie eine Interpretation der umgebenden Lebenswirklichkeit der Menschen (,Welt')" 8 S . Diese Exempel jedoch als eine bestimmte Ausformung politischer Theologie zu bezeichnen, ist aber — wie Böckenförde selbst i n Anlehnung an die schmittsche These potentieller Totalität des Politischen zugibt — bereits eine „petitio principi". Zur institutionellen politischen Theologie rechnet Böckenförde ebenfalls, jedoch „ i n einem weiter verengten Sinn", die „Erledigung" jeder politischen Theologie des Theologen Erik Peterson i n seiner Schrift „Der Monotheismus als politisches Problem". I n diesem engeren Sinne würde der Begriff Politische Theologie — so Böckenförde 84 — nur die theologische Rechtfertigung cäsaropapistischer oder sonstiger politischer Einherrschaft bezeichnen. Nicht zur institutionellen Politischen Theologie würde dagegen die Theologie der Welt J. B. Metz' und seiner Schule zählen, ferner die sog. Theologie der Revolution und Theologie der Befreiung, weil sie keine „Theologie der Politik" oder „politische Ordnung" sei, sondern eine Begründung und Ausformung des glaubensmotivierten politisch-sozialen Engagements der Christen gebe, „unmittelbar auf Handlung und Aktion" ziele. Die insofern „ethisch motivierte" politische Theologie falle unter eine neue Kategorie, die der „appellativen"
politischen
Theologie
85
.
Daß zwischen den hier aufgezeigten Bedeutungsgehalten von politischer Theologie sachlich-systematische Zusammenhänge bestehen, ist schließlich gerade — und zumindest — am Beispiel Carl Schmitts unbestreitbar. Sie sollen uns i m übrigen i n den weiteren Kapiteln näher beschäftigen. Während i m folgenden das dritte Kapitel anhand von drei Exempeln (Kelsen, Topitsch und Blumenberg) die Hintergründe und Konsequenzen der Annahme einer strukturellen Analogie zwischen Rechtswissenschaft/Politik und Theologie/Religion aufdeckt, d.h. u m das Problem einer juristischen politischen Theologie kreist, analysiert das vierte Kapitel verschiedene Ausformungen und Durchsetzungen der politischen Theologie i n ihrer institutionellen, christologischen und apellativen Variante (Peterson, d'Ors, Schütte, Metz, Böckenförde). Durch die kritische Darstellung der verschiedenen Ansätze auf der Grundlage ihrer Nähe zur politischen Theologie Carl Schmitts w i r d nicht nur die heuristisch-normative Tragweite des Begriffs „politische Theologie" deutlich, sondern auch die eigene kritische Position des Verfassers begründet. Diese erfährt dann i m § 37 ihre theoretische Verankerung. 83 84 85
E.-W. Böckenförde, Ebd., S. 238. Ebd., S. 238 - 239.
Politische Theorie, S. 237.
Drittes
Kapitel
Kritik an der Politischen Theologie Carl Schmitts als politische Theologie § 23 Kritik der politischen Theologie im juristischen Positivismus Der K r i t i k des juristischen Positivismus soll hier am Beispiel der Polemik Carl Schmitt — Hans Kelsen nachgegangen werden. Die Hauptargumente Schmitts gegen Kelsen finden sich i m 2. Kapitel der „Politischen Theologie" (1922), „Das Problem der Souveränität als Problem der Rechtsform und der Entscheidung". Hierbei w i r f t Schmitt Kelsen vor, seine prätendierte Verlegung der juristischen Form aus dem Subjektiven ins Objektive durch die Konstruktion einer Einheit der Rechtsordnung als Folge freier Tat juristischen Erkennens 1 erschöpfe sich eigentlich darin, daß er alles Personalistische vermeide und die Rechtsordnung auf das unpersönliche Gelten einer unpersönlichen Norm zurückführe; nach Kelsen bedeute die Theorie vom Primat der staatlichen Rechtsordnung, d. h. die Lehre von der Staatssouveränität, i m Grunde eine Negation der Rechtsidee, weil sie den Subjektivismus eines i m Hintergrund wirkenden Befehls durch die Objektivität der Normgeltung ersetze 2. I n seinen Schriften „Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts" (Tübingen 1920) und „Der soziologische und der juristische Staatsbegriff" (Tübingen 1922) habe Kelsen, u m die „reine" Objektivität des Juristischen zu gewinnen, das Grundproblem des Souveränitätsbegriffes, die Verbindung von faktisch und rechtlich höchster Macht, einfach durch die Dis1 C. Schmitt, Politische Theologie, 1922, S. 20 ff. Z u r Polemik Schmitt — Kelsen vgl. ferner v o r allem C. Schmitt, Gesetz u n d U r t e i l ; ders., Der W e r t des Staates u n d die Bedeutung des Einzelnen; ders., Verfassungslehre; ders., Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, i n : Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 63 - 109; ders., Legalität u n d L e g i t i m i t ä t ; ders., Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, i n : Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 386 bis 429; ders., Das Problem der Legalität, i n : Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 440 - 451. H. Kelsen, Wer soll der Hüter der Verfassung sein?. Vgl. dazu: P. Petta, Schmitt, Kelsen e i l „custode della costituzione", i n : Storia e p o l i tica, 16 (1965), S. 505-551; E. Sterling, Studie über Hans Kelsen u n d Carl Schmitt, A R S P 47 (1961), S. 569-585; H. Heller, Bemerkungen zur staatsu n d rechtstheoretischen Problematik der Gegenwart, A ö R n. F. 16 (1929), S. 321 - 354. 2 C. Schmitt, Politische Theologie, 19342, S. 39 f.
112
II. 3. Kap.: Kritik a der Politischen Theologie Carl Schmitts
j u n k t i o n zwischen Soziologie und Jurisprudenz zu lösen versucht. A l l e soziologischen Elemente würden dafür aus dem juristischen Begriff ferngehalten, u m i n unverfälschter Reinheit ein System von Zurechnungen auf Normen und auf eine letzte einheitliche Grundnorm zu erreichen. Der alte Gegensatz von Sein und Sollen, kausaler und normativer Betrachtung solle also durch die ausschließlich „juristische" Rechtsordnung behoben werden. Der Staat sei weder der Urheber noch die Quelle der Rechtsordnung — denn diese Vorstellung sei nach Kelsen nichts anderes als die Folge von Personifikationen und Hypostasierungen, Verdoppelungen der einheitlichen und identischen Rechtsordnung zu verschiedenen Subjekten. Der Staat als die Rechtsordnung stelle ein System von Zurechnungen auf einen letzten Zurechnungspunkt und eine letzte Grundnorm dar. Aus der höchsten Kompetenz der souveränen Ordnung selbst i n der Einheit des Normensystems resultiert — so weiterhin Schmitt — eine ganze Stufenleiter von Ermächtigungen und Kompetenzen, Zurechnungspunkten, die i m Endpunkt „Staat" als „nicht weiter ableitbare Ordnung" haltmachen können. Der Dualismus der Methoden von Soziologie und Jurisprudenz ende demzufolge in einer monistischen Metaphysik: „Die Einheit des Erkenntnisstandpunktes fordert gebieterisch eine monistische Anschauung" 3 . A n dem bei Kelsen zentralen Begriff der „Einheit" setzt gerade die K r i t i k Schmitts an: was vermöge letztlich auf der Grundlage einer „Verfassung", u m es nicht bloß auf eine weitere tautologische Umschreibung der „Einheit" oder ein brutales soziologisch-politisches Fakt u m zu reduzieren, eine systematische Einheit zu leisten? Kelsen verweist auf die „freie Tat der juristischen Erkenntnis", als bestünde eine prästabilierte Harmonie zwischen dem Resultat einer freien juristischen Erkenntnis und einem nur i n der politischen Wirklichkeit zu einer Einheit verbundenen Komplex. M i t anderen Worten, Kelsen löse das Problem des Souveränitätsbegriffs dadurch, daß er es negiere. Schmitt versucht dies mit einem Zitat aus Kelsens „Das Problem der Souveränität" nachzuweisen, wonach der Souveränitätsbegriff „radikal" verdrängt werden müsse 4 . 3
Ebd., S. 27 f. Ebd., S. 29 ff. F ü r die i m wesentlichen zutreffende Darstellung Schmitts der Rechtslehre Kelsens vgl. H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, Tübingen 1911; ders., Über Grenzen zwischen juristischer u n d soziologischer Methode, Tübingen 1911; ders., Über Staatsunrecht, Grünhutsche Zeitschrift für das Privat-öffentliche Recht der Gegenwart 40 (1963), S. 1 ff.; ders., Das Problem der Souveränität u n d die Souveränität des Völkerrechts, Tübingen 1920; ders., Der soziologische u n d der juristische Staatsbegriff, Tübingen 1922. Hierzu: K. Lorenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, B e r l i n 1975s; W. Krawietz, Grundnorm, HistWbPhil, Bd. 3, Sp. 918 - 922; H. Klecätsky / R. Marcîà / H. Schambeck (Hrsg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, W i e n 1968; J. Behrend, Untersuchungen zur Stufenbaulehre A d o l f 4
§ 23 K r i t i k i m juristischen Positivismus
113
F ü r S c h m i t t h a n d e l t es sich d e m z u f o l g e d a b e i u m „ d i e a l t e l i b e r a l e N e g i e r u n g des Staates gegenüber d e m Recht u n d die I g n o r i e r u n g des selbständigen Problems der Rechtsverwirklichung" 5. V e r k a n n t also d i e z u j e d e r
„rechtlichen
Perzeption"
„ d e n n j e d e r Rechtsgedanke ü b e r f ü h r t
gehörende
werde
Entscheidung,
die n i e m a l s i n i h r e r
Reinheit
W i r k l i c h k e i t w e r d e n d e Rechtsidee i n e i n e n a n d e r e n A g g r e g a t z u s t a n d " u n d füge i n s o f e r n e i n M o m e n t h i n z u , das w e d e r aus d e m I n h a l t d e r Rechtsidee noch b e i d e r e n A n w e n d u n g
aus d e m I n h a l t
irgendeiner
g e n e r e l l e n p o s i t i v e n R e c h t s n o r m e n t n e h m e n lasse 6 , also e i n spezifisch p o l i t i s c h - i r r a t i o n a l e s . W e i l d e r j u r i s t i s c h e Schluß n i c h t b i s z u m l e t z t e n Rest aus seinen P r ä m i s s e n a b l e i t b a r sei, so liege j e d e s m a l e i n e „ T r a n s f o r m a t i o n " v o r , i n d e r j e w e i l s e i n a u t o r i t ä r e s „ p l u s " h i n z u t r e t e , eine „ a u c t o r i t a s i n t e r p o s i t i o " . V o n d e r N o r m aus b e t r a c h t e t entstehe
die
E n t s c h e i d u n g i n s o w e i t aus e i n e m Nichts. Z u Recht b e t o n t S c h m i t t , „ d i e rechtliche K r a f t d e r D e z i s i o n ist etwas anderes als das R e s u l t a t
der
B e g r ü n d u n g " 7 . D o c h ist b e r e i t s i m f o l g e n d e n D e n k s t a d i u m die
Ver-
absolutierung
der
Dezision eingeleitet8.
Es w e r d e
schließlich —
so
S c h m i t t p o l e m i s c h gegen K e l s e n — n i c h t m i t H i l f e e i n e r N o r m zugerechnet, s o n d e r n u m g e k e h r t ;
erst v o n e i n e m Z u r e c h n u n g s p u n k t
aus
Merkls u n d Hans Kelsens, B e r l i n 1977; A . Vonlanthen, Z u Hans Kelsens A n schauung über die Rechtsnorm, B e r l i n 1965. Vgl. ferner die Beiträge in: L a w , State and International Legal Order. Essays i n Honor of Hans Kelsen, ed. S. Engel / R. A . Métall , K n o x v i l l e 1964. 5 C. Schmitt, Politische Theologie, 19342, S. 31. • Ders., S. 41. 7 Ders., S. 42. 8 Z u m Problem des Verhältnisses zwischen rationaler Begründung u n d Entscheidung i m juristischen Erkenntnisprozeß vgl. M . Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 19762, ders., Recht u n d praktische Vernunft, S. 52 ff. Z u r Entwicklung der juristischen Methodenlehre i n Deutschland vgl. jetzt W. Krawietz, Z u m Paradigmenwechsel i m Juristischen Methodenstreit, S. 152, w o für eine „rechtssoziologisch differenzierte Pragmatik" plädiert w i r d . H. Hof mann, Legitimität, S. 32 ff. interpretiert Schmitts rechtstheoretischen Ansatz als Ausformung der Freirechtslehre. Dagegen I . Maus, Bürgerliche Rechtstheorie, S. 86 ff., f ü r die es sich bei Schmitt u m die Verselbständigung der Rechtspraxis i n einer „umgekehrten" Freirechtstheorie handelt. E i n Uberblick über die gegenwärtige Diskussion i n Deutschland gibt jetzt A. OZZero, Rechtswissenschaft u n d Philosophie — Grundlagendiskussion i n Deutschland, Ebelsbach 1978. Z u Freirechtslehre vgl. W. Krawietz, Freirechtslehre, HistWbPhil, Bd. 2, Sp. 1098- 1102. Eine vermittelnde Position zwischen Uberbewertung der k o g n i t i v e n (Begriff sjurisprudenz) u n d der v o l i t i v e n (Freirechtsjurisprudenz) Aspekte i n der Rechtsmethodik n a h m die Interessen- u n d Wertungsjurisprudenz. Vgl. hierzu J. Edelmann, Die E n t wicklung der lnteressenjurisprudenz, Bad Homburg 1967; diese beiden A s pekte m i t dem wertenden oder „evaluativen" Moment verknüpfend, H. Westermann, Wesen u n d Grenzen der richterlichen Streitentscheidung, Münster 1955, w o die „voluntaristischen Bestandteile" der richterlichen Entscheidung betont werden, durch die B i n d u n g der richterlichen „Willensentscheidung" an die „generelle Wertung des Gesetzes" aber eine Autonomie der Dezision i. S. Schmitts vermieden w i r d . 8 Beneyto
114
II. 3. Kap.: Kritik a der Politischen Theologie Carl Schmitts
bestimme sich, was eine Norm und was normative Richtigkeit sei 9 , denn „auf die inhaltliche Richtigkeit könnte sich jeder berufen, wenn es keine letzte Instanz gäbe" 1 0 . Wenn also die letzte Instanz sich nicht aus der Entscheidungsnorm ergibt, dann ist die Frage die nach der Kompetenz, nach der höchsten Instanz, nach der Legitimität. Und das Instrumentarium für dieses „plus" an politisch-irrationaler Transformationssubstanz stellt für Schmitt die Politische Theologie dar, die Tatsache letztlich, daß „auctoritas, non Veritas facit legem". Aus der Argumentation Schmitts w i r d aber auch erkennbar, wie die Struktur seines Dezisionismus parallel zur Stufenleiter des kelsenschen Positivismus verläuft. Auch hier führt der Aufbau des juristischen Erkennens auf ein Schema von Instanz- und Kompetenzstellen — letztlich auf Zurechnungspunkte — zurück, die i n einer ursprünglichen Einheit, Grundnorm oder Grundentscheidung aufgehoben werden. Der Dualismus Politik — Recht ist i n einem Falle zugunsten der absoluten Normalität und Normativität des Rechts, i m anderen zugunsten der Anormalität und Anormativität des Politischen gelöst worden. I n beiden Fällen w i r d eine Reduzierung auf die punktuelle Schöpfung aus dem Nichts intendiert 1 1 . Doch eine Parallelität zwischen Normativismus und Dezisionismus bloß i n strukturell-methodischer Hinsicht herzustellen versuchen, würde i m Grunde nicht vielmehr bedeuten, als sie beide zu rechtfertigen. Demgegenüber sollte ihre mehr als argumentative Verwandtschaft inhaltlich aus der Folgerung strikter Trennung zwischen Recht und Rechtspolitik, Rechtstheorie und Moralphilosophie, d.h. aus der i m p l i ziten Ausschaltung rechtspolitischer Rationalität, dargelegt werden, was an dieser Stelle nur weiter verweisend geschehen kann 1 2 . Bedeutungsvoll bleibt, daß eine strikte Trennung zwischen Recht und praktischer Vernunft das Recht auf Dezision, Normen und/oder logische 9
C. Schmitt, Politische Theologie, 19342, S. 42. Ders., Politische Theologie, 1922, S. 32. 11 Vgl. hierzu A . Hofmann, Legitimität, S. 32 ff.; zu Kelsen s. A . Vonlanthen, S. 57 ff. (X. „Die G r u n d n o r m als unendliche Willensmacht"); L. Pitamic, Die Frage der rechtlichen Grundnorm. Völkerrecht u n d rechtliches Weltbild, Festschrift Verdross, 1960, S. 207 ff. V o r allem aber N. Leser, Sozialismus zwischen Relativismus u n d Dogmatismus, Freiburg 1974, S. 144 f., w o die N o r m — insofern auch die G r u n d n o r m — bei Kelsen ausdrücklich auf einen Willensakt bezogen w i r d , sowie N. Achterberg, Kelsen u n d M a r x . Z u r V e r wendbarkeit der Reinen Rechtslehre i n relativistischen u n d dogmatistischen Rechtssystemen, P o l i t i k u n d K u l t u r 2 (1975), S. 4 0 - 81, wiederabgedruckt i n : ders., Theorie u n d Dogmatik des öffentlichen Rechts, B e r l i n 1980, S. 73 - 109. 12 Vgl. hierzu J. Ritter, „ P o l i t i k " u n d „ E t h i k " i n der praktischen Philosophie des Aristoteles, S. 109 ff., 130 ff.; M . Kriele, Recht u n d praktische V e r n u n f t ; vgl. auch die Diskussionen zu den Beiträgen v o n Kriele u n d W i l l m s i n dem Band W. Oelmüller (Hrsg.), Normen u n d Geschichte, P a d e r b o r n / München / W i e n / Zürich 1979, S. 374 ff. 10
§ 23 Kritik im juristischen Positivismus
115
Ableitungen schrumpfen läßt, die ethische Vernunft ferner aus der Wirklichkeit i n die subjektive Moralität verbannt und dabei i n Gefahr gerät, sich i n einen Pluralismus einander ausschließender Wertsysteme zu verflüchtigen. Der Relativismus ist hier nicht nur die methodische Konsequenz, sondern auch ihre gemeinsame Prämisse. Rechtspolitische Abwägungen und Argumentationen, Entscheidungsgründe, Präjudizienvermutungen, „Ethos der Repräsentation" und rationale Normenbegründung bedeuten dann — wie Kriele überzeugend darlegt 1 3 — nicht nur leere Formel, sondern außerdem gefährliche ideologische Waffen „ i n den Händen der anderen". Denn aus der Loslösung der Rechtsphilosophie vom Zusammenhang m i t der konkreten juristischen und rechtspolitischen Diskussion folgt, daß die Kriterien der Gerechtigkeit i n irgendeiner politischen Forderung, einem letzten Sollensurteil, einer „Wertrangordnung" oder dergleichen, gesucht werden: „damit kann sie aber nicht mehr erreichen als erstens die doktrinäre Versteifung eines rechtspolitischen Standpunktes, zweitens die Herausforderung ideologiekritischer Widerlegung und drittens die Diskreditierung der Rechtsphilosophie als überhaupt unwissenschaftlich: Jede Aussage über praktische Vernunft erscheint als subjektiv und insofern relativ" 1 4 . Auch insofern ist die Parallele Kelsen — Schmitt kein Novum sub sole. Sie soll jedoch hier i m Kontext der Politischen Theologie anhand zweier Abhandlungen Kelsens exemplifiziert werden. Daß die Heranziehung von „Gott und Staat" (1922) und „Von Wesen und Wert der Demokratie" (1929)15 der Analyse der Politischen Theologie Carl Schmitts nicht so sehr zur K r i t i k als zur Fruchtbarmachung gereicht, stellt bereits für sich eine Bestätigung des Parallelismus dar. „Gott und Staat" ist die Entgegnung Kelsens auf die „Politische Theologie". Dabei bedient er sich ebenfalls der zwei Voraussetzungen 13
M. Kriele, Recht u n d praktische Vernunft, S. 9 ff. M. Kriele, Recht u n d praktische Vernunft, S. 10. Vgl. auch ders., E i n f ü h rung i n die Staatslehre, Hamburg 1975, sowie ders., Theorie der Rechtsgewinnung, B e r l i n 19762, insbesondere S. 310 - 348; ferner i n diesem Sinne R. Spaemann, Z u r K r i t i k der politischen Utopie, Stuttgart 1977, insbesondere S. 77 - 141. Quelle aller dieser Bemühungen u m eine Rehabilitierung der praktischen Vernunft J. Ritter, Metaphysik u n d Politik. Vgl. dazu die 2 Bde. Rehabilitierung der praktischen Philosophie, hrsg. v. M . Riedel, Freiburg 1972, 1974. Doch läuft auch eine solche Theorie der Rechtsgewinnung w i e die Krieles Gefahr, eine Fixierung auf die richterliche Rechtsanwendung hervorzurufen u n d dadurch die Einbeziehung der soziologischen Dimension des Rechts beiseite zu schieben. Vgl. hierzu W. Krawietz, Z u m Paradigmenwechsel, S. 138 ff. Hierzu v e r m i t t e l n d N. Achterberg, Kelsen u n d M a r x , S. 102 ff., w o i m K o n t e x t der autonomen Determinante für die Einbeziehimg der soziologischen Dimension des Rechts plädiert w i r d . 15 H. Kelsen, Gott u n d Staat, Logos 11 (1923), S. 261 - 284; ders., V o m Wesen und W e r t der Demokratie, Tübingen 1963 (Neudruck der 2., umgearb. A u f l . von 1929). 14
8*
116
II. 3. Kap.: Kritik a der Politischen Theologie Carl Schmitts
Schmittscher Politischer Theologie: strukturelle Analogie und Vorgang der Säkularisierung. Kelsen untersucht zuerst die Analogien zwischen religiösem und sozialem Problem i n psychologisch-religionsphilosophischer Hinsicht („Religion als Genossenschaft", „Er-Gänzung" durch Glauben, Selbstaufopferung, Gefühl der kosmischen Gemeinschaft, Überführung der Gemeinschaft i n die Gesellschaft durch die Gottesvorstellung, Dialektik von Selbstunterwerfung und Selbsterhöhung i m Sinne Freuds, Gott als höchster Zweck und letzte Ursache usw.), u m daraus die für seine Zwecke entscheidende Analogie hervorzuheben. Und zwar jene, welche zwischen der Transzendenz Gottes und der „metarechtlichen Natur des Staates" bestehe. Das strukturell gleiche „Scheinproblem" des Verhältnisses eines Systems und seiner Hypostasierung findet historisch nach Kelsen die strukturgleiche Lösung: i n der Theologie, durch die Verwandlung des überweltlichen Gottes i n einen i h m untergeordneten Gottes Sohn („als Gott-Sohn fügt er sich i n Gehorsamspflicht gegen Gott-Vater" 1 6 ); i n der Staatslehre, durch den Begriff eines „souveränen" Staates, der schließlich doch als juristische Person zu einem Rechtswesen wird. Da der Staat aber die Rechtsordnung über sich habe, aus der Rechtsordnung seiner „Macht" ableite, könne er nicht mehr „souverän" sein, wenn der Begriff der Souveränität überhaupt einen Sinn behalten solle. I n der zur Lösung des Problems der Verwandlung vom „Staat als Macht" zum „Staat als Recht" entwickelten Selbstverpflichtungslehre w i l l Kelsen eine „wortwörtliche" Übertragung der theologischen Problematik i n bezug auf das Dogma der Menschwerdung sehen 17 . Dem Dualismus von Staat und Recht als „logisch-systematischer Widerspruch" und „Quelle rechtlich-politischen Mißbrauchs" durch die Infiltration politischer Postulate i m Gewände rechts- und staatstheoretischer Argumentation soll die Einheit von Staat und Recht als eine „begrifflich wesenhafte", von jeder historischen Entwicklung unabhängig und „positiviert" erkannt werden. Denn i n der demokratisch erzeugten Rechtsordnung liege ja geradezu das Wesen der Positivität des Rechts, die Identität der Rechts- mit der Staatsordnung 18 . Auch das Wunder findet bei Kelsen eine staatsrechtliche Funktionalität. Insbesondere am Beispiel des Wunders äußere sich die strukturelle Analogie zwischen dem Begriff des Staates als „naturrechtlichautokratischen Deckmantels" und der über den Naturgesetzen obwaltenden Freiheit Gottes. Theologie und absolutistisches Staatsrecht ba16 17 18
H. Kelsen, Gott u n d Staat, S. 275 et passim. Vgl. ebd., S. 275. Vgl. ebd., S. 276 - 277.
§ 23 Kritik im juristischen Positivismus
117
sieren auf der strukturgleichen Grundannahme zweier abhängiger Systeme, dem natürlichen und dem übernatürlichen. Insofern stehe und falle mit dem Begriff des Wunders ebenso der Begriff Gottes, wie m i t einer dogmen- und wunderbefreiten Wissenschaft vom positiven Recht das „Rechtswunder" des Staates schlechthin ausfalle 19 . Weitere, von der Theologie auf die Staatslehre oder umgekehrt umbesetzten Begriffe erblickt Kelsen sowohl in der Infallibilität des päpstlichen Lehramtes als Anwendung des Instituts der Rechtskraft, wie i m Verhältnis von Gott und Mensch bzw. Staat und Individuum, wo das Ziel vom religiösen und politischen Denken darin bestehe, durch Wesensgleichheit die Zweiheit als eigentliche Einheit aufzuzeigen 20 . Letztlich sei diese „Staatslehre ohne Staat" die staatsrechtliche Analogie zu der Substitution von metaphysischer Substanz durch die Funktion einer psychologischen Seelenlehre ohne Seele sowie einer Kraftphysik ohne K r a f t 2 1 . Schließlich begreift Kelsen offen die Aufgabe der positiven Staatslehre als strikt politisch-theologische Aufgabe: Analog zur Entwicklung einer aus dem Pantheismus herrührenden, von aller Metaphysik freien Naturwissenschaft müsse sich auch durch die Reduktion des überrechtlichen Staatsbegriffs auf den Begriff des Rechts die erst zu begründende, von allem Naturrecht gereinigte Wissenschaft vom positiven Recht verhalten 2 2 . Die Bedingung und Möglichkeit einer Staatslehre w i r d offen von einer bestimmten, politisch-theologischen Option abhängig gemacht. Daß der durch die Einheit von Staat und Recht prätendierte Widerpart der politischen Theologie Carl Schmitts i m Grunde auf deren Bestätigung hinauslaufen kann, auf eine methodisch und normativ spezifisch politisch-theologische Begründung von Recht und Politik tendiert 2 3 , zeigt sich u m so folgerichtiger, wenn Kelsen i n „Vom Wesen und Wert der Demokratie" den zur Demokratie zugehörenden politischen Relativismus ausdrücklich von einem „religiösen", auf den 19
Vgl. ebd., S. 279. Ebd., S. 279 - 282. 21 Ebd., S. 283 f. 22 Ebd., S. 284. 23 I n diesem Sinne w i r f t P. Amselek, Réflexions critiques autour de la conception Kelsenienne de l'ordre juridique, i n : Revue du D r o i t Public et de la science Politique, 94 (1978), S. 5 - 19, Kelsen vor, sein naturrechtlicher H i n tergrund (sic!) hindere ihn, einen konsequenten Positivismus zu verfechten (vgl. insbesondere S. 17 ff.). Die Naturrechtsproblematik w a r nicht n u r der Anfang des wissenschaftlichen Werdegangs Kelsens (vgl. seine Dissertation über Dantes Staatslehre), sondern auch sein nächster Gegner zeit seines Lebens. Vgl. H . Kelsen, Über Staatsunrecht; ders., Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre u n d des Rechtspositivismus, 1928, abgedr. i n : Die Wiener Rechtstheoretische Schule, hrsg. v. H. Klecatsky / R. Marcie / H. Schambeck, 2 Bde., W i e n 1968, S. 281 ff.; ders., Die Grundlagen der Naturrechtslehre, ÖZÖR 13 (1964), S. 1 - 37. 20
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II. 3. Kap.: Kritik aii der Politischen Theologie Carl Schmitts
Zweifel der K r i t i k begründeten Relativismus, abhängig macht 24 . Doch w i r d durch die Parallele zu Schmitt ein anderes Element des juristischen Positivismus sichtbar, und zwar seine ideologische Gefährdung. Gewiß kann heute — wie i m nachhinein der Naturrechtseuphorie nach dem Kriege häufig argumentiert wurde 2 5 — eine unmittelbare Linienziehung zwischen Positivismus und Totalitarismus nur noch als Verzerrung bezeichnet werden. Denn ein konsequenter Positivismus hätte sich gerade an den geltenden Normen festgeklammert. Andererseits vermag auch eine demokratische Verfassung — u m eine offen-pluralistische Gesellschaft gleichsam zu garantieren — ohne bestimmte absolute Rahmenbedingungen nicht auszukommen 26 , während der juristische Positivismus ja aus dem Präsuppositum eines antizipierten einheitlichen Konsenses lebt, welcher die Minderheiten — mit Kelsen — nur insofern respektiert, als sie „jederzeit selbst zur Mehrheit werden" können 2 7 . Durch das dem juristischen Positivismus systemimmanente absolute Festhalten an der rechtlich verbürgten „politischen Einheit" steigert er nur noch die Brisanz der Frage nach der Legitimation und kann insofern aus seinem implizit theologisch-politischen Substrat den Boden für eine ideologische Inanspruchnahme des Rechts bereiten 2 8 . 24
H. Kelsen, V o m Wesen u n d W e r t der Demokratie, S. 102 ff. Vgl. ferner ders., Sozialismus u n d Staat, Leipzig 19232, S. 191 ff.; ders., Soziologie der Demokratie, Der österreichische V o l k s w i r t 19 (1926), S. 209 ff., abgedruckt auch i n : Die Wiener Rechtstheoretische Schule, hrsg. v. H. K l e c â t s k y / R . Marciò / H. Schambeck, S. 1729 ff. 2β So ζ. Β . Η . Weinkauff, Das Naturrecht i n evangelischer Sicht, Zeitwende 23 (1951/52), S. 95 - 102; ders., Der Naturrechtsgedanke i n der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, N J W 1960, S. 1689 - 1696. Kritisch dazu i n bezug auf das Buch A . Vonlanthens: H. v. Olshausen, Z u Hans Kelsens Anschauung über die Rechtsnorm. Z u r gleichnamigen Schrift v o n A l b e r t Vonlanthen A ö R 91 (1966), S. 561 -568. Z u m Thema Naturrecht heute vgl. A . F. Utz, Die Gerechtigkeit, der Prüfstein naturrechtlichen Denkens, i n : ders., E t h i k u n d P o l i t i k , Stuttgart 1970; W. Maihof er (Hrsg.), Naturrecht oder Rechtspositivismus, Darmstadt 19662; F. Böckle / E.-W. Böckenförde (Hrsg.), Naturrecht i n der K r i t i k , Mainz 1972. 28 Vgl. hierzu Th. Maunz / G. Düring / R. Herzog / R. Scholz (Hrsg.), A r t . 79 Rdnr. 29, w o die verfassungsrechtliche Unantastbarkeit der Staatsfundamentalnormen als eine Ausnahme v o n der wertneutralen Demokratie i n i Sinne des Positivismus herausgestellt u n d diese These i n Verbindung m i t der abwehrbereiten Demokratie (hierzu BVerfGE 5, 139, 7, 205) gebracht w i r d ; F. Koja, Streitbare u n d neutrale Demokratie, Forum 13 (1966), S. 575 ff., 731 ff.; N. Achterberg, Kelsen u n d M a r x , S. 90 ff. der ein solches Verständnis i m Hinblick auf die prinzipielle Wertneutralität einer demokratischen V e r fassung m i t Kelsens Positivismus durchaus für vereinbar hält, u n d zwar unter Bezugnahme auf die Systemimmanenz eines solchen Verständnisses. Hierzu sehr i n s t r u k t i v für die Position Schmitts: C. Schmitt, Die legale Weltrevolution, S. 330 ff. 27 H. Kelsen, V o m Wesen u n d W e r t der Demokratie, S. 103. 28 Vgl. hierzu L. Pitamic, Plato, Aristoteles u n d die reine Rechtstheorie, ÖZÖR 2 (1921), S. 683 ff.; ders., Kritische Bemerkungen zum Gesellschafts-, Staats- u n d Gottesbegriff bei Kelsen, ÖZÖR 3 (1922/23), S. 531 ff.; E. Fechner,
§ 24 Politische Theologie als Ideologie
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§ 24 Politische Theologie als Ideologie Inwiefern der Versuch einer ideologiekritischen Erledigung der Theologie aus „politik-reinigenden" Motiven gerade zu politischer Theologie in schärfster Form wird, zeigt die Behandlung des Themas durch Ernst Topitsch. I n dem Aufsatz „Kosmos und Herrschaft. Ursprünge der politischen Theologie" von 195520 nahm er die Diskussion nach Aufzeigen ihrer Stufen Schmitt — Kelsen — Peterson erneut auf. Er bezweckt nun, nachdem Peterson das Verhältnis der Idee der göttlichen Monarchie zum Dogma der Trinität „vorbildlich" erhellt und dadurch die katholische Religion von der arianischen Reichsideologie klar unterschieden habe 3 0 , die „ i n gewissem Sinne bestehende Identität" von kosmischem und sozialem Geschehen, von der „politischen Kosmologie" und der „kosmologischen Politik", ans Licht zu führen 3 1 . Anhand der Untersuchung des allgemeinen Verhältnisses von Kosmos und Herrschaft bei der alt-chinesischen und -indischen K u l t u r , bei den Assyrern und Persern gelangt Topitsch zu einer Morphologie der politischen Kosmologie. Die Spiegelungen und Rückspiegelungen, die Projektionen und Rejektionen von Symbolen und Allegorien, Parallelen und Analogien aus der theologisch-kosmologischen Sphäre i n die politische und umgekehrt, der — nach Schmitt — „unausrottbare Anthropomorphismus allen menschlichen Denkens" 3 2 vermag als „Bio-, Techno- oder Soziomorphismus" aufzutreten 33 . Doch zielt die primäre Ideologische Elemente i n positivistischen Rechtsanschauungen, dargestellt an Hans Kelsens „Reiner Rechtslehre", ARSP, Beiheft N F 6 (1970), S. 199 bis 222; A . Vonlanthen, Z u Hans Kelsens Anschauung über die Rechtsnorm, S. 60 ff.; kritisch dazu: N. Leser, Sozialismus zwischen Relativismus u n d Dogmatismus, Freiburg 1974, S. 144 ff.; R. A . Métall, Hans Kelsen, Leben u n d Werk, W i e n 1969, S. 111 f.; E. Topitsch, Kelsen als Ideologiekritiker, in: Law, State and International Legal Order, ed. S. Engel / R. A . Métall, S. 329 ff. Hier wiederum v e r m i t t e l n d N. Achterberg, Kelsens Bedeutung i n der gegenwärtigen deutschen Staatslehre, S. 52 (Anm. 4), der zutreffend den Totalitarismus nicht als notwendige Folge des Positivismus ansieht: „Gewiß läßt die materiale Offenheit der Reinen Rechtslehre auch zu, daß sich der Ideologe ihrer bedient, n u r ist damit die Ideologie noch nicht i n der Reinen Rechtslehre enthalten". 29 I n : W o r t u n d Wahrheit, 10 (1955), S. 19 - 30. 30 Ebd., S. 19. 31 E. Peterson , Der Monotheismus als politisches Problem, Leipzig 1935. Vgl. hierzu u. § 27. 32 C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 41. 33 Vgl. hierzu: H. Lenk, Praxeomorphe u n d poleomorphe Projektionen. Ergänzendes zu Topitschs weltanschauungsanalytischen Deutungsmodellen, in: Sozialphilosophie als Aufklärung. Festschrift für Ernst Topitsch, hrsg. v o n K . Salamun, Tübingen 1979, S. 3 3 - 5 0 (vgl. insbesondere das A b b i l d auf S. 50).
