Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen: Ein kooperativer Kommentar 9783050080352, 9783050036878

Wenige Autoren wurden in den letzten Jahren so intensiv und extensiv diskutiert wie Carl Schmitt. Man rekonstruierte das

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German Pages 252 Year 2003

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Table of contents :
Vorbemerkung
1. „Vorwort“ von 1963 (9–19)
2. „Staatlich und Politisch“ (20–26). Der Begriff des Staates im Begriff des Politischen
3. „Die Unterscheidung von Freund und Feind als Kriterium des Politischen“ (26–28)
4. „Krieg als Erscheinungsform der Feindschaft“ (28–37)
5. „Der Staat als Form der politischen Einheit, durch den Pluralismus in Frage gestellt“ (37–45)
6. „Die Entscheidung über Krieg und Feind“ (45–54). Tötungs- und Todesbereitschaft
7. „Die Welt ist keine politische Einheit sondern ein politisches Pluriversum“ (54–58). Menschenrecht im politischen Pluriversum?
8. „Anthropologischer Ansatz politischer Theorien“ (59–68). Die Freund-Feind-Distinktion von Carl Schmitt und das animal rationale
9. „Entpolitisierung durch die Polarität von Ethik und Oekonomie“ (68–78). Entpolitisierter Liberalismus oder politische Einheit?
10. „Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen“ (79–95). Carl Schmitts Theorie der Neuzeit
11. Freund und Feind im Zeitalter des Kalten Krieges – Zu den „Corollarien“ der Ausgabe von 1963 (97–115)
12. Esoterische „Hinweise“? (116–124). Marginalien zum Feindbegriff und „anthropologischen Glaubensbekenntnis“
13. Politik als Ausnahme. Der Begriff des Politischen als dekontextualisierte Antitheorie
14. Schmitts Begriffsbestimmung im politischen Kontext
Siglen- und Literaturverzeichnis
Autorenverzeichnis
Personenverzeichnis
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Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen: Ein kooperativer Kommentar
 9783050080352, 9783050036878

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Reinhard Mehring (Hg.)

Carl Schmitt Der Begriff des Politischen

Carl Schmitt Der Begriff des Politischen Ein kooperativer Kommentar

Herausgegeben von Reinhard Mehring

Akademie Verlag

ISBN 3-05-003687-7 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2003 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Satz: Veit Friemen, Berlin Einbandgestaltung: Jörg Metze, Atelier f:50 Berlin Druck: die Partner, Berlin Abbildung auf dem Einband: Carl Schmitt (um 1932) Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt

Vorbemerkung 1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

„Vorwort" von 1963 (9-19) Marcus Llanque und Herfried Münkler

7

9

„Staatlich und Politisch" (20-26) Der Begriff des Staates im Begriff des Politischen Christoph Schönberger

21

„Die Unterscheidung von Freund und Feind als Kriterium des Politischen" (26-28) Bernd Ladwig

45

„Krieg als Erscheinungsform der Feindschaft" (28-37) Wilfried Nippel

61

„Der Staat als Form der politischen Einheit, durch den Pluralismus in Frage gestellt" (37-45) Detlef Lehnert

71

„Die Entscheidung über Krieg und Feind" (45-54) Tötungs- und Todesbereitschaft Gerd Roellecke

93

„Die Welt ist keine politische Einheit sondern ein politisches Pluriversum" (54-58) Menschenrecht im politischen Pluriversum? Hasso Hofmann

111

6 8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

INHALT

„Anthropologischer Ansatz politischer Theorien" (59-68) Die Freund-Feind-Distinktion von Carl Schmitt und das animal rationale UdoTietz

123

„Entpolitisierung durch die Polarität von Ethik und Oekonomie" (68-78) Entpolitisierter Liberalismus oder politische Einheit? Christoph Gusy

139

„Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen" (79-95) Carl Schmitts Theorie der Neuzeit Henning Ottmann

156

Freund und Feind im Zeitalter des Kalten Krieges - Zu den „Corollarien" der Ausgabe von 1963 (97-115) Hans-Christof Kraus

170

Esoterische „Hinweise"? (116-124) Marginalien zum Feindbegriff und „anthropologischen Glaubensbekenntnis" Reinhard Mehring

188

Politik als Ausnahme Der Begriff des Politischen als dekontextualisierte Antitheorie Volker Gerhardt

205

Schmitts Begriffsbestimmung im politischen Kontext Wolfram Pyta

219

Siglen- und Literaturverzeichnis

236

Autorenverzeichnis

242

Personenverzeichnis

246

Vorbemerkung

Ernst Jünger schrieb Schmitt am 14. Oktober 1930 nach Lektüre der ersten Fassung des Begriffs des Politischen: „Ihrer Schrift ,Der Begriff des Politischen' widme ich folgendes Epigramm: , Videtur: suprema laus', denn der Grad ihrer unmittelbaren Evidenz ist so stark, daß jede Stellungnahme überflüssig wird, und die Mitteilung, daß man Kenntnis genommen hat, dem Verfasser genügt." Wirklich? Erübrigt sich jede Diskussion? Schon was Jünger weiter schreibt, weckt Zweifel. Denn gegen Ende dieses Briefes heißt es: „Der Rang eines Geistes wird heute durch sein Verhältnis zur Rüstung bestimmt. Ihnen ist eine besondere kriegstechnische Erfindung gelungen: eine Mine, die lautlos explodiert. Man sieht wie durch Zauberei die Trümmer zusammensinken; und die Zerstörung ist bereits geschehen, ehe sie ruchbar wird." (EJCS 7) Falls Jünger die Intentionen der Schrift traf: Was ist das fur eine Theorie, die zerstören will? Deren „Evidenz" eigentümlich daran hängt, daß der Leser aus der Wirkung und Wirkungsgeschichte urteilt? Diese „Evidenz" ist auch heute noch ziemlich ungeklärt. Man diskutierte Schmitts Werk zwar in den letzten Jahren extensiv und intensiv, rekonstruierte es in seinen Brüchen und Kontinuitäten und ordnete es in den historischen Kontext ein. Schmitt wurde als Akteur entdeckt. Die theoretische Auseinandersetzung aber trat zurück. Sie kann heute auf dem erweiterten Stand der Diskussion neu gefuhrt werden. Unser kooperativer Kommentar will zu dieser Auseinandersetzung zurückfuhren, indem er die Schlüsselschrift Der Begriff des Politischen in ihrer internen Kohärenz und Systematik prüft. Es ist in erster Linie ein systematischer, kein historisch-kritischer Kommentar. Sein letztes Ziel ist die Prüfung der Argumentation, nicht die Bereitstellung eines Kontextwissens. Historisch-politisches und wissenschaftsgeschichtliches Kontextwissen freilich sind für die systematische Diskussion nötig und

8

VORBEMERKUNG

hilfreich. Einige Beiträge beleuchten es eingehend. Letztlich aber geht es um den Gehalt der Theorie. Schmitts Begriffsschrift ist in ihren verschiedenen Fassungen ein grundlegendes Zentrum und eine Summe des Werkes. Sie eignet sich deshalb gleichermaßen zur ersten Auseinandersetzung wie zur kritischen Diskussion des Gesamtwerks. Der knappe Text bedarf seiner Vielschichtigkeit wegen eines Kommentars, der den Gedankengang nüchtern prüft. Textgrundlage ist die Fassung von 1963, die den Text von 1932 enthält und um ein Vorwort von 1963, drei Korollarien und Hinweise ergänzt. Sie ist mit allen neueren Nachdrucken seitenidentisch, so daß keine Konkordanzprobleme entstehen.1 Diese Ausgabe von 1963 soll hier geprüft werden. Andere Ausgaben und Schriften wurden nur gelegentlich berücksichtigt. Die Einteilung des Bandes folgt Schmitts - 1932 noch fehlendem - Inhaltsverzeichnis. Dessen Überschriften wurden hier für die Kommentare übernommen. Daneben wählten einige Autoren noch eigene Überschriften. Den Schluß machen ein philosophisches Fazit und ein historischer Beitrag zu Schmitt als Akteur, der auf den politisch-praktischen Wirkungswillen der Schrift hinweist. Die hier versammelten Autoren des Kommentars vertreten verschiedene Generationen, Fächer, Richtungen und Auffassungen über Carl Schmitt. Es eint sie der Versuch, Schmitts Denken mikroanalytisch an einem begrenzten Textabschnitt zu prüfen. Die Ergebnisse sind recht bunt. Schon formal wurde nicht der Versuch gemacht, sie über einen Kamm zu scheren. So stehen die Beiträge einzeln fur sich. Dennoch ergibt sich, will mir scheinen, ein gewisser Tenor und Gesamtertrag, der den Band monographisch lesbar macht: bei allem Interesse an Schmitt ein eher skeptischer Befund bezüglich der Kohärenz und - mit Jünger zu reden „Evidenz" der Begriffsschrift. Mein Dank gilt den Autoren sowie Dr. Veit Friemert für die technisch-redaktionelle Bearbeitung.

Reinhard Mehring, im Februar 2003

1

Solche Konkordanzprobleme ergeben sich heute ζ. B. bei den verschiedenen Auflagen der Schriften PR, PT, RK, DARD, VGO, LM, nicht aber bei den Aufsatzsammlungen PB, VRA, SGN sowie u. a. bei VL, HdV, LL, L, NE, TP, Gl.

1 Marcus Llanque und Herfried Münkler „Vorwort" von 1963 (9-19)

I. Publikations- und Zitationspolitik Nach 1945 stand Schmitt vor dem Problem, seine Autorschaft neu definieren zu müssen. Er hatte sich durch sein nationalsozialistisches Engagement politisch diskreditiert. An ein „Comeback" in der wissenschaftlichen Welt war vorerst kaum zu denken. Schmitts Lage war prekär. Erst mit der Gründung der Bundesrepublik verbesserte sie sich wieder. 1950 erschienen gleich mehrere Monographien im Kölner Greven-Verlag. Schmitt kehrte dann bald zu seinem alten Hausverlag Duncker & Humblot zurück, den er 1933 nicht zuletzt aus politischen Gründen verlassen hatte. 1954 erschien bei Duncker & Humblot eine Neuauflage der Verfassungslehre mit kurzer Vorbemerkung zur Aktualität der „Systematik". 1958 folgte die gewichtige, kommentierte Aufsatzsammlung Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954. Zu Beginn der 60er Jahre legte der Verlag Duncker & Humblot dann eine Reihe von Weimarer Schriften neu auf. So kam 1961 die Broschüre Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus unverändert wieder auf den Markt; 1964 folgte ein Nachdruck der Diktatur, dem Schmitt ein kurzes Vorwort vom Dezember 1963 voranstellte. Nur dem Neudruck des Begriff des Politischen aber fugte er ein längeres Vorwort mit dem Vermerk „März 1963" bei, das auf die Intentionen des Wiederabdrucks einging und auch inhaltlich zum aktuellen Status dieser Schrift Stellung bezog. Der Sinn und Zweck des Neudrucks liege darin, meinte Schmitt, einen Text, „der von der Unmasse der ihm gewidmeten Widerlegungen übertönt worden war" (BP 116), wieder zu Wort kommen zu lassen. Ohne Zweifel hatte er aber mehr im Sinn als nur die erneute Bereitstellung des Textes. Das wird bereits daraus ersichtlich, daß er den Neudruck in den Zusammenhang mit der „gleichzeitig erscheinenden" Abhandlung Theorie des Partisanen stellte (BP 18), die den Untertitel Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen trägt. Auf welche

10

MARCUS LLANQUE UND HERFRIED MÜNKLER

geistesgeschichtliche Situation wollte er zu Beginn der sechziger Jahre reagieren? Welchen Stellenwert besaß seine Schrift nun für ihn, mehr als dreißig Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung? Bietet das Vorwort eine Apologie oder Neuinterpretation des Textes? Zunächst einmal ist es ein Stück Publikations- und Zitationspolitik. Nach Kriegsende fand Schmitt zunächst keinen Zugang zur bundesdeutschen Öffentlichkeit. Die Lage änderte sich im Laufe der 50er Jahre jedoch zusehends. 1963 konnte er bereits auf mehrere Festschriften zurückblicken, die seine erneut wachsende Reputation belegen. Epirrhosis, die erste Festschrift aus dem Jahr 1953, blieb zwar unvollendet und ungedruckt, sollte aber 43 Beiträge enthalten von Autoren wie Jürgen von Kempski, Armin Möhler, Hanno Kesting, Johannes Winckelmann, Hans Barion, Ernst Forsthoff, Hans Freyer, Ernst Rudolf Huber, Otto Koellreutter, Heinrich Popitz, Helmut Schelsky, Werner Weber und Hans Zehrer.1 Die Festschrift zum 70. Geburtstag erschien dann 1959 verspätet bei Duncker & Humblot, nachdem der Verlag Kohlhammer seine ursprüngliche Zusage zurückgezogen hatte; die Festgabe für Carl Schmitt aus dem Jahr 1968 umfaßte sogar zwei Bände.2 Schmitt konnte 1963 auch auf eine Reihe monographischer „Widerlegungen" seiner Theorie zurückblicken. In den fünfziger Jahren waren mehrere Arbeiten erschienen, die sich allesamt kritisch bis vernichtend mit seinem Werk auseinandersetzten, unter ihnen Peter Schneider, Jürgen Fijalkowski, Christian Graf Krokkow und Peter-Paul Pattloch.3 1964 erschien dann die auf lange Jahre führende Schmitt-Interpretation Hasso Hofmanns.4 1961 publizierte Dolf Sternberger seinen „Begriff des Politischen" als Alternative zu Schmitt.5 Sternbergers Argumen-

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3

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5

Die vollständige Liste mit Hinweisen zu den Autoren und zur späteren Publikation der dargebrachten Beiträge findet sich bei Piet Tommissen, in: Schmittiana. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts, Bd. 4, Berlin 1994, S. 150-156. Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, dargebracht von Freunden und Schülern, hg. von Hans Barion, Ernst Forsthoff und Werner Weber, Berlin 1959 und: Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt, hg. von Hans Barion, Ernst-Wolfgang Böckenforde, Ernst Forsthoff und Werner Weber, Berlin 1968 in 2 Bänden. Peter Schneider, Ausnahmezustand und Norm. Eine Studie zur Rechtslehre von Carl Schmitt, München 1957. Jürgen Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat, Köln 1958. Christian Graf Krockow, Die Entscheidung - eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt und Martin Heidegger, Stuttgart 1958. Peter-Paul Pattloch, Recht als Einheit von Ordnung und Ortung - ein Beitrag zum Rechtsbegriff in Carl Schmitts „Nomos der Erde", Aschaffenburg 1961. Hasso Hofmann, Legitimität gegen Legalität - der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, Neuwied/Berlin 1964. Dolf Sternberger, Begriff des Politischen, Frankfurt/M. 1961 (Antrittsvorlesung ).

.VORWORT" VON 1 9 6 3

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tation konnte als repräsentativ für das politische Denken des damaligen Nachkriegsdeutschland gelten.6 Schmitts Schrift war also keineswegs in Vergessenheit geraten, sondern hatte eine beachtliche kritische Auseinandersetzung stimuliert. In diesem Zusammenhang verweist Schmitt auf Otto Brunners Werk Land und Herrschaft. Entgegen seiner Behauptung, seine Theorie habe auch in der Geschichtswissenschaft Spuren hinterlassen, findet sich bei Brunner eine glatte Absage an Schmitts Begriff des Politischen. Brunner weist dessen Konzeption zurück, weil sie sich nur auf die Feind-Seite der Freund-Feind-Unterscheidung konzentrierte, wohingegen er den mittelalterlichen Rechtsbegriff wesentlich von der Freund-Seite geprägt sieht.7 Was Schmitt hier beschäftigt, ist Brunners Einordnung der Begriffsarbeit in die Tradition von Max Weber. Schmitt wehrt sich gegen dieses angebliche Epigonentum. Damit greift er auch Bemühungen der damaligen Weber-Forschung auf, Webers politische Intentionen mit Schmitts Ausformulierungen zu dechiffrieren. Schmitt hatte früher Webers Dozentenseminar in München besucht und die ersten Kapitel seiner Politischen Theologie zuerst in der Gedächtnisschrift für Weber publiziert. 1960 rezensierte er die Dissertation von Wolfgang J. Mommsen noch,8 ohne sich sonderlich getroffen zu zeigen. Erst als Karl Löwenstein eine scharfe Erwiderung auf Mommsen schrieb und Mommsen den Zusammenhang mit Schmitt in einer Replik deutlicher knüpfte,9 kam es zu einer Diskussion, die auf dem Heidelberger Soziologentag von 1964 ihren ersten Höhepunkt erlebte. Dort bezeichnete Jürgen Habermas Schmitt als „natürlichen 6

Hans-Joachim Arndt, Der Begriff des Politischen in der Politikwissenschaft nach 1945, in: Helmut Quaritsch, Hg., Complexio oppositorum: Über Carl Schmitt, Berlin 1988, S. 509-515.

7

Otto Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Südostdeutschlands im Mittelalter, Brünn 1939. Schmitt erwähnt nur die erste Aufl., weil Brunner zwar in der 2. Aufl. von 1942, S. 3 Anm. 1, ebenso in der dritten Auflage von 1943 auf Schmitt noch eingeht, ab der 4. Aufl. von 1959 aber nicht mehr im gleichen Maße. Daraufhat bereits Hofmann aufmerksam gemacht; Hasso Hofmann, Feindschaft - Grundbegriff des Politischen?, in: ders., Recht - Politik - Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie, Frankfurt/Main 1986, S. 212-241, hier: S. 217; zu Brunners Verhältnis zu Schmitt vgl. Helmut Quaritsch, Otto Brunner. Werk und Wirkungen, in: Staat und Recht. FS für Günther Winkler, Wien 1997, S. 825-853.

8

Carl Schmitt, Rezension von Wolfgang J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, Tübingen 1959, in: Historisch-Politisches Buch, Bd. 8 (1960), Nr. 6.

9

Karl Löwenstein, Max Weber als , Ahnherr' des plebiszitären Führerstaates, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 13 (1961), S. 258-289, hier: S. 287f. und hiergegen Mommsen Replik: Zum Begriff der ,plebiszitären Führerdemokratie' bei Max Weber, in: Kölner Zeitschrift fur Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 15 (1963), S. 295-322.

12

MARCUS LLANQUE UND HERFRIED MÜNKLER

Sohn" Webers.10 Schmitt aber wollte sich nicht in eine Tradition mit Weber gestellt wissen, lehnte er doch dessen Staatsbegriff ausdrücklich ab (BP 21). Bei seinen vielfaltigen Erwähnungen nennt er zwei Autoren nicht, die seine politische Theorie positiv aufnahmen: Hanno Kesting und Reinhart Koselleck.11 Dafür hebt er zwei jüngere, nicht-deutsche Autoren hervor: George Schwab und Julien Freund. Sie hätten ihn darauf aufmerksam gemacht (BP 18), daß sein Begriff des Feindes nicht genügend differenziert sei. Dieses Lob läßt sich in der Sache kaum rechtfertigen; es hat seinen Grund eher darin, daß sowohl Schwab als auch Freund bei ihrem Bemühen, Schmitts politische Theorie aufzugreifen, einigen Widerstand überwinden mußten. Ihre Promotionen wurden gegen erhebliche Kritik durchgefochten, was Schmitt imponierte. Schwab wollte sich an der Columbia Universität in New York mit einer Arbeit zu Schmitt promovieren. Otto Kirchheimer widersetzte sich jedoch dem Verfahren, indem er Anfang 1962 gegen Schwab votierte. Dieser mußte daraufhin eine andere Arbeit einreichen, was durch Kirchheimers Tod im Jahre 1965 erleichtert wurde. Schwabs Arbeit zu Schmitt wurde dann erst 1970 publiziert.12 Schmitt erfuhr davon im Sommer 1961.13 Ähnliche Widerstände mußte Julien Freund erleben, der einen Doktorvater für seine später unter dem Titel L 'Essence du Politique erschienene Arbeit suchte. Dort fand sich der Satz: „Politik gibt es nur, wo es einen Feind gibt".14 Daraufhin verweigerte Jean Hyppolite die Betreuung, und Freund wandte sich an Raymond Aron.15 Schwab wie Freund hat10 11

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15

Otto Stammer (Hg.), Max Weber und die Soziologie heute, Tübingen 1965, S. 80f. Hanno Kesting, Geschichtsphilosophie und Weltbürgerkrieg. Deutungen der Geschichte von der Französischen Revolution bis zum Ost-West-Konflikt, Heidelberg 1959, sowie Reinhart Koselleck, Kritik und Krise - eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Freiburg, München 1959. George Schwab, The Challenge of Exception - an Introduction to the Political Ideas of Carl Schmitt between 1921-1936, Berlin 1970. Schwab hat die Umstände seines Promotionsverfahrens selber geschildert: George Schwab, Carl Schmitt Through a Glass Darkly, in: Schmittiana Bd. 1, Berlin 1988, S. 70-87, hier: S. 79ff. Carl Schmitt, Brief an Jürgen Seifert vom 30.9.1968, vom Empfänger mitgeteilt in: Jürgen Seifert, Unterwegs zur Ebene über dem Gegensatz. Anmerkungen zu Dirk van Laak: Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, 1993, S. 288-293, in: Schmittiana, Bd. 5, Berlin 1996, S. 109-150, hier: S. 120. Julien Freund, L'Essence du Politique, Paris 1965, S. 444. Der hier beschriebene Vorgang des Verfahrens nach Tommissens Übersetzung einer Passage aus Julien Freund, L'Aventure du Politique. Entretiens avec Charles Blanchet, Paris 1991, S. 4 2 47, in: Schmittiana Bd. 4, Berlin 1994, S. 87-91. In der Sitzung zur Verteidigung seiner Doktorarbeit am 26. Juni 1965 an der Sorbonne kam es zu einem Wortwechsel zwischen Hyppolite und Freund über diese Passage: vgl. Schmittiana Bd. 4, Berlin 1994, S. 89f.

„VORWORT" VON 1963

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ten ihre Arbeiten also gegen Widerstände durchgefochten und wurden hierfür von Schmitt besonderer Hervorhebungen gewürdigt.

II. Der gewandelte Rahmen des Spätwerks Aber ist der Neudruck nur das Ergebnis einer publikationspolitischen Strategie, eine bestimmte Interpretationspraxis zu unterstützen? Schmitt selber gibt sich in seinem Vorwort von 1963 den Anschein, er verfolge rein wissenschaftliche und nicht politisch-polemische Ambitionen. Das deutet er auch mit dem Hinweis auf den gewünschten Adressatenkreis an (BP 13). Mehrfach betont er seinen Status als „Juristen" und richtet sich an Juristen oder Kenner der Geschichte des Jus Publicum Europaeum. Überhaupt solle die Schrift nur „didaktischen" Zwecken (BP 17) und der Klarheit der Begriffe dienen. Diese expliziten Motive lassen kaum politische Hintergründe erkennen. Ob man Schmitt hier folgen muß, steht auf einem anderen Blatt. Schmitt sah sich nie ausschließlich wissenschaftlicher Prägnanz verpflichtet, sondern wollte durch die Erhellung der Begriffe auch politische Aufklärung betreiben. So auch hier. Schmitt möchte mit seiner Begriffsarbeit über den tatsächlichen Feind aufklären, der seinen Begriffen Profil verleiht. Gerade für Juristen bleibe die Schrift relevant, weil Juristen auf die „Herausforderung" reagieren müssen, daß es „Feindschaft zwischen Menschen gibt" (BP 15). Schmitt beklagt die Sorglosigkeit gegenwärtiger Juristen im Umgang mit ihren zentralen Begriffen, wenn sie am Begriff des Staates festhalten, obwohl die Epoche der Staatlichkeit zu Ende sei (BP 10). Allerdings gesteht er seinen Kritikern zu, den Begriff des Feindes 1932 nicht genügend differenziert zu haben, weshalb der Eindruck entstehen konnte, er folge einem Primat des Feindbegriffs (BP 14). Schmitt räumt ein, daß er mittlerweile selber den konventionellen vom wirklichen wie vom absoluten Feind unterscheidet (BP 17) - eine Unterscheidung, die in der Theorie des Partisanen dann von einiger Bedeutung ist. Schmitt zeigt sich nun um eine Interpretation seines Begriffs des Politischen bemüht, die sich von ihrer Weimarer Herkunft löst und den inzwischen veränderten Gegebenheiten Rechnung trägt.16 Diese Gegebenheiten analysiert er nicht mehr mit einem Intensitäts-Modell des Politischen, sondern mit völkerrechtlichen Begriffen, die eine geschichtsphilosophische Dimension erhalten.

16

Laak sieht das Vorwort von 1963 im Zusammenhang mit der Anfang der 60er Jahre erneut einsetzenden Produktivität Schmitts und dem Versuch einer Wende zur Wissenschaftlichkeit, vgl. Dirk van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens - Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993, S. 80f.

14

MARCUS LLANQUE UND HERFRIED MÜNKLER

Einen ersten Hinweis auf mögliche Wandlungen im Status der Schrift gibt bereits die Auswahl der Textvariante. Die „Fassung von 1932" stellt die erheblich ausgearbeitete Fassung des gleichnamigen Ursprungsaufsatzes aus dem Jahr 1927 (BP I) dar. Die Behauptung, die Neuauflage von Der Begriff des Politischen enthalte den unveränderten Text von 1932, ist zwar von Hasso Hofmann angezweifelt worden. 17 Auffalliger ist aber der Rückgriff auf den Text von 1932 und nicht etwa die Variante von 1933 (BP IV), die von der ursprünglichen Fassung teilweise erheblich abweicht. Schmitt intendierte 1927 wie 1932 eine Klärung des begrifflichen Verhältnisses von Staat und Politik. Im Vordergrund stand die systematische Klärung des Staatsbegriffes. Der Begriff des Staates setzt den des Politischen voraus, beginnt die Abhandlung. Diese Begriffsbestimmung kann im Kontext der Verfassungslehre von 1928 gelesen werden, wo allenthalben von der „politischen Einheit des Volkes" als Umschreibung des klassischen Staatsbegriffs die Rede ist.18 Das Interesse an einer definitorischen Klärung hing mit der damaligen Wahrnehmung der „Herausforderung" zusammen, daß der Staat in der Weimarer Republik durch Liberalisierung und Pluralisierung zu erodieren drohte. Aber schon Leo Strauss hielt Schmitt vor, gegen den Liberalismus zu polemisieren, doch selbst einen Liberalismus mit anderem Vorzeichen zu proklamieren; 19 Schmitts Staatsbegriff bekomme durch die formale Perspektive des Begriffs des Politischen eine inhaltliche Offenheit, die dem Liberalismus nahe stehe. Das Intensitätskriterium des Politischen akzeptiere jeden möglichen Inhalt als politisch. Heinrich Meier wies akribisch nach, 20 daß die Textvariante von 1933 auch eine Reaktion auf diese Rezension von Strauss aus dem Jahr 1932 war.

17

Hofmann bemerkt die neu hinzugekommene Hervorhebung eines Textteils. Am Ende des 3. Abschnitts ist in der Fassung von 1963 die Hervorhebung der Worte „[...] über das Politische hinausgehend [...]" hinzugekommen (BP 37). Darin erkennt Hofmann eine leise Uminterpretation der Aussage von Schmitts Theorie. Vgl. Hasso Hofmann, Feindschaft - Grundbegriff des Politischen?, in: ders., Recht - Politik - Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie, Frankfurt/Main 1986, S. 212-241, hier: S. 238f.

18

Der Zusammenhang von „Begriff des Politischen" und der „Verfassungslehre" ist von Martin Pilch, System des transcendentalen Etatismus. Staat und Verfassung bei Carl Schmitt, Wien/Leipzig 1994 eingehender untersucht worden.

19

Leo Strauss, Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 67 (1932), S. 732-749.

20

Heinrich Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss und der .Begriff des Politischen' - zu einem Dialog unter Abwesenden, Stuttgart 1988, erweiterter Neudruck Stuttgart/Weimar 1998.

.VORWORT" VON 1 9 6 3

15

Schmitt erwähnt die Fassung von 1933 im Vorwort von 1963 jedoch mit keinem Wort. Abgesehen von ihrer gelegentlichen Nähe zum nationalsozialistischen Umfeld versucht Schmitt, der Schrift nun einen anderen konzeptionellen Schwerpunkt zu geben. Er hat nicht mehr die primäre Absicht, den Begriff des Staates zu präzisieren. Denn die Intensität des Politischen habe sich inzwischen vom Staat abgewandt und nicht-staatlichen Gebilden zugewandt, wie Schmitt in der Theorie des Partisanen gleichzeitig verdeutlicht. Angesichts dieser Entwicklung verliert der Staat seinen systematischen Status und wird zum historischen Begriff, zu einem Epochenbegriff, 21 der zeitlich und räumlich auf einen bestimmten Abschnitt der europäischen Geschichte beschränkt wird. Dieser Perspektivwandel wird mit den völkerrechtlichen Studien vollzogen, die Schmitt nach 1932 intensivierte und im Der Nomos der Erde im lus Publicum Europaeum gipfeln. 1963 versucht Schmitt nun sowohl die systematischen Bemühungen von 1932 um eine Neudefinition des Staatsbegriffs als auch die völkerrechtlichen Überlegungen zur Historisierung des Staatsbegriffs als Ausdruck einer gemeinsamen Aufgabe zu verstehen: eine bestimmte „Herausforderung" nämlich theoretisch zu erfassen und hierauf den „Versuch einer Antwort" zu geben. Stellvertretend für das zeitgenössische Völkerrecht nennt er Hans Wehberg. Wehberg, Völkerrechtler und Pazifist, gehörte zur universalistischen Rechtsschule im Anschluß an Hans Kelsen und rezensierte 1941 einige Schriften Schmitts zur Großraumtheorie, wobei er auf jegliche Polemik verzichtete.22 Dabei maß er dem Völkerrecht eine völlig andere Bedeutung bei als Schmitt: Das Völkerrecht diene nicht dazu, die kriegerischen Beziehungen zwischen den Staaten zu regulieren, sondern das Rechtsverhältnis zwischen den Staaten vom Frieden her zu begreifen, wogegen jede Form des Krieges nur als Rechtsanarchie gefaßt werden könne. In seiner Erwiderung auf Wehberg, wie er sie im Nomos der Erde vortrug, polemisierte Schmitt zwar weiterhin gegen die Völkerbund-Idee, die Wehberg verfocht; 23 er wiederholte seine scharfe Ablehnung des universalistischen Völkerrechts, bestritt den Pazifisten und universalistischen Völkerrechtlern nun aber nicht mehr schlankweg die Fähigkeit, politische Sachverhalte überhaupt zur Kenntnis zu nehmen; Schmitt wies Wehberg jetzt lediglich auf seine neuen Überlegungen hin, daß es im Krieg um die Auseinandersetzung von Raumordnungen gehe, nicht um die Bewahrung der eigenen politischen Existenz, wie er 21

Dazu vgl. Carl Schmitt, Staat als ein konkreter, an eine geschichtliche Epoche gebundener Begriff (VRA 375-385)

22

Hans Wehberg, Universales oder europäisches Völkerrecht? Eine Auseinandersetzung mit Prof. Carl Schmitt, in: Die Friedenswarte, Bd. 41 (1941), S. 157-166.

23

Für Schmitt ist der Genfer Völkerbund „weniger und Schlimmeres als Anarchie" gewesen. Damit kehrte er den Anarchievorwurf gegen die Universalisten: NE 159.

16

MARCUS LLANQUE UND HERFRIED MÜNKLER

es früher sah. Innerhalb einer Raumordnung seien rechtliche Beziehungen zwischen gegnerischen Staaten möglich. Eine solche Leistung hatte das Jus Publicum Europaeum erbracht, das Schmitt 1950 eingehend erörterte und nun im Vorwort von 1963 erneut erinnert. In einem geschlossenen, begrenzten Großraum bzw. einer Nomos-Epoche konnte die juridische Hegung des Krieges gelingen, nicht jedoch unter den entgrenzten Geltungsansprüchen universaler Rechtsvorstellungen. Der politische Feind wurde in ein juristisches Verhältnis gestellt und dadurch als ein Rechtssubjekt definiert, das bekämpft, aber nicht vernichtet werden dürfe. Das war die Großtat des klassischen Staatsbegriffs, die nur in der Epoche der Staatlichkeit und im Raum des Jus Publicum Europaeum gelingen konnte. Dieser europäische Bezugspunkt sei nun verloren gegangen. Europa habe im Laufe des vergangenen halben Jahrhunderts seine Stellung als Mittelpunkt der Weltpolitik verloren,24 schreibt Schmitt 1971 in einem Vorwort zum Begriff des Politischen für eine italienische Ausgabe. Damit gehe der Verlust der Kategorie des Staates als einzigem Subjekt der Politik einher. Als dieser Raum entgrenzt wurde, verschwand nicht die Feindschaft, sondern die Möglichkeit zur Hegung des Krieges. Was Schmitt hier im Auge hat, sind Kriege, die einer Überwindung des alten Großraums gelten, die also die frühere Ordnung in Frage stellen, sie aufheben und eine neue Ordnung durchzusetzen versuchen. Das sind dann „totale" Kriege (NE 158). Schmitt beschreibt die Gegenwart als eine solche Epoche, in der der Feind tendenziell vernichtet werden soll, und thematisiert dies als Einstieg in einen Zirkel nihilistischer Haß- und Racheaktionen. Hatte er 1950 noch revolutionäre Kriege im Auge, die mit der Unabhängigkeit von der europäischen Fremdherrschaft zugleich deren Staatsidee ablegen wollten, so war ihm 1963 nur noch der Ost-West-Konflikt ein solcher existenzieller Gegensatz, der Feindschaften nach sich zog. Zwischen 1955 und 1962 analysiert Schmitt den Gegensatz von Ost und West in mehreren Vorträgen. Dies bettet er in einen planetarischen Gegensatz ein, den er auch als „Gegensatz von Land und Meer" charakterisiert. Mit diesem Begriffspaar greift er auf frühere Überlegungen zur Nomosphilosophie zurück. Buchstabierte er 1942 den Gegensatz von Land und Meer als einen Konflikt zwischen Deutschland als führender Kontinentalmacht und Großbritannien als führender Seemacht durch, so war es nun der Osten, den er als Landmacht charakterisierte, während ihm der Westen als Seemacht erschien.25 24

25

Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen. Vorwort von 1971 zur italienischen Ausgabe, ed. G. Miglio und P. Schiera, Bologna 1972, deutsch abgedruckt in: Helmut Quaritsch, Hg., Complexio Oppositorum - über Carl Schmitt, Berlin 1988, S. 269-273. Carl Schmitt, Die planetarische Spannung zwischen Ost und West und der Gegensatz von Land und Meer, spanischer Aufsatz in der Revista de estudios políticos, Bd. 54

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Wie bereits Hasso Hofmann bemerkte, zielt Schmitts Interesse am Feindbegriff 1963 nicht mehr allein auf die existentielle Intensität, verstanden als ein „in einem besonders intensiven Sinne existentiell [...] Anderes und Fremdes" (BP 27). Auf der Grundlage der Nomos- und Großraum-Philosophie sieht Schmitt sich jetzt in der Lage, eine Freund wie Feind umfassende Perspektive einzunehmen.26 Danach ist die Anerkennung konventioneller Feinde bei politischen Konflikten innerhalb desselben Großraums möglich. Nur wenn verschiedene Großraumordnungen miteinander kämpfen, handelt es sich um eine existenzielle bzw. absolute Feindschaft, was dann eine juridisch nicht mehr zu hegende Konfliktaustragung zur Folge hat. Die Konsequenzen fur die Differenzierung des Feindbegriffs fuhrt Schmitt in der Theorie des Partisanen aus.27 Sie ergänzt die Neuakzentuierung des Begriffs des Politischen, die das Vorwort von 1963 andeutet. Hier möchte Schmitt auf die Tendenz hinweisen, „alle überkommenen Hegungen des Krieges blindlings zu zerstören" und den Krieg zum „absoluten Krieg" zu steigern. Lenin ist ihm das moderne Beispiel fur absolute Feinderklärung (BP 118). Schmitts begriffspolitische Aufklärung sucht die absolute Feinderklärung einseitig auf Seiten der Linken.28 Das Interesse an Lenin währte sein ganzes Leben, und tatsächlich finden sich zahlreiche Parallelen zwischen beiden hinsichtlich dessen, was sie als das Politische begreifen.29

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28

29

(1955), S. 3-28, deutsch zuerst in Schmittiana Bd. 3, S. 19-43 (dort unter dem fälschlichen Datum 1959 in der Titelzeile). Dieser Aufsatz berührt sich thematisch stark mit Schmitts Beitrag zur Festschrift für Ernst Jünger, ist aber nicht identisch mit ihm: Die geschichtliche Struktur des heutigen Welt-Gegensatzes von Ost und West. Bemerkungen zu Ernst Jüngers Schrift: ,Der Gordische Knoten', in: SGN 523-544. Hasso Hofmann, Feindschaft - Grundbegriff des Politischen?, in: ders., Recht - Politik - Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie, S. 239. Eine weitere Relativierung der früheren Fokussierung des Feindbegriffs auf seine existenzielle Bedeutung findet sich in den Hinweisen im Anschluß an den Text von 1932 (BP 119): „Damit ist deutlich gesagt, daß der hier zugrunde liegende Feindbegriff nicht in der Vernichtung des Feindes, sondern in der Abwehr, in der Messung der Kräfte und der Gewinnung einer gemeinsamen Grenze seinen Sinn hat." Ludendorff oder Hitler werden im Zuge der absoluten Feinderklärung nicht aufgeführt. Raymond Aron, Clausewitz. Den Krieg denken, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1980, S. 526 und, ihm folgend, Günter Meuter, Der Katechon. Zu Carl Schmitts fundamentalistischer Kritik der Zeit, Berlin 1994, S. 411, sehen darin eine einseitige Konzentration auf die Linke. Eckard Bolsinger, The Autonomy of the Political. Carl Schmitt's and Lenin's Political Realism, Westport/Conn. and London 2001.

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Im leninistischen Konzept des Kampfes wird der Partisan zum Träger absoluter Feindschaft (TP 91).30 Erst die berufsrevolutionären Bestrebungen des Leninismus steigerten die partisanische Kampfweise zur absoluten Feindschaft. In diesem Weltbürgerkrieg gab es keine Hegungen mehr (TP 95). Schmitt zeigt auf, wie wenig das klassische Kriegsvölkerrecht mit dem Phänomen des Partisanen umzugehen weiß. Vom Partisanen gehen neuartige Gefahren aus, die nicht mit humanitären Intentionen beantwortet werden könnten. Der berufsrevolutionäre Partisan bewege sich nämlich auf einer anderen Ebene des Politischen. Seine absolute Feinderklärung sei mit dem Versuch des klassischen Völkerrechts, den Partisan als konventionellen Feind in die Sphäre des europäischen öffentlichen Rechts zu integrieren, nicht mehr zu vereinbaren. Daher sei ein konventioneller völkerrechtlicher Umgang mit dem Partisanen eher geeignet, die Feinde zu schützen als sie zu bekämpfen; das Recht erweise sich als ahnungslos gegenüber den Gefahren, die von Berufsrevolutionären ausgehen (BP 12). Solche Aufklärungsabsichten dürften Schmitt zum Wiederabdruck seiner Schrift Der Begriff des Politischen bewogen haben. Sie sind in der Theorie des Partisanen deutlicher herausgearbeitet, als dies im kurzen Vorwort möglich war. Schmitt möchte in Erinnerung rufen, daß der Begriff des Politischen in die Frage nach dem wirklichen Feind und einem neuen Nomos der Erde einmündet. Eine Ausformulierung dieses neuen Nomos ist ihm freilich nicht mehr gelungen.

III. Ende der Staatlichkeit? Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts haben viele seiner Überlegungen ihren ursprünglichen Bezugsrahmen verloren und wirken heute auf den ersten Blick wie politische Positionierungen aus einer zu Ende gegangenen Epoche. Wahrscheinlich sind Schmitts Überlegungen zur Art der Feindschaft im Ost-WestKonflikt zum Zeitpunkt ihrer Formulierung bereits überholt und antiquiert gewesen, begann doch mit dem Ende der Kubakrise und dem Krisenmanagement beim Bau der Berliner Mauer eine Form antagonistischer Kooperation zwischen Washington und Moskau, die sich in Schmitts Begriff der existenziellen Feindschaft nicht angemessen erfassen läßt. Aus heutiger Sicht zumindest läßt sich der Ost-West-Gegensatz als ein symmetrischer Konflikt beschreiben, bei dem im Prinzip gleichartige Kontrahenten einander gegenüberstanden, wobei die relative

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Später wird Schmitt freilich zugestehen, daß es eher die maoistische Vorstellung des politischen Kampfes war, die er damit erfaßt hat, während für den Leninismus Partisanentum nur eine untergeordnete Rolle spielt; Joachim Schickel, Gespräch über den Partisanen (1969); in: ders., Gespräche mit Carl Schmitt, Berlin 1993, S. 9-30, hier S. 22.

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Gleichartigkeit von Nato und Ostblock, USA und Sowjetunion die Voraussetzung dafür bildete, daß sich beide Parteien wechselseitig als Gleiche anerkennen und auf dieser Grundlage ein regelrechtes System von Verträgen miteinander schließen konnten, das zu einer Hegung der Gegensätze führte, wie Schmitt es im Begriff des konventionellen Feindes zu fassen versucht hat. Das mag von der bolschewistischen Revolutionsdoktrin her gesehen anders gewesen sein, aber spätestens mit dem Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft in Rußland hat Lenin den Entwicklungsweg der Sowjetrepubliken in Orientierung am westlichen Entwicklungsweg definiert. Daß Schmitt dies nicht sah, dürfte wesentlich mit den Eindrücken zusammenhängen, die er während der revolutionären Wirren in Deutschland unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs erhielt. Theoretisch wie ideengeschichtlich attraktiver am Vorwort von 1963 ist Schmitts Diagnose vom Ende der Staatlichkeit, die er als eine Entfesselung des Politischen, auch und gerade der politischen Gewalt, aus den Hegungen der Staatlichkeit begriff. „Die Epoche der Staatlichkeit geht jetzt zu Ende. Darüber ist kein Wort mehr zu verlieren. Mit ihr geht der ganze Überbau staatsbezogener Begriffe zu Ende, den eine europa-zentrische Staats- und Völkerrechtswissenschaft in vierhundertjähriger Gedankenarbeit errichtet hat. Der Staat als das Modell der politischen Einheit, der Staat als der Träger des erstaunlichsten aller Monopole, nämlich des Monopols der politischen Entscheidung, dieses Glanzstücks europäischer Form und occidentalen Rationalismus, wird entthront." (BP 10) Das war zu Beginn der 60er Jahre noch eher eine Prognose als eine Diagnose. Tatsächlich hatte der Staat nämlich den Höhepunkt seiner Integrations- und Steuerungsfahigkeit noch nicht erreicht,31 und auch am Beginn des 21. Jahrhunderts treffen Schmitts Thesen eher auf die politischen Ordnungen an der Peripherie der Machtsysteme als die in deren Zentren zu. Dennoch kann Schmitts Bemerkungen aus der Retrospektive von vier Jahrzehnten eine starke prognostische Qualität nicht abgesprochen werden. Inzwischen ist allgemein von failed bzw. failing states die Rede, und in diesen Begriffen wird notifiziert, daß der Prozeß der Staatsbildung, wie er im Verlauf der 50er und 60er Jahre in den von den europäischen Kolonialmächten in die Unabhängigkeit entlassenen Ländern eingesetzt hat, inzwischen als gescheitert angesehen werden kann, ja, daß sogar in Regionen wie Lateinamerika, wo der Staatsbildungsprozeß zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Gang gekommen war, inzwischen eine dramatische 31

Die Geschichtsschreibung der Staatlichkeit geht heute davon aus, daß der Staat als Modell der politischen Ordnung den Höhepunkt seiner Machtentfaltung, zumindest in Europa, Mitte der 70er Jahre erreicht hatte; vgl. Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999, S. 509ff., sowie Martin van Creveld, Aufstieg und Untergang des Staates, München 1999, S. 373ff.

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Erosion von Staatlichkeit zu beobachten ist. Hier tritt seit einigen Jahren ein, was Schmitt vor vier Jahrzehnten bereits konstatieren zu können glaubte. Ob die Ordnung der Staatlichkeit in Westeuropa, wo sie im 16. und 17. Jahrhundert entstanden war, eine größere Robustheit besitzt als in den Regionen, in die sie im Verlaufe der Zeit exportiert worden ist, wird sich noch zeigen müssen. Mißt man die Staatsqualität freilich, wie Schmitt dies getan hat, an der Monopolisierung der Kriegfiihrungsfähigkeit, d. h. der ausschließlichen Verfugung über die Freund-Feind-Unterscheidung, so dürfte eher Skepsis angezeigt sein. In wachsendem Maße nämlich sind die nach 1945 geführten Kriege nicht mehr zwischenstaatliche, sondern innergesellschaftliche bzw. transnationale Kriege, in denen die Staaten mit substaatlichen, mitunter privaten Politikakteuren um die Verbindlichkeit der Freund-Feind-Unterscheidung konkurrieren.32 Im Zeichen der Entstehung postheroischer Gesellschaften, die wesentlich im Tausch und Wohlstand integriert sind, haben die Staaten ihre Fähigkeit bzw. ihre Bereitschaft zur Bestimmung des Feindes verloren. Werden sie mit Anzeichen von Feindschaft konfrontiert, so reagieren sie darauf mit dem Versuch des Abkaufs der Gewaltbereitschaft eines potentiellen Feindes und Strategien zu seiner Domestizierung durch wirtschaftliche Beziehungen. Die Schwäche dieser Konfliktlösungsstrategie tritt dann zutage, wenn sie mit Akteuren konfrontiert wird, die für diese Formen friedlich-schiedlichen Interessensausgleichs unempfänglich sind bzw. darauf, wie dies bei den verschiedenen Spielarten des Fundamentalismus zu beobachten ist, mit gesteigerter Feindschaft reagieren. Die Fähigkeit und Bereitschaft zu kriegerischer Feinderklärung ist von den Staaten auf Imperien einerseits und lose Gruppierungen ohne feste territoriale Basis (Netzwerkorganisationen) andererseits übergegangen. Das Charakteristikum dieser neuen Feinderklärungen besteht darin, daß sie asymmetrischer Art sind: Die Konfliktparteien anerkennen sich nicht länger wechselseitig als Gleiche, sind darum auch nicht in der Lage, die Art ihrer Konfliktaustragung juridisch zu hegen und überziehen sich dementsprechend mit Legitimationen der Feindschaft, die deren wesentliche Steigerung zum Inhalt haben, gleichgültig, ob sie nun Gerechter oder Heiliger Krieg heißen. Die Beschreibung der weltpolitischen Konfliktlage, wie sie Schmitt zu Beginn der 60er Jahre entwickelt hat, ist darum heute aktueller, als sie zum Zeitpunkt ihrer Niederschrift durch Carl Schmitt gewesen ist.

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Dazu zusammenfassend Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Reinbek 2002.

2 Christoph Schönberger „Staatlich und Politisch" (20-26) Der Begriff des Staates in Carl Schmitts Begriff des Politischen

„Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus." So beginnt Carl Schmitt seinen Begriff des Politischen. Wie in anderen Schriften Schmitts kommt auch dieser erste Satz als Fanal daher. Pointiert und rätselhaft zugleich, will er den Leser in seinen Bann schlagen. Im Rückblick 1963 kokettiert der Autor denn auch damit. Er betont, daß „oft schon der erste Satz über das Schicksal einer Veröffentlichung entscheidet", und fragt besorgt, ob es denn „sinnvoll war, eine Darlegung in dieser auf den ersten Blick undurchsichtigen Abstraktheit zu beginnen". Die Aussage sei „esoterisch begrifflich" und von „provozierende[r] Thesenhaftigkeit" (BP 13). Der erste Abschnitt der Schrift erläutert die These des Eröffhungssatzes. Ihn zu kommentieren heißt, diese „esoterisch begriffliche" These zu kommentieren. Schmitts erster Satz verknüpft zwei zentrale Begriffe: den des Staates und den des Politischen. Jener soll diesen voraussetzen. Der Staatsbegriff wird damit in seiner Bedeutung relativiert. Das Politische ist nicht länger allein vom Staat her zu verstehen, sondern der Staat muß umgekehrt vom Politischen her erfaßt werden. Schmitt geht damit auf Distanz zur überkommenen Allgemeinen Staatslehre aus der Zeit des deutschen Kaiserreiches. Seine Eröffhungsformel spielt nämlich auf Georg Jellinek an, den bedeutendsten Repräsentanten dieser Disziplin. In Jellineks 1900 erschienener Allgemeiner Staatslehre steht der Satz: „.Politisch' heißt .staatlich'; im Begriff des Politischen hat man bereits den Begriff des Staates gedacht."1 Schmitt formuliert in wörtlicher Anlehnung an Jellinek, kehrt aber dessen Verhältnisbestimmung um. Bei Jellinek wurde der Begriff des Politischen noch von dem des Staates her definiert. Zwar besaß dieser ein sehr waches Sen-

1

Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre (1900), 3. Aufl. 1913, 5. Neudruck Kronberg 1976, S. 180. Zur Anspielung Schmitts auf Jellinek: Kari Palonen, Politik als Handlungsbegriff Horizontwandel des Politikbegriffs in Deutschland 1890-1933, Helsinki 1985, S. 81.

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sorium fur die Krise des Staatsbegriffs um 1900. Aber dieses Krisenbewußtsein brachte ihn noch nicht dazu, den Staatsbezug des Politischen in Frage zu stellen. Politisch hieß weiterhin: staatlich. Für Schmitt kann der Staatsbegriff allein hingegen nicht länger die fundamentale Kategorie bilden. An diese Stelle tritt das Politische, dessen Begriff nicht mehr vom Staatsbegriff her gewonnen werden kann. Durch die Unterscheidung zwischen dem Politischen und dem Staatlichen wird sogar denkbar, daß beide Begriffe sich ganz voneinander ablösen.2 In dem so eröffneten semantischen Feld wird jetzt nichtstaatliche Politik ebenso vorstellbar wie unpolitische Staatlichkeit. Das Politische im Schmittschen Sinn, die Gruppierung einer Gesamtheit von Menschen nach dem Gegensatz von Freund und Feind (BP 29), kann sich theoretisch vom Staat lösen. Es mag einen Staat konstituieren, ist aber nicht mehr notwendig an Staatlichkeit gebunden. Politische Gruppenbildung kann vielmehr auch innerhalb des Staates auftreten, was in letzter Konsequenz den Bürgerkrieg bedeutet (BP 32). Und das Politische kann sich auf eine Ebene jenseits eines Staats verlagern und etwa schwächere Staaten, die nicht mehr fähig sind, einen Krieg für ihre Existenz zu fuhren, in neue politische Gruppierungen zwingen (BP 46, 52ff.). Die mögliche Entthronung des Staatsbegriffs ist im Begriff des Politischen aber nur angedeutet oder latent vorhanden. Erst Schmitts Schriften seit Mitte der dreißiger Jahre nutzen die Unterscheidung des Staates vom Politischen offensiv, um den Staat nun ganz zu verabschieden (SGN 133)3: In der NS-Zeit eröffnen sich jenseits des Staates neuartige Großräume und verlangen die „völkerrechtswissenschaftliche Überwindung des alten, zentralen Staatsbegriffs" (SGN 297, 304). Der Staat wird nun historisiert, er ist nur noch der Ordnungsbegriff einer bestimmten geschichtlichen Epoche zwischen dem 16. und dem 20. Jahrhundert (VRA 375). Und außerhalb der fragwürdig gewordenen „Regularität einer bestehenden Staatlichkeit" agiert schließlich in der Epoche des Ost-West-Konflikts der Partisan (TP 94). Folgerichtig ist dann im Vorwort von 1963 schon kein Wort mehr darüber zu verlieren, daß die Epoche der Staatlichkeit zu Ende geht (BP 10). Im Begriff des Politischen verabschiedet Schmitt diese Epoche der Staatlichkeit aber noch nicht zugunsten anderer Räume, Ordnungsformen oder Gemeinschaften. Er blickt auch nicht nur nostalgisch auf sie zurück wie später in der Zeit nach 1945. Noch ist das staatliche Politikmonopol für Schmitt nicht endgültig entfallen, und er hat sich deshalb auch noch nicht definitiv ,,andersgeartete[n] Subjekte[n] des politischen Kampfes" zugewandt, die sich „mit oder ohne Staat, 2

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Vgl. dazu Reinhard Mehring, Carl Schmitt zur Einführung, 2. Aufl. 2001, S. 126f., 129; 1. Aufl. 1992, S. 83f. Zu den erheblichen Wandlungen des Staatsbegriffs Schmitts nach dem Begriff des Politischen siehe Pier Paolo Portinaro, La crisi dello jus publicum europaeum. Saggio su Carl Schmitt, Mailand 1982, S. 136ff.

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mit oder ohne Staatsgehabe" durchsetzen.4 Noch geht es vielmehr darum, den Staat durch den Rückbezug auf die politische Einheit des Volkes machtvoll zu erneuern. Der Staat bleibt „die maßgebende politische Einheit" (BP 46,44), ja es gibt eine staatsethische „Pflicht zum Staat", da nur durch ihn das Problem der politischen Einheit gelöst werden kann (PB 165, 158). Es kommt zwar nicht länger auf das Wort Staat an, „das seine Geschichte hat und unmodern werden kann", aber doch unverändert „auf die Sache, nämlich das Problem der politischen Einheit des Volkes" (PB 159). Die Sache, von der der Begriff des Politischen handelt, ist weiterhin die Sache, um die es fur Schmitt auch beim Staatsbegriff gegangen ist und noch geht. Aber auf sich allein gestellt leistet der Staatsbegriff nicht länger, was er leisten soll: die Bezeichnung der politischen Einheit. Er muß neu gekräftigt werden, indem er auf das ihm vorausliegende Politische, auf die politische Einheit des Volkes bezogen wird. Der Abschied vom staatlichen Politikmonopol, den der Eröffnungssatz denkbar werden läßt, wird im Begriff des Politischen also gerade nicht endgültig vollzogen.5 Das Politische soll vielmehr nun das leisten, was zuvor der Staat - zumindest aus Sicht seiner deutschen juristischen Theoretiker - allein geleistet hat, und es soll das weiterhin für den Staat leisten und nicht für andere politische Organisationsformen: „Daß der Staat eine Einheit ist, und zwar die maßgebende Einheit, beruht auf seinem politischen Charakter" (BP 44). In nur scheinbar paradoxer Weise geht es Schmitt darum, den Staat des 19. Jahrhunderts zu verabschieden und ihn gleichzeitig zu überbieten. Der Rückbezug auf das Politische soll einen Staat ermöglichen, der durch seine Verankerung in der politischen Einheit des Volkes und die Nutzung aller Ressourcen der modernen Gesellschaft stärker Staat ist, als er es im Konstitutionalismus je sein konnte. Es geht um die Erneuerung des Staats mit Hilfe derjenigen Kräfte und Ressourcen, die ihn beim ersten Hinsehen zu untergraben scheinen. Der Begriff des Politischen trennt daher in einem ersten Schritt das Politische vom Staat und bringt es dann in einem zweiten Schritt sogleich wieder mit ihm in Verbindung.6 Dieses eigenartige Zugleich von Abschied vom Staat und Erneuerung des Staats ist aber in der Schrift nicht systematisch ausgeführt. Deshalb konnte auch in der Bundesrepublik Ernst-Wolfgang Böckenförde den Begriff des Politischen scheinbar unproblematisch als Verteidigung des staatlichen Politikmonopols 4

5 6

So dann später: Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen. Vorwort von 1971 zur italienischen Ausgabe, in deutscher Sprache abgedruckt in: Helmut Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Berlin 1988, S. 269-273 (271); vgl. dazu auch die Diskussionsbemerkungen von Gründer und Meier, ebd., S. 396. Das ist sehr klar herausgearbeitet bei Portinaro (Anm. 3), S. 258ff. Vgl. dazu Christian Meier, Zu Carl Schmitts Begriffsbildung - Das Politische und der Nomos, in: Complexio (Anm. 4), S. 537-556 (542, 548).

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lesen7, während der greise Schmitt selbst das Politische längst bei nichtstaatlichen Akteuren aufspürte - etwa im Partisanentum - und seine Schrift nun als vollständige Emanzipation des Politischen vom Staat ausdeutete (BP 10, 18; TP 21f.).8 Die doppelten Gleise der Deutung verweisen auf die Doppelgleisigkeit der Schrift selbst, die Staat und Politisches zugleich trennt und verbindet. Diese Doppelgleisigkeit zeigt der Einleitungssatz in der schillernden Formulierung vom Begriff des Politischen als „Voraussetzung" des Staatsbegriffs.9 Diese Zweideutigkeit weist daraufhin, daß die wechselseitige Zuordnung von Begriff des Staates und Begriff des Politischen in Schmitts Schrift letztlich nicht geklärt ist. Sie beruht darauf, daß Schmitts Staatsbegriff letztlich immer noch auf einen von oben und außen kommenden, statischen Staatswillen bezogen bleibt, der Bezug auf die politische Einheit des Volkes jedoch auf ein Element von unten verweist und damit potentiell auf die Dynamik der modernen Gesellschaft. Schmitt selbst hat 1930 Wortpaare genannt, in denen Gestaltungsmöglichkeiten der politischen Einheit zum Ausdruck kommen, und damit indirekt auch das theoretische Dilemma des Begriffs des Politischen auf den Punkt gebracht. Es gibt für ihn insbesondere „Einheit von oben (durch Befehl und Macht) und Einheit von unten (aus der substantiellen Homogenität eines Volkes)", „eine mehr statische und eine sich beständig funktionell integrierende dynamische Einheit", „Einheit durch Macht und Einheit durch Konsens" (PB 158). Schmitts Staatsbegriff wird durch das jeweils erste Wort charakterisiert. Es geht um eine statische Einheit von oben durch Befehl und Macht. Diese Einheit ist bedroht durch Dynamik und - pluralistisch erreichten - Konsens. Um dieser Gefahr zu wehren, muß die Einheit von oben mit der Einheit von unten verbunden werden. Mit 7

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Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: Complexio (Anm. 4), S. 283-301. Insbesondere das Vorwort von 1963 deutet zum endgültigen Abschied vom Staat um, was 1932 im Kontext eines Aufrufs zum „qualitativ totalen Staat" stand. Vgl. dazu die eindringliche Analyse Hasso Hofmanns: Feindschaft - Grundbegriff des Politischen? (1965), in: ders., Recht - Politik - Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie, Frankfurt/M. 1986, S. 212-241 (23Iff.). Schon Leo Strauss hat in einem Brief an Schmitt im September 1932 betont, die Eröffnungsformel sei insoweit „zweideutig", da sie nicht kläre, ob das Politische im Schmittschen Sinn konstitutives Prinzip des Staates sei oder nur dessen Bedingung: Brief an Carl Schmitt vom 4. September 1932, abgedruckt in: Heinrich Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss und „Der Begriff des Politischen". Zu einem Dialog unter Abwesenden, Stuttgart 1988, S. 132f. (133). Für Strauss kann das Politische im Schmittschen Sinn nur Bedingung der Existenz des Staates sein, nicht aber sein konstitutives Prinzip: „.Voraussetzung' kann eben konstitutives Prinzip und Bedingung besagen. Im ersteren Sinn wird sich der Satz kaum aufrecht erhalten lassen, wie bereits die Etymologie (politisch-polis) beweist."

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anderen Worten: Die Einheit von oben wird für die Einheit von unten geöffnet, soll aber doch zugleich erhalten bleiben, und deshalb muß die Einheit von unten eine ähnliche Festigkeit und Geschlossenheit aufweisen wie die Einheit von oben. Die Einheit von unten kann deshalb nicht ein dynamischer Integrationsprozeß sein - wie er in der Weimarer Zeit Rudolf Smend vorschwebt10 - , sondern nur ein statischer Zustand: die Homogenität des Volkes.

I. Die Krise des Staatswillens Der Begriff des Politischen will den Staatsbegriff nicht überwinden, sondern erneuern. Wegen dieses Ziels ist Carl Schmitt auch der staatsrechtliche Autor der Weimarer Zeit, der am stärksten die Staatsvorstellung des staatsrechtlichen Positivismus der Vorkriegszeit fortfuhrt. Der einheitliche, exekutivisch-antiparlamentarische Staatswille, den Paul Laband seinem Staatsrecht des kaiserlichen Deutschland zugrundelegte, wirkt im Weimarer Werk Schmitts deutlich fort. Schmitts vor allem auf Kelsen gemünzte rhetorische Verdammung eines angeblich unpolitisch-normativistischen Positivismus - und die Konstruktion einer imaginären Kontinuitätslinie der Gerber-Laband-Tradition zu Kelsen - hat lange Zeit erfolgreich verdeckt, wie sehr gerade er selbst in der deutschen Tradition des Staatswillenspositivismus verwurzelt war. Schmitt ist der eigentliche Erbe Labands in der Weimarer Staatsrechtslehre.11 In den frühen sechziger Jahren hat man darüber gestritten, ob Carl Schmitt vielleicht ein legitimer, illegitimer oder „natürlicher" Sohn Max Webers gewesen sei.12 Mit sehr viel größerem Recht muß man ihn

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Vgl. insoweit die kritischen Bezüge Schmitts auf Rudolf Smends Integrationslehre in: BP I 3 Fn. 3a; VL 207; HP 21; vgl. auch bereits PB, 59 mit Fn. 3, und dazu Armin Adam, Rekonstruktion des Politischen. Carl Schmitt und die Krise der Staatlichkeit 1912-1933, Weinheim 1992, S. 101; zu Smends spiegelbildlicher Schmitt-Kritik siehe unten Anm. 33. " Das ist allerdings bisher nur selten thematisiert worden, weil die Sekundärliteratur regelmäßig Schmitts eigene, höchst fragwürdige Lesart der Dogmengeschichte übernimmt. In diese Richtung aber: Maurizio Fioravanti, Kelsen, Schmitt e la tradizione giuridica dell'Ottocento, in: Gustavo Gozzi/Pierangelo Schiera (Hg.), Crisi istituzionale e teoria dello Stato in Germania dopo la Prima guerra mondiale, Bologna 1987, S. 51-103 (insbes. 101); Ernst Vollrath, Wie ist Carl Schmitt an seinen Begriff des Politischen gekommen?, Zeitschrift für Politik 36 (1989), S. 151-168; Peter C. Caldwell, Popular Sovereignty and the Crisis of German Constitutional Law. The Theory and Practice of Weimar Constitutionalism, Durham London 1997, S. 52ff.; Christoph Möllers, Staat als Argument, München 2000, S. 62f. 12 Vgl. dazu Wolfgang J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik 1890-1920, 2. Aufl. Tübingen 1974, S. 407ff. mit Fn. 156; Nicolaus Sombart, Max Weber und Ot-

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aber einen natürlichen Sohn Labands nennen. Neu war bei dem fünfzig Jahre jüngeren Schmitt zwar das gestiegene Krisenbewußtsein, das anspruchsvollere rechtsphilosophische wie geistesgeschichtliche Begründungen nahelegte. Neu war auch die Form, der essayistische Stil als das Erbe seiner literarischen Anfange zwischen Däubler und Dada. Nicht neu war hingegen die Sache selbst, die fur den Labandschen Positivismus kennzeichnende Ausrichtung auf einen in sich geschlossenen und von der Exekutive her gedachten Staatswillen. Der Staatsbegriff der Kaiserzeit war auf einen monolithisch gedachten Staatswillen fixiert, den er an Monarchie und Beamtenapparat festmachte. An Einheitlichkeit fehlte es dieser Staatswillenstheorie nicht. Der monarchischbürokratische Staat verbürgte ihr die politische Einheit. Das Staatsbild der Laband-Tradition war aber schon in den vielfältigen Mobilisierungs- und Demokratisierungsprozessen des Kaiserreichs nach 1890 zunehmend als brüchig erlebt worden.13 Georg Jellinek hatte versucht, diese Krise durch Aufwertung des Volksbegriffs und eine entsprechende körperschaftliche Ergänzung des Staatsbegriffs zu verarbeiten.14 Einen anderen Weg aus dieser Krise des Staatswillens beschritt seit 1911 in der Habsburgermonarchie Hans Kelsen·. Er kritisierte rechtstheoretisch den Staatswillenspositivismus Labands und reduzierte den Staatswillen konsequent auf reine Normativität. Kelsens Rechts- und Staatslehre zerstörte die Vorstellung von einem dem positiven Recht vorgelagerten Staat, die für Labands Staatsrecht charakteristisch war und von Carl Schmitt erneuert wurde.15 Kelsen vollendete also nicht etwa den Positivismus Labands - wie bis

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to Gross: Zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Eros im Wilhelminischen Zeitalter (1976), in: ders., Nachdenken über Deutschland. Vom Historismus zur Psychoanalyse, München 1987, S. 22-51 (47ff). Zur dadurch bewirkten Krise des Labandschen Systems seit den neunziger Jahren siehe Christoph Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat. Zur Theorie parlamentarischer Repräsentation in der Staatsrechtslehre des Kaiserreichs (1871-1918), Frankfurt/M. 1997, S. 193ff. Dazu Christoph Schönberger, Ein Liberaler zwischen Staatswille und Volkswille: Georg Jellinek und die Krise des staatsrechtlichen Positivismus um die Jahrhundertwende, in: Stanley Paulson/Martin Schulte (Hg.), Georg Jellinek - Beiträge zu Leben und Werk, Tübingen 2000, S. 3-32 (10ff„ 23ff.). So zertrümmerte Kelsen etwa rechtstheoretisch den für den Staatswillenspositivismus zentralen Begriff der staatlichen „Herrschaft": Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze, Wien 1911, S. 396f. Seme Reine Rechtslehre entstand sogar eigentlich, wie er selbst später einmal geschrieben hat, „im Kampf gegen den Labandismus": Brief an Renato Treves vom 3. August 1933, in: Stanley L. Paulson (Hg.), Kelsen, Hans - Treves, Renato. Formalismo giuridico e realtà sociale, Neapel 1992, S. 55-56 (56). Zur Kritik Kelsens am Labandschen Staatswillenspositi-

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heute häufig behauptet wird - , sondern brach vielmehr radikal mit dessen Vorstellung vom Staat hinter dem Recht. 16 Schmitts Frühwerk fallt in diese Zeit des zunehmenden Ungenügens an der Laband-Tradition um 1900. 17 Anders als Kelsen reagiert Schmitt auf die Krise des Staatswillens aber nicht mit dessen rechtstheoretischer Eliminierung. 18 Anders als Jellinek antwortet er auch nicht mit seiner Öffnung für die körperschaftliche Partizipation der Staatsbürger. Er versucht im Gegenteil, der Laband-Tradition des von oben und außen kommenden Staatswillens das fehlende rechtsphilosophische Fundament zu verschaffen, indem er sie transzendentalphilosophisch radikalisiert (WDS 2f., 40, 46ff., 96f.). Im Ersten Weltkrieg spitzt er dann auch die Exekutivorientierung des Labandschen Positivismus konsequent zur Diktatur zu. Nach der Kriegsniederlage und dem Ende der Monarchie steht Schmitt dann wiederum da, wo um die Jahrhundertwende schon ein reflektierter Positivist wie Jellinek gestanden hatte. Der einheitliche Staatswille bleibt das Leitbild, aber die Wirklichkeit der Weimarer Republik ist natürlich für Schmitt noch deutlich weiter von diesem Leitbild entfernt als es schon die des Kaiserreichs für Jellinek gewesen war. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie, die den institutionellen Kern der alten Staatswillenslehre gebildet hatte, kann der isolierte Staatsbegriff für Schmitt die politische Einheit nun endgültig nicht mehr garantieren. Der Staatsvismus siehe: Fioravanti (Anm. 11); Caldwell (Anm. 11), S. 48ff.; Schönberger 16

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(Anm. 13), S. 158f. Die Beschreibung der auffälligen Kontinuitätslinien Schmitts zum Kaiserreichspositivismus wird erschwert, weil Schmitt selbst sich in Weimar als Positivismuskritiker inszeniert (etwa: HP 6fF.) und zusammen mit Autoren wie Hermann Heller eine angeblich unpolitisch-normativistische Kontinuitätslinie Gerber-Laband-Jellinek-Kelsen konstruiert hat. Die verfehlte Wissenschaftsgeschichtsschreibung dürfte durch die Ähnlichkeit der methodischen Postulate Labands und Kelsens mitbedingt sein. Sie verkennt aber, daß der eine diese Postulate mit dem exekutiveorientierten Staatswillen einlöst, der andere aber mit der normativen Geschlossenheit des Rechtssystems. Zur Notwendigkeit einer Revision der bisherigen Kontinuitätserzählungen siehe insgesamt Detlef Lehnert, Die Weimarer Staatsrechtsdebatte zwischen Legendenbildung und Neubesinnung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 51/96 ν. 13.12.1996, S. 3-14. Stefan Korioth, Erschütterungen des staatsrechtlichen Positivismus im ausgehenden Kaiserreich, in: Archiv des öffentlichen Rechts 117 (1992), S. 212-238 (217ff.) zeigt Schmitts Reaktion auf die Erosion des Labandschen Positivismus im Hinblick auf seine 1912 erschienene Schrift Gesetz und Urteil. Aufgrund von Schmitts - eigenwillig - neukantianischen Anfangen gibt es im Frühwerk aber durchaus gewisse Berührungspunkte zwischen ihm und Kelsen. Zu entsprechenden Parallelen wie Unterschieden siehe Hasso Hofmann, Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts (1964), 2. Aufl. Berlin 1992, S. 44ff.

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begriff war in der Weimarer Republik nicht nur für Schmitt endgültig brüchig geworden. Die Beschränkungen der staatlichen Souveränität durch den Versailler Vertrag, der sich durch die neue Bedeutung der Auslandsdeutschen beschleunigende Umbruch von der Staatsnation zur Volksnation, schließlich die Herausforderung des überkommenen Staatsverständnisses durch die Demokratie trugen dazu bei.19 Der Staatsbegriff verlor so die zentrale Stellung, die er in Staatsrechtslehre wie Geschichtswissenschaft der Kaiserzeit gehabt hatte, und trat zunehmend hinter den Volksbegriff zurück.20 An die Stelle der Staatslehre trat nun als intellektuelle Leitdisziplin des Staatsrechts die Verfassungslehre, die Verfassung als Realverfassung im Unterschied zur normativen Ordnung verstand.21 Schmitt schreibt folgerichtig in Weimar ja auch keine Staatslehre mehr, sondern eben eine Verfassungslehre (VL IXf.). Aber das Staatsbild, an dem er sich orientiert, ähnelt doch weiterhin auffällig demjenigen der Vorkriegsstaatsrechtslehre. Deshalb auch bleibt der Staat in seiner Perspektive genauso statisch konzipiert, wie es schon der Staatsbegriff Labands gewesen war. Der Staat bedeutet „die grundlegende und umfassende Einheit einer substantiellen, seinsmäßigen, wesentlich öffentlichen Ordnung" und bleibt deshalb „immer im Zusammenhang mit einem [...] statischen Ordnungsbegriff. Sobald sog. dynamische Vorstellungen irgendwelcher Art herrschend werden, verliert der Begriff seinen Sinn" (PB 58f.). Er ist insoweit parallel zu dem Bild konzipiert, das Schmitt von der anstaltlichen Papstkirche des römischen Katholizismus entwirft (WDS 81; RK 14, 23f., 31f., 35f., 42, 49)22 und das er auch im 19

Siehe dazu Willy Oberkrome, Geschichte, Volk und Theorie, in: Peter Schöttler (Hg.), Geschichtswissenschaft als Legitimationswissenschaft 1918-1945, Frankfurt/M. 1997, S. 104-127; Dieter Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen. Die Nationalisierung der Staatsangehörigkeit vom Deutschen Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 2001, S. 338ff.

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Vgl. dazu auch Schmitts Auseinandersetzung mit Richard Thoma in: Der Begriff der modernen Demokratie in seinem Verhältnis zum Staatsbegriff, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 51 (1924), S. 817ff. (821f.).

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Vgl. dazu Albert Hensel, Staatslehre und Verfassung, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 61 (1929), S. 168-197 (181f„ 185fT., 195f.). Zur Ablösung der Allgemeinen Staatslehre als intellektueller Leitdisziplin in der Weimarer Zeit und den Gründen dafür siehe Christoph Schönberger, Der „Staat" der Allgemeinen Staatslehre. Anmerkungen zu einer eigenwilligen deutschen Disziplin im Vergleich mit Frankreich, in: Olivier Beaud/Erk Volkmar Heyen (Hg.), Eine deutsch-französische Rechtswissenschaft?, Baden-Baden 1997, S. 111-137 (119f.)

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Hugo Ball hat insoweit in seiner 1924 im Hochland erschienenen glänzenden SchmittCharakteristik dessen „lateinische" Grundauffassung betont und hervorgehoben, „daß Schmitt jene rationale Kraft, mit der er den pseudo-rationalistischen Staat analysiert und begreift, eben von der irrationalen Größe der Kirche und ihren juristischen Nor-

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faschistischen Italien wiederzuerkennen glaubt, w o der Staat „mit antiker Ehrlichkeit wieder Staat" sein wolle, „mit sichtbaren Machtträgern und Repräsentanten" (PB 130). Das entspricht insgesamt seinem statischen Repräsentationsbegriff. Bereits 1914 hebt Schmitt hervor, der Staat repräsentiere „das einzige Subjekt des Rechtsethos" und stelle die einzig mögliche „Verbindung dieser Gedankenwelt mit der Welt realer empirischer Erscheinungen" dar (WDS 2f., 53; PT 39, 41f.). Die erschütterte Staatswillenslehre soll so ein tragfähiges rechtsphilosophisches Fundament bekommen. 23 Parallel dazu entwickelt er einen entsprechenden Repräsentationsbegriff für die römische Papstkirche, der die notwendige kirchliche Vermittlung zwischen Gott und Welt, zwischen Unsichtbarem und Sichtbarem auf die Person Christi zurückführt (WDS 81; SK 74ff.; RK 31f.). 24 Der Staat wird so zu einer weltlichen ecclesia triumphans. Das Frühwerk deutet zwar an einigen Stellen rechtsphilosophisch, laientheologisch wie literarisch an, daß selbst diese Repräsentation doch immer vorläufig bleiben muß (WDS 74f., 82f., 109f.; SK 76ff.; N, 29ff., 50ff., 59ff., 70ff.). 25 Aber das triumphale Repräsentationsverständnis von Schmitts Staatsbegriff in Kaiserreich und Republik bleibt

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men bezieht": Carl Schmitts politische Theologie (1924), in: ders., Der Künstler und die Zeitkrankheit. Ausgewählte Schriften, Frankfurt/M. 1988, S. 303-335 (318, 332, 321). Ohne rechtsphilosophische Fundierung wäre der Staat für den Schmitt von 1914 - mit Anspielung auf Augustinus - „nur eine gewalttätige Macht ..., unberechtigt und irrational, von der sich nur sagen ließe, daß sie ein ,Wille' sei, ein Terrorismus, an den wir uns gewöhnt haben ... ein magnum latrocinium ..." (WDS 40; vgl. auch 53ff.). Daran in der Sache anknüpfend dann VL 208ff. Zu den entsprechenden Schriften vor allem des Frühwerks siehe: Hofmann (Anm. 18), S. 44ff., 56ff.; ders., Repräsentation. Studien zur Wort- und BegrifFsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert (1974), 2. Aufl. 1990, S. 22ff.; Frithard Scholz, Die Theologie Carl Schmitts, in: Alfred Schindler (Hg.), Monotheismus als politisches Problem? Erik Peterson und die Kritik der politischen Theologie, Gütersloh 1978, S. 149-169 (161ff.); Michele Nicoletti, Die Ursprünge von Carl Schmitts „Politischer Theologie", in: Complexio (Anm. 4), S. 109128 (114ff.); ders., Trascendenza e potere. La teologia politica di Carl Schmitt, Brescia 1990, S. 39ff., 73ff., 334ff.; Lorenz Kiefer, Begründung, Dezision und Politische Theologie. Zu drei frühen Schriften von Carl Schmitt, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 76 (1990), S. 479-499 (484ff.); Olivier Beaud, Carl Schmitt ou le juriste engagé, in: Carl Schmitt, Théorie de la Constitution, Paris 1993, S. 5-113 (46ff.). Vgl. dazu Scholz (Anm. 24), S. 162f.; Nicoletti, Trascendenza e potere (Anm. 24), S. 62f., 76ff.; Nicolaus Sombart, Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos, München 1991, S. 123f.; Carlo Galli, Genealogia della politica. Carl Schmitt e la crisi del pensiero politico moderno, Bologna 1996, S. 230ff.

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davon unberührt. Auch für Schmitts Staatsbegriff gilt, was Hugo Ball schon 1924 für sein Kirchenbild formuliert hat: „Die repraesentatio entspringt dem Streben nach Dauer und Endgültigkeit ... Die institutionelle Repräsentation ist die Vergegenwärtigung der Immortalität, der Dauer."26 Entscheidend bleibt der Bezug des Staats auf eine inhaltlich nicht bestimmte Rechtsidee, auf ein „Naturrecht ohne Naturalismus" (WDS 76).27 Nur der Staat kann die abstrakte Rechtsidee in die empirische Wirklichkeit vermitteln. In der Sache propagiert Schmitt damit erneut den einheitlichen Staatswillen der Staatsrechtslehre Labands vor 1918, ja dieser Staatswille wird bei ihm durch die rechtsphilosophisch-quasitheologische Fundierung noch statischer, als er es bereits bei Laband selbst gewesen war. Wie bei Laband konzentriert sich dieser Staatswille auch bei Schmitt schon vor 1918 - und zumal im Ersten Weltkrieg in der Exekutive, in der ,,schöpferische[n] Tätigkeit der Verwaltung". Auch unter konstitutionellen Bedingungen bleibt die Verwaltung der „Urzustand" (SGN 17).28 Sie ist es, die - neben der Justiz - das notwendig abstrakte Recht überhaupt erst schöpferisch konkretisiert.29 Der moderne Staat ist „seinem Wesen nach Exekutive" (D 12). Auch Schmitts seit den Weltkriegsjahren entwickelte Konzeption der Diktatur weicht von dieser statischen Ordnungskonzeption im Kern nicht ab, da es ihr um die Wiederherstellung der gestörten oder die Schaffung einer neuen Ordnung geht und nicht etwa um einen ,,beliebige[n] Despotismus" (DXVIIf., 134). Die diktatorische Entscheidung verweist letztlich auf eine bestehende oder doch jedenfalls herzustellende Ordnung30 und stellt damit die statische Grundkonzeption nicht in Frage. 26 27

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Ball (Anm. 22), S. 334. Schmitt geht mit dieser „auf die Gefahr einer Paradoxie prägnantfen]" (WDS 76) Formel von vornherein auf Distanz zum zeitgenössischen neuthomistischen Naturrecht seines katholischen Herkunftsmilieus: Manfred Dahlheimer, Carl Schmitt und der deutsche Katholizismus 1888-1936, Paderborn 1998, S. 50ff. Zur parallelen Konzeption Labands siehe Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 2,1. Aufl. Tübingen 1878, S. 200. Der wichtige Aufsatz über „Diktatur und Belagerungszustand" von 1916 (SGN 3-20) bündelt viele Motive von Schmitts Frühwerk - insbesondere auch die zunächst am gerichtlichen Urteil gewonnene Erkenntnis von der Unabdingbarkeit der Konkretisierung des Rechts (GU 49, 104) - und rezipiert zugleich die zeitgenössische Aufwertung der Exekutive in der französischen Staatsrechtslehre der Dritten Republik (Léon Duguit, Joseph Barthélémy). Gute Analyse der Kontinuität der Diktaturschriften zum fur Schmitt zentralen Problem der Rechtsverwirklichung bei Nicoletti, Trascendenza e potere (Anm. 24), S. 140ff.; vgl. auch Heiner Bielefeldt, Kampf und Entscheidung. Politischer Existentialismus bei Carl Schmitt, Helmuth Plessner und Karl Jaspers, Würzburg 1994, S. 27ff.; Galli (Anm. 25), S. 341ff. Karl Löwiths klassischer Vorwurf gegenüber Schmitt, sein Werk

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Damit steht Schmitt aber wiederum vor dem Problem, das schon das Labandsche System im Kaiserreich in die Krise geführt hatte. Der statische Staatswillensbegriff kann den Bezug zu Staatsvolk und Gesellschaft nur als striktes ÜberUnterordnungsverhältnis abbilden. Carl Schmitt hatte ihn noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg transzendentalphilosophisch radikalisiert und seine Schrift Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen unter das Theodor-DäublerMotto gestellt: ,,Zuerst ist das Gebot, die Menschen kommen später,"31 Für den transzendentalen Etatisten von 1914 konstituierte der Staat überhaupt erst das einzelne Individuum durch eine rechtsphilosophische „Umschmelzung" (WDS 84ff., 94).32 Mit dieser statischen Konzeption von oben ließ sich aber die dynamische Entwicklung moderner Gesellschaften nicht begreifen, erst recht nicht, seit diese Entwicklung mit der Demokratisierung die staatliche Herrschaftsordnung selbst erfaßt hatte.33 Bereits Jellineks Staatslehre hatte deshalb versucht, die Staatswillenslehre für die vielfältigen Mobilisierungs- und Demokratisierungsprozesse des wilhelminischen Deutschland zu öffnen, war damit aber bei einer systematisch wenig stimmigen Verdoppelung des Staatsbegriffs angelangt. Indem Schmitt den Akzent vom Staatsbegriff auf den Begriff des Politischen verlagert, versucht er, den statischen Staatsbegriff mit seinem gewissermaßen transzendenten Staatswillen unter den Bedingungen von Demokratie und gesellschaftlichem Pluralismus zu erneuern, ihm also durch die Verknüpfung mit dem Politischen

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sei rein okkasionell (Der Okkasionelle Dezisionismus von C. Schmitt [1935], in: ders., Gesammelte Abhandlungen. Zur Kritik der geschichtlichen Existenz, Stuttgart 1960, S. 93-126 [116f.]), trifft daher in dieser Schärfe nicht zu. Schmitt erörtert die Bedeutung dieses Mottos im Werk des - heute weitgehend unbekannten - Dichters Theodor Däubler in: Ν 29ff. Vgl. dazu Galli (Anm. 25), S. 232f.; Sombart (Anm. 25), S. 123f., 134ff. Vgl. dazu Galli (Anm. 25), S. 315ff.; Friedrich Balke, Der Staat nach seinem Ende. Die Versuchung Carl Schmitts, München 1996, S. 172ff. Die Bezeichnung des frühen Schmitt als „transzendentaler Etatist" lehnt sich an den Titel der Studie von Martin Pilch, System des transcendentalen Etatismus. Staat und Verfassung bei Carl Schmitt, Wien 1994, an. Der statische Charakter von Schmitts Staatstheorie ist auch der zentrale Ansatzpunkt der Kritik Rudolf Smends: Verfassung und Verfassungsrecht (1928), in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 3. Aufl. Berlin 1994, S. 119-276 (174f., 180f., 212f.); gute Analyse dazu bei Gustavo Gozzi, La crisi della dottrina dello Stato nell'età di Weimar, in: Gozzi/Schiera (Anm. 11), S. 131-176 (141ff., 153ff.). Wie sehr Schmitts Gesamtwerk - mit der bedeutsamen Ausnahme der Schriften des Jahres 1933 - immer wieder versucht, der Dynamik und Beschleunigung der modernen Gesellschaft statische Gegenmodelle entgegenzusetzen bzw. sie mit statisch bleibenden Modellen zu erfassen, zeigt am eindringlichsten die Studie von Balke (Anm. 32), wenn auch in beabsichtigt verspielter Form.

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eine Dimension von unten zu geben. „Einheit von oben" und „Einheit von unten" werden aufeinander bezogen. Dabei soll aber der statische Kern der alten Staatswillensvorstellung nicht aufgegeben, sondern vielmehr durch die Verkoppelung mit einem als zeitlos verstandenen Begriff des Politischen erneuert werden. 34 Schmitt denkt auch in Weimar weiterhin in statischen Kategorien, es gibt für ihn Staat oder Nicht-Staat, Politisches oder Nicht-Politisches: „Die intensivste Einheit ist entweder da oder nicht da" (PB 160). Entwicklungsprozesse und dynamiken kann er damit nicht erfassen. Hiermit ist die Problematik von Schmitts Verhältnis zur Tradition des Labandschen Staatswillenspositivismus bezeichnet: In Ablösung von der traditionellen Staatslehre versucht Schmitt politisch-existenzielle „Durchbrüche in die Untergründe erstarrter Formeln", wie es Erich Voegelin in seinem großen Aufsatz zur Verfassungslehre 1931 ausgedrückt hat. Zugleich fuhrt er aber die Leitbegriffe der positivistischen Staatsrechtstradition weiter fort, und so wird - wiederum mit Voegelin formuliert „die Anschauungsfülle aufgefangen in den Kategorien von Einheit, Wille, Gewalt, Träger usw., die ohne nähere Begründung als das selbstverständliche Greifwerkzeug, mit dem die Staatslehre nun einmal zu arbeiten habe, auftreten" 35 . Der Abschied Schmitts von der staatsrechtlichen Tradition ist daher genauso halbherzig, wie schon Jellineks Abschied von ihr halbherzig war. Wie schon bei Jellinek ist auch bei Schmitt die überkommene Staatswillensvorstellung problematisch geworden, und wie Jellinek will auch Schmitt sie deshalb nicht verabschieden, sondern erneuern. Schmitt kommt deshalb in Weimar von den Kategorien der überkommenen Staatslehre, von Einheit, Wille und Gewalt so wenig los, wie Jellinek im späten Kaiserreich von ihnen losgekommen war. Schmitts „Staat nach seinem Ende" 36 erinnert daher durchaus noch an den Staat vor seinem Ende.

II. Staatenkrieg und politische Mobilisierung Der überkommene Staatswillensbegriff wirkt im Begriff des Politischen fort. Wie sehr das der Fall ist, zeigt sich am deutlichsten in der Erstfassung der Schrift von 1927 (BP I 5ff., 15ff., 30ff.). Politisches und Staat sind dort noch sehr eng

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Zum ebenfalls statischen Charakter von Schmitts Begriff des Politischen siehe schon Hermann Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität (1928), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, Leiden 1971, S. 421^33 (425). Erich Voegelin, Die Verfassungslehre von Carl Schmitt. Versuch einer konstruktiven Analyse ihrer staatstheoretischen Prämissen, in: Zeitschrift für Öffentliches Recht 11 (1931), S. 89-109 (99), der daher bei Schmitt „zwei Motivreihen" ausmacht. So der Titel der anregenden Studie von Friedrich Balke (Anm. 32).

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miteinander verbunden. Denn nach Schmitts ursprünglicher Konzeption ist das Politische ein eigenes Sachgebiet neben anderen Sachgebieten wie Moral oder Wirtschaft, und dieses Sachgebiet versteht er vor allem von der Außenpolitik und der Möglichkeit des Kriegs zwischen den Staaten und Völkern her. Der Krieg ergreift „den Staat als Ganzes in seiner politischen Existenz" und ist „der letzte und entscheidende Ausdruck der spezifisch politischen, nämlich der Freund- und Feindgruppierung" (VL 365). Schmitt knüpft mit der Erstfassung seiner Schrift überwiegend an seine außenpolitischen Beiträge der zwanziger Jahre an, die sich mit dem Versailler Vertrag, der französischen Rheinlandbesetzung und dem Völkerbund beschäftigen. Es geht ihm dort um die Kritik an den Einschränkungen der außenpolitischen Souveränität des Deutschen Reiches nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg. Schmitt verteidigt die Klarheit des klassischen Staatenkriegs gegen Systeme indirekter Einflußnahme mit humanitärer Rechtfertigung und prangert die Verwischung von Krieg und Frieden durch die Siegermächte an, der sich die Weimarer Republik ausgesetzt sieht (KVB 32ff.; PB 33ff., 46f.).37 Gerade aufgrund dieser primär außenpolitischen Orientierung erscheint ihm der Bezug des Politischen auf den Staatsbegriff in der ersten Fassung seiner Schrift zwar bereits nicht mehr selbstverständlich, aber immerhin doch noch verstehbar: ,Aber auch die allgemeinen Begriffsbestimmungen des Politischen, in welchen auf den Staat verwiesen wird, sind verständlich und auch wissenschaftlich berechtigt, solange der Staat als eine klare und bestimmte Größe vorausgesetzt werden kann, während heute allerdings sowohl der Begriff des Staates wie auch seine Wirklichkeit problematisch geworden sind" (BP 13; vgl. dagegen BP 23f.). Wegen der Ausrichtung des Politischen auf den staatlichen Krieg ist zu Schmitts Eingangssatz mehrfach mit Recht der Einwand formuliert worden, er sei letztlich zirkelhaft, weil Schmitt seinen Begriff des Politischen - entgegen seiner eigenen Kritik dieses „unbefriedigende[n] Zirkel[s]" (BP 21) - letztlich doch nur mit Bezug auf den Staat erläutern könne.38 Diesen Zirkel konnte Schmitt erst später hinter sich lassen, als er seit Mitte der dreißiger Jahre den Staatsbegriff zunehmend verabschiedete; sein Werk löste das Verständnis des Politischen nun bis

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Vgl. dazu Helmut Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, 3. Aufl. Berlin 1995, S. 65ff.; Henrique Ricardo Otten, Wie Realpolitik in den Mythos umschlägt. Die „Sachlichkeit" des Politischen bei Carl Schmitt, in: Rüdiger Voigt (Hg.), Mythos Staat. Carl Schmitts Staatsverständnis, Baden-Baden 2001, S. 169-207 (192ff.). Daran knüpft später auch Schmitts völkerrechtliches Werk an: VA, 32ff.; NE, 232ff. So zuerst Heller (Anm. 34), S. 425; vgl. dazu auch Portinaro (Anm. 3), S. 258ff.; Vollrath (Anm. 11), S. 154f.

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hin zur Theorie des Partisanen von allen Restbezügen auf den Staat ab, existentialisierte es damit zugleich aber mehr und mehr.39 Dabei ist aber schon in der Erstfassung des Begriffs des Politischen wie auch parallel dazu in der Verfassungslehre eine bedeutsame Verschiebung gegenüber dem Etatismus des Frühwerks eingetreten. Schmitt bindet nämlich nun in der Weimarer Republik den Staatsbegriff an das Volk zurück. Im Begriff des Politischen wie in der Verfassungslehre erscheint der Staat als „der politische Status eines Volkes" (BP I 1; VL 90). War für den Staat des Frühwerks der Bezug auf eine von oben kommende Rechtsidee entscheidend, so wird der Staatsbegriff nun fur das Volk und damit für die Einheitsbildung „von unten" geöffnet. Das geschieht aber nicht wie eine Generation zuvor bei Jellinek dadurch, daß der Staatswille von oben um Elemente körperschaftlicher Repräsentation von unten ergänzt wird. Vielmehr muß das Volk bei Schmitt eine vergleichbare Geschlossenheit aufweisen wie sie der Staatswille der Laband-Tradition - auf der Ebene der Theorie - gehabt hatte. Die Öffnung des Staatsbegriffs für das Volk ist also für Schmitt nicht wie bei Jellinek eine zu den Staatsbürgern als politischen Subjekten hin, erst recht nicht zur Interessenvielfalt der modernen Gesellschaft. Entsprechend ist für ihn bei der Demokratie „Identität und Homogenität des Volkes" entscheidend (VL 235) und sieht er in der Akklamation „das demokratische Urphänomen"40. Es geht um die Geschlossenheit des Volkes als politischer Einheit, und diese Geschlossenheit gewinnt es eben im Staat. Damit entwickelt Schmitt ein dualistisches Gedankensystem. Es wird weder konsequent vom Staat als der Einheit von oben her konstruiert - wie noch 1914 in Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen - noch konsequent vom Volk als der Einheit von unten her. Beide werden verbunden, obwohl sie sich systematisch ausschließen. Dasselbe Dilemma findet sich in der Verfassungslehre, in der Schmitt die beiden Strukturprinzipien „Repräsentation" (von oben) und „Identität" (von unten) einander gegenüberstellt (VL 204ff.), um dann zu betonen, daß in jedem Staat beide Prinzipien verbunden sein müßten (VL 205f., 216).41 „Einheit von oben" und „Einheit von unten", „Repräsentation" und „Identität" stehen sich gegenüber und werden zugleich aufeinander bezogen. Systematisch bleibt bei Schmitt aber ein Vorrang der Einheit von oben vor der Einheit von 39

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Zu dieser zunehmenden Existentialisierung seines Verständnisses des Politischen und den damit einhergehenden systematischen Problemen siehe unten IV. Carl Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren. Ein Beitrag zur Auslegung der Weimarer Verfassung und zur Lehre von der unmittelbaren Demokratie, Berlin/Leipzig 1927, S. 34. Vgl. dazu die frühen systematischen Analysen von Margit Kraft-Fuchs, Prinzipielle Bemerkungen zu Carl Schmitts Verfassungslehre, in: Zeitschrift für Öffentliches Recht 9 (1930), S. 511-541 (517ff.); Voegelin (Anm. 35), S. 99ff.

