Wilhelm Groener: Reichswehrminister am Ende der Weimarer Republik (1928-1932) 9783486595703, 9783486559781


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German Pages 413 [419] Year 1993

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Wilhelm Groener: Reichswehrminister am Ende der Weimarer Republik (1928-1932)
 9783486595703, 9783486559781

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Wilhelm Groener gehört heute zu den beinahe Vergessenen der jüngeren deutschen Geschichte. Dabei stand er als Reichswehrminister mit weitreichendem Einfluß über die eigentliche Militärpolitik hinaus im Brennpunkt des politischen Geschehens der entscheidenden Jahre von 1928 bis 1932. Der Fachminister Groener führte die kleine Reichswehr in eine neue Phase effizienter Rüstungspolitik, die der verfassungsmäßigen Regierung ein politisch zuverlässiges und militärisch den Möglichkeiten der Versailler Nachkriegsordnung angepaßtes Instrument in die Hand geben sollte. Diese Normalisierung des militärischen Apparates von einem isolierten Fremdkörper zu einem festen Bestandteil des Staates in seiner innen- wie

außenpolitischen Ausrichtung

wurde jedoch nachhaltig von der Krise der Republik behindert. Die Widerstände gegen seinen militärpolitischen Reformkurs, aber auch rein politische Erwägungen veranlaßten Groener zum Eingriff in die Innenpolitik bis hin zur geschäftsführenden Übernahme des Reichsinnenministeriums 1931/32. Er scheiterte schließlich an den Problemen des von der Reichswehrführung mitgeschaffenen und mitgetragenen Präsidialregimes, als seine Behandlung der nationalsozialistischen Gefahr die Unterstützung besonders Hindenburgs und Schleichers verlor. An der Politik Wilhelm Groeners lassen sich die militärischen und

politischen Entwicklungslinien am Ende der Weimarer Republik exemplarisch aufzeigen.

Oldenbourg

WILHELM GROENER

Hürter Wilhelm Groener •

Beiträge

zur

Militärgeschichte

Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Band 39

R.

Oldenbourg Verlag München

1993

Wilhelm Groener Reichswehrminister am Ende der Weimarer Republik

(1928-1932) Von

Johannes

R.

Hürter

Oldenbourg Verlag München

1993

Das

Umschlagbild zeigt:

Groener, Heye und Schleicher beim Reichswehrmanöver, Mitte September

1930

(Ullstein)

CIP-Einheitsaufnahme

Die Deutsche Bibliothek -

Hürter, Johannes : Wilhelm Groener : Reichswehrminister am Ende der Weimarer Republik (1928-1932) / von Johannes Hürter. München : Oldenbourg, 1993 (Beiträge zur Militärgeschichte ; Bd. 39) Zugl.: Mainz, Univ, Diss. ISBN 3-486-55978-8 NE:GT -

© 1993 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb

der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Militärgeschichtliches Forschungsamt, Freiburg i.B. Druck und Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München ISBN 3-486-55978-8

Inhalt

.

VII

.

VIII

Vorwort des Vorwort

Danksagung

Herausgebers

.

I.

Einleitung

II.

Voraussetzungen Die 1. 2.

.

Erfahrungen

Groeners

vor

1928

.

Herkunft, Persönlichkeit, Werdegang

Grundzüge

III. Der

einer

.

militärisch-politischen Konzeption

Beginn 1. Ernennung Groeners zum Reichswehrminister 2. Exemplarischer Einstand: Lohmann-Affäre und

.

.

IV. Aufbrüche Die Entwicklung des militärischen

Apparates

.

Panzerschiff-Krise

unter

Groener

....

.

1. Konzentration der militärpolitischen Führung 2. Koordination militärischer Planung und Arbeit 3. Kooperation mit der zivilen Entscheidungsebene 4. Personelle Rüstung: Grenzschutz, Milizgedanke, Jugendertüchtigung 5. Haushaltsfragen

.

.

.

...

.

V

Interdependenzen Die Wechselwirkung von Wehr- und Außenpolitik 1. Einordnung in die außenpolitische Revisionsstrategie 2. Die Abrüstungsfrage

.

.

.

VI.

Verstrickungen

innenpolitische Standort der Reichswehr 1. Der gescheiterte Ausgleich mit den republikanischen Kräften 1928/29 2. Die Gegenbewegung: Widerstand von rechts, interne Vertrauenskrise 3. Politische Einflußnahme im Übergang zum Präsidialsystem 4. Machtfaktor im Ersten Kabinett Brüning 5. Das unsichere Kriterium der >Wehrfreudigkeit< Groener und der

.

...

...

.

.

.

XI 1

5 5 21 37 37 54

79 79 91 111 128 150

163 163 180

199

199 219 240

260 282

VI

Inhalt

VII. Das Ende

.

1. Doppelminister: Personalunion 2. SA-Verbot und Sturz

von

Wehr- und Innenressort

.

.

Zusammenfassung Abkürzungsverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis VIII.

.

.

A. Archivalien B. Veröffentlichte

.

.

Personenregister Abbildungen

Quellen

und Literatur

.

.

.

nach

307 307 328 355 367 369 369 376 389 36

Vorwort des

Herausgebers

Wilhelm Groener, aus bescheidenen Verhältnissen in Württemberg stammend, weist eine bemerkenswerte militärische Karriere auf: Im Ersten Weltkrieg zuerst für das Feldeisenbahnwesen verantwortlich, dann Vorstandsmitglied des Kriegsernährungs- und schließlich Leiter des Kriegsamtes, so daß er nahezu sachlogisch Ludendorff in der Funktion des Generalquartiermeisters nachfolgen konnte. Er meisterte die schwierige Aufgabe der Demobilisierung des kaiserlichen Heeres und stellte sich der jungen Weimarer Republik

Verfügung.

zur

Groeners unbestrittene Leistungen und Verdienste machten ihn über militärische Kreise hinaus bekannt, und es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, daß er mit einer politi-

schen Aufgabe betraut wurde. Nach seiner Tätigkeit als parteiloser Fachminister im Reichsverkehrsministerium 1920— 1923 übernahm er Anfang 1928 schließlich das Amt des Reichswehrministers, 1931 kam noch das Innenministerium hinzu Positionen, die er bis 1932 innehatte. Die vorliegende Arbeit, eine an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz entstandene und von Professor Dr. Winfried Baumgart begleitete Dissertation, untersucht erstmals auf breiter Quellenbasis Groeners Politik als Reichswehr- und Innenminister in dieser für die Weimarer Republik so entscheidenden und folgenschweren Zeit. Herrn Dr. Johannes Hürter gelingt es dabei, die Verschränkung von innen-, verfassungsund parteipolitischen, von außenpolitischen und diplomatiegeschichtlichen mit den militar- und rüstungspolitischen Problemen nachzuvollziehen und kritisch zu analysieren und damit ein hervorragendes Beispiel für eine moderne Militärgeschichtsschreibung —

zu

geben.

sorgfältig recherchierte und flüssig geschriebene biographische Studie vermag das der Forschung kontrovers beurteilte Verhältnis von Reichswehr und Republik und vor allem den Anteil der militärischen Macht und ihrer Führung am Scheitern der Weimarer Demokratie neu zu bestimmen und darüber hinaus einen erkenntnisreichen Beitrag über das Verhältnis von Militär, Gesellschaft und Politik im modernen Industriestaat zu bieten. Diese von

Dr. Günter Roth

Brigadegeneral Amtschef des

Militärgeschichtlichen Forschungsamtes

(

Vorwort

Es mag auf den ersten Blick riskant erscheinen, sich auf das vielfach beackerte Forschungsfeld »Ende der Weimarer Republik« zu wagen. Die Arbeit von Johannes Hürter zeigt jedoch, daß es sich immer noch lohnt, in diese Schicksalsjahre der jüngsten deutschen

Geschichte hineinzuleuchten.

In seinen beiden Einleitungskapiteln führt der Autor in geraffter, das Wesentliche souverän erfassender Form in die Herkunft, die Persönlichkeit und den militärischen Werdegang Wilhelm Groeners ein. Die Herkunft aus kleinbürgerlichem württembergischem Kreis macht bereits deutlich, daß Groener in der kaiserlichen Armee und damit auch in der Reichswehr kein typischer Offizier war. Seine Zeit an der Spitze des Kriegsernährungsamtes und dann des Kriegsamtes läßt erkennen, daß Groener den sozialen und zivilen Voraussetzungen moderner Kriegführung weit mehr Aufgeschlossenheit entgegenbrachte als der politisch instinkt- und verständnislose, sich in die Politik aber immer wieder herrisch einmischende Generalquartiermeister Ludendorff. In der Krisen- und Revolutionsphase 1918/19 bewährte sich Groener bei der Liquidation des verlorenen Krieges. Er stellte sich den neuen republikanischen Machthabern vorbehaltlos zur Verfügung. In Rechtskreisen galt er allerdings als »Königsmörder«. Diese Voraussetzungen waren maßgebend dafür, daß Groener im Januar 1928 als Nachfolger Otto Geßlers in die Bendlerstraße berufen wurde. Hürter arbeitet gut heraus, daß Oberst Kurt von Schleicher, Groeners ehemaliger Lieblingsschüler aus der Kriegszeit, an seiner Berufung hinter den Kulissen maßgeblich beteiligt war. Die Verbindung zwischen beiden war in den folgenden Jahren außerordentlich bedeutsam und blieb intakt, bis sich Schleicher in der Krise des SA-Verbots vom April 1932 abrupt von seinem Chef trennte. Ein weiterer wichtiger Faktor für Groeners Stellung und Politik war die Person des Reichspräsidenten Hindenburg, der mit Groener ja 1918/19 engstens und bestens zusammengearbeitet hatte. Dieses Dreigespann war in der Reichswehrpolitik 1928—1932 von

ausschlaggebender Bedeutung.

Hürter arbeitet die von Groener betriebene Militärpolitik trefflich heraus. Der neue Minister mußte sich mit zwei Erblasten aus der Geßler-Zeit (der Lohmann-Affäre und der Krise um den Bau neuer Panzerschiffe) befassen. Bei ihrer Bereinigung wird deutlich, daß Groener versucht hat, die Reichswehr aus ihrer von Seeckt geschaffenen Isolation herauszulösen und sie in den republikanischen Staat stärker zu integrieren. Es gelang

ihm, die militärpolitischen Zügel (u. a. durch Beiseitedrängung General Heyes als Chef der Heeresleitung und Schaffung des Ministeramtes unter seinem Intimus Schleicher) straffer in die Hand zu nehmen. Die militärische Planung wurde jetzt aus ihrer illusionären, in alten Großmachtträumen kreisenden Geheimarbeit herausgelöst und an den engen von Versailles gezogenen rüstungstechnischen und personellen Grenzen ausgerichtet, ohne daß Groener auf die geheime Zusammenarbeit mit der Roten Armee verzichtete. Er ordnete die Militärplanung der politischen Führung unter, identifizierte sich mit

Vorwort

IX

Stresemanns Locarno- und Revisionspolitik und erstrebte die Herauslösung aus den Versailler Fesseln mit Geduld und kleinen Schritten, ohne auf die vorsichtige Überschreitung legaler Grenzen zu verzichten (Grenz- und Landesschutz). Diese Neukonzeption sollte aber möglichst von allen politischen Führungskräften von links (SPD) bis rechts (DNVP) mitgetragen werden. Groener war wegen seiner Erfahrungen aus dem Weltkrieg (Zusammenarbeit mit den Parteien und Gewerkschaften im Kriegsamt) prädestiniert dafür, alle Mitglieder der Großen Koalition unter dem SPD-Kanzler Müller in die Verantwortung für seine Militärplanung einzubinden. Diese neuartige Reichswehrpolitik hat Hür-

den drei Begriffen Konzentration (der militärpolitischen Führung), Koordination (der militärischen Planung) und Kooperation (mit den zivilen Entscheidungsfaktoren) glänzend dargestellt und reflektiert. Im Kapitel »Interdependenzen« wird klargemacht, daß sich Groeners Reichswehrpolitik vorbehaltlos der außenpolitischen Revisionsstrategie Stresemanns und Brünings unterordnete. Innenpolitisch bemühte sich Groener, die der konservativ und kaisertreu geprägten Reichswehr reserviert gegenüberstehende SPD-Führung von der Notwendigkeit der Landesverteidigung durch das Berufsheer und einen Ausbau des Grenzschutzes im Osten gegen Polen zu überzeugen. Das gelang ihm bei Reichskanzler Müller und anderen SPDMinisterkollegen, nicht jedoch bei der SPD-geführten preußischen Regierung. Da sich Groener mit diesem Kurs jedoch die Rechtsparteien entfremdete und im Offizierskorps auf Ablehnung stieß, versuchte er sich umzuorientieren. Damit zog er sich und die Reichswehr in das Labyrinth der Intrigen, die zur Berufung Brünings als erstem präsidialem Reichskanzler im März 1930 und schließlich zu beider Sturz im Mai 1932 führten. Groeners Rolle bei Brünings Berufung wird von Hürter stärker herausgearbeitet, als das in der Forschung bisher geschehen ist. Zwar wird die Aktivität Schleichers dabei nicht geschmälen, Groeners entscheidende Mitverantwortung jedoch klar unterstrichen. Groener war sich der Konsequenzen des eingeschlagenen Weges sehr wohl bewußt. Er handelte aber anders als Brüning und Schleicher weniger aus der Überzeugung, daß die parlamentarische Demokratie ihre Feuerprobe nicht bestanden habe und daher über eine präsidiale Diktatur die Restauration der Monarchie vorbereitet werden müsse, als aus dem Gefühl heraus, nach dem erdrutschartigen Einbruch des Nationalsozialismus bei den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 keine Alternative zu haben. Wohl zeigt sein scharfes Vorgehen gegen die Offiziere Scheringer/Ludin/Wendt (Reichswehrprozeß, Uhrenerlaß), daß er die der Weimarer Demokratie aus dem Nationalsozialismus erwachsenden Gefahren erkannte; da sein Werben um die SPD aber erfolglos geblieben war, Hitler seinen geschickten Legalitätseid abgelegt hatte und die Wehrverbände der nationalen Rechten (Stahlhelm, SA) einerseits ein »wehrfreundliches« Potential darstellten, andererseits gefährlich anschwollen (die SA allein auf 400 000 Mann), versuchte Groener, Hitler und seine Bewegung stärker in die staatliche Verantwortung miteinzubeziehen. Zuletzt hob er sogar das Verbot des Eintritts von Nazis in die Reichswehr auf. Sein Entgegenkommen gegenüber Hitler wurde indes enttäuscht, als dieser und die DNVP sich nicht für die Wiederwahl Hindenburgs bei den Präsidentschaftswahlen im April 1932 einspannen ließen. Groener warf das Ruder mit dem bekannten SA-Verbot vom 13. April 1932 wieder herum, führte dadurch aber seinen und Brünings Sturz durch Schleicher und die Kamarilla um Hindenburg herbei. ter unter

X

Vorwort

überzeugend heraus, wie sich Groener in den präsidialen Drahtseilen die er im Gefühl der Alternativlosigkeit entscheidend mitgespannt hatte. verfing, Es grenzt nahezu an ein Wunder, daß Groener anders als Schleicher (und General Bredow) beim Röhm-Putsch 1934 von den SS-Häschern unbehelligt blieb. Die militärische und politische Rolle Groeners als Reichswehrminister 1928—32 und als kommissarischer Reichsinnenminister Oktober 1931—Mai 1932 wird von Hürter in ausgezeichneter Weise dargestellt und beleuchtet. Was an dieser Arbeit ungemein frappiert, ist, daß sie nie am bloßen Geschehnisablauf und an den Quellen haften bleibt. Es ist stets eine höhere Warte, von der herab die Ereignisse betrachtet und in die Zusammenhänge eingeordnet werden. Die Kunst des Materialsichtens, des Darstellens, des Beleuchtens und Beurteilens ist hoch entwickelt..Für eine Erstlingsarbeit ist das ganz außergewöhnlich. Das ganze ist, wie von der Themenstellung her geboten, auf die Person Groeners hin geordnet. Dabei kommt aber keine bloße biographische Studie heraus, sondern eine Arbeit, die in den Gesamtzusammenhang der Schlußphase der Weimarer Republik vortrefflich eingebettet wird. Da Groener neben Hindenburg und den beiden Reichskanzlern Müller und Brüning im Zentrum der Regierungsmacht stand, bietet die Arbeit von Johannes Hürter einen wichtigen Erkenntnisfortschritt für jene Schicksalsjahre der deutschen Geschichte. Hürter arbeitet



Mainz



Winfried

Baumgart

Danksagung

Abschluß und Drucklegung einer größeren wissenschaftlichen Arbeit, die man zwar alleine zu verantworten hat, nicht aber ohne das nötige Umfeld bewältigen kann, muß mit Dankbarkeit erfüllen, und diese zu artikulieren ist mir fernab jeder lästigen Pflicht ein um so dringenderes Bedürfnis. Zu großem Dank verpflichtet bin ich meinem Lehrer Herrn Prof. Dr. Winfried Baumgart, der diese Arbeit angeregt und betreut hat. Seine wissenschaftliche Toleranz, methodische Strenge und rückhaltgebende Zuverlässigkeit habe ich sehr zu schätzen gelernt. Mein Dank geht außerdem an Herrn Prof. Dr. Erwin Oberländer für die freundliche Übernahme des Korreferats. Herr Prof. Dr. Theodor Eschenburg hat mir in dankenswerter Weise über seine persönlichen Begegnungen mit Wilhelm Groener Auskunft gegeben. Herrn Dr. Wolfgang Elz verdanke ich nützliche Ratschläge und ein anspornendes Interesse für die Entwicklung meiner Arbeit. Herrn Dr. Michael Brabänder danke ich für die Hilfe beim Korrekturlesen. Das mir gewährte Stipendium nach Maßgabe des Landesgraduiertenförderungsgesetzes Rheinland-Pfalz hat mir eine sorgenfreie Konzentration auf mein Arbeitsvorhaben gestattet. Auch die von mir beanspruchten Archive und ihre Bediensteten haben zu dieser Dissertation beigetragen. Mein besonderer Dank geht an das Militärgeschichtliche Forschungsamt, Freiburg i.Br., für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Reihe sowie an seine Schriftleitung für die gute Zusammenarbeit beim Vorbereiten der Drucklegung. Ich danke den lieben Menschen aus meinem persönlichen Umfeld, die mich in den letzten Jahren auf die eine oder andere Weise unterstützt haben. Besonders meiner Frau und meiner kleinen Tochter schulde ich tiefen Dank. Sie haben das Entstehen dieser Arbeit durch ihre Geduld und Liebe gegenüber einem gleichsam von der Reichswehr besetzten Ehemann und Vater Tag für Tag entscheidend gefördert. Die vorliegende Arbeit wurde 1992 vom Fachbereich Geschichtswissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation angenommen.

Rüsselsheim,

im

September

1992

Johannes

Hürter

XII

Meinen Großeltern Meta und Kurt Doß

I.

Einleitung

Wilhelm Groener war im Ersten Weltkrieg sowie am Anfang und Ende der Weimarer Republik eine der markantesten Gestalten des politischen Lebens in Deutschland. In ihm verbanden sich militärische Kompetenz und politisches Verständnis zur modernen Erscheijeweils nung des politischen Soldaten, der über seinen Fachauftrag hinausgriff und in einer Krisensituation entscheidenden Einfluß auf die innere Entwicklung des Staates nahm. Zugleich erkannte Groener wie kaum ein zweiter, daß auch die militärische Vorbereitung untrennbar mit dem politischen und sozialökonomischen Umfeld verknüpft ist, daher also nicht isoliert betrieben werden kann. Dieses komplexe Verständnis von Militärpolitik in Kombination mit rein politischem Interesse, dieses Neben- und Ineinander von militärfachlichen und politischen Intentionen erheben seine Tätigkeit jenseits einer begrenzten militärgeschichtlichen Betrachtungsweise zu allgemeiner historischer Bedeutung. Dennoch fehlt bis heute eine Biographie Groeners, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen würde1. Auch die einzelnen Abschnitte seines Wirkens sind noch nicht alle ausreichend untersucht. Dies macht sich besonders für die Geschichte der Weimarer Republik bemerkbar. Während die weichenstellende Amtszeit Groeners als Erster Generalquartiermeister 1918/19 bereits in einer Spezialstudie behandelt wurde2, hat seine nicht weniger wichtige Politik als Reichswehrminister der Jahre 1928 bis 1932 noch keine genauere Analyse gefunden3. Die folgende Untersuchung möchte diese Lücke schließen. Dabei sollen gleichermaßen die militärpolitischen und die allgemeinpolitischen Aspekte seiner Amtstätigkeit und ihrer Überschreitung berücksichtigt werden, um nicht etwa nur. zu einem Ausschnitt, sondern möglichst zu einer Gesamtdarstellung der Politik eines Reichswehrministers zu gelangen, der in seiner Wirkung nicht auf den Fachbereich seines Ressorts beschränkt blieb. Das bisherige Fehlen einer Untersuchung der Politik Groeners während seiner Amtsjahre als Reichswehrminister ist um so bemerkenswerter, wenn man das große Interesse bedenkt, das nicht nur die Weimarer Republik im allgemeinen, sondern auch die Rolle der bewaffneten Macht in ihr bei der Forschung hervorgerufen hat. Dabei folgte die historiographische Auseinandersetzung mit der Reichswehr den großen Entwicklungslinien der Geschichtswissenschaft nach 1945. Die ältere Forschung bis Ende der 60er Jahre hat —



1

2 3

Die veraltete und nicht nur in ihrer Quellenbehandlung höchst anfechtbare Biographie der Tochter Groeners über ihren Vater (Groener-Geyer, Groener) erhebt diesen Anspruch erst gar nicht. Vgl. die Arbeit von Gerhard W. Rakenius. Vgl. auch Deist, Aufrüstung, S. 382: »Der Nachfolger Geßlers im Amte des Reichswehrministers, Wilhelm Groener, wird in der Literatur zur Reichswehrgeschichte meistens nur als Initiator des EbertGroener Bündnisses vom November 1918 und im Zusammenhang mit dem SA-Verbot vom Frühjahr 1932 erwähnt. Die Konturen seiner Politik in den vier entscheidungsreichen Jahren seines Ministeramtes vom Januar 1928 bis zum April 1932 bleiben unscharf und verschwommen.« An diesem Ende der 70er Jahre formulierten Desiderat hat sich bis jetzt grundsätzlich nichts geändert.

2

I.

Einleitung

sich vornehmlich mit dem Verhältnis Armee/Republik und den innenpolitischen Aktivitäten der Reichswehrführung befaßt, so etwa die Arbeiten von Thilo Vogelsang und Francis L. Carsten4. Mit dem Paradigmenwechsel in der Geschichtswissenschaft seit Beginn der 70er Jahre verlagerte sich das Interesse auf die militärfachlichen Determinanten der Reichswehrpolitik, auf die Strukturen militärischer Vorbereitung in ihrer gesellschaftlichen, rüstungswirtschaftlichen, innen- und außenpolitischen Bedeutung5. Vor allem die innovativen Studien von Michael Geyer haben auf diese unbestreitbare Relevanz moderner Rüstungspolitik und ihres Ausgreifens in die zivile Sphäre bereits während der Weimarer Republik aufmerksam gemacht6. Diese Erweiterung des Blickfelds war unbedingt notwendig, doch geriet die jüngere Forschung mit ihrer dezidierten Abgrenzung von der traditionellen Politikgeschichte auch hier in die Gefahr einer neuen Orthodoxie, einer erneuten Verengung unter anderen Vorzeichen. Im vergangenen Jahrzehnt ist es um die Geschichte der Reichswehr und ihrer politischen Führung still geworden, zu den erforderlichen Versuchen einer undogmatischen Synthese der älteren und jüngeren Ansätze und Teilergebnisse kam es nicht. Die folgende Untersuchung will einen Beitrag zu dieser noch unerfüllten Aufgabe leisten. Dabei versteht sich der personalistische Bezugspunkt nicht als Relikt eines überholten Traditionalismus, sondern als Möglichkeit, in der Darstellung der hierzu besonders geeigneten Tätigkeit Groeners die unterschiedlichen Aspekte der Reichswehrgeschichte wie in einem Prisma zu bündeln. Die Amtsjahre dieses Reichswehrministers kennzeichnen eine übergreifende Bedeutung militärischer Sachfragen, zugleich aber auch eine relative Autonomie des Politischen, die sich jedem einseitigen Determinismus entzieht. Im komplexen Agieren Groeners spiegeln sich gleichermaßen die Entwicklung der Reichswehr und die des Weimarer Staates in den Jahren 1928 bis 1932 wider. In diesem Zusammenhang erscheint es wichtig, die überlieferten Quellen weniger verallgemeinernd und wieder stärker in ihrem historischen Kontext zu untersuchen so fruchtbar eine vergleichende Militarismusdiskussion auch sein mag. Auf welche Quellengrundlage kann sich eine Studie über die Politik Groeners aber stützen? Die Aktenüberlieferung aus dem Reichswehrministerium ist stark durch die Vernichtungen des letzten Weltkrieges beeinträchtigt7. Dies macht sich besonders schmerzlich bemerkbar bei der unmittelbaren Umgebung Groeners wie der Adjutantur des Ministers, der Wehrmachtsabteilung oder des Ministeramts, deren Bestände bis auf verschwindende Reste verloren sind. Auch die Arbeit der übrigen Reichswehrdienststellen ist für den behandelten Zeitabschnitt bei weitem nicht vollständig dokumentiert, wobei die Situation bei der Marine günstiger ist als beim Heer und man auch bei letzterem zwischen bruchstückhaft (Chef der Heeresleitung) und noch relativ gut (Heereswaffenamt) überlieferten Bereichen unterscheiden muß. Trotz dieser fragmentarischen Aktenlage läßt sich aber aus dem vorhandenen Material des Reichswehrministeriums mosaikartig ein authentisches Bild —

Vogelsang, Reichswehr; Carsten, Reichswehr. Zu dieser neuen Perspektive und ihrer Abgrenzung von der älteren Literatur vgl. bereits den Forschungsbericht Michael Geyers von 1973 (Geyer, Wehrmacht). 6 Vgl. besonders Geyer, Organisation, und Geyer, Aufrüstung. Zum Schicksal deutscher zeitgenössischer Quellen allgemein vgl. den Aufsatz von Josef Henke. 4

5

7

I.

3

Einleitung

der Militärpolitik während der Amtszeit Groeners zusammensetzen. Hinzu kommen die Nachlässe der reichswehrpolitischen Protagonisten, vor allem natürlich diejenigen Groeners und Schleichers. Alle diese Bestände werden im Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg (BA-MA) verwahrt, das damit von zentraler Bedeutung für diese Arbeit ist. Nicht weniger wichtig sind die Akten der zivilen Reichsbehörden, besonders die der Reichskanzlei (Bundesarchiv Koblenz: BA) und des Auswärtigen Amtes (Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn: PA-AA), die reichhaltig genug vorliegen, so daß sie noch vieles für die Beziehung Reichswehr/Politik Interessante über die gedruckten Quellen der großen Fondseditionen (AdR, ADAP) hinaus enthalten auch wenn die militärpolitischen Verschlußsachen teilweise verloren sind. Von den relevanten Beständen des Bundesarchivs-Abteilungen Potsdam (BA-P, vormals Zentrales Staatsarchiv der DDR) sind die Akten des Reichsinnenministeriums zu nennen, die trotz ihrer Lücken einigen Aufschluß über die Tätigkeit Groeners als kommissarischer Reichsinnenminister von Oktober 1931 bis Mai 1932 geben. Dieser Aspekt seines politischen Agierens darf hier nicht unberücksichtigt bleiben. Neben diesen für die folgende Studie wichtigsten vier Archiven sind noch einzelne Bestände an anderen Orten von Belang. Während im Archiv der sozialen Demokratie Bonn (AdsD) die Nachlässe sozialdemokratischer Politiker und im Institut für Zeitgeschichte München (IfZ) vor allem das Tagebuch Hans Schäffers interessant sind, steuern die Akten der Länderbehörden im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München (BHSTA München) sowie im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel (NSTA Wolfenbüttel) einiges zur Grenzschutzfrage bzw. zum Verhältnis zwischen dem Reichsinnenministerium und Braunschweig 1931/32 bei. Daß neben dem unveröffentlichten Archivmaterial die beträchtliche Zahl der bereits edierten Quellen, ausgewählte zeitgenössische Publikationen und die Memoirenliteratur auszuwerten sind, braucht kaum erwähnt zu werden. Eine genaue Durchsicht der Tagespresse, die ein Forschungsfeld für sich bildet, muß jedoch ausbleiben. Den meisten Behörden- und Nachlaßbeständen liegen aber eine Fülle von Zeitungsauszügen bei, die einen guten Querschnitt der öffentlichen Meinung vermitteln und zum Teil herangezogen werden können. Dagegen sollen die bisher vernachlässigten Sitzungsprotokolle des Reichstags und seines Haushaltsausschusses vollständig für die Militärpolitik Groeners gesichtet werden. Die parlamentarischen Äußerungen des Reichswehrministers bilden einen wichtigen Bestandteil seiner Amtstätigkeit. Insgesamt besteht also trotz der erwähnten Lücken eine breite Grundlage veröffentlichter und unveröffentlichter Quellen zur Politik Groeners vom Januar 1928 bis zum Mai 1932, die eine ausreichende Einsicht in die vielfältigen Erscheinungsformen seines Wirkens erlaubt. Diese Bandbreite der Tätigkeit Groeners, die militärpolitische wie allgemeinpolitische Probleme umschließt und z. T verknüpft, drückt der Vorgehensweise der folgenden Arbeit ihren Stempel auf. Eine durchgehend chronologische >Verlaufsgeschichte< ist ihr ebenso unangemessen wie ein bloßes Nebeneinanderstellen vereinzelter Aspekte. Es soll daher eine Mischung beider Methoden versucht werden. Nach der Skizzierung des Werdegangs —

und der Überzeugungen Groeners vor 1928

(Kap. 11,1—2) sind seine Berufung zum Reichs-

wehrminister sowie seine ersten Amtsmonate zu beschreiben, an denen einige Grundzüge seiner Politik exemplarisch verdeutlicht werden können (Kap. 111,1—2). Diesem

4

I.

Einleitung

Entree wird dann die

Untersuchung der einzelnen Aufgabenfelder und Strukturen der Ressortführung Groeners, also gewissermaßen der eigentlichen Militärpolitik und ihrer politischen Bedeutung, folgen (Kap. IV,1—5; V,l—-2): die interne Machtverlagerung im Reichswehrministerium, die militärische Planung und Vorbereitung, die Kooperation mit der zivilen Exekutive, die Vertretung des Wehretats, das Verhältnis Militärpolitik/ Außenpolitik und die Abrüstungsfrage. Bei der anschließenden Darstellung der Beziehungen Groeners zum innenpolitischen Umfeld kann wieder stärker eine übergreifende chronologische Entwicklungslinie verfolgt werden (Kap. VI,1—5; VII, 1—2). Von der militärpolitischen Standortsuche zwischen den parteipolitischen Fronten über die Einflußstellung der Reichswehrführung im Präsidialsystem bis zu den aufgeregten Monaten der Aktivitäten Groeners als fachübergreifender Doppelminister ist eine fortschreitende Verstrickung in die innere Krise zu untersuchen. Die einzelnen Kapitel der Studie sollen durch zahlreiche Bezüge untereinander ein dichtes Netz bilden, das der gleichzeitigen Verschränkung und Parallelität von militärischen und nichtmilitärischen Faktoren in der Politik Wilhelm Groeners gerecht wird, ohne aber die Dinge unnötig zu komplizieren. Mit diesem guten Vorsatz möge sich der Vorhang öffnen!

II.

Die

1.

Voraussetzungen.

Erfahrungen

Groeners

vor

1928

Herkunft, Persönlichkeit, Werdegang

Als Generalleutnant a.D. Wilhelm Groener am 19. Januar 1928 zum Reichswehrminister ernannt wurde, übernahm kein in der Militärpolitik Unerfahrener das schwierige Amt in der Bendlerstraße1, sondern ein Experte ersten Ranges, der in seinem 61. Lebensjahr auf reichhaltige militärische, politische und menschliche Erfahrungen in führenden Positionen und entscheidenden Situationen zurückblicken konnte. Die Summe dieser Erfahrungen war für das Denken und Handeln Groeners nach 1928 prägend, ein Blick auf seinen Lebensweg vor dieser Zeit ist daher für das Verständnis seiner Politik am Ende der Weimarer Republik unabdingbar. Wilhelm Groener kam aus bescheidenen Verhältnissen2. Er wurde am 22. November 1867 als Sohn eines Regimentszahlmeisters in Ludwigsburg geboren. Diese soziale Herkunft wäre nicht weiter erwähnenswert, hätte sie nicht der Offizierslaufbahn Groeners im kaiserlichen Heer eine besondere Beinote verliehen. Als Groener 1884 an seinem 17. Geburtstag als Fahnenjunker in das 3. Württembergische Infanterie-Regiment Nr. 121 in Ludwigsburg eintrat, konnte er sich für seinen weiteren Werdegang nicht auf Ansehen und Einfluß von Geblüts- oder Geldadel stützen, sondern mußte allein auf Fleiß und Begabung vertrauen. Sein späterer Aufstieg im Generalstab zeigt die Möglichkeiten auf, die sich einem Berufsoffizier aus unvermögendem bürgerlichem Haus auch in der Wilhelminischen Zeit boten3. Freilich hätte es Groener bei einer standesgemäßeren Abstammung leichter gehabt, und das Gefühl, wegen seiner Herkunft benachteiligt zu sein, hinterließ Wunden. In einem Gespräch mit Brüning beklagte er sich noch 1932 bitter über seinen mangelnden Einfluß im Generalstab vor und bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs. »Sein Vater, der nur Zahlmeister gewesen sei, sei dabei das ausschlaggebende Moment gewesen. Eigentlich sei er immer als Einsamer durch seine militärische Laufbahn gewandelt.«4 Doch gerade der Umstand, daß Groener ohne gesellschaftlichen Hintergrund auf sich gestellt war, förderte die geistige Unabhängigkeit eines trotzig allein 1

2

3

4

In der Berliner Bendlerstraße lag der Gebäudekomplex des Reichswehrministeriums, der sogenannte >BendlerblockBendlerstraße< steht als Synonym für das Reichswehrministerium. Das Gerüst der Lebensdaten ist im folgenden den Lebenserinnerungen Groeners (bis 1919) und dem inhaltreichen Artikel Hillers von Gaertringen in der NDB entnommen. Einige Ergänzungen, beson-

ders zu den frühen Jahren, bietet die ältere Kurzbiographie Kabischs, während die Angaben der Tochter Groeners (Groener-Geyer, Groener) nicht immer zuverlässig sind. Zur Karriere Groeners bis zum Ende des Ersten Weltkriegs vgl. auch die kleine Studie von Helmut Hauessler. Zur sozialen Struktur des Offizierskorps in der kaiserlichen Armee vgl. u.a. Schulte, Armee, s. xxxrv-xxxviii. Brüning, Memoiren, S. 548.

6

II.

seinem Gewissen

Voraussetzungen.

Die

Erfahrungen

Groeners

vor

1928

Verpflichteten5, der sich nicht durch vorgefaßte Meinungen oder stan-

desspezifische Rücksichten, sondern durch einen von ihm immer wieder beschworenen »Wirklichkeitssinn« leiten ließ6. Und der Zwang, sich durch Leistung zu empfehlen, begründete seine überdurchschnittliche Fachkompetenz und ebnete ihm den Weg über das jahrgangsbeste Abschlußzeugnis der Kriegsakademie in den Großen Generalstab, dem Allerheiligsten des preußisch-deutschen Militärapparates, in das er 1899 als Hauptmann

versetzt wurde. Wie sich Groeners realitätsbezogene Denkweise und schwer erarbeitete Fachqualifikation maßgeblich auf seine soziale Herkunft zurückführen lassen, kann man neben dieser seine lokale Herkunft für das ungewöhnlich zivile Auftreten verantwortlich machen, das ihn vor anderen Berufsoffizieren auszeichnete7. Groener selbst schreibt es in seinen Lebenserinnerungen der liberalen Atmosphäre seiner württembergischen Heimat zu, »wenn ich in meinem Leben auch Verständnis für andere Menschen als für Offiziere gehabt habe«8. Der »schwäbische Kleinbürger«9 Groener war frei von dem Standesdünkel und den gesellschaftlichen Scheuklappen vieler seiner Kollegen, eine Eigenschaft, die seine spätere Tätigkeit als politischer Soldat und den dafür erforderlichen Umgang mit Zivilisten ungemein erleichterte. Wer jedoch noch stärker der altpreußischen Tradition des Militärberufsstandes verhaftet war, der mußte wie 1918 der Generalstabsoffizier Albrecht von Thaer das »Offiziermäßig-Soldatische« an Groener vermissen10. Das bürgerliche Erscheinungsbild eines Reserveoffiziers und die relative Unvoreingenommenheit bei der Beurteilung militärischer wie politischer Fragen machten Groener bei vielen führenden Militärs suspekt. Sein Wirken im Kriegsamt und als Generalquartiermeister trug außerdem dazu bei, daß er vielerorts nur noch als »Nichtpreuße und Demokrat«11 verkannt 5

Je stärker sich Groener während seiner Laufbahn isoliert und mißverstanden fühlte, desto mehr betonte er seine innere Selbständigkeit, sehr charakteristisch z.B. in einem Brief an seine Frau, Kiev 19./20.4.1918 (Von Brest-Litovsk zur deutschen Novemberrevolution, S. 349): »Nun will ich wieder an meine Arbeit, die ich wie ich mir felsenfest vorgenommen habe nur nach meinem Gewissen und ohne Rücksicht auf Menschen, ob hoch oder niedrig, ob Kaiser, Hindenburg, Ludendorff oder den geringsten Arbeiter leiste. Andernfalls entbiete ich den Leuten den schwäbischen Gruß. So hab ich's gehalten, seitdem ich in führender Stellung bin, und darin größere Befriedigung gefunden als in tausend Orden, die sie mir umhängen mögen oder nicht mögen. Der beste Aufenthalt für solche Dinge ist meine alte Cigarrenkiste.« Der Begriffsgegensatz >WirklichkeitssinnSelbsttäuschung< wurde von Groener immer wieder benutzt. —





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Nur ein Beispiel von vielen: »Unter dem Zwange tragischer Selbsttäuschung ist das Verhängnis über uns gekommen [...]. Mehr Wirklichkeitssinn ist die Mahnung des Weltkrieges an das deutsche Volk.« (Groener, Weltkrieg, S. 101.) Theodor Eschenburg, der als Privatsekretär Stresemanns die Bekanntschaft Groeners gemacht hat und von dem die eingehendste Charakteristik des Reichswehrministers stammt (Eschenburg, Rolle, S. 7—9), schreibt von »sehr zivilen süddeutschen Umgangsformen« (ebd., S. 8). Vgl. auch Vincenz Müller, Vaterland, S. 280. Groener, Lebenserinnerungen, S. 36. Eschenburg, Rolle, S. 7. Tagebuchaufzeichnung Thaers, 28.10.1918 (Thaer, Generalstabsdienst, S. 248). Auch Eschenburg, Rolle, S. 8, meint, ihm habe »die strenge traditionelle Standesauffassung des Offiziers« gefehlt, obwohl er ein »harter Soldat« gewesen sei. Wild von Hohenborn an seine Frau, 30.10.1918 (Militär und Innenpolitik II, S. 1346).

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wurde. Darauf wird noch näher einzugehen sein. Man würde der Persönlichkeit Groeners aber nicht gerecht werden, wollte man aus den beschriebenen Eigenschaften den Schluß ziehen, daß er von den Einflüssen des ihn umgebenden Milieus frei geblieben sei. Seit Jugendjahren vom Soldatenleben geprägt, konnte und wollte er seine Profession letztlich nie verleugnen. Auch lag Groener jeder süddeutsche Provinzialismus fern. Der im Großen Generalstab geschulte Offizier dachte stets von der Zentrale Berlin aus, wo er die längste Zeit seines Lebens verbrachte. Der Württemberger Groener hatte in der von preußischen Traditionen bestimmten gesamtstaatlichen Armee des deutschen Kaiserreiches seine Heimat gefunden. Dem blieb er im Herzen immer verbunden, auch wenn er wie kaum ein zweiter mit nüchternem Pragmatismus auf neue Realitäten reagieren konnte. Groeners Aufnahme in den Großen Generalstab war bei seiner kleinbürgerlichen und süddeutschen Provenienz keine Selbstverständlichkeit, so daß der junge ehrgeizige >homo novus< mit Recht stolz auf das Erreichte sein konnte. Er wurde von vornherein der Eisenbahnabteilung zugeteilt, zu der man ihn auch nach den obligaten Kommandierungen zur Truppe immer wieder zurückversetzte. Im Rückblick fühlte sich Groener innerhalb des Generalstabs auf diese Abteilung, die von 1899 bis 1916 der Mittelpunkt seiner militärischen Laufbahn blieb, »abgeschoben« und schrieb dies wohl mit Recht seiner geringen Herkunft zu12. Doch ohne Zweifel konnte sich dort seine organisationsstrategische Begabung besonders gut entfalten. Obwohl den fleißigen Spezialisten der Eisenbahnabteilung das Odium von Verwaltungsbeamten anhaftete, trugen sie hohe Verantwortung für die moderne Kriegführung, in der es maßgeblich auf schnellen Aufmarsch, große Mobilität hinter der Front und reibungslosen Nachschub ankam. Groener arbeitete sich schnell in die komplizierte Materie des Zusammenspiels von Mobilmachungsplanung und Verkehrstechnik ein, zeichnete sich aus und stieg kontinuierlich auf, bis er am 1. Oktober 1912 als Oberstleutnant zum Chef der Eisenbahnabteilung ernannt wurde. Seine Arbeit verschaffte ihm Einblicke in die Verschmelzung von Kriegshandwerk, Wirtschaft und Verkehr13, die im Industriezeitalter den herkömmlichen militärischen Rahmen sprengte. Die für die Eisenbahnabteilung unumgängliche Zusammenarbeit mit den zivilen Stellen sensibilisierte ihn für die übergreifenden Probleme moderner Militärpolitik, mit denen er in einer traditionelleren Sektion des Generalstabs wohl kaum konfrontiert worden wäre. So reifte Groener bereits vor 1914 zu einem Militär neuer Prägung heran, wenn auch eher unbewußt14. Erst die Erfahrung des Weltkriegs eröffnete ihm für die militärische Bedeutung der sozialökonomischen und politischen Rahmenbedingungen endgültig die Augen. Trotz seiner arbeits- und erfolgreichen Tätigkeit in der Eisenbahnabteilung galt Groewenn ners ganze Liebe operativen Studien, mit denen er sich nebenher beschäftigte15 auch oft im Zusammenhang mit seinem eigentlichen Arbeitsgebiet. Dabei wurde ihm die Auseinandersetzung mit den Gedanken des Generalstabschefs Graf Schlieffen zum —

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Brüning, Memoiren,

S. 548. allem Groener, Lebenserinnerungen, S. 134f. »Ohne daß es mir selbst deutlich wurde, drängte mich meine militärische Aufgabe auf Fragenkreise, die mir von Hause aus fremd waren.« (Ebd., S. 335.) Vgl. ebd., S. 97.

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Schlüsselerlebnis16. Groener entwickelte sich zum begeisterten Anhänger der Lehre Schlieffens vom Bewegungskrieg und der schnellen Entscheidung durch einen umfassenden Flügelangriff. Auch nach dem Ersten Weltkrieg blieb er ein Bewunderer dieser Theorien und sah gerade in ihnen die Möglichkeit, mit Hilfe neuer Waffentechniken den leidvoll erfahrenen Stellungskrieg zu überwinden17. Nach Ausscheiden Schlieffens

dem Großen Generalstab im Jahre 1905 versuchte Groener im Geiste seines Lehrmeisters auf die operativen Planungen einzuwirken, blieb aber ohne Einfluß. Zeitweise spekulierte er auf eine führende Stellung in der Aufmarschabteilung, doch nachdem 1908 Ludendorff deren Leitung übernommen hatte, wurden die Hoffnungen auf ein stärkeres Gewicht seiner operativen Vorstellungen enttäuscht18. Gegen die in seinen Augen fatale Verwässerung des Schlieffen-Plans, d.h. die Schwächung des rechten Angriffsflügels zugunsten der linken Verteidigungslinie, konnte er von der Eisenbahnabteilung aus kaum etwas unternehmen. Das Scheitern der Westoffensive von 1914 gab Groener das Selbstgefühl des verhinderten Strategen, der es besser gemacht hätte19. Der zugleich resignative wie selbstbewußte Wesenszug eines in seinen Plänen nicht zur Geltung Gekommenen blieb an ihm auch später haften. Groeners Wirkungsmöglichkeiten im Großen Generalstab waren auch durch den herkunftsbedingten Mangel an lobbyistischen Beziehungen eingeschränkt. Diese gewisse Isolation versuchte er dadurch auszugleichen, daß er bemüht war, sich in der Eisenbahnabteilung »einen Stab von jüngeren Mitarbeitern heranzubilden, die ganz auf mich eingestellt waren wie ich auf sie. Mit den allermeisten verband mich im Laufe der Jahre weit mehr als nur das Dienstverhältnis.«20 Auf diese Weise schuf er sich den Kreis enger Vertrauter, der ihm durch Standesverbindungen nicht gegeben war. Von den jungen Offizieren, die maßgeblich von Groener beeinflußt waren, dann Karriere machten und teilweise auch in der Reichswehr wichtige Positionen besetzten, sind Friedrich von Boetticher, aus

16

ebd., S. 68—70. Die zur Verklärung neigende Bewunderung Groeners für Schlieffen den »einzigen Feldherrn und Staatsmann, den Deutschland seit Bismarck hatte« (Groener an seine Frau, Kiev 12.10.1918; Von Brest-Litovsk zur deutschen Novemberrevolution, S. 444) fand ihren literarischen Ausdruck in seinen beiden großen militärhistorischen Schriften (Groener, Testament; Groener, Feldherr). Daß er in diesem Sinne auch auf seine Schüler einwirkte, beweist die Schlieffen-BioDazu





graphie Friedrich von Boettichers. Die bis zuletzt anhaltende Überschätzung Schlieffens durch Groener widersprach freilich nicht nur seiner sonstigen nüchternen Denkweise, sondern auch den rationalen und progressiven Vorstellungen von Militärpolitik, wie sie besonders in der Amtszeit des Reichswehrministers von 1928 bis 1932 zum Ausdruck kamen hingewiesen sei nur auf die von Groener durchgesetzte Einordnung der Wehrpolitik in die allgemeinpolitischen Bedingungen, vor allem in die Außenpolitik, ein Merkmal, das sich in Schlieffens Konzeption schwerlich finden läßt. 17 Vgl. unten Kap. 11,2. 18 Seiner Verbitterung darüber, daß er seine operativen Ideen vor 1914 nicht hatte zur Geltung bringen können, gab er besonders deutlich in einem Gespräch mit Brüning im Frühjahr 1932 Ausdruck (Brüning, Memoiren, S. 548 f.). 19 —

Groeners Gegner sahen darin Besserwisserei, wie etwa Generalleutnant a.D. Georg Wetzell, der über das Buch »Feldherr wider Willen« resümierte: »Mir hat es nicht imponiert, ihm selbst sicher. [...] Das Buch soll doch sagen, ja wenn ich geholt worden wäre, dann!« (Wetzell an Haeften [privat], Nanking

20

26.10.1930; BA-MA, N 629/11.) Groener, Lebenserinnerungen, S.

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Erich Frhr. von dem Bussche-Ippenburg, Kurt Frhr. von Hammerstein-Equord, Erich Frhr. von Oldershausen, Stefan von Velsen und Friedrich Frhr. von Willisen zu nennen, vor allem aber Kurt von Schleicher, der Ende 1913 in die Eisenbahnabteilung kam und sich zu Groeners Lieblingsschüler entwickelte. Groener war ein guter Vorgesetzter, der stets viel Wert auf Eigenständigkeit, Kollegialität und zwischenmenschliches Verständnis legte21. Die meisten seiner Mitarbeiter haben ihm eine aufrichtige Verehrung entgegengebracht22. Die in der Eisenbahnabteilung erfolgreiche Methode, sich einen persönlichen Vertrautenstab aufzubauen, hat er in allen seinen Tätigkeitsbereichen beibehalten. In kleiner Runde konnte Groener am besten die geistige Potenz entfalten, die dem flüchtigen Beobachter hinter seiner ruhigen und zurückhaltenden äußeren Erscheinung verborgen blieb. Weniger Eindruck machte er hingegen in größeren Diskussionskreisen, da er ein schwacher Debattierer war, dem die spontane freie Rede nicht so im Naturell lag wie das sorgsame schriftliche Ausarbeiten seiner Gedanken23. Das sollte später auch seine Arbeit in Kabinett, Parlament und Öffentlichkeit erschweren. So blieb Groeners Überzeugungskraft oft auf seine unmittelbare Umgebung begrenzt, die seine Vorstellungen übernahm und umsetzte, die dadurch aber unverhältnismäßig an Gewicht gewann. Die Abhängigkeit seines Wirkens von diesem dünnen Rückhalt mag dazu beigetragen haben, daß sich Groener in seinem militärischen und politischen Weg als »Einsamer« gefühlt hat24. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab der Karriere Groeners neuen Antrieb. Anfang August 1914 erhielt er als Chef des Feldeisenbahnwesens nahezu uneingeschränkte Vollmachten über den gesamten Schienenverkehr, einen Monat darauf wurde er zum Oberst ernannt. Der schnelle und perfekte Aufmarsch des deutschen 3-Millionen-Heeres in den ersten Kriegstagen war ohne Zweifel ein Verdienst jahrelanger Planung der Eisenbahnabteilung und begründete den Ruhm Groeners. Da der Aufmarschfahrplan bei Kriegsausbruch bereits in der Schublade lag und nur noch befolgt werden mußte, wurde Groener jedoch erst richtig gefordert, als es in den folgenden Monaten galt, die Eisenbahnen völlig auf den Kriegsbetrieb umzustellen und als operatives Mittel zu perfektionieren. Sein Organisationstalent bewährte sich an allen Fronten glänzend, selbst unter den schwierigen eisenbahntechnischen Bedingungen im Osten. Groeners Leistungen wurden allgemein anerkannt und hatten die bevorzugte Beförderung zum Generalmajor am 26. Juni 1915 sowie neben zahlreichen anderen Ehrungen die Auszeichnung mit dem Orden pour le mérite im selben Jahr zur Folge. Auch im Großen Hauptquartier und am kaiserlichen Hof gewann Groener durch seine Verdienste an Einfluß, ohne jedoch nachhaltig auf die Operationsplanung einwirken zu können. So blieb der ehrgeizige Schüler Schlieffens ein kritischer, aber letztlich ohnmächtiger Beobachter der strategischen Entscheidungen in der Obersten Heeresleitung. Den Kriegsverlauf sah Groener nach dem Scheitern Zu Groeners Führungsstil ebd., S. 191 f. Vgl. etwa die entsprechenden Passagen in den unveröffentlichten Lebenserinnerungen Friedrich von Boettichers (BA-MA, N 323/56, z.B. Bl. 13 und Bl. 20), der 1914 in der Eisenbahnabteilung und später im Reichswehrministerium als Chef der Völkerbundsabteilung (Heer) unter Groener arbeitete. 23 Sein ungewandtes Auftreten im Gespräch bestätigen Fechter, Menschen, S. 378; Gessler, Reichswehrpolitik, S. 397—399; Eschenburg, Rolle, S. 7f.; Brüning, Memoiren, S. 649.

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Schlages an der Marne zunehmend skeptisch, hoffte aber auf einen guten Friedensschluß, der es erlauben würde, »einen neuen Krieg vorzubereiten und uns möglichst stark zu machen«25. In seinem Tätigkeitsbereich plante er bereits für dieses zweite, vielleicht entscheidende Ringen voraus und ordnete langfristige Verbesserungen des Schiedes ersten

die im Krieg leichter durchzusetzen waren26. Außerdem war er darauf die bedacht, Unterwerfung des zivilen Eisenbahnapparates unter die militärischen Belange für die Zeit nach dem Krieg festzuschreiben27. Der Wunsch nach einem baldigen Frieden, der die Entscheidung im Kampf der antagonistischen europäischen Großmächte vertage, festigte sich durch die allmählich reifende Erkenntnis, daß Deutschland für diesen langen Krieg nicht genügend Vorsorge getroffen habe28. Groener verlor dank seiner Aufgaben als Chef der Feldeisenbahnen nie den Kontakt zu den Zivilbehörden und der Situation in der Heimat. Je mehr sich dort die Probleme häuften, desto deutlicher mußte ihm die Abhängigkeit der modernen Kriegführung von außermilitärischen Faktoren werden. Groener geriet seit Ende 1915 schrittweise immer tiefer in die Auseinandersetzung um diese zivilen Rahmenbedingungen hinein29. Im Dezember dieses Jahres wurde der Feldeisenbahnchef mit der Organisation der Getreidelieferungen aus Rumänien betraut. Als sich die Ernährungslage zunehmend kritischer gestaltete, wurde am 26. Mai 1916 mit dem Kriegsernährungsamt eine zentrale Behörde geschaffen, die für Abhilfe sorgen sollte. Groener war schon frühzeitig als Vorstandsmitglied des neuen Amts vorgesehen und konnte auf dessen Errichtung Einfluß nehmen. So entsprang es seinem Pragmatismus, daß in das zunächst neunköpfige Vorstandskollegium nicht nur Beamte und Industrielle, sondern auch zwei Arbeitnehmervertreter und ein Oberbürgermeister berufen wurden. Wenn dabei ausgerechnet der militärische Repräsentant die Heranziehung eines Sozialdemokraten an die Leitung einer staatlichen Einrichtung durchsetzte, dann aus der Einsicht heraus, »daß solche Maßnahmen von den Vertretern des ganzen Volkes getragen werden mußten«30. Nächst dem Präsidenten von Batocki wurde Groener zum entscheidenden Kopf des Kriegsernährungsamts, blieb daneben aber auf seinen ausdrücklichen Wunsch Chef des Feldeisenbahnwesens. Mit den Aufgaben an der Front bewahrte er sich zunächst einen Ausgleich zum komplizierten Geschäftsbetrieb im Berliner Verwaltungsapparat, der ihm bald zuwider war und seine Abneigung gegen jede Art von Bürokratismus verfestignennetzes an,

25

Groener an seine Frau, 31.12.1914 (Groener, Lebenserinnerungen, S. 529). Ähnlich in den Briefen seine Frau vom 23.11.1914 (ebd., S. 528) und 28.12.1914 (ebd., S. 529). Groener an seine Frau, 31.12.1914 (ebd., S. 527). Ebd., S.268; Tagebuchaufzeichnung Groeners, 23.11.1915 (ebd., S. 544). Vgl. etwa den Brief Groeners an seine Frau, 5.11.1917 (ebd., S. 562): »Wir hatten ja für diesen Krieg uns viel zu wenig vorbereitet.« Zu folgendem das interessante Kapitel »Kriegsernährungsamt und Kriegsamt« in Groener, Lebenserinnerungen, S. 328—373. Aufschlußreich auch Groeners Ausführungen über diese Zeit im Dolchstoß-Prozeß, Oktober/November 1925 (Dolchstoß-Prozeß, S. 198—211). Die noch immer grundlegende Darstellung der Politik Groeners im Kriegsamt von Feldman, Armee, S. 133—326. Ebd., S. 103—107, auch zu Groeners Rolle im Kriegsernährungsamt. Groener, Lebenserinnerungen, S. 335. Vgl. auch die Tagebuchaufzeichnung Groeners vom 20.5.1916 (ebd., S. 550).

an 26 27 28

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te31. Durch die steigende Konfrontation zuerst mit wirtschaftlichen, dann mit politischen und sozialen Fragen legte Groener aber den »unbekümmert militärischen Standpunkt« ab, »der in denen, die mit Bedenken aus der Heimat kamen, >Schlappmacher< witterte, genauso, wie es mir später ergangen ist, als ich die Konsequenzen aus meiner Heimaterfahrung zog«32. Seine Tätigkeit in Berlin überzeugte ihn von der »tiefen gegenseitigen Abhängigkeit« von Feldheer und Heimat33. Gleichzeitig entfernte sie Groener immer mehr von seinem im engeren Sinne militärischen Aufgabenbereich der operativen Verkehrstechnik. Vollends zum politischen Soldaten entwickelte sich Groener, nachdem er am 1. November 1916 zum Generalleutnant und Chef des neugegründeten Kriegsamts ernannt worden war. Diese Schaltzentrale aller kriegswirtschaftlichen Kräfte im Deutschen Reich wurde mit größerer Machtbefugnis ausgestattet als die bisher zuständigen Behörden wie das Kriegsernährungsamt, die die wachsenden sozialökonomischen Probleme nicht mehr bewältigen konnten. Das Kriegsamt sollte vor allem die Pläne der neuen Obersten Heeresleitung um Hindenburg und Ludendorff umsetzen, das sogenannte >Hindenburgprogrammtotale< Kriegführung vorweggenommen, und auch Groener sah in ihr rückblickend den Plan der >»Militarisierung< des gesamten Lebens«34. Die Dritte Oberste Heeresleitung hielt den im Umgang mit den Zivilstellen erfahrenen und als Organisator bewährten Groener für den geeigneten Mann, die Ausschöpfung der nationalen Reserven zu koordinieren. Groener sträubte sich anfangs vor der Übernahme des Kriegsamts, wohlwissend, nun ganz in die Politik verstrickt zu werden, doch schließlich gaben sein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl und das Vertrauen Hindenburgs und Ludendorffs den

Ausschlag35. Groener ging seine neue Aufgabe mit dem gewohnten pragmatischen und unkonventionellen Elan an. Dennoch konnte er nicht verhindern, daß die rüstungsindustrielle Produktion zunächst stagnierte und sich der berüchtigte Kohlrübenwinter 1916/17 negativ auf die Moral der Bevölkerung auswirkte. Ein besonderes Problem war die Beschaffung von Arbeitskräften für die Kriegs- und Ernährungswirtschaft. Am 5. Dezember 1916 trat das von Ludendorff geforderte »Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst« in Kraft, das die Heranziehung aller in der Heimat verbliebenen 17- bis 60-jährigen Männer an Arbeitsdiensten, besonders in der Rüstungsindustrie und Landwirtschaft, anordnete. Das Kriegsamt war für die Ausführung dieses Gesetzes verantwortlich. Dazu benötigte Groener 31

Ein Beispiel von vielen: »Wenn man in dieses alberne Getriebe der Staatsverwaltung hineinsieht bekommt man für's ganze Leben genug davon.« (Tagebuchaufzeichnung Groeners, 29.5.1916; ebd., S. 550.) Ebd., S. 332. Ebd. Ebd., S. 341. Der Begriff >Der totale Krieg« wurde durch die gleichnamige Schrift Ludendorffs von 1935 bekannt. Dazu die Tagebuchaufzeichnungen Groeners vom 7.—10.10.1916 (Groener, Lebenserinnerungen, S. 553) und 26.10.1916 (ebd., S. 555). Vgl. auch ebd., S. 345.



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jedoch neben der Unterstützung durch die Industrie das Einvernehmen mit den Sozialdemokraten und Gewerkschaften. Schon das Durchbringen des Hilfsdienstgesetzes, an dem Groener maßgeblich beteiligt war, hatte Zugeständnisse an die Vertreter der Arbeiterschaft erfordert. Und zu solchen Zugeständnissen war der Chef des Kriegsamts weiterhin bereit. Anders als Ludendorff, der »Nur-Soldat« blieb und der »soldatischen Sünde« verfiel, »alle Fragen des politischen Lebens militärisch zu lösen«36, zog Groener die politischen Konsequenzen aus der auch von jenem erkannten Verschmelzung von Armee, Wirtschaft und Gesellschaft im modernen Krieg und der damit verbundenen Aufwertung der Massen. Während seiner Tätigkeit im Kriegsamt gelangte er zunehmend zu der Auffassung, daß die notwendige innere Geschlossenheit der kriegführenden Nation nur durch gewisse politische Veränderungen zu erreichen sei. »Für eine starke Außenpolitik ist m. E. die Masse unseres Volkes nur zu gewinnen, wenn es sich im Innern >liberal< regiert fühlt. Will man aber im Innern auch >stark< d.i. reaktionär regieren, dann ist sofort der innere Hader da. Die Arbeitermassen können für eine starke Außenpolitik nur von der Regierung gewonnen und bei der Stange gehalten werden, die ihnen längst gehegte Wünsche erfüllt.«37 Der Aprilstreik des Jahres 1917 überzeugte Groener endgültig, daß der Weltkrieg eine »demokratische Welle« entfacht habe, die nicht mehr aufzuhalten sei und die gegenwärtige Staatsform hinwegspüle, wenn man nicht rechtzeitig auf sie reagiere38. Er ent- und verwarf langfristig planende, über den Krieg hinaussehende Denkschriften zur Bewältigung der politischen Probleme, eine für den stets von der Sorge um die Zukunft Deutschlands getriebenen Groener typische Reaktion39. Seine Vorschläge, das preußische Wahlrecht zu reformieren, den Arbeitnehmern mehr tarifrechtliche Mitbestimmung zu gewähren und die staatliche Lenkung der Wirtschaft auch nach Kriegsende in gewissen Grenzen fanden aber beizubehalten, ebensowenig eine Unterstützung wie die Idee, »den Reichstag nach Hause zu schicken und eine Regierung der Konzentration mit starken Vollmachten von den Konservativen bis einschließlich der Mehrheitssozialisten zu bilden«40, 36

Ebd.,

S. 437.

Tagebuchaufzeichnung Groeners, 30.9.1917 (ebd., S. 558). Bereits am 9.8.1916 hatte er in sein Tagebuch notiert: »Im Innern Sozialdemokratie von Seiten der Regierung führen. Ohne Staatssozialismus kommen wir nicht durch, daher nicht abwarten, sondern zugreifen.« (Ebd., S. 551.) 38 37

Briefe Groeners an seine Frau vom 11.11.1917 (ebd., S. 562) und 26.1.1918 (ebd., S. 383); Aussage Groeners im Dolchstoß-Prozeß, Oktober/November 1925 (Dolchstoß-Prozeß, S. 202); Groener,

39

Lebenserinnerungen, S. 360. »Im Zusammenhang mit dem Aprilstreik

1917 bin ich zur festen Ueberzeugung gekommen, daß staatliche Form dem Ansturm nicht standhalten würde, wenn der Krieg verloren ginge. Ich bin deshalb monatelang tagtäglich dagesessen und habe Denkschriften verfaßt. Meine Adjutanten witzelten schon über >die Briefe, die ihn nicht erreichtem; denn ich habe die Denkschriften in der Regel, wenn sie halb oder dreiviertel fertig waren in den Ofen gesteckt.« (Aussage Groeners im Dolchstoß-Prozeß, Oktober/November 1925; Dolchstoß-Prozeß, S. 201.) Wilhelm Heye berichtet für den Reichswehrminister Groener in seinen Lebenserinnerungen spöttisch, er sei nach Darstellung Schleichers »in seinen vielen schlaflosen Nächten von zehn bis zwanzig unausführbaren Plänen zur Rettung des deutschen Volkes und der Reichswehr geplagt« worden (BA-MA, N 18/4, Bl. 307). Groener, Lebenserinnerungen, S. 366. Vgl. auch Groeners Aussage im Dolchstoß-Prozeß, Oktober/November 1925 (Dolchstoß-Prozeß, S. 203). unsere

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also die Exekutive nicht auf das Parlament, aber dennoch auf eine Massenbasis zu stellen, was für ihn nie identisch sein sollte. Wenn Groener hier wirkungslos blieb, kam sein vernunftgemäßes Reagieren auf neue Realitäten doch in anderen Punkten zum Tragen. Mit der sozialpolitischen Aufgeschlossenheit, die er an der Spitze des Kriegsamts entwickelte, versuchte er im Sinne einer effizienten Kriegswirtschaft einen Interessenausgleich zwischen den Vertretern der Industrie und der Arbeiterschaft herzustellen. Dabei zog er Sozialdemokraten und Gewerkschaftsführer, deren stärkeres Gewicht er anerkannte, als gleichberechtigte Verhandlungspartner heran und scheute auch vor einem Gespräch mit unabhängigen Sozialisten wie Hugo Haase nicht zurück, wenn es der Sache diente41. Groener wollte in den sozialen Gegensätzen die Rolle des neutralen Vermittlers einnehmen. Dabei erwarb er sich das Vertrauen weiter Teile der Arbeiterschaft und ihrer Führer, das auch durch seinen berüchtigten »Hundsfott«-Aufruf gegen den Aprilstreik nicht zerstört werden konnte. Wenn seine Politik des sozialen Ausgleichs trotz positiver Ansätze keinen durchschlagenden Erfolg hatte und das von ihm angestrebte Bündnis zwischen Armee, Industrie und Arbeiterschaft erst unter dem Druck der Revolution zustande kam, so lag das maßgeblich an den Widerständen auf allen Seiten, besonders bei den Unternehmern, aber auch daran, daß Groener kein geschickter Taktierer war und sich oft zu wenig kompromißbereit zeigte. Vor allem verlor er den Rückhalt Ludendorffs, der sich von Groener ein hartes Vorgehen bei der Ausschöpfung der personellen und materiellen Reserven in der Heimat versprochen hatte. Wegen seiner für einen General höchst ungewöhnlichen, aber weitsichtigen sozialen Vorgehensweise galt er bei der militärischen Führung als »schlapp« geworden42 und fiel auch beim Kaiser in Ungnade. Als Groener im Juli 1917 eine staatliche Lenkung der Unternehmergewinne und Arbeiterlöhne forderte, um das Übel der Kriegsgewinnlerei zu bekämpfen43, nahmen das seine Gegner in Industrie-, Regierungs- und Militärkreisen zum Anlaß, ihn in einer breit angelegten Intrige zu stürzen. Am 16. August 1917 wurde er als Divisionskommandeur an die Westfront versetzt. Groeners Ablösung von der Leitung des Kriegsamts war in seiner zu großen Eigenständigkeit und in der mißverstandenen »Neigung zu weit links« begründet, wie ihm der preußische Kriegsminister Stein ganz offen zugab44. Er paßte nicht mehr in die politische Landschaft der reaktionären Wendung unter dem neuen Reichskanzler Michaelis. Dabei war Groeners Ziel, der Umwälzung von unten durch Reformen von oben zuvorzukommen, durchaus mit bestimmten preußischen Traditionen im Einklang und konservativen Ursprungs45. Dennoch wurde ihm seit seiner Tätigkeit im Kriegsamt zeit sei41 42

Begegnung mit Haase schildert er ebd., S. 201, und in seinen Lebenserinnerungen, S. 363 f. Groener, Lebenserinnerungen, S. 367. Diese Einschätzung wurde dadurch verstärkt, daß Groener Seine

die Ansicht vertrat, man müsse »dem Volk den Gedanken an den Frieden ohne Sieg nahebrin(ebd.), während er im Vorjahr noch recht weitgehenden Kriegszielen das Wort geredet hatte (vgl. seine Tagebuchaufzeichnung, 9.8.1916; ebd., S. 551). Vgl. die von Groeners engem Mitarbeiter Richard Merton ausgearbeitete »Denkschrift über die Notwendigkeit eines staatlichen Eingriffs zur Regelung der Unternehmergewinne und Arbeiterlöhne«, Berlin 12.7.1917 (ebd., S. 521-525). Tagebuchaufzeichnung Groeners, 18.8.1917 (ebd., S. 556f.). So auch Feldman, Armee, S. 326. nun

gen« 43

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Lebens und darüber hinaus eine demokratische Gesinnung nachgesagt46. Dem Bild eines süddeutschen Demokraten hat Groener selbst ein anderes entgegengestellt, das eines liberalen Konservativen, der allen sozialen Schichten und politischen Meinungen mit derselben Aufgeschlossenheit entgegentritt, der über den Parteien steht und sich in seinem Urteil allein vom Gesamtwohl der Nation leiten läßt47. Dieser nicht immer durchgehaltenen inneren Unabhängigkeit lag aber ein militärischer und autoritärer Kern zugrunde48, was an Groeners Einstellung zur parlamentarischen Parteiendemokratie noch zu beschreiben sein wird. Auch darf eine gewisse emotionale Bindung an die monarchische Staatsform nicht übersehen werden49, die allerdings in seinem politischen Handeln nie ausschlaggebend war. Denn obwohl er unter den nach 1916/17 steigenden Anfeindungen auf der Rechten und in weiten Teilen des Offizierskorps litt50, sah er in der Politik immer die »Kunst des Erreichbaren«51 und stellte das Anerkennen von Realitäten über gefühlsbestimmte Selbsttäuschungen. Diese Fähigkeit, Änderungen der politischen, militärischen, wirtschaftlichen und sozialen Situation nüchtern zu beurteilen und unvoreingenommen auf sie zu reagieren, machte Groener zu einem Einzelgänger, der eine eigene Partei für sich bildete52. In seinen Lebenserinnerungen kennzeichnet er die Arbeit im Kriegsernährungsamt und Kriegsamt als in dieser Hinsicht wichtigen Wendepunkt. »Ich habe in dieser Zeit das Politische einschätzen gelernt, und was noch vom Hurra-Soldaten an mir gewesen sein mag, wurde durch die Erfahrungen dieses Jahres beseitigt.«53 nes

46

Belege hierfür sind zahllos. Es seien daher nur einige ausgewählte Beispiele genannt. Die Klassifizierung als »Nichtpreuße und Demokrat« durch Wild von Hohenborn wurde schon zitiert. Ebenfalls im Oktober 1918 urteilte Karl von Einem über ihn: »Sehr klug, aber die Ballonmütze im Koffer.« (Einem an seine Frau, 28.10.1918; Militär und Innenpolitik II, S. 1346, Anm. 7.) Auch als Groener 1928 das Reichswehrministerium übernahm, galt er allseits als »aufgeschlossener Demokrat« (Vogelsang, Reichswehr, S. 55). Und noch 1957 war Erfurth, Geschichte, S. 13, der Auffassung, Groener sei ein »überzeugter Demokrat« gewesen. Dagegen u. a. Schüddekopf, Heer, S. 237; Carsten, ReichsDie

wehr, S. 320.

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Groener an Vosberg, Kolberg 7.9.1919 (BA, Kl. Erw. 438/1, Bl. 38—40); Groener, Lebenserinnerungen, S. 373. Im Dolchstoß-Prozeß äußerte Groener im Oktober/November 1925, er sei als Kriegsamtschef nicht aus parteipolitischen Erwägungen zu seinen reformerischen Ansichten gelangt, »sondern lediglich aus den Überlegungen heraus, die ich als Offizier in führender Stellung anstellte. Es handelte sich für mich nur um die Kriegsführung und um nichts anderes.« (Dolchstoß-Prozeß, S. 202.) Im Sommer 1919 hatte er Ebert gegenüber bekannt, »daß ich weder Demokrat noch Sozialdemokrat bin, sondern einer Partei angehöre, die, nennen Sie es Despotie oder Tyrannei, auf ihre Fahne geschrieben hat« (Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 18.8.1919; Zwischen Revolution und Kapp-Putsch, S. 195). Noch in seinem 1934 verfaßten Testament gab er seiner monarchischen Gesinnung Ausdruck (BA-

MA, N 46/29).

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bestätigt Eschenburg, Rolle, S. 8. Seine zahlreichen Rechtfertigungsversuche nach 1918/19 lasebenfalls darauf schließen. Groener an Vosberg, Kolberg 7.9.1919 (BA, Kl. Erw. 438/1, Bl. 40). Groener setzte sich in mehreren interessanten Briefen von teilweise bekenntnishaftem Charakter gegen die Kritik des Alldeutschen Vosberg zur Wehr (alle ebd. erhalten). Groener, Lebenserinnerungen, S. 516. Ebd., S. 364. Das sen

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s3

1.

Herkunft, Persönlichkeit, Werdegang

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Der ruhige Frontabschnitt, an den Groener im August 1917 versetzt wurde, erlaubte ihm die geistige Verarbeitung dieser in der Heimat gemachten Erfahrungen. Seine Briefe und Tagebuchaufzeichnungen nahmen einen zunehmend kritischen, besorgten, teils auch resignativen Ton an54. Die Kritik richtete sich vor allem gegen die fehlende Übereinstimmung von politischer und militärischer Führung, die ausbleibende Reaktion auf die nicht mehr einzudämmende »demokratische Welle« und gegen die trotz der kritischen Lage immer noch bestehenden Illusionen. Die Sorge galt dem Ungewissen Kriegsausgang, und die Resignation entsprang der Erkenntnis, daß Deutschland diesem langen Krieg von vornherein nicht gewachsen gewesen sei. Wilhelm Groener war einer der wenigen hohen Militärs, die ahnten, daß es längst nicht mehr um die möglichen Ausmaße eines Siegfriedens, sondern um die nackte Existenz des Deutschen Reiches und seiner Staatsform ging. Ende Februar 1918 wurde Groener von der Westfront an die Spitze des I. Armeekorps nach Osten gerufen, wo der Vormarsch in Rußland nach der Unterbrechung der Friedensverhandlungen von Brest-Litovsk unter besonderer Ausnutzung der Eisenbahnen wiederaufgenommen wurde. Wie man hierbei auf den bewährten Eisenbahnfachmann zurückgriff, benötigte man in der von Groeners Armeekorps besetzten Ukraine den wirtschaftspolitisch erfahrenen Organisator55. Die formal unabhängige, tatsächlich aber völlig von der deutschen Besatzungsmacht abhängige Ukraine sollte zur Kornkammer der hungerleidenden Mittelmächte gestaltet werden. Mit seiner Ernennung zum Generalstabschef der Heeresgruppe Eichhorn in Kiev am 28. März 1918 wurde Groener zum faktischen Generalgouverneur des Landes, konnte aber die durch den >Brotfrieden< mit der ukrainischen Regierung genährten Hoffnungen nicht erfüllen. Das Land war durch innere Unruhen verwüstet und kaum mehr regierbar, woran auch Groeners tiefgehende Eingriffe in die innenpolitische Struktur wenig zu ändern vermochten. Er suchte ständig »mit der Laterne regierungsfähige Persönlichkeiten«56, tauschte die gemäßigt sozialistische Rada-Regierung gegen das autokratische Hetmanat des Fürsten Skoropadskij aus und bemühte sich auch sonst um politische Stabilität, die jedoch nur durch militärischen Druck zu erzwingen und ständig von der wirksamen Agitation der Bolschewiki gefährdet war. Die Verwendung innenpolitischer Macht in einer Krisensituation und die Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus blieben wichtige Erfahrungen für Groener. Nach der Ermordung des von ihm hochgeschätzten Generalfeldmarschalls von Eichhorn am 30. Juli 1918 nahm Kiev zunehmend den Charakter einer belagerten Festung an, von der aus die überspannte deutsche Ostpolitik auch nicht mehr zu retten war. Groeners Aufmerksamkeit richtete sich mit steigender Sorge nach Westen, wo der Krieg durch den Fehlschlag der Ludendorff-Offensive endgültig verloren wurde. Die sich im Oktober zuspitzende Entwicklung bedachte er in den Briefen an seine Frau mit bitteren

Vgl. die Dokumente aus seiner Frontkommandozeit im Westen von August 1917 bis Februar 1918 (Groener, Lebenserinnerungen, S. 556—566) und seine Darstellung dieser Monate ebd., S. 374—384. 55 Zu Groeners Tätigkeit in der Ukraine Baumgart, Ostpolitik, S. 117—151; Baumgart, Groener. Edition und umfassende Kommentierung seiner Briefe und Tagebuchaufzeichnungen aus dieser Zeit in Von Brest-Litovsk zur deutschen Novemberrevolution, S. 257—451. Vgl. auch Groener, Lebenserinnerungen, S. 385—418. 56 Groener an seine Frau, Kiev 13.4.1918 (Von Brest-Litovsk zur deutschen Novemberrevolution, S. 343). 54

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II.

Voraussetzungen.