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II. 3. Kap.: Kritik a der Politischen Theologie Carl Schmitts
Analyse von Herkunft, Geschichte und Problem der „politischen Theologie oder Kosmologie" außerhalb des Christentums und Europas bei Topitsch vor allem auf die ideologiekritische Intention, so weit zu „klären", daß „entsprechende Erscheinungen" i m christlichen Abendland und dem europäischen Säkularisationsprozeß „ohne Schwierigkeit" erkannt werden können 3 4 . Denn trotz der K r i t i k seitens der Kirche oder der wissenschaftlichen, ideologiekritischen Analyse üben solche Vorstellungen eines sozio-kosmischen Universums mit deren eigenartigen Zirkelschluß — erst werde das Weltall als Gesellschaft interpretiert, u m die so entstandene „Kosmopolis" als Norm über die Urbilder, d. h. die menschlichen Verbände, diese unterzuordnen — noch heute angesichts der „unabweisbaren Aufgaben politischer Weltgestaltung" einen „faszinierenden Zauber" aus. Erst auf dieser Ebene zeigt sich das innere Dilemma, i n dem sich zu dieser Zeit Topitsch noch befindet und welches die Schlußfolgerung des Aufsatzes, einen „Ausspruch voller Verwirrung" — wie Schmitt ihn charakterisiert 35 — deutlich macht. Die zur Bestimmung seiner geistigen Lage aussagefähigste Äußerung ist wohl die, wonach es unmöglich sei, eine „scharfe Grenze" zwischen dem Bereich des Metaphysisch-Moralischen und jenem des Politischen zu ziehen. Denn immer könnten philosophische Lehren dort, wo sie direkt oder indirekt menschliches Gemeinschaftshandeln beeinflussen oder zu diesem Stellung nehmen, „politisch relevant werden" 3 6 . Demgegenüber erkläre sich aber die wertfreie Soziologie selbst für außerstande, „letztgültige Richtlinien für die Gestaltung der menschlichen Gemeinschaft zu geben" 37 . So befinde sich „der Mystiker" — das ist hier wohl noch Topitsch selbst! — i n der Lage, auf der einen Seite „ m i t feinem Gefühl" zur Ablehnung der politischen Theologie als innerweltlicher Erlösungslehre und potentieller Auslieferung des menschlichen Wesenskernes an äußere Gewalten gezwungen zu sein; auf der anderen Seite jedoch, gestellt vor die unausweichliche Totalität des Politischen, „zur Flucht i n die Innerlichkeit und zur Verklärung der Passivität oder des Leidens" getrieben zu werden 3 8 . So w i r d auch verständlich die Unentschiedenheit und Unsicherheit, die der Konsequenz dieser ersten Annäherung Topitschs an die politische Theologie anhaftet: „Das Trinitätsdogma schließlich macht zwar die soziologistische 34 E. Topitsch, Kosmos u n d Herrschaft, S. 30. Vgl. dazu J. Aomi, Ideologiek r i t i k i n the T w e n t i e t h Century: Russell, Kelsen, Popper u. Topitsch, in: K . Salamun (Hrsg.), Sozialphilospohie als Aufklärung, S. 3 - 32. Z u Topitsch — Kelsen vgl. ferner E. Topitsch, Hans Kelsen als Ideologiekritiker; ders., (Hrsg.), Hans Kelsen. Aufsätze zur Ideologiekritik, Wien 1964. 35 C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 40. 36 E. Topitsch, Kosmos u n d Herrschaft, S. 28. 37 Ebd., S. 30. 38 Ebd.
§ 24 Politische Theologie als Ideologie
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(sie! 89 ) Zersetzung der Gottesidee i n seiner Weise unmöglich und verhindert ihren Mißbrauch zur Legitimierung eines cäsaropapistischen Universalstaates, doch es erlaubt keine Ableitung und Begründung gesellschaftlicher Normen" 4 0 . Die Arbeiten Topitschs i n diesen und den folgenden Jahren beherrscht dann eine, die Ausgangsposition weiterführende Frage: kann sich der Mensch von Wertungen, Leerformeln, Mythologien loslösen? Und sein wissenschaftlicher Eifer w i r d darin bestehen, zur Bewußtmachung der notwendigen Überwindung der traditionellen Metaphysik als „Deutung des Kosmos, des Menschen und der Erkenntnis mittels bestimmter werterfüllter und gefühlsgesättigter Stereotype" durch Philosophie „als Bemühen u m eine auf logische Analyse und empirische Untersuchung gegründete Theorie der menschlichen Weltauffassung" 41 ideologiekritisch zu verhelfen. Der Aufsatz über „Begriff und Funktion der Ideologie" 4 2 schildert die Ideologie als ein Bewußtheitsproblem, das mit dem Auftreten des Kritikzeitalters eng verbunden sei. Erst mit dem Aufkommen der empirischen Naturwissenschaften konnte man das Mythische i m Denken enthüllen, dennoch aber nicht verdrängen. Eher i m Gegenteil, beide Elemente, Wissenschaft und Mythen, Tatsachenaussagen und Wertungen, konstituieren ein neues Weltbild, das sich zugleich als „Wertbild" für die Sinn- und Gesamtorientierung der Menschen behaupten würde. Insofern ist für Topitsch „Ideologie" eine k r i tische Vorstellung, die sich m i t unkritischen Elementen i n einem Wechselverhältnis von Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Geschichte, Gesellschaftsordnung auf der einen Seite und mythischen, theologischen, phi89 C. Schmitt modifiziert — bewußt oder unbewußt — das Z i t a t u n d macht aus dem Satz „soziologistische Zersetzung" einfach eine „soziologische Zersetzung" (vgl. ders., Politische Theologie I I , S. 40). F ü r seine Politische Theologie ist ebenfalls der Kommentar zum Z i t a t Topitschs v o n Bedeutung: „Das ist ein Ausspruch voller V e r w i r r u n g . Einerseits scheint er Peterson Recht zu geben, andererseits meldet er einen Vorbehalt an u n d täuscht sich nicht darüber, daß der v o n Peterson so vorbildlich dargestellte Sieg des Trinitätsdogmas über den arianischen Monotheismus selber ,freilich v o n eminenter politischer Tragweite 4 w a r (S. 26)". 40 Ebd., S. 30. 41 E. Topitsch, Werthafte Voraussetzungen menschlicher Weltinterpretation, Ausarbeitung eines Vortrages gehalten i m Sender R I A S - B e r l i n , A p r i l 1964, jetzt i n : Mythos — Philosophie — P o l i t i k . Z u r Naturgeschichte der Illusion, Freiburg 1969, S. 13 - 23, hier S. 23. Vgl. ferner zu Topitsch: E. Topitsch, V o m Ursprung u n d Ende der Metaphysik, W i e n 1958; ders., Die Freiheit der Wissenschaft u n d der politische A u f t r a g der Universität, Neuwied / B e r l i n 1968; ders., Über Leerformeln. Z u r Pragmatik des Sprachgebrauchs i n Philosophie u n d politischer Theorie, i n : Probleme der Wissenschaftstheorie. Festschrift für V i c t o r K r a f t , hrsg. v o n E. Topitsch, W i e n 1960, S. 233 - 264; ders., Sachgehalte u n d Normsetzung, ARSP 44 (1958), S. 189 - 205; ders., Sozialtheorie u n d Gesellschaftsgestaltung, ARSP 42 (1956), S. 171 - 196. 42 Jetzt i n ders., Sozialphilosophie zwischen Ideologie u n d Wissenschaft, Neuwied 1961.
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II. 3. Kap.: Kritik a der Politischen Theologie Carl Schmitts
losophischen und prophetischen Vorstellungen auf der anderen Seite vermischt 43 . Die Ideologie lasse sich schwer verdrängen, gerade weil sie tief i n menschlichen Gegebenheiten wurzele: insbesondere die Sprache biete dem Menschen ein Wertbild, weil sie ein System von überlieferten Wertungen und Normen enthalte, welches sich sogar den wissenschaftlichen Aussagen aufdränge. Einen absoluten Wert besitze die Wissenschaft daher schwer, denn sie bilde letztlich einen der möglichen Gegenstände der Wertschätzung und bedeute i n diesem Sinne auch eine der wichtigsten Formen der Orientierung i n der Welt, schon allein aus dem Grund, daß sie eine nicht mehr rückgängig zu machende Umgestaltung unseres Lebens bewirkt habe. Doch bleibt für Topitsch die entscheidendere Frage nach dem „Wie?" der Auseinandersetzung m i t einer technisch-wissenschaftlichen Revolution, die als Folge der Aufklärung der Heimat einer — wenn auch nach Topitsch stets unstimmigen 4 4 — kosmischen Ordnung den Menschen beraubt habe. Dabei bleibt die Antwort Topitschs nur i m Vorraum einer möglichen Lösung des hier impliziten Zirkelschlusses, wenn er behauptet, w i r müßten uns heute bemühen, die Auswirkungen der Wissenschaft „selbst wissenschaftlich zu erfassen und uns nach Möglichkeit vor unerwünschten Nebenfolgen zu sichern" 45 . Eine echte wissenschaftliche K r i t i k hat also für i h n u. a. die Aufgabe, die „Unvermeidlichkeit" des ideologischen Denkens ins Licht zu führen. Die Kosmosidee des Mythos trage als Alternative und i m Gegensatz zu jener der „moralischen" oder „kontemplativen Metaphysik" und erst recht zu jener der Poesie eine deutliche „pragmatische und empiristische Note". Die intentionale Weltdeutung des Mythos beruhe nicht nur auf dem Gebrauch gewisser Erklärungsmodelle, sondern auch auf ganz präzisen Annahmen über die Verknüpfung von Handlungen und Handlungsfolgen — Handlungsfolgen, welche für das irdische Schicksal des Menschen oft von höchster Wichtigkeit seien. Der Mythos sei nicht erbaulich und nicht ästhetisch, sondern i n hohem Maße praktisch, indem er dem Menschen den Weg zur Überwindung elementarer diesseitiger Lebensnot weise, „den Weg zur Nahrung und zum Sieg". Dadurch, daß i n der Philosophie dieser pragmatische Zug verschwinde, würde sie zu einer leeren Formel, „der man jeden beliebigen 43 Vgl. E. Topitsch, Sozialphilosophie zwischen Ideologie u n d Wissenschaft; ders., V o m Ursprung u n d Ende der Metaphysik, S. 221 - 280. Vgl. hierzu C. Mühlfeld, Weltanschauung u n d Verhaltenssteuerung. Z u r verhaltenswissenschaftlichen Dimension der Ideologiekritik, i n : K . Salamun (Hrsg.), Sozialphilosophie als Aufklärung, S. 63 - 72. 44 Vgl. E. Topitsch, Atheismus u n d Naturrecht, zuerst i n : Club Voltaire, Jahrbuch für Kritische Aufklärung, Bd. I I I , 1967, jetzt i n : ders., Mythos, Philosophie, S. 121 - 141, hier S. 129. 45 Ders., Sozialphilosophie zwischen Ideologie u n d Wissenschaft, S. 281. Z u m Problem der Nebenfolgen vgl. jetzt R. Spaemann, Nebenwirkungen als moralisches Problem, PhJb 82 (1975), S. 323 - 335.
§ 24 Politische Theologie als Ideologie
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moralisch-politischen Gehalt unterlegen kann und unterlegt h a t " 4 6 . Der Wert der Handlungsmodelle als Mittel der Welterklärung sei aber m i t der zunehmenden Erforschung der tatsächlichen Kausalzusammenhänge immer fraglicher geworden, und die neuzeitliche Naturwissenschaft fasse insofern das Verhalten ihrer Objekte grundsätzlich nicht mehr i m Sinne eines sozialen Rollenspiels auf 4 7 . Die „Weltanschauungsanalyse" stellt insofern eine „kontinuierliche" Aufgabe dar. Sie kann nicht vor der „Versuchung" einer „sauberen" Scheidung zwischen Glauben und Wissen, aber auch nicht vor der Respektierung eines persönlichen Rechts, etwa des Glaubens- oder Freiheitsrechts, stehen bleiben. Denn die verschiedenen, einander „oft schroff widersprechenden" moralischen Normen oder politischen Systeme können jederzeit unter Berufung auf den göttlichen Willen oder die Welt- und Schöpfungsordnung vertreten und dadurch die bestehenden politischen Konflikte nur noch verschärft und deren Lösung entfernt werden 4 8 . So stellt Topitsch den Abbau von Religion und Theologie, insofern sie untrennbar von der Politik sind, als Voraussetzung zur restlosen Entideologisierung dar. Inwiefern der implizite Kampf gegen die alte Welt aus einem i n spezifischem Sinne politisch-theologischen Appell zur restlosen L i q u i dierung jedes Residuums religiöser oder theologischer Substanz herr ü h r t 4 9 , w i r d noch durch die Qualifizierung von Glauben und Religion als typische „Grundformen antidemokratischen Denkens" 5 0 ausdrücklicher betont. 48 E. Topitsch, V o m Mythos zur Philosophie. Vorphilosophische Grundlagen philosophischer Probleme, i n : ders., Mythos, Philosophie, S. 24 - 60, 57. Vgl. ferner E. Topitsch, V o m Ursprung u n d Ende der Metaphysik, S. 5 - 33. Dazu: E. Lisi, N o r m a t i v i t ä t u n d Rationalität. Z u r Rolle des Normativen i n der Entwicklung menschlicher Weltauffassung, in: K . Salamun (Hrsg.), Sozialphilosophie als Aufklärung, S. 7 3 - 8 8 ; J. Chr. Marek, Uber Sinn u n d Kausaladäquanz v o n Handlungen, in: K . Salamun (Hrsg.), Sozialphilosophie als Aufklärung, S. 73 - 88. 47 Ebd., S. 58. Dazu: E. Bodzenta, Sozialstruktur i m Wandel — am Beispiel Österreichs, i n : K . Salamun (Hrsg.), Sozialphilosophie als Aufklärung, S. 379 bis 398. 48 Ebd., S. 140. Vgl. ferner E. Topitsch, V o m Ursprung u n d Ende der Metaphysik, S. 280 - 313. Vgl. hierzu M . Djuric, P o l i t i k , Wissenschaft u n d P h i l o sophie, in: K . Salamun (Hrsg.), Sozialphilosophie als Aufklärung, S. 413 - 430. 49 Vgl. hierzu z. B. E. Topitsch, Atheismus u n d Naturrecht sowie ders., Gottwerdung u n d Revolution, Pullach b. München 1973, S. 9. Vgl. ferner G. SzczesTiy, Vorbemerkungen zu „Club Voltaire" 4 (1970), S. 14. Wie eine kombattante Ideologiekritik zur Verzerrung des Sachverhalts führt, zeigt die Besprechung P. Rohs v o n Topitsch, Die Voraussetzungen der Transzendentalphilosophie — K a n t i n weltanschauungsanalytischer Beleuchtung, Hamburg 1975, in: PhJb 84 (1977), S. 195 - 198. 50 E. Topitsch, V o m Mythos zur Philosophie, S. 142 - 169.
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Das spezifisch politisch-theologische Instrumentarium der Ideologiek r i t i k Topitschs t r i t t dadurch deutlich hervor. Nicht nur die Bedingung zur Lösung politischer Konflikte hängt von einer Positionnahme gegen die alte Metaphysik und Theologie ab, sie ist zugleich die Voraussetzung eines „Bemühens u m Erkenntnis", das wie alles menschliche Streben i n einen „wertirrationalen Weltlauf" hineingestellt bleibt 5 1 . Der Kampf gegen das Alte ist die Möglichkeit einer Bemühung u m Erkenntnis i n der unausweichlich mythischen Welt. Das Neue selbst ist der Mythos. Topitsch wiederholt es tausendfach: die „weltanschauungsanalytische und ideologiekritische Forschung" bezwecke den „neuen Einsichten" Einlaß i m Bewußtsein der Menschen zu verschaffen 52 , der „neuen Wissenschaft und Technik" gerecht zu werden 5 3 , der „neuen Funktionalität" der gesellschaftlichen Beziehungen 54 zu entsprechen, auch „die Freiheit zu schützen" 55 . Doch ist dies eine Freiheit, die, u m nicht „vor dem Leeren" zu stehen 56 , ihren Inhalt aus dem Kampf gegen das Alte entnimmt. So ist der Mythos des Neuen nichts als die Kontinuität der alten politischen Theologie i n den neuen, enttheologisierenden und -politisierenden Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt. Denn, daß „der Weltlauf unseren Wertpostulaten gegenüber indifferent ist", t r i t t als notwendiges Postulat der Entideologisierung auf 5 7 . Die politische Kosmologie der alten politischen Theologie verwandelt sich i n die kosmologische Politik der neuen politischen Theologie 58 . So findet die Freund/Feind-Dialektik Schmitts eine Bestätigung durch dessen vermeintlichen K r i t i k e r Topitsch. Daß dabei die Instrumente von Topitsch nur allzusehr denen von der Politischen Theologie Schmitts gleichen, versteht sich von selbst: ein existentieller Begriff des Politischen, eine strukturelle Verknüpfung von Theologie und Politik, die Reduktion des Theologischen und Religiösen auf politische Substanz, die Rolle von Wissenschaft und Technik als Entideologisierungs- bzw. Entpolitisierungsfaktoren, schließlich das neue, technische Denken i m Kampf gegen die alte politische Mythologie. Inwiefern der Versuch einer restlosen Liquidierung der „alten Welt" aber i n gesteigerter Form das Legitimitätsbedürfnis empfindet, gleich51
Ders. f V o m Ursprung u n d Ende der Metaphysik, W i e n 1958, S. 312. Ebd., S. 313. 53 Ebd., S. 221 - 280. 54 Vgl. hierzu z . B . E. Topitsch, M a x Weber u n d die Soziologie heute, i n : O. Stammer (Hrsg.), M a x Weber u n d die Soziologie heute. Verhandlungen des 15. Deutschen Soziologentages, Tübingen 1965. 55 E. Topitsch, Gottwerdung u n d Revolution, Pullach bei München, S. 217. 66 Ebd., S. 16. 57 Vgl. E. Topitsch, V o m Ursprung u n d Ende der Metaphysik, S. 313. 58 Vgl. hierzu insbesondere ebd., S. 95 - 221. 52
§ 25 Politische Theologie und Legitimität der Neuzeit
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sam zu einer neuen politischen Mythologie ruft, zeigt die Legitimität der Neuzeit Hans Blumenbergs. § 25 Politische Theologie und Legitimität der Neuzeit Eine „wissenschaftliche" Negierung der politischen Theologie w i r d weiterhin von Hans Blumenberg i n seinem Buch „Die Legitimität der Neuzeit" 5 9 unternommen. A u f die Reaktion Schmitts i m Nachwort der Politischen Theologie II, „Zur heutigen Lage des Problems: Die Legitimität der Neuzeit" folgte die Replik Blumenbergs i n der nun überarbeiteten Neuausgabe des ersten und zweiten Teils, „Säkularisierung und Selbstbehauptung" 60 . Die Intention Blumenbergs w i r d klar ausgesprochen. Er sucht anhand der „Säkularisierung" als eine „Kategorie des geschichtlichen Unrechts" sie als solche zu entlarven und hofft, ihre Übersetzungen und Umbesetzungen i n einer Legitimität der Neuzeit zu überwinden. Dies soll geschehen durch die radikale Modernisierung der Moderne, durch die restlose Aufklärung der „unaufgeklärten" Residuen der Aufklärung, denn die Weltlichkeit der Neuzeit stelle nicht ihr gesichertes historisches Merkmal, sondern vielmehr „ i h r dauerndes kritisches Officium" dar 6 1 . Das Beispiel „Politische Theologie Carl Schmitts" soll hier i n concreto die Absurdität des theologischen Absolutismus zeigen und bestätigen helfen. Dabei stimmt die Analyse i n vielen Punkten m i t derjenigen Schmitts überein. Die als Folge der konfessionellen Bürgerkriege herbeigeführten Unerträglichkeiten der innerstaatlichen absoluten Faktionierung wäre „faktisch" dadurch aufgefangen, daß der absolute Charakter der Freund-Feind-Kategorie auf das Verhältnis der sich integrierenden Nationalstaaten untereinander projiziert würde. Auch für Blumenberg bleibt die Hegung der agonischen Feindschaft einer inneren Krise durch die Absolutsetzung einer äußeren „eine Besonderheit des historischen Bildes der Neuzeit", und zwar bis zu jenem Augenblick, „ i n dem die Austragung der äußeren Krise alle Möglich59 H. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, F r a n k f u r t 1966. Z u Blumenberg vgl. ferner ders., Heimo Dolch, Kausalität i m Verständnis des Theologen u n d der Begründer neuzeitlicher Metaphysik, Philos. Rundschau 3 (1955), S. 198 - 208; ders., Marginalien zur theologischen Logik Rudolf Bultmanns, Philos. Rundschau 2 (1954/55), S. 121 - 140; ders., Lebenswelt u n d Technisierung unter Aspekten der Phänomenologie, Filosofia 14 (1963), S. 855 - 884; vor allem ders., Wirklichkeitsbegriff u n d Wirkungspotential des Mythos, München 1971; ders., Die Genesis der kopernikanischen Welt, F r a n k f u r t 1975; zuletzt ders., A r b e i t am Mythos, F r a n k f u r t 1979. 60 F r a n k f u r t 1974. Z u r „Säkularisierimg" vgl. H. Lübbe, Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitischen Begriffs, Freiburg 19752; H. Zabel, V e r w e l t lichung — Säkularisierung. Z u r Geschichte einer Interpretationskategorie, Diss. phil. Münster 1968. 61 H. Blumenberg, Die L e g i t i m i t ä t der Neuzeit, S. 61.
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II. 3. Kap.: Kritik a der Politischen Theologie Carl Schmitts
keiten der inneren überbieten konnte" 6 2 ; d. h. also bis zu dem Augenblick, i n dem nicht mehr daran geglaubt werden könne, daß die Entscheidung zwischen Gut und Böse i n der Geschichte unmittelbar bevorstehe, daß jeder politische A k t an dieser Entscheidung teilnehme. Hier verliere sich die Suggestion des Ausnahmezustandes als die der Normalität des Politischen, „dessen Technik dem Typus der großen Verwaltungen ähnlicher w i r d als den Blitzen des Zeus und den Dekreten der Prädestination" 6 3 . Es scheint also, als ob der historische Verlust an theologischer Substanz zugunsten einer Entideologisierung des Politischen, wie es Blumenberg i n Anlehnung an Schmitt auslegt, geradezu den typischen Fall einer „Säkularisierung" darstellen würde. Doch Blumenberg w i l l i n der Preisgabe religiöser Vorbehaltsgüter, d . i . des Primats des Theologischen an den Staat, eigentlich eine „Notwendigkeit" sehen, welche durch die „humane Unerträglichkeit" des politisch-theologischen Konflikts verursacht gewesen wäre. Solche Umwandlungen der theologischen i n die politische Sphäre müßten vielmehr als „Umbesetzungen" eines vorgegebenen Systems und insofern als Schein-Säkularisierung entlarvt werden. Gerade i m Mitmachen bei der Festsetzung über die Natur des Menschen und der darin implizierten Steigerung der Intensität der Entscheidung erweise sich die absolute Qualifizierung politischer Situationen als ein zu destruierender Anachronismus 64 . Daß das Interesse Blumenbergs für solche Umbesetzungen symmetrischer Systeme auch seinerseits „entlarvt" werden kann, insofern sie den Bedarf Blumenbergs an Legitimationsschemata für die Neuzeit geradezu decken, bezeugt die Tatsache, daß für i h n eine solche Legitimierung primär i n ihrer parallelen Neuartigkeit besteht, darin, „daß die Epochenwende als Analogon des theologischen Ursprungsereignisses des Christentums" gedeutet werden könne 6 5 . Die Annahme der Säkularisierungskategorie bedeutet für Blumenberg die Deklassierung der Neuzeit zu einer Verfehlung des Geschichtlichen selbst. Die Neuzeit werde aus der Sicht des Säkularisierungstheorems als eine A r t „Regression zum Paganen oder zum Gnostischen" interpretiert. Demgegenüber solle nunmehr die „Neuzeit" der Neuzeit durch die geleistete „Selbsterhaltung" und „Selbstbehauptung" des Menschen gegen den „theologischen Absolutismus" sowie die Rehabilitierung der theoretischen Neugierde als Entfesselungsfaktor der wissenschaftlich-techni62
Ebd., S. 59. Ebd., S. 60. 64 Ebd., S. 61. 65 Ebd., S. 72. Vgl. hierzu die K r i t i k an Blumenberg v o n A . Baruzzi, Säkularisierung. E i n Problem v o n Enteignung u n d Besitz, PhilJb 85 (1978), S. 304 ff., S. 310 ff. 63
§ 25 Politische Theologie und Legitimität der Neuzeit
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sehen Welt spezifisch als die zweite, diesmal aber „gelungene" Überwindung der Gnosis charakterisiert werden 6 6 . Den Ursprung für die „Rechtfertigungsunbedürftigkeit" der neuzeitlichen Erkenntnis sieht Blumenberg i m Prinzip der durchgehenden Rationalität einer endlichen Wirklichkeit. Dieses habe den Begriff einer durch keinen je erreichbaren Wissensbestand zu befriedigenden, „wesenhaft unruhigen theoretischen Neugierde" eingeschlossen und dadurch ihrer „Dämonisierung" den Boden entzogen 67 . Hier setzte die Linie einer durch Selbstrealisierung und Selbstermächtigung des Menschen beginnenden Geschichte an. A m Beispiel zweier „sprachverwandter" Autoren der Epochenschwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit bezweckt Blumenberg i m vierten Teil seiner Arbeit schließlich die Auslegbarkeit der Epochenwende als „materiale Umbesetzung formal identischer Systemstellen" zu beweisen 68 . A u f dem Hintergrund der Argumentation Blumenbergs t r i t t deutlich die Position Schmitts hervor, und zwar anhand der Polemik i m Nachwort der Politischen Theologie II. Erst stellt Schmitt fest, ein Blick auf das Schicksal des Feindbegriffs i n einer „folgerichtig" enttheologisierten und nur noch menschlichen neuen Wirklichkeit sei durch das Werk Blumenbergs u m so unvermeidlicher geworden. Wie Blumenberg selbst w i l l Schmitt nun auch versuchen, das christliche Mittelalter und „die Einheit seines rationalen Systemwillens" aus der Bewältigung der gnostischen Gegenposition zu begreifen und dadurch eine tatsächliche, politisch-theologische Überwindung der Gnosis durch den einheitlichen Dualismus der Struktur des Politischen leisten. Gegenüber der augustinischen Schein-Lösung des gnostischen Dualismus von Vater und Sohn soll nun der Mensch seine Freiheit nicht durch Untaten, sondern durch Taten bewähren, und zwar durch Inauguierung eines christologischpolitischen Zeitalters. Der Dualismus von zwei Naturen, der göttlichen und der menschlichen, „werde i n der zweiten Person zur Einheit". Die Epochenschwelle bei Schmitt markiert Thomas Hobbes. Der Leviathan erscheint als Frucht einer Epoche, eines „ i n spezifischer Weise theologisch-politischen Zeitalters", i n dem das Entscheidungsmonopol vom römisch-kirchlichen zum staatlich-reformatorischen überging. Die alte politische Theologie einer an sich nicht erlösungsbedürftigen Welt Gottes, die durch die Freiheit des Menschen erst überhaupt erlösungsbedürftig gemacht wurde, soll nun durch die neue politische Theologie einer erlösungsbedürftigen Welt des Menschen durch den sich selbst 86 87
Ebd., S. 78.
