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German Pages 95 Year 1999
LUTZ BERTHOLD
earl Schmitt und der Staatsnotstandsplan am Ende der Weimarer Republik
earl Schmitt und der Staatsnotstandsplan am Ende der Weimarer Republik
Von
Lutz Berthold
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Berthold, Lutz: Carl Schmitt und der Staatsnotstandsplan am Ende der Weimarer Republik I von Lutz Berthold. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09988-5
Alle Rechte vorbehalten
© 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-09988-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 0
Vorbemerkung Die vorliegende Arbeit wurde im Sommer 1998 am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin eingereicht. Inzwischen erschien als wichtiger Beitrag zum Thema: Wolfram Pyta, Verfassungsumbau, Staatsnotstand und Querfront: Schleichers Versuche zur Femhaltung Hitlers von der Reichskanzlerschaft August 1932 bis J anuar 1933, in: Wolfram Pyta/Ludwig Richter (Hg.), Gestaltungskraft des Politischen. Festschrift für Eberhard Kolb, Berlin 1998, S. 173-197. Ich danke Herrn Prof. Dr. Helmut Quaritsch ganz herzlich für Ermutigung und Betreuung; außerdem Herrn Prof. Dr. Peter Steinbach für die Ermöglichung des Promotionsverfahrens in Berlin. Gabriel Seiberth, der gemeinsam mit Dr. Wolfram Pyta das Tagebuch earl Schmitts aufgearbeitet hat, danke ich für wertvolle Hinweise. Bonn, den 1. Juni 1999
Lutz Berthold
Inhaltsverzeichnis
Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Die Geschichte des Staatsnotstandsplans .........................................
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a) Die Kabinettsitzung vom 10. August 1932 ......................................
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b) Gayls Verfassungsrede am 13. August 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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c) Hitlers Empfang bei Hindenburg am 23. August 1932...........................
18
d) Das Neudecker Notstandstreffen am 30. August 1932 ...........................
18
e) Die Reichstagssitzung vom 12. September 1932 ................................
20
f) Die Kabinettssitzung vom 14. September 1932 .................................
21
g) Die Reichstagswahlen vom 6. November 1932 ......... . ........................
21
h) Das Planspiel Ott im November 1932 ....... . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
i) Der Sturz Papens am 3. Dezember 1932 ........................................
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j) Schleichers Kurswechsel im Dezember 1932 ...................................
24
k) Die Kabinettssitzung vom 16. Januar 1933 ......................................
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I) Schleichers Empfang bei Hindenburg am 23. Januar 1933 ......................
26
m) Schleichers Sturz durch die demokratischen Parteien .... . . . ....................
27
n) Resümee .................. . ........................... . ..... . ..................
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2. Carl Schmitts Beteiligung am Staatsnotstandsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Die Erinnerungen Hubers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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b) Carl Schmitts Dementi .........................................................
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c) Die Alternative. . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . ... ... . . ... . . . ..... . . .. . . . .. . . . . . . ... . .. . .. .
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d) Neue Funde aus dem Nachlaß ..................... . .. .. ........................
38
e) Resümee...................................... . .................... . . . .........
40
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Inhaltsverzeichnis
3. Carl Schmitt und die Verfassungskrise der Weimarer Republik ..... . . . . . . . . . . . .
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a) Die Parlamentsauflösung (Art. 25) ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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b) Der gesetzliche Notstand (Art. 48) .......................... . ................ . ..
46
c) Das Parteiverbot (Art. 76) ......................................................
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d) Der übergesetzliche Notstand .......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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e) Das Mißtrauensvotum (Art. 54) ............. . . . ... .. . . . . .. . . ..... ..... .. . . . . . .. .
58
f) Der Verfassungseid des Reichspräsidenten (Art. 42) ........ . . . ..... . ...........
61
g) Resümee .......................................................................
64
Schluß: Carl Schmitt und das Problem der Verfassungsreform .....................
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Anhang ......... ... ... .................... ............................................
78
I. Vortragsnotiz aus der Wehnnachtsabteilung ..................................
78
2. Horst Michaels "Papier" .......................................................
80
3. Entwurf einer politischen Kundgebung des Reichspräsidenten ...............
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4. Stichworte für die politische Argumentation .................. . ..... . .........
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Quellen und Literatur ........... .. ................... .. .... .. ......... .. ..... . .......
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Einleitung Das Thema der vorliegenden Schrift ist die Beteiligung Carl Schmitts an den Staatsnotstandsplänen der bei den letzten Regierungen der Weimarer Republik, der Kabinette von Papen und von Schleicher. In den Krisenmonaten, die der Machtergreifung Hitlers vorausgingen, trug sich die Reichsleitung - d. h. die Reichsregierung und der Reichspräsident - mit dem Gedanken, den Reichstag aufzulösen und dessen Neuwahl - entgegen dem Wortlaut der Verfassung - auf unbestimmte Zeit zu vertagen. Der als Reaktion auf die Wahlverschiebung zu erwartende Aufstand der radikalen Parteien - NSDAP und KPD - und ihrer Kampfverbände sollte mit militärischer Gewalt niedergeschlagen werden. Der mehrfach erwogene, aber immer wieder hinausgeschobene Plan scheiterte daran, daß ihm der Reichspräsident im entscheidenden Moment die Zustimmung verweigerte und stattdessen Hitler, den Führer der stärksten Reichstagsfraktion, zum Reichskanzler ernannte. Das Motiv für Hindenburgs Entscheidung dürfte dessen Furcht vor einer Anklage wegen Verfassungs bruchs gewesen sein. Eine Furcht, die durchaus begründet war. Denn nicht nur die radikalen, auch die demokratischen Parteien - SPD und Zentrum drohten dem Präsidenten für den Fall der Neuwahlverschiebung schwerwiegende politische und rechtlichen Konsequenzen an. Heinrich A. Winkler, dem wir die überragende Darstellung der in Frage stehenden Zeit verdanken, geht soweit, den Staatsnotstandsplan als die "letzte Chance" der Weimarer Republik zu werten: "Der Kabinettsbeschluß vom 16. Januar 1933 hätte einen Ausweg aus der Staatskrise eröffnen können - vorausgesetzt, dieser Versuch wäre vom Reichspräsidenten nachdrücklich unterstützt und von den Vetfassungsparteien und Gewerkschaften zumindest hingenommen worden."l
Über die demokratischen Kräfte, die durch ihre ablehnende Haltung dazu beitrugen, diesen letzten Versuch einer Rettung der Weimarer Republik zunichte zu machen, schreibt Winkler: "Die beiden großen demokratischen Parteien verhielten sich Ende Januar 1933 so, als werde die Republik mehr von Schleicher als von Hitler bedroht. Als die ernsteste Gefahr er1 Heinrich A. Winkler, Weimar 1918 -1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1993, S. 608 f. Ders. (Hrsg.), Die deutsche Staatskrise 1930-1933, München 1992. Siehe dort insbesondere die Beiträge von Eberhard Kolb I Wolfram Pyta. Die Staatsnotstandsplanung unter der Regierung Papen und Schleicher, S. 157 ff. und Dieter Grimm. Vetfassungsetfüllung - Vetfassungsbewährung - Vetfassungsauflösung. Positionen der Staatsrechtslehre in der Staatskrise der Weimarer Republik, S. 183 ff.
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Einleitung schien ihnen die Verletzung eines Artikels der Weimarer Verfassung, nicht deren totale Beseitigung ... 2
Ware Schleicher von der Sozialdemokratie und dem Zentrum toleriert worden, hätte es ihm gelingen können - gestützt auf die Autorität des Präsidenten und die Macht der Reichswehr - die nationalsozialistische Machtergreifung durch die Errichtung einer Notstandsdiktatur zu verhindern. Natürlich fragt man sich, was am Ende einer solchen Diktatur gestanden hätte: die Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie oder die dauerhafte Etablierung eines autoritären Militärregimes? Die Frage drängt sich schon allein deshalb auf, weil die politischen Zielsetzungen im Kreise der Notstandsplaner keineswegs einheitlich waren. Es gab Bestrebungen, die Ausrufung des Staatsnotstands in eine "konservative Revolution" einmünden zu lassen. Papen und sein Innenminister Gayl hatten zeitweilig gehofft, per Notstandsoktroy eine Verfassungsreform nach deutschnationalen Vorstellungen - den ,,Neuen Staat" - durchsetzen zu können. Auf der anderen Seite stellte Schleicher - nach Papens Rücktritt und seiner eigenen, im Dezember 1932 erfolgten Berufung zum Reichskanzler - unmißverständlich klar, daß er von den "Verfassungsexperimenten" seines Vorgängers nichts halte und daß es seiner Regierung ausschließlich um die Überwindung der wirtschaftlichen Not und die Wiederherstellung geordneter Verhältnisse gehe. Welche Rolle spielte der umstrittene Staatsrechtslehrer und politische Publizist earl Schmitt in diesem Kräftefeld? Es besteht kein Zweifel, daß sich Schmitt nach der Ernennung Hitlers auf die Seite der neuen Machthaber stellte und eine Vielzahl juristischer Pamphlete unverkennbar nationalsozialistischen Inhalts verfaßte. 3 Eine umstrittene Frage ist dabei allerdings geblieben, ob das Eintreten für die nationalsozialistische Sache als ..Konsequenz" oder ..Bruch" seiner vorhergehenden geistigen und persönlichen Entwicklung zu verstehen sei. 4 In der Literatur begegnet man dazu gegensätzlichen Antworten; sie lassen sich der Einfachheit halber auf drei Grundtypen zurückführen: Winkler, Weimar, S. 583. Über Schmitts Rolle im Dritten Reich: Bernd Rüthers, Entartetes Recht. Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, 2. Aufl., München 1989. Ders., Carl Schmitt im Dritten Reich, 2. Aufl., München 1990. Helmut Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, 3. Aufl., Berlin 1995 (1. Aufl. Berlin 1989). Günter Maschke, Zum ,Leviathan' von Carl Schmitt, in: Carl Schmitt: Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, hrsg. v. Günther Maschke, Köln 1982. S. 179 ff. Karl Graf Ballestrem, Carl Schmitt und der Nationalsozialismus - Ein Problem der Theorie oder des Charakters?, in: Oscar W. Gabriel u. a. (Hrsg.), Der demokratische Verfassungsstaat. Theorie, Geschichte, Probleme - Festschrift für Hans Buchheim, München 1992, S. 1I5 ff. Joseph W Bendersky, The expendable Kronjurist. Carl Schmitt and National Socialism 1933 - 1936, in: Journal of Contemporary History, 1979, S. 309 ff. Ingeborg Maus, Zur Zäsur von 1933 in der Theorie Carl Schmitts, in: Kritische Justiz, Bd. 2, 1969, S. 113 ff. 4 Henning Ottmann: Carl Schmitt, in: Ders./ Karl Graf Ballestrem (Hrsg.), Politische Philosophie des 20. Jahrhunderts, München/Wien 1990, S. 61 ff. 2
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Einleitung
Eine erste Gruppe von Autoren neigt zu der Meinung, Schmitt habe mit seinen Schriften mehr oder weniger versteckt die Auflösung der Weimarer Verfassung betrieben, und zwar, weil er schon lange vor 1933 für den Nationalsozialismus optiert habe. 5 Eine zweite Gruppe urteilt vorsichtiger; sie konzediert, Schmitt habe vor 1933 zwar noch nicht auf den Nationalsozialismus hingearbeitet, wohl aber das Ende der parlamentarischen zugunsten einer plebiszitär-autoritären Präsidialdemokratie herbeigesehnt. 6 Und schließlich gelangt eine dritte Gruppe von Autoren zu der Auffassung, Schmitt habe, indem er sich für einen starken Präsidenten einsetzte, der Weimarer Republik jenen Halt geben wollen, den sie in schwierigen Zeiten und zur Abwehr ihrer totalitären Feinde dringend benötigte. 7 Die Meinung der ersten Gruppe läßt sich leicht entkräften und wird deshalb in seriösen Publikationen heute praktisch nicht mehr geäußert. Anders verhält es sich mit den Auffassungen der zweiten und dritten Gruppe. Beide können sich auf plausible Erwägungen und nicht leicht von der Hand zu weisende Evidenzen in Schmitts Werk stützen. Das liegt daran, daß dieses Werk mehrdeutig ist, so daß auf der Basis seiner Exegese die endgültige Widerlegung der einen Gruppe durch die andere kaum möglich ist. So läßt sich vor allem nicht mit Gewißheit in Erfahrung bringen, ob es seinem Autor um die revolutionäre Überwindung der Weimarer Republik la Papen oder deren diktatorische Rettung la Schleicher zu tun war. Als Ausweg empfiehlt sich deshalb, dieses Werk für eine Weile beiseite zu lassen und sich den historischen Quellen zuzuwenden, die von Schmitts Beteiligung an den Staatsnotstandsplanungen der Reichsleitung zeugen. Wie sich zeigen wird, können
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S Als Beispiel aus der umfangreichen Literatur sei hier genannt: Jürgen Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat. Ideologische Komponenten in der politischen Philosophie Carl Schmitts, Köln IOpladen 1958. 6 Christian Graf von Krockow, Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt und Martin Heidegger, 2. Aufl., Frankfurt 1990 (I. Aufl. Stuttgart 1958). Kurt Sontheimer. Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, München 1962. Hasso Hofmann, Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie earl Schmitts, 2. Aufl. Berlin 1992 (I. Aufl. Neuwied/Berlin 1964). Reinhard Mehring, earl Schmitt zur Einführung, Hamburg 1992. Stefan Breuer. Anatomie der Konservativen Revolution, Darmstadt 1993. Eine marxistische Variante der von dieser Gruppe vertretenen Auffassung stellt das Buch von Ingeborg Maus, Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus. Zur sozialen Funktion und aktuellen Wirkung der Theorie Carl Schmitts, 2. Aufl. München 1980 (I. Aufl. München 1976) dar. 7 George Schwab, The Challenge of Exception - An Introduction to the Political Ideas of earl Schmitt between 1921 and 1936, Berlin 1970. Helmut Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, 3. Aufl., Berlin 1995 (I. Aufl. Berlin 1989). Emst- Wolfgang Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk earl Schmitts, in: Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 28. Sonderseminars der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, hrsg. v. Helmut Quaritsch, Berlin 1988, S. 283 ff.
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Einleitung
auf diese Weise sehr konkrete Indizien gewonnen werden, die dann wieder eine genauere und zuverlässigere Lesart seiner Schriften möglich machen. Wie wir heute sicher wissen, zählte Schmitt als Verfassungsexperte und Rechtsberater zu einem Kreis von Personen, der in die Notstandsvorbereitungen genauestens eingeweiht war. Besonders in der Wehrmachtsabteilung des Reichswehrministeriums - dem persönlichen Planungsstab Schleichers - war Schmitt ein gefragter Mann. 8 Wenig Genaues wußten wir bislang dagegen über die konkrete Richtung, in der Schmitt seinen fachlichen Einfluß geltend machte oder geltend zu machen suchte. Die Quellen geben in diesem Punkt nur vereinzelt und undeutlich Auskunft, da die Notstandsplaner aus nachvollziehbaren Gründen über ihre Aktivitäten kein Buch führten. In der Literatur wird in der Regel die Ansicht geäußert, Schmitt habe sich - trotz der Verfassungswidrigkeit eines solchen Vorgehens - für die Verschiebung der Neuwahlen ausgesprochen. In diesem Punkt herrscht sogar eine gewisse Einmütigkeit, der man in der Schmitt-Forschung ansonsten eher selten begegnet. Doch läßt sich zeigen, daß Schmitt den Versuch machte, die Reichsregierung von dem Gedanken der Neuwahlverschiebung abzubringen und ihr einen im Vergleich dazu juristisch weniger bedenklichen und somit auch für den Präsidenten akzeptableren Alternativplan zu empfehlen. Das ergibt sich aus einer Reihe bislang unbekannter oder jedenfalls wenig beachteter Schriftstücke, die sich im Nachlaß earl Schmitts 9 finden und die - wegen ihrer erheblichen Bedeutung hinsichtlich des in Frage stehenden Themas - im Anhang dieser Arbeit dokumentiert werden sollen. 10 Der für die Regierung Schleicher entworfene Alternativplan ist mehr als nur ein zeitgeschichtliches Detail; er erlaubt weitreichende Rückschlüsse auf Schmitts Einstellung zur Weimarer Verfassung. Insbesondere vermag er die Ansicht zu widerlegen, Schmitt sei schon vor 1933 ein Wegbereiter des Dritten Reichs gewesen. 8 Joseph W Bendersky, Theorist for the Reich, Princeton 1983. Paul Noack, earl Schmitt. Eine Biographie, Berlin 1993. Andreas Koenen, Der Fall earl Schmitt. Sein Aufstieg zum ,Kronjuristen des Dritten Reiches', Darmstadt 1995. Noch ohne Kenntnis der Verbindungen Schmitts zur Wehrmachtsabteilung ist der Aufsatz von Heinrich Muth, earl Schmitt in der deutschen Innenpolitik des Sommers 1932, in: Historische Zeitschrift, Beiheft I, Beiträge zur Geschichte der Weimarer Republik, 1971, S. 75 ff. Unter Zugrundelegung der neuesten Quellen siehe jetzt: Wolfram Pyta, Verfassungsumbau, Staatsnotstand und Querfront: Schleichers Versuche zur Fernhaltung HitIers von der Reichskanzlerschaft August 1932 bis Januar 1933, in: Ders.lLudwig Richter (Hg.), Gestaltungskraft des Politischen. Festschrift für Eberhard Kolb, Berlin 1998, S. 173 -197. 9 Nachlaß earl Schmitt - Verzeichnis des Bestandes im Nordrheinwestfälischen Hauptstaatsarchiv", bearb. v. Dirk van Laak u. Ingeborg Villinger, Siegburg 1993. \0 Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv Düsseldorf. RW 265. Die Dokumente wurden, wie so vieles, schon von Koenen, Der Fall earl Schmitt, S. 211 f. zitiert, jedoch in ihrer Bedeutung für die Frage nach Schmitts Rolle in den Staatsnotstandsplanungen der Regierung Schleicher nicht erkannt. Zeitgleich mit meinen Forschungen stützte sich auch Pyta (FN 8) für seine Darstellung der Aktivitäten Schleichers und Schmitts am Ende der Weimarer Republik auf dieses Material. Für den Zugang zum Nachlaß habe ich Herrn Prof. Dr. Quaritsch zu danken, der mir freundlicherweise bei der Einholung der Erlaubnis behilflich war.
Einleitung
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Die historischen Tatsachen sprechen im Gegenteil dafür, daß Schmitt - im Verein mit den Offizieren der Wehrmachtsabteilung, insbesondere mit deren Leiter Oberstleutnant Ott - bis zur letzten Minute danach trachtete, den vielzitierten Selbstmord der Weimarer Verfassung zu verhindern. Die vorliegende Darstellung umfaßt vier Kapitel: Das erste beschäftigt sich mit dem Staatsnotstandsplan und seinem chronologischen Ablauf. Erkenntnisse, die über das von der Geschichtsforschung zu Tage geförderte und in hilfreichen Quelleneditionen aufbereitete Material hinausgehen, sind hier nicht zu erwarten. Es geht hier lediglich darum, die zeitgeschichtlichen Grundlagen zu rekapitulieren, ohne die eine Beurteilung der verfassungsrechtlichen Schriften und Aktivitäten Schmitts müßig ist. Das zweite Kapitel widmet sich der Beteiligung Schmitts am Staatsnotstandsplan und dabei besonders der Frage, in welchem Sinne und mit weIcher Zielrichtung Schmitt Einfluß zu nehmen suchte. In diesem Kapitel stelle ich den von Schmitt entwickelten AIternativplan vor, der eine zugleich LegaLe und wirksame Abwehr des Nationalsozialismus gewährleisten sollte. Im dritten Kapitel geht es um die Frage, welche Chancen die Reichsleitung - mit einem Anwalt Carl Schmitt - gehabt hätte, die Ausschaltung des Reichstags und die Errichtung einer vorübergehenden Diktatur Schleicher vor der Öffentlichkeit und den höchsten Gerichten mit überzeugenden Argumenten zu verteidigen. Die Bedeutung dieser Frage - so spekulativ ihre Beantwortung naturgemäß bleiben muß - ergibt sich daraus, daß die "letzte Chance" der Weimarer Republik zu einem guten Teil deshalb vertan wurde, weil Hindenburg den Vorwurf des Verfassungsbruchs scheute. Im Schlußkapitel wird das zum Ende der Weimarer Republik viel erörterte Problem der Verfassungsreform und der Haltung Schmitts hierzu behandelt. Von der Klärung dieses Punktes hängt die Antwort auf die immer wieder von interessierten Historikern, Juristen und Politologen gestellte Frage ab, was Carl Schmitt mit seinen Schriften letztlich im Sinn hatte: die Weimarer Verfassung zu verteidigen oder zugunsten einer anderen, plebiszitär-autoritären Staatsordnung zu untergraben.
1. Die Geschichte des Staatsnotstandsplans Die Voraussetzung für die Entstehung des Staatsnotstandsplans war der wachsende Druck, der von der nationalsozialistischen Bewegung auf das nach dem Zusammenbruch der Großen Koalition errichtete Präsidialregime ausging.' Brüning und Groener hatten im April und Mai 1932 erfolglos versucht, diesem Druck durch ein Verbot der SA, d. h. durch eine Politik der Konfrontation zu begegnen. Als sich das Scheitern dieser Politik abzuzeichnen begann, gelangten Schleicher und der von ihm beratene Hindenburg zu der Überzeugung, daß sich das Problem des Nationalsozialismus und die mit ihm einhergehende Gefahr des Bürgerkriegs durch eine Politik der Kooperation auf vorteilhaftere Weise lösen lasse. Schleicher und Hindenburg glaubten, die nationalsozialistische Bewegung könne beschwichtigt und "gezähmt" werden, wenn man ihren Führern die Türe zur ,,Mitarbeit im Staat" öffnete. Einen guten Einblick in Schleichers Motive im Sommer 1932 erlaubt ein Memorandum, in dem der General den Wechsel zu Papen damit rechtfertigte, daß Brüning es nicht verstanden habe, "das außerordentliche Anwachsen der nationalsozialistischen Bewegung als Tatsache in seine Rechnung einzusteHen und die Nationalsozialisten schrittweise zur Mitarbeit am Staate heranzuziehen". Das eigene Programm brachte Schleicher auf drei Punkte: "Kein Kampf um die Staatsform, aber Weiterentwicklung der Verfassung von Weimar. Heranziehung der nationalen Kräfte zur Mitarbeit am Staat. Sanierung der aufgeblähten Fürsorgepolitik des Staats und planvoHe Beseitigung des ungesunden Kapitalismus.,,2 Infolge dieses Umdenkens kam es Anfang Juni 1932 zum RegieI Die von mir in der Hauptsache verwendeten Geschichtsdarstellungen und Dokumentensammlungen sind, Heinrich August Winkler; Weimar 1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1993. Akten der Reichskanzlei. Das Kabinett von Papen, bearbeitet von Karl-Heinz Minuth, Boppard am Rhein 1989 (= AdR Papen). Akten der Reichskanzlei. Das Kabinett von Schleicher, bearbeitet von Anton Golecki, Boppard am Rhein 1990 (= AdR Schleicher). Gerhard Schulz, Von Brüning zu Hitler. Der Wandel des politischen Systems in Deutschland 1930-1933, Berlin 1992. Ernst Rudolf Huber; Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 6, Stuttgart 1981. Ders., Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 7, Stuttgart 1984. Ders.. Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 4, Stuttgart 1991 (3. Aufl.). Thilo Vogelsang, Reichswehr, Staat und NSDAP. Beiträge zur deutschen Geschichte 1930-1932, Stuttgart 1962. Ders., Neue Dokumente zur Geschichte der Reichswehr 1930-33, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Bd. 2,1954, S. 397 ff. Ders., Zur Politik Schleichers gegenüber der NSDAP 1932, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Bd. 6, 1958, S. 86 ff. Karl Dietrich Bracher; Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, 5. Aufl., Villingen 1971 (I. Aufl. 1955). Gotthard Jasper; Die gescheiterte Zähmung. Wege zur Machtergreifung Hitlers 1930-1934, Frankfurt 1986. Erich Matthias I Rudolf Morsey (Hrsg.), Das Ende der Parteien 1933. Darstellungen und Dokumente, Taschenbuchausgabe, Düsse1dorf 1979 (I. Aufl. 1960).
I. Die Geschichte des Staatsnotstandsplans
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rungswechsel: Brüning wurde entlassen und der den Nationalsozialisten vermeintlich genehmere Papen zu seinem Nachfolger bestimmt. Schleicher, der sich im Reichswehrministerium eine wertvolle politische Organisation, die Wehrmachtsabteilung, aufgebaut und hinter den Kulissen die Fäden gezogen hatte, übernahm von Groener den Posten des Reichswehrministers. Niemand zweifelte daran, daß Schleicher im neuen Kabinett der "starke Mann" war. Kurz bevor es zu diesem Regierungswechsel kam, hatte zwischen Hindenburg und Hitler eine Begegnung stattgefunden, in der vereinbart worden war: die Nationalsozialisten tolerieren Papen, wenn der Präsident dafür das unter Brüning erlassene SA-Verbot aufhebt und Neuwahlen zum Reichstag ausschreibt. 3 Beide Bedingungen wurden von der Reichsleitung erfüllt: am 4. Juni wurde der Reichstag aufgelöst und wenige Tage später das SA-Verbot aufgehoben. Die Neuwahlen zum Reichstag am 30. Juli 1932 endeten erwartungsgemäß mit einem erheblichen Stimmenzuwachs der Nationalsozialisten. Zwar verfehlte die NSDAP die absolute Mehrheit, doch ergab sich eine Mehrheit von NSDAP und KPD - mit der fatalen Folge, daß die Nationalsozialisten durch ein taktisches Zusammengehen mit den Kommunisten jederzeit die Regierung zum Rücktritt und den Präsidenten zur Außerkraftsetzung seiner Notverordnungen zwingen konnten. 4 Ob die Nationalsozialisten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen würden, hing allein davon ab, ob Hitler bereit war, sich auch nach seinem Wahl erfolg an das dem Präsidenten gegebene Tolerierungsversprechen zu halten. Wie sich herausstellte, war dies nicht der Fall. Da die NSDAP die stärkste Partei geworden war, verlangte Hitler die Führung in einem neu zu bildenden Präsidialkabinett. Eine Forderung, die Hindenburg brüsk zurückwies. Er empfand es, wie er sich im Kreis seiner Berater ausdrückte, als "starkes Stück", daß er den "böhmischen Gefreiten" zum Kanzler machen solle. Der Präsident war zwar daran interessiert, die NSDAP durch eine Regierungsbeteiligung in die politische Verantwortung zu ziehen, er war jedoch nicht bereit, ihr die gesamte Macht oder auch nur einen maßgeblichen Anteil an ihr zu überlassen.
a) Die Kabinettsitzung vom 10. August 1932 Dies war die Situation, als der Staatsnotstandsplan erstmals erwogen wurde. Wie das Protokoll verzeichnet, machten sowohl Schleicher wie auch Gayl, der neue Reichsminister des Innern, in der Kabinettssitzung vom 10. August 1932 entsprechende Ausführungen. 5 Schleicher erklärte, er halte die Aufnahme einiger nationalsozialistischer Minister ins Kabinett nach wie vor für die beste Lösung. Doch 2 Vogelsang, Reichswehr, Dok. Nr. 27, S. 470 ff. Zum wehrpolitischen Hintergrund der Politik Schleichers siehe auch Vogelsang, Neue Dokumente, S. 397 ff. 3 Vogelsang, Reichswehr, Dok. Nr. 24, S. 458 f. 4 Art. 54 und Art. 48 Abs. 3 WRY. Dazu Näheres in Kap. 3. S AdR Papen, Dok. Nr. 99, S. 377 ff.
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a) Die Kabinettsitzung vom 10. August 1932
habe er keine großen Hoffnungen mehr, daß Hitler sich hierauf einlassen werde. Das Kabinett müsse sich deshalb schon jetzt darauf einstellen, daß es demnächst einem feindlichen, seinen Rücktritt fordernden Reichstag gegenüberstehen werde. Die Frage stelle sich dann, ob man sich dem Reichstag beugen oder ihm die Stirn bieten solle. Schleicher sprach sich für letzteres aus: das Kabinett solle ein Mißtrauensvotum des Reichstags ignorieren und sich vom Reichspräsidenten im Amt bestätigen lassen. Für den Fall, so erklärte er weiter, daß die Kampfverbände der totalitären Parteien daraufhin den offenen Aufstand proben sollten, könne sich das Kabinett voll und ganz auf die bewaffneten Kräfte des Reiches verlassen; sowohl die Reichswehr wie auch die seit dem 20. Juli dem Reich unterstehende preußische Polizei stünden bereit, ,jedem entgegenzutreten, der sich der Autorität der Regierung widersetze". Ähnlich wie Schleicher sprach sich auch Innenminister Gayl dafür aus, der NSDAP den Kampf anzusagen. Die Aufnahme nationalsozialistischer Minister in die Regierung lehnte er ohnehin rundheraus ab. Eine solche Aufnahme würde den Präsidialcharakter des amtierenden Kabinetts verfälschen und eine Rückkehr zum Parlamentarismus bedeuten. Der Reichspräsident solle vielmehr, so Gayls Vorschlag, den neuen Reichstag noch vor seinem ersten Zusammentritt auflösen und die dann von der Verfassung vorgesehenen Neuwahlen auf einen späteren - von Gayl nicht näher genannten - Zeitpunkt verschieben. Eine solche Verschiebung der Neuwahlen verstoße zwar gegen formales Recht, sie lasse sich aber durchaus mit dem gegenwärtigen Staatsnotstand rechtfertigen. Gayl ging noch einen Schritt weiter, indem er nicht nur einer vorübergehenden Ausschaltung des Parlaments das Wort redete, sondern auch dafür plädierte, die parlamentslose Zeit zur Dekretierung einer konservativen Verfassungsreform zu nutzen. Es gehe jetzt darum, so rief er beschwörend, den Mut zu einer "Revolution von oben" aufzubringen. Der Reichsminister der Justiz, Gürtner, wies zwar pflichtgemäß auf die formale Rechtswidrigkeit des von Gayl in Vorschlag gebrachten Vorgehens hin. Jedoch räumte er ein, es sei letztlich die "Sache des Reichspräsidenten", einen notstandsbedingten Verstoß gegen die Verfassung zu vertreten. Die übrigen Mitglieder des Kabinetts äußerten sich abwartend. Ein endgültiger Beschluß wurde am 10. August nicht gefaßt. Zunächst, so kam man überein, sollte geklärt werden, ob sich auf dem Verhandlungsweg nicht doch eine Einigung mit den Nationalsozialisten erzielen lasse. Immerhin war aber jetzt schon klar, daß ein Teil des Kabinetts im Falle des Scheiterns der Verhandlungen gewillt war, den Reichstag auszuschalten und es auf die dann unvermeidliche Machtprobe mit den nationalsozialistischen Kampfverbänden ankommen zu lassen.
I. Die Geschichte des Staatsnotstandsplans
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b) Gayls Verfassungsrede am 13. August 1932 Gayl hatte im Kabinett von einer "Revolution von oben" gesprochen. Was hatte er damit gemeint? Aufschluß gewährt eine Rede, die der Reichsminister des Innern anläßlich der Verfassungsfeiern am 13. August 1932, also drei Tage nach der besagten Kabinettsitzung hielt. 6 Gayl übte Kritik an der Verfassung, da diese die Deutschen nicht einige, sondern trenne. Im Rahmen der demokratisch-parlamentarischen Grundsätze habe sich eine Herrschaft der Parteien gebildet, die ftir die Instabilität des Regierungssystems verantwortlich sei und den Reichspräsidenten zwinge, mit Notverordnungen zu regieren. Um diesem Zustand abzuhelfen, sei eine umfassende Verfassungsreform nötig. Im einzelnen sprach Gayl folgende Änderungspunkte an: 1. Änderung des Wahlrechts: Einführung des Persönlichkeitswahlrechts, um der Herrschaft der Parteibürokratien den Boden zu entziehen, Zusatzstimmen ftir Familienernährer und Mütter, um den Stimmenanteil der radikalen Parteien zu reduzieren, Einschränkung der kleinen Parteien, um der Zersplitterung des Parlaments entgegenzuwirken. 2. Einführung einer vom Reichspräsidenten zu besetzenden Ersten Kammer von Notabeln, die der Regierung als Helfer zur Seite stehen, sie vor den Folgen der oft durch die Stimmungen und Wahlrücksichten beeinflußten Parlamentsbeschlüsse schützen solle. 3. Beseitigung des Dualismus Preußen-Reich, um zu verhindern, daß in Preußen und im Reich auf Grund verschieden zusammengesetzter Regierungen eine divergierende Politik getrieben werde. Gayl ging bezeichnenderweise mit keinem Wort auf die Frage ein, auf welchem Weg die von ihm angekündigte Verfassungsreform durchgeftihrt werden solle. Klar war nur, daß es nicht der von der Verfassung vorgeschriebene Weg sein konnte, da dieser durch die bestehenden Mehrheitsverhältnisse blockiert war. 7 Was Gayl im Kabinett gesagt hatte, nämlich daß die Verfassungänderung von oben dekretiert werden solle, unterließ er - aus begreiflichen Gründen - in der Öffentlichkeit zu wiederholen. Ob der Innenminister mit seinen Plänen unter den übrigen Reichsministern Gefolgsleute hatte, und ob er vor allem auf die Unterstützung Schleichers rechnen konnte, ist eine Frage, die sich schwer beantworten läßt. 8 Sicher ist nur, 6 Schulthess' Europäischer Geschichtskalender 1932, München 1933, S. 139 (= Schulthess). Weniger detaillierte Äußerungen zur Verfassungsreform enthält auch Gayls Rede im Reichsrat vom 9. Juni 1932. Schulthess 1932, S. 102. 7 Art. 76 WRY. Dazu Näheres in Kap. 3. 8 Vgl. auch die vorne, S. 14 zitierte Äußerung Schleichers: "Kein Kampf um die Staatsform, aber Weiterentwicklung der Verfassung von Weimar."