Die

Erfahrungen

Groeners

vor

1928

Kommentaren57. Dabei nahm er die neue parlamentarische Regierung ausdrücklich vor den Schuldzuweisungen der alldeutschen Presse in Schutz und bezeichnete die drohende Niederlage als »die ganz natürliche Folge einer verfehlten Politik der obersten Heeresleitung seit Jahr und Tag«58. Ludendorff galt ihm als der Exponent eines bestimmten Zeitgeistes, den er als tiefere Ursache für den Zusammenbruch verantwortlich machte59: »Unser ganzes Volk war durch den glänzenden materiellen Aufstieg der letzten Jahrzehnte in große Selbsttäuschungen geraten und hatte sich in den Gedanken verrannt, daß unsere Kraft unüberwindlich wäre. Ehe wir unsere kontinentale Stellung in Europa ausreichend gesichert hatten, haben wir uns in eine Weltpolitik gestürzt, für die wir auch gar nicht genügend militärisch vorbereitet waren.« Die Stellung des Kaisers schien ihm unhaltbar, doch gab er noch am 25. Oktober der Hoffnung Ausdruck, »daß die deutsche Monarchie aus dem Niedergang der preußischen gerettet wird«60. Vier Tage später mußte mit Wilhelm Groener ausgerechnet der Offizier das schwere Erbe Ludendorffs übernehmen, der seit langem vor der nun eingetretenen Katastrophe gewarnt hatte und ihr rechtzeitig entgegensteuern wollte61. Nun war nichts mehr zu retten, sondern nur noch die undankbare Aufgabe des Konkursverwalters zu übernehmen. Darin sah Groener später seine

persönliche Tragik62. Die Ernennung Groeners zum Ersten Generalquartiermeister am 29. Oktober 1918 war Programm, besonders vor dem Hintergrund, daß neben ihm Generalmajor Friedrich von Loßberg als zuletzt aussichtsreichster Kandidat gehandelt wurde63. Daß sich Hindenburg und seine Umgebung nicht für den Meister der beweglichen Verteidigung, sondern für den politischen Soldaten und Eisenbahnexperten entschieden, mußte wie das Eingeständnis der Niederlage erscheinen. Das Erlöschen der militärischen Widerstands57

58

Vgl. die Briefe aus Kiev vom 9.10., 12.10., 13.10., 18.10., 20.10., 22./23.10. und 25.10.1918 (ebd., S. 442-451). Groener an seine Frau, Kiev 22./23.10.1918 18.10.1918

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(ebd.,

S.

449). Ähnlich

Groener

an

seine Frau, Kiev

seine Frau, Kiev 22./23.10.1918 (ebd., S. 449). seine Frau, Kiev 25.10.1918 (ebd., S. 450). an seine Frau, Kiev 18.10.1918 (ebd., S. 445). an Vosberg (privat), Berlin 19.10.1919 (BA, Kl. Erw. 438/1, Bl. 43): »Ich darf für mich in Anspruch nehmen, die Entwicklung der Dinge u. die drohenden Gefahren frühzeitig erkannt zu haben. Das deutsche Volk vor diesem Kriegsausgang zu bewahren und die Monarchie zu erhalten, dafür hätte ich meinen Kopf eingesetzt, wenn die Macht rechtzeitig in meine Hände gelegt worden Groener Groener Groener Groener

an

an

gestehe, daß ich auf diesen Augenblick gebrannt habe; als er kam, war es viel zu spät, weil die militärische und wirtschaftliche Kraft des Volkes vollkommen ausgesogen war und die militärische Niederlage Arm in Arm mit der Revolution vor der Türe stand.« Zur Politik Groeners als Erster Generalquartiermeister am besten die Studie von Rakenius. Gute Zusammenfassungen der Militärpolitik dieser Monate bei Carsten, Reichswehr, S. 13—67; Wohlfeil, Heer, S. 40—100. Sammlung der wichtigsten Dokumente in der Quellenedition Zwischen Revolution und Kapp-Putsch. Vgl. auch Groeners Aussage im Dolchstoß-Prozeß, Oktober/November 1925 (Dolchstoß-Prozeß, S. 213—227); Groener, Lebenserinnerungen, S. 440—520. Von der ausufernden Literatur zu den Ereignissen von 1918/19 seien noch die Aufzeichnungen Kuno Graf von Westarps (zu den Vorgängen in Spa) und die Dissertation Wolfgang Sauers (zum >Bündnis< Groener—Ebert) sowie als neuerer Forschungsbeitrag die Biographie Gustav Noskes von Wolfram Wette genannt. wäre. Ich

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(ebd., S.445L).

1.

Herkunft, Persönlichkeit, Werdegang

17

kraft machte die Liquidation des Krieges zur nächsten Aufgabe, die vor allem politische und bei der Rückführung des Heeres verkehrstechnische Probleme aufwarf. Die Berufung Groeners erfolgte ohne vorherige Rücksprache mit ihm, doch entzog er sich ihr nicht, obwohl er ahnte, in welch undankbare Rolle er damit hineingedrängt wurde64. Wie so oft zeigte er Verantwortungsbewußtsein und persönlichen Mut. Seine Befürchtungen wurden in den dramatischen ersten Novembertagen im Großen Hauptquartier von Spa bestätigt. Als keiner wagte, dem Kaiser die Ausweglosigkeit der Lage darzulegen, ja sogar der Gedanke auftauchte, Wilhelm II. könne als preußischer König an der Spitze seines Heeres in die Heimat zurückkehren, blieb es Groener überlassen, am 9. November 1918 nüchtern und unmißverständlich zu erklären, das Heer werde »unter seinen Führern und Kommandierenden Generalen in Ruhe und Ordnung in die Heimat zurückmarschieren, aber nicht unter dem Befehl Eurer Majestät, denn es steht nicht mehr hinter Eurer Majestät«65. Die Abdankung des Kaisers und seine Flucht am folgenden Morgen nach Holland geschahen zwar ohne Einverständnis Groeners, der ein würdigeres Ende der Monarchie inszenieren wollte66, doch zweifellos hat seine schonungslose Offenlegung der Wirklichkeit entscheidend zu diesen Schritten beigetragen. Fortan galt er in den monarchischen Kreisen als Verräter und Königsmörder. Auch wenn ihn die Haltung der kaiserlichen Familie und ihrer Umgebung in Spa schwer enttäuschte67, handelte Groener aber nicht aus antimonarchischem Impetus heraus, sondern wurde allein von der realitätsnahen Einsicht geleitet, daß der Kampf nach außen wie nach innen unter den gegebenen Umständen aussichtslos und die Herrschaft Wilhelms II. nicht mehr zu retten sei, daß es nun vielmehr über die Staatsform hinaus die Staatseinheit zu bewahren gelte. Auch in den folgenden Monaten sollte der Erhalt der staatlichen Einheit Deutschlands die Richtschnur der Politik Groeners sein, »die conditio sine qua non, für die ich zu jedem Opfer bereit war«68. Dieser Zielrichtung diente auch das >Bündnis< mit Friedrich Ebert und den Mehrheitssozialdemokraten, das mit dem berühmten Telefongespräch am Abend des 10. Novembers seinen Anfang nahm69. Groener arrangierte sich mit den neuen Machthabern, um den Zerfall des Reiches zu verhindern, die Auswüchse der Revolution zu bekämpfen und —

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66

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Groener, Lebenserinnerungen, S. 418.

Ebd., S. 460. Diese scharfe Entgegnung sowie die Äußerung Groeners, in Zeiten revolutionärer Gärung

seien die Begriffe Fahneneid und Oberster Kriegsherr nur noch Fiktion (ebd., S. 461 f.), wurden schon bald darauf bekannt und haben zu großer Empörung im monarchischen Lager geführt. Groener trat den Beschuldigungen schon frühzeitig entgegen und beantragte Ende 1919 ein militärisches Ehrengerichtsverfahren gegen sich, dessen Urteil (abgedruckt bei Groener-Geyer, Groener, S. 392—395) ihn zwar im ganzen entlastete, in einzelnen Punkten aber nicht günstig ausfiel. Zur Kampagne gegen Groener ausführlich Groener-Geyer, Groener, S. 173—201. Groener schlug vergeblich vor, daß der Kaiser an der Front den Tod suchen solle (Groener, Lebenserinnerungen, S. 444). Vgl. zu diesem Problem den Aufsatz von Michaelis. Vgl. etwa Groener an Moser (privat), Stuttgart 4.11.1925 (BA-MA, N 46/77). Groener, Lebenserinnerungen, S. 493. Rakenius, Groener, S. 238, meint mit Recht, Groeners »betont gesamtdeutsche Orientierung« ziehe sich »wie ein roter Faden durch sein gesamtes Wirken in der OHL«. Groener, Lebenserinnerungen, S. 467 f.

18

II.

Voraussetzungen.

Die

Erfahrungen

Groeners

vor

1928

die militärische Macht möglichst intakt in die neue Zeit hinüberzuretten. Dabei wurde er von der Autorität Hindenburgs gedeckt, der durch sein Verbleiben im Amt dem durch das Ende der Monarchie zunächst orientierungslos gewordenen Offizierskorps einen gewissen Zusammenhalt gab. Der Generalfeldmarschall blieb freilich weitgehend passiv und überließ Groener die Leitung des Generalstabs. Hindenburg begab sich bei der Vertretung unangenehmer, aber notwendiger Entscheidungen völlig in den Hintergrund, während sein Generalquartiermeister erklärtermaßen die Rolle des »bête noire« übernehmen mußte70. So entstand zwischen ihnen ein eigentümliches Abhängigkeitsverhältnis. Groener benötigte für seine politischen Aktivitäten die Rückendeckung Hindenburgs und lenkte durch sie zugleich die Kritik der alten Eliten von diesem auf sich ab. Der Feldmarschall wußte diese Dienste zu schätzen. Groener erzählte Brüning später, daß ihn Hindenburg in diesem Zusammenhang »beim Portepee gefaßt und ihm ewige Treue und Dankbarkeit geschworen« habe71. Der selbst so zuverlässige Groener glaubte daher, dauerhaft auf ihn zählen zu können, auch noch knapp ein Jahrzehnt danach, als er das Reichswehrministerium übernahm eine unverständliche und zuletzt fatale Fehleinschätzung. Ein noch stärkeres Vertrauen brachte er dem zweiten wichtigen Mitarbeiter in den brisanten Monaten zwischen Kaiserreich und Republik entgegen, seinem alten Schüler Kurt von Schleicher, dem er im November 1918 die Leitung der politischen Abteilung im Generalstab übertrug72. Wegen seiner »hohen Begabung und geschäftlichen Gewandtheit«73 bildete Schleicher eine gute Ergänzung zum taktisch eher etwas schwerfälligen Groener, der für die politische Umsetzung seiner Gedanken einen »Gehilfen« benötigte74. Durch die intensive Zusammenarbeit in der Umbruchzeit 1918/19 entstand ein ungewöhnlich tiefes persönliches Verhältnis, das auch nach Groeners Abschied vom Armeedienst ohne Einschränkungen bestehen blieb und nach 1928 wieder zu einem politischen Faktor wurde. So wirkte Groener bereits während seiner Tätigkeit als Generalquartiermeister mit den beiden Männern zusammen, deren Unterstützung auch für den Reichswehrminister entscheidend wurde. Die Probleme, die Groener von dem in Kassel-Wilhelmshöhe untergebrachten, dann im Februar 1919 wegen der Bedrohung der Ostgrenze nach Kolberg verlegten Hauptquartier aus bewältigen mußte, waren vielfältiger Natur und können in ihrem komplizierten Nebeneinander hier nicht näher beschrieben werden75. Nach der glänzend organisier—

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Groener an Moser (privat), Stuttgart 4.11.1925 (BA-MA, N 46/77); Groener, Lebenserinnerungen, S. 507. Diese Bezeichnung stammte demnach von Hindenburg, kurz nachdem er bei einem Telefonat zwischen Groener und Ebert bewußt den Raum verlassen hatte, um sich nicht selbst für die Annahme des Friedensvertrags aussprechen zu müssen. Brüning, Memoiren, S. 550. Zur Entwicklung Schleichers im und um den Weltkrieg vgl. den Überblick bei Vogelsang, Schleicher, S. 11-32. Groener, Lebenserinnerungen, S. 189. Vgl. Eschenburg, Rolle, S. 9-12. Es sei auf die Untersuchung von Rakenius verwiesen, die auf breiter Quellengrundlage Groeners eigene Darstellung der Ereignisse sowie die schon Mitte der 70er Jahre kaum mehr überschaubare Forschungsliteratur diskutiert. Die folgende knappe Zusammenfassung stützt sich vor allem auf diese Arbeit.

1.

Herkunft, Persönlichkeit, Werdegang

19

Rückführung des deutschen Heeres hinter den Rhein gemäß den am 11. November Zustimmung Groeners unterzeichneten Waffenstillstandsbedingungen drängten sich politische Fragen in den Vordergrund. Daß die Regierungsmacht über den blutigen Winter 1918/19 hinaus in den Händen der Mehrheitssozialdemokraten blieb, war maßgeblich auf die von der Obersten Heeresleitung organisierte militärische Unterstützung zurückzuführen auch wenn diese wegen der weitgehenden Auflösung der alten Armee zunächst langsam angelaufen war. Durch die Loyalität gegenüber den Volksbeauftragten um Ebert erreichte Groener im Gegenzug die Anerkennung der traditionellen Befehlsgewalt des Offizierskorps über die Truppe. Da auch die militärpolitischen Reformforderungen des Berliner Rätekongresses mit Hilfe Eberts zurückgewiesen werden konnten, behielt die Oberste Heeresleitung ihre Macht- und Einflußmöglichkeiten, die sie zur Aufrechterhaltung der nationalen Einheit und inneren Ordnung einsetzte. Der von Groener formulierte Kampf gegen den >Bolschewismus< war dabei weit gefaßt und betraf alle Bewegungen von links, die der zentralen Staatsautorität entgegenliefen. Von der Stabilität der innenpolitischen Verhältnisse erhoffte sich Groener positive Rückwirkungen auf die Stellung der deutschen Delegation bei den Versailler Friedensverhandlungen, doch diese Hoffnung wurde bald enttäuscht, zumal auch die Sondierungen mit den amerikanischen Militärbehörden über Oberst Conger nichts einbrachten76. So war es wieder dem Ersten Generalquartiermeister vorbehalten, in einer kritischen Entscheidungssituation zwischen Krieg und Frieden nüchtern die Realitäten anzuerkennen. Am 23. Juni 1919 beendete er die heftige Auseinandersetzung um Ablehnung oder Annahme des Versailler Vertrags, indem er auf Anfrage Eberts empfahl, den Friedensvertrag ten

1918 mit



zu unterzeichnen, weil die militärische Schwäche keine andere Wahl lasse77. Groener wollte den Auseinanderfall des Reiches verhindern, den die Wiederaufnahme des Kampfes zur Folge gehabt hätte. Bei dieser Frage wirkte sich der militärische Einfluß in der Politik dank der Persönlichkeit Groeners im Sinne einer realistischen Lagebeurteilung positiv aus, doch barg die politische Macht, die er dem Offizierskorps über Kriegsende und Revolution bewahrt hatte, Gefahren in sich und wurde zu einer Hypothek für die junge Republik. Sein Bestreben, »das Offizierskorps möglichst in der alten Form und Zusammensetzung in das neue Heer zu übernehmen, nachdem es durch die zwangsweise Auslese auf seinen besten Kern verkleinert war«78, erschwerte den Auftrag des »Gesetzes über die Bildung einer vorläufigen Reichswehr« vom 6. März 1919, die Wehrmacht der Republik auf »demokratischer Grundlage« zu errichten79. Da der preußische Kriegsminister Reinhardt diesen Weg einschlagen und einen wirklichen Neubeginn wagen wollte, versuchte Groener, dessen Einfluß zugunsten des Generals von Seeckt auszuschalten80. Das mißlang, der von Reichswehrminister Noske unterstützte Reinhardt wurde der erste Chef der Heeresleitung, wäh76 77

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Zu den interessanten Kontakten zwischen Groener und Conger vgl. Rakenius, Groener, S. 186—198. Groener, Lebenserinnerungen, S. 507 f. Jüngster Beitrag zu diesem Problemkreis durch die Dokumentation von Horst Mühleisen. Groener, Lebenserinnerungen, S. 514. Vgl. auch ebd., S. 466f. Carsten, Reichswehr, S. 39. Groener, Lebenserinnerungen, S. 514f. Vgl. Meier-Welcker, Seeckt, S. 233—243.

20

II.

Voraussetzungen.

Die

Erfahrungen

Groeners

vor

1928

rend sich Seeckt zunächst mit der Leitung des Truppenamts begnügen mußte. Doch langfristig setzte sich die Linie Groener—Seeckt gegen die Republikanisierungstendenzen in der Armee durch. Dabei sah Groener die Kontinuität der militärischen Führungsspitze aber nicht als Wendung gegen die Republik an. Er forderte eine loyale Haltung gegenüber der verfassungsmäßigen Regierung und verurteilte jede putschistische »Radaupolitik der Generale«81. Nicht die monarchische Gesinnung des alten Offizierskorps erschien Groener bewahrungswürdig, sondern die in ihm vorhandene fachliche Kompetenz, die unter den harten militärpolitischen Bestimmungen des Versailler Vertrags ein besonderes Gewicht bekommen mußte. Der neuen Zeit meinte er an anderer Stelle ausreichend Konzessionen machen zu können, etwa bei der Position des Reichswehrministers und eines parlamentarischen Staatssekretärs82. Außerdem war seiner Auffassung nach die bewaffnete Macht der zivilen Reichsleitung letztlich untergeordnet. Dabei unterschätzte Groener freilich, in welchem Maße sich die militärische Führung gerade durch die von ihm mitverantwortete personelle Kontinuität und politische Mitsprache zu einem selbständigen Machtfaktor entwickelte, der den Keim zu einem dualistischen Verhältnis zur republikanischen Regierung von Beginn an in sich führte. Die Auseinandersetzungen mit dem preußischen Kriegsminister Reinhardt trugen dazu bei, daß Groener nach Auflösung der in >Kommandostelle Kolberg< umbenannten Obersten Heeresleitung zum 30. September 1919 in den Ruhestand trat, obwohl ihm Ebert und Schleicher zur Übernahme weiterer Aufgaben geraten hatten83. In den folgenden Monaten begann er, die tiefen Eindrücke von Weltkrieg und Revolution literarisch zu verarbeiten84. Daneben verfolgte er die Tagespolitik mit wachen Augen und nahm im März 1920 in scharfer Form öffentlich gegen den Kapp-Putsch Stellung, den er als eine Gefährdung der Reichseinheit und des beginnenden wirtschaftspolitischen Wiederaufstiegs verwarf. Gleichzeitig sprach er sich aber für die »Neubesetzung der wichtigen Fachministerien nach sachlichen, nicht parteipolitischen Gesichtspunkten« aus85, eine für Groener charakteristische Forderung, der er selbst Rechnung trug, als er am 25. Juni 1920 im Kabinett Fehrenbach den Posten des Reichsverkehrsministers antrat86. Dieses Amt bekleidete er auch in den Kabinetten Wirth und Cuno. Der parteilose Fachminister Groener hielt sich bei politischen Fragen, die nicht sein Ressort betrafen, fast völlig zurück und konzentrierte sich mit Erfolg auf die Reorganisation der zerrütteten Reichsbahn. Vor allem gelang es seiner Beharrlichkeit, ganz im Sinne der allgemein von ihm ange-

Tagebuchaufzeichnung Groeners, 19.7.1919 (Carsten, Reichswehr, S. 67). Vgl. die von Groener autorisierte Denkschrift »Zur Organisation der Obersten Reichsmilitärbehörden«, Berlin 9.5.1919 (Schmädeke, Kommandogewalt, S. 189—194). Die von Groener-Geyer, Entwurf, behauptete direkte Urheberschaft Groeners wird von Meier-Welcker, Stellung, S. 147 f., widerlegt. Vgl. auch Schmädeke, Kommandogewalt, S. 69—74. 83 Groener, Lebenserinnerungen, S. 515 f.; Carsten, Reichswehr, S. 67. 84 Vgl. vor allem Groener, Weltkrieg. 85 Groener an Hindenburg, 15.3.1920 (AdR, Bauer, S. 776, Anm. 15). Gleichlautend auch an Ebert 81

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86

und an die Presse. Eine Darstellung der Politik Groeners als Reichsverkehrsminister steht noch aus. Ungenügende Hinweise bei Kabisch, Groener, S. 85—89, und Groener-Geyer, Groener, S. 211—219. Wichtige Dokumente in den betreffenden Bänden der AdR.

2.

Grundzüge einer militärisch-politischen Konzeption

21

strebten Zentralisierung den Übergang der bayerischen Bahnen in Reichsbesitz zu vollziehen. Als er am 13. August 1923 aus dem Reichsverkehrsministerium ausschied, hatte er wichtige Erfahrungen als Minister im parlamentarischen System gesammelt. Wenige Monate nach seiner Demission meldete er sich noch einmal zu Wort, um in Briefen an Ebert und Hindenburg die Politik Kahrs in Bayern zu verurteilen und die Gefahr der Auflösung des Reiches zu beschwören87. Dann zog er sich ganz in das Privatleben zurück und beschäftigte sich mit militärgeschichtlichen Studien, in denen er vor allem dem Schlieffen-Plan ein Denkmal setzen und die seiner Meinung nach kriegsentscheidenden operativen Fehler des Westfeldzugs von 1914 beschreiben wollte88. Durch die Erfahrungen im Weltkrieg war Groener jedoch über diesen relativ begrenzten militärstrategischen Blickwinkel hinaus zu einem viel umfassenderen Verständnis des neuzeitlichen Krieges gekommen. Aus seinen zahlreichen programmatischen Äußerungen vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zu seiner Ernennung zum Reichswehrminister läßt sich ein durchdachtes militärisches und politisches Weltbild erkennen, das im folgenden Kapitel zusammengefaßt werden soll, um zu zeigen, mit welchen konzeptionellen Vorstellungen Groener 1928 sein

2.

neues

Amt

antrat.

Grundzüge

einer

militärisch-politischen Konzeption

Der Erste Weltkrieg in seinem Ausbruch, Verlauf und Ausgang war das entscheidende Erlebnis in der militärischen Karriere Wilhelm Groeners. Wie bereits angesprochen, hatte er sich schon vor 1918 zunehmend Gedanken über die neuen Erscheinungsformen und möglichen Konsequenzen des Krieges gemacht. Nach der Niederlage systematisierte er seine im Weltkrieg gesammelten Erfahrungen zur umfassenden Denkweise eines modernen Militärs, der erkannte, daß der in erschreckenden Ausmaßen hervorgetretene neue Kriegstypus ein nicht mehr auf die traditionellen Träger des >Kriegshandwerkes< beschränktes, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem war89. Wenn die militärische Führung ihrer 87

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Groener an Ebert (privat), 1.11.1923; Groener an Hindenburg (privat), 1.11.1923 (wesentliche Auszüge beider Briefe bei Phelps, Groener-Dokumente III, S. 739—744). Vgl. etwa die in dieser Zeit entstandene Studie Groener, Testament. Die Entwicklung »neuer gesamtgesellschaftlicher Konzeptionen militaristischer Prägung« (Hillgruber, Militarismus, S. 134) war nach dem Ersten Weltkrieg ein Phänomen unterschiedlichster Provenienz, das mit Literaten wie Ernst Jünger (Berghahn, Militarismus, S. 43—46), Publizisten wie Max Schwarte (Deist, Reichswehr, S. 83) und Konstantin Hierl (Hillgruber, Militarismus, S. 137f.), zivilen Politikern wie Rudolf Krohne (Geyer, Aufrüstung, S. Ulf.; Deist, Aufrüstung, S. 376) oder militärischen »Reformern« (Hillgruber, Militarismus, S. 135) wie Stülpnagel, Schleicher, Groener etc. in Verbindung gebracht werden kann. Diesen Aspekt hat die Geschichtswissenschaft nach ersten Ansätzen in den Arbeiten Wolfgang Sauers zwanzig Jahre zuvor seit Anfang der 70er Jahre in seiner Bedeutung erkannt. Den grundlegenden Forschungen von Michael Geyer und ihrer Paraphrasierung durch Hillgruber, Militarismus, folgten die Arbeiten von Klaus-Jürgen Müller, Ernst Willi Hansen, Wilhelm Deist und Michael Salewski. Auch wenn es noch einer zusammenfassenden Darstellung der modernen militärideologischen Ansätze infolge des Ersten Weltkrieges bedarf, sind Ergebnisse dieser neuen Fragestellungen doch schon faßbar und bilden für die folgenden Ausführungen eine wesentliche Grundlage. Die programmatischen Äußerungen Groeners vor 1928 wurden aber bisher vernachläßigt. —



22

II.

Voraussetzungen.

Die

Erfahrungen Groeners vor

1928

Aufgabe der Gewaltorganisation noch gerecht werden wollte, mußte sie in Überwindung althergebrachter Konventionen auf den Wandel vom Kabinettskrieg zum hochtechnisierten Krieg der Massen reagieren und sich stärker als zuvor mit nichtmilitärischen Fragen beschäftigen90. Groener war nicht der einzige, der diese »Herausforderung«91 annahm, doch die Geschlossenheit seiner Anschauungen und der Einfluß, den er auf Reichswehr und Staat am Anfang und am Ende der Weimarer Republik erlangte, machten ihn zu einem der wichtigsten Exponenten der nachwilhelminischen Militärdoktrin von einem in den zivilen Bereich übergreifenden Wiederaufbau der Kriegsfähigkeit92. Es wäre aber zu einseitig, wollte man alle politischen Überzeugungen Groeners auf eine wie auch immer geartete militärische Intentionsgrundlage reduzieren. Seine durch die Tätigkeit im Weltkrieg und danach geschulte politische Grundhaltung bildete eine durchaus eigenständige Größe und war jenseits seiner soldatischen Profession auf den ganzen Staat gerichtet. Die besondere Situation des Deutschen Reiches unter den Bedingungen des Versailler Vertrags führte auch bei Groener zu einer zusätzlichen Politisierung, die ihrerseits Einfluß auf die militärpolitischen Vorstellungen nahm93. So entstand aus der Wechselwirkung von militärischen und politischen Motiven eine konzeptionelle Perspektive, die nun anhand von

Denkschriften, Vorträgen und Publikationen Groeners vor 1928 zu skizzieren ist. Wilhelm Groener hat nach Kriegsende immer wieder die Eigenart der zurückliegenden Ereignisse und die Versäumnisse auf deutscher Seite zu analysieren versucht. Dabei interpretierte er den Weltkrieg als Kampf mit England um die Vorherrschaft auf dem Weltmarkt, den man ohne ausreichende Vorbereitung aufgenommen habe94. Das Deutsche Reich sei auf einen »Kampf der Heere und Flotten« eingestellt gewesen, nicht aber auf die »unzähligen tief einschneidenden Maßnahmen eines modernen Wirtschaftskrieges«95. Ebensowenig habe man die Folgen der Massenmobilisierung erkannt, die Tatsache, daß die Einsatzfähigkeit des riesigen Feld- und Besatzungsheeres von der industriellen Massenfabrikation abhänge, die nur ein ebenfalls millionenstarkes Heer von Arbeitskräften gewährleisten könne96. Bereits vor dem Krieg, »in peinlicher Friedensarbeit«, hätte »das Aufgebot des ganzen Volkes zu Kampf und Arbeit« organisiert werden müssen, etwa durch 90 91 92

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Prägnante Beschreibung dieses Problems durch Klaus-Jürgen Müller, Armee,

S. 17—20. S. 19. Bereits Herzfeld, Problem, S. 12 f., betont die besondere Stellung der Konzeption Groeners, beschränkt sich aber dabei auf dessen Gedanken über das »Verhältnis von Wehrmacht und Staat«. Dieser politischen Dimension der Militärgeschichte nach 1918 galt das Hauptinteresse der älteren Forschung, in Hinsicht auf Groener vgl. Herzfeld, Problem, S. 12—15; Carsten, Reichswehr, S. 320-325; Klaus-Jürgen Müller, Heer, S. 28-30; Wohlfeil, Heer, S. 117-119; Rakenius, Groener, passim. Die Erkenntnisse einer im engeren Sinne politischen Betrachtungsweise sind durch die oben angeführte neuere Literatur nicht ersetzt, sondern ergänzt worden. Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 19./20.5.1919 (Zwischen Revolution und KappPutsch, S. 121); Groener, Krieg, S. 33; Groener, Weltkrieg, S. 36, S. 45f.; Groener, Bedeutung, S. 68. Die bei Fensch/Groehler, Ökonomie, S. 1170—1177, abgedruckte »Denkschrift« Groeners aus dem Archivum Akt Novych in Warschau ist nichts anderes als die wortgetreue Wiedergabe des letztgenannten Zeitschriftenaufsatzes von 1927, der auf einen Vortrag Groeners in der Deutschen Weltwirtschaftlichen Gesellschaft Berlin vom 18.3.1927 beruht (Vortragsmanuskript in BA-MA, N 46/73, Bl. 60—95). Groener, Bedeutung, S. 68. Ebd., S. 68f.; Groener, Weltkrieg, S. 34.

Ebd.,

2.

Grundzüge einer militärisch-politischen Konzeption

23

allgemeine Wehr- und Arbeitspflicht97. Man sei auf den Erfahrungen von 1870/71 stehengeblieben98 und habe »den Übergang vom Agrar- zum Industriestaat sozusagen militärisch verschlafen«99. Den Erfordernissen des modernen Krieges wäre nur eine umfassende wirtschaftliche, technische und gesellschaftliche Vorsorge gerecht geworden, doch habe sich die militärische Führung mit diesen Fragen zu wenig beschäftigt100. So sei 1914 »weder die personelle noch die materielle Kraft des Volkes für den ersten und wichtigsten Entscheidungskampf ausgeschöpft« worden101. Der entscheidende strategische Fehler sei die Veränderung des Schlieffen-Plans gewesen, dessen konsequente Ausführung den Krieg so kurz gestaltet hätte, wie es der gewaltige militärische und ökonomische Aufwand erfordert habe102. Auch im politischen Bereich konstatierte Groener gravierende Fehlentwicklungen für die Jahre vor und nach Kriegsausbruch. Anstatt Bismarcks Politik zu vollenden und die deutsche Position auf dem Kontinent zu festigen, habe man den unmöglichen Ausgleich mit dem Hauptkonkurrenten England gesucht103. Nach 1914 sei dann die für den modernen Krieg notwendige Zusammenfassung von politischer, militärischer und wirtschaftlicher Führung versäumt worden, was sich etwa in den Auseinandersetzungen um den U-Boot-Krieg, bei den Friedensbemühungen und der Ostpolitik schmerzlich bemerkbar gemacht habe104. Dem eigentlichen Charakter des Krieges entsprechend hätte die Erhaltung der wirtschaftlichen Machtstellung Deutschlands Vorrang haben müssen vor der Begierde nach Landerwerb105. Um dieses Ziel zu erreichen, sei aber der Führungsapparat zu schwerfällig und die Nation zu uneinig gewesen, wozu die bundesstaatliche Verfassung entscheidend beigetragen habe106. Mit Dauer des Kampfes sei der »kriegerische Geist« verlorengegangen und der politische und soziale Gegensatz wiederaufgebrochen107. Auch in dieser Hinsicht habe man die Zeichen der Zeit nicht erkannt, der Ausgleich zwischen der Monarchie und den Massen durch Reformen sei versäumt worden, die Revolution nach der Niederlage die logische Konsequenz gewesen108. Nach Auffassung Groeners war das Deutsche Reich also für den alle herkömmlichen Vorstellungen sprengenden Weltkrieg weder militärisch noch politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich bereit gewesen, so daß der Kampf »von vornherein gescheitert war«109. eine

97

Ebd., S.53f.

Groener, Bedeutung, S. 68. Ebd., S. 69. 100 Groener, Weltkrieg, S. 46—57; Groener, Bedeutung, S. 68 f. 98

99

101

Ebd.

102

Ebd., S. 68. Zum Schlieffenplan und seiner >Verwässerung< ausführlich Groener, Testament. Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 19./20.5.1919 (Zwischen Revolution und KappPutsch, S. 121); Groener, Krieg, S. 33; Groener, Weltkrieg, S. 5—16. Groener, Politik, passim; Groener, Weltkrieg, S. 33—46. Ebd., S. 36; Groener, Bedeutung, S. 68. Groener an Wächter (privat), 2.11.1919 (BA-MA, N 46/37, Bl. 92).

103

104 103 106 107 108

109

Groener, Weltkrieg, S. 60—64. 101. Die Erkenntnis, daß

man die »demokratische Welle« hätte steuern müssen, durchzieht auch Groeners Aussage im Dolchstoß-Prozeß, Oktober/November 1925 (Dolchstoß-

Ebd., S. 63 f., S.

Prozeß, S. 198-227). Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 19./20.5.1919 (Zwischen Revolution und Kapp-

24

II.

Voraussetzungen.

Die

Erfahrungen

Groeners

vor

1928

Analyse der Ursachen des deutschen Scheiterns im Ersten Weltkrieg ist hier in Zusammenfassung verschiedener Schriften und Äußerungen Groeners so relativ ausführlich paraphrasiert worden, weil die in ihr enthaltenen Erkenntnisse über die Fehler der Vergangenheit den Ausgangspunkt eines Programms für die Gegenwart und Zukunft bildeten. Aus seinen Aufgaben und Beobachtungen im Krieg und danach hatte Groener einen erstaunlich modernen Einblick in die Phänomene militärischer Gewaltanwendung Diese

im hochtechnisierten Massenzeitalter bekommen. Wenn er dabei »die höchste Willensund Kraftsteigerung des ganzen Volkes« als notwendige Folge der Totalisierung< des Krieges forderte110 und wiederholt auf die Bedeutung der politischen und sozialökonomischen Rahmenbedingungen hinwies, zeigt sich darin ein tiefes Verständnis für die Komplexität moderner Kriegführung, die in der neueren Militarismusforschung als »Aufhebung von militärischer und ziviler Sphäre«111, als »Entgrenzung«, »Vergesellschaftung« und »Industrialisierung«112 militärischer Macht bezeichnet wird. Die von Groener befürwortete Abkehr des Offiziers von seiner traditionellen Standesauffassung, die Auseinandersetzung mit nicht im engeren Sinne militärischen Problemen und schließlich als letzte Konsequenz der Eingriff in die Politik schienen durch diese Entwicklung gerechtfertigt. Letzteres war aber von Groener nicht unbedingt in Gestalt einer reaktionären Regulierung gedacht, sondern von den Bedingungen der neuen Zeit als Grundlage effizienter Militärpolitik bestimmt. Die im Weltkrieg deutlich gewordene Überlegenheit Englands sah er in der besseren politischen und gesellschaftlichen Anpassung an das Industrie- und Massenzeitalter begründet113. Daher hat Groener die rechtzeitige Revision der monarchischen Staatsform im Sinne demokratischer und sozialer Reformbestrebungen befürwortet. Hier wäre also der politische Einfluß eines Militärs, der die Abhängigkeit der Macht des Staates nach außen von der inneren Geschlossenheit und gesellschaftlichen Modernität erkannte, durchaus in eine progressive Richtung gegangen doch muß gleich hinzugefügt werden, daß Groener in seiner politischen Aufgeschlossenheit gegenüber Realitäten eine Ausnahme in seinem Berufsstand war114. So sehr Groener in seinem Verständnis der Wechselbeziehung militärischer und ziviler Faktoren zu neuen Einsichten gelangte, so tief war er in der Zweckbestimmung militärischer Macht seiner Zeit verhaftet. »Machtpolitik« zu betreiben und gegebenenfalls einen Krieg »von langer Hand her vorausschauend mit rücksichtsloser Konsequenz« vorzubereiten115, war ihm und den meisten seiner Zeitgenossen noch nicht mit dem Ge—



Putsch, S. 121). Groener, Weltkrieg, S. 110 111 112

113 114

115



16: »War's nicht besser, statt in den Krieg hineinzutaumeln, ihn zielbewußt und schweigend mit allen Mitteln vorzubereiten? Anfallen Gebieten, politisch, militärisch und nicht zuletzt wirtschaftlich?« Groener, Weltkrieg, S. 26. Klaus-Jürgen Müller, Armee, S. 18. Vgl. auch Hillgruber, Militarismus, S. 136. Diese Begriffe sind von Michael Geyer in seinen Studien geprägt worden. Vgl. etwa Groener, Weltkrieg, S. 12—16. Das zeichnete ihn im übrigen auch vor anderen Offizieren moderner Prägung aus, die in militärpolitischer Hinsicht ähnlich dachten wie er Q. v. Stülpnagel, Blomberg etc.). Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 19./20.5.1919 (Zwischen Revolution und KappPutsch, S. 121). Vgl. auch Groener, Weltkrieg, S. 16. Differenzierter jedoch die ambivalenten Gedanken zum Präventivkrieg bei Groener, Lebenserinnerungen, S. 84 f.

2.

25

Grundzüge einer militärisch-politischen Konzeption

ruch des Odiosen behaftet, sondern nach Clausewitz ein legitimes, wenn auch das letzte Mittel der Politik. In der Beurteilung des zukünftigen Stellenwertes des Krieges läßt sich aber ein Wandel in Groeners Auffassung vor 1928 erkennen. Während er 1919 noch gemäß dem Motto »Ewig ist nur der Kampf« jede pazifistische Bestrebung als wider die Natur des Lebensprozesses bezeichnete116, wollte er acht Jahre später die »Beseitigung des Krieges aus dem Verkehr der zivilisierten Völker« für die Zukunft nicht völlig ausschließen117. Ohnehin glaubte er, daß die weltweite wirtschaftliche Verflechtung und der Aufwand der Millionenheere die Entscheidung zum Krieg erschwerten und nur noch eine kurze Kriegsdauer erlaubten118. Deshalb propagierte Groener weiterhin die strategischen Gedanken des Grafen Schlieffen119. Solange jedoch die militärische Option nicht »aus der politischen Rüstkammer« verschwunden war120 und der Clausewitz-Satz »Der Krieg ist ein Akt der Gewalt, und es gibt in der Anwendung derselben keine Grenzen«121 im 20. Jahrhundert eine besondere Gewichtung behielt, sah er in einer umfassenden militärischen Bereitschaft weiterhin eine wesentliche und notwendige Grundlage nationaler Macht122. Im Jahr vor seinem Amtsantritt als Reichswehrminister stellte Groener daher die Maxime auf123: »Es ist erforderlich, die ganze Kraft des Volkes für Kampf und Arbeit zu organisieren.« Nach der ganzen Argumentationsweise und Weltkriegsanalyse Groeners mußte diese Organisation zweifellos nicht erst bei Ausbruch des nächsten Krieges, sondern bereits vorher erfolgen eben »in peinlichster Friedensarbeit«124. Groeners von seinem professionellen militärischen Standpunkt aus verständliche Forderung nach einer den Erfahrungen des Weltkrieges gerecht werdenden breiten Wehrfähigkeit konnte und wollte 1927 aber nur ein Programm für die Zukunft sein. Wilhelm Groener war Realist genug, um sich auf die tatsächlich gegebenen Möglichkeiten zu konzentrieren, die durch den Zusammenbruch von 1918 und die Bestimmungen des Versailler Vertrags erheblich begrenzt waren. Sein militärisch-politisches Denken richtete sich vor allem nach den dadurch geschaffenen Bedingungen aus. —

116

Denkschrift Groeners »Beurteilung der Lage Deutschlands nach Unterzeichnung des Friedens«, Ende 1919 (BA-MA, N 42/12, Bl. 172f.; Auszüge in Groener, Lebenserinnerungen, S. 517f.). Noch deutlicher formuliert im Brief Groeners an Ebert, Kolberg 17.9.1919 (Dreetz, Denkschrift, S. 598 f.). Dort eine geradezu sozialdarwinistische Interpretation des Kriegsbegriffs. Groener, Bedeutung, S. 70. Ebd. möchte er nun sogar »den pazifistischen Bestrebungen abgesehen von ihren Auswüchsen die Berechtigung nicht versagen«. Ebd., S. 70. Dazu auch Deist, Aufrüstung, S. 375. Vgl. vor allem Groener, Testament.

Juli 117



118

119 120 121 122

123 124



Groener, Bedeutung, S. 70. Zit. von Groener, Weltkrieg, S. 57. Groener, Bedeutung, S. 70. Auch in seinen programmatischen Äußerungen von

1919 hielt Groener neben dem politischen und wirtschaftlichen den militärischen Wiederaufstieg für eine selbstverständliche Notwendigkeit. Vgl. etwa den Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 19./20.5.1919 (Zwischen Revolution und Kapp-Putsch, S. 124), und vor allem Groener an Ebert, Kolberg 17.9.1919 (Dreetz, Denkschrift, S. 598f.), mit der anliegenden Denkschrift vom selben Tag (ebd., S. 599—604). Groener, Bedeutung, S. 70. Groener, Weltkrieg, S. 53. Charakteristisch hierfür war auch, daß sich Groener wiederholt auf die Hamlet-Sentenz »Bereit sein ist alles« berief (vgl. etwa Groener, Krieg, S. 33; Groener, Lebenserinnerungen, S. 97, S. 367).

26

II.

Voraussetzungen.

Die

Erfahrungen

Groeners

vor

1928

war die Niederlage im Weltkrieg gleichbedeutend mit dem »Ausscheiden Deutschlands als europäische Großmacht«125. Seiner Überzeugung nach fehlten für eine starke Außenpolitik vorerst alle Voraussetzungen126. In Hinsicht auf den als Fernziel angestrebten vollen machtstaatlichen Wiederaufstieg rechnete er 1919 mit langen Fristen, besonders auch im militärischen Bereich127. In nüchterner Anerkennung der Wirklichkeit appellierte Groener daher an die Geduld128 und forderte, sich zunächst ganz der inneren Entwicklung zuzuwenden, dem »Arbeiten und Wiederaufbauen«129. Deutschland müsse nun »vor allen Dingen innere Politik treiben, die Politik eines modernen Friedrich Wilhelms I. Dazu gehören in erster Linie die restlose Wiederherstellung der Staatsautorität und dann die Sanierung unseres Wirtschaftslebens.«130 Das Durchsetzen innenpolitischer Stabilität und der Aufbau wirtschaftlicher Effizienz waren in seinen Augen die unumgänglichen Etappen auf dem Wege zur Restitution der nationalen Stärke nach außen. Groener gab dementsprechend die Devise »Ordnung und Arbeit« aus131. Als historisches Vorbild dienten ihm dabei nicht nur die Regierungszeit Friedrich Wilhelms L, sondern auch die preußischen Reformen nach der Niederlage von Jena und Auerstedt132. Bei seinem analytischen Verständnis der tiefgreifenden Wandlungen durch den Weltkrieg mußte Groener diese Parallele als besonders stringent erscheinen. War nicht auch die Katastrophe von 1806/07 auf die mangelhafte gesellschaftliche und kriegstechnische Anpassung an eine neue Epoche zurückzuführen, und hat man damals nicht die Staatskrise überwunden, indem das Versäumte im Innern konsequent nachgeholt wurde? Bei dem Wiederaufbau erst der Staatsordnung, dann der Wirtschaft und schließlich der internationalen Machtposition sollte auch nach dem Ersten Weltkrieg die Chance einer unvoreingenommenen Modernisierung genutzt werden. Groener rief daher dazu

Für Groener

Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 19./20.5.1919 (Zwischen Revolution und KappPutsch, S. 121). Ebd., S. 122 und S. 124, bezeichnet er Deutschland als »Macht II. Ranges«. 126 Ebd., S. 125. Groener an Ebert, Kolberg 27.6.1919 (ebd., S. 160). 127 Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 19./20.5.1919 (ebd., S. 124). 128 Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 18.8.1919 (ebd., S. 193); Groener, Bedeutung, 125

129

130

S. 70. Groener an Ebert, Kolberg 27.6.1919 (Zwischen Revolution und Kapp-Putsch, S. 158). Ebd. Bereits am 20.12.1918 hatte Groeners Vertrauter Schleicher in einer Berliner Besprechung von Generalstabsoffizieren die von Schildt, Militärdiktatur, S. 44, mit Recht als »strategisches Stufenprogramm« bezeichnete Perspektive Wiederherstellung der Regierungsgewalt Gesundung der Wirtschaft Restitution der äußeren Macht vorgetragen (Zwischen Revolution und Kapp-Putsch, S. 31, nach Rabenau, Seeckt, S. 117 f.). Dazu und zum Gegenvorschlag Seeckts, mit einer aktiven Außenpolitik bereits vor der wirtschaftlichen Sanierung zu beginnen, Bracher, Armee, S. 102; Carsten, Reichswehr, S. 25 f.; Hillgruber, Reichswehr, S. 180 f. Vgl. auch Klaus-Jürgen Müller, Armee, S. 25—27. Ähnlich auch die Ausführungen Groeners in der Generalstabsbesprechung, Frankfurt/Oder 5.5.1919 (Zwischen Revolution und Kapp-Putsch, S. 108f.). Groener an Ebert, Kolberg 27.6.1919 (ebd., S. 159). Bei Groener, Plan, S. 10, heißt es »Einheit und Wirtschaft«. Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 19./20.5.1919 (Zwischen Revolution und KappPutsch, S. 125); Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 18.8.1919 (ebd., S. 196); Groener, Weltkrieg, S. 104. Zur damals verbreiteten Beschwörung der Parallele mit der Napoleonischen Zeit vgl. Salewski, Reichswehr, S. 271. —



131

132

2.

Grundzüge

einer

militärisch-politischen Konzeption

27

auf, »die Dinge zu sehen, wie sie wirklich liegen, damit wir unbefangenen Sinnes den Weg in ein neues Zeitalter finden, das unabänderlich angebrochen ist und dessen Geist noch nicht klar erkennbar sich

zeigt«133.

Groeners Vorstellungen für die Neugestaltung der inneren Verfassung von Staat und Politik nach 1918/19 zeigen aber sowohl progressive als auch traditionell konservative Tendenzen. Es wurde bereits erwähnt, daß die Bewahrung der staatlichen Einheit Deutschlands die Richtschnur der politischen Aktionen des Generalquartiermeisters war. Das bedeutete für ihn jedoch nicht die Übernahme der föderalen Struktur des Bismarck-Reiches, sondern dessen Entwicklung zu einem zentralistischen Einheitsstaat auf der Grundlage Preußens, das in Deutschland aufgehen sollte. Wohl kein anderer Gedanke findet sich so häufig in den politischen Äußerungen Groeners wie diese Forderung nach der Zerschlagung des deutschen Partikularismus, in dem er eine deutliche strukturelle Unterlegenheit gegenüber den Westmächten erblickte134. Zwei grundsätzliche Ziele werden hier deutlich: Einheit und Autorität. Der zentralistische und autoritäre Staat war für Groener der höchste Ausdruck der von ihm beschworenen nationalen Einigkeit. Hinter diesem »Staatsgedanken«135 sollte der »innere Kampf zwischen dem monarchischen Prinzip und dem der Volkssouveränität« zurücktreten136. In der Frage nach der Verfassungsform nahm Groener eine dementsprechend ambivalente Position ein. Die Rückkehr zur Wilhelminischen Monarchie hielt er für indiskutabel, da sie weder in ihrem föderalistischen noch in ihrem gesellschaftlichen Aufbau der neuen Zeit entspreche137. Er trat daher nicht nur für den Weg zum Zentralstaat, sondern auch für soziale und demokratische Reformen ein, um die seiner Ansicht nach berechtigten Ansprüche der Arbeiterschaft zu befriedigen138 und dem nicht mehr aufzuhaltenden Parlamentarismus den nötigen Spielraum zu gewähren139. Dadurch sollte endlich der in einer modernen Industriegesellschaft notwendige Ausgleich zwischen den Massen und dem Staat geschaffen werden. Groeners innerer Überzeugung hätte wohl die im ganzen Volk verwurzelte Einheitsmonarchie entsprochen, die er als unbestimmte Alternative erwähnte, ohne über vage Andeutungen hinauszugehen140. Doch 133 134

135 136 137

138 139 140

Groener, Weltkrieg, S.

101.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei auf einige Beispiele vor 1928 verwiesen: Groener an Ebert, Wilhelmshöhe 27.1.1919 (Zwischen Revolution und Kapp-Putsch, S. 53); Notizen für eine Besprechung Groeners mit Koch, Wilhelmshöhe 29.1.1919 (ebd., S. 54); Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 19./20.5.1919 (ebd., S. 124f.); Groener an Ebert, Kolberg 27.6.1919 (ebd., S. 158); Groener an Wächter (privat), 2.11.1919 (BA-MA, N 46/37, Bl. 92); Groener, Plan, S. 10; Groener, Weltkrieg, S. 102f.; Groener an Hindenburg (privat), Berlin 1.11.1923 (Phelps, GroenerDokumente III, S. 742, S. 744).

Groener, Krieg, S. 36. Groener, Plan, S. 10. Vgl. auch Groener, Krieg, S. 35; Groener, Weltkrieg, S. 102f. Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 18.8.1919 (Zwischen Revolution und KappPutsch, S. 195, S. 197). Tagebuchaufzeichnung Groeners, 28.8.1919 (Phelps, Groener-Dokumente VII, S. 30f.); Groener, Weltkrieg, S. 102f., S. 108. Groener an Ebert, Kolberg 27.6.1919 (Zwischen Revolution und Kapp-Putsch, S. 159).

Groener an Hindenburg (privat), Berlin 1.11.1923 (Phelps, Groener-Dokumente III, S. 741). Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 18.8.1919 (Zwischen Revolution und KappPutsch, S. 195); Tagebuchaufzeichnung Groeners, 28.8.1919 (Phelps, Groener-Dokumente VII, S.30f.); Groener, Weltkrieg, S. 103.

28

II.

Voraussetzungen.

Die

Erfahrungen

Groeners

vor

1928

für die Monarchie keine reale Chance, einmal wegen des Fehlens eines geeigneten Kronprätendenten141, vor allem aber, weil »so wie die Dinge wirklich liegen« die Republik aus der Niederlage hervorgegangen sei und ein Umsturz »entweder zur Zerschlagung Deutschlands oder zum Bolschewismus führen muß«142. In diesem Sinne war Groener ein >Vernunftrepublikanerstarken< Regierung auf überparteilicher Basis entgegen, »damit die offenkundigen Krebsschäden im Staate mit Pech und Schwefel ausgebrannt werden. Autorität der Regierung und ihre Macht stehen in engster Wechselbeziehung. Auf parteipolitischem Boden ist beides nicht zu gründen, weil dort nur Terror und Schwäche wachsen kann.«148 Doch auch drei Jahre später waren die »Krebsschäden«, der Kampf der Länder- und Parteiinteressen sowie die schlechte Wirtschaftslage, nicht überwunden, was Groener erneut fordern ließ, »daß mit starker Hand in Stadt und Land Ordnung geschaffen und die Autorität des Staates als ein rocher de bronce stationiert werde«149. In demselben sehr interessanten Schreiben an Hindenburg wandte er sich vor dem Hintergrund der Staatskrise Ende 1923 auch gegen alle Putschsah

er vorerst





Tagebuchaufzeichnung Groeners, 28.8.1919 (Phelps, Groener-Dokumente VII, S. 30f.). Groener, Weltkrieg, S. 103. 143 So auch Schüddekopf, Heer, S. 237. 144 Vgl. etwa Groener, Weltkrieg, S. 108: »Die Aristokratie, einst die Herrschaft der >Besten< nach Geburt und Besitz, ist überall dem natürlichen Gleichheitsdrang erlegen und hat keine Aussicht, wiederzukehren, weil die hochentwickelte Kultur und Zivilisation großer Völker den demokratischen Gedan141

142

145 146

147

148

149

ken in sich selbst trägt.« Ebd., S. 103. Ebd., S. 101—108. Dort bestreitet Groener auch, daß die deutsche Parteiendemokratie überhaupt Staatsmänner von Format hervorbringen könne (ebd., S. 106). Vgl. auch Groener, Plan, S. 8. Bereits vor 1914 hatte er sich über »den fortdauernden Zank im Reichstag« geärgert (Groener, Lebenserinnerungen, S. 59). Notizen für eine Besprechung Groeners mit Koch, Wilhelmshöhe 29.1.1919 (Zwischen Revolution und Kapp-Putsch, S. 54). Groener, Weltkrieg, S. 108. Vgl. auch ebd., S. 103f., und Groener, Krieg, S. 37: »Fühlt das Volk erst den festen Willen und erkennt es den Weg, dann wird es auch willig der Staatsgewalt sich wieder beugen und die Einzelinteressen dem Gesamtwohl unterordnen.« Groener an Hindenburg (privat), Berlin 1.11.1923 (Phelps, Groener-Dokumente III, S. 741). Dasselbe auf Friedrich II. von Preußen zurückgehende Bild ist auch bei Groener, Weltkrieg, S. 103,

gebraucht.

2.

rsuche

29

Grundzüge einer militärisch-politischen Konzeption

rechts, namentlich

gegen »unzeitige monarchistische Bestrebungen« und parteipolitische »Schlagwort >gegen den Marxismus«150. Das Bürgertum solle sich vielmehr weiterhin mit der Sozialdemokratie zum Schütze des Staates vor der Revoluvon

as

tion verbünden, die Nation müsse endlich mit der Verfassung ausgesöhnt werden151. Obwohl die Weimarer Republik also weder in ihrer bundesstaatlichen noch parteipolitischen Ausrichtung Groeners Zielvorstellung von einem autoritären Zentralstaat mit demokratischem Antlitz entsprach, lehnte er einen gewaltsamen Eingriff in die Staatsform ab besonders wenn er die nationale Einheit gefährden und überwundene Zustände restaurieren würde. Dagegen befürwortete er ausdrücklich die evolutionäre Veränderung der Weimarer Ordnung152: »Verfassungen sind nicht für die Ewigkeit gemacht, sie sind entwicklungsfähig, auch ohne daß es eines revolutionären Umsturzes hierzu bedarf.« So wundert es nicht, daß sich der Name Groeners am 6. Januar 1928 knapp zwei Wochen vor seiner Berufung in die Bendlerstraße unter dem Gründungsaufruf des vom ehemaligen Reichskanzler Hans Luther geleiteten >Bundes zur Erneuerung des Reiches< fand, der die Reichsreform zugunsten einer starken Zentralgewalt propagierte153. Groeners politischer Einfluß im Übergang von der Parteiendemokratie zum Präsidialregime muß immer vor dem Hintergrund seiner inneren Überzeugung gesehen werden, die sich seit der Mitte 1919 formulierten Perspektive kaum verändert hatte: Es sei am besten, »wenn sich einzelne führende Männer möglichst grossen Einfluss auf die Führung der Staatsgeschäfte erringen, die allerdings das Vertrauen der Masse des Volkes besitzen und auf eine starke, zuverlässige bewaffnete Macht sich stützen müssen«154. Im Ziel einer idealen Verbindung der sich gegenseitig bedingenden Faktoren autoritäre Regierung, demokratische Massenbasis und militärische Macht zeigt sich prägnant die Mischung von traditionellen und modernen Elementen in den programmatischen Gedanken des politischen Militärs Wilhelm Groener. Der Autoritätsglaube und Einheitswille bestimmten auch Groeners wirtschaftspolitische Vorstellungen. Bezeichnend hierbei war, daß er der Wirtschaftsform des Sozialismus nicht grundsätzlich die Berechtigung absprach, sondern nur die plakative Forderung nach >Sozialisierung< des Eigentums ablehnte155. Dem Gedanken einer Planwirtschaft stand er positiv gegenüber, weil er einem ungezügelten Wirtschaftsliberalismus, mit dem er schon in seiner Kriegsamtszeit zusammengestoßen war, nicht zutraute, die neuen Probleme des —





150

151

Groener an Hindenburg (privat), Berlin 1.11.1923 (Phelps, Groener-Dokumente III, S. 741 f.; dort z.T. nur paraphrasiert, vgl. daher auch das Original in BA-MA, N 46/37, Bl. 40—43). Vgl. auch Carsten, Reichswehr, S. 320 f. Groener an Hindenburg (privat), Berlin 1.11.1923 (Phelps, Groener-Dokumente III, S. 742).

Ebd. Material zum sogenannten >Luther-Bund< in BA, R 43 1/771. Ebd., Bl. 5, Auflistung der wichtigsten Unterzeichner des Gründungsaufrufs, unter ihnen Groener. 154 Denkschrift Groeners »Beurteilung der Lage Deutschlands nach Unterzeichnung des Friedens«, Ende Juli 1919 (BA-MA, N 42/12, Bl. 177). 155 Ebd., Bl. 174f.; Groener, Krieg, S. 36. Ebd., S. 36f., gibt Groener eine Zusammenfassung seiner wirtschaftspolitischen Überlegungen. In Groeners anderen Schriften vor 1928 findet sich erstaunlicherweise kaum etwas über die Frage der Wirtschaftsordnung nach dem Weltkrieg, und auch später hat sich der ehemalige Chef des Kriegsamts wenig zu wirtschaftlichen Fragen geäußert. 152 153

30

II.

Voraussetzungen.

Die

Erfahrungen

Groeners

vor

1928

Marktes zu bewältigen156. Deshalb sprach sich Groener 1920 für staatliche Lenkungsmaßnahmen durch einen Rat der »Kundigsten der Volkswirtschaft« aus157, der Deutschland vor den von ihm prophezeiten Folgen einer ausufernden Wirtschaftskrise bewahren sollte: »Staatsbankrott, Vernichtung des Mittelstandes, Zusammenbruch der Unternehmungen, Bürgerkrieg, Zerfall des Reichs«158. Diese Bedrohung sollte zehn Jahre später erneut akut werden, zu einem Zeitpunkt, als Groener wieder an den Regierungsgeschäften teilnahm. Wie seine innenpolitischen so wurden auch seine wirtschaftspolitischen Pläne vom Ziel bestimmt, durch zentrale Steuerung die innere Stabilität herzustellen, die für die Restitution der äußeren und militärischen Machtstellung nötig war. Groener vertrat aber noch im Jahr vor seinem Amtsantritt als Reichswehrminister die realitätsbezogene Ansicht, daß die inneren Voraussetzungen der nationalen Stärke nach außen noch lange nicht erfüllt seien159. So galt weiterhin der in der Anfangsphase der Weimarer Republik von ihm diagnostizierte Zwang zu außenpolitischer Zurückhaltung160. Dies war für ihn aber nicht gleichbedeutend mit einer völligen Untätigkeit auf dem internationalen Parkett. Die Außenpolitik sollte der eigentlichen Aufgabe der gesamten deutschen Politik unterworfen sein, der auch von Groener vehement geforderten »Revision des wahnsinnigen Friedensvertrages« von Versailles mit friedlichen Mitteln161. Er empfahl, die Bühne des Völkerbunds, von dem er sich sonst kaum einen praktischen Wert versprach, als Plattform der diplomatischen Revisionsbemühungen auszunutzen162. Groener dachte sich ein geduldiges Taktieren aus dem Hintergrund, damit eine günstige Gelegenheit abgewartet werden könne, um die Rivalität der Siegermächte auszunutzen und möglichst die USA, aber vielleicht auch England und Japan auf die deutsche Seite zu ziehen163. In den 156

Groener, Krieg, S. 36: »Das >freie Spiel der KräfteDeutschen Allgemeinen Zeitung< vom 29.5.1927. 172 Dazu mehrmals die Denkschrift Groeners, Kolberg 17.9.1919 (Dreetz, Denkschrift, S. 599—604). 173 Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 18.8.1919 (Zwischen Revolution und Kapp169

170

Putsch, S. 195).

32

II.

Voraussetzungen.

Die

Erfahrungen

Groeners

vor

1928

Militärdienst faßte er in einem Vortrag vor den Generalstabsoffizieren der Kommandostelle Kolberg am 18. August 1919 und in einer Denkschrift für Ebert vom 17. September 1919 seine Erwartungen für den Aufbau der Reichswehr zusammen174. Diese beiden Zeugnisse sind von Groener bewußt als militärpolitisches Vermächtnis angelegt175 und daher höchst aufschlußreich für seine Konzeption von einer modernen Armee. Dabei gingen seine Pläne von den militärischen Gegebenheiten des Versailler Vertrags aus und gleichzeitig weit über diese hinweg. Groener erblickte in einer schlagkräftigen bewaffneten Macht nach wie vor die wichtigste Voraussetzung nationaler Stärke, sowohl wegen des trotz aller Völkerbundsbemühungen noch immer vorherrschenden Gewaltprinzips in den internationalen Beziehungen als auch zum Schutz der inneren Ordnung176. Diese beiden Aufgaben Wehrfähigkeit nach außen und Stabilität im Innern konnten aber nach Ansicht Groeners von dem in Versailles festgeschriebenen 100000-MannHeer im Ernstfall nicht bewältigt werden177. Deshalb forderte er, »in der Stille«178 und nach dem Motto Schlieffens »Mehr sein als scheinen«179 einen Weg zu finden, der über diesen Zustand der militärischen Schwäche hinausweise. Damit verband er die vorsichtige Umgehung des Friedensvertrages180, vor allem aber die zukunftsorientierte Arbeit an der organisatorischen Grundlage einer Wehrpflichtigenarmee181. Groener vertrat dabei ein modernes militärisches Konzept, das der militärischen Vorbereitung im Frieden eine neue gesellschaftliche Dimension beimaß. Für Groener war die große »Kasernenarmee« ein Relikt der Vergangenheit, das der Entwicklung nicht mehr entspreche und von einem anderen Modell abgelöst werden müsse182. Dazu entwarf er 1919 das Bild eines umfassenden Volksheeres in der Form einer Miliz und auf der Grundlage einer kleinen professionellen Kaderarmee183. Diese Rolle war natürlich der Reichswehr zugedacht, die nach den modernsten militärischen Erkenntnissen zu einer »perfekten Führerorganisation vom Feldherrn bis zum letzten Gefreiten« ausgebildet werden184 und den »Rahmen für die Aufstellung eines Volksheeres« abgeben sollte185. Die Milizarmee müsse man aber nicht —

174 175

176 '77

178 179

180



Ebd., S. 193-197; Denkschrift Groeners, Kolberg 17.9.1919 (Dreetz, Denkschrift, S. 599-604). Vgl. den ersten Absatz des Vortrags Groeners vor Generalstabsoffizieren, 18.8.1919 (Zwischen Revolution und Kapp-Putsch, S. 193). Denkschrift Groeners, Kolberg 17.9.1919 Ebd.

(Dreetz, Denkschrift,

Groener an Ebert, Kolberg 17.9.1919 (ebd., S. 598). Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 18.8.1919 Putsch, S. 195).

S.

599f.).

(Zwischen Revolution und Kapp-

Ebd.

Ebd., S. 195f.; Denkschrift Groeners, Kolberg 17.9.1919 (Dreetz, Denkschrift, S.601L). Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 18.8.1919 (Zwischen Revolution und KappPutsch, S. 195). 183 Ebd., S. 195f.; Denkschrift Groeners, Kolberg 17.9.1919 (Dreetz, Denkschrift, S. 601 f.). 184 Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 18.8.1919 (Zwischen Revolution und KappPutsch, S. 195f.). Gleichlautend auch in der Denkschrift Groeners, Kolberg 17.9.1919 (Dreetz, Denkschrift, S. 602). 185 Ebd., S. 601. Diese Überlegungen konkretisierten sich dann nach 1928 bei Groener und der Reichs181

182

wehrführung stärker zu einem Nebeneinander von kleiner Berufsarmee und kurzdienender Miliz. Vgl. dazu unten Kap. IV,4.

2.

Grundzüge

einer

militärisch-politischen Konzeption

33

nur durch eine dementsprechende Ausrichtung der Reichswehr vorbereiten, sondern auch durch die Erfassung und Ertüchtigung der gesamten wehrfähigen Bevölkerung von Jugend an bereits in den Fesseln des Versailler Vertrags186. Einige Jahre später rechnete Groener auch die ideelle Erziehung, die Förderung des »kriegerischen Geistes« dazu187. Für diese die Zivilbevölkerung betreffenden Aufgaben empfahl er 1919 die Anstellung von ausgewählten Offizieren als >Kreiskommissare< in allen Stadt- und Landkreisen188, eine Maßnahme, die auf die späteren Grenz- und Landesschutzarbeiten verwies. Zur selben Zeit betonte er auch die Bedeutung der materiellen Rüstung im technischen und wirtschaftlichen Bereich, erkannte aber, daß die Möglichkeiten in dieser Hinsicht vorerst begrenzt und auf Lieferungen des Auslands angewiesen blieben189. Doch zeigt sich hier einmal mehr, wie umfassend Groener infolge seiner Weltkriegserfahrungen militärpolitisch konzipierte. Das Ziel einer personellen, materiellen und ideellen Vorbereitung der Nation auf den von ihm nie ausgeschlossenen Ernstfall des nächsten Krieges blieb auch für den Reichswehrminister relevant. Der Erste Generalquartiermeister versuchte 1918/19, möglichst viele fähige Generalstabsoffiziere im Militärdienst zu halten. Dieser elitäre Rest des wilhelminischen Offizierskorps sollte die Basis des kleinen Söldnerheeres der Reichswehr bilden190. Für die Auswahl des Offiziersnachwuchses vertrat Groener die aus seiner eigenen Laufbahn her verständliche progressive Auffassung, daß nur rein fachliche Kriterien ausschlaggebend sein dürften und die starre, das Dienstalter überbewertende >Ochsentour< abgeschafft werden müsse, um »junge, energische und moderne Offiziere in leitende Stellungen zu bringen«191. Sein Ziel war ein gesellschaftlich offenes Offizierskorps von Experten auf der Grundlage der Erfahrungen des alten Generalstabs. Dabei sah er durchaus die politische Brisanz des Umstandes, daß die Wehrmacht der Republik von Offizieren aufgebaut wurde, die durch die kaiserliche Armee geprägt waren. Daher verlangte Groener von allen Soldaten, dem Staat unabhängig von seiner Verfassungsform im Sinne des Gesamtwohls zu dienen, und redete damit dem abstrakten Staatsbegriff das Wort, der bezeichnend für die Reichswehr werden sollte192. Doch anders als etwa Seeckt verstand er das Verhält186

187

188

Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 18.8.1919 (Zwischen Revolution und KappPutsch, S. 195f.); Denkschrift Groeners, Kojberg 17.9.1919 (Dreetz, Denkschrift, S. 601 f.). Groener, Bedeutung, S. 70.

Denkschrift Groeners,

Kolberg 17.8.1919 (Dreetz, Denkschrift, S. 604—606). Diese Denkschrift den preußischen Innenminister Heine gerichtet. Denkschrift Groeners, Kolberg 17.9.1919 (ebd., S. 601 f.). Groener an Noske, Kolberg 14.8.1919 (ebd., S. 607f.); Denkschrift Groeners, Kolberg 17.9.1919 (ebd., S. 601-604). Denkschrift Groeners, Kolberg 17.9.1919 (ebd., S. 603). Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 18.8.1919 (Zwischen Revolution und KappPutsch, S. 194 f.). Vgl. auch Groeners retrospektive Darstellung in seinen Lebenserinnerungen, S. 467: »Der Sturz des Kaisertums entzog den Offizieren den Boden ihres Daseins, ihren Sammel- und Ausrichtepunkt. Es mußte ihm ein Ziel gewiesen werden, das des Einsatzes wert war und ihm die innere Sicherheit wiedergab. Es mußte das Gefühl wachgerufen werden der Verpflichtung nicht nur gegenüber einer bestimmten Staatsform, sondern für Deutschland schlechthin.« Zur verbreiteten »Flucht ins Abstraktum« Sauer, Reichswehr, S. 232. Vgl. auch Carsten, Reichswehr, S. 454f.; Klaus-Jürgen war an

189 190

191 192

Müller, Heer,

S. 17-19.

34

II.

Voraussetzungen.

Die

Erfahrungen

Groeners

vor

1928

nis der bewaffneten Macht zur Republik nicht als kritischen Attentismus, sondern als überparteiliche Loyalität, nicht als distanziertes Nebeneinander, sondern als Unterordnung der Armee unter die Staatsführung, die freilich ihrerseits auf die militärische Machtgrundlage angewiesen war193. Um die für ihn unumgängliche Einigkeit sowohl innerhalb der Armee als auch zwischen Militär, Staat und Volk zu gewährleisten, stellte er die Maxime auf, daß sich alle Offiziere und Soldaten völlig von der Politik fernhalten sollten194. Groeners ganzem Verständnis der Verquickung von militärischer und ziviler Sphäre entsprechend, mußte davon natürlich die oberste Reichswehrführung ausgenommen sein195. Eine moderne Militärpolitik war nach seiner Definition ohne die vertrauliche und enge Zusammenarbeit von Staats- und Armeeführung gar nicht möglich. Auch hieraus ergab sich der Zwang zur Loyalität gegenüber den bestehenden Verhältnissen. Groener forderte diese loyale Haltung aber auch von der anderen Seite und reagierte auf Kritik an der Reichswehr mit Unverständnis196. Das unsichere Kriterium der >Wehrfreudigkeit< wurde dadurch zu einem wesentlichen Gradmesser seiner politischen Ausrichtung. So blieb das Verhältnis zwischen Reichswehr und Republik auch im Denken Groeners

problematisch.

Überzeugungen bis zum daß Wilhelm Groener im läßt sich deutlich seines Amtsantritts erkennen, Zeitpunkt Nebeneinander von Staat, über das und MitJanuar 1928 ganz konkrete Vorstellungen Armee und Gesellschaft in die Bendlerstraße mitbrachte. Wie kaum ein zweiter hatte er sich im Jahrzehnt zuvor mit den in und nach dem Ersten Weltkrieg eingetretenen Wandlungen auseinandergesetzt. Sein Verständnis von der Bewältigung der Probleme des neuen Zeitalters sei noch einmal kurz zusammengefaßt. Ausgangspunkt der Überlegungen Groeners war die im Weltkrieg gewonnene Erkenntnis, daß der moderne Krieg nicht mehr allein von dem darauf spezialisierten Militärberufsstand, sondern von der gesamten Nation mit allen ihren politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ressourcen auszutragen sei, daß dies jedoch eine im Wilhelminischen Deutschland nicht gegebene Geschlossenheit der Gesellschaft und Modernität des Staatsaufbaus voraussetze. Die Niederlage von 1918 bot die Chance eines Neubeginns. Groeners Idealvorstellung von einem autoritären Zentralstaat mit modernen demokratischen und sozialen Zügen wurde aber durch die föderale und parlamentarische Parteiendemokratie der Weimarer Verfassung nicht verwirklicht. Dennoch stand er der jungen Republik loyal gegenüber, lehnte jeden gewaltsamen Umsturz ab und verlegte seine Hoffnung auf eine evolutionäre VerAus den hier zusammengetragenen militärischen und politischen

Vgl. etwa die Denkschrift Groeners »Beurteilung der Lage Deutschlands nach Unterzeichnung des Friedens«, Ende Juli 1919 (BA-MA, N 42/12, Bl. 177). 194 Vortrag Groeners vor Generalstabsoffizieren, Kolberg 18.8.1919 (Zwischen Revolution und KappPutsch, S. 194); Denkschrift Groeners, Kolberg 17.9.1919 (Dreetz, Denkschrift, S. 603f.). 195 Vgl. den bekannten, u. a. von Carsten, Reichswehr, S. 55, zitierten Satz aus Groeners Tagebuchaufzeichnung vom 9.7.1919: »Die Offiziere müssen wieder gehorchen lernen und von der verflixten Politik die Finger lassen; Politik dürfen nur wenige treiben und diese zäh und verschwiegen.« Diese Bemerkung steht zwar in einem ganz bestimmten Zusammenhang dem Liebäugeln einiger Generäle mit Putschabsichten —, ist aber dennoch für Groeners Denken im allgemeinen sehr bezeichnend. 193



196

Dagegen Rakenius, Groener, S. 233, Anm. 212. Schon Groener, Weltkrieg, S. 109, betont, es sei »töricht, das Ansehen der Wehrmacht

zu

untergraben«.

2.

35

Grundzüge einer militärisch-politischen Konzeption

änderung der Verfassung. Dieselbe Loyalität verlangte er auch von der Armee, die für ihn nach wie vor die wesentliche Machtgrundlage des Staates im Innern und nach außen blieb. Die Restitution der vollen Wehrfähigkeit und der Großmachtstellung Deutschlands konnte seiner Überzeugung nach erst in Folge des Wiederaufbaus innenpolitischer Stabilität und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit eintreten. Gleichzeitig sah Groener es aber als notwendig an, die Reichswehr bereits unter den beschränkten Bedingungen des Friedensvertrages als hochspezialisierte Berufsarmee zu perfektionieren und die organisatorische Vorarbeit für eine der Komplexität moderner Kriegführung entsprechende Wehrbereitschaft auf breiter gesellschaftlicher Basis zu leisten, flankiert von einer revisionistischen Außenpolitik, die behutsam die militärpolitischen Fesseln von Versailles lockern sollte. In Groener vereinigten sich demnach zwei charakteristische Merkmale eines in der Weimarer Republik verbreiteten Politikertypus. Zum einen war er Vernunftrepublikaner mit der Perspektive eines autoritären Staates jedoch nicht der Diktatur; zum anderen war er Revisionist mit traditionellem Großmachtanspruch jedoch ohne Neigung zum Revanchismus. Den Zusatz bildete eine moderne militärpolitische Konzeption, die sich mit seinen innen- und außenpolitischen Überzeugungen verband. Diese vorstehend skizzierte militärisch-politische Vorstellungswelt muß jedoch letztlich an —



ihrem Einfluß auf die tatsächliche Politik Groeners nach 1928 gemessen werden.

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Wilhelm Groener (1867-1939) (Süddeutscher Verlag)

Ministerium und

Truppe

Groener im Reichswehrministerium mit seinen Adjutanten Schmundt (Marine) und Frhr. von Wechmar

(Heer), Anfang (Ullstein)

Köln< in Wilhelmshaven, 23. Mai 1928 (von links Admiral Zenker, Groener, Adenauer, Noske)

(Bundesarchiv)

Zwei

Hauptschauplätze politischen

Geschehens

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Kabinettssitzung, Juli 1928 (hintere Reihe von links: Meissner, Severing, Pünder, Müller, Groener, Koch-Weser; vorne links: Hilferding) (Bildarchiv Preussischer Kulturbesitz, Berlin, 1992,

Die Ministerbank im

Foto: Erich

Salomon)

Reichstag, Dezember 1929 (von rechts: Groener, Curtius, Wirth, Hilferding, Stegerwald, Severing, Moldenhauer, Dietrich) (Bildarchiv Preussischer Kulturbesitz, Berlin, 1992, Foto: Erich Salomon)

Balanceakt zwischen Tradition und

Republik

Einweihung des Gefallenendenkmals der Eisenbahner in Berlin, 1929 (links neben Groener: Generalfeldmarschall a.D. von Mackensen) (Süddeutscher Verlag)

Gedenkfeier zum 7. Todestag Walther Rathenaus, 24. Juni 1929 (links neben Groener: Joseph Wirth) (Landesbildstelle Berlin)

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I

Groener im

Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik

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>Der Angriff«

vom

9. März 1930: nationalsozialistische Ressentiments gegen den Reichswehrminister

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>Die Welt

am Montag< vom 23. November 1931: sozialdemokratische Vorbehalte gegen den kommissarischen Reichsinnenminister

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Brüning und Groener wenige Wochen vor ihrem Sturz, 24. April 1932 (vor der Stimmabgabe zur Preußenwahl im süddeutschen Esseratsweiler; ganz links: Staatssekretär von Bülow) (Süddeutscher Verlag)

III. Der

1.