Ebd., S. 332. Ebd., S. 443. Der vierte T e i l trägt den T i t e l „Cusaner u n d Nolaner: Aspekte der Epochenschwelle", S. 433 - 585. 68
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II. 3. Kap.: Kritik an der Politischen Theologie Carl Schmitts
erlösenden Menschen ersetzt werden. Der Befreier und Bewirker einer „veränderten neuen Welt" ist der neue, sich durch die Freiheit selbst reproduzierende Mensch. Das für die schmittsche Dialektik des Politischen notwendige theologische Residuum w i r d i n der „neuen" politischen Theologie dadurch gewährleistet, daß der revolutionäre neue Mensch zugleich auch i n Christus sozusagen „Gott geworden ist". Der Dualismus der Freund-Feind-Dialektik bleibt durch die Einheit der zwei Naturen, Gott — Mensch, i n der zweiten Person garantiert und aufgehoben. Eigentlich braucht Schmitt insofern nur noch einen antagonistischen Kampf, u m die Dialektik des Politischen zu begründen, und zwar den Kampf des Neuen gegen das Alte. Er findet diesen Kampf auf musterhafte Weise i n dem „enttheologisierten Gegenbild" Blumenbergs wieder. So vollzieht sich auch hier ein scheinbarer Entlarvungsvorgang: i n einer „der Prätention nach" total neuen, reinen Weltlichkeit und humanen Menschlichkeit schematisiert sich für Schmitt exemplarisch der Kampf des Neuen gegen das Alte. I m „Prozeß-Progreß von Wert-Verwertungs- und Bewertungsfreiheit" des sich selbst produzierenden neuen Menschen gegen die alte Politische Theologie offenbare sich die höchst „intensive Aggressivität" dieses Neuen Gottes sowie der i h m zugeordneten Neuen Wissenschaft als Neue Theologie und der neuen religiösen Anthropologie 6 9 . Die K r i t i k Blumenbergs ermöglicht es Schmitt, die Reduzierung der politisch-theologischen These auf die materielle Umbesetzung formell symmetrischer Syteme, letztlich geradehin auf die Freund-Feind-Struktur des Politischen, selbst zu vollziehen. So vermag auch die zweite Auseinandersetzung Blumenbergs m i t der Politischen Theologie I und I I i n der Neuausgabe der „Legitimität der Neuzeit" aus der Sicht politischer Theologie deren jeweiligen Licht und Schatten zu konturieren. Kurz zusammenfassend weisen die Replik Blumenbergs und eine K r i t i k an ihr folgende Merkmale der politischen Theologie auf: 1. Es ist nicht auszuschließen, daß durch den singulären Gegensatz i m Ost-West-Dualismus der innere Konflikt eine neue und „diesmal unableitbare" Intensität übernehmen müsse. Wenn aber tatsächlich dies zutrifft, w i r d jener andere Satz Blumenbergs nicht mehr schlüssig, wonach das Experiment der absoluten Instanzen „durchgespielt" wäre 7 0 . Zu diesem Kontext würde jedenfalls die Erörterung gehören — was Blumenberg überhaupt nicht einbezieht —, ob die „Politische Christologie" nicht gerade den Versuch darstellt, die absolute Faktionierung des Ost-West-Dualismus durch die Einheitlichkeit einer radikal technisch89 70
Vgl. C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 124 - 126. Vgl. H. Blumenberg, Säkularisierung u n d Selbstbehauptung, S. 105 ff.
§ 25 Politische Theologie und Legitimität der Neuzeit
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wissenschaftlichen, homogenen Welt aufzufangen. Denn, selbst wenn tatsächlich nicht mehr daran geglaubt werden kann, daß die Entscheidung zwischen Gut und Böse i n der Geschichte falle und unmittelbar bevorstehe, schließt dieses Faktum nicht ein, das Freund-Feind-Prinzip als K r i t e r i u m des Politischen sei obsolet. Das K r i t e r i u m behält, auch nach „Entlarvung" des politisch-theologischen Potentials dieser Kategorie bei Schmitt, geschichtliches Belegmaterial 71 . Jedenfalls müßte auch i n diesem Zusammenhang erörtert werden, ob die konservative Endzeitagonie Schmitts ein — von seinen ideologischen Voraussetzungen unabhängiges — Grundelement des Politischen sichtbar macht. Dann hätte nämlich die Politische Christologie Carl Schmitts zumindest eine innersystematische Berechtigung. Daß i n diesem Fall ferner die Behauptung von der Allgegenwart des Politischen nicht das Ende seines Primats, sondern eher i m Gegenteil nach einer Eingrenzung des nunmehr i n planetarischer Dimension übersteigerten Konflikts rufen würde, müßte weiterhin Schmitt zugegeben werden. Denn daß unter der Drohung gegenseitiger atomarer Vernichtung die Weltmächte Randzonen ihrer Interessengebiete herausgeschnitten hätten, „innerhalb deren die Bürgerkriege — m i t dem Schein gegenseitiger Entlastung — umgrenzt werden und so legitimiert werden sollen" 7 2 , bleibt eine alltäglich nachweisbare Tatsache. 2. Sicherlich beruht das einer politischen Theologie zugrunde liegende Konzept darauf, daß die politisch-theologischen Konflikte nicht auf „substantielle Pole" beziehbar sind, und insofern Militanz keine Funktion von Substanz darstellt. Mehr noch — wie es Blumenberg anschaulich expliziert —, die Reduktion des Religiösen auf das Politische ist die Voraussetzung dafür, daß das Spiel der absoluten Instanzen — i n Staat und Kirche institutionalisiert — ins Rollen gesetzt w i r d und dadurch die letztgültige Entscheidung des Souveräns sowie die Wahrheit der Religion i m Maße ihrer öffentlichen Verträglichkeit integriert und damit als „Rechtstitel der Insistenz auf der privaten Autonomie entschärft werden" 7 3 . Es t r i f f t insofern durchaus zu, wenn Blumenberg die Politische Theologie Schmitts als eine Metaphorik m i t theologisierenden Motiven beschreibt. Die quasi-göttliche Person des Souveräns kann nur i m metaphorischen Sinne „Person" sein, weil sie nicht nur Legitimität schaffen, sondern sie auch zugleich bereits besitzen muß: I n dem Maße dieses „Plus" an Legitimität ist die Politische 71
Vgl. R. Kosellek, „ Z u r historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe", in: H. Weinrich (Hrsg.), Positionen der Negativität, München 1975, S. 65 - 104. Vgl. hierzu: C. Schmitt, Die legale Weltrevolution, S. 339. 72 R. Koselleck, K r i t i k u n d Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, F r a n k f u r t 19732, S. X (Vorwort zur 2. Auflage v o n 1973). 73 Vgl. H. Blumenberg, Säkularisierung u n d Selbstbehauptung, S. 111. 9 Beneyto
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II. 3. Kap.: Kritik an der Politischen Theologie Carl Schmitts
Theologie „theologisch" ihrer Intention nach. Aus der Intention kann aber nicht folgen, daß sie — wie Blumenberg behauptet —, „Theologie", wenn auch eine „metaphorische", sei. Unter dem theologischen Aspekt entspricht die Politische Theologie Schmitts richtigerweise dem hier erarbeiteten Begriff einer „mythogenetischen" politischen Theologie. Auch die Konklusion Blumenbergs t r i f f t ohne weiteres zu. So bemerkt er zu Recht, bei der Politischen Theologie I bedarf der Voluntarismus i n der Gestalt eines juristischen Dezisionismus des — wenn auch f i k t i ven — Subjekts, gegenüber der „blinden Perfektionsmechanik" der Rationalismen. Schmitt verbinde den „Souverän" m i t der Legitimitätsproblematik durch die Behauptung der Säkularisierung. Der politische Theologe greife jederzeit auf die voraufklärerischen Figuren zurück und erspare sich dadurch den „Zynismus" einer offen theologischen Politik. Ein i m Kern juristischer Positivismus verbinde sich m i t dem Geschichtsfaktor des Säkularisierungstheorems, aus dem Potentiale der Legitimität „von oben" gezehrt werden können. Insofern setze die Politische Theologie — als ihr Resultat und ihre Gegenposition — die Verwerfung des Ausnahmezustands und die Aufklärung selbst voraus. Das heißt, sie ist i m Grunde „der Inbegriff der Prämissen von Selbstbehauptung". 3. Zu fragen bleibt dennoch, ob die politisch-theologischen Inhalte dieses Vorgangs i m Sinne Blumenbergs als „Säkularisate" oder der Vorgang selbst doch gerade als „Säkularisierung" gedeutet werden sollte. I n der Politischen Christologie Schmitts verschwindet das Säkularisierungstheorem aus dem einfachen Grund, daß die Kontinuität zwischen dem „Zeitalter des Vaters" und dem „Zeitalter des Sohnes" durch die Einheitlichkeit — Vater und Sohn aufhebend — des einen Gottes garantiert wird. Die Beschränkung auf die strukturelle Analogie ist sogleich die Bedingung der Dialektik V a t e r — S o h n . I m neuen „Reich des Sohnes" bedeuten Dreiphasenschemata und alle möglichen Enttheologisierungen, Entpolitisierungen und sonstige „Ent-Entungen" letztlich nur noch die Folgen der Selbstermächtigung des Menschen. I m Ubergang vom Schöpfergott zum Erlösergott eine „Säkularisierung" sehen zu wollen, würde nichts anderes bedeuten, als die Einheit vom Schöpfer- und Erlösergott zu negieren, d. h. ein Wechsel von Substanzen akzeptieren müssen, während die Politische Theologie ja daraus lebt, daß immer nur eine einzige Substanz bestand, theologisch-politisch i m „Zeitalter des Vaters", politisch-theologisch i m „Zeitalter des Sohnes". Es kann keinen Substanzentzug geben. Konnte man noch i n der Politischen Theologie I von der Säkularisierungsannahme als einer Kategorie der Legitimation sprechen, so ist i n der Politischen Theologie I I die Dialektik des Freund/Feind-Verhältnisses das einzige Legitimationskriterium. Die Reduktion auf die strukturelle Analogie ist die
§ 25 Politische Theologie und Legitimität der Neuzeit
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Kondition dafür, daß eine sich i n der Einheit aufhebende Dialektik — und nicht bloß das karge Instrument einer „Nötigung zur Selbstbehauptung" — besteht. Denn gerade diese Kargheit der Argumentation ist das, was die Legitimität der Neuzeit Blumenbergs bestimmt. Nicht nur, daß die historische Legitimität einer Epoche aus der Diskontinuität zu ihrer Vorgeschichte begründen wollen, bereits ein schwer nachvollziehbares Kunststück darstellt. Wenn für das, was neuzeitliche Vernunft tatsächlich leistet, nicht gleichgültig sein soll, aus welchem Anlaß sie dies tut, sondern „die Radikalität der Anforderung und Herausforderung, der Problematisierung und Bestreitung" nicht außer acht zu lassen sei 74 und ferner von Legitimitäten „immer nur" gesprochen werde, wenn sie „bestritten" werden, dann fragt man sich, ob nicht Carl Schmitt Recht zu geben ist, wenn er behauptet, die Immanenz, welche Blumenberg zu begründen versuche, richte sich polemisch gegen eine theologische Transzendenz und sei insofern nichts anderes als Selbstermächtigung. Denn wie Blumenberg selber zugibt: sollte es gelingen, für die Rationalität des Rationalismus der Neuzeit auch historische Argumente zu gewinnen, „so wäre dies der ganzen Struktur der Argumentation nach noch kein Nachweis seiner Leistungsfähigkeit über den notdürftigen Selbstbehauptungsbefund hinaus" 7 5 . Die ganze Aggressivität der scheinbar durch eine „extreme Nötigung" zur Humanität der Selbstbehauptung gezwungenen Selbstkonsolidierung der Neuzeit w i r d dort deutlich, wo Blumenberg die Notwendigkeit der Vernunft — nicht ihrer Leistungen! — als eine „aus dem Nichts ansetzende Selbstbegründung" hervorgehen läßt 7 6 . Hier zeigt sich, was der Widerpart Schmitts eigentlich mit seiner Legitimität der Neuzeit intendiert: er sucht die „großartige Chance der creatio ex nihilo" (sie! 77 ). Denn, daß die Aufklärung nach K r i t i k und Meta-Kritik nicht nur „störend und zerstörend" aufgetreten war, sondern sich auch „steril" für neue Konzeptionen gezeigt habe, ist Blumenberg zufolge ein festzuhaltendes Ergebnis. Das Wagnis der creatio ex nihilo führt jedoch letztlich nicht woanders als zur „Arbeit am Mythos" 7 8 . Nicht Vernunft und das, 74
Ebd., S. 112. Ebd., S. 115. 76 Ebd., S. 113. 77 Ebd., S. 114. 78 Dies ist der T i t e l des großen Werkes v o n H. Blumenberg 1979 i n F r a n k furt herausgegeben. A u f Seite 567 bis 604 findet sich innerhalb des Vierten Teiles: „Gegen einen Gott n u r ein Gott", ein K a p i t e l (das VI.), über „Lesarten des ungeheuren Spruchs" (gemeint ist der „nemo contra deum nisi deo ipsi" Goethes), sowie eine Auseinandersetzung m i t der diesbezüglichen Interpretat i o n Schmitts: „Carl Schmitts Lesung des ,Gott gegen Gott 1 würde den »ungeheuren Spruch 4 i n die Nähe v o n Schellings Mythologie des Prometheus 75
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I I . 3. Kap.: K r i t i k an der Politischen Theologie Carl Schmitts
w a s sie z u l e i s t e n v e r m a g , soll l e t z t l i c h die R i c h t s c h n u r sein, s o n d e r n eine neue M y t h o l o g i e , die d e n L e g i t i m i t ä t s b e g r i f f
decken s o l l 7 9 .
Der
M y t h o s soll das P o t e n t i a l a n S i n n s t i f t u n g v e r m i t t e l n , das eine h e r a b g e m i n d e r t e R a t i o n a l i t ä t sich selber v e r b a u t . D a m i t r ü c k t
Blumenberg
i n e i n d e u t i g e N ä h e z u C a r l S c h m i t t . W e n n aber d e r M y t h o s u n a u s w e i c h l i c h sein soll, d a n n f r a g t m a n sich, ob zwischen d e r ins G r e n z e n lose ü b e r s p r u n g e n e n V i e l d e u t i g k e i t u n d F u n g i b i l i t ä t
„eines"
theischen M y t h o s u n d d e r m y t h o g e n e t i s c h e n E n e r g i e d e r
prome-
Politischen
Theologie, doch n i c h t diese l e t z t e d a n k i h r e s h i s t o r i s c h e n B e l e g m a t e r i a l s mehr K r a f t aufzuweisen vermag.
rücken. Dieser hat die äußerste Konsequenz aus der Anlage gezogen, die i n der Nebenüberlieferung vorgegeben war, Prometheus sei Sohn des Zeus. Dem Mythos k a n n das, was »auch' göttlich ist, i m m e r n u r z u m Gegengöttlichen auswachsen; die Sohnschaft w i r d , unter dem idealistischen Postulat der Autonomie, unausweichlich zur Feindschaft. Daher ist der Geist als das, was i m Menschen v o m Ursprung her göttlich ist, seiner Autonomie wegen potentiell das, was gegen die Götter aufzustehen treibt (...) Das Christentum ist, was Schelling nicht zugegeben hätte, allein deshalb nicht die Konsequenz des A l t e n Testaments, w e i l es einen Bruch m i t dem ersten Gebot des Dekalogs impliziert. Schelling sucht dem i n der U m k e h r u n g zu entgehen: Was auch göttlich ist, gerät dann nicht i n die Rivalität hinein, w e n n es den t r i n i tarischen Bedingungen genügt; die mythische Vielheit w i r d durch die dogmatische Einheit gebannt". (S. 602). 79 Vgl. hierzu jetzt grundlegend: L. Kolakowski, Die Gegenwärtigkeit des Mythos, München 1973. Z u m Mythos als politisches Legitimationspotential vgl. n u n E. Piel, Der Raum des Politischen ist der Raum des Mythos, PhJb 87 (1980), S. 396 - 467. Vgl. hierzu auch u n t e n § 37, 2. u n d 5.
Viertes
Kapitel
Politische Theologie als theologische Politik: Zur heutigen Kritik des Verhältnisses von Theologie, Kirche und Politik § 26 Kritik der Möglichkeit und Bedingungen politischer Theologie Äußerer Anlaß für die Politische Theologie I I bot die 1935 veröffentlichte Abhandlung Erik Petersons über „Der Monotheismus als politisches Problem; ein Beitrag zur Geschichte der politischen Theologie i m Imperium Romanum" 1 und die i m Kontext der Diskussion u m die Politische Theologie der sechziger Jahre i n Anlehnung an die These Petersons veröffentlichten Aufsätze von Ernst Topitsch, Ernst Feil und Hans Maier 2 , welche zum Teil seine „Erledigung" der politischen Theologie übernahmen. Der Kanonist und Schmitt-Schüler Hans Barion hatte ferner i n seiner fünften Studie zum I I . Vatikanum — für die Festschrift Epirrhosis verfaßt — das Problem der Politischen Theologie des Konzils behandelt, dabei von Petersons Abhandlung gesprochen, eine Auseinandersetzung mit ihr für notwendig erklärt und sie eine „parthische Attacke" genannt 3 . Petersons Hauptthese läßt sich folgendermaßen kurz zusammenfassen: die christliche Verkündigung des dreieinigen Gottes stehe jenseits von Judentum und Heidentum, weil das Geheimnis der Dreieinigkeit nur i n der Gottheit selber, aber nicht i n der Kreatur vollziehbar sei, und insofern auch der Friede, den der Christ sucht, von keinem 1 I n Leipzig bei Jakob Hegner erschienen. Z u Peterson vgl. E. Peterson , Theologische Traktate, München 1951; ders., Marginalien zur Theologie, München 1956; ders., Frühkirche, Judentum u n d Gnosis, R o m / Freiburg / Wien 1959. Z u m Verhältnis Peterson — Schmitt vgl. A . Marxen, Das Problem der Analogie zwischen den Seinsstrukturen der großen Gemeinschaften (dargestellt i m engeren Anschluß an die Schriften v o n Carl Schmitt u n d E r i k Peterson), Würzburg 1937, der i m wesentlichen eine „metapolitische politische Theologie" für unabdingbar erklärt. 2 H. Maier f Politische Theologie? Einwände eines Laien, i n : Stimmen der Zeit, 94 (1969), S. 7 3 - 91; E. Feil, V o n der „politischen Theologie" zur „Theologie der Revolution", in: E. F e i l / R . W e t h (Hrsg.), Diskussion zur „Theologie der Revolution", München / Mainz 1969, S. 110 - 132. 3 Vgl. dazu der „Hinweis zur Orientierung des Lesers" auf S. 9 - 1 1 bei C. Schmitt, Politische Theologie I I .
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II. 4. Kap.: Politische Theologie als theologische Politik
Kaiser gewährt werden könne, sondern allein ein Geschenk dessen sei, der „höher ist als alle Vernunft" 4 . M i t anderen Worten: für Peterson besteht das Spezifische des christlichen Glaubens — gegenüber der charakteristischen Identifikation von Theologie und Politik, Geistlich und Weltlich i m Judentum und i n der römischen theologia civilis — i n seiner Transzendenz über die geschichtlich-gesellschaftliche Wirklichkeit. Theologie sei Weiterführung des leibgewordenen Logos. Sie sei also nur zwischen der Himmelfahrt und der Wiederkunft Christi möglich, d. h., die i n Formen „konkreter Argumentation" sich vollziehende „Elongatur der Logos-Offenbarung". So gebe es keine Theologie bei Juden und Heiden. Theologie gäbe es nur i m Christentum und nur unter der Voraussetzung, daß das fleischgewordene Wort von Gott gesprochen habe. „Mögen Juden auch Exegese treiben und Heiden Mythologie und Metaphysik; Theologie i m echten Sinne gibt es erst, seitdem der Menschgewordene von Gott geredet hat" — so i n dem Vortrag „Was ist Theologie" von 19255. „Monotheismus als politisches Problem" bedeutet für Peterson insofern die hellenistische Umbildung des jüdischen Gottesglaubens. Das jüdische Alte Testament enthalte Prophetie, nicht Theologie. I m Heidentum gebe es nur philosophische Metaphysik oder natürliche Theologie. Demzufolge könne die Hede von einer politischen Theologie ausschließlich „bei Juden und Heiden" legitim sein, gerade weil sie bis zum absoluten Jenseits aller Politik — die „absolute Unangreifbarkeit, Unerreichbarkeit und Unberührbarkeit vom Politischen her" — nicht transzendieren, während das Christentum aufgrund der Dreieinigkeit der Trinität über dem Politischen stehe. Darum, daß ferner sich die verschiedenen Völker nie auf ein einziges Gesetz einigen würden, vermöge schließlich die Wirkung des jüdischchristlichen Monotheismus auf das politische Leben i m Grunde immer nur destruktiv zu sein®. Schmitts Entgegnung bewegt sich auf drei Ebenen. Erstens könne der zentrale Satz „theologisch ist der Monotheismus als politisches Problem erledigt" 7 zweierlei bedeuten: erledigt, entweder weil es sich u m ein politisches und kein theologisches Problem handelt und aus diesem Grunde den Theologen nichts angehe; oder aber weil es als res m i x t a theologischer Beurteilung unterliege und aus diesem Grunde unter theologischen Gesichtspunkten (auch) als politisches Problem erledigt werden könne 8 . I n diesem letzten — wohl m i t Schmitt anzunehmenden 4
E. Peterson , Der Monotheismus, S. 100. E. Peterson , Was ist Theologie?, Bonn 1925, jetzt in: ders., Theologische Traktate, München 1951, S. 9 - 43. β Ebd., S. 63. Vgl. hierzu C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 66. 7 C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 77. 8 Ebd., S. 96 f. 5
§ 26 Möglichkeit und Bedingungen politischer Theologie
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Fall, da die Theologie sicherlich auch Aussagen über die Welt enthält 9 — argumentiert Schmitt weiter, vermag der Theologe seine Erledigung von Angelegenheiten des politischen Bereichs nur i n der Weise beachtlich auszusprechen, daß er sich selber als eine politische Größe mit politischen Ansprüchen etabliert. Denn gesetzt den Fall, er erteile auf eine politische Frage eine theologische Antwort, so wäre das entweder ein simpler Verzicht auf die Welt und den Bereich des Politischen oder aber ein Versuch, sich „direkte" oder „indirekte" Einwirkungen oder Auswirkungen für den Bereich des Politischen vorzubehalten, und das bedeute letztlich die Eröffnung eines Kompetenzkonflikts. Demzufolge impliziere der Satz „Theologisch ist der politische Monotheismus erledigt" Ansprüche auf Entscheidungsbefugnisse des Theologen auch i m politischen Bereich und folglich einen Anspruch auf Autorität gegenüber der politischen Macht, „der u m so intensiver politisch wird, je höher die theologische Autorität über der politischen Macht zu stehen beansprucht" 10 . Nun würde sich aber i m Falle einer solchen Kompetenzeröffnung das zweite Argument Schmitts bestätigen, nämlich die nur durch Institutionalisierung i n Kirche und Staat klarzumachende Unterscheidung zwischen Geistlich und Weltlich, Religion und Politik, Jenseits und Diesseits: Die Augustinische Lehre von den zwei Reichen, die civitas Dei und die civitas terrena — auf der letztlich die Ausführungen Petersons ausdrücklich beruhen — werde i n dem Interim zwischen der A n k u n f t und der Wiederkunft des Herrn immer vor die Frage nach der Quis judicabit? Quis interpretabitur?, vor die Frage also nach der konkreten Entscheidung für das „ i n kreatürlicher Eigenständigkeit" handelnde geistlich-temporale Doppelwesen „Mensch" — d. h. vor das, was Geistlich und Weltlich ist — gestellt. Worauf die Lösungsalternative Schmitts auf Dezisionismus, Eigengesetzlichkeit des Vollzugs und Politische Theologie beharrt 1 1 . Doch ist dabei die eigentliche Schwäche Schmitts bei der ganzen politisch-theologischen Argumentation offenkundiger geworden, und zwar das Präsuppositum einer Totalität des Politischen. Die Identifizierung zwischen „Welt" und „Bereich des Politischen" i m oben zitierten Satz belegt insofern nur eine Bestätigung dessen, was tatsächlich implizit der politisierenden Mythologie jener Politischen Theologie von 1922 bereits vorausging 12 . Bçi der Distinktion zwischen Politik und Theologie handelte es sich schon damals u m „zwei geistige, aber substanzielle 9
Vgl. hierzu etwa die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes" v o m I I . V a tikanischen Konzil. 10 C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 105. 11 Vgl. ebd., S. 106 - 107. 12 Hierzu bestätigend C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 24 - 25.
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II. 4. Kap.: Politische Theologie als theologische Politik
Identitäten". Das Vor-Urteil einer Identität von Substanzen verbaut Schmitt die Unterscheidung zwischen einer Theologie der W e l t 1 3 und einer Theologie des Politischen oder „Politischen Theologie", welche letztlich „theologische Politik" ist. Denn nicht jede Theologie der Welt impliziert auch eine Theologie des Politischen, sondern gerade nur diejenige, die auf der dritten Stufe der Argumentation Schmitts basiert, nämlich der Interpretation der Revolution („in concreto ist natürlich immer die Große Französische Revolution und ihre marxistische Weiterführung gemeint", wie Schmitt unumwunden zu bescheinigen sich beeilt 1 4 ), als eine „Manifestation Gottes i n der Geschichte", die A n nahme i m Sinne de Bonaids, daß Religion und Atheismus jeweils A n wesenheit oder Abwesenheit Gottes i n der Gesellschaft darstellen, weil die Wirklichkeit i n der Gesellschaft und i n der Geschichte sei 15 . Hier bleibt Hegel Kronzeuge sowohl der Traditionalisten wie auch seiner legitimen Nachfolger, Carl Schmitt. Wenn tatsächlich die Kirche nur die „geschichtlich überkommene Institution" einer einzigen Substanz, des Politischen, ist, dann kann sie eben jederzeit „durch eine revolutionäre Klasse mit Erfolg i n Frage gestellt" werden 1 6 . Wenn jedes „ehrliche Engagement" und jede „existentielle Verbundenheit" 1 7 sich ausschließlich i m Bereich des Politischen zu realisieren vermag, dann ist die Totalpolitisierung nicht die Konsequenz eines historischen Prozesses, sondern vielmehr seine — kaum noch — „implizite" Prämisse. 13
Vgl. etwa „ G a u d i u m et Spes" des I I . Vatikanums. C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 32. 15 Dieser Satz stammt v o n L. de Bonald, Oeuvres complètes (3 vol. ed. Migne, Paris 1864: I I I 473); „l'athéisme est l'absence de la D i v i n i t é " ( I I I 474) ist insofern die verkürzte Formel seiner Politischen Theologie: „ W e n n m a n die bürgerliche Gesellschaft behandelt, welche die Vereinigung v o n politischer u n d religiöser Gesellschaft ist, dann muß man, u m sich nicht zu verirren, die politische Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der politischen Regierung betrachten, also sozusagen die P o l i t i k als Theologie u n d die Religion als P o l i t i k behandeln. Das ist ein großes Werk, das ich n u r habe skizzieren können ( I 327). Die implizite Inanspruchnahme de Bonaids durch Schmitt w i r d oft frappant: w e i l i n Christus die Anwesenheit Gottes sich w i r k l i c h realisiert, darum ist erst das Christentum der eigentliche „Naturzustand" des Menschen, Christus sei gekommen, u m durch die Vereinigung der p o l i tischen u n d der religiösen Gesellschaft „die bürgerliche Gesellschaft" zu stiften (I 554). Er habe den Übergang „ v o n der Gesellschaft des »Ich4 zur Gesellschaft der anderen u n d aller" ( I I I 624) gestiftet. So müsse der K ö n i g der „sozialisierte Mensch" schlechthin sein ( I 780). Für de Bonald leugnet der Universalismus der Revolution die endlichen Bedingungen des Menschen u n d errichtet ein Rechtssystem, das m i t Humanität identisch sein w i l l u n d das deshalb keine Ausnahme zuläßt. Bei seiner V e r w i r k l i c h u n g w i r d gerade dieses System zur Barbarei. Denn die Gesellschaft als solche w i r d nicht durch Humanität konstituiert, sondern durch die Notwendigkeit der Erhaltung aller. Uber de Bonald vgl. R. Spaemann, Der Ursprung der Soziologie aus dem Geist der Restauration. Studien über L. G. A . de Bonald, der v o n Schmitt auf S. 36, A n m . 8, zitiert w i r d . 14
16 17
C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 24. Vgl. ebd., S. 36.