2 Berthold
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d) Das Neudecker Notstandstreffen am 30. August 1932
daß auch Reichskanzler Papen in öffentlichen Stellungnahmen die Notwendigkeit einer Verfassungsreform immer wieder betonte. ohne sich allerdings auf konkrete Aussagen zu deren Inhalt oder Realisierungschancen festzulegen. Papen machte gegenüber der Presse lediglich insoweit eine eindeutige Aussage, als er die Wiederherstellung der Monarchie, d. h. einen Wechsel der Staatsform ausschloß. 9
c) Hitlers Empfang bei Hindenburg am 23. August 1932 Wenige Tage nach Gayls Verfassungsrede, am 23. August 1932, stand das Scheitern der Verhandlungen mit den Nationalsozialisten über eine Regierungsbeteiligung endgültig fest. Ein zweites Treffen zwischen Hitler und Hindenburg hatte die Unvereinbarkeit der Standpunkte bekräftigt. 10 Der Präsident hatte Hitler aufgefordert, seine Oppositionshaltung aufzugeben und mit einigen Mitgliedern seiner Partei in das bestehende Kabinett einzutreten. Hitler hatte dieses Angebot abgelehnt und auf dem Posten des Reichskanzlers bestanden. Ferner hatte er für sich die Vollmachten des Art. 48 WRV gefordert, die Hindenburg schon Brüning und Papen zugestanden hatte. Hitler begründete seine Forderung damit, daß die Nationalsozialisten im neugewählten Reichstag die stärkste Fraktion stellten. Hindenburg wies demgegenüber auf den Ausschließlichkeitsanspruch der NSDAP hin, der es ihm verwehre, Hitler die volle Macht zu übertragen. 11 Man trennte sich wenig freundlich, so daß die Entwicklung nunmehr auf eine offene Konfrontation zwischen den bewaffneten Kräften des Reichs und den nationalsozialistischen Kampfverbänden zusteuerte. Wie schon vor dem Regierungswechsel, unter Brüning und Groener, rückte der Bürgerkrieg wieder in greifbare Nähe.
d) Das Neudecker Notstandstreffen am 30. August 1932 Am 30. August 1932, dem Tag, an dem der neugewählte Reichstag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentrat, trafen sich beim Reichspräsidenten auf dessen 9 Papens Associated Press Interview vom 1. August 1932, in: Schulthess' Geschichtskalender (= Schulthess), 1932, S. 136. Papens Rundfunkrede vom 12. September 1932, in: AdR Papen, Bd. I, S. 546. Papens Münchner Rede vom 12. Oktober 1932, in: Schulthess 1932, S. 176. Über die Verfassungsziele Papens und Gayls informierte seinerzeit auch die offiziöse Schrift von Walther Schotte, Der Neue Staat, Berlin 1932. Huber. Verfassungsgeschichte. Bd. 7, S. 1006 ff. charakterisiert das Verfassungsreformprogramm Papens und Gayls treffend als den Versuch einer "Rekonstitutionalisierung des Reichs", d. h. als eine Annäherung an die Verfassungsverhältnisse des 19. Jahrhunderts, jedoch ohne zur Staatsform der Monarchie zurückzukehren. IO AdR Papen, Dok. Nr. 101, S. 391 f. 11 Fritz Poetzsch-HeJfter. Das Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, Teil 3, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts, Bd. 21, 1933, S. 161.
I. Die Geschichte des Staatsnotstandsplans
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Feriensitz in Neudeck die Spitzen der Reichsleitung. 12 Papen erklärte gegenüber dem Reichspräsidenten: Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit Hitler sei jetzt davon auszugehen, daß der Reichstag schon bei seiner ersten Arbeitssitzung ein Mißtrauensvotum gegen die Reichsregierung beschließen werde. Unter diesen Umständen halte er es für das Beste, den Reichstag, noch bevor es dazu komme, aufzulösen. Da eine Neuwahl des Reichstags keine grundsätzliche Änderung der Mehrheitsverhältnisse erwarten lasse, stelle sich die Frage, ob eine solche überhaupt ausgeschrieben werden sollte. Er, Papen, trete dafür ein, die Neuwahl einstweilen zu verschieben. Der darin liegende formale Verstoß gegen die Verfassung lasse sich mit dem gegenwärtigen "staatlichen Notstand" rechtfertigen. Zur näheren Begründung fügte der Reichskanzler hinzu: Der Reichspräsident habe mit seinem Eid die Pflicht übernommen, das deutsche Volk vor Schaden zu bewahren; durch Neuwahlen werde dem Volk jedoch geschadet, da diese dazu führen würden, den Straßenterror zu entfachen. Das Volk könne somit am besten dadurch vor Schaden bewahrt werden, daß der Reichspräsident Neuwahlen erst nach dem Eintritt einer Beruhigung der politischen Lage stattfinden lasse. Gayl sekundierte dem Reichskanzler, indem er gegenüber Hindenburg ausführte, auch er halte es mit dem "Sinn der Verfassung" für durchaus vereinbar, wenn bei einem "staatlichen Notstand", wie er derzeit zweifellos vorliege, die Neuwahlen verschoben würden. Der Präsident ließ sich durch die Ausführungen seiner Minister überzeugen. Trotz der formalen Verfassungswidrigkeit des von ihnen vorgeschlagenen Vorgehens erklärte er: "daß er, um Nachteil vom deutschen Volk abzuwenden, es vor seinem Gewissen verantworten könne, bei dem staatlichen Notstand, der nach Auflösung des Reichstags sein werde, die Bestimmung des Artikels 25 dahin auszulegen, daß bei der besonderen Lage im Lande die Neuwahl auf einen späteren Termin verschoben werde." Im Anschluß an diese Erklärung unterzeichnete der Reichspräsident eine Vollmacht, die Papen ermächtigte, bei nächster Gelegenheit den Reichstag aufzulösen. Mit der Unterzeichnung dieser Vollmacht und der Zusicherung, die Neuwahlen zu verschieben, hatte der Präsident sein prinzipielles Plazet zur Ingangsetzung des Notstandsplans gegeben. In Neudeck wurde nicht nur über die Ausschaltung des Reichstags, sondern auch über die Frage der Verfassungsreform gesprochen. Abweichend von dem, was Gayl am 10. August in der Ministerbesprechung hatte verlauten lassen, erklärte er jetzt gegenüber dem Reichspräsidenten: Die parlamentslose Zeit nach der beschlossenen Auflösung des Reichstags solle zur "Vorbereitung" einer Verfassungsund Verwaltungsreform genutzt werden. In einem noch zu bestimmenden Kreis von erfahrenen Sachverständigen, bewährten Staatsmännern und Vertretern der Länder solle ein Entwurf erarbeitet werden, der vom Reichspräsidenten zum Volksentscheid gestellt werden könne, sobald eine Beruhigung der innenpolitischen Lage und eine Besserung der Wirtschaft eingetreten sei. Von einem "Oktroy" - wie noch am 10. August - war bemerkenswerterweise nicht mehr die Rede. 12
2·
AdR Papen, Dok. Nr. 120, S. 474 ff.
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e) Die Reichstagssitzung vom 12. September 1932 e) Die Reichstagssitzung vom 12. September 1932
Knappe zwei Wochen nach dem Treffen auf Gut Neudeck, am 12. September 1932, trat der neugewählte Reichstag zu seiner ersten Arbeitssitzung zusammen. 13 An die oberste Stelle auf der Tagesordnung setzte der neue Reichstagsvorsitzende, Hermann Göring, die Abstimmung über einen von den Kommunisten eingebrachten Mißtrauensantrag. Die Reichsregierung, welche die Abstimmung erst zu einem späteren Zeitpunkt erwartet hatte, wurde durch diesen Schritt überrascht. Papens konfuser Versuch, der Abstimmung durch die Auflösung des Reichstags zuvorzukommen, scheiterte unter für den Reichskanzler höchst blamablen Umständen. Als er Göring die am 30. August auf Neudeck vorbereitete Auflösungsorder überreichen wollte, tat dieser geflissentlich so, als bemerke er Papen überhaupt nicht, und ließ die Abstimmung weiterlaufen. An der Abstimmung beteiligten sich 559 Abgeordnete, 512 stimmten für und nur 42 Abgeordnete gegen den Antrag. Rechtlich gesehen war das Mißtrauensvotum des Reichstags ungültig, da für den Zeitpunkt der Auflösung nicht die Entgegennahme, sondern die Abgabe der Auflösungserklärung entscheidend war. 14 Politisch bedeutete die Abstimmung jedoch eine schwere moralische Niederlage für die Reichsregierung. Aller Welt war vor Augen geführt worden, daß Papen so gut wie keinen Rückhalt in der Volksvertretung besaß. Ein Mißtrauensbeschluß in dieser überwältigenden Deutlichkeit suchte in der Geschichte der parlamentarischen Demokratien seinesgleichen. Wie wir noch sehen werden, sollte die Reichstagsabstimmung vom 12. September 1932 für das Schicksal des Staatsnotstandsplans eine entscheidende Bedeutung erlangen. Im Anschluß an die Reichstagssitzung äußerte sich Gayl auf einer Pressekonferenz zu der Frage, ob die Reichsregierung nach der Auflösung des Reichstags die Absicht habe, die Neuwahlen zu vertagen: "Ich kann nur die Erklärung abgeben, daß die Reichsregierung durchaus die Absicht hat, die verfassungsmäßigen Vorschriften innezuhalten und daß, wenn eine Wahl ausgeschrieben wird, sie selbstverständlich unter den Bedingungen erfolgen muß, die heute gelten. Ich muß allerdings in aller Offenheit von vornherein eine Einschränkung machen, nämlich die, daß Wahlen selbstverständlich nur dann möglich sind, wenn Ruhe und Ordnung in Deutschland herrschen und die Abhaltung von Wahlen überhaupt möglich iSt.,,15
Die Erklärung belegt, daß Innenminister Gayl am 12. September davon ausging, daß der Notstandsplan, wie auf Neudeck beschlossen, nunmehr in Gang gesetzt werde. Die Auflösung des Reichstags war also tatsächlich in der Absicht geschehen, die Neuwahlen entgegen dem Buchstaben der Verfassung zu vertagen.
I3
Winkler; Weimar, S. 522 ff.
14
Poetzsch-HeJfter; Staatsleben, Teil I, S. 68 ff. Huber; Verfassungsgeschichte, Bd. 7,
S.I092ff. 15 Schulthess 1932, S. 274.
1. Die Geschichte des Staatsnotstandsplans
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f) Die Kabinettssitzung vom 14. September 1932
Was Gayl scheinbar unterschätzt hatte, war die psychologische Wirkung der Mißtrauensabstimmung. Als am 14. September das Kabinett zusammentrat, um nach der zwei Tage zuvor erfolgten Reichstagsauflösung über das weitere Vorgehen zu beraten, stellte sich überraschend heraus, daß die Mehrheit der Minister in ihrer Haltung unsicher geworden war. 16 Gayl legte zunächst das Pro und Contra einer Verschiebung der Neuwahl auseinander: dafür spreche, daß ein erneuter Wahlgang keine grundsätzliche Änderung der Mehrheitsverhältnisse erwarten lasse; dagegen, daß eine Verschiebung der Wahl aller Voraussicht nach schwere politische Unruhen nach sich ziehen werde. Er persönlich neige der Auffassung zu, daß von bei den Übeln die Verschiebung das kleinere sei. Dabei sei er sich durchaus im Klaren, daß dieser Schritt gegen den Wortlaut der Verfassung verstoße. Doch höher als die formale Innehaltung der Verfassung stehe das gesamte Volkswohl. Schleicher trat der Meinung seines Vorredners bei. Auch er erklärte, daß Neuwahlen solange zwecklos seien, wie Aussichten auf eine grundlegende Änderung der gegenwärtigen Parteienkonstellation nicht bestünden. Es komme jetzt darauf an, dies der Öffentlichkeit klar zu machen. Im übrigen glaube er, daß es möglich sein werde, die Vertagung der Wahl juristisch zu decken. Ein Beamter seines Ministeriums, Oberstleutnant Ott, stehe zu diesem Zweck in Kontakt mit den Staatsrechtlern Schmitt, Biltinger und Jacobi. 17 Im Unterschied zu Gayl und Schleicher sprachen sich alle übrigen Kabinettsmitglieder gegen die Verschiebung der Wahl aus. Die Minister begründeten ihr ablehnendes Votum vor allem mit der Gefahr schwerer Unruhen, aber auch mit der über die Öffentlichkeit verbreiteten Drohung von NSDAP und Zentrum, im Falle der Verschiebung der Neuwahl eine Klage vor dem Staatsgerichtshof herbeizuführen. Die Stimmung im Reichskabinett war so einhellig, daß schließlich auch Gayl und Schleicher ihre Meinung revidierten, um sich angesichts des hohen Risikos, das mit einem Abgehen von der Verfassung verbunden war, ebenfalls für eine fristgemäße Ausschreibung von Neuwahlen auszusprechen. Der Neuwahltermin wurde auf den 6. November 1932 festgesetzt. Der am 30. August vom Präsidenten bereits sanktionierte Notstandsplan war damit fürs erste auf Eis gelegt. 18
g) Die Reichstagswahlen vom 6. November 1932 Wie erwartet, änderten die Reichstagswahlen vom 6. November 1932 an der politischen Konstellation wenig. Die NSDAP verzeichnete leichte Stimmenverluste, die KPD Zugewinne. Auch im neuen Reichstag verfügten die radikalen Massen16
17 18
AdR Papen, Dok. 141, S. 578 ff. Dazu ausführlich Kap. 2. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 7, S. 1108.
h) Das Planspiel Ott im November 1932
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parteien über eine negative Mehrheit. Wie gefährlich diese Mehrheit werden konnte, zeigte das Aktionsbündnis der beiden Parteien im Verkehrsarbeiterstreik, der zwischen dem 3. und 7. November, also während des Wahlgangs, Berlin lahmlegte. Die Bildung einer rechnerisch möglichen Koalition zwischen Deutschnationalen, Nationalsozialisten und Zentrum, um die sich Papen im Anschluß an die Wahlen zunächst bemühte, scheiterte wie schon am 23. August wieder daran, daß Hitler den Posten des Reichskanzlers, einschließlich der Vollmachten des Artikels 48, forderte, Hindenburg diese Forderung jedoch ablehnte. Ohnehin hatte Papen sich um das Zustandekommen einer parlamentarischen Basis nur pro forma bemüht, um der Öffentlichkeit ein weiteres Mal die Unfähigkeit des Reichstags zu demonstrieren, sich auf ein mehrheits- und regierungsfähiges Programm zu einigen.
h) Das Planspiel Oll im November 1932 Nach dem neuerlichen Scheitern der Verhandlungen mit der NSDAP beabsichtigte Papen, auf den am 14. September vertagten Notstandsplan zurückzugreifen. Indessen war es im Reichswehrministerium zu einem folgenreichen Umdenken gekommen. Hatte Schleicher am 10. August gegenüber dem Kabinett noch erklärt: Reichswehr und preußische Polizei stehen voll hinter der Regierung - so war er nach den Vorgängen im Reichstag am 12. September immer skeptischer geworden, ob das Militär tatsächlich in der Lage sein würde, bei einem Fortbestehen des Kabinetts Papen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu garantieren. Sorge bereitete ihm vor allem die Frage, ob sich die Reichswehr gegen einen gleichzeitigen oder gemeinsamen Aufstand der totalitären Parteien - wie er sich im Verkehrsarbeiterstreik abgezeichnet hatte - behaupten könne. Um dies herauszufinden, ließ er in der letzten Novemberwoche ein militärisches Planspiel veranstalten. Wie sich der Leiter dieses Planspiels, Oberstleutnant Ott, in einer späteren Befragung erinnerte, wurde dem Reichswehrminister als Ergebnis gemeldet: ,,Es seien zwar alle Vorbereitungen getroffen, um einen etwa befohlenen Ausnahmezustand unverzüglich in Gang zu setzen, jedoch habe sich bei sorgfältiger Abwägung gezeigt, daß die Ordnungskräfte des Reiches und der Länder in keiner Weise ausreichten, die verfassungsmäßige Ordnung gegen einen gemeinsamen Aufstand von Nationalsozialisten und Kommunisten aufrechtzuerhalten und zugleich im Osten die Grenzen gegen einen dann zu erwartenden Aufstand der Polen zu schützen. Es sei daher die Pflicht des Reichswehrministers, die Zuflucht der Regierung zum militärischen Ausnahmezustand zu verhindem.,,19 Aus der Kriegsspielstudie entstand zunächst der "Querfrontplan". Der Reichswehrminister gewann die Überzeugung, daß das Kabinett Papen von einer Regierung mit breiterem gesellschaftlichen Rückhalt abgelöst werden müsse. Um der 19
Huber, Dokumente, Bd. 4, Dok. Nr. 498, S. 619 ff.
1. Die Geschichte des Staatsnotstandsplans
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Gefahr zu entgehen, daß die Reichswehr in einen Bürgerkrieg mit offenem Ausgang hineingetrieben wurde. begann Schleicher mit dem Ziel zu sondieren, die staatsgesinnten Kräfte quer durch alle Parteien und Verbände (mit Ausnahme der Kommunisten) für die Unterstützung eines von ihm selbst geführten sozial-autoritären Präsidialkabinetts zu bewegen. Schleicher hielt es insbesondere für möglich, unter seiner Regie ein regierungstreues Bündnis zwischen dem gemäßigten Strasser-Flügel der NSDAP und den sozialdemokratischen Gewerkschaften herbeizuführen, wobei ihm seine guten Kontakte und sein Ruf als "sozialer General" nützlich sein konnten. Zu diesem Zweck führte er Gespräche u. a. mit Strasser, Braun, Breitscheid, Leipart und Kaas.
i) Der Sturz Papens am 3. Dezember 1932
Während Schleicher hinter den Kulissen seine Kanzlerschaft vorbereitete, suchte Papen ein weiteres Mal die Weichen auf den Notstandsplan zu stellen. Bereits am 25. November kündigte er im Kabinett an, der Reichspräsident werde sich nach dem Scheitern der Verhandlungen mit den Parteien wahrscheinlich bereit erklären, den am 6. November gewählten Reichstag aufzulösen und den Staatsnotstand auszurufen?O Allerdings habe Hindenburg klargestellt, daß er in der parlamentslosen Zeit keine Verfassungsänderungen wünsche. Er lege größten Wert darauf, gerade in dieser Zeit als "Garant der Verfassung" zu gelten. Am 1. Dezember trafen sich wieder. wie schon am 30. August, die Spitzen der Reichsleitung beim Präsidenten, um über die Ausschaltung des Reichstags zu beraten. 21 Nicht mehr von der Partie war bezeichnenderweise Gayl, dessen Verfassungspläne jetzt offensichtlich das Bild störten. Zunächst wurde über die Möglichkeit eines Regierungswechsels gesprochen. Die Beteiligten stimmten überein, daß ein solcher Wechsel keine grundsätzliche Lösung biete, da Schleicher so wenig wie Papen Aussichten habe, in absehbarer Zeit eine Reichstagsmehrheit hinter sich zu bringen. Hindenburg entschied deshalb, Papen in seinem Amt zu bestätigen und ihm die Zusicherung zu geben: "im Falle eines Konfliktes mit dem Reichstag alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Deutschland vor einem Schaden zu bewahren, der aus einer Verletzung der Pflichten des Reichstags entstehen könnte." Dies war die offizielle Formel für die auf den Verfassungseid des Präsidenten gestützte Ausrufung des Staatsnotstands. Hindenburg hatte hiermit zum zweiten Mal seine Zustimmung zur Ingangsetzung des Plans gegeben. Als am folgenden Tag das Kabinett zusammentrat, war Papen fest entschlossen, einen dem Plazet des Präsidenten entsprechenden Beschluß herbeizuführen?2 20 AdR Papen, Dok. Nr. 232, S. 1013 ff., S. 1017. 21 Huber, Dokumente, Bd. 4, Dok. Nr. 499, S. 621 f. 22 AdR Papen, Dok. Nr. 239 a, S. 1035 f. und Nr. 239 b, S. 1036 ff.
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j) Schleichers Kurswechsel im Dezember 1932
Doch wie schon am 14. September sprachen sich die Minister auch dieses Mal wieder gegen die Ingangsetzung des Plans aus. Vor allem aber zeigte sich, daß Papen nicht mehr die Unterstützung Schleichers und damit der Reichswehr besaß. Auf die Frage von Justizminister Gürtner, ob man sich auf die Reichswehr verlassen könne, ließ Schleicher Oberstleutnant Ott zum Vortrag hereinbitten. Ott berichtete über das Ergebnis der von ihm geleiteten Kriegsspielstudie und sprach den dringenden Wunsch der Reichswehr aus, alles zu unterlassen, was zu einer offenen Konfrontation mit den radikalen Parteien führen könnte. Nach dem Vortrag Otts blieb dem desavouierten Papen nichts anderes übrig, als zum Reichspräsidenten zu gehen, den am Vortag erteilten Auftrag zurückzugeben und die Ernennung Schleichers zu seinem Nachfolger vorzuschlagen. Der naheliegende Verdacht, das ganze Kriegsspiel sei überhaupt nur eine Intrige Schleichers zum Sturz Papens gewesen, läßt sich nicht erhärten. Ott berichtete im späteren Rückblick, die Studie sei auf seine "rein persönliche Initiative" zurückgegangen; Schleicher sei in Bezug auf ihre Machbarkeit anfänglich sogar skeptisch gewesen. 23
j) Schleichers Kurswechsel im Dezember 1932
Nachdem Schleicher die Reichskanzlerschaft übernommen hatte, orientierte er die Wehrmacht über seine Motive und Absichten?4 Gegenüber den vom 13. bis zum 15. Dezember in Berlin versammelten Wehrkreisbefehlshabern erklärte er: Die von ihm abgelöste Regierung Papen habe sich auf Dauer nur mit Waffengewalt halten lassen. Wie aber die von Oberstleutnant Ott erstellte Kriegsspielstudie sehr deutlich gezeigt habe, wären die Aussichten der Reichswehr hierbei nicht sehr glücklich gewesen. Man habe befürchten müssen, "in wenigen Tagen gegen 9/10 des Volkes mit M.G. auf der Straße zu stehen". Der jetzt eingetretene Wechsel an der Regierungsspitze bedeute demgegenüber einen ersten Schritt zur Entspannung der Lage. Im Laufe des Januars müsse die Frage geklärt werden, ob im Reichstag eine Mehrheit für die neue Regierung zustande komme. Sollten sich die Nationalsozialisten immer noch verweigern, so sei definitiv der Zeitpunkt zum "Kampf' mit ihnen gekommen. Die Aussichten der Reichswehr für diesen Kampf schätze er als gut ein, sofern es gelinge, die Öffentlichkeit auf die Seite der Regierung zu bringen. Die Wehrkreisbefehlshaber sollten sich deshalb auch nicht wundern, wenn seitens der Regierung immer wieder demonstrativ der Versuch gemacht werde, die Nationalsozialisten vor die Verantwortung zu stellen. Dies geschehe, um Hitler für den Fall, daß es zu einem offenen Konflikt komme, ins moralische Unrecht zu setzen. Schleicher kündigte an, daß es bei der kommenden Auseinandersetzung mit
23 Eugen Ott. Aus der Vorgeschichte der Machtergreifung des Nationalsozialismus. Vortrag vor dem Rhein-Ruhr-Klub am 19. Mai 1965 in Düsseldorf, HStAD/RW 422/9, S. 9. Ich danke Gabriel Seiberth für den Hinweis. 24 Vagelsang. Neue Dokumente, S. 397 ff.
I. Die Geschichte des Staatsnotstandsplans
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den Nationalsozialisten nicht um einen Kampf "mit Mückenstichen", sondern "auf Hauen und Stechen" gehen werde. Kurz darauf, am 15. Dezember, verlas Schleicher über Rundfunk seine Regierungserklärung?5 Im Sinne seines Querfrontplans war er sichtlich bemüht, zwischen den sozialen und politischen Gruppen der Weimarer Gesellschaft Brücken zu schlagen. Gleichzeitig ließ er aber auch erkennen, daß er bereit sei, die Autorität der Regierung gegenüber diesen Gruppen notfalls mit den äußersten Mitteln aufrechtzuerhalten. Nicht zuletzt enthielt Schleichers Rede eine deutliche Distanzierung von der unpopulären Papen-Regierung. Den Verfassungsplänen Gayls erteilte er eine unmißverständliche Abfuhr: Die neue Regierung habe nur ein vorrangiges Ziel, und dieses sei: "Arbeit zu schaffen". Am wenigsten interessiere sie sich dagegen für "Verfassungsänderungen und sonstige schöne Dinge, von denen wir nicht satt werden".
k) Die Kabinettsitzung vom 16. Januar 1933 Als sich Mitte Januar 1933 abzuzeichnen begann, daß Schleichers Bemühungen um ein breites gesellschaftliches Bündnis unter Einschluß der Nationalsozialisten zum Scheitern verurteilt waren, war es wieder so weit. In der Ministerbesprechung vom 16. Januar stand ein weiteres Mal der Notstandsplan zur Erörterung. 26 Schleicher führte aus, daß es jetzt um die Frage gehe, ob die Nationalsozialisten zur Mitarbeit bereit seien oder den Kampf wollten. Sollte es beim Zusammentritt des Reichstags dazu kommen, daß die Abstimmung über die bereits eingebrachten Mißtrauensvoten auf Punkt I der Tagesordnung gesetzt würden, so werde er dem Reichstag schriftlich die Auflösungsorder zuschicken. Die Wirtschaft lehne den Gedanken baldiger Neuwahlen vehement ab, und auch in der Arbeiterschaft sei diese Stimmung sehr verbreitet. Er halte es deshalb für das Beste, die Wahlen zu verschieben. Der an die Stelle Gayls getretene Reichsminister des Innern, Bracht, sprach sich dahin aus, im Falle der Auflösung des Reichstags die Wahlen bis zum Herbst zu verschieben. Notwendig werde auch die Auflösung des preußischen Landtags sein. Nachdem Popitz, Reichsminister ohne Geschäftsbereich, den Vorschlag gemacht hatte, sich auf keinen bestimmten Wahltermin festzulegen, erwiderte Bracht, es sei besser, den Termin sogleich zu publizieren, da andernfalls die Opposition dauernd auf die Bestimmung des Termins drängen und es als ihren Erfolg verbuchen werde, wenn die Reichsregierung diesen schließlich bekannt gebe. Bracht nannte als mögliche Termine den 22. Oktober oder den 12. November 1933.
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Schulthess 1932, S. 223. Huber, Dokumente, Bd. 4, Dok. Nr. 507, S. 631 ff. AdR Schleicher, Dok. Nr. 56, S. 230 ff.
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I) Schleichers Empfang bei Hindenburg am 23. Januar 1933 I) Schleichers Empfang bei Hindenburg am 23. Januar 1933
Schleicher scheint in der Kabinettsitzung vom 16. Januar sich seiner Sache allzu sicher gewesen zu sein. Am 23. Januar erklärte er gegenüber dem Reichspräsidenten, seine Regierung erwarte von dem am 31. Januar zusammentretenden Reichstag ein Mißtrauensvotum und die Aufhebung der zuletzt ergangenen Notverordnungen. Er schlage daher vor, den Reichstag aufzulösen und die Neuwahlen auf den Herbst zu verschieben?7 Für den Kanzler offenbar überraschend und im Widerspruch zu seinen früheren Bekundungen erwiderte der Präsident hierauf, daß er sich die Frage einer Auflösung des Reichstags noch überlegen wolle, daß er aber die Hinauszögerung der Wahl über den in der Verfassung vorgesehenen Termin zur Zeit nicht verantworten könne. Ein solcher Schritt würde ihm von allen Seiten als Verfassungsbruch ausgelegt werden. Ehe er sich dazu entschließen könne, müsse durch Befragen der Partei führer festgestellt werden, ob diese den Notstand anerkennen würden. Eine sehr viel ausführlichere Wiedergabe des für die Geschichte des Notstandsplans entscheidenden Gesprächs zwischen Schleicher und Hindenburg enthalten die Erinnerungen des anwesenden Staatssekretärs Meißner: 28 Schleicher, so Meißner, habe dem Präsidenten vorgeschlagen, die Ausschaltung des Reichstags zur Zerschlagung der radikalen Bewegungen zu nutzen. Doch habe Hindenburg diesen Vorschlag mit der Bemerkung abgelehnt: der Bürgerkrieg sei der schlimmste aller Kriege. Außerdem habe der Präsident daran erinnert, daß der Kanzler selbst es gewesen sei, der im Dezember vor den Folgen eines offenen Kampfes gegen die Nationalsozialisten gewarnt habe. Der Präsident sei auch dann noch bei seiner ablehnenden Haltung geblieben, als Schleicher ihm dargelegt habe, daß unter seiner Kanzlerschaft die Aussichten, den Konflikt mit den Nationalsozialisten erfolgreich zu bestehen, wesentlich besser stünden als unter der Kanzlerschaft Papens. Auf die Frage des Präsidenten, ob die von Schleicher gewünschte Ausschaltung des Reichstags mit der Verfassung vereinbar sei, habe er selbst, Meißner (der ein angesehener Jurist und Verfassungskommentator war) dargelegt: Die Verschiebung der Neuwahl verstoße gegen Art. 25 WRV und sei daher verfassungswidrig. Eine Verschiebung der Wahl sei nur auf Grund des Art. 48 Abs. 2 WRV zulässig, nämlich dann, wenn am Wahltag ihre Durchführung - etwa wegen schwerer Unruhen - tatsächlich unmöglich sei. Schleicher habe dagegen eingewandt: Es liege derzeit ein Staatsnotstand vor und dieser berechtige den Reichspräsidenten durchaus, ftir einen gewissen Zeitraum Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, die mit dem geschriebenen Wortlaut der Verfassung nicht in völligem Einklang stünden. Der Reichspräsident legte sich am 23. Januar noch nicht abschließend fest. Vor einer endgültigen Entscheidung sollte Schleicher durch Befragungen der ParteifühAdR Schleicher, Dok. Nr. 65, S. 284 f. Dtto Meißner, Erinnerungen. Staatssekretär unter Ebert, Hindenburg und Hitler, Berlin 1950, S. 253 f. 27
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rer herausfinden, ob die Parteien - gemeint sein konnten nach Lage der Dinge nur die demokratischen Parteien - im Falle der Neuwahlverschiebung stillhalten oder den Reichspräsidenten des Verfassungsbruchs bezichtigen würden. Schleicher hatte mit anderen Worten nur dann Aussichten, an der Regierung zu bleiben, wenn es ihm gelang, die großen Parteien der Weimarer Koalition - SPD und Zentrum von der Notwendigkeit bzw. Zulässigkeit einer über die verfassungsmäßige Frist des Art. 25 hinausgehenden Ausschaltung des von den radikalen Parteien NSDAP und KPD - beherrschten Reichstags zu überzeugen. Die "letzte Chance" der Weimarer Republik lag in diesem Moment in den Händen der demokratischen Kräfte.
m) Schleichers Sturz durch die demokratischen Parteien Wenn Schleicher geglaubt haben sollte, er könne bei den demokratischen Parteien, auf die es nun ankam, Unterstützung erhalten, so hatte er sich geirrt. Am 26. Januar reagierte der Führer der Zentrumspartei, Prälat Kaas, mit einem am 29. Januar über die Presse verbreiteten, öffentlichen Schreiben an den Reichskanzler, das in Abschrift auch dem Reichspräsidenten zugesandt wurde. 29 Kaas bezeichnete in diesem Schreiben die Verschiebung der Neuwahl als einen nicht zu leugnenden Verfassungsbruch und drohte mit allen juristischen und politischen Konsequenzen. Zur Begründung führte er aus, daß von einem "echten Staatsnotstand" nicht die Rede sein könne, sondern höchstens von einem Notstand des Präsidialsystems. Nicht die völlige Ausschaltung des Parlaments, sondern nur die ernsthafte und planvolle Rückkehr zum parlamentarischen System könne aus der gegenwärtigen Sackgasse herausführen. Interessant ist, daß Kaas in seinem Schreiben Carl Schmitt erwähnte, den er offensichtlich für den juristischen Drahtzieher hinter der Neuwahlverschiebung hielt. Ein ähnliches Schreiben wie das des Zentrumsführers verfaßte im Auftrag der Sozialdemokratie auch der am 20. Juli entmachtete Ministerpräsident Preußens, Otto Braun. Auch dieses Schreiben ging in Abschrift dem Reichspräsidenten zu und wurden am 29. Januar, also zeitgleich mit dem Schreiben des Zentrumsführers, in der Tagespresse veröffentlicht. 30 Die politischen und rechtlichen Konsequenzen, welche die demokratischen Parteien der Reichsleitung androhten, waren ein unmißverständliches Signal an den Präsidenten und mußten zwangsläufig zum Sturz Schleichers führen. Es sei denn, Schleicher hätte den Mut gehabt, gegen den Reichspräsidenten zu putschen. Tatsächlich fand zu diesem Zweck im Reichswehrministerium eine von General Hammerstein, dem Chef der Heeresleitung, arrangierte Offiziersbesprechung statt, an der unter anderem auch 29 Germania v. 29. I. 1933. Ausführliche Dokumentation in: Das Zentrum - Mitteilungsblatt der Deutschen Zentrumspartei, 4. Jg., Nr. 1.,1933, S. 7 f. Das Schreiben ist abgedruckt u. a. in: Poetzsch-HeJfter. Staatsleben, Teil 3, S. 142; Morsey/ Matthias. Ende der Parteien. S. 428; AdR Schleicher, Dok. Nr. 70, S. 304 f. 30 Germania v. 29. I. 1933. Auch in: Poetzsch-Heffter. Staatsleben, Teil 3. S. 142.