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unten erhalten. Er denkt auch unter demokratischen Bedingungen weiterhin vertikal. Letztlich stellt sein Denken immer Form und Formlosigkeit, Transzendenz und Immanenz gegenüber - „denn keine Zeit lebt ohne Form, mag sie sich noch so ökonomisch gebärden" (PR 19) - und fordert den Vorrang der Form vor der Formlosigkeit, der Transzendenz vor der Immanenz.42 Folgerichtig ergibt sich auch in der Verfassungslehre, daß es zwar die absolute Repräsentation gibt nämlich die absolute Monarchie - (VL 205), nicht aber die absolute Identität - die reine Demokratie - , weil diese die „ A u f l ö s u n g der politischen Einheit" bedeutete (VL 206f.).43 Damit ist der Kern des überkommenen Staatsbegriffs gewahrt, allen Bezügen auf das Volk zum Trotz. Im Begriff des Politischen ist dieser systematische Vorrang freilich weniger deutlich als in der Verfassungslehre, weil es der Schrift ihrer ursprünglichen Anlage nach nicht in erster Linie um die innere Ordnung des Staates geht, sondern um Außenpolitik und Staatenkrieg, und sie zudem an die Stelle der Rede von Recht und Staat oft anthropologische Argumente setzt. Wegen dieser ursprünglichen Anlage ist der systematische Vorrang des Staats im Begriff des Politischen zunächst aber auch weniger gefährdet als in der Verfassungslehre. Erst später bricht Schmitt mit der an der Außenpolitik orientierten gebietsbezogenen Auffassung des Politischen und setzt an ihre Stelle eine Bestimmung des Politischen von der Intensität der Trennung oder Verbindung von Menschen her. Jetzt sind Gegensätze auf allen Sachgebieten potentiell politisch; das Politische ist kein selbständiges Gebiet neben anderen Gebieten mehr, sondern es bezeichnet nun einen Intensitätsgrad, der von allen Einzelgebieten her erreicht werden kann (BP 37; HP, 26 Anm. 10; PB ^ f . ) . 4 4 Der Grund dafür liegt vor allem darin, daß Schmitt nun neben den auswärtigen Beziehungen des Staates dessen Inneres in den Blick nimmt. Die wechselseitige Durchdringung von Staat und Gesellschaft macht es unmöglich, ein selbständiges Gebiet des Politischen abzugrenzen. Nun kann das Politische auch in der Innenpolitik wirksam werden, und auch der „Bürgerkrieg" wird vom Politischen her deutbar. Alles ist jetzt 42

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Dazu insgesamt Nicoletti, Trascendenza e potere (Anm. 24); vgl. auch: Günter Meuter, Zum Begriff der Transzendenz bei Carl Schmitt, in: Der Staat 30 (1991), S. 483-512 (484f„ 486ff„ 506f.); Adam (Anm. ), S. 92ff.; Balke (Anm. 32), S. 170ff. Schmitt ist damit freilich demokratietheoretisch in einer schwierigen Position, da sich die Demokratie für ihn notwendig in Immanenzvorstellungen bewegen muß: VL 237. Vgl. dazu Giuseppe Duso, Rappresentazione e unità politica nel dibattito degli anni Venti: Schmitt e Leibholz, in: Gozzi/Schiera (Hg.), Crisi istituzionale (Anm. 11), S. 283-323 (303ff). Vgl. dazu Heinrich Meier (Anm. 9), S. 25ff.; ders., Die Lehre Carl Schmitts. Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie, Stuttgart/Weimar 1994, S. 51ff.

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„wenigstens der Möglichkeit nach politisch, und die Bezugnahme auf den Staat ist nicht mehr imstande, ein spezifisches Unterscheidungsmerkmal des .Politischen' zu begründen" (BP 24). Zugleich führt die Schrift aber die ursprüngliche Orientierung am Paradigma der Außenpolitik und des klassischen Staatenkriegs weiter mit und damit auch die enge Verknüpfung des Begriffs des Politischen mit dem Staatsbegriff. So gewinnt der Begriff des Politischen nun endgültig die für die Schrift charakteristische Zweideutigkeit. Sie verbindet etatistische Tradition von oben und intensivste Gruppenbildung von unten, klassischen Staatenund Kabinettskrieg und komplette innere Mobilisierung, ohne deren problematisches Verhältnis systematisch zu klären. Der überkommene Staatswille wird mit der immanenten politischen Einheit des Volkes kombiniert. Der Staatswille ist so in seiner Bedeutung relativiert, wird aber nicht vollständig verabschiedet. Ein letzter Rest der alten Staatsstatik zeigt sich bei Schmitt dann sogar noch im Jahr 1933. Im beginnenden Nationalsozialismus stellt er den „Staat" relativ unverbunden neben „Bewegung" und „Volk" und variiert dabei die Eröffnungsformel des Begriffs des Politischen: „Der Staat im Sinn des staatlichen Beamtenund Behördentums verliert das Monopol des Politischen, das er sich im 17. und 18. Jahrhundert geschaffen hatte. Er wird als bloßer Teil der politischen Einheit, und zwar als ein auf die staatstragende Organisation [d. h. die NSDAP, CS] angewiesener Teil erkannt. Das staatliche Behörden- und Ämterwesen für sich allein ist also nicht mehr mit dem politischen Ganzen und nicht mehr mit einer in sich selbst ruhenden .Obrigkeit' identisch. Heute kann das Politische nicht mehr vom Staate her, sondern muß der Staat vom Politischen her bestimmt werden" (SBV 15). Selbst dieser hinter die neue Einheitspartei zurückgestufte Staat bleibt bei Schmitt ruhend und nicht bewegt gedacht. Der Staat ist der „politischstatische Teil" der politischen Einheit, während die NSDAP als „Bewegung" das „politisch-dynamische Element" bildet (SBV 12). Auch der „völkische Kurienkardinal" von 193345 kommt von der Statik des alten verwaltungsstaatlichen Staatswillens nicht ganz los, unterwirft ihn nun aber der Dynamik der „Bewegung", obwohl diese Dynamik seinem staatstheoretischen Denken eigentlich fremd ist. Der transzendente Staatswille und der entsprechende Repräsentationsgedanke, die seit dem Frühwerk den Kern von Schmitts staatstheoretischer Konzeption bildeten, wird aber nun verabschiedet (SBV 41 f.). An ihre Stelle tritt eine rein immanente Dynamik des Politischen.46 Konsequenterweise läßt Schmitt

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Die Formulierung stammt von Ernst Niekisch, Das Reich der niederen Dämonen, Hamburg 1953, S. 200. Siehe dazu die genaue Analyse von Nicoletti, Trascendenza e potere (Anm. 24), S. 397ff., der mit Recht hervorhebt, daß Schmitt hier erstmals die Transzendenz des Staates durch eine auf die „unmittelbare Gegenwart und reale Präsenz" [SBV 42] von

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denn auch in der Ausgabe von 1933 den ersten Abschnitt des Begriffs des Politischen mit dem auf den Staat bezogenen Eingangssatz ganz weg. Im Weimarer Text des Begriffs des Politischen ist es hingegen noch nicht so weit, weil die Schrift den Staatsbegriff zwar zurücktreten läßt, ihn aber nicht aufgibt.

III. Die Gesellschaft als Bedrohung des Staates Die Gesellschaft, die inneren Verhältnisse des Staates nimmt der Begriff des Politischen in seiner ersten Fassung aufgrund der außenpolitischen Orientierung der Schrift kaum in den Blick. Innerstaatliche Auseinandersetzungen, die den Punkt des Politischen erreichen, kennt die Schrift daher ursprünglich nur mit Bezug auf Staatsgewalt und Kriegsfuhrung: „Sind die wirtschaftlichen oder religiösen Gegenkräfte so stark daß sie die Entscheidung über den Ernstfall von sich aus bestimmen, so sind sie eben die neue Substanz der politischen Einheit geworden. Sind sie nicht stark genug, um einen gegen ihre Interessen beschlossenen Krieg zu verhindern, so zeigt sich, daß sie den entscheidenden Punkt des Politischen nicht erreicht haben" (BP 111 ; nahezu identisch: BP 39). Aus dieser außenpolitisch geprägten Perspektive interessieren innerstaatliche Konflikte vor allem dann, wenn sie die staatliche Fähigkeit zur Kriegführung berühren oder beeinträchtigen, etwa „die pazifistische Gegnerschaft gegen den Krieg" (BP 36). Diese Perspektive bestimmt zunächst auch Schmitts Annäherung an die Gesellschaft auf der Ebene der Theorie. Er nimmt dort die Auseinandersetzung mit den französischen Syndikalisten (Berth, Duguit) und den englischen Pluralisten (Laski, Cole) auf (BP 40ff.) und knüpft dabei in der Sache an seine Verteidigung des Souveränitätsbegriffs gegen die Kritik von Autoren wie Krabbe, Preuß und Kelsen in der Politischen Theologie an (PT 25ff.). Schmitt ist bei dieser Kritik in einer schwierigen Lage, weil er mit den Pluralisten und Souveränitätskritikern durchaus in der Einschätzung übereinstimmt, daß sich die Demokratie notwendig in Immanenzvorstellungen bewegen muß (PT 63; VL 23 7).47 In dieser demokratischen Ordnung der „Identität von Regierenden und Regierten" (PT 63; VL 234) scheint ein transzendenter Staatswille in der Tradition Labands und des Frühwerks Schmitts nicht mehr begründbar zu sein. Dessen Rettung soll nun das von der Außenpolitik her gedachte Politische leisten, indem es die Besonderheit des Staates gegenüber anderen gesellschaftlichen Organisationen sichert. Im Politischen sieht Schmitt das entscheidende Kriterium dafür, daß der Staat nicht eine Assoziation unter anderen Assoziationen, sondern die maßgebliche politi-

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„Führer" und „Bewegung" bezogene reine Immanenz des Politischen ablöst; vgl. auch Adam (Anm. 10), S. 91ff. Vgl. dazu Kiefer (Anm. 24), S. 497ff.

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sehe Einheit ist. Zur Erläuterung verweist er bezeichnenderweise auf ein Zitat Emil Lederers aus dem Jahr 1915, nach dem sich „am Tage der Mobilisierung [zu Beginn des Ersten Weltkriegs, CS] die Gesellschaft, die bis dahin bestand, in eine Gemeinschaft umformte" (BP 45 mit Anm. 15). Schmitt bestreitet nicht, daß der Staat sich nach innen oft nur sehr begrenzt durchsetzen kann, und kritisiert Juristenformeln von staatlicher Allmacht (BP 39f., 42f.; PB 157f.).48 Aber daß der Staat nach innen die maßgebliche Einheit ist, zeigt sich eben in seiner Möglichkeit der Kriegführung nach außen. Dadurch daß ihm und nur ihm das ius belli zusteht, erweist sich der Staat als die maßgebliche politische Einheit. Damit garantiert das Recht zur Kriegführung in Schmitts Systematik zunächst den Rückbezug des Politischen auf den Staat. In der zweiten Ausgabe 1932 wird dann das Innen des Staates selbständig in den Blick genommen. Schmitt integriert in den Begriff des Politischen nun Überlegungen zum gewandelten Verhältnis von Staat und Gesellschaft, die sich insbesondere in den großen Texten über das „Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen", über den Staatsbegriff von Hugo Preuß, über „Staatsethik und pluralistischen Staat" und den „Hüter der Verfassung" aus den Jahren 1929 bis 1931 finden. Nun erläutert er die Unmöglichkeit der Begriffsbestimmung des Politischen vom Staatsbegriff her mit einer geschichtsphilosophischen Analyse der Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft. Begriffsbestimmungen des Politischen, die auf den Staat verweisen, sind nur so lange sinnvoll, wie der Staat „wirklich eine klare, eindeutig bestimmte Größe ist und den nichtstaatlichen, eben deshalb .unpolitischen' Gruppen und Angelegenheiten gegenübersteht, solange also der Staat das Monopol des Politischen hat" (BP 23). Das war nach Schmitts Einschätzung im Absolutismus und selbst noch im Deutschland der Epoche der konstitutionellen Monarchie der Fall, in dem der Staat „als stabile und unterscheidbare Macht über der ,Gesellschaft'" gestanden habe. Unter demokratischen Bedingungen gilt das aber nicht mehr, weil sich Staat und Gesellschaft jetzt notwendigerweise gegenseitig durchdringen. Die geschichtliche Entwicklung führt mit Notwendigkeit zur „demokratischen Identität von Staat und Gesellschaft" (BP 23f., 25). Die Demokratie hebt den Gegensatz von Staat und Gesellschaft auf. Der Staat ist jetzt „Selbstorganisation" der Gesellschaft (HP 20; PB 172). Die Gleichung Staatlich = Politisch stimmt nicht mehr, weil nun alle bisher nur staatlichen Angelegenheiten gesellschaftlich und alle bisher allein gesellschaftlichen Angelegenheiten staatlich werden (BP 24). Schmitt sieht klar, daß diese von ihm diagnostizierte Situation sich gut in der Terminologie der Genossenschaftslehre Gierkes und seines Schülers Hugo

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Vgl. dazu Thomas Vesting, Erosionen staatlicher Herrschaft. Zum Begriff des Politischen bei Carl Schmitt, in: Archiv des öffentlichen Rechts 117 (1992), S. 4-45 (15f.).

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Preuß beschreiben läßt. Die Genossenschaftslehre war der theoretische Hauptgegenentwurf zum Staatswillenspositivismus der Vorkriegszeit und behauptete die Wesensgleichheit aller menschlichen Verbände unter Einschluß des Staates.49 Preuß konnte sie demokratisch ausdeuten, und an sie knüpften auch die von Schmitt bekämpften englischen Pluralisten an (BP 25). Schmitt gesteht durchaus zu, daß die pluralistische Auffassung dem „empirisch wirklichen Zustand" entspricht, „wie man ihn heute in den meisten industriellen Staaten beobachten kann" (PB 154). Sein eigener Versuch, den inneren Konflikten und Auseinandersetzungen nun als „sekundär"-politischen einen - nachgeordneten - Platz in seinem System einzuräumen (BP 30), bleibt aber blaß, weil sein Kriterium des Politischen weiterhin an der Außenpolitik orientiert ist und die inneren Auseinandersetzungen nicht um ihrer selbst willen, sondern allein als potentielle Bedrohung für den transzendenten Staatswillen erfaßt.50 Angesichts seiner mit den Pluralisten weitgehend übereinstimmenden Diagnose könnte Schmitt die im ursprünglichen Text des Begriffs des Politischen angelegte Definition des Politischen von der staatlichen Kriegführung her nur dann systematisch stimmig bewahren, wenn er die von ihm konstatierte neue demokratische Identität von Staat und Gesellschaft als für das vom Staatenkrieg her gedachte Politische belanglos darstellte. Je mehr Schmitt sein Augenmerk in der wachsenden Agonie der Weimarer Republik auf die inneren Verhältnisse richtet, desto problematischer wird aber der ursprüngliche Rückbezug seines Begriffs des Politischen auf den mit dem Recht zum Krieg ausgestatteten Staat. Schmitt verläßt sich denn auch 1932 nicht mehr allein auf das ius belli. Vielmehr tritt das Recht der Kriegführung für ihn nun hinter den bewaffneten Kampf im Inneren zurück, den Bürgerkrieg. Nun sind politische Auseinandersetzungen auch zwischen innerstaatlichen Gruppierungen vorstellbar. An die Stelle des Bezugs auf den staatlichen Krieg tritt nun der Bezug auf den bewaffneten Kampf, der sich im Inneren „konsequenterweise nicht mehr auf den Krieg zwischen organisierten Völkereinheiten (Staaten oder Imperien), sondern auf den Bürgerkrieg" bezieht (BP 32). Damit hat die Schrift ihre doppeldeutigen Züge klar herausgebildet. Zum einen bewahrt sie den Staatsbezug des Politischen durch die Orientierung am außenpolitischen ius belli·, zum anderen relativiert sie diesen Staatsbezug, indem sie das Politische auch in der extremsten inneren Auseinandersetzung verortet, im Bürgerkrieg, und es ganz generell auch in nichtstaatlichen Gemeinschaften auffindet, so daß nun etwa „Religionen, Klas-

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Siehe dazu im einzelnen Schönberger (Anm. 13), S. 347ff., 368ff., 377f. Vgl. aber die positive Ausdeutung durch Böckenförde (Anm. 7), S. 285f., und die Grundsatzkritik daran bei Hofmann, Diskussionsbemerkung, in: Complexio (Anm. 4), S. 304f.

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sen und andere Menschengruppen" (BP 54) als politische Subjekte in Betracht kommen. 1932 werden derartige neue politische Subjekte aber noch nicht selbständig in den Blick genommen. Sie sind allein potentielle Bürgerkriegsparteien im Kampf um die Eroberung der Staatsgewalt, so daß auch die politische Dissoziation im Bürgerkrieg letztlich noch staatsbezogen bleibt.51 Denn Schmitt geht es noch nicht um den Abschied vom Staat und die Zuwendung zu neuen politischen Subjekten, sondern im Gegenteil darum, den Staat auch unter den gewandelten Bedingungen in seiner überlegenen Rolle zu bewahren bzw. ihm sie wiederzugewinnen. Der Staat wird jetzt aufgrund der demokratischen Identität von Staat und Gesellschaft zwangsläufig zum „totalen Staat". Anders als noch in der Epoche der konstitutionellen Monarchie kann es jetzt für Schmitt keine vom „politischen" Staat freigesetzte unpolitische Gesellschaft der Religion, Kultur und Wirtschaft, des Rechts und der Wissenschaft mehr geben. Der „totale Staat der Identität von Staat und Gesellschaft" (BP 24) kann kein Sachgebiet der Gesellschaft mehr neutralisieren oder entpolitisieren, sondern ergreift potentiell jedes dieser Gebiete, insbesondere auch die Wirtschaft (PB 173ff.). Ist der Staat zur Selbstorganisation der Gesellschaft geworden, so „gibt es eben nichts, was nicht wenigstens potentiell staatlich und politisch wäre" (PB 172). Es gibt nur noch die Alternative: totaler Staat aus Schwäche oder totaler Staat aus Stärke, „quantitativ" oder „qualitativ" totaler Staat zu sein.52 Damit sucht die Schrift den Anschluß an Schmitts verfassungspolitisches Engagement in der ausgehenden Weimarer Republik mit ihrer Orientierung auf Präsidialdiktatur, Heer und autoritären Verwaltungsstaat.53 Das Projekt des „totalen Staats aus Stärke" ist freilich im Kern utopisch. Dieser utopische Charakter liegt in einem Paradox begründet: Je mehr der Staat vergesellschaftet wird, desto umfassender muß sein Lenkungsanspruch werden. Je weniger der alte transzendente Staatswille unter den Bedingungen der „demokratischen Identität von Staat und Gesellschaft" noch plausibel ist, desto radikaler muß der Staat auf alle Gebiete der Gesellschaft zugreifen. Die „Einheit von oben" ist nun auch durch die Mobilisierung der „Einheit von unten" mit Hilfe der außenpolitischen Freund-Feind-Orientierung nicht länger zu ge51 52 53

Dazu Portinaro (Anm. 3), S. 259f. Vgl. dazu zusammenfassend Hofmann (Anm. 8), S. 232ff.; Vesting (Anm. 48), S. 27£f. Zur Rolle Schmitts im Krisenjahr 1932 siehe mit unterschiedlichen Akzenten: Olivier Beaud, Les derniers jours de Weimar. Carl Schmitt face à l'avènement du nazisme, Paris 1997; Lutz Berthold, Carl Schmitt und der Staatsnotstandsplan am Ende der Weimarer Republik, Berlin 1999; Wolfram Pyta/Gabriel Seiberth, Die Staatskrise der Weimarer Republik im Spiegel der Tagebücher von Carl Schmitt, in: Der Staat 38 (1999), S. 423-48; 594-610; Gabriel Seiberth, Anwalt des Reiches. Carl Schmitt und der Prozeß „Preußen contra Reich" vor dem Staatsgerichtshof, Berlin 2001.

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währleisten. Sie kann nur verwirklicht werden, wenn der Staat restlos auf alle Bereiche der Gesellschaft zugreift. Was vorher eine Interpretation der gesellschaftlichen Entwicklung vom außenpolitischen Monopol des Staates her war, wird nun zum Projekt einer etatistischen Rundumpolitisierung der Gesellschaft. Schmitt bündelt so 1932 noch einmal die verschiedenen Stränge einer Theorie, die die Erschütterung des Staatswillens seit ihren Anfängen gespürt und zugleich versucht hat, eben diesen transzendenten Staatswillen neu und anders zu kräftigen: 1914 noch rechtsphilosophisch durch die abstrakte Rechtsidee von oben, im Ersten Weltkrieg durch die Radikalisierung zur Diktatur, in Weimar dann durch die Öffnung nach unten, zu „politischer Einheit" und „Identität" des Volkes, bis hin zum „totalen Staat aus Stärke".

IV. Vom Begriff des Staates zum Begriff des Politischen Die Ausrichtung des Politischen auf den Staat ist aber im Begriff des Politischen von 1932 systematisch nicht länger zwingend, weil die Orientierung am staatlichen ius belli nun hinter die Intensitätskonzeption des Politischen zurücktritt. Diese Intensitätskonzeption ist aber nicht notwendig staatsbezogen. Sie hat keinen etatistischen, sondern vielmehr einen moralischen Kern. Leo Strauss und Helmut Kuhn haben ihn in ihren zeitgenössischen Rezensionen prägnant herausgearbeitet.54 Schmitt geht es bei seiner emphatischen Verteidigung des Politischen als einer Welt menschlicher Verbände, die von ihren Mitgliedern Todesbereitschaft verlangen können, letztlich um eine moralische Grundsatzkritik an einer Welt ohne Transzendenz und existentiellen Ernst, an der „Dynamik ewiger Konkurrenz und ewiger Diskussion" (BP 71), am „Massenglauben eines antireligiösen Diesseits-Aktivismus" (BP 93).55 Nur die Todesbereitschaft in der politischen Auseinandersetzung hebt für Schmitt aus dieser Dynamik hinaus. Diese moralische Perspektive erzwingt aber nicht notwendig eine Orientierung auf den Staat. Denn vor diesem moralischen Hintergrund ist es letztlich nicht entscheidend, ob der einzelne vom Staat oder von einer nichtstaatlichen Gruppierung existentiell in Anspruch genommen wird. Entscheidend ist nicht die Ordnung des Gemeinwesens, sondern die Intensität der Gruppenbildung, die existentielle Erfassung der Mitglieder bis hin zur Todesbereitschaft. Der einzelne muß nicht

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Leo Strauss, Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), in: Heinrich Meier (Anm. 9), S. 97-125; Helmut Kuhn, Besprechung zu: Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, in: Kant-Studien 38 (1933), S. 190-196. Siehe dazu Strauss (Anm. 54), S. 117ff. Zu interessanten Parallelen in der HegelInterpretation von Alexandre Kojève und dessen Beziehungen zu Schmitt siehe: Martin Meyer, Ende der Geschichte?, München/Wien 1993, S. 63ff., 129ff.

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unbedingt vom staatlichen Ganzen, wohl aber muß er ganz erfaßt werden (Heinrich Meier) 56 . Dieser moralische Kern von Schmitts Konzeption des Politischen kann von der staatlichen Ordnung verfehlt und von nichtstaatlichen Gemeinschaften verwirklicht werden. 57 Das Politische kann etwa bei einer radikalen Sekte zu finden sein. Und umgekehrt kann der Staat als bürokratischer Mechanismus durchaus in den Dienst der von Schmitt moralisch bekämpften Dynamik treten (L 54), und genau diese Beobachtung fuhrt Schmitt ja dann auch zum Abschied vom Staat, wie ihn insbesondere seine Hobbes-Analysen in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre formulieren (SGN 139, 144ff.; L 52ff., 85ff., 103ff.).58 Diese Ablösung des Politischen vom Staatsbegriff fuhrt Schmitt freilich systematisch in Schwierigkeiten. Denn Schmitts Verständnis des Feindes als öffentlicher hostis bezieht seine Anschaulichkeit ursprünglich vom Krieg zwischen in Staaten geeinten Völkern und damit letztlich doch noch vom Staat her. Mit dem Abschied vom Staatsbegriff und der damit einhergehenden Existentialisierung des Politischen wird aber nun endgültig unsicher, welche nicht staatsbezogenen Gegnerschaftsverhältnisse denn politische Freund-Feind-Gruppierungen werden können. 59 Schon im Begriff des Politischen von 1932 zeichnet sich jedenfalls ab, daß sich die moralisch-kulturkritischen Wahrnehmungsmuster, die Schmitt in Kaiserreich und Weimarer Republik in den Dienst etatistischer Positionen gestellt hatte, auch gegen den überkommenen Staatswillen wenden können. Indem die Schrift die Verbindung des Politischen mit dem staatlichen ius belli lockert, macht sie eine entzauberte Perspektive auf den Staat ebenso möglich wie das Wandern des Politischen hin zu neuen Gruppen und Subjekten. Sie eröffnet so die Entwicklung von Schmitts Werk „vom Begriff des Staates zum Begriff des Politischen".60 Das

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Vgl. dazu Meier, Die Lehre Carl Schmitts (Anm. 44), S. 59ff. Der späte Schmitt wird denn auch konstatieren, daß der Staat zur „totalen Erfassung" seiner Mitglieder sehr viel weniger in der Lage sei als manche nichtstaatlichen Gruppen (TP 21 f.). Zu Schmitts Hobbes-Kritik der späten dreißiger Jahre siehe Helmut Rumpf, Carl Schmitt und Thomas Hobbes. Ideelle Beziehungen und aktuelle Bedeutung mit einer Abhandlung über: Die Frühschriften Carl Schmitts, Berlin 1972, S. 6Iff.; Nicoletti, Trascendenza e potere (Aran. 24), S. 430ff, 436ff. Vgl. dazu Portinaro (Anm. 3), S. 258ff.; Meier, Die Lehre Carl Schmitts (Anm. 44), S. 59ff. Zudem schwingt bei Schmitt weiterhin Nostalgie fur eine bestimmte Vorstellung von Staatsgewalt mit, so daß nun politisch zu sein scheint, „wer so handelt, wie der Staat zu handeln vermochte, als der Staat noch Staat war" (so pointiert Vollrath, Anm. 11, S. 155). Der greise Schmitt hat überlegt, unter dem Titel „Vom Begriff des Staates zum Begriff des Politischen" einen Sammelband eigener Schriften zu veröffentlichen, in dem auch

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Spätwerk Schmitts vollzieht diesen Perspektivenwechsel und knüpft dabei an manche laientheologischen Impulse des Frühwerks an. 1917 hatte der frühe Schmitt für die triumphal-sichtbare Kirche das Risiko erwogen, daß sie zur „sündhaft-konkreten und bloß historisch-faktischen" (SK 77) werden könnte. In diesem Fall, so Schmitt damals, würden „die wenigen Getreuen trotz aller Verdunkelung die sichtbare Kirche bleiben" und „dürften die Welt nicht verfluchen und ihrer Bosheit überlassen" (SK 78). Im Spätwerk Schmitts ist dieser Fall nun für den Staat eingetreten. Das Politische wird nur noch von wenigen Getreuen etwa in Partisanengruppen gehütet (TP 73f., 93)61, während der Staat gesellschafitlich-technische Dynamiken nur noch begleitet und nicht länger die maßgebliche politische Einheit ist. Es ist deshalb auch nicht die gescheiterte Erneuerung und Überbietung des Labandschen Staatswillens zwischen 1914 und 1932, die heute noch an Schmitt interessiert. Vielmehr sind es vor allem die sich vom Staatsbegriff lösenden Aspekte seiner Schriften, die Carl Schmitt heute interessant machen: Sein Werk diagnostiziert eine Entwicklungsdynamik moderner Gesellschaften, die nur noch begrenzt von staatlichen und rechtlichen Instanzen beherrscht wird 62 , und weiß über das Problem des theoretischen Verständnisses dieser Gesellschaften der radikalen Immanenz mehr, als es sagt.63 Es beschreibt in zugespitzter Form die Problematik des moralisch-humanitären Interventionsvölkerrechts mit seinen „Exekutionen, Sanktionen, Strafexpeditionen, Pazifizierungen ... Maßnahmen zur Sicherung des Friedens" (BP 77). Schmitt bietet in seiner Bundeslehre eine Theorie föderaler Systeme an, die nicht mehr auf den Staatsbegriff ausgerichtet ist und die unbrauchbare Dichotomie von Staatenbund und Bundesstaat hinter sich läßt (VL 366ff.). 64 Und nicht zuletzt schenkt sein Werk bei der Analyse des Politischen jenseits des Staates gerade Partisanen und Guerilleros besondere Aufmerksamkeit und stellt den heutigen Leser vor die Frage, ob sich der moderne Terrorismus mit seinen Kategorien des Politischen

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die Erstfassung des Begriffs des Politischen erscheinen sollte. Die entsprechenden undatierten Pläne finden sich in seinem Nachlaß: Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Nachlaß Carl Schmitt, RW 265-21823. Vgl. dazu auch Schmitts Bemerkungen im 1969 geführten Rundfunkgespräch „über den Partisanen", abgedruckt in: Joachim Schickel, Gespräche mit Carl Schmitt, Berlin 1993, S. 10-30 (24f.). Vgl. dazu Vesting (Anm. 48), S. 29ff. Vgl. dazu insgesamt Balke (Anm. 32). Zur zu wenig beachteten Bundeslehre Schmitts siehe: Murray Forsyth, Unions of States. The Theory and Practice of Confederation, New York 1981, S. 146ff.; Olivier Beaud, Fédéralisme et Souveraineté, Revue du droit public 114 (1998), S. 83-122 (102f., 1 lOff.); Emst-Wolfgang Böckenförde, Der Westfälische Frieden und das Bündnisrecht der Reichsstände, Der Staat 8 (1969), S. 449-478 (475£).

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erfassen läßt.65 So nimmt das Spätwerk Carl Schmitts ebenso erhellend wie überzeichnend Abschied vom staatlichen Politikmonopol. In dieser Perspektive läßt sich der Eingangssatz des Begriffs des Politischen dann freilich nicht mehr wiederholen. Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen nicht länger voraus, weil das Politische staatenlos geworden ist.

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Vgl. dazu das Referat von Julien Freund und die Diskussion dazu in: Complexio (Anm. 4), S. 387-399; Nicoletti, Trascendenza e potere (Anm. 24), S. 557ff., und im Gefolge des 11. September Jürgen Kaube, Gewalt als Manifestation, Schrecken ohne Botschaft, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. September 2001, Nr. 217, S. 57.

3 Bernd Ladwig „Die Unterscheidung von Freund und Feind als Kriterium des Politischen" (26-28)

I. Eine militante Formel Keine Politik ohne Kampf - diese Überzeugung steht gerade demokratischen Rechtsstaaten auf die Stirn geschrieben. Ihre Institutionen sehen öffentlichen Streit ausdrücklich vor, bereiten ihm den Boden und stellen ihn auf Dauer.1 Gleichwohl gelten Konflikte in funktionierenden Demokratien als gehegt: Das agonale Gegenüber, ob im Wahlkampf, im Parlament oder auf der Straße, soll als Gegner geachtet, nicht als Feind vernichtet werden. Bekennen Gruppen dennoch ihre Feindschaft, und nicht nur in Worten, so müssen sie mit Ausgrenzung rechnen. Dies nicht, weil sie willkürlich zu Unholden erklärt worden wären, sondern weil sie gegen die Grundregel eines Gemeinwesens verstoßen, das ihnen nach Maßgabe gleicher Rechte Gelegenheit zur friedlichen Entfaltung gäbe. Im günstigsten Fall vergißt die Ordnung sich dabei nicht, bleibt sie ihren Prinzipien und Rechtsbindungen treu, anstatt zum Maßnahmestaat zu regredieren. Im günstigsten Fall fällt der „Feind" ganz in die Zuständigkeit der Polizei, zeigt seine Kriegserklärung keine Wirkung, weil ihr keine militärische Antwort zuteil wird. Wird hingegen die Ausnahme zur neuen, alles verkehrenden Norm, so hat die Demokratie verloren, welche Schläge sie dem Herausforderer auch zu versetzen vermag. Auf diese Art der Niederlage, die einer Entlarvung gleicht, zielt der Terror privater Gruppen mehr noch als auf materielle Wirkung. Er folgt der Überzeugung, daß erst der Ausnahmefall das Wesen der liberalen Ordnung enthülle: das eines Feindgebildes unter Feinden, das sich Toleranz im Ernst nicht leisten könne und daher ebenso ausgrenzend sei wie seine eifernden Verächter.

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Vgl. C. Lefort, Menschenrechte und Politik, in: U. Rödel (Hg.), Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie, Frankfurt/M. 1990, 28Iff.; U. Rödel/G. Frankenberg/H. Dubiel, Die demokratische Frage, Frankfurt/M. 1989.

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Er konfrontiert den Liberalismus mit der Frage der Selbsterhaltung und will ihn so als politische Partei auf seiner, des Antiliberalen Augenhöhe stellen.2 Hat er damit im Grunde recht? Muß erst die Waffe der Kritik zur Kritik der Waffen fortgeschritten sein, damit auch die liberale Demokratie sich offen als politische Einheit bekennt? Gewinnt George W. Bush in mehr als einem Sinne an politischem Profil, indem er Osama Bin Laden und Saddam Hussein zu Todfeinden erklärt? Bedurfte Helmut Schmidt erst der RAF und des Deutschen Herbstes, um aus den Niederungen des Parteienstreits auf die Höhe politischen Handelns zu finden? Gewiß, selbst Demokratien verstricken sich heute bis zur Unkenntlichkeit in einen Selbstlauf von Terror und Vergeltung. Doch sind darum Selbstmordanschläge und Raketenangriffe, sind fallende Türme und Streubomben näher am Kern des Politischen als Parteitage und parlamentarische Rededuelle, als Petitionen und Mahnwachen? Darf ein ritualhaftes Ringen „politisch" nur heißen, soweit es den Keim zum bewaffneten Kampf in sich trägt? Wer dies glauben will, findet in Carl Schmitts Begriff des Politischen, und hier vor allem im 2. Abschnitt (BP 26-28), die nötigen Stichworte. Das Politische wird darin von „Sachgebieten" wie Moral, Ästhetik und Wirtschaft abgesetzt durch eine eigene, irreduzible Unterscheidung: die von Freund und Feind. Die Unterscheidung hat den Sinn, „den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation zu bezeichnen" (BP 27). Das Politische zeigt sich an der prinzipiellen Bereitschaft zum bewaffneten Kampf, zum Töten für eine gemeinschaftliche Sache, die auch das Opfer des eigenen Lebens verlangen kann. Wer der Feind sei, können nur die jeweils Beteiligten entscheiden; Dritte haben dabei so wenig mitzureden wie heute die Vereinten Nationen faktisch im Nahost-Konflikt. Ob die politischen Einheiten auf andere Gegensätze, etwa aus den Gebieten der Moral oder der Ästhetik, zurückgreifen, bleibt ihnen überlassen. Alles ist potentiell politisch, gerade weil das Politische kein eigenes Sachgebiet bezeichnet. Schmitt reserviert das Politische nicht für ein besonderes Handlungsfeld, sondern fur den höchsten Grad der Spannung auf allen möglichen Feldern. Er ist ein Theoretiker der Politisierung.

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Allerdings tritt, wer eine Kriegserklärung regelgerecht annimmt, aus dem Rahmen des Rechts noch nicht heraus. Das geschieht erst, wenn er die Kategorien mehr oder weniger planmäßig verwirrt: den Herausforderer zuerst zum Feind erklärt, um militärischen Mitteleinsatz zu rechtfertigen, ihm sodann als Gefangenen den Kombattantenstatus verweigert, da er ja nur ein gemeiner Verbrecher sei, den aber schließlich, wiederum als Feind, kein gewöhnliches Verfahren erwartet. Die Gefangenen auf Guantanamo Bay - und erst recht die möglichen Opfer staatlich verfugter Mordanschläge - werden in ein rechtliches Niemandsland gestellt, für welches das Selbstverständnis demokratischer Rechtsstaaten keinen Raum lassen dürfte.

.DIE UNTERSCHEIDUNG VON FREUND UND FEIND ALS KRITERIUM DES POLITISCHEN"

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Indem Schmitt den Staat vom Politischen und nicht das Politische vom Staat her bestimmt (BP 20), zeigt er sich auch neueren Entwicklungen begrifflich gewachsen: Weder die linke Forderung nach Demokratisierung aller Lebensbereiche, noch die derzeitige Debatte um das Ende der Staatlichkeit hätte ihn unvorbereitet gefunden, zumal er die Staatenwelt in einigen Nachkriegsschriften selbst verloren gegeben hat. Muß man aber darum das „Politische" an den Grenzfall gewaltsamer Entzweiung binden? Wird damit nicht eher das Ende aller Politik, ihr immer mögliches Scheitern ins Auge gefaßt? Wird damit nicht einer Pervertierung der politischen Kunst zugearbeitet, die doch, recht verstanden, dem Frieden und der guten Ordnung verpflichtet ist? Anders als polarisierend, so scheint es, kann die Auseinandersetzung um Schmitts Kriterium des Politischen nicht ausfallen. Sehen die einen in ihm einen Bellizisten, so die anderen einen Vertreiber von Nebelschwaden vor harten Sachverhalten, die man wahrhaben sollte, um sich nicht unversehens an ihnen zu stoßen. Schmitt selber hat zu solchen Frontstellungen durch seinen thetischen Stil und seine Vorliebe für markige Formulierungen eingeladen. Nirgends wägt er seine Begriffsprägung gegen alternative Vorschläge ab, an keiner Stelle argumentiert er direkt für ihre heuristische Fruchtbarkeit. Die reiche und verzweigte Begriffsgeschichte von „Politik", „politisch" und „Politischem"3 ist ihm keine vergleichende Betrachtung wert. Will er einfach, als Dezisionist in eigener Sache, daß sein Kriterium sich durchsetze? Will er das Politische besonders dramatisch verstanden wissen, ihm eine möglichst „gefahrliche" Deutung angedeihen lassen? Dafür spricht Schmitts eigene Behauptung, daß alle politischen Grundbegriffe, und so auch alle Grundbegriffe der politischen Theorie, polemisch zu lesen seien.4 Sein Kriterium des Politischen scheint zu einer solchen Lesart, die weniger nach argumentativem Gehalt als nach empirischer Wirkung fragt, unverhohlen einzuladen. Die Sogwirkung seiner Rhetorik zielt auf ein emphatisches Politikverständnis. Die Verachtung für politische Routine und Parteigezänk, für parlamentarisches Schaulaufen und Schattenboxen ist im Begriff allgegenwärtig. Der existentielle Ernst der Unterscheidung von Freund und Feind wird von „Taktiken und Praktiken aller Art", von „Konkurrenzen und Intrigen" abgehoben (BP 30). Dieser normativen Spur geht der folgende Abschnitt nach. Seine Leitthese lautet, daß Schmitt unter dem Einfluß einer negativen Anthropologie den Ernstfall beschwört, weil er ein Versinken der modernen Welt im Sumpf des Materiel3 4

Vgl. D. Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, Frankfurt/M. 1978. Das erinnert an die Leitidee der Cambridge-School, daß die politische Theorie in die politischen Kämpfe, die sie zu deuten und zu bewerten beanspruche, eben dadurch selber eingreife; vgl. dazu H. Rosa, Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie: Der Beitrag der ,Cambridge School' zur Metatheorie, in: Politische Vierteljahresschrift 35 (1994), S. 197ff.

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len befürchtet (II.). In diesem Licht werden allerdings die vielen Stellen unverständlich, an denen Schmitt sich von normativen Ansprüchen ausdrücklich absetzt und geradezu vom Wesen der Dinge zu sprechen vorgibt. Ob die Unterscheidung nach Freund und Feind nun wünschenswert sei oder nicht, bleibe begrifflich ohne Belang: „Hier handelt es sich nicht um Fiktionen und Normativitäten, sondern um die seinsmäßige Wirklichkeit und die reale Möglichkeit dieser Unterscheidung" (BP 28f.). Diese Feststellung wäre gewiß trivial, würde sie nicht mehr besagen, als daß es die Unterscheidung in unserer Welt nun einmal gibt. Brisanz erhält sie aber vor dem Hintergrund des Beweiszieles, daß das Politische, wie Schmitt es versteht, unser Schicksal sei: Wer die Unterscheidung nach Freund und Feind nicht wahrhaben oder sie als vorübergehendes Übel abtun wolle, sei dazu verurteilt, ihr zu verfallen (III.). Wie eine nähere Analyse des zweiten Kapitels zeigen soll, erwächst dieser Anschein der Schicksalhaftigkeit aus Schmitts phänomenologischer Fixierung auf Situationen des Kampfes. Aus diesen heraus läßt sich die fundamentale politische Verantwortung für die Entscheidung über Freund und Feind, Krieg oder Frieden jedoch nicht angemessen verstehen (IV.). Nimmt man diese Ebenenunterscheidung ernst, so gewinnt man einen neuen Blick auf die Möglichkeit einer weder gewaltvergessenen noch gewaltversessenen Politik (V.).

II. Moderne als Verfall, Staat als Aufhalter Ein langes Gelehrtenleben hat Schmitt damit zugebracht, eine entzauberte Welt aus der Ruhe ihrer Routinen zu reißen und an den „Ernstfall" zu erinnern. Auf ein werthaftes Motiv hinter diesem memento hat Günter Maschke hingewiesen: Schmitt sei „die Welt aus Fabrik und Büro" zuwider gewesen. 5 Nicht untypisch für deutsche Intellektuelle seiner Zeit, verabscheute er die Wonnen der Gewöhnlichkeit und verlangte nach unbedingter Orientierung. Welche Rolle dabei Schmitts katholische Prägung, seine Verklärung der mittelalterlichen Einheit von Politik und Religion, von kämpferischer Bewährung und sinnhafter Erfüllung, 6 auch gespielt haben mag: Das Unbehagen an Hedonismus und Zerstreuung, an Geschacher und Gerede verband ihn mit vielen rechten und auch linken Kritikern von Weimarer Republik und westlicher Zivilisation. 7

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G. Maschke, Der Tod des Carl Schmitt. Apologie und Polemik, Wien 1987, S. 81, 34. Siehe dazu RK. Dazu K. Roth, Carl Schmitt - ein Verfassungsfreund? Seine Stellung zur Weimarer Republik in der Phase der relativen Stabilisierung (1924-29), Manuskript, 2002. Beispielhaft mag dafür Gottfried Benn stehen, der mit dem folgenden Bekenntnis auch Schmitt aus der Seele gesprochen haben dürfte: „Ich persönlich bin gegen Amerika-

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Als Parteigänger der Rechten beruft sich Schmitt auf die angeborene Sündhaftigkeit des Menschen; auf seine Gefährlichkeit und sein Bedürfiiis nach Führung.8 Der einzelne Mensch verlöre die Fassung, wenn gemeinschaftliche Form und Einheit entfielen. Der Sinn für Form und Einheit aber ist der Sinn fürs Politische. Unter dem Einfluß des Liberalismus droht er zu entschlafen, unter dem Einfluß des Sozialismus für die falschen Ziele eingespannt zu werden: Anstatt die aufs Angenehme und Nützliche versessene rationale Wirtschaftsgesellschaft zu begrenzen, wollten die Sozialisten sie totalisieren und noch den Staat in ihr auflösen. Ausgerechnet den Staat, der nach konfessionellem Schisma und politischer Entmachtung der Kirche allein noch geeignet scheint, dem Verfall mit formgebender Kraft zu begegnen! Ausgerechnet den letzten verbliebenen Aufhalter im Kampf mit Banalisierung und Vermassung!9 Auch wenn Schmitt wenige Jahre später selbst auf eine ,3ewegung" setzen sollte,10 so war er doch bis dahin Etatist. Selbst in der Weimarer Verfassung sah er nicht nur „Weimar", sondern auch „Verfassung": einen vor allem im Reichspräsidenten der realen Möglichkeit und auch dem Wortlaut nach verkörperten Willen des Volkes zur Einheit.11 Als Schmitt 1927 seine erste Ausgabe vom Begriff des Politischen veröffentlichte, war er noch relativ optimistisch, daß der Staat im Sinne des westfälischen Systems der Souveräne die maßgebliche politische Einheit sei und bleibe: daß es ihm gelingen werde, das Politische im Dienste inneren Friedens und äußerer Mobilisierung in der Hand zu behalten. Im westfälischen System ist Politik wesentlich Außenpolitik und Außenpolitik wesentlich Umgang mit der Möglichkeit

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nismus. Ich bin der Meinung, daß die Philosophie des rein utilitaristischen Denkens, des Optimismus a tout prix, des ,keep smiling', des dauernden Grinsens auf den Zähnen, dem abendländischen Menschen und seiner Geschichte nicht gemäß ist." (zit. in: D. Peukert, Die Weimarer Republik. Krisenjahre der klassischen Moderne, Frankfurt/M. 1987, S. 186). Zum geistigen Umfeld solcher Äußerungen siehe Peukert, ebd. Vgl. PT; Schmitt bekennt sich darin zur Tradition der Gegenrevolutionäre Bonald, de Maistre und Donoso Cortés. Genauer müsste es heißen: den exekutivisch verstandenen Staat, denn allein die Spitze der Regierung kommt nach Carl Schmitt als Verkörperung des Willens zur Einheit in Frage; daher seine Verklärung des Reichspräsidenten - Hindenburg! - als „Hüter der Verfassung". Siehe HdV. Zur deutschen Tradition der Identifizierung von „Staat" mit „Exekutive" vgl. Ch. Möllers, Staat als Argument, München 2000. Vgl. SBV. Allerdings spricht die scharfe Unterscheidung, die Schmitt zwischen Text und Geist der Verfassung, zwischen expliziten Normierungen und impliziter Grundentscheidung vornimmt, dagegen, in ihm auch nur für die besseren Jahre der Republik einen „Freund der Weimarer Reichsverfassung" zu sehen. Zu dieser letzteren Lesart siehe J. W. Bendersky, Carl Schmitt - Theorist for the Reich, Princeton 1983; ähnlich auch, mit gewissen Vorbehalten, K. Roth (Anm. 6).

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bewaffneter Auseinandersetzung zwischen Einheiten, die jeweils über das Recht zum Kriege gebieten. Das ist der Preis für inneren Frieden, für die Ersetzung von Politik durch Polizei im Verhältnis der Staatsangehörigen untereinander. Schmitt nimmt an, daß der gemeinschaftliche Wille zur Einheit ohne Feindbild erschlaffen müßte. Hat das Volk ein solches Bild beständig vor Augen, so wird es in einem funktionalen Spannungszustand gehalten, der allerdings auch zersetzend auf den inneren Zusammenhalt zurückwirken könnte. Damit dies unterbleibt, bedarf die kollektive Erregbarkeit der Ablenkung nach außen: Würde sie nicht in die Bahnen außenpolitischer Antagonismen gelenkt, so drohte die Implosion im Bürgerkrieg. Kurz: Schmitt vermeint, daß Gemeinschaft und Feindbewußtsein einander bedingen. Auf diese Zeitdiagnose ist die Unterscheidung von Freund und Feind ursprünglich zugeschnitten. Sie klingt im Vorwort von 1963 mit resignativem Unterton wieder an. Schmitt sieht das Zeitalter der Staatlichkeit mit seinen übersichtlichen Unterscheidungen inzwischen als vergangen an. Geblieben sei die Gruppierung nach Freund und Feind, jetzt aber im Bezugsrahmen des „Weltbürgerkrieges" zwischen kapitalistischem und sozialistischem Lager. Schmitt nutzt diesen Befund, um auf die „hegende" Absicht hinzuweisen, die er mit der Schrift von Anfang an verbunden habe. Das ius ad bellum des klassischen europäischen Völkerrechts habe den Krieg zwar ermöglicht, jedoch zugleich in einer Anerkennungsordnung aufgehoben. Wer ihn führte, mußte darum keine Kriminalisierung oder moralische Verdammung fürchten. Dieses wechselseitige Wissen, mehr noch als die Normierungen des Rechts im Kriege, habe die Kriegführung effektiv begrenzt. Ein Krieg, der nicht mehr von diesem Wissen begleitet würde, müßte zum totalen Krieg gegen einen absoluten Feind eskalieren; er müßte zum Vernichtungskrieg entarten. 12 Erst der Genfer Völkerbund im Verein mit dem Versailler Vertrag habe diese moralisch lobenswerte Ordnung aus den Angeln heben wollen. Endgültig gefallen sei sie mit den Nürnberger Prozessen, im Angesicht des geschlagenen deutschen Feindes. Diese Deutung weist augenöffnend voraus auf die fatalen Folgewirkungen einer Entstaatlichung der Kriege. Getrübt wird sie allerdings von einer wohl 12

Eine klare Unterscheidung zwischen verschiedenen Stufen der Feindschaft findet sich allerdings erst in der Theorie des Partisanen von 1963 (TP). Schmitt differenziert dort grundlegend zwischen relativer und absoluter Feindschaft. Verwirrend ist allerdings, daß er innerhalb der relativen Feindschaft eine weitere Unterscheidung trifft: zwischen der bloß konventionellen Feindschaft der Kabinettskriege und der „wirklichen" Feindschaft, wie sie der Partisan in seinem ursprünglichen, defensiv-erdverbundenen Sinne verkörpert habe. Vgl. dazu H. Hofmann, Feindschaft - Grundbegriff des Politischen?, in: ders., Recht - Politik - Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie, Frankfurt/M. 1986.

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apologetisch bedingten Blickverengung.13 Schmitts Erklärung fur den Niedergang des westfälischen Systems vernachlässigt zumindest zwei Faktoren. In waffentechnischer Hinsicht bedeutete bereits der amerikanische Bürgerkrieg einen Einschnitt: Er machte die „Errungenschaften" der industriellen Zivilisation fur die Kriegführung dienstbar und präludierte damit eine Entwicklung, die über das Giftgas des ersten Weltkrieges bis zur Atombombe die Hegungen des westfälischen Systems hinwegfegen sollte.14 Nachhaltig angefacht wurde sie von einem ideologischen Faktor. Lange vor Ausrufung des „Weltbürgerkrieges" konfrontierten bereits nationalistische Bewegungen die Führer der Kabinettskriege mit einer grimmigen Bereitschaft zur umfassenden Mobilisierung.15 Wahnhaft aufgeladen, gipfelte sie in der Raserei eines „Rassenkrieges", der auf Schmitts eigene Parteinahme zurückverweist: Der deutsche Angriffs- und Vernichtungskrieg seit 1939 verdiente weit eher als jede universalistisch begründete Strafaktion die Bezeichnung „total". Er demonstrierte, wie ein aufgerüsteter Staat, dem nicht an großräumlicher Begrenzung, vielmehr an „raumloser" Entfaltung und der Vernichtung von „Schädlingen" gelegen war, aus jeder Anerkennungsordnung ausbrechen und nur mehr Asche um sich breiten konnte.

III. Das Politische als Schicksal Man sollte daher Schmitts Behauptung, erst der Universalismus des Westens und des Ostens habe eine fatale Dialektik von Humanität und Haß, von Moralisierung und Fanatisierung in Gang gesetzt, nicht folgen. Die Hegungen des westfälischen Systems lassen sich ohnedies nicht wieder herstellen. Ein Recht zum Kriege wäre heute mit einer faktischen Ermächtigung zur waffentechnologischen Entgrenzung verbunden, und es müßte stets mit ideologischen Motiven und der mobilisieren13

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Augenfällig ist die nationalistische Note: Von wem auch immer das Verhängnis ausgegangen sein mag, die deutschen Angreifer der Weltkriege trifft keine Schuld, exemplifizieren sie doch fur Schmitt bis zuletzt die vorzugswürdige Tradition eines selbstbewußten Partikularismus. Selbst den Nazis sei es im Grunde nur um eine großräumliche Ordnung mit Einmischungsverbot für auswärtige Mächte gegangen; vgl. dazu SGN. Schmitt wird in der Theorie des Partisanen (TP) selbst auf diesen Faktor hinweisen: Bereits die umfassende Vernichtungswirkung der atomaren „Waffen" verlange nach totalisierenden Feinderklärungen, denn wer solche Mittel gegen andere als schlechthin unmenschliche Feinde einzusetzen bereit sei, scheine selber schlechthin unmenschlich zu sein. Auf beide Faktoren weist Jürgen Habermas hin: Kants Idee des ewigen Friedens - aus dem historischen Abstand von 200 Jahren, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, Frankfurt/M. 1996, S. 192ff.

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den Kraft massenmedialer Aufreizung rechnen. Um so schlimmer wäre es allerdings, träfe jene quasi-transzendentale These zu, die Schmitts Anspruch auf normative Enthaltsamkeit im Begriff des Politischen trägt. Diese These besagt, daß die Unterscheidung von Freund und Feind uns gerade dann wie ein Schatten folge, wenn wir sie loswerden wollen oder schon überwunden zu haben glauben. In keinem Fall könnten wir ihr normativistisch entkommen. Wer sie verleugne, sei ein Lügner oder dazu verurteilt, ihr zu verfallen. Jede entschiedene Parteinahme gewinne im Maße ihrer öffentlichen Wirksamkeit einen politischen Charakter, indem sie sich einen Feind vorsetze. Selbst die pazifistische Parteinahme gegen die politische Welt im Ganzen entgehe dieser Dialektik nicht: Wo sie nicht ohnmächtig bleibe, bleibe sie nicht pazifistisch. Ebenso müsse der liberale Wille zum Recht vor dem Primat des Politischen das Knie beugen, indem er sich als Bereitschaft bekunde, gegen das Recht zum Kriege - Krieg zu führen! Die Freunde des ewigen Friedens wirkten, ob sie es wahrhaben wollten oder nicht, politisch. Daß man ihren guten Absichten den Willen zur Feinderklärung nicht ansehe, diene ihnen dabei noch als nützliche Waffe. 16 Der Begriff des Politischen will diese Waffe entschärfen und ihren möglichen Opfern die Augen öffnen. Seine Unterscheidungen sind zugeschnitten auf eine Welt, die versucht ist, das Politische zu unterschätzen oder hinter Maskeraden geltend zu machen. Gegen liberale Leisetreterei trumpft Schmitt auf mit Bekenntnissen zu „Kampf', „Entscheidung", „Zwang" und „Herrschaft". Das alles sei nicht normativ gemeint, sondern „existentiell": Es rufe Grundtatsachen des Lebens in Erinnerung, die der Liberalismus vergessen habe und die der linke Radikalismus als Übergangserscheinungen abtun wolle, nur um ihnen erst recht Raum zu geben. Das Kriterium des Politischen ist als Weckruf gegen die Seinsvergessenheit formuliert.

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Dieses reflexive Manöver erinnert methodisch wie inhaltlich an Friedrich Nietzsches Lehre vom „Willen zu Macht": Wie das Politische bei Schmitt, so ist der Drang zur rücksichtslosen Selbstentfaltung bei Nietzsche ein universales Phänomen. Gerade die Gutmeinenden und Gewissensgeplagten seien auf perfide Weise von ihm besessen: Anstatt kraftvoll nach außen zu wirken, sei ihr Wille invertiert und zum Ressentiment verkommen. In verzerrter Gestalt richte er sich gegen natürliche Größe. Das Mitleid der Menschenfreunde sei maskierte Grausamkeit; ihre auf Gleichheit zielenden Aktionen überträfen an Zerstörungswut alle Raubzüge selbstbewußter Kriegernaturen. Nietzsche gefällt sich in einem naturalistischen Jargon unschuldiger Angriffslust, dessen sachlicher Sinn die Entlarvung menschenrechtlicher Ansprüche als Abart des von ihnen Verneinten ist. Siehe dazu F. Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, in: ders., Kritische Studienausgabe 5, hg. v. G. Colli u. M. Montinari, München 1988.

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Warum aber muß der Weckruf so schrill ausfallen? Durch welche Vorgänge droht der Sinn für das Politische zu entschlafen? Schmitt läßt schon 1928, in der Verfassungslehre, keinen Zweifel daran, daß das Verhängnis nicht so sehr vom Rechtsstaat als vielmehr vom Sozialstaat ausgehe. Der Rechtsstaat müsse lediglich, gegen seine liberalen Liebhaber, an seine konstitutive Voraussetzung erinnert werden: Er dürfe nicht vergessen oder positivistisch überspielen, daß er sein Dasein der Grundentscheidung eines Volkes für die politische Existenz verdanke. Gefahrlicher sei das sozialistische Projekt: Es ziele darauf ab, den Staat ganz in Gesellschaft aufgehen zu lassen. Dadurch werde der Staat totalisiert, jedoch auf verkehrte Weise, nicht um seiner Suprematie, sondern um seiner Abschaffung oder seiner Auslieferung an soziale Gruppen willen. Er hörte dadurch auf, die maßgebende politische Einheit zu sein. Die zweite Ausgabe des Begriffs des Politischen (1932) antwortet auf diesen Vorgang, indem sie die politische Bedeutung sozialer Macht hervorhebt. Sie suggeriert damit, daß eine Entscheidung anstehe: für den totalen Staat in den klassenpolitischen Ketten sozialistischer Vergesellschaftung, oder für den totalen Staat in einem selbstbewußten, auf Autonomie bedachten Sinne; für den totalen Staat aus Schwäche oder für den totalen Staat aus Stärke. Vor allem die Vergesellschaftung des Staates hat Schmitt im Blick, wenn er in der zweiten Ausgabe den Staat vom Politischen und nicht das Politische vom Staat her erschließt. Er vermutet, daß die eigentlich politischen Gegensätze im Begriff seien, von der Außen- zur Innenpolitik überzugehen. Damit aber werde der Bürgerkrieg zur neuen, Spannung gebenden Hauptgefahr. Neue primäre Einheiten träten an die Stelle des Staates, es sei denn, dieser werde sich noch einmal als fähig erweisen, das Volk vermittelst neuer Feinderklärungen zu einen. Auf diese Weise stellte er nicht etwa den Primat des Politischen wieder her; dieser Primat sei ja gerade allen Akteuren schicksalhaft vorgegeben. Vielmehr führte er ihn in die bewährten Bahnen des westfälischen Systems zurück. Normative und reflexive Argumentation hängen zusammen: Schmitt stützt seine Parteinahme für das Politikmonopol des Staates auf die quasi-transzendentale These von der Totalität des Politischen. Er appelliert damit an die bürgerliche Einsicht, daß das Politische, ist seine schicksalhafte Bedeutung einmal erkannt, doch beim Staat besser aufgehoben sei als bei formal privaten Gruppen oder bei transpolitischen Schwarmgeistern. Ein Grund dafür mag sein, daß es Schmitt tatsächlich, seinem späteren Wirken unter den Nazis zum Trotz, ein Leben lang um die Hegung der Gewaltsamkeit gegangen sei. Wie immer man das sieht, im Begriff des Politischen von 1932 spielt es keine tonangebende Rolle. Eher wird die hegende Absicht hinter einem existentialistischen Jargon unkenntlich gemacht, der die Schärfe der politischen Unterscheidung (über-)betont. Dieser Jargon verweist auf das Paradigma einer politischen Situation, wie Schmitt sie

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sieht: auf die Situation des Kampfes. Von diesem Modell her wird allerdings die genuin politische Verantwortung im Angesicht möglicher Unterscheidungen nach Freund und Feind gerade unkenntlich. Eine nähere Untersuchung des kurzen, aber zentralen 2. Kapitels (BP 26-28) soll dies zeigen.

IV. Der Fremde Schmitt beginnt den Abschnitt im Stil eines Systemtheoretikers. Er parallelisiert das Politische mit „Sachgebieten" wie Moral, Kunst und Wirtschaft. Sie alle seien durch ureigene letzte Unterscheidungen ausdifferenziert, und das gleiche dürfe für das Politische vermutet werden. Der „alteuropäische" Denker Schmitt scheint so das Szenario Niklas Luhmanns von der universalen Zuständigkeit jedes gesellschaftlichen Teilsystems für eine und nur eine Funktion vorweggenommen zu haben.17 Damit aber verlöre die Behauptung eines Vorrangs ihren Sinn: Die Unterscheidung von Freund und Feind ist weder aufs Geldverdienen noch aufs Schaffen von Schönem, nicht einmal aufs moralische Rechthaben zugeschnitten, sondern betrifft einen ganz eigenen Geltungsbereich. So wie sie durch keine andere Unterscheidung ersetzt werden kann, so vermag sie keine andere zu ersetzen. Tatsächlich hatte Schmitt in der ersten Auflage noch geschrieben: „Das Politische steht [...] selbständig als eigenes Gebiet neben anderen [...]" (BP I, 238). Dieser Satz verweist auf einen noch intakten Glauben an den Primat der Außenpolitik. 1932 aber ist dieser Glaube gebrochen: Schmitt unterscheidet jetzt scharf zwischen besonderen Sachgebieten und dem Politischen. Dieses könne sich, eben weil es kein eigenes Sachgebiet sei, von jeder anderen Unterscheidung nähren, ohne auf eine von ihnen zurückzufallen. Aus einem Streit um das Schöne könne es ebenso Kraft schöpfen wie aus wirtschaftlichen Interessen oder aus moralischen Überzeugungen.18 Darin eben bestehe sein Primat. Alles ist potentiell politisch, weil das Politische auf keine spezielle Thematik festgelegt ist. Beginnen sich die Menschen, warum auch immer, nach Freund und Feind zu gruppieren, so hat es seine Sonderstellung bewiesen. Prüfstein für den politischen Charakter einer Entzweiung ist die Möglichkeit ihrer Zuspitzung zum bewaffneten Kampf zwischen Gruppen oder Gemeinschaften. Das ist gemeint, wenn Schmitt von „Begriffsbestimmung im Sinne eines

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Anhänger Luhmanns sind daher schnell mit der Diagnose einer „Übergangssemantik" bei der Hand. Vgl. dazu André Brodocz, Die politische Theorie des Dezisionismus: Carl Schmitt, in: ders.,/G. S. Schaal (Hg.), Politische Theorien der Gegenwart, Bd. I, Opladen 2002, S. 281ff. (S. 307). Oder notfalls auch aus einem verlorenen Fußballspiel.

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Kriteriums" spricht. Woran aber erkennt man den Feind? An dieser Stelle gerät Schmitt ins Raunen. Eine Menge von Menschen werde zur politischen Gemeinschaft im Angesicht des Fremden. Dieser verkörpere für sie eine „Negation der eigenen Art Existenz". Er ist „in einem besonders intensiven Sinne existentiell etwas anderes und Fremdes [...]". Das klingt substantialistisch: Der Feind ist einfach anders, alle können es sehen! Er ist die Fleisch gewordene Verneinung unserer Lebensweise. Ihn nicht abwehren zu wollen, käme einer Selbstaufgabe gleich. Tatsächlich hatte Schmitt schon in der Verfassungslehre geschrieben, daß alle politischen Gemeinschaften durch Gleichheit gekennzeichnet seien. Das Ungleiche sei das Fremde, das notfalls abgestoßen oder vernichtet werden müsse. Unter Gleichheit versteht Schmitt „Gleichartigkeit", mag diese auf Glauben, Tradition, Herkunft oder auch „Rasse" beruhen. Je ferner eine andere Gemeinschaft in der jeweils „einschlägigen" Hinsicht dem Eigenen steht, um so fremder ist sie „uns", um so intensiver kann folglich der Gegensatz zu ihr ausfallen, um so eher erscheint sie als Feind (VL 227ff.). Klingt bereits hier eine gewisse Beliebigkeit an, die Raum für Entscheidung zu lassen scheint, so verschwimmt das substantialistische Bild vollends, wenn Schmitt schreibt: „Die Möglichkeit richtigen Erkennens und Verstehens und damit auch die Befugnis mitzusprechen und zu urteilen ist hier nämlich nur durch das existentielle Teilhaben und Teilnehmen gegeben. Den extremen Konfliktsfall können nur die Beteiligten selbst unter sich ausmachen; namentlich kann jeder von ihnen nur selbst entscheiden, ob das Anderssein des Fremden im konkret vorliegenden Konfliktsfalle die Negation der eigenen Art Existenz bedeutet und deshalb abgewehrt oder bekämpft wird, um die eigene seinsmäßige Art von Leben zu bewahren" (BP 27). Was gilt nun: Ist der Fremde existentiell anders und bedrohlich, oder genügt es, ihn so zu sehen? Geht seine Fremdheit unserem Wollen voraus oder ist sie dessen Funktion? Sehen wir uns mit ihr konfrontiert oder setzen wir sie in die Welt? Finden wir sie vor oder stellen wir sie her? Im jeweils ersten Fall wäre nicht einzusehen, warum hier Dritte nichts zu sagen haben sollten: Jede echte Aussage hat einen Wahrheitswert und kann darum öffentlich überprüft werden. Anders verhält es sich, wenn die „Feststellung" des Feindes lediglich performativ zu verstehen ist: als Akt einer Setzung." Wer einen anderen als Fremden kennzeichnet, muß damit nicht auf eine vorgängige Relation Bezug nehmen. Der Fremde muß nicht tatsächlich unvertraut, er muß auch nicht von vornherein -

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Das entspricht einer dekonstruktivistischen Lesart von Schmitt; vgl. dazu Friedrich Balke, Der Staat nach seinem Ende. Die Versuchung Carl Schmitts, München 1996; Jacques Derrida, Politik der Freundschaft, München 2000.

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etwa rechtlich oder ethnisch - nichtzugehörig sein.20 Man kann vom anderen auch Abstand nehmen, indem man ihn zum Fremden erklärt. Man tritt dann in wenigstens einer Hinsicht aus dem Kreis möglicher Gemeinsamkeiten heraus. Und umgekehrt: Auch die Eigengruppe muß keine vorpolitische Gegebenheit, auch sie kann das Ergebnis einer Abgrenzung sein. Diese wäre dann für Fremdes und Eigenes konstitutiv. Diese konstruktivistische Lesart kann sich auf Schmitts Dezisionismus berufen. Um so unklarer bleibt dann aber, warum sich Schmitt überhaupt darauf festlegt, daß man im Fremden eine existentielle Bedrohung sehen müsse; genügte nicht der einfache Wille, ihn zu bekämpfen? Soll der Anspruch, „die eigene, seinsmäßige Art von Leben zu bewahren", mehr sein als eine zeittypische Floskel zur Bemäntelung kriterialer Nacktheit, so verweist er durchaus auf Standards der Rechtfertigung: „Seinsmäßig" heißt, wenn es etwas heißt, soviel wie „die Existenz betreffend". Wer diese bewahren will, kämpft ums Überleben. Im Kontext zwischenstaatlicher Beziehungen umfaßt dies, als kleinsten gemeinsamen Nenner bereits des klassischen Völkerrechts, die territoriale Integrität, das Überleben der Bevölkerung sowie die politische Autonomie eines Staates.21 In diesem Sinne waren die spanischen Partisanen im Kampf mit Napoleons Truppen durchaus Verteidiger „der eigenen Art Existenz"; hatte die „wirkliche Feindschaft", die Schmitt ihnen in seinem Spätwerk attestieren sollte, einen intersubjektiv einsehbaren Grund. Warum also sollen Dritte hier nicht urteilen dürfen, warum soll richtiges Erkennen an „existentielle^] Teilhaben und Teilnehmen" gebunden sein? Schmitt erweckt an einer späteren Stelle (BP49f.) den Eindruck, es sei geradezu obszön, im Angesicht von Kriegen überhaupt nach guten Gründen zu fragen: „Es gibt keinen rationalen Zweck, keine noch so richtige Norm, kein noch so vorbildliches Programm, kein noch so schönes soziales Ideal, keine Legitimität oder Legalität, die es rechtfertigen könnte, daß Menschen sich gegenseitig dafür töten. Wenn eine solche physische Vernichtung menschlichen Lebens nicht aus der seinsmäßigen Behauptung der eigenen Existenzform gegenüber einer ebenso seinsmäßigen Verneinung dieser Form geschieht, so läßt sie sich eben nicht rechtfertigen. Auch mit ethischen oder juristischen Normen kann man keinen Krieg begründen. Gibt es wirklich Feinde in der seinsmäßigen Bedeutung, wie es

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Vgl. zu diesen beiden Bedeutungsdimensionen von „Fremdheit" ausführlich Herfried Münkler/Bernd Ladwig, Dimensionen der Fremdheit, in: dies. (Hg.), Furcht und Faszination. Facetten der Fremdheit, Berlin 1997, S. 1 Iff. Vgl. Wolfgang Heisenberg, Bedrohungsperzeptionen, Friedens- und Sicherheitsverständnis als Grundlage politischen Handelns, in: ders.,/D. S. Lutz (Hg.), Sicherheitspolitik kontrovers. Auf dem Weg in die neunziger Jahre, Baden-Baden 1987, S. 19ff.

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hier gemeint ist, so ist es sinnvoll, aber nur politisch sinnvoll, sie nötigenfalls physisch abzuwehren und mit ihnen zu kämpfen." Wäre das wahr, so ließe Krieg sich überhaupt nicht rechtfertigen, denn eine nicht-normative Rechtfertigung ist ein Widerspruch in sich selbst. Die bloße Faktizität des Kämpfens legitimiert nichts, sie mag so intensiv erfahrbar sein, wie sie will. Besteht das Politische in nichts anderem als dem äußersten Intensitätsgrad einer Entzweiung, so ist es aller eigenen Ressourcen der Begründung bar. Was aber soll „politisch sinnvoll" dann heißen? Finden sich nicht rechtfertigende Gründe anderer Art, so ist der Kampf ein schlechthin sinnloses, nur mehr naturalistisch faßbares Geschehen. Natürlich kann es solche Gründe geben: Die Kämpfenden mögen glauben, ihr Vaterland zu verteidigen, die Sache der Weltrevolution zu fordern, das schlechthin Böse vom Antlitz der Erde zu tilgen, dem globalen Recht oder dem Freihandel zu dienen. All das sind - gute oder schlechte - Gründe, und keiner von ihnen läßt sich der Intensität eines Gegensatzes als solcher ablauschen. Noch wer, wie Ernst Jünger, den Kampf als existentielles Ereignis feiert, geht normativ über die bloße Tatsächlichkeit hinaus, indem er ihr einen Sinn beilegt. Es ist nicht nur psychologisch unplausibel,22 es ist logisch unstimmig, zu meinen, Menschen könnten ohne rechtfertigende Gründe - oder was sie dafür halten - andere Menschen töten und darin gleichwohl einen Sinn sehen. Und warum soll nicht die „seinsmäßige Behauptung der eigenen Existenzform" ein solcher Grund sein? Ist damit ein Verteidigungskrieg gemeint, so wird er prinzipiell durch die klassische Theorie des gerechten Krieges ebenso legitimiert wie durchs moderne Völkerrecht. Ich glaube, daß Schmitt zwei Fragen miteinander vermengt. Die eine Frage lautet, warum ein Kollektiv zu den Waffen greift. Sie kann nur im Rekurs auf rechtfertigende Gründe irgendwelcher Art beantwortet werden. Die andere Frage zielt auf die Situation des Kampfes selbst: Wodurch ist sie gekennzeichnet, welche allgemeine Herausforderung stellt sie dar, welche Erfahrungen nötigt sie den Kämpfenden auf? In bezug auf diese zweite Frage ist es durchaus plausibel, die Perspektive eines beliebigen Kombattanten einzunehmen und sie in existentialistischen Begriffen zu umreißen. Der Kämpfende findet sich in eine Situation geworfen, in der er damit rechnen muß, als Feind bekämpft zu werden. Diese Möglichkeit erfahrt er als Faktizität, sie hängt nicht ab von seinen eigenen Absichten oder Überzeugungen. Zumindest solange er eine Uniform trägt und eine Waffe bei sich fuhrt, sind seine sonstigen Eigenschaften und Einstellungen ohne Belang: Im Zweifelsfall

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Vgl. Gertrud Nunner-Winkler, Gewalt - ein Spezifikum der Moderne?, in: M. Miller/H.G. Soeffher (Hg.), Modernität und Barbarei. Soziologische Zeitdiagnose am Ende des 20. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1996, S. 8Iff.

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wird er Ziel sein, und er weiß das. Er muß damit rechnen, angegriffen zu werden, nicht als moralisches Scheusal oder als möglicher Konkurrent, sondern einfach, weil er als Kämpfender kenntlich ist. Also wird er seinerseits die anderen als Feinde betrachten. Um das zu verstehen, muß man sich in die Situation der mit Leib und Leben Beteiligten hineinversetzen. Unsere moralischen und juristischen, ethischen und ästhetischen Urteile über sie mögen sein, wie sie wollen, sie können als solche die Tatsache der Gruppierung nach Freund und Feind nicht aus der Welt schaffen. Das könnte nur durch Aufhebung der Situation als Ganzer geschehen. Dieser extremen Erfahrung kann der einzelne sich ausgesetzt sehen, ohne daß er eine effektive Möglichkeit hatte, ihr zu entgehen. Womöglich wurde er als Wehrpflichtiger gezogen oder unter Drogeneinfluß armiert, vielleicht wurde er entfuhrt, oder er ist noch ein Kind, gerade fähig, ein Gewehr zu halten. In solchen Fällen steht eine mögliche moralische Mitverantwortung der Kombattanten ebenso wenig im Vordergrund wie ihre persönlichen Ansichten über den Krieg. Hier hat die Rede von der „existentiellen" Bedeutung der Feinderfahrung einen klaren Sinn. Keinen Sinn hat es allerdings, von einer souveränen Entscheidung zu sprechen, denn diese liegt der Situation des Kampfes immer schon zu Grunde, sie wird nicht in ihr erst fällig. Daher kann man nicht, wie Schmitt es tut, das Erfordernis einer Rechtfertigung der Entscheidung über Kriege mit der Situation im Kriege kurzschließen, um sich der Begründungspflicht auf eine „rein politische" Weise zu entledigen. Der Kategorienfehler setzt sich fort, wo Schmitt behauptet, daß kein Spruch eines unparteiischen Dritten den Konflikt entscheiden könne (BP 27). Natürlich ist die Selbstbindung einer kriegfuhrenden Partei, etwa an das Urteil eines künftigen internationalen Gerichtshofes, zumindest denkbar und fur die mögliche Zukunft „humanitärer Interventionen" auch unbedingt geboten.23 Gemeint sein kann daher nur, daß dies an der Situation des Kampfes, solange sie besteht, nichts ändert. Die Ohnmacht des Normativen mag sich einem Soldaten unter dem Eindruck von Streubomben als evident aufdrängen. Der völkerrechtlich verantwortliche Souverän jedoch darf sich auf sie nicht herausreden. Gewiß, Schmitt verwirft das Völkerrecht der Nachkriegszeit, und „humanitäre Interventionen" hätte er wohl als die neuesten trojanischen Pferde eines menschenrechtlichen Totalitarismus gebrandmarkt. Doch die Verwechslung der Situation des Kämpfenden mit der Situation des Entscheidenden zieht auch sein eigenes Bekenntnis zum gehegten Krieg ins Zwielicht. Auch dieses Bekenntnis ist praktisch irrelevant ohne eine gewisse Kraft des Normativen, und bestünde

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Siehe dazu B. Ladwig, Militärische Interventionen zwischen Moralismus und Legalismus, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 48 (2000), S. 133ff.

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sie nur in einer von keinem Unparteiischen erzwingbaren Selbstbindung der Souveräne an die Regeln „fairer" Kriegführung. Die klassischen zwischenstaatlichen Kriege waren von den dafür Verantwortlichen keineswegs als Negation der Negation „der eigenen „Art Existenz" angezettelt worden, sondern, zum Beispiel, als Kampf um Schlesien oder um überseeische Kolonien. Und obgleich schon sie über Unzählige Tod und Verstümmelung brachten, verbrannte Städte und vernichtete Existenzen hinterließen, so blieben sie doch hinter den Schrecknissen wahrhaft existentieller Kämpfe weit zurück, wie sie etwa in den Trümmern Stalingrads sich zutragen sollten.

V. Ausblick Muß man das Politische vom Grenzfall kollektiver Gewaltanwendung her denken? Eine zureichende Begründung fur diese These ist in der bisherigen Betrachtung nicht aufgetaucht, und ich vermag auch keine zu sehen. Hat man einmal die kriteriale Bindung des Politischen an die existentielle Situation bewaffnet Kämpfender als Kategorienfehler erkannt, so fallt auch die These von der schicksalhaften Bedeutung der Unterscheidung nach Freund und Feind in sich zusammen. Auf der Ebene der Machthaber ist sie jedenfalls nicht in derselben Weise, als bloße Faktizität, gegeben, wie auf Augenhöhe der zum Kriegshandeln Gepreßten und von ihm Heimgesuchten. Allenfalls ist sie den Verantwortlichen als realer Gegenstand oder mögliche Folge kollektiv bindender Entscheidungen aufgegeben. Visierten die Entscheidungsträger eine rechtlich befriedete Welt ernsthaft an, so müßten sie gewiß mit Widerständen rechnen: Diese dürften aus schlechten Erfahrungen, partikularistischem Trotz und mißverstandenen Traditionen ebenso Kraft schöpfen wie aus der Lukrativität von Kriegen für die Vielen, die sich mittlerweile von ihnen nähren.24 Doch sprechen diese absehbaren oder schon heute wirksamen Widerstände erst recht gegen die faktische Erneuerbarkeit des Systems der Souveräne: Kaum vorstellbar ist, daß die Staaten ineins wieder Herren der Kriege und Hüter ihrer Begrenzungen werden könnten. Der heutige Zustand der Hegemonie einer einzigen Supermacht, die von immer mehr Menschen als drückende Dominanz empfunden wird, ist ersichtlich instabil. Gerade am gegenwärtigen Verhalten der USA zeigt sich zudem, daß eine unvermittelte Moralisierung der internationalen Beziehungen nicht nur keine Konsequenz der Beachtung rechts-moralischer Grundsätze ist, sondern deren Entwicklung sogar zurückwirft auf einen normativ wie tatsächlich unhaltbaren Stand. Die destruktiven Folgen dürften auf Dauer von noch so vielen Siegen über „Schurkenstaaten"

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Siehe dazu jetzt: H. Münkler, Die neuen Kriege, Reinbek 2002

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nicht aufgewogen werden, zumal die neuen Gefahren nicht allein von Regierenden ausgehen. Was also bleibt uns übrig, als auf dem mühsamen Weg der Verrechtlichung weiter zu stolpern, auf dem nicht begriffliche, sondern faktische Hindernisse das Fortkommen erschweren? Ein allerletzter Krieg gegen den Krieg, und führte ihn die größte aller Mächte, könnte ihnen nicht beikommen. Gewiß, ob diplomatisches Geschick, glaubwürdige Vorleistungen und Geduld, ob gute Dienste und zähes peace building es besser vermögen, können wir nicht wissen. A priori ausschließen müssen wir es, Schmitt zum Trotz, aber auch nicht. Daß die Unterscheidung von Freund und Feind bis auf weiteres eine politische Möglichkeit bleibt, sei zugestanden. Doch eine logische Nötigung geht von ihr nicht aus. Auch müssen wir uns nicht einreden lassen, daß erst von ihr her ein Handeln und Entscheiden seine politische Spannkraft erhält. Genug zu streiten bliebe allemal. Ohnehin hat Schmitt, wie Hermann Heller schon 1928 bemerkte, die inneren Probleme der Bildung und Bewahrung politischer Einheiten unterschätzt.25 Diese Probleme, so läßt sich nach Georg Simmel sagen,26 verweisen auf die integrative Bedeutung wahrhaft gehegter und gleichwohl nicht unernsthafter Konflikte. Auch eine globale Geltung der Menschenrechte wäre daher nicht das Ende aller Politik, deren raison d'être der Widerstreit ist. Sie wäre nur der Anfang einer Zeit, in der sich alle ohne Angst ums nackte Leben auf ihn einlassen könnten.

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Vgl. H. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität (1928), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, hg. v. Ch. Müller, 2. Aufl., Tübingen 1992, S. 421ff. Vgl. G. Simmel, Soziologie. Untersuchung über die Formen der Vergesellschaftung (1908), Frankfurt/M. 1992 (IV. Der Streit, S. 284-382).

4 Wilfried Nippel „Krieg als Erscheinungsform der Feindschaft" (28-37)

Carl Schmitt hat bei seinen Erörterungen zu Freund(schaft) und Feind(schaft) als Kriterium des Politischen nur den letzteren Teil des Begriffspaars näher zu bestimmen gesucht. Der Feind ist nicht der ökonomische Konkurrent oder der Diskussionsgegner (BP 28). Von Feindschaft ist dann zu sprechen, wenn die Möglichkeit eines Krieges (auch in Form des Bürgerkrieges) gegeben ist. „Die Begriffe Freund, Feind und Kampf erhalten ihren realen Sinn dadurch, daß sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und behalten. [...] Krieg ist nur die äußerste Realisierung der Feindschaft. Er braucht nichts Alltägliches, nichts Normales zu sein, auch nicht als etwas Ideales oder Wünschenswertes empfunden zu werden, wohl aber muß er als reale Möglichkeit vorhanden bleiben, solange der Begriff des Feindes seinen Sinn hat." (BP 33) Das Begriffsverständnis geht auch hier wieder vom vorgeblich allein beweiskräftigen Ausnahmefall aus (vgl. PT 21), der jedoch als reale Möglichkeit gegeben sein muß. Gerade „der Ausnahmefall [hat] eine besonders entscheidende und den Kern der Dinge enthüllende Bedeutung. [...] Denn erst im wirklichen Kampf zeigt sich die äußerste Konsequenz der politischen Gruppierung von Freund und Feind. Von dieser extremsten Möglichkeit her gewinnt das Leben der Menschen seine spezifisch politische Spannung." (BP 35) Wenn der Begriff des Feindes an die Möglichkeit von Krieg und Bürgerkrieg geknüpft ist, daran, daß eine „kämpfende Gesamtheit von Menschen [...] einer ebensolchen Gesamtheit gegenübersteht", müßte sich eigentlich von selbst verstehen, daß der Feind nicht der „Konkurrent oder der Gegner im allgemeinen" und auch nicht „der private Gegner [ist], den man unter Antipathiegefühlen haßt", sondern der „öffentliche Feind" (BP 29). Schmitt sieht sich dennoch zur Klärung veranlaßt, da diese Unterscheidung der beiden Gestalten des Feindes im Deutschen wie auch in anderen Sprachen semantisch nicht erfaßt werde, was zu

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,,viele[n] Mißverständnissen und Fälschungen" Anlaß gebe (ebd.; vgl. BP 104f. = PB 245f.). Im Gegensatz dazu finde sich eine deutliche Unterscheidung des privaten und des öffentlichen Feindes in der lateinischen und griechischen (einschließlich der neutestamentarischen) Terminologie. Der öffentliche Feind sei hostis (nicht: inimicus), polemios (nicht: echthros). Diese Behauptung wird auf wenige, anscheinend als definitiv angesehene Quellenbelege gestützt (BP 29 mit Anm. 5).1 Für das römische Verständnis von hostis verweist Schmitt pauschal auf eine in den Digesten wiedergegebene Aussage des Juristen Pomponius (Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr.). Die Feststellung des Pomponius wird jedoch von Schmitt hier weder im Wortlaut wiedergegeben noch interpretiert. Statt dessen zitiert er eine Begriffserläuterung aus einem neuzeitlichen Thesaurus, in dem eine Unterscheidung zwischen dem hostis als Kriegsgegner und dem inimicus als persönlichem Feind geboten wird.2 Auf diese Unterscheidung kam es aber den römischen Juristen gar nicht an. Es ging ihnen vielmehr um die Abgrenzung von hostes, gegen die ein regulärer Krieg nach einer förmlichen Kriegserklärung gefuhrt wird, von Räubern. 3 Diese Differenzierung findet sich schon bei Cicero (De officiis 3,107f.), 4 der erörterte, daß nur gegenüber dem offiziell anerkannten Kriegsgegner (iustus et legitimus hostis), nicht jedoch gegenüber Räubern und Piraten Vereinbarungen einzuhalten seien. Die Unterscheidung bezog sich also darauf, ob der Feind als Völkerrechtssubjekt anerkannt war; in diesem Fall waren Regeln selbst dann zu respektieren, wenn man dem Feind vorhielt, einen Krieg ohne rechtfertigende Gründe zu führen. 5 1

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In der Aufsatzfassung von 1927 fehlen diese Belege, Schmitt bezog sich nur auf die Bergpredigt. Schmitt zitiert aus Egidio Forcellini, Totius Latinitatis Lexicon; dieses Werk war zuerst 1771 erschienen und ist dann im 19. Jahrhundert mehrfach überarbeitet worden; vgl. Rudolf Pfeiffer, Die Klassische Philologie von Petrarca bis Mommsen, München 1982, S. 136f. - In der veränderten Buchfassung von 1933, S. 10, Anm. 3, wird nur diese Lexikondefinition wiedergegeben, die Pomponius-Stelle dagegen weggelassen. Pomponius, Digesten 50, 16, 118: Hostes hi sunt, qui nobis aut quibus nos publice bellum decrevimus; ceteri latrones aut praedones sunt („Feinde sind diejenigen, die uns oder denen wir öffentlich den Krieg erklärt haben; die übrigen sind Straßenräuber oder Seeräuber")· Eine entsprechende Definition ist auch von Ulpian überliefert (Digesten 49,15, 24). Im gleichen Werk (De officiis 1, 37) stellt Cicero auch fest, daß sich der Sinn des Aojfis-Begriffes geändert hatte, von der ursprünglichen Bezeichnung des Landfremden (so noch im Zwölftafelgesetz) zum Feind des Staates. So NE 135f. mit Bezug auf Cicero, Philippica 4, 14; vgl. auch Dieter Nörr, Aspekte des römischen Völkerrechts. Die Bronzetafel von Alcántara, München 1989, S. 119f.

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Später hat Schmitt den Satz des Pomponius in den richtigen Kontext der Abgrenzung gegenüber Räubern gesetzt, die „Fähigkeit, einen Justus hostis anzuerkennen", als,Anfang allen Völkerrechts" bezeichnet (NE 22) und dies als tragendes Prinzip des frühneuzeitlichen Völkerrechts herausgestellt, das beim Krieg zwischen sich wechselseitig anerkennenden souveränen Staaten die Frage nach den gerechten Kriegsgründen für irrelevant gehalten habe (NE 121. 125f. 135f. 285f.; PB 285). Als hostis wurde auch der Staatsfeind im Inneren betrachtet; während der Bürgerkriege der späten römischen Republik wurden durch Senatsbeschluß oder Gesetz namentlich bezeichnete Bürger zu hostes deklariert, damit ihres Bürgerrechts für verlustig erklärt und der straflosen Tötung durch jedermann freigegeben. Hier handelt es sich in der Tat um eine „innerstaatliche Feinderklärung" (BP 47), die „dem Gegner die Rechtsstellung eines Feindes im Sinne einer kriegsführenden Partei" (ECS 57f.) abspricht. Allerdings handelt es sich bei diesen Feinden nicht notwendig um eine „kämpfende Gesamtheit von Menschen" (BP 29), 6 da sich die Deklaration auf einzelne politische Führer bezog, die sich außerhalb Roms aufhielten, sich somit nicht im Zugriffsbereich der Regierungsorgane befanden. 7 Die Römer kannten die Freund-Feind-Terminologie auch in zwischenstaatlichen Verträgen. Vertragspartner wurden verpflichtet, die gleichen Freunde und gleichen Feinde wie die Römer zu haben, was faktisch ihre Freiheit zu Vertragsschlüssen und souveräner Kriegseröffnung aufhob. 8 Eine eindeutige Terminologie scheint es aber nicht gegeben zu haben, da die Feinde in diesem Kontext sowohl als hostes wie als inimici bezeichnet werden. 9 Der von Schmitt flir die angeblich griechische Differenzierung zwischen öffentlichem und privatem Feind herangezogene Beleg aus Piatons Politela (469-470) ist noch weniger einschlägig. Schmitt sagt selbst, daß Piaton hier eine Unterscheidung zwischen dem (echten) Krieg (polemos) von Griechen gegen Barbaren - als ihren „natürlichen" Feinden - und dem Krieg zwischen Griechen 6

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9

Das gilt auch für das BP 47 angeführte athenische Äquivalent. Der Volksbeschluß von 410 v. Chr. (Andokides 1, 96-98) bedrohte jeden mit einer straflosen Tötung durch jedermann, der sich an einem Umsturz der Demokratie beteiligte oder nach einem solchen Umsturz ein öffentliches Amt ausübte. Vgl. Wilfried Nippel, Aufruhr und „Polizei" in der römischen Republik, Stuttgart 1988, S. 91f.; Wolfgang Kunkel/Roland Wittmann, Staatsordnung und Staatspraxis der römischen Republik. II: Die Magistratur, München 1995, S. 239. Vgl. Loretana de Libero, „Ut eosdem quos populus Romanus amicos atque hostes habeant": Die Freund-Feind-Klausel in den Beziehungen Roms zu griechischen und italischen Staaten, Historia 46, 1997, S. 270-305. Ζ. Β. Livius 35, 50,2 (hostes); 37, 1, 5 (inimici).

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- als Quasi-Bürgerkrieg (stasis) - vornimmt. Dem entspricht aber weder an der genannten Stelle bei Piaton noch im sonstigen Sprachgebrauch eine klare Unterscheidung von polemios und echthros im Sinne einer Differenzierung von öffentlichem und privatem Feind; 10 in den Freund-Feind-Klauseln, die Spartaner und Athener im 5. Jahrhundert v. Chr. jeweils ihren (faktisch weitgehend abhängigen) Bundesgenossen auferlegen, werden die Feinde im übrigen als echthroi bezeichnet. 11 In der Sache geht es bei Piaton um das Postulat, den Krieg zwischen den Poleis - u. a. durch Verzicht auf Versklavung der Bevölkerung und auf nachhaltige Verwüstung des Territoriums der unterlegenen Polis - zu begrenzen, insofern um ein Plädoyer fur die Hegung des Krieges zwischen Gemeinwesen, die sich prinzipiell als gleichberechtigt anerkennen. 12 Für Schmitts Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Feind taugt sein Rückgriff auf die antiken Begriffe also nicht. Die Möglichkeit, auf Grund der antiken Konzeptualisierungen des Feindes zwischen ebenbürtigen Kriegsgegnern und solchen Feinden zu unterscheiden, denen (als „Barbaren") keine Reziprozität zugebilligt wird, 13 bzw. im Inneren zwischen Verbrechern und geächteten Staatsfeinden, hat Schmitt nicht aufgenommen; daß er die verschiedenen Typen des Feindes nicht genug unterschieden habe, räumt er im Vorwort von 1963 selbst ein (BP 17).14 Schließlich ist auch Schmitts Bezug auf das Gebot der Feindesliebe in der Bergpredigt (Matthäus 5, 44; Lukas 6, 27) nicht überzeugend. Er verweist darauf, daß die zu liebenden Feinde (echthroi) in der Vulgata als inimici, und nicht hostes, bezeichnet werden, somit vom politischen Feind keine Rede sei (BP 29). Die Forderung des Evangeliums könne sich nur auf die „Sphäre des Privaten"

10

Vgl. Christian Meier, Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Frankfurt/M. 1980, S. 208, Anm. 180.

" Vgl. Ernst Baltrusch, Symmachie und Spondai. Untersuchungen zum griechischen Völkerrecht der archaischen und klassischen Zeit, Berlin 1994, v. a. S. 66ff. 12

Auf die Praxis der Kriegführung hatte diese Vorstellung kaum Auswirkungen; vgl. Raoul Lonis, Les usages de la guerre entre grecs et barbares des guerres médiques au milieu du IVe siècle av. J.-C., Paris 1969.

13

Vgl. zur Sache Wilfried Nippel, Griechen, Barbaren und „Wilde", Frankfurt/M. 1990, S. 34ff.; und grundsätzlich zur Differenz zwischen einer „symmetrischen" und einer „asymmetrischen" Konstruktion Reinhart Koselleck, Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe, in: ders., Vergangene Zukunft, Frankfurt/M. 1979, S. 211-259.

14

Wieweit die dort angeführte Typologie, „konventioneller, wirklicher oder absoluter Feind" (dazu TP 87ff.), tragen kann, sei dahingestellt.