Ernennung

Groeners

Beginn

zum

Reichswehrminister

Nach dem Abschied Groeners von der Führungsspitze der militärischen Macht im September 1919 vollzog sich die Geschichte der Reichswehr in unterschiedlichen Entwicklungsphasen. Dabei ragten vor allem drei Problemfelder heraus: die Kompetenzverteilung zwischen dem Reichswehrminister als zivilem und dem Chef der Heeresleitung als militärischem Führer der Armee, das Verhältnis zwischen republikanischem Staat und bewaffneter Macht sowie der unter den Bedingungen des Versailler Vertrags bestmögliche Wiederaufbau einer modernen Wehrmacht. Das Gespann Noske/Reinhardt versuchte in vertraulicher Zusammenarbeit, die Reichswehr als zuverlässiges Instrument der jungen Republik zu gestalten, doch die angespannte Lage im Innern erschwerte diese Bemühungen, die mit dem Kapp-Putsch und seinen militärpolitischen Folgen ein Ende fanden1. Nach diesem Einschnitt wurde die Entwicklung der Reichswehr für mehr als sechs Jahre vom neuen Chef der Heeresleitung Hans von Seeckt geprägt, der kraft seiner Persönlichkeit den Einfluß des Noske-Nachfolgers Geßler in den Hintergrund drängte und dem militärischen Apparat eine nahezu autonome Stellung verschaffte2. Fernab von der Mitsprache und Kontrolle des >Systems< sollte die Reichswehr zu einer geschlossenen Elitearmee ausgebildet werden, die zwar in abwartender Loyalität zur ungeliebten Republik stand, sich im übrigen aber der zivilen Entscheidungsebene entzog. Wie Groener die Militärpolitik Seeckts beurteilte, muß aus seiner beschriebenen konzeptionellen Grundhaltung vor 1928 geschlossen werden, da sich sowohl der Reichsverkehrsminister als auch der Privatmann völlig aus den Reichswehrangelegenheiten heraushielt. Einerseits wird er die professionelle Arbeit am Aufbau eines Führerheeres auf der Grundlage des alten Generalstabs anerkannt haben. Hier erfüllte Seeckt die hohen Erwartungen, die Groener 1919 in seine Person gesetzt hatte. Andererseits liefen aber die attentistische Haltung gegenüber den bestehenden politischen Verhältnissen und die aus der selbstgewählten Isolation resultierende Beschränkung auf den traditionellen Tätigkeitsbereich militärischer Vorbereitung den Erfahrungen Groeners mit der Abhängigkeit des modernen Wehrwesens von den zivilen Rahmenbedingungen diametral entgegen3. So wundert es nicht, daß die Kurskorrektur im Reichswehrministerium ausgerechnet von 1

2

3

Neueste umfassende Studie zur Politik Noskes (und Reinhardts) die biographische Arbeit von Wolfram Wette, besonders S. 333—721. Zum Kapp-Putsch und seinen Folgen vgl. auch Gordon, Reichswehr, S. 96—147; Carsten, Reichswehr, S. 89—111; Wohlfeil, Heer, S. 242-254. Zur >Ära Seeckt« Gordon, Reichswehr, S. 221—256; Carsten, Reichswehr, S. 113—271; Meier-Welcker, Seeckt, S. 282-558; Wohlfeil, Heer, S. 254-285. Auch in der neueren Forschung wird betont, daß das »anachronistische, aristokratische« Modell« Seeckts die »unumgänglichen Konsequenzen aus den Erfahrungen des >totalen Krieges«« verdrängt habe (Hillgruber, Militarismus, S. 137).

38

III. Der

Beginn

Oberst Kurt von Schleicher eingeleitet wurde, dem Lieblingsschüler, engen Vertrauten und Freund Groeners. Der für politische Fragen zuständige Schleicher hatte im Februar 1926 die Leitung der als politische Kommandozentrale neuerrichteten und direkt dem Reichswehrminister unterstellten Wehrmachtsabteilung übernommen und dadurch größere Selbständigkeit gegenüber Seeckt erlangt4. Während er »faktisch, wenn auch nicht formal, zum militärpolitischen Führer der Reichswehr« aufstieg5, wurde die Position des vorher noch allmächtigen Chefs der Heeresleitung schwächer, doch erst die Entlassung Seeckts im Oktober 1926 machte einer neuen Wehrpolitik den Weg frei. Das Ende der >Ära Seeckt< bedeutete einen »tiefen Einschnitt in die Geschichte der Reichswehr. Von nun an vollzog sich die Militärpolitik der Republik auf anderen Ebenen und in anderen Bahnen.«6 Die nun in der Bendlerstraße den Ton angebenden modernen Offiziere um Schleicher7 wollten auf der Basis der von Seeckt erreichten inneren Stabilität und Leistungsfähigkeit der Reichswehr eine schlagkräftige und gut ausgerüstete Armee schaffen. Eine Forcierung der personellen und materiellen Rüstungsmaßnahmen ließ sich aber kaum wie bisher im Abseits durchführen, sondern erforderte die Unterstützung und Mitwirkung der Regierung, der Wirtschaft und des Volkes. Die grundlegende Modifizierung der militärpolitischen Vorgehensweise hat Schleicher Ende 1926 in einer programmatischen Denkschrift reichswehrintern zu propagieren gesucht8. Auf dieses Schlüsseldokument soll hier kurz eingegangen werden, da in ihm die Prinzipien des für die nächsten Jahre angestrebten politischen Kurses der Reichswehr niedergelegt wurden. Außerdem ist seine Argumentationsführung in mancher Hinsicht auffallend identisch mit der konzeptionellen Denkweise Groeners, die seinem früheren Mitarbeiter natürlich gut bekannt war. Schleicher ging von der grundsätzlichen Frage aus, welche Perspektiven sich der Reichswehr nach Entwicklung der Dinge besonders auch nach der für Anfang 1927 angekündigten Auflösung der Interalliierten Militär-Kontroll-Komis—

Errichtung der Wehrmachtsabteilung vgl. Vogelsang, Reichswehr, S. 47; Schmädeke, Kommandogewalt, S. 175; Wohlfeil, Heer, S. 122 f. Zum Wirken Schleichers in der Reichswehr bis 1926 vgl. den Überblick bei Vogelsang, Schleicher, S. 32—48, sowie die Arbeit von Melvin Thomas Steely. 5 Hillgruber, Reichswehr, S. 183. Ähnlich Sauer, Reichswehr, S. 243. 6 Deist, Aufrüstung, S. 377, stellvertretend für nahezu die gesamte Reichswehrforschung. Eine Ausnahme bildet Michael Geyer, der einen entscheidenden Wandel bereits in den Jahren 1924/25 sehen will (vgl. etwa Geyer, Aufrüstung, S. 23—119). Wenn sich eine Richtungsänderung zu dieser Zeit schon angekündigt hat, ist sie aber doch wohl erst nach dem Abgang Seeckts zur vollen Entfaltung gelangt. Zur Wende von 1926 und ihren Folgen bis 1928 vgl. außerdem Vogelsang, Reichswehr, S. 47—55; Carsten, Reichswehr, S. 275-319; Wohlfeil, Heer, S. 285-287; Hillgruber, Reichswehr, S. 183-185. Auch bei dieser Frage wird in der älteren Forschung vor allem der politische Aspekt beachtet, während die jüngeren Untersuchungen die militärischen Absichten der Reichswehrführung hervorheben. 7 Schleicher verdient zwar wegen seiner exponierten Stellung besondere Beachtung, war aber nicht der einzige >ReformerDeutschen Allgemeinen 31

32

Zeitung,

vom

29.5.1927.

1.

Ernennung Groeners

zum

Reichswehrminister

43

können, wenn das zu erwartende Revirement an der Spitze des Reichswehrministeriums eintrat. Die Vorstellung war doch auch zu reizvoll, daß die Militärpolitik wie 1918/19 wieder durch das eingespielte Gespann Groener/Schleicher geleitet werde, wie zu jener

Zeit durch die Autorität Hindenburgs gedeckt, der nun als Reichspräsident einen wesentlichen Machtfaktor bildete. Anfang 1928 endlich war Geßler nicht länger in seinem Amt zu halten. Seit August 1927 waren die jahrelangen illegalen rüstungswirtschaftlichen und finanziellen Unternehmungen des Leiters der Seetransportabteilung im Allgemeinen Marineamt, Kapitän zur See Walter Lohmann, durch Enthüllungen über seine Unterstützung der Phöbus-Film AG schrittweise bekanntgeworden37. Der daraus entstandene Skandal hatte die Wehrpolitik erneut in die öffentliche Auseinandersetzung gebracht, die dem Reichswehrminister Einsatzbereitschaft und Stärke abverlangte. Diesen Kraftaufwand konnte und wollte der schon seit längerem mit Rücktrittsgedanken beschäftigte Geßler nach acht Amtsjahren und schweren familiären Schicksalsschlägen aber nicht mehr leisten38. Zudem war er durch seine Abzeichnung der Reichsbürgschaft für die Phöbus-Film AG vom 26. März 1926 persönlich in den Fall verwickelt39 und hätte sowohl in der Ende Januar 1928 angesetzten Parlamentsdebatte als auch im anstehenden Reichstagswahlkampf und bei der neuen Regierungsbildung einen schweren Stand gehabt40. So übernahm Geßler rechtzeitig die politische Verantwortung für den Skandal und reichte am 4. Januar 1928 sein Demissionsgesuch ein41. Nun wurde weder vom Reichspräsidenten noch von der Reichswehrführung der Versuch unternommen, seinen Rücktritt nochmals zu verhindern42. Statt dessen entbrannte der Kampf um die Nachfolge. Die Wahl des neuen Reichswehrministers lief nicht von vornherein auf Groener zu, sondern fiel erst nach einem komplizierten Entscheidungsprozeß, der sich aus einer recht guten Überlieferung rekonstruieren läßt43. Die Vorschläge kamen aus zwei unterschiedlichen Richtungen, aus dem Reichswehrministerium und von den Regierungsparteien, und trafen beim Reichspräsidenten als der faktisch ausschlaggebenden Instanz zusammen, während sich Reichskanzler Marx hauptsächlich mit einer Vermittlerrolle begnügte. Die verschiedenen Initiativen der Reichswehrführung wurden von Geßler, Heye, Schleicher sowie dem Chef des Personalamts Joachim von Stülpnagel getragen und verfolgten das gemeinsame Ziel, jeden Parteipolitiker von der Bendlerstraße fernzuhalten und eine langfristige

(>Phöbus-SkandalNotjahr< zu verhindern und den Standpunkt durchzuset-

daß sein Ministerium »einen stabilen und nicht einen schwankenden Etat haben und die Ausgaben auf lange Zeit hinaus auf den Nutzeffekt des Jahres 1928 aufbauen wolle, da man sonst nicht auf weite Sicht arbeiten könne«361. Daß der neue Haushalt gegenüber dem >Normaljahr< 1928 nur geringe Abstriche aufwies, bedeutete ohne Zweifel einen Erfolg für die Militärpolitik Groeners, die auf eine kontinuierliche und programmierte Besserung der militärischen Einsatzbereitschaft ausgerichtet war und keine budgetären Berg- und Talfahrten vertragen konnte. Daher war es dem Reichswehrminister wichtig, das Tief von 1929 als einmalige Ausnahme zu überwinden. Die zunächst völlig überhöhten Anforderungen der Bendlerstraße müssen dabei ebenso als taktisches Mittel im Kampf mit dem Reichsfinanzministerium angesehen werden wie das Eingreifen Hindenburgs. Groener ging zwar formal einen Kompromiß ein, hatte tatsächlich aber sein Ziel erreicht, die Reichswehr aus dem zweiten Haushaltsjahr der Finanzkrise relativ ungeschoren herauszuführen. Die Erfolgsmeldung an die militärischen Dienststellen war berechtigt. Die Einschaltung des Reichspräsidenten in Streitfragen des Wehretats war ein von Groener bewußt eingesetztes Druckmittel, das bereits in der Auseinandersetzung um das Panzerschiff A Wirkung gezeigt hatte und an einem weiteren Beispiel illustriert werden soll. Als Anfang März 1930 ein bereits genehmigter Posten von 218000 RM für eine Mittelmeerreise der Flotte erneut im Haushaltsausschuß zur Disposition gestellt werden sollte, fuhr Groener sofort schwere Geschütze auf und kündigte Staatssekretär Pünder seinen und Hindenburgs Rücktritt an362. Reichskanzler Müller setzte sich daraufhin mit den sozialdemokratischen Ausschußmitgliedern in Verbindung und entschärfte die Angelegenheit363. Dieses harte Vorgehen des Reichswehrministers in einer an sich marginalen, für ihn aber offenbar grundsätzlichen Frage beweist erneut, daß er den Ausgaben für die Landesverteidigung eine Sonderstellung innerhalb des Reichshaushalts zukommen lassen wollte. Der Wehretat sollte möglichst unangefochten sein und unter dem besonderen Schutz des Reichspräsidenten stehen. Groener scheute sich daher nicht, in den finanzpolitischen Auseinandersetzungen notfalls seine besondere rechtliche und persönzen,

361

Groener im Haushaltsausschuß

am

6.5.1930

(Verhandlungen des Ausschusses für den Reichshaus-

halt, IV. Wahlperiode, 147. Sitzung vom 6.5.1930, S. 8 f.). Vgl. auch Groeners Äußerung in der Ministerbesprechung vom 17.2.1930 (Tagebuchaufzeichnung Schäffers, 17.2.1930; AdR, Müller II, Bd 2,

7): »Mein Streben im Kampf mit dem Finanzministerium ist nur, auf die Gesamtkommen. Stabilität des Wehretats ist erforderlich für eine Reihe von Jahren. Ein normales Jahr ist dafür erforderlich.« Ähnlich auch Groeners Redebeiträge im Reichstagsplenum am 21.5.1930 (RT,.Bd428, S. 5231) und am 22.5.1930 (ebd., S. 5277). Aktenvermerk Pünders, Berlin 10.3.1930 (BA, R 43 1/602, Bl. 43 f.). Groener machte deutlich, »daß er einer erneuten Erörterung der Angelegenheit in der heutigen Montagssitzung des Haushaltsausschusses unter allen Umständen widersprechen müsse. Werde es doch geschehen, so werde er sich sofort zum Herrn Reichspräsidenten begeben und ihm seine Demission anbieten, da er angesichts solcher Behandlung militärischer Angelegenheiten im Reichstag nicht mehr länger die Verantwortung tragen könne; darüber hinaus werde er aber den Herrn Reichspräsidenten darauf hinweisen, daß er als Reichspräsident Oberbefehlshaber der Wehrmacht und damit auch für deren Ausbildung mitverantwortlich sei, und werde ihn deshalb bitten, sich seinem Rücktritt anzuschließen.« (Ebd., Bl. 43.) Vgl. ebd., Bl. 44. S. 1469, Anm.

summe zu

362

363

156

LV. Aufbrüche. Die

Entwicklung des

militärischen

Apparates

unter

Groener

Beziehung zu Hindenburg als letzte Karte auszuspielen. Die präsidiale Rückendeckung, auf die sich Groener von Anbeginn seiner Amtszeit berief, erschwerte die Bemühungen des Reichsfinanzministeriums und der parlamentarischen Gremien, die Staatskasse während der Wirtschaftskrise auch durch einschneidende Einsparungen bei der liehe

Reichswehr zu entlasten. Die Querelen um den Wehretat 1930 erlebten ein interessantes Nachspiel, als der Reichsrat Anfang April 1930 auf Antrag Ostpreußens die Wiedereinsetzung der vom Kabinett gestrichenen ersten Rate für das Panzerschiff B beschloß364 eine pikante Umkehrung der Vorgänge von 1928. Das Reichswehrministerium hatte diese Initiative der Ländervertretung gefördert365. So wundert es nicht, daß sich Groener in einer Ministerbesprechung am 16. April »aus psychologischen und sachlichen Gründen« nachdrücklich gegen eine Doppelvorlage wandte366. Das Kabinett fügte sich den Bedenken des Reichswehrministers und übernahm den Beschluß des Reichsrats, obwohl er im Widerspruch zur alten Regierungsvorlage stand367. Wegen der angespannten finanzpolitischen Lage war das Panzerschiff B im Reichstag jedoch noch nicht mehrheitsfähig. Am 23. Mai 1930 lehnte das Plenum des Parlaments die erste Rate mit großer Mehrheit und mit den Stimmen der DDP und des Zentrums ab368. Was vor eineinhalb Jahren im Fall des Panzerschiffs A den Rücktritt Groeners und eine schwere Regierungskrise bewirkt hätte, verlief diesmal ohne nachhaltige Konsequenzen. Der Reichswehrminister nahm der Angelegenheit jede Brisanz, indem er von vornherein auf die Kabinettsfrage verzichtete und sich mit der Verschiebung des Baubeginns um ein Jahr abfand. Eine Gefährdung der erst kurz amtierenden und maßgeblich von ihm gestützten Regierung Brüning war ihm dieses Marineprojekt nicht wert. Die Schwierigkeiten mit dem Panzerschiff B werden Groener aber vollends von der Notwendigkeit überzeugt haben, endlich den von der Marineleitung ausgearbeiteten Schiffbauersatzplan politisch durchzusetzen369. Der Vorschlag, die Ersatzbauten der Marine im Rahmen des Versailler Vertrags für die nächsten Jahre durch ein Flottenbauprogramm festzulegen und dadurch eine Wiederholung der Panzerschiffkrise zu verhindern, war Ende 1928 im Reichstag aufgebracht und nach einigem Zögern von der Reichswehrführung übernommen worden370. Obwohl die Vorlage eines Bauprogramms spätestens nach —

Schulthess 1930, S. 112f. Zu diesem Reichsratsbeschluß vom 4.4.1930 und seinen Folgen Dülffer, Weimar, S. 121-123. Vgl. auch Winkler, Weg, S. 133f. 365 Vgl. die Tagebuchaufzeichnung Pünders, 18.4.1930 (Pünder, Politik, S. 51). 366 Ministerbesprechung vom 16.4.1930 (AdR, Brüning I/II, Bd 1, S. 61 f.). Groener befürchtete außer364

dem eine

367

»persönliche Desavouierung«, da er sich im Reichsrat für die Wiederaufnahme der Rate

eingesetzt hatte.

Ebd., S. 62f. Vgl. auch die Erklärung Groeners im Haushaltsausschuß

am 8.5.1930 (Verhandlun149. Sitzung vom 8.5.1930, S. 3f.). Wahlperiode, 368 Vgl. die namentliche Auflistung der Stimmabgabe in RT, Bd 428, S. 5325—5328. 369 Zu dieser Frage ausführlich Dülffer, Weimar, S. 117—119, S. 123—125. Umfangreiches Quellenma-

gen des Ausschusses für den

370

Reichshaushalt,

IV.

terial in BA-MA, RM 6/20. Dülffer, Weimar, S. 117f. Zu den Anträgen der DNVP, Wirtschaftspartei und DDP am 15.11.1928 im Reichstag auch Wacker, Bau, S. 142 f. Diese Anträge führten dann zur Entschließung des Reichstags vom 18.6.1929, die Reichsregierung zu ersuchen, »umgehend ein auf längere Sicht abgestelltes

5.

Haushaltsfragen

157

einer entsprechenden Entschließung des Reichstags vom 18. Juni 1929 auf der Tagesordnung stand und die Marine bereits einen Entwurf ausgearbeitet hatte371, entschied sich die Reichsregierung erst am 17. Februar 1930 und erst für das nächste Haushaltsjahr, einen Bauplan in den Etat einzubringen372. Im Reichstag kündigte Groener am 23. Mai für 1931 ein »langfristiges Bauprogramm« an, um die Verhandlungen über die Panzerschiffe »allen agitatorischen Beigeschmacks zu entkleiden und wieder in ruhige Bahnen einzulenken«373. Das Ziel des Reichswehrministers war deutlich: Durch die verbindliche Festlegung auf einen mehrjährigen Plan sollte das Parlament mit einem Schlag die Marinerüstung der nächsten Jahre einschließlich der Folgebauten der Panzerschiffklasse billigen. Damit wäre wie die illegalen materiellen Vorbereitungen des Heeres durch die Rüstungsprogramme auch die legale Wiederbewaffnung der Marine programmiert und ein weiterer Erfolg der auf eine Systematisierung aller Rüstungsbelange ausgerichteten Militärpolitik Groeners erzielt worden374. Im Herbst 1930 wurde der Schiffbauersatzplan umgearbeitet und in zwei Teile untergliedert, von denen der erste dem Marinehaushalt 1931 als Anlage beigefügt und der zweite vorerst der Öffentlichkeit vorenthalten werden sollte375. Die erste Hälfte des Programms legte den Baubeginn der Panzerschiffe B, C und D auf 1931, 1932 und 1934 fest376. Durch die Reduzierung der Vorlage auf die mittelfristigen Vorhaben hoffte die Reichswehrführung, »den Schiffbauersatzplan möglichst unauffällig durch den Reichstag zu bringen«377. Zunächst wollte man vor allem die anstehenden Raten für die nach wie vor umstrittenen Panzerschiffbauten gesetzlich festlegen. Doch eine >unauffällige« Bewilligung des Bauprogramms im Schlepptau des Marineetats ließ sich nicht verwirklichen, da nach dem spektakulären Auszug der NSDAP und DNVP aus dem Reichstag378 eine parlamentarische Mehrheit keineswegs gesichert war. Die Sozialdemokraten lehnten die erste Rate für das Panzerschiff B weiterhin ab, so daß der Marinehaushalt erneut zu einer politischen Streit—



371

Bauprogramm vorzulegen, das alle Deutschland aus dem Versailler Vertrag belassenen Rechte für die Ausrüstung der Marine erschöpft« (Lobe an Groener, Berlin 19.6.1929; BA-MA, RM 6/20, Bl. 23). Dülffer, Weimar, S. 119. Ebd., S. 564, der Entwurf vom 8.10.1929, der den Bau von acht Panzerschiffen bis 1942 vorsah.

372

373 374

375

376

377 378

Ministerbesprechung vom RT, Bd 428, S. 5300.

17.2.1930

(AdR, Brüning I/II, Bd 1,

S.

1470).

Auch die Denkschrift des Waffenamts »Rüstungsgrundlagen Heer/Marine/Luft«, Juni 1930 (BAMA, RH 8/997), nennt neben dem Rüstungsprogramm des Heeres den Ersatzbauplan der Seestreitkräfte, der »durch V V. und finanzielle Rücksichten« beschränkt sei und die zugestandene Friedensstärke frühestens 1943 erreichen werde. In den Reichswehrplanungen waren das 1. Rüstungsprogramm und das Flottenprogramm die zwei wesentlichen Bestandteile einer Gesamtprogrammierung der materiellen Rüstung. Dülffer, Weimar, S. 123. Der zweite, noch zurückgehaltene Teil sah den Bau der Panzerschiffe E, F, G und H bis Mitte der 40er Jahre vor. Vgl. den Schiffbauersatzplan, Teil 1, als Beilage 4 des Marinehaushalts 1931 in RT, Bd 448, Nr. 311. Neben dem Ersatz der Linienschiffe regelte das Programm auch den Bau kleinerer Einheiten (Kreuzer, Zerstörer etc.). Vortrag der Wehrmachtsabteilung, 21.10.1930 (BA-MA, RM 6/20, Bl. 61). Nach diesem Skandal am 10.2.1931 boykottierten diese Parteien alle weiteren Haushaltsberatungen und kehrten erst im Oktober des Jahres ins Parlament zurück (vgl. u. a. Bracher, Auflösung, S. 343).

158

IV. Aufbrüche. Die

Entwicklung des

militärischen

Apparates

unter

Groener

frage avancierte379. Verschärft wurde die Lage noch durch die eindeutige Haltung Brünings, der sein Verbleiben im Amt mit der Annahme der Marineforderungen verknüpf-

te380. Der Rücktritt des Reichskanzlers, des Reichswehrministers und vermutlich auch des Reichspräsidenten hätte eine schwere politische Krise ausgelöst, an der die SPD wegen der zunehmenden Radikalisierung der Innenpolitik kein Interesse haben konnte. So hatten die sozialdemokratischen Parteiführer in den Verhandlungen mit der Reichsregierung einen schweren Stand. In einer vertraulichen Besprechung vom 23. Februar 1931 vertrat Groener seine Position gegenüber den SPD-Vertretern »meisterhaft«381, aber kompromißlos, und auch bei den folgenden Sondierungen blieb die Regierungsseite bei ihrer harten Linie382. Als der Reichswehrminister am 11. März im Haushaltsausschuß nochmals unterstrich, daß er mit dem Marineetat einschließlich des Panzerschiffs B und des Schiffbauersatzplans stehe und falle383, hatte sich die SPD bereits mit ihrem Einlenken in dieser Frage abgefunden. Die Stimmenthaltung der sozialdemokratischen Abgeordneten ermöglichte die abstrichlose Durchsetzung des Marinehaushalts am 11. März im Ausschuß und am 20. März im Plenum des Reichstags384. Damit war auch der Schiffbauersatzplan angenommen, dessen rechtliche Verbindlichkeit aber keineswegs allgemein anerkannt wurde385. Auch Groener ließ es in seinen Erläuterungen zu dieser Haushaltsbeilage offen, ob das Bauprogramm ein verbindliches Flottengesetz oder eine bloße Information darstelle386. Doch zweifellos war der Reichswehrführung ein parlamentarischer Coup gelungen, auf den sie sich in den nächsten Jahren berufen konnte. Der Einsatz Groeners für den richtungweisenden Marinehaushalt 1931 hatte sich ausgezahlt. Der Verabschiedung des Wehretats für 1931 gingen nicht nur die politischen Bemühungen um das Panzerschiff B und den Schiffbauersatzplan voraus, sondern auch wieder die schon obligaten Auseinandersetzungen der Bendlerstraße mit dem Reichsfinanzministerium, dem nun der energische Hermann Dietrich vorstand. Sie begannen bereits im Juni 1930, als Dietrich wegen der katastrophalen Finanzlage Einsparungen in den laufenden Etats aller Reichsministerien in Höhe von insgesamt 100 Mio. RM forderte. Die Politik 379

380

Zum folgenden auch Dülffer, Weimar, S. 124 f.; Winkler, der SPD in dieser Frage). Brüning, Memoiren, S. 259 f.

Weg,

S. 289—295

(besonders zur Politik

Tagebuchaufzeichnung Pünders, 25.2.1931 (Pünder, Politik, S. 90f.). Vgl. die Tagebuchaufzeichnung Pünders, 9.3.1931 (ebd., S. 91): »Wir können ihnen immer nur wieder sagen: wir verlangen alles und versprechen nichts! Fast nur Unpopuläres wird gefordert gegen die gewisse Sicherheit, daß dann in einem anderen Kriege Deutschland insgesamt leidlich gerüstet dastehe.« 383 Groener betonte, »daß es für ihn, den Minister, ein Zurückweichen nicht gebe. Das sei politisch unmöglich, denn er würde sonst politisch ein vollkommen toter Mann sein.« (Verhandlungen des Ausschusses für den Reichshaushalt, V.Wahlperiode, 62. Sitzung vom 11.3.1931, S. 849.) 384 Vgl. ebd., S. 851-857, und RT, Bd 445, S. 1848—1854 (namentliche Auflistung der Stimmabgaben). 381

382

385

386

In der Debatte vom 20.3.1931 hatte der SPD-Vorsitzende Wels zuvor erklärt, daß die Sozialdemokratie ihre Ablehnung der Marinerüstung wegen der Gefahr einer staatsgefährdenden Krise zurückstelle (ebd., S. 1800L). Die Tolerierungspolitik der SPD wurde auch deutlich, als sie am selben Tag gegen den kommunistischen Antrag stimmte, Groener das Mißtrauen auszusprechen. Zur Reichstagsdebatte über den Wehretat 1931 auch Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 816f. Dülffer, Weimar, S. 124 f. Vgl. die Reichstagsrede Groeners vom 19.3.1931 (RT, Bd445, S. 1775).

5.

159

Haushaltsfragen

der Reichswehrführung, ihr Ressort »aus allen Streichungen und sonstigen unbequemen Maßnahmen herauszuhalten«387, mußte schließlich dem finanzpolitischen Druck nachgeben. Doch Schleicher, der den in Kururlaub weilenden Reichswehrminister vertrat, erklärte am 25. Juni im Kabinett, daß eine parlamentarische und öffentliche Diskussion der Abstriche im Wehretat den Rücktritt Groeners zur Folge habe388. Diese Sonderstellung der Wehrausgaben wurde bestätigt, als Brüning der Reichswehrführung zusagte, ihr bei der Art der Streichungen freie Hand zu lassen und den ersparten Betrag von 15 Mio. RM im nächsten Haushalt zu erstatten389. Der Reichswehrminister beantragte daher für den Wehretat 1931 mit 725 Mio. RM eine deutliche Erhöhung gegenüber dem Vorjahr, während das Reichsfinanzministerium unbedingt unter der Endsumme von 1930 (695 Mio. RM) bleiben wollte390. Der Streit konnte am 29. September 1930 in einer Chefbesprechung zwischen Brüning, Groener, Dietrich und ihren Sachverständigen geschlichtet werden391. Der kommende Wehrhaushalt wurde auf 694,85 Mio. RM festgelegt unter der Voraussetzung, daß weitere 10 Mio. RM für die Luftrüstung in den Postetat übernommen würden. Damit war es Groener trotz der wachsenden Finanzkrise wiederum gelungen, den Wehretat stabil auf dem Niveau von 1928 und 1930 zu halten. Doch auch in der Folgezeit prallte die von der finanziellen Notlage erzwungene Sparpolitik des Reichsfinanzministeriums immer wieder mit den Forderungen des Reichswehrministeriums zusammen. Besonders empfindlich reagierten Groener und Schleicher auf die geplanten Einsparungen bei den Beamtenbesoldungen, von denen sie die Reichswehr ausgenommen wissen wollten, »um die Truppe von radikalen Einflüssen freizuhalten«392. Tatsächlich gelang es ihnen, die Soldaten bis zum Hauptmann von den beiden Gehaltskürzungen des Jahres 1931 zu befreien und auch für die höheren Offiziere Erleichterungen zu schaffen393. Außerdem wandte sich Groener mit Erfolg gegen die vom Reichsfi—

387

Schleicher

an

Groener, 21.6.1930 (BA-MA, N 42/77, Bl. 104).

Tagebuchaufzeichnung Schäffers, 25.6.1930 (IfZ, ED 93/9, Bl. 22f.). Die entsprechenden Erklärungen Schleichers fehlen eigenartigerweise im Protokoll der Reichskanzlei (vgl. AdR, Brüning I/II, Bd 1, S. 235—239), werden aber durch das Schreiben Schleichers an Dietrich, 10.7.1930 (ebd., S. 293 f.) bestätigt. 389 Ebd.; Chefbesprechung vom 29.9.1930 (ebd., S. 475-477). 390 Ebd. Das Reichsfinanzministerium legte für die entscheidende Chefbesprechung einen Vermittlungsvorschlag von 687 Mio. RM vor (ebd., S. 477). 391 Ebd., S. 475f. Vgl. auch den Aktenvermerk des Wehramts über diese Besprechung in BA-MA, RH 388

392

393

15/3, Bl. 15-18. Schleicher in einer Chefbesprechung vom 23.6.1931 (Tagebuchaufzeichnung Schäffers, 23.6.1931; IfZ, ED 93/11, Bl. 85). Diese politischen Gründe nannte Schleicher auch in einem Schreiben an Schwerin-Krosigk, 27.10.1931 (BA-MA, RW 6/116). Groener informierte die Reichswehrdienststellen laufend über seine Erfolge bei den Gehalts- und Pensionskürzungen, um jede Unruhe von vornherein zu vermeiden. Erlaß Groeners, Berlin 16.10.1931 (BA-MA, RH 1/12); Entwurf für einen Erlaß Groeners, Berlin Dezember 1931 (BA-MA, RW 6/116). Für die 2. Notverordnung vom 5.6.1931 vgl. die Tagebuchaufzeichnung Schäffers, 22.6.1931 (IfZ, ED 93/11, Bl. 84); Erlaß Groeners, Berlin 16.10.1931 (BA-MA, RH 1/12). Für die 4. Notverordnung vom 8.12.1931 vgl. den Entwurf für einen Erlaß Groeners, Berlin Dezember 1931 (BA-MA, RW 6/116). Wenige Tage zuvor hatte sich Groener im Kabinett mit den Gehaltskürzungen grundsätzlich einverstanden erklärt »unter der Bedingung, daß die Wehrmacht und die Polizei von —

160

IV. Aufbrüche. Die

Entwicklung des

militärischen

Apparates

unter

Groener

gewünschte Aufrückungssperre bei den Beamten394 und erreichte, daß die Pensionssenkung von 80 auf 75% erst ab dem 65. Lebensjahr galt und damit die meist frühpensionierten Militärs nicht benachteiligte395. So verhalf das entschlossene Auftreten Groeners der Reichswehr auch bei diesen Sparmaßnahmen zu einer Sonderstellung. In den Auseinandersetzungen um die Besoldungskürzungen wurde der Reichswehrminister aber wohl eher von staatspolitischen als von ressortegoistischen Motiven geleitet. In der Ministerbesprechung vom 5. Oktober 1931 erklärte Groener in diesem Zusammenhang396: »Aufgabe der Reichsregierung sei es, den Staat stabil zu erhalten. Das erste und wichtigste Mittel zu diesem Ziel erblicke er darin, die Wehrmacht nicht zu erschüttern und die Erhaltung eines treuen und unerschütterten Beamtentums zu sichern.« nanzminister

Dem ohnehin gespannten Verhältnis zwischen Reichswehr- und Reichsfinanzministeri-

kam diese Einstellung gegenüber wesentlichen finanzpolitischen Notmaßnahmen natürlich nicht zugute. Groener vermißte bei den Referenten des Reichsfinanzministeriums weiterhin »die nötige Vorliebe für das Militär«397 und Staatssekretär Schäffer beim Reichswehrministerium die Bereitschaft zu Einsparungen398. Zwangsläufig kam es auch bei den Verhandlungen über den Wehretat 1932 zu den üblichen Kontroversen, da sich das Reichswehrministerium erneut größeren Abstrichen widersetzte diesmal mit dem außenpolitischen Argument, »daß es während der Abrüstungskonferenz nicht seinen Haushalt herabsetzen könne«399. Für dieses Haushaltsjahr wollte Groener den Wehretat um



den Kürzungen ausgeschlossen werden« (Ministerbesprechung vom 4.12.1931; AdR, Brüning I/II, Bd 3, S. 2052). Schließlich wurden für die Reichswehr gestaffelte Gehaltskürzungen vom Major bis zum General ausgehandelt, die den Vorstellungen der Bendlerstraße entgegenkamen (vgl. dazu die

Chefbesprechung vom 16.12.1931; ebd., S. 2103 f.). Vgl. Groener in der Ministerbesprechung vom 24.9.1931 (AdR, Brüning I/II, Bd 2, S. 1729). Dazu auch die Tagebuchaufzeichnung Schäffers, 24.9.1931 (IfZ, ED 93/14, Bl. 102): »Im Kabinett wettert Groener in dreiviertelstündiger Rede gegen die Aufrückungssperre der Beamten und Militärs.« Die Aufrückungssperre wurde schließlich aus dem Notverordnungsentwurf des Reichsfinanzministers gestrichen (Ministerbesprechung vom 5.10.1931; AdR, Brüning I/II, Bd 2, S. 1805—1807). Vgl. auch den Erlaß Groeners, Berlin 16.10.1931 (BA-MA, RH 1/12). 395 Vgl. die Ministerbesprechungen vom 29.9.1931 (AdR, Brüning I/n, Bd 2, S. 1755L), 3.10.1931 (ebd., S. 1803f.) und 5.10.1931 (ebd., S. 1805-1807). Vgl. auch den Erlaß Groeners, Berlin 16.10.1931 (BA-MA, RH 1/12). 396 AdR, Brüning I/II, Bd 2, S. 1806. Vgl. auch Groeners Beitrag in der Chefbesprechung vom 16.12.1931 (AdR, Brüning I/II, Bd 3, S. 2104): »Er bemerkte, daß es für ihn in der ganzen Sache weniger auf die beamtenpolitischen wie auf staatspolitische Gesichtspunkte ankomme. Vom Standpunkt der Staatspolitik könne er nur dringend davor warnen, die Wehrmacht unter den gegenwärtigen politi394

schen Verhältnissen

397

398 399

zu

verärgern.«

Tagebuchaufzeichnung Schäffers, 29.9.1931 (IfZ, ED 93/14, Bl. 132). Diese Bemerkung Groeners gegenüber Schwerin-Krosigk bezog sich auf Ministerialdirigent Wever, der seinerseits in seinen Lebenserinnerungen ein Beispiel für das schlechte Verhältnis zwischen den beiden Ministerien gibt (BA, NL 203/8, Bl. 13—15). Am Rande sei vermerkt, daß trotz dieser »geschäftlichen« Querelen ein per-

sönliches Freundschaftsverhältnis zwischen Groener und Finanzminister Dietrich bestand. Tagebuchaufzeichnung Schäffers, 11.4.1932 (IfZ, ED 93/20, Bl. 17). Tagebuchaufzeichnung Schäffers, 15.2.1932 (IfZ, ED 93/18, Bl. 70). Schwerin-Krosigk wandte dagegen ein, »daß das Wehrministerium auch die internen Ersparnisse nicht gemacht hat, zu denen es sich verpflichtet hätte« (ebd.). Zu den hier nicht näher zu beschreibenden teilweise heftigen Auseinandersetzungen Groeners mit dem Reichsfinanzministerium um die laufenden Ausgaben 1931 und

5.

Haushaltsfragen

161

jedoch nicht nur stabil halten, sondern er unternahm erstmals einen Vorstoß, die Reichswehrausgaben erheblich zu steigern. In einem aufschlußreichen Schreiben vom 13. April 1932 legte er Reichskanzler Brüning kurz vor seinem Rücktritt ein neuartiges Finanzierungsprogramm vor, durch das in den nächsten fünf Jahren je 200 Mio. RM zusätzlich für den Wehretat freigestellt werden sollten400. Groener warb dafür, diese insgesamt 1 Milliarde RM aus den geplanten Arbeitsbeschaffungsgeldern zu finanzieren, da durch eine großzügige Förderung der materiellen Rüstung nicht nur das erste Rüstungsziel der gering-

Abwehrbereitschaft im Osten bereits 1937 erreicht, sondern auch ein wesentlicher Beitrag zur Gesundung der Industrie und Schaffung von Arbeitsplätzen geleistet werden könne. Anders als die Kritiker der Reichswehr, die den militärischen Ausgaben die soziale Not gegenüberstellten, bescheinigte Groener einer dynamisierten Rüstungspolitik die wirtschaftspolitische Kraft, die Überwindung der ökonomischen und sozialen Krise zu beschleunigen. Durch die staatliche Förderung der Wirtschaft u. a. über höhere Rüstungsausgaben sollten die sozialökonomischen Rahmenbedingungen als Voraussetzung politischer Stabilität und militärischer Macht saniert werden. Diese Wechselwirkung ist ein Phänomen der modernen Industriegesellschaft, das von Groener erkannt und nach 1933 von anderen Kräften ausgenutzt wurde. Das in dieser Form nicht realisierte Milliardenprogramm weist damit auf zukünftige Entwicklungen. Dennoch muß die Haushaltspolitik Groeners von der Explosion der Rüstungsausgaben in Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs abgegrenzt werden. Selbst sein Vorschlag vom April 1932 war nicht als langfristige Erhöhung des Wehretats angelegt, sondern bildete ein mittelfristiges Programm »neben den laufenden Haushaltsmitteln«401, das ein bestimmtes Rüstungsprojekt mit dem Ziel der notwendigsten materiellen Kriegsfähigkeit (2. Rüstungsprogramm) finanzieren sollte. Natürlich hielt auch Groener eine allmähliche Steigerung der militärischen Ausgaben für notwendig, um Deutschland als Militärmacht zu restituieren, doch wollte er dabei den haushaltspolitisch vernünftigen Rahmen nicht verlassen. Es sei daran erinnert, daß seine Konzeption für das deutsche Wehrsystem nach Lockerung und Überwindung der Versailler Bestimmungen bewußt auf eine Finanzierung ohne großen Mehrkostenaufwand ausgerichtet war402. Wenn diese Beschränkung auch vor dem Hintergrund der budgetären Notlage während der Wirtschaftskrise gesehen werden muß, deutet doch nichts auf eine Tendenz Groeners zu maßlosen Rüstungsfinanzierungen, die seiner ganzen Militärpolitik widersprochen hätte. Im Vergleich mit der sprunghaft ansteigenden Aufrüstungsfinanzierung nach 1933, aber auch mit den Militärausgaben neuester Zeit nehmen sich alle von Groener geforderten Beträge bescheiden aus403. sten

400

401 402 403

den Wehretat 1932, der erst nach seinem Rücktritt durchgebracht wurde, vgl. das Material in BA, R 2/5148 und 5150. Groener an Brüning, 13.4.1932 (Geyer, Rüstungsprogramm, S. 152f.). Dazu auch ebd., S. 133. Ebd., S. 133—135, zur weiteren Entwicklung dieses Plans nach der Amtszeit Groeners. Vgl. auch Köhler, Arbeitsbeschaffung, S. 277. Ebd., passim, zu den Arbeitsbeschaffungsplänen des Kabinetts Brüning im Frühjahr 1932. Groener an Brüning, 13.4.1932 (Geyer, Rüstungsprogramm, S. 153).

Vgl.

oben Kap. EV,4. Selbst das Milliardenprogramm Groeners wurde dann 1933 durch die für den Rüstungsbereich bereit-

162

IV. Aufbrüche. Die

Entwicklung des

militärischen

Apparates

unter

Groener

Entwicklung des Wehretats in den Jahren 1928 bis 1932 dennoch einen ambivalenten Eindruck hinterläßt, dann wegen der Stabilität militärischer Ausgaben in einer Phase tiefgreifender Rezession. Trotz der staatlichen Spar- und Deflationspolitik blieben die von Groener durchgebrachten Haushalte mit Ausnahme des Etats 1929 auf dem >NormaljahrParität der Sicherheit« auch die »Gleichstellung in Rüstung so









und Sicherheit« zu fordern132. Die beiden Minister redeten aneinander vorbei. Während Curtius die Formel »Parität der Sicherheit« mit der qualitativen Gleichberechtigung Deutschlands in der Abrüstungsfrage gleichgesetzt wissen wollte, war Groener bestrebt, hinter ihr schon jetzt den Weg zur Rüstungsfreiheit und tatsächlichen Rüstungsangleichung durchscheinen zu lassen133. Die taktischen Meinungsunterschiede änderten aber nichts an dem gemeinsamen Ziel der Befreiung von den Versailler EntwaffnungsbestimDer Staatssekretär des

Auswärtigen Amts gab dann ein aufschlußreiches Bild seiner Erwartungen: »Ohne die Rüstungsfreiheit darf man die Konferenz nicht verlassen. Man müsse sich gegebenenfalls nach oder bei Anerkennung der grundsätzlichen Rüstungsfreiheit Frankreich gegenüber bereit erklären, daß man von dieser Freiheit nur langsam und in ganz geringem Umfang Gebrauch machen würde [...]. Sei das nicht zu erreichen, so muß die Konferenz ergebnislos ausgehen. Wir müßten dann erklären, daß, nachdem die anderen ihrer Pflicht zur Abrüstung nicht nachkommen, wir uns nicht mehr an die Pflicht zur Begrenzung der Rüstungen gebunden hielten.« Dies entsprach auch den Vorstellungen der Reichswehrführung. 130 Chefbesprechung vom 18.3.1931 (AdR, Brüning I/II, Bd2, S. 962-964). 131 Curtius an Groener, Berlin 23.3.1931 (BA-MA, RM9/1001). 132 Groener an Curtius, Berlin 10.4.1931 (ebd.). 133 In einem weiteren Schreiben an Groener, Berlin 6.5.1931 (ebd.)., verwischte Curtius diesen Gegensatz und ließ den Briefwechsel ergebnislos enden: »Ich habe keine Bedenken dagegen, daß der Grundsatz der »Parität der Sicherheit« in den Vordergrund gestellt wird. Hieraus wird für die kommende Abrüstungskonferenz in erster Linie die Forderung der Gleichheit in den Methoden der Rüstungsbeschränkung und damit der Eingliederung Deutschlands in das System der Abrüstungskonvention abzuleiten sein.« Curtius überging dabei, daß der Reichswehrminister mit der »Parität der Sicherheit« ja eben nicht nur die »Gleichheit der Methoden« fordern wollte.

192

V.

Interdependenzen.

Die

Wechselwirkung von Wehr- und Außenpolitik

mungen, wie das durch diese Auseinandersetzungen verunsicherte Reichswehrministeri-

beruhigt feststellen konnte134. Bereits im Mai 1931 lenkte die Reichswehrführung ein und übernahm den Standpunkt des Auswärtigen Amts, in der öffentlichen und diplomatischen Vorbereitung der Abrüstungskonferenz weiterhin vorsichtig vorzugehen. In seiner Stellungnahme zu einer Aufzeichnung Bülows für die Gespräche des Reichskanzlers mit der englischen Führung in Chequers hielt es Schleicher nun »taktisch für richtig, daß Sie das von uns gewünschte Ergebnis [der Genfer Konferenz], nämlich die Rüstungsfreiheit innerhalb gewisser budgetären Grenzen, nicht erwähnen, sondern dafür die Abrüstung der anderen nach den direkten Abrüstungsmethoden fordern«135. Auch eine Denkschrift des Pressereferats im Reichswehrministerium über die »Behandlung der Abrüstungsfrage in Wort und Schrift« wiederholte zur selben Zeit teils wörtlich die Argumente der Wilhelmstraße und empfahl die indirekte Vorgehensweise durch Propagierung der Abrüstungsthese136. Ohnehin machte sich jetzt bei der Reichswehrspitze Groener, Schleicher, Hammerstein eine gemäßigte Haltung bemerkbar. Am 30. Mai 1931 bestand in einer Besprechung zwischen Brüning, Curtius und dem Reichswehrminister Einigkeit darüber, »daß Deutschland an einer Aufrüstung wenig Interesse habe, da es sie finanziell nicht würde auswerten können. Lediglich der Grundsatz der Beseitigung der deutschen Deklassierung müsse ständig in den Vordergrund gestellt werden.«137 Angesichts der fortschreitenden Finanzkrise und der zeitweiligen Priorität der Reparationsfrage fand sich auch Groener dazu bereit, die quantitativen Forderungen der Militärs zurückzustellen und zunächst allein die qualitative Lösung anzusteuern. Die Reichswehrführung war zu der realistischen Einsicht gekommen, daß eine wesentliche Abrüstung der hochgerüsteten Staaten nicht zu erwarten, eine entsprechende Aufrüstung der Reichswehr nicht zu finanzieren und damit das quantitative Ziel einer tatsächlichen Rüstungsgleichheit mit Frankreich vorerst utopisch sei138. Daher wollte man sich mit dem »Prinzip der Gleichberechtigung« zufrieum





Nach dem Schreiben des Reichsaußenministers vom 6.5.1931 vergewisserte sich Schleicher, »daß seitens des Ausw. Amtes kein Zweifel darüber besteht, daß eine ausdrückliche Aufhebung der Entwaffnungsbestimmungen des V. V. zur Erreichung des geforderten gleichen Rechtes in Rüstung und Abrüstung notwendig ist« (Aktenvermerk von Schönheinz; ebd.). Daraufhin verzichtete die Bendlerstraße auf eine Weiterführung des ministeriellen Briefwechsels, der sich im Kreis zu drehen begann. 135 Schleicher an Bülow, Berlin 18.5.1931 (ADAP, Serie B, XVII, S. 343). 136 Denkschrift des Pressereferats im Reichswehrministerium, Mai 1931 (BA, R 43 1/518, Bl. 79f.). Vgl. auch ebd.: »Wenn das Ziel: »Herstellung der Sicherheit für Deutschland durch die Abrüstung der Anderen« im Mittelpunkt der Aufklärungstätigkeit für die Abrüstungskonferenz stehen muß, so ist damit nicht gesagt, daß man tatsächlich glaubt, dieses Ziel erreichen zu können. Der Kampf der verschiedenen Staatengruppen um die Weltmeinung geht darauf hinaus, den Gegner von vornherein mit dem Odium der Schuld am Scheitern der Konferenz zu belasten. [...] Keinesfalls darf durch die Art unserer Aufklärungsarbeit der Eindruck in der Welt entstehen, als sähe Deutschland die Abrüstungskonferenz nur unter dem Gesichtspunkt seiner y4a/rüstung an.« 137 Chefbesprechung vom 30.5.1931 (AdR, Brüning I/II, Bd 2, S. 1143). 138 Vgl. den Aktenvermerk Frohweins über eine Chefbesprechung (Curtius, Bülow, Köpke, Schleicher, Hammerstein, Gladisch) am 7.7.1931, Berlin 10.7.1931 (ADAP, Serie B, XVIII, S. 44). Es herrschte Übereinstimmung, »daß wir eine Gleichheit des Rüstungsniveaus der stark gerüsteten Staaten mit uns nicht werden durchsetzen können. Es wird daher praktisch darauf hinauskommen, daß wir 134

2. Die

Abrüstungsfrage

193

dengeben139, das es immerhin praktisch ermöglichen könnte, innerhalb der engen Budgetgrenzen Handlungsfreiheit zu erhalten140. Hinter dieser Erwartung läßt sich die von Groener vertretene Konzeption erkennen, durch die Nachrüstung der Reichswehr mit den bisher verbotenen Waffen und die Aufstellung einer kurzdienenden Miliz die Fähigkeit zur Landesverteidigung zu erlangen. Dieser realitätsbezogene Kurs der Reichswehrführung in der Abrüstungsfrage stieß auf den Widerstand der latent gegen die maßvolle Wehrpolitik Groeners eingestellten Militärs im Truppenamt. Am 24. Juli erschien Oberst Schönheinz im Auswärtigen Amt, behauptete, seine Vorgesetzten seien bei den Besprechungen zwei Wochen zuvor »nicht über die Gesamtheit des Problems unterrichtet gewesen«, und präsentierte zwei Denkschriften der Völkerbundgruppe Heer, die sehr weitgehende Rüstungsziele für die Genfer Konferenz auflisteten141. Der überraschte Vertreter der Wilhelmstraße bekam den Eindruck, daß Schönheinz »offensichtlich an die Konferenz mit dem Grundgedanken herangeht, durch Überspannung unserer Forderungen ein Zustandekommen einer seiner Ansicht nach für uns doch unzureichenden Konvention zu verhindern und einer neuen freiwilligen Bindung Deutschlands aus dem Wege zu gehen«142. Auch wenn dieser Vorstoß ohne Wirkung blieb und der von Schönheinz vorgelegte quantitative Forderungskatalog nicht weiter erörtert wurde, zeigt der Alleingang des Chefs der Völkerbundgruppe Heer doch, welche alternativen Tendenzen im Reichswehrministerium bestanden und auf ihre Stunde warteten. Solange Groener aber noch die Leitung der Militärpolitik in Händen hielt und die maßgeblichen Militärs, vor allem die Chefs des Ministeramts und der Heeresleitung, auf seiner Seite hatte, bestimmte weiterhin eine mittlere Linie auch die Haltung der Reichswehrführung in der Abrüstungsfrage. Dieser Kurs war trotz des Einsatzes für ein forciertes Vorgehen in der Abrüstungsdiplomatie davon geprägt, daß sich die Politik Groeners auch in dieser Frage nach den realen Möglichkeiten ausrichtete, die interne Kooperation mit der zivilen Führung nicht gefährdet wurde und das den (politischen und ökonomischen) Rahmenbedingungen angepaßte Ziel nach

zahlenmäßig mit dem Weiterbestehen der Unterlegenheit gegenüber den Franzosen etc. abfinden müssen.« Es sei aber die Möglichkeit zu erstreben, »die seither verbotenen Waffen (Militärflieger, schwere Artillerie, Tanks auf letztere wird im Reichswehrministerium kein sehr großer Wert gelegt —) zu halten. Praktisch würde es sich angesichts unserer Wirtschaftslage dabei nur um geringe Bestände handeln können.« Ebd. Vgl. auch die Feststellung des Reichsaußenministers in der Chefbesprechung vom 8.7.1931 (AdR, Brüning I/II, Bd 2, S. 1311): »Die Gleichberechtigung in der Rüstungsfrage könne natürlich vorläufig nur im Prinzip gefordert werden.« Die Spitzen von Reichswehrministerium und Auswärtigem Amt sowie Reichskanzler Brüning stimmten in diesem Punkt nun überein. Vgl. die Ausführungen Schleichers in den Chefbesprechungen vom 7.7.1931 (Aktenvermerk Frohweins, Berlin 10.7.1931; ADAP, Serie B, XVIII, S. 45) und 8.7.1931 (AdR, Brüning I/II, Bd 2, S. 1311). Aktenvermerk Frohweins, Berlin 25.7.1931 (ADAP, Serie B, XVIII, S. 150—152). Die beiden undatierten Denkschriften »Grundlagen für Besprechungen über Abrüstung« und »Militärische Grundgedanken über die deutschen Forderungen« in PA-AA, R 32140. Vgl. auch Geyer, Aufrüstung, S. 250f. Aktenvermerk Frohweins, Berlin 25.7.1931 (ADAP, Serie B, XVIII, S. 151). Schönheinz bezeichnete als Mindestforderung (!) personell eine Jahresdurchschnittsziffer von 240000 Mann und materiell Bestände, »die einigermaßen mit den französischen konkurrieren könnten (er sprach bei dieser uns



139

140

141

142

Gelegenheit von

1500

Flugzeugen)« (ebd.).

194

V.

Interdependenzen.

Die

Wechselwirkung von Wehr- und Außenpolitik

außen eher durch einen Verhandlungskompromiß als durch einen provozierten Eklat erreicht werden sollte143. Ende August 1931 begann die letzte Phase der Vorbereitungen für die Genfer Verhandlungen. Am 28. August trat der interministerielle »Vorbereitungsausschuß zur Abrüstungskonferenz«, dem neben den Referenten des Auswärtigen Amts und des Reichswehrministeriums auch Vertreter anderer Reichsministerien angehörten, zu seiner ersten Sitzung zusammen und eröffnete den hier nicht nachzuzeichnenden Reigen von Besprechungen über Detailfragen144. Einleitend skizzierte Curtius dem Ausschuß knapp den Grundkonsens, der zwischen dem Reichskanzler, dem Auswärtigen Amt und der Reichswehrführung in den vergangenen Monaten über die deutsche Vorgehensweise erzielt worden war: Versuch einer Verhandlungslösung auf der Konferenz, Betonung der Abrüstungsthese und der qualitativen Gleichberechtigung statt Aufrüstungsforderungen145. Diese Strategie wurde nun von Groener und seiner Umgebung akzeptiert146. Der Reichswehrminister trat bei den weiteren Vorbereitungen kaum mehr in Erscheinung und flankierte die Abrüstungspolitik lediglich durch einige Interviews und Artikel im In- und Ausland, die jeweils mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt waren147. In diesen öffentlichen Bei143

144

145

Es war ein Beleg für die anhaltende Spurtreue dieses Kurses, daß der Baubeginn des für 1932 geplanten Panzerschiffs C in engem Einvernehmen zwischen Reichskanzler und Ministeramt, aber gegen den Willen der Marineleitung im Juli 1931 auf amerikanischen Wunsch wegen des Hoovermoratoriums und dann im Spätjahr 1931 nochmals wegen des vom Völkerbundsrat beschlossenen Rüstungsfeierjahrs verschoben wurde. Vgl. dazu Salewski, Marineleitung, S. 115—118; Dülffer, Weimar, S. 149— 153, S. 164-167. Aufzeichnung Feines, Berlin 29.8.1931 (ADAP, Serie B, XVIII, S. 345-350). unserer Forderungen Vgl. ebd., S. 346f.: »Eine Politik, die darauf hinauslaufe, durch

Überspannung

auf das Scheitern der Konferenz hinzuzielen, um uns später Wehrfreiheit zu nehmen, werde von der Reichsregierung abgelehnt. Insbesondere würden Aufrüstungsforderungen von uns nicht vertreten. Unsere Grundforderungen bestünden darin, daß wir die gleichberechtigte Eingliederung Deutschlands in das System der künftigen Abrüstungskonvention forderten. Dies bedeute vor allem Gleichheit der Methoden der Abrüstung und Gleichheit der Rechtsprinzipien. Deutschland müsse aufhören, ein Staat minderen Rechts zu sein. Demgegenüber trete die Gleichheit des Rüstungsniveaus, die natürlich unser Endziel sein müsse, vorläufig zurück. Unsere zweite Hauptforderung sei die Durchführung einer effektiven und beträchtlichen Rüstungsreduktion bei den stark gerüsteten euro—



päischen Staaten.« Vgl. etwa die Aufzeichnung des Ministeramts, Berlin August 1931 (Vogelsang, Reichswehr, S. 427): »Unser stärkster Trumpf ist die Abrüstungsforderung [...]. Eine deutsche These, die mit Aufrüstung droht, falls unsere Bedingungen nicht erfüllt werden, ist gefährlich, weil erstens diese These die Unterstützung der drei oben genannten Mächte USA, England, Italien nicht finden würde, zweitens sofort innenpolitische Widerstände ausgelöst würden, drittens unser Standpunkt in der Reparationsfrage erschwert würde, und viertens auf absehbare Zeit Geld zu einer großen Aufrüstung gar nicht vorhanden wäre.« 147 Artikel Groeners »Die Grundsätze der Abrüstung« (BA-MA, RH 1/79, Bl. 191; Druck in »BergischMärkische Zeitung«, 7.10.1931); Interview Groeners für die »Chicago Tribune«, 13.11.1931 (BA, R 43 1/518, Bl. 286 f.); Interview Groeners für ein amerikanisches Korrespondenzbüro (WTB, Nr. 2639 vom 15.12.1931; PA-AA, R 28440); Interview Groeners für den »Popólo d'Italia« (BA-MA, RM 9/1000; Druck am 22.1.1932); Interview Groeners für die »Volonté« (ebd.; Druck am 24.1.1932); Groener, Wehrmacht; Groener, Abrüstungsbestimmungen. Interessant ist, daß diese Beiträge nicht von der Völkerbundgruppe Heer, sondern von der Wehrmachtsabteilung ausgearbeitet wurden. Zum für Groeners Kooperation und Übereinstimmung mit der zivilen Führung charakteristischen Verfah146

2. Die

Abrüstungsfrage

195

trägen propagierte er den deutschen Standpunkt gemäß den vereinbarten taktischen Richt-

Forderungen, hinter denen der zweite Weg zur und Rüstungsgleichheit Rüstungsfreiheit Aufrüstung statt Rüstungsbeschränkung und Abrüstung zu erkennen war148. Groener bewahrte den Schulterschluß mit der Wilhelmstraße und verzichtete auf Anstöße zur Forcierung oder Änderung der deutschen Politik in der Abrüstungsfrage, die er nach der Ablösung von Curtius durch Brüning ohnehin in den besten Händen wähnte. Beim Reichswehrminister lassen sich seit der Übereinstimmung mit dem Auswärtigen Amt im Mai 1931 keine Schwankungen in der Haltung zur Rüstungsproblematik mehr erkennen. Dennoch kam es kurz vor der Genfer Konferenz erneut zu Irritationen. Am 18. Dezember 1931 übersandte das Auswärtige Amt dem Reichswehrministerium einen Entwurf der »Richtlinien für die deutsche Delegation zur Abrüstungskonferenz«, in dem ganz auf der bisher verfolgten Linie der Weg (Gleichheit der Methoden, Abrüstungsthese, keine Aufrüstungsforderungen) und das Ziel, »durch Beseitigung der unerträglichsten Beschränkungen des Versailler Vertrags eine Erhöhung des militärischen Wertes der Reichswehr zu erreichen«, festgeschrieben wurden149. Daraufhin erarbeitete die Völkerbundgruppe Heer einen Gegenentwurf, der die Richtlinien verschärfte und vor allem ganz konkret die rechtliche Anerkennung des Rüstungsgleichstands mit Frankreich zu Boden, zu Wasser und in der Luft forderte150. Das Auswärtige Amt wandte sich aber entschieden gegen die Aufnahme der quantitativen Maximalforderung »nach effektiver Parität zwischen Deutschland und Frankreich« in die Richtlinien und verwies auf die Übereinstimmung »bei allen früheren Besprechungen der zuständigen Ressorts [...], daß diese Forderung keinesfalls zum Ausgangspunkt unserer Stellung in Genf gemacht werden dürfe«151. Am 12. Januar 1932 einigten sich die Fachreferenten auf eine endgültige Fassung, die einerseits dem Entwurf des Auswärtigen Amts mehr gerecht wurde, andererseits die Ziele der deutschen Delegation doch höher steckte152. Wenigstens waren aber die von Schönlinien und vermied anders als früher —



dieser Interviews vgl. Groener an Gleich (privat), Berlin 1.11.1931 (BA-MA, N 46/36, Bl. 34): »Journalisten-Interviews gebe ich nur ausnahmsweise in besonderen Fällen, empfange aber die Leute nicht persönlich, sondern lasse ihnen ein mit dem Kanzler und Ausw. Amt vereinbartes Scriptum in die Hand geben, an dem sie nichts ändern dürfen.« 148 Vgl. etwa den Artikel Groeners »Die Grundsätze der Abrüstung« (BA-MA, RH 1/79, Bl. 191; Druck in »Bergisch-Märkische Zeitung«, 7.10.1931): »Man spreche nicht von deutscher Aufrüstung! Ein Blick auf die Lage der Welt lehrt uns, daß Deutschland seine Sicherheit und seine Gleichberechtigung nicht auf dem Wege des Wettrüstens wird erringen können.« Interview Groeners für ein amerikanisches Korrespondenzbüro (WTB, Nr. 2639 vom 15.12.1931; PA-AA, R 28440): »»Sicherheit durch Abrüstung« und nicht »Erst Sicherheit, dann Abrüstung« heißt die Parole für die Abrüstungskonferenz von 1932 und für die Gesundung der Welt in wirtschaftlicher, politischer und moralischer Hinsicht.« 149 Frohwein an Schönheinz, Berlin 18.12.1931 (ADAP, Serie B, XIX, S. 288—290). 'so Schönheinz an Frohwein, Berlin 23.12.1931 (ebd., S. 315L). 151 Aktenvermerk Bülows, Berlin 7.1.1932 (ebd., S. 387). 152 Das Auswärtige Amt an das Reichswehrministerium, Berlin 18.1.1932 (ebd., S. 439—441; dort auch Abdruck der endgültigen Fassung). Die Gewichtsverlagerung ist besonders beim Einleitungssatz bemerkbar: »Unser Hauptziel auf der Abrüstungskonferenz ist die Beseitigung des durch den Versailler Vertrag (Teil V) geschaffenen Zustandes, daß Deutschland einem System einseitiger Rüstungsbeschränkungen unterworfen ist, das für andere Staaten nicht gilt.« (Entwurf des Auswärtigen Amts; ren

196

V.

Interdependenzen.

Die

Wechselwirkung von Wehr- und Außenpolitik

eingebrachten konkreten Rüstungsforderungen, die der geplanten Verhandlungsstrategie erheblich geschadet hätten, wieder stillschweigend gestrichen worden. Von einem Eingreifen des Reichswehrministers in diese grundlegende Auseinandersetzung um die Delegationsrichtlinien ist nichts überliefert. Doch es spricht vieles dafür, daß sich Groener mit dem erneuten Vorstoß der Völkerbundgruppe Heer um Generalmajor Schönheinz für ein härteres Vorgehen in Genf nicht identifizieren konnte, jedenfalls nicht in dieser weitgehenden Form. Vielleicht war er über diesen Versuch, im letzten Moment doch noch quantitative Zielerwartungen geltend zu machen, nur unzureiheinz

chend informiert, weil die militärischen Kreise, die nach seinem Rücktritt wieder die Oberhand in der Bendlerstraße bekommen sollten, die starke Beanspruchung des »Doppelministers« durch die Innenpolitik153 ausnutzten. Vielleicht ist der Teilrückzieher des Reichswehrministeriums in dieser Diskussion doch auf sein Einwirken hin erfolgt. Jedenfalls machte Groener in diesen Tagen unmißverständlich deutlich, daß er in der Abrüstungsfrage nach wie vor nicht die kompromißlose und offensive Linie einiger seiner untergebenen Militärs unterstütze, sondern den vom Reichskanzler und Auswärtigen Amt verfolgten Kurs, der auf eine vorsichtigere Argumentation und auf konstruktive Verhandlungen setzte. Vor den Wehrkreisbefehlshabern hoben der Reichswehrminister und Schleicher am 11./12. Januar 1932 den Einklang mit der zivilen Reichsleitung hervor und bezeichneten es als Stärke der deutschen Position in Genf, »daß wir sagen können: »Wir verlangen nichts für uns, Ihr sollt nur auf unser Niveau herab!« Dies wird unsere Formel sein; sie ist schärfer als »wir wollen aufrüsten« u. (weil Konkurrenz mit Fr. für uns finanziell ausgeschlossen) ohne Zweifel die richtige u. gegebene Taktik.«154 Und auch in der

Ministerbesprechung vom 15. Januar plädierte Groener in Übereinstimmung mit Botschafter Nadolny, dem Vorsitzenden der deutschen Delegation, für ein behutsames und kooperatives Vorgehen155: »Der Reichswehrminister erklärte, keineswegs dürften ein Scheitern der Konferenz oder unzulängliche Ergebnisse auf Deutschlands Konto kommen. Jeder Mißerfolg müsse in den Augen der Welt Frankreich zu Lasten fallen. [...] Deutschland müsse bestrebt sein, mit den anderen ähnlich gesinnten Mächten, insbesondere auch Amerika, engstens zusammenzuarbeiten.« Bis zuletzt hielt Groener auch

ebd., S. 288.) »Vorbedingung, ohne deren Erfüllung eine Teilnahme Deutschlands an einer Konvention überhaupt nicht in Frage kommt, ist [...] die restlose Beseitigung des durch Versailles geschaffenen Systems einseitiger Beschränkungen.« (Entwurf des Reichswehrministeriums; ebd., S. 315.) »Unser

erstes Ziel auf der Abrüstungskonferenz, ohne dessen Erreichung eine Teilnahme Deutschlands an einer Konvention überhaupt nicht in Frage kommt, ist die restlose Beseitigung des durch den Versailler Vertrag (Teil V) geschaffenen Zustands, daß Deutschland einem System einseitiger Rüstungsbeschränkungen unterworfen ist.« (Endgültige Fassung; ebd., S. 440.)

Vgl. unten Kap. VII,l-2. Befehlshaberbesprechung vom 11./12.1.1932 (Aufzeichnung Liebmanns; Vogelsang, Dokumente, S. 414). Vgl. ebd.: »Minister hat zur derzeitigen Politik des A.A. volles Vertrauen u. betonte das ausgezeichnete Zusammenarb. des A.A. mit R.W.M.« 133 Ministerbesprechung vom 15.1.1932 (AdR, Brüning I/II, Bd 3, S. 2175). Vgl. Nadolnys Äußerung ebd., S. 2174: »Keinesfalls dürfe sich Deutschland in eine außenpolitische Isolierung drängen las153

154

Vielmehr müsse es eine breite Front gegen Frankreich und seine Vasallen schaffen, andererseits aber auch Verständnisbereitschaft unter Wahrung seiner Rechtsgrundsätze zeigen.« Zuvor hatte Nadolny die Delegationsrichtlinien erläutert, die von der Ministerrunde gebilligt wurden.

sen.

2. Die

Abrüstungsfrage

197

Abrüstungsfrage an seiner Überzeugung fest, daß die Militärpolitik ein Teil der Gesamtpolitik sei und militärische Forderungen das politische Handeln zwar mitbestimmen, aber nicht einseitig einengen dürften. Am 2. Februar 1932 begann in Genf die Abrüstungskonferenz, deren Verlauf hier nicht näher beschrieben werden kann156. Groener hatte vor dem Ende seiner politischen Laufbahn im Mai keine Gelegenheit mehr, persönlich in Genf aufzutreten, und verfolgte die Verhandlungen von Berlin aus, wo er allerdings hauptsächlich mit der innenpolitischen Krise (Reichspräsidentenwahl, SA-Verbot) beschäftigt war. Dennoch fand er zwischendurch Zeit für längere Unterredungen mit Brüning und Nadolny über das Rüstungsproblem, vor allem wohl über die Milizfrage, von deren Lösung in Genf er sich positive Rückwirauf die Reichswehrminister Situation Der erhoffte157. zeigte sich kungen innenpolitische mit der Verhandlungsführung zufrieden158, die genau auf der abgesprochenen Linie lag. in der

Bei den militärischen Vertretern zeigten sich aber erste Widerstände gegen das zurückhaltende und die Verständigungspunkte auslotende Taktieren Brünings und der Diplomaten159. Der Gezeitenwandel kündigte sich an und brach sich endgültig nach dem Sturz der Regierung Brüning und dem Machtwechsel in der Bendlerstraße Bahn. Papen und Schleicher gaben dem innenpolitischen wie militärischen Druck nach und schlugen in Genf den bisher vermiedenen Konfrontationskurs ein, der zum spektakulären Auszug der deutschen Delegation aus der Abrüstungskonferenz am 23. Juli 1932 führte. Diese Strategieänderung, die der neue Reichswehrminister von Schleicher in Abkehr von ihrer früheren gemeinsamen Politik maßgeblich zu verantworten hatte, war in den Augen Groeners sowohl außen- wie militärpolitisch ein schwerer Fehler. Ende 1932 verteidigte er einem Freund gegenüber seine grundsätzliche Einstellung, die ihm in der Reichswehr den Ruf eines Pazifisten eingetragen habe160: Es sei eine Dummheit, »vom Kriege zu reden, wenn man die Fesseln des Versailler Vertrags los werden will. In unserer Lage muß man nur vom Frieden reden, und darf nicht, wie dies Schleicher im Sommer getan hat, mit dem Säbel rasseln oder gar mit Maßnahmen kommen, die dem französischen Generalstab den berechtigten Anlaß dafür geben, daß die Deutschen nochmal eine Lektion brauchen. Das ist die Auffassung von Weygand. Die Reichswehr sollte genügsam sein und nicht Forderungen betreiben, die uns in der Welt einfach isolieren. Frankreich findet, wenn wir großspurig sind, immer wieder Unterstützung bei den andern Mächten [...].« Groener machte sich deshalb im Spätjahr 1932 in mehreren Zeitungsartikeln mit 156

157

158 159



Zur deutschen Politik auf der Abrüstungskonferenz vgl. die Lebenserinnerungen Blombergs (BAMA, N 52/3), der die militärische Delegation leitete; Rudolf Nadolny, Beitrag, S. 204—259; Brüning, Memoiren, S. 556—567. Vgl. auch Klinkhardt, Politik; Rautenberg, Rüstungspolitik; Dülffer, Weimar, S. 167—182; Sten Nadolny, Abrüstungsdiplomatie; Geyer, Aufrüstung, S. 260—334. Zum internationalen Kontext auch Geyer, Konferenz. Brüning, Memoiren, S. 552-555; Köpke an Bülow, Berlin 9.4.1932 (ADAP, Serie B, XX, S. 99). Vgl. Deist, Brüning, S. 268. Groener an Nadolny, Berlin 24.2.1932 (PA-AA, R 32323). Vgl. etwa Köpke an Bülow, Berlin 9.4.1932 (ADAP, Serie B, XX, S. 99): »Die Haltung der Reichswehr, insbesondere die des General Schönheinz, befindet sich nämlich, wie die einzelnen Delegationsmitglieder immer wieder betonten, durchaus nicht in Übereinstimmung mit uns.« Groener an Gleich (privat), Berlin 21.12.1932 (BA-MA, N 46/36, Bl. 64).

198

V.

Interdependenzen.

Die

Wechselwirkung von Wehr- und Außenpolitik

»Wirkung aufs Ausland« bewußt zum »Friedensapostel«161, um für seine defensive Milizkonzeption und eine Verständigungslösung in der Abrüstungsdiplomatie zu werben162. Er blieb über seine Amtszeit hinaus seiner Überzeugung von der politischen Notwendigkeit eines in den Zielen maßvollen und taktisch vorsichtigen Vorgehens in der Rüstungsfrage treu, obwohl diese Strategie in der Bendlerstraße nicht mehr en vogue war und das härtere Auftreten Deutschlands in den internationalen Beziehungen bereits erste Erfolge wie die Genfer Gleichberechtigungserklärung vom 11. Dezember 1932 aufzuweisen hatte. Langfristig sollte Groener aber mit seiner Skepsis gegenüber einer riskanten Konfrontationspolitik recht behalten. Trotz ihres komplizierten und nicht immer geradlinigen Verlaufs bildet die Behandlung der Abrüstungsfrage durch die Reichswehrführung in den Jahren 1928 bis 1932 keineswegs einen erratischen Block in der Militärpolitik Groeners. Selbst bei diesem die mili-

tärischen Interessen an der Wurzel treffenden Problem suchte Groener stets die Übereinstimmung mit der zivilen Reichsleitung und der Gesamtpolitik. Für Groener war die Befreiung der Reichswehr von den Versailler Wehrbeschränkungen eine Grundvoraussetzung des nationalen Wiederaufstiegs und der deutschen Gleichberechtigung im internationalen System. Die Abrüstungsdiplomatie bot die Gelegenheit, das Rüstungsungleichgewicht einzuklagen und einen Weg zu beschreiten, an dessen Ende die rechtliche Anerkennung eines gemeinsamen Rüstungsstands mit Frankreich stehen sollte. Groener fand sich aber damit ab, daß die Rüstungsfrage in der Außenpolitik Stresemanns nicht im Vordergrund stand und zugunsten anderer Revisionsziele vernachlässigt wurde. Erst als die dringlichsten dieser Ziele wie das Ende der Entwaffnungskontrolle und die Rheinlandräumung durchgesetzt waren, die Genfer Verhandlungen immer unbefriedigender verliefen und sich ohnehin ein außenpolitischer Methodenwandel ankündigte, drängte er auf Fortschritte in der Abrüstungspolitik. Dennoch hielten Groener und seine Umgebung bei allem Eintreten für eine Forcierung der Rüstungsfrage eine mittlere Linie, die sowohl in der taktischen Vorgehensweise als auch in den Zielen gemäßigt war, die außenpolitische Kompetenz der Wilhelmstraße anerkannte und die politischen wie ökonomischen Rahmenbedingungen in Rechnung stellte. Vor der Genfer Abrüstungskonferenz kamen die Reichswehrführung und das Auswärtige Amt überein, das gemeinsame Ziel der Rüstungsgleichberechtigung über eine behutsame und kooperative Verhandlungsstrategie zu erreichen, die nicht durch konkrete Aufrüstungsforderungen erschwert werden sollte. Gegen dieses taktische Vorgehen, das trotz aller Veränderungen seit dem Tod Stresemanns im Kern noch die Prinzipien der revisionistischen Verständigungspolitik beachtete, regte sich unter den Militärs bereits der Widerstand. Der Sturz der Regierung Brüning machte dann den Weg frei für eine Entwicklung, die gerade auch in der Abrüstungsfrage durch die zunehmende Dominanz militärischer Interessen von dem ausgewogeneren und verantwortungsvolleren Kurs Groeners unterschieden werden muß. 161

162

Ebd., Bl. 65. Mit dieser Öffentlichkeitsarbeit stand Groener dem Auswärtigen Amt näher als dem Reichswehrministerium, wie er selbst erkannte (ebd.): »Mein Vortrag über Abrüstung hat ausgezeichnet gewirkt, freilich nicht, wie die engstirnigen Reichswehrleute sich denken, aber wohl im Sinne von Neurath.« Vgl. oben Kap. IV,4.

VI.

Verstrickungen.