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n) Resümee
die mit earl Schmitt zum Teil eng befreundeten Offiziere Marcks, v. Bredow und Ott teilnahmen. Die Teilnehmer der Besprechung stimmten Hammersteins Anregung zu, den Reichspräsidenten ultimativ zu veranlassen, Hitler nicht zum Kanzler zu berufen; im Falle der Weigerung des Präsidenten sollte der militärische Ausnahmezustand verhängt und der Präsident in der Garnison Potsdam festgesetzt werden. Schleicher verwarf diesen Plan vermutlich deshalb, weil er eine offene Auflehnung gegen Hindenburg für aussichtslos hielt. 31 Noch am 28. Januar 1933 wurde Schleicher von Hindenburg entlassen, zwei Tage später Hitler zu seinem Nachfolger ernannt. n) Resümee
Der Staatsnotstandsplan entstand als Reaktion auf das Scheitern der von Schleicher und Hindenburg im Sommer 1932 gegenüber den Nationalsozialisten eingeschlagenen Politik der "Zähmung". Nach dem Erfolg seiner Partei bei den Reichstagswahlen forderte Hitler die Bildung eines Präsidialkabinetts unter seiner Führung. Da keine Partei so viele Stimmen bekommen hatte wie die NSDAP, entsprach diese Forderung durchaus den Gepflogenheiten des parlamentarischen Regierungssystems. Hindenburg weigerte sich jedoch, Hitler zum Kanzler zu ernennen. Seine Begründung lautete: er könne es nicht verantworten, einer Partei mit Ausschließlichkeitsanspruch - heute würden wir sagen: einer totalitären Partei die gesamte Staatsmacht zu übertragen. Indem Hindenburg einer Partei, deren politische Ziele den Grundprinzipien der Verfassung widersprachen, den Zugang zur Macht verwehrte, entsprach er seinem Verfassungseid. Das Problem des Präsidenten war jedoch, daß er der NSDAP den Zugang zur Macht nicht verwehren konnte, ohne mit dem Wortlaut der Verfassung in Konflikt zu geraten. Seit den Reichstagswahlen war das Parlament zu einer Waffe der radikalen Parteien gegen das Präsidialsystem geworden. Gegen die negative Mehrheit, über die NSDAP und KPD seit dem 31. Juli verfügten, konnte sich die Reichsleitung legal nur noch durch die wiederholte Auflösung des Reichstags zur Wehr setzen. Doch waren diesem Mittel Grenzen gesetzt, da jede Auflösung einen in seinen Auswirkungen auf die politische und wirtschaftliche Lage des Deutschen Reichs verhängnisvollen Wahlkampf nach sich zog. Um dem Teufelskreis immer weiterer Auflösungen und politischer Radikalisierungen zu entgehen, verfiel die Reichsleitung auf den Gedanken, den Reichstag aufzulösen und die dann erforderlichen Neuwahlen - entgegen dem eindeutigen Wortlaut des Art. 25 Satz 2 WRV - auf unbestimmte Zeit zu vertagen. Es war zu erwarten, daß die radikalen Parteien im Falle der Neuwahlverschiebung dem Reichspräsidenten Verfassungsbruch vorwerfen würden. Formal betrachtet, hätten sie mit diesem Vorwurf durchaus Recht gehabt. Denn der Verstoß 31 Vogelsang, Reichswehr, S. 388. Huber. Verfassungsgeschichte, Bd. 7, S. 1258 ff. Huber. Dokumente, Bd. 4, S. 655 ff.
1. Die Geschichte des Staatsnotstandsplans
29
gegen Art. 25 WRV war auch bei wohlwollender Auslegung nicht zu übersehen. Der Präsident hätte, wie am 30. August auf Neudeck geplant, die Abweichung von der Verfassung mit dem Vorliegen eines außergewöhnlichen Staatsnotstands rechtfertigen können. Ob die öffentliche Meinung und der Staatsgerichtshof bereit gewesen wären, ihm diese Rechtfertigung abzunehmen, war nicht mit Sicherheit vorauszusehen. Jedenfalls hätte Hindenburg nur dann eine Chance gehabt, seine Autorität zu wahren, wenn es ihm gelungen wäre, glaubhaft als "Garant der Verfassung" und nicht als Exponent einer "konservativen Revolution" aufzutreten. Die Verschiebung des Neuwahltermins konnte nur gewagt werden, wenn die verfassungswahrende Absicht, die mit der Notstandsaktion verbunden war, außer jedem Zweifel stand. Vor diesem Hintergrund sind die Verfassungspläne Papens und Gayls zu beurteilen. Die Idee einer Verfassungsreform war an sich nicht das Anstößige. Die Notwendigkeit einer solchen Reform wurde nicht nur von konservativer Seite gesehen; auch die Parteien der Weimarer Koalition waren der Überzeugung, daß die Verfassung zumindest einer Überarbeitung in wesentlichen Punkten bedurfte. Anstößig war jedoch die Verquickung der Verfassungsreform mit der geplanten Parlamentsausschaltung - zumal dann, wenn ihr Inhalt sich wie ein Auszug aus dem deutschnationalen Parteiprogramm las. Das Ruchbarwerden der von Papen und Gayl beabsichtigten Verfassungsänderungen und ihrer Durchsetzung im Wege des Oktroys mußte die geplante Notstandsaktion auch in gemäßigten Kreisen der Öffentlichkeit in Mißkredit bringen. Unweigerlich mußte der Eindruck entstehen, es gehe der Reichsleitung bei der Auflösung des Parlaments nicht so sehr um das Gemeinwohl als um die Durchsetzung konservativer Wunschvorstellungen. Schleicher erkannte diese Gefahr spätestens nach Papens Blamage im Reichstag. Das von Ott geleitete Kriegsspiel diente dazu, die ,,konservativen Revolutionäre" aus dem Kabinett zu drängen und einen pragmatischen, auf die Überwindung der wirtschaftlichen Not und die Wiederherstellung geordneter Verhältnisse gerichteten Kurs einzuschlagen. Offensichtlich kam diese Kurskorrektur jedoch zu spät, um das verspielte Vertrauen in die Verfassungsloyalität der Reichsleitung zurückzugewinnen. Die Weigerung der demokratischen Parteien, im Januar 1933 Schleicher gegen Hitler zu stützen, war hiervon die unglückliche Spätfolge. Dabei hatten die Verfassungsbestrebungen Papens und Gayls so gut wie keine Realisierungschance. Sie waren zu keinem Zeitpunkt Gegenstand eines Hindenburgschen Plazets. Der Innenminister hatte am 10. August im Kabinett einen Verfassungsoktroy angeregt; am 30. August, beim Empfang des Reichspräsidenten auf Neudeck, hatte er diesen Gedanken jedoch schon nicht mehr wiederholt. Jetzt war nur noch die Rede von der Vorbereitung eines Verfassungsplebiszits. Aus dem von Meißner gefertigten Protokoll geht nicht hervor, ob und wie der Präsident zu dem Vorhaben Stellung nahm. Aus dem Schweigen des Protokolls darf man aber schließen, daß er ihm weder zustimmte noch widersprach. Am 30. August wurde somit zwar eine Entscheidung hinsichtlich der Vertagung des Neuwahltermins, nicht aber hinsichtlich der Verfassungsfrage getroffen. 32 Ende November, als der Notstands-
30
n) Resümee
plan erneut auf der Tagesordnung stand, ließ der Präsident das Kabinett ausdrücklich wissen, daß er während der parlamentslosen Zeit eine Verfassungsreform nicht wünsche. Hindenburg wollte, wenn er den Notstand ausrief, über jedem Zweifel an seiner grundsätzlichen Verfassungstreue erhaben sein. Schon zu diesem Zeitpunkt, aber erst recht mit der Regierungsübernahme Schleichers waren die konservativrevolutionären Verfassungspläne Papens und Gayls ad acta gelegt. Die historische Bedeutung dieser Pläne liegt denn auch nicht darin, daß sie vom Präsidenten ernsthaft erwogen worden wären, sondern vielmehr darin, daß ihr Ruchbarwerden das Mißtrauen der republikanischen Öffentlichkeit gegen die Neuwahlverschiebung schürte und dadurch den antitotalitären Konsens verhinderte, ohne den eine Diktatur Schleicher im Januar 1933 nicht mehr möglich war. Nach einer Diktatur Schleichers wäre die Rückkehr zum parlamentarischen Regierungssystem nicht unwahrscheinlich gewesen. 33 Die Voraussetzung war die Überwindung der wirtschaftlichen Not und die Mäßigung der politischen Gemüter. Der Konjunkturverlauf der 30iger Jahre wäre einer Entradikalisierung der Weimarer Gesellschaft günstig gewesen. Die "letzte Chance" der Weimarer Republik scheiterte am Ende daran, daß der Reichspräsident das rechtliche Risiko einer Anklage wegen Verfassungsbruchs scheute. Hindenburg war immer wieder vorgeworfen worden, seinen Eid gegenüber dem Kaiser verletzt zu haben, als er im Jahre 1918 mit der Berliner Revolutionsregierung - zur Rückführung und Erhaltung des Heeres - gemeinsame Sache gemacht hatte. Im Jahre 1925 hatte Hindenburg als neu gewählter Präsident einen Eid auf die Weimarer Verfassung geschworen. Im Oktober 1932 waren Zweifel an seiner Verfassungstreue aufgekommen, nachdem der Staatsgerichtshof die Verordnung vom 20. Juli 1932, durch welche die preußische Regierung amtsenthoben wurde, für in wesentlichen Teilen verfassungswidrig erklärt hatte. 34 Ware es erneut zu einer Anklage gekommen, und wäre der Präsident des Verfassungs bruchs oder gar des Hochverrats für schuldig befunden worden, so hätte dies den alten Verdacht der Untreue, der gegen Hindenburg erhoben wurde, auf eine für den Präsidenten höchst kompromittierende Weise bestätigt. Zwei weitere Faktoren kommen hinzu: zum einen die Tatsache, daß der Reichspräsident wegen der dubiosen Schenkung von Gut Neudeck in den Verdacht der Korruption zu geraten drohte, und zum anderen die tragischen Umstände, unter denen sein Vorgänger Ebert verstorben war?S Für Hindenburg muß die Furcht vor einer Huber. Verfassungsgeschichte, Bd. 7, S. 1080. Winkler. Weimar, S. 608. Kolb! Pyta, Staatsnotstandsplanung. S. 181. 34 Preußen contra Reich vor dem Staatsgerichtshof. Mit einem Vorwort von Ministerialdirektor Dr. Brecht, Berlin 1933. Henning Grund, ,Preußenschiag' und Staatsgerichtshof im Jahre 1932, Baden-Baden 1976. 35 Das Eigentum an Gut Neudeck, das Hindenburg anläßlich seines 80. Geburtstags als Geschenk der deutschen Wirtschaft erhalten hatte, war auf den Namen seines Sohnes eingetragen worden, um diesem die Erbschaftssteuer zu ersparen. Vgl. Winkler. Weimar, S. 579. Eberts Tod im Jahr 1925 wurde durch die seelischen Kränkungen mitbedingt, die der von rechts erhobene Vorwurf des Landesverrats und das diesbezügliche Urteil des Magdeburger 32 33
I. Die Geschichte des Staatsnotstandsplans
31
öffentlichen und gerichtlichen Auseinandersetzung um seine Person und seine Amtsführung - zumal in der aufgeheizten Propagandaatmosphäre des Jahres 1932/33 - so peinigend gewesen sein, daß sich mit dieser Furcht hinreichend erklären läßt, weshalb er sich im Januar 1933 überraschend gegen Schleicher stellte und auf einmal Hitler, gegen den er sich bislang gewehrt hatte, zum neuen Regierungschef berief. 36 Nur wenn Schleicher die demokratischen Parteien und damit große Teile der öffentlichen Meinung auf seiner Seite gehabt hätte, wenn er mit anderen Worten auf einen antitotalitären Konsens hätte bauen können, hätte es ihm auch gelingen können, Hindenburg zu überzeugen und den Notstandsplan durchzusetzen. Die demokratischen Parteien - vor allem das Zentrum und die Sozialdemokratie - begingen jedoch den schweren Fehler, eine Diktatur Schleicher mehr zu fürchten als einen Reichskanzler Hitler. Neben ihrem - wie dargelegt nicht ganz unbegründeten Mißtrauen in die Verfassungsintention der Reichsleitung dürfte auch ihr falsch verstandener Begriff von Verfassungsmäßigkeit, oder anders gesagt: ihr Legalismus eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Der demokratische Rechtsstaat war in der Endkrise der Weimarer Republik nur noch gegen den Buchstaben der Verfassung zu retten. Indem aber die demokratischen Parteien gegenüber Schleicher auf strikter Legalität pochten, ebneten sie Hitler den Weg an die Macht. 37
Amtsgerichts für den ersten Präsidenten der Republik bedeuteten. Vgl. Winkler, Weimar, S. 276 f. 36 Über das Eidestrauma des greisen Hindenburgs siehe Carl Schmitt im Gespräch mit Dieter Groh und Klaus Figge, in: Piet Tommissen (Hrsg.), Over en in zake earl Schmitt, Brüssel 1975, S. 96 ff. wie auch die Äußerung Schmitts in Verfassungsrechtliche Aufsätze, Berlin 1958, S. 350: "Sowohl die Situation wie das neue Selbstbewußtsein des Reichspräsidenten Hindenburg waren von dem neu hinzutretenden Kampfmittel, der Drohung mit Prozessen vor dem Staatsgerichtshof, in ihrem innersten Nerv getroffen." 37 Vgl. Schmitts bemerkenswerten Tagebucheintrag vom 22. I. 1933: "Braun und Kaas erzwingen Hitler. Das ist ihr Triumph." HStAD/RW 336/13, S. 4. Siehe auch Winkler, Weimar, S. 594.
2. earl Schmitts Beteiligung am Staatsnotstandsplan Gegen Ende der 20er Jahre wechselte Carl Schmitt von der Universität Bonn an die Berliner Handelshochschule. I Hier, in der Reichshauptstadt, schrieb er den "Hüter der Verfassung", eine Abhandlung, die ihn als versierten und ideenreichen Verfechter des Präsidialsystems auswies und zum gefragten Rechtsberater der Reichsleitung machte. Schmitt verfaßte Gutachten, in denen es um die verfassungsrechtliche Stellung der Präsidialregierung ging, und entwickelte einen regen, zum Teil freundschaftlichem Kontakt zu Ministern und hohen politischen Beamten. Weithin sichtbar wurde Schmitts Nähe zur Reichsleitung, als er im Oktober 1932 vor dem Staatsgerichtshof - in der Sache Preußen contra Reich - mit geteiltem Erfolg für die Reichsregierung plädierte. Etwa seit Mitte des Jahres 1932 gestalteten sich Schmitts Beziehungen zur Wehrmachtsabteilung, des politischen Zentrums der Reichswehr, besonders eng. Daß Schmitt über Regierungsinterna aus erster Hand unterrichtet war, belegen die Quellen aus seinem Nachlaß, auch wenn Einzelheiten - aufgrund des vorwiegend gesprächsweisen und zum Teil geheimen Charakters der Beziehungen Schmitts zur Wehrmachtsabteilung - nur in den wenigsten Fällen inhaltlich exakt rekonstruierbar sind.
a) Die Erinnerungen Hubers
Aus den Erinnerungen des verstorbenen Ernst Rudolf Huber, der in der fraglichen Zeit ein enger Schüler und Mitarbeiter Schmitts war, geht hervor, daß Schmitt in die Notstandsplanungen der Reichsleitung unmittelbar eingeschaltet war? Huber berichtet, wie er von Schmitt den geheimen Auftrag erhielt, sich in der Nacht zum 28. August 1932 mit einigen Offizieren der Wehrmachtsabteilung - es handelte sich um den schon im ersten Kapitel erwähnten Oberstleutnant Ou sowie die Hauptleute Böhm und v. Carlowitz - in Schmitts Berliner Wohnung zu treffen, um den Militärs in gewissen Rechtsfragen zur Verfügung zu stehen. 3 Der Grund der I Zu den biographischen Angaben zu Schmitt vgl. im allgemeinen die Darstellungen von Bendersky, Theorist for the Reich, Koenen, Der Fall Carl Schmitt und Noack, Carl Schmitt. 2 Ernst Rudolf Huber, Carl Schmitt in der Reichskrise der Weimarer Endzeit, in: Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 28. Sonderseminars der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, hrsg. v. Helmut Quaritsch, Berlin 1988, S. 33 ff. 3 Hubers Bericht wird durch einen im Schmitt-Nachlaß auffindlichen Brief bestätigt: Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Schreiben vom 28. August 1932, HStAD I RW 265 - 6256. Ich danke Gabriel Seiberth für den Hinweis.
2. earl Schmitts Beteiligung arn Staatsnotstandsplan
33
Zusammenkunft war der am 10. August im Kabinett beratene und am 30. August vom Reichspräsidenten sanktionierte Notstandsplan. Im Einzelnen ging es um: - die Formulierung der für den Fall der Inkraftsetzung des Plans erforderlichen Notverordnungen, und - die Ausarbeitung eines diese Maßnahmen rechtfertigenden Aufrufs des Reichspräsidenten an die Nation. Der Inhalt der in den Notverordnungen angekündigten und durch den Aufruf des Reichspräsidenten politisch zu begründenden Maßnahmen war ein generelles Verbot der radikalen Parteien - KPD und NSDAP - sowie die eventuell notwendig werdende militärische Niederhaltung der Kampfverbände dieser Parteien. 4 Huber zufolge hatten zwischen Schmitt und dem im Reichswehrrninisterium federführend mit der "erweiterten Anwendung des Art. 48" beauftragten General v. Bredow während des August bereits mehrere Treffen stattgefunden. In diesen Treffen waren die Grundzüge des Vorgehens vorab festgelegt worden, so daß es in der Nacht zum 28. August nur noch um Detail- und Formulierungsfragen ging. Leider existieren heute weder die damals ausgearbeiteten Verordnungsentwürfe noch die Aufzeichnungen, die Huber sich damals machte; die einen wurden nach der Machtergreifung vernichtet, die anderen gingen während des Krieges verloren. s Eine wichtige Stütze erhält Hubers Bericht durch ein Dokument, das sich in den Akten der Reichskanzlei findet. Wie erinnerlich, erwähnte Schleicher in der Ministerbesprechung vom 14. September 1932 eine Aussprache, die Oberstleutnant Ott am Vortag mit den drei Staatsrechtslehrern Schmitt, Bilfinger und Jacobi gehabt hatte. Über diese Aussprache hatte Ott eine Vortrags-Notiz angefertigt, die der Reichswehrminister dem Kabinett zur Kenntnis übergab. 6 Der Notiz zu folge hatte Ott den Staatsrechtslehrern drei konkrete Fragen vorgelegt, von denen die ersten beiden den vor dem Staatsgerichtshof anhängigen Prozeß betrafen, während die dritte, hier interessierende Frage sich auf den Notstandsplan bezog; sie lautete: "Ist die Verschiebung der Neuwahlen staatsrechtlich zu decken?" Schmitt wie auch seine Kollegen bejahten diese Frage, indem sie zur Antwort gaben: "Wenn Verschiebung der Neuwahl gestützt wird auf Verfassungseid (Schaden vom Volke abzuwenden) und begründet wird mit der schweren gegenwärtigen Notlage des deutschen Volkes, das unbedingt Ruhe braucht, so entsteht echtes Staatsnotrecht. "
4 Siehe hierzu die Dokumentation von Waijram Pyta, Vorbereitungen für den Ausnahmezustand unter Papen / Schleicher, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen, Bd. 51, 1992, S. 385 ff. 5 Huber; earl Schmitt in der Reichskrise, S. 40. 6 AdR Papen, Dok. Nr. 141, S. 580. Siehe vom S. 21. Vgl. auch Helga Wann, Legalität und Legitimität - Eine fast vergessene "Vortragsnotiz" aus dem Reichswehrministerium, in: Der Staat, Bd. 27, 1988, S. 75 ff.
3 Berthold
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a) Die Erinnerungen Hubers
Außerdem notierte Ott, daß man sich zur juristischen Deckung der gegen den Art. 25 WRV verstoßenden Verschiebung des Wahltennins fest auf die drei Staatsrechtslehrer verlassen könne. Der Bericht Hubers und die Ottsche Vortrags-Notiz zeigen, wie intensiv Schmitt an den Planungen der Reichsregierung beteiligt war. Er war nicht nur in die Vorgänge eingeweiht, er wurde nicht nur als bekannter Verfassungsjurist seitens der Wehnnachtsabteilung um seine Expertise gebeten, er war auch maßgeblich an der Fonnulierung der geplanten Notverordnung beteiligt. Die von Ott gefertigte Vortrags-Notiz erweist Schmitt eindeutig als Befürworter des Notstandsplans; er gab als Berater der Wehnnachtsabteilung zur Auskunft, daß sich ein Verstoß gegen den Wortlaut der Verfassung aus höheren, dem Eid des Reichspräsidenten zu entnehmenden Gründen rechtfertigen lasse. Außerdem arbeitete Schmitt, wie von Huber berichtet, in enger Zusammenarbeit mit der Wehnnachtsabteilung die konkreten juristischen Aspekte eines Verbots der radikalen Parteien aus. Im Herbst 1932 änderte Schmitt seine Meinung jedoch. Huber berichtet, sein Lehrer habe dem Notstandsplan jetzt mit größter Skepsis gegenübergestanden. Anschaulich schildert er den beklemmenden Eindruck, den der Verkehrsarbeiterstreik - anläßlich eines gemeinsamen Spaziergangs durch die ausgestorbenen Straßen Berlins - bei Schmitt hinterlassen habe: ,,Ich war seit Anfang November, Schmitts Wunsch folgend, wieder in Berlin. Zusammen mit Schmitt und Otto Kirchheimer ging ich am Wahlsonntag durch die streikgelähmte, gespenstisch verödete Reichshauptstadt. Schmitt und Kirchheimer stimmten, bei sonst entgegengesetzten Anschauungen, darin überein, daß eine aus der gemeinsamen Streikbewegung erwachsende, gleichzeitige Erhebung der beiden durch nichts als die radikale Ablehnung der Regierung, der bürgerlichen Parteien und überhaupt der bürgerlichen Gesellschaft verbundenen extremen Bewegungen der Anfang vom Ende des Reichs sein werde. Im Beisein von Kirchheimer wurde vom Staatsnotstand nicht gesprochen. Aber es lag nach Schmitts Äußerungen über die nach seiner Ansicht bedrohte Lage auf der Hand, daß er den Rückgriff auf den am 30. August vom Reichspräsidenten sanktionierten Notstandsplan im November 1932 für ein hoffnungsloses Unternehmen hielt.,,7 Ohne Zweifel war Schmitt über das Ergebnis der von Ott geleiteten Kriegsspielstudie und das politische Umdenken, das sie in der Wehnnachtsabteilung ausgelöst hatte, genau infonniert. Wie Schleicher, Ott und die gesamte Wehnnachtsabteilung, so war auch Schmitt im Prinzip für die Ingangsetzung des Notstandsplans, nur eben nicht, solange der unglücklich operierende und unter starkem Autoritätsverlust leidende Papen die politische Führung besaß. Wahrend das bislang Gesagte als relativ unstrittig gelten kann, erhebt sich nun die Frage, zu welcher Ansicht Schmitt im Januar 1933 gelangte. Man sollte annehmen, daß er, wie auch Schleicher, die Ausführung des Plans nun wieder befürwortete. Eben dies behauptet Huber, wobei sich dieser jedoch nicht mehr auf persönli-
7
Huber, earl Schmitt in der Reichskrise, S. 46.
2. Carl Schmitts Beteiligung am Staatsnotstandsplan
35
ehe Erinnerungen, sondern lediglich auf den schon erwähnten Brief des Prälaten Kaas stützen kann. 8 Kaas hatte, wie erinnerlich, der Reichsleitung politische und juristische Konsequenzen angedroht für den Fall, daß diese gegen den Art. 25 WRV verstoßen sollte. Dabei hatte er bezeichnenderweise den Namen Carl Schmitts genannt, dem er offensichtlich einen nicht unmaßgeblichen Einfluß auf die juristische Meinungsbildung innerhalb der Reichsleitung zuschrieb. Die Schmitt betreffende Passage des an den Reichskanzler gerichteten Schreibens lautete: ,.Auf Grund einer Andeutung Ihrerseits gelegentlich unserer letzten persönlichen Besprechung habe ich die von verschiedenen Seiten ins Feld geführten juristischen Konstruktionen zugunsten einer sogenannten notstandsrechtlichen Verschiebung des Wahltermins einer eingehenden Prüfung unterworfen und möchte nicht verfehlen, Ihnen von dem Ergebnis dieser Prüfung in aller Offenheit Kenntnis zu geben. So wie ich damals schon mit Nachdruck mich gegen die das gesamte Staatsrecht relativierenden Grundtendenzen von Karl Schmitt und seinen Gefolgsmännern aussprach, so kann ich auch in diesem besonderen Falle nur eindringlichst vor dem Beschreiten des Weges warnen, dessen juristische Rechtfertigung unmöglich ist."g Kaas setzte in seinem Schreiben voraus, daß die Verschiebung der Neuwahl einen klaren Verfassungsbruch darstelle, und er machte Schmitt dafür verantwortlich, wenn die Reichsleitung glaubte, dieser Bruch lasse sich aus Gründen des Notstands juristisch decken. Nicht nur Huber, auch viele andere Schmitt-Kenner sahen und sehen in dem Schreiben des Zentrumsvorsitzenden den authentischen Beleg dafür, daß Schmitt nicht nur im Sommer 1932, was unstrittig ist, sondern auch zu Beginn des Jahres 1933 für die Wahlverschiebung eingetreten sei. 10
b) earl Schmitts Dementi So plausibel die Dinge sich auf den ersten Blick ausnehmen, man darf nicht vergessen, daß Schmitt selbst es war, der dementiert hat, literarisch als Befürworter des Staatsnotrechts hervorgetreten zu sein oder sich als solcher hinter den Kulissen betätigt zu haben. Am 30. Januar verfaßte Schmitt eine an Kaas gerichtete Antwort, worin er dessen Insinuationen verärgert zurückwies. 11 Sein Bestreben als Staatsrechtslehrer sei es stets gewesen, den zentralen Sinn der Weimarer VerfasSiehe vorn S. 27. Germania v. 29. 1. 1933. Abgedruckt u. a. in: Poetzsch-Heffter. Staatsleben, Teil 3, S. 141 f. und Morsey/Matthias, Ende der Parteien, S. 428. 10 Vgl. die Aussprache zum Huber-Vortrag in: Complexio Oppositorum, S. 51 ff. Der Darstellung Hubers wurde bemerkenswerterweise von keinem der Anwesenden widersprochen. 11 Abgedruckt in: Complexio Oppositorum, S. 53 f. In seinem Tagebuch vermerkte Schmitt, daß ihn der Brief "sehr aufgeregt" habe: "So wird der Alte gezwungen, Hitler zu ernennen". HStAD/RW 265 -336113. S. 9. Der um seine juristische Reputation besorgte Schmitt schickte eine Abschrift seines Schreibens zugleich an Schleicher und Hindenburg. 8
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c) Die Alternative
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sung hervorzuheben und ihrem Mißbrauch durch die Parteien entgegenzuwirken. Im übrigen, so erklärte Schmitt, habe er sich zu der Frage des Staatsnotrechts "im Unterschied von anderen Kollegen bisher nur mit größter Zurückhaltung geäußert". Freilich war das inmitten der Ereignisse gesagt und muß deshalb nicht viel bedeuten. Möglicherweise waren es ganz handgreifliche Opportunitätsgründe, die Schmitt damals bewogen, seine Beteiligung an den Plänen des politisch erledigten Schleicher zu leugnen. Doch sollte zu denken geben, daß Schmitt auch im distanzierten Rückblick sein Dementi aufrecht erhielt und sogar noch einmal bekräftigte. Anläßlich des Wiederabdrucks seiner Schrift "Legalität und Legitimität" bestritt er erneut, ein Befürworter des Staatsnotrechts gewesen zu sein. Vielmehr habe er sich aus der Erkenntnis der politischen Lage heraus dafür eingesetzt, die Weimarer Verfassung mit allen zu Gebote stehenden legalen - aber eben nur legalen - Mitteln gegen den Angriff der radikalen Parteien zu verteidigen: ,,An dem Gerede von Staatsnotstand habe ich mich nie beteiligt, weil ich wußte, daß damit die Legalität einer Verfassung nur ihren Feinden ausgeliefert wird und weil ich der Meinung war, daß die legalen Möglichkeiten, verbunden mit den Prämien auf dem legalen Machtbesitz, noch keineswegs erschöpft waren.,,12
Schmitt gehörte also, wenn wir seiner Andeutung Vertrauen schenken wollen, nicht zu den Anhängern eines staatsnotrechtlichen Abgehens von der Verfassung; vielmehr war er der Meinung, daß die "legalen Möglichkeiten", über weIche die Regierung Schleicher im Kampf gegen Hitler im Januar 1933 noch verfügte, nicht ausgeschöpft waren. Worin also, so bleibt zu fragen, könnte Schmitt jene legalen, noch ungenutzten Möglichkeiten gesehen haben?
c) Die Alternative
Um diese Frage zu beantworten, lohnt es sich, noch einmal auf die Kabinettssitzung vom 16. Januar 1933 zurückzukommen. 13 In dieser Sitzung wurde letztmalig im Kreise der Regierung über den Notstandsplan gesprochen. Die Minister faßten den Beschluß, den Reichspräsidenten um die Auflösung des Reichstags und die Verschiebung der Neuwahl zu ersuchen. Als Anlage zum Protokoll der Sitzung findet sich in den Akten der Reichskanzlei ein "Vortrag" aus dem Reichswehrministerium, abgezeichnet von Ott und dessen Mitarbeiter Böhm. Der Titel des Vortrags lautet: "Betr.: Vorgehen gegen den Reichstag" .14 Es ist nicht völlig klar, ob dieser Vortrag in der Kabinettssitzung tatsächlich gehalten wurde und ob er Gegenstand der ministeriellen Beratungen war. Dagegen spricht, daß das Protokoll selbst keiSchmitt, VerfassungsrechtIiche Aufsätze, S. 350. Siehe vom S. 25. 14 AdR Papen, Dok. Nr. 56, S. 241 ff. Der Vortrag, von dem hier die Rede ist, ist natürlich nicht zu verwechseln mit der ebenfalls von Ou unterzeichneten Vortrags-Notiz vom 13. September 1932; siehe vorn S. 21 sowie Anhang Nr. 1, S. 78. 12
13
2. earl Schmitts Beteiligung am Staatsnotstandsplan
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nen Bezug auf den Vortrag nimmt. Möglich ist also, daß der Vortrag dem Protokoll erst nachträglich hinzugefügt wurde, wohl in der Absicht, seinen Inhalt bei nächster Gelegenheit den Ministern zur Kenntnis zu bringen. Zweifelhaft ist auch die Autorenschaft des Vortrags; klar ist nur, daß er von den abzeichnenden Offizieren der Wehrmachtsabteilung unterstützt und deshalb ins Kabinett geleitet wurde. Was den Vortrag aus der Wehrmachtsabteilung in unserem Zusammenhang so interessant macht, ist, daß in ihm verschiedene Möglichkeiten erörtert werden, wie Neuwahlen zum Reichstag vermieden werden könnten. Bislang war im Kabinett ja immer nur von einer Möglichkeit, nämlich der Durchbrechung des Art. 25 WRV die Rede gewesen. Die drei Wege, die der Vortrag in Betracht zog, waren dagegen: 1. Auflösung des Reichstags bei Bevorstehen eines Mißtrauensvotums und Aussetzung der Neuwahlen. 2. Zwangsvertagung des Reichstags. 3. Nichtanerkennung eines Mißtrauensvotums und Bestätigung der Regierung durch den Reichspräsidenten. Auf den ersten dieser drei Wege ging der Vortrag nur mit wenigen Worten ein, da man das pro und contra einer Reichstagsauflösung unter Aussetzung der Neuwahlen als hinlänglich bekannt voraussetzen konnte. Zwar sei die völlige Ausschaltung des Reichstags im Wege der Durchbrechung des Art. 25 WRV von großem Vorteil, doch stehe dem als Nachteil gegenüber, daß sich die Regierung ständig dem über Parteiagitation verbreiteten Vorwurf des Verfassungsbruchs ausgesetzt sehen werde. Der Autor des Vortrags ging davon aus, daß man es äußerst schwer haben werde, diesem Vorwurf etwas Entkräftendes entgegenzusetzen. Den Vorteil des zweiten Weges, also der Zwangsvertagung des Reichstags durch den Reichspräsidenten, sah er darin, daß die Entscheidung über die Dauer der Vertagung den Parteien selbst zugeschoben würde; sobald diese einen "Vorschlag zu positiver Mehrheit und Arbeit" machten, könne auch wieder über die Einberufung des Reichstags gesprochen werden. Der Nachteil lag allerdings auch hier auf der Hand: die Zwangsvertagung war ein ebenso klarer Verstoß gegen den Wortlaut der Verfassung wie die Verschiebung der Neuwahl. 15 Insofern wäre mit der Begehung des zweiten Weges nicht viel gewonnen gewesen; der Vorwurf der Verfassungsverletzung war auch hier zu erwarten. Der Autor des Vortrags, der die Handschrift eines erfahrenen Verfassungsjuristen trug, machte denn auch klar, daß er den dritten Weg als den vorteilhaftesten ansah: Die Nichtanerkennung eines Mißtrauensvotums stelle den "verhältnismäßig geringsten Konflikt mit der Verfassung dar", da dieser Schritt durch ein umfangreiches staatsrechtliches "Schrifttum über die Unbrauchbarkeit des Artikels 54" gedeckt werde. Von Nachteil sei lediglich, daß der Reichstag, wenn er nicht aufgelöst oder vertagt werde, weiterhin destruktive "Agitationsbeschlüsse" gegen die Regie-
15
Nach Art. 24 WRV war die Vertagung des Reichstags nur durch diesen selbst zulässig.