§ 26 Möglichkeit und Bedingungen politischer Theologie
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Dann ist die Reduktion von Theologie, Religion, Politik und Ethik auf „politische Theologie" nur noch ein Kinderspiel. Ihr politisch-mythologischer Gehalt läßt insofern deutlicher hervortreten, was die Theologie als solche konstituiert: die Transzendenz des Glaubens. Somit zeigt sich aber andererseits auch, daß der Gegenspieler Schmitts, Peterson, eigentlich ein „Freund" ist. Denn auch er setzt die Identifikation von Politik und Theologie voraus. Wenn eine Erledigung der Politischen Theologie primär aus dem Grunde deklariert wird, daß sie durch die Lehre der Trinität unmöglich wurde, heißt das nicht, i m Falle einer monotheistisch-christlichen Religion müsse eine christliche politische Theologie akzeptiert werden? Das heißt: ist die Unerreichbarkeit des Glaubens und der Theologie vom Politischen her nur an der Tatsache gebunden, daß es sich u m Drei, statt u m Einen handelt? Denn wenn hierfür die Antwort, wie es bei Peterson geschieht, m i t „ja" ausfällt, ist die Übertragung theologischer auf staatsrechtliche Begriffe oder umgekehrt geradezu vom „Systematischen" her 1 8 , von der impliziten Annahme einer einzigen Substanz, geboten. Die entscheidende Stelle für diese politische Theologie Petersons ist von Schmitt selber für seine Zwecke zitiert worden und fällt i n die Zeit der „Krisis des Protestantismus" 19 , i m wissenschaftlichen Werdegang Petersons zwischen seinen Vortrag „Was ist Theologie" (1925) und die Abhandlung über den Monotheismus als politisches Problem (1935) verortet. I m Jahre 1932 schrieb Peterson, man könne sagen, „daß die konfessionelle Auseinandersetzung i n Deutschland eigentlich nur auf dem Gebiete der politischen Theologie noch einigermaßen realen Charakter h a t " 2 0 . So rückt auch der primär politische Anlaß seiner Auseinandersetzung m i t Schmitt i n den Vordergrund, und zwar w i r d dabei die Disqualifizierung einer politisch-theologischen, charismatischen Begründung des Führers (1932!) anhand der Formel „Ein Gott — ein Monarch" 2 1 intendiert, letzt18
Vgl. ebd., S. 64. Vgl. ebd., S. 19; als eine „gut dokumentierte" A r b e i t über die KrisenL i t e r a t u r der Jahre 1918 - 1933 erwähnt Schmitt R. Hepp, Politische Theologie u n d Theologische P o l i t i k . 20 E. Peterson , Theologische Traktate, 1951, S. 295 - 321, A n m . 19. Zit. v o n C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 20. 21 Schmitt weist auf die Frage „begriffs- u n d problemgeschichtlich" h i n : „Wenn i m Jahre 1935 i n Deutschland eine A b h a n d l u n g über die Formel ,Ein Gott — E i n Monarch 4 erschien, so geriet sie v o n selbst i n den Bereich einer gefährlichen A k t u a l i t ä t , zumal sie i h r e n »Monarchen* gelegentlich auch einen Führer nannte. Sie wurde als aktuelle K r i t i k u n d Protest empfunden, als eine gut getarnte, intelligent verfremdete Anspielung auf Führerkult, E i n Parteien-System u n d Totalitarismus. I h r Motto t r u g dazu bei; es w a r ein Satz des H l . Augustinus, der v o r dem falschen, aus weltlicher Machtgier entstehenden Streben zur Einheit w a r n t . . . (...) I n den Schweizer Annalen wurde festgestellt, hier sei der Bruch m i t jeder politischen Theologie v o l l zogen. Überraschend e n t h ü l l t sich der Hintersinn dieser Erörterungen" (ders., Politische Theologie I I , S. 16 f.). 19
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II. 4. Kap.: Politische Theologie als theologische Politik
lieh eine politische Positionierung mit theologisierenden Mitteln und insofern das musterhafte Beispiel für eine „freundschaftlich-feindliche" Bestätigung der Politischen Theologie Carl Schmitts. § 27 Zur politisch-theologischen Funktion der Königsherrschaft Christi Die politisch-theologische Funktionalisierung der Königsherrschaft Christi zeigt das Paradebeispiel politischer Inanspruchnahme theologischer Inhalte, zumal dogmatischer Erklärungen. Während die kirchlichoffizielle Interpretation, nach Jahrhunderten einer gewissen Konnivenz oder sogar Unterstützung politisch-theologischer Argumentationen 2 2 , heute auf dem strikt geistlich-eschatologischen Charakter der Herrschaft Christi über Welt und Menschen insistiert 2 3 , erleben solche Reminiszenzen zuweilen eine Renaissance mit gesteigerter Radikalität. I m folgenden sollen die zwei, i n diesem Kontext meist typischen Versionen, die „traditionalistische" und die „progressistische", anhand zweier Beispiele analysiert werden. Daß die hierbei koinzidierenden politischtheologischen Schlußfolgerungen von einer engeren Verwandtschaft zwischen der „alten" und der „neuen" Politischen Theologie zeugen, soll hier als weiterer Beleg der These christologischer politischer Theologie dienen. 1. I n seinem m i t dem Titel „Politische Theologie: eine Revision des Problems" (1976) erschienenen Aufsatz legte Alvaro d O r s 2 4 ausgehend von der Auseinandersetzung Schmitt — Peterson die Grundlinien einer geschichtlichen Betrachtung des Themas „Politische Theologie" dar, die systematisch bis zur Formulierung einer „dogmentheologischen" Politischen Theologie vordrang. D O r s beginnt seine K r i t i k an der bisherigen Behandlung des Themas m i t dem Hinweis auf ihre Begrenztheit und Undifferenziertheit. Wie der spanische Romanist richtig bemängelt, sei das Problem prinzipiell i m Kontext der Diskussion u m den Souveränitätsbegriff thematisiert worden. Diese kontextuelle Abhängigkeit hätte — besonders i n 22
Vgl. hierzu kritisch R. Faber, Die Verkündigung Vergils. Z u r K r i t i k der politischen Theologie. Z u einem richtigeren Verständnis etwa der p o l i tischen Theologie des Mittelalters vgl. das Standardwerk v o n W. Ullmann, The Medieval Idea of Law, London 1946; ferner E. H. Kantorowicz, The Kings T w o Bodies: A Study i n Medieval Political Theology, Princeton 1957; M. Garcia-Pelayo, E l reino de Dios arquetipo politico, M a d r i d 1959; ders., L a idea medieval del Derecho, Caracas 1962; zuletzt ders., Los mitos politicos, M a d r i d 1980. 23 Vgl. hierzu v o r allem die K o n s t i t u t i o n „Gaudium et Spes" sowie „ L u men Gentium" des Vatikanischen Konzils. 24 A . d O r s , Teologia politica: i m a revision del problema, REP 205 (1976), S. 41 - 80.
§ 27 Zur Funktion der Königsherrschaft Christi
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Deutschland — der eigentlichen Frage eine zu enge Perspektive gegeben. Sie hätte Schmitt i m Grunde genommen nur interessiert, u m seinem eigenen Souveränitätsbegriff eine Stütze zu liefern: das Wunder als Ausnahme i n der natürlichen Ordnung würde den Ausnahmezustand i n der politischen Sphäre genauso rechtfertigen, wie die Ungläubigkeit des Deismus den liberalen Konstitutionalismus des „Roi qui règne, mais ne gouverne pas" desavouieren. Die Politische Theologie Schmitts beschränke sich auf das Problem der Souveränität i m Staat und könne somit als die Politische Theologie der Säkularisation gegenüber einer möglichen heidnischen, mittelalterlichen oder auch „progressistischen" Politischen Theologie definiert werden. Obwohl eigentlich — fügt dOrs hinzu — nur i m Rahmen und als Folge der Offenbarung nach christlichem Verständnis strenggenommen von „Theologie" die Rede sein könne, bestehe die Möglichkeit einer heidnischen Theologie als die Fülle all jener religiösen Vorstellungen, die über die Gottheit i m griechisch-römischen K u l t u r r a u m herrschten. So sei es beispielsweise legitim, i m Falle des monotheistischen Sonnenkults Karakallas, welcher seine Reichsvereinigungspolitik bis h i n zur Verallgemeinerung des römischen Bürgerstatus i m Jahre 212 bedinge, wie ferner bei der Verkündigung eines gerechten Krieges („clarigatio") oder Sieges, sowie bei der „auguratio" und ihre Säkularisierung i n der Form der „auspicatio", von einer „Politischen Theologie" zu sprechen. I n diesen und ähnlichen Aspekten des antiken politischen Denkens w i l l dOrs konkrete Projizierungen allgemein anerkannter theologischer Prinzipien i n das politisch-juristische Leben erkennen. Wesentlich schlüssiger und inhaltsreicher als die der griechisch-römischen Antike sei aber die Politische Theologie des Mittelalters. Die faktische Ablehnung einer Inkompatibilität zwischen trinitarischem Dogma und Politik zeige sich — so die K r i t i k dOrs an die „Erledigungs"-These Petersons — bereits i m politischen Denken Byzanz* deutlich. Dort hätte sich sogar eine politische Projektion des trinitarischen Dogmas i n bezug auf die Korregenz Konstantin Pogonatus', Heraclius' und Tiberius' ergeben; i n dieser Zeit wäre auch der theologisch-politische Aufruf „eis triada pistenomen: tous treis stepsomen" entstanden, welcher 681 zusammen m i t der Korregenz aufgehört hätte 2 5 . Die Kernfragen jeder Politischen Theologie seien i m Kontext einer intensiv theologisierten Epoche i m christlich-europäischen Mittelalter formuliert worden. Das für die politische Doktrin gültige theologische Modell — argumentiert weiterhin dOrs, Ε. H. Kantorowicz folgend 26 — ~ * r  T d O r s , ebd., S. 50. 26 Vgl. Ε. H. Kantorowicz, Political Theology.
The Kings T w o Bodies: A study i n Mediaeval
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II. 4. Kap.: Politische Theologie als theologische Politik
sei jedoch hier nicht die „göttliche Monarchie", „doch ziemlich unklar aus der Sicht des trinitarischen Dogmas" 27 , sondern das Königtum Christi und die Doppel-Natur des inkarnierten Wortes. Der konsakrierte König erscheine als Gegentypus Christi und erhalte eine doppelte Persönlichkeit (oder „Bodies" — „Körper" —, wie es i m England der ersten Tudors offiziell geheißen hätte): die kontingente Persönlichkeit des konkret-aktuellen Monarchen und jene permanente der Krone. Gerade diese Vorstellung der Überdauer, der Permanenz, konstituiere die zentrale Idee des politischen Denkens i m Mittelalter und lege somit ein durchschlagendes Zeugnis für den natürlichen Rekurs auf theologische Begriffe ab. Ihre konzeptuelle Verarbeitung sei der für strukturell-ähnliche, kirchenrechtliche Zwecke argumentierenden Kanonistik zu verdanken 2 8 . Die überzeitliche, ewige Präsenz der Kirche werde auf das Reich und später — dem Prinzip zufolge, wonach „der König, der Kaiser i m eigenen Territorium ist" — auf die verschiedenen Königshäuser übertragen. I m Zuge der Juridifizierung des X I I I . Jahrhunderts wären dann die Juristen diejenigen gewesen, die sich, von der christologischen Konzeption trennend, anhand der Lehre über die Kirche als „Corpus Mysticum", der „etwas säkularisierteren" These von der Unsichtbarkeit der juristischen Person bedient hätten. Es handele sich also i n dem Folgestadium u m die Ersetzung der christologischen durch die kirchliche Analogie und des konsakrierten Königs durch das Symbol der politischen Gemeinschaft oder eines ihrer bedeutendsten Institutionen, wie des Fiskus: „fiscus non moritur". Weiterhin untersucht dOrs die Abwertung der Politischen Theologie nach dem Zweiten Weltkrieg, die er als Folge einer oberflächlichen Identifikation von Faschismus und konterrevolutionärer politischer Theologie interpretiert. Sie würde gerade durch die geschichtlichen Voraussagen und die Qualifizierung der Diktatur als geschichtlicher Ersatz der Monarchie durch Donoso Cortés und Schmitt bei einer superfiziellen Betrachtung sehr naheliegend sein. Das Werk Guardinis über den Mythos der neuen Heilbringer 2 9 verstehe sich als eine Reaktion auf jene allzu vorschnelle Interpretation: Guardini wende sich hier gegen den Trugschluß, die heilsbringende Mission Christi auf einen König oder Diktator übertragen zu wollen, und postuliere ferner die Notwendigkeit einer neuen religiösen Grundlegung des modernen Staates. 27
A . d O r s , ebd., S. 50. Vgl. hierzu jetzt D. Wyduckel, Princeps Legibus Solutus. Untersuchungen zu den Grundlagen der frühmodernen Rechts- u n d Staatslehre, B e r l i n 1979. 29 R. Guardini, Der Heilbringer i n Mythos, Offenbarung u n d P o l i t i k : eine theologisch-politische Besinnung, Zürich 1946. 28
§ 27 Zur Funktion der Königsherrschaft Christi
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Eine Sonderstellung i n der Arbeit dOrs nimmt die Auseinandersetzung m i t der K r i t i k Hans Barions an der Konstitution „Gaudium et Spes" ein. Das Kapitel „Über die Natur und Ziel der politischen Gemeinschaft" — nach Barion „ein progressistisches pasticcio" 3 0 — sei primär ein moralisches Dokument, das i m Grunde nichts anderes t u n würde, als die soziale Lehre der Kirche, versehen m i t einigen sprachlichen „Modernismen" — „was bedingt, daß sein Latein kein Beispiel von Eleganz sei" (sic!, S. 59) — zu wiederholen. Die Über-Reaktion Barions wäre vielmehr als Folge eines „statistischen" Denkens zu deuten, welches i m Gegensatz zur kirchlich-traditionellen, eher antistaatlichen Position stünde. Aufgrund einer präzisen Übersetzung des Paragraphen 74 behauptet dOrs, es enthalte weder eine pro-monarchische noch eine pro-republikanische Politische Theologie und i m Grunde auch keine Politische Theologie überhaupt. Das Prädikat „estatista" t r i f f t ebenfalls Carl Schmitt. Gegen den schmittschen Souveränitätsbegriff der Politischen Theologie I zitiert dOrs eine Stelle aus der Enzyklika „Summi Pontificatus" von Pius X I I . 3 1 , wonach den diktatorisch-ähnlichen Vollmachten des Ausnahmezustandes Grenzen gesetzt werden müssen. Radikaler ist die K r i t i k an der Politischen Theologie II. Die Aufnahme des schmittschen PolitikBegriffs i n die Theologie der Trinität (Politische Theologie I I , S. 116 ff.) gehört nun für den ehemaligen Schmitt-Schüler „durch die Reduzierung des wesenhaften Trinitarismus auf den dialektischen Dualismus Hegels [zu] der dämonischen Parodie der Hl. Dreifaltigkeit" 3 2 . D'Ors w i l l hier nicht die Inanspruchnahme der intratrinitarischen Theologie für das Politische ablehnen, sondern ihre Interpretation unter dem Gesichtspunkt der Freund-Feind-Diskriminierung 3 3 . Der Terminus „sta30 Vgl. H. Barion, Die Konziliare Utopie, i n : Säkularisation u n d Utopie. Ebracher Studien, E. Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart / B e r l i n / K ö l n / M a i n z 1967, S. 187-233, sowie ders., Weltgeschichtliche Machtform? Eine Studie zur Politischen Theologie des I I . Vatikanischen Konzils, i n : Epirrhosis — Festgabe f ü r Carl Schmitt, hrsg. v o n H. Barion u. a., Bd. 1 (1968), S. 13 - 59. Die Bedeutung des Themas „Politische Theologie" i m w i s senschaftlichen W e r k des Schmitt-Schülers Barion bestätigte er bei seinem siebzigsten Jubiläum i m Jahre 1969 (vgl. Eunomia: Freundesgabe für Hans Barion, Privatdruck 1969, S. 215). 31 A . dOrs, ebd., S. 53. 32 A . d O r s , ebd., S. 69. 33 A m deutlichsten offenbare sich der einseitige Gesichtspunkt Schmitts i n der Auslegung des „ungeheuren Spruchs" Goethes: „nemo contra deum nisi deus ipse", den Schmitt i m Sinne der D i a l e k t i k Vater-Sohn auslege (ders., Politische Theologie I I , S. 123). F ü r d O r s liegt die Interpretation des Satzes vielmehr bei der für Goethe typisch heidnisch-politheistischen Gedankenwelt: n u r w e r Sich-selber zu Gott mache, könne sich gegen einen anderen Gott erheben. Uber die geistesgeschichtlichen Zusammenhänge der diversen Satzinterpretationen s. die Darstellung H. Blumenbergs i n „ A r b e i t am Mythos", S. 567 ff.
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II. 4. Kap.: Politische Theologie als theologische Politik
sis" habe bei Gregor von Nazianz (Oratio Theologica 3, 2) den eigentlichen Sinn einer gegensätzlichen, spezifisch nicht-dialektischen Beziehung: das Eine stehe „sich selber" gegenüber, als eine „relatio oppositionis" und nicht als eine dialektische Vereinigung von „Ruhe" und „Bewegung". Die vermeintliche These-Antithese-Beziehung, die Schmitt i n die „stasis" hineininterpretiert, werde vielmehr durch die ethymologische Analyse des mit dem Terminus „stasis" grammatikalisch verwandten Verbs „histemi" beleuchtet. „Histemi" bedeute „sich erheben", „er-stehen". Nun sei der Aspekt des „Stehens" („estabilidad") nicht das Primäre, sondern es hänge bereits von der Standhaftigkeit des Er-Stehens und „Sich-nicht-weiter-Bewegens" ab; so auch der Aspekt von „Erhebung" („sublevación"), weil derjenige, der sich erhebe und nicht weiter bewege, Widerstand leiste. Es bestehe also keine dialektische Entzweiung zwischen „Stehen" und „Sich erheben": beide Begriffe leiten sich vom ursprünglichen Sinn des Sich-Erhebens und i n dieser Position bleiben, ohne sich zu bewegen, her 3 4 . Dies sei i m Grunde — fügt d'Ors hinzu — derselbe Ursprung des aus dem lateinischen „status" herrührenden Wortes „Staat": eine Organisation, die ersteht und Widerstand leistet, sowohl durch ihre Permanenz als auch durch ihre Polemizität. Der Dualismus der „stasis" könne also nicht dialektisch interpretiert werden, zumal es gleichzeitig — und ewig — durch die Liebe, aus der die dritte Person, der Heilige Geist, herkommt, überwunden werde. Schließlich expliziert d'Ors die Prinzipien einer „richtig verstandenen", „legitimen" Politischen Theologie. M i t Peterson stimmt er darin überein, daß die Dreifaltigkeit eine unüberwindliche Schwierigkeit für eine politisch-theologische Begründung der Monarchie darstelle 35 . Aus dem Dogma der Königsherrschaft Christi leite sich genausowenig die Notwendigkeit der Monarchie her, wie aus der Allmacht Gottes — die Christus als Gottes Sohn besitzt —, die Unbeschränktheit der politischen Macht. Die Übertragung des Monotheismus auf die — absolutistisch-staatliche oder universelle — Monarchie, die Anwendung der mystischen Einheit Christi m i t Seiner Kirche auf eine „moralische und politische Ehe" des Königs mit der „res publica", das Wunder als Legitimierungsbasis für den Ausnahmezustand, der mechanistische Gott als Modell der konstitutionellen Monarchie, der Mystische Leib als das des 34
A . d O r s , Teologia politica, S. 69. „Wenn w i r nicht i n komische Metaphern hineinfallen wollen", fügt d O r s hinzu. So beispielsweise: „ V o r der Klausur des englischen Parlaments i m Jahre 1401, verglich der Speaker des House of Commons den aus König, Lords u n d Commons zusammengesetzten politischen .Körper 4 m i t der Dreifaltigkeit; er verglich aber auch die Parlamentssitzung m i t der Ordnung der Messe" (zitiert v o n E. H. Kantorowicz, The King's T w o Bodies, S. 227). Bei A . d O r s , ebd., S. 69. 35
§ 27 Zur Funktion der Königsherrschaft Christi
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Sozialismus, oder aber der Atheismus als Ursache des politischen A n archismus usw., all diese möglichen politisch-theologischen Kombinationen seien i m Grunde nur Metaphern, die deswegen nur eine metaphorische Politische Theologie ermöglichen würden 3 6 . Eine „christliche" Politische Theologie müsse demgegenüber aus konkreten Dogmen hergeleitet werden und stringent-rationelle Prinzipien begründen können. Aus der Moraltheologie vermöge eine politische Moral, eine Deontologie zur Orientierung des Verhaltens des Bürgers oder des Herrschers deduziert werden, aber keine politische Theologie, die eben nur auf der Basis der Dogmentheologie (oder „Dogmatik") möglich sei. Das einzige Dogma aber, aus dem politische Konsequenzen hergeleitet werden können, sei das der Königsherrschaft Christi, Gesetzgeber und Richter. Grundlegendes kirchliches Dokument hierfür liefere die Enzyklika Pius X I . „Quas primas" (1925), i n der die ausschlaggebenden Stellen aus der Schrift und den Kirchenvätern einbezogen worden seien 37 . Die A n erkennung der absoluten und universellen Souveränität Christi „bereite den Protestanten auch keine Schwierigkeit" 3 8 ; so zitiert dOrs O. Cullmann 8 9 , der die umstrittene Stelle von M k 12, 17 („Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser . . . " ) dahingehend auslegt, sie begründe kein „eigenes Recht" des Staates; es müsse vielmehr dem Kaiser das gegeben werden, was i h m zusteht, weil dieses sich i n die göttliche Hierarchie des Königtums Christi einordne 40 . Die Kirche, die Gemeinschaft derjenigen, welche die aktuelle Herrschaft Christi bewußt leben, setze sich energisch gegen jeglichen Versuch anstatt eines „Kyrios Christus'", einen „Kyrios Caesar" zu etablieren 41 . Die rational-politische Konsequenz des Dogmas der Königsherrschaft Christi w i l l d O r s gerade darin sehen, „ i n der Ausschließung jeder Forderung nach einer absoluten politischen Macht, sei es autokratisch oder demokratisch . . . ; das heißt, i n der Ausschließung jeder anderen Form von ,Souveränität 4 . Aus die36
A . d O r s , ebd., S. 77. Z u r theologischen Begründung des Dogmas schreibt A . d'Ors: „ O b w o h l Christus ausdrücklich verkündigte, Seine Königsherrschaft sei nicht m i t der der irdischen Könige vergleichbar (Joh. 18,36: ,regum meum n o n est de hoc mundo 1 ) u n d aus diesem G r u n d keinen Gebrauch v o n seiner richterlichen Gewalt machen wollte, sprach Er auch offen über Seine absolute u n d u n i verselle Souveränität (Joh. 18,36: ,regnum meum'; Joh. 18,37: ,Rex sum ego'; Apok. 19,6: ,Rex regnum et Dominus dominantium'; Ps. 2: ,Égo autem constituais sum Rex ab eo'; L u k . 1,32 ff.: ,et regnabit . . . i n aeternum, et regni eius non erit finis'), aufgrund v o n Erbschaftstitel u n d durch die Erlösung erworben" (A. d O r s , ebd., S. 73). 38 Ebd., S. 73. 89 O. Cullmann, Königsherrschaft Christi u n d Kirche i m Neuen Testament, Zürich 1941 (19503) u n d ders., Christus u n d die Zeit, Zürich 1946. 40 O. Cullmann, Königsherrschaft Christi, S. 33 ff. (A. d'Ors, S. 75 ff., Fn. 107). 41 Ebd., S. 42 (A. d'Ors, S. 76, Fn. 107). 37
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4. Kap.: Politische Theologie als theologische Politik
sem Grunde muß m. E. die Verneinung der staatlichen Struktur, wie sie seit Bodin verstanden wird, als die konsequente Forderung einer richtigen Politischen Theologie aufgefaßt werden" 4 2 . Die kirchliche Forderung nach Freiheit gegenüber den politischen Instanzen zeige sich somit als die strikte Konsequenz der i n der Königsherrschaft Christi begründeten Politischen Theologie. Sie sei ebenfalls das Fundament für die Legitimierung einer politischen Moral, denn die erste moralische Konsequenz des Prinzips der Nicht-Souveränität bestünde gerade i n der Unterwerfung unter das Gesetz Gottes 43 . Dieses, durch die frühere mittelalterliche Politische Theologie anerkannte Prinzip hätte jedoch i m Zuge der juristischen Säkularisierung und entsprechenden Entpersonifizierung der souveränen Gewalt Christi inmitten der Krise der Reichsidee die Entstehung der staatlichen Souveränität ermöglicht. Heute gelte es nun — und damit schließt dOrs seine Ausführungen —, dieses Grundprinzip einer legitim christlichen Politischen Theologie zum öffentlichen Bewußtsein zu bringen. Die Explizierung der These und ihrer konkreten organisatorisch-politischen Konsequenzen hatte dOrs bereits i n seiner Schrift „Nacionalismo en crisis y regionalismo funcional" (Krise des Nationalismus und funktioneller Regionalismus) i m Jahre 1959 unternommen 4 4 . Hier bekannte der Verfasser als Anhänger des spanischen Traditionalismus (oder „Karlismus"): „das traditionalistische Prinzip der gesellschaftlichen Königsherrschaft Christi ist nichts anderes als die deutliche und entschiedene Anerkennung der politischen Bedeutung der Stadt Gottes und der Souveränität Christi" 4 5 . Die Struktur des Katholizismus sei — aufgrund der Königsherrschaft Christi — an sich politisch. Das himmlische Jerusalem, das Königtum Christi, sei keine bloße Idee, sondern ein reales Königtum und wie jedes andere Königtum eminent politisch. Die Aktua42
A . d O r s , ebd., S. 76. Eine weitere argumentative Basis für die Erarbeitung einer Politischen Theologie der Nicht-Souveränität liefert d O r s durch die Grundlegung einer originellen „Politischen Angelogie" : die theologisch-politischen Konsequenzen der Lehre von den „Engeln der Nationen", die nach E p h 1 , 2 1 - 2 2 u n d Coloss. 2,15 unter Christus unterworfen worden seien. Dies werde als der Sieg der Kirche über die Nationen interpretiert. Dieser notwendigen Spannung zwischen der Kirche, die die zukünftige Königsherrschaft Gottes vorwegn i m m t u n d den Engeln der Nationen, die bis zur Wiederkunft Christi (die „Parusie") überleben, entspreche der dämonische Charakter der politischen Macht u n d insbesondere der Staatsräson. Obwohl aus dem Dogma der Existenz der Engel sich keine theologisch-politischen Folgen herleiten ließen, bliebe jedoch ein sicherer Beziehungspunkt dazu: die Überwindung der Engel der Nationen (und d. h. des Nationalismus) durch den Sieg Christi, der v o m Augenblick seiner H i m m e l f a h r t an ein universelles K ö n i g t u m konstituiere (A. d'Ors , Teologia politica, S. 72). 44 A . d'Ors, Nacionalismo en crisis y regionalismo funcional, M a d r i d 1959. 45 Ebd., S. 327. 43
§ 27 Zur Funktion der Königsherrschaft Christi
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lisierung dieser realen Königsherrschaft Christi solle aber nicht immanent durch einen theokratischen Staat realisiert werden; gerade weil Christus auf einen „himmlischen Thron" sitze, transzendiere seine Herrschaft die Erde. Sie liege nun aber gleichzeitig zu seinen Füßen, werde also i n seine Herrschaft aufgenommen (genauso wie der Christ auch nicht von dieser Welt sei, obwohl er i n der Welt sein müsse — Joh. 17, 14 -16). Die negative Folge dieser Tatsache sei die Ablehnung des „Mythos des nationalen Staates" 46 und ihre Ersetzung durch den Begriff der „Patria" als geschichtlich geformte Familiengemeinschaft, gegenüber der souverän-staatlichen Idee des „Volkes". Die Monarchie trete somit als die erste, dynastisch-legitimierte, die übrigen Gemeinschaftszellen repräsentierende Familie auf. Das politisch-theologische Modell w i r d durch eine weltgeschichtliche Betrachtung gestützt: Die atomare Bedrohung und ihre beiderseitige AbschreckungsWirkung bewirkt die Rationalisierung des Krieges; gleichzeitig fallen die staatlich-nationalen Grenzen zugunsten der Etablierung von Atommachtblöcken. I n diesem neuartigen weltpolitischen Gebilde regieren zwei grundlegende organisatorische Prinzipien: j u ristischer Pluralismus und funktioneller Regionalismus, d. h. die maximale Rationalisierung von — durch die Bedingungen ihrer eigenen Dynamik — dezentralisierten Funktionen. Das Gleichgewicht der Funktionen, gegenüber dem nun jetzt historisch gewordenen Gleichgewicht der Macht 4 7 . 2. I n dem Aufsatz „Königsherrschaft Christi. Thesen zur Funktion einer theologisch-politischen Formel" analysiert Hans-Walter Schütte 48 den Begriff „Königsherrschaft Christi" i m Hinblick auf seine politische Funktionsfähigkeit. Die hohe Leistungsfähigkeit der Formel liege i n ihrer begrifflichen Struktur. Königsherrschaft Christi biete sich als eine Formel an, u m die Konfliktsituation zwischen Kirche und Gesellschaft, Theologie und Wissenschaft bewußt zu machen und sie sogleich zu beheben 49 . Denn eine Theologie, die sich „an der Durchsetzung der dem Glauben präsenten Tatsachen beteiligen w i l l " , könne ihren „politischen Anspruch" nicht zutreffender bezeichnen als m i t dem Begriff 46
Ebd., S. 328 f. Ebd., S. 330 ff. 48 H.-W. Schütte, Königsherrschaft Christi. Thesen zur F u n k t i o n einer theologisch-politischen Formel, in: K r i t i k der politischen Theologie (Theologische Existenz heute 175), München 1973, S. 16-28. Vgl. ferner die drei anderen Beiträge des Bändchens: M . Baumotte, Theologie als politische Theorie, S. 7 - 15, w o die Beziehungspunkte zwischen der Politischen Theologie Carl Schmitts u n d der „neuen" politischen Theologie der 60er Jahre deutlich herausgestellt werden; F. Wagner, Politische Theorie des Nationalsozialismus als politische Theologie, S. 2 9 - 5 1 u n d H. Renz, Christliche Polit i k — politische Theologie, S. 52 - 61. 49 Ebd., S. 16 f. 47
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II. 4. Kap.: Politische Theologie als theologische Politik
„Königsherrschaft Christi" 5 0 . Dabei w i r d der Begriff i n seiner Entstehung und aktuellen Wirksamkeit dialektisch verstanden. Für Schütte beginnt die Formel von dem Zeitpunkt an die theologische Debatte zu bestimmen, i n dem sich Theologie und Kirche genötigt sahen, auf den politischen Totalitätsanspruch theologisch zu reagieren 51 . Er sei also i n seinem Charakter als theologisches Argument „auf die Wirklichkeit bezogen", die er als die „gegengöttliche" zugleich zu negieren versucht 52 . Der Gedanke von der „Königsherrschaft Christi", der den Totalitätsanspruch Christi gegenüber jeder politischen Totalitätsforderung geltend mache, führe seine Sache so vor, daß er die Gegensache negiere 53 . I n einem zweiten historischen Moment, nämlich heute, wo er auf „eine Neubestimmung des Verhältnisses von Kirche und Gesellschaft" führe 5 4 , erweise sich die Formel als „Inbegriff der politischen Wirklichkeit" 5 5 . Aus der Dialektik Theologie — Politik, Kirche — Gesellschaft, entstehe also die Königsherrschaft Christi „als Darstellung der i n Christus offenbarten Wirklichkeit, zugleich Mitdarstellung menschlich-politischer W i r k lichkeit". Und hierin liegt gerade für Schütte — nichts anders als für Carl Schmitt — die Funktionalität des Begriffes, daß sich Begriff und politische Wirklichkeit durcheinander bestimmen. Die Totalität des Theologischen vermag den Begriff des Politischen zu setzen und zu bestimmen, dabei zugleich politisch und theologisch zu bleiben: Damit erfülle er die Bedingung, vollständige Übereinstimmung von Begriff und Realität zu sein 56 . Die Begründung der politischen Realität soll dann durch die Entfaltung der Königsherrschaft Christi, d.h. durch die „Menschwerdung des Menschen" 57 , erfolgen. Ausschließlich dialektisch vermit60
Ebd., S. 17. Kritisch dazu ζ. B. O. Cullmann, Königsherrschaft Christi. 52 H.-W. Schütte, Königsherrschaft Christi, S. 18. 53 Ebd., S. 19. Vgl. hierzu: A . de Quervain, Die Herrschaft Christi über seine Gemeinde u n d die Bezeugung dieser Herrschaft i n der Gemeinde, E v T h 5 (1938), S. 45 - 57, 53. 54 So E. Wolf, Was heißt „Königsherrschaft Christi" heute? Unter der Herrschaft Christi. Vorträge . . . gehalten auf der Tagung der Gesellschaft für evangelische Theologie i m Oktober 1960 i n Berlin-Spandau, B E v T h 32 (1961), S. 67 - 91, 85 ff. 65 H.-W. Schütte, Königsherrschaft Christi, S. 19. 56 Ebd., S. 20 f. Insofern ist diese Position i m Grunde eine Weiterführung der dialektischen Theologie K a r l Barths. Vgl. etwa K. Barth, Der Römerbrief, Zürich 196710 (2. Aufl., 1922), sowie die v o n i h m herausgegebene Zeitschrift „Zwischen den Zeiten" (1923 - 1933). Vgl. ferner Fr. Gogarten, Politische Ethik. Versuch einer Grundlegung, Jena 1932; ders., Wider die Ächtung der A u t o r i t ä t , Jena 1930; ders., Säkularisierte Theologie i n der Staatslehre. Z u r W i r r u n g der Gegenwart, in: Münchner Neueste Nachrichten, 86, 1933, Nr. 60 (2. März), 1 f. u n d Nr. 61 (3. März), 1 ff. Dazu v o n „politisch-theologischer" Seite: M. Baumotte, Theologie als politische Aufklärung. Studien zur neuzeitlichen Kategorie des Christentums, Gütersloh 1973. 67 E. Wolf, Was heißt „Königsherrschaft Christi?", S. 78. Vgl. ferner E. Wolf, 61
§ 28 Unableitbarkeit politischer Maximen
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telt w i r d so eine Affinität zwischen „Bürger- und Christengemeinde" sowie zwischen Königsherrschaft Christi und Demokratie behauptet 5 8 . Doch auch die politisch-theologische Funktionalisierung der Königsherrschaft Christi kennt ihre Feinde, aus der sie weiterhin m i t der „Wirklichkeit" verbunden bleibt. So entspringt nach Schütte die ständige Abgrenzung gegenüber der Zwei-Reiche-Lehre aus dem Bedürfnis, dem „reinen" Begriff des Politischen zur Anerkennung zu verhelfen. Die „strukturelle" Beschaffenheit der Formel ermögliche ihr, die „reinste" Verlaufsform zu sein, i n der sich „der Aufbau einer neuen Welt als eine Welt unter der Herrschaft Christi vollzieht" 5 9 . So w i r d die „Bekenntnisformel" zu einer „politischen Kampf formel" 6 0 . I m Hinblick auf die Politische Theologie dOrs' und die Parallelität zwischen der alten und der neuen politischen Theologie bleibt ferner vom besonderen Interesse das Instrumentarium, das Schütte zur Vermittlung zwischen dem Theologischen und dem Politischen anführt. Das Problem der Ableitung des Politischen aus dem Begriff Königsherrschaft Christi findet nämlich seine Lösung i n der Vorstellung von den „Engelmächten"; vor allem aber i n ihrer Anwendung. „Staat" als eine Repräsentationsform von Engelmächten gehöre deshalb unter den Herrschaftsanspruch Christi, weil Christus sich diese Mächte Untertan gemacht habe. Der Ablösung von der Vorstellungswelt, wo noch „Staat" und „Obrigkeit" zueinander i n Beziehung standen, entspreche nun die Ersetzung der bislang i n der Theologie üblichen Erörterung über das „Wesen" des Staates durch eine Erörterung der A r t und Weise, wie der Staat funktioniert 6 1 . § 28 Unableitbarkeit politischer Maximen aus theologischen Sätzen Aus
der
Diskussion
um
die
institutionelle
-politische
Theologie
Schmitts ergab sich ein Konglomerat etwaiger Fragestellungen, deren Auseinanderhaltung eine notwendige Prämisse vor der Analyse der verschiedenen Diskussionsansätze darstellt. U m die Gehalte institutioneller politischer Theologie zu beleuchten, werden i m folgenden die hier Die Königsherrschaft Christi u n d der Staat, i n : W. Schmauch / E. Wolf, Königsherrschaft Christi, T h E x 64 (1958), S. 2 0 - 6 1 . Bei H.-W. Schütte, Königsherrschaft Christi, S. 27. 68 Vgl. H.-W. Schütte, Königsherrschaft Christi, S. 27. » Ebd., S. 28. 60 Vgl. ebd., S. 24. 81 Vgl. H.-W. Schütte, Königsherrschaft Christi, S. 23. Z u m Thema StaatEngelmächte zitiert Schütte ebd., Fn. 6: G. Dehn, Engel u n d Obrigkeit. E i n Beitrag zum Verständnis von Römer 13,1 - 7, in: Theologische Aufsätze. K a r l B a r t h zum 50. Geburtstag, München 1936, 90 - 109 (100 f.), sowie O. Cullmann, Königsherrschaft Christi u n d Kirche i m Neuen Testament, Zürich 19503. 10*
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II. 4. Kap.: Politische Theologie als theologische Politik
eingegangenen Problemkomplexe anhand der nachstehenden Fragen expliziert: 1. Enthält die christliche Offenbarung ein konkretes politisches Programm oder konkrete Aufforderungen zur direkten politischen Handlung? 2. Besitzt die Kirche als institutioneller Hüter der Offenbarung A f f i nität zu einer bestimmten politischen Form; d. h., ist sie monarchistisch oder republikanisch, absolutistisch oder demokratisch gesonnen? 3. Besitzt die Kirche einen öffentlich-politischen Charakter? Gegebenenfalls, welche „politische Idee" vertritt sie? 4. Ergibt sich aus dem eschatologischen Charakter der Kirche irgendeine politische Konsequenz für den heutigen Tag? Die argumentative Linie zur Darlegung der Diskussionsansätze w i r d sich nun u m folgende Arbeiten konzentrieren: den 1923 erschienen Aufsatz Carl Schmitts „Römischer Katholizismus und politische Form", zwei auf diesen Aufsatz sich beziehende Veröffentlichungen des Kanonisten und Schmitt-Schülers Hans Barion — „Kirche oder Partei? Römischer Katholizismus und politische Form" und „Weltgeschichtliche Machtform? Studien zur Politischen Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils" — sowie drei neuere A r t i k e l von Hans Maier — „Politische Theologie? Einwände eines Laien" —, Ernst-Wolfgang Böckenförde — „Politisches Mandat der Kirche?" — und Robert Spaemann — „Theologie, Prophetie, Politik" —, die sich i n erster Linie kritisch m i t der Politischen Theologie J. B. Metz' und seiner Schule auseinandersetzen 62 . A) Um nochmals die Position Schmitts zu verdeutlichen: I n dem Essay von 1923 stellte er u. a. die Frage, ob der römische Katholizismus eine eigene politische Form i n der Welt vertrete. Die erste Annäherung an das Thema weist auf den „grenzenlosen Opportunismus", der die politischen Stellungnahmen der Kirche — speziell i m 19. Jahrhundert — charakterisiere, hin. Schmitt sucht den Grund für diese „erstaunliche Elastizität" (S. 5) durch die Explizierung der „politischen Idee" des römischen Katholizismus herauszuarbeiten. Diese enorme, wechselhafte 62 C. Schmitt, Römischer Katholizismus u n d Politische Form; H. Barion, Kirche oder Partei? Römischer Katholizismus u n d politische Form, Der Staat 4 (1965), S. 131 - 176; ders., Weltgeschichtliche Machtform? Studien zur Politischen Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Epirrhosis — Festgabe für Carl Schmitt, hrsg. v o n H. Barion u.a., Bd. 1, S. 13-59; H. Maier, Politische Theologie? Einwände eines Laien, Stimmen der Zeit 94 (1969), S. 7 3 - 9 1 ; E.-W. Böckenförde, Politisches Mandat der Kirche? Stimmen der Zeit 184 (1969), S. 361 - 373; R. Spaemann, Theologie, Prophetie, P o l i t i k — Zur K r i t i k der politischen Theologie, in: ders., Z u r K r i t i k der politischen Utopie, Stuttgart 1977, S. 57 - 76.