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beziehen und keinesfalls bedeuten, „daß man die Feinde seines Volkes lieben und gegen sein eigenes Volk unterstützen soll" (BP 30). Das Wort der Bergpredigt bezieht sich auf das alttestamentarische Gebot, den Nächsten zu lieben (3. Mose 19, 18); dies beschränkte sich gewiß auf die Angehörigen des Volkes Israel. Der Matthäus 5, 43 wiedergegebene Zusatz, „und deinen Feind zu hassen", findet sich nicht im Alten Testament, könnte aber zeitgenössische Lehrmeinungen widerspiegeln und dürfte sich wohl auf den privaten Gegner beziehen.15 Indem das Evangelium das Gebot der Feindesliebe mit der Aufforderung, auch für die Verfolger zu beten, verknüpft, wird deutlich, daß sich dieses Postulat nicht allein auf den privaten Bereich erstrecken kann. Insgesamt erfaßt der gesamte neutestamentliche Sprachgebrauch von echthros für Feind (polemios kommt nicht vor) die ganze Spannbreite zwischen privater und öffentlicher Feindschaft, wobei im letzteren Fall sowohl die Feinde des Volkes Israel wie die Feinde der christlichen Gemeinde gemeint sein können.16 Die christlichen Apologeten in der römischen Kaiserzeit haben sich im übrigen gern auf das Gebot der Feindesliebe bezogen, um den Vorwurf zu widerlegen, sie schlössen sich aus der menschlichen Gesellschaft aus, haben also die Forderung der Bergpredigt nicht auf den privaten Sektor begrenzt gesehen.17 Schmitts Feststellung, daß „in dem tausendjährigen Kampf zwischen Christentum und Islam niemals ein Christ auf den Gedanken gekommen [ist], man müsse aus Liebe zu den Sarazenen oder den Türken Europa, statt es zu verteidigen, dem Islam ausliefern" (BP 29), kann nichts daran ändern, daß der Vers aus der Bergpredigt eine pazifistische Implikation hat, wie immer man damit in der Geschichte des Christentums umgegangen ist. Schmitt legt Wert darauf, daß seine „Definition des Politischen"18 nicht „bellizistisch" sei, da „das politisch Richtige [...] gerade in der Vermeidung des Krieges

15

16

17

18

Vgl. Johannes Weiß, in: ders. (Hg.), Die Schriften des Neuen Testaments, neu übersetzt und fur die Gegenwart erklärt, Bd. 1, Göttingen 1906, S. 258f. Vgl. Martin Leutzsch, Der Bezug auf die Bibel und ihre Wirkungsgeschichte bei Carl Schmitt, in: Bernd Wacker (Hg.), Die eigentlich katholische Verschärfung ..., München 1994, S. 177-202, hier S. 182f.; Wolfgang Palaver, Die mythischen Quellen des Politischen: Carl Schmitts Freund-Feind-Theorie, Stuttgart 1998, S. 52 (jeweils mit weiterer Literatur); Gerd Theißen, Gewaltverzicht und Feindesliebe (Mt 5, 38-48/Lk 6, 27-38) und deren sozialgeschichtlicher Hintergrund, in: ders., Studien zur Soziologie des Urchristentums, Tübingen 1979, S. 160-197 (zur Ablehnung des jüdischen Aufstands gegen die Römer). Vgl. Walter Bauer, Das Gebot der Feindesliebe und die alten Christen, Zeitschrift für Theologie und Kirche 27, 1917, S. 37-54. Anders BP 26, wo die Freund-Feind-Unterscheidung als „Begriffsbestimmung im Sinne eines Kriteriums, nicht als erschöpfende Definition" bezeichnet wird.

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liegen" könne (BP 33) beziehungsweise auch Neutralität „politisch sinnvoll sein könnte" (BP 35). Demnach sei der „Krieg durchaus nicht Ziel oder gar Inhalt der Politik", wohl aber eine „als reale Möglichkeit immer vorhandene Voraussetzung, die das menschliche Handeln und Denken in eigenartiger Weise bestimmt und dadurch ein spezifisch politisches Verhalten bewirkt" (BP 34f.). Deutlicher als im Begriff des Politischen (34) interpretierte Schmitt 1936 das Diktum von Clausewitz, der Krieg sei „ein bloßes Instrument der Politik" und eine „Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel" im Sinne einer „politischen" im Gegensatz zu einer „rein kriegerischen" Position wie derjenigen Ernst Jüngers, daß der „Mensch nicht auf den Frieden angelegt" sei.19 Die politische Sichtweise gehe davon aus, daß „Kriege sinnvollerweise des Friedens wegen gefuhrt werden" (SGN 137) - eine Ansicht, für die man sich ohne weiteres auf Cicero berufen könnte,20 nur daß Cicero insgesamt eine Lehre vom gerechten, d. h. auf Rechtsgründe gestützten Krieg vertritt, die Schmitt durch das neuzeitliche Völkerrecht, das die Kriegseröffiiung zum Souveränitätsmerkmal von Staaten macht, überwunden sieht. „Daß die Gerechtigkeit nicht zum Begriff des Krieges gehört, ist seit Grotius im allgemeinen anerkannt" (BP 50).21 An diesem Modell des Staatenkriegs bleibt Schmitt insofern orientiert, als er den Krieg als „bewaffneten Kampf zwischen organisierten politischen Einheiten" (BP 33) und den Staat als die „wesentliche politische Einheit" versteht, die über das ius belli verfugt, damit über „die reale Möglichkeit, im gegebenen Fall kraft eigener Entscheidung den Feind zu bestimmen und ihn zu bekämpfen" (BP 45). Wenn aber die souveräne Entscheidung für den Krieg zum Wesensmerkmal des Staates gehört (BP 50f.), dann bleibt zu fragen, warum ein aus 19

20

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In der veränderten Buchfassung von 1933, S. 10, Anm. 1, hat Schmitt diese Position als „agonal" bezeichnet. Der „blutige Wettkampf des ,Agon"' (S. 10) gilt ihm deshalb als nicht-politisch, weil sich hier keine Gruppen gegenüberstehen, die um Ordnung und Herrschaft ringen, sondern im Wettstreit noch „die gemeinsame Einheit" bejahen (S. 12); vgl. Heinrich Meier, Die Lehre Carl Schmitts, Stuttgart 1994, S. 68ff. - Unklar bleibt, ob sich der Agon zwischen Poleis von Kriegen mit „Duell"-Charakter wie im europäischen Völkerrecht (PB 307; NE 113f.; L 74) unterscheidet. PB 244 (=BP 102) werden „Kabinetts- und Duellkriege" zu den „agonalen Kriegsarten" gezählt. Cicero, De officiis 1, 35. 80. Zur weiteren Wirkung Ciceros auf Augustin und zur Systematisierung der Äußerungen Augustine im mittelalterlichen Kirchenrecht vgl. Frederick H. Russell, The Just War in the Middle Ages, Cambridge 1975. Allerdings hat Grotius die Lehre von der iusta causa nicht gänzlich aufgegeben, den Krieg jedoch als Ersatz dafür betrachtet, daß es keine Gerichtsinstanz gebe, die über die konfligierenden Rechtsansprüche entscheiden könne; vgl. Christian Starck, Bändigung des Krieges und Frieden in der Lehre der Politik und des Völkerrechts der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Politik, Philosophie, Praxis. Festschrift für Wilhelm Hennis, Stuttgart 1988, S. 56-78, hier S. 66ff.

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jeweils ,„rein' religiösen, moralischen, juristischen oder ökonomischen Motiven geführter Krieg sinnwidrig" sein soll, auch wenn diese Motive im Ernstfall dann von demjenigen der Bekämpfung des Feindes aufgesogen werden (BP 36). Kriege dieser Art sind doch immer auch aus materiellen oder immateriellen Interessen gefuhrt worden.22 Daß der „Krieg aus der Feindschaft" folge und die Feindschaft die „seinsmäßige Negierung eines anderen Seins" (BP 33) bzw. die „seinsmäßige Behauptung der eigenen Existenzform gegenüber einer ebenso seinsmäßigen Verneinung dieser Form" darstelle (BP 50), paßt jedenfalls dann nicht zum „Pluralismus der Staatenwelt", der zur Bestimmung des Politischen gehört (BP 54), wenn „seinsmäßige Verneinung" eine Vernichtung des Feindes meint. Mit dem Hinweis darauf, daß er immer vom „Pluralismus der politischen Welt" ausgehe, hat sich Schmitt Ende 1928 in Briefen an Hermann Heller gegen dessen Deutung der ersten Fassung des Begriffs des Politischen verwahrt, hier werde von der Vernichtung des Feindes gesprochen, und zugleich dargelegt, daß sich der Vernichtungswille aus einer betrügerischen Moralisierung des Krieges ergebe.23 Diese Konstellation sieht Schmitt vor allem gegeben, wenn unter dem Deckmantel des Pazifismus ein „Krieg gegen den Krieg", „ein endgültig letzter Krieg der Menschheit" geführt wird, bei dem der Feind moralisch diskreditiert und „zum unmenschlichen Scheusal" gemacht wird, das ,glicht nur abgewehrt, sondern definitiv vernichtet werden muß" (BP 37).24 Warum jedoch solche, „besonders intensiven und unmenschlichen" Kriege „über das Politische hinausgehen" (BP 37), wenn doch die Freund-Feind-Unterscheidung den äußersten „Intensitätsgrad einer Assoziation oder Dissoziation von Menschen" bezeichnet (BP 38, vgl. 27), ist unverständlich.25 Ein „endgültig pazifizierter Erdball wäre eine Welt ohne die Unterscheidung von Freund und Feind und infolgedessen eine Welt ohne Politik" (BP 35). Das setzt voraus, daß nicht nur die Möglichkeit von Kriegen zwischen Staaten sowie die Chance zur Neutralität entfallt (BP 35), sondern auch, daß „innerhalb eines die ganze Erde umfassenden Imperiums ein Bürgerkrieg selbst der Möglichkeit nach für alle Zeiten tatsächlich nie wieder in Betracht" kommt (BP 54). 22

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Ähnlich Aurel Kolnai, Der Inhalt der Politik, Zeitschrift fur die gesamte Staatswissenschaft 94,1933, S. 1-38, hier S. 8f. Zitiert bei Paul Noack, Carl Schmitt. Eine Biographie, Frankfurt/M. 1996 (Taschenbuchausgabe), S. 119f. Daß damit ein neuer, diskriminierender KriegsbegrifF geschaffen worden sei, hat Schmitt später v. a. in WdK dargelegt, die Tendenz dazu aber schon in den 1920er Jahren in der Folge von Versailler Vertrag und Völkerbund konstatiert, so z. B. PB 40ff. Vgl. Günter Maschke, Freund und Feind - Schwierigkeiten mit einer Banalité Supérieure, Der Staat 33,1994, S. 286-306, hier S. 288f.

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Insgesamt zeigen sich die Schwierigkeiten, die sich Schmitt bei seinem Versuch zuzog, den Begriff des Politischen vom Staat abzukoppeln.26 Schmitt hatte sich in der ersten Fassung des Begriffs des Politischen weitgehend auf die zwischenstaatlichen Beziehungen konzentriert. Erst in der Fassung von 1932 hat er versucht, die Verhältnisse innerhalb einer politischen Einheit in seinen Begriff des Politischen einzubeziehen, wobei dann die Freund-FeindKonstellation vom Extremfall des Bürgerkriegs aus erfaßt werden soll.27 Der Satz von 1927, „Krieg ist bewaffneter Kampf zwischen Völkern" (BP I, 6), wird 1932 ersetzt durch die Formulierung, „Krieg ist bewaffneter Kampf zwischen organisierten politischen Einheiten, Bürgerkrieg bewaffneter Kampf innerhalb einer (dadurch aber problematisch werdenden) organisierten Einheit" (BP 33). Schmitt geht davon aus, daß der nach außen souveräne Staat, der sich durch seine Freund-Feind-Entscheidungen in der Staatenwelt verortet, zugleich seinen Innenraum so befriedet, daß die Auseinandersetzungen zwischen organisierten Gruppen nicht in die letzte Konsequenz des bewaffneten Kampfes umschlagen. „Die politische Einheit ist höchste Einheit, [...] weil sie [...] innerhalb ihrer selbst alle anderen gegensätzlichen Gruppierungen daran hindern kann, sich bis zur extremen Feindschaft (d. h. bis zum Bürgerkrieg) zu dissoziieren" (PB 141). Dieser Fall tritt jedoch dann ein, wenn der Staat diese Aufgabe nicht mehr erfüllen kann. „Die Leistung eines normalen Staates besteht darin, die gegensätzlichen Gruppierungen innerhalb seiner selbst zu relativieren und ihre letzte Konsequenz, den Krieg, zu verhindern. Ist ein Staat zu dieser Leistung nicht mehr imstande, so verlegt sich das Schwergewicht der Politik von außen nach innen. Die innenpolitischen Gegensätze werden dann zu den maßgebenden FreundFeindgruppierungen, und das bedeutet eben latenten oder akuten Bürgerkrieg." (HP 26, Anm. 1.) Da Schmitt für die Wahrnehmung des staatlichen Gewaltmonopols nach außen und innen nicht mehr die alte Unterscheidung von „Politik" und „Polizei" verwenden will,28 erscheinen die inneren Beziehungen, da sie sich im Schutz der primären außenpolitischen Entscheidungen abspielen, als „sekundär" politisch (BP 30). Politisch bleiben sie aber insofern, als die „innerstaatlichen Gegensätze eine stärkere Intensität erhalten [können] als der gemeinsame außenpolitische 26

Vgl. Christian Meier, Zu Carl Schmitts Begriffsbildung - Das Politische und der Nomos, in: Helmut Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Berlin 1988, S. 537-556; Ernst Vollrath, Wie ist Carl Schmitt an seinen Begriff des Politischen gekommen?, Zeitschrift fur Politik 36, 1989, S. 151-168.

27

Vgl. Heinrich Meier, Carl Schmitt, Leo Strauß und der „Begriff des Politischen", Erweiterte Ausgabe, Stuttgart 1998, S. 28ff. Vgl. Pasquale Pasquino, Bemerkungen zum „Kriterium des Politischen" bei Carl Schmitt, Der Staat 25, 1986, S. 385-398, hier S. 386f.

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Gegensatz gegen einen anderen Staat. [...] Die reale Möglichkeit des Kampfes, die immer vorhanden sein muß, damit von Politik gesprochen werden kann, bezieht sich bei einem derartigen ,Primat der Innenpolitik' konsequenterweise nicht mehr auf den Krieg zwischen organisierten Völkereinheiten (Staaten oder Imperien), sondern auf den Bürgerkrieg." (BP 32) Die Frage ist, ob dies eine sachliche Feststellung der Möglichkeit ist, daß sich innere Konflikte - um Gegenstände welcher Art auch immer - bis zum Extremfall steigern können,29 oder Polemik gegen eine pluralistisch verfaßte Ordnung und Ruf nach einer autoritären Form der Regierung.30 Für letzteres spricht jedenfalls im Kontext der vorliegenden Schrift - die Behauptung, daß die „Notwendigkeit innerstaatlicher Befriedung" in „kritischen Situationen" die Definition des „innern Feindes" erfordere und dies in „allen [!] Staaten" mit einer „innerstaatlichen Feinderklärung" verbunden sei, die den Staatsfeind - wie u. a. im Falle der römischen Aosiw-Erklärung - außerhalb jedes Schutzes durch die Rechtsordnung stelle (BP 46f.). Für Schmitts Umgang mit Begriffen aus der öffentlichen Diskussion ist im übrigen bezeichnend, daß er das Schlagwort vom „Primat der Innenpolitik" im Sinne einer Bereitschaft zum Bürgerkrieg deutet. In der ersten Fassung von 1927 kommt die Formulierung noch nicht vor. 1932 handelt es sich allem Anschein nach um eine Anspielung auf eine Debatte, die durch den jungen Historiker Eckart Kehr ausgelöst worden war. Kehr hatte 1928 in der „Zeitschrift für Politik" Ergebnisse seiner Untersuchungen zur gegen England gerichteten deutschen Flottenpolitik um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert vorgelegt. Er wandte sich gegen eine Analyse, die von der Eigengesetzlichkeit der Außenpolitik ausging, und stellte statt dessen heraus, daß die außen- und rüstungspolitischen Entscheidungen in einem solchen Maße von Gesichtspunkten der innergesellschaftlichen Machtverhältnisse abhängig gewesen seien, daß man geradezu von einem „Primat der Innenpolitik" sprechen könne.31 Adolf Grabowsky, einer der

29

So Ernst Wolfgang Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum, S. 2 8 3 299, wieder in: Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, Frankfurt/M. 1991, S. 344-366.

30

So Hasso Hofmann, Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, Berlin 3 1995, S. 114ff.

31

Eckart Kehr, Englandhaß und Weltpolitik. Eine Studie über die innenpolitischen und sozialen Grundlagen der deutschen Außenpolitik um die Jahrhundertwende, Zeitschrift für Politik 17, 1928, S. 500-526, hier S. 500. Der Text findet sich zusammen mit weiteren Aufsätzen zu diesem Thema wieder in: Eckart Kehr, Der Primat der Innenpolitik. Gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Hans-Ulrich Wehler, Berlin 1965, Taschenbuchausgabe Frankfurt/M.

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Herausgeber der Zeitschrift, hatte Kehrs Aufsatz ein Nachwort unter dem Titel „Der Primat der Außenpolitik" angefügt, in dem er zwar konzedierte, daß die Rede vom Vorrang der Außenpolitik häufig nur eine „schöne Phrase" sei, die „vor den Realitäten des Parteikampfes und namentlich des Klassenkampfs versagt", dies aber mit dem Postulat verbunden, daß die „Existenz des Vaterlandes, sein Dasein unter den Staaten der Erde" erfordere, „die Außenpolitik von jeder Parteipolitik fernzuhalten."32 Grabowskys Aufforderung, das Verhältnis von Innen- und Außenpolitik weiter zu diskutieren, ist Schmitt im Begriff des Politischen auf seine Art nachgekommen.

32

1976. Zur Außenseiterposition Kehrs in der Historikerzunft vgl. die Einleitung von Wehler. Zeitschrift für Politik 17,1928, S. 527-542, hier S. 527.

5 Detlef Lehnert „Der Staat als Form der politischen Einheit, durch den Pluralismus in Frage gestellt" (37-45)

I. Von Dolf Sternberger, einem der frühen Fachvertreter bundesdeutscher Politikwissenschaft, wurde im „Streit um den antiken und den modernen Staat" die epochenübergreifende Spannungslinie entlang der Fragestellung gezeichnet, ob die kontroversen „Staatsbilder und Staatskonstruktionen" mehr zur Leitkategorie der „Einheit" oder der „Vielheit" tendieren: „Der Einheitslehre folgen, nach Piaton, je in ihrer Weise die großen Theoretiker der Souveränität, Bodin, Hobbes und Rousseau. [...] Der Vielheits-Theorie andererseits ordnen sich, nach dem Vorgang - und weithin auch unter dem fortwirkenden oder wiederkehrenden Einfluss - des Aristoteles, alle diejenigen Modelle zu, welche durch eine ,Mischimg' von Verfassungstypen oder auch durch eine Teilung der Staatsgewalt in mehrere .Gewalten' gekennzeichnet sind, wie sie John Locke, Montesquieu und die amerikanischen Verfassungsväter vorgetragen und auch verwirklicht haben"1. Im Sinne dieses Unterscheidungsmerkmals, das zur grob sichtenden Orientierung über Traditionen der Staatstheorie einigermaßen plausibel erscheint, gehört Carl Schmitt eindeutig - und geradewegs idealtypisch gesteigert - ins Lager des „Einheits"-Denkens. Die Beschwörung der frühmodernen Souveränitätslehren war ihm ein besonderes Anliegen: zum einen mit Hobbes den Leviathan-Staat gegen die gesellschaftliche Auflösung bis hin zu Bürgerkriegsszenarien in Stellung bringend, zum anderen mit Rousseau die Volkssouveränität des einheitsverbürgenden Gemeinwillens gegen das parlamentarische Repräsentationsprinzip und die Partikularinteressen ausspielend. Als dezidiert katholischer Autor hat Schmitt in seiner Habilitationsschrift Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen die päpstliche „Unfehlbarkeit

1

D. Sternberger, Ein Streit um den antiken und den modernen Staat, in: ders., Verfassungspatriotismus ( = Schriften X), Frankfurt/M. 1990, S. 232-300, hier: S. 292-294.

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von Entscheidungen ex cathedra" als Reinform der Entscheidung über „Zweifelsfálle" der Jurisprudenz zum Modell vorgegeben: „Der Rechtsgedanke, der einer Umgestaltung der Wirklichkeit zur Richtschnur dienen soll, muss positiv werden, d. h. sein Inhalt wird durch einen Akt souveräner Entscheidung gesetzt." Durchaus neo-platonisch im Sinne der Einheitslehre gedacht war es für den frühen Schmitt jedoch nur „der ideale Staat, die civitas Dei", und nicht etwa der gegen die „Eine Kirche" stets „notwendig unvollkommen" bleibende Einzelstaat, der „höchste Gewalt" beanspruchen darf: „Der Begriff des Staates bekommt so für das Recht eine genau analoge Position, wie sie der Gottesbegriff, der aus der Notwendigkeit einer Verwirklichung des Sittlichen in der realen Welt entspringt, für die Ethik einnimmt" (WdS 81, 45, 48, 78, 55). Auch im wiederum thematisch einschlägigen Beitrag Römischer Katholizismus und politische Form schreibt er hinsichtlich der „politischen Idee des Katholizismus" von „dem präzisesten Dogmatismus und einem Willen zur Dezision, wie er in der Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit kulminiert" (RP 14); insoweit die „römischkatholische Kirche" zugleich der Idee und Form nach „als historischer Komplex und als administrativer Apparat den Universalismus des römischen Imperiums fortsetzt" (RK 9), bleibe sie „im größten Stil die Trägerin juristischen Geistes und die wahre Erbin der römischen Jurisprudenz" (RK 31). Der „germanistischen" Traditionslinie in der Rechtswissenschaft, mit ihrer Abzweigung ins angelsächsische Common law-Denken, hat sich Schmitt auch später - in seiner dann akzentuierteren nationalen Orientierung - nicht zugewandt. Damit ist bereits die tiefergründige Argumentationsschicht für Schmitts vielzitierte Ausgangsthese: „Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus", interpretierend freigelegt: Als einer der wenigen Katholiken unter den Staatsrechtslehrern, und diese geistige Herkunft bleibt trotz Exkommunikation (1926 angesichts Wiederverheiratung nach Ehescheidung) in einigen Grundelementen prägend, war Schmitts ursprüngliche intellektuelle Loyalität nach zeitgenössischer Terminologie „ultramontan" orientiert: sie galt zunächst der Papstkirche Roms, vom Deutschen Reich aus betrachtet .jenseits der Berge" gelegen, und nicht allein dem jeweiligen Einzelstaat; dieser wurde im spezifischen Falle des preußisch zentrierten Deutschlands bis 1918 einschließlich der Hohenzollern-Dynastie gar noch protestantisch dominiert - und gerät in der ressentimentgeleiteten Wahrnehmung Schmitts zu Beginn der Republik unter den verfassungsprägenden Einfluss von linksliberalen Juden wie Hugo Preuß und konfessionslosen Sozialdemokraten. Dass jeder Einzelstaat seinen Legitimitätsgrund nicht allein in sich tragen könne, sondern darüber hinaus in einem höheren Allgemeinen finden müsse, ist ein Leitsatz des katholischen Universalismus, den ein früher Schmitt zumindest noch als politisches und juristisches Formprinzip zugrunde legt und damit auch säkularisiert. Wie Max Webers Politik als Beruf

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schon in dieser Begrifflichkeit - „Beruf' heißt zugleich Berufung und Profession im Sinne der Pflichtethik - unverkennbar kulturprotestantisch geprägt ist, kann die Herkunft von Schmitts Begriff des Politischen nur in seiner ursprünglich formkatholischen Überwölbung des Partikular-Staatlichen durch ein AllgemeinPolitisches umfassend verstanden werden. 2 In wesentlicher Differenz zur politischen Generation der „Kulturkampföra" nach der Reichsgründung von 1871 ist Schmitt jedoch bereits in die Zeitspanne einer sekundären Integration der katholischen Minderheit hineingewachsen: Als er 1909 volljährig wurde, stand die Innenpolitik erstmals im Zeichen einer „schwarz-blauen" Reichstagsmehrheit aus katholischer Zentrumspartei und evangelisch-agrarischen Konservativen; gegen diese formierten sich 1912 teilweise (ζ. B. in der Erzbischofsstadt Köln) sogar Bündnisse von den Sozialdemokraten bis hin zu den Nationalliberalen. Erst recht hat der Kriegsausbruch 1914 aus Schmitt einen jener „nationalen" Katholiken gemacht, bei denen von einer auch nur latent „reichsfeindlichen" Oppositionsgesinnung nicht mehr die Rede sein konnte. Selten hinreichend beachtet wurde die Tatsache, dass Schmitt die Revolutionsmonate in München erlebte - zunächst wehrdienstleistend in der Heeresverwaltung, dann als Dozent an dortiger Handels-Hochschule - , wo sich eine dermaßen hasserfüllte Konfrontation wie an keinem anderen Ort in Deutschland entwickelt hatte: Von Kampagnen gegen den jüdischen" Revolutionsführer Kurt Eisner bis hin zu dessen Ermordung, über die als Jüdisch" abgestempelte Räterepublik, die blutig niedergeschlagen wurde, und schließlich der offen antirepublikanischen bayerischen Staatsregierung nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch im März 1920, in deren Schutzraum sich auch Hitlers NSDAP entfalten konnte, entriss derlei Umfeld Schmitt endgültig der sauerländischen Idylle seiner Jugendzeit. Dass Politik wesensmäßig mit Freund-Feind-Unterscheidungen zu tun habe, wurde ihm nach außen über die Kriegserfahrung, nach innen über die Münchener Bürgerkriegsszenarien plausibel; weniger die christliche Friedens- und Versöhnungsbotschaft als vielmehr eine Kreuzzugsmentalität gegen das Heterogene in der Welt hat deshalb Schmitts weltanschauliches Credo bestimmt. Ganz verloren ging die katholische Vorprägung schon deshalb nicht, weil sie es ihm gestattete, über das anthropologische und funktionale Verständnis der Staatsgewalt in der Hobbes-Tradition hinaus das konkrete Ordnungsdenken im argumentativen Bedarfsfalle naturrechtlich-überpositiv abzustützen.

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Für eine wesentlich auch Bezugnahmen in diverser Literatur abschätzende „Konzeptionsgeschichte der Politik" machen Webers und Schmitts Vortragstext für die Weimarer Periode den „inneren Kern" eines Diskurses aus; vgl. K. Palonen, Politik als Handlungsbegriff. Horizontwandel des Politikbegriffs in Deutschland 1890-1933, Helsinki 1985, S. 11,44.

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Nicht zufallig diente ein verfassungsimmanenter Schulkompromiss, dessen gemeinsame Infragestellung durch Rekonfessionalisierungsziele der katholischen Zentrumspartei und protestantischen Deutschnationalen im Februar 1928 die Koalition mit der nationalliberal-etatistischen DVP auflöste, bei Schmitt zur Illustration der Weimarer Unbestimmtheiten. Seine bekannte Polemik gegen eine Tendenz zum „dilatorischen Formelkompromiss" in der Weimarer Verfassung bezog er wesentlich auf das „Verhältnis von Staat und Kirche" und dessen konkrete Gestaltung im Bildungswesen: „So sind die Gesichtspunkte einer streng durchgeführten Äaateschule, einer vom Willen der Erziehungsberechtigten bestimmten, einer konfessionellen Schule und einer freien Schule nebeneinander zur Geltung gekommen" (VL 34), so dass seiner Interpretation nach für die Gesetzgebung „in Wahrheit kein anderer Wille vorhanden ist als der, in dieser Angelegenheit keinen Willen zu haben". Als Theoretiker der einheitlichen juristisch-politischen Dezision in Zweifelsfällen kam es ihm offenbar nicht in den Sinn, die Zusammenfugung unterschiedlicher Gestaltungselemente aus dem Parteienkompromiss dann eben als den besonderen Verfassungsauftrag zu interpretieren: einerseits die Koexistenz verschiedener Schulformen zu tolerieren, andererseits die Pluralität divergierender Gesichtspunkte innerhalb des öffentlichen Schulwesens als Gebot des Ausgleichs und der Abwägung zu begreifen.

II. Der bei Schmitt verbleibenden politischen „Katholizität", im Sinne der einheitsstiftenden Kraft einer hierarchischen Institution mit alleinverbindlicher Dezisionsmacht, widerstrebt zutiefst die Anerkennung einer seinsprägenden „Vielheit", als deren Archetypen sie Konfessionsspaltung, Sektenwesen und letztlich Unglauben am Werke sieht. Insofern wirkt „das Politische" nicht etwa als dynamische Kraft der gesellschaftlichen Willensbildung auf staatliche Integration erst noch hin, vielmehr wird diese von Schmitt als vorgegeben definiert: „Der Staat hat nicht eine Verfassung, ,der gemäß' ein staatlicher Wille sich bildet und funktioniert, sondern der Staat ist Verfassung, d. h. ein seinsmäßig vorhandener Zustand, ein status von Einheit und Ordnung" (VL 4). Dieses im Kern statische Grundverständnis nach Art einer „ontischen Festigkeit der Weltordnung" hat der - in seiner politischen Theologie konservativ-reformiert ausgerichtete - Rudolf Smend 3 als eine „antike" Prägung im Denken Schmitts kritisiert, den gemeinten Verweis auf römisch-katholische Einfarbung taktvoll vermeidend. Deutlicher artikulierte sich der selbst formell dem Katholizismus zugehörige, jedoch liberalrationalistisch argumentierende Staatsrechtsgelehrte Richard Thoma, wenn er in 3

R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, München 1928, S. 68.

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der Parlamentarismuskritik Schmitts dessen „unausgesprochene persönlichste Überzeugung" angelegt sah, „ein Bündnis des nationalen Diktators mit der katholischen Kirche könne die eigentliche Lösung und die endgültige Wiederherstellung von Ordnung, Disziplin und Hierarchie bewirken"4. Dem entsprach realhistorisch das - symbolträchtig in Rom inszenierte - Mussolini-Regime nach Abstreifung seiner revolutionären Ursprünge, aber noch vor Durchsetzung eines totalen Herrschaftsanspruches des „Duce". Zumal auch protestantische Staatsrechtsautoren von der Integrationskraft des italienischen Faschismus beeindruckt waren5, bestand seit Herbst 1922 für die konservative und rechtsliberale Opposition ein benachbartes Alternativmodell zur Weimarer Republik. Gerade auf den Staatsrechtslehrstuhl im katholischen Bonn berufen, erlebte Schmitt gewissermaßen hautnah den im Januar 1923 beginnenden „Ruhrkampf' als politisches Symbol des ihm verhassten „Systems von Versailles" der Westmächte - unter Kuratel der laizistischen französischen Republik. Auch das vom US-Präsidenten Wilson etablierte „Völkerbund"Regime hatte weder in Schmitts früherem katholischen Weltordnungs- noch seinem nationalpolitischen Souveränitätsdenken, das seit der Ruhrkampfperiode in Reaktivierung von Weltkriegsstimmungen à la Ernst Jünger deutlicher zutage trat, einen legitimen Platz. Die Bonner Jahre mit ihren eigentümlichen rheinischkatholischen und nationalistischen Umfeldeinflüssen waren Schmitts produktivste Schaffensperiode, dort entstanden solch grundlegende Schriften wie Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923/26) und insbesondere die Verfassungslehre (1928) als sein akademisches Hauptwerk. Sein bekanntester Text Der Begriff des Politischen entstammt ursprünglich einer Vortragsreihe im Mai 1927 an der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin, die unter dem Titel Probleme der Demokratie (1928) in einer mit dem Institut für Auswärtige Politik in Hamburg gemeinsam herausgegebenen Reihe veröffentlicht wurde; insofern gehört diese Studie unmittelbar in den gedanklichen Kontext der Verfassungslehre sowie der vorausgegangenen ParlamentarismusSchrift und kann vor diesem Hintergrund interpretiert werden. Bemerkenswert war kaum die Freund-Feind-Polarität als „spezifisch politische Unterscheidung" und nicht einmal die vielzitierte Zuspitzung: „Die Begriffe Freund, Feind und Kampf erhalten ihren realen Sinn dadurch, dass sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und behalten" (BP II 4, 6). Auch ein Weimarer „Kronjurist" und DDP-Mitglied wie Gerhard

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R. Thoma, Zur Ideologie des Parlamentarismus und der Diktatur, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 53 (1925), S. 212-217, hier S. 217. Dazu vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 23f.; G. Leibholz, Zu den Problemen des fascistischen Verfassungsrechts, Berlin 1928.

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Anschütz hatte schließlich in seiner Heidelberger Rektoratsrede im November 1922, also noch vor der heißen Phase des Ruhrkampfes, die Lehrenden und Studierenden gegen den „Erb- und Todfeind im Westen" aufgewiegelt und beklagt, dieser „nach außen ohnmächtige Staat" - einer im Kern von ihm bejahten demokratischen Republik - sei gegenüber dem Interessenpartikularismus „auch im Innern nicht mehr oberster Herr"6. Vor ihm hatte bereits Max Weber, ebenso DDP-Mitglied der ersten Stunde und 1918/19 noch vor Anschütz der einflussreichste Kopf in dem Preuß zur Seite gestellten Verfassungsbeirat, die „politische Gemeinschaft" geradewegs bellizistisch definiert: „Es ist der Ernst des Todes, den eventuell für die Gemeinschaftsinteressen zu bestehen dem Einzelnen hier zugemutet wird. Er trägt der politischen Gemeinschaft ihr spezifisches Pathos ein. Er stiftet auch ihre dauernden Gefühlsgrundlagen. Gemeinsame politische Schicksale, d. h. in erster Linie gemeinsame politische Kämpfe auf Leben und Tod, knüpfen Erinnerungsgemeinschaften, welche oft stärker wirken als Bande der Kultur-, Sprach- oder Abstammungsgemeinschaft"7. Von einer verbreiteten Synthese aus imperialistischer Außenpolitik und innerem sozialen Ausgleich zwecks Formierung der „Heimatfront", wie sie auch der DDP-Vorsitzende Friedrich Naumann im Krieg propagiert hatte8, trennte Schmitt lediglich die innerstaatliche Feinderklärung9 gegen die Weimarer Gründungskoalition mit ihrer Erfullungspolitik gegenüber der fremdbestimmten Versailler Rahmenordnung: „Erklärt ein Teil des Volkes, keinen Feind mehr zu kennen, so stellt er sich nach Lage der Sache auf die Seite der Feinde" (BPH 18). Zumal ihm zwischen katholisch-universaler Herkunft und national-etatistischer Gegenwartsorientierung eine latente Unbestimmtheit seines „Begriffs des Politischen" drohte, fand er die Bestimmungskraft um so mehr in der Feindstellung gegenüber dem ökonomischen und geistigen Liberalismus sowie innenpolitischem Pluralismus. Die äußere Kapitulation gegenüber dem Versailler „Feind-Diktat" führte Schmitt letztlich auf den inneren Zerfall der Staatsordnungsmacht nach der - in München von ihm geradezu traumatisch erlebten - Novemberrevolution zurück. In jener Schrift von 1922 mit dem berühmten Diktum „Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe" hat er auch die hintergründige Metaphysik des Weimarer Verfassungsliberalismus zu dechiffrieren getrachtet: „Preuß konnte mit den Argumenten der Genossenschaftstheorie 6

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9

G. Anschütz, Drei Leitgedanken der Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1923, S. 30f. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. Tübingen 1972, S. 515. Dazu vgl. P. Theiner, Sozialer Liberalismus und deutsche Weltpolitik. Friedrich Naumann im Wilhelminischen Deutschland (1860-1919), Baden-Baden 1983. Dies ist übrigens ein - wenn auch nicht unmittelbar auf die Gegenwartskonstellation bezogener - originärer Begriff bei Schmitt (BP 47).

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den Souveränitätsbegriff als ein Residuum des Obrigkeitsstaates ablehnen und in dem genossenschaftlich von unten sich aufbauenden Gemeinwesen eine Organisation finden, die das Herrschaftsmonopol nicht braucht und daher auch ohne Souveränität auskommt" (PT 35). Es ist fast eine Ironie der Geschichte, dass Schmitt 1928 im Streben nach Einfluß in der Reichshauptstadt auf jene Staatsrechtsprofessur an der Berliner Handelshochschule überwechselte, die Preuß von 1907 bis zu seiner Ernennimg zum Innenressortchef der Revolutionsregierung im Herbst 1918 innehatte, worin eine zumeist übersehene Symbolkraft lag: Aus politischen und antisemitischen Gründen war Preuß, obschon profiliertester Schüler des neben Laband herausragendsten Vorkriegsjuristen Gierke, nie an eine staatliche Universität berufen worden; er fand in der von Berliner Kaufleuten privat finanzierten Handelshochschule gewissermaßen sein akademisches Gesinnungsasyl. Bis 1932 erschienen Schmitt die Tore zur Berliner Universität ebenfalls aus politisch-weltanschaulichen Gründen versperrt, insofern weder das republiktragende preußische Ministerium noch die Juristen-Kollegen Smend und Heinrich Triepel ihn herbeiwünschten, die ihrerseits zwar DNVP-Konservative waren, mit ihrer Staatstheologie aber im Protestantismus wurzelten. Zumindest ebenso im Triumph der Besetzung dieses hauptstädtischen Vorpostens wie im Angedenken seines prominenten Vorgängers widmete Schmitt diesem eine weniger bekannte, jedoch aufschlussreiche Schrift, die vorab „Preuß zu einer typischen und sogar paradigmatischen Gestalt" auf einer Interpretationslinie zwischen den europäischen Revolutionsjahren 1848 und 1918 erklärt: „Von seinem liberal-rechtsstaatlichen Standpunkt aus kommt er dem Gedanken einer Souveränität der Verfassung oft sehr nahe." Solcher Verzicht auf das EinheitsDenken der klassischen Souveränitätslehren bedingte die kritisch diagnostizierte Realitäts-Vielfalt der Weimarer Republik: „Der Staat ist jetzt,Selbstorganisation der Gesellschaft'. Während das deutsche Bürgertum des 19. Jahrhunderts sich in die bestehende staatliche Ordnung hineinintegrierte und die monarchischen Institutionen der feste Rahmen waren, in den die neuen sozialen Elemente aufgenommen wurden, bleibt es nunmehr den Kräften der Gesellschaft überlassen, sich selbst zum Staat zu organisieren" (HP 3, 9, 20f.). Nirgends hat Schmitt den hintergründig dialektischen Sinn der Freund-Feind-Polarität, die allein mit der Sammlung der inneren Front „im Kampf mit Weimar - Genf - Versailles" zu erklären allzu oberflächlich gedeutet wäre, einleuchtender dargelegt als in der /Vew/?-Schrift: „Jeder politische Begriff ist ein polemischer Begriff. Er hat einen politischen Feind im Auge und wird in seiner geschichtlichen Bedeutung durch seinen Feind bestimmt. Worte wie Souveränität, Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie erhalten ihren Sinn erst durch eine konkrete Antithese" (HP 5). Unter Abstreifimg des Sprachmartialismus von „Feind"-Erklärungen, zugunsten immer auch wesentlich antithetischer Bestimmung jeglichen politischen Begriffsge-

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halts, lagen darin wichtige Erkenntnisse begründet: In der Tat war der „Souveränitäts"-Anspruch des frühmodernen Staates nur aus dem Widerstreit mit ständisch-feudalen und konfessionellen Partikularmächten angemessen zu verstehen; das „Freiheits"-Pathos des bürgerlichen Aufklärungs- und Revolutionszeitalters gegenüber vorausgegangener kirchlicher und staatsabsolutistischer Bevormundung zu deuten; ein bürgerliches „Rechtsstaats"-Ethos in doppelter Abgrenzung zu „Pöbel- und Fürstenwillkür" einzuordnen; schließlich das Plädoyer für „Demokratie" ζ. B. in den Weimarer Verfassungsberatungen von den gestürzten Autokraten einerseits und der Bedrohung durch neue Diktatur-Regime andererseits mitbestimmt. Auf der Kontrastfolie eines polemischen Feindverhältnisses zu jeglicher innerstaatlicher Pluralismustheorie hat Schmitt bereits die These seiner Parlamentarismus-Schrift begründet, dass jede „wirkliche Demokratie" darauf beruhe, das „Nichtgleiche nicht gleich behandelt" zu wissen: „Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens - nötigenfalls - die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen" (GLP 13f.). In Auseinandersetzung mit der Gedanken-Vielfalt hinsichtlich der Verfassungsordnung als „Grundgesetz" bemängelte Schmitt an rechtsnormativen Staatsrechtslehren, „dass der Begriff sich relativiert und pluralisiert, sobald das Bewusstsein der politischen Existenz sich auflöst, während der Gedanke der Einheit hervortritt, wenn dieses Bewusstsein wieder lebendig wird" (VL42f.). Den in seinen Berliner Jahren offensichtlich werdenden endgültigen Bruch mit dem ursprünglichen katholischen Universalitätsprinzip bereitet eine spezifische Existentialontologie der Nationaldemokratie vor: „Die Lehre von der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes setzt den Willen zur politischen Existenz, also eine Nation voraus" (VL 79); von integraler Theologisierung distanziert Schmitt sich mit der lapidaren Bemerkung, dass „Gott im Bereich des Politischen nicht anders als der Gott eines bestimmten Volkes erscheinen kann" (VL 238). Nicht katholische Politik, wie von der bis 1928/30 verfassungstragenden Zentrumspartei propagiert, sondern nationale Politik war inzwischen das Leitmotiv fur Schmitt, der insbesondere seit Ankunft in der Reichshauptstadt zunehmend in Kreisen der sog. „konservativen Revolution" verkehrte und publizierte. III. In seiner Legitimationsschrift fur die Stärkung der Position des Reichspräsidenten Hindenburg als „Hüter der Verfassung" hat Schmitt eine Diagnose der bedrohten Staatseinheit durch Parteienpluralismus am prägnantesten formuliert: „Wenn nämlich der Staat nicht als eine in sich geschlossene (sei es durch Herrschaft eines Monarchen oder einer herrschenden Gruppe, sei es durch Homogenität des in sich

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einheitlichen Volkes) bewirkte Einheit aufgefasst wird, so beruht er dualistisch oder gar pluralistisch auf dem Vertrag und Kompromiss mehrerer Parteien" (HdV 60). Neben dem Phänomen des Länder-Föderalismus und seinem Verständnis des Pluralismus identifizierte er ζ. B. in der öffentlichen Wirtschaft einen besonderen Faktor polykratischer Auflösung der einheitlichen Staatsgewalt: „Der Pluralismus bezeichnet die Macht mehrerer sozialer Größen über die staatliche Willensbildung·, die Polykratie ist möglich auf dem Boden einer Herausnahme aus dem Staat und einer Verselbständigung gegenüber dem staatlichen Willen" (HdV 71). Die Vertrags- und wirtschaftsgesellschaftliche sowie parteienstaatliche Durchdringung der souveränen Ordnungsmacht kam fur ihn geradewegs dem Verlust einer der wichtigsten zivilisatorischen Errungenschaften des abendländischen Kulturkreises gleich. Erst die ,Auflösung des mittelalterlichen, pluralistischen, feudal-ständischen Rechtsstaats" habe den frühmodernen „Staat der Exekutive und der Regierung' geschaffen. „Seine ratio, die ratio status, die oft missdeutete Staatsräson, liegt nicht in inhaltsvollen Normen, sondern in der Effektivität, mit der er eine Situation schafft, in welcher überhaupt erst Normen gelten können, weil der Staat die Ursache aller Unordnung und Bürgerkriege, dem Kampf um das normativ Richtige, ein Ende macht" (HdV 75f.). Hintergründig blieb dieses - nicht fem von Max Webers Definition des Staates mit dem „Monopol der legitimen physischen Gewaltsamkeit" erscheinende - Grundverständnis insofern noch mit Schmitts katholischer Herkunft vermittelt, als die Konfessionsspaltung eine wesentliche Quelle der Pluralisierung von Denk- und Handlungsmustern war; zwischen der „römischen" Staatslehre des einig-einzigen Imperiums und der römischen-katholischen „Einen Kirche" gab es zumindest Formanalogien, die auch Kritikern dieser Souveränitätstradition wie Preuß mit seiner Ablehnung der „Stiftungs"- und „Anstalts"-Lehre der Institutionen nicht verborgen geblieben waren.10 Eine in der verfallsgeschichtlich orientierten Wahrnehmung von Schmitt selbst zum „Staat gewordene Gesellschaft wird ein Wirtschaftsstaat, Kulturstaat, Fürsorgestaat, Wohlfahrtsstaat, Versorgungsstaat", nachdem die einheitsauflösende, relativistische und pluralistische Entwicklungstendenz „vom absoluten Staat des 17. und 18. Jahrhunderts über den neutralen Staat des 19. Jahrhunderts zum totalen Staat der Identität von Staat und Gesellschaft" (HdV 79) gefuhrt habe. Eine totalitäre Vergesellschaftung der Staatsgewalt durch Einparteienregime kann Schmitt letztlich gerade aus seiner Präferenz für die Einheit des autoritären Staates, der über alle gesellschaftliche Vielfalt hinweg souverän entscheidungsfahig

10

Das in vielem gegenüber Schmitt geradewegs antithetische Konzept von Preuß wird eingehender dargelegt in D. Lehnert, Verfassungsdemokratie als Bürgergenossenschaft. Politisches Denken, Öffentliches Recht und Geschichtsdeutungen bei Hugo Preuß, Baden-Baden 1998.

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bleibt, nicht als positive Chance definieren: „Dadurch dass eine miteinander konkurrierende, sich gegenseitig in gewissen Grenzen haltende Mehrheit derartiger Komplexe, also ein pluralistischer Parteienstaat vorhanden ist, wird es verhindert, dass der totale Staat sich als solcher mit derselben Wucht zur Geltung bringt, wie er es in den sogenannten Ein-Parteienstaaten, Sowjetunion und Italien, bereits getan hat" (HdV84). Wenn er nunmehr Stalin-Rußland und MussoliniItalien auf dieser Ebene negativ identifiziert, ist dies auch dahingehend in die politische Wirklichkeit zu übersetzen, dass er die NSDAP wegen ihrer kaum zu kontrollierenden Massenmobilisierung zu diesem Zeitpunkt als Bedrohung der Staatsautorität eines Präsidialregimes betrachtet. Sogar die Parteienzersplitterung im Reichstag dient insoweit den Zwecken der autoritären Formierung indirekt mehr als der autonome Machtanspruch einer totalitären Massenpartei. Der vielfach beobachtete „Okkasionalismus" in der nur scheinbar intellektuell stringent hergeleiteten Gedankenfuhrung Schmitts, also deren Abhängigkeit von den Zeitumständen und jeweils verfolgten Argumentationszielen, ist darüber hinaus an keiner anderen Stelle so evident wie hinsichtlich der 1932 vollzogenen Totalrevision früherer juristischer Bedenken gegen die Bindungskraft des kompromisszerpflügten Grundrechtsteils der Weimarer Verfassung. Unter der Präsidentschaft Eberts, also mangels konkreter Aussicht eines autoritären Regimes ohne wesentliche Rückbindung an die Verfahrensregeln einer parlamentarischen Demokratie, teilte Schmitt noch die sonst auch bei positivistischen Staatsrechtlern anzutreffende Grundrechtsskepsis, zu der sein Weg - entgegen der Annahme „objektiver Wertgesetzlichkeiten" bei Smend" - nach 1945 unter dem Stichwort „Tyrannei der Werte" wieder zurückführte, mit folgender Verfassungsdefinition: „Sie bestimmt die fundamentale Organisation eines Staates und entscheidet darüber, was Ordnung ist. Nicht jede Verfassungsbestimmung hat dabei die gleiche faktische Bedeutung, und es war, politisch gesprochen, ein gefährlicher Missbrauch, die Verfassung zu benutzen, um alle möglichen Herzensangelegenheiten als Grundrechte und Quasi-Grundrechte in sie hinein zu schreiben. Wesentlich ist jeder Verfassung die Organisation. Dadurch wird die Einheit des Staates als einer Ordnung geschaffen". 12 Dieser Rückzug auf die existenziellen Kernaufgaben der Ordnungsmacht gestattete es der Staatsgewalt in einer diesbezüglich subtilen Argumentationsstrategie von Schmitt, auch dann noch gewissermaßen „katholisch"-einheitlich zu operieren, wenn längst durch Konfessionsspaltung und Säkularisierung zum einen sowie industriegesellschaft-

'1 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 47. 12 C. Schmitt, Die Diktatur des Reichspräsidenten nach Art. 48 der Reichsverfassung, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 1, Berlin 1924, S. 63-104, hier: S. 91.

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liehe Klassenspaltung und Kommerzialisierung zum anderen die weltanschaulichen und sozialen Dissensfaktoren entfesselt waren. Die Streitschrift Legalität und Legitimität, die 1932 das etablierte Präsidialsystem weiter abstützen sollte, blieb zwar konsequent auf der Linie einer Geringschätzung der Verfahrensregeln, spielte nunmehr aber gegen sie den - knapp zehn Jahre zuvor noch als weithin rechtsbindungsschwach zurückgestuften - Grundrechtsteil aus: „Zwischen der prinzipiellen Wertneutralität des funktionalistischen Legalitätssystems und der prinzipiellen Wertordnung inhaltlicher Verfassungsgarantien gibt es keine mittlere Linie." (VRA 300) „Die Weimarer Verfassung ist zwischen der Wertneutralität ihres ersten und der Wertfülle ihres zweiten Hauptteils buchstäblich gespalten" (VRA 303). Nach vorausgegangenen Darlegungen Schmitts lief sein „formkatholisches" Staatsdenken gerade darauf hinaus, die unbefragte einheitliche Ordnungsmacht gegenüber den vielfaltigen Wertvorstellungen aus der Gesellschaft abzuschirmen, die verfassungsmäßig nur in Formelkompromisse eingegangen waren. Um das Präsidialregime jedoch zur Demontage des Weimarer Legalitätssystems in Stellung bringen zu können, ohne den riskanten offenen Staatsstreich zu propagieren, bedurfte es positivrechtlicher Anknüpfungspunkte für einen autoritären Verfassungsrevisionismus. In einem Beitrag zum Staatsrechtshandbuch von Anschütz/Thoma13 wollte Schmitt zugunsten einer - ihm gewiß unterschwellig bereits vorschwebenden - Durchbrechung des Legalitätssystems für die „interpretatorische Funktion eine folgenreiche, eigenartige Bedeutung" vorsehen: „Sie führt zu einem unauffälligen Wachstum auf der einen, zu stillschweigenden Verdrängungen und Ausmerzungen auf der anderen Seite und kann auf solche Weise die Gesamtentscheidung bewirken, die im textlichen Inhalt des zweiten Hauptteils jedenfalls nicht ohne weiteres zu erkennen ist" (VRA 230). Diese Strategie der schleichenden Verfassungsumdeutung, die Schmitt ins Umfeld des intriganten Reichswehrgenerals v. Schleicher einbrachte, wollte sich gezielt über den in Paragraphen gefassten pluralen Mehrheitswillen der Republikgründung hinwegsetzen und machtdezisionistisch die Einheit des Staates über den Parteigruppierungen inthronisieren.

IV. Die erweiterte Fassung des Begriffs des Politischen, dem Nachwort gemäß im Oktober 1931 fertiggestellt (BP 96), gehört im historischen wie auch dem werk-

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Die Beteiligung daran ist übrigens ein klarer Beleg gegen überzogene Selbststilisierung zum diskriminierten Außenseiter, denn Wortführer der antipositivistischen „geisteswissenschaftlichen" Richtung wie Smend durften sich dort mit ihrer Gelehrsamkeit nicht verewigen.

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immanenten Kontext in eine Reihe mit Hüter der Verfassung sowie Legalität und Legitimität, erweitert jedoch den Blick von der inneren Verfassungslage auf die Außenbeziehungen der Staatlichkeit und von juristischen sowie geistesgeschichtlichen zu stärker politiktheoretischen Überlegungen. Bemerkenswert an der ergänzten Interpretationsbreite ist zunächst, dass Schmitt den konzeptionellen Bruch mit einer in Deutschland „bis ins 20. Jahrhundert hinein" wirkungsmächtigen Position des Staates als „unterscheidbare Macht über der .Gesellschaft'" in Ansätzen bereits an „Gierkes Genossenschaftstheorie" von 1868, also dem späteren Kontrahenten des kaiserzeitlichen Staatsrechtspositivisten Laband festmacht; sein ursprüngliches Staatsverständnis als „den anderen Assoziationen wesensgleiche Genossenschaft" ließ jene „demokratischen Konsequenzen unabweislich" werden, die in Deutschland zum Weimarer Verfassungsautor Preuß und „in England zu pluralistischen Theorien" hinführten (BP 24f.). Der Einsicht des englischen Radikalpluralisten Laski, dass „selbst ein Staat von der ungebrochenen Kraft des Bismarckschen Reiches nicht absolut souverän und allmächtig" sei, was realhistorisch dessen „gleichzeitiges und gleich erfolgloses Vorgehen gegen die katholische Kirche und die Sozialisten" dokumentiere, wollte Schmitt nicht einmal grundsätzlich bestreiten: „Diese Kritik trifft in weitem Maße zu. Die Wendungen von der .Allmacht' des Staates sind in der Tat oft nur oberflächliche Säkularisierungen der theologischen Formeln von der Omnipotenz Gottes" (BP 43). Eben dies lehrte ganz ähnlich die Ideologiekritik Kelsens, gegen dessen Allgemeine Staatslehre (1925) besonders auch Schmitts Verfassungslehre konzipiert wurde, so wie umgekehrt der 1930 nach Köln gelangte Wiener Verfassungsautor die Hauptpolemik gegen Schmitts Hüter der Verfassung geschrieben hat.' 4 Zwischen einer radikalpluralistischen Negation der Staatsdefinition als „die maßgebende Einheit" über jeder Vielheit und einer gemäßigten Variante der Genossenschaftslehre vermochte Schmitt durchaus zu unterscheiden: „Eine pluralistische Theorie ist entweder die Staatstheorie eines durch einen Föderalismus sozialer Verbände zur Einheit gelangenden Staates oder aber nur eine Theorie der Auflösung oder Widerlegung des Staates" (BP 44). In der Textrezeption wenig beachtet worden ist hinter der polemischen Stoßrichtung der Pluralismuskritik, die als Teil der Liberalismusfeindschaft bei Schmitt aufscheint, die subtilere Einfädelung seines eigenen Pluralitätstheorems, und zwar eng verbunden mit der Kernthese dieser Schrift: „Aus dem Begriffsmerkmal des Politischen folgt der Pluralismus der Staatenwelt. Die politische Einheit setzt die reale Möglichkeit des Feindes und damit eine andere, koexistierende, politische Einheit voraus. Es gibt deshalb auf

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H. Kelsen, Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, in: Die Justiz 6 (1931), S. 576628.

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der Erde, solange es überhaupt einen Staat gibt, immer mehrere Staaten und kann keinen die ganze Erde und ganze Menschheit umfassenden Welt, Staat' geben. Die politische Welt ist ein Pluriversum, kein Universum. Insofern ist jede Staatstheorie pluralistisch, wenn auch in einem anderen Sinne als dem der [...] innerstaatlichpluralistischen Theorie" (BP 54). An dieser für das gesamte Textverständnis entscheidenden Stelle lohnt ein interpretatorisches Innehalten, das freilich wiederum nicht der in Schmitts eigentümlichem Schreibstil - der bestimmend vorgetragenen Unbestimmtheiten - angelegten Tendenz nachgibt, ohne hinreichende Textbelege über seine letzten Motive zu spekulieren. Immerhin noch einer Fußnote zu Maitland, der Gierkes Lehre fur den englischen Frühpluralismus rechtshistorisch erschlossen hat, vertraute Schmitt eine ausschlussreiche Reminiszenz zum Verhältnis von Staat und Kirche an: „Denn während in der Zeit vor dem Schisma die Beziehung von Papst und Kaiser noch auf die Formel gebracht werden konnte, dass der Papst die auctoritas, der Kaiser die potestas habe, demnach eine Verteilung innerhalb derselben Einheit vorliege, hält die katholische Lehre seit dem 12. Jahrhundert daran fest, dass Kirche und Staat zwei societates, und zwar sogar die beiden societates perfectae (jede in ihrem Bereich souverän und autark) sind, wobei auf der Seite der Kirche natürlich nur eine einzige Kirche als societas perfectae anerkannt wird, während auf der staatlichen Seite heute eine Pluralität (wenn nicht eine Unzahl) von societates perfectae erscheint, deren .Perfektheit' allerdings durch ihre große Anzahl sehr problematisch wird" (BP 42). Die gänzlich unperfekte Staatenvielfalt und ihre wirklichen bzw. möglichen Freund-Feind-Beziehungen wurden nach dem Selbstverständnis des Autors werturteilsfrei gleich jedem Naturphänomen in den politischen Raum gestellt; ausdrücklich wandte er sich gegen jegliche Tendenzzuschreibung: „Die hier gegebene Definition des Politischen ist weder bellizistisch noch militaristisch, noch imperialistisch, noch pazifistisch" (BP 33). Der Einsatz selbst des eigenen Lebens fiir die Politik konnte nur „existenziellen Sinn" haben, niemals aber einen „normativen" beanspruchen: „Es gibt keinen rationalen Zweck, keine noch so richtige Norm, kein noch so vorbildliches Programm, kein noch so schönes soziales Ideal, keine Legitimität oder Legalität, die es rechtfertigen könnte, dass Menschen sich gegenseitig dafür töten" (BP 49f.). Insofern war Schmitt politiktheoretischer Vertreter eines besonderen ExistentialEtatismus, der Staatlichkeit zunächst auf Sicherung der „seinsmäßigen Behauptung der eigenen Exstenzform" (BP 50) reduzierte. Vor solchem Argumentationshintergrund bezeichnete er die „reale FreundFeindgruppierung" als die maßgebende menschliche Gruppierung", und es sei infolgedessen die „politische Einheit" auch die „maßgebende Einheit und .souverän' in dem Sinne, dass die Entscheidung über den maßgebenden Fall, auch wenn das der Ausnahmefall ist, begriffsnotwendig immer bei ihr stehen muss" (BP 39).

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Demzufolge profilierte sich Schmitt inzwischen eindeutig als „Politizist" in dem Sinne, dass er potestas, also souveräne Herrschaftsgewalt, nur dem Staat als Einheit zubilligte, während sich auch eine staatenüberwölbende Universalkirche mit auctoritas zu begnügen hatte. So betrachtet hatte Smend einen interessanten Aspekt beleuchtet, wenn er bei Schmitt beachtliche Residuen „antiken" Statusund Ordnungsdenkens erkennen wollte; die universal-idealstaatliche civitas Dei seiner Habilitationsschrift war jedoch nunmehr für Schmitt mit hochmittelalterlichem Schisma und frühneuzeitlicher Konfessionsspaltung unwiderruflich verloren gegeben und daraus ein reduziertes Hobbessches Staatsverständnis legitimiert. Umgekehrt traf die Gegenpolemik einen richtigen Kern, indem für Schmitt „der totale Staat, der nichts absolut Unpolitisches mehr kennt", in Smends Integrationsbegriff durchschimmerte, wo letztgenannter eine HegelRezeptionslinie affirmativ zitierte, „die lebendigste Durchdringung aller gesellschaftlichen Sphären durch den Staat zu dem allgemeinen Zwecke, alle vitalen Kräfte des Volkskörpers für das Staatsganze zu gewinnen", zum Leitprinzip zu erheben (BP 26).15 Seine Begrenzung fand Schmitts Einheits-Denken somit nach außen hin in der nicht zur Weltstaats-Utopie nivellierten Staaten-Vielfalt, nach innen gegenüber besonderen gesellschaftlichen Autonomiesphären wie z. B. der eigenen kirchlichen societas, die nicht einfach von einem totalisierten Staat absorbiert werden sollten. In der eigentlichen Sphäre des Politischen hatte Schmitt jedoch fur die Tendenzen zur inneren Pluralisierung kein positives Verständnis. Die seiner Ansicht nach verfehlte „Gleichung: politisch = parteipolitisch" wurde nur als Verfallserscheinung möglich, „wenn der Gedanke einer umfassenden, alle innerpolitischen Parteien und ihre Gegensätzlichkeiten relativierenden politischen Einheit (des ,Staates') seine Kraft verliert und infolgedessen die innerstaatlichen Gegensätze

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Die von Schmitt lediglich unter Hervorhebung des „aller"/„alle" veränderte Bezugsstelle findet sich bei Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 97 Anm. 2 mit dem ausdrücklichen Hinweis, dies sei „genau der Integrationsbegriff der vorliegenden Untersuchung". Während für Schmitt zuletzt auch Mussolini-Italien dem abgelehnten Typus des „totalen" Staates entsprach, der über den Souveränitätsprimat hinaus die kirchliche Teilautonomie absorbierte, in dieser Hinsicht wie ein demokratischer Pluralismus die Schranken von Staat und Gesellschaft durchbrechend, findet Smend dort zumindest das Vorbild seiner integrierenden Gesellschaftsformierung auf Staatszwecke hin: „Es gehört zu den starken Seiten des Faschismus, über den man im übrigen urteilen mag, wie man will, dass er diese Notwendigkeit allseitiger Integration mit großer Klarheit gesehen hat, bei aller Ablehnung des Liberalen und Parlamentarischen doch die Technik funktioneller Integration mit Meisterschaft handhabt und die abgelehnte sozialistische Sachintegration bewusst durch eine andere (nationaler Mythus, Berufsstaat usw.) ersetzt" (ebd. S. 62).

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eine stärkere Intensität erhalten als der gemeinsame außenpolitische Gegensatz gegen einen anderen Staat" (BP 32). Das Primat der Außenpolitik und damit eine Zurückdrängung innenpolitischer Fragmentierungslinien folgte in seinem Denken aus dem geradewegs staatsdefinitorischen „Zusammenhang von Schutz und Gehorsam", der im System des „Leviathan" gleichermaßen „durch die menschliche Natur wie durch göttliches Recht gefordert werde" und zudem geschichtliche Erfahrungshorizonte reflektiere: „Hobbes hat diese Wahrheit in den schlimmen Zeiten des Bürgerkriegs erfahren, weil dann alle legitimistischen und normativistischen Illusionen entfallen, mit denen sich die Menschen in Zeiten ungetrübter Sekurität über politische Wirklichkeiten gern hinwegtäuschen. Sind innerhalb eines Staates organisierte Parteien imstande, ihren Angehörigen mehr Schutz zu gewähren als der Staat, so wird der Staat bestenfalls ein Annex dieser Parteien, und der einzelne Staatsbürger weiß, wem er zu gehorchen hat. Das kann eine .pluralistische Staatstheorie' rechtfertigen" (BP 53). Nur als Zerfallserscheinung, wenn Volksgruppen zur Beute rivalisierender Parteilager und diese zum „Staat im Staate" wurden, ohne dass sich noch eine verbindliche Autorität über ihnen etablieren konnte, fand der innere Pluralismus bei Schmitt zuletzt noch einen systematischen Ort.

V. Die Kritik des innerstaatlichen Pluralismus ist - so wurde in den vorhergehenden Abschnitten das Interpretationsumfeld sondiert - ein durchgehendes Leitmotiv im Gesamtwerk von Schmitt und folglich auch im Aufbau von Der Begriff des Politischen inhaltlich nicht auf einen Textteil zu fokussieren. Dennoch bildet unser 4. Abschnitt das Kern- und Verbindungsstück von einer vorausliegenden Herleitung des „Freund/Feind"-bestimmten Politikverständnisses zu den nachfolgend primär außenpolitisch definierten Schlussfolgerungen. Nicht zufallig beginnt Schmitt hier wiederum mit einem Verweis auf die Möglichkeit, dass eine „religiöse Gemeinschaft" ihrerseits „politische Größe" wird, insofern sie in einem Konfliktszenario „Freund und Feind richtig zu unterscheiden" gelernt hat (BP 37). Vom historischen Ursprung der besonderen zentraleuropäischen Polarisierung von Reformation und Gegenreformation im 16. Jahrhundert bis hin zum Kulturkampf der Bismarckära, der in Deutschland den „politischen" Katholizismus als eigene Milieuformation ausdifferenzierte, lieferte die reale Entwicklung hinreichend Illustrationsmaterial dieser Grundannahme. Ähnliches gilt fur die von Schmitt als zweites wesentliches Beispiel angeführte Polarisationsgröße von ,„Klasse' im marxistischen Sinn", deren Wirkungsmacht über ökonomische Antriebskräfte hinaus zu „politischen Notwendigkeiten und Orientierungen" ausgreifen und tendenziell dazu führen kann, „die ganze Menschheit nach dem

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Gegensatz von Proletarier und Bourgeois als Freund und Feind in Proletarierund Kapitalistenstaaten zu gruppieren" (BP 38). Damit wurde unverkennbar eine seit der bolschewistischen Oktoberrevolution 1917 möglich gewordene Weltlage thematisiert, die im Ost-West-Konflikt nach dem Zweiten Weltkrieg noch sinnfälliger hervortrat. Eine innerstaatliche Feinderklärung ist erneut bei Schmitt in einer vordergründig nur hypothetisch formulierten Konstellation angelegt: „Reicht die politische Kraft einer Klasse oder sonstigen Gruppe innerhalb eines Volkes nur so weit, dass sie jeden nach außen zu führenden Krieg verhindern kann, ohne selber die Fähigkeit oder den Willen zu haben, die Staatsgewalt zu übernehmen, von sich aus Freund und Feind zu unterscheiden und nötigenfalls Krieg zu fuhren, so ist diese politische Einheit zerstört" (BP 38). Zumindest eine solche Gefahr erblickte Schmitt in der Politik weitgehender Erfüllung der mit dem Versailler Vertrag - durch eine Allianz der Westmächte - diktierten Friedensbedingungen seitens der Weimarer Gründungskoalition und der zusätzlich paralysierenden Wirkung einer seit 1923/24 starken Kommunistischen Partei, mit Orientierung an Moskau als ihrem „Rom" im Sinne der erstrebten Weltrevolution. Noch vor dem Eingehen auf die „in angelsächsischen Ländern aufgetretene sogenannte pluralistische Staatstheorie von G. D. H. Cole und Harold J. Laski" (BP 41), im Hinblick auf die Schmitt 1930 „zur Kritik" einen Aufsatz „Staatsethik und pluralistischer Staat" in den Kant-Studien veröffentlichte, erwähnt der Autor die „französischen Syndikalisten" und in diesem Kontext auch die souveränitätskritisch akzentuierte Staatstheorie von Léon Duguit; die syndikalistischen Lehren hatten für Schmitt angesichts der autonomen Machtentfaltung von Massenstreikbewegungen „den Tod und das Ende des Staates proklamiert" (BP 40). Ohne diesen Begriff eigens zu erwähnen, stellt er diese somit in den Zusammenhang der anarchistischen Denktraditionen, die sich als Gegenströmung zum erst absolutistischen, dann jakobinischen und schließlich napoleonischen Zentralismus vor allem in Frankreich während des 19. Jahrhunderts entfaltet hatten und zu Beginn des hochindustriellen 20. Jahrhunderts vom Syndikalismus transformiert wurden. Als besonders „typisch fur den in angelsächsischen Ländern auftretenden Pluralismus" definiert Schmitt eine dort angelegte „Allianz von Kirchen und Gewerkschaften" hinsichtlich „ihres gemeinsamen Gegensatzes gegen den Staat" (BP 41), d. h. zwecks Wahrung ihrer jeweiligen teilautonomen Gestaltungssphären, die nicht einfach wie in Ländern mit absolutistischer Tradition als vom Staat (rückholbar) verliehene bzw. anerkannte, sondern dort als originäre, nichtstaatliche Rechte verstanden werden. Daran bemängelt Schmitt u. a. „den ungenauen, liberalen Begriff des ,Sozialen'" (BP 43), also die im angelsächsischen politischen Kulturkreis mit seiner - insoweit damals auch sozial-liberal fundierten

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- ausgeprägt positiven Besetzung des Verständnisses von (bürger-)gesellschaftlichem Selfgovernment gegenüber (obrigkeits-)staatlicher Bevormundung. Statt dessen erblickt der Autor im pluralistischen „Konflikt der Loyalitäts- und Treuebindungen" einen potentiellen Destabilisierungsfaktor der gesamtordnenden Staatssouveränität, wenn er die sich möglicherweise kreuzenden AssoziationsGefolgschaften exemplarisch sichtet: „Es wäre ζ. B. denkbar, dass die Mitglieder einer Gewerkschaft, wenn dieser Verband die Parole ausgibt, keine Kirche mehr zu besuchen, trotzdem zur Kirche gehen, aber gleichzeitig eine von der Kirche erlassene Aufforderung, aus der Gewerkschaft auszutreten, ebenfalls nicht befolgen" (BP 41). Das Beispiel illustriert die Handlungsblockierung in Situationen doppelter oder gar multipler Loyalitätsbindungen. Eine souverän handlungsmächtige Staatsgewalt erhebt sich über solche Partikularidentitäten, wie Schmitt erneut anhand eines geschichtlichen Musterfalles darlegt: „Weder eine Kirche, noch eine Gewerkschaft, noch ein Bündnis von beiden hätte einen Krieg, den das Deutsche Reich unter Bismarck fuhren wollte, verboten oder verhindert" (BP 43). Denn jenes Reich der Bismarckära war eben trotz der Föderalstruktur der Landesfursten keine pluralistische, sondern eine unter preußischer Hegemonie obrigkeitlich formierte Herrschaftsordnung und deshalb nicht abhängig vom Untertanenkonsens. Bei der Laskischen Pluralismustheorie vermisst Schmitt überhaupt eine Antwort auf „die Frage nach dem spezifischen Inhalt des Politischen", die über Andeutungen hinausgeht, die ungefähr auf „eine Art Dach-Assoziation der Assoziationen" hinauslaufen mögen, deren einheitsbildende Kraft jedoch nicht recht ersichtlich wird: „Es müsste aber vor allem geklärt werden, aus welchem Grunde die Menschen neben den religiösen, kulturellen, ökonomischen und anderen Assoziationen auch noch eine politische Assoziation, eine .governmental association' bilden und worin der spezifische politische Sinn dieser letzten Art Assoziation besteht." Höchst aufschlussreich ist die unmittelbar dieser Kritik folgende Einschätzung, dass eine Relativität der pluralistischen Teilbindungen systematisch konsequent gar nicht durchzuhalten sei, denn „als letzter, umfassender, durchaus monistisch-universaler und keineswegs pluralistischer Begriff erscheint bei Cole die ,society', bei Laski die ,humanity'" (BP 44). Entweder wird demnach staatliche einheitsbildende Ordnungsmacht einfach in gesellschaftliche umdefiniert, ohne sich hinreichend Rechenschaft über die Geltungsansprüche des Allgemeinen über dem jeweils Besonderen abzulegen; oder es steht im Hintergrund die auch den Staatenpluralismus überwölbende Friedensutopie der universalen Menschheitsorganisation, bei welcher die Frage nach letztinstanzlicher Erzwingbarkeit der propagierten Einheit unbeantwortet bleibt. Das Fazit von Schmitt gegenüber nicht allein der Realitätstauglichkeit, sondern zugleich der inneren Kohärenz dieser frühen Pluralismustheorien fallt ins-

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gesamt geradewegs vernichtend aus und sei abschließend zusammenhängend präsentiert: „Diese pluralistische Staatstheorie ist vor allem in sich selber pluralistisch, d. h. sie hat kein einheitliches Zentrum, sondern zieht ihre gedanklichen Motive aus ganz verschiedenen Ideenkreisen (Religion, Wirtschaft, Liberalismus, Sozialismus usw.); sie ignoriert den zentralen Begriff jeder Staatslehre, das Politische, und erörtert nicht einmal die Möglichkeit, dass der Pluralismus der Verbände zu einer föderalistisch aufgebauten politischen Einheit fuhren könnte; sie bleibt ganz in einem liberalen Individualismus stecken, weil sie schließlich nichts anderes tut, als im Dienste des freien Individuums und seiner freien Assoziationen die eine Assoziation gegen die andere auszuspielen, wobei alle Fragen und Konflikte vom Individuum aus entschieden werden. In Wahrheit gibt es keine politische Gesellschaft' oder ,Assoziation', es gibt nur eine politische Einheit, eine politische .Gemeinschaft'" (BP 44f.). Im Begriff der Gesellschaft ist fur Schmitt der innere Pluralismus und damit fehlende Eignung zur einheitsbildenden Potentialität bereits angelegt, während in der Gemeinschaft soziale und geistig-kulturelle Heterogenität zur politischen Homogenität aufgehoben wird. Bezeichnenderweise zitiert er im Rückgriff auf den Kriegsausbruch 1914 eine zeitgenössische Stimme (des ansonsten fur klarsichtige Analysen bekannten Soziologen Emil Lederer), dass „sich am Tage der Mobilisierung die Gesellschaft, die bis dahin bestand, in eine Gemeinschaft umformte" (BP 45). Eben dieses Kriegs-Gemeinschafts-Erlebnis - als generationsspezifische Erscheinungsform deutscher „Sehnsucht nach Synthese" (Dahrendorf) über einer zerklüfteten Gesellschaft der Klassengegensätze, Konfessionsspaltung und Regionalidentitäten - bildete insofern den Kristallisationskern für einen „Begriff des Politischen" in Opposition zur augenscheinlich nicht mehr im Sinne des verklärten „Geistes von 1914" generalmobilmachungsfahigen Zivilgesellschaft der Weimarer Republik. VI. Auch wenn Schmitts Argumentationsstil und Sprachduktus zumeist den Eindruck festgefugter Überzeugungen hinterlassen konnten, offenbart nähere Betrachtung auch in grundsätzlichen Orientierungen beachtliche Inkonsistenz und erläuterungsbedürftige Spannungsfelder: Zwar ist er dezidiert „Einheits"-Denker, lehnt aber den „totalen" Staat wie die „universale" Kirchlichkeit ab, so dass am ehesten noch die klassische Unterscheidung von staatlicher potestas und katholischer auctoritas seine Weltordnung zusammenfugt - mit zunehmender Skepsis (biographisch gesteigert durch Exkommunikation) hinsichtlich der Eigenbedeutung von Wertbindungen gegenüber existenziell motiviertem Herrschaftsgehorsam. Die wegwerfenden Formulierungen über „Zeiten ungetrübter Sekurität", die ein

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wirtschaftlich und auch im geistigen Habitus saturiertes Bürgertum im Kaiserreich erlebte, haben unterschwellig selbstdiagnostischen Charakter: Dem besonderen katholisch-provinziellen Sekuritätsmilieu der Jugendzeit, umrahmt durch „Konviktsleiter und patriotische Fabrikanten" sowie „Beamte und Offiziere (im Grunde gemütlich)"16 wurde Schmitt durch Kriegserfahrung, wenngleich nur an der „Heimatfront", und vor allem inmitten der Münchener Revolutions- und Bürgerkriegswirren entrissen; dort herrschte - auch verglichen mit anderen Reichsteilen, die sehr viel „gemütlichere" Revolutionsmonate erlebten - jener innere Ausnahmezustand, den er zusammen mit dem (gegen „Versailles" stets zumindest potentiell vorhandenen, in Bonn über den Ruhrkampf auch weiter präsenten) äußeren Kriegszustand ins Zentrum seiner politiktheoretischen Überlegungen rückte. Die extreme Spannung zwischen der eigenen Vor- und Nachkriegserfahrung - und dies in einem Lebensalter, das kontrastverstärkend wirkte: 1914 war er 26jährig, also hinreichend vorgeprägt, 1918/19 dann 30jährig, somit noch für Neuorientierungen besonders aufnahmefähig - mag auch die verstärkte Neigung zu „extremer" Ausdrucksweise erklären, die sich in seinen Frühschriften so nicht findet; der innere oder äußere Gegner muss dabei zum „Feind" erklärt werden, damit nicht der „im Grunde gemütliche" deutsche Bürger wieder in ein Sekuritätsdenken zurückfallt, statt wenigstens geistig den Ernstfall zu proben und für diesen bereit zu sein. Die im Spätwerk anzutreffende Selbststilisierung als eine Art intellektueller „Partisan" - weder ins Kaiserreich, noch in die Weimarer Republik, ein „Drittes Reich" oder die Bundesrepublik geistig-politisch nachhaltig integrierbar oder auch nur einflussreichen Gruppierungen zugehörig - kann letztlich ebenfalls auf diese als tief einschneidend wahrgenommene geistig-kulturelle Entwurzelungserfahrung zwischen 1914 und 1919 zurückverfolgt werden. Die systematische Unscharfe seines nicht mehr universalistischen Katholizismus und nicht-totalen Etatismus könnte, in Verbindung mit seinem Verfassungsverständnis als existenzielle Gesamtentscheidung, die Zurechnung Schmitts zum Dezisionismus rechtfertigen: gegen die nahezu beliebige Vielfalt der Wertvorstellungen sei vorrangig sicherzustellen, dass überhaupt eine Ordnung herrsche, die ein Volk als Nation erhalte, wie es übrigens auch Max Weber mit seinem instrumenteilen Staatsbegriff des Monopols der legitimen physischen Gewaltsamkeit und seinem reduzierten Verständnis von Demokratie als „Führerauslese" beabsichtigte. Eine dann unter dem NS-Herrschaftssystem formulierte Reserve gegen „die dem Positivismus eigentümliche Kombination von Dezisionismus und Normativismus" und die geforderte Rückbesinnung auf den „Staat Hegels" als die „Ord-

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So in einer Retrospektive von 1958, zitiert bei R. Mehring, Carl Schmitt zur Einführung, Hamburg 2001, S. 13.

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nung der Ordnungen" (DARD 39) kann diese Interpretation nicht vollends entkräften. Immerhin ließe sich argumentieren, dass bei Schmitt ein „Drittes Reich" zunächst Hoffnungen auf einen neuen Ordnungsrahmen geweckt haben dürfte, der seinen auf die Bedingungen der pluralisierten Weimarer Republik zugeschnittenen dezisionistischen Skeptizismus überholte; das anfangliche Bündnis Hitlers mit konservativen Eliten und die Ausschaltung der SA (im sog. „RöhmPutsch", dessen antizipatorische Niederschlagung mit einem Blutbad Schmitt als „Der Führer schützt das Recht" glorifizierte, obwohl auch sein Förderer Schleicher ermordet wurde) konnten diese Sicht noch bestätigen. Der Versuch einer wenigstens innerhalb einer konkreten Verfassungslage konsistenten Deutung wird allerdings bei der schwankenden Position Schmitts hinsichtlich der einheits- und ordnungsstiftenden Funktion eines Grundrechtskatalogs noch problematischer. Wohlmeinende Interpreten wollen seine in Legalität und Legitimität gegen frühere Lesarten unternommene Aufwertung solcher formelhaften Normierungen als wiederbelebte Ersatzverfassung des nach der Reichstagswahl 1930 außer Funktion geratenen parlamentarischen Systems konzipiert sehen; von einer - dann aber geradewegs legendären - Vorwegnahme späterer Gesamtordnungsnormen unter dem Grundgesetz kann aber nicht ernstlich die Rede sein, weil Schmitt sich nach 1945 zu eindeutig konträr gegen jegliche „Tyrannei der Werte" geäußert hat. Da Schmitt auch seine früheren Vorbehalte gegenüber „dilatorischen Formelkompromissen" im Weimarer Verfassungstext nicht widerrief, muss dies zumindest mit dem im StaatsrechtsHandbuch gegebenen Hinweis einer - gezielt Ursprungspluralität vereinheitlichenden - Umdeutungsstrategie sowie der Kompetenzzuweisung an den Reichspräsidenten, insoweit aktiv „Hüter der Verfassung" zu sein, in Zusammenhang gebracht werden. Die sonst - als erweiterter Vortragstext inmitten seiner größeren Studien - nicht zu überschätzenden Thesen zum „Begriff des Politischen" schließen zwischen 1927 und 1931/32 den Kreis dieser Argumentationsstrategie: Die nach außen hin innerhalb der Staatenvielfalt selbstbehauptungs- und potentiell kriegsfahige Nation bedarf nach Schmitts Lehre der inneren Einheit als souveräne Ordnungsmacht über der Parteien-, Konfessions- und Interessenpluralität. Solche Auffassungen waren in der Weimarer Republik jedenfalls rechts von der Gründungskoalition aus Sozialdemokraten, Linksliberalen und Zentrumsrepublikanern des Erzberger-Wirth-Flügels nicht besonders auffallig oder gar singular. Unverwechselbar an Schmitt war unter den Staatsrechtslehrern damals höchstens die bewusst provozierende Schärfe, in der Schlüsselbegriffe wie „Diktatur" und „Ausnahmezustand" oder schließlich „Freund-Feind" profiliert wurden - dies passte zunehmend besser ins wortkriegerische Milieu der „konservativen Revolution" als zum „gemütlichen" katholischen Akademikerverband, für den er noch Römischer Katholizismus und politische Form geschrieben hatte. Ohne dass er

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sich und anderen darüber ausdrücklich Rechenschaft abgelegt hat, findet das Hinübergleiten seines ursprünglich formkatholischen ins national-existenzielle Staatsdenken in jeweiliger „Einheits"-Orientierung seine positive Kontinuitätslinie. Noch wichtiger ist aber die negatorische Seite: die über seinen unverkennbaren Positionswechsel in den Grundmotiven hinwegrettende Ablehnung der inneren „Vielheits"-Lehren, die aus katholischer wie aus nationalpolitischer Perspektive gleichermaßen suspekt waren. Dies erklärt auch Schmitts - 1933 geradezu perfide hervorgekehrten, zuvor eher unterschwelligen - Antisemitismus, der im katholischen wie im deutschnationalen Milieu anzutreffen war und „die Juden" als ein Ferment der Auflösung stereotypisiert hat. Der Liberalismus, durchweg Schmitts erklärter geistig-politischer Feind wider die katholische bzw. nationale Einheits-Ordnung, stand mit solchen antisemitischen Nebenklängen unterlegt für ein Denken in Differenzen und die Untergrabung der Staatsautorität durch Individualismus und gesellschaftliche Autonomiesphären jenseits der weltanschaulichen Ordnungsmacht Kirche. Aus seiner frühen katholischen Sicht war gewiss noch der russische Bolschewismus die äußere Hauptbedrohung des abendländischen Kulturkreises. Nachdem aber unter Stalin anstelle von Weltrevolution mehr ein Nationalbolschewismus praktiziert wurde und der westliche marxistische Sozialismus zur „Sozial-Liberal-Demokratie" (GLP 21 f.) domestiziert war, verschoben sich außenpolitisch die Prioritäten zur Feindstellung gegen die angloamerikanische Hegemonialordnung von „Genf und „Versailles" - als Regime eines Weltherrschafts-Liberalismus über der Staaten-Vielfalt. Die in seiner wichtigsten Streitschrift gegen die innere Pluralisierung formulierte politisch-philosophische und demokratietheoretische Grundüberzeugung, „dass der Staat eine unteilbare Einheit ist und der überstimmte Teil in Wahrheit nicht vergewaltigt und gezwungen, sondern nur zu seinem eigenen wirklichen Willen gefuhrt werde" (HdV 145), ließ ihn gar dem Mehrheitswahlrecht aus den Zeiten der konstitutionellen Monarchie nachtrauern: „Dass die überstimmte Minderheit keine eigens organisierte Vertretung erhielt, war konsequent demokratisch; denn man zerstört die Grundvoraussetzung jeder Demokratie, wenn man das Axiom preisgibt, dass die überstimmte Minderheit nur das Wahlergebnis (nicht ihren Sonderwillen) wollte und daher dem Mehrheitswillen als ihrem eigenen Willen zugestimmt hat" (HdV 86). Schon aus zeitgenössischem Blickwinkel einer soziologisch aufgeklärten Demokratietheorie, wie sie ζ. B. von Thoma17 und Kelsen18 vertreten wurde, blieb Schmitt damit in der Volkswillens17

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R. Thoma, Der Begriff der modernen Demokratie in seinem Verhältnis zum Staatsbegriff, in: Hauptprobleme der Soziologie. Erinnerungsgabe für Max Weber, Bd.2., München 1923, S. 39-64. H. Kelsen, Demokratie, in: Verhandlungen des Fünften Deutschen Soziologentages vom 26. bis 29. September 1926 in Wien, Tübingen 1927, S. 37-68.

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Metaphysik von Rousseau befangen, deren geschichtlichen Hintergrund die überschaubare Homogenität von Bauerngemeinden des 18. Jahrhunderts gebildet hatte. Nach Überwindung der spätantiken und mittelalterlichen Leitmotive aus seiner katholischen Herkunft verharrte Schmitt nunmehr in frühneuzeitlichen Vorstellungen von Staat und Gesellschaft, was ebenso sein auf Hobbes bezogenes Souveränitätsdenken offenbarte. Auch dies war eine besondere Form der politischen Theologie, die sich der Realität von arbeitsteiligen Industriegesellschaften des 20. Jahrhunderts verweigerte, weil sie mit dem vorgefassten Idealtypus der einheitlichen nationalen Willensrichtung des von „Feinden" umgebenen Volkes kollidierte.

6 Gerd Roellecke „Die Entscheidung über Krieg und Feind" (45-54) Tötungs- und Todesbereitschaft

Den fünften Abschnitt faßt das Inhaltsverzeichnis mit „Die Entscheidung über Krieg und Feind" zusammen. Der Abschnitt betrifft mehr als „Kriegserklärung". „Kriegserklärung" gilt für offene Konflikte in einer gegebenen, nicht weiter hinterfragten politischen Ordnung. „Die Entscheidung über Krieg und Feind" will eine solche Ordnung gerade analysieren. Der Abschnitt muß daher zunächst in den Zusammenhang der gesamten Argumentation im Begriff des Politischen eingeordnet werden.

I. Struktur des Politischen Aufgabe ist, das Verhältnis von Staat und Volk zu klären. Staat ist der maßgebende Zustand eines Volkes (BP 20), maßgebend, weil er die Existenz der Beteiligten betrifft. Seiner Existenz wird sich ein Volk bewußt, wenn sie bedroht wird, und bedroht wird sie durch den Feind. Er bedeutet „die Negation der eigenen Art Existenz" (BP 27). Darin erschöpft sich der Feindbegriff aber auch. Auf Gründe für die Feindschaft kommt es nicht an, sondern auf den konkreten Gegensatz und die reale Möglichkeit eines Kampfes, der mit physischen Tötungen rechnet (BP 33). Möglichkeit heißt: Fokus des Denkens und Handelns. Denn Handeln orientiert sich weniger an dem, was war, und mehr an dem, was es erwartet - am Möglichen. Insofern bestimmt die Möglichkeit des Kampfes den maßgebenden Zustand des Volkes, den handelnden Staat (BP 39). Seine Einheit ermächtigt den Staat, über Krieg und Feind zu entscheiden (BP 45). Da der bloße Gegensatz den Staat schafft, kann es keinen Weltstaat geben. Denn ein Weltstaat wäre ein Staat, in dem niemand mehr die Existenz eines anderen negieren wollte (BP 54). Weil die Zukunft überhaupt dunkel und ungewiß ist, kann man zwar nicht beweisen, daß es nie einen Weltstaat als Tatsache geben wird, aber die Sicherung der eigenen Existenz gebietet, diese Möglichkeit auszuschließen, den schlimmsten Fall anzunehmen und den Feind zu erkennen (BP 65).

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Schmitts Argumentation bewegt sich am Rande des Sagbaren. Sie gehorcht ihrer eigenen Erkenntnis, ist selbst politisch und unterscheidet zwischen Freund und Feind (BP 31).1 Zwar kann sie den Feind nicht wirklich bekämpfen, das heißt, nicht mit dem Ziel der Tötung. Sie verfugt nur über die „Waffe" des Wortes und Worte töten eben doch nicht.2 Aber der Abschnitt„Die Entscheidung über Krieg und Feind" rückt der Realität noch am dichtesten auf die Haut. In ihm könnte man deshalb so etwas wie eine Anleitung zum Handeln für Politiker erwarten, ein Politiker-Brevier sozusagen. Um praktische Politik geht es jedoch nicht.3 Die praktischste aller praktischen Fragen, „wie groß die Aussichten sind, den Krieg zu gewinnen, ist hier gleichgültig, solange das politisch einige Volk bereit ist, für seine Existenz und seine Unabhängigkeit zu kämpfen" (BP 45). Mit der Konsequenz: „Dadurch, daß ein Volk nicht mehr die Kraft oder den Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, verschwindet das Politische nicht aus der Welt. Es verschwindet nur ein schwaches Volk" (BP 54). Der deutsche Zusammenbruch 1945 scheint diese These zu widerlegen. Das deutsche Volk hatte keine Kraft mehr, ist aber nicht verschwunden, sondern genesen. Allerdings kann man die deutsche Lage nicht eindeutig beschreiben. Zwar beruft sich Schmitt oft auf geschichtliche Fälle, aber immer nur als einzelne Beispiele, nicht in Zusammenhängen wie Kausalität, Finalität, Evolution oder Schuld. Da er die Entscheidung nicht in narrative Kontexte stellt, bietet er keine Hilfe für die Diagnose dessen, was dem deutschen Volk 1945 geschehen ist. Nach Schmitt könnte man etwa sagen, es sei nach 1945 nicht mehr dasselbe gewesen wie vorher und insofern untergegangen.4 Oder umgekehrt, das deutsche Volk existiere noch, könne jedoch nicht mehr frei entscheiden. Aber das Auf und Ab der politischen Gruppierungen, einschließlich der, der er selbst angehört, scheint Schmitt nicht zu interessieren, jedenfalls nicht in diesem Text.

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Näher Hasso Hofmann, Feindschaft - Grundbegriff des Politischen?, in: ders., Recht Politik - Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie, Frankfurt/M. 1986,212-241, bes. S. 215. Der titelgebende Aufsatz in Günter Maschke, Das bewaffnete Wort. Aufsätze von 1973 bis 1993, Wien 1997, 171-191, 185, meint „systematische Gewaltanwendung"; die Systematik kann nur durch das Wort hergestellt werden. Zur Unterscheidung von Krieg und Politik bereits Peter Schneider, Ausnahmezustand und Norm. Eine Studie zur Rechtslehre von Carl Schmitt, Stuttgart 1957, besonders S. 245ff. Hans Kelsen hat eine ähnliche These vertreten. Darüber hat sich Schmitt in einem Brief an Ernst Jünger vom 11. Juni 1948 (EJCS 228f.) empört. Das zeigt, wie sehr seine Argumentation von Evidenzen lebt. Zum Briefwechsel Jünger/Schmitt die einfühlsame Rezension von Ulrich Hufeid, Carl Schmitt und Ernst Jünger, Neue Juristische Wochenschrift 2001, 565-571.

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Das fuhrt in eine grundlegende Interpretationsschwierigkeit. Wenn es nicht auf Gründe und Erfolge ankommt, wenn Feindschaft nur Kampfbereitschaft ist, wie kann ein Volk dann einen Feind angreifen, geschweige denn vernichten, mehr noch, ihn überhaupt erkennen? Wer ist der Feind? Schmitt schreibt über Feindschaft in allen Schattierungen und Härtelagen, aber Feindschaft ist etwas anderes als der Feind, und über den Feind schreibt er systematisch gesehen nichts. Zur Feindschaft gehören mindestens zwei: das Selbst und der Feind. Beide reagieren aufeinander. Der Feind wehrt sich, kann dem Selbst eine deftige Niederlage beibringen oder von ihm besiegt werden, und das kann lange hin und her gehen. Feindschaft ist nichts anderes als ein Konflikt aus der Sicht des Selbst. Konflikte hat Niklas Luhmann5 als soziale Systeme beschrieben, „die dazu tendieren, alle Ressourcen im Blick auf Sieg oder Niederlage auf einen Konflikt zu konzentrieren".6 In dieser Sicht ist Feindschaft eine Art verschärfte Blickverengung, die auch die eigene Existenz aufs Spiel setzt, also die Selbstausschließung aus der Gesellschaft riskiert, soweit sie das Risiko überhaupt erkennt. Eine solche Blickverengung blendet in der Tat alle Gründe und Folgen aus. Insofern ist Schmitts Darstellung politisch im Sinne von feindlich und polemisch. Sie erzeugt Feinde und kann nur Freunde überzeugen. Aber auf Schmitts Feindschaft braucht man sich nicht einzulassen. Man braucht ihm nicht einmal zu widersprechen, sondern kann sich auf die Position des außenstehenden Beobachters zurückziehen und versuchen, zu sehen, was er beobachtet. Ihm kommt es auf eine Grundstruktur an, mit der man politische Geschichte verstehen und deuten kann. In diesem Sinne geht es ihm nur um Theorie, aber um eine radikale. Deshalb kann seine Biographie das Verständnis des Textes nicht verbessern.7 Man muß auf das hören, was er als Gegenstand seiner Beobachtung behauptet.