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d) Neue Funde aus dem Nachlaß
rung fassen könne. Doch glaubte der Autor diesen Nachteil nicht so hoch bewerten zu müssen, da für den Fall eines ernsthaften Konflikts zwischen dem Reichstag und der Reichsregierung die ultima ratio einer Auflösung immer noch offengestanden hätte. Von Interesse war auch die abschließende Bemerkung des Vortrags: Die Nichtanerkennung eines Mißtrauensvotums entspreche den Grundzügen, nach denen eine "künftige Verfassungsreform" verfahren müsse; einem Mißtrauensvotum könne nur dann Rechtswirksamkeit beigemessen werden, wenn hinter ihm der "positive Wille einer Mehrheit zu anderer Gestaltung der Politik" stehe.!6
d) Neue Funde aus dem Nachlaß Was hat der soeben referierte Vortrag aus der Wehrmachtsabteilung mit Carl Schmitt zu tun? Wie in der Einleitung angedeutet, enthält der Nachlaß Schmitts einige in unserem Zusammenhang interessante Dokumente, darunter ein bislang unbekanntes "Papier", das dem Verfasser des Vortrags offensichtlich als Vorlage gedient hatte. Es trägt den Titel "Wie bewahrt man eine arbeitsfähige Präsidialregierung vor der Obstruktion eines arbeitsunwilligen Reichstages mit dem Ziel, die Verfassung zu wahren".!7 Der Verfasser dieses "Papiers" ist nicht Schmitt selbst, sondern ein gewisser Horst Michael, der seit Mitte des Jahres 1932 im politischen Berlin eine Rolle als Bote zwischen Schmitt und der Wehrmachtsabteilung spielte.!8 Michael besuchte Schmitts Berliner Seminar über verfassungsrechtliche Fragen und war stark von dessen Theorien beeinflußt.!9 Es besteht - nicht zuletzt auf Grund der Tagebucheinträge Carl Schmitts 20 - kein Zweifel, daß das von 16 Die "künftige Verfassungsrefonn" ließ länger auf sich warten, als der Autor des Vortrags vennutet hatte. Sie kam erst mit der Verabschiedung des "konstruktiven Mißtrauensvotums" im Bonner Grundgesetz. Siehe dazu meinen Aufsatz: Das Konstruktive Mißtrauensvotum und seine Ursprünge in der Weimarer Staatsrechtslehre, in: Der Staat, Bd. 36, 1997, S. 81 ff. 17 HStAD/RW 265 -51 M9. Genau genommen handelt es sich nicht um ein ausgearbeitetes Gutachten, sondern eher um hastig niedergeschriebene Stichworte zu einem solchen. Siehe Anhang Nr. 2, S. 80. 18 Darüber infonniert im einzelnen: Pyta. Verfassungsumbau. S. 180 ff. Der wichtige. bislang unbekannte Tatsachen ans Licht bringende Aufsatz basiert auf umfangreichen Quellenstudien. 19 Die Beeinflussung Horst Michaels durch Carl Schmitt ergibt sich aus dessen zum Teil veröffentlichten, zum Teil unveröffentlichten Arbeiten: Horst MichaelI Karl Lohmann. Der Reichspräsident ist Obrigkeit - Ein Mahnruf an die evangelische Kirche. 1932. Ders., Hindenburg regiert!, in: Tägliche Rundschau v. 18. August 1932. Ders.1 Frank Glatzei, Ja und nein um die Verfassung - Die These von der Schein-Koalition, in: Vossische Zeitu-ng v. 2. September 1932. Ders., "Legal" und "Legitim", in: Berliner Börsen-Courier v. 30. August 1932. Ders., Naturrecht, Legalität und das Zentrum, in: Der Ring, H. 33, 1932, S. 548 ff. Ders., Der Eid des Reichspräsidenten, Manuskript, in: HStAD/RW 265-422/9. Ders., Entwurf für die Kundgebung des Reichspräsidenten, Manuskript 1932, in: HStAD I RW 265206/13. 20 Das Tagebuch Schmitts wird zur Zeit von Gabriel Seiberth und Wolfgang Pyta bearbeitet.
2. Carl Schmitts Beteiligung arn Staatsnotstandsplan
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Michael verfaßte "Papier" von Schmitt instruiert wurde und in der juristischen Argumentation dessen Auffassung wiedergab. Ebenso wie der in die Akten der Reichskanzlei gelangte Vortrag aus der Wehrmachtsabteilung ging das "Papier" davon aus, daß es im Prinzip die drei schon behandelten Möglichkeiten gab, die Regierung vor der Obstruktion des Reichstags zu bewahren. Ausführlicher als im Vortrag selbst, der offensichtlich nur eine knappe (möglicherweise von Schmitt selbst gefertigte) Zusammenfassung der von Michael zusammengestellten Gesichtspunkte bot, wurde das Pro und Contra der drei Wege erörtert, wobei die Motive, die hinter der letztlich favorisierten Lösung standen, deutlicher als in dem Vortrag hervortraten. Der offene Bruch mit der Verfassung wurde abgelehnt, da zu seiner Verteidigung kaum "verfassungsrechtliche Argumente (Staatsnotstand etc.)" zur Verfügung stünden. Dagegen bedeute die Nichtanerkennung eines Mißtrauensvotums die "sinnvolle Korrektur eines Verfassungsartikels, durch die die Verfassung gerettet und wiederhergestellt, nicht aber infolge der Ausschaltung der Volksvertretung noch mehr lahmgelegt wird." Dem Reichstag geschehe keine Gewalt, es werde ihm kein Recht genommen, sondern es werde lediglich einem "Mißbrauch seiner Rechte" die Anerkennung verweigert. Dieses Verfahren lasse sich auch vor der öffentlichen Meinung rechtfertigen, wobei die Reichsleitung sich auf "staatsrechtliche Forderungen aus allen Parteilagern" stützen könne, die auf "derselben Linie" lägen. Einen weiteren Vorteil des von ihr empfohlenen Verfahrens sah der Autor des ,,Papiers" darin, daß die Reichsleitung einen die Verfassung de facto wandelnden ,,Präzedenzfall" schaffen könne: Der Reichstag werde in Zukunft keine Regierung mehr durch ein negatives Mißtrauensvotum stürzen, wenn die Reichsleitung im gegenwärtigen Augenblick den Mut habe, sich mit der Nichtanerkennung eines solchen Mißtrauensvotums durchzusetzen. Der Nichtanerkennung sollte eine politische Kundgebung des Reichspräsidenten vorausgehen. In Schmitts nachgelassenen Unterlagen läßt sich tatsächlich der ausgearbeitete ,,Entwurr' zu einer solchen Kundgebung finden?l Auch hier ist nicht mit Sicherheit zu klären, wer der Verfasser dieses Entwurfs war. Gleichwohl war es Schmitt, der den Entwurf, zusammen mit aus eigener Feder stammenden "Stichworten" für die politische Argumentation, am 13. Januar 1933 an Reichsinnenminister Bracht schickte. 22 Aus dem Entwurf geht hervor, daß Hindenburg vor der Öffentlichkeit folgende Erklärung abgeben sollte: Der Reichstag habe seit dem Jahre 1930 seine verfassungsmäßigen Pflichten insbesondere der Gesetzgebung nicht mehr erfüllt, und deshalb habe sich der Reichspräsident gezwungen gesehen, an Stelle der ordentlichen Gesetzgebung Notverordnungen zu erlassen. Er, der Reichspräsident, halte es für unheilvoll, wenn der Reichstag nunmehr den Versuch machen sollte, die Regierung an ihrer Arbeit zu hindern und die Aufhebung der Nachlaß Schmitt, HStAD/RW265-206/M6. Siehe Anhang Nr. 3, S. 86. Brief Schmitts an Bracht v. 13. Januar 1933, HStAD/RW 265 -12835. Brief Brachts an Schmitt v. 17. Januar 1933, HStAD/RW 265-1976. Siehe Anhang Nr. 4, S. 87. 21
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e) Resümee
letzten Notverordnungen zu erzwingen. Hierdurch werde ein gesetzloser Zustand herbeigeführt. Durch seinen Eid sehe er sich verpflichtet, die Verfassung des Deutschen Reiches zu wahren und zu ihrem Schutz gegen das unverantwortliche Treiben der Parteien alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Von einer Auflösung der Reichstags mit Neuwahlen sehe er ab, da hierdurch der innere Frieden noch weiter zerrüttet und das Wirtschaftsleben schwer gestört werde. Jedoch sei er gewillt, den Reichstag nicht mehr als eine Volksvertretung im Sinne der Reichsverfassung zu betrachten, wenn dieser seine verfassungsmäßigen Rechte dazu mißbrauche, einer Regierung, die an seiner Stelle die Arbeit tue, in den Rücken zu fallen.
In den von Schmitt verfaßten politischen Stichworten, die als weitere, die Erklärung des Reichspräsidenten flankierende Argumentationshilfe gedacht waren, hieß es wörtlich: ,,Es gibt Parteien, die sich nichts daraus machen, mit feindlichen Parteien zusammen, denen gegenüber sie jede positive Zusammenarbeit empört ablehnen würden, ein Mißtrauensvotum zu beschließen, obwohl ein solches negatives Mißtrauensvotum, dem keine Fähigkeit oder Bereitschaft zur Übernahme der Regierung entspricht, ein offensichtlicher verfassungswidriger Mißbrauch ist, und den Boden des parlamentarischen Systems zerstört. Es ist gegenüber dieser vergifteten Atmosphäre Aufgabe der Regierung, wieder einen Boden zu gewinnen, von dem aus Recht und Verfassung eine sinnvolle Ordnung und nicht ein System vergifteter Waffen des Partei kampfes sind."
Die Absicht, die hinter dem von Schmitt - über Horst Michael und die Wehrmachtsabteilung - ins Kabinett lancierten Altemativplan stand, war klar: Es sollte verhindert werden, daß sich die Parteien als die wahren Verfassungshüter aufspielten, während die Reichsleitung in den Ruf des Verfassungsbrechers geriet. Durch die Nichtanerkennung eines destruktiven Mißtrauensvotums sollte den Parteien die Verantwortung für ihr eigenes Tun zugeschoben werden. Solange diese nur ihre Unfähigkeit zu positiver Mehrheitsbildung und konstruktiver Arbeit unter Beweis stellten, sollte dem Reichstag die ihm von Verfassungswegen zustehende Rolle als maßgeblicher Faktor der politischen Willensbildung versagt bleiben. Es wären in den Augen der Öffentlichkeit somit die Parteien und nicht die Reichsleitung gewesen, die den Reichstag an der Ausübung seines eigentlichen Verfassungsauftrags hinderten.
e) Resümee
Die Frage, ob Schmitt ein Anhänger des Staatsnotstandsplans war, ist mit einem einfachen Ja oder Nein nicht zu beantworten. Richtig ist, daß Schmitt im September 1932 gegenüber der Wehrmachtsabteilung die Zusage gab, die Reichsleitung könne sich im Falle einer Neuwahlverschiebung auf seinen juristischen Beistand verlassen. Ebenso richtig ist aber auch, daß Schmitt im Januar 1933 sich darum
2. earl Schmitts Beteiligung am Staatsnotstandsplan
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bemühte, der Reichsleitung einen fonnalrechtlich weniger bedenklichen Alternativplan nahe zu bringen, indem er seine Autorität als einer der führenden Staatsrechtslehrer für den Vorschlag einsetzte, den Reichstag bestehen zu lassen, wohl aber einem negativen Mißtrauensvotum die Anerkennung zu verweigern. Kaas, der Führer der Zentrumspartei, irrte also, wenn er meinte, in Schmitt den Advokaten eines Verfassungsbruchs anprangern zu müssen. Bleibt zu fragen, wie Kaas überhaupt auf diese Idee kommen konnte? Am 16. Januar 1933 fand zwischen dem Reichskanzler und dem Zentrumsführer eine Unterredung statt. Ihr Gegenstand dürfte die am gleichen Tag im Kabinett beschlossene Verschiebung der Neuwahl gewesen sein. 23 Vennutlich gab Schleicher - unter Bezugnahme auf die von Ott verfaßte Vortragsnotiz vom 13. September 1932 - seinem Gegenüber zu erkennen, daß sich mehrere Staatsrechtslehrer, unter ihnen Schmitt, bereit erklärt hätten, den darin liegenden Verstoß gegen Art. 25 WRV mit ihrer Autorität zu decken. Trifft diese Vennutung zu, dann würde sich auch die Fonnulierung "Karl Schmitt und seine Gefolgsmänner" erklären lassen, die Kaas einige Tage später in seinem offenen Schreiben an die Reichsleitung verwendete. Ware es nach Schmitt gegangen, so hätte Schleicher den Reichspräsidenten am 23. Januar 1933 nicht um die Ausrufung des Staatsnotstands und die unbefristete Auflösung des Reichstags ersucht, sondern ihm eine Erklärung zur Unterzeichnung vorgelegt, wonach der Präsident beabsichtige, unzulässigen, weil negativen Mißtrauensvoten künftig die Anerkennung zu verweigern. Damit wäre der Furcht Hindenburgs vor einer Präsidentenanklage die Spitze gebrochen worden. Sicherlich hätte auch die Nichtanerkennung eines Mißtrauensvotums einen Verstoß gegen die Verfassung bedeutet. Doch wäre der Verstoß dieses "milderen Weges", wie er in dem Michael-Papier hieß, vergleichsweise geringfügig gewesen, so daß sich das Risiko für den Präsidenten in Grenzen gehalten hätte. Die Nichtanerkennung eines negativen Mißtrauensvotums hätte sich - wie ich im nächsten Kapitel ausführlich darlegen möchte - mit überzeugenden und nur schwer zu entkräftenden juristischen Argumenten verteidigen lassen. Eine Verurteilung Hindenburgs wegen schuldhafter Verletzung der Verfassung wäre daher unwahrscheinlich gewesen. Es besteht kein Zweifel, daß der von Schmitt in Vorschlag gebrachte Alternativplan die Zustimmung der Wehnnachtsabteilung hatte. Sonst wäre er nicht von den Offizieren Ott und Böhm abgezeichnet und ins Reichskabinett geleitet worden. Um so erstaunlicher ist es, daß der Plan ohne historische Wirkung blieb. Warum legte sich das Kabinett am 16. Januar auf den ersten Weg fest? Und warum ersuchte Schleicher den Reichspräsidenten am 23. Januar um dessen Zustimmung 23 Siehe dazu den informierten Bericht in der Tägliche Rundschau v. 18. Januar 1933. Die, wie man wußte, von Schleicher gesponserte Tägliche Rundschau beschäftigte sich über einen längeren Zeitraum mit den Staatsnotstandsplänen. Mehrfach wurde in diesem Zusammenhang auch der Name Schmitts erwähnt. Siehe etwa den Artikel von Hans Beye" Erinnerung an die Verfassung, 20. Januar 1933, S. 1. Auch das Mitteilungsblatt der Deutschen Zentrumspartei, 4. Jg, Nr. 112, 1933, S. 7 f. beschäftigte sich nach dem Treffen zwischen Schleicher und Kaas ausführlich mit Schmitts vermeintlicher Staatsnotstands-Theorie.
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e) Resümee
zur Neuwahlverschiebung, ohne ihm die verfassungsrechtlich weit weniger bedenkliche Alternative zur Kenntnis zu bringen? Man kann über diese Fragen auf Grund des Fehlens gesicherter Quellen leider nur spekulieren. So weit ich sehe, bietet sich aber folgende Erklärung als die plausibelste an: Am 16. Januar lag den Ministern der Alternativvorschlag noch gar nicht vor. Die diesbezügliche Vortragsnotiz wurde erst am 21. Januar von den Offizieren der Wehnnachtsabteilung abgezeichnet und daraufhin zu den Akten der Reichskanzlei gegeben. Bei ihrer Sitzung hatten die Minister noch gar nicht die Befürchtung, daß der Reichspräsident seine im vergangenen Sommer gegebene und im Herbst wiederholte prinzipielle Zustimmung zur Neuwahlverschiebung mit einem Mal zurückziehen und stattdessen Hitler zum neuen Reichskanzler berufen würde. Es gab am 16. Januar also noch gar keinen Grund, über einen anderen als den bislang ins Auge gefaßten Weg nachzudenken. Erst nachdem sich in den folgenden Tagen abzuzeichnen begann, daß es zu einem demokratisch-totalitären Schulterschluß gegen Schleicher und den Plan der Neuwahlverschiebung kommen würde, galt es, sich auf eine verfassungskonfonnere Alternative zum Staatsnotstandsplan zu besinnen. Freilich war es in der letzten Januarwoche für diese Alternative zu spät geworden. Während Schleicher immer stärker in die politische Isolierung geriet, begann sich Hindenburg mehr und mehr von der - in fonnaljuristischer Hinsicht unangreifbaren - Berufung eines Kabinetts Hitler-Papen-Hugenberg überzeugen zu lassen. Noch eine weitere Erklärung ist denkbar: Schleicher mußte bei versammeltem Reichstag einen ähnlichen Autoritätsverlust fürchten, wie er Papen am 12. September 1932 widerfahren war. Das Mißtrauensvotum gegen die Regierung Papen war zwar juristisch ohne Bedeutung, es hatte sich aber in psychologischer und politischer Hinsicht als höchst wirkungsvoll erwiesen. Die Ablehnung, die Schleicher beim nächsten Zusammentritt des Reichstags von den Parteien zu erwarten hatte, wäre vennutlich nicht weniger eindeutig ausgefallen. Es hätte sich gezeigt, daß der General mit seinen Bemühungen um einen gesellschaftlichen Konsens gescheitert war und über keinen größeren Rückhalt in der Volksvertretung verfügte als sein Vorgänger. Die konsequente Ausschaltung des Reichstags hatte für Schleicher deshalb einen höheren Stellenwert als die Wahrung der verfassungsmäßigen Fonnen. Es traf natürlich zu, daß die Errichtung einer offenen Diktatur mit der Verfassung weniger im Einklang stand als die bloße Mißachtung eines negativen Mißtrauensvotums, sie war aber unter dem Aspekt der Autoritäts- und Gesichtswahrung letztlich der konsequentere und wohl deshalb von Schleicher favorisierte Weg.
3. earl Schmitt und die Verfassungskrise der Weimarer Republik Wie gesehen, faßte das Kabinett Schleicher in seiner Sitzung vom 16. Januar 1933 den Beschluß, den Reichstag aufzulösen und die Neuwahl auf einen Termin im Herbst 1933 zu verschieben. Der als Reaktion auf diese Verschiebung zu erwartende Aufstand der radikalen Parteien sollte nötigenfalls mit militärischer Gewalt niedergeschlagen werden. Anders als Papen dachte Schleicher nicht an eine zugleich mit der Reichstagsausschaltung per Oktroy durchzusetzende Verfassungsreform. Die Notstandsaktion sollte ausschließlich der Wiederherstellung der gestörten Ordnung, nicht der Verwirklichung einer ,,konservativen Revolution" dienen. Da der Reichstag seit dem Ende der Großen Koalition im Jahre 1930 seine verfassungsmäßigen Aufgaben nicht mehr erfüllte und überdies seit dem Sommer 1932 von verfassungsfeindlichen Parteien beherrscht wurde, konnte seine vorübergehende Ausschaltung durchaus im langfristigen Interesse der parlamentarischen Demokratie liegen. Jedoch war nicht zu übersehen, daß die geplante Neuwahlverschiebung - wäre sie in die Tat umgesetzt worden - einen Verstoß gegen geltendes Verfassungsrecht dargestellt hätte. Ein solcher Verstoß konnte für die Reichsleitung ein Verfahren vor dem Staatsgerichtshof zur Folge haben. Nämlich dann, wenn der Reichstag mit Zweidrittelmehrheit einen entsprechenden Anklagebeschluß faßte: Art. 59WRV: Der Reichstag ist berechtigt, den Reichspräsidenten, den Reichskanzler und die Reichsminister vor dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich anzuklagen. daß sie schuldhafterweise die Reichsverfassung oder ein Reichsgesetz verletzt haben. Der Antrag auf Erhebung der Anklage muß von mindestens hundert Mitgliedern des Reichstags unterzeichnet sein und bedarf der Zustimmung der für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Mehrheit. Das Nähere regelt das Reichsgesetz über den Staatsgerichtshof.
War der Reichstag aufgelöst, so konnte er freilich keine Präsidentenanklage mehr erheben. Jedoch hatten die Parteien bei aufgelöstem Reichstag die Möglichkeit einer Anklage wegen Hochverrats (§ 81 StGB) vor dem Reichsgericht. Nicht erst eine Verurteilung wegen schuldhaften Verfassungsbruchs oder Hochverrats, sondern schon die Eröffnung eines entsprechenden Verfahrens hätte der politischen Autorität Hindenburgs großen Schaden zugefügt. Ein Umstand, der in der Verfassungskrise des Jahres 1932/33 um so schwerer wog, als der Ausgang einer militärischen Aktion gegen die radikalen Parteien nicht zuletzt davon abhing, ob dem Präsidenten von den gemäßigten Teilen der öffentlichen Meinung das Vertrauen in
a) Die Parlaments auflösung (Art. 25)
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ein rechtmäßiges Verhalten entgegengebracht wurde. Deshalb soll im folgenden die Frage untersucht werden, weIche Aussichten die Reichsleitung hatte, den ihr feindlichen Reichstag auszuschalten, ohne Gefahr zu laufen, in einem Verfahren vor den höchsten Gerichten der Republik des Verfassungsbruchs oder gar des Staatsstreichs für schuldig befunden zu werden.
a) Die Parlamentsauflösung (Art. 25) Naheliegenderweise beginnt eine soIche Untersuchung mit dem verfassungsmäßigen Recht des Reichspräsidenten zur Parlamentsauflösung. Die Verfassung schrieb in unzweideutigen Worten vor, daß der Präsident den Reichstag auflösen konnte, jedoch nur einmal aus dem gleichen Anlaß, und daß der Reichstag spätestens nach sechzig Tagen neu gewählt werden mußte. Art. 25 WRV (I) Der Reichspräsident kann den Reichstag auflösen, jedoch nur einmal aus dem gleichen
Anlaß. (2) Die Neuwahl findet spätestens am sechzigsten Tage nach der Auflösung statt. Schon in den 20er Jahren, also noch bevor die Dauerkrise der Weimarer Republik in ihr akutes Stadium trat, hatte Schmitt in einer juristischen Fachzeitschrift einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er sich mit der in Art. 25 Abs. 1 enthaltenen Klausel- "nur einmal aus dem gleichen Anlaß" - auseinandersetzte.' Der Hintergrund dieses Aufsatzes war die Auflösung im Oktober 1924, zu der sich Hindenburgs Vorgänger Ebert genötigt gesehen hatte, nachdem der Reichstag wegen tiefgehender Meinungsverschiedenheiten über den politischen Kurs der Regierung es ging um die Beendigung des passiven Widerstands gegen die französische Besetzung des Ruhrgebiets - zu einer konstruktiven Zusammenarbeit nicht mehr fähig war. Der daraufhin im Dezember neu gewählte Reichstag unterschied sich in seiner Zusammensetzung von dem aufgelösten Reichstag nur unwesentlich; die parlamentarischen Schwierigkeiten, die der Grund der Auflösung gewesen waren, blieben bestehen. Für Schmitt stellte sich damit die Frage, ob die Einmaligkeitsklausel des Art. 25 auch für den Fall der wiederholten Regierungsunfähigkeit des Reichstags galt. Seine Antwort lautete: Nein. Zur Begründung erinnerte er an den ursprünglichen Sinn, den der Verfassungsgeber mit dem Art. 25 verbunden hatte: Die Auflösung sollte dem Präsidenten die Möglichkeit geben, einen Streit zwischen Regierung und Parlament durch ein Plebiszit entscheiden zu lassen; hatte das Volk - im Wege der Neuwahl - seine Entscheidung getroffen, so sollte diese endgültig sein und eine erneute Auflösung in der bereits entschiedenen Sache nicht mehr stattfinden dürfen. Im vorliegenden Fall hatte die Anwendung des Art. 25 je1 earl Schmitt, "Einmaligkeit" und "gleicher Anlaß" bei der Reichstagsauflösung nach Art. 25 der Reichsverfassung, in: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 8, 1924, S. 162 ff. Der Aufsatz ist wiederabgedruckt in: Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 15 ff.
3. earl Schmitt und die Verfassungskrise der Weimarer Republik
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doch einen ganz anderen Sinn. Ebert hatte den Reichstag aufgelöst, weil dieser "die Beibehaltung der gegenwärtigen und gleichzeitig die Bildung einer neuen Regierung auf der Grundlage einer planmäßigen und zielsicheren Innen- und Außenpolitik unmöglich" gemacht hatte. 2 Mit anderen Worten: der Zweck der Auflösung war nicht die Herbeiführung eines Plebiszits, sondern die Herstellung einer regierungsfähigen parlamentarischen Mehrheit. Wollte man auch für diesen - vom Verfassungsgeber gar nicht vorhergesehenen - Fall daran festhalten, daß der Präsident "nur einmal aus dem gleichen Anlaß" auflösen durfte, so bedeutete dies, dem Reichstag ein verfassungsmäßig verbrieftes Recht auf die Herbeiführung eines regierungslosen Zustandes zuzugestehen. Wie Schmitt zum Abschluß seiner Ausführungen bemerkte, war dies jedoch ein Auslegungsergebnis, dem man aus Vernunftgründen unmöglich zustimmen konnte: "Die Regierung darf den Reichstag wegen der gleichen parlamentarischen Schwierigkeiten nochmals auflösen, wenn sie das für notwendig hält, um den unhaltbaren Zuständen unklarer Parteiverhältnisse und der ewigen Krise ein Ende zu machen. Ihr dieses Recht nur einmal zu geben, würde einer vernünftigen Auslegung des Art. 25 widersprechen. Wer nicht etwa ein politisches Interesse daran hat, die Verfassung durch ein unvernünftiges ,beim Wort nehmen' ad absurdum zu führen, darf ihre wesentlichen Voraussetzungen nicht mißachten, und was Sir W. Anson für die englische Verfassung ausspricht, wird man jeder, auch der Weimarer Verfassung zubilligen müssen: daß es für die Frage, ob etwas verfassungsmäßig ist, schließlich doch darauf ankommt, ob es vernünftig ist." Nach der Auslegung, die Schmitt der Einmaligkeitsklausel des Art. 25 in seinem
1924 erschienenen Aufsatz gegeben hatte, wäre es im Jahre 1933 durchaus zulässig gewesen, wenn Hindenburg das Parlament - statt seine Neuwahl zu verschieben wiederholt mit der Begründung aufgelöst hätte, daß auch der neugewählte Reichstag auf Grund seiner politischen Zusammensetzung keine Lösung der parlamentarischen Schwierigkeiten, sondern lediglich eine auf die Verhinderung notwendiger Maßnahmen gerichtete Obstruktionshaltung erwarten lasse. 3 Mit abweichender Begründung kam auch der führende Verfassungskommentar der Weimarer Republik - der Kommentar von Gerhard Anschütz - zu einem in der Praxis auf dasselbe hinauslaufenden Ergebnis. Nach Anschütz brauchte der Präsident in dem Begründungstext, den er seiner Auflösungsverordnung üblicherweise beifügte, nur einen neuen Anlaß zu fingieren, um der Einmaligkeitsklausel des Art. 25 Genüge zu tun: "Ob der Anlaß ,der gleiche' ist wie der, welcher zu der vorhergehenden Auflösung führte, kann zweifelhaft sein. Wendet sich der Reichspräsident wiederholt an die Wählerschaft, mit der Behauptung, daß nicht ,der gleiche', sondern ein neuer Anlaß zur Auflösung vorliege, so ist dies in keinem Falle unzulässig."4
2 So die Begründung in der Verordnung des Reichspräsidenten betr. die Auflösung des Reichstags vom 20.10.1924, RGBI. I, S. 713. 3 So die von Schmitt dem Kabinett Schleicher vorgeschlagene Begründung für eine wiederholte Auflösung. AdR Schleicher, Dok. Nr. 56, Anlage I, S. 238 ff.
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b) Der gesetzliche Notstand (Art. 48)
Die wiederholte Auflösung wäre somit nicht nur nach Schmitt, sondern auch nach Anschütz und damit sicherlich auch nach der Mehrheit der Weimarer Juristen durchaus zulässig gewesen. Die Reichsleitung hätte so auf legale Weise ihren Hauptzweck erfüllen können, nämlich den Reichstag daran zu hindern, die Regierung zum Rücktritt und den Präsident zur Aufhebung seiner Notverordnungen zu zwingen. Der Grund, weshalb sich die Reichsleitung dennoch nicht für diesen Weg entschied, war - wie schon an anderer Stelle bemerktS - kein juristischer, sondern ein politischer. Das Deutsche Reich bedurfte zu seiner wirtschaftlichen Erholung dringend der politischen Ruhe und Entspannung. Diese konnte es aber nicht geben, wenn eine Serie immer neuer Wahlkämpfe - und erfahrungsgemäß damit einhergehender blutiger Straßenschlachten zwischen den Parteien und ihren Kampfverbänden - eine permanente Atmosphäre des Bürgerkriegs und des Terrors schufen. Die in Permanenz wiederholte Auflösung des Reichstags wäre - unbeschadet ihrer rechtlichen Zu lässigkeit - politisch nicht praktikabel gewesen. Der Verzicht auf die Neuwahl erschien der Reichsleitung deshalb unumgänglich, auch wenn dieses Vorgehen rechtlich gesehen ungleich größere Probleme aufwarf als die ständige Wiederholung der Neuwahl.
b) Der gesetzliche Notstand (Art. 48) An diesem Punkt stellt sich mit einer gewissen Zwangsläufigkeit die Frage, warum Hindenburg nicht - um die Verfassungsmäßigkeit seines Handeins zu wahren die Verschiebung der Reichstagsneuwahl auf den für außerordentliche Notlagen vorgesehenen und schon oft angewendeten Art. 48 stützte: Art. 48WRV (1) Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen obliegen-
den Pflichten nicht erfüllt, kann der Reichspräsident es dazu mit Hilfe der bewaffneten Macht anhalten. (2) Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen. (3) Von allen gemäß Abs. I oder Abs. 2 dieses Artikels getroffenen Maßnahmen hat der Reichspräsident unverzüglich dem Reichstag Kenntnis zu geben. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichstags außer Kraft zu setzen.