§ 28 Unableitbarkeit politischer Maximen
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Vertrags- und Allianzbereitschaft mit den verschiedensten politischen Systemen und Ideologien sei zunächst dadurch zu erklären, daß aus der Perspektive einer bestimmten Weltanschauung alle politischen Formen und Möglichkeiten zum Werkzeug der realisierenden Idee würden und zweitens durch jene, der katholischen Kirche eigentümlichen Kontinuität mit dem Universalismus des römischen Imperiums, durch ihre wesentlichen Merkmale der Einheit und Universalität geradezu sublimiert. Letztlich liege aber der Kern der „politischen Idee" des römischen Katholizismus i n der kirchlichen „complexio oppositorum", deren Wesen i n „einer spezifisch formalen Überlegenheit über die Materie des menschlichen Lebens" bestehe (S. 12). Nun beruhe diese formelle, die Materie übergreifende Integrationsfähigkeit auf der „strengen Durchführung des Prinzips der Repräsentation" (S. 12), welche eine doppelte politische Dimension offenbare: einerseits sei die Kirche eminent repräsentativ, weil i n ihr „der Pathos der Autorität i n seiner ganzen Reinheit" lebendig bleibe (S. 29). Denn die Kirche repräsentiere den „regierenden, herrschenden, siegenden Christus" (S. 43), der durch die unfehlbare Autorität des Papstes — geschichtlich und zugleich aktuell — präsent i n der Welt werde. A u f dem „Pathos der Autorität" beruhe also die repräsentative und alles übergreifende Kraft der Kirche, welche aus diesem Grund einen Staat gegenüber brauche, „weil sonst nichts vorhanden ist, das ihrer wesentlich repräsentativen Haltung korrespondiert" (S. 34). Andererseits bilde die durch die Kirche repräsentierende Form eine i n die geschichtliche Welt hineingreifende nichtökonomische Idee, welche „die Träger- und Anwärterschaft" der Kirche (S. 26) auf die politische Autorität begründe. Dank der Repräsentation lebe schließlich i n der Kirche die Kraft „zur ästhetischen Form des Künstlerischen, zur juridischen Rechtsform und endlich zu dem ruhmvollen Glanz einer weltgeschichtlichen Machtform" (S. 30). Aus diesen Gründen greife die Kirche über alle möglichen politischen Systeme und sei sie fähig, mit all diesen zu leben und zu verhandeln. Sie sei letztlich die Erbin. Trotz ihrer alles überlebenden Dauer müsse jedoch die Kirche eine für die aktuell-geschichtliche Lage konkrete Entscheidung treffen. Sie könne sich für keine der kämpfenden Parteien erklären, sie müsse aber doch tatsächlich auf einer Seite stehen, so, wie sie beispielsweise i n der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts auf der gegenrevolutionären Seite stand. Und gegenüber den politischen Alternativen unseres Jahrhunderts liegt für Schmitt die Entscheidung der Kirche eher bei der liberalen Demokratie — „auf der Seite von Idee und westeuropäischer Zivilisation" — als bei dem atheistischen Sozialismus.
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II. 4. Kap.: Politische Theologie als theologische Politik
B) A u f diese Weise bestimmte die Funktionalisierung der Kirche für politisch-mythogenetische Zwecke zugleich die Grundfragen institutioneller politischer Theologie und den weiteren Gang der Diskussion. So war die erste neue Befassung Hans Barions mit dem Thema „politische Theologie" nach dem Kriege durch die Fragestellung „Affinität zu einer bestimmten politischen Partei" beschränkt. Eine vorherige Behandlung des Themas datierte aus dem kritischen Jahr 1933. Damals hatte Barion i n einem Aufsatz mit dem Titel „Kirche oder Partei? Der Katholizismus i m Neuen Reich" die Meinung vertreten, die Katholische Kirche stehe „jenseits von Freund und Feind" 6 8 . Jetzt w i l l er versuchen, ausgehend vom Essay Carl Schmitts, diese Frage „seiner A n t w o r t näher zu bringen", und zwar primär durch zwei Präzisierungen: 1. die von Schmitt am konkreten Fall des atheistischen und anarchistischen Sozialismus exemplifizierte und „formell auf diesen Fall bezogene Affinität des römischen Katholizismus zum westeuropäischen Begriff von Humanität und Zivilisation" 6 4 i n eine generelle Theorie des Verhältnisses von Kirche und Politik überzuführen, und 2. das Problem genauer vom Selbstverständnis der Katholischen Kirche aus und nicht nur eines soziologisch verstandenen „römischen Katholizismus" zu thematisieren. Schließlich w i l l dadurch Barion die Leitlinien eines „wissenschaftlich zureichenden" Tractatus de iure publico eclesiastico intersociali 6 5 formulieren. Dafür stellt der Kanonist zunächst anhand verschiedener kirchlichoffizieller „auctores probati" und drei „auctores privati" den Stand des Sachverhaltes „Affinität zu einer bestimmten politischen Form" fest: 1. Die Kirche bezeichne als Ziel ihrer „politischen" (sie!) Entscheidungen nur die Sicherung ihrer eigenen Freiheit zum Bekenntnis und zur Verwirklichung ihres Glaubens. 2. Der Beschränkung des politischen Programms der Kirche auf weltanschauliche und kulturpolitische Ziele entspreche die Wirklichkeit ihres Verhaltens, nämlich ihre grundsätzliche Indifferenz gegenüber der politischen Form 6 6 . Vier geschichtliche Beispiele — die Verpflichtung der französischen Katholiken zum Anschluß an die Dritte Repub l i k durch Leo X I I I . (1892), die konziliante Stellungnahme der Kirche 68
H. Barion, Kirche oder Partei? Der Katholizismus i m Neuen Reich, Europäische Revue 9 (1933), S. 401 - 409, 407. Z u B a r i o n vgl. H. Barion, Rudolph Sohm u n d die Grundlegung des Kirchenrechts, Tübingen 1931. Vgl. ferner die Vorrede zu M . Seidlmayer, Wege u n d Wandlungen des Humanismus. Studien zu seinen politischen, ethischen, religiösen Problemen, Göttingen 1965. 64 H. Barion, Kirche oder Partei? Römischer Katholizismus u n d politische Form, S. 132. 65 Ebd., S. 133. «« Ebd., S. 143.
§ 28 Unableitbarkeit politischer Maximen
151
zur nationalsozialistischen Machtübernahme (1933)67, der Druck des Hl. Stuhls über die italienische „Democrazia cristiana" zur „apertura a sinistra" (1963) und schließlich seine Forderung an die belgischen Katholiken zur Unterstützung der antiflämischen Politik des Kardinals Suenens (ebenfalls 1963) — dienen Barion i m zweiten Teil seiner Studie zur zusammenfassenden Feststellung, die Durchhaltung des Ralliements-Modells von seiner ersten Formulierung durch Leo X I I I . i m Jahre 1892 bis zur Zeit Pius X I I . bedinge zwei grundlegende Konsequenzen für jede weitere Entwicklung der Beziehungen Kirche — Politik: erstens die Verneinung einer eigenständigen Bedeutung der politischen Sachfragen neben den religiösen und eine ( „ i m einzelnen noch nicht substantiierte") Bindung ihrer Beantwortung an die Lehre des Glaubens, der Religion; eine, zwischen politischen und religiösen Sachfragen „untrennbare Bindung", die nicht bloß eine dogmatische Frage, sondern „verschärft durch moraltheologische Prämissen" auch eine moralische einschließe 68 . Das heißt, die Aufstellung einer Kompetenzstreitigkeit ganz i m Sinne Schmitts, welche durch die höhere Instanz — für Barion, die kirchliche — entschieden werden soll. Diese Bindung bedeute aber zweitens keinesfalls einen „theologischen" Zwang zur Gefolgschaft eines bestimmten Parteiprogramms. I n den Fällen, wo die Kirche zur Verteidigung ihrer Rechte die Katholiken zur politischen Einheit aufruft, berufe sie sich ganz offen auf „ M u t maßungen" über die Folgen einheitlicher oder aber gespaltener W i l lensbildung ihrer Gläubigen. Läßt man solche Mutmaßungen einmal beiseite, so zeige sich „die Unmöglichkeit" m i t theologischen Prinzipien eine Verbindung zwischen kirchenpolitischen Zielen und weltlich-politischen Parteiprogrammen herzustellen 69 . Ein verdeutlichendes Beispiel dafür wäre etwa nach Barion die Lehre Pius X I I . 7 0 , wonach sowohl eine demokratische wie auch eine monarchistisch-absolutistische Staatsform von kirchlicher Seite aus „legitim" seien; nicht dagegen eine totalitäre — weil sie alle Betätigung der Bürger unter die Herrschaft eines „kirchlich" unannehmbaren Leitbegriffs, sei es die Nation, die Rasse oder die Klasse, unterordne — und auch nicht eine autoritäre, weil hier „die Rechtssicherheit zugunsten gesetzgeberischer Dynamik" unterdrückt würde. Der „Mutmaßungs"Charakter der kirchlichen Weisungen wäre also für Barion i m konkreten Fall eines parteiendemokratischen Staates kirchlich etwa auf die Pflicht begrenzt, nur solche Par67 Z u m Thema vgl. noch zuletzt K. Gotto / Κ. Repgen, Kirche, K a t h o l i k e n und Nationalsozialismus, Mainz 1980. 68 H. Barion, Kirche oder Partei? Römischer Katholizismus u n d politische Form, S. 149. « Ebd., S. 157. 70 Vgl. ebd.
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II. 4. Kap.: Politische Theologie als theologische Politik
teien zu unterstützen, die das verfassungsgemäße staatliche Religionsrecht anerkennen, nicht aber an eine, unter diesen Verfassungsparteien bestimmte, gebunden 71 . Kurzum, Barions Thesen über das Verhältnis Kirche — Politik stellen das Paradebeispiel einer politischen Theologie dar, welche, auf dem Grund „ i m einzelnen noch nicht substantiierter" Bindung der Politik an den Glauben, letztlich ihre — aus einem Streit von Instanzen „politisch" oder „kirchlich" zu entscheidende — substantielle Identität voraussetzt. I n dieser Perspektive w i r d nicht nur der Politik ihr eigenständiger Bereich abgesprochen, sondern außerdem die Möglichkeit jeder strikt theologischen Aussage über Welt, Arbeit oder die menschlichen Beziehungen i n der Gesellschaft von vornherein abgelehnt. Barion verharrt vielmehr auf der Position strikter Trennung zwischen Welt und Glauben, civitas terrena und civitas Dei, u m dann i m konkreten Fall der „res mixtae" (Religionsfreiheit, Familienrecht usw.) auf die Hierarchie der kirchlichen Instanz zu pochen. Barions Meinung ist insofern ein gutes Exempel der schmittschen Politischen Theologie: I n dem Augenblick, wo alles potentiell res mixta, oder aber durch Ausbleiben einer Institutionalisierung „politisch" werden kann, ist die dann entstehende Bindung von Politik und Theologie politische Theologie i n einem so intensivem Maße, daß sie für den politischen Theologen letztlich nicht mehr Theologie, sondern nur noch theologisierende Politik bedeuten kann. Einen entsprechenden Beleg dafür bietet die Analyse der „politischen Theologie des II. Vatikanums" durch Barion. Politisch-theologisches Handeln sieht Barion nicht nur darin, daß das Konzil (in concreto, „Gaudium et Spes") eine „Destruierung des politisch individuierten Staates" 72 realisiere, sondern auch eine Sprengung des rationalen Begriffs des Naturrechts durch eine politische Entscheidung für Liberalismus und — zugleich — volonté générale 73 festsetze. Die Politische Theologie ist insofern auch keine Theologie, weil die Theologie ihrerseits nur „ratione peccati" etwas über die politisch-gesellschaftlichen Gegebenheiten auszumachen vermöge: wo sie keinen zwingenden moral-theologischen Nexus zwischen einer einzelnen, konkreten Gestaltung dieser Beziehungen und einer ihr entgegenstehenden Forderung des göttlichen Sittengesetzes herzustellen vermöge, wie beispielsweise nicht i n Abschnitt Nr. 74 [„Gaudium et spes"], gelte für sie nach wie vor das Gebot: Silete, theologi, i n munere alieno! 74 . Damit werde bewiesen, daß dort, wo die Kirche eine positive politische Idee repräsentiere, — „die theologisch immer nur eine unter mehreren von den 71 72 73 74
Ebd., S. 174. H. Barion, Weltgeschichtliche Machtform, S. 40. Ebd., S. 42. Ebd., S. 47.
§ 28 Unableitbarkeit politischer Maximen
153
Zehn Geboten aus möglichen i s t " 7 5 — überschreite sie ihren göttlichen Auftrag 7 6 . Denn das II. Vatikanum würde sich nicht freimachen können von der Fehlentwicklung der „gelasianischen Form der politischen Theologie" zugunsten einer „strengen Scheidung der zwei Reiche, des geistlichen und des weltlichen, des religiösen und des politischen" 77 . So kommt Barion — gleichsam per negationem — zu einem wichtigen Ergebnis i n bezug auf die Politische Theologie Schmitts: die „richtige" Politische Theologie würde zum Grundsatz führen müssen, daß „die theologisch einwandfreie Entpolitisierung der Kirche die einzige Entpolitisierung ist, die keine politische Entscheidung mehr aus sich heraustreibt" 7 8 . C) Die These der Unableitbarkeit konkreter politischer Maximen aus theologischen Sätzen w i r d demgegenüber nicht i n Anlehnung an eine politisch-theologische Trennung „sub ratione peccati", sondern durch die Behauptung der Eigenständigkeit und Autonomie der Welt gegenüber dem Kirchlichen und Theologischen durch Maier, Böckenförde und Spaemann aufgestellt. Die hierbei vorgetragenen Gedankengänge lassen sich folgendermaßen thesenhaft thematisieren: 1. Die Ableitung konkreter politischer Maximen aus theologischen Sätzen ist nicht möglich 7 9 , weil die christliche Offenbarung kein konkretes politisches Programm enthält, das aus sich unmittelbarer Realisierung fähig wäre, und auch keinen unmittelbaren Aufruf zur politischen „action directe" 8 0 . Der spirituelle Primatanspruch der Kirche w i r d gerade durch Anerkennung der (relativen) Autonomie des Zeitlichen durch Eigenständigkeit gegenüber Staat und Gesellschaft, und eben nicht durch Teilhabe an ihnen, gesichert 81 . 2. Die konkreten politischen und sozialen Verhältnisse werden demzufolge „sub specie salutis" i n einen Status der Relativität versetzt. Der christliche Glaube eröffnet zugleich aber dem Menschen ein Motiv und damit eine Möglichkeit, seine bloße Interessenperspektive zu überschreiten 82 : die Transformation der bestehenden Ordnungen und Verhältnisse ergibt sich gerade als Folge aus dem gelebten Geist des Evangeliums, aus der Akzeptanz der göttlichen Botschaft durch die Menschen und dem auf diese Weise bewirkten Wandel ihrer Gesinnung und 75 76 77 78 79 80 81 82
Ebd., S. 54. Ebd. Ebd., S. 49. Ebd. R. Spaemann, Z u r K r i t i k der politischen Utopie S. 59. E.-W. Böckenförde, Politisches Mandat der Kirche?, S. 365. H. Maîer, Politische Theologie? Einwände, S. 82. E.-W. Böckenförde, Politisches Mandat der Kirche?, S. 365.
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II. 4. Kap.: Politische Theologie als theologische Politik
ihres Verhaltens 8 3 ; der Christ soll diese Welt, auch die politische, nicht „anbeten", sondern „pflügen", und das heißt erkennen und konstruktiv weiterbilden 8 4 . 3. Daraus resultiert, daß die Kirche keinerlei A m t oder Auftrag i m Bereich politischer Mittel und Zwecke hat, sondern ihr „politisches Mandat" auf ein sehr eng umschriebenes „Hüter- und Wächteramt", die sich nur auf den Bereich der negativen Ausgrenzungen ( „ . . . es ist D i r nicht erlaubt") erstrecken kann, beschränkt, und zwar dort, wo die Mißachtung vom Gesetz Gottes oder von der Würde des Menschen i n der Offenbarung unmittelbar ausgesagt und enthalten ist 8 5 . 4. Das Leben aus einer eschatologischen Erwartung, und das darin begründete Wissen u m die Vorläufigkeit und prinzipielle Unvollendetheit aller irdischen Ordnungen — auch i m Hinblick auf die i n ihnen realisierbare Gerechtigkeit — ist ein allgemeines Kennzeichen für das neue Weltverhältnis des Christentums, das dem Christen einen festen Standort auch gegenüber allen weltimmanenten Vollendungsideologien verleiht und ermöglicht 86 . Der eschatologische Vorbehalt bezieht sich nicht nur auf ein Probe- und Anlauf stadium historisch-politischer Prozesse, sondern würde vielmehr selbst dann bestehen bleiben, wenn „sozialistische Errungenschaften" eingeführt werden sollten 87 . Aus i h m resultiert andererseits wegen des unpolitischen, antiutopistischen Zugs der Eschatologie indirekt ein politischer Effekt: eine antitotalitäre W i r kung, die heute, „hic et nunc", eine gewisse Affinität des christlichen Glaubens zum liberalen Prinzip der Rechtsstaatlichkeit bedingt 8 8 . § 29 Die gesellschaftskritische Inanspruchnahme der Politischen Theologie durch eine Theologie der Revolution Die Jahre 1968—1970 erfuhren eine Wiederbelebung des Begriffs „politische Theologie". Allerdings unter scheinbar ganz anderen Vorzeichen. Unter dem Ruf nach „Politisierung der Kirche" entwickelte sich 83
R. Spaemann, Z u r K r i t i k der politischen Utopie, S. 73. H. Maier, Politische Theologie? Einwände, S. 77. 85 E.-W. Böckenförde, Politisches Mandat der Kirche?, S. 368. Vgl. ferner S. 369: w e n n es sich u m etwas handelt, was nicht unter die „ratio peccati" fällt, „so bleibt als Ausfluß des H ü t e r - u n d Wächteramtes n u r die Ermahnung u n d Aufforderung an die Gläubigen zum Leben u n d Handeln aus dem Glauben auch i m politisch-sozialen Bereich, zur Absage an Eigennutz, Macht u n d Besitzgier usf. u n d zur Orientierung auf Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Sachwissen u n d das allgemeine W o h l " . 86 E.-W. Böckenförde, Politisches Mandat der Kirche?, S. 366. 87 H. Maier, Politische Theologie? Einwände, S. 81. 88 R. Spaemann, Z u r K r i t i k der politischen Utopie, S. 61. Vgl. hierzu i n diesem Sinne zuletzt A . Albrecht, Koordination v o n Staat u n d Kirche i n der Demokratie, Freiburg / Basel / W i e n 1979. 84
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§ 29 Die Theologie der Revolution eine
breite
Meinungsgruppe,
meist
katholischer
und
evangelischer
Theologen, d i e a u f eine s t ä r k e r e B e t o n u n g des ö f f e n t l i c h e n C h a r a k t e r s d e r c h r i s t l i c h e n Botschaft, a u f eine E n t p r i v a t i s i e r u n g u n d schaftung"
des G l a u b e n s u n d / o d e r
auf
konkrete
„Vergesell-
kirchlich-politische
A k t i o n s p r o g r a m m e — w i e die d e r „ T h e o l o g i e d e r R e v o l u t i o n " — h i n z i e l t e n 8 9 . H i e r b e i spielte n u n das W e r k E r n s t Blochs eine ä h n l i c h e F u n k t i o n , w i e e t w a i n d e r klassischen T h e o l o g i e T h o m a s v . A q u i n . „ P o l i t i s c h e T h e o l o g i e " w i r d d a b e i v e r s t a n d e n als M i t t e l e i n e r z e i t gemäßen, „progressistischen" H e r m e n e u t i k , die d e n „ g e s e l l s c h a f t s k r i t i schen" G e h a l t der Heilsbotschaft f r e i l e g e u n d e n t f a l t e , als Versuch, „ d i e eschatologische Botschaft u n t e r d e n B e d i n g u n g e n u n s e r e r g e g e n w ä r t i gen Gesellschaft z u f o r m u l i e r e n " 9 0 . E i n e solche P o l i t i s i e r u n g der K i r c h e als I n s t i t u t i o n s o l l d a z u d i e n e n , „ d i e S i t u a t i o n des G l a u b e n d e n k o n k r e t u n d d i f f e r e n z i e r t i n d e n B l i c k z u b e k o m m e n u n d eine gesellschaftsbezogene Glaubenssprache z u f i n d e n , die k r i t i s c h - b e f r e i e n d e n C h a r a k t e r h a t " 9 1 . D a d u r c h , daß sie als „ k r i t i s c h e s K o r r e k t i v " d i e n t , w i r d die K i r che als „ I n s t i t u t i o n gesellschaftskritischer F r e i h e i t des G l a u b e n s " d e f i n i e r t . A u s d e m eschatologischen V o r b e h a l t d e r c h r i s t l i c h e n L e h r e w i l l 89 I m katholischen Bereich wurde zur Schlüsselfigur dieser „neuen" p o l i tischen Theologie der Münsteraner Professor für Dogmatik Johannes Baptist Metz. Carl Schmitt äußerte sich zustimmend zur I n t e n t i o n der neuen politischen Theologie i n seiner Auseinandersetzung m i t E. Feil, vgl. C. Schmitt, Politische Theologie I I , S. 32 ff. Vgl. zum Thema Schmitt-Metz: M . Baumotte / H.-W. Schütte / F. Wagner / H. Renz (Hrsg.), K r i t i k der p o l i tischen Theologie. Z u Metz: J. B. Metz, Kirche u n d W e l t i m Lichte einer „politischen Theologie", i n : ders. (Hrsg.), Zur Theologie der Welt, M a i n z / München 1968, S. 99 - 116; ders., Z u m Problem einer „politischen Theologie", Kontexte 4 (1967), S. 3 5 - 4 1 ; ders., Friede u n d Gerechtigkeit. Überlegungen zu einer „politischen Theologie", Civitas, Jahrbuch für christliche Gesellschaftsordnung 6 (1967), S. 9 - 1 9 ; ders., Das Problem einer „politischen Theologie" u n d die Bestimmung der Kirche als I n s t i t u t i o n gesellschaftskritischer Freiheit, Concilium, Internationale Zeitschrift für Theologie 4 (1968), S. 403-411; ders., Christliche Religion u n d gesellschaftliche Praxis. Drei Diskussionsthesen, i n : Schöpfertum u n d Freiheit, Dokumente der PaulusGesellschaft Bd. 19 (Kongreß v o n Marienbad), München 1968, S. 2 9 - 4 1 ; ders., „Politische Theologie" i n der Diskussion, Stimmen der Zeit 184 (1969), S. 289 - 308; etwas erweitert u n d ausführlicher belegt i n : H. Peukert (Hrsg.), Diskussion zur „politischen Theologie", Mainz / München 1969. Z u r „Theologie der Hoffnung" (Auseinandersetzung m i t Blochs „Prinzip Hoffnung"): J. Moltmann, Theologie der Hoffnung, München 19647. Über die „Theologie der Revolution" s. T. Rendtorff / H.E. Todt, Theologie der Revolution. Analysen u n d Materialien, F r a n k f u r t 19682; H.-E. Bahn (Hrsg.), Weltfrieden u n d Revolution. Neun politisch-theologische Analysen, H a m b u r g 1968. K r i tisch zur „Theologie der Befreiung" vgl. K. Lehmann, Theologie der Befreiung, Einsiedeln 1977. Vgl. zusammenfassend zur Thematik S. Wiedenhofer, Politische Theologie, Stuttgart / B e r l i n / K ö l n / Mainz 1976; den geistesgeschichtlichen H i n t e r g r u n d des Problems arbeitet K. Hilpert, E t h i k u n d Rationalität, Düsseldorf 1980 heraus. 90 91
J. B. Metz, „Politische Theologie" i n der Diskussion, S. 99. Ebd., S. 107.
156
II. 4 Kap.: Politische Theologie als theologische Politik
nun Metz eine strikt politische Konsequenz ziehen, und zwar eine antitotalitär-revolutionäre. Die „neue" politische Theologie bezieht sich ausdrücklich auf den Wandel, welcher der Kategorie des Politischen selbst i m Gefolge der Aufklärung durch die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft w i derfahren sei, und die für Metz eine neue, kritische Form der Verbindung von „politisch" und „theologisch" erlaube, vorausgesetzt, die Theologie selbst bleibe für diesen Wandel des Politischen offen 92 . Die alte, gegenrevolutionäre politische Theologie stünde unter der restaurativen Idee eines christlichen Staates, knüpfe m i t an voraufklärerischen Traditionen an, und sei „mehr oder weniger" ausdrücklich gegen die politischen Traditionen der Aufklärung selbst gewendet 93 . Die Aufklärung besitze dagegen aufgrund der durch sie initiierten Unterscheidung von Staat und Gesellschaft wesentlich eine antitotalitäre Tendenz. Solange aber das Politische seinen Absolutheitsanspruch nicht ablege und d.h., solange jene Trennung eben nicht zur Geltung gebracht werde, bleibe die Verbindung von „theologisch" und „politisch" wenigstens potentiell totalitär und jede politische Theologie am Ende reine Staatsideologie. Die Annahme der Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft sei insofern die Voraussetzung dafür, daß eine politische Theologie zum „kritischen Bewußtsein" von jenen gesellschaftlichen Implikationen und Aufgaben des Christentums werde, „die i h m aufgrund seiner biblischen Tradition i n der durch die Aufklärung bestimmten geschichtlichen Situation erwachsen", und sie werde zugleich „zum Ort der kritischen Emanzipation von staatskirchlichen Residuen i n Kirche, Christentum und Theologie" 94 . Damit w i r d schon deutlich, was eine solche „progressistische" politische Theologie intendiert. Der wesentliche Zug i m Wandel des Politischen durch die Aufklärung liege i n der Konstituierung der politischen Ordnung als Freiheitsordnung. Das „kritische politische Bewußtsein" — d. i. die Kirche — i n einer solchen Freiheitsordnung vermöge von den gesellschaftlichen Fundamenten dieser Ordnung nie völl i g isoliert zu bleiben; es reiche vielmehr i n die „gesellschaftliche Freiheitsgeschichte" selbst: es sei also prinzipiell emanzipativ. Und i n diesem Sinne sei audi das theologische Bewußtsein „politisch". Denn von Gott reden heißt für Metz wesentlich, von der von Christus selbst angekündigten kommenden Herrschaft zu sprechen. I n der theologischen Rede von der Herrschaft Gottes bestehe nicht nur der Beginn der Säkularisierung und Relativierung jeder vorgegebenen politischen Herr92 93 94
Ebd., S. 289. Ebd., S. 290. Ebd., S. 290.