Groener und der innenpolitische Standort der Reichswehr

1. Der

gescheiterte Ausgleich

mit den

republikanischen

Kräften 1928/29

Für Reichswehrminister Wilhelm Groener war der innenpolitische Standort der militärischen Macht und ihrer Führung von der Aufgabe bestimmt, dem Staat als überparteiliches Instrument der inneren und äußeren Stabilität zu dienen. Diese grundsätzliche Einstellung läßt sich deutlich in den beschriebenen militärpolitischen Maßnahmen der Jahre 1928 bis 1932 erkennen. Die Einbindung der Reichswehrpolitik in die Gesamtpolitik und die enge Kooperation Groeners mit allen Reichsregierungen dieser Zeit bedeu-

eine klare Absage an die Isolation von der staatlichen und politischen EntwickDie lung. Hinwendung zum Weimarer Staat und zu seinen Repräsentanten war eine militärpolitische Notwendigkeit, denn nur durch die Zusammenarbeit mit den zivilen Entscheidungsträgern konnte die militärische Vorbereitung effizient und den modernen Verhältnissen angepaßt gestaltet werden. Zugleich besaß dieser neue Kurs der Reichswehrpolitik aber innenpolitische Brisanz. Er zwang zu einem Balanceakt zwischen den Kräften, die das republikanische System trugen, und ihren Gegenkräften, mit denen sich die Reichswehr traditionell verbunden fühlte. Die Integration in den Staat sollte nicht bei der exekutiven und administrativen Ebene haltmachen, sondern auch seine politische und gesellschaftliche Basis erfassen. Groeners Ideal einer von allen politischen Kräften getragenen überparteilichen Reichswehr war so ungleich schwieriger als die bequeme 'Parteilichkeit des Seecktschen Attentismus, der hinter der formalen Loyalität kaum einen Hehl aus der Abneigung gegen die Republik machte. Das Bemühen um den Ausgleich mit der Republik und ihren Anhängern bei gleichzeitiger Erhaltung der traditionellen nationalkonservativen Klientel sowie der inneren Geschlossenheit nahm von vornherein einen gewichtigen Teil der Amtstätigkeit Groeners ein. Dieses Ziel war von der Reformpartei im Reichswehrministerium um Schleicher bereits kurz nach Abgang Seeckts anvisiert worden1. Neue Irritationen wie die ScheidemannEnthüllungen und die Lohmann-Affäre ließen jedoch den Kurswechsel, der auch von Geßler und Heye unterstützt wurde, über Ansätze nicht hinauskommen. Erst die Berufung Groeners an die Spitze des Reichswehrministeriums verhalf der militärpolitischen Wende zum Durchbruch. Der neue Reichswehrminister wollte nicht nur die militärische Vorbereitung über die Kooperation mit der zivilen Exekutive, sondern auch die innenpolitische Stellung der Reichswehr über eine integrative und vertrauensbildende Politik endlich in die Normalität führen. Sein Bestreben, »unsere Wehrmacht aus der teten

1

Vgl.

oben Kap. 111,1.

200

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

der Presse herauszubringen««2, wurde durch das Vertrauen der Sozialdemokraten, Demokraten und des linken Zentrumflügels in seine Person begünstigt, zugleich aber durch das anhaltende Mißtrauen der von diesen Parteien vertretenen republikanischen Kräfte gegen die Reichswehr erschwert. Dennoch gelang es Groener bereits bei Überwindung der Ixihmann-Affäre im Frühjahr 1928, in einer wichtigen wehrpolitischen Frage eine breite Koalition von der SPD bis zu den Deutschnationalen zu gewinnen3. Dieser Erfolg war nicht zuletzt dem geschickten Auftreten des Reichswehrministers im Parlament zu verdanken. Seine grundsätzlichen Ausführungen über das Verhältnis von Reichswehr und Republik dürfen aber nicht als taktische Lippenbekenntnisse aufgefaßt werden, sondern besaßen programmatischen Charakter. Sie waren das richtungweisende Angebot zu einem Burgfrieden über die Militärpolitik und sollen in diesem Zusammenhang nochmals näher betrachtet werden. Schon der Beginn der parlamentarischen Antrittsrede Groeners im Haushaltsausschuß am 10. Februar 1928 mußte wie eine kleine Sensation wirken. Wenn der Reichswehrminister ausdrücklich von der »Wehrmacht der deutschen Republik« sprach und sie als »Instrument der verfassungsmäßigen Regierung« bezeichnete4, dann waren das ungewohnte Signale aus der Bendlerstraße, die eine Neuordnung der gestörten Beziehungen zwischen der Republik und ihrer Armee je nach Standpunkt erhoffen oder befürchten ließen. Dieser Eindruck mußte sich verstärken, als in allen Beiträgen Groeners im Ausschuß und Plenum des Reichstags wie ein roter Faden die Überzeugung durchschien, daß die Reichswehr nicht Selbstzweck, sondern dem Staat untergeordnet sei und ihm loyal diene5. Zugleich betonte er die Lebensnotwendigkeit der nationalen Verteidigungsbereitschaft, die »Sache des ganzen Volkes« sei6. Daher dürfe die Reichswehr kein Streitthema der parteipolitischen Auseinandersetzungen sein und müsse von allen verantwortungsbewußten Kräften der Politik, Presse und Bevölkerung gefördert werden7. Die positive Einstellung der gesamten Nation zur bewaffneten Macht, die dann ein »starkes Band

Parteipolitik und möglichst

auch

aus



2 3

Groener an Freudenthal (privat), Berlin 29.1.1928 Dazu ausführlich oben Kap. 111,2.



(Groener-Geyer, Odyssee, S. 90).

Verhandlungen des Ausschusses für den Reichshaushalt, III. Wahlperiode, 315. Sitzung vom 10.2.1928, S. 1. Als ob er beweisen wollte, daß sich die erstaunten Abgeordneten nicht verhört hätten, betonte Groener wenige Tage darauf nochmals im Ausschuß, »daß er sich nie scheuen werde, von der Wehrmacht der deutschen Republik zu sprechen« (ebd., 318. Sitzung vom 14.2.1928, S. 11). 5 Vgl. etwa ebd., 315. Sitzung vom 10.2.1928, S. 3; Reichstagsrede Groeners vom 14.3.1928 (RT, Bd 395, 4

6

7

S. 13376). Ebd. Groener hob ebd. hervor, die »Notwendigkeit des Landesschutzes« habe »bei allen für die Mitarbeit in Betracht kommenden Parteien volles Verständnis gefunden«, und beschwor eine breite Basis für seine Militärpolitik von der DNVP bis zur SPD. Ebd., S. 13378, wies er darauf hin, »daß vielleicht manche Ausgaben auf anderen Gebieten weniger lebenswichtig sind im Staatsinteresse als gerade die Ausgaben für die Wehrmacht«. In seinen Ausschußreden vertrat Groener die Überzeugung, daß die Reichswehr »aus der politischen Drecklinie« und »aus dem politischen Kampf der Parteien« herausgehalten werden müsse (Verhandlungen des Ausschusses für den Reichshaushalt, III. Wahlperiode, 315. Sitzung vom 10.2.1928, S. 2, bzw. ebd., 318. Sitzung vom 14.2.1928, S. 9). Vgl. auch die Reichstagsrede Groeners vom 14.3.1928 (RT, Bd 395, S. 13379): »Mein Wunsch ist ein einmütiges Zusammenwirken von Parlament und Presse mit der Reichswehr.«

1. Der

gescheiterte Ausgleich

mit den

republikanischen Kräften

1928/29

201

der Reichseinheit« werden könne8, hoffte Groener durch eine strenge Überparteilichkeit der Offiziere und Soldaten zu gewinnen. Ihre Erziehung zum »Staatsgedanken«, die Verpflichtung zu Gehorsam und Treue allein dem Staat und seinen Verfassungsorganen gegenüber, sollte die Reichswehr allgemein vertrauenswürdig machen und aus der öffentlichen Diskussion bringen9. »Das Zeitalter der Sensationen muß ein für allemal für die Reichswehr vorbei sein. Kein Angehöriger der Wehrmacht darf Anlaß geben zu einer öffentlichen sensationellen Kritik, wie es in der Vergangenheit so häufig vorgekommen ist.«10 Das Ziel des neuen Reichswehrministers war die verfassungsgemäße Normalität der Armee als selbstverständliche Einrichtung des Staates und der Nation. Der von Groener angestrebte Ausgleich zwischen der Reichswehr und der breiten Mehrheit der politischen und gesellschaftlichen Kräfte, der nach diesen im Frühjahr 1928 abgegebenen Grundsatzerklärungen ein Hauptanliegen seiner Politik blieb, besaß auch problematische Züge. Denn so selbstverständlich für den Reichswehrminister die überparteiliche und verfassungstreue Einstellung der Armee war, so sehr erwartete er auch als Gegenleistung die nahezu rückhaltlose Befürwortung und Förderung aller Belange der Landesverteidigung erst recht unter den schwierigen Bedingungen des Versailler Vertrags. Nicht nur die obersten Reichsbehörden sollten demnach für eine progressive Entwicklung der ihr unterstellten Militärmacht verantwortlich sein und ihr positiv gegenüberstehen, sondern auch alle staatstragenden Parteien einschließlich der SPD sowie die Presse und die Bevölkerung. Grundsätzliche Kritik an der Reichswehr fand bei Groener kein Verständnis. Diese Haltung ist für einen Militär an sich nicht ungewöhnlich, doch wenn mit Groeners steigendem politischem Einfluß die Bewertung von Wehrfreudigkeit« und >Wehrfeindlichkeit< nicht allein auf die Militärpolitik beschränkt blieb, dann war das gefährlich. Der Keim dieses Problems lag bereits in dem Angebot eines umfassenden Konsenses über die Reichswehrpolitik begründet. Andererseits war aber die von Groener angekündigte Anpassung der Armee an die politischen Verhältnisse ein Fortschritt, hinter dem die gleichzeitige Erwartung allgemeiner Zustimmung zur Militärpolitik als Gegenleistung zurücktrat. Die Antrittsreden des Reichswehr ministers verfehlten daher nicht ihre Wirkung auf die Politiker der republikanischen Parteien. Es wurde bereits geschildert, welchen positiven Eindruck Groener im Februar/März 1928 durch sein Auftreten in den Etatverhandlungen auf die Vertreter der Oppositionsparteien von SPD und DDP machte11. Die dadurch geweckte Hoffnung auf eine Reform der —

8

Verhandlungen des Ausschusses für den Reichshaushalt, III. Wahlperiode, 315. Sitzung vom 10.2.1928, S.2.

9

Ebd., S. 3; ebd., 318. Sitzung vom 14.2.1928, S. 11. Vgl. besonders Groeners Ausführungen über die

»politische Haltung der Reichswehr« am 14.3.1928 vor dem Reichstagsplenum (RT, Bd 395, S. 13378): »Es ist mir ganz klar, daß von dieser Haltung die Einstellung des Parlaments zur Reichswehr und das Ansehen der Reichswehr in der Bevölkerung abhängt. Deshalb wird meine größte Fürsorge sein, die Angehörigen der Reichswehr zum Staatsgedanken zu erziehen und zum rückhaltlosen Gehorsam gegenüber Verfassung und verfassungsmäßiger Regierung. Die überparteiliche Stellung der Reichswehr gegenüber allen Schichten der Bevölkerung muß gewahrt bleiben. Infolgedessen werde ich auch rücksichtslos einschreiten gegen jede Entgleisung und jede Taktlosigkeit seitens eines Angehörigen der Wehrmacht.« 10 Ebd., S. 13378 f.

"

Vgl.

oben

Kap. IH,2.

202

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

Wehrpolitik hat zur entgegenkommenden Haltung dieser Parteien bei der Überwindung der Lohmann-Affäre und zum Durchbringen des Wehrhaushalts beigetragen. Diese ersten Erfolge des von Groener eingeschlagenen Kurses mußten auch die militärischen Stellen

das Wehramt in der reichswehrinternen Chefbesprechung vom 5. März 1928: »Die Annahme des Heeresetats ohne Abstriche ist in erster Linie der Atmosphäre des Vertrauens zu danken. Für Rüstungsbelange besteht auch bei der S.P.D. und den Demokraten volles Verständnis.«12 Nun käme es darauf an, »das Vertrauen zu erhalten. Der rechte Flügel der S. P. D. habe schweren Stand gegenüber dem linken Flügel. Einzelfälle nach Art des »Kreuzer Berlin« müssen vermieden werden, sonst werde sich der rechte Flügel künftig nicht wie bisher innerhalb der Partei durchsetzen können.«13 Die Parteiführer hatten ohnehin als Voraussetzung für ihr Entgegenkommen verlangt, daß die Reichswehr keine Beziehungen zu den republikfeindlichen Wehrverbänden wie dem Stahlhelm unterhalte14. Die Annäherung an die republikanischen Kräfte bewegte sich auf brüchigem Eis. Das Mißtrauen gegen die politische Einstellung der Reichswehr bestand unverändert fort. Jeder neue Skandal hätte den Eingliederungs- und Ausgleichsversuch empfindlich gestört. Groener erkannte dieses Dilemma und bemühte sich, gemäß seinen parlamentarischen Ankündigungen innerhalb der Reichswehr ein verfassungstreues und überparteiliches Auftreten durchzusetzen, um weitere Vertrauensstörungen zu verhindern und das »Zeitalter der Sensationen« zu beenden. So verfügte er am 21. März 1928, daß in Offizjersheimen und Bordmessen Kaiserhochs etwa bei Traditionsveranstaltungen der Regimentsund überhaupt Vorkommnisse, »die als Demonstration oder als Widervereinigungen die bestehende Staatsform gedeutet werden können, unter keinen Umständen spruch gegen zu dulden sind«15. Der Reichswehrminister wollte dem berechtigten Eindruck, daß weite Teile des Heeres und noch mehr der Marine die Republik ablehnten und traditionell monarchisch gesinnt seien, wenigstens äußerlich die Grundlage entziehen. Da die Anhänglichkeit der Marine an die kaiserliche Familie bevorzugtes Objekt des öffentlichen Mißtrauens war, richtete Groener sein besonderes Augenmerk auf eine Entschärfung dieses Konfliktherds, etwa wenn er gemeinsam mit Raeder die Auflösung des Kaiserlichen Yachtclubs in Kiel betrieb, dem viele aktive Offiziere angehörten und der schließlich unter dem unverfänglicheren Namen »Marine-Regatta-Verein« neugegründet wurde16. des Reichswehrministeriums anerkennen,

so etwa





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» 16

Aktenvermerk der Wehrmachtsabteilung über diese Besprechung (BA-MA, N 42/44, Bl. 37). Vgl. auch die gleichlautenden Urteile Außenstehender, etwa Graf Schulenburgs (Schulenburg an Joachim von Stülpnagel [privat], Kampen/Sylt 14.6.1928; BA-MA, N 5/22, Bl. 2) und der »Basler Nachrichten« vom 17./18.3.1928. Aktenvermerk der Heeresleitung über die Chefbesprechung am 5.3.1928 (BA-MA, RH 1/47). Ende 1927 hatte ein Besuch des Prinzen Heinrich auf dem Kreuzer »Berlin« für Aufsehen gesorgt. Vor allem die republikanische Presse sah in diesem Vorfall ein Indiz für die nach wie vor kaisertreue Haltung der Marine (vgl. Raeder, Leben, S. 208—210; Carsten, Reichswehr, S. 315; Dülffer, Weimar, S. 95, Anm. 17). Auf diese Bedingung wies das Wehramt in der Chefbesprechung vom 5.3.1928 hin (Aktenvermerk der Heeresleitung; BA-MA, RH 1/47; Aktenvermerk der Wehrmachtsabteilung; BA- MA, N 42/44, Bl. 37). Erlaß Groeners, Berlin 21.3.1928 (BA-MA, N 39/334, Bl. 38). Dülffer, Weimar, S. 107. Bezeichnend war auch im Jahr darauf das Verbot der traditionellen »Aalfor-

1. Der

gescheiterte Ausgleich

mit den

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203

Außerdem wandte sich der Reichswehrminister gegen Marineangehörige, die mit der rechtsradikalen Organisation Consul in Verbindung gebracht werden konnten17, und befürwortete die Verabschiedung eines politisch umstrittenen Offiziers wie Admiral Wülfing von Ditten, der für den aufsehenerregenden Besuch des Prinzen Heinrich Ende 1927 auf dem Kreuzer >Berlin< verantwortlich gemacht wurde18. Auch innerhalb seines Ministeriums achtete Groener genau darauf, daß seine behutsame Integrationspolitik nicht durch unvorsichtige Äußerungen oder Handlungen seiner Untergebenen gefährdet wurde. Als Oberst a. D. von Oertzen, der Pressereferent im Reichswehrministerium, im März 1929 in der >Kreuzzeitung< einen Artikel veröffentlichte, der den Bemühungen Groeners um die republikanischen Kräfte zuwiderlief, zog er dermaßen den »Zorn des Ministers« auf sich, daß er seinen Abschied einreichte19. Die vorher durchaus salonfähigen Bekenntnisse von Reichswehrangehörigen zur monarchischen Tradition und gegen die politischen Verhältnisse der Gegenwart wurden nun nicht mehr geduldet. Ein von Groener bevorzugtes Mittel, die überparteiliche Stellung der Reichswehr zu sichern und jeden Grund zu Beanstandungen auszuschließen, war die Anwendung des § 36 des Wehrgesetzes, der den Soldaten jede politische Betätigung, neben der Ausübung des Wahlrechts besonders auch »die Zugehörigkeit zu politischen Vereinen und die Teilnahme an politischen Versammlungen«, untersagte20. Der Reichswehrminister konnte bestimmte Vereine oder Verbände für politisch erklären und dadurch ihre Beziehungen zu den aktiven Militärs erheblich einschränken. Groener machte von diesem Recht rigorosen Gebrauch. Ihm genügte schon das Ausbringen eines Kaiserhochs oder das Absingen der Kaiserhymne, um eine Regimentsvereinigung als politischen Verein einzustufen und den lokalen Reichswehrangehörigen dadurch die Verbindung mit ihr zu untersagen21. Da die gesellschaftlichen Beziehungen zwischen den Traditionsvereinen und den aktiven Offizieren naturgemäß sehr eng waren, bedeutete dieses harte Vorgehen einen schmerzhaften Eingriff und mußte abschreckend wirken. Der Reichswehr und den ihr nahestehenden, noch nicht dem § 36 des Wehrgesetzes unterworfenen Vereinen sollte eine größere Zurückhaltung anerzogen werden, damit sie die Militärpolitik Groeners nicht durch republikfeindliche Kundgebungen diskreditierten. Die meisten konservativen und

schungsfahrt« am Geburtstag Prinz Heinrichs (Schleicher an die Marinestation Ostsee, 31.8.1929; BA-MA, RM 6/15, Bl. 68). 17 Bird, Weimar, S. 177—180. Vgl. auch Groeners Ausführungen im Haushaltsausschuß am 3.3.1928 (Verhandlungen des Ausschusses für den Reichshaushalt, III. Wahlperiode, 327. Sitzung vom 3.3.1928, S. 11). 18 Vgl. die Lebenserinnerungen Wülfings (BA-MA, N 166/3, Bl. 9—17) sowie seinen Briefwechsel mit Schleicher vom Januar bis Mai 1931 in BA-MA, RM 6/25. Ob Groener die Entlassung des Admirals tatsächlich aus diesen politischen Erwägungen aktiv betrieb, wie Wülfing dies behauptete und Schlei19

20

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cher es abstritt, läßt sich nicht mehr genau rekonstruieren, ist aber nicht unwahrscheinlich. Oertzen an Schleicher, Berlin 15.3.1929 (BA-MA, N 42/20, Bl. 101). Die Ablösung Oertzens wurde auch von Reichskanzler Müller dringend empfohlen (vgl. Pünder an Schleicher, Berlin 19.3.1929; ebd., Bl. 102f.). Wehrgesetz vom 23.3.1921, § 36 (Absolon, Wehrmacht II, S. 544). Vgl. etwa den entsprechenden Erlaß Groeners, Berlin 31.8.1928 (BA-MA, N 39/334, Bl. 74), der sich gegen die Offiziervereinigung des ehemaligen Leibgarde-Infanterie-Regiments (1. Großherzoglich hessisches) Nr. 115 richtete.

204

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort der Reichswehr

»vaterländischen« Wehrverbände galten ohnehin bereits als politisch oder wurden jetzt vom Reichswehrminister dazu erklärt, vor allem der Stahlhelm, für den diese Maßnahme wegen seiner Anziehungskraft auf aktive Soldaten besonders lästig war22. Doch legte Groener die Überparteilichkeit der Reichswehr keineswegs einseitig aus, auch republikanische Verbände wie das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold wurden als politisch eingestuft und blieben den Reichswehrangehörigen verschlossen23. Als Oberst von Bonin, Generalstabschef in Ostpreußen und einer der ganz wenigen dem Weimarer Staat mit Sympathie gegenüberstehenden Offiziere, im März 1929 dem Republikanischen Klub in Königsberg beitreten wollte, rieten ihm Groener und Schleicher dringend von diesem Schritt ab, da er in ihren Augen der überparteilichen Stellung der Reichswehr widersprach24. Die Neigung von Reichswehrangehörigen zu einer politischen Betätigung für die Republik war aber die nicht ins Gewicht fallende Ausnahme, so daß Groeners Hauptaugenmerk auf die politisch riskanten Beziehungen zu den Rechtskreisen und auf die Teilnahme an staatsfeindlichen Kundgebungen gerichtet bleiben mußte. Sein Bemühen um einen und überparteilichen entpolitisierten Charakter der Reichswehr sollte neben den Soldaten auch die Zivilangestellten, die Mitarbeiter im Grenz- und Landesschutz und sogar die Militärpfarrer erreichen. Den L-Angstellten konnte per Erlaß etwa die Beteiligung am Volksbegehren gegen den Young-Plan untersagt werden25, doch bei den Geistlichen die lagen Dinge schwieriger, da sie nicht dem Reichswehrminister, sondern den Feldpröpsten unterstellt waren. Dabei erregten gerade einige Militärpfarrer durch antirepublikanische Anklänge in ihren Predigten und durch anderes politisches Hervortreten wiederholt die öffentliche Aufmerksamkeit. Nachdem ein solcher Fall im September 1929 für Unruhe gesorgt hatte26, bat Groener die beiden Feldpröpste, ihren Militärpfarrern »Zurückhaltung in allen politischen Beziehungen« aufzuerlegen, da es notwendig sei, »die Wehrmacht der Parteipolitik fern zu halten. Auch in ihrem ausserdienstlichen Auf22

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Brückner an Wagner, Berlin 7.9.1932 (BA-P, 61 Sta 1/264, Bl. 41): »Der Stahlhelm ist seinerzeit durch den Reichsminister Gröner auf die Liste der politischen Verbände gesetzt worden, und hat dadurch stark in seiner Bewegungsfreiheit besonders auf wehrpolitischem Gebiet eingebüsst. Ich bitte, zu erwägen, ob jetzt nicht der Zeitpunkt gekommen ist, den Bund für unpolitisch zu erklären und dadurch ihm ganz erhebliche Vorteile in seiner Betätigung zu verschaffen.« Vgl. die auf das Reichsbanner bezogenen Ausführungen Groeners in der Ausschußsitzung vom 14.2.1928 (Verhandlungen des Ausschusses für den Reichshaushalt, III. Wahlperiode, 318. Sitzung vom 14.2.1928, S. 9). Vgl. auch Groener an das Reichsbanner/Gau Hessen-Kassel, Berlin 15.5.1929 (BA, R43 1/767, Bl. 188). Bonin an Schleicher, Königsberg 19.3.1929 (BA-MA, N 42/39, Bl. 109); Schleicher an Bonin, 22.3.1929 (ebd., Bl. 110). Erlaß des Chefs der Heeresleitung (i.V. Hammerstein), 15.10.1929 (BA-MA, RH 8/910). Bei den L-Angestellten kam noch die Notwendigkeit einer Geheimhaltung ihrer Arbeit hinzu, die durch

eine politische Betätigung gefährdet war. Der Wehrkreispfarrer der 1. Division in Ostpreußen war durch republikfeindliche öffentlich hervorgetreten. Vgl. Groener an Schleicher (privat), 27.9.1929 (BA-MA, N 42/77, Bl. 101): »Der Wehrkreispfarrer Müller ist auch ein Dummkopf, soll mir ja nicht so bald wieder unter die Augen kommen. Nichts als Eitelkeit, um eine Rolle zu spielen u. sich in Ostpreußen lieb Kind zu machen. Solche Gottesknechte kann ich nicht verknusen. Am liebsten möchte ich den Pfarrers bei der Reichswehr jede politische Betätigung untersagen. Aber es wird gesetzlich nicht möglich sein.«

Äußerungen

1. Der

gescheiterte Ausgleich

mit den

republikanischen Kräften

1928/29

205

Angehörigen stets bewusst bleiben, dass selbst der Schein einseitig politischer Parteinahme, namentlich in der Öffentlichkeit, eine Belastung der Wehrmacht bedeutet, die bei der heutigen politischen Zerrissenheit schwer tragbar ist.«27 Hinter dieser Begründung wird das Ziel Groeners deutlich, die Reichswehr aus der tagespolitischen Diskussion und in die vertrauensbildende Position einer überparteilichen Staatsmacht zu bringen. Das neue Kapitel der Reichswehrgeschichte sollte weder durch republikfeindliche Entgleisungen noch durch die Provokation alter Ressentiments im demotreten

müssen sich ihre

kratischen Lager gestört werden. Daher wandte sich Groener auch gegen eine Wiederaufnahme der Femeprozesse, die »zu neuer politischer Erregung« gegen die Reichswehr geführt hätten28. Die wilden Jahre der >Schwarzen Reichswehr«, ihrer Fememorde und Beziehungen zur regulären Armee sollten endlich in Vergessenheit geraten. Alle diese Maßnahmen zur Normalisierung des Verhältnisses von Reichswehr und Republik blieben jedoch äußerliche Operationen, die zwar für den so wichtigen äußeren Schein der Überparteilichkeit unentbehrlich waren, aber nicht in die innere Einstellung der Soldaten eingriffen. Die verbreitete Abneigung in der Truppe gegenüber dem >System< konnte nicht durch disziplinarische Erlasse, sondern nur in mühseliger Überzeugungsarbeit verändert werden. Die Reichswehrführung erkannte dies und versuchte die Einheiten von ihren Befehlshabern über die militar- und staatspolitische Notwendigkeit einer Annäherung der bewaffneten Macht an die Republik und ihre Anhänger aufklären zu lassen. Divisionskommandeure wie General Hasse und Regimentskommandeure wie Oberst Liebmann warben in grundsätzlichen Ansprachen bei ihren Untergebenen für den kooperativen und integrativen Kurs Groeners29. Der Reichswehrminister selbst trat 1929 in zwei wegen ihrer politischen Atmosphäre berüchtigten Waffenschulen an, um gerade Groener an den Evangelischen und Katholischen Feldpropst, Berlin 15.10.1929 (BA-MA, RH 1/10). Groener an Stresemann, Berlin 27.4.1929 (BA, R 43 1/2733, Bl. 194f.). Hintergrund war die Auslieferung des nach Guatemala geflüchteten Fememörders Eckermann, gegen die sich Groener auch in der Kabinettssitzung vom 14.5.1929 aussprach, da ein neuer Femeprozeß die Reichswehr wieder zum »Ziel politischer Angriffe« machen würde (AdR, Müller II, Bd 1, S. 652). Stresemann, Severing und Reichsjustizminister von Guérard setzten die Auslieferung aber durch, »die dem Rechtsempfinden des deutschen Volkes entspreche« (ebd.). Zum Fall Eckermann vgl. Nagel, Fememorde, S. 278—283. Mitangestoßen durch den Prozeß gegen Eckermann wurde im Oktober 1930 eine Amnestie erlassen, die ganz im Sinne Groeners einen Schlußstrich unter die Fememordfälle zog (ebd., S. 345—347). Zur Haltung Groeners gegenüber den Femeprozessen vgl. auch Brauweiler, Generäle, S. 29 f. 29 Ansprache Hasses bei der Bezirksleiterbesprechung am 14.12.1928 (BA, R 43 1/725, Bl. 90—94). Hasse führte vor den Landesschutz-Angestellten u.a. aus, daß die militärischen Vorbereitungsarbeiten nur dann vorankommen könnten, »wenn es gelingt, das häufige Misstrauen von politisch linksgerichteten ja auch mittleren Kreisen gegen die Zuverlässigkeit und Verfassungstreue der Reichswehr zu beheben. [...] Wir Soldaten sind die zuverlässigsten Diener des Staates, unser Staat ist eine Republik, also sind wir die zuverlässigsten Diener der Republik.« (Ebd., Bl. 92; andere bezeichnende Auszüge bei Carsten, Reichswehr, S. 292 f.) Ansprache Liebmanns an das Offizierskorps des 5. Infanterie-Regiments im April 1928 (BA-MA, MSg 1/1670, Bl. 5—7): Die Reichswehr bedürfe »in weit höherem Grade als früher des Vertrauens und der Mitarbeit der Regierung, der Zivilbehörden und des ganzen Volkes«. Dieses Vertrauen sei aber gefährdet »durch gewisse Zwischenfälle politischer Natur unerlaubte Verbindung mit politischen Vereinen, Teilnahme von Reichswehrangehörigen an Demonstrationen gegen die augenblickliche Staatsform oder ihre Hoheitszeichen und andere Seitensprünge. Jeder derartige Seitensprung wirft uns einen Schritt rückwärts auf unserem Wege.« (Ebd., Bl. 5 f.) 27 28



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VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort

der Reichswehr

die jungen Offiziersanwärter von seiner Politik der Überparteilichkeit, Aufgeschlossenheit und Staatstreue zu überzeugen30. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt hatte Groener die aufklärerische Haltung vertreten, »daß die Entpolitisierung der Reichswehr nicht die völlige Unkenntnis über politische Verhältnisse bedeuten könne«31, daß also die Erziehung des Soldaten zum überparteilichen Staatsdiener nicht durch dumpfen Gehorsam, sondern durch seine Einsicht in die politischen Notwendigkeiten zu erreichen sei. Groener ordnete deshalb die Offiziere der Wehrmachtsabteilung an, bei den Truppenteilen Vorträge über politische Fragen zu halten, damit besonders die Frontoffiziere ihren durch die Rechtspresse geprägten einseitigen Blickwinkel erweiterten und für die Politik des Reichswehrministers Verständnis gewannen32. Auch diese sogenannten »Wanderprediger« konnten aber die tiefsitzende Skepsis des größten Teils der Reichswehr gegen jeden Ausgleich mit den republikanischen Kräften nicht nachhaltig beeinflussen. Die Aufklärungsversuche der Reichswehrführung unter Groener blieben letztlich erfolglos. Das Problem dieser inneren Haltung der meisten Soldaten, die dem Kurswechsel der Reichswehrpolitik eine brüchige Basis gab, war nicht zuletzt auf die gesellschaftliche Zusammensetzung von Heer und Marine zurückzuführen. Vor allem das Offizierskorps rekrutierte sich vornehmlich aus einem Milieu, das der alten Armee und der ihr übergeordneten Staatsform verpflichtet war. Wenn die Reichswehr aber auch in ihrer Substanz überparteilich und integrativ sein sollte, mußte sie bei der Rekrutierung den Kreisen geöffnet werden, die nicht der »nationalen« Rechten zugeordnet wurden. Die Reichswehrführung lehnte zwar nach wie vor die von den demokratischen Parteien geforderten Reformen innerhalb der Armee ab und beschnitt nicht das Vorrecht der Kommandeure, selbst den Offiziers- und Mannschaftsersatz für ihre Einheiten auszuwählen, doch immerhin versuchte sie nach 1928, durch die Aufstellung von Richtlinien Einfluß auf eine allmähliche Verbreiterung der sozialen und politischen Zusammensetzung zu nehmen. So bemängelte ein Erlaß des Chefs der Heeresleitung vom 19. April 1928 grundsätzlich, »daß bei der Auswahl der Offizieranwärter nicht überall das Verständnis für die Forderungen der Zeit genügt. Wir müssen uns darüber klar sein, daß ähnlich wie 1807 die Entwicklung des Staatslebens neue Wege geht und daß das Offizierkorps als der Grundstock des Heeres 30

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Auf Groeners Reden vor der Marineschule Mürwik am 3.7.1928 und vor der Infanterieschule Dresden am 17.12.1929 wird noch in diesem Kapitel zurückzukommen sein. Verhandlungen des Ausschusses für den Reichshaushalt, III. Wahlperiode, 318. Sitzung vom 14.2.1928, S. 9. Vgl. auch Groeners Reichstagsrede vom 15.3.1928 (RT, Bd 395, S. 13431). Darüber hinaus war die »geistige Ausbildung« der Soldaten ohnehin ein besonderes Anliegen des Reichswehrministers, wie etwa der Aufsatz Groener, Ausbildung, von 1929 belegt. Vgl. Groeners Erläuterungen dazu im Haushaltsausschuß am 5.6.1929 (Verhandlungen des Ausschusses für den Reichshaushalt, IV Wahlperiode, 83. Sitzung vom 5.6.1929, S. 2). Ausführlicher zu den »Wanderrednern« Carsten, Reichswehr, S. 344 f.; Eichler, Verhalten, S. 94—98. Es wurden aber nicht nur die unteren Chargen, sondern auch »die Wehrkreiskommandeure sowie alle höheren Offiziere und die Offiziere des Ministeriums selbst von Zeit zu Zeit über die politische Lage ins Bild gesetzt« (Reichstagsrede Groeners vom 15.3.1928; RT, Bd 395, S. 13431) meist in den Befehlshaberbesprechungen, die im Großen Saal des Reichswehrministeriums stattfanden und in denen Schleicher und auch Groener selbst über politische Fragen vortrugen. Vgl. zu dieser Einrichtung auch Eichler, Verhal—

ten, S. 85-93.

1. Der

gescheiterte Ausgleich

mit den

republikanischen Kräften

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dieser Entwicklung vorausschauend Rechnung tragen muß. [...] Es geht daher nicht an, daß einzelne Truppenteile den Offizierersatz nur engbegrenzten Kreisen unseres Volkes entnehmen.«33 Die Kommandeure müßten gegen personelle Empfehlungen »von Bekannten oder einflußreichen Persönlichkeiten« immun werden und zur Geltung bringen, »daß der Offizierberuf nicht als Versorgungsanstalt angesehen wird«34. Diese Grundsätze entsprachen genau der Militärpolitik Groeners und dem Werben um gesamtgesellschaftliches Vertrauen in die Reichswehr, und so wundert es nicht, daß er die Parlamentarier im Haushaltsausschuß über die Bemühungen um eine gesellschaftliche Öffnung informierte35. Dem langfristigen Ziel einer Armee, mit der sich allein schon wegen ihrer personellen Zusammensetzung alle Volkskreise identifizieren konnten, kam man aber in diesen Jahren kaum näher, zumal das Reichswehrministerium nicht direkt für die Rekrutierung zuständig war. Noch im April 1931 klagte Groener darüber, daß bei den über die Einstellung entscheidenden Kommandeuren leider nach wie vor die Einbildung bestehe, »wenn einer von vaterländischen« Verbandsbonzen empfohlen ist, sei er eine großartige Nummer«36. Auch in diesem Bereich konnte der von Groener vollzogene Kurswechsel keine eigentliche Veränderung der politischen Haltung bewirken. Es ist auffällig, daß diese vielfältigen Maßnahmen zur äußeren politischen Disziplinierung und zur Überwindung der inneren Einstellung gegen die Republik gerade für die Jahre 1928 und 1929 so gedrängt nachzuweisen sind. Natürlich mußte Groener daran gelegen sein, möglichst bald nach Amtsantritt seine militärpolitische Linie innerhalb der Reichswehr durchzusetzen, und auch später hielt er wenn auch unter anderen Vorzeichen grundsätzlich an der innenpolitischen Überparteilichkeit und Verfassungsloyalität der Armee fest. Doch die Bündelung der beschriebenen reichswehrinternen Vorgänge in diesen Jahren und ihr ganz besonderer politischer Akzent sind maßgeblich auf die Bemühungen des Reichswehrministeriums zurückzuführen, in den letzten Jahren der parlamentarischen Demokratie, der Zeit der Großen Koalition, die gemäßigte republi—



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Erlaß Heyes, Berlin 19.4.1928 (BA-MA, N 5/22, Bl. 3). Zum Ergänzungswesen und der sozialen Zusammensetzung des Offizierskorps zusammenfassend Wohlfeil, Heer, S. 177—179. Erlaß Heyes, Berlin 19.4.1928 (BA-MA, N 5/22, Bl. 4). Vgl. Groeners Reichstagsrede vom 15.3.1928 (RT, Bd 395, S. 13429): »Ich trete für die Homogenität des Offizierkorps ein, für die Einheitlichkeit und Geschlossenheit der Offiziere, nicht aber ihrer Väter, Onkel und Tanten.« Ein zweiter Erlaß Heyes vom 19.4.1928 verbesserte die Einstiegsmöglichkeiten von besonders befähigten Soldaten ohne höhere Schulbildung in die Offizierslaufbahn (BA-MA, N 5/22, Bl. 5). Auch das sollte rein fachliche Kriterien in den Vordergrund stellen und das Offizierskorps gesellschaftlich öffnen, eine Forderung, die Groener bereits unmittelbar nach dem Weltkrieg erhoben hatte (vgl. oben Kap. 11,2). Die Maßnahmen, »auch tüchtigen einfachen Soldaten die Möglichkeit des Aufstiegs zum Offizier zu geben«, ging nach Bekunden Groeners im Haushaltsausschuß bezeichnenderweise auf seine Anordnung zurück (Verhandlungen des Ausschusses für den Reichshaushalt, IV. Wahlperiode, 83. Sitzung vom 5.6.1929, S. 3). Ebd. trug Groener »einen Befehl des Chefs der Heeresleitung vor, aus dem hervorgeht, daß man bei der Auswahl des Nachwuchses unter fester Bejahung des gegenwärtigen Staates auf alle Kreise des Volkes zurückgreifen müsse«. Gemeint war wohl Heyes Erlaß vom 19.4.1928, vielleicht aber auch ein ähnlicher aus dem Jahr 1929. Groener an Gleich (privat), Berlin 26.4.1931 (BA-MA, N 46/36, Bl. 19; zit. auch von Carsten, Reichswehr, S. 287).

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VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort der Reichswehr

kanische Linke für die Wehrpolitik zu gewinnen und endlich die nach den Erfahrungen Groeners im Ersten Weltkrieg unbedingt notwendige breite gesellschaftliche Basis für die Landesverteidigung zu schaffen. Eine neue Vertrauenswürdigkeit und politische Zuverlässigkeit der Reichswehr sollten vor allem die SPD und die von ihr vertretenen Massen mit der militärischen Macht versöhnen. Groener erwartete aber auch, daß die Sozialdemokraten und überhaupt die republikanischen Kräfte seine ausgestreckte Hand ergriffen und konstruktiv an der Rüstungspolitik mitwirkten, zumindest aber das gleiche Verständnis für sie zeigten wie die »wehrfreundlichen« Parteien auf der rechten Seite des politischen Spektrums. Die Übernahme der Regierungsverantwortung durch die SPD und DDP war eine geeignete Nagelprobe für die Bereitschaft dieser Parteien, sich an der für Groener selbstverständlichen nationalen Aufgabe der Wehrbereitschaft zu beteiligen, und hätte eine positive Wirkung auf ihre republikanischen Anhänger haben können37. Bezeichnenderweise wurde Groener bereits bei seiner Ernennung als Reichswehrminister für eine kommende Große Koalition angesehen38. Der Regierungsbildung von der DVP bis zu den Sozialdemokraten im Juni 1928 wird die Reformpartei um die ministerielle Spitze in der Bendlerstraße mit Wohlwollen und Hoffnung gegenübergestanden haben. Die Zusammenarbeit Groeners mit dem Zweiten Kabinett Müller verlief dann auch sehr vielversprechend. Ausgerechnet unter dieser von einem sozialdemokratischen Reichskanzler geführten Regierung, in der die Minister der SPD und DDP die Mehrheit besaßen, wurde eine neue Phase der zivil-militärischen Kooperation auf höchster Ebene eingeleitet39. Das Kabinett deckte die materiellen und personellen Geheimvorbereitungen der Reichswehr und gab auch umstrittenen Rüstungsprojekten innerhalb des Versailler Vertrags wie dem Panzerschiff A seine Zustimmung. Die Reichswehrführung versprach sich einiges von diesem verheißungsvollen Verlauf der sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung und rechnete zunehmend »mit einem Siege des rechten Flügels der SPD in der Richtung einer positiven Wehrpolitik«40. Doch die heftigen Auseinandersetzungen um das Panzerschiff A und andere Streitfälle zur selben Zeit41 ließen erkennen, daß entge—



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Vaterland, S. 317, berichtet, die Reichswehrführung, namentlich Schleicher, wollte während der Großen Koalition »die SPD-Führer mitverantwortlich machen für die militärische Planung und hoffte, die ganze SPD für den Wehrgedanken zu gewinnen«. Müller war zu dieser Zeit Mitarbeiter der Wehrmachtsabteilung. Vgl. auch Vogelsang, Reichswehr, S. 56; Hillgruber, Reichswehr, S. 185 f.; Winkler, Schein, S. 532 f. Zum Verhältnis Groeners zur SPD während seiner Amtszeit als Reichswehrminister insgesamt vgl. auch die Dissertation von Edward A. Reed, die allerdings nicht über die Ergebnisse der älteren Reichswehrforschung hinauskommt. Tagebuchaufzeichnung Koch-Wesers, 4.2.1928 (AdR, Marx III/IV, Bd 2, S. 1213, Anra. 7). Vgl. oben Kap. IV,3-4. Schleicher an Groener (privat), Berlin 8.9.1928 (Craig, Briefe, S. 127). So löste die Nachricht von der Ablösung Zenkers durch Raeder zum 1.10.1928 Ende September eine heftige Kampagne in der demokratischen Presse gegen den designierten Chef der Marineleitung aus, dem eine monarchische Gesinnung und republikfeindliches Verhalten in der Vergangenheit vorgeworfen wurden. Groener prüfte die Vorwürfe genau, kritisierte auch im einzelnen das an seinen Kandidaten beanstandete Verhalten (vgl. die von Carsten, Reichswehr, S. 316, zitierte, fälschlicherweise aber Schleicher zugeschriebene Randbemerkung Groeners gegen die »Aalforschungsfahrt« am Geburtstag Prinz Heinrichs im Aktenvermerk Göttings, 25.9.1928; BA-MA, RM 6/15, Bl. 43), nahm Raeder dann aber gegen die Vorbehalte der republikanischen Presse und Parlamentarier in Schutz, Vincenz Müller,

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gen der Haltung ihrer Kabinettsmitglieder die Masse der SPD, aber auch weite Teile der DDP und der republikanischen Fraktion des Zentrums, also die Mehrheit der von Groener umworbenen Republikaner samt ihrer Presse, der Reichswehr mit unverändertem Mißtrauen und der Militärpolitik mit anhaltender Kritik gegenüberstanden. Auch für die Grenz- und Landesschutzmaßnahmen konnten kaum Mitglieder und Anhänger der Sozialdemokratie gewonnen werden42, obwohl es der Reichswehrführung gerade hier sinnvoll erschien, die paramilitärische Vorbereitung im zivilen Bereich auf eine breite Grundlage zu stellen43. Das gute Verhältnis Groeners zu seinen sozialdemokratischen Kabinettskollegen, die eine führende Stellung in ihrer Partei einnahmen, genügte ebensowenig für einen Ausgleich mit der stärksten republikanischen Kraft wie die anderen

Vertrauenswerbungen des Reichswehrministers. Trotz dieses unbefriedigenden Zwischenergebnisses zur Jahreswende 1928/29 hoffte die Reichswehrführung weiterhin auf einen Kurswechsel der SPD in der Militärpolitik. Doch das Ende Mai 1929 auf dem Magdeburger Parteitag beschlossene Wehrprogramm war

nicht das in der Bendlerstraße erwartete Bekenntnis zur Reichswehr, sondern ein Kompromiß, in dem die Forderung nach Rüstungsabbau und Demokratisierung der Armee den breitesten Raum einnahm44. Die kooperationswillige Mehrheit der Parteiführung hatte der reichswehrkritischen Mehrheit der Basis Zugeständnisse machen müssen, so daß die Haltung der Sozialdemokraten in wehrpolitischen Fragen schwankend und zerrissen blieb. Die zwiespältige Einstellung der SPD zur Militärpolitik wurde offenkundig, als der Reichstag am 28. Juni 1929 den kommunistischen Antrag auf Streichung der im Wehretat enthaltenen zweiten Rate für das Panzerschiff A ablehnte gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, die Rücksicht auf die Parteibasis und -Wählerschaft nehmen wollte, aber mit denen der diesmal nicht unter Fraktionszwang gestellten sozialdemokratischen Regierungsmitglieder45. Die bei den militärischen und konservativen Kreisen vorherr—

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so daß die Krise ohne Folgen blieb. Material dazu in BA-MA, RM 6/15. Eingehende Auswertung dieser Akten durch Bird, Weimar, S. 209—218; vgl. auch Carsten, Reichswehr, S. 315—317. Vgl. den Bericht eines Kreisleiters, 7.1.1929 (BA, R 43 1/725, Bl. 56). Allerdings werden die Bemühungen der L-Angestellten, die Linkskreise an ihrer Arbeit zu beteiligen, nicht immer nachhaltig genug gewesen sein. Auch hier war das Mißtrauen beiderseitig. Einzig in Ostpreußen scheint es Fortschritte in der Heranziehung von Sozialdemokraten an den Grenzschutz gegeben zu haben, nicht zuletzt wegen der vertrauenswürdigen Persönlichkeit des Generalstabschefs Oberst von Bonin, der den Ausgleich mit den republikanischen Kreisen aufrichtig suchte, sich dadurch aber viele Feinde machte und schließlich 1931 ausgerechnet gegen den ganz anders ausgerichteten Reichenau ausgewechselt wurde (vgl. den Bericht Sauers über eine Unterredung mit Foertsch, München 28./31.1.1953; IfZ, ZS 37, Bl. 36). Vgl. die Ansprache Hasses bei der Bezirksleiterbesprechung am 14.12.1928 (BA, R 43 1/725, Bl. 90—94). Zur Wehrdiskussion des Magdeburger Parteitags (26—31.5.1929) Caspar, Partei, S. 90—96; Wacker,

Bau, S. 164—166; Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 664 f.; Winkler, Schein, S. 629—635. Das abgeschwächt »Richtlinien zur Wehrpolitik« genannte Wehrprogramm ist abgedruckt bei Caspar, Partei, S. 104 f. Zu den Erwartungen der Reichswehrführung vgl. die Briefe Schleichers an Groener (privat),

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Berlin 3.9.1928 und 8.9.1928 (Craig, Briefe, S. 125—127). Diesen Erwartungen wird das Wehrprogramm kaum entsprochen haben, auch wenn die von Wohlfeil, Heer, S. 289, unterstellte Enttäuschung bei Vincenz Müller, Vaterland, S. 321, keine Bestätigung findet. RT, Bd 425, S. 2605 (namentliche Abstimmungsliste ebd., S. 2639—2642). Zur Auseinandersetzung

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VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

sehende Meinung über die trotz ihrer »vernünftigen« Führer so hartnäckig »wehrfeindliche« Sozialdemokratie mußte sich bestätigt fühlen. Dennoch schlug Groener bei den Etatverhandlungen im Juni 1929 erneut moderate und entgegenkommende Töne an. In seinen Beiträgen vor dem Haushaltsausschuß und Plenum des Reichstags betonte er wie im Vorjahr die überparteiliche Treue der Reichswehr zur Republik und beschwor eine breite Übereinstimmung bei den Aufgaben der Landesverteidigung46. Für sein »Bestreben, zur Gesamtbevölkerung in das beste Verhältnis zu kommen«, gab er sogar die optimistische Prognose ab, »daß auch die Kreise, die sich bisher ablehnend verhalten hätten, in kürzester Zeit in ein vertrauensvolles Verhältnis zur Reichswehr kommen würden«47. Groener forderte die republikanischen Kräfte auf, ihre ablehnende Einstellung gegenüber der Reichswehr und »die häufig durchaus unberechtigte Kritik« aufzugeben, denn dadurch sei »keine Liebe zu gewinnen«48. Das war eine deutliche Warnung besonders an die SPD, sein Entgegenkommen endlich durch ein entsprechendes Verhalten zu beantworten. Bemerkenswert ist aber, daß Groener das sozialdemokratische Wehrprogramm keineswegs pauschal verurteilte, sondern ihm sachlich begegnete. Den Demokratisierungsforderungen der SPD stellte er seine Bemühungen entgegen, die Soldaten zu unparteiischem Verfassungsgehorsam zu erziehen und die gesellschaftliche Grundlage des Offizierskorps zu erweitern49. Er signalisierte seine Bereitschaft, »in all diesen Fragen modern zu denken und berechtigten Wünschen entgegenzukommen«, machte aber zugleich deutlich, »daß jedes Zugeständnis seine Grenzen findet, sowie das feste Gefüge der Armee irgendwie dadurch berührt werden könnte«50. Diese unverändert werbende Haltung des Reichswehrministers und seine sachliche Auseinandersetzung mit dem Magdeburger Wehrprogramm zeigen, daß Groener den Annäherungskurs an die republikanischen Kräfte und besonders an die SPD Mitte 1929 noch nicht als gescheitert ansah. Auch innerhalb der Reichswehr vertrat Groener nach wie vor die eingeschlagene Linie. Als er am 3. Juli 1929 in der Marineschule Mürwik die jungen Kadetten von seiner Militärpolitik zu überzeugen suchte, hob er besonders hervor, daß die Reichswehr nicht »Staat im Staate« sei, sondern »nichts als ein Teil, ein wichtiger Teil des ganzen Volkes« und »das Machtinstrument der Deutschen Republik, an dem von keiner Seite gerüttelt werden darf«51. Doch bereits ein knappes halbes Jahr später wurde dieses eindeutige Bedie zweite Rate vgl. Wacker, Bau, S. 160—167; Dülffer, Weimar, S. 118f.; Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 664f.; Winkler, Schein, S. 581-584. Verhandlungen des Ausschusses für den Reichshaushalt, IV Wahlperiode, 83. Sitzung vom 5.6.1929, S. 2f.; ebd., 85. Sitzung vom 6.6.1929, S. 6f.; Reichstagsrede Groeners vom 15.6.1929 (RT, Bd 425, um

46

S. 47

2500).

Verhandlungen des Ausschusses für den Reichshaushalt, IV Wahlperiode, 83. Sitzung vom 5.6.1929, S.2.

Reichstagsrede Groeners vom 15.6.1929 (RT, Bd 425, S. 2500). 49 Verhandlungen des Ausschusses für den Reichshaushalt, IV Wahlperiode, 83. Sitzung vom 5.6.1929,

48

S.2f.

50 51

Reichstagsrede Groeners vom

15.6.1929

(RT, Bd425, S. 2500).

Rede Groeners an der Marineschule Mürwik, 3.7.1929 (BA-MA, N 46/150, Bl. 15; sich ergänzende Auszüge bei Kabisch, Groener, S. 104f.; Phelps, Groener-Dokumente V, S. 916f.; Groener-Geyer, Groener, S. 259f.; Carsten, Reichswehr, S. 324f.). Vgl. auch die handschriftlichen Notizen Groeners

1. Der

gescheiterte Ausgleich

mit den

republikanischen Kräften

1928/29

211

kenntnis zur Republik abgeschwächt. In einer Ansprache vor der Infanterieschule Dresden am 17. Dezember 1929 bezeichnete Groener die Frage der Staatsform Republik oder Monarchie als zweitrangig, um dann festzustellen52: »Wir Soldaten dienen der Staatsidee mit Treue und Gewissenhaftigkeit in der republikanischen Staatsform.« Und kurze Zeit danach wurde in Groeners berühmtem »Hirtenbrief«-Erlaß vom 22. Januar 1930 gegen die Zersetzung der Reichswehr allein die unbestimmte Formel der >Staatsidee< und der »Dienst am Staate« beschworen, während jeder Hinweis auf die republikanische Verfassung des Staates nun vermieden war53. Überhaupt verschwanden jetzt die Begriffe >Republik< und >Demokratie< fast völlig aus dem politischen Wortschatz Groeners. Vorbei waren die Zeiten, als sich der Reichswehrminister bei nahezu jedem öffentlichen Auftritt ausdrücklich zur Republik als der dem militärischen Apparat übergeordneten Staatsform bekannte. Statt dessen öffnete er der Reichswehr seit Anfang 1930 wieder die Nische, auf die er bereits 1919 verwiesen hatte, die dann von Seeckt zu einem isolierten Attentismus ausgebaut worden war und die in den Jahren 1928/29 durch den Ausgleich mit der Republik verschlossen werden sollte: die »Flucht ins Abstraktum«54, nicht einer bestimmten Verfassungsform, sondern >der Staatsidee« und >dem Staat« zu dienen. Groener wollte keineswegs einen Rückfall in überwundene Zustände der >Ära Seeckt«, die Eingliederung seiner berechenbaren Militärpolitik in den exekutiven und administrativen Prozeß blieb unangetastet. Der Annäherungsversuch an die republikanischen Kräfte wurde aber zurückgestellt, um die Politik der Bendlerstraße den neuen Entwicklungen anzupassen, die von der parlamentarischen Demokratie und ihren Anhängern wegführten. Dieser Wandel der innenpolitischen Ausrichtung Groeners, der sich in seiner ersten Etappe von Mitte 1929 bis Anfang 1930 vollzog, hatte mehrere Ursachen. Auf den Widerstand des nationalkonservativen Lagers und innerhalb der Reichswehr gegen den angeblichen >Linkskurs< des Ministers sowie auf die Krise der Großen Koalition und den Übergang zum Präsidialsystem wird in den nächsten beiden Kapiteln einzugehen sein. Ein dritter Grund dafür, daß Groeners Bemühen um eine Erweiterung des militärpolitischen Konsenses auf die republikanischen Kräfte außerhalb der Exekutive nachließ die Zusammenarbeit mit der Regierung und ihren Behörden lief daneben unverändert gut —, ist in seiner zunehmenden Distanz zur Sozialdemokratie während der zweiten Hälfte des —





52

53 54

zu dieser Rede in BA-MA, N 46/150, Bl. 18—22. Der Text der Ansprache wurde in der Presse veröffentlicht. Dabei wird besonders das Plädoyer Groeners für die Farben Schwarz-Rot-Gold für Aufsehen gesorgt haben (zit. bei Carsten, Reichswehr, S. 324 f.). Notizen Groeners für seine Rede an der Infanterieschule Dresden am 17.12.1929 (BA-MA, N 46/150, Bl. 25). Vgl. auch den Pressedruck ebd., Bl. 29 (>Militär-Wochenblatt< vom 4.1.1930). Sich ergänzende Auszüge der Notizen und des Pressedrucks bei Kabisch, Groener, S. 105 f.; Phelps, Groener-Dokumente V, S. 917; Groener-Geyer, Groener, S. 260f.; Carsten, Reichswehr, S. 325. »Hirtenbrief«-Erlaß Groeners, Berlin 22.1.1930 (Staat und NSDAP, S. 3-5). Sauer, Reichswehr, S. 232. Vgl. auch Carsten, Reichswehr, S. 454f.; Klaus-Jürgen Müller, Heer, S. 17—19. Es wird aber oft übersehen, daß dieser abstrakte Staatsbegriff bei Seeckt eine ganz andere Bedeutung hatte als bei Groener. Was dem einen ein Vehikel seiner Einstellung gegen das von ihm abgelehnte >System< war, diente dem anderen zur Bestimmung des schwierigen innenpolitischen Standorts der Reichswehr in der Staatskrise und im Übergang von der parlamentarischen zur präsidialen Regie-

rungsform.

212

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort

der Reichswehr

1929 zu suchen. Der Reichswehrminister mußte erkennen, daß seine entgegenkommende Politik, seine Anstrengungen um eine überparteiliche, verfassungstreue und offene Einstellung der Armee, sein Werben um eine breite Basis der Landesverteidigung und andere Maßnahmen, die ihn bei der traditionellen Klientel der Reichswehr in Mißkredit brachten, die erhoffte Wirkung auf die gemäßigte Linke und ihren Massenanhang verfehlten. Das Verhältnis zur SPD, der größten demokratischen Partei und politischen Vertreterin eines beträchtlichen Teils des Volkes, nahm nicht die erwartete positive Entwicklung, sondern stagnierte in Mißtrauen. Als dies nicht mehr zu übersehen war, reagierte Groener ungeduldig und gab seine Zurückhaltung auf. Und je mehr er sich über die Intransigenz sozialdemokratischer Parteigänger gegenüber der Reichswehr und der für ihn selbstverständlichen militärischen Vorbereitung empörte, desto weniger war er bereit, seinerseits weitere Konzessionen an die republikanische Kritik einzugehen. Der allmähliche Austausch des Wortes »Republik« durch den unbestimmten Begriff »Staat« in der Diktion des Reichswehrministers war dafür ein äußeres, aber sinnfälliges Zeichen. Dieses wachsende Mißverhältnis zwischen Groener und der SPD seit Mitte 1929 soll nun an einzelnen Beispielen belegt werden. Dabei ist im Auge zu behalten, daß die Regierung der Großen Koalition maßgeblich von der Sozialdemokratie mitgetragen wurde und die Auseinandersetzungen des Reichswehrministers mit Vertretern dieser Partei dadurch ein Politikum ersten Ranges waren. Groeners Einstellung gegen die SPD wurde im übrigen nicht allein von der Partei an sich und ihrer Presse bestimmt, sondern beinahe noch mehr durch das Reichsbanner und die preußische Staatsregierung, obwohl in diesen auch die DDP und das Zentrum vertreten waren. Die SPD war für den Reichswehrminister vor allem ein Synonym für die Gesamtheit der vergeblich von ihm umworbenen republikanischen Kräfte. Den Auftakt machte ein Zusammenstoß mit dem Reichsbanner und seinem Bundesführer Hörsing. Am 24. Juni 1929 beschwerte sich Groener bei Reichskanzler Müller bitter über eine im Zentralorgan des Reichsbanners erschienene Artikelserie, die sich sehr kritisch mit dem Offizierskorps der Reichswehr auseinandersetzte. Es sei besonders bedauerlich, »dass diese Angriffe von der Organisation ausgehen, die sich immer wieder als die wahre Hüterin der Republik bezeichnet. Gerade sie ist es aber, die mir meine Aufgabe, die Wehrmacht als staatstreue Truppe der Republik in weiten Volkskreisen zu verankern, dadurch erschwert, dass sie das Offizierkorps der Wehrmacht in der in weiten republikanischen Kreisen gelesenen Bundeszeitschrift herunterzieht und verächtlich macht.«55 Obwohl sich der Reichskanzler deutlich auf die Seite Groeners stellte56, nahm Hörsing die Kritik seiner Organisation an der Reichswehr nicht zurück, so daß sich ein unangenehmer und fruchtloser Schriftwechsel mit Groener entspann57. Der sozialdemo-

Jahres

53

Groener an Müller, Berlin 24.6.1929 (BA, R 43 1/767, Bl. 199; andere Auszüge zit. bei Carsten, Reichswehr, S. 323 f.). Allgemein zum Verhältnis Reichswehrführung/Reichsbanner vgl. Rohe, Reichsbanner, S. 169—182.

56

57

Müller an Hörsing, Berlin 29.6.1929 (BA, R 43 1/767, Bl. 204 f.). Vgl. auch Hörsing an Müller, Magdeburg 27.6.1929 (ebd., Bl. 220-222). Hörsing an Groener, Magdeburg 27.6.1929 (ebd., Bl. 223—225); Hörsing an Groener, Magdeburg 28.6.1929 (ebd., Bl. 218f.); Hörsing an Groener, Magdeburg 16.7.1929 (ebd., Bl. 216f.); Groener an Hörsing, Berlin 24.7.1929 (ebd., Bl. 213f.); Groener an Hörsing, Berlin 1.8.1929 (ebd., Bl. 237);

1. Der

gescheiterte Ausgleich

mit den

republikanischen Kräften

1928/29

213

kratische Reichsbannerführer warf der Armee eine unverändert republikfeindliche Haltung vor und nannte einige aktuelle Beispiele dafür, während der Reichswehrminister auf Fortschritte verwies und die kritische Distanz der Republikaner für das noch bestehende Mißverhältnis verantwortlich machte. Diese Kluft ließ sich kaum noch überwinden, da einerseits das Mißtrauen gegen die Reichswehr nicht unberechtigt war, es aber andererseits die ehrlichen Bemühungen der Reichswehrführung erschwerte und Groener auf jede Kritik zunehmend empfindlich reagierte. Daß man aus dem Teufelskreis gegenseitigen Mißtrauens und gegenseitiger Kritik nur herauskommen konnte, wenn man nicht noch zusätzlich durch republik- oder reichswehrfeindliches Verhalten Öl ins Feuer goß, wurde auf beiden Seiten nur von wenigen erkannt, bei den republikanischen Kräften vor allem von den Regierungsvertretern, die mit der Bendlerstraße gut zusammenarbeiteten, etwa von Reichskanzler Müller oder Staatssekretär Pünder, der Mitte September 1929 an Zechlin schrieb58: »Ein Teil der republikanischen Presse macht sich offenbar nicht klar, welch sehr schweren Schaden sie der Republik durch ihre leichtfertigen Angriffe zufügt. Solche Angriffe schädigen die vielen guten Ansätze, die sich gerade in letzter Zeit erfreulicherweise in der Einstellung der Reichswehr gegenüber der Republik gebildet haben, auf das empfindlichste.« Die Klage Pünders bezog sich auf die aufsehenerregenden Nachrichten, daß ein L-Angestellter der Reichswehr in Schleswig-Holstein mit der Landvolkbewegung und ihren Bombenattentaten in Verbindung stehe. Die republikanische Presse griff diesen Fall auf, und auch der preußische Ministerpräsident fühlte sich zu scharfen öffentlichen Angriffen gegen die Republikfeindlichkeit der Reichswehr veranlaßt59. Groener protestierte sofort gegen diesen Vorstoß Brauns60 und setzte die Angelegenheit auf die Tagesordnung einer Chefbesprechung mit Müller und Severing, in der die Reichswehrführung am 15. Oktober 1929 gleich mehrere Vorwürfe zu entkräften suchte61. Die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder gaben sich mit den Erklärungen Groeners zufrieden, und tatsächlich verlief der Skandal um die Verbindung von zivilen Reichswehrangehörigen zu Bombenattentätern bald im Sande62. Die kritische Haltung der SPD-geführten preußischen Staatsregierung gegenüber der Reichswehr blieb jedoch unverändert.

s8 59

60

61 62

Groener an Hörsing, Berlin 2.8.1929 (ebd., Bl. 235f.). Einige Briefe dieses Schriftwechsels fehlen in den Akten. Pünder an Zechlin, Berlin 19.9.1929 (AdsD, Nachlaß Severing 229/55). Auszüge der am 2.10.1929 in Königsberg von Braun gehaltenen Rede in BA, R 431/687, Bl. 169 f. Brauns Kritik richtete sich vor allem gegen die Angestellten im Landesschutz: »Diese Leute betätigen sich in republikfeindlichem Sinne und es ist bei den unkontrollierten Geldmitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, nicht ausgeschlossen, dass Mittel der Steuerzahler in die republikfeindlichen Verbände fliessen.« Für den preußischen Ministerpräsidenten war der Fall in Schleswig-Holstein ein Aufhänger seiner grundsätzlichen Einstellung gegen den Grenz- und Landesschutz und gegen die neuen Richtlinien. Groener an Braun, Berlin 14.10.1929 (ebd., Bl. 167f.). Der Brief war sehr scharf gehalten und warf Braun vor, sich »durch derartige Verallgemeinerungen der in ihren Beweggründen und Zielen hinreichend bekannten kommunistischen Hetze gegen die Wehrmacht« anzuschließen (ebd., Bl. 167). Chefbesprechung vom 15.10.1929 (Aufzeichnung Plancks; ebd., Bl. 171—174). Eine direkte Beteiligung des betreffenden L-Angestellten, des Oberstleutnants a. D. Jaeschke, an den terroristischen Aktivitäten der Landvolkbewegung konnte nicht nachgewiesen werden. Vgl. auch die Genugtuung Groeners darüber in seinem Schreiben an Braun, Berlin 28.3.1930 (ebd., Bl. 292).

214

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort

der Reichswehr

Besonders bei Otto Braun bestanden ein tiefsitzendes Mißtrauen und die ständige Befürchtung, daß die Grenz- und Landesschutzmaßnahmen einen Nährboden für die republikfeindliche Verbindung der Reichswehr zum Stahlhelm oder sogar zu den Nationalsozialisten bildeten63. Im Sommer 1929 wurde deutlich, daß Preußen nicht bereit war, den gemeinsam mit dem Reich ausgearbeiteten Richtlinien zum Grenz- und Landesschutz vom 26. April des Jahres beizutreten64. Diese Verweigerungshaltung in einer für die Landesverteidigung wichtigen Frage führte zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Reichswehrministerium und dem »roten Preußen« ausgerechnet zu einer Zeit, als sich bei Groener ohnehin Enttäuschung über das mangelnde Entgegenkommen der republikanischen Kreise einstellte. Das Verhältnis der Bendlerstraße zum größten Land und stabilsten Machtfaktor der demokratischen Kräfte sank auf den Nullpunkt65. Dazu trug auch bei, daß der preußische Innenminister Grzesinski Anfang Oktober 1929 ein paramilitärisches Manöver des Stahlhelms bei Langenberg im Rheinland zum Anlaß nahm, dessen Landesverbände Rheinland, Industriegebiet und Westfalen zu verbieten66. Groener war zwar kein Freund des Stahlhelms und lehnte überhaupt die »Soldatenspielereien« der Wehrverbände ab67, doch hielt er das Verbot für taktisch unklug und versuchte auf einer Chefbesprechung vom 30. Oktober, die Bedeutung der Stahlhelmübungen zu relativieren und auf vermeintlich gleichartige Vorgänge beim Reichsbanner zu verweisen68. Der Reichswehrminister wußte, daß dieser neue Eklat den Graben zwischen den politischen Lagern weiter vertiefen und damit seinen Balanceakt der Überparteilichkeit erneut erschweren würde. Am Tag darauf gingen in der Reichskanzlei zwei Denkschriften des Reichswehrministeriums ein, in denen die Argumente Groeners zusammen—

Vgl. etwa Braun an Severing (privat), Oeynhausen 21.8.1929 (AdsD, Nachlaß Severing 154/15); Braun an Severing (privat), Oeynhausen 24.8.1929 (ebd., 154/16). 64 Dazu eingehend bereits oben Kap. IV,4. 65 Vgl. etwa das Schreiben Groeners an Braun, Berlin 7.12.1929 (BA, R 43 1/687, Bl. 215), in dem der Reichswehrminister äußerst empfindlich auf eine der zahlreichen Hinweise der preußischen Regierungsstellen auf republikfeindliche Aktivitäten von Reichswehrangehörigen reagierte und sich grundsätzlich »Bevormundungen« und »Belehrungen« verbat. 66 Zum rheinischen Stahlhelmverbot (9.10.1929) vgl. Berghahn, Stahlhelm, S. 131—142; Ehni, Boll63

S. 154—156; Schulze, Braun, S. 613—618; Schulz, Demokratie II, S. 366—369. Groener in der Chefbesprechung vom 30.10.1929 (AdR, Müller II, Bd2, S. 1081). Ebd., S. 1080f. An der Chefbesprechung (ebd., S. 1073—1083) nahmen Groener, Müller, Curtius, Severing, Braun und Grzesinski sowie ihre führenden Beamten teil. Das Verbot wurde auch damit begründet, daß militärische Übungen von Wehrverbänden gegen den Versailler Vertrag verstießen. Groener hielt dem die militärische Wertlosigkeit solcher Privatmanöver entgegen. Er blieb aber in der Chefbesprechung mit seiner Ablehnung des Verbots isoliert. Als ein Jahr darauf Frick, der nationalsozialistische Innenminister Thüringens, einen ähnlichen Anlaß benutzen wollte, um in seinem Land das Reichsbanner zu verbieten, und Reichsinnenminister Wirth bei Groener anfragte, ob das Material für ein Verbot aufgrund der Versailler Entwaffnungsbestimmungen ausreiche, konnte der Reichswehrminister darauf verweisen, daß er sich »stets auf das allerschärfste dagegen ausgesprochen habe, dass Bestimmungen des Versailler Diktats zur Begründung innerdeutscher Massnahmen herangezogen werden, wie dies leider auch bei dem ganz ähnlich gelagerten Falle des Stahlhelmverbots durch Preussen im Einvernehmen mit dem R.M.d.I. geschehen ist« (Groener an Wirth, Berlin

werk,

67 68

24.12.1930; BA-P,

15.01/25668-11).

1. Der

gescheiterte Ausgleich

mit den

republikanischen Kräften

1928/29

215

gefaßt und vertieft waren69. Im Mittelpunkt dieser Schriftstücke stand die Forderung, bei der Behandlung der Verbände, die eigentlich alle verboten und aufgelöst werden müßten, Gerechtigkeit walten zu lassen und auch die »Anmaßungen« des Reichsbanners zu unterbinden70. Groeners Ziel war es offenbar, entweder eine Aufhebung des Stahlhelmverbots oder aber eine ausgleichende Maßnahme gegen das Reichsbanner zu erreichen. Seine Haltung in dieser Frage wird aber nicht allein durch die Sorge um den Ausgleich zwischen den republikanischen und nationalkonservativen Kräften zum Wohle einer brei-

Wehrbereitschaft bestimmt gewesen sein. Der Stahlhelm besaß Einfluß bis zum Reichspräsidenten71 und war eine wesentliche Stütze des illegalen Grenz- und Landesschutzes. So mußte Groener das rheinische Stahlhelmverbot aus verschiedenen Gründen äußerst ungelegen kommen und ihn noch mehr gegen die sozialdemokratisch geführte Preußenregierung einnehmen. Der Unmut Groeners verstärkte sich noch, als seine Einwände keine Wirkung zeigten und Preußen im Zusammenhang mit dem Stahlhelmverbot die Zusammenarbeit zwischen der Reichswehr und den republikfeindlichen Verbänden im Grenz- und Landesschutz kritisierte ein Lieblingsthema der preußischen Staatsführung. Bereits in der Begründung des Verbots war auf die enge Verflechtung des Stahlhelms mit den militärischen Vorbereitungen der Reichswehr im zivilen Bereich hingewiesen worden72. Eine Denkschrift des preußischen Innenministeriums über »Die sog. Wehrsporttätigkeit des Stahlhelms in Rheinland und Westfalen« bekräftigte Ende Dezember 1929 die Kritik an diesen Verbindungen73. Am 25. Februar 1930 protestierte Groener bei Grzesinski gegen die preußischen Vorwürfe, die »ein ganz schiefes und irreführendes Bild« geben würden, ten



69

70

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72

73

Denkschriften des Reichswehrministeriums »Notizen zum Stahlhelmverbot im Rheinland und Westfalen« (BA, R 43 1/2734, Bl. 187—198) und »Angeblicher Zusammenhang zwischen Reichswehr und Stahlhelm im Westen« (ebd., Bl. 199—203), beide Planck am 31.10.1929 von Schleicher übergeben. Vgl. die entsprechenden Abschnitte der Denkschrift »Notizen zum Stahlhelmverbot im Rheinland und Westfalen« (ebd., Bl. 192—198). Bereits einen Tag später beschwerte sich Groener in scharfer Form bei Grzesinski über Ankündigungen des Reichsbanners, im Notfall die Republik gegen Verfassungsfeinde zu verteidigen, und darüber, daß sich die preußische Staatsregierung von dieser »unerträgliche[n] Anmassung und Deklassierung der Staatsgewalt im allgemeinen und der Wehrmacht im besonderen« nicht distanziert habe (Groener an Grzesinski, 1.11.1929; BA, R 43 1/767, Bl. 244— 246, Zitat B1.245Í.). Hindenburg war Ehrenmitglied des Stahlhelms und sprach sich wie Groener gegen die Einseitigkeit des Verbots aus (vgl. den Bericht Müllers in der Chefbesprechung vom 30.10.1929; AdR, Müller II, Bd2, S. 1082). Vgl. Grzesinski an Müller, Berlin 24.10.1929 (BA, R 43 1/2734, Bl. 183): Die militärischen Bestrebungen des Stahlhelms seien dadurch unterstützt worden, »daß die bis zum Schluß des Jahres 1928 in Rheinland und Westfalen betriebenen inzwischen eingestellten Maßnahmen der Reichswehr zur Schaffung eines Grenz- und Landesschutzes sich in der Hauptsache auf den Stahlhelm stützten«. Gegen diesen Vorwurf wandte sich Groener in einem Schreiben an Grzesinski, Berlin 15.1.1930 (BA, R 43 1/2735, Bl. 132f.). Die preußische Denkschrift vom 23.12.1929 war ihm da noch nicht bekannt. Vgl. auch die Denkschrift des Reichswehrministeriums »Angeblicher Zusammenhang zwischen Reichswehr und Stahlhelm im Westen«, [Ende Oktober 1929] (BA, R 43 1/2734, Bl. 199—203). Vgl. die Denkschrift (BA, R 43 1/2735, Bl. 12—116) mit Begleitschreiben Grzesinskis an die Oberpräsidenten, Berlin 23.12.1929 (ebd., Bl. 11). Ebd., Bl. 30—34, beschäftigt sich eingehend mit dem Verhältnis Reichswehr/Stahlhelm im Rheinland.

216

VI.