4 Gerhard Anschütz. Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl., Berlin 1933, S. 403. 5 Siehe vorn S. 28.
3. Carl Schmitt und die Verfassungskrise der Weimarer Republik
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(4) Bei Gefahr im Verzuge kann die Landesregierung für ihr Gebiet einstweilige Maßnahmen der in Abs. 2 bezeichneten Art treffen. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichspräsidenten oder des Reichstags außer Kraft zu setzen. (5) Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz. Bekanntlich war der Art. 48 schon in den 20er Jahren vielfach angewendet worden. Beide Reichspräsidenten, Hindenburg wie Ebert, hatten insbesondere von der in Abs. 2 enthaltenen Generalklausel - der nicht erst von Schmitt so genannten "Diktaturgewalt,,6 - ausgiebigen Gebrauch gemacht. 7 Das in Abs. 5 vorgesehene Ausflihrungsgesetz, durch das die Befugnisse des Präsidenten hätten eingegrenzt werden sollen, war über das Stadium parlamentarischer Ausschußberatungen nie hinausgelangt. 8 Der Art. 48 konnte infolgedessen in den letzten Jahren der Republik als einschlägig erprobtes und juristisch kaum noch anfechtbares Allzweckinstrument für die Behebung der verschiedensten Notlagen - nicht nur polizeilicher, sondern auch wirtschaftlicher und verfassungsrechtlicher Art - gelten. 9 Der Gedanke lag von daher nahe, die im Krisenjahr 1932/33 immer dringlichere Ausschaltung des Reichstags ganz einfach als eine legale Maßnahme zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemäß Art. 48 Abs. 2 WRV anzuordnen. Die Zulässigkeit eines soIchen Vorgehens hing davon ab, wie weit man die in Art. 48 Abs. 2 WRVenthaltene Diktaturermächtigung auslegte. Es gab seit Jahren zwei miteinander im Wettstreit liegende Lehrmeinungen:
1. die "Unantastbarkeitslehre", die sich als herrschende Auffassung bei den Verfassungskommentatoren und in der Rechtsprechung klar durchgesetzt hatte JO , und 2. die "Durchbrechungslehre", die von Carl Schmitt und Ernst Jacobi auf der Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Jena mit großem Scharfsinn, letztlich aber ohne durchschlagenden Erfolg vorgetragen worden war. 11
6 Ulrich Scheuner, Die Anwendung des Art. 48 der Weimarer Reichsverfassung unter den Präsidentschaften von Ebert und Hindenburg, in: Festschrift für Brüning, hrsg. v. Friedrich A. Hermens und Theodor Schieder, Berlin 1967, S. 249 ff. 7 Poetzsch-HeJfter, Staatsleben, Teil 1, S. 141 ff. g Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 6, S. 694 f. Schulz. Zwischen Demokratie und Diktatur, S. 403. 9 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 6, S. 699 ff. 10 Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages. Heidelberg 1925. S. 69 ff. Richard Grau. Die Diktaturgewalt des Reichspräsidenten und der Landesregierungen auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung, Berlin 1922. Hans Nawiasky. Die Auslegung des Art. 48 der Reichsverfassung, in: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 9, 1925, S. 1 ff. 11 earl Schmitt. Die Diktatur des Reichspräsidenten, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 1, Berlin/Leipzig 1924, S. 63 ff. Einen Überblick über den Auslegungsstreit zu Artikel 48 gibt: Karl Schultes. Die Jurisprudenz zur Diktatur des Reichspräsidenten nach Art. 48 Abs. 11 der Weimarer Verfassung. Ein kritischer Rückblick, Bonn 1934.
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b) Der gesetzliche Notstand (Art. 48)
Wie schon ihr Name sagt, war nach der herrschenden Lehre die Verfassung für den von seinen Befugnissen aus Art. 48 Gebrauch machenden Reichspräsidenten unantastbar. Der Präsident durfte mit seinen Maßnahmen aus Abs. 2 über einfache Gesetze hinweggehen, es wurde ihm aber nicht zugestanden, in die Verfassung selbst einzugreifen. Am Verfassungs gesetz sollte die dem Präsidenten verliehene Diktaturgewalt ihre letzte, unübersteigbare Grenze finden. Die Verfechter der Unantastbarkeitslehre schlossen dieses Ergebnis aus der Aufzählung der sieben Grundrechte. Wenn der Verfassungs geber, so argumentierten sie, dem Präsidenten ausdrücklich die Erlaubnis erteilte, eine bestimmte Anzahl von Grundrechten zeitweilig aufzuheben, so bedeutete dies nach der Juristenregel enumeratio ergo limitatio, daß er dem Präsidenten den Eingriff in alle anderen Bestimmungen der Verfassung eben nicht hatte gestatten wollen. Schmitt und Jacobi, die Autoren der Durchbrechungslehre, waren von dieser auf den ersten Blick so einfachen und klaren Auslegung nicht überzeugt. Ihnen zu folge verlieh der Art. 48 Abs. 2 dem Präsidenten zwei ganz unterschiedliche Befugnisse: nämlich zum einen die Befugnis, gewisse Grundrechte aufzuheben, und zum anderen die Befugnis, alle nötigen Maßnahmen zu treffen. Und eben deshalb erklärten sie es für unlogisch, von der Begrenzung der einen auf die Begrenzung der anderen Befugnis zu schließen. Die Berechtigung des von den Kritikern der Unantastbarkeitslehre vorgetragenen Einwands hing von der Behauptung der grundsätzlichen Verschiedenheit der in Abs. 2 enthaltenen Befugnisse ab. Schmitt begründete die fragliche Differenz aus der Eigenart der Begriffe "Aufhebung" und "Maßnahme": Die Aufhebung eines Rechts bedeutet seine befristete oder endgültige Beseitigung. Die Maßnahme ist dagegen ein Handeln, das sich auf die Herbeiführung eines bestimmten sachlichen Erfolges konzentriert und zu diesem Zweck bestehende Rechtsschranken nicht beseitigt, sondern durchbricht. Anders als die Aufhebung läßt die Maßnahme die prinzipielle Geltung des Gesetzes unberührt. Sie setzt das von ihr durchbrochene Recht nicht außer Kraft, sondern macht in einem konkreten Fall eine Ausnahme vom Recht. 12 Ein Gesetz aufzuheben heißt nicht, es zu durchbrechen, und ein Gesetz zu durchbrechen heißt nicht, es aufzuheben. Freilich konnte man fragen, ob dem Verfassungs geber die theoretische Unterscheidung zwischen Maßnahme und Aufhebung überhaupt bewußt war und wenn ja, welchen praktischen Zweck er mit dieser Unterscheidung verfolgt haben sollte? Auch hierfür hatte Schmitt eine nicht leicht von der Hand zu weisende Erklärung: Der Verfassungsgeber habe für den Fall, daß in einem Land des Deutschen Reichs die öffentliche Sicherheit und Ordnung in erheblicher Weise gefährdet oder gestört wurde, dem Reichspräsidenten zwei grundsätzliche Reaktionsmöglichkeiten zur Auswahl stellen wollen: Der Präsident konnte das Militär einsetzen und die gestörte Ordnung von Reichswegen wiederherstellen lassen. Dies war ein Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Landeshoheit. Da die Landeshoheit durch diesen Eingriff 12
Siehe neben dem schon zitierten Vortrag auf der Jenaer Staatslehrertagung auch
Schmitts geschichtliche Untersuchung: Die Diktatur, I. Aufl., Berlin 1921.
3. earl Schmitt und die Verfassungskrise der Weimarer Republik
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nicht beseitigt, sondern nur zum Zwecke der Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in einem konkreten Ausnahmefall durchbrochen wurde, stellte das Vorgehen des Präsidenten eine Maßnahme dar. Der Präsident konnte die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aber auch dem betroffenen Land überlassen. In diesem Fall beschränkte er sich darauf, die in Abs. 2 genannten Grundrechte außer Kraft zu setzen, um den Landespolizeiorganen für ihr Vorgehen gegen die Ordnungsstörer freie Bahn zu verschaffen. Hier traf der Reichspräsident keine Maßnahme, sondern er machte von seinem Aufhebungsrecht Gebrauch. 13 Wenn Schmitt und Jacobi Recht hatten, so waren die Befugnis des Präsidenten, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen zu treffen, und seine Befugnis, zeitweilig gewisse Grundrechte aufzuheben, in der Tat zwei völlig verschiedene Dinge. Es war dann konsequenterweise nicht erlaubt, von der Aufzählung der Grundrechte (Art. 48 Abs. 2 Satz 2) eine einschränkende Wirkung auf die Maßnahmegewalt (Art. 48 Abs. 2 Satz 1) herzuleiten. Der Präsident wurde lediglich hinsichtlich der Grundrechte eingeschränkt; er konnte zulässigerweise bestimmte, aber nicht alle Grundrechte aufheben; die Religionsfreiheit zum Beispiel war "diktaturfest". Er war jedoch ohne Einschränkung hinsichtlich seiner ganz anders gearteten Befugnis, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen zu treffen. Was bedeuteten die bei den Lehrmeinungen für die Frage, ob der Präsident berechtigt war, im Notfall die Reichstagswahlen zu verschieben? Nach der Unantastbarkeitslehre konnte die Hinausschiebung des Wahltermins durch den Präsidenten keine zulässige Maßnahme nach Art. 48 Abs. 2 WRW sein, da der Neuwahltermin durch ein Verfassungsgesetz, eben den Art. 25 geregelt war. Nach der Durchbrechungslehre wäre der Präsident dagegen durchaus befugt gewesen, per Maßnahme den Art. 25 zu durchbrechen und die Neuwahl bis zur Wiederherstellung geordneter Verhältnisse auszusetzen. Wäre! - Hätte Schmitt seine Lehre nicht mit einer wesentlichen Klausel versehen. Obwohl nach der Durchbrechungslehre die Maßnahmegewalt im Prinzip unbeschränkt war, der Präsident also jeden Verfassungsartikel durchbrechen konnte, behauptete Schmitt drei Grenzen der präsidialen Notstandsbefugnis, die sich zwar nicht aus dem Art. 48 selbst, wohl aber aus der Natur der durch ihn geregelten Sache ergaben. Diese Grenzen waren: 1. Die Maßnahmen des Präsidenten mußten ausschließlich dem Zweck des Art. 48, d. h. der Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen, wobei das, was unter öffentlicher Sicherheit und Ordnung zu verstehen war, sich allein nach der geltenden Verfassung richtete. 2. Der Präsident durfte nur Maßnahmen ergreifen, aber keine neuen Gesetze erlassen. Die Befugnis zur Gesetzgebung stand allein dem von der Verfassung ge13 Achim Kurz. Demokratische Diktatur? Auslegung und Handhabung des Art. 48 der Weimarer Verfassung 1919 - 25, Berlin 1992, S. 46.
4 Berthold
c) Das Partei verbot (Art. 76)
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wollten Gesetzgeber (d. h. dem Reichstag oder in besonderen Fällen dem Volk), nicht aber dem Diktator des Art. 48 zu. 3. Der Reichspräsident durfte mit seinen Maßnahmen nicht in das "organisatorische Minimum" des Art. 48 eingreifen. Auf diesen letzten Punkt kommt es hier besonders an. Das "organisatorische Minimum" bezeichnete nach Schmitt die verfassungsmäßigen Einrichtungen, die der Art. 48 für sein eigenes Funktionieren voraussetzte: nämlich den Maßnahmen ergreifenden Reichspräsidenten (Abs. 2) und den ihn kontrollierenden Reichstag (Abs. 3). D.h. der Reichspräsident durfte auf Grund seiner Maßnahmegewalt weder in seine eigene noch in die Rechtsstellung des Reichstags eingreifen. Er durfte zum Beispiel nicht auf Grund des Art. 48 seine Amtszeit verlängern, sich das Gesetzgebungsrecht zusprechen oder die in Art. 48 Abs. 3 verankerte Kontrollbefugnis des Reichstags zeitweilig außer Kraft setzen. Sämtliche Bestimmungen der Weimarer Verfassung, welche die Stellung des Reichspräsidenten oder die des Reichstags betrafen, waren für den Präsidenten unantastbar. Wollte der Präsident den Reichstag nicht auf Grund des Art. 25, sondern auf Grund des Art. 48 auflösen, um auf diese Weise die Sechzigtagesfrist zu umgehen, so hätte dies nicht nur nach der herrschenden Unantastbarkeitslehre, sondern eben auch nach der Durchbrechungslehre Schmitts und Jacobis einen unzulässigen Eingriff in die Verfassung dargestellt. Wäre es zum Prozeß gekommen, so hätten Schmitt und Jacobi - als Anwälte der Reichsleitung - einen schweren Stand gehabt. Der Prozeßgegner hätte ihnen eine widersprüchliche Haltung vorwerfen und auf diese Weise ihre juristische Glaubwürdigkeit in Zweifel ziehen können. Eine Lösung des Problems über den Art. 48 Abs. 2 WRV war also nicht möglich.
c) Das Partei verbot (Art. 76) Des weiteren stellt sich die Frage, weshalb die Reichsleitung nicht auf den Gedanken kam, NSDAP und KPD durch ein Parteiverbot von der Neuwahl des Reichstags auszuschließen. Im Unterschied zum Bonner Grundgesetz kannte die Weimarer Verfassung zwar kein ausdrückliches Partei verbot, doch hätte sich ein solches unter Umständen auf den Art. 48 stützen lassen. Ohne Frage konnte eine revolutionäre Partei, welche die öffentliche Ordnung nachhaltig und planmäßig störte, mit außerordentlichen Mitteln an ihrem Tun gehindert werden. Der Reichspräsident konnte, wenn die normalen Polizeikräfte nicht ausreichten, Maßnahmen auf Grund des Art. 48 Abs. 2 ergreifen. Zu diesen Maßnahmen hätte auch ein Parteiverbot gehören können. So plante die Reichsleitung für den zu erwartenden Fall, daß es nach der Ausschaltung des Reichstags zu einem Aufstand kommen sollte, die Verhängung des Ausnahmezustands und das Verbot von NSDAP und KPD. 14
14
Siehe vorn S. 33.
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Die Schwierigkeit lag jedoch darin, daß die NSDAP - eben um ein solches Verbot so lange wie möglich zu vermeiden - sorgsam darauf bedacht war, den Schein der Legalität zu wahren. Bezeichnend war der Eid, den Hitler 1930 als Zeuge im sogenannten Ulmer Reichswehrprozeß abgelegt hatte: ,,Die nationalsozialistische Bewegung wird in diesem Staat mit verfassungsmäßigen Mitteln ihr Ziel zu erreichen suchen. Die Verfassung schreibt uns die Methode vor, nicht aber das Ziel. Wir werden auf diesem verfassungsmäßigen Wege die ausschlaggebenden Mehrheiten in den gesetzgebenden Körperschaften zu erlangen suchen, um in dem Augenblick, wo uns das gelingt, den Staat in die Form zu gießen, die unseren Gedanken entspricht."IS Mit seiner "Legalitäts taktik" machte sich Hitler das formalistische Verfassungsverständnis der Weimarer Jurisprudenz zunutze, wonach jede Partei, gleichviel welche Ziele sie verfolgte, im Kampf um die politische Macht volle Chancengleichheit beanspruchen konnte. Zum Vergleich: Nach dem Bonner Grundgesetz gilt eine Partei nicht erst als verfassungswidrig, wenn sie tatsächlich und planmäßig Rechtsbruch begeht, sondern bereits dann, wenn sie Ziele proklamiert, die mit den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar sind. Eine solchermaßen verfassungswidrige Partei kann nach Art. 21 Abs. 2 GG auf Antrag der Bundesregierung durch das Bundesverfassungsgericht verboten werden. Dem Parteiverbot entspricht die "Ewigkeitsgarantie" des Art. 79 GG. Danach sind Verfassungsänderungen, welche die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Ordnung berühren, unzulässig. Eine solche Beschränkung ihrer eigenen Abänderbarkeit kannte die Weimarer Verfassung nicht. Nach dem Wortlaut des Art. 76 Abs. 1 WRV konnte die Verfassung in jeder Hinsicht geändert werden, solange das dafür vorgesehene Verfahren - Zweidritteibeschluß des Reichstags bzw. Volksentscheid - beachtet wurde: Art.76WRV Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert werden. Jedoch kommen Beschlüsse des Reichstags auf Abänderung der Verfassung nur zustande, wenn zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend sind und wenigstens zwei Drittel der Anwesenden zustimmen. ( ... ) Soll auf Volksbegehren durch Volksentscheid eine Verfassungsänderung beschlossen werden, so ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich. Der führende Kommentar zur Weimarer Verfassung von Gerhard Anschütz bestätigte ausdrücklich, daß im Hinblick auf den Art. 76 eine irgendwie geartete Beschränkung des Änderungsinhalts nicht bestand: ,,Auf dem durch Art. 76 geregelten Gesetzgebungswege können Verfassungsrechtsänderungen jeder Art bewirkt werden: nicht nur minder bedeutsame, mehr durch technische als durch politische Erwägungen bedingte, sondern auch bedeutsame, einschließlich solcher, die sich auf die rechtliche Natur des Reichsganzen (Bundesstaat), die Zuständigkeitsverteilung zwischen Reich und Ländern, die Staats- und Regierungsform des Reichs und der Länder, (Republik, Demokratie, Wahlrecht, Parlamentarismus, Volksentscheid, VolksbeIS Berliner Börsenzeitung v. 25. September 1930. 4"
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c) Das Parteiverbot (Art. 76) gehren) und andere prinzipielle Fragen (Grundrechte!) beziehen. Die durch Art. 76 den hier bezeichneten qualifizierten Mehrheiten übertragene verfassungsändernde Gewalt ist gegenständlich unbeschränkt." 16
Der einzige Jurist von Rang und Namen, der die Offenheit der Weimarer Verfassung gegenüber jeglichem Änderungsinhalt bezweifelte, war Schmitt. In seiner 1928 erschienenen" Verfassungslehre" unterschied er zwischen den einzelnen Verfassungsgesetzen und den diesen Gesetzen vorausliegenden Grundentscheidungen. Hierzu zählte er: die Entscheidung für die Demokratie, die Entscheidung für die Republik und gegen die Monarchie, die Entscheidung für eine bundesstaatliche Struktur des Reiches, die Entscheidung für eine parlamentarisch-repräsentative Form der Gesetzgebung und Regierung und die Entscheidung für den bürgerlichen Rechtsstaat mit seinen Prinzipien: Grundrechte und Gewaltenunterscheidung. 17 Schmitt zufolge waren diese Grundentscheidungen für den verfassungsändernden Gesetzgeber unantastbar. Die in Art. 76 erteilte Befugnis zur Verfassungsänderung bezog sich deshalb auch nur auf einzelne Verfassungsgesetze, nicht auf den grundsätzlichen Charakter der Weimarer Republik als einer rechtsstaatlichen Demokratie mit bundesstaatlicher Struktur: "Daß die Verfassung geändert werden kann, soll nicht besagen, daß die grundlegenden politischen Entscheidungen, welche die Substanz der Verfassung ausmachen, vom Parlament jederzeit beseitigt und durch irgendwelche andern ersetzt werden können. Das Deutsche Reich kann nicht durch Zweidritte1-Mehrheitsbeschluß des Reichstages in eine absolute Monarchie oder in eine Sowjet-Republik verwandelt werden. Der verfassungs ändernde Gesetzgeber des Art. 76 ist keineswegs allmächtig." 18
Die Begründung seiner Auffassung leitete Schmitt von dem französischen Politiker und Verfassungstheoretiker Sieyes und dessen Unterscheidung zwischen dem pouvoir constituant und dem pouvoir constitue her. Danach ist der verfassungsändernde Gesetzgeber - im Unterschied zum Verfassungsgeber - keine souveräne, über der Verfassung stehende, die Verfassung hervorbringende Macht (pouvoir constituant), sondern nur ein von der Verfassung ermächtigtes und mit gewissen Befugnissen ausgestattetes Organ (pouvoir constituel. Der verfassungs ändernde Gesetzgeber muß daher, wie jedes andere Organ auch, die Verfassung achten. Das ist aber nur möglich, wenn die Verfassung selbst (als Grundentscheidung oder Substanz) von den einzelnen Verfassungsgesetzen unterschieden wird und die Befugnis zur Verfassungsänderung sich auf letztere beschränkt. 19 Hätte sich die Schmittsche Auffassung in der Rechtslehre und bei den Gerichten durchgesetzt, so wie sie sich nach 1945 durchsetzte, wäre der Legalitätstaktik Hitlers der Boden entzogen worden. So wie die Dinge aber lagen, war es unzulässig, 16 17
IR 19
Gerhard Anschütz, Verfassung, S. 403. Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 20 ff. Verfassungslehre, S. 26. Verfassungslehre, S. 77 ff.
3. earl Schmitt und die Verfassungskrise der Weimarer Republik
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eine Partei an der Verfolgung ihrer Ziele zu hindern, solange diese Partei keinen vorsätzlichen und planmäßigen Rechtsbruch beging. Die gleichberechtigte Teilnahme am Prozeß der politischen Willensbildung mußte auch einer revolutionären Partei wie der NSDAP zugestanden werden. Denn wenn die Verfassung ihrer eigenen Abänderbarkeit keine sachlichen Grenzen setzte und jeden Änderungsinhalt zuließ, dann war konsequenterweise auch jedes Programm erlaubt - d. h. auch ein solches, das auf die Beseitigung der Grundprinzipien der Weimarer Republik ausging. Hätte die Reichsleitung die NSDAP mit der Begründung verboten, diese Partei strebe ein mit der bestehenden Ordnung unvereinbares Gesellschaftsmodell an, so hätten die Gerichte ein solches Verbot mit hoher Wahrscheinlichkeit für nichtig erklärt. Ein Partei verbot hätte sich allein nach der von Schmitt vertretenen und später vom Grundgesetz übernommenen Auffassung begründen lassen. Nur wenn die Grundlagen der Verfassung auch für den verfassungsändernden Gesetzgeber ein unberührbares Heiligtum darstellten, konnte eine Partei, die für die Beseitigung dieser Grundlagen warb, a limine von der Teilnahme am politischen Prozeß ausgeschlossen werden. An verschiedenen Stellen machte Schmitt auf den Zusammenhang aufmerksam, der zwischen der Auslegung des Art. 76 WRV und dem Schutz der Weimarer Demokratie vor verfassungsfeindlichen Parteien bestand. Bereits 1930 warnte er in seiner Abhandlung über den "Hüter der Verfassung": "Die herrschende Auffassung des Art. 76 nimmt der Weimarer Verfassung ihre politische Substanz und ihren ,Boden' und macht sie zu einem gegenüber jedem Inhalt indifferenten, neutralen Abänderungsverfahren, das namentlich auch der bestehenden Staatsform gegenüber neutral ist. Allen Parteien muß dann gerechterweise die unbedingt gleiche Chance gegeben werden, sich die Mehrheiten zu verschaffen, die notwendig sind, um mit Hilfe des für Verfassungsänderungen geltenden Verfahrens ihr angestrebtes Ziel - Sowjet-Republik, Nationalsozialistisches Reich, wirtschaftsdemokratischer Gewerkschaftsstaat, berufsständischer Korporationsstaat, Monarchie alten Stils, Aristokratie irgendwe\cher Art - und eine andere Verfassung herbeizuführen.,,20 Was im Jahre 1930 eine interessante theoretische Erörterung gewesen sein mochte, war im Sommer 1932 zur Existenzfrage der Weimarer Republik geworden. Gegenüber der einsetzenden Flut von Gutachten und Gerichtsurteilen, die in beamten-, arbeits- und versammlungsrechtlichen Einzelfällen über die Rechtmäßigkeit der nationalsozialistischen Organisationen und Unterorganisationen zu entscheiden hatten, erklärte Schmitt in seiner 1932 erschienenen Schrift "Legalität und Legitimität", daß es für die Frage der Rechtmäßigkeit der NSDAP nicht so sehr auf "einzelne, isolierte Verfassungsartikel" ankomme, als auf die grundsätzliche Alternative, ob man in der Weimarer Verfassung eine gegen jeden Inhalt gleichgültige Verfahrensregel oder eine substanzielle Wertordnung sehen wolle. Die Bedeutung dieser Schrift ist dahin ausgelegt worden, Schmitt habe in destruktiver Absicht die im zweiten Hauptteil der Weimarer Verfassung enthaltene Wert20 Hüter der Verfassung, S. 113.
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c) Das Parteiverbot (Art. 76)
ordnung (die Grundrechte) gegen die Verfahrensregeln des ersten Hauptteils (das parlamentarische Regierungssystem) ausspielen wollen?l Richtig scheint mir dagegen, daß Schmitt den Leser vor die Entscheidung stellen wollte, die Weimarer Verfassung entweder als ein formales Reglement zu betrachten, das unterschiedslos jeder Partei die "gleiche Chance der Machtgewinnung" einräumt, oder als eine Wertordnung, die bestimmte politische Bewegungen und Parteien vom politischen Prozeß ausschließt. Daß Schmitt dabei für letzteres optierte, mußte er nicht ausdrücklich sagen, denn dies war aus seinen früheren Veröffentlichungen bekannt. Es war vor allem diese Option, die Schmitt für den Schleicher-Kreis interessant machte. So schrieb ihm Schleichers Presseoffizier Erich Marcks, man bemühe sich seit 14 Tagen, "Legalität und Legitimität", das ein "vorzügliches Arsenal im Kampf um die Zukunft" darstelle, in "kleiner Münze unter das Volk zu bringen".22 Die vorherrschende Kommentierung des Art. 76 WRV kritisierte Schmitt denn auch so: ,.Bei Anschütz geht die Wertneutralität eines nur noch funktionalistischen Legalitätssystems bis zur absoluten Neutralität gegen sich selbst und bietet den legalen Weg zur Beseitigung der Legalität selbst, sie geht also in ihrer Neutralität bis zum Selbstmord. ,,23 Die ebenfalls 1932 erstmals als selbständige Veröffentlichung erschienene Abhandlung über den "Begriff des Politischen" griff dieses Thema auf einer geistesgeschichtlichen Ebene auf. 24 Mangels eines substanziellen Wertprinzips fehle dem Liberalismus die Kraft, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, und deshalb werde er sich nicht behaupten können, wenn die zu allem bereiten Radikalismen die Bewegungen unmittelbarer Gewaltanwendung25 - Europa in ein Schlachtfeld verwandeln. Zwischen der Unfähigkeit des Liberalismus, Freund und Feind zu unterscheiden, und dem Unwillen der herrschenden Weimarer Jurisprudenz, in der Verfassung eine geheiligte und notfalls gegen ihre Feinde militant zu verteidigende Wertordnung zu sehen, bestand für Schmitt ein tiefgehender Zusammenhang. Die geschichtliche Bedeutung der formalistischen Auslegung der Weimarer Verfassung liegt nicht nur darin, daß sie am Ende Hitlers Ermächtigungsgesetz26 möglich machte; darüber hinaus ist daran zu erinnern, daß diese Auslegung schon weit im Vorfeld der eigentlichen Machtergreifung ein wirksames Vorgehen der Reichsleitung gegen die NSDAP wenn nicht verhinderte, so doch erheblich erschwerte. 21 Kurt Sontheimer, earl Schmitt, seine ,Loyalität' gegenüber der Weimarer Verfassung, in: Neue Politische Literatur, Jg. 111, 1958, Sp. 757 ff. 22 Marcks an Schmitt v. 6. September 1932, HStAD/RW 265-9027. 23 earl Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 50. 24 earl Schmitt. Der Begriff des Politischen, Berlin 1932. 25 earl Schmitt. Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, Berlin 1923. 26 Rudolf Morsey (Hrsg.), Das ,.Ermächtigungsgesetz" vom 24. März 1933. Quellen zur Geschichte und Interpretation des "Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich", Düsseldorf 1992.
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Ein bemerkenswertes Beispiel für die gängige Auffassung zum Phänomen der legal verfassungsfeindlichen Partei bot der sozialdemokratische Rechtstheoretiker
Hans Kelsen: "Wenn sich die Demokratie treu bleibt, muß sie auch eine auf Vernichtung der Demokratie gerichtete Bewegung dulden, muß sie ihr wie jeder anderen politischen Überzeugung die gleiche Entwicklungsmöglichkeit gewähren." Die Frage, ob die Demokratie sich selbst verteidigen solle, war nach Kelsen denn auch konsequenterweise zu verneinen: ,,Eine Demokratie, die sich gegen den Willen der Mehrheit zu behaupten, gar mit Gewalt sich zu behaupten versucht, hat aufgehört, Demokratie zu sein. Eine Volksherrschaft kann nicht gegen das Volk bestehen bleiben. Und soll es auch gar nicht versuchen, d. h. wer für die Demokratie ist, darf sich nicht in den verhängnisvollen Widerspruch verstricken lassen und zur Diktatur greifen, um die Demokratie zu retten. Man muß seiner Fahne treu bleiben, auch wenn das Schiff sinkt.'.27 Hiermit soll nicht behauptet werden, der Aufstieg des Nationalsozialismus sei in erster Linie ein juristisches Problem gewesen. Soweit aber Fragen der Legalität und Illegalität der staatlichen Verhaltensweisen in der Endkrise der Weimarer Republik eine Rolle spielten, war die juristische Paralysierung der Reichsleitung ihre Wehrlosigkeit gegenüber dem Phänomen der "legalen Revolution" - ein bedeutender politischer Faktor. 28
d) Der übergesetzliche Notstand Da auch die äußerste Legalitätsreserve der Weimarer Verfassung, der Art. 48, keine juristische Handhabe gegen die radikalen Parteien bot, kam als Rechtfertigungsgrund für die geplante Parlamentsausschaltung nur die Berufung auf ein überverfassungsmäßiges Staatsnotrecht in Frage. Das Staatsnotrecht basiert auf dem Gedanken der Vorrangigkeit des Staates gegenüber der Verfassung. Versagen die von der Verfassung vorgesehenen Regelungsmechanismen vor der Wirklichkeit, so kann der Staat - das heißt das noch handlungsfähige Staatsorgan - auch außerhalb der Verfassung die zu seiner Rettung notwendigen Maßnahmen ergreifen, ohne sich dabei des Rechtsbruchs schuldig zu machen. Ein solches Notrecht Verteidigung der Demokratie, in: Blätter der Staatspartei, April 1932, Heft 3/4, S. 98. Anderer Meinung: Christoph Gusy, Weimar - die wehrlose Republik? Verfassungsrecht und Verfassungsschutz in der Weimarer Republik, Tübingen 1991. Gotthard Jasper, Der Schutz der Republik, 1963. Insbesondere Gusy bestreitet die Wehrlosigkeit der Weimarer Republik mit dem Hinweis auf die Fülle von Gesetzen, die den Verfassungsschutz gewährleisten sollten. Dabei wird aber vernachlässigt, daß der zentrale Schwachpunkt der Weimarer Republik die Hilflosigkeit der staatlichen Autoritäten gegenüber dem Phänomen der "legalen" Verfassungsfeindschaft war. Gusys Versuch, Schmitts These vom relativistischen Demokratieverständnis der Weimarer Republik zu widerlegen, ist nicht überzeugend. 27 28
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d) Der übergesetzliche Notstand
des Staates wurde von der Weimarer Jurisprudenz allerdings fast einhellig abgelehnt. 29 Die Ermächtigung des Art. 48 WRV, so schien es der Mehrzahl der Juristen, bot dem (kommissarischen) Diktator ausreichenden Spielraum, mit den denkbar widrigsten Notlagen fertig zu werden. Eine darüber hinausgehende Legalitätsreserve wollte man ihm nicht zugestehen. Lapidar stellte Anschütz fest: ,,Ein über Art. 48 hinausragendes, an seine Vorschriften nicht gebundenes, gleichsam naturrechtliches ,Staatsnotrecht' des Reichspräsidenten, der Reichsregierung oder der Landesregierungen besteht nicht. Dies ist herrschende Meinung. ,,30
Was Schmitt anbelangt, so hatte auch dieser sich zu der Frage, ob die Berufung auf ein Staatsnotrecht zulässig sei, eher ablehnend geäußert. Anläßlich seines in Jena gehaltenen Vortrags über die "Diktatur des Reichspräsidenten" hatte er der Vollständigkeit halber die Tatsache erwähnt, daß es extreme Situationen geben könne, in denen ein staatliches Organ das Notwendige oder Rettende tue, ohne dafür eine ausdrückliche rechtliche Autorisation zu haben; wörtlich hatte Schmitt gesagt: "Das Staatsnotrecht beruht darauf, daß außerhalb oder entgegen Verfassungsbestimmungen im extremen, unvorhergesehenen Fall irgendein staatliches Organ, weIches die Kraft zum Handeln hat, vorgeht, um die Existenz des Staates zu retten und das nach Lage der Sache Erforderliche zu tun. Ein solches Staatsnotrecht, wie es die Regierungen wohl der meisten Staaten während des Krieges in Anspruch genommen haben, wird häufig damit begründet, daß eine ,Lücke' in der Verfassung vorliegen müsse, weil es nur für den gänzlich unvorhergesehenen Fall gelten kann. Die Rechtfertigungen und Begründungen interessieren hier im einzelnen nicht. Zur Unterscheidung eines Staatsnotrechts von der Regelung des Art. 48 Abs. 2 sei nur hervorgehoben, daß diese Bestimmung schon deshalb kein Staatsnotrecht enthält, weil sie verfassungsmäßig als Zuständigkeit vorgesehen ist. Es wäre denkbar, daß in einem extremen Fall selbständig neben der Befugnis aus Art. 48 ein Staatsnotrecht geltend gemacht würde und je nach Lage der Sache die Reichsregierung für sich allein und nicht der Reichspräsident als Träger dieses Notrechts aufstände, ja, daß es sogar, bei feindlicher Besetzung des größten Teils des Reiches oder angesichts eines Staatsstreiches, um die Verfassung zu retten, gegen einen Reichspräsidenten ausgeübt würde, vielleicht weil dieser sich weigert, den Ausnahmezustand zu verhängen. Alles das sind unvorhergesehene Fälle, die sich einer rechtlichen Regelung entziehen.,,3l 29 Alois Badura, Gibt es ein überverfassungsrechtliches Staatsnotrecht?, in: Reichs- und Preußisches Verwaltungsblatt, 1932, Bd. 53, S. 987 f. Wilhelm Weimar, Es gibt Staatsnotrecht und Botho Spruth, Übergesetzliches Staatsnotrecht?, in: Tägliche Rundschau v. 27. 12. 1932. Gottfried Boldt, Staatsnotwehr und Staatsnotstand, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd. 57, 1937, S. 183 ff. Zu der Debatte in der Bundesrepublik siehe u. a.: Georg Flor, Staatsnotstand und rechtliche Bindung, in: Deutsches Verwaltungsblatt, Bd. 73, 1958, S. 149 ff. Ders., Fragen des Ausnahme- und Staatsnotrechts, in: Juristische Rundschau, Bd. 8, 1954, Heft 4, S. 125 ff. Meinhard Schröder, Staatsrecht an den Grenzen des Rechtsstaates Überlegungen zur Verteidigung des Rechtsstaates in außergewöhnlichen Lagen, in: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 103, 1978, S. 121 ff. Ernst-WolJgang Böckenförde, Der verdrängte Ausnahmezustand - Zum Handeln der Staatsgewalt in außergewöhnlichen Lagen. earl Schmitt zum 90. Geburtstag, in: Neue Juristische Wochenschrift, Bd. 31, 1978, S. 1881 ff. 30 Gerhard Anschütz, Verfassung, S. 279.