§ 29 Die Theologie der Revolution
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schaftsformen, sondern vor allem der Ursprung der K r i t i k an jeglichem Absolutismus. So sei die theologische Rede von der Herrschaft Gottes (als Rede von seiner Göttlichkeit) nicht nur i n einem „herrschaftskritischen" Sinn „politisch", sie sei es i n gleichem Zuge auch i n einem „emanzipativen" Sinn: „sie stellt die politischen Herrschaftsformen unter Menschen auf die menschliche Freiheitsgeschichte" 95 . Hier w i l l auch gerade Metz die Pointe der neuen politischen Theologie gegenüber jeder anderen möglichen Form sehen; ihre Funktion bestehe nicht i n einer wie immer gearteten Theologisierung des Politischen, sondern i m „Hermeneutisch-kritischen", als Korrektiv gegenüber jenen Interpretationen, die den Sinn der christlichen Botschaft verengen, indem sie ihn privatisieren und individualisieren würden. Sie intendiert also die Betonung eines öffentlich-politischen Charakters der Kirche und der kirchlichen Entscheidungen als folgerichtig zu akzeptierende Konsequenz der christlichen Verkündigung selbst. Daß eine solche politische Theologie deutliche Bezüge, trotz seiner ausdrücklichen Distanzierung von jedweder Variante „Theologisierung des Politischen" zur Politischen Theologie I I Carl Schmitts und d.h. eben auch zur „alten" politischen Theologie besitzt, ist ihren K r i t i k e r n / Anhängern keineswegs verborgen geblieben 96 und hat ferner eine empirische Bestätigung darin gefunden, daß ein großer Teil jener Theologien der Revolution i n eine Politische Christologie eingemündet ist, die i m wesentlichen jene Merkmale politischer Christologie, die Schmitt bereits 1968 aufzeichnete, unbewußt wiederholen: intratrinitarische Dialektik des Kampfes zwischen Vater und Sohn und deren dialektisches Korrelat zwischen der göttlichen und der menschlichen Natur Christi, geschichts-eschatologische Interpretation der Revolution als Emanzipationsprozeß eines sich i m Kampf gegen Gott aufhebenden Menschen, Christus als Bewirker und Befreier einer neuen „Welt der Menschwerdung der Menschen" usw. 9 7 . Demzufolge t r i f f t die K r i t i k an der appellativen politischen Theologie — wie es näher auszuführen sein w i r d — auch die Politische Theologie Carl Schmitts. So ist der kritische Ansatz Spaemanns, die eschatologische Begründung der Politik beruhe auf einer Zweideutigkeit und Unentschieden95
Ebd., S. 292. Vgl. hierzu M . Baumotte, Theologie als politische Theorie — Systematische Strukturen politischer Theologie i m 20. Jahrhundert, in: M . Baumotte / H.-W. Schütte / F. Wagner / H. Renz (Hrsg.), K r i t i k der politischen Theologie, S. 7 - 15, 10 ff.; E.-W. Böckenförde, Politische Theorie u n d politische Theologie, S. 233 ff.; ders., Politisches Mandat der Kirche?, S. 371. 97 Vgl. hierzu für alle J. Sobrino, Cristologia desde America Latina (Esbozo a p a r t i r del seguimiento del Jesùs histórico), México 1976, ferner G. Gutierrez, Theologie der Befreiung, Mainz / München 19762. 96
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II. 4. Kap.: Politische Theologie als theologische Politik
heit i n bezug auf den Inhalt der christlichen Heilsverkündigung, sicherlich berechtigt 98 . Wenn tatsächlich der eschatologische Vorbehalt des Christentums — die Tatsache, daß die Theologie der christlichen Heilsals Jenseitsverkündigung keinen soziologisch-politisch faßbaren und beschreibbaren Inhalt hat — zu einer Relativierung des Politischen als Absolutes führt, dann ist eine durch Revolution herzustellende „verheißene Gottesstadt" zu propagieren, nichts als ein Widerspruch i n sich. Zu Recht betont Spaemann, wie — etwa bei Jürgen Moltmann — die typisch theologische Dialektik der „Schon-hier-auf-Erden" sich abspielenden Nachfolge Christi, zugleich aber „Noch nicht" geoffenbarten Gottesherrschaft i n einem Reich jenseits der Todesgrenze und der i r d i schen Geschichte die inhaltliche Qualifizierung des „Noch nicht" durch ein — auf die innergeschichtliche Hoffnungsutopie bezogenes — „Aber morgen" ersetzt wird. Wo die — einzig und allein spirituelle — Herrschaft Gottes soziologisch bestimmbar wird, dort verschwinde das, was „Jenseits der Zeit" liege. Und damit auch das spezifisch „Theologische". Dem ist nichts hinzuzufügen. Anders jedoch, wenn Spaemann des weiteren behauptet, der unpolitische Zug der Eschatologie bringe „indirekt" einen politischen Effekt, nämlich einen antitotalitären — „eine gewisse Affinität des christlichen Glaubens zum liberalen Prinzip der Staatlichkeit" — hervor. Daß Christus „unter die politischen Räder" gekommen sei, weil er „ m i t dem politischen Totalitätsanspruch kollidieren mußte" 9 9 . Heißt das also, jetzt müsse der Kampf gegen die alte politisch-theologische Welt nun auch mit theologisierenden Mitteln betrieben werden? Führt die Annahme eines politisch-nichtpolitischen Effekts der Kirche nicht gerade zur These Böckenfördes, als gesellschaftliche Institution und gesellschaftlicher „Machtfaktor" könne sie dem politischen „Bezugs- und Spannungsfeld des Politischen" gar nicht entgehen, denn ihr Schweigen zu politischen Fragen sei ebenfalls eine politische Stellungnahme, und zwar eine solche gegen Veränderung und für den status quo? Denn die Schlußfolgerung daraus ist ein Muster politischer Theologie: sie müsse daher auch selber die Konkretisierungen der Heilsbotschaft i n den politisch-sozialen Raum hinein vornehmen. Letztlich könne sie dem Politischen gar nicht entgehen dadurch, daß sie sich auf eine „neutrale Sachlichkeit", ein vor-politisches Naturrecht oder auf die „reine Verkündigung der Heilsbotschaft zurückziehe 100 . Das heißt: bedeutet die Anerkennung eines indirekten, politischen Effekts der Theologie i m Grunde nichts als die Bestätigung der Totalität des Politischen i m Sinne Schmitts? Inwiefern kann ein wesentlicher theologischer Grund98
R. Spaemann, Z u r K r i t i k der politischen Utopie, S. 59. Ebd., S. 63 f. 100 E.-W. Böckenförde, Politisches Mandat der Kirche?, S. 371.
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§ 29 Die Theologie der Revolution
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satz, das Primat der Gottesliebe, „ i n d i r e k t " 1 0 1 zu einem Politikum werden? Sowohl Spaemann als auch Böckenförde intendieren, das Problem anhand des Verhältnisses zwischen Absicht und Handlung zu entwirren. Demnach würde für Böckenförde „eine totale Politisierung und ein Verlust der Unbedingtheit kirchlicher Verkündigung" hervorgerufen werden, wenn die Kirche ihr Handeln von den politischen Folgen, die all ihre Handlungen notwendig ergeben, abhängig machen würde. Wenn sie dieses Handeln i m Hinblick auf seine möglichen politischen Wirkungen noch einmal (über) zu determinieren versuche, hätte sie sich von dem eigenen Auftrag distanziert, indem das, was als mögliche Folge der Verkündigung sich ergeben kann, zum Ausgangspunkt für den Inhalt der Verkündigung gemacht werde 1 0 2 . Spaemann: die Maxime des Handelns aus Geschichtsphilosophie und Geschichtstheologie zu entnehmen, wäre die Korruption aller Moral, denn die Eschatologie vermöge ihre Handlungslehre nur indirekt zu bestimmen, nämlich vermittelt durch eine Moral. Mithandeln m i t dem Geschichtshandeln Gottes würde bedeuten, alle politischen Feinde zu Feinden Gottes zu machen, Moral durch Prophetie ersetzen, letztlich jede rationale Unterscheidung des wahren vom falschen Christlichen auszuschließen. Demnach sei es allerdings erforderlich, daß die Moral selbst nicht prophetisch definiert w i r d und daß die theologische Interpretation des Evangeliums nicht selbst zur Prophetie w i r d 1 0 3 . Doch fragt man sich, wenn Politik „wesentlich" 1 0 4 m i t Freundschaft und Feindschaft zu t u n hat, warum dann gerade die intensivste FreundschaftFeindschaft, nämlich die geschichtsphilosophische und geschichtstheologische, vom Politischen ausgeschlossen werden muß. Gewiß ist i m Fall der absoluten Feindschaft alles das, was „Politik humanisieren kann: gegenseitige Anerkennung und Respektierung der Feinde, der Begriff des justus hostis" 1 0 5 , unmöglich. Daraus aber eine reale Disqualifizierung der politisch-theologisch, geschichtsphilosophisch oder -eschatologisch legitimierten politischen Positionen — etwa des Marxismus — i n Betracht zu ziehen, ist zumindest illusorisch. Wenn tatsächlich Politik auf die Freund-Feind-Dialektik zurückgeführt werden kann, dann w i r d eine geschichtseschatologische oder -philosophische Feindschaft geradezu hervorgerufen.
101 102 108 104 105
So R. Spaemann, Z u r K r i t i k der politischen Utopie, S. 67. E.-W. Böckenförde, Politisches Mandat der Kirche?, S. 372. R. Spaemann, Z u r K r i t i k der politischen Utopie, S. 67. Ebd., S. 66. Vgl. auch S. 24 ff., 37 ff., 100 ff. Ebd.
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II. 4. Kap.: Politische Theologie als theologische Politik
Selbst also i m Falle einer Disjunktion zwischen Theologie und Polit i k aufgrund eines notwendigen „mehr" an politischer Sachkenntnis, weitreichenderer Mutmaßungen über die zukünftigen Auswirkungen gegenwärtiger Handlungen oder aufgrund der Anerkennung verschiedener Sachgebiete (das „Silete theologi i n munere alieno!") 1 0 6 bleibt auf dem Grund einer Freund-Feind-Bestimmung des Politischen weiterhin die Frage offen, ob i m Augenblick intensivster Feindschaft doch auch nicht das, was Spaemann als Aufgabe der Theologie i m Hinblick auf die Politik bezeichnet, nämlich „vorurteilslose Aufmerksamkeit für gute Gründe" zu wecken, nicht auch zum Politikum wird. Daß, wenn Politik „wesentlich" m i t Freundschaft und Feindsachft zu t u n hat, Theologie und Kirche dem Spannungs- und Beziehungsfeld des Politischen nicht entgehen, zeigt sich am deutlichsten i n jenen extremen Situationen, wo gerade die einfache und unbedingte Verkündigung der christlichen Wahrheit, ohne jede politische Intentionalität, Gegenstand der „politischen Dissoziation" wird. So belegt etwa Böckenförde am Beispiel der Euthanasiepredigten des Bischofs von Galen, wie sie sogleich christliche Verkündigung und politische Tat werden, „und das letztere u m so mehr, als ihnen nicht entgegengehalten werden konnte, sie stellten eine Überschreitung des kirchlichen Verkündigungsauftrages d a r " 1 0 7 . § 30 Demokratie und Demokratisierung als politisch-theologische Handlungsziele Inwiefern die Bestimmung des Politischen auf der Basis eines existentiellen Intensitätsgrades der Assoziation oder Dissoziation, d.h. eben auf der Freund/Feind-Dialetik, nicht nur zur Totalität des Politischen führt, sondern sie auch gleichsam voraussetzt, bestätigt die Behandlung der „politischen Theologie" von Johannes Paul II. durch E. W. Böckenförde. Anfangs seines Aufsatzes über „Das neue politische Engagement der K i r c h e " 1 0 8 stellt Böckenförde die i m Hinblick auf die institutionelle Seite der politischen Theologie zentrale Frage: Ist der Papst Johannes Paul II. trotz seiner eigenen Bekundungen, er sei kein Politiker und „nicht politisch", doch ein „politischer" Papst i n dem Maße, i n dem er durch sein Eintreten für die Menschenrechte, insbesondere die Rechte 106
Ebd., S. 68 - 73. E.-W. Böckenförde, Politisches Mandat der Kirche?, S. 372. 108 E.-W. Böckenförde, Das neue politische Engagement der Kirche. Z u r „politischen Theologie" Johannes Paul II., Stimmen der Zeit 198 (1980), S. 219 - 234. Vgl. auch dazu ders., Politische Theorie u n d politische Theologie, S. 241 ff. Für die Texte v o m Papst, die hier zitiert werden, vgl. die A n m e r kungen bei dem ersten Aufsatz (S. 233 ff.). 107
§ 30 Demokratie und Demokratisierung
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der Armen, der ausgebeuteten Arbeiter und Bauern und der Verfolgten, die „politische Dimension" der christlichen Heilsbotschaft voll zur Geltung bringe? 1 0 9 . Zu Recht betont Böckenförde, wie Johannes Paul I I . die Aufgabe der Kirche zentral und ausschließlich von ihrem Heilsauftrag her, von der Verkündigung des Evangeliums, bestimmt. Dazu gehöre wesentlich, daß Christus sich i n seiner Menschwerdung gewissermaßen m i t jedem Menschen vereinigt, i n jedem Menschen gegenwärtig geworden sei und i h m seine Würde verliehen habe. Insofern könne die Kirche als Lehrerein und Avantgarde i n der Frage der Menschenrechte auftreten 1 1 0 . Sie bedürfe deswegen keiner Anleihen bei anderen Weltanschauungen oder philosophischen Systemen und für ihre Sendung gehe es daher darum, nicht abstrakte Modelle oder Systeme zu verwirklichen, sondern sich der konkreten Gefahren und Bedrohungen für die Würde und Bestimmung der Menschen bewußt zu werden und dafür zu sorgen, daß das Leben i n der Welt mehr „der überragenden Würde des Menschen" entspreche. Die Lehre des Papstes ziele also auf die Fruchtbarmachung der christlichen Aussagen der Offenbarung, auf einen „christozentrischen Humanismus" h i n 1 1 1 . M i t dem Papst betont Böckenförde, der Auftrag der Kirche i n der Welt und für die Welt sei ein religiös-theologischer und n u r ein religiös-theologischer. Er richte sich nicht auf politische Ziele, nicht auf die Erhaltung oder Stützung politischer Ordnungen und Systeme, nicht auf die Parteinahme i n politischen Auseinandersetzungen, sondern auf die Verkündigung des Evangeliums, der christlichen Heils- und Frohbotschaft, auf die Verkündigung von Christus selbst, der kein Politiker, Revolutionär oder Umstürzler wäre. Dies w i l l auch Böckenförde i n Anlehnung an die Reden und Schriften des Papstes klarstellen: „insofern ist er,unpolitisch'" 1 1 2 . Auch der weitere Zug i n der Lehre Johannes Paul II., die Kirche auf ein prophetisches Amt, als Teilhabe am Prophetenamt Christi zu orientieren, d. i. die ganze Wahrheit vom Menschen, seine Befreiung von jeder Knechtschaft und seine Erhebung durch Jesus Christus, jeder Macht gegenüber, ohne Ansehen irgendwelcher anderer Interessen oder Rücksichtnahmen und ungeachtet wirtschaftlicher, politischer und k u l tureller Grenzen zu verkündigen, zielt nach Böckenförde ausschließlich io® E.-W. Böckenförde, 110
Das neue politische Engagement, S. 219.
Vgl. i n diesem Sinne zuletzt M . Kriele, Befreiung u n d politische A u f klärung — Plädoyer für die Würde des Menschen, Freiburg / Basel / W i e n 1980, wo die Kirche als unerläßlicher Partner der politischen A u f k l ä r u n g i n der heutigen Situation hingestellt w i r d . 111 Vgl. E.-W. Böckenförde, Das neue politische Engagement, Fn. 17. 112 Ebd., S. 222. 11 Beneyto
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II. 4. Kap.: Politische Theologie als theologische Politik
auf Umkehr der Herzen, auf eine strikt geistlich-religiöse Aufgabe: „Befreiung besagt die innere Umwandlung des Menschen als Folge der Erkenntnis der Wahrheit. Diese Umwandlung ist also ein geistlicher Prozeß" 1 1 3 . Insofern dürfe die Befreiung, die von Christus ausgeht, nicht auf eine wirtschaftliche, soziale, politische, sozusagen eine strukturelle Befreiung reduziert werden, sondern prinzipiell als Befreiung von aller Knechtschaft und Sünde i n der Erkenntnis der i n Christus geoffenbarten Wahrheit, von der die weiteren Befreiungen ihren Ausgang nehmen, festgehalten werden 1 1 4 . Und diese weiteren strukturellen Befreiungen seien nicht Aufgabe von Priestern, Ordensleuten und Bischöfen, die sich das „Gegenüber" der Welt, die Unparteilichkeit zur vollen und glaubwürdigen Verkündigung der Wahrheit bewahren sollen, sondern es obliege gerade den Laien, die Wahrheit des Evangeliums an der Stelle, wo sie stehen, und nicht zuletzt i n Gesellschaft und Politik, unter Zuhilfenahme ihrer spezifischen Sachkenntnis und Erfahrung i n praktisches soziales und politisches Handeln umzusetzen, dazu Pläne zu entwerfen, Prioritäten zu bestimmen, Maßnahmen zu ergreifen 1 1 5 . Und dies alles als Folge persönlicher Verantwortung, ohne dadurch weder als Vertreter der Kirche noch als eine A r t „longa manus" der Amtsträger aufzutreten. Aus alledem ergibt sich — wie Böckenförde ebenfalls herausstellt —: die Lehre des Papstes enthalte die vollständige Anerkennung einer legitimen Autonomie der weltlichen Bereiche und Aufgaben gegenüber der Amtskirche, d.h. die Verneinung jedweder Form „christlicher Politik", „christlicher Partei", „christlicher Gesellschaft" usw., zugleich die Öffnung zu einer „Theologie der Arbeit" als der Ort, wo die Realisierung von Freiheit und Gerechtigkeit durch Menschen — die außerdem Christen sind — alltäglich eine persönliche Herausforderung stellt 1 1 6 . Berechtigt nun aber dieses Eintreten des Papstes für Menschenrechte und Umkehr des Herzens von einer „politischen Theologie" Johannes Paul II. zu sprechen? Nur wenn die Ethik i n der Freund/Feind-Dialekt i k des Politischen aufgehoben wird. Insofern stellt die Lehre Johannes 113 Ansprache i n der Generalaudienz am 18.3.79, S. 1; Osservatore Romano, 23.3.79, S. 1 (Wochenausgabe i n deutscher Sprache). 114 Ansprache auf der 3. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe i n Puebla, 28.1. 79, I I I , 6, S. 10, Osservatore Romano 2.2.79. 115 Predigt i m New Y o r k e r Yankee-Stadion 2.10. 79, 4 - 6 , Osservatore Romano 19.10. 79, S. 5. 116 Dies ist w o h l auch die Lehre des I I . Vatikanums gewesen. Vgl. hierzu die kommentierte Ausgabe v o n „Gaudium et spes", L'Eglise dans le monde de ce temps. Constitution pastorale „Gaudium et spes", Y. M.-J. Cougar / M . Peuchmaurd (Hrsg.), 3 Bde., Paris 1967. Ansätze einer nicht-politischen Theologie der A r b e i t finden sich etwa bei G. Rovira, Das Persönlichkeitsrecht auf Arbeit. Salzburg / München 1978, insbes. S. 185 ff., 217 ff.
§ 30 Demokratie und Demokratisierung
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Paul II. gleichsam den Härtetest für die politische Theologie überhaupt dar. Ist das Eintreten für die Wahrheit und daher zugleich das Eintreten für die Würde und das Recht des Menschen und weiter für die Armen und Notleidenden sowie die Ablehnung des Weges der Gewalt, wie Christus sie vorgelebt hat, nicht nur eine religiös-sittliche Botschaft, sondern zugleich auch eine politische? Das heißt, gibt es tatsächlich „politische Theologie"? Nur — und dann aber auch immer —, wenn die Politik durch die Freund/Feind-Dialektik bestimmt wird. Das heißt, wenn aus dem konkreten Konflikt eine Dialektik des Absoluten, des durch die Verabsolutierung des Dialektischen zum Politikum Erhobenen, konstruiert wird. Anders gewendet, indem der — unter zweckhandelnden Menschen entstehende — Konflikt zum Existentiell-Anthropologischen substantiiert wird. So ist bei Böckenförde das päpstliche Eintreten für die Menschenwürde, „ i n jeweilige konkrete Situationen hineingesprochen" 117 — indem es ein solches für die Menschen und vom Menschen ist —, notwendig auch auf das Leben der Menschen und die Ordnung ihres Zusammenlebens bezogen, d. h. für i h n „unaufhebbar politisch". Hier zeige sich eine Dialektik, die u m so deutlicher hervortrete, je „entschiedener" (sie!) — wie Johannes Paul II. es tue — der religiös-theologische Ausgangs« und Bezugspunkt des kirchlichen Wirkens betont und realisiert werde 1 1 8 . Die Dialektik des Politischen bleibt strikt -politisch-iheologisch: Die Kirche könne dem Beziehungs- und Spannungsfeld des Politischen weder entgehen noch entgehen wollen, denn „dadurch würde nur das Eintreten für die Botschaft selbst verkürzt, die Verkündigung eine politisch angepaßte" 119 . Das Politische bleibt demnach unentrinnbar. Die volle Verkündigung der Heilsbotschaft, das unverkürzte, von aktuell-politischen Rücksichten und Abwägungen freie Eintreten für die christliche Botschaft sei letztlich die Bedingung dafür, daß „politische Wirkungen" von ihr ausgehen und sie ihre Maßgeblichkeit i n und gegenüber dem politischen Beziehungsfeld zur Geltung bringe. Der theologische Gehalt der christlichen Botschaft w i r d demzufolge nach Böckenförde völlig zur Geltung* gebracht, indem sie politisch ist und umgekehrt, die politische Wirksamkeit der christlichen Botschaft ausschließlich dadurch vollkommen ausgeschöpft, daß sie „echte" Heilsverkündigung bleibt. Der Totalitätsanspruch des Politischen w i r d aber dadurch nicht relativiert, sondern geradezu dialektisch verschanzt. Eins steht für Böckenförde auf jeden Fall — gleichsam als „petitio prineipii" 117 118 119
11*
E.-W. Böckenförde, Politische Theorie u n d politische Theologie, S. 243. Ders., Das neue politische Engagement, S. 223. Ebd.
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II. 4. Kap.: Politische Theologie als theologische Politik
— fest: daß das Politische durch einen bestimmten Intensitätsgrad der Assoziation oder Dissoziation gekennzeichnet sei, der sein „Material" aus allen Sach- und Lebensbereichen (also auch aus geschichtseschatologischen und intratrinitarischen i m Sinne Schmitts?) beziehen könne. Dann ist es aber auch nur logisch, daß aus dem Totalpolitischen ein revolutionäres Engagement intendiert wird, eine — wie es Böckenförde postuliert — „bleibende Spannung zu den jeweils Mächtigen und Wohlhabenden, denen die Kirche als Anwalt der Armen durch ihre ständige Mahnung und K r i t i k nicht gestattet, sich hinter scheinlegitimierenden Sachzwängen und vorgeschobenen Ideologien zu verschanzen" 120 . So erweist sich nicht die tatsächlich nur sittlich-religiöse Verkündigung Johannes Paul II. als die Bestätigung der politischen Theologie, sondern als ihre endgültige Destruktion. Aus seiner Lehre ergibt sich, die Kirche habe es nicht nötig, zu Systemen und Ideologien Zuflucht zu nehmen, u m die Befreiung des Menschen zu lieben, zu verteidigen und mit zu verwirklichen 1 2 1 . Sie braucht eben auch nicht Zuflucht zu einer politischen Theologie zu nehmen. Denn nicht politisches Engagement unterscheidet dann den Christen, sondern Eintreten für Gerechtigkeit und Menschenwürde; und dies nicht aus kirchlichen Weisungen, sondern aus vollbewußtem und -gelebten Christusglauben 122 .
120 vgl. E.-W. Böckenförde, Das neue politische Engagement, S. 225. Ebd. 122 v g L hierzu ζ. B. die beiden Enzykliken Johannes Paul II., „Redemptor hominis" u n d „Dives i n misericordia"; dazu M. Kriele, Befreiung u n d p o l i tische A u f k l ä r u n g ; allgemein zum Thema: L. Musseiii, Chiesa Catholica e Communità Politica. Dal declino della teoria della „potestas indirecta" alle nuove impostazioni della canonistica postconciliare, Cedam 1975. 121
D r i t t e r
Abschnitt
Politische Theorie des Franco-Regimes als politische Theologie Erstes
Kapitel
Siegreicher Bürgerkrieg als Gründungsakt nationaler Ordnung § 31 Bürgerkrieg als K r e u z z u g V o n A n f a n g a n w u r d e d e r spanische B ü r g e r k r i e g (1936 - 1 9 3 9 ) a u f F r a n c o - (der „ n a t i o n a l e n " ) Seite als „ K r e u z z u g " gegen d e n i n t e r n a t i o n a l e n M a r x i s m u s u n d K o m m u n i s m u s v e r s t a n d e n . D a r i n l a g die e i n z i g m ö g l i c h e R e t t u n g d e r „ m o r a l i s c h e n , geistigen, r e l i g i ö s e n u n d k ü n s t l e rischen W e r t e , die das spanische V o l k i n seiner g l o r r e i c h e n Geschichte geschaffen h a t , u n d w e l c h e das F u n d a m e n t u n s e r e r n a t i o n a l e n u n d i n d i v i d u e l l e n E x i s t e n z s i n d " — so F r a n c o i n e i n e r E r k l ä r u n g a n d i e „ L e i p z i g e r I l l u s t r i e r t e Z e i t u n g " v o m J u l i 1937 1 . D e r G e g n e r auf d e r a n d e r e n — „ r o t e n " — Seite h a t t e i n s o f e r n n i c h t n u r „verfassungsw i d r i g , t y r a n n i s c h u n d f r a u d u l e n t " g e h a n d e l t 2 , s o n d e r n s t e l l t e gleich1 Zit. nach: Pensamiento politico de Franco. Antologia (Politisches Denken von Franco. Anthologie), 2 Bde., M a d r i d 1975 (Vorwort v o n José Solis Ruiz, Minister-Generalsekretär der Nationalen Bewegung. Ausgewählt u n d eingeleitet v o n A . del Rio Cisneros). Hier Bd. I, Nr. 47 ( I 47). I m d r i t t e n Abschnitt w i r d der Versuch unternommen, eine Analyse der politischen Theorie des Franco-Regimes unter dem Gesichtspunkt seiner politischen Theologie zu geben. Dabei w i r d vorwiegend auf Äußerungen Francos selbst zurückgegriffen. Vgl. dazu unter der Sekundärliteratur zum Frankismus: M. Gallo, Histoire de l'Espagne franquiste, Paris 1969; G. Hills, Franco. The M a n and His Nation, London 1967; St. G. Payne, Franco's Spain, London 1968; R. Carr / J. P. Fusi, Spain: Dictatorship to Democracy, London 1979, S. 15 - 78; W. Wefers, Grundlagen u n d Ideen des Spanischen Staates der Gegenwart, B o n n 1961, der den Franco-Staat einen „liberalen Staat" nennt (S. 66 ff.) u n d eingehend seine politisch-theologischen Wurzeln analysiert, vgl. S. 2 6 - 5 0 ; B. Crozier, Franco. A biographical History, London 1967; Κ. von Beyme, V o m Faschismus zur Entwicklungsdiktatur — Machtelite u n d Opposition i n Spanien, München 1971, insbesondere S. 32 - 82. 2 F. Franco, Rede am 18. 7.1937 zum I. Jubiläum der Nationalen Erhebung, Salamanca. Z u r Rechtfertigimg der Erhebung gegen das legale Regime der I I . Republik (1931 - 1936) beruft sich Franco auf den entsprechend vorge-
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III. 1. Kap.: Siegreicher Bürgerkrieg als Gründungsakt
sam existentiell das eigene und gemeinschaftliche Dasein i n Frage. Es bestand ein agonischer Kampf auf Leben und Tod i m existentiell-historischen Sinne; durch geschichts-theologische Verschärfung, u m den „totalen" Feind und den „totalen" Krieg. Aus der Radikalität des Angriffs legitimierte sich die „Nationale Erhebung" (Alzamiento Nacional) als Selbstverteidigung des Vaterlandes, der „Patria", gegen ihre äußeren und inneren Feinde. Die auf solche Weise erreichte erste Integrationsstufe setzte i m Grunde die Identifizierung von der „Patria espanola" m i t einer bestimmten Tradition Spaniens voraus, i n der sich Katholizismus, habsburgische Imperial-Ideologie und drei Jahrhunderte „unbewältigte Vergangenheit" zu einer Einheit i m Bewußtsein der A u f ständischen aufdrängte 8 . Als Verteidiger des „ i n Gefahr" erklärten Vaterlandes bedeutete die „nationale Erhebung" sogleich die Rettung der katholischen Zivilisation gegenüber der Herausforderung des geschichtlich Bösen. Dadurch aktualisierte sich die „historische Berufung" des spanischen Volkes, einst gegen die Türken i n Lepanto, später gegen die Reformation i n Mitteleuropa, nun gegen den internationalen Kommunismus gerichtet: „Die Nation, sich ihres historischen Schicksals bewußt, hat sich zur Verteidigung ihres Wesens und — wieder einmal — i n Erfüllung geheimnisvoller Richtlinien, auch zur Verteidigung des Wesens unserer einen und gemeinsamen Zivilisation erhoben" 4 . Durch die göttliche Berufung zur historischen und zugleich transzendenten Mission bedeutet der „Befreiungskrieg" (guerra de liberación) innerstaatlich den Kampf Spaniens gegen seine historische Negation, i m Weltmaßstab, der Kampf des Geistes gegen die Materie, des Christensehenen F a l l i m Militärgesetz. Vgl. hierzu 148: „Der Armee ist es nicht erlaubt, sich gegen eine Partei oder gegen eine Verfassung aus reiner M i ß b i l l i gung zu erheben; aber sie hat die Pflicht, sich m i t den Waffen zu erheben, u m das Vaterland v o r dem drohenden Todesfall zu schützen" (Ders., E r k l ä r u n g an die Zeitung „ A B C " v o n Sevilla v o m 19.7.1957). 8 Vgl. hierzu: R. Carr, Spain 1808- 1936, Oxford 1966; S. G. Payne, Politics and the M i l i t a r y i n Modern Spain, Stanford / London 1967; M . Artola, Los origines de la Espana contemporànea, 2 Bde.* M a d r i d 1975; ders., (Hrsg.), Historia de Espana Alfaguara, Bd. Nr. V : M. Artola, La burguesia revolucionaria (1808 - 1874), Nr. V I : M. Martinez Cuadrado, La burguesia conservadora (1874 -1931) u n d V I : R. Tamames, La Repùblica. L a Era de Franco (1931 - 1970), M a d r i d 1973; M . Tunón de Lara, La Espana del siglo X X , 3 Bde., Barcelona 1974; F. B. Pike, Hispanismo, 1898 - 1936. Spanish Conservatives and Liberals and Their Relations w i t h Spanish America, Notre Dame / London 1971, der deutlich die geistesgeschichtliche E n t w i c k l u n g herausstellt. Eine brauchbare Geschichte der liberal-parlamentarischen V e r suche ist das W e r k v o n D. Nohlen, Spanischer Parlamentarismus i m 19. Jahrhundert, Meisenheim a. Glan 1970. 4 Ebd. Vgl. zur L i t e r a t u r über den spanischen Bürgerkrieg v o r allem: H. Thomas, The Spanish C i v i l War, London 19773; P. Broué / E. Temimé, Revolution u n d K r i e g i n Spanien, F r a n k f u r t 1968; J.-M. Sänchez, Reform and Reaction; the politico-religious background of the Spanish C i v i l War, Chapel H i l l 1964.