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Soziale Systeme, Frankfurt/M. 1984, bes. S. 529ff.; vgl. auch Niklas Luhmann, Konflikt und Recht, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts, Frankfurt/M. 1981, S. 92-112. Niklas Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, hg. v. André Kieserling, Frankfurt/M. 2000, S. 133. Eigentlich verstellt eine Biographie immer nur den Blick auf das Werk. Zum Sonderfall Carl Schmitt treffend Bernhard Schlink, Why Carl Schmitt?, Rechtshistorisches Journal 10 (1991) 160-176, bei dem nur der Gedanke fehlt, daß auch in der Politik Unrecht nicht ohne Unrecht „bewältigt" werden kann.

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II. Töten und Sterben Die Struktur gewinnt Schmitt aus einem in der Tat erstaunlichen Umstand. Der Staat hat „die Möglichkeit, Krieg zu führen und damit offen über das Leben von Menschen zu verfugen". Diese Feststellung erlaubt ihm, das Problem der Freund-Feind-Unterscheidung in die Frage umzuformulieren: Wie kann der Staat „von Angehörigen des eigenen Volkes Todesbereitschaft und Tötungsbereitschaft [...] verlangen"? Warum sterben Menschen im Krieg, auf beiden Seiten natürlich? In welchem Sinn verlangt der Staat das überhaupt? Das ist eine schreckliche Frage, aber die Grundfrage des fünften Abschnitts (BP 46). Sie ist umso dringlicher, als der Staat normalerweise Ruhe, Sicherheit und Ordnung verspricht, also das Gegenteil von Sterben. Die Schmitt-Literatur8 hat die Bedeutung des Todes für die Argumentation Carl Schmitts eigentümlich unterbelichtet. Sie hat die Rede vom Tod natürlich zur Kenntnis, aber nicht ganz ernst genommen, obwohl sich Schmitt immer wieder auf den Tod bezieht. „Die Entscheidung über Krieg und Feind" könnte man sogar übersetzen mit: Jetzt geht es ans Sterben. Allerdings sprechen für die Zurückhaltung der Literatur sachliche Gründe. Wir kennen den Tod nicht, allenfalls als Gegenbegriff zum Leben. Zwar erfahren wir ihn, aber immer bei anderen. Wir selbst sind nicht tot und können nichts beweisen. Die Leute, mit denen wir sprechen können, leben alle noch, und mit den Toten können wir nicht sprechen. Streng genommen ist der Tod für die Lebenden ein virtuelles Ereignis. Man kann nichts über ihn sagen, ohne zu spekulieren. Das ist einfache Empirie und bedarf keines Beleges. Unter diesen Umständen ist Zurückhaltung die redlichste Einstellung. Carl Schmitt hält sich jedoch weniger zurück, argumentiert mit dem Tod und provoziert damit das gesamte Geistesleben. Allerdings erörtert er das Phänomen in zwei verschiedenen Perspektiven, in der der Beschreibung und in der der Bewertung. Beschreibend heißt es, „die Begriffe Freund, Feind und Kampf erhalten ihren realen Sinn dadurch, daß sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physi8

Besonders deutlich bei Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: Helmut Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum, Berlin 1988, 283-299; siehe aber auch P. Schneider, Ausnahmezustand und Norm, S. 236, wo der Tod immerhin erwähnt wird; Christian Graf von Krockow, Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger, Stuttgart 1958, S. 54ff.; Hasso Hofmann, Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts (1964), 2. Aufl. Berlin 1992, S. 105ff.; Heinrich Meier, Die Lehre Carl Schmitts. Vier Kapitel zur Unterscheidung politischer Theologie und politischer Philosophie, Stuttgart/Weimar 1994, S. 63ff.; Reinhard Mehring, Carl Schmitt zur Einführung, Hamburg 2001, S. 43.

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sehen Tötung Bezug haben und behalten" (BP 33). Der Tod, der „Feindschaft" konstituiert, ist indessen nicht der wirkliche, sondern der virtuelle Tod, der aber ernst zu nehmen ist. „Realität" bedeutet: ernst nehmen. Sonst wäre „reale Möglichkeit" ein Widerspruch in sich, blanker Unsinn. Denn das Mögliche wird gerade dadurch definiert, daß es nicht wirklich ist. Schmitt will die physische Tötung denn auch ausdrücklich nicht als Vernichtung9 verstanden wissen (Gl 4, 6, 188; BP 33).10 Er meint nur, Sinn der Feindschaft sei die Tötung, bei Feindschaft müsse man ans Töten denken. Dieser Gedanke braucht indessen nicht, ja, er kann nicht einmal ständig realisiert werden. Ständige Tötungen widersprächen der unstrittigen Tatsache, daß die Menschheit überlebt und sich sogar entwickelt hat. Also muß es beim virtuellen Tod bleiben. Immer noch merkwürdig genug. Aber diese Denkfigur hat bedeutende Vertreter. Zunächst Hegel" in der Geschichte von Herrschaft und Knechtschaft: Das Selbstbewußtsein bestätigt sich selbst im Kampf auf Leben und Tod mit einem anderen Selbstbewußtsein. Aber es darf das andere Selbstbewußtsein nicht vernichten, es muß es sich unterwerfen, zum Knecht machen und damit seine Selbstbestätigung auf Dauer stellen. Die Vernichtung des anderen würde dem Herrn den Knecht nehmen. Ähnlich Niklas Luhmann12, der allerdings weit schärfer und konsequenter als Schmitt zwischen Beschreibung und Rechtfertigung von Macht unterscheidet: Macht beruht auf Antezipation von Gehorsam und wird durch die Drohung mit physischer Gewalt stabilisiert. Die physische Gewalt darf jedoch grundsätzlich nicht angewendet, die Drohung nicht wahrgemacht werden. „Wer einen Bürger einsperrt oder einen Angestellten entlassen muß, erreicht gerade nicht das, was er mit der Androhung dieser Maßnahme erreichen wollte".13 Wenn auch mit verschiedener Begründung ist der Grundgedanke in allen drei Fällen der gleiche: Physische Gewalt zehrt sich selbst auf. Ihre Androhung sichert Macht, ihr Einsatz zersetzt sie. In diesem Sinne meint auch Schmitts Freund-Feind-Unterscheidung nicht die wirkliche Vernichtung, sondern das virtuelle Sterben. Bei der zweiten Perspektive, der Bewertung des Todes, geht es zwar auch nicht um den wirklichen Tod - den kann man nicht aussprechen - , aber immerhin um etwas, von dem die meisten gehört haben und das viele mitansehen mußten, um das Sterben anderer Menschen im Krieg, nicht um den Kindstod oder 9

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So zum Beispiel Juliane Kokott, Der Begriff „politisch" im Normenzusammenhang nationalen und internationalen Rechts, ZaöRV 51 (1991) S. 603-650, 631. Anregend Heinrich Meier, Die Lehre Carl Schmitts. Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie, Stuttgart/Weimar 1994, S. 66ff. Phänomenologie des Geistes, in: G. W. F. Hegel, Werke in zwanzig Bänden, Frankfurt/M. 1970, Bd. III, 145,149f. Politik der Gesellschaft, S. 28. Politik der Gesellschaft, S. 46.

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das Verlöschen alter Menschen, sondern um den Kriegstod. Da der Tod immer der gleiche ist, kann man auch sagen: In Wahrheit geht es nur um den Krieg, den Konflikt. Zunächst verschärft Schmitt die Frage. Obwohl der Staat in seinem Territorium den Frieden wahren soll, darf er über das Leben der Menschen verfügen. In „kritischen Situationen" darf er sogar den „inneren Feind" bestimmen (BP 46), von den eigenen Leuten also verlangen, „Brüder und Schwestern", Landsleute zu töten. Das Gesetz des Bürgerkrieges gilt auch im bürgerlichen Rechtsstaat. „Denn im ,Verfassungsstaat' ist, wie Lorenz von Stein sagt, die Verfassung ,der Ausdruck der gesellschaftlichen Ordnung'" (BP 47). Das ist eine zweifach bemerkenswerte Bemerkung. Einmal belegt sie, daß man Carl Schmitt zu den Vätern der „wehrhaften Demokratie" (Art. 18 GG) zählen könnte. Das geschieht allerdings nicht,14 aus gutem Grund. Schmitt meint nicht die repräsentative Demokratie, sondern die plebiszitäre, die „Identität von Herrscher und Beherrschten" (VL 234). Er denkt „im ewigen Zusammenhang von Schutz und Gehorsam" (BP 53) und nicht vom freien, autonomen Subjekt, also nicht von dem aus, was allgemein für die gedankliche Voraussetzung der Demokratie gehalten wird. Zum anderen ist der Verfassungsstaat in den Augen Schmitts irgendeine Staatsform wie Oligarchie, Monarchie oder Diktatur. Er meint nicht, Freiheit und Demokratie seien zu verteidigen. Schmitt argumentiert auch nicht auf der Grundlage des positiven Verfassungsgesetzes. Die Weimarer Verfassung ist ihm nicht eigene, sondern fremde Verfassung. Er denkt allein in der Unterscheidung von Freund und Feind. Wenn Schmitt aber irgendeine politische Ordnung meint, wird die Frage umso aufregender: Was gestattet dem Staat, „von Angehörigen des eigenen Volkes Todesbereitschaft und Tötungsbereitschaft zu verlangen"? Logisch könnte man eine Antwort gewinnen, wenn man alle Möglichkeiten durchgeht, die Schmitt ausschließt. Natürlich legitimieren weder Blutrache noch überhaupt archaische Vorstellungen von Vergeltung das Verlangen des Staates. Auch Strafe und private Streitigkeiten scheiden aus, ebenso das eigene Seelenheil oder ökonomische Zweckmäßigkeiten. „Von den Menschen im Ernst zu fordern, daß sie Menschen töten und bereit sind, zu sterben, damit Handel und Industrie der Überlebenden blühe oder die Konsumkraft der Enkel gedeihe, ist grauenhaft und verrückt. [...] Es gibt keinen rationalen Zweck, keine noch so richtige Norm, kein noch so vorbildliches Programm, kein noch so schönes soziales Ideal, keine Legitimität oder Legalität, die es rechtfertigen könnte, daß Menschen sich gegenseitig dafür tö-

14

Repräsentativ Reinhard Mußgnug, Carl Schmitts verfassungsrechtliches Werk und sein Fortwirken im Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum, S. 517-528; Schlink, Rechtshistorisches Journal 10 (1991) bes. S. 163.

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ten" (BP 49f.). Man könnte hinzufugen: auch nicht Vergangenheit, auch nicht Zukunft. Aber was bleibt dann? Nach Schmitt „die seinsmäßige Behauptung der eigenen Existenzform" (BP 50) oder die Freund-Feind-Unterscheidung selbst. Das bedeutet: Die Erkenntnis des Feindes legitimiert den Staat, Sterben und Töten zu verlangen. Die Entscheidung über Krieg und Frieden ist existenziell. In ihr stellt sich die politische Einheit mit dem Rücken an die Wand. Damit ist klar, daß Schmitt für den Kellogg-Briand-Pakt vom 27. August 1928 nur Hohn und Spott übrig haben kann. Der Pakt sollte die Reintegration Deutschlands in die Völkergemeinschaft krönen. In ihm verurteilen die vertragschließenden Parteien den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfalle und verzichten auf ihn als Mittel nationaler Politik.15 Schmitt spottet, ein politisch existierendes Volk könne auf die Freund-Feind-Unterscheidung gar nicht verzichten. Alle Verdammungen des Krieges stünden unter dem Vorbehalt der eigenen Existenz (BP 51). Er schreibt nicht ausdrücklich, daß er den Kellogg-Pakt für einen taktischen Schachzug hält, aber man kann ihn nur so verstehen. In der Sache erklärt er, was immer völkerrechtlich vereinbart werde, von der Gefahr, zur rechten Zeit zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, könne sich kein Volk entlasten. Wenn es um die eigene Existenz geht, ist gegen diese Überlegung nicht viel einzuwenden. Genau genommen ist Schmitts Argumentation sogar trivial. Bei übergesetzlichem oder rechtfertigendem Notstand verzichtet selbst das positive innerstaatliche Recht auf eine Entscheidung in der Sache. Für das überstaatliche Recht kommt hinzu, daß es Rechtsschutz nicht in gleichem Umfang gewährt wie das staatliche. Also muß es im Gegenzug Selbsthilfe in größerem Umfang zulassen. Von diesem Grundsatz hing übrigens das Urteil über die Rechtmäßigkeit des Kosovo-Krieges (1999) ab, obwohl der Grundsatz in der Sache kaum diskutiert worden ist. Daß Schmitt den - rechtsdogmatisch ausgedrückt - übergesetzlichen Notstand anvisiert, in dem Existenz gegen Existenz steht, vertieft den Ernst seiner Überlegungen und öffnet doch die Möglichkeit für kühne Interpretationen. Wirkliche Ausweglosigkeit macht stumm. Was soll man auch dazu sagen? Bei Schmitt ist die Ausweglosigkeit aber virtuell, besser: gedacht, konstruiert. Der Kellogg-Pakt beispielsweise soll die Freund-Feind-Unterscheidung nicht entschärfen, „sondern gibt ihr durch neue Möglichkeiten einer internationalen hostis-Erklärung neuen Inhalt und neues Leben" (BP 52). Die Väter des Paktes sind mit Sicherheit aus allen Wolken gefallen, als sie das lasen. Sie konnten den Satz nur als agressive Zurückweisung, als „Feind-Erklärung" verstehen. Schmitt führt nicht das geringste realpolitische Indiz an, das es rechtfertigen könnte, in dem

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Der Kellogg-Pakt ist abgedruckt in: Sartorius II, Internationale Verträge - Europarecht Nr. 47.

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Pakt eine Gefahr zu sehen. Eine Gefahr konnte er nur wahrnehmen, weil er den Pakt durch die Brille seiner Freund-Feind-Unterscheidung sah. Was der übergesetzliche Notstand ist, hängt davon ab, wie man ihn interpretiert. Den Konstruktivismus des Schmittschen Konzeptes nutzt Heinrich Meier16, die Freund-Feind-Unterscheidung in eine politische Ethik zu verwandeln. Meiers Folgerichtigkeit verblüfft. Um dem Universalitätsanspruch der Ethik zu genügen, erklärt er den universalen „Ernstfall des gewaltsamen Todes" als maßgebend fur das Politische.17 Um dem Individualbezug der Ethik zu entsprechen, ersetzt er das Volk als Subjekt der Politik durch „eine Assoziation oder Dissoziation, auf der das Schwergewicht des Ernstfalles des äußeren Kampfes lastet".18 Der persönlich-existenziellen Seite der Ethik wird durch die Orientierung der Politik am Ernstfall entsprochen, bei dem freilich weder Blut noch Tränen fließen, weil das Sterben ausgeblendet wird. Der Ernstfall unterscheidet sich dadurch vom bloßen Wettkampf, daß er „wesentlich Ringen um die gerechte Herrschaft, um die wahre Ordnung, um den wirklichen Frieden ist. [...] Die Frage nach dem Richtigen aber ist die Frage, die sich dem Menschen als Menschen stellt. [...] Die Sphäre des Politischen wird so zum Ort der Selbsterkenntnis des Menschen".19 Von dort ist es nicht mehr weit bis zu dem Satz: „Der Feind erweist sich als unser Freund wider Willen auf dem Weg zur Selbsterkenntnis".20 Meiers Interpretation widerspricht allerdings vielen Kernaussagen Schmitts, etwa der, „daß die Gerechtigkeit nicht zum Begriff des Krieges gehört" (BP 50). Deshalb kann der Ernstfall eben nicht „wesentlich Ringen um die gerechte Herrschaft" sein. Schmitt selbst hätte Meiers Auslegung wahrscheinlich als „humanitär" abgelehnt, aber wegen drohenden Selbstwiderspruches möglicherweise nur leise vor vertrauten Hörern. Denn Meier kann sich auf viele Schmitt-Stellen stützen, vor allem aus der Schrift Ex Captivitate Salus von 1950. Darin steckt freilich das Problem, daß sich Sache und Biographie verquicken. Ex Captivitate Salus enthält Erfahrungen aus der Zeit 1945-47, wie der Untertitel sagt, aus der dunkelsten Zeit im Leben Schmitts.21 Damals wollte Schmitt sich in Plettenberg „von der Jagd erholen, deren Wild ich seit Jahren bin" (Gl 8). Die Welt war sein Feind, nicht als Privatmann, sondern als Lehrer der Politik. 1932, als Der Begriff des Politischen in der heute maßgebenden Fassung erschien, konnte sich Schmitt als Jäger fühlen und hat es wohl auch getan. Ob das Wild den Jäger versteht, kann man aber bezweifeln. Systemzusammenbrüche scheinen die Wölfe des 16

Die Lehre Carl Schmitts, S. 5Iff. (Politik oder Was ist Wahrheit?).

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A . a . 0 . , S. 58. A . a . O . , S . 63.

18 19 20 21

A. a.O., S. 71. A a . O., S. 76. Vgl. den Bericht von Helmut Quaritsch (AN 11 ff).

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Systems schlagartig in Unschuldslämmer zu verwandeln, die nicht mehr wissen, daß sie einmal die Zähne gefletscht haben. Gleichwohl, Meier hat gezeigt, welche Deutungsmöglichkeiten die Freund-Feind-Unterscheidung einschließt. Wir ziehen jedoch die weniger feinsinnige vor, für die der Ernstfall nicht an gerechte Herrschaft, sondern an Schweiß, Blut, Tränen, Gestank und unwiderrufliches Ende erinnert. Wenn der Tod der Emstfall ist, dann ist der Ernstfall das Ende, vor dem „die Frage nach dem Richtigen" sinnlos wird.

III. Recht zu töten Daß die Erkenntnis des Feindes seiner Tötung und dem eigenen Tod einen Sinn geben soll, damit kann man sich schwer abfinden. Aber es genügt nicht, sich über Schmitts makabre Logik zu empören. Im Krieg wird nun einmal getötet und gestorben und das muß irgendeinen Sinn haben. Wenn man Schmitt nicht zustimmt und die Tatsache des Krieges nicht einfach bestreiten will, muß man schon einen oder mehrere Gründe nennen, aus denen sich der Tod „lohnt". Individuell-private Gründe gibt es natürlich viele. Schmitt hat die wichtigsten genannt: Seelenheil, Wohlstand, Freiheit, Gerechtigkeit, Kinder. Darüber muß jeder selbst entscheiden. Auf die individuelle Entscheidung kommt es indessen nicht an. Wesentlich ist der öffentlich bekannte und allgemein anerkannte, objektive Grund. Allerdings erschwert Schmitt den Weg zu einer plausiblen Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Todes. Er unterscheidet nicht zwischen Sterben und Töten, zwischen passivem Erleiden und aktivem Tun, sondern behandelt beides gleich, differenziert dann zwischen privat und öffentlich und erklärt die private Entscheidung und ihre möglichen Beweggründe für unerheblich. Daß es für das private Sterben keine allgemein anerkannte Rechtfertigung gibt, ist natürlich richtig. Aber es bedarf auch keiner, weil jeder über sein eigenes Leben verfugen kann. Selbstmord ist nicht strafbar. Deshalb besagt es für die Todesfrage nichts, daß es keine allgemein anerkannten normativen Gründe gibt zu sterben. Die Rechtfertigungsfrage taucht überhaupt erst im Falle der Tötung auf, wenn einer einen anderen physisch vernichten will, also erst in einem gesellschaftlichen Zusammenhang. Freilich, selbst wenn man richtigerweise zwischen Sterben und Töten differenziert, muß man sagen: Es gibt kein Recht zu sterben, aber auch kein Recht zu töten. Auch der Staat hat kein Recht zu töten. Man kann das am positiven Gesetz erkennen. Die Todesstrafe ist abgeschafft, der polizeiliche finale Rettungsschuß ist nur noch theoretisch möglich und der Soldat muß seine Todesbereitschaft beschwören, nicht seine Tötungsbereitschaft. Allein die Durchbrechung des Tötungsverbotes im Falle der Abtreibung stört das Gesamtbild erheblich. Aber

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der Widerspruch zur Grundregel ist so offenkundig, daß man besondere Verhältnisse vermuten und den Abtreibungsfall ausklammern muß. Im übrigen darf man jedoch niemanden aus den Gründen umbringen, die Schmitt genannt hat, aus Gründen des Seelenheils, des Wohlstandes, der Gerechtigkeit und auch der Freiheit. Nicht einmal die Rettung des eigenen Lebens berechtigt zum Töten. Den äußersten Fall22 hat der griechische Philosoph Karneades (217 bis 132 v. Chr.) konstruiert: Zwei Schiffbrüchige klammern sich an eine Planke, die nur einen trägt. Darf der eine den anderen ins Wasser stoßen? Nein! Alles Leben ist gleichwertig. Deshalb darf keines dem anderen vorgezogen werden. Das positive Recht sieht denn auch davon ab, solche Fälle in der Sache zu entscheiden. Ein Schiffbrüchiger, der einen Schicksalsgenossen vom „Brett des Karneades" stößt, würde wegen übergesetzlichen oder rechtfertigenden Notstandes nicht bestraft. Freilich dürfte er ein quälend schlechtes Gewissen haben. Auch wenn Justitia gleichsam die Annahme des Falles verweigert, bleibt doch, daß der Schiffbrüchige in einer gemeinsamen Notsituation, die zum Helfen verpflichtete, dem Artgenossen nicht nur nicht geholfen, sondern ihn sogar ausgeschlossen und vernichtet hat. Das Offenkundigwerden des Widerspruches zwischen Arterhaltung und Existenzerhaltung wird in der Regel in Gewissensqualen abgearbeitet. Im übrigen wird die Gesellschaft mit Tötungen grundsätzlich dadurch fertig, daß sie sie bestraft. Probleme entstehen indessen, wenn dieselbe Gesellschaft, die das Töten allgemein verbietet, es in besonderen Fällen doch verlangt. Die beiden Grundfalle sind die Todesstrafe und der Krieg, der Henker und der Soldat. Beide symbolisieren Wunden, die sich aus einem Widerspruch der Gesellschaft mit sich selbst ergeben. Der Widerspruch liegt nicht nur darin, daß die Gesellschaft das Töten zuläßt oder gar befiehlt, obwohl es kein Recht zum Töten gibt, sondern auch darin, daß die Gesellschaft das Töten ausdrücklich verbietet. Damit sich die Menschen trotzdem orientieren können, hat die Gesellschaft die beiden Grundfälle besonders markiert. Der Henker wird als unehrlich an den Rand der Gesellschaft gedrängt, obwohl er nur seine Pflicht tut. Der Soldat wird als Held so hoch aus der Menge herausgehoben, daß er praktisch unangreifbar wird, obwohl sich die Gerechtigkeit von Kriegen nur schwer begründen läßt. Beide Fälle zeigen, daß Schmitt das Verlangen des Staates nach Todes- und Tötungsbereitschaft aus guten Gründen nicht als Normfrage, sondern als beobachtbare Seinsfrage gefaßt hat.

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Kants These, auch gegenüber einem Mörder dürfe man nicht lügen, ist hier nicht einschlägig, weil sie den existenziellen Aspekt ausblendet; vgl. Über ein vermeintes Recht, aus Menschenliebe zu lügen, in: Immanuel Kant, Werke, hg. v. Wilhelm Weischedel, Bd. VII, 637-643.

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IV. Tod ohne Normen Diese Beschreibung kommt ohne Wertungen aus und liegt insofern auf Schmitts Linie. Trotzdem ist nicht sicher, ob Schmitt ihr zugestimmt hätte. Die Konsequenz, daß in dieser Perspektive zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Krieg im Kosovo (1999) nicht unterschieden werden kann, hätte zwar seinen Beifall gefunden, schon deshalb, weil sie ihm erlaubt hätte, einen Krieg im Namen der Menschheit mit einem Krieg im Namen der Nation zu vergleichen. Aber der radikale Verzicht auf Wertungen bringt zwei Schwierigkeiten mit sich. Einmal erschwert er „Ideologiekritik". Vom Boden der Realität aus kann man schlecht die Parole „Nie wieder Krieg" als betrügerisch entlarven oder die „Ächtung des Krieges" verspotten (BP 51). Realistisch muß man vielmehr beides durch die Brille der Freund-Feind-Unterscheidung sehen und bewundern, wie kostengünstig die Sieger des Ersten Weltkrieges die Deutschen daran hinderten, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Zum anderen verunklärt der radikale Verzicht auf Wertungen den Feindbegriff. Was bleibt von der „seinsmäßigen Behauptung der eigenen Lebensform" (BP 50) nach Abzug aller Wertungen? Ein homogenes Menschenrudel, für das zu sterben nun wirklich nicht lohnt. Das heißt, der Verzicht auf Wertungen reduziert das Zusammenleben von Menschen auf das „Seinsmäßige" und das kann nicht erklären, geschweige denn begründen, warum sich Menschen gegenseitig töten. Allerdings kann man mit „seinsmäßig" die körperliche, biologische Existenz des Menschen meinen. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg dachten die Evolutionsbiologen, das Töten von Artgenossen bei Tier und Mensch sei vom Standpunkt der Arterhaltung aus unzweckmäßig. Heute neigen sie dazu, das Töten von Menschen durch Menschen „als einen ganz natürlichen über die Selektion entstandenen Vorgang (zu) begreifen". 23 Grund: Die Evolution der Art Homo sapiens wird über Reproduktionschancen gesteuert, die sich jedoch nicht am Individuum, sondern an den weitergegebenen genetischen Programmen orientieren. Für die Optimierung von Reproduktionschancen ist das eigene Überleben nicht so wichtig wie die Fortpflanzung und das Überleben der Nachkommen. Evolutionsbiologisch ist daher nicht auszuschließen, daß Menschen sterben, damit „die Konsumkraft der Enkel gedeihe". Aber das nennt Schmitt „grauenhaft und verrückt" (BP 49). Evolutionsbiologie hatte er offenkundig nicht im Sinn. Schmitt benutzt vielmehr eine konventionelle Methode, seine tatsächlich unkonventionellen Einsichten plausibel zu machen: dröhnende historische Beispiele. „Zum Staat als einer wesentlich politischen Einheit gehört das jus belli",

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Christian Vogel, Über das Töten von Menschen, in: ders., Anthropologische Spuren. Zur Natur des Menschen, hg. v. Volker Sommer, Stuttgart 2000,111-119,113.

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heißt es gleich im ersten Satz (BP 45), und es leuchtet unmittelbar ein. Aber der Satz überzeugt nur, weil er am Anfang des Abschnittes steht. Stünde er am Schluß, riebe man sich verwundert die Augen. Denn wenn die Unterscheidung zwischen Freund und Feind und der Waffengang existenziell zu erklären sind, was bedeutet dann die Bezugnahme auf ein jus belli? Ein Recht, Krieg zu fuhren, kann tatsächlich nicht gemeint sein. Eher ist die Bemerkung als Hinweis auf die juristische Bemäntelung eines urtümlichen Tatbestandes zu verstehen, ein Beweis für das Faktum brutum sozusagen. Aber dazu passt schlecht, daß kleinere und schwächere Staaten auf ihr jus belli verzichten können sollen (BP 46). Verzichten die Staaten damit nicht zugleich auf ihre eigene Freund-FeindUnterscheidung und auf ihre politische Existenz? In Wahrheit widerspricht das historische jus belli dem Konzept der Freund-Feind-Unterscheidung. Das historische jus belli war ein Instrument, den Krieg zu hegen und einzudämmen, und sollte nicht die Freund-Feind-Unterscheidung „bestätigen".24 Auch die Entstehung des Staates - in Deutschland um 1700 - war ein Schritt zur Befriedung der europäischen Gesellschaft und im übrigen kein weltweites, sondern ein durchaus europäisches Ereignis,25 das heute im Zeitalter der Globalisierung historisch zu werden scheint, wie Schmitt (VRA 473) auch selbst betont. Als historisches Phänomen ist der Staat aber so wenig ein Grund, für ihn zu sterben, daß man die Gegenfrage stellen muß: Wie konnte der „Tod furs Vaterland" überhaupt zum Topos werden? Niklas Luhmann26 denkt an eine Transformation religiöser Vorstellungen in den Bereich der Politik. Aber das ist eine bloß ideologiekritische und deshalb schwache Erklärung. Der „Tod fürs Vaterland" verspricht gerade nicht die ewige Seligkeit. Plausibler scheint uns, ihn als eine Art Abstraktion des staatlichen Gewaltmonopols zu verstehen. Historische Quelle des Gewaltmonopols ist das Fehdeverbot und die Aufhebung des Widerstandsrechtes. Heute wird politische Macht durch die Androhung physischer Gewalt stabilisiert, die durch Polizei und Militär symbolisiert werden muß.27 Unter diesen Umständen liegt es nahe, das Gewaltmonopol bis zur Frage fortzudenken: Tod oder Leben? Das Gewaltmonopol will jedoch den Frieden und damit das Leben. Deshalb unterscheidet es nicht 24

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Näher Bruno Rieder, Die Entscheidung über Krieg und Frieden nach deutschem Verfassungsrecht, Berlin 1984, bes. S. 33ff. Vgl. Martin van Creveld, Aufstieg und Untergang des Staates, München 1999, bes. S. 179 (Monopolisierung der Gewalt); grundlegend jüngst Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 2. Aufl. München 2000, bes. S. 26ff. Staat und Politik. Zur Semantik der Selbstbeschreibung politischer Systeme, in: ders., Soziologische Aufklärung 4. Beiträge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, Opladen 1987, 74-103, 94. So Luhmann, Politik der Gesellschaft, S. 48ff.

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zwischen Feinden und gemeinen Verbrechern und hat daher mit der FreundFeind-Unterscheidung unmittelbar nichts zu tun. Den „Tod fürs Vaterland" aus dem Gewaltmonopol abzuleiten, wäre nichts als der Versuch, der staatlichen Androhung physischer Gewalt einen subjektiv-individuellen Sinn zu geben und in das indviduelle Chancen-und-Risiken-Kalkül einzubauen. „Tod oder Leben" wäre dann eine Privatangelegenheit und keine Frage des Ethos oder gar der spezifischen Existenz eines Volkes und insofern nicht schmittianisch. Die politische Geschichte ermöglicht es Schmitt jedoch, die Frage: Wie kann ein Staat von seinen Angehörigen Todes- und Tötungsbereitschaft verlangen? einfach auszublenden und sich an einem anderen Legitimationsstrang weiterzuhangeln.

V. Schutz und Gehorsam Die Entscheidung über Krieg und Feind trifft natürlich das Volk in einem existenziellen Akt. Zum „Tod fürs Vaterland", wollen wir unterstellen, ist dann der Einzelne als Angehöriger einer Schicksalsgemeinschaft verpflichtet. Die Zugehörigkeit zur Schicksalsgemeinschaft wird vorab mit der Entscheidung über den „inneren Feind" geklärt (BP 47). Diese Entscheidung schaltet jedoch nur bestimmte Einzelne als Feinde aus, sie klärt nicht das Sein des Volkes. Wie, wenn ein Volk sich weigert, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, und glaubt, es könne durch „Freundschaftserklärung an alle Welt" oder durch freiwillige Entwaffnung seine Feinde beruhigen? „Wenn ein Volk die Mühen und das Risiko der politischen Existenz fürchtet, so wird sich eben ein anderes Volk finden, das ihm diese Mühen abnimmt, indem es seinen ,Schutz gegen äußere Feinde' und damit die politische Herrschaft übernimmt; der Schutzherr bestimmt dann den Feind, kraft des ewigen Zusammenhangs von Schutz und Gehorsam" (BP 53). Bei Schutz und Gehorsam kommt es nicht mehr auf Volkszugehörigkeit und Solidarität, sondern auf ein Gegenseitigkeitsverhältnis an. „Rational choice" ergänzt das „Seinsmäßige". Und wieder bezieht sich Schmitt auf Geschichte. Der Zusammenhang von Schutz und Gehorsam sei schon die Grundlage der feudalen Ordnung gewesen. An das Lehnsrecht erinnert die Formel tatsächlich. Aber sie entspricht ihm nicht. Hier soll nicht die Komplexität des Lehnswesens28 gegen die Einfachheit der Formel ausgespielt, sondern nur betont werden, daß die Formel aufs Ganze gesehen „schief' ist. Angemessener wird feudale Herrschaft beschrieben als: Schutz und Schirm gegen lebenslange treue Dienste.29 Charakteristisch für ein 28 29

Grundlegend Marc Bloch, Die Feudalgesellschaft (1939), Neuausg. Stuttgart 1999. Vgl. die Unterwerfungsformel bei Francois Louis Ganshof, Was ist das Lehnswesen? (1944), 6. Aufl. Darmstadt 1983, S. 5.

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Lehnsverhältnis war die „Treue" als eine persönliche Bindung zwischen Lehnsherrn und Lehnsmann. „Treue" spielte für das Lehnsverhältnis eine ähnliche Rolle wie heute die „Liebe" für die Ehe. Wegen der persönlichen Bindung blieb der Vasall ein freier Mann mit eigenen Rechten gegen den Herrn. Diese Kombination machte das Lehnsverhältnis außerordentlich flexibel und leistungsfähig, geeignet für den Aufbau von Ritterheeren und von Verwaltungen. Aber die persönliche Bindung schließt die historische Analogie aus. Sie kennzeichnet gerade nicht mehr die Machtverhältnisse im demokratischen Rechtsstaat. Seit Theodor Mayer30 nennt man das mittelalterliche Gemeinwesen „Personenverbandsstaat" und das moderne „monistischer Flächenherrschaftsstaat", dessen Legitimationsbasis nicht mehr die persönliche Treue, sondern die Rechtsgleichheit gerade ohne Ansehung der Person ist. Weil die persönliche Bindung an einen Herrn für die heutige politische Organisation nicht einmal mehr öffentlich diskutiert werden kann, fallt eine weitere wesentliche Differenz zwischen lehnsrechtlicher Treuepflicht und moderner Rechtsverbindlichkeit nicht auf. Nicht der Schutz durch den Herrn, sondern die gegenseitige Treue begründete die Gehorsamspflicht des Vasallen. Auch der Herr war rechtlich gebunden. Das war überhaupt ein Grundzug des mittelalterlichen Rechtes und Schloß die rechtliche Regelung von Rechtsänderungen prinzipiell aus. Vor allem Helmut Quaritsch31 hat gezeigt, daß erst die Souveränitätslehre des Jean Bodin (1529[?] bis 1596) erlaubt hat, die Staatsgewalt als einseitige Befehlsgewalt von oben mit einseitiger Gehorsamspflicht nach unten zu konstruieren. Von Schutz kann bei Bodin keine Rede sein. Der Schutzgedanke hätte die Gehorsamspflicht relativiert und die Klarheit des Gewaltverhältnisses getrübt. Schmitt verkehrt und radikalisiert ihn im Sinne der Souveränitätslehre Bodins: „es gibt keine Über- und Unterordnung, keine vernünftige Legitimität oder Legalität ohne den Zusammenhang von Schutz und Gehorsam" (BP 53). Das ist viel zu einfach, nur ein paar Jahre nachdem Max Webers Wirtschaft und Gesellschaft mit seinen drei Typen legitimer Herrschaft erschienen war. Die verfehlte Interpretation feudaler Herrschaftsbeziehungen wird durch die Berufung auf Hobbes' Staatstheorie nicht korrigiert (BP 53; L 113). Die HobbesAuslegung ist zwar ein weites Feld. Aber so viel kann man doch sagen: Hobbes hat seinen bürgerlichen Staat gegen die feudale Ordnung konzipiert, weil die bereits begonnen hatte, sich aufzulösen. Er wollte durch einen Vertrag, mit dem sich alle dem Willen eines Herrschers unterwarfen, den Krieg aller gegen alle

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Die Ausbildung der Grundlagen des modernen deutschen Staates im hohen Mittelalter (1938), in: Helmut Kämpf (Hg.), Herrschaft und Staat im Mittelalter, Darmstadt 1964, 284-331,293. Staat und Souveränität, Frankfurt/M. 1970, bes. S. 267ff.

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beenden und in einen Zustand der Sicherheit und des Friedens überfuhren. Aber ob die Unterwerfung auch das Recht übertrug, über Leben und Tod zu entscheiden, ist gerade umstritten.32 Hobbes33 selbst ist konsequent: „Die Verpflichtung der Untertanen gegen den Souverän dauert nur so lange, wie er sie auf Grund seiner Macht schützen kann, und nicht länger. Denn das natürliche Recht der Menschen, sich selbst zu schützen, wenn niemand anderes dazu in der Lage ist, kann durch keinen Vertrag aufgegeben werden". Dieser Grundsatz wird dann pragmatisch im Sinne einer Überlebensstrategie entfaltet. Gehorsamsverweigerungen zur Rettung des eigenen Lebens sind durchaus gestattet, sie dürfen nur nicht dem Zweck der Souveränität, also dem Unterwerfungsvertrag zuwiderlaufen.34 Carl Schmitt macht sich diese Betrachtungsweise zu eigen. Als seine Familie während des Krieges in Berlin ausgebombt wird, schreibt er am 28. November 1943 an Ernst Jünger: „Ich leide weniger an den vielen Entbehrungen unseres gegenwärtigen Vagabundenlebens als an der bei jedem Luftalarm sich aufdrängenden Unlogik des Mißverhältnisses von Schutz und Gehorsam" (EJCS 174). Ernst Jünger hat diese Bemerkung in seinem Tagebuch zitiert und hinzugefügt, Schmitt sei der beste Definierer, den er kenne (EJCS 602). Als bedeutenden Definierer weist die Bemerkung Schmitt allerdings nicht aus. Sie verdeutlicht jedoch das Grundproblem des Hobbes'schen Unterwerfungsvertrages. Wie soll ein Herrscher Sicherheit und Frieden gewährleisten, wenn ihm das Volk zwar Geld gibt, aber keine Soldaten stellt? Hobbes konnte noch glauben, Söldner lösten das Problem. Seit dem Aufkommen der Massenheere im 18. Jahrhundert kann man das nicht mehr annehmen. Schwerer wiegt aber ein anderer Gesichtspunkt. Wenn das individuelle Leben der Güter höchstes ist, wie ist dann die Entscheidung über die besondere Existenz eines Volkes zu denken? Wie steht es mit dem existenziellen Sinn der Freund-Feind-Unterscheidung, wie mit der Macht über das physische Leben der Menschen, die die politische über jede andere Gemeinschaft erhebt? (BP 48) Die Antwort muß lauten: Wenn das Leben der Güter höchstes ist und wenn primär der ewige Zusammenhang von Schutz und Gehorsam politische Macht legitimiert, dann ist die politische Einheit des Volkes nicht mehr zu denken, die Freund-Feind-Unterscheidung eine Schimäre und der Begriff des Politischen buchstäblich ein Nichtbegriff, etwas nicht Begriffenes. 35 Die von ihm selbst gestellte Frage: Wie kann der Staat „von Angehörigen des eigenen Volkes Todesbereitschaft und Tötungsbereitschaft [...] verlangen"? (BP 46) beantwortet Schmitt jedenfalls nicht. 32

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Vgl. bereits Gerd Roellecke, Der Begriff des positiven Gesetzes und das Grundgesetz, Mainz 1969, S. 51 f. Leviathan, hg. v. Iring Fetscher, Neuwied und Berlin 1966, S. 171. Leviathan, S. 169. Vgl. bereits Hofmann, Legitimität gegen Legalität S. 162.

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VI. Der Tod ernst genommen Das war freilich vorauszusehen. Es gibt kein Recht zu sterben, es gibt kein Recht zu töten, über den Tod kann man nur spekulieren. Also hätte Schmitt lediglich spekuliert? Eindeutig läßt sich das nicht sagen. Daß es Politik und Krieg gibt, kann man vernünftigerweise nicht bestreiten. In diesem Sinne schreibt Schmitt von etwas Wirklichem. Es könnte daher sein, daß wir ihn mißverstanden haben. Wir haben unterstellt, Schmitt wolle die Befugnis zur Entscheidung über Krieg und Feindschaft begründen oder gar legitimieren. Man kann seine Darstellung jedoch auch als reine Beschreibung und Erläuterung der unbestreitbaren Tatsache verstehen, daß es Krieg und Feindschaft gibt. Die Frage: wodurch entsteht beides? ist dann einfach zu beantworten: durch die Unterscheidung zwischen Freund und Feind als der primären und dann durch die Entscheidung fur den Krieg als der sekundären Entscheidung. Nicht die Feindschaft begründet die Entscheidung, die Entscheidung begründet die Feindschaft, und die Feindschaft alles andere, die Einheit des Staates, die Erkenntnis des inneren Feindes, den Krieg. In dieser Sicht stimmt plötzlich alles, selbst die Geschichte, weil sie nichts mehr begründen, sondern nur noch veranschaulichen muß. Schmitt hat das im Corollarium 2 „Über das Verhältnis der Begriffe Krieg und Feind (1938)" (BP 102) glänzend vorgeführt. Politische Konflikte und ihren Austrag auf Entscheidungen zurückzufuhren, ist denknotwendig frei von Widersprüchen, ähnlich wie „Männer machen Geschichte", weil Entscheidungen schwarze Kästen sind, die alles enthalten, was man in ihnen sucht. Es zwingt jedoch dazu, Anschlüsse an die gesellschaftliche Realität zu konstruieren. Für die Konstruktion steht keine andere Realität zur Verfügung als die jeweils gegebene Ordnung. Pure Entscheidungen sind daher nicht nur als Ereignisse, sondern auch als Konzept auf die Gegenwart angewiesen. Schmitt knüpft denn auch an die traditionelle Organisation der Politik im Staat an. Diese Tradition beginnt sich aber aufzulösen. „Die Epoche der Staatlichkeit geht zu Ende" (BP 10). Zum Beispiel ist der Krieg nicht mehr nur Staatenkrieg, sondern auch Partisanenkrieg, also ein Krieg außerhalb der staatlichen Konventionen (TP 90ff.).36 Wegen seiner Unkonventionalität hat der Partisan für Schmitt einen gewissen existenziell-romantischen Reiz. Schmitt sieht aber auch, daß der Partisan an den Grundzusammenhang von Staat, Volk, Feindschaft und Krieg rührt. Für den Kalten Krieg hat er schon fast keine Worte mehr (BP 18). Kurz, der Wandel der Gesellschaft rüttelt an Schmitts Begriffsgebäude, nicht gelegentlich oder zufallig, sondern prinzipiell. Wenn man die Wirklichkeit von der Entscheidung her konstruiert und dann die Wirklichkeit ordnen muß, beginnt

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Näher Hofmann, Feindschaft, S. 22Iff.

„ D I E ENTSCHEIDUNG ÜBER KRIEG U N D FEIND"

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die Wirklichkeit eben, sich zu verselbständigen und den Sinn der Entscheidung zu zersetzen. Den Weg, Entscheidungen mit normativem oder kognitivem Sinn aufzuladen und dadurch zu stabilisieren, hat Schmitt ausdrücklich verworfen. Wir haben es noch im Ohr: „Es gibt keinen rationalen Zweck, keine noch so richtige Norm, kein noch so vorbildliches Programm" (BP 49), das die Tötung von Menschen rechtfertigen könnte, und die reale Möglichkeit der Tötung gehört nun einmal zum Begriff des Feindes. So bleibt Schmitt nur noch ein Ausweg. Er muß die gesellschaftliche Entwicklung als Verfall interpretieren. Das tut er auch. Die Gestaltlosigkeit und UnVerhältnismäßigkeit der zeitgenössischen politischen Auseinandersetzungen, „das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen" (BP 79) sind ihm der deutlichste Beleg. Schmitts Konzept ist eine Aufstiegund-Fall-Geschichte. Den Verfall zu genießen oder auch nur zu dulden, ist aber seine Sache nicht. Deshalb erklärt er sich zum Atlas, der sich gegen die Geschichte stemmt und dem es darauf ankommt, „die freiwilligen und unfreiwilligen Beschleuniger auf dem Wege in den Abgrund restloser Funktionalisierung aufzuhalten und die Institutionen zu wahren suchen, die noch Träger einer geschichtlichen Substanz und Kontinuität sein können" (VRA 385). 37 Diesen Anspruch könnte man bewundem, wenn man nicht ziemlich genau wüßte, einmal daß sich Schmitt schon mit der Geste überhebt, 38 zum anderen, daß die Aufhalterei im wesentlichen wegen eines Defektes in der Theorie notwendig scheint. Dabei geht es nicht nur darum, daß sich die Gesellschaft nun einmal bewegt und eine Theorie die Bewegung berücksichtigen muß. Es geht vor allem darum, daß man den Sinn eines Volkes, ja von Vergemeinschaftung überhaupt, nicht ohne Gesellschaftstheorie beschreiben kann. Schmitt will mit seinem Politikbegriff ein „Kriterium" (BP 26) fur die Unterscheidimg zwischen Völkern bieten. Unterscheiden kann man aber nur auf der Basis einer Einheit, wie schon die alte Regel zeigt, daß man definiert, indem man die nächste Gattung und den Artunterschied nennt. Schmitt weigert sich ausdrücklich, die „nächste Gattung", also die Einheit seiner Unterscheidungen zu nennen. Das ermöglicht es ihm zwar, seine Legitimationsvorstellungen an irgendwelchen „konkreten Ordnungen" auszurichten, 39 zwingt ihn aber einmal, der Bezugnahme auf den einen und einmaligen Tod zuwider seinen Feindbegriff zu differenzieren - als ob die Unterscheidung zwi37

Dazu Wolfgang Schuller, Dennoch die Schwerter halten. Der Katechon Carl Schmitts, in: Hubert Cancik/Hermann Lichtenberger/Peter Schäfer (Hg.), Geschichte - Tradition - Reflexion. Festschrift für Martin Hengel zum 70. Geburtstag, Band II, Tübingen 1996, 389-408.

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Und natürlich scheitert, was das Interesse an ihm aber nur verstärkt; vgl. Schlink, Rechtshistorisches Journal 10 (1991) S. 174f.

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Grundsätzlich Hofmann, Legitimität gegen Legalität, bes. S. 177ff. (Konkretes Ordnungs- und Gestaltungsdenken).

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sehen konventionellem, wirklichem oder absolutem Feind (BP 17) für den Tod oder für die Witwe des Toten nicht völlig gleichgültig wäre - , und zum anderen der gesellschaftlichen Entwicklung überhaupt zu widersprechen und gegen „Komfort und Behagen des bestehenden status quo" (BP 93) dennoch zu kämpfen. Posen, über die nicht die Theorie, sondern der Geschmack entscheidet. Dem Verfasser gefallen sie nicht. Er will sich aber nicht auf seine Subjektivität zurückziehen. Mangels anderer Gesichtspunkte kann politische Theorie heute nur an das historisch Gewordene anknüpfen. Zur geschichtlichen Entwicklung muß sie sich dogmatisch verhalten. Sie muß sich von der Realität irritieren lassen, Widersprüche erklären und Paradoxien deuten. Ein Ende ist nicht abzusehen.

7 Hasso Hofmann „Die Welt ist keine politische Einheit sondern ein politisches Pluriversum" (54-58) Menschenrecht im politischen Pluriversum?

Wenn der Staat deswegen die „maßgebende", also nicht übersteigbare soziale „Einheit" ist, weil er politischen Charakter trägt (BP 44), d. h. ein „Volk" (oder sonst eine Gemeinschaft von Menschen) derart verbindet, dass sie auf die reale Möglichkeit hin leben, mit einem anderen staatlich geeinten „Volk" in eine Auseinandersetzung auf Leben und Tod treten zu können, - dann folgt aus diesem Begriff des Politischen „der Pluralismus der Staatenwelt" (BP 54). Dies, dass die politische Welt ein Pluriversum, kein Universum ist (I.), sowie alle anderen Ausführungen des 6. Abschnitts - dass die Menschheit kein Rechtssubjekt darstellt (II.), dass das Konzept des Völkerbundes in sich widersprüchlich ist (III.) und erst recht das eines Weltstaates (IV.) - sind rein analytische Folgerungen aus dem vorausgesetzten Begriff. Sie suchen ihn in universeller Betrachtung plausibel zu machen, ohne irgendeinen neuen Gesichtspunkt vorzubringen. So stehen und fallen sie denn auch mit der Ausgangsthese, mit deren schroffem Entweder-Oder und dessen unausgesprochenen Prämissen (V.). I. Wenn es richtig ist, dass der Begriff des Staates den Begriff des Politischen im Sinne der Unterscheidung von Freund und Feind voraussetzt (BP 20), dann verlangt der Begriff des Staates notwendig auch die Existenz mehrerer Staaten. Folglich erscheint die Staatenwelt nicht als ein irgendwie einheitliches Universum, sondern als ein prinzipiell und strukturell inhomogenes „Pluriversum" (BP 54). Als pluriverse ist der Terminus 1925 zuerst im angelsächsischen Pragmatismus aufgetreten.1 Er spitzt die philosophische These von William James zu, der unter dem Titel Das pluralistische Universum die Vielheit eigenständiger Dinge (und damit letztlich die Offenheit menschlicher Handlungsmöglichkeiten) gegen den 1

B. P. Blood, Pluriverse. An essay in the philosophy of pluralism, London 1925.

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„monistischen" Anspruch einer alle Dinge als bloße Teile integrierenden und bestimmenden Ganzheit verteidigt hatte.2 Sonach muss jede wirklichkeitsnahe Theorie des Politischen und des Staates im Blick auf die internationalen Beziehungen genau in dem Sinne „pluralistisch" sein (BP 54), wie es die Theorie hinsichtlich der Binnenstruktur der Staaten angeblich nicht sein kann, ohne deren innere Einheit zu zerstören (BP 37ff.). Denn die von der deutschen Genossenschaftstheorie eines Otto v. Gierke3 inspirierte pluralistische Staatstheorie Coles und Laskis (BP 41)4 muss im Namen der politischen Grundunterscheidung abgelehnt werden, weil sie mit ihrer These von der Wesensgleichheit aller menschlichen Assoziationen dem Staat den Charakter der letztlich allein und allein um ihrer eigenen Existenz willen maßgeblichen Einheit nimmt. Vielmehr sind im Hinblick auf die kriegerische Wesensgleichheit aller Staaten die anderen Assoziationsformen (Religionsgesellschaften, Gewerkschaften, Parteien, Landsmannschaften) als innerstaatliche Dissoziationen entschieden und mit äußerster Konsequenz zu relativieren. Eine die ganze Menschheit und die ganze Erde umfassende, die Möglichkeit kriegerischer Auseinandersetzungen ausschließende Einheit würden dagegen die Staaten und mit diesen Kampfeinheiten das Politische verschwinden lassen. Übrig blieben „politikreine Weltanschauung, Kultur, Zivilisation, Wirtschaft, Moral, Recht, Kunst, Unterhaltung usw." (BP 54). Und? Wäre das so schrecklich, mag man sich fragen. Schmitts sogleich ausdrücklich angefugtes persönliches Bekenntnis, nicht zu wissen, „wann dieser Zustand der Erde und der Menschheit eintreten wird" (BP 54), suggeriert unbestechlichen Realismus: „Vorläufig" sei dieser Zustand „nicht da. Es wäre eine unehrliche Fiktion" - 1933 hat Schmitt diese Stelle noch gesteigert: „Es wäre eine auf Betrug angelegte Fiktion" - „ihn als vorhanden anzunehmen ...". Gewiß - aber wer hat dergleichen je behauptet? Die Frage ist doch nicht, ob beispielsweise Kants Konzeption eines „ewigen", d. h. durch eine strukturelle Veränderung der Staatenwelt hin zu einem Bund „republikanischer", also rechtsstaatlich verfasster Staaten gesicherten „Friedens"5, utopisch oder realistisch ist, 2

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W. James, A pluralistic universe, 1909, dt. 1914. Dazu H. F. Spinner, Pluralismus als Erkenntnismodell, 1974; R. Breitling, The concept of pluralism, in: Three faces of pluralism, hg. v. S. Ehrlich/G. Wotton, Westmead/Farnborough 1980, S. Iff. Siehe O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 1, 1868, Nachdr. 1954; dazu E.-W. Böckenförde, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert, 1961, S. 151ff. Dazu B. Jakovenko, Vom Wesen des Pluralismus, 1928; H. Gudrich/S. Feit, Die pluralistische Gesellschaftstheorie, 1974: W. Welsch, Postmoderne Pluralität als ethischer und politischer Wert, 1988. I. Kant, Zum ewigen Frieden, Reclam-Ausg. v. R. Malter, 1984, S. lOff. Dazu G. Iirlitz, Kant-Handbuch, 2002, S. 43Iff.

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sondern ob dies als Ziel erstrebenswert und die Annahme gerechtfertigt erscheint, man könnte ihm durch geeignete Strategien schrittweise näher kommen. Solche sich hier geradezu aufdrängenden Überlegungen bleiben aus. Statt dessen schließt sich - bewusst ohne die Atempause eines Punktes - eine den ganzen Absatz pointierende messerscharfe Feststellung an, die nun freilich 1963 noch ebenso zutreffend war wie 19326: Wenn Großmächte bloß aus Furcht vor den Weiterungen eines Weltkrieges kriegerische Auseinandersetzungen meiden, bedeutet solcher Nicht-Krieg nicht umgekehrt automatisch Weltfrieden. Das wäre in der Tat eine „Verwechslung" (BP 54). Dann folgt allerdings eine Schlusswendung, die noch etwas mehr zu implizieren scheint als bloß die wiederholte Hervorkehrung kalten wissenschaftlichen Realitätssinnes. Der in Anführungszeichen gesetzte „Weltfriede" wird nämlich als „idyllischefr] Endzustand der restlosen und endgültigen Entpolitisierung" (BP 54) bezeichnet. Aber hatte etwa Kant, um bei diesem verschwiegenen Antipoden zu bleiben, wirklich nicht mehr im Sinn als eine endzeitliche ,Idylle' 7 ? II. Nach Völkerrecht besitzen die Staaten den rechtlichen Status von Völkerrechtssubjekten.8 Als solche haben sie „eine ungeheure Befugnis bei sich konzentriert: die Möglichkeit Krieg zu führen und damit offen über das Leben von Menschen zu verfügen" (BP 46). Die Staaten gebieten m. a. W. über das jus belli. Und der Text will i. S. des sog. klassischen Völkerrechts weiter sagen: nur die Staaten, die aber alle und prinzipiell jederzeit und nach eigenem Ermessen.9 Die „Menschheit" dagegen hat diesen Status eines Völkerrechtssubjekts nicht, besitzt folglich auch jenes jus belli nicht und kann es nicht haben, weil sie „keine politische Einheit oder Gemeinschaft" (BP 55) im Sinne Schmitts ist. Vermag sie als solche doch keine Kriege zu führen, da sie auf der Erde niemanden zum Feind erklären kann, der als Mensch nicht selbst zur Menschheit gehört. Die Annahme einer universalen Gesellschaft einzelner Menschen macht die nach Schmitt begriffswesentliche „spezifische Unterscheidung" von Gruppen, die fähig und bereit sind, sich notfalls auf den Tod zu bekämpfen, unmöglich. Ein dementspre-

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In der Ausgabe von 1933 hatte Schmitt die folgende Passage allerdings ins Imperfekt gesetzt. Siehe Kant (Anm. 5), S. 33: „lebhaftestefr] Wetteifer" aller Kräfte aller Völker als tragender Grund des Friedens. Dazu K. Ipsen, Völkerrecht, 3. Aufl. 1990, 55ff.; I. Seidl-Hohenveldern/T. Stein, Völkerrecht, 10. Aufl. 2000, S. 134ff. Dazu W. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 1984,2. Aufl. 1988, S. 623ff.

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chend spezifisch politischer Sinn wird dem humanitären Menschheitsbegriff des 18. Jahrhunderts nur insofern zugestanden, als er sich polemisch gegen die damals bestehende aristokratisch-feudale oder ständische Ordnung und ihre Privilegien richtete (BP 55/56). Den revolutionären Menschenrechtserklärungen dieser Zeit käme danach offenbar nur innerstaatlich eine aus der Bürgerkriegssituation sich speisende politisch-rechtliche Bedeutung zu. Aber könnten sie nicht darüber hinaus als Absage an jede Form von Tyrannei ein universales Weltbürgerrecht konstituieren 10 ? Schmitt lässt eine solche Überlegung gar nicht erst aufkommen. Das vom isolierten Einzelnen her denkende Menschheitskonzept der „naturrechtlichen und liberal-individualistischen Doktrinen" (BP 56) bleibt in Schmitts Begrifflichkeit konsequenterweise lediglich eine „soziale Idealkonstruktion". Und d. h.: ein realitätsfernes Gedankending, das zudem wegen seiner individualistischen Struktur allein dem .Sozialen', der Sphäre des „bloß GesellschaftlichAssoziativen" (BP 45) verhaftet, unterhalb der Ebene des Politisch-StaatlichRechtlichen verbleibt. Denn das Recht im Allgemeinen und das Völkerrecht im Besonderen setzt - das ist der cantus firmus - den Staat, dieser das Politische und das Politische ein Pluriversum von irgendwie gearteten Kollektiven voraus. Von daher kann Schmitts Schrift als Versuch genommen werden, den Begriff des Staates im Sinne politischer Einheit zu reformulieren. Unter Verzicht auf die expressionistische Theatralik der Freund-Feind-Unterscheidung läse sich das im Stile Max Webers dann so: 1. Es gibt menschliche Verbände. 2. Es gibt Gegensätze zwischen menschlichen Verbänden, die sich bis zur kollektiven physischen Gewalttätigkeit steigern können. 3. Es gibt komplexe menschliche Verbände. 4. Politische Einheit heiße demnach deijenige Verband, der imstande ist, die Gewalt intern zu monopolisieren und auch nach außen auszuüben. 5. Politisch heiße ein Handeln, das auf diese Einheit Bezug hat." Kann die Menschheit als solche auch keine Kriege führen, so ist es doch möglich, ,,[d]ass Kriege im Namen der Menschheit gefuhrt werden" (BP 55), wie sie genau so auch im Namen von Frieden, Demokratie oder Gerechtigkeit gefuhrt werden können. All das bedeutet fürs erste aber nur, dass ein Staat im Kampf mit einem anderen Staat durch die „Beschlagnahme" eines solchen universalen Begriffs die moralische Überlegenheit über den Feind zu gewinnen trachtet: Er reklamiert für sich selbst Humanität, Selbstbestimmung der Menschen, Friedenswillen und Gerechtigkeit und spricht sie dem Kriegsgegner ab. Zweifellos gehört derlei längst zu den - mit mehr oder weniger gutem Gewissen gehandhabten - Mitteln moralisch-psychologischer Kriegsfuhrung und gewiss

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11

Dazu Kant (Anm. 5), S. 21ff., und J. Habermas, Die Einbeziehung des Anderen, 1996, S. 192ff. H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, 4. Aufl. 2002, S. XLIf.

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stand und steht der Begriff der Menschheit in besonderer Gefahr, als „ideologisches Instrument imperialistischer Expansionen und in [seiner] ethisch humanitären Form [als] ein spezifisches Vehikel des ökonomischen Imperialismus missbraucht zu werden" (BP 55). Schmitt stilisiert solchen Missbrauch des Begriffs indes zum apriorischen Prinzip seiner Verwendung schlechthin. Ein Wort des anarchistischen französischen Sozialphilosophen Pierre-Joseph Proudhon aufnehmend unterstellt er: „Wer Menschheit sagt, will betrügen" (BP 55).12 Und er weist darauf hin, dass die Berufung auf die Menschheit „nur den schrecklichen Anspruch manifestieren [könnte], dass dem Feind die Qualität des Menschen abgesprochen", dass er zum Unmenschen und outlaw erklärt wird „und dadurch der Krieg zur äußersten Unmenschlichkeit getrieben werden soll" (BP 55) - diesen schrecklichen Anspruch manifestieren könnte. Unter dem Eindruck der US-amerikanischen Propaganda „Krieg der Demokratien gegen die totalitären Staaten" (PB 225) ist sich Schmitt 1938 dagegen sicher, dass die bisherige zwischenstaatliche Völkerrechtsordnung durch einen derartig diskriminierenden, hauptsächlich gegen Deutschland gerichteten Kriegsbegriff - beginnend mit den Erklärungen von Präsident Wilson zum Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg 1917 - bereits aus den Angeln gehoben sei.13 Und nach 1945 hat Schmitt das deutsche Schicksal im Allgemeinen wie sein eigenes im Besonderen immer wieder in diese Perspektive gerückt.14 Nun ließ sich daran erinnern, dass der Vernichtungskrieg Hitlers im Osten, der dann so grausam auf Deutschland zurückschlug, gerade nicht im Namen der Humanität, sondern ausdrücklich im Namen rassisch-völkischer Besonderheit und Überlegenheit begonnen wurde. Erst die verzweifelte Abwehrschlacht am Ende ließ die Propaganda zum Kampf fur Kultur und Zivilisation ihre Zuflucht

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Auch wenn Proudhon gleichfalls gegen Individualismus und Universalismus polemisiert und die positive Bedeutung des Krieges für die kulturelle und moralische Entwicklung des Menschen betont, ist er letztlich ein schlechter Gewährsmann für Schmitts Theorie. Denn am Ende ging es ihm in La Guerre et la Paix - Recherches sur le principe et la constitution du droit des gens, 2 Bde., Brüssel 1861, darum, dass die kriegerischen Konflikte nunmehr im Rahmen überstaatlicher wirtschaftlicher Regeln in ökonomischen Wettbewerb transformiert würden. Dazu W. Grewe, Krieg und Frieden - Proudhons Theorie des Völkerrechts, in: Zeitschrift für Politik 30 (1940), S. 233ff. Eingehender K. Hahn, Föderalismus - Die demokratische Alternative, 1975, S. 109ff., bes. S. 115ff.

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C. Schmitt, Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff, 1938, 2. Aufl. 1988. Dazu Hofmann (Anm. 11), S. 196ff. C. Schmitt, Glossarium, 1991, S. 29, 70, 76,113, 120f., 196, 252, 265, 267, 269f., 292; ders., Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz „Nullum crimen, nulla poena sine lege", hg. ν. H. Quaritsch, 1994.

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nehmen. Aber der springende Punkt ist ein ganz anderer. Er liegt in der Frage, ob man die seit der Gründung des Völkerbundes 1919 anhaltenden, dem Kantischen Ideal folgenden Bemühungen, Kriege durch inter- oder supranationale Organisationen und Verfahren wenigstens einzuschränken und Friedensstörungen zu sanktionieren, in dieser Weise als Lug und Trug abtun kann.15 III. Schmitt unterscheidet drei Ideen eines Völkerbundes: - Völkerbund als klarer, weil polemischer Gegenbegriff gegen einen Fürstenbund. So sei das deutsche Wort „Völkerbund" im 18. Jahrhundert entstanden, habe diese Bedeutung mit dem politischen Bedeutungsverlust der Monarchie indes naturgemäß verloren (BP 56). - Völkerbund als „ideologisches Instrument des Imperialismus eines Staates oder einer Staatenkoalition" gegen andere Staaten (BP 56). Wenn ein .Völkerbund' nach diesem Muster interpretiert werden kann, so „gilt fur ihn alles, was vorhin über den politischen Gebrauch des Wortes ,Menschheit' gesagt wurde" (BP 56). Im Klartext: Nach Schmitt handelt es sich dann um reinen Betrug. - Völkerbund als Ausdruck einer „nur sehr unklaren Tendenz [...], einen unpolitischen Idealzustand der Universal-Gesellschaft .Menschheit' zu organisieren", weshalb man fordere, dass „alle Staaten der Erde seine Mitglieder werden [müßten]" (BP 56). Eine solche Tendenz fuhrt den Versuch eines Völkerbundes nach Schmitt indes von vornherein ad absurdum, weil er angeblich „völlige Entpolitisierung und damit vor allem zunächst einmal mindestens konsequente Staatenlosigkeit bedeuten" würde (BP 56). Das ist nach Schmitts Ausgangsthese konsequent, scheint sachlich auf den ersten Blick aber wenig überzeugend. Zwar hat der Völkerbund jenen „Idealzustand der Universal-Gesellschaft" nie auch nur annähernd erreicht. Wohl aber gehören seiner Nachfolgeorganisation, den 1945 gegründeten Vereinten Nationen, heute fast alle Staaten der Erde an, ohne dass von „völliger Entpolitisierung" und „konsequenter Staatenlosigkeit" ernstlich die Rede sein könnte, obwohl die Charta der UN16 mit dem Gewaltverbot des über die Völkerbundsatzung hinausgehenden Art. 2 Abs. 4 und der Verpflichtung zu friedlicher Streitbeilegung in Art. 2 Abs. 7 die von Schmitt postulierte Entscheidungsfreiheit der Staaten einschränkt.

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Dazu G. Beestermöller, Die Völkerbundsidee, 1995; Th. Niemeyer/C. Riihland/J. Spiropoulos, Der Völkerbund - Verfassung und Funktion, 1926. Dazu S. B. Gareis/J. Narwick, Die Vereinten Nationen, 2002.

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Schmitts Gegeneinwand: auch die Mitgliedschaft aller Staaten machte den Völkerbund [und macht heute die UNO] noch nicht zu einer befriedeten Universal-Gesellschaft. Selbst unter jener Voraussetzung bliebe der Völkerbund ein in sich „widerspruchsvolles Gebilde" (BP 56). Er sei, sagt Schmitt, allenfalls ein Bündnis, kein Bund (BP 57).17 Denn der Völkerbund setzte in der Tat (ebenso wie das seine Nachfolgeorganisation noch heute tut) Staaten voraus, ,,regelt[e] einige ihrer gegenseitigen Beziehungen und garantiert[e] sogar ihre politische Existenz" (BP 56). Und im Hinblick auf die Grundsätze der souveränen Gleichheit der Staaten, das Gewalt- und das Interventionsverbot in Art. 1 und 2 UNCharta ist die Rechtslage heute nicht grundsätzlich anders. Völkerbund und UNO sind demnach streng genommen nur zwischenstaatliche und keine internationalen Organisationen18, insofern sie - anders etwa als die Europäischen Gemeinschaften mit ihrem Gesetzgebungsrecht19 - „die bisherige territoriale Geschlossenheit" und „Undurchdringlichkeit", die sog. Jmpermeabilität der bestehenden Staaten" gerade nicht „ignorieren" (BP 57), auch wenn das Sanktionssystem des VII. Kapitels der UN-Charta und die darauf gestützte neuere Sanktionspraxis des Sicherheitsrates nach der Überwindung der BlockadeSituation des Kalten Krieges durch die Auflösung der UdSSR im Dezember 1991 diesen Grundsatz mehr und mehr einschränken.20 Beansprucht der Sicher-

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Schmitt verweist an dieser Stelle auf seine Schrift „Die Kernfrage des Völkerbundes" von 1926. Darin hatte er gegen die Bezeichnung des Völkerbundes mit einer Doppelthese polemisiert: 1. Jeder echte Bund legitimiere den status quo (was gegen die deutschen Interessen an der Revision der Versailler Verträge sei). 2. Jeder echte Bund beruhe auf einem Mindestmaß von Gleichartigkeit (Homogenität) der Mitglieder, die bei dem aus höchst unterschiedlichen Staaten zusammengesetzten Völkerbund nicht gegeben sei. Was das von Schmitt postulierte Kriterium der Homogenität inhaltlich meint, blieb hier indes ziemlich unklar. Da ist von einem Ganzen, einer rechtlichen Ordnung zwischen Staaten, Gleichartigkeit der innerstaatlichen Ordnung, einem Ordnungsprinzip, einem System von Staaten, der Verbindung zu einer Gemeinsamkeit, einem Gesamtsystem und so fort die Rede. Ein Bündnis werde dagegen durch die Feindschaft gegen einen Dritten zusammengehalten. Erst in der VL von 1928 (VL 370ff.) bestimmt Schmitt seine Vorstellung vom echten Bund nach Maßgabe seines Begriffs des Politischen durch die Definition der Homogenität aller Bundesmitglieder als „substanzielle Gleichartigkeit, welche eine konkrete, seinsmäßige Übereinstimmung der Gliedstaaten begründet und es bewirkt, dass der extreme Konfliktfall innerhalb des Bundes nicht eintritt" (VL 376).

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Siehe Ipsen (Anm. 8), S. 67ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein (Anm. 8), S. 158ff. Zum „supranationalen" Charakter der Europäischen Gemeinschaften mit eigener Gesetzgebungskompetenz Th. Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. 1999, Rnn. 152,468,616ff. Hierzu und zum Folgenden A. Stein, Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und die Rule of Law, 1999; M. Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates, 1998, S. 1 Iff.

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heitsrat bei der für Sanktionen grundlegenden Feststellung einer Weltfriedensbedrohung heute doch ein weites Ermessen. Demgemäß trifft der Sicherheitsrat die Feststellung einer Weltfriedensbedrohung gemäß Art. 39 UN-Charta immer öfter auch bei innerstaatlichen Vorgängen, die keine unmittelbare Gefahr für die zwischenstaatlichen Beziehungen erkennen lassen. So, wenn Menschenrechte in eklatanter Weise systematisch verletzt werden oder das demokratische Regierungssystem zusammengebrochen ist. Neu ist ferner, dass der Sicherheitsrat sich in solchen Fällen nicht mehr nur auf wirtschaftliche und militärische Zwangsmaßnahmen beschränkt, sondern eine Befriedung weitergehend dadurch zu erreichen versucht, dass er eigene richterliche Unterorgane einsetzt und ihnen Verfahrensregeln vorgibt. Gleichwohl ist die UNO im Wesentlichen noch immer ein System kollektiver Sicherheit in einer Welt prinzipiell gleichberechtigter Staaten. Insofern gelten Schmitts seinerzeit auf den Völkerbund gemünzten Bemerkungen mit Modifikationen auch heute noch: „[Das Sicherheitssystem] hebt die Möglichkeit von Kriegen nicht auf, sowenig wie [es] die Staaten aufhebt. [Es] führt neue Möglichkeiten von Kriegen ein, erlaubt Kriege, fördert Koalitionskriege und beseitigt eine Reihe von Hemmungen des Krieges dadurch, dass [es] gewisse Kriege legitimiert und sanktioniert" (BP 57). Und insoweit scheint dann auch Schmitts Vorwurf von imperialistischem Lug und Trug wieder nahe zu liegen. Tatsächlich wird er im Geiste Schmitts denn auch gegen gewisse Entscheidungen des Sicherheitsrats und speziell gegen dessen Interventionspraxis bei innerstaatlichen Konflikten erhoben21, obwohl gerade in der „nachsorgenden" judiziellen Aufarbeitung und Befriedung von Konflikten doch eine starke Tendenz zu wirklich internationalem menschenrechtlichen Universalismus zu Tage tritt, der keineswegs nur von imperialistischen ökonomischen Interessen getragen wird. Auch Schmitt sah eine „Tendenz" des Völkerbundes zur wirklichen, echten Universalität in dessen Tätigkeit „auf humanitärem, nicht-politischen Gebiet" und als eine „zwischenstaatliche Verwaltungsgemeinschaft". Gemeint waren damit neben der Verwaltung des Saarlandes oder der Aufsicht über die Freie Stadt Danzig die Bemühungen um den Minderheitenschutz und die Flüchtlingshilfe. Mit noch mehr Berechtigung könnte man heute von einer solchen universalistischen Tendenz der UNO sprechen. Denn das äußerste Mittel der Ermächtigung zu militärischer Intervention ist ja keineswegs das einzige Instrument, mit dem die UN auf den Schutz der Menschenrechte hinwirken.22 Darüber hinaus wären die Ver-

21 22

Siehe J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, in: JZ 1995, S. 421ff. (429). Zum Menschenrechtsschutz durch die UNO G. Baum/E. Riedel/M. Schaefer (Hg.), Menschenrechtsschutz in der Praxis der Vereinten Nationen, 1998. Zum Folgenden Ipsen (Anm. 8), S. 554ff.

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waltungsunionen der UNO, beispielsweise auf dem Gebiet des Verkehrs, der Erziehung, Wissenschaft und Kultur sowie der Gesundheit, zudem Sonderorganisationen wie die Weltbank, der Internationale Währungsfond oder die UNIDO zur Förderung der Industrialisierung der Entwicklungsländer zu nennen. Schmitt vermochte in solchen Entwicklungen allerdings keine sinnvolle politische Doppelstrategie, keine förderliche Ergänzung eines Staaten-Systems kollektiver Sicherheit zu erkennen, das den Krieg zwar nicht aufhebt, aber die souveräne Beliebigkeit der staatlichen Kriegsführung eindämmt. Für ihn war das ein „Widerspruch" (BP 56). Warum? Weil Schmitts Begriff von menschheitlichem Universalismus das so zu sehen verlangt. Und warum das? Weil Schmitts Begriff des Universalismus die Unmöglichkeit von dessen Realität impliziert, insofern eine globale Friedenssicherung angeblich eine militärische Gruppierung von Menschen gegen andere kriegerische Gruppen voraussetzt, welche die Universalität der theoretisch prinzipiell individualistisch gedachten Menschheitsgesellschaft zerstört: „Ein Völkerbund als konkret existierende universale Menschheitsorganisation [...] müsste die schwierige Leistung vollbringen, erstens allen bestehenbleibenden menschlichen Gruppierungen das jus belli effektiv wegzunehmen und zweitens trotzdem selber kein jus belli zu übernehmen, denn sonst wären Universalität, Menschheit, entpolitisierte Gesellschaft, kurz alle wesentlichen Merkmale wieder entfallen" (BP 57/58).

Das Bedürfnis, schneidende und unversöhnlich scheidende begriffliche Antithesen aufzustellen23, ist offenbar stärker als der politische Realitätssinn, der den status quo auf der Grundlage der gegebenen Verhältnisse ein bisschen besser zu machen sucht als er ist. Wissenschaftlich gesprochen: Ist eine komplexe Wirklichkeit abzuurteilen, weil sie sich keinem einfachen Begriff fugt? Taugt sie deswegen nichts?24

IV. Ein „Weltstaat" wäre nach Schmitt also allenfalls dem Namen nach ein Staat (BP 58). Ein wahrhafter Staat oder ein Reich, ein Imperium, eine Republik, Monarchie, Aristokratie oder Demokratie, kurz: eine spezifisch politische Organisationsform könnte er mangels der Möglichkeit eines Gegensatzes zu einem in dieser Weise staatlich organisierten Gegner in einem Krieg gleichartiger Mächte 23

24

Zu der (vor allem bis 1933) vorwiegend antithetischen Begriffsbildung Schmitts Hofmann (Anm. 11), S. XXIXf. Zu Schmitts Mythologie der Begriffe Ch. Meier, Zu Carl Schmitts Begriffsbildung, in: Complexio Oppositorum, hg. v. H. Quaritsch, 1988, S. 537ff. (552ff.).

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nicht sein. Ein unvermeidlich bloß nomineller „Weltstaat" könnte folglich auch keinen (bis zur Aufopferung des eigenen Lebens gehenden) Gehorsam verlangen, weil er ja auch keinen Schutz gegen - definitionsgemäß nicht mehr bestimmbare - Feinde böte. Damit wird hier (BP 58) im Anschluss an Hobbes (BP 53) die „ewige Relation von Schutz und Gehorsam" beschworen, die angeblich den „Kern aller menschlichen Ordnung" ausmacht.25 Dass ein ganz und gar souveräner Staat, der von seinem Recht zum Krieg unbeschränkten Gebrauch zu machen in der Lage ist, seine ihm unbedingt gehorsamspflichtigen Bürger u. U. eher gefährdet als schützt, bleibt unbedacht. Keineswegs geleugnet wird dagegen die Möglichkeit einer „unpolitischen" Einheit der Welt. Sie erscheint als eine „nur wirtschaftliche und verkehrstechnische", darüber hinaus aber sogar als eine „kulturelle, weltanschauliche oder sonstwie ,höhere' [...] Einheit" vorstellbar (BP 58). Mangels kriegsbereiter Gruppierungen nach Freund und Feind wäre das eine allerdings nur die „soziale Einheit" einer Mietskaserne oder der Nutzung einer öffentlichen Einrichtung, das andere eine zwischen den Polen „Ethik und Ökonomie einen Indifferenzpunkt suchende Konsum- und Produktivgenossenschaft" (BP 58). Und auch diese hat man sich wegen ihrer Unentschiedenheit offenbar als eine mindere Form kollektiver Existenz vorzustellen, weil sie des nötigen existenziellen Ernstes zu entbehren scheint (vgl. BP 30, 35, 39f., 43, 46, 49f.). Trotz ihres im Schmittschen Sinn unpolitischen Charakters soll in den Händen irgendwelcher Menschen jedoch eine „furchtbare Macht" entstehen (BP 58). Nach dem vorher Gesagten wäre diese Macht ideologischer oder ökonomischer, jedenfalls aber nicht staatlicher Natur. Und furchtbar wird sie wohl wegen ihrer weltumspannenden Machtmittel genannt, die weder Ausweg noch Freiraum lassen. Wenn nun die in diesem Fall entscheidende Frage angeblich die ist, „welchen Menschen"', ,guten' oder ,bösen', die aus der mundanen Zentralisation erwachsende Macht .zufällt', dann wird mit dem Schreckbild des nur dem Namen nach staatlichen „Weltstaates" zugleich unterschwellig die Furcht vor dem Verlust staatlicher Formung und Selbstdisziplinierung der Macht beschworen. Das erinnert noch einmal an Kants philosophischen Entwurf Zum ewigen Frieden. Auch dort wird der völkerrechtliche Zustand der Staatenwelt ja als ein potentieller Kriegszustand („an sich schon ein Zustand des Krieges") beschrieben, selbst dieser Zustand aber „nach der Vernunftidee" noch der Verschmelzung der Staaten in einer „Universalmonarchie" durch eine Supermacht vorgezogen.26 Der Grund liegt in der Befürchtung, die schiere Ausdehnung des Unternehmens werde einer Regierung nach allgemeinen und damit vernünftigen Gesetzen Abbruch tun, so

25 26

NE 295; dazu Hofmann (Ami. 11), S. 152ff., 242f. Kant, Zum ewigen Frieden (Anm. 5), S. 32.

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zu einem „seelenlose[n] Despotism" fuhren und daher letztlich doch in Anarchie enden. Kant sah allerdings einen Ausweg. Er lag für ihn zwar nicht in einem Welt-Völkerstaat im Sinne einer rechtsstaatlichen Weltrepublik, weil die Staaten dies nach ihrer pluralistischen Idee des Völkerrechts nun einmal nicht wollten, wohl aber in einer „föderativen Vereinigung" der Staaten, d. h. in einem sich immer weiter ausbreitenden Bund strukturgleicher, nämlich durch ihre gewaltenteilende und repräsentative Verfassung friedensgeneigter Staaten.27 Indes macht der implizierte Verzicht auf eine internationale Exekutive einen solchen Bund nach aller Erfahrung zu einem untauglichen Instrument der Friedenswahrung. Doch war dieser Verzicht nach Kant ja nur dem Willen der Staaten geschuldet. Insofern scheint sein Konzept im Hinblick auf veränderte Verhältnisse durchaus reformulierbar.28 Schmitts Lehre hingegen vermag das Problem der Friedenssicherung nach ihren eigenen Voraussetzungen unmöglich als eine Frage effektiverer Gestaltung völkerbundähnlicher Einrichtungen zu erfassen. Folglich transponiert Schmitt das institutionelle Problem in eine anthropologische Frage oder ein Problem anthropologischer Vorstellungen über die wahre Natur des Menschen, während Kant mangels Durchsetzbarkeit einer institutionellen Lösung auf die Friedensgeneigtheit der republikanischen Regierungsart, des Handelsgeistes und der kritischen Öffentlichkeit vertraut hatte.29 Der Realismus, den Schmitts Theorie des „Pluriversums" in Anspruch nimmt, scheint in zweifacher Hinsicht zweifelhaft. 1. Schon die Sicht des politischen Universums als einer Welt gleicher und gleichberechtigter, zum zwischenstaatlichen Krieg fähiger Kollektive entspricht eher der „Idee des Völkerrechts" (Kant) als der Realität. Vor dem maßgebenden Hintergrund eines ungefähren Gleichgewichts der Mächte im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts abstrahiert jene Idee von der Vielgestaltigkeit der politischen Realität.30 Auch die Satzung der UN beruht noch auf dieser juristischen Abstraktion, wenn sie in Art. 1 von der souveränen Gleichheit aller Mitglieder ausgeht. Indessen konnte die Satzung nicht umhin, in der Konstruktion des Sicherheitsrates mit (fünf) ständigen und (zehn) nicht ständigen Mitgliedern und dem Vetorecht der ständigen Mitglieder (China, Frankreich, Großbritannien, Rußland, USA) dem gewaltigen Machtgefalle zwischen Großund selbst Mittelmächten und den anderen Staaten Rechnung zu tragen. Nach wie vor abstrahiert das Völkerrecht jedoch von der Tatsache, dass sich im

27 28 29 30

Ebd. S. 10ff„ 16ff. Dazu Habermas (Anm. 10), S. 207ff. Kant, Zum ewigen Frieden (Anm. 5), S. 24ff., 48ff. Zur Herausbildung des tragenden Gleichgewichtsprinzips in der europäischen „Völkerfamilie" Grewe (Anm. 9), S. 332ff„ 393ff.

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20. Jahrhundert auf der Erde mehrere Welten herausgebildet haben. Das sind heute allerdings nicht mehr die ideologisch definierten drei Blöcke (Westmächte, Ostblock, Neutrale), sondern die durch die Ungleichzeitigkeit ihres jeweiligen kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungsstandes sich unterscheidenden Welten der Industrienationen, der Entwicklungs- und der sog. „Schwellenländer" und der noch nicht einmal in einer stabilen Weise staatlich verfassten Gesellschaften. 31 Vor diesem Hintergrund erweist sich die angebliche Beobachtung eines politischen Pluriversums gleich souveräner, jederzeit selbst über Krieg und Frieden entscheidender Staaten als eine mittlerweile etwas angestaubte völkerrechtliche Idee, ein Postulat - mehr oder weniger weit weg von der Wirklichkeit. 2. Auch wenn die (als mehrseitiger völkerrechtlicher Vertrag konstruierte) Satzung der Vereinten Nationen ungeachtet der Mitgliedschaft fast aller Staaten der Erde noch meilenweit davon entfernt ist, als Welt-Verfassung gelten zu können, so sind doch seit den Tagen des Völkerbundes gewisse Fortschritte in der Entwicklung eines Systems kollektiver Sicherheit nicht zu verkennen. (Allerdings droht sie der gegenwärtige Kampf der USA gegen den Irak wieder in Frage zu stellen). Behält man die Entwicklung der Staatenwelt und des Völkerrechts seit dem 1. Weltkrieg im Blick, erscheint die Beschwörung der alten Idee des Völkerrechts, die sich im „Recht", einen Weltkrieg anzuzetteln, längst ad absurdum geführt hat, als ein sich dieser Entwicklung verweigernder Protest, als ein Plädoyer für die Bewahrung oder Wiederherstellung des idealen Staatenpluriversums. Daher rühren die immer wieder auftauchenden moralisierenden Wendungen, die den existentiellen Ernst des Krieges ansprechen (BP 30, 35, 39f., 46, 49f.), nicht mehr zum Krieg bereiten „schwachen" Völkern den Untergang vorhersagen (BP 53f.), Versuche zur Überwindung der alten Ordnung als Betrug oder Selbsttäuschung denunzieren (BP 54f.) oder die Minderwertigkeit einer nicht auf die Möglichkeit der Kriegsführung bedachten Lebensweise suggerieren (BP 54, 58).32

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32

Dazu Seidl-Hohenveldern/Stein (Anm. 8), S. 37 ff; R. Cooper, Gibt es eine neue WeltOrdnung?, in: Europa-Archiv 18 (1993), S. 509ff. Zur Diskussion, ob diese Einstellung über eine Moral des Lebensernstes hinaus in der .politischen Theologie' Schmitts wurzelt, siehe Hofmann (Anm. 11), S. Vllff., XVII, XXXVIII, 106.

8 Udo Tietz „Anthropologischer Ansatz politischer Theorien" (59-68) Die Freund-Feind-Distinktion von Carl Schmitt und das animal rationale

I. „Man könnte alle Staatstheorien und politischen Ideen auf ihre Anthropologie prüfen und danach einteilen, ob sie, bewußt oder unbewußt, einen ,νοη Natur bösen' oder einen ,νοη Natur guten' Menschen voraussetzen." (BP 59) Gleich zu Beginn des 7. Kapitels macht Schmitt klar, daß jede politische Theorie eine bestimmte Auffassung vom Menschen impliziert - über sein Verhältnis zur äußeren und zur inneren Natur. Die auf Basis dieser Voraussetzung getroffene „anthropologische Unterscheidung von Gut und Böse", die „bewußt oder unbewußt" in allen anthropologischen Ansätzen zu finden sei, solle jedoch nicht moralisch verstanden werden, sondern „ganz summarisch". Schmitt geht es nicht um die Feststellung, daß die „anthropologische Unterscheidung von Gut und Böse" jede Form des politischen Denkens fundiere. Wesentlich ist ihm nicht, ob das Böse „als Korruption, Schwäche, Feigheit, Dummheit oder auch als ,Roheit', Triebhaftigkeit, Vitalität, Irrationalität usw." erscheint und das Gute dann in den „entsprechenden Variationen als Vernünftigkeit, Perfektibilität, Lenkbarkeit, Erziehbarkeit, sympathische Friedlichkeit usw." Wesentlich ist ihm, daß alle politischen Erwägungen die „problematische oder die unproblematische Auffassung des Menschen" unterstellen; oder anders gesagt: Politische Erwägungen präsupponieren immer schon „die Antwort auf die Frage, ob der Mensch ein .gefahrliches' oder ungefährliches, ein riskantes oder ein harmlos nicht-riskantes Wesen ist". (BP 59) Ohne eine solche Unterstellung gibt es überhaupt nicht den Raum, den man den Raum des Politischen nennen könnte. Allein dort, wo die Unterscheidung von Gut und Böse vorliegt, gibt es das Politische - weshalb nach Schmitt „alle Staatstheorien und politischen Ideen auf ihre Anthropologie" zurückgeführt werden können, die deshalb auch „politische Anthropologien" sind.

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II. Diese These erläutert Schmitt in seiner Schrift Der Begriff des Politischen mit Verweis auf unterschiedliche Autoren. Dem Verweis auf Helmuth Plessner kommt dabei eine besondere Bedeutung zu; Plessner ist für Schmitt der zeitgenössische Autor, der die anthropologischen Voraussetzungen der politischen Theorie am besten auf den Begriff gebracht hat. „H. Plessner, der als erster moderner Philosoph [...] eine politische Anthropologie großen Stils gewagt hat, sagt mit Recht, daß es keine Philosophie und keine Anthropologie gibt, die nicht politisch relevant wäre, ebenso wie umgekehrt keine philosophisch irrelevante Politik; er hat insbesondere erkannt, daß Philosophie und Anthropologie, als spezifisch aufs Ganze gehendes Wissen, sich nicht, wie irgendein Fachwissen auf bestimmten ,Gebieten', gegen ,irrationale' Lebensentscheidungen neutralisieren können." Weiter heißt es: „Für Plessner ist der Mensch ,ein primär Abstand nehmendes Wesen', das in seinem Wesen unbestimmt, unergründlich und ,offene Frage' bleibt. In der primitiven Sprache jener naiven, mit der Unterscheidung ,Böse' und ,Gut' arbeitenden politischen Anthropologie übersetzt, dürfte Plessners dynamisches ,Offenbleiben' mit seiner wagnisbereiten Wirklichkeits- und Sachnähe, schon wegen seiner positiven Beziehung zur Gefahr und zum Gefahrlichen, dem ,Bösen' näher sein als dem Guten." (BP 60) In Plessners Anthropologie meint Schmitt also die philosophische Abrundung seiner Politiklehre gefunden zu haben, insofern sie ihr den Rückhalt in einem Begriff des Menschen verschafft, an dem es ihr bis dahin in problematischer Weise gemangelt hatte.1 Schmitt bezieht sich hier auf das 1931 erschiene Buch Macht und menschliche Natur, in dem Plessner das Selbstverhältnis des Menschen im Tier-MenschVergleich als dessen „exzentrische Positionalität" beschreibt. Wie schon in dem drei Jahre zuvor erschienen Buch Die Stufen des Organischen und der Mensch erklärt Plessner in diesem kurzen Text das Selbstverhältnis aus dem „Bruch" des Menschen mit seiner Natur, den er in seiner Doppelexistenz als Leib und Seele, aber auch als Horizont seines möglichen Personseins erfahrt. Denn „der Mensch als das lebendige Ding, das in die Mitte seiner Existenz gestellt ist, weiß diese Mitte, erlebt sie und ist darum über sie hinaus."2 Die spezifische Überlegenheit des Menschen gegenüber subhumanen Lebensformen erklärt Plessner nicht nach dem klassischen Muster eines Vemunftver'

2

Vgl. A. Honneth, Plessner und Schmitt. Ein Kommentar zur Entdeckung ihrer Affinität, in: Plessners „Grenzen der Gemeinschaft". Eine Debatte, hg. v. W. Eßbach, J. Fischer und H. Lethen, Frankfurt/M. 2002, S. 22. Vgl. H. Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie, Gesammelte Werke Bd. II, Frankfurt/M. 1981, S. 291.

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mögens, sondern aus der besonderen Form der Umweltbeziehung, die sich ihm aufgrund der Erfahrung seines Körpers eröffnet. Im Unterschied nämlich zum Tier, das sich „zentrisch" auf seine Umwelt bezieht, sei es dem Menschen prinzipiell möglich, sich „exzentrisch" auf seine Aktivitäten zu beziehen, so daß er aus seinem „Leib" heraus lebt und über ihn als „Körper" verfugen kann. Der damit verbundene Grundgedanke, den Plessner mit der Formel von der „exzentrischen Positionalität" umrissen hat, bildet nicht nur den Hintergrund für die anthropologischen Funktionsbestimmungen des Theoretischen und des Praktischen, sondern auch für die anthropologische Funktionsbestimmung des Politischen. Dieser Gesichtspunkt ist in unserem Zusammenhang von besonderem Interesse. Plessner gibt der These, daß der Mensch von Natur aus auf Kultur angelegt sei, nach der Bekanntschaft mit Schmitts Der Begriff des Politischen aus dem Jahr 1927 eine neue Wendung, indem er die These von der „exzentrischen Positionalität" im Sinne der Freund-Feind-Lehre auslegt. In seiner Schrift Mensch und menschliche Natur lehnt er sich ohne Reserve an den Begriff des Politischen an. Mit direktem Bezug auf Schmitt behauptet er, daß ein Handeln dann und nur dann als politisch gelten könne, wenn es reziprok auf die Ausgrenzung des jeweils Fremden als Feind zielt. Meinte Plessner 1924 in den Grenzen der Gemeinschaft noch, daß es ein Verbrechen sei, die Logik des Spiels durch nackte Gewalt zu ersetzen, so lenkt er nun seine philosophische Anthropologie in den Bereich einer politischen Theorie, die die physische Tötung des Fremden ausdrücklich mit einbezieht. Analog zu Schmitt meint Plessner, die Freund-Feind-Distinktion müsse „als zur Wesensverfassung des Menschen gehörig begriffen (werden), und zwar gerade dadurch, daß eine konkrete Wesensbestimmung von ihm abgehalten, er als offene Frage und Macht behandelt wird. In seiner Unbestimmtheit zu sich gestaltet sich ihm der merkwürdige Horizont, innerhalb dessen ihm alles bekannt, vertraut und natürlich, seinem Wesen gemäß und notwendig, außerhalb dessen ihm alles unbekannt, fremdartig und unnatürlich, seinem Wesen widrig und unverständlich erscheint."3 Denn wenn sich der in Gemeinschaften lebende Mensch „eine Eigenzone gegen die Fremdzone" abgrenzen und behaupten muß, handelt es sich bei dieser Form der menschlichen Abstandnahme um eine „in der Grundverfassung des Menschen überhaupt entspringende Notwendigkeit".4 Es ist in diesem Zusammenhang wiederholt behauptet worden, daß beide Konzepte, Schmitts politische Theorie und Plessners philosophische Anthropologie, in einem komplementären Verhältnis zueinander stünden, weil ihre jewei-

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4

H. Plessner, Macht und menschliche Natur. Ein Versuch zur Anthropologie der geschichtlichen Weltansicht, Gesammelte Werke Bd. V, Frankfurt/M. 1981, S. 192. Ebd., S. 195.