3. earl Schmitt und die Verfassungskrise der Weimarer Republik
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Huber hat in dieser Stelle einen Beleg für die Behauptung gesehen, Schmitt sei ein Anhänger des Staatsnotrechts gewesen. 32 Dies ist jedoch eine weit überzogene Interpretation. Die Stelle besagt genau genommen nur: (1) daß es dazu kommen kann, daß ein staatliches Organ ohne verfassungsmäßige Erlaubnis vorgeht und sich zur Rechtfertigung dieses Vorgehens auf Staatsnotrecht beruft, und (2) daß der Artikel 48 schon deshalb kein überverfassungsmäßiges Staatsnotrecht enthält, weil er eben eine verfassungsmäßige Befugnis begründet. Diese beiden Aussagen sind Feststellungen tatsächlicher Art; sie enthalten kein Urteil über die normative Zulässigkeit einer staatsnotrechtlichen Begründung außerverfassungsmäßigen Handelns. 33 Hätte Schmitt die Absicht gehabt, für ein über den Art. 48 hinausgehendes Staatsnotrecht zu plädieren, so hätte er das mit deutlichen Worten tun können. Statt dessen hielt er es sogar für überflüssig, auf die "Rechtfertigungen und Begründungen", näher einzugehen, "die zugunsten des Staatsnotrechts in der Literatur zuweilen begegnen", da sie "hier im einzelnen nicht interessieren". Auch der berühmte Satz, den Schmitt seiner 1922 erschienenen "Politischen Theologie" voranstellte: "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.,,34 kann nicht als Forderung nach einem Staatsnotrecht verstanden werden. Der Satz wendete sich gegen Hans Kelsen 35 und jene Juristen, die glaubten, das Souveränitätsproblem erledige sich dadurch, daß es im modemen Rechtsstaat nur rechtlich geregelte Kompetenzen und entsprechende Organe, aber keine legibus solutus über dem Recht stehende Macht gibt, wie sie vor der Entwicklung zum Rechtsstaat der absolute Fürst beansprucht hatte. Schmitt hielt dem rationalistischen Glauben an die Perfektionierbarkeit des sozialen Lebens durch das Recht entgegen, daß es sehr wohl noch unvorhergesehene Situationen geben kann, die sich auch durch den Versuch einer noch so restlosen Normierung aller denkbaren Fälle nicht beseitigen lassen. In solchen Situationen offenbart sich, so Schmitt, wer souverän ist, d. h. wer de facto in der Lage ist, durch seine Macht den Ausnahmezustand zu beenden und wieder einen normalen Rechtszustand herzustellen. Die Argumentation der "Politischen Theologie" deckt sich mit der des Jenaer Vortrags. In bei den Erörterungen geht es nicht um eine Rechtsfrage. Schmitt will nicht behaupten, daß es ein wie auch immer zu begründendes überverfassungsmäßiges Recht auf Souveränität oder auf den Ausnahmezustand gibt, sondern lediglich, daß es im Leben zu Situationen 31 Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, S. 83 f. 32 Ernst Rudolf Huber, Zur Lehre vom Verfassungsnotstand in der Staatstheorie der Weimarer Zeit, in: Festschrift für Werner Weber, Berlin 1974, S. 35 f. 33 Hubers Fehlinterpretation dürfte sich am einfachsten wohl daraus erklären lassen, daß er selbst zu den Befürwortern eines überverfassungsmäßigen Staatsnotrechts gehörte. 34 earl Schmitt. Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, Berlin
1922. 35 Hans Kelsen. Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, Tübingen 1920.
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e) Das Mißtrauensvotum (Art. 54)
kommen kann, in denen das Recht aufhört und ein Staatsorgan oder eine Partei im beschriebenen Sinne souverän handelt. 36 Es ist weder nebensächlich noch zufällig, daß Schmitts "Politische Theologie" - bevor ihr Autor sie zu einer selbständigen Publikation ausbaute - zunächst als Aufsatz in der Festschrift für den Soziologen Max Weber erschien. Ihr Thema ist denn auch kein juristisches, sondern ein soziologisches; es geht nicht um Fragen des Sollens, sondern des Seins. Dementsprechend gehört auch der Begriff der Souveränität nicht in die Jurisprudenz, sondern in die Rechtssoziologie. Es ist die Vermengung der Rechtsfrage mit der Tatfrage, die zu der irrtümlichen Meinung geführt hat, Schmitt habe sich zugunsten eines überverfassungsmäßigen Staatsnotrechts geäußert.
e) Das Mißtrauensvotum (Art. 54) Da die Weimarer Jurisprudenz das Staatsnotrecht so gut wie einhellig verneinte, wäre seine Inanspruchnahme ein juristisch äußerst riskantes Unterfangen gewesen, zumal nicht voraussehbar war, ob sich die gemäßigte öffentliche Meinu~g hinter den Reichspräsidenten stellen würde. Deshalb entwarf Schmitt den im zweiten Kapitel dieser Arbeit dokumentierten Alternativplan: Der Reichstag sollte nicht aufgelöst werden, wohl aber sollte Hindenburg einem negativen Mißtrauensvotum die Anerkennung verweigern. Die Begründung hätte lauten sollen, daß ein negatives Mißtrauensvotum einer heterogen zusammengesetzten Mehrheit einen Mißbrauch der Verfassung darstelle und der Reichspräsident die Pflicht habe, die Verfassung vor einem solchen Mißbrauch zu schützen. Auch dies wäre ein Vorgehen gewesen, das nach streng formalistischer Auslegung unzulässig war, da der Wortlaut der Verfassung keinen Unterschied machte zwischen einem konstruktiven und einem negativen Mißtrauensvotum: Art. 54 WRV Der Reichskanzler und die Reichsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstags. Jeder von ihnen muß zurücktreten, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluß sein Vertrauen entzieht. Schmitt hatte in seiner 1928 veröffentlichten "Verfassungslehre" die Meinung vertreten, die Rücktrittspflicht der Regierung bestehe nur dann, wenn der Mißtrauensbeschluß von einer homogenen Mehrheit gefaßt werde; andernfalls sei der Reichspräsident berechtigt, die zum Rücktritt aufgeforderte Regierung im Amt zu belassen. Der Anlaß zu dieser Auslegung des Art. 54 WRV waren zwei kurz auf36 Die von Helmut Quaritsch, Souveränität und Ausnahmezustand. Zum Souveränitätsbegriff im Werk earl Schmitts, in: Der Staat, Bd. 35, 1996, S. 18 geäußerte Ansicht, Schmitt sei es darum gegangen, die Frage, was geschehen solle, wenn das Recht aufhöre, zu einer Rechtsfrage zu machen, den Ausnahmezustand also sozusagen "einzuregistrieren", kann ich nicht teilen. Hätte Quaritsch Recht, so wäre Schmitt dem gleichen rationalistischen Regelungsglauben verfallen, gegen den sich die Polemik der ,,Politischen Theologie" richtete.
3. Carl Schmitt und die Verfassungskrise der Weimarer Republik
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einanderfolgende Regierungskrisen des Jahres 1926 gewesen. In beiden Fällen war die Reichsregierung - es handelte sich um die Kabinette Luther und Marx - zurückgetreten, obwohl offensichtlich war, daß die den Beschluß fassenden Parteien - KPD, SPD, DNVP und Völkische - keine arbeitsfähige Koalition bildeten, so daß die gestürzte Regierung durch eine andere hätte ersetzt werden können. Der Vorgang erzeugte in weiten Teilen der Öffentlichkeit erheblichen Unmut. 37 Schmitt zog die naheliegende Konsequenz, als er bemerkte: ,,Aber wenn die Motive sich offen widersprechen und etwa Kommunisten und Deutschnationale für einen Mißtrauensantrag stimmen, so schließt doch offenbar die Verschiedenheit der Motive das notwendige und vernünftige Korrelat eines Mißtrauensbeschlusses, nämlich die Möglichkeit des Vertrauens und einer neuen Regierungsbildung aus. Der Mißtrauensbeschluß ist dann ein bloßer Akt der Obstruktion. Hier kann die Pflicht zum Rücktritt nicht bestehen ...38 Das Echo war zwiespältig. Viele Juristen, Politiker und Publizisten begrüßten Schmitts Initiative, nicht zuletzt weil es sich hierbei um die juristische Formulierung einer Forderung handelte, die seit den Vorkommnissen des Jahres 1926 allgemein in der Luft lag. 39 Auch der in Verfassungsfragen maßgebende Kommentar mochte sich der Idee eines konstruktiven Mißtrauensvotums nicht verschließen. Anschütz gab freimütig zu, daß die Zulässigkeit eines destruktiven Mißtrauensvotums eine der empfindlichsten Schwachstellen des Weimarer Parlamentarismus war; nur stellte er sich auf den Standpunkt, daß es nicht Sache der juristischen Auslegung, sondern des dazu berufenen Verfassungsorgans zu sein habe, dem Mißstand durch eine entsprechende Rechtsänderung abzuhelfen: ,,Ein gemäß Art. 54 Satz 2 vom Reichstag gefaßter Beschluß ist auch dann wirksam, wenn die Mehrheit, die ihn faßt, heterogen ist, insbes. auch dann, wenn die Gruppen, aus denen die Mehrheit sich zusammensetzt, aus ganz gegensätzlichen Beweggründen für die Vertrauensentziehung stimmen, so daß die so zustande gekommene Mehrheit (etwa Rechtsund Linksradikale!) weder befähigt noch gewillt ist, die von ihr gestürzte Regierung durch eine aus ihren Reihen hervorgehende neue Regierung zu ersetzen. Das ist ein vielfach (zuerst von C. Schmitt) bemerkter Mißstand, den indessen nur der Gesetzgeber, durch Änderung des Art. 54, beseitigen kann, nicht aber eine ,Lücke der Verfassung', welche die Staatspraxis oder die Wissenschaft durch eigenmächtige Rechtsetzung auszufüllen befugt wäre. Der Ansicht Carl Schmitts, wonach ein Mißtrauensbeschluß unwirksam sein soll, wenn die Motive der für ihn stimmenden Fraktionen ,sich offen widersprechen', ist de lege ferenda vollauf zuzustimmen; daß sie bereits lex lata, m.a.W. aus Art. 54 als dessen Sinn herauszulesen sei, kann ich nicht zugeben." 4O
37 Lutz Berthold, Das Konstruktive Mißtrauensvotum und seine Ursprünge in der Weimarer Staatsrechtslehre, in: Der Staat, Bd. 36, S. 84 ff. 38 Schmill, Verfassungslehre, S. 345. 39 Graf Dohna, Die Krisis des deutschen Parlamentarismus. Vortrag auf der Tagung der deutschen Hochschullehrer in Weimar 1927, Heidelberg 1928, S. 35. Siehe auch Ernst Wolgast, Zum deutschen Parlamentarismus. Der Kampf um Artikel 54 der deutschen Reichsverfassung, Königsberg 1929.
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e) Das Mißtrauensvotum (Art. 54)
Die Meinungsverschiedenheit zwischen Schmitt und Anschütz betraf also allein die Frage, ob die Nichtwirksamkeit eines heterogenen Mißtrauensvotums bereits als der gültige "Sinn" aus der bestehenden Verfassung herausgelesen werden durfte, oder ob es dem Gesetzgeber vorbehalten sei, diese Regelung ausdrücklich in den Verfassungstext hineinzuschreiben. Folgte man strikt dem Wortlaut des Art. 54, wie es die herrschende Meinung tat, so mußte die Regierung in jedem Falle zurücktreten, gleichviel wie die Mehrheit beschaffen war, die dem Mißtrauensantrag zustimmte. Dagegen konnte Schmitt mit gutem Recht geltend machen, daß es nicht allein auf den Wortlaut der Verfassung ankomme, sondern ebenso darauf, was der Verfassungsgeber mit seiner Regelung hatte bezwecken wollen. War es denkbar, daß die Nationalversammlung einem zerstrittenen Parlament das Recht hatte zugestehen wollen, durch destruktive Mißtrauensbeschlüsse die Weimarer Republik in eine permanente Regierungskrise zu stürzen? Nein. Denn hätten die Abgeordneten der Nationalversammlung mehr Zeit gehabt, um den Fall eines destruktiven Mißtrauensvotums zu beraten, so hätten sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die besagte Unwirksamkeitsklausel expressis verbis in die Verfassung eingefügt. War diese Erwägung richtig, dann gab es gute Gründe, ein destruktives Mißtrauensvotum überhaupt nicht als einen Beschluß im Sinne des Art. 54 WRV gelten zu lassen. Der Staatsgerichtshof hätte es im Falle eines Prozesses nicht leicht gehabt, die Argumente, die für die Richtigkeit der von Schmitt vorgetragenen Ansicht sprachen, zurückzuweisen. Die Richter hätten sich dem Vorwurf ausgesetzt, stur am Wortlaut der Verfassung zu kleben, ohne deren Sinn zu bedenken; auf sie hätte handgreiflich das Wort zugetroffen: fiat iustitia, pereat mundus. Fraglich ist auch, ob sich im Streitfall tatsächlich namhafte Staatsrechtslehrer bereit gefunden hätten, vor dem Staatsgerichtshof eine Rechtsposition zu verteidigen, deren offenkundige Konsequenz die Erzwingung eines regierungs losen Zustands gewesen wäre. Ware es überhaupt zu einem Prozeß gekommen, so hätte Schmitt als Anwalt des Reichs alle argumentativen Trümpfe in der Hand gehabt. Die Reichsleitung hätte somit, ohne ein allzu großes juristisches Risiko einzugehen, den von Schmitt empfohlenen Weg gehen können. Allerdings stellte sich in diesem Zusammenhang ein weiteres, in der Öffentlichkeit wenig erörtertes Problem. Der Reichstag konnte der Reichsregierung nicht nur durch ein Mißtrauensvotum nach Art. 54 WRV gefährlich werden; er hatte auch die Möglichkeit, der Regierung mittels eines Außerkraftsetzungsveriangens nach Art. 48 Abs. 3 WRVeinen Strich durch die Rechnung zu machen. Mißtrauensvotum und Außerkraftsetzungsveriangen waren die beiden Hauptwaffen, die der Reichstag in seinem Kampf gegen das Präsidialregime besaß. Es nützte nichts, wenn die Reichsregierung zwar vor einem Mißtrauensvotum geschützt war, sich 40 Anschütz, Verfassung, S. 103. Richard Thoma, Die rechtliche Ordnung des parlamentarischen Regierungssystems, in: Gerhard Anschütz/Richard Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, Tübingen 1932, S. 511.
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aber vom Reichstag ihre präsidialen Notverordnungen aus der Hand schlagen lassen mußte. Der Reichstag hätte die Regierung zwar nicht stürzen, wohl aber zur Tatenlosigkeit verdammen können. Es wäre von daher unbedingt nötig gewesen, der Nichtanerkennung eines heterogenen Mißtrauensvotums die Nichtanerkennung eines heterogenen Außerkraftsetzungsverlangens an die Seite zu stellen. Dem arbeitsunfähigen, aber jederzeit zur Obstruktion bereiten Reichstag mußte sowohl das Recht bestritten werden, die bestehende Reichsregierung zu stürzen wie auch die Außerkraftsetzung der präsidialen Notverordnungen zu erzwingen. Erst in dem Moment, in dem beide Bedingungen erfüllt waren, konnte die von Schmitt empfohlene Lösung des verfassungsrechtlichen Problems einen wirksamen Schutz der Präsidialregierung vor dem Reichstag bieten. 41 Wenn Schmitt der Reichsleitung den Vorschlag machte, destruktiven Mißtrauensvoten künftig die Anerkennung zu versagen, so schloß dies also automatisch die weitergehende Absicht ein, bei einem destruktiven Außerkraftsetzungsverlangen ebenso zu verfahren. In einem Prozeß vor dem Staatsgerichtshof hätte die Reichsleitung argumentieren können, daß für das Außerkraftsetzungsveriangen analog das Gleiche zu gelten habe wie für den Mißtrauensbeschluß. Denn wenn einmal anerkannt war, daß dem Reichstag nicht das Recht zustand, durch sein destruktives Verhalten einen regierungslosen Zustand herbeizuführen, so gab es keinen ersichtlichen Grund, warum für ein heterogenes Außerkraftsetzungsverlangen etwas anderes gelten sollte. Hätte das Gericht entschieden, daß ein von einer Mehrheit aus Abgeordneten der KPD und der NSDAP beschlossenes Mißtrauensvotum unwirksam, dagegen ein von derselben Mehrheit beschlossenes Außerkraftsetzungsverlangen wirksam sein sollte, so hätten die Richter sich der berechtigten Kritik ausgesetzt, mit einem unlogischen Kompromißurteil ein unsinniges Ergebnis herbeigeführt zu haben. Es ist somit stark anzunehmen, daß die Richter - sobald sie sich, was wahrscheinlich war, auf die Schmittsche Argumentation bezüglich des Mißtrauensvotums einließen - in der Frage des Außerkraftsetzungsverlangens analog entschieden hätten.
f) Der Verfassungseid des Reichspräsidenten (Art. 42)
Der von Schmitt vorgeschlagene Weg bewegte sich im Rahmen der Verfassung. Hätte der Reichspräsident einem destruktiven Mißtrauensvotum bzw. Außerkraftsetzungsverlangen die Anerkennung verweigert, so hätte er lediglich seine Pflicht 41 Das Problem wurde von Schmitt und allen juristisch denkenden Beteiligten natürlich gesehen, obgleich es in den im Anhang dokumentierten Schriftstücken nicht explizit angesprochen wurde. Jedoch hatte Horst Michael in einem seiner Aufsätze auf diesen Aspekt hingewiesen: "Wenn der Reichstag seine Verfassungspflicht verletzt, und wenn er nicht mehr selber die Gesetzgebungsarbeit leisten will, so verliert er damit zwangsläufig auch seinen Rechtsanspruch, die gesetzesvertretenden Verordnungen des Reichspräsidenten willkürlich aufzuheben." Der Eid des Reichspräsidenten, S. 3.
f) Der Verfassungseid des Reichspräsidenten (Art. 42)
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als "Hüter der Verfassung" getan. Wenn eine Parlamentsmehrheit die Reichsregierung stürzte, um sie durch eine neue zu ersetzen, so machte diese Mehrheit von ihrem guten Recht Gebrauch; sie daran zu hindern, wäre selbstverständlich Verfassungsbruch gewesen. Anders lagen die Dinge bei einem destruktiven Mißtrauensvotum; hier handelte es sich offensichtlich um einen Mißbrauch der Verfassung. Der Reichspräsident hatte in diesem Fall nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, die Verfassung vor einem derartigen Mißbrauch zu schützen. Diese Pflicht ergab sich nicht erst aus allgemeinen staats- oder rechtsphilosophischen Erwägungen, sondern war nach Schmitt ein endogener Bestandteil der Verfassung selbst. Sie ergab sich aus dem Eid, den der Präsident bei seinem Amtsantritt auf die Verfassung zu leisten hatte: Art. 42 WRV (I) Der Reichspräsident leistet bei der Übernahme seines Amtes vor dem Reichstag fol-
genden Eid: (2) Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, die Verfassung und die Gesetze des Reichs wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. (3) Die Beifügung einer religiösen Beteuerung ist zulässig. Auf die Frage, was man darunter zu verstehen hatte, daß der Präsident sich mit seinem Schwur verpflichtete, "die Verfassung zu wahren", gab es zwei Antworten. Für die herrschende Meinung war der Eid nicht mehr als ein feierliches Versprechen, kein Gesetz zu übertreten. Nach der Auffassung Schmitts dagegen begründete der Eid die viel weiter gefaßte Pflicht, die Verfassung als ein Ganzes zu bewahren, wozu konsequenterweise auch gehörte, sie im äußersten Notfall mit allen verfügbaren Mitteln gegen ihre Feinde zu schützen. Ging es also in Art. 42 aus herrschender Sicht um den Schutz der Verfassung vor dem Präsidenten, so aus Schmitts Sicht um den Schutz der Verfassung durch den Präsidenten. Die konträren Auffassungen von der Bedeutung des Verfassungseids resultierten aus je unterschiedlichen Verfassungsbegriffen. Nach der herrschenden Meinung war die Verfassung die Summe der einzelnen Verfassungs gesetze, nach Schmitt war sie dagegen ein Ganzes, das - wie bereits erwähnt42 - seinen Sinn aus einer Reihe fundamentaler Grundentscheidungen des Verfassungsgebers bezog. Diese Entscheidungen machten in der Terminologie Schmitts die "Substanz der Verfassung" oder die eigentliche "Verfassung" aus. Der Eid, den der Reichspräsident nach Art. 42 geschworen hatte, war infolgedessen auch nicht ein Eid auf jeden einzelnen der 181 Artikel der Weimarer Verfassung, sondern ein Eid auf eben diese Grundentscheidungen. Der Reichspräsident war der von der Verfassung beauftragte "Wahrer" oder "Hüter" ihrer fundamentalen Grundentscheidungen. 43 Siehe vom S. 52. Schmitt, Hüter der Verfassung, S. 158. Ernst Friesenhahn, Der Verfassungseid, Bonn 1928. Es handelte sich bei der zuletzt zitierten Schrift um eine von Schmitt betreute Disserta42 43
tion.
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In der Konsequenz konnte diese Auffassung von der Stellung und Aufgabe des Präsidenten bedeuten, daß die Durchbrechung eines einzelnen Verfassungsgesetzes - sofern diese Durchbrechung im Interesse des langfristigen Erhalts des Sinnganzen unbedingt erforderlich war - nicht als ein Bruch des Eids, wie es die herrschende Meinung sah, sondern im Gegenteil als dessen Erfüllung zu bewerten war. Wenn der Reichspräsident sich entgegen dem Wortlaut des Art. 54 WRV weigerte, eine Regierung zu entlassen, die von einer negativen oder gar verfassungsfeindlichen Parlamentsmehrheit zum Rücktritt aufgefordert worden war, so mochte das bei formalistischer Betrachtung - einen Verstoß gegen den Buchstaben der Verfassung und damit einen Bruch des präsidialen Verfassungseids darstellen. Aus Schmittscher Sicht handelte es sich dagegen um etwas völlig anderes: indem der Reichspräsident ein destruktives Mißtrauensvotum ignorierte, schützte er die Verfassung vor ihrem Mißbrauch und die parlamentarische Regierungsform vor der Selbstzerstörung durch verantwortungslos handelnde Parteien. Der Gedanke könnte nahe liegen, die Schmittsche Auslegung des präsidialen Verfassungseids laufe auf dasselbe hinaus wie die Behauptung eines übergesetzlichen Staatsnotrechts. Dem ist entgegenzuhalten: Wohl ist richtig, daß nach Schmitt die aus dem Eid sich begründende Pflicht des Präsidenten, notfalls auch gegen den Wortlaut der Verfassung zu handeln, im praktischen Ergebnis von einem auf Staatsnotrecht sich berufenden Handeln kaum zu unterscheiden ist. In beiden Fällen wird die Legalität aus Gründen einer irgendwie gearteten höheren Gerechtigkeit durchbrochen und ein extralegales Handeln der Staatsgewalt legitimiert. Doch ist es durchaus nicht gleichgültig, in welchem Geist ein Handeln geschieht und auf welches Ziel der Handelnde sich mit seiner Rechtsbegründung symbolisch verpflichtet. Es macht einen Unterschied, ob der "Staat (die Ordnung schlechthin) oder die "Verfassung" (eine konkrete Ordnung) als das Schutzgut der verfassungsdurchbrechenden Aktion proklamiert wird. 44 Ein extralegales Handeln des Reichspräsidenten - als des Hüters der Verfassung - war nach Schmitt jedenfalls nur dann legitim, wenn von allen vernünftigen und wohlmeinenden Beurteilern einsehbare sachliche Gründe zu diesem Handeln zwangen und das Ziel der Aktion die Wahrung der geltenden Verfassungprinzipien war.
44 So auch Michael, Der Eid des Reichspräsidenten, der für den Fall eines parlamentarischen Mißbrauchs der Auflösungsbefugnis auch eine Suspension des Reichstags durch den Reichspräsidenten für zulässig erachtete. Dabei dürfe allerdings, so Michael, der Reichstag nicht als Institution beseitigt oder seine Zusammensetzung bzw. das Wahlrecht geändert werden, da dies auf einen offensichtlichen Verfassungsbruch hinauslaufe. Der Rechtfertigungsgrund für die Suspension liege nicht in einem unbestimmten Staatsnotstandsrecht begründet, sondern darin, daß sich der Reichspräsident gegenüber einer Sabotage durch den Reichstag auf seinen Verfassungseid stützen könne.
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g) Resümee g) Resümee
Die Weimarer Republik war 1932/33 - wenn überhaupt - nur noch zu retten, wenn es der Reichsleitung gelang, den von verfassungsfeindlichen Parteien beherrschten Reichstag auszuschalten. Dazu boten sich, um die in diesem Kapitel angestellten Erörterungen zusammenzufassen, im Prinzip vier Wege: 1. die ständig wiederholte Auflösung des Reichstags, 2. die Auflösung des Reichstags und Neuwahlen unter Ausschluß der radikalen Parteien, 3. die Auflösung des Reichstags unter Aussetzung der Neuwahl, und 4. die Nichtanerkennung negativer Reichstagsbeschlüsse. Die wiederholte Auflösung des Reichstags wäre verfassungsrechtlich zulässig gewesen. Zwar schrieb Art. 25 Abs. 1 WRV vor, daß der Reichstag nur einmal aus dem gleichen Anlaß aufgelöst werden durfte. Doch ließ sich diese Klausel, wie der führende Verfassungskommentar von Anschütz bestätigte, dadurch umgehen, daß der Reichspräsident in der Auflösungsverfügung jedesmal einen neuen Anlaß behauptete. Außerdem hatte Schmitt überzeugend argumentiert, daß der ursprüngliche Sinn der Einmaligkeitsklausel entfiel, wenn der Grund der Auflösung die Arbeitsunfähigkeit des Reichstags war, und daß ein Festhalten an dieser Klausel zu dem vemunftwidrigen Ergebnis führen mußte, dem Reichstag ein Recht auf die Herbeiführung eines regierungs- und gesetzlosen Zustands zuzugestehen. Daß die Reichsleitung den Weg der wiederholten Reichstagsauflösung trotzdem nicht ging, geschah denn auch weniger aus einer rechtlichen als aus einer politischen Erwägung: jeder neue Wahlkampf mußte zu einer weiteren und gefährlicheren Eskalierung des Terrors in der ohnehin schon am Abgrund des Bürgerkriegs stehenden Weimarer Gesellschaft führen. Es war deshalb unbedingt geboten, einen anderen Weg zu finden, auch wenn dieser einen stärkeren Konflikt mit dem bestehenden Verfassungsrecht bedeutete. Theoretisch hätte auch die Möglichkeit bestanden, Neuwahlen zwar stattfinden zu lassen, aber NSDAP und KPD durch ein Parteiverbot von diesen auszuschließen. Die Mehrheit der Weimarer Juristen und höchstwahrscheinlich auch der Staatsgerichtshof hätte einen solchen Schritt jedoch als einen klaren Verstoß gegen die Verfassung betrachtet. Worauf Schmitt in seinen Schriften eindringlich hingewiesen hatte, wäre ein - heute selbstverständliches - Verbot verfassungsfeindlicher Parteien nur bei einem grundsätzlich gewandelten Verfassungsverständnis zulässig gewesen. Solange die Verfassung von der herrschenden Rechtsmeinung als ein offenes, nach allen Richtungen veränderbares System aufgefaßt wurde, in dem jede Partei, gleichviel welche Ziele sie verfolgte, die formal gleiche Chance der Machtgewinnung beanspruchen konnte, ließ sich ein Verbot nur dann rechtfertigen, wenn der betreffenden Partei ein systematisch und planmäßig illegales Verhalten nachgewiesen werden konnte. Dies war aber weder bei der KPD und noch weniger bei
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der NSDAP, die aus eben diesem Grund eine betont legalistische Strategie verfolgte, möglich. Die Reichsleitung hätte sich mit einem Parteiverbot selbst ins Unrecht gesetzt, während die verfassungsfeindlichen Parteien sich ihr gegenüber als die wahren Hüter der Verfassung hätten aufspielen können. Schnell hätte auf diese Weise eine Situation entstehen können, in der die Reichswehr - wie Schleicher in seinem Vortrag vor den Wehrkreisbefehlshabern befürchtete - "gegen 9110 des Volkes mit dem Maschinengewehr auf der Straße" gestanden hätte. Die Auflösung des Reichstags unter Aussetzung der Neuwahl erschien der Reichsleitung eine Zeit lang als die politisch sinnvollste Option. Jedoch barg auch dieser Schritt ein hohes juristisches und damit politisches Risiko. Die Verschiebung der Neuwahl verstieß gegen den eindeutigen Wortlaut des Art. 25 Abs. 2 WRY. Der Art. 48 Abs. 2 WRV fiel als möglicher Rechtsgrund aus, da sowohl nach der herrschenden wie auch nach der in den 20er Jahren von Schmitt vertretenen Meinung dieser Artikel nicht dazu verwendet werden durfte, den Reichstag an der Ausübung seiner verfassungsmäßigen Funktionen und insbesondere an seiner Kontrollbefugnis aus Art. 48 Abs. 3 WRV zu hindern. Wollte die Reichsleitung die Neuwahl dennoch verschieben, so blieb ihr als Rechtsgrund nur die Berufung auf ein überlegales Staatsnotrecht. Da ein solches Notrecht von der Weimarer Jurisprudenz vorwiegend abgelehnt wurde und im übrigen nicht einmal von Schmitt unterstützt worden war, mußte damit gerechnet werden, daß auch hier die öffentliche Meinung und die Gerichte sich gegen die Reichsleitung stellen würden. Die Furcht des Präsidenten vor einem Prozeß, in dem seine Verfassungstreue in Zweifel gezogen worden wäre, gab schließlich den Ausschlag dafür, daß Hitler, der Führer der parlamentarisch erfolgreichsten Partei, sich mit seiner Strategie durchsetzen und auf legale Weise an die Macht gelangen konnte. Die von Schmitt vorgeschlagene Alternative beruhte demgegenüber darauf, den Reichstag bestehen zu lassen, aber seine destruktiven Beschlüsse zu ignorieren. Auch hierin konnte man einen Verstoß gegen geltendes Verfassungsrecht erblicken, da Art. 54 WRV die Rücktrittspflicht der Reichsregierung bei erfolgtem Mißtrauensvotum bzw. Art. 48 Abs. 3 WRV die Pflicht des Präsidenten zur Aufhebung seiner Notverordnungen bei erfolgtem Außerkraftsetzungsverlangen statuierte, ohne diese Pflichten irgendeiner bedingenden Einschränkung zu unterwerfen. Jedoch konnte man auch mit guten Gründen die Ansicht vertreten, daß der Reichstag seine Rechte mißbrauchte, wenn er eine bestehende Regierung stürzte, ohne selbst in der Lage zu sein, die politische Gesamtentscheidung über ein neue Regierung und ein neues Regierungsprogramm zu treffen. Diesen Mißbrauch festzustellen und ihm abzuhelfen, war nach Schmitts Ansicht Sache des Reichspräsidenten, der als "Hüter der Verfassung" nicht nur die Gewähr dafür zu bieten hatte, daß der Buchstabe des einzelnen Gesetzes geachtet wurde, sondern auch und vor allem in einem weitergehenden Sinne dafür, daß die Verfassung als ein Ganzes vor feindlichen oder mißbräuchlichen Bestrebungen in Schutz genommen wurde. Die Reichsleitung hätte mit anderen Worten im Januar 1933 den von Schmitt vorgeschlagenen Weg wählen können, ohne ein allzu übermäßiges juristisches Risiko einzugehen. Eine 5 Berthold
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g) Resümee
Verurteilung des Reichspräsidenten und der Reichsminister nach Art. 59 WRV, d. h. wegen "schuldhafter Verletzung der Reichsverfassung", wäre nach Lage der Dinge eher unwahrscheinlich gewesen. Daß Schleicher, so weit die Quellen hierüber Auskunft geben, anscheinend erst gar nicht den Versuch machte, Hindenburg von der Möglichkeit des von Schmitt vorgeschlagenen Alternativplans in Kenntnis zu setzen und zu überzeugen, gehört - quod erat demonstrandum - zu den verpaßten Chancen der Weimarer Republik.