Verstrickungen. Groener und der innenpolitische Standort der Reichswehr

und bestritt, »daß die Reichswehr den Stahlhelm als Verband zu den fraglichen Arbeiten herangezogen« oder »sonst irgendwie mit dem Stahlhelm zusammengearbeitet hat«74. In der anliegenden Aufzeichnung des Reichswehrministeriums75, die das Beweismaterial der preußischen Denkschrift Punkt für Punkt widerlegen sollte, mußte aber zugegeben werden, daß fast nur in den Reihen des Stahlhelms »Persönlichkeiten zu finden waren, die für die fraglichen, inzwischen eingestellten Arbeiten das entsprechende Interesse hatten. Dazu kommt, dass es sich dabei in erster Linie um ehemalige Offiziere handelte, die zum Teil anscheinend auch im Stahlhelm gewisse Führerstellungen inne hatten. Daraus kann stellenweise eine vom Reichswehrministerium scharf abgelehnte Verquickung von Reichswehraufgaben und Stahlhelmzwecken entstanden sein.«76 Groener befand sich in einem Argumentationsnotstand. Die bevorzugte Beteiligung von Stahlhelmern an den Grenz- und Landesschutzarbeiten ganz gleich, ob es sich um die eingestellten im Westen oder die intensivierten im Osten handelte war eine nicht abzuleugnende Tatsache, der Hinweis, daß nicht der Verband als solcher, sondern nur seine Mitglieder von der Reichswehr herangezogen würden, nicht mehr als eine schwache Ausflucht. Der neue preußische Innenminister Waentig konnte in seiner Antwort zutreffend feststellen, daß Groeners Schreiben die Berechtigung der Befürchtungen über die einseitige Heranziehung republikfeindlicher Kreise an den Grenz- und Landesschutz nur bestätige77. Diese Auseinandersetzung zeigt erneut das grundsätzliche Dilemma des Verhältnisses zwischen der Reichswehr und den republikanischen Kräften, das Groener zu reformieren suchte. Die innere Verbundenheit und die bestehenden Beziehungen der Armee zu Kreisen, die den republikanischen Staat ablehnten, den Aufgaben der Landesverteidigung aber positiv gegenüberstanden, belasteten dieses Verhältnis und erschwerten den gegenseitigen Zugang. Andererseits glaubte die Reichswehr auf die Unterstützung ihres traditionellen Potentials angewiesen zu bleiben, solange der Annäherungskurs Groeners noch keine durchschlagende Wirkung auf die gemäßigte Linke und den hinter ihr stehenden Bevölkerungsteil zeigte. Gerade die daher nicht unbegründete anhaltend skeptische Einstellung der demokratischen Kräfte gegenüber der Reichswehr ließ bei Groener die resignative Enttäuschung entstehen, daß diese Seite des politischen und gesellschaftlichen Spektrums nicht für den von ihm angestrebten allgemeinen Konsens über militärische Fragen zu gewinnen sei. Die Beschreibung seiner Schwierigkeiten besonders mit Vertretern der Sozialdemokratie ließe sich fortführen. Ob sich Groener beim Reichsinnenminister nun über sozialdemokratische Kundgebungen bei den offiziellen Verfassungs—



Groener an Grzesinski, Berlin 25.2.1930 (ebd., Bl. 121 f.). Ebd., Bl. 123-131. TEbd., Bl. 123. 77 Waentig an Groener, Berlin 5.4.1930 (ebd., Bl. 158—160). Vgl. etwa ebd., Bl. 159: Waentig müsse betonen, daß er »in der bloßen Zugehörigkeit einer Person zum Stahlhelm noch nicht in jedem Falle ohne weiteres ein Hindernis für ihre Heranziehung zum Grenz- und Landesschutz erblicke. Etwas ganz anderes ist es aber, wenn die Arbeiten des Grenz- und Landesschutzes, wie Sie selbst zugeben müssen, sich fast nur auf Stahlhelmkreise stützen, oder wenn die Arbeit dieser Persönlichkeiten gar Formen annimmt, daß eine Unterscheidung zwischen Reichswehrarbeit und Verbandsarbeit kaum noch zu erkennen ist.« Es ist für die schwache Argumentationsgrundlage Groeners bezeichnend, daß er diesen Schriftwechsel nicht fortführte. 74 73

1. Der

gescheiterte Ausgleich mit den republikanischen Kräften

1928/29

217

feiern78, über die Eröffnung einer pazifistischen Ausstellung in Breslau durch den sozial-

Oberpräsidenten79 oder über reichswehrkritische Äußerungen des SPDReichstagsabgeordneten Leber im Rundfunk beschwerte80 überall wird in der zweiten Hälfte des Jahres 1929 die steigende Verärgerung des Reichswehrministers über die unveränderte Haltung der größten republikanischen Partei deutlich. Als der sozialdemokratische Reichsfinanzminister Hilferding im November 1929 um weitere Einsparungen im Wehretat bat, verschaffte Groener seinem aufgestauten Unmut gegen »die immer noch stark wehrfeindliche Einstellung der sozialdemokratischen Partei« in bezeichnender Weise Luft81. Er verwies ausdrücklich auf den großen Teil der Bevölkerung, der sich »leidenschaftlich für die Erhaltung einer Wehrmacht einsetzt. Gerade aus diesen Kreisen ist mir meine Nachgiebigkeit in wehrpolitischen Fragen mehrfach vorgeworfen worden. Ich habe deshalb nicht die Absicht, vor der doktrinären Einstellung der sozialdemokratischen Partei auch in diesem Jahre wieder zu kapitulieren f...].«82 Diese verbitterten Zeilen waren das Eingeständnis Groeners, mit seinem Balanceakt zwischen den politischen Fronten gescheitert zu sein. Seiner Politik des Ausgleichs war es nicht gelungen, einerseits die republikanischen Kräfte für die Reichswehr, andererseits deren traditionelle nationalkonservative Anhängerschaft für seinen Verständigungskurs zu gewinnen. Die militärpolitische Zusammenarbeit auf überparteilicher Basis funktiodemokratischen



im exekutiven und administrativen Bereich der Reichsbehörden, dort zwar sehr vielversprechend, aber Groener wollte darüber hinaus im gesamten politischen und gesellschaftlichen Leben ein gemeinsames Bewußtsein für die Notwendigkeiten der Landesverteidigung verankern. Dieser Schritt fehlte noch zur vollständigen Normalisierung der Reichswehrpolitik. Daher sollten endlich auch die Kreise mit der militärischen Macht versöhnt werden, die sich dem republikanischen Staat verbunden fühlten und sich dennoch nicht mit der Wehrmacht der Republik identifizieren konnten, sondern sie als gefährlichen Fremdkörper ansahen. Groener versuchte dies, indem er offen auf die demokratischen Kräfte zuging und sie zur konstruktiven Mitarbeit ermunterte. Die Anlässe des Mißtrauens glaubte er durch die Disziplinierung der Truppe zur strengen Überparteilichkeit und ihrer Erziehung zur unbedingten Verfassungstreue bekämpfen zu können. Doch bereits Ende 1929 mußte Groener feststellen, daß außerhalb der politischen Entscheidungsebene die Basis seiner Militärpolitik anstatt breiter immer schmaler wurde, weil sein Integrationskurs auf der republikanischen Seite die Skepsis nicht überwand und auf der republikfeindlichen Seite scharfe Kritik provozierte. Der Widerstand auf der Rechnierte

nur

Groener an Severing, Berlin 21.10.1929 (BA-MA, N 46/151, Bl. 28f.). Die Verstöße gegen die Überparteilichkeit bei den amtlichen Verfassungsfeiern waren besonders unangenehm, weil häufig Reichswehreinheiten an diesen Veranstaltungen teilnahmen und nach den bestehenden Vorschriften bei politischen Entgleisungen abrücken mußten. Um einen solchen Eklat zu verhindern, ordnete Groener an, auch bei politischen Demonstrationen amtliche Feiern nicht zu verlassen (Erlaß Groeners, Berlin 22.10.1929; ebd., Bl. 30). 79 Groener an Severing, Berlin 11.11.1929 (BA, R 43 1/687, Bl. 200). Vgl. auch Carsten, Reichswehr, S. 322. Näheres zu Groeners Kampf gegen pazifistische Tendenzen unten in Kap. VI,5. 80 Groener an Severing, Berlin 26.11.1929 (BA, R43 1/687, Bl. 202). 81 Groener an Hilferding, 13.11.1929 (AdR, Müller II, Bd 2, S. 1142f.). 78

82

Ebd., S.

1143.

218

VI.

Verstrickungen. Groener und der innenpolitische Standort der Reichswehr

und innerhalb der Reichswehr gegen die Annäherung Groeners an die Republik und ihre Anhänger wird im nächsten Kapitel zu beschreiben sein. Warum aber verschloß sich die Mehrheit der republikanischen Kräfte und unter ihnen besonders die Sozialdemokratie dem Ausgleich mit der Reichswehr? Das gegenseitige Mißtrauen wurde hier bereits als Teufelskreis bezeichnet, aus dem kaum herauszukommen war. Die Ursache für das gestörte Verhältnis zwischen Reichswehr und Republik lag in der Entwicklung vor Groeners Amtszeit begründet und konnte von ihm nicht mehr behoben werden. Die Vorgänge um den Kapp-Putsch und die »Ära Seeckt« hatten den Republikanern allen Grund gegeben, die Reichswehr nicht als systemkonformes Instrument zu begreifen. Tatsächlich stand die Armee der parlamentarischen Demokratie ganz überwiegend in einer Abneigung gegenüber, die nur durch eine formale Loyalität verdeckt wurde, aber dennoch immer wieder zum Vorschein kam. Auch Groeners Erlasse konnten die Verkrustung des politischen Denkens in der Reichswehr nicht tiefgreifend aufweichen. Die Kritik an der inneren Einstellung der Militärs behielt ihre Berechtigung, verfestigte aber wiederum die gegenseitige Distanz. So ehrlich gemeint die Reformmaßnahmen Groeners auch waren, sie griffen zu kurz. Das Mißtrauen bei den republikanischen Kräften wäre wohl nur durch eine grundlegende Republikanisierung der Armee überwunden worden etwa durch die gezielte Rekrutierung in verfassungstreuen Kreisen oder durch rigorose Eingriffe ins Offizierskorps. Die Republikaner erwarteten nicht nur Überparteilichkeit, sondern die deutliche Parteinahme für das demokratische System und seine Anhänger. Der an sich verständlichen und selbstverständlichen Forderung nach einer von ihrer inneren Struktur und Gesinnung her republikanischen Armee konnte und wollte Groener jedoch nicht nachkommen. Eine große Reform hätte die demokratischen Kräfte zwar gewonnen, auf der bereits mindestens gleichstarken Gegenseite aber einen Sturm der Entrüstung erregt. Sie war in der Auflösungsphase der Weimarer Republik politisch schon nicht mehr durchsetzbar. Groener erfaßte dieses Problem mit seinem Realitätsbewußtsein und versagte sich der zu weitgehenden Annäherung an die republikanischen Erwartungen, die auch seiner inneren und seinem Sinn für Traditionen widersprochen hätte. Statt dessen Überzeugung suchte er den Kompromiß, den Ausgleich zwischen einer überparteilichen Reichswehr und allen politischen und gesellschaftlichen Kräften. Doch auch der Weg zu einem allgemeinen Konsens in militärischen Sachfragen war kaum mehr gangbar. Die Reichswehr wurde längst nicht mehr allein unter militärfachlichen Gesichtspunkten betrachtet, sondern auf allen Seiten als hochpolitische Frage angesehen. Und je mehr sich die politischen Fronten in der Staatskrise verhärteten, desto kleiner wurden die ohnehin geringen Aussichten, die Kontrahenten in der »nationalen Aufgabe« der Militärpolitik zusammenzuführen. Der innenpolitische Standort der Reichswehr war schwieriger denn je, so oder so mußte sie in die sich verschärfenden innenpolitischen Auseinandersetzungen gezogen werden. Weder die einseitige Parteinahme noch die Fiktion der Überparteilichkeit boten einen Ausweg. Groeners Spielraum blieb begrenzt. Vielleicht wäre sein Ausgleichsversuch erfolgreicher gewesen, wenn die republikanischen Kräfte dem Reichswehrminister, dem sie an sich wie keinem seiner Vorgänger vertrauten, mehr entgegengekommen wären und seine Bemühungen als unter den gegebenen Umständen weitgehende ten



2. Die

Gegenbewegung: Widerstand von rechts, interne Vertrauenskrise

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Konzession anerkannt hätten, oder wenn Groener seinerseits dem anhaltenden Mißtrauen nicht gegen seine Person, wohl aber gegen die Reichswehr mit mehr Geduld und Verständnis begegnet wäre. Doch wie hätte die nationalkonservative Gegenseite auf einen Erfolg seiner Integrationspolitik reagiert, wenn sie schon den Versuch rundweg ablehnte? Einseitige Schuldzuweisungen werden diesem komplexen Problem nicht gerecht. Festzuhalten bleibt, daß Groener das erste Ziel seines innenpolitischen Integrationskurses, die Versöhnung der republikanischen Kräfte und besonders der SPD auch unterhalb der Regierungsebene mit der Reichswehr und ihrer Vorbereitungsarbeit, bereits Ende 1929 wieder in weite Ferne gerückt sah und seither nicht mehr in der zuvor auffälligen Intensität verfolgte. Wie nun zu zeigen ist, wurde zugleich auch sein zweites Ziel, nämlich die traditionelle Anhängerschaft auf der Rechten und die reichswehrinterne Geschlossenheit zu bewahren, nachhaltig in Frage gestellt. Ohnehin machte sich immer stärker die politische Trendwende bemerkbar, die nach 1930 andere Probleme für die Reichswehrführung wichtiger erscheinen ließ als den Ausgleich mit dem republikanischen Lager, das in die Defensive gedrängt wurde und an Bedeutung verlor. —



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Gegenbewegung:

Widerstand

von

rechts, interne Vertrauenskrise

gemäßigte Militärpolitik Groeners führte zu erheblichen Irritationen im nationalkonservativen Lager, besonders bei den monarchischen Kräften, und in der Reichswehr, besonders bei den Offizieren außerhalb der Bendlerstraße. Dabei waren bezeichnenderweise nicht die Einordnung der militärischen Vorbereitung in den exekutiven und administrativen Prozeß oder ihre Konzentration auf das zunächst Erreichbare Anlaß der Kritik. Die erfolgreiche Tätigkeit des Reichswehrministers für eine progressive Entwicklung des militärischen Apparates blieb entweder im verborgenen oder wurde nicht wahrgenommen. Die Einsicht in diese internen Vorgänge hätte vielleicht mehr Verständnis erzeugt für die Bemühungen Groeners, nicht nur auf Regierungsebene, sondern auch in Politik und Öffentlichkeit eine breite Kooperationsbasis für die Reichswehr zu gewinnen. So blieben aber seine Integrationsversuche gegenüber den republikanischen Parteien und ihren Anhängern für weite Teile der >nationalen Opposition« ein unverzeihlicher Bruch mit der traditionellen innenpolitischen Ausrichtung der Reichswehr. Ausgerechnet Groener, der durch seine Amtsführung entscheidend zur Forcierung der militärischen Rüstung beitrug, wurde verdächtigt, als >schlapper< Demokrat vor lauter Konzessionen an die Linke nichts für die Reichswehr zu bewirken. Bereits die Berufung Groeners im Januar 1928 provozierte bei den Regierungsparteien DVP und DNVP sowie in der Rechtspresse scharfen Widerspruch83. Der neue Reichswehrminister galt in diesen Kreisen als Republikaner und Königsmörder, der 1918 seinem obersten Dienstherrn die Treue versagt und den Übergang von der Monarchie zum Weimarer >System< begünstigt habe. Exemplarisch für diese Widerstände sind die Schwierigkeiten Groeners mit der Generalstabsvereinigung >Graf Schlieffen« und besonders mit Die

83

Vgl.

oben

Kap. 111,1.

220

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort

der Reichswehr

ihrem geschäftsführenden Vorsitzenden, dem Generalleutnant a. D. August von Cramon, einem entschiedenen Monarchisten. Die Schlieffen-Vereinigung war der vornehmste aller Traditionsvereine und setzte sich aus den Generalstabsoffizieren des alten Heeres und der Reichswehr zusammen. Groener war allerdings, obwohl exponierter Generalstäbler und Verehrer Schlieffens, wegen seiner Außenseiterrolle nicht Mitglied dieser Vereinigung. Doch als er Reichswehrminister wurde, beantragte der Chef des Personalamts von Stülpnagel seine Aufnahme in den Verein und fand dabei die Unterstützung gemäßigter Mitglieder wie Hahnke, der Groener als Schwiegersohn Schlieffens bei dessen militärhistorischen Studien schätzengelernt hatte84. Dennoch führte der Aufnahmeantrag zu schweren internen Auseinandersetzungen. Cramon und andere Offiziere des alten Heeres lehnten den Beitritt Groeners schroff ab85, während die Reichswehroffiziere wie Heye und Stülpnagel den Verein zu boykottieren drohten, wenn ihr Minister nicht aufgenommen werde. Hindenburg versuchte zwischen den beiden Positionen zu vermitteln, doch erst ein Machtwort aus Doorn verhinderte in letzter Minute den Eklat in der entscheidenden Mitgliederversammlung86. Nach dem notgedrungenen Einverständnis Wilhelms, der einer Spaltung des Vereins vorbeugen wollte, wurde Groener Ende Februar 1928 in die Schlieffen-Vereinigung aufgenommen87. Der Reichswehrminister blieb jedoch persona non grata und fand gerade im Kreis der alten Generalstabsoffiziere manche seiner schärfsten Kritiker. Groener quittierte das für ihn besonders enttäuschende Mißverhältnis zu seinen früheren Kameraden, indem er die Schlieffen-Vereinigung unmittelbar nach seinem Sturz wieder verließ88. 84

Zum Streit um den Beitritt Groeners in die Schlieffen-Vereinigung vgl. die Briefe Cramons an Macken(privat), Berlin 6.2.1928 (BA-MA, N 39/334, Bl.4f.), 11.2.1928 (ebd., Bl. 6), 23.2.1928 (BAMA, N 39/336, Bl. 1). Generalfeldmarschall a.D. von Mackensen war der nominelle Vorsitzende des Vereins, für den Cramon die Geschäfte führte. Cramon hatte bereits ein Jahr zuvor einen Vorstoß Hahnkes für die Aufnahme Groeners zurückgewiesen (Cramon an Mackensen [privat], Berlin 3.2.1927; BA-MA, N 39/334, Bl. 2). Vgl. etwa Cramon an Mackensen (privat), Berlin 6.2.1928 (ebd., Bl. 4 f.): »Wird Gröner von der Mehrzahl aufgenommen, so melde ich ganz gehorsamst, daß ich mein Amt als Geschäftsführer niederlege und aus dem Verein austrete [Randbemerkung Mackensens: auch ich!]. Ich kann es als Generaladjutant Seiner Majestät mit meinem Gewissen nicht in Einklang bringen, die Aufnahme eines ehemaligen Offiziers in den Verein gut zu heissen, den der höchste Herr als Lumpen und Verräter bezeichnet.« Wilhelm II. an Mackensen, Haus Doorn 25.2.1928 (BA-MA, N 39/40, Bl. 1). Der frühere Kaiser sprach sich dafür aus, »dass die Aufnahme des Generalleutnants Gröner in den Verein möglichst einmütig vor sich geht, auch wenn das so manch Einem schwerfallen sollte. Wir alle haben aber in dieser schweren Zeit alles Persönliche und sonst Gegensätzliche zurückzustellen, wenn wir dadurch dem großen Ziele irgendwie näherkommen.« Daß Wilhelm dieser Schritt schwerfiel, bezeugt ein weiterer Brief an Mackensen, Haus Doorn 23.3.1928 (ebd., Bl. 3), in dem er ihn als »Opfer« bezeichnete. Sein Eingreifen zeigte aber Wirkung, da nun auch die Gegner Groeners nicht »kaiserlicher als der Kaiser« sein wollten (Cramon an Mackensen [privat], Berlin 8.3.1928; BA-MA, N 39/334, Bl. 16). Vgl. ebd. Die entscheidende Sitzung fand am 28.2.1928 statt. Hindenburg berichtete Cramon, daß Groener vor Rührung über die Zustimmung Wilhelms »die Tränen nicht habe unterdrücken können, und daß er wirklich monarchisch gesonnen« sei (ebd.). Cramon kommentierte dies bissig (ebd.): »Nun, wir wollen es hoffen, denn sonst könnte es ihm auch passieren, daß er eben so schnell aus dem Verein wieder hinausflöge, wie er hineingekommen ist.« Groener an Mackensen, Berlin 4.6.1932 (ebd., Bl. 115). sen

85

86

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rechts, interne Vertrauenskrise

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Die Aufregung um den Beitritt Groeners in den angesehenen Traditionsverein des Generalstabs verdeutlichte bereits kurz nach seinem Amtsantritt, welche Ressentiments nach wie vor gegen ihn bestanden. Die ablehnende Haltung eines monarchischen Parteigängers wie Cramon war nicht nur bei einigen verbohrten kaiserlichen Generalen anzutreffen, sondern spiegelte durchaus das mehrheitlich negative Meinungsbild über Groener bei den Kräften wider, die durch die Deutschnationalen und den rechten Flügel der DVP sowie durch den Stahlhelm und die anderen vaterländischen« Verbände vertreten wurden. Zwar gab es auch in der DNVP Politiker, die dem neuen Reichswehrminister aufgeschlossen gegenübertraten und sogar seinen Annäherungskurs an die republikanischen Parteien als taktisch richtig begrüßten zu nennen ist vor allem der deutschnationale Wehrexperte Graf Schulenburg89 —, doch war diese Einstellung für die Mehrheit der sogenannten >nationalen< Kreise nicht charakteristisch. Groener wurde also von Anfang an mit dem Problem konfrontiert, daß die republikanische Seite ihm Vertrauen entgegenbrachte, zur Reichswehr aber in Distanz stand, während die Rechtskreise genau umgekehrt der Armee verbunden waren und seine Person ablehnten. Die Hoffnung der einen war die Befürchtung der anderen. Groener wollte einen Ausgleich finden und beide Seiten für seine Militärpolitik gewinnen. Ihm war bewußt, daß er bei seinem Entgegenkommen an die Republik die traditionellen Anhänger der Reichswehr nicht zu sehr vor den Kopf stoßen und gegen sich aufbringen durfte. Der Eintritt in die Schlieffen-Vereinigung sollte wohl nicht zuletzt auch signalisieren, daß er sich der Tradition der kaiserlichen Armee trotz allem verpflichtet fühlte. Auch in seinen parlamentarischen Grundsatzreden vom Frühjahr 1928 konterkarierte Groener seine Vertrauenswerbungen gegenüber den republikanischen Kräften durch den Hinweis, »daß der Zusammenhang mit der Vergangenheit, die Verbindung mit dem alten Heer gepflegt werden müsse«, wenn auch »nicht in dem Sinne, als ob die Wiederherstellung herbeigewünscht werde«90. Dieser Zusatz schwächte allerdings das Bekenntnis zur Tradition in seiner Wirksamkeit auf die >nationalen< Kritiker Groeners erheblich ab, denn diese wollten die Beschwörung der Vergangenheit nicht nur als stilles Gedenken, sondern als politische Demonstration91. Eine monarchische Frontstellung gegen die bestehende Staatsform wurde aber vom Reichswehrminister strikt abgelehnt erst recht für die bewaffnete Macht als Teil dieses Staates. So war sein Versuch, bei Annäherung an die Republik der Reichswehrpolitik auch ihre nationalkonservative Anhängerschaft zu bewahren, ein Drahtseilakt, ein schier unmögliches Unterfangen. Die Konfrontation Groeners mit den republikfeindlichen Kreisen war kaum vermeidbar, denn bereits seine ersten Amtsmonate schienen die Befürchtungen von rechts zu bestätigen. Die beschriebenen Bemühungen um die Integration der Reichswehr in den —



89

Vgl. Schulenburg an Schleicher (privat), Tressow 2.6.1928 (BA-MA, N 42/20, Bl. 32); Schulenburg an Stülpnagel (privat), Kampen/Sylt 14.6.1928 (BA-MA, N 5/22, Bl. 2). Schulenburg wandte sich dabei ausdrücklich gegen die »Toren von Rechts« (ebd.), die den militärpolitischen Kurs Groeners kritisierten.

90

Verhandlungen des Ausschusses für den Reichshaushalt, III. Wahlperiode, 315. Sitzung vom 10.2.1928, S.2.

91

Dagegen

Groener ebd.: »Er sehe die Tradition nicht in

Äußerlichkeiten,

er

sehe sie innerlich.«

222

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort

der Reichswehr

republikanischen Staat und um den Ausgleich mit seinen Befürwortern stießen bei deren Gegnern auf eine breite Ablehnung. Der Vorteil für die militärische Vorbereitung wurde nicht erkannt, sondern nur die vermeintliche >Anbiederung< der Reichswehrführung an die >Demokraten< und >Marxisten« gesehen, die dann auch noch in der Großen Koalition neben Groener auf der Kabinettsbank saßen. Besonders das Vorgehen der Reichswehrführung gegen Kaiserhochs und andere monarchische Demonstrationen bei Traditionsveranstaltungen in Offizierskasinos führte zu empörten Reaktionen. Als ein erster Erlaß dieser Art bekannt wurde, legte Cramon als Vertreter des alten Offizierskorps bei Groener Protest ein, da ein Gedenken an den früheren obersten Kriegsherrn doch eine

selbstverständliche Geste sei92. Dem hielt der Reichswehrminister entgegen, daß sich dieses Gedenken immer wieder zu Entgleisungen gegen die republikanische Staatsform entwickelt habe, »die die Angehörigen der Reichswehr in eine höchst peinliche Lage bringen und zu unliebsamen Erörterungen in der Oeffentlichkeit führen«93. Groeners Bitte um Verständnis für die besondere überparteiliche Stellung der Reichswehr stieß aber auf Ablehnung. Nach einem weiteren, noch schärferen Erlaß gegen kaisertreue Kundgebungen94 war für Cramon und seine Gesinnungsgenossen erwiesen, daß Groener »ganz planmäßig eine Trennung des alten Offizierkorps vom neuen« betreibe und kein Monarchist sei, »sondern ein demokratischer Republikaner reinsten Wassers«95. Trotz dieser schroffen Haltung suchte der Reichswehrminister die persönliche Aussprache mit Cramon, um die einflußreichen Vertreter der alten Armee von seinem Kurs zu überzeugen ohne Erfolg96. Statt dessen begannen diese Kreise nun, bei Hindenburg gegen ihn vorzugehen. Der Reichspräsident stand zwar nach wie vor zu Groener, doch zeigte er sich bereits Ende 1928 nicht unbeeindruckt von den Angriffen seiner früheren Kameraden, —

92

93

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95

96

Cramon an Groener, Berlin 30.7.1928 (BA-MA, N 39/334, Bl. 66). Der beanstandete Vorgang war ein Erlaß des Wehrkreiskommandos III, Berlin 4.4.1928 (ebd., Bl. 69), »daß die Offizierheime des Wehrkreises nur dann den Vereinen des alten Heeres zur Verfügung zu stellen sind, wenn die betreffenden Vereinsvorsitzenden eine schriftliche Erklärung über den würdigen und unpolitischen Verlauf der Veranstaltung abgegeben haben und außerdem die Verpflichtung übernehmen, auf jegliche Festrede, die inhaltlich über das Maß einer Begrüssung der Gäste hinausgeht, zu verzichten.« Groener an Cramon, Berlin 10.8.1928 (ebd., Bl. 67). Vgl. auch sein zweites Schreiben an Cramon, Berlin 23.8.1928 (ebd., Bl. 68). Erlaß Groeners, Berlin 31.8.1928 (ebd., Bl. 74), zur >Politischerklärung< einer Regimentsvereinigung, die eine Versammlung mit dem Kaiserhoch und der Kaiserhymne beendet hatte. Cramon an Mackensen (privat), Berlin 6.10.1928 (ebd., Bl. 83). Cramon schloß daran erneut die Forderung an, »daß wir Gröner nicht im Generalstabsverein dulden können [...]. Treten dann, gezwungen, auch die anderen Herrn der Reichswehr aus, so würde mir das sehr leid tun, aber wir können nur eine Gesinnung im Verein haben und die muß kaisertreu sein.« Vgl. Groener an Cramon, Berlin 26.10.1928, und den auf demselben Blatt angefügten Bericht Cramons an Mackensen (privat), Berlin 27.10.1928 (ebd., Bl. 85). Der Reichswehrminister erklärte in der Aussprache am 27.10., »daß in Folge der mancherlei Entgleisungen der alten Offiziere nunmehr etwas energisches hätte geschehen müssen. Er sieht in jedem Hoch, mag es ausgebracht werden, wo es sei, eine Demonstration für den Kaiser [...]. Die Reichswehr müsse aus jeder Politik heraus und daher müssten ihre Offiziere Veranstaltungen verlassen, wo solche Hochs ausgebracht würden.« Cramon zeigte dafür kein Verständnis, sondern sah in der Haltung Groeners »eine Beleidigung der Fürstlichkeit im Allgemeinen«.

2. Die

denen

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interne Vertrauenskrise

223

sich gesellschaftlich und politisch verbunden fühlte97. Das Mißverhältnis Groeden »nationalen« Kräften und besonders den Monarchisten unter ihnen drohte langfristig nicht nur die traditionelle Basis der Reichswehrpolitik, sondern auch seine persönliche Machtgrundlage, die Rückendeckung durch Hindenburg, zu unterspülen. Die Frage, ob ein Kaiserhoch schon eine politische Demonstration sei, blieb auch in den folgenden Jahren ein ständiger Streitpunkt zwischen der Reichswehrführung und den Offiziersverbänden98. Die unverändert konsequente Auffassung der Bendlerstraße wurde auf Groener und seine »Sucht, Komplimente nach links zu machen«99, zurückgeführt. Der überparteiliche Integrationskurs des Reichswehrministers verfestigte bei den Gegnern der Republik die Befürchtung, daß die Armee, die bisher als heimliche Verbündete angesehen wurde, von ihrer Führung dem verhaßten »System« und seinen Anhängern ausgeliefert werde. Als sich Severing auf dem Magdeburger Parteitag im Mai 1929 sehr wohlwollend über die Politik Groeners äußerte und in diesem Zusammenhang die Hoffnung auf eine Republikanisierung der Reichswehr aussprach, reagierte man auf der politischen Gegenseite nervös und fühlte sich in seiner Kritik bestätigt100. Die stereotypen Vorbehalte gegen den »Demokraten« Groener und seine »schlappe« Haltung gegenüber der Republik verstärkten sich, immer mehr machte das Wort vom »Linkskurs« der »Clique von Bürogeneralen« um den Reichswehrminister und seinen Gehilfen Schleicher die Runde. Diese negative Stimmung gegen die militärpolitische Führung erfaßte nicht nur die außenstehenden Rechtskreise, sondern auch viele der mit ihnen sympathisierenden Offiziere innerhalb der Reichswehr101. Dabei reichte die ablehnende Haltung von betont monarchisch gesinnten älteren und ranghöheren bis zu eher indifferent »national« er

ners zu

97

In einem Gespräch mit Hindenburg, dem ein schriftlicher Appell Mackensens vorausgegangen war, glaubte Cramon feststellen zu können, »daß der Herr Reichspräsident eigentlich auf unserer Seite steht« (Cramon an Mackensen [privat], Berlin 24.11.1928; ebd., Bl. 101; vgl. auch Cramon an Mackensen

98

99

100

101

[privat],

Berlin 5.12.1928;

ebd., Bl. 102).

Vgl. etwa die heftigen Auseinandersetzungen zwischen Heye und Cramon Anfang 1930 über die Teilnahme der Reichswehroffiziere bei einer Versammlung der Generalstabsvereinigung am Geburtstag Schlieffens (28.2.), in der ein Hoch auf den Kaiser ausgesprochen werden sollte. Erst der Verzicht

auf das Kaiserhoch verhinderte den Eklat eines Fernbleibens der aktiven Offiziere. Dazu Cramon an Heye, Berlin 6.1.1930 (BA-MA, N 39/336, Bl. 18); Heye an Cramon, Berlin 20.1.1930 (ebd., Bl. 19—21); Heye an Mackensen, Berlin 20.1.1930 (ebd., Bl. 15f.); Cramon an Mackensen (privat), Berlin 15.2.1930 (ebd., B1.29Í.); Heye an Cramon, Berlin 22.2.1930 (ebd., Bl. 42-44). Cramon an Mackensen (privat), Berlin 24.11.1928 (BA-MA, N 39/334, Bl. 101). Vgl. auch Cramon an Mackensen (privat), Berlin 15.2.1930 (BA-MA, N 39/336, Bl. 29 f.), wo er den »Kaiserhasser« (ebd., Bl. 29) Groener für seinen Streit mit Heye verantwortlich macht. Wieder war es Cramon, der dem Reichswehrministerium die entsprechenden Zeitungsausschnitte über die Rede Severings vorwurfsvoll entgegenhielt (Cramon an Schleicher, Berlin 19.5.1929; BAMA, N 42/26, Bl. 169 f.). Für diese interne Kritik an Groener, Schleicher und ihrem Kurs zahlreiche Belege bei Schüddekopf, Heer, S. 265—279; Carsten, Reichswehr, S. 328—334, S. 341—349. Das Hauptaugenmerk ist dort auf die steigende Sympathie vieler junger Soldaten für die NSDAP gerichtet die älteren Dienstgrade blieben dagegen von dieser Bewegung meist unbeeindruckt. Die Hinwendung zu dieser Partei, die eher oberflächlich als »national« und »wehrfreudig« angesehen wurde, war freilich nur ein Symptom der reichswehrinternen Unzufriedenheit mit der Militärpolitik Groeners und ihren politischen Rahmenbedingungen. —

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VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort

der Reichswehr

eingestellten jüngeren und rangniedrigeren Offizieren. Die ersten standen den Deutschnationalen oder dem Stahlhelm nahe und waren in ihrer Kritik gemäßigter, die letzteren neigten zu radikalen Ansichten und waren teilweise für die nationalsozialistische Propaganda empfänglich. Trotz dieser ganz unterschiedlichen Ausprägung wurde die reichswehrinterne politische Opposition, die überwiegend außerhalb des Ministeriums auftrat und von der inneren militärfachlichen Opposition vorwiegend im Truppenamt getrennt werden muß, durch gleichartige Ressentiments und Vorurteile gegen die oberste Reichswehrführung verbunden. Diese gemeinsame Ablehnung der Militärpolitik Groeners, die als schwächliches Zurückweichen vor der Republik und als Verrat an der >nationalen Berufung« der Armee mißverstanden wurde, läßt die parteipolitische Ausrichtung der einzelnen Kritiker in diesem Zusammenhang als zweitrangig erscheinen. Ohnehin wurde die NSDAP nach 1929 allgemein als Teil der >nationalen Opposition« angesehen, so daß sich etwa für einen orientierungsuchenden jungen Offizier die eigentlichen Unterschiede verwischten und er der dynamischeren und radikaleren Bewegung zuneigte, ohne sie im Kern zu erfassen. Auch der berühmte Fall Scheringer—Ludin—Wendt102 war weniger ein Problem nationalsozia-

listischer Infiltration als ein Symptom der Vertrauenskrise innerhalb der Reichswehr, das mit dem Widerstand der >nationalen« Kräfte gleich welcher Tendenz gegen den militärpolitischen Kurs unter Groener in Verbindung gebracht werden muß. Das beweisen sowohl der Ursprung des Skandals als auch die interne und öffentliche Reaktion auf ihn. Der Hochverrat der drei jungen Offiziere des 5. Artillerieregiments in Ulm, des Oberleutnants Wendt und der Leutnants Scheringer und Ludin, war von den beschriebenen Ressentiments gegen die >wehrfeindliche< Republik und die sich ihr einordnende Politik der Bendlerstraße motiviert103. Die Bemühungen, die Armee als überparteiliches und staatstreues Instrument vertrauenswürdig zu machen, wurden als Zugeständnisse an das >System< oder gar als Zurückweichen vor den >Marxisten< bewertet und bestärkten den Eindruck, daß sich die Reichswehrführung nach Abgang Seeckts »den Linksparteien verschrieben« habe104. Dazu kam der Haß auf die >Young-Regierung< der Großen Koalition und die Hoffnung auf eine nationale Erhebung gegen die Versailler Ordnung. Um die Reichswehr auf diese Stunde vorzubereiten, suchten die Ulmer Offiziere seit dem Frühjahr 1929 die Verbindung zu den >nationalen« Kräften, zunächst ohne Erfolg beim Stahlhelm, dann bei den Nationalsozialisten105. In der NSDAP sahen sie nicht eine eigenständige ideologische Bewegung, sondern einen besonders dynamischen Teil der OrgaZu diesem Hochverratsfall und seiner Verfolgung eingehend Bucher, Reichswehrprozeß. Vgl. auch Vogelsang, Reichswehr, S. 82—84, S. 90—93; Carsten, Reichswehr, S. 347—360; Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 685-690. 103 Vgl. die Aussagen der drei angeklagten Offiziere am 23.9.1930 vor dem Reichsgericht (Bucher, Reichswehrprozeß, S. 153—195), in ihrem Gehalt zusammengefaßt ebd., S. 60—67. 104 Aussage Scheringers am 23.9.1930 vor dem Reichsgericht (ebd., S. 163). Ebd., S. 169, nannte Scheringer als Beispiele die Teilnahme der Reichswehr an Verfassungsfeiern, auf denen rote Fahnen geschwungen wurden, und die vom Reichswehrminister auferlegte Zurückhaltung beim kommunistischen Antikriegstag am 1.8.1929. 105 Zum folgenden und über die Einzelheiten vgl. die detaillierte Rekonstruktion des Hochverrats ebd.,

102

S. 15-37.

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Gegenbewegung:

Widerstand

von

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225

nisationen, »die den Pazifismus ablehnen, das Versailler Friedensdiktat bekämpfen, für den Freiheitskampf eintreten, den Gedanken der Wehrhaftigkeit verfechten«106 und nach

ihrem groben Einteilungsschema die Widersacher der linken »Vaterlandsverräter« waren107. Am 1. November 1929 wurden Scheringer und Ludin in der Münchner Parteizentrale von führenden Vertretern der SA in ihren Agitationsplänen ermutigt, ohne konkrete Unterstützungszusagen zu erhalten. In den folgenden Wochen versuchten sie gemeinsam mit Wendt, Kameraden von verschiedenen Reichswehrstandorten für den radikalen Nationalismus der NSDAP zu gewinnen und davon zu überzeugen, daß man bei einem Umsturzversuch nicht gegen die »vaterländischen« Kräfte vorgehen dürfe. Auch wenn viele Offiziere den Ulmer Leutnants in ihrer Kritik zustimmten, ging den meisten dieser politisch exponierte und hochverräterische Vorstoß doch zu weit. So wundert es nicht, daß bereits Anfang Dezember eine erste Meldung über die Umtriebe der drei Offiziere beim zuständigen Reichswehrgruppenkommando II in Kassel einging108. Die Ulmer Vorgänge wurden zu einem Problem, mit dem sich die Reichswehrführung auseinandersetzen mußte. Die ersten Untersuchungen wurden vom Stabschef des Gruppenkommandos, Generalmajor Waenker von Dankenschweil, in enger Fühlungnahme mit dem Reichswehrministerium durchgeführt109. Groener sprach sich bereits frühzeitig für ein hartes Durchgreifen aus und faßte eine Übertragung des Falls an die Staatsanwaltschaft ins Auge110. Doch die Ermittlungen schienen diesen spektakulären Schritt nicht zu rechtfertigen. Der Verdacht richtete sich zunächst hauptsächlich gegen Scheringer, der die ihm vorgeworfene Agitation ableugnete und auch nichts von den Verbindungen zur NSDAP erkennen ließ. Da seine Vorgesetzten für ihn eintraten und die Beweise fehlten, wurde ihm geglaubt und der ganze Fall Anfang Januar 1930 vorerst mit einer geringfügigen Disziplinarstrafe 106

107

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Aussage Scheringers am 23.9.1930 vor dem Reichsgericht (ebd., S. 171). Die Reichswehr müsse mit diesen Verbänden zusammengehen, denn sie sei »die Hochburg für den zukünftigen Befreiungskampf« (ebd., S. 172 f.). Auf die Frage des Vorsitzenden, ob er »denn jeden pazifistisch oder marxistisch Eingestellten für einen Vaterlandsverräter« halte, antwortete Ludin vor dem Reichsgericht am 23.9.1930 (ebd., S. 171 f.): »Heutigen Tages ja! Nach meiner Meinung muß ein Offizier nationalistisch sein, und darunter verstehe ich: Alles für's Vaterland, alles für's Volk.« Ebd., S. 38f. Der folgende Überblick der Ereignisse bis zur Anklage des Oberreichsanwalts gegen Scheringer, Ludin und Wendt nach Bucher, Reichswehrprozeß, S. 38—59. Vgl. auch Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 688 f. Als wichtigste Quellen sind zu nennen: Auszüge aus dem Tagebuch Waenkers von Dankenschweil, Dezember 1929 (BA-MA, MSg 2/298); Erlaß Groeners, Berlin 30.4.1930 (BA-MA, N 46/151, Bl. 40f.), der über die Vorgänge informiert; Vortrag Theisens »Der Prozeß gegen die ehemaligen Leutnante Scheringer und Ludin und Oberleutnant a.D. Wendt vor dem Reichsgericht in Leipzig«, 14.10.1930 (ebd., Bl. 49—52). Major Theisen (Wehrmachtsabteilung) war der militärische Sachverständige in Leipzig und ging in seinem Vortrag vor dem Offizierskorps der Bendlerstraße auch auf die Vorgeschichte ein. Tagebuchaufzeichnung Waenkers von Dankenschweil, Berlin/Ulm 12.12.1929 (BA-MA, MSg 2/298; zit. auch von Bucher, Reichswehrprozeß, S. 42): »Nach meinem gestrigen Vortrag vor dem Minister Groener erhielt ich den Auftrag, zunächst die Erhebungen fortzusetzen u. alsdann die Angelegenheit zur weiteren Verfolgung mit einem Tatbericht an die zuständige Staatsanwaltschaft abzugeben.«

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Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

abgeschlossen111. Bereits einen Monat später kamen aber weitere Meldungen über die Umtriebe der Ulmer Offiziere zum Vorschein, die den Verdacht gegen Scheringer und Wendt bestätigten, nun auch Ludin schwer belasteten und auf Kontakte mit den Nationalsozialisten hinwiesen. Die Untersuchung wurde von neuem aufgenommen und diesmal bei Ausschaltung Waenkers vom Chef der Wehrmachtsabteilung Götting geleitet, ein Zeichen dafür, daß die ministerielle Spitze in der Bendlerstraße die Angelegenheit sehr ernst nahm und jede weitere Verschleierung durch die Leichtgläubigkeit der Truppenkommandeure ausschließen wollte. Als sich die Verdachtsmomente in den Vernehmungen erhärteten, übergab der Reichswehrminister den Fall am 25. Februar 1930 dem Oberreichsanwalt. Im März wurden die drei Offiziere in Untersuchungshaft genommen, und am 29. Juli erhob man gegen sie beim Reichsgericht Anklage wegen Hochverrats. Der reichswehrinterne Skandal Scheringer—Ludin—Wendt hatte sich zu einer hochpolitischen Frage und einem öffentlichen Diskussionsthema entwickelt. Groener war die entscheidende, wenn nicht sogar die treibende Kraft bei der Ausweitung der Affäre von einer disziplinarischen zu einer gerichtlichen Angelegenheit112. Das mag auf den ersten Blick verwundern, denn diese Verschärfung der Verfahrensweise widersprach seinen Bemühungen, die Reichswehr aus den politischen und öffentlichen Auseinandersetzungen herauszubringen. Im Reichswehrministerium bestanden auch tatsächlich erhebliche Bedenken gegen die Einleitung eines großen Prozesses, vor allem bei Major Theisen, dem Sachbearbeiter der Wehrmachtsabteilung, und bei Heye, die nach wie vor eine disziplinarische Erledigung und verstärkte Aufklärungsmaßnahmen im Offizierskorps für den besseren Weg hielten113. Theisen machte auf die politischen Folgen eines Hochverratsverfahrens aufmerksam, besonders auf die Propagandamöglichkeiten der 111

112

113

Am 8./9.1.1930 erschien Heye persönlich in Ulm und verhängte drei Tage Stubenarrest gegen Scheringer, schwächte aber die Wirkung dieser ohnehin geringen Strafe zusätzlich ab, indem er jovial an einem Kameradschaftsabend des Ulmer Offizierskorps teilnahm (vgl. Bucher, Reichswehrprozeß, S. 45 f.). Diese abschließende Behandlung der Affäre wird kaum im Sinne des Reichswehrministers gewesen sein. Vermutlich bezog sich auch auf diesen Fall die rückblickende Bemerkung Groeners, daß »der gute Onkel [Heye] kein Kerl war und sich von den Leutnants auf der Nase herumtanzen ließ« (Groener an Gleich [privat], Berlin 26.4.1931; BA-MA, N46/36, Bl. 18). Für die Überweisung des Falls an den Oberreichsanwalt zeichnete Groener ausdrücklich selbst verantwortlich (Erlaß Groeners, Berlin 17.3.1930; BA-MA, RH 1/10), und auch vor dem Reichsgericht erklärte Theisen am 26.9.1930, daß »der Minister sich frei und ohne parlamentarische Einwirkung entschlossen [habe], die Angelegenheit dem Oberreichsanwalt zu übergeben« (Bucher, Reichswehrprozeß, S. 318). Nach der späteren Erinnerung Theisens veranlaßte Schleicher den Reichswehrminister zu diesem Schritt (Zeitzeugenbefragung Theisens, 5.7.1951; IfZ, ZS 334, Bl. 1), während Vincenz Müller behauptet, Groener habe auf dem Gerichtsverfahren gegen den Rat Schleichers bestanden (Vincenz Müller, Vaterland, S. 23). Vgl. auch Bucher, Reichswehrprozeß, S. 48. Daß der Reichswehrminister mit einem harten Vorgehen und einer gerichtlichen Erledigung vollständig einverstanden war, darf aber vorausgesetzt werden. Zeitzeugenbefragung Theisens, 5.7.1951 (IfZ, ZS 334, Bl. 1 und Bl. 4). Zur Einstellung Heyes vgl. auch dessen Lebenserinnerungen (BA-MA, N 18/4, Bl. 314—321). Es war aber für die veränderte Einflußposition des Chefs der Heeresleitung bezeichnend, daß er seine Bedenken nicht gegen Groener durchsetzen konnte. Vgl. ebd., Bl. 315: »So zerrte man die brave Reichswehr rücksichtslos in die Öffentlichkeit und untergrub die Autorität ihres höchsten militärischen Vorgesetzten.«

2. Die

Gegenbewegung:

Widerstand

von

rechts,

interne Vertrauenskrise

227

NSDAP, und empfahl Groener, persönlich mit den Ulmer Offizieren zu sprechen114. Der Reichswehrminister lehnte dies ab und blieb bei seiner harten Linie, die er von vorn-

herein vertreten hatte, die aber bei der militärischen Untersuchung von Waenker und Heye unterlaufen worden war. Die neuen Vorwürfe mögen Groener bestätigt haben, daß interne Ermittlungen und ein beschränktes disziplinarisches Vorgehen in diesem Fall nicht genügten. Daher schaltete er bereits kurz nach Wiederaufnahme der Untersuchung die oberste Staatsanwaltschaft ein. Auch die aufsehenerregende Verhaftung der Offiziere Scheringer und Ludin am 10. März 1930 auf einem Truppenübungsplatz bei Ulm durch den zivilen Untersuchungsrichter verhinderte er nicht115. Groener nahm allem Anschein nach bewußt die Gefahr einer neuen >Sensation< um die Reichswehr in Kauf. Welche Motive veranlaßten ihn aber, seine Bestrebungen zu einer möglichst unspektakulären und normalisierten Reichswehrpolitik bei dieser Affäre zurückzustellen? Groeners hartes Vorgehen war von seinem Standpunkt aus nur konsequent und ordnete sich auch mehr in seinen militärpolitischen Kurs ein, als es eine oberflächliche Betrachtungsweise vermuten läßt. Es entsprach seinem Verständnis von den zivil-militärischen Beziehungen, daß er die Zuständigkeit der Zivilbehörden, hier also des Oberreichsanwalts und des Reichsgerichts, für diesen Hochverratsfall anerkannte116. Wenn die Reichswehr ein integrativer Bestandteil des Staates sein sollte, durfte ihre Führung nicht Vergehen, die unter das Strafgesetz gegen Hochverrat fielen, intern bereinigen. Das wäre ein Rückschritt zu einer gerade erst von Groener überwundenen Militärpolitik gewesen, die in der Armee einen eigenständigen Macht- und Rechtsbereich abseits der staatlichen Einflußmöglichkeiten sah. Doch der Reichswehrminister wurde offenbar noch von einem anderen Aspekt zu seinem entschlossenen Vorgehen veranlaßt, sonst hätte er Waenker nicht die Übergabe der Affäre an die Staatsanwaltschaft bereits zu einem Zeitpunkt empfohlen, als das hochverräterische Ausmaß der Ulmer Umtriebe noch nicht bekannt und 114

115

116

Zeitzeugenbefragung Theisens, 5.7.1951 (IfZ, ZS334, Bl. 2 bzw. Bl. 4). Der Haftbefehl wurde vom zuständigen Untersuchungsrichter (Landgerichtsdirektor Braune) erlassen, der dabei im Reichswehrministerium nicht auf Widerspruch stieß und für die Festnahme Theisen zugeordnet bekam. Bei der Verhaftung in Ulm berief sich Braune gegen den widerstrebenden Regimentskommandeur Oberst Beck auf die Zustimmung Groeners und die Kenntnis des Reichspräsidenten (vgl. Bucher, Reichswehrprozeß, S. 48—52). In einem späteren Schreiben an Oberreichsanwalt Werner, Berlin 30.10.1930 (BA, R 43 1/688, Bl. 187), stellte der Reichswehrminister allerdings fest, daß er Hindenburg erst am Tag nach der Verhaftung informiert habe. Sein eigenes Einverständnis

dementierte Groener aber nicht. Vgl. auch die formaljuristische Rechtfertigung der Reichswehrführung, die ausgerechnet Theisen, der Befürworter einer stillschweigenden disziplinarischen Erledigung, in seinem Vortrag gegenüber dem Offizierskorps vertreten mußte: Nach den neuen Vorwürfen gegen die Ulmer Offiziere im Februar 1930 »lag zweifellos ein Verstoß gegen den § 86 des St. G. B. (Vorbereitung zum Hochverrat) sowie auch ein Verstoß gegen § 92 des M. St. G. B. (Ungehorsam mit erheblichem Nachteil) vor. Diese Vergehen konnten nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht disziplinarisch erledigt werden. Zudem ging die Angelegenheit jetzt, nachdem von Ludin die Zentrale der N.S.D. A.P. erwähnt worden war, über die Zuständigkeit des Rw.Min. hinaus. Es blieb daher dem Rw.Min. nichts anderes übrig, als die Angelegenheit nunmehr dem O. R.A. zur weiteren Behandlung zu übergeben.« (Vortrag Theisens »Der Prozeß gegen die ehemaligen Leutnante Scheringer und Ludin und Oberleutnant a.D. Wendt vor dem Reichsgericht in Leipzig«, 14.10.1930; BA-MA, N46/151, Bl. 49.)

228

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort der Reichswehr

damit die formalrechtliche Zuständigkeit der Zivilgerichtsbarkeit noch nicht gegeben war. Groener wollte ganz offensichtlich Stärke demonstrieren und den nächsten schwerwiegenden Fall innerer Unruhe, der sich gegen seine Politik wandte, nicht allein intern hart ahnden, sondern vor ein Gericht und in die öffentliche Diskussion bringen. Durch diese Flucht nach vorne sollte ein abschreckendes Exempel statuiert und dem Reichswehrminister die Gelegenheit gegeben werden, an diesem Beispiel dem Offizierskorps nochmals eindringlich seinen militärpolitischen Kurs der unbedingten Überparteilichkeit und Staatstreue verständlich zu machen. Groener erblickte in seiner Behandlung der Ulmer Affäre ein Mittel zur Aufklärung, die er anders als etwa Theisen und Heye nicht als Alternative zur gerichtlichen Verfolgung verstand, sondern eng mit ihr verknüpfen wollte. Bereits seit Ende 1929 läßt sich eine neue Phase der Bemühungen Groeners erkennen, die Armee und besonders das Offizierskorps auch in ihrer inneren Einstellung auf seine militärpolitische Linie zu bringen. Der Grund für diese forcierte Aufklärungs- und Disziplinierungsarbeit des Ministers liegt nach dem bisher Beschriebenen auf der Hand. Groener befand sich zu dieser Zeit in einer schwierigen Situation. Seine kooperative Wehrpolitik hatte zwar zu erheblichen Fortschritten für die militärische Vorbereitung geführt, doch andererseits nicht die erhoffte allgemeine Zustimmung außerhalb der Regierungsebene gefunden. Im Gegenteil: Während seine Annäherung an die republikanischen Kräfte nicht mit dem gewünschten Erfolg verlief, wurde die Kritik aus dem >nationalen< Lager lauter und infizierte Teile des Offizierskorps, das der Politik Groeners ohnehin mehrheitlich skeptisch gegenüberstand. Alle äußeren und inneren Maßnahmen des Reichswehrministers hatten nichts an der traditionellen Einstellung der meisten Soldaten geändert, ja wurden sogar als Nachgiebigkeiten gegenüber der Linken interpretiert und übel vermerkt. Die zunehmende Polarisierung des politischen Lebens machte es Groener doppelt schwer, die innenpolitische Stellung der Reichswehr zu bestimmen und die externe wie interne Gegenbewegung gegen seinen Kurs abzuwehren. Als sich Ende 1929 die Anzeichen für eine Vertrauenskrise im Offizierskorps mehrten und gleichzeitig die Bemühungen um die republikanischen Kräfte fruchtlos blieben, mußte Groener reagieren. Er wandte sich nun verstärkt der reichswehrinternen Unruhe und Kritik zu, warb damit zugleich auch bei der nationalkonservativen Rechten um mehr Verständnis für seine Politik und reduzierte die Ausgleichsbemühungen gegenüber der republikanischen Linken. Groener hoffte dadurch eine schwere innere Krise der Reichswehr und den Verlust ihrer traditionellen Anhängerschaft zu verhindern. Es ist kein Zufall, daß diese taktische Wende mit dem Eingriff der Reichswehrführung in die Innenpolitik zusammenfiel, der im nächsten Kapitel zu untersuchen sein wird. Als im November 1929 das Sympathisieren zweier Oberfähnriche mit den Nationalsozialisten bekannt wurde, war das für Groener eine Warnung vor der »Gefahr einseitiger politischer Einstellung des Offiziernachwuchses«, die seine Militärpolitik bedrohte117. Der Reichswehrminister beauftragte daraufhin die Kommandeure, stärker auf die überparteiliche und unpolitische Haltung ihrer Untergebenen zu achten, und schloß seinen n7

Erlaß Groeners, Berlin 19.11.1929

(BA-MA,

RH

1/10).

2. Die

Gegenbewegung:

Widerstand

von

rechts,

interne Vertrauenskrise

229

Erlaß mit dem eindringlichen Satz118: »Das feste Gefüge der Wehrmacht hängt davon ab!« Die ersten Nachrichten über die Ulmer Affäre nur wenige Wochen später mußten Groener erneut bewußtmachen, daß dieses feste Gefüge und damit eine wesentliche Basis seiner Arbeit auf dem Spiel standen, denn die Neigung einiger Offiziere zu radikalen politischen Ansichten und Aktivitäten war nur die Spitze des Eisbergs eines breiten Mißtrauens in die Politik der Reichswehrführung. Eine erste deutliche Reaktion auf diese Anfechtungen war die Ansprache des Reichswehrministers vor der Infanterieschule in Dresden am 17. Dezember 1929. In seinem handschriftlichen Redemanuskript ist notiert119: »Grundlage der Wehrmacht: Disziplin. Autorität von oben. Gehorsam von unten. Größte Gefahr: politische Neigungen. Ungeheure Stärke der Wehrmacht, wenn von oben bis unten einig, innere Geschlossenheit bildet Machtfaktor im Staate, über den keiner hinweggehen kann. Politisierender Leutnant Irrsinn. Strengste Einordnung in das Ganze.« Gegen die radikale Kritik junger Offiziere beschwor Groener den »Wirklichkeitssinn« und die »Kunst des Möglichen«, außerdem die Überparteilichkeit und Verfassungstreue der Reichswehr, die der sinnfällige Ausdruck der »Staatsidee« sei120. In dieser Rede ist bereits Groeners Argumentationsstrategie für seine verstärkten Aufklärungs- und Beeinflussungsversuche der nächsten Monate festgelegt: Forderung nach unbedingtem Gehorsam, Werben um Verständnis für eine realitätsnahe Politik und Betonung der nationalen Machtstellung, die der Armee als überparteilicher Verkörperung des Staates zufalle. Letzteres sollte den Soldaten suggerieren, daß die Reichswehr keineswegs von ihrer Führung an die republikanischen Parteien ausgeliefert werde, sondern nach wie vor einen Machtfaktor bilde, der den nationalen Belangen diene. Die Beschwörung der »Staatsidee« hatte außerdem das Ziel, den von vielen Offizieren vermißten Identifikationspunkt zu schaffen, ohne auf die ungeliebte republikanische Staatsform zurückgreifen zu müssen121. Das Reizwort »Republik« wurde nun möglichst vermieden. Diese Argumente der Dresdner Rede wurden teilweise wörtlich in einem grundsätzlichen Erlaß des Reichswehrministers vom 22. Januar 1930 wiederholt, der allen Armeeteilen zuging und den Groener nicht umsonst als »Hirtenbrief« bezeichnete122. Der Erlaß warnte —

118

119

120

121

122

Ebd. Der Erlaß informierte außerdem über den radikalen Charakter der NSDAP und richtete sich scharf gegen die mit radikalen Parteien sympathisierenden Soldaten: »Für derartige Soldaten ist in den Reihen der Wehrmacht kein Platz! Wer glaubt, nicht über den Parteien bleiben zu können, sondern den Auffassungen von radikalen, der Verfassung feindlichen Parteien folgen zu müssen, hat seine Entlassung zu erbitten. Sie ist zu bewilligen.« Zu diesem Erlaß auch Carsten, Reichswehr, S. 349 f. Notizen Groeners für seine Rede an der Infanterieschule Dresden am 17.12.1929 (BA-MA, N 46/150, Bl. 26). Vgl. Carsten, Reichswehr, S. 325. Vgl. den Abdruck der Rede im »Militär-Wochenblatt« vom 4.1.1930 (BA-MA, N 46/150, Bl. 29). Interessant ist, daß Groener in seinen Redenotizen diese »Staatsidee« namentlich mit Hindenburg in Verbindung bringt (ebd., Bl. 25), ein Hinweis auf die zentrale Bedeutung des Reichspräsidenten in seiner militar- und innenpolitischen Konzeption besonders der folgenden Zeit. Dieser Stimmung verlieh Ludin am 23.9.1930 vor dem Reichsgericht Ausdruck (Bucher, Reichswehrprozeß, S. 167): »Die Armee hatte früher ein Konkretum: Kaiser, Reich und Vaterland. Heute haben wir nichts Konkretes mehr, wir sehen nur, daß die Regierung dauernd gegen das Heer arbeitet. Wir können kein Vertrauen haben, wenn die Regierung dieser Republik dauernd pazifistisch denkt und sich nicht vor die Interessen des Heeres stellt.« »Hirtenbrief«-Erlaß Groeners, 22.1.1930 (Staat und NSDAP, S. 3-5). Die Bezeichnung »Hirten-

230

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

eindringlich vor den radikalen Parteien von links und rechts, den Kommunisten und Nationalsozialisten123, und verwies auf den »Dienst am Staate«, der nur von einer »einigen,

geschlossenen, überparteilichen Reichswehr« geleistet werden könne124. Wer aber als Soldat nicht geduldig auf die allmähliche Entwicklung zum nationalen Wiederaufstieg vertraue, sondern auf »radikale Schreier« blicke und seinen Vorgesetzten nicht bedingungslos gehorche, sei ein »Schädling«125. Abschließend richtete sich der »Hirtenbrief« an die Kommandeure, die zu besserer Aufklärungs- und Erziehungsarbeit aufgefordert wurden126. Groener suchte die Schuld für die Bedrohung der inneren Geschlossenheit sowohl bei den jungen Offizieren als auch bei den ihnen vorgesetzten Befehlshabern. Er richtete daher

seine verstärkte Aufmerksamkeit auf beide Kreise und begegnete den Anzeichen der internen Vertrauenskrise mit einer Mischung aus Aufklärung und autoritärer Disziplinierung. Dabei ging der Reichswehrminister nicht immer glücklich vor. Als der hochverräterische und zersetzende Charakter der Ulmer Affäre aufgedeckt wurde, reagierte Groener am 25. Februar 1930 mit dem berüchtigten »Uhrenerlaß«, der jedem Soldaten für die »Abwehr radikaler Zersetzungsangriffe« u.a. eine Uhr mit Gravierung versprach127. Diese Maßnahme sollte weitere Versuche einer kommunistischen oder nationalsozialistischen Zellenbildung erschweren. Der Erlaß wurde jedoch allgemein als Aufruf zur Denunziation aufgefaßt, so daß er die Stimmung innerhalb und außerhalb der Reichswehr gegen die Bendlerstraße noch zusätzlich anheizte128. Die Reichswehrführung erkannte den taktischen Fehler dieses Disziplinierungsversuchs und bemühte sich um den Eindruck, daß der Erlaß lediglich gegen kommunistische Zersetzungsanstrengungen von außen gerichtet sei129.

123

124 125 126

127

brief« ist ein handschriftlicher Zusatz Groeners auf seinem Aktenexemplar. Wörtlich aus der Dresdner Rede übernommen wurde etwa der Abschnitt: »In allen Notzeiten eines Volkes gibt es einen unerschütterlichen Felsen im stürmenden Meer: die Staatsidee. Die Wehrmacht ist ihr notwendiger und sinnfälligster Ausdruck.« (Ebd., S. 4f.) Das Wort »sinnfällig« wurde aber bezeichnenderweise zum Superlativ transformiert. Zu diesem Erlaß vgl. auch Vogelsang, Reichswehr, S. 84; Carsten, Reichswehr, S. 350f.; Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 690. »Hirtenbrief«-Erlaß Groeners, 22.1.1930 (Staat und NSDAP, S. 4). »Fern von diesem Extremen hat die Reichswehr ihren Weg zu suchen. Sie kann sich nicht auf phantastische Pläne, unklare Hoffnungen, tönende Schlagworte einlassen. Auf ihr ruht eine ungeheure Verantwortung für den Fortbestand des nationalen Staates. [...] Es ist die heilige Aufgabe der Wehrmacht, zu verhindern, daß sich der Riß zwischen Klassen und Parteien je zum selbstmörderischen Bürgerkrieg erweitert.« (Ebd.) Ebd., S. 5. Ebd. Ebd. Groener verwies dabei auf Unterrichtsmaterial des Reichswehrministeriums, bot Vorträge der >Wanderredner< an und stellte weitere Weisungen in Befehlshaberbesprechungen in Aussicht. Am Ende des »Hirtenbriefs« steht aber die deutliche Warnung: »Die Hauptarbeit der Aufklärung ist jedoch von den Kommandeuren zu leisten. In dieser Erziehungsarbeit sehe ich ihre wichtigste Aufgabe. Wer hierin versagt, füllt seine Stellung in der Wehrmacht nicht aus. Über solche Persönlichkeiten ist mir auf dem Dienstwege zu berichten.« Erlaß Groeners, 25.2.1930 (Huber, Dokumente III, S. 408), veröffentlicht am 4.3.1930 im >HeeresVerordnungsblatt«. Vgl. dazu die negative Beurteilung von Vogelsang, Reichswehr, S. 84; Huber, Ver-

fassungsgeschichte VII, S. 691. Vgl. etwa den offenen Brief Oldenburg-Januschaus an Groener, 22.10.1930 (Ursachen und Folgen VII, S. 543), und den offenen Brief Scheringers an Groener, 28.10.1930 (Schüddekopf, Heer, S. 302—304). 129 Offener Brief Groeners an Oldenburg-Januschau, 22.10.1930 (Ursachen und Folgen VII, S. 540—542).

128

2. Die

Gegenbewegung:

Widerstand

von

rechts, interne Vertrauenskrise

231

Seine negative Wirkung auf die reichswehrinterne und öffentliche Meinung konnte aber nicht mehr behoben werden. Alle Ausflüchte stießen auf Unglauben mit Recht. Die eigentliche Zielrichtung des »Uhrenerlasses« wird allein schon dadurch offensichtlich, daß er dasselbe Datum trägt wie der Tatbericht Groeners über die Ulmer Affäre an den Oberreichsanwalt. Nach diesen grundsätzlichen Verfügungen Anfang 1930, dem »Hirtenbrief« und dem »Uhrenerlaß«, hielt sich Groener zunächst mit weiteren Einwirkungsversuchen dieser Art auf Offizierskorps und Truppe zurück. Er wollte offenbar den Verlauf und Ausgang des Leipziger Prozesses gegen die drei angeklagten Offiziere abwarten, um dann nochmals zu dieser Affäre Stellung zu beziehen. Zuvor verlegte sich der Reichswehrminister darauf, die Soldaten mit nüchterner Information statt mit aufrüttelnden Appellen zu erreichen und vor dem Sympathisieren mit radikalen Ideen zu warnen. So wurde die Reichswehr durch Erlasse Groeners etwa über den staatsfeindlichen Charakter der NSDAP130 sowie über die Verfehlungen der Ulmer Offiziere und die Reaktion der Reichswehrführung auf sie unterrichtet131, was besonders die politisierenden Teile des Offizierskorps abschrecken sollte. An den Appell des »Hirtenbriefs« knüpfte dagegen wieder die gestraffte und vereinfachte Neufassung der »Berufspflichten des Soldaten« vom Mai 1930 an, in der Groeners Grundforderungen nach Überparteilichkeit, Verfassungstreue und Gehorsam unmißverständlich wiederholt wurden132. Auch in der Öffentlichkeit propagierte der Reichswehrminister wieder verstärkt die innenpolitische Ausrichtung seines militärpolitischen Kurses, etwa wenn er in seinen parlamentarischen Haushaltsreden jeder Zersetzung den Kampf ansagte133, noch eindringlicher aber in einer öffentlichen Ansprache nach den Herbstmanövern am 18. September 1930 in Bad Kissingen134. In dieser Rede warb Groener erneut um eine breite Mitarbeit aller Kräfte an seiner Militärpolitik135 und wandte sich gegen die »gehässige und verleumderische Kritik von radikaler Seite«, die er mit dem Hinweis auf die »wach—

130 131

Erlaß Groeners, 16.4.1930 (Staat und NSDAP, S. 8-13). Erlaß Groeners, Berlin 17.3.1930 (BA-MA, RH 1/10); Erlaß Groeners, Berlin 30.4.1930 (BA-MA,

B1.40Í.). Verordnung Hindenburgs »Die Berufspflichten des Soldaten«, Mai 1930 (Ursachen und Folgen VII, S. 522 f.). Einige Auszüge der vom Reichswehrministerium ausgearbeiteten Neufassung, mit der die alten »Berufspflichten« von 1922 abgelöst wurden: »Das Deutsche Reich ist eine Republik. Ihrer Verfassung schwört der Soldat die Treue« (Art. 1). »Die Reichswehr dient dem Staat, nicht den Parteien. Politische Betätigung ist dem Soldaten verboten« (Art. 2). »Wer es unternimmt, die Verfassung des Reiches oder der Länder gewaltsam zu ändern, begeht Hochverrat« (Art. 3). »Gehorsam ist die Grundlage jeder Wehrmacht. Der freiwillige Soldat soll aus Einsicht und Vertrauen gehorN 46/151,

132

chen«

133

(Art. 5).

Verhandlungen des Ausschusses für den Reichshaushalt, IV. Wahlperiode, 147. Sitzung vom 6.5.1930,

S. 9; Reichstagsrede Groeners vom 21.5.1930 (RT, Bd428, S. 5229). Ansprache Groeners vor Vertretern des öffentlichen Lebens und der Presse in Bad Kissingen am 18.9.1930 (BA-MA, N 46/150, Bl. 33-37). Auszüge bei Phelps, Groener-Dokumente V, S. 919; Schüddekopf, Heer, S. 305. 135 BA-MA, N 46/150, Bl. 36: »Denn wenn eine Erfahrung des letzten Krieges feststeht, dann ist es die, dass die Arbeit der Wehrmacht in Krieg und Frieden nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie von einmütiger und verständnisvoller Mitarbeit des Volkes getragen wird. [...] Wehrhaftigkeit und Landesverteidigung dürfen nicht Parteisache sein.« 134

232

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

sende Bedeutung der Wehrmacht im Staate« beantwortete136. »Diese Bedeutung hat die Reichswehr erlangt durch ihre klare politische Linie, die darin besteht, dass sie abseits aller Parteipolitik nur der Idee des Staates dient.«137 Einen ganz besonderen Akzent bekamen die Ausführungen Groeners aber dadurch, daß er die Reichswehr nicht mehr wie

als Instrument der verfassungsmäßigen Regierung und der Republik, sondern als »zuverlässiges Werkzeug der Reichsgewalt in der Hand des Reichspräsidenten« bezeichnete138. Auch in einer internen Befehlshaberbesprechung am folgenden Tag verwies Groener auf die nationale Machtposition der Reichswehr, die nur durch Geschlossenheit und Überparteilichkeit zu erhalten sei, und auf die enge Verbindung zum Reichspräsidenten139. Die Relevanz dieser Akzentverschiebung für die innenpolitische Stellung der Reichswehrführung in diesen Monaten wird noch zu untersuchen sein140. Hier interessiert zunächst vor allem ihre Bedeutung als Reaktion Groeners auf die Kritik von rechts und die Vertrauenskrise innerhalb der Armee. Mit seiner selbstbewußten Standortbestimmung wollte der Reichswehrminister kurze Zeit vor Beginn der Leipziger Reichsgerichtsverhandlungen nochmals deutliche Signale setzen. Dem Vorwurf, die Bendlerstraße betreibe keine >nationale« Politik und weiche vor den republikanischen Kräften zurück, widersprach Groener mit dem Gegenargument, daß die Reichswehr durch seinen militärpolitischen Kurs zu einem Machtfaktor im Staat unter Oberbefehl Hindenburgs geworden sei. Der angeblichen Schwäche stellte er seinen Einfluß im Präsidialsystem gegenüber, dem vermeintlichen >Linkskurs< das enge Verhältnis zum konservativen Reichspräsidenten. Das Bekenntnis zur Republik und die Werbungen um ihre Anhänger traten dagegen zurück. So bekamen die programmatischen Erklärungen Groeners seit 1930 ein anderes Vorzeichen als auch von wenn seine argumentativen Grundpfeiler Staatstreue, Überdiejenigen 1928/29, parteilichkeit und Disziplin konstant blieben. Die Adressaten waren nun vorwiegend die >nationalen< Kräfte und die Kritiker in den eigenen Reihen. Das bedeutete keine prinzipielle Abkehr von seiner integrativen Militärpolitik, das Ziel einer breiten politischen und gesellschaftlichen Basis war ebenso unverändert wie die Zusammenarbeit mit der zivilen Exekutive. Doch die fortschreitende Staatskrise, das Anwachsen der >nationalen Opposition« und die interne Vertrauenskrise ließen es Groener notwendig erscheinen, sich anstatt wie bisher mit der republikanischen Linken und der ihn ohnehin unterstützenden gemäßigten Mitte stärker mit dieser Gegenbewegung auseinanderzusetzen. Die öffentliche Aufregung um die Ulmer Affäre erreichte aber im Herbst 1930 einen Höhepunkt, der zeigte, daß die Reaktion der Reichswehrführung auf die beschriebenen Vorwürfe ins Leere stieß. Die Verhandlungen vor dem Reichsgericht in Leipzig, die am sonst

136

Ebd., Bl. 35.

137

Vgl. auch ebd., Bl. 37: »Es ist das Ziel meines Strebens und mein inniger Wunsch, dass es uns gelingen möge, weiterhin die Wehrmacht vollkommen herauszuheben über den Streit der Parteien. So wird sie zum einigenden Symbol der Nation. In ihr sind alle Gegensätze durch Selbstzucht und

138 139

140

Ebd.

Gehorsam überwunden.« Ebd. Notizen Groeners für eine Befehlshaberbesprechung am 19.9.1930 (ebd., Bl. Phelps, Groener-Dokumente V, S. 919f.; Schüddekopf, Heer, S. 305f.

Vgl.

unten

Kap. VI,4.

38—41). Auszüge bei

2. Die

Gegenbewegung:

Widerstand

von

rechts,

interne Vertrauenskrise

233

September begannen und am 4. Oktober mit der Verurteilung der drei Angeklagten zu anderthalb Jahren Festungshaft wegen Hochverrats zu Ende gingen, boten sowohl den nationalsozialistischen Zeugen unter ihnen Hitler, der mit seinem Legalitätseid für Aufsehen sorgte als auch Scheringer, Ludin und Wendt die geeignete Plattform, ihre »wehrfreudige« Gesinnung gegen den »Linkskurs« der Bendlerstraße auszuspielen141. Die Wirkung auf die ohnehin durch den Wahlerfolg der NSDAP vom 14. September aufgewühlte Öffentlichkeit war verheerend und so von Groener sicher nicht vorgesehen. Die republikanische Presse hielt sich zwar zurück, begrüßte das Urteil und vermied den möglichen Angriff auf die republikfeindliche Einstellung des Offizierskorps, doch in der Rechtspresse erhob sich ein Sturm der Entrüstung, voller Sympathie für die »prächtigen« und »nationalen« jungen Offiziere, voller Ablehnung gegen die Reichswehrführung und besonders gegen Groener142. Diese Frontlinien spiegelten sich auch in der Haltung der politischen Parteien wider. Die Reichstagssitzungen von Mitte Oktober 1930 erlebten wütende Angriffe

23.





der Nationalsozialisten und Deutschnationalen auf das Reichswehrministerium und seine Politik, wobei sich besonders die DNVP-Abgeordneten Schmidt-Hannover und Oldenburg-Januschau durch ihre Brandreden vom 18. Oktober hervortaten143. Die stereotypen Ressentiments und Vorurteile gegen die Militärpolitik Groeners, die dabei erneut zutage traten, lassen sich auch in der Kritik der »vaterländischen« Verbände und der verabschiedeten Offiziere144 an dem Leipziger Prozeß finden. Daß seine Maßnahmen gerade bei vielen Vertretern der alten Armee, um die er sich wieder verstärkt bemüht hatte145, nicht verstanden wurden, mag Groener besonders enttäuscht haben. Die gesamte »nationale Opposition« war dem Reichswehrminister nach wie vor feindlich gesonnen, ja ihre Kritik hatte durch die Vorgänge um den Ulmer Skandal noch zusätzlichen Auftrieb erfahren. Noch bedenklicher war aber die Wirkung des Leipziger Hochverratsprozesses und seiner Vorgeschichte auf das aktive Offizierskorps. Bei den meisten Offizieren hatten diese Vor-

Vgl. die genaue Verhandlungsrekonstruktion von Bucher, Reichswehrprozeß, S. 152—508. Zu diesem Prozeß auch Vogelsang, Reichswehr, S. 90—92; Bucher, Reichswehrprozeß, S. 60—120; Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 689 f. 142 Vgl. Schleichers Ausführungen zu dieser Pressekampagne in der Befehlshaberbesprechung vom 25.10.1930 (Aufzeichnung Liebmanns; Vogelsang, Dokumente, S. 402—404). 143 Zu diesen Reichstagsverhandlungen Bucher, Reichswehrprozeß, S. 125—128. Vgl. die Rede Schmidts in RT, Bd 444, S. 141—144, und die Rede Oldenburg-Januschaus ebd., S. 165—168. Der abwesende Groener wurde von Brüning verteidigt (ebd., S. 174f.) und überstand auch einen nationalsozialistischen Mißtrauensantrag (ebd., S. 118). 144 Zur Haltung der inaktiven Offiziere einige Bemerkungen bei Bucher, Reichswehrprozeß, S. 123 f. Bezeichnend waren die Reaktionen von Goltz, Generalmajor a.D. und Vorsitzender der Vereinigten Vaterländischen Verbände, und Cramon, etwa in ihrem gemeinsamen Brief an Hammerstein, Berlin 2.12.1930 (BA-MA, N 39/336, Bl. 78—80), der ein heftiger Angriff auf den »Linkskurs« Groeners war. Zur Übereinstimmung im »nationalen« Lager bei der Kritik am Reichswehrminister vgl. auch Goltz an Oldenburg-Januschau (privat), Bad Nauheim 21.10.1930 (BA-MA, N 239/54, Bl. 208). 145 Vgl. die Reichstagsrede Groeners vom 21.5.1930 (RT, Bd 428, S. 5230): Wir »tun von Seiten der jungen Wehrmacht alles, um die Angehörigen der alten Wehrmacht für uns zu gewinnen und keinen irgendwie auch nur kleinsten Riß zwischen der alten und der neuen Wehrmacht eintreten zu lassen. Ich habe mich deshalb auch entschlossen, in diesem Jahr an den großen Herbstübungen [...] auch Offiziere des alten Heeres neben Angehörigen des Parlaments und der Presse einzuladen.«

141

234

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort der Reichswehr

gänge und die Appelle der Reichswehrführung keineswegs den von Groener gewünschten Einfluß, sondern vertieften die Vertrauenskrise sogar noch146. Die Reaktion eines jungen Oberleutnants, der Übereinstimmung mit den Ulmer Offizieren wenn auch nicht mit ihren Taten feststellte147 und der obersten Reichswehrführung vorwarf, daß »sie parla—

mentarisch verseucht ist und gar nicht mehr mit dem Herz sondern nur noch mit der Zahl und dem >Verstand< jonglieren kann«148, traf die Stimmung und die »riesige Unzufriedenheit«149 der meisten Offiziere recht genau er selbst spricht von »mindestens 90% des Offizierkorps«150. Der Leipziger Prozeß verstärkte bei vielen Soldaten und besonders bei den jungen Offizieren der >Front< den Eindruck, daß die an sich >national< eingestellte Reichswehr von ihrer >schlappen< Führung vor aller Öffentlichkeit und als Konzession an die Linke domestiziert werden solle151. Die Hoffnung Groeners auf eine reinigende Wirkung dieser Affäre und seiner Appelle an Realitätssinn und Vernunft erfüllte sich dagegen nicht, dazu waren weite Teile des Offizierskorps durch die wachsende politische Gärung schon zu stark emotionalisiert. Das Mißtrauen und die Kluft zwischen der militärpolitischen Führung in der Bendlerstraße und der militärischen Basis in der Truppe waren durch den Fall Scheringer—Ludin—Wendt nicht überwunden, sondern vergrößert worden. Die negative Stimmung bei den nationalkonservativen Kräften und innerhalb der größtenteils mit diesen sympathisierenden Reichswehr nach dem Leipziger Prozeß drängte Groener in die Defensive. Nachdem er bereits vor den Verhandlungen des Reichsgerichts seinen Standpunkt deutlich gemacht hatte, blieb ihm kaum etwas anderes übrig, als seine Argumente nochmals in eindringlicher Form zu wiederholen. Dabei war der Kampf gegen die Vorwürfe des >Linkskurses< und der mangelnden Wehrfreudigkeit152 eigentlich —



Vgl. die ausführlich bei Carsten, Reichswehr, S. 352—355, zitierten Zeugnisse junger Offiziere von September/Oktober 1930 (Oberleutnant Stieff, Kapitänleutnant Heye). Vgl. auch Bucher, Reichswehrprozeß, S. 122 f. Wenn Bucher das Offizierskorps dennoch als »intakt« bezeichnet \zuletzt in der Zusammenfassung ebd., S. 150—152), dann trifft das nur im disziplinarischen Sinne zu und unterschätzt die Bedeutung der fehlenden Übereinstimmung von militärpolitischer Führung und Truppe, die jenseits der unveränderten Disziplin eben doch ein Zeichen innerer Brüchigkeit war. 147 Stieff an seine Frau, Jüterbog 25.9.1930 (Stieff, Briefe, S. 61): »Was sie so aussagen, kann man leider meistens nur unterschreiben und Du wirst viele Dinge lesen, über die auch ich mich oft empört habe. [...] Die Folgerungen, die die beiden daraus abgeleitet haben, sind dabei natürlich beklagens-

146

148

149 150 151

152

und verdammenswert.« Stieff an seine Frau, Jüterbog 7.10.1930 (ebd., S. 62). Vgl. auch Hellmuth Heye an seinen Vater, 8.10.1930 (Carsten, Reichswehr, S. 354): »Das Vertrauen fehlt nicht im Offizierkorps, sondern das Vertrauen fehlt zur Leitung der Reichswehr, die man in den Händen des Parlamentes wähnt [...].« Stieff an seine Frau, Jüterbog 25.9.1930 (Stieff, Briefe, S. 61). Stieff an seine Frau, Jüterbog 7.10.1930 (ebd., S. 62). Stieff an seine Frau, Jüterbog 11.10.1930 (ebd., S. 64): »Diese Entgleisung aus zu gutem Willen heraus aber zum Anlaß zu nehmen, unser aller guten Willen dem Hohn und Gespött der Menge auszusetzen, im Grunde genommen vaterländische Begeisterung zum Hochverrat zu erklären, ist infam und distanziert von selbst die Leute von uns, die zu diesem Mittel greifen.« Diese Vorwürfe finden sich auch in einem offenen Brief Scheringers an Groener, 28.10.1930 (Schüddekopf, Heer, S. 302—304), wieder. Interessant dabei ist, daß Scheringer dem Reichswehrminister dessen Bekenntnis zum »gesunden Pazifismus« von 1928 vorhält und gänzlich mißversteht. Groener antwortete auf dieses Schreiben nicht. Vgl. aber die Stellungnahme der Wehrmachtsabteilung (Götting) zu den einzelnen Vorwürfen, 2.11.1930 (BA-MA, N 46/151, B1.25Í.).