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ligen Arbeiten als einander ergänzende Beiträge zu einer Lehre von der Politik im gemeinschaftskonstitutiven Akt der Freund-Feind-Bestimmung ihr theoretisches Zentrum haben. Schon die Grundbegriffe von Plessners philosophischer Anthropologie seien so gewählt, daß sie „problemlos" mit dem totalitären Modell des Politischen von Schmitt konvergieren.5 Das ist aber nicht der Fall. Denn Schmitt bemüht Plessner nur, um seiner Theorie ein anthropologisches Fundament zu verschaffen. 6 Zwar sind die „strukturellen Übereinstimmungen mit Plessners Versuch einer politischen Anthropologie' und der Bezug auf ihn so explizit, daß es berechtigt ist, Abstandnahme als anthropologische Kategorie im Sinne einer notwendigen und hinreichenden Bestimmung aufzufassen." 7 Aus dieser Feststellung folgt jedoch nicht die weiter reichende These, daß sich die Grundbegriffe von Plessners philosophischer Anthropologie umstandslos auf Schmitts politische Theorie abbilden lassen. Im Gegenteil. Das „anthropologische Argument" ist in Schmitts Werk nicht mehr als eine Chiffre für die naturlose Existenz des Menschen, der nicht das telos einer natürlichen Ordnung in sich trägt. „Nicht vermöge seines logos, nicht kraft seiner dadurch bestimmten Natur ist der Mensch für Schmitt - im Gegensatz zur aristotelischen Lehre - ein politisches Wesen, sondern gerade aus dem Mangel eines bestimmten natürlichen Wesens des Menschen, aus seiner naturlosen Existenz ergibt sich nach Schmitt die Totalität des Politischen."8 Bei Plessner findet Schmitt zweierlei: erstens eine philosophische Theorie, die in Reaktion auf den Zusammenbruch des Idealismus und der ihm folgenden Selbstinterpretation des Menschen als animal rationale die verlorene Verbindung zu den Einzelwissenschaften wieder herstellt, und zweitens eine philosophische Theorie, die das Selbstverständnis des Menschen als Vernunftwesen einer kritischen Revision unterzieht, indem sie die rationalitas des animal rationale nicht mehr als Besitz eines spezifischen Vermögens a priori ableitet, sondern funktional aus der „exzentrischen Positionalität" des Menschen. Nicht daß Schmitt dem Menschen die rationalitas absprechen würde. Dies wäre absurd. Schmitt geht es um die Dezentrierung der Vernunft in der philosophischen Lehre 5

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7 8

R. Kramme, Helmuth Plessner und Carl Schmitt. Eine Fallstudie zum Verhältnis zwischen Anthropologie und Politik in der deutschen Philosophie der zwanziger Jahre, Berlin 1989, S. 155f. Vgl. A. Honneth, Plessner und Schmitt, a. a. O., S. 26f.; Vgl. auch H. Lethen, Philosophische Anthropologie und Literatur in den zwanziger Jahren. Helmuth Plessners neusachliches Mantel- und Degenstück, in: Plessners „Grenzen der Gemeinschaft", a. a. O., S. 52f. R. Kramme, Helmuth Plessner und Carl Schmitt, a. a. O., S. 198. H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, Berlin 21992, S. 165.

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vom Menschen und in der politischen Theorie. Unter den Bedingungen eines nachidealistischen Denkens erscheint ihm jeder Versuch aussichtslos, den Menschen durch den Vernunftbezug bestimmen zu wollen, weil sich mit Rekurs auf Plessner zeigen lasse, daß die rationalitas des animal rationale nicht mehr im Sinne eines apriorischen Vermögens zu verstehen sei, sondern als Resultat von Leistungen, die nicht die eines „Bewußtseins überhaupt" sind, sondern die eines leibhaft agierenden und praktisch interessierenden Wesens, welches sich mit seinen Handlungen im Hier und Jetzt engagiert. Gegen diese anthropologische Dezentrierung der Vernunft, die nach Nietzsche die gesamte philosophischen Anthropologie bestimmt, wäre der Versuch aussichtslos, die rationalistisch vorausgesetzte Vernunft in der Selbstdeutung des Menschen im Sinne des animal rationale anthropologisch zu wenden, weil dies auf die Umkehrung des naturalistischen Fehlschlusses hinauslaufen würde, auf eine Projektion des apriorischen Sollens auf ein anthropologisches Sein.9 Wie bereits bemerkt: Schmitt behauptet nicht, daß der Mensch keine Vernunft hätte. Er meint nur, daß diese Vernunft auf anthropologischen Voraussetzungen aufruht, die rational nicht vollständig einholbar seien. Was er mit Rekurs auf anthropologische Argumente disqualifiziert, ist nicht das animalitas, sondern die rationalitas des animal rationale. Und hier liegt die Pointe seiner Auseinandersetzung mit Plessner: Sie besteht darin, daß Schmitt zunächst mit Rekurs auf Plessners „politische Anthropologie" seine politische Theorie fundiert, um dann die präsupponierte Voraussetzung, die „anthropologische Unterscheidung von Gut und Böse", als nicht mehr theoriefahig zu erklären, weil sie nur ein „anthropologisches Glaubensbekenntnis" (BP 58) sei. Alle politische Theorie beruht nach Schmitt auf solchen Glaubensbekenntnissen. Diese sind nicht mehr rationalisierbar, sprich begründbar, womit der Möglichkeit einer politischen Theorie widersprochen wird, die von sich behauptet, ihre Grundlagen selbstreflexiv einholen zu können. Die philosophische Anthropologie soll also die politische Theorie fundieren und gleichzeitig philosophische Begründungsfragen als sinnlos diskreditieren. Dem anthropologischen Rationalismus stellt Schmitt einen anthropologischen Dezisionismus gegenüber, mit dem jeglichem Begründungsdenken im Bereich des Politischen eine Absage erteilt wird. Es ist die Dezentrierung der Vernunft im humanum selbst, die diese Strategie erzwingt, indem die Vernunft rein funktional aus der „exzentrischen Positionalität" des Menschen erklärt wird. So kommt Schmitt unter Hinzuziehung der theologischen These von der sündigen Natur des Menschen zu der „Feststellung, daß alle echten politischen Theorien

9

Vgl. H. Schnädelbach, Zur Rehabilitierung des animal rationale, in: ders., Zur Rehabilitierung des animal rationale. Vorträge und Abhandlungen 2, Frankfurt/M. 1992, S. 29.

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den Menschen als ,böse' voraussetzen, d. h. als keineswegs unproblematisches, sondern als gefährliches' und dynamisches Wesen betrachten", eine Feststellung, die auf Jeden spezifisch politischen Denker" - und damit auch auf Schmitt selbst - zutreffen soll.10 „So verschieden diese Denker nach Art, Rang und geschichtlicher Bedeutung sein mögen, in der problematischen Auffassung der menschlichen Natur stimmen sie in demselben Maße überein, in dem sie sich als spezifisch politische Denker zeigen." (BP 61) III. Ein anderer zentraler Referenzautor ist Hegel. Er bleibe „überall im größten Sinne politisch", weil ihm „aller Geist gegenwärtiger Geist ist" (BP 62). In diesem Zusammenhang gibt Schmitt drei Beispiele fur die „Echtheit einer Philosophie, die sich nicht darauf einläßt, in apolitischer Reinheit' und reiner Unpolitik intellektuelle Fangnetze zu fabrizieren" (BP 62): Hegels Satz vom „Umschlagen von Quantität in Qualität", der auf das vermeintlich „neutrale Sachgebiet .Wirtschaft'" bezogen zeigt, daß der „ökonomisch motivierte Klassengegensatz" in einen „Klassenkämpf feindlicher Gruppen" umschlägt; Hegels „polemisch-politische Definition des Bourgeois, [...] der die Sphäre des unpolitisch risikolos-Privaten nicht verlassen will", und schließlich die „Definition des Feindes" als die „sittliche [...] Differenz als ein zu negierendes Fremdes in seiner lebendigen Totalität. ,Eine solche Differenz ist der Feind, und die Differenz, in Beziehung gesetzt, ist zugleich als ihr Gegenteil des Seins der Gegensätze, als Nichts des Feindes, und dies Nichts auf beiden Seiten gleichmäßig ist die Gefahr des Kampfes. Dieser Feind kann für das Sittliche nur ein Feind des Volkes und selbst nur ein Volk sein. Weil hier die Einzelheit auftritt, so ist es fur das

10

Schmitt erwähnt in diesem Zusammenhang kein einziges Mal den Philosophen, mit dem sich die Vorstellung von einem natürlichen Gutsein des Menschen verbindet, nämlich Rousseau. Verbleibt man in seiner Gut-Böse-Distinktion, dann wäre Rousseau der Antipode, der das natürliche Gutsein gegen die theologische Lehre vom Sündenfall stellt, eine Intuition, die dann von Leo Strauss gegen Schmitts Begriff des Politischen vorgebracht wird. Vgl. H. Meier, Die Lehre Carl Schmitts. Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie, Stuttgart und Weimar 1994, S. 153ff.; H. Bluhm, Die Ordnung der Ordnung. Das politische Philosophieren von Leo Strauss, Berlin 2002, S. 90-100. Ob jedoch die mit Rousseau markierte Gegenposition plausibler ist, darf bezweifelt werden. Denn der Streit, ob wir anthropologisch mit einem ursprünglichen Gut- oder Bösesein des Menschen zu rechnen haben, ist nicht entscheidbar. Hier wäre nur eine Position plausibel, die ohne theologische Unterstellungen über die „menschliche Natur" auskommt und in diesem Sinne ,jenseits von Gut und Böse" angesiedelt ist.

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Volk, daß der einzelne sich in die Gefahr des Todes begibt.'" (BP 62) Diese Formulierungen machen deutlich, wie weit Schmitt im Bannkreis des Hegelschen Denkens verbleibt. Bei Hegel findet er drei seiner zentralen Thesen vorbereitet, weshalb man Schmitts Feindtheorie als „Politisierung einer dialektischen Denkform" bezeichnen kann. Zwar kritisiert Schmitt, daß Hegels Philosophie keine Ethik habe, „die eine absolute Trennung von Gut und Böse begründen könnte", weil ihm stets das als gut gilt, „was im jeweiligen Stadium des dialektischen Prozesses das Vernünftige und damit das Wirkliche ist." Was aber wie eine „konsequente Fortfuhrung und Steigerung des alten Rationalismus" erscheint, gibt sich auf den zweiten Blick als dessen interne Überwindung zu erkennen, insofern sich bei Hegel eben auch die Argumente gegen den „alten", kontemplativen Rationalismus finden lassen. Wenn wir mit Hegel gegen Hegel den wirklich „aktiven Menschen" ernst nehmen und mit Nietzsche begreifen, daß die Welt „von Gott verlassen" ist, sehen wir, daß Hegels Denken vom Typus des „eingreifenden Denkens" und somit zutiefst politisch ist. Bereits bei Hegel liegt also nach Schmitt die Einsicht vor, daß der Begriff des Krieges und der des Feindes komplementär aufeinander verweisen, da zum Begriff des Feindes „die im Bereich des Realen liegende Eventualität eines Kampfes" gehört. So gesehen, wäre der Krieg nichts anderes als „die äußerste Realisierung der Feindschaft"; er muß „als reale Möglichkeit vorhanden bleiben, solange der Begriff des Feindes seinen Sinn hat." (BP 33) Schmitt wendet den dialektischen Negativismus Hegels ins Politische, so daß der politische Selbsterzeugungsprozeß des Menschen als ein antagonistischer Kampf der Gegensätze zwischen staatlich verfaßten Einheiten faßlich wird, deren Angehörige von sich in der ersten Person Plural sprechen können. Damit läßt sich im Fall der politischen Gemeinschaft die Dialektik von Exklusion und Inklusion als eine Dialektik von Freund und Feind verstehen. Gemeinschaftskonstitutiv ist der polemische Gegensatz von Freund und Feind, aus dem sich die Identität einer politischen Gemeinschaft erklären lassen soll.11 Denn erst dort, wo die Grenze zwischen Freund und Feind gezogen wird, beginnt eine partikulare Wir-Gemeinschaft politisch zu existieren. ,J)as Politische gibt es nur, wenn man weiß - und zwar im Modus nicht eines theoretischen Wissens, sondern einer praktischen Identifizierung - , wer jeweils wer ist, wer der Freund und wer der Feind. Wissen heißt hier, Freund und Feind zu identifizieren wissen."12 Erst die bestimmende Unterscheidung von Freund und Feind

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12

In diesem Sinne hatte auch Max Weber die Politik definiert. Vgl. M. Weber, Gesammelte politische Schriften, hg. v. J. Winkelmann, Tübingen 19583, S. 14. J. Derrida, Politik der Freundschaft, Frankfurt/M. 2000, S. 164.

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macht für Schmitt aus einem „commercium" eine sich als politische Einheit begreifende „communio", deren Angehörige in der ersten Person Plural von sich in der Wir-Form sprechen können.13 Eine Gemeinschaft konstituiert sich in der inversen Spiegelung des Anderen. Und der Andere ist der Feind. Die Grenzen, die durch das Eigene und Vertraute gezogen sind, sind für Schmitt deckungsgleich mit den Grenzen der politischen Gemeinschaft. Jenseits der Grenze liegt das Andere und Fremde, auf das sich universalistische Gleichheitsgrundsätze schon deshalb nicht beziehen lassen, weil in dieser Variante des Partikularismus Gerechtigkeitsprinzipien gemeinschaftsrelativ bestimmt werden - womit jeder universalistischen Idee des Rechts eine Absage erteilt wird. Diesseits der Grenze liegt das Eigene und Vertraute und jenseits das Andere und Fremde, gegen das sich eine politische Gemeinschaft über die Freund-FeindDistinktion abgrenzt. In der Sprache der Systemtheorie formuliert, sind politische Gemeinschaften grenzziehende Gemeinschaften, und die Antwort, wer inkludiert und wer exkludiert wird, hängt davon ab, wie das Problem der existenziellen Feindschaft beschrieben wird: „von außen als ein Problem der Ordnung (für das politische Gemeinwesen)" oder „von innen als ein Problem der Gerechtigkeit (gegenüber dem besonderen Einzelnen). Wie existenzielle Feindschaft im einzelnen Fall beschrieben wird, wird nicht durch den einzelnen Fall allein bestimmt. Ob wir in ihr ein Problem der Ordnung sehen, die gesichert sein muss, oder ein Problem der Gerechtigkeit, die gewährt werden soll, hängt auch davon ab, in welchem Zustand - in welchem Zustand der Stärke sich ein politisches Gemeinwesen befindet."14 Ohne Freund keinen Feind und keine Grenzen des politischen Wir. Aus der Lebensnotwendigkeit der Grenzen erwächst eine Realdialektik der miteinander kämpfenden oder zumindest kampfbereiten Gemeinschaften, die sich durch Nichts und Niemanden aus der Welt bringen läßt. Was in Hegels rationalistischer Dialektik zuweilen als ein Gegensatz erscheint, der durch eine vermittelnde Synthese aufgehoben wird, ist in Wirklichkeit immer der Sieg der einen Seite über die andere. Aus der Geschichte der politischen Verfeindungen gibt es kein Entrinnen. Es wäre schlichter Selbstbetrug, diese Dialektik moralisch oder rechtlich pazifizieren zu wollen. Im internationalen Maßstab ist es hoffnungslos, den status naturalis durch einen status civilis überwinden zu wollen. „Wir oder die anderen" - so lautet die evidente Unterscheidung, und es geht allenfalls darum, die Grenzen des Wir zu klären.

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14

Vgl. U. Tietz, Die Grenzen des Wir. Eine Theorie der Gemeinschaft, Frankfurt/M. 2002, S. 64ff. und 234ff. Ch. Menke, Spiegelungen der Gleichheit, Berlin 2000, S. 178.

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Nicht eine kollektive Selbstverständigung über ethisch-existenzielle Ziele, sondern der Kampf mit dem Feind gibt einer Gemeinschaft darüber Auskunft, wer sie wirklich ist - frei nach dem Motto: „Nennt mir Euren Feind und ich sage Euch, wer Ihr seid." 15 Denn erst im dialektischen Kampf von Freund und Feind wird eine Gemeinschaft so auf sich zurückgeworfen, daß sie sich zu ihren Möglichkeiten und zu ihren Grenzen verhält. Die Idee von einem „ewigen Frieden", wie sie Kant vorschwebte, gehöre ins philosophische Kuriositätenkabinett, nicht aber in die Politik. Kants Idee einer auf den Prinzipien wechselseitiger Anerkennung beruhenden internationalen Friedensordnung, die auf zwischenstaatlichen Verträgen beruht und die Macht durch das Recht bändigen sollte,16 erscheint als hoffnungslose Utopie. Sein oder Nicht-Sein, das sei die Frage. Nach Schmitt bleiben die Einzelstaaten im Außenverhältnis immer im Naturzustand. Und dieser ist im Konfliktfall ein Kriegszustand. Mit Hegel und gegen Kant behauptet Schmitt, daß es ein pazifizierendes Völkerrecht schon deshalb nicht geben könne, weil jedes Recht Staatsrecht sei. Eine Rechtsstruktur zu entwickeln, die im internationalen Maßstab dem Ordnungsgefüge einer Verfassung entspricht, hält er fur aussichtslos. Recht und Verträge gibt es nur im und durch den Staat, nie aber zwischen den Saaten, so daß es beim ewigen bellum omnia contra omnes bleiben wird. Kants Idee von einem ewigen Frieden sei das Ende aller Politik.17 Nicht der Weltstaat, sondern der Prozeß der „Weltgeschichte" ist das „Weltgericht" - und der „Weltgeist" ist der „Prätor" der „Volksgeister". Dies aber als Kriegsgott und nicht als Friedensengel. 18 Im Bereich des Politischen gibt es zwischen den Staaten keinen Platz über dem Getümmel. Die Politik darf nicht „moralisiert" werden. Die Weltgeschichte ist eine Geschichte von dialektischen Widersprüchen, die sich nicht auflösen lassen, weil sie immer wieder ausgefochten werden müssen, bis es Sieger und Verlierer gibt. Gemein-

15 16

17

18

Vgl. H. Meier, Die Lehre Carl Schmitts, a. a. O., S. 88. I. Kant, Zum ewigen Frieden, in: Werkausgabe, hg. v. W. Weischedel, Bd. XI, Frankfurt/M. 1968; Vgl. V. Gerhardt, Immanuel Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden". Eine Theorie der Politik, Darmstadt 1995. Auch hier kann sich Schmitt auf ein Argument von Hegel berufen, das dieser gegen „die Kantische Vorstellung eines ewigen Friedens durch einen Staatenbund" vorgebracht hat, auf das Argument, daß das Recht, das im Staat „an und für sich ist", im Verhältnis der Staaten zueinander immer nur ein Anspruch, ein „bloßes Sollen" bleiben muß, weil es keine überstaatliche Gewalt gibt, die den Rechtsspruch erzwingen könnte. G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, Werke Bd. 7, Frankfurt/M. 1970, § 333 Anm. Vgl. ebd., § 339 und 340.

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schaftskonstitutiv ist allein das Austragen solcher dialektischer Widersprüche, in der ewigen Geschichte der wirklichen und möglichen Verfeindungen. 19 Jede politische Gemeinschaft steht danach in einem verfeindeten Gegensatz zu einer anderen Gemeinschaft, einem Gegensatz, der nicht frei wählbar, sondern in den man hineingestellt ist. Und dieser Gegensatz ist nicht das Resultat von Ja/Nein-Stellungnahmen,

sondern ein existentielles

Faktum.

Damit hat sich

Schmitt nicht auf die Behauptung festgelegt, daß der Krieg „Ziel und Zweck oder gar Inhalt der Politik" wäre oder „eine Neutralität nicht möglich oder nicht politisch sinnvoll sein könnte." Mit der Unterscheidung von Freund und Feind sagt er nur, daß die „reale Möglichkeit der Freund- und Feindgruppierung" eine Voraussetzung darstellt, „die das menschliche Handeln und Denken in eigenartiger Weise bestimmt und dadurch ein spezifisches politisches Verhalten bewirkt". Eben dies habe Hegel erkannt. Wenn es diese Möglichkeit nicht mehr gibt, soll sich auch der Begriff des „Politischen" auflösen - und damit der Begriff der „politischen Gemeinschaft". Für ein Volk liegt in der Unterscheidung von Freund und Feind

19

In diesem Universum ist kein Platz für universalistische Moral- und Rechtsprinzipien, die sich auf kontrafaktische Normativität stützen. Rechte und Pflichten kann es in dieser Perspektive schon deshalb nicht geben, weil zwischen der kollektiven Selbstverwirklichung einer politischen Gemeinschaft und den universalistischen Moral- und Rechtsprinzipien eine Kluft liegt, die nur ideologisch überbrückt werden kann. Schmitt bindet die kollektive Identität an eine ethische Interpretation des Prinzips der Volkssouveränität, das durch keine Autorität begrenzt werden soll - etwa durch den „Völkerbund", der die Volkssouveränität einzelner Staaten mit Rekurs auf universelle „Menschenrechte" einschränken könnte. Das, was sich aus der Perspektive der ersten Person Plural als das für „uns" Gute darstellt, läßt sich nicht übersteigen, weil es schon aus begrifflichen Gründen im Bereich des Politischen nichts geben kann, was fur „uns alle" gut sein könnte. Schmitt muß zwar nicht bestreiten, daß man in hermeneutischer Hinsicht ein Mitglied der universellen Gemeinschaft sein muß, damit man in politischer Hinsicht ein Mitglied von politischen Gemeinschaften sein kann - wenngleich die umstandslose Rede vom dem hinter der Grenze liegenden .Anderen" und „Fremden" nicht gerade von hermeneutischer Aufgeklärtheit zeugt. Bestreiten muß er jedoch, daß es einen internen Zusammenhang zwischen dem hermeneutischen und dem moralischen Universalismus gibt, daß in moralischer und rechtlicher Hinsicht die Mitglieder von politischen Gemeinschaften immer auch Mitglieder einer universellen Gemeinschaft sind und die Moral politiklegitimierend oder gar politiknormierend sein könnte. (Vgl. O. Höffe, Eine entmoralisierte Moral: Zur Ethik der modernen Politik, in: Politische Vierteljahresschrift 32 (1991), S. 305ff.) Das Herumfuchteln mit moralischen Prinzipien verdeckt für Schmitt nur die harte Realität des politischen Handelns. Die Moral soll es immer nur als Binnenmoral einer partikularen Selbstbehauptungsgemeinschaft geben, weshalb sich auch „die Gleichheit, die zum Wesen der Demokratie gehört, [...] nur nach innen, nicht nach außen" richten kann." (VL 227).

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„das Wesen seiner politischen Existenz. Hat es nicht mehr die Fähigkeit oder den Willen zu dieser Unterscheidung, so hört es auf, politisch zu existieren." (PB 71)

IV. Politik ist nach innen Gemeinschaftstotalitarismus20 - und nach außen Feindbestimmungspraxis. Dies ist nach Schmitt auch die Intuition von Marx und jenen, die ihm folgten. Konsequenter noch als bei Hegel selbst wird hier der dialektische Negativismus ins Politische gewendet und auf Klassen ausgeweitet, , 3 s ist eine Frage, wie lange der Geist Hegels wirklich in Berlin residiert hat. Jedenfalls hat es die seit 1840 in Preußen maßgebend werdende Richtung vorgezogen, sich eine .konservative' Staatsphilosophie, und zwar von Friedrich Julius Stahl, liefern zu lassen, während Hegel über Karl Marx zu Lenin und nach Moskau wanderte. Dort bewährte seine dialektische Methode ihre konkrete Kraft in einem neuen konkreten Feindbegriff, dem des Klassenfeindes, und verwandelte sowohl sich selbst, die dialektische Methode, wie alles andere, Legalität und Illegalität, den Staat, sogar den Kompromiß mit dem Gegner, in eine ,Waffe' dieses Kampfes. Bei Georg Lukács (Geschichte und Klassenbewußtsein 1923, Lenin 1924) ist diese Aktualität Hegels am stärksten lebendig. Lukács zitiert auch einen Ausspruch Lenins, den Hegel statt von der Klasse von der politischen Einheit eines kämpfenden Volkes ausgesprochen hätte:,Personen, sagt Lenin, die unter Politik kleine Tricks verstehen, die manchmal an Betrug grenzen, müssen bei uns die entschiedenste Ablehnung erfahren. Klassen können nicht betrogen werden.'" (BP 62f.)21 Nach Schmitt ist Marx der legitime Nachfolger Hegels, weil er es verstand, die „hegelische Methode und Dialektik [...] auf die gegenwärtige politische Wirklichkeit anzuwenden. [...] Die politische Wirklichkeit des 19. Jahrhunderts lag für Marx darin, daß der damalige Staat gar nicht Reich des objektiven und gegenwärtigen Geistes war, als das Hegel ihn erklärte, sondern teils ein Relikt historisch 20

„Die politische Demokratie kann daher nicht auf der Unterschiedslosigkeit aller Menschen beruhen, sondern nur auf der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk. [...] Die Gleichheit, die zum Wesen der Demokratie gehört, richtet sich deshalb nur nach innen, nicht nach außen." (VL 227). Oder wie Schmitt auch sagt: „Die Gleichheit aller Menschen als Menschen ist nicht Demokratie, sondern eine bestimmte Art Liberalismus, nicht Staatsform, sondern individualistisch-humanitäre Moral und Weltanschauung. Auf der unklaren Verbindung beider beruht die moderne Massendemokratie." (GLP 18f.)

21

Vgl. U. Tietz, „Gelebtes Denken" zwischen Affirmation und Kritik. Georg Lukács und der Stalinismus, in: Initial. Zeitschrift fur Politik und Gesellschaft, Heft 5 (1990), S. 517-527; ders., Zur Genesis und Kritik der Lukácsschen Demokratisierungsideologie, in: Auf der Suche nach dem Citoyen. Konzepte der Citoyenität, hg. v. V. Caysa, Frankfurt/M. 1997, S. 103-129.

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erledigter Epochen, teils ein Instrument der bürgerlichen, wesentlich ökonomisch bestimmten industriellen Gesellschaft. Es handelte sich also darum, die Wirklichkeit dieser ökonomisch existierenden bürgerlichen Gesellschaft als Moment des dialektischen Prozesses vernünftig zu begreifen. Der Hegelianer mußte, kraft spezifisch Hegelscher Folgerichtigkeit, ökonomisch werden und das Ökonomische erkennen, weil in dem dialektischen Prozeß des konkret politischen Werdens der damalige Staat, der immer noch das Monopol des Politischen zu haben schien, in Wirklichkeit bereits Opfer der List der Idee geworden war, während die aktiven Substanzen des Politischen in der scheinbar unpolitischen, ökonomisch bestimmten industriellen Gesellschaft lagen." 22 Und hier, im Ökonomischen, findet der Hegelschüler Marx die die Realdialektik vorantreibenden Kräfte. Gleichwohl bleiben Marx und die, die ihm folgten, „ganz im Rahmen Hegelischer Geschichtskonstruktionen", insofern die Evidenz, mit der Marx argumentiert, „eine dem Hegelischen Rationalismus typische Selbstgarantie" ( G L P 71 f.) ist. Hier wie dort ist „das richtige Bewußtsein [ . . . ] ein Kriterium dafür, daß eine neue Stufe der Entwicklung beginnt." Und hier wie dort ist dieses Bewußtsein ein Bewußtsein, das nicht von dieser W e l t sein kann. Denn es gründet in einer Geschichtsphilosophie, die sich als idealistische nicht begründen und als materialistische nicht bestätigen läßt. Dies ist auch der Grund, warum die Freund-Feind-Unterscheidung und das jeweilige Gemeinschaftsmodell bei Schmitt und Marx anders konzipiert sind. Bei Schmitt wird der Gegensatz von Freund und Feind stets neu gesetzt und ausgetragen, ohne letzte Versöhnung, während bei Marx am Ende aller K ä m p f e eine befreite Menschheit steht. Was Sklaven, Plebejern, Leibeigenen versagt bliebt - die Demütigung und Unterdrückung, der sie unterworfen waren, geistig und materiell nach vorn zu durchbrechen - , den Proletariern würde es gelingen. Nur wer nichts ist, kann die Gefolgschaft aufkündigen und alles werden. Indem die Proletarier unter Führung ihrer revolutionären Avantgardepartei das letzte Gefecht der Klasssengeseilschaft ruhmreich bestehen, rächen sie ihre weniger glücklichen Vorläufer und berichtigen zugleich die gesamte menschliche Vorgeschichte. Die Bourgeoisie, die alle gesellschaftlichen Verhältnisse revolutionierte, verliert den letzten K a m p f für alle Herrscherklassen und das Proletariat siegt für alle Beherrschten. Bei Marx muß also „der Klassengegensatz [ . . . ] der absolute Gegensatz werden, damit alle Gegensätze absolut werden und im Reinmenschlichen verschwinden können" ( G L P 74), während er bei Schmitt ein relativer bleiben kann, der zu keiner Zeit im Reinmenschlichen verschwindet. W i e bereits bemerkt: Politik ist bei Schmitt nach innen Gemeinschaftstotalitarismus und nach außen Feinbestimmungspraxis.

22

C. Schmitt, Hegel und Marx, in: Schmittiana 4 (1994), S. 50.

A N T H R O P O L O G I S C H E R A N S A T Z POLITISCHER THEORIEN"

13 5

Eine solche Gemeinschaft kann man als Behauptungs- und Ausgrenzungsgemeinschaft bezeichnen, im Unterschied zur Erlösungsgemeinschaft von Marx, Engels und Lenin. Diese setzt sich die Befreiung aller zum Ziel, die nicht befreit sind; jene ist als partikulare konzipiert und setzt sich die „seinsmäßige Negierung" dessen zum Ziel, was innerhalb und außerhalb der Grenzen der je eigenen Gemeinschaft als das Andere und Fremde erscheint. Dabei wenden sich beide Gemeinschaftsmodelle polemisch gegen das liberale Modell, das eine abstrakte Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz will und doch soziale Ungleichheit zur Grundlage hat. „Der Liberalismus hat den Staat zwar nicht radikal verneint, andererseits aber auch keine Staatstheorie und keine eigene Staatsform gefunden, sondern nur das Politische vom Ethischen her zu binden und dem Ökonomischen zu unterwerfen gesucht; er hat eine Lehre von der Teilung und Balancierung der .Gewalten' geschaffen, d. h. ein System von Hemmungen und Kontrollen des Staates, das man nicht als Staatstheorie oder als politisches Konstruktionsprinzip bezeichnen kann" (BP 61) - worin liegt, daß dieses Modell mit seiner individualistisch angelegten Theorie der Rechte jenen Kämpfen um Anerkennung nicht gerecht werden kann, in denen es um die Artikulation und Behauptung der politisch-existenziellen kollektiven Identität geht. Im Nationen- und im Klassenkampf gibt es keine Richter. Hier entscheidet die bloße Macht, die bei Hegel noch die des Weltgeistes war und postidealistisch aus den Gewehrläufen kommt. Dabei bleiben Marx und Schmitt der Idee der Selbstgesetzgebung durch den allgemeinen Willen als dem volonté générale treu, wie sie Rousseau entwickelt hat. Im Unterschied jedoch zu Marx, Engels und Lenin, bei denen „alle Kämpfe der Weltgeschichte in einem einzigen, letzten Kampf gegen den letzten Feind der Menschheit" (BP 73) zusammenlaufen - wobei am Ende aller Kämpfe eine universelle Gemeinschaft in Form der „befreiten Menschheit" stehen soll, da ja mit dem „Gegensatz der Klassen im Inneren der Nation [...] die feindliche Stellung der Nationen gegeneinander"23 fällt - , meint Schmitt, daß die geschichtliche Dialektik der Verfeindungen sich nicht durch eine geschichtsphilosophische Konstruktion aufheben läßt. Für Schmitt ist die Idee der klassenlosen Gesellschaft eine Utopie. Die Dialektik der Verfeindungen ist nicht aufzuheben, solange es überhaupt politische Gemeinschaften gibt. Schmitt will daher nur die Verfeindung im Inneren der Nation aufheben, nicht aber die zwischen den Nationen. Zwar würde er nicht bestreiten, daß die Schaffung einer universalistischen Wir-Gemeinschaft im Bereich des Denkbaren liegt.

23

K. Marx/F. Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, in: MEW Bd. 4, Berlin 1977, S. 479. Mit dem Verschwinden des Klassengegensatzes verschwindet bei Marx und Engels auch die Politik, denn die „politische Gewalt im eigentlichen Sinne ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer anderen". Ebd., S. 482.

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Diese Gemeinschaft wäre aber keine politische Gemeinschaft mehr. Während Marx, Engels und Lenin die universalistische Erlösungsgemeinschaft in Form der befreiten Menschheit aufbieten, in der auch der Staat als Machtorgan der jeweils herrschenden Klasse zur Unterdrückung anderer Klassen „abgestorben" sein wird, bietet Schmitt die partikulare Behauptungs- und Ausgrenzungsgemeinschaft in Form der Volksgemeinschaft auf, die die „Würde des Staates und der nationalen Einheit" wiederherstellen soll. Und diese Einheit ist nach Schmitt nur als völkische Einheit zu denken. Schmitt, der wie Marx den blinden Fleck im liberalen Gemeinschaftsmodell in dessen Verkennung der eigenen Wertgebundenheit ausmacht, setzt gegen die bloß systemische Integration der politischen Gemeinschaft einen Integrationstyp, der die politische Wir-Gemeinschaft durch die Behauptung und Ausgrenzung anderer Gemeinschaften stabilisiert - weshalb die Dialektik von Freund und Feind mit der von Exklusion und Inklusion zusammenfallt. Der „Lebenslüge des Kommunismus KEINER ODER ALLE" hält Schmitt nicht „die einfache volkstümliche Wahrheit FÜR ALLE REICHT ES NICHT" 24 entgegen, sondern die Losung: WIR ODER SIE. Damit hat er sein Gemeinschaftsmodell von zwei gewichtigen Problemen befreit, mit denen das Marxistische Gemeinschaftsmodell strukturell überfordert war: Gegenüber der universalistischen Erlösungsgemeinschaft der Marxisten kann die partikularistische Behauptungs- und Ausgrenzungsgemeinschaft der Zustimmung aller entbehren und sie muß keine befreite universelle Gemeinschaft erfinden. Ausdrücklich weist ja Schmitt mit Hegel daraufhin, daß der „Feind [...] für das Sittliche nur ein Feind des Volkes und selbst nur ein Volk sein" kann. Gegenüber dem Marxistischen Gemeinschaftsmodell, das mit der Frage steht und fallt, ob sich die politische Revolution als universelle verstehen und die Wir-Gemeinschaft so weit entgrenzen läßt, daß sie mit der Gemeinschaft aller vernünftigen Wesen zusammenfallt, behauptet Schmitt, daß die politische Gemeinschaft immer nur in den engen Grenzen des je eigenen Ethnos existieren könne. Dafür handelt er sich den Vorwurf ein, daß sich die Dialektik von Freund und Feind nur vor dem Hintergrund eines Konzepts substantieller Gleichheit plausibel machen läßt, gegen das sich nicht nur normative, sondern auch empirische Gründe geltend machen lassen.

V. In empirischer Hinsicht spricht gegen dieses Konzept, daß die hier geforderte Homogenität heute in den demokratischen Gesellschaften des Westens einfach nicht mehr vorhanden ist. Der berühmte Fremde, „der heute kommt und morgen 24

H. Müller, Germania 3 / Gespenster am toten Mann, Köln 1996, S. 32.

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bleibt",25 ist längst ein konstitutiver Bestandteil einer liberalen Einwanderungspolitik, die sich faktisch an universalistischen Prinzipien orientiert - einer Politik, die es dem Fremden erlaubt, auch ein Fremder zu bleiben. Unter den Bedingungen der Moderne gründet die Identität der politischen Gemeinschaft nicht in einer ethisch begründeten Gemeinsamkeit, sondern in den rechtlich vermittelten Interaktionen unter Staatsbürgern, die einander fremd bleiben dürfen. Und in normativer Hinsicht läßt sich gegen dieses Konzept einwenden, daß das Mitglied der Wir-Gemeinschaft nicht mehr als freier und gleichberechtigter Bürger unter Bürgern konzipiert wird, sondern als gleichartiges Glied einer Gemeinschaft, das sich im Notfall durch ein anderes ersetzen läßt - eine Konsequenz, die sich aus den Prämissen eines Gemeinschaftsmodells ergibt, das die Identität der politischen Wir-Gemeinschaft über Homogenitätsansprüche sichern will. Denn „wenn die Gleichheit der Gemeinschaftsglieder nicht formal und präskriptiv als Rechtstitel im Sinne der Gleichheit der verschiedenen Individuen vor dem Gesetz bestimmt wird, wenn sie vielmehr als seinsmäßige Gleichartigkeit der Volksgenossen verstanden wird, dann hat man den freiheitlich-rechtsstaatlichen Sinn der demokratischen Gleichheitsforderung, die liberale Idee der égalité von 1789, ersetzt durch die Gleichheitszumutung einer geschlossenen Gesellschaff ',26 die in der Doktrin des totalen Staates zum Ausdruck kommt. Gegen Schmitt Gemeinschaftsmodell spricht somit erstens das Fehlen eines angemessenen Begriffs der ethisch-politischen Selbstverständigung, da es die politische Vergemeinschaftung nicht über ein kommunikativ erzieltes Einverständnis bezüglich der Frage erklärt, was aufs Ganze gesehen für gut oder besser für „uns" ist und gegen dieses Modell spricht zweitens das Fehlen eines angemessenen Gerechtigkeitsbegriffs, da es die interne Ordnung der politischen WirGemeinschaft ohne Grundrechte des Bürgers gegenüber dem Staat plausibel machen will. Ein auf Kosten des Rechts und der Moral gelingendes Leben ist ein moralisch schlechtes Leben, weil es nicht den Spielraum eines gelingenden Lebens offenhält - zumindest nicht fur alle. Unter moralischen Gesichtspunkten betrachtet, muß jedoch der Zugang zum Guten gegenüber allen offengehalten werden - und dies schließt die Sicherung von Handlungs- und Lebensmöglich-

25

26

G. Simmel, Exkurs über den Fremden, in: ders., Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Gesamtausgabe Bd. 11, hg. v. O. Rammstedt, Frankfurt/M. 1992, S. 764-771. Vgl. D. Böhler, Die deutsche Zerstörung des politisch-ethischen Universalismus. Über die Gefahr des - heute (post-)modernen - Relativismus und Dezisionismus, in: Zerstörung des moralischen Selbstbewußtseins: Chance oder Gefährdung? Praktische Philosophie in Deutschland nach dem Nationalsozialismus, hg. vom Forum für Philosophie Bad Homburg, Frankfurt/M. 1988, S. 186.

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keiten ein, durch die allen der Zugang zu einem guten Leben offensteht.27 Genau dies schließt der Ethnonationalismus aus. Erst die Unterscheidung von Freund und Feind sollte ja aus einem „commercium" eine sich auch als politische Einheit verstehende „communio" machen, womit das innere Bild der substantiellen Gleichheit zum Spiegelbild der existenziellen Feindschaft wird. Natürlich wäre das Politische auch nicht erfaßt, wenn man es lediglich als die Fortsetzung des kommunikativen Handelns mit anderen Mitteln beschreiben würde. Das Ziel aller Politik liegt in der Durchsetzung von Interessen, die die jeweilige Gemeinschaft zu ihrer Sache macht, weshalb die Identität von politischen Wir-Gemeinschaften nicht ohne die Systemrationalität der Selbstbehauptung zu denken ist. Aber es läßt sich bei diesen Zielen eben immer die Frage stellen, ob diese Interessen auch moralisch legitim sind - weshalb die Sprache der Politik ohne die Sprache der Moral nicht auskommt. Selbst wenn man also zugesteht, daß Schmitt mit der Freund-Feind-Unterscheidung auf die harten Realitäten der Politik hingewiesen hat, muß man die Identität von politischen Wir-Gemeinschaften nicht über die Dialektik von Freund und Feind konstruieren. Die polemische Freund-Feind-Unterscheidung läßt sich nicht als Modell verstehen, mit dem sich die Dialektik von Exklusion und Inklusion und damit die Identität von politischen Wir-Gemeinschaften erklären läßt, weil es sich bei dieser Unterscheidung immer nur um ein Moment der Außenbeziehung zwischen souveränen Staaten handelt - wobei eine plausible Fassung dieser Beziehung ohnehin von den inhaltlichen und methodischen Prämissen des politischen Existentialismus befreit werden müßte.

27

M. Seel, Versuch über die Form des Glücks. Studien zur Ethik, Frankfurt/M. 1995, S. 228f.

9 Christoph Gusy „Entpolitisierung durch die Polarität von Ethik und Oekonomie" (68-78) Entpolitisierter Liberalismus oder politische Einheit?

Bevor Carl Schmitt seine Liberalismuskritik systematisiert, hat er bereits ein wesentliches Ergebnis vorweggenommen. „Der Liberalismus [...] hat ein System von Hemmungen und Kontrollen des Staates (geschaffen), das man nicht als Staatstheorie oder als politisches Konstruktionsprinzip bezeichnen kann" (BP 61). Diese These begründet und entfaltet er im 8. Abschnitt: Zunächst wird „der Liberalismus" als widersprüchlich charakterisiert (dazu I.), sodann seine Unanwendbarkeit auf den Staat behauptet (dazu II.), was letztlich die Frage nach dem Freiheitskonzept Schmitts stellt (dazu III.).1

I. Das Paradoxon des Liberalismus „Der" Liberalismus 2 ist bei Schmitt notwendig selbstwidersprüchlich und damit paradox. Die Entwicklung dieser These bildet den Ausgangspunkt seiner Kritik. Sie fragt, ob „aus dem reinen und konsequenten Begriff des individualistischen Liberalismus eine spezifisch politische Idee gewonnen werden kann" (BP 69). 1

„Über den Umgang mit Person und Werk Carl Schmitts" ist viel gestritten worden. Die folgenden Ausführungen begreifen sich als wissenschaftlicher Kommentar. Sie verfolgen daher das Gegenteil der Absicht, „das Zwielicht wieder herzustellen, in dem die Eule der Minerva ihren Flug erst aufnehmen kann" (so aber R. Hepp, in: H. Quaritsch (Hg.), Complexio oppositorum, Berlin 1988, S. 309). Vielmehr besteht die Absicht des Beitrags darin, eine wissenschaftliche, der Wahrheit verpflichtete Diskussion um Inhalt und Konsequenzen des „Begriffs des Politischen" zu ermöglichen. Sie sind also dem Streben nach Klarheit, nicht nach „Zwielicht" verpflichtet. Damit soll nicht bestritten werden, dass andere als wissenschaftliche Diskussionen von anderen als den hier genannten Prämissen ausgehen können. Doch ist eine solche Diskussion jedenfalls nicht das Anliegen der folgenden Ausführungen.

2

Ungeachtet unterschiedlicher Ausgangspunkte und Varianten des Liberalismus benutzt Schmitt an allen wichtigen Stellen den Singular.

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CHRISTOPH GUSY

Dabei legt Schmitt kein Konzept eines einzelnen liberalen Theoretikers oder einer Schule aus. Vielmehr bestimmt er den vorausgesetzten „reinen Begriff', den „Liberalismus als konsequentes, umfassendes, metaphysisches System" (GLP 45) selbst. Seine Auseinandersetzung gilt also nicht einer von anderen Autoren entwickelten politischen Philosophie, sondern einer bestimmten, von ihm aufgestellten und näher erläuterten These,3 zu welcher er eine eigene Antithese entwickelt. Zunächst wird jener „reine Begriff des individualistischen Liberalismus" entfaltet. Er nimmt den Einzelnen als „terminus a quo und terminus ad quem" (BP 70). Doch verbleibt er sodann - anders als sein Ausgangspunkt - nicht auf der bloßen Ebene der Individualethik, sondern transzendiert diese und erhebt dadurch einen sozialethischen Anspruch. Es ist namentlich dieser Umschlag, welcher den Gegenstand der Auseinandersetzung Schmitts darstellt. Die Reichweite jenes sozialethischen Anspruchs des Liberalismus wird von vornherein negativ bestimmt: Er beziehe sich nicht auf die Sphäre des Staates; im Gegenteil: Er „umgeht und ignoriert [...] den Staat und die Politik" (BP 69). Der Ort des Liberalismus ist demnach die - traditionell verstandene - Gesellschaft, welche seit dem 19. Jh. primär negativ - durch Abwesenheit von Staat und Herrschaft qualifiziert wurde. Als ihre positiven Charakteristika hatten seitdem Privatinteresse und ökonomische Freiheit gegolten.4 Doch wirkt er dort faktisch selbstwidersprüchlich. Schmitt zeigt auf, dass der Liberalismus ungeachtet seines eigenen Anspruchs das Gegenteil gesellschaftlicher Freiheit hervorbringt. Sein Ausgangspunkt ist die Dichotomisierung zweier „heterogener" gesellschaftlicher Sphären: „die Polarität von Ethik und Wirtschaft" (BP 69). Zwar sind danach beide „Pole Ethik und Ökonomik" gegensätzliche Ausstrahlungen desselben „Mittelpunktes" (BP 70). Doch sind sie ungeachtet ihrer gemeinsamen Herkunft nicht gleichgerichtet, sondern „gegensätzlich". Jener gemeinsame Ausgangspunkt ist der Einzelne. Das Individuum bildet danach den maßgeblichen Bezugspunkt sowohl der 3

Von daher bleibt es für eine wissenschaftliche Diskussion unerheblich, ob Schmitt die Auffassungen liberaler Autoren zutreffend wiedergibt oder ob der von Schmitt beschriebene „Liberalismus" überhaupt von irgendeinem Autor - oder gar einem solchen, der sich selbst als „liberal" bezeichnet oder den Anspruch darauf erhebt, eine Theorie des Liberalismus zu entwickeln - mit dem von Schmitt beschriebenen Bedeutungsgehalt vertreten wird. Auf die Untersuchung dieser Frage kann und muss hier daher verzichtet werden. Zur Klärung der Anliegen der politischen Philosophie, zur Diskussion um Berechtigung und Inhalt tatsächlich vertretener Liberalismuskonzepte beizutragen, ist auch nicht der Anspruch Schmitts.

4

Hegel, Philosophie des Rechts, 1821, S. 154ff.; s. a. ders., Rechtsphilosophie (ed. Ilting 1973), S. 308ff. Zu Rezeption und Konsequenzen E.-W. Böckenförde (Hg.), Staat und Gesellschaft, Darmstadt 1976.

,ENTPOLITISIERUNG DURCH DIE POLARITÄT VON ETHIK UND OEKONOMIE"

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liberalen Ethik als auch der liberalen Ökonomie. Diesseits des gemeinsamen Ausgangspunktes nehmen sie jedoch unterschiedliche Wege, woraus das Paradoxon des Liberalismus hergeleitet wird. Der ethische Liberalismus geht danach von einem „konsequenten Individualismus" (BP 69) aus. Seine ureigene Sphäre sind Ethik, Geist und Bildung (BP 69), sein Medium ist die Diskussion (BP 70f.), sein zentrales Instrument das Pathos (BP 72). Die Eigenarten dieser liberalen Diskussion hatte Schmitt zur Zeit der Entstehung der Erstfassung von BP so umrissen (GLP 45f.): Sie gehe von der Möglichkeit aus, dass aus dem „freien Kampf der Meinungen" die Wahrheit entstehe. Eine solche Wahrheit sei aber notwendig stets relational zum Diskussionsstand: Eine Wahrheit, die zu einer bloßen Funktion eines ewigen Wettbewerbs der Meinungen wird, kann demnach selbst keine ewige sein.5 Im Gegenteil: Liberale Diskussion bewirke hinsichtlich der Wahrheitsfrage notwendig „den Verzicht auf ein definitives Resultat". Daraus werden nun die Konsequenzen gezogen: Der ethische Liberalismus kann nicht unter dem Anspruch der Wahrheit auftreten, sondern muss diesen notwendig zurücknehmen. Seine Ansprüche reduzieren sich danach auf „Diskussion" bzw. Diskutierbarkeit, „Geistigkeit" (BP 70), Ideale, Programme (BP 71) bzw. eben das Pathos (BP 70). Dies wiederum begründe zwei Spezifika des ethischen Liberalismus: Da sei zunächst sein Hang zur Kritik, zu „kritischem Misstrauen gegen Staat und Politik" (BP 69), zum „Pathos gegen Politik und Staat" (BP 75), zum „Vorwurf' (BP 72). Diese Haltung habe zwar historisch eine Grundlage dafür gelegt, die Reste des absolutistischen Staates und einer Feudalaristokratie zu erledigen (BP 75). Doch habe es danach der liberalen Ethik an der Kraft gefehlt, an die Stelle des alten, überwundenen Systems ein neues, eigenständiges politisches System zu setzen. Daraus sei als zweites Spezifikum die Neigung des ethischen Liberalismus zur Behauptung unterschiedlicher „Autonomien" des menschlichen und politischen Lebens entstanden; genauer: der Auflösung der ursprünglichen Gesamtheit des politischen Denkens in unterschiedliche gedankliche und begriffliche Teilsysteme. Aus dem Staat wird die „Gesellschaft", aus dem Kampfziel ein „Ideal" oder „Programm", aus dem Volk ein Publikum isoliert (BP 71). Diese liberale Haltung erscheint zunächst konsequent: Wer auf die absolute Wahrheit verzichtet, muss nicht notwendig auf relative (Teil-)Wahrheiten ver-

5

Zu den liberalen Wahrheitskonzepten K. R. Popper, Logik der Forschung, 9. Aufl. Tübingen 1989, Kap. I, IV, VI; H. Albert, Traktat über kritische Vernunft, 5. Aufl. Tübingen 1991, Kap. II, III. Beide gehen von Konzepten lediglich relativer Wahrheiten aus, ziehen daraus aber andere Konsequenzen als der Liberalismus-Kritiker Schmitt, der die von ihm selbst vorausgesetzten und in Anspruch genommenen Wahrheiten keineswegs als bloß relative sieht.

142

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ziehten. 6 Für Schmitt steht jedoch ein anderer Aspekt im Vordergrund: Jene Konzentration auf die Teile und ihre immanenten Teilwahrheiten lässt das Ganze aus dem Blickfeld des ethischen Liberalismus verschwinden. Diskursive Autonomisierang von Teilen führe zu Spezialisierung und völliger Isolierung in jeweils eigene Sphären, deren relative Selbständigkeit nicht nur gegenüber dem Ganzen, sondern auch untereinander behauptet werde. Einerseits unterlägen Moral, Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft unterschiedlichen Eigengesetzlichkeiten, welche untereinander nicht einfach transmissibel seien. Andererseits werde von der liberalen Ethik wegen ihrer Konzentration auf Teilwahrheiten und autonome Lebensbereiche das überwölbende Ganze ausgeblendet. Deshalb kenne der Liberalismus letztlich keine allgemeingültigen ethischen Maßstäbe. Darin liege sein Dilemma: Er löse den eigenen Anspruch nicht ein, da ihm sowohl allgemein-gültige als auch zwischen unterschiedlichen autonomen Lebensbereiche transmissible Maßstäbe fehlten. Letztlich bleibe ihm nichts anderes als der Verweis der einzelnen Lebensbereiche auf die ihnen immanenten Eigengesetzlichkeiten. Dass z. B. „Produktion und Konsum, Preisbildung und Markt ihre eigene Sphäre haben und weder von der Ethik noch [...] von der Politik dirigiert werden können, gilt als eines der wenigen [...] Dogmen dieses liberalen Zeitalters" (BP 71 f.). Ethischer Liberalismus ist fur Schmitt der Liberalismus des Wortes. Als sein nahezu ausschließliches Charakteristikum bleibt das „Pathos". Das so entstehende Dilemma aus pathetischem Anspruch und materialer Ergebnisarmut mündet in eine Aporie ein: Liberale Ethik postuliert, was sie selbst inhaltlich nicht konkretisieren kann. 7 Der wirtschaftliche Liberalismus nahm demzufolge denselben historischen Ausgangspunkt. Er ging aus der ethisch motivierten Kritik an staatlicher und politischer Herrschaft bzw. Gewalt gegenüber der „individuellen, prinzipiell unbegrenzten Freiheit des Privateigentums und der freien Konkurrenz" (BP 70) hervor. Positives Ziel jener Kritik sei es gewesen, die Bedingungen der Freiheit zu sichern und Störungen der Freiheit zu beseitigen. Seitdem habe sich der ökonomische Sektor frei und nach den ihm immanenten Eigengesetzlichkeiten entwickelt. Deren Grundelemente seien (freie) Konkurrenz, ein nach einheitlichen Gesichtspunkten organisiertes Produktions- und Verkehrssystem, ökonomische Kalkulation und Kontrolle (BP 70f.). Die Entfesselung dieser Eigengesetzlich6

Dies fuhrt nach Schmitt zu einer liberalen Zurücknahme von Wahrheitsansprüchen und einer gewissen Konzentration auf Sekundärkriterien. Diese Entwicklung beschrieb er andernorts am Beispiel von Wahrheit, Diskussion und Öffentlichkeit (GLP 46ff.).

7

Als Beispiel dafür liest der Autor den von ihm beschriebenen Liberalismus in den Versailler Vertrag hinein, dessen angeblich ethische Ansprüche er dem Liberalismus zuordnet und sie zugleich als omamentale Begrifïlichkeiten und politische Täuschung hinstellt (BP 72).

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keiten führte danach sowohl zum Sieg des liberalen Wirtschaftsbürgertums über den niedergehenden Feudalstaat als auch zur Entstehung einer nach liberalen Gesichtspunkten organisierten autonomen Sphäre: der Gesellschaft (BP 75). Deren Eigengesetzlichkeit wurde demzufolge primär negativ beschrieben: Sie sollte vom Staat verschieden, also nicht-staatlich verfasst sein. Ihr fehlten diejenigen Eigenschaften, welche der Liberalismus ex origine abgelehnt habe: Krieg, Gewalt, Herrschaft. Schwieriger erschien Schmitt hingegen eine positive Charakterisierung ihrer Eigenheiten: Abwesenheit von Kriegen in der Wirtschaft sei von der liberalen Ökonomie als Konkurrenz, Abwesenheit von Herrschaft als Tauschgerechtigkeit, Staatsfreiheit als Freiheit ausgegeben worden (BP 75f.). Als positive Ziele der wirtschaftlichen Eigengesetzlichkeiten seien vom Liberalismus insbesondere Gegenseitigkeit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Frieden postuliert worden (BP 76f.). Vor der Folie jener selbstgesteckten Ziele sei der Liberalismus selbstwidersprüchlich geworden: Einerseits sei er von der Erwartung ausgegangen, durch den Verweis der Ökonomie auf ihre Eigengesetzlichkeiten würden „die soziale Harmonie der Interessen und der größtmögliche Reichtum sich von selbst ergeben" (GLP 45). Andererseits habe sich in der Wirklichkeit eine genau entgegengesetzte Entwicklung gezeigt: Der Begriff des Tausches habe es keineswegs ausgeschlossen, dass einer der Kontrahenten einen Nachteil erleide und ein System gegenseitiger Verträge sich schließlich in ein System der schlimmsten Ausbeutung und Unterdrückung verwandelte (BP 76). Diesen - wegen der „Eigengesetzlichkeiten der Wirtschaft" wahrscheinlich unausweichlichen - Widerspruch aus Anspruch und Wirklichkeit charakterisiert Schmitt als „furchtbaren Betrug": „Auf die Heiligkeit der Verträge und den Satz pacta sunt servanda berufen sich leider auch Wucherer und Erpresser" (BP 76). Der liberale Betrug liege letztlich darin, dass diese faktische Entwicklung zur Unfreiheit sich unter der verbalen Behauptung der Freiheit vollziehe. Auch dieses Dilemma ist für Schmitt letztlich unvermeidlich. Da der ethische Liberalismus über keine allgemein-gültigen Maßstäbe verfuge, müsse er die Ergebnisse der Eigengesetzlichkeiten autonomer Lebensbereich hinnehmen. Und die Wirtschaft sei in besonderer Weise autonom: Ethischer Liberalismus erscheint bei Schmitt als ein solcher des Wortes, wirtschaftlicher Liberalismus als ein solcher der Tat. Insoweit befinden sich beide Sphären tatsächlich in einem Verhältnis „wechselseitiger Polarität". Da der liberalen Ethik für autonom gedachte Lebensbereiche die inhaltlichen Maßstäbe fehlten, bleibe ihr angesichts der faktischen Selbstwidersprüchlichkeit von Anspruch und Wirklichkeit letztlich nicht die Berufung auf Wahrheit, sondern allein das „Pathos". Darin liegt für Schmitt das Paradoxon des Liberalismus: Seine faktischen Konsequenzen stehen in einem notwendigen Gegensatz zu seinem verbalen Anspruch. Das Ideal der Freiheit kennt zwar ein Mehr oder Weniger an individueller Freiheit.

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Doch ist es als gesellschaftliches Gestaltungsprinzip letztlich leer und ohne inhaltliche Maßstäbe. Der maßgebliche Grund liegt für Schmitt im Ausgangspunkt: Sein Begriff des Liberalismus geht von einem „konsequenten Individualismus", der „individuellen Freiheit" (BP 69) aus und entstammt so ausschließlich der Individualethik. Liberalismus ist danach weder staats- noch gesellschaftsbildend, sondern ausschließlich -kritisch. Daraus wird die Konsequenz gezogen, der so beschriebene Liberalismus sei als sozialethische Idee schlechthin untauglich. Dies wird vom Autor historisch zu untermauern versucht: Beim Abbau des Feudalstaates habe der Liberalismus seinen Siegeszug nicht deshalb davon getragen, weil er die überlegene Idee gewesen sei, sondern deshalb, weil er sich der von ihm eigentlich abgelehnten politischen Mittel bedient und mit den aufsteigenden Schichten verbündet habe (BP 74). Letztlich habe er so seine Erfolge einem tendenziell opportunistischen Verhalten verdankt, indem er sich in verschiedenster Weise mit nichtliberalen Kräften verbündet habe (BP 68). Charakteristischerweise habe er in der Stunde des Erfolges - 1848 - denn auch eine widerspruchsvolle Haltung eingenommen. Daraus wird die - keineswegs nur historische - Unmöglichkeit hergeleitet, in der Idee des Liberalismus „ein politisches Prinzip oder eine gedankliche Konsequenz" (!) zu erkennen (BP 69). Hier zeigt sich ein Umschlag von der historischen zur theoretischen Kritik des Liberalismus. Schmitt begrenzt dessen Anwendbarkeit strikt auf die Individualethik und spricht ihm jede Verwendbarkeit als sozialethische Idee ab: Eine liberale Gesellschaft ist danach entweder eine Summe individueller, ihre je eigenen Prinzipen lebender Monaden - oder sie ist nicht. Die Idee einer liberalen Gesellschaft ist für Schmitt ein Widerspruch in sich: Wenn die Menschen liberal handeln, kann die Gesellschaft nicht liberal sein, sondern mündet in eine unsichtbare und unverantwortliche Herrschaft auf ökonomischer Grundlage (BP 76). In diesem Sinne ist es gewiss zutreffend, wenn Schmitt seinen Ausgangspunkt beim „Liberalismus des letzten Jahrhunderts" nimmt (BP 68). Für die Gegenwart spricht er dem Liberalismus die Entwicklungsfähigkeit zu einer sozialtheoretischen Idee wegen seiner ungeeigneten Ausgangspunkte per se ab. Damit werden nicht nur soziatheoretische Fortentwicklungen des Liberalismus im 19. Jh. abgeschnitten, sondern - wichtiger - auch solche des 20. Jh,. wie etwa der Ordoliberalismus sowie die liberalen Varianten der Vertragstheorie und des NeoInstitutionalismus, als theoretische Unmöglichkeit ausgeblendet. Aufgrund der von Schmitt diagnostizierten theoretischen Immanenz seines Liberalismuskonzepts scheidet dieses eben nicht nur als historisches, sondern gerade auch als aktuelles soziales Deutungsmuster oder Gestaltungsprinzip aus. Die vorausgesetzte Dichotomisierung von ethischem und ökonomischem Liberalismus führt diesen letztlich in ein unauflösliches Paradoxon: Er postuliert ethisch die Freiheit und bringt selbst ökonomisch Unfreiheit hervor, ohne dies immanent erkennen, geschweige denn vermeiden zu können. Ein „konsequenter"

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Liberalismus8 ist also weder zur Selbstkritik noch zur Selbstkorrektur in der Lage. Als solcher teilt er für Schmitt das Schicksal seiner wichtigsten politischen Hervorbringung, des Parlamentarismus: Er hat „seine bisherige Grundlage und seinen Sinn verloren" (GLP 63).

II. Die Unübertragbarkeit des Liberalismus auf den Staat Ist der Liberalismus demnach kein Prinzip der Sozialethik, so ist er erst recht nicht auf den Staat übertragbar. Diesen Schluss begründet Schmitt sowohl praktisch als auch theoretisch. Die praktischen Begründungen setzen bei der Rolle des Staates gegenüber der liberalen Gesellschaft ein. Hier treten intendierte und nicht-intendierte Wirkungen teils neben-, teils gegeneinander. Die ersteren bezögen sich auf die dem Staat vom Liberalismus zugedachte Rolle: Sie „beschränkt sich darauf, die Bedingungen der Freiheit zu sichern und Störungen der Freiheit zu beseitigen" (BP 70). Staatliches Handeln soll also darauf gerichtet sein, Rahmenbedingungen für die Entfaltung individueller Freiheit zu sichern und im übrigen deren Verwirklichung mit seinen spezifischen Mitteln durchsetzen. Doch könne dem Staat daneben noch eine weitere, nämlich eine Reservefunktion zukommen. Sie beziehe sich auf den von Schmitt als notwendig vorausgesagten Fall des Eintritts gesellschaftlicher Unfreiheit unter den Bedingungen des Liberalismus im Zeichen ökonomischer Ausbeutung und Unterdrückung. Gegen diesen „furchtbaren Betrug" könnten sich die Unterdrückten nicht mit ökonomischen, sondern allenfalls mit außerökonomischen Mitteln wehren, was wiederum die wirtschaftlich Mächtigen mit allen Mitteln zu verhindern trachten würden. In diesen Fällen verliere der Liberalismus sein ureigenes Gebiet: An die Stelle des Vertrages trete der Konflikt, an die Stelle des Tausches der Kampf. Hier zeigten sich die „engen Grenzen" und das „spezifische Gebiet" der liberalen Prinzipien. Im Falle des Versagens der liberalen Märkte erlangten also die - nicht liberal gedachten Sphären von Staat und Politik ihr eigenes Recht. Diese seien also nicht bloß Garanten, sondern auch mögliche Korrektive liberaler Prinzipien. In der letzteren Rolle stünden sie offenbar allein: Schmitt nennt neben ihnen kein anderes Korrektiv. Damit träten aus liberaler Sicht intendierte und nicht-intendierte Wirkungen der Politik in einen Gegensatz: Während diese eigentlich eine unterstützende

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Schmitts methodisches Vorgehen (s. o. Anm. 2, 3) enthebt ihn der Notwendigkeit, sich mit einzelnen liberalen Theoretikern und ihren individual- wie auch sozialtheoretischen Ansätzen auseinander setzen zu müssen. Dies geschieht denn auch allenfalls assoziativ-exemplarisch (etwa BP 75) oder durch bloßen Verweis auf andere Liberalismuskritiker (etwa BP 69).

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und fördernde Haltung einnehmen solle, wirke sie zugleich als einzige Instanz, welche dem Liberalismus wirksam Schranken ziehen könne. In der letzten Rolle erscheint der nicht-liberale Staat geradezu als ultimum refugium libertatis ausgerechnet gegenüber demjenigen System, welches die Freiheit auf seine Fahnen geschrieben hat: dem Liberalismus. In diesem Sinne erscheinen Politik und Staat als Konkurrenten der liberalen Ökonomie bei der Gestaltung des Gemeinwesens. Diese Konkurrenten könnten dem Liberalismus nicht gleichgültig sein. Vielmehr liege es in seiner von Schmitt vorausgesetzten Logik als „umfassendes metaphysisches System", die liberalen Prinzipien auch auf den Staat auszuweiten. Dies geschehe durch den Versuch, die Grundlagen der liberalen Ideen auf das politische System auszudehnen. Ausgangspunkt hierfür sei die dem Liberalismus vorausliegende Idee vom guten Menschen,9 also seine anthropologische Vermutung von der natürlichen Güte des Menschen (BP 60). Diese - Schmitts eigener Anschauung entgegengesetzte (BP 59f.) - Grundannahme sei nach liberaler Anschauung nicht gegenständlich begrenzt oder beschränkt, sondern prinzipiell umfassend. Wo also die Menschen prinzipiell gut seien, seien es auch ihre Handlungen und die sich daraus ergebenden sozialen Ordnungen. In dieser konsequenten Stilisierung hätte es für Schmitt nahegelegen, die Überflüssigkeit des Staates fur den Liberalismus zu postulieren: Wo die Menschen von selbst das Gute erkennen, in dieser Erkenntnis übereinstimmen und freiwillig nach dieser Erkenntnis handeln, wäre jede externe Intervention ein Rückschritt und kontraproduktiv.10 Doch stilisiert Schmitt den Liberalismus so nicht. Zwar betont er, der „staatsfeindliche Radikalismus wächst in dem gleichen Grade wie der Glaube an das radikal Gute der menschlichen Natur" (BP 61). Allerdings sei der „bürgerliche Liberalismus" niemals „in einem politischen Sinne radikal" gewesen (BP 61). So sei er denn auch keine Idee zur Abschaffung des Staates geworden, sondern zur geistigen Basis für „ein Argument,

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Diese Idee ist von Schmitt vielfach weiterverfolgt worden. Die Untersuchung von Staatstheorien darauf, ob sie von der Prämisse des „natürlich" „guten" oder aber „bösen" Menschen ausgehen, stellt einen zentralen Gegenstand seines Werkes dar. S. ders., PT 69ff.; D 9, 109, 112ff„ 123, 148. Aus der Sekundärliteratur beschreibend R. Mehring, Carl Schmitts Lehre von der Auflösung des Liberalismus, in: Zeitschrift für Politik 38 (1991), S. 200-216. Als Einleitung in diese Auseinandersetzung wählte Schmitt gern ein Zitat des - nicht-liberalen - T. Paine, nach welchem die Gesellschaft das Resultat unserer „vernünftig geregelten Bedürfnisse", der Staat hingegen das „Resultat unserer Laster" sei (BP 61 unter Hinweis auf Die Diktatur (D 114)). Ungeachtet seines anders gearteten Ausgangspunktes und Bezugsrahmens sei jener Satz „so formuliert, dass er aus dem 19. Jh. stammen könnte".

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Ganz in dieser Richtung beschreibt Schmitt den „liberalen" Übergang von der politischen Ordnung hin zu einem Zusammenleben von Händlern und Diskutanten (BP 76f.).

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mit dessen Hilfe der Staat in den Dienst der Gesellschaft gestellt wird" (BP 60); genauer: „ihr misstrauisch kontrollierter, an genaue Grenzen gebundener Untergebener".11 Damit wäre das vorausgesetzte Ziel des Liberalismus erreicht: Nämlich einerseits die Verwirklichung seiner Erwartungen, mit Hilfe des Staates die Bedingungen der Freiheit zu sichern und gegen Störungen zu schützen; andererseits die Rolle des Staates als Korrektiv des Liberalismus auszuschalten. Damit ist fur Schmitt praktisch dargetan, warum die politischen Ideen des Liberalismus auf den Staat unanwendbar sind: Sie würden den Staat seiner Korrektiv- und Reservefunktion in der Gesellschaft, welche angesichts des zuvor geschilderten Paradoxons des Liberalismus eine gesellschaftliche Notwendigkeit darstellten, entheben. Der Staat wäre dann nicht mehr die - nota bene: einzige - Instanz zur Auflösung jenes Paradoxons, sondern nähme an ihm teil und würde somit selbst paradox: Er würde zum ethisch postulierten Staat der Freiheit und zugleich notwendig unfrei. Zur ökonomischen Unfreiheit der Unterdrückten käme so die politische. Jene vergleichsweise triviale Einsicht wird von Schmitt theoretisch überhöht. Dies ist die Basis seiner Lehre vom prinzipiellen Gegensatz zwischen den Ideen des Liberalismus und denjenigen der Staatstheorie sowie der prinzipiellen Unfähigkeit des Liberalismus, ein geistiges System hervorzubringen, das man „als Staatstheorie oder als politisches Konstruktionsprinzip bezeichnen kann" (BP 61). Diese Unfähigkeit kann Schmitt nicht aus der prinzipiellen Unrichtigkeit der liberalen Ideen gegenüber seinem Begriff des Politischen herleiten: Beide beschreiben fur ihn nicht dasselbe, sondern Unterschiedliches.12 Die Richtigkeit des einen macht das andere nicht unrichtig. Vielmehr tritt Schmitt in eine Folgendiskussion ein. Für ihn sind die Folgen der Koexistenz eines „konsequenten Liberalismus" und der Anerkennung seines Konzepts vom Politischen als Grundprinzip des Staates unvereinbar - zum Nachteil des ersteren. Dafür sieht er zwei Gründe: Der Liberalismus verfehle das Prinzip des Politischen, da er zunächst von außen die politische Ordnung ihrer spezifischen Eigenheit, nämlich der Möglichkeit einer Feind-Erklärung, beraube, und die politische Einheit zudem von innen durch seine Konzentration auf soziale Teilordnungen die politische Einheit nicht stärke, sondern auflöse. Die „äußere" Entpolitisierung des Politischen vollzieht sich nach Schmitt namentlich durch den ökonomischen Liberalismus. Dieser denke ausschließlich 11

Die Mittel und Wege hierzu von Schmitt (BP 76f.) eher angedeutet als ausgeführt und in diesem Kontext zugleich als bloße Rabulistik („Essentiell unkriegerisch [...] ist nur die Terminologie") denunziert.

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Aus der analytischen Isolierung des Politischen als spezifische Eigenheit einer bestimmten sozialen Ordnungseinheit, eben des Staates, durch Schmitt leiten andere Autoren her, dass seine Lehre letztlich auf dem Boden des Liberalismus stehe. Dazu H. Hofmann, Recht-Politik-Verfassung, Frankfurt 1986, S. 212,218 (Nachw.).

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ökonomisch in den Kategorien von Kalkulation, Konkurrenz, genauer: „ewiger Konkurrenz und ewiger Diskussion" (BP 71). Solche letztlich vom KostenNutzen-Kalkül und dem Prinzip der Nutzenoptimierung geleiteten Sozialmodelle setzen allerdings die physische Existenz und Handlungsfähigkeit nicht nur des Überlegenen, sondern auch des Unterlegenen voraus: Der Mensch, von dem man ökonomisch profitieren möchte, muss physisch vorhanden und jedenfalls insoweit leistungsfähig sein, als dass sein Handeln zur Quelle wirtschaftlichen Profits werden kann. Im Sinne einer ausschließlich am ökonomischen Nutzen orientierten Betrachtungsweise bedeutet dies jedenfalls: Wer mit anderen gerechte oder ungerechte Verträge abschließen und Handel treiben will, muss die physische Existenz des anderen ebenso voraussetzen wie seine prinzipielle Fähigkeit zur Teilnahme am Wirtschaftsleben. Und wer andere - immer noch in der Logik der liberalen Ökonomie - äußerstenfalls zum Gegenstand von „Wucher und Erpressung" (BP 76) machen will, setzt immerhin voraus, dass der andere irgend etwas haben oder tun kann, wofür sich dieser Aufwand lohnt. Geht somit liberale Ökonomie von der Existenz wirtschaftlich Mächtiger und Ohnmächtiger aus, so gilt vor der Folie des Kosten-Nutzen-Kalküls zugleich: Die (potentielle) Existenz eines Wirtschaftssubjekts ist günstiger als seine Nicht-Existenz und damit seine Vernichtung. Infolge dieser Basisannahme des Liberalismus wird sein Denken ebenso wie sein Vokabular notwendig unkriegerisch (BP 74): Der Krieg wird nicht nur sinnlos, er wird sogar nachgerade sinnwidrig, da er vernichtet, was für die liberale Ökonomie notwendig ist: nämlich (potentielle) Wirtschaftssubjekte und (potentielle) Wirtschaftsgüter. So gerät die Logik der Wirtschaft notwendig in den Gegensatz zur Logik des Politischen. Insbesondere die beiden wichtigsten Existenz- und Handlungsformen des Politischen, nämlich die Möglichkeit der Feinderklärung sowie die Fähigkeit und Bereitschaft zum Krieg gegen den Feind, erscheinen im Sinne des ökonomischen Liberalismus als sinnwidrige und daher zu vermeidende Handlungsformen. Schon das wirtschaftliche Kalkül erscheint danach als Idee der Kriegsvermeidung, des Unkriegerischen. Als umfassende Idee muss der ökonomische Liberalismus demnach darauf gerichtet sein, Vorkehrungen zu schaffen, welche Feind-Konstellationen und Kriege vermeiden. Diese Logik sieht Schmitt als Tradition des liberalen Verfassungsdenkens. Es sei eben nicht in seinem Sinne essentiell politisch, sondern entpolitisierend und in seinen Intentionen darauf gerichtet, „ein System von Hemmungen und Kontrollen des Staates" zu postulieren, „das man nicht als Staatstheorie oder als politisches Konstruktionsprinzip bezeichnen kann" (BP 61). Ökonomischer Liberalismus richtet sich demnach nicht zentral gegen den Staat in seiner Eigenschaft als politische Einheit, entkleidet ihn aber durch Bindungen von außen der Möglichkeit zum politischen Handeln und macht ihn dadurch politisch sinnlos.

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Jene Entpolitisierung des staatlichen Handelns durch den ökonomischen Liberalismus wird zudem ergänzt durch die Auflösung der politischen Einheit des Staates durch die liberale Ethik. Dafür spricht zunächst die Tatsache, dass es - nach Schmitt - dieser Ethik gegenüber der liberalen Ökonomie an kritischen sozialtheoretischen Maßstäben fehlt. Sie kann und will der liberalen Logik nicht entrinnen und daher der ökonomisch begründeten „unpolitischen" Haltung des Kosten-Nutzen-Denkens nichts entgegensetzen. Im Gegenteil: Sie verstärkt nach Schmitt sogar die negierenden Tendenzen des Liberalismus gegenüber dem Staat und führt letztlich nicht allein zur Paralysierung, sondern sogar zur Auflösung der politischen Einheit. Grundlage dafür ist das reduzierte Wahrheitskonzept der liberalen Ethik: Da ihre Wahrheiten keine absoluten, sondern stets nur relative seien, fehle ihr die Fähigkeit, letzte, absolute bzw. ganzheitliche Wahrheiten zu erkennen oder auch nur zu diskutieren. Angesichts der oben beschriebenen Eigenschaft des ökonomischen Liberalismus, lediglich soziale Teilordnungen mit ihren je immanenten Autonomien hervorzubringen,13 sei die liberale Ethik demnach zwar fähig, die immanenten Teilwahrheiten der Teilordnungen zu erkennen und zu diskutieren; sie sei aber zugleich unfähig, den dahinter liegenden absoluten Wahrheiten der Gesamtordnung, also der politischen Sphäre, zur Geltung zu verhelfen. Damit fehle der liberalen Ethik die Fähigkeit, den qualitativen Sprung von der Wahrheit der Teile zur Wahrheit des Ganzen zu vollziehen und vor diesem Hintergrund die realen Wirkungen des Liberalismus zu sehen: nämlich die Auflösung des Politischen. Dieses beziehe sich nämlich notwendig auf die Gestaltung des sozialen Ganzen. Die maßgebliche politische Einheit sei der Staat, und dass er diese sei, beruhe auf seinem politischen Charakter (BP 44). Als solcher sei er notwendig eine Einheit des Ganzen und nicht seiner Teile; „es gibt nur eine politische Einheit, eine politische Gemeinschaft" (BP 45). Zu deren Erkenntnis sei aber nur in der Lage, wer seinem eigenen Anspruch und Ansatz nach überhaupt zur Erkenntnis des Ganzen und des in ihm angelegten absoluten Wertes befähigt. Da dies für die liberale Ethik nicht zutreffe, verkenne sie die ganze Wahrheit um der Einzelwahrheiten willen. Sie schlage sich damit in der Diskussion um das Politische und seine Gestaltung notwendig auf die falsche Seite: auf die Seite der Wirtschaft statt des Staates, auf die Seite der Teile statt des Ganzen, auf die Seite der Autonomien statt der Einheit. So postuliere sie letztlich einen inneren Pluralismus der sozialen Ordnungen (BP 44ff.). Ein solcher allerdings stehe in Widersprach zum Wesen des Politischen: Es verlange nach einer politischen, souveränen Einheit; und diese „Einheit ist eben ihrem Wesen nach die maßgebliche Einheit [...]. Sie existiert oder sie existiert nicht"

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(BP 43). Wer diese politische Einheit auflöst, postuliert danach eine „Theorie der Auflösung oder Widerlegung des Staates" (BP 44). Steht somit die Eigenheit des Politischen den Konsequenzen des Liberalismus notwendig entgegen, so gibt es nach Schmitt nur die Alternative, das Entweder Oder, die Entscheidung. Hier nun gerät seine Argumentation an ihre zentrale Schwierigkeit: Die immanente Logik des Liberalismus ist weder zu bestreiten noch zu widerlegen. Wer sich auf seine Prämissen einlässt, gelangt notwendigerweise zu seinen Schlüssen. Entscheidend ist demnach die Prämissenwahl. Schmitts Ausgangspunkt ist nicht der Einzelne, sondern der Staat. Als maßgebende politische Einheit hat er seinen Wert und seine Existenzberechtigung nicht in der Richtigkeit oder Brauchbarkeit von Normen, sondern in seiner Existenz: Was als politische Größe existiert, ist juristisch betrachtet wert, dass es existiert (VL 22). Dieser juristisch-politische Existenzialismus setzt Dasein und Handlungsfähigkeit bestimmter Einheiten als notwendig voraus. Die Notwendigkeit des Staates basiert in der Eigenheit und Notwendigkeit des Politischen: Ohne das Politische kann die Existenzberechtigung des Staates danach gar nicht gedacht werden. Die Bestreitung der Eigenheit und Eigenwertigkeit des Politischen negiert demnach zugleich Notwendigkeit und Existenz des Staates und damit einer Einheit, die ihren Wert in sich trägt. Diese Prämissensetzung kennzeichnet Schmitts Liberalismusdiskussion. In ihr ist allerdings sein Argumentationshaushalt notwendig begrenzt. Dies ergibt sich aus seinen beiden Prämissen: Einerseits seinem Existenzialismus, der einen Wert voraussetzt, ohne ihn wirklich diskutieren zu können, und andererseits seiner „Begriffssoziologie", die ihn vom „positiven Verfassungsbegriff' (VL 20) über den „Begriff des Politischen" zum „Begriff des Staates" (BP 20) führt. Dieses hermetische Gedankengebäude kann zwar über eine immanente Logik verfügen, doch wird diese vom Liberalismus überhaupt nicht in Frage gestellt. Er bestreitet vielmehr aus Schmitts Sicht die Voraussetzungen seines Denkens und damit die Berechtigung seiner Schlüsse insgesamt. Dem sucht seine Gegenargumentation Rechnung zu tragen. Sie konzentriert sich auf zwei Punkte. Da ist zunächst die immanente Widersprüchlichkeit des Liberalismus, welche er aus der Unverbundenheit und Widersprüchlichkeit von ethischem und ökonomischem Liberalismus herleitet.14 Dies speist sein erstes liberalismuskritisches Argument: Was immanent widersprüchlich ist, kann gegenüber seinen eigenen Ideen zumindest nicht überlegen sein. Da ist sodann ein weiteres Argument, das aus den von ihm diskutierten Schlussfolgerungen hergeleitet wird. Die Überlegenheit seines eigenen Denkens folgt für ihn letztlich aus der Tatsache, dass seine Ideen leisten, was „der Liberalismus" angeblich nicht leisten kann: nämlich die Begründung einer Sozialethik. Schmitts „Begriff des Politischen" ist

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danach in der Lage, den Staat als eigenständige, handlungsfähige Einheit zu begründen und zu erklären, „der Liberalismus" vermag dies hingegen nicht. Wenn aber der Staat letztlich die Instanz ist, welche allein aus den beschriebenen liberalen Dilemmata herausführen kann (BP 76), so ist der Zustand der Existenz des Staates gegenüber demjenigen seiner Nichtexistenz vorzugswürdig. Auf diese Weise ist für Schmitt der spezifische „Wert des Staates" begründet. Offen bleibt hier bislang die Frage, warum Staat und Liberalismus Gegensätze sein müssen, warum der Staat also die durchaus erkennbaren Stärken des Liberalismus nicht für sich in Anspruch nehmen kann; anders ausgedrückt: warum er kein liberaler Staat sein kann. Zur Diskussion dieser Frage stellt Schmitt vor dem Hintergrund des von ihm vorausgesetzten Exklusivitätsverhältnisses von Liberalismus und Politischem „den Liberalismus" insgesamt unter Ideologieverdacht. Aus seiner Sicht ist „der Liberalismus" vornehmlich eine Bemäntelung eines äußerstenfalls schrankenlosen ökonomischen Erwerbs- und Besitzstrebens, hinsichtlich dessen begrifflich nicht ausgeschlossen ist, dass er in ein System von Ausbeutung und Unterdrückung umschlagen kann. Dem kann die ethische Variante nicht nur nichts entgegensetzen; sie bemäntelt zudem diese Entwicklung als „Freiheit" und stellt ein begriffliches Instrumentarium zur Verfügung, welches geeignet ist, Betroffene und Öffentlichkeit zu täuschen und Versuche politischer Abhilfe zu denunzieren (BP 76). Der ökonomische Liberalismus ist unethisch, und der ethische Liberalismus ist demgegenüber maßstablos. Am Ende wird er dann bloße „Propaganda" (BP 77).

III. „Politische Freiheit" als Ausweg? Jenem Endzustand liberaler Unfreiheit setzt Schmitt seinen Begriff „politischer Freiheit" entgegen (BP 76). Er stellt seine Antithese zur liberalen Unfreiheit dar. Gerade diese Entgegensetzung und das ihr zugrunde liegende Freiheitskonzept ist von den Interpreten unterschiedlich aufgenommen worden: Während sie einerseits als erklärungsbedürftiger „roter Faden" seines staatsrechtlichen Werks bezeichnet worden ist,15 ist sie andererseits auf Kritik gestoßen: Schmitt setze die Freiheitsrhetorik legitimatorisch ein und missbrauche sie dabei politisch; ihm fehle eine Verhältnisbestimmung von Moral und Politik, die Herrschaft als Freiheit erst verständlich mache.16 Einig ist sich die Interpretation allerdings hinsichtlich der zentralen Bedeutung dieser Antithese im gesamten Werk Carl Schmitts.

15

E.-W. Böckenförde, in: Complexio Oppositorum, S. 293 („wenn ich das staatsrechtliche Werk von C. Schmitt richtig verstehe ...").

16

R. Mehring, Carl Schmitt zur Einführung, Hamburg 2001, S. 133.

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Ausgangspunkt einer näheren Bestimmung ist die dargestellte Entgegensetzung der Bereiche des Politischen und des Liberalismus. Während dieser seinen Ausgangspunkt beim Individuum nimmt, nimmt jener zum maßgeblichen Bezugspunkt die „politische Einheit", namentlich den Staat. Die „politische Freiheit" zählt zur Sphäre des Politischen und der in ihr wirkenden Einheiten. Als solche reicht sie über das Individuum und seine Existenz hinaus. Ganz in diesem Sinne wird die Opferung des Lebens bzw. der Tod eines Menschen als Negation der liberalen Freiheit qualifiziert (BP 70), da keine menschliche Freiheit ohne Träger, ohne Subjekt sein kann. Ein solcher Widerspruch wird hinsichtlich der politischen Freiheit nicht konstatiert.17 Politische Freiheit ist ohne politisches Handeln nicht denkbar. Sie bezieht sich daher auch auf die Möglichkeit und das Recht der Feindbestimmung und der Kriegführung. Diese „ungeheure Befugnis" hat der Staat bei sich konzentriert, d. h. aber auch: den Menschen entzogen (BP 45f.). Nur der Staat hat das äußerste Recht, äußere und innere Feinde zu bestimmen; und nur er ist berechtigt, von seinen Bürgern Tötungs- und Todesbereitschaft zu fordern und auf Feindesseite stehende Menschen zu töten. Damit nimmt er gleichsam das Monopol des Politischen ein. Schmitts Konzept politischer Freiheit muss demnach an diesen Prämissen anknüpfen. Politische Freiheit ist primär Freiheit der politischen Einheiten, d. h. namentlich des Staates, zu politischem Handeln. Sie kann ihren letzten Anknüpfungspunkt nicht beim Individuum nehmen. Dies heißt nicht, dass die Individuen davon völlig ausgeschlossen sind. Zwar ist ihnen das Recht zur eigenen Feindbestimmung und zum Bürgerkrieg entzogen; doch können sie berechtigt sein, am Staat und seinem politischen Handeln mitzuwirken, soweit ihnen solche Rechte vom Staat eingeräumt sind. Politische Rechte sind also Rechte vom Staat - nicht: vorstaatlich und am Staat. Wie sie ausgestaltet sind, richtet sich nach den konkreten Entscheidungen des Staates. Zu ihnen kann etwa das Recht zählen, an der Staatswillensbildung mitzuwirken, etwa durch Teilhabe am demokratischen demos (VL 234ff.). Diese ist vom Staat verliehen und notwendig gestaltet. Politische Freiheit ist also für Schmitt wesentlich Freiheit des Staates, am Staat und durch den Staat. Individuelle Freiheit als staatsfreie Handlungs- und Entscheidungsfreiheit des Einzelnen kann daher notwendigerweise keine politische Freiheit sein. Dementsprechend werden die Freiheitsrechte als solche nicht der politischen Sphäre zugerechnet. Soweit sie sich nicht auf den Staat und die Teilhabe an seiner Willensbildung beziehen, sind sie prinzipiell unpolitisch und der Sphäre des Privaten bzw. der Gesellschaft zuzuordnen. Das gilt jedenfalls, solange „nur die freie Konkurrenz und die freie Diskussion der einzelnen anerkannt wird" (VL 165). Solche Freihei-

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S. etwa BP 46, wo das Problem nicht einmal thematisiert wird.

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ten werden als „rechtsstaatliche" qualifiziert und dem rechtsstaatlichen Teil der Verfassung zugeordnet (VL 123ff.). Diese eher idealtypische als analytisch trennscharfe Gegenüberstellung bezeichnet diejenigen Teile der Verfassung, welche an der Herstellung und Aufrechterhaltung der politischen Einheit nicht in gleicher Weise teilhaben wie ihre „politischen Teile". Charakteristisch für das Verhältnis des rechtsstaatlichen und des politischen Teils der Verfassimg - und damit auch für das Verhältais der ihnen jeweils zuzuordnenden individuellen und politischen Freiheiten - sind zwei Grundsätze. Da ist zunächst die wechselseitige Exklusivität: Ungeachtet einer gewissen Porosität der Grenzen zwischen beiden Bereichen soll grundsätzlich gelten: Die konsequente Durchführung des rechtsstaatlichen Prinzips verhindert eine konsequente Durchführung des politischen Formprinzips (VL 201). Da ist sodann das Prinzip des Primats der politischen gegenüber der rechtsstaatlichen Verfassung.18 Dieser ist vom Autor nicht näher expliziert, folgt jedoch aus der Verknüpfung von Staatsbegriff und positivem Verfassungsbegriff (VL 2Iff.). Ist die Verfassung die Gesamtentscheidung über die politische Gestalt des Staates, so folgt die Bedeutung ihrer einzelnen Elemente aus ihrer Bedeutung für den Staat, d. h. daraus, wie sie den Staat begründen, aufrechterhalten und konstituieren. Dazu zählen die rechtsstaatlichen Freiheitsgarantien nicht: „Die Freiheit konstituiert nichts" (VL 200). Die Hervorhebung der politischen Freiheit gegenüber der liberalen Unfreiheit zieht demnach die staatstheoretischen Konsequenzen aus dem Primat des Politischen und der politischen Rechte gegenüber den rechtsstaatlichen Garantien.19 Darin liegt mehr als nur eine Bestätigung des Vorrangs des Staates als politische Einheit gegenüber Wirtschaft und Gesellschaft. Darin liegt zugleich eine ebenso changierende wie ambivalente Ausweitung seines Freiheitsbegriffs: Ob „politische Freiheit" und „politische Unabhängigkeit" die Menschen aus der liberalen Unfreiheit herausführen, bleibt offen. Hier erweist sich erneut: Ebenso wie Schmitts Begriff des Politischen ist deijenige der politischen Einheit inhaltsleer. Ob der Staat seine Freiheit dazu nutzt, den Einzelnen Freiheit zu bringen, ist weder in seinem Staatsbegriff noch in seinem Begriff politischer Freiheit angelegt.20 Ein notwendiger Zusammenhang zwischen dem Staat als politischer Ein18

Böckenförde a. a. O., S. 290. Aufschlussreich schon die Bemerkung im Frühwerk (WdS 93): „Somit ist nicht der Staat eine Konstruktion, die Menschen sich gemacht haben, er macht im Gegenteil aus jedem Menschen eine Konstruktion." Ungeachtet mancher später geänderter Ausgangspunkte ist gerade dieses Frühwerk m. E. für das Verständnis des Gesamtwerks Schmitts von weitreichender, tendenziell unterschätzter Bedeutung. " Zu den politischen Konsequenzen Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 123. 20 Schmitts Lehre des Politischen ist gerade wegen ihrer Inhaltsleere ihrem Anspruch nach staatsformneutral; zu daraus von Schmitt abgeleiteten Grundrechtskonzepten Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 195.

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heit und der Garantie politischer Freiheit der Einzelnen besteht jedenfalls nicht;21 häufiger sind bei Schmitt Hinweise auf die Spannungsverhältnisse zwischen politischer Form und rechtlichen Garantien individueller Freiheit (VL 165, 200, 201 u. ö.). Hier zeigt sein Freiheitsbegriff seine volle Ambivalenz: Es ist die politische Freiheit des Staates, welche der liberalen Freiheit des Individuums vorgeordnet wird. Damit teilt sein Freiheitsbegriff seine staatstheoretischen Prämissen einer strikten Trennung von liberaler und politischer Sphäre. Beide Sphären und beide Freiheiten stehen unverbunden neben-, vielfach sogar gegeneinander. Indem beide mit demselben Begriff belegt werden, enthüllt sein Konzept seine eigene Inhaltsleere wie auch seine Missbrauchbarkeit. Grundlage jener strikten Trennung ist sein reduziertes Verständnis von liberaler Ethik. Sie nimmt den Einzelnen nicht nur als „terminus a quo" und „terminus ad quem". Sie verbleibt vielmehr stets in der Sphäre des Individuums, seiner Eigeninteressen und seiner besonderen Belange. Eine solche Ethik ist tatsächlich nicht in der Lage, staatsbildend zu wirken oder auch nur Staatsbildung zu erklären. Gerade ihre Zuordnung zur Individualsphäre und ihre dichotomische Zuordnung zur liberalen Ökonomie fuhrt dazu, dass der ethische Liberalismus eine Philosophie der Wirtschaft bleibt und damit schon von seinen Prämissen her keine Philosophie der Herrschaft und des Staates ist. Auf dieser Grundlage steht nicht nur fest, dass der Staat seinerseits nicht liberal sein muss - die entgegengesetzte Konsequenz müsste letztlich wohl nur ein Liberaler ziehen. Auf jener Grundlage steht vielmehr auch fest, dass der Staat kein liberaler sein kann. Hier wirkt sich die reduzierte Prämisse Schmitts unmittelbar aus. Zu einer positiven Zuordnung von liberaler Freiheit, gesellschaftlicher Assoziation und staatlicher Herrschaft hat die jüngere Liberalismusdiskussion zahlreiche Ansätze geliefert. Sie hat sich insbesondere um den Nachweis bemüht, dass die Voraussetzungen liberaler Freiheit nicht einfach da sind, sondern stets neu geschaffen und erhalten werden müssen. Dies ist eine Aufgabe nicht nur des Staates, sondern eher der Subjekte der Freiheit selbst.22 Dabei handelt es sich nicht um Einschränkung der Freiheit, sondern um Ausübung der Freiheit. Denn die Sicherung der Grundlagen der Freiheit sichert zugleich die Ausübbarkeit der Freiheit über den Tag hinaus. In diesem Sinne kann Freiheitsausübung auch ihre ethische Verantwortung haben. Eine solche Ethik diskutiert und ermöglicht die sozialen „Verkehrsregeln" der Freiheit. Bei deren Herstellung, Sicherung und Durchsetzung kommt dem Staat eine wesentliche Rolle zu. Seine Aufgabe steht 21

Zwar wird die liberale Unfreiheit des Einzelnen ausdrücklich als „Ausbeutung", „Unterdrückung" und „furchtbarer Betrug" diskreditiert (BP 76); die politische Unfreiheit des Einzelnen wird hingegen - im Unterschied zur politischen Freiheit des Staates nicht in vergleichbarer Weise kritisiert.