Schluß: earl Schmitt und das Problem der Verfassungsreform In der Einleitung wurde die Frage nach Schmitts Haltung zur Weimarer Verfassung gestellt. Dieter Grimm hat zuletzt - im wesentlichen mit der gleichen Argumentation wie zuvor Heinrich Muth' - die These vertreten, Schmitt sei ein Mann Papens gewesen. Er begründet dies damit, daß sich Schmitt in seiner Abhandlung über ..Legalität und Legitimität", also im Sommer 1932, für eine plebiszitär-autoritäre Umgestaltung der Verfassung eingesetzt habe. 2 Eine etwas später, im Oktober 1932 erschienene Abhandlung des in juristischen Kreisen angesehenen Kirchenund Staatsrechtiers Johannes Heckel mit dem Titel ..Diktatur, Notverordnungsrecht, Verfassungsnotstand" führt Grimm dagegen als Beispiel für eine juristische Position an, die der Politik Schleichers entsprochen habe. 3 Richtig ist jedoch, daß genau umgekehrt die Position Schmitts den Absichten Schleichers entsprach, während die Position Heckeis der von Papen und Gayl angestrebten Verfassungsreform entgegenkam. Die Interpretation Grimms erhält ein besonderes Gewicht dadurch, daß sie von Winkler übernommen wird und so Eingang in das allgemeine Geschichtsbild findet. Dieser sieht zwar in Schleicher die ..letzte Chance" der Weimarer Republik, erkennt aber nicht an, daß die gleiche Wertung konsequenterweise auch für dessen juristischen Berater gelten müßte. Stattdessen wird Schmitt jenen antidemokratischen Juristen zugerechnet, die mit ihren Theorien angeblich die Republik unterhölten. 4 In den letzten Jahren der Republik bestand über die dringende Notwendigkeit einer Verfassungsreform weitgehend Einigkeit. Die Beseitigung des unhaltbaren Dualismus zwischen Preußen und dem Reich war lange ein Dauerthema gewesen. 5 Durch die Einsetzung eines Reichskommissars für Preußen im Juli 1932 und das einschlägige Urteil des Staatsgerichtshofs im Oktober 1932 war dieses drängende Problem vorläufig gelöst. 6 Mit dem totalen Zusammenbruch des parlamentarischen Systems im Sommer 1932 schob sich mehr und mehr die Frage der Regierbarkeit in den Vordergrund. Es mußten - sollte die Verfassung als funktionsfähiges politiMuth, Schmitt in der deutschen Innenpolitik. Grimm, Verfassungserfüllung, S. 183 ff. 3 Johannes Heckei, Diktatur, Notverordnungsrecht, Verfassungsnotstand, in: Archiv des öffentlichen Rechts 1932, Bd. 62, S. 257 ff. 4 Weimar, S. 519 5 Fritz Poetzsch-HeJfter, Grundgedanken der Reichsreform, Berlin 1931. 6 Mit diesem Thema beschäftigt sich ausführlich die am Otto-Suhr-Institut entstandene Diplomarbeit von Gabriel Seiberth, earl Schmitt und der ,Preußenschiag', Berlin 1996. 1
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sches System überhaupt erhalten bleiben - Wege gefunden werden, der Exekutivgewalt größere Unabhängigkeit gegenüber instabilen und wechselhaften Parlamentsmehrheiten zu sichern. Vor allem mußte das negative Mißtrauensvotum beseitigt werden. Nur ein zur Approbation fahiges Parlament durfte das Recht zur Reprobation haben. Das Dilemma einer jeden Verfassungsreform - gleich welchen Inhalts - war jedoch, daß der Umstand, der sie notwendig machte, zugleich ihre legale Durchführung hinderte. Die Verfassung konnte nach Art. 76 WRV im Wege der Gesetzgebung geändert werden, wenn zwei Drittel des Reichstags dem Änderungsentwurf zustimmten: Art. 76 Abs. I Satz I und 2 WRV Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert werden. Jedoch kommen Beschlüsse des Reichstags auf Abänderung der Verfassung nur zustande, wenn zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend sind und wenigstens zwei Drittel der Anwesenden zustimmen. War der Reichstag schon nicht in der Lage, sich mit einfacher Mehrheit auf ein Regierungsprogramm zu einigen, so noch weniger mit qualifizierter Mehrheit auf eine Verfassungsreform. Ein Ausweg aus dieser Schwierigkeit konnte theoretisch darin bestehen, daß die Verfassung neben dem Parlament auch die Möglichkeit bot, das Volk zum verfassungsändernden Gesetzgeber aufzurufen: Art. 76 Abs. I Satz 4 WRV
Soll auf Volksbegehren durch Volksentscheid eine Verfassungsänderung beschlossen werden, so ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich. Spätestens seit dem Sommer 1932 war aber auch der Volksentscheid kein brauchbares Instrument mehr, die notwendige Verfassungsänderung herbeizuführen. Die Regelung, derzufolge nicht die Mehrheit der Abstimmenden, sondern die Mehrheit der Stimmberechtigten für einen positiven Ausgang des Entscheids erforderlich war, setzte dem Vorhaben einer plebiszitären Verfassungsreform eine kaum zu überwindende Hürde entgegen. Die verfassungs feindlichen Parteien hätten im Falle einer Volksabstimmung die Passivwähler - d. h. die Unentschiedenen und Gleichgültigen - automatisch auf das eigene Konto buchen und damit die Reform leicht zum Scheitern bringen können. Wer am Erhalt der Republik noch ein ernsthaftes Interesse hatte, der mußte Wege ersinnen, die außerhalb des Verfassungsrechts verliefen und doch die Verfassung respektierten. Es war nicht verwunderlich, wenn der Gedanke aufkam, das beschriebene Dilemma durch eine zwar nicht ganz legale, aber doch, vom Boden der Verfassung aus betrachtet, legitime Aktion des Reichspräsidenten aufzubrechen. Johannes Heckel war der erste, der diesem Gedanken in einer rechtswissenschaftlichen Abhandlung adäquaten Ausdruck verlieh. In Anlehnung an den Begriff des Staatsnotstands prägte Heckel den Begriff des Verfassungsnotstands und unterschied zwei Fälle: 1. den Fall der vorübergehende Verfassungsstörung, und 2. den Fall der voraussichtlich dauerhaften Verfassungslähmung.
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Eine Verfassungs störung lag vor, wenn ein oberstes Staatsorgan durch außergewöhnliche Umstände an seiner von der Verfassung vorausgesetzten Aktionsfähigkeit gehindert war. In diesem Falle entstand für die übrigen Organe die Pflicht, die ihnen anvertraute Staatsgewalt so auszuüben, daß der politische Gesamtzweck der Verfassung trotz der abnormen Lage und in Anpassung an sie erreicht wurde. Hierbei war ein gewisser Ermessensspielraum über Art und Mittel der Notstandsaktion selbstverständlich; jedoch hatte sich das ersatzweise eintretende Organ nach dem "Grundsatz der staatsrechtlichen Äquivalenz" zu richten, d. h. seine Aktion mußte sich soweit irgend möglich im Rahmen der Verfassung halten. 7 Nahm die Verfassungsstörung dauerhaften Charakter an, so ging sie in eine Verfassungslähmung über. Dieser Fall war für Heckel mit der selbst durch wiederholte Neuwahlen nicht zu behebenden Unfähigkeit des Reichstags eingetreten, eine politische Gesamtentscheidung über das Regierungsprogramm und den Haushaltsplan herbeizuführen. 8 In dieser Lage war als letzter Ausweg der ,,Appell des Präsidenten an das Volk als Verfassungsgeber zu einer Verfassungsänderung im Wege der Notstandsaktion" zulässig. 9 Im Gegensatz zur regulären Verfassungsänderung nach Art. 76 WRV war der notstandsbedingte Appell des Präsidenten an das Volk nicht an den Buchstaben der Verfassung und damit auch nicht an das Erfordernis der Mehrheit der Stimmberechtigten gebunden. Über den Appell sollte die "einfache Mehrheit der Abstimmenden" entscheiden. 10 Die Legitimität eines solchen, außerhalb der Legalität angesiedelten Vorgehens folgte nach Heckel aus der "Treupflicht des Reichspräsidenten gegenüber der Verfassung als einer Totalität."l1 Durch die "Verfassungsintention", so Hecke!, unterscheide sich die Notstandsaktion von einem Verfassungsbruch oder einem Staatsstreich. Der von Heckel empfohlene Weg barg erhebliche Risiken. Auch wenn das erforderliche Quorum entscheidend gesenkt wurde, war keineswegs ausgemacht, daß der Reichspräsident mit seinem Appell an das Volk erfolgreich sein würde. Ein Sieg der Reformgegner hätte den Rücktritt Hindenburgs erzwungen und Hitler zum führenden Mann gemacht. Die Abstimmung konnte schnell zu einer Neuauflage des Präsidentenwahlkampfs zwischen Hindenburg und Hitler geraten. Hindenburg hatte im Mai 1932 relativ knapp gewonnen, ob er auch noch 1933 gegen Hitler gewinnen würde, war keineswegs sicher. Sicher war nur, daß der Appell des Präsidenten mit einer gewissen Zwangsläufigkeit in eine ungewisse Abstimmung Heckel, Diktatur, S. 311. Heckel, Diktatur, S. 314. 9 Heckel, Diktatur, S. 315. 10 Heckel, Diktatur, S. 318. 11 Heckel, Diktatur, S. 311. Für den Begriff der "Verfassung als Totalität" verwies Heckel ausdrücklich auf Schmitts Verfassungslehre und die dort entwickelte Unterscheidung zwi7
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schen Verfassungsgesetz und Verfassung, vgl. vorn S. 52.
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über das Schicksal der Weimarer Demokratie und ihrer rechtsstaatlichen Grundsätze einmünden würde. Die mit einem Verfassungsappell des Präsidenten verbundene politische Unwägbarkeit war der Grund, weshalb Schmitt zu den Reformskeptikern zählte. Nur einen Augenblick, im Sommer 1932, scheint er mit dem Gedanken eines präsidialen Appells sympathisiert zu haben. In "Legalität und Legitimität" schrieb er, die plebiszitäre Legitimität sei die einzige Art staatlicher Rechtfertigung, die heute allgemein als gültig anerkannt sein dürfte. Dabei sei allerdings zu beachten, daß das Plebiszit eine autoritäre Regierung voraussetze, welche die plebiszitäre Frage im richtigen Augenblick richtig zu stellen wisse. 12 Grundsätzlich jedoch lehnte Schmitt die Idee einer Verfassungsreform, die nach Lage der Dinge nur eine plebiszitäre sein konnte, ausdrücklich ab; so 1930 in einem Diskussionsbeitrag auf der Tagung des Langnam-Vereins. 13 Wichtiger als die Änderung irgendwelcher Normen sei es, so Schmitt, sich über die politischen Kräfte klar zu werden, auf die es in der gegenwärtigen Krisensituation ankomme: 1. die pluralistischen Parteien und Verbände, 2. die starken Reste eines partei politisch neutralen Beamtenturns einschließlich der Reichswehr, mit dem Reichspräsidenten als Mittelpunkt, und 3. die von den pluralistischen Gruppen noch nicht erfaßte, "echte" öffentliche Meinung. Gestützt auf die öffentliche Meinung, das Beamtenturn und die Reichswehr sollte der Präsident die in der Verfassung enthaltenen legalen Mittel, d. h. vor allem die Möglichkeiten des Art. 48, voll ausschöpfen, um die souveräne Neutralität des Staates gegen die Ansprüche der gesellschaftlichen Gruppen zu verteidigen. Es habe sich nämlich gezeigt, daß diese Mittel gegenüber dem Parlament und dem pluralistischen Parteienstaat sehr wirksam seien. Die Anwendung des Art. 48 habe, trotz des von einigen Seiten zu Unrecht erhobenen Vorwurfs des Verfassungsbruchs, in der verwaltungsmäßigen Durchführung und der richterlichen Überprüfung der Brüningschen Notverordnungen keinen nennenswerten Widerstand gefunden. Im November 1932, wenige Tage vor dem Sturz der Regierung Papen, äußerte sich Schmitt an gleicher Stelle erneut zur Frage der Verfassungsreform. 14 Wahrend Springorum, der Vorsitzende des Langnam-Vereins, und Luther, der ehemalige Schmirr, Legalität und Legitimität, S. 93 f. Redebeitrag auf der Tagung des Langnam-Vereins vom 4. November 1930. Thema: "Mut zum Handeln". Abgedruckt in: Mitteilungen des Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen, 1930, H. 4. 14 Carl Schnürt, Starker Staat und gesunde Wirtschaft. Vortrag, gehalten am 23. November 1932 auf der Mitgliederversammlung des "Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen" in Düsseldorf. Abgedruckt in: Mitteilungen des Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen, 1932, S. 13 - 23. Neuabdruck in: Carl Schmirt, Staat, Großraum, Nomos. Hrsgg. u. komm. v. Günter Maschke, Berlin 1995, S. 71 ff. 12
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Reichskanzler und Reichsbankpräsident. sich für eine Reform aussprachen. war es wieder Schmitt. der die Versammlung vor ..falschen politischen Fragestellungen,,15 warnte. Schleichers Regierungserklärung vom 15. Dezember 1932 vorwegnehmend. sagte er: ..Wir brauchen zuerst einmal einen starken handlungsfähigen. seinen großen Aufgaben gewachsenen Staat. Haben wir ihn. so können wir neue Einrichtungen. neue Institutionen. neue Verfassungen schaffen. Ich bin der Meinung. es ist sehr hohe Zeit und wir haben nicht mehr viele Möglichkeiten. auch nicht mehr viel Spielraum für große Verfassungsexperimente. ,,16 Schmitt war der Überzeugung. daß sich die Probleme und Mängel der Weimarer Verfassung am einfachsten und sinnvollsten im Wege der politischen und rechtlichen Durchsetzung von Präzedenzfällen überwinden ließen. Schon der Übergang vom parlamentarischen zum präsidialen Regierungssystem war in Schmitts Augen ein solcher Vorgang gewesen. Durch entschlossenes Handeln hatte der Präsident nach Beendigung der Großen Koalition den Haushalt und die dringend notwendigen finanziellen Sanierungsgesetze im Wege der Notverordnung verabschiedet. Ob dieses Vorgehen legal war. konnte strittig sein und wurde von nicht wenigen Juristen bezweifelt. Wie schon angedeutet. hatte Schmitt selbst - 1924 in seinem Jenaer Referat über die ..Diktatur des Reichspräsidenten" - die Zulässigkeit eines sogenannten ..gesetzvertretenden Notverordnungsrechts" aus Art. 48 mit grundsätzlichen Argumenten bestritten. 17 Später hatte er jedoch seine Meinung revidiert; in einem Rechtsgutachten. das er 1930 für die Regierung Brüning verfaßte. hielt er zwar nach wie vor daran fest. daß der Art. 48 dem Präsidenten ursprünglich kein gesetzvertretendes Notverordnungsrecht. sondern nur eine Befugnis zu verfassungsdurchbrechenden Maßnahmen verleihen wollte; doch räumte er jetzt ein. daß durch eine mehr als zehnjährige. schon von Präsident Ebert geübte Praxis sich aus einer anfänglichen Rechtsübertretung eine zum Gewohnheitsrecht verfestigte Verfassungsänderung ergeben habe. Diese habe dazu geführt. daß dem Art. 48 Abs. 2 de facto ein mittlerweile auch de jure zu bejahendes Notverordnungsrecht des Präsidenten hinzugefügt worden sei. Der zentrale Satz des Schmittschen Gutachtens lautete: ..Die verfassungsrechtliche Entwicklung hat für mehrere wichtige Fragen des Ausnahmezustandes und des Notverordnungsrechts zu Ergebnissen geführt. die in der Praxis der Regierungen. in Entscheidungen höchster Gerichte und auch im Schrifttum soweit anerkannt und angenommen sind. daß man von ihnen als einem Bestandteil unseres heutigen Verfassungsrechts ausgehen muß.,,18 IS ..Eine Warnung vor falschen politischen Fragestellungen" lautete der Titel eines Abdrucks von Schmitts erstem Langnamvortrag. in: Der Ring 1930. Jg. 3. S. 844 ff. 16 Schmitt, Starker Staat, S. 30. 17 Schmitt, Diktatur des Reichspräsidenten. S. 99: ..Der Reichspräsident ist kein Gesetzgeber. Er kann alle die Akte nicht vornehmen, welche durch verfassungsmäßige Bindung an ein bestimmtes Verfahren eine solche Rechtsförmigkeit erhalten haben, daß sie aufhören, ausschließlich durch die Lage der Verhältnisse bestimmt zu werden, also Maßnahmen zu sein. Er kann nicht ein formelles Gesetz nach Art. 68 der Verfassung erlassen." Vgl. vom S. 49 f.
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Nicht nur Schmitt, auch die Mehrheit der liberalen Rechtsgelehrten hatte der Notverordnungspraxis notgedrungen zustimmen müssen, da andernfalls die staatlichen Grundfunktionen nicht mehr gewährleistet gewesen wären. So hatte Anschütz in einem im Mai 1932 dem Reichsfinanzminister erstatteten Rechtsgutachten die Kreditbeschaffung im Wege des Art. 48 mit der ..rechtserzeugenden Macht der Not" gerechtfertigt. 19 Die staatliche Kreditaufnahme stand ebenso wie die Feststellung des Haushaltsplans nach der Weimarer Verfassung unter dem Vorbehalt eines parlamentarischen Reichsgesetzes (Art. 87). Hätte Brüning im Frühjahr 1932 mangels einer parlamentarischen Mehrheit keine Kredite aufgenommen, wie ein hoher Beamter der Reichsschuldenverwaltung gefordert hatte, so hätte der Staat wegen Zahlungsunfähigkeit praktisch zu existieren aufgehört. Wenn der Reichspräsident unter diesen Umständen die Ennächtigung zur Kreditaufnahme im Wege des Art. 48 WRVerteilte, so handelte es sich dabei um eine dem klassischen Staatsnotrecht sehr nahe kommende Maßnahme. Schmitt ausdrücklich zustimmend, argumentierte Anschütz, daß die ..gemeinsame Übung und Rechtsüberzeugung der obersten Staatsorgane" die Rechtswissenschaft verpflichte, den Art. 48 Abs. 2 weit auszulegen. 2o Der von Schmitt im Januar 1933 ins Reichskabinett lancierte Alternativplan ging denn auch davon aus, daß sich die Verfassung - wie schon beim Übergang vom Parlamentarismus zum Präsidialsystem - auch dieses Mal wieder durch ein aus der Not geborenes und entschiedenes Handeln des Reichspräsidenten wandeln lasse. Hätte Hindenburg einem destruktiven Reichstagsbeschluß die Anerkennung verweigert und erklärt, daß er dies zum Schutz der Verfassung auch in Zukunft zu tun gedenke, so wäre dieser Schritt aller Voraussicht nach letztendlich ebenso akzeptiert worden wie die Verabschiedung dringender Gesetze im Wege der Notverordnung. Denn beide Fälle waren ähnlich gelagert und riefen deshalb nach einer ähnlichen Beurteilung. Sowohl die Heranziehung des Art. 48 zu legislativen Zwekken wie auch die Mißachtung eines destruktiven Mißtrauensvotums nach Art. 54 mußte - bei restriktiver Auslegung der Verfassung - auf rechtliche Bedenken stoßen. Doch zwangen hier wie da sachliche Gründe, einer ausweitenden Auslegung 18 Verfassungsrechtliches Gutachten von Prof. Dr. Carl Schmitt über die Frage, ob der Reichspräsident befugt ist, auf Grund des Art. 48 Abs. 2 RV finanzgesetzvertretende Verordnungen zu erlassen, Berlin, den 28. Juli 1930, HStAD I RW 265 - 7 (Mit leichten Veränderungen abgedruckt in: Schmitt, Hüter der Verfassung, S. 117 -130, 118.) Siehe auch: earl Schmitt, Die staatsrechtliche Bedeutung der Notverordnung, insbesondere ihr Rechtsgültigkeit (1931), in: Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 248. 19 Rechtsgutachten über die Frage, ob Kreditermächtigungen (RV Art. 87) durch Maßnahmen des Reichspräsidenten auf Grund des Art. 48, 11 RVerteilt werden können, in: Reichskredite und Diktatur. Zwei Rechtsgutachten von Dr. Gerhard Anschütz und Dr. Walter lellinek, Tübingen 1932, S. 15. Sowie Dr. Richard Thoma, Rechtsgutachten über die Verfassungsmäßigkeit der Verordnung des Reichspräsidenten zur Behebung finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Notstände vom 26. Juli 1930 Reichsgesetzblatt Teil I, S. 311. Auf Ersuchen des Reichsministeriums des Innern (undatiert), HStAD IRW 265 - 7 (abgedruckt in: Zeitschrift für öffentliches Recht 1931, S. 12 ff.). 20 Gerhard Anschütz, Rechtsgutachten, S. 12.
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der jeweiligen Norm zuzustimmen, um nicht andernfalls einen gesetzgebungsbzw. regierungslosen Zustand eintreten zu lassen. Es ist deshalb auch sehr anzunehmen, daß sich die gemäßigte öffentliche Meinung, die Gerichte und die Verwaltungsbehörden kaum gegen den Reichspräsidenten gestellt hätten, solange die Unfahigkeit des Reichstags zur Verabschiedung dringend notwendiger Gesetze und zur Bildung einer parlamentarischen Regierungsmehrheit so offen zu Tage lag, wie dies 1932 der Fall war. Sowohl Schmitt wie auch Anschütz waren der Auffassung, daß die Inanspruchnahme des Art. 48 WRV zu gesetzgeberischen Zwecken gewohnheitsrechtlichen Charakter trage. Die Merkmale des Gewohnheitsrechts sind mehrjährige Übung und allgemeine Rechtsüberzeugung zumindest der obersten Staatsorgane. Da die Praxis der gesetzvertretenden Notverordnungen mit Billigung des Parlaments, der Gerichte und der Verwaltung eine zehnjährige Geschichte hatte, konnten diese Merkmale im Jahre 1932 als gegeben betrachtet werden. 21 Jedes Gewohnheitsrecht hat aber nicht nur eine Dauer, sondern auch einen Ursprung, der logischerweise nicht selbst wieder gewohnheitsrechtlichen Charakters sein kann. Dieser Ursprung kann sich aus einem Rechtsirrtum ergeben oder auch aus einem aus der Not geborenen Handeln, das in der Folge weitergeübt und allgemein akzeptiert wird. Was Schmitt in bezug auf die Wandlung des Art. 54 WRV, also auf die Nichtanerkennung heterogener Mißtrauensvoten vorschwebte, dürfte eben letzeres gewesen sein, nämlich daß der Reichspräsident durch die bewußte Schaffung eines historischen Präzedenzfalles eine gewohnheitsrechtliche Tradition in Gang setzen sollte. In Schmitts Tagebuch 22 findet sich unter dem 27. Januar 1933 der interessante Eintrag: ,,Der Hindenburg-Mythos ist zu Ende. Der Alte war schließlich doch nur ein Mac Mahon. Scheußlicher Zustand. Schleicher tritt zurück; Papen oder Hitler kommen.,,23 Als Marschall Mac Mahon, von 1873 bis 1879 Präsident der französischen Dritten Republik, die Kammer auflösen wollte, scheiterte er am Widerstand der Partei21 Ob Schmitt und Anschütz das Vorliegen eines Gewohnheitsrechts zurecht annahmen, wird unter Angabe weiterer Literaturhinweise von Karl Schultes, Jurisprudenz, S. 81 ff. kritisch erörtert; die Frage kann für den Zweck der vorliegenden Arbeit dahingestellt bleiben. 22 Das Tagebuch, das Schmitt selbst für den wichtigsten Teil seiner Hinterlassenschaft hielt (dazu Dirk van Laak, Nachlass Carl Schmitt - Verzeichnis des Bestandes im nordrheinwestfälischen Hauptstaatsarchiv", 1993, S. 15 f), wurde von Schmitt in dem Zeitraum 17.1. 1933 bis 31. 1. 1933 und 31. 3.1933 bis 13.4.1933 (HStAD/RW 265-336/13) bereits in den 60er Jahren transkribiert, wobei Schmitt allerdings gewisse Änderungen vornahm. Original in Gabelsberger Stenografie in HStAD/RW 265-44817/8/9. Ich danke für diese Auskunft Gabriel Seiberth. Der Zeitraum vom 23. 1. 1933 bis zum 31. 1. 1933 ist von Paul Noack mit geringfügigen Auslassungen abgedruckt: Carl Schmitt - Eine Biographie, 1993, S. 156 - 161. Das Tagebuch aus dem Zeitraum 1930 - 1933 wurde - in den 60 - 70er Jahren - von Frhr. von Medern und dem Stenografen Mauermann übertragen. 23 Paul Noack, Carl Schmitt, S. 159. Vgl. auch die Anspielung auf Mac Mahon in dem Michael-Papier, Anhang Nr. 2, S. 100.
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en. Die Folge dieses Vorgangs war, daß sowohl Mac Mahon wie auch seine Nachfolger von ihrem verfassungsmäßigen Recht der Parlamentsauflösung keinen Gebrauch mehr machten. Ein Präzedenzfall hatte die französische Verfassung in einem entscheidenden Punkt geändert, ohne daß es hierzu einer formellen Verfassungsänderung bedurfte hatte. Wäre es nach Schmitt gegangen, so hätte Hindenburg mit der Weigerung, ein destruktives Mißtrauensvotum des Reichstags anzuerkennen, im genau umgekehrten Sinne einen solchen Präzedenzfall schaffen können. Das materielle Ziel des von Schmitt angestrebten Verfassungswandels läßt sich in folgenden drei verfassungsrechtlichen Sätzen zusammenfassen: 1. Der Reichstag beschließt über die Gesetze. Ist der Reichstag jedoch zur Gesetzgebung nicht in der Lage, so hat der Reichspräsident das Recht, anstelle der ordentlichen Gesetzgebung Notverordnungen zu erlassen. 2. Die Reichsregierung muß den Rücktritt einreichen, wenn der Reichstag ihr das Vertrauen entzieht. Die Rücktrittspflicht entfällt jedoch, wenn der Mißtrauensbeschluß durch die Abstimmung von Fraktionen zustande gekommen ist, deren Motive sich offen widersprechen. 3. Der Reichstag kann vom Reichspräsidenten die Aufhebung der auf Grund des Art. 48 erlassenen Notverordnungen verlangen. Das Verlangen bleibt jedoch wirkungslos, wenn der Aufhebungsbeschluß durch die Abstimmung von Fraktionen zustande gekommen ist, deren Motive sich offen widersprechen. Das Regierungssystem der Weimarer Republik wäre durch die Anerkennung dieser Sätze keineswegs geschwächt oder gar bis zur Unkenntlichkeit in sein Gegenteil verkehrt worden. Es hätte sich bei allem doch immer noch um eine parlamentarische Demokratie - wenn auch mit einem situationsbedingten präsidial-autoritären Einschlag - gehandelt. Mit den aristokratischen Vorstellungen von einer ,,konservativen Revolution" hatten diese Sätze jedenfalls nur wenig gemeinsam. Man kann im übrigen zugunsten der Verfassungsmäßigkeit der von Schmitt favorisierten Lösung anführen, daß es gar nicht in der Absicht des Verfassungsgebers gelegen hatte, eine rein parlamentarische Demokratie zu errichten. 24 Die Nationalversammlung hatte vielmehr ein dualistisches System schaffen wollen, in dem die Gewichte auf den Präsidenten und das Parlament gleichmäßig verteilt waren. Der Präsident ernannte die Regierung, er konnte das Parlament auflösen und Neuwahlen verfügen, und er war ermächtigt, im Notfall zu den diktatorischen Maßnahmen des Art. 48 WRV zu greifen. Beim Parlament lag dagegen die Gesetzgebung, es konnte der Regierung das Vertrauen entziehen, und es konnte die Aufhebung der vom Präsidenten angeordneten Notstandsmaßnahmen verlangen. Sollte dieses Sy24 GerluJrd Anschütz, Die Verfassung, S. 241 ff. Fritz Poetzsch-HeJfter. Staatsleben, Teil 2, 1929, S. 81 ff. und 3. Teil, 1933, S. 119 ff. RicluJrd Thoma, Die rechtliche Ordnung, S. 509.
Bund zur Erneuerung des Reiches (Hrsg.), Die Rechte des deutschen Reichspräsidenten nach der Reichsverfassung, Berlin 1930. Schmitt, Hüter der Verfassung.
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stern funktionieren. so mußten Präsident und Parlament einvernehmlich zusammenarbeiten. Für den Fall. daß es dennoch zum Konflikt kam. sollte nach dem Willen des Verfassungsgebers das Volk - durch Auflösung und Neuwahl des Parlaments - zur plebiszitären Entscheidung aufgerufen werden. Das von Hugo Preuß im Anschluß an Robert Redslob erdachte Gleichgewichtssystem hätte sich bewähren können. wenn es eindeutige und entscheidungsfähige Mehrheiten gegeben hätte. Dies war aber nicht der Fall. Die Weimarer Gesellschaft zerfiel in eine Mehrzahl kompromißunfähiger Weltanschauungsgruppen. die ihren Ausdruck im .. pluralistischen Parteienstaat" fanden. 2s Der Pluralismus wäre eine segensreiche Voraussetzung des parlamentarischen Regierungssystems gewesen. wenn die verschiedenen Parteien auf einem gemeinsamen Boden von Grundüberzeugungen gestanden hätten und in der Lage gewesen wären. durch Kompromisse und Vereinbarungen regierungsfähige Koalitionen zu bilden. In Weimar war das Gegenteil der Fall. Der Pluralismus entwickelte sich hier zum chronischen Verfassungsproblem. weil das parlamentarische Regierungssystem zwangsläufig versagen mußte. wenn sich keine politischen Mehrheiten fanden. Insofern kann man sagen: Es war nicht verwunderlich. sondern lag in der Logik der Verfassung. wenn der Reichspräsident in das durch den Pluralismus verursachte Funktionsdefizit des Reichstags mit seinen Maßnahmen behelfsweise eingriff und sich dabei - mangels einer geeigneteren rechtlichen Grundlage - auf den Art. 48 WRV stützte. 26 Die Übernahme der parlamentarischen Funktionen durch den Reichspräsidenten mußte freilich einen seiner Intention nach substitutiven Charakter behalten. Daß Hindenburg im Januar 1933 erleichtert war. sich von der Last der Verantwortung befreien und die Regierungsgeschäfte einem Kabinett Hitler-Papen-Hugenberg übertragen zu können. zeigt deutlich. daß von präsidialer Seite an eine endgültige Usurpation der parlamentarischen Funktionen ohnehin nicht gedacht war. Nur solange das Parlament auf Grund seiner politischen Zusammensetzung zu keiner Entscheidung fähig war. durfte der Präsident seine Funktionen treuhänderisch in Anspruch nehmen. Schmitt hatte 1931 in seinem ..Hüter der Verfassung" einen Grundsatz formuliert. der auch bei diktaturunverdächtigen Juristen wie z. B. Ernst Fraenkel Zustimmung fand: .,Einem mehrheits- und handlungsfähigen Reichstag wird es nicht schwer fallen. durch das Verlangen der Außerkraftsetzung und nötigenfalls durch einen ausdrücklichen Mißtrauensbeschluß seine Auffassung gegenüber Reichspräsident und Reichsregierung zur Geltung zu bringen. Die geltende Reichsverfassung gibt einem mehrheits- und handlungsfähigen Reichstag alle Rechte und Möglichkeiten. deren ein Parlament bedarf. um sich als den maßgebenden Faktor der staatlichen Willensbildung durchzusetzen. Ist das zum Schauplatz des pluralistischen Systems gewordene Parlament dazu nicht imstande. so hat es
25 Sigmund Neumann. Die politischen Parteien in Deutschland. Berlin 1932. Theodor Geiger, Die soziale Schichtung des deutschen Volkes. Stuttgart 1932. 26 Friedrich Glum, Parlamentskrise und Verfassungslücke. in: Deutsche Juristen-Zeitung. Bd. 35. 1930. H. 22. S. 1413 ff. Fritz Poetzsch-HeJfter, Staatsleben. 3. Teil. S. 101 f. und S. 157 ff. Werner Conze, Die Krise des Parteienstaates in Deutschland 1929/30. in: Histori-
sche Zeitschrift. Bd. 178, 1954, S. 47 ff.