2. Die

Gegenbewegung:

Widerstand

von

rechts, interne Vertrauenskrise

235

aussichtslos, da auch eine Wiederholung der Stellungnahmen Groeners die Adressaten

nicht beeindrucken konnte. Reichswehrintern ging der Minister am 6. Oktober 1930 in zwei Erlassen auf die Verhandlungen von Leipzig ein. Im ersten Erlaß betonte er gegenüber dem Offizierskorps, daß die Reichswehr »im höchsten Maße national« sowie überparteilich sei und daher »keinen Rechts- und Linkskurs« kenne, und sprach den Verurteilten jedes Urteilsvermögen über seine Verdienste für die Landesverteidigung ab153. Der zweite Erlaß richtete sich an die Kommandeure, denen Groener eine entscheidende Mitschuld an der »Vertrauenskrise« vorwarf, da sie es versäumt hätten, ihre Untergebenen ausreichend über die erfolgreichen Anstrengungen des Reichswehrministers für eine starke Stellung der Armee aufzuklären154. Wie diese Erlasse wirkten, läßt sich daraus ersehen, daß sich nun auch Heye kurz vor seinem Abschied offen gegen Groener wandte und ihren Inhalt scharf kritisierte. In einem Schreiben an den Minister vom 13. Oktober zeigte er Verständnis für die Ulmer Offiziere und erblickte die Ursachen ihrer Verfehlung »auch, und nicht zum wenigsten, in der Führung der Armee«, die nicht genügend auf die neuen nationalen Empfindungen reagiere155. Heye empfahl, einmal die Kommandeure über dieses Thema freimütig zu hören. Doch in der Befehlshaberbesprechung vom 25. Oktober verzichtete Groener darauf. Statt dessen ergriff er nach einem langen Vortrag Schleichers selbst das Wort und verlieh seiner ganzen Enttäuschung über die Verkennung seiner Militärpolitik Ausdruck156: »Ich bin empört, daß es Offiziere gibt, die meine nationale Gesinnung und meinen heißen Wehrwillen anzweifeln und mir vorzuwerfen gewagt haben, daß ich einen »Linkskurs« steuere. [...] Denn genau das Gegenteil dieser Vorwürfe ist richtig. Seit ich Reichswehrminister bin, ist mein ganzes Sinnen und Trachten nur auf ein Ziel, die Befreiung unseres Landes gerichtet.« Dieses Ziel könne man aber »nicht im Sturme«, sondern nur »auf lange Sicht« erreichen. »Die Wehrmacht für diese kommende Zeit als das scharfe, schlagfertige Instrument modernster Kriegführung auf die höchste Stufe zu entwickeln und es zu gegebener Zeit weiter auszubauen, ist mein Bestreben in den schweren parlamentarischen Kämpfen gewesen.« Diese bewußt starken Töne sollten die Reichswehr daran erinnern, daß der behutsame militärpolitische Kurs Groeners bereits einiges für die progressive und moderne Entwick153 154

155

156

Erlaß Groeners, 6.10.1930 (Staat und NSDAP, S. 159f.). Sondererlaß Groeners, 6.10.1930 (Huber, Dokumente III, S. 435f.). Zu den beiden Erlassen vgl. auch Demeter, Offizierkorps, S. 178 f.; Vogelsang, Reichswehr, S. 92 f.; Carsten, Reichswehr, S. 355. Heye an Groener, 13.10.1930 (Staat und NSDAP, S. 160-162; Zitat ebd., S. 161). Auch seine Abschiedsansprache an die Kommandeure kurze Zeit darauf bekam durch ihre verdeckte Kritik an der militärpolitischen Führung Groeners eine besondere Note (Ansprache Heyes, Ende Oktober 1930; BA-MA, N 18/7, Bl. 3-6; Auszüge bei Carsten, Reichswehr, S. 359f.). Notizen Groeners für die Befehlshaberbesprechung am 25.10.1930 (BA-MA, N 46/150, Bl. 49—53; alle Zitate ebd., Bl. 51 f.; diese Auszüge auch bei Phelps, Groener-Dokumente V, S. 921). Vgl. die Aufzeichnung Liebmanns über diese Befehlshaberbesprechung, die den ausführlichen Vortrag Schleichers zur politischen Lage sowie zu den Vorwürfen gegen die Reichswehrführung protokolliert und die Stellungnahme Groeners bestätigt (Vogelsang, Dokumente, S. 401—408). Vgl. auch Carsten, Reichswehr, S. 356—359. Schleicher verwies bei seiner Widerlegung des angeblichen »Linkskurses« u. a. auch auf die Tatsache, daß keiner der 10 Punkte des sozialdemokratischen Wehrprogramms erfüllt sei

(Vogelsang, Dokumente, S. 404).

236

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

lung des militärischen Apparates erreicht hatte. Wenn es aber schon so schwierig war, der eigenen Basis den von Groener für richtig befundenen und ja auch tatsächlich fachlich erfolgreichen Weg über alle emotionalen und politischen Vorurteile hinweg verständlich zu machen, dann mußte es in der Öffentlichkeit nahezu unmöglich sein. Mit rationalen Argumenten war kaum mehr etwas zu bewirken. Dennoch setzte sich die Reichswehrführung gegen die scharfe Kritik der Rechtskreise und der ehemaligen Offiziere zur Wehr. Groener selbst antwortete auf die Angriffe Oldenburg-Januschaus und des Generalmajors a. D. von der Goltz mit zwei offenen Briefen, in denen er das Vorgehen gegen die Ulmer Offiziere rechtfertigte157. Auch der neue Chef der Heeresleitung von Hammerstein bewährte sich gleich als Gefolgsmann des Reichswehrministers und setzte sich sehr hart mit den verabschiedeten Generalen auseinander, die den Aufruhr um den Leipziger Prozeß zum Anlaß genommen hatten, in öffentlichen Beiträgen ihre Vorwürfe gegen die Bendlerstraße und besonders gegen Groener zu wiederholen158. Der Höhepunkt dieser Auseinandersetzung war ein Erlaß Hammersteins vom 29. Januar 1931, der den ausgeschiedenen Generalen die Entziehung der Uniform androhte, wenn sie weiterhin öffentlich in illoyaler Form »gegen das Reichsheer und seine Führung Stellung nehmen« würden159. Als dieser Erlaß durch Indiskretion an die Presse gelangte, sorgte er für einiges Aufsehen und veranlaßte die Traditionsvereinigungen wie den Nationalverband Deutscher Offiziere zu scharfen Gegenäußerungen160. Auch die Zustimmung Hindenburgs161 zum Erlaß des Chefs der Heeresleitung konnte nicht verhindern, daß diese Maßnahme das Verhältnis zwischen der Reichswehrführung und den Rechtskreisen zusätzlich belastete. Die Ulmer Affäre und die folgende Agitation der >nationalen< Kräfte gegen die Reichswehrführung erhitzten die Gemüter noch ein halbes Jahr nach Ende des Leipziger Prozesses. Daher sah sich Groener genötigt, in den Etatverhandlungen im März 1931 erneut 157

158

159

160 161

Groener an Goltz, 6.10.1930 (Schüddekopf, Heer, S. 293—295); Groener an Oldenburg-Januschau, 21.10.1930 (Ursachen und Folgen VII, S. 540-542). Cramon und Goltz an Hammerstein, Berlin 25.11.1930 (BA-MA, N 39/336, Bl. 74f.); Hammerstein an Cramon und Goltz, Berlin 29.11.1930 (ebd., Bl. 82—84); Cramon und Goltz an Hammerstein, Berlin 2.12.1930 (ebd., Bl. 78—80); Hammerstein an Cramon und Goltz, Berlin 8.12.1930 (ebd., Bl. 86— 95). In diesem äußerst scharf geführten Briefwechsel ging es schließlich weniger um die Ulmer Affäre als um den angeblichen »Linkskurs« Groeners (Kaiserhochfrage, Annäherung an die Sozialdemokratie, Nachgiebigkeit beim Wehrhaushalt, Gleichstellung von Kommunisten und Nationalsozialisten). Diesen stereotypen Beschuldigungen mußte auch Schleicher in einem langwierigen Schriftwechsel mit Wülfing von Ditten (31.1.-23.5.1931) entgegentreten (BA-MA, RM 6/25, Bl. 17—54). Bezeichnend für das unverändert schlechte Verhältnis zu den nationalkonservativ-monarchischen Kreisen war auch, daß Cramon Anfang 1931 erneut den Ausschluß Groeners aus der Schlieffen-Vereinigung forderte, weil der Reichswehrminister beim Begräbnis des Sozialdemokraten David eine Rede gehalten habe (Cramon an Mackensen [privat], Berlin 8.1.1931; BA-MA, N 39/336, Bl. 103 f.). In diesem Punkt erhielt Groener aber Rückendeckung vom Reichspräsidenten, der Cramon darauf hinwies, daß David »ein maßvoller Sozi« gewesen sei (Hindenburg an Cramon [privat], Berlin 23.1.1931; BA-MA, N 266/37, Bl. 1). Erlaß Hammersteins an die aktiven und ausgeschiedenen Generale, Berlin 29.1.1931 (BA-MA, RH 53-7/8, Bl. 264). Vgl. dazu den Erlaß Hammersteins, Berlin 10.3.1931 (ebd., Bl. 263). Hindenburg an Hutier, Berlin 4.3.1931 (ebd., Bl. 264). Hutier war der Präsident des Deutschen Offizier-Bundes und hatte zuvor beim Reichspräsidenten gegen den Erlaß Einspruch erhoben.

2. Die

Gegenbewegung:

Widerstand

von

rechts, interne Vertrauenskrise

237

auf die Vorwürfe einzugehen, zumal nun auch eine Autorität wie Seeckt öffentlich das Hochverratsverfahren verurteilte und das Reichswehrministerium für die Mißstimmung im Offizierskorps verantwortlich machte162. Dagegen verteidigte Groener seine Behandlung der Ulmer Angelegenheit mit dem Hinweis auf die Rechtslage und die Notwendigkeit von Disziplin und Überparteilichkeit163. Auch der Erlaß Hammersteins gegen das illoyale Verhalten ehemaliger Generale wurde von ihm in Schutz genommen164. Außerdem betonte der Reichswehrminister gegenüber seinen Kritikern grundsätzlich, »daß ihn alle Angriffe von links und von rechts nicht dazu veranlassen können, die von ihm von jeher eingehaltene Linie in der Führung der Reichswehr auch nur um Haaresbreite zu ändern«, denn die »Wehrmacht diene dem Staat, nicht den Parteien«165. Diese eindeutige Haltung und die lebhafte Übereinstimmung der Parteien vom Zentrum bis zu den Sozialdemokraten mit den Ausführungen Groeners zur Ulmer Affäre im Reichstag am 19. März 1931 werden ihm auf der Gegenseite übel vermerkt worden sein. So blieben die Rechtskräfte in deutlicher Opposition zur Reichswehrführung um Groener. Die langwierigen Kontroversen im Zusammenhang mit der Ulmer Affäre und dem hatten das Mißtrauen Leipziger Prozeß gegen ihren militärpolitischen Kurs eher noch verstärkt. Alle Gegenargumente des Reichswehrministers waren entweder wirkungslos abgeprallt oder sogar zu seinem Nachteil ausgelegt worden. Anfang 1931 dauerte der unnatürliche Zustand fort, daß die Bendlerstraße ausgerechnet bei den Kreisen, die der Reichswehr und jeder Rüstungsanstrengung eigentlich besonders verbunden waren, auf den stärksten Widerstand stieß166. Daran sollte sich während der Amtszeit Groeners nichts mehr ändern. Dasselbe läßt sich auch für die Unzufriedenheit des Offizierskorps sagen. Zwar kam es zu keinen weiteren Zersetzungsversuchen nach Ulmer Vorbild, doch die breite Abneigung gegen die »Bürogenerale« im Reichswehrministerium und ihre Politik wurde nicht überwunden. Die Ulmer Affäre hatte alles andere als reinigend gewirkt. Die Appelle Groeners an den Gehorsam und die politische Vernunft167 nutzten da ebenSeeckt nahm als

Reichstagsabgeordneter der DVP im Haushaltsausschuß zur Ulmer Affäre Stellung (Verhandlungen des Ausschusses für den Reichshaushalt, V. Wahlperiode, 60. Sitzung vom 9.3.1931, S. 803). Vgl. etwa ebd.: »Selbstverständlich seien Gehorsam und Disziplin für ein Heer unerläßliche Voraussetzungen. Disziplin verlange aber auch Verständnis der Führung für die Truppe und infolgedessen Vertrauen der Truppe zur Führung. [...] Das Reichswehrministerium trage eine große Verantwortung für dieses kostbare Instrument des Staates. Deshalb müsse es auch dafür sorgen, daß an allen Stellen Verständnis herrscht für die Jugend, für ihren Geist und ihre Wünsche.« 163 Ebd., S. 812; Reichstagsrede Groeners vom 19.3.1931 (RT, Bd445, S. 1724f.). 164 162

Ebd.

165

166

167

Verhandlungen des Ausschusses für den Reichshaushalt, V Wahlperiode, 60. Sitzung vom 9.3.1931,

S. 799. Wenn Hammerstein Ende 1930

beklagte, »daß wir diese Verleumdungen und Vorwürfe von rechts deshalb so schwer nähmen, weil sie von der Seite kämen, der wir uns selbst zugehörig fühlen«, dann kennzeichnet das genau dieses Dilemma (Zitat Hammersteins im Schreiben Schleichers an Müldner, 1.12.1930; BA-MA, N 42/59, Bl. 14; Auszug auch bei Carsten, Reichswehr, S. 359). Vgl. Stieff an seine Frau, Jüterbog 7.10.1930 (Stieff, Briefe, S. 62), der sich beklagt, daß die Reichswehrführung »nur noch mit der Zahl und dem »Verstand« jonglieren kann. Und als Gipfel der ganzen Sache tritt Groener noch vor 2 Tagen in einer Rede an die Offiziere des Reichswehrministeriums mit hämischen Worten von »den Utopien dieser beiden jungen Burschen in Leipzig« auf uns

238

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort

der Reichswehr

sowenig wie seine Bemühungen um einen verbesserten staatspolitischen Unterricht in

der Armee168. Diese Aufklärungsmaßnahmen trafen nicht mehr das durch die Zeitumstände radikalisierte politische Empfinden vor allem der jungen Offiziere, die sich mit ihrer Führung nicht mehr identifizieren konnten. Die tiefe Vertrauenskrise schwelte unter der Decke äußerer Disziplin und Gehorsamkeit im stillen weiter. Daß Groener die Unruhe im Offizierskorps vor allem auf Disziplinlosigkeit und mangelnde Aufklärung zurückführte, ist ihm oft vorgeworfen worden169, war aber von seinem Standpunkt aus nur konsequent. Er fühlte sich mit Recht in seinen Absichten mißverstanden und hoffte, durch Aufklärungsarbeit und eine schärfere Beachtung des Gehorsams für Abhilfe zu sorgen. Wie hätte der Reichswehrminister auch anders reagieren sollen, wie hätte er überhaupt Vertrauen gewinnen können, ohne seinen für richtig befundenen Kurs aufzugeben? Die Wehrpolitik Groeners befand sich in einem kaum zu überwindenden Dilemma. Die Kooperation mit der zivilen Exekutive, die Einordnung in das »System« und der Ausgleichsversuch mit den republikanischen Kräften entsprachen den Bedürfnissen einer zeitgemäßen militärischen Wiedererstarkung. Die fachgerechte Zweckmäßigkeit dieser realitäts- und sachbezogenen Militärpolitik wurde aber verkannt, da das innenpolitische Umfeld schon zu stark emotionalisiert war und auch in die Reichswehr hineinwirkte. Mit Vernunftargumenten war gegen die lauter werdenden militanten und nationalistischen Phrasen nicht anzukommen. Auch die Hinweise auf das Abstraktum »Staat« und auf die im Präsidialsystem gewachsene Machtstellung der Reichswehr reichten nicht aus, um die in einer sachlichen Militärpolitik vermißten ideellen Inhalte zu ersetzen. Diese gewissen Zugeständnisse an die Erwartungshaltung seiner Kritiker erschütterten die tiefsitzenden Vorurteile gegen den »Linkskurs« Groeners nicht. Weiter konnte und wollte der Reichswehrminister nicht gehen, er war kein charismatischer Führer, sondern ein verantwortungsbewußter Fachmann, dem radikale Ansichten fremd blieben. So hielt er an seiner mittleren und fachlich erfolgreichen Linie fest, konnte dadurch freilich die Kritik von rechts und innerhalb der Reichswehr nicht eindämmen. Die Gegenmaßnahmen, die Groener blieben, die Aufklärungs- und Disziplinierungsversuche, mögen im einzelnen verfehlt oder gar hilflos gewesen sein170, sie waren in seinem militärpolitischen System an sich ohne Alternative.

168

169

herum.« Vgl. auch Stieff an seine Frau, Jüterbog 11.10.1930 (ebd., S. 64): »Jeder Rationalismus, jede kühle Berechnung hat einmal ein Ende und wird leblos.« Vgl. dazu die Hinweise Groeners in seiner Reichstagsrede vom 19.3.1931 (RT, Bd 445, S. 1724). Im Mai 1931 veröffentlichte das Reichswehrministerium »Leitgedanken über Staat und Wehrmacht«, die dem Unterricht und Selbststudium der Offiziersanwärter dienen sollten und erneut die Grundsätze der Überparteilichkeit, Verfassungstreue und Einordnung in den Staat betonten (Huber, Dokumente III, S. 436 f.). Zur selben Zeit versuchte Groener auch wieder, persönlich auf den Offiziersnachwuchs einzuwirken. Vgl. Groener an Gleich (privat), Berlin 26.4.1931 (BA-MA, N 46/36, Bl. 19): »Ich werde anfangs Mai mehrere Tage mit der Infanterieschule auf dem Truppen-Übungsplatz Ohrdruf zubringen und mich mit den jungen Leuten persönlich beschäftigen.« Vgl. etwa Carsten, Reichswehr, S. 355 f.; Klaus-Jürgen Müller, Heer, S. 33 f. Aus einer anderen Richtung kommt die deutliche Kritik von Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 690f., der dabei wie häufig in seinem Werk seine zeitgenössische Zugehörigkeit zum »nationalen« Lager durchscheinen läßt. Dies wird der Reichswehrführung unter Groener ebd. vorgeworfen. —

170



2. Die

Gegenbewegung:

Widerstand

von

rechts,

interne Vertrauenskrise

239

Die Vertrauenskrise im Offizierskorps und besonders bei den unteren Chargen war keineswegs nur ein Generationsproblem, sondern ein Symptom für den Widerstand der »nationalen« Kräfte, mit denen weite Teile der Reichswehr sympathisierten, gegen den Kurs der Bendlerstraße unter Führung Groeners. Der junge Leutnant beurteilte die Reichswehrpolitik prinzipiell nicht anders als der Stahlhelmkamerad, der intransigente Deutschnationale oder der nach 1929 zunehmend akzeptierte Nationalsozialist. Wenn auch die Radikalität der Kritik und der politischen Ausrichtung unterschiedlich war, die Vorwürfe und Ressentiments waren dieselben. Wegen dieses inneren Zusammenhangs wurden das externe und das reichswehrinterne Mißtrauen gegen den »Linkskurs« Groeners hier gemeinsam behandelt. Die Gegenbewegung von rechts bildete den Kontrast zum im vorigen Kapitel beschriebenen Ausgleichsversuch nach links und ergänzt die Darstellung vom unmöglichen Balanceakt Groeners zwischen den durch die Staatskrise verhärteten politischen Fronten. Die Bemühungen, der Reichswehrpolitik eine breite politische und gesellschaftliche Basis zu verschaffen, d.h. die demokratischen Parteien und ihre Anhänger zu gewinnen, ohne das traditionelle Potential auf der Rechten zu verlieren, wurden auf beiden Seiten abgelehnt. Groeners Suche nach einem ausgleichenden Konsens, der durch Begriffe wie »Überparteilichkeit« und »Staatsidee« charakterisiert war, entsprach nicht den Erwartungen einer klaren Parteinahme für die Republik oder gegen sie. Statt der erhofften breiten Zustimmung fand die Reichswehrführung nach 1930 eindeutige Unterstützung nur noch bei der schwächer werdenden bürgerlichen Mitte und war mehr denn je auf die Autorität Hindenburgs angewiesen. Diese Grundlage sollte sich für Groener schließlich als brüchig erweisen. Der innenpolitische Standort der Reichswehr im Rahmen einer gemäßigten Militärpolitik wurde immer schwieriger, da die zunehmende Polarisierung den nach allen Seiten kooperativen und integrativen Kurs Groeners als »schlappen« Kompromiß erscheinen ließ. Bereits das vorsichtige Entgegenkommen an die republikanischen Kräfte rief in den eigenen Reihen und bei den Rechtskreisen heftige Reaktionen hervor. Dabei ist interessant, daß diese Gegenbewegung erst richtig zum Ausdruck kam nämlich durch die Ulmer Affäre und ihre interne wie öffentliche Wirkung —, als der Reichswehrminister seinen Ausgleichsversuch nach links ohnehin als vorerst gescheitert ansah und zurückstellte. Die heftige Kritik von der Gegenseite und die interne Vertrauenskrise veranlaßten Groener dann zusätzlich, die Werbungen um das Vertrauen der demokratischen Kräfte zu vernachlässigen und sich stärker mit dem Mißtrauen der Reichswehrbasis und der ihr nahestehenden Kreise auseinanderzusetzen. Den Integrationssignalen nach links 1928/29 folgte seit 1930 der Kampf gegen den Vertrauensverlust auf der Gegenseite und damit in den eigenen Reihen. Die Militärpolitik und ihr Ziel einer ruhigen, entpolitisierten und von allen Kräften getragenen militärischen Vorbereitung blieben konstant, nur die taktischen Akzente änderten sich unter dem Druck der Staatskrise, jedoch nicht genug, um die verlorene Basis auf der Rechten zurückzugewinnen. Diese Entwicklung fand ihre Entsprechung in der innenpolitischen Einflußnahme der Reichswehrführung im Über—

gang

vom

parlamentarischen

zum

präsidialen System.

240

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

3. Politische Einflußnahme im

Standort der Reichswehr

Übergang zum Präsidialsystem

Die innere Entwicklung und äußere Stellung des militärischen Machtapparats sind stets von hoher politischer Bedeutung. Daher faßte Groener seinen militärpolitischen Führungsanspruch mit Recht sehr weit. Und deshalb konnte hier auch von Militärpolitik in einem umfassenden Sinne gesprochen werden. Alle bisher behandelten Problemkreidie Organisation der militärischen Vorbereitung, ihre Einbindung in die staatliche se Entwicklung und zuletzt das Verhältnis der Reichswehr zu den politischen Kräften besaßen allgemeinpolitische Relevanz, gleich ob innen-, außen- oder finanzpolitischer Ausprägung. Doch trotz ihrer Bedeutung über die engen militärspezifischen Grenzen hinaus wurde in keinem dieser Aktionsfelder der militärpolitische Bezugspunkt verloren. Sie gehörten zu den selbstverständlichen und verfassungsgemäßen Aufgaben Groeners. Allerdings kündigte sich bereits in den zuletzt beschriebenen Auseinandersetzungen um den innenpolitischen Standort der Reichswehr eine Verstrickung in die Staatskrise an, die eine andere Qualität von politischem Einfluß ahnen läßt. Tatsächlich gelangte die Reichswehrführung in der Auflösungsphase der Republik zu einer Machtposition, die nicht mehr mit dem militärpolitischen Auftrag zu rechtfertigen war. Die Konfrontation mit der Staatskrise führte zunehmend zu Eingriffen in die innenpolitische Entwicklung, die keine Militärpolitik mit allgemeinpolitischem, sondern Innenpolitik mit militärpolitischem Hintergrund bedeuteten. Diese Einflußnahme überschritt die eigentliche Kompetenz des Reichswehrministers und war daher außerkonstitutionell, freilich nicht außergewöhnlich, denn bereits zuvor hatte die militärische Führung in entscheidenden Augenblicken der jungen Republik 1918/19, 1920 und 1923/24 eine Schlüsselrolle eingenommen. Die Reichswehr bildete einen Machtfaktor, dem in Phasen staatlicher Instabilität eine erhöhte Bedeutung zufallen mußte. Dennoch bleibt die aktive Innenpolitik Groeners und seiner Umgebung am Ende der Weimarer Republik ein problematisches Kapitel seiner Amtszeit. Bevor nun die Motivation und das Ziel des Eingriffs der Reichswehrführung in die Politik mit besonderer Konzentration auf Groener zu diskutieren sind, müssen die bekannten Fakten der ersten Etappe dieser Aktivitäten genannt werden. Über den Regierungswechsel im März 1930 von der parlamentarischen Großen Koalition auf das präsidiale Kabinett Brüning und über seine Vorgeschichte ist viel und aus unterschiedlicher Perspektive geschrieben worden171. Mit vollem Recht wird in diesen Ereignissen allgemein ein tiefer Einschnitt in die Geschichte der Weimarer Republik gesehen und auf die Mitverantwortung der Bendlerstraße hingewiesen. Auch wenn fern jeder Monokausalität —







nur die wichtigste Forschungsliteratur genannt: Timm, Sozialpolitik; Conze, Krise; Bracher, Auflösung, S. 257—294; Vogelsang, Reichswehr, S. 65—75; Dorpalen, Hindenburg, S. 160—173; Conze, Entscheidungen, S. 176—213; Koops, Erfahrungen, S. 205—221; Maurer, Reichsfinanzen, S. 108—144; Huber, Verfassungsgeschichte VE, S. 718—728; Schulz, Demokratie H, S. 451—493; Winkler, Schein, S. 736—823. Die Einflußnahme der Reichswehrführung wird naturgemäß in allen Darstellungen der Märzkrise angeschnitten, am besten immer noch in der Arbeit von Thilo Vogelsang, auch wenn verwendet vor allem die Brüning-Memoiren in der jüngeren Forschung zusätzliche Quellen

Es sei

werden konnten.





241 Übergang zum Präsidialsystem verschiedene politische und sozialökonomische Faktoren von Bedeutung waren und man3. Politische Einflußnahme im

ches im dunkeln bleiben muß, läßt sich doch mit Sicherheit sagen, daß die Reichswehrführung in diesen Monaten eine entscheidende Rolle spielte. Die überlieferten Schritte zur Vorbereitung des Präsidialregimes sind in der Forschung bereits dargestellt, so daß sich die folgenden Ausführungen auf die wichtigsten Merkmale für die Aktivitäten Groeners und Schleichers im Hintergrund beschränken können. Im Laufe des Jahres 1929 stellte sich bei der Reichswehrführung eine zunehmende Unzufriedenheit mit den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Reiches ein. Die parlamentarische Regierung der Großen Koalition schien die vielfältigen Probleme der heraufziehenden Staatskrise nicht mehr bewältigen zu können. Ein frühes Zeichen dieser Krise war die katastrophale Lage der Staatsfinanzen in der ersten Jahreshälfte 1929, die zu einem rigorosen Sparhaushalt zwang und auch den Wehretat in Mitleidenschaft zog172. Die Bendlerstraße begann nun, nach neuen innenpolitischen Konstellationen Ausschau zu halten und eine grundlegende Änderung der Regierungsverhältnisse zu erwägen. Gegenüber dem führenden Zentrumspolitiker Heinrich Brüning sprach Schleicher zu dieser Zeit die Alternative eines auf den Notverordnungsartikel gestützten Präsidialregimes unter Ausschaltung des Parlaments an173. Trotz dieser Gedankenspiele hinter den Kulissen war die Reichswehrführung aber nicht bereit, schon jetzt entscheidend in die Innenpolitik einzugreifen. Man wollte offenbar die nur mit der SPD mögliche Durchsetzung des Young-Plans abwarten174 und spekulierte vielleicht auch noch auf eine Besserung zugunsten der Großen Koalition. Doch die Symptome der Krise traten im Sommer und Herbst 1929 verstärkt in den Vordergrund. Die defizitäre Finanzlage des Reiches verschlechterte sich175, und zu den finanziellen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten kam eine gefährliche Polarisierung der politischen Szene176, besonders auch durch den heftigen Widerstand der rechten Opposition von DNVP, Stahlhelm und NSDAP gegen den Young-Plan177. Das Bewußtsein einer schwerwiegenden Staatskrise machte sich breit und ergriff auch die Reichswehrführung, die sich darauf einrichtete, »daß für 172

173

174

175

176 177

Vgl. Maurer, Reichsfinanzen, S. 50—54; Winkler, Schein, S. 578—581. Zu den Rückwirkungen auf

den Wehretat 1929 bereits oben Kap. IV,5. Brüning, Memoiren, S. 145—147. Vgl. Schulz, Demokratie II, S. 456 f.; Winkler, Schein, S. 761. Die Datierung dieser Unterredung ist nicht sicher, Brüning nennt einen Zeitpunkt »nach Ostern« (Brüning, Memoiren, S. 145), aber auch »nach Abschluß der Etatverhandlung im Reichstag« (ebd., S. 140), also erst nach Mitte Juni 1929. Letzteres spricht gegen Koops, Erfahrungen, S. 206, der das Gespräch auf Anfang April datiert. Daß ein Kontakt zwischen Brüning und Schleicher in diesen Monaten bestanden hat, wird belegt durch Brüning an Schleicher, Wilmersdorf 16.5.1929 (AdsD, Nachlaß Severing 153), und Severing an Schleicher, Berlin 17.7.1929 (BA-MA, N 42/20, Bl. 107). Auch der Wille Hindenburgs und seiner Umgebung, »dem Marasmus in der Politik ein Ende zu machen« (Brüning, Memoiren, S. 140), läßt sich bereits für das Frühjahr 1929 nachweisen (Aufzeichnung Westarps über ein Gespräch mit Hindenburg am 18.3.1929; Jonas, Die Volkskonservativen, S. 186—188). Dies war auch Brünings Rat an Schleicher (Brüning, Memoiren, S. 145—147). Zur Finanzlage Ende 1929 vor dem Hintergrund der beginnenden Weltwirtschaftskrise vgl. Maurer, Reichsfinanzen, S. 92—94; Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 702 f.; Winkler, Schein, S. 738 f. Vgl. etwa die Denkschrift Severings vom Dezember 1929 (Jasper, Lage, S. 281—289). Zum Young-Plan und der Agitation um das Volksbegehren gegen ihn vgl. u. a. Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 691—702; Schulz, Demokratie II, S. 395—450.

242

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

die nächste Zukunft der Primat bei der Innenpolitik läge«178. Ende Oktober ließ Groener seinen beiden Freunden Gleich und Wild »bemerkenswerte Ausführungen über die augenblickliche Lage« zukommen, einen Zeitungsausschnitt mit Zitaten einer Rede des Zentrumsvorsitzenden Kaas, in der eine von Parteien und Parlament unabhängige autoritäre Regierung gefordert wurde179. Im Dezember 1929 unternahmen Groener und Schleicher konkrete Schritte zur Vorbereitung des Machtwechsels, um beim Bruch der Großen Koalition, der für das Frühjahr 1930 über die Finanzreform erwartet wurde, die von ihnen bevorzugte Lösung einer bürgerlichen Präsidialregierung präsentieren zu können. Die Suche nach einer möglichst breiten politischen Basis für diese Konstruktion wurde Ende 1929 durch zwei Ereignisse erleichtert. Anfang Dezember spaltete sich eine Gruppe gemäßigter Deutschnationaler um Treviranus von der intransigenten Hugenberg-DNVP180, und am 5. Dezember wurde Brüning Fraktionsvorsitzender des Zentrums181. Beide sollten zu wichtigen Verbündeten der Reichswehrführung werden. Auf letzteren ist sie wohl durch Oberstleutnant a. D. von Willisen, einem Schüler Groeners und gemeinsamen Freund Schleichers und Brünings, aufmerksam gemacht worden182. Der als Finanz- und Haushaltsexperte, »als erfahrener Politiker und national gesinnter ehemaliger Frontsoldat«183 bekannte Brüning entwickelte sich zum Wunschkandidaten der Militärs für die Nachfolge Hermann Müllers. Nach der sehr aufschlußreichen ersten Fühlungnahme durch Schleicher im Frühjahr oder Sommer 1929 hatte die Reichswehrführung diese personelle Perspektive nicht aus den Augen verloren und trat nun Ende des Jahres erneut an den Zentrumspolitiker heran184. Am 26. Dezember trafen Groener, Schleicher, Meissner und Treviranus bei Willisen mit Brüning zusammen, um die politische Lage zu besprechen185. Es wurde Brüning nahegelegt, nach dem Ende des Kabinetts Müller, das Hindenburg nicht länger als bis zur Verabschiedung des Young-Plans (März 1930) im Amt sehen wolle, die Führung einer auf den Artikel 48 gestützten Präsidialregierung zu übernehmen. Da Brüning sich noch sträubte, wurden keine konkreten Absprachen getroffen. Aber Groener war mit dem Zentrumsführer persönlich ins Gespräch gekommen und hatte sich für das neue Jahr mit ihm

Vortrag Schleichers vor Offizieren des Reichswehrministeriums, vermutlich Frühherbst 1929 (Vogelsang, Reichswehr, S. 62). 179 Schleicher an Gleich und Wild, 25.10.1929 (BA-MA, N 42/20, Bl. 133). Dazu auch Vogelsang, Reichswehr, S. 67f. Auszüge der Kaas-Rede vom 17.10.1929 bei Schulthess 1929, S. 191 f. Vgl. auch Con178

ze, 180

Entscheidungen,

S. 189.

Bracher, Auflösung, S. 276—287; Jonas, Die Volkskonservativen, S. 47—79. Diese Entwicklung, die zur Gründung der Volkskonservativen Vereinigung Ende Januar 1930 führte, wurde mit Wissen Groeners vermutlich aktiv von Schleicher gefördert (Vogelsang, Reichswehr, S. 68 f.). Treviranus

besaß gute Beziehungen sowohl zum Chef des Ministeramts als auch zu Brüning. Fraktionssitzung des Zentrums vom 5.12.1929 (Protokolle, S. 348 f.). 182 Koops, Erfahrungen, S. 202 f.; Schulz, Demokratie II, S. 456. 183 Meissner, Staatssekretär, S. 188. Zur Persönlichkeit und (in seinen Memoiren offengelegten) politischen Einstellung Brünings auch Bracher, Auflösung, S. 274 f.; Eschenburg, Rolle, S. 12 f.; Koops, Erfahrungen, S. 198—205; Schulz, Demokratie II, S. 458—460. 184 In einem Brief an Brüning, 14.12.1929 (BA-MA, N 42/76, Bl. 158), bezieht sich Schleicher »auf unsere mehrfachen Unterredungen«. 185 Treviranus, Ende, S. 114f.; Brüning, Memoiren, S. 150—152. 181

3.

Politische Einflußnahme im

Übergang zum Präsidialsystem

243

einem vertraulichen Spaziergang verabredet. Auch der Reichspräsident zeigte Brüning bei dessen Antrittsbesuch als Fraktionsvorsitzender deutlich, daß er ihn als seinen Kandidaten betrachte186. Die Dinge kamen ins Rollen. Nach diesen Sondierungen konnte Groener seinem Freund Gerold von Gleich bereits Anfang Januar 1930 schreiben, sein »Kardinal in politicis« Schleicher habe »ausgezeichnete Arbeit hinter den Kulissen geleistet und den Boden für die zukünftige Entwicklung vorbereitet. Ich sitze mit den besten Trümpfen in der Hinterhand, ein angenehmer Zustand nicht nur beim Skatspiel. So warten wir in Ruhe und möglichstem Behagen ab, was 1930 bringen wird.«187 Der Reichswehrminister stellte eine bürgerliche Regierung von den Demokraten bis zu den gemäßigten Deutschnationalen in Aussicht, die das Kabinett des von ihm hochgeschätzten Reichskanzlers Müller schon bald ablösen müsse, da die SPD die nötige Finanzreform nicht mittragen, sondern in die Opposition gehen werde188. Groener wartete also bereits darauf, seine Trümpfe« beim Ende der Großen Koalition ausspielen und eine präsidiale Regierung auf breiter politischer Grundlage unter Führung Brünings installieren zu können. Tatsächlich kam es kurz darauf zu den vorhergesehenen Kontroversen um die Reichsfinanzen189. Der heillose Streit der Parteien über den Weg zur Sanierung der desolaten Finanzlage, der im unversöhnlichen Gegensatz zwischen den Sozialdemokraten und der DVP um die Arbeitslosenversicherung seinen Höhepunkt fand, verstärkte allgemein den Eindruck, daß die Große Koalition den Problemen nicht mehr gewachsen, ja der »Parteienstaat« an sich am Ende sei. Auch die Reichswehrführung wollte nun eine schnelle Änderung der Regierungsverhältnisse und bereitete sich nicht mehr nur auf den Machtwechsel vor, sondern förderte ihn aktiv durch ihre Einflußmöglichkeiten beim Reichspräsidenten. Im März 1930 überstürzten sich die Ereignisse und führten zu einem entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der Weimazu

rer

Republik.

Die Einzelheiten und der zeitliche Ablauf der Einwirkungen Groeners und Schleichers auf die letzte Entwicklung zum Regierungswechsel sind nur bruchstückhaft überliefert. Dennoch soll hier eine sachliche und chronologische Zuordnung der beiden wichtigsten Dokumente, der Erinnerungen Brünings und einer undatierten Notiz aus dem Ministeramt, versucht werden. Wohl am Sonntagvormittag des 9. März 1930 ist es zu dem 186

187

188

189

148—150. Dazu Koops, Erfahrungen, S. 207f.; Schulz, Demokratie II, S. 467, S. 484f. Das Datum (Dezember 1929 oder Februar 1930) ist unbekannt. genaue Groener an Gleich (privat), Berlin 4.1.1930 (BA-MA, N 46/36, Bl. 3; verschiedene Auszüge dieses Briefes auch bei Phelps, Groener-Dokumente VI, S. 1013f.; Groener-Geyer, Groener, S. 262; Vogelsang, Reichswehr, S. 69f.; Carsten, Reichswehr, S. 338f.). Groener an Gleich (privat), Berlin 4.1.1930 (BA-MA, N 46/36, Bl. 4 f.): Es »läßt sich vielleicht bei Verstand und Weisheit der bürgerlichen Parteien eine Regierung finden, die durch das schwierige Meer der Zukunft das Reich durchsteuern kann. [...] Vorläufig bin ich froh, wenn bei den Deutschnationalen Treviranus, Lindeiner, bei den Volksparteilern Moldenhauer, Scholz und auch Curtius (wegen des Ausgleichs der Kräfte), beim Zentrum Kaas und Brüning, bei den Demokraten Dietrich, Koch, Külz sich in ihren politischen Anschauungen vor allem in der praktischen Politik nähern, da vermutlich der ganz ausgezeichnete gegenwärtige Kanzler Müller seine Partei auf die Dauer nicht hinter sich haben wird.« Dazu ausführlich die in der ersten Anm. dieses Kapitels genannte Literatur.

Ebd., S.

244

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

bei Willisen verabredeten Spaziergang des Reichswehrministers mit Brüning durch die Potsdamer Wälder gekommen190. Groener sprach sich für eine Reformpolitik ohne den Reichstag aus und bekräftigte gegenüber dem Zentrumspolitiker, daß Hindenburg ihn als seinen letzten Kanzler wolle und unterstützen werde. Darüber hinaus gab er für den Fall, daß Brüning die Führung eines Präsidialkabinetts übernehme, ein aufschlußreiches Versprechen ab191: »Ich werde hinter Ihnen stehen durch dick und dünn. Der alte Herr [Hindenburg] kann nach meinem Verhalten ihm gegenüber in den letzten zwölf Jahren nicht anders, als meinem Rate folgen. Es ist menschlich unmöglich, daß es anders wäre. Ich gebe Ihnen mein Wort als Offizier, daß ich diesen meinen Einfluß bis zum äußersten hinter Sie stellen werde.« Zu einem Zeitpunkt, als die Regierungskrise um die Finanzreform und die Verabschiedung des Young-Plans ihrem Höhepunkt zusteuerte, sollte der Wunschkandidat der Reichswehrführung durch dieses ungewöhnliche Versprechen für die Übernahme der Kanzlerschaft gewonnen und gleich auch auf die besondere personelle Machtkonstellation Hindenburg—Groener—Brüning eingeschworen werden. Brüning blieb zwar in Hinsicht auf das angeblich baldige Ende der Großen Koalition skeptisch und wollte diese Regierung bis zum Herbst halten, gab aber andererseits die Versicherung, daß er sich »nie einer schwierigen Lage des Vaterlandes entziehen« werde192. Das Gespräch mit Groener hatte ihn spürbar beeindruckt, zumal beide auch in den Sachfragen völlige Übereinstimmung feststellten193. Der Reichswehrminister scheint ebenfalls einen höchst positiven Eindruck von ihrem Spaziergang gewonnen zu haben, jedenfalls rechnete er jetzt fest mit Brüning. Als ihm nach unserer chronologischen Hypothese am nächsten Tag, dem 10. März, von Schleicher eine Vortragsnotiz vorgelegt wurde, die hinter der Bereitschaft Brünings zur Regierungsübernahme noch ein Fragezeichen machte, konnte dies nun mit der Randbemerkung versehen werden: »er wird es bestimmt tun u. auch durchziehen«194. Die von —

190



Brüning, Memoiren, S. 158—161. Die hier vorgeschlagene Datierung stützt sich zum einen auf Brünings Angaben, daß der Spaziergang für einen Sonntag verabredet worden sei (ebd., S. 151 f.) und ungefähr 2 Wochen vor dem 27.3.1930 stattgefunden habe (ebd., S. 158). Am Nachmittag des 9.3. (ab 16 Uhr) nahm Brüning an einer Parteiführerbesprechung im Reichstag teil (AdR, Müller II, Bd 2, S. 1559—1561). Zum anderen wird dieses Datum plausibel durch den unten zitierten Nachtrag auf der Aufzeichnung Noeldechens vom 10.3.1930, daß Brüning zur Übernahme der Regierung bestimmt bereit sei. Diesen Eindruck muß die Reichswehrführung also unmittelbar zuvor gewonnen haben. Dagegen ist die Angabe von Treviranus, Ende, S. 115, Groener und Brüning hätten sich am 16.1.1930 zu dem verabredeten Gespräch getroffen, eher unwahrscheinlich. Dazu auch Koops,

Erfahrungen, S. 209. Brüning, Memoiren, 192 191

S. 160.

Ebd.

S. 158: »Wir besprachen alle erforderlichen Reformen und waren uns in allen Fragen völlig einig.« Brüning äußerte schließlich gegenüber Groener (ebd., S. 160): »Ich selbst habe meinerseits durch diese Unterhaltung das größte Vertrauen zu Ihnen gewonnen.« 194 Undatierte Aufzeichnung Noeldechens, [10.3.1930] (BA-MA, N 42/29, Bl. 2). Ob die von Vogelsang, Reichswehr, S. 414f., weggelassene (vgl. aber Carsten, Reichswehr, S. 340) Bleistiftanmerkung von Groener oder Schleicher stammt, ist schwer zu entscheiden. Einige Bemerkungen zur Datierung: Die Vorschläge von Carsten, Reichswehr, S. 340, Anm. 174 (»vermutlich im Januar 1930«), und Schulz, Demokratie II, S. 486 (»wahrscheinlich früh im Jahre 1930«), sind ungenau. Der Inhalt 193

Ebd.,

Übergang zum Präsidialsystem Schleichers Adjutanten Hauptmann Noeldechen ausgearbeitete Vortragsnotiz ist 3.

Politische Einflußnahme im

245

aber noch aus anderen Gründen ein hochinteressantes Dokument. Sie war die Reaktion auf die Nachricht aus dem Präsidialbüro, daß Hindenburg der Reichsregierung für ihre Sanierungspläne alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel in Aussicht stellen wolle195. Hermann Müller hätte mit der Unterstützung des Reichspräsidenten den Reichstag auflösen, das Finanzprogramm der Regierung als Notverordnung gegen die DVP durchsetzen und sein Kabinett über die strittigen Punkte hinwegretten können196. Allerdings wollte es Hindenburg wohl so weit nicht kommen lassen, sondern durch sein Angebot Brünings Junktim von Young-Plan und Finanzreform auflösen, um endlich mit der Annahme der Young-Gesetze diese ihm lästige Frage abgeschlossen zu sehen197. Dennoch wurde man im Reichswehrministerium nervös, da sich das gewünschte Ende der Großen Koalition zu verzögern drohte. In der Aufzeichnung Noeldechens wird ausdrücklich davor gewarnt, den Artikel 48 und die Reichstagsauflösung in die Hände des Kabinetts Müller oder einer Regierung der Weimarer Koalition zu geben198. Man würde damit nur eine Kampagne der Rechtskreise gegen den Reichspräsidenten und einen Machtgewinn der SPD riskieren. Statt dessen wurde von der Reichswehrführung der Vorschlag gemacht, der jetzigen Reichsregierung jede präsidiale Rückendeckung zu verweigern und nach ihrem Sturz möglichst Brüning zum Kanzler zu ernennen »mit dem Auftrage, ohne Befragung der Fraktionen und ohne irgendwelche Koalitionsbindungen eine Regierung von Persönlichkeiten zu bilden, die bereit sind, die wirtschaftliche und finanzielle Sanierung ohne Rücksicht auf Parteien und Länder durchzuführen«. Diese Regierung solle dann »mit allen gesetzlichen und verfassungsmäßigen Mitteln« ausgestattet werden. Der Vorteil dieser Lösung sei, daß sich auch die gesamte Rechte mit Ausnahme einiger Hugenberg-Anhänger —

der Aufzeichnung weist eindeutig auf die erste Märzhälfte, etwa auch der Vortragspunkt »Vorstoß S.P.D. gegen Flottenreise« (BA-MA, N 42/29, Bl. 3), der gerade am 10.3.1930 zu einem scharfen Protest Groeners bei Pünder führte (vgl. oben Kap. IV,5). Vor allem aber bezieht sich das Noeldechen-Papier deutlich auf das bevorstehende Angebot Hindenburgs vom 11.3. an das Zentrum, der Regierung Müller die präsidialen Vollmachten zur Verfügung zu stellen. Daher ist die schlüssige Datierung durch Vogelsang, Reichswehr, S. 414, auf die Tage vor dem 10.3. wohl nur geringfügig auf die Zeit vor dem 11.3. zu korrigieren. Daß die Vortragsnotiz allem Anschein nach für die Besprechung zwischen Groener und Hindenburg am 11.3. bestimmt war, wird noch näher zu erläutern sein. Nach unserer Hypothese liegt die Aufzeichnung Noeldechens zumindest aber ihre Vorlage zwischen dem Spaziergang Groener/Brüning (9.3.) und dem Gespräch Hindenburg/Brüning und —

Hindenburg/Groener (11.3.), also auf dem 10.3.1930. Undatierte Aufzeichnung Noeldechens, [10.3.1930] (BA-MA, N 42/29, Bl. 1-3). Der erste Teil (»I. Gedanken zur Lage«) ist abgedruckt bei Vogelsang, Reichswehr, S. 414f., die beiden weiteren Abschnitte (»II. Klagen als Wehrminister«, »III. Sonstige Vortragspunkte«) sind bis auf wenige Auszüge bei Carsten, Reichswehr, S. 340, unveröffentlicht. Zu diesem zentralen Dokument vgl. Vogelsang, Reichswehr, S. 72f.; Carsten, Reichswehr, S. 339f.; Koops, Erfahrungen, S. 210f.; Schulz, Demokratie II, —

195

196

197 198

S.486f. Selbst die DVP-Minister Moldenhauer und Curtius hätten diese Maßnahme gegen ihre Partei mitgetragen (vgl. die Vorstandssitzung des Zentrums vom 7.3.1930; Protokolle, S. 405f.). Winkler, Schein, S. 795. Diese Vermutung läßt sich auch durch Brüning, Memoiren, S. 154f., erhärten. Undatierte Aufzeichnung Noeldechens, [10.3.1930] (Vogelsang, Reichswehr, S. 414f.). Ebd. auch die folgenden Zitate aus dem Noeldechen-Papier.

246

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

Regierung stellen werde und endlich das Agrarprogramm der »grünen könne, kurzum: »Es wird sich Vertrauen und ein dringend notwendiger Optimismus einstellen, das mit der alten Firma nicht mehr herzustellen ist.« Der Zweck dieser Aufzeichnung läßt sich nur unschwer erkennen. Sie war als argumentative Grundlage für eine Besprechung Groeners mit dem Reichspräsidenten gedacht, in der Hindenburg von einer weitgehenden Intervention zugunsten des Kabinetts Müller abgehalten werden sollte199. Die Argumentationsführung zielte dementsprechend geschickt auf die konservativen Gefühle und »antimarxistischen« Ressentiments des Reichspräsidenten. Auch Groener war anscheinend mit der Vortragsnotiz aus der Umgebung hinter die

neue

Front« realisiert werden

Schleichers voll einverstanden. Er verbesserte an ihr nichts, sondern unterstrich mit seinem Grünstift lediglich das Wort »Vorschlag«, das dem Abschnitt über die von der Reichswehrführung gewünschte Entwicklung voranstand200 als ob er Hindenburg die Perspektive des Regierungswechsels zu einem Präsidialkabinett Brüning besonders eindringlich nahebringen wollte. Diese Aufzeichnung der zukünftigen politischen Entwicklung entsprach offenbar genau seinen eigenen Vorstellungen. Doch noch bevor Groener beim Reichspräsidenten über diese Dinge Vortrag halten konnte, erteilte Hindenburg am Vormittag des 11. März sowohl Müller als auch Brüning die mündliche Zusage, die Reichsregierung mit den verfassungsgemäßen präsidialen Vollmachten auszustatten201. Vermutlich kurz darauf, jedenfalls noch am selben Tag, erschien der Reichswehrminister bei Hindenburg und machte mit seinem ganzen Einfluß die Argumente der Reichswehrfüh—

199

Reichswehr, S. 73, aufgestellte und seitdem in der Forschung übernommene These, Aufzeichnung Noeldechens sei für einen Vortrag Schleichers bei Hindenburg angefertigt worden, spricht für die einseitige Fixierung der Reichswehrrezeption auf den Chef des Ministeramts und läßt sich widerlegen. Einmal ist es sehr unwahrscheinlich, daß Groener in dieser entscheidenden Frage seinen Untergebenen Schleicher vorschickte. Vgl. etwa auch die retrospektive Bemerkung Groeners in der Befragung durch Oehme, Ende 1932 (BA-MA, N 46/145, Bl. 54): »Tägliche Vorträge beim Reichspräsidenten gab es nicht. Wenn genügend Stoff für einen Vortrag vorlag, ging natür-

Die von Vogelsang,

die

lich ich selbst

zum

Vortrag, in meiner Abwesenheit Schleicher.« Auch die Grünstiftunterstreichun-

Noeldechen-Papier und die Überschrift des zweiten Teils (»Klagen als Wehrminister« statt »Klagen des Wehrministers«) weisen darauf hin, daß Groener die Aufzeichnung selbst benutzte. Vor allem aber läßt sich das Dokument einer ganz bestimmten Besprechung zwischen dem Reichswehrminister und Hindenburg zuordnen. Im Zusammenhang mit dem Streit, ob er den Reichspräsidenten vor oder nach der Verhaftung von Scheringer und Ludin am 10.3.1930 über diesen aufsehenerregenden Vorgang informiert habe, schrieb Groener an Oberreichsanwalt Werner, Berlin 30.10.1930 (BA, R43 1/688, Bl. 187), »dass dem Herrn Reichspräsidenten über die ganze Angelegenheit tatsächlich erst am 11.3.30 durch mich, also nach Verhaftung, Vortrag gehalten worden ist«. Die Aufzeichnung Noeldechens verweist im Abschnitt »III. Sonstige Vortragspunkte« auf den »Fall Scheringer—Ludin« (BA-MA, N 42/29, Bl. 3), was sich allem Anschein nach Wendt ist nicht genannt! gen im

auf die Verhaftung der beiden noch aktiven Ulmer Offiziere am 10.3. bezieht. Die Indizienkette fügt sich zusammen und untermauert zugleich das Datierungsgerüst. Die Vortragsnotiz Noeldechens war für eine Besprechung Groeners mit Hindenburg bestimmt, die am 11.3.1930 stattfand. Undatierte Aufzeichnung Noeldechens, [10.3.1930] (BA-MA, N 42/29, Bl. 2). Parteiführerbesprechung vom 11.3.1930 (AdR, Müller II, Bd 2, S. 1564 f.); Fraktionssitzung des Zentrums vom 11.3.1930 (Protokolle, S. 412); Brüning, Memoiren, S. 154f. Vgl. Conze, Krise, S. 81; Vogelsang, Reichswehr, S. 72f.; Dorpalen, Hindenburg, S. 169 f,; Morsey, Quellen, S. 218f.; Maurer, Reichsfinanzen, S. 124; Winkler, Schein, S. 793—795. —



2°° 201

247 Übergang zum Präsidialsystem rung gegen diese Maßnahme geltend202. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß er dabei sogar mit seinem Rücktritt drohte, um Druck auf den Reichspräsidenten auszuüben und ihn von der Verwirklichung seines Unterstützungsversprechens an die gegenwärtige Regierung abzubringen203. Am 12. März wurde der Young-Plan im Reichstag angenommen204 mit den Stimmen des Zentrums, das sein Junktim vor allem wegen der Zusage Hindenburgs zur Durchsetzung der Finanzreform aufgegeben hatte. Als nun aber vom Reichspräsidenten die entsprechende schriftliche Vollmacht an das Kabinett erbeten wurde, verweigerte er diesen von ihm selbst in Aussicht gestellten Schritt, was man in gutinfor3. Politische Einflußnahme im



mierten Kreisen mit Recht auf den Einfluß Groeners und Schleichers zurückführte205. Der gezielte Eingriff des Reichswehrministers hatte Wirkung gezeigt. Die Rekonstruktion dieser Aktivitäten der Reichswehrführung, die entscheidend zum Machtwechsel beitrugen, läßt sich fortführen, wenn auch nicht mehr so genau wie bisher. Seit Mitte März nahm Hindenburg ganz nach den Vorstellungen der Bendlerstraße wieder eine härtere Haltung gegenüber der auseinanderfallenden Großen Koalition ein. Als der Reichspräsident am 18. März einen öffentlichen Appell an Müller richtete, in dem die Regierung geradezu ultimativ zur Sanierung der Finanzen und Unterstützung der Agrarwirtschaft im Osten aufgefordert wurde206, konnte Staatssekretär Meissner befriedigt an Schleicher schreiben207: »Das ist die erste Etappe und die Brücke zu Ihrer Lösung! Das ist auch die Unterlage zum besten, was wir haben können, zum Führertum »Hindenburg«.« Auch Groener äußerte am 24. März in einem Brief an Gleich, daß er alles tun werde, »um den sich anbahnenden Kurswechsel zu beschleunigen«208. Welche 202

Über den Vortrag Groeners am 11.3.1930 bei Hindenburg ¡st neben den bisher zusammengetrage-

203

Die

204

RT, Bd427, S. 4402-4413.

Indizien nichts überliefert. Seine Vorbereitung und Wirkung läßt jedoch eindeutige Schlüsse zu. Rücktrittsdrohung Groeners hat zuerst Kurt von Reibnitz im »Dortmunder Generalanzeiger« vom 14.2.1932 behauptet (Schotte, Kabinett, S. 20). Vgl. auch Caro/Oehme, Aufstieg, S. 196; Rabenau, Seeckt, S. 650 f.; Vogelsang, Reichswehr, S. 75, Anm. 259, hält dies für »durchaus denkbar«. nen

Gilsa an Reusch (privat), 18.3.1930 (Politik und Wirtschaft I, S. 87 f.): »Vor einigen Tagen wurde dem alten Herrn ein an das Kabinett gerichtetes Schreiben vorgelegt, in dem er dem Kabinett Vollmacht geben sollte: a) für die evtl. Auflösung des Reichstages, b) für ein evtl. Regieren auf Grund des Art. 48 der Verfassung und c) wurde ihm nahegelegt, in dem Schreiben den Wunsch auszusprechen, daß die beiden volksparteilichen Minister auf alle Fälle in dem Kabinett bleiben sollten. Wie mir mein anscheinend sehr gut unterrichteter Gewährsmann mitteilte, hat Hindenburg, anscheinend vornehmlich auf Betreiben von Groener und Schleicher, alle drei Ansinnen abgelehnt und nur einen Brief an das Kabinett gerichtet, in dem er letzteres auffordert, möglichst bald für Ordnung in den Finanzen zu sorgen [...].« Die »drei Ansinnen« deckten sich Punkt für Punkt mit den Befürchtungen der Reichswehrführung in der undatierten Aufzeichnung Noeldechens, [10.3.1930] (Vogelsang, Reichswehr, S. 414 f.), was die Glaubwürdigkeit dieser Information erhöht. Mit dem Brief Hindenburgs war sein Schreiben an Müller, 13.3.1930 (AdR, Müller II, Bd2, S. 1568f.), gemeint. Bereits zwei Tage nach dem 11.3. und einen Tag nach Annahme des Young-Plans war der Reichspräsident wieder voll auf die von der Reichswehrführung gewünschte Linie eingeschwenkt. 206 Hindenburg an Müller, 18.3.1930 (AdR, Müller II, Bd 2, S. 1580—1582). Dazu Dorpalen, Hindenburg, S. 170f.; Maurer, Reichsfinanzen, S. 125; Schulz, Demokratie II, S. 488f. 207 Meissner an Schleicher, 19.3.1930 (Politik und Wirtschaft I, S. 94). 208 Groener an Gleich (privat), Berlin 24.3.1930 (BA-MA, N 46/36, Bl. 7; dieser Ausschnitt auch bei Phelps, Groener-Dokumente VI, S. 1014).

205

248

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort

der Reichswehr

politisch-taktischen Manöver er damit genau ansprach, bleibt unklar. Wahrscheinlich meinte er seinen Einfluß auf Hindenburg, fest zu bleiben und der Reichsregierung nicht mit dem Artikel 48 über die Krise zu helfen. Die im einzelnen nicht nachweisbare politische Kleinarbeit im Hintergrund überließ er aber weitgehend Schleicher, der mit Assistenz von Treviranus und der Umgebung des Reichspräsidenten das Kabinett Brüning vorbereitete209. Die in den politischen Kreisen allgemein bekannte Tatsache, daß Hindenburg die Große Koalition bereits fallengelassen hatte und eine präsidiale Nachfolgeregierung schon in Warteposition stand, hat den Durchhaltewillen des Zweiten Kabinetts Müller und ihrer Koalitionsparteien zusätzlich erschüttert210. Am 27. März 1930 kam es über die Arbeitslosenversicherung endgültig zum Bruch der Großen Koalition, ohne daß der Reichspräsident seine Machtbefugnisse zur Erhaltung der Regierung geltend gemacht hätte211. Bereits am 30. März stellte Heinrich Brüning sein Kabinett vor,

das vom DDP-Minister Dietrich bis zum Volkskonservativen Treviranus und dem Vorsitzenden des Reichslandbundes Schiele, dem Kandidaten Hindenburgs für das Ernährungsministerium, noch eine relativ breite politische Spannbreite hatte, sich aber unter Ausschluß der Sozialdemokratie nicht mehr auf das Parlament und die Parteien, sondern auf den Reichspräsidenten und dahinter auch auf die Reichswehrführung stützte212. Von vornherein konnte Brüning dabei auf den Artikel 48 und die berühmte rote Mappe mit der Reichstagsauflösung zurückgreifen, auf die präsidialen Vollmachten, die Hindenburg der vorigen Regierung versagt hatte. Reichswehrminister blieb Wilhelm Groener. Die beschriebenen Ereignisse bis zum einschneidenden Regierungswechsel vom März 1930 lassen sich in Hinsicht auf die politische Einflußnahme der Reichswehrführung in drei Phasen einteilen: die Sondierung neuer politischer Konstellationen im Frühjahr/Sommer 1929, die ersten Vorbereitungen einer Alternative zur Großen Koalition seit Ende 1929 sowie die konkrete Förderung des Machtwechsels im März 1930. Im Verlauf dieser Entwicklung steigerten sich die Ambitionen der Bendlerstraße zunehmend. Aus recht unverbindlichen Überlegungen und Fühlungnahmen am Anfang wurden Bemühungen, sich auf das erwartete Ende des Zweiten Kabinetts Müller vorzubereiten, und schließlich die aktive Beschleunigung des Übergangs zur Kanzlerschaft Brünings. Die Bereitschaft zum direkten Eingriff in die Innenpolitik und der Wunsch nach einem grund209

210

211

212

Nach der Bildung der neuen Regierung notierte Pünder am 30.3.1930 in sein Tagebuch (Pünder, Politik, S. 46): »Hinter den Kulissen war an dieser Koalition schon seit Wochen mitgearbeitet worden, namentlich von Treviranus und General von Schleicher. Was wir feststellen konnten, ist nicht alles schön gewesen.« Vgl. etwa Brüning, Memoiren, S. 157: »Hermann Müller hatte in der Fraktion nicht mehr gekämpft. Er sah sich in einem Netz von Intrigen verstrickt. Wie er mir am nächsten Tag sagte, hatte er schon eine Woche vorher gehört, daß Schleicher in einer Gesellschaft erklärt hatte, Hermann Müller würde zum Rücktritt genötigt und ich gezwungen werden, die Nachfolge zu übernehmen.« Zu diesem letzten Tag des Zweiten Kabinetts Müller am besten Winkler, Schein, S. 802—809. Daß Hindenburg bis zuletzt kein Interesse hatte, die Regierung durch eine Notverordnung zu stützen, geht u.a. aus der Auskunft Meissners in der Ministerbesprechung vom 27.3.1930 hervor (AdR, Müller II, Bd2, S. 1609). Vgl. auch Brüning, Memoiren, S. 157. Zur Regierungsbildung ebd., S. 161—168. Vgl. Bracher, Auflösung, S. 287—294; Vogelsang, Reichswehr, S. 75; Maurer, Reichsfinanzen, S. 139f.

249 Übergang zum Präsidialsystem legenden Kurswechsel wuchsen mit Dauer der Regierungskrise. Wenn Groener dabei größtenteils Schleicher die einzelnen taktischen Manöver überließ, so bedeutete das nicht, daß der Chef des Ministeramts etwa die entscheidende Kraft oder gar der alleinige Initiator dieser Politik gewesen wäre213. Vielmehr führte Schleicher die politischen Operationen als geschickter »Gehilfe«214 und »Kardinal in politicis«215 des weniger gewandten Reichswehrministers aus, mit Wissen, im Auftrag und im Einverständnis Groeners, der letztlich die Verantwortung trug216. Und dieser nahm dabei keineswegs nur eine passive Vorgesetztenrolle ein, sondern ergriff an den wichtigsten Entwicklungspunkten persönlich die Initiative. In der frühen Phase der ersten Sondierungen ließ er den Chef des Ministeramts noch allein agieren, doch nachdem Schleichers Vorauswahl auf Brüning gefallen war, schaltete sich Groener selbst in die zweite, die Vorbereitungsphase ein. Das erste Treffen mit dem Zentrumspolitiker am zweiten Weihnachtstag 1929 und vor allem ihr vertraulicher Spaziergang im März 1930, auf dem die weitgehende Unterstützungszusage des Reichswehrministers den Pakt mit dem künftigen Kanzler besiegelte, waren wesentliche Etappen zum Präsidialkabinett Brüning. Zudem wurde der Regierungswechsel durch Groeners Intervention beim Reichspräsidenten am 11. März 1930 maßgeblich gefördert. Gewiß, die Große Koalition ist nicht zuletzt an ihrer inneren Brüchigkeit und Kompromißunfähigkeit gescheitert, doch die Ausstattung mit den präsidialen Vollmachten hätte Reichskanzler Müller eine Chance geboten, die Krise zu überwinden. Die Reichswehrführung und die Umgebung Hindenburgs wie auch viele andere politische Kreiwollten diese Regierung aber nicht mehr und lehnten ebenso eine Weimarer Koalise tion ab. Sie bereiteten »ihre« Lösung vor und betrieben in diesen Märztagen gezielt den Machtwechsel zu Brüning, der keineswegs zwangsläufig war. Damals wie in der Retrospektive wurde diese Weichenstellung vor allem der Aktivität Schleichers zugeschrieben, doch hinter ihr war die Zustimmung, ja der Einsatz des vorgesetzten Reichswehrministers unverzichtbar. Groener kommt ohne Frage eine entscheidende Mitverantwortung für den Aufbruch von der parlamentarischen Demokratie zum autoritären und überparteilichen Präsidialsystem im Frühjahr 1930 zu. Da dieser Eingriff der Reichswehrführung in die innenpolitische Entwicklung von so grundlegender Bedeutung war und sich in den folgenden Jahren fortsetzte, sollen nach der Darstellung der Ereignisse bis zum März 1930 diese Vorgänge nun genauer auf ihre Motivation und Zielrichtung hin untersucht werden. Dabei kann die Analyse dieses exem3. Politische Einflußnahme im





213

Das Gewicht Schleichers in dem

Gespann Groener/Schleicher wird

in der Literatur meist über-

(vgl. etwa Carsten, Reichswehr, S. 335 f.). Ein durch persönliche Kenntnis fundiertes Urteil gibt dagegen Eschenburg, Rolle, S. 9—12.

schätzt 214

Ebd., S. 9.

215

Groener an Gleich (privat), Berlin 4.1.1930 (BA-MA, N 46/36, Bl. 3). Groener selbst hat später betont, daß er mit Schleicher bis zum April 1932 harmonisch und freundschaftlich in größtmöglicher Übereinstimmung zusammengearbeitet habe, sich aber dennoch seiner Vorgesetztenposition bewußt gewesen sei (vgl. etwa die Antwort Groeners auf den Fragebogen Oehmes, Ende 1932; BA-MA, N 46/145, Bl. 58). Ebd.: »Die mir in den Mund gelegte Aeusserung: »Die Politik hier besorgt Herr v. Schleichers ist nie gefallen und entspricht keineswegs meinem Charakter. Das sind nur törichte Redensarten von Leuten, die glauben, ich liesse mich einfach von einem Untergebenen in die Tasche stecken.«

216

250

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort

der Reichswehr

plarischen Vorgangs auch als Grundlage der noch ausstehenden Kapitel gelten, die sich mit dem weiteren Verlauf des innenpolitischen Engagements Groeners auseinandersetzen. Zunächst einmal mag es befremden, daß die Reichswehrführung offenbar ohne jede Skrupel aktiv in die Politik eingriff, obwohl sie dazu weder verfassungsrechtlich noch politisch legitimiert war217. Groener und sein engster Mitarbeiter Schleicher überschritten den Verfassungsauftrag an den Reichswehrminister, der als Ressortchef ausschließlich für die Militärpolitik zuständig war. Ein anderes Mandat wie etwa einen Sitz im Reichstag oder die führende Rolle innerhalb einer Partei, das sie im System der parlamentarischen Demokratie zu innenpolitischer Einflußnahme berechtigt hätte, besaßen sie nicht. Wenn auch der Reichswehrführung seit 1918/19 faktisch ein besonderes politisches Gewicht zukam und sie wie schon in den ersten Jahren der Republik die »subjektive Legitimität«218 verspürt haben mag, in einem Moment der Krise erneut aktiv zu werden, so entsprach ihr ausschlaggebender Einfluß doch keineswegs dem Geist der Weimarer Verfassung und war für das parlamentarische System um so problematischer, da der für diesen Eingriff verantwortliche Reichswehrminister nicht der Mann des Parlaments und der Parteien, sondern des Reichspräsidenten war. Hier spiegelt sich erneut die in diesen Jahren akute »Spannung zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit«219 wider. Zugleich war die Schlüsselposition der Reichswehrführung ein Zeichen für das andere große Verfassungsproblem, für ihren »dialektischen Doppelcharakter«220, denn ohne die Machtstellung des Reichspräsidenten, die 1919 als gewisses Regulativ zum Parlamentarismus geschaffen worden war und danach eine steigende Bedeutung erhalten hatte, wären die Einflußmöglichkeiten Groeners und seiner Umgebung gering geblieben. Beide Grundprobleme des Weimarer Staates der Konflikt von Recht und Faktum sowie der Verfassungsdualismus kamen bereits bei der Ernennung Groeners deutlich zum Vorschein221. Sie trug den Keim für die kommende Entwicklung in sich. Indem Hindenburg und Schleicher die Nachfolge Geßlers im Alleingang entschieden und die überspiel—



Parteien dies hinnahmen, wurde dem neuen Reichswehrminister von vornherein eine Sonderstellung eingeräumt. Groener selbst berief sich gleich auf die Autorität des Reichspräsidenten. Auch dagegen erhob sich kaum Einspruch. Die besondere persönliche Verbindung des Reichswehrministers zu Hindenburg und ihre Konsequenzen für den politischen Stellenwert der Bendlerstraße wurden als gegebene Größe angesehen. Groener galt gewissermaßen als präsidialer Minister, der zwar wie seine Kabinettskollegen dem Vertrauen des Reichstags unterworfen war, aber dennoch im Reichspräsidenten eine vom ten

217

218

219 220 221

Auch Vogelsang, Reichswehr, S. 69, muß einräumen, daß das innenpolitische Engagement der Bendlerstraße »innerhalb einer demokratischen Republik zugegebenermaßen ungewöhnlich« war, nennt es aber zugleich »von einer machtbesessenen Anmaßung nicht zustehender Prärogativen noch weit entfernt«. Ebd. Wenn Vogelsang aber diese Einstellung übernimmt, dann übersieht er, daß anders als 1918/19, 1920 und 1923/24 Anfang 1930 keineswegs ein Staatsnotstand gegeben war, der die Bereitschaft der Armee erfordert und damit die politische Machtstellung der Reichswehrführung gerechtfertigt hätte.

Conze, Krise, S. 47. Bracher, Auflösung, S. 50. Dazu ausführlich oben

Kap. 111,1.

3.

Politische Einflußnahme im

Übergang zum Präsidialsystem

251

Parlament unabhängige Machtgrundlage und -legitimation besaß. Daher regte sich auch kein prinzipieller Widerstand gegen die Tatsache an sich, daß die Reichswehrführung seit 1930 die Innenpolitik über Hindenburg maßgeblich mitbestimmte. Die Problematik dieses Vorgangs wurde entweder nicht erkannt oder resignativ hingenommen. Auch Groener kamen keine Bedenken, in bestimmten Situationen seinen außerverfassungsmäßigen Einfluß aus dem Hintergrund heraus geltend und sich damit zu einem innenpolitischen Machtfaktor zu machen. Er sah darin keinen Widerspruch zu seinem militärpolitischen Ziel, die Reichswehr der zivilen Exekutive unterzuordnen, dem administrativen Prozeß einzufügen und aus der Politik herauszuhalten wenn er auch zunächst noch deutlich die Grenzen erkannte222. Gab nicht gerade die Einordnung der Wehrpolitik in die staatliche Entwicklung der Reichswehrführung ein stärkeres Mitspracherecht an deren Gestaltung, von der schließlich auch der Fortschritt der militärischen Vorbereitung abhängig war? Die von Groener vollzogene Abkehr vom Seecktschen Attentismus schien in letznatürter Konsequenz auch die Hinwendung der obersten militärpolitischen Führung lich nicht der Truppe und ihrer Offiziere zur Politik innerhalb der Republik zu rechtfertigen. Hinzu kam, daß Groener ja bereits im Weltkrieg und danach seine Erfahrungen mit dem Verhältnis von Militär und Innenpolitik gemacht hatte und auch in dieser Hinsicht für die verantwortliche Leitung die Isolation des »Nur-Soldaten« ablehnte223. Dennoch setzte Groener die von Anfang an vorhandenen Einflußmöglichkeiten in den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit nicht für eine Änderung der politischen Verhältnisse oder überhaupt im Sinne eines Überschreitens seines ressortspezifischen Aufgabenbereichs ein. Der Reichswehrminister war verantwortungsbewußt genug, nicht leichtfertig oder hemmungslos mit diesem Mittel umzugehen. Vermutlich wäre Groener in einer Zeit innerer Stabilität überhaupt nicht in Versuchung gekommen, seinen Auftrag als Fachminister zu überschreiten und in die Innenpolitik einzugreifen, zumal dann der Reichspräsident und damit die Reichswehrführung kaum diese ausschlaggebende Stellung erlangt hätten. Der parlamentarischen Regierung Hermann Müllers diente er zunächst als loyales Kabinettsmitglied, ja stand der Regierungsbeteiligung der SPD lange positiv gegenüber, da er sich von ihr eine Annäherung zwischen Reichswehr und Sozialdemokratie erhoffte. Groener hielt sich bis zum Beginn der Staatskrise zurück. Warum wollte er aber dann doch einen grundlegenden Wechsel der Machtverhältnisse, und weshalb entschloß er sich, seinen Einfluß für diese Kursänderung einzusetzen? Die Motivation der Reichswehrführung zu diesem Schritt muß in verschiedenen Ursachen gesucht werden, die sowohl militärpolitischer als auch allgemeinpolitischer Herkunft sind. Dabei fließen einige der bisher beschriebenen Handlungsstränge zusammen. —





222

223

Vgl. Brüning, Memoiren, S. 159, über das Gespräch mit dem Reichswehrminister im März

1930:

»Groener wies scharf zurück, einen General zum Kanzler zu machen. Seine ganzen Lebenserfahrungen sprächen dagegen. Sein Lebenswerk nach dem Kriege, die Reichswehr durch Heraushalten aus der Politik und durch planmäßige sorgfältige Vorbereitung zum stärksten Instrument nach innen und außen zu machen, würde durch eine solche Lösung zerstört. [...] Er, Groener, selbst würde außer dem Reichswehrministerium keineswegs noch ein Amt annehmen.« Erst mit Anwachsen der Krisenerscheinungen änderte er diesen Standpunkt, wie noch zu zeigen sein wird. Vgl. oben Kap. 11,1.