22

Dazu sehr weiterführend Baurmann, Der Markt der Tugend, 1996.

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dann nicht notwendig in einen Gegensatz zur individuellen Freiheit. Vielmehr kann dieses Verhältnis auch als positives ausgestaltet und beschrieben werden. Dadurch können und sollen Spannungsverhältnisse nicht geleugnet werden.23 Doch läßt sich aufzeigen, wie individuelle Freiheit Grundlage von Herrschaft und wie Herrschaft Grundlage individueller Freiheit sein kann. Die Problematik von Carl Schmitts Liberalismuskritik liegt nicht darin, dass er dies nicht tat - das war weder ihr Anliegen noch die Position ihres Autors. Sie liegt vielmehr darin, dass sie dies für unmöglich erklärte. Dieser Ansprach machte ihre Bedeutung aus - und relativierte sie zugleich.

23

So wäre es gewiss zu eindimensional, wenn man „Herrschaft als Freiheit verständlich machte". So - wohl verkürzend - Mehring, Einführung, S. 133.

10

Henning Ottmann „Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen" (79-95) Carl Schmitts Theorie der Neuzeit

Neuzeit und Säkularisierung Hinter Schmitts politischem Denken steht meist Theologie. Das gilt selbst für Schriften, die prima facie den Eindruck erwecken, rein politische Werke zu sein. Der berühmte Begriff des Politischen ist ein Beispiel dafür. Die Schrift erweckt den Eindruck, eine rein politische Grundsatzschrift zu sein: ein nationales Manifest, gerichtet gegen Versailles und Genf; ein antiliberaler Traktat; eine Studie, die von der Sorge um den Status des souveränen Nationalstaates geprägt ist. Das in dieser Schrift formulierte „Kriterium" des Politischen, „die Unterscheidung von Freund und Feind", wird in Abgrenzung von den Kriterien der Moral (gut böse), der Ästhetik (schön - häßlich) und der Ökonomie (rentabel - unrentabel) entwickelt. Nicht erwähnt wird dabei erstaunlicherweise die Theologie und ein ihr entsprechendes Kriterium wie Heil und Unheil. Nur eine Passage über Cromwell und den für diesen religiös bestimmten Feind läßt ahnen, daß Feindschaft auch eine theologische Bedeutung haben könnte (BP 67). Ansonsten scheint die Bedeutung der Theologie nur ex negativo auf, wenn Schmitt das „Liebet euere Feinde" (Mt. 5, 44; Lk. 6, 27) allein auf den privaten Gegner („inimicus"), nicht aber auf den öffentlichen Feind („hostis") bezieht (BP 29ff.). Schmitt hält der Feindbestimmung damit theologisch immerhin den Rücken frei. Schon Der Begriff des Politischen zeigt Schmitts Vorliebe für verdeckte Operationen. Nicht alles, was die eigene Argumentation bestimmt, wird offengelegt. Manches - und durchaus Zentrales - bleibt unausgesprochen. Der berühmte Satz der Politischen Theologie I (1922), „Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe" (PT 49), enthielt eine wohl kaum bemerkte doppelte Anspielung: auf Proudhon und Donoso Cortés. Letzterer hatte seine Essays mit dem Proudhon-Zitat eingeleitet: ,„Es ist auffallend, daß wir im Hintergrund unserer Politik stets auf Theologie stoßen.'"

, J ) A S ZEITALTER DER NEUTRALISIERUNGEN UND ENTPOLITISIERUNGEN"

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Wie der Revolutionär und der Gegenrevolutionär so witterte auch Schmitt hinter aller Politik stets Theologie, auch wenn dies nicht immer offen bekannt worden ist. Gerne schob Schmitt Anderes in den Vordergrund, im Begriff des Politischen etwa seinen Kampf gegen den Liberalismus und dessen Entpolitisierungen. Der Hauptfeind, so konnte es scheinen, war für Schmitt das herrschende System liberaler politischer Begriffe. Dem Liberalismus warf er vor, alle politischen Begriffe zu entpolitisieren, aus „Kampf' „Konkurrenz" und „Diskussion" zu machen, aus „Staat" „Gesellschaft" und „Menschheit", aus „Volk" „Konsumenten" und „Publikum", aus „Macht" „Kontrolle" und „Propaganda" (BP 70f.). Im Liberalismus verwandelte sich alles in entweder Ethik oder Ökonomik, Bildung oder Besitz. Den Entpolitisierungen des Liberalismus stellte Schmitt die Gegenthese gegenüber, daß das 20. Jahrhundert das Jahrhundert des Politischen sei. Wo immer Menschen sich intensiv assoziieren oder dissoziieren, sei das Politische präsent. Mit Krieg und Ernstfall sei als realen Möglichkeiten stets zu rechnen. Der neuzeitliche Staat trete in ein neues Stadium seiner Transformation. Aus dem „absoluten" und „neutralen" Staat sei der „totale Staat" geworden, ein „Wirtschaftsstaat", der die Trennung von Gesellschaft und Staat aufhebe (BP 24).1 Schmitts Begriff des Politischen ließ die Frage offen, wie sich der Staat und das Politische zueinander verhielten. Noch wollte Schmitt den souveränen Nationalstaat nicht verabschieden. Der „totale Staat" konnte sowohl ein schwacher, der Gesellschaft ausgelieferter Staat als auch ein starker, die Gesellschaft dominierender Staat sein. Noch war mit dem Staat zu rechnen, wenn er sich als Herr des Ausnahmefalles erwies. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg heißt es lapidar: „Die Epoche der Staatlichkeit geht nun zu Ende ..." (BP 10). Wenn Schmitt die Entpolitisierung für eine Illusion hielt, dann hatte seine Überzeugung nicht nur politische, sondern auch theologische Gründe. Im Begriff des Politischen hatte Schmitt sie in einem „anthropologischen Glaubensbekenntnis" (BP 58) versteckt. Dessen Leitsatz lautete, „daß alle echten politischen Theorien den Menschen als ,böse' voraussetzen" (BP 61). In Wahrheit handelte es sich um ein theologisches Glaubensbekenntnis. Es war Ausdruck des Glau1

Schmitts Begriff des „totalen Staates" hat sich bei den Nationalsozialisten nicht durchgesetzt. Der Grund dafür dürfte darin liegen, daß es ihnen nicht so sehr auf den Staat als vielmehr auf die Partei, die Bewegung oder das Volk ankam. „Total" bedeutete bei Schmitt nicht „totalitär". Er bezog seinen Begriff hauptsächlich auf den Wirtschaft- und Industriestaat, der die ehemals freie Wirtschaft mehr und mehr an sich zog: Die Wendung zum totalen Staat (1931), in: PB 146ff. Allerdings verwies Schmitt als Vorbild des qualitativ totalen starken Staates auf den „stato totalitario" des Faschismus: Weiterentwicklung des totalen Staates in Deutschland (1933), in: VRA 359ff.,hier361f.

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bens an die durch die Erbsünde korrumpierte Natur des Menschen. Mit dieser hatte ein politischer „Realismus" zu rechnen (BP 65). Die im Begriff des Politischen versteckte Theologie stand allerdings vor einer schwierigen Grundfrage. Ließ sich Politik immer noch theologisch verstehen, nachdem die Neuzeit eine einzige Kette von Säkularisierungen hervorgebracht hatte, das ehemals theologische Absolute verweltlicht worden war? Die Säkularisierung hatte Religiöses bereits in banale Gestalten überfuhrt. Vom Detektiv im Kriminalroman (dem ehemals rettenden Engel) über die Ersetzung der Kirche durch das Theater bis zum „Religiösen als Schauspiel- oder Opernstoff, dem Gotteshaus als Museum [...] dem Künstler in der modernen Gesellschaft [...] soziologisch gewisse Funktionen des Priesters" wahrnehmend (PR, Vorwort von 1924, 23), gab es eine Fülle säkularistischer Verwandlungen des Religiösen. Sie hatten auch vor dem Absoluten selbst nicht Halt gemacht. Auch dieses war verweltlich worden. Und was bedeutete dies fur die neuzeitliche Politik? Schmitt hatte seine Theorie der Säkularisierung schon in der Politischen Romantik (1919, 21925) entwickelt. Religion und Metaphysik, so hatte er dort ausgeführt, seien „etwas Unvermeidliches". Man entgehe ihnen nicht schon dadurch, daß man darauf verzichte, sich ihrer bewußt zu werden. „Wohl aber kann das, was die Menschen als letzte, absolute Instanz betrachten, wechseln und Gott kann durch irdische und diesseitige Faktoren ersetzt werden. Das nenne ich Säkularisierung ..." (PR, Vorwort von 1924, 23). Säkularisierung bedeutete für Schmitt keine Auflösung des Theologischen ins Weltliche. Sie war vielmehr als eine bloße Verlagerung der Instanzen zu verstehen. Der Absolutheitsanspruch blieb auch in den Säkularisierungsformen des Absoluten erhalten. Die Neuzeit kam von der Theologie nicht los, und wie der Liberalismus Politik verschleiert und unter dem Deckmantel der Entpolitisierung Politik betreibt, so verschleiert die Säkularisierung jene Theologie, die auch in den verweltlichten Begriffen noch anzufinden ist. Was die Säkularisierung angeht, so hat Schmitt seine Position nie geändert. Die These von der bloßen Verlagerung der Instanzen, von der Wanderschaft des Theologischen ins Weltliche, wird 1970 genauso vertreten wie 1924. In der Politischen Theologie II (1970) kritisiert Schmitt Petersons These von der „Erledigung" aller politischen Theologie. Auch attackiert er Blumenbergs Theorie von der „Legitimität" der Neuzeit. In geradezu dadaistischer Sprache ironisiert Schmitt die „Ent-Entungen" der Neuzeit. Sie würden zu einer Enttabularisierung auch noch der tabula rasa fuhren, zu einem „Prozeß-Progreß", der nicht einmal mehr die Schöpfung aus dem Nichts, sondern die Schöpfung des Nichts versuchen werde (PT II, 124ff.). Nach Schmitt war die Neuzeit kein „legitimer" Aufstand der Subjektivität gegen das Absolute. Die Selbstbehauptung der Subjektivität glich eher einem bloßen Machtanspruch als einer Rechtfertigung.

,DAS ZEITALTER DER NEUTRALISIERUNGEN UND ENTPOLITISIERUNGEN"

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Neuzeit und Neutralisierung Für Schmitts Theorie der Neuzeit ist ein Vortrag des Jahres 1929 von besonderem Interesse. Gehalten auf einer Tagung des Europäischen Kulturbundes in Barcelona trägt er den Titel „Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen." Dieses Zeitalter ist die Neuzeit. Der Vortrag wagt eine geschichtsphilosophische Betrachtung der Neuzeit als ganzer. Er steht in enger Nachbarschaft zum Begriff des Politischen, und er wird heute der zweiten Auflage dieser Schrift, also dem Text von 1932, als Anhang beigegeben. Die Auflage von 1933 enthält diesen Vortrag nicht. Wie der Begriff des Politischen so erweckt auch der Vortrag von 1929 den Eindruck, nur von Geschichte und Politik zu handeln, eine der bekannten geschichtsphilosophischen Stadien-Theorien zu sein. Schmitt gibt eine Übersicht über die Jahrhunderte der Neuzeit. Er bedient sich zu ihrer Kennzeichnung einer nur in diesem Vortrag verwendeten Terminologie. Er teilt die Neuzeit in „Zentralgebiete" ein, die er mit den jeweiligen Jahrhunderten, vom 16. bis zum 20., gleichsetzt. Unter „Zentralgebieten" versteht Schmitt Zentren des geistigen (und politischen) Streits. Dieser Streit wird durch das jeweils folgende „Zentralgebiet" „neutralisiert". D. h., der Konflikt wird entpolitisiert, der Streit wird befriedet. Der Vortrag will nachweisen, daß die Abfolge von Streit und Neutralisierung, von Politisierung und Entpolitisierung nicht an ein Ende gelangt. Eine endgültige Neutralisierung gelingt der Neuzeit nicht. Der Vortrag läßt fünf „Zentralgebiete" Revue passieren, denen fünf Jahrhunderte zugeordnet sind: Zentralgebiet

Jahrhundert

Theologie

16. Jh.

Metaphysik

17. Jh.

Humanitarismus - Moral

18. Jh.

Ökonomie

19. Jh.

Technik

20. Jh.

Zu jedem „Zentralgebiet" gehören bestimmte Eliten, Grundevidenzen, Großereignisse und Massensuggestionen. Die Eliten für jedes „Zentralgebiet" werden im einzelnen aufgeführt (BP 82f.). Die Grundevidenzen und die Großereignisse werden jedoch nur sporadisch exemplifiziert. Die Liste der Massensuggestionen, auch sie bleibt unvollständig. Angesichts des esoterischen Charakters, den die Metaphysik des 17. Jahrhunderts besaß, kann dies vielleicht nicht anders sein. Erst die Aufklärung popularisiert, und erst nach der Aufklärung gibt es massenwirksame

160

HENNING OTTMANN

Mythen wie den vom Klassenkampf oder den von den segensbringenden Wirkungen der Technik. Erstaunlich ist auf den ersten Blick, daß in dieser Fünf-Stufen-Theorie vom Staat der Neuzeit nicht die Rede ist. Ist nicht gerade der neuzeitliche Staat der große Schlichter und Neutralisierer des konfessionellen und weltanschaulichen Streites? Haben wir dieses Bild des neuzeitlichen Staates nicht gerade durch Carl Schmitt sehen gelernt, etwa durch sein Buch Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes (1938). 2 Schon beim Übergang von der Theologie des 16. zur Metaphysik des 17. Jahrhunderts erwartet der Leser einen Hinweis auf die Geburt des neuzeitlichen konfessionell und weltanschaulich „neutralen" Staates. Aber ein solcher Hinweis unterbleibt. Der Vortrag von 1929 unterläßt es, „Zentralgebiete" und Entwicklungsstufen des neuzeitlichen Staates aufeinander zu beziehen. Der Leser muß sich hinzudenken, wie die Transformationen des neuzeitlichen Staates, vom „absoluten" über den „neutralen" zum „totalen Staat", mit der Abfolge der „Zentralgebiete" zu parallelisieren sind.3 Schmitt scheint die „Zentralgebiete" eher als Zentren des

2

Im Hobbes-Buch von 1938 zeigt das Kapitel IV, wie bereits bei Hobbes eine Neutralisierung durch Technisierung einsetzt. Daß der Staat ein Kind der Neuzeit ist, wird von Schmitt in dem Vortrag „Staat als ein konkreter, an eine Epoche gebundener Begriff' (1941) demonstriert (VRA 375-385). Gerade durch das Bild des neuzeitlichen Staates, der die Glaubenskämpfe neutralisiert und durch Souveränität, territorial geschlossene Einheit, Grenzen, ius ad bellum etc. gekennzeichnet ist, hatte Schmitt schulbildend gewirkt. Es sei nur verwiesen auf R. Schnur, Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg, Berlin 1962; R. Koselleck, Kritik und Krise, Frankfurt/M. 1973 oder E.-W. Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Ders., Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt/M. 1991, S. 92-114.

3

Nach der Politischen Theologie I (1922) dachte Schmitt an eine politisch-theologische Vier-Stadien-Theorie: „Absolutistischer Staat" in Entsprechung zum „Theismus", „Rechtsstaat" in Entsprechung zum „Deismus", „ni Dieu - ni maître" als Formel eines atheistischen Anarchismus oder Kommunismus, die wertneutrale oder wertskeptizistische Demokratie à la Kelsen und Weber, die aus der Analogie von „kein Dogma, kein Wert" erklärt wurde (PT 49ff.). In den Veröffentlichungen vom Ende der 20er und dem Beginn der 30er Jahre findet sich dagegen meist der Dreischritt „absoluter", „neutraler", „totaler Staat". Die großen Entpolitisierungen des Staates wären demnach: die Neutralisierung des konfessionellen Bürgerkrieges; die Schaffung eines „pouvoir neutre" mit der Unterscheidung von neutralisiertem Staatsoberhaupt und politischem Regierungschef („II règne et ne gouverne pas"); die Neutralisierung des Klassenkampfes im Sozialstaat; die von Schmitt in ihrer Erfolgsaussicht in der Schwebe gelassene Neutralisierung der pluralistischen Interessen und Parteien. Daß der Konservatismus in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts eine Wende zur Anerkennung der Technik vollzog

„DAS ZEITALTER DER NEUTRALISIERUNGEN UND ENTPOLITISIERUNGEN"

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geistigen als des politischen Streits darstellen zu wollen. Zwar kommt die Politik ins Spiel. Aber sie wird nicht über den Begriff des Staates eingeführt. Stattdessen geht Schmitt vom Grundsatz „cujus regio ejus religio" aus. Dieser wird durchdekliniert zu „cujus regio ejus natio" sowie zu „cujus regio ejus oeconomia". Mit dem Ausgang von der „regio" tritt der Staat primär in seiner territorialen Oberhoheit hervor, in seiner auf einen Raum bezogenen Kraft der Befriedung. Das weist auf spätere Ansätze wie die Großraum- und Nomos-Lehre voraus. Nach diesen haben Recht und Politik immer ihren Ort, ist stets von einem Zusammenhang von Ordnung und Verortung auszugehen. Problematisch an dieser Akzentuierung bleibt, daß die geistigen und politischen Kämpfe nicht aufeinander bezogen werden. Vermutlich ist Schmitts Ansatz beim „Begriff des Politischen" dazu auch gar nicht in der Lage. Schmitts Begriff von Politik war gegen Ende der 20er Jahre ein existentieller geworden.4 Politik war demnach ein Kampf um Sein oder Nicht-Sein. Feindschaft sollte sich nicht durch geistige Motive bestimmen, sondern durch das bloße „Da-" und „Anderssein" des Feindes. Die „Zentralgebiete" mit ihrer Fokussierung im geistigen Streit hätten somit eine Gefahr für den Schmittschen Existentialismus darstellen können. Je prominenter die „Zentralgebiete" mit ihren geistigen Streitquellen geworden wären, umso mehr wäre das Pathos des rein Existentiellen gefährdet gewesen. Die Feindschaft hätte aus geistigen Motiven erklärt werden können. Das angeblich rein Existentielle hätte sich als abhängig erweisen können von den geistigen Streitfragen der jeweiligen Zeit. Die Pointe der Geschichtsphilosophie liegt 1929 in der Deutung des 20. Jahrhunderts, das Schmitt zum Jahrhundert der Technik erklärt. Eine solche Deutung der eigenen Zeit lag damals in der Luft. Es sei nur verwiesen auf Jüngers Arbeiter (1932), auf die von Jünger analysierte „totale Mobilmachung", welche die Grenzen zwischen Krieg und Frieden in der dauernden Rüstung aller Kräfte verwischt. Man denke auch an Spenglers Der Mensch und die Technik (1931), in dem ein heroischer Nihilismus gepriesen wird. Dem „faustischen Menschen", und ihm allein, waren nach Spengler die Technik und deren große Siege ein seelisches Bedürfnis. Die Geschichte dieses Menschentypus neigte sich nach Spengler ihrem „unausweichlichen Ende" zu. Was blieb, war nur noch das Ausharren: „Aushar-

4

und Theoretiker wie Gehlen oder Schelsky dem Staat eine technokratische Neutralisierung der Politik zutrauten, kann angesichts der Schmittschen Darstellung der Neuzeit und der Technik nur verwundern. Näher an Schmitt blieb Ernst Forsthoffs „Staat der Industriegesellschaft" (München 2 1971). Forsthoff verwies auf die prekäre Lage des Industriestaates, der sich auf Wirtschaft und Technik stützen will und bei sinkendem Bruttosozialprodukt seinen Ernstfall erfahrt. So durchaus schon in der ersten Fassung des Begriffs des Politischen von 1927. Diese Fassung ist gekürzt wieder abgedruckt in: Positionen und Begriffe, hier PB 71.

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ren wie jener römische Soldat, dessen Gebeine man vor einem Tor in Pompeji gefunden hat, der starb, weil man beim Ausbruch des Vesuv vergessen hatte, ihn abzulösen".5 Bei aller Neigung Schmitts zu Apokalyptik und Eschatologie - seine Theorie der Technik verbindet diese gerade nicht mit dem Ende oder irgendeiner Art von Endgültigkeit. Zwar erscheint die Technik in der Geschichte der Neutralisierungen als ein logischer Endpunkt. Man kann versucht sein, sie als den Paradefall der Neutralität zu verstehen, als die Neutralität schlechthin. Nach Schmitt ist die Technik aber immer nur scheinbar neutral. Zwar befördert die Post jeden Brief, gleich welchen Inhalts (BP 90). Auch besitzt die Technik nach Schmitt keine eindeutige politische Tendenz. Sie werde zwar oft mit der Hoffnung auf Frieden, Verständigung oder Befreiung verbunden. Nach Schmitt dient sie aber solchen Zielen genauso wie den entgegengesetzten. „Die Entscheidung über Freiheit und Knechtschaft liegt nicht in der Technik als Technik. Sie kann revolutionär und reaktionär sein, der Freiheit und der Unterdrückung dienen [...]" (BP 91). Klingt dies nun doch wieder nach reiner Instrumentalität, so ist Schmitt dennoch überzeugt, daß die Technik aus sich selbst nichts entscheiden kann. Sie ist, wie es in paradoxer Zuspitzung heißt, nicht neutral, „weil sie jedem dient" (BP 90). Eine Übersicht über die „Zentralgebiete", die Grundevidenzen, die Eliten, die Großereignisse und die politischen Korrespondenzen läßt sich wie folgt schematisieren. Wo Schmitt Lücken gelassen hat, werden Fragezeichen eingesetzt.

5

Jh.

Zentralgebiet

Grundevidenz

Elite

Beispiele

GroDereignisse

16.

Theologie

Gott, Hl. Schrift

Schriftgelehrte

Luther, Calvin

Reformation?

Politik

cujus regio ejus religio

17.

Metaphysik

Rationale Ursachenforschung

Philosophen, Naturforscher

Descartes, Hobbes, Galilei

Selbstbegründung des Wissens, Experimente Galileis in Pisa?

18.

Humanitarismus, Moral

vertu, Pflicht

Schriftsteller

Voltaire, Rousseau, Kant

Erdbeben von Lissabon

cujus regio ejus natio

19.

Ökonomie

Produktion, Konsumtion

Ökonomische Sachverständige

Marx

Kurssturz, Klassenkampf?

cujus regio ejus oeconomia

20.

Technik

Technischer Fortschritt

keine

keine

?

?

O. Spengler, Der Mensch und die Technik, München 1932, S. 89.

, D A S ZEITALTER DER NEUTRALISIERUNGEN U N D ENTPOLITISIERUNGEN"

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Das Schema verdeutlicht noch einmal, es geht hier eher um den geistigen als um den politischen Streit. „Cujus regio ejus natio" wirkt deplaziert. Beim Humanitarismus und bei der Moral des 18. Jahrhunderts denkt man eher an die kosmopolitische Menschheitsgesellschaft und das räsonnierende Publikum als an die Nation. Nichts erfahrt man über die der Technik angemessene Form der Politik. Erklärt wird nur, warum die Technik keine Elite hervorbringt. „Das technische Erfindertum" habe gegen die Erwartung Saint-Simons und anderer keine „politisch herrschende Schicht" erzeugt (BP 91). Eine Elite komme immer aus der „Askese", aus der „Armut" und aus dem „Verzicht auf die Sekurität des status quo" (BP 93). Dem Funktionär der Technik traut Schmitt ein solches Ethos offenbar nicht zu. Die Reihe der Grandsätze, die jeweils mit „cujus regio ..." beginnt, wird im Falle der Technik nicht fortgesetzt. Das ist kein Zufall. Zu offensichtlich ist die Technik überregional, ja planetarisch. Sie neutralisiert die Völker so wie jeder Flughafen, an dem Flugkapitäne aller Herren Länder dieselben Maschinen nach denselben Regeln landen. Die Technik kennt keine Völker und Staaten, sondern nur noch Funktionäre und einen Funktionszusammenhang. Im Begriff des Politischen verwirft Schmitt den „Weltstaat". Einen solchen könne es nicht geben. Falls aller Streit je neutralisiert sein sollte, entstünde allenfalls eine „Konsumund Produktivgenossenschaft" (BP 58). Auch der Vortrag von 1929 schließt von der Universalität der Technik nicht auf eine universale politische Ordnung. Wo immer die Technik in späteren Veröffentlichungen Schmitts thematisiert wird, tritt sie immer nur als Störfaktor für die Verortung der Politik auf.6 Sie entortet, und Schmitt ist stets bei der Überzeugung geblieben, daß alles Recht und alle Politik ihren Ort haben und haben müssen und daß die technische Entortung nicht mit einer politischen Entortung zu verwechseln ist.

6

Dafür nur drei Beispiele. In Land und Meer (1942) erscheint die Technik als jene Macht, welche durch Elektrizität, Flug- und Funkwesen die Raumvorstellungen revolutioniert, aus dem Raum „ein Kraftfeld menschlicher Energie" werden läßt (LM 106) und den Unterschied von Land und Meer einebnet. Der Nomos der Erde (1950) Schloß mit ähnlichen Bemerkungen über die raumverändernden Wirkungen des U-Boot- und des Luftkrieges, stellte aber ansonsten die Entortung durch den völkerrechtlichen Universalismus ins Zentrum der Ausführungen. Die Theorie des Partisanen (1963) demonstrierte das zwiespältige Verhältnis des Partisanen zur Technik, insofern dieser einerseits der Technik seines Gegners unterlegen ist, er andererseits in der Lage sein kann, aus der Position des Schwächeren die überlegene Technik empfindlich zu stören. Angesichts der „tellurischen Legitimität", die Schmitt dem Partisanen zuschrieb, war diesem der Bezug auf die ortlose Technik allerdings nicht wesentlich. Sie konnte ihm nur ein Mittel im Kampf sein.

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Die Neuzeit, exoterisch und esoterisch Die Politische Theologie I (1922) war eine Auseinandersetzung mit Kelsen, indirekt auch mit Max Weber. Schmitt hatte sie als eine „Soziologie juristischer Begriffe" definiert (oder besser getarnt) (PT 50). Er tat so, als ob er sich einer Weberianischen wertneutralen Soziologie befleißige. In Wahrheit betrieb er eine Theologie der Politik. So wie Weber in seiner Protestantismus-Studie die Neuzeit durch eine Theologie der Ökonomie erklärt hatte, so erklärte sie Schmitt durch eine Theologie der Politik. Wertneutral war diese nicht. Auf eine ähnliche Weise spielt der Vortrag von 1929 mit verdeckten Karten. Was wie eine objektiv-distanzierte Geschichtsphilosophie der Neuzeit auftritt, enthält eine verschlüsselte politisch-theologische Pointe. Sie wird allerdings erst sichtbar, wenn man vom Exoterischen zum Esoterischen vorstößt und sich von mancherlei Nebelkerze nicht ablenken läßt. Schmitt macht sich zunächst selbst daran, einige naheliegende Mißverständnisse seiner Geschichtsbetrachtung auszuräumen. Er hatte die Abfolge der „Zentralgebiete" eine „Stufenfolge" genannt. Dieses Bild legt es nahe, an einen Aufoder Abstieg zu denken, an eine Fortschritts- oder Verfallsgeschichte. Die Frage, ob eine von beiden vorliegt, wird von Schmitt umgangen. Ob es sich um einen Auf- oder Abstieg handele, sei „eine Frage für sich" (BP 81). Ein „Gesetz" der Geschichte - etwa in Analogie zum Drei-Stadien-Gesetz Comtes (Theologie Metaphysik - Wissenschaft) - , auch ein solcher Anspruch wird zurückgewiesen. Eine Parteinahme fur eine materialistische oder eine die Dominanz des Kulturellen und Geistigen behauptende Geschichtsauffassung soll ebenfalls nicht begründet werden (BP 81). Die einzelnen Stufen folgen keiner hegelianisierenden Logik der „Aufhebung". Zwar bleibt in einem späteren „Zentralgebiet" jeweils etwas von einem früheren erhalten. Was früher „zentral" war, wird im neuen „Zentralgebiet" im Licht der neuen Grundevidenz neu gedeutet.7 Aber statt von einer „Aufhebung" spricht Schmitt von einem „pluralistischen Nebeneinander verschiedener bereits durchlaufener Stufen" (BP 81). Viel geklärt ist damit nicht. Man vermißt Erklärungen fur die Übergänge von einem „Zentralgebiet" zum anderen. Nur in einem Fall hat Schmitt einen solchen Übergang skizziert.8 Ansonsten stehen die „Zentralgebiete" da wie je für sich 7

8

Schmitt demonstriert dies an den Veränderungen des Gottesbegriffes. Steht am Anfang der Entwicklung im 16. Jahrhundert der persönliche Gott der Schrift und des Glaubens, so wird im Jahrhundert der Metaphysik Gott in die rationale Ursache und in die causa sui verwandelt. Im Jahrhundert des Humanitarismus und der Moral wird er wie bei Kant ein Gott von Gnaden der Moral, ,„ein Parasit der Ethik'" (BP 82). Diese Ausnahme macht die Romantik, die Schmitt originellerweise als den Übergang vom Humanitarismus der Aufklärung zum Jahrhundert der Ökonomie versteht: „Der

„ D A S ZEITALTER DER NEUTRALISIERUNGEN UND ENTPOLITISIERUNGEN"

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existierende Epochen, wie Gestalten einer historistischen Geschichtsauffassung, der alle Epochen „gleich unmittelbar zu Gott" sind. Eines freilich haben die „Zentralgebiete" gemeinsam: den Streit und die Streitschlichtung. Die Dynamik der neuzeitlichen Entwicklung scheint die Flucht vor jenem Streit zu sein, der seit dem konfessionellen Bürgerkrieg ausgebrochen ist. Streit und Befriedung, Entpolitisierung und neue Politisierung lösen einander regelmäßig ab. Der Rhythmus ist immer derselbe, auch wenn die Melodien je andere sind. Auf den ersten Blick verrät die „Stufenfolge" der Jahrhunderte sogar eine gewisse Logik. Es ist eine Logik der Verkehrung. Das 20. Jahrhundert stellt das Gegenteil von dem dar, was im 16. Jahrhundert als Theologie am Anfang stand. Die Entwicklung verläuft von der Theologie zur Verweltlichung, von der Transzendenz zur Immanenz, von einem geistigen Ursprung zur Vermaterialisierung, bis am Ende die banalen Mittel des Überlebens stehen: Ökonomie und Technik. Letztere nennt Schmitt „das geistige Nichts" und die „Neutralität des kulturellen Todes" (BP 92). Auch wenn der Begriff des Nihilismus nicht verwendet wird, so scheint die Technik doch zum „Nichts" zu fuhren. Und wie soll man dies anders verstehen denn als Geschichte eines Endes, eines Endes in einer Neutralität, die alle kulturellen Differenzen nivellieren und auslöschen kann? Für Schmitt war die Technik des 20. Jahrhunderts kein Ende der Geschichte. Die „Logik" der Verkehrung, der die Neuzeit vom 16. zum 20. Jahrhundert zu folgen scheint, ist ihm ein bloßes Oberflächenphänomen. Allem Wechsel der „Zentralgebiete" zum Trotz ändert sich in der Neuzeit nichts wesentlich. Im Grunde bleibt sich alles gleich. Nicht nur daß der Rhythmus von Streit und Befriedung, von Entpolitisierung und Politisierung immer derselbe bleibt. Auch der große Anspruch der Neuzeit auf das Neue, auf die Novität ihrer Positionen, ist nichts als Schein. Die Säkularisierung erzeugt nichts Neues, sondern einen bloßen Wechsel der Instanzen. Am Anfang der Neuzeit stehen der Glaube und der Glaubenskrieg. Am vorläufigen Ende im 20. Jahrhundert - auch da herrscht wieder ein „Glaube", der Glaube an die Technik und deren segensreiche Fortschritte. Schmitt spricht von einer „Religion des technischen Fortschritts" (BP 84) und vom „Massenglauben eines antireligiösen Diesseitsaktivismus" (BP 93). Die Heilsbringer haben gewechselt. Der Glaube nicht. Die Neuzeit ist eine Kette von Glaubenskämpfen, in denen der Glaubenskrieg immer neue Formen annimmt.

ästhetische Konsum und Genuß ist der sicherste und bequemste Weg zur allgemeinen Ökonomisierung des geistigen Lebens und zu einer Geistesverfassung, die in Produktion und Konsum die zentralen Kategonen menschlichen Daseins findet" (BP 83).

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Um von einer „Religion" der Technik sprechen zu können, unterscheidet Schmitt zwischen Technik und Technizität. Während erstere mit dem Nihilismus gleichgesetzt wird, besitzt die Technizität noch eine Art von „Geist". „Der Geist der Technizität, der zum Massenglauben eines antireligiösen Diesseitsaktivismus geführt hat, ist Geist, vielleicht böser und teuflischer Geist, aber nicht als mechanistisch abzutun und nicht der Technik zuzurechnen... Er ist die Überzeugung einer aktivistischen Metaphysik, der Glaube an eine grenzenlose Macht und Herrschaft des Menschen über die Natur, sogar über die menschliche Physis, an das grenzenlose ,Zurückweichen der Naturschranke', an grenzenlose Veränderungs- und Glücksmöglichkeiten des natürlichen diesseitigen Daseins der Menschen." (BP 93).

Oswald Spengler hat 1931 ähnliche Töne angeschlagen. Er nennt den Erfinder „den wissenden Priester der Maschine". „Mit dem Rationalismus endlich", schreibt er in Der Mensch und die Technik, „wird der , Glaube an die Technik' fast zur materialistischen Religion: Die Technik ewig und unvergänglich wie Gott Vater; sie erlöst die Menschheit wie der Sohn; sie erleuchtet uns wie der Heilige Geist. Und ihr Anbeter ist der Fortschrittsphilister der Neuzeit, von Lamettrie bis Lenin."9 Schmitt und Spengler, sie beide deuten den Glauben an die Technik als eine Art von Religion. Der Unterschied zwischen beiden liegt allerdings darin, daß Schmitt, anders áls Spengler, nicht in der Pose des Untergangspropheten auftritt. Eine apokalyptische Zuspitzung enthält die Geschichtsphilosophie des Jahres 1929 nicht. Ob dies schon einer Bekanntschaft mit der Lehre vom „Katechon", vom „Aufhalter" des Endes (2 Thess. 2, 6-7), geschuldet ist? Schmitt datiert im Glossarium seine Bekanntschaft mit dieser Lehre in das Jahr 1932 (Eintragung vom 11.1. 48). Aber vielleicht war er dieser Lehre des Zweiten Briefes an die Thessalonicher schon früher begegnet, etwa durch die Vermittlung von Peterson, den er seit 1924 kannte. Geschichte wurde von Schmitt jedenfalls als eine dem Menschen eingeräumte Frist verstanden. Das Ende aller Tage war verheißen. Da es aber noch nicht eingetreten war, mußte es „aufgehalten" worden sein. „Der Platz (des Aufhalters, H. O.) war nie unbesetzt, sonst wären wir nicht mehr vorhanden." (Gl 63)10 9

10

O. Spengler, Der Mensch und die Technik, München 1932, 70f. Spenglers Untergang des Abendlandes wird im Vortrag von 1929 kurz erwähnt (BP 92). In der berühmten Schrift Spenglers findet sich bereits die These vom „religiösen Ursprung allen technischen Denkens" sowie vom Ingenieur als dem „wissenden Priester der Maschine", Der Untergang des Abendlandes. Sonderausgabe, München 1973, S. 1187, 1191. Für Spengler war die Technik magischen Ursprungs, a. a. O., S. 885. Schmitts Katechon-Lehre ist inzwischen gründlich untersucht worden. G. Meuter, Der Katechon. Zu Carl Schmitts fundamentalistischer Kritik der Zeit, Berlin 1994; F. Gross-

, D A S ZEITALTER DER NEUTRALISIERUNGEN U N D ENTPOLITISIERUNGEN"

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Ob Schmitt sich schon 1929 das noch nicht eingetretene Ende mit der Lehre vom Aufhalter erklärte, wissen wir nicht. Fest steht nur, daß die Technik für ihn - anders als für Spengler - kein Zeichen des nahenden Endes ist. Der „Technizität" will er sogar „Geist" zuschreiben. Das heißt, auch in diesem Sinne bildet die Neuzeit keine Progression, sondern einen Kreis. Was am Anfang der Neuzeit religiöser Geist war, ist im 20. Jahrhundert diesseitsgerichteter Geist geworden. Geist ist es aber fur Schmitt in jedem Fall. Die Neuzeit emanzipiert sich von ihrem Ursprung nicht, auch wenn sie bei oberflächlicher Betrachtung ihren Glauben an den Geist durch den Glauben an die Materie zu ersetzen scheint. Endet Schmitts Theorie in einem Verdikt über die Neuzeit? Verurteilt er deren leeren Kreislauf, deren in sich sinnlose, kein Ziel findende Bewegung? Ist ihm die Neuzeit von Anfang an eine nihilistische Epoche, eine an sich sinnlose Rotation? Erscheint Schmitt die Neuzeit schon 1929 als ein bloßer Kampf um Macht, um Entmachtung Gottes und Ermächtigung der Subjektivität, so wie Schmitt die Neuzeit in seiner Kontroverse mit Blumenberg kennzeichnen wird? Ähnlichkeiten mit Späterem sind nicht zu verkennen. Der Vortrag über „Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen" steht zwischen der Politischen Theologie I und der Politischen Theologie II in der Mitte, manches andeutend und auf vieles vorausweisend. Eindeutig ist: Mit Ton und Tendenz der idealistischen Geschichtsphilosophien, mit Kants „Naturabsicht" der Geschichte oder mit Hegels Geschichtsphilosophie als einer Form der „Theodizee" hat diese Geschichtsbetrachtung nichts gemein. Auf einen ewigen Frieden auf Erden ist so wenig zu hoffen wie auf einen dialektischen Fortschritt der Geschichte. Eher schon ähnelt die Geschichte einem rätselhaften Hin und Her, einer Bewegung, die nicht wirklich vom Flecke kommt. Schmitts politisch theologische Betrachtung der Neuzeit läßt sich für ein Verständnis der neuzeitlichen Politik fruchtbar machen. Aus der politischen Theologie lassen sich Begriffsgeschichten ableiten, welche die Verlagerungen des Absoluten ins Weltliche aufweisen, so wie dies Schmitt selbst anhand des Begriffs der Souveränität geleistet hat (PT 49ff.). Auf diese Weise ergibt sich eine „kritische Theorie" neuzeitlicher Politiküberforderung, der Überforderung der Politik durch säkularisierte Absolutheitsansprüche. Hier steht noch manchem Begriff neuzeitlicher Politik seine politisch-theologische Entlarvung bevor."

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heutschi, Carl Schmitt und die Lehre vom Katechon, Berlin 1996. Grossheutschi zeigt den ausufernden Gebrauch, den Schmitt von dieser Lehre macht. Nach Schmitt sollen nicht nur Byzanz und das Britische Empire, sondern auch einzelne Personen wie Hegel, Savigny, Pilsudski oder Masaryk,Aufhalter" gewesen sein. Ein Versuch dazu H. Ottmann, Politische Theologie. Oder: Wie man die politischen Begriffe der Neuzeit theologisch erklären kann, in: V. Gerhardt (Hg.), Der Begriff der Politik. Bedingungen und Gründe politischen Handelns, Stuttgart 1990, S. 169-188.

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HENNING OTTMANN

Nicht zu folgen ist Schmitt allerdings immer dann, wenn er Politik und Theologie in eine allzu enge Verbindung bringt, so als hätte es die christliche Relativierung aller Politik nicht gegeben. Schmitt deutet diese Relativierung zwar an, wenn er die Katholische Kirche eine „complexio oppositorum" nennt, eine Vereinigung politischer Gegensätze (RK 11). Aber Schmitt lag immer mehr an der Verbindung von Theologie und Politik als an einer klaren Trennung der beiden Bereiche. Gerade an einer solchen muß einer christlichen Theologie der Politik aber gelegen sein. Die Weltgeschichte ist nicht das Jüngste Gericht. Die politische Dezision ist keine letzte Entscheidung und die Unfehlbarkeit keine der weltlichen Souveränität. Christlich kann Politik immer nur die Kunst der Regelung vorletzter Dinge sein, weil die Religion zuständig für das Letzte ist. Der konfessionell und weltanschaulich neutrale Staat der Neuzeit ist nicht nur ein politisch-theologisches Verhängnis. Das ist er immer dann, wenn er sich über säkularisierte Theologie legitimiert und der religiöse Absolutheitsanspruch in die Politik übertragen wird. Der neuzeitliche Staat kann aber auch im Sinne einer Zwei-Reiche-Lehre, im Sinne der Zinsperikope und anderer christlicher Relativierungen der Politik als ein Fortschritt zur klaren Trennung von Religion und Politik begrüßt werden. Die Freisetzung des modernen Staates von direkt religiöser Fundierung eröffnet einen weiten Spielraum indirekter Beziehungen von Staat und Religion, der nicht nur aus Gründen notwendig gewordener Konfliktvermeidung, sondern aus christlichen Motiven selbst zu schätzen ist.12 Schmitts Vortrag von 1929 regt den Leser an zu fragen, wie es nach dem 20. Jahrhundert weitergehen wird. Was wird die Technik neutralisieren? Was wird das „Zentralgebiet" des 21. Jahrhunderts sein? Schmitt selbst hat nicht mehr gewürdigt, was sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgezeichnet hat: die Krise der technischen Unterwerfung der Natur, die Erfahrung von den Grenzen der Machbarkeit, eigentlich eine glänzende Bestätigung seiner These, daß die Technik alles andere als neutral ist und daß sie selbst aus dem politischen Streit gezogen werden muß. Die Frage, was die Technik aus dem Streit ziehen wird, stellt sich für das 21. Jahrhundert sogar in verschärfter Form. Vielleicht darf man dem 21. Jahrhundert prophezeien, daß sein „Zentralgebiet" das der technisch produzierten Natur des Menschen selbst sein wird, daß an die Stelle der technischen Unterwerfung der äußeren Natur die gentechnologische Unterwerfung der Natur des Menschen selber treten wird. Der entsprechende „Glaube", die Überfrachtung der neuen Technologie mit paradiesischen Erwartungen (oder teuflischen Schrecken), ist jedenfalls schon da. Das den Streit schlichtende

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Ausführlicher H. Ottmann, Religion und Politik im modernen Staat, in: W. Leithold (Hg.), Politik und Politela. Formen und Probleme politischer Ordnung. Festgabe für Jürgen Gebhardt zum 65. Geburtstag, Würzburg 2000, S. 99-108.

„ D A S ZEITALTER DER NEUTRALISIERUNGEN UND ENTPOLITISIERUNGEN"

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neue „Zentralgebiet" ist dagegen völlig ungewiß. Alle Jahrhunderte der Neuzeit haben eine große Krise erfahren: den konfessionellen Bürgerkrieg; die Erschütterung des mittelalterlichen und aristotelischen Weltbildes; das Erdbeben von Lissabon; den Klassenkampf und den technischen Großunfall, wie er sich mit den Namen Seveso oder Tschernobyl verbindet. Vielleicht wird erst der dem gentechnologischen Zeitalter entsprechende Großunfall ahnen lassen, was die Grenzen der technischen Produktion des Menschen sind und wie der Streit um den Menschen selbst zu neutralisieren ist.

11 Hans-Christof Kraus Freund und Feind im Zeitalter des Kalten Krieges - Zu den „Corollarien" der Ausgabe von 1963 (97-115)

I. Als Carl Schmitt im Jahre 1963 seinen bereits legendären Begriff des Politischen noch einmal, erweitert um einige Zusätze und Ergänzungen, neu herausgab, schien die politische Welt - jedenfalls auf den ersten Blick - eine vollkommen andere zu sein als diejenige der Zeit um 1930, in der die ersten Fassungen dieser Schrift entstanden waren. Aus dem politischen Pluriversum (vgl. BP 54ff.) der Ära nach dem Ersten Weltkrieg war jetzt, mehr als drei Jahrzehnte später (sieht man einmal von den seinerzeit nicht besonders stark ins Gewicht fallenden „blockfreien" Staaten ab), eine bipolare Welt geworden, die Schmitt in einem wichtigen Aufsatz von 1955 als die seinerzeit konkrete historische Form des Gegensatzes von „Land und Meer" 1 deutete. - Jedenfalls wurzelten alle zentralen politischen Krisen der frühen sechziger Jahre, von der bis zum Mauerbau permanenten Berlin-Krise über die Kongo-Krise bis hin zur Kuba-Krise (mit ihrem Höhepunkt im Herbst 1962), in der west-östlichen, amerikanisch-sowjetischen Rivalität und dem aus ihr resultierenden weltpolitischen Spannungszustand. In der Tat wird man sich fragen müssen, warum gerade Schmitt, der doch stets die historische Einmaligkeit des Anrufs aus der Geschichte - und damit ebenfalls die Einmaligkeit und begrenzte Gültigkeit der auf diesen Anruf gegebenen Antworten - so vehement und nachdrücklich betont hat 2 , den Begriff des Politischen ausgerechnet 1963 neu herausbrachte. In seinem neuen Vorwort, datiert „März 1963", versucht er genau hierauf eine Antwort zu formulieren, indem er daraufhinweist, daß Begriffe wie „Krieg" und „Feind" ihre unmittelba-

1

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Die geschichtliche Struktur des heutigen Welt-Gegensatzes von Ost und West (1955) (SGN 523-545). Vgl. BP 31 f.; am konsequentesten wohl im Gespräch über den Neuen Raum von 1955 (SGN 567).

F R E U N D U N D FEIND IM ZEITALTER DES KALTEN KRIEGES

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re, bedrängende Aktualität nicht verloren haben und daß die gegenwärtige Politik immer noch, wie vor Jahrhunderten, nach möglichen Wegen hin zu „völkerrechtlichen Begrenzungen von Krieg und Feindschaft" (BP 12) suchen muß. Wie schon im 1950 erschienenen Nomos der Erde erinnert er erneut daran, daß Feindschaft nur durch „Hegung und klare Begrenzung des Krieges" relativiert werden kann und daß die Abkehr von den Prinzipien des klassischen Völkerrechts eine der Grundvoraussetzungen für die Krisenlage der unmittelbaren Gegenwart darstellt.3 Die, wie er es ausdrückt, „verwirrte Zwischenlage von klassischen und revolutionären Rechtsbegriffen" (BP 15, vgl. 13), die bereits die Zwischenkriegszeit kennzeichnete und auf die Der Begriff des Politischen seinerzeit eine Antwort zu geben versuchte, dauert (nach seiner Diagnose von 1963) auch etwas mehr als dreißig Jahre später immer noch an, ungeachtet der säkularen Umwälzungen in der Folge des jüngst vergangenen Krieges. Im „sogenannten Kalten Krieg", wie er ihn ausdrücklich bezeichnet, „brechen alle Begriffsachsen, die das überkommene System der Begrenzung und Hegung des Krieges bisher getragen haben. Der Kalte Krieg spottet aller klassischen Unterscheidungen von Krieg und Frieden und Neutralität, von Politik und Wirtschaft, Militär und Zivil, Kombattanten und Nicht-Kombattanten - nur nicht der Unterscheidung von Freund und Feind, deren Folgerichtigkeit seinen Ursprung und sein Wesen ausmacht" (BP 18). Diese knappe Zeitdiagnose liefert in der Tat bereits die Antwort auf die Frage nach den Gründen für die Neupublikation: Die „Zwischenlage" der Zeit um 1930 dauert trotz aller Veränderungen im Detail auch 1963 noch unvermindert an, und die durch die Abkehr von den Prinzipien des klassischen Jus Publicum Europaeum - eigentlich durch „Versailles" - entstandene Lage (vgl. NE 233ff.) ist auch durch die Resultate des Zweiten Weltkrieges nicht grundlegend verändert worden. 4 Nur die Frontlinien, die Freund-Feind-Verhältnisse haben sich geän-

3

So vor allem BP 1 l f : , A u f keinen Fall ist es ein Fortschritt im Sinne der Humanität, den gehegten Krieg des europäischen Völkerrechts als reaktionär und verbrecherisch zu ächten und statt dessen, im Namen des gerechten Krieges, revolutionäre Klassen- oder Rassenfeindschaften zu entfesseln, die Feind und Verbrecher nicht mehr unterscheiden können und auch nicht mehr unterscheiden wollen". - Vgl. allgemein auch NE 200ff.

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Manche Thesen, die sich im Begriff des Politischen finden, lesen sich fast als unbeabsichtigte Voraussagen der politischen Lage nach 1945; siehe etwa BP 46: „Die Entwicklung der militärischen Technik scheint dahin zu fuhren, daß vielleicht nur noch wenige Staaten übrig bleiben, denen ihre industrielle Macht es erlaubt, einen aussichtsreichen Krieg zu führen, während kleinere und schwächere Staaten freiwillig oder notgedrungen auf das jus belli verzichten, wenn es ihnen nicht gelingt, durch eine richtige Bündnispolitik ihre Selbständigkeit zu wahren."

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HANS-CHRISTOF KRAUS

dert, nicht aber die Gültigkeit der Freund-Feindbestimmung als Voraussetzung einer der Lage angemessenen Definition des „Politischen". Warum Schmitt eine wirkliche Neubearbeitung seiner Schrift (trotz gewisser Ungenauigkeiten und Unvollständigkeiten, die er ausdrücklich betont) nicht vorgenommen hat, sondern deren Fassung von 1932 „als Dokument mit allen seinen Mängeln" (BP 17) erneut vorlegt, sagt er indes nicht. Eine mögliche Antwort könnte darin bestehen, daß er die letzte Fassung von 1933, die einige inhaltlich bemerkenswerte Änderungen enthielt und zudem stark von nationalsozialistischem Gedankengut infiziert war 5 , nicht erwähnen und damit nicht ins Bewußtsein zurückrufen wollte. Jede Neubearbeitung hätte sich an eben dieser Fassung orientieren müssen (oder sie wenigstens nicht ignorieren können), und jeder kundige Leser hätte sofort eben jene beiden letzten Fassungen miteinander verglichen. Das konnte nicht in der Absicht ihres Verfassers liegen, der sich 1963 erneut Gehör verschaffen wollte - und zwar seinem eigenen Anspruch nach als ernsthafter, von den Verirrungen vergangener Tage unbehelligter politischer Analytiker. 6

II. Eine dreißig Jahre alte Schrift unverändert neu aufzulegen, bringt gewisse Probleme mit sich. Denn mag die inzwischen entstandene neue Lage der alten, auf die jene Schrift einst antwortete, in ihrer Struktur auch noch so ähnlich sein, so hat sich doch die Erkenntnis- und Analysefahigkeit eines Autors entwickelt und damit verändert. Er hat seine Gedanken weitergedacht, differenziert, vielleicht ausgebaut, in jedem Fall aber ergänzt.7 Das gilt auch fur Schmitt, der seit 1932 das Phänomen, um das es geht, stets „im Auge behalten" hat und, wie er selbst sagt, die „immer von neuem sich aufwerfenden Fragen immer neuer, tumultuöser Situationen auf ihre Kriterien" erprobt hat: „Auf diese Weise wächst eine Erkenntnis an die andere und es entsteht eine Reihe von Corollarien" (BP 17). Mit 5

Zum Vergleich der beiden Fassungen immer noch grundlegend: Heinrich Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss und der Begriff des Politischen - Zu einem Dialog unter Abwe-

6

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senden, Stuttgart 1988. Zu Schmitts geistig-politischer Existenz nach 1945 vgl. Paul Noack, Carl Schmitt Eine Biographie, Berlin/Frankfurt/M. 1993, S. 248ff., sowie Dirk van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens - Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993, passim. Im Vorwort zur Neuausgabe von 1963 weist Schmitt ausdrücklich darauf hin, daß spätere seiner Publikationen „den Ansatz dieses Begriffs des Politischen weiterführen und die Encadrierung auszufüllen suchen" (BP 13). Er nennt hier: Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff ( 1938) und Der Nomos der Erde (1950).

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dem lateinischen Begriff des „Corollariums" (nach dem der deutsche Ausdruck „Korollarium" oder auch nur „Korollar" geprägt wurde) bezeichnet Schmitt seine drei Ergänzungen, die er der Neuausgabe beigegeben hat. Nun bezeichnet „Corollarium" aber nicht nur, wie in der wörtlichen lateinischen Bedeutung, ein „Kränzchen" im Sinne einer „Zugabe", sondern ebenfalls, im Bereich der Logik, einen Satz, der aus einem bewiesenen Satz folgt bzw. aus diesem abgeleitet werden kann.8 Man darf mit Sicherheit annehmen, daß sich der ausgeprägte Begriffsdenker Schmitt9 beider Bedeutungen dieses von ihm gewählten (sonst eher selten verwendeten) Begriffs bewußt gewesen ist.10 Bei den drei Corollarien der Ausgabe von 1963 handelt es sich allerdings, wie der Autor sofort klarstellt, keineswegs etwa um einen beliebigen „Anhang", den viele Bücher aufweisen, sondern um eine ganz besondere Kategorie von „Beigaben" - nämlich um solche, die bestimmte Ideen weiterführen und zentrale Begriffe wie Neutralität, Krieg, Feind sowie weitere Binnendifferenzierungen gewisser Formen des Völkerrechts entfalten und genauer erläutern sollen." Nimmt man jene Corollarien nun näher in den Blick, dann stellt man indes bald fest, daß es sich nicht um neue oder wenigstens umformulierte, überarbeitete Texte Schmitts handelt, sondern lediglich um einen - nur in einigen wenigen Teilen modifizierten - Neuabdruck älterer Texte, die erstmals 1931, 1940 und 1950 in jeweils sehr unterschiedlichen Kontexten veröffentlicht worden waren, - damit zugleich in sehr verschiedenen Zeiten: in der Endphase der Weimarer Republik, am Beginn des Zweiten Weltkrieges und kurz nach Begründung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten. Das Verdienst, diese Texte erstmals genau identifiziert zu haben, gebührt Piet Tommissen.12 8

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Zur genauen Begriffsbestimmung: Duden. Das große Fremdwörterbuch, 2. Aufl., Mannheim/Leipzig/Wien 2000, S. 757. Vgl. dazu u. a. Helmut Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, 2. Aufl., Berlin 1991, S. 19ff.; Hans-Christof Kraus, Anmerkungen zur Begriffs- und Thesenbildung bei Carl Schmitt, in: Politisches Denken. Jahrbuch 1998, Stuttgart/Weimar 1998, S. 161-176. Es sei an dieser Stelle daraufhingewiesen, daß sich auch in NE 11-51 „Fünf einleitende Corollarien" finden. Vgl. BP 17. - Aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist, daß Schmitt die ebenfalls Anfang 1963 publizierte Theorie des Partisanen ausdrücklich nicht als „Corollarium", sondern als „Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen", und in diesem Sinne als „selbständige Arbeit", also als eigenständige Abhandlung bezeichnet (TP, S. 7), was auf die „Corollarien" zum Begriff des Politischen demnach also per definitionem nicht zutrifft! Piet Tommissen, Contributions de Carl Schmitt a la polémologie, in: Revue européenne des sciences sociales 16 (1978), No. 44: Miroir de Carl Schmitt, S. 141-170, hier S. 145, Anm. 13.

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Corollaríum 1 ist betitelt „Übersicht über die verschiedenen Bedeutungen und Funktionen des Begriffes der innerpolitischen Neutralität des Staates" (BP 97101). Die kleine begriffserläuternde Skizze ist im zeitlichen und sachlichen Umfeld der ersten Fassungen des Begriffs des Politischen entstanden, findet sich zum ersten Mal als eingeschobene Passage im Hüter der Verfassung von 1931 (HdV 111-115) und ist dann noch einmal aufgenommen in die 1940 veröffentlichte Sammlung Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar - Genf - Versailles (PB 158-161). Dieser Text sei, darauf weist Schmitt im Anhang hin, die Grundlage ,,mehrere[r] Vorträge" gewesen, die er 1930 und 1931 gehalten habe.13 - Es ist bemerkenswert, daß der Autor (läßt man das Kaiserreich, in dem er zu publizieren begonnen hatte, hier einmal beiseite) diesem Text in allen drei verschiedenen Schaffensphasen seiner Autorschaft, die mit den politischen Begriffen Weimar, NS-Staat und Bundesrepublik umschrieben werden können, eine offenbar unverminderte Bedeutung zugemessen und ihn deshalb jeweils erneut abgedruckt hat. Einem ebenfalls begriffsbezogenen Gegenstand ist die deutlich umfangreichste der drei Beigaben, Corollarium 2, gewidmet; es trägt den Titel „Über das Verhältnis der Begriffe Krieg und Feind". Die Jahreszahl der Entstehung (1938) ist erstaunlicherweise beigefügt; zuerst gedruckt erschien der Text 1940 in Positionen und Begriffe (PB 244-255). Dort findet sich im Anhang die Notiz, der Text habe als „Übersicht" den „Seminarübungen 1937/38" des Verfassers zugrundegelegen, und gleichzeitig wird angemerkt: „Das Ganze ist der Versuch einer Weiterfuhrung des .Begriffs des Politischen'" (PB 316). Auch hier hat Schmitt den Text, abgesehen von einer gleich im ersten Satz vorgenommenen Präzisierung14, unverändert übernommen. Außerdem weist er daraufhin, daß ein Teil dieses Textes „in ausgearbeiteter Form" (PB 316) in einem Anfang Oktober 1939 veröffentlichten Artikel erneut publiziert worden ist.15 Die Entstehungszeit von Corollarium 3 wiederum ist nicht genau zu bestimmen: Der Text ist der 1950 publizierten (aber im Manuskript teilweise bereits vor 1945 entstandenen) Monographie Der Nomos der Erde im Völkerrecht des 13

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Schmitt weist in diesem Zusammenhang (mit falscher Jahreszahl: „1938" statt „1930") auf die folgende Veröffentlichung hin: Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, in: Mitteilungen der Industrie- und Handelskammer Berlin 28 (1930), H. 9 (10. 5. 1930), S, 471-477. Aus „Feind ist heute der primäre Begriff' (PB 244) wurde: „Feind ist heute im Verhältnis zu Krieg der primäre Begriff (BP 102). Vgl. PB 30; die Angabe, es handele sich dabei um „Teil III", ist unrichtig, vielmehr wurde Abschnitt 4 in erweiterter Form publiziert unter dem Titel: „Inter pacem et bellum nihil medium", in: Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 6 (1939), Heft 18(1. 10. 1939), S. 594-595.

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Jus Publicum Europaeum (NE 183-185) entnommen. Nur dieser Text weist in der Fassung von 1963 eine deutliche Veränderung auf, nämlich die Hinzufugung eines ganzen, immerhin achtzehn Zeilen umfassenden neuen Absatzes.16 Weitere Unterschiede zwischen Erst- und Zweitfassung sind nicht nachzuweisen. - Bei allen drei Corollarien handelt es sich also gewissermaßen um Dokumente, die den Fortgang der Schmittschen Reflexionen über diesen Gegenstand belegen und die Weiterentwicklung seiner Arbeit an diesem zentralen Thema seines Denkens nachweisen sowie deren Resultate präsentieren sollen.

III. Dem Sinn und Zweck der Corollarien kommt man mit einer Bemerkung im Vorwort von 1963 zum Begriff des Politischen am besten auf die Spur, in der es heißt, „die konkret gegenwärtige Herausforderung" jeder Erörterung des Politischen sei in der ,,verwirrte[n] Zwischenlage von klassischen und revolutionären Rechtsbegriffen" (BP 15) zu suchen und zu finden. Denn die einst (1932) erstmals analysierte „Ausgangssituation dauert an und keine ihrer Herausforderungen ist überwunden. Der Widerspruch zwischen der offiziellen Verwendung klassischer Begriffe und der effektiven Wirklichkeit weltrevolutionärer Ziele und Methoden hat sich nur noch verschärft. Die Reflexion über eine derartige Herausforderung darf nicht aufhören und der Versuch einer Antwort muß weitergeführt werden" (BP 17). Das bedeutet: Die Analyse der politischen Lage der Gegenwart erfordert - neben anderem - eine möglichst umfassende wie auch präzise Klärung und gegebenenfalls eine erweiterte oder veränderte Definition aller zentralen Begriffe, darunter: Freund, Feind, Krieg, Neutralität und nicht zuletzt Völkerrecht, denn alle diese Begriffe sind, wie Schmitt ausdrücklich sagt, „in sich pluralistisch und nur aus der konkreten politischen Existenz heraus zu verstehen" (BP 84). Der Autor drückt es gleich zu Beginn klar aus, daß er „nur eine ganz besondere Art solcher Corollarien" fur die Neuausgabe seiner Begriffsschrift im Blick hat, es kommen nämlich nur solche, „die eine Übersicht über die Relationen eines Begriffsfeldes vermitteln, in Betracht. Sie umreißen ein Begriffsfeld, in welchem die Begriffe sich durch ihre Stellung im Begriffsfeld gegenseitig informieren" (BP 17). Diese Bemerkungen machen deutlich, daß er sich hier an der von der deutschen Sprachwissenschaft seit den 1930er Jahren entwickelten sog. „Wortfeldtheorie" orientiert, als deren wichtigster Begründer der Germanist

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Es handelt sich um den dritten Absatz des Textes; vgl. NE 183 mit BP 113.

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Jost Trier (1894—1970) gilt.17 Diese linguistische Theorie geht von der Grunderkenntnis aus, daß bestimmte Wortbedeutungen im Sprachsystem nicht isoliert, sondern in vielfältigen Bezügen und Verbindungen zu Bedeutungen anderer Wörter bestehen. Diese Bezüge ermöglichen es, bestimmte Wörter sogenannten „Wortfeldern" zuzuordnen, die man auch als semantische oder Bedeutungsfelder bezeichnen kann. Schmitt verwendet den Ausdruck „Begriffsfeld" und geht im Sinne der von ihm hier rezipierten Theorie von der Grundannahme aus, daß sich gerade auch zentrale politische und Rechtsbegriffe im Rahmen ihrer Stellung innerhalb bestimmter Bedeutungsfelder erhellen, erklären, definieren und nicht zuletzt in ihrer aktuellen politischen Funktion erkennen lassen. Genau diesem Zweck haben vorrangig die drei Corollarien zu dienen. Die politisch-polemische Funktion der in den ersten beiden Corollarien enthaltenen Texte von 1930/31 und 193818 läßt Schmitt in seiner Neuausgabe ganz in den Hintergrund treten, gleichwohl müssen sie im Rahmen einer genauen Analyse und Deutung natürlich Berücksichtigung finden. „Neutralität", „Neutralismus" und „neutral" sind Termini, denen im Argumentationskontext von Schmitts Begriff des Politischen eine zentrale Bedeutung zukommt. Diese Begriffe sind für ihn eindeutig negativ besetzt, denn seine scharfe Kritik am Liberalismus19 operiert in erster Linie mit dem Terminus „Neutralisierung", den er mit Autonomisierung und vor allem „Entpolitisierung" gleichsetzt, also mit der bewußten Herausnahme aus dem Bereich des Politischen, des Raumes, in dem Freund-Feindbestimmungen möglich sind.20 Das Streben nach „Neutralisierung" bestimmter Bereiche der Gesellschaft (vor allem des Glaubens und der Wirtschaft) ist für Schmitt nichts anderes als ein zentraler Aspekt des Kampfes des europäischen Bürgertums um die Erringung nicht nur der ökonomischen, sondern auch der politischen Macht im modernen Staat; damit sind Begriffe wie „neutral" und „Neutralität" polemische Begriffe geworden, die dem Kampf, dem πόλεμος gegen den absoluten oder den monarchischbürokratischen Staat zu dienen hatten (vgl. u. a. BP 68ff.). Gleichzeitig aber wird das Endziel einer völligen Pazifizierung und damit auch Entpolitisierung der politischen Welt verfolgt. Diesen Widerspruch versucht Schmitt in seiner Begriffsschrift zu enthüllen. 17

18 19

20

Vgl. bes. Jost Trier, Aufsätze und Vorträge zur Wortfeldtheorie, Berlin 1971; zum Zusammenhang siehe auch Peter Rolf Lutzeier (Hg.), Studien zur Wortfeldtheorie, Tübingen 1993. Siehe dazu oben, Abschnitt II. Vgl. bes. BP 61f., 68ff. u. passim ; zum Zusammenhang der Schmittschen Argumentation siehe auch GLP, bes. 5-23 u. passim. Vgl. dazu vor allem den der Ausgabe von 1963 ebenfalls beigegebenen Vortrag Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen von 1929, BP 79ff.

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Die „Übersicht über die verschiedenen Bedeutungen und Funktionen des Begriffes der innerpolitischen Neutralität des Staates", die im Corollarium 1 zu finden ist, dient genau diesem Zweck. Sie ist also alles andere als eine vorgeblich objektive, „rein wissenschaftliche" Wort- oder Begriffsfeldanalyse von „Neutralität"; Schmitt bezeichnet seine Ausführungen als „eine zusammenfassende Aufstellung [...], in der die verschiedenen Bedeutungen, Funktionen und polemischen Richtungen dieses Wortes mit einiger Systematik gruppiert sind" (BP 97). Insgesamt unterscheidet er acht Bedeutungen, vier davon sind „negative, das heißt von der politischen Entscheidung wegführende Bedeutungen" (BP 97), vier weitere sind dagegen „positive, das heißt zu einer Entscheidung hinführende Bedeutungen des Wortes .Neutralität'" (BP 100). Die Erläuterungen zu den „negativen" Bedeutungen sind dreimal so umfangreich wie diejenigen zu den „positiven" - bereits aus dieser räumlichen Gewichtung wird ersichtlich, welche Absichten der Autor verfolgt. Die ersten vier Bedeutungen sind: (1) Neutralität als Nichtintervention, als passive Toleranz, (2) Neutralität als rein instrumentelles Staatsverständnis, das den Staat als rein „technisches Mittel" versteht, (3) „Neutralität im Sinne der gleichen Chance bei der politischen Willensbildung", und schließlich (4) als „Parität", also als „gleiche Zulassung aller in Betracht kommenden Gruppen und Richtungen unter gleichen Bedingungen und mit gleicher Berücksichtigung bei der Zuwendung von Vorteilen oder sonstigen staatlichen Leistungen" (BP 99). Es handelt sich also um die nach Schmitts Auffassung „unpolitischen", da „von der politischen Entscheidung wegführende[n]" (BP 97), also um die (in seinem spezifischen Verständnis) liberalen Bedeutungen von Neutralität. Die ausführlichen, sachliche gehaltenen, nicht direkt polemisch argumentierenden und sich zumeist auch nicht auf konkrete Lagen beziehenden Erläuterungen Schmitts21 enthalten jedoch, gerade in ihren scheinbar „sachlichen" Feststellungen, klare politische Wertungen, die aus dem gedanklichen Zusammenhang des vorangegangenen Haupttextes leicht zu erschließen sind. Es ist klar, daß er einen „neutralisierten" Staat, der „restlos entpolitisiert" ist und „von sich aus Freund und Feind nicht mehr unterscheiden" (BP 98, vgl. 99f.) kann, strikt ablehnt. Die vier positiven, also „zu einer Entscheidung hinführende[n] Bedeutungen" sind: (1) „Neutralität im Sinne der Objektivität und Sachlichkeit auf der Grundlage einer anerkannten Norm" (BP 100), (2) „Neutralität auf der Grundlage einer nicht egoistisch-interessierten Sachkunde" (BP 100), (3) Neutralität im Sinne einer „die gegensätzlichen Gruppierungen umfassenden, daher alle diese Gegensätzlichkeiten in sich relativierenden Einheit und Ganzheit" (BP 101), sowie (4) die „Neutralität

21

Ausnahmen sind die knappen Bezüge auf einzelne Probleme der Weimarer Reichsverfassung, BP 98f.

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des außenstehenden Fremden, der als Dritter von außen her nötigenfalls die Entscheidung und damit eine Einheit bewirkt" (BP 101). Die ersten beiden, also die Neutralität des Richters und die des sachkundigen Gutachters und Beraters interessieren Schmitt nicht sonderlich; er hat sie, wie es scheint, nur um der Vollständigkeit willen aufgenommen. Die dritte und die vierte dagegen sind von direkter politischer Relevanz: gemeint sind nämlich die „Neutralität der staatlichen Entscheidung innerstaatlicher Gegensätze", also die Möglichkeit des Staates, sich im Interesse des Ganzen gegen die Ansprüche partikular-pluralistischer Sonderinteressen durchzusetzen (3), und „die Objektivität des Schutzherrn gegenüber dem unter Protektorat stehenden Staate und dessen innerpolitischen Gegensätzen" (BP 101) und unterschiedlichen Interessen (4). Den politischen Kontext der Entstehung dieser im Corollarium 1 gegebenen Übersicht hat Schmitt wenigstens angedeutet, indem er auf einen Vortrag von 1930 hinwies22, der das „Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates" zum Thema hatte. Im Kontext der ausgehenden Weimarer Republik hatte er die Tendenz zur „Neutralisierung", damit die „Entpolitisierung", ja die „Flucht aus der Politik" als Vorstufe zum ,,politische[n] Untergang" gedeutet. Er wandte sich ausdrücklich gegen „verfassungswidrige", den Staat schwächende politische Handlungsweisen und beschwor seine Zuhörer und Leser, die „verfassungsmäßigen Möglichkeiten", die „bei weitem noch nicht erschöpft" 23 seien, zur Selbstbehauptung Deutschlands zu nutzen. 24 Nicht zuletzt diese Formulierungen belegen die von Schmitt immer wieder betonte Grundüberzeugung von der Gefährlichkeit der „Neutralität" vor allem in Krisen-, also „Zwischenlagen" politischer Existenz. Neutralität hat nur dann eine gewisse Funktion, wenn sie im MÌC/Ì/politischen Bereich wirksam wird, oder wenn man es sich - etwa aufgrund eigener enormer politischer Stärke - erlauben kann, die Tatsache, daß man selbst

22 23

24

Siehe oben, Anm. 13. Die Zitate: „Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates" (wie Anm. 13), S. 477. Ebd., S. 477: „Zur Verfassungsloyalität gehört es, die Möglichkeiten einer Verfassung zu benutzen, bevor man an gefährliche Katastrophen oder an eine allgemeine Kapitalflucht aller staatlichen Substanz denkt. Heute steht das deutsche Volk vor einer einfachen Alternative: entweder aus eigenem politischen Willen seine politische Einheit zu retten oder aber als Reparationseinheit kraft fremden Willens zu existieren. Vor einem solchen Entweder-Oder gibt es für einen Deutschen keine Neutralität, und es wäre eine schnell erledigte Illusion, neutral bleiben zu wollen, wenn es sich um das eigene Leben handelt, um den eigenen Staat und die politische Existenz des eigenen Volkes". - Vgl. hiermit vor allem BP 52-54!

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im Umfeld eines politischen Pluriversums existiert, zu vernachlässigen oder vielleicht sogar zu ignorieren. Macht ist niemals neutral.25

IV. Im Jahr vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges wurde das Corollarium 2 „Über das Verhältnis der Begriffe Krieg und Feind" verfaßt - von Schmitt ausdrücklich verstanden als „Weiterfuhrung des Begriffs des Politischen"26 und deshalb auch aufgenommen in die Neuausgabe von 1963. Er hat im Vorwort dieser Ausgabe mit besonderem Nachdruck die unveränderte Aktualität seiner um 1930 vorgenommenen Freund-Feind-Unterscheidung als Kriterium des Politischen betont27, und daraus kann man ebenfalls den Anspruch auf die fortdauernde Aktualität der im zweiten Corollarium enthaltenen, wiederum ein Begriffsfeld abschreitenden Skizze ableiten. Die beiden Begriffe, um die es hier geht, „Krieg" und „Feind", sind - folgt man den Ausführungen im Haupttext - aufs engste miteinander verknüpft: Da, wie er hier sagt, zum Begriff des Feindes „die im Bereich des Realen liegende Eventualität eines Kampfes" (BP 33) gehört, ist Krieg nichts anderes als „die äußerste Realisierung der Feindschaft", und das bedeutet, er muß „als reale Möglichkeit vorhanden bleiben, solange der Begriff des Feindes seinen Sinn hat" (BP 33). Auf der anderen Seite enthüllt der Krieg wiederum als politischer „Ernstfall" nicht nur die (vorher zuweilen verhüllten) Freund-Feind-Gruppierungen, sondern ebenfalls die äußersten Konsequenzen der politischen Existenz der Menschen.28 Daraus läßt sich folgern, daß die Begriffe Krieg und Feind - eben weil sie in ihrer inhaltlichen Konkretisierung aufs engste miteinander verbunden sind zwar nicht einem gemeinsamen Wort- oder Begriffsfeld, aber doch einem gemeinsamen Bedeutungsfeld, einem semantischen Feld angehören. Die Tatsache, daß es sich hier um die zentralen Begriffe von Schmitts Begriff des Politischen handelt, dürfte sich auch darin ausdrücken, daß dieses zweite Corollarium die beiden anderen im Umfang bei weitem übertrifft; es ist mehr als doppelt so 25

26 27 28

Vgl. dazu GM 27: „Ich sage nicht, daß die Macht von Menschen über Menschen gut ist. Ich sage auch nicht, daß sie böse ist. Am allerwenigsten sage ich, daß sie neutral ist". Siehe oben, S. 174. Siehe oben, S. 170f. Vgl. BP 35: ,Auch heute noch ist der Kriegsfall der ,Ernstfall'. Man kann sagen, daß hier, wie auch sonst, gerade der Ausnahmefall eine besonders entscheidende und den Kern der Dinge enthüllende Bedeutung hat. Denn erst im wirklichen Kampf zeigt sich die äußerste Konsequenz der politischen Gruppierung von Freund und Feind. Von dieser extremsten Möglichkeit her gewinnt das Leben der Menschen seine spezifisch politische Spannung".

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umfangreich wie das erste und das dritte zusammengenommen.29 Im übrigen gehört dieser Text, wie an vielen Details zu belegen ist, in den Kontext von Carl Schmitts seit den frühen 1920er Jahren geführtem Kampf gegen den „Zwischenzustand" der von „Versailles" begründeten und von „Genf verteidigten „NichtFriedensordnung"30; insofern ist es auch kein Zufall, daß er erstmals in dem gleichnamigen Sammelband von 1940 publiziert worden ist.31 In den insgesamt sechs Abschnitten des Corollariums 2 geht es ebenfalls nicht um die strenge, in der Materialerfassung ausfuhrliche Analyse eines semantischen Feldes, sondern um den - zuweilen durchaus assoziativ vorgenommenen Nachweis der unterschiedlichen Zusammenhänge und inhaltlichen Verbindungslinien jener beiden Termini. Zuerst wird (ganz bewußt von der gegenwärtigen Lage ausgehend) der Begriff Feind als der „im Verhältnis zu Krieg" primäre Begriff definiert (1). Eben dies habe, betont Schmitt, im Ersten Weltkrieg noch nicht gegolten: Seinerzeit habe erst der sich zur „Totalität" steigernde Kriegsverlauf eine „Totalität der Feindschaft" (BP 103) entstehen lassen. Durch den Versailler Vertrag aber sei eine neue Lage: nämlich die eines Scheinfriedens, geschaffen worden. Der Vertrag sei nichts weniger als „ein Verdammungsurteil der Sieger über den Besiegten", und der letztere werde „um so mehr nachträglich zum Feind gestempelt, je mehr er der Besiegte ist" (BP 103). Zu dieser situativen, die Gegebenheiten der Lage aufnehmenden Bestimmung gehört auch der Gegenstand des zweiten Abschnitts: die Bestimmung des Angreifers als „Feind" durch das „Paktsystem der Genfer Nachkriegspolitik" (2): Mit diesem Instrument könne - ganz nach Belieben der Begründer und Träger des „Genfer" Völkerrechtssystems, also der Sieger von 1918 - ein Feind konstruiert und „dadurch einem sonst sinnlosen Krieg ein[...] Sinn" gegeben werden. Ziel sei in jedem Fall die grundsätzliche Kriminalisierung des Feindes, der auf diese Weise „zum Verbrecher gemacht" werde (BP 103f.). Rein sprachgeschichtlichen Fragen widmen sich die Ausführungen des dritten Abschnitts, in dem ein knapper Abriß der sprachlichen und logischen Struktur von „Freund" und „Feind" in verschiedenen Sprachen versucht wird (3): Feind entsteht für Schmitt (im Deutschen) aus „Fehde"; in anderen Sprachen dominiert die Wortbildung im Sinne von „Nicht-Freund". Die „Privatisierung und Psychologisierung" des Feindbegriffs gehört dagegen ins 19. Jahrhundert und damit in den Zusammenhang aufgeklärt-liberaler „Entpolitisierungen"; daß Schmitt die-

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Corollarium 1: viereinhalb Seiten; Corollarium 2: knapp zehn Seiten; Corollarium 3: vier Seiten. Dazu siehe die Sammlung der einschlägigen Texte in PB 26ff., 88ff., 162ff., 210ff. u. passim. Siehe oben, S. 174.

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sen unpolitischen „Abweg" nicht billigt, ihn nur der Vollständigkeit halber erwähnt, liegt auf der Hand.32 Der vierte Abschnitt, der umfangreichste des zweiten Corollariums, nimmt den Kampf mit „Genf wieder auf: Es geht zuerst um die klare Bestimmung der Begriffe Krieg und Feindschaft aus der Negation (4). Krieg ist „alles, was nicht Friede ist", und Feindschaft dementsprechend alles, „was nicht Freundschaft ist" (BP 105); diese Begriffsbestimmungen lassen sich auch jeweils umkehren. Jener hierin gründenden Maxime des klassischen Völkerrechts Inter pacem et bellum nihil est medium, die Hugo Grotius einst von Cicero übernommen hatte33, ist durch das System von Versailles und Genf nun ein Ende bereitet worden. Heute hingegen bestehe, so Schmitt, „eine [...] abnorme Zwischenlage zwischen Krieg und Frieden, in der beides gemischt ist". Drei Hauptursachen macht er hierfür namhaft: neben den „Pariser Friedensdiktate[n]" vor allem den Völkerbund und „drittens die Ausdehnung der Vorstellung vom Kriege auch auf nichtmilitärische (wirtschaftliche, propagandistische usw.) Betätigungen der Feindschaft".34 Auf diese Weise hatten die Siegermächte, ,je nachdem ob sie Krieg oder Frieden annahmen, auf jeden Fall die Genfer Legalität auf ihrer Seite [...], während sie deren Begriffe wie Paktbruch, Angriff, Sanktionen usw. ihrem Gegner in den Rücken stießen" (BP 107). Als aufschlußreichstes Beispiel fur die von ihm wortreich angeprangerte politische Heuchelei dieser „Genfer Art von Pazifismus" nennt er nur die unterschiedliche Beurteilung des japanischen Kriegs gegen China (1931/32) einerseits und des italienischen Angriffs auf Abessinien (1935) andererseits; nur gegen Italien wurden bekanntlich vom Völkerbund Sanktionen beschlossen (vgl. BP 109). Aus der Perspektive der deutschen Interessen nicht erst des Jahres 1938 ergibt sich fur Schmitt die klare Forderung, daß der vom Sieger „durch Kellogpakt und Völkerbund institutionalisierte Zwischenzustand zwischen Krieg und Frieden" (BP 109) - nachdem er einmal als solcher erkannt, analysiert und durchschaut worden ist - bekämpft und überwunden werden muß. Warum aber der Abdruck eben dieses Textes in der Neuausgabe des Begriffs von 1963? Wenn Schmitt im neuen Vorwort die Ähnlichkeit beider Nachkriegslagen betont, trotz des Übergangs vom politischen Pluriversum zu einem, wie man sagen könnte, west32 33 34

Die Zitate: BP 104. Siehe die Nachweise in BP 106, Anm. 3. BP 106f.; vgl. 107: „Jene Friedensdiktate [...] haben den Feindbegriff so weit getrieben, daß dadurch nicht nur die Unterscheidung von Kombattanten und NichtKombattanten, sondern sogar die Unterscheidung von Krieg und Frieden aufgehoben wurde. Gleichzeitig aber suchten sie diesen unbestimmten und absichtlich offengehaltenen Zustand zwischen Krieg und Frieden durch Pakte zu legalisieren und juristisch als den normalen und endgültigen Status quo des Friedens zu fingieren."

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östlichen Duoversum, dann muß er auch von der Aktualität seiner Ergänzungen zum Begriff aus den späten dreißiger Jahren überzeugt sein. Daran ändert die vollkommen gewandelte Lage des 1945 besiegten und unterworfenen Deutschland nichts, denn auch der Kalte Krieg ist nichts anderes als ein „Zwischenzustand", ein medium zwischen pacem et bellum, in dem mit allen scheinbar „legalen" Mitteln gekämpft wird, also auch mit den zur politischen Waffe umformulierten und verwendeten Begriffen des Völkerrechts der ersten (und nun auch der zweiten) Nachkriegszeit. Der Neuabdruck dieses Textes, dessen ursprünglicher Kontext ein anderer war35, verfolgte jetzt ganz offensichtlich den Zweck, den Lesern der Ausgabe von 1963 den Blick für die unveränderte Gültigkeit der Problematik eben jener politischen „Zwischenlage" verständlich zu machen und sie zu wappnen gegen die Phrasen eines politisch nur allzu leicht instrumentalisierbaren scheinbar „neuen" Völkerrechts. Eine direkte politische Anwendung auf die Lage von 1963 hat Schmitt wohlweislich den mitdenkenden unter seinen Lesern überlassen. Die beiden letzten Abschnitte dieses zweiten Corollariums befassen sich mit dem Begriff des „totalen Kriegs" (5)36, den Schmitt als Ausweitung der Kriegshandlungen auf nichtmilitärische Bereiche definiert37, sowie schließlich mit dem 35

Dieser Kontext geht aus der zum Vortrag erweiterten (und Anfang Oktober 1939 publizierten!) Fassung eben dieses vierten Abschnitts des Corollariums 2 hervor; es heißt dort klar und präzise, „Inter pacem et bellum nihil medium" (Zeitschrift der Akademie fur deutsches Recht 6, 1939, 595): „Erst eine konkrete Betrachtung des Verhältnisses von Krieg und Frieden macht es in vollem Maße erkennbar, was es völkerrechtlich bedeutet hat, daß die alte völkerrechtliche Ordnung durch das Unrecht von Versailles vernichtet worden und keine neue Ordnung an ihre Stelle getreten ist. Die Urheber und Verteidiger des Versailler Systems trifft die ganze Schuld an der Abnormität eines Zwischenzustandes, der gleichzeitig weder Krieg noch Frieden und doch auch sowohl Krieg wie Frieden ist. Eine solche Unordnung geht tiefer, als daß sie durch bloße .Revisionen' in Ordnung gebracht werden könnte. Versailles und der auf ihn aufgebaute Betrug des Genfer Pazifismus haben den Frieden in eine lügnerische Fiktion verwandelt und damit den fundamentalsten und ersten Begriff jedes Völkerrechts und jeder Ordnung zerstört. Erst wenn dieser Nicht-Friede von Versailles von Grund auf beseitigt ist und einer echten Friedensordnung Platz gemacht hat, ist auch jener unselige Zwischenzustand zwischen Krieg und Frieden überwunden. Das eigentliche Problem ist also nicht das des Kriegsbegriffs, sondern das des echten Friedens".

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Siehe bereits die vorbereitende Skizze von 1937: Totaler Krieg, totaler Feind, totaler Staat, in PB 235-239. Vgl. BP 109f.; bes. 110: „Die Totalisierung besteht [...] darin, daß auch außermilitärische Sachgebiete (Wirtschaft, Propaganda, psychische und moralische Energien der Nichtkombattanten) in die feindliche Auseinandersetzung einbezogen werden. Der Schritt über das rein Militärische hinaus bringt nicht nur eine quantitative Ausweitung,

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Begriff der Neutralität im völkerrechtlichen Sinne (6), der für ihn nichts anderes als „eine Funktion des Kriegsbegriffs" (BP 110) darstellt. Diese Art der Neutralität, deren Bedeutungsgehalt sich mit dem Krieg wandelt, tritt in vier verschiedenen Unterarten auf, die sich nach der politischen Bedeutung der jeweils neutralen politischen Einheit richtet: Neutralität kann als „Gleichgewicht der Macht von Neutralen und Kriegfuhrenden" (BP 110) auftreten, sodann als Neutralität der machtunterlegenen oder auch der machtüberlegenen Seite, schließlich sogar als „volle Beziehungslosigkeit" (BP 111), die immer dann vorhanden ist, wenn große Entfernungen beide Teile trennen oder wenn der Fall „genügend autarker, isolierbarer Macht" vorliegt; man darf annehmen, daß Schmitt in diesem Fall den US-amerikanischen Isolationismus im Auge hatte. Hier klingen Ideen an, die er bald darauf in seinen völkerrechtlichen Arbeiten zur Großraumtheorie weiter ausgeführt hat (vor allem SGN 223ff.). Und natürlich ist nicht zu vergessen, daß dieser letzte Abschnitt des zweiten Corollariums das zuvor im ersten Corollarium entwickelte Begriffsfeld zum Terminus „Neutralität" stark erweitert und präzisiert.

V. Aus einer ganz anderen, nämlich nicht-kriegerischen, nicht-feindbezogenen Sphäre des politisch-juristischen Denkens scheint (auf den ersten Blick jedenfalls) das dritte und letzte Corollarium zu stammen, das eine „Übersicht über nicht staatsbezogene Möglichkeiten und Elemente des Völkerrechts" liefert. Handelt es sich hierbei, so könnte man fragen, um die ersten vorsichtigen Versuche einer rudimentären Skizzierung der Umrisse und Möglichkeiten eines gewissermaßen „nachklassischen", weil nicht explizit staatsbezogenen Völkerrechts? Manche Formulierungen Carl Schmitts scheinen darauf hinzudeuten, etwa der berühmteste Satz des Vorworts von 1963: „Die Epoche der Staatlichkeit geht zu Ende" (BP 10). Damit ist aber, wie aus dem Zusammenhang des Haupttextes hervorgeht, nicht etwa die Realisierung der Illusion eines „Weltstaates", also das Erreichen eines im eigentlichen Sinne „staatlosen" und somit (in Schmitts Definition) „unpolitischen" Zustandes gemeint (vgl. BP 58), sondern nur das schlichte Faktum des Verlassens der Ära der klassischen Staatlichkeit seit dem Aufstieg des frühmodernen absolutisti-

sondem auch eine qualitative Steigerung. Daher bedeutet er keine Milderung, sondern eine Intensivierung der Feindschaft". Auf diese Weise kehren auch die Begriffe Krieg und Feind zurück, denn: „Mit der bloßen Möglichkeit einer solchen Steigerung der Intensität werden dann auch die Begriffe Freund und Feind von selbst wieder politisch und befreien sich auch dort, wo ihr politischer Charakter völlig verblaßt war, aus der Sphäre privater und psychologischer Redensarten" (ebd.).

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sehen Staatswesens.38 Der neue Staat des 20. Jahrhunderts ist ein vielfach gebrochener, von internationalen Verpflichtungen ebenso wie von den inneren pluralen Gewalten in seiner - einstmaligen - souveränen Eigenmächtigkeit eingegrenzter und und in seiner souveränen Handlungsfreiheit behinderter Staat (vgl. z. B. BP 37ff.). Das sehr knappe Corollarium 3 verbindet den 1950 erschienenen Nomos der Erde mit dem Begriff des Politischeri39 und fügt sich damit nahtlos Schmitts Bestreben an, in der Begriffsschrift „staatstheoretische mit völkerrechtlichzwischenstaatlichen Themen" (BP 13) zu verbinden, zusammenzubringen und, in einem weiteren Schritt, deren innere Verbundenheit auch als solche sichtbar werden zu lassen. Er läßt gleich zu Beginn keinen Zweifel daran, daß dies eben auch für die nicht staatsbezogenen Elemente des Völkerrecht gilt: denn diese nichtstaatlichen Elemente des zwischenstaatlichen Völkerrechts des jus publicum Europaeum gehören eben, wie Schmitt sagt, zu dessen ,,eigene[r] Wirklichkeit", denn „der zwischenstaatliche Charakter selbst ist nur aus einer umfassenden, die Staaten selbst tragenden Raumordnung zu verstehen" (BP 112). Recht als solches - damit auch alle Formen des Völkerrechts, auch die nicht-staatlichen - konstituiert sich durch Politik, und daraus folgt, daß alle weiteren Bereiche der Rechtswirklichkeit, auch die ihrem Inhalt nach unpolitischen oder eben ,glicht staatsbezogenen", einen Zustand des Politischen voraussetzen.40 Von der Tatsache, daß „eine über die Grenzen hinweggehende Durchgängigkeit des privaten, insbesondere des wirtschaftlichen Bereichs bestehen blieb", sei, so Schmitt ausdrücklich, „die Raumordnung des jus publicum Europaeum" (BP 113) abhängig geblieben. Schon aus diesem Grund sind beide Bereiche des Völkerrechts nicht zu trennen. Auch angesichts der gewandelten Situation nach dem Niedergang der klassischen Völkerrechtsepoche sei es „zweckmäßig, sich daran zu erinnern, daß das zwischen-staatliche Völkerrecht auf zeitgebundene geschichtliche Erscheinungsformen der politischen Einheit und der Raumordnung der Epoche beschränkt ist und daß in dieser zwischen-staatlichen Epoche selbst, neben den rein zwischen-staatlichen, immer auch andere, nicht-zwischen-staatliche Beziehungen, Regeln und Institutionen maßgebend gewesen sind" (BP 114). Schmitt unterscheidet zwei Hauptformen des Völkerrechts: Zuerst das „jus gentium im Sinne eines jus inter gentes", das selbstverständlich „von der Orga38

39 40

Zum Verständnis und zum geistesgeschichtlichen Zusammenhang dieser These siehe auch den wichtigen (1941 gehaltenen) Vortrag „Staat als ein konkreter, an eine geschichtliche Epoche gebundener Begriff' (VRA 375-385). Siehe oben, S. 174f. Vgl. dazu auch den von Schmitt 1963 eingeschobenen (siehe Anm. 31) dritten Absatz dieses letzten Corollariums, in dem er die „dualistische Trennung von Völkerrecht und Staatsrecht" schlichtweg als „eine Fassadenangelegenheit" bezeichnet (BP 113).

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nisationsform dieser gentes" abhängig sei. Diese Form verfugt über fünf Unterarten: (1) zwischen-völkisches Recht (gemeint sind Rechtsbeziehlingen zwischen Familien, Sippen, Stämmen, (2) zwischzn-städtisches Recht (auch: intermunizipales Recht), (3) aber auch das gewissermaßen „eigentliche" Völkerecht, also das zwischen -staatliche Recht, (4) „zwischen geglichen Autoritäten und weltlichen Mächten geltendes Recht", und (5) schließlich ein „zwischen-reichisches Recht, jus inter imperia", das „zwischen Großmächten mit einer über das Staatsgebiet hinausreichenden Raumhoheit" (BP 114) gelten soll. Mit der fünften Unterart nimmt er den von ihm selbst 1941 in seiner Schrift Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot fiir raumfremde Mächte (SGN 2 6 9 320) eingeführten Reichsbegriff im Völkerrecht in das Kategoriensystem auf. 41 Die zweite Hauptform des Völkerrecht ist grundsätzlich nicht-staatlichen Charakters: Es handelt sich um ein „über die Grenzen der in sich geschlossenen gentes (Völker, Staaten, Reiche) hinweggehendes, durchgängiges Gemeinrecht, das etwa „in einem gemeinsamen Verfassungsstandard oder in einem Minimum von vorausgesetzter innerer Organisation, in gemeinsamen religiösen, zivilisatorischen und wirtschaftlichen Auffassungen und Einrichtungen bestehen" 42 kann. Unter diese Form des Völkerrechts könnten sich - cum grano salis natürlich bestimmte Elemente des europäischen Gemeinschaftsrechts subsumieren lassen. Schmitt hat indes diese (jedenfalls für das Jahr 1963 eigentlich bereits naheliegende) Schlußfolgerung nicht gezogen. 43 Er neigt dazu, das gemeinsame Wirtschaftsrecht und das internationale Privatrecht vorrangig dem 19. Jahrhundert zuzuordnen, denn zur „Wirklichkeit des europäischen Völkerrechts im 19. Jahrhundert" gehörte, wie er ausdrücklich feststellt, nicht nur ein gemeinsamer Verfassungsstandard, nämlich die konstitutionelle Verfassung, sondern ebenfalls „die beiden großen Freiheiten dieser Epoche: Freiheit der Meere und Freiheit des

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Vgl. SGN 295f.: Reiche im völkerrechtlichen Sinne werden von Schmitt hier definiert als „die fuhrenden und tragenden Mächte, deren politische Idee in einen bestimmten Großraum ausstrahlt und die für diesen Großraum die Intervention fremdräumiger Mächte grundsätzlich ausschließen. Der Großraum ist natürlich nicht identisch mit dem Reich in dem Sinne, daß das Reich der von ihm vor Interventionen bewahrte Großraum selbst wäre [...] Wohl aber hat jedes Reich einen Großraum, in den seine politische Idee ausstrahlt und der fremden Interventionen nicht ausgesetzt sein darf'. BP 114f.; „Der wichtigste Anwendungsfall" ist für Schmitt, wie er anfügt, „ein über die Grenzen der Staaten und Völker hinweggehendes, allgemein anerkanntes Recht freier Menschen auf Eigentum und ein Minimum von Verfahren (due process of law)." Zwar stammt der Hauptteil dieses Textes aus dem 1950 veröffentlichten Nomos der Erde (siehe S. 174f.), doch hätte Schmitt der einen Erweiterung der Fassung von 1963 noch andere Zusätze hinzufugen können, um den Gedankengang auszubauen und vielleicht sogar zu aktualisieren!