§31 Bürgerkrieg als Kreuzzug
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turns gegen den Marxismus: „Der spanische Krieg ist keine künstliche Angelegenheit: er ist die Krönung eines historischen Prozesses. Der Kampf des Vaterlandes gegen das Anti-Vaterland, der Einheit gegen die Trennung, der Moral gegen das Verbrechen, des Geistes gegen den Materialismus hat insofern keinen anderen möglichen Ausgang, als der Sieg der reinen und ewigen Prinzipien über jene Bastarden (sie!) und Antispanischen" 5 . Die Aufhebung des Ges(±ichtlich-Gesellschaftlichen i n der Transzendenz, die göttliche Verklärung der konkret politischhistorischen Situation, erfüllt insofern mehrere Funktionen. Einerseits dient dieser Vorgang zur wiksamen Massensammlung aller Kräfte und zur Legitimierung des Krieges als „Volks"krieg. Der Krieg ist die notwendige Reaktion all derjenigen, die sich zur europäischen Z i v i l i sation bekennen und bescheinigt insofern deren offenen oder impliziten Unterstützung des Kampfes. So besitzt für Franco der Krieg den eindeutigen Sinn einer endgültigen Entscheidung zwischen Frieden und Weltrevolution; das Scheitern des Kreuzzuges würde zu einem weitrevolutionären Krieg i n Europa führen: „seit dem ersten Tag haben unsere Feinde verkündet, daß sie nach unserer Niederlage den Krieg i n Europa entfesseln würden. Rußland hat sich dieses Ziel vorgenommen" 6 . Zweitens indiziert die theologisch-politische Aufhebung, daß die Entscheidung letztlich bereits gefallen ist. Es gibt keinen anderen möglichen Ausgang, weil das Gute über das Böse letztlich siegen muß. So ist i m Jahre 1937 der Sieg für die Franco-Truppen bereits greifbar, denn „Spanien" darf aus seiner historisch-transzendenten Mission unmöglich abdanken 7 . Drittens nimmt der Sieg eine zentrale Stellung als dezisive Neuformierung der „nationalen Gemeinschaft" ein. Die „Victoria" — der „Sieg", immer m i t Großbuchstabe geschrieben — besitzt die symbolische Bedeutung der ins Transzendente aufgehobenen und aufgehaltenen „neuen Ordnung". Sie ermöglicht die endgültige Einsetzung der nationalen Gemeinschaft i n die politisch-theologische Sphäre und hält sie sogleich i n diesem „diesseitigen Jenseits" kontinuierlich aufrecht. Die „Victoria" impliziert schließlich die Überwindung des inneren Feindes durch seine Integration i n die nationale Gemeinschaft, oder aber seine endgültige Abtrennung und Identifizierung m i t dem „äußeren" Feind. „Unser Sieg war ein Sieg der spirituellen Prinzipien, der Sieg des Gei5
F. Franco , E r k l ä r u n g an die Presse-Agentur „Havas" am 27.8.1938 (I 50). Vgl. hierzu A . Loveday, W o r l d W a r i n Spain, London 1939; A . Puzzo , Spain and the Great Powers, New Y o r k / London 1962; A . Guttmann , The Wound i n the Heart. America and the Spanish C i v i l War, New Y o r k 1962, vgl. v o r allem S. 17-51; J. Gorkin, Stalins langer A r m . Die Vernichtung der freiheitlichen L i n k e n i m spanischen Bürgerkrieg, K ö l n 1980. 7 Vgl. F. Franco, E r k l ä r u n g an die „New Y o r k Times", 26.12.1937, (I 49). β
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III. 1. Kap.: Siegreicher Bürgerkrieg als Gründungsakt
stigen über den Materialismus (...), er war nicht das Ziel, sondern ein Mittel, ein Instrument; w i r bedurften des Aufbaus eines Staates, w i r mußten Spanien erheben und errichten, damit die geistigen Prinzipien unsere Werke richten" 8 . „Unser Sieg ist weder von einer Person noch von einer Partei gewesen; unser Sieg ist der Sieg des Glaubens, der Traditionen, der Heime, des Feldes und der Stadt, der Fabrik uild der Arbeit, des Armen und des Reichen; Triumpf von allen, und Niederlage nur des Anti-Spaniens" 9 . Der Sieg galt als erster Schritt auf dem „opfer- und anstrengungsvollen" Weg zur Neugründung des Vaterlandes, zur Wiederschaffung einer „wirklichen" Gemeinschaft, welche „alle" umfaßt, weil sie auch „von allen" errungen wurde. Er wäre i m spezifischen Sinne „national", „spanisch" gewesen, und das dadurch gerettete „Vaterland" stehe insofern offen für all diejenigen, die „frei von Verbrechen und Argwohn" sich wieder integrieren möchten 10 . Gerade aufgrund des spezifischen Volks- und nationalen Charakters des Kreuzzuges gegenüber dem Internationalismus der „roten" Kräfte schließt das „neue Spanien" als „Mutter für alle" selbst seine bereitwilligen „verlorenen Söhne" ein. Aus dem Sieg entstand schließlich der Frieden, einer der wohl am häufigsten verfochtenen Legitimationsargumente des Regimes, ein Frieden, „durch alle" und „zugunsten aller" von Caudillo-Franco verwaltet 1 1 . §32 Der innere Feind Die Aufhebung der „Nation" und die Verklärung i n einer metaphysisch-transzendenten Ordnung w i r d durch das homogene Medium der geschichtstheologischen Feindschaft gegen den Liberalismus vorbereitet. Die „Nationale Bewegung" erscheint dialektisch als die Überwindung der „Irrtümer eines Jahrhunderts", des X I X . Jahrhunderts, „welche w i r aus unserer Geschichte hätten auslöschen wollen, weil es die Negation des spanischen Geistes ist, die Inkonsequenz mit unserem Glauben, die Verneinung unserer Einheit, das Verschwinden unseres Imperiums, alle Degenerierungen unseres Wesens, etwas Fremdes, das uns trennte und uns zwischen Brüdern entgegenstemmte, und jene auf unserem Land durch Gott eingesetzte harmonische Einheit zerstörte". Das 19. Jahrhundert personifiziert auf solcher Weise die Geschichte Spaniens seit dem progressiven Bewußtseinsverlust seiner historisch8 Ders., Rede vor der „Frauen-Sektion" der Falange, M a d r i d 11.11.1945, (I. 68). 9 F. Franco , Rede i n Vitoria, 17.11.1945, (I 68). 10 Ders., E r k l ä r u n g an „Catholic News", Washington, 10. 6.1957, (I 69). 11 Ders., Vgl. Rede v o r der „Cortes Espanolas", Madrid, 18. 5.1958, (I 69).
§ 32 Der innere Feind
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transzendenten Mission 12 . Die demokratisch-liberalen Regierungsversuche als Ursache des permanenten bürgerkriegsähnlichen Zustandes zwischen Absolutisten und Liberalen nach der ersten liberalen Verfassung von 1812 stellen insofern die folgerichtige Konsequenz der spezifisch „anti-spanischen", „anti-katholischen" und „dekadenten" Moderne dar. Liberalismus, Kapitalismus und Materialismus erscheinen i n ein und demselben Atemzug als Faktoren der „geistigen Krise der modernen Welt", welche i n Spanien zur tiefsten Dekadenz geführt hätten. Denn die „große Schwachheit der modernen Staaten besteht i n dem Mangel an geistigen Inhalten, darin, daß sie auf eine einheitliche Mensch-, Geschichts- und Weltanschauung verzichtet haben. Der größte I r r t u m des Liberalismus ist seine radikale Verneinung jedweder permanenten Vernunftkategorien, sein absoluter Relativismus (...). Und weil die typische und substanzhafte Manifestation des Staates sich gerade i m juristischen Positivismus artikuliert, w i r d dieser, wenn er nicht auf einem vorstaatlichen und übergeordneten System von Prinzipien, Ideen und Werten beruht, i n einen allmächtigen juristischen Voluntarismus einmünden, dessen Organ entweder die rein numerische und unorganisch manifestierte ,Mehrheit' oder aber die unbändigsten Machtzentren werden" 1 3 . I m Progreß der nationalen Dekadenz spitzte sich die Krise zu bis zur „nationalen Desintegration" m i t dem Aufkommen der II. Republik und insbesondere i m Jahre 1936, als einer der Symbole der nun als „protomartir", „Erster Märtyrer" gefeierte José Calvo Sotelo wurde 1 4 . Die „dynamische Projektion" der Nationalen Bewegung i n die Zukunft — so Franco 1950 — gründe letztlich i n „unserer Auflehnung 12 Vgl. hierzu ferner R. de la Cierva, Historia basica de l a Espana actual (1800 - 1974), Barcelona 1974; aus marxistischer Sicht, I. M . Maiski, Neuere Geschichte Spaniens 1808- 1917, B e r l i n (Ost) 1961. Über das Verhältnis v o n A u f k l ä r u n g u n d politischer Opposition s. R. Herr, The Eightteenth-Century Revolution i n Spain, Princeton / New Jersey, 1969; W. Krauss, Die A u f k l ä rung i n Spanien, Portugal u n d Lateinamerika, München 1973; J. Fernändez, Spanisches Erbe u n d Revolution. 18 F. Franco , Rede bei dem I X . Nationalrat v o n F. E. T. (Falange Espanola Tradicionalista) u n d J. O. N. S. (Juntas Ofensivas Nacional-Sindicalistas: Nationalsyndikalistische Sturmtruppen), Burgos 2.10.1961, ( I 90). 14 Vgl. F. Franco, Rede bei der Denkmalsfeier v o n Calvo Sotelo i n Madrid, 13.7.1960, (I 88). Z u Calvo Sotelo vgl. J. Calvo Sotelo, E l capitalismo contemporàneo y su evolución, M a d r i d 1935; ders., Mis servicios al Estado, M a d r i d 1931; E. Aunós, Calvo Sotelo y l a politica de su tiempo, M a d r i d 1941. Z u r Bedeutung seines Todes als Zündung des Bürgerkrieges vgl. G. Jackson, The Spanish Republic and the C i v i l W a r 1931 - 1939, Princeton / New Jersey 1965, S. 218 ff.; P. Preston, The Coming of the Spanish C i v i l War. Reform, Reaction and Revolution i n the Second Republic 1931 - 1936, London 1978, S. 177 ff.; zur Krise v o n 1936 ferner der Sammelband v o n R. Carr (Hrsg.), The Republic and the C i v i l W a r i n Spain, London 1971. Eine Untersuchung zur politisch-religiösen Symbolik des Franco-Regimes liegt noch nicht vor. Ansätze etwa bei M. Garcia-Pelayo, Los mitos politicos.
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III. 1. Kap.: Siegreicher Bürgerkrieg als Gründungsakt
gegen diese unglücklichen Jahre" 1 5 . Die K r i t i k von Modernität und Liberalismus konstituiert einerseits den notwendigen dialektischen Gegensatz. Dem revolutionären Prozeß der Moderne w i r d nun die nationalkatholische Revolution opponiert und diese dadurch aufgehoben. Ihre Inhalte werden aus der vorrevolutionären Situation übernommen und metaphorisch auf das Höhere, i n die Zukunft hineinprojizierende „nationale Bewegung" transponiert. „Aus diesem Grund ist unsere Revolution keine inhaltsleere Revolution; sie ist vielmehr eine gehaltvolle Revolution, eine schöpferische Revolution, die sich auf eine Philosophie sozialer Wirklichkeiten stützt und erhebt; sie ist ein Vorzeichen von dem, was i n der Welt herrschen muß" 1 6 . Das Instrumentarium geschichtstheologischer Disqualifizierung konnte aber auch jederzeit zur Rechtfertigung konkreter wirtschaftlicher oder innergesellschaftlicher Schwierigkeiten des Regimes verwendet werden: Der „hundertjährige Traum" des Liberalismus hätte den „Verlust unseres Imperiums und eine katastrophale Abenddämmerung" herbeigeführt; so führte ferner Franco etwa 1957 bei seiner Jahresabschlußrede die „natürlichen Schwierigkeiten" bei der „Entwicklungskrise" der spanischen Wirtschaft auf die Ausgangslage zurück, auf das radikale Scheitern des liberal-demokratischen Systems 17 . § 33 Revolution und Tradition in der Nationalen Bewegung „Die Nationale Bewegung ist dazu gekommen, das bedrohte Nationale m i t dem Sozialen, aber beides unter der Herrschaft des Spirituellen, dem Gesetz Gottes unterzuordnen" 1 8 . Die mit dem Sieg am 1. A p r i l 1939 einsetzende Dynamik der „Nationalen Bewegung" speiste sich aus zwei Quellen; verankert i m göttlichen Gesetz.— sie selbst die Realisierung dieser göttlich-irdischen Ordnung —, verstand sie sich ausdrücklich als eine „Synthese von Tradition und Revolution", als „national15 jr m Franco , Rede v o r der „Frente de Juventudes" (Jugendverband der Einheitspartei), 28.3.1950, ( I 80). 16 Ders., Rede i m Rathaus v o r Baracaldo, 21.6.1950, (I 54). Die Parallele zu der Zeit der Gründung der Nation durch die „katholischen Könige" — Ferdinand v o n Aragonien u n d Isabella v o n Kastilien — w i r d ausdrücklich etwa i n einer Rede v o r dem Kongreß der Alt-Bürgerkriegskämpfer i n Segovia v o m 19.10.1952 gezogen (I 54). 17 F. Franco , Jahresabschlußrede v o r der „Cortes" (Ständeparlament) a m 31.12.1957 (I 83); vgl. hierzu auch I 88 f. Dazu i m Sinne Francos fünfzehn Jahre später M . Fraga Iribarne, Las transformaciones de la sociedad espanola contemporànea, M a d r i d 1959 (hrsg. v o m Verlag der Nationalen Bewegung: Ediciones del Movimiento). Kritisch R. Tamames, La Repùblica. La Era de Franco (1931 - 1970), S. 407 ff.; ders., Estructura econòmica de Espana, 2 Bde., M a d r i d 1975®. 18 F. Franco , Rede bei der Eröffnung eines Priesterseminars i n Pilas (Sevilla), 3. 5.1961 (I 240).
§ 33 Revolution und Tradition in der Nationalen Bewegung
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syndikalistische" Ordnung. Sie konnte insofern aus den „ewigen und traditionellen Werten" stets ausschöpfen, u m diese dann, durch die „Transformationskraft" (virtud transformadora) der „Nationalen Bewegung" selbst, als sozial-revolutionäre Ziele i n der konkreten politischen Wirklichkeit effektiv zu machen. Die Aufhebung und insofern Permanenz-Erklärung von Tradition und Revolution i n der Eigengesetzlichkeit der „Nationalen Bewegung" entsprach i m übrigen den realen politischen Kräften. Durch das „Unifikationsdekret" von FET (Falange Espanola Tradicionalista) und JONS (Juntas Ofensivas Nacional-Sindicalistas) 19 am 19.4.1937 i n Salamanca wurden i n der eigenen Interpretation Francos die drei Phasen der Nationalen Bewegung folgendermaßen zu einer Einheit verschmolzen: Die erste, „ideelle" oder „normative" Phase identifiziert sich m i t der historischen Entwicklung von der Wiedereroberung (Reconquista) des Landes gegen die maurische Invasion bis h i n zur Begründung eines vereinten und kaiserlichen Spaniens unter den katholischen Königen, K a r l V. und Philip II.; dieses „Spanien" eines „christlichen Imperiums" sollte als „ideelle Normative" i n den späteren Phasen „wiederaufgenommen" werden. Die zweite, „historische" bzw. „traditionalistische" Stufe gilt als Inbegriff der verschiedenen Kriege und politischen Auseinandersetzungen des 18., 19. und 20. Jahrhunderts u m die Wiederherstellung des ideellen Spaniens. Diese Phase blieb — so Franco weiterhin — latent und „konkret verortet", i m traditionalistischen Karlismus enthalten. Zuletzt Schloß die dritte Etappe verschiedene Elemente ein: die Diktatur Primo de Riveras (1923 - 1929), die JONS und die FET 2 0 . I n dem sogenannten Unifikationsdekret von Falange und Karlismus brachte also Franco deutlich die heterogene Natur — Monarchisten, Legitimisten, Konservative, Faschisten, Gemäßigt-Liberale . . . — der Aufständischen am 18. J u l i zum Ausdruck. Durch ihre Fixierung i n sechsundzwanzig politischen Prinzipien fand die Ideologie der „Nationalen Bewegung" am 10. 6.1939 ihre programmatische Plattform. Doch blieb dabei i h r „wesenhaftes Merkmal" die revolutionäre Eigengesetzlichkeit der Bewegung als solche: „die Kontinuität der Nationalen Bewegung liegt i n der Bewegung selbst", so Franco ζ. Β. 195621. Als Symbol und Synthese 19 Vgl. hierzu: S. G. Payne , Falange. A History of Spanish Fascism, Stanford 1961, S. 174 ff. Ferner F. Martinez Bravo , Historia de Falange Espanola de las JONS, M a d r i d 1943; G. Diaz, Como llegó Falange al poder: Anâlisis de u n proceso contrarrevolucionario, Buenos Aires 1940; M . Ferrer, El Generalismo Franco y l a Comunión Tradicionalista, Sevilla o. J.; F. Guillen Salaya, Historia del sindicalismo espanol, M a d r i d 1943. Während die Falange i h r Modell vor allem aus dem italienischen Faschismus übernahm, v e r stand sich der Karlismus als konterrevolutionärer Traditionalismus. 20 ρ Franco, Rede bei der feierlichen Vereinigung v o n FE u n d JONS m i t dem Karlismus (I 115 - 117). 21
F. Franco , Rede v o r dem Generalrat der Nationalen Bewegimg am 17. 7.1956 (I 119).
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III. 1. Kap.: Siegreicher Bürgerkrieg als Gründungsakt
von Einheit und Progreß, von einer „Einheit des Schicksals i m Universellen" und der i m politischen Alltag zu verwirklichenden Sozialrevolutionären Gerechtigkeit und existentiellen Engagements, konnte die Nationale Bewegung als Integrationselement zwischen Staat und Volk funktionalisiert 2 2 und dadurch i n der Dreiheit von Staat-BewegungVolk als die i n jeder politischen Theologie angestrebte Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen realisiert werden 2 3 .
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Vgl. hierzu ebd. (I 139 - 216). Z u einer solchen, i n der Transzendenz der Einheit aufhebenden Dreiheit i m Nationalsozialismus vgl. C. Schmitt, Staat. Bewegung, V o l k , Hamburg 1933. Dazu F. Wagner, Politische Theorie des Nationalsozialismus als p o l i tische Theologie, i n : M . Baumotte / H.-W. S c h ü t t e / F . Wagner / H. Renz (Hrsg.), K r i t i k der politischen Theologie, S. 29 - 51. 28
Zweites
Kapitel
Der Feind als Widerpart zur Aufrechterhaltung der Nationalen Ordnung § 34 Civitas Dei und civitas terrena I m Jahre 1938 hatte Franco ausdrücklich verkündet, „Unser Aufstand ist kein Klassenkampf, es ist ein Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen" 1 . Ähnlich schrieb beispielsweise die Zeitung „Pueblo" am 28. 3. 1944, „es waren nicht die Truppen des Caudillo eine Hälfte Spaniens i m Kampf gegen die andere, sondern das ewige, authentische und unzerstörbare Spanien, das u m die Überredung und Bekehrung abgefallener Gruppen kämpfte" 2 . Das geschichts-theologische Bewußtsein, sich i m Besitz der absoluten Wahrheit zu befinden, w i r d insbesondere i n den unmittelbaren Jahren nach dem Sieg (1939 - 1945) die Funktion eines unberührbaren, i m Metaphysischen verankerten Legitimationssubstrats der Nationalen Ordnung erfüllen. Dieses aktuelle Potential an Legitimität zwingt permanent zur Kontinuität der radikalen Entscheidung; so äußerte sich 1944 der „Minister-Generalsekretär der Bewegung", José Luis de Arrese: „Es gibt nur einen einzigen Weg; wie der Caudillo gesagt hat: mit uns geht das Leben Spaniens weiter, und ohne uns, nur noch der Tod (...), weil w i r uns i m Besitze der Wahrheit und des Sachverhalts, daß die Wahrheit sich der Lüge entgegensetzt, wissen" 3 . Die dadurch aufgehaltene Präsenz des Bürgerkrieges erlaubte insofern dem Frankismus eine mystisch-eschatologische Interpretation von Geschichte und Politik. Die konkreten politischen Entscheidungen konnten jederzeit auf den Grundkonflikt zwischen Böse und Gut zurückgeführt werden und permanent eine absolute Legitimität schaffen. Eine totale 1 F. Franco , Palabras del Caudillo (Anthologie von Reden u n d Texten F. Francos), Barcelona 1939, S. 287. 2 Anonym, Leitartikel, „Madrid, capital y simbolo", i n : „Pueblo", 1.155, 28.3.1944. 8 Rede v o n J. L. Arrese anläßlich des Jubiläums der Vereinigung v o n „Spanische Falange" u n d „Nationalsyndikalistische Sturmtruppen" (FE-JONS) m i t dem Karlismus, in: „Pueblo", 1.135, 4.4.1944. Z u Arrese vgl. J. L. de Arrese, Capitalismo, comunismo, cristianismo, M a d r i d 1947; ders., Escritos y discursos, M a d r i d 1943; ders., E l Estado totalitario en el pensamiento de José A n t o n i o M a d r i d 1945; ders., L a revolución social del Nacional Sindicalismo, M a d r i d 1940.
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III. 2. Kap.: Der Feind als Widerpart
Disqualifizierung des politischen Gegners i n dem Sinne, daß jede Dissidenz sogleich synonym zur Häresie wurde, gehörte geradezu als Bedingung der Permanenz-Erklärung von Kreuzzug und Entscheidung. Hierfür liefern interessante Beispiele etwa die häufige Verwendung religiöser Bilder — der Feind als „Sünder", der Dissident als „böse Saat" 4 — oder die Übersetzung politischer Maßnahmen i n theologisierende Terminologie, so wiederum Arrese i m Februar 1943: „Es ist notwendig, alle jene zu exkommunizieren, die nicht gleichartig fühlen und handeln; sich m i t ihnen unsolidarisch zu erklären und unsere ganze Kraft daran setzen, sie niederzuschlagen; aber alles stetig, ohne jemals zu halten und vor allem ohne viel Mühe dabei, allzuviele Gründe zu suchen. Es gibt einen einzigen Grund: die Tatsache, daß i n einer Stunde, wie die, die w i r jetzt erleben, die Möglichkeit anderer Wahrheiten neben der eigenen anzuerkennen, kommt dem I r r t u m gleich". 6 Die Aufrechterhaltung eines lebendigen Feindbewußtseins deckte aber insoweit eine zweite mystisch-theologische Funktion. Der Feind w i r d i m Horizont seiner ideologischen Bestimmung als verschleiert, unprofiliert, verborgen und allgegenwärtig beschrieben. Der Feind ist primär — wie es Francisco de Cossio i m J u l i 1942 definierte — der „verdeckte Feind" 6 . Politisch funktionalisiert diese Dämonisierung und wortwörtliche „Verteufelung" des Gegners die notwendige subjektive Verinnerlichung der offiziellen Kampagnen gegen den nun historischideologisch zu verwerfenden, außerhalb der integrierten Gemeinschaft agierenden „Anderen". I m Falle eines der am häufigsten verwendeten negativen Feindbilder, den Freimaurern, konnte sich diese Darstellung des Feindlichen als höchst operativ erweisen: „Das ist das neue Spanien — so Kellex i m Jahre 19407 —: ein offener Kampf der Wahrheit gegen die Lüge, der Aufrechterhaltung gegen das Verbrechen, i n einem Wort, des Vaterlandes gegen das Anti-Vaterland (...). Denn gerade die Kraft der Freimaurer besteht i n dem mysteriösen Geheimnis, niemals zu wissen, wer und wie viele die Freimaurer sind". Das auf diese Weise gleichsam i m konturlosen Zustand festgehaltene feindliche Substrat konnte jederzeit für konkret-politische Zwecke instrumentalisiert werden. Wichtig war, daß es stets ein geschichtstheologisches Residuum bereithielt, aus dem die Integrationskraft zur Rekonstruktion der „nationalen Gemeinschaft" jederzeit gespeist werden konnte. Zur Kontinuität des Entscheidungs-Sieges und dessen Konkretisierung i n einer Ordnung bedurfte es — ganz i m Sinne Carl Schmitts — der ständigen 4 L. de Galinsogä, Aviso a los disidentes (Hinweis an die Dissidenten), i n : „ E l Norte de Castilla", 6.8.1942. δ J. L. de Arrese , i n : „Pueblo", 803,10.2.1943. 6 F. de Cossio, Liberación histórica, in: „Pueblo", 262,18.4.1941. 7 R. Keller, E l enemigo masón, i n : „ E l Norte de Castilla", 26,2.1940.
§ 35 Politik als Fortsetzung des Krieges
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Neu-Schöpfung des Feindes. Die „Nationale Bewegung" lebte aus dieser i n jedem Augenblick aktualisierbaren Neu-„creatio" des geschichtstheologischen Feindes, der insofern niemals integriert werden durfte: die „atomisierten" Kräfte, die die II. Republik unterstützt hätten, seien unwiderruflich verloren, „irrecuperables", für das „neue Spanien", oder auch — durch die dem Regime so beliebte pseudoreligiöse Sprache —, sie dürfen nicht „Vergebung" erhalten. E i n Falangist der ersten Zeit, A. Alcâzar de Velasco, bestätigte es 1941 m i t deftigen Worten: „Ich habe nie an die Aufrichtigkeit der Roten geglaubt, weder an ihre guten Vorsätze noch an den vermeintlich guten Rest jedes Menschen. Der Rote, der wirklich Rote, w i r d sich nie bessern. Es gibt natürlich Ausnahmen; aber die Allgemeinheit bleibt weiter so rot, mit so verschleierten und verwerflichen Intentionen wie am achtzehnten J u l i [1936], Das Vergeben ist richtig, unter anderem, weil es einem religiösen Gefühl entspricht, aber i n den meisten Fällen halte ich es für unfruchtbar" 8 . § 35 Politik als Fortsetzung des Krieges Das Aufhalten des Bürgerkrieges impliziert insofern die Notwendigkeit aktueller absoluter Aufgebote der Kräfte und des Opfersinns. Weil die ganze Nation eigentlich weiterhin eine „Kriegsfront" bleibt, gegenüber einem jederzeit auftretenden Feind, befinden sich auch die „ciudadanos" i n einer weiterbestehenden „retaguardia". Sie sind dann permanent Adressaten der Staatsführung, die ihnen gegenüber stets Wache bezüglich K r i t i k oder Dissidenz hält. Eine nicht auf „Arbeit" und „Beispiel" basierende, sich der Regierung durch „bestimmte Präferenzen" oder „selbsttötende Neutralität" widersetzende Tätigkeit, würde nichts anderes bedeuten, „als mit Waffen und Material zu dem Feind, das heißt zum Kommunismus, überzutreten" 9 . I n diesem Kontext findet sich die ebenfalls i n anderen totalitären Ideologien festzustellende Rethorik des Opfers und der Hingabe 1 0 . Die häufige Appellation an den Gemeinschafts- und vor allem an den persönlichen Opfersinn der „Produktoren" belegt i m spanischen Fall insbesondere eine Verquickung mit religiösen Inhalten. Das Opfer muß letztlich zu einer Selbsthingabe führen, welche sowohl zur Sublimierung der wirtschaftlichen Nöte als auch zur Rechtfertigung des Mangels 8 A . Alcâzar de Velasco, Serrano Sùfier en la Falange, M a d r i d 1940, S. 154. „Achtzehnter J u l i " meint den Tag des „Sieges", den 18. 7.1936. 9 Anonym (Leitartikel), Perniciosa inconsciencia, i n : „ E l Norte dej Castilla", 24.10.1942. 10 Die Symbolik der Strafzeremonien analysierten bereits F. Nietzsche, Die Genealogie der Moral, B e r l i n 1968, u n d E. Durkheim , De la division du t r a v a i l social, Paris 1967, S. 21 ff.