252

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort

der Reichswehr

Bei den militärpolitischen Gründen muß man einen Aspekt von vornherein ausschließen: Die Reichswehrführung hielt einen Regierungswechsel nicht etwa für notwendig, weil sie über die Zusammenarbeit mit dem Kabinett in Fragen der Landesverteidigung enttäuscht gewesen wäre. Dazu hatte sie auch keinen Anlaß. Gerade mit dieser Regierung war es zu erheblichen Fortschritten und richtungweisenden Absprachen in der Kooperation von Militär und ziviler Exekutive gekommen224. Wenn Groener die letzte Ministerbesprechung der Großen Koalition am 27. März 1930 mit einer ungewöhnlichen Danksagung an den Sozialdemokraten Müller für dessen Verdienste um die Entwicklung der Reichswehr abschloß225, dann war das durchaus aufrichtig gemeint. Groener und sein Ressort zählten zu den Gewinnern der Regierungsarbeit unter diesem Reichskanzler. Als der Reichswehrminister auf seinem Spaziergang mit Brüning vor desvor allem seine sen Regierungsübernahme auch eingehend militärpolitische Fragen ob mit wollte damit er offenbar vorfühlen, Jugendertüchtigungspläne ansprach226, dem zukünftigen Reichskanzler in diesem Bereich ebenso große Übereinstimmung bestehe wie mit Müller und seinem Kabinett. Das Gespräch scheint auch hier befriedigend für Groener verlaufen zu sein. Brüning hat wohl das Unterstützungsversprechen des Reichswehrministers mit einer ähnlichen Zusage für dessen Militärpolitik erwidert. Jedenfalls wurde die enge zivil-militärische Kooperation nach dem eingeschlagenen Verfahren fortgeführt. Groener harmonierte mit allen Reichskabinetten, denen er angehörte, und auch das Gerangel um die Haushaltsmittel war in etwa gleichbleibend. Doch die wichtigsten militärpolitischen Grundsatzentscheidungen waren mit der Regierung Hermann Müllers getroffen worden. Wenn die Reichswehrführung zu ihrem Sturz beitrug, dann nicht wegen, sondern trotz des Zusammenwirkens mit diesem Kabinett in der Wehr—



politik. Ein schwerwiegendes militärpolitisches Problem, das die Entscheidung für eine Verlagerung der politischen Gewichte erleichterte, war hingegen das unverändert schwierige Verhältnis zur SPD und zum sozialdemokratisch geführten Preußen. Die Hoffnungen Groeners auf eine positive Wirkung der sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung und seiner Integrationsbemühungen gegenüber den republikanischen Kräften erfüllten sich nicht, statt dessen häuften sich im Jahre 1929 die Zusammenstöße mit den Parteigängern der SPD im Reichstag, im Reichsbanner und in der preußischen Staatsregierung227. Seit Mitte dieses Jahres stellte sich bei Groener zunehmend Unmut über die nach wie vor kritische Haltung der Sozialdemokratie gegen die Reichswehr ein. Zur selben Zeit begannen die ersten Überlegungen und Sondierungen der Reichswehrführung in Richtung eines 224 225

226

227

Dazu oben Kap. IV,3-V,2. Groener betonte, »daß die gesamte Wehrmacht dem Reichskanzler wärmsten Dank für die vorbildliche Art und Weise ausspreche, mit der er die Interessen der Wehrmacht gefördert habe. Seine Tätigkeit zu Gunsten der Wehrmacht werde nie vergessen werden.« (AdR, Müller II, Bd 2, S. 1610.) Brüning, Memoiren, S. 159f. Vgl. auch die Tagebuchaufzeichnung Schaffen, 17.6.1932 (IfZ, ED 93/21, Bl. 47), über ein Gespräch mit Groener: »Bevor Brüning Kanzler geworden sei, habe er, Groener, mit Brüning einen großen Spaziergang durch den Grunewald gemacht, und sie hätten sich dabei ausführlich über die Reichswehr unterhalten.«

Vgl.

oben

Kap. VI.l.

3. Politische Einflußnahme im

Übergang zum Präsidialsystem

253

Regierungswechsels. Es mußte der Eindruck entstehen, daß Reichskanzler Müller und die übrigen sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder in wehrpolitischen Fragen keinen ausreichenden Rückhalt in den eigenen Reihen und bei den Parteigenossen in Preußen besäßen. Damit stieg in der Bendlerstraße die Befürwortung einer geschlossenen »starken« Regierung ohne die SPD, die sowohl gegen diese Partei als auch gegen Preußen ungebundener und härter auftreten konnte. Dieser Zusammenhang tritt auch im NoeldechenPapier deutlich zum Vorschein. Hinter dem Vorschlag einer präsidialen Regierung Brüning stehen die »Klagen als Wehrminister« über einen Streit mit der SPD-Fraktion (»Vorstoß S. P. D. gegen Flottenreise«) sowie über die »Sabotage des Landesschutzes durch Preußen« und den »unterirdische[n] Kampf Preußens gegen die Wehrmacht«228. Der Reichspräsident sollte durch diese Beschwerden zusätzlich überzeugt werden, daß eine Regierung mit SPD-Beteiligung nicht mehr tragbar sei. Groener und das Ministeramt setzten sich für eine grundsätzliche Rechtsverlagerung auch ein, weil sie von der Sozialdemokratie enttäuscht waren und die durch ihren Ausgleichskurs hervorgerufene scharfe Kritik von rechts nicht durch ein entsprechendes Entgegenkommen von links aufgewogen sahen. Die Entwicklung von den Bemühungen um die republikanische Linke 1928/29 zur stärkeren Beachtung der »nationalen Opposition« 1930 läßt sich so auch in der innenpolitischen Einflußnahme der Reichswehrführung wiederfinden. Noch eine zweite wichtige militärpolitische Motivation für den Wunsch des Reichswehrministers nach einer innenpolitischen Veränderung wird allein schon durch die zeitliche Zuordnung der Ereignisse erkennbar. Die Fühlungnahme Schleichers mit Brüning um Ostern oder im Juni 1929 stand in Beziehung zu den schwierigen Verhandlungen über den Wehretat für dieses Jahr229. Wider Erwarten war der Haushalt von 1928 nicht der Beginn wachsender Wehrausgaben, sondern zur Enttäuschung der Reichswehrführung der letzte Etat vor der Finanzkrise, die schon im folgenden Jahr einen einschneidenden Sparhaushalt erzwang. Nachdem die Bendlerstraße die Kürzungen im Wehretat widerwillig hingenommen, allerdings zugleich drohend auf die einmalige Ausnahme ihres Nachgebens aufmerksam gemacht hatte, traf sich Schleicher mit Brüning, um unverbindlich die Möglichkeiten einer innenpolitischen Wende zu einem harten Reformkurs zu besprechen230. Die Reichswehrführung sah offenbar die finanzpolitischen Rahmenbedingungen einer effizienten Rüstungspolitik gefährdet und suchte nach einer autoritären Alternative für den Fall, daß die Große Koalition mit diesen Problemen nicht fertig werde. Als die Erstellung des nächsten Wehrhaushalts Ende des Jahres für das Reichswehrministerium erneut unbefriedigend verlief und es zu Auseinandersetzungen mit dem Finanzministerium kam, folgten unmittelbar darauf seit Dezember 1929 die konkreten Vorbereitungen des Regierungswechsels. 228

229

230

Undatierte Aufzeichnung Noeldechens, [10.3.1930] (BA-MA, N 42/29, Bl. 3). Zu letzterem sind als Beispiele notiert: »a) Stahlhelm-Denkschrift mit Material Rheinland-Westfalen, b) Legalisierung des Reichsbanners, c) Aufbauschung von kleinen Zwischenfällen, d) Einmischung in Befehlsgewalt des R.W.Min.« Vgl. auch Carsten, Reichswehr, S. 340. Brüning, Memoiren, S. 140. Zu den Auseinandersetzungen um den Wehrhaushalt im Frühjahr und Ende 1929 oben Kap. IV,5. Brüning, Memoiren, S. 145—147.

254

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

Doch spätestens hier ist nicht mehr streng zwischen militar- und allgemeinpolitischen Intentionen zu unterscheiden. Die Beschränkung des Wehretats war ja nur eine Folge der desolaten Finanzlage, die wiederum als allgemeines Krisensymptom gedeutet wurde. Die Reichswehrführung erblickte darin eine bedrohliche Entwicklung und wollte auf diese Zeichen der inneren Schwäche reagieren. Natürlich wußte keiner besser als ein modern denkender Militär wie Groener, daß die Wehrpolitik nicht isoliert, sondern von der Stabilität und Prosperität ihrer zivilen Rahmenbedingungen abhängig war. Dennoch läßt sich der innenpolitische Einsatz der Reichswehrführung nicht allein durch militärpolitisches Kalkül und Sachzwänge erklären231, wenn diese Motive auch eine Rolle gespielt haben werden. Wichtiger als verengte militärische Argumente erscheint aber etwas anderes: ein allgemeines Interesse an der politischen Entwicklung und das Bewußtsein, sie in einer Krisensituation nach eigenen Vorstellungen mitbestimmen zu können, ja zu müssen. Damit gewinnen die politischen Grundüberzeugungen Groeners und Schleichers an Bedeutung, die nicht einfach nur auf eine militärpolitische Intentionsgrundlage reduzierbar sind, sondern allgemeinpolitischen Erfahrungen und Überlegungen entsprangen. Der Reichswehrminister war zwar ein hervorragender Fachmann, widmete aber seit seiner Tätigkeit als »politischer Soldat« im Ersten Weltkrieg stets der Politik an sich eine rege Aufmerksamkeit, besonders in Zeiten innenpolitischer Bewegung. In den überlieferten Briefen Groeners an seinen Jugendfreund Generalmajor a. D. Gerold von Gleich ist es geradezu auffällig, welchen großen Raum dort politische Erörterungen im Vergleich und ohne Zusammenhang mit ihnen232. zu militärfachlichen Problemen einnehmen mehr als Militär und auch nicht allein nur Er war Militärpolitiker. Das gilt in noch stärkerem Maße für seinen »Kardinal in politicis« Schleicher233, doch auch bei Groener ist eine zunehmende Hinwendung zur Innenpolitik unverkennbar, die schließlich sogar dazu führte, daß er den vollständigen Übertritt vom Reichswehrministerium ins Reichsinnenministerium plante allerdings nicht ohne militärpolitische Motive. Darüber aber an anderer Stelle234. Die Reichswehrführung gewann seit 1929 durch die desolate Finanzlage und die innenpolitische Polarisierung zunehmend den Eindruck, daß sich das gesamte Staatswesen in einer schwerwiegenden ökonomischen und politischen Krise befinde. Sie erlebte diesen Zustand in ihrem eigenen Ressortbereich schmerzhaft an den Kürzungen des Wehretats und an den Schwierigkeiten, für die Reichswehr einen überparteilichen Ausgleich mit den verhärteten politischen Fronten zu erreichen. Doch dies war es nicht allein, sondern darüber hinaus allgemein das Gefühl, daß alles »im Sumpfe verlaufe«235. Der Staat an sich wurde in Gefahr gesehen, und daraus erwuchs in der Bendlerstraße das subjektive —



231

232 233

234 235

Besonders die Studien von Michael Geyer begeben sich z.T. in die Gefahr, alle Handlungen der Reichswehrführung auf diesen Aspekt zurückzuführen und ihn damit einseitig überzubewerten (vgl. etwa Geyer, Aufrüstung, S. 234 f.). Vgl. die Briefe in BA-MA, N 46/36. Vgl. auch Groener an Gleich (privat), Berlin 24.10.1932 (ebd., Bl. 60), über Schleicher: »Soldat im wahren Sinne ist er überhaupt nicht, er ist Politiker u. hat seinen Machiavell sehr genau studiert.«

Vgl.

unten

Kap. VII.1-2. gegenüber Brüning in ihrem Gespräch nach Ostern 1929 (Brüning, Memoiren, S. 145).

So Schleicher

Politische Einflußnahme im

255 Übergang zum Präsidialsystem Verantwortungsbewußtsein, dieser Entwicklung entgegentreten zu müssen. Unter diesem Gesichtspunkt muß nochmals auf die Selbstlegitimierung der Reichswehrspitze für ihre innenpolitische Aktivität zurückgekommen werden. Ein authentisches Zeugnis hierfür ist der »Hirtenbrief«-Erlaß vom 22. Januar 1930, der zwar auf eine Warnung vor der reichswehrinternen Politisierung ausgerichtet war, aber viel von der grundsätzlichen Einstellung Groeners enthält. Gleich zu Beginn des Erlasses wird darauf hingewiesen, daß sich die deutsche Republik nach einer kurzen Phase der Stabilität »wieder im schwersten Schicksalskampfe« befinde236. »Im Innern stehen sich in den großen Fragen der Reichs- und Wirtschaftsführung, der Verteilung der politischen Macht und der finan3.

ziellen Lasten die Interessen von Reich und Ländern, Parteien, Verbänden und Klassen hart und scheinbar unversöhnlich gegenüber.«237 Groener beschwört dann die Gefahr einer Radikalisierung sowie eines »selbstmörderischen« Bürgerkriegs mit allen seinen verheerenden Folgen und stellt diesem Schreckensbild die »ungeheuere Verantwortung« der Reichswehr »für den Fortbestand des nationalen Staates« entgegen238. Die implizierte Konsequenz war deutlich: Wenn die Reichswehr den sinnfälligsten Ausdruck der Staatsidee darstellte239, dann mußte ihre militärpolitische Führung das Recht, ja die Pflicht haben, in einer Krisensituation dieses Staates verantwortlich in die Politik einzugreifen. Dies bedeutete freilich die Anmaßung einer Einflußstellung außerhalb der Verfassung, die um so problematischer erscheint, als aus heutiger Sicht Anfang 1930 noch keineswegs ein Krisenzustand erreicht war, der den Eingriff politisch und verfassungsrechtlich dazu nicht legitimierter Kreise wie der Reichswehrführung als faktisch unausweichliche Notwendigkeit gerechtfertigt hätte etwa durch einen drohenden Umsturzversuch der kommunistischen oder nationalsozialistischen Staatsfeinde. Jedoch darf das subjektive Verantwortungsgefühl, einer gefährlichen ökonomischen und politischen Entwicklung entgegenwirken zu müssen, nicht unterschätzt werden. Das Wort von der »Staatskrise« war kein Vorwand, sondern bereits in diesen Monaten der Ausdruck eines allgemeinen Empfindens, ebenso ihre Gleichsetzung mit einer Strukturschwäche der parlamentarischen und föderalistischen Demokratie240. Auch daß die Große Koalition als Exponent des »Parteienstaates« für die Krise verantwortlich gemacht und ihre Ablösung durch ein autoritäres »Hindenburg-Kabinett« gefordert wurde, war eine zeittypische und schon vor den Märztagen 1930 weitverbreitete Stimmung. Bis tief in die bürgerliche Mitte und sogar in die DDP hinein glaubte man, daß zur Bewältigung der Krise ein grundsätzlicher Wandel des Machtsystems notwendig sei. Nicht nur die —

236

»Hirtenbrief«-Erlaß Groeners, 22.1.1930

237

Ebd.,

238

Ebd.

239

Ebd.,

240

(Staat und NSDAP,

S.

3).

S. 4.

Vgl. auch ebd., S. 5: »Dem Staate allein zu dienen, ihn fern von aller Parteipolitik gegen den ungeheuren äußeren Druck und irrsinnigen inneren Hader zu retten und zu erhalten, ist unser einziges Ziel.« S. 5. Zu diesen im folgenden skizzierten Tendenzen und überhaupt zur zeitgenössischen Verfassungsdiskussion um »Parteienstaat« und »Präsidialstaat« immer noch grundlegend Conze, Krise, passim, und Bracher, Auflösung, S. 26—57. Vgl. auch Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 731—748. Interessant auch Eschenburg, Systemzusammenbruch, S. 57—61.

256

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort

der Reichswehr

Reichswehrführung vermied jetzt den Begriff »Republik«, tauschte ihn aus gegen das unverfänglichere Wort »Staat« und meinte damit eine veränderte Verfassungswirklichkeit, sondern auch die bürgerlichen Parteien, die das Weimarer System bisher maßgeblich gestützt hatten, das Zentrum und die Demokraten, erlebten eine Umorientierung, wählten Vertreter des rechten Flügels an ihre Spitze (Kaas und Brüning beim Zentrum) oder öffneten sich neuen Zielgruppen (Neugründung der DDP als »Staatspartei«). So wundert es nicht, daß gerade diese Kräfte den Übergang zum Präsidialsystem mittrugen und neben gemäßigten Rechtsgruppierungen wie den Volkskonservativen zu den wichtigsten Verbündeten des politischen Kurses der Bendlerstraße unter Leitung Groeners wurden241. Der Reichswehrminister und sein »Gehilfe« Schleicher agierten nicht als isolierte Kraft, sondern trafen sich in ihren Vorstellungen mit einer breiten Wendung gegen die bestehenden Regierungsverhältnisse, denen die Bekämpfung der finanz-, wirtschafts-, sozialund innenpolitischen Probleme nicht mehr zugetraut wurde. Anders wäre das Kabinett Brüning auch kaum zustande gekommen. Die Tendenz gegen den parlamentarischen »Parteienstaat« und für seine evolutionäre Entwicklung zum autoritären Präsidialsystem mit demokratischer Basis war im politischen Denken Groeners schon frühzeitig ausgebildet. Es sei an seine bereits anhand von Selbstäußerungen in und nach dem Weltkrieg beschriebenen Grundüberzeugungen erinnert, die auch für den Reichswehrminister ihre Gültigkeit behielten242: die Abneigung gegen Länder- und Parteiinteressen, die Befürwortung einer starken Zentralmacht sowie einer Präsidialgewalt nach amerikanischem Vorbild, aber auch die Ablehnung jedes reaktionären Umsturzes, das Vertrauen in die Entwicklungsfähigkeit von Verfassungen und die Einsicht in die Notwendigkeit gesellschaftlicher Modernität, für die er demokratische Elemente und die Integration der Sozialdemokratie unabdingbar hielt. Groeners Ideal war ein zentralistischer Obrigkeitsstaat mit demokratischen, liberalen und sozialen Zügen, regiert von Fachleuten gleich welcher Parteiherkunft, die relativ unbehelligt vom Parlament und gedeckt durch die Verordnungsgewalt des Staatsoberhaupts, aber dennoch getragen vom Vertrauen einer politischen Mehrheit die notwendige Sachpolitik betreiben sollten. Daher konnte er kein Anhänger der Weimarer Republik mit ihrem föderalen und parteistaatlichen Charakter sein, doch er akzeptierte sie, solange sie sich nach seinen sachlichen Beobachtungen als lebensfähig erwies. Andererseits wird er wie sein Vertrauter Schleicher243 241

242 243

Groener selbst entwickelte nicht nur zu Brüning, sondern überhaupt zum Zentrum ein besonderes Verhältnis. Noch Ende 1932 betonte er, daß er zu dieser Partei »nach wie vor die besten Beziehungen« unterhalte und sich der »politischen Freundschaft« von Brüning, Kaas und der Reichstagsfraktion erfreue. Er habe bei den Novemberwahlen Zentrum gewählt und finde »z. Zt. keine andere Partei, der ich mich anschließen möchte« (Groener an Gleich [privat], Berlin 21.12.1932; BA-MA, N 46/36, Bl. 62). Vgl. oben Kap. 11,2. Bereits Ende Dezember 1926 hatte Schleichers Wehrmachtsabteilung für den Fall einer Regierungskrise die »Betrauung eines besonderen Vertrauensmannes des Reichspräsidenten mit der Kabinettsbildung ohne jede Bindung, aber mit der Auflösungsordre in der Tasche« vorgeschlagen (Denkschrift der Wehrmachtsabteilung, Ende Dezember 1926; Becker, Politik, S. 77). Und Anfang Oktober 1928 stimmte Schleicher »sehr lebhaft« der Ansicht des Stahlhelmführers Wagner zu, daß es »darauf ankäme, die Stellung des Reichspräsidenten zu stärken«. »Schi, sagte ausdrücklich, dass er bereits 18/19 Erzber-

3.

Politische Einflußnahme im

Übergang zum Präsidialsystem

257

für den Fall einer Staats- und Strukturkrise stets die Alternative einer in der Reichsverfassung angelegten, aber nicht ihrem Geist entsprechenden Machtverlagerung vom Parlament zum Reichspräsidenten im Auge behalten haben. Diese Lösung muß der Reichswehrführung nicht zuletzt auch wegen ihrer engen Verbindung zu Hindenburg sympathisch gewesen sein244. Die Vorbereitung eines präsidialen Reichskabinetts in einem Moment, als sich die Symptome der Krise verdichteten und das parlamentarische System mit ihnen nicht fertig zu werden schien, war von diesem Standpunkt aus nur konsequent.

politischen Ziele der Befürworter eines überparteilichen »Hindenburg-Kabinetts« waren freilich keineswegs einheitlich. Man war sich zwar einig, daß es wie der »Hirtenbrief-Erlaß Groeners propagierte »nur einer starken Reichsgewalt« gelingen werde, »Deutschlands Geschicke in der Zukunft zu meistern«245, doch über Ausprägung und Zielrichtung des vorgesehenen Kurswechsels bestanden unterschiedliche Auffassungen. Westarp und Meissner charakterisierten die Pläne im Reichspräsidentenpalais und die »Notwendigkeiten der Lage« am 15. Januar 1930 mit den drei Schlagworten »antiparlamentarisch«, »antimarxistisch« und »Wandlung in Preußen«246. Auch Groener hielt zur Krisenbewältigung ein Zurückdrängen von Reichstag und Parteien, eine Rechtsverlagerung der Regierung und eine Auflösung des Gegensatzes Reich—Preußen für unbedingt erforderlich. Die im Umkreis Hindenburgs vorherrschenden Emotionen gegen die Demokratie und die SPD an sich lagen ihm aber fern. In einem aufschlußreichen Brief an Gleich beanspruchte Groener Anfang 1930 »die Brille der nüchternen Betrachtung«247 und gab dann ein sehr typisches Beispiel hierfür248: »»Glänzenden« Zeiten« könne keine »Regierung Deutschland entgegenführen, ebensowenig wie der Kaiser. Aber es läßt sich vielleicht bei Verstand und Weisheit der bürgerlichen Parteien eine Regierung finden, die durch das schwierige Meer der Zukunft das Reich durchsteuern kann. Von den Schlagworten: gegen Marxismus oder für Kapitalismus halte ich gar nichts. Wir brauchen das Kapital ebenso wie eine hochwertige Arbeiterschaft für unsere Wirtschaft. Wir können weder gegen die eine noch gegen die andere Seite regieren das ist unser Schicksal, seit der Industrialisierung in den 90er Jahren. Das haben auch die letzten 10 Jahre deutlich genug gezeigt, das sehen auch die besten Köpfe in beiden Lagern ein. [...] Ich wollte, es ließe sich die englische politische Vernunft bei uns importieren, damit der Kannegießerei ein Ende bereitet würde. Das wird leider noch Generationen brauchen.« Die







244

245 246

247 248

ger immer wieder darauf aufmerksam gemacht habe, dass alles gewonnen wäre, wenn der Reichspräsident die Stellung des amerikanischen Präsidenten bekäme.« (Wagner an Duesterberg, 4.10.1928; BA-P, 61 Sta 1/264, Bl. 32.) Neben dem besonderen Verhältnis von Groener und Schleicher zu Hindenburg seit 1918/19 spielte dabei auch Schleichers Stellung im Hause des Reichspräsidenten über seine alte Freundschaft mit dem Hindenburg-Sohn eine wichtige Rolle (vgl. dazu etwa Groener an Gleich [privat], Berlin 24.10.1932; BA-MA, N 46/36, Bl. 60). »Hirtenbrief«-Erlaß Groeners, 22.1.1930 (Staat und NSDAP, S. 5). Aufzeichnung Westarps über eine Unterredung mit Hindenburg am 15.1.1930 (Politik und Wirtschaft I, S. 18). Zu diesem wichtigen Dokument zuerst Conze, Krise, S. 79 f. Vgl. auch Vogelsang, Reichswehr, S. 70. Groener an Gleich (privat), Berlin 4.1.1930 (BA-MA, N 46/36, Bl. 1). Ebd., Bl. 4.

258

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

Dieses grundsätzliche Bekenntnis zu einer Zeit, als bereits mit Hilfe der Reichswehrführung eine präsidiale Regierung vorbereitet wurde, läßt einige Rückschlüsse zu. Groeners Ziel war keineswegs eine dauerhafte »antimarxistische« Entmachtung der Sozialdemokratie, wenn er auch glaubte, daß die SPD trotz ihrer »vernünftigen« Führer vorübergehend nicht mehr regierungsfähig sei und daher aus dem Kabinett ausscheiden müsse, dies nach seiner Ansicht auch selbst wolle249. Seine Ideallösung wäre ein breiter Konsens von den Sozialdemokraten bis zu den Deutschnationalen zur Krisenbekämpfung gewesen250, ein »Burgfrieden« der Repräsentanten aller gesellschaftlichen Schichten, ein Sieg der Sach- über die Parteipolitik, den er nicht nur im militärpolitischen, sondern in dieser besonderen Situation auch im allgemeinpolitischen Bereich anstrebte. Groener erkannte aber, daß diese Zweckgemeinschaft wegen der inneren Polarisierung nicht zusammenzubringen war. Deswegen hoffte er auf eine Sammlung der bürgerlichen Parteien von den Demokraten bis zu den gemäßigten Konservativen, möglichst mit Extension bis in die DNVP hinein251. Die neue Regierung sollte zum einen die wachsende Rechtsbewegung neutralisieren, zum anderen aber die SPD nicht völlig ausgrenzen, ein Kurs, der an Groeners militärpolitischen Drahtseilakt zwischen den politischen Fronten erinnert, der aber auch von vornherein mit denselben Schwierigkeiten konfrontiert wurde. Das bürgerliche Fachkabinett hatte nach Auffassung des Reichswehrministers die Aufgabe, mit präsidialen Vollmachten und dennoch auf breiter politischer Grundlage ein mittelfristiges Krisenmanagement zu betreiben. Welches politische Ziel Groener darüber hinaus verfolgte, läßt sich nur vermuten. Die Verfassungsentwicklung von der parlamentarischen Parteiendemokratie zum demokratischen Präsidialstaat, in dem dann die Sozialdemokratie als Vertreterin der Arbeiterschaft wieder eine ihrer Bedeutung entsprechende Rolle spielen sollte, hätte wohl auch als langfristige Lösung seinen Überzeugungen das Notverordnungsregime konnte dabei freilich nur eine am meisten entsprochen Vielleicht wollte er aber einfach abwarten, wie sich die Dinge gestalÜbergangsstufe sein. teten, nachdem die Probleme >in Ordnung« gebracht waren. Ein reaktionärer Umsturz, etwa die Restauration der konstitutionellen Hohenzollernmonarchie, interessierte ihn dagegen nicht. In dieser Hinsicht war Groener weit weniger an traditionelle Emotionen —

249

250

231

Vgl. ebd., Bl. 5. Bei den Sozialdemokraten bemängelte Groener die starke Abhängigkeit der Führung von der Fraktion und Basis. Dem von ihm außerordentlich geschätzten Hermann Müller riet er deshalb, »er solle seiner Partei valet sagen, um zum wirklichen Staatsmann aufzusteigen« (ebd.). Dies ist zugleich ein Beleg für die Unvoreingenommenheit Groeners gegenüber politischen Begabungen gleich welcher Herkunft, aber auch für seine Voreingenommenheit gegenüber jeglichem

Parteieneinfluß. Vgl. etwa auch Groeners Vorschlag während einer anderen nationalen Krisensituation, dem Ersten Weltkrieg, »den Reichstag nach Hause zu schicken und eine Regierung der Konzentration mit starken Vollmachten von den Konservativen bis einschließlich der Mehrheitssozialisten zu bilden« (Groener, Lebenserinnerungen, S. 366). Ähnlich auch Groeners Aussage im Dolchstoß-Prozeß, Oktober/ November 1925 (Dolchstoß-Prozeß, S. 203). Vgl. Groener an Gleich (privat), Berlin 4.1.1930 (BA-MA, N 46/36, Bl. 4f.). Vgl. auch ebd., Bl. 4: »Bleib ja bei den Deutschnationalen, mit denen mich die besten Beziehungen verbinden, soweit sie nicht blinde und blöde Hugenbergianer sind. Diese Partei muß endlich wieder bündnis- und regierungsfähig werden.«

259 Übergang zum Präsidialsystem gebunden und weit aufgeschlossener gegenüber modernen gesellschaftlichen Prozessen als seine Hauptverbündeten Hindenburg, Schleicher und Brüning252. Die Analyse des innenpolitischen Eingriffs der Reichswehrführung im März 1930 hat 3. Politische Einflußnahme im

deutlich erwiesen, daß Groener und Schleicher bewußt den Übergang zum Präsidialkabinett Brüning förderten und damit jedem Versuch einer neuen Koalitionsbildung auf parlamentarischer Grundlage zuvorkamen. Sie handelten dabei nicht als bloße Interessenvertreter des Militärs, sondern aus allgemeinpolitischen Motiven und aus einem subjektiven Verantwortungsgefühl für den »Staat«, weil sie zur Bekämpfung der allerdings auch im militärpolitischen Bereich schmerzlichen Krisensymptome eine grundsätzlich andere Regierungsweise und eine politische Umgewichtung nach rechts für notwendig hielten. Wie 1918/19 die Absprache zwischen Armee und Mehrheitssozialdemokratie sollte nun das Bündnis des Reichspräsidenten und der Reichswehrführung mit den bürgerlichen Kräften die innere Stabilität des nationalen Staates bewahren bei Schwächung der für ungeeignet befundenen parlamentarischen und parteipolitischen zugunsten der präsidialen und bürokratischen Machtmöglichkeiten. Dabei besaß dieser autoritäre Lösungsansatz in der von Groener mitgestalteten Phase noch ausgleichende und moderate Züge. Der Intention des Reichswehrministers entsprach ein präsidiales Regime, das nicht weiter polarisierte, relativ ungebunden von Parlament und Parteien, aber dennoch auf breiter Grundlage, die Sozialdemokratie zurückdrängend, aber nicht für immer ausgrenzend, die Rechte integrierend, aber vorerst nicht deren radikalen Elemente, geführt von einem Kanzler, der als geschickter Parteipolitiker mit den politischen Kräften umgehen konnte, aber mit Energie die Krise bekämpfte. Doch das Dilemma des innenpolitischen Standorts der Reichswehr galt im selben Maße für die allgemeine Regierungspolitik: Ein mittlerer Weg über den Parteien war kaum mehr gangbar, eine reine Sachpolitik über den politischen Gärungen nahezu unmöglich. Die von Groener mitverantwortete Weichenstellung vom März 1930 sollte sich im nachhinein als fatal erweisen253. Die fortan zunehmende Entmachtung des Parlaments und —

Die in seinen Memoiren aufgedeckten monarchischen Restaurationspläne Brünings und auch Schleichers (vgl. etwa Brüning, Memoiren, S. 146) finden bei Groener keine Entsprechung, vermutlich war er überhaupt nicht über sie informiert. Vgl. Groener an Gleich (privat), Berlin 18.6.1932 (BA-MA, N 46/36, Bl. 57): »Die Politik Schleichers geht vielleicht er hat mir nie ein Wort davon gesagt auf die monarchische Restauration über den Reichspräsidenten Kronprinz.« Es ist allerdings ohnehin fraglich, ob solche langfristigen Ziele in der Politik Brünings die von ihm retrospektiv unterstellte Rolle gespielt haben (vgl. dazu die kritische Analyse der Brüning-Memoiren durch Morsey, Entstehung). Dasselbe gilt für Schleicher. Fest steht aber, daß beide wesentlich konservativer und der alten Ordnung mehr verbunden waren als der sehr pragmatisch denkende Groener, Schleicher vor allem auch durch seine engen Beziehungen zu monarchischen Kreisen (Alvensleben, Kronprinz Wilhelm etc.). Zur politischen Einstellung Brünings am besten seine Memoiren, zu Schleicher vgl. auch Nowak, Schleicher. 253 Zur folgenden Bewertung dieser Weichenstellung vgl. vor allem die jahrzehntelange Kontroverse zwischen Karl Dietrich Bracher und Werner Conze (vgl. die wichtigsten Titel unten im Literaturverzeichnis). Hier wird der kritischen Position Brachers beigetreten, allerdings mit dem Vorbehalt, daß sich vieles erst in der Rückschau erschließt und die generalisierende Betrachtungsweise des Politikwissenschaftlers nicht immer den Zeitbedingungen gerecht wird, die der Historiker beachten muß, zugleich aber auch in Abgrenzung zu einer noch weit über Conze hinausgehenden Apologie des Präsidialregimes wie durch Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 731—1281.

252





260

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort

der Reichswehr

gleichzeitige Konzentration der Entscheidungen um einen senilen und beeinflußbaren Reichspräsidenten unterminierten nicht nur die parlamentarische Demokratie, sondern das gesamte politische System, das dann unter dem Ansturm des Nationalsozialismus

leichter zusammenbrach. Auch Groener erkannte nicht die Problematik einer Einflußkonstellationen, wie er sie selbst Brüning gegenüber mit Blick auf ihr Verhältnis zu Hindenburg beschworen hatte254. Diese Machtgrundlage erwies sich als unzuverlässig und brüchig, doch schlimmer war, daß am Ende Hitler von dieser Entwicklung profitierte, als er ohne parlamentarische Mehrheit vom Reichspräsidenten berufen wurde. Die Staatskrise wurde durch das Präsidialsystem nicht entschärft, sondern begann sich erst richtig zu entfalten und führte schließlich zur Katastrophe der nationalsozialistischen Machtergreifung, wobei Ursache und Folge freilich nur schwer zu unterscheiden sind. Aus dem Rückblick ist festzustellen, daß Anfang 1930 der verder und die Einflußnahme der Reichshängnisvolle Auflösungsprozeß Republik begann wehrführung daher zu ihrer Destabilisierung beigetragen hat. Allerdings konnte die nachfolgende Entwicklung beim Machtwechsel zum Kabinett Brüning nicht vorausgesehen werden. Auch führte der 30. März 1930 keineswegs zwangsläufig zum 30. Januar 1933. Der Lösungsversuch über das Präsidialsystem wurde erst durch bestimmte historische Prozesse als verfehlt diskreditiert, denen schließlich keiner der an der Vorbereitung des ersten »Hindenburg-Kabinetts« Beteiligten gewachsen war auch Groener nicht, dem man am wenigsten hohe Integrität und lautere Absichten absprechen kann. Die Reichs1930 verstrickte sich nach tiefer die immer in wehrführung innenpolitischen Auseinander der Ende nicht es am in mehr die Alternative Parteienum dersetzungen Staatskrise, demokratie oder Präsidialregime, sondern um das nackte Überleben des auch von Groener getragenen Verfassungs- und Rechtsstaats gegen die Gefahr des Totalitarismus ging. um so

Dominanz personeller



4. Machtfaktor im Ersten

Kabinett

Brüning

Der neue Reichskanzler Heinrich Brüning trat bereits am 1. April 1930 vor den Reichstag, um unmißverständlich deutlich zu machen, daß sein Kabinett an keine parteipolitische Koalitionsvereinbarung gebunden sei und notfalls auch gegen das Parlament mit den präsidialen Vollmachten der Artikel 25 (Reichstagsauflösung) und 48 (Notverordnungsrecht) regieren werde255. Diese Drohung war zwar mit einem Kooperationsangebot an die parlamentarische Mehrheit verbunden, doch am eigentlichen Charakter des »Hindenburg-Kabinetts« konnte fortan kein Zweifel mehr bestehen. Seine Machtgrundlage bildeten nicht das Parlament und die Parteien, sondern der Reichspräsident und seine politischen Ratgeber, vor allem die Reichswehrführung. Die Kampfansage an den Parlamentarismus bedeutete damit zugleich eine Konzentration der politischen Entscheidungsgewalt auf wenige Persönlichkeiten. Das wichtigste Personal des Präsidialregimes 254 255

Brüning, Memoiren,

S. 160.

RT, Bd 427, S. 4728—4730. Dazu und zu der nachfolgenden Debatte Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 753 f.; Winkler, Weg, S. 124-127.

4.

Machtfaktor im Ersten Kabinett

Brüning

261

Mai 1932 aus Hindenburg, Brüning, Groener und Schleicher256, dahinter aus Meissner, Oskar von Hindenburg und anderen außerparlamentarischen Kräften. Die Reichswehrführung nahm nun eine Schlüsselstellung an der Staatsspitze ein und war sich ihrer gestiegenen innenpolitischen Bedeutung sehr wohl bewußt. Groeners interne Hinweise vom Herbst 1930 auf die enge Verbindung zum Reichspräsidenten und auf die Tatsache, daß es gelungen sei, »die Reichswehr zum stärksten Faktor im Staat zu machen, an dem niemand bei politischen Entscheidungen vorübergehen kann«257, waren nicht nur eine taktische Reaktion auf die Kritik aus den eigenen Reihen im Zusammenhang mit der Ulmer Affäre, sondern entsprachen dem Machtgefühl und tatsächlichen Einfluß der Bendlerstraße im Präsidialsystem. Ihre entscheidende Mitsprache in der Innenpolitik seit dem März 1930 war evident. Daß die Reichswehrführung zu diesem Machtfaktor geworden war, hatte sie dem von ihr geförderten Übergang von der parlamentarischen zur präsidialen Regierungsweise und bestimmten personellen Konstellationen zu verdanken. Die politische Effizienz des regierungstragenden Dreigespanns von Reichspräsident, Reichskanzler und Reichswehrminister hing im wesentlichen von den persönlichen Beziehungen dieser drei untereinander ab. Groener war assistiert von Schleicher das entscheidende Bindeglied zwischen der präsidialen Autorität Hindenburgs und der politischen Aktion Brünings. Der Reichswehrminister hatte die Vollmachten des Reichspräsidenten gewissermaßen als politischer Makler an den Zentrumsführer vermittelt, und er wollte auch gewährleisten, daß Brüning diese einzige wirkliche Machtgrundlage seines Minderheitskabinetts erhalten blieb. Das spektakuläre Versprechen Groeners vom März 1930, dem zukünftigen Kanzler »durch dick und dünn« beizustehen und in diesem Sinne auch auf Hindenburg ein-

bestand bis

zum



256

257



»Die Reichsleitung lag während der Ära Brüning, also in dem Zeitraum zwischen März 1930 und Mai 1932, faktisch in den Händen dieser Vier.« Schleicher wurde dabei »erst im Laufe der Zeit zu einem der Hauptakteure«. Auch wenn man einer personalistischen Geschichtsschreibung skeptisch gegenübersteht, kann man für diese Jahre Eschenburgs Hinweis auf die »Rolle der Persönlichkeit« seine Berechtigung nicht absprechen. Sondererlaß Groeners, 6.10.1930 (Huber, Dokumente III, S. 435 f.). Vgl. auch die Notizen Groeners für eine Befehlshaberbesprechung am 19.9.1930 (BA-MA, N 46/150, Bl. 41; dieser Auszug auch bei Phelps, Groener-Dokumente V, S. 919 f.): »Eine über den Parteien stehende Wehrmacht wird stets eine entscheidende Rolle bei allen Staatsnotwendigkeiten spielen. Sie können versichert sein, meine Herren, daß ich ihren Einfluß zu gegebener Stunde in die Wagschale zu werfen wissen werde nach den Weisungen des Herrn Reichspräsidenten, in dessen Hand in den heutigen schweren Zeiten das Schicksal der Nation ruht.« Der in der neueren Forschung zuerst von Vogelsang, Dokumente, S. 409, Anm. 39, zitierte, dann häufig angeführte (vgl. etwa Vogelsang, Reichswehr, S. 95; Carsten, Reichswehr, S. 364) Ausspruch Groeners nach den Herbstmanövern 1930 »Im politischen Geschehen Deutschlands darf kein Baustein mehr bewegt werden, ohne daß das Wort der Reichswehr ausschlaggebend in die Waagschale geworfen wird« findet sich allerdings weder in diesen Notizen noch in der Ansprache Groeners vor Vertretern des öffentlichen Lebens und der Presse in Bad Kissingen am 18.9.1930 (BA-MA, N 46/150, Bl. 33—37). Vogelsang hat ihn von Fischer, Schleicher, S. 38, übernommen, der keine Quelle angibt. Wenn diese Äußerung auch in dieser weitgehenden Form vermutlich nicht gefallen ist, so gibt sie aber doch das Machtbewußtsein der Reichswehrführung zu dieser Zeit richtig wieder, wie die beiden hier zitierten authentischen Dokumente beweisen.

Eschenburg, Rolle, S. 1:

262

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort

der Reichswehr

zuwirken258, behielt seine Gültigkeit, ja es war von vornherein eine Grundvoraussetzung der Präsidialregierung Brünings und erhöhte zugleich den Einfluß des Reichswehrministers. Groener bekräftigte Ende Oktober 1930 seine Unterstützungszusage auf einer reichswehrinternen Befehlshaberbesprechung259 und schrieb zwei Monate darauf auch an Gleich, er habe mit Brüning »einen festen Pakt geschlossen, und solange der Reichspräsident mit uns geht, werden wir mit dem Parlament so oder so fertig werden«260. Hinter dieser Einschränkung verbarg sich aber die Problematik und Labilität des neuen Machtgefüges. Der Pakt Brüning/Groener war nur so lange etwas wert, wie Hindenburg vom Reichswehrminister auf einer gemeinsamen Linie gehalten werden konnte, seine Wirksamkeit stand und fiel mit dem greisen Inhaber der präsidialen Gewalten. An Stelle des parlamentarischen Wechselspiels von Regierung und Opposition sowie der hinter ihnen stehenden Parteien und Interessengruppen trat ein verengtes Netz personeller Abhängigkeiten und Einflüsse um den Reichspräsidenten261. Der Reichskanzler war auf die Unterstützung und Mittlerrolle Groeners angewiesen, dem Hindenburg seit 1918/19 besonders verpflichtet sein mußte und der deshalb ausreichenden Einfluß auf ihn ausüben zu können glaubte. Der Reichswehrminister wiederum blieb wie Brüning nach wie vor von der präsidialen Rückendeckung abhängig, aber auch vom Erfolg des Kanzlers, mit dem er sein eigenes politisches Schicksal eng verknüpft hatte. Daneben spielten noch andere Personen eine wichtige Rolle, zuerst Schleicher, auch Meissner, ganz zu schweigen von den vollends extrakonstitutionellen Einwirkungen des Verwandten- und Bekanntenkreises Hindenburgs. Letztlich reduzierte sich in diesem System alles auf das Verhältnis der einzelnen Entscheidungsträger zum Reichspräsidenten und zu seiner Umgebung, was der Weimarer Verfassung diametral entgegenlief und dieser vorgeblich autoritären Alternative eine Instabilität gab, wie sie verhängnisvoller im »Parteienstaat« nicht hätte sein können. In diesem problematischen Beziehungsgeflecht erwies sich am Ende nur der Pakt zwischen Groener und Brüning als konstant. Der Reichswehrminister bereute es nicht, daß seine und Schleichers Wahl auf den Zentrumspolitiker gefallen war. Mit Dauer der Amtstätigkeit Brünings stieg seine Hochachtung für ihn, an dem er »das Spiel mit fünf Kugeln à la Bismarck« bewunderte262, die gleichzeitige Beherrschung und virtuose Verbindung Brüning, Memoiren, S. 160. Groener in der Befehlshaberbesprechung vom 25.10.1930 (Aufzeichnung Liebmanns; Vogelsang, Dokumente, S. 408): »Er habe dem Reichskanzler zugesagt, ihn bei Durchführung seiner schweren pol. Aufgabe mit der Wehrmacht durch dick und dünn zu unterstützen.« 260 Groener an Gleich (privat), Berlin 28.12.1930 (BA-MA, N 46/36, Bl. 12f.; dieser Auszug auch bei Phelps, Groener-Dokumente VI, S. 1015). 261 Dazu in Hinsicht auf Hindenburg, Brüning, Groener und Schleicher am besten Eschenburg, Rolle. 262 Groener an Gleich (privat), 20./21.9.1931 (Politik und Wirtschaft II, S. 982). In den vorausgehenden Briefen an Gleich ist eine steigende Wertschätzung für den Reichskanzler ablesbar. Groener an Gleich (privat), Berlin 21.7.1930 (BA-MA, N 46/36, Bl. 8): »Brüning ist ein sehr kluger, überlegender, feiner Kopf, dem die vatikanische Gewandtheit im Blute liegt.« Groener an Gleich (privat), Berlin 28.12.1930 (ebd., Bl. 12): »Anfänglich schien er ein Fabius Cunctator zu sein, er hat sich aber mit zunehmender Aktion als ein Mann von großer Entschlußkraft und festem Willen gezeigt.« Groener an Gleich (privat), Berlin 26.4.1931 (ebd., Bl. 17): »Am meisten baue ich auf Brüning, 258

259

4. Machtfaktor im Ersten Kabinett

Brüning

263

Außen-, Innen- und Wirtschaftspolitik bei Priorität der ersteren. Groener hielt den Kanzler für eine überragende politische Begabung, die befähigt war, nicht allein die innere Staatskrise zu überwinden, sondern auch das Reich über die Revision des Versailler Vertrags in eine neue äußere Machtposition zu führen. Außerdem schätzte er Brüning, »weil er als alter »Frontkämpfer« ein sehr warmes Herz für die junge Wehrmacht hat«263. Diese durchweg positive Beurteilung veranlaßte Groener, seine Zusage vom März 1930 stets loyal zu erfüllen und die Politik Brünings mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen. Der Reichskanzler wußte diese Zuverlässigkeit zu schätzen264, erkannte ohnehin die Bedeutung der Reichswehrführung für seine Kanzlerschaft und hielt daher ständige Rücksprache mit Groener und Schleicher265. Da die Unterstützung des Reichswehrministers aber nur wirksam sein konnte, solange sein Verhältnis zum Chef des Ministeramts einerseits, zu Hindenburg andererseits funktionierte, war Brünings Stellung vom Zusammenhalt dieser durch ihn nicht beeinflußbaren Konstellation Bendlerstraße/Reichspräsidentenpalais abhängig. Die weitgehende sachliche und menschliche Übereinstimmung mit seinem »Wahlsohn« Schleicher wurde von Groener bis zum Frühjahr 1932 nie in Zweifel gezogen. Ebenso behielt er lange »das feste Vertrauen zum Reichspräsidenten, daß er sich durch keinerlei Einflüsterungen von seiner bisherigen Linie abbringen lassen wird«266. Der Reichswehrminister vertraute wie in den ersten Jahren seiner Amtszeit weiterhin uneingeschränkt auf Hindenburgs Macht und Schleichers politische Agilität. Um so größer war am Ende seine Enttäuschung, als sich diese Faktoren seinem Einfluß entzogen und sogar gegen ihn wandten. Groener scheint die Stabilität personeller Treueverbindungen überschätzt und die Rückwirkung atmosphärischer Störungen im zwischenmenschlichen Bereich unterschätzt zu haben. Die zweite Heirat des Reichswehrministers im August 1930 und stärker noch von

der mir immer wieder fabelhaft imponirt. Ich habe keinen Staatsmann, Kanzler, Minister, General erlebt, der in seinem Gehirn soviel positives Wissen mit politischer Klarheit und Biegsamkeit ver-

263

264

265

266

bindet wie Brüning. Ich bewundere ihn restlos.« Groener an Gleich (privat), Berlin 21.7.1930 (ebd., Bl. 8; dieser Auszug auch bei Phelps, GroenerDokumente VI, S. 1015). Weil sechs Kabinettsmitglieder Träger des Eisernen Kreuzes erster Klasse waren, galt die Regierung Brüning ohnehin als »Kabinett der Frontsoldaten« (vgl. Vogelsang, Reichswehr, S. 77; Dorpalen, Hindenburg, S. 173). Brüning selbst betonte im Rückblick Ende 1932, »wie sehr ich Ihnen für die loyale Haltung und für die Gesinnung, die Sie mir gegenüber in den schweren zwei Jahren meiner Amtszeit bezeugt haben, dauernd dankbar sein werde« (Brüning an Groener [privat], Berlin 23.11.1932; BA-MA, N 46/42, Bl. 23). Vgl. auch Schleicher an Groener, 7.7.1930 (BA-MA, N 42/77, Bl. 105), mit Bezug auf Brüning: »Die politische Übereinstimmung mit Euer Exzellenz ist zweifellos einer seiner wich-

tigsten Aktivposten.« Vogelsang, Reichswehr, S. 95, S.

111. Nach Eschenburg, Rolle, S. 13, stand Brüning dabei der »sachlichen Unerbittlichkeit« Groeners und seinem »Hang zur Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit« näher als Schleichers »Neigung zu rascher Improvisation«. Groener an Gleich (privat), Berlin 28.12.1930 (BA-MA, N 46/36, Bl. 13). Groener mußte allerdings einräumen, daß die Harmonie mit Hindenburg nicht immer ganz leicht sei, »denn er hat so seine ganz alten, man kann manchmal sagen, antiquirten Ansichten so aus der ältesten preußischen Zeit. Ich honorire sie gerne, weil doch manches Gute drin steckt, wenn's auch der Zeit nicht mehr entspricht.« (Groener an Gleich [privat], Berlin 26.4.1931; ebd., Bl. 18.)

264

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

die nach den überkommenen Konventionen zu frühzeitige Geburt eines Kindes waren nicht nur für seine Gegner ein willkommener Anlaß zum Spott, sondern stießen auch beim konservativen Reichspräsidenten auf Unverständnis267. Sogar in der engen Beziehung zwischen Groener und Schleicher, der seinerseits im Juli 1931 heiratete, trat durch die neuen familiären Verhältnisse, die sich zwischen die vormals Alleinstehenden schoben, eine allmähliche Entfremdung ein. Diese zunächst kaum bemerkbare Trübung im persönlichen Verkehr Groeners zu seinen beiden wichtigsten Verbündeten ist nicht zu unterschätzen. Sie lockerte diese besondere Machtkonstellation, die ja mehr auf gegenseitiges Vertrauen als auf rechtliche Bindungen aufgebaut war, und bekam dadurch eine unverdiente politische Bedeutung. Diese Abhängigkeit von persönlichen Beziehungen zeigt die eigentliche Schwäche der Stellung des präsidialen Reichswehrministers Groener und überhaupt des politischen Systems nach 1930. Die schleichende Unterhöhlung der personellen Machtbasis Groeners und mittelbar auch Brünings wirkte sich zunächst nicht aus, die regierungstragende Verbindung von Reichspräsidentenpalais, Reichskanzlei und Bendlerstraße war während des Ersten Kabinetts Brüning, also bis zum Herbst 1931, noch weitgehend intakt. Dementsprechend groß war in dieser Zeit auch das politische Gewicht des Reichswehrministers. Mit seinen Möglichkeiten als Stütze der Kanzlerschaft Brünings und als Schaltstelle zwischen der Regierung und dem Reichspräsidenten ging Groener jedoch behutsam um. Er mischte sich kaum in die Politik des Reichskanzlers ein, hielt sich im Kabinett bei Fragen außerhalb seines Ressorts auffallend zurück und überließ weiterhin Schleicher die meisten politischen Aktivitäten im Hintergrund. Gemäß seinem Unterstützungsversprechen sah Groener seine entscheidende allgemeinpolitische Funktion darin, dem Brüningschen Krisenmanagement den Rücken zu decken und die präsidiale Zustimmung zu sichern. Daneben beschränkte er sich größtenteils auf seine militärpolitischen Aufgaben, die er nach der bereits unter den vorherigen Kabinetten eingeschlagenen Linie weiterverfolgte. Diese Zurückhaltung konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Reichswehrführung nun eine ausschlaggebende Position jenseits ihres Ressortbereichs einnahm. Und auch Groener beobachtete die politische Entwicklung nicht allein mit wachem Interesse, sondern bezog an wenigen, aber entscheidenden Punkten persönlich

Stellung. 267

Über diese privaten Veränderungen und ihre Auswirkungen ist im Zeugenschrifttum der Mitarbeiter Schleichers und anderer einiges überliefert, was hier nicht hergehört und auch nur von ge-

ringem historischem Interesse ist. Es sei daher lediglich auf die diskreten und einfühlsamen Bemerkungen von Eschenburg, Rolle, S. 13—15, hingewiesen, die das Wesentliche die langsame Beziehungsstörung zwischen Groener, Schleicher und Hindenburg in den Mittelpunkt stellen. Dagegen ist die Wirkung auf die öffentliche Meinung nur schwer faßbar. Ohne Zweifel traf die —



zweite Heirat Groeners nicht nur innerhalb der Reichswehr, sondern auch bei Teilen der Öffentlichkeit und der Presse auf ein heute kaum mehr nachvollziehbares Unverständnis, ja auf Häme, die sich an dem Bild vom alternden General mit junger Frau und Kind aufzog. Es wäre aber übertrieben, mit der hier voreingenommenen Groener-Tochter in dieser Entwicklung einen »politischen Selbstmord« Groeners zu erblicken (Groener-Geyer, Groener, S. 287). Das Gerede erreichte nie die Ausmaße eines Skandals, der die öffentliche Stellung des Reichswehrministers ernsthaft gefährdet hätte.

4. Machtfaktor im Ersten Kabinett

Brüning

265

Präsidialregime unter Brüning durchlief mehrere Phasen268, wobei die Reichstagsauflösung vom 18. Juli 1930 den ersten Einschnitt und den »Übergang vom verdeckten zum offenen Präsidialsystem«269 markierte. Die Monate zuvor standen unter der Drohung des Reichskanzlers, bei fehlenden Mehrheiten mit den präsidialen Vollmachten gegen den Reichstag zu regieren, aber auch unter seinen Bemühungen um eine mehrheitsfähige parlamentarische Basis für sein Kabinett. Da die SPD ausgeschaltet bleiben sollte, blieb als einziger Weg die auch von Hindenburg gewünschte weitere Orientierung nach rechts, die Sammlung aller kooperationswilligen bürgerlichen Kräfte von den Demokraten bis zur DNVP270. Die Abgrenzung zur Sozialdemokratie und Zugeständnisse wie die von Brüning vermittelte Aufhebung des rheinländischen Stahlhelmverbots271 sollten auch die Deutschnationalen oder doch wenigstens die Mehrheit von ihnen für die Regierungspolitik gewinnen. Auch die Reichswehrführung beteiligte sich an der Suche nach neuen Verbündeten auf der Rechten und setzte dabei ihre Hoffnung auf die starke DNVP-Gruppe um den Gegner Hugenbergs und ehemaligen Parteivorsitzenden Graf Westarp, von der man den Anschluß an die bereits abtrünnigen gemäßigten Konservativen um Treviranus erwartete272. Den Kontrast zu diesen Sondierungen bildete der heftige Zusammenstoß Groeners mit dem sozialdemokratischen Abgeordneten Künstler am 22. Mai 1930 im Reichstag273, der das in den vergangenen zwei Jahren mühsam verbesserte VerhältDas

nis des Reichswehrministeriums zur SPD-Fraktion für einige Zeit wieder auf einen Nullpunkt anlangen ließ274. Die Reichswehrführung ging also konform mit Brünings innen268

Vgl. als wichtigste Darstellungen der Regierungszeit Brünings Bracher, Auflösung, S. 295—462; Vogelsang, Reichswehr, S. 75—202; Conze, Entscheidungen, S. 211—239; Dorpalen, Hindenburg, S. 174— 309; Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 749-976; Winkler, Weg, S. 123-583.

269

Ebd.,

270

Zur

S. 178.

ersten

Phase dieser Sammlungsbemühungen (bis zur Reichstagsauflösung) am besten Vogelsang,

Reichswehr, S. 75-80.

Berghahn, Stahlhelm, S. 148-153; Ehni, Bollwerk, S. 156-159; Schulze, Braun, S. 631-634. Die Aufhebung des Verbots durch die preußische Staatsregierung erfolgte auf Druck der Reichsregierung und des Reichspräsidenten, der die Rheinlandbefreiung nicht ohne seine »alten Kameraden« begehen wollte, am 16.6.1930. 272 Vgl. den Briefwechsel Schulenburg an Schleicher (privat), Tressow 6.5.1930 (BA-MA, N 42/21, Bl. 4 f.); Schleicher an Schulenburg (privat), 13.5.1930 (ebd., Bl. 6). 273 Reichstagsrede Groeners vom 22.5.1930 (RT, Bd 428, S. 5292). Erwiderung Künstlers ebd. Zuvor hatte Künstler dem Reichswehrminister die Verschleierung des Kieler Munitionsskandals vorgeworfen, einer zweieinhalb Jahre zurückliegenden Waffenschieberei nach China, in der ehemalige Reichswehroffiziere verwickelt waren und hinter der noch weitergehende Verbindungen zur Bendlerstraße vermutet wurden. Tatsächlich ging die mangelnde Aufklärung des Falls nicht auf Groener, der sich stets für eine schonungslose Aufdeckung und gerichtliche Verfolgung dieser vor seiner Amtszeit liegenden Ereignisse eingesetzt hatte, sondern auf außenpolitische Bedenken der anderen Ministerien zurück (vgl. etwa den Aktenvermerk des Auswärtigen Amts, Berlin 18.3.1930; PA-AA, R 28727, Bl. 41—44). Groener reagierte daher äußerst empfindlich auf den Vorwurf Künstlers, den er aus den Reihen »einer bis vor kurzem verantwortlich in der Regierung vertretenen Partei [...] als Gipfel der Verantwortungslosig271

274

keit« bezeichnete, was ihm das »Bravo« der Deutschnationalen und erregte Zurufe von den Sozialdemokraten (»Unverschämtheit gegenüber dem Parlament!«) einbrachte (RT, Bd 428, S. 5292). Vgl. Schleichers Ausführungen gegen den >LinkskursHindenburg-BundWir haben gesiegd Ein starker Druck ist von uns Regierenden genommen. Draußen ging das Leben seinen Gang, und nur die Wenigsten wußten oder ahnten, daß sich vielleicht der Bürgerkrieg anbahnte.« Zur Entscheidung des Ältestenrats vgl. auch Schulthess 1931, S. 141 f.

4.

Machtfaktor im Ersten Kabinett

Brüning

277

eine innenpolitische Schlüsselposition ein, da sie einerseits über den militärischen Apparat verfügte und andererseits enge Verbindungen zum Reichspräsidenten besaß. Um so gewichtiger waren die wenigen, aber jeweils an entscheidenden Entwicklungspunkten hervortretenden politischen Willensbekundungen Groeners. Sein durchgehendes Votum für eine autoritäre Krisenbekämpfung in weitgehender Unabhängigkeit vom Parlament und den Parteien bildete eine wesentliche Stütze des Präsidialsystems331. Dennoch erkannte man auch in der Bendlerstraße die Notwendigkeit, die politischen Kräfteverhältnisse zu beachten und »eine möglichst breite Front für das Winterprogramm der Regierung zu gewinnen«332. Solange die Schwelle zur präsidialen Diktatur nicht überschritten war und weiterhin die eingeschränkten Spielregeln des demokratischen Systems galten, mußten auch die Reichsregierung und die sie tragenden Kreise unverändert ihren innenpolitischen Standort und die Unterstützung einer Mehrheit suchen. Eine sichere Mehrheitsbildung konnte nur durch die Erweiterung des Kabinetts nach rechts bis zu den Nationalsozialisten oder nach links bis zur SPD erreicht werden333. Wenn die Regierung das labile Tolerierungsfundament festigen wollte, mußte sie die Sozialdemokraten enger an sich binden. Im August 1931 konkretisierte sich der von Otto Braun angestoßene und von führenden Vertretern der Ministerialbürokratie Preußens und des Reiches getragene Plan, die Regierungen Brüning und Braun zusammenzulegen, indem man den preußischen Ministerpräsidenten sowie seinen Innenminister Severing ins Reichskabinett aufnehme und die wichtigsten preußischen Behörden per Notverordnung in Reichsgewalt überführe334. Dieses Projekt einer Konzentration der Kräfte und kalten Reichsreform machte einigen Eindruck auf Brüning und Groener. Der im Urlaub weilende Schleicher wurde von Planck, seinem Vertrauensmann in der Reichskanzlei, über ihre Einschätzung alarmiert, »daß schließlich die Lösung der Reich-Preußen-Frage schon eine Messe wert wäre und ja womöglich dann eine Rechtsregierung den Vorteil dieses Fortschritts erben könne«335. Brüning schwankte zwar, da er den Preis einer Linkserweiterung nicht zahlen, sondern weiterhin »unabhängig bleiben und das Spiel zwischen Rechts und Links spielen« wollte336, doch unternahm er erste zögernde Schritte zu einer Realisierung des Reformplans337. Auch der Reichswehrminister hat offenbar als alter Befürworter einer Beseitigung des Gegensatzes Reich/Preußen zugunsten eines Zentral331

Vgl. etwa den Tagesbericht Luthers über die Ministerbesprechung vom 31.7.1931 (Politik und Wirtschaft I, S. 809): »Groener erklärte, wie schon früher bei anderer Gelegenheit, das Kabinett müsse stark

regieren [...].« Aufzeichnung des Ministeramts, Berlin August 1931 (Vogelsang, Reichswehr, S. 427). 333 Diese beiden Möglichkeiten sind auch ebd. skizziert, dazu als Alternative die »Regierung ohne Parlament«, die als letzter Ausweg in den Planungen der Reichswehrführung stets gegenwärtig blieb. 334 Zu folgendem ausführlicher Matthias/Morsey, Staatspartei, S. 42—48; Matthias, Partei, S. 112—118; Vogelsang, Reichswehr, S. 127 f.; Schulze, Braun, S. 694-699; Winkler, Weg, S. 396-398. Dieser Reichsreformplan war Ende Juli 1931 von Braun angeregt und dann von Brecht ausgearbeitet worden. Er fand die Zustimmung Pünders, Zweigerts, Schäffers, Höpker-Aschoffs und anderer führender 332

335 336 337

Ministerialbeamter. Planck an Schleicher (privat), Berlin 18.8.1931 (Morsey, Zentrumspartei, S. 422). Ebd. Vgl. dazu etwa Schulze, Braun, S. 697; Winkler, Weg, S. 397.

278

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

diese Lösung zunächst unterstützt. Ausschlaggebend war aber die eindeutige Ablehnung einer sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung durch Schleicher, der anscheinend sehr bald auch Groener wieder umstimmen konnte. Dabei mag das Argument entscheidend gewesen sein, daß die Einbeziehung der SPD der »nationalen Welle« neuen Auftrieb gebe, die Kritik von rechts verstärke und die präsidiale Unterstützung gefährde338. Die ablehnende Haltung der Reichswehrführung veranlaßte auch den ohnehin unschlüssigen Kanzler zu einer Wendung gegen das Projekt. Nachdem sich Brüning am 24. August in Wildbad mit Schleicher und Hammerstein zu einem politischen Meinungsaustausch getroffen hatte, konnte der Chef des Ministeramts befriedigt an Groener berichten, »daß der Kanzler unbedingt an unserer Linie festhält«339. Das Ergebnis der Besprechung faßte Planck lapidar zusammen: »der Pündersche Preußen-Coup ist endgülStaats

tig tot«340.

Man kann

nur spekulieren, welche Entwicklung eine Regierungsbeteiligung der SPD und eine Reichsreform zu dieser Zeit genommen hätte, doch immerhin bestand hier die Chance, alle verfassungstreuen und gemäßigten Kräfte zum Kampf gegen die Staatskrise zusammenzufassen. Daß diese Gelegenheit nicht ergriffen wurde, war maßgeblich dem Einfluß der Reichswehrführung zuzuschreiben341, ohne deren Einverständnis im Präsidialsystem bereits keine weitreichenden politischen Entscheidungen mehr getroffen werden konnten. Der extrakonstitutionelle Eingriff der Bendlerstraße in die Innenpolitik wirkte sich in diesem Fall vermutlich fatal aus und muß letztlich Groener angelastet werden, der für die politischen Aktivitäten seines Untergebenen Schleicher verantwortlich war. Dabei besaß die Reichswehrführung keine eindeutige Alternativkonzeption für eine stärkere politische Absicherung der Regierung. Sie stand nicht nur einer Einbindung der SPD ins Kabinett, sondern auch einer Regierungsbeteiligung der Nationalsozialisten noch ablehnend gegenüber. Bei ihrer Besprechung in Wildbad am 24. August 1931 sagten Schleicher und Hammerstein dem Reichskanzler die volle Unterstützung für seinen Kurs zu, wie bisher zwischen der »nationalen Opposition« und der sozialdemokratischen Tolerierung zu lavieren, ohne die eine oder andere Seite direkt an die Regie-

338

Befürchtung wird auch aus dem Schreiben Plancks an Schleicher (privat), Berlin 18.8.1931 (Morsey, Zentrumspartei, S. 422), ersichtlich: »Ich habe mit dem Kanzler eingehend über diese Dinge Diese

gesprochen und ihn beschworen, die Folgen eines Linksanschlusses für seine Person und für die deutsche politische Entwicklung zu bedenken.« 339 Schleicher an Groener (privat), Wildbad 28.8.1931 (Craig, Briefe, S. 129). Bereits am 25.8.1931, einen Tag nach der Unterredung in Wildbad, hatte Brüning in Stuttgart gegenüber Bolz erklärt, 34°

341

daß er eine Reichsreform erst nach Überwindung der finanziellen und wirtschaftlichen Probleme für zweckmäßig halte (Schulze, Braun, S. 698 f.; Winkler, Weg, S. 397). Planck an Schleicher (privat), Berlin 26.8.1931 (BA-MA, N 42/21, Bl. 98 f.). Zum Einfluß Schleichers auf diese Entwicklung vgl. auch Severing, Lebensweg II, S. 304. Auch Pünder erinnert sich, »daß die Reichswehr der Hort des Widerstandes« und damit »der schöne Traum, Herrn Ministerpräsident Braun gleichzeitig zum Vizekanzler und Sie in Personalunion gleichzeitig zum Reichsinnenminister zu berufen, leider ausgeträumt« gewesen sei (Pünder an Severing [privat], Köln 1.8.1946; AdsD, Nachlaß Severing 52/44). Dabei soll freilich nicht unterschätzt werden, daß auch die betreffenden Parteien, vor allem das Zentrum und die SPD, diesem Projekt z.T. eher reserviert gegenüberstanden.

4.

Machtfaktor im Ersten Kabinett

279

Brüning

heranzulassen342. In diesem Sinne informierte der Chef des Personalamts dem Bussche einige Tage später auf Wunsch Brünings auch den Reichspräsidenten, der dagegen keine Einwendungen vorbrachte343. So zeigte sich die Staatsführung des Präsidialsystems noch Ende August 1931 geschlossen. Der Reichskanzler wurde weiterhin von Hindenburg und der Reichswehrführung gestützt und eine erhebliche Rechtsverlagerung des Kabinetts unter Einschluß der NSDAP zurückgestellt344. Dennoch folgte bereits im September 1931 die Krise des Ersten Kabinetts Brüning345. Als Schleicher am 6. September aus Wildbad zurückkam, entwickelte er gegenüber dem Reichskanzler überraschend »ein Programm der völligen Änderung der personalen Zusammensetzung des Kabinetts im Sinne einer extremen deutschnationalen Orientierung«346. Eine Woche darauf forderte auch Hindenburg von Brüning eine Kursänderung nach rechts, wollte aber im neuen Kabinett weder Hugenberg noch die NSDAP vertreten sehen347. Der Reichspräsident und seine Umgebung zeigten sich von der innenpolitischen Entwicklung und dem Erstarken der extremen Rechten so beeindruckt, daß sie es nun für überfällig hielten, »die durch das deutsche Volk gehende nationale Welle zur Mitarbeit am Vaterland dienstbar zu machen« und zunächst wenigstens »die für die Rechte schwer tragbaren Reichsminister Wirth, v. Guérard und Dr. Curtius durch andere Persönlichkeiten zu ersetzen«348. Dies war das von Hindenburg erwartete Mindestopfer für die weitere Unterstützung Brünings und auch nur als Übergangslösung bis zu den preußischen Landtagswahlen im Frühjahr 1932 gedacht, nach denen der Reichskanzler sowohl im

rungsmacht

von

342

Brüning, Hitler, S. 233—235; Brüning, Memoiren, S. 373 f. (mit falscher Datierung der Wildbader Besprechung auf den 25.8.). Die Entscheidung gegen den Reichsreformplan erwähnt Brüning nicht, sie wird aber aus der Übereinkunft ersichtlich, den Kurs zwischen den politischen Fronten unver-

ändert fortzuführen. Vgl. zum Wildbader Gespräch auch Vogelsang, Reichswehr, S. 126; Dorpalen, S.222f. Schleicher an Groener (privat), Wildbad 28.8.1931 (Craig, Briefe, S. 129); Bussche-Ippenburg an Mau (privat), 25.1.1952 (Conze, Sturz, S. 267); Brüning, Hitler, S. 233—235; Brüning, Memoiren, S. 374. Brüning fürchtete, daß Hindenburg während seines Kuraufenthalts in Dietramszell von Parteigängern der DNVP gegen ihn beeinflußt werde. Das hinderte die Reichswehrführung freilich nicht, die Fühlungnahme zu den Nationalsozialisten zu intensivieren. Im September 1931 traf Hitler mit Hammerstein (Vogelsang, Reichswehr, S. 127), bestimmt nicht im Oktober zweimal mit Schleicher zusammen (Schüddekopf, Heer, S. 327 f.) ohne Wissen und Billigung Groeners. Man wollte langfristig offenbar auch mit der NSDAP im Gespräch bleiben und die Option ihrer Regierungsbeteiligung und »Zähmung« offenhalten. Dazu mehr im nächsten Kapitel. Zur Regierungskrise im September/Oktober 1931 vgl. Bracher, Auflösung, S. 367f.; Vogelsang, Reichswehr, S. 128—132; Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 872f.; Winkler, Weg, S. 426f. Brüning, Memoiren, S. 385. Ebd., S. 385—388. Die Unterredung zwischen Brüning und Hindenburg fand am 13.9.1931 statt. So die nachträgliche Aufzeichnung aus dem Büro des Reichspräsidenten, 10.6. [1932] (Vogelsang, Reichswehr, S. 459). Die personelle Forderung wird bestätigt durch Groener an Gleich (privat), 20./21.9.1931 (Politik und Wirtschaft II, S. 984); Aufzeichnung von Quaatz über eine Besprechung mit Meissner am 23.9.1931 (Die Deutschnationalen, S. 155). Vgl. ebd.: »Das Kabinett müsse personell so zusammengesetzt sein, daß es der Rechten das Mitgehen ermögliche.« Bereits Mitte Juni 1931 hatte Hindenburg gegenüber Brüning in Neudeck erste Wünsche in dieser Richtung geäußert (vgl. Dorpalen, Hindenburg, S. 218).

Hindenburg, 343

344



345

346 347

348

280

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

Reich als auch in Preußen für eindeutige Rechtsregierungen vom Zentrum bis zur DNVP oder sogar bis zu den Nationalsozialisten sorgen sollte349. Schleicher war ein Anhänger dieser schrittweisen Rechtsverlagerung, und auch Groener wird wenigstens die erste Etappe befürwortet haben, zumal Curtius nach dem Scheitern der Zollunionsfrage keinerlei Rückhalt mehr besaß, der »linke« Reichsinnenminister Wirth der Bendlerstraße schon lange ein Dorn im Auge war350 und eine Ablösung des Reichsverkehrsministers von Guérard kaum ins Gewicht fiel. Brüning aber ging nur zögernd auf die Kabinettsumbildungspläne ein und zog dadurch den Unmut des Reichspräsidenten auf sich351. Das Verhältnis des Reichskanzlers zu seiner präsidialen Machtgrundlage bekam erste gefährliche Risse. Anfang Oktober 1931 drängte die Regierungskrise auf eine Entscheidung. Am 3. Oktober reichte Curtius sein Rücktrittsgesuch ein352, am 5. Oktober kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen Hindenburg und Brüning, in deren Verlauf der Reichskanzler die Demission seines Kabinetts und die parlamentarische Unterstützung einer Rechtsregierung ohne das Zentrum anbot353, und am Tag darauf unterzeichnete der Reichspräsident mit der »Dritten Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen« das letzte Projekt des Ersten Kabinetts Brüning354. Am Vormittag des 7. Oktober wurde in einer Ministerbesprechung der Rücktritt des Gesamtkabinetts beschlossen355. Danach ging Brüning zum Reichspräsidenten, um die Demission zu überreichen, traf aber auf einen erstaunlichen Sinneswandel Hindenburgs. In der Zwischenzeit war Groener aktiv geworden und hatte beim Reichspräsidenten seinen ganzen Einfluß für Brüning geltend gemacht356. Mit Erfolg: Hindenburg wollte nun mit dem Reichskanzler weiterhin konstruktiv zusammenarbeiten und verlangte lediglich die Ablösung von Curtius, Wirth und Guérard, um der Präsidialregierung ein stärkeres parteiunabhängiges und konservatives Profil zu geben357. Der Reichspräsident nahm die Demission des Kabinetts formal an und beauftragte Brüning sofort mit einer neuen Regierungsbildung auf überparteilicher Grundlage. Daß Hindenburg den Reichskanzler im letzten Moment doch nicht 349

Ebd.

Brüning selbst war nicht abgeneigt, nach den Wahlen im Frühjahr 1932 (Reichspräsidenten-

wahl, Preußenwahl) neue Regierungskonstellationen mit starker Anlehnung an die Rechte zu schaffen

(vgl. etwa die Aufzeichnung aus dem Büro des Reichspräsidenten, 10.6. [1932]; Vogelsang, Reichswehr, S.459Í.). 350 Die Kritik an »Schmerzenskind Joseph« zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Briefe Groeners an Gleich während des Ersten Kabinetts Brüning (vgl. BA-MA, N 46/36, Bl. 8—26). 351 Zur zögerlichen Haltung Brünings vgl. Groener an Gleich (privat), 20./21.9.1931 (Politik und Wirtschaft II, S. 984); Aufzeichnung von Quaatz über eine Besprechung mit Meissner am 23.9.1931 (Die Deutschnationalen, S. 155). Vgl. ebd.: »Das alte Vertrauen zum Kanzler sei erschüttert. Er (Meißner) halte es durchaus für möglich, daß sich diese Stimmung in der nächsten Zeit noch stark ver-

schärfe, ja, daß es vielleicht zum Bruche käme.« Brüning bekam die Mißstimmung Hindenburgs in diesen Tagen deutlich zu spüren (vgl. etwa Brüning, Memoiren, S. 393). 352 Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 872. 353 Brüning, Memoiren, S. 421—423. 354 Zu dieser Notverordnung vgl. Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 870—872. 355 Ministerbesprechung vom 7.10.1931 (AdR, Brüning I/II, Bd 2, S. 1813—1815). 356 Brüning, Memoiren, S. 423—425. Vgl. auch die Zeitzeugenaussage Brünings, 6.3.1953 (IfZ, ZS 20/2, Bl. 28); Brüning, Hitler, S. 238: 357 Brüning, Memoiren, S. 423—425.

4.