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Welthandels" (BP 115). Diese Gemeinsamkeiten - und damit auch diese Freiheiten - sind in der Epoche nach dem Niedergang des alten Völkerrechts verlorengegangen; dieser Zustand dauert im Kalten Krieg nicht nur weiter an, sondern wird durch ihn noch verfestigt. Beschränkte Freiheiten gibt es nur noch innerhalb der jeweiligen politischen Hemisphäre. Hieraus wird der eigentliche Zweck auch des dritten Corollariums ersichtlich: Mit seinem Rückblick auf die letzte große Epoche des jus publicum Europaeum und dessen Möglichkeiten eines nicht nur staatsbezogenen, sondern auch explizit nicht-staatlichen Völkerrechts präzisiert Carl Schmitt gewissermaßen ex negativo die Erkenntnis der gegenwärtigen Lage im Zeichen des Kalten Krieges. Er läßt es ausdrücklich offen, ob man es beim nicht staatsbezogenen Völkerrecht ausschließlich mit einem Phänomen der Vergangenheit oder doch gleichzeitig auch mit der Möglichkeit einer - anderen - Zukunft jenseits des Kalten Krieges zu tun hat. Nur zur bipolaren Welt und der durch sie geprägten politischen Wirklichkeit des Jahres 1963 paßt diese Art des Völkerrechts nicht.

VI. Die Ausgangsfrage nach den Gründen für Carl Schmitts Aufnahme der drei Corollarien in die Neuausgabe des Begriffs des Politischen von 1963, genauer: nach ihrer Funktion im Rahmen des neu erstellten Textganzen, läßt sich also doppelt beantworten: Zum einen enthalten alle drei Corollarien tatsächlich Zusätze, Erläuterungen, Präzisierungen und Erweiterungen der in dieser Fassung zuerst 1932 publizierten Schrift. Die berühmte „Neutralisierungs"-These des Haupttextes wird in der Übersicht über die verschiedenen Begriffsbedeutungen im ersten Corollarium weiter ausgebaut und gedanklich-begrifflich präziser fundiert - auch wenn es sich fraglos nicht um philologisch exakte Wort- oder Begriffsfeldanalysen handelt (deren methodische Anregungen Schmitt gleichwohl aufgegriffen hat). Hier spricht ein Jurist und politischer Denker, kein verhinderter Philologe. Die weit ausholende Untersuchung über das Verhältnis der Begriffe Krieg und Feind im zweiten Corollarium knüpft unmittelbar an den berühmtesten Gedanken Schmitts - die Freund-Feindbestimmung als Kern des Politischen - an und zeigt, unter dem Eindruck der krisenhaften Zeit vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, vor allem deren internationale Dimension im Horizont des Versailler Vertrages und des Genfer Völkerbundes. Und das knappe dritte Corollarium schließlich charakterisiert die Lage ex negativo, nämlich aus dem Blickwinkel der Möglichkeit eines ausdrücklich nicht staatsbezogenen Völkerrechts - das allerdings an eine bestimmte internationale Lage geknüpft ist, der die Gegenwart nicht entspricht.

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Und zum anderen beziehen sich alle drei Corollarien, gemäß Schmitts fundamentaler Erkenntnis, daß man „der Konsequenz des Politischen nicht zu entrinnen" (BP 78) vermag, ebenfalls auf die Lage Deutschlands und der Welt auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Wir in Mitteleuropa, bemerkt er, „leben sous l'œil des Russes [...]; ihre Vitalität ist stark genug, sich unserer Erkenntnisse und Technik als Waffen zu bedienen" (BP 79). „Die Russen haben das europäische 19. Jahrhundert beim Wort genommen, in seinem Kern erkannt und aus seinen kulturellen Prämissen die letzten Konsequenzen gezogen. Man lebt immer unter dem Blick des radikaleren Bruders, der einen zwingt, die praktische Konklusion zu Ende zu fuhren" (BP 80). Die Entwicklung des Sowjetstaates zeige „in einer enormen Steigerung den Kern der modernen Geschichte Europas" (BP 80). Wie anders die Dinge auch heute, fast vier Jahrzehnte später, aussehen mögen: für die Zeit um 1930 galten diese Formulierungen ebenso wie im Jahre 1963. Die Feindbestimmung war also gegeben, und alle drei Corollarien konnten, wenn man sie sehr genau zu lesen verstand, ihren Beitrag zur Erhellung der Lage leisten. „Krieg", „Feind", „Neutralität", „nicht-staatliches Völkerrecht" - diese Begriffe dürfen wohl, bildlich formuliert, als Bezeichnungen für die vier verschiedenen Scheinwerfer angesehen werden, die Schmitt aufstellte, um die von ihm analysierte Lage noch heller und intensiver auszuleuchten. Gleichwohl hat Carl Schmitt - dies sei abschließend, um Mißverständnisse zu vermeiden, ausdrücklich betont - jene weltpolitischen Lagen, sowohl die der Jahre um 1930 wie auch die des Kalten Krieges, niemals als etwas Unüberwindliches, Unveränderbares, Starres erfahren. Er verfügte auch auf diesem Gebiet über die eminente Fähigkeit, in Alternativen zu denken. In der kleinen Skizze „Der neue Nomos der Erde" (SGN 518-522) hat er schon 1955 drei Möglichkeiten der Gestalt einer neuen Weltordnung umrissen: Erstens der Sieg der einen Seite über die andere als letztes „Durchgangsstadium zu einer endgültigen, geschlossenen Einheit der Welt"; zweitens der Versuch, „die Gleichgewichtsstruktur des bisherigen Nomos festzuhalten und in einer modernen, den heutigen technischen Mitteln und Dimensionen angepaßten Weise weiterzufuhren"; drittens aber die Möglichkeit, „daß sich mehrere selbständige Großräume oder Blocks bilden, die unter sich ein Gleichgewicht und damit eine Ordnung der Erde zustandebringen" (SGN 521). - Die Ordnung des Kalten Krieges ist heute zerbrochen, doch die Würfel zur Entstehung eines neuen Nomos sind noch nicht gefallen. Carl Schmitt hätte, dies darf man wohl annehmen, auch angesichts der neuen Lage auf der unveränderten Gültigkeit der in seinem Begriff des Politischen entwickelten Grundideen beharrt.

12 Reinhard Mehring Esoterische „Hinweise"? (116-124) Marginalien zum Feindbegriff und „anthropologischen Glaubensbekenntnis"

I. Formprobleme der Begriffsschrift Schmitt war nicht nur ein sehr produktiver, einfallsreicher und scharfsinniger Autor, sondern auch ein ungewöhnlicher Stilist. Er überblickte nicht nur diverse Fächer, sondern bewegte sich auch selbstverständlich in den verschiedensten literarischen Formen. Er schrieb nüchterne begriffliche Analysen wie seine Dissertation Über Schuld und Schuldarten oder die Verfassungslehre, idealtypisch argumentierende Schriften wie Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, Satiren wie die Schattenrisse oder „Die Buribunken", hermeneutische Texte wie das Däubler-Buch, gelehrte Begriffsgeschichten wie Die Diktatur, glänzende Essays wie Römischer Katholizismus und politische Form, nüchterne verfassungsrechtliche Analysen wie die Handbuchabhandlung „Grundrechte und Grundpflichten", politische Pamphlete wie Staat, Bewegung, Volk, Rezensionsabhandlungen wie Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff, ausgreifende historische Spekulationen, ungezählte Vorträge und Artikel und und und. Den Zeitgenossen wie der späteren Forschung war dieser Perspektiven- und Formenreichtum oft verdächtig. Man schloß von der „glänzenden" Fassade auf Blendwerk. Man wandte Schmitts Romantikkritik gegen ihn, kritisierte die „Oratorik" und vermutete ein gedanken- und gewissenloses Theoriedefizit hinter den verschiedenen Wendungen des Werkes. Man legte den „Dezisionismus" als „okkasionelle" Beliebigkeit aus und verdächtigte Schmitt der moralischen Formbzw. Charakterlosigkeit. Dabei wäre es ein Kunststück, radikale Diskontinuitäten, Brüche und Paradigmenwechsel im Werk zu vollziehen und verschiedene Begriffe des Politischen und letzte Ordnungsvorstellungen konsequent zu vertreten. Schmitts Formwille wurde in den letzten Jahren verstärkt auch positiv gese-

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hen und näher untersucht. Helmut Quaritsch1 rechnete Schmitts „Ästhetizismus" - neben Katholizismus, Etatismus und Nationalismus - zu seinen „Grundprägungen" und betonte gegenüber hermeneutischen Vereinseitigungen und Absolutismen, daß diese Prägungen miteinander in Spannung lagen und situative Gewichtungen erhielten. Damit gab er der alten These vom „okkasionellen Dezisionismus Carl Schmitts" (K. Löwith) relatives Recht. Die formative Phase von Schmitts Werk läßt sich bis zur Verfassungslehre rechnen und weiter unterteilen. Ein erster Abschnitt datiert dann etwa bis zum Abschluß der Habilitationsschrift Der Wert des Staates; sie entwickelt ihre Positionen noch idealtypisch abstrakt, läßt aber Schmitts geschichtstheologische Auffassung von Recht und Staat schon erkennen. Ein zweiter Abschnitt bringt mit dem Däubler-Buch, der Politischen Romantik und Die Diktatur geistesgeschichtliche und historische Differenzierungen. Der dritte und letzte Abschnitt des Frühwerks zieht dann die theoretischen und programmatischen Folgerungen insbesondere aus der historischen Betrachtung der Diktatur und formuliert den kategorialen Rahmen der Verfassungslehre. Zielpunkt des Frühwerks ist demnach die Ausarbeitung der Verfassungstheorie, die Schmitt 1928 mit seinem Lehrbuch Verfassungslehre vorlegte. Ihre dienen die programmatischen Ansätze der 20er Jahre: Politische Theologie, Römischer Katholizismus und politische Form, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus und auch Der Begriff des Politischen. Die literarische Form des Begriffs des Politischen resultiert dieser Entstehungsphase der ersten Fassung, ihrem Verhältnis zu früheren Theorieanstrengungen und ihrer Aufgabe und Stellung im Gesamtwerk. Die Begriffsbestimmung steht entstehungsgeschichtlich in einem Verhältnis zur Souveränitätslehre der Politischen Theologie; sie reflektiert auf die fundamentale politische „Unterscheidung", auf die Notwendigkeit einer Feindbestimmung als Voraussetzung souveräner politischer „Entscheidung". Allerdings entwickelt Schmitt seine Begriffsbestimmung von Beginn an nicht nur in theoretischer Absicht, sondern expliziert in späterer Formel gesprochen: im Kampf mit „Versailles" und „Genf' auch ein nationalistisches Pathos. Einige Beiträge unseres Kommentars wiesen auf diese anfanglich außenpolitische Stoßrichtung hin. Die Schrift oszilliert von Beginn an zwischen Theorie und Praxis, Begriffs- und Feindbestimmung. Schmitt sah darin kein Problem, sondern einen Vorzug. Er meinte, daß jeder Begriff des Politischen ein politisch-polemischer Begriff sein sollte und Begriffsbestimmungen ihre „Prägnanz" durch selektive Verkürzungen gewinnen. Generalisiert man diese Auffassung, wird sie paradox:

1

H. Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, Berlin 1989; zu Schmitts ästhetischen Interessen schon ders., Jugendbriefe. Briefschaften an seine Schwester Auguste 1905 bis 1913, hg. Ernst Hüsmert, Berlin 2000.

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Beschreibungen bedürften dann perspektivischer Verzerrungen und wären sachlich kaum möglich. Diese Ambiguität oder Zweideutigkeit der Begriffsbestimmung zwischen Theorie und Praxis ist die erste Hypothek der Schrift, wenn man will: ihr Geburtsfehler. Mit den späteren Fassungen verstärkt sich ein zweites Problem: eine Ambiguität der Schrift zwischen Grundlegung und Summe. Schmitt unterstrich die grundlegende Bedeutung der Begriffsschrift, indem er sie zu einer Art Summe seines Werkes ausweitete, die diverse Analysen inkorporierte. Dieser Schritt von der Grundlegung zur Summe ist theoretisch konsequent: Schmitt belegt die grundlegende Bedeutung der Begriffsbestimmung, indem er deren Reichweite qua Integration späterer Analysen anzeigt. Damit wird die Schrift aber hermeneutisch voraussetzungsvoll und aufwendig. Sie lenkt den Leser von der einfachen systematischen Diskussion des Freund-Feind-„Kriteriums" in diverses Material ab. Die komplexe Gliederung der Fassung von 1963 unterstreicht hier nur, was im Text von 1932 schon angelegt ist. Analog zum Geburtsfehler der Begriffsbestimmung ließe sich von einer Abschluß- oder Vollendungshybris sprechen, die das ganze Spätwerk seit dem Nomos der Erde kennzeichnet. Schmitt ist sich der Fragwürdigkeit solchen Abschlußdenkens wohl bewußt. Es ist interessant zu sehen, wie er dieses Problem in seinen „Hinweisen" meistert: im esoterischen Abschluß seiner grundlegenden Begriffsschrift.

II. Textfassungen Der Begriff des Politischen liegt in wenigstens vier nicht unwesentlich divergierenden Fassungen, Versionen oder „Ausgaben" (BP 96)2 vor. Die erste erschien 1927 im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Ein unveränderter Wiederabdruck folgte 1928 im Band Probleme der Demokratie innerhalb der von der deutschen Hochschule für Politik herausgegebenen Reihe Politische Wissenschaft. Eine zweite „Ausgabe" erschien dann 1932 als Broschüre bei Duncker & Humblot. Schmitt datiert ihren Abschluß im Nachwort (BP 96) auf den Oktober 1931. Da sie umgehend ausgeliefert wurde, spricht Pyta in seinem Beitrag von einer Fassung von 1931. Die dritte .Ausgabe" folgte 1933 in der Hanseatischen Verlagsanstalt, einem nationalistisch exponierten Verlag, zu dem Schmitt 1933 im Zusammenhang seines nationalsozialistischen Engagements wechselte.3 1940

2

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Schmitt spricht im Nachwort zur „Ausgabe von 1932" (BP 96) ebenso wie in der kurzen Vorbemerkung zur Fassung von 1933 von „ A u s g a b e n " . Dazu vgl. Siegfried Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt. Politisches Buchmarketing im .Dritten Reich', Frankfurt/M. 1992; vgl. ders., Einleitung, in: Wilhelm Stapel und Carl Schmitt. Ein Briefwechsel, in: Schmittiana 5 (1996), S. 27-39.

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nahm er eine gekürzte Version der Erstfassung noch in seine - in der Hanseatischen Verlagsanstalt erschienene - Sammlung Positionen und Begriffe (PB 67-74) auf. Sie ließe sich auch als fünfter Druck und vierte Fassung zählen. 1963 erschien dann, erneut bei Duncker & Humblot, unsere Textgrundlage, eine erweiterte A u s gabe" des nationalsozialistisch nicht belasteten Textes von 1932. Schließlich schrieb Schmitt 1971 noch ein neues Vorwort für eine italienische Ausgabe, 4 die auch als eigene Version gelten könnte. Die verschiedenen Publikationen sind hier ähnlich wie in der Schmitt-Bibliographie von Piet Tommissen 5 - als BP I, II, III etc. durchgezählt: der Wiederabdruck von 1928 als BP II, die dritte Fassung von 1933 als BP IV und so fort. Damit ist die verbreitete Auffassung nicht bestritten, nur von drei unterschiedlichen Versionen (1927, 1932, 1933) auszugehen. Es ist aber mißverständlich, hier von „ A u f l a g e n " zu sprechen. Betrachtet man Texte insgesamt als Sinngefüge, die durch Kontexte wie Publikationsorte und -formen mit bestimmt werden, so ließe sich die Ausgabe von 1963 jedenfalls als eigene und vierte Fassung zählen. Ihre Präsentation des Textes von 1932 verändert nämlich dessen Rezeptionsbedingungen autorschaftlich intentional und bietet mit der starken Selbstinterpretation auch eine neue Version. Ein solcher autorintentionaler Bedeutungswandel der Schrift ist mit dem Wiederabdruck von 1928 und wohl auch mit der Kürzung von 1940 nicht in gleicher Weise gegeben. Faktisch sind noch mehr Ausgaben und Varianten erschienen, die bei einem Autor wie Schmitt, der seine Autorschaft sorgsam inszenierte, hermeneutisch nicht irrelevant sind. Die Übersetzungen wären dann ein weiteres Thema für sich. Schmitt zählte nur die Fassungen als .Ausgaben". Er nannte die Broschüre von 1932 die zweite „Ausgabe" und so fort. Nachdrucke zählte er nicht. Dabei knüpfte er die Identität der Schrift nicht an eine bestimmte Fassung, sondern nur an bestimmte „Thesen". Die gravierenden Unterschiede zwischen den Fassungen thematisierte er im Nachwort von 1932 so wenig wie in der (später nicht wieder abgedruckten) Vorbemerkung von 1933, deutete aber diese Abweichungen mit der Rede von „Ausgaben" (statt: Wiederabdrucke oder Auflagen) an. Wenn er die Identität der Schrift an bestimmte Thesen knüpfte, betonte er die Grundlegungsfunktion der Begriffsschrift. 1940 schrieb er: „Die Thesen dieser Abhandlung sind in meinen Seminaren in Bonn 1925 und 1926 entstanden; in größerer Öffentlichkeit vorgetragen wurden sie zuerst am 10. Mai 1927 in der Berliner 4

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G. Miglio/P. Schiera (Hg.), Carl Schmitt. Le categorie del politico. Saggi di teoria politica, Bologna 1972. Deutsche Originalfassung des Vorworts in: H. Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Berlin 1988, S. 269-273. Piet Tommissen, Carl-Schmitt-Bibliographie, in: Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, hg. von Hans Barion, Ernst Forsthoff, Werner Weber, Berlin 1959, S. 273330, hier: 277. Tommissen spricht von „Ausgaben" nicht im Sinne Schmitts, sondern meint jede Publikation.

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Hochschule fur Politik" (PB 313).6 Im Nachlaß finden sich zahlreiche Mappen mit Notizen und Materialien zur Schrift, darunter7 ein gedruckter „Plan für die Übungen des staatsrechtlich-politischen Seminars Wintersemester 1924/25" zum Thema „Die moderne (Massen-) Demokratie", mit dem Schmitt seinen Weg zur Begriffsschrift retrospektiv beginnen läßt. Das Thema geht damals in die Vorbemerkung „Über den Gegensatz von Parlamentarismus und Demokratie" zur zweiten Auflage der Schrift Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus ein. Dort schreibt Schmitt: „Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens - nötigenfalls - die Ausscheidung und Vernichtung des Heterogenen." (GLP 14) Hier läßt sich die Freund-FeindUnterscheidung schon heraushören. Die erste Fassung des Begriffs des Politischen ist dann außenpolitisch und völkerrechtlich akzentuiert. Die Forschung interessierte sich besonders für die Veränderungen zwischen den Fassungen von 1932 und 1933. So betonte Karl Löwith8 „okkasionelle" Anpassungen an den Nationalsozialismus. Heinrich Meier verwies in neuerer Zeit auf eine „gegenläufige Tendenz"9 der Verdeutlichung theologischer Motive in Antwort auf Leo Strauss. Beides schließt sich nicht aus: Der Text von 1933 kann politische Anpassungen an den Nationalsozialismus vornehmen und gleichwohl theologische Motive klären. Löwith wie Meier gingen mikroanalytisch vor und notierten leichte Verschiebungen in einzelnen Formulierungen. Was sie weniger betonten, waren offensichtliche Veränderungen im Aufbau der Broschüren. In der Fassung von 1933 entfielen das ganze erste Kapitel der Schrift, mitsamt der berühmten Eingangsformel („Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus"), sowie die wichtige Rede über „Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen". Damit entfiel die historische Situierung und Historisierung des eigenen Ansatzes. Schmitt fangt 1933 neu an und übernimmt so den revolutionären Anspruch des Nationalsozialismus. Ein genauer Vergleich aller Fassungen wäre gewiß lohnend. Unser Kommentar beschränkt sich jedoch auf die Ausgabe von 1963. Sie kommt wie ein buntes Patchwork daher und erschließt sich in ihrer Vielfalt von Texten nicht leicht als 6

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Zur großen Bedeutung dieser Hochschule für die Etablierung der Politikwissenschaft vgl. Wilhelm Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland, München 2001, S. 198ff. Hauptstaatsarchiv Düsseldorf RW 265-20081 (Nachlaß Schmitt). Karl Löwith, Der okkasionelle Dezisionismus von Carl Schmitt, in: ders., Sämtliche Schriften Bd. VIII, Stuttgart 1984, S. 32-71. Der Text erschien zunächst in anderer Fassung unter dem Pseudonym Hugo Fiala in: Revue internationale de la théorie du droit-Internationale Zeitschrift fur Theorie des Rechts Bd. IX (1935), S. 101-123 Heinrich Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss und der ,Begiff des Politischen'. Zu einem Dialog unter Abwesenden, Stuttgart 1988, S. 15.

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Einheit. Im Vorwort von 1963 antwortet Schmitt darauf mit einer kleinen Geschichtsphilosophie literarischer Formen. Die „Zeit der Systeme" sei vorbei, der „Sprung in den Aphorismus" (BP 17) aber dem Juristen verwehrt. Schmitt spielt hier auf den „revolutionären Bruch" (K. Löwith)10 zwischen Hegel, Kierkegaard und Nietzsche an und sieht eine Lösung: Im „Dilemma zwischen System und Aphorismus" (BP 17) - philosophiegeschichtlich gesprochen: Hegel und Nietzsche - bleibe der Ausweg, das Phänomen in einer Reihe von Korollarien im Auge zu haben. Das Korollarium wäre demnach eine eigene späte Form. Diese starke These zum Wandel literarischer Standards und Formen rechtfertigt die Heterogenität der in der Fassung von 1963 versammelten Texte. Die geschichtsphilosophische Begründung ist freilich problematisch. Läßt sich heute kein Lehrbuch wie die Verfassungslehre mehr glaubhaft schreiben? Gibt es einen geschichtlichen Wandel der „Wahrheit", wie ihn Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus schon thematisierte? Die Schrift beginnt erneut mit der martialischen Widmung an einen gefallenen Freund (,J)em Andenken meines Freundes August Schaetz aus München, gefallen am 28. August 1917 beim Sturm auf Moncelul"), die den Text von 1932 schon als Antwort auf den Ersten Weltkrieg signalisierte: als politischen Begriff im Kampf mit Versailles. Es folgt das Vorwort von 1963; es erinnert die verfassungsgeschichtliche Lage und „Herausforderung", charakterisiert den Text von 1932 als „Versuch einer Antwort" und skizziert die „Weiterfuhrimg der Antwort" im Spätwerk. Daran schließt der gesamte Text von 1932 an, einschließlich der Rede über „Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen" und dem Nachwort, das den Text von 1932 bereits lediglich als Ausgangspunkt" bezeichnete und so nun zu den späteren Korollarien und Weiterführungen der Antwort überleitet. Drei kurze Korollarien, die im engen Zusammenhang mit der Fassung von 1932 und der Lage nach 1945 stehen, dokumentieren Schmitts weitere Beobachtungen im Wandel des „Begriffsfelds" des Politischen. Zuletzt folgen die „Hinweise", die nun Thema sind. Im Vorwort nicht erwähnt, scheinen sie nur von marginaler Bedeutung zu sein. Doch Marginalien locken einen Autor wie Schmitt. Haben sie eine eigene „esoterische" Aussage, die einen Schluß trägt?

III. Erste Bedeutung: zeitkritische Glossen Die frühere Sammlung Positionen und Begriffe schon endete mit einer Rubrik „Hinweise" (PB 313-317), gab dort aber nur ausführliche Publikationsnachweise. Die Verfassungsrechtlichen Aufsätze von 1958 ergänzten den Wiederabdruck 10

Karl Löwith, Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts, Zürich 1941.

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älterer Texte um glossierende „Bemerkungen" (BS 243). Die „Hinweise" von 1963 sind, in erster Annäherung gesprochen, eher solche Glossen als Nachweise. Schmitt schreibt dazu marginalisierend: „Die Hinweise sind nicht mehr als vereinzelte bibliographische Notizen und Anmerkungen, die der Lektüre eines 30 Jahre zurückliegenden neugedruckten Textes dienen sollen." (BP 116) Ähnlich wie schon im Vorwort (BP 16) rechtfertigt er den „Neudruck" mit dem „Sinn und Zweck", „einen Text, der von der Unmasse der ihm gewidmeten Widerlegungen übertönt worden war, wenigstens für einen Augenblick wieder zu Wort kommen zu lassen." (BP 116) Es bietet sich folgende Lesart an: Die bibliographischen Notizen geben nur schwache, ergänzende Hinweise zum Text. Die Anmerkungen aber entwickeln eine Selbstdeutung des Textes von 1932. Schmitts Hinweise schaffen demnach eine Gemengelage von schwachen und starken Hindeutungen. Daß ihre wichtigste Aufgabe in der autoritativen Selbstinterpretation liegt, bestätigt die nähere Analyse. Zunächst ergibt sich allerdings ein disparates Bild, das kaum nähere Kommentierung lohnte. Die Hinweise zum Vorwort sind nur „vereinzelte bibliographische Notizen". Von Fußnoten, die im Vorwort fehlen, unterscheiden sie sich nur durch ihren eher zufälligen und beiläufigen Charakter. Die meisten nennen eigene späte Schriften sowie Autoren, denen Schmitt damals freundschaftlich verbunden ist. Neben Kollegen wie Joachim Ritter und Otto Brunner sind es jüngere Schüler wie Roman Schnur, Ernst-Wolfgang Böckenförde und Julien Freund. Eine besondere Aussagen ist ihnen kaum zu entnehmen. So lesen sie sich wie nachgestellte Fußnoten zum Vorwort. Die Hinweise zum Text von 1932 sind gehaltvoller. Bibliographische Notizen verweisen erneut auf die jüngste Schülergeneration: auf Joseph H. Kaiser, Reinhart Koselleck, Hanno Kesting, Bernard Willms und Hermann Lübbe." Ein zeitgeschichtlicher Hinweis (BP 119f.) aktualisiert die Pluralismuskritik: Schmitt nennt das Subsidiaritätsprinzip einen „Prüfstein" auf Pluralismus und adaptiert damit einen Schlüsselbegriff der neueren katholischen Soziallehre - seit der päpstlichen Enzyklika Quadragesimo anno (1931) - fur seine Souveränitätslehre. Nach dem Subsidiaritätsprinzip „verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in An-

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Zu Schmitts Kontakten und Gesprächskreisen vgl. Dirk van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993; zu den wissenschaftlichen Rezeptionen vgl. R. Mehring, Carl Schmitt und die Verfassungslehre unserer Tage, in: Archiv des öffentlichen Rechts 120 (1995), S. 177-204; ders., Das Politikum der Kritik. Geschichtstheorie nach Carl Schmitt, in: Neue Rundschau 111 (2000), S. 183-191.

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spruch zu nehmen".12 Subsidiarität fordert „Hilfe zur Selbsthilfe". Die Bereitschaft zur Hilfe beweist dabei den Bestand einer politischen Einheit. Diesen „Prüfstein" bietet Schmitt der Gegenwart an, ohne den bundesdeutschen Pluralismus hier selbst zu beurteilen. Eine zweite tagespolitische Glosse (BP 123) betrifft die „Verortung Berlins". Schmitt schreibt: „Zu der Verortung Berlins (näher bei New York und Moskau als bei München und Trier) bin ich im Jahr 1959 von einem führenden Kopf der sozialen Marktwirtschaft gefragt worden, wo denn Bonn auf dieser Karte zu liegen käme. Ich könnte ihm nur mit einem Hinweis auf das Fernseh-Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe vom [28.] Februar 1961 antworten." (BVerfGE 12,205ff.) Das Gericht entschied damals gegen den von Konrad Adenauer favorisierten und forcierten Plan eines Alleingangs des Bundes beim Entwurf eines Bundesrundfimkgesetzes und für die Zuständigkeit der Länder sowie eine Öffnung des Rundfunks für alle gesellschaftlich relevanten Kräfte. Mit dieser sog. Magna Charta des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war der Weg ins heutige „duale Rundfiinksystem" eröffnet.13 Früh schon hatte Schmitt die Bedeutung des Rundfunks als „Machtposition des modernen Staates" erkannt (vgl. VRA 367-371). Der Souveränitätstest des Urteils bewies ihm nun: Schon gegenüber seinen Ländern ist der Bund kaum mehr souverän; Bonn ist nicht Bonn, sondern Karlsruhe (vgl. BS 305). Die Verfassungsjustiz ist der Souverän, der die „wirkliche Verfassung" gibt;14 die Bundesrepublik scheint auf dem Weg in einen Justizstaat. 12

Dazu vgl. Oswald v. Nell-Breuning, Stichwort: Subsidiaritätsprinzip, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 6. Aufl. Freiburg 1962, Sp. 826-833, hier: 826; vgl. Anton Rauscher u. Alexander Hollerbach, Stichwort: Subsidiarität, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 7. Aufl. Freiburg 1989, Sp. 386-390. Schmitt deutet keine Vorbehalte gegen eine legitimatorische Überdehnung des Subsidiaritätsprinzips an, wie sie Trutz Rendtorff (Kritische Erwägungen zum Subsidiaritätsprinzips, in: Der Staat 1, 1962, S. 405-430) damals formulierte.

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Dazu vgl. Reinhart Ricker und Peter Schiwy, Rundfunkverfassungsrecht, München 1997, Rn. 60ff. Am 3. 12. 1965 schreibt Schmitt an Armin Möhler: „Ihr Aufsatz über das Fernsehen als Hilfsorgan der Polizei muss auf einen gelernten und erfahrenen Lehrer des öffentlichen Rechts wie ein Warnungsschrei wirken. Sie haben den Nerv unserer Problematik berührt: die Öffentlichkeit im pluralistischen Spiel: Entkernung des Pudels , Staat' durch Verpudelung des politischen Kerns. Vor 4 Jahren, im Frühjahr 1961, als das BVerfGericht in Karlsruhe die wirkliche Verfassung gab - als Antwort auf die Pantschereien Adenauers, der keine bessere Antwort verdiente, vielleicht im Grunde auch nicht einmal wollte - also vor 4 Jahren haben H. Hellwig, Petwaidic und Gross mich in der damaligen Deutschen Zeitung darüber zu Wort kommen lassen; wenn Sie wissen wollen, wie ich darüber denke, [...] so lesen Sie bitte im Neudruck des ,Begriffs des Politischen' von 1963 die Anm. auf S. 123 unten zu der Frage, wo denn Bonn heute liegt; eine Frage,

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IV. Zweite Bedeutung: Kontinuitätsbehauptung im Feindbegriff Neben solchen Glossen finden sich teils umfangreiche und gewichtige Anmerkungen zur Schrift von 1932. Auf die „Unmasse der ihm gewidmeten Widerlegungen" geht Schmitt nicht ein. Mehrfach erwähnt er aber seine frühen philosophischen Kritiker Helmut Kuhn15 und Leo Strauss16: „Aufmerksame Leser" wie Kuhn und Strauss hätten den „praktisch-didaktischen Sinn" der Schrift, den „Weg zum Phänomen freizumachen" (BP 118), sogleich erfasst. Schmitt verknüpft dies mit der Behauptung, schon der Text von 1932 richte sich gegen den „absoluten Feind" einerseits und den „bloßen Partner" andererseits. Das ist methodisch fragwürdig. Denn wie sollten Kuhn und Strauss späteren, erst in der Theorie des Partisanen ausformulierten Unterscheidungen zugestimmt haben? Weitere Anmerkungen lesen die „Arten der Freund-Feind-Unterscheidung" (BP 119) in den früheren Text hinein. Schmitt zitiert aus dem Text von 1932 und meint: „Damit ist deutlich gesagt, daß der hier zugrunde liegende Feindbegriff nicht in der Vernichtung des Feindes, sondern in der Abwehr, in der Messung der Kräfte und der gemeinsamen Grenze seinen Sinn hat." (BP 119) Später (BP 120f.) nimmt er einen Einwand von Strauss auf und spricht statt von „Unterhaltung" vom „Spiel" konventioneller Feindschaft. Er legt also seine späteren Unterscheidungen von „konventioneller", „wirklicher" und „absoluter" Feindschaft dem Grundtext nahe und betont so die Kontinuität seines Feinddenkens.17 Dieser Befund widerspricht allerdings gleichzeitig exponierten Aussagen des Vorworts. Dort heißt es zum Text von 1932: „Der Hauptmangel in der Sache liegt darin, daß die verschiedenen Arten des Feindes - konventioneller, wirklicher oder absoluter Feind - nicht deutlich und präzise genug getrennt und unterschieden werden." (BP 17) Schmitt meint sich 1963 nun „besser zu verstehen als er sich [1932] selbst verstand, indem er seinen Begriff nicht genugsam bestimm-

die mir Otto Friedrich (jetzt Mitinhaber des Flick-Konzerns) 1959 gestellt hat". (BS 363f.) Er bezieht sich hier auf einen Text, der wohl pseudonym in der Deutschen Zeitung erschien und teils auch im Briefwechsel an Möhler abgedruckt ist (BS 305). 15

Helmut Kuhn, Eine Auseinandersetzung mit Carl Schmitts ,Der Begriff des Politischen', in: Kant-Studien 38 (1933), S. 190-196.

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Leo Strauss, Anmerkungen zu Carl Schmitts ,Begriff des Politischen', in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 67 (1932), S. 732-749.

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Eine frühe Rezensionsabhandlung von Hasso Hofmann (Feindschaft. Grundbegriff des Politischen?, in: Zeitschrift für Politik 12, 1965, S. 17-39) anlässlich der Schriften von 1963 kommt dagegen zum Ergebnis, daß Schmitt seinen Feindbegriff plurifizierend verwirrte.

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te".18 Schon weil „aufmerksame Leser" dies erahnten, sieht er sich zu einer Kontinuitätsbehauptung berechtigt. Revisionsbedarf gibt er nur für den Kriegsbegriff zu. Hier merkt er an: „Der Text von 1932 entspricht der damaligen völkerrechtlichen Lage; es fehlt vor allem die klare und explizite Unterscheidung des klassischen (nichtdiskriminierenden) Kriegsbegriffes" (BP 120). Schmitt trennt also zwischen der relativen Kontinuität seines Feinddenkens und dem Wandel seines Kriegsbegriffs. Das ist überraschend, betont er sonst doch stets den engen Zusammenhang zwischen beidem. „Der Krieg hat seinen Sinn in der Feindschaft" (TP 63), schreibt Schmitt. Jeder Krieg rechtfertigt sich durch Feindbestimmungen. Mehrfach (L 131; TP 95; vgl. NE 299) zitiert er Hegel: „Die Waffen sind das Wesen des Kämpfers selbst." Wenn Kriegsgeschichte und Kriegsbegriffe derart auf Feindbegriffe zurückwirken, ist die Unterscheidung zwischen der Kontinuität des Feinddenkens und dem Wandel des Kriegsbegriffs fraglich. Die erste starke Selbstdeutung des Textes von 1932, die These zur Kontinuität des Feindbegriffs, ist deshalb schon wegen der Inkonsistenz ihrer Formulierung fragwürdig. Theorieintern ist es problematisch, die Kontinuität des Feindbegriffs bei einem gleichzeitigen Wandel des Kriegsbegriffs zu behaupten. Der Hinweis auf die „hegende" Absicht der Begriffsbestimmung von 1932 war Schmitt nach 1945 zwar sehr wichtig. Die Form der Hinweise aber war kaum geeignet, dieses Hauptproblem auch der neueren Forschung selbstdeutend zu entscheiden.

V. Dritte Bedeutung: politisch-theologische Selbstdeutung durch den „Hobbes-Kristall" Ein weiteres Thema ist das Verhältnis zur Tradition. Schmitt verweist auf Dante und Machiavelli (BP 123f.) und erwähnt Rousseaus Verhältnis zu Hobbes (BP 120), um die Auseinandersetzung mit der Tradition auf Thomas Hobbes zu verweisen. Seine lange Anmerkung zu Hobbes betrifft die anthropologischen Staatstheorien und das „anthropologische Glaubensbekenntnis" von 1932 insgesamt und kulminiert in einem „Hobbes-Kristall", den Schmitt „die Frucht einer lebenslangen Arbeit an dem großen Thema im ganzen und dem Werk des Thomas Hobbes im besonderen" (BP 122)19 nennt. Diese Anmerkung sprengt derart den Gesamtzusammenhang der Hinweise, daß sich fragen läßt, weshalb Schmitt

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I. Kant, Kritik der reinen Vernunft Β 370.

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Eine geringfügig abweichende frühere Fassung verschickte Schmitt mehrfach: u. a. am 1. 1. 1961 an Armin Möhler (BS 299) und am 21.1.1961 an Noberto Bobbio (Abdruck in: Schmittiana 6, 2001, S. 359).

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sie zwischen die anderen Hinweise versteckte: als seien die Hinweise um des Kristalls willen geschrieben der Mantel des Kristalls. Die Hinweise geben Einblicke in eine lebenslange Selbstkommentierung, die sich kryptisch verkappt und auf die Autorität von Zitaten und „Urworten" setzt. Der Hobbes-Kristall ist hier für Schmitts späten Argumentationsstil charakteristisch. Dieser Stil läßt sich besonders am Nachlaß studieren. Schmitts Nachlaß ist ein chaotisches Sammelsorium und labyrinthisches Palimpsest. Schon das Hobbes-Buch von 1938 formuliert einen „esoterischen" Anspruch. Den Leser mahnt es: „Vorsicht, mein Lieber! Dieses ist ein durch und durch esoterisches Buch, und seine immanente Esoterik steigert sich in demselben Masse, in dem Du in das Buch eindringst." (EJCS 193; BS 38; vgl. L 43f.). Schmitt schrieb im Nationalsozialismus unter Bedingungen der Zensur,20 nach 1945, wie er meinte, unter dem Diktat der „Sieger von 1945". Er differenzierte Schreibweisen nach Adressaten und unterschied zwischen der Masse des Publikums und einem inneren Kreis von Schülern, Freunden und Gefährten. Schließlich sah er einen Zwang zur Anpassung an herrschende Wissenschaftsstandards. Seine Esoterik hatte also politische, pädagogische und methodologische Motive. Die Hinweise pflegen solche Esoterik. Die Anmerkung beginnt mit bibliographischen Notizen. Dann folgen „Andeutungen", die in den Kristall münden. Schmitt meint hier zunächst, Hobbes' Naturbegriff sei weder im Sinne des philosophischen Physis-Begriffs der naturrechtlichen Tradition21 noch evolutionistisch und darwinistisch zu lesen. Er erörtert dann Hobbes' Verhältnis zum Christentum: Hobbes sei ein frommer Christ gewesen, der die „Wahrheit des öffentlichen Glaubens", daß Jesus der

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Er bejahte diese Zensur damals freilich insbesondere für Jüdische" Autoren und äußerte sich später eingehender zu solchen „Tabus". Dazu vgl. Carl Schmitt, Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist, in: Deutsche JuristenZeitung 41 (1936), S. 1193-1199; ders., Hamlet oder Hekuba. Der Einbruch der Zeit in das Spiel, Düsseldorf 1956. Eingehende Würdigung der naturrechtlichen Tradition jetzt bei E.-W. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie. Antike und Mittelalter, Tübingen 2002. Böckenförde ist einer der engsten und wichtigsten jüngeren Schüler Schmitts. Seine Aufwertung der naturrechtlichen Tradition, der Philosophie und Möglichkeit einer Synthese von Philosophie und Theologie ist ein Schlussstein der „liberalen" Rezeption Schmitts auf dem Boden der modernen Welt. Zur Systematik von Böckenfordes liberaler Transformation und Stellung innerhalb der Schmitt-Rezeption vgl. R. Mehring, Zu den neu gesammelten Schriften und Studien Emst-Wolfgang Böckenfördes, in: Archiv des öffentlichen Rechts 117 (1992), S. 449-473.

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Christus ist, auch persönlich glaubte.22 Die epochale Erfahrung der konfessionellen Bürgerkriege aber - ein Topos nahezu aller Schmitt-Schüler - ließ ihn erkennen, daß alle öffentlichen Wahrheiten politisch umstritten sind. Der Kristall notiert dies als Wendung von der religiösen und christlichen Wahrheit weg zur politischen Autorität. Schmitt erläutert: „Der grauenhafte Bürgerkrieg der christlichen Konfessionen wirft aber sofort die Frage auf: Wer deutet und vollzieht in rechtsverbindlicher Weise diese fortwährend interpretationsbedürftige Wahrheit? Wer entscheidet, was wahres Christentum ist? Das ist das unvermeidliche Quis interpretabitur? Und das unaufhörliche Quis judicabit? Wer münzt die Wahrheit in gültige Münze um? Auf diese Frage antwortet der Satz: Autoritas, non Veritas, facit legem. Die Wahrheit vollzieht sich nicht selbst, dazu bedarf es vollziehbarer Befehle." (BP 122) In seiner Besprechungsabhandlung „Die vollendete Reformation" von 1965 schreibt Schmitt dazu: „Die epochale Bedeutung des Thomas Hobbes besteht darin, den rein politischen Sinn des geistlichen Entscheidungsanspruchs begrifflich klar erkannt zu haben." (L 167) Er nennt das Quis judicabit eine Juristische Frage" (L 169) und ordnet Hobbes trotz seiner Abkehr vom theologischen Denken, seiner Distanz zum neuzeitlichen naturwissenschaftlichen Methodenideal wegen, der philosophie practica des „theologisch-politischen Zeitalters" (L 170) zu. Nach Schmitts Auffassung organisiert jede effektive Autorität eine direkte Macht (Potestas directa, non indirecta) und eine Relation von Schutz und Gehorsam (Oboedientia et Protectio). Sie „gibt eine potestas directa, die sich - zum Unterschied von einer potestas indirecta - für die Ausführung des Befehls verbürgt, die Gehorsam verlangt und den, der ihr gehorcht, zu schützen vermag. So ergibt sich eine Reihe von oben nach unten, von der Wahrheit des öffentlichen Kultes bis zu Gehorsam und Schutz des einzelnen." (BP 122) Schmitt meint, daß jede Umsetzung der religiösen Transzendenz und christlichen Wahrheit in einen staatlichen Autoritätsanspruch den „rein politischen Sinn des geistlichen Entscheidungsanspruchs" enthüllt und damit säkularisierende und delegitimierende Effekte zeitigt. Immer wieder sagt er: Die Idee tritt als „fremder Gast" in die Wirklichkeit.23 Die „Umsetzung" einer Idee in die Wirklichkeit bringt deren „Umbesetzung" in eine andere Regularität. Die autoritäre Form des politischen Gehorsamsanspruchs zitiert Schmitt schon 1922 in der Politischen Theologie 22

Schmitts Hobbes-Bild und seine Sicht der Tradition sind hier nicht zu kritisieren. Es geht nicht um die Frage, ob Schmitt Hobbes korrekt erfaßte, sondern wie er ihn sah. Zur umfangreichen Literatur vgl. nur die selektiven Hinweise von G. Maschke in SGN 149f.

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Schon im WDS (74 Fn.) findet sich dieses Diktum, dort als Goethewort nach Harnack zitiert und auf die theologische Frage nach der Möglichkeit einer kirchlichen Organisation bezogen.

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herbei (vgl. PT 44). Vom „ewigen Zusammenhang von Schutz und Gehorsam" spricht er bereits 1932 (BP 53; vgl. L 113; SGN 143,153). Den christlichen Sinn von Hobbes' Werk betont er schon 1938 (vgl. L 126). Der Kristall verdeutlicht diese Transformation des christlichen Wahrheitsanspruchs in eine politische Ordnung systematisierend und macht auf eine doppelte Lesbarkeit und Zweideutigkeit von Hobbes' Werk aufmerksam. Der Kristall ist nämlich von „oben", als Theologie der Politik, wie von „unten", als Politik der Theologie, lesbar. Schmitt schreibt: „Gehen wir jetzt, statt von oben von unten aus, von dem System der materiellen Bedürfnisse des einzelnen, dann beginnt die Reihe mit dem Schutz- und Sicherheitsbedürfnis des ,νοη Natur' rat- und hilflosen einzelnen Menschen und führt in umgekehrter Reihenfolge auf demselben Weg an das Tor zur Transzendenz." Später meint er. „Der Hobbes-Kristall zeigt, daß der Positivismus die Transzendenz nicht ausschließt (sowenig wie die Transzendenz den Positivismus)." (L 172 Fn.) Von „oben" gelesen, zeigt Schmitt die Unvermeidlichkeit einer Organisation von Schutz und Gehorsam an; vom anthropologisch geschlossenen „System der Bedürfnisse" her gelesen, verweist er auf die Problematik einer Rechtfertigung von Autorität. 1922 schon legt Schmitt einen Begründungszusammenhang von dezisionärer Autorität, Personalität und Theismus nahe (vgl. PT 44ff.). 1938 sieht er in Hobbes einen Denker der Zeitenwende zwischen christlichem Mythos und mechanistischer Philosophie. Der Kristall übernimmt nun die frühe systematische These von 1922, daß der mechanistische Ansatz in der praktischen Philosophie nicht durchführbar sei und Hobbes den christlichen Persönlichkeitsmythos für die Konstruktion der Souveränität des Leviathan brauchte. Schmitt meint jetzt systematisch, daß Autorität, von „oben" wie von „unten", stets eines Rekurses auf Transzendenz bedarf. Dient die Systematisierung zunächst dem einfachen Verständnis von Hobbes' Konstruktion, so liegt im Hinweis auf die doppelte Lesbarkeit doch die sachliche Pointe des Kristalls: Schmitt vertritt mit Hobbes die Unvermeidlichkeit eines Begründungsrekurses auf „Transzendenz". Demnach bedarf die Staatsbegründung in jedem Fall, mit jedem Ansatz, des Rekurses auf „Transzendenz". Es bleibt aber die Frage, wie die „Transzendenz" methodisch zu verstehen sei: ob von „oben" oder von „unten", ob ziviltheologisch als Theologie der Politik oder religiös als Politik der Theologie und Politische Theologie im Sinne religiös gebotener Politik. Schmitt nimmt zu dieser Frage weiter Stellung. Er problematisiert dabei zunächst einen Aspekt des religionspolitischen und zivilreligiösen Rekurses auf „Transzendenz": Wer „von unten" ausgeht, neigt zum scheiternden Versuch einer Pazifizierung durch Neutralisierung religiöser Wahrheitsansprüche und Gegensätze: „Sofort erhebt sich die Frage, ob die Neutralisierung über den Rahmen des gemeinsamen Christentums hinaus weitergetrieben werden kann, etwa

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zu einem gemeinsamen Glauben an Gott - dann könnte dieser erste Satz auch lauten: Allah ist groß - , oder noch weiter bis zu irgendeiner der vielen interpretationsbedürftigen Wahrheiten" (BP 122). Schmitt antwortet: „Ich glaube nicht, daß Hobbes eine so totale Neutralisierung gemein hat." (BP 123) Er konnte die „totale Neutralisierung" nicht wollen; seine ganze Antwort wäre gescheitert. Deshalb insistierte er auf dem christlichen Sinn seines Werkes: „Es ist die Frage nach der Auswechselbarkeit oder Nicht-Auswechselbarkeit des Satzes, that Jesus is the Christ." (BP 123) 1965 fügt Schmitt an: „Bei ihm [Hobbes] bleibt die religiöse Einheit und Besonderheit der einzelnen christlichen Kirchen gewahrt, weil sie durch die souveräne Entscheidung des christlichen Souveräns getragen wird. Das ist ein cuius regio, ejus religio, und eben deshalb keine Neutralisierung, sondern zunächst eher das Gegenteil, nämlich eine dogmatische Positivierung gegenüber der Eigenart abweichender Meinungen des konfessionellen Gegners oder Nachbarn." (L 162) Hobbes wahrte noch den „Kern der apostolischen Verkündigung" (L 164). Erst Lessing habe dann das ganze Christentum neutralisiert (L 163f.). Schmitt verdeutlicht 1965 also seine christliche Deutung noch. Die Politische Theologie II entwickelt 1970 dann eigene christologische Spekulationen als letzten Stand des „anthropologischen Glaubensbekenntnisses".24 Alle späten Texte thematisieren die Leistimgskraft eines christlichen „Schlußsteins". Der lange Hinweis auf Hobbes antwortet 1963 auf die Ausführungen zu anthropologischen Voraussetzungen neuzeitlicher Staatstheorien im Text von 1932. Schmitt meint, daß alle Staatstheorien Annahmen über die „Natur" des Menschen machen. Anarchisten gehen von der natürlichen Güte des Menschen aus und halten staatliche Herrschaft letztlich für unnötig. Autoritäre Staatsdenker sehen im Menschen ein gefahrlich dynamisches Wesen, das staatlicher Herrschaft bedarf. Nur diese autoritären Theorien nennt Schmitt „echte" politische Theorien. Die Wahl zwischen beiden Anthropologien hält er fur pure Ansichtssache. Damit spricht er 1932 zunächst in einem sehr weiten und vagen Sinn von einem „Glaubensbekenntnis" und von „Theologie"; er reduziert sie auf eine optionale Stellungnahme zur „Natur" des Menschen. Während die philosophische Anthropologie seiner Zeit vom Mensch-Tier-Vergleich und der „Stellung" des Menschen in der Natur ausgeht, nimmt Schmitt, wie Piaton und Hobbes, eine „Rückübertragung" (SGN 146) vom homo magnus Staat auf das menschliche Individuum vor. Er erwähnt eine Reihe neuzeitlicher Staatstheoretiker und rechnet darunter auch Staatstheoretiker der Gegenrevolution, die explizit theologisch argumentierten. Schmitt selbst vertritt 1932 aber keinen theologisch expliziten Begriff politischer Theologie, sondern

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Zu diesen späten Schriften Schmitts vgl. R. Mehring, Carl Schmitt zur Einführung, Hamburg 2001, S. 114f.

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spricht nur von einem ,,methodische[n] Zusammenhang theologischer und politischer Voraussetzungen" (BP 64). Seine ideengeschichtlichen Referenzen beschließt er damals schon mit Hobbes: , 3 e i Hobbes, einem großen und wahrhaft systematischen politischen Denker, sind daher die .pessimistische' Auffassung des Menschen, ferner seine richtige Erkenntnis, daß gerade die auf beiden Seiten vorhandene Überzeugung des Wahren, Guten und Gerechten die schlimmsten Feindschaften bewirkt, endlich auch das ,Bellumi Aller gegen Alle: nicht als Ausgeburten einer furchtsamen und verstörten Phantasie, aber auch nicht nur als Philosophie einer auf der freien .Konkurrenz' sich aufbauenden bürgerlichen Gesellschaft (Tönnies), sondern als die elementaren Voraussetzungen eines spezifisch politischen Gedankensystems zu verstehen." (BP 64f.) Die Begriffsschrift vertritt also 1932 die Perspektive politischer Theologie nur schwach und fragwürdig. Denn anthropologische Implikationen reichen kaum hin, von einem theologischen „Glaubensbekenntnis" zu sprechen. Der Hobbes-Kristall antwortet 1963 auf diese Diskrepanz zwischen der starken „theologischen" Semantik und ihrer Einlösung als relativ unstrittige, theologisch aber wenig explizite „methodische" These; er legt zwar eine „dogmatische Positivierung" im doppelten Hinweis auf „Transzendenz" nahe, formuliert aber kein eindeutiges Bekenntnis zur christlichen Theologie und Metaphysik. Schmitt klärt den politisch-theologischen Sinn seiner Ausführungen nicht in Richtung auf eine dogmatische Theologie der Offenbarung und legt sich nicht in eine Richtung fest, sondern rechtfertigt seine Reserve gegen starke philosophische oder theologische Begründungen unter Verweis auf Hobbes mit der politischen Virulenz von Wahrheitsansprüchen in der Politik. Seine Schrift endet mit einem politisch-theologischen Dilemma: Sie fordert einen religiösen „Schlußstein" und kritisiert dessen politische Wirkungen. Akzeptiert man Schmitts pantheologischen Ansatz, der die Unvermeidlichkeit eines Rekurses auf „Transzendenz" behauptet und eine christliche Limitierung wünscht, so ließe sich von einer politisch reflektierten Politischen Theologie oder Politischen Theologie zweiter Stufe sprechen, die das Politikum politischer Theologie im Interesse politischer Ordnung reflektiert. Vielleicht deshalb schließt Schmitt eine Anmerkung zu Jacob Burckhardts Wort von der „an sich bösen" Macht an (BP 123). Denn lange schon ist er der Auffassung, daß Recht eine positive Wertung von Macht impliziert, die als Vertrauen in die Geschichte nur geschichtstheologisch explizierbar sei (vgl. WdS 23f., 47f.; PT 22).25

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Dazu vgl. R. Mehring, Macht im Recht. Zur Entwicklung von Carl Schmitts Rechtsbegriff, erscheint in: Der Staat (2003).

ESOTERISCHE „HINWEISE"?

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VI. Schlußbemerkungen Schmitts „Hinweise" entwickeln also über bloße Literaturhinweise und knappe Zeitkommentare hinaus zwei starke Selbstdeutungen: Sie vertreten eine Kontinuität des Feindbegriffs und einen politisch-theologischen Sinn des „anthropologischen Glaubensbekenntnisses". Ihre marginale Form dient der rhetorischen Konstraktion eines esoterischen Anspruchs. So gelesen, klingt das Patchwork von 1963 nicht beiläufig aus. Um den Text von 1932 gegen die „Unmasse der ihm gewidmeten Widerlegungen" lesbar zu machen, nimmt der „Neudruck" schon mit den „Hinweisen" eine starke Kontinuitäts- und Einheitsbehauptung vor. So ist er auch ein Vorschlag, wie Schmitt zu lesen sei. Schmitts Selbstdeutungen betreffen zentrale Forschungsfragen. Seine „Hinweise" aber sind kaum geeignet, sie zu entscheiden. Die Autorität letzter Selbstdeutungen vermag die systematische Diskussion nicht zu ersetzen. So unstrittig Schmitt seine Begriffsbestimmung auch in den Rahmen einer Politischen Theologie stellt, so fragwürdig bleibt doch der normative Appell, den er damit evoziert. Einige Beiträge des Kommentars formulierten kritische Einwände gegen Schmitts Theoriebildung. So wiesen sie auf eine Zweideutigkeit der Begriffsbestimmung zwischen deskriptiver und normativer Theorie hin. Beschreibt Schmitt die Politik seiner Zeit nur, oder fordert er eine bestimmte Politik? Erfaßt seine deskriptive These vom „Ende der Epoche der Staatlichkeit" die gegenwärtige Lage noch prognostisch? Liegt hier, in der Beschreibung, Schmitts Aktualität? Oder liegt die Stärke seiner Begriffsbestimmung eher in der Formulierung eines wesentlichen Kriteriums normativer Politik? Diese verschiedenen Dimensionen möglicher Aktualität müssen genau unterschieden werden. Eine aktuelle Beschreibung von Politik ist dabei so wichtig wie ein normativer Politikbegriff. Aus der jeweiligen Rezeptionsrichtung ergeben sich aber unterschiedliche Argumentationspflichten. Der analytisch-deskriptive Diagnostiker und Prognostiker wird mehr in den Rechts- und Sozialwissenschaften diskutiert, der normativ-kritische Theoretiker eher in Theologie und Philosophie. Das Selbstverständnis des Autors kann dabei die eigene Stellungnahme nicht ersetzen. So beantwortet ein politisch-theologisches Verständnis der Begriffsschrift, wie Schmitt es mit seinem Hobbes-Kristall nahe legt, noch nicht die Frage nach dem normativen Politikbegriff. Es besagt lediglich, daß Schmitt seinen Politikbegriffnormativ verstanden wissen wollte. Falls Schmitt einen solchen normativen Politikbegriff vertrat, gibt es ein philosophisches Begründungs- oder Rechtfertigungsdefizit. Das jedenfalls meinten philosophische Kritiker immer wieder, auch in unserem Kommentar. In politisch-theologischer Perspektive bestritt Schmitt, so bestätigte die Deutung des Kristalls, ein solches Begründungsdefizit. Er akzeptierte Theologie als Begründungsmodell und hatte politische Motive,

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deren Explikation zu scheuen. Wer diese politisch-theologische „Letztbegründung", die Suspension philosophischer Begründungsfragen im Namen von Theologie, nicht akzeptiert und Schmitts normativem Politikverständnis nicht folgt, der kann dessen Begriffsschrift sachlich immer noch als eine analytischdeskriptive politische Theorie lesen, die normative Rechtfertigungsfragen in weiten Teilen methodisch bewusst ausklammert und abblendet. Sie erscheint dann als ein Versuch, den Realismus einer Beobachterperspektive zu gewinnen. Einige Beiträge unseres Bandes diskutierten diesen analytisch-deskriptiven Gehalt der Theoriebildung. Ob man Schmitts Begriffsbestimmung aber analytisch-deskriptiv oder normativ-kritisch liest, entscheidet sich nicht zuletzt an der Auffassung des „anthropologischen Glaubensbekenntnisses". Wer es theologisch gehaltvoll nimmt, unterstellt einen umfassenden Begründungsanspruch; wer es axiomatisch als methodologische Grenzanzeige einer analytisch-deskriptiven Theorie der Politik liest, fragt nicht weiter nach Schmitts normativem Politikverständnis und dessen Begründungsmodell, sondern stellt das Rechtfertigungsproblem von Politik und politischer Herrschaft in einem anderen Theorierahmen. Beide Auffassungsweisen werfen Fragen nach dem Verhältnis von Schmitts Begriffsbestimmung zur Philosophie auf; sie lesen sie entweder als Konkurrenzoder als Ergänzungsmodell. Die Rechtfertigung politischer Herrschaft und Gewalt bleibt dabei in jedem Fall ein Problem.

13 Volker Gerhardt Politik als Ausnahme Der Begriff des Politischen als dekontextualisierte Antitheorie

I. Polemik gegen den Polemiker Carl Schmitts kleine Schrift über den Begriff des Politischen kann man als die Praxis einer Theorie begreifen, für die der Autor mit der Rhetorik seiner Argumente zu werben sucht: Das Buch praktiziert eben die Polemik, in der die Essenz des Politischen bestehen soll.' So wird die Theorie der Politik im Medium ihrer Darstellung von Grund auf politisiert. Will man sich dieser Selbstanwendung einer Doktrin auf ihre theoretische Präsentation entziehen, kann man deren polemische Darbietung einfach ignorieren und fragen, was sie denn der Sache nach zu bieten hat. Ich gestehe, dass ich die kleine Schrift bislang so gerade nicht gelesen habe. Lange Zeit erschien es mir angemessen, der Polemik durch Polemik zu begegnen. Ich exponierte die Widersprüche, verwies auf die Inkohärenz der Begriffsbestimmungen und erinnerte daran, wie alt die hier als neu vorgetragenen Einsichten sind.2 Man kann tatsächlich bis auf den Anfang des ersten Buches über die Politik, bis auf Piatons Politela zurückgehen, um kenntlich zu machen, dass die politische Philosophie nicht erst im 20. Jahrhundert über die konstitutive Rolle der Feindschaft belehrt werden musste. Im gleichen Zusammenhang kann man sich darüber aufklären lassen, dass die von Carl Schmitt kategorisch geforderten existenziellen Opfer im Dienst der politischen Macht ohne den - zumindest geglaubten - Anspruch auf Gerechtigkeit nicht zu haben sind. Alles ausdrücklich politische Handeln steht unter der

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„[·..] alle politischen Begriffe haben einen polemischen Sinn." (BP 31) Beispiele in: Volker Gerhardt, Politisches Handeln. Über einen Zugang zum Begriff der Politik, in: ders. (Hg.), Der Begriff der Politik. Bedingungen und Gründe politischen Handelns, Stuttgart 1990, S. 291-309; ders., Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden. Eine Theorie der Politik, Darmstadt 1995.

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Präsumption des Rechts. Also kann man das Politische nicht, wie Schmitt es nahelegt, an die faktische Existenz von Organisationen knüpfen, die angeblich selbst nur auf Entscheidungen gegründet sind. Zum polemischen Umgang mit dem essenziellen Polemiker gehörte auch, dass ich ihm stets nur im Vorbeigehen Beachtung schenkte. Bisher habe ich den maliziösen Aphoristiker mit maliziösen Beiläufigkeiten abgefertigt. Dass dabei auch eine fortwirkende Empörung über Schmitts Rechtfertigung der kriminellen Herrschaft des Nazi-Regimes eine Rolle spielte, dass seine nachfolgende Stilisierung zum unbelehrbaren Opfer auch weiterhin das größte Befremden erzeugt, soll hier nicht verschwiegen sein.

II. Wechsel der Perspektive Man kann die politische Rhetorik Carl Schmitts natürlich auch so behandeln, als ginge es ihr um die Argumente, mit denen sie jongliert. Wer in dem Autor primär einen Juristen sieht, dessen politiktheoretische Auslassungen im Zusammenhang seiner disziplinaren Beiträge zu Gesetz und Urteil, zum Verfassungsoder Völkerrecht zu sehen sind, kann ihn wie einen Theoretiker von Recht und Staat behandeln. Wer sich für die Konstellation von Politik und Theologie interessiert, kann die zeitgeschichtlichen Diagnosen überprüfen und sowohl den systematischen wie auch den historischen Affiliationen zwischen der Disposition über den religiösen Glauben und der Repräsentation eines politischen Willens nachgehen. Schließlich kann man sich der pointierten Gelehrsamkeit des Autors stellen und die Aufmerksamkeit auf die ideengeschichtliche Kulisse richten, vor der seine Essayistik posiert. Bei alledem kann man den erregenden zeitgeschichtlichen Konnotationen nachgehen, die zu erkennen geben, dass hier ein Autor mit allen Wassern gewaschen ist. Er ist politisch konservativ und soziologisch progressiv, er ist römisch katholisch und national sozialistisch, elitär und populistisch, autoritär im Fach und literarisch im Stil, dezidiert realistisch und exaltiert romantisch, er ist ein Existenzialist, der in der Institution die Rettung sucht, ein Anarchist, der zwischen sich und der mit Macht vertretenen politischen Ordnung nur das Minimum einer Dezision zu erkennen glaubt. Alles dies ist interessant und verdient Beachtung. Gleichwohl lasse ich es hier mitsamt der Polemik beiseite und konzentriere mich auf den der kleinen Abhandlung zugrundeliegenden Anspruch auf eine neue Grundlegung des Politischen. Dabei gestehe ich dem Autor zu, dass er auf so knappem Raum natürlich nicht mehr als eine Skizze bieten kann. Er betont mehrfach das Vorläufige und Lückenhafte seiner Begriffsanalyse und weist schon damit die Erwartung zurück, er habe auch nur eine das Thema erschöpfende, systematische Abhandlung

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schreiben wollen. Noch im rückblickenden Vorwort von 1963 spricht er von der „offensichtlichen Unvollständigkeit eines dreißig Jahre zurückliegenden Textes" (BP 19). Dennoch sind seine Distinktionen mit so weitreichenden Schlussfolgerungen verknüpft, dass es wie eine Fortsetzung der Polemik erscheinen würde, wollte man die erklärte Bescheidenheit des Autors wörtlich nehmen und erklären, die Schrift erhebe keinen Anspruch auf eine theoretische Grundlegung des Politischen.

III. Der Liberalismus als Feind Der weitreichende Theorieanspruch Carl Schmitts tritt am deutlichsten in der programmatischen Abgrenzung vom Liberalismus hervor. Die am besten begründete politische Theorie der Moderne, die, wie Schmitt bei Publikation seiner Schrift 1932 durchaus wissen konnte, bereits in den antiken Lehren von polis und res publica angelegt ist,3 wird als prinzipiell unzureichend verworfen: Der bürgerliche Liberalismus sei nur der Antagonist der bestehenden feudalen, kirchlichen oder staatlichen Mächte; er tauge zwar zur „Kritik der Politik", sei aber prinzipiell unfähig, selbst Politik zu machen (BP 69); er umgehe in „überaus systematischer Weise" den Staat und die Politik und bewege sich „in einer typischen, immer wiederkehrenden Polarität von zwei heterogenen Sphären, nämlich von Ethik und Wirtschaft, Geist und Geschäft, Bildung und Besitz" (BP 69). So sei der Liberalismus noch nicht einmal in der Lage, das Politische überhaupt zu fassen. Doch damit nicht genug: Durch seine unaufgebbare Fixierung auf das Individuum, welches terminus a quo und terminus ad quem seines Denkens sei, erreiche der Liberalismus noch nicht einmal das Niveau, auf dem sich politische Motive bilden. So müsse das Politische vom Einzelnen notfalls auch das Opfer seines Lebens verlangen (BP 70). Zum Erweis einer solchen Notwendigkeit aber sei das liberale Denken schlechterdings nicht in der Lage, weil es die „Verfugung über das physische Leben" des Individuums nicht begründen könne. Warum dies der Fall sein soll, sagt Schmitt nicht; er hält es offenbar fur evident und glaubt schon mit dem bloßen Hinweis aufdecken zu können, dass der Liberalismus bereits zu den Mitteln des politischen Handelns kein Verhältnis habe. 4

3

4

Ich erinnere an die von Hegel mehrfach beschworene Tradition der Freiheit und der Individualität von der antiken Tragödie an. Der historischen Forschung ist die Kontinuität zwischen antiker und moderner Staatslehre nicht entgangen. Man kann gegen Schmitt die These vertreten, dass nur ein liberaler, d. h. konsequent vom Individuum ausgehender Ansatz die Notwendigkeit individueller Lebensopfer erweisen kann. Als politisch kann ein solches Opfer nur gelten, wenn die Zustimmung

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An Stelle der erforderlichen Handlungsfähigkeit biete der Liberale nur sein „Pathos" gegen Gewalt und Unfreiheit (BP 70). Er berufe sich auf eine Menschheits-Moral und halte viele Möglichkeiten offen, sich privat zu bereichern. Was er aber prinzipiell nicht bieten könne, sei - Politik. Statt dessen bringe er ein „ganzes System entmilitarisierter und entpolitisierter Begriffe" hervor, die im Grunde die Sphäre von Geschäft und Debatte nicht verlassen (BP 70). Carl Schmitt fuhrt dieses „System entmilitarisierter und entpolitisierter Begriffe" an einer Reihe von wörtlichen Beispielen vor: So gehe es dem Liberalismus lediglich um „Ökonomie". Die dem entsprechenden Mittel seien das „Geschäft" und der zugehörige „Vertrag". In dessen Vorfeld habe die „Diskussion" ihre Bedeutung, die sich freilich auch auf ein „rational-konstruiertes soziales Ideal" erstrecken könne. Was davon politisch wirksam werde, erreiche aber mudas Niveau der „Propaganda". Nach Art der Händler gehe es dem Liberalismus lediglich um das „Publikum", das durch „Massensuggestion" von der Gültigkeit „ideologisch-humanitärer Vorstellungen" überzeugt werden soll (BP 71). Zu ihnen gehöre der Begriff der „Menschheit", zu der es schon ein paar Seiten früher heißt: „Wer Menschheit sagt, will betrügen." (BP 55)s Man muss sich die Beispiele für das „System" des Liberalismus vor Augen fuhren, um den Abgrund an Unsachlichkeit zu ermessen, mit der ein abweichender Theorieansatz der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Die Politisierung der Theorie fuhrt dazu, den Liberalismus wie einen Feind zu behandeln. Aber dieser Feind wird nicht, wie Schmitt es in seinem Verständnis von der „Pluralität der Staatenwelt" (BP 54) nahelegen will, respektvoll als die Kondition der eigenen Möglichkeit betrachtet, er wird schon gar nicht, wie es später vom Kriege heißen wird, „gehegt" (vgl. BP 1 lf.). 6 Er wird vielmehr als jämmerliche, abartige Figur, von der man nichts zu fürchten hat, verspottet. Nach Art eines Kriegsherrn, der zu seinen Soldaten spricht, macht hier der Autor seinen Lesern Mut für den Kampf mit einem verächtlichen Gegenüber, das der Mühe eigentlich nicht wert ist. Denn: „Vom konsequenten bürgerlichen Liberalismus aus läßt sich keine politische Theorie gewinnen." (BP 68)

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der Betroffenen eingeholt werden kann. Diese Zustimmung kann wiederum nur als politisch gelten, wenn sie nicht nur die mit dem Lebensopfer verknüpfte einzelne Handlung, sondern auch die Instanzen und Verfahren akzeptiert, die derartige Handlungen verlangen. Diese Akzeptanz muss im Grundsatz vorliegen, und sie hat mit den Prinzipien der eigenen Lebensführung übereinzustimmen. Das alles wird man allgemein nur in einer liberalen politischen Ordnung unterstellen können, die ihre Legitimität aus dem freien Willen eines jeden einzelnen Bürgers bezieht. Schmitt fuhrt Proudhon als Urheber des Satzes an. Die Formel von der „Hegung des Krieges" wird im Nomos der Erde gebraucht.

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IV. Exemtion vom Kontext In systematischer Hinsicht bringt die Verwerfung des Liberalismus beachtliche Probleme mit sich: Meint man sie ernst, kann man sich zur Begründung politischen Handelns nicht länger auf das Individuum und schon gar nicht auf dessen Freiheit berufen; hält man sie durch, kann man weder die prinzipielle Gleichheit der Menschen noch den darin angelegten Anspruch auf Gerechtigkeit zur Grundlage des Politischen machen. Folglich scheidet auch das Recht als Vorbedingung des politischen Handelns aus. Also muss man, selbst im Vergleich mit den antiken Theorien und deren frühneuzeitliche Erneuerung durch Marsilius, Machiavelli, Bodin und Hobbes, vor allem aber mit Blick auf Locke, Montesquieu, Rousseau, Kant, Hegel und allem, was ihnen folgt, vollkommen neu ansetzen. Den Versuch dazu unternimmt Carl Schmitt in seiner kleinen Schrift. Mit den nicht ganz sechzig Seiten seines acht Abschnitte umfassenden Texts von 1932 tritt er gegen ganze Bibliotheken an. In der Tradition des politischen Denkens geht es immer um einsichtige und tragfahige Verbindungen zwischen der Institution und den Personen, aus denen sie besteht. Durchweg werden die Interessen, Motive und Ideen der Bürger als die Träger der politischen Organisation angesehen. Das Ganze einer politischen Vereinigung muss sich vor dem prüfenden Blick des Einzelnen rechtfertigen lassen. Nur weil dies so ist, hat die Politik sich zu legitimieren; allein aus diesem Grund benötigen wir eine Theorie des Politischen. Also kann man nur gespannt sein, wie Carl Schmitt zu seinem Neuansatz gelangt, wenn er diesen durch die einzelnen Menschen, ihren Lebenszusammenhang, ihre Einstellung zu sich und ihresgleichen sowie durch ihre normativen Erwartungen bestimmten Kontext in Konsequenz seiner Abkehr vom Liberalismus - nicht beachten will. Er betreibt eine Exemtion vom Kontext und glaubt die Politik als eine Ausnahme von den normalen Lagen des menschlichen Lebens beschreiben zu können. Damit stellt er sich eine gewaltige Aufgabe: Er möchte nicht nur alle traditionellen Normen politischen Handelns überspringen, sondern will auch die Beschreibungsleistung der überlieferten politischen Theorien ad acta legen. Denn angeblich haben die bisher geltenden normativen Prinzipien mit dem Politischen nichts zu tun; und die gewohnte Deskription politischer Phänomene soll das Politische bis zur Unkenntlichkeit neutralisieren. Wenn man, so die Unterstellung des Autors, das Politische nicht kriteriell von anderen Erscheinungsweisen des Lebens trennt, kommt es als solches nicht zur Geltung. Also bedarf es einer scharfen logischen und sachlichen Abgrenzung. - Wer saubere begriffliche Unterscheidungen schätzt, steht diesem Anspruch Carl Schmitts gewiss mit Wohlwollen gegenüber.

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V. Der Weg in die Ausnahme Die Exemtion vom Kontext vollzieht sich in drei Schritten, die bei Schmitt zwar auf einander folgen, aber lediglich assoziativ miteinander verbunden sind: Zunächst wird ein überraschender begrifflicher Zugang gewählt, der das Politische von allen anderen Lebenserscheinungen isoliert und auf den zugespitzten Gegensatz von Freund und Feind zu gründen sucht. Aus dem Kriterium der Bewertung wird auf die Sonderstellung der bewerteten Sache geschlossen (BP 24f.; 36). Damit wird das Politische prinzipiell aus den Bezügen gelöst, in denen es bislang immer begriffen wurde, nämlich in seiner Beziehung zu Ökonomie, Moral, Kunst und Religion.1 Aus der von Schmitt unterstellten Tatsache, dass in der Politik andere Kategorien der Wertung zur Geltung kommen, wird geschlossen, dass die begriffliche Ordnung des Politischen grundsätzlich anders angelegt sein soll als in den nach anderen Kriterien beurteilten Handlungsfeldern des Menschen. Wer aber hätte je aus der Tatsache, dass wir die Arbeit anders beschreiben als das Spiel, den Schluss gezogen, dass sie nichts mit einander zu tun haben? Was wäre von der These zu halten, dass die Technik, nur weil sie nach dem Gegensatzpaar „funktional" oder „dysfunktional" beurteilt werden kann, von der nach „rentabel" oder „unrentabel" bewertenden Ökonomie völlig unabhängig ist? Der zweite Schritt in die Isolation des Politischen vollzieht sich mit dem behaupteten Gegensatz von Freund und Feind (BP 26). Carl Schmitt muss einigen historischen und philologischen Aufwand treiben, um seine These plausibel zu machen (BP 28ff.). Bis zu seiner Schrift durfte man davon ausgehen, dass aus jedem Streit und aus jeder Konkurrenz eine Feindschaft hervorgehen kann. Die Belege über tödliche Rivalitäten im privaten Bereich sind Legion, so dass die Realität des menschlichen Lebens nicht den geringsten Anlass gibt, die tödliche Feindschaft auf die Politik zu beschränken. Indem Schmitt jedoch eben diesen Vorschlag macht, reisst er die Politik aus den lebensweltlichen Zusammenhängen heraus und stellt sie in einen von den alltäglichen Optionen des gesellschaftlichen Handelns freien Raum, um sie von allen ökonomischen, ethischen, ästhetischen und religiösen Ansprüchen zu entlasten. 7

Das Gemeinsame dieser Bereiche liegt darin, dass in ihnen Lebensleistungen des Menschen zu gesellschaftlichem Ausdruck kommen. Deshalb müsste man der Vollständigkeit halber auch die Technik und das Recht erwähnen. In BP 37 wird beiläufig das Technische zusammen mit den „psychologischen und militärischen Gesetzen" erwähnt. Das zeigt, wie zahlreich die Abgrenzungen zu sein hätten, wenn es um Vollständigkeit ginge. Da Schmitt an dieser Stelle hervorhebt, dass die politische Organisation auf „technische, psychologische und militärische Gesetze" angewiesen ist, wird zugleich der fortbestehende Zusammenhang deutlich, in dem das Politische trotz seiner begrifflichen Absonderung steht.

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Der dritte Schritt scheint logisch aus dem zweiten zu folgen, indem Feindschaft und Freundschaft an den Ernstfall gebunden werden (BP 30, 38f.)- Das scheint natürlich, denn Feinde erscheinen stets disponiert, ihrer Feindschaft durch die Ausschaltung ihrer Opponenten ein Ende zu machen. Aber wer die Vielfalt menschlicher Feindseligkeiten nicht von vornherein auf bestimmte Extremfalle verkürzt, der muss zugestehen, dass es Feindschaften gibt, die nichts so sehr meiden wie den Ernstfall des offenen Austrags. Also müssen wir den von Carl Schmitt postulierten Ernstfall als ein zusätzliches Kriterium ansehen, das sich nicht schon logisch aus der postulierten kriteriellen Sonderstellung des Politischen ergibt. Und die unterstellte exklusive Verknüpfung von Feindschaft und Ernstfall kommt schon deshalb nicht zustande, weil zum Kriterium ja der Gegensatz, also auch die Freundschaft gehören soll. Zwar wird man nicht bestreiten wollen, dass die wahre Freundschaft sich nur in schwierigen Handlungslagen bewährt. Doch es wäre nicht nötig, auf deren Bestätigung im Ernstfall zu achten, wenn sie in den durchschnittlichen Lagen des Lebens ohne Bedeutung wäre.

VI. Die Gruppierung als Feind Der Ernstfall, von dem Schmitt spricht, ist ein Fall, in dem die Existenz eines Gemeinwesens auf dem Spiel steht. Aber diese Bestimmung, so prägnant sie auf den ersten Blick auch zu sein scheint, ist unvollständig. Denn Schmitt spricht nicht von einer Bedrohung, die durch eine Überschwemmung oder eine Hungersnot verursacht ist - natürlich auch nicht von den Auswirkungen einer globalen ökonomischen oder ökologischen Katastrophe. Er meint ausdrücklich nur jenen Fall, der durch den Krieg gekennzeichnet ist. Der „Kriegsfall ist der Ernstfall" (BP 35). Das damit empfohlene Absehen von allen anderen existenziellen Gefahrdungen einer Gemeinschaft (den Begriff der „Gesellschaft" möchte Schmitt umgehen; BP 45)8 deckt jedoch auf, dass für die vorgeschlagene Begriffsbestimmung ein dichterer Zusammenhang vorausgesetzt wird: Der gefährdeten Gemeinschaft muss nämlich mindestens eine andere Gemeinschaft gegenüberstehen, und beide müssen in der Lage sein, sich wechselseitig in ihrer Existenz zu bedrohen. Mehr noch: Diese Gemeinschaften müssen die Form einer „Gruppierung" haben. Sie sind die „Feinde", um die es geht; sie sollen es sein, die sich wechselseitig von

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Dazu vgl. Schmitts wenig bekannten Text: Der Gegensatz von Gemeinschaft und Gesellschaft als Beispiel einer zweigliedrigen Unterscheidung. Bemerkungen zur Struktur und zum Schicksal solcher Antithesen, in: Estudios jurídicos-sociales. Homenaje al Profesor Luis Legaz y Lacambra, Santiago de Compostela 1960, Bd. 1, S. 165-178.

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außen oder von innen gefährden (BP 35, 39). Dass es nur ein Einzelner ist, der die Existenz der Gemeinschaft ernsthaft bedroht, schließt Schmitt offenbar aus. Ohne eigens Gründe zu nennen, unterstellt er nicht nur, dass es eine größere Anzahl von Personen sein muss, sondern dass sich diese Personen in einer (nicht näher spezifizierten Weise) organisiert haben müssen. Sie müssen zu einer „Feindgruppierung" zusammengefunden haben (BP 30, 31, 35). Dieses Kriterium bleibt, wohlgemerkt, nicht auf die Feinde der Gemeinschaft beschränkt; es gilt in gleicher Weise fur die „Freunde". Die gefährdete Gemeinschaft muss selbst eine „Gruppierung sein, die sich in organisierter Form der Feinde erwehrt: „Politisch ist jedenfalls immer die Gruppierung, die sich an dem Ernstfall orientiert." (BP 39) Damit zeigt sich, dass es keineswegs nur die blanke existenzielle Opposition von Freunden und Feinden ist, auf die Carl Schmitt seine Begriffsbestimmung des Politischen gründet. Es kommt vielmehr ein vorher nicht genanntes Organisationskriterium hinzu: Freund und Feind müssen zu einer handlungsfähigen, genauer: zu einer kriegsfahigen Gruppierung zusammengefunden haben, um sich das Attribut des Politischen zu verdienen.

VII. Die maßgebende Gruppierung Dass die politische Funktion von Freund und Feind so nachdrücklich an die Bedingung einer spezifischen Organisation gebunden werden, wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn das Kriterium der Gruppierung nicht so augenscheinlich an den Staat erinnerte. Der Staat aber soll, wie Schmitt vor allem anderen erklärt, nicht länger als definiens des Politischen fungieren. Der Staat hatte bisher, so heißt es schon im ersten Abschnitt, das „Monopol des Politischen" (BP 23). Dieses Definitionsmonopol soll gebrochen werden. Man geht nicht zu weit, wenn man darin eine wesentliche, ja, die zentrale Absicht der ganzen Abhandlung namhaft macht. Denn solange man das Politische durch Bezug auf den Staat bestimmt, hat man auch die liberale Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft in Anspruch genommen. Mit ihr setzt man sich der begrifflichen Nötigung aus, den Staat als eine Form zu begreifen, die sich die Gesellschaft gibt. Mit diesem Formprinzip aber ist man notwendig bei den rechtlichen und moralischen Normen, von denen Carl Schmitt das Politische freistellen möchte. Und nun kommt im Kriterium der „Gruppierung" eben die Staatsförmigkeit des Politischen wieder zur Geltung, die definitiv verabschiedet werden sollte. Es ist nicht allein der in der Gruppierung unterstellte Organisationsgrad, der für diese Deutung spricht. Auch das richtungsweisende Formprinzip kommt zur Geltung. Die Gruppierung, die ihr Ziel in der Bewältigung des Krieges, damit

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auch in der Sicherung des Friedens haben können soll, soll nämlich „maßgebend" sein (BP 45). Das könnte man als eine tautologische Bestimmung übergehen. Denn die Maßgabe liegt einzig darin, dass sie den Krieg fuhrt oder nicht. So wiederholt sich in der Auszeichnung als „maßgebend" nur das, was die Gruppierung ohnehin tut. Das ist allein dann keine leere Bestimmung, wenn man die substanzielle Aktivität der Gruppierung zugleich normativ begreift. Dann soll sie tun, wozu sie da ist. Es kann kein Zweifel sein, dass Carl Schmitt die Gruppierung unter eben diesem normativen Anspruch versteht: Sie hat den Krieg zu fuhren, wenn die Lage es gebietet, und sie hat den Frieden zu schließen, wenn anders die Existenz der Gemeinschaft nicht zu sichern ist. Damit untersteht die Gruppierung denselben Erwartungen, die auch fur den Staat ausschlaggebend sind. An einer späteren Stelle spricht der Autor selbst davon, dass „der Staat eine Einheit ist, und zwar die maßgebende Einheit" (BP 44). Zwar meint er an dieser Stelle bereits bewiesen zu haben, dass der Staat seine politische Kompetenz aus dem grundlegenden Gegensatz von Freund und Feind beziehe. Doch da dieser Gegensatz an die Funktionsfahigkeit normativ verstandener Gruppierungen gebunden ist, wird das Beweisziel nicht erreicht. So bleibt dem Staat das Definitionsmonopol erhalten, ja, es wirkt um so nachhaltiger, weil es sich gegen die erklärte Absicht der Darstellung behauptet. So schön es aus Gründen terminologischer Klarheit wäre, den Begriff des Politischen von dem des Staates zu lösen, so bemerkenswert man es fände, wenn sich die etymologische Verbindimg zwischen polis und Politik sachlich auflösen ließe: Carl Schmitt gelingt die begriffliche Abtrennung nicht. Im Gegenteil: Er fuhrt die Unumgänglichkeit der begrifflichen Verschränkung von Politik und Staat in unfreiwilliger Komik vor, gerade indem er sie zu umgehen sucht. Der im ersten Abschnitt verabschiedete Staat kehrt schon im dritten als Gruppierung zurück.

VIII. Die heimliche Anwesenheit der Öffentlichkeit Es gibt eine weitere Unterstellung, die erkennen lässt, dass Carl Schmitt die Staatlichkeit, von der er die Begriffsbestimmung des Politischen befreien möchte, vorab in seinen Termini versteckt. Der kriegsfahigen Gruppierung wird eine Eigenschaft zugeschrieben, die seit der Antike mit dem Staat in Verbindung steht, ja, mit ihm sogar identifiziert werden kann: Die Gruppierung hat in der Lage zu sein, einen öffentlichen Raum zu schaffen, so dass es möglich wird, ihre Feinde unter der Kategorie des „öffentlichen Feindes" (BP 29) zu fassen. Obgleich Carl Schmitt zunächst so tut, als hänge das Politische allein an der Unterscheidung zwischen Freund und Feind, macht seine nähere Betrachtung alsbald klar, dass er sich ausschließlich auf eine öffentliche Konstellation der

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Feindschaft beziehen will. Er kann gar nicht anders als die Sphäre der res publica vorauszusetzen, wenn denn die Unterscheidung zwischen dem (privaten) inimicus und dem (öffentlich-politischen) hostis überhaupt sinnvoll gemacht werden können soll (BP 29). Damit aber setzt er sich in Widerspruch zu seinem eigenen Vorsatz. Während er noch im ersten Abschnitt seines Textes erklärt, das Definitionsmonopol des Staates brechen zu wollen (BP 22f.), setzt er bereits im dritten Abschnitt die Leistung voraus, die mit dem Staat gegeben ist. Denn anders kann er nicht deutlich machen, dass er nicht von der privaten oder persönlichen, sondern von der öffentlichen Feindschaft spricht. So kommt es zu dem sinnfälligen Ergebnis, dass die verborgene Voraussetzung der Staatlichkeit ausgerechnet in der Öffentlichkeit zum Vorschein kommt. Ein analoger Widerspruch entsteht mit der Rede vom privaten Feind. Dessen Existenz soll die logische Voraussetzung des öffentlichen Feindes sein. Wird aber diese Prämisse gesetzt, wird über das Private die Sphäre der Gesellschaft in die Vorbedingungen der das Politische angeblich allein konstituierenden Feindschaft einbezogen. Die öffentliche Sphäre des Politischen ist somit durch die Negation der privaten Lebensform der Gesellschaft begründet. Damit wiederholt sich in Schmitts eigener Theorie jener Fehler, den er dem Liberalismus zur Last legt. Mehr noch: Er setzt die Gesellschaft nicht nur als empirische Gegebenheit voraus, sondern macht sie zu einer logischen Bedingung. Denn ohne sie könnte der die ganze Überlegung tragende Begriff des öffentlichen Feindes nicht gedacht werden. Ohne den öffentlichen Feind aber käme es nicht zu der Gruppierung, die Carl Schmitt, wie wir jetzt sehen, viel zu spät mit dem Staat identisch setzt. Denn ehe es die von ihm als Gruppierung getarnte Staatlichkeit geben kann, muss es ein Bewusstsein der öffentlichen Sache, der res publica, geben. So scheitert, um es ein letztes Mal zu sagen, der Versuch, dem Staat das „Monopol des Politischen" zu entwinden.

IX. Der vergessene Freund Carl Schmitt setzt sich pointiert von der Tradition des politischen Denkens ab, um ihr mit den geschliffenen Waffen seiner Rhetorik entgegen zu treten. Nietzsche hat mit diesem Stilmittel die größten Effekte erzielt. Doch die funkelnde Sentenz und der polemische Essay tun ihre Wirkung nur, solange sie nicht zu gründlich mit einer Sache in Berührung kommen. Denn in der eindringenden Beschäftigung mit einem Problem stellen sich in der Regel auch die sachlichen Verbindungen ein, ohne die eine tragfähige kulturelle Überlieferung nicht denkbar wäre. Um die Verbindung zur Tradition gar nicht erst sichtbar werden zu lassen, kann man schon den Gegenstand der Betrachtung aus allen sachlichen Bezie-

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hungen lösen. Das ist das Verfahren Carl Schmitts, der das Politische an ein Kriterium zu binden sucht, das schlechterdings isoliert. Wie zielstrebig er dabei verfahrt, gibt allein die Tatsache zu erkennen, dass er zwar eingangs ankündigt, sich auf das Begriffspaar aus Freund und Feind zu stützen, in der Durchführung aber den Freund einfach beiseite lässt.9 Der Krieg ist abgrenzend, abwehrend und vernichtend. Wer ihn führt, möchte, dass er von möglichst kurzer Dauer ist; die Regeln, die er aus eigener Logik fordert, haben nur einen begrenzten Zusammenhang mit der Politik. Die Freundschaft hingegen begründet und verlangt Zusammenhänge, die von Dauer sind. Sie mag aus bloßer Nähe und aus Zuneigung entstehen, kann aber ohne normative Bindung nicht bestehen. Hätte Schmitt sie auch nur so beachtet, wie es nach seiner Eröffnung zu erwarten gewesen wäre, wäre ihm die Abgrenzung gegenüber dem Liberalismus weniger leicht gefallen. In der Konzentration auf den Krieg kann Schmitt den Eindruck erwecken, als bestehe das Politische wesentlich in der Bewältigung exzeptioneller Situationen. In der Politischen Theologie von 1922 hat er die Souveränität mit Blick auf die Verfugung über die Ausnahme definiert: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet" (PT 11). Dem korrespondiert sein auf den Krieg gegründeter Politikbegriff, obgleich man sich fragen kann, ob der Krieg, wenn er als derart allgemeine Bedingung gesetzt wird, überhaupt noch als Ausnahme gelten kann. Doch angesichts der systematisch vergessenen Freundschaft kann man die Konstitution der Politik durch die kriegerische Ausnahme nur als einen Kurzschluss begreifen. Der Kurzschluss tritt im übrigen auch darin hervor, dass Carl Schmitt in seiner Fixierung auf den Krieg dem notwendig zugehörigen Frieden keine nennenswerte Aufmerksamkeit schenkt. In der Tradition des politischen Denkens hat man den Krieg keineswegs vergessen; aber man wusste sehr genau, das er in enger systematischer Verbindung mit dem Frieden steht. Ich erinnere nur an das Friedensgebot, das Thomas Hobbes an den Anfang aller natürlichen Gesetze des politischen Handelns stellt: ,,¿Suche Frieden und halte ihn."10 Schmitt hingegen löst auch hier seinen Gegenstand aus dem Zusammenhang heraus und betrachtet bestenfalls die eine Hälfte der politischen Realität. Man könnte noch verschmerzen, dass damit die Brücken zur Tradition des politischen Denkens abgebrochen werden. Viel bedenklicher ist, dass mit der Konzentration auf die Ausnahme die Realität der politischen Welt in nahezu voll9

Dies war schon ein zentraler Einwand von Dolf Sternberger, Begriff des Politischen, in: ders., Staatsfreundschaft. Schriften IV, Frankfurt/M. 1980, S. 293-320; vgl. ders., Die Politik und der Friede, Frankfurt/M. 1986

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Ein Gebot, dass mitten in Krieg ausgesprochen wurde. (Th. Hobbes, Leviathan, Kap. 14, hg. Iring Fetscher, Frankfurt/M. 1984, S. 100)

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kommener Einseitigkeit auf den Begriff gebracht werden soll. Wie es angesichts der systematischen Ausblendung eines großen Teils der politischen Wirklichkeit zu dem weit verbreiteten Urteil kommen konnte, Carl Schmitt sei ein „politischer Realisten", belegt einmal mehr, wie schwer es ist, die Realität zu erfassen.