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III. 2. Kap.: Der Feind als Widerpart
an politischen Freiheitsrechten instrumentalisiert wird. So ist die straffe staatliche Hand nichts als ein Mittel zur sittlichen „Selbstbeherrschung" und religiösen „Abtötung". Die Transposition religiöser Terminologie auf den politischen Bereich läuft demzufolge parallel zur Intensivierung der geschichtstheologischen Legitimation. Hierbei bildet die Vorstellung einer notwendigen „Buße" und „Reue" für die i n der Vergangenheit begangenen „nationalen Sünden" ein Topos der Rethor i k des Regimes. Da nun die „nationale Fastenzeit" gekommen sei, „ist es nötig, daß gelassene Besinnung sich durchsetzt und als Folge davon die Reue für die frühere Schuld sowie eine radikale Verhaltensänderung e i n t r i t t " 1 1 . I n diesen „Bußzeiten für die Sünde Spaniens" 12 w i r d die „Selbstdisziplin" bezüglich der Richtlinien des Regimes verkündet. Neben der politischen Verwendung des Begriffs „Sünde" zur Aufrechterhaltung des kriegerischen Pathos spielt auch die „Strafe" eine wirksame Rolle. Die Strafe w i r d durch die Bestimmung der staatlichen Koaktion als natürliche und selbstverdiente Reinigung einer Gesellschaft i m katharsischen Prozeß auf die Gemeinschaft übertragen. Die einzige individualisierte Intervention i m Prozeß der selbsterlösenden Katharsis ist die des Caudillos, welcher die Rolle der letzten Instanz durch den „priesterlichen Gnadenakt" seiner Begnadigungsprerrogative übernimmt. Die Nachkriegszeit identifizierte sich insofern m i t der Kontinuität jenes Erlösungsvorgangs, den der Krieg initiierte. Die „Nachkriegs"zeit — nicht also die „Friedens"zeit — meint die Fortsetzung des Krieges m i t anderen Mitteln. Der „Friede", was Franco selbst i m Dezember 1942 bezeichnet als „das, was w i r »Friede 4 genannt haben" 1 3 , ist die Kontinuität des Kampfes gegen den — je nach Bedarf — aus der Masse potenzieller Feindschaft sich formierenden Feind. Eine Fortsetzung des Krieges, die sich an der stets präsenten Möglichkeit des physischen Kampfes legitimiert: „ I m Innern oder außerhalb des Landes, drinnen oder draußen, mit uns selbst oder mit Fremden, w i r lassen keine andere Dialektik zu als die der Fäuste und der Pistolen, wenn es u m Gefahr für das Vaterland oder die Gerechtigkeit geht" 1 4 . Denn „immer ist 18. J u l i " 1 5 und „das Leben ist ein ständiger Kampf: man muß immer an die Waffen, weil der Gegner immer i n Sicht bleibt" 1 6 . 11
M . Hemândez, Memento homo, in: „ E l Norte de Castilla", 7.2.1940. Ebd. 18 F. Franco , Rede v o r dem I I I . Nationalrat von FET u n d JONS, abgedruckt in: „ E l Norte de Castilla", 11.12.1942. 14 Anonym, L e i t a r t i k e l in: „Pueblo", 184, 16.1.1941: E l fuego de la afrenta. 15 Anonym,, L e i t a r t i k e l i n : „Pueblo", 28, 18. 7.1940. 1β R. Roy ο Villanova, La lucha contra el enemigo, in: „ E l Norte de Castilla", 16.1.1940. 12
§ 36 Der äußere Feind
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§ 36 Der äußere Feind Der — die neue Ordnung konstituierende — Entscheidungssieg bew i r k t und lebt sogleich aus dem äußeren Feind. Der Feind i m Innern gehört auf die Dauer nicht weiter zur politischen Mythologie des nunmehr etablierten Regimes: er w i r d entweder integriert und verliert dann seine Homogenisierungsfunktion oder aber als Gegner der Nationalen Bewegung, d. h. als „Nicht-Nationaler", deklassiert. Dann w i r d er zum Hauptanführer der äußeren Feinde 17 . Der politisch-theologische Charakter der Entscheidung erhebt den Gegner zum geschichtstheologischen Feind und transponiert den Gegensatz auf den Ost-West-Konflikt, der dadurch sich als Kontinuum i n die Außen/Innen-Differenzierungen hineinprojizieren läßt. So galt der spanische Kreuzzug gleichsam als Avantgarde des christlichen Abendlandes. Dieser habe aber sein Verschulden gegenüber einem so großzügigen Angebot an geistlichen und moralischen Werten noch nicht ausgeglichen. „Wenn Europa einmal seine Integrität, d.h. seine Seele und Mission, zurückzuerlangen vermag, w i r d es zuerst dem spanischen Kreuzzug verpflichtet sein" — so Franco i n seiner Jahresabschlußrede von 195818. Denn die Ausgangslage wäre durch die Aggression auf das christliche Europa der Achse Moskau-Madrid, mit Blick auf Lateinamerika, bestimmt. Der Komintern-Kongreß von 1935 hätte bereits — so weiterhin i n der erwähnten Rede Franco — diese Strategie vorgezeichnet, zu der die Taktik der Volksfrontbildung und als erster eben der spanischen Volksfront vom Dezember jenes Jahres gehörte 19 . Dem unausweichlichen spezifisch „politischen" Kampf des Kommunismus gegen Europa müsse ebenfalls mit „politischen" Mitteln, „durch Ideale und feste Überzeugungen" (sie!), „welche die Massen herzuziehen vermöge", entgegengetreten werden. Gegenüber dem ideologischen Vakuum, dem Pessimismus, Materialismus, Atheismus, letztlich „tiefer Entchristlichung" der westlichen Demokratien, müssen — so Franco 1964 vor der Cortes (Ständeparlament) bei der feierlichen Eröffnung der V I I I . Legislatur — „unsere geistlichen und nationalen Werte festgehalten werden, unsere Fahnen hochbleiben (.. .)" 2 0 , denn nur so werde angesichts der Krise traditioneller politischer Systeme der kommunisti17
Der Feind hat eine dreifache Front: die „jüdisch-sozialistische Internationale", die „Kommunistische Internationale" u n d die „Internationale der Freimaurer", so z . B . O. Redondo, in: Onésimo Redondo. Caudillo de Castilla, 1937, o. O. Vgl. ferner, ders., E l Estado Nacional, M a d r i d 1943. 18 F. Franco , Jahresabschlußrede v o m 31.12.1958 (I 97). 19 Ebd. Vgl. zum Thema sehr differenziert D. T. Cattell, Communism and the Spanish C i v i l War, Berkeley / Los Angeles 1956. 20 F. Franco, Rede bei der feierlichen Eröffnung der V i l i . Legislatura v o r der „Cortes Espanolas". A m 8. 7.1964 (I 103). 12 Beneyto
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III. 2. Kap.: Der Feind als Widerpart
sehen Herausforderung die Alternative einer „natürlich-selektiven politischen Evolution" entgegengeboten werden 2 1 . Hierbei falle „Spanien" als Stellvertreter für Zivilisation und christliche K u l t u r , als „Verteidiger Europas" 2 2 eine wesentliche Aufgabe zu, weil „genauso wie Spanien die Weltzivilisation bei der Schlacht von Lepanto rettete, habe es nun eine ähnliche historische Handlung gegen die jetzige „nicht minder gefährliche Bedrohung" zu vollziehen 2 3 .
21 Ders., Jahresabschlußrede v o r der „Cortes Espanolas" am 30.12.1963 (I 100). 22 Ders., Rede i n Burgos am 1.10.1937 ( I 49). 23 Ders., E r k l ä r u n g i n : „Collier's" v o m 7.8.1937 ( I 48). I n diesem Sinne auch z.B. E. Esperabé de Arteaga, L a guerra de reconquista espafiola que ha salvado a Europa y el c r i m i n a l comunismo, M a d r i d 1940.
Zusammenfassung und Ausblick § 37 Perspektiven eines revidierten Begriffs der Politik: Zum Verhältnis von Politik, Theologie und Wissenschaft in der politischen Theologie Die Schlußfolgerungen der Untersuchung lassen sich, wie folgt, thesenhaft zusammenstellen: 1. A m Anfang der Analyse Carl Schmitts steht die Trennung zwischen Rationalität und Dezision. Politik und Theologie befinden sich auf der Seite der Rationalität der Idee i m Kampf gegen die funktionelle Rationalität der wirtschaftlich, wissenschaftlich-technischen Entwicklung. Die Dezision ist hier wesentlich eine Kategorie der Legitimität. Denn nur sie vermag über partikulären Interessen zu stehen. Politik und Theologie besitzen auctoritas und potestas, weil sie eine dezisionistische Struktur aufweisen. Wichtig bei Schmitt ist: nur durch die dialektische A n nahme des wirtschaftlich-technischen Prozesses vermag die Dezision ihre erlösende Kraft zu entfalten. Der polemische Charakter des Rechtsprozesses w i r d verabsolutiert und als dialektischer Prozeß auf die Geschichte übertragen. Genauso wie i m judiziellen Rechtsprozeß die Streitenden i n einen vermeintlichen anderen Aggregatzustand geführt werden, ist die Zunahme an Intensitätsgrad der Konfrontation zwischen humaner und technischer Rationalität die Bedingung dafür, daß die menschliche Entscheidung an die äußerste Grenze ihrer Identifikation mit der göttlichen Dezision gelangt. So kann ausschließlich die Entscheidung die potenzielle Totalität einer einzigen Substanz durch Institutionalisierung abwenden. Denn diese ist gerade die implizite methodische Voraussetzung des Denkens Schmitts: das Präsuppositum einer einzigen politisch-theologischen Substanz, die erst durch Institutionalisierung — d.h. durch eigengesetzlich vollzogene Entscheidungen — vermittelt bzw. „streitfähig" wird. Die Dialektik ist insofern die Bedingung dafür, daß der Geist als gegenwärtiger Geist fortschreiten, sich offenbaren kann. Das Maximum an dialektischer Steigerung w i r d methodisch folgerichtig durch den höchsten Punkt der Enttheologisierung und Entpolitisierung, nämlich die Technik, erreicht. Das höchste Stadium der Entpolitisierung w i r d auch zum Nullpunkt der Totalpolitisierung, der Sprengung aller überkommenen Institutionalisierungen. Erst dadurch 12·
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Zusammenfassung und Ausblick
w i r d auch die Dezision zur göttlichen Dezision. Die durch die Technik bewirkte planetarische Totalpolitisierung ermöglicht die Konstitution einer neuen Entscheidung innerhalb der Gottheit selbst: Die politische Theologie verwandelt sich i n politische Christologie. Wesentlich hierbei ist: die Totalpolitisierung w i r d dort erreicht, wo für Schmitt das Technische jegliche Konfrontation zu annihilieren scheint. Denn für i h n bedeutet die Dezision vor allem eine Kategorie der Legitimität als Höheres Drittes. Er bedarf stets der reproduzierten Dialektik, u m eine über die partikulären Interessen dezidierende Instanz hervorrufen zu können. Die dialektische Konfrontation bleibt die strukturelle Grundannahme sowohl i m Falle der Institutionalisierung des Politischen i n der Kirche, i m Staat, als auch i n der intratinitarischen Stasiologie. Die Kirche w i r d zur dezidierenden Instanz aufgrund des Kampfes zwischen ökonomischem Prozeß und politisch-theologischer Rationalität. Die politische Totalität des Politischen w i r d so durch den Katholizismus als „politische Idee" gebändigt und i n der Konfrontation zwischen Kirche und Staat als Dezision aufgehalten (Politische Theologie I). Das klassisch historische Beispiel einer solchen Institutionalisierung des Politischen fand Schmitt i m „Staat": hier formte sich eine dezidierende Instanz aus der strikt politisch-theologischen Konfrontation der konfessionellen Bürgerkriege — später auf den Konflikt zwischen Staat und Gesellschaft übertragen — und wurde dadurch die innere Faktionierung auf das Äußere, auf die Staaten-Kriege übertragen (Epochenschwelle). Schließlich lebt der horizontale Konflikt i n der Phase der Totalpolitisierung aus verschiedenen inneren Spannungen — Land und Meer/Ost und West —, die eine überweltliche, politisch-christologische Bändigung des Politischen verlangen. I n der Person Jesu Christi artikuliert sich dann der äußere Konflikt mit der alten Welt, u m die Dezision nun endgültig geschichtseschatologisch permanent beizubehalten (Politische Theologie II). 2. A m Paradebeispiel der politischen Christologie w i r d deutlich, wie die politische Theologie Carl Schmitts i m Grunde politische Mythologie bedeutet. I m Hintergrund steht hier eine mythisch-manichäische Konzeption von Wirtschaft, neuzeitlicher Wissenschaft und Technik: Wissenschaft und Technik sind schlecht, weil ihre Macht von Menschen nicht absolut beherrschbar ist 1 . Dadurch weist Carl Schmitt gewiß auf die zentrale Frage unserer geistigen Situation hin, auf das Verhältnis von Mensch, Natur und Technik. Doch zeigt sein Rekurs auf eine alte, vor dem Aufkommen der modernen Welt system-immanente politische Theologie die Grenzen seines Ansatzes. Theologie und Politik wurden dort zu einer Einheit, wo die Welt noch keine eigene Autonomie aufzu1 Vgl. hierzu C. Schmitt, Machthaber, S. 25 ff.
Gespräch über die Macht u n d den Zugang zum
§ 37 Perspektiven eines revidierten Begriffs der Politik
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weisen vermochte. Dort, wo politische Theologie i m wesentlichen politische Kosmologie bedeutete. Aber seit dem Augenblick, i n dem die Welt durch ihre Differenzierung aufgrund von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft ihre eigene Existenz erwarb, impliziert das Zurückgreifen auf eine Rolle der Technik als „politische Mythogene" nur noch die Fortsetzung der alten politischen Theologie m i t neuen Mitteln. Durch das Aufkommen der neuzeitlichen Wissenschaft ist die Theologie nicht aus der Politik gewiesen worden, sie hat vielmehr eine neue Funktion übernommen, die der Autonomie der Welt entspricht: statt die politische Herrschaft als oberste Legitimationsinstanz zu begründen, garantiert sie sie als Bedingung und Möglichkeit der Entfaltung des Menschen als Menschen. Die Kirche w i r d zur Wegbereiterin der politischen Aufklärung 2 . Eine Umbesetzung der Rolle der alten politischen Theologie auf Technik und Wissenschaft würde insofern nichts anderes bedeuten, als die alte politische Theologie m i t neuen Mitteln fortzuführen, aus der alten politischen Theologie eine offene politische Mythologie zu machen. Dann transformiert sich die kosmologische Politik i n politische Kosmologie. Daß das Absolute nicht innerweltlich verstanden wird, sondern w i r vielmehr „in" und „außerhalb" des Absoluten uns zu verstehen haben, ist demzufolge die Voraussetzung, aber auch die Folge einer Differenzierung und Autonomie der Welt. „Neu" ist insofern dabei, daß das menschlich-kosmische Drama m i t der eigenen Wirklichkeit des A b soluten nicht identifiziert werden kann. Das historische Scheitern der politischen Theologie offenbart nicht nur das Ende jeder Hierarchie der Politik oder der Wissenschaft über die Theologie, sondern auch die Notwendigkeit der Transzendenz des Absoluten und des Verständnisses zwischen Theologie und Welt i m Sinne einer nicht politisch-theologischen Theologie der Welt, d. h. durch die Anerkennung einer eigenen Rationalität der weltlichen Bereiche, die eine Verantwortlichkeit des menschlichen Handelns gerade ermöglicht, weil sie aus einem freien Entschluß erwächst und nicht geschichtseschatologisch vermittelt wird. Alte oder neue, „reaktionäre" oder „progressive" politische Theologien gefährden durch den Rekurs auf Geschichtseschatologie nicht nur die Möglichkeit rational verantwortbarer, humaner Politik, sondern auch das eigene offenbarungstheologische Fundament der Theologie. 3. Dies sei vorweggeschickt, u m die strukturell ähnliche Problematik i m Bereich der Legitimationstheorie Schmitts zu verdeutlichen. Denn auch hier liegt das größere Manko darin, daß Carl Schmitt eine eigenständige Rationalität der Politik und somit auch der spezifischen 2 Vgl. hierzu zuletzt M . Kriele, 3. Teil.
Befreiung
u n d politische
Aufklärung,
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Zusammenfassung und Ausblick
Form von Politik i n einer demokratisch-pluralistischen Gesellschaft, i n der der Mensch zum „status politicus" erhoben wird, verneint. Schmitt — wie so viele seiner Exegeten 3 — verharrt auf den „Staat" i m Sinne der „historisch-politischen Entschiedenheit über die individuellen Bereiche menschlicher Existenzverwirklichung", als „wirkliche Allgemeinheit", „einzige und allgemeine Instanz", die „Normativität für jeden denkbaren Bereich formal und inhaltlich definiert". A u f eine solche existentiell-dialektische Bestimmung „des Politischen" folgt aber, daß es „keine Menschen" gebe, sondern „nur" Staatsangehörige und dies die Voraussetzung dafür sei, „daß alle zu Menschen werden und menschlich leben können". 4 Nun sind die hier i n Betracht gezogenen Menschen allerdings keine freie Menschen, sondern Untertanen. Legitime Herrschaft geht vielmehr von freien Bürgern aus, illegitime vom verstaatlichten Untertanen bzw. „Staatsangehörigen", dem durchaus formelle Gerechtigkeit und Wohlfahrt zukommen mag, der aber außerhalb des „status politicus" bleibt. Gegenüber einer Identifizierung von Souveränität und Legitimität muß an den Grundsatz festgehalten werden, daß nicht die Souveränität, sondern die Natur einer Regierung über die Legitimität der Herrschaft entscheidet 5 . Politik hat nicht wesentlich m i t Freundschaft und Feindschaft zu tun, sondern mit öffentlicher K r i t i k und der Möglichkeit, sie politisch wirksam zu artikulieren, d.h. mit Begrenzung und Mit-Bestimmung von Herrschaft. Demgegenüber lebt der Souveränitätsgedanke — wie eine Untersuchung der politischen Theorie Carl Schmitts deutlich zeigt — aus der Freund-Feind-Konfrontation. Je radikaler sie ist, u m so absoluter die dezidierende Instanz. So verfährt Carl Schmitt nur stringent, wenn er den Extremfall politisch· theologisch zu legitimieren versucht. Wenn sich zwei Parteien mit antagonistischen Wahrheitsansprüchen gegenüberstehen, dann w i r d der Souverän u m so schneller herbeigerufen. Die Legitimität des Souveräns lebt nicht aus der Bändigung des systemimmanent existentiell zugespitzten politischen Konflikts, sondern aus seiner Permanenzerklärung. Inwiefern das Freund/Feind-Denken nicht auf die Reduktion der Feindschaft, sondern auf ihre ständige Reproduktion zielt, zeigt die politische Theorie und Wirklichkeit des Franco-Regimes. Hier werden Geschichte und Gesellschaft zum politischen Subjekt. Der Mensch konstituiert sich erst durch den dialektischen Konflikt, d. h. 8 A l s Gallionsfigur bietet sich für den weiteren Gang der Argumentation B. Willms, Normenbegründung u n d P o l i t i k , i n : W. Oelmüller (Hrsg.), Normen u n d Geschichte, S. 175 - 201, an, w o eine extreme, aber durchaus konsequente Weiterführung v o m Begriff des Politischen Carl Schmitts verfochten w i r d . 4 Ebd., S. 199. 5 Vgl. hierzu etwa W. Hennis, Legitimität. Z u einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, i n : P. Graf Kielmannsegg (Hrsg.), Legitimationsprobleme politischer Systeme, PVS Sonderheft 7 (1976), S. 9 - 37, 23.
§ 37 Perspektiven eines revidierten Begriffs der Politik
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durch seinen status als Freund oder Feind. Erkenntnis w i r d folgerichtig zur bloßen Verinnerlichung der politischen Praxis, die Handlung erhellt sich i m Laufe ihres Vollzuges selbst. Aus dem Primat der Handlung über die Erkenntnis folgt ein dialektischer Prozeß zwischen dem Subjekt und dem Objekt, an dessen Ende die Identität von beiden steht. Der Mensch bestimmt sich folglich durch seinen Kampf gegen die Menschen. Aus der Reduktion der Erkenntnis zur Handlung resultiert die totale Sozialisation, das Moment, i n welchem der gesellschaftliche Organismus m i t dem Organismus des totalen Herrschers identisch ist. Die kognitiv-konstruktivistische Logik der Freund/Feind-Dialektik ist die Psycho-Logik revolutionären Terrors 6 . Dieser potentielle Totalitarismus der neuzeitlichen politischen Philosophie wurde i n der klassischen Zeit des Souveränitätsgedankens, i m Absolutismus, durch die Trennung von Handlung und Bewußtsein, zwischen politischer Geltung von Wahrheitsansprüchen und der prätendierten materiellen Geltung dieser A n sprüche abgewendet. Die Pragmatik dieser Trennung von Wahrheit und Geltung war gewiß die Pragmatik einer Friedensräson. Die ohne jegliche Möglichkeit von öffentlicher K r i t i k zu fällenden politischen Entscheidungen des Souveräns entlasteten das Gewissen des Einzelnen, u m privatim die Wahrheit an ganz anderer Stelle zu vermuten 7 . Nachdem aber das Scheitern der alten politischen Theologie durch das Aufkommen der modernen Welt und ihrer Rationalität die Spannungs- und Wechselwirkung von Bewußtsein und Handlung, Erkenntnis und Interesse, Theorie und Praxis, materielle und politische Geltung von Wahrheitsansprüchen ins Licht führte, impliziert der Rekurs auf den Dezisionismus des Souveränitätsgedankens letztlich die Formierung von erneuerten Freund/Feind-Gruppierungen, die sich hier als Kampf des Alten gegen das Neue, des Festhaltens an der Tradition als dem Bestehenden gegen die heraufkommende K r i t i k des sich neu Etablierenden artikuliert. Hier spiegelt sich jene Affinität zwischen Restauration und Revolution wieder, die so deutlich i m Werk Carl Schmitts hervortritt 8 . Denn auch die Restauration kennt ihre Heilsverkündung i n der Politik, nämlich das Festklammern an der Tradition. Genauso wie die revolutionäre Praxis auch ihre eigene politische Theologie hat, nämlich den Glauben an den durch konstruktivistische Politik herbeizuführenden β I n ihrer reinsten F o r m ist ein solcher dialektisch-existentieller Begriff des Politischen v o n Sartre entwickelt worden. Vgl. J.-P. Sartre, K r i t i k der dialektischen Vernunft, Paris 1960 (Hamburg 1967). 7 Vgl. H. Lübbe, Dezisionismus — eine kompromittierte politische Theorie, S. 67, 65, i n : ders., Praxis der Philosophie. Praktische Philosophie. Geschichtstheorie, Stuttgart 1978, S. 61 - 77. 8 Diese A f f i n i t ä t zwischen Restauration u n d Revolution arbeitet M. Rhonheimer am Beispiel des Verhältnisses Carl Schmitt — Kritische Theorie heraus. Vgl. M . Rhonheimer, Politisierung u n d Legitimitätsentzug, insbes. S. 10 ff.
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Zusammenfassung und Ausblick
paradiesischen Zustand, sei er der einer klassenlosen Gesellschaft oder der einer herrschaftsfreien Kommunikationsgemeinschaft. 4. Historisch gründet die Souveränität auf der Basis der Homogenität. Sie geht heute i m Zuge des Wirksamwerdens der pluralistischen Gesellschaft verloren. Womöglich w i r d als Folge der Technokratisierung der Welt die Souveränität zum großen Teil durch das Prinzip der Funktionalität ersetzt. Auch eine Verfassung der offenen Gesellschaft 9 kann aber das Problem der Verallgemeinerungsfähigkeit von partikulär-gesellschaftlichen Interessen — d.h. letztlich der Legitimität von Herrschaft — nicht außer acht lassen, wenn sie nicht den gröbsten Ideologien ausgeliefert sein w i l l . Andererseits: Hinter der utilitaristischen bzw. anarchistischen Verneinung einer rationalen Begründung der Politik steckt ein verschärfter politischer Wahrheitsanspruch, d. i. eine spezifische politische Theologie: man denke nur an den aggressiven Totalitätsanspruch, der heute von der Alternativ-Szene als „einzige mögliche Alternative" ausgeht 10 . Die Repräsentation organisierter Interessen löst nicht das Problem der Herrschaft. Sie stellt es verschärft dar. 5. Das Heraufkommen der pluralistischen Gesellschaft als Folge des Scheiterns der alten politischen Theologie führt zu einer neuen Thematisierung des Problems der Begründung von politischer Herrschaft. Die Kategorie der Homogenität w i r d durch die Kategorie der Identifikation ersetzt. Die Legitimation politischer Herrschaft ist heute i m wesentlichen eine Frage der Identifikation. Das Charakteristische vom Begriff der Identifikation gegenüber der homogenen Bedingungen der Souveränität ist, daß sie eine punktuelle Struktur aufweist. „Identifikation" w i r d hier verstanden als Ausdruck und Zeichen von Diskontinuität und Nichtidentischem. Politische Herrschaft w i r d nicht mehr durch ein historisches, ethnisches, klassenspezifisches oder sonst wie geartetes homogenisierendes Substrat, sondern durch einen i n jedem Augenblick neu zu konstituierenden Konsens möglich. Legitimation meint heute vor allem einen „Nullpunkt", sie bezieht sich auf die Erfahrung der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen bzw. einer Geschichtlichkeit des Ungeschichtlichen. „Legitimation" entspricht insofern dem Beschleunigungsgefälle der Moderne, wie es Reinhart Koselleck für die Geschichtswissenschaft 11 , neuerdings auch K a r l Heinz Bohrer für die Ästhetik 1 2 , dargetan haben. Dieses Schöpfungsmoment, das die „Legiti9
Vgl. hierzu P. Haberle, Die Verfassung des Pluralismus, Königstein 1980. Diesen Hinweis auf die A l t e r n a t i v l e r als Dezisionisten verdanke ich einem Gespräch m i t Carl Schmitt i m J u n i 1981. 11 Vgl. hierzu R. Koselleck, Vergangene Z u k u n f t , vgl. insbes. S. 107 - 130. 12 Vgl. hierzu Κ. H. Bohrer, Plötzlichkeit. Z u m Augenblick des ästhetischen Scheins, F r a n k f u r t 1981, insbes. S. 7 ff., 43 - 67. 10
§ 37 Perspektiven eines revidierten Begriffs der Politik
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mation" geradezu konstituiert, belegt die Nichtidentität von politischem Ereignis und historischem Sinn. Hier, i n diesem Augenblick der Identifikation aus dem Nichtidentischen, i m Extremfall der Verzeitlichung, entsteht das Politische. Diese Differenz des Moments der Identifikation zur historischen Zeit markiert auch — wie i m Falle der ästhetischen „Plötzlichkeit" — die Sperre gegen einen geschichtsphilosophisch oder system-theoretisch entstellten Zeitbegriff. So meint die Legitimation als Wirklichkeit des Politischen eine Kategorie des Mythischen. Der Raum des Politischen ist nach Abtreten der alten politischen Theologie der Raum des Mythos geworden 13 . Die bloße Gegenwärtigkeit eines von dem historischen Ursprung losgelösten Bewußtseins, schafft demnach eine untilgbare mythogene Situation. „Legitimation" ist ein Mythologem, das keine Kontinuität zwischen der Wirklichkeit und den Zwecken herstellt. Erst das anthropologisch-politische Symbol eröffnet, gegenüber einer ethischen oder geschichtsphilosophischen Begründung des Politischen, jene Möglichkeit des „Früher" und des „Später", die insofern die Offenheit der Zukunft sichert, als sie durch keine Begrifflichkeit festgelegt wird. Die Orientierung des Politischen an der Ausnahme, an dem Augenblick der Konstituierung des Politischen selbst, holt demzufolge eine verlorengegangene Bestimmung des Politischen als „anthropologische" — d. h. nicht bloß rationale — Kategorie zurück. Durch ihre Absage an die historische Identität schafft sie ein Stück anthropologische Identität. „Identifikation" als Strukturmerkmal der Legitimation impliziert Absage an historische Identität zugunsten anthropologischer Identität. Die Reintegrierung des Politischen i n die Wirklichkeit der Welt ist nur dank der Überzeugung möglich, daß ich i m Sein lebe, welches sich als eines verstehen läßt, das m i r i n einer gewissen Hinsicht ähnlich ist 1 4 . Hier liegt ein großer Teil der Potentialitäten, aber auch der Begrenzungen des Begriffs des Politischen bei Carl Schmitt. Weil i h m m y t h i sches und rationales Denken vermittlungslos gegeneinander stehen, bekommt der „politische Theologe" die rational-mythische Wirklichkeit des Politischen gar nicht recht i n den Blick. Wie Kolakowski gezeigt hat, ist der Abgrund zwischen Mythos und Ratio nicht grundsätzlich unüberwindbar, denn auch noch auf dem Grund der Ratio und aller Wissenschaft w i r k t jenes mythische Bewußtsein, das darauf aus ist, die Welt als das an sich Daseiende i n einen Raum des Menschlichen umzugestalten, dem an sich Kontingenten und Unkontinuierlichen jene Kontinuität zu verleihen, die der Intelligibilität menschlicher Identität entspricht und die nur durch die diskontinuierliche Kontinuität des M y t h i 13 Vgl. hierzu E. Piel, Der Raum des Politischen ist der Raum des Mythos, S. 396 f. 14 Vgl. hierzu L. Kolakowski, Die Gegenwärtigkeit des Mythos, S. 148.
Zusammenfassung und Ausblick
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sehen bezogen werden kann. Gerade die für Kolakowski konstituierende Erfahrung des mythischen Bewußtseins, nämlich die der Gleichgültigkeit der Welt, sei es, die schließlich der „Ganzheit der menschlichen Anstrengung dagegen einen gemeinsamen Sinn (verleiht), der nur folgender sein kann: die Gleichgültigkeit permanent zu überwinden" 1 5 . I n diesem Spannungs- und Wechsel Wirkungsverhältnis von Mythos und Ratio, vom Allgemeinen und Partikularen, vom Ganzen und Einzelnen, offenbart sich nun die Ambivalenz des Politischen. Dem Wechselwirkungsverhältnis von Mythos und Vernunft, entspricht die korrespondierende Spannung zwischen Dezision und rationaler K r i t i k , dem „Politischen" und der „Politik". A l l e i n auf dem Hintergrund dieser diskontinuierlichen Identifikation durch das Politische vermag Politik ein sinnvolles und potentiell humanes Geschäft zu sein, genauso wie umgekehrt Politik die Bedingung dafür stellt, daß das Politische dem Rahmen der Intelligibilität menschlicher Identität entspricht. Die Rationalisierung des Politischen durch die Politik ist die Voraussetzung dafür, daß das Politische „human" bleibt, daß sie nicht durch Geschichtsphilosophie bzw. -theologie ersetzt wird. Dieses Spannungs- und Wechselwirkungsverhältnis zwischen Irrationalität des Politischen und Rationalität der Politik, zwischen Ausnahme und Norm bedeutet i m strukturähnlichen Fall des juristischen und alltagspolitischen Bereiches das Wechselwirkungsverhältnis von Argumentation und Entscheidung. Beide Elemente stehen i n einem Wechselzusammenhang, i n dem beide als Bedingungen ihrer Konstituierung auftreten. Demgegenüber verflüchtigt sich in Schmitts Adaptation der theologischen „Ausnahme" die Bezugnahme auf das „Allgemeine". Das Bedingungsverhältnis zwischen Allgemeinem und Partikularem, zwischen Vernunft und Entscheidung w i r d durch eine Umkehrung ersetzt, die die „Ausnahme" autonom machen soll; dadurch w i r d die Ambivalenz des Politischen auf „das Politische" reduziert, die Politik löst sich i n Mythologie auf. So eröffnet der Begriff des Politischen Carl Schmitts — wenn auch einseitig — die Möglichkeit der Rekonstruktion einer anthropologischen Bestimmung des Politischen und der Politik, welche den Bedingungen der Verzeitlichung der modernen Welt entspricht: Nicht die unausdifferenzierte mythische Gleichgültigkeit der Welt, sondern eine neue politische Anthropologie, die auch das über- und nebenrationale des Menschen einschließt, soll die Politik i m Projekt der PostModerne bestimmen: Politik als rationale Vermittlung des Irrationalen.
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Ebd., S. 94 f.
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