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Schluß: Carl Schmitt und das Problem der Verfassungsreform nicht das Recht, zu verlangen, daß auch alle anderen verantwortlichen Stellen handlungsunHihig werden ...27
Es ist nach allem Gesagten kaum zu leugnen, daß die von Schmitt als Alternative zum Staatsnotstandsplan vorgeschlagene Aktion auf die Wiederherstellung geordneter Verfassungsverhältnisse und nicht auf ihre weitere Erosion zielte. Dies ergibt sich vor allem und im wesentlichen aus zwei systematischen Gründen: I. Durch die Nichtachtung eines Mißtrauensvotums wäre das Parlament nicht gewaltsam aus dem politischen Prozeß entfernt, sondern es wäre ihm lediglich die Eigenverantwortung für seine Beteiligung oder Nichtbeteiligung an diesem Prozeß zugeschoben worden. Sobald das Parlament auf Grund veränderter gesellschaftlicher Bedingungen wieder Mehrheiten bilden konnte, wäre der Präsident wieder in die Reserve gerückt. 2. Der Präsident hätte sich zur Begründung seines notstandsbedingten Vorgehens nicht auf den "Staat", sondern auf seine Aufgabe als "Hüter der Verfassung" berufen. Der Legitimationsgrund für die Notstandsaktion hätte damit nicht außerhalb, sondern, was von hohem symbolischen Nutzen für den Erhalt der Weimarer Republik gewesen wäre, innerhalb der Verfassung gelegen. Gestützt auf Schmitts Januarvorschlag hätte es Schleicher unter Umständen gelingen können, den Reichspräsidenten davon zu überzeugen, daß es zur Berufung Hitlers eine Alternative gab, die das nach Lage der Dinge unvermeidliche juristische und politische Restrisiko auf ein notwendiges Minimum reduzierte. Im Gegensatz zur geplanten Neuwahlverschiebung brauchte die Reichsleitung bei Nichtanerkennung eines negativen Mißtrauensvotums den Vorwurf des Verfassungsbruchs kaum zu scheuen. Ob ihn die demokratischen Parteien überhaupt erhoben hätten, kann schon mit Fug und Recht bezweifelt werden. Die Reichsregierung hätte es deshalb in aller Gelassenheit auf einen Prozeß vor dem Staatsgerichtshof ankommen lassen können. Aus dem zu erwartenden Sieg vor dem Staatsgerichtshof wäre nicht nur der Reichspräsident in seiner Autorität und Stellung als Hüter der Verfassung gestärkt hervorgegangen, auch die Verfassung selbst wäre durch ein solches Urteil in ihrer Geltung bekräftigt worden. Carl Schmitt konnte schon deshalb kein Mann der konservativen Revolution sein, weil er sowohl in formell- wie in materiellrechtlicher Hinsicht eine völlig andere verfassungsrechtliche Position als die Konservativen um Papen vertrat: 1. Papen wollte eine regelrechte Verfassungsreform. Diese sollte im Wege des Oktroys oder des Plebiszits durchgesetzt werden. Heckeis Appell des Präsidenten an das Volk entsprach dieser Vorstellung. Schmitt dagegen bestritt die Notwendigkeit einer regelrechten Verfassungsänderung. Er glaubte, daß sich die Weimarer Verfassung im Wege der Schaffung von Präzedenzfällen - die bis an 27 Schmitt, Hüter der Verfassung, S. 131. Anschütz, Rechtsgutachten, S. 22 und Ernst Fraenkel, Verfassungsreform und Sozialdemokratie, in: Die Gesellschaft, Bd. 2, 1932, S. 486.
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die äußerste Grenze des juristisch Vertretbaren gingen - in ihrem Bedeutungsgehalt wandeln lasse. 2. Papen ging es um mehr als nur die dringend notwendige Wiederherstellung der Regierungsfähigkeit; sein Ziel war die aristokratische Entkoppelung des Staates von der "Herrschaft der Massen". Schleicher, Schmitt und die Wehrrnachtsabteilung dagegen wollten - ungeachtet verschiedener taktischer Auffassungen lediglich die technischen Voraussetzungen für ein stabiles und handlungsfähiges Regierungssystem schaffen. Ob die "konservative Revolution" unter den Bedingungen der modemen Industriegesellschaft mehr sein konnte als eine romantische Quichotterie, kann dahingestellt bleiben. Sicher scheint mir aber, daß der scharfsinnige Jurist Carl Schmitt über das "Verfassungsgequatsche,,28 Papens ebenso abschätzig geurteilt haben dürfte wie der machtbewußte General von Schleicher. earl Schmitt war kein ,,konservativer Revolutionär" und kein ,,Mann Papens". Die weit verbreitete Meinung, Schmitt sei unter die "antidemokratischen Wegbereiter" (Sontheimer) des Dritten Reiches zu zählen, beruht auf einem Irrtum, der sich daraus erklärt, daß man Schmitts unrühmliches Verhalten nach der Machtergreifung unkritisch auf die Interpretation seiner Schriften vor der Machtergreifung zurückprojeziert.
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So Schleicher, zit. bei Winkler, Weimar, S. 547.
Anhang Die im folgenden aufgeführten Schriftstücke finden sich - mit einer Ausnahme - im Nachlaß earl Schmitts. 1 Die Ausnahme bildet die schon lange bekannte Notiz aus dem Reichswehnninisterium (1.). Das von Schmitt instruierte "Papier" Horst Michaels (2.) wirft auf diese Notiz ein neues Licht; es belegt, daß der zu den Akten der Reichskanzlei gegebene Alternativplan (Nichtanerkennung eines negativen Mißtrauensvotums statt Auflösung des Reichstags und Verschiebung der Neuwahl) von Schmitt stammte. Das "Papier" enthält in der Anlage Stichworte zu einer Erklärung des Reichspräsidenten; diese wurden offensichtlich in dem Entwurf zu einer Kundgebung des Reichspräsidenten (3.) verarbeitet. Weitere Stichworte, aus der Feder Schmitts, enthält das letzte Dokument (4.).
1. Vortragsnotiz aus der Wehrmachtsabteilung2 Betr.: Vorgehen gegen den Reichstag. Für eine aktive Regierungspolitik gegenüber dem Reichstag ergeben sich, falls Neuwahlen vennieden werden sollen, drei Möglichkeiten: 1. Auflösung des Reichstags bei Bevorstehen eines Mißtrauensvotums. Ausset-
zung der Neuwahlen. Vorteil: Vollige Ausschaltung des Parlaments. Nachteil: Die Aussetzung der Neuwahlen wird von der Opposition als offene Verfassungs verletzung bezeichnet werden. Die Parteien werden der Regierung Illegalität vorwerfen. Auch vom Zentrum ist starker Widerstand zu erwarten. Die Regierung wird sich dauernd in der Verteidigung gegen derartige Parteiagitation befinden. 2. Zwangs vertagung. Begründung hierfür: Reichstag ist nicht arbeitsfähig. Der bestehende Unsicherheitszustand schafft Beunruhigung und erschwert wirtschaftliche Stabilisierung. Auflösung und Neuwahlen haben keinen Zweck, da sie wesentliche Änderung der Parteiverhältnisse nicht bringen werden. Daher Reichstag auf bestimmte Zeit ver-
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HStAD/RW 265. AdR Papen, Dok. Nr. 56, Anlage 2, S. 241 ff.
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tagen. Falls Parteien Vorschlag zu positiver Mehrheit und Arbeit machen können, kann über Aufhebung der Vertagung gesprochen werden. Vorteil: Regierung erhält Atempause vor dem Reichstag. Entscheidung über Dauer der Vertagung wird den Parteien zugeschoben. Auflösung und Frage der Neuwahlen werden vermieden. Nachteil: Zwangsvertagung stellt gleichfalls eine erhebliche Abweichung von der Verfassung dar. Sie wird daher den Widerspruch nicht nur der N.S.D.A.P., sondern auch der parlamentarisch eingestellten Parteien (Zentrum) finden. 3. Nichtanerkennung eines Mißtrauensvotums und Bestätigung der Regierung durch den Reichspräsidenten. Begründung hierfür: Das Mißtrauensvotum bringt nur eine negative Willensäußerung des Reichstags zum Ausdruck, ohne positive Wege zu zeigen. Auflösung und Neuwahlen sind, solange der Reichstag derart arbeitsunfähig ist, zwecklos. Da aber regiert werden muß, kann ein lediglich negatives Mißtrauensvotum nicht zum Sturz der Regierung führen. Diese wird vielmehr bestätigt, bis der Reichstag einen anderen positiven Vorschlag macht. Mahnung an den Reichstag, durch Gesetzgebungsarbeit seine Daseinsberechtigung zu erweisen. Vorteil: Dieser Weg stellt den verhältnismäßig geringsten Konflikt mit der Verfassung dar. Die Rechte der Regierung werden voll gewahrt, ohne daß der Reichstag sich vergewaltigt fühlen kann. Staatsrechtlich wird der Schritt gedeckt durch umfangreiches Schrifttum über die Unbrauchbarkeit des Artikels 54 R.y. Der Reichstag wird selbst vor die Wahl gestellt, ob er arbeiten oder einflußlos, wie der Preußische Landtag, hinvegetieren will. Tut er das, so beweisen die Parteien täglich ihre Unfähigkeit vor dem ganzen Volke, ohne die Vergewaltigten spielen zu können. Nachteil: Der Reichstag kann zum Fenster hinausreden und Agitationsentschlüsse fassen. Das ist aber ungefährlich, da er seine schwerste Kanone mit dem Mißtrauensvotum schon abgeschossen hat. Wirksam werden könnte die Tätigkeit des Reichstags erst, wenn er rechtsgültige Gesetze verabschieden würde. Das ist aber seine eigentliche Aufgabe, zu der er sich wieder zurückfinden muß. Sollte hierbei ein Konflikt mit der Regierung zu ernstlichen Schwierigkeiten führen, so bleibt dann immer noch der Weg zur Auflösung offen. Die unter 3. vorgeschlagene Lösung entspricht auch den Grundzügen, nach denen eine Verfassungsreform wahrscheinlich verfahren muß: Beschränkung des Reichstags im Wesentlichen auf die Legislative. Rechtswirksamkeit eines Mißtrauensvotums nur, wenn hinter ihm der positive Wille einer Mehrheit zu anderer Gestaltung der Politik steht. Abgezeichnet: Bö[hme] 20.1. O[tt] 20.1. (Handschr.:) Weg I!
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2. Horst Michaels "Papier,,3 Wie bewahrt man eine arbeitsfähige Präsidialregierung vor der Obstruktion eines arbeitsunwilligen Reichstages mit dem Ziel, "die Verfassung zu wahren". Es gibt zwei Wege, wenn man Auflösung und Neuwahlen vermeiden will: I. den schweren Weg mit einem Maximum an Verfassungsverletzung, entweder Zwangsvertagung = Bruch mit Art. 24 oder Auflösung mit hinausgeschobenen Neuwahlen = Bruch mit Art. 25 Abs. 2. 11. den milderen Weg, der ein Minimum an Verfassungsverletzung darstellt: die authentische Auslegung des Art. 54 in der Richtung der naturgegebenen Entwicklung (Mißtrauensvotum gilt nur von seiten einer Mehrheit, die in der Lage ist, eine positive Vertrauensgrundlage herzustellen). Im Bilde gesprochen: Wenn man eine feindliche Front durchbrechen will, so wählt man ihren schwächsten Punkt aus. Unter diesem Gesichtspunkt empfiehlt es sich nicht, den Durchbruch bei Art. 24 oder Art. 25 zu unternehmen, da deren Brauchbarkeit niemals von irgendeiner Seite in Zweifel gezogen worden ist. Auf dem Art. 54 dagegen hat seit Jahren ein Trommelfeuer gelegen; die Brauchbarkeit dieses Artikels ist von allen staatsbewußten Parteien in Zweifel gezogen worden. Hier ist die Stellung sturmreif. Das Daseinsrecht einer kontrollierenden und gesetzgebenden Volksvertretung dagegen ist für die Parteien sozusagen ein bombensicherer Unterstand oder eine uneinnehmbare Festung. Der gegenwärtige Augenblick ist für die Wahl des Weges 11 besonders geeignet, weil folgende 3 Tendenzen in einzigartiger Weise zusammentreffen. 1. Das gesunde Volksempfinden, das vom Reichstag Arbeit verlangt und Neuwahlen im Grunde für zwecklos hält. 2. Die Forderung der Wirtschaft nach politischer Ruhe. 3. Die fast einmütige Auffassung der Staatsrechtslehrer von rechts bis links, daß ein arbeitsunfähiger Reichstag nicht das Recht in Anspruch nehmen könne, ohne weiteres Regierungen zu stürzen. Das pro und contra für Weg I. Pro: Verfassungsrechtliche Argumente (Staatsnotstand etc.) stehen kaum zur Verfügung. Im äußersten Fall würden einige StaatsrechtIer den Appell an das verfassungsgebende Volk billigen (z. B. HeckeI). Es käme daher alles darauf an, gute politische Argumente zu haben. Als solche stehen zur Verfügung: 1. Ein Reichstag der nicht arbeitsfcihig ist und außerdem die Arbeit der Regierung unmöglich macht, verletzt seine Verfassungspflicht, treibt Verfassungssabotage und stört erheblich die öffentliche Sicherheit und Ordnung.
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HStAD/RW 265-5/M9.
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2. Neuwahlen würden keine wesentlich andere Zusammensetzung des Reichstages erzielen, also kein brauchbares Ergebnis bringen, wie zweimaliger Versuch bereits bewiesen hat. 3. Die Wirtschaft braucht Ruhe. Contra: Die vorstehenden Gründe werden durch nachfolgende politischen Argumente erheblich geschwächt. Diese Argumente sind dazu geeignet, die Regierung dem Volke gegenüber ins Unrecht zu setzen, bezw. das Notstandsverfahren als eine Aktion zur Rettung der Regierung darzustellen: I. Ein Mißtrauensvotum, das möglicherweise nicht einmal vorliegt, sondern nur in Aussicht steht, ist kein Staatsnotstand. 2. Eine Ausschaltung des Reichstags geht weiter, als die sachliche Notwendigkeit unbedingt erfordert. Notwendig ist lediglich, daß die Regierung stehen bleibt und arbeitet. 3. dem Reichstag geschieht Gewalt, die Legislative wird vernichtet, ohne daß der Reichstag als Gesetzgeber versagt hätte. Dem Volk wird seine Vertretung genommen, die Regierung hat keinen Kontakt mehr mit der rechtmäßigen Volksvertretung und damit auch nicht mehr die Möglichkeit zu einer positiven Beeinflussung. 4. Die Regierung will sich der Kontrolle der Volksvertretung entziehen und sich das Leben leicht machen (vgl. hierzu auch den Vorstoß des Zentrumsabg. Ersing gegen die Großagrarier im Haushaltsausschuß am 19. Januar d. Js.) 5. Dem Reichstag ist die Gelegenheit zu praktischer Arbeit genommen. Seine Arbeitsunfähigkeit kann nicht einmal bewiesen werden, da ihm vor Weihnachten die Gelegenheit gegeben wurde, gesetzgeberische Arbeit zu leisten. Die Regierung verliert außerdem die Möglichkeit, den Reichstag, bezw. die Parteien zur Arbeit zu zwingen, mit Arbeiten zu beschäftigen. 6. Die Regierung beraubt sich für den außenpolitischen Kampf der Unterstützung durch die Volksvertretung. 7. Den Parteien wird die Möglichkeit gegeben, sich endlich wieder vor Verantwortung und Arbeit zu drücken; sie können sich hinter das Volk stecken, statt daß sie zwischen Regierung und Volk stehen bleiben und sich im Reichstag bewähren oder blamieren. 8. Das Zentrum würde schärfsten Kampf ansagen (Weg I könnte man wohl nur wählen, wenn das Zentrum in der Regierung vertreten wäre.) 9. Weg I ist die ultima ratio, die man erst anwendet, nachdem alle anderen Mittel versagt haben. Die Regierung wird auf diesem Wege ohne dringenden Grund genötigt, nicht nur ihren letzten Trumpf auszuspielen, sondern auch sich festzulegen, nämlich durch das Versprechen, den Reichstag zu einem bestimmten Tennin wieder zusammentreten zu lassen. 6 Berthold
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10. Weg I steht in Widerspruch zu Schleichers ausdrücklichen Erklärungen gegen die Zweckmäßigkeit der Diktatur. Schleicher würde sich also seiner besten moralischen Stütze berauben. Er würde provokatorisch wirken und sich dem Verdacht aussetzen, in deutschnationale Grundsatzpolitik abgeglitten zu sein. 11. Die Regierung könnte gezwungen sein, nur zu ihrer eigenen Erhaltung den Einsatz der letzten staatlichen Machtmittel heranzuziehen, was erst möglich und gerechtfertigt wäre gegenüber einem offenkundig obstruierenden Reichstag. 12. Weg I geht über das verfassungspolitische Ziel weit hinaus. Summa: Weg I erzeugt eine in ihren Auswirkungen nicht mehr übersehbare Lage, erzeugt größere Unruhe als nötig und führt zu erheblichen Störungen des Wirtschaftslebens, mit deren Ausschaltung das Arbeitsbeschaffungsprogramm der Regierung steht und fällt. Will man von der Verfassung abweichen, so kann es nur in der Richtung geschehen, auf die sich die Verfassung unter dem Zwang der Umstände und in Übereinstimmung mit der öffentlichen Meinung hin entwickelt. Man muß das Ziel der Verfassungs wandlung im Auge behalten und darf nicht davon abweichen. Dieses Ziel ist aber nicht die Auslieferung der Volksvertretung an die Exekutive (der Reichspräsident beruft und vertagt den Reichstag), sondern es ist Stärkung der Exekutive durch Abschaffung oder Entkräftung von Art. 54 bezw. durch Begrenzung des Reichstages auf Gesetzgebung und Kontrolle. Dieses Ziel ist aber durch die authentische Interpretation über die Zuständigkeit [sic!] eines Mißtrauensvotums geradezu erreicht. Man würde durch einen erfolgreichen Präzendenzfall die Verfassung gewandelt haben (vgl. den umgekehrten Fall in der französischen Verfassung: als Mac Mahon im Juni /Juli 1877 von seinem Recht Gebrauch machte, mit Zustimmung des Senats die Kammer aufzulösen, stieß er auf solch einmütigen Widerstand, daß der französische Präsident seit der Zeit das Auflösungsrecht, das als solches bestehen geblieben ist, nicht mehr angewandt hat. - In ähnlicher Weise könnte ein Reichstag keine Regierung mehr durch ein Mißtrauensvotum stürzen, das auf einer negativen Mehrheit beruht, wenn die Reichsregierung in dem gegenwärtigen Augenblick den Mut hat, Weg 11 zu beschreiten und sich zu behaupten.) Während Weg I als Maßnahme zur Rettung der Regierung charakterisiert werden könnte, hat Weg 11 offenkundig den Sinn einer Erziehung des Reichstags zu seinen eigenen Pflichten. Das pro und contra für Weg 11. Pro I. Dieses Verfahren bedeutet eine sinnvolle Korrektur eines Verfassungsartikels, durch die die Verfassung gerettet und wiederhergestellt, nicht aber infolge Ausschaltung der Volksvertretung noch mehr lahmgelegt wird. 2. Es ist das verfassungspolitisch Gegebene und Notwendige, liegt auf der Linie der bisherigen Verfassungsreformvorschläge. Dieses Verfahren würde vor der öf-
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fentlichen Meinung weitgehend gerechtfertigt werden können, und es wäre möglich, sich auf staatsrechtliche Forderungen aus allen Parteilagern zu stützen, die in derselben Linie liegen. 3. Dem Reichstag geschieht keine Gewalt, es wird ihm kein Recht genommen, sondern nur ein Mißbrauch seiner Rechte nicht anerkannt. Die Volksvertretung bleibt erhalten und die Regierung behält die Fühlung mit ihr und infolgedessen auch die Möglichkeit einer politischen Beeinflussung. 4. Die Kontrolle der Volksvertretung bleibt erhalten und die Regierung vor dem Vorwurf bewahrt, sie wolle sich der Kritik entziehen. 5. Die Regierung kann das Mißtrauensvotum durch vorherige Abgabe einer Regierungserklärung entkräften. Sie behält die Möglichkeit den Reichstag zu praktischer Arbeit anzuhalten, sie kann ihn durch Gesetzesvorlagen fortgesetzt beschäftigen, in Atem halten, zur Verantwortung zwingen. (Z. B. auch durch Herbeiführung außenpolitischer Stellungnahmen.) 6. Die Regierung behält für evtl. Fälle einen Rückhalt an der Volksvertretung gegenüber dem Ausland. 7. Die Parteien können nicht in das freie Feld hemmungsloser Agitation ausweichen, sondern bleiben aneinander gebunden und müssen sich im Reichstag aneinander reiben. Das Volk kann ihre "Arbeit" sehen und mit der Tätigkeit der Regierung vergleichen. 8. Das Zentrum kann dieser Regelung nicht widersprechen, da sie noch praktischer und vernünftiger ist, als der Vorschlag eines sogenannten Ermächtigungsgesetzes, dessen Ablehnung übrigens die Grundlage für die Beschreitung von Weg 11 ergeben wird. 9. Die ultima ratio von Weg I bleibt durchaus offen, die Regierung legt sich in keiner Weise fest. 10. Das Verfahren bleibt in Übereinstimmung mit den Erklärungen Schleichers gegen die Diktatur, und mit seiner Absicht, durch Vorbild zu erziehen und zu helfen. Es würde sich außerordentlich deutlich von dem Notstandsverfahren der Deutschnationalen abheben. 11. Die Regierung kann nicht von den Parteien gezwungen werden, nur zur Erhaltung ihrer eigenen Existenz die letzten staatlichen Machtmittel einzusetzen, es sei denn, daß der Reichstag nach Nichtanerkennung seines Mißtrauensvotums zur offenen Obstruktion übergeht. 12. Weg 11 geht nicht über das verfassungspolitische Ziel hinaus, sondern trifft es unmittelbar. Dadurch ist die Gefahr vermieden, daß durch ein Über-das-ZielHinausschießen in der natürlichen Verfassungsentwicklung ein Rückschritt eintritt und die öffentliche Meinung sich wieder für den Art. 54 in unveränderter Fassung interessiert.
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Weg 11 schafft einen in ihren Auswirkungen übersehbare Lage, die Opposition bleibt in den Rechtsformen gebunden. Contra Gegen Weg 11 könnte man geltend machen: 1. Dadurch, daß der Reichstag zusammenbleibt, bildet er ein Element dauernder Störungen durch Agitationsanträge etc. durch gefährliche Gesetzesbeschlüsse zu Art. 48, Art. 59 und Art. 76. 2. Vom Reichstag könnte nach dem strikten Wortlaut des Art. 54 geltend gemacht werden, daß die Regierung nur eine geschäftsführende sei. 3. Ein Mißtrauensvotum in der gegenwärtigen Lage könnte möglicherweise die Zweidrittel-Mehrheit erhalten (KPD, SPD, NSDAP = 415; Zweidrittelmehrheit liegt bei 391). Damit wäre die erschwerende Bestimmung erfüllt, die ein Teil der Verfassungsreform-Vorschläge für Art. 54 vorsieht. Widerlegung zu 1) Die Störung durch die Parteien und ihre Presse wäre ohne den Reichstag noch größer. Gefährliche Gesetze kann man abwarten. Auflösung bleibt immer noch möglich. zu 2) eine geschäftsführende Regierung hat nach Anschütz, S. 325 in jeder Hinsicht dieselben Rechte und Pflichten, wie die ordentliche Reichsregierung. Die Autorität einer solchen Regierung würde einer negativen Reichstagsmehrheit gegenüber nur umso stärker sein, wenn sie nach dem Mißtrauensvotum vom Reichspräsidenten dennoch ausdrücklich bestätigt wird. zu 3) Die Zweidrittelmehrheit wäre zwar möglich, aber - was wesentlicher - die Mehrheit könnte in Verbindung mit ihrem Mißtrauensantrag nicht gleichzeitig einen neuen Kanzler vorschlagen. Ergebnis Derjenige Angriff ist am besten, der den Gegner aus einer gedeckten Stellung herauswirft und einem selbst zu einer gedeckten Stellung verhilft. Bei Weg I kann der Gegner in einen Hinterhalt ausweichen. Parteien außerhalb des Reichstags sind keine Gegner, die die Regierung fassen kann. Sie arbeiten auf einem Gebiet, wohin ihnen die Regierung nicht folgen kann. Die Regierung selbst müßte sich sozusagen auf eine ungedeckte Anhöhe begeben, wo sie allen Schüssen ausgesetzt wäre. Bei Weg 11 sitzt der Gegner gewissermaßen in einem Talkessel, wo seine Stellungen eingesehen und beschossen werden können, während die Regierung in Dekkung bleibt. Weg I bringt das Volk in noch größere Unruhe und schiebt ihm mehr Verantwortung zu, als es tragen kann. Ist die offene Diktatur und wegen ungenügenden An-
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lasses mit dem Odium der Willkür behaftet. [sic] Weg 11 dient dem Volk, die Regierung führt, erzieht und gibt ein Vorbild. Anlage
Stichworte für eine Erklärung des Reichspräsidenten, durch den Reichskanzler nach erfolgtem Mißtrauensvotum zu verlesen. Ausdrückliche Feststellung, daß dem Mißtrauensvotum eine tragfähige Mehrheit fehlt, die eine Vertrauensbasis für eine Regierung bilden könnte. Feststellen, daß es sich um einen Wiederholungsfall handelt und ein solches Mißtrauensvotum weder den Erfordernissen einer geordneten Verfassung, noch dem Empfinden des Volkes, noch einem vernünftigen Verhältnis von Rechten und Pflichten zueinander entspricht, wie sich aus den zahlreichen Abänderungsvorschlägen zu Art. 54, die von allen staatsbürgerlichen Parteien gemacht wurden, ergibt. Ein solches Mißtrauensvotum kann daher nicht anerkannt werden. Auflösung und Neuwahlen würden die Belebung der Wirtschaft und die Förderung der Arbeitsbeschaffung stören, ohne ein neues Ergebnis zu bringen. Der Reichstag möge vielmehr arbeiten und seine Pflichten zur Gesetzgebung und Kontrolle der Regierung ausüben. Er solle den Reichspräsidenten nicht zwingen, mit seinem Eide in Konflikt zu kommen oder seinen Platz zu verlassen. Der Reichstag sei nicht dazu berufen, den Willen des Volkes lahmzulegen, indem die Parteien die verschiedenen Willensrichtungen des Volkes gegeneinander aufheben, sondern er sei dazu berufen, das Volk durch positive Arbeit zu vertreten. Tue er das nicht, so verletze der Reichstag seine Verfassungspflichten. Wenn er eine arbeitsfähige Regierung außerdem noch bei ihrer Arbeit störe, begehe er Obstruktion. Der Reichspräsident habe sich daher einstweilen genötigt gesehen, zur Wahrung und zur Rettung der Verfassung und zur Durchführung des Arbeitsbeschaffungsprogramms das Mißtrauensvotum nicht anzuerkennen und den Reichstag zu praktischer Arbeit anzuhalten. Wenn der Reichstag wieder fähig und bereit sei, durch Mehrheit eine Vertrauensbasis für eine Regierung zu bilden, so sei er, der Reichspräsident, zu Verhandlungen bereit. Wenn der Reichstag dieses Verfahren nicht anerkenne und Obstruktion betreibe, behalte sich der Reichspräsident weitere Maßregeln vor.
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3. Entwurf einer politischen Kundgebung des Reichspräsidenten4 Entwurf Zum Schaden des Reiches und des deutschen Volkes hat der Reichstag seit dem Jahre 1930 seine verfassungsmäßigen Pflichten nicht mehr erfüllt. Sein Versagen untergräbt die öffentliche Ordnung und verschlimmert die Notlage, unter der das deutsche Volk zu leiden hat. Ich war daher gezwungen, mit der von mir berufenen Reichsregierung an Stelle des Reichstages im Wege der Notverordnung die gesetzgeberische Arbeit zu leisten, die notwendig war, um das deutsche Volk durch diese schweren Jahre hindurchzuführen. In den letzten Besprechungen mit den Partei führern habe ich mich davon überzeugen müssen, daß der gegenwärtige Reichstag wiederum nicht imstande ist, eine zur Erfüllung seiner verfassungsmäßigen Pflichten erforderliche handlungsfähige Mehrheit zu bilden und sich zu gesetzgeberischer Arbeit aus eigener Kraft zusammenzuschließen. Es wäre unheilvoll, wenn der Reichstag, ohne selber zu sachlicher Arbeit fähig zu sein, darüber hinaus versuchen wollte, die Arbeit der Reichsregierung unmöglich zu machen und meine Notverordnungen willkürlich aufzuheben. Damit würde er in unverantwortlicher Weise auf den wichtigsten Gebieten der Wirtschaft und der Finanzen einen gesetzlosen Zustand herbeiführen. Ich kann es vor dem deutschen Volk nicht verantworten, daß die Ordnung seines öffentlichen Lebens noch länger dem Streit der Parteien schutzlos ausgeliefert bleibt. Durch meinen Eid bin ich verpflichtet, die Verfassung des Reiches zu wahren. Ich werde zu ihrem Schutze alle erforderlichen Maßnahmen treffen. Eine nochmalige Auflösung des Reichstages mit Neuwahlen würde eine weitere Zerrüttung des inneren Friedens und schwere Störungen unseres Wirtschaftslebens nach sich ziehen. Daher sehe ich, solange es irgend wie möglich ist, davon ab. Der Reichstag kann seinen Willen, notwendige Maßnahmen nicht zu verhindern und eine handlungsfähige Regierung nicht zu beseitigen, durch einen Vertagungsbeschluß bekunden, der es ermöglicht, die schweren Monate des kommenden Winters ohne gewaltsame Erschütterungen zu überwinden. Einen Reichstag aber, der seinen verfassungsmäßigen Pflichten nicht nachkommt und außerdem noch einer Reichsregierung, die bemüht ist, an seiner Stelle die notwendige Arbeit zu tun, in den Rücken fallen will, betrachte ich nicht mehr als eine Volksvertretung im Sinne der Reichsverfassung.
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4. Stichworte für die politische Argumentation5 Stichworte 1. Die allgemeine Atmosphäre des Mißbrauchs legaler Formen und verfassungsmäßiger Möglichkeiten. Es gibt Parteien, für welche jede legale Möglichkeit nur noch eine vergiftete Waffe ist, die sie benutzen, um dem Staat und der Verfassung, die töricht genug waren, ihnen eine solche Waffe in die Hand zu geben, einen Stoß ins Herz oder in den Rücken zu versetzen. Für sie hat die Verfassung weder einen Geist noch einen Boden, sondern ist einfach ein Instrument und eine taktische Waffe. Daraus ergibt sich eine Instrumentalisierung aller Einrichtungen, Argumentationen, Auslegungsmöglichkeiten, die uns nicht nur moralisch korrumpieren, sondern auch jede Rechtswissenschaft und Rechtslehre vernichten. So kann weder ein Staat noch eine Verfassung bestehen. 2. Die Regierung in der Lage des von allen Seiten bedrängten Schwachen, der in die Rolle des Angreifers und Rechtsbrechers gedrängt werden soll. In der Atmosphäre des allgemeinen und selbstverständlichen Mißbrauchs legaler Formen bedeutet die heutige Praxis des Art. 48 eine Art Notwehr der Regierung, die auf den Mißbrauch legaler Möglichkeiten mit einer Ausnutzung aller ihr zur Verfügung stehenden legalen Möglichkeiten zu antworten gezwungen ist. Entschließt sich die Regierung, diesen Faden abreißen zu lassen, so werden sich wahrscheinlich die sonderbarsten Hüter der Verfassung zusammenfinden, um sie des Verfassungsbruches und der Illegalität zu beschuldigen. Es gibt eine Methode juridifizierter Außenpolitik, welche dazu führt, daß die Frage, wer Angreifer oder Friedensbrecher ist, zu einer Angelegenheit der bloß formal- und instrumentaljuristischen Taktik wird, so daß schließlich eine Aktion mit Schlachtschiffen, Tanks, Maschinengewehren und zahlreichen Toten nicht mehr als Krieg, sondern als friedliche Maßnahme erscheint, bei der es sich für einen schwachen Staat vor allem darum handelt, das Wort ,Kriegserklärung' zu vermeiden, um nicht als Friedensbrecher disqualifiziert zu werden. Ähnlich ist heute innerpolitisch die Regierung gegenüber Parteien, die offen die Verfassung zu einer taktischen Waffe ihres Kampfes gemacht haben, gezwungen, vor allem darauf bedacht zu sein, auch die kleinste, nebensächlichste, formalste Bestimmung ängstlich inne zu halten, weil sie sonst als Verfassungsbrecher disqualifiziert wird. Es gibt Parteien, die sich nichts daraus machen, mit feindlichen Parteien zusammen, denen gegenüber sie jede positive Zusammenarbeit empört ablehnen würden, ein Mißtrauensvotum zu beschließen, obwohl ein solches negatives Mißtrauensvotum, dem keine Fähigkeit oder Bereitschaft zur Übernahme der Regierung entspricht, ein offensichtlicher verfassungswidriger Mißbrauch ist, und den Boden des parlas HStAD/RW 265-206/M6.
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mentarischen Systems zerstört. Es ist gegenüber dieser vergifteten Atmosphäre Aufgabe der Regierung, wieder einen Boden zu gewinnen, von dem aus Recht und Verfassung eine sinnvolle Ordnung und nicht ein System vergifteter Waffen des Parteienkampfes sind. In diesem Zusammenhang interessiert das Zitat des früheren Reichsgerichtspräsidenten Dr. Simons, Deutsche Juristen-Zeitung, 1. Januar 1933, S. 25: "Der Reichspräsident ist nicht sowohl Hüter der Verfassung als Hüter der Daseinsgrundlagen von Volk und Reich." Meiner Ansicht nach ist er bei des und kann das eine mit dem anderen nicht im Widerspruch stehen. 3. Ein zu positiver Arbeit unfähiges Parlament hat für eine parlamentarische Demokratie eine ähnliche Bedeutung wie für eine Monarchie ein infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes regierungs unfähiger Monarch. Bei näherer Betrachtung wird man sogar sagen müssen, daß ein Parlament, daß nur zu negativen Mehrheiten kommt, und in welchem die einander feindlichen Parteien sich immer nur in einem Nullpunkt treffen, die verfassungsmäßige Ordnung eines nach der geltenden Reichsverfassung konstruierten Staatswesens noch viel tiefer und schlimmer gefahrdet, als ein regierungsunfähiger Monarch die Monarchie. Auch die verfassungsrechtlichen Probleme und Schwierigkeiten, die sich aus einem solchen pathologischen Zustande ergeben, zeigen manche Parallelen, vor allem darin, daß es sehr schwer ist, sich einem Kranken zu nähern und ihn zur Vernunft zu bringen. Die auffallendste Parallele liegt aber darin, daß nach allen Erfahrungen der regierungsunfahige Monarch eifersüchtig und mißtrauisch darauf bedacht ist, keinen anderen an seiner Stelle handeln und regieren zu lassen.
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