X. Die Existenz als Ausnahme Der Zeitgeist bricht bei Carl Schmitt vornehmlich im Begriff des Existenziellen durch. Der schöne und schlechterdings unverzichtbare Begriff der Existenz, dem Hegel den individuellen Nachdruck und Kierkegaard die religiöse Tiefe gegeben hat, war in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhundert ein intellektuelles Faustpfand gegen die Intellektualität." Zwar haben sich Heidegger und Jaspers in eben der Zeit, in der auch der Begriff des Politischen geschrieben wurde, bemüht, die ontologische und metaphysische Dimension des Begriffs zu erkunden. Aber selbst bei Jaspers, dem das Verdienst zukommt, Vernunft und Existenz in grundlegender Verbindung zu denken, bleibt die Existenz eine Grenzbedingung der Rationalität. Bei Schmitt, der den Begriff der Vernunft vermeidet, steht sie gleichwohl in Opposition zu ihm. Das ergibt sich daraus, dass der „existenzielle Sinn" die Gegenseite der Prinzipien und Normen besetzt, die endgültig überwunden werden sollen. Der „existenzielle Sinn" ist das Gegenstück zum „normativen" Sinn. Existenziell ist die „Realität einer Situation des wirklichen Kampfes gegen einen wirklichen Feind"; mit „irgendwelchen Idealen, Programmen und Normativitäten" hat dies nichts zu tun (BP 49). Denn, so Schmitt: „Es gibt keinen rationalen Zweck, keine noch so richtige Norm, kein noch so vorbildliches Programm, kein noch so schönes soziales Ideal, keine Legitimität und Legalität, die es rechtfertigen könnte, dass Menschen sich gegenseitig dafür töten." (BP 49f.) Die Vernunft, so müssen wir die Stelle deuten, findet ihre unübersteigbare Grenze in der Existenz. Wir brauchen die zitierte Stelle nur umzukehren, um die Existenz als den essenziellen Ausgangspunkt der Krieges zu erkennen. Im Gegensatz von Freund und Feind geht es um nichts anderes als um die Existenz. Also träfe man den Kern von Carl Schmitts These, wenn man sie selbst als „existenziell" bezeichnet. Von außen betrachtet ließe sich seine Lehre durchaus unter den Titel einen „politischen Existenzialismus" stellen. Nur hätte man damit die große Tradition, die der Begriff seit Hegel und Kierkegaard hat und in die er nach Jaspers, Voegelin und Hannah Arendt wieder gebracht werden kann,12 verraten.

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Dazu: V. Gerhardt, Die Religion der Individualität, in: Philosophisches Jahrbuch 109 (2002), S. 1-16. Siehe dazu V. Gerhardt, Existentieller Liberalismus. Zur Konzeption der Politik bei Karl Jaspers, in: Reiner Wiehl/Dominic Kaegi (Hg.), Jaspers - Philosophie und Politik,

POLITIK ALS A U S N A H M E

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Doch da sich Schmitt von allen Traditionen zu befreien sucht, könnte man ihn auch von den aus einer vergleichsweise kurzen Begriffsgeschichte resultierenden terminologischen Pflichten entlasten. Das Problem ist nur, dass er den Existenzbegriff auf die Schwundstufe eines dimensionslosen Daseins zusammenschrumpfen lässt.13 Es gibt keinen einzigen Hinweis darauf, dass die Existenz eines Individuums sachlich, lebensgeschichtlich, ethisch oder gar metaphysisch gehaltvoll sein könnte. Existenz ist nur das, worum es in Kriegen geht, und das ist am Ende nur das nackte Leben. So kommt hinter dem Existenzbegriff bei Carl Schmitt die Selbsterhaltung des einzelnen zum Vorschein, ein von allen kulturellen, rechtlichen und moralischen Ansprüche freigesetztes Dasein, dem es vollauf zu genügen scheint, nicht schon tot zu sein.

XI. Illumination der bloßen Macht Ein gehaltvoller Begriff der menschlichen Existenz könnte sehr wohl in der Lage sein, auch einer politischen Philosophie als Fundament zu dienen. Dazu bedürfte es jedoch der Aufmerksamkeit gegenüber dem Individuum, in dessen bewusster Lebensführung sich der Begriff der Existenz erfüllt. Bei Schmitt aber spielt das Individuum nur dort eine Rolle, wo er dem Liberalismus zum Verwurf macht, nicht begründen zu können, warum es unter Umständen auch zu opfern sei. In seiner eigenen Überlegung wird zwischen der Existenz von Individuen und Gruppierungen gar nicht unterschieden.14 „Existenz" ist bloßes Dasein eines bloßen Etwas, das keinerlei menschliche Züge tragen muss. Damit wird nicht nur die Politik aus den überlieferten Theoriebezügen, sondern auch der sie tragende, treibende und erleidende Mensch aus seinen Sinnbezügen herausgesprengt. Die Existenz, nach der Maßgabe von Carl Schmitt, ist exterritorial zu allem, was dem Menschen etwas bedeuten könnte - mit Ausnahme des bloßen Lebens. Aber selbst der Kontext des Lebens bleibt in dieser Heidelberg 1999, S. 97-113; ders., Politik und Existenz. Eric Voegelins Suche nach der Ordnung in uns selbst, in: Philosophische Rundschau 48 (2001), S. 177-195; vgl. auch Heiner Bielefeldt, Kampf und Entscheidung. Politischer Existentialismus bei Carl Schmitt, Helmuth Plessner und Karl Jaspers, Würzburg 1994. 13

In diese Richtung geht schon die 1933 noch in den Kantstudien erschienene Rezension des damaligen Berliner Privatdozenten Helmut Kuhn, der bald vertrieben wurde; Kuhn veröffentlichte diese Auseinandersetzung 1967 erneut als Anhang zu seinem platonischen Hauptwerk Der Staat (Der Staat. Eine philosophische Darstellung, München 1967, S. 447-460).

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Dazu vgl. Herbert Schnädelbach, Politischer Existentialismus - zur philosophischen Vorgeschichte von 1933, in: ders., Zur Rehabilitierung des animal rationale. Vorträge und Abhandlungen 2, Frankfurt/M. 1992, S. 346-355.

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Theorie ohne Bedeutung. Wenn man schon die kulturellen, ethischen oder metaphysischen Koordinaten des individuellen Daseins nicht beachtet, könnte man ja wenigstens den anthropologischen Bestimmungen des menschlichen Daseins Beachtung schenken ... Doch auch hier bricht Schmitt alle Brücken ab, um nur ja nicht in Gefahr zu geraten, der puren Macht des Politischen irgendeine Grenze zu setzten. So bleibt von seiner theoretischen Aufklärung über das Politische nur ein grelles Schlaglicht auf die pure Macht. Was sich als Theorie präsentiert, ist, aus jedem geschichtlichen, sachlichen und menschlichen Kontext herausgelöst, nur noch als Anti-Theorie zu lesen.

14 Wolfram Pyta Schmitts Begriffsbestimmung im politischen Kontext

An dieser Stelle kann es nicht darum gehen, in extenso die Genese und geistesgeschichtliche Rezeption des Begriffs des Politischen darzulegen. Die folgenden Ausführungen 1 kreisen vielmehr um den in jüngster Zeit verstärkt in das Zentrum der geschichtswissenschaftlichen Forschung gerückten politischen Akteur Carl Schmitt 2 . Daß der ambitionierte Staatsrechtslehrer sich nicht im akademischen Elfenbeinturm verschanzte, sondern sich vielmehr auch mit den ihm zur Verfugung stehenden Mitteln in die politische Debatte einschaltete, ist mittlerweile eindeutig erwiesen. Insofern drängt sich förmlich die Überlegung auf, daß auch Der Begriff des Politischen mehr als nur eine gelehrte, bis heute ungemein fruchtbare akademische Abhandlung war. Diese Vermutung liegt um so näher, als diese Schrift gleich eine dreifache Überarbeitung erfahren hat: Sie wurde 1927 erstmals in Aufsatzform publiziert, im Oktober 1931 in erweiterter Form und mit einem Annex als selbständige Abhandlung 3 veröffent-

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Für wichtige Anregungen und unerläßliche Materialbeschaffung gilt der Dank des Verfassers Herrn Dr. Gabriel Seiberth (München). Als jüngste monographische Darstellung hierzu vgl. Gabriel Seiberth, Anwalt des Reiches. Carl Schmitt und der Prozeß „Preußen contra Reich" vor dem Staatsgerichtshof, Berlin 2001, hier insbesondere S. 9-36 zu Schmitts dezidiert politischen Absichten und Handlungen. Siehe weiterhin Lutz Berthold, Carl Schmitt und der Staatsnotstandsplan am Ende der Weimarer Republik, Berlin 1999. Die politischen Aktivitäten Schmitts schlagen sich auch nachdrücklich in dessen Tagebuch nieder; erstmalige Auswertung dieser zentralen Quelle bei: Wolfram Pyta/Gabriel Seiberth, Die Staatskrise der Weimarer Republik im Spiegel des Tagebuchs von Carl Schmitt, in: Der Staat 38 (1999), S. 423^48 und 594-610. Erste umfassende quellengeschöpfte Darstellung zum politischen Akteur Carl Schmitt, wenngleich mit einer stärker ideen- und werkgeschichtlichen Fragestellung, ist Andreas Koenen, Der Fall Carl Schmitt, Darmstadt 1995. Entgegen der Angabe auf dem Titelblatt erfolgte die Auslieferung dieser Schrift nicht erst 1932, sondern schon im November 1931, was gelegentlich übersehen wird. Nicht

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licht, um dann im Jahre 1933 eine politisch motivierte Umarbeitung zu erfahren.4 Um der inneren Einheit willen soll an dieser Stelle eine Beschränkung auf die beiden zur Zeit der Weimarer Republik entstandenen Versionen erfolgen. Denn sie erlauben eine Nachzeichnung sowohl der Schmitt bei dieser Überarbeitung leitenden Intentionen wie auch der genuin politischen Rezeption vor allem der zweiten Fassung. Damit wird zugleich die Aussage verbunden, daß Der Begriff des Politischen zumindest in seiner zweiten Variante (der Version 1931/32, die dem vorliegenden Kommentarband zugrunde liegt und im Unterschied zu den Druckfassungen 1927/28 auf wesentlichen Modifikationen beruht) sowohl auf eine mögliche politische Anschlußfahigkeit hin konzipiert war als auch - was fur unsere Überlegungen entscheidend ist - mit dieser Intention Eingang in höchste politische Beraterkreise fand. Auf diese Weise avancierte Der Begriff des Politischen zu einer Theoriebasis der Verfechter einer konstitutionellen, auf die Präsidialgewalt ausgerichteten Demokratie. Zuerst muß daher die Frage aufgeworfen werden, worin der genuin politische, als theoretische Rechtfertigung einer Präsidialherrschaft dienende Kern des Begriffs des Politischen liegt. Diese Schrift entfaltet eine Argumentation, die übertragen auf den verfassungspolitischen Kontext der Weimarer Reichsverfassung - auf eine dezidiertes Plädoyer für eine Präsidialdemokratie hinausläuft, indem sie die Handlungsfähigkeit des Volkes als politisches Subjekt an das Vorhandensein eines homogenen Volkswillens knüpft. 5 Diese angenommene nur Schmitts Nachwort zu seiner Abhandlung trägt das Datum vom Oktober 1931 (BP 82) - erste Rezensionen lassen sich bereits für den November 1931 nachweisen, vgl. etwa die Besprechung von K. L. [Karl Lohmann] in: Reichsreform. Mitteilungen des Bundes zur Erneuerung des Reiches 3 (1931), Heft 11, November 1931, S. 226f. Schmitt selbst hat die Druckbogen seiner Schrift an ausgewählte Multiplikatoren bereits Anfang November 1931 versandt, siehe das Schreiben des „Tat"-Mitarbeiters Horst Grueneberg an Schmitt, 3. November 1931, in: Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (im folgenden: HStAD), Nachlaß Carl Schmitt, RW 265-5373. In einer Zusammenstellung wichtiger Aufsätze spricht Schmitt ebenfalls vom Jahr 1931 als Erscheinungsjahr der zweiten Auflage des Begriffs des Politischen (BP 313). 4

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Bezeichnenderweise ersetzt Schmitt die Fanfare aus der Ouvertüre der ersten beiden Fassungen („Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus") durch den Eingangssatz „Die eigentlich politische Unterscheidung ist die Unterscheidung von Freund und Feind" (BP IV 7). Wie sehr Schmitts Annahme eines politisch homogenen Demos mit seinem Eintreten für eine das Parlament entmachtende Präsidialherrschaft verknüpft war, hat insbesondere Ulrich K. Preuß herausgestellt, dem die folgenden Ausführungen wesentliche Anregungen zu verdanken haben; vgl. insbesondere Ulrich K. Preuß, Carl Schmitt - Die Bändigung oder die Entfesselung des Politischen?, in: Rüdiger Voigt

SCHMITTS BEGRIFFSBESTIMMUNG IM POLITISCHEN KONTEXT

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Präexistenz eines politisch einheitlichen Demos wirft die Anschlußfrage auf, wie denn eine solche Einheit institutionell verbürgt werden kann angesichts der kulturellen wie politischen Zerrissenheit der deutschen Gesellschaft. Schmitt liefert dafür zunächst eine Antwort, mit der er einen Freund-FeindMechanismus einführt und die postulierte politische Homogenität durch Abgrenzung gegen den äußeren Feind (in der ersten Fassung; BP I 5-9) beziehungsweise den inneren Feind (so die Erweiterung der Perspektive in der Version von 1931/32)6 sich konstituieren läßt. Dieser Freund-Feind-Gegensatz wird von Carl Schmitt als eine enorme gemeinschaftsstifitende Potenz identifiziert, indem zunächst bloß gesellschaftliche Differenzierungen so in die öffentliche Sphäre übertragen werden, daß sie politikfähig werden. Schmitt spricht denn auch folgerichtig von einer „politischen Gemeinschaft" als Resultat der politischen Aufladung entlang des Freund-Feind-Schemas.7 Überträgt man Schmitts Konzeption auf die kultursoziologischen Erkenntnisse der Konstruktionsmuster kollektiver Identität, läßt sich Schmitts Ansatz durchaus als eine politisch-kulturelle Codierung8 deuten, die durch die schroffe Grenzziehung zwischen dem geschützten Binnenraum der politischen Gemeinschaft und der feindlichen Außenwelt jene Gemeinschaft erst konstituiert. Schmitt stellt damit auch nachdrücklich unter Beweis, daß hier kein staatsfixierter Konservativer am Werke ist, der vom Staat her die politische Ordnung entwirft, sondern ein Kind der Massengesellschaft9, das von einem antipluralistischen10 Volksbegriff her sich die passende politische Form denkt und das Politi(Hg.): Mythos Staat, Baden-Baden 2001, S. 141-167, vor allem S. 154-159. Wie stark dem Politischen der stets nur als homogene Einheit gedachte Demos zugrundeliegt, hebt auch der Diskussionsbeitrag von R. Hepp hervor, in: Helmut Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Berlin 1988, S. 308-314; in dieselbe Richtung geht die eindringliche Argumentation von Ernst Vollrath, Wie ist Carl Schmitt an seinen Begriff des Politischen gekommen?, in: Zeitschrift für Politik 36(1989), S. 151-168. 6

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Zu dieser perspektivischen Erweiterung vgl. Heinrich Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss und „Der Begriff des Politischen", Stuttgart 1998, insbesondere S. 29 und 33. „In Wahrheit gibt es keine politische Gesellschaft' oder .Assoziation', es gibt nur eine politische Einheit, eine politische Gemeinschaft'. Die reale Möglichkeit der Gruppierung von Freund und Feind genügt, um über das bloß Gesellschaftlich-Assoziative hinaus eine maßgebende Einheit zu schaffen" (BP 45, vgl. 48). Hier verdankt der Verfasser wesentliche Anregungen der heuristisch überaus ergiebigen Schrift von Bernhard Giesen, Kollektive Identität, Frankfurt/Main 1999, insbesondere S. 24-32. Siehe Preuß, Bändigung, S. 148f. Vgl. die deutliche Absage sowohl an den gesellschaftlichen wie politischen Pluralismus in BP 112-14.

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Wolfram Pyta

sehe daher faßt als „Modus sozialer Beziehungen zwischen Gruppen"11. Zugleich erfahrt aber der Staat keine Nivellierung; vielmehr fallt dem Staat die zentrale Funktion zu, als „maßgebende" Einheit über die Einordnung nach Freund und Feind zu befinden und damit das Volk erst als politisch handlungsfähige Entität zu formieren.12 Damit weist Schmitt dem Staate zugleich die Fähigkeit zu, einen genuinen Beitrag zur Einheitsstiftung zu leisten13 - und genau hier können später die politischen Übersetzer des Begriffs des Politischen ansetzen. Denn in der Linie seiner Argumentation liegt die Erfordernis eines institutionellen Fluchtpunktes, der innerhalb des Verfassungsgefüges jene Einheitskräfte politisch artikuliert. Welches14 Verfassungsorgan ist dafür prädestiniert, das durch den äußeren wie inneren Feind geeinte Volk zu repräsentieren? Welche Institution macht ein solches Volk politisch aktionsfähig, wenn der Gedanke der Selbstregierung des Volkes verworfen wird? Auf welches Verfassungsorgan läßt sich Schmitts identitäres Demokratieverständnis15 am besten übertragen? Auf diese Kardinalfrage kann es angesichts der Konstruktion der Weimarer Reichs Verfassung eigentlich nur eine Antwort geben: der Reichspräsident. Denn die Verfassungsgründer hatten diese Institution ja ausdrücklich mit der Maßgabe geschaffen, daß der Reichspräsident als Wahrer und Garant eines vermeintlich feststehenden Gemeinwohls zu fungieren habe. Daher hatten sie dem Reichspräsidenten jene plebiszitäre Legitimation verliehen, die einen Ansatzpunkt schuf, um das Präsidentenamt gegen den Reichstag auszuspielen und den Reichspräsi-

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So die treffende Charakterisierung bei Preuß, Bändigung, S. 145. Schmitt spricht vom Staat „als einer organisierten politischen Einheit, die als Ganzes für sich die Freund-Feindentscheidung trifft" (BP 30) und bezeichnet den Staat deswegen auch als „maßgebende Einheit" (BP 44); vgl. hierzu auch die luziden Ausführungen von Günter Figal, Der Intensitätsgrad des Politischen. Überlegungen im Anschluß an Carl Schmitt, in: Politisches Denken. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des Politischen Denkens 1993, S. 105-116. Darauf verweist insbesondere Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: Helmut Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Berlin 1988, S. 283-299, insbesondere S. 296ff. Vgl. auch die in diese Richtung weisende Interpretation des Schmitt-Vertrauten Ernst Rudolf Huber aus der Jahreswende 1931/32: Emst Rudolf Huber, Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, in: ders., Bewahrung und Wahrung. Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Berlin 1975, S. 18-36, hier S. 34f. Zu Schmitts Demokratiekonzeption vgl. den vorzüglichen Beitrag von Oliver Lepsius, Staatstheorie und Demokratiebegriff in der Weimarer Republik, in: Christoph Gusy (Hg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, Baden-Baden 2000, S. 366414, insbesondere S. 377-382.

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denten in Abgrenzung zum Parlament als Ausdruck gesellschaftlicher Zerrissenheit zum einzigen Bürgen der Einheit des Demos zu stilisieren.16 Mit der Installierung des ersten reinen Präsidialkabinetts Ende März 1930 fand eine immer stärkere Konzentration der Gestaltungsmacht beim Reichspräsidenten statt. Carl Schmitt hat mit wachem Gespür für diese Situation und mit unstillbarem Drang nach politischer Betätigung diesen Prozeß nicht bloß kommentierend zu begleiten versucht. Im Mai des Jahres 1931 erschien diejenige Schrift, die ganz und gar auf den Reichspräsidenten zugeschnitten war, indem sie ihn zum institutionellen Hort der Einheitsverbürgung stempelte. Als Gegengewicht gegen den gesellschaftlichen Pluralismus besaß der Reichspräsident demnach die Funktion, „die Einheit des Volkes als eines politischen Ganzen zu wahren" (HdV 159). Allein die Wahl des Titels ließ die politischen Ambitionen Schmitts durchschimmern. Diese Schrift sollte nicht bloß in staatsrechtlichen Seminaren kursieren und die Bücherschränke bildungsbeflissener Zeitgenossen schmücken - sie sollte durch Vermittler nicht zuletzt die politischen Entscheidungsträger erreichen. Zu diesem Zwecke hatte Schmitt sich ganz bewußt17 ein Wort beider Reichspräsidenten ausgeliehen und an die Spitze seiner Abhandlung gestellt: das Diktum vom „Hüter der Verfassung". Reichspräsident Friedrich Ebert hatte sich dieses Selbstverständnis seines Amtes ausdrücklich zu eigen gemacht, als er im Juli 1922 damit seine Funktion als Wahrer der Rechtseinheit des Reiches gegen partikularistisch anmutende Alleingänge eines Landes - in diesem Falle: Bayerns - begründete.18 In seiner einzigen inhaltlichen Proklamation als Reichspräsidentschaftskandidat hatte Generalfeldmarschall Hindenburg in seiner sogenannten „Osterbotschaft" vom 11. April 1925 sich just auf diesen vom verstorbenen Reichspräsidenten Ebert geprägten Ausdruck positiv bezogen.19

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Unentbehrlich hierzu ist das Standardwerk von Christoph Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1997. Schmitt selbst verwies - allerdings an eher versteckter Stelle seiner Schrift (HdV 139) - darauf, daß Ebert diese Bezeichnung geprägt hatte. Ebert hatte in diesem Schreiben vom 27. Juli 1922 an den bayerischen Ministerpräsidenten den Einsatz von Artikel 48 der Reichsverfassung zur Aufhebung einer bestimmten Verordnung des Landes Bayern ausdrücklich rechtfertigt mit „meiner Aufgabe als Hüter der Reichsverfassung und des Reichsgedankens", abgedruckt bei: Fritz Poetzsch-Heffter, Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung vom 1. 1. 1920 bis 31. 12. 1924, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 13 (1925), S. 1-248, hier S. 82. Die „Osterbotschaft" Hindenburgs vom 11. 4. 1925 findet sich bei: Walther Hubatsch, Hindenburg und der Staat. Aus den Papieren des Generalfeldmarschalls und Reichspräsidenten von 1878 bis 1934, Göttingen 1966, S. 187. Die Karriere dieses Begriffs reicht allerdings bis ins Kaiserreich zurück, vgl. hierzu Ludwig Richter, Das präsidiale

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Und die Hoffnung Schmitts, seinem Werk nicht zuletzt durch das Aufgreifen dieser Bezeichnung ein gutes Entrée bei den politischen Führungszirkeln zu verschaffen, trog nicht. Denn Der Hüter der Verfassung fand den Weg in diejenige Einrichtung, die sich unter den Präsidialregierungen immer mehr als verfassungspolitische Kommandozentrale profilierte: in die Wehrmachtsabteilung des Reichswehrministeriums, die dem eigentlichen politischen Kopf, dem Chef des Ministeramtes Generalmajor Kurt von Schleicher20, zuarbeitete. Schmitt hatte die beiden engsten politischen Berater Schleichers, Major Erich Mareks junior und Major Eugen Ott, schon im Februar 1931 bei einer Abendeinladung persönlich kennengelernt, woraus sich ein überaus enger Kontakt entwickelte, der Schmitt einen privilegierten Zugang zu den verfassungspolitischen Kommandohöhen ermöglichte.21 Auf diese Weise landete Der Hüter der Verfassung auf direktem Wege auf dem Schreibtisch des Leiters der Wehrmachtsabteilung, der den Nutzen dieser Schrift zu würdigen wußte.22 Vor dem Hintergrund dieser politischen Entwicklungen drängte sich eine Anpassung des Textes von 1927 an die Lage des Jahres 1931 geradezu auf. Der Begriff des Politischen war zu theoretisch, als daß er mit dem Hüter der Verfassung hätte konkurrieren und in einer akademischen Sprache verpackte, aber für Eingeweihte mehr als deutliche politische Handlungsanweisungen beinhalten konnte. Ein neu akzentuierter, auf die an Dynamik gewinnende Präsidialherrschaft zugeschnittener Begriff des Politischen stellte demnach den theoretischen Unterbau dar, auf dem Schmitt in seiner Funktion als verfassungsrechtlicher Berater des Schleicher-Kreises maßgeschneiderte verfassungspolitische Lösungen zu offerieren vermochte. Insofern bildete die zweite Version des Begriffs des Politischen und Der Hüter der Verfassung ein zusammenhängendes Ganzes.23

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Notverordnungsrecht in den ersten Jahren der Weimarer Republik. Friedrich Ebert und die Anwendung des Artikels 48 der Weimarer Reichsverfassung, in: Eberhard Kolb (Hg.), Friedrich Ebert als Reichspräsident, München 1997, S. 207-257, hier S. 207f. Wie sehr sich Schleicher als Politiker verstand, bringt Christoph Gusy in einem prägnanten Kurzporträt zum Ausdruck: Christoph Gusy, Kurt von Schleicher (1882-1934), in: Michael Fröhlich (Hg.), Die Weimarer Republik, Darmstadt 2002, S. 269-281. Ausführliche Nachweise zu dieser Verbindung bei Pyta/Seiberth, Staatskrise, Teil 1, S. 429f. Schmitt hatte persönlich beim Verlag am 18. Dezember 1931 ein Exemplar für Major Ott reservieren lassen (Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Nachlaß Carl Schmitt, RW 26521640, Eintragung vom 18. Dezember 1931), der sich am 8. Februar 1932 dafür bedankte (HStAD, RW 265-120/K 2). Schmitt verwies in der zweiten Fassung denn auch auf sein kurz zuvor erschienenes Werk (BP 41); der innere Zusammenhang zwischen dem Hüter der Verfassung und dem Begriff des Politischen wird auch herausgestellt von Huber, Verfassung und Verfassungswirklichkeit.

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Dazu mußte die Kernbotschaft der Fassung aus dem Jahre 1927 - daß das Volk als politisches Legitimationssubjekt nur als mit einem einheitlichen Willen ausgestattetes Kollektiv vorstellbar sei, der durch die Konfrontation mit einem Feind erzeugt wurde - stärker auf die inneren Erfordernisse der Reichspolitik argumentativ ausgerichtet werden. Insofern fügte Schmitt der zweiten Version Textpassagen bei, die an dieser Stoßrichtung nichts zu deuteln ließen: „Die reale Möglichkeit des Kampfes, die immer vorhanden sein muß, damit von Politik gesprochen werden kann, bezieht sich bei einem derartigen ,Primat der Innenpolitik' konsequenterweise nicht mehr auf den Krieg zwischen organisierten Völkereinheiten (Staaten oder Imperien), sondern auf den Bürgerkrieg" (BP 32). Insgesamt lag damit ein Begriffsangebot für das Politische bereit, das den in der politischen Situation des Herbstes 1931 unschätzbaren Vorteil besaß, mit einem dezidiert militärischen Verständnis des Politischen zumindest kompatibel zu sein. Mit dem Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg bekleidete ein Mann das Amt des Reichspräsidenten, der sich zwar immer stärker zum Politiker hin entwickelte, dessen Verständnis des Politischen aber exakt von dem einfachen Ordnungsschema Freund-Feind abgedeckt wurde. 24 Und auch die verfassungspolitische Schaltzentrale im Reichswehrministerium war mit in der Wolle gefärbten Militärs besetzt, die Politik mit eindeutigen Frontstellungen und der daraus resultierenden Unvermeidlichkeit heftiger, bis über die Schwelle des Krieges hinausreichender Auseinandersetzungen gleichsetzten. Schmitt konnte deshalb mit seinem Verständnis des Politischen von vornherein mit einer wohlwollenden Resonanz des Schleicher-Kreises rechnen. Zudem hat er sich bei seiner Begriffsbestimmung auch ganz gezielt von Analogien mit dem Kriegshandwerk leiten lassen, das ihm aus seiner Dienstzeit beim Generalkommando des I. Armeekorps während des Ersten Weltkrieges zumindest einigermaßen vertraut war, wenngleich ihm die Erfahrung eines Frontkommandos erspart geblieben war. 25 Schon im Begriff des Politischen finden sich Hinweise darauf, daß ein vom Freund-Feind-Gegensatz strukturierter Politikbegriff ein zutiefst 24

Es ist bezeichnend, daß Hindenburg den Text der Weimarer Reichsverfassung, den er kurz nach seiner Wahl zum Reichspräsidenten im April 1925 erstand, mit den Augen des Militärs studierte, der eine klare Strukturierung nach Freund und Feind gewohnt war. Mit Blaustift markierte Hindenburg diejenigen Passagen, in denen der Reichspräsident Erwähnung fand, mit Rotstift kennzeichnete er die Gegenpartei, worunter Reichstag und Reichsregierung fielen; vgl. dazu eine entsprechende Äußerung Hindenburgs gegenüber seinem späteren Reichskanzler Wilhelm Marx, wiedergegeben bei Eugen Mayer, Skizzen aus dem Leben der Weimarer Republik, Berlin 1962, S. 76.

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Zu Schmitts militärischen Diensterfahrungen vgl. Paul Noack, Carl Schmitt, Berlin 1993, S. 37-39

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militarisierter Politikbegriff sei.26 Von daher war es nur noch ein kleiner Schritt, auch das Amt des Reichspräsidenten gewissermaßen zu militarisieren, indem ihm die Definitionshoheit über die Freund-Feind-Zuordnung übertragen wurde.27 Schmitt hat das Seine getan, um seine Theorieschrift auch in den politisch maßgeblichen Zirkeln, die in einer Verselbständigung der Präsidialgewalt den Königsweg aus der Staatskrise erblickten, zu verbreiten. Dabei kam ihm zugute, daß er seit seiner Berliner Zeit eine Reihe junger Intellektueller um sich geschart hatte, die entweder als Publizisten oder sogar als politische Mitarbeiter der Reichswehrführung begierig die neuesten Produktionen des Meisters aufsogen und mit den ihnen zu Gebote stehenden Möglichkeiten verbreiteten.28 Eine wichtige Rolle fiel dabei dem Schmitt-Schüler Karl Lohmann29 zu, der als Herausgeber der Mitteilungen des Bundes zur Erneuerung des Reiches, auch besser bekannt als „LutherBund" (nach dem ehemaligen Reichskanzler und aktuellen Reichsbankpräsidenten Hans Luther), in der Präsidialgewalt nicht zuletzt auch den entscheidenden Hebel zur Durchsetzung einer durchgreifenden Reichsreform im streng unitarischen Sinne erblickte. Allem Anschein nach ist denn auch die erste Rezension der zweiten Fassung des Begriffs des Politischen in diesem von Lohmann redaktionell betrauten Organ erschienen - sie griff Schmitts Akzentverlagerung auf die Innenpolitik auf und enthielt ein Plädoyer für ein unnachsichtiges Durchgreifen des Staates gegen diejenigen Kräfte, welche die innere Homogenität bedrohten.30 26

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Schmitt merkt nämlich in seiner fundamentalen Abrechnung mit dem Liberalismus an, daß dieser auch deswegen ungeeignet sei, weil er ein „System entmilitarisierter und entpolitisierter Begriffe" geschaffen habe (BP I 29 bzw. BP 70). Schmitt beklagte daher in einem Schreiben an den Leiter der Wehrmachtsabteilung, Oberstleutnant Ott, vom 11. Dezember 1932, daß das kurz zuvor vom Reichstag mit verfassungsändernder Mehrheit verabschiedete Gesetz über die Stellvertretung des Reichspräsidenten „der erste, keineswegs unwesentliche Schritt zu einer Entmilitarisierung" des Reichspräsidentenamtes sei, weil sich die Parteien eine partielle Verfügungsgewalt über dieses Amt angeeignet hätten, HStAD, RW 265-206/K 161; vgl. zu diesem Schreiben auch die Tagebucheintragungen Schmitts vom 10. und 11. Dezember 1932, ebd. RW 265-21640. Näheres hierzu bei Wolfram Pyta, Verfassungsumbau, Staatsnotstand und Querfront: Schleichers Versuche zur Fernhaltung Hitlers von der Reichskanzlerschaft August 1932 bis Januar 1933, in: Wolfram Pyta/Ludwig Richter (Hg.): Gestaltungskraft des Politischen. Festschrift für Eberhard Kolb, Berlin 1998, S. 173-197, hier S. 178f. Schmitt hat sich mit Lohmann in der hochbewegten Zeit 1931/32 häufig privat getroffen, so etwa am 13. Mai 1931, 8. März 1932, 28. April 1932,12. Juni 1932 und 16. Juli 1932, vgl. dazu die entsprechenden Eintragungen im Tagebuch Carl Schmitts, HStAD, RW 265-21640; zu Lohmann siehe auch Seiberth, Anwalt des Reiches, S. 214. Diese Rezension Lohmanns in: Reichsreform. Mitteilungen des Bundes zur Erneuerung des Reiches 3 (1931), S. 226f.

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Ein weiterer publizistischer Kanal wurde Schmitt durch den Redakteur der jungkonservativen Tat, Horst Grueneberg, eröffnet, dem Schmitt sogar vorab die Druckfahnen des Begriffs des Politischen zugestellt hatte.31 Grueneberg revanchierte sich zunächst mit einer Glosse in der Tat, welche die Kernbotschaft von Carl Schmitts Politikverständnis aufgriff und die naheliegende Anschlußfrage aufwarf, ob die Militarisierung des Politischen mit einer gewissen Zwangsläufigkeit nicht auch eine stärkere innenpolitische Betätigung der Reichswehr nach sich ziehen müsse. Die Glosse Gruenebergs problematisierte zwar auch die Auswirkungen einer solchen Indienststellung der bewaffneten Macht fur die eigentlich gebotene Neutralität des Staates, ließ aber durchblicken, daß dies in einer Staatskrise geboten sein könnte und verwies ausdrücklich auf Carl Schmitt als Theorielieferanten. 32 Im Dezemberheft der Tat nahm Grueneberg dann explizit Bezug auf Schmitts Schrift und pries den Begriff des Politischen als „Fibel des Antiliberalismus". 33 Auch leitende Verwaltungsbeamte hatte Schmitt als Zielgruppe im Visier und ließ ihnen ein druckfrisches Exemplar seiner Abhandlung zukommen. 34 Als politisch hochkarätigster Übersetzer des Begriffs des Politischen erwies sich der Berliner Historiker Dr. Horst Michael, der als Verbindungsmann Schleichers fungierte und über den ein erheblicher Teil des Kontaktes zur rechten und linken Hand Schleichers, Ott und Mareks, abgewickelt wurde. 35 Es ist bezeichnend, daß just Schmitts Definition des Politischen denjenigen Anknüpfungs31 32

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Vgl. das Schreiben Gruenebergs an Schmitt, 3. November 1931, HStAD, RW 265-5373. Bei der im Schreiben Gruenebergs (Anm. 31) angeführten Glosse („Ich darf die Bogen [der zweiten Fassung des „ B e g r i f f s des Politischen", d. Verf.] noch einige Tage behalten, um in Ruhe meine ,Tat'-Glosse darüber fertigzustellen.") handelt es sich mit ziemlicher Sicherheit um die im Novemberheft der „Tat" erschienene, ohne Verfasserangabe abgedruckte Betrachtung „Die Reichswehr", in: Die Tat 23 (1931/32), S. 670f. Horst Grueneberg, Das neue Staatsbild II, in: Die Tat 23 (1931/32), S. 802-823, Zitat S. 803. Dazu zählte etwa der Ministerialdirektor Richter aus Berlin; vgl. Schmitts Tagebucheintragung vom 18. Dezember 1931, HstAD, RW 265-21640. Horst Michael ist als solcher Verbindungsmann der Reichswehrführung erstmals identifiziert worden von Pyta, Verfassungsumbau, hier vor allem S. 178-187. Nunmehr liefern im Restnachlaß Schleicher aufgefundene Dokumente hieb- und stichfest den Nachweis, wie eng diese Beziehung war. Michael war zwar nicht offiziell beim Reichswehrministerium etatisiert, wurde aber aus Schleichers Geheimfonds finanziert, den Industrielle für den politischen Kopf der Reichswehr eingerichtet hatten und über den Schleicher persönlich verfügte, vgl. die entsprechenden Belege im Nachlaß Schleicher, BA-MA Freiburg, Ν 42/22, Bl. 83-83. So überwies Schleicher von diesem seinem persönlichen Konto Horst Michael am 25. Juli 1932 die nicht unerhebliche Summe von 2000 Reichsmark, ebd., Bl. 86.

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Wolfram Pyta

punkt gebildet hatte, der den Beginn einer fast dreijährigen überaus engen politischen Beziehung zwischen dem Staatsrechtslehrer und dem auf dem Felde der Politik sich tummelnden Historiker markierte. Michael machte Schmitt nämlich erstmals schriftlich seine Aufwartung, weil er beim Juristen jene begrifflichen Haltepunkte fand, welche ihm eine in die Quellen verliebte Historie nur sehr schwer zu bieten vermochte. Zwar konnte diese Orientierungssuche für Michaels kurz zuvor abgeschlossene Dissertation selbst noch keine unmittelbare Nutzanwendung abwerfen.36 Aber Michael zeigte sich geradezu beglückt darüber, mit Hilfe von Schmitts Bestimmung des Politischen den Schlüssel zum Verständnis der Bismarckschen Politik im Reichseinigungsjahrzehnt der 1860er Jahre gefunden zu haben. Bismarck habe nämlich frühzeitig Österreich als den großen Gegenspieler - in der Terminologie Schmitts: den politischen Feind - von Preußens deutschem Beruf identifiziert. Dieser Vorgang „ist geradezu ein klassisches Schulbeispiel für Ihre Freund-Feind-Theorie".37 Michael entpuppte sich als der gelehrigste Schüler Schmitts aus dem Umkreis jener Jungkonservativen, die mit den ihnen zur Verfügimg stehenden Mitteln nicht nur das Politische begrifflich sezieren, sondern selbst Politik mitgestalten wollten. Als regelmäßiger Gast der staatswisenschafitlichen Arbeitsgemeinschaften Schmitts an der Berliner Handelshochschule38 eignete sich der promovierte Historiker rasch das nötige juristische Rüstzeug an, um die Lehre Carl Schmitts auf seine spezifische Weise in den Bereich der großen Politik einfiießen zu lassen. Auf diese Weise sickerte die Kernbotschaft des Begriffs des Politischen sogar bis in die Umgebung des Reichspräsidenten ein. Dafür kam Michael der Umstand zugute, daß er selbst durch eine publizistische Aktion das Wohlwollen des Reichspräsidenten gefunden hatte. Im Vorfeld des ersten Wahlganges zur Reichspräsidentenwahl, als Hindenburg sich von der konservativen Rechten, seiner angestammten politischen Heimat, verkannt fühlte, weil es Reichskanzler Heinrich Brüning in einem strategischen Meisterzug gelungen war, ein Wahlbündnis zur Wiederwahl Hindenburgs zu schmieden, das von 36

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„Leider habe ich selbst erst zu spät Ihre Bücher studiert, um bereits fur die Erkenntnis Bismarcks daraus den wünschenswerten Nutzen zu ziehen, hoffe das aber noch nachzuholen": Michael an Schmitt, 18. Mai 1930, HStAD, RW 265 - Karton 59/K 77. Horst Michael wurde am 24. Juli 1929 mit einer Studie über Bismarcks Europapolitik in der Vorphase der Reichseinigung promoviert, die beim Bismarck-Forscher Erich Mareks senior, dem Vater des gleichnamigen Schleicher-Vertrauten, entstanden war: Horst Michael, Bismarck und Europa von 1866-1870. Eine Studie zur Geschichte Bismarcks und der Reichsgründung. Diss. phil. Berlin 1929 (Druckfassung München 1929). Michael an Schmitt, 18. Mai 1930, ebd. Mit Schreiben vom 18. Mai 1930 ersuchte Michael auch um die Erlaubnis zur Teilnahme an diesen Arbeitsgemeinschaften, ebd.

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der moderaten Rechten bis hin zur Sozialdemokratie reichte, hatte Michael einen Wahlaufruf „Hindenburg und die Nation" entworfen, der ganz auf die Psyche des mit seinen alten Weggefahrten hadernden Reichspräsidenten zugeschnitten war. Michael zeichnete darin ein Bild Hindenburgs, das diesem aus der Seele sprach: ein sich in selbstloser Pflichterfüllung Verzehrender, bis zur Selbstverleugnung gehend - aber bei dieser schweren Aufgabe von vielen alten Kameraden im Stich gelassen, obgleich Hindenburg doch an seiner Absicht, „Brüning durch einen anderen Kanzler zu ersetzen" und „die nationale Opposition in die Regierung zu nehmen", keinen Zweifel gelassen habe.39 Und Hindenburg versäumte nicht, sich in einem persönlichen Schreiben beim Autor mit den Worten zu bedanken: „Die Würdigung, die Sie meiner Person und meinem Streben [...] zuteil werden lassen, hat meinem alten Herzen wohlgetan."40 Damit hatte sich Michael ein Entrée geschaffen, das ihn ermutigte, nun auch Carl Schmitts Lehre in konzentrierter Form dem Reichspräsidenten schmackhaft zu machen. Dieser Schritt erfolgte ganz gezielt nach dem 13. August 1932, als Hindenburg mit seiner (wie sich später herausstellen sollte: nur vorläufigen) Absage an die Reichskanzlerschaft Hitlers zugleich in irgendeiner Form auf eine massive Konfrontation mit dem Reichstag zusteuerte, in dem die Nationalsozialisten nach der fahrlässig herbeigeführten Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 über eine parlamentarische Schlüsselstellung als weitaus größte Partei mit nahezu 40% der Mandate verfügten. Für die Anhänger einer konstitutionellen, auf der Präsidialgewalt fußenden Demokratie war dies aber nur der willkommene Anlaß, um den Reichspräsidenten zu einem mit der Weimarer Reichsverfassung kaum noch in Einklang stehenden Durchgreifen gegen den Reichstag und gegebenenfalls auch gegen die beiden extremen Flügelparteien KPD und NSDAP zu ermuntern. Carl Schmitt hat hierzu - wie mittlerweile eindeutig belegt ist - seinen juristischen Sachverstand beigesteuert41 - und Horst Michael hat sich mit seinen Mitteln bemüht, den Begriff des Politischen für eine solche immense Ausschöpfung der Präsidialgewalt als Argumentationsbasis auszuschlachten.

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Horst Michael, Hindenburg und die Nation, in: Der Ring 5 (1932) Heft 1 vom 4. März 1932, S. 160f. Michaels Argumentation gleicht auf verblüffende Weise jener Selbstrechtfertigung, die Hindenburg am 25. Februar 1932 an einen ausgesuchten Kreis ihm nahestehender Personen schicken ließ, abgedruckt bei Hubatsch, Hindenburg und der Staat, S. 312-316. Hindenburg an Michael, 2. März 1932 (Privatbesitz); vgl. auch ein in dieselbe Richtung gehendes Schreiben von Staatssekretär Meißner, dem Leiter des Büros des Reichspräsidenten, 2. März 1932, ebd. Ausfuhrliche Belege bei Pyta, Verfassungsumbau, S. 180-183; vgl. auch Berthold, Staatsnotstandsplan, S. 32-42.

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Der Begriff des Politischen eignete sich aus zwei Gründen als ein solches theoretisches Fundament. Zum einen lieferte er mit seiner Freund-Feind-Gegenüberstellung ein militarisiertes Politikverständnis, das ein unnachsichtiges Durchgreifen gegen diejenigen Kräfte rechtfertigte, die als Staatsfeinde geächtet wurden - nach Lage der Dinge im August 1932 Kommunisten und Nationalsozialisten. Zum anderen lieferte er das theoretische Rüstzeug, um den Reichspräsidenten zum alleinigen Repräsentanten des einheitlichen Volkswillens zu überhöhen und daraus eine Legitimation für ein mit der Verfassung zumindest in einem Spannungsverhältnis stehendes Vorgehen gegen den Reichstag und die politischen Parteien abzuleiten. Am 24. August 1932 erschien eine programmatische Schrift - gemeinsam von Michael und Lohmann verfaßt - , die eine Art „Lightversion" der Lehre Carl Schmitts für den politischen Gebrauch darstellt. Michael und Lohmann hatten in ihrem Gemeinschaftswerk Der Reichspräsident ist Obrigkeit2 die ganze Palette der einschlägigen Schriften Schmitts verarbeitet, aus denen sich ein präsidiales Vorgehen gegen den Reichstag ableiten ließ: Schmitts Verfassungslehre, auch seinen Hüter der Verfassung und natürlich ebenfalls Schmitts neueste Produktion Legalität und Legitimität43 Aber bei alledem stand doch Der Begriff des Politischen als Theoriebasis Pate, wenn die Verfasser unablässig Hindenburg als Sinnbild und institutionellen Garanten der politischen Einheit des deutschen Volkes beschworen.44 Diese Schrift übergaben die Verfasser persönlich Hindenburgs Sohn Oskar45, der als 1. Adjutant des Reichspräsidenten fungierte - und der Reichspräsident bedankte sich wenig später mit einem persönlichen Dankschreiben hierfür.46 Auch in der Tagespresse stieß Michael in dieses Horn. In versteckter, aber für Eingeweihte eindeutiger Weise forderte er den Reichspräsidenten zu unkonventionellen Schritten gegen die Widersacher der Präsidialherrschaft auf und leitete diese Generalermächtigung aus dem Arsenal der Schmittschen Lehre ab, indem er den Reichspräsidenten „zum alleinigen Repräsentanten der Reichseinheit gegenüber dem sich zerfleischenden Volke und zum obersten Richter über die 42

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Horst Michael/Karl Lohmann: Der Reichspräsident ist Obrigkeit!, Hamburg 1932. Diese Schrift erschien am 24. August 1932; vgl. einen Auszug daraus in der „Täglichen Rundschau" vom 24. August 1932 sowie das Schreiben Michaels an seinen Vertrauten Karl Thieme vom 21. August 1932, Archiv des Instituts fur Zeitgeschichte, München, Nachlaß Karl Thieme, ED 163/Nr. 55. Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, München 1932; sie wurde gemäß der Angabe des Verfassers (LL 6) am 10. Juli 1932 abgeschlossen. Michael/Lohmann, Der Reichspräsident ist Obrigkeit, insbesondere S. 72-77. Mündliche Auskunft von Karl Lohmann an den Verfasser, 5. Dezember 1995. Hindenburg an Horst Michael, 27. August 1932 (Privatbesitz).

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Auslegung des Volkswillens"47 stilisierte. Damit war eine eindeutige Bedeutungserhöhung des Reichspräsidenten im Vergleich zur noch zurückhaltenden Funktionsbeschreibung vom Hüter der Verfassung verbunden. Eine konsequente Interpretation des Begriffs des Politischen ebnete den Weg fur die Identifikation des Reichspräsidenten als Verkörperung des politischen Volkswillens mit der Verfassung selbst: „Hindenburg ist die Verfassung!".48 Inwieweit diese Popularisierung der Gedanken Carl Schmitts für das politische Tagesgeschäft den Reichspräsidenten in seinem Agieren wirklich beeinflußte, ist quellenmäßig schwer abzuschätzen. Immerhin dürften diese Appelle insofern ihren Zweck nicht ganz verfehlt haben, als sich Hindenburgs Herrschaft von Anfang an - also seit seiner Erhebung zum Volksheros nach der siegreichen Schlacht von Tannenberg 1914 - plebiszitär legitimierte und sich Hindenburg seinerseits als nationale Integrationsfigur verstand und auch so inszenierte.49 Daher dürfte die Vermutung nicht fehlgehen, daß die Präparierung des Terrains mit popularisierten Theorieschriften Carl Schmitts auch einen gewissen Beitrag dazu leistete, daß der Reichspräsident in der entscheidenden Besprechung auf seinem Gut in Neudeck am 30. August 1932 sich für eine mit der Verfassung nicht mehr in Einklang zu bringende Ausschaltung des Reichstags hergab, indem er mit seiner auctoritas eine Verschiebung von Reichstagsneuwahlen auf unbestimmte Zeit zu legitimieren zusagte.50 Hindenburg blieb jedoch der Ernstfall erspart, weil sich sein Reichskanzler Papen durch eigene Ungeschicklichkeit in eine Situation hineinmanövrierte, in welcher der Griff zum Neudecker Staatsnotstandsplan sich von selbst verbat, weil er den geschlossenen Widerstand der überwältigenden Mehrheit der deutschen Gesellschaft hervorgerufen hätte.51 Carl Schmitt hingegen wurde nicht

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Horst Michael, Hindenburg regiert!, in: Tägliche Rundschau, Jahrgang 51, Nr. 193 vom 18. August 1932. Horst Michael, „Legal" und „legitim", in: Berliner Börsen-Courier Nr. 403 vom 30. August 1932; wie sehr Michael damit über den Hüter der Verfassung hinausging, betont auch der Kommentar: Vom Hüter zur Quelle, in: Vossische Zeitung Nr. 418 vom 31. August 1932; zur Rezeption der Schrift Michaels und Lohmanns siehe auch die ablehnende Bewertung von Seiten des politischen Katholizismus in: Das Zentrum. Mitteilungsblatt der Deutschen Zentrumspartei 4 (1933), S. 24-26. Vertiefende Überlegungen zum spezifischen Charakter von Hindenburgs Herrschaft bei: Wolfram Pyta, Paul von Hindenburg als charismatischer Führer, in: Frank Möller (Hg.), Charismatische Führer der deutschen Nation (erscheint 2003). Protokoll der Neudecker Besprechung bei Hubatsch, Hindenburg und der Staat, S. 339-343; allgemein zum Neudecker Staatsnotstandsplan Heinrich August Winkler, Weimar 1918-1933, München 1993, S. 518-520. Vgl. Winkler, Weimar, S. 521-529.

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müde, als juristischer Chefberater Schleichers seinen Sachverstand im Herbst 1932 in immer neue Entwürfe zu Proklamationen des Reichspräsidenten zu stecken, die allerdings eine Schreibtischarbeit blieben, weil der Reichspräsident sich diesmal die verfassungspolitischen Ratschläge Schleichers nicht mehr zu eigen machte. Dabei hatten Carl Schmitt und Horst Michael hierbei ein perfekt arbeitendes Gespann gebildet und in Gemeinschaftsproduktion am 4. Dezember 1932 auf Ersuchen von Ott den Entwurf für eine politische Kundgebung des Reichspräsidenten entworfen 52 , in dem der tagespolitische Transfer der im Begriff des Politischen angelegten Argumentation auf die Spitze getrieben wurde: Denn einem gegen die Regierung opponierenden Reichstag wurde hier schlichtweg die demokratische Legitimation abgesprochen (einen solchen Reichstag betrachtete der Reichspräsident „nicht mehr als eine Volksvertretung im Sinne der Reichsverfassung" 53 ), was nur dann möglich war, wenn dem Reichspräsidenten ein demokratisches Monopol aufgrund der ihm zugewiesenen Eigenschaft als Inkarnation des politisch homogenen Volkswillens zugebilligt wurde. Deutliche Anleihen beim Begriff des Politischen nahm Carl Schmitt auch vor bei der wohl wichtigsten politischen Aufgabe, mit der ihn Schleicher betraut hatte: der Vertretung der Interessen des Reiches im epochemachenden Prozeß vor dem Leipziger Staatsgerichtshof, in dem die am 20. Juli 1932 vom Reichspräsidenten verfugte Einsetzung eines Reichskommissars für das Land Preußen, verbunden mit einer gleichzeitigen Amtsenthebung der preußischen Minister, zur richterlichen Überprüfung anstand. Schmitt führte am ersten Verhandlungstag, am 10. Oktober 1932, sein aus dem Begriff des Politischen wohl bekanntes Argument einer Bürgerkriegssituation (im diesem Falle gemünzt auf die Angriffe gegen die Staatsautorität von Seiten der revolutionären KPD sowie auf die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten) ins Feld, um daraus eine Definitionshoheit des Reiches bzw. des Reichspräsidenten über die Bestimmimg von Freund und Feind abzuleiten: Nur das Reich und kein einzelnes Land besitze das Monopol, „Politik im weitesten und intensivsten Sinne des Wortes" 54 zu betreiben, nämlich bestimmte Gruppen als Staatsfeinde 52 53

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Näheres dazu bei Pyta/Seiberth, Staatskrise, S. 606f. Abdruck dieses Entwurfs bei Berthold, Staatsnotstandsplan, S. 86 sowie bei Wolfram Pyta, Konstitutionelle Demokratie statt monarchistischer Restauration. Die verfassungspolitische Konzeption Schleichers in der Weimarer Staatskrise, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 47 (1999), S. 417^141, hier S. 432f. Es ist bezeichnend, daß Schmitt diese Argumentation gleich in seinem allerersten Redebeitrag vor dem Staatsgerichtshof gebrauchte; wortwörtliche Niederschrift dieser Ausführungen in der einschlägigen Dokumentation: Preußen contra Reich vor dem Staatsgerichtshof. Stenogrammbericht der Verhandlungen vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig vom 10. bis 14. und vom 17. Oktober 1932, Berlin 1933, S. 39-41, Zitat S. 40.

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zu identifizieren und mit ihnen entsprechend zu verfahren. Hier wurde der Begriff des Politischen also in einem strikt unitarischen Sinne ausgedeutet und als argumentatives Gerüst zur Entpolitisierung der föderalen Gewalten eingesetzt. Carl Schmitt hat auch noch im Januar 1933 an der Erhöhung des Präsidentenamtes unbeirrt festgehalten. Unablässig versuchte er auf die Politiker in diesem Sinne einzuwirken. Am 13. Januar 1933 suchte er Reichsinnenminister Bracht ein unnachgiebiges Vorgehen gegen den Reichstag schmackhaft zu machen und warb dafür in einer stark mit militärischen Metaphern geschmückten Sprache, die sich wie eine konsequente Umsetzung der Freund-Feind-Bestimmung aus dem Begriff des Politischen liest. Geradezu händeringend ersuchte er die Präsidialregierung, von ihrer Definitionshoheit über die Freund-Feind-Kategorien Gebrauch zu machen und sich nicht von den semantischen Verwirrspielen speziell der Nationalsozialisten, die sich aus taktischen Gründen auf einmal als Vorkämpfer parlamentarischer Rechte ausgäben, beirren zu lassen.55 Doch zu diesem Zeitpunkt fanden seine Vorstöße selbst bei Schleicher keinen Widerhall mehr, weil vermutlich Hindenburg selbst gar kein Interesse an einer solchen Aufwertung seines Amtes besaß, die mit einer gewaltigen Exponierung seiner Person einhergehen mußte, woran ihm aus sehr persönlichen Gründen nicht gelegen sein konnte.56 Schmitts Appell an die Präsidialgewalt, aus der klaren Scheidung zwischen Freund und Feind die politischen Konsequenzen zu ziehen und die Machtmittel des Staates ohne Abstriche gegen den inneren Feind einzusetzen, lief daher ins Leere, weil der Reichspräsident diese Grundsatzentscheidung scheute. Die Reichswehrfiihrung hingegen zeigte sich noch Ende 1933 entschlossen, bis zum Äußersten zu gehen: Reichswehrminister und Reichskanzler Schleicher ersuchte den Reichspräsidenten am 23. Januar 1933 um den Einsatz der präsidialen auctoritas zugunsten einer eindeutig die Verfassung transzendierenden Verschiebung von Neuwahlen nach vorheriger Auflösung des Reichstags.57 Doch Hindenburg entpolitisierte aus freien Stücken sein Reichspräsidentenamt, indem er den dem Politischen inhärenten inneren Kampf 58 gegen die extremen Bewegungen nicht

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Den Hinweis auf diese Ausführung Schmitts verdanke ich Dr. Gabriel Seiberth; vgl. hierzu auch Seiberth, Anwalt des Reiches, S. 172. Die entsprechende dreiseitige Ausarbeitung Schmitts ist mit „Stichworte" überschrieben, in: HStAD, RW 265-206; das Datum 13. Januar 1933 ergibt sich aus dem Begleitschreiben an Reichsinnenminister Bracht, RW 265-206/K 167; siehe auch das Tagebuch Schmitts vom 11. und 13. Januar 1933, HstaD, RW 265-21640. Vgl. Pyta/Seiberth, Staatskrise, S. 608-610. Vgl. Winkler, Weimar, S. 575-581. „Die reale Möglichkeit des Kampfes, die immer vorhanden sein muß, damit von Politik gesprochen werden kann, bezieht sich bei einem derartigen , Primat der Innenpolitik' konsequenterweise [...] auf den Bürgerkrieg." (BP 32)

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nur scheute, sondern die Regierungsgewalt dem „Führer" der Nationalsozialisten anvertraute. Schmitts tiefe Enttäuschung über dieses Verhalten des Reichspräsidenten, die er seinem Tagebuch anvertraute 59 , mochte nicht zuletzt auch darin wurzeln, daß er dem Feldmarschall-Reichspräsidenten weder dieses Zurückweichen vor der Verantwortung noch diesen selbstgewählten Rückzug aus der ersten Reihe der Politik zugetraut hatte. Mochte Hindenburg selbst sich auch damit entlastet von der Verantwortung fur heftige innenpolitische Kämpfe fühlen - sein neuer Reichskanzler Adolf Hitler ging nach dem 30. Januar 1933 mit stillschweigender Billigung Hindenburgs daran, die Freund-Feind-Unterscheidung mit brutaler Entschlossenheit gegen die vermeintlichen inneren Widersacher der „Regierung der nationalen Einheit" zu exekutieren. Dabei sekundierte ihm kein geringerer als Carl Schmitt, der im April 1933 nach einer mehrwöchigen Phase der Desorientierung 60 nicht zuletzt aus Karrieregründen in das Lager der Sieger übergewechselt war. Den politischen Akteur Carl Schmitt gelüstete es nach einem Betätigungsfeld für seinen unstillbaren politischen Gestaltungswillen, den er an der Seite Schleichers partiell hatte ausleben können. Seine Theorie des Politischen leistete dabei wichtige Überbrückungsdienste, indem sie ihre politische Vielseitigkeit unter Beweis stellte und Schmitts Herzensanliegen - die Garantie der inneren Einheit - vom Reichspräsidenten weg auf den „Führer" verlagerte. Die antipluralistische Stoßrichtung von Schmitts Politikverständnis ebnete somit die beträchtlichen Unterschiede zwischen einer Präsidialherrschaft mit autoritären Zügen und einer totalitären Führerherrschaft ein und verschaffte dem politischen Denker Carl Schmitt einen gleitenden Übergang ins „Dritte Reich". 61 Bei diesem Prozeß sollte allerdings nicht aus dem Auge verloren werden, daß Schmitt hierbei auf Hindenburgs Spuren wandelte. Schließlich war es der Reichspräsident gewesen, der den NS-Parteifuhrer durch die Bestellung zu „seinem" Kanzler aufgewertet und politisch geadelt hatte. Noch stärker allerdings fiel ins Gewicht, daß die Kombination Hindenburg-Hitler 62 für die theoretischen Anwälte

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„Der Hindenburg-Mythos ist zu Ende": Tagebucheintragung vom 27. Januar 1933, HStAD, RW 265-21640. Dazu siehe die gründliche Studie von Paul Noack, Carl Schmitt, Berlin 1993, S. 164-184. Grundlegend dazu Preuß, Bändigung oder Entfesselung, vor allem S. 158f., der die Anschlußfähigkeit des Politikverständnisses von Carl Schmitt nach beiden Seiten betont. Die zentrale Rolle Hindenburgs als Leitfigur beim Übergang vieler Vertreter autoritären Denkens in das Lager Hitlers ist bislang zu wenig beachtet worden. Eine Fülle von Belegen fur das Einschwenken des autoritären Konservatismus auf diese Position in der einschlägigen Studie von Andreas Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 249-313, wobei allerdings auch hier die Funktion Hindenburgs als Moderator und legitimierende

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eines homogenen Volkswillens in geradezu optimaler Weise die Voraussetzungen für eine innere Befriedung der zerrissenen deutschen Gesellschaft bot: hier der mit plebiszitärem Öl gesalbte und von seinem Mythos als pater patriae zehrende Hindenburg; dort der scheinbar vom wüsten Parteiagitator zum „Volkskanzler" gereifte Anführer der weitaus stärksten, in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft fest verankerten politischen Massenbewegung. „Hindenburg und Hitler zur Führung vereint" - diese nicht zuletzt im Umfeld des Reichspräsidenten ausgegebene Parole63 traf den Nerv dieses antipluralistischen Politikverständnisses und zog gravierende Konsequenzen für jene politischen Kräfte nach sich, die als Einheitsverweigerer markiert und ausgesondert werden konnten. Es war daher kein Zufall, daß Carl Schmitt in seiner ersten Veröffentlichung in einem nationalsozialistischen Journal - in seinem Artikel im Westdeutschen Beobachter vom 12. Mai 1933 - auf die Nutzanwendung seiner Freund-FeindBestimmung als untrüglichen Kompaß für die Identifizierung der Gegner der „nationalen Revolution" verwies: „Wir lernen wieder unterscheiden. Wir lernen vor allem Freund und Feind richtig unterscheiden".64 Daher war es nur konsequent, daß Schmitt wenig später eine weitere, dritte Version seines Begriffs des Politischen vorlegte, in der die - wenn nötig - unerbittliche Aussonderung der auf diese Weise identifizierten Widersacher der großen nationalen Volksgemeinschaft theoretisch legitimiert war.

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Instanz dieser Transition zugunsten einer Herauskehrung weltanschaulicher Gemeinsamkeiten („Reichstheologie") unterbelichtet bleibt. Eine in diese Richtung weisende Publikation des Journalisten Schultze-Pfaelzer, der durch mehrere offiziöse Darstellungen Hindenburgs die besondere Gunst von Hindenburgs Staatssekretär Meißner genoß, erschien im April 1933: Gerhard SchultzePfaelzer, Hindenburg und Hitler zur Führung vereint, Berlin 1933; wie sehr diese Publikation in die neue Linie der Hindenburgschen Geschichtspolitik nach dem 30. Januar 1933 paßte, wird u. a. ersichtlich aus einem Schreiben Schultze-Pfaelzers an den Generalmajor Bernhard Schwertfeger, 7. 9. 1946, Bundesarchiv Koblenz, Ν 1015/566. Zur Arbeitsteilung zwischen Hindenburg und Hitler vgl. auch die anregenden Überlegungen bei Raimund von dem Bussche, Konservatismus in der Weimarer Republik, Heidelberg 1998, S. 356f. Dieser Auszug aus Schmitts Beitrag mit dem Titel „Das gute Recht der deutschen Revolution" ist zitiert nach Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 397.

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SiGLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

Siglen- und Literaturverzeichnis

Die Werke Carl Schmitts BP BP I BP II BP III

BP IV BP V BP VI

AN

Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 1963 Der Begriff des Politischen, in: Archiv fur Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 58 (1927), S. 1-33 Der Begriff des Politischen, in: Probleme der Demokratie, in der Reihe: Politische Wissenschaft, Heft 5, Berlin 1928, S. 1-34 Der Begriff des Politischen. Mit einer Rede über das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen neu herausgegeben von Carl Schmitt, (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, Heft X) Duncker & Humblot, München und Leipzig 1932 Der Begriff des Politischen, Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg 1933 Der Begriff des Politischen (1927), in: PB 67-74 Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 1963

Antworten in Nürnberg, hg. und kommentiert von H. Quaritsch, Berlin 2000 BS Briefwechsel mit einem seiner Schüler, hg. von A. Möhler. In Zusammenarbeit mit I. Huhn und P. Tommissen, Berlin 1995 D Die Diktatur. Von den Anfangen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf, 2. Aufl., München/Leipzig 1928 DARD Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens (1934), zweite, nicht mit der Erstausgabe seitenidentische Aufl., Berlin 1993 DC Donoso Cortés in gesamteuropäischen Interpretation, Köln 1950

SiGLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

ECS EJCS Gl GLP GU HdV HP KVB L LM Ν NE PB PR PT

PT II RK SBV SGN SK TP TW VA

237

Ex Captivitate Salus. Erinnerungen der Zeit 1945/47, Köln 1950 Ernst Jünger / Carl Schmitt. Briefwechsel 1930-1983, hg. von H. Kiesel, Stuttgart 1999 Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947-1951, hg. von E. v. Medem, Berlin 1991 Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923), 2. Aufl., München und Leipzig 1926 Gesetz und Urteil. Eine Untersuchung zum Problem der Rechtspraxis (1912), 2. Aufl., München 1969 Der Hüter der Verfassung, Tübingen 1931 Hugo Preuß. Sein Staatsbegriff und seine Stellung in der deutschen Staatslehre, Tübingen 1930 Die Kernfrage des Völkerbundes, Berlin 1926 Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines Symbols (1938), Köln 1982 Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung (1942), Köln 1981 Theodor Däublers „Nordlicht". Drei Studien über die Elemente, den Geist und die Aktualität des Werkes (1916), Berlin 1991 Der Nomos der Erde im Jus Publicum Europaeum, Köln 1950 Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar - Genf - Versailles, Hamburg 1940 Politische Romantik ( 1919), 2. Aufl., München/Leipzig 1925 Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, 2. (nicht mit der Erstausgabe seitenidentische) Aufl., München und Leipzig 1934 Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie, Berlin 1970 Römischer Katholizismus und politische Form (1923/25), Stuttgart 1984 Staat, Bewegung, Volk. Die Dreigliederung der politischen Einheit, Hamburg 1933 Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916-1969, hg. von G. Maschke, Berlin 1995 Die Sichtbarkeit der Kirche, in: Summa Bd. 1 ( 1917/18), S. 71-80 Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, Berlin 1963 Die Tyrannei der Werte, in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1967, S. 37-62 Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz Nullum crimen, nulla poena sine lege, hg. von H. Quaritsch, Berlin 1994

238 VL VRA WdK WDS

SIGLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

Verfassungslehre, München/Leipzig 1928 Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924—1954. Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin 1958 Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff (1938), 2. Aufl., Berlin 1988 Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, Tübingen 1914

Zitierte Schmitt-Sekundärliteratur1 Armin Adam, Rekonstruktion des Politischen. Carl Schmitt und die Krise der Staatlichkeit 1912-1933, Weinheim 1992 Gopal Balakrishnan, The Enemy. An Intellectual Portrait of Carl Schmitt, London 2000 Hugo Ball, Carl Schmitts Politische Theologie, in: Hochland 21 (1924), S. 263285 Friedrich Balke, Der Staat nach seinem Ende. Die Versuchung Carl Schmitts, München 1996 Olivier Beaud, Les dernier jours de Weimar. Carl Schmitt face à l'avènement du nacisme, Paris 1997 Joseph W. Bendersky, Carl Schmitt. Theorist for the Reich, New York 1983 Lutz Berthold, Carl Schmitt und der Staatsnotstandsplan am Ende der Weimarer Republik, Berlin 1999 Heiner Bielefeldt, Kampf und Entscheidung. Politischer Existentialismus bei Carl Schmitt, Helmuth Plessner und Karl Jaspers, Würzburg 1994 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: H. Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum, 1988; auch in: Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, Frankfurt/M. 1991, S. 344-366 Eckard Bolsinger, The Autonomy of the Political. Carl Schmitt's and Lenin's Political Realism, Westport 2001 Peter C. Caldwell, Popular Sovereignty and the Crisis of German Constitutional Law. The Theory and Practice of Weimar Constitutionalism, London 1997 Manfred Dahlheimer, Carl Schmitt und der deutsche Katholizismus 1888-1936, Paderborn 1998 Jacques Derrida, Politik der Freundschaft, München 2000 Jürgen Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat. Ideologische Komponenten in der politischen Philosophie Carl Schmitts, Köln 1958 1

Aufgenommen wurden neben allen zitierten Monographien auch einige häufiger erwähnte Aufsätze.

SIGLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

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Julien Freund, L'Essence du Politique, Paris 1965 Carlo Galli, Genealogia della politica. Carl Schmitt e la crisi del pensiero politico moderno, Bologna 1996 Hasso Hofmann, Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts (1964), 4. Aufl., Berlin 2002 Hasso Hofmann, Feindschaft - Grundbegriff des Politischen? (1965), in: Zeitschrift für Politik 12 (1965), S. 17-39; auch in ders., Recht - Politik - Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie, Frankfurt/M. 1986, S. 212-241 Gustavo Gozzi / Pierangelo Schiera (Hg.), Crisi instituzionale e teoria dello Stato in Germania dopo la Prima guerra mondiale, Bologna 1987 Ernst Rudolf Huber, Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt (1931/32), in: ders., Bewahrung und Wandlung. Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Berlin 1975, S. 18-36 Ernst Rudolf Huber, Positionen und Begriffe. Eine Auseinandersetzung mit Carl Schmitt, in: Zeitschrift f. d. ges. Staatswissenschaft 101 (1941), S. 1 ^ 4 Margit Kraft-Fuchs, Prinzipielle Bemerkungen zu Carl Schmitts Verfassungslehre, in: Zeitschrift für Öffentliches Recht 9 (1930), S. 511-541 Christian Graf von Krockow, Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger, Stuttgart 1958 Andreas Koenen, Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum „Kronjuristen des Dritten Reiches", Darmstadt 1995 Rüdiger Kramme, Helmuth Plessner und Carl Schmitt. Eine Fallstudie zum Verhältnis zwischen Anthropologie und Politik in der deutschen Philosophie der zwanziger Jahre, Berlin 1989 Helmut Kuhn, Besprechung zu: Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, in: Kant-Studien 38 (1933), 190-196; Wiederabdruck in: ders., Der Staat. Eine philosophische Darstellung, München 1967, S. 447-460 Dirk van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993 Karl Löwith, Der okkasionelle Dezisionismus von Carl Schmitt (1935), in: ders., Sämtliche Schriften, Bd. VIII, Stuttgart 1984, S. 32-71. Heinrich Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss und ,Der Begriff des Politischen'. Zu einem Dialog unter Abwesenden (1988). Erweiterte Neuausgabe, Stuttgart 1998 Heinrich Meier, Die Lehre Carl Schmitts. Vier Kapitel zur Unterscheidung politischer Theologie und Philosophie, Stuttgart 1994 Martin Meyer, Ende der Geschichte?, München 1993 Günter Maschke, Der Tod des Carl Schmitt. Apologie und Polemik, Wien 1987 Reinhard Mehring, Carl Schmitt zur Einführung (1992), Neufassung Hamburg 2001

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SiGLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

Günter Meuter, Der Katechon. Zu Carl Schmitts fundamentalistischer Kritik der Zeit, Berlin 1994 Michele Nicoletti, Trascendenza e potere. La teologia politica di Carl Schmitt, Brescia 1990 Paul Noack, Cari Schmitt. Eine Biographie, Berlin 1993 Henning Ottmann, Carl Schmitt, in: Politische Philosophie des 20. Jahrhunderts, hg. von K. Graf Ballestrem und ders., München 1990, S. 61-87 Wolfgang Palaver, Die mythischen Quellen des Politischen: Carl Schmitts Freund-Feind-Theorie, Stuttgart 1998 Peter-Paul Pattloch, Recht als Einheit von Ordnung und Ortung. Ein Beitrag zum Rechtsbegriff in Carl Schmitts ,Nomos der Erde', Aschaffenburg 1961 Martin Pilch, System des transcendentalen Etatismus. Staat und Verfassung bei Carl Schmitt, Wien 1994 Pier Paolo Portinaro, La crisi dello jus publicum europaeum. Saggio su Carl Schmitt, Mailand 1982 Helmut Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Berlin 1988 Helmut Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts (1989), 3. Aufl., Berlin 1995 Bernd Rüthers, Entartetes Recht. Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, München 1988 Helmut Rumpf, Carl Schmitt und Thomas Hobbes, Berlin 1972 Gabriel Seiberth, Anwalt des Reiches. Carl Schmitt und der Prozeß .Preußen contra Reich' vor dem Staatsgerichtshof, Berlin 2001 Peter Schneider, Ausnahmezustand und Norm. Eine Studie zur Rechtslehre von Carl Schmitt, Stuttgart 1957 George Schwab, The Challenge of the Exception. An Introduction to the Political Ideas of Carl Schmitt between 1921-1936, Berlin 1970 Nicolaus Sombart, Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt - ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos, München 1991 Dolf Sternberger, Die Politik und der Friede, Frankfurt/M. 1986 Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Dritter Band: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur (1914-1945), München 1999 Leo Strauss, Anmerkungen zu Carl Schmitts .Begriff des Politischen', in: Archiv fur Rechts- und Sozialphilosophie 67 (1932), S. 732-749 Thomas Vesting, Erosion staatlicher Herrschaft. Zum Begriff des Politischen bei Carl Schmitt, in: Archiv des öffentlichen Rechts 112 (1992), S. 4-45

SiGLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

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Erich Voegelin, Die Verfassungslehre von Carl Schmitt. Versuch einer konstruktiven Analyse ihrer staatstheoretischen Prämissen, in: Zeitschrift für Öffentliches Recht 11 (1931), S. 89-109 Rüdiger Voigt (Hg.), Mythos Staat. Carl Schmitts Staatsverständnis, BadenBaden 2001 Ernst Vollrath, Wie ist Carl Schmitt an seinen Begriff des Politischen gekommen?, in: Zeitschrift für Politik 36 (1989), S. 151-168 Bernd Wacker (Hg.), ,Die eigentlich katholische Verschärfung ...' Konfession, Theologie und Politik im Werk Carl Schmitts, München 1994

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AUTORENVERZEICHNIS

Autorenverzeichnis

Prof. Dr. Volker Gerhardt, geb. 1944; Promotion 1974; Habilitation 1984. Professor für Philosophie in Münster (1985), Köln (1988), Halle (1992) und an der HU-Berlin (1992). Ordentliches Mitglied und Vizepräsident der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften; Buchveröffentlichungen u. a.: Pathos und Distanz. Studien zur Philosophie Friedrich Nietzsches, 1988; Friedrich Nietzsche, 1992; Immanuel Kants Entwurf ,Zum ewigen Frieden', 1995; Vom Willen zur Macht, 1996; Selbstbestimmung. Das Prinzip der Individualität, 1999; Individualität. Das Element der Welt, 2000; Immanuel Kant. Vernunft und Leben, 2002 Prof. Dr. Christoph Gusy, geb. 1955; Promotion 1979; Habilitation 1983. Professor für öffentliches Recht, Staatslehre und Verfassungsgeschichte in Bielefeld. Publikationen u. a.: Asylrecht und Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland, 1980; Parlamentarischer Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht, 1985; Richterliches Prüfungsrecht, 1985; Die Lehre vom Parteienstaat in der Weimarer Republik, 1993; Polizeirecht, 1993; Die Weimarer Reichsverfassung, 1997; Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, 2000. Prof Dr. Dr. h. c. Hasso Hofmann, geb. 1934; Promotion 1964; Habilitation 1970. Professor für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht in Würzburg (1976) und an der HU-Berlin (1992); 1989/90 Fellow des Wissenschaftskollegs in Berlin; Ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (1992) und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (1993); 1996/97 Fellow der Carl Friedrich von SiemensStiftung. Buchveröffentlichungen u. a.: Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, 1964, 4. Aufl. 2002; Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahr-

AUTORENVERZEICHNIS

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hundert, 1974, 3. Aufl. 1998; Legitimität und Rechtsgeltung. Verfassungstheoretische Bemerkungen zu einem Problem der Staatslehre und der Rechtsphilosophie, 1977; Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, 1981; RechtStaat-Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie, 1986; Verfassungsrechtliche Perspektiven. Aufsätze aus den Jahren 1980-1994, 1995; Einfuhrung in die Rechts- und Staatsphilosophie, 2000 PD Dr. Hans-Christof Kraus, geb. 1958; Habilitation. Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität München. Hauptarbeitsgebiete: Politische Geschichte Deutschlands und Großbritanniens vom 18.-20. Jahrhundert; Geschichte Preußens; Politische Ideengeschichte, Wissenschafts-, Rechts- und Verfassungsgeschichte. Publikationen u. a.: Ernst Ludwig von Gerlach. Politisches Denken und Handeln eines preußischen Altkonservativen, 1994; Theodor Anton Heinrich Schmalz (1760-1831) - Jurisprudenz, Universitätspolitik und Publizistik im Spannungsfeld von Revolution und Restauration, 1999; in Vorbereitung: Englische Verfassung und politisches Denken im Ancien Régime 1689-1789,2003 Dr. Bernd Ladwig, geb. 1966; Promotion 1999. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Berlin-Brandenburgischen Akademie und an der HU-Berlin; seit 2000 Assistent am Institut für Philosophie in Magdeburg. Publikationen u. a.: Gerechtigkeit und Verantwortung. Liberale Gleichheit für autonome Personen, 2000 Dr. Marcus Llanque, geb. 1964; seit 1997 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent an der HU-Berlin und an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften; Promotion 1997; Habilitationsschrift über „Klassischer Republikanismus und moderner Verfassungsstaat". Publikationen u. a.: Demokratisches Denken im Krieg. Die deutsche Debatte im Ersten Weltkrieg, 2000 Prof. Dr. Detlef Lehnert, geb. 1955; Promotion 1981; Habilitation 1989 (FUBerlin); Heisenberg-Stipendiat. Publikationen u. a.: Sozialdemokratie und Novemberrevolution, 1983; Kommunale Politik, Parteiensystem und Interessenkonflikte in Berlin und Wien 1919-1932, 1991; Verfassungsdemokratie als Bürgergenossenschaft, 1998; Die Weimarer Republik. Parteienstaat und Massengesellschaft, 1999 PD Dr. Reinhard Mehring, geb. 1959; Promotion 1988; Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent in Würzburg und Berlin; Habilitation 2000 (HUBerlin). Buchveröffentlichungen u. a.: Carl Schmitt zur Einführung, 1992,

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AUTORENVERZEICHNIS

Neufassung 2001; Heideggers Überlieferungsgeschick. Eine dionysische Selbstinszenierung, 1992; Thomas Mann. Künstler und Philosoph, 2001; Das „Problem der Humanität". Thomas Manns politische Philosophie, 2003 Prof. Dr. Herfried Münkler, geb. 1951; Promotion 1981; Habilitation 1987. Seit 1992 Professor für Theorie der Politik an der HU-Berlin; seit 1993 Ordentliches Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Buchveröffentlichungen u. a.: Machiavelli. Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz, 1982; Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der Frühen Neuzeit, 1987; Odysseus und Kassandra. Politik im Mythos, 1990; Thomas Hobbes, 1993; Politische Bilder, Politik der Metaphern, 1994; Reich, Staat, Europa. Modelle politischer Ordnung, 1996; Über den Krieg, 2002; Die neuen Kriege, 2002 Prof. Dr. Wilfried Nippel, geb. 1950; Promotion 1978; Habilitation 1983. Professuren fur Alte Geschichte an der Universität Bielefeld (1983) und an der HUBerlin (1992); seit 1997 Ordentliches Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Buchveröffentlichungen u. a.: Mischverfassungstheorie und Verfassungsrealität in Antike und früher Neuzeit, 1980; Aufruhr und ,Polizei' in der römischen Republik, 1988; Griechen, Barbaren und ,Wilde'. Sozialanthropologie und Alte Geschichte, 1990; (Hg.), Max Webers ,Die Stadt' (Max Weber-Gesamtausgabe 1/22-5), 1999; (Hg.), Virtuosen der Macht. Herrschaft und Charisma von Perikles bis Mao, 2000 Prof. Dr. Henning Ottmann, geb. 1944; Promotion 1977; Habilitation 1994. Professuren in Augsburg (1986), Basel (1987), München (1995). Publikationen u. a.: Das Scheitern einer Einleitung in Hegels Philosophie, 1973; Individuum und Gemeinschaft bei Hegel, 1977; Philosophie und Politik bei Nietzsche, 1987; Geschichte des politischen Denkens, 200Iff. (bisher drei Teilbände) Prof. Dr. Wolfram Pyta, geb. 1960; Promotion 1987; Habilitation 1994. Lehrstuhlvertretungen in Tübingen und Bonn; seit 1999 Ordinarius für Neuere Geschichte an der Universität Stuttgart. Buchveröffentlichungen u. a.: Gegen Hitler und fur die Republik. Die Auseinandersetzung der deutschen Sozialdemokratie mit der NSDAP in der Weimarer Republik, 1989; Landwirtschaftliche Interessenspolitik im Deutschen Kaiserreich, 1991; Dorfgemeinschaft und Parteipolitik 1918-1933, 1996 Prof. Dr. Gerd Roellecke, geb. 1927; Dissertation 1960; Habilitation 1967. Ordinarius fur Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie in Mannheim (1969);

AUTORENVERZEICHNIS

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Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz (1972-74); Vizepräsident der DFG (1974-77); Rektor der Universität Mannheim (1982-85). Publikationen u.a.: Politik und Verfassungsgerichtsbarkeit, 1961; Der Begriff des positiven Gesetzes und das Grundgesetz, 1969; Grundbegriffe des Verwaltungsrechts, 1972; Aufgeklärter Positivismus, 1995 Dr. Christoph Schönberger, geb. 1966; 1992 Assistent Professor Cardozo School of Law, NY; 1993-99 Wissenschaftlicher Mitarbeiter HU-Berlin; Promotion 1996; 1999-2001 Anwaltstätigkeit; seit 2001 Wissenschaftlicher Assistent Universität Freiburg. Publikationen u. a.: Das Parlament im Anstaltsstaat, 1997 PD Dr. Udo Tietz, geb. 1953; ab 1983 Akademie der Wissenschaften der DDR; 1991-2000 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HU-Berlin; Promotion 1989; Habilitation 1999. Publikationen u. a.: Sprache und Verstehen in analytischer und hermeneutischer Sicht, 1995; Das Ethos der Ästhetik. Der junge Lukács, 1997; Hans-Georg Gadamer zur Einführung, 1999; Die Grenzen des Wir. Eine Theorie der Gemeinschaft, 2002; Ontologie und Dialektik, 2003

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PERSONENVERZEICHNIS

Personenverzeichnis

Adam, Α. 25,35,37 Adenauer, K. 195 Albert, H. 141 Anschütz, G. 75,76,81 Arendt, H. 216 Arndt, H.-J. 11 Aron, R. 13, 17 Augustinus 29 Balke, Fr. 31,32,35,43,55 Ball, H. 28,30 Baltrusch, E. 64 Barion, H. 10,191 Barthélémy, J. 30 Bauer, W. 65 Baum, G. 118 Baurmann, M. 154 Beaud, O. 28,29,40,43 Beestermöller, G. 116 Bendersky, J. W. 49 Benn, G. 48 Berth, E. 37 Berthold, L. 40, 219, 229, 232 Bielefeldt, H. 30,217 Bin Laden, O. 46 Bismarck, Ο. v. 82,85,87 Bleek, W. 192 Bloch, M. 105

Blood, Β. P. I l l Bluhm, Η. 128 Blumenberg, Η. 167 Bobbio, Ν. 197 Böckenförde, E.-W. 10, 23, 24, 39, 43, 69, 96, 112, 140, 151, 153, 160,194,198, 222 Bodin, J. 71,106,209 Böhler, D. 137 Bolsinger, E. 17 Bonald, L. G. A. de 49 Bracht, Fr. 233 Breitling, R. 112 Brodocz, A. 54 Brunner, O. 11,194 Burckhardt, J. 202 Bush, G. W. 46 Bussche, R. v. d. 235 Caldwell, P. C. 25,27 Cancik, H. 109 Caysa, V. 133 Cicero 62, 66,181 Clausewitz, C. v. 66 Cole, G. D. H. 37,86,87, 112 Colli, G. 52 Comte, A. 164 Cooper, R. 122

PERSONENVERZEICHNIS

Cortés, D. 49,156 Creveld, M. van 19,104 Dahlheimer, M. 30 Dahrendorf, R. 88 Dante Alighieri 197 Däubler, Th. 31 Derrida, J. 55,129 Dubiel, H. 45 Duguit, L. 30,37,86 Duso, G. 35 Ebert, Fr. 223 Eisner, K. 73 Engels, Fr. 135,136 Eßbach, W. 124 Felt, S. 112 Fetscher, I. 107,215 Figal, G. 222 Fijalkowski, J. 10 Fioravanti, M. 25,27 Fischer, J. 124 Forcellini, E. 62 Forsthoff, E. 10,161,191 Forsyth, M. 43 Frankenberg, G. 45 Freund, J. 12,13,44,194 Freyer, H. 10 Galli, C. 29,30,31 Ganshof, Fr. L. 105 Gareis, S. Β. 116 Gehlen, Α. 161 Gerhardt, V. 131,167,205,216 Gierke, Ο. v. 38,77, 112 Giesen, Β. 221 Gozzi, G. 25,31,35 Grabowsky, Α. 69,70 Grewe, W. 113,115,121

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Grossheutschi, F. 166,167 Grotius, H. 66, 181 Grueneberg, H. 220,227 Gründer, K. 23 Gudrich, H. 112 Gusy, Ch. 222,223,224 Habermas, J. 12,51,114,121 Hahn, Κ. 115 Harnack, A. v. 199 Hegel, G. W. Fr. 97, 128, 129, 131, 133, 134, 135, 140, 167, 193,197,207,209 Heidegger, M. 216 Heisenberg, W. 56 Heller, H. 27, 32,33, 60, 67 Hensel, A. 28 Hepp, R. 139,221 Herdegen, M. 117 Heyen,E.V. 28 Hindenburg, Ο. v. 230 Hindenburg, P. v. 78, 223, 225, 228,229,231,234,235 Hitler, A. 17,229, 234,235 Hobbes, Th. 42, 71, 84, 85, 92, 106, 107,120,160,197,198,199,200, 201,202,209,215 Höffe, O. 132 Hofmann, H. 10, 11, 14, 17, 24, 27, 29, 39, 40, 50, 69, 94, 96, 107, 108, 109, 114, 115, 119, 120, 126,153, 196 Hollerbach, A. 195 Honneth, A. 124,126 Hubatsch, W. 223,229,231 Huber, E. R. 10,222,224 Hufeld, U. 94 Hüsmert, E. 189 Hussein, S. 46 Hyppolite, J. 12,13

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PERSONENVERZEICHNIS

Ilting, K.-H. 140 Ipsen, K. 113,117,118 Irrlitz, G. 112 Isensee, J. 118 Jakovenko, B. 112 James, W. 111,112 Jaspers, K. 216 Jellinek, G. 21,26,31,32,34 Jünger, E. 17,66,75,94,107,161 Kaegi, D. 216 Kaiser, J. H. 194 Kämpf, H. 106 Kant, I. 102, 112, 113, 114, 120, 121, 131, 164, 197, 209 Karneades 102 Kaube, J. 44 Kehr, E. 69,70 Kelsen, H. 15, 26, 27, 37, 82, 91, 94,160,164 Kempski, J. v. 10 Resting, H. 10, 12. 194 Kiefer, L. 29,37 Kierkegaard, S. 193 Kieserling, A. 95 Kirchheimer, O. 12 Koellreutter, O. 10 Koenen, A. 219 Kojève, Α. 41 Kokott, J. 97 Kolb, E. 224 Kolnai, A. 67 Korioth, St. 27 Koselleck, R. 12,64,160,194 Krabbe, H. 37 Kraft-Fuchs, M. 34 Kramme, R. 126 Kraus, H.-Ch. 173 Krockow, Ch. Graf v. 10,96

Kuhn, H. 41,196,217 Kunkel, W. 63 La Mettrie, J. O. de 166 Laak, D. van 13, 172,194 Laband, P. 25, 26, 27, 28, 30, 31, 34,37,43, 82 Ladwig, Β. 56,58 Laski, H. J. 37,82,86,87, 112 Lederer, E. 38,88 Lefort, C. 45 Lehnert, D. 79 Leibholz, G. 75 Lenin, W. I. 17, 19, 133, 135, 136, 166 Lepsius, O. 222 Lessing, G. E. 201 Lethen, H. 124,126 Leutzsch, M. 65 Lichtenberger, H. 109 Livius 63 Locke, J. 71,209 Lohmann, K. 220,226,230,231 Lokatis, S. 190 Lonis, R. 64 Loretana de Libero 63 Löwenstein, K. 11 Löwith, Κ. 30, 189, 192, 193 Lübbe, H. 194 Ludendorff, E. 17 Luhmann, Ν. 54,95,97,104 Lukács, G. 133 Luther, H. 226 Lutz, D.S. 56 Lutzeier, P. R. 176 Machiavelli, Ν. 197,209 Maistre, J. de 49 Maitland, F. W. 83 Malter, R. 112

PERSONENVERZEICHNIS

Mareks, E. 224,227 Marsilius 209 Marx, Κ. 133,134,135,136 Marx, W. 225 Masaryk, J. 167 Maschke, G. 48, 67, 94,199 Mayer, E. 225 Mayer, Th. 106 Mehring, R. 22, 89, 96, 146, 151, 155, 198,201,202 Meier, Ch. 23,64,68, 119 Meier, H. 14, 24, 35,42, 66, 68, 96, 97, 100, 101, 128, 131, 172, 192, 221 Meißner, O. 229,235 Menke, Ch. 130 Meyer, M. 41 Meuter, G. 17,35,166 Michael, H. 227, 228, 229, 230, 231,232 Miglio, G. 16,191 Miller, M. 57 Möhler, Α. 10, 195, 197 Möllers, Ch. 25,49 Mommsen, W. J. 11,25 Montesquieu, Ch. 71,209 Montinari, M. 52 Münkler, H. 20,56,59 Müller, Ch. 60 Müller, H. 136 Mußgnug, R. 98 Mussolini, Β. 75,80 Napoleon Bonaparte 56 Narwick, J. 116 Naumann, F. 76 Nell-Breuning, Ο. v. 195 Nicoletti, M. 29, 30,35,36,42,44 Niekisch, E. 36 Niemeyer, Th. 116

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Nietzsche, Fr. 52,129,193 Nippel, W. 63,64 Noack, P. 67,172,225,234 Nörr, D. 62 Oberkrome, W. 28 Oppermann, Th. 117 Ott, E. 224,226,227,232 Otten, H. R. 33 Ottmann, H. 167,168 Paine, Th. 146 Palaver, W. 65 Palonen, K. 21,73 Papen, Fr. v. 231 Pasquino, P. 68 Pattloch, P.-P. 10 Paulson, St. L. 26 Peterson, E. 166 Peukert, D. 49 Pfeiffer, R. 62 Pilch, M. 14,31 Pilsudski, J. Κ. 167 Platon 63, 64,201 Plessner, H. 124, 125, 126 Poetzsch-Heffter, Fr. 223 Pomponius 62, 63 Popitz, H. 10 Popper, Κ. R. 141 Portinaro, P. P. 22, 23, 33,40,42 Preuß, H. 37, 38, 39, 72, 76, 77, 82 Preuß, U. Κ. 220, 221,222,234 Proudhon, P.-J. 115,156,208 Pyta, W. 40, 190, 219, 224, 226, 229,231,232,233 Quaritsch, H. 16,23,33, 68,69, 96, 98, 106, 115, 119, 139, 173, 189, 221,222 Rammstedt, O. 137

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PERSONENVERZEICHNIS

Rauscher, Α. 195 Reinhard, W. 19, 104 Rendtorff, T. 195 Richter, L. 223,226 Ricker, R. 195 Riedel, E. 118 Rieder, B. 104 Ritter, J. 194 Rödel, U. 45 Roellecke, G. 107 Rosa, H. 47 Roth, K. 48, 49 Rousseau, J.-J. 71, 92, 128, 197, 209 Rühland, C. 116 Rumpf, H. 42 Russell, Fr. H. 66 Saint-Simon, C. H. 163 Sartorius, C. 99 Savigny, Fr. C. v. 167 Schaal, G. S. 54 Schaefer, M. 118 Schäfer, P. 109 Schelsky, H. 10, 161 Schickel, J. 18,43 Schiera, P. 16,25,31,35,191 Schiwy, P. 195 Schleicher, K.V. 81,90,224,227,232 Schlink, B. 95, 98,109 Schmidt, H. 46 Schnädelbach, H. 127,217 Schneider, P. 10,94,96 Schnur, R. 160,194 Scholz, Fr. 29 Schönberger, Ch. 26,27, 28, 39 Schöttler, P. 28 Schuller, W. 109 Schulte, M. 26 Schultze-Pfaelzer, G. 235

Schwab, G. 12, 13 Schwertfeger, B. 235 Seel, M. 138 Seiberth, G. 40,219,224,232, 233 Seidl-Hohenveldem, I. 113,117,122 Seifert, J. 12 Simmel, G. 60,137 Smend, R. 25, 31, 74, 75, 77, 80, 81,84 Soefïher, H.-G. 57 Sombart, N. 25,29 Sommer, V. 103 Spengler, O. 161,162,166,167 Spiropoulos, J. 116 Stahl, Fr. J. 133 Stalin,J.W. 80 Stammer, O. 12 Starck, Ch. 66 Stein, Α. 117 Stein, L. v. 98 Stein, T. 113,117,122 Sternberger, D. 10,47, 71,215 Strauss, L. 14, 15, 24, 41, 128, 192, 196 Theiner, P. 76 Theißen, G. 65 Thieme, K. 230 Thoma, R. 28,74,75,81,91 Tietz, U. 130,133 Tommissen, P. 10,12,173,191 Treves, R. 26 Triepel, H. 77 Trier, J. 176 Ulpian 62 Vesting, Th. 38,40,43 Voegelin, E. 32,34,216 Vogel, Ch. 103

PERSONENVERZEICHNIS

Voigt, R. 33,220 Vollrath, E. 25,33,42,221 Wacker, B. 65 Weber, M. 11, 12, 25, 72, 73, 76, 79, 89, 106, 114, 129, 160, 164 Weber, W. 10,191 Wehberg, H. 15 Wehler, H.-U. 69,70 Weischedel, W. 102,131

Weiß, J. 65 Welsch, W. 112 Wiehl, R. 216 Willms, B. 194 Wilson, Th.W. 75,115 Winkler, H.A. 213,233 Winckelmann, J. 10, 129 Wittmann, R. 63 Zehrer, H. 10

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