Machtfaktor im Ersten Kabinett

Brüning

281

fallengelassen hatte, war der energischen Intervention Groeners zu verdanken. Der Reichswehrminister stand loyal zu seinem Unterstützungsversprechen vom März 1930 und setzte unverändert auf die Politik Brünings, auch wenn sich die ökonomische und innenpoliti-

sche Krise in den letzten Monaten dramatisch verschlechtert hatte und nur in der Außenpolitik Fortschritte zu erkennen waren. Außerdem war durch die Regierungskrise offensichtlich geworden, daß zunehmend unkontrollierbare Einflüsse die für Brünings und Groeners Machtposition lebensnotwendige präsidiale Rückendeckung gefährdeten. Die noch im August 1931 weitgehend intakte personelle Geschlossenheit an der Staatsspitze war im Oktober desselben Jahres bereits nachhaltig in Frage gestellt. Die Bildung des Zweiten Kabinetts Brüning vom 7. bis 9. Oktober 1931 lief schließlich auf die kommissarische Übernahme des Reichsinnenministeriums durch Groener hinaus, wie noch zu zeigen sein wird358. Die Personalunion von zwei so entscheidenden Ämtern markierte den Höhepunkt der innenpolitischen Einflußstellung des Reichswehrministers. Dieser weitere Eingriff über das militärpolitische Ressort hinaus konnte kaum verwundern, er war zwar nicht zwangsläufig, doch eine konsequente Fortsetzung der im März 1930 eingeschlagenen Entwicklung. Bereits in den eineinhalb Jahren von der Begründung des Präsidialsystems bis zur Regierungskrise vom September/Oktober 1931 hatte die Reichswehrführung die Politik entscheidend und jenseits ihres verfassungsgemäßen Auftrags mitbestimmt. Sie war zugleich Geburtshelfer, Träger und Machtfaktor der neuen Verfassungswirklichkeit, in der sich die Regierungsgewalt mehr und mehr vom Reichstag und den Parteien auf einzelne Persönlichkeiten um den Reichspräsidenten und seine diktatorischen Sondervollmachten verlagerte. Groener brachte sein besonderes Gewicht in dieser personellen Einflußkonstellation zur Geltung, nicht maßlos, doch um so wirksamer an wenigen einschneidenden Punkten. Die weitgehende Anwendung des Notverordnungsrechts Ende Juli 1930, die Verhinderung der Reichstagseinberufung Mitte Juni 1931 und das Überleben der Kanzlerschaft Brünings Anfang Oktober 1931 müssen maßgeblich auf den persönlichen Einsatz des Reichswehrministers zurückgeführt werden. Auch die schwerwiegende Entscheidung vom August 1931 gegen eine Fusion von Reichsregierung und preußischer Staatsregierung fällt in die Verantwortung Groeners, auch wenn der Widerstand von Schleicher ausging. Der Chef des Ministeramts war zwar die politisch aktivere Kraft, doch noch keineswegs so eigenständig, daß er die Übereinstimmung mit seinem vorgesetzten Minister nicht mehr benötigt hätte. Das Hauptziel des innenpolitischen Engagements Groeners ist deutlich zu erkennen: Die ökonomische und politische Staatskrise sollte durch eine Regierung bewältigt werden, die von Brüning geführt wurde und ihre bürokratische Reformpolitik mit Hilfe der präsidialen Sonderrechte möglichst unbehelligt von parlamentarischen Einflüssen energisch verwirklichte. In diese autoritäre Lösung setzte der Reichswehrminister seine ganze Hoffnung. Dabei erkannte er durchaus die Vorteile einer losen und unverbindlichen parlamentarischen Absicherung des Präsidialsystems, doch ebenso hielt er als letzten Ausweg die Alternative im Visier, den Reichstag ohne Wiederwahl aufzulösen und bis zur Überwindung der Krise eine Diktatur der Exekutive auf Grundlage der Reichs358

Vgl.

unten

den

Beginn von Kap. VII,1.

282

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort

der Reichswehr

wehr zu errichten. Vor dieser äußersten Not- und Übergangslösung sollten aber alle Möglichkeiten innerhalb der demokratischen Reichsverfassung für die Politik des Präsidialkabinetts Brüning ausgeschöpft sein. Groeners unbedingte Unterstützung für den Reichskanzler und seine Reformpolitik entsprang vor allem allgemeinpolitischen Motiven und Überzeugungen. Es ist aber auffällig, daß der Reichswehrminister das Prinzip der Überparteilichkeit, das er in der Militärpolitik vertrat, auch für die innenpolitische Stellung der Regierung verfolgte. Das Lavieren zwischen links und rechts war aber in beiden Bereichen unmöglich geworden und verbaute in der Innenpolitik den Weg zu einem Bündnis aller verfassungstreuen Kräfte unter Einschluß ihrer stärksten Partei, der Sozialdemokratie. Der Einfluß der Bendlerstraße auf die politische Entwicklung nach 1930 hat den Auflösungsprozeß der Weimarer Republik in dieser Hinsicht bereits während des Ersten Kabinetts Brüning eher beschleunigt. Wie sich hier dieselben Grundprinzipien in der militar- und innenpolitischen Aktivität Groeners finden, so war ohnehin nicht auszuschließen, daß über die neue Machtstellung der Reichswehrführung im Präsidialsystem nicht doch auch militärpolitische Intentionen auf innenpolitische Entscheidungen einwirkten. Bevor nun die zweite Phase der Verstrickung Groeners in die Innenpolitik, seine doppelte Amtsführung als Reichswehr- und kommissarischer Reichsinnenminister, darzustellen ist, muß daher untersucht werden, welche Berührungen es bereits vorher zwischen diesen beiden Bereichen gegeben hat. 5. Das unsichere Kriterium der

»Wehrfreudigkeit«

Groener hat seine zentrale politische Einflußposition nach 1930 bemerkenswerterweise wenig für Veränderungen im militärischen Sektor ausgenutzt. Der Reichswehrminister war verantwortungsvoll genug, zwischen seinem verfassungsgemäßen Auftrag zur Betreuung des militärischen Apparates und seiner extrakonstitutionellen Schlüsselrolle im Präsidialregime zu unterscheiden. Die von ihm 1928 eingeschlagene gemäßigte Wehrpolitik

richtete sich weiterhin nach den begrenzten Möglichkeiten des Versailler Vertrags aus und war nach wie vor den Entscheidungen der zivilen Reichsleitung unterstellt. Groener bekam in diesem Entscheidungssystem zwar nun ein stärkeres Gewicht, doch wenn sich die personellen und materiellen Rüstungsvorbereitungen progressiv gestalteten, dann war dies nicht eine Folge seiner politischen Machtstellung, sondern seiner effizienten Amtsführung. Selbst bei den haushaltspolitischen Verteilungskämpfen beschränkte sich Groener weitgehend auf die Möglichkeiten eines Ressortministers, der seine Etatanträge mühsam in Kabinett und Parlament durchsetzen mußte359. Gewiß, die schleichende Entmachtung des Reichstags und die Tolerierungspolitik seiner Mehrheit vereinfachten das Verfahren, aber sogar der letzte von Groener durchgebrachte Wehrhaushalt, der im Mai 1931 verabschiedet wurde, ging noch seinen gewohnten Weg durch die parlamentarischen 359

haushaltspolitischen Auseinandersetzungen um den Wehretat während der Amtszeit Groevgl. oben Kap. IV,5.

Zu den ners

5. Das unsichere Kriterium der

283

»Wehrfreudigkeit«

Gremien, ganz zu schweigen von den unverändert schwierigen Verhandlungen mit dem Reichsfinanzministerium und Rechnungshof über die offenen und im Mitprüfungsausschuß geheimen Etatposten. Der Reichswehrminister akzeptierte die haushaltspolitischen Bedingungen, die für ihn zur Normalität der Militärpolitik gehörten. So kam es weder zu einer unkontrollierten Expansion der Wehrausgaben noch überhaupt zu einer durch Groeners politische Mitsprache erzwungenen tiefgreifenden Forcierung der Rüstungsanstrengungen. Die relative Kontinuität der Militärpolitik von 1928 bis 1932 ist auffällig und ging keineswegs konform mit dem steigenden Einfluß des Reichswehrministers im politischen System. Bezeichnend hierfür war, daß wehrpolitische Fragen in der Gesetzgebung auf dem Notverordnungsweg keine Rolle spielten. Und dennoch: Trotz der Zurückhaltung Groeners waren Wechselwirkungen zwischen Militär- und Innenpolitik unvermeidlich in einem Regierungssystem, das maßgeblich von der Reichswehrführung mitgetragen wurde. Dabei wirkte sich wiederum weniger der politische Einfluß der Bendlerstraße auf die militärische Entwicklung aus als umgekehrt militärpolitische Vorstellungen auf innenpolitische Entscheidungen. Denn es war jetzt um so mehr eine hochpolitische Frage, wie das Reichswehrministerium seine Beziehungen zu den einzelnen politischen Kräften gestaltete. Damit gewannen auch Motive an Bedeutung, die von militärischem Denken bestimmt wurden. Das alte Problem der Reichswehrpolitik bestand ja gerade darin, daß die Armee bei den Gegnern der Republik auf mehr Sympathie stieß als bei ihren Anhängern. Der Versuch eines Ausgleichs mit den demokratischen Kreisen war 1929 vorerst im Sande verlaufen, und 1930 erreichte die Gegenbewegung von rechts ihren Höhepunkt360. Die Aussicht, zwischen den Stühlen zu sitzen, oder mit anderen Worten, die republikanische Linke nicht für die Militärpolitik gewinnen zu können und gleichzeitig die Unterstützung des nationalkonservativen Lagers zu verlieren, veranlaßte die Reichswehrführung zu einer Akzentverlagerung. Auch wenn der Grundsatz der Überparteilichkeit weiterhin beachtet wurde, wollte das Reichswehrministerium nach 1930 wieder stärkeren Anschluß an die »nationalen« Kreise finden, während die Bemühungen um die demokratische Gegenseite nachließen. Die unterschiedliche Behandlung der »wehrfreundlichen« und der »wehrfeindlichen« Strömungen durch die militärpolitische Führung fand ihren deutlichsten Ausdruck bei den Extremen, in der indifferenten Haltung zur nationalsozialistischen Bewegung einerseits und im Kampf gegen den Pazifismus andererseits. Wenn die Beurteilung der »Wehrfreudigkeit« bei der Reichswehrführung und dadurch mittelbar auch in der Innenpolitik seit 1930 an Gewicht gewann, dann hing das eng mit den personellen Rüstungsplänen zusammen, die das militärpolitische Interesse auf die Haltung der einzelnen gesellschaftlichen Kräfte zur Landesverteidigung lenkten. Es sei an die bereits beschriebene Entwicklung der personellen Mobilmachungsvorbereitungen während der Amtszeit Groeners erinnert361: Dem Dilemma der geringen Reservenbildung durch die kleine und langdienende Berufsarmee sollte mit Behelfsmaßnahmen außerhalb, aber unter Leitung der Reichswehr begegnet werden. Um die statistische Erfas—



360

Dazu ausführlich oben

361

Vgl.

oben

Kap. IV,4.

Kap. VI,1—2.

284

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

sung und

sporadische Ausbildung der Bevölkerung im Grenz- und Landesschutz voranzutreiben, suchte Groener die enge Kooperation mit den Zivilbehörden. Die bereits im April 1929 hierzu vorliegenden Richtlinien kamen aber wegen des Widerstands der preußischen Staatsregierung erst Ende 1930 zur Geltung. Ebenfalls im Herbst 1930 konkretisierten sich die schon ein halbes Jahr zuvor Brüning und auch der Öffentlichkeit angekündigten Pläne des Reichswehrministers, durch eine gezielte staatliche Förderung der Jugendertüchtigung eine Miliz vorzubereiten, die man auf der bevorstehenden Abrüstungskonferenz auszuhandeln hoffte. In der Bendlerstraße wandte man sich nun verstärkt dem Ziel einer notdürftigen Ersatzbildung außerhalb der Reichswehr zu, an die möglichst alle Schichten der Bevölkerung unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung herangezogen werden sollten. Damit bekamen der »Wehrwillen« und die Bereitschaft zur Mitarbeit an den militärischen Vorbereitungen vor allem im Grenz- und Landesschutz in der Einschätzung der einzelnen politischen Kräfte durch die Reichswehrführung eine gesteigerte und wegen der innenpolitischen Machtstellung Groeners und Schleichers bedenkliche Bedeutung. Die Vorbehalte republiktreuer Institutionen wie der preußischen Staatsregierung und des für die Körpererziehung im zivilen Bereich zuständigen Reichsinnenministeriums waren nicht unbegründet. Die Bemühungen der Reichswehrführung um die Wehrbereitschaft breiter Volksteile, die im Laufe des Jahres 1930 in eine neue Phase traten, machten sich politisch besonders schwerwiegend im Wandel ihrer Einstellung zur NSDAP und deren Unterorganisationen bemerkbar. Das Verhältnis zwischen Reichswehrminister Groener und dieser Partei war in den ersten Jahren seiner Amtszeit von den Haßtiraden der Nationalsozialisten gegen den angeblich am Zusammenbruch von 1918 mitverantwortlichen »Nachfolger und Neider Ludendorffs« geprägt, die der Angegriffene durch keine Erwiderung aufwertete362. Groener erkannte aber, daß »das rein gefühlsmäßige Schimpfen, wie es bei den Nazisozen in der widerlichsten Weise zu Tage tritt«363, nur die radikale Spitze der Kritik von rechts an seiner Militärpolitik bildete. Die NSDAP steigerte ihrerseits die Agitation gegen den »Linkskurs« des Reichswehrministeriums und für eine neue »nationale« Wehrpolitik. Als Hitler am 15. März 1929 auf einer Massenveranstaltung in München seine weitgehenden militärpolitischen Zielvorstellungen propagierte und diese Rede in einer Sondernummer des »Völkischen Beobachters« verbreitet wurde364, entschloß sich die Reichswehrführung zu Gegenmaßnahmen, während sie die nationalsozialistische Bewegung vorher weitgehend ignoriert hatte. In der Bendlerstraße erkannte man nun offenbar, welche Anziehungskraft die stereotypen Forderungen nach Aufrüstung, Wehrhaftmachung des Volkes, Befreiung von Versailles, Politisierung der Armee und Abgrenzung gegenüber den Linksparteien, kurzum der militante und radikalnationalistische Impetus der NSDAP, auf Teile der Reichswehr haben mußten. Die gedruckte Münchner Rede —



Schüddekopf, Heer, S. 277, Anm. 730; Vogelsang, Reichswehr, S. 60f.; Bucher, Reichswehrprozeß, S. 8f. Das Zitat aus dem »Angriff« vom 23.1.1928 bei Vogelsang, Reichswehr, S. 61. 363 Groener an Gleich (privat), Berlin 4.1.1930 (BA-MA, N 46/36, Bl. 4). 364 Auszüge bei Schüddekopf, Heer, S. 281—287. Vgl. auch Krausnick, Vorgeschichte, S. 188—192; Vogelsang, Reichswehr, S. 61 f.; Bucher, Reichswehrprozeß, S. 10—12; Schulz, Demokratie II, S. 388f. Die aufsehenerregende Sondernummer des »Völkischen Beobachters« erschien am 26.3.1929. 362

5. Das

unsichere Kriterium der

»Wehrfreudigkeit«

285

Hitlers wurde als Zersetzungsschrift eingestuft und ihre Verteilung in den Garnisonen untersagt365. Außerdem verfügte Groener am 16. Juli 1929 die Entfernung aller der NSDAP angehörenden Arbeitnehmer aus den Reichswehrbetrieben366. Er begünstigte auch die Hochverratsverfahren, die aufgrund der wehrpolitischen Sondernummer des »Völkischen Beobachters« gegen Hitler und andere führende Nationalsozialisten vom Reichsinnenministerium beantragt und vom Oberreichsanwalt eingeleitet wurden367. Die Reichswehr-Rede Hitlers und ihre Verbreitung provozierten also eine erste eindeutige Gegenreaktion der Bendlerstraße auf die nationalsozialistischen Anfechtungen. Die ersten Anzeichen der Anfälligkeit gerade jüngerer Offiziere für die Propaganda der NSDAP seit Ende 1929 bewogen Groener zusätzlich zu unmißverständlichen Stellungnahmen in seinem Verantwortungsbereich. Bereits sein erster Erlaß dieser Art vom 19. November 1929 wandte sich in deutlicher Sprache gegen die NSDAP368: »Unter dem Deckmantel des »Nationalen« arbeitet diese Partei bewußt gegen den Staat und seine Regierung und versucht das Machtmittel des Staates, die Wehrmacht, zu untergraben, um bei gegebener Zeit ihre hochverräterischen Pläne um so leichter durchführen zu können.« Diese Warnung vor der nationalsozialistischen Bewegung, der die Verpflichtung der Reichswehr zu Überparteilichkeit und Verfassungstreue gegenübergestellt wurde, wiederholte Groener mehrfach in den folgenden Monaten, als der Fall Scheringer—Ludin— Wendt nicht nur das Ausmaß der Vertrauenskrise innerhalb der Armee, sondern auch die gefährliche Ausstrahlung der nationalsozialistischen Agitation aufdeckte369. Die Reichswehrführung war nun verstärkt bemüht, die NSDAP als radikale Umsturzpartei mit den Kommunisten, von denen sie nur die vordergründige »nationale Grundlage« unterscheide, auf eine Stufe zu stellen370. Die Einschätzung in einem Erlaß Groeners vom 16. April 1930, daß der Sozialrevolutionäre Teil der Nationalsozialisten die Oberhand 365

*'

367

368

369 370

Erlaß Groeners, Berlin 16.5.1929 (BA-MA, RM 23/1763, Bl. 201); Erlaß des Reichswehrministers (i.A. Schleicher), Berlin 21.10.1929 (ebd., Bl. 214). Erlaß Groeners, Berlin 16.7.1929 (BA-MA, RM 23/918, Bl. 337). Vgl. Vogelsang, Reichswehr, S. 62; Schulz, Demokratie II, S. 389. Dazu ebd.; Bucher, Reichswehrprozeß, S. 12—14. Die Verfahren wurden allerdings bald wieder eingestellt. Auch das Reichswehrministerium beantragte mehrere Verfahren gegen die Verbreitung der Sondernummer, denen von der Reichsanwaltschaft nicht stattgegeben wurde. Erlaß Groeners, Berlin 19.11.1929 (BA-MA, RH 1/10; dieser Auszug auch bei Carsten, Reichswehr, S. 349 f.). Anlaß war das Sympathisieren zweier Oberfähnriche mit nationalsozialistischem Gedankengut. Als Beweis gegen den staatsfeindlichen und zersetzenden Charakter der NSDAP nennt Groener u.a. auch die Rede Hitlers vom 15.3.1929. Zur reichswehrinternen Vertrauenskrise und Ulmer Affäre vgl. oben Kap. VI,2. »Hirtenbrief«-Erlaß Groeners, 22.1.1930 (Staat und NSDAP, S. 4). Vgl. auch den Erlaß Groeners, Berlin 24.2.1930 (BA-MA, RW 6/589): »Durch skrupellose Propaganda, nicht zu bestreitende Aktivität, durch das in den Vordergrundschieben von nationalen, vaterländischen Absichten unter Verschleierung der wirklichen Ziele, sowie durch zahllose Versprechungen, die nie gehalten werden können, ist der Nationalsozialismus wohl geeignet, politisch nicht geschulte Köpfe für sich zu gewinnen. Da er aber am Grundpfeiler der Wehrmacht, an der Manneszucht und an den Grundlagen des Staates rüttelt, bedeutet er eine nicht zu unterschätzende Gefahr für Wehrmacht und Staat.« Dieser und der in der folgenden Anm. genannte Erlaß waren zur ausführlichen Aufklärung der Reichswehrdienststellen über die NSDAP bestimmt.

286

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

gewinnen und »voraussichtlich über kurz oder lang den gemäßigten Flügel aufsaugen« werde, sollte vor jeder Neigung zu dieser Bewegung abschrecken371. Bereits einen Monat zuvor hatte Schleicher in einem Schreiben an Reichsinnenminister Severing deutlich gemacht, daß auch der Reichswehrminister die NSDAP für eine Partei halte, die »sich den gewaltsamen Umsturz der verfassungsmäßigen Staatsform zum Ziele setzt«, und daher

alle Nationalsozialisten aus den Reichswehrbetrieben entfernt habe372. Dazu stehe aber die Bevorzugung von nationalsozialistischen Beamten und Angestellten durch den neuen thüringischen Innenminister Frick (NSDAP) im Widerspruch, den die Reichsregierung auflösen müsse, z. B. indem sie erkläre, »daß sich das Vorgehen Thüringens mit der Verfassung nicht vereinbaren läßt«373. Diese Stellungnahmen und Maßnahmen beweisen, daß die Reichswehrführung 1929/30 ganz entschieden gegen die NSDAP eingestellt war und nicht nur ihre zersetzenden Einflüsse auf die Armee bekämpfte, sondern die Partei an sich als illegal und revolutionär ablehnte, ja in ihren Mitteln und Zielen sogar mit der KPD gleichsetzte. Groener und Schleicher erkannten aber auch, daß diese expandierende Bewegung mit ihrem antirepublikanischen, »nationalen« und »wehrfreundlichen« Auftreten den in weiten Teilen des Offizierskorps verbreiteten Ressentiments gegen die »Bürogenerale« in der Bendlerstraße und ihre »schlappe« Haltung der Republik gegenüber unvergleichlich mehr entgegenkam als die meist wirkungslose kommunistische Propaganda. Doch diese plakative Attraktivität der NSDAP konnte von der Reichswehrführung ebensowenig wirksam beantwortet werden wie überhaupt die interne Vertrauenskrise und die Kritik von rechts. Schwerwiegender war aber, daß die noch im Frühjahr 1930 so entschlossene Haltung des Reichswehrministers und seiner Umgebung gegen die Nationalsozialisten nicht in der nötigen Konsequenz durchgehalten wurde. Der nüchtern denkende Groener hat die gefährliche Irrationalität des Nationalsozialismus nie nachvollziehen können und seine dynamische Bedrohlichkeit wie so viele eher unterschätzt. Er stellte sich in erster Linie nicht wegen ihrer diffusen politischen Ziele gegen die Hitler-Bewegung, sondern wegen ihres revolutionären Gebarens und polarisierenden Auftretens, in denen er die Tendenz zu Bürgerkrieg und Umsturz entdeckte. Dadurch konnte sich dieser Standpunkt ändern, als die NSDAP mit ihrem Aufstieg zur Massenpartei und stärksten Kraft der »nationalen Opposition« den legalen Weg zur Machtübernahme einschlug. In der Bendlerstraße hatte man gehofft, daß die autoritäre Präsidialregierung Brünings eine ausgleichende und integrierende Wirkung auf die »nationale Welle« haben würde. Statt dessen verschärfte das erdrutschartige Anwachsen der Nationalsozialisten bei den 37' 372 373

Erlaß Groeners, 16.4.1930 (Staat und NSDAP, S. 13). Schleicher an Severing, 14.3.1930 (ebd., S. 7). Ebd. Vgl. auch Severing, Lebensweg II, S. 229—234. Severing besprach das thüringische Problem zur selben Zeit auch mit Groener, der offenbar bereit war, den Reichsinnenminister in einem entschlossenen Vorgehen gegen Thüringen zu unterstützen. Das Schreiben Schleichers bestärkte Severing in der Auffassung, daß die Bendlerstraße mit ihm im Kampf gegen Frick konform gehe. Zum Streit Reich/Thüringen, der auch nach dem Regierungswechsel vom März 1930 unverändert andauerte und schließlich im Dezember 1930 vor dem Reichsgericht mit einem Vergleich endete, vgl. Huber, Verfassungsgeschichte VII, S. 771—777.

5. Das unsichere Kriterium der

»Wehrfreudigkeit«

287

Septemberwahlen von 1930 die politische Situation noch zusätzlich. Nur kurze Zeit nach der Reichstagswahl, am 25. September 1930, trat Hitler als Zeuge im Hochverratsprozeß gegen die Ulmer Offiziere auf und

nutzte diese Plattform zu seinem vielbeachteten Außerdem beteuerte er, daß er kein Interesse an einer Zersetzung der Legalitätseid374. Reichswehr habe, und nahm die Gelegenheit wahr, in seiner von der Öffentlichkeit und besonders der Reichswehr aufmerksam registrierten Aussage seine wehrpolitischen Ziele zu skizzieren375. Dieser geschickte Auftritt Hitlers und der Wahlerfolg der NSDAP blieben nicht ohne Eindruck auf die Reichswehrführung, die nun ihre Einstellung gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung zu modifizieren begann376. Obwohl die Angriffe der NSDAP auf das Reichswehrministerium im Zusammenhang mit dem Reichs-

gerichtsverfahren Scheringer—Ludin—Wendt einen neuen Höhepunkt erreichten, gehörte die nur ein halbes Jahr zurückliegende scharfe Sprache Groeners gegen diese Partei nun der Vergangenheit an. Die vor kurzem noch mit den Kommunisten gleichgestellte NSDAP wurde jetzt sogar als Verhandlungspartner des Reichskanzlers akzeptiert und ohnehin von den Trägern des Präsidialregimes wie die anderen Reichstagsfraktionen mit Ausnahme der KPD in ihre politischen Überlegungen einbezogen377. Hitlers Aussage vor dem Reichsgericht und die Aufwertung seiner Partei veranlaßten Groener zu einem Vorstoß, die Beurteilung der nationalsozialistischen Bewegung durch Reichsregierung und Reichswehr grundsätzlich klären zu lassen. Dabei knüpfte er an das nicht beantwortete Schreiben Schleichers an Severing vom 14. März 1930 an, kehrte aber dessen Stoßrichtung geradezu um. Während der Chef des Ministeramts die Illegalität der NSDAP nicht in Zweifel gezogen und ein Vorgehen gegen die Einstellungspraxis in Thüringen vorgeschlagen hatte378, ließ der Reichswehrminister nur ein halbes Jahr später den Wunsch nach einer Neubewertung dieser Partei erkennen. Am 15. Oktober 1930 machte

Reichsinnenminister Wirth auf den unhaltbaren Zustand aufmerksam, daß einerseits auf seinen Befehl hin Nationalsozialisten von den Reichswehrbetrieben ferngehalten würden und deshalb arbeitsrechtliche Prozesse drohten, andererseits aber in Thüringen und Braunschweig nationalsozialistische Minister amtierten, Hitler die Legalität seiner Partei beschworen und der Reichskanzler mit der NSDAP offiziell verhandelt habe379. Daher sehe er sich gezwungen, »die Frage der Legalität der NSDAP erneut aufzugreifen und Sie um Auskunft zu bitten, ob Sie auch jetzt noch den Standpunkt vertreten, daß die NSDAP den gewaltsamen Umsturz der verfassungsmäßigen Staatsform verfolgt«380. er

374

375

376 377

378 379 38°

Hitlers Aussage bei Bucher, Reichswehrprozeß, S. 270. Dazu etwa Vogelsang, Reichswehr, S. 90-92; Schulz, Aufstieg, S. 588-598. So führte Hitler nach der Verhandlungsrekonstruktion von Bucher, Reichswehrprozeß, S. 252 f., aus: »Natürlich wird die politische Bewegung, die die Macht im Staate mit legalen Mitteln erobern will, an die Spitze ihres Programmes den Wehrgedanken stellen. Der Sieg der nationalen Bewegung bedeutet absolute Wehrhaftigkeit des deutschen Volkes. Wir werden dafür sorgen, daß unsere Reichswehr wieder eine große deutsche Volksarmee sein wird.« Diese wesentliche Veränderung wird von Vogelsang, Reichswehr, S. 92, unterschätzt. Vgl. oben Kap. VI,4. Schleicher an Severing, 14.3.1930 (Staat und NSDAP, S. 6f.). Groener an Wirth, 15.10.1930 (ebd., S. 162f.). Ebd., S. 163.

Vgl.

288

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

Groener seinerseits war unverkennbar von dieser Position abgerückt und erwartete nun eine entsprechende Stellungnahme des für den Verfassungsschutz zuständigen Reichsministers, um wieder Nationalsozialisten im militärpolitischen Bereich verwenden zu können. Doch in seiner Antwort beurteilte Wirth die Legalitätserklärungen als taktisches Manöver einer weiterhin vor Gewalt nicht zurückschreckenden Partei381. Außerdem übersandte er Groener zwei Denkschriften, je eine des Reichsinnenministeriums und des preußischen Innenministeriums, in denen die nationalsozialistische Bewegung als

zutiefst hochverräterisch und verfassungsfeindlich eingestuft wurde nicht allein in ihrem in ihren Zielen382. Mit dieser unveränderten Frontstellung gegen die NSDAP wollte sich Groener aber nicht zufriedengeben. Er wandte sich am 10. November an den Reichskanzler, da er der Auffassung Wirths »nicht ohne weiteres beitreten« könne, und bat ihn, diese »hochpolitische Angelegenheit« zu einer Entscheidung zu bringen383. Der Reichswehrminister offenbarte dadurch, daß er mit seinem Vorstoß nicht lediglich eine deutliche Stellungnahme die hatte er ja von Wirth erhalten —, sondern eine Bestätigung seiner eigenen veränderten Einstellung zur nationalsozialistischen Frage bewirken wollte. Welche militärpolitischen Motive dabei hineinspielten, wurde ebenfalls im Schreiben Groeners an Brüning deutlich. Er machte den Reichskanzler darauf aufmerksam, daß die beiden von Wirth übersandten Denkschriften »eine Stellung zur Wehrfreudigkeit der NSDAP einnehmen [...], die ich mir als Reichswehrminister unmöglich zu eigen machen kann. Ich sehe nämlich gerade in dieser Wehrfreudigkeit eine der erfreulichen Erscheinungen der nationalsozialistischen Bewegung, jedenfalls aber keinen Umstand, der die Staatsfeindlichkeit der NSDAP zu beweisen geeignet wäre.«384 Daß die Reichswehrführung dieses »wehrfreudige« Potential für die militärischen Vorbereitungsarbeiten nutzen wollte, trat noch deutlicher zum Vorschein, als Schleicher einen Monat darauf die Reichskanzlei zu einer raschen Erledigung dieses Problems drängte und dabei neben den arbeitsrechtlichen Schwierigkeiten erstmals auch die Gefährdung »des Landesschutzes und vor allem des Grenzschutzes Ost« als

Weg, sondern gerade auch





381 382

383

384

Wirth an Groener, 21.10.1930 (ebd., S. 164f.). Denkschrift des Reichsinnenministeriums »Das hochverräterische Unternehmen der NSDAP«, 12.8.1930 (Auszug ebd., S. 95f.); Denkschrift des preußischen Innenministeriums »Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei als Staats- und republikfeindliche hochverräterische Verbindung«, Ende August 1930 (ebd., S. 96—155). Die letztere, sehr eindeutige Denkschrift schickte Wirth am 26.11.1930 auch dem Reichskanzler und den übrigen Reichsministern, um die Kabinettsentscheidung in seinem Sinne vorzubereiten (BA, R 43 1/2682, Bl. 257). Groener an Brüning, 10.11.1930 (Staat und NSDAP, S. 169-171; Zitate ebd., S. 169, S. 171). Groener legte dem Reichskanzler den Schriftwechsel in dieser Angelegenheit vor (Abdruck des Briefs und seiner Anlagen auch in AdR, Brüning I/II, Bd 1, S. 605—613) und betonte, daß durch die offiziellen Gespräche mit der NSDAP ein Unterschied zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten gemacht worden sei und sich Hitler von seinen revolutionären Anhängern um Otto Strasser getrennt habe. Außerdem stoße die Entlassung nationalsozialistischer Arbeiter aus Reichswehrbetrieben zunehmend auf rechtliche Schwierigkeiten, wie etwa in Wilhelmshaven, wo gekündigte Marinewerftarbeiter erfolgreich prozessierten. Groener an Brüning, 10.11.1930 (Staat und NSDAP, S. 170). Groener verweist ebd. auf sein Schreiben an Wirth, 1.8.1930 (ebd., S. 93—95), in dem er die Kritik des Reichsinnenministers an der Wehrbewegung in der rechtsradikalen Studentenschaft aus ähnlichen Gründen nicht gelten lassen wollte.

5. Das unsichere Kriterium der

»Wehrfreudigkeit«

289

Argument gegen die weitere Stigmatisierung der NSDAP als illegale Organisation nannte385. Schließlich kam es in der Ministerbesprechung vom 19. Dezember 1930 zu einem

zwischen den Positionen Wirths und Groeners, der allerdings eher den Erwartungen der Bendlerstraße entsprach386. Einerseits wurde auf eine endgültige Stellungnahme zur Legalität oder Illegalität der NSDAP verzichtet, andererseits überließ man es dem Reichswehrminister, Nationalsozialisten in Reichswehrbetrieben und im Grenzschutz zu beschäftigen, solange nicht geschlossene Parteiformationen herangezogen würden387. Mit dieser dilatorischen Behandlung des Legalitätsproblems konnte Groener einverstanden sein. Die Reichswehrführung hatte nun freie Hand, ihr Verhältnis zur nicht mehr kategorisch als staatsfeindlich bekämpften Hitler-Bewegung zu gestalten. Dieser Vorgang ist vor allem wegen der unterschiedlichen Positionen zum Verfassungsschutz und in Hinsicht auf die militärpolitischen Motive bemerkenswert. Bei ersterem war bereits der Bewertungsansatz für die Legalität oder Illegalität einer Partei uneinheitlich. Während für Groener und Schleicher allein schon das verfassungsgemäße Vorgehen der NSDAP ausschlaggebend war, behielten das Reichsinnenministerium und die preußische Staatsregierung hinter der vordergründigen Legalität des Weges stets die tiefe Illegalität des Ziels als wesentliches Kriterium für die Verfassungsfeindlichkeit im Auge. Dieser grundlegende Gegensatz stieß dabei nicht nur bei der Beurteilung der Nationalsozialisten, sondern auch anderer gegen die Verfassung eingestellter Parteien und Verbände aufeinander. So beschwerte sich Groener im Mai 1931 bei Severing über die Einstufung des Stahlhelms als verfassungsfeindlich durch die preußischen Behörden und die damit verbundenen Schwierigkeiten bei der Einstellung ehemaliger Mitglieder dieses Verbands in die Reichswehr, indem er grundsätzlich seinen problematischen Standpunkt wiederholte, daß eine die bestehende Staatsform ablehnende Organisation erst dann verfassungsfeindlich sei, wenn sie die Verfassungsänderung mit illegalen Mitteln, also durch einen gewaltsamen Umsturz, anstrebe388. Diese Auffassung war mit einem entschlosse-

Kompromiß

385 386

Schleicher

an Pünder, 11.12.1930 (ebd., S. 171f.). Ministerbesprechung vom 19.12.1930 (AdR, Brüning I/II, Bd 1, S. 751—754). Vgl. Vogelsang, Reichs-

wehr,

387

388

Winkler, Weg,

S. 274-276. Vgl. grundsätzlichen Ausführungen Brünings in der Ministerbesprechung vom 19.12.1930 (AdR, Brüning I/II, Bd 1, S. 754), gegen die das Reichskabinett keine Einwendungen erhob. Der Reichskanzler warnte davor, »dieselben falschen Methoden gegen die Nationalsozialisten anzuwenden, welche in der Vorkriegszeit gegen die Sozialdemokraten angewendet worden seien«, und stellte sich damit wie die Reichswehrführung gegen einen präventiven Verfassungsschutz, den weite Teile der republikanischen Kräfte forderten. Die von Wirth vorgelegten Denkschriften wurden dagegen nicht behandelt, wie überhaupt diese Ministerbesprechung einer Niederlage für den im Kabinett ohnehin bereits weitgehend isolierten Reichsinnenminister gleichkam. Groener an Severing, Berlin 9.5.1931 (BA-P, 61 Sta 1/264, Bl. 351): »Bei der Beurteilung der Frage endlich, ob eine Organisation als »verfassungsfeindlich« anzusehen ist, kommt es nach meinem Dafürhalten nicht auf ihre politische Einstellung zu der jetzigen Staatsform an, sondern lediglich auf die Art und Weise, wie sich diese Einstellung äußert, mit anderen Worten, welche Mittel die betr. Organisation verwendet, um ihre Ziele zu verwirklichen. Sind diese Mittel verfassungsgemäß, erstrebt also eine Organisation die Verfassungsänderung auf dem von der Verfassung vorgeschriebenen (»legalen«) Wege, so halte ich die Bezeichnung »verfassungsfeindlich« (»illegal«) nicht für richtig.« Ähnlich bereits aus demselben Anlaß Groener an Severing, Berlin 29.11.1930 (ebd., Bl. 349). S. 99, Anm. 363, S. 118;

die

290

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

Schutz der republikanischen Ordnung schwer vereinbar und trug zur schwankenden Haltung der Staatsführung gegenüber der nationalsozialistischen Herausforderung nach 1930 bei. Wenn der Reichswehrminister und seine Umgebung die Verfassungstreue einer Partei nach der Form ihres Auftretens beurteilten und daher ihre vorher ablehnende Einstellung zur NSDAP mit Hitlers geschickter Legalitätstaktik änderten389, dann war das unter den besonderen Bedingungen des Präsidialsystems von nicht nur ressortspezifischer, sondern allgemeinpolitischer Bedeutung. Natürlich hatte die Reichswehrführung mehr als allein formale Gründe für ihre Neubewertung der NSDAP seit Ende 1930. Es kam ihr nicht ungelegen, daß Hitler nach den Septemberwahlen einen legalen Kurs einschlug und gegen die revolutionären Kräfte in seiner Partei durchsetzte, denn diese Entwicklung ermöglichte die konstruktive Auseinandersetzung mit der NSDAP, die nach ihrem Aufstieg von einer Randbewegung zur Massenpartei in mancher Hinsicht interessant geworden war. Die vordergründige Wende zur Legalität machte die Nationalsozialisten nach Ansicht der Bendlerstraße politisch wie militärisch prinzipiell kooperationsfähig. Bei der Initiative Groeners vom Oktober 1930 spielte dabei vor allem der militärpolitische Aspekt eine Rolle. Die Reichswehrführung wollte mit der Anerkennung der NSDAP als verfassungsmäßige Partei durch die Reichsregierung die Legitimation erhalten, die so zahlreich gewordenen Anhänger und Mitglieder dieser Bewegung nicht länger von der militärischen Vorbereitungsarbeit auszuschließen. Groeners positives Urteil über die nationalsozialistische »Wehrfreudigkeit« und Schleichers Fingerzeig auf den Grenz- und Landesschutz weisen ganz eindeutig in diese Richtung. Ausgerechnet zu einer Zeit, als das Reichswehrministerium seine verstärkte Aufmerksamkeit auf die Forcierung der personellen Rüstungsvorbereitungen durch den Ausbau der Grenz- und Landesschutzmaßnahmen sowie die Förderung einer Jugendertüchtigung lenkte, entstand mit dem jähen Anwachsen der NSDAP eine »nationale« und »wehrfreudige« Bewegung mit Massenanhang, die besonders die Jugend begeisterte und durch ihr Bekenntnis zur Legalität eine Zusammenarbeit ermöglichte. Der Reichswehrführung schien sich eine neue Perspektive zur Durchführung ihrer wehrpolitischen Pläne zu bieten390. Deshalb waren Groener und Schleicher nun bei aller bleibenden Skepsis von der »Wehrfreudigkeit« und überhaupt der »nationalen« Ausrichtung der Nationalsozialisten beeindruckt391, während sie diese vordergründigen Eigenschafnen

389

Vgl. auch die Reichstagsrede Groeners vom 19.3.1931 (RT, Bd 445, S. 1726), in der er zunächst die Parteien und Verbände, »die ihrem Programm oder ihrem tatsächlichen Verhalten nach gewillt sind, die Verfassung mit Gewaltmaßnahmen zu ändern«, als staatsfeindlich einstufte, um dann fortzufahren: »Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die Entscheidung, ob eine Partei als staatsfeindlich im obigen Sinne anzusehen ist, durchaus nicht endgültig und feststehend ist. Einmal ändern sich,

wie ich zu meinem Leidwesen selbst habe erfahren müssen, die Ansichten der für diese Frage zuständigen Innenminister. Dann ändern sich aber auch die Parteien, die, wie die Geschichte oft genug gezeigt hat, von einer ultra-revolutionären Einstellung zur konservativen, staatserhaltenden Partei

geworden sind und umgekehrt.« Vgl. auch Sauer, Reichswehr, S. 246. 391 In der Befehlshaberbesprechung vom 25.10.1930 erklärte Schleicher, daß den »nationalen Teil des Programms« der NSDAP »wohl jeder unterschreiben« könne (Aufzeichnung Liebmanns; Vogelsang, Dokumente, S. 406). 390

5. Das unsichere Kriterium der

»Wehrfreudigkeit«

291

dem Wahlerfolg der NSDAP und dem Legalitätseid Hitlers noch als »Deckmantel« radikaler und staatsfeindlicher Ziele bezeichnet hatten392. Die unveränderten Ausmaße der zum Programm gemachten Brutalität, die sich hinter dem angeblich positiven Nationalismus und der von Groener gelobten »Wehrfreudigkeit« nur notdürftig verbarg, wurden nun in der Bendlerstraße unterschätzt. Man hoffte auf eine schrittweise Mäßigung und Domestizierung der NSDAP. Diese Fehleinschätzung war ohne Zweifel maßgeblich in den beschriebenen militärpolitischen Erwägungen begründet, die dadurch höchste politische Bedeutung erhielten. Die Ministerbesprechung vom 19. Dezember 1930 führte sehr bald zu den bezweckten Veränderungen im militärpolitischen Bereich. Bereits am 2. Januar 1931 verfügte das Reichswehrministerium, bis zu der aufgeschobenen endgültigen Entscheidung über die Legalität der NSDAP keine weiteren Nationalsozialisten aus Wehrmachtsbetrieben zu entlassen393. Folgenreicher war aber, daß die Reichswehrführung den vom Kabinett gelassenen Spielraum ausnutzen wollte, um die NSDAP als stärkste Kraft der »nationalen Opposition« an die Aufgaben der Landesverteidigung heranzuziehen. Wenn Groener am 19. März 1931 im Reichstag erklärte, es sei grundsätzlich »das Ehrenrecht eines jeden Deutschen, dem Vaterlande als Soldat zu dienen«, und dabei neben Pazifisten nur Anhänger einer gewaltsamen Verfassungsänderung ausschloß394, dann war dies ein verdecktes Kooperationsangebot an die Adresse der Nationalsozialisten, die von der Reichswehrführung nicht mehr als illegal abgelehnt wurden. Zwei Tage darauf traf Schleicher mit dem SA-Führer Röhm zusammen und vereinbarte mit ihm, daß sich Nationalsozialisten an den Ausbildungskursen im Grenzschutz beteiligen konnten, ohne deshalb von den staatlichen Behörden belangt zu werden395. Mitglieder der NSDAP und SA waren damit gewissermaßen offiziell zur Mitarbeit im Grenz- und Landesschutz zugelassen, ja sogar erwünscht. Diese Aufwertung der nationalsozialistischen Bewegung, deren Anhänger nun als für die Landesverteidigung verwendungsfähig befunden wurden, stand wiederum im engen Zusammenhang mit den Bemühungen des Reichswehrministeriums um Fortschritte bei der personellen Rüstung. Dabei sollten natürlich nicht nur die Nationalsozialisten, sondern alle politischen Kräfte mit Ausnahme der Kommunisten an den entsprechenden Maßnahmen des Grenz- und Landesschutzes beteiligt werden. Im April 1931 befand sich auch der Stahlhelm »wegen der Grenzschutzfrage in zähen Verhandlungen mit der Reichswehr. Die Reichswehr will einen Grenzschutz, wie sie das nennt, paritätisch aufstellen, ten vor





392

393 394 395

Erlaß Groeners, Berlin 19.11.1929 (BA-MA, RH 1/10). Erlaß des Reichswehrministers (i.A. Schleicher), Berlin 2.1.1931 (Schüddekopf, Heer, S. 326). Reichstagsrede Groeners vom 19.3.1931 (RT, Bd445, S. 1726). Dieses Ergebnis der Besprechung vom 21.3.1931 in der Wohnung Schleichers ist zu ersehen aus dem Schriftwechsel Röhm an Schleicher, 24.3.1931 (Staat und NSDAP, S. 189 f.); Schleicher an Röhm, [Ende] März 1931 (ebd., S. 190). Vgl. dazu Vogelsang, Reichswehr, S. 117—119; Carsten, Reichswehr, S. 368 f.; Winkler, Weg, S. 396; Longerich, Bataillone, S. 115. Interessant ist, daß Schleicher in seinem Schreiben fast wörtlich die Reichstagserklärung Groeners über das Ehrenrecht eines jeden Deutschen zur Landesverteidigung übernahm, deren Zielrichtung dadurch unterstrichen wird. Zum Verhältnis der SA zur Reichswehr und Grenzschutzvorbereitung insgesamt vgl. Bessel, Militarismus;

Bessel, Violence, S. 67—74.

292

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort der Reichswehr

d. h. sie will unter von ihr bestimmten Führern listenmäßig aus der ganzen Bevölkerung die Truppe bis herunter zur Kompanie zusammensetzen.«396 Dieses parteiübergreifende Verfahren hielten die Stahlhelmvertreter jedoch militärisch für wertlos und schlugen die Übernahme geschlossener Abteilungen der Wehrverbände in den Grenzschutz vor, was vom Reichswehrministerium abgelehnt wurde, so daß sich die Verhandlungen in den folgenden Monaten schwierig gestalteten397. Diese Sondierungen belegen aber die Anstrengungen der Bendlerstraße, neben den Nationalsozialisten auch die rechtsgerichteten Wehrverbände für eine überparteiliche Mobilmachungsarbeit außerhalb, aber unter Leitung der Reichswehr zu gewinnen. Davon erhoffte man sich zudem den politischen Effekt, daß die gemeinsame Tätigkeit im Grenzschutz und in der geplanten Jugendertüchtigung die starren innenpolitischen Fronten aufweichen könne398. Besonders die NSDAP sollte an den Staat herangeführt werden, wie ja überhaupt der von den Trägern des Präsidialregimes besonders von Schleicher verfolgte »Zähmungsplan« das Ziel hatte, die Nationalsozialisten durch ihre Einbindung in die Verantwortung, in letzter Konsequenz durch ihre Beteiligung an der Regierung, in gemäßigte Bahnen zu lenken399. In diesem Sinne war auch die militärpolitische Integrationstaktik gegenüber der NSDAP ein Bestandteil dieses Plans. Das Problem bestand aber darin, daß der Grenz- und Landesschutz tatsächlich zu keiner Zeit paritätisch besetzt war, sondern ganz überwiegend von den Rechtskreisen getragen wurde, ein Zustand, den das Kooperationsangebot der Reichswehrführung an NSDAP und Stahlhelm nur noch verfestigte. So bestätigten diese Maßnahmen die alte Befürchtung des preußischen Ministerpräsidenten, mit der Förderung des illegalen Grenzschutzes werde vor allem ein gefährliches Betätigungsfeld der extremen Verfassungsfeinde von rechts ausgebaut400. Die Reichswehrführung wollte aber nicht einsehen, wie fragwürdig es war, radikale Gegner des republikanischen Staates wie die Nationalsozialisten an der militärischen Vorbereitung zu beteiligen und paramilitärisch auszubilden. Hier zeigten das Prinzip der militärpolitischen —



Wagner an Hertzberg, 11.4.1931 (BA-P, 61 Sta 1/264, Bl. 327). Auf welcher Ebene diese Verhandlungen geführt wurden, ist unklar, Wagner erwähnt aber, daß die »entscheidende Verhandlung, wahrscheinlich zwischen General v. Schleicher und mir«, noch ausstehe (ebd.). 1931 verbesserte sich das Verhältnis der Reichswehr zum Stahlhelm, das in den drei Jahren zuvor merklich abgekühlt war, ohne Zweifel wieder (Berghahn, Stahlhelm, S. 193). 397 Wagner an Hertzberg, 11.4.1931 (BA-P, 61 Sta 1/264, Bl. 327). In einem Schreiben Wagners an andere Stahlhelmführer, 7.8.1931 (ebd., Bl. 303f.), wird erläutert, daß die »offiziellen Verhandlungen zwischen dem Bundesamt und dem Reichswehrministerium« aus diesem Grund vorerst ohne Einigung geblieben seien. Wagner empfiehlt aber, sich dennoch an den Ausbildungskursen im Grenzschutz zu beteiligen. Daß geschlossene Partei- oder Wehrverbandsformationen an diese Maßnahmen nicht 396

herangezogen werden durften,

398 399

400

war ein wesentlicher Grundsatz der Richtlinien zum Grenz- und Landesschutz vom 26.4.1929. Er wurde in der Ministerbesprechung vom 19.12.1930 ausdrücklich von Schleicher und Brüning bestätigt (AdR, Brüning I/II, Bd 1, S. 753 f.) und auch Röhm gegenüber betont (Schleicher an Röhm, [Ende] März 1931; Staat und NSDAP, S. 190). Nochmals sei auf die ausführliche Behandlung dieses Komplexes oben in Kap. IV,4 hingewiesen. Vgl. dazu etwa die Niederschrift Holtzendorffs »Die Politik des Generals von Schleicher gegenüber der NSDAP 1930-1933«, 22.6.1946 (BA-MA, N 264/5; Auszüge bei Conze, Sturz, S. 267-270). Grundlegend zu diesem »Zähmungsplan« auch Bracher, Auflösung, S. 374—381. Vgl. etwa Braun an Severing (privat), Oeynhausen 21.8.1929 (AdsD, Nachlaß Severing 154/15).

5. Das

unsichere Kriterium der

»Wehrfreudigkeit«

293

Überparteilichkeit und die Begrenzung des Verfassungsschutzes auf die Abwehr gewaltsamer

Umstürze problematische Auswirkungen. Kaum hatte die NSDAP den Schleier

einer Legalität des Weges nicht des Ziels! um sich gelegt, galt sie in der Bendlerstraße als kooperationswürdig. Folglich beobachtete das Reichswehrministerium nach der ersten Absprache zwischen Schleicher und Röhm aufmerksam die Entwicklung dieser Partei, um sein Verhältnis zu ihr nach der Zuverlässigkeit des Legalitätskurses auszurichten. Bereits im Frühjahr 1931 verstärkte sich bei Groener und seinen Mitarbeitern der Eindruck, daß es Hitler mit seinem legalen Auftreten ernst meine, besonders nachdem sich >Adolphe Légalité« Anfang April gegen den radikalen SA-Führer Stennes durchgesetzt hatte401. Kurze Zeit darauf schrieb Groener mit spöttischer Zufriedenheit an Gleich402: »Nur der schöne Adolf macht uns vorläufig gar keine Kopfschmerzen mehr, seit er von Legalität trieft und lieber im Braunen Haus Hof hält, als auf der Straße seine Brüllaffen in Freiheit vorzuführen.« Die Reichswehrführung intensivierte daher im Sommer und Frühherbst 1931 ihre Kontakte zur nationalsozialistischen Parteizentrale, wobei Groener die Aktivität wiederum Schleicher überließ403. Man wollte mit der NSDAP weiter ins Gespräch kommen, aus militar- und innenpolitischen Gründen, mit dem Fernziel, diese Bewegung in beiden Bereichen von oben lenken zu können. In der Bendlerstraße war man nun offenbar der Ansicht, daß die NSDAP ihre Probezeit als legale Organisation erfolgreich bestanden habe. Jedenfalls drängte das Reichswehrministerium im September 1931 darauf, endlich zu einer endgültigen Entscheidung des Kabinetts über die Verfassungsmäßigkeit der NSDAP zu gelangen, um die letzten Zweifel an der Verwendung von Nationalsozialisten in der Landesverteidigung auszuräumen und die Widerstände der preußischen Staatsregierung gegen sie zu beseitigen404. Der Wechsel auf das —

401

402

403

404



Zum »Stennes-Putsch« vgl. etwa Vogelsang, Reichswehr, S. 119 f. Groener an Gleich (privat), Berlin 26.4.1931 (BA-MA, N 46/36, Bl. 16). Vgl. auch den Vortrag Hammersteins vor dem Gruppenkommando II am 24.4.1931 (Aufzeichnung Liebmanns; Vogelsang, Dokumente, S. 410): »Die nationale Welle ¡st durchaus erfreulich; die Grenze liegt aber da, wo sie anfängt, revolutionär zu werden. Den Nazi ist kein Zweifel darüber gelassen, daß sie bei jedem Versuch der Illegalität mit schärfsten Mitteln bekämpft werden. Wenn nicht alles trügt, hat Hitler veranlaßt, sich streng auf den Boden der Legalität zu stellen. Er will dies wirklich, nicht nur scheinbar!« Schleicher blieb mit Röhm in Verbindung (vgl. etwa Röhm an Schleicher, München 28.8.1931; BA-MA, N 42/25, Bl. 26) und traf im Oktober 1931 sogar zweimal mit Hitler zusammen (Schüddekopf, Heer, S. 327f.). Einen Monat zuvor war es bereits zu einer Besprechung zwischen Hitler und Hammerstein gekommen (Vogelsang, Reichswehr, S. 127). Zu diesen Kontakten vgl. auch Carsten, Reichswehr, S. 370; Schildt, Militärdiktatur, S. 120f. Entwurf eines Schreibens Groeners an Brüning, September 1931 (Staat und NSDAP, S. 197 f.). Ob dieses Schreiben abgesandt wurde, ist unbekannt, es gibt aber in sehr bezeichnender Form den Standpunkt des Reichswehrministeriums wieder. Es beschreibt nochmals warnend die militärpolitischen Folgen einer Entscheidung gegen die Legalität der NSDAP: Alle Nationalsozialisten müßten aus den Wehrmachtsbetrieben entlassen werden; der Grenz- und Landesschutz wäre gefährdet, da die Grenzbevölkerung großenteils der NSDAP nahestehe und sich die Linkskreise den militärischen Vorbereitungen gegenüber ablehnend verhielten; Bewerber, die sich in der nationalsozialistischen Bewegung betätigt hätten, dürften nicht in die Reichswehr eingestellt werden. Groener werde als Reichswehrminister aber stets darauf beharren, »daß es das Ehrenrecht eines jeden Deutschen ist, seinem Vaterlande mit der Waffe zu dienen, und daß deshalb der Kreis derer, die von der Einstellung in die Reichswehr auszuschließen sind, so eng wie möglich gehalten werden muß« (ebd., S. 198).

294

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

Zweite Kabinett Brüning verhinderte jedoch zunächst diesen konsequenten Abschluß der im Oktober 1930 von der Reichswehrführung angestoßenen Entwicklung zur vollständigen Legalisierung der NSDAP. Während sich seit Ende 1930 das Verhältnis des Reichswehrministeriums zum Stahlhelm verbesserte und zur nationalsozialistischen Bewegung sogar grundlegend veränderte, verschärfte sich die kategorische Frontstellung gegen die Kommunisten, die anders als die Verfassungsgegner auf der radikalen Rechten natürlich weiterhin von jeglicher Art der militärischen Vorbereitung ausgeschlossen waren. Groener machte nun sehr wohl einen Unterschied zwischen den Nationalsozialisten und der KPD, deren forcierte Bekämpfung er im Sommer 1931 forderte405. Damit befand er sich in Übereinstimmung mit dem Reichskanzler406, wie überhaupt der Kurs der Bendlerstraße mit der innenpolitischen Zielrichtung Brünings konform ging sowohl in der lavierenden Haltung gegenüber der »nationalen Welle« und besonders der NSDAP, mit denen militar- und innenpolitisch der Ausgleich gesucht werden sollte, als auch in der Abgrenzung gegen bestimmte Strömungen von links. Dabei waren die Kommunisten keineswegs die einzigen erklärten Gegner des Reichswehrministers. Ausgerechnet in seiner Reichstagsrede vom 19. März 1931, in der den Nationalsozialisten eine Neubewertung ihrer Verfassungsmäßigkeit und die Möglichkeit zur Teilnahme an der Landesverteidigung angedeutet wurden, betonte Groener seine Auffassung, »daß Bewerber aus Kreisen, die sich nicht scheuen, den Soldaten für den Kriegsfall Kriegsdienstverweigerung und Fahnenflucht zu predigen, unter keinen Umständen in die Wehrmacht aufgenommen werden dürfen und daß gerade auch auf diese Kreise der Ausdruck »staatsfeindlich« im vollsten Maße zutrifft«407. Die Gleichsetzung von Staats- und Verfassungsfeindlichkeit mit pazifistischen Überzeugungen408, während die militante NSDAP zur selben Zeit von der Reichswehrführung nicht mehr grundsätzlich als illegal und kooperationsunwürdig abgelehnt wurde, zeigt die politische Untauglichkeit der Kriterien »wehrfreudig« und »wehrfeindlich«. Die unsichere Einstellung des Reichswehrministeriums gegenüber den Nationalsozialisten findet ihren eigent—

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Groener an Wirth, 14.8.1931 (AdR, Brüning I/II, Bd 2, S. 1562f.). Groener warf den zuständigen Behörden also vor allem dem Reichsinnenministerium und dem preußischen Innenministerium vor, »daß die bisher getroffenen Abwehrmaßnahmen der Größe der kommunistischen Gefahr nicht entsprechen« (ebd., S. 1563), und wiederholte auch in der Ministerbesprechung vom 29.9.1931, »daß die Preußische Regierung nicht mit genügender Schärfe gegen die KPD vorgehe« (ebd., S. 1757). Zu diesem Vorstoß des Reichswehrministers und seinem Hintergrund vgl. Winkler, Weg, S. 391—396. Die eindeutige Haltung Groeners gegen die Kommunisten beschränkte sich nicht auf diese Monate, sondern läßt sich konstant durch seine gesamte Amtszeit verfolgen, u. a. in den zahllosen Erlassen gegen die kommunistische Zersetzungstätigkeit und zur Bekämpfung von möglichen Umsturzversuchen der KPD. Diese Maßnahmen können hier nicht im einzelnen aufgeführt werden. In der Ministerbesprechung vom 30.10.1930 warnte Brüning davor, »die Nationalsozialisten für den Staat als ebenso gefährlich zu betrachten als die Kommunisten« (AdR, Brüning I/II, Bd 1, S. 587). Auch Schleicher sah in der KPD die »Hauptgefahr für die Innenpolitik« (Niederschrift Holtzendorffs »Die Politik des Generals von Schleicher gegenüber der NSDAP 1930-1933«, 22.6.1946; Conze, Sturz, S. 269). Reichstagsrede Groeners vom 19.3.1931 (RT, Bd 445, S. 1726) Vgl. auch ebd.: »Aus politischen Gründen dürfen nur solche Bewerber abgelehnt werden, denen nachgewiesen wird, daß sie sich in verfassungs-, also auch in wehrfeindlichem Sinne betätigt haben.« —



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407 408

5. Das unsichere Kriterium der

»Wehrfreudigkeit«

295

liehen Kontrast nicht in der klaren Haltung gegen die linksradikale Umsturzpartei der Kommunisten, sondern im zunehmenden Kampf Groeners gegen den Pazifismus. Pazifismus und »Wehrfeindlichkeit« waren freilich weite Begriffe409. Pazifistische Tendenzen bestanden im sozialistischen wie im bürgerlichen Lager, vornehmlich in der SPD und der DDP. Auch die stärkste Kraft des organisierten Pazifismus, die Deutsche Friedensgesellschaft, war parteiübergreifend und setzte sich 1927 ungefähr zur Hälfte aus Sozialdemokraten, zu einem Viertel aus Demokraten und zu fünf Prozent aus Zentrumsmitgliedern zusammen, während das letzte Viertel keiner Partei angehörte410. Insgesamt bildeten die Pazifisten in der Weimarer Republik eine ebenso rührige wie kleine Minderheit411, deren leidenschaftliche Anfeindung von rechts in keinem Verhältnis zu ihrer tatsächlichen politischen Wirksamkeit stand selbst in den Linksparteien war ihr Einfluß nie dominierend. Die Vielfältigkeit des Pazifismus machte es der Reichswehrführung schwer, ihren Gegner eindeutig ausfindig zu machen. Am einfachsten war dies noch bei den pazifistischen Organisationen wie vor allem der Deutschen Friedensgesellschaft und der ihr nahestehenden Presse, doch nicht jedes »wehrfeindliche« Verhalten ließ sich auf diese Vereine zurückführen. Das Reichswehrministerium besaß daher einen sehr weitgespannten Pazifismusbegriff und beobachtete argwöhnisch alle vermeintlich oder wirklich pazifistischen Tendenzen, besonders auch in den republikanischen Parteien und den wichtigsten von ihnen geprägten Behörden, dem Reichsinnenministerium und den preußi—

schen Regierungsstellen. Das Vorgehen Groeners gegen pazifistische Strömungen war nicht von Anbeginn seiner Amtszeit so ausgeprägt wie in den späteren Jahren, sondern paßte sich in seiner Intensität anderen bereits beschriebenen Entwicklungen an. Da der Pazifismus ganz überwiegend im republikanischen Lager beheimatet war, wollte der Reichswehrminister dieses Reizthema während seines Ausgleichsversuchs mit der gemäßigten Linken offenbar nicht aufgreifen, jedenfalls sind bis Ende 1929 keine nennenswerten Vorstöße in diese Richtung überliefert412. Statt dessen beanspruchte Groener den Pazifismusbegriff sogar für sich selbst, als er am 14. März 1928 im Reichstag bei den republikanischen Kräften für seine Militärpolitik warb und sich zu einem »gesunden und vernünftigen Pazifismus« bekannte, »allerdings nicht zu dem Pazifismus, der aus einer knechtischen Gesinnung entspringt«413. 409

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Zum Pazifismus in der Weimarer Republik insgesamt fehlt noch immer eine befriedigende Darstellung. Einen instruktiven Überblick bietet Wette, Ideologien, S. 85—88. Aufschlußreich auch die einzelnen Beiträge des Sammelbands von Holl/Wette, Pazifismus. Zur Deutschen Friedensgesellschaft vgl. Scheer, Friedensgesellschaft, zum Deutschen Friedenskartell Lütgemeier-Davin, Pazifismus. Auch das hochinteressante Verhältnis der Reichswehr zum Pazifismus ist noch nicht genauer untersucht. Knappe Bemerkungen dazu bei Wohlfeil, Heer, S. 160—163.

Wette, Ideologien, S. 86.

Friedensgesellschaft hatte auf ihrem Höhepunkt 30000 Mitglieder, die anderen pazifistischen Organisationen bedeutend weniger. Außerdem war der Pazifismus zunehmend in gemäßigte und radikale Flügel gespalten und verlor am Ende der Weimarer Republik immer mehr an Anziehungskraft (vgl. den Aufsatz von Otmar Jung). Eine Ausnahme bildete das Engagement des Reichswehrministeriums in der Diskussion um eine Reform des Strafrechts gegen Landesverrat Ende 1928/Anfang 1929 (vgl. unten). Reichstagsrede Groeners vom 14.3.1928 (RT, Bd 395, S. 13377). Die Deutsche

296

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische

Standort der Reichswehr

Dieses überraschende Bekenntnis sollte den Linksparteien mit ihrem eigenen Vokabular veranschaulichen, daß der neue Reichswehrminister einen gemäßigten und realitätsnahen militärpolitischen Kurs einschlage, sich aber natürlich von allen radikalpazifistischen Überzeugungen distanziere. Seine »nationalen« Kritiker verkannten die eigentliche Intention dieses Ausspruchs jedoch völlig und führten ihn stets als Beweis gegen den angeblichen Pazifisten Groener an414, ein Vorwurf, den er selbst später durch sein Auftreten gegen den Pazifismus deutlich widerlegte, ohne ihn verstummen lassen zu können. Als sich in der zweiten Hälfte des Jahres 1929 im Reichswehrministerium Enttäuschung über die wenig entgegenkommende Haltung der Sozialdemokratie einstellte415, vermied es Groener auch nicht mehr, in vorher nicht gekannter Schärfe gegen pazifistische Tendenzen Stellung zu beziehen416. Doch das systematische Vorgehen des Reichswehrministers gegen den Pazifismus setzte erst nach dem Regierungswechsel vom März 1930 ein. Die Gründe hierfür sind wiederum in der neuen Initiative der Bendlerstraße für die Vorbereitung eines personellen Reservepotentials zu suchen, die zur immer deutlicheren Abgrenzung von jeder »wehrfeindlichen« Kritik parallel ging. Wenn Groener sich nun nachhaltiger dem »Wecken bzw. Stärken des Wehrwillens im ganzen Volk«417 und der »Wehrhaftmachung des Volkes«418 zuwenden wollte, dann mußte er den entgegengesetzten Bestrebungen den Kampf ansagen. Besonders das Projekt einer staatlich gelenkten Jugendertüchtigung zur vormilitärischen Ausbildung setzte eine entsprechende Bereitschaft der Jugend voraus, die durch pazifistische Einflüsse nur gestört werden konnte. Dementsprechend erhöhte sich seit dem Frühjahr 1930 die Aufmerksamkeit und verschärfte sich die Sprache Groeners gegen diese antimilitärischen Widerstände. So nahm er im Mai 1930 eine Monate zurückliegende pazifistische Ausstellung in Breslau, die unter nachträglicher Billigung des preußischen Innenministers vom sozialdemokratischen Oberpräsidenten eröffnet worden war, zum Anlaß, beim Reichskanzler gegen die »Förderung bolschewistischer Zersetzungsarbeit durch hohe preußische Regierungsstellen« und überhaupt gegen die von ihm als »Kulturbolschewismus« bezeichnete »systematische Vergiftung der Jugendund Volksseele« zu protestieren419. Es wehte nach dem Regierungswechsel tatsächlich

Vgl. etwa als ein Beispiel von vielen den offenen Brief Scheringers an Groener, 18.10.1930 (Schüddekopf, Heer, S. 303): »Das Reichswehrministerium hat sich öffentlich zu einem »gesunden Pazifismus« bekannt. Eine solche Einstellung ist mit dem Bekenntnis zum Wehrwillen unvereinbar.« 415 Vgl. oben Kap. VI,1. 416 Am 11.11.1929 beschwerte sich Groener bei Reichsinnenminister Severing über die pazifistische Ausstellung »Krieg und Frieden« in Breslau und bezeichnete es als »unerträglich«, daß der sozialdemokratische Oberpräsident Lüdemann diese Ausstellung eröffnet habe und das auch noch unter Hinweis auf die angeblich pazifistische Gesinnung des Reichswehrministers (Groener an Severing, Berlin 11.11.1929; BA, R 43 1/687, Bl. 200). Das Bekenntnis Groeners zu einem »gesunden Pazifis414







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mus« wurde offenbar auch in den Linkskreisen mißverstanden. Notizen Groeners zum Herbstmanöver, am 25.9.1930 an die Presse gegeben (BA-MA, N 46/150, Bl. 46). Notizen Groeners für die Befehlshaberbesprechung am 25.10.1930 (Phelps, Groener-Dokumente V, S. 921). Groener an Brüning, Berlin 19.5.1930 (BA, R 43 1/687, Bl. 326; dieser Auszug auch bei Carsten, Reichswehr, S. 323). Der Reichswehrminister hielt Sicherungen des Reichs für notwendig, »daß in Zukunft nicht mehr von amtlichen Stellen Propaganda für die Zerstörung der Grundlagen unseres

5. Das unsichere Kriterium der

»Wehrfreudigkeit«

297

Wind aus der Bendlerstraße«420. Seitdem verlangte der Reichswehrminister wiederholt die eindeutige Distanzierung der preußischen Behörden und der SPD von jedem radikalen Pazifismus, denn wer diese Bewegung nicht isoliere, der dulde »nicht nur die Verkünder einer theoretischen Phantasie, sondern die bewußte, systematische Unterhöhlung des Staatsgedankens und des Ansehens der staatlichen Machtmittel«421. Der Argwohn des Reichswehrministeriums gegen eine Duldung oder sogar Unterstützung pazifistischer Propaganda richtete sich aber nicht nur auf Preußen und die Sozialdemokratie, sondern auch auf das Reichsinnenministerium. Im Juli 1930 legte die Bendlerstraße eine Denkschrift über die »wehrfeindliche Tätigkeit pazifistischer Kreise« vor422, die am Ende auf Informationen hinweist, daß der Pazifist Alboldt für seine Aktivitäten eine finanzielle Unterstützung des Reichsinnenministeriums erhalte423. Als sich dieser Verdacht erhärtete, forderte Groener von Brüning ein konsequentes Durchgreifen gegen diese »ungeheuerliche Tatsache« und nannte namentlich die leitenden Ministerialbeamten Häntzschel und Menzel, die zur Verantwortung gezogen werden sollten424. Zur selben Zeit bekam auch der Reichsinnenminister persönlich den Unmut Groeners zu »ein

neuer

Staates und Volkes

gemacht wird« (ebd.). Diesem Schreiben waren die Beschwerden Groeners gegen die Reichsinnenminister Severing, Berlin 11.11.1929 (BA, R 43 1/687, Bl. 200), und Wirth, 11.4.1930 (ebd., Bl. 297), vorausgegangen. Das Reichsinnenministerium zeigte aber kein Interesse an einer weiteren Verfolgung dieser Angelegenheit, und der preußische Innenminister Waentig stellte sich vor den schlesischen Oberpräsidenten. Zu diesem Fall auch Carsten, Reichswehr, S. 322 f. Das erkennt ganz richtig ebd., S. 323, ohne jedoch näher nach den Gründen zu fragen. Unmittelbar vor dem Machtwechsel hielt es Groener gegenüber Gleich für notwendig, den »Bolschewismus im eigenen Lande« zu bekämpfen, und meinte damit bestimmte geistige Strömungen (Groener an Gleich [privat], Berlin 24.3.1930; BA-MA, N 46/36, Bl. 7). Groener an Severing, Berlin 8.12.1930 (BA, R 43 1/688, Bl. 216). Anlaß des Schreibens war ein Strafantrag der Bendlerstraße gegen den Pazifisten und sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Seger wegen Diffamierung der Reichswehr. Groener wandte sich an Severing als Sozialdemokraten und neuen preußischen Innenminister, »weil ich aus unserer gemeinsamen Arbeit weiß, daß Sie den Gedankengängen eines negierenden Pazifismus fernstehen und für die Notwendigkeit einer ausreichenden Landesverteidigung und einer breiten Vertrauensbasis für die Wehrmacht stets großes Verständnis bekundet haben« (ebd., Bl. 215). Zwei Monate zuvor hatte sich Groener erneut beim Reichskanzler gegen die Begünstigung einer pazifistischen Veranstaltung durch eine preußische Regierungsstelle beschwert diesmal der Jahrestagung der Deutschen Friedensgesellschaft in Frankfurt/Main durch den dortigen Regierungspräsidenten (Groener an Brüning, Berlin 14.10.1930; BA, Lüdemann

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an



R43 422

1/513, B1.65).

Denkschrift des Reichswehrministeriums »Aufzeichnungen über die wehrfeindliche Tätigkeit pazifistischer Kreise«, 1.7.1930 (BA-P, 15.01/13129-4, Bl. 145-167). Begleitschreiben Schleichers an Zweigert, Berlin Juli 1930 (ebd., Bl. 144). Die Denkschrift beschreibt das Wirken der Pazifisten und ihrer »Mitläufer« gegen die Aufgaben der Reichswehr Ausschöpfung des Versailler Vertrags, Aufbau des nötigsten Grenzschutzes darüber hinaus, Stärkung der Staatsautorität nach innen. Ebd., Bl. 161. Groener an Brüning, Berlin 22.9.1930 (BA, R 43 1/688, Bl. 147). Angeblich hatte Alboldt 3000 RM aus Mitteln des Reichsinnenministeriums erhalten. In einem weiteren Schreiben drohte Groener mit dem Abbruch des direkten Verkehrs zum Reichsinnenministerium, falls keine durchgreifenden Maßnahmen erfolgten (Groener an Brüning, Berlin 28.10.1930; ebd., Bl. 197). Vgl. auch die Ausführungen Schleichers zu dieser Angelegenheit in der Befehlshaberbesprechung vom 25.10.1930 (Aufzeichnung Liebmanns; Vogelsang, Dokumente, S. 405). Dennoch wurde weiter nichts veranlaßt. —

423 424

298

VI.

Verstrickungen.

Groener und der

innenpolitische Standort

der Reichswehr

spüren. Der Reichswehrminister empörte sich in einem Brief an Wirth über die »abgrund-

tiefe Wehrfeindlichkeit« und den »Kulturbolschewismus in Reinkultur« der von ihm herausgegebenen Zeitschrift »Deutsche Republik«, die »die tiefe Mißstimmung der Wehrmacht gegen die linksstehende Presse« mitverschuldet habe425. Als sich Wirth gegen diese Vorwürfe entschieden verwahrte426, nannte Groener grundsätzlich das Angriffsobjekt seiner Intervention. Man begegne in der »Deutschen Republik« dem Geist der Gruppe von Mitläufern, »die ohne sich mit den politischen Zielen des Radikal-Pazifismus zu identifizieren doch letzten Endes diese Bewegung fördert, weil sie aus einem starken Intellektualismus heraus in grundsätzlicher Abneigung gegen alles Militärische und besonders die militärische Unterordnung verharrt«427. Dieser »Kulturbolschewismus«, diese »Zersetzung auf geistig-weltanschaulichem Gebiet« sei »nicht eine Sache, die sich ohne Weiteres fest umschreiben lässt, sondern gefühlsmässig aus der dauernden Wiederholung einzelner kleiner Angriffe auf der Bühne, im Film, in Büchern und der Presse empfunden wird«428. Kaum anderswo hat Groener seinen weiten Pazifismusbegriff so offen dargelegt, seine Verbindung von Begriffen wie »Pazifismus«, »Wehrfeindlichkeit« und »Kulturbolschewismus« zu einem Feindbild, das sich längst nicht nur auf die radikalen Vertreter der organisierten Friedensbewegung, sondern auf alle pazifistischen Tendenzen im kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Leben erstreckte. Wie das Reichswehrministerium diese »zersetzenden« Geistesströmungen eindämmen wollte, läßt sich an der Initiative Groeners gegen ausländische Kriegsfilme erkennen. Am 25. Juli 1930 regte er beim Reichskanzler an, das antideutsche »Hetzfilmunwesen« durch ein weitgehendes Boykottgesetz zu unterbinden, das gleich die gesamte Produktion des jeweiligen ausländischen Herstellers vom deutschen Markt ausschließen sollte429. Das Reichsinnenministerium widersetzte sich als zuständiges Ressort energisch der Statuierung einer solchen Kampfmaßnahme430, so daß schließlich nur noch eine begrenzte Verschärfung des Lichtspielgesetzes diskutiert wurde431. Doch der Vorstoß Groeners zeigt, daß er im Kampf mit dem »Kulturbolschewismus« tiefgreifende Gesetzesänderungen notfalls mit Hilfe des Artikels 48 plante, denn der angeregte Boykott von ausländischen »Hetzfilmen« war vor allem gegen den amerikanischen Antikriegsfilm »Im Westen nichts Neues« nach dem Roman Remarques gerichtet, dessen deutsche Uraufführung am 5. Dezember —



Groener an Wirth, 14.10.1930 (BA, R 43 1/688, Bl. 171). Wirth an Groener, Berlin 16.10.1930 (ebd., Bl. 205-207). Vgl. etwa ebd., Bl. 205: »Die Methode der »Deutschen Republik« ist die kritische, nicht um der Kritik selbst willen, sondern um der Idee und des Geistes der Weimarer Verfassung, d.h. des neuen republikanischen Staates willen.« 427 Groener an Wirth, Berlin 26.11.1930 (ebd., Bl. 203). 428 Ebd., Bl. 204. Wirth beendete diesen Briefwechsel mit dem Hinweis, daß er die Herausgeberschaft der »Deutschen Republik« bereits seit etwa einem Monat niedergelegt habe (Wirth an Groener, Berlin 2.12.1930; BA-MA, N 46/151, Bl. 19). 429 Groener an Brüning, 25.7.1930 (AdR, Brüning I/II, Bd 1, S. 343-345). Der Reichswehrminister hielt hierfür auch den Weg der Notverordnung für möglich. 430 Vgl. den anschließenden Schriftwechsel Wirth an Brüning, Berlin 3.8.1930 (BA, R 43 1/2500, Bl. 87f.; Auszug in AdR, Brüning I/II, Bd 1, S. 345 f., Anm. 5); Groener an Brüning, Berlin 21.8.1930 (BA, R 43 1/2500, Bl. 101 f.); der Reichsinnenminister (i.V. Menzel) an Pünder, Berlin 4.9.1930 (ebd., Bl. 109 f.). «i Vgl. die Kabinettssitzung vom 9.12.1930 (AdR, Brüning I/II, Bd 1, S. 691-693). 